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German Pages [376] Year 2016
Joachim Georg Darjes (1714–1791)
Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen Kleine Reihe Band 45
Ulrike Lötzsch
Joachim Georg Darjes (1714–1791) Der Kameralist als Schul- und Gesellschaftsreformer
2016 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN
Gedruckt mit Unterstützung der Thüringer Staatskanzlei, der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen, Frankfurt am Main, und der jenacon foundation gGmbH, Jena.
Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Joachim Georg Darjes, 1749, Kupferstich von Christian Fritzsch nach F. T. Feller (Stadtmuseum Jena)
© 2016 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Wissenschaftliche Redaktion: Pierre Fütterer Korrektorat: Charlotte Bensch, Weimar Druck und Bindung: Strauss, Mörlenbach Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-412-50149-5
Inhalt Inhalt Inhalt
Vorwort ........................................................................................................................... 9 I.
Einleitung .............................................................................................................. 11
II. Allgemeines Menschenbild und Erziehungsverständnis ............................... 21 1. Das Bild vom Menschen im 18. Jahrhundert ............................................ 21 1.1. Das allgemeine Menschenbild des Darjes und seiner Epoche ..... 21 1.2. Der „industrieuse Mensch“ – ein aufklärerisches Ideal................. 27 2. Darjes’ allgemeiner Entwurf von Erziehung ............................................ 31 2.1. Erziehungsverständnis und Zielvorstellungen ................................ 31 2.2. Einübung grundlegender Fertigkeiten – seelischer, leiblicher und sozialer Status ............................................................................... 35 2.3. Erziehung zur Tugend......................................................................... 46 2.4. Erziehung zur Brauchbarkeit ............................................................. 53 III. Auf dem Weg zu einer erneuerten Schule........................................................ 57 1. Schule und Schulkritik ................................................................................... 57 1.1. Schule und Bildung im 18. Jahrhundert am Beispiel Jenas ........... 57 1.2. Impulse für ein ganzes Leben – Erziehung und Bildung des Schülers Darjes ..................................................................................... 66 1.3. Schulkritik und Reformansätze .......................................................... 72 2. Neuzeitliche Realschule in Theorie und Praxis ......................................... 79 2.1. Wegbereiter und Pioniere der Realschule ......................................... 79 2.2. Heckers „Universalschule“ und neue Tendenzen........................... 91 2.3. Darjes’ Konzept: Realschule als bürgerliche Mittelschule........... 105 2.4. Anforderungen an die Lehrerbildung ............................................. 112 3. Die Rosenschule – Versuch einer Antwort in der Praxis .......................... 119 3.1. Quellen und Sekundärliteratur – eine hinreichende Grundlage? .......................................................................................... 119 3.2. Die Gründungsphase und die Rahmenbedingungen ................... 124 3.3. Die Schüler und ihre Versorgung im Kontext der Fürsorgeerziehung ............................................................................. 131 3.4. Die Lehrer und das Schulpersonal .................................................. 137 3.5. Ziele, Curriculum und Organisation ............................................... 147 3.6. Die Hochschätzung praktischer Arbeit .......................................... 151 3.7. Die Finanzierung und ihre Probleme ............................................. 158 3.8. Das Ende der Rosenschule ................................................................... 165 4. Wirkung der schulreformerischen Impulse des Darjes ......................... 170
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INHALT
IV. Die Aufgabe der Hochschule und des Hochschullehrers ........................... 187 1. Hochschulen im 18. Jahrhundert .............................................................. 187 1.1. Darjes’ universitäre Erfahrungsräume: Rostock, Jena und Frankfurt an der Oder ....................................................................... 187 1.2. Die Verbesserungsbedürftigkeit der Hochschulen in Darjes’ Wahrnehmung .................................................................................... 195 2. Darjes als Hochschullehrer ........................................................................ 203 2.1. Vom Theologiestudenten zum Ordinarius der Jurisprudenz und Philosophie.................................................................................. 203 2.2. Universitätslehrer sein: Darjes’ Anspruch und Praxis ................. 212 2.3. Darjes’ Lehrangebot in Jena und die Fortführung dort durch seine Schüler ....................................................................................... 241 V. Das Sozietätenwesen als ein Motor gesellschaftlicher Innovation ............ 265 1. Die Bildung von Sozietäten im 18. Jahrhundert ..................................... 265 2. Gelehrte Sozietäten – Orte zur Heranbildung von Wissenschaftlern .......................................................................................... 269 3. Wissenschaftliche Sozietäten als interdisziplinäre überregionale Gelehrtenverbünde ...................................................................................... 280 4. „Tugend“ und „Brauchbarkeit“ als Werte in gelehrten und freimaurerischen Gesellschaften................................................................ 289 VI. Schlussbetrachtungen ........................................................................................ 299 Anhang ........................................................................................................................ 309 1. Tagesplan der Rosenschule ............................................................................. 309 2. Darjes’ Lehrveranstaltungen in Jena ......................................................... 310 3. Übersichten über die von Jenaer Dozenten angebotenen, ausdrücklich an Darjes orientierten Lehrveranstaltungen .................... 316 4. Kommentiertes Verzeichnis der Darjesischen Veröffentlichungen und ihrer Rezensionen ................................................................................ 320 Quellen- und Literaturverzeichnis .......................................................................... 335 1. 2. 3. 4. 5.
Abkürzungen für Archive und Bibliotheken ........................................... 335 Archivalien..................................................................................................... 335 Historische Periodika................................................................................... 336 Gedruckte Quellen und Literatur bis 1850 .............................................. 338 Literatur nach 1850 ...................................................................................... 350
INHALT
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Abkürzungsverzeichnis ............................................................................................. 363 Ortsregister ................................................................................................................. 364 Personenregister......................................................................................................... 366
Vorwort
Die vorliegende Studie wurde von der Fakultät für Sozial- und Verhaltenswissenschaften der Friedrich-Schiller-Universität Jena im Wintersemester 2013/2014 als Dissertation angenommen. Für den Druck wurde sie durchgesehen und überarbeitet. Der erfolgreiche Abschluss meiner Arbeit und ihre Veröffentlichung wären mir ohne die Unterstützung zahlreicher Personen und Einrichtungen nicht möglich gewesen, denen ich an dieser Stelle gern meinen Dank aussprechen möchte. An erster Stelle möchte ich mich bei meinem Doktorvater, Herrn Prof. em. Dr. Leonhard Friedrich, für die hervorragende, intensive und herzliche Betreuung und Begleitung meines Dissertationsprojektes bedanken. Für die Übernahme des Zweitgutachtens ebenso wie für seine Unterstützung und vielfältigen Hinweise danke ich Herrn PD Dr. habil. Joachim Bauer, außerdem Herrn Prof. Dr. Peter Noack für seine Mitwirkung in der Promotionskommission. Den Leitern bzw. Mitarbeitern sämtlicher von mir genutzten Archive und Bibliotheken bin ich für ihre fachkundige, zum Teil über das Selbstverständliche weit hinausreichende Hilfe und Auskunftsbereitschaft zu großem Dank verpflichtet. Zudem gilt mein Dank Herrn Enrico Darjes für die förderliche und freundliche Zusammenarbeit. Stellvertretend für die vielen, welche die Entstehung meiner Dissertation auf unterschiedliche Weise hilfreich begleitet haben, möchte ich an dieser Stelle auch Frau Hannelore Friedrich, Herrn Dr. Knut Littke, Herrn Matthias Hensel und Frau Sandra Frick danken. Während meiner Promotionszeit habe ich von der Konrad-AdenauerStiftung eine materielle und ideelle Förderung erhalten, wofür ich ebenfalls meinen Dank aussprechen möchte. Der Historischen Kommission für Thüringen, namentlich Herrn Prof. Dr. Werner Greiling, der SparkassenKulturstiftung Hessen-Thüringen sowie der Jenacon Foundation bin ich für die Unterstützung bei der Veröffentlichung meiner Dissertation sehr dankbar, ebenso den Mitarbeitern des Böhlau-Verlags. Ganz besonders möchte ich mich bei meiner Familie bedanken: den wärmsten Dank an meinen Mann Robert, der bereit war, den steinigen Weg von zwei Promotionen und drei Kindern liebevoll mit mir zu gehen, an meine lieben Kinder Markus, Karla und Jonas für ihre Geduld und ihr Verständnis, und an die übrige Familie für ihre anhaltende Unterstützung. Jena, im September 2015
Ulrike Lötzsch
I.
Einleitung
I. Einleitung Einleitung Schnell wie ein Blitzstrahl fühlte Herr Fix den Drang des Genie[s] […], legte den Zeigefinger seiner rechten Hand an die Nase, dergestalt daß die Spitze desselben genau auf die Stelle kam, die der geheime Rath Darjes uns für den Sitz der Seele zu geben geneigt ist, und stellte sich tief nachdenkend,
so heißt es im beliebtesten Roman des seinerzeit europaweit gelesenen Schriftstellers Johann Gottwerth Müller (1743–1828, genannt Müller von Itzehoe), Siegfried von Lindenberg, der zum ersten Mal 1779 erschien.1 Zwar gehört Joachim Georg Darjes (1714–1791) nicht zu den Gelehrten der Aufklärung, die heute jedem ein Begriff sind; die Romanpassage verdeutlicht jedoch, welche Resonanz er zu seinen Lebzeiten in der breiten Öffentlichkeit gefunden hat: Sein Name war offensichtlich so geläufig, dass Müller von Itzehoe jede weitere Erklärung zu seiner Person für überflüssig hielt. Tatsächlich war Darjes bis weit über die Mitte des 18. Jahrhunderts hinaus als Universitätsprofessor und Wissenschaftler nicht nur eine Größe ersten Ranges, sondern auch bei den Studenten äußerst populär. Der aus Güstrow stammende Pfarrersohn hatte in Rostock ein Theologiestudium begonnen und in Jena mit dem Magistertitel abgeschlossen, woraufhin er dort ab 1735 als Universitätsdozent und später als Professor für praktische Philosophie arbeitete. Stetig erweiterte er den Kreis seiner wissenschaftlichen Interessen und Aktivitäten und erschloss sich in unermüdlicher Forschungs- und Lehrtätigkeit die philosophischen und naturwissenschaftlichen Disziplinen ebenso wie die Rechts-, Staats- und ökonomischen Wissenschaften, wovon sein umfangreiches und thematisch weit gespanntes Œuvre bis heute ein eindrucksvolles Zeugnis ablegt. Seine weitreichenden wissenschaftlichen Kompetenzen, wie auch der in Jena seit mehr als 25 Jahren ununterbrochen anhaltende Zustrom hunderter Zuhörer zu seinen Lehrveranstaltungen, wiesen ihn 1763 als den rechten Mann aus, den Verlust des namhaftesten Gelehrten in Frankfurt an der Oder, des Philosophen und Ästhetikers Alexander Gottlieb Baumgarten (1714–1762), zu ersetzen: Um die Universität der ihr drohenden Bedeutungslosigkeit zu entreißen, wurde dem Jenaer Professor dort auf persönliche Veranlassung Friedrichs des Großen eine außergewöhnlich lukrative Stelle angeboten, auf welcher dieser noch weitere 28 Jahre mit vergleichbarem Erfolg lehrte. Obwohl Darjes sich in Frankfurt deutlich stärker auf die Jurisprudenz konzentriert hatte und die neuzeitliche Philosophie inzwischen von den Lehren
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MÜLLER, Siegfried von Lindenberg, S. 113. Zu Müller vgl. RITTER, Müller, S. 423 f.
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I. EINLEITUNG
eines Immanuel Kant (1724–1804) überrollt worden war, verehrte ihn die gelehrte Welt noch bei seinem Tod als „Patriarch der Philosophen“.2 Das Interesse der vorliegenden Untersuchung beschränkt sich indessen weder allein auf die philosophischen noch einzig auf die juristischen Leistungen des Gelehrten, sondern es sucht sein Wirken in möglichster Breite zu berücksichtigen. Der Rolle nachzuspüren, welche ein zweifellos begnadeter akademischer Lehrer und Gründer einer Versuchsschule als Bildungsreformer spielte, mag nicht sonderlich originell erscheinen, zumal Darjes in einem Jahrhundert lebte, das schon von Zeitgenossen den Beinamen „das pädagogische“ erhalten hatte.3 Tatsache aber ist, dass sich die moderne Pädagogik, das heißt die Wissenschaft von Bildung und Erziehung sowie von den darauf spezialisierten Institutionen, in eben dieser Zeit als eine Antwort auf die weitreichenden gesellschaftlichen Umwälzungen herauszubilden begann. Und Darjes ist denen beizuzählen, die an dieser Entwicklung beteiligt waren. In welcher Weise er Schule und Gesellschaft zu reformieren gedachte, wurde bereits in verschiedenen Arbeiten untersucht – dies geschah jedoch stets unter einem speziellen Frageinteresse, wie es zum Beispiel von Werner Winkler in seinem Aufsatz Die Pädagogik von Joachim Georg Darjes (1714–791) und ihre Bedeutung für die Entwicklung der Arbeitserziehung von 1763 verfolgt wurde, oder in Beiträgen, welche die durch den Gelehrten verwirklichte Gründung einer Modellanstalt, der Rosenschule bey Jena, zum Gegenstand haben.4 Freilich bildet dieses schulreformerische Konzept auch einen wichtigen Schwerpunkt meiner Studie, doch reicht deren Zielsetzung darüber hinaus: Die Bemühung galt einem umfassenden und ausführlichen Gesamtbild von Darjes’ pädagogischem Denken und Wollen. Dazu gehört auch, die Einflüsse früherer und zeitgenössischer pädagogischer Strömungen auf Darjes aufzuzeigen, vor allem aber von ihm ausgehende Impulse sichtbar zu machen. Herauszuarbeiten und zu würdigen sind zum Beispiel sein Anteil an der Herausbildung eines zeitgemäßen Schulwesens oder seine Rolle als Vorreiter der philanthropischen Pädagogik. Die Bilanz aus den bisher vorliegenden Darstellungen ist bescheiden. Das gilt noch mehr für die neueren Arbeiten zur pädagogischen Historiographie, selbst wenn sie sozialgeschichtlich ausgerichtet sind. In dem von Holger Böning und 2 3 4
SCHLICHTEGROLL, Nekrolog 1791, S. 335. Die Bezeichnung soll der Pädagoge Joachim Heinrich Campe (1746–1818) geprägt haben. Vgl. SESINK, Pädagogisches Jahrhundert, S. 4. Meinen Recherchen zufolge gibt es folgende zehn Aufsätze: 1. KOCH, H.: Die „Rosenschule“ in Jena. 1930. 2. GÖTZE, O.: „Die Rosenschule bey Jena“ (1762–1764), eine freimaurerische Gründung d. 18. Jhs. 1931. 3. Ders.: Die erste Thüringer Realschule (1762–1764). 1931. 4. BÖHM, A.: Die Rosenschule bei Jena. 1953. 5. WINKLER, W.: Die Pädagogik von Joachim Georg Darjes (1714–1791) und ihre Bedeutung für die Entwicklung der Arbeitserziehung. 1963. 6. SCHÖLER, W.: Geschichte des naturwissenschaftlichen Unterrichts im 17. bis 19. Jh. 1970. 7. WÖLFLE, E.-F.: Joachim Georg Darjes’ Rosenschule bei Jena. 1979. 8. BAUER, J./MÜLLER, G.: Joachim Georg Darjes (1714–1791) – Aufklärer, Pädagoge und Freimaurer. 1991. 9. Professor Darjes und seine Rosenschule (1762–1764). 1994. 10. ULBRICHT, G.: Joachim Georg Darjes – Arbeitspädagoge der Aufklärung. 1997. Siehe Literaturverzeichnis.
EINLEITUNG
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Reinhard Siegert erstellten und auf möglichste Vollständigkeit hin angelegten Biobibliografischen Handbuch zur Volksaufklärung ist von Darjes lediglich eine Abhandlung5 verzeichnet. Nicht ein einziger Hinweis auf ihn findet sich in Herwig Blankertz’ Die Geschichte der Pädagogik. Von der Aufklärung bis zur Gegenwart, oder in Wolfgang Dreßens Die pädagogische Maschine. Zur Geschichte des industrialisierten Bewusstseins in Preußen/Deutschland – der Fokus dieser beiden 1982 erschienenen Arbeiten ließ wenigstens eine Erwähnung Darjes’ erwarten. Ganz offensichtlich wird der Gelehrte bisher nicht als ein erwähnenswerter Bildungsreformer wahrgenommen. Eine angemessene Würdigung seines Engagements für eine erneuerte (Hoch-)Schule wird an seinem Wirkungsort Jena wohl zusätzlich durch die herausragende Bedeutung erschwert, welche insbesondere der von dem Reformpädagogen Peter Petersen (1884–1952) entwickelte Jena-Plan Anfang des 20. Jahrhunderts erlangte. Ebenso wie die Bestrebungen noch früherer Jenaer Vorkämpfer eines zeitgemäßen Schulwesens – zu nennen wären beispielsweise die von Philipp Melanchthon (1497–1560) beeinflussten Jenaer Professoren Johannes Stigel (1515–1562) und Viktorin Strigel (1524–1569) oder Erhard Weigel (1625–1699) – verdeutlichen die Leistungen eines Darjes in der Aufklärungszeit zweifellos, dass ein reformerischer Impetus an diesem Ort bereits seit Jahrhunderten vorhanden war. In ähnlicher Weise relativierten sich seine Erfolge auf philosophischem Gebiet, da Darjes der zwischen Christian Wolff (1679–1754) und Kant liegenden Generation angehörte; eine Beschränkung auf die großen Namen klammert ihn als einen der aus heutiger Sicht zweitrangigen Denker naturgemäß aus. Gleichwohl wurden die Lehren Wolffs in Jena vor allem von Darjes mit größtem Erfolg weiterverbreitet, der sie zudem weiterzuführen und teilweise zu widerlegen vermochte, und die seinerzeit höchst populären Darjesischen Lehrbücher hatte freilich wiederum der junge Kant6 aufmerksam studiert. „Für die Wissenschafts- und Bildungsgeschichte sind nicht nur die Ideen der herausragenden Persönlichkeiten bedeutsam“, so formuliert es Schindling in seiner Schrift über Bildung und Wissenschaft in der Frühen Neuzeit, „sondern auch die alltägliche Wissensvermittlung in den Hörsälen heute vergessener Professoren.“7 Auf eine Reihe spontaner Geniestreiche reduziert, können sozial- und geistesgeschichtliche Entwicklungen also kaum verstanden werden, denn es bleibt das Verdienst der zahllosen unerwähnten Gelehrten, den „Großen“ maßgebliche Vorlagen geliefert, ihnen zu einem breiten Durchbruch verholfen und durch die Weiterentwicklung ihrer Ideen die nötigen Übergänge geschaffen zu haben.
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Die Darjesische Abhandlung ist Gedancken von Verbesserung der Landwirthschafft zum Nutzen der Herrschafftlichen Kammer von 1754. Mit einigen Darjesischen Lehren setzte sich Kant in seinen frühen Schriften auseinander, so beispielsweise in seiner Dissertation Eine neue Beleuchtung der ersten Prinzipien aller metaphysischen Erkenntniss von 1755. Vgl. KIRCHMANN, Kant’s Schriften, S. 8 f., 21 f. SCHINDLING, Bildung, S. 51.
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I. EINLEITUNG
Insgesamt ist die Kenntnis über Darjes heute spärlich geworden – was sich über ihn in modernen Lexika findet, reicht selten über den obigen kurzen biographischen Abriss und einige bibliographische Hinweise hinaus. Für die wissenschaftliche Untersuchung eines für Darjes zentralen Themas jedoch sind zugrundeliegende Motive aufzuspüren, ist der Genese seiner Fragestellung nachzugehen; das bedeutet, dass der Versuch, seine Auseinandersetzung mit dem Thema zu verstehen, nicht losgelöst vom lebensgeschichtlichen Kontext oder von den zeitgeschichtlichen Voraussetzungen unternommen werden kann. Es stellte sich daher zunächst die Frage nach einer ausführlichen Lebensbeschreibung des Gelehrten. Darjes’ Autobiographie, welche er unmittelbar nach seiner Ankunft in Frankfurt an der Oder verfasste und 1764 veröffentlichte,8 ergibt weder ein lückenloses Bild seines Lebensweges, noch halten alle Angaben in dieser für die gelehrte Öffentlichkeit verfassten Schilderung einer Überprüfung stand.9 Noch zu Lebzeiten des Gelehrten erschien eine Biographie in Koppes Gelehrtem Mecklenburg,10 bei welcher es sich allerdings um eine ungeprüfte und nahezu wortgetreue Wiedergabe der Autobiographie handelt – einzig die wichtigsten Ereignisse der danach liegenden Lebensjahre sind in wenigen Sätzen ergänzt. Als weitere zeitgenössische biographische Versuche entstanden nach Darjes’ Tod die von dem Historiker und Philosophen Carl Renatus Hausen (1740– 1805) verfasste Gedächtnißrede, in welcher dieser seinen ehemaligen Kollegen als akademischen Lehrer schilderte, 11 außerdem die gewissermaßen die Autobiographie fortschreibende Trauerrede des Theologen Johann Gustav Hermann (1740– 1817), schließlich der 1792 veröffentlichte Nekrolog des Altertumswissenschaftlers Adolf Heinrich Friedrich von Schlichtegroll (1765–1822), der alle zuvor genannten Quellen nutzte, und 1793 ein die Autobiographie aufgreifender Beitrag in Friedrich Samuel Mursinnas (1754–1805) Sammlung Leben und Charaktere berühmter und edler im Jahr 1791 verstorbener Männer. Deutlich fundierter und im Tonfall sachlicher als diese Texte, welche in weiten Teilen Prägnanz, Genauigkeit und wissenschaftliche Distanz vermissen lassen, sind später entstandene Biographien oder ausführlichere Lexikoneinträge, die zum Teil auch eine Übersicht über die Werke enthalten. Zu erwähnen sind hier insbesondere die Artikel über Darjes in der Allgemeinen Deutschen Biographie (ADB) und im Biographisch-Bibliographischen Kirchenlexikon (BBKL),12 außerdem die von Lutz Patitz im Jahr 1991 vorgelegte Lebensbeschreibung Joachim Georg Darjes (1714–1791) – Universitätslehrer 8 9 10 11 12
Seine Lebensbeschreibung legte Darjes in der Vorrede seines Lehrwerks Einleitung in des Freyherrn von Bielefeld Lehrbegriff der Staatsklugheit (im Folgenden: Bielefelds Staatsklugheit, S. 3–40) nieder. Darjes schrieb selbst, er habe keinerlei schriftliche Zeugnisse zur Hand gehabt und die Autobiographie ganz aus dem Gedächtnis verfasst. Vgl. ebd., S. 3. Vgl. KOPPE, Daries, S. 29–48. Vgl. HAUSEN, Gedächtnißrede. Diese erschien auch als separater Druck, vgl. HAUSEN, Darjes als Lehrer. Vgl. RICHTER, Darjes, S. 758 f.; BERNET, Darjes, Sp. 163–173.
EINLEITUNG
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in Frankfurt an der Oder. Einen Schwerpunkt auf Darjes als Pädagoge und Lehrer setzt einzig der Nachruf Hausens; Darjes’ Wirksamkeit und Impulskraft als Reformer des Bildungswesens allerdings findet höchstens am Rande Erwähnung. Es erschien mir daher sinnvoll, eine biographische Darstellung in diese Studie aufzunehmen, welche insbesondere die Stationen seines eigenen Bildungsweges und seiner Reifung zum akademischen Lehrer, aber auch die für den Menschen der frühen Aufklärung prototypischen Seiten seiner Persönlichkeit aufzeigt, welche auf diese Weise also hilft, sein Werden und Wirken als Lehrer und Schulreformer, als Multiplikator kameralistisch-aufklärerischer Ideen von Erziehung und Bildung in Theorie und Praxis zu verstehen. Erarbeitet wurde allerdings kein vom Argumentationsstrang der Arbeit losgelöster biographischer Text, sondern drei jeweils thematisch ausgerichtete biographische Skizzen, welche in den ersten drei Kapiteln platziert wurden und die allgemeinen Ausführungen so zugleich als konkrete Fallbeispiele ergänzen können. Meine Untersuchung der Darjesischen Reformbestrebungen erstreckt sich auf drei thematische Bereiche, die seine zentralen Interessen- und Wirkungskreise bildeten: das Schulwesen, das Hochschulwesen und das Sozietätenwesen. Den entsprechenden drei Kapiteln ist ein erstes orientierendes Kapitel vorangestellt, welches das Menschenbild und das Erziehungsverständnis im 18. Jahrhundert skizziert und damit eine für die Epoche charakteristische Denkweise hervorhebt, um auf dieser Grundlage Darjes’ Entwurf einer allgemeinen Pädagogik, wie sie seine Schriften vermitteln, plausibel zu machen. Sein Verständnis vom Menschen und dessen Möglichkeiten sowie wesentliche Intentionen und Grundsätze seines Konzepts von Erziehung werden herausgearbeitet. Die großen Stichworte, auf welchen die dann darzustellenden Reformideen fußen, sind „Perfektibilität“, „Tugend“ und „Brauchbarkeit“. In dem sich anschließenden zweiten Teil können diese für das von Darjes angestrebte und von ihm auch selbst verkörperte Ideal des „industrieusen Menschen“13 maßgeblichen Kategorien ausführlich erörtert und anhand der von Darjes projektierten und eröffneten Versuchsschule exemplarisch verdeutlicht werden. Damit nun jedoch diese Rosenschule als ein der Realschulbewegung des 18. Jahrhunderts entsprungenes Modellprojekt ausgiebig untersucht, eingeordnet und in seiner Einzigartigkeit entdeckt werden kann, ist ein vorbereitender Streifzug durch wesentliche angrenzende Themengebiete angeraten, die den weiteren wichtigen und für die Untersuchung aufschlussreichen Hintergrund darstellen. Eröffnet wird dieser durch den Versuch, die für das 18. Jahrhundert typischen Bildungsarrangements am Beispiel der historischen Jenaer Schullandschaft nachzuzeichnen, um dem Sonderfall der von Darjes konzipierten Camsdorfer Realschule das zu dieser Zeit in der Welt der Bildung Übliche gegenüberstellen zu können, das Konkurrenzmodell also sozusagen in seine pädagogische
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Dieser Begriff wird hier verwendet nach TROST, Industrieschule, S. 5 f.
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I. EINLEITUNG
Nachbarschaft einzubetten. Eine Zusammenfassung der schulischen Bildungserfahrungen ihres Gründers wird diese Darstellung ergänzen und den Horizont erweitern. An ihnen entzündeten sich kritische Überlegungen, die in Verbindung mit der Diskussion von allgemeinen Reformvorschlägen für das Schulwesen auf die Spur der später von Darjes entwickelten Konzepte zeitgemäßen Lehrens und Lernens verweisen. Ein zweiter Abschnitt wird sich speziell den Realschulen des 18. Jahrhunderts zuwenden, beginnend mit einem kurzen historischen Abriss der Realschulbewegung in zwei Etappen, in welchem zuerst die wesentlichen Einflüsse aufgewiesen sowie erste Vertreter mit ihren konkreten Plänen und Versuchen angeführt werden. Danach folgt die Darstellung einer zweiten Phase, deren Beginn hier an der Eröffnung der Heckerschen Realschule in Berlin 1747 festgemacht wird. In diese Entwicklungslinie gehört als eine der letzten Realisierungen eines Konzepts von Realschule auch die schon eine neue Richtung weisende Rosenschule. Darjes gehört mit seinem eigenständigen Versuch zu den wenigen Vertretern der Realschulbewegung, welche sowohl auf theoretischem als auch auf praktischem Gebiet zur Entwicklung des neuen Schultyps einen wesentlichen Beitrag leisteten; neben seinem schon auf das konkrete Projekt abzielenden Entwurf einer Real-Schule von 1761 entwickelte der Universitätsprofessor in verschiedenen Schriften auch eine allgemeine Theorie der Realschule, die im nächsten Abschnitt dargestellt wird. Schließlich soll die Aufmerksamkeit insbesondere auf das im Verlauf des 18. Jahrhunderts intensiv diskutierte und mit der aufkommenden Forderung nach Realienunterricht noch stärker in den Fokus rückende Problem der Lehrerbildung gelenkt werden, auf welches schließlich durch die Gründung eigener Lehrerseminare reagiert wurde. Die auf den eigentlichen Schwerpunkt des zweiten Kapitels vorbereitenden biographischen und schulgeschichtlichen Ausführungen münden nun in die Darstellung des Schulversuchs Rosenschule. Das Ziel war hier die Rekonstruktion sowohl ihrer äußeren Verfassung, ihrer curricularen Schwerpunkte und pädagogischen Zielsetzungen, als auch ihrer Entwicklung in möglichster Ausführlichkeit. Umfangreiche Recherchen schufen über die bekannten Quellen hinaus, welche eingangs zusammen mit der wissenschaftlichen Literatur angeführt werden, eine verlässliche Quellenbasis. Die Darstellung folgt zwar insgesamt einer chronologischen Struktur, doch wurden an thematisch passender Stelle zwei mit Darjes’ Projekt eng zusammenhängende Fragen, nämlich die der Fürsorgeerziehung und des Arbeitsunterrichts, einbezogen und gesondert diskutiert; nur unter deren Berücksichtigung kann die Darjesische Modellschule adäquat in die pädagogischen Strömungen des 18. Jahrhunderts eingeordnet werden. Obwohl sie nur vergleichsweise kurz bestanden hat, von Anfang 1762 bis vermutlich Mitte 1765, erlangte die Rosenschule – nicht zuletzt durch ihren namhaften Stifter – im deutschen Sprachraum einige Bekanntheit und beeinflusste, wie der abschließende Abschnitt darlegt, die Überlegungen späterer Schulgründer in beträchtlicher Weise. Das dritte Kapitel wendet sich dem Bereich des Hochschulwesens zu. Um auf die von Darjes geäußerte Hochschulkritik und seine daraus resultierenden
EINLEITUNG
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Reformideen angemessen eingehen zu können, sollen zuerst Struktur und Situation der Institution Universität im 18. Jahrhundert nachgezeichnet und vergegenwärtigt werden. Zu diesem Zweck wird Einblick in die unmittelbaren Erfahrungsräume des Studenten und späteren Dozenten Darjes genommen und der damalige Zustand der Hochschulen in Rostock, Jena und Frankfurt an der Oder knapp geschildert. Im Anschluss werden die in den Schriften des Gelehrten geäußerten Kritikpunkte und Verbesserungsvorschläge für das Hochschulwesen zusammengefasst. Sie belegen, dass er es nicht bei der Feststellung der äußerlichen Missstände bewenden ließ, sondern beispielsweise auch darauf drängte, die für Lehrer an Universitäten wünschenswerte Ethik und Gesinnung zu thematisieren. Die folgenden Abschnitte konzentrieren sich auf Joachim Georg Darjes in seiner Eigenschaft als akademischer Lehrer. Ein biographischer Abriss zeichnet seine ursprünglich gar nicht vorgesehene, dann aber nahezu idealtypisch verlaufene beachtliche Hochschulkarriere bis zu seinem Tod nach. In der Folge wird versucht, die überlieferten Urteile über den Universitätslehrer anhand zeitgenössischer Belege ausführlich darzustellen und zu beurteilen. Zum Ausgangspunkt wird dabei sein außergewöhnlicher Lehrerfolg genommen. Als bemerkenswerte Qualitäten rücken neben seinen allgemeinen fachlich-didaktischen Fähigkeiten die von ihm gewählte demonstrative Lehrart und deutsche Unterrichtssprache sowie sein Umgang mit gelehrten Gegnern und seinen Studenten in den Fokus. Zuletzt werden Darjes’ Lehrangebot an der Universität Jena in seiner Entwicklung sowie die jeweils zugehörigen, in aller Regel von ihm selbst verfassten Kompendien im Einzelnen besprochen. Ein kurzer ergänzender Abriss für jedes Lehrfach informiert jeweils über die Fortsetzung dieses Unterrichts durch seine Schüler und Anhänger in Jena und zeigt, wie nachhaltig die Präsenz dieses beeindruckenden Gelehrten war. Wie während des Arbeitsprozesses immer wieder deutlich wurde, ist Darjes’ volkserzieherisches Anliegen ohne eine Kenntnis der Sozietäten des 18. Jahrhunderts nicht zu erfassen. Zeitlebens zeigte sich der Gelehrte von den unterschiedlichsten Gesellschaften fasziniert, war in etlichen von ihnen aktiv, fungierte als Vorstandsmitglied oder gestaltete sie wesentlich mit – die Gelehrte Gesellschaft zum Nutzen der Künste und Wissenschaften (GNKW) in Frankfurt an der Oder schließlich wurde nach einem von ihm vorgelegten Plan erst gegründet. So schien es geboten, in einem vierten Kapitel auch diese Sozietäten näher zu beleuchten. Wie sich erweist, spielten sie eine wesentliche Rolle als Orte pädagogischer Aufklärung und Räume der Selbstbildung. Die Ermittlung und Einschätzung von Darjes’ Aktivitäten in den unterschiedlichen Gesellschaften und insbesondere bei den Freimaurern öffnet einen weiteren Zugang zum Verständnis seiner Gedankenwelt und lässt die Motive und Ziele seines pädagogischen Denkens und Handelns noch deutlicher zutage treten. Verknüpft mit den aus der Biographie des Gelehrten gewonnenen Erkenntnissen ergibt sich damit ein recht vollständiges Gesamtbild seines Erziehungs- und Bildungskonzeptes. Zu diesem Zweck wer-
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I. EINLEITUNG
den die sogenannten gelehrten Gesellschaften näher untersucht und ihre Funktion als außeruniversitäre Gelehrtenverbünde und Ausbildungsstätten des wissenschaftlichen Nachwuchses herausgearbeitet. Insbesondere an den Freimaurerlogen lässt sich außerdem exemplarisch zeigen, dass die am Anfang der Arbeit identifizierten Bildungsziele „Tugend“ und „Brauchbarkeit“ auch in den Sozietäten engagiert verfolgt wurden. Einigen für das 18. Jahrhundert typischen Entwicklungen versucht die Untersuchung bei alledem zu folgen, indem beispielsweise das damals noch verhältnismäßig junge, in immensem Wachstum begriffene Medium der Periodika nach Möglichkeit Berücksichtigung findet. Eine intensive Nutzung gerade der sogenannten gelehrten Zeitungen, in welchen vor allem neu erschienene Schriften bekannt gemacht und oft auch beurteilt, wissenschaftliche Abhandlungen verbreitet, über Personalien informiert oder das Vorlesungsangebot der örtlichen Hochschule abgedruckt wurden, ist heute angesichts der inzwischen in großer Zahl digitalisierten und online verfügbaren Bestände leicht möglich und erweist sich als höchst lohnenswert. Zwar rangen viele dieser Druckwerke ganz offensichtlich noch um eine praktikable formale Struktur und um eine sinnvolle inhaltliche Auswahl und Abgrenzung, doch boten sie definitiv ganz neue Möglichkeiten des wissenschaftlichen Austauschs und verbreiteten rasch den aktuellsten Stand der Wissenschaft. Darjes war in verschiedenen derartigen Zeitungen als hochproduktiver Verfasser gelehrter Schriften und akademischer Lehrwerke, die dort exzerpiert und rezensiert wurden, über Jahrzehnte präsent und meldete sich gelegentlich mit eigenen Beiträgen zu Wort. Darüber hinaus aber erinnerte er in seinen Veröffentlichungen auch wiederholt an die diesen Medien seiner Meinung nach hauptsächlich zukommende Aufgabe, nämlich „unpartheyische Nachrichten von den Schriften der Gelehrten [zu] geben“,14 und forderte deren Erfüllung ein. Auch als Herausgeber eines eigenen Periodikums, der Jenaischen Philosophischen Bibliothek, versuchte er Einfluss darauf zu nehmen, dass sich Kritiker stets auf die ethischen Grundsätze ihrer Tätigkeit besannen: Sein Schüler Balthasar Münter nämlich kündigte dort im Namen aller Mitarbeiter an, regelmäßig „einige besondere Bogen, unter der Aufschrift: Kritik der gelehrten Zeitungen, auszufertigen“, weil deren Verfasser „oft […] die Rechte [mißbräuchten], die man ihnen zugestehe […]“ – insbesondere Bestechlichkeit warf er ihnen vor.15 Die in gelehrten Zeitungen abgedruckten zeitgenössischen Rezensionen seiner Lehrbücher und anderer Schriften erwiesen sich im Übrigen als wertvolle Quellen für die Einschätzung Darjes’ als Hochschullehrer. 14
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DARJES, Nebenstunden 1, Vorrede (unpag.). In seinen Ersten Gründe der philosophischen SittenLehre tadelte Darjes die Blätter, die offensichtliche Beschimpfungen seiner Schriften abdruckten: „denen Zeitungen gereicht es zur Schande, in welchen man solche ungesittete[n] Dinge duldet […] Ist dieses für gelehrte Zeitungen eine Ehre?“ Ders., Sitten-Lehre, Vorrede zur ersten Auflage (unpag.). JPB 1759, 1. Bd., 1. St., S. 10. Veröffentlichungen unter dem genannten Titel sind nicht nachweisbar.
EINLEITUNG
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Wenngleich die Arbeit eine historische ist und es also ihrer Absicht gemäß war, pädagogische Ideen und praktische Versuche der Vergangenheit zu rekonstruieren und nachzuvollziehen, so eröffnen sich doch immer wieder Parallelen zum Heute, weil vergleichbare Problemlagen und Aufgaben wahrgenommen werden können. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts hatte es die Gesellschaft weitgehend geschafft, sich von den verheerenden Folgen und Traumata des Dreißigjährigen Krieges zu erholen. Ein ebenso ermutigendes Beispiel gab Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg ab, als es sich in den beiden so unterschiedlichen Gesellschaften als fähig erwies, die katastrophale wirtschaftliche Lage allmählich zu überwinden und eine weitgehende Stabilität bis hin zur wiedervereinigten Wirtschaftsmacht zu erreichen. Der eine wie der andere Vorgang aber lehrt, dass Wandel und Fortschritt nur von Menschen mit Wagemut und Initiativgeist zu bewirken sind und dass der einmal erreichte Stand von der nachfolgenden Generation nur dann aufrechterhalten werden kann, wenn das bestehende Bildungssystem sie entsprechend zu motivieren und zu qualifizieren vermag. Erweist es sich bei den geänderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen als nicht länger zukunftstauglich, dann sind Zielvorgaben, Organisationsformen und die spezifischen Institutionen öffentlicher Bildung und Erziehung ebenso von Grund auf zu hinterfragen, wie das tatsächlich Wissens- und Lernenswerte neu zu ermitteln ist. Ein solcher Wendepunkt ist ganz offensichtlich auch in unserer Zeit wieder erreicht. Sofern die Hinwendung zum Aktuellen nicht unterbleibt, kann die Beschäftigung mit dem Historischen also den Blick für die Problemlagen der jetzigen Zeit schärfen und die sich heute am dringlichsten stellenden Aufgaben identifizieren helfen. Zuletzt seien an dieser Stelle noch einige Anmerkungen zum Text- und Fußnotenapparat angefügt. Für die Untersuchung wurden, wie dem Quellenverzeichnis zu entnehmen ist, zahlreiche historische Texte herangezogen. Bei der wörtlichen Wiedergabe von Archivalien folgen die Transkriptionen den Originalen orthographisch so genau wie möglich. In Einzelfällen wurden sowohl bei den Handschriften als auch bei den neuzeitlichen Drucken die oft eigenwillige Zeichensetzung und offensichtliche Druckfehler zugunsten des Textverständnisses stillschweigend korrigiert. Die Nachweise im Fußnotenteil folgen in aller Regel dem Schema: Autor, Kurztitel, Seitenangabe. Häufig angeführte Aktenbestände haben eine eigene Kurzbezeichnung erhalten. Ebenso wurden die Titel der ziteierten historischen Periodika dort durch eindeutige Kürzel ersetzt. Eine Liste aller Siglen findet sich wie üblich im Quellen- und Literaturverzeichnis.
II.
Allgemeines Menschenbild und Erziehungsverständnis
II. Menschenbild und Erziehungsverständnis
1.
Das Bild vom Menschen im 18. Jahrhundert
Menschenbild im 18. Jahrhundert 1.1. Das allgemeine Menschenbild des Darjes und seiner Epoche Jede Untersuchung, welche nach der Theorie und Praxis von Erziehung einer bestimmten Epoche fragt, muss zugleich das in dieser Zeit vorherrschende Menschenbild in den Blick nehmen: Dass ein unauflösbarer Zusammenhang besteht zwischen den grundlegenden Ideen davon, was der Mensch ist, was er sein kann und sein soll, und dem jeweils aktuellen Stellenwert von Erziehung, ihrer Ausgestaltung und den durch sie im Allgemeinen sowie im Besonderen verfolgten Intentionen, dies liegt auf der Hand. Soll ein solches philosophisch-anthropologisches Konzept nachempfunden werden, so kann im Ergebnis freilich bloß eine gewisse Annäherung an eine Teilsicht erreicht werden, schlicht weil es sich zu keiner Zeit um ein allgemeingültiges Faktum handelt. Zur Verfügung stehen aus vergangenen Jahrhunderten oft einzig die schriftlichen Zeugnisse der Gebildeten, mithin einer sehr kleinen Bevölkerungsgruppe, welche nicht das Allgemeine und Selbstverständliche ihrer Epoche, sondern vielmehr die damaligen Trends und Geistesblitze überliefern. Werden diese aus heutiger Sicht in besonderer Weise prägenden Ideen der jeweils „Neuen“ als allgemeiner Denkhabitus des Zeitalters generalisiert, muss ein verzerrtes Bild entstehen. Es ist davon auszugehen, dass die Mehrzahl der Menschen weiterhin und oft noch über lange Zeit den alten Traditionen anhing – auch die vorherrschende Erziehung und Bildung wirkt sich ja (konservierend) auf das jeweils aktuelle Bild vom Menschen aus. Entsprechend ist hier keine erschöpfende und endgültige Darstellung davon zu erwarten, wie sich ein durchschnittlicher Europäer des 18. Jahrhunderts wahrscheinlich den Menschen an sich, seine Möglichkeiten und seine Bestimmung dachte. Es soll schlicht versucht werden, die Zeit der Aufklärung in ihren gedanklichen Schlaglichtern bezüglich des Menschenbildes grob zu umreißen und einige der gegenüber der vorangegangenen Geistesepoche erkennbaren Entwicklungen, welche exemplarisch bei Darjes gezeigt werden können, festzuhalten.1 Was die Philosophie angehe, so Kreimendahl, könne das 18. mit dem 17. Jahrhundert zum „Zeitalter der Vernunft“ zusammengefasst werden, denn es sei „inhaltlich von den Leistungen des 17. Jahrhunderts abhängig“ gewesen.2 1 2
Die folgenden allgemeinen Ausführungen orientieren sich an KRAUSS, Anthropologie; KREIMENDAHL, Philosophen; SCHNEIDER, Weltbild. KREIMENDAHL, Einleitung, S. 14.
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II. MENSCHENBILD UND ERZIEHUNGSVERSTÄNDNIS
In der von den Glaubenskriegen und dem Absolutismus geprägten Epoche zwischen Renaissance und Aufklärung hatte – angetrieben durch die beachtlichen neuen Ansätze und Methoden einer von René Descartes (1596–1650) eröffneten und von Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) beschlossenen Reihe wirkmächtiger Denker – ein enormer Aufschwung der (Natur-) Wissenschaften eingesetzt, der das 17. Jahrhundert als „Zeitalter der wissenschaftlichen Vernunft“ und „der naturwissenschaftlichen Erklärung“ ausweist.3 Diese Tendenzen fortführend, bildete sich im folgenden Jahrhundert der sogenannten Aufklärung statt eigener philosophischer Systeme nun eine gänzlich neue philosophische Denkhaltung aus. Die Wissenschaftler des 18. Jahrhunderts nahmen erstmals in aller Breite den Menschen, sein Wesen sowie die menschliche Gemeinschaft und ihre Geschichte so gezielt ins Visier wissenschaftlicher Forschung, dass daraus die Anthropologie als eigenständige Disziplin hervorging. Im Vorfeld waren mit dem Kolonialismus und einer ausgebreiteten Missionstätigkeit schon seit dem 16. Jahrhundert Nachrichten über die hochentwickelten asiatischen Kulturvölker, aber auch über die sogenannten Primitiven, also Stämme der Indianer und Eingeborenen, in die Alte Welt gelangt. Mit deren Verbreitung, etwa in Form von literarischen Reiseberichten, hatte sich dort zunehmend ein Interesse an Anthropologie und Ethnologie herausgebildet. Denn nicht nur die bisher gültigen biblischen Erklärungen zur Erd- und Menschheitsgeschichte mussten plötzlich zweifelhaft erscheinen4 – Fragen nach der Urreligion, der Ursprache, vor allem aber nach der eigentlichen Natur des Menschen wurden hochaktuell und verlangten nach wissenschaftlicher Klärung. Gespeist aus den Berichten über die allem Augenschein nach im unschuldigsten Naturzustand verbliebenen Völker verschiedener Ureinwohner, entstand bereits im 16. Jahrhundert der Mythos des „bon sauvage“, des edlen Wilden, als dem durch die Zivilisation unverdorbenen, auf seiner ursprünglichen Stufe befindlichen Naturkindes.5 Insbesondere in der Reiseliteratur des darauffolgenden Jahrhunderts überliefert, wurde dieses Idealbild des natürlichen Menschen im 18. Jahrhundert zum Ausgangspunkt einer 3 4
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SCHNEIDER, Weltbild, S. 293 f. So sah man sich etwa plötzlich der Aufgabe gegenüber, die zeitlich sehr weit zurück reichenden exakten Überlieferungen der Asiaten mit dem bisher anhand der Bibel ermittelten Alter der Erde und der Menschheit auf überzeugende Weise in Übereinstimmung zu bringen. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts kam in diesem Zusammenhang die Diskussion um eine ewige Welt ohne Anfang und Ende auf, an der sich übrigens Darjes 1735 mit einer Dissertation ebenfalls beteiligte. Vgl. KRAUSS, Anthropologie, S. 28 ff.; DARJES/KAPPELIER, De possibilitate (unpag.). Vgl. KRAUSS, Anthropologie, S. 21, 32–47. Voll ausgeprägt findet sich dieser Mythos bereits bei Michel de Montaigne (1533–1592), welcher allerdings im 18. Jahrhundert „weit mehr gelesen wurde als im 17.“ (ebd., S. 21). Der Kult um den „bon sauvage“ wurde auch in der schöngeistigen Literatur aufgegriffen, so von dem bedeutendsten französischen Romantiker, François René de Chateaubriand (1768–1848), und hielt sich noch bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts. Gegenreaktion auf diesen unter anderem von Voltaire (1694–1778) abgelehnten Mythos war meist eine offene Indianerfeindlichkeit.
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anthropologischen Argumentationsrichtung, die den kontinuierlichen sittlichen Verfall des Menschengeschlechts durch die Zivilisation zu beweisen suchte. Eine gegenläufige Strömung las aus der Geschichte des Menschengeschlechts eine zunehmende Fortentwicklung in allen Bereichen, insbesondere im moralischen, ab und erklärte folgerichtig die Perfektibilität oder allseitige Vervollkommnung zum Antrieb und Daseinszweck des Menschen. Die Vertreter dieser Idee erkannten in ihm kein Natur-, sondern ein Kulturwesen. Der philosophischen Aufklärung im Ganzen kommt Krauss zufolge jedenfalls der Verdienst zu, eine ganz neue Sichtweise auf den Menschen als im naturwissenschaftlichen Sinne „natürliches und dem allgemeinen Zusammenhang der Natur eingegliedertes Wesen“ etabliert zu haben.6 Damit hatte er seine bislang selbstverständliche Sonderstellung als das Meisterwerk Gottes, als die Krone der Schöpfung, in gewisser Weise verloren, wurde Tier unter anderen Tieren. Zu einem gewöhnlichen Teil der Natur geworden, konnte allerdings die menschliche Spezies nun auch mit den im 17. Jahrhundert gewonnenen exakten Methoden untersucht und beschrieben sowie mit den Tieren verglichen werden. Im Ergebnis schließlich schien es legitim, den Menschen seiner herausragenden und augenscheinlich einzigartigen Begabung mit Vernunft und auch seiner Befähigung zur Sittlichkeit wegen wieder zu inthronisieren. Er sollte seine besonderen Fähigkeiten mit einem neuen Selbstbewusstsein akzeptieren, dabei aber gleichzeitig erkennen, dass diese Gaben für ihn eine Verpflichtung zu ihrem Gebrauch bedeuteten. So war es das gemeinsame Anliegen der Aufklärungsphilosophen, dass sie die Menschheit zu Vernunft und Tugend führen wollten; der einzig realistische Weg dazu schien eine planvolle, wissenschaftlich begründete Erziehung des Einzelnen sein. Eben dafür war die exakte Beschreibung des Menschen und seiner „Funktionsweise“, war die Diskussion um Angeborenes und Erlerntes, um menschliche Möglichkeiten und Grenzen unverzichtbare Grundlage. In der das 17. Jahrhundert prägenden Begeisterung für Naturwissenschaft, Technik und Fortschritt war typischerweise versucht worden, die unbelebte wie die belebte Natur fast unabhängig von religiösen Bedenken gänzlich mechanistisch zu deuten, doch hatte sich sogleich die Begrenztheit dieses Modells hinsichtlich organischer und metaphysischer Phänomene gezeigt. In der weiteren Entwicklung trat daher allmählich der sozusagen organologische Argumentationsstrang in den Vordergrund: Der in höchster Perfektion konstruierte „Maschinenmensch“7 wich im Verlauf des 18. Jahrhunderts dem Bild vom wachsenden, werdenden, sich entfaltenden Wesen.
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KRAUSS, Anthropologie, S. 11. Der französische Mediziner und Philosoph Julien Offray de La Mettrie (1709–1751) betitelte sein bis heute bekanntestes Werk L’homme machine (Der Mensch als/eine Maschine). Gänzlich materialistisch eingestellt, erklärte er die Seele zu einem reinen Ergebnis körperlicher Prozesse und war folgerichtig konsequenter Atheist. La Mettrie war zahlreichen Verfolgungen ausgesetzt und erhielt vor seinem Tod Asyl am Hofe Friedrichs II. von Preußen. Vgl. LASKA, La Mettrie, S. 98–103.
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II. MENSCHENBILD UND ERZIEHUNGSVERSTÄNDNIS
An einer in Bezug auf den Menschen mechanistischen Denkweise und Metaphorik scheint der Philosoph Darjes, zumindest wenn sie den Bereich der Physis betraf, noch keinerlei Anstoß genommen zu haben: „Unser Leib“, so schrieb er 1750 in Erste Gründe der philosophischen Sitten-Lehre, „ist eine Machine, welche in der Art ihrer Bewegung durch den Lauf des Blutes regieret wird.“8 Der Gelehrte bekannte sich – dies wird aus zahlreichen Anmerkungen in dieser, aber auch in seinen anderen Schriften, deutlich – zur Idee eines stetigen Fortschritts der Menschheit durch die Zivilisation. Von der Existenz eines dem Menschen angeborenen Triebes zur Vollkommenheit war er überzeugt. Entsprechend konnte für ihn nur die völlige „Übereinstimmung unserer willkührlichen Würkungen mit unsern natürlichen oder wesentlichen Trieben zur Vollkommenheit“ beim Einzelnen eine wirkliche „Ruhe des Gemüths“ bewirken, das heißt den Zustand „wahrer Glückseligkeit“ auf Erden.9 Die umfassende Vervollkommnung des einzelnen Menschen und damit der Menschheit bezeichnet das moralphilosophische Leitmotiv des Gelehrten, der Appell zur unablässigen Arbeit an sich selbst und zu entsprechender Ermunterung sowie Unterstützung des Nächsten zieht sich durch sein ganzes Werk. Methodisch ging er dabei mit Definitionen und Beweisen den zeitgemäßen Weg exakter Wissenschaft, zumal er seine Schlussfolgerungen und Erklärungen mit häufigen Verweisen auf die alltägliche Erfahrung oder Empirie versah. Wie Darjes mit dem Hinweis auf die Fälle einiger in der Wildnis aufgefundener, einzig von Tieren aufgezogener Menschenkinder überzeugend bekräftigte, kann ein Mensch nicht aus eigener Kraft, nicht rein aus sich selbst heraus zum Menschen werden: Die wilden Kinder hatten eine tierische Daseinsstufe ganz offensichtlich nicht überwunden.10 Obwohl mit allen erforderlichen Anlagen bereits geboren,11 vollzieht der Mensch also ausschließlich in der Interaktion mit seinesgleichen tatsächlich die Menschwerdung. Der Umstand, dass der denkbar unvollkommen in die Welt geborene Mensch mit einem in einzigartiger Weise ausgeprägten Vermögen zum (lebenslangen) Lernen ausgestattet ist, auf welches Darjes hinwies,12 fügt sich stimmig zu dieser Feststellung. In seiner Entwicklung kann er dabei offenbar auch einzig in dem Grad 8 9 10
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DARJES, Sitten-Lehre, S. 122. Vgl. ebd., S. 46 f., 57 f. Das im 18. Jahrhundert mit Interesse studierte Phänomen der sogenannten „wilden Kinder“ oder „Wolfskinder“, welche in ihrem erschreckend wenig menschenähnlichen Äußeren und stärker noch im Verhalten einen krassen Gegensatz zum Mythos des „edlen Wilden“ bildeten, gab der Diskussion um die Natur des Menschen neue Nahrung. So beschrieb Jean Jacques Rousseau (1712–1778) in seinem Discour sur l’origine de l’inégalité 1754 fünf Fälle isoliert aufgewachsener Kinder. Vgl. zu dieser Thematik MALSON, Die wilden Kinder. Darjes drückte dies mit der Formulierung aus, der Mensch besitze grundlegende Fähigkeiten bzw. ein bestimmtes Vermögen „von Natur“. DARJES, Entwurf, S. 5; Ders., Erste Gründe der Cameral-Wissenschaften (im Folgenden: Cameral-Wissenschaften), S. 392. In den Cameral-Wissenschaften etwa betonte Darjes das natürliche „Vermögen“ des Menschen „geschickt zu werden“. Ebd.
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fortschreiten, in welchem diese Gemeinschaft bereits zivilisiert ist. Schloss der Gelehrte einen edlen Naturzustand für den Menschen damit gewissermaßen aus, so wies er zugleich der Erziehung die Schlüsselfunktion im Prozess der Menschwerdung zu. In einem ganz selbstverständlich vorgenommenen Vergleich mit dem Tier verdeutlichte er, dass sich der Mensch in seiner Prädisposition zu Vernunft und Moral von sämtlichen anderen Spezies zwar unterscheide, diese Anlagen jedoch durch äußere Einflussnahme „ausgewickelt und in ihrem Innern gestärket werden“ müssten, weil anderenfalls der erwachsene Mensch auf der Stufe des Kleinkindes und damit dem Vieh ähnlich bleibe.13 Ein hoher Grad an Vernunft und Sittlichkeit wird sich also nicht unweigerlich, bloß weil der Mensch dazu prinzipiell in der Lage ist, einstellen, sondern er hängt Darjes zufolge ursächlich von einer wissenschaftlich fundierten, an den natürlichen Entwicklungsschritten orientierten Erziehung und Bildung ab, wie sich in den nächsten Kapiteln im Einzelnen zeigen wird. Nicht allein die Heranwachsenden jedoch bleiben auf das Miteinander angewiesen, der Mensch an sich ist Darjes zufolge nicht als Einzelgänger und die Individuen seiner Art sind nicht als Kontrahenten denkbar.14 Denn wird die Vollkommenheit und damit die Glückseligkeit des Menschengeschlechts zum eigentlichen Ziel des menschlichen Daseins erklärt, so führt der direkte Weg dorthin zweifellos nicht über den Einzelnen, sondern über die Gemeinschaft, in welcher die Mitglieder einander ermuntern, beaufsichtigen und unterstützen können. In der logischen Konsequenz leitet sich daraus für die irdische Existenz des Einzelnen die Verbindlichkeit ab, durch seine eigene und anderer Leute Vervollkommnung ein Leben lang und auch unter persönlichen Opfern zugunsten der allgemeinen „Wohlfahrt“ nach Kräften an dieser Fortentwicklung mitzuwirken, diese zumindest aber so wenig wie möglich zu stören. In einer seiner späten Schriften bezeichnete Darjes diese „Erweiterung wahrer Vollkommenheit“ ausdrücklich als den „natürlichen Zweck“ der Menschen: Bestehe der Zweck der Tiere, weil diese einzig „die Natur durch ihre Triebe“ lehre, schlicht in der „Erhaltung“, so sei derjenige der Menschen deshalb „mehr ausgedehnet“, weil es sich bei ihnen um „vernünftige Wesen“ handele, woraus ihnen eine „moralische Nothwendigkeit oder ihre Pflicht“ erwachse.15 Diese morali-
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DARJES, Sitten-Lehre, S. 337 f. Vgl. auch Ders., Cameral-Wissenschaften, S. 392. Darjes folgte hier seinem antiken Vorbild Aristoteles (384–322 v. Chr.), der von einem Urzustand gesellschaftlicher Verbundenheit ausging, im Gegensatz etwa zu Epikur (um 341–271 oder 270 v. Chr.) und dessen Interpreten Lukrez (um 95–55 v. Chr.), welche ein auf dem Recht des Stärkeren basierendes gewalttätiges Nebeneinander der Urmenschen vermuteten. Von den Philosophen des Vernunftzeitalters neigten Thomas Hobbes (1588–1679) und Voltaire (1694–1778) ebenfalls dieser Position zu, als Gegenspieler vertrat Rousseau (1712–1778) den Standpunkt einer friedlichen Koexistenz. Vgl. KRAUSS, Anthropologie, S. 25 f. DARJES, Seine Gedanken, S. 17 f. Vgl. auch Ders., Sitten-Lehre, S. 57.
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II. MENSCHENBILD UND ERZIEHUNGSVERSTÄNDNIS
sche Verbindlichkeit nun wendete Darjes gänzlich utilitaristisch: Die Bürger sollten als „Werkzeuge“16 der Gesellschaft nach einer allseitigen, harmonischen und weitestgehenden Entwicklung ihrer selbst und auch ihrer Mitmenschen streben, weil sie der Gemeinschaft auf diese Weise ihren größtmöglichen Nutzen erwiesen. Ob der Einzelne ein gelungenes, sozusagen wertvolles Leben führt, ist demnach direkt daran abzulesen, inwieweit er „zum Nutzen der Welt“, „zum Nutzen des Staates“, „zum Nutzen der bürgerlichen Gesellschaft“ lebt und arbeitet.17 Wer unter seinen Möglichkeiten bleibt, gehorcht nicht ausreichend seinem Daseinszweck und entfernt somit nicht nur sich selbst, sondern die gesamte Menschheit vom Ziel der Glückseligkeit. Die freiwillige Erfüllung dieser Pflicht aus vernünftiger Einsicht heraus zeugt hingegen von wahrhaftiger Tugend. Darjes’ Auffassung nach verfügt der neugeborene Mensch keineswegs schon über eine Art moralisches Gespür;18 zwar bringt er im Unterschied zum Tier die grundsätzlichen Voraussetzungen mit, um überhaupt moralisches Urteilen und Handeln entwickeln zu können, er ist aber von sich aus weder gut noch böse, sondern schlicht zu beidem gleichermaßen in der Lage. Über die tatsächliche Ausprägung – und dies muss die Aufmerksamkeit des aufgeklärten Philosophen erneut zur Erziehung zurückführen – entscheiden die äußeren Einflüsse. Im Gegensatz zu einer rein gewohnheitsmäßigen und damit äußerlichen Sittlichkeit, welche das Kind und auch jeden unzureichend unterrichteten Erwachsenen auszeichnet, bildet sich wahre Tugend erst mit einer zunehmenden Entwicklung der Vernunft aus. Erziehung muss also die Erweckung und Herausbildung beider Fähigkeiten gleichermaßen im Blick haben und sie aufeinander abstimmen. Die planvolle Ausbildung der Vernunft und damit der Moral bei den Nachkommen wird sich, dem Ideal der Perfektibilität gemäß, ihrer Vollendung in dem Maße annähern, in welchem der wissenschaftliche und zivilisatorische Fortschritt insgesamt von Generation zu Generation zunimmt. Die Verantwortung für eine stete Weiterentwicklung der gesamten Gesellschaft, die Darjes jedem Menschen auferlegt, beinhaltet, dass er zugleich jedem Einzelnen teils ausdrücklich, teils implizit die gleichen Rechte und Pflichten zuerkennt. Dies kann bereits als ein für die Zeit typischer Fingerzeig in die Richtung demokratischer Grundwerte und individueller Rechte verstanden werden: Wenn in einer Gesellschaft jeder Einzelne als Teil des zu vervollkommnenden Ganzen durch das Zusammenwirken aller soweit versorgt und gefördert werden soll, dass er seine Anlagen und Fähigkeiten optimal entfalten und später wiederum für die Gemeinschaft einsetzen kann, wenn dabei die individuellen Möglichkeiten und Umstände als Maßstab zur Pflichterfüllung dienen, so sprechen hieraus klar die Prinzipien von 16 17 18
DARJES, Entwurf, S. 4. DARJES, Bielefelds Staatsklugheit, S. 36 f. (1. Zitat); ebd., S. 120 (2. Zitat); Ders., CameralWissenschaften, S. 392 (3. Zitat). Einen dem Menschen eigenen „moral sense“ hingegen nahmen etwa die englischen Philosophen Shaftesbury (1661–1713) und Hutcheson (1694–1746) an. Vgl. SPRUTE, Shaftesbury, S. 35; LEIDHOLD, Hutcheson, S. 89.
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Gleichheit und Solidarität.19 Den gedanklichen Schritt hinaus aus der tradierten Ständeordnung jedoch vollzog der Gelehrte nicht – ein jeder sollte als vernünftiger und tugendhafter Untertan unter der weisen Führung eines verantwortungsbewussten aufgeklärten Souveräns den ihm zugedachten Platz nach bestem Vermögen ausfüllen.20 Darjes schwebte offensichtlich ein bestimmter Menschentyp vor, wie er zwar freilich vereinzelt in jeder Epoche aufgetaucht, jedoch zu keiner Zeit häufig im Adel oder unter den Bürgern, um noch viel weniger aber im einfachen Volk vertreten war. Dieses Einzelphänomen auszubreiten schien ihm ein mögliches und verfolgenswertes Ziel zu sein. Nicht einfach die Ausbildung und Versorgung der nächsten Generation war zu verbessern – über eine aus der Vernunft abzuleitende Erziehung zu Tugendhaftigkeit und Nützlichkeit wollte er die Allgemeinheit zu einer neuen, von Selbstverantwortung und moralischem Pflichtgefühl bestimmten Lebenshaltung führen.
1.2.
Der „industrieuse Mensch“ – ein aufklärerisches Ideal
Der eben beschriebene idealtypische Mensch stellte für den Aufklärungsphilosophen Darjes schlicht den „Vernünftigen“ oder den „Weisen“ dar. Trost, der dieses Menschenbild 180 Jahre später rückblickend zu erfassen versuchte, wählte den Terminus des „industrieusen Menschen“. Seine knappe Charakterisierung dieser aufklärerischen Idealvorstellung ist dabei so überzeugend und vollständig, dass ihr bis heute nichts hinzuzufügen ist und sie hier zunächst ohne Ergänzungen übernommen werden kann: Der industrieuse Mensch handelt und lebt im Sinne der Aufklärung. Er bricht mit der Tradition, wenn sie vernünftiger Gestaltung des Arbeitsprozesses oder der Auswahl des Arbeitsgebietes widerspricht, überwindet schlechte Arbeitsmethoden, sucht Weg und Produkt immer zu verbessern, immer zu vervollkommnen. Er wählt die gewinnbringendste Tätigkeit, ist überhaupt nicht an einen Gegenstand gebunden, sondern weiß sich jeder Konjunktur anzupassen; beschränkt sich auch nicht auf seine Haupttätigkeit, sondern kennt und übt zweckmäßige Nebenbeschäftigungen. In nimmerruhender, auch die Feierstunden ausfüllender Tätigkeit gelangt er zu Wohlstand, der ihm Lebensgenuß und Möglichkeit zu Werken der Wohltätigkeit gibt. Diese Haltung wird in engstem Zusammenhang mit Reichtum und Glückseligkeit des Staats und der Menschheit gesehen. Sie erhält besondere Wertung durch ihren Bezug auf 19 20
So heißt es bei Darjes beispielsweise: „Niedrigere können von vornehmern mit Vernunft nichts anders verlangen, als daß sie ihren Stand anwenden sollen, die Wohlfahrt der Niedrigern zu befördern.“ DARJES, Sitten-Lehre, S. 314. Im Original teils hervorgehoben. Ausgedrückt wird dies z.B. in der Formulierung, ein jeder solle „dem menschlichen Geschlechte in einer gewissen Ordnung … dienen“. Ebd., S. 339.
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II. MENSCHENBILD UND ERZIEHUNGSVERSTÄNDNIS
die zeitliche und unendliche Bestimmung des Menschen. Das irdische Leben ist nur Teil einer unendlichen Bahn, die hinführt zur Vollkommenheit. Die Bestimmung des menschlichen Lebens ist Entwicklung und Entfaltung […] Wer seine Kräfte in umfassendster Weise und in der zweckmäßigen Richtung entwickelt, bereitet sein zukünftiges Leben in der rechten Weise vor. Wer Kräfte und Fähigkeiten untätig und verkümmern läßt, widerstrebt der Bestimmung des Menschen. Wie für den Einzelnen volle Entfaltung aller Wirkungsmöglichkeiten nicht nur Voraussetzung für die Erreichung des im Jenseits liegenden Zieles ist, sondern auch die Gewißheit des Gottgewollten und der Zielerreichung in sich trägt, so erfüllt die Anwendung aller Kräfte für die irdischen Verhältnisse mit der unbedingten Zuversicht, daß Vervollkommnung und durch sie erhöhte Glückseligkeit ihr Weg und Zweck ist. So wird Kräfte weckende, übende und vervollkommnende und „Glück und Wohlstand“ bereitende Arbeit zum Sinn des Lebens.21
Es wird beim Lesen sogleich deutlich, dass diese Beschreibung sämtliche von Darjes angesprochenen Charakteristika des neuen Menschen ebenso wie seine Überzeugung von dessen Bestimmung auf den Punkt bringt. Selbstredend war der Philosoph nicht der eigentliche Erfinder dieser Ideen, erwies sich mit seinem klaren Bekenntnis zu derartigen Ansichten jedoch als fortschrittlicher Vertreter seiner Zeit – Jahrzehnte später nämlich wurde mit den sogenannten „Industrieschulen“ der Versuch gemacht, die breite Masse des einfachen Volks zur „Industriosität“, das heißt zu einer wenigstens gewohnheitsmäßigen Betriebsamkeit zu erziehen.22 Es bleibt dabei allerdings der Unterschied zwischen einer oft direkt an persönlichen materiellen Gewinn geknüpften Erziehung der unteren Volksschichten zur Arbeitsamkeit durch Befähigung und Gewöhnung, und der Erziehung zum „industrieusen Menschen“ zu beachten, einem Menschen also, der aus vernünftiger Einsicht und moralischem Verantwortungsgefühl eine „industrieuse“ Lebenseinstellung annimmt. Diese Idee vom aufgeklärten Menschen versuchte nun Darjes über seinen akademischen Unterricht ebenso wie später über ein eigenes Schulprojekt zu verbreiten und zu verwirklichen. Dass er dabei selbst das beste Vorbild abgab, fällt bei einiger biographischer Kenntnis sofort ins Auge: In seinem Leben und Wirken nämlich hat er sich dem von ihm vertretenen Menschenbild weitestgehend angenähert. Bemerkenswert etwa ist sein schon in den Jugendjahren breit gestreutes, ja universales Interesse an den Wissenschaften, welches sich auch während seiner späteren Dozententätigkeit nicht auf ein einzelnes Gebiet beschränkte: Neben der Theologie widmete sich Darjes als Universitätslehrer der inhaltlich ohnehin 21
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TROST, Industrieschule, S. 5 f. Ganz ähnlich stellt König, der schon im Titel seines Buches über Industriepädagogik den Terminus des „industriösen Menschen“ verwendet, dessen Unterschiede zum bloß fleißigen Menschen tabellarisch zusammen, vgl. KÖNIG, Industriöser Mensch, S. 24. Zur Industrieschulbewegung vgl. KONEFFKE, Erforschung der Industrieschule; KÖNIG, Industriöser Mensch; PRATER, Industriepädagogik.
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weit gefassten praktischen Philosophie und damit den praxisrelevanten (Natur-)Wissenschaften, nahm mit den Kameral- und Polizeiwissenschaften neue Lehrfächer in den Kanon auf und studierte und lehrte zusätzlich die Jurisprudenz, ohne dabei in seiner Lehre die traditionell klare Grenzziehung zu den anderen von ihm vertretenen Disziplinen unbedingt zu berücksichtigen. Dass er dabei Althergebrachtes grundsätzlich einer vernünftigen Prüfung auf seine Tauglichkeit unterzog, etwaige Mängel schonungslos aufdeckte und das Bekannte mittels neuer Ansätze, Methoden oder Erfindungen zu verbessern versuchte, belegen seine Vorschläge und privaten Versuche unter anderem zur Reformierung des öffentlichen Bildungswesen oder des Ackerbaus ebenso wie seine aktive Mitarbeit in verschiedenen forschenden Gesellschaften. Sein Gespür für die aktuellen Entwicklungen der Zeit ließ den Professor die im Aufbruch befindlichen Rechtswissenschaften zu seinem zweiten Standbein wählen und sich den zunehmend nachgefragten ökonomisch-staatswissenschaftlichen Themengebieten zuwenden. Trotz seiner Lehrverpflichtungen und der akademischen Ämter, die er obligatorisch zu übernehmen hatte, trotz aller repräsentativer Pflichten, Korrespondenzen, Vereinstätigkeiten und privater Projekte, veröffentlichte der erstaunlich produktive Darjes in Jena zudem in nicht abreißender Folge umfangreiche neue Lehrbücher oder wissenschaftliche Schriften von hoher Qualität. Zweifellos war er, genau wie er es in seinem moralphilosophischen Lehrbuch übrigens selbst von jedem Einzelnen einforderte,23 niemals ohne Beschäftigung. Was den „Wohlstand“ angeht, den sich ein derart „industrieuser Mensch“ Trost zufolge erarbeitet, so scheint es Darjes bereits in Jena zu einem nach damaligem Urteil angemessenen Vermögen und seiner Position tatsächlich entsprechenden Einkünften gebracht zu haben – zwar verdiente seine dortige Professur nicht gerade, eine lukrative Stellung genannt zu werden, doch erwirtschaftete er sich Nebeneinkünfte, beispielsweise über einen vermutlich von seinem Schwiegervater übernommenen Balsamhandel.24 Spätestens der ihm 1763 von Friedrich II. angewiesene Lehrstuhl in Frankfurt an der Oder jedenfalls dürfte finanziell in höchstem Maß zufriedenstellend gewesen sein. Doch fühlte sich Darjes nachweislich auch zuvor schon zu „Werken der Wohltätigkeit“ in der Lage, wie aus der häufigen Erlassung von Collegiengeldern oder natürlich aus der Eröffnung 23 24
Vgl. DARJES, Sitten-Lehre, S. 225. Im Leipziger Nachrichtsblatt Extract der eingelaufenen Nouvellen vom 22. Februar 1744 wird den „Liebhabern der Teichmeierischen Medicamente …bekannt gemacht, daß, ob wohl der Hr. Hofrath Teichmeier in Jena jüngsthin mit Tode abgegangen [ist], dennoch dessen Arzeneyen von dessen hinterlassenen Kindern … verfertiget werden, und daß solche, besonders auch dessen Lebens-Balsam, noch ferner in dem Hauckischen Hause auf der Peter-Strasse allhier in Leipzig bey der Wittbe Haukin zu bekommen sind.“ (Extract 1744, 8. St., S. 32). Unter Beteiligung seines Schwagers Albrecht von Haller betrieb Darjes diesen Balsamhandel des Arztes und Medizinprofessors Hermann Friedrich Teichmeyer (1685–1744) weiter, vgl. Briefe von Darjes an Haller, 03. Januar 1752, 28. April 1752; Brief von Darjes an Frau Haller, 25. März 1756.
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II. MENSCHENBILD UND ERZIEHUNGSVERSTÄNDNIS
seiner Reformschule für arme Kinder 1762 ersichtlich wird. Mittelbar aus seinem Wirken, explizit aber aus seinen Schriften wird die patriotische Haltung des Gelehrten deutlich, die mehr noch als auf die ohnehin stark zersplitterte deutsche Nation auf die menschliche Gesellschaft an sich bezogen war. Nicht nur appellierte Darjes immer wieder an seine Studenten und gebildeten Leser, ihre Fähigkeiten, Mittel und Beziehungen gemeinnützig einzusetzen, er kam dieser Forderung auch selbst nach seinen Kräften und Möglichkeiten nach. Von der Zuversicht erfüllt, dass sich sein Handeln und Leben im Einklang mit dem Willen Gottes befand, und dass er sich aus diesem Grund des himmlischen Beistands sicher sein durfte, schienen seine Erfolge Darjes die angenommene Lebenshaltung und den eingeschlagenen Weg letztlich als gottgewollt zu bestätigen.25 Sind dies lediglich einige stichwortartig aus der Darjesischen Biographie herausgegriffene Punkte, welche übrigens im Verlauf der Arbeit konkreter wieder aufgegriffen werden, so genügen sie in ihrer Zusammenstellung ohne Frage, um eine deutliche Übereinstimmung mit Trosts obiger Beschreibung des „industrieusen Menschen“ aufzuzeigen. Jeder, der sich heute mit Darjes auseinandersetzt, begegnet in ihm also einem jener beharrlichen Gelehrten, welche die Anliegen der Aufklärung nicht nur als eigene Lebenshaltung verinnerlicht hatten, sondern ihnen zudem aus tiefer innerer Überzeugung und mit ganzem Einsatz zu ihrer tatsächlichen umfassenden Verwirklichung verhalfen.
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Wenn es in Darjes’ durchweg sachlich gehaltenen akademischen Veröffentlichungen auch an diesbezüglichen Bemerkungen weitgehend fehlt, so versicherte er in seinen Schriften zur Rosenschule umso deutlicher, in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes zu handeln, und führte alles in dieser Sache Erreichte als Beweis an, vgl. Entwurf, S. 2, 6 ff.; Das erste Jahr, ab S. 9 durchgehend.
DARJES’ ENTWURF VON ERZIEHUNG
2.
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Darjes’ allgemeiner Entwurf von Erziehung
Darjes’ Entwurf von Erziehung 2.1. Erziehungsverständnis und Zielvorstellungen Es ist eingangs angedeutet worden, dass dem Themenkomplex Erziehung und Bildung eine besondere Stellung in Darjes’ Schriften zukommen musste. Fündig wird, wer sich dort gezielt auf die Suche begibt, vor allem in zwei der einführenden Lehrbücher, die eigene Kapitel speziell zu pädagogischen Themen enthalten. Es handelt sich dabei zum einen um sein moralphilosophisches Kompendium Erste Gründe der philosophischen Sitten-Lehre von 1750, zum anderen um die 1756 erstmalig erschienenen Ersten Gründe der Cameral-Wissenschaften, sein ökonomisches Lehrwerk. Während in einem Abschnitt der letzteren Schrift speziell die Problematik zeitgemäßer schulischer Bildung einschließlich ihrer Rahmenbedingungen diskutiert wird, liefert die Sitten-Lehre nicht nur einen Leitfaden zur Moralerziehung, sondern stellt zugleich die hier zunächst interessierenden Grundlagen von Erziehung im Allgemeinen vor. In diesem Werk, das sich als Lehrbuch für den akademischen Unterricht vorwiegend an den besser gebildeten, jungen Erwachsenen richtete, bot Darjes seinem Leser Belehrung und Anleitung beim eigenständigen Hinarbeiten auf einen wahrlich tugendhaften Zustand. Weil er darin aber auch die elementarsten Voraussetzungen zur Tugend, wie beispielsweise die Schulung der sinnlichen Wahrnehmung, ausführlich berücksichtigte, und zudem eines der Kapitel explizit „von der Erziehung der Kinder“ handelt,26 so kann die Sitten-Lehre durchaus als das Darjesische „Handbuch für Erzieher“ betrachtet werden; neben den wissenschaftlichen Begriffsklärungen, Begründungen und Anweisungen für die Selbsterziehung finden sich vielerorts zusätzlich differenzierte Hilfestellungen zur eventuellen Vermittlung an den „Nächsten“.27 Die Überzeugung des Gelehrten, der vernunftbegabte Einzelne sei moralisch dazu verpflichtet, die Vervollkomm-
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DARJES, Sitten-Lehre, S. 337–346. So richtete Darjes, als er beispielsweise die Unmäßigkeit im Essen und Trinken thematisierte, die jeweils zur aufgedeckten Ursache passende Erziehungsregel direkt an den vernünftigeren Mitmenschen des Sünders: „Viele […] sündigen aus Unwissenheit. […] Diesen muß man deutliche und überzeugende Begriffe von der wahren Mäßigkeit und Unmäßigkeit im Essen und Trinken beybringen […] Endlich giebt es einige, welche […] durch nichts zur Unmäßigkeit getrieben werden, als durch die Wollust und durch falsche Begriffe von der Ehre […] Man muß ihre Sinne in der Erkenntniß des Guten und Bösen bessern […], man muß ihnen die Wollust benehmen […], man muß ihnen von der Wichtigkeit des Lebens und von der Gefahr des Selbstmords deutliche und überzeugende Begriffe beybringen […]; so wird man auch diese von der Unmäßigkeit im Essen und Trinken zurückhalten können“. Ebd., S. 220 f. Im Original teils hervorgehoben.
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nung seiner Mitmenschen nicht zu behindern, sondern nach seinen Möglichkeiten zu befördern,28 spiegelt sich in der Aufzählung von neun Pflichten gegenüber dem Nächsten, die mithin das allgemeine Programm jeglicher (moral-)erzieherischer Bemühung umreißt: „Bessere und erweitere die Willkühr deines Nächsten“, „Sorge für die Vollkommenheit der Sinne und der Einbildungskraft deines Nächsten“, „Bessere dessen Verstand und Vernunft“, „Mache den Willen deines Nächsten vollkommen“, „Lehre deinen Nächsten, vernünftig zu sterben“, „Sorge für die Gesundheit deines Nächsten, und lehre ihn, wie er sein Leben erhalten soll“, „Bemühe dich den Leib deines Nächsten geschickt zu machen“, „Befördre die Ehre deines Nächsten, und lehre ihn, wie er zur wahren Ehre gelangen und solche anwenden müsse“, „Bemühe dich, das Vermögen deines Nächsten zu vermehren, und lehre ihn, zeitliches Vermögen zu erwerben und solches vernünftig zu verwalten“.29 Sollte es sich bei diesem Nächsten allerdings um ein Kind oder um einen Jugendlichen handeln, so ergeben sich wesentliche Besonderheiten, deren genaue Kenntnis und Beachtung ein wirklicher Knabenführer dem bloß bessernden Menschen voraushaben muss. Darjes versah den Abschnitt seiner Sitten-Lehre, welchen er eigens dieser Problematik gewidmet hatte, mit der Schlussbemerkung: Wem diese Abhandlung von der Kinder-Erziehung unvollständig zu seyn scheinet, der wolle diesen Abschnitt nicht allein, sondern in der Verknüpfung mit meiner ganzen Sitten-Lehre betrachten. In dieser Verknüpfung scheinet sie mir vollständig zu seyn.30
Die Erziehung des Heranwachsenden, welcher geradezu das Sinnbild des Unvollkommenen, aber einer vollendeten Vollkommenheit Fähigen ist, wird hier als ein reiner Spezialfall der menschlichen Vervollkommnung kenntlich gemacht, welcher jedoch im Sinne einer tatsächlichen Geburt des vernünftigen und sittlichen Menschen besondere Beachtung und wissenschaftliche Untersuchung erfordert. Der Begriff der „Erziehung“ – welchen Darjes nicht explizit definierte – bleibt dabei allerdings dem Einwirken auf Kinder vorbehalten, während er beim Erwachsenen ausschließlich von „Besserung“ spricht. Es kann daraus gefolgert werden, dass die Erziehung nach seinem Verständnis einen bestimmten Endpunkt hat, an dem gewissermaßen ihr Ergebnis steht, welches später nur noch in einem begrenzten Maß korrigierbar ist. Die hieraus bereits ersichtliche Notwendigkeit einer planvollen Kindererziehung begründete Darjes in der SittenLehre zusätzlich damit, dass das Kleinstkind seinen tierhaften Zustand nicht aus eigener Kraft verlassen könne: 28
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Dies ergibt sich aus dem von ihm aufgestellten „allgemeinen Gesetz von der Beobachtung der Pflichten gegen unsern Nächsten“: „unsre willkührlichen Unternehmungen müssen also eingerichtet werden, daß in ihnen kein Mangel einer wahren Vollkommenheit unsres Nächsten könne begründet seyn“. Ebd., S. 330. Ebd., S. 332. Im Original hervorgehoben. Ebd., S. 346, Anm. 2.
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Dieienigen Fähigkeiten, welche uns von dem Viehe unterscheiden, und zu vernünftigen Menschen machen, liegen noch in unsrer Natur verwickelt, und können natürlicher Weise nicht anders, als durch die Erziehung ausgewickelt und in ihrem Innern gestärket werden.31
Der Mensch wird also nicht als Mensch geboren, sondern kann und muss von seinesgleichen zum Menschen gemacht werden. Zur Erziehung gehören für Darjes dabei offenbar alle Formen der aktiven Einwirkung auf das Kind, welche dessen Menschwerdung initiieren, sie begleitend lenken und ordnen, aber auch negative Einflüsse abhalten. Da das Neugeborene alle Möglichkeiten des zukünftigen Menschen schon als allgemeine Anlagen in sich trägt, ist Erziehung natürlicherweise als Herausbringen und Entfalten des Vorhandenen und sein Formen, nicht aber als Hineinbringen oder Herstellen eines erwünschten Etwas zu begreifen. Basis muss daher die genaue Kenntnis der allgemeinmenschlichen Entwicklung in ihrer natürlichen Ordnung, aber auch der möglichen individuellen Abweichungen sein. Der ernsthafte Entschluss beispielsweise, vermehrt öffentliche Schulen einzurichten, konnte sich einzig dann als fruchtbar erweisen, wenn zugleich ein wissenschaftlich begründeter Plan des dabei zu beschreitenden Weges und der angemessenen Methoden zur Anwendung kam. Entsprechend verband der Philosoph seine Beobachtungen über die schrittweise, geordnete Entfaltung der kindlichen Fähigkeiten mit Empfehlungen zu einer jeweils zeitlich und inhaltlich passenden Einflussnahme durch den Erzieher.32 Als elementarer methodischer Leitsatz jedes Erziehungsprogramms galt Darjes die von ihm vielfach wiederholte „Regel der Natur: Die Natur thut keinen Sprung“. 33 Dahinter steht die beachtliche Beobachtung, dass sich jegliche erzieherische Maßnahme, soll sie Erfolg haben, nach der natürlichen Abfolge wesentlicher Entwicklungsschritte richten muss. Diese deutlich naturalistische Sichtweise auf die menschliche Entwicklung nun verband Darjes mit den seine Philosophie prägenden Nützlichkeitserwägungen. Dass die Erziehung junger Menschen ihrer natürlichen Entwicklung zu folgen habe, bedeutete ja keineswegs, dass das Ergebnis dieser Einflussnahme unabänderlich feststand. Der Mensch nämlich verfügt gleichzeitig zu seiner sozusagen angeborenen Unfertigkeit über höchste Anpassungsfähigkeit und erweist sich damit im Gegenteil als besonders variabel und formbar, was die Frage nach einer sinnvollen Ausrichtung der naturgemäßen Erziehung in Darjes’ Augen
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Ebd., S. 338. In ganz ähnlicher Weise, wenn auch mit speziellerem Bezug, drückte Darjes diese Grundannahme später in seinen Cameral-Wissenschaften aus, wo er festhielt, „daß die Menschen zwar von Natur ein Vermögen haben, geschickt zu werden, die würkliche Geschicklichkeit aber durch die Erziehung müsse erhalten werden“. Ders., Cameral-Wissenschaften, S. 425. In keiner Darjesischen Schrift finden übrigens die Eltern als Erzieher ihrer Kinder eine explizite Erwähnung. Ders., Sitten-Lehre, S. 84. Im Original teils hervorgehoben.
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nicht nur möglich, sondern dringend geboten erscheinen ließ. Konnte unter bestimmten Voraussetzungen praktisch alles aus einem Kind werden, so tat sich hier die Chance auf, der Gemeinschaft „passende“ Mitmenschen und der Gesellschaft taugliche Bürger heranzuziehen. Es war deshalb unbedingt systematisch über die Intentionen von Erziehung nachzudenken. Die bisherigen Versäumnisse und das Desinteresse in diesen Dingen wertete der Philosoph als „eine der vornehmsten Ursachen, durch welche das menschliche Geschlecht von der wahren Glückseeligkeit so weit entfernet“ sei.34 Eigentliche Relevanz besaßen im Übrigen inzwischen die auf das irdische Leben ausgerichteten Erziehungsziele, wie sich ganz beispielhaft an Darjes’ in weiten Teilen gänzlich lebenspraktisch gewendeten Überlegungen nachvollziehen lässt. Wie weiter vorn dargelegt wurde, folgte Darjes der Theorie der Perfektibilität – da der Einzelne seinen durch eine umfassende Vervollkommnung bestimmten Daseinszweck zugunsten der Glückseligkeit aller jedoch nur dann nach ganzen Kräften erstrebte, wenn er die nötige Einsicht und Moral erlangt hatte, mussten sich die weitgehende Ausbildung von Vernunft und Tugend als verbindliche allgemeine Ziele von Erziehung quasi von selbst im Erziehungskonzept des Gelehrten einstellen. Weil es außerdem eine Annäherung an den Zustand der Vollkommenheit bedeutete, sich selbst erhalten zu können und der Gemeinschaft nützlich zu werden, musste Erziehung insbesondere auch Bildung und Ausbildung für die spätere Tätigkeit in sich begreifen. Darjes setzte damit Erziehung, „wenn sie vernünftig sein soll“, eine „gedoppelte Absicht“,35 nämlich die allgemeine des tugendhaften und die besondere des brauchbaren Menschen. Hatte er Erziehung zur moralischen Verpflichtung erklärt, ihre Notwendigkeit begründet und außerdem die dabei zu verfolgenden Intentionen festgeschrieben, so bekümmerte sich der stets an einer praktischen Umsetzung seiner Anregungen interessierte Philosoph schließlich auch um die bedeutsame Frage der Verantwortlichkeit. Zwar oblag zunächst jedem Menschen erzieherisches Handeln – und zwar nicht allein Kindern gegenüber –, um seine weltliche Mission zu erfüllen, doch erschien es sinnvoll, Erziehung und Bildung unter Berücksichtigung der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse öffentlich optimal zu organisieren. Darjes erklärte hier nicht länger traditionell die Kirchen, sondern den Staat und damit den jeweiligen Herrscher für zuständig: Es lag für ihn auf der Hand, dass sowohl die allgemeine als auch die besondere Erziehung der Nachkommen von immenser Bedeutung für die bürgerliche Gesellschaft war, weshalb sich jeder aufgeklärte Souverän freiwillig und unverzüglich mit der Einrichtung angemessener Erziehungsarrangements befassen musste. Es war diese Überzeugung zu Darjes’ Zeiten längst keine Einzelmeinung mehr, wie sich am
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Ebd., S. 338. Das Wort „vornehm“ wird in der Bedeutung von „wichtig“ gebraucht. Ebd.
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zunehmenden Interesse vor allem staatlicher Obrigkeiten und in deren gesteigerten Bereitschaft zu einem intensiveren und systematischer betriebenen Aufwand in Bildungs- und Erziehungsfragen zeigte.
2.2.
Einübung grundlegender Fertigkeiten – seelischer, leiblicher und sozialer Status
Darjes hatte in der Sitten-Lehre deutlich gemacht, dass die Kindererziehung für eine aufgeklärte Gesellschaft unbedingt notwendig ist und höchsten Nutzen bringen kann, doch nur unter dem Vorbehalt, dass sie vernünftig, also nach einem an der natürlichen Entwicklung der Heranwachsenden ausgerichteten inhaltlichen und methodischen Konzept gestaltet ist. Dies war gleichbedeutend mit der Forderung nach einer Wissenschaft des Lehrens und Lernens. Wer wie Darjes die universelle Vervollkommnungsfähigkeit des Menschen annahm und das Ziel aller Entwicklung in deren Vollendung sah, hatte die nötigen Voraussetzungen und Bedingungen für eine solche Fortentwicklung zu erforschen. Für einen Großteil der Vollkommenheiten nun identifizierte Darjes die sogenannten „Fertigkeiten“ als Dreh- und Angelpunkt: Sind diese nicht oder nur mangelhaft ausgebildet, so stellt dies den Menschen vor zum Teil unüberwindliche Hürden. Der Gelehrte verstand unter den Fertigkeiten die „innere Stärke unserer Kraft“36 zu einer bestimmten willentlichen Handlung oder Verhaltensweise, das heißt also die bewusste Steigerung eines prinzipiellen menschlichen Vermögens – es sei dies ein körperliches oder geistiges – zum tatsächlich einsetzbaren und in dem jeweils erforderlichen Grad weiter perfektionierten Können. Eine neu erworbene oder besser ausgebildete Fertigkeit also „setzet uns in den Stand, daß wir etwas leichter und mit geringerer Mühe unternehmen können“.37 Nun sind beim Menschen unüberschaubar viele und ganz unterschiedlich komplexe, vielfach aufeinander aufbauende Fertigkeiten denkbar, weshalb Darjes eine Klassifizierung nach deren Zugehörigkeit, beispielsweise zum Leiblichen, Seelischen oder Äußerlichen, vornahm. Er gab dabei zu bedenken, dass eine Fertigkeit für den Menschen nicht per se vernünftig oder nützlich sein müsse, sondern schlicht eine Möglichkeit abbilde. Wenn er die vernünftigerweise als erstrebenswert zu beurteilenden Fertigkeiten meinte, griff er daher auch auf die Bezeichnung „Geschicklichkeiten“ zurück; und diese Geschicklichkeiten unterschied er wiederum jeweils nach „allgemeinen“ und „besonderen“, wobei erstere jedem, weil er ein
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DARJES, Sitten-Lehre, S. 81. Ebd.
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Mensch ist, nötig seien, während letztere der jeweiligen Disposition des Individuums Rechnung tragen könnten.38 Der Endlichkeit menschlicher Kraft und Lebenszeit eingedenk, wird an dieser Stelle der bevorzugte und möglichst umfassende Erwerb allgemeinmenschlicher Fertigkeiten angeraten, bedingt er doch – oft sogar kategorienübergreifend – den der besonderen.39 Die menschliche Vollkommenheit resultiert folglich aus dem individuellen Optimum in der Entwicklung von Fertigkeiten, ist allerdings schon aufgrund der veränderlichen Lebensumstände kein statischer Zustand, sondern muss beständig überprüft und erneuert werden. Seit Isaac Newton (1642–1726) die grundlegenden Gesetzmäßigkeiten der Mechanik beschrieben hatte, zeigten sich Wissenschaftler fasziniert von der Vorstellung, eine Fülle komplexer Phänomene auf wenige einfache Grundregeln zurückführen zu können, indem sie das Allgemeine von dem Besonderen unterschieden. In dieser Weise ging auch Darjes vor, der das universelle Prinzip zum Erwerb und zur Vergrößerung jeglicher Fertigkeit in der Übung erkannte. „Man zergliedere alle Wege, wodurch man eine Fertigkeit in gewissen Unternehmungen, sie mögen vernünftig, oder unvernünftig seyn, erlanget hat; wird man einen andern als die Übung angeben können?“, werden die Leser der Sitten-Lehre rhetorisch gefragt – einzig die „oftmalige Wiederholung einerley Handlungen“ nämlich sei geeignet, jegliche Art willentlich beeinflussbarer Fertigkeiten in dem gewünschten Grad auszubilden.40 Das Üben an sich sei erfahrungsgemäß allerdings nur dann zielführend, so der Verfasser weiter, wenn drei allgemeine Regeln eingehalten würden: Es dürfe erstens in der Übung keine Unterbrechung geben, wobei hierunter auch ein der eigentlichen Absicht entgegengesetztes Handeln falle, weil die einmal erlangte Stärke sonst wiederum abgeschwächt werde; es sollen zweitens „die Handlungen, in deren Art man eine Fertigkeit erhalten will,
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Vgl. etwa über die „Geschicklichkeiten des Leibes“: „Durch unsern Leib sind verschiedne Arten der Bewegung möglich, durch welche wir unsre Vollkommenheiten so wohl erhalten, als auch erweitern können. […] Diese Fertigkeiten werden, wo ich nicht irre, die Geschicklichkeiten des Leibes genennet. […] Nemlich die Vollkommenheiten, welche wir durch diese Geschicklichkeiten würken können, sind uns entweder nöthig, weil wir Menschen sind, oder weil wir in einem bestimmten Zustande leben. Wir wollen aus dieser Ursache iene die allgemeinen, und diese die besondern Geschicklichkeiten des Leibes nennen“. Ebd., S. 235 f. Im Original teils hervorgehoben. Wiederum über die „Geschicklichkeiten des Leibes“ bemerkt Darjes beispielhaft: „Es muß vornemlich unsre Sorge auf die Erlangung der allgemeinen Geschicklichkeit gerichtet seyn […] Und ob wir zwar auch verbunden sind, nach allen besondern Geschicklichkeiten zu streben […]; so wird uns doch die Endlichkeit unsrer Kräfte bald zeigen, daß es uns unmöglich sey, alle zu erhalten“. Ebd., S. 239. Vgl. DARJES, Sitten-Lehre, S. 82 f. Ausgenommen von diesem Prinzip war jede Vollkommenheit, welche entweder jemand durch „übernatürliche Mittel“ erhalten hatte, oder die als „natürliche Vollkommenheit“, wie die Gesundheit, nicht erst aus einem bloßen Vermögen entwickelt werden musste. Vgl. ebd., S. 82, 235.
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nach und nach, so wohl in ihrer Gröse, als auch in ihrer Vielheit, vermehret werden“ und damit also die Übung gemäß der erwähnten „Regel der Natur“ allmählich in ihrer Komplexität und in ihrem Schwierigkeitsgrad gesteigert werden; drittens aber solle, sobald eine gewisse Fertigkeit erlangt worden sei, unter zunehmend erschwerten Bedingungen geübt werden, da eine scheinbar hinreichende Stärke durch zufällige Hindernisse unvermögend werden könne.41 Es bestimmt sich also die „Größe“ einer Fertigkeit zu bestimmten Handlungen und Verhaltensweisen aus der unausgesetzten Wiederholung und der Vermeidung alles Kontraproduktiven, während ihre „Güte“ von der Gestaltung der Übungen abhängt. Wo Darjes in seinem Lehrbuch konkreter ausführte, wie dieser allgemeine Leitfaden zum Üben auf spezielle Fertigkeiten anzuwenden sei, kam er stets auf diese beiden Kategorien zurück. Die einzelnen Anleitungen zielen dabei, solange als Adressat ein Erwachsener angenommen wird, vorwiegend auf die Überwindung einer bestimmten Schwäche oder Unterentwicklung zugunsten des Ganzen ab. Die aus dieser Perspektive nur bedingt interessante Frage nach dem Verhältnis einzelner Fähigkeiten zueinander rückt beim Speziallfall der Erziehung und (Aus-)Bildung von Heranwachsenden stark in den Vordergrund. Beim Kleinkind sind selbst die grundlegendsten Fertigkeiten nur wenig oder noch gar nicht entwickelt; ein Erziehungsprozess mit einem von nachzubessernden Makeln möglichst freiem Ergebnis wird damit denkbar, und zwangsläufig muss nach dem möglichen Ablauf von idealer Erziehung gefragt werden. Zweifellos ist es dabei von Belang, dass ein Erzieher die gegenseitige Bedingtheit der verschiedenen Fertigkeiten kennt und für ihre Ausbildung beim Zögling auf ein optimales Neben- und Nacheinander achtet. Darjes’ ausführliche und systematische Erklärungen der wesentlichen Fertigkeiten und ihrer Verknüpfung sind ein deutliches Zeichen dafür, dass ihn genau diese Überlegung umtrieb. Unter Beibehaltung der von ihm aufgestellten Gruppierungen – Vollkommenheiten und Fertigkeiten der „Seele“,42 der Willkür und des Willens, des Leibes sowie des äußerlichen Zustands – soll sein Entwurf einer hinsichtlich allgemeinmenschlicher Fertigkeiten naturgemäßen Ausbildung im Folgenden nachvollzogen werden. Die Formel der „vernünftigen Erziehung“, wie Darjes sie verwendete, zielt nicht nur auf Erziehung mit Vernunft, sondern besonders auch auf Erziehung zur Vernunft ab. Als einem Schlüsselbegriff der Aufklärung kommt der „Vernunft“ auch im Werk des Gelehrten eine prominente Rolle zu, denn als artspezifisches Vermögen erhebt sie den Menschen über das Tier. Der Grad, den der Einzelne bei der Entwicklung seiner Vernunft erlangt hat, dient dabei als Indikator für dessen (sittliche) Reife. Es wurde bereits darauf aufmerksam gemacht, 41 42
Vgl. ebd., S. 83 ff. Der Begriff „Seele“ fasste im 18. Jahrhundert üblicherweise alles Immaterielle im Menschen im Gegensatz zur Materialität des Körpers. Ihr sind als Hauptkräfte Verstand und Wille zugeordnet, wobei häufig auch als dritte die sogenannte Empfindungskraft aus dem Verstand ausgelagert wird. Vgl. dazu auch ZEDLER, Universal-Lexicon, Bd. 36, Sp. 1051.
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dass Darjes die Vernunft als eine jedem Menschen prinzipiell innewohnende Möglichkeit verstand, welche erst die Erziehung hervorlocken und ausbilden könne. Gerade hier aber galt es, sich in der Realität rasch einem idealen Verlauf und einem möglichst vollkommenen Ergebnis der erzieherischen Einflussnahme anzunähern, erleichterte doch nicht zuletzt die erwachende Vernunft des Zöglings dem Erzieher selbst das Geschäft: „Niemand wird es läugnen“, war sich Darjes sicher, „daß man es bey der Beßrung des Menschen viel weiter bringen könne, wenn man seine Vernunft gewinnet, als wenn man ihn allein durch die Sinnen lenken muß“.43 Um die Vernunft eines Kindes zur rechten Zeit zu erwecken und in der richtigen Weise zu entwickeln, benötigt der Lehrer oder Erzieher theoretisches Wissen über die gesamte „denkende Kraft“ im Menschen, welches Darjes im ersten Teil seiner Sitten-Lehre zusammenfasste.44 Dort werden zwei Äußerungen dieser „denkenden Kraft“ unterschieden, nämlich diejenige „durch die Sinne und Einbildungen“ und diejenige „durch den Verstand und die Vernunft“.45 Der ersten, sinnlichen Art zu denken sind als Kräfte erstens die „Empfindungskraft“, das bedeutet die Fähigkeit zur Wahrnehmung und Auswertung von Sinneseindrücken, und zweitens die „Einbildungskraft“, also das Erinnern, das konkrete Vorstellungsvermögen und das Gedächtnis jeweils bezogen auf innere und äußere Empfindungen, zugeordnet.46 Für den Erziehungsprozess von immenser Bedeutung nun ist Darjesʼ Feststellung, „daß unsre Gedanken von den Sinnen anfangen“, diese Denkweise folglich die anfangs einzig mögliche und daher Kindern eigentümliche ist – der Verstand als die Fähigkeit, „deutliche Begriffe“ zu bilden, und die Vernunft, welche „den Zusammenhang der Dinge aus den Begriffen [untersuchet]“, sind in den ersten Jahren noch kaum erwacht.47 Gleichwohl sind diese geistigen Kräfte als universelles, wenn auch individuell verschiedenes Potenzial im Menschen angelegt. Die einzelnen Teile seiner „denkenden Kraft“ könne jeder, weil es sich dabei um Fertigkeiten handelt, durch angemessenes Üben unter Anleitung und später allein (weiter) ausbilden, sofern nicht ein ungeschulter Wille oder unvollkommene Sinnesorgane Hinderungsgründe darstellten. Nicht nur die Empfehlungen zur Vorgehensweise beim Üben, vor allem auch die Bewertungskriterien, nach denen jeweils die erreichte „Größe“ und „Güte“ der Fertigkeiten eingeschätzt werden konnte, konkretisierte Darjes hinsichtlich der Bestandteile der „denkenden Kraft“. Soll die 43 44 45 46 47
DARJES, Sitten-Lehre, S. 343. Vgl. ebd., S. 160–175. Ebd., S. 160. Ebenso in den Cameral-Wissenschaften, S. 429: „Wir Menschen haben eine gedoppelte Art zu denken. Wir denken sinnlich, wir denken mit dem Verstande.“ Vgl. DARJES, Sitten-Lehre, S. 164, 166. Ebd., S. 160, 167. Explizit auch in den Cameral-Wissenschaften, S. 429: „In den ersten Jahren ist es uns unmöglich mit dem Verstande zu denken. Und diese Fähigkeit kann niemals denjenigen Grad der Vollkommenheit erhalten, der durch uns möglich ist, wenn nicht jene Fähigkeiten [sinnlich zu denken] so viel, als es möglich ist, sind gebessert worden.“
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„Empfindungskraft“ demnach so trainiert werden, dass der Übende nach und nach zu einer genauen, differenzierten und komplexen Wahrnehmung seiner Sinneseindrücke befähigt wird, so gilt als Gradmesser für den Entwicklungsstand der „Einbildungskraft“ erstens, wie genau, und zweitens, wie vielschichtig seine Imagination sinnlicher Eindrücke ist, wie leicht und schnell er sie drittens erzeugen kann sowie viertens, inwiefern er sie sicher von tatsächlichen Empfindungen zu unterscheiden weiß. Nach der „Regel der Natur“ ist stets mit einem klaren, eindeutigen Sinneseindruck zu beginnen, bevor die Komplexität der Übung allmählich gesteigert werden darf. Um den Verstand zu verbessern, empfahl der Gelehrte die Anwendung der logischen Regeln und dabei vor allem die Übung des Scharfsinns, weil damit gleichzeitig der Verstand vergrößert, das heißt die Anzahl der gebildeten Begriffe vermehrt und für die Ausbildung von Tiefsinnigkeit als Merkmal der Vernunft gesorgt werde. Die Deutlichkeit der Begriffe und die Schnelligkeit des Verstandes geben dabei Auskunft über dessen Güte. Den erreichten Grad an Vernunft schließlich zeigen die Ausprägung der Tiefsinnigkeit, also der Fähigkeit zum vernünftigen Verknüpfen von Begriffen, und der Gründlichkeit, das heißt der Fähigkeit, die Eigenschaften der Dinge aus ihren Begriffen zu folgern, an. Darjes machte seinem Leser weiterhin bewusst, dass sämtliche geistigen Kräfte voneinander abhängen und eine die andere folglich ebenso fördern wie behindern könne. Am Übergang vom Leiblichen zum Geistigen und damit am Anfang des Denkens stehen die Sinnesorgane als die „sinnlichen Theile unsers Leibes, worinn die Würkungen der äuserlichen Dinge abgedrücket werden“.48 Nur wenn diese frei von physischen Mängeln sind, wird demnach die Wahrnehmung der Welt der tatsächlichen Welt sehr nahe kommen. Es versteht sich von selbst, dass im gegenteiligen Fall zusätzlich die Einbildungskraft beeinträchtigt wird, da die Vorstellung einer mangelhaften Empfindung der Realität ebenfalls nicht ähnlich sein kann. Umgekehrt kann jedoch auch das Vorstellungsvermögen der „Vollkommenheit der Empfindungskraft“ im Weg sein, nämlich dann, wenn es „noch nicht in gehörige Schranken […] gesetzet worden [ist]“, sich Empfindungen und Einbildungen also schlechterdings „verwirren“.49 In ähnlicher Weise können, wie angeklungen ist, die Fähigkeiten des Verstands die der Vernunft beeinflussen: Verbessert jemand seine Scharfsinnigkeit durch zunehmendes Unterscheiden des Allgemeinen vom Besonderen, so bildet er dabei eine größere Anzahl von Begriffen, und weil diese miteinander in Zusammenhang stehen, wird er auf diese Weise auch seine Tiefsinnigkeit als Stärke der Vernunft vergrößern. Auch die beiden Arten zu denken selbst stehen untereinander in einem Abhängigkeitsverhältnis, denn die sinnlich-konkrete Ebene, als eine Art erste Stufe des Denkens, ist Basis für die begrifflich-abstrakte zweite: „die Befördrung der Vollkommenheit des Verstandes und der Vernunft [setzt] […] eine 48 49
DARJES, Sitten-Lehre, S. 161. Ebd., S. 165.
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vollkommne Empfindungs- und Einbildungskraft zum Grunde“.50 Folgerichtig fordert die Klugheit zugunsten einer bestmöglichen Ausbildung der Vernunft nicht allein die optimale aktive Entwicklung jeden Teils der „denkenden Kraft“, sondern darüber hinaus die zusätzliche Berücksichtigung ihrer naturgemäßen Hierarchie, beginnend von der Empfindungskraft über die Einbildungskraft, Scharfsinnigkeit, Tiefsinnigkeit bis hin zur Gründlichkeit. Indem Darjes in seiner Sitten-Lehre deutlich machte, „daß man dasienige müsse ausführen können und auch ausführen wollen, was man ausführen soll“, 51 verwies er auf zwei besondere Fertigkeiten, denen er ihrer Bedeutung wegen je eigene Abschnitte widmete, nämlich auf die für das Können grundlegende „Willkür“ und auf den „Willen“.52 Beide sollte ein jeder bei sich in möglichste Vollkommenheit setzen. Die Plausibilität dieser Forderung wird sogleich bei der Erklärung der Begrifflichkeiten sichtbar, denn erweist sich Darjes zufolge die Willkür „bei dem thätig, was wir aufmerken und überlegen nennen“, so bezeichnet der durch sie gelenkte Wille „die Neigung unsrer Kraft gegen dasienige, was wir für gut halten, und die Abneigung unsrer Kraft von dem, was wir für böse halten“.53 Die erste Fertigkeit zu trainieren ist ganz offensichtlich von wesentlicher Bedeutung für die Verstandesentwicklung und damit für die Ausbildung von Vernunft: Wem die aufmerksame und detailreiche Wahrnehmung der Dinge und Ereignisse in seinem Umfeld sowie das Nachdenken darüber zu einer ständigen Gewohnheit geworden sei, lehrte Darjes, der erreiche damit einen Zustand, in welchem „es uns leicht wird, die Gedanken, welche in uns entstehen, zu unterhalten, und dasienige, woran wir denken, zuvor zu überlegen, ehe wir unsere Kräfte den Gedanken gemäß würken lassen“.54 Die ungeübte Willkür kann folglich bei der Schulung des Denkens nur hinderlich sein. Zudem würde so hinsichtlich des Willens gleich ein zweifacher Mangel verursacht, weil diesen neben den „Begierden“ sowohl die Willkür als auch die „denkende Kraft“ regieren. Ausdruck dieser Unvollkommenheiten ist zum einen, dass Affekthandlungen nicht hinreichend unterbunden werden können; zum anderen verhindert eine auf die unvollkommene „denkende Kraft“ zurückzuführende mangelhafte Erkenntnis des Guten und Bösen, dass der Wille sich einzig nach dem wahrhaft Guten richten kann. Die Vollkommenheit beider Fertigkeiten hingegen bewirkt,
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Ebd., S. 168. Auch heißt es S. 91: „Wir haben zwo Fähigkeiten, wodurch wir uns die Dinge vorstellen: einmal durch die Sinne und Einbildungs-Kraft, und zweytens durch Verstand und Vernunft. Jene Vorstellungen sind insgemein heftiger als diese, und daher werden wir hingerissen, ienen zu folgen, wenn sie diesen widersprechen.“ Ebd., S. 89. Vgl. ebd., S. 153–160 „Von der Vollkommenheit der Willkühr, und wie solche zu erweitern ist“, S. 177–201 „Von der Vollkommenheit des Willens, und wie solche zu erlangen ist“. Ebd., S. 153, 178. Ebd., S. 156 f.
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sofern die Begierden eines Menschen unverdorben sind, auch einen vollkommenen Willen. Unter den Begierden sind alle Triebe zu verstehen, die den Willen zu bestimmten Unternehmungen hin oder von ihnen ablenken können, weshalb auch sie als Drittes in den Blick zu nehmen sind. Zweifellos und ohne Ausnahme schädlich sind dem Menschen Darjes zufolge die „unordentlichen Triebe“.55 Ein Erzieher hat folglich besondere Behutsamkeit anzuwenden, dass solche unvernünftigen Begierden – vor allem der Hass auf andere und daraus resultierend Neid, Verfolgung und „Verlachung“ oder auch die „Furchtsamkeit“, welche den Menschen kleinmütig und zaghaft macht – nicht erweckt oder gefördert werden. Demgegenüber ist aus jedem Einzelnen insbesondere das „Verlangen […] seine Unternehmungen der Vollkommenheit einer Sache gemäß ein[zu]richten“,56 das heißt die Fähigkeit zur Liebe gegen sich selbst und andere, hervorzubringen und kontinuierlich zu vergrößern. In ihren verschiedenen Ausprägungen, etwa als „Ruhm-Begierde“, Dankbarkeit oder Gunst, macht nämlich diese die edlen Gefühle wie Reue, Scham oder Mitleid in ihrer wahrhaftigen Form erst möglich. Dass und wie die „Affecten“ als die auf der unvernünftigen sinnlichen Ebene herrschenden Begierden dem Körper schaden, die „Denkungskraft“ schwächen und überhaupt „in unserm ganzen sittlichen Zustande verschiedne nachtheilige Dinge hervor bringen können“,57 machte Darjes nachdrücklich deutlich. Seiner Ermahnung, diesen unvernünftigen „Affecten“ im Kind gar nicht erst zu einem Dasein zu verhelfen, setzte Darjes eine Erklärung hinzu, wie bei einem Menschen mit bereits verdorbenen Begierden „diese Verwirrung zerstöhret“, und derselbe „in einen Zustand deutlicher Gedanken gesetzet“ werden könne.58 Interessant ist, dass Darjes auch an dieser Stelle wieder, wie bereits oben im Zusammenhang mit der Ausbildung der „Einbildungskraft“ zu sehen war, die Verbindung zum Physischen herstellte: Die Entstehung und der jeweilige Grad „des Zornes, des Schreckens, der Raserey und dergleichen“ hänge nämlich, so gab er zu bedenken, „von dem innern Zustande des Blutes und der Röhren, wodurch das Blut geleitet wird“ ab; es müsse demzufolge derjenige, „der sich von allen Affecten losmachen will, auch für die Gesundheit seines Leibes sorgen“.59 Aus diesen speziellen Fällen wird beispielhaft deutlich, warum sich die Anwendung der Moralphilosophie, wie Darjes sie lehrte, auch auf den Körper des Menschen, auf dessen Gesundheit und selbst auf den Tod erstreckt. Der Frage nach der „Vollkommenheit des Leibes, und wie solche zu befördern ist“ wandte sich der Gelehrte in seiner Sitten-Lehre also ebenfalls zu,60 denn er sah darin eine unverzichtbare Voraussetzung für die gesunde geistige Ent-
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Ebd., S. 180. Ebd., S. 183. Ebd., S. 196. Im Original hervorgehoben. Ebd., S. 197. Ebd., S. 201. Vgl. ebd., S. 201–242.
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wicklung und damit eine moralische Verpflichtung des Einzelnen zur weitgehenden Entkräftung aller durch den unvollkommenen Leib gesetzten Hindernisse. Zunächst wird die selbst herbeigeführte Verkürzung der von Gott zugedachten individuellen Lebenszeit thematisiert, unter welcher der Verfasser neben dem eigentlichen Selbstmord auch jeden verfrühten Tod „durch unmäßige Arbeiten, durch unmäßiges Essen und Trinken, durch unbändige Affecten und dergleichen“ begriff.61 Überzeugt, dass jedem Einzelnen genau die Lebenszeit zugeteilt werde, die ihm zum Erreichen des individuell möglichen Grades von Vollkommenheit vonnöten sei, musste Darjes solch einen unnatürlichen Tod vehement ablehnen, denn wer seine irdische Glückseligkeit durch größtmögliche Vollendung nicht erlange, so warnte er, dem bliebe womöglich auch die himmlische versagt. Ein Weiser werde demnach in seinem eigenen Interesse sein „gegenwärtiges Leben“ aktiv erhalten, es darüber hinaus aber auch „vernünftig anwenden“ als „eine beständige Vorbereitung zum Tode“.62 Eine wesentliche Aufgabe ist es demnach, die „natürliche Vollkommenheit“ der körperlichen Gesundheit, welche Darjes als die „Übereinstimmung aller Theile unsers Leibes und ihrer Verknüpfung mit der Erhaltung des Lebens“ definierte,63 zu bewahren. Wie aus den angeführten Ursachen für eine verkürzte Lebenszeit ersichtlich ist, muss dafür vor allem das Unangemessene, das Unmäßige vermieden werden. Weil ein nicht unbedeutender Teil der Menschen, sei es aus Gewohnheit, Unwissenheit, Irrtum oder Wollust, ein gesundheitsschädliches Leben führe, regte Darjes für jedermann eine verständliche und überzeugende Aufklärung über die Gesundheit an sich und über die jeweiligen Auswirkungen unterschiedlichen Verhaltens an. Er ließ selbst entsprechende Informationen folgen. Bezüglich der Körperglieder beispielsweise mahnte er, dass die „Art, solche zu brauchen beständig abwechseln“64 müsse, da jegliche Einseitigkeit der Vollkommenheit zuwider sei. Auch gab er ausführliche Lektionen darin, wie der „innere Zustand unsers Blutes und unsrer Säfte“65 von außen zu beurteilen und insbesondere über die Ernährungsweise zu beeinflussen sei. Ebenso wie bei den sich über mehrere Seiten erstreckenden Erläuterungen zu einer gesund erhaltenden Ernährung betonte Darjes hinsichtlich des Arbeitens, dass es vor allem auf ein vernünftiges Maß, auf zweckmäßige Abläufe und auf eine förderliche Abwechslung ankomme. Jeder solle nach der Maßgabe seiner Kräfte arbeiten und diese, sofern sie nicht durch die „ordentlichen Verrichtungen“ bereits erschöpft seien, auch in seinen „müßigen Stunden“ sinnvoll anwenden, sie aber anderenfalls durch vernünftige „Belustigungen“ wieder auffrischen.66 Um eine Beeinträchtigung der Gesundheit zu vermeiden, sei außerdem keinerlei Nachtarbeit zu tolerieren, wie auch jegliche 61 62 63 64 65 66
Ebd., S. 204. Ebd., S. 211. Ebd. Ebd., S. 162. Ebd., S. 214. Ebd., S. 225.
DARJES’ ENTWURF VON ERZIEHUNG
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körperliche oder geistige Anstrengung, die nicht die Beförderung einer Vollkommenheit zum Ziel habe. Als weitere Faktoren, die einen Einfluss auf die körperliche Gesundheit ausüben, verzeichnete Darjes die Wirkungen der Witterung und der (unreinen) Luft, die durch zweckmäßige Kleidung, eine schützende, gut zu lüftende Wohnung und als allgemein bekannt vorausgesetzte Maßnahmen der Lufterfrischung „durch Kräuter, Wurzeln und andere Mittel“67 zu regulieren seien. In sämtlichen physischen Belangen das rechte Maß einzuhalten, um so seine Gesundheit zu bewahren, war Darjes zufolge umso wichtiger, da alles Schädliche neben dem gesundheitlichen zusätzlich das sittliche Verderben nach sich ziehen konnte, wie er eindrucksvoll an den Lastern der Trunkenheit und des Müßiggangs illustrierte. Dass freilich eine Schwierigkeit darin bestand, das Maßvolle und also der Gesundheit Zuträgliche einschätzen zu können, war ihm dabei bewusst, und er gab seinem Leser daher den Hinweis, sich stets auf den eigentlichen Zweck der Dinge und Handlungen zu besinnen, vor allem aber immerfort auf die Signale seines Körpers zu achten: In jeder Situation erhalte der Mensch einen entsprechenden „Wink der Natur“68, nach welchem er sein Vorgehen ausrichten solle. Speziell auf die Kindergesundheit und -pflege ging der Gelehrte übrigens in seinen Cameral-Wissenschaften noch näher ein, wo er davor warnte, die Kleinen in „Ansehung der Wärme, der Kleidung, der Speise und des Tranks“ „zu ihrem Schaden [zu] verzärteln“.69 Ein Dorn im Auge waren ihm insbesondere „ungeschickte Hebammen“, die „durch ihre Unvorsichtigkeit und Unwissenheit […] die erste und zwar sehr wichtige Anlage zur Ungesundheit der Kinder machen“; sie müssten deshalb ohne Ausnahme geprüft, „eidlich verpflichtet“ und von einem spezialisierten Arzt beaufsichtigt werden, der gleichzeitig auch das Stillen überwachen sollte.70 Genauere Einblicke in diesen Bereich, aus welchen solch bemerkenswerte Forderungen resultierten, waren Darjes sicherlich über die Mediziner in seiner Verwandtschaft leicht möglich.71 Im Anschluss an die Ausführungen zur Gesundheit des Leibes wandte sich Darjes in der Sitten-Lehre den „Geschicklichkeiten des Leibes“ zu – hierbei handelt es sich um die Fertigkeiten in den „verschiednen Arten der Bewegung […], durch welche wir unsre Vollkommenheiten so wohl erhalten, als auch erweitern können“.72 Im Unterschied zur Gesundheit können diese wiederum durch das Üben erlangt und verbessert werden. Darjes klassifizierte diese hinsichtlich der Vollkommenheiten, auf die sie einen Einfluss haben, wobei er zum einen die
67 68 69 70 71 72
Ebd., S. 234. Ebd., S. 217. DARJES, Cameral-Wissenschaften, S. 334 f. Ebd. In erster Ehe heiratete Darjes in die Familie des Medizinprofessors und Herzoglichen Leibarztes Hermann Friedrich Teichmeyer ein und hatte neben seinem Schwiegervater mit Johann Christian Stock und Albrecht von Haller zwei weitere Ärzte zu Schwagern. DARJES, Sitten-Lehre, S. 235.
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II. MENSCHENBILD UND ERZIEHUNGSVERSTÄNDNIS
Vollkommenheiten des Körpers und die des Geistes und zum anderen die allgemeinmenschlichen und die individuellen Vollkommenheiten unterschied. Unter die eigentlichen körperlichen Fertigkeiten fallen demnach alle Fähigkeiten zu solchen Bewegungen, durch die im weitesten Sinn das Leben und die Gesundheit bewahrt werden, also das sichere und richtige Gehen beispielsweise ebenso wie die Ausführung von Handlungen, durch die Unterhalt und Nahrung erworben werden können. Die „Kraft des Leibes“ zum Sprechen und Schreiben hingegen begriff der Verfasser als Fertigkeit in solchen Bewegungen, „durch deren Gebrauch die Seele ihre Fähigkeiten immer mehr und mehr auswickeln kann“73 – nach seiner Überzeugung nämlich wird erst durch die Aneignung von Sprache die Bildung menschlicher Begriffe möglich und damit gleichzeitig die Vernunft erweckt. Es ist offensichtlich, dass der Erwerb einer jeden Geschicklichkeit des Leibes einen zwar unterschiedlich starken, aber immer positiven Einfluss in die allgemeine Vollkommenheit des Menschen hat; körperliche Ungeschicklichkeit dagegen wirkt oft auch auf den möglichen Grad anderer Fertigkeiten begrenzend. Deshalb, so Darjes, müsse ein jeder für die Ausbildung seines Leibes Sorge tragen, wobei er sich primär der Aneignung allgemeinmenschlicher physischer Fertigkeiten befleißigen, die besonderen dagegen wiederum nach ihrem individuellen Nutzen auswählen solle. Seine hier dargelegten essenziellen Lehren über Körper und Gesundheit setzte Darjes später konsequent in der von ihm gegründeten Reformschule Rosenschule um: Während der Speisezettel eine abwechslungsreiche, bekömmliche Ernährung der Zöglinge ausweist, kennzeichnet den überlieferten Tagesplan ebenso ein Wechsel aus geistiger und körperlicher Tätigkeit wie aus Arbeitsstunden und Erholungspausen.74 Neben seinem Geist und Leib hat jeder Mensch, so heißt es weiter in der Sitten-Lehre, auch seinen „äusserlichen Zustand“ in Vollkommenheit zu setzen.75 Gemeint sind damit alle äußerlichen Dinge, die einen Einfluss auf den innerlichen Zustand des Menschen haben können, und über welche er folglich seine Vollkommenheiten erweitern oder Hindernisse entkräften kann. Einzig in diesem Sinne sind äußere Dinge überhaupt als „Mittel“ zur „wahren Glückseligkeit“ mit der Tugend zu vereinbaren. Es muss daher jeder um die jeweils erforderlichen körperlichen und geistigen Vollkommenheiten wissen und zu untersuchen in der Lage sein, inwiefern und auf welche Weise verschiedene Äußerlichkeiten darauf einwirken. Wer sich darüber im Klaren ist, muss nun alle Behutsamkeit anwenden, dass er sich nicht „in weltlichen Beschäftigungen und sinnlichen Belustigen […] verwickelt“, sondern mit Vernunft „die erlangten Beziehungen auf äusserliche Dinge zur Befördrung und Erweitrung wahrer Vollkommenheiten
73 74 75
Ebd., S. 238. Vgl. dazu auch die folgenden Abschnitte III.3.3., III.3.5. und III.3.6. sowie den Tagesplan im Anhang. Vgl. DARJES, Sitten-Lehre, S. 243–263.
DARJES’ ENTWURF VON ERZIEHUNG
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anwendet“.76 Dieses veranschaulichend setzte sich Darjes an dieser Stelle sehr ausführlich mit den Problemen der Ehre und des Vermögens auseinander. Bei der Ehre unterschied er erstens eine „innerliche“, die mit dem „Besitz vorzüglicher sittlicher Vollkommenheiten […], welche wir durch eine regelmäßige Anwendung der Willkührlichkeit erworben haben“ entsteht und von außen weder beeinflusst noch zerstört werden kann, und zweitens eine „äußerliche“ Ehre, welche „die Meynung andrer von dem Vorzuge unrer sittlichen Vollkommenheiten“ bezeichnet und entsprechend veränderlich und nicht unbedingt gegründet ist.77 Dass Darjes das Streben nach der echten innerlichen Ehre als eine Verpflichtung ansah, bedarf keiner weiteren Erklärung, doch hielt er auch den zusätzlichen Erwerb äußerlicher Ehre für klug und weise, solange sie gegründet sei, sich der Fragliche ihrer also als würdig erweise: Diese Art der Ehre nämlich könne nicht nur ihm selbst als Anreiz zur weiteren eigenen Vervollkommnung dienen, sondern ihn darüber hinaus „in den Stand setzen, […] auch andren zu nützen“.78 Zur Erweckung einer angemessenen „Ehrliebe“, welche der Gelehrte begrifflich vom „Ehrgeiz“ als einem Zuviel im Streben nach äußerlicher Ehre und von der „Niederträchtigkeit“ als einer zu großen Unbekümmertheit um diesbezügliche Fragen abgrenzte, solle demnach jeder Erzieher seinem Zögling beizeiten „gewöhnen […] an die Befördrung der Ehre zu denken“.79 Die einzig sittlich nicht verwerfliche Möglichkeit indessen, zu äußerlicher Ehre zu gelangen, ist laut Darjes, seinen Mitmenschen durch sein vollendetes Betragen und Handeln seine innerliche Ehre zu offenbaren. Überhaupt sei das ganze „äußerliche Bezeugen“ stets als Abbild eines vollendeten innerlichen wie äußerlichen Zustands einzurichten; jeder habe sich um einen seiner Lebenssituation und gesellschaftlichen Schicht entsprechenden „Wohlstand“ – hier im Wortsinn als wohlanständiger, stimmiger Zustand – zu bekümmern. Darjesʼ kameralistischem Interesse ist es geschuldet, dass die sich anschließenden Ausführungen zum „zeitlichen Vermögen“ sehr umfangreich ausfallen. Wie die äußerliche Ehre auch ist dieses demnach zu erstreben, weil es Vollkommenheiten befördern oder Hindernisse, die ihnen gesetzt sind, entkräften kann. Unvernünftig ist jedoch, wer dem Vermögen einen anderen Wert als eben jenen des wirkmächtigen Instrumentariums beilegt. Für den Erwerb, die Verwaltung und die Anwendung der materiellen Mittel verwies Darjes auf die jeweiligen moralischen Maßstäbe und gab auch Hinweise zu deren Vermittlung an diejenigen Mitmenschen, bei denen eine Unmäßigkeit in Vermögenssachen festgestellt wurde. Ziel solle immer die „vernünftige Wirthschaft“ sein. Hieraus ist ersichtlich, weshalb Darjes entgegen der damaligen Schulpraxis die gezielte Befähigung zum Broterwerb und darüber hinaus die Vermittlung eines gewissen ökonomischen Grundwissens in seinen 76 77 78 79
Ebd., S. 245 f. Ebd., S. 250. Ebd., S. 263. Ebd., S. 270.
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II. MENSCHENBILD UND ERZIEHUNGSVERSTÄNDNIS
schultheoretischen Überlegungen und schließlich in seinem Modellversuch mit besonderer Aufmerksamkeit behandelte.80 Ihrer Bedeutung wegen sollen zum Abschluss noch einmal die für das pädagogische Handeln maßgeblichen Kernstücke der Darjesischen Darlegungen notiert werden: Es ist dies erstens die Idee einer stufenweisen, unumkehrbar geordneten Entwicklung aller geistigen Fähigkeiten im Menschen, deren Unkenntnis oder Missachtung jeden Versuch einer Erziehung und Bildung deutlich erschwert, wenn nicht gar scheitern lässt. Es ist dies zweitens das Prinzip einer universellen, allseitigen Erziehung und Bildung, welcher einzig durch vernünftige Überlegungen bestimmte, flexible Grenzen gesetzt werden. Es ist dies drittens der ebenso schlichte wie überzeugende Trainingsgedanke, welcher besagt, dass eine jegliche Fertigkeit erstens nur durch vernünftiges Üben erlangt und zweitens auch nur auf diesem Wege erhalten bleiben kann. Es ist dies viertens der Grundsatz, stets das Individuum zum Maßstab seiner selbst zu machen und dabei nicht das Maximum, sondern das Optimum zum Ziel zu erklären. Und es ist dies nicht zuletzt fünftens die Erkenntnis einer für die menschliche Entwicklung bedeutsamen ständigen gegenseitigen Beeinflussung, eines Zusammenspielens von Körper und Geist.
2.3.
Erziehung zur Tugend
In Darjes’ Konzept von Erziehung kommt der Hinführung des Heranwachsenden zur Tugend ein herausragender Stellenwert zu. Neben der Vernunft galt ihm die Moral als die ureigene Möglichkeit des Menschen; in ihrer Vollendung war sie der Schlüssel zur „wahren Glückseligkeit“. Der Gesellschaft aber garantierte die Tugendhaftigkeit eines Menschen, dass sich derselbe seiner moralischen Verpflichtungen vollends bewusst war und sie klaglos und nach besten Kräften erfüllte. Deshalb war die Ausbildung von Tugend keinesfalls dem Zufall zu überlassen, sondern mit Bedacht schon bei den Jüngsten zu beginnen. Nicht von ungefähr legte Darjes seine pädagogischen Ideen im Wesentlichen in seinem moralphilosophischen Lehrbuch nieder – die allgemeine Erziehung oder „Verbesserung“ meinte letztlich immer Tugenderziehung. War die wahre Sittlichkeit seiner Lehre zufolge jedoch einzig über die schon in merklichem Grad ausgebildete Vernunft zu erreichen, so tat sich damit für den Erzieher oder Lehrer eine immense Schwierigkeit auf: Er hatte die in seiner Obhut befindlichen Kinder, obwohl deren Vernunft noch kaum in Ansätzen erwacht war, von Anfang an zur Tugend zu leiten und vorzubereiten, und, trotzdem es ihnen zwangsläufig an den
80
Vgl. dazu auch die folgenden Abschnitte III.2.3., III.3.5. und III.3.6.
DARJES’ ENTWURF VON ERZIEHUNG
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erforderlichen Einsichten mangelte, jegliche Heuchelei oder stumpfe Gewohnheit in dieser Sache zu unterbinden. Darjes’ Vorschlag zur Tugenderziehung bestand diesen entwicklungsbedingten Besonderheiten entsprechend aus zwei unterschiedlichen Stufen, welche übrigens nicht starr am Alter eines Zöglings festzumachen waren, sondern an seinem Entwicklungsstand. Auf eine erste Phase sollte demnach eine Art vorbereitende Erziehung entfallen, bei der vorwiegend die allgemeinmenschlichen und die für den Erwerb wahrer Sittlichkeit unentbehrlichen Fähigkeiten, allen voran die „denkende Kraft“, auszubilden seien. Weil das Kind in dieser frühen Erziehungszeit mangels vernünftiger Einsicht und Überzeugung weder wahrhaft tugendhaft handeln noch sich wirklich sittlich verhalten könne, dürfe dies von ihm auch keinesfalls erwartet und verlangt werden. Vielmehr liege es am Erzieher, seine Schützlinge in dieser Zeit nach Kräften von sittlich Schädlichem ab- und fernzuhalten und den gutartigen Teil ihrer Kräfte durch angemessene Übung vorbereitend zu stärken. Überhaupt stellte der Philosoph, wie im Folgenden zu sehen sein wird, nur sehr wenige Regeln für diese frühkindliche Erziehung auf – die eigentliche Moralerziehung nämlich war erst in einer zweiten Phase in Angriff zu nehmen, sobald sich der Schüler von der rein sinnlichen Ebene fortbewegte, also allmählich verständig und vernünftig wurde. Wo Darjes sich über die Erziehung der kleinsten Kinder äußerte, fehlen nahezu jegliche konkrete und damit starre Vorgaben. Es schienen ihm zum Erreichen der allgemeinen Erziehungsabsicht lediglich zwei miteinander verknüpfte, für den Erzieher geltende Grundsätze ausreichend zu sein – deren Erfüllung allerdings müsse unbedingt in jeder Erziehungssituation gegeben sein. Der ersten dieser Regeln zufolge ist alle „Sorge […] dahin zu richten, daß die Kinder weder wollüstig noch furchtsam werden“.81 Furcht und Genusssucht nämlich beeinträchtigten in besonderem Maß das moralische Urteilsvermögen, weil erstere allem Unangenehmen sogleich den Anschein des Schlechten verleihe, während letztere jede Sache, sobald sie eine sinnliche Belustigung bietet, positiv erscheinen lasse. Mit dem Wissen um die geschilderte Entwicklung der „denkenden Kraft“ ist klar, dass ein Kleinkind „durch nichts, als durch die Sinnen“ dazu zu bewegen ist, „dieses zu unternehmen, und ienes zu unterlassen“.82 Die naheliegenden Mittel, mit denen es Erziehern üblicherweise leicht gelingt, auf eben dieser Ebene der „Sinnen“ einen Zugang zum Zögling zu bekommen und diesen entsprechend zu beeinflussen, das heißt also Zwang und Strafe oder Belohnung und Belustigung, verbieten sich aufgrund der genannten Regel aus Darjes’ Erziehungsvorschriften allerdings völlig, da sie Furcht und Wolllust Tür und Tor öffnen. Ein Appell an die Vernunft hingegen, der bei Jugendlichen eine mögliche Alternative darstellt, kommt bei der Lenkung der Jüngsten ebenfalls nicht infrage. Entsprechend empfahl der Gelehrte für die erste Erziehung eine Strategie 81 82
DARJES, Sitten-Lehre, S. 339 f. Im Original hervorgehoben. Ebd., S. 338.
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der Milde und Rücksicht: Unternähmen kleine Kinder etwas, „was uns unangenehm und ihnen nachtheilig“ sei, so müsse man als Erwachsener „mit ihrer Schwachheit Geduld haben und […] sich bemühen, sie durch liebreiche Zuredung so gut, als möglich ist, zu bewegen“.83 Grundsätzlich sei auch vorbeugend darauf zu achten, dass sich schlicht keine Gelegenheiten zum Missbrauch von „Sinnen“ und „Willkühr“ böten. In engem Zusammenhang mit der ersten steht eine zweite Erziehungsregel, nach welcher die Kinder unbedingt „auf eine vernünftige Art“ davon überzeugt werden müssen, dass der Erzieher „nichts von ihnen verlange, als das, wodurch ihr wahres Beste[s] […] befördert werden [kann]“.84 So solle niemand von seinen Zöglingen jemals „etwas verlangen, ohne die Ursachen anzuführen, welche uns die Vernunft hiezu anbiethet“, wobei er diese vernünftigen Gründe dem jeweiligen Entwicklungsstand gemäß etwa durch beispielhafte Erzählungen aus der kindlichen Erfahrungswelt „so viel, als möglich ist, sinnlich machen“ müsse.85 Gelinge dies überzeugend, so kämen die Kinder überdies zunehmend bereitwilliger und häufiger dem Willen des Erziehers nach, womit die Einhaltung der ersten Regel spürbar erleichtert werde. Auffällig in diesem Konzept ist die vollkommene Entlastung des kleinen Kindes von jeglichen Erwartungen und Anforderungen, da es allein in der Verantwortung des Erziehers liegt, die aufgestellten Grundsätze zu befolgen – er hat sich ganz auf das Kind und dessen aktuellen Entwicklungsstand einzustellen und sein Vorgehen daran anzupassen. Entsprechend muss ihm anhaltend daran gelegen sein, die bei seinem Schützling bereits vorhandenen Fertigkeiten zu verbessern, die sich regenden tatsächlich in Gang zu setzen und die später erwünschten optimal vorzubereiten, weil er sich so letztlich das ihm obliegende Erziehungsgeschäft selbst vereinfacht. Hat er der Darjesischen Anleitung folgend unter ständiger Beachtung der beiden allgemeinen Vorschriften die sinnlich-konkrete „denkende Kraft“ seiner Zöglinge nach den angegebenen Regeln geschult, die ihr entgegenstehenden Hindernisse, etwa eine „Heftigkeit des Willens“, wirksam entkräftet und dabei eine elementare Gesundheits- und Leibeserziehung berücksichtigt, kurz: Hat er „mit Ernste für die Beßrung der sinnlichen Fähigkeiten der Kinder gesorget, so wird die Vernunft bald anfangen, ihr Daseyn zu beweisen“, und der Erzieher kann „nach und nach den Verstand […] und alsdenn die Vernunft der Kinder verbessern und erweitern“.86 Zu diesem Zeitpunkt also muss die erste Erziehungsphase in die nächste übergehen, da das Kind inzwischen über die nötigen Voraussetzungen verfügt, um die eigentliche Moralerziehung zu beginnen. Seine bisherige abwartende Haltung hat der Erzieher nun aufzugeben, da es in dieser Phase unwahrscheinlich wird, „einen Heuchler und einen solchen Menschen zu bilden, der das, was ihm gut zu seyn scheint, 83 84 85 86
Ebd., S. 341. Ebd. Im Original hervorgehoben. Ebd., S. 342. Ebd., S. 343.
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mehr aus Gewohnheit, als aus einer wahren Tugend unternimmt“, während jede weitere Verzögerung der sittlichen Unterweisung die Aneignung „irriger Begriffe von dem Guten und Bösen“ und infolgedessen den Missbrauch bereits erlangter Fähigkeiten begünstigen würde.87 Die nun deutlich systematischere eigentliche Moralerziehung des älteren Kindes sollte Darjes zufolge ein Erzieher oder Lehrer ebenso wie der auf die eigene Perfektionierung bedachte erwachsene Autodidakt ganz und gar nach seinem moralphilosophischen Lehrwerk vornehmen. Dieses enthält einen allgemeinen, lehrenden Abschnitt und eine vierteilige Anwendung. Der Hochschullehrer erklärte darin Grundlegendes über das Gute und das Böse, über die wahre Tugend und ihre Erlangung und über die „geoffenbahrte Sitten-Lehre“. Der bei weitem bedeutendste und umfangreichste Anwendungsteil betrachtet die „Beobachtung der Pflichten gegen uns selbst“88 und befasst sich vorwiegend mit den oben besprochenen Vollkommenheiten und Fertigkeiten. Darüber hinaus werden die Leser in ihren menschlichen Pflichten „gegen andre“89, „gegen Gott“90 und „gegen unvernünftige und leblose Geschöpfe“91 unterwiesen. Den Weg, welcher „gerade zur Tugend führen“ könne, ergaben laut Verfasser „drey natürliche Mittel“, die „in gehöriger Ordnung […] verbunden“ werden müssten: Das erste und grundlegende ist eine richtige „Erkenntniß von dem Guten und Bösen“, das zweite „der Vorsatz das Böse zu vermeiden und das Gute auszuüben“ und das dritte schließlich „die Übung in der Ausübung des Guten“;92 die Dreiheit also von Wissen, Wollen und Können ist in Einklang zu bringen. Ohne die Erkenntnis des Guten und Bösen ist selbstredend keine Tugend denkbar. Ihren Wert erhalte sie, wie Darjes genauer ausführte, aber erst dann, wenn sie „deutlich, überzeugend und unüberwindlich“ sei, da nur in diesem Falle ein Zögling seine Auffassungen von Gut und Böse weder miteinander vermengen noch modifizieren noch in seinem Urteilen und Handeln übergehen werde – zudem müsse sie „lebendig“ sein, das heißt fähig, den Willen des fraglichen Menschen zu lenken.93 Darüber nun, was eigentlich gut und was böse zu nennen sei, handelt die Sitten-Lehre gleich eingangs: Demnach ist alles, „was mit den wesentlichen Absichten einer Sache übereinstimmt“, „in Ansehung dieser Sache gut“, anderenfalls aber, wenn es „den wesentlichen Absichten einer Sache zuwider ist“, „in Beziehung auf diese Sache schädlich oder böse“.94 Verschiedene Schlussfolgerungen schließen sich an, aus denen deutlich wird, dass die Erkenntnis des wahrhaftig Guten und Bösen keineswegs leicht und daher auch nicht von jungen und 87 88 89 90 91 92 93 94
Ebd., S. 343 f. Ebd., S. 143–326. Ebd., S. 327–354. Ebd., S. 355–413. Ebd., S. 414–416. Ebd., S. 89. Ebd., S. 89 f. Ebd., S. 21 f.
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gar noch unvernünftigen Kindern selbst zu leisten ist. Denn diese Kategorien sind eben nicht absolut, weshalb zur Einschätzung ein gut entwickeltes Urteilsvermögen ebenso benötigt wird wie Weitsicht und Erfahrung – Fähigkeiten, bei denen Kinder natürlicherweise rasch an ihre Grenzen gelangen. Es ist demnach vom Erzieher im Kind eine deutliche und überzeugende Erkenntnis zu erwecken, wofür Darjes auf seine Logik verwies: „Die Vernunft-Lehre zeiget uns zween Wege, wodurch wir einen überzeugen können: nemlich durch eine richtige demonstration und durch die Erfahrung.“95 Da der erste Weg einen bereits gut entwickelten Verstand voraussetzt, so muss vornehmlich der zweite, sinnliche bei der Kindererziehung zur Anwendung kommen. Der Gelehrte empfahl, exemplarische Fälle aus der kindlichen Erfahrungswelt so zu erklären und zu analysieren, dass die Kinder die Handlung leicht begreifen und den jeweiligen bösen oder guten Ausgang eindeutig als deren notwendige Folge erkennen können. Unerlässlich seien solche „Exempeln, Fabeln und dergleichen“96 allemal, da sie ein wirksames Mittel abgeben, die üblicherweise heftiger auf das moralische Urteil wirkenden „Sinnen“ und „Einbildungskraft“ in Übereinstimmung mit der vernünftigen Einsicht zu bringen. Unüberwindlich nämlich werde eine Erkenntnis erst, wenn kein Widerspruch in den zwei Arten der „denkenden Kraft“ vorkomme. Deshalb sei, nachdem die verstandes- und vernunftmäßige Erkenntnis des Bösen und des Guten durch das Anführen möglichst mehrerer überzeugender Gründe gestärkt wurde, noch die sinnliche Seite mittels der Erfahrung zu synchronisieren – eine schrittweise Anleitung dafür stellte Darjes bereit. Die hier umgekehrte Reihenfolge bei der Bearbeitung der „denkenden Kraft“ verdeutlicht im Übrigen noch einmal, dass für die eigentliche Moralerziehung mittels vernünftiger Einsicht eine gewisse geistige Reife vorausgesetzt werden muss. Eine unüberwindliche Erkenntnis wiederum stellt die Basis für einen „ernstlichen Vorsatz in dem Guten“97 dar – wurde in einem Menschen der Wunsch nach Glückseligkeit und eine deutliche, überzeugende, unüberwindliche und lebendige Erkenntnis des Guten geweckt, so wird sich nach Darjes’ Überzeugung ein solcher Vorsatz von selbst einstellen. Nach den allgemeinen Vorschriften zum Erlangen einer Fertigkeit ist schließlich die Ausübung des Guten zu trainieren. Welche Hindernisse auf dem Weg zur Tugend auftreten oder ihre Ausübung erschweren können und wie diesen zu begegnen ist, legte der Philosoph in einem gesonderten Kapitel dar. In Form von (Verhaltens-)Regeln werden dabei Hilfestellungen angeboten, wie solche Hemmnisse zu erkennen und zu vermeiden beziehungsweise zu entkräften seien. Thematisiert werden beispielsweise der
95 96 97
Ebd., S. 37. Im Original teils hervorgehoben. Ebd., S. 93. Ebd., S. 94.
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Umgang, welchen der Einzelne pflegt, oder auch die „Neigung“ seines „Gemüths“.98 Die Gemütsneigungen der Zöglinge übrigens riet Darjes herauszufinden – wofür er eine Einweisung in die „Kunst zur Erforschung der menschlichen Gemüther“99 bereitstellte – und sie sich bei der Erziehung entsprechend zunutze zu machen: Abgesehen von der phlegmatischen, die „nichts als Böses würken“ könne und daher unterdrückt werden müsse, werde „uns die Neigung von einem ieden zu Hülfe kommen, wenn wir ihn zur Tugend führen wollen“.100 Freilich seien diese Neigungen vom Erziehenden dabei möglichst rein zu erhalten und behutsam zu verbessern, da die Kinder anderenfalls verderben. An dieser Stelle wird erneut deutlich, dass Darjes vom Erzieher die Anpassung an den Zögling erwartete und nicht umgekehrt. Ist der noch allzu unfertige Heranwachsende für die Ausbildung der grundlegendsten Sittlichkeit auf Hilfe durch seine bereits reiferen Mitmenschen angewiesen, so gilt dies in gleicher Weise für den ungenügend gebildeten Erwachsenen, dem ein Mangel an Vernunft den Weg zu wahrhaftiger Tugend versperrt. Hier wie dort verbindet den Vernünftigen seine moralische Pflicht helfend beizustehen. Dies entbindet jedoch niemanden von der Obliegenheit, die in ihm selbst und in seinen Handlungen gegründeten Hindernisse der Tugend nach seinen Kräften zu beseitigen: Mit dem Erwachen der Vernunft bedeutet der Weg zur Sittlichkeit eben vor allem die obligatorische Arbeit an sich selbst. Es ist gerade diese Befähigung, die ein Schüler im Idealfall am Ende seiner Moralerziehung erlangt haben soll. Auch hinsichtlich der Tugenderziehung jedoch soll als einziges Ideal der relative Maßstab gelten dürfen, den Darjes in sämtlichen menschlichen Belangen angewendet wissen will: „Wer alles thut, was in seinen Kräften stehet, der hat auch seiner Verbindlichkeit Genüge gethan.“101 Einesteils also ist die sittliche Bildung und Erziehung ausdrücklich Sache des Schulunterrichts und eines besonders qualifizierten Lehrers, andererseits findet sie gleichzeitig unablässig quasi nebenbei statt. Sieht man einmal davon ab, dass nach Darjes’ Verständnis jeder Mensch einen hinsichtlich seiner sittlichen Entwicklung hinter ihm noch zurückstehenden Mitmenschen nach Möglichkeit zu fördern hat, so sah der Moralphilosoph hier insbesondere alle mit Bildungs- und Erziehungsaufgaben betrauten Personen in der Pflicht, da sie ganz wesentlich auf die Sittlichkeit der Heranwachsenden wirken. In seinem Politik-Lehrbuch 98
Die Gemütsneigungen beschrieb Darjes folgendermaßen: „Wer gewohnt ist, das Gute aus dem zu beurtheilen, ob es seine Sinne belustigen könne, der wird sanguinisch, wer gewohnt ist, das Gute aus dem zu beurtheilen, ob er sein zeitliches Vermögen dadurch vermehren könne, der wird melancholisch, wer gewohnt ist, das Gute aus dem zu beurtheilen, ob es seine Ehre bfördert, der wird cholerisch; und wer endlich gewohnt ist, das Gute aus dem zu beurtheilen, ob er sich dadurch von den Geschäften befreyen könne, der wird phlegmatisch genennet“. DARJES, Sitten-Lehre, S. 108 f. 99 Ebd., S. 117. 100 Ebd., S. 110. 101 Ebd., S. 335.
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thematisierte er speziell die Herzensbildung von Lehrern,102 die allzu oft zu wünschen übrig lasse und ohnehin viel zu selten als Kriterium bei der Auswahl von Pädagogen ins Spiel komme. Sie seien damit nicht allein unqualifiziert, ihre Schüler in geeigneter Weise in der Moral zu unterweisen, sondern stünden ihnen in ihrer Unvollkommenheit zudem täglich als ein schlechtes Beispiel vor Augen. Wenn eben der soziale Umgang als ein entscheidender Faktor für die positive oder negative sittliche Entwicklung eines Zöglings erwähnt wurde, so ging es Darjes dabei genau um eine solche Vorbildwirkung. Die Forderung nach vollendet tugendhaften Pädagogen war deswegen zwingend, weil er sich des typisch menschlichen und insbesondere bei Kindern auffälligen Hangs zur Nachahmung bewusst war und ihn in seine (volks-)erzieherischen Überlegungen einbezog. Im Übrigen empfahl er in seiner Staatsklugheit auch, bevorzugt diesen Nachahmungstrieb zu nutzen, wenn etwa das Volk, also ein Haufe nicht wahrhaftig moralischer Unvernünftiger, nach den Geboten der Klugheit zunächst äußerlich gesittet zu machen sei.103 Aus der Sitten-Lehre ebenso wie aus seinem späteren Schulexperiment wird ersichtlich, dass Darjes die sittliche Erziehung prinzipiell unabhängig von christlich-religiöser Unterweisung als eine allgemeinmenschliche Herzensbildung verstand: Sollte im Anfängerunterricht der Versuchsanstalt einzig das zuvor bereits „in einer gesunden Moral […] menschlich gebildete Herz in den Lehren und in den Regeln des wahren Christenthums“ unterwiesen werden,104 so stellte der Professor auch seine theoretischen Ausführungen im Lehrbuch erst im letzten Abschnitt über die „Nothwendigkeit einer geoffenbahrten Sitten-Lehre“ auf ein religiöses Fundament.105 Dort relativierte er die menschlichen Möglichkeiten, die vollkommene Glückseligkeit aus eigener Kraft zu erreichen und verwies auf Gott als Zufluchtsort und Unterstützer. Allein wer sich „mit Ernste bemühe, tugendhaft zu werden, und […] nach seiner Hülfe mit aufrichtigem Gemüthe seufze“,106 wer also den von der Vernunft vorgeschriebenen Weg zur Tugend ernsthaft und nicht bloß scheinbar, dabei stets demütig angesichts seiner eigenen Verderbtheit und seines Unvermögens gehe, dem lasse Gott die erbetene und notwendige Unterstützung zuteil werden. Obwohl also die Darjesische SittenLehre unabhängig von jeglicher Religion als in sich geschlossenes System funktionierte, vollzog der Gelehrte auf diese Weise schließlich doch den versöhnlichen Brückenschlag zum (praktischen) Christentum, indem er seiner rein vernunftbetonten Moralphilosophie letztlich Gott als letzte Instanz hinzufügte. In der Konsequenz musste die sittliche Herzensbildung also stets in der engstmöglichen Verknüpfung mit dem christlichen Religionsunterricht verbleiben, wie freilich 102 103 104 105 106
Vgl. DARJES, Bielefelds Staatsklugheit, S. 115, 120 f. Vgl. ebd., S. 111–127. Ders., Das erste Jahr, S. 3. Ders., Sitten-Lehre, S. 135 ff. Ebd., S. 134.
DARJES’ ENTWURF VON ERZIEHUNG
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auch die moralischen Anfängerstunden in der Rosenschule des Darjes gleichermaßen der Tugenderziehung und der allgemeinen Unterweisung im Christentum dienten – ein Ethikunterricht ohne jede Christenlehre blieb im 18. Jahrhundert undenkbar.
2.4.
Erziehung zur Brauchbarkeit
Erklärte Darjes die Tugend als die notwendige Herrscherin über die sämtlichen menschlichen Fähigkeiten zum allgemeinen Hauptziel jeglicher Erziehung und Bildung, so sah er einen zweiten unverzichtbaren Bestandteil in der Vermittlung ganz bestimmten Wissens und Könnens: Man muß dafür sorgen, daß man die Kinder wahrhaftig tugendhaft mache, und mit dieser Sorge muß man die zweyte verknüpfen, deren Gegenstand die Geschicklichkeit ist, dem menschlichen Geschlechte in einer gewissen Ordnung zu dienen.107
Anders ausgedrückt verlangte der Kameralwissenschaftler eine auf die Brauchbarkeit oder gesellschaftliche Nützlichkeit des Einzelnen ausgerichtete Erziehung und Bildung, allerdings ohne diesem utilitaristischen Anspruch alles opfern zu wollen. Ebenso wie bei der Ausbildung der Sittlichkeit machte Darjes den rechten Zeitpunkt zum Beginn dieser Unterweisung an einem bestimmten Entwicklungsstand des Zöglings fest, nämlich am Erwachen der Vernunft. Dies verwundert zunächst, da zahlreiche Arbeiten keinen hohen Grad an Vernunft erfordern, weshalb erfahrungsgemäß schon sehr kleine Kinder dazu in der Lage sind, die sich auf diese Weise rasch nützlich machen könnten. Entspräche daher nicht ein deutlich früherer Beginn wesentlich besser der Forderung nach Brauchbarkeit? Eine Anmerkung aus Darjes’ Sitten-Lehre, in welcher der Philosoph seine Auffassung von wirklicher Brauchbarkeit konkretisierte, entkräftet diesen Einwurf: Wenn nämlich der Einzelne „dem menschlichen Geschlechte in einer gewissen Ordnung mit Vernunft […] zu dienen“ habe, so bedeute dies „nicht Handwerksmäßig“, also rein gewohnheitsmäßig und gedankenlos nachahmend, weil dabei „das Vernünftige in den Menschen sehr unterdrücket“ werde.108 Ganz klar also wünschte Darjes den brauchbaren Menschen nicht als einen zwar vielleicht geschickten, aber für sein Tun verständnislosen „Automaten“, sondern als einen stets mit Verstand und Vernunft tätigen, erfindungsreichen Experten. Diesen Gedanken weiterdenkend, verbreitete der Gelehrte an der gleichen Stelle übrigens die Idee, dass zu weitaus mehr Beschäftigungen als bloß zur Medizin, Jurisprudenz und Theologie die Menschen wie vernünftige Gelehrte ausgebildet 107 DARJES, Sitten-Lehre, S. 339. 108 Ebd., S. 345 f., 1. Anm.
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II. MENSCHENBILD UND ERZIEHUNGSVERSTÄNDNIS
werden müssten. Ein weiteres Argument dafür, bei der Unterweisung die ersten Regungen der Vernunft abzuwarten, entspringt aus Darjes’ Lehre von den Fertigkeiten, deren Erwerb und Gebrauch ja stets von der Tugend regiert werden sollen – die Ausbildung insbesondere der speziellen und komplexen Fertigkeiten ist also aus Gründen der Vernunft parallel zur eigentlichen Moralerziehung sinnvoll. Mittel der Wahl ist dabei freilich wieder die geeignete Übung. Die Geschicklichkeiten zum Dienst an der Gesellschaft können im Gegensatz zur Tugend von unterschiedlichster Art sein. Folgerichtig gibt es zu jeder Form der Brauchbarkeit auch einen Weg, diese zu erlangen, der im weitesten Sinn als Berufsvorbereitung und -ausbildung bezeichnet werden könnte. Darjes zufolge sind zu Beginn zwei Fragen zu klären: erstens, welcher „Lebens-Art […] man einen iungen Menschen wiedmen“ solle, und zweitens, „wie […] man diesen bey der Erziehung geschickt machen [soll], in der erwehlten Lebens-Art dem menschlichen Geschlechte vernünftig zu dienen“.109 Bezüglich der ersten Frage sei, so riet der Gelehrte, den besonderen Neigungen des Einzelnen Rechnung zu tragen, da in diesem Fall auch ein optimales Ergebnis erwartet werden dürfe. Interessant daran ist, dass hier die Rede vom Menschen im Allgemeinen ist, diese, wenn man so will, freie Berufswahl also nicht allein einer privilegierten Minderheit zugestanden wird. Allerdings wollte Darjes den durch die Gegebenheiten seiner Zeit vorgeschriebenen Rahmen damit nicht gänzlich sprengen, sondern mahnte gleich darauf wieder einschränkend zur Beachtung der „Umstände, unter welchen sich der zu erziehende Mensch befindet“.110 Die Erziehung und Ausbildung zur Brauchbarkeit, das heißt also die Vorbereitung auf eine gewisse nützliche Tätigkeit, soll mit den allgemeinen Kenntnissen und Fertigkeiten begonnen werden, „welche alle Lebens-Arten, die mit Vernunft können getrieben werden, miteinander gemein haben“.111 Daraufhin ist schrittweise eine zunehmende besondere Ausrichtung und schließlich eine Spezialisierung erst auf das weitere Tätigkeitsfeld und zuletzt auf die gewählte „Lebens-Art“ an sich vorzunehmen. In der Sitten-Lehre selbst verzichtete Darjes auf Erläuterungen, die über die bereits dargelegten, beispielsweise zur Entwicklung der „denkenden Kraft“, hinausgehen. Allerdings benannte er dort bereits den Ort, an welchem seiner Meinung nach das Kind zu einem nützlichen Menschen erzogen und ausgebildet werden sollte: Es müsse dies selbstverständlich die öffentliche Schule sein. Dieses Stichwort führt direkt zum Darjesischen Kompendium über die Cameral-Wissenschaften, welches sich deutlich intensiver mit der Thematik des tauglichen Bürgers befasst und in logischer Konsequenz auch einen Abschnitt über das Schulwesen112 enthält. An die Moralphilosophie knüpft dieser nahtlos und ergänzend
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Ebd., S. 344. Ebd., S. 345. Ebd., S. 345. Vgl. DARJES, Cameral-Wissenschaften, S. 392–408.
DARJES’ ENTWURF VON ERZIEHUNG
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an, indem etwa einige der dort verbreiteten allgemeinpädagogischen Grundlehren hier unter anderer Schwerpunktsetzung erneuert werden. Ebenso, wie er in der Sitten-Lehre aus moralischer Perspektive für eine Erziehung zur Brauchbarkeit argumentierte, begründete Darjes die Notwendigkeit sittlicher Unterweisung hier aus der kameralistischen: Macht in den Augen des Moralphilosophen Ungeschicklichkeit und Nutzlosigkeit des Einzelnen ihn selbst und gleichzeitig die menschliche Gemeinschaft unvollkommen und damit die Glückseligkeit unerreichbar, so bringt fehlende Tugend nach Ansicht des Kameralisten Eigennutz, Verantwortungslosigkeit und die Unlust, „auch mit einigen Unbequemlichkeiten die Wohlfarth anderer zu besorgen“,113 mit sich. Die Schulen nun sollen daher eine „gedoppelte Absicht“ verfolgen und sowohl gute als auch nützliche Menschen heranziehen. Der Maßstab für die Brauchbarkeit des Einzelnen ist Darjes zufolge dabei seine Fähigkeit, sich und seine Familie durch eine vernünftige Beschäftigung ernähren und erhalten zu können und darüber hinaus Erwerbsmöglichkeiten für dritte zu schaffen. Da diese mannigfaltigen beruflichen Tätigkeiten jeweils unterschiedliche Kenntnisse und Fähigkeiten erfordern, erscheint es ganz logisch, auch das Schulsystem entsprechend zu differenzieren. Darjes’ Konzept berücksichtigt die Tatsache, dass einige Geschicklichkeiten für jedermann und andere nur innerhalb einer bestimmten „Lebens-Art“ von Bedeutung sind, indem es „allgemeine“ und „besondere“ Schulen vorsieht. Dabei werden jeweils die den einzelnen Schultypen außer der Moralerziehung noch zufallenden besonderen Bildungsaufgaben umrissen. Diese orientieren sich stets an den Anforderungen des wirklichen Lebens: Was ein Mensch an grundlegender Allgemeinbildung benötigte, um der Gesellschaft im mindesten brauchbar zu werden, das musste er in einer Elementarschule lernen; für alles, was darüber hinaus möglich und erforderlich war, musste es weitere Institutionen mit passenden Lehrinhalten und -methoden geben. Insbesondere war Darjes daran gelegen, dass sich ein Kind in der Schule mit seiner realen, sicht- und greifbaren Umwelt unmittelbar auseinanderzusetzen lernte, da er dies zur Erweckung der seelisch-geistigen Fertigkeiten für besonders geeignet hielt. Was ein Mensch zu tun lernte, sollte er als Wissender und Verstehender tun. Noch einmal betonte der Kameralwissenschaftler hier, dass zuallererst die Fertigkeiten der Seele zu schulen seien, und verwies dafür auf die entsprechenden Abschnitte seiner Sitten-Lehre. Eine gezielte Vorbereitung auf den tatsächlichen zukünftigen Tätigkeitsbereich sollten erst die besonderen Schulen anbieten, wobei sich die dabei beschriebene Erziehung und Bildung fast ohne Ausnahme an Knaben richtete. Allein deren Verstand nämlich, und nicht derjenige der weiblichen Jugend, sollte in den gelehrten Anstalten zur vollendeten Ausbildung gebracht werden. An diesen Orten war die individuelle geistige Entfaltung zu fördern, freilich mit dem Ziel, dass die ausgebildeten Verstandeskräfte in den Dienst der Gesellschaft und des Staates gestellt würden. Hieraus wird ganz deutlich, dass dies nicht der geeignete Ort für jüngere Kinder 113 Ebd., S. 393.
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II. MENSCHENBILD UND ERZIEHUNGSVERSTÄNDNIS
sein konnte, sondern erst für solche, die vollkommen auf die Erweckung des abstrakten Denkens vorbereitet waren. Wiederum einer höheren Stufe schließlich, nämlich der Vervollkommnung der Vernunft ihrer Schüler, widmeten sich endlich die Hochschulen, die vernünftigerweise erst bei völlig ausgebildetem und gut geübtem Verstand zu besuchen waren. Dass selbst noch das Miteinander der aus dem eigentlichen Erzieher-Schüler-Verhältnis nahezu ausgetretenen Mitglieder wissenschaftlicher Gesellschaften, welche als herausragende Studenten und Dozenten in der Entwicklung ihrer Vernunft und, so blieb zu hoffen, ihrer Sittlichkeit einer individuellen Vollendung bereits am nächsten gekommen sein dürften, ohne Zweifel die Verbesserung und Vervollkommnung des Einzelnen weiterhin beförderte, konnte der bereits greise Universitätsprofessor in seiner Funktion als Präsident der Frankfurter Gelehrten Gesellschaft versichern.114 Das nach Darjes ideale Schulsystem trägt durch eine vertikale Staffelung der stufenweisen (geistigen) Entwicklung des Menschen ebenso Rechnung, wie es durch eine horizontale Ausdifferenzierung die möglichen Lebensumstände des Einzelnen aufzugreifen versucht. Somit ist auch hinsichtlich der Erziehung zur Brauchbarkeit die Endlichkeit der menschlichen Kräfte berücksichtigt, die den individuell erreichbaren Fertigkeiten notwendig Grenzen setzt, und entscheidend für die Notwendigkeit und auch Intensität aller Übung bleibt einzig der tatsächliche Nutzen einer Fertigkeit für einen Menschen nach seiner Lage und Bestimmung. Hier ist der Überblick über die allgemeinen erziehungstheoretischen Grundlagen aus den Darjesischen Lehrbüchern abgeschlossen. Wie schon verschiedentlich angesprochen wurde, war der Gelehrte weit davon entfernt, sich als Wissenschaftler rein theoretischen Gedankenspielen hinzugeben, unabhängig von deren Tauglichkeit für das wirkliche Leben. Vielmehr erwecken seine bis ins letzte durchdachten und daher kaum angreifbaren Ausführungen den Eindruck eines regelrechten „Schlachtplans“ und fordern den Leser damit in besonderer Weise zur Umsetzung auf. Daraus und natürlich aus seinen eigenen praktischen Experimenten in dieser Sache wird deutlich, dass Darjes sich eben keineswegs schlicht mit einem eigenen Beitrag in ein Modethema einschalten, sondern tatsächlich die (öffentliche) Erziehung und Bildung vernünftig und zeitgemäß zu reformieren gedachte. Als sprichwörtlicher roter Faden werden sich im Weiteren seine konkreten Beobachtungen in den einzelnen Bereichen mit seinen in ihrer Prägnanz und Pragmatik überzeugenden Lösungsideen durch diese Arbeit ziehen.
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Vgl. DARJES, Das Opfer der Dankbarkeit; Ders., Das 44te Geburts-Fest.
III. Auf dem Weg zu einer erneuerten Schule III. Auf dem Weg zu einer erneuerten Schule
1.
Schule und Schulkritik
Schule und Schulkritik 1.1. Schule und Bildung im 18. Jahrhundert am Beispiel Jenas Das vom christlichen Glauben verschiedener Konfessionen geprägte deutsche Bildungs- und Erziehungswesen der Frühen Neuzeit zeichnete sich vor dem Hintergrund moderner Vorstellungen und Kategorien vor allem durch seine bemerkenswerte Vielfalt und Uneinheitlichkeit aus: Diese „Bildungslandschaft“, so urteilt Menk, hatte in ihrer „Vielfalt und Dichte […] in Europa keinen Vergleich“.1 Seit Jahrhunderten Tradiertes stand neben kühnen Reformversuchen, öffentlicher Unterricht neben privatem, staatliche Initiativen neben kirchlichen und gesellschaftlichen – ein flächendeckendes homogenes System hatte sich noch nicht entwickelt. Bisher war dies auch kaum vonnöten, wies doch die in der ständischen Lebenswelt alltägliche Weitergabe des erforderlichen Wissens und Könnens für Privatleben, Beruf und gesellschaftlichen Umgang innerhalb des Hauses und im Kreis der Familie organisierter außerhäuslicher Bildung einen deutlich niedrigeren Stellenwert zu, als sie in jüngerer Zeit innehat. Der Besuch einer öffentlichen Schule, deren Fächerkanon oder die Maßstäbe zur Beurteilung der Qualifikationen von Lehrern und Schülern waren infolgedessen weder (wirksam) geregelt noch gar verpflichtend, die regionale und lokale Nachfrage und Initiative bestimmten oft das Angebot. Eine ständige, durchaus förderliche Konkurrenzsituation der Bildungsanbieter war für diese Zeit so typisch, dass Ehrenpreis die Konkurrenz zu einem Grundprinzip frühneuzeitlicher Bildungsgeschichte erhebt.2 Schule, wie sie heutzutage jede Kindheit und Jugend dominiert, war im 18. Jahrhundert „noch nicht mit moderner Selbstverständlichkeit ein Erfordernis für Bildung und Erziehung künftiger Generationen“, hält Neugebauer fest.3 Entsprechend unscharf muss auch jede Kategorisierung der im 18. Jahrhundert bestehenden Bildungseinrichtungen ausfallen, und entsprechend weit sind die Begriffe, unter denen dieselben im Allgemeinen zusammengefasst werden. Dies gilt in besonderem Maße für das in Abhängigkeit von der Region bisher zum Teil nur rudimentär erforschte niedere Schulwesen.4 Als dessen typische Anstalten machten insbesondere seit der Reformation die muttersprachlichen 1 2 3 4
MENK, Bildungswesen, S. 96. Vgl. EHRENPREIS, Erziehungs- und Schulwesen, S. 31. NEUGEBAUER, Niedere Schulen, S. 213 f. Zitat S. 214. Vgl. dazu EHRENPREIS, Erziehungs- und Schulwesen, S. 25.
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III. AUF DEM WEG ZU EINER ERNEUERTEN SCHULE
Schulen einem großen Bevölkerungsteil Bildung zugänglich. Als ihr gemeinsames Charakteristikum ist anzuführen, dass dort gegen ein meist geringes Schulgeld elementarer Unterricht unter Benutzung der deutschen Sprache erteilt wurde. Hauptanliegen war dabei die Unterweisung im Christentum verbunden mit der Alphabetisierung; das Lesen wurde anhand von Katechismen und Gesangbüchern gelernt, ergänzend kamen (Schön-)Schreiben und Singen, seltener Rechnen hinzu. Bestand in einer Gemeinde allerdings die Nachfrage nach besonderen Bildungsinhalten und waren entsprechend befähigte Personen zum Unterrichten angestellt, so konnte das Repertoire einer deutschen Schule durchaus eine deutliche Erweiterung in teils erstaunlicher Qualität erfahren.5 Die Stellen für deutsche Schulmeister, von denen je nach Größe der Stadt eine oder mehrere existierten, wurden jeweils vom Rat oder von der Kirche besetzt; zum Teil wurde auch von Frauen, oft den Schulmeisterwitwen, unterrichtet. Auf dem Land wurde ebenfalls Schule gehalten, wobei in aller Regel unter der Aufsicht des zuständigen Pfarrers der Kirchendiener oder ein Handwerker nebenberuflich – dieses ist im Wortsinn zu nehmen, der Handwerker lehrte also in seiner Stube, während er sein nicht unbedingt geräuscharmes Handwerk ausübte – den Unterricht versah und dafür die Schulgelder und Naturalien erhielt. Auch spontane, jeglicher Kontrolle entzogene Schulgründungen auf Initiative der Gemeinde oder einer Privatperson hin waren üblich.6 Selbst den „heruntergekommenen Vagabunden, der in einem abgelegenen Dorf einen Winter lang gegen Kost und Logis einigen Bauernkindern das Buchstabieren“ beibrachte, hält Schmitz keineswegs für einen Einzelfall.7 Ohnehin nahmen die meisten Kinder unregelmäßig, oft nur wenige Monate oder gar Wochen im Winter am Unterricht teil, wenn sie von anderen Arbeiten frei waren. Entsprechend uneinheitlich war sowohl die Qualität der Landschulen als auch der – tendenziell sehr geringe – Bildungsstand der ländlichen Jugend. Zur Studienvorbereitung oder höheren Bildung der Knaben waren in den Städten konfessionelle Lateinschulen verbreitet. Die protestantischen Gelehrtenschulen mit typischerweise drei bis fünf nach Leistung differenzierten Klassenstufen und mehreren Lehrern unterstanden meist dem städtischen Magistrat, die ihnen strukturell und inhaltlich sehr ähnlichen katholischen hingegen trug bis
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Um die Unterschiede deutlich zu machen, welche solche Anstalten von den einfachen Schulen merklich weg in Richtung der höheren Anstalten rückten, wird in der Forschung auch der Terminus der „vermengten“ oder „vermischten“ Schulen gebraucht. Beim sogenannten „niederen“ und „höheren“ Schulwesen des 18. Jahrhunderts also handelt es sich keineswegs um zwei klar getrennte Bereiche. Vgl. ebd. Menk macht auf den in der Forschung in seinem Umfang bisher zu wenig beachteten eigenen, von obrigkeitlichem Interesse oft gänzlich unabhängigen Bildungsimpetus von (protestantischen) Städten und Dörfern bzw. auch Privatpersonen aufmerksam, vgl. MENK, Bildungswesen, S. 76 f. SCHMITZ, Geschichte der Schule, S. 45.
SCHULE UND SCHULKRITIK
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auf wenige Ausnahmen der Jesuitenorden. Während letztere verhältnismäßig homogene Strukturen, Inhalte und Qualität aufwiesen, ist unter den ersten eine dem niederen Schulwesen ganz ähnliche und schwer fassbare Vielfalt zu beobachten: Die über die Elementarbildung kaum hinauskommende Einrichtung mit nur zwei Klassen und einem Lehrer existierte parallel zur neunstufigen Anstalt mit namhaften Professoren, die sowohl in Umfang als auch Qualität ihres Lehrangebots die ersten akademischen Jahre vorwegnahmen. Typisch war die fünfklassige Schule, in der ein fest besoldeter Rektor mit abgeschlossenem Theologiestudium einigen weiteren, unterschiedlich qualifizierten Lehrern – in den Jesuitengymnasien durchweg Studierte, in protestantischen Stadtschulen manchmal auch schlicht ältere Schüler – vorstand. Obwohl meist schon vor der Reformation auch dem Stadtrat unterstellt, fungierten diese Schulen unverändert als „Hilfsanstalt der Kirche“:8 Ihre eigentlich wichtigste Aufgabe blieb die Mitwirkung beim Kirchendienst. Unterrichtssprache war das Latein, dessen aktive Beherrschung mittels umfangreicher Grammatik-, Rhetorik-, Dialektik- und Übersetzungsübungen sowie umfassender Originallektüre schrittweise zu Perfektion und Eleganz gebracht werden sollte. Ähnlich bedeutsam war daneben nur der Religionsunterricht, während die wenigen noch verbleibenden Wochenstunden vor allem dem Griechischen, auch dem Hebräischen und der Philosophie gewidmet wurden. Inhaltlich waren diese Schulen damit konsequent auf zukünftige Gelehrte und Geistliche ausgerichtet; erst ganz allmählich hielten erste Realfächer, darunter Arithmetik, Geschichte und Geographie, ihren Einzug ins höhere Schulwesen. Dessen ungeachtet waren unter den Schülern zu einem ganz überwiegenden Teil Knaben ohne Studienabsichten, die für ihre spätere handwerkliche, gewerbliche oder kaufmännische Tätigkeit nur einzelne Klassenstufen durchliefen. Im Übrigen erlaubte das gut entwickelte Stipendienwesen auch begabten Knaben der niedrigsten Stände den weiterführenden Schulbesuch, weshalb nach Schmitz9 „die Lateinschulen dieser Epoche“ hinsichtlich ihrer Schülerschaft „echte Gesamtschulen“ darstellten. Diesen beiden öffentlichen Formen von organisierter niederer und höherer Bildung gesellten sich zahlreiche weitere hinzu. Den ersten Unterricht vieler Kinder etwa übernahmen geeignete Personen aus ihrem häuslichen Umfeld, die Eltern, ältere Geschwister oder Verwandte. Ganz verbreitet waren zudem Privatunterweisungen jeglicher Art, die keinesfalls allein den Kindern höherer Stände vorbehalten blieben.10 In zusätzlichen Stunden oder als Hauslehrer ergänzten hier Lehrer oder Studenten, aber auch gebildete Bürger und Handwerker die elementare, höhere oder spezielle Bildung der Heranwachsenden oder übernahmen 8 9 10
ENDRES, Handwerk, S. 376. SCHMITZ, Geschichte der Schule, S. 42. Laut Neugebauer stellten nachweislich nicht nur der Adel und gutsituierte Bürger, sondern auch Landprediger, Beamte, Handwerker, sogar Müller, Förster und wohlhabende Bauern Hauslehrer für ihre Kinder an, vgl. NEUGEBAUER, Niedere Schulen, S. 234 f.
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III. AUF DEM WEG ZU EINER ERNEUERTEN SCHULE
sie gleich vollständig. Auf diesem Weg wurde vor allem in den Städten auch der Nachfrage nach verschiedenen, auf öffentlichen Schulen nicht oder kaum zu findenden Unterrichtsinhalten, beispielsweise Mathematik, Zeichnen und moderne Fremdsprachen, begegnet. Zudem wurde mit gesonderter Unterweisung den zum Teil unterschiedlichen konfessionellen Bedürfnissen Rechnung getragen. Und nicht zuletzt eröffnete sich so für die weibliche Jugend die Teilhabe an vielseitiger und anspruchsvoller Bildung: Öffentliche Mädchenschulen, welche über die elementarste Bildung hinausführten, waren nämlich kaum vorhanden. Vielen dieser Lehrmeister fehlte eine offizielle Bestätigung von Rat, Kirche oder Obrigkeit, es blühte in den Städten und Vorstädten eine Fülle an geduldeten oder illegalen Schreib-, Privat- und Winkelschulen – zum Ärger der öffentlichen Lehrer, denen auf diese Weise viele zahlende Schüler entzogen wurden. Stark spezialisierte und damit nur einem ausgewählten Kreis der Jugend zugängliche schulische Einrichtungen stellten die auf die standesgemäße Erziehung des männlichen Adels ausgerichteten Ritterakademien, aber auch die berufsbildenden Schreib- und Rechenschulen der Kaufmannschaften dar. Die handwerkliche und gewerbliche Ausbildung der Jungen hingegen fand unter der Anleitung des oft strengen Lehrherrn beim praktischen Tun direkt in der Werkstatt oder dem Geschäft statt. Elternlosen Kindern wurde im Rahmen der Armenfürsorge neben der Anleitung zu verschiedenen Arbeiten auch eine nicht zwangsläufig bescheidene Grundbildung in Waisenhäusern vermittelt. War der Erwerb von den für den jeweiligen Stand nützlichen Kenntnissen und Fertigkeiten oder sogar der Aufstieg zum Gelehrten in den Städten damit prinzipiell jedem Kind möglich, so galt dies auf dem Land nur unter ganz erheblichen Einschränkungen. Im europäischen Vergleich allerdings wird sichtbar, dass die besonderen strukturellen Umstände und die immer wieder erneuerten konfessionellen Vorgaben im Heiligen Römischen Reich bis zum späten 18. Jahrhundert für eine verhältnismäßig hohe Alphabetisierungsrate sorgten.11 In Vorbereitung auf die in diesem Teil der Arbeit geplante Darstellung und Untersuchung des Darjesischen Realschulprojekts in Camsdorf bei Jena soll der Zustand des dortigen Schulwesens in der Neuzeit konkreter betrachtet werden. Für die niederen Schulen jedoch wird dies nur bedingt gelingen: Durch das Fehlen eigener Schulgebäude,12 den sich gelegentlich mit mehrjähriger Pause vollziehenden Wechsel der Lehrpersonen oder auch die Zusammenlegung verschiedener Schulämter ist die Situation aus heutiger Perspektive recht unübersichtlich. Die Quellen sind bisher nicht umfassend aufgearbeitet, auch Sekundärliteratur existiert kaum – so muss hier hauptsächlich auf ein wohl auf den Schulakten im 11 12
Vgl. MENK, Bildungswesen, S. 98. Der Begriff „Schule“ bezeichnete in der Neuzeit noch die Veranstaltung, nicht das Gebäude. Die Lehrerinnen und Lehrer unterrichteten oft in ihrer eigenen Wohnung oder in dafür angemieteten Zimmern.
SCHULE UND SCHULKRITIK
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Stadtarchiv Jena13 basierendes Manuskript14 Böhms zur Geschichte der Jenaer Schulen zurückgegriffen werden, wohl wissend, dass dieses wegen fehlender Nachweise jeglicher Quellen und Literatur im wissenschaftlichen Zusammenhang nur sehr bedingt verwertbar ist. Keinem Zweifel unterliegt jedenfalls, dass im 18. Jahrhundert in der Stadt Jena durchgängig für die Unterweisung sowohl der Jungen als auch der Mädchen Sorge getragen wurde. Für den öffentlichen Elementarunterricht hatte der Stadtrat jeweils die Stelle eines sogenannten deutschen Schreib- und Rechenmeisters, außerdem die zweier Schulhalter oder „Schulweiber“ zu besetzen. Bei letzteren sollten sämtliche Mädchen verschiedene einfache Handarbeiten erlernen sowie religiöse und moralische Lehren memorieren, auch wurde etwas Unterricht im Lesen und vielleicht im Schreiben erteilt. Die Qualifikation der lehrenden Frauen allerdings scheint in aller Regel recht dürftig gewesen zu sein.15 Ob sich ausschließlich Mädchen oder auch jüngere Knaben bei den Schulweibern einfanden, ist schwer auszumachen. Jedoch ist keineswegs von einer strikten Geschlechtertrennung im Anfangsunterricht auszugehen, denn der Begriff „Mädchenschule“ bezeichnete offenbar alle diejenigen vom Stadtrat bestätigten öffentlichen Bildungsarrangements, die, im Gegensatz zu den Anfängerklassen der städtischen Lateinschule, auch weiblichen Kindern und Jugendlichen offenstanden. Der im Jahr 1709 als Mädchenschullehrer angestellte Friedrich Gregorius Glaser zumindest hatte nach den Anweisungen des Stadtrats die jüngeren Knaben gemeinsam mit den Mädchen und die älteren privat zu unterrichten. Ausschließlich mit der besonderen Unterweisung der Jungen allerdings war der besser ausgebildete Schreib- und Rechenmeister beauftragt, wie auch die 1765 vom Rat beschlossene Zusammenlegung dieser Stelle mit der des Sextus an der städtischen Lateinschule zeigt.16 Mit seinem Antrag auf Kollaboration, der 1731 genehmigt wurde, bewirkte der 1723 eingesetzte deutsche Schreib- und Rechenmeister Johann Henschel aber einen engen Anschluss an die Mädchenschulen und unterwies als Hilfslehrer auch einige Mädchen mit.17 Nach seinem Tod 1747 wurde mit Johann Gottfried Bauer ein neuer Lehrer – offiziell aber kein Schreib- und Rechenmeister – eingesetzt, der seinen ohnehin geringen Sold mit
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Vgl. StA Jena, Bestand B XVIIa-g (Schulangelegenheiten). Vgl. BÖHM, Jenaer Schulen. Böhm zitiert zur Illustration aus einigen Gesuchen von Bewerberinnen um eine Jenaer Mädchenschulstelle, so auch ein Schreiben von 1685, in welchem der Ehemann der Bewerberin über deren Fertigkeit im Schreiben berichtete: „Weil aber solches in acht biß neun Jahren nicht exerciret worden, hat sie solches in etwas vergessen, hoffet aber solches bald wieder zu begreifen“. Vgl. BÖHM, Schulweiber, S. 3. Mit dem Unterricht wurde 1765 der vormaligen Schulhalter vor dem Saaltor, Johann Georg Essenwein (gest. 1772), beauftragt. Bis zum Tod des Quintus Christian Ebhard 1767 blieb er Sextus, danach unterrichtete er beide Klassen zusammen. Vgl. FASELIUS, Neueste Beschreibung, S. 59 f. Vgl. StA Jena, B XVIIa 26, 29, B XVIIe 4; SPANGENBERG, Handbuch, S. 220.
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III. AUF DEM WEG ZU EINER ERNEUERTEN SCHULE
Henschels Witwe teilen musste.18 Die Vererbung der besoldeten Lehrerstellen auf die unversorgten Witwen schien üblich zu sein, denn auch das Amt Glasers war zuvor schon seiner hochbetagten, mithin zum Unterrichten kaum noch fähigen Frau übertragen worden.19 Vorfristig gestattete der Rat deshalb dem Garnisonkirchner Wilhelm Christoph Karl Dähne (1752–1805),20 zur Aufbesserung seines Gehalts zusätzlich städtische Kinder zur Schule anzunehmen. Allerdings oblag ihm dabei auch die kostenlose Unterweisung für die als Stadtfremde bisher mit Bildung ganz unversorgten Soldatenkinder.21 Spangenberg verzeichnete als einen weiteren Mädchenlehrer in Jena noch den 1771 verstorbenen Kandidaten der Theologie, Johann Caspar Zimmermann.22 Das konfliktreiche Nebeneinander mehrerer deutscher Schulen – für ihren Unterhalt auf die Schulgelder angewiesen, konkurrierten die Lehrpersonen um jedes zahlende Kind – wurde zusätzlich durch die Existenz illegaler Winkelschulen, durch welche sich etwa arme Studenten ein Zubrot zu verdienen suchten, verschärft.23 Erstmals übersichtlich strukturierte der Stadtrat das niedere Schulwesen Anfang des 19. Jahrhunderts: Nach dem Tod des Garnisonkirchners und Mädchenschullehrers Johann Christian Christoph Müller (1744–1803)24 wurde im Jahr 1803 an die inzwischen in eine vierstufige Bürgerschule umgewandelte städtische Lateinschule eine zweiklassige Mädchenschule angeschlossen, wobei in der unteren Klasse unter der Anleitung des nach wie vor vom Rat bestellten Mädchenschullehrers Buchstabieren, Lesen und Schreiben erlernt werden konnte, jeder weitere Unterricht jedoch in der mit der Soldatenschule vereinigten oberen Klasse durch den Garnisonkirchner erteilt wurde.25 Auch vor den Toren der Stadt, in den verschiedenen Jenaer Vorstädten, waren einige ebenfalls konzessionierte, wahrscheinlich aber nicht fest besoldete Schulhalter tätig, die oft geringere Schulgelder erhoben als
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Vgl. StA Jena, B XVIIa 38 f.; BÖHM, Schulweiber, S. 5 f. Bauer war 1751–1755 Sextus, danach bis zu seinem Tod 1765 Quintus an der Stadtschule. Vgl. FASELIUS, Neueste Beschreibung, S. 59 f. Vgl. u.a. StA Jena, B XVIIe 4. Später erwähnte Johann Ernst Basilius Wiedeburg für Jena einen „Wittwen-Fiskus vor Prediger- und Schuldiener-Wittwen“, aus welchem um 1785 „jede Wittwe gleich bey dem Tode ihres Mannes 100 Rthlr. hernach jährlich 14 – 16 Rthlr.“ bekam. WIEDEBURG, Beschreibung, S. 435. Dähne war dann 1779 bis 1799 als Quartus unterster Lehrer der vierstufigen Bürgerschule. Auch sein Vater Christoph Dähne (1708–1779) war bereits Garnisonkirchner und Mädchenschullehrer gewesen. Vgl. SPANGENBERG, Handbuch, S. 37, 110; FASELIUS, Neueste Beschreibung, S. 60, 74; StA Jena, B XVIIa 36, 39. Vgl. StA Jena, B XVIIc 1a. Vgl. SPANGENBERG, Handbuch, S. 51. Vgl. StA Jena, B XVIIa 14, 23. Vgl. SPANGENBERG, Handbuch, S. 15. Vgl. FASELIUS, Neueste Beschreibung, S. 60.
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die innerstädtischen Lehrer. So taucht etwa in den Schulakten 1732 und wiederum 1786/88 ein Johann Peter Hage als Schuldiener in Jenalöbnitz auf.26 Gelegentlich gelang es diesen Schulmeistern, in ordentliche Schulstellen in der Stadt aufzurücken – der eben erwähnte Mädchenschullehrer Müller beispielsweise war zuvor Schuldiener in der Johannisvorstadt gewesen.27 Neben diesen, bis auf die Garnisonschule eher auf die bürgerlichen Kreise ausgerichteten Einrichtungen, wurde in Jena auch ein Armenunterricht organisiert, vermutlich zuerst im Zusammenhang mit dem um 1695 eröffneten und 1786 aufgelösten Jenaer Waisenhaus. Ab 1768 existierte eine von Christian Wilhelm Oemler gestiftete Freischule, deren anfangs 30 Schülerinnen und Schüler der Aufsicht eben des Schuldieners Müller vor dem Johannistor unterstellt waren.28 Eine weitere Stiftung zur Unterweisung armer Kinder stammte von dem 1782 verstorbenen Bürgermeister Janson, der die Oemlersche mit einer stark auf praktische Arbeit ausgerichteten Industrieschule verband. Sie erhielt 1801 ihren Platz im ehemaligen Waisenhaus, wo sich inzwischen das Arbeitshaus befand und auch die Anstalt für Geisteskranke eingerichtet werden sollte; eine eigens angestellte Handarbeitslehrerin und der Collaborateur des geistlichen Ministeriums erteilten den Unterricht.29 Im Jahr 1811 wurde für die Freischulen ein neues Gebäude erworben,30 bis sie 1833 ebenfalls in der Bürgerschule aufgingen. Für den weiterführenden Unterricht bestand in Jena seit dem 12. Jahrhundert eine lateinische, mit der Reformation zur Gelehrtenschule aufgestiegene Knabenanstalt, die ganz dem Stadtrat unterstellt war.31 Die Lehrerstellen wurden schon im 16. Jahrhundert ausschließlich mit akademisch gebildeten Männern, zumindest also mit Studenten, besetzt, welche der Stadtrat zwar in Vorschlag bringen, jedoch erst nach der Bestätigung durch die Obrigkeit einsetzen durfte. Vor allem die im 18. Jahrhundert angestellten Rektoren trugen nicht nur sämtlich wenigstens den Magistertitel, sondern standen fast alle auf verschiedene Weise auch in enger Verbindung zur Universität.32 Sie hatten jeweils allein über die 26 27 28 29 30 31 32
Vgl. StA Jena, B XVIIa 31, 50. Vgl. OEMLER, Kurze Nachricht, S. XXX. Vgl. OEMLER, Kurze Nachricht. Im Jahr 1800 erhielt die Anstalt offiziell den Namen der Oemlerschen Freischule. Vgl. FASELIUS, Neueste Beschreibung, S. 131 ff. Vgl. StA Jena, B XVIe 9/1 f. Zu Geschichte und Personal der Jenaer Stadt- und Ratsschule vgl. vor allem RICHTER, Das alte Gymnasium und ZACHAU, Stadtschule. Eine vollständige Liste aller Lehrer bis 1805 nebst kurzer Schulgeschichte liefert FASELIUS, Neueste Beschreibung, S. 51, 54–60. Faselius listet als Rektoren im 18. Jahrhundert auf: Johann Lauterbach (1698–1719), Johann Peter Reusch (1719–1738), Georg Christian Hallbauer (1738–1744), Johann Gerhard Pagendarm (1744–1754) und Johann Christian Blasche (1754–1792). Von 1792 bis zur Eröffnung als Bürgerschule 1797 war die Stelle unbesetzt, dann folgten Johann Adolph Jacobi (1797/98) und Johann Traugott Leberecht Danz (ab 1798). Vgl. FASELIUS, Neueste Beschreibung, S. 56 f.) Von diesen waren Reusch, Blasche und Jacobi zum Teil mehrere Jahre parallel zum Rektorenamt und auch danach als Professoren an der
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III. AUF DEM WEG ZU EINER ERNEUERTEN SCHULE
Aufnahme und Entlassung der Schüler zu entscheiden und auch die halbjährlichen mündlichen Prüfungen abzunehmen. Die Besetzung der Lehrämter wies mit jeweils sieben oder acht Lehrern im Verlauf des 18. Jahrhunderts eine gewisse Beständigkeit auf, und wenn auch der 1743 verstorbene Sextus Jeremias Lanzenberger33 mit seinem 50-jährigen Dienst auf ein und demselben Posten eine Ausnahmeerscheinung war, so verfügten doch viele Lehrer bei Antritt einer Stelle über mehrjährige Vorerfahrungen im Unterrichten, da sie schlicht von einer niedrigen in eine freie höhere Lehrerstelle aufrückten oder sonst eine andere Unterrichtstätigkeit vorweisen konnten.34 Dritter Kollege nach Rektor und Konrektor war der Kantor der Stadtkirche, denn eine wesentliche, sich besonders auch in den Einkünften der Lehrer widerspiegelnde und oft zu Ungunsten des übrigen Unterrichts wahrgenommene Aufgabe der Schüler war das Singen bei Gottesdiensten, Beerdigungen und anderen feierlichen Anlässen. Allein in seiner Funktion als Schullehrer hatte der Kantor neben dem Unterricht der Tertia auch den allgemeinen Gesangsunterricht aller Schüler, einen aus vorwiegend bürgerlichen Knaben gebildeten Chor und die sogenannte „Currende“ zu leiten35 – eine Last an Pflichten, die sicherlich kaum in zufriedenstellendem Maße zu bewältigen war. Die Schüler der Stadt- und Ratsschule lernten in sechs Leistungsstufen, wobei jeder ein eigener Lehrer vorstand. Gemäß der Schulordnung sollten die drei untersten Klassen mit Christenlehre, Lesen, Schreiben und Rechnen vor allem der bürgerlichen, die drei oberen aber der akademischen Bildung der Schüler dienen. Über Lehrinhalte und Lehrmethode in den beiden untersten Klassen berichtete Rektor Johann Christian Blasche (1754–1792) im Jahr 1765 in zwei Schreiben an den Stadtrat, welcher aus finanziellen Gründen die Zusammenlegung der Sexta mit der Quinta36 beschlossen hatte: Das Pensum der oft erst vier-
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Jenaer Hochschule tätig, Pagendarm hatte sich schon vor seiner Laufbahn als Schulrektor habilitiert und Hallbauer war – als Bruder des Jenaer Professors Friedrich Andreas Hallbauer – Adjunkt der Philosophischen Fakultät und Mitglied in der akademischen lateinischen Gesellschaft. Vgl. RICHTER, Das alte Gymnasium; GÜNTHER, Lebensskizzen, S. 195 f. (Reusch), 204 (Blasche); BAUR, Hallbauer, S. 263; DÖRING, Pagendarm, S. 253 f.; DUNKEL, Historisch-kritische Nachrichten, 1. Bd., 1. Teil, S. 642 (Hallbauer); HAMBERGER/MEUSEL, Gelehrtes Teutschland, Bd. 3, S. 488 (Jacobi). Vgl. SPANGENBERG, Handbuch, S. 82. Als Sextus etwa wurden 1743 der vorherige Mädchenschullehrer Bauer oder 1765 der Schulhalter vor dem Saaltor, Johann Georg Essenwein, eingestellt, die später beide, ebenso wie der Sextus Christian Ebhard (1696–1767), zum Quintus aufstiegen. Außerdem wurden mehrfach Lehrer der mittleren Klassen zum Konrektor ernannt, während das Rektorenamt direkt an geeignete Personen vergeben wurde. Vgl. FASELIUS, Neueste Beschreibung, S. 56–60; SPANGENBERG, Handbuch, S. 1767. Vgl. RICHTER, Das alte Gymnasium, S. 21 f., 24. In die „Currende“ wurden nach dem Gutdünken des Rektors arme Schüler aufgenommen, welche für ihren Gesang regelmäßig Almosen erhielten, vor allem Kleidung und etwas Geld. Im Jahr 1765 war Ebhard vom Sextus zum Quintus aufgerückt, die unbesoldete Unterrichtung der Sexta musste der Schreib- und Rechenmeister Essenwein mit übernehmen.
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oder fünfjährigen Schulanfänger bestand nacheinander in „a) Deutsche Buchstaben, Buchstabieren, Anfang im Lesen, b) Anfang im Latein, c) Schreiben nach Buchstaben, Silben und Wörtern, d) Katechisation“, wobei der Lehrer – im Krankheitsfall vertreten durch einen älteren Primaner – die zahlreichen Kinder täglich der Reihe nach „ihre Lectionen hersagen“ ließ.37 Die Frequenzen der beiden unteren Klassenstufen, die im Jahr 1693 bei erstaunlichen 115 bzw. 71 Knaben in der Sexta und Quinta und um 1765 immerhin noch bei jeweils etwa 50 lagen, zeigen ganz deutlich, dass tatsächlich dem Großteil der Eltern einzig an einer solchen Grundbildung für ihre Söhne gelegen war – die zwei obersten Klassen zusammen konnten im Vergleich dazu nicht einmal 20 Schüler aufweisen.38 Die Lehrstoffe für die Schüler der Prima, welche bei ihrer Entlassung aus der Schule eine lateinische Dankesrede zu halten hatten, waren Ende des 17. Jahrhunderts laut Richter folgende: Das „Hebräische, der Orbis pictus und der Horaz [waren] abgeschafft“, die altsprachliche Lektüre bildeten „im Latein Cornelius Nepos, Ciceros Briefe und Ovids Tristien, im Griechischen außer den Evangelien Aesops Fabeln und Hesiod“, die „Grammatiken Rhenius und Wellers, der Nomenclator Zehneri [waren] im Gebrauch“, außerdem wurden „lateinische und griechische Exercitien […] geschrieben und lat. Versübungen angestellt, von Extemporalien [war] nicht die Rede“. Des Weiteren wurden „Logik und Rhetorik nach Voß und Bechmann“ sowie die „Glaubenslehre nach Hutterus“ erteilt – hinzu kamen täglich eine Stunde Gesangsunterricht, an drei Vormittagen außerdem Gottesdienst oder Betstunde.39 Auf dem Stundenplan des um 1755 an der Stadtschule lernenden Johann Wilhelm Schmidt (1744–1798), später Prediger und Theologieprofessor in Jena, stand zudem Mythologie, Geschichte und Geographie; „die für diese wissenschaftlichen Fächer damals angestellten Lehrer“ allerdings vermochten offenbar „jugendlichen Köpfen für Gegenstände dieser Art kein Interesse einzuflößen“.40 Überhaupt schien die schon bei der Visitation 1693 bemängelte Qualität des Unterrichts auch ein Jahrhundert darauf nicht rühmlich gewesen zu sein, da viele abgehende Primaner vor dem Studienantritt noch auswärtige Gymnasien besuchten. Angesichts dieses ungenügenden Niveaus beschloss der Rat die Umwandlung der studienvorbereitenden Anstalt in eine vierstufige bürgerliche Trivialschule, welche nach langen Vorbereitungen schließlich 1797 vollzogen wurde – gegen den Widerstand zahlreicher Eltern übrigens, die in ihren Eingaben vehement den Erhalt der Stadt- und
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Bei Ebhards Tod zwei Jahre später wurden Quinta und Sexta zusammengefasst der Leitung Essenweins unterstellt. Vgl. FASELIUS, Neueste Beschreibung, S. 59 f.; SPANGENBERG, Handbuch, S. 39. Zitiert nach RICHTER, Das alte Gymnasium, S. 27. Ebd., S. 19, 27. Ungeachtet der Tatsache, dass sie ihre Söhne auf die Lateinschule schickten, wünschten nicht wenige Eltern für diese nicht einmal lateinischen Leseunterricht. Ebd., S. 21. Vgl. GÜNTHER, Lebensskizzen, S. 28; DÖRING, Gelehrte Theologen, 3. Bd., S. 820–824 (Zitat S. 820).
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III. AUF DEM WEG ZU EINER ERNEUERTEN SCHULE
Ratsschule in ihrer ursprünglichen Form gefordert hatten, weil diese „es auch den ärmsten ermögliche“, „zu den Höhen des gelehrten Standes […] emporzusteigen“41. Tatsächlich war innerhalb der öffentlichen Jungenbildung in Jena damit eine Lücke zwischen Schule und Universität entstanden, welche das im gleichen Jahr mit mehreren Lehrern eröffnete, nach seinem Leiter benannte Kirstensche Lehrinstitut füllen sollte.42 Auch für die öffentlich zugängliche höhere Mädchenbildung entstanden später derartige privat geführte Einrichtungen in Jena, das erste 1816. Dieser Überblick macht deutlich, dass die Eröffnung einer ganz neuartigen Realschule, wie sie Joachim Georg Darjes ab 1762 in Camsdorf bei Jena leitete, zum einen spürbar in das kaum entwirrbare Nebeneinander der (gemischten) Elementarschulen in der Stadt selbst, in den Vorstädten sowie in den umliegenden Dörfern einzugreifen drohte, sich zum anderen aber auch mit ihrer ganz lebenspraktischen Ausrichtung als attraktive Bildungsalternative für die städtische, nicht für ein Studium bestimmte männliche Jugend erweisen konnte. Das vorgesehene fortschrittliche Unterrichtsprogramm zumindest stand, wie im Folgenden zu sehen sein wird, im krassen Kontrast zu demjenigen aller in Jena bereits vorhandenen öffentlichen Einrichtungen. Tatsächlich gestattete die regierende Herzogin in Weimar, Anna Amalia (1739–1807), die Eröffnung der Rosenschule nur unter der Bedingung, dass Darjes die durch sein kostenloses Unterrichtsangebot etwa entstehenden Verdienstausfälle anderer Lehrer an diese auszahlen müsse43 – sehr groß werden diese Ausgaben allerdings vermutlich durch die auf mittellose Waisenkinder stark eingeschränkte Zielgruppe nicht gewesen sein.
1.2.
Impulse für ein ganzes Leben – Erziehung und Bildung des Schülers Darjes
Darjes, der in einer angesehenen, materiell abgesicherten bürgerlichen Predigerfamilie im norddeutschen Güstrow aufwuchs, erlebte im Schulalter das im vorangegangenen Abschnitt für das 18. Jahrhundert geschilderte Nebeneinander familiärer, privater und öffentlicher Unterweisung in typischer Weise. Für den Knaben erwies sich dies als ein Glücksfall – die inhaltlich vielseitigen Anregungen insbesondere seiner Kindheit sollten bestimmend für sein weiteres Leben 41
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RICHTER, Das alte Gymnasium, S. 28 f. Da der Besuch eines auswärtigen Gymnasiums für die Eltern mit erheblichen Kosten verbunden war, musste die Umwandlung der Stadtschule hauptsächlich für die ärmeren Knaben aus Jena und Umgebung einen Ausschluss von weiterführender Bildung bedeuten. Vgl. FASELIUS, Neueste Beschreibung, S. 131 ff. Vgl. Konzession in DARJES, Das erste Jahr, S. 16.
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werden, hier lag ein Quell überdauernder Motivation, aus dem sich ein Leben lang schöpfen ließ. Die Konfrontation mit den unterschiedlichen Lernorten, Lehrmethoden und Unterrichtsinhalten erlaubte zudem später nicht nur dem Kameralisten eine konstruktive Kritik des bestehenden Schulwesens und dessen zukunftsfähige theoretische Neuordnung bis hin zum eigenen Schulversuch, sondern motivierte auch den Hochschullehrer mit auffallendem Erfolg zur fortwährenden Überprüfung und Verbesserung seines eigenen Unterrichts. Einige der dafür im Positiven wie im Negativen bedeutsamen Anregungen und Erfahrungen sollen sichtbar gemacht werden, wenn im Folgenden die Bildungsbiographie des jugendlichen Darjes in ihren Einzelheiten nachgezeichnet wird. Gleichzeitig liegt damit ein Modellfall für den Bildungsweg eines Pfarrersohnes im reformierten Deutschland des 18. Jahrhunderts vor. Für Joachim Georg Darjes war ein ganz konventioneller Bildungsweg von der Vorbildung innerhalb der eigenen Familie über den Besuch des lateinischen Gymnasiums bis hin zur Universität vorgezeichnet. Der Vater Joachim Darjes (1678–1739) bekleidete als studierter Theologe seit 1709 das zweite und seit 1713 das erste Predigeramt an der Pfarrkirche in Güstrow – eine Stellung übrigens, die in den Augen des Sohnes keinesfalls seinen hervorragenden Fähigkeiten gerecht wurde44 – und hatte seinen einzigen Sohn den üblichen Gepflogenheiten gemäß dazu bestimmt, in seine Fußstapfen zu treten. Er selbst sorgte für die elementare Bildung und Erziehung und schien, bedingt durch die sich anfangs häufig ändernde Familiensituation im Hause Darjes, die wichtigste Bezugsperson des Knaben zu sein. Seine Mutter, Dorothea Elisabeth Stemwede, und der Zwillingsbruder hatten die Geburt nicht überlebt; außer dem Säugling selbst gebot vor allem das Vorhandensein zweier ebenfalls noch sehr kleiner Schwestern, dass der Vater rasch eine neue Frau nahm, welche jedoch kurz darauf ebenfalls verstarb. Als mütterliche Figuren werden für Darjes demnach die schließlich im Jahr 1716 ins Haus kommende zweite Stiefmutter oder die vermutlich noch mit im Haushalt lebende deutlich ältere Halbschwester fungiert haben. Mit der Geburt zweier weiterer Mädchen nahm der einzige Knabe die Mittelstellung in der Geschwisterfolge ein.45 Dass sich vor allem der Vater dem Sohn besonders zugewendet hat, lässt die, freilich für die gelehrte Öffentlichkeit bestimmte und daher
44 45
Vgl. DARJES, Bielefelds Staatsklugheit, S. 4. Joachim Darjes/Daries, * 08.04.1678 Rostock (V: Heinrich Darjes, Kaufmann, M: Sophie Witter), † 25.12.1739 Güstrow; 1704 Mag. Phil., 1705 theol. Disp. in Rostock, 1709 zweiter, 1713 erster Pastor an der Güstrower Pfarrkirche. oo 1.) 07.02.1709 Lübz mit Dorothea Elisabeth Stemwede, * … (V: Joachim Stemwede, Amtsverwalter zu Lübz, M: Christine Margarethe Grever; in 1. Ehe oo … mit Johann Christoph Titius, Dr. med. und Stadtphysikus zu Parchim, * um 1670 Hersbruck, † 1706 …; aus dieser Ehe 1 T: Augusta Margareta Wilhelmina, get. 10.12.1701 Parchim, † 10.11.1791 Hof Basedow, oo 04.12.1727 Güstrow mit Joachim Rudolph Vick, Pastor zu Basedow, * um 1682 Güstrow, † 07.01.1743 …), † im Wochenbett, begr. 11.07.1714 Güstrow; K: Anna Maria, get.
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III. AUF DEM WEG ZU EINER ERNEUERTEN SCHULE
wenig intime, Autobiographie vermuten. Darjes erwähnt darin ausschließlich den Vater, den er als „liebreich“ charakterisiert; in der Studienzeit habe er von ihm ermahnende Briefe „mit den zärtlichsten Ausdrückungen“ erhalten.46 Von emotionaler Nähe zeugt zudem das beim Tod „seines so hochgeliebten Vaters“ Ende 1739 verfasste Trauergedicht,47 dessen achte Strophe lautet: Wie zärtlich warst du mir gewogen?/ wie herzlich hast du mich geliebt?/ nicht darum, weil du mich erzogen,/ und meinen ersten Witz geübt./ Bey Glück und Leid, mit jedem Morgen/ war ich das Ziel von Deinen Sorgen,/ war ich der Grund von Deiner Lust;/ und zog mich gleich mein Glück von hinnen,/ so zog ich aus den äussern Sinnen/ Dir zweymal tiefer in die Brust.
Hier wird die Rolle des alten Darjes als erster Erzieher und Lehrmeister seines Sohnes angesprochen – ob die Töchter übrigens ebenfalls eine gewisse Bildung erhielten, bleibt ungewiss.48 Da dem Prediger eine gründliche religiöse Erziehung als Basis jeden anderen Unterrichts galt, legte er hierauf sein Hauptaugenmerk.49
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49
23.04.1710 Güstrow, † …, oo … mit Friedrich Wilhelm Nolde, Subrektor am Gymnasium in Weimar, * 1716 Königssee, † ?.03.1786 Weimar; Elisabeth Catharina, get. 25.03.1712 Güstrow, † 26.12.1769 Malchow, oo 15.04.1751 Güstrow mit Johann Julius Schröder, Küchenmeister des Klosters Malchow, * …, † 01.09.1765 Kloster Malchow; Joachim Georg, * 23.06.1714 Güstrow, † 17.07.1791 Frankfurt an der Oder, oo 1.) 26.01.1741 Jena mit Catharina Wilhelmina Eleonora Teichmeyer, * 20.12.1725 Jena, † 22.03.1756 Jena, oo 2.) 15.02.1757 Erfurt mit Martha Friederike Reichart, get. 12.03.1739 Erfurt, † 29.08.1794 Frankfurt an der Oder; Carl Gotthelf, * 23.06.1714 Güstrow, † 02.07.1714 Güstrow. oo 2.) 27.09.1715 Güstrow mit Anna Sophia Troye, get. 27.07.1693 Güstrow (V: Johann Daniel Troye, Stadtsekretär und Ratsherr zu Güstrow, M: Anna Sophia Krüger), begr. 30.04.1716 Güstrow; keine K. oo 3.) 26.11.1716 Güstrow mit Anna Catharina Sibeth, * … (V: Carl Sibeth, Bürgermeister zu Güstrow, M: Anna Catharina Kistmacher), begr. 05.11.1752 Güstrow; K: Anna Catharina, get. 31.01.1718 Güstrow, † 14.06.1768 Jena, oo 14.05.1750 Jena mit Laurenz Johann Daniel Suckow, Professor in Jena, * 19.02.1723 Schwerin, † 26.08.1801 Jena; Christina Elisabeth, get. 30.05.1719 Güstrow, † …, oo 17.11.1743 Güstrow mit Daniel Blumenthal, Kaufmann und Brauer, * um 1707 …, † 17.10.1758 Wismar. Die genealogischen Angaben beruhen auf freundlichen Auskünften Herrn Enrico Darjes’ sowie der Pfarrkirchgemeinde St. Marien zu Güstrow und des Kirchenbuchamts der evangelisch-lutherischen Landeskirche Mecklenburg in Schwerin. DARJES, Bielefelds Staatsklugheit, S. 4, 8. DARJES, Tod seines Vaters. Trinius zufolge schien allerdings die Frau des Weimarer Konrektors Friedrich Wilhelm Nolde (1716–1786), Darjes’ ältere Schwester Anna Maria, „mehr zu verstehen als er, und korrigierte nicht selten die Exertitia der Schüler“ (TRINIUS, Goethe-Stätten, S. 32), was dafür spricht, dass auch die Töchter eine solide Bildung erhielten. Nolde übrigens war seit 1748 Subkonrektor und seit 1769 Konrektor am Weimarer Gymnasium. Nach seinem Tod verkaufte die Witwe Noldes beachtliche Büchersammlung an Herzog Karl August, der sie dem Gymnasium als Grundstock für eine Bibliothek schenkte. Vgl. KESSLER, Herder, S. 194. DARJES, Bielefelds Staatsklugheit, S. 5.
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Worin die übrige Unterweisung im Einzelnen bestand, ist nicht festgehalten. Zur Vorbereitung auf das angedachte Theologiestudium wird er dem Jungen jedoch wenigstens das Lesen und Schreiben deutscher und lateinischer Buchstaben sowie die Anfänge der lateinischen Grammatik beigebracht haben. Auch Lektionen im Rechnen sind nicht unwahrscheinlich, denn obwohl die (höhere) Mathematik für den bereits festgeschriebenen Lebensweg seines Kindes weitgehend verzichtbar war, bewies Joachim Darjes eine bemerkenswerte Aufgeschlossenheit den mathematischen Wissenschaften gegenüber. Um 1723 nämlich engagierte er einen befreundeten Militär, „Hauptmann Böttiger“, als Privatlehrer für den nicht zum Programm öffentlicher Lehranstalten gehörenden Unterricht in Mathematik, Geometrie, Mechanik, „KriegesBaukunst“ und Zeichnen.50 Vielleicht reagierte er damit auf die Neigung seines Sohnes zur Mathematik, vielleicht weckte er diese dadurch aber auch erst – auf jeden Fall war Joachim Georg „dieß Geschäffte […] angenehmer als die Grammatik“.51 Er selbst betonte in einer späteren Veröffentlichung seine schon früh und umfassend genossene mathematische Ausbildung52 und beschäftigte sich noch weit über die Anfangsjahre seiner akademischen Dozententätigkeit hinaus sowohl in seiner Lehre als auch in einigen kleineren Schriften gern mit mathematisch-naturwissenschaftlichen Themen.53 Darjes’ neuer Lehrmeister, dem er offenbar kaum von der Seite wich, war gleichzeitig bewandert im Feld- und Gartenbau und wusste den Jungen für seine Künste zu begeistern. Der aufmerksame Vater verschaffte seinem Sohn daraufhin ein praktisches Experimentierfeld, indem er ihm die Aufsicht über den Pfarrgarten übertrug. „Hier hatte der Witz eines Knaben Gelegenheit, allerhand Veränderungen zu erfinden, die mathematischen Figuren in der Absteckung der Gartenbeete, und bey der Ziehung der Bäume darzustellen“, erinnerte sich Darjes an die praktischen Anwendungsmöglichkeiten des Gelernten, und er berichtete auch über die Auswirkungen: „die Lust zu diesem Geschäffte wurde vermehret, der junge Aufseher wurde gelobet.“54 Diese für den Jungen offensichtlich ansprechenden Materien, deren ausführliche Vermittlung an Kinder zu dieser Zeit zwar vielleicht nicht einmalig, aber doch ungewöhnlich war, weckten in 50 51 52
53
54
Ebd. Ebd. In einem Zeitungsartikel von 1749 schrieb Darjes: „Daß man eine unendliche Gröse, nemlich in dem Ausdrucke durch Zeichen bekommt, wenn man eine endliche Gröse durch eine unendliche dividiret: solches habe ich schon in meinem zehnten Jahre gewust; und daß eins : 1/10.000 = 10.000, solches hat mir schon mein Rechenmeister auf der Schule gelehret“. Jenaische gelehrte Zeitungen (im Folgenden: JZ) 1749, 36. St., S. 282. An der Jenaer Universität bot Darjes – soweit Quellen vorliegen – in nahezu jedem der 56 Semester seiner Lehrtätigkeit Unterricht in Mathematik an. Neben seinem Mathematik-Lehrbuch hat er außerdem zwischen 1735 und 1758 sieben kleinere mathematische Schriften veröffentlicht. Siehe dazu die Übersicht über Darjes’ Lehrveranstaltungen sowie die Bibliographie im Anhang. DARJES, Bielefelds Staatsklugheit, S. 6.
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III. AUF DEM WEG ZU EINER ERNEUERTEN SCHULE
Darjes eine lebenslange „Begierde zur Wirthschaft“55 und praxisnaher Wissenschaft – nicht von ungefähr lag eine seiner wissenschaftlichen Hauptinteressen später auf der Kameralistik. Er bemerkte an sich eine durch die Erziehung [ihm] eingepfrofte Begierde die Natur zu untersuchen, und den Grund ihrer Wirkungen also zu erforschen, wie es billig geschehen muß, wenn die Kunst als eine Nachahmerinn der Natur soll gebildet werden, […] [weshalb er] solche Umstände gesuchet [hat], bey welchen die allgemeine Erkenntniß auf die Werke der Natur und der Kunst nicht nur in Gedanken, sondern in der That, nicht nur mit abgerissenen, sondern mit zusammenhangenden Versuchen von [ihm] könnte angewendet werden.56
Demnach muss dieser neben der innerfamiliären Unterweisung abgehaltene Privatunterricht – vor allem auch in Hinsicht auf die Lehrperson – als für Darjes sehr prägend bewertet werden. Dem Vater jedoch war bewusst, dass diese Beschäftigungen kein Grundstein für das geplante Studium seines Sohnes sein konnten, ganz im Gegensatz zum klassischen gymnasialen Unterricht. Den eigenen Erinnerungen nach mit zwölf Jahren, also 1726, wurde Joachim Georg Darjes daher auf die Domschule in Güstrow geschickt,57 wo er seine Lateinkenntnisse vertiefen und perfektionieren sollte. Rektor an dieser angesehensten Gelehrtenschule Mecklenburgs war seit 1725 der mit dem alten Darjes offenbar gut bekannte58 Magister David Richter (1688–1753), der nach einem Philosophieund Theologiestudium in Rostock und Jena sowie einer kurzen akademischen Lehrtätigkeit als Privatdozent im Jahr 1718 das Konrektorat an der Domschule übernommen hatte.59 Als Schulmann blieb er bis zu seinem Tod wissenschaftlich tätig, wovon die regelmäßige Publikation kleinerer, zum Teil den gedruckten Schulprogrammen beigefügter lateinischer Abhandlungen, besonders aber seine umfangreiche Genealogie Martin Luthers von 1733 zeugen.60 Gemeinsam mit dem Konrektor61 oblag Richter der Unterricht in der obersten Klasse, in welche
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Ebd., S. 5 f. DARJES, Cameral-Wissenschaften, Vorrede zur ersten Auflage, S. XXXVII f. Vgl. DARJES, Bielefelds Staatsklugheit, S. 6. In den Verzeichnissen des Güstrower Gymnasiums wird der Schüler Joachim Georg Darjes nach Auskunft von Enrico Darjes allerdings nur in den Jahren 1729 und 1730 genannt. Vermutlich hat Darjes den Zeitpunkt seines Eintritts ins Gymnasium aus der in seiner Erinnerung zu früh angesetzten Aufnahme seines Universitätsstudiums berechnet. Beim Tod des Joachim Darjes erschien eine vierseitige Gedenkschrift Richters, was eine engere Bekanntschaft der Männer vermuten lässt. Vgl. RICHTER, Memoriam. Auskünfte der Landesbibliothek Mecklenburg-Vorpommern, Personalschriften. Vgl. RICHTER, Genealogia Lutherorum. Konrektor war seit 1725 der vorherige Subkonrektor David Sandow (um 1690– nach 1726), der ebenfalls in Rostock studiert hatte. Auskünfte der Landesbibliothek Mecklenburg-Vorpommern, Personalschriften.
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Darjes, der offenbar über eine ausreichende Vorbildung verfügte, sofort bei seinem Eintritt in die Schule aufgenommen wurde. Der lateinische Lektionskatalog für das Jahr 1726 weist den Unterricht in der Prima als einen für das bessere neuzeitliche Gymnasium zweifellos typischen aus:62 Der Lehrplan beinhaltete das Trivium der Freien Künste, also Grammatik, Rhetorik und Logik, sodann die Theologie und auch etwas Philosophie. Der Rektor gab an, dass er an zwei Vormittagen der Woche die Theologie nach den Schriften des Johannes Wandalinus (1656–1710) und des Johann Adam Schertzer (1628–1683), außerdem die theologische Polemik nach Johannes Fecht (1636–1716) lehren werde. In der Philosophie werde er zweimal wöchentlich nachmittags die Logik nach Johann Franz Budde (1667–1729) unterrichten, und dessen neuartige Lehre mit der klassischen aristotelischen vergleichen. Auch komme er in Fragen der Sitten- und Vernunftlehre auf Nicolas Malebranche (1638–1715), John Locke (1632–1704), Ehrenfried Walter von Tschirnhaus (1651–1708) und andere zu sprechen. Die lateinische Sprachlehre werde an Ciceros Reden nach Antonius Schorus (um 1525–1552) erklärt, wozu verschiedene Lehrbücher und Kommentare herangezogen würden. Ein mit umfangreichen schriftlichen Übungen verbundener Unterricht in lateinischem Stil und Übersetzungskunst gehörte ebenso zum Programm der obersten Klasse wie Bewährungsproben im mündlichen Vortrag und im fest geregelten gelehrten Disput. Auch sollten die Primaner regelmäßig in Anwesenheit aller übrigen Schüler examiniert werden – eine Leistungsschau, die dem Ansporn der Jüngeren galt. In allen diesen Disziplinen bot Richter zusätzlich Privatstunden zur intensiven Studienvorbereitung an. Demnach war die traditionsreiche Güstrower Domschule, die im Übrigen eine beachtliche Bibliothek vorzuweisen hatte, für zukünftige Studenten bestens geeignet. Darjes bewertete jedoch die ihm widerfahrene Auszeichnung, als frühreifes Kind mit teils deutlich älteren Knaben zu lernen, rückblickend als „erste[n] Fehler bey meiner Erziehung […], den ich in der Folge gemerkt habe“, da sie ihn zur Selbstüberschätzung verleitete: „Es gieng mir so, wie es allen denen geht, die da glauben, viel zu wissen, da es ihnen doch in der That an dem besten fehlet. Ich bekam Geister, und glaubte alles besser zu wissen, wie meine Lehrer.“63 Aus dieser seinen Lerneifer merklich dämpfenden Einstellung resultierten gewisse Schwächen in alten Sprachen und Geschichte, welche zu beseitigen ihm zu seinem Bedauern in der Folge auch mit einigem Aufwand nicht mehr gelang. Aber auch eine für seine spätere Schulkritik und Dozententätigkeit wesentliche Erfahrung aus der Lateinschulzeit brachte Darjes rückblickend auf den Punkt: Er habe dort am eigenen Leib „erfahren, was die Art der Unterweisung thut“.64 62 63 64
Vgl. im Folgenden RICHTER, Catalogus Lectionum (unpag.). DARJES, Bielefelds Staatsklugheit, S. 6 f. Ebd., S. 7. Einige Seiten später (S. 23) stellt Darjes die Verbindung zu seiner späteren Lehrart ausdrücklich selbst her: „Ich faßte den Vorsatz, in den ersten Jahren [als Universitätsdozent] mir alle mögliche Mühe zu geben, mich durch das Lehren zum Lehren
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III. AUF DEM WEG ZU EINER ERNEUERTEN SCHULE
Sobald seine Fertigkeit im mündlichen und schriftlichen Latein für das Studium gerade hinreichte, wurde er mit noch nicht einmal 16 Jahren vom Gymnasium entlassen. So war Joachim Georg Darjes, als er im Jahr 1730, wie zuvor sein Vater, die nächstgelegene Universität in Rostock bezog,65 dort einer der jüngsten Studenten. Seine hier beschriebene Vorbildung sorgte mit ihrer ungewöhnlichen Schwerpunktsetzung und der mangelhaften Sprachausbildung nicht unbedingt dafür, dass sich bei ihm eine Leidenschaft zum angemeldeten Studiengang der Theologie entwickelte. Im Folgenden sollte sie sich jedoch als besonders förderlich für die Karriere des jungen Mannes erweisen: Vor allem die deutliche Berücksichtigung der mathematisch-naturwissenschaftlichen sowie ökonomischen Wissenschaften erlaubten es ihm, konstruktiv auf die geänderten Zeitumstände zu reagieren, indem er beispielsweise als Dozent sein Lehrangebot inhaltlich gemäß der sich damals entwickelnden Nachfrage erweiterte. Zugleich ließ offenbar die Verschiedenheit der eigenen Bildungserfahrungen, insbesondere ihr unterschiedlicher Erfolg und die jeweils dafür eingesetzten Mittel und Methoden, schon im Jugendlichen die Frage nach den wesentlichen Bedingungen guten Unterrichts aufkommen – das Ergebnis der Überlegungen, welche Darjes diesbezüglich anstellte, ist Thema des folgenden Kapitels.
1.3.
Schulkritik und Reformansätze
Wie die vorangegangenen Darlegungen gezeigt haben, formulierte Darjes später einen Anspruch an (öffentliche) Bildung und Erziehung, der sich hinsichtlich des Ergebnisses an den Schlagwörtern „Tugend“ und „Brauchbarkeit“ festmachen lässt66 – zu prüfen, inwieweit dies im Rahmen des neuzeitlichen Schul- und Bildungswesens umgesetzt wurde, ja, ob dies hier überhaupt verwirklicht werden konnte, war die für ihn logische Konsequenz. Seine hauptsächlich in den Cameral-Wissenschaften, aber auch in anderen seiner Veröffentlichungen67 geübte Schulkritik, welche von den niedrigsten bis zu den höchsten keine Schulform aussparte und daher meist gegen Schule im Allgemeinen gerichtet war, verweist
65
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geschickt zu machen. Ich wußte es aus der Erfahrung, wie vieles von der Art zu lehren abhange.“ Darjes wurde am 8. Juni 1730 in Rostock immatrikuliert, vgl. HOFMEISTER, Matrikel, S. 164. Darjes selbst erinnert sich fälschlicherweise in seiner Autobiographie, er habe „bey dem Ausgange (s)eines 14ten Jahres“ das Studium in Rostock aufgenommen. DARJES, Bielefelds Staatsklugheit, S. 7. Siehe Abschnitt II.2.3. und II.2.4. Vgl. von DARJES vor allem Cameral-Wissenschaften, S. 392–527; Entwurf; Sitten-Lehre, S. 337–346; Bielefelds Staatsklugheit, S. 23 f., S. 35 f.; Discours, Vorrede (unpag.); Opfer der Dankbarkeit, S. 7 f.
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auf die bestehenden Diskrepanzen. Als instruktiv erweist sich dabei vor allem die von Darjes vorgenommene einfache Gegenüberstellung von Soll und Haben: Mit Blick sowohl auf die standesgemäßen späteren beruflichen Bestimmungen der Schulkinder als auch auf ihr zukünftiges bürgerliches Dasein skizzierte der Gelehrte zuerst die aktuell erforderlichen Schultypen mit deren jeweils notwendigen allgemeinen und besonderen Bildungsinhalten. Mittels einer Fehleranalyse vorhandener Einrichtungen legte er daraufhin die Unzulänglichkeiten und Leerstellen des bestehenden Schulwesens offen, das ganz offensichtlich zur Bereitstellung und Vermittlung der gewünschten Kenntnisse und Fertigkeiten ernüchternd wenig beitragen konnte. Darjes suchte die Ursachen für die festgestellten Mängel jedoch nicht nur im Kleinen, etwa im ungeeigneten Lehrer oder im antiquierten Lehrplan; seine Erneuerungsvorschläge bezogen sich im Gegenteil vor allem auf die prinzipielle Organisation und das Selbstverständnis der öffentlichen Bildung und Erziehung. Hierbei sprach aus ihm vordergründig der Kameralist, woran schon die Platzierung seiner umfassendsten schriftlichen Schulkritik im entsprechenden Lehrbuch keinen Zweifel lässt: Das Nachdenken über eine kluge und dem Staat vorteilhafte Organisation des öffentlichen Schulwesens gehörte zur Polizeiwissenschaft68 und damit zu dem noch jungen akademischen Lehrfach der Kameralistik, welches Darjes an der Jenaer Universität eingeführt hatte. Sein Engagement jedoch ging über die bloße Abhandlung dieses immerhin aufgrund seiner Aktualität und Brisanz studentischen Zulauf versprechenden Lehrstoffes hinaus. Vor allem das erkannte wirtschaftliche Potenzial flächendeckender und qualitätsvoller Bildung der Untertanen schien ihn bei dieser Problematik anzutreiben. Zur Genüge hatte er während seiner „vielfältigen ökonomischen Versuche […] den Schaden“ beobachten können, den die mehr als mangelhafte Bildung „derjenigen Menschen […], die man zu diesem Geschäfte nöthig hat“ bewirkte.69 Seine Aufmerksamkeit als Schulkritiker galt deshalb, abgesehen vom später noch zu berücksichtigenden Hochschulbereich, in besonderem Maße dem niederen Schulwesen. Charakteristikum seiner Ausführungen ist dabei die stete Verknüpfung der zum Teil gar nicht explizit ausgesprochenen Kritik mit Hinweisen auf realistische Möglichkeiten der Abhilfe und Verbesserung, was ihnen die überzeugende Wirkung eines ausführlich durchdachten „Schlachtplans“ verleiht. Auf die bereits vorhandenen niederen Schulen bezogen, konkretisierte Darjes in den Cameral-Wissenschaften zwei „Hauptfehler“, nämlich zum einen die Unvollständigkeit der gesetzten „Absicht“ von Bildung und Erziehung, zum anderen aber den fehlerhaften Einsatz der „Mittel“.70 Was den ersten Punkt betraf, 68 69 70
Zu beachten ist, dass der Begriff „Polizei“ im 18. Jahrhundert noch eine deutlich andere Bedeutung hatte als heute und sich auf alles bezog, was die kluge Organisation und Verwaltung der Gemeinschaft zum allgemeinen ökonomischen Nutzen betraf. DARJES, Bielefelds Staatsklugheit, S. 35. Vgl. DARJES, Cameral-Wissenschaften, S. 399 ff.
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III. AUF DEM WEG ZU EINER ERNEUERTEN SCHULE
betonte Darjes beispielhaft für die Landschulen71 noch einmal deutlich, dass Schule an sich eine bestimmte Absicht verfolgen und auch das Erreichen der damit verbundenen Ziele sicherstellen müsse: „Diese Schulen sollen Schulen seyn. Hier wird die Jugend unterwiesen. Man muß also einen Endzweck haben. Was wird hier der Jugend gelehret, dieß muß den Endzweck würken können.“ Dieser „Endzweck“ ergab sich für den Kameralisten aus der Frage danach, was aus den jeweiligen Kindern später werden solle, welche er für die Kinder vom Land folgendermaßen beantwortete: „Sie sollen 1) vernünftige Menschen werden, 2) die in dem Bauer[n]-Stande zum Nutzen des Staats leben können“; aus dieser bäuerlichen Lebensart leitete er weiter die besonderen Ausbildungsziele ab: „Ein Bauer 1) soll seinem Herrn dienen, und 2) den Akkerbau und die Viehzucht besorgen.“ Den sich daraus ergebenden Erfordernissen hatte die gewöhnliche Dorfschule allerdings ein erschreckend dürftiges Programm entgegenzusetzen: „Sie lernen lesen, ein wenig schreiben, und die ersten Gründe der Religion lernen sie auswendig“ – zweifellos also war dieser Unterricht in keinster Weise hinreichend, die festgesetzte Absicht zu erreichen. Darjes schlug daher die Einführung eines lebenspraktischen Realunterrichtes vor, damit die Landjugend „1) in der Kunst zu dienen, 2) in dem Acker- und Wiesen-Bau, 3) in der Gärtnerey, 4) in der Viehzucht und so ferner, so weit […] unterwiesen werden [könne], als sie es wissen muß.“ Bezüglich der kleinen Stadtschulen für die Nichtstudierenden erschien Darjes eine solche Erweiterung der Unterrichtsinhalte ebenfalls als einzig sinnvolle Lösung, denn die Problematik lag hier ganz ähnlich: Die Schülerschaft sollte zum großen Teil später ein Auskommen als Bediente und Hausangestellte finden, doch erlernten sie weder die „Kunst, Herrschaften zu dienen“, noch, wie sie „die häußlichen Geschäfte mit Nutzen verrichten“ konnten.72 Der Gelehrte erneuerte damit die Kritik an der Lebensferne schulischen Unterrichts und die Forderung nach einer adäquaten Realienbildung, mit denen schon im 17. Jahrhundert unter anderem der Jenaer Professor Erhard Weigel (1625–1699) hervorgetreten war. Neben der fehlenden Übereinstimmung zwischen den Ausbildungsinhalten in den Schulen und der späteren Bestimmung ihrer Schüler war Darjes als zweiter „Hauptfehler“ ganz allgemein die Missachtung grundlegender didaktischer Prinzipien aufgefallen: Selbst wenn einer Schule eine „vollständige Absicht“ gesetzt worden sei, so würden doch „sehr oft die Mittel also verbunden, daß diese Absicht unmöglich kann gewürket werden“ – die Lehrer trügen beispielsweise „Lehren vor, welche die Jugend noch nicht fassen“ könne, wobei „die Art des Vortrages […] diejenigen Fähigkeiten [unterdrücke], die hiedurch […] erwekket werden“ sollten.73 Darjes beließ es hier bei der
71 72 73
Vgl. im Folgenden ebd. Ebd., S. 400. Ebd., S. 400 f.
SCHULE UND SCHULKRITIK
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bloßen Kritik, da Fragen des richtigen Lehrens außerhalb der von den Polizeiwissenschaften vorgegebenen Grenzen lagen, verwies aber auf seine diesbezüglichen Ausführungen in der Sitten-Lehre. Der Gelehrte hatte damit die seiner Analyse nach wesentlichen Mängel von Schulen aufgezeigt. Als adäquate Maßnahme zur Behebung dieser Schwächen riet er als Erstes die Beschäftigung „geschickte[r] Lehrer […], die ihr Amt unter der Aufsicht eines regelmäßigen Policey-Collegii führen“ sollten, an.74 Darjes maß damit der einzelnen Lehrperson eine enorme Bedeutung bei, die gerade für die niederen Schulen keineswegs zu hoch angesetzt war, bestritt doch hier der Schulmeister den Unterricht durchweg allein, höchstens unterstützt durch einen von ihm selbst dazu herangezogenen Hilfslehrer oder ältere Schüler. Er war also, was den Inhalt und die Qualität der Unterweisung betraf, wichtigster Dreh- und Angelpunkt – Grund genug für Darjes, auf die Besetzung aller Lehrämter mit Gelehrten zu dringen. Bei den Schulen nämlich könnten „unendlich viele Hindernisse“ vorkommen, „welche die Erreichung ihrer Absicht unmöglich machen“, und es erfordere oft die Anwendung größter „Mühe […], die Hindernisse zu entdecken, und ihre Würksamkeit zu entkräften.“75 Gerade hier aber liege ja die besondere Stärke des Gelehrten, weshalb er doch wenigstens die Aufsicht über Schule und Lehrer innehaben müsse. Ein eigens angestellter studierter Schulaufseher freilich war nicht nur auf dem Land eine zu kostspielige Angelegenheit; doch hatte Darjes auch hier bereits eine Lösung parat: „Der Priester kann es besorgen“, wenn nur die „Policey“ darauf achte, „ob der anzunehmende Priester auch Geschicklichkeit genug besitzet, dieß Geschäfte“ zu übernehmen.76 Diese besondere „Geschicklichkeit“ im Übrigen sollte am besten sämtlichen Studenten gleich an den Universitäten durch eine obligatorische Unterweisung in der Schulinspektion vermittelt werden, so der Gelehrte weiter. Zwar sei die direkte Vergabe von Lehrerstellen an Akademiker dieser bloßen Aufsicht generell vorzuziehen, doch stellten dabei das mit einem einfachen Schullehreramt in aller Regel einhergehende geringe Ansehen und die kärglichen Verdienstmöglichkeiten zweifelsohne ein beträchtliches Problem dar, weil jeder etwas besser Gebildete dadurch von diesem Beruf abgeschreckt werden musste. Hier anzugreifen erschien Darjes daher als geeignete Möglichkeit, dem einfachen Schulwesen langfristig aufzuhelfen: Geschickte Lehrer würden sich allmählich von selbst einfinden, sobald nur dafür gesorgt werde, „daß sie von ihrem Amte reichlich leben [könnten], und daß sie bey der Unterweisung nicht verdrüßlich [würden]“.77 Hinsichtlich der angemessenen Verdiensthöhe machte er geltend, dass Schulmeister von ihrem Sold wenigstens die standesgemäße eigene Versorgung
74 75 76 77
Ebd., S. 401. Ebd., S. 407 f. Ebd., S. 408. Ebd., S. 401 f.
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III. AUF DEM WEG ZU EINER ERNEUERTEN SCHULE
sowie den Unterhalt für ihre Familie bestreiten können müssten, ohne dafür einer zweiten Beschäftigung zu bedürfen; Frau und Kinder müssten zudem nach dem Tod des Schulmeisters über einen „Witwenfiscus“ abgesichert werden. Dies sei insbesondere für Kirchenlehrer wichtig, die sich nur durch „einen reichlichen Unterhalt“ ihrem Stand entsprechend „in Achtung setzen“ könnten78 – für die Mehrausgaben seien etwa die Einnahmen verschiedener Kirchen in Erwägung zu ziehen. Sinnvoll sei es außerdem, die Ausgaben von Lehrern zu senken, indem beispielsweise in den Kirchen kleine Fachbibliotheken für die Priester angelegt würden. Die für eine angemessene Lehrerbesoldung allgemein erforderlichen Mittel könnten, „ohne dem Staat eine Last zu machen“,79 aus den Zinsen eines Kapitals zur Unterstützung der Lehrer bzw. ihrer Witwen genommen werden. Die Verpflichtung ehemaliger Schüler zu einmaligen Beiträgen, sobald sie in eine staatliche Bedienung einträten, empfand Darjes dabei als durchaus zumutbar. In seinen Ausführungen setzte er wohl nicht zuletzt deshalb einen deutlichen Schwerpunkt auf realistische Finanzierungsvorschläge, weil sich, damals wie heute, vor allem mit dem Verweis auf entstehende Kosten erfolgreich gegen überfällige Reformen argumentieren ließ. Neben den angeführten Finanzierungsmöglichkeiten vergaß er als Beilage zum Sold des Lehrers auch nicht die von jedem einzelnen Schüler für den Unterricht üblicherweise zu zahlenden Gelder. Hier sei ganz klar dafür zu sorgen, dass die Anzahl der Lernenden vergrößert würde. Es folgen Anweisungen zu Erhalt und Vermehrung der Schülerzahlen, wobei Darjes die nicht unübliche Methode einer gesetzlichen Verpflichtung einheimischer Schüler zum ausschließlichen oder sich zumindest über einen vorgeschriebenen Zeitraum erstreckenden Besuch einheimischer Schulen gleich eingangs als unklug verwarf. Eine geschicktere Alternative zu solchen Zwangsmaßnahmen sah er darin, die Attraktivität regionaler Lehranstalten einerseits durch fachlich und pädagogisch-didaktisch hervorragende Lehrkräfte, andererseits mittels eines lückenlos breiten, qualitätsvollen und für die Lernenden „mit mäßigen Kosten“80 verbundenen Unterrichtsangebots zu steigern. Solche erstklassigen Schulen würden auch landesfremde zahlende Schüler anlocken, wobei die damit einhergehende vorteilhafte „Vermischung der Sitten“81 einen günstigen Nebeneffekt darstelle; dem Ganzen solle durch die bevorzugte Beschäftigung bekannter auswärtiger Lehrer, denen ihre Schüler folgen würden, noch weiter nachgeholfen werden. Weitere Ratschläge Darjes’ gingen dahin, der öffentlichen staatlichen Bildung einen klaren Vorrang vor anderen Arrangements einzuräumen und ihr einen verpflichtenden Charakter zu verleihen: Er forderte erstens, Privatunterricht ausschließlich als Ergänzung zum regelmäßigen Besuch einer öffentlichen Schule zu dulden und zweitens, niemanden „in einer öffentlichen oder 78 79 80 81
Ebd., S. 414. Ebd., S. 402. Ebd., S. 404. Ebd., S. 405.
SCHULE UND SCHULKRITIK
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Privat-Bedienung“ anzustellen, der nicht „einheimische oder fremde Schulen so viel besuchet hat, als es von der bestimmten Lebens-Art erfordert wird“.82 Ganz deutlich klingt hier die Idee einer allgemeinen Schulpflicht an, die allerdings einer rein kameralistischen Argumentation entspringt: Es geht nach wie vor darum, die Zahl der Schulgelder entrichtenden Kinder zu erhöhen. Die Aspekte einer angemessenen Bezahlung des Lehrpersonals waren damit abgehandelt und Darjes wandte sich kurz noch der Frage nach der „Verhinderung derjenigen Stükke, die das Unterweisen verdrüßlich machen“ zu, worunter er den „Mangel […] der äußerlichen Ehre, oder des sinnlichen Vergnügens“ verstand.83 In der Verleihung von verschiedenen Rängen und Titeln an jeden Lehrer sah der Gelehrte eine einfache Möglichkeit, der Ehre Genüge zu tun, während sich mit in Aussicht gestellten regelmäßigen Gehaltserhöhungen ebenso unkompliziert das sinnliche Vergnügen steigern ließe. Die Verantwortung für die Umsetzung dieser seiner Vorschläge, wie auch für die Auswahl und Beaufsichtigung geeigneten Lehrpersonals und sogar der ländlichen Priesterschaft, wollte Darjes ganz der „Policey“ und damit dem Staat übertragen wissen. Bestechend einfach, nahezu zwingend ist seine Beweisführung, wenn er dem (aufgeklärten) Souverän eine vollständig staatliche Schulaufsicht als das einzig ökonomisch Vorteilhafte und daher Unverzichtbare vorstellt. Er lenkte die Aufmerksamkeit auf die zahlreichen Untertanen, die einerseits notwendig Kosten verursachten, andererseits jedoch ein enormes ökonomisches Potenzial darstellten. Im Interesse des Staats läge es selbstverständlich, die Kosten gering zu halten und dabei gleichzeitig das Potenzial bestmöglich auszuschöpfen. Je geschickter und gebildeter nun ein Mensch sei, desto geringer sei die Wahrscheinlichkeit, dass er dem Staat finanziell zur Last falle, und desto wahrscheinlicher sei es, dass er ihm nützlich werde und den allgemeinen Wohlstand befördere – eine Überlegung, die recht direkt zum Schulwesen führte und ein schlagkräftiges Argument für die eben angesprochene allgemeine Schulpflicht darstellte. Darjes machte damit deutlich, dass die Errichtung hervorragender Schulen keinesfalls bloß als nobles Steckenpferd des Souveräns gelten dürfe: Der Staat habe ein offensichtliches Interesse daran, nicht nur möglichst jedem eine wenigstens elementare Bildung zu ermöglichen, sondern auch die Inhalte und Qualität einer solchen – und zwar auch der durch die Kirchen vorgenommenen oder beaufsichtigten Unterweisung – festzuschreiben und zu kontrollieren, weil dies für ihn von Vorteil sei. Die bisher im Bildungswesen sehr dominierende religiöse Unterweisung sollte dabei weiterhin ein Baustein mit wesentlicher Bedeutung bleiben, doch wendete Darjes auch diese konsequent zum Nützlichen. So habe einerseits die „Policey“ mit der Einrichtung guter Schulen dafür zu sorgen, dass die Bevölkerung des Staats das wirken kann, was sie wirken soll; andererseits erschien es Darjes aber „auch nöthig, diese aufzumuntern, daß 82 83
Ebd., S. 404. Ebd., S. 406 f.
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III. AUF DEM WEG ZU EINER ERNEUERTEN SCHULE
sie ihre Fähigkeiten zum Nutzen des Staats anwende“, welche Aufgabe der Kirche obliege.84 Um sicherzustellen, dass die in Christenlehre und Gottesdienst vermittelten Inhalte und praktizierten Riten tatsächlich diesem Ziel dienten, seien die Kirchen einer staatlichen Kontrolle zu unterwerfen. Ausgehend vom ökonomisch begründeten Ziel möglichst vieler gut ausgebildeter Untertanen enthielt Darjes’ Reformplan also verschiedene, hauptsächlich beim Personal ansetzende Maßnahmen, die das staatliche Schulwesen qualitativ verbessern und überhaupt seine Attraktivität steigern sollten – als wesentliche Voraussetzung zum Gelingen dieser Erneuerung galt die staatliche Aufsicht. An der tatsächlichen Umsetzung dieser theoretischen Anregungen, welche er über Jahre in seinem akademischen Unterricht verbreitete, im Sinne einer Neuordnung des bestehenden Schulwesens war der Professor selbst nicht beteiligt, wenn nicht seine öffentliche Unterstützung Andreas Gordons im Streit um „die Einführung der neuern Philosophie in den Schulen der römischcatholischen Kirche“ zu einer solchen Beteiligung erklärt werden soll.85 Seine auf das Schulwesen bezogenen Aktivitäten richteten sich auf einen spezielleren Bereich: Ihm war an der allgemeinen Einführung und weiteren Verbreitung praxisrelevanter Unterrichtsinhalte gelegen. Die bloße Vermittlung der elementaren Kulturtechniken und des Katechismus’ in den Elementarschulen stellte ebensowenig eine ausreichende und zeitgemäße Ausbildung für das differenzierte spätere Berufsleben der meisten Schüler dar wie der jahrelange altsprachliche Gymnasialunterricht – aus diesem Grund warb Darjes nicht allein für Realienbildung an den niederen Schulen, sondern hatte zudem ganz selbstverständlich die sogenannten Realschulen als einen eigenständigen Bildungszweig in sein Ideal des neuzeitlichen Schulsystems aufgenommen. Diese sollten leisten, was die anderen Schulen und auch die handwerkliche oder gewerbliche Ausbildung vor Ort bisher nicht vollbracht hatten. Hier sollte zum Ersten „ein Handwerks-Mann das lernen, was er wissen muß[te], wenn er seine Werke verbessern und vollkommen machen soll[te]“, zum Zweiten „der Künstler diejenige Wissenschaft nehmen, die er ha-
84 85
Ebd., S. 409. Vgl. DARJES, Gedanken über den Streit. Im Jahr 1750 ergriff Darjes in den Jenaischen gelehrten Zeitungen Partei für den Erfurter Benediktiner und Philosophieprofessor Pater Andreas Gordon (1712–1750). Dieser hatte in verschiedenen, unter dem Titel Varia philosophia mutationem spectantia (Erfurt 1749) gesammelt herausgebrachten Streitschriften u.a. für die Einführung der neueren Philosophie in den katholischen Schulen geworben. Unter den Gegenschriften stammte eine besonders heftige vom Erfurter Pater Lucas Opfermann, welche in den Leipziger Neuen Zeitungen von gelehrten Sachen eine sehr negative Rezension erfuhr; in Erfurt wurde ihre Lektüre sogar den Studenten durch Anschlag verboten. Einen an Darjes gerichteten Brief Gordons über Opfermanns Schrift druckten die Jenaer auszugsweise im Juni 1750 mit der Ankündigung einer öffentlichen Stellungnahme Darjes’ – diese erschien fast genau einen Monat nach Gordons Tod, über den Darjes offenbar noch nicht informiert war. Vgl. JZ 1750, 46. St., S. 361–365; 76. St., S. 593–597; NZ 1749, N. XLIII, S. 381–383. Vgl. außerdem LAUCHERT, Gordon, S. 461 f.
NEUZEITLICHE REALSCHULE IN THEORIE UND PRAXIS
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ben muß[te], wenn er diesen Namen mit Recht verdienen soll[te]“ und zum Dritten „ein Kaufmann die Gründe lernen, woher die Waaren ihre Vollkommenheit und Unvollkommenheit bekommen, und wornach er seinen Handel, zum Vortheil des Staats, aufs höchste treiben“ konnte.86 In der Realität allerdings gab es so gut wie keine derartigen Anstalten; zwischen Elementarschule und Gelehrtenschule klaffte im staatlichen Bildungswesen eine erstaunliche Lücke, von der ganz offensichtlich der große Teil zumindest der städtischen Jugend betroffen war und die durch verschiedenste, oft mit hohen Kosten verbundene Privatunterweisungen ausgefüllt werden musste. Nur allzu verständlich war es also, wenn Darjes, und nicht nur er, in dem „Mangel der Real-Schulen“ einen der „Hauptfehler“ des öffentlichen Schulwesens beklagte.87 Dabei hatte er klare Vorstellungen, wie eine solch unkonventionelle und, wie aus der folgenden Darstellung der Realschulbewegung ersichtlich werden wird, noch wenig erprobte Schulform eingerichtet werden könnte. Einen eigenen Modellversuch zu präsentieren war offenbar eine Aufgabe, die den Kameralisten reizte, denn in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit startete er ohne finanzielle Unterstützung von obrigkeitlicher Seite her das Projekt Rosenschule in der Absicht, eine „Real-Schule zur Erziehung armer Kinder, zum Nutzen der wirthschaftlichen Beschäftigungen“88 zu errichten. Jena gesellte sich damit zu den wenigen Städten im deutschen Sprachraum, die im 18. Jahrhundert Standort derartiger, einer bürgerlichen Mittelschule den Weg bereitender Versuche waren.
2.
Neuzeitliche Realschule in Theorie und Praxis
Neuzeitliche Realschule in Theorie und Praxis 2.1. Wegbereiter und Pioniere der Realschule Spätestens seit den 1740er Jahren war endgültig eine öffentliche Diskussion über die Qualitätsmängel und die Einseitigkeit des bestehenden Bildungsangebots in Gang gekommen. Deutlich bildete sich in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein Konsens darüber heraus, dass die damaligen Schulen wesentliche Erfordernisse der neuen Zeit schlicht nicht bedienten und auch nicht bedienen konnten – die Lerninhalte waren zu eingeschränkt, die Unterrichtsmethoden überholt und vor allem ein über die Elementarbildung hinausführender Schultyp für die bürgerliche Mittelschicht fehlte völlig. Dessen wesentlicher Zug, darüber
86 87 88
DARJES, Cameral-Wissenschaften, S. 400. Ebd. DARJES, Entwurf, Titel.
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III. AUF DEM WEG ZU EINER ERNEUERTEN SCHULE
herrschte bald Einigkeit, sollte eine im weitesten Sinne berufsvorbereitende Realienbildung sein. In unterschiedlich progressiven theoretischen Entwürfen und ersten praktischen Versuchen rangen Schulreformer darum, diese im Bildungssystem festgestellte Leerstelle adäquat auszufüllen – eine herausfordernde Aufgabe, zu deren Bewältigung später auch Darjes mit seinem Realschulversuch einen aktiven Beitrag leisten sollte. Derartige Konzepte hatten bedeutsame Impulse vom Merkantilismus erhalten, welcher sich im Bildungsbereich der Gedanken des pädagogischen Realismus’ bediente.89 Daher war eine (ökonomisch orientierte) Realienbildung in Theorie und Praxis bereits ab dem 17. Jahrhundert zunehmend und unaufhaltsam ins deutsche Schulwesen eingezogen. Einen augenfälligen Ansatzpunkt für schulreformerische Aktivitäten bot vor allem die handwerkliche Ausbildung der Jugend: Als Monopol der Zünfte war sie traditionell jeglicher äußerer, also auch der staatlichen, Einflussnahme entzogen – ihr über Generationen überliefertes Brauchtum und die undurchsichtigen Bewertungsmaßstäbe für handwerkliches Können jedoch konnten mittlerweile allem Anschein nach weder die zahlreichen technischen und ökonomischen Neuerungen der Zeit angemessen integrieren noch überhaupt bestimmte Qualitätsstandards gewährleisten. Dies stand, wie Brödel betont, im offensichtlichen Widerspruch zu den merkantilistischen Ideen, weshalb es im Bildungssystem gezwungenermaßen zu Veränderungen kommen musste: Strebte der Merkantilismus über die genügsame mittelalterliche Stadtwirtschaft hinaus zu einer einheitlichen Volkswirtschaft, suchte er die kleinliche zünftlerische Nahrungsidee zu einem weitausschauenden strebsamen Unternehmungsgeiste umzubilden, so war hierzu ein gewaltiges Erziehungswerk nötig.90
Folgerichtig wurden zuerst in England, Frankreich und Holland sogenannte Arbeits-, Werk- oder Manufakturhäuser geplant und eröffnet, die auch in deutschsprachigen Gebieten Befürworter fanden – einer der bekanntesten ist Johann Joachim Becher91 (1635–1682). Nach seinen Ideen entstand trotz massiven Widerstands der Zünfte und Kaufleute 1675/76 in Wien das Kayserliche Kunst- und Werck-Hauß, dessen herausragende Bedeutung Brödel zufolge
89 90 91
Vgl. für das Folgende BRÖDEL, Kunst- und Werkhäuser; Ders., Manufakturhäuser; ENDRES, Handwerk; IVEN, Industriepädagogik; KÖNIG, Industriöser Mensch. BRÖDEL, Kunst- und Werkhäuser, S. 1. Becher warb in den 1660er Jahren wiederholt für die Einrichtung eines Werkhauses, in welchem gesunde Bettler und überhaupt alle Unbeschäftigten einschließlich Waisenkinder zu ihrem Unterhalt freiwillig handwerkliche Arbeiten erlernen und ausüben konnten. Vgl. BRÖDEL, Kunst- und Werkhäuser, S. 2 f.
NEUZEITLICHE REALSCHULE IN THEORIE UND PRAXIS
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nicht nur in der Errichtung einer Staatsfabrik nach dem Grundsatz einer Verbindung verschiedener Gewerbezweige, sondern auch in der erstmaligen Begründung einer staatlichen Lehrwerkstätte und praktischen Lehranstalt [zu sehen ist].92
Ähnliche Gründungen und nach Bechers Vorlagen weiter entwickelte Pläne folgten, so beispielsweise im Jahr 1697 die Idee eines Collegium Artis Consultorum von dem Jenaer Professor Erhard Weigel (1625–1699) oder 1708 der Vorschlag einer staatlichen Manufaktur-Akademie als Unterrichts-, Produktions- und Forschungseinrichtung durch Johann Georg Leib (1670–1727). Noch Mitte des 18. Jahrhunderts vertraten vor allem die Kameralisten Georg Heinrich Zincke (1692–1768) und Johann Heinrich Gottlob von Justi (1720–1771) die Idee der Manufakturhäuser als Unterrichtsstätten. Als eine Möglichkeit, die Monopolstellung der Zünfte bei der Ausübung und Weitergabe der Handwerke zu brechen, empfahl auch Darjes noch 1764 die Einrichtung zunftfreier Manufakturhäuser außerhalb der Städte.93 Während in derartigen Anstalten der Schwerpunkt auf die handwerkliche Spezialausbildung gelegt wurde, setzten andere Reformpläne bereits vor der eigentlichen Handwerkslehre an: Allgemeine berufsvorbereitende Kurse, die sogenannten Kunst- und Werk- oder Realschulen, sollten die Jungen in kurzer Zeit mit einer gewissen naturwissenschaftlich-technischen Grundbildung versorgen, um ihnen, so legt Endres94 dar, nicht allein den Antritt einer Berufsausbildung und die spätere Ausübung des Berufs zu erleichtern, sondern statt der üblichen ererbten eine eigenständige Berufswahl nach Neigung und Talent zu ermöglichen. Die Diskussion um eine berufsbezogene Vorbildung leitete schon Wolfgang Ratke (1571–1635) ein, der als Johann Comenius bekannt gewordene Pädagoge Jan Amos Komenský (1592–1670) griff sie auf. Die Anregungen des Comenius flossen ebenso wie Bechers Ideen schließlich in den Plan eines ganzen, aufeinander aufbauenden Schulsystems ein, welchen Weigel entwickelte: Nach einer gemeinsamen Grundbildung sah dieses Konzept vor, die zukünftigen Handwerker in einer eigenen weiterführenden Schule von den späteren Akademikern abzusondern und das Unterrichtsprogramm durch Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik zu erweitern. Damit lieferte der Mathematiker eine erste Vorlage für den Typ Realschule, ohne ihn jedoch schon zu verwirklichen.95
92 93 94 95
Ebd., S. 4. Vgl. DARJES, Bielefelds Staatsklugheit, S. 246 ff. ENDRES, Handwerk, S. 407 f. Weigel hatte zwar in Jena eine „Kunst- und Tugendschule“ eröffnet, welche laut Brödel allerdings auf die antiken Freien Künste, erweitert um Geschichte und Geographie, abzielte und nicht als Vorläufer einer Realschule gelten kann. Vgl. BRÖDEL, Manufakturhäuser, S. 10 f.
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III. AUF DEM WEG ZU EINER ERNEUERTEN SCHULE
Einen solchen Versuch allerdings unternahm im Jahr 1707 sein Schüler Christoph Semler (1669–1740) mit der zwei Jahre zuvor schriftlich angekündigten96 Gründung seiner „mathematischen und mechanischen Realschule“ in der Nähe von Halle. Den Theologen Semler, welcher seine Bildung in Halle, Leipzig und Jena erhalten hatte und daraufhin als Universitätsdozent, Prediger und Schulaufseher in Halle arbeitete, zeichneten breit gestreute Interessen und Initiative aus. Seine besondere Leidenschaft für Mathematik, Astronomie und Mechanik fand ihren Ausdruck in der Erfindung und Konstruktion zahlreicher Apparate, welche seine enge Verbindung zu Weigel sichtbar werden lassen97 und später zum Teil als Unterrichtsmaterialien in den Franckeschen Stiftungen und anderen Schulen dienten. Auch ökonomisch interessante oder gemeinnützige Pläne, beispielsweise den Anbau von Datteln oder eine Unterhaltskasse für Predigerwitwen, setzte er in Halle in die Tat um. Die Realschule, die Semler ab 1707 zweimal wöchentlich in seinem Haus abhalten ließ, kann aber als sein bedeutendstes Projekt gelten, handelte es sich doch um den ersten praktischen Versuch eines ergänzenden berufsvorbereitenden Unterrichts in Deutschland. Einem Gutachten der Königlich Preußischen Sozietät der Wissenschaften über Semlers Vorhaben zufolge war es die Absicht dieser Kurse, Knaben so zu Handwerckern sich begeben sollen/ und bißhero meistentheils in nichts/ als höchstens in Lesen/ Schreiben und Rechnen bey den teutschen Schulen unterwiesen worden [waren], künfftig bey einer gewissen Mechanische Schule/ in denen/ zu solchen ihren Vorhaben und künfftigen Stande dienlichen/ theils allgemeinen/ theils bey vielen Handwerckern zustatten kommenden Lehren/ Nachrichtungen und Ubungen unterweisen/ und abrichten zu lassen.98
Unterstützt durch geringe, aber regelmäßig gezahlte Gelder aus dem Almosenamt, übernahm im Auftrag Semlers der Schulhalter Christian Benit – „eine in solchen Wissenschafften wohl versirete Person“ – die Unterweisung einiger Knaben im Alter von zehn bis 14 Jahren, wobei zwar die mittellosen Schüler getrennt von den zahlenden, aber doch alle nach derselben Methode unterrichtet wurden: Ihnen wurde jeweils ein „Objectum allmahl praesenter gezeiget/ alle Theile desselben genennet/ und der Werth/ Güte/ Nutz und andere Umstände iedes Stückes ihnen deutlich erkläret“.99 Hier ist bereits ersichtlich, dass sich
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98 99
SEMLER, Nützliche Vorschläge (unpag.); vgl. für das Folgende auch JONAS, Semler, S. 694– 698. Jonas benennt als Semlers zum Teil kostspielige Entwicklungen u.a. Rechenhilfsmittel, verschiedene Uhren, ein Metronom und astronomische Modelle, aber auch ein von der Windrichtung unabhängiges Segelschiff oder landwirtschaftliche Maschinen. Vgl. ebd. Auch von Weigel ist ein solcher Erfindungsreichtum bekannt: Sein Haus zählte wegen seiner erstaunlichen mechanischen Einbauten zu den Sieben Wundern des alten Jena. SEMLER, Vorwort (unpag.). Ebd.
NEUZEITLICHE REALSCHULE IN THEORIE UND PRAXIS
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Semlers Projekt gegenüber den bestehenden Schulen nicht nur durch die Einbindung neuer, praxisrelevanter Lehrstoffe100 unterschied, sondern darüber hinaus durch das Arbeiten mit neuartigen Unterrichtsmethoden. Die Lehre in Frage und Antwort ersetzte das reine Dozieren, und Erklärungen wurden an den Dingen selbst vorgenommen oder, falls dazu keine Möglichkeit bestand, anhand eines Modells oder Bildes, was Semler zufolge den Schülern das Lernen merklich erleichterte: Alle Realität ist leicht […] und insonderheit facilitiret die Gegenwart des Objecti bey der Demonstration alles [in] unausdencklicher Weise/ weil es auf solche Art dem Gedächtnis sehr lebhafft imprimiret/ und also auch desto leichter gefasset und behalten wird.101
Was sich nicht oder nur bedingt am Objekt erklären ließ, also insbesondere die „Arithmetica“, die religiösen Lehren und „einige gute Moralien“, sollte fortwährend in die Erklärungen eingeflochten und auf diese Weise quasi nebenbei vermittelt werden. Zusätzlich gab es Zeichen- und Nähstunden. Ganz deutlich also versuchte dieser Unterricht den Schritt vom bloßen Hören und Auswendiglernen zum Sehen, Begreifen und Tun zu vollziehen, damit die Jungen „an eine wahre Realität gewöhnet“ und in ihrer zukünftigen Tätigkeit findige Köpfe würden. 102 Im Vordergrund stand der Nutzen für das spätere Leben und die berufliche Praxis, wie der im Jahr 1708 zum obersten Diakon aufgestiegene Schulstifter selbst betonte: hier sind keine leeren Speculationes oder unnütze Subtilitäten/ sondern es sind ipsissimae res, es sind Dei opera, und solche Machinen/ welche in der Welt täglichen und unaussprechlichen Nutzen praestiren. Denn der Augenschein wird zeigen/ daß man nicht sowohl auf Exotica und curiosa, als fürnehmlich auf quotidiana und necessaria gesehen/ und was praesentissimam utilitatem im Leben mit sich führet.103
100 Eine genaue Auflistung der Objekte findet sich im Titel der Nachricht von 1709: „Das Uhrwerck/ das Modell eines Hauses/ das Kriegs-Schiff/ die Vestung/ Saltz-Koth/ Mühle/ Bergwerck/ Chymisch Laboratorium, Glaß-Hütte/ Tuchmacher-Stuhl/ Drechselbanck/ Pferd und Pferde-Schmuck/ Brau-Hauß/Baum-Garten/ Blumen-Garten/ Honig-Bau/ Wagen/ Pflug/ Ege und Acker-Bau; Ferner Alle Arten derer Gewichte/ inländische Müntzen/ Maaße/ gemeine Steine/ Edelgesteine; alle Arten der Wolle und Seyde; die Gewürtze/ Saamen/ Wurtzeln/ Kräuter/ Mineralien/ Thiere/ Vogel/ Fische/ Sceleton; Ingleichen Die Geometrischen und Optischen Instrumenta, die RüstZeuge der Bewegungs-Kunst; die Arten der Wetter-Gläser und Wasser-Künste/ der Magnet/ Compaß/ das Wapen/ Grund-Riß eines Gebäudes/ Topographie der Stadt Halle/ Fürstellung derer Sphaeren des Himmels/ u.a.m.“ BENIT, REAL-Schule, Titel. 101 SEMLER, Vorwort (unpag.). 102 Ebd. 103 Ebd.
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III. AUF DEM WEG ZU EINER ERNEUERTEN SCHULE
Das im pädagogischen Realismus gründende Schulprojekt Semlers hielt sich indessen nur bis 1710 – „wegen geringen Interesses“, wie Endres meint.104 Unbeirrt von diesem Misserfolg modifizierte der Schulgründer seinen Plan und unternahm 28 Jahre später einen erneuten Anlauf, dem jedoch sein Tod 1740 wiederum ein vorzeitiges Ende setzte. Ihrer kurzen Laufzeit zum Trotz wurden Semlers frühe praktische Experimente auf dem Gebiet der Realschule zum Modell für alle späteren Gründungen.105 Die auf eine Reform des neuzeitlichen Schulwesens hinarbeitenden Männer entstammten jedoch nicht allein dem Lager des pädagogischen Realismus; diesem äußerlich sehr ähnlich wurde außerdem die pietistische Pädagogik eines August Hermann Francke (1663–1727) adaptiert.106 Francke, seit 1692 Pfarrer in Glaucha bei Halle, gründete dort nach drei Jahren eine Armenschule, die bald um deutsche Schule, Lateinschule und Adels-Pädagogium erweitert wurde; zusammen mit Waisenhaus und Lehrerseminar bildeten diese Franckeschen Stiftungen eine regelrechte Schulstadt mit europaweiter Ausstrahlung. Die inhaltlichen und didaktischen Prinzipien – Pflege der deutschen Sprache, Berücksichtigung von Realien, Praxis und Anschauung, Unterweisung in Frage und Antwort – brachte der Prediger dabei aus seiner eigenen Schulzeit am Gymnasium in Gotha mit, welches unter Herzog Ernst dem Frommen (1601–1675) nach Ideen Ratkes und Comenius’ reformiert worden war. Im Lehrplan wechselten sich theoretische Stunden mit Arbeits- und Werkunterricht ab, für den unter anderem ein Naturalienkabinett und eine Schulsternwarte eingerichtet und Kontakte zu Handwerkerstätten geknüpft wurden. Ein solcher Unterricht wurde, ebenso wie die Franckeschen Stiftungen an sich, gänzlich aus Franckes theologischer Idee einer „Generalreformation der Welt aus den Kräften eines erweckten Christentums“107 abgeleitet, die nur der weltzugewandte, lebenstüchtige, nutzbringend tätige fromme Mensch verwirklichen konnte. Hierin lag ebenfalls die Begründung für die anhaltende, unterschiedslose Förderung auch armer Kinder und Mädchen, obschon in Franckes Anstalten die ständische Ordnung prinzipiell nicht angetastet wurde: Separat zur Lateinschule für bürgerliche Kinder bestand das Pädagogium für die adlige Elite. Der Erfolg dieses in sich geschlossenen Schulsystems war sensationell – die Anstalten wurden von bis zu 3.000 Schülerinnen und Schülern gleichzeitig besucht – und inspirierte vielerorts zu Nachahmungen, die in den Stiftungen geschulten Lehrer waren als Multiplikatoren höchst begehrt, zahlreiche Unterstützergruppen bildeten sich im In- und Ausland. Darauf, dass die anfangs üppig fließenden Spenden zur Finanzierung seiner
104 ENDRES, Handwerk, S. 410. 105 Vgl. SCHÖLER, Naturwissenschaftlicher Unterricht, S. 271, Anm. 13: „Fast alle Realschulpädagogen berufen sich später auf Semler“. 106 Vgl. BEYREUTHER, Francke, S. 322–325. 107 Ebd.
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Stiftungen dauerhaft ausreichen würden, verließ sich der ökonomisch verständige Francke allerdings nicht: Von Beginn an war er bestrebt, durch einträgliche wirtschaftliche Unternehmungen – vorwiegend den Bibeldruck sowie Buch- und Medikamentenhandel – und durch Schaffung von Selbstversorgungsmöglichkeiten durch Agrarbetriebe den Bestand der Schulen materiell abzusichern. Auch in diesem Zusammenhang ist die praktische Arbeit zu sehen, die Grundbestandteil des Schulunterrichts vor allem in Waisenhaus und Armenschule war. Vordergründig aber sollten die meist mit Stricken zuzubringenden Stunden eine erzieherische Funktion hinsichtlich der für später erwünschten Gesellschaftsdienlichkeit des Christen erfüllen: Die Kinder sollten an Arbeit gewöhnt werden und – darauf zielten etwa die Werkstattbesuche, die handwerklichen Übungen oder der naturwissenschaftliche Unterricht ab – diese mit Kenntnis und Können erledigen lernen. Wenn Francke also auch keinen eigentlich eigenständigen Bildungszweig für Handwerker vorsah und überdies seine Beweggründe von denen Semlers wesentlich verschieden waren, wiesen die Modelle der beiden Schulgründer mit deutlichen Übereinstimmungen den Weg zeitgemäßer Pädagogik. Bis fast zur Mitte des 18. Jahrhunderts blieben sie die einzigen Schulen, in denen tatsächlich umfassend Realunterricht praktiziert wurde. Trotz der räumlichen Nähe ist eine gegenseitige Beeinflussung allerdings für die Anfangszeit weitgehend auszuschließen.108 Indessen begannen schon die frühen Initiatoren und Theoretiker der Realschule beide Konzepte zusammenzuführen: Als Schüler oder Lehrkräfte der Franckeschen Stiftungen wandten sie sich Semler und seinen Schulplänen zu und entwickelten die Idee Realschule zunächst theoretisch weiter. Der dem späteren Berufs- und Lebensstand angemessene lebenspraktische Realienunterricht galt ihnen bald als allgemein unverzichtbar und wurde dementsprechend für jedes Kind in jeder Schule verlangt. Zu beobachten ist in den folgenden Realschulplänen die Erweiterung der ersten Zielgruppe zukünftiger Handwerker um Künstler, Gewerbetreibende und Beamte, bis schließlich die Forderung nach einem eigenständigen Schultyp für die mittleren Gesellschaftsschichten im Allgemeinen gestellt wurde. Schon Johann Gottfried Groß109 (1703–1768), seinen Zeitgenossen vor allem als Herausgeber der qualitätsvollen und auflagenstarken Erlanger Zeitung Auszug der neuesten Weltgeschichte110 bekannt, welche er fast im Alleingang
108 Der in älterer Literatur zuweilen festgestellte Einfluss Franckes auf Semler beruht auf einer Verwechslung mit Johann Salomon Semler, welcher Lehrer an den Franckeschen Anstalten war. Christoph Semler dagegen stand keineswegs gut mit Francke und war überhaupt dem Pietismus abgeneigt. Vgl. SCHÖLER, Naturwissenschaftlicher Unterricht, S. 44, S. 272, Anm. 14. 109 Vgl. im Folgenden ERNSTBERGER, Groß, S. 141 f. 110 Die Zeitung erschien unter verschiedenen Titeln, so als Kurzgefaßte Geschichte des Jahres 1741 enthaltend die merkwürdigsten politischen, Kirchen-, Gelehrten-, auch Handlungs- und NaturBegebenheiten (1741), Kurzgefaßter Auszug der neuesten Weltgeschichte auf das Jahr […] (1742–
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zwischen 1741 und 1768 verfasste, hielt nicht länger an den die übliche Bildung ergänzenden Realienkursen fest, sondern warb für die Einrichtung einer ganz eigenen Mittelschule. Nach dem Besuch des Gymnasiums Casimirianum in Coburg und einem Theologiestudium in Halle hatte der Pfarrersohn aus Mittelfranken selbst einige Jahre Erfahrungen als Lehrer gesammelt, so unter anderem bis 1732 am Pädagogium in Halle, danach im Kloster Berge bei Magdeburg und zuletzt als Professor an der Ritterakademie in Erlangen, bevor er sich ganz der bald sehr einträglichen Herausgabe seiner Zeitung widmete. In die letzten Jahre als Schulmann fiel 1739 seine Veröffentlichung einer schultheoretischen Schrift mit dem sprechenden Titel Unmaaßgebliche Gedancken über ein mit leichten Kosten zu errichtendes Seminarium Politicum, oder Hof- Polizei- Handlungs- Kunst- und Wirthschafts-Schule, für diejenige Gattung Jugend, welche zwar eigentlich nicht zum studiren, aber doch zu allerhand andern honetten und politischen Lebens-Arten, zum Exempel zu Hof-, Civilund Militair-Bedienungen, zu Kaufmanschaft, Schreiberey und Oeconomie auch andern nicht gantz gemeinen Künsten und Profeßionen gewidmet ist […],
deren überarbeitete zweite Auflage bereits ein Jahr später erschien.111 Groß entwarf darin eine eigenständige, einen achtjährigen Schulbesuch abdeckende Anstalt mit Internat für die „nicht studirende oder politische Jugend“, die er ausdrücklich zwischen den höheren Einrichtungen für die „studirende oder sogenannte Lateinische Jugend“ und den niederen für die „gemeine deutsche Jugend“ einordnete; so wollte er dem „recht beklagenswürdigen Mangel“ begegnen, daß wir zwar dreyerley Art Jugend, aber gleichwol nur zweyerley Art öffentlicher Schulen haben, und daß […] diejenige, welche dereinst recht das Mark des gemeinen Wesens ausmachet […] mit öffentlichen Schulen wenig oder gar nicht versorget ist. 112
Schüler dieser Einrichtung sollten Knaben in künftigen Berufs- und Lebensständen sein, die zwar keinen studirten, aber doch einen geschickten Mann erfordern, der einen offenen Kopf und helle Augen hat, Gott, Sich selbst und die heutige Welt kennet, und mit einem jeden nach Stand und Würden um[zu]gehen gelernet [hat], 113
wovon der Titel der Schrift bereits Beispiele lieferte – wohlgemerkt Jungen „honetten“ Standes und nicht Semlers „gantz gemeine“ Handwerker oder Arme und 1744), Auszug der neuesten Weltgeschichte auf das Jahr […] (1745–1753, 1757–1762) und Auszug der neuesten Weltgeschichte und schönen Wissenschaften (1754–1756). Nach 1762 wurde sie in Real-Zeitung, das ist Auszug der neuesten Weltgeschichte […] umbenannt. 111 Die erste Auflage erschien 1739 in Nürnberg. Zweite Auflage vgl. GROSS, Entwurf. Die folgende Darlegung orientiert sich an diesem Entwurf. 112 GROSS, Entwurf, S. 1. Im Original teils hervorgehoben. 113 Ebd., S. 3. Im Original teils hervorgehoben.
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Waisen wie bei Francke. Was die Unterrichtsinhalte betraf, so hielt sich Groß ganz offensichtlich an Semler: Er versprach wie dieser „nichts als Realitäten und brauchbare Welt-Sachen“ zu berücksichtigen und in 14 verschiedenen Fachklassen, wie sie ihm aus den Franckeschen Schulen bekannt waren, „die Welt auf mehr als einerley Weise nach und nach durchzuwandern“.114 Damit verbunden sollte zudem die Verwendung einer fortschrittlichen Lehrart115 sein, bei der unter Verwendung der Dinge selbst oder ihrer Modelle und Abbilder „Worte und Sachen zugleich“ gelehrt würden, da „solches nicht nur einen weit lebhaftern und sinnlichern Eindruck giebet, sondern auch viel vergebliche Worte ersparet, und die Jugend anbey in beständiger Lust und Aufmercksamkeit“ erhielte. Besonders hilfreich erschien Groß die thematische Ausgestaltung des jeweiligen Schulraums mit passenden Anschauungsmaterialien, auch riet er, die Schüler während des Unterrichts selbst in Aktivität zu versetzen und das Einprägen und Wiederholen keinesfalls zu vernachlässigen. Bemerkenswert ist die von ihm empfohlene Anfertigung schriftlicher Lehrerkommentare, die auch bei häufigem Lehrerwechsel über Jahre eine Kontinuität des Unterrichts gewährleisten würden. Im Titel der Schrift versprach der Verfasser, die Kosten für diese Modellschule gering zu halten, womit er eine wesentliche Schwierigkeit in der Umsetzung schulischer Reformkonzepte bereits von Anfang an thematisierte: Die langfristige Verwirklichung der Realschulidee war in hohem Maße eine reine Kostenfrage. Neben Spenden und obrigkeitlichen Zuwendungen sah Groß daher vor allem die etwas höher bemessenen Schulgelder der Knaben und die Einnahmen aus einer schuleigenen Buchdruckerei zum Erhalt seines Seminarium Politicum vor. Im Jahr 1740 hatten ihm wohlhabende Freunde bereits großzügige finanzielle Unterstützung zukommen lassen, auch Unterrichtsmaterialien gekauft und die Finanzierung der Buchdruckerei in Aussicht gestellt – ein tatsächlicher Anfang schien also abgesichert. Groß war bereit und willens, seinen Plan sofort in die Tat umzusetzen. Letzten Endes jedoch scheiterte er, so Schöler, am „Widerstand des Gymnasiums in Erlangen“116, da dort zu Recht die drastische Abnahme zahlender Schüler befürchtet wurde. Der Journalist blieb dennoch bis zu seinem Lebensende ein „großer Freund und Beförderer der Real-Schulen“, wie sein Adept Harles 1765 versicherte.117 Ansehnliche materielle Zuwendungen adressierte Groß in seinen letzten Lebensjahren an die noch zu besprechende Heckersche Realschule in Berlin, die er schließlich auch zur Erbin seines Vermögens bestimmte.118 Beson-
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Ebd., S. 5, 8. Vgl. für das Folgende ebd., S. 17–22. SCHÖLER, Naturwissenschaftlicher Unterricht, S. 271, Anm. 4. HARLES, Real-Schulen, Vorrede (unpag.). Ranke berichtet, dass „Prof. Groß zu Erlangen […] sich [erbot] der Realschule [in Berlin] 20.000 Thaler zu vermachen. […] Auch übersandte er schon im Oktober 1764 mehrere Obligationen und Designationen […]. Die erste Sendung, welche daraus wirklich einging, betrug 1079 Thaler 21 Groschen. […] Was davon einging, wurde zum Bau eines
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ders aber nutzte er seine publizistischen Möglichkeiten, um „eine breite journalistische Propaganda für den Realschulgedanken“ zu entfalten:119 In den Leipziger Sammlungen ebenso wie in seinen eigenen, ab 1763 in Real-Zeitung umbenannten Blättern machte er Konzepte und Ideen einer großen Leserschaft bekannt – allein sein eigener erfolgreicher Aufsatz über das Seminarium Politicum erfuhr, obwohl mehrfach geplant, offenbar aus Zeitgründen keine weitere Neuauflage. Gerade über die sich um diese Zeit mehr und mehr etablierenden ökonomischen Zeitschriften erwarb sich die Realschulidee sicherlich eine nicht geringe Anhängerschaft. Sie scheinen eine allgemeine Debatte um die notwendige Verbesserung des Schulwesens und im Besonderen um die Realschulen in Gang gebracht zu haben, denn dort wurden gedankliche und vereinzelte praktische Versuche in publizistischen Beiträgen bekannt gemacht und zur Diskussion gestellt. Speziell der schon erwähnte Georg Heinrich Zincke120 ermunterte als Herausgeber der ab 1742 erscheinenden Leipziger Sammlungen seine Leser ausdrücklich, Aufsätze „von Verbesserung des Schul-Wesens, von allerhand nöthigen und neuen Arthen der Schulen, von schönen Methoden, und allerhand andern feinen Einrichtungen, bey dieser Sache“, die sie „erfunden, gehöret, gelesen oder anderswo gesehen“ hätten, einzusenden.121 Zuerst von Leipzig aus, wo er seit 1740 als Universitätsdozent der Rechts- und Kameralwissenschaften tätig war, später dann als Lehrer ebendieser Fächer am Gymnasium Carolinum in Braunschweig, ließ Zincke im Laufe der Zeit verschiedentlich Nachrichten über geplante oder bereits vollzogene Schulreformen und Realschulprojekte in seinen Blättern abdrucken: Allein die unter das Stichwort Schule und damit zusammenhängende Themen fallenden Einträge im Generalregister erstrecken sich über viele Seiten.122 Meist ergriff der Herausgeber auch die Gelegenheit, diese Beiträge zu kommentieren oder mit eigenen Anregungen zu begleiten, wobei er sich prinzipiell für das Nebeneinander von theoretischer und praktischer Ausbildung in Schule und Lehrwerkstatt aussprach.123 So ist Zinckes rückblickende Einschätzung, dass er und seine Mitarbeiter „nach dem sel[igen] Herrn Pastor Semmler in Halle, unsern ehemaligen hertzlich geliebten Freunde, vielleicht am ersten und angelegentlichsten“124 für die Herausbildung und Verbreitung der Realschulidee gesorgt hatten, nicht von der Hand zu weisen.
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Directorathauses in der Kochstraße verwendet, welches Hecker in den letzten Jahren unternahm und selbst bezog.“ RANKE, Hecker, der Gründer, S. 36. WINKLER, Pädagogik von Darjes, S. 70. Zu Zincke vgl. ZIMMERMANN, Zincke, S. 313 ff. Zitat aus „Vollständige Nachricht von diesen Sammlungen“ im ersten Band der Leipziger Sammlungen, hier zitiert nach BRÖDEL, Schulplan Mittelfranken, S. 29. Vgl. Leipziger Sammlungen (im Folgenden: LS), General-Register 1761, S. 986 f., 1126– 1131. Vgl. auch ENDRES, Handwerk, S. 415 f. LS Bd. XII 1756, 137. St., S. 377. Im Original teils hervorgehoben. Mit Christoph Semler hatte Zincke wahrscheinlich in Halle, wo er vor 1720 zusätzlich zu seinem theologischen
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Unter den in die Leipziger Sammlungen aufgenommenen Schulplänen befand sich 1743 die überarbeitete zweite Fassung der Großschen Konzeption, abgedruckt in drei Teilen;125 ein weiterer, 1744 anonym verfasster Entwurf erschien im Folgejahr unter dem Titel Send-Schreiben von der Nothwendigkeit, Nutzbarkeit und Einrichtung der längst gewünschten und noch mangelnden öconomischen Kunst- und WerckSchulen.126 Verfasser dieses Beitrags, den Zincke sehr wohlwollend als Abbild seiner eigenen Vorstellungen ankündigte, war Recherchen Brödels127 zufolge der Stadtschullehrer und spätere Hofprediger und Konsistorialrat zu Castel, Andreas Creutzberger128 (1714–1755), in Neustadt an der Aisch, ein Handwerkersohn, der in Jena und Halle Theologie und Naturwissenschaften studiert und daraufhin von 1738 bis 1741 am Halleschen Pädagogium als Lehrer gearbeitet hatte. Wie Groß argumentierte er in seinem Send-Schreiben ausgehend von der Überzeugung, es fehle an passenden öffentlichen Bildungsmöglichkeiten für den Großteil der Jugend: „Diejenigen, welche nicht studiren wollen,“ nämlich müssten „gantz anders und in ganz anderen Dingen unterrichtet werden, als diejenigen, welche dereinst Glieder der gelehrten Welt abgeben wollen“.129 Mit dem Verweis auf Weigel und Paul Jakob Marperger (1656–1730)130 als geistige Vorarbeiter solcher Projekte, vor allem aber in Anlehnung an Semler und Groß, deren Arbeiten er für ausführliche Einzelheiten empfahl, forderte Creutzberger, in einer eigenständigen Schule dem allgemeinbildenden Unterricht eine gründliche Natur-, Werkzeug- und Maschinenkunde zur Seite stellen, wobei er wiederum auf die direkte Vorführung der abgehandelten Dinge oder praktischen Verfahren, etwa in einer Werkstatt, drang. Im Unterschied zu seinen Vorgängern kehrte Creutzberger besonders die vorteilhafte Auswirkung der ihm vorschwebenden „mechanischen Schulen“ auf die Staatswirtschaft heraus, indem er einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Reichtum eines Staats und der Ausbildung seiner Einwohner herstellte, und erklärte sie somit zum unverzichtbaren Element staatlicher Wirtschaftspolitik – nicht als einzelne Kaderschmieden, sondern als dritten öffentlichen Schultyp wollte Creutzberger die Kunst- und Werck-Schulen etablieren. Der dringende Bedarf an derartigen Anstalten lag für ihn so offensichtlich auf
125 126 127 128 129 130
noch ein rechtswissenschaftliches Studium absolvierte und danach unter anderem als Advokat und Kameraldozent arbeitete, persönlich Bekanntschaft geschlossen. Vgl. LS Bd. I 1743, 4. St., S. 337–358; 5. St., S. 448–472; 6. St., S. 505–529. LS Bd. II 1745, 21. St., S. 797–819. Vgl. BRÖDEL, Schulplan Mittelfranken. Zu Creutzberger vgl. auch MEUSEL, Lexikon der Schriftsteller, 2. Bd., S. 230 f.; ENDRES, Handwerk, S. 411 ff. Creutzberger war ab dem Sommersemester 1735 an der Universität Jena immatrikuliert, vgl. Matrikel Jena. Zitiert nach BRÖDEL, Schulplan Mittelfranken, S. 31. Im Original hervorgehoben. Marperger, ein publizistisch sehr produktiver deutscher Merkantilist und früher Kameralist, unterbreitete unter anderem systematische Vorschläge zum Gewerbeschulwesen. Vgl. JAEGER, Marperger, S. 234 f.
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der Hand, dass er sich höchst verwundert zeigte, weshalb bisher mit den Realschulen in der Praxis „noch nie ein rechter Anfang gemachet worden“131 war. Unwissenheit, Unverständnis oder Unwille seiner Zeitgenossen schienen ihm Gründe dafür zu sein, die jedoch allesamt hinter der problematischen Schulökonomie zurückstanden. Über die schon von Groß vorgeschlagenen Geldquellen hinaus regte Creutzberger daher die Gründung spezieller Gesellschaften als Schulstifter und die gezielte Rekrutierung hoher Gönner an. Eine vergleichbare Anstalt nur für Mädchen, bei welcher der Schwerpunkt auf verschiedenen Handarbeiten liegen sollte, erklärten zudem beide Realschultheoretiker in ihren Plänen für wünschenswert. Der zuletzt besprochene Entwurf ist im Übrigen ein beeindruckendes Zeugnis für die Geschwindigkeit und Intensität, mit welcher die bedeutendsten, aus verschiedenen Richtungen stammenden Impulse zur Beförderung der Realschulen bis etwa zur Mitte des 18. Jahrhunderts rezipiert, untrennbar miteinander verwoben und um neue Aspekte ergänzt wurden: Creutzberger selbst ist laut Endres der pietistischen Tradition Franckes zuzuordnen,132 sein Send-Schreiben hingegen zeigt sich, wie gesehen, in hohem Maß von den in der Tradition des pädagogischen Realismus stehenden Veröffentlichungen und Modellversuchen Semlers inspiriert, und es wurde von Zincke, dem merkantilistisch-kameralistisch orientierten Verfechter staatlicher handwerklicher Spezialausbildung, mit wohlwollender inhaltlicher Zustimmung verbreitet. Zu dieser Zeit bestand also, dies ist festzuhalten, über einige ganz charakteristische Momente der Realschulidee weitgehende Einigkeit: Der Unterricht sollte eine radikale Hinwendung zum in der Welt tatsächlich Wahrnehmbaren vollziehen, belegbaren Tatsachen wurde das uneingeschränkte Vorrecht vor philosophischen oder religiösen Spekulationen eingeräumt. Eine Auswahl der Lehrinhalte sollte einzig nach deren unmittelbaren Nutzen für das diesseitige Leben getroffen werden, welchen vor allem die bisher im öffentlichen Unterricht kaum oder gar nicht berücksichtigten Fächer Mathematik, (angewandte) Naturwissenschaften, Naturkunde, Mechanik oder Wirtschaft verkörperten.133 Veranschaulichenden Lehrmitteln, etwa Modellen, Schaubildern oder auch Experimenten, war ebenso wie der eigenen praktischen Tätigkeit der Schüler ein fester Platz im Unterricht einzuräumen. Die Unterweisung insgesamt sollte auf eine allgemeine Berufsvorbereitung und die Befähigung zur Berufswahl abzielen, die eigentliche Berufsausbildung aber sollte sich anschließen und weiterhin direkt vor Ort stattfinden. Für die Umsetzung erschien die Schaffung eines ganz eigenen, in Inhalt und Methode zeitgemäßen Bildungsarrangements unumgänglich. „Als ein richtiger Gedanke für jene Zeit“, 131 Zitiert nach BRÖDEL, Schulplan Mittelfranken, S. 34. 132 ENDRES, Handwerk, S. 411. 133 Wie Schöler darlegt, verlor der Naturkundeunterricht zu dieser Zeit endgültig den Makel des bloß Kuriosen und Ergötzenden; er wurde vielmehr zum Repräsentanten des aktuellsten Fortschritts menschlichen Wissens und Könnens und sollte auch zur Vernunftund Moralerziehung beitragen. Vgl. SCHÖLER, Naturwissenschaftlicher Unterricht, S. 50.
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so fasst Ranke es zusammen, war die Realschule also „schon anerkannt: nur blieb nachzuweisen, daß ihm praktisch beizukommen sei.“134 Das Projekt, welches bis heute mit dem meisten Recht als dieser Nachweis gelten kann, waren die noch vor der Jahrhundertmitte in Berlin eröffneten Schulanstalten Johann Julius Heckers.
2.2.
Heckers „Universalschule“ und neue Tendenzen
Sieben Jahre nach dem Tod Christoph Semlers, im Jahr 1747, erwarb der lutherische Vorsteher der Berliner Dreifaltigkeitskirche, Johann Julius Hecker (1707– 1768),135 ein Schulgebäude und brachte darin vier Elementarschulen sowie für die älteren Kinder vier Knaben- und eine Mädchenklasse unter. Mit diesen Schulanstalten gedachte er seinen zur gleichen Zeit veröffentlichten Plan einer Ökonomisch-mathematischen Realschule zu verwirklichen – eine Bezeichnung übrigens, die auf Anordnung des preußischen Königs seit dieser Zeit für alle Kunstund Werkschulen zu verwenden war.136 Das neue Projekt erwies sich als die erste dauerhaft erfolgreiche, wenngleich nicht völlig selbstständige Realschulgründung im deutschsprachigen Raum und setzte damit den Maßstab für alle weiteren Gründungen. Entscheidende Einflüsse kamen abermals von Franckes Werk: Hecker, schon während seiner fünfjährigen Gymnasialzeit in Essen durch seinen Rektor Johann Heinrich Zopf (1691–1774) stark pietistisch geprägt, lernte 1727 in Halle unter Francke und trat daraufhin in dessen Seminarium Selectum Praeceptorum ein, wo er sich, neben seinem Studium der Theologie und Naturwissenschaften, theoretisch und praktisch zum Lehrer bildete. Außer den klassischen Schulfächern, also alten Sprachen, Geschichte, Deutsch, Religion und Arithmetik, unterrichtete er Anatomie und Botanik, zu deren Unterweisung er eigene Lehrwerke verfasste.137 Heckers Hallenser Erfahrungen schließlich waren es, die ihn 134 RANKE, Hecker, S. 380. 135 Vgl. im Folgenden SCHINDLER, Hecker; RANKE, Hecker; Ders., Hecker, der Gründer; BLOTH, Gesamtschulen. 136 In den Leipziger Sammlungen heißt es dazu: „Unsere Vorfahren, die diese Schulen beschrieben, und wünschten, aber keine anlegten, nenneten sie: öconomisch-mechanische Kunst- und Werkschulen. Sie würden auch noch so benennet werden, wenn nicht Ihro Majestät der König von Preußen, welche die erste dergleichen Schule durch die unermüdete Sorgfalt ihres Consistorialraths, Herrn Hekers, in ihren Landen haben errichten sehen … die Schule, eine Realschule benennet zu wissen, verlanget hätten“. LS Bd. XII 1756, 140. St., S. 724. 137 In Heckers Lehrbüchern spiegelte sich seine in diese Zeit fallende Bekanntschaft mit dem Hallenser Arzt Friedrich Hoffmann (1660–1742) wider: Das Anatomiebuch enthielt eine aus dem Lateinischen übersetzte Rede Hoffmanns, das kräuterkundliche dagegen begleitete er mit einer Vorrede „auf was für Art und Weise die Jugend auf den
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III. AUF DEM WEG ZU EINER ERNEUERTEN SCHULE
als geeigneten Inspektor für das Militärwaisenhaus in Potsdam empfahlen, als dieses auf königliche Anordnung hin nach dem Vorbild in Halle umgestaltet werden sollte. Friedrich Wilhelm I. selbst, von Francke und dessen bei einem Besuch des Halleschen Waisenhauses selbst in Augenschein genommenem tätigen Pietismus zum Handeln angeregt, initiierte eine persönliche Bekanntschaft mit dem neuen Inspektor, die sich als wesentlich für die spätere Realschulgründung erwies. 1739 nämlich berief er den fähigen Hecker zum lutherischen Vorsteher der neu errichteten Dreifaltigkeitskirche in Berlin – und zwar ausdrücklich mit der Vorgabe, sich besonders um das Schulwesen zu kümmern. Ansatzpunkt der Heckerschen Schulreformen war zunächst das niedere Schulwesen, das er bis zum Jahr 1742 von zwei auf sechs deutsche Lese-, Schreib- und Rechenschulen in seiner Parochie ausbaute. Problematisch blieben jedoch die stark beschränkten finanziellen Mittel. Da der nächste preußische König Friedrich II. ihn weiterhin gewähren ließ, veranstaltete der Prediger daher bis 1744 eine groß angelegte Schullotterie zur Schaffung eines Kapitals. In diesem Jahr führte er in seinen Schulen, in denen inzwischen schon 500 Kinder lernten, neben dem Armenunterricht erste Realien ein, so kaufmännisches Rechnen, Schreiben von amtlichen Briefen und Rechnungen, Geographie, Latein und Französisch. Mit dem ihm vom König erteilten Privileg zur autonomen Auswahl seines Schulpersonals konnte Hecker mehrere in Halle geschulte Mitarbeiter für Inspektion und Lehre um sich versammeln. Speziell für den Unterricht in den Realklassen gewann er 1747 zudem eine Anzahl von Fachleuten aus verschiedenen Bereichen des Wirtschaftslebens, des Bauwesens, der Ökonomie, des Bergbaus, auch französische Sprachlehrer, für die Mädchenklassen Sprach- und Handarbeitslehrerinnen.138
Auch finanzierte er entsprechende Weiterbildungen für seine Lehrkräfte. Den eigentlichen Realschulteil hatte der Schulgründer in Form von ein- bis zweijährigen Kursen in das System aus den um lebenspraktischen Unterricht ergänzten deutschen und lateinischen Schulen eingebunden, folgte also hinsichtlich der Berufsvorbereitung deutlich dem Semlerschen Modell. Die Elementar-, Sprachund Fachklassen bildeten mit ihren unterschiedlichen Niveaustufen ein sowohl vertikal als horizontal völlig durchlässiges System, sodass Kinder beiderlei Geschlechts in Heckers Schulanstalten ihre gesamte Schulzeit mit individueller Schwerpunktsetzung absolvieren konnten. Was die ökonomische Seite anbelangte, erwies sich der Gründer als ebenso rührig und vorausschauend wie Francke: Er bemühte sich gleich anfangs um möglichst umfassende königliche Schulen zur Erlernung nützlicher und reeller Wissenschaften und wahrer Weisheit mit Ersparung vieler Zeit und Mühe könne angeführt werden“, in welcher die Unterweisung der Jugend in mathematischen Wissenschaften, Physik, medizinischen Grundlagen sowie Deutsch, Fremdsprachen, Geographie und Geschichte nachdrücklich empfohlen wurde. Vgl. RANKE, Hecker, der Gründer, S. 10 f. 138 BLOTH, Gesamtschulen, S. 679.
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Privilegien, die seinen Schulen zu wirtschaftlicher Unabhängigkeit und Sicherheit verhelfen konnten. Nach Halleschem Muster wurde eine schuleigene Verlagsbuchhandlung eröffnet, auch sorgte Hecker, wie in England üblich, mittels einer Subskribentenliste für regelmäßige Spendenzahlungen, später bewirtschaftete die Schule eigene Maulbeerplantagen für die Seidenfabrikation. Der Erfolg der Heckerschen „Universalschule“139 hielt über die Anfangsjahre hinaus an: 1758 wurden schon fast 900 Schüler von über 30 Lehrern unterrichtet, später stiegen die Schülerzahlen auf bis zu 1.200. Den außerordentlichen Unterschied der Berliner Schulanstalten zu den höheren Bildungseinrichtungen der Zeit beschrieb der spätere Verleger und Buchhändler Friedrich Nicolai (1733–1811) sehr anschaulich, der 1748 Internatsschüler in Heckers Modellanstalt war: In den Lateinschulen in Berlin und Halle hatte er zuvor „nichts als lateinische und griechische Wörter, wunderbar zusammengeknetet in alle Prädikamente einer pedantischen Grammatik“ gelernt, nebenher auch „ein Bißchen Geschichte […] in Fragen und Antworten, die wir auswendig hersagten“ und „eine ganz unverständliche verkehrte Geographie […] von Spanien und Asien und Nubien und Palästina; aber von der Mark Brandenburg ward so viel als nichts gesagt.“140 Das Rechnen wurde ihm ausschließlich schriftlich und „ohne alle mathematische Begriffe oder Beweise, dagegen aber recht künstlich“ vermittelt.141 Als Ergebnis dieses Unterrichts stellte sich „ein wahrer Ekel“ ein, Nicolai willigte freudig in den vorzeitig nötig gewordenen Schulabgang ein und wurde daraufhin an der Berliner Realschule untergebracht: Ich kam in der Realschule in eine ganz neue Welt. So uninteressant und unbedeutend mir alles auf den vorigen gelehrten Schulen war, so interessant und mannichfaltig erschien mir alles was ich hier lernte; so daß ich mich schon im ersten Monate vor Freude nicht zu lassen wußte.142
Nicht nur völlig neue Schulfächer mit ganz praktischem Bezug erwarteten ihn, sondern darüber hinaus gehörten Experimente, Exkursionen und die praktische Tätigkeit der Schüler ganz selbstverständlich zum Unterricht. Besonders beeindruckte ihn die Manufakturenklasse, in der nicht nur sämtliche in Berlin angefertigte handwerkliche Meisterstücke vorgezeigt, sondern auch zweimal wöchentlich Manufakturen oder Fabriken besichtigt wurden. Als Resümee kann Nicolais Äußerung über den Rechenunterricht angeführt werden: „bisher war mir von keinem einzigen Dinge das ich hatte lernen müssen, die Ursache angegeben worden, und eben das todte Einbläuen einer Menge Begriffe ohne Ordnung und Zusammenhang hatte bey mir eine gänzliche Abneigung von allem
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Der Begriff „Universalschule“ geht auf Bloths entsprechende Veröffentlichung zurück. NICOLAI, Gelehrte Bildung, S. 9f. Ebd., S. 11. Ebd., S. 15 f.
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III. AUF DEM WEG ZU EINER ERNEUERTEN SCHULE
Studiren zuwege gebracht. Jetzt erfolgte gerade das Gegentheil.“143 Ganz offensichtlich hatte Hecker also mit dem in sich stimmigen System seiner Schulen und den modernisierten Unterrichtsmethoden einen nachhaltig funktionierenden Weg zeitgemäßer Schule gefunden, wenn sich dabei auch noch nicht die Realschule als gänzlich eigenständige Einrichtung bewähren musste. Es standen jedoch neben den Anstalten an der Berliner Dreifaltigkeitskirche zunehmend andere Unternehmungen, die genau dieses zum Ziel hatten – nur wurden deren Ausmaß und oft auch deren Dauer schon allein von dem erforderlichen finanziellen und personellen Aufwand massiv beschränkt, entstanden sie doch in aller Regel unter deutlich ungünstigeren Bedingungen als die zum Muster genommenen Heckerschen Schulen. Schon zur gleichen Zeit wie Hecker bemühte sich etwa Georg Venzky (1704–1757)144, der zwischen 1720 und 1722 Schüler im Waisenhaus der Franckeschen Stiftungen gewesen war, um die Übertragung seiner Halleschen Erfahrungen in seine eigene Tätigkeit als Privatlehrer und als Schulleiter im Kloster Berge und in Halberstadt. Im Besonderen als Konrektor und später Rektor der Prenzlauer Schule begann er ab 1746 Realunterricht im dortigen Lehrplan zu verankern und verfasste dazu auch verschiedene Schriften. Venzky ist damit unter die frühen Pioniere der Realschule zu zählen, auch wenn er weit davon entfernt blieb, seine Neuerungen mit Heckerschem Erfolg durchzusetzen. Indessen gab das Berliner Vorbild den Ausschlag für das Zustandekommen ähnlicher Anstalten. Im Jahr 1750 beispielsweise wurde im Rahmen einer bemerkenswerten Bildungsreform unter Herzog Karl I. (1713–1780)145 eine Realschule am Waisenhaus zu Braunschweig angelegt. Verantwortlich für diese Reorganisation der dort schon zuvor für die Waisenkinder abgehaltenen deutschen Schule zeichnete der ehemalige Inspektor am Halleschen Pädagogium, Johann Arnold Anton Zwicke (1721–1778), der im nämlichen Jahr auf die Stelle des Waisenhauspredigers und Aufsehers aller deutschen Schulen in Braunschweig berufen wurde.146 Das von ihm 1754 über seine bisherigen Reformen veröffentlichte Büchlein rückte Zincke mit eigenen Begleitworten versehen im Jahr 1756 auch in die Leipziger Sammlungen ein und stellt es damit einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung.147 Die Nachahmung des Heckerschen Instituts war in Braunschweig bis ins Detail so vollständig, dass Koldewey resümiert: „In 143 144 145 146
Ebd., S. 24. Zu Venzky vgl. OETINGER, Lehrtafel, S. 168 ff. Zu Karl I. vgl. MEIER, Karl I., S. 223 f. In der Absicht, das beeindruckende Heckersche Schulexperiment zu wiederholen, nahm Zwicke schon im ersten Jahr wesentliche Veränderungen vor, indem er unter anderem neue Unterrichtsfächer und ein Fachklassensystem einführte sowie die Anstalt für Stadtschüler öffnete und ein Pensionat für Auswärtige einrichtete. In den nächsten Jahren kamen öffentliche Prüfungen und ein Lehrerseminar, außerdem eine eigene Buchdruckerei und Buchhandlung hinzu. Vgl. dazu KOLDEWEY, Verfassung. 147 Vgl. ZWICKE, Vorläuffige Nachricht. Abgedruckt in LS Bd. XII 1756/57, 133. St., S. 2–7; 137. St., S. 346–403; 138. St., S. 477–498.
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allen diesen Einrichtungen findet sich kaum ein einziger Zug, der nicht dem Berliner Vorbilde abgelauscht wäre“ – allerdings blieb die Realschule „in ihrer fernern Entwicklung […] hinter ihrem Vorbilde zurück und gestaltete sich in kaum bemerkbaren Uebergängen zu einer Bürgerschule mittlerer Art“.148 Eine weitere, sowohl an den Franckeschen Stiftungen als auch an Heckers Schulen orientierte Gründung erfolgte auf Privatinitiative hin im kursächsischen Wittenberg: Mitte 1756 berichtete Peter Graf von Hohenthal (1726–1794)149, der von Heckers späterem Mitarbeiter Johann Friedrich Hähn (1710–1789)150 erzogen worden war und seit ca. 1750 in einem ständigen Austausch mit Halle stand, von der auf eigene Kosten begonnenen Einrichtung der Wittenberger Armen- und Real-Schulen, desgleichen Waysenhaus-Anstalten.151 Er hatte im Waisenhaus einer konventionellen Armenschule, in der allerdings mithilfe eigens angefertigter Lehrbücher nach der Lehrmethode der Berliner Anstalten unterrichtet wurde,152 einen besonderen Realschulteil angegliedert, welcher die Fächer Zeichnen, Arithmetik, Geometrie, Mechanik, Naturlehre, Ökonomie, Geschichte und „Handwerks- und Manufacturwesen“ umfasste – eine Sammlung entsprechender Anschauungsmaterialien war im Entstehen begriffen, zudem besuchten die Schülerinnen und Schüler später Werkstätten in der Stadt. Ein angegliedertes Arbeitshaus sollte für etwa die Hälfte der zuletzt beachtlichen 200 Schüler einen handwerklich-praktischen Arbeitsunterricht auf freiwilliger Basis ermöglichen. Die übliche Befähigung zum Studium hingegen war selbst für die kleine Anzahl auswärtiger Pensionäre ausdrücklich nicht angestrebt. Jedoch zeigte sich in Wittenberg, dass die Verhältnisse zur Erprobung fortschrittlicher Realschulkonzepte nicht allerorten so günstig waren wie in Berlin, wo die Protektion durch den König über manche Schwierigkeiten half: Der zuvor schon in derselben Funktion am Waisenhaus zu Halle und an der Realschule zu Berlin tätig gewesene Inspektor, Gottlob Henning Freeßdorf (1728–1757)153, starb ein halbes Jahr nach seiner Anstellung in Wittenberg, die Anfeindungen seitens der Stadtschule im Kampf um die Schüler ließen nicht nach, und im Jahr 1759 schließlich brannten im Zuge des Kriegsgeschehens die Schulgebäude ab, womit das Ende der Realschule Hohenthals besiegelt war. Spitzner, der diesem Experiment in seiner Wittenberger Schulgeschichte eher reserviert gegenübersteht, hält dennoch das frühe Scheitern der Realschule für bedauerlich: 148 149 150 151 152
KOLDEWEY, Verfassung, S. 7. Zu Hohenthal vgl. TÖPFER, Die Freyheit, S. 108–145; EULEN, Hohenthal, S. 494 f. Zu Hähn vgl. BAUR, Hähn, S. 184 ff.; SCHINDLER, Hähn, S. 432; KÄMMEL, Hähn, S. 373 f. LS Bd. XII 1756, 140. St., S. 713–728. Vgl. dazu auch SPITZNER, Geschichte, S. 129–134. Töpfer zufolge war eines der Hauptanliegen der von Hohenthal publizierten Schriften zur Anstalt, wie auch des für die Realschule erstellten Lehrbuches, „die Vorzüge und Praxistauglichkeit der in Wittenberg gepflegten Unterrichtsmethode – allen voran der von Johann Friedrich Hähn entwickelten Litteral- oder Tabelliermethode – zu betonen und an praktischen Unterrichtsbeispielen zu beweisen“. TÖPFER, Die Freyheit, S. 122 f. 153 Zu Freeßdorf (auch Freesdorf) vgl. MEUSEL, Lexikon der Schriftsteller, Bd. 3, S. 470.
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Sie wäre wenigstens sehr geeignet gewesen, den Behörden über die Unzulänglichkeit der hiesigen Schuleinrichtungen die Augen zu öffnen und sie zu veranlassen, wollten sie anders die städtischen Schulen nicht ganz eingehen lassen, auf Mittel zu sinnen, sie in eine bessere Verfassung zu setzen.154
Eine solche Auswirkung ist auf jeden Fall für Heckers Projekt nachzuweisen, welches die Reform vorhandener schulischer Einrichtungen im Sinne des pädagogischen Realismus wohl mehr noch als die Gründung eigenständiger Realschulen vorantrieb.155 Seinem Schulversuch im Wittenberger Waisenhaus ließ Hohenthal im Übrigen verschiedene weitere privat finanzierte Initiativen zur Förderung des Armenschulwesens folgen. Sehr stimmig fügte sich dazu ein anderes Projekt des wirtschaftlich-kameralistisch interessierten Gutsherrn: Parallel zu Zinckes Sammlungen gab er zwischen 1749 und 1763 in Leipzig das Periodikum Oeconomische Nachrichten heraus, in welchem im Rahmen einzelner Abhandlungen ebenfalls drängende Bildungsfragen der Zeit thematisiert wurden.156 Um 1760 entstanden in Nachahmung des Berliner Modells noch zwei weitere Realschulen, deren Gründer Johann Julius Heckers engstem Umfeld entstammten. Zum einen war dies sein jüngerer Bruder Andreas Petrus Hecker (1709– 1770)157, ebenfalls in Halle gebildet und dort zwei Jahre am Pädagogium tätig, welcher 1738 als Geistlicher an die Marienkirche in Stargard im heutigen Polen kam und dort etwa 20 Jahre später von der pommerschen Regierung den Auftrag 154 SPITZNER, Geschichte, S. 133. Töpfer hebt die „beachtenswerte Nachwirkung“ der Wittenberger Realschule als einer „Musterschule der gleichermaßen von pietistischen und aufklärerischen Ideen geprägten Realschulpädagogik“ hervor. TÖPFER, Die Freyheit, S. 122. 155 Als ein Beispiel kann die Schul Ordnung zur beßern Einrichtung der Stadt Schule zu Zossen angeführt werden, welche der dort als Prediger und Schulinspektor tätige Johann Ernst Ribbach (1729–1795) im Jahr 1757 erstellte: Zwar genügte der darin festgelegte Lehrplan inhaltlich weiterhin eher konservativen Ansprüchen, doch führte der Inspektor die „beliebte() in der Berlinschen Real Schule üblichen Lehr Arth“ ein, indem er als Experten und dritte Lehrkraft neben dem Kantor und dem Organisten der Stadtkirche den „Küster Pflugbeil, so aus dem [Lehrer-]Seminario der Real Schule ohnlängst anhero geckommen“ heranzog; zudem könnten, so empfahl Ribbach, „in denen privat Stunden […] die in den Löblichen Heckerischen Anstalten üblichen Studia realia tractiret werden“. Abgedruckt in NEUGEBAUER, Schule und Absolutismus, S. 208–219. Ribbach war Freimaurer und Mitglied der Ökonomischen Gesellschaft in Potsdam, vgl. BAUR, Biographie, S. 30. 156 Teil des 9. Bandes etwa waren Eines angesehenen adelichen Landwirthes dienliche Vorschläge zu Beförderung des fleißigern Schulgehens derer Bauerkinder, die der ungenannte Autor aus den jahrelangen praktischen Erfahrungen mit seinen Untertanen zusammengefasst hatte, und für Band 12 reichte beispielsweise Christian Ludwig von Griesheim (1709–1767) seinen Entwurf, einen allgemeinen Handwerksunterricht zu fertigen ein, der auf eine enzyklopädische Darstellung aller Handwerke, ihrer Verfahren, der verwendeten Materialien usw. abzielte und unter anderem als Lehrwerk für Realschullehrer und potenzielle Geldgeber Verwendung finden sollte. Vgl. Oeconomische Nachrichten (im Folgenden: OeN) Bd. 9 1756/57, S. 712 ff.; Bd. 12 1760, S. 558–578. 157 Zu Andreas Petrus Hecker vgl. BLOTH, Gesamtschulen, S. 677–692.
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erhielt, die vom Kriegs- und Domänenrat Carl Friedrich Vangerow (1723–1750) testamentarisch verfügte Gründung einer Realschule nach Berliner Muster umzusetzen – Vangerow, der Student in Halle gewesen war, hatte zu diesem Zweck ein Kapital, ein Haus und Bücher gestiftet. In das Realschulgebäude verlegte Hecker 1759 die Elementarschule eines im Kloster Berge bei Magdeburg ausgebildeten Schulhalters, für die nach und nach einzurichtenden Sprach- und Realienklassen stellte er in Eigenregie geeignete Lehrer an, auch ein Internat entstand, und 1762 wurde, dem Berliner Vorbild folgend, eine schuleigene Maulbeerplantage zur Seidengewinnung angelegt. Im Jahr 1767 lag die Zahl der Schüler bei 250, darunter auch einige Stipendiaten und Pensionäre. Das gewünschte Lehrerseminar allerdings konnte Andreas Petrus Hecker, dessen Nachricht von der Vangerowschen Real-Schule in regelmäßigen Abständen über die Entwicklung des Projektes Auskunft gab,158 nicht verwirklichen. Beim zweiten Schulgründer handelte es sich um Johann Julius Heckers vormals wichtigsten Mitarbeiter in Berlin, Johann Friedrich Hähn, der sich als Generalsuperintendent, Inspektor und Domprediger in Stendal dort ab 1760 dem Aufbau einer Realschule widmete. Auch Hähn verfügte, bevor er 1749 nach Berlin gekommen war, bereits über Erfahrungen als Lehrer am Waisenhaus in Halle und am Kloster Berge. Ab 1753 als Inspektor, aber auch schon zuvor, stellte er sich ganz in den Dienst der Heckerschen Realschule – bekannt wurden vor allem die von ihm entwickelte LiteralMethode159 beim Unterrichten und die dafür abgefassten Lehrbücher in tabellarischer Form, auch engagierte er sich besonders beim Aufbau des sogenannten „Modellensaals“. Seine Tätigkeit in Stendal dauerte allerdings nur bis 1763 an: Zum Abt von Kloster Berge gewählt, gestaltete der wenig umgängliche Hähn auch das dortige Schulwesen nach eigenen Plänen um, war damit allerdings so wenig erfolgreich, dass er schließlich vom König suspendiert wurde. Auch die theoretische Bearbeitung des Realschulgedankens sowie verwandter Problematiken war in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts weiter fortgesetzt worden, so beispielsweise von dem Theologen August Rudolph Wahl (1716–1780)160, der ab 1756 wiederholt unter den Verfassern der vorwiegend agrarwissenschaftlichen Beiträge für die erwähnten Oeconomischen Nachrichten auftauchte. Wie deren Herausgeber seinen Lesern versicherte, hatte sich der „gelehrte und treufleißige“ Stotternheimer Pastor bereits „auf mancherley Art um das allgemeine Beste verdient gemacht“ – Hohenthal selbst hatte von ihm bereits Luzernesamen für die Felder der Wittenberger Realschule bezogen.161 Nach mindestens vier Beiträgen zu Feldbau und Viehzucht reichte Wahl für 1761 seine 158 Die Nachricht erschien ab 1759 in mindestens sechs Fortsetzungen, vgl. NEUGEBAUER, Staat und Schulwirklichkeit, S. 563, Anm. 46. 159 Diese Methode, bei der der Lehrstoff in Tabellen gefasst und dann mittels der Anfangsbuchstaben als Gedächtnisstütze gelernt wurde, übernahm vor allem Ignatz von Felbiger (1724–1788) für die österreichischen Normalschulen, vgl. BAUR, Hähn, S. 184 ff. 160 Zu Wahl vgl. Pfarrerbuch Sachsen Bd. 9, S. 203. 161 Vgl. Anmerkung zu Wahls Aufsatz in OeN Bd. 10 1758, S. 295 f.
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Auszüge aus Joh[ann] Jac[ob] Reinhardts vermischten Schriften ein, in denen ein weiterer Realschulplan mit einem System aus zehn Fachklassen für Teilbereiche der Mathematik sowie der Natur- und Wirtschaftswissenschaften enthalten war.162 Im gleichen Jahr ließ er diesem ein Sendschreiben über die Art den Fleiß der Landleute zu erwecken folgen.163 Darin schrieb Wahl: Wenn der Landwirthschaft gerathen werden soll, so kommt es hauptsächlich auf die Verbesserung der Kinderzucht, und auf eine gute Gesindeordnung an […] Denn es liegt am Tage, daß der Unfleiß, die Bosheit, und Treulosigkeit des Gesindes der Wirthschaft einen ganz unersetzlichen Schaden zufügen.164
Eine grundlegende Bildung und Erziehung der Kinder auf dem Land sollte deshalb seinen Vorschlägen zufolge möglichst schon ab dem vierten Lebensjahr durch den allgemein verpflichtenden Besuch öffentlicher Schulen abgesichert werden, was freilich zugleich eine hervorragende Besetzung der Schulmeisterstellen und eine Ergänzung des moralisch-religiösen Unterrichts durch die theoretische und praktische Unterweisung in land- und hauswirtschaftlichen Dingen voraussetze. Dies werde nicht allein für zukünftige Landwirte, sondern insbesondere für jene Jungen und Mädchen von spürbarem Vorteil sein, die später in fremde Dienste gingen, da sich derart geschulte Dienstboten durch ihre Findigkeit, ihre Aufgeschlossenheit und ihre vielseitig nützlichen praktischen Kenntnisse beliebt und unverzichtbar machten. Dabei solle mit dem Unterricht, so betonte der Verfasser, keineswegs die vollendete Beherrschung einer Vielzahl von Handwerken und Handarbeiten, sondern vielmehr die Aneignung der nötigsten und nützlichsten Handgriffe erreicht werden. Angedacht sei, dass überhaupt „ein jedes Kind hauptsächlich nur zu derjenigen Beschäftigung angeführet [werde], wozu es die meiste Lust“ verspüre, so zum Beispiel zum „Stricken, Klöppeln, Federschleussen, Lappen zupfen, Saamen lesen“ und zu weiteren Hand- und Nadelarbeiten.165 Wahl empfahl zudem die fortgesetzte Beaufsichtigung auch der Schulabgänger, die einer solch strengen Gesindeordnung unterworfen werden sollten, wie er sie exemplarisch im Anschluss formulierte. Dieser Entwurf des Geistlichen aus Stotternheim also gab zwar beachtliche Anregungen für das ländliche Bildungswesen, enthielt aber ganz offensichtlich keinen eigentlichen Realschulplan, was seine ausführliche Erwähnung nach der bisherigen Ab-
162 Vgl. WAHL, Auszüge. Darin über Realschulen S. 494 ff. Davor lieferte der Verfasser Aufsätze zum Weinbau (OeN Bd. 9 1757, S. 104–116), zum Anbau von Luzerne (Bd. 10 1758, S. 295–316 und Bd. 12 1760, S. 355–362) und zur Rinderzucht (Bd. 11 1759, S. 79–94). Zudem ist eine zusammenfassende Übersetzung zweier französischer Schriften über neue Sämaschinen mit „A. R. W. P.“ (August Rudolph Wahl, Pastor) unterschrieben und dürfte damit ebenfalls aus Wahls Feder stammen (Bd. 13 1761, S. 435–447). 163 Vgl. WAHL, Sendschreiben. Es wurde geschrieben im November 1760. Vgl. ebd., S. 206. 164 Ebd., S. 189 f. 165 Ebd., S. 197, 194.
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folge der verschiedenen Theorien und Versuche auf den ersten Blick wenig zielführend erscheinen lässt. Der Text ist für diese Arbeit dennoch von ganz besonderem Interesse, denn der Verfasser suchte seinen Ideen mit der Bemerkung stärkere Überzeugungskraft zu verleihen, er habe den „Hofrath Daries […] über diesen Punkt dieselben Gedanken […] äussern hören“.166 Tatsächlich ist es leicht möglich, dass beide ihre diesbezüglichen Ansichten mittelbar oder sogar in einem persönlichen Gespräch ausgetauscht haben – Wahl war gleichzeitig mit Darjes Student in Jena, sein jüngerer Bruder hörte später wahrscheinlich dessen Vorlesungen und der Stotternheimer Pastor selbst verkehrte außerdem mit Darjes’ Schwiegervater Christian Reichart (1685–1775).167 Zumindest Wahls Abhandlungen aus den Oeconomischen Nachrichten aber wird Darjes gekannt haben, denn er veröffentlichte selbst in diesem Blatt.168 In dem von Darjes Ende 1761 zum Druck gegebenen Entwurf einer Real-Schule finden sich in der Tat Bildungsideen, welche denen aus Wahls gut ein Jahr zuvor entstandenem Sendschreiben stark ähneln: Auch der Jenaer Professor wünschte die (land-)wirtschaftliche Unterweisung armer Jungen und Mädchen, die später ihren Unterhalt überwiegend als Gesinde und Bedienstete verdienen sollten, wobei er neben theoretischen auch praktische Lehrstunden vorsah. Dass Darjes dabei nicht, wie von Wahl angeregt, an eine bloße Abänderung der üblichen Schulen dachte, sondern eine selbstständige Einrichtung mit vier, den allgemeinen Anfängerunterricht sowie die Spezialunterweisungen einschließenden Fachklassen plante, stellte indessen einen deutlichen Anschluss an die Realschulpläne seiner Vorgänger dar, wie die nächsten Kapitel dieser Arbeit zeigen werden. Eine weitere bemerkenswerte Veröffentlichung stammt aus Darjes’ Herkunftsregion: 1759 gab der ordentliche Professor für Beredsamkeit an der Universität Rostock, Angelius Johann Daniel Aepinus (1718–1784), 20 Briefe über die Einrichtung des Schulwesens und des Unterrichts der Kinder und jungen Leute überhaupt eines Ungenannten heraus, welche er mit einem Vorwort versehen hatte. Verfasser war der Schweriner Jurist August Heinrich Faul (1718–1775), ab 1763 Mecklenburg-Schwerinischer Kanzleirat und später Regierungsrat.169 Im 17. dieser Briefe bemängelte er das völlig unzu-
166 Ebd., S. 190. 167 In der Jenaer Matrikel ist unter dem 12. Mai 1734 „Augustus Rudolphus Wall“ aus Stotternheim verzeichnet, sein Bruder August Gottfried ist im September 1747 eingetragen; Darjes selbst nahm sein Studium in Jena am 19. Oktober 1733 auf und lehrte dort zwischen 1735 und 1763 (vgl. Matrikel Jena). Der Kontakt zu Reichart kam wohl zustande, als Wahl mit seinen Berichten über den Anbau von Luzerne in Stotternheim Reicharts Interesse an ebensolchen Versuchen im wenige Kilometer entfernten Erfurt weckte. Vgl. auch REICHART, Gemischte Schriften, S. 67–93. Zu Reicharts Wirken vgl. GUTSCHE, Begründer, S. 5–29. 168 Dort erschien 1758 seine Abhandlung über die Abschaffung der Brache, vgl. DARJES, Kurzgefaßtes Ackersystem. 169 Vgl. MEUSEL, Lexikon der Schriftsteller, Bd. 3, S. 286.
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reichende Lehrangebot der „größern“, das heißt über die Elementarbildung hinausführenden Schulen: „Was haben diese Schulen“, so fragte Faul, „das dem künftigen Officier, dem künftigen Kaufmann, dem künftigen großen Landwirth, dem künftigen Künstler, Mahler, Bildhauer u.s.w. nutzen könnte?“ – selbst für die zukünftigen Gelehrten seien die Lateinschulen allzu schmalspurig darauf ausgelegt, „die Kenntniß eines einzigen Instruments“, nämlich der lateinischen Sprache, zu vermitteln.170 „Die größern Schulen“, forderte der Verfasser, „müßen so eingerichtet seyn, daß alle Schüler das lernen, was ihnen bey ihrer künftigen Lebensart zu wißen nöthig, anständig und zugleich nützlich ist“.171 Faul schlug für solche weiterführende Anstalten 23 verschiedene Lehrfächer vor, welche die Schüler in Abhängigkeit von ihren Ausbildungszielen durchlaufen und gegebenenfalls bis zum gewünschten Lernerfolg wiederholen sollten, darunter auch eine „Oeconomische Claße“.172 Für diese entwarf er nicht nur den Plan zu einem passenden Lehrbuch, welches über die allgemeinen Regeln des Wirtschaftens und insbesondere über die Stadt- und Landwirtschaft unterrichten sollte, sondern er legte auch seine Gedanken über eine angemessene Unterweisung offen: Wer Ökonomie unterrichten solle, müsse zum einen über die „Eigenschaften eines Philosophen, der zweifelt, forscht und schließt“ verfügen und deshalb günstigenfalls ein studierter Lehrer für Mathematik oder Physik sein; zum anderen sollte er zuvor ein bis zwei Jahre in einer vernünftig geführten Landwirtschaft praktische Erfahrungen gesammelt und sein theoretisches Wissen hinlänglich überprüft haben, denn er müsse auch seine Schüler „bey jeder Gelegenheit zur Ausübung anführen“ und „sie alles, was bey der Wirthschaft zu sehen ist, sehen laßen“.173 Die hier geforderte Verknüpfung von Wissenschaft und Praxis entspricht vollkommen Darjes’ Vorstellung von zeitgemäßem Wirtschaften und einer entsprechenden Unterweisung darin. Es ist davon auszugehen, dass der Jenaer Professor Kenntnis von den bisher hier vorgestellten Schulplänen und Versuchen hatte, wenn vielleicht auch nicht immer im Detail – zwischen der nach seinem Entwurf in Camsdorf bei Jena 1762 auch wirklich eröffneten Schule und vorherigen Einrichtungen lassen sich zumindest immer wieder Parallelen finden. Statt der bisher üblichen Konzentration auf die Zielgruppe der städtischen Handwerkerjugend allerdings zeigte sich in Darjes’ Konzept eine auf die stark agrarwirtschaftlich geprägten thüringischen Gebiete abgestimmte Ausrichtung – ohnehin sollten seine Schule vor allem arme Kinder besuchen. Dies war einer der Punkte, in welchem sich sein RealschulExperiment Rosenschule merklich von den nach dem Berliner Modell entworfenen Gründungen unterschied. Eine weitere Auffälligkeit war die bereits in der Kon-
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FAUL, Briefe übers Schulwesen, S. 152. Ebd., S. 153. Ebd., S. 156 f., 160. Ebd., S. 166 ff. (zum Lehrbuch), 177 f. (Zitate).
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zeption insbesondere zum Erhalt der Schule vorgesehene tägliche praktische Arbeit, womit vor allem Handarbeiten gemeint waren, welche nach der Eröffnung die meisten Kinder zunächst hauptsächlich beschäftigten.174 Zwar war die Idee einer solchen Unterweisung von Schülerinnen und Schülern keineswegs neu – auch zu Semlers Realschulkursen beispielsweise hatte ja schon eine „NehSchule“175 gehört; zudem gab es besonders in Mädchenschulen die Praxis, Schulkinder während der Unterrichtszeit zu Handarbeiten heranzuziehen, sie also mit praktischer Arbeit zu beschäftigen. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts rückte diese Form der Beschäftigung allerdings in unterschiedlichen Ausprägungen deutlich stärker ins allgemeine Interesse. So wurden ab etwa 1760 sogenannte „Spinnschulen“ an entsprechende Fabriken angefügt, die üblicherweise ausschließlich eine rasche Ausbildung in bestimmten Handarbeiten zum Ziel hatten und nicht, wie Darjes’ Modellschule, eine umfassende Versorgung, Bildung und Erziehung der Kinder. Die den Schülerinnen und Schülern der Rosenschule abverlangten Handarbeiten gingen in Umfang und Regelmäßigkeit über eine bloß unterweisende Nähschule hinaus. Im Folgenden wird deshalb unter anderem auch zu untersuchen sein, ob diese Einrichtung nicht vielmehr, wie es Winkler bekräftigt,176 bereits deutliche Züge der gegen Ende des 18. Jahrhunderts aufkommenden Industrieschulen trug, welche „Handarbeit und Lehrunterricht zum Zweck einer bürgerlichen Allgemeinbildung“177 verbanden. Mit der Rosenschule wurde jedenfalls einer der letzten Versuche gestartet, den Realschulgedanken in ein tragfähiges Modell umzusetzen. Verbürgt ist noch für das Jahr 1765 die Einrichtung einer Realschule nach Berliner Muster durch das Presbyterium in Breslau, welche unter der Leitung des ehemaligen Dompredigers in Halle, Daniel Heinrich Hering (1722–1807), stand und 1776 den mit verschiedenen Privilegien verbundenen Titel Königliche Friedrichsschule erhielt.178 Wie sich in Camsdorf beispielhaft erwies, konnten derartige Schulprojekte auf Dauer kaum überlebensfähig sein, waren sie doch meist von einer einzelnen, besonders engagierten Privatperson mit entsprechender Vorerfahrung initiierte und gepflegte Unternehmungen, die ganz von ihrem Gründer abhingen. Dessen Ausscheiden musste daher ihren Fortbestand grundsätzlich infrage stellen. Ein ganz wesentliches und nicht in jedem Fall in seiner Bedeutung erkanntes Problem also war jeweils die Auswahl eines geeigneten Nachfolgers für die Leitung und Inspektion. Im Falle der Rosenschule besiegelte der Fortgang des Stifters nach 174 175 176 177 178
DARJES, Entwurf, S. 8; Ders., Das erste Jahr, S. 7. SEMLER, Vorrede (unpag.). Vgl. WINKLER, Pädagogik von Darjes, S. 25–74. IVEN, Industriepädagogik, S. 202. Vgl. NÖSSELT, Breslau, S. 191f. Auf Anweisung des schlesischen Ministers Ernst Wilhelm von Schlabrendorf (1719–1769) war parallel versucht worden, das Breslauer Magdalenen-Gymnasium unter Beibehaltung der alten Sprachen in ein Realgymnasium mit Pensionat und angeschlossener Mädchenschule umzuwandeln, welches sich nicht als dauerhafte Lösung erwies, vgl. dazu ebd., S. 189 f., 213.
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knapp zwei Jahren und die Ernennung eines neuen Leiters, welcher sich den Anforderungen nicht gewachsen zeigte, deren Ende. Bei einzelnen anderen Versuchen übrigens schien die Praxis, diese verantwortungsvollen Positionen innerhalb einer Familie sozusagen zu vererben, einen dauerhaften Erfolg neu gegründeter Modellschulen deutlich zu begünstigen: Die Nachkommen der jeweiligen Schulgründer fühlten sich offensichtlich nicht allein dazu verpflichtet, das Vermächtnis ihrer Vorfahren zur Wahrung der Familienehre zu erhalten und nach Möglichkeit weiter auszubauen, sondern sie waren – die prinzipielle Tauglichkeit für ein solches Amt vorausgesetzt – auch durch ihre oft intensive eigene Erfahrung mit den Projekten in besonderem Maß dafür geeignet. Die Heckerschen Schulanstalten in Berlin und Stargard zum Beispiel blieben auch nach dem Tod der Brüder eng mit der Familie verbunden: Die Vangerowsche Realschule in Stargard leiteten ab 1770 nacheinander Andreas Petrus Heckers Söhne Andreas Jakob und Gotthilf Samuel, die selbst dort ihren ersten Unterricht erhalten hatten. Beide waren zudem zeitweise als Lehrer an der Berliner Realschule angestellt, der ältere, Andreas Jakob Hecker, übernahm dort schließlich ab 1780 die Stelle des Realschul-Inspektors und wurde 1784 zum Direktor berufen. Deutlicher noch als in diesen beiden Fällen manifestierte sich die über mehrere Generationen einer Familie auf verbesserte Bildung gerichtete (pietistische) Privatinitiative beim Waisenhaus im heute polnischen Züllichau:179 Dies gründete nach einem Besuch der Franckeschen Stiftungen in Halle, in denen sein Sohn erzogen wurde, der bescheiden begüterte Nadlermeister Siegmund Steinbart (1677–1739) Ende 1719 einzig aus Spenden. Privilegiert und unterstützt vom König und anderen Gönnern, verfügte die Anstalt beim Tod des Nadlers 20 Jahre später über verschiedene Grundstücke und Gebäude, betrieb eine Buchdruckerei sowie einen Buchhandel und beherbergte mehr als 50 Kinder. Das hallesche Gepräge der Einrichtung blieb auch unter dem nächsten Direktor, Steinbarts Sohn Johann Christian (1702–1767), erhalten180 – der Enkel Gotthelf Samuel (1738– 1809) aber, der im Kloster Berge bei Magdeburg gelernt, unter anderem in Halle studiert und auch an der Realschule in Berlin unterrichtet hatte, entwarf 1763 den Plan zu einem besonderen, mit dem Waisenhaus verbundenen Erziehungsinstitut. Es durfte drei Jahre später den Namen eines Königlichen Pädagogiums tragen, der Urheber wurde zum Direktor ernannt und übernahm als inzwischen bekannter Schulmann181 ein Jahr später, mit dem Tod seines Vaters, auch die
179 Vgl. im Folgenden WEDEKIND, Züllichau, S. 255–271. 180 Nicht nur das Direktorat blieb in der Familie, sondern überdies hatte der erste Lehrer der Waisenhausschule, der Theologe Elias Gerich (1701–1785), im Jahr 1730 eine Tochter des Gründers, Anna Eleonora Steinbart (1711–1750), geheiratet. Gerich wirkte insgesamt 60 Jahre lang am Waisenhaus in Züllichau. Vgl. DÖRING/RUDERSDORF, Gottsched, S. 419, Anm. 2. 181 Gotthelf Samuel Steinbart war als eigens bestellter Experte beispielsweise 1766 an der Umwandlung des Breslauer Magdalenen-Gymnasiums in ein Realgymnasium beteiligt.
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Leitung des Waisenhauses. Das Institut, dem 1788 ein fester jährlicher Betrag zur Errichtung und zum Erhalt eines Lehrerseminars zugesprochen wurde, besuchten im Jahr 1794 mehr als 100 Zöglinge. Als sich Gotthelf Samuel Steinbart zur Ruhe setzte, ließ er sich im Direktorat wiederum von seinem Sohn Friedrich August (1761–1840) ablösen, sodass sich das Waisenhaus und das später damit verbundene Erziehungsinstitut über vier Generationen hinweg in der Hand ein und derselben Familie befand. In besonders günstiger Weise hatten sich dabei augenscheinlich Phasen verantwortungsvollen Bewahrens und Befestigens des Erreichten mit solchen wagemutiger Erneuerung und fortschrittlicher Erweiterung abgewechselt. Auch deutlich später übrigens sicherte beispielsweise der Begründer des Schnepfenthaler Philanthropins, Christian Gotthilf Salzmann (1744– 1811), den erwünschten Fortbestand seiner Einrichtung dadurch ab, dass er bei der Besetzung wesentlicher Stellen ebenfalls auf verwandtschaftliche Beziehungen setzte: Sein Sohn Carl (1784–1870) übernahm nach Salzmanns Tod bis 1848 den Posten des Direktors; überdies arbeiteten zwei weitere Söhne, eine seiner Töchter und sechs seiner Schwiegersöhne ebenfalls zeitweise als Lehrer im Philanthropin, und selbst von Salzmanns Enkeln waren noch mindestens zwei an dieser Schule angestellt.182 Die in der zweiten Hälfte des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts aufkommende pädagogische Strömung des Philanthropismus verstand die Zeichen der Zeit zwar deutlich erfolgreicher aufzugreifen und in Erziehungsideen umzusetzen als die Realschulbewegung, doch kamen von dieser freilich wesentliche vorbereitende Impulse. Speziell in Darjes’ Schulplan und dem zugehörigen Versuch, darauf macht Schöler183 aufmerksam, zeichnete sich mit der Differenzierung zwischen Allgemein- und Berufsbildung bereits ein neuer Zug im pädagogischen Denken ab, welcher den Philanthropismus quasi einleitete. Es spricht alles dafür, dass die von dem Jenaer Professor für das Bildungswesen vorgeschlagenen theoretischen und versuchten praktischen Reformen von den wichtigsten Philanthropen, von Johann Bernhard Basedow (1724–1790) ebenso wie von Salzmann, und ihren Schülern rezipiert wurden. Neben Darjes, und wahrscheinlich von diesem beeinflusst, gab auch Gottlieb Christoph Harles (1738–1815) als Theoretiker in Erlangen dem Realschulgedanken eine neue Richtung.184 Als Mitarbeiter Vgl. NÖSSELT, Breslau, S. 189. 1774 wurde Steinbart als ordentlicher Philosophieprofessor nach Frankfurt an der Oder berufen, wo er später auch außerordentlicher Professor der Theologie war. Zwischen 1787 und 1789 hatte er überdies das Amt eines Oberschulrats in Berlin inne. Seine Ämter als Leiter des Waisenhauses, des Erziehungsinstituts und des Lehrerseminars in Züllichau führte er bis zu seinem Tod fort. Vgl. TSCHACKERT, Steinbart, S. 687 ff.; HAMBERGER/MEUSEL, Gelehrtes Teutschland, Bd. 7, S. 632 ff. 182 Vgl. FRIEDRICH, Salzmann. Drei der Schwiegersöhne entstammten zudem der Familie Ausfeld, welche auf diese Weise ebenfalls eng an das Philanthropin angebunden war. 183 Vgl. SCHÖLER, Naturwissenschaftlicher Unterricht, S. 53. 184 Vgl. ebd., S. 53. Zu Harles (schreibt sich im Alter Harless bzw. Harleß) vgl. BAADER, Lexikon Baierischer Schriftsteller, S. 77–84; MÜLLER, Harles, S. 603 f.
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am Halleschen Waisenhaus und Freund des erwähnten Johann Gottfried Groß befand er sich am Puls der aktuellen pädagogischen Entwicklungen und hegte nach eigener Auskunft schon früh „eine natürliche Liebe gegen die sogenannten Schul-Wissenschaften“.185 In den 1760er Jahren veröffentlichte Harles, der sich später als Philologe und vor allem unermüdlicher Publizist von Klassiker-Ausgaben für Gymnasien einen Namen machte, mehrere schultheoretische Abhandlungen, darunter 1766 seine Gedanken von den Real-Schulen, für die das seit 1740 unbearbeitet gebliebene Konzept seines Mentors Groß die Grundlage bildete.186 Zusätzlich hatte er dafür auch „einige andere hieher gehörige Schriften, besonders […] von den Anstalten der Real-Schulen in Berlin, Stargard, und andern Orten“187 studiert – verwunderlich wäre es bei Harles’ Kontakten nach Jena,188 hätten sich darunter nicht auch Darjes’ Entwurf und der Jahresbericht der Rosenschule befunden. Mit seinem Büchlein legte der Verfasser eine Art Synthese aller bekannten Realschulkonzepte vor, wobei er jeweils die ihm am zweckmäßigsten erscheinenden Anregungen herausgriff. Von Darjes dürfte dabei die Idee einer den Fachklassen vorgeschalteten allgemeinen Klasse stammen, in der „allen und jede[m] die ersten Grundsätze von den Künsten und Wissenschaften gelehrt“ werden sollten, mithin alles, „was ihnen als Christen und Bürger eines Staats zu wissen höchstnötig“ sei.189 Auch eine vielseitige Ausbildung für Mädchen verknüpft mit „allerhand weibliche[n] Verrichtungen“ sah Harles vor; jedoch sollte diese getrennt von derjenigen der Jungen stattfinden.190 Eine praktische Erprobung seiner veröffentlichten Vorschläge plante er selbst nicht, auch über eine anderweitige Umsetzung ist nichts bekannt. Ein Grund dafür war sicher der Umstand, dass sich die Realschulbewegung inzwischen unübersehbar ihrem Ende näherte – die aus ihr entsprungenen Modellschulen waren eine nur kurze Erscheinung des frühen und mittleren 18. Jahrhunderts. In ihren unterschiedlichen Ausprägungen kaum als eigenständiger Typus definierbar, zeigten sie sich doch alle von den Ideen beeinflusst, welche zuerst mit Francke und Semler von Halle und später von Hecker in Berlin ausgingen. Sie stellten erste Versuche dar, die mit den geänderten Zeitumständen überfällige Umformung des Schulwesens in Angriff zu nehmen, ohne diese jedoch bewältigen zu können. So wurde die Realschule noch vor Beginn des 19. Jahrhunderts von der École Polytechnique abgelöst, die „das Prinzip der technischen 185 HARLES, Real-Schulen, Vorrede. 186 Vgl. HARLES, Real-Schulen. Modernisierter Teilabdruck in BENNER/KEMPER, Quellentexte, S. 13–28. Vgl. GROSS, Entwurf. 187 HARLES, Real-Schulen, Vorrede. 188 Harles hielt sich um 1760/61 in Jena auf. Nach dieser Zeit pflegte er, unter anderem als Mitglied der Lateinischen Gesellschaft, weiterhin enge Kontakte zur dortigen Universität, wie auch seine Bitte um eine Aufnahme in die Teutsche Gesellschaft vom 29. August 1762 nahelegt, vgl. Akten TGJ (9), Bl. 118 f. 189 Ebd., S. 20. 190 Ebd., S. 26 f. Zitat S. 27.
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Weltbeherrschung zur Grundlage der Lehre“ machte.191 Den Schulreformern der Realschulbewegung also war es nicht gelungen, den Projektcharakter ihrer Konzepte und Schulversuche auf Dauer zu überwinden; die späteren Reformen des Bildungswesens jedoch wären ohne diese Phase der kühnen, einfallsreichen Pläne und der wagemutigen, oft mit höchstem persönlichen Einsatz betriebenen Experimente schwerlich in ihrem Erfolg denkbar.
2.3.
Darjes’ Konzept: Realschule als bürgerliche Mittelschule
Bevor Darjes’ Schulversuch hier ausführlich rekonstruiert und diskutiert wird, sollen dessen Überlegungen zur Realschule aus seinen Schriften gezogen und so zu einer Art eigenständigen Theorie zusammengefasst werden, wie er sie selbst nicht ausgearbeitet hat. Dabei sind einerseits die allgemein gehaltenen Ausführungen in seinem kameralwissenschaftlichen und in seinem politischen Lehrbuch von Interesse; andererseits ist natürlich sein Entwurf, also das bereits auf ein spezielles Vorhaben abzielende Realschulkonzept, eine wichtige Quelle, wenn dieser auch, verglichen mit anderen Schulplänen, einen sehr geringen Umfang hat und inhaltlich auffallend vage bleibt. Der Bericht über das erste Jahr des Modellversuchs schließlich kann die Theorie als vierte Schrift zum Teil ergänzen, da sich dort auch einzelne Mitteilungen über Darjes’ vorangegangene Überlegungen und die Planung finden.192 Formal ordnete der Gelehrte in seiner Skizzierung eines idealen öffentlichen Schulsystems193 die Realschulen unter die „besonderen“, das heißt weiterführenden Schulen neben den „gelehrten“ ein – es solle sich, so schrieb er wörtlich, um „zwey coordinirte Arten“ handeln.194 Die allgemeinbildenden niederen Einrichtungen sollten als dritter, den bisherigen deutschen Schulen ähnlicher Schultyp hinzukommen. Darjes dachte damit an drei eigenständige Formen vollständiger Schulausbildung, wobei die ersten beiden schon auf die zukünftige „Lebens-Art“ des Schülers ausgerichtet waren. Einerseits nahmen also, anders als im gegenwärtigen deutschen Schulsystem üblich, auch die „besonderen“ Schulen ihre Schüler in der Regel bereits als Schulanfänger in entsprechende „allgemeine“ Klassen auf. Andererseits – und in diesem Punkt zeigten sich die Schulen des 18. Jahrhunderts den heutigen überlegen – war durch das überall praktizierte Prinzip der Leistungsklassen die horizontale Durchlässigkeit der Schulen und Schultypen sowie die Dauer ihres Besuchs noch weitgehend unbeschränkt, was 191 BALLAUFF/SCHALLER, Pädagogik, S. 390. 192 Vgl. DARJES, Cameral-Wissenschaften, S. 392–408; Ders., Bielefelds Staatsklugheit, S. 113–119; Ders., Entwurf (unpag.); Ders., Das erste Jahr, S. 3 f. 193 Vgl. Ders., Cameral-Wissenschaften, S. 393–398. 194 Ebd., S. 395.
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die Möglichkeit eröffnete, nicht nur „allgemeine“ und „besondere“, sondern auch verschiedene weiterführende Schulen nacheinander zu absolvieren. Bei der Darjes vorschwebenden Realschule handelte es sich strukturell weder um Semlers Realienkurse noch um die Heckersche „Universalschule“ noch um den Realschulzweig eines Waisenhauses, sondern um eine ganz eigenständige Einrichtung, wie sie schon Johann Gottfried Groß erdacht hatte. Als Schule an sich sollte sie die „gedoppelte Absicht“ der moralischen Herzensbildung und der eigentlichen Ausbildung zur Brauchbarkeit verfolgen; als spezielle Schule musste sie außer allgemeinbildender Unterweisung auch Fachunterricht anbieten, der die Zöglinge auf eine bestimmte „Lebens-Art“ vorbereitete. Als Schüler vorgesehen waren Kinder in allen späteren „Beschäftigungen, wodurch man außer der Gelehrsamkeit seinem Mitbürger und dem Staate nutzbar werden kann.“195 Dies war jedoch nur ein prinzipielles Charakteristikum und bedeutete nicht, dass in jeder Anstalt Rücksicht auf ein jegliches mögliches Berufsfeld genommen werden musste: In seiner eigenen Modellschule etwa schränkte Darjes die zukünftigen Tätigkeitsbereiche der Schülerinnen und Schüler auf die „wirthschaftlichen Beschäftigungen“ ein.196 Eindeutig legte er endlich in seinem Politik-Lehrbuch fest, dass die „Realschulen […] wiederum in viele Classen vertheilet werden [können], nachdem die Geschäffte unterschieden sind, wodurch die Mitglieder dem Staate nutzbar werden können“.197 Unter den „Classen“ waren nun nicht länger nur die von früheren Reformern gewohnten Fachklassen, sondern spezialisierte Realschularten zu verstehen. Eine solche Lösung ließ Realschulen auch im ganz kleinen Stil zu, deren Ausrichtung überdies je nach regionalen Gegebenheiten variiert werden konnte, und war somit weitaus praktikabler als die vor allem von Groß angestrebte allumfassende Anstalt, die ihrem sich in der enzyklopädischen Reihung spezifischer Fachklassen198 ausdrückenden Anspruch auf 195 196 197 198
Ebd. Ders., Entwurf, Titel. Ders., Bielefelds Staatsklugheit, S. 115. Groß sah in seinem Schulplan 14 einzelne Fachklassen mit zum Teil jeweils noch unterschiedlichen Leistungsstufen vor: „Die Buchstabir- und Lese-Classen“, „Die SchreibeClassen“, „Die Arithmetischen oder Rechen-Classen“, „Die ausländischen Sprach-Classen“, „Die Staaten- und Zeitungs-Classen“, „Die Kunst- und Maschinen-Classe“, „Die Bau-Classe“, „Die Physik- oder Natur-Classe“, „Die Moral- und Sitten-Classe“, „Die Rechts- und Policey-Classe“, „Die deutsche Red- und Correspondenz-Classe“, „Die Handlungs- und Commercien-Klasse“, „Die Wirthschafts- oder Oeconomische Classe“ und „Die Curiositäten- oder Extra-Classe, da man alle übrige Merck-würdigkeiten und Curiosa würde hinein werfen können“. GROSS, Seminarium, S. 9–15. Für die konkrete Ausführung regte allerdings der Verfasser selbst eine jeweils passende Abwandlung seines Plans an. Bei Hecker waren es mit der mathematischen, der geometrischen, der Architektur- und Bauklasse, der geographischen, der physikalisch-naturkundlichen, der Manufaktur-, Kommerzien- und Handlungsklasse, der ökonomischen und der Extraklasse weniger, aber immerhin noch acht einzelne Fachklassen. Vgl. RANKE, Hecker, der Gründer, S. 26.
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Vollständigkeit schwerlich hätte gerecht werden können. Obwohl hier also bereits der Weg zu den später aufkommenden beruflichen Fachschulen angebahnt wurde, sollte die Realschule nach Darjes weiterhin ihren rein vorbereitenden Charakter behalten – sie sollte allein das vermitteln, worin die obigen „Beschäftigungen […] gründen“.199 Darjes fasste diese Kenntnisse in drei Wissensfeldern zusammen, worunter das erste die „Kunst zu leben, welche nach den verschiedenen Verhältnissen zu erklären [ist]“,200 das heißt also die allgemeinen und speziellen Kenntnisse für die jeweilige spätere „Lebens-Art“, das zweite die naturkundlich-physikalische Bildung und das dritte die angewandten mathematischen Wissenschaften abdeckte. In seiner geplanten Modellschule sollte dieses Wissen auf den wirtschaftlichen Bereich hin ausgerichtet werden und damit die Landund Stadtwirtschaft ebenso wie eine sogenannte „moralische Wirtschaft“ umfassen: Neben grundlegendem Wissen erstens über Feld- und Gartenbau sowie Viehzucht und zweitens über die Verarbeitung der „Werke der Natur zum Nutzen der Menschen“, also über „alle Gewerke, Manufacturen, Fabriquen, Handwerker, die KochKunst, u.s.f.“, gedachte der Gelehrte drittens „eine Wissenschaft dererjenigen Regeln“ zu vermitteln, „die uns lehren, wie wir in unsern Beschäftigungen eine gehörige Ordnung beobachten, wie wir zur Erreichung unserer Absicht geschickte Mittel erfinden, und wie wir die Wege entdecken können, die es uns möglich machen, die Mittel anzuwenden, und die Absicht zu erreichen“.201 Organisatorisch sollte die Ausbildung der „gedoppelten Absicht“ gemäß mit einem allgemein gehaltenen moralischen und wirtschaftlichen Elementarunterricht für alle Schüler seinen Anfang nehmen. Dabei wollte Darjes mit der sittlich-religiösen Erziehung in den Kindern vor allem „ein eifriges Verlangen […] erwecken“, mit allen Kräften „die Wohlfahrt der menschlichen Gesellschaft so weit [zu] befördern“, wie es ihnen nach ihren Umständen möglich sein würde; daneben sollte die Unterweisung in sozusagen propädeutisch-technischem Wissen, das heißt im „Lesen, Schreiben, Rechnen, Zeichnen“ und grundlegenden wirtschaftlichen Klugheitsregeln, zum Anfängerunterricht gehören, weil diese Dinge „in allen wirthschaftlichen Unternehmungen einen sehr merklichen Einfluß haben“.202 An die elementare Ausbildung konnte sich sodann eine nach Geschlechtern getrennte besondere Unterweisung anschließen.203 Für die geplante Versuchsanstalt sah Darjes diesbezüglich vor, dass den Mädchen eine „bequeme Gelegenheit“ zu verschaffen war, das Wirtschaften in Haus und Hof und dabei vor allem verschiedene Handarbeiten zu erlernen, wohingegen die Knaben „eine wahrhaftige Geschicklichkeit“ entwickeln sollten,
199 200 201 202 203
DARJES, Cameral-Wissenschaften, S. 395. Ebd. Ders., Entwurf, S. 3. Vgl. im Folgenden ebd., S. 5 f. Vgl. im Folgenden ebd., S. 6.
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III. AUF DEM WEG ZU EINER ERNEUERTEN SCHULE
„sich in WirthschaftsSachen der Welt nützlich zu beweisen“, wofür ihm Lehrstunden in Mathematik, Mechanik, Naturkunde, Chemie und Ökonomie nützlich schienen. Dass es eine geschlechterspezifische Schwerpunktsetzung geben und insbesondere die naturwissenschaftlich-mathematische Ausbildung allein der männlichen Jugend vorbehalten bleiben sollte, trug voll und ganz den damals möglichen späteren Arbeitsbereichen beider Geschlechter Rechnung. Vor dem Schulabgang sollten dann die ältesten Schülerinnen und Schüler „eine gewisse, und gnugsam bestimmte LebensArt […] erwehlen“ und in einer berufsvorbereitenden Abschlussphase „insbesondere zu der erwehlten Absicht unterwiesen und zubereitet werden“. Aus dem Darjesischen Schulbericht wurde beispielhaft deutlich, wie der Unterricht im Einzelnen organisiert werden konnte.204 Der Plan ging von vier Klassen aus, deren erste als „moralische Classe“ mit Lesen, Schreiben, Sitten- und Religionsunterricht der Elementarbildung aller Kinder dienen sollte, während die übrigen drei dem besonderen Fachunterricht vorbehalten blieben. Dies waren eine „mathematische Classe“ für das Rechnen, Zeichnen, Malen und die „verschiedenen Theile der mathematischen Wissenschaften, in soweit diese bey den wirthschaftlichen Beschäftigungen nothwendig sind“, eine „ökonomische Classe“ mit dem Schwerpunkt auf landwirtschaftlichem Wissen und den Regeln der „moralischen Wirtschaft“ und eine „physikalische Classe“, auf welche die Naturkunde und Chemie entfallen sollten, „in wie weit diese bey den Gewerben, Manufakturen, und überhaupt bey den wirthschafftlichen Beschäftigungen unentberlich sind“. Zumindest die „moralische Classe“ wurde in der praktischen Umsetzung überdies nach Leistung gestuft. Bemerkenswert an dem so strukturierten Unterricht ist die von Schöler205 ausdrücklich festgestellte, in vorangegangenen Realschulkonzepten bisher so nicht in Erwägung gezogene Ausgliederung des Allgemeinbildenden in eine eigene Klasse für alle Schüler. Ansatzweise begannen Darjes und – in der Theorie – Harles, das der bürgerlichen und staatlichen „Wohlfahrt“ ganz allgemein nützliche Wissen und Können herauszulösen und unabhängig von bestimmten Berufen als einen Grundstock zur bürgerlichen Bildung zusammenzufassen. Schöler sieht darin einen neuen, bereits deutlich auf die Philanthropen verweisenden Zug im pädagogischen Denken: „Die Nützlichkeitserwägungen modifizierten sich innerhalb der Aufklärungszeit zu einer realistischen Lebensvorbereitung in einem pädagogisch relevanten Sinne.“206 Zudem fällt in Darjes’ Darlegungen die Betonung einer neben der theoretischen Unterweisung stets vorgesehene „würklichen Anwendung“ des Gelernten auf, welche von ihrem Umfang her „eine genugsame Fertigkeit und Geschicklichkeit“ hervorbringen sollte. Schon in den Cameral-Wissenschaften formulierte er als ein Ausbildungsziel der Realschule die „vorzügliche Fertigkeit
204 DARJES, Das erste Jahr, S. 3 f. 205 Vgl. SCHÖLER, Naturwissenschaftlicher Unterricht, S. 50–53. 206 Ebd., S. 53.
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in den Beschäftigungen […] in welchen man hier geübet“ werde.207 Im Entwurf ist ausdrücklich von der „Arbeit dieser Kinder“ die Rede208 – der praktische Unterricht sollte demnach deutlich über das bloße Ausprobieren verschiedener Handgriffe hinausgehen. An der gleichen Stelle äußerte der Gelehrte darüber hinaus auch die Hoffnung, recht bald „Fabriken, u.s.w. zum Nutzen dieser Schule“ anlegen zu können. Diese Einbindung von praktischer Beschäftigung in den Schulalltag, mit welcher sich einer der folgenden Abschnitte noch gesondert beschäftigen wird, könnte unter anderem auf Anregungen Georg Heinrich Zinckes zurückgehen, der in den Leipziger Sammlungen zur Anlage von Fabriken bei Waisenhäusern riet;209 jedoch war auch schon bei früheren Realschulen Schülerarbeit aus Gründen des Selbsterhalts üblich, wie die gewerbsmäßig betriebene Buchdruckerei oder der Seidenbau in Berlin zeigen. Darjes’ Äußerungen zu Realschulen im Allgemeinen sparten auch die herausfordernde Frage nach dem Schulpersonal nicht aus. Speziell in derartigen Einrichtungen kämen „verschiedene Geschäfte vor, bey welchen die Jugend von dem weiblichen Geschlechte anzuführen“ sei;210 zum Lehrerkollegium sollten also ausdrücklich Frauen gehören. Die Einstellung von Schulmeisterinnen oder Lehrerwitwen in öffentlichen Schulen war zwar schon zuvor im Mädchenunterricht keineswegs unüblich, blieb jedoch in aller Regel auf die Anfängerlektionen in den Trivialschulen beschränkt. Mit den Realschulen eröffnete sich weiblichen Lehrkräften daher ein neues Betätigungsfeld, welches die bisher klare Grenze zum höheren Schulwesen aufzuweichen begann. Dies bedeutete allerdings noch längst kein gleichrangiges Nebeneinander von Lehrern und Lehrerinnen: Wie Darjes’ obige Formulierung erkennen lässt, war wohl nach wie vor keine „gelehrte“ Unterweisung durch Frauen in den eigentlichen Schulfächern angedacht, sondern sie sollten weiterhin hauptsächlich die praktische Arbeit anleiten und beaufsichtigen. Dass sie für ihn dennoch nicht auf einer Stufe mit den einfachen Handwerks- oder anderen Fachleuten standen, wie er sie später in seinem Schulversuch hin und wieder zur Vorführung konkreter Tätigkeiten heranzog, wird im Rahmen seiner Forderung nach einer besonderen Lehrerausbildung deutlich – hierin nämlich schloss er die Lehrerinnen an Realschulen im Gegensatz zu den anderen mit ein, worauf im folgenden Abschnitt zurückzukommen ist. Davon unberührt blieb Darjes’ soeben angesprochener Appell, alle Lehrämter an Schulen, also auch an Realschulen, möglichst mit akademisch gebildeten Männern zu besetzen – wenigstens das Amt des Inspektors verlangte zwingend nach einem Gelehrten. Die wesentliche Bedeutung der Inspektion für das Ganze, die schon von Groß und Hecker hervorgehoben wurde, nahm Darjes übrigens in seinem Schulentwurf zum Anlass, sich dieses Amt auf Lebenszeit selbst zu übertragen, 207 208 209 210
DARJES, Cameral-Wissenschaften, S. 395. Ders., Entwurf, S. 8. LS Bd. XII 1756, 140. St., S. 714–716. DARJES, Bielefelds Staatsklugheit, S. 117, Anm. 2.
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damit der „entworfene Plan fortdaurend bis zur Vollständigkeit ausgearbeitet werden könne“.211 Zur Unterstützung gedachte er einen „Inspector Adjunctus“ einzustellen, der mit dem Aufseher „die Sorge und die Last“ beispielsweise bei der Auswahl geeigneten Lehrpersonals teilen und außerdem über die – insbesondere wirtschaftliche – Entwicklung der Schule Buch führen sollte; so würde er beim Ausscheiden des Aufsehers bestens auf die Übernahme dieses Amtes vorbereitet sein.212 Diese auf eine größtmögliche Stabilität abzielende Nachfolgeregelung ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass sich Darjes sowohl der Abhängigkeit einer solchen Gründung von engagierten Einzelnen als auch der Schwierigkeiten, welche ihr Erhalt gerade in der Anfangszeit bedeutete, durchaus bewusst war und entsprechende Sicherungen schon in sein Konzept einbaute. Im Einzelnen bleibt nun noch die Frage nach der genauen Zielgruppe zu beantworten, die Darjes mit Realschulen anzusprechen gedachte. Die Gelehrten als zukünftiger Berufsstand waren ausdrücklich ausgeschlossen, und damit zugleich der etwa am Waisenhaus in Braunschweig vertretene Anspruch,213 studienvorbereitende Bildung zu ermöglichen. Dies spiegelte auch der geplante Fächerkanon des Jenaer Projekts wider, in dem keinerlei Zugeständnisse an zukünftige Gelehrte gemacht wurden – selbst der grundlegendste Lateinunterricht fehlte. Auf die traditionelle höhere Bildung sollte also an der Realschule, wie Darjes sie entwarf, bewusst verzichtet werden, und auch den Realienunterricht mochte Darjes nicht, wie etwa Semler es in seiner zweiten Schulgründung versuchte,214 für auswärtige zukünftige Studenten öffnen. Bezogen auf seine geplante Musteranstalt formulierte Darjes dies unzweideutig: Es sollten „in dieser Schule keine andere Kinder aufgenommen werden, als die sich einem Theile der […] angeführten wirthschaftlichen Beschäftigungen der Menschen widmen“ wollten.215 Dieser Schülerschaft solle im Übrigen auch die in Realschulen anzunehmende Lehrart entsprechen: „Man will in diesen Schulen keine Gelehrte[n] bilden, darum ist es nicht nöthig, hier diese Dinge wissenschaftlich abzuhandeln“, schrieb er in den Cameral-Wissenschaften; Mittel der Wahl müsse die „Erfahrung“ bleiben, durch die „so viele Begriffe zu erwekken“ seien, dass die Schüler „die Vollkommenheit dieser Beschäftigungen zu beurtheilen“ lernten.216 In
211 Vgl. hier und im Folgenden DARJES, Entwurf, S. 7 f. 212 Ebd. 213 Bei der Realschule in Braunschweig wurde ausdrücklich „die zuverläßige Versicherung“ gegeben, dass auswärtige Pensionäre, „welche studiren sollen, … in demselben zu allen sollen angeführet werden, was sie ihrem Zwecke nach wissen müssen“, wofür drei Lateinklassen und verschiedene Privatunterweisungen sorgen sollten. Vgl. LS Bd. XII 1756, 133. St., S. 5 f.; 137. St., S. 387 f. (Zitat). 214 Vgl. RANKE, Hecker, der Gründer, S. 15. 215 DARJES, Entwurf, S. 5. 216 Ders., Cameral-Wissenschaften, S. 395.
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ähnlicher Konsequenz war die Ausrichtung einer Realschule allein auf Nichtstudierende zuvor nur im Großschen Plan zu finden;217 zwar wollte dieser in seinem Seminarium politicum die lateinische Sprache unterrichtet wissen, doch war dies dem Umstand geschuldet, dass die Anstalt auf die für bessere Berufsstände vorgesehenen Jugendlichen abzielte, die in ihrer Stellung eines gewissen Umgangslateins bedürfen würden.218 Darjes dagegen wendete sich in seinen Plänen denjenigen Kindern zu, welche der Vorige als „die schlechten Bürger- und BauernKinder“ von seiner entworfenen Anstalt ausschließen wollte: Die Realschule in Camsdorf sollte vorzugsweise Arme und Waisen zu ihren Schülern zählen, was sogar im Titel des Konzepts verankert war.219 Diese sollten in der Schule nicht nur kostenlos erzogen werden, sondern dort auch „ihren Unterhalt finden“. Parallelen lassen sich hier also zu den Franckeschen Stiftungen und den sie nachahmenden Gründungen ziehen, bei denen Waisenhäuser oder Armenschulen zum Teil später durch Realunterricht oder einen Realschulteil ergänzt wurden. Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass Darjes seine Musteranstalt von Anfang an nicht vordergründig als Werk der (pietistisch motivierten) Armenfürsorge und Armenbildung, sondern als Realschule entwarf. Auch wenn die Schüler einzig aus den untersten sozialen Schichten stammen sollten, zeigen die geplanten Unterrichtsinhalte, dass eine über die Trivalbildung deutlich hinausgehende Qualifikation der Zöglinge für bestimmte Tätigkeiten der breiten ländlichen und städtischen Mittelschicht beabsichtigt war. Das wesentliche Kriterium, mithilfe dessen Darjes die Realschule als mittlere Bildungsanstalt nach unten hin von den einfachen Einrichtungen abgrenzte, war also der gesellschaftliche und berufliche Stand, den die jeweiligen Schüler zukünftig einnehmen und für dessen nutzbringende Ausfüllung sie erzogen werden sollten. Passend schließen hier die besprochenen Merkmale der weiterführenden Bildung, der Eigenständigkeit als Institut, des fehlenden gelehrten Unterrichts und des weitgehenden Ausschlusses der bereits mit öffentlichen Schulen versorgten Schülerklientel an: Die Realschule, wie Darjes sie verstand und propagierte, muss ganz klar als eine moderne Mittelschule anerkannt werden. Für eine solche Einschätzung spricht auch, dass Darjes die Einführung von einer jeweils entsprechend ausgerichteten Realienbildung sowie die Ausgliederung allgemeinbildender Inhalte aus der Spezialunterweisung
217 Hecker sah zwar in seiner Realschule ebenfalls keine gelehrte Bildung vor, jedoch war diese organisatorisch mit den Lateinschulen verknüpft, weshalb ihr Besuch gleichzeitig höheren Unterricht nicht ausschloss. 218 Groß hatte prinzipiell die den „honetten Lebens-Arten gewidmete Nicht studirende Jugend“ oder auch den zukünftigen „Welt-Mann“ im Sinn und wollte daher in den „ausländischen Sprach-Classen“ auch das berufsrelevante Latein anbieten. Am ehesten kann noch sein Vorschlag, außer modernen Fremdsprachen auch Griechisch und Hebräisch anzubieten, „woferne nämlich dergleichen Scholaren vorhanden“ seien, als eine gewisse Inkonsequenz angesehen werden. GROSS, Seminarium, Titel; S. 9 f. 219 Vgl. DARJES, Entwurf, Titel.
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in allen vorhandenen Schulen weiterhin anregte.220 Sein fundiertes und fortschrittliches Konzept in dieser Form zur Ausführung zu bringen, sollte ihm allerdings, wie noch zu sehen sein wird, nicht gänzlich gelingen.
2.4.
Anforderungen an die Lehrerbildung
Die vorangegangenen Ausführungen haben verdeutlicht, wo genau in den Augen der Schulreformer die wesentlichen Schwachstellen der neuzeitlichen öffentlichen Schulen lagen und welche Ideen zur Erneuerung des Bildungswesens sie vorbrachten. Als wesentlicher Ansatzpunkt für umfassende Schulreformen, aber auch schon für die qualitative Verbesserung der bestehenden Einrichtungen, war dabei von den meisten das Lehrpersonal identifiziert worden. Sollten die Schulen ihr ganzes Potenzial entfalten, sollten zudem Realienunterricht und neuartige Unterweisungsmethoden eingeführt werden, so bedurfte es bis hinunter zu den Elementaranstalten entsprechend befähigter Schulmeister – hing schon der Erfolg und Nutzen einer gewöhnlichen Schule im Wesentlichen von den dort agierenden Pädagogen ab, um wieviel mehr war dann bei neuartigen Versuchen und Modellschulen auf qualifizierte Lehrer zu achten! Traditionell aber handelte es sich bei der Lehrtätigkeit an öffentlichen Schulen nicht um einen Beruf, zu dem eigens ausgebildet wurde. Üblich war in den niederen Schulen das handwerksmäßige Nachahmen des Schulmeisters durch seine Hilfslehrer. Oft waren dort die Lehrer selbst nur sehr mangelhaft vorgebildet – weiter vorn wurden bereits der einfache Handwerker, der ausgediente Soldat, die Lehrerwitwe oder gar der Landstreicher als Schulmeister erwähnt. Nachzuweisen war von einer zukünftigen Lehrkraft ohnehin allenfalls das wichtigste fachliche Können; ob sie über ein gewisses pädagogisch-didaktisches Geschick verfügten, wurde nicht überprüft und blieb meist gänzlich dem Zufall überlassen. Ebenso war es bei den Privatlehrern, welche ihr außerhalb schulischer Lehrfächer angesiedeltes Wissen und Können beispielsweise als Rechen-, Sprach- oder Tanzmeister in kostenpflichtigen Kursen vermittelten. Für besser ausgebildete oder studierte Männer wurde das Lehramt an öffentlichen Schulen gewöhnlich als unvermeidliches und – vor allem wegen der in aller Regel schlechten Bezahlung – unbeliebtes Durchgangsstadium zu einem anderen Amt, meist dem eines Predigers, begriffen. Im Gegensatz dazu übrigens war der Ruf auf eine Professorenstelle an einem berühmten Gymnasium für den Betreffenden manchmal attraktiver als ein Lehrstuhl an einer zweitrangigen Universität. Selbst bei den Akademikern mussten sich aber 220 „Sollte es nicht nützlich seyn“, so fragte der Reformer etwa bezüglich der Dorfschulen, „wenn auch in diesen Schulen die allgemeine Classe von der besondern unterschieden würde“ und sie mit dieser „ein gewisses Stück von einer Realschule“ speziell für den „Bauer[n]-Stand“ erhielten? DARJES, Cameral-Wissenschaften, S. 399 f.
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immense Schwierigkeiten ergeben, wenn Schulfächer eingeführt werden sollten, die jenseits des während eines gewöhnlichen Theologiestudiums durchlaufenen Kanons lagen. Von Schulreformern also wurde auf diese Problematik einer angemessenen Qualifikation sämtlicher Lehrer, wie sie hier gesondert in den Blick genommen werden soll, früh hingewiesen. Creutzberger etwa beklagte 1744, dass es kaum Lehrkräfte gebe, „die in Ansehung des Unterrichts der Sache gewachsen“ seien; damit sich solche vermehrt einfinden würden, sei es unbedingt notwendig, „diesen […] ihren gebührenden Lohn für ihre Arbeit“ zu bezahlen.221 Durch eine großzügigere Entlohnung aller Lehrer prinzipiell mehr besser ausgebildete Personen zu dieser Tätigkeit zu reizen, erschien allgemein als eine realistische Möglichkeit, wie das Problem angegangen werden konnte. Zum Zweiten wurde für eine offenere Vergabepraxis bei Lehrerstellen an weiterführenden Schulen geworben, welche nicht länger fast ausschließlich Theologen, sondern ebenso Gelehrte anderer Fakultäten und unstudierte Fachleute berücksichtigen sollte, womit überdies ein breiteres Angebot an Unterrichtsfächern möglich würde. Groß beispielsweise sah in seinem Schulplan222 zwei unbesoldete Direktoren vor, „welche […] ein solches Amt nicht so wol aus Interesse, als aus Liebe zum gemeinen Besten über sich nehmen“ würden,223 wobei einer davon ein Gelehrter, der andere aber beispielsweise ein angesehener Kaufmann sein sollte. Als Lehrer wünschte er ausschließlich akademisch gebildete Männer – „und zwar von allerley Facultäten“224 – sowie besondere Sprach-, Rechen-, Schreib-, Zeichen-, Bau, Kunst- und Exerzitien-Meister, für die er sämtlich eine ansehnliche Bezahlung anriet. Das Herz der ganzen Einrichtung allerdings musste Groß zufolge ein hervorragend qualifizierter und erfahrener Inspektor sein, dem auch ein besonders attraktives Gehalt gezahlt werden sollte, weil „auf dessen Treue und Geschicklichkeit hier alles beruhet“.225 Zumindest was die Besetzung der Lehrämter mit den jeweiligen Sachverständigen anging, realisierte Johann Julius Hecker solche Überlegungen an seiner Berliner Realschule: Unter anderem stellte er einen ehemaligen Verwalter als Ökonomielehrer ein und übertrug zum Teil Handwerksmeistern die Unterweisung der Schüler. Daneben aber setzte er der Tatsache, dass das übliche Wissen von Schullehrern die für seine Realklassen gewünschten Fachkenntnisse nicht einschloss, noch eine andere Maßnahme entgegen: Wie von Ranke zu erfahren ist, trug Hecker „gleich Anfangs“ für eine fachliche Weiterbildung seiner Mitarbeiter Sorge, indem er etwa „ein Paar Lehrer zu einem hiesigen Kaufmann“ sandte und sie dort „alles zur Handlung Nothwendige lernen“ ließ, einen anderen jedoch „nach dem Harz“ schickte, „damit er dort die 221 222 223 224 225
Creutzberger zitiert nach BRÖDEL, Schulplan Mittelfranken, S. 34. GROSS, Entwurf, S. 7 f., 19 ff., 26. Ebd., S. 26. Ebd., S. 8. Ebd., S. 7.
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Bergwerkskunde studiren […] und dann mit Erfolg diese Gegenstände lehren“ konnte, während er den nächsten die „Vorlesungen über die Anatomie und Botanik in Halle“ besuchen und wieder einen anderen „auf Kosten der Schule im Glasschleifen und Drechseln unterrichten“ ließ.226 Der Schulvorsteher machte damit freilich eine Not zur Tugend, denn seine Mittel waren stark begrenzt und ein geschickter Kaufmann war für die regelmäßige Unterweisung der Jugend in seinen Künsten sicherlich nicht wie die idealistischen und meist mit dem Schulleiter befreundeten Lehrkräfte mit einem „sehr mäßigen Lohn“227 und einem ebenfalls bescheidenen Freitisch zufrieden. Von einem eigentlichen Lehrerseminar allerdings waren diese Anfänge noch weit entfernt, zumal sie sich einzig auf die fachliche Qualifikation richteten. Womöglich aber manifestierte sich hier die bereits veränderte Wahrnehmung des Lehrers auch als Pädagoge, dessen didaktische Kenntnisse nicht länger als zwar erfreuliche, aber nötigenfalls verzichtbare Dreingabe zum eigentlichen Fachwissen verstanden wurden. Die Entwicklung eines solchen Könnens wollte schon Groß in seinem Konzept von 1739/40 nicht länger dem Zufall überlassen, und plante daher eine entsprechende Schulung des Lehrerkollegiums durch den Inspektor.228 In dessen Verantwortung sollte, außer der allgemeinen Aufsicht und der Finanzverwaltung, die Ausarbeitung eines Lehrplans einschließlich Lehrmethode in Form von schriftlichen thematischen Unterrichtshilfen liegen. So würde nicht nur ein einheitlicher und kontinuierlicher Unterrichtsgang für die Schüler auch bei häufigem Lehrerwechsel garantiert, sondern neuen Lehrkräften auch eine schnelle Einarbeitung und rasche Vorbereitung ermöglicht. Daneben hielt der Erlanger Schultheoretiker es für unverzichtbar, dass sämtliches Lehrpersonal vom Inspektor angeleitet, während wiederholter Hospitationen geprüft und gegebenenfalls in der regelmäßig stattfindenden Versammlung belehrt werde.229 Unter diesen Voraussetzungen sei auch die Anstellung von Studenten oder gar Unstudierten als (weniger kostspielige) Lehrer denkbar. Die hier vorgesehene besondere schulpädagogische Aus- und Weiterbildung des Lehrpersonals, die sich mit ihren Ansätzen von Qualitätssicherung und Wissenschaftlichkeit merklich von der Qualifikation durch bloße Nachahmung unterschied, dürfte Groß ganz ähnlich vom Lehrerseminar in Halle und vielleicht auch schon von der Klosterschule Berge bei Magdeburg bekannt gewesen sein. Wahrscheinlich als erster in Deutschland bereitete Francke ab 1696 im Seminarium Praeceptorum und ab 1707 im Seminarium selectum Praeceptorum junge Theologiestudenten durch praktische Übungen auf den Lehrerberuf vor. Einen Platz erhielten Ranke zufolge „nur solche junge[n] Männer, 226 227 228 229
RANKE, Hecker, der Gründer, S. 27 f. Ebd., S. 28. Vgl. auch S. 32. Vgl. GROSS, Entwurf, S. 7 f., 19, 22. Groß schlug gar ein „bey jeder [Klassen-]Thür anzufügende(s) Lausche-Cabinetgen“ für heimliche Hospitationen durch den Inspektor oder interessierte Besucher vor: Die Begutachtung des Schulunterrichts sollte nämlich, ebenso wie die der Examen, „täglich jedermann offen stehen“. GROSS, Entwurf, S. 19.
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welche sich durch ihre Bildung vor den übrigen auszeichneten, und für die Anstalten brauchbar zu werden versprachen“230 – einer von ihnen war 1728 Johann Julius Hecker, der diese Einrichtung vorerst inoffiziell nach Berlin übernahm: „junge Männer, welche ihm brauchbar schienen, suchte er aus, und behielt davon 3–4 schon seit dem Jahr 1746 in seiner Nähe, als erste Anfänge eines künftigen Seminars.“231 Dieses wurde schließlich, nachdem sich die Verhandlungen um dessen Einrichtung von 1748 bis 1753 hingezogen hatten, als Küster- und Schulmeisterseminar eröffnet und hatte, der königlichen Weisung gemäß, junge Männer für Lehrerstellen im niederen ländlichen Schulwesen auszubilden. Zielgruppe des mindestens einjährigen Kurses waren vor allem gesunde Handwerksburschen zwischen 18 und 30 Jahren, weil sich diese als Dorfschullehrer auch bei schlechter Bezahlung oder längerem Schulausfall im Sommer mit ihrem nebenher betriebenen Handwerk ernähren konnten. Bald konnten jährlich sechs oder sieben Seminaristen in Schulämter entlassen werden. Befördert nicht zuletzt durch obrigkeitliche Privilegien für Seminaristen und die starke Nachfrage nach besser und zeitgemäß ausgebildeten Lehrkräften, erfuhr also gleichzeitig mit den Schulen auch der Stand des Schullehrers allmählich eine gründliche Reform. Schon vor dem Berliner Lehrerseminar übrigens waren ähnliche Bildungseinrichtungen gegründet worden, so 1732 bei Stettin und 1735 bei Magdeburg, außerdem 1747 in Rudolstadt; mit Beginn der 1750er Jahre folgten weitere Lehrerseminare in Hannover, Braunschweig und Wolfenbüttel.232 Obschon also mit derartigen Kursen die bewusste Professionalisierung des Lehrberufs bereits in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts vorangetrieben wurde, handelte es sich dabei vorerst um Einzelmaßnahmen – die weitere Verbreitung von Schulmeisterseminaren im deutschen Gebiet setzte erst gegen Anfang des 19. Jahrhunderts ein.233 Nur so ist zu erklären, dass auch 60 Jahre nach Franckes erster derartiger Initiative die Verbesserung der Lehrerausbildung noch zu den Hauptforderungen des Schulreformers Darjes gehörte. In der ersten Auflage seiner Cameral-Wissenschaften234 von 1756 schrieb dieser nämlich, ebenso wie seine Vorgänger, die schlechte Verfassung der Schulen hauptsächlich dem Umstand zu, dass dort „geschickte Lehrer“ fehlten. Was genau einen „geschickten“ Pädagogen ausmache, konkretisierte der Gelehrte unter anderem mit der Bemerkung, ein Lehrer „soll[e] die Sache nicht nur wissen, er soll[e] auch andere unterweisen“. Das gründliche Fachwissen nahm nach Darjes’ Meinung unbestritten eine Vorrangstellung unter den Auswahlkriterien ein, doch durfte es nicht – und dies prangerte der Professor als allgemein verbreiteten und sehr nachteiligen Irrtum an – das einzig bedeutsame sein. Für ebenso unverzichtbar nämlich hielt er 230 231 232 233 234
RANKE, Hecker, der Gründer, S. 7. Ebd., S. 32. Zum Küster- und Schulmeisterseminar vgl. auch S. 35 f. Zur Entwicklung von Lehrerseminaren vgl. Meyers Konversations-Lexikon, Bd. 14, S. 852 f. Vgl. BRACHMANN, Diskurs, S. 79, Anm. Vgl. im Folgenden DARJES, Cameral-Wissenschaften, S. 401. Eine Kritik der Auswahlkriterien für Lehrer lieferte er auch in der Sitten-Lehre, S. 338.
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III. AUF DEM WEG ZU EINER ERNEUERTEN SCHULE
allgemeine pädagogische und didaktische Kenntnisse. Ein guter Lehrer müsse „seinen Vortrag und die Anleitungen, die er andern giebt, nach den Fähigkeiten des Lernenden einzurichten“ wissen und „eine vernünftige Wahl, die nicht in dem Eigennutzen gegründet ist, von dem machen können, was ein jeder nach seinen Umständen nöthig“ habe. Auch sollten sich Lehrer als Respektspersonen „bey andern in Ansehen und Liebe erhalten können“.235 Noch immer aber wiesen die gewöhnlichen Lehrkräfte, zumal im niederen Schulwesen, in allen diesen Hinsichten erhebliche Defizite auf, „welche zum Nachtheil der menschlichen Gesellschaft die tägliche Erfahrung bestätiget“, klagte der Schulreformer in seinem Politik-Lehrbuch, in dem er auch die wesentlichen Mängel benannte: Bald fehlet ihnen die moralische Bildung des Herzens. Sie betrachten das ihnen anvertrauete Amt nur als ein Mittel, sich zu erhalten, und die Unterweisung der Jugend ist ihnen nur darum nothwendig, weil sie ohne dieser nicht würden leben können. […] Bald fehlet es ihnen an der Erkenntniß der allgemeinen Regeln, wornach die Erziehung der Kinder und die Lenkung der Jugend zu bewirken [ist]. […] Bald fehlet es ihnen an einer Geschicklichkeit, die überhaupt zum Unterweisen erfordert wird; bald an der Erkenntniß derjenigen Stücke, die zur Erreichung der Absicht der angenommenen Schule erforderlich [ist].236
Während die erste und zum Teil auch die zweite der angeführten Unzulänglichkeiten auf eine mangelhafte sittliche Bildung schließen ließ, so wiesen die übrigen ganz klar auf eine unzureichende Beherrschung des ergriffenen Berufsstands hin. Darjes zufolge besaßen in aller Regel selbst die Schulvorsteher nicht im Mindesten „Geschicklichkeit genug […], die ihnen anvertraueten Schulen auszubauen, und die einmal eingeführte Vollkommenheit durch ihre Klugheit zu erhalten“.237 Unter den anzuratenden Maßnahmen, mit denen sich die Qualität öffentlicher Schulen über geeignetes Lehrpersonal steigern ließ, plädierte Darjes 1756 noch vorrangig für ein kritisch-anspruchsvolles Vorgehen bei der Auswahl neuer Schulmeister sowie für die angemessenen Entlohnung und Auszeichnung aller Lehrer. Später verfocht er allerdings die Alternative einer eigenen pädagogischdidaktischen Qualifikation der Lehrer, indem er seine Forderung, alle Lehrämter nach Möglichkeit an Gelehrte zu verteilen, in seiner 1764 erschienenen Staatsklugheit durch den Vorschlag ersetzte, „Pflanzschulen für Lehrer […] [zu] gründen“238 – dies schien ihm für eine positive Entwicklung des gesamte Schulwesen hochgradig nützlich und daher zur „Wohlfarth“ des Staats unumgänglich zu sein. Untypisch wäre es freilich für Darjes gewesen, wenn er es bei dieser Anregung belassen hätte, ohne Instruktionen zu ihrer Verwirklichung beizufügen. So veröffentlichte er im Lehrbuch der Politik auch seine genaueren Überlegungen 235 236 237 238
DARJES, Cameral-Wissenschaften, S. 404. Vgl. im Folgenden DARJES, Bielefelds Staatsklugheit, S. 115 f. Ebd., S. 117 f. DARJES, Bielefelds Staatsklugheit, S. 116. Im Original hervorgehoben. Vgl. im Folgenden ebd., S. 116–119.
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dazu, wie diese Einrichtungen beschaffen sein mussten. Zunächst stellte er klar, dass eine spezielle Ausbildung für Lehrer an allen Arten von Schulen bis hin zu den Universitäten erforderlich sein würde, weshalb folgerichtig auch Lehrerseminare unterschiedlichen Typs zu eröffnen waren – eine besondere „Pflanzschule“ für die weiblichen Lehrkräfte an Real-Schulen ausdrücklich inbegriffen. Einige von ihm aufgestellte Regeln sollten die Qualität der Lehrerbildung in diesen Kursen sicherstellen. Demnach sollten erstens die Seminare für zukünftige Lehrer an höheren Schulen direkt den Universitäten angegliedert und die theoretische Ausbildung hier von Universitätsdozenten übernommen werden. Zweitens sah Darjes eine praktische Qualifizierungsphase für spätere Professoren, Gymnasiallehrer und Pfarrer vor: Je „nach der Beschaffenheit ihrer Erkenntniß“ nämlich sollten diese, ehe sie den höheren Dienst antreten durften, zuerst für eine gewisse Zeit die Leitung in den „Pflanzschulen“ für Schulmeister niedrigerer Schulen übernehmen. Hiermit beabsichtigte der Gelehrte offenbar, die in den Cameral-Wissenschaften geforderte Unterweisung aller Studenten in der Schulaufsicht umzusetzen. Zugleich war auf diese Weise die von ihm ebenfalls aufgestellte Bedingung erfüllt, dass Seminaristen ausnahmslos von Akademikern unterrichtet werden sollten. Der obigen Aufzählung typischer Inkompetenzen unter den Lehrern eingedenk, war es Darjes drittens ein besonderes Anliegen, dass neben der Vermittlung fachlicher und didaktischer Kenntnisse auch „das Herz der zukünftigen Lehrer moralisch gebildet werde, und daß diese eine Geschicklichkeit erlangen, das Herz der Jugend nach ihren Umständen moralisch zu bilden“.239 Hier nahm er vor allem die Hochschullehrer in die Pflicht, da diese das Personal für die Lehrerseminare ausbilden sollten. Dabei war Darjes kein Romantiker, sondern schätzte realistisch ein, es werde „wohl ein Wunsch bleiben“, das „Herz aller Mitglieder eines Staats moralisch zu bilden“.240 Damit übrigens dennoch möglichst jeder Einzelne nach den Geboten der Klugheit zur freiwilligen Erfüllung seiner moralischen Pflicht bewegt würde, das heißt dazu, seine Kräfte zum Nutzen des Staates anzuwenden, riet Darjes, sich des menschlichen Hanges zu Nachahmung und Gewohnheit zu bedienen. Jeder Vorgesetzte könne und müsse nämlich seine Untergebenen durch die eigene vorbildliche Pflichterfüllung als Mensch und auch als Bürger in diesem Sinne positiv beeinflussen. In besonderem Maß hätten alle Lehrer eine solche Vorbildfunktion inne, da sie auf die noch leicht zu beeindruckenden jungen Menschen oder wiederum auf zukünftige Schulmeister einwirkten. Insgesamt hatte Darjes also ein in seiner Rücksichtnahme auf die einzelnen Schultypen komplexes System der Lehrerbildung erdacht, das er letzten Endes ganz den Hochschulen zu unterstellen gedachte. Damit ging er bereits deutlich über die aufkommenden einzelnen, an konkrete Schulen angegliederten Lehrerseminare für niedere Schulen hinaus in Richtung
239 Ebd., S. 121. 240 Ebd. Im Folgenden vgl. ebd., S. 121 f.
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III. AUF DEM WEG ZU EINER ERNEUERTEN SCHULE
des für sämtliche zukünftige Lehrer an staatlichen Schulen heute selbstverständlichen verpflichtenden Pädagogikstudiums. Ob Darjes selbst beabsichtigte, ein Lehrerseminar bei seiner Realschule in Camsdorf anzulegen, ist ungewiss. Die vorhandenen Quellen zumindest sprechen nicht von einem solchen Plan. Doch ist zu beachten, dass der eben vorgestellte Entwurf zur Lehrerbildung im 1764 erschienenen Politik-Lehrbuch enthalten war, also von Darjes parallel zu seinem bereits angelaufenen Schulversuch ausgearbeitet wurde. Bei längerem Betrieb der Rosenschule also wäre die zusätzliche Einrichtung eines pädagogischen Seminars dort wohl mit hoher Wahrscheinlichkeit versucht worden. Hinter Darjes’ Plan der Lehrerbildung, welchen auch Winkler als „in seinen Forderungen sehr weitreichend“ beurteilt,241 wäre eine solche einzelne „Pflanzschule“ allerdings deutlich zurückgeblieben. Eine fortschrittliche „pädagogische Spezialausbildung“, dies betont Winkler in diesem Zusammenhang noch einmal, „wurde erst mehr als 100 Jahre später an der Universität Jena von Karl Volkmar Stoy eingeleitet (1843) und von Wilhelm Rein seit 1886 teilweise verwirklicht.“242
241 WINKLER, Urkundliche Geschichte, S. 278. 242 Ebd.
DIE ROSENSCHULE
3.
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Die Rosenschule – Versuch einer Antwort in der Praxis
Die Rosenschule 3.1. Quellen und Sekundärliteratur – eine hinreichende Grundlage? Dass in Camsdorf bei Jena Anfang 1762 eine Realschule existiert hat, ist durch einige zeitgenössische Quellen verbürgt.243 Die Literatur zu dieser Rosenschule ist überschaubar: Für das 18. Jahrhundert selbst konnten kaum ausführlichere Erwähnungen nachgewiesen werden, aus dem 19. Jahrhundert liegt gar kein Text vor. Anfang der 1930er Jahre dann wurde das Projekt quasi wiederentdeckt, historisch eingeordnet und auch als ein seiner Zeit vorgreifender Modellversuch gewürdigt; zum Teil wiesen die Veröffentlichung bereits den freimaurerischen Hintergrund des Schulversuchs nach. Es folgten einzelne Aufsätze mit meist erziehungswissenschaftlichem Schwerpunkt, während die beiden Historiker Joachim Bauer und Gerhard Müller – ausgehend von ihrer Beschäftigung mit (Jenaer) Geheimgesellschaften – in den 1990er und Anfang der 2000er Jahre verschiedentlich das Wirken Joachim Georg Darjes’ als Freimaurer und in Verbindung damit auch seine Camsdorfer Schule beleuchteten. Dabei ist es, abgesehen vom nur kurzzeitigen Bestand dieser Modellschule, sicherlich auf die besondere Quellenlage zurückzuführen, dass dessen Beachtung in der Literatur oft kaum über eine bloße Nennung hinausgeht. Die wenigen bekannten Quellen zur Rosenschule sind nicht besonders umfangreich, verhältnismäßig leicht zugänglich und daher einfach auszuwerten. Weiteres zeitgenössisches Material scheint kaum vorhanden zu sein, eine Suche nach den über die Schule geführten Büchern und Akten oder Inspektionsprotokollen jedenfalls verläuft bisher ins Leere. Bei den Quellen handelt es sich um zwei in Jena publizierte, kleinformatige Druckschriften von Joachim Georg Darjes als Stifter der Rosenschule sowie um einen Aktenbestand244 im Thüringischen Hauptstaatsarchiv in Weimar (ThHStA Weimar) – auch vier freimaurerische Schreiben245 aus dem Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Potsdam (GStAPK) geben nähere Auskunft. Vor der Schuleröffnung informierte Darjes Ende 1761 mit der kurzen Schrift Entwurf einer Real-Schule zur Erziehung armer Kinder, zum Nutzen der wirthschaftlichen Beschäftigungen246 über seine genauen Pläne: Auf acht Seiten wurden hier erstens die Eröffnung der Einrichtung unter dem Namen „die RosenSchule bey Jena“ angekündigt, zweitens ihre besondere Absicht und die daraus abzuleitenden Erfordernisse im Einzelnen erklärt, drittens das Erziehungs- und Unterrichtskonzept 243 Diese sind 2014 in einer kommentierten Edition erschienen, vgl. LÖTZSCH, Rosenschule. 244 „Geheimde Canzley-Acta die Rosen-Schule zu Camsdorf betr. 1760–1764“. ThHStA Weimar, B 4756. Text abgedruckt in LÖTZSCH, Rosenschule, S. 136–160. 245 Vgl. GStAPK, FM 5.1.4, Nr. 5944, Bl. 192 f.; Nr. 5945, Bl. 4 f., 10I, 12. Text abgedruckt in LÖTZSCH, Rosenschule, S. 161–169. 246 Vgl. DARJES, Entwurf. Text abgedruckt in LÖTZSCH, Rosenschule, S. 71–79.
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III. AUF DEM WEG ZU EINER ERNEUERTEN SCHULE
inhaltlich vorgestellt sowie viertens die geplante Verwaltung und die äußeren, vor allem finanziellen, Rahmenbedingungen abgeklärt. Dieser Schulplan ist noch in mehreren Exemplaren in deutscher und französischer Sprache erhalten; zwei handschriftliche deutsche Kopien existieren außerdem im freimaurerischen Aktenbestand der Jenaer Loge Zu den drei Rosen in Potsdam sowie im Weimarer Bestand über die Rosenschule.247 Die zweite Druckschrift mit dem ihren Inhalt ebenfalls zusammenfassenden Titel Das erste Jahr der Real-Schule die den Namen die Rosen-Schule bey Jena führet beschrieben von ihrem Stifter und ersten Director schließlich ist am Anfang des Jahres 1763 erschienen und hat 16 Seiten.248 Darin berichtete Darjes detailliert über den Start und die einzelnen Entwicklungsetappen des Projekts – Aufnahme und Versorgung von Schülern, Einstellung von Lehrkräften, Unterrichtsangebot, finanzielle Situation, materielle Rahmenbedingungen usw. – bis hin zum damals aktuellen Stand. Auch unmittelbar bevorstehende Veränderungen wurden angekündigt, sowie ein genauer Tagesplan mitgeteilt. Der Beschreibung war zudem die von der Landesherrschaft erteilte Konzession zur Schulgründung angehängt. Wie der gedruckte Entwurf ist auch diese Quelle noch mehrmals, beispielsweise in Weimar in dem die Rosenschule betreffenden Schriftverkehr mit der Weimarer Landesregentin, erhalten. Dieser erstreckt sich von 22. Dezember 1760 bis 20. Januar 1764 und enthält das Schreiben Darjes’ an Anna Amalia mit der Bitte um Genehmigung des Vorhabens, die Verhandlungen darum, die Besprechung des Projekts mit dem Oberkonsistorium sowie den sich um eine Lotterie zugunsten der Realschule drehenden Briefwechsel mit deren Hilfsinspektor, Gottlieb Joachim Becker (1725–1778).249 Angesichts dieses knappen Materials zu Darjes’ pädagogischem Reformprojekt kann es nicht verwundern, dass nur sehr wenige Beiträge zur Erforschung dieses in schulgeschichtlicher Hinsicht durchaus bemerkenswerten Schulversuchs vorliegen. Die meisten führen dabei nicht oder nur geringfügig über den in den beiden genannten gedruckten Quellen bereits gegebenen Wissensstand hinaus. Dennoch sollen auch diese Schriften Berücksichtigung finden, wenn im Folgenden sämtliche Texte, die Hinweise auf Darjes’ Konzept und dessen Umsetzung enthalten – soweit sie für diese Arbeit zusammengetragen und ausgewertet werden konnten –, in einem chronologischen Überblick und mit einem inhaltlichen Kommentar versehen vorgestellt werden. 1.) Ein Artikel der Rubrik „Vermischte Geschichte“ im zweiten Stück der Erfurter Zeitung Neuer historischer Schauplaz aller vorfallenden Begebenheiten im Staat, der Kirche, der gelehrten Welt, und dem Naturreiche auf das Jahr 1762 informierte deren 247 Vgl. GStAPK, FM 5.1.4, Nr. 5944, Bl. 194–199; ThHStA Weimar, B 4756, Bl. 3–8. 248 Vgl. DARJES, Das erste Jahr. Text abgedruckt in LÖTZSCH, Rosenschule, S. 111–130. Darjes übersandte bereits am 20. Januar 1763 einige Exemplare dieser Druckschrift nach Weimar. Vgl. LÖTZSCH, Rosenschule, S. 147 f. 249 Vgl. LÖTZSCH, Rosenschule, S. 149–161.
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Leser über die kürzlich erfolgte Eröffnung und die bisherige Einrichtung der von Darjes gestifteten Rosenschule.250 In der 14. Nummer der Hallischen Zeitungen vom 25. Januar 1762 erschien ein bis auf inhaltlich unbedeutende Abweichungen identischer Artikel.251 Zugrunde liegen die Informationen aus dem Entwurf, auch wird einiges aus dem im darauffolgenden Jahr erscheinenden Schulbericht bereits nahezu im später verwendeten Wortlaut vorweggenommen – wahrscheinlich war Darjes selbst der Autor dieser Pressemitteilung. Zu den beiden von ihm verfassten Quellen liefert der Text keine Ergänzungen, eine Verbindung zu den Freimaurern wird nicht hergestellt. 2.) Im gleichen Jahr erschien unter dem Titel Gemischte Schriften eine Sammlung kleinerer Aufsätze Christian Reicharts mit vorwiegend agrarökonomischen Themen.252 Der Erfurter Ratsmeister und Ökonom, seit 1757 Darjes’ Schwiegervater, befasste sich in einer dieser Abhandlungen namens Sollte wohl ein Erfurter klagen können, über den Mangel der Schulen253 mit den in Erfurt vorhandenen Schulen, um sogleich auf das empfindlich spürbare Fehlen eines besonderen Schultyps, nämlich den der Realschule, aufmerksam zu machen. Es folgen eine Begriffsklärung und die Begründung, weshalb Realschulen „nöthig und nützlich“ seien. Eine ausführliche Beschreibung der gewünschten Realschule nahm Reichart dann streng nach und mit ausdrücklichem Bezug auf Darjes’ Entwurf vor. Über die vollzogene Eröffnung der Rosenschule wurde unter Verwendung zweier Zeitungsmeldungen über dieses Ereignis ebenfalls knapp berichtet. 254 Der Text bietet wenige Einzelheiten, die die genannten Quellen ergänzen. Neben Reicharts allgemeiner Intention, einen weiten Kreis von kameralwissenschaftlich interessierten Lesern zu informieren, ist wohl auch die spezielle der Werbung um Spenden für das Projekt mitzudenken. Einen Hinweis auf dessen freimaurerischen Hintergrund gibt es nicht. 3.) Weitere Texte zur Rosenschule erschienen erst wieder im 20. Jahrhundert, zuerst 1930 Herbert Kochs Aufsatz Die „Rosenschule“ in Jena. Ein Beitrag zur thüringischen Schulgeschichte des 18. Jahrhunderts. Koch lieferte hier den ersten ausführlichen Bericht über die von ihm wiederentdeckte Rosenschule in neuerer Zeit. Es
250 Vgl. LÖTZSCH, Rosenschule, S. 80 ff. 251 Vgl. ebd. 252 So waren u.a. Texte über Rüben, Verbesserung der Wiesen, Erfurter Wein oder über ein besonderes Echo bei Erfurt, aber auch Berichte vom Erfurter Gymnasium und Waisenhaus enthalten. Vgl. REICHART, Gemischte Schriften. Zu Reichart vgl. MÜLLER, Reichart, S. 297; GUTSCHE, Begründer, S. 5–29. 253 Vgl. Reichart, Mangel der Schulen. Text abgedruckt in LÖTZSCH, Rosenschule, S. 95–111. 254 Laut Reichart berichteten „die Hallische Zeitung, wie auch selbst die Jenaische im 11ten Stück […] uns vom 23. Jan., daß den 10ten dieses Monats der Anfang solcher RosenSchule würklich gemacht worden“ sei. REICHART, Mangel der Schulen, S. 305. Der Artikel aus Halle wurde hier angeführt, ein Exemplar der Jenaer Zeitungsausgabe konnte ich nicht ausfindig machen. Der Erfurter Artikel scheint Reichart nicht bekannt gewesen zu sein.
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III. AUF DEM WEG ZU EINER ERNEUERTEN SCHULE
handelt sich dabei im Grunde um eine ausschließliche Wiedergabe der in den beiden Darjesischen Druckschriften überlieferten Informationen. 4.) Die Verbindung der Camsdorfer Realschule zur Jenaer Freimaurerloge Zu den drei Rosen stellten erstmalig zwei im Jahr 1931 erschienene, inhaltlich und streckenweise wörtlich identische Texte des Freimaurers Otto Götze her. Unter dem Titel „Die Rosenschule bey Jena“ (1762–1764), eine freimaurerische Gründung des 18. Jahrhunderts würdigte der Autor die Anstalt als von der Bruderschaft getragene „erste Thüringer Realschule“ in der Nachfolge der Weigelschen, Semlerschen und Heckerschen Institute. Informationsquellen waren neben dem Schulplan und dem Schulbericht, aus denen umfangreiche Passagen wörtlich wiedergegeben werden, auch Schlichtegrolls Nekrolog auf Darjes, welchem Götze einzelne biographische Angaben entnommen hatte. Eine Die erste Thüringer Realschule (1762–1764) betitelte Variante dieses Aufsatzes, in welcher der Autor auf die starke Betonung der freimaurerischen Verantwortung für das Realschulprojekt verzichtet, erschien in der Thüringer Lehrer-Zeitung. 5.) Ebenfalls in die durch Weigel, Semler und Hecker geschriebene Realschulgeschichte ordnet Böhm die Rosenschule ein – allerdings fehlt dem maschinenschriftlichen Manuskript Geschichte der Jenaer Schulen,255 welches 1953 am Pädagogischen Institut der Universität in Jena vorgelegt wurde, ein Inhaltsverzeichnis sowie Literaturangaben und auch im Text selbst sind übernommene Passagen nur sehr dürftig gekennzeichnet und nachgewiesen, was die wissenschaftliche Verwertbarkeit seiner Ausführungen stark einschränkt. Neben den im Text angeführten Quellen muss auch Sekundärliteratur verwendet worden sein, da beispielsweise die aus ersteren nicht hervorgehende Verbindung zur Freimaurerloge Erwähnung findet. 6.) Die erste und bisher einzige umfassende, über eine reine Wiedergabe hinausgehende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Darjesischen Pädagogik aus dessen Werken stammt von Werner Winkler. In seinem 1963 im Jahrbuch für Erziehungs- und Schulgeschichte abgedruckten Aufsatz Die Pädagogik von Joachim Georg Darjes (1714–1791) und ihre Bedeutung für die Entwicklung der Arbeitserziehung256 setzte der Verfasser, unter Verwendung zahlreicher sorgfältig recherchierter Originalschriften und Sekundärliteratur, den Schwerpunkt auf die sich in der Camsdorfer Realschule konkretisierenden schulreformerischen Absichten des Gelehrten. Die Anstalt wird dabei als frühe Industrieschule begriffen und in den Zusammenhang der entsprechenden pädagogischen Bewegung gestellt. Aus den beiden Schulschriften wird in aller Ausführlichkeit zitiert. Trotz zweier Randbemerkungen zur freimaurerischen Rosenloge stellte Winkler deren enge Verbindung zur Rosenschule nicht her. 255 Über die Rosenschule darin S. 148–156. 256 Es handelt sich dabei offensichtlich um einen überarbeiteten Teilabdruck der Dissertation Winklers Die urkundliche Geschichte der Pädagogik an der Universität Jena 1548–1763 (Jena 1956).
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7.) Eine zweite, jedoch speziellere wissenschaftliche Untersuchung des Schulkonzepts steuerte 1970 Walter Schöler bei, indem er die „Berufsbezogenheit und ökonomische Tendenz einer naturwissenschaftlichen Kenntnisvermittlung in den Realschulprojekten von Semler, Groß, Hecker, Harles und Darjes“ vergleichend herausarbeitete.257 Berücksichtigung fanden dabei auch Gedanken, die Darjes in seinen Lehrbüchern der Cameral-Wissenschaften und der Staatsklugheit ausführte, sowie Gesichtspunkte und Informationen aus Winklers Studie. 8.) Ein knappes Jahrzehnt später legte Emil-Friedrich Wölfle eine Staatsexamensarbeit über die Rosenschule vor. Exemplarisch zeigte er an diesem Schulplan und seinem Schöpfer, wie die Kameralisten die im Prozess der ökonomischen Entwicklung sich wandelnden und neu entstehenden Bildungserfordernisse zu erfassen und mit neuartigen, die bürgerliche Gesellschaft mitgestaltenden Bildungskonzepten zu beantworten verstanden. Wie Schöler stützte sich Wölfle auf Darjes’ Schriften und die Arbeit Werner Winklers. 9.) Weiter versuchten Joachim Bauer und Gerhard Müller mit ihrem Beitrag Joachim Georg Darjes (1714–1791) – Aufklärer, Pädagoge und Freimaurer258 am Beispiel dieses Gelehrten „der Rolle der aufgeklärten Intelligenz in der bürgerlichen Emanzipationsbewegung des 18. Jh.“259 auf die Spur zu kommen und fragten daher vor allem nach der Bedeutung des ohne Zweifel sehr einflussreichen und gut vernetzten Darjes für die akademische Aufklärung in Jena und Frankfurt an der Oder. In dem Text, welcher in einem Sammelband mit Aufsätzen über Jenas geheime (akademische) Sozietäten erschien, fand die Rosenschule vor allem als freimaurerische Modellschule Beachtung;260 als erste zogen Bauer und Müller dafür Akten verschiedener Freimaurerlogen als Quellen heran. 10.) Kurz vorgestellt wurden Darjes und sein an dem nämlichen Ort veranstaltetes Schulprojekt in einer Festschrift anlässlich der Erneuerung der „Grünen Tanne“ in Jena aus dem Jahr 1994, welches Büchlein die Geschichte dieses als Haus der Burschenschaft Arminia auf dem Burgkeller fungierenden Jenaer Gasthofs zu rekonstruieren versuchte.261 Ihre Informationen entnahmen die Autoren dabei den Texten von Koch und Winkler, auch sind Abbildungen etwa von Briefen oder die Titelblätter der Darjesischen Druckschriften beigefügt. 11.) Ein weiterer erziehungswissenschaftlicher, wenn auch knapper Beitrag mit dem Titel Joachim Georg Darjes – Arbeitspädagoge der Aufklärung stammt von Günter Ulbricht, der damit die pädagogischen Bemühungen des Gelehrten aus der Perspektive der Arbeitserziehung würdigte. Nach einer Skizzierung der um
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Vgl. SCHÖLER, Naturwissenschaftlicher Unterricht, S. 41–53. Vgl. BAUER/MÜLLER, Darjes. Vgl. außerdem: Dies., Theologie und Aufklärung. Ebd. S. 130. Ebd. S. 168–171. Vgl. KAUPP, Zinne. Darin: Professor Darjes und seine Rosenschule (1762–1764). S. 17–26.
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III. AUF DEM WEG ZU EINER ERNEUERTEN SCHULE
die Mitte des 18. Jahrhunderts neu entstandenen Anforderungen an das öffentliche Bildungswesen berichtet der Autor von Darjes’ Schulversuch, wobei er sich auf Winklers Text von 1963 stützt. 12.) Nur bedingt in diese Bibliographie gehört zuletzt der durch wissenschaftliche Beiträge ergänzte Ausstellungskatalog Logenbrüder, Alchemisten und Studenten. Jena und seine geheimen Gesellschaften im 18. Jahrhundert – die Rosenschule wird darin nämlich bloß am Rande erwähnt.262 Jedoch wurden in dem von Hellmann erstellten Katalogteil speziell zur Illustration des Schulversuchs acht Abbildungen zusammengestellt, zum Teil auch kommentiert und wiedergegeben, so unter anderem ein faksimiliertes Stammbuchblatt, welches die Gebäude Untercamsdorfs um die Zeit der Rosenschule zeigt.263 Soweit also der Überblick über die Sekundärliteratur und die Quellenlage zur Rosenschule, die maßgeblich zu erweitern trotz intensiver Recherchen bisher nicht gelungen ist; insbesondere die Hoffnung, die über die Versuchsanstalt in Darjes’ Auftrag geführten Bücher noch aufzuspüren, muss wohl gänzlich aufgegeben werden. Andererseits konnten mit Volltextsuchen über die Digitalisate tausender historischer Druckwerke und Zeitschriftenaufsätze, wie sie im Internet mit verhältnismäßig geringem Aufwand möglich sind, zahlreiche bisher unberücksichtigte kleinere Anmerkungen über die Rosenschule ausfindig gemacht und auf diese Weise verschiedene Details konkretisiert oder ergänzt werden. Ein fundiertes Verständnis für den im Folgenden rekonstruierten Camsdorfer Schulversuch allerdings kann dabei einzig vor dem Hintergrund des Darjesischen Reformkonzepts im Bereich von Schule und Volkserziehung, wie es hier mittels einer gezielten Einblicknahme in das Gesamtwerk des Gelehrten erstellt worden ist, entstehen.
3.2.
Die Gründungsphase und die Rahmenbedingungen
Ein Schwerpunkt in Darjes’ Nachdenken über ein den Zeitumständen entsprechendes Schulwesen lag, wie besprochen, auf der Realschule als neuem, dringend erforderlichen Schultyp. Schon lange bevor er tatsächlich eine solche Modellanstalt gründen sollte, schien sich der Professor als überzeugter Verfechter einer Verbindung von Theorie und Praxis mit den Möglichkeiten einer konkreten Umsetzung der in seinen Schriften noch recht allgemein gehaltenen diesbezüglichen Überlegungen befasst zu haben: Im Entwurf von 1761 bezeichnete er die Realschule als „eine Sache […], mit der sich [s]eine Gedanken seit vielen Jahren beschäftiget“ hätten.264 Eine erste Spur hinterließen diese Gedanken in der vierten 262 Vgl. BAUER/MÜLLER, Jena, Johnssen, Altenberga, S. 36. 263 Vgl. BAUER/HELLMANN/MÜLLER, Logenbrüder, S. 37, 142–145. 264 DARJES, Entwurf, S. 2.
DIE ROSENSCHULE
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Sammlung seiner Philosophischen Nebenstunden von 1752, in denen Darjes zur Verdeutlichung bestimmter Begrifflichkeiten das folgende Beispiel wählte: Cajus führet mit seinem Vermögen ein prächtiges Gebäude auf. Er verbindet mit diesem einen ansehnlichen Theil seiner Güter, und er machet nach den Gesetzen der Weisheit und Gütigkeit solche Anstalten, daß in diesem Gebäude arme Kinder zum Nutzen des Staats vernünftig können erzogen werden. So lange dieses Gebäude stehet, und so lange die darin gemachte Anordnung dauret; so lange nehmen treugesinnte Bürger des Staats daher Bewegungsgründe, die Gütigkeit und die Weisheit des Stifters zu verehren, und diß, was seine Mildigkeit dem Staat geschenket hat, dahin zu verwenden, daß das Wohl des Staats durch die Erziehung der armen Kinder vorzüglich könne befördert werden.265
An die Regentin in Weimar, Anna Amalia, meldete er in seiner Bitte um die Genehmigung des Projekts, er wolle mit dessen tatsächlicher Inangriffnahme „diejenigen Lehren, die viele Hundert Studiosi auf hiesiger Academie von mir gefaßet haben […] selbst in die Ausübung bringen“.266 Wie weit Darjes diese „Lehren“ schon Anfang der 1750er Jahre konkretisiert hatte, macht sein Brief an Friedrich Dominik Ring (1726–1809) deutlich, einen ehemaligen Hörer, welcher ab dem Wintersemester 1751 in Jena immatrikuliert gewesen war: Vielleicht erinnern es sich Euer Hochwürden, daß ich in meinen moralischen Fürlesungen, öfters den Gedanken geäußert [habe], daß ich in meinem Camsdorf eine reall Schule zur Ernährung und Erziehung armer Kinder zum Nutzen der wirthschaftlichen Geschäfte gründen möchte.267
Nicht nur die inhaltliche Gestaltung, sondern auch die grundlegenden äußeren Rahmenbedingungen einer solchen Schulgründung hatte der Gelehrte zu dieser Zeit also bereits mehr oder weniger detailliert durchdacht und mit den ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten abgeglichen. Diese Tatsache spricht für eine hohe Bereitschaft, tatsächlich zur Ausführung des Vorhabens zu schreiten. Mit Sicherheit war ein Mann von solch regem Interesse und einem so weitläufigen Bekanntenkreis, wenn er über Jahre solche Absichten hegte, genauestens über die auf diesem Gebiet bereits vorliegenden Theorien und praktischen Erfahrungen sowie alle neuen Entwicklungen informiert – einem bestimmten, von ihm als vollkommen empfundenen Modell nachzueifern allerdings versuchte Darjes nicht, er berief sich in dieser Sache auch niemals auf etwaige Vorbilder.268 Vielmehr hatten sich bei ihm die verschiedenen 265 DARJES, Fernere Erläuterung wider Bielke, S. 13. 266 LÖTZSCH, Rosenschule, S. 136. 267 Brief abgedruckt in LÖTZSCH, Rosenschule, S. 131 ff. (Zitat S. 132). Magister Friedrich Dominik Ring ist in der Jenaer Matrikel unter dem 5. Oktober 1751 verzeichnet, vgl. Matrikel Jena. 268 Einzig eine Erwähnung des Franckeschen Waisenhauses in Halle in einem durch das Oberkonsistorium wiedergegebenen Schreiben Darjes’ nach Weimar ist mir bekannt:
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III. AUF DEM WEG ZU EINER ERNEUERTEN SCHULE
Anregungen zusammen mit eigenen Einsichten zu einem Schulplan verdichtet, präzisiert vielleicht im Gespräch mit einigen an dieser Thematik ebenfalls interessierten Bekannten – der weiter vorn genannte August Rudolph Wahl beispielsweise verbreitete ja ganz ähnliche Ideen. Möglicherweise war Darjes in persönlichen Kontakt zu dem Begründer der Wittenberger Realschule, Peter von Hohenthal, getreten, denn dieser fand Anfang 1758 Aufnahme in die Jenaer Teutsche Gesellschaft und veröffentlichte im gleichen Jahr auch einen Darjesischen Aufsatz in seinen Oeconomischen Nachrichten.269 Als Mitglied der Teutschen Gesellschaft hatte Darjes Mitte der 1750er Jahre auch bereits einen Vorschlag zur Gründung einer ökonomischen Gesellschaft mit dem vorrangigen Ziel, „Bürger und Bauern auf eine vernünftigere Gedenkens-Art“ zu bringen und somit zu „Sittlichkeit […] Industrie und Häußlichkeit“ zu erziehen, diskutiert, welchem er zusätzliche Anregungen entnommen haben könnte.270 Es ist also davon auszugehen, dass Darjes bereits deutlich vor 1761/62 die Eröffnung einer Schule geplant hatte, sich das vorangehende Jahrzehnt aber schlicht als dafür ungünstiger Zeitraum erwies: Andere Projekte, mit denen er sich in den 1750er Jahren beschäftigte – beispielsweise seine Experimente im landwirtschaftlichen Bereich, seine Aktivitäten in den gelehrten Gesellschaften Jenas und Erfurts oder die Fertigstellung seiner umfangreichen Publikationen Cameral-Wissenschaften (1756) und Jenaische Philosophische Bibliothek (1759/60) – ließen neben seinen akademischen Verpflichtungen als Lehrkraft sowie zusätzlich als Prorektor und Dekan271 ganz offensichtlich wenig Raum für ein so aufwendiges und zeitintensives Vorhaben, zumal es durch den Tod seiner ersten Frau und seine Neuverheiratung in den Jahren 1756/57 auch im privaten Bereich große Veränderungen gegeben hatte. Dass ein tatsächlicher Beginn jedenfalls nicht durch Unentschlossenheit oder fehlenden Elan herausgezögert wurde, beweist die Tatsache, dass Darjes schließlich seinen Versuch startete, ohne die mit dem Siebenjährigen Krieg (1756–1763) heraufgezogenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten noch abzuwarten. Wahrscheinlich ist, dass der Projekteur zuvor unter den Kameralisten und Ökonomen in der Teutschen Gesellschaft zu Jena und in der Erfurter Akademie der nützlichen Wissenschaften vergeblich auf der Suche nach einer Darjes bat sich demnach als Schulinspektor „keine weiteren Grentzen oder Inspection aus, als die der Inspector des Hällischen Waisenhaußes, und die ein jeder Abt und Prior in seinem Kloster habe“. LÖTZSCH, Rosenschule, S. 143 f. 269 Vgl. Akten TGJ (9), Bl. 139. Der Aufsatz ist DARJES, Kurzgefaßtes Ackersystem. 270 Für den Plan der ökonomischen Gesellschaft vgl. Akten TGJ (10), Bl. 163 f. 271 Darjes war in Jena viermal je ein Semester lang Dekan der Philosophischen Fakultät (1746/47, 1750, 1756, 1759/60), außerdem zweimal Prorektor der Universität (1748, 1756), vgl. Universitätsarchiv Jena (UAJ), M 112, M 119, M 131, M 138. Der Prorektor versah das eigentliche Rektoramt, während die Rektorwürde üblicherweise einem fürstlichen Erhalter oder hochadligen Studenten verliehen wurde. Zur akademischen Praxis des (Pro-)Rektorats und des Dekanats vgl. WALLENTIN u.a., Korporation, S. 63 ff., 67; RIDDER-SYMOENS, Organisation, S. 151 ff.
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zuverlässigen Unterstützergruppe war. Dies hatte sich geändert, als Darjes die von ihm geleitete Jenaer Freimaurerloge für sein Projekt gewann. Die Versorgung, Erziehung und Bildung von Armen war ein Bereich, in dem sich die wesentliche freimaurerische Tugend der Wohltätigkeit wirksam erweisen konnte – so war im Jahr 1753 in Stockholm ein von allen schwedischen Logen finanziell unterstütztes freimaurerisches Waisenhaus eröffnet worden, welches den Jenaern zur Inspiration dienen konnte.272 Unter dem Einfluss des Hallenser Freimaurers Philipp Samuel Rosa (geb. 1702) zeichnete sich innerhalb der Rosenloge ab etwa 1760 ein Wandel ab, der unter den Brüdern offenbar das Interesse an der gemeinsamen Unterstützung eines solchen Schulversuchs entfachte. Der freimaurerischen Idee einer verborgenen Ordensarbeit gemäß, hielt sich die Loge allerdings ganz im Hintergrund: Offiziell zeichnete Darjes allein für das Experiment verantwortlich. Am 22. Dezember 1760 nun wandte sich dieser schriftlich an seine Landesregentin Anna Amalia (1739–1807) in Weimar, um die Genehmigung zur Durchführung eines „der menschligen Gesellschafft vorzüglich nüzlichen Geschäfftes“ zu erbitten:273 Er wolle unter der Fürsorge und [dem] Beystande Gottes einen Versuch machen, ob [er auf seinem] nahe an Jena liegenden Frey-Güthgen Camsdorff nach […] beygelegten Endwurf eine Real-Schule zur Erhaltung und Erziehung armer Kinder zum Nutzen der wirthschafftlichen Beschäfftigungen werde gründen, und durch einem anhaltenden Fleiße nach und nach bis zur Vollständigkeit werde bringen können.
Er zeigte sich zuversichtlich, dass Gott „diese [s]eine Bemühung segnen“, ihm „die zur Ausführung dieser Absicht erforderlichen Mittel väterlich schencken, und […] die Kräffte verleihen werde, die Hinderniße, die sich hiebey eräugnen werden glüklich zu überwinden“. Der Herzogin stellte er in Aussicht, dass das Herz der armen Kinder, die vielleicht durch diese Einrichtung von ihrem Verderben gerettet [werden], für die gnädigste Gewehrung dieser meiner unterthänigsten Bitte den Seegen Gottes für den Trohn Ew[er] Hochfürstl[ichen] Durchl[aucht] bis in die späteste Nachwelt erbitten [werde].
Auch vergaß Darjes nicht, diplomatisch darauf hinzuweisen, dass er zuvor unter der Protektion ihres verstorbenen Schwiegervaters, Ernst August von SachsenWeimar-Eisenach (1688–1748), „mehr als fürstliche Gnade erwiesen“ bekommen habe, weshalb er darauf hoffe, „unter der gloreichen Regierung“ Anna Amalias „dieses so wichtige Werk […] gründen und ausführen [zu] können“. Diesem Schreiben beigelegt war ein handschriftliches Exemplar des später unverändert gedruckten Schulplans.274 Die Landesregentin, die übrigens gerade in 272 Vgl. ASMUS, Bekannte, S. 116 f. 273 Vgl. hier und im Folgenden LÖTZSCH, Rosenschule, S. 136 f. 274 Vgl. DARJES, Entwurf.
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diesem Jahr eine besondere Hilfskasse für niedere Schulen eingerichtet hatte, 275 forderte Anfang Januar 1761 ein entsprechendes Gutachten vom Weimarer Oberkonsistorium an,276 woraufhin dieses das Amt Jena und das dortige Konsistorium diesbezüglich Berichte erstellen ließ. Zwar äußerten die Jenaer „in der Sache ein und andere Bedencklichkeiten“, doch sahen die Mitglieder des Oberkonsistoriums selbst keinen Grund, die Zustimmung zu verweigern, wenn gewisse Auflagen gemacht würden. Ihre eigene Empfehlung beschlossen sie mit dem Ausdruck der Hoffnung, daß Gott das Werck welches seinen Grund in einer wahren MenschenLiebe zu haben scheinet, und worzu der HofRath Darjes, die äußer[lichen] Mittel nach Möglichkeit zu besorgen sich angelegen seyn laßen wird, durch seine Direction zum Seegen bringen, und zu seiner Ehre fördern werde.277
Anna Amalia ordnete daraufhin im September die Genehmigung des Projekts an, machte jedoch auch die angeratenen Auflagen, mit denen sowohl die Oberaufsicht und Rechtssprechung als auch die Prüfung und Bestätigung der Lehrkräfte der Weimarischen Landesregierung und dem Oberkonsistorium vorbehalten bleiben sollten. Außerdem hatte die neu zu eröffnende Schule den Lehrern der bereits in Jena und in dem angrenzenden Dorf Wenigenjena, in welches Camsdorf als zukünftiger Standort der Rosenschule eingepfarrt war, vorhandenen Schulen einen etwa entstehenden „beträchtliche[n] Verlust und Einbuse“ an Schulgeldern zu ersetzen.278 Darjes hatte offenbar schon deutlich früher positive Rückmeldungen aus Weimar erhalten, denn bereits am 26. Juli 1761 versicherte er Ring im oben erwähnten Brief: „In wenigen Tagen werde ich den Anfang mit 10 Kindern machen.“279 Im August dann schickte er mit Freimaurerkollegen der Rosenloge ein Schreiben an die Berliner Loge Zu den drei Weltkugeln, welchem zufolge die Jenaer Brüder die „gnädigste Erlaubnis“ zur Schulgründung bereits „täglich erwarte[te]n“.280 In diesem Brief wurde die Schule übrigens ausdrücklich zum Werk der Loge Zu den drei Rosen erklärt, welches „nur, nach den unter uns aufgerichteten Contract, von Freymaurern […] bearbeitet werden“ sollte; auch hier war der Entwurf schon in einer handschriftlichen Kopie beigefügt. In „töchterlicher Zuversicht“ schließlich baten die Brüder nun ihre Mutterloge, ihnen „zur Ausstattung derselben mit aller möglichen Tath an die Hand [zu] gehen“. Die ihm von Weimar aus schließlich erteilte „hohe Gnade“ nahm Darjes einschließlich der „ihm […] gesetzten Schrancken mit unterthänigsten Danck“ an, 275 Vgl. MENTZ, Regentengeschichte, S. 280. Darjes erhielt allerdings aus Weimar keinerlei finanzielle Zuwendungen für sein Projekt. 276 Vgl. LÖTZSCH, Rosenschule, S. 138. 277 LÖTZSCH, Rosenschule, S. 139 f. 278 Ebd., Bl. 20 f. Abgedruckt auch in DARJES, Das erste Jahr, S. 15 f. 279 LÖTZSCH, Rosenschule, S. 133. 280 Vgl. LÖTZSCH, Rosenschule, S. 163. Der Brief datiert vom 10. August 1761. Ihm ist Darjes’ Entwurf einer Real-Schule beigefügt.
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ließ sich allerdings noch einmal versichern, dass die landesherrliche Oberaufsicht seine Eigenständigkeit als Direktor nicht beschnitt.281 Bis zur endgültigen Erteilung der Konzession war es erneut Dezember geworden.282 Die nötigen Vorbereitungen waren inzwischen getroffen worden, sodass die Rosenschule bey Jena schon am 10. Januar 1762 offiziell eröffnet werden konnte. Eine Beschreibung darüber, wie diese Eröffnung im Einzelnen vonstatten ging, lieferte Darjes später im Schulbericht; zuvor hatten sich interessierte Bürger bereits aus den Zeitungen darüber informieren können.283 Vor dem Frühstück ließ der Stifter der Anstalt demnach die ersten neun aufgenommenen Kinder in seinem Stadthaus „reinigen“ und in die Schuluniform kleiden, welche sodann vom Schulverwalter zum Gottesdienst nach Wenigenjena geleitet wurden. Dort hielt Pfarrer Johann Georg Schmidt (1723–1794), der bei dieser Gelegenheit die Rosenschule einsegnete, eine später gedruckte Predigt über Jesus als das beste Muster wohlerzogener Söhne und Töchter.284 Die Kinder wurden daraufhin ins provisorische Schulhaus in Camsdorf geführt, wo Darjes eine Ansprache hielt und mit ihnen betete. Den Abschluss bildete das Mittagessen. Am darauffolgenden Tag begann der vorgesehene Schulbetrieb, „so gut als es dazumal geschehen konnte“. Als ersten Standort der Modellschule hatte Darjes einen ehemaligen Gasthof „auf [s]einen Freygütgen Camsdorff“285 ausgewählt. Das Gut, welches auch als Untercamsdorf bezeichnet wurde, lag jenseits des Flusses Saale und war von der Stadt aus durch das Saaltor und über die Camsdorfer Brücke in wenigen Gehminuten zu erreichen. Zusammen mit einem zweiten, weiter saaleaufwärts liegenden Freigut namens Obercamsdorf bildete es eine Gemeinde, die allerdings in das direkt angrenzende Dorf Wenigenjena, in dem sich ein drittes Freigut befand, eingepfarrt und eingeschult war.286 Alle drei Freigüter gehörten bis zu des-
281 282 283 284 285 286
LÖTZSCH, Rosenschule, S. 143 f. Die Konzession wurde am 22. Dezember 1761 diktiert. Vgl. DARJES, Das erste Jahr, S. 16. Vgl. ebd., S. 5 f. (Zitate); Lötzsch, Rosenschule, S. 80 ff. Vgl. SCHMIDT, Jesus als Muster. Text abgedruckt in LÖTZSCH, Rosenschule, S. 83–95. DARJES, Das erste Jahr, S. 5. Untercamsdorf, meist nur Camsdorf genannt, war direkt an der Camsdorfer Brücke westlich neben Wenigenjena gelegen, Obercamsdorf dagegen erstreckte sich am Camsdorfer Ufer bis zur heutigen Friedrich-Engels-Straße. Die heutige Karl-LiebknechtStraße nach Weimar existierte noch nicht, sondern der Weg führt am Saaleufer vor der Grünen Tanne vorbei nach Wenigenjena. Vgl. ZAHN, Geschichte Wenigenjena, S. 85 f.; KAUPP, Zinne, S. 14. Camsdorf gehörte im 18. Jahrhundert zur „Unterpflege“ des Amts Jena und war „ein so genanntes Küchendorf, weil es der Herrschaft in der Küche und mit Botenlaufen zu frohnen schuldig“ war. 1754/55 wurden, so berichtete Schauer, in Camsdorf „40 Häuser, 2 Scheunen, 14 Ställe, 39 Hintersättler (nach einer anderen Angabe 50 Unterthanen, inclus. 11 Hausgenossen), 1 Wagen, 39 Zugochsen gezählt. Ferner war 1 Bäcker in dem Orte, und konnten 4.900 Pfd. Brot gebacken, 189 Eimer Bier gebraut, 23 Pferde in den Ställen, und 11 in 2 Scheunen gestallt werden. Der Ort gab 2
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sen Tod im Jahr 1742 dem Jenaer Medizinprofessor Hermann Friedrich Teichmeyer. Danach übernahm Darjes als dessen einziger in Jena lebender Schwiegersohn die Güter in Wenigenjena und Untercamsdorf.287 Bei dem für die Schule geräumten Gebäude muss es sich um den erst Der grüne Baum, später Tanne, heute Grüne Tanne genannten Gasthof gehandelt haben.288 Dieser war zuvor von einem Pächter bewirtschaftet worden und bot „einige Wohnungen […] Man fand daselbst ein Billiard, auch konte man daselbst Speise und allerlei Bier bekommen“.289 In Darjes’ Auftrag also wurde dieses Haus „zur Schule eingerichtet“ und am 3. Januar 1762 dem Schulverwalter übergeben.290 Zudem wurden höchstwahrscheinlich auch die übrigen Gebäude und das zum Freigut gehörende Gelände wenigstens zum Teil für die Rosenschule genutzt, denn die eigens für die Schule eingerichteten Werkstätten mussten ebenso vor Ort untergebracht werden wie das von Darjes später gekaufte Vieh, welches außerdem Weideland benötigte. Der Unterricht im umgeräumten Gasthaus sollte indessen nur eine vorläufige Lösung sein: Darjes plante, recht bald „ein besonderes dieser Schule anständiges Gebäude“ errichten zu lassen.291 „Steine so wohl zum mauren als auch zum Kalke lasse ich würklich brechen“,292 hieß es Anfang 1763 im Schulbericht, und schon im Sommer davor schrieb er darüber auch an seinen ehemaligen Studenten Johann Heinrich von Brandenstein (1723–1764)293. Auf einen tatsächli-
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289 290 291
292 293
Thlr. 20 Gr. 7 Pf. auf eine Steuer, und die Gemeinde jährlich 1 Fl. vom Beizapfen.“ 1846 zählte Schauer dort „60 Häuser, und 323 Einwohner, 1 Gasthof, 1 Restauration, 2 Freigüter, 1 Schneidemühle, 1 Wollspinnmaschine und 1 Ziegelhütte“. SCHAUER, Urkundliche Geschichte, S. 29 f., 8. Vgl. ebd., S. 33. Das Gut Obercamsdorf war um 1750 im Besitz Wilhelm Ludwig August Typkes sowie des Landcammerraths August Heinrich Typke. Dort befand sich eine Schneidemühle, also ein Sägewerk. Laut Schauer wurde der Name Tanne ab 1751 verwendet. Vor dem Gasthof stand zu dieser Zeit noch eine Scheune, die später für den Straßenneubau abgerissen wurde. In dem der Tanne gegenüber gelegenen Geleitshaus befand sich zwar ebenfalls eine sogenannte Restauration, doch gehörte dieses Gebäude nicht dem Gutsbesitzer, sondern der Herrschaft. Vgl. ebd., S. 8, 30 ff.; auch KAUPP, Zinne, S. 13. MÜLLER, Lebens Vorfälle, S. 165. DARJES, Das erste Jahr, S. 5. Ebd. Laut Böhm hatte Darjes „ein großes Grundstück hinzugekauft …, das einmal die erneuerte und erweiterte Erziehungsanstalt tragen“ sollte, er gibt allerdings keine Quelle für diese Information an. BÖHM, Jenaer Schulen, S. 155. Womöglich bezieht sich diese Aussage auf den im Schulbericht verzeichneten Erwerb eines Feldes, welches jedoch den Absichten der Schule entsprechend als solches genutzt worden sein wird. DARJES, Das erste Jahr, S. 14. Brandenstein studierte vom 15. März 1742 an in Jena (vgl. Matrikel Jena). Er war Superintendent in Harburg, als sich Darjes 1762 brieflich an ihn wendete: „Ich habe auch bereits den Anfang gemacht Steine brechen zu laßen, um mit der Zeit ein Gebäude aufzuführen, das zur Vollständigkeit dieses Geschäftes erforderlich [ist]“. LÖTZSCH, Rosenschule, S. 134 f. Zu Brandenstein vgl. BURGER, Pfarrerbuch Bayerisch-Schwaben, S. 23.
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chen Baubeginn gibt es keine Hinweise. In diesem Zusammenhang erscheint jedoch die Notiz Schauers bemerkenswert, welche die Erneuerung und den Ausbau der Schneidemühle in Obercamsdorf mit gleichzeitiger Errichtung einer „Ziegelhütte“ betrifft: „Das neue Gebäude soll vom geh[eimen] Rath Dr. J. G. Darjes aufgeführt worden seyn.“294 Dass der Gelehrte auf dem nicht in seinem Besitz befindlichen Gut Bauarbeiten ausführen ließ, ist weniger merkwürdig unter der Vermutung, dass dies in Verbindung mit seinem Schulversuch geschah. Der Entwurf jedenfalls sah die Errichtung von gewinnbringenden „Fabriken“ zum Erhalt der Schule vor, wofür sich ein Sägewerk und eine Ziegelei möglicherweise eignen würden; der Ort war nur wenige Minuten vom bisherigen Schulgebäude entfernt und das Baumaterial lag offenbar ungenutzt bereit. Womöglich ist also die spätere Behauptung des Freiherrn Carl Wilhelm Heinrich von Lyncker (1767–1843), die Rosenschule habe sich „in der dermaligen Schneidemühle bei Camsdorf“ befunden,295 keine bloße Ungenauigkeit, sondern verdient im Gegenteil besondere Beachtung.
3.3.
Die Schüler und ihre Versorgung im Kontext der Fürsorgeerziehung
Hinsichtlich der Zöglinge fällt die in der Rosenschule von Anfang an eingeplante völlige Fürsorge für die aufgenommenen Kinder ins Auge, die sich so für keine andere Realschule nachweisen lässt: Im Entwurf schon hatte Darjes festgelegt, sämtliche Schüler müssten „in dieser Schule ihren Unterhalt finden“.296 Ausdrücklich ist sowohl in einem Brief der Jenaer Freimaurerloge Zu den drei Rosen an die Mutterloge in Berlin als auch in einem Schreiben Darjes’ an einen Freund jeweils von einer Einrichtung „zur Ernährung und Erziehung armer Kinder“ die Rede.297 Dabei schien offenkundige Armut das wichtigste Kriterium für die Aufnahme eines Kindes in die Schule darzustellen – dem Schulplan zufolge sollte die Schülerschaft aus „armen Kindern“ beiderlei Geschlechts gebildet werden, wohl gar aus Kindern, „die sich durch das Betteln ernähren“ mussten, wenn Darjes sich an anderer Stelle auch die Option offenhielt, dass nicht alle „völlig
294 „Die Schneidemühle […] ist durch den fürstlichen Baumeister Johann Moriz Richter aus Weimar neu ausgebaut, und dabei eine Ziegelhütte angelegt worden“. SCHAUER, Urkundliche Geschichte, S. 36. Im Original teils hervorgehoben. Schauer gibt allerdings kein Jahr an. Weder beim Bauaktenarchiv noch beim Stadtarchiv in Jena konnte ich eine genauere zeitliche Eingrenzung in Erfahrung bringen. 295 LYNCKER, Am Weimarer Hof, S. 26. 296 DARJES, Entwurf, S. 8. 297 LÖTZSCH, Rosenschule, S. 163, 132. Hervorhebung von mir.
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arm“ zu sein bräuchten.298 Die schließlich wirklich angenommenen Schüler charakterisierte Darjes wiederholt als „arme und von der Welt verlassen gewesene Kinder“;299 auch wählte er aus dem „Haufen“ verwahrloster Jungen und Mädchen, welche am Tag nach der Schuleröffnung zusätzlich um Aufnahme baten, „drey aus, welchen die Hülffe am nöthigsten war“.300 Ein Verzeichnis der Schüler konnte zwar nicht ausfindig gemacht werden, doch waren den Kirchenbüchern von Camsdorf und Wenigenjena zwei konkrete Angaben zu entnehmen: Unter den im Jahr 1763 Bestatteten verzeichnen sie einmal die zwölfjährige Magdalena Sybilla Schmid, ein vaterloses Mädchen aus Obercamsdorf, und zum Zweiten den eben so alten Johann Friedrich Petri aus Weimar mit dem Hinweis, sie seien „in der RosenSchule“ verstorben.301 Aus dem Schulbericht ist ebenfalls kaum etwas über die Kinder zu erfahren, Darjes äußerte sich darin über seine Schützlinge nur sehr allgemein. Allerdings finden sich Angaben zu Anzahl, Geschlecht, Alter und Herkunftsmilieu der zuerst aufgenommenen Kinder. Demnach wurden am 4. Januar 1762, also bereits eine Woche vor der offiziellen Eröffnung, neun „recht arme Kinder als 6 Knaben und 3 Mädgen“ im Alter von sieben bis zehn Jahren die ersten Zöglinge der neuen Anstalt – diese „verlassene und zum Theil verhungerte Jugend“ war größtenteils nur dürftig bekleidet, ihren Zustand beschrieb der Schulgründer als „völlig roh“, eine „ordentliche Lebensart“ sei ihnen „ungewöhnlich“.302 Die meisten hatten nie zuvor eine Schule besucht, nur zwei konnten ein wenig lesen. Zunächst wurde den elementaren Bedürfnissen der verwahrlosten Kinder nach Kleidung, Kost und Wohnung entsprochen. Ganz offensichtlich stand die Rosenschule also, obschon diese Bezeichnung nirgends fällt, den Konzepten der gemischten Armen- und Waisenhausschulen sehr nahe und ist daher durchaus auch als Einrichtung der Armenfürsorge zu untersuchen. Darjes folgte damit dem sich schon seit Jahrzehnten manifestierenden gesellschaftlichen Ansinnen, eine differenzierte Fürsorge für die Armen und Untüchtigen zu organisieren und zu übernehmen. Im Großherzogtum Sachsen-WeimarEisenach erstreckte sich über fast das gesamte 18. Jahrhundert eine Zeit der Waisenhäuser: Von 1694 bis 1784 bestand eine solche Einrichtung in Eisenach, ab 298 299 300 301
DARJES, Entwurf, Titel, S. 3, 5, 8. Ders., Das erste Jahr, S. 6, auch S. 8. Ebd. Die Einträge lauten: „Am 11 Januar ist weiland Johann Nicolaus Schmids, gewesenen Innwohners zu OberCammsdorff hinterlassenes Töchterlein Magdalena Sybilla, zu Cammsdorff in der RosenSchule an einem auszehrenden Fieber selig entschlaffen, dessen erblaster Cörper den 13 dito … begraben wurde. Ihres alters 12 Jahr 4 Monat 3 Wochen und 4 Tage“ und „Den 9 Septembr. Mittags halb 12 Uhr ist ein Knabe in der RosenSchule nahmentlich Johann Friedrich Petri, gebürtig von Weimar, verstorben und den 10 dito abends begraben worden. Seines alters 12 Jahr“. AKirchJ, Kirchenbücher, Bestattungen 1763. 302 Vgl. DARJES, Das erste Jahr, S. 5, S. 7 f.
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1695 betrieb der Jenaer Stadtrat die Eröffnung eines dann 1786 wieder aufgelösten Waisenhauses,303 und zwischen 1713 und 1784 wurden auch in Weimar Waisenkinder in einem eigenen Gebäude untergebracht.304 Nahmen weder Verwandte noch Freunde der Familie elternlose Kinder zu sich, so wurden diese von ihrer Gemeinde zuvor üblicherweise in den für Arme, Alte, Kranke und geistig Verwirrte (beiderlei Geschlechts) bestimmten Hospitälern versorgt, so in Jena bis 1701 im „Weiber- oder Schwester-Hospital zu St. Maria Magdalena“305 in der Saalvorstadt. Die Gründung besonderer Waisenhäuser schließlich war somit nicht nur Zeugnis einer als problematisch wahrgenommenen Anzahl sich selbst überlassener Kinder in den Städten – sie war vor allem Ausdruck dafür, dass Kindern unter den Fürsorgebedürftigen allmählich ein Sonderstatus zuerkannt wurde. Gleichwohl blieben diese Einrichtungen, was Organisation und Verwaltung betraf, oft eng mit Zucht- oder Arbeitshäusern verbunden, denn hier wie dort war ein Hauptbestandteil des Konzepts, die jeweiligen Insassen durch einfache (Hand-)Arbeiten ihren eigenen Lebensunterhalt bestreiten zu lassen. So standen in Eisenach ab den 1720er Jahren das Waisen- und das Zuchthaus von einer gemeinsamen Mauer umschlossen direkt nebeneinander, und die Kinder wurden, wenigstens in den Anfangsjahren, zum Spinnen von Wolle angehalten. In Jena war zuerst ebenfalls die Angliederung eines Zuchthauses an das Waisenhaus vorgesehen, dann jedoch wurden im Jahr 1757 zwei Spinnstuben für Dirnen und in Not geratene Mitbürger, die sogenannten Hausarmen, eingerichtet. Zu dieser Zeit existierte schon seit über 30 Jahren eine verpachtete Waisenhausbuchdruckerei mit Buchhandel, „welche die Jenaer Studenten erfolgreich mit Büchern und Schreibwaren belieferte“306 – auch Darjes hatte hier schon Lehrbücher drucken lassen.307 Einzelne Kinder, die zuvor wahrscheinlich vorwiegend mit Strumpfwirken beschäftigt worden waren, arbeiteten dort als Lehrlinge. In 303 Über das Jenaer Waisenhaus, welches in der heutigen Bachstraße gelegen war, schrieb Wiedeburg im Jahr vor dessen Schließung, es sei „zwar nicht ansehnlich aber weitläuftig […] mit einem großen Garten“. Die Eröffnung sei 1701 möglich geworden, nachdem „hauptsächlich durch mildeste Unterstützung und Stifftungen“ der in diesem Jahr verstorbenen „Herzogin Johannette von Eisenach […] das sonstige Bambergische Vorwerk […] nebst noch einigen umstehenden kleinen Häusern erkauft“ werden konnte. WIEDEBURG, Beschreibung, S. 278 f. Im Original teils hervorgehoben. 304 Vgl. hier und im Folgenden ELSTER, Fürsorgeerziehung. Zum Waisenhaus in Eisenach vgl. ebd., S. 36 f., in Jena S. 37–41 und in Weimar S. 41–60. 305 Vgl. WIEDBURG, Beschreibung, S. 278, Anm., Zitat S. 288. 306 KLINGER, Zeichenschule, S. 17. Die Waisenhausbuchhandlung hatte 1719–1724 Johann Meyers (†1709) Witwe Dorothea Margarethe gepachtet, ab 1724 Christian Franz Buch (†1754), danach Johann Christoph Fischer, vgl. PAISEY, Buchdrucker, S. 30, 61, 174. Wiedeburg zufolge wurde 1722 „eine Buchhandlung daselbst angelegt“, welche 1785 „bereits längst eingegangen“ war. WIEDEBURG, Beschreibung, S. 279, Anmerkung. 307 Auf seinen Lektionszetteln von 1739/40 beispielsweise informierte Darjes darüber, dass sein Lehrbuch für Natur- und Völkerrecht „im Waysen-Hauße“ gedruckt und verkauft werde, vgl. UAJ, M 98, Bl. 125; M 99, Bl. 100.
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Weimar waren für die Waisenkinder mehrere Stunden täglich zum Federnschleißen oder Spinnen bestimmt. Letzteres war auch im evangelischen Waisenhaus in Erfurt eine Beschäftigung der älteren Zöglinge, während die jüngeren Kinder Wolle zupfen mussten.308 Alle diese Waisenhäuser aber wurden von Anfang an auch als Erziehungs- und Bildungsorte verstanden und eingerichtet: Die Jenaer vater- oder elternlosen Kinder sollten dem Stadtrat zufolge „zur Gottesfurcht, Zucht und Christlichen Tugenden auferzogen werden“,309 bis sie nach ihrem zwölften Lebensjahr in eine Lehr- oder Dienstbotenstelle treten konnten, es gab für alle Waisenhäuser jeweils einen eigenen Lehrer, und aus Weimar ist sogar ein Tagesplan überliefert, der vormittags und auch für zwei Nachmittagsstunden Schulunterricht verzeichnete. Im Erfurter evangelischen Waisenhaus, welches übrigens ein ansehnliches Kunst-, Antiquitäten- und Naturalienkabinett vorzuweisen hatte,310 erteilte nach dem Bericht Christian Reicharts von 1762 ein Student den Insassen täglich Stunden im Christentum, Lesen, Schreiben, Rechnen und Singen.311 Die Kinder sollten also nicht, wie die erwachsenen Armen- oder Zuchthäusler, nur über einen gewissen Zeitraum hinweg versorgt und beschäftigt, sondern zusätzlich für ein zukünftiges, von ihnen selbst zu meisterndes Dasein nach dem Austritt aus dem Waisenhaus gerüstet werden. Zumindest vom Weimarer Waisenhaus allerdings ist bekannt, dass dieser Bildungsanspruch schon aus finanziellen Gründen nur äußerst bescheiden verwirklicht wurde: Der kümmerlichen Bezahlung halber arbeiteten dort, so Elster,312 nur ausgediente Soldaten oder auch ein wegen schlechten Lebenswandels entlassener Pfarrer als Waisenhaus-Lehrer, nicht selten fiel der Unterricht zugunsten noch anstehender Handarbeiten ganz aus. Ganz anders hingegen sah es bei dem aus pietistischer Initiative entstandenen, mit einem aufsehenerregenden Reformschulkomplex verbundenen Waisenhaus Franckes in Halle aus, welches unter anderem in Züllichau nachgeahmt wurde. Wie noch zu sehen sein wird, war es äußerlich eher diese Richtung der Armenfürsorge und -erziehung, welche bei der Rosenschule eingeschlagen wurde. Womöglich hätte Darjes für sein Reformprojekt auch die in Jena bereits vorhandene Einrichtung für elternlose Kinder nutzen und ausbauen können: Waisenhäuser hatten sich ja bereits in mehreren Fällen für die Erprobung neuer Schulpläne als geeignet erwiesen. Auch wenn hier üblicherweise keine großzügigen Mittel zur Verfügung standen, so gab es wahrscheinlich 308 Vgl. REICHART, Mangel der Schulen, S. 299. 309 Zitiert nach ELSTER, Fürsorgeerziehung, S. 38. 310 Inwieweit dies tatsächlich für den Unterricht im Waisenhaus genutzt wurde, lässt sich nicht ermitteln. Reichart zufolge war es für Besucher zugänglich, welche sich für die Besichtigung durch Spenden an die bedürftigen Kinder erkenntlich zeigen sollten, vgl. REICHART, Gemischte Schriften, S. 314, 326. 311 Vgl. REICHART, Mangel der Schulen, S. 299 f. Ein Bericht Von der Kunst-Antiquitäten-und Naturalien-Kammer im hiesigen evang. Waisenhause findet sich in dessen Gemischten Schriften, S. 307–330. 312 Vgl. ELSTER, Fürsorgeerziehung, S. 45 f.
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mehr Raum für Neuerungen als etwa an öffentlichen (höheren) Schulen, an denen die Eltern für das zu entrichtende Schulgeld die altbewährten Gegenleistungen einforderten. Für den Jenaer Professor aber kam offenbar eine schon bestehende öffentliche Einrichtung als Ort für seine Versuchsschule nicht infrage. Dies ist insofern begreiflich, als Darjes hier seine Pläne nur nach dem Gutdünken des Stadtrats und der Waisenhauskommission hätte umsetzen können. In der Rosenschule nun wurde unbürokratisch und kostenlos geholfen: Eine Anmeldung der Kinder zum Besuch dieser Versuchsschule durch Eltern oder Vormund scheint im Gegensatz zu anderen Schulen nicht erforderlich gewesen zu sein, zahlreiche arme Kinder fanden sich ja nach der Eröffnung ganz von selbst ein. Auch Schulgeld wurde nicht erhoben; allerdings hatte Darjes vorgesehen, dass Kinder, deren Familien dazu in der Lage waren, „etwas zur allgemeinen Casse“ zu zahlen hatten.313 In seinem moralphilosophischen Lehrbuch hatte der Gelehrte die grundlegende Gesunderhaltung des Leibes und ein anständiges Äußeres zur moralischen Pflicht erklärt – Voraussetzung einer besonderen Erziehung und Bildung der Kinder musste demnach eine Versorgung mit allem Lebensnotwendigen sein. Nach dem ersten Jahr berichtete Darjes ausführlich darüber, was in der Rosenschule für das leibliche Wohlergehen der Zöglinge unternommen worden war. Da die meisten Kinder bei ihrem Eintritt in die Anstalt keine eigenen brauchbaren Kleider314 besaßen, erhielt jedes von ihnen aus deren Mitteln „jährlich ein Paar Schuhe, zwey Paar Strümpffe, zwey Hemder und ein vollständiges Kleid“. Verschlissene Kleidung wurde später „zu Mützen und häußlichen Bekleidungen angewendet“. Bei dem Anzug handelte es sich um eine blaue Schuluniform mit gelben Aufschlägen und einer gelben Rose auf der linken Seite „zum Zeichen dieser Schule“, wie Darjes erklärte. Verpflegung315 gab es in der Schule täglich dreimal, vor allem Suppe mit Brot, außerdem Gemüse und zweimal wöchentlich Fleisch, dazu jeweils mittags und abends „eine halbe hiesige Kanne Bier“.316 An Sonntagen bekamen die Kinder abends „HirsenBrey“, an Festtagen Braten zum Mittagessen. Die Verköstigung also war, wenn aus heutiger Sicht auch eher einfach, für damalige Verhältnisse ausnehmend gesund, nahrhaft und regelmäßig. Den Zöglingen jedenfalls „schmeckt[e] das Essen vortreflich“, wie Darjes anmerkte.317 Über die Unterbringung gibt es nirgends eine explizite Äußerung, doch alles spricht dafür, dass die Schülerinnen und Schüler auf dem Freigut auch wohnten. Im Jahresbericht etwa waren die Zeiten zum Aufstehen und Schlafengehen angegeben, auch beschäftigte Darjes die Frage, 313 314 315 316
DARJES, Entwurf, S. 8. Zur Bekleidung vgl. Ders., Das erste Jahr, S. 4, 10, 13. Zur Verpflegung vgl. ebd., S. 4 f. Bier enthielt damals weniger Alkohol als heute und war dem oft verunreinigten Trinkwasser vorzuziehen. Eine halbe Kanne, auch als Nösel bezeichnet, entsprach im Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach einem knappen halben Liter. Vgl. NOBACK, Vollständiges Taschenbuch, S. 1380. 317 DARJES, Das erste Jahr, S. 9.
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III. AUF DEM WEG ZU EINER ERNEUERTEN SCHULE
wie Leinwand „zu BettTüchern […] herbey zu schaffen“ sei.318 Der Wenigenjenaer Pfarrer, Adjunkt Schmidt, erwähnte zudem in der Vorrede seiner gedruckten Predigt das den Kindern „einstweilen angewiesene Wohnhaus auf Dero […] Freyguth Cammsdorf“.319 Die Zöglinge nächtigten wohl in dem für die Schule geräumten Gasthof. Zur Gesunderhaltung wurden alle Kinder bei ihrer Aufnahme und dann zweimal wöchentlich gründlich gewaschen oder gebadet, auch waren bestimmte Zeiten im Tagesablauf für die tägliche Hygiene und das regelmäßige Säubern der Kleidung festgelegt. Die Knaben mussten außerdem ihre Haare der herrschenden Mode gemäß frisieren. All dies wurde von einer eigens angestellten Aufwärterin überwacht, die den Jüngeren dabei zur Hand ging.320 Innerhalb des ersten Jahres war die Anzahl der Zöglinge „bald bey dieser, bald bey jener Gelegenheit“ von anfangs zwölf321 auf 22 im Juli 1762 bis schließlich 30 bei Erscheinen des Schulberichts angestiegen, die alle ernährt, gekleidet und unterwiesen wurden.322 Dass dabei den Zielsetzungen der Schule gemäß weiterhin nicht nur Knaben berücksichtigt wurden, ist aus der baldigen Festanstellung der Näherin ersichtlich, die sehr wahrscheinlich ausschließlich Mädchen unterwies – „die Anzahl dieser Kinder wurde grösser“.323 Die genaue Herkunft der Schüler ist nicht bekannt, jedoch stammten sie vermutlich vorwiegend aus Jena und den umliegenden Dörfern. Der obige Fall des Johann Friedrich Petri aus Weimar zeigt aber, dass durchaus ein weiteres Umfeld in Betracht zu ziehen ist. Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Protokoll der Provinzial-Loge zu Hamburg und Niedersachsen vom Oktober 1762, in dem die Rosenschule als eine Einrichtung vorgestellt wurde, „in welcher besonders die Kinder verstorbener Brüder [also Freimaurer] für einen billigen Preis oder auch umsonst Erziehung und Unterricht genießen“ sollten.324 Die in einem Zeitschriftenaufsatz325 von 1804 behauptete Selektion der Schüler einzig aus „Studentensöhne[n]“ hingegen ist eine Erfindung. Entsprang Darjes’ Vorhaben, verwahrloste Kinder mit Nahrung, Kleidung, Unterkunft sowie Erziehung und Bildung zu versorgen, nicht einer vom Pietismus geformten Grundeinstellung, wie sie bei Francke und seinen Nacheiferern anzutreffen war, so dürften bei ihm in sicher nicht geringem Maß freimaurerische Prinzipien ihre Wirkung entfaltet haben. Der Professor war im Oktober 1745 der Jenaer Loge Zu den drei Rosen beigetreten und ein halbes Jahr darauf zum Vorsitzenden gewählt worden, ein Amt, welches er bis zu seinem Weggang 318 319 320 321 322 323 324 325
Vgl. ebd., S. 13 f. SCHMIDT, Jesus als Muster, Vorrede. Vgl. DARJES, Das erste Jahr, S. 5, 8, 13. In einem Schreiben der Jenaer Rosenloge wird allerdings von der Eröffnung „den 10 Jan: … mit 11 Kindern 7 Knaben und 4 Mädgen“ berichtet. LÖTZSCH, Rosenschule, S. 166. Vgl. LÖTZSCH, Rosenschule, S. 134; DARJES, Das erste Jahr, S. 8. Vgl. ebd., S. 8 f. WIEBE, Loge von Hamburg, S. 56 f. O. V., Ein patriotischer Wunsch, S. 265.
DIE ROSENSCHULE
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aus Jena 1763 innehatte. Die Einrichtung von Erziehungs- und Bildungsinstituten für bedürftige Kinder beiderlei Geschlechts – zum Teil unter Einschränkung auf Kinder (verstorbener) Freimaurer – galt unter den Brüdern als besonders „angemessene Erweisung freimaurerischer Wohlthätigkeit“, denn die wichtigste „Aufgabe der Freimaurerei“ war „die Humanität […], d.i. ausser Menschenfreundlichkeit auch Menschenbildung“.326 Hand in Hand mit dem Freimaurer handelte in Darjes der Kameralist, der ebenfalls starke Motive für ein solches Projekt mitbrachte. Dem Staat einen funktionierenden, kostengünstigen Weg zu zeigen, wie treue und brauchbare Untertanen ausgebildet werden konnten, gehörte zu den notwendigsten und lohnendsten Aufgaben auf diesem Gebiet. Gleichzeitig konnte der Gesellschaft aus der Konzentration auf arme und elternlose Kinder und Jugendliche ein doppelter Nutzen erwachsen: Deren Versorgung und Ausbildung in der Rosenschule entlastete die Gemeinde327 und würde, war sie erfolgreich, auch spätere Hilfsbedürftigkeit oder einen kriminellen Lebenswandel verhindern helfen und damit die zu erwartenden Schäden und Kosten für die Gemeinschaft langfristig senken. Die von Darjes für seine Modellschule vorgenommene Einschränkung der Zielgruppe erklärt sich also wohl hauptsächlich daraus, dass in seinen Augen bei keiner anderen Bevölkerungsgruppe ein vergleichbarer Nutzen gestiftet werden konnte.
3.4.
Die Lehrer und das Schulpersonal
Die Rosenschule in Camsdorf war also von Anfang an nicht allein als Unterrichtsort, sondern auch als Waisenhaus oder, wenn man so will, Internat gedacht. Dies bedeutete auch bei vorerst geringer Schülerzahl einen erhöhten Personalaufwand. Zur Finanzierung der Gehälter konnte Darjes auf keinerlei feste und regelmäßige öffentliche Zuwendungen zurückgreifen; er stand somit vor der schwierigen Aufgabe, trotz möglichst niedrig zu haltender Kosten für seine Absichten besonders geeignete Personen ausfindig zu machen und zur Mitarbeit zu bewegen. Pragmatisch nutzte der Schulstifter dabei vorhandene Ressourcen in seinem unmittelbaren Umfeld ebenso wie sich spontan einstellende Gelegenheiten. Bis zum Ende der vorliegenden Quellen beschäftigte die Versuchsschule
326 Freimaurerhandbuch, Bd. 3, Art. „Schulen“, S. 203. 327 In den 1720er Jahren etwa klagte der Jenaer Stadtrat „über die übergroße Zahl der ‚Waisenhausbedürftigen‘ in der Stadt und in der ‚Landesportion‘“. ELSTER, Fürsorgeerziehung, S. 39. Darjes selbst verwies auf „eine unendliche Menge armer Kinder, die sich durch das Betteln ernähren“ mussten und berichtete, dass am Tag nach der Schuleröffnung sein „Hauß mit armen Kindern, die von der Welt verlassen sind, angefüllet“ war. DARJES, Entwurf, S. 5; Ders., Das erste Jahr, S. 8.
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III. AUF DEM WEG ZU EINER ERNEUERTEN SCHULE
zahlreiche Personen, unter denen mindestens neun offenbar ganz von dieser Stelle lebten. In der Hauptsache waren die Angestellten keine eigentlichen Lehrer. Um überhaupt die nötigen Rahmenbedingungen für den geplanten Schulbetrieb zu schaffen, mussten zuerst einmal die Fragen der Schulverwaltung sowie der Versorgung der Kinder geklärt werden. Darjes verfiel auf den naheliegenden Gedanken, den Verwalter seiner Güter, J. C. Schubert, von seinen bisherigen Pflichten zu entbinden und ihn statt dessen ab dem 3. Januar 1762 für die durch die Schule anfallenden Wirtschafts- und Verwaltungstätigkeiten einzusetzen. Die Kirchenbücher von Wenigenjena und Camsdorf führen, dies bestätigend, einen Johann Christoph Schubert erst als Gutsverwalter in Camsdorf und im Jahr 1763 als „Schulverwalter auf der RosenSchule“ an.328 „Dieser Verwalter“ schreibe „eine gute Hand“, verstehe sich auf „die Spinnerey“, und sei außerdem „im Strikken sehr geschickt“, äußerte sich Darjes über ihn im Schulbericht, seine Frau aber sei „eine gute Köchin.“329 Sogleich machte er auch diese „verschiedenen Geschicklichkeiten“ des Ehepaares Schubert für die Schule nutzbar. Der Verwalter erteilte den Schülern, welche schon lesen konnten, täglich von neun bis elf Uhr Schreibunterricht und leitete die Kinder wohl auch in den genannten Handarbeiten an; eine weitere Aufgabe kam ihm an den Sonntagen zu, wenn er „so wohl früh als auch Nachmittags […] die Kinder paarweise […] in die Kirche“ nach Wenigenjena zum Gottesdienst und zurück führen musste.330 Zum Teil wurde ihm auch die Aufsicht über die Freizeitbeschäftigungen der Schüler übertragen. Seiner Frau kam wohl hauptsächlich die Sorge für die Verpflegung der Kinder zu.331 Dies umfasste neben dem Zubereiten von drei Mahlzeiten am Tag vermutlich die Anleitung der Mädchen im Kochen; darüber hinaus erteilte auch sie Unterricht im Spinnen und Stricken. Nebenher hatte Maria Elisabetha Schubert ihre eigene junge Familie zu versorgen,332 weshalb ihr eine Aufwärterin zur Hand ging. Die eigentliche Pflicht dieser Schulaufwärterin, die Darjes in seinem Bericht nur namenlos als „eine arme Frau“ anführte, war es, „die Kinder zu reinigen“ und ihnen beim Ankleiden zu helfen.333 Außerdem lag nach dem Erwerb der ersten schuleigenen Kühe und Schweine auch deren Versorgung in ihrem 328 AKirchJ, Kirchenbücher, Taufen 1761, 1763. Vgl. auch ZAHN, Kirchenbücher, S. 116. Mit der Nachfolge Schuberts in der Verwaltung des Camsdorfer Freiguts wurde spätestens im Sommer 1762 Heinrich Friedrich Eulenstein beauftragt, vgl. AKirchJ, Kirchenbücher, Taufen 1762. 329 DARJES, Das erste Jahr, S. 5. 330 Vgl. ebd., S. 8, 13 f. Zitat S. 14. 331 Vgl. auch im Folgenden DARJES, Das erste Jahr, S. 5; LÖTZSCH, Rosenschule, S. 134. 332 Im August 1761 und im April 1763 ist jeweils die Geburt eines Kindes des Ehepaars Schubert in den Taufbüchern verzeichnet, vgl. AKirchJ, Kirchenbücher, Taufen 1761, 1763. 333 DARJES, Das erste Jahr, S. 5. Vgl. hier und im Folgenden auch LÖTZSCH, Rosenschule, S. 134 f. DARJES, Das erste Jahr, S. 9.
DIE ROSENSCHULE
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Aufgabenbereich. Einer oder beiden Frauen wird außerdem das Anleiten der Mädchen im Füttern des Viehs, im Buttern usw. zugekommen sein. Von Beginn an wurden jeden Tag einige Mädchen von einer dafür stundenweise engagierten „geschickten Näherin“ im Nähen, Kunstnähen und Sticken unterwiesen.334 Da mit der Anzahl der Kinder die Zahl dieser Unterrichtsstunden notwendig ansteigen musste, stellte Darjes die Frau nach wenigen Monaten fest ein. Damit stand sie den ganzen Tag, mindestens aber über die für die Ausbildung jeweils einiger Kinder vorgesehenen neun Stunden täglich, zum Betrieb einer „ordentlichen Näherey“ zur Verfügung. Am Anfang des Jahres 1763 schließlich nahm Darjes überdies Verhandlungen mit „einem geschickten Leineweber“ auf und überzeugte ihn, „auf [s]ein Güthgen [zu] ziehen, und zum Nutzen der Schule [zu] weben“335 – neben der Näherei wurde damit auch eine Weberei eingerichtet. Außer diesen ersten „Personen, welche […] würklich in der Schule […] ernährt und besoldet“ wurden,336 beschäftigte Darjes für den praktischen Unterricht weitere Männer nach Bedarf und Gelegenheit jeweils wenige Stunden oder über einen kurzen Zeitraum. Zuerst kam der Schulstifter mit einem „hiesigen Paruckenmacher“ überein, dass dieser ein paar größeren Knaben an zwei Nachmittagen pro Woche „das Haar- und Parruquen accomodiren“ beibringen sollte.337 Der Bedarf an Woll- und Leinenstoffen für die Schulkleidung und andere Textilien ließ ihm zudem eine Unterweisung der Kinder im Spinnen angeraten erscheinen. Der Professor beauftragte daher in der zweiten Jahreshälfte 1762 „einen Wollspinner“ damit, einer gewissen Anzahl Schülern Lehrstunden zu erteilen. Etwas später ließ er zudem „einige Mädgens“ das Spinnen von Leinengarn erlernen.338 Selbst als im Dezember preußische Soldaten in Jena und den umliegenden Dörfern einquartiert waren, nutzte der Professor diesen Umstand sogleich für die praktische Ausbildung mehrerer Knaben im „Spinnen auf der Spindel“, welches die Männer meisterhaft beherrschten.339 Die Weitergabe besonderer Handwerkskünste an die Schülerinnen und Schüler wurde vermutlich auch in den folgenden Monaten, über die keine schriftliche Nachricht vorliegt, in ähnlicher Weise fortgeführt. Abgesehen vom Verwalter jedoch trugen all diese Personen noch nichts zum eigentlichen Schulunterricht bei. Für die elementare Unterweisung vor allem in der Religion war mit der offiziellen Eröffnung der Schule die Einstellung eines 334 335 336 337
Ebd. Im Folgenden ebd., S. 9, 13; LÖTZSCH, Rosenschule, S. 134 f. DARJES, Das erste Jahr, S. 13. LÖTZSCH, Rosenschule, S. 134. Vgl. DARJES, Das erste Jahr, S. 8, 14. Demnach wurden „wöchentlich einige Stunden zwey der größten Knaben“ bzw. „des Mittwochs und Sonnabends Nachmittag […] einige Knaben“ vom Perückenmacher unterrichtet. An Brandenstein schrieb Darjes, „einige Buben“ gingen „wöchentlich 2 Stunden“ zum Perückenmacher. LÖTZSCH, Rosenschule, S. 134. 338 DARJES, Das erste Jahr, S. 10. 339 Ebd., S. 13.
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III. AUF DEM WEG ZU EINER ERNEUERTEN SCHULE
von der Weimarer Landesherrschaft bestätigten Schulhofmeisters erforderlich. Darjes’ Wahl fiel, wie er im Schulbericht mitteilte, auf den „geschickten Studioso Theologiae Herr Wilhelm Leberecht Kettenbeil aus Bretleben im Thüringischen gebürtig“, welcher am 20. Februar 1762 seine Stelle antrat, nachdem er genau einen Monat zuvor am Weimarer Hof examiniert und zugelassen worden war.340 Im Jenaer Depositionsbuch, nicht aber in der Matrikel selbst, ist unter dem 27. November 1759 „Wilhelmus Lebrecht Kettembeilius, Thuringius“ eingetragen.341 Geboren am 28. September 1738 als zweitjüngstes von neun Kindern des Bretlebener Pfarrers Georg Christian Kettembeil und seiner Frau Helene Christina Gander, hatte er demnach mit 21 Jahren sein Studium in Jena angetreten; auch zwei seiner Onkel väterlicherseits und mindestens einer seiner älteren Brüder hatten schon vor ihm dort studiert.342 Doch nicht allein die akademische Bekanntschaft mit Professor Darjes, welcher Kettenbeil in einem Brief als einen „geschickten Auditor von mir“ bezeichnete,343 wird zur Zusammenarbeit beim Schulversuch geführt haben: Durch die ein gutes halbes Jahr zuvor erfolgte Eheschließung einer Cousine des Studenten mit einem Schwager Darjes’ gehörte er gewissermaßen zur Familie.344 Im eben erwähnten Brief benannte Darjes auch die Unterrichtsfächer, für welche Kettenbeil als Leiter der „moralischen Classe“ zuständig war: Er unterwies die Kinder „im Lesen, in der Moral und in dem Christenthum“. Genauer legte der Schulstifter dies in seinem Bericht dar, der auch eine Vorstellung von dem mit diesem Amt verbundenen zeitlichen Aufwand vermittelt:345 Jeden Morgen von um sechs bis halb sieben und abends zwischen acht und neun Uhr hatte der Schulhofmeister eine halbe Stunde mit den Schülern zu beten. Sonntags wiederholte er außerdem für sie, nach dem gemeinsamen Besuch der Predigten am Morgen und am Nachmittag, deren wichtigste Inhalte. Pro Tag waren zweimal zwei Schulstunden für die moralische Klasse reserviert, die vordergründig der sittlich-religiösen Erziehung und dem Leseunterricht dienen sollten. Als Hofmeister kamen Kettenbeil zudem Aufgaben in der allgemeinen Beaufsichtigung der Schüler zu, so üblicherweise in den beiden 340 Vgl. ebd., S. 7. 341 In der Matrikel ist dies am Ende des Wintersemesters 1759 vermerkt; unter dem 27. November listet die Matrikel selbst allerdings einen Heinrich Gotthard August Kettembeil aus Thüringen auf (vgl. Matrikel Jena). Die Schreibung des Familiennamens variiert, innerhalb der Familie findet sich Kettembeil, Kettenbeil, Kettenbol u.ä. 342 Vgl. Matrikel Jena; Pfarrerbuch Sachsen, S. 517 f. Für seine Hinweise danke ich Herrn Traugott Lucke vom Pfarramt Artern-Heldrungen. 343 LÖTZSCH, Rosenschule, S. 134. 344 Ein Bruder der Frau Darjes’, der Mediziner Christoph Wilhelm Emanuel Reichart, ging am 2. Mai 1761 eine Ehe mit Johanna Sophia Regina Kettenbeil ein. Vater der Braut und Taufpate ihres dritten Kindes (geb. 1766) war Johann August Kettenbeil, ältester Bruder des Vaters von Wilhelm Lebrecht. Darjes’ Frau Martha Friederike übrigens war Patin des zweiten Kindes (geb. 1765) aus dieser Ehe. Vgl. Pfarrerbuch Sachsen, S. 517 f.; Auskünfte der Reglergemeinde Erfurt. 345 Vgl. DARJES, Das erste Jahr, S. 7 f., 13 f.
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Spielstunden, in denen er „auf die Sitten der Kinder die Aufsicht haben“ und „die Ausschweifungen der Jugend […] verhindern“ sollte.346 Das für einen normalen Wochentag vorgesehene Arbeitspensum belief sich also auf sieben Stunden, was einer vollen Lehrerstelle entsprach, und ließ wenig Zeit für andere Vorhaben, etwa das noch unabgeschlossene Studium – immerhin aber wurde Kettenbeil besoldet und beköstigt.347 Laut Darjes’ Schilderung füllte er sein Amt ernsthaft und engagiert aus: „Der Herr Hofmeister wendete alle Mühe an, den Kinder dieß begreiflich zu machen, was das heisse aus Liebe zu Gott das Guthe thun und das Böse lassen“, heißt es im Schulbericht, und „gab sich alle Mühe diese Kinder also zu führen, daß sie Lust bekamen nach dieser Triebfeder zu handeln“.348 Offenbar waren seine Bemühungen in der Tat nicht unfruchtbar, wie aus dem Bericht weiter hervorgeht: „Die Sitten wurden sinnlich angenehm. Ein jeder, der diese Jugend sahe, bezeigte einen Beyfall.“ Jedoch arbeitete der Theologiestudent nur ein gutes Jahr als Schulhofmeister – am 17. April 1763 verstarb er mit erst 24 Jahren.349 Für die Schule muss sein Tod einen ganz wesentlichen Verlust dargestellt haben. Über einen etwaigen Nachfolger ist nichts bekannt. Der Fachunterricht an der Rosenschule sollte mit der Gründung einer „mathematischen Classe“ seinen Anfang nehmen. Ab Ende Juni 1762 gab bereits ein nicht näher bezeichneter Freund350 des Professors wöchentlich einige Zeichenstunden für einzelne Knaben, die „ein natürliches Geschick zum Zeichnen und zur Mathematik“ zeigten. Damit war jedoch nur ein Bruchteil des eigentlichen Darjesischen Vorhabens mit dieser Spezialklasse realisiert. Hier kam ihm Ludwig Ehrenfried Friedrich Cramer mit dem Angebot entgegen, das Amt des „Schulmathematicus“ zu übernehmen.351 Dieser junge Magister war am 17. Februar 346 Ebd., S. 8, 14. 347 Im Brief an Brandenstein wird der Schulhofmeister unter die Personen gezählt, „welche jetzo würklich in der Schule sind, in derselben ernährt und besoldet werden“. LÖTZSCH, Rosenschule, S. 134. 348 DARJES, Das erste Jahr, S. 8. 349 Vgl. Pfarrerbuch Sachsen, S. 517. 350 Denkbar wäre, dass es sich bei diesem Freund um Laurenz Johann Daniel Suckow handelte. Er wäre fachlich bestens geeignet – Darjes zumindest empfahl ihn Albrecht von Haller mit den Worten: „Dieser hat bishieher über meine Mathesin mit vielem Beyfall gelesen, und in der Krieges und bürgerlichen Baukunst vielen von Adel und andern privat unterweisung gegeben, die zum Theil bey Ihrer Königl[ichen] Maj[estät] in Preußen besonders wegen Ihrer Geschicklichkeit in diesen Wißenschafften sind begnadiget worden. Ich kann […] aufrichtig versichern, daß er nicht nur in diesen Theilen der practischen Mathematicum sondern auch in den übrigen und zwar vornemlich unter diesen in dem Glaßschleiffen und Mahlen eine große Stärke besitzet“ (Brief von Darjes an Haller, 26. September 1749) – und hätte als Darjes’ Schwager und Mitbruder in der Rosenloge Motive für eine solche Hilfeleistung in der Realschule gehabt. Auch wäre die dann erfolgte Anstellung dessen Hauslehrers als Mathematikus der Versuchsschule umso naheliegender. 351 Vgl. DARJES, Das erste Jahr, S. 10 f.
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III. AUF DEM WEG ZU EINER ERNEUERTEN SCHULE
1733 in Eisleben als Sohn des Doktors der Medizin Friedrich Kramer geboren worden und hatte mit dem Studium der Physik, Chemie, Philosophie, Mathematik und Jurisprudenz in Jena die für die Erteilung höheren Mathematikunterrichts nötigen Kenntnisse erworben.352 Er war Darjes sicherlich seit Längerem bekannt, nicht nur aus den Vorlesungen oder von den Zusammenkünften der Teutschen Gesellschaft,353 sondern vor allem, weil Cramer als Hauslehrer bei Darjes’ Schwager Laurenz Johann Daniel Suckow (1722–1801) arbeitete und somit auch Darjes’ Patensohn unterrichtete.354 Diese Arbeit dürfte Cramer aus finanziellen Gründen übernommen haben: Seine Bittschreiben an die Universität um kostenfreie Einschreibung als Student vom 10. Mai 1755 und um einen Nachlass auf die Kosten der Magisterpromotion vom 29. Januar 1761 verweisen auf sehr geringe eigene Mittel, was eine Bemerkung Suckows über den Studenten bestätigt: „Seine GlücksUmstände“, ließ er seine Universitätskollegen wissen, „sind nicht die besten, und er hat nichts vor heute zu erwerben“.355 Mit seiner mehrjährigen Praxis in der Unterweisung von Kindern sowie seiner Erfahrung sowohl in der theoretischen als auch in der angewandten Mathematik war Cramer ein Glücksfall für die Rosenschule. Er unterrichtete ab Juli 1762 jeden Nachmittag von 15 bis 17 Uhr einige Schüler in Rechnen, Zeichnen, „Glaßschleiffen“, Mechanik und „andern mathematischen Uebungen“.356 Ein Schwerpunkt lag dabei auf der praktischen Umsetzung des Könnens: „Die Sache ist bereits so weit gekommen, daß unter dieser Direction allerhand Arten von Microscopiis, simplicibus compositis und solaribus,357 Fernröhren und dergleichen Instrumente mehr verfertiget werden, welche Kenner dieser Sache in ihrer Art mit recht vollkommen nennen“, konnte Darjes nach einem guten halben Jahr berichten. Auch in einem 1823 erschienenen biographischen Lexikonartikel werden ausdrücklich Cramers besondere Fähigkeiten und die hervorragende Qualität der von ihm verfertigten mathematischen „Werkzeuge“ betont, die demnach „den größten Grad der Vollkommenheit“ aufwiesen.358 An gleicher Stelle heißt es, Darjes habe dem talen-
352 Auskunft der Evangelischen Kirchengemeinde St. Andreas-Nicolai-Petri/Pauli, Lutherstadt Eisleben. Als Herkunftsort gab Cramer selbst stets Allstedt an, wo zu dieser Zeit auch tatsächlich eine Familie Cramer ansässig war, eventuell ist er dort aufgewachsen. Zu Cramer vgl. auch im Folgenden ROTERMUND, Gelehrtes Hannover, S. 402; MEUSEL, Lexikon der Schriftsteller, Bd. 2, S. 211. Beide Lexika listen übrigens die Vornamen vertauscht auf: Ludwig Friedrich Ehrenfried Cramer. 353 Suckow schlug Cramer im Dezember 1760 als Aufnahmekandidat für die Teutsche Gesellschaft vor. Im Juni 1761 gab dieser ein Votum zu einem Rundschreiben ab, was seine tatsächlich erfolgte Aufnahme bestätigt. Vgl. Akten TGJ (10), Bl. 291, 294. 354 Vgl. UAJ, M 140, Bl. 50 ff. 355 Vgl. ebd.; Matrikel Jena. 356 Vgl. hier und im Folgenden DARJES, Das erste Jahr, S. 10 f. 357 Aufgezählt sind hier einfache, zusammengesetzte und sogenannte Sonnenmikroskope. 358 Vgl. ROTERMUND, Gelehrtes Hannover, S. 402.
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tierten Mathematiklehrer „mit seinem glücklichen Genie“ und seinem „anhaltenden Fleiß“ ganz und gar die „Aufsicht“ über die „Realschule“ übertragen 359 – vielleicht ein Hinweis darauf, dass Cramer, der auch Mitglied der Freimaurerloge Zu den drei Rosen war,360 das Amt des Hilfsinspektors oder nach Kettenbeils Tod dessen Pflichten mit übernahm. Wahrscheinlich blieb Cramer bis zur Auflösung der Rosenschule in seinem Amt. Am 8. September 1763, kurz vor Darjes’ Umzug nach Frankfurt an der Oder, bat der Student das Philosophische Dekanat schriftlich um die Eröffnung des Katheders, „ingleichen um die Erlaubniß schon vor gehaltener dissert[ation] das Jus naturae des Hr. Geheimen Rath Daries Wohlg[eboren] auslesen zu dürfen, als wozu dieselben ihm BewegungsGründe gegeben“ hätten.361 Die Arbeit als Privatdozent ab dem Wintersemester 1763/64 wurde genehmigt; Cramer las neben dem Darjesischen Natur- und Völkerrecht auch über dessen Moralphilosophie in „Suckows Auditorium“.362 Noch bis zum Wintersemester 1766/67 bot der Magister mehrere auf die Praxis ausgerichtete Kurse an der Universität Jena an, so etwa in praktischer Mechanik, Optik, Metallurgie, Naturgeschichte, „Geometria subterranea“, auch „Unterricht zur Verfertigung mathematischer Instrumente, im Modelliren, Glasschleifen u[nd] d[er]g[leichen]“ oder eine „Anleitung zum Modellieren bey Maschinen und Gebäuden“.363 1767 verließ Cramer Jena, um eine Hofmeisterstelle in Berlin anzutreten. Das Amt eines Lehrers blieb auch in den nächsten Jahren sein Broterwerb. Die Ritterakademie zu Liegnitz stellte ihn 1769 ein, am 26. Mai 1772 wurde er Hofmeister an der Ritterakademie von Lüneburg.364 Dort war Cramer am 16. Januar 1775 auch an der Gründung der Freimaurerloge Zur goldenen Traube beteiligt.365 Von 1778 bis 1784 arbeitete Cramer als Kommissar des landständischen königlichen Zuchthauses zu Celle, welche Anstellung er jedoch „durch seine Veranlassung“ wieder verlor.366 Bis zu seinem Tod am 20. November 1795 verdiente er sich seinen Unterhalt schließlich als Privatlehrer für Mathematik in Hannover. Außer seiner Magisterdisputation De bello punitivo inter gentes qua tales (Jena 1760) und Gedichten veröffentlichte Cramer im Jahr 1788 in Hannover 359 Ebd. Auch in Meusels Schriftstellerlexikon, dessen sich Rotermund laut Quellenangaben nicht bedient hatte, wird Cramer als „Aufseher der von Darjes zu Jena errichteten Realschule“ bezeichnet. MEUSEL, Lexikon der Schriftsteller, 2. Bd., S. 211. 360 In einem Schreiben der Rosenloge vom Januar 1763 unterzeichnete Cramer als Redner der Loge. Vgl. LÖTZSCH, Rosenschule, S. 170. 361 Vgl. UAJ, M 145, Bl. 1 ff. 362 Vgl. ebd., Bl. 92. 363 Vgl. NEUPER, Vorlesungsangebot, S. 59, 63, 67, 71. Bei Neuper ist ohne weitere Konkretisierung nur von „Magister Cramer“ die Rede; dem angebotenen Fächerspektrum sowie dem betreffenden Zeitraum nach muss es sich um Ludwig Ehrenfried Friedrich Cramer handeln. Für die Semester 1764 und 1764/65 sind keine Lehrveranstaltungen Cramers nachzuweisen. 364 Vgl. WEYHE-EIMKE, Äbte, S. 388 f. 365 Vgl. GRUNWALD, Lüneburg, S. 9, 12 f. 366 ROTERMUND, Gelehrtes Hannover, S. 402.
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III. AUF DEM WEG ZU EINER ERNEUERTEN SCHULE
zwei Teile einer selbstverfassten Zeitung mit dem Titel Für die Policei, welche „allen Gegenständen gewidmet“ sein sollte, „mit denen sich die Policei beschäftigt, oder die einen Einfluß in die Wohlfarth eines Landes haben“.367 Im ersten Teil wandte sich der Verfasser zunächst der Landwirtschaft, danach aber dem Handwerk zu, wobei ein Kapitel „von den Lehranstalten bei Künsten und Handwerken“,368 ihren Mängeln und Cramers diesbezüglichen Reformvorschlägen handelte.369 Problematisch erschien ihm unter anderem, dass die Knaben üblicherweise viel zu jung, also ohne jedes Vorwissen, und ohne Rücksicht auf ihre Eignung und Neigungen in die Lehre gegeben wurden, welche deswegen oft nicht den gewünschten Erfolg einbrachte. Statt der üblichen „Probewochen“ zu Beginn der Lehrzeit riet er daher den Besuch einer Realschule an, weil die Schüler dort „Gelegenheit [bekämen], sich in unterschiedlichen Handarbeiten zu üben“ und dabei sichtbar werde, „zu welcher Profession ihre Fähigkeiten und Neigungen vorzüglich hinzielen“; ein Realschullehrer, der sämtliche Handwerke in ihren Grundlagen und nach ihren Arten systematisch überblicke und sich stets an dem übergeordneten Ausbildungsziel des „selbst erfindenden Künstlers“ orientiere, verfüge zudem in diesen Dingen über ein besseres Urteilsvermögen als ein Handwerksmeister, der nur sein eigenes Handwerk überschauen könne.370 Zwei Jahre vor seinem Tod erschien von ihm ein weiterer bildungsreformerischer Aufsatz im Neuen Hannövrischen Magazin, der seinen Unvorgreiflichen Vorschlag zu zweckmäßigerer Einrichtung des Privatunterrichts in großen Städten verbreiten sollte.371 Angeregt wurden darin unter anderem gemeinsame Spaziergänge der Schüler unter 367 CRAMER, Policei, Vorbericht. 368 Ebd., S. 134–198. Der zweite Teil enthält das Ende dieses Abschnitts über die Handwerke und eine dritte Abhandlung über die Bevölkerung und die Mittel zu deren Vermehrung. 369 Cramer führte darin die seiner Einschätzung nach in aller Regel unnötig langwierige und dennoch sehr mangelhafte Ausbildung der Lehrlinge im Wesentlichen auf die überholten und wenig zweckdienlichen Gewohnheiten und Gebräuche innerhalb der Handwerks-Innungen und Zünfte zurück, die über keinerlei Mechanismen zur Sicherung eines raschen Ausbildungserfolges verfügten, ja diesem in vielerlei Hinsicht sogar entgegenwirkten. Er riet daher zu staatlicher Einflussnahme: Zuerst seien einzelne Handwerksmeister, die durch ihre Vernunft, ihr Können und ihre Sittlichkeit ein geeignetes Vorbild für zukünftige Lehrburschen abgeben würden, von den aus einer Modernisierung der Ausbildung für alle Seiten entstehenden (finanziellen) Vorteilen zu überzeugen – der sich bei diesen einstellende Erfolg werde sein Übriges tun. 370 CRAMER, Policei, S. 141 f. 371 Vgl. Ders., Unvorgreiflicher Vorschlag. Cramers Vorschlag bestand in der Zusammenarbeit verschiedener Privatlehrer, von denen jeder nach Absprache seine Lehrtätigkeit auf sein Spezialgebiet beschränken, sonst aber, übrigens ebenso wie auch die Hauslehrer der Schüler, im Unterricht hospitieren sollte. Auf diesem Wege sei ohne jede zusätzliche Maßnahme sofort eine qualitative Verbesserung des Unterrichts zu erreichen; darüber hinaus sichere die ständige gegenseitige Beaufsichtigung und die aus den Hospitationen resultierende fachliche wie methodisch-didaktische Weiterbildung aller Lehrer langfristig einen hochwertigen Unterricht.
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der Aufsicht ihrer Privat- und Hauslehrer, welche dieselben für anschauliche naturwissenschaftliche und naturkundliche Erklärungen und Experimente nutzen sollten, sowie „Besuche auf Meierhöfen, und in andern landwirthschaftlichen Häusern“, in „Fabriken und Manufakturen […], Werkstätten der Handwerker und Künstler, und die Betrachtung der aufzurichtenden Gebäude“ zum Zwecke der Bildung.372 Wie aus den beiden Texten ersichtlich wird, waren Cramers Vorstellungen von zeitgemäßem Unterricht spürbar von der Realschulidee beeinflusst, die er als junger Mann in der Theorie bei Darjes und während seiner praktischen Arbeit in der Rosenschule kennengelernt hatte. Als Hilfsinspektor der Rosenschule stand Darjes sein Freimaurerkollege Gottlieb Joachim Becker zur Seite. Becker war der am 16. Juli 1725 geborene jüngste Sohn des Geheimrats und letzten Fürstlichen Ostfriesischen Vizekanzlers Hartmann Christoph Becker und seiner Frau Sophie Rosina Hegeler.373 Aus seinem Geburtsort Aurich kam er auf das Gymnasium zu Meißen und darauf zum Studium nach Jena, wo er am 23. Oktober 1747 in die Universitätsmatrikel eingeschrieben wurde. „Er war ein offener Kopf“, berichtet sein Enkel Lambert Carl Johann Gottlieb Oldenhove, „und hatte gute Schulkenntnisse.“374 Becker wurde Mitglied der Freimaurerloge Zu den drei Rosen sowie des Hochkapitels Zion und hatte dort ab 1760 verschiedene Ämter inne.375 Von Anfang an gehörte er zum Kreis der Freimaurer, die am Realschulprojekt beteiligt waren. Nach der Eröffnung der Rosenschule hatte er offenbar sogar seine Wohnung im Schulgebäude.376 Als Darjes Jena verließ, übernahm Becker die Leitung der Anstalt vollständig, wie seine Verhandlungen mit Weimar zeigen. Ob er bei allem guten Willen der geeignete Mann für eine solch herausfordernde Aufgabe war, scheint, der Charakterbeschreibung Oldenhoves nach,377 fraglich; problematisch wird vor allem sein darin konstatierter „Hang zum Wohlleben“ gewesen sein: „Er hatte stets die angesehenen Verhältnisse, worin sein Vater gelebt hatte, vor Augen, und baute darauf Ansprüche auf kostspielige Genüsse der Welt ungeachtet seiner herabgekommenen Lage.“ Damit einher ging ein Mangel an „Willenskraft […], um allein durch sich selbst sein Glück zu bauen“. Als sich die Mitglieder der Freimaurerloge Zu den drei Rosen Ende 1763 fast geschlossen einem Betrüger anschlossen und so letztlich die Auflösung der Loge herbeiführten, befand sich Becker unter den mit Ämtern dekorierten Mitläufern. Zum Aufbau und Erhalt einer Reformschule in ihren schwierigen Anfangsjahren waren dies alles kaum günstige Vo-
372 Ebd., Sp. 87 f. 373 Aus dieser Ehe gingen 19 Kinder hervor, wovon 11 das Erwachsenenalter erreichten. Zu Gottlieb Joachim Becker und seiner Familie vgl. StA Aurich, 220/39, Nr. 56; ROUX, Roux. Für seine Hinweise danke ich Herrn Gernot Müller. 374 StA Aurich, 220/39, Nr. 56. 375 Vgl. GStAPK, FM 5.1.4, Nr. 5944; FM 5.2. J 12 Nr. 7/1. 376 Vgl. REICHART, Mangel der Schulen, S. 304. 377 Vgl. StA Aurich, 220/39, Nr. 56.
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III. AUF DEM WEG ZU EINER ERNEUERTEN SCHULE
raussetzungen. Das Unvermögen Beckers, mit Geld umzugehen, wird die ohnehin angespannte finanzielle Situation des Camsdorfer Projekts zusätzlich verschärft haben. Als es dann vermutlich 1765 letztlich zur Schließung der Rosenschule kam, blieb Becker noch eine Zeit in Jena und fand eine Anstellung als Fürstlicher Schwarzburg-Rudolstädtischer Sekretär. Diese Stelle verlor er jedoch bald wieder, sodass er sich im September 1767 genötigt sah, mit seiner Familie – er hatte sich inzwischen gegen den Willen seiner Mutter unstandesgemäß verheiratet – zurück nach Aurich zu gehen. Seinen dortigen Verdienst als Registrator verbrauchte er „zur Befriedigung kostspieliger Neigungen“, die Frau aber musste mit „weiblichen Handarbeiten“ „für sich und ihr Kind allein sorgen“.378 Nach einer erfolglosen Klage auf Herausgabe des väterlichen Erbteils kam der in finanziellen Dingen völlig untüchtige Becker auf Antrag seiner Mutter unter Kuratel, bis er am 12. Mai 1778 verstarb. „Das Schiff, dem mein Großvater sich auf dem wogenden Meere des Lebens anvertraute, führte ihn in keinen sichern Hafen“, resümierte der Enkel Gottlieb Joachim Beckers, „sein Leben […] war ein verfehltes.“379 Wie aus dem Vorangegangenen hervorgeht, verfügte die Rosenschule also trotz geringer Mittel über ein vielfältig und verhältnismäßig gut ausgebildetes Personal. Mit dem Hilfsinspektor und den studentischen Lehrern lag der Hauptanteil der Unterweisung und Aufsicht in den Händen von Akademikern. Letztere konnten mit ihrem Bildungsgrad, im Vergleich zu den sonst üblichen einfachen Landschulmeistern, einen (fachlich) hervorragenden Unterricht gewährleisten. Dass sie zudem von Darjes eigens aus dessen Studenten ausgewählt worden waren, stellte eine weitgehende Berücksichtigung und Umsetzung seiner Vorstellungen im pädagogisch-didaktischen Bereich sicher. Mit dem Engagement von Fachleuten für die Unterweisung und Anleitung der Schüler in den verschiedenen Handarbeiten und sonstigen Tätigkeiten schlug der Schulgründer den für Realschulen zunächst typischen Weg ein – wie gesehen, standen dafür ja noch kaum entsprechende Fachlehrer zur Verfügung. Dass Darjes aber auch hier auf Qualität achtete, zeigen seine Nebenbemerkungen aus dem Schulbericht: Die ausgewählten Personen waren „Meister“ oder doch wenigstens sehr „geschickt“ in ihrem Handwerk.380 Auch der für den Schreibunterricht verantwortliche Verwalter konnte offenbar nicht bloß Schreiben, sondern Schönschreiben. Zu den 378 Becker war am 3. Februar 1766 in Jena eine Ehe mit der mittellosen Vollwaisen Sophia Charlotta Roux, Tochter des ehemaligen Lektors für französische Sprache an der Universität, François Roux, eingegangen. Seine Mutter erkannte die Schwiegertochter nicht an und verweigerte ihr jede Unterstützung. Erst durch die großzügige Berücksichtigung der Tochter Aurora Sophia Catherina Bernhardina Becker 1788 im Testament ihres Onkels, des Rentmeisters Gottfried Bernhard Becker, verfügten die beiden Frauen über die Mittel, welche eine günstige Heirat Auroras mit dem Juristen und späteren Regierungsrat Claas Franz Heinrich Oldenhove ermöglichten. Vgl. StA Aurich, 220/39, Nr. 56. 379 Ebd. 380 DARJES, Das erste Jahr, S. 13.
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Kosten, die ihm durch das Personal entstanden, äußerte Darjes sich nicht. Üppige Gehälter jedenfalls hat er seinen Angestellten nicht zahlen können – da sich sowohl der Hilfsinspektor als auch die studentischen Lehrer in finanziell schwierigen Verhältnissen befanden, werden aber wohl auch diese drei mit einer über Kost und Logis hinaus nur geringen Besoldung einverstanden gewesen sein.
3.5.
Ziele, Curriculum und Organisation
Eine Bestandsaufnahme der eher äußerlichen Details, wie sie hier bisher für die Rosenschule vorgenommen wurde, liefert bereits wichtige Anhaltspunkte zum Verständnis und zur genaueren Verortung der einzelnen Schulpläne und Anstalten. Wesentlich aussagekräftiger ist in dieser Hinsicht allerdings noch die vom jeweiligen Urheber verfolgte und oft schriftlich ausgedrückte Absicht – Darjes widmete entsprechenden Erklärungen immerhin etwa ein Drittel seines Schulentwurfs. Dabei transportierte allein schon die Formulierung des Titels – Entwurf einer Real-Schule zur Erziehung armer Kinder, zum Nutzen der wirthschaftlichen Beschäftigungen – die wichtigsten allgemeinen und besonderen Intentionen. Im freimaurerischen Briefwechsel der Rosenloge mit der Mutterloge in Berlin allerdings war noch von einer „Realschule zur Ernährung und Erziehung armer Kinder“381 die Rede gewesen, womit zwei Vorhaben benannt wurden, denen offenbar eine gleiche Wertigkeit zuerkannt werden sollte: Fürsorge und eine gewisse Bildung. Die Brüder in Jena erklärten, sie wollten „diejenigen zu ihrer wahren Bestimmung zu führen, die ein feindseeliges Schicksal nur leider mehr als zu sehr davon entfernet“ – die Gründung der Schule sei damit der „erste Schritt in der Beobachtung der ersten Pflicht der Maurerey“.382 In den Schulschriften unterstrich Darjes ebenfalls den (religiös motivierten) Fürsorgegedanken hinter seinem Unterfangen: Er gab sich, was das Gelingen seines Plans anbelangte, zuversichtlich, denn dieser „im Namen Gottes“ angefangene Versuch sei ganz dem Willen des Höchsten gemäß und er selber daher voller Gottvertrauen; auch appellierte er mehr als an das Verantwortungsgefühl seiner Mitbürger und Freunde an deren Mitgefühl und ihre „MenschenLiebe“.383 Sie würden als echte „Menschenfreunde“, so zeigte er sich überzeugt, „einige Brosamen von ihren Gütern auch diesen armen Kindern zufliessen lassen“.384 Wie im Zusammenhang mit der aufgenommenen Schülerschaft besprochen wurde, trug die Rosenschule dann 381 LÖTZSCH, Rosenschule, S. 163. 382 Ebd., S. 169, 166. 383 DARJES, Entwurf, S. 3; Ders., Das erste Jahr, S. 3, 6. Der Begriff der „MenschenLiebe“ taucht in beiden Schriften mehrmals auf. 384 DARJES, Entwurf, S. 8. Ebenso in Ders., Das erste Jahr, S. 6. Der Begriff „Menschenfreunde“ wird im Schulbericht mehrmals verwendet, vgl. ebd., S. 3, 10, 11.
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III. AUF DEM WEG ZU EINER ERNEUERTEN SCHULE
tatsächlich deutliche Züge eines Waisenhauses, und so kann in einer Fürsorgeerziehung gewiss eine Absicht der Anstalt gesehen werden. Auffällig jedoch ist, dass im Titel des gedruckten Konzepts gerade der Begriff „Ernährung“ wegfiel, der hierfür sinnbildlich stand. Somit wurde dieser Aspekt vom Gründer selbst nicht als eigentliches Kernstück des Versuchs angesehen, sondern vielmehr als dessen nötige Voraussetzung. Der Kameralist Darjes wollte seinen Mitbürgern vorführen, dass und auf welche Weise selbst bettelarme, verwahrloste Kinder bei angemessener Versorgung mit „den GlücksGütern“ und in „einer regelmäßigen Einrichtung, in welcher sie die erforderliche Unterweisung geniessen können“, zu vielseitig geschickten Gehilfen in Haus- und Landwirtschaft erzogen werden konnten.385 Erziehungs- und Bildungsprozesse benötigen allerdings ihre Zeit und sind mit ihren eher langfristigen Erfolgen kaum für wirksame Werbekampagnen geeignet. Gerade in seinem Beginn aber war das Projekt ganz vom Wohlwollen und von den materiellen Zuwendungen der Öffentlichkeit abhängig, und so versuchte Darjes, in seinen Schriften den Ton zu treffen, der seine Leser zur Freigiebigkeit oder wenigstens Wohlgewogenheit der Rosenschule gegenüber bewegen würde. Almosen und Fürsorge für Arme, zumal für Kinder, waren traditionell positiv besetzt und das bald gepflegte, reinliche Äußere der zuvor verwahrlosten Kinder, ihre Munterkeit sowie ihr ordentliches Betragen mussten jedermann angenehm ins Auge fallen. Dass Darjes diese positive äußerliche Wirkung bewusst mit nutzte, zeigt beispielsweise die eigens entworfene adrette Schuluniform, in welcher er die sauber hergerichteten Kinder am Tag der Schuleröffnung überdies nicht vom abgelegenen Camsdorf, sondern von seinem Jenaer Stadtwohnhaus aus386 durch die halbe Stadt und die Saalvorstadt nach Wenigenjena zum Gottesdienst führen ließ. So erhielten die Wohltäter eine prompte Rückmeldung über den Nutzen ihrer Spenden. Der Gründer selbst legte den Schwerpunkt bei seinem Experiment auf die Funktion als Schule, in welcher nach seinem Konzept zeitgemäße Erziehung und Bildung zum Vorteil des Staats Realität werden sollte: Er wolle, so gab Darjes im Entwurf an, „die Wohlfarth der menschlichen Gesellschaft durch eine regelmäßige Erziehung armer Kinder […] befördern“. Auch das unterrichtende Personal werde von der „Lust“ angetrieben, „Kinder zum Nutzen der Welt zu bilden“.387 Diese ganz kameralistische Sicht auf Ziel und Zweck von Schule setzte sich fort in der ebenfalls schon im Titel enthaltenen Festlegung der „besonderen Absicht“ der Rosenschule, über welche sich der Gelehrte ausführlicher erklärte: Die aufge-
385 Vgl. DARJES, Entwurf, S. 4 f. Zitate S. 5. 386 Vgl. SCHMIDT, Jesus als Muster, Vorrede. 387 DARJES, Das erste Jahr, S. 7. Im Übrigen schrieb auch der Wenigenjenaer Prediger Schmidt, er wolle „durch Beyhülfe ihres Lehrers im Christenthum“ bei den Kindern die Grundlagen dafür schaffen, „daß sie […] nützliche Glieder der menschlichen Gesellschafft zu werden, fürnehmlich glückliche Mitglieder in dem Reiche Jesu Christi zu seyn sich bestreben“. SCHMIDT, Jesus als Muster, S. 4.
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nommenen Kinder sollten „zum Nutzen der wirthschaftlichen Beschäftigungen“ unterwiesen werden.388 Darjes legte seinen Lesern vor Augen, welchen bedeutenden Einfluss die Wirtschaft – nämlich einmal die Land-, zum anderen die Stadtwirtschaft und außerdem die „moralische Wirtschaft“389 als eine Art allgemeine Versiertheit in wirtschaftlichem Handeln – auf die allgemeine „Wohlfarth“ hatten, und welch eklatanter Mangel an fähigen Menschen beiderlei Geschlechts diesem gegenüberstand. Seiner Analyse zufolge fehlte es den menschlichen „Werkzeugen, die wir zur Erreichung unserer gesellschaftlichen Absicht nöthig haben“, „sowol an dem Wollen, als auch an dem Vermögen“: Ihnen lag weder „das Wohl ihrer Herrschaft und ihrer Meister am Herzen“, noch verfügten sie über die nötige „Geschicklichkeit“ und „Erkenntiß“.390 Mit einer geeigneten Ausbildung wollte Darjes diesem Missstand künftig vorbeugen. Bereits im Schulplan ist in groben Zügen angegeben, wie diese Absichten durch eine entsprechende äußerliche Einrichtung, vor allem natürlich aber durch ein passendes Bildungskonzept umgesetzt werden sollten. Gemäß den beobachteten Defiziten waren die Jungen und Mädchen erstens auf eine wirtschaftliche Betätigung „in der häuslichen Gesellschaft“, „in der Landwirthschaft“, „in den Gewerken“ oder „in den Manufacturen“391 theoretisch und praktisch vorzubereiten. Zweitens aber hatte Darjes vor, im Rahmen einer sittlich-religiösen Erziehung das besagte „Wollen“ bei seinen Zöglingen zu bewirken. Im ersten Jahresbericht wurden dann Inhalt und Struktur der Unterweisung genau dokumentiert; einen Überblick bietet die aus dem Text erstellte Abbildung im Anhang. Die für alle Kinder obligatorische Grundlage bildete der allgemeine Unterricht in der zuerst gegründeten „moralischen Classe“. Dort wurde von den Schülern nicht nur das Lesen geübt, sondern vor allem „ihr Herz durch die Unterweisung in einer gesunden Moral menschlich […] [ge]bildet, und dies menschlich gebildete Herz in den Lehren und in den Regeln des wahren Christenthums […] unterrichtet“392 – die zuerst ebenfalls für den allgemeinen moralisch-ökonomischen Unterricht angedachten Inhalte „Schreiben, Rechnen, Zeichnen“ und die Vermittlung praktischer Klugheitsregeln hingegen scheint Darjes bei der tatsächlichen Ausführung in den besonderen Unterricht ausgelagert zu haben. Wie in der Theorie vorgesehen, existierten allerdings zwei nach der Lesefertigkeit der Schüler unterschiedene Stufen: eine für die Anfänger, welche sich jeden Morgen von sieben bis neun Uhr versammelten, und eine zweite für die Lesekundigen, die sich zwischen ein und drei Uhr trafen und vom Verwalter zusätzlich zwei Stunden Schreibunterricht pro Tag erhielten. Eine Zuweisung zu diesen Stufen nach
388 389 390 391 392
DARJES, Entwurf, S. 3. Ebd. Ebd., S. 4. Ebd. DARJES, Das erste Jahr, S. 3.
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III. AUF DEM WEG ZU EINER ERNEUERTEN SCHULE
Alter wurde nicht vorgenommen, doch werden an der nachmittäglichen „moralischen Classe“ eher die älteren Kinder teilgenommen haben, da dort auch der anspruchsvollere Sitten- und Religionsunterricht nach dem Katechismus stattfand. Zum Inhaltlichen äußerte sich Darjes nur ungenau – den Zöglingen werde erklärt, „was das heisse aus Liebe zu GOtt das Guthe thun und das Böse lassen“ und „Lust“ gemacht, „nach dieser Triebfeder zu handeln“.393 Insgesamt dürfte sich der Elementarunterricht in der Rosenschule damit nicht wesentlich von dem der niederen deutschen Schulen unterschieden haben, wenn er auch von einem studierten Theologen und der Tendenz nach sicher eher als anschaulicher Realienunterricht gestaltet wurde. Darjes’ moralphilosophischer Lehre gemäß aber müsste es eine andere Besonderheit gegeben haben, nämlich dass weder Belohnung noch Zwang oder Strafe, sondern Geduld und Liebe bei der Erziehung der Schüler eingesetzt wurden. Das Angebot an „besonderem“ Unterricht, welcher sich nicht an alle Schülerinnen und Schüler gleichermaßen richten sollte und den eigentlichen Realschulcharakter der Rosenschule ausmachte, eröffnete Ende Juni 1762 ein provisorischer wöchentlicher Zeichenkurs, da „einige von den in die Schule aufgenommenen Knaben […] durch ihre Handlungen ein natürliches Geschick zum Zeichnen und zur Mathematik [zeigten]“; daraus ging kurz darauf die „mathematische Classe“ unter der Leitung Magister Cramers hervor, in der die ausgewählten Schüler morgens von sieben bis neun und nachmittags von drei bis fünf Uhr in angewandter Mathematik unterwiesen wurden.394 Dies waren in der Tat für eine Realschule typische Materien, die in den üblichen einfachen Schulen nicht zum Schulstoff gehörten. Aus dem Schulbericht geht nicht hervor, ob zu den beiden angegebenen Zeiten jeweils die gleiche oder zwei verschiedene Schülergruppen unterrichtet wurden. Eine zweifache Abstufung wie in der „moralischen Classe“ erscheint plausibel, allerdings könnten ebensogut beispielsweise eine Theorie- und eine Praxisphase auf den Tag verteilt worden sein. Da die mathematischen Stunden am Vormittag parallel zur ersten Abteilung des Moralund Religionsunterrichts stattfanden, ist davon auszugehen, dass die Teilnehmer tendenziell ältere, bereits grundlegend gebildete Jungen waren. Ausdrücklich wurde neben der theoretischen auch eine praktische Ausbildung angestrebt und, wie der Schulbericht zeigt, auch verwirklicht: Nach der Vermittlung wichtiger Grundkenntnisse leitete Cramer die Schüler zu eigenen praktischen Versuchen in der Fertigung von Linsen und optischen Geräten an.395 Wahrscheinlich wurden diese sogar zum Verkauf gefertigt. In vergleichbarer Weise verlief der Unterricht der Mädchen in Handarbeiten, Kochen sowie „ViehFütterung, Käse und Butter machen“,396 wenn auch hier die tatsächliche Auslagerung von theoretisch 393 394 395 396
Ebd., S. 8. DARJES, Das erste Jahr, S. 10 f. Ebd., S. 11. Ebd., S. 9.
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aufbereitetem Fachwissen in eigene Unterrichtsstunden vermutlich nicht stattfand – auf Spezialklassen für die Schülerinnen zumindest kam Darjes nirgends zu sprechen. Bei alledem sollte keine abschließende Qualifikation erreicht, sondern auf eine weitere Ausbildung vorbereitet werden. Die außer der „mathematischen Classe“ noch geplanten Klassen für Ökonomie und Physik kamen wahrscheinlich vor der Schließung der Rosenschule nicht mehr zustande. Auh die angedachte besondere Berufsvorbereitung der ältesten Schülerinnen und Schüler wurde offenbar nicht mehr verwirklicht. Mit den von Darjes geäußerten Absichten, die er mit seinem Schulversuch verfolgte, sowie den darauf zugeschnittenen Bildungsinhalten, welche merklich von denen der üblichen einfachen und höheren Schulen verschieden waren, fügte sich die Rosenschule also stimmig in die Gruppe der durch die Realschulbewegung getragenen Reformschulversuche ein. Wie die anderen Schulreformer hatte Darjes dabei die Sichtweise auf Schulen entscheidend verändert: Definierten sich diese weitestgehend über ihre Leistungen – ein Ort, an dem Kinder deutsche Buchstaben lesen lernen konnten, war eine einfache Schule, der Ort, an dem sie Latein lernen konnten, eine höhere –, so lösten die Reformer diese scheinbar unabänderliche Verknüpfung von Schule mit ihren traditionellen Inhalten auf und stellten wieder die Frage nach zeitgemäßen Zielen von Bildung und Erziehung und den dafür brauchbaren Lehrstoffen und Methoden. Die Menschen sollten nicht länger nur das wissen und können, was Schule leistete, sondern Schule sollte das leisten, was die Menschen wissen und können mussten.
3.6.
Die Hochschätzung praktischer Arbeit
Der Charakter der Darjesischen Reformschule wird in der Sekundärliteratur unterschiedlich bewertet: Spricht beispielsweise Götze, dem Stifter folgend, in seinen beiden Veröffentlichungen von der Rosenschule als einer Realschule, so erkennt Winkler in ihr eine frühe Industrieschule, und auch Ulbricht würdigt, auf Winklers Schrift zurückgreifend, vor allem die dort offenbar praktizierte Erziehung der Kinder zur Arbeit. Der weiter vorn thematisierte, ihr innewohnende Zug der Armen- und Waisenfürsorge aus religiösen Motiven ist ein zusätzlicher Gesichtspunkt und als Besonderheit kommt die freimaurerische Trägerschaft hinzu. Die Rosenschule scheint sich bei genauerer Betrachtung also einer zweifelsfreien Zuordnung zu einer bestimmten schulreformerischen Strömung zu entziehen – bei dem im 18. Jahrhundert herrschenden Nebeneinander verschiedener, zum Teil recht kurzlebiger und sich gegenseitig beeinflussender Reformideen käme diese allerdings ohnehin einer pauschalen Etikettierung gleich. Tatsächlich aber kann insbesondere mit Winkler die Frage gestellt werden, ob Dar-
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III. AUF DEM WEG ZU EINER ERNEUERTEN SCHULE
jes’ späte Realschule nicht einfach die übliche Bezeichnung damaliger Reformschulen trug, obwohl sich in ihr bereits die neuen Tendenzen eines sich erst später etablierenden Modells abzeichneten. Als einen gewichtigen Grund, die Camsdorfer Anstalt nicht unter die Realschulen im Stile Semlers und Heckers einzuordnen, führt Winkler die in ersterer praktizierte produktive Arbeit an. Demnach hatte Darjes diese Arbeitsstunden bewusst und vorrangig ihres (berufs-)bildenden Wertes wegen in sein Konzept aufgenommen:397 Die „von den Kindern angefertigten Erzeugnisse“ dienten Darjes, so Winkler, zur „Einschätzung der wachsenden Fähigkeiten und der erlernten ‚Geschicklichkeit‘“ seiner Schüler, und „die Art und Weise, wie sie die einzelnen Arbeiten nutzbringend auszuführen verstanden“, spiegelte ihm „den Umfang der erworbenen Kenntnisse und den stetig zunehmenden Vorrat an anwendungsbereitem Wissen und Können wider“.398 Tatsächlich sah bereits der Schulplan vor, dass die Kinder in der Rosenschule arbeiten sollten.399 Gleich bei ihrem Eintritt in die Schule wurden die Kinder, wie dem Schulbericht zu entnehmen ist, dann auch „zum Federschliessen […] zum Spinnen und […] zum Strumpfstrikken angeführet“.400 Als weitere textile Handarbeiten werden verschiedene Arten des Spinnens von Wolle und Flachs erwähnt, ein Teil der Mädchen erlernte gleich auch das Nähen und einige Jungen wurden nach dem ersten Jahr wahrscheinlich im Weben von Leinen unterrichtet.401 Andere Arbeiten bestanden für die Schülerinnen darin, das schuleigene Vieh zu versorgen sowie Käse und Butter herzustellen, während einige männliche Zöglinge optische Instrumente verfertigten.402 Der von Darjes getätigte Ankauf eines Feldes im Sommer 1762 wird die Arten der praktischen Betätigungen überdies im landwirtschaftlichen Bereich weiter ausgedehnt haben.403 Wie aus der Abbildung im Anhang ersichtlich ist, waren im Tagesplan der Rosenschule von vornherein feste Arbeitszeiten eingeplant. So war neben dem Schulunterricht nicht allein täglich zwischen 17 und 18 Uhr eine Arbeitsstunde für alle Schüler vorgesehen, sondern einige Kinder hatten überdies zu arbeiten, während ihre Kameraden an der besonderen Unterweisung teilnahmen. Damit hob sich Darjes’ Schulprojekt in der Tat von den älteren Realschulkonzepten und Versuchen ab: Semler, Groß oder Hecker hatten zwar durchaus die anschauliche Vorführung handwerklich-gewerblicher Tätigkeiten im Unterricht und zum Teil auch eigene Versuche der Schüler vorgesehen, sie zielten dabei aber keineswegs auf eine tägliche Ausübung
397 398 399 400 401 402 403
Vgl. WINKLER, Pädagogik von Darjes, S. 60–64. Ebd., S. 64. Vgl. DARJES, Entwurf, S. 8. DARJES, Das erste Jahr, S. 7. Vgl. ebd., S. 9 f., 13. Zitate S. 10. Vgl. ebd., S. 9, 11. Vgl. ebd., S. 9 f.
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ab.404 Darjes dagegen drang schon in der Theorie darauf, dass die Schüler in Realschulen neben einem Elementarunterricht und der anschaulichen Demonstration verschiedenster Gegenstände und Tätigkeiten schließlich selbst unter Anleitung tätig und so lange „geübet“ werden sollten, bis sie „eine vorzügliche Fertigkeit in den Beschäftigungen“ vorweisen könnten.405 Im Entwurf legte er folgerichtig fest, dass die Zöglinge „so weit es die Umstände erlauben wollen, zur würklichen Anwendung der […] erlangten Erkenntniß angeführet werden“ und „eine genugsame Fertigkeit und Geschicklichkeit erlangen“ sollten.406 Winklers Urteil über die Arbeit der Kinder allerdings muss in seiner Generalität eingeschränkt werden: Unter den von den Zöglingen auszuführenden Arbeiten waren einfache Handarbeiten wie das Federnschleißen, bei dem die Federästchen vom Kiel gezupft werden mussten, zumindest anfangs am stärksten vertreten. Gerade diese wenig komplexen Beschäftigungen eigneten sich zum raschen Anlernen auch ohne Vorkenntnisse und gehörten damit, wie auch das Spinnen und Strumpfwirken, regelrecht zum Standardrepertoire eines jeden Waisen- oder Arbeitshauses. Das von Winkler dargestellte Vorhaben einer theoretisch fundierten Ausbildung mit der abschließenden Anfertigung von Modellund Probestücken ist für diesen Bereich also kaum wahrscheinlich. Vielmehr ging es hier um den nötigen Beitrag, den ein jedes Kind durch tägliches Arbeiten zum Erhalt der Anstalt leisten musste. Geplant war ja, dass die Rosenschule sich baldmöglichst weitgehend selbst versorgen würde – entsprechend ausgebildete Zöglinge konnten Textilien und Lebensmittel selbst herstellen und so die Ausgaben der Schule mindern. Eine deutliche Sprache sprechen hier die Inhalte des praktischen Unterrichts, die meistens von konkreten Anlässen bestimmt wurden. Der Kauf schuleigener Tiere, um „Butter, Milch, Käse und dergleichen mit geringeren Kosten herbey schaffen“407 zu können, sollte, ebenso wie die angelegte Näherei und Weberei, die Möglichkeiten einer Selbstversorgung erweitern. Gleichzeitig ergaben sich freilich hiermit neue wirtschaftliche Betätigungsfelder für die Schülerinnen und Schüler. Die regelmäßige produktive Arbeit aber sollte, dies war eingeplant,408 noch über den eigenen Bedarf der Anstalt hinausgehen und so zu einem verlässlichen Gelderwerb verhelfen. Daher erhielten die Mädchen zusätzlichen Unterricht im Kunstnähen und fertigten – auch auf Bestellung „von entfernten Orten“ – zum Verkauf bestimmte Arbeiten an; „Gott segnet auch hiedurch die Einnahme der Schule“, heißt es bestätigend im Jahresbericht.409 Ähnliche Vorhaben, mit denen Darjes seinen Wunsch nach „Fabriken
404 Vgl. ZABECK, Berufserziehung, S. 109 ff.; IVEN, Industriepädagogik, S. 202; WINKLER, Pädagogik von Darjes, S. 65. 405 DARJES, Cameral-Wissenschaften, S. 395. 406 Ders., Entwurf, S. 6. 407 Ders., Das erste Jahr, S. 9. 408 Ders., Entwurf, S. 8. 409 Ders., Das erste Jahr, S. 9.
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III. AUF DEM WEG ZU EINER ERNEUERTEN SCHULE
[…] zum Nutzen dieser Schule“ umsetzen wollte, waren die Leinenweberei sowie eine offenbar geplante optisch-mechanische Werkstatt.410 Dass der praktische Unterricht also ganz offensichtlich „zum Teil als Gelegenheitsunterricht nach den vorhandenen Verbindungen mit geschickten Handwerkern erteilt und den wirtschaftlichen Bedürfnissen der Schule untergeordnet“ wurde,411 räumt auch Winkler ein. Vor allem der Tag eines Leseanfängers, welcher jeden Vormittag zwei Stunden und zudem offenbar viermal pro Woche jeweils fünf Nachmittagsstunden mit Arbeiten zubringen musste,412 erinnert wesentlich mehr an einen Arbeits-, denn an einen Schultag. Über dieses beachtliche Pensum verlor Darjes kein Wort, was allerdings nicht verwunderlich ist: Kinderarbeit, wie sie in der Rosenschule betrieben wurde, war durchaus nichts Ungewöhnliches.413 Gerade in den unteren Gesellschaftsschichten wurden die Heranwachsenden früh als Arbeitskräfte benötigt. Dass sie als Nutznießer öffentlich organisierter Kinderbetreuung durch einfache Arbeiten einen Teil der Kosten selbst bestritten, war deshalb eine Selbstverständlichkeit, wenn sich auch hier wiederum unterschiedliche Modelle entwickelten: Fand sich vor allem in Waisenhäusern schon früh die Idee einer raschen einfachen Ausbildung und gewinnbringenden Beschäftigung armer arbeitsfähiger Kinder, die sich in den um 1760 verbreiteten Spinn- und Handarbeitsschulen teilweise mit einer rücksichtslosen Ausbeutung der Schülerinnen und Schüler fortsetzte, so entwickelten sich parallel zunehmend pädagogisch ausgestaltete Konzepte, angefangen Ende des 17. Jahrhunderts mit den Werk- und Manufakturhäusern, welche mit ihren auch für Kinder und Jugendliche vorgesehenen Lehrwerkstätten bereits einen Schwerpunkt auf die handwerkliche Ausbildung zum Lebensunterhalt legten, bis hin zur Industrieschule des ausgehenden 18. Jahrhunderts, in der „Handarbeit und Lehrunterricht zum Zweck einer bürgerlichen Allgemeinbildung“ verbunden wurden.414 Ohne Frage beschritt Darjes mit seiner Anstalt den zweiten Weg. Zwar hatten in der Rosenschule der Tendenz nach die jüngeren oder weniger gebildeten Kinder mehrere Stunden täglich sozusagen traditionelle Kinderarbeit zu leisten, doch waren die älteren zunehmend mit anspruchsvolleren und abwechslungsreicheren Tätigkeiten beschäftigt, die ausdrücklich den Unterricht in Land- und Hauswirtschaft ergänzen sollten. Ausschließlich die letzteren
410 Im Entwurf war vorgesehen, „daß mit der Zeit Fabriken, u.s.w. zum Nutzen dieser Schule angeleget werden“. DARJES, Entwurf, S. 8. Wenn Darjes dann im Schulbericht schrieb, die bereits stattfindende Fertigung optischer Instrumente möge „nach und nach diejenige Gröse erreichen […] die [s]einem Wunsche gemäß“ sei (Ders., Das erste Jahr, S. 11), wird dies wohl auf einen geplanten Verkauf abgezielt haben. 411 WINKLER, Pädagogik von Darjes, S. 57. 412 Vgl. Tagesplan der Rosenschule im Anhang. 413 Vgl. TROST, Industrieschule, S. 10. 414 Vgl. BRÖDEL, Kunst- und Werkhäuser; Ders., Manufakturhäuser; IVEN, Industriepädagogik (Zitat S. 202).
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Tätigkeiten also sind es, die Winkler in seinem Text ins Visier nimmt, und derentwegen er schreibt, Darjes habe „die Kinderarbeit hauptsächlich im Interesse von Bildung und Erziehung betrieben wissen“ wollen.415 Für diese Einschätzung spricht, dass der Schulgründer die praktischen Stunden ganz selbstverständlich als einen Teil der „besonderen Unterweisung" anführte,416 und dass die Palette der möglichen Betätigungen kontinuierlich erweitert wurde, statt sich in wenigen einfachen Arbeiten zu erschöpfen. Stets sprach Darjes, wenn er sich auf diesen praktischen Unterricht bezog, allein von der „würklichen Ausübung“417 des zuvor Gelernten, wohingegen er den Ausdruck „arbeiten“ nur für das parallel zum Unterricht einzelner Schüler von den übrigen zu absolvierende Pflichtprogramm im produktiven „Spinnen, strikken, nähen und dergleichen“418 gebrauchte. Das durch Schreib- und Sonderunterricht zunehmende Tagespensum musste zudem von den Zöglingen nicht zusätzlich zur Handarbeit absolviert werden, sondern trat jeweils an deren Stelle. Insbesondere einzelne ältere Knaben hatten so wahrscheinlich täglich einzig die feste Arbeitsstunde zwischen 17 und 18 Uhr wahrzunehmen. Die Mädchen scheinen neben den jüngeren Kindern stärker zu praktischen Beschäftigungen herangezogen worden zu sein, denn für sie gab es keine eigene Spezialklasse. Jedoch wird ein Teil der Arbeitszeit für die praktische Anleitung zu den verschiedenen Tätigkeiten in Haus und Hof gedient haben: Die Inhalte des Mädchenunterrichts wurden sicherlich nicht theoretisch aufbereitet, sondern direkt beim Tun gelehrt. Der von Darjes aufgestellte Tagesplan zeugt mit je einer festen Spielstunde nach dem Mittag- und nach dem Abendessen jedenfalls von der Bemühung um einen gesunden Wechsel aus Arbeitsphasen und (Bewegungs-)Pausen. Entfernte sich die Rosenschule mit der täglich vorgesehenen praktischen Arbeit und ihrer ausschließlich auf die untersten Gesellschaftsschichten eingeschränkten Zielgruppe also merklich von den älteren Realschulen, so ist Winklers These, sie sei ein Vorläufer der später aufkommenden, von Ferdinand Kindermann begründeten Industrieschulen, ernsthaft zu prüfen. Iven419 zufolge waren die Ausrichtung auf die unterste soziale Schicht, die nicht auf eine Spezialbildung abzielende Verbindung von Handarbeiten und allgemeinem Schulunterricht sowie ein Geldverdienst der Kinder in der Schule deren wesentliche Züge. Dahinter stand die Absicht, den regelmäßigen Schulbesuch armer Kinder zu fördern und diese zu Arbeitsamkeit und Religionsausübung zu erziehen. Dies deckt sich weitgehend mit der Definition Trosts,420 nach welcher es sich bei den Industrieschulen um niedere Anstalten handelte, in denen Kinder nach Geschlechtern getrennt oder koedukativ in Religion, Lesen, Schreiben und Rechnen und zusätzlich in 415 416 417 418 419 420
WINKLER, Pädagogik von Darjes, S. 65. Vgl. DARJES, Entwurf, S. 6; Ders., Das erste Jahr, S. 4. DARJES, Entwurf, S. 6; Ders., Das erste Jahr, S. 3, 4. Ebd., S. 13. Vgl. IVEN, Industriepädagogik, S. 201 f. Vgl. TROST, Industrieschule, S. 1.
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wirtschaftlichen Beschäftigungen unterwiesen wurden, wobei den Schülern der jeweils erarbeitete Erlös ganz oder teilweise gehörte. Ab etwa 1780 verbreitete sich dieses Konzept recht erfolgreich, jedoch existierten laut Iven421 unmittelbare Vorläufer, wie die 1771 in Elbingerode gegründete Mädchenschule. Dort erwirtschafteten die Schülerinnen neben dem normalen Unterricht täglich eine Stunde Einkünfte mit Handarbeiten, darunter auch Auftragsarbeiten – ein Modell, das dem der Rosenschule auffallend ähnelt. Nach Iven allerdings ließ diese Mädchenanstalt bei „aller sonstigen Übereinstimmung mit den späteren Industrieschulen“ noch eine „entscheidende Haupttriebfeder“ vermissen, nämlich den eigenen „Geldverdienst der Kinder in der Schule, d.h. das Moment der engsten Verknüpfung der Bildung an den persönlichen Egoismus“.422 Die Zöglinge erhielten also nicht, wie in der Industrieschule, eine leistungsabhängige Vergütung, sondern der Arbeitserlös kam vollständig in die Schulkasse. Eine ebensolche Festlegung hatte auch Darjes zehn Jahre zuvor für die Rosenschule getroffen: „Was durch die Arbeit dieser Kinder erworben wird, das kommt in die allgemeine Casse.“423 Davon abgesehen aber sind deutliche Parallelen zu den späteren Industrieschulen, vornehmlich was die Erziehung der jüngeren oder noch ungebildeten Kinder betrifft, nicht von der Hand zu weisen. Winkler zufolge könne sie sogar, weil „alle wesentlichen Merkmale dieses Schultyps“ auf sie zuträfen, „als eine der ersten […] Industrieschulen in Deutschland gewertet werden.“424 Seine Definition dieses Schultyps als „handwerkliche beziehungsweise landwirtschaftliche Armenschule“ allerdings verzichtet, obwohl auf Iven gestützt, auf das Merkmal des Geldverdienstes und betont hingegen die Erziehung „zu ‚nutzbringender Tätigkeit‘ in untergeordneten Arbeitsverhältnissen“ mittels der Verbindung von Unterricht und produktiver Kinderarbeit.425 Tatsächlich trifft eine solche Charakterisierung auf die Rosenschule völlig zu. Fraglich bleibt allerdings, ob diese Ähnlichkeit auf einer Entwicklung des einen Schulmodells aus dem anderen beruht, oder ob nicht vielmehr hier wie dort schlicht auf die gleichen, im schulischen Bereich schon früher bekannten Ausgestaltungsmöglichkeiten zurückgegriffen worden ist. Unter diese setzt Trost etwa die auf beide zutreffenden Merkmale „Anerkennung der Kinderarbeit“, „Anleitung von Kindern zu wirtschaftlicher Betätigung“ und „Verbindung von Lehrschule mit gewissen Handarbeiten“.426 Während nämlich das erste, wie bereits besprochen, im 18. Jahrhundert eine ohnehin nicht erwähnenswerte Alltäglichkeit war, gehörten die beiden letzten zum Teil schon deutlich früher üblicherweise zur Ausbildung von (armen) Kindern. So kann allein die äußerliche Gestaltung wenig Aufschluss darüber geben, ob die Rosenschule mit Recht bereits als unmittelbarer Vorläufer der 421 422 423 424 425 426
Vgl. IVEN, Industriepädagogik, S. 202 f. Ebd., S. 203, 202. DARJES, Entwurf, S. 8. WINKLER, Pädagogik von Darjes, S. 64. Ebd. TROST, Industrieschule, S. 10.
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Industrieschule anzusehen ist – auch die Philanthropen nämlich setzten sich intensiv mit dem pädagogischen Nutzen handwerklich-landwirtschaftlicher Arbeit auseinander.427 Wird die Begründung betrachtet, mit welcher die praktische Arbeit als Teil der Erziehung eingeführt wurde, dann besteht diese für die Industrieschule in einer Gewöhnung ans Arbeiten an sich, in der Erziehung zu Gewerbefleiß und Arbeitsliebe – „Arbeit“ ist geradezu „ihr wesentlichstes Bildungsmittel“.428 Winkler will ebendiese Absicht auch in Darjes’ Einrichtung erkannt haben: Der Gelehrte habe festgestellt, „daß dem Gesinde nicht nur Wissen und Können fehlt, sondern auch Fleiß und Arbeitsliebe“, und wolle daher die aufgenommenen armen Kinder „zu fleißigen Menschen erziehen“.429 Eine solche Motivation war freilich, dem Menschenbild des Schulgründers entsprechend, im Konzept der Rosenschule inbegriffen. Allerdings sollte eine gewisse Industriosität nicht explizit durch das tägliche Arbeiten erreicht werden; vielmehr zielte der moralisch-religiöse Unterricht darauf ab, den Kindern die wahre Beschaffenheit der Pflichten […] begreiflich zu machen […] und alsdenn in diesen Herzen ein eifriges Verlangen zu erwecken, die Kräfte des ganzen Menschen dahin anzuwenden, daß ein jeder die Wohlfahrt der menschlichen Gesellschaft […] befördern könne.430
Der Formulierung nach schien Darjes dabei übrigens mindestens ebenso auf Überzeugung und Einsicht wie auf Gewöhnung zu setzen. In Winklers Argumentation erhält diese allgemeine Tendenz in der Kindererziehung ein zu großes Gewicht: Ließen die allgegenwärtige Armut und Bettelei im 18. Jahrhundert die „Industrie“ zunehmend als „Erziehungsziel für die ganze handarbeitende Klasse“ angeraten erscheinen,431 so musste jede Reformschule, da sie ein Vorschlag zeitgemäßer Bildung und Erziehung war, diesen Anspruch in ihrem Konzept (unbewusst) berücksichtigen, wie es auch bei Darjes’ Einrichtung erkennbar ist. Das Modell der Industrieschule jedoch unterschied sich von diesen Einzelexperimenten schließlich dadurch, dass es die universelle Erziehung zur „Industrie“ zur eigentlichen Zielsetzung erhob: „Die Volksschule zum Träger der ‚Industrie‘bildung zu machen, [war] das Entscheidende am Industrieschulgedanken“, betont Trost.432 Ein solches Vorhaben drückte Darjes in keiner seiner Schriften aus – er befand sich noch deutlich in der Gedankenwelt des für die Realschule typischen Utilitarismus. Stets hatte er einzig die Brauchbarkeit seiner Zöglinge zum Ziel, wenn er sie praktisch tätig sein ließ: 427 Insbesondere Bernhard Heinrich Blasche (1766–1832), ein enger Mitarbeiter Christian Gotthilf Salzmanns, verfasste mehrere Schriften über die pädagogisch zweckmäßige handwerkliche Beschäftigung von Schülern, vgl. B., Blasche, S. 693. 428 Ebd., S. 11. 429 WINKLER, Pädagogik von Darjes, S. 39, 64. Auch S. 60. 430 DARJES, Entwurf, S. 5. 431 TROST, Industrieschule, S. 7 ff., Zitat S. 9. 432 Ebd., S. 10. Vgl. auch KÖNIG, Industriöser Mensch, S. 5.
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III. AUF DEM WEG ZU EINER ERNEUERTEN SCHULE
[Sie sollten] nach geendigten Lehrstunden zur wirklichen Ausübung der gelernten Stükke […] angeführet werden, [damit] brauchbares Gesinde zu allen Endzwekken, […] brauchbare Lehrlinge und Gesellen, […] brauchbare Verwalter, Knechte und Mägde und so weiter, aus dieser Schule [kommen würden].433
Sein Augenmerk war darauf gerichtet, die Kinder umfassend geschickt und tauglich zu vielerlei wirtschaftlichen Geschäften zu machen; immer wieder betont er die wesentlich über einen bloßen Fleiß hinausgehende „genugsame Fertigkeit und Geschicklichkeit“,434 die erzeugt werden sollte. Nicht, dass der Einzelne überhaupt tätig war, erkannte Darjes als tugendhaft an, sondern allein, dass er durch sein Tätigsein Nutzen schaffte. In der Rosenschule war es darum nicht nur von Belang, dass ein Schüler überhaupt arbeitete, sondern auch, was er arbeitete. Die Idee vom theoretischen und praktischen Unterricht als einer Vorbereitung für andere Tätigkeiten, die „Erziehung zum Nutzen der wirthschaftlichen Beschäftigungen“,435 geriet dabei nicht aus dem Blick. Die Kinder wurden „zu ihrem Geschäfte unterrichtet“ und „nach ihren Umständen zur Arbeit angeführet“, sie sollten für ihre spätere Ausbildung „zubereitet“ werden.436 Wenn also Winkler Darjes’ „hauptsächliche Methode der Bildungs- und Erziehungsarbeit“ in der Verbindung von „Unterricht, […] Unterweisung in den verschiedenen Arbeiten und […] produktiver Arbeit“ erkennt,437 so weist er hiermit berechtigt auf einen wesentlichen Unterschied der Rosenschule zu älteren Realschulen hin. Eine erste Industrieschule oder auch nur deren unmittelbaren Vorläufer jedoch schuf Darjes, wie gezeigt wurde, damit noch nicht. Gleichwohl bleibt die einerseits von einer Spezialausbildung losgelöste, andererseits über die typischen einfachen Kinderarbeiten deutlich hinausgehende komplexe und nutzbringende praktische Beschäftigung der Schülerinnen und Schüler vielleicht der bemerkenswerteste Zug des Camsdorfer Schulversuchs. Die Idee der Realschule erfuhr damit noch einmal eine entscheidende Weiterentwicklung.
3.7.
Die Finanzierung und ihre Probleme
Zur Finanzierung der Rosenschule standen, da sie eine zwar von der Herrschaft bestätigte, jedoch ganz und gar private Einrichtung war, von Anfang an keinerlei öffentliche Gelder zur Verfügung. Darjes und seine Mitstreiter von der Freimaurerloge Zu den drei Rosen mussten die benötigten Mittel also anderweitig beschaffen. Zwar trug der Jenaer Professor das Projekt als offizieller Stifter, doch waren 433 434 435 436 437
DARJES, Das erste Jahr, S. 4. Ders., Entwurf, S. 6. Ebd., Titel. Hervorhebung von mir. DARJES, Das erste Jahr, S. 3, 14; Ders., Entwurf, S. 6. WINKLER, Pädagogik von Darjes, S. 61.
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seine „Glücksumstände […] zu schwach, ein solches Werk auszuführen“.438 Er gab daher in dem vor der Schulgründung veröffentlichten Entwurf einer Real-Schule als geplante Einnahmequellen eventuelle Schulgelder zahlungsfähiger Schüler, vor allem aber von den Kindern durch ihre Arbeit nach und nach zu erwirtschaftende Einkünfte an.439 Dies waren allerdings Einnahmen, die in der Gründungsphase noch kaum eine Rolle spielen konnten. Gerade für die Anfangszeit des Schulbetriebs sollten die benötigten Gelder daher durch den Appell an die „wahre und gegründete MenschenLiebe“440 in Form von Spenden zusammengebracht werden. Wie aus dem Schulbericht zu erfahren ist, erhielt Darjes tatsächlich anhaltend Zuwendungen von Privatpersonen. Als erste Unterstützer des Vorhabens werden die unterschiedlichsten Personen, von der „armen Jungfer“, über einzelne Studenten bis hin zum „guten Freund“ erwähnt; auch die am Eingang der Schule sogleich angebrachte Sammelbüchse für die Gaben eventueller Besucher enthielt jeden Monat „einige Thaler von der Liebe des Nächsten“.441 Ausdrücklich zum Spenden ermuntert wurden die Einwohner Jenas im Gottesdienst am Eröffnungstag der Rosenschule noch einmal durch das auf die Schule bezogene Gebet des Wenigenjenaer Pfarrers Schmidt: „Herr […] Eröffne selbst die Quellen, aus welchen man für das Armuth schöpfen kann und verherrliche durch erweckte Wohlthäter deinen Nahmen.“442 Auch wirkte sich in dieser Sache Darjes’ allgemeine Bekanntheit innerhalb der Stadt und darüber hinaus in Wissenschaftlerkreisen sicherlich positiv aus. Vor allem aber verfügte der Gelehrte über ein dichtes Netzwerk weitreichender Kontakte, die er für sein Projekt schwerlich ungenutzt gelassen haben wird. Brieflich wandte er sich an vermögende Freunde oder Bekannte. Als sicher sehr beliebige, aber erhalten gebliebene Beispiele sind etwa seine Schreiben an den Superintendenten Johann Heinrich von Brandenstein in Harburg oder den Schriftsteller Friedrich Dominik Ring (1726–1809) anzusehen, in denen er die Adressaten unterschiedlich ausführlich mit seinem Projekt bekannt machte und es selbstredend nicht versäumte, sie auf die vorgesehene Finanzierung aus milden Spenden hinzuweisen.443 Auch seinen an ökonomischen und pädagogischen Themen höchst interessierten Schwiegervater Christian Reichart in Erfurt, der die Schulgründung in einem Aufsatz öffentlich bewarb, wird er wohl um eine materielle Beteiligung gebeten haben.444 Mehreren Hinweisen im Schulbericht ist zu entnehmen, dass „gute Freunde“
438 439 440 441 442 443 444
DARJES, Bielefelds Staatsklugheit, S. 36. Vgl. Ders., Entwurf, S. 8. Ebd. Vgl. DARJES, Das erste Jahr, S. 6 f., S. 9. SCHMIDT, Jesus als Muster, S. 15. Vgl. LÖTZSCH, Rosenschule, S. 131–135. Vgl. REICHART, Mangel der Schulen. Reichart war in Erfurt auch als Schulinspektor tätig. Im Schulbericht erwähnte Darjes eine jährliche Spendenzusage „aus E. von einem guten Freunde“, womit vielleicht Reichart gemeint war. DARJES, Das erste Jahr, S. 11.
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III. AUF DEM WEG ZU EINER ERNEUERTEN SCHULE
und „Gönner“ auf die (indirekten) Anfragen entsprechend reagierten.445 Neben Geldmitteln schenkten sie beispielsweise auch Wolle für die Kleidung der Kinder.446 Die Ausgaben der ersten Wochen allerdings dürften weitgehend aus Darjes’ eigenem Vermögen und von den Mitgliedern der Rosenloge beziehungsweise dem zugehörigen Hochkapitel Zion bestritten worden sein. Der Aufwand des Professors, den ein Universitätskollege übrigens schon Jahre zuvor öffentlich als einen Mann charakterisierte, dem es „natürlich“ sei, „auch freygebig edle Unternehmungen zu unterstützen“,447 manifestierte sich zumindest recht deutlich: Schon das Grundstück, auf dem die Anstalt eröffnet werden sollte und offenbar auch der geplante Neubau eines für die Schule geeigneten Gebäudes vorgesehen war, befand sich in seinem privaten Besitz. Zudem stellte Darjes, wie gesehen, seinen bisherigen Gutsverwalter und dessen Frau in den Dienst der Schule. Die Loge hingegen hatte sicherlich den Druck etlicher Exemplare des Entwurfs in deutscher und französischer Sprache finanziert.448 Mit großer Wahrscheinlichkeit befanden sich zudem unter den 22 von Darjes im Schulbericht aufgelisteten Förderern der Rosenschule Freimaurer. Dafür spricht nicht nur, dass Darjes die Anonymität aller Spender auf die Veranlassung einiger hin wahrte, sondern vor allem, dass sechs unter ihnen als Termin für die regelmäßige Zahlung eines oder mehrerer Dukaten den für Freimaurer bedeutsamen Johannistag festgelegt hatten – die Parallele zu dem von jedem Mitglied einer Johannisloge jährlich an diesem Tag zu zahlenden sogenannten „Johannisdukaten“ drängt sich geradezu auf.449 Eine anhaltende finanzielle Unterstützung des Projekts auch durch auswärtige Freimaurerlogen war auf jeden Fall vorgesehen und in Gang gekommen. In diesen Kreisen wurde die Schulgründung als maurerisches Vorhaben bekannt gemacht, für das die gesamte Jenaer Loge eintrat. Davon zeugen sowohl die an die Mutterloge Zu den drei Weltkugeln und an die Loge de la Concorde in Berlin gesandten Schreiben der Rosenloge450 als auch die mittels Briefen und persönlicher
445 Dort ist unter anderem etwas detaillierter von „einem alten guten Freunde und Gönner, einem ehemaligen Zuhörer von mir aus L.“ die Rede. DARJES, Das erste Jahr, S. 10; weitere S. 10 f. 446 Vgl. ebd., S. 10. 447 MÜLLER, Erste Fortsetzung (unpag.). 448 Vgl. LÖTZSCH, Rosenschule, S. 163. 449 Vgl. DARJES, Das erste Jahr, S. 12. Zum Johannisdukaten siehe z.B. LYNCKER, Am Weimarer Hof, S. 26, 161. 450 Vgl. LÖTZSCH, Rosenschule, S. 161–167. Unterzeichner der Schreiben waren, neben Darjes als Meister vom Stuhl, die damaligen Beamten der Rosenloge: Sein Schwager, der Professor für Mathematik und Physik Laurenz Johann Daniel Suckow (1722–1801); der Arzt und Stadtphysikus Johann Friedrich Schickard (gest. 1776); der Mediziner und jüngere Bruder der verstorbenen ersten Frau Darjes’, August Heinrich Ludwig Teichmeyer (1731–1804); der Advokat Georg Lorenz Batsch (1728–1798); der Jenaer Kaufmann und Bankier Johann Jacob Heinrich Paulßen (gest. 1789); der Schwarzburg-Rudolstäd-
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Besuche an andere auswärtige Logen gerichteten Bitten um Geldspenden. Der Entwurf einer Real-Schule wurde dabei als Informationsmaterial verwendet. So gab beispielsweise Baron Johann Gottlieb von Ponickau451 von der Jenaer Loge als besuchender Bruder in Frankfurt am Main theils mündlich theils durch ein ausgetheiltes gedrucktes NachrichtsBlatt zu erkennen, wie mann daselbsten einen Entwurff einer Realschule zur Erziehung armer Kinder zum Nuzen der Wirthschaftlichen Beschäfftigung gemachet habe.452
Als Reaktion übersandte die Loge Zur Einigkeit in Frankfurt im Jahr 1763 nachweislich 200 Gulden an Darjes mit der Zusicherung, „noch jährlich eine sichere Summe zuzuschießen“.453 Die Provinzial-Loge von Hamburg schickte 200 Reichstaler.454 Weitere Unterstützung kam „gern und reichlich“ von der Stettiner Loge La parfaite Union,455 und die Braunschweiger Freimaurer erklärten sich schon im April 1762 zu einer für das Projekt bestimmten, durch Gelder aus der Armenkasse zusätzlich aufgestockten Sammlung bereit.456 Listen Bauer und Müller mit den Logen Zu den drei Sternen in Rostock und Zu den drei Kompassen in Gotha noch weitere maurerische Geldgeber auf,457 so unterstreicht dies den beachtlichen Umfang der Zuwendungen, die vom Freimaurerorden stammten. Insbesondere der Meister vom Stuhl der Hallenser Loge Philadelphia, der ehemalige Prediger Philipp Samuel Rosa,458 scheint sich um die Einwerbung von Mitteln für das Projekt verdient gemacht zu haben. Er war mit der Etablierung der sogenannten Clermont-Rosaischen Hochgrade in den deutschen Logen beauftragt – auch in Jena war am 4. August 1760 unter Darjes’ Vorsitz ein solches Hochgradkapitel namens Zion eröffnet und von Rosa am 29. September gesetzlich konstituiert
451 452 453 454 455 456 457 458
tische Kammerjunker Christian Albrecht Günter von Brockenburg (1731–1790); der Jurist Gabriel Christian Lembke (1738–1799); der Advokat Johann Erhard Hamberger (geb. 1729); der spätere stellvertretende Inspektor der Rosenschule, Gottlieb Joachim Becker; der Mathematiklehrer der Rosenschule, Ludwig Ehrenfried Friedrich Cramer; Ernst Johann von Fircks (1737–1782); Peter Heinrich Carstens (1739–1814); Jakob Boulet; Daniel Balthasar Schneider. Die meisten dieser Männer gehörten dem freimaurerischen Hochkapitel Zion an, vgl. GStAPK, FM 5.2., J 12, Nr. 7/1. Bis auf Paulßen sind sie alle auch in der Jenaer Universitätsmatrikel verzeichnet, vgl. Matrikel Jena. Ponickau wurde Ende März 1761 in das Hochkapitel Zion aufgenommen, vgl. GStAPK, FM 5.2., J 12, Nr. 7/1, Bl. 3I. Vgl. FrAFaM, Protokoll (freundlich zur Verfügung gestellt von Herrn Hans Koller). Vgl. KLOSS, Annalen, S. 32 f. An dieser Stelle wird auch eine Kollekte der Braunschweiger Loge Jonathan zugunsten der Rosenschule erwähnt. Vgl. WIEBE, Loge von Hamburg, S. 56 f. Vgl. LINCKE, Geschichte, S. 6. Vgl. LACHMANN, Geschichte, S. 18. Vgl. BAUER/MÜLLER, Theologie und Aufklärung, S. 150. Rosa war 1735 Hofprediger und 1737 Superintendent in Köthen, wurde 1743 aber wegen Ehebruchs entlassen. Zu Rosa vgl. HEUSER, Ich wünschte, S. 235 f.; Freimaurerhandbuch, 3. Bd., Art. „Rosa“, S. 80–83.
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worden459 – und kam daher mit zahlreichen Logen persönlich in Kontakt. So ist im Freimaurerhandbuch vermerkt, dass er für die Rosenschule „an allen Orten collectirte“, und auch an einem anderen Ort heißt es, er habe „überall um Subskriptionen für eine Erziehungsanstalt“ gebeten – gemeinsam ist beiden Quellen, dass an die von Rosa angegebene Verwendung der gesammelten Gelder für das Vorhaben keineswegs geglaubt wurde.460 Hieran ist insofern nichts Abwegiges, als dieser kein unbescholtener Freimaurer war, und die tatsächliche Weiterleitung der Spenden daher nicht gesichert schien.461 Jedoch verwandte sich Rosa offenbar auch dann für die Anstalt, wenn er mit den Geldern selbst nicht in Berührung gelangte: Die Braunschweiger Loge Jonathan versicherte den Frankfurter Freimaurern, sie sei vor allem „durch die Empfehlung des […] Br[uder] Sam[uel] Philipp Rosa“ dazu bewegt worden, ihre Kollekte für die Rosenschule nach Jena abzuschicken.462 Angesichts dieses Spendenflusses ist mit Bauer und Müller das „unbestreitbare historische Verdienst“ der Clermont-Rosaischen Hochgradmaurerei zu betonen, „ein effizientes arkanes Kommunikations- und Kooperationsnetzwerk geschaffen zu haben, ohne das solch ein aufklärerisches Vorhaben nicht zu verwirklichen gewesen wäre“.463 Dessen ungeachtet muss die finanzielle Situation der Rosenschule vor allem im ersten Jahr durchweg schwierig gewesen sein. Hohe Ausgaben waren gerade in der Anfangsphase zu tätigen, die meisten Sammlungen der Freimaurer aber trafen erst nach vielen Monaten an ihrem Bestimmungsort ein, und auch die Zusagen regelmäßiger Beiträge von Privatpersonen begannen erst mit dem Oktober 1762.464 So hatte Darjes zwar vor der Schuleröffnung bereits 296 Taler gesammelt,465 doch war in Freimaurerkreisen bald zu vernehmen, er sei „in concursu creditorum befangen“.466 Private Schulden hatte der Schulgründer jedenfalls im Frühsommer 1762 mit dem Kauf des für die Schule günstig gelegenen, aber 1.700 Taler teuren Feldes gemacht, zuvor war auch schon Vieh angeschafft worden.467 Die vorgesehenen gelegentlichen Einnahmen aus Schulgeldern wird es angesichts der sozialen Herkunft der Schülerschaft aus den untersten Schichten 459 Vgl. dazu den Bestand GStAPK, FM 5.2., J 12, Nr. 7/1. 460 Vgl. Freimaurerhandbuch, 3. Bd., Art. „Rosa“, S. 81; LE FORESTIER, Templerische Freimaurerei, Bd. 1, S. 141. 461 Rosa hatte sich, seine Frau und mehrere Kinder zurücklassend, mit seiner Geliebten in Halle angesiedelt, wo er aktiver Freimaurer wurde. Jedoch wurde er bald verdächtigt, seinen Lebensunterhalt insgeheim durch Ausnutzung der maurerischen Mildtätigkeit und Betrügereien zu bestreiten. Der Freimaurerbund schloss den zwielichtigen Bruder 1763 wegen anstößigen Verhaltens aus. Vgl. HEUSER, Ich wünschte, S. 235 f.; Freimaurerhandbuch, 3. Bd., Art. „Rosa“, S. 80–83. 462 Vgl. KLOSS, Annalen, S. 32. 463 BAUER/MÜLLER, Jena, Johnssen, Altenberga, S. 36. 464 Vgl. DARJES, Das erste Jahr, S. 11. 465 Vgl. ebd., S. 7. 466 KLOSS, Annalen, S. 32. 467 Vgl. DARJES, Das erste Jahr, S. 9 f.
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nicht gegeben haben. Freilich ermöglichten die zunehmenden handwerklichen und landwirtschaftlichen Fertigkeiten der Zöglinge gewisse Einsparungen, und der Verkauf von Näharbeiten, eventuell auch optischen Geräten, brachte der Rosenschule sogar kleinere Beträge ein. Jedoch war dieser Beitrag zur Erhaltung der Schule wohl äußerst gering, denn der Stifter ließ nicht nach, seine „sichere Hoffnung“ zu betonen, dass „die Liebe Gottes […] die Herzen seiner Freunde noch fernerhin erwekken“ werde.468 Es ist anzunehmen, dass die Rosenschule die meiste Zeit heftig um die erforderlichen Mittel zu kämpfen hatte. Der Siebenjährige Krieg hatte eine merkliche Inflation verursacht. Kostete der Scheffel Roggen in Jena 1760 nicht mehr als zwei Reichstaler, so waren dafür Ende 1762, wie der Senat der Universität klagte, ganze 16 Reichstaler zu bezahlen.469 Noch schwerer wog jedoch, dass bereits seit 1757 und insbesondere in den späteren Kriegsjahren immer neue Soldatentrupps von zum Teil weit über 1.000 Mann durch Jena zogen und auf Kosten der Einwohner einquartiert werden mussten.470 Da sich die Steuern für die Versorgung der Truppen vor allem aus dem Grundbesitz errechneten, hatte Darjes als Besitzer zweier Stadthäuser und zweier Freigüter enorme Zahlungen zu leisten: Einer in den Universitätsakten aufgeführten Steuerabrechnung zufolge waren von dem Professor beispielsweise vom 8. bis zum 21. Dezember 1762 „23 1/4 Männer“ zu versorgen, von denen er 12 tatsächlich untergebracht hatte, während er für die übrigen einen finanziellen Ausgleich in Höhe von 52 Talern und 12 Groschen an die Gemeinde abführen musste – zuvor hatte sich Darjes im Senat entrüstet gezeigt, dass er offenbar allein „über 1/12 der Last für die Stadt übernehmen“ sollte.471 „Den Krieg habe ich sehr empfunden. Zuletzt zu hefftig“, schrieb er später an seinen Schwager Albrecht von Haller nach Göttingen: „Von dem Anfange des Decembr. 1762 bis in die Mitte des Aprils 1763 habe ich in Jena täglich 36 Mann zur Einquartierung gehabt, so daß mir dieses 1364 Thal[er] die ich specificiret gekostet [hat], für die verschiedenen Schäden, die ich täglich auff meinen Güthern empfinden muste“.472 Da der Schulstifter also über viele Monate empfindliche Einbußen bezüglich seines eigenen Vermögens erlitt, konnte er seiner Schule finanziell sicherlich kaum aushelfen. Im Schulbericht allerdings gab sich Darjes den herausfordernden Umständen zum Trotz zuversichtlich: Die „Güthe
468 Vgl. ebd., S. 14. Ähnlich auch Brief von Darjes an Brandenstein, LÖTZSCH, Rosenschule, S. 134 f. 469 Vgl. UAJ, A 1227, Bl. 5. Der Jenaer Scheffel fasste ca. 160 Liter, vgl. NOBACK, Taschenbuch, S. 373. 470 Vgl. UAJ, A 202–207, 254–256. 471 Vgl. UAJ, A 202, Bl. 34 f., 8II. 472 Darjes an Haller, 19. Januar 1764. BB Bern, Nachlass Albrecht von Haller, Briefe.
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Gottes“ habe ihn, so verkündete er, „in dieser so theuren Zeit bey [s]einen Veranstaltungen keine Noth leiden lassen“.473 Tatsächlich konnte er „mit Danke“ bekanntgeben, dass durch Spenden insgesamt 2269 Taler und 16 Groschen zusammengekommen waren.474 Ob diese Summe in Kriegszeiten zum Aufbau und Erhalt einer Schule mit Pension für 30 Kinder und zugehörigem Personal jedoch genügen konnte, bleibt fraglich. Als Hinweis auf eine existenzielle Notlage wird beispielsweise von Winkler die schriftliche Bitte um Genehmigung „einer sehr vortheilhaften Lotterie“, „nicht nur zur Unterhaltung, sondern auch zur Aufnahme und zum Flor der RosenSchule“ interpretiert, mit welcher sich der Inspector Adjunctus, Gottlieb Joachim Becker, an Anna Amalia in Weimar wandte.475 In der Tat waren wohl viele Spenden eng an die Person des Schulstifters geknüpft – bedingt durch Darjes’ Umzug nach Frankfurt an der Oder im September 1763 und nahezu gleichzeitig einsetzende zwielichtige Verstrickungen der Jenaer Rosenloge ist ein um den Jahreswechsel 1763/64 relativ abrupt eintretender massiver Ausfall der Finanzmittel als wahrscheinlich anzusehen. Dennoch muss die Planung einer Lotterie nicht zwingend eine (vorausschauende) Reaktion auf diese Verluste gewesen sein. Es könnte sich vielmehr um eine Maßnahme gehandelt haben, die auf die Schaffung eines Kapitals zur Absicherung der Schule abzielte, wie die Weimarer Regentin Anna Amalia es in ihren Auflagen verlangt hatte: Da in der Konzession von einem „zu dem Unterhalt der RealSchule bestimmten und in der Folge der Zeit weiter anwachsenden Fond[s]“ die Rede war,476 wird Darjes sich ganz sicher persönlich mit dessen baldiger Anlegung befasst haben. Eine „regelmäßig angelegte Lotterie“ nun hielt der Professor, wenn es um die „öffentliche Verpflegung der Armen“ ging, durchaus für ein geeignetes Mittel, um „nach der Beschaffenheit der Umstände die Stiftung eines […] Capitals [zu] erleichtern“.477 Bekannt war ein solches Vorgehen unter anderem auch von den Heckerschen Anstalten in Berlin, die ihre Lose zwischen 1741 und 1744 selbst in den abgelegensten Dörfern verkauften und auf diese Weise nicht nur 4.000 Taler erwarben, sondern auch ihren Bekanntheitsgrad merklich steigern konnten.478 Mit Darjes’ bevorste-
473 DARJES, Das erste Jahr, S. 6. Ähnlich S. 14: „So weit hat die väterliche Liebe meines Gottes in diesem ersten Jahre in einer so zweydeutigen Zeit, bey einer so grossen Theurung geholffen.“ 474 Ebd., S. 14. 475 LÖTZSCH, Rosenschule, S. 149; vgl. WINKLER, Pädagogik von Darjes, S. 66. 476 DARJES, Das erste Jahr, S. 16. 477 Ders., Cameral-Wissenschaften, S. 479 f. 478 Vgl. RANKE, Hecker, der Gründer, S. 22 f. Ein ähnliches Beispiel ist die „Churmayntzische privilegirte ArmenhausLotterie“, welche im Jahr 1764 schon zum fünften Mal lief, vgl. Weimarische wöchentliche Anzeigen (WWA), Jg. 1764, N. 10, S. 43. Lotterien scheinen um diese Zeit beliebt und verbreitet gewesen zu sein: Die Weimarischen wöchentlichen Anzeigen informierten in einem Großteil ihrer Ausgaben über „Lotterie-Sachen“.
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hendem Umzug wurde diese Angelegenheit für die Rosenschule dringlich. Womöglich wurde der Plan der Lotterie von den Freimaurern noch rasch gemeinsam mit dem Professor entwickelt, da dieser den Fortbestand der Rosenschule auch ohne seinen persönlichen Einsatz vor Ort gewährleistet sehen wollte – jedenfalls fällt auf, dass Becker sich mit dem entsprechenden Gesuch direkt an Darjes’ Abreisetag nach Weimar wandte.479 Die sich anschließenden Verhandlungen Amalias mit ihren Räten übrigens offenbaren eine wohlwollende und unterstützende Haltung der Herzogin: Die Empfehlungen der Regierung hinsichtlich einer in dieser Sache zu fordernden Bürgschaft von 10.000 Talern wies sie entschieden zurück und rügte stattdessen den schleppenden Fortgang der Prüfung und Begutachtung. Am Ende setzte sie sich ganz über die Bedenken ihrer Berater hinweg, die im Interesse des teilnehmenden Publikums von einer Genehmigung abrieten, weil „bey sothaner Lotterie das Publicum gar großen Hazard lauffe“ und im schlechtesten Fall die Rosenschule sogar Verluste erlitte480 – sie gab Beckers Antrag mit der Begründung statt, die Lotterie sei ja „zum Besten eines so guten Instituti, als die vorerwehnte Schule [ist], bestimmt“.481 Obwohl damit der Lotterie nichts mehr im Wege stand, ließen sich keinerlei Belege dafür finden, dass sie schließlich wirklich zustande kam. Auch, ob das Schulexperiment tatsächlich aus finanziellen Gründen abgebrochen werden musste, ist nirgends dokumentiert.
3.8.
Das Ende der Rosenschule
Mitteilungen über eine offizielle Schließung der Rosenschule liegen nicht vor, weshalb auch die genaue Dauer dieses Versuchs unklar ist. Die in Weimar aufbewahrten Akten reichen bis zum 20. Januar 1764482 und damit noch über den Weggang Darjes’ aus Jena hinaus. Als seinen Abreisetag gab der Schulstifter „den Tag vor Michaelis“, also den 28. September 1763, an; das von Anna Amalia verfasste Entlassungsschreiben stammt vom 10. Juli desselben Jahres.483 Darjes betonte, er habe den Ortswechsel sehr kurzfristig, ja fast überstürzt vollziehen müssen.484 „Ich machte alles so guth es gehen wollte“, hieß es später in einem seiner 479 480 481 482 483
LÖTZSCH, Rosenschule, S.149. Ebd., Bl. 53 ff. Ebd., Bl. 58. Vgl. LÖTZSCH, Rosenschule, S. 160 f. Darjes, Bielefelds Staatsklugheit, S. 39. Darjes erreichte Frankfurt am 12. Oktober und trug sich sieben Tage später in die Matrikel der dortigen Universität ein, vgl. ebd.; Matrikel Frankfurt, S. 412. Den Text des von Anna Amalia ausgestellten Entlassungsschreibens gab Darjes in seiner gedruckten Frankfurter Antrittsvorlesung wieder, vgl. Darjes, Commentatione, S. 13. 484 Vgl. Darjes, Cameral-Wissenschaften, Vorrede zur andern Auflage, S. XX.
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Briefe; er habe „in Jena ordre gelaßen das zurükgelaßene, so bald es möglich [ist], zu verkauffen“.485 Das Camsdorfer Freigut allerdings schien hier nicht inbegriffen zu sein, denn alles spricht dafür, dass Darjes das Fortbestehen seiner Versuchsschule sehr am Herzen lag. So betonte er in seiner Autobiographie bezüglich seines Umzugs nach Frankfurt: „Die ersten Bewegungsgründe, mich nicht so weit von Jena zu entfernen, gab mir meine Schule.“486 Jedoch war dafür rasch eine Lösung gefunden: „Einige von meinen Freunden gaben mir die Versicherung, den von mir entworfenen Plan […] ferner auszuarbeiten, und mir von Punkt zu Punkt Nachricht zu geben.“ Sicherlich handelte es sich bei diesen Freunden um einige Freimaurer der Rosenloge beziehungsweise des Kapitels Zion unter der Anführung Beckers. Dass er diesen, wie im Schulplan vorgesehen, als Hilfsinspektor einsetzen wollte, zeigte Darjes in Weimar an.487 Die Trennung von der namhaften, das ganze Projekt tragenden Stifterfigur war sicherlich, wie schon angedeutet, von wesentlicher Bedeutung. Zwar war von Darjes alles auf eine größtmögliche Beständigkeit ausgelegt, denn „bey allen Einrichtungen von dieser Art“, so betonte er im Entwurf, müsse „dieses die erste Sorge seyn, wie ein entworfener Plan fortdaurend bis zur Vollständigkeit ausgearbeitet werden könne“.488 Deshalb hatte er das Inspektorenamt auf Lebenszeit übernommen, ernannte gleichzeitig einen eng mit ihm zusammenarbeitenden Hilfsinspektor und handelte mit der Obrigkeit eine weitgehende Autarkie aus, was die Inhalte, die Methoden und auch das Personal der Einrichtung anbelangte. Entscheidend jedoch war seine persönliche Anwesenheit, wie Darjes später selbst formulierte: „In […] Jena […] habe ich es gewagt einen Plan zu einer solchen Schule […] auszuführen, und so lange als ich gegenwärtig gewesen bin, ist es mir auch bey diesem Geschäffte geglücket“, teilte er in der zweiten Auflage seiner Cameral-Wissenschaften von 1768 mit.489 Von Frankfurt aus waren seine Einflussmöglichkeiten auf die Weiterentwicklung des Projekts jedoch nur sehr gering. Er konnte es aus der Ferne keineswegs verhindern, dass sich diejenigen, welchen er „die weitere Ausarbeitung dieser angelegten Sache […] übergeben“ musste, dafür entschieden, „den von [ihm] entworfenen Plan zu verlassen“.490 Anscheinend wurden größere inhaltliche Änderungen vorgenommen, wurde die eigentliche Absicht vergessen
485 Darjes an Haller, 19. Januar 1764. BB Bern, Nachlass Albrecht von Haller, Briefe. 486 Darjes, Bielefelds Staatsklugheit, S. 38. 487 Dem ersten Schreiben Beckers an Anna Amalia zufolge hatte „der jezige Königl. Preuß. Geheimde Rath und Professor Juris, Doct. Darjes, als Inspector der RosenSchule bei Jena, bei seiner vorstehenden Reise nach Franckfurth an der Oder, die unterthänige Anzeige gethan, daß mir die Stelle eines Inspectoris-Adjuncti bei gedachter RosenSchule übertragen“ wurde. LÖTZSCH, Rosenschule, S. 149. 488 DARJES, Entwurf, S. 7. 489 Ders., Cameral-Wissenschaften, Vorrede zur andern Auflage, S. XX. Hervorhebung von mir. 490 Ebd., S. XIX f.
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– „dem Feinde“, so schrieb Darjes weiter, sei es so „möglich geworden, das Unkraut unter den Weizen zu zerstreuen“.491 Ein Abweichen vom Konzept aber musste für den Gründer einem Scheitern des Versuchs entsprechen. Dass der Hilfsinspektor Becker vermutlich ohnehin nicht der richtige Mann war, eine solche Anstalt zu leiten, wurde weiter vorn schon deutlich; wenngleich er Anna Amalia auch versicherte, er werde „niemahls ermangeln“, seinen neuen Posten „unter dem Beistande Gottes, zu Ew[er] Hochfürstl[ichen] Durchl[aucht] gnädigsten Gefallen, und zum besten der armen Kinder, nach [s]einen äusersten Vermögen zu verwalten“,492 war er offenbar nicht zu einer vergleichbaren Hingabe an das Schulexperiment in der Lage. Da sich sein weiterer Schriftverkehr mit Weimar nur noch um die zum Nutzen der Schule geplante Veranstaltung einer Lotterie drehte, ist daraus über die weitere Entwicklung der Rosenschule nichts zu erfahren. Auch ein zweiter Jahresbericht ist nicht erschienen, der weiteren Aufschluss geben könnte. Darjes selbst äußerte sich in seinen vorliegenden Schriften oder Briefen ebenfalls nicht näher zum Ende seines Projekts. So können die letzten Monate der Bildungsanstalt kaum rekonstruiert werden. Allerdings liegen Belege dafür vor, dass der Zeitpunkt, zu welchem die Versuchsschule wahrscheinlich aufgelöst wurde, keineswegs mit dem Datum der letzten überlieferten Akten vom Januar 1764 zusammenfiel. Vielmehr scheint die Rosenschule noch deutlich länger existiert zu haben: Anfang Juli 1765 nämlich wurde im Wenigenjenaer Taufbuch ein Johann Andreas Möbius als Pate benannt, der „Brandweinbrenner in der RosenSchule“ war.493 Mitte September des gleichen Jahres allerdings wurde das Camsdorfer Freigut dann in den Weimarischen Wöchentlichen Frag- und Anzeigen zum Verkauf angeboten – seine Vorzüge waren demnach ein ansehnliches Wohnhaus, gute WirtschaftsGebäude, Scheuern und Ställe, Zinsen, Schenk- und BrauGerechtigkeit, ingleichen eine gute BrandeweinBrennerey und Brauerey, Lust- und andere Gärten, wie nicht weniger Wiesen, Aecker, Weinberge und andere Gerechtsame.494
Neuer Besitzer des Freiguts war spätestens ab Oktober 1765 der Oberaufseher der Saalflöße, Carl Friedrich von Bose.495 Das Experiment Rosenschule war damit nach etwa dreieinhalb Jahren Betrieb beendet. Zu seiner Auflösung werden verschiedene Umstände beigetragen haben – die Problematik einer ausreichenden Finanzierung etwa wurde eben im 491 Ebd. 492 LÖTZSCH, Rosenschule, S. 149. 493 AKirchJ, Kirchenbücher, Taufen 1765. Zwei Jahre später im August war Möbius „Gastwirth in der Tanne zu Camsdorf“. AKirchJ, Kirchenbücher, Taufen 1767. 494 Vgl. Weimarische Wöchentliche Frag- und Anzeigen, Nr. 74, 14. September 1765, S. 294 f. 495 Taufpate eines am 21.10.1765 geborenen Kindes war „Tobias Stade, […] Laquai und Gärtner bey dem H. Oberaufseher von Bose zu Camsdorff“. AKirchJ, Kirchenbücher, Taufen 1765.
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Einzelnen diskutiert. Da die genutzten Gebäude zudem direkt am Saaleufer gelegen waren, wird das ungewöhnlich starke Hochwasser vom Dezember 1763 zu den Erhaltungsschwierigkeiten der Anstalt beigetragen haben. Im Kirchenbuch ist darüber vermerkt: „Festum novi anni […] 1764 konnte nicht gefeyret werden wegen grossen Wassers […] Es hat unbeschreiblichen Schaden gethan“.496 Nicht zuletzt war das Bestehen der Rosenschule, da sie inoffizielles Projekt der Jenaer Freimaurerloge war, auch merklich von deren Entwicklung abhängig: Die in dieser Zeit von der Loge Zu den drei Rosen ausgehenden und das ganze deutsche Freimaurertum überrollenden Ereignisse werden sich wohl oder übel auf den Fortgang des Experiments ausgewirkt haben. Wie Bauer und Müller497 darlegen, gelang es nämlich einem als „geheimer Ordensvisitator der unbekannten Oberen“498 auftretenden, charismatischen Schwindler namens Johnssen unmittelbar nach Darjes’ Weggang, einen Großteil der wichtigsten Freimaurer in der Rosenloge für die „Legende“ zu begeistern, er sei berufen, „die Führung in der deutschen Freimaurerei zu übernehmen, um den Freimaurerorden zu erneuern und zur Erkenntnis seines ‚wahren‘ Wesens zu führen“499. Mit der Aufforderung an ihre Schwesterlogen zur Nachahmung rebellierte die Rosenloge in der Folge gegen die Berliner Mutter Zu den drei Weltkugeln und brach Anfang November schließlich ganz mit ihr. In das nun neu errichtete Hochkapitel der sogenannten „Strikten Observanz“ wurde unter anderem auch Gottlieb Joachim Becker in leitender Position eingesetzt.500 Schon Ende 1763, Anfang 1764 waren das Interesse und vor allem die materiellen Ressourcen der Brüder in Jena also anderweitig gebunden. Eine im Mai 1764 in Altenberga einberufene Generalversammlung aller rezipierten Logen schließlich führte unerwartet zur Entlarvung Johnssens und zog die völlige Aufhebung der Freimaurerloge Zu den drei Rosen nach sich.501 Damit fiel der Betriebsrahmen für die Rosenschule weg, womit, wie schon Götze502 versichert, ihr Ende letztlich besiegelt war, zumal die meisten Jenaer Freimaurer durch Johnssens Betrügereien nicht nur ihr ehrenwertes Ansehen, sondern auch 496 Im Kirchenbuch von Wenigenjena und Camsdorf heißt es: „So ist dieses Wasser auch so hoch gewesen, daß es eine gute Viertel Ehle in der Schulstuben gestanden [hat]. Es hat […] vieles Holz von der Landfeste weggeführet, und den Bau an den Rändern ein gut Theil zerrissen. Es war 1 1/2 Viertel Ehle höher als Anno 1744“. AKirchJ, Kirchenbücher, Notizen 1763. Schauer führt dieses Hochwasser unter den größten „Saalüberschwemmungen“ des 17. und 18. Jahrhunderts an und bemerkt dazu: „Bei solchen Ueberschwemmungen tritt das Wasser in die Keller von der Erde herauf, die daher ausgeräumt werden müssen, und ist der Gottesdienst, wie die Schule, eingestellt worden“. SCHAUER, Urkundliche Geschichte, S. 20. Im Original teils hervorgehoben. Gemeint ist in beiden Fällen die Wenigenjenaer Schule. 497 Vgl. BAUER/MÜLLER, Jena, Johnssen, Altenberga, S. 38–67. 498 Ebd., S. 38. 499 Ebd., S. 41. 500 Vgl. ebd., S. 55. 501 Vgl. ebd., S. 67. 502 GÖTZE, Rosenschule, S. 312.
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einen Großteil oder sogar ihr sämtliches Vermögen verloren hatten. Der Erhalt der Rosenschule dürfte somit höchstens Einzelnen unter ihnen, die sich vielleicht eng mit dem Schulgründer verbunden fühlten, noch ein Anliegen gewesen sein. Darjes selbst hingegen hielt auch einige Jahre später die Errichtung von Realschulen unbeirrt für höchst wichtig und ließ mit offensichtlich ungeschwächtem Tatendrang verlauten, er „werde gewiß [s]eine Gedanken von dieser Sache nicht entfernen, und keine Gelegenheit vorbeygehen lassen, die sich [ihm] anbiethe diese Sache auszuführen.“503 Nicht abwegig ist die Vermutung, dass der Kameralist in Frankfurt seine Pläne für eine Schulgründung weiter verfolgte oder an Bildungsprojekten beteiligt war, auch wenn keine entsprechenden Aufzeichnungen gefunden wurden. Höchst interessante Partner für ein solches Engagement zumindest dürfte er in der florierenden Großstadt angetroffen haben: Im Jahr 1774 etwa wurde Gotthelf Samuel Steinbart, Leiter der Erziehungsanstalt in Züllichau, als ordentlicher Professor der Philosophie ebenfalls an die Frankfurter Universität berufen, und der Berliner Realschulveteran Johann Julius Hecker hatte vor seinem Tod 1768 im Auftrag des Königs das dortige Waisenhaus reformiert. Vielleicht also hatte Darjes noch mit Hecker, zweifellos aber mit Steinbart näheren Kontakt – diesem im Einzelnen nachzuspüren dürfte, auch wenn es hier unterbleiben muss, ein ausgesprochen interessantes Unterfangen sein.
503 DARJES, Cameral-Wissenschaften, Vorrede zur andern Auflage, S. XIX f.
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4.
III. AUF DEM WEG ZU EINER ERNEUERTEN SCHULE
Wirkung der schulreformerischen Impulse des Darjes
Wirkung der schulreformerischen Impulse Mit ihrem Schulprojekt sorgten Darjes und die Jenaer Rosenloge ganz sicher über einige Jahre hinweg für Aufsehen in der näheren Umgebung. Wie weit die Kenntnis von diesem Modellversuch im 18. Jahrhundert in Jena und vor allem außerhalb tatsächlich verbreitet, inwiefern also eine Rezeption durch spätere Schulreformer möglich war, ist aus heutiger Sicht allerdings schwer einzuschätzen. Im Besonderen stellt sich die Frage, inwieweit das Fachpublikum Notiz von Darjes’ Reformideen und der Rosenschule nahm und ob sie eine Rolle in der zeitgenössischen Diskussion über Pädagogik spielten. Zweifelsohne erfuhren die allgemeinen (real-)schulpädagogischen Anregungen des Jenaer Professors, wenn auch im Einzelnen mangels expliziter schriftlicher Bezugnahmen schwerlich nachweisbar, eine weite Verbreitung. Darjes teilte seine Ideen und Pläne über einen langen Zeitraum direkt in seinen Vorlesungen einer ungewöhnlich großen Anzahl von Studenten mit und schrieb sie in seinen Lehrwerken nieder, die nicht nur sein Nachfolger Justus Christian Hennings (1731–1815) noch bis in die 1780er Jahre zur Grundlage seines akademischen Unterrichts machte504 – und dies an der stark frequentierten Universität Jena, deren Absolventen zu einem merklichen Teil nach dem Studium als Haus-, Schul- und Kirchenlehrer tätig waren.505 Die wenigsten von ihnen erwarben sich auf Dauer einen Namen als Pädagogen, und doch traten einige im Rahmen ihrer Wirkungsmöglichkeiten mit schulpädagogischen Unternehmungen oder Publikationen in Erscheinung. So stellt beispielsweise Sehlke im Biographischen Handbuch zum Druckgut für Kinder und Jugendliche eine Auswahl von Männern aus dem mecklenburgischen Gebiet, Darjes’ Herkunftsregion, vor, von denen einige in den 1750er Jahren in Jena studierten. Freilich wird sich nicht jeder Student eng an Darjes angeschlossen haben, doch ist es ausgesprochen unwahrscheinlich, dass einer von ihnen sein Studium beendete, ohne die eine oder andere Vorlesung bei diesem berühmten Professor gehört zu haben. Im Hinblick auf die schlicht durch die regionale Herkunft gestiftete Verbundenheit506 ist jedoch ge-
504 Hennings erhielt 1765 die Professur für theoretische Philosophie in Jena. Dass Darjes’ Lehren auch über Privatlehrer weiterverbreitet wurden, ist beispielsweise bei Johann Wolfgang von Goethe zu erfahren: Der ihn während seiner Leipziger Studienzeit beaufsichtigende Privaterzieher nämlich „hatte unter Daries in Jena studiert und als ein sehr wohlgeordneter Kopf den Zusammenhang jener Lehre scharf gefaßt, und so suchte er sie auch mir beizubringen“. GOETHE, Aus meinem Leben, S. 242 f. 505 Vgl. WINKLER, Pädagogik von Darjes, S. 36. 506 Üblicherweise verbanden sich die Studenten an einer Universität entsprechend ihrer Herkunftsorte oder -regionen zu sogenannten Nationes oder Landsmannschaften. Anlässlich seiner ersten Eheschließung 1741 in Jena war Darjes ein gedruckter Glückwunsch „von den allhier studierenden Mecklenburgern“ „zum Zeichen ihrer Ergebenheit“ verehrt worden. „Die Ehre, die Er unserm Vaterlande machet“, so heißt es darin,
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rade für die mecklenburgischen Studenten ein näherer Umgang mit dem Professor zu vermuten. Immatrikuliert wurden im Sommer 1752 unter anderen der spätere Lübecker Theologe und Schulmann Johann David Polchow (1732– 1801)507 sowie Wenceslaus Johann Gustav Karsten (1732–1787)508, welcher als Mathematiker und Theologe Professor in Rostock, Bützow und Halle wurde. Karsten, wie Darjes in Güstrow aufgewachsen, veröffentlichte nach einigen lateinischen Hochschulschriften im Wesentlichen mathematisch-naturwissenschaftliche Werke; daneben aber gehörte er zu den drei Männern, die für den Plan des Königlichen Erziehungs-Instituts zu Halle verantwortlich zeichneten, welcher 1780 in Leipzig erschien und ein bereits eröffnetes Lehrerseminar mit Übungsschule beschrieb. Der ursprünglich aus Parchim stammende Polchow hingegen wurde zunächst Privatlehrer und widmete sich danach als Pastor von Genin der Verbesserung des Landschulwesens vor Ort, indem er beispielsweise eine Industrieschule gründete. Seiner Feder entstammte die als „erste Anleitung zum Lesen, Denken und Hochdeutsch verstehen“ mehrfach aufgelegte Geniner Syllabierfibel,509 aber auch eine Abhandlung Ueber Volk und über Fibeln zum fruchtbarern Unterrichte in Volksschulen (Lübeck 1786) oder die Instruction für die Lehrer an den Capitularschulen des Hochstiftes Lübek (Lübeck 1793). Etwa vier Jahre nach den Genannten nahm Daniel Joachim Köppen (1736–1807)510 aus Lübeck sein Studium in Jena auf, wo er übrigens einem der wichtigsten Schüler Darjes’, seinem Landsmann Balthasar Münter, freundschaftlich verbunden war.511 Der Theologe und Lehrer Köppen machte im Jahr 1782 durch eine fast 300-seitige, in Hamburg mit dem ersten Platz ausgezeichnete Preisschrift über den Unterricht für Schulmeister niederer Schulen auf sich aufmerksam, die später noch ein zweites Mal aufgelegt wurde.512 Dieser ließ er unter anderem noch ein Lese-Buch nebst dem Katechismus
507 508 509 510 511
512
muntere „ieden Mecklenburger zur Erkänntlichkeit gegen Denselben auf“. O. V., Beweiß, daß eine vernünftige Ehe. Auch zu seinem Amtsantritt als Professor für Moral und Politik 1744 ließen „einige von dessen verbundensten Landesleuten“ ein Glückwunschgedicht drucken, vgl. O. V., Merckmale ihrer Ergebenheit. Immatrikuliert am 25. August 1752, vgl. Matrikel Jena. Zu Polchow vgl. HAMBERGER/MEUSEL, Gelehrtes Teutschland, Bd. 6, S. 146 f.; KORDES, Lexikon, S. 267 ff.; JÖCHER, Gelehrten-Lexikon, Sp. 499 f.; SEHLKE, Pädagogen, S. 295. Immatrikuliert am 2. Mai 1752, vgl. Matrikel Jena. Zu Karsten vgl. SEHLKE, Pädagogen, S. 187. Eine dritte verbesserte Auflage erschien in Genin und Rostock 1793. Immatrikuliert am 13. Mai 1756, vgl. Matrikel Jena. Zu Köppen vgl. SEHLKE, Pädagogen, S. 202. Köppen und Münter ließen neben anderen 1758 ihre Glückwünsche in der Inauguraldissertation des Juristen Christian Nikolaus Carstens abdrucken, vgl. CARSTENS, Dissertatio Inauguralis (unpag.). Im gleichen Jahr trat Köppen als Respondent unter Münters Präsidium auf, vgl. MÜNTER/KÖPPEN, Specimen (unpag.) und gratulierte diesem schließlich schriftlich zu seinem Amtsantritt, vgl. KÖPPEN, Specimen de rationali electione (unpag.). Eine zweite verbesserte Auflage erschien in Rostock 1788.
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Lutheri mit kurzer Erklärung, zum Gebrauch vornemlich in Schulen, doch auch für erwachsene Christen und Bibelfreunde (4. Ausg. Leer 1811) folgen. Ein weiterer Lübecker und Freund der Genannten schließlich, Darjes’ ehemaliger Student und Mitarbeiter in Jena, Friedrich Daniel Behn (1733–1804), erlangte in seiner Heimatstadt 1796 das Rektorat am Gymnasium Katharineum, wo er die unteren vier Lateinklassen nach und nach in einen Realschulzweig umwandelte – seine Vorschläge zur Reform der Lübeckischen hohen Schule nach pädagogischen Grundsätzen erschienen 1801 auch gedruckt.513 Ersichtlich wird bereits aus diesen wenigen, auf ein einziges deutschsprachiges Gebiet beschränkten Beispielen, dass Darjes’ schulreformerische Ideen und Impulse über die von ihm gebildeten Männer in vielfältiger Weise Eingang in die tägliche Praxis des häuslichen, schulischen oder kirchlichen Unterrichts ebenso wie in die strukturelle und inhaltliche Verbesserung und Erneuerung von Schule finden konnten. Bleiben die genannten und zahlreiche weitere Schulmänner ihrer geringeren Bedeutung wegen in Publikationen über Darjes unerwähnt, so fehlt der Name eines anderen nur selten: Gemeint ist der Begründer des Philanthropins in Schnepfenthal, Christian Gotthilf Salzmann (1744–1811)514. Dieser studierte genau zu der Zeit in Jena, in welche die Gründung und der Anfangsbetrieb der Rosenschule fiel,515 und seine eigene Anstalt schien unübersehbare Züge der Darjesischen zu tragen – ein Einfluss wird allgemein angenommen,516 womit die Rosenschule selbst eine erhebliche Bedeutungssteigerung erfährt. Dass Salzmann allerdings, wie Schöler schreibt, in Camsdorf tatsächlich „an den Schulversuchen teil[nahm]“,517 lässt sich nicht belegen. Weder in den veröffentlichten Schriften des Philanthropen noch in seinen Privataufzeichnungen oder in den Auskünften Dritter ist bisher ein expliziter Hinweis auf Darjes oder die Rosenschule auszumachen,518 und auch der Professor erwähnte den Studenten Salzmann mit keinem Wort. Eine völlige Unkenntnis dieses Schulversuchs kann indessen für einen Bewohner Jenas um diese Zeit getrost ausgeschlossen werden, war doch die Realisierung des Schulversuchs hauptsächlich von Spenden abhängig und eine möglichst weitreichende Information der Öffentlichkeit daher zwingend nötig. Zwar irritiert es, dass beispielsweise die Weimarischen wöchentlichen Anzeigen das nur gut 20 Kilometer von Weimar gestartete Experiment völlig ignorierten und nicht einmal der im August 1762 zusammengefasst abgedruckten Rede des Generalsuperintendenten Siegmund Basch (1700–1771) über Realschulen einen Hinweis auf die Eröffnung der Rosenschule 513 Vgl. GRASSMANN, Beständeübersicht, S. 130. Behn wurde in Jena am 6. Mai 1754 gleichzeitig mit Balthasar Münter immatrikuliert, vgl. Matrikel Jena, mit dem zusammen er offenbar von Lübeck angereist war. 514 Zu Salzmann vgl. u.a. BINDER, Salzmann, S. 293–297; FRIEDRICH, Salzmann, S.402 f. 515 Immatrikuliert am 6. Oktober 1761, vgl. Matrikel Jena. 516 Vgl. WINKLER, Pädagogik von Darjes, S. 71; FRIEDRICH, Salzmann, S.402 f.; BURGGRAF, Salzmann, S. 40, 56; SCHAUBS, Erziehungsanstalt Schnepfenthal, S. 29 f., 34 f. 517 SCHÖLER, Naturwissenschaftlicher Unterricht, S. 52. 518 Prof. Leonhard Friedrich, persönliche Auskunft.
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angefügt hatten.519 Mehrere andere regionale Zeitungen520 berichteten jedoch über dieses Ereignis, und der weit über Erfurt hinaus prominente Christian Reichart machte die Versuchsanstalt seines Schwiegersohnes in seinem Text Sollte wohl ein Erfurter klagen können, über den Mangel der Schulen bekannt. In verschiedenen deutschen Gegenden kursierte überdies per Brief der Schulplan, und das Erscheinen des ersten Jahresberichts schließlich wurde, allerdings mit einem Jahr Verspätung, sogar noch in Kopenhagen annonciert.521 Dass also Salzmann das beeindruckende Modellprojekt in seinen Höhen und Tiefen vor Ort miterlebte, erscheint völlig plausibel, und auch eine persönliche Besichtigung ist denkbar: Wie Darjes selbst schrieb, wurden „viele gereitzet, diese Schule zu besuchen“, und zwar jeden Monat offensichtlich genügend, dass das Anbringen einer Spendenbüchse am Schuleingang lohnte.522 Schon am Eröffnungstag wohnte eine Menge Neugieriger der Predigt in der Wenigenjenaer Kirche bei, zu welcher Darjes mit den ersten aufgenommenen Kindern erschienen war; der Pfarrer Johann Georg Schmidt zumindest erwähnte, er habe an diesem Tag „durch einen besondern Umstand eine grosse Menge Zuhörer erhalten“.523 Später werden wohl hauptsächlich Studenten, reisende Freimaurerkollegen oder auch an Pädagogik und Kameralistik interessierte Bürger bei Gelegenheit die Anstalt aufgesucht haben, um sich selbst einen Eindruck zu verschaffen. Noch in der 1785 herausgekommenen Beschreibung der Stadt Jena setzte Wiedeburg eine gewisse Geläufigkeit des Projekts voraus, wenn er zum Gasthaus Tanne die knappe Bemerkung hinzufügte: „Wo Herr Geh[eimer] R[at] Darjes vormalen seine RosenSchule zur Erziehung guter Dienst-Bothen veranstaltet hatte.“524 Im schriftlichen Fachgespräch jedoch schien die Rosenschule nicht präsent zu sein: Reicharts eben genannte Abhandlung ist nicht nur die einzige aufgefundene zeitgenössische Diskussion zur Thematik, die sich mit dieser Versuchsanstalt befasste, sondern verfolgte überdies das Interesse der Werbung mit. Eine von Winkler angegebene „ausführliche Betrachtung“ der Rosenschule durch Johann Gottfried Groß in den Leipziger Sammlungen konnte nicht verifiziert werden.525 Einzig 1763 erschien eine rein informative Notiz in den Göttingischen Anzeigen von Gelehrten Sachen: Ein besprochener Autor habe angeregt, hieß es in einer Rezension,
519 WWA, Jg. 1762, Nr. 33, S. 132. Basch sprach als Ephorus des Gymnasiums „von den Versuchen zu einer Real-Schule, welche Herzog Ernst der Fromme, bereits vor hundert Jahren gemacht“ hatte. 520 Es erschienen mindestens drei Zeitungsartikel in Erfurt, Halle und Jena. 521 In der wöchentlich erscheinenden Kiøbenhavnske Nye Tidender om lærde Sager (Kopenhagen, Berling) im Jahr 1764, Nr. 4, S. 36. 522 Vgl. DARJES, Das erste Jahr, S. 9. 523 SCHMIDT, Jesus als Muster, Vorrede (unpag.). 524 WIEDEBURG, Beschreibung, S. 401 f. 525 Vgl. WINKLER, Pädagogik von Darjes, S. 70.
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III. AUF DEM WEG ZU EINER ERNEUERTEN SCHULE
daß man Lehrhäuser [für die jungen Töchter] bauen, und sie zu den Künsten, die ihrem Geschlechte angemessen sind, auch zur Haushaltung anführen möchte. Etwas dergleichen hat neulich Hr. Hofrath Darjes in Jena unternommen.526
Die Ursache dieser geringen Beachtung der Rosenschule muss wohl hauptsächlich in ihrem kurzzeitigen Bestehen gesucht werden. Bemerkenswert ist aber die aus dem 1792 veröffentlichten Nekrolog stammende Aussage Schlichtegrolls, diese „so nöthige Einrichtung“ zöge „gleichwohl erst in neuern Zeiten die allgemeine Aufmerksamkeit so auf sich […], wie sie es doch unstreitig verdien[e]“.527 Demnach scheint viele Jahre nach ihrer Schließung das Interesse an diesem Schulversuch erneut erwacht zu sein. Beispielhaft hierfür steht die im Jahr 1780 vorgenommene Neuordnung der Lateinschule in Lindau: Der offenbar unverändert aktuelle Jenaer Entwurf einer Realschule befand sich unter den Schulplänen, welchen der in Jena ausgebildete528 Pfarrer Johann Gottlob Lorenz Sembeck die Anregungen für die von ihm durchgeführte Umgestaltung entnahm; bereits 1765 hatte er einen ersten Vorschlag zur Einschränkung des Lateinunterrichts auf das tatsächlich Notwendige und zur Einrichtung eines Realschulzweiges eingereicht, dessen unmittelbare Umsetzung zwar an einer konservativen Gegnerschaft scheiterte, jedoch eine Folge schrittweiser Veränderungen einleitete, bis Sembeck schließlich 1780 sein anhand zahlreicher (philanthropischer) Reformschulpläne überarbeitetes Konzept durchsetzte.529 Anfang des 19. Jahrhunderts übrigens wurde die Rosenschule noch in den Preußisch-Brandenburgischen Miszellen erwähnt, wenn dort auch über Darjes’ Absichten mit dieser Anstalt, „in die er keine andere als Studentensöhne aufnahm, um zu sehen, was aus dieser Zucht werden würde, von welcher er sich viel versprach“, völlig irrige Vorstellungen herrschten.530 Salzmann jedenfalls schien die Darjesische Anstalt Anregungen für sein Philantropin geliefert zu haben, worunter Winkler531 vor allem die Nutzung körperlicher Arbeit als Bildungs- und Erziehungsmittel betont: „Ich glaube aber, daß zu einer guten Erziehung erfordert werde, daß die Kinder recht ernstlich körperliche Arbeit tun“, schrieb Salzmann demzufolge im Jahr 1784532 und schlug verschiedene handwerklich-landwirtschaftliche Tätigkeiten vor. Obschon unbedingt lohnenswert, soll eine vergleichende Gegenüberstellung beider pädagogischer Konzepte und Projekte im Einzelnen hier aber nicht vorgenommen werden. Die Konzentration auf den einen zugkräftigen Darjesschüler kann an dieser Stelle nicht das facettenreiche Bild des im 18. Jahrhundert herrschenden unternehmerischen, bildungsreformerischen Potenzials wiedergeben, welches 526 527 528 529 530 531 532
Göttingische Anzeigen von Gelehrten Sachen (im Folgenden: GA) 1763, 45. St., S. 368. SCHLICHTEGROLL, Nekrolog 1792, S. 296. Sembeck findet sich in der Jenaer Matrikel unter dem 12. Mai 1745, vgl. Matrikel Jena. Vgl. ECKERT, Lateinschule Lindau, S. 26–29; STOLZE, Schulen, S. 55. O. V., Ein patriotischer Wunsch, S. 265. Vgl. WINKLER, Pädagogik von Darjes, S. 71–73. Zitiert nach ebd., S. 72.
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die bis heute herausragenden pädagogischen Projekte als die schlicht etwas erfolgreicheren Produkte eines allgemeinen Zeitgeistes charakterisiert. Offensichtlich vermochte Darjes es wie wenige andere, bei seinen Mitmenschen das Interesse an der zeitgemäßen Um- und Neugestaltung von öffentlicher Erziehung und Bildung zu wecken oder zu verstärken, sodass viele seiner Zuhörer sich seine Ideen und Vorschläge zu eigen machten. Notwendig ist darum vor allem die Bereitschaft, der theoretischen und praktischen Arbeit anderer Männer nachzugehen, die ebenfalls nachweislich oder doch sehr wahrscheinlich unter dem Einfluss Darjes’ und seiner Realschule standen. Zu entdecken sind dabei keine erfolgreicheren Kopien eines bedauernswert kurzen Schulversuchs, wohl aber Tatkraft und Zuversicht in der Verwirklichung schulreformerischer Pläne. Mit Winkler sei darauf hingewiesen, dass nicht allein Christian Gotthilf Salzmann als der neben Basedow bedeutendste Philanthrop, sondern der Philanthropismus an sich wichtige Impulse aus Darjes’ Wirken empfing.533 Johann Bernhard Basedow (1724–1790),534 der als Begründer dieser aufklärerischen pädagogischen Bewegung gilt und 1774 das erste Philantropin in Dessau eröffnete, trat im Jahr 1768 mit seiner Aufsehen erregenden Vorstellung an Menschenfreunde und vermögende Männer über Schulen, Studien und ihren Einfluß in die öffentliche Wohlfahrt an die Öffentlichkeit. Als Jugendlicher zeitweise der als unangenehm empfundenen häuslichen und schulischen Erziehung entflohen, bevorzugte Basedow auch während seiner Universitätsjahre in Leipzig und Kiel das autodidaktische Studium und sammelte anschließend Erfahrungen als Hauslehrer, als Professor an der Ritterakademie zu Sorø und am Gymnasium in Altona. In seiner Schrift nun kritisierte er das herrschende Schul- und Universitätswesen heftig und lehnte jegliche Einflussnahme der Kirche vehement ab. Sind die hier zu Darjes’ Entwurf bestehenden Ähnlichkeiten Winkler zufolge vor allem ein Zeichen dafür, dass beide Männer die pädagogischen Missstände und Bedürfnisse ihrer Zeit zu erfassen in der Lage waren,535 so sei an dieser Stelle zusätzlich auf Basedows Wissen um die Rosenschule hingewiesen: Er schätze, so schrieb der Philanthrop im Jahr 1764, „den Herrn Hofrath Darjes […] besondes dafür hoch, daß er sein Vermögen zum verbesserten Unterrichte der Kinder anwende“.536 Auch nach seinem Weggang aus Jena wurden Darjes’ Ideen dort über seine Schüler weiter verbreitet und wirkten so auf die jüngeren Philanthropen.537 Der erwähnte Justus
533 534 535 536 537
Vgl. ebd., S. 71–73. Zu Basedow vgl. BOLLNOW, Basedow, S. 618 f. Vgl. WINKLER, Pädagogik von Darjes, S. 69. BASEDOW, Philaletie, Bd. 1, S. 465. Lehrveranstaltungen über Darjes’ Moral und Politik wurden in Jena mit Unterbrechungen noch bis zum Wintersemester 1783/84 angeboten. Die kameralwissenschaftlichen Vorlesungen übernahm Suckow, der sich ab dem Sommer 1767 einer eigenen, auf Darjes’ Lehre basierenden Ausarbeitung bediente.
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Christian Hennings538 etwa, dessen „Abhängigkeit von Darjes […] deutlich erkennbar [ist]“,539 las noch fast 20 Jahre lang die Moralphilosophie nach Darjes, bevor er 1782 sein eigenes Kompendium Sittenlehre der Vernunft drucken ließ. Darin bestimmte er Erziehung als „die Vorsorge für das Wohl der Kinder, die noch nicht in dem Alter sind, sich selbst zu unterhalten, und ihre Glückseligkeit zu befördern“, welche sich auf zwei „Hauptgegenstände“ zu richten habe: „Einmal den Leib der Kinder, zweytens die Seele und die Seelenkräfte derselben.“540 Was den ersten Punkt betraf, erinnerte Hennings insbesondere die Mütter, aber auch die Erzieher und Lehrer nachdrücklich an ihre Verantwortung für die „Erhaltung und Erweiterung der Vollkommenheiten“541 des kindlichen Körpers und mahnte in jedem Fall die regelmäßige Konsultation der neuesten Fachliteratur an. Die Erziehung der „Seele“ stehe vor der Aufgabe „sowohl […] die Verbesserung der Erkenntniß- als auch der Begehrungskraft“ herbeizuführen, wobei stufenweise zuerst „Sinne und Einbildungskraft“ und danach der Verstand der Kinder zu schulen seien, dem Willen aber „sehr frühzeitig eine Richtung zum Guten“ gegeben werden solle.542 Ist eine solche Systematik schon von Darjes bekannt, so äußerte sich Hennings auch bei den anzuratenden erzieherisch-didaktischen Mitteln ganz in dessen Sinn: Er sprach sich für eine dem Alter der Kinder und „ihren Fähigkeiten angemessene Art“ der Belehrung vorwiegend durch die „lebhafte Abschilderung“ passender „Beyspiele und Erfahrungen“ und unter Vermeidung „frühen Vielwissens und Lernens unnüzer Dinge“ aus; „zwekmäßige Mittel“ zu ihrer „Lenkung“ seien „liebreiche Zuredungen, Sanftmuth und Leutseligkeit wie auch ein exemplarisches Leben, um sie zur Nachahmung zu reitzen“, nicht jedoch „Leibesstrafen“ oder die folgenreiche Erziehung zu Furchtsamkeit und Wollust.543 Für ein Beispiel gelungener Praxis verwies der Autor auf Basedow und das Philantropin in Dessau, auch Salzmanns zur gleichen Zeit erschienenes Moralisches Elementarbuch wurde empfohlen. Unter Hennings Hörern war unter anderem der spätere „schwarzburg-rudolstädtische Educationsrath“ Bernhard Heinrich Blasche (1766–1832),544 der sich als Mitarbeiter Salzmanns besonders mit der pädagogisch sinnvollen Verbindung von Unterricht und handwerklicher Arbeit befasste, wozu er verschiedene Schriften anfertigte. Mit dem Darjesischen pädagogischen Gedankengut kann er jedoch schon früher über seinen Vater, den Jenaer Stadtschulrektor und akademischen Lehrer Johann Christian Blasche (1718–1792), in Berührung gekommen sein, da dieser 538 Immatrikuliert am 21. November 1746, vgl. Matrikel Jena. Zu Hennings vgl. PRANTL, Hennings, S. 780 f.; GÜNTHER, Lebensskizzen, S. 204. 539 WINKLER, Pädagogik von Darjes, S. 72. 540 HENNINGS, Sittenlehre, S. 305. Zur Kindererziehung vgl. ebd., S. 305–313. 541 Ebd., S. 305. 542 Ebd., S. 307 f. 543 Ebd., S. 307 ff. 544 Zu Bernhard Heinrich Blasche vgl. B., Blasche, S. 693 (Zitat). Blasche studierte ab 1783 in Jena Theologie und Philosophie.
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durch sein eigenes Studium und seine 1756 erlangte Adjunktur an der Philosophischen Fakultät, zusätzlich aber auch durch seine um 1760 beginnende Aktivität in der Jenaer Teutschen Gesellschaft die Möglichkeit zum Austausch mit Darjes hatte.545 Weiter studierten um diese Zeit Johann Heinrich Gottlieb Heusinger (1767–1837),546 der zeitlebens als Lehrer und Professor an verschiedenen renommierten Instituten tätig und auch Urheber zahlreicher pädagogischer und philosophischer Veröffentlichungen war, oder der spätere Philosophieprofessor und Pädagoge in Helmstedt, Friedrich August Wiedeburg (1751–1815),547 der die oberen Klassen der dortigen Stadtschule 1779 zu einem Pädagogium umgestaltete und als Übungsschule mit einem philologisch-pädagogischen Lehrerseminar an der Universität verknüpfte, in Jena. Eine direkte Rezeption des Darjesischen Schulkonzepts oder seiner theoretischen Anregungen ist für verschiedene Reformen und Gründungen wahrscheinlich. Exemplarisch sollen hier die Armenschule Oemlers, die Zeichenschule Bertuchs sowie Münters Umgestaltung des Schulwesens der deutschen St. Petri-Gemeinde in Kopenhagen betrachtet werden. Christian Wilhelm Oemler (1728–1802),548 später Jenaer Archidiakon und Superintendent, studierte ab dem Wintersemester 1746 Theologie und Philosophie an der dortigen Universität.549 Dass er hier ausgiebig Darjes’ Lehrveranstaltungen besuchte, wovon Winkler ausgeht,550 ist nicht sicher, scheint er doch kein Anhänger von ihm gewesen zu sein: Zumindest fällt angesichts der Liste seiner wichtigsten Lehrer und Dozenten auf, dass der Name dieses so populären Professors fehlt.551 Auch war Oemler ab 1752 als Hofmeister und später als Prediger an anderen Orten beschäftigt und kehrte erst 1766 wieder nach Jena zurück, als die Rosenschule bereits geschlossen und Darjes nach Frankfurt gegangen war. Jedoch hatte der Archidiakon, als er 1768 „die Freunde der Armen und die Wohlthäter der Nothleidenden“ um Unterstützung zur Einrichtung einer Armenschule bat, durchaus Kenntnis davon, dass „bereits vor [s]einer Zeit, solche edle Anstalten einiger Armen- und Freyschulen allhier gewesen“ waren552 – über seine Mitgliedschaft in der Erfurter Akademie der Wissenschaften beispielsweise, in die Oemler 1756 zwei Jahre nach
545 Zu Johann Christian Blasche vgl. GÜNTHER, Lebensskizzen, S. 204; Matrikel Jena; Akten TGJ (10), Bl. 277. 1765/66 trug Blasche über drei Semester selbst Darjes’ Moral und Politik vor. 546 Zu Heusinger vgl. PRANTL, Heusinger, S. 335 f. 547 Zu Friedrich August Wiedeburg, einem engen Verwandten der Jenaer Gelehrtenfamilie gleichen Namens, vgl. STALMANN/KOLDEWEY, Wiedeburg, S. 376–379. 548 Zu Oemler vgl. FRANK, Oemler, S. 349 ff.; DÖRING, Kanzelredner, S. 284–287. 549 Immatrikuliert am 3. September 1746 als „Cand. theol. et phil.“, vgl. Matrikel Jena. 550 Vgl. WINKLER, Pädagogik von Darjes, S. 73. 551 Seine Studien betrieb Oemler im Wesentlichen bei Polz, Reusch, Hallbauer, Walch und Köcher, vgl. FRANK, Oemler, S. 349 ff. 552 OEMLER, Kurze Nachricht, S. 4.
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Darjes Aufnahme erhalten hatte,553 dürften seine Kontakte nach Erfurt und Jena für die Zeit seiner Abwesenheit erhalten geblieben sein. In seinem kurzen schriftlichen Appell554 nun führte er seinen Mitmenschen die Notwendigkeit einer grundlegenden christlichen Schulbildung vor Augen: Den „sichtbaren Verfall der allerheiligsten Religion Jesu“ sah Oemler in der mangelhaften Bildung und Erziehung „ganze[r] Heerden junger Christen“ begründet; zu viele wüchsen ganz ohne Erkenntnis von Christentum und Moral heran, würden wild und bösartig. Auf diese Weise bekäme „der Staat schädliche Glieder und mancher Ort die bittersten Geißeln, die Verführer ihrer Brüder [würden] und unzählbar andere mit sich zum Verderben [hinrissen]“.555 Jeder wahre Christ und „edele Menschenfreund, der das Wohl seiner Brüder mit Ernst suchet zu befördern“, sei daher aufgefordert, dem Beispiel Oemlers zu folgen und den Elementarunterricht für solche „armen […] verlassenen und verwaysten Kinder“ zu finanzieren und so dafür zu sorgen, „daß dieselben unterwiesen und zum Dienste der Welt tüchtig gemacht“ würden.556 Erinnern viele dieser Formulierungen an den Tonfall der Darjesischen Schulschriften, so erschien in Oemlers Kurzer Nachricht von der […] Jenaischen Armen-Schule auch, genau wie im ersten Jahresbericht über die Rosenschule, eine anonymisierte Liste der bis dahin mit ihren zugesicherten regelmäßigen Spenden in einem besonderen Buch verzeichneten „vornehme[n] und werthe[n] Freunde“.557 Von den Beiträgen dieser ersten 16 Mildtätigen wurden 30 Kinder „der Aufsicht des […] Schuldieners vor dem Johannis Thore, Herrn Johann Christian Christoph Müllers“ übergeben und mit Schulbüchern ausgestattet; es folgten weitere Geld- und Sachspenden, darunter „dreyßig gebundene hällische Bibeln“.558 Vorgesehen waren täglich vier Stunden, in denen die Schüler „auch von dem allen, was ihnen nöthig und nüzlich ist, einen guten Unterricht erhalten“ sollten559 – möglicherweise wurde diese Schule mit dem Jenaer Waisenhaus verbunden, welches sich ebenfalls in der Johannisvorstadt befand. Eine der Rosenschule vergleichbare Anstalt jedoch war diese Armenschule nicht, sie zeichnete sich nicht durch ein besonderes pädagogisches Konzept oder neuartige Unterrichtsziele aus. Anders als bei der Camsdorfer Realschule war das Fortbestehen dieser Stiftung mit dem ihr Anfang 1771 zugesprochenen Anteil am „Backmeisterischen Vermächtnisse“ für „arme Bürgerskinder und Schulknaben“ wesentlich abgesichert.560 Im Laufe der Zeit wurde sie mit der von Bürger-
553 Vgl. StA Erfurt, Akten der Akademie nützlicher (gemeinnütziger) Wissenschaften, 5/733–129 Mitgliederverzeichnis. 554 Abgedruckt in OEMLER, Kurze Nachricht, S. 4–9. 555 Ebd., S. 4 f. 556 Ebd., S. 7 f. 557 Vgl. ebd., S. 9 ff., Zitat S. 11. 558 OEMLER, Kurze Nachricht, S. 10 f. Im Original teils hervorgehoben. 559 Ebd. 560 Ebd., S. 11 ff.
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meister Janson gestifteten Freischule sowie mit der ebenfalls kostenlosen Garnisonschule zusammengelegt und hielt sich so bis 1833, in welchem Jahr sie an die Stadtschule angegliedert wurde. Oemler, ab 1776 Oberpfarrer und Superintendent, war Frank zufolge neben seiner akademischen Lehrtätigkeit auch weiterhin „besonders für die Hebung des Schulwesens in seiner Diöcese mit Eifer thätig“.561 Zahlreiche auf den pastoralen Berufsalltag hin ausgerichtete theologische Schriften dokumentieren überdies seine Bemühungen um die Bildung besonders der noch jungen und unerfahrenen, oft zusätzlich schlecht ausgebildeten Prediger.562 Ganz wie Darjes (vorwiegend) für die Schullehrer, so formulierte Oemler etwa in seinem Repertorium über Pastoraltheologie und Casuistik für angehende Prediger eine Art Ethik für die Kirchenlehrer, deren Ausbildung er unbedingt ganz der Verantwortung des Staats anvertraut sehen wollte.563 Übrigens beteiligte sich der Superintendent auch an der Diskussion, ob der Betrieb einer eigenen Landwirtschaft für einen Pfarrer schicklich und nützlich sei, welche Frage er nachdrücklich bejahte.564 Im Rahmen seiner Kirchenämter betätigte sich Christian Wilhelm Oemler noch bis zu seinem Tod im Jahr 1802 umfassend in der Armenpflege.565 Der Entwurf zur Fürstlichen Freyen Zeichenschule des Friedrich Justin Bertuch (1747–1822)566 könnte, worauf Klinger aufmerksam macht, ebenfalls durch die Rosenschule mit inspiriert worden sein.567 Der spätere Weimarer Verleger, Schriftsteller und Übersetzer studierte zwar erst ab 1767 in Jena Theologie und Jurisprudenz – das Werden und die Eröffnung der Rosenschule unter Darjes dürfte er dennoch persönlich mitverfolgt haben, denn er lebte zwischen 1757 und 1762 bei seinem Stiefvater Johann Gottlieb Haensche, der zu dieser Zeit Pfarrer im Dorf Cospeda bei Jena war. Nachdem er als Privatlehrer im Hause des Freiherrn Ludwig Heinrich Bachoff von Echt (1725–1792) gearbeitet hatte, welcher übrigens wie Darjes ein vornehmes Mitglied der Jenaer Teutschen Gesellschaft war,568 unterbreitete der junge Bertuch im August 1774 der Weimarer Regentin Anna
561 FRANK, Oemler, S. 349 ff.. Ähnlich schrieb auch Döring: „Mit rastlosem Eifer nahm er sich der Verbesserung des Schulwesens an, unterwies die Schüler und ihre Lehrer […] Auf die Verbesserung der Schulen in seiner Diöcese erstreckte sich Oemlers Thätigkeit gleichfalls“. DÖRING, Kanzelredner, S. 285. 562 Vgl. CONRAD, Lexikonpolitik, S. 134–140. 563 Vgl. OEMLER, Repertorium. Vgl. auch CONRAD, Lexikonpolitik, S. 136. 564 Vgl. OEMLER, Vorrede (unpag.). 565 Wiedeburg verzeichnete Oemler im Jahr 1785 als Mitglied des geistlichen Ministeriums, des Konsistoriums, der Almosen-, der Waisenhaus- sowie der Gotteskasten-Kommission. Daneben stand er dem „Wittwen-Fiskus vor Prediger- und Schuldiener-Wittwen“ vor, „mit welchem es durch die Verdienste […] unsers H[errn] Superint[endenten] […] weit gekommen“ war. Vgl. WIEDEBURG, Beschreibung, S. 435–438, Zitat S. 435. 566 Zu Bertuch vgl. FROHRIEP, Bertuch, S. 552; SCHREINERT, Bertuch, S. 171 ff. 567 Vgl. KLINGER, Entwurf zur Zeichenschule, S. 17. 568 Vgl. MÜLLER, Nachricht, S. 105.
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Amalia seinen Entwurf einer mit wenigen Kosten hier zu errichtenden freien Zeichenschule.569 Zu deren „Hauptzweck“ erklärt er die „Verbesserung der Künstler und Handwerker“: Der Handwerker wird erst alsdann vollkommen, wenn er gute Arbeit in schönen Formen liefert. Wie soll er aber schöne Formen liefern, wenn er selbst nicht zeichnen kann und nicht den mindesten Begriff davon hat, was schön oder nicht schön ist?570
Angeleitet von hervorragenden Künstlern sollten die Lehrlinge daher mehrere Stunden pro Woche nach Zeichnungen, Kupfern und (lebenden) Modellen das Zeichnen von jeweils berufstypischen Formen, Objekten und Ornamenten einüben und zudem „über die Kunst […] selbst denken“571 lernen. Auch wenn ein Knabe nicht für das Handwerk bestimmt war, könne er in der Zeichenschule seine Talente entwickeln und „dann vielleicht ein guter Künstler und dem Staate ein brauchbarer Mann“, statt „aus Mißverstand seiner wahren Bestimmung oder Mangel der Gelegenheit zu seiner Bildung ein höchstmittelmäßiger sogenannter Gelehrter und dem Staate oder Fürsten, der ihn ernähren soll, eine Last“ werden.572 Vordergründig sprach aus diesem Entwurf die kameralistische Absicht, durch eine mit geringem finanziellen Aufwand verbesserte Ausbildung der Fachkräfte die Wirtschaft zu fördern. Das schließlich unter der Leitung des mit Bertuch befreundeten Frankfurter Malers Georg Melchior Kraus um 1780/81 in seiner endgültigen Form etablierte, aber schon vorher angefangene Institut wurde in Weimar zum Anziehungspunkt des allgemeinen Interesses. Der öffentliche Unterricht für Kinder ab dem zehnten Lebensjahr war kostenlos – einzig das Material musste ein jeder selbst mitbringen – und fand nach Geschlechtern und erlangter Kunstfertigkeit getrennt an zwei Wochentagen für je eine Stunde statt; außerdem wurden verschiedene Leistungsklassen und besondere Kurse abgehalten, so beispielsweise 1781 anatomische Zeichenstunden des um das Freye Zeicheninstitut sehr verdienten Oberaufsehers, Johann Wolfgang von Goethe. Neben dem künstlerischen Unterricht wurde auch in mathematisch-naturwissenschaftlichen und wirtschaftlichen Wissenschaften unterwiesen, in den 1780er Jahren unter anderem von dem unter Darjes ausgebildeten „Cammer Registrator“ Johann Friedrich Lossius (1735–1796)573. Vorgeschrieben war, dass „alle Lehrlinge, männliche und weibliche, ohne Ausnahme“, bevor sie sich auf ein Spezialgebiet konzentrierten, „mit den gewöhnlichen Anfangsgründen der Zeichenkunst […] anfangen“ mussten574 – eine Regelung, wie sie auch Darjes mit 569 Vgl. PAUL, Hundert Jahre, S. 6; Der Entwurf einer […] Zeichenschule ist vollständig abgedruckt ebd., S. 6–9. 570 Zitiert nach PAUL, Hundert Jahre, S. 6 f. 571 Ebd., S. 9. 572 Ebd., S. 7. 573 Immatrikuliert in Jena am 2. November 1757, vgl. Matrikel Jena. Zu Lossius vgl. PAUL, Hundert Jahre, S. 16. 574 Ebd., S. 18.
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seiner allgemeinbildenden Klasse in der Rosenschule getroffen hatte. Der Erfolg der Zeichenschule hielt unter Kraus und Goethe weiter an; der unermüdlich tätige Bertuch selbst verlegte sich vorwiegend auf den Buchhandel und förderte und begründete verschiedene namhafte Zeitschriften. Mit dem 1790 zur Hebung der Landesökonomie gegründeten Organ Weimarisches Landesindustriecomptoir und dessen literarischen Ablegern bewies er erneut seinen Sinn für die Verbindung von kaufmännischen und gemeinnützigen Zielen – gerade letzteren blieb er als aktiver Freimaurer zeitlebens verpflichtet. In Kopenhagen entfaltete ab 1765 einer der vertrautesten Schüler und Mitarbeiter Darjes’, der schon genannte Balthasar Münter (1735–1793),575 eine rege pädagogische Tätigkeit. Dieser Sohn eines verarmten Lübecker Kaufmanns kam im Jahr 1754 zum Theologiestudium nach Jena,576 wo er bald in „genaue Verbindungen“ mit Darjes trat, „der in ihm die stärkste Stütze seiner [philosophischen] Schule aufblühen“ sah.577 Zunächst die akademische Laufbahn einschlagend, bot Münter Lehrveranstaltungen nach dessen Systemen an und lieferte Beiträge zu der unter Darjes’ Herausgeberschaft in zwei Bänden 1759/60 erschienenen Jenaischen Philosophischen Bibliothek.578 Die sich verbreitende Kunde seiner unter anderem im Jenaer Espéranceorden dargebotenen bemerkenswerten Fähigkeiten als Redner jedoch brachte ihm gleich darauf verschiedene Predigtämter unter dem Herzog Friedrich III. von Gotha ein – wobei er seine in mehreren Sammlungen veröffentlichten Predigten „sehr sorgfältig nach der Fassungskraft seiner Zuhörer […] einrichtete“579 –, bevor er schließlich mit seiner Familie nach Dänemark übersiedelte. Als Vorsteher der deutschen St. Petri-Gemeinde in Kopenhagen, so schrieb sein Sohn Friedrich, zog Balthasar Münter während der ihm noch verbleibenden 28 Jahre durchweg „diese Thätigkeit jeder andern vor“, „als Volkslehrer zu wirken und Nutzen zu stiften“; ausnehmend „sorgfältig“, heißt es weiter, nahm „er sich des Unterrichts der Jugend an“.580 Im Nachruf wurde rückblickend das Wirken des Vaters als Religionslehrer beschrieben:
575 Zu Münter vgl. MÜNTER, Münters Leben; CARSTENS, Münter, S. 33 ff.; BOBÉ, Petrigemeinde, S. 122–130. 576 Immatrikuliert am 6. Mai 1754 (vgl. Matrikel Jena). 577 MÜNTER, Münters Leben, S. 8 f. 578 Vgl. UAJ M 138, Bl. 8, 66. 579 MÜNTER, Münters Leben, S. 12. Die Münterschen Predigten wurden beispielsweise auch in der Allgemeinen deutschen Bibliothek (im Folgenden: AB) uneingeschränkt gelobt: „Herr S[uperintendent] M[ünter] hat Genie und Gaben für die Kanzel. Seine Predigten […] gefallen uns ausnehmend. Sie sind zusammhängend und gründlich abgefaßt, aber doch ungezwungen, leicht und faßlich für jedermann; sie sind rednerisch, und am rechten Ort pathetisch, ohne den geringsten Schwulst; und die biblische Sprache, die Hr. M. so meisterlich redet, giebt ihnen die rührende und starke Erbauung, die sich ein andächtiger Zuhörer in der Kirche wünschet“. AB 1765, 1. Bd., 1. St., S. 254. 580 MÜNTER, Münters Leben, S. 3, 16.
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Den Unterricht der Jugend hielt er immer für einen der wichtigsten, vielleicht für den allerwichtigsten Theil seines Amtes. Mit einem, von den besten Erziehern, selbst von Resewiz, bewunderten Talent, sich zu den Begriffen der Jugend herabzulassen, verband er die seltene Kunst diesem Unterricht oder Gespräch Interesse für Erwachsene zu geben. Er begnügte sich nicht damit, die Confirmanden vorzubereiten, sondern unterrichtete außerdem alle Winter mehrere Stunden die Woche die Kinder seiner Freunde und Bekannten. Mit der größten Heiterkeit saß er unter zwanzigen und dreyßigen von verschiedenem Alter, verschiedener Erziehung und Bildung, und wuste mit wahrer sokratischer Kunst die Gedanken in ihnen selbst zu erwecken, die vollkommenste Aufmerksamkeit unter ihnen zu erhalten, und seinen Unterricht ihnen durch seine Deutlichkeit und Vernunftmäßigkeit unvergeßlich zu machen. 581
Eigens zu diesem Unterricht arbeitete Münter auch eine Anleitung zur Erkenntniß und Ausübung des christlichen Glaubens (Göttingen 1783) aus, welche „sich durch Gründlichkeit, Deutlichkeit und beständige Rücksicht auf das praktische auszeichnet[e]“.582 Ein wesentlicher Anteil an der Entwicklung dieser dargestellten Fähigkeiten wurde dabei Darjes bescheinigt, der ihn als Lehrer in Jena nachhaltig geprägt hatte.583 Gleich diesem Gelehrten legte Münter offenbar auch eine seltene Einsatzbereitschaft und Beharrlichkeit an den Tag: „Während seines […] fast dreissigjährigen Wirkens“, so urteilt Bobé, „hat B. Münter wie kein zweiter […] im Predigtamt an der St. Petri Kirche eine so unermüdlich tätige, vielseitige und tiefgreifende Tätigkeit im Dienste der Gemeinde entfaltet als Kanzelredner und Seelsorger und auch als Reformator ihres Schulwesens und ihrer Armenpflege.“584 Dass die angesehene Gemeinde unter dem Patronat Bernstorffs von 1763 bis 1772 ihre Blütezeit erlebte, hatte sie im Besonderen auch Münter zu verdanken.585 Der geschätzte Prediger genoss das Vertrauen der sozialen Oberschicht, sein Haus war der zentrale Treffpunkt bekannter deutscher Schöngeister, Künstler und Wissenschaftler in Kopenhagen, wie er ebenso ständige briefliche Kontakte zu bedeutenden Theologen und Gelehrten in Deutschland unterhielt.586 Hier soll das Interesse allerdings vordergründig den Neuerungen gelten, die Münter in späteren Jahren dem Armen- und Schulwesen seiner Gemeinde angedeihen ließ.587 Im Jahr 1792 machte die wahrscheinlich seit Anfang der 1770er Jahre bestehende kirchliche Pflegecommission zu St. Petri, welcher Münter angehörte, einen Rechenschaftsbericht „über die Einrichtung und Regierung 581 582 583 584 585 586
Ebd., S. 22. Ebd. Vgl. ebd., S. 7. BOBÉ, Petrigemeinde, S. 128. Vgl. SNELL, Immigranten, S. 150. Vgl. BOBÉ, Petrigemeinde, S. 123 f., 129 f. In Münters Haus verkehrten unter anderem die Dichter Klopstock, Cramer und von Gerstenberg. Münter selbst verfasste geistliche Kantaten und Lieder, die zum Teil weite Verbreitung fanden. 587 Zum Schulwesen der St.-Petri-Gemeinde vgl. BOBÉ, Petrigemeinde, S. 245–255; SNELL, Immigranten, S. 159.
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des Armenwesens“ öffentlich – Verfasser war der dieser Kommission angehörende Gemeindevorsteher.588 Die Einrichtung beziehungsweise Neuordnung der Freischulen für die von der Pflegekommission zu versorgenden mittellosen Kinder nebst entsprechender Revision gehörte zu ihren besonderen Anliegen. Als Armenpfleger seiner Kopenhagener Gemeinde stand Münter also vor einer ganz ähnlichen Aufgabe, wie sie Darjes in den 1760er Jahren in Jena übernommen hatte: Für Kinder der untersten sozialen Schicht einen möglichst hinreichend auf deren Zukunft abgestimmten Unterricht zu organisieren, ohne dass die Frage der Finanzierung abschließend geklärt wäre. Obschon Münter seinen Studienort bereits 1760 verlassen hatte, wird er durch seinen engen Kontakt zu Darjes den Plan und auch die Umsetzung der Rosenschule in Camsdorf zweifellos gekannt haben, zumal ihm noch bis 1765 von Gotha und Tonna aus Kontakte nach Jena leicht möglich waren. In einem auffälligen Punkt allerdings, nämlich was die Koedukation betraf, wich er bereits von dem Vorgehen seines Lehrers ab: Zwey Schulen mussten wir von nun an haben, eine für Knaben, die andre für Mädgen. Die armen Kinder von beyden Geschlechtern in Eine Schule mit einander gehen zu lassen, das fanden wir sehr bedenklich. Davon waren gefährliche Unordnungen zu befürchten, durch welche die Unschuld der Kinder auf immer zu Grunde gerichtet werden konnte.589
Aber auch andere als nur moralische Bedenken trug Münter hinsichtlich gemischter Anstalten, da „der Unterricht, dessen die Kinder von beyden Geschlechtern bedürfen, zu sehr verschieden [sei], als daß er beyden zugleich füglich mitgetheilt werden könnte.“590 Für die Mädchen sei demnach eine Anleitung in Handarbeiten, für die Knaben dagegen ausführlichere Unterweisung im Schreiben und Rechnen zu besorgen. Was die der Obhut der Pflegekommission unterstehenden Jungen betraf, umging der Prediger die Neugründung einer Schule, indem er in Verhandlungen mit der Kirchgemeinde gegen jährliche Zahlungen für sie feste Plätze in der sehr angesehenen deutschen Elementarschule erwarb.591 Balthasar Münter selbst hatte schon seit 1771 die Aufsicht und kurz
588 Vgl. O. V., Der Pflegecommission Rechenschaft. Bis in alle Einzelheiten wurden hier etwa die Berechnung eines Existenzminimums und die daran geknüpfte Berechtigung zum Empfang von Almosen dargelegt. Auch die „Spinnordnung“ von 1788 ist S. 23–36 abgedruckt, nach welcher, alternativ zu einem kostenintensiveren Arbeitshaus, das Spinnen von Flachs und Heede (Werg) durch arme Frauen in regelmäßig kontrollierter Heimarbeit gegen Bezahlung und Prämien vorgesehen war. Zu Münters Mitgliedschaft vgl. ebd., S. 33; BOBÉ, Petrigemeinde, S. 129. 589 Ebd., S. 67. 590 Ebd., S. 67 f. 591 Diese von einem Schulhalter und dessen Helfer geleitete Anstalt für über 50 Jungen, in der einige Schüler nicht nur vom Schulgeld befreit waren, sondern zudem einmal jährlich eingekleidet wurden, genoss einen so guten Ruf, dass sich schon beim Tod des ersten
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darauf auch die ökonomische Leitung einer für anfangs 60 Kinder einzig aus Spenden errichteten und aus diesen schwer zu erhaltenden deutschen Freischule inne. Um eine Trennung der Geschlechter zu erreichen, ließ Münter später nur noch Mädchen einrücken und stellte die Anstalt als reine Mädchenschule schließlich der Pflegekommission zur Verfügung. „Noch haben wir zwar keine genau bestimmte Schulordnung für diese unsre Schule entwerfen können“, hieß es 1792 im Rechenschaftsbericht, „aber das können wir doch schon sagen, daß unsre Schülerinnen Vormittags im Lesen, Schreiben, Rechnen und im Christenthum, Nachmittags aber im Spinnen und Stricken, und so bald es möglich seyn wird, auch im Grobnähen, unterwiesen und dazu gewöhnt werden sollen.“592 Hier ist ganz offensichtlich eine Industrieschule für arme Mädchen geplant, wie die ausschließliche Festlegung auf niedere Handarbeiten unterstreicht: Auf feinere weibliche Arbeit, z.E. Sticken, Haubenaufsetzen u.s.w. werden wir uns nicht einlassen, weil sie nicht nothwendig zur Bestimmung dieser Classe von Mädgen gehören, und sie nur unlustig machen möchten, die übrigen nothwendigern zu lernen.593
Schon der zweite Prediger von St. Petri, der spätere Leiter der Klosterschule Berge Friedrich Gabriel Resewitz (1729–1806), hatte Jahre zuvor ebenfalls eine Reformschule, jedoch eine Realschule, projektiert, die allerdings nicht zustande gekommen war – erst 1818 wurden in der St. Petri-Gemeinde je eine Realschulen für Jungen und für Mädchen eingerichtet.594 Der Industrieschule war ein ebenso zögerlicher Beginn beschieden, denn zur finanziellen Sicherung dieser Einrichtung existierte noch kein Fonds. Münter bat daher um Spenden und bestimmte einen Teil seines Vermögens testamentarisch für die Mädchenschule. Neu eröffnet werden konnte diese schließlich 1799 – sechs Jahre nach dem Tod Balthasar Münters. Zuletzt ist erneut auf Gottlieb Christoph Harles zurückzukommen, welcher bereits als Realschultheoretiker vorgestellt wurde. Dieser hatte sich in seinen Überlegungen von Darjes beeinflusst gezeigt, war aber nicht selbst als Gründer oder Reformer einer niederen Schule in Erscheinung getreten. Aktiv wurde er hingegen im Bereich des höheren Schulwesens, zuerst 1761 mit seiner auf den altsprachlichen Unterricht gerichteten Abhandlung Gedanken von dem Zustande der Schulen und ihren Verbesserungen – darin forderte er, wieder sehr ähnlich wie der Jenaer Professor, unter anderem „mehr Ehre und mehr Besoldung“, vor allem aber eine gründliche staatliche Ausbildung für die Lehrer; auch propagierte er Schulmeisters 1764 „nicht weniger als 44 Schreib- und Rechenmeister aus allen Gegenden Deutschlands, sogar ein Rektor um die vakante Stelle bewarben“; auch seinem Nachfolger gelang es offenbar, ihr diese Reputation zu bewahren. BOBÉ, Petrigemeinde, S. 249 f. 592 O. V., Der Pflegecommission Rechenschaft, S. 72. 593 Ebd. 594 Vgl. BOBÉ, Petrigemeinde, S. 253 ff.
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eine ausgeprägt sittlich-religiöse Erziehung durch das Beispiel mit „Liebe und guten Ermahnungen“.595 In den folgenden Jahren erschienen von ihm noch weitere deutsche Schriften, die Fragen des höheren Bildungswesens betrafen.596 Im Jahr 1776 schließlich gründete er in Erlangen ein philologisches Seminar, „aus welchem unter seiner Leitung eine Anzahl tüchtiger Schulmänner der fränkischen Lande hervor[gingen]“.597 Damit realisierte er als Universitätsprofessor eine Ausbildung speziell für Gymnasiallehrer und also einen Baustein aus einem ganzen, der Universität unterstellten System der Lehrerausbildung, wie es Darjes mit seiner Theorie der „Pflanzschulen“ für Lehrer vorgeschlagen hatte. Diese Beispiele sollen genügen, um Darjes’ schulpädagogische Impulskraft zu illustrieren. Zweifellos fielen seine kritisch-konstruktive Auseinandersetzung mit dem überkommenen Schul- und Bildungswesen im Allgemeinen sowie seine Vorschläge für zeitgemäße Reformen, mit denen er in seinen Vorlesungen und den Lehrbüchern einen beachtlichen Teil der Bildungselite konfrontiert hatte, bei zahllosen Studenten auf fruchtbaren Boden. Einige von ihnen übten als spätere Prinzenerzieher übrigens auch auf den deutschen Adel einen gewissen Einfluss aus, so beispielsweise Friedrich Dominik Ring598 oder Karl Friedrich Wiebe, der sich für seinen 1756 veröffentlichten Grundriß von den Wissenschaften bey Erziehung eines Prinzen sogar ein Vorwort von seinem ehemaligen Professor erbeten hatte.599 Die vielleicht verfrüht gegründete Rosenschule des Joachim Georg Darjes in Camsdorf konnte sich nicht zur viel beachteten und nachgeahmten Reformanstalt im Stile der Franckeschen oder Heckerschen Anstalten entwickeln. Offensichtlich jedoch bot schon ihr kurzzeitiges Bestehen, vor allem in Verbindung mit dem schriftlichen Entwurf und dem Schulbericht, über Jahre Anregung für die Erneuerung einzelner Bildungsanstalten und die Ausarbeitung ganzer neuartiger Programme.
595 Vgl. HARLES, Gedanken. Darin über die Qualifikation der Lehrer S. 23–38, Zitat S. 29; über die Erziehung der Schüler S. 80–94, Zitat S. 83. 596 Vgl. dessen Werkeverzeichnis in BAADER, Lexikon Baierischer Schriftsteller, S. 77–84. 597 MÜLLER, Harles, S. 603 f. 598 Zu Rings Wirken vgl. SCHMIDT, Ring, S. 629 f.; KÜHLMANN, Killy Literaturlexikon, S. 654 ff. 599 Das darin enthaltene Vorwort ist DARJES, Vorrede von Anwendung allgemeiner Wahrheiten.
IV. Die Aufgabe der Hochschule und des Hochschullehrers IV. Aufgabe der Hochschule und des Hochschullehrers
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Hochschulen im 18. Jahrhundert
Hochschulen im 18. Jahrhundert 1.1. Darjes’ universitäre Erfahrungsräume: Rostock, Jena und Frankfurt an der Oder Darjes, der das zeitgenössische Bildungswesen mit dem kritischen Blick des Kameralisten umfassend überprüfte, sparte dabei die akademische Bildung als die höchste Stufe keineswegs aus. Eine fundierte Vorstellung von Zweck und Aufgabe der Universitäten wie auch gründliche Kenntnis ihrer Wirklichkeit hatte er schon während seiner Studienzeit, vor allem aber durch seine Tätigkeit als Hochschullehrer gewinnen können. 1730 hatte er sich in Rostock als Theologiestudent immatrikuliert, ab Oktober 1733 setzte er sein Studium an der Universität in Jena fort. Dass Darjes, da er nicht nur bei Dozenten wohnte, sondern auch studentische Ämter bekleidete, schon in dieser Phase einen wesentlich besseren Einblick in die universitäre Verwaltung, institutionellen Rahmenbedingungen, Organisation, Hierarchiestrukturen, Vernetzung und Reglements hatte, als er heutigen Studenten aufgrund der um ein Vielfaches größeren Universitäten und der meist nur sehr flüchtigen Kontakte zu Dozenten überhaupt möglich ist, liegt auf der Hand. Hinzu kam ab 1735 der Perspektivwechsel durch die eigene Lehrtätigkeit an der Philosophischen Fakultät. Nach 30 Jahren verließ er Jena als inzwischen erfahrener und höchst erfolgreicher Professor und wirkte nochmals fast 28 Jahre an der Universität von Frankfurt an der Oder, an welcher er die höchsten Ämter ausfüllte. Zweifellos stützte sich Darjes’ vergleichende Analyse und Beurteilung unterschiedlicher Rahmenbedingungen, Inhalte und Methoden von Forschung und Lehre vorwiegend auf sein langjähriges eigenes Erleben des akademischen Umfeldes. Daher scheint es für ein intensiveres Verständnis seiner hier im Anschluss thematisierten Hochschulkritik angeraten, in aller Kürze den jeweiligen Zustand der fraglichen Universitäten zum Zeitpunkt seines dortigen Aufenthaltes zu vergegenwärtigen. Das Hauptaugenmerk wird dabei auf die Jenaer Universität zu legen sein, weil der Gelehrte den von ihm entworfenen Idealzustand akademischer Bildung im Wesentlichen in seinem 1756 erschienenen Kompendium Erste Gründe der Cameral-Wissenschaften darlegte. Den Plänen seines Vaters folgend, sollte Darjes dessen Predigeramt an der Pfarrkirche in Güstrow übernehmen. Wie in den meisten übrigen deutschen Territorialstaaten, war dafür auch in Mecklenburg der wenigstens zeitweilige Besuch der Landesuniversität verpflichtend.1 So lernte Darjes zunächst die Hochschule 1
Vgl. HEIDORN, Geschichte, S. 69.
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in Rostock2 und ihren Lehrbetrieb aus studentischer Perspektive kennen. Zwar zählte er diese kleine lutherische Akademie in seiner Autobiographie ganz selbstverständlich zu den „berühmten“,3 doch hatte sie zur Zeit seines Studiums 1730 bis 1733 ihre Blütezeit längst hinter sich. Nicht nur die späten Nachwirkungen des Dreißigjährigen Krieges, sondern vor allem die wegen des Nordischen Krieges (1700–1721) fast ganz darniederliegende Handelsschifffahrt hatten Rostock und damit auch seiner Universität besonders zugesetzt. Hier hatten ständige Finanzierungsengpässe, eine dominante hochorthodoxe Theologie und die Wiederbesetzung vakanter Lehrstellen vorwiegend mit in Rostock ausgebildeten Dozenten seit Jahrzehnten dahin gewirkt, dass die Wissenschaften stagnierten und sowohl auswärtige Professoren als auch wohlhabendere Studenten zunehmend ausblieben. Die Immatrikulationszahlen an der Rostocker Hochschule, welche bis über die Mitte des 17. Jahrhunderts hinaus mit 150 bis 200 und während des Dreißigjährigen Krieges mit bis zu 300 Einschreibungen pro Jahr zu den mittelgroßen lutherischen Universitäten gehört hatte, waren dauerhaft auf meist deutlich unter 100 jährlich zurückgegangen, was den erlittenen Bedeutungsverlust dieser Hochschule sichtbar macht – Darjes war 1730 einer von gut 80 neu aufgenommenen Studenten, der Reichsdurchschnitt dieses Jahres betrug an den lutherischen Universitäten mit 158 Immatrikulationen fast das Doppelte.4 Ein merklicher Teil der Studentenschaft stammte aus Mecklenburg selbst, da ja für die spätere Übernahme eines Amtes oder Pastorats im Land das Studium zumindest zum Teil in Rostock absolviert werden musste. Die Landesuniversität bot als Volluniversität das Studium in allen vier Fakultäten an. Während jedoch der übermächtigen Theologischen Fakultät im Jahr 1730 fast drei Viertel der Studenten angehörten und die Jurisprudenz immerhin noch ein Fünftel anzulocken vermochte, war der Zulauf bei den Medizinern und Philosophen kümmerlich. Dies spiegelte auch die wenig ausgebaute Medizinische Fakultät wider, deren im Wesentlichen auf die Anatomie konzentriertes Lehrprogramm erst im weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts eine Ausdifferenzierung erfuhr. Ebenso schlecht war es um die Philosophische Fakultät bestellt, an welcher wegen teils jahrzehntelanger Vakanzen selbst die Pflichtvorlesungen oft durch Privatdozenten abgedeckt werden mussten. Laut Asche war „in den 1720er und 1730er Jahren“ – also auch während Darjes’ Studienaufenthalt – „nicht einmal die Hälfte der philosophischen Professuren besetzt“.5 Gelehrt wurde seit der Hoch-Zeit dieser Fakultät ab etwa 1570 nahezu unverändert aristotelische Philosophie, ciceronianische Rhetorik, Poesie und praktische Philosophie, ergänzt allerdings um politische
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Zur Universität Rostock in der Frühen Neuzeit vgl. HEIDORN, Geschichte; ASCHE, Bürgeruniversität. DARJES, Bielefelds Staatsklugheit, S. 7. Zu den Frequenzen vgl. ASCHE, Bürgeruniversität, S. 530 Anhang. Ebd., S. 138.
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Wissenschaften. Die neu aufkommenden, als bedrohlich empfundenen philosophischen Systeme eines Leibniz, Thomasius oder Wolff allerdings wurden bewusst nicht zur Kenntnis genommen. Daneben lehrten die Inhaber philosophischer Nominalprofessuren oft auch in den Disziplinen höherer Fakultäten, um bei Gelegenheit auf einen besser bezahlten Lehrstuhl innerhalb der Universität aufrücken zu können. Gepflegt wurde außerdem die Hebraistik als theologische Hilfswissenschaft, während Latein und Griechisch zunehmend an Bedeutung einbüßten. Neben den medizinischen existierte noch eine mathematische Professur zur Abhandlung empirischer Naturwissenschaften. Historische Themen wurden, da der außerordentliche Lehrstuhl für Geschichte meist unbesetzt war, sporadisch von Juristen und Theologen übernommen. Letztere, die in aller Regel auch Vorlesungen zur Kirchengeschichte anboten, folgten an ihrer eigenen Fakultät weitgehend dem 1716 verstorbenen Dogmatiker Johannes Fecht (1636– 1716), durch dessen maßgeblich von der Straßburger Hochorthodoxie geprägtes Wirken an der Rostocker Universität dieselbe in den Ruf geraten war, „besonders streitbar und intolerant zu sein“.6 Die Juristische Fakultät hatte bis nach dem Dreißigjährigen Krieg eine dominante Stellung inne, doch entgegen der Tendenz an den aufgeklärten Hochschulen, wo die Jurisprudenz nach dem Modell Halles und später Göttingens rasch zur Leitwissenschaft aufzusteigen begann, nahm die Bedeutung der juristischen Wissenschaften an der orthodoxen Rostocker Universität nur sehr zögerlich und mäßig zu. Vertreten waren zusätzlich mit Fechten, Tanzen, französischer Sprache und Musik auch einige der sogenannten galanten Fächer, die den Bildungsbedürfnissen der in Rostock studierenden Adligen Rechnung tragen sollten – deren Anteil war mit etwa vier Prozent jedoch verhältnismäßig gering. Als Darjes im Juni 1730 sein Studium in Rostock antrat, absolvierte er eigenen Angaben zufolge zunächst ein Anfängerprogramm aus alten Sprachen, aristotelischer Philosophie und Mathematik.7 Zu dieser Zeit waren an der Universität 13 Professuren zum Teil von den Herzögen und zum Teil vom Stadtrat zu besetzen, was vor allem wegen dauerhafter finanzieller Schwierigkeiten auf beiden Seiten immer wieder zu langwierigen Streitigkeiten und damit zu vakanten Stellen führte. Die vorhandenen ordentlichen Professoren hingegen waren wegen der spärlichen und unregelmäßigen Bezahlung meist auf Nebentätigkeiten angewiesen, die sie ihre akademischen Verpflichtungen vernachlässigen ließen. Asche kommt zu der Einschätzung, dass Rostock bereits „zu Beginn des 18. Jahrhunderts […] eine Landesuniversität mit lediglich lokaler Bedeutung für das mecklenburgische Territorium, mit geringer Studentenzahl und durchschnittlichem wissenschaftlichem Niveau“ war.8 Darjes jedoch urteilte in seiner Autobiographie durchweg positiv über die Lehrkräfte und seine 6 7 8
Ebd., S. 91. DARJES, Bielefelds Staatsklugheit, S. 7 f. ASCHE, Bürgeruniversität, S. 71. Im Original teils hervorgehoben. Ähnlich SCHINDLING, Bildung, S. 24.
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philosophisch-theologische Ausbildung in Rostock. Vom rätlichen Theologieprofessor und Secundarius Johann Joachim Weidner (1672–1732), der nebenher als Pastor zu St. Marien, Stadtsuperintendent und Direktor des Geistlichen Ministeriums in Rostock viel beschäftigt war, ist darin zu lesen, derselbe sei „wegen seiner Gelehrsamkeit berühmt, und wegen seiner Redlichkeit beliebt“9 gewesen, der herzogliche Secundarius Franz Albert Aepinus (1673–1750), zuvor Professor für Logik, wird für seine Gründlichkeit in der Theologie gelobt. Der Unterricht in der aristotelischen und scholastischen Philosophie, den Darjes in Rostock „bei den geschicktesten Männern genossen habe“, so heißt es weiter, sei ihm „ein Glück gewesen“.10 Neben seinen Collegia boten sich dem jungen Mann natürlich die Ausschweifungen des vergnüglichen Studentenlebens – wie vielerorts wurden die grobianische Geselligkeit der verbotenen Landsmannschaften und der Pennalismus von städtischen Behörden und Universität vergeblich bekämpft.11 Mit einer allerdings weitaus ungezügelteren studentischen Lebensart als in Rostock war Darjes an der ebenfalls bürgerlich geprägten lutherischen Akademie in Jena konfrontiert.12 Diese war zumindest zum Teil ein Ergebnis der wirtschaftlichen Abhängigkeit, in der das mit einer um 4.000 stagnierenden Einwohnerzahl verhältnismäßig kleine Städtchen gegenüber der Universität stand, und die die Jenaer zur Duldsamkeit zwang; zwar waren die sogenannten akademischen Bürger von städtischen Steuern und Lasten frei, spielten aber allein schon als Konsumenten eine bedeutsame Rolle.13 Zwischen 1730 und 1740 wurden jährlich immer über 600 Studenten immatrikuliert, sodass sich Darjes, als er im Oktober 1733 nach Jena kam, unter deutlich mehr als 1.500 Studenten wiederfand. Wie überall waren die Frequenzzahlen allerdings im Laufe des 18. Jahrhunderts rückläufig: Darjes selbst berichtete im August 1748, er habe in seinem „gantzen Rectorat nur 193 inscribiret, da sonst um Ostern jederzeit 4 bis 500 angekommen“ seien, womit „die gantze Anzahl unserer Studenten 1.400 und
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DARJES, Bielefelds Staatsklugheit, S. 9. Ebd., S. 11. Ebd., S. 8 f.; ASCHE, Bürgeruniversität, S. 246 f. Eine Beschreibung des studentischen Gebarens im Jena des Jahres 1725 beispielsweise berichtet nicht nur von grob unhöflichem Verhalten der jungen Männer ihren Professoren gegenüber, sondern auch von der sonstigen „Ungezogenheit, die man täglich an ihnen sahe, da sie sich wie die Buben, öffentlich auf denen Gassen mit Steinen warffen, das Obst aus den Hüten naschten, bey hellem Tage gantz entsetzlich schrien, in Westen, Schlaff-Röcken, Schlaff-Kappen und Rappiermäßigen Degen unter den Armen hin und wieder lieffen, gantze Stunden, ja gantze Tage auf dasigen Marckte müssig stunden, und mit denen dahin kommenden oder vorbey gehenden Weibs-Leuthen allerhand Muthwillen trieben, und dergleichen“. NEMEITZ, Vernünfftige Gedancken, S. 155 ff. In den Statuten der Stadt von 1704 wurden die Bürger unter Strafandrohung ermahnt, „gegen Studiosos sich fried- und bescheidentlich zu verhalten“. SCHMIDT, Universität Jena, S. 213. Vgl. hier und im Folgenden SCHINDLING, Bildung; SCHMIDT, Universität Jena; HAMMERSTEIN, Universitäten; BAUER u.a., Universität Jena.
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etliche 60“ betrüge, und nicht wie „sonst über 2.000“;14 1751 wurde deshalb auch in Jena ein Pflichtstudium für Landeskinder angeordnet. Dessen ungeachtet behielt die Jenaer Hochschule ihre Stellung als Massenuniversität mit weit überregionalem Einzugsgebiet, übertroffen nur von Halle. Noch zehrte sie von ihrem Ruf der Fortschrittlichkeit und dem Ansehen, das ihr namentlich der Theologe Johann Franz Budde (Buddeus, 1667–1729) verschafft hatte, der zuvor als Moralphilosoph in Halle unter Thomasius’ Einfluss stand. Obschon dieser seinerzeit herausragendste Jenaer Gelehrte etwa seiner Nähe zum Pietismus, seiner deutschsprachigen Vorlesungen und Lehrbücher oder seiner umfassenden Rezeption der zeitgenössischen Philosophie wegen beständig in der Kritik stand, hatte die ohnehin moderate Jenaer Orthodoxie unter seiner freien Gesinnung die Frühaufklärung vorbereitet und mitvollzogen, ja, die ganze Akademie hatte einen Aufschwung erlebt. Ausdrücklich das Interesse am Progressiven, nämlich an der von Halle aus nach Jena getragenen Philosophie Christian Wolffs, hatte denn auch Darjes nach Jena gelockt.15 Jedoch musste er feststellen, dass die Theologische Fakultät unter Buddes Schwiegersohn und Nachfolger Johann Georg Walch (1693–1775), bei dem er Kirchenhistorie hörte, ihre aufgeschlossene Gesinnung inzwischen abgelegt hatte. Sie stellte sich vielmehr dem sich im Zuge der Aufklärung ausbreitenden radikalen Wolffianismus entgegen, als dessen Jenaer Hauptakteure Darjes und sein philosophischer Führer, Magister Jakob Carpov (1699–1768), schließlich eines veröffentlichten Schriftstückes wegen in einen Ketzerprozess gerieten. In der Folge wandte sich Darjes ab 1737 der Jurisprudenz zu, die nach dem Dreißigjährigen Krieg eine inhaltliche Erneuerung erfahren und sich im gleichen Zug von der Theologie gelöst hatte. Neben einer Auseinandersetzung mit dem von Grotius, Pufendorf, Conring und Leibniz geprägten Naturrecht stand das öffentliche römisch-deutsche Recht mit seinen Hilfsdisziplinen im Vordergrund. Auf die schon früh tonangebenden Jenaer Rechtswissenschaften hatte die Wissenschaftsreform Christian Thomasius’ (1655–1728) in Halle zurückgewirkt, einige Professoren der Juristischen Fakultät hatten dort selbst gelernt und gelehrt.16 Eine eigenständige Richtung fanden die zum Teil auch der praktischen oder eleganten Jurisprudenz zugewandten Dozenten während der Zeit der Aufklärung nicht, doch boten sie den Studenten
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Darjes an Haller, 14. August 1748. BB Bern, Nachlass Albrecht von Haller, Briefe. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts gingen die Frequenzen an fast allen Universitäten des Reichs zurück, wovon insbesondere die wissenschaftlich nicht reformierten Institutionen betroffen waren, vgl. SCHINDLING, Bildung, S. 62. Vgl. DARJES, Bielefelds Staatsklugheit, S. 11. Schindling betont den „Neuansätzen aufgeschlossene(n) Geist der Universität Jena in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts“, an der „Pufendorf, Leibniz und Wolff […] als Studenten weiterführende Impulse [erhielten]“, vgl. SCHINDLING, Bildung, S. 32. So der Ordinarius Dietrich Hermann Kemmrich (1677–1745), auch Burkhard Gotthelf Struve (1671–1738) oder der herausragende Johann Georg Estor (1699–1773).
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insgesamt wohl ein solides Programm. Bei Darjes, der sich vor seinem Fachrichtungswechsel vom Thomasius-Schüler und Kanzler der Halleschen Universität, dem Historiker und Juristen Johann Peter von Ludewig (1668–1743), persönlich beraten ließ, findet sich folgendes, von jenem als zeitgemäß empfohlenes Curriculum: „Ich sollte mir den Grotium, des Aristotelis Politik und Organon recht bekannt machen. Einige Anfangsgründe im Jure hören, und alsdann fleißig seine [von Ludewigs] Schriften lesen.“17 Von methodischen Veränderungen in den nun deutlich gegenwartsbezogenen Rechtswissenschaften zeugte ein zunehmend empirisches und vergleichendes Vorgehen. Darjes’ Feststellung, er habe sich während seiner ersten Studienjahre „zu wenig um die politische und um die philosophische Historie, auch zu wenig um die Sprachen bekümmert“, bestätigt, dass die Philologie und die Geschichte für den Rechtswissenschaftler seit Thomasius unverzichtbare Hilfswissenschaften darstellten.18 Vermochte sich in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Jenaer Jurisprudenz im Schatten Halles kaum hin zu einer attraktiven und modernen Wissenschaft zu profilieren, so machte der Bereich der praktisch-nützlichen Staatswissenschaften hier eine Ausnahme. Die entscheidenden Impulse dafür gingen allerdings nicht von den Juristen, sondern vielmehr von den praktischen Philosophen aus, insbesondere vom Lehrstuhl für Moral und Politik, den sich seit 1717 der auf besondere Praxisnähe und eine populäre Darstellungsweise bedachte Johann Jakob Lehmann (1683–1740) und der vielseitig gebildete, ebenfalls in Halle durch Thomasius und Budde geprägte Jurist Gottlieb Stolle (1673–1744) teilten; Darjes studierte bei beiden und konnte später gerade diese Professur in seinem Sinne nutzen. Der Jenaer Philosophischen Fakultät verlieh daneben der Aufstieg der Geschichtswissenschaften, der über deren enge und fruchtbare Bindung an die Jurisprudenz hinausging, ein eigenes Profil. Der altsprachliche Unterricht behielt seine sich in mehreren ordentlich besetzten Professuren und einer Lateinischen Gesellschaft ausdrückende Bedeutung, doch war ein rasanter Zuwachs der modernen Fremdsprachen Französisch, Italienisch und Englisch unverkennbar: Die Zahl der offiziell angestellten Sprachmeister wuchs zwischen 1700 und 1733 von sieben auf 15 an. Die vorhandenen Bestrebungen zugunsten des Deutschen als Lehr- und Wissenschaftssprache wurden in Jena durch eine 1728 gegründete und 1730 anerkannte Teutsche Gesellschaft nach Leipziger Vorbild sinnvoll unterstützt.19 Zur Umsetzung des höfischen Bildungsideals standen den Studenten auch ordentliche Fecht-, Tanz- und Reitmeister zur Verfügung. Das drei bis vier, bei den Theologen bis fünf Jahre dauernde Studium zielte auf das Auswendiglernen eines überlieferten Kanons, die akademische Unterweisung hatte noch weitgehend ihren rein repetierenden und reproduzierenden Charakter. Der Anschluss an den neuen Zeitgeist, welcher die Universität von Jena nach der Jahrhundertwende so 17 18 19
DARJES, Bielefelds Staatsklugheit, S. 27. Im Original teils hervorgehoben. Vgl. SCHINDLING, Bildung, S. 54 f., 58; Zitat DARJES, ebd., S. 13. Siehe zur Teutschen Gesellschaft auch die Abschnitte V.2. und V.3. dieser Arbeit.
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wirkungsvoll ergriffen hatte, ging dieser in den 1730er Jahren verloren. Die insgesamt weiterhin traditionell betriebene Wissenschaft und Lehre konnten die im Sinne der Aufklärung begonnene Hochschulreform kaum noch vorantreiben. Bei der Konkurrenz, die ihr aus Halle und Göttingen erwuchs, verursachte dieses „Nachlassen bürgerlich-moderner Ansätze“ an der Jenaer Universität Schmidt zufolge fast zwangsläufig einen besonders ab 1740 spürbaren Frequenzrückgang.20 Anders als in Rostock wurde eine zielgerichtete Reform vor allem dadurch erheblich erschwert, dass Entscheidungen stets von mehreren fürstlichen Erhaltern mit unterschiedlich ausgeprägtem Interesse und Veränderungswillen zu treffen waren, wobei zusätzlich die Oberhoheit über die Stadt und das Amt Jena einschließlich der Universität 1741 vom Herzogtum Eisenach auf Weimar überging. Die unter den vier ernestinischen Linien Weimar, Gotha-Altenburg, Meiningen und Coburg-Saalfeld aufgeteilten Unterhaltszahlungen waren seit der Mitte des 17. Jahrhunderts zudem kaum erhöht worden, sodass bei der anhaltenden Unfähigkeit der Hochschule, selbst verlässliche Einkünfte zu erwirtschaften, ein kontinuierlicher finanzieller Abfall eingesetzt hatte. Die schon seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts im Vergleich zu anderen Orten nur mäßige Besoldung21 der 18 ordentlichen Professuren konnte die Universität mit teils nur mittelmäßigen, überdies zu Nebentätigkeiten gezwungenen Gelehrten versorgen und trug somit ihren Teil zu einem allgemeinen, freilich nicht existenzgefährdenden, Niedergang der Universität bei. Nicht zu leugnen ist aber, dass die Konstellation der vier fürstlichen Erhalter für die Jenaer Hochschule wiederum einigen Nutzen mit sich brachte: Da es bei den häufigen Unklarheiten und Konflikten gelang, die Rechte, Gesetze und Befugnisse der Akademie dauerhaft zu festigen oder sogar auszuweiten, mithin ungewöhnlich autonom zu agieren, war eine größere Bewegungsfreiheit in Forschung und Lehre möglich.22 So zeugt etwa die immense Produktion der Buchverlage in Jena, welche noch bis 1745 allein von Leipzig übertroffen wurde, von einer auffallend regen wissenschaftlichen Tätigkeit. Auf Wunsch des preußischen Königs nahm Darjes zum Wintersemester 1763/64 seine Lehrtätigkeit als Professor der Jurisprudenz und Philosophie in 20 21 22
SCHMIDT, Universität Jena, S. 215. Die ordentlichen Gehälter gingen über 366 Gulden nicht hinaus, an der Philosophischen Fakultät wurden zum Teil gar nur 130 Gulden gezahlt. Vgl. SCHMIDT, Universität Jena, S. 172. Wallentin u.a. bestätigen, dass „gerade die Salana im 17. und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts von einem hohen Grad an Selbständigkeit gekennzeichnet“ war: „Für eine permanente landesherrliche Kontrolle fehlten den kleinen Territorien die materiellen und personellen Ressourcen.“ Vgl. WALLENTIN u.a., Korporation, S. 71. Auch Bauer und Müller betonen, dass ihre grundsätzliche Autonomie, ihre Selbstverwaltung und eigenwirtschaftliche Finanzierung für die Jenaer Akademie „immer einen Existenzkampf, aber auch größere Gestaltungsräume“ bedeutet haben, vgl. BAUER/MÜLLER, Kleinod, S. 327.
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Frankfurt an der Oder auf. Diese Großstadt mit ihren etwa 11.000 Einwohnern nun unterschied sich als regionales Verwaltungszentrum und bedeutende Garnison- und Messestadt mit einem starken und differenzierten Gewerbe deutlich vom beschaulich-ländlichen Jena.23 Die Universität hingegen, die nach dem Dreißigjährigen Krieg eine Führungsposition unter den reformierten Hochschulen erlangt hatte, war wesentlich kleiner und hatte spätestens mit dem Tod des weithin berühmten Wolffianers Alexander Gottlieb Baumgarten (1714–1762) an Attraktivität eingebüßt. Darjes schien dennoch nicht nur mit dem anregenden und seine (politischen) Wirkungsmöglichkeiten erweiternden Ortswechsel, sondern auch mit seiner neuen Arbeitsumgebung zufrieden, wie er in seiner Autobiographie und auch an seinen Schwager schrieb: Er habe „zwar keine weitläufftige aber doch […] sehr wohl eingerichtete Academie [vor]gefunden“, die ihm „in vielen Stükken weit beßer“ gefalle als die Hochschule von Jena;24 „alle Theile der Wissenschaften“ seien dort „den geschicktesten Männern anvertrauet“.25 Die „Disciplin“ der Studenten – Gerhard Anton von Halem berichtete 1768 von „ungefähr 150“, Alexander von Humboldt 1787 von „etwa 220 bis 230“26 – empfand Darjes als „regelmäßig“, ihre „Lebens-Art“ sei „die Mittel-Straße zwischen Leipzig und Jena“.27 Hatte die Universität von Frankfurt an der Oder in der Zeit der Frühaufklärung als „Ostbastion westlicher Aufklärungsideen“28 eine Schlüsselrolle innegehabt, so wurde auch sie bald nach der Jahrhundertwende von der Halleschen Hochschule, wo ihr einstiger Zögling Christian Thomasius zum Haupt der akademischen Aufklärung aufgestiegen war, überflügelt.29 Unter Beibehaltung eines eigenen Profils empfingen in Frankfurt alle Wissenschaften maßgebliche Impulse von Halle, vor allem durch die anhaltende Berufung einer großen Zahl dort ausgebildeter Gelehrter. 1727 wurden gleichzeitig an beiden Universitäten die ersten Professuren für das vielversprechende neue Lehrfach Kameralistik vergeben. Das gesamte 18. Jahrhundert hindurch wurden hier die Beamten für den preußischen Staat ausgebildet. Darjes war also an eine zwar kleine, aber fortschrittlich-freigeistige Hochschule gelangt; auf sein Idealbild von Universitäten indessen haben seine dortigen Erfahrungen wohl nicht mehr eingewirkt, erschienen doch die maßgeblichen Veröffentlichungen in seinen Jenaer Jahren, die schlechthin seine publizistisch produktivsten waren. In seinen späteren Schriften griff der Gelehrte das Thema Universitätsreform höchstens implizit in seinem überzeugten Engagement für die Akademien der Wissenschaften
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Vgl. GERLACH, Freimaurer, S. 130. Darjes an Haller, 19. Januar 1764. BB Bern, Nachlass Albrecht von Haller, Briefe. DARJES, Bielefelds Staatsklugheit, S. 40. HALEM, Selbstbiographie, S. 26; JAHN/LANGE, Jugendbriefe Humboldts, S. 4 f. Darjes an Haller, 19. Januar 1764. BB Bern, Nachlass Albrecht von Haller, Briefe. MÜHLPFORDT, Oder-Universität, S. 56. Vgl. hier und im Folgenden SCHINDLING, Bildung; MÜHLPFORDT, Oder-Universität; HAMMERSTEIN, Viadrina.
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wieder auf – mit seinem Aufstieg zum Ordinarius der Juristenfakultät 1772 nahmen ihn praktisch-juristische Verpflichtungen ohnehin fast ganz in Anspruch. Im Hinblick auf seine erlangte Position mutet es eher unwahrscheinlich an, dass Darjes überhaupt ein Interesse am kritischen Abklopfen der Frankfurter Hochschule verspürte: Seine Professur hatte er nicht nur auf persönliches Betreiben des Königs, sondern zudem in Verbindung mit einem auffallend großzügigen „Gehalte von 1.100 Thal[ern] in gutem Gelde und der Ehre eines Königl[ichen] Geheimen Raths“30 sowie weiteren Aufstiegsoptionen erhalten, und auch sein gewohnter Lehrerfolg hatte sich, gemessen an der niedrigeren Frequenz in Frankfurt an der Oder, sofort wieder eingestellt. Die drei beschriebenen Universitäten, vor allem aber die Jenaer Hochschule, bildeten die unmittelbaren Erfahrungsräume, von denen ausgehend Darjes sein Konzept eines zeitgemäßen Hochschulwesens in der Hauptsache entwickelte. Selbstverständlich pflegte er als gut vernetzter Gelehrter darüber hinaus auch Kontakte zu anderen Hochschulen, wobei er zuverlässige Einblicke nicht zuletzt in die maßgeblichen aufklärerischen Reformhochschulen von Halle und Göttingen erlangen konnte.31 Zweifelsohne bot sich ihm also ein facettenreiches Bild des im deutschen Raum existierenden Hochschulwesens mit all seinen Erfolgen und Fortschritten, aber ebenso mit seinen Beschränkungen und Fehlern dar.
1.2.
Die Verbesserungsbedürftigkeit der Hochschulen in Darjes’ Wahrnehmung
Was nach Darjes’ Überzeugung alle Schulen ohne Ausnahme zu leisten hatten, war eine Ausbildung zum Nutzen des Staates und der bürgerlichen Gesellschaft. Entsprechend sollte auch die an den Universitäten zu erwerbende „Gelehrsamkeit“ in jedem Fall „dem Staate vorzüglich nützlich“ sein.32 Damit befürwortete Darjes allerdings keineswegs die heute zu beobachtende Tendenz weg von den philosophisch-gesellschaftswissenschaftlichen, hin zu den unmittelbar in der freien Wirtschaft verwertbaren Disziplinen. Zwar forderte er für den gesamten Bildungsbereich, und damit auch für die Hochschulen, mehr Praxisnähe und Gegenwartsbezug des Lehrstoffes zugunsten einer tatsächlichen Qualifizierung für Leben und Beruf. Die „Philosophie und die Historie“ hielt der Gelehrte jedoch
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Darjes an Haller, 19. Januar 1764. BB Bern, Nachlass Albrecht von Haller, Briefe. Nach Halle unterhielt Darjes offenbar zahlreiche Kontakte, wie sich z.B. bei dem erwähnten Studienfachwechsel, aber auch im Rahmen seiner Freimaurertätigkeit zeigt. Über die Göttinger Universität wird er wohl vor allem durch den brieflichen Austausch mit seinem dort tätigen Schwager Albrecht von Haller unterrichtet worden sein. DARJES, Cameral-Wissenschaften, S. 398.
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nicht für unnütze Beschäftigungen, sondern ganz im Gegenteil für die unverzichtbaren „Säulen der menschlichen Erkenntnisse“33 – ein Urteil, das seine Berechtigung aus den allgemeinen Bildungszielen von Universitäten erhielt, die Darjes in den Cameral-Wissenschaften formuliert hatte: Im Laufe ihres Studiums müssten Studenten demnach „eine Fertigkeit“ entwickeln, erstens „von dem, was möglich ist, deutliche Begriffe zu machen“, zweitens „aus diesen die Verknüpfungen der Wahrheiten zu folgern“, drittens „solche auf die verschiedenen Umstände, die sich in der menschlichen Gesellschaft eräugnen, anzuwenden“, und viertens „hiedurch die Menschen zur Beförderung ihrer Absicht zu regieren“.34 Im Vordergrund stand nicht das jeweilige Fachwissen, sondern zuerst eine gewisse Übung im „philosophischen“, das heißt im logisch-rationalen Denken, mithin eine unabhängig vom gewählten Studienfach mit dem Hochschulstudium unbedingt zu erwerbende umfassende Verstandesbildung. Bis in sein Greisenalter ließ Darjes übrigens nicht nach, die Bedeutung gerade dieser Aufgabe zu unterstreichen: Noch in einem Aufsatz von 1786 wies er den Universitäten erneut „die Führung zum Selbstdenken“ als „wesentliche Absicht“ zu. 35 Mit einer historischen Herangehensweise schließlich sollten die Wissenschaften lebenspraktischer werden. Aus diesen Punkten resultierte für Darjes ein bedeutender Teil des Nutzens, den Hochschulen zu erbringen hatten. Unter den genannten akademischen Bildungsabsichten verdient die vierte noch einige Aufmerksamkeit, da Darjes sie als den „letzten Endzweck der Gelehrten“ gesondert abhandelte: Dieser nämlich bestehe in der Fähigkeit, „alle Gesellschaften, alle Begebenheiten, kurz, alles was im Staate ist, nach dem Willen des Beherrschers, zur Wohlfarth der Innwohner und des Staats, regieren“ zu können.36 Voraussetzung dafür sei neben tieferer Selbsterkenntnis der Erwerb von Kompetenzen wie Eigenverantwortlichkeit, Zeitmanagement oder organisatorisches Geschick – einzig ein selbstbestimmtes, möglichst wenigen äußeren Zwängen unterworfenes Leben jedoch böte überhaupt den geeigneten Rahmen, diese Fähigkeiten zu entwickeln. Aus diesem Grund verlange es „die Klugheit, einem Menschen, der gelehrt werden soll, in einem gewissen Theil seines Lebens die völlige Freyheit zu lassen“, was freilich nicht in den niederen Schulen für Kinder geschehen könne: „Folglich muß es ein Hauptstück der Universität seyn.“37 Eine solche Argumentation wandte sich also prinzipiell gegen eine weitreichende Reglementierung des akademischen Studiums, wie sie vor allem mit starren zeitlichen oder inhaltlichen Vorgaben und einer unablässigen Beaufsichtigung und Überprüfung des Studienfortschritts einhergeht. Einzige Einschränkung dieser Freiheit, die Darjes sicherlich auch im Hinblick auf die in Rostock wie in Jena selbst erlebten 33 34 35 36 37
Ders., Kurze Nachricht, S. 18. Ders., Cameral-Wissenschaften, S. 395 f. Ders., Das Opfer der Dankbarkeit, S. 8. Ders., Cameral-Wissenschaften, S. 397. Im Original hervorgehoben. Ebd.
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groben und losen Studentensitten akzeptierte, waren die Gebote gegenseitiger Achtung und Rücksichtnahme. Auf diese Weise sollte sich im Laufe des akademischen Studiums die Auslese der Geeigneten ganz von selbst vollziehen. Die aus der Beobachtung studentischen Lebens freilich mehr als gerechtfertigte Entgegnung, gerade das meist mit der Immatrikulation erstmalig aufgenommene, verhältnismäßig freie Leben sei es, was die meisten scheitern ließe, wusste Darjes vorbeugend zu entkräften: Ob es nicht besser sei, so fragte er rhetorisch, wenige „wahrhaftig brauchbare“ Gelehrte zu bekommen, als gar keine, und überdies diejenigen zu kennen, „die sich selbst nicht regieren können, ehe man ihnen ein Amt anvertrauet, das diese Kunst nothwendig erfordert“; letztere könnten, da sie trotzdem meist fachlich hoch qualifiziert seien, immer noch mit Nutzen „im Staate zu andern Absichten angewendet“ werden.38 Er selbst hatte während seines Studiums sowohl in Rostock als auch in Jena durchweg positive Erfahrungen mit den Haus- und Tischgesellschaften gemacht, welche Dozenten mit ausgewählten Studenten pflegten, weil sich diese Praxis in aller Regel nicht nur vorteilhaft auf die Bildung, sondern auch auf die Sitten der jungen Männer auswirkte.39 Eine mangelhafte Eignung der Lehrer für die akademische Profession und fehlendes Bewusstsein für ihre Obliegenheiten hingegen fielen zum allgemeinen Schaden auf die Studenten zurück: „Der größte Haufe wird stumpf“, warnte Darjes in seinem politischen Lehrbuch, „und die Begierde, den Verstand zu bilden, wird in diesen unterdrücket“.40 Ebenso, wie die in den Cameral-Wissenschaften gesammelten Vorschläge zur vernünftigen Einrichtung von Schulen41 auf die Universitäten zu übertragen waren, mussten also auch die dort formulierten Anforderungen an geeignete Schullehrer auf die Universitätsdozenten als Unterrichtende an hohen gelehrten Schulen bezogen werden. Sie sollten ebenfalls nicht einzig über Fachwissen verfügen, sondern hatten als Pädagogen einen wesentlichen erzieherischen Auftrag wahrzunehmen. Sie mussten „akademische Unterweisungen […] als eine Pflicht gegen die Zuhörer“ begreifen und dabei zwei Grundregeln beachten, nämlich dass sie erstens „keine Irrthümer als Wahrheiten“ vortrügen, und dass sie zweitens eine Lehrmethode wählten, bei welcher „der Zuhörer die Wahrheit leicht fassen, deutliche begreifen, und […] seine eigene Seele nach und nach in der Art ordentlich zu denken stärken könne“. 42 Wenn akademische Lehrer dabei die „moralische Bildung des Herzens der Lernenden“ nicht als „eine von den Hauptabsichten des academischen Geschäfftes“ ansähen, sei dies eine „unverantwortliche Sache“, so Darjes.43 Da also die akademischen Lehrer einen beachtlichen Teil der Verantwortung dafür zu tragen 38 39 40 41 42 43
Ebd., S. 397 f. Darjes hatte in Rostock bei Professor Weidner, in Jena bei Magister Carpov Quartier genommen, vgl. DARJES, Bielefelds Staatsklugheit, S. 9, 12. Ebd., S. 117, Anmerkung 1. Siehe Abschnitt III.1.3. dieser Arbeit. DARJES, Discours, Vorrede. Ders., Bielefelds Staatsklugheit, S. 121.
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hatten, dass die Erziehungs- und Bildungsabsichten der Hochschulen erreicht würden, verlangte Darjes von den Universitäten, gezielt solche Gelehrten neu zu berufen, welche sich nicht nur fachlich, sondern ebenso in der Qualität ihrer Lehre hervortaten. Wie er zu bedenken gab, sei dabei die Berücksichtigung von Kandidaten aus fremden Gegenden besonders vorteilhaft, weil auf diese Weise zahlreiche auswärtige Studenten angelockt würden. An den Universitäten genauso wie an den niederen Schulen aber, dies hatte er bezüglich der Schullehrer genauer ausgeführt, sei eine reichliche Besoldung unabdingbare Voraussetzung für hervorragendes Personal. In der Realität war diese an den Hochschulen kaum zu finden, und die Dozenten waren auf die von ihnen selbst einzutreibenden Einkünfte aus ihren kostenpflichtigen Lehrveranstaltungen und auf Nebentätigkeiten angewiesen. Auch für Darjes war es in Jena eben sein spärliches Gehalt, das ihn trotz seiner außergewöhnlichen Erfolge „eine Veränderung wünschen“ ließ44 – folgerichtig wechselte der populäre Professor auf den großzügig dotierten Lehrstuhl nach Frankfurt an der Oder, womit die Universität in Jena einen ihrer zugkräftigsten Dozenten verlor. Darjes gehörte zu den Gelehrten, die sich im gesamten Bildungsbereich (inhaltlichen) Neuerungen gegenüber nicht nur prinzipiell aufgeschlossen zeigte, sondern solche im Sinne der Aufklärung selbst nach Kräften vorantrieben. Da er als verständiger und gelehrter Kopf „vermögend“ war, „selbst zu gedencken“, schien es ihm seine „größte Schuldigkeit“ zu sein, seine Kenntnisse und Fähigkeiten „zum Bau der Wissenschaften an[zu]wenden“.45 Deshalb wohl thematisierte er die notwendige Modernisierung auch des höheren Bildungswesens in verschiedenen Lehrbüchern und Schriften, um die Leserschaft, vor allem also seine zahlreichen Studenten, zu Reformen zu ermuntern. Die Wissenschaften regelmäßig zu erneuern und zu erweitern hielt der Gelehrte für unumgänglich. Wiederum die wirtschaftlich-politische Perspektive einnehmend, wies er darauf hin, wie lähmend und schädlich hier ein unabänderliches Beharren auf dem Traditionellen, wie klug und vorteilhaft dagegen dessen gründliches Sichten und kritisches Hinterfragen für die Universitäten sei – er selbst hatte dies bei einigen seiner Lehrer erlebt. Im Jahr 1748 griff Darjes diese Problematik in seiner Abhandlung vom Reformiren der Wissenschafften auf.46 Mit diplomatischem Geschick nahm er darin konservativen Gegnern den Wind aus den Segeln, indem er in 44
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Darjes an Haller, 28. April 1752. BB Bern, Nachlass Albrecht von Haller, Briefe. Zwar wurden die Professorengehälter in Jena um Naturalleistungen ergänzt, doch fehlte jeglicher Inflationsausgleich. Nicht nur Darjes war daher auf verschiedene weitere Einkommensquellen, etwa seine Privatvorlesungen, die Universitätskasse oder die Vermietung von Wohnraum, angewiesen. Vgl. WALLENTIN u.a., Korporation, S. 52. DARJES, Vernunft-Kunst, Vorrede. Diese Abhandlung erschien als Vorrede zu Stolles Lehre der allgemeinen Klugheit, vgl. DARJES, Vom Reformiren. Der Einschätzung der Jenaischen gelehrten Zeitungen nach war darin „alles was zur wahren und nützl[ichen] Verbesser[ung] einer Wissensch[aft] … erfordert wird, umständl[ich] ausgeführet“. JZ 1749, 3. St., S. 24.
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einer längeren Passage den traditionellen „Schrifften unserer Vorfahren“47 und den sich in diesen ausdrückenden Leistungen und Bemühungen ihren wissenschaftlichen Wert bedingungslos zuerkannte, sich auch deutlich von blindem Reformeifer distanzierte. Seine dann folgende, bestechend klare Argumentation allerdings ließ niemandem eine Wahl, der Notwendigkeit und Nützlichkeit von Reformen an sich und speziell in den Wissenschaften zuzustimmen und damit zugleich Darjes’ Tadel an der kompromisslosen Ablehnung alles Neuen und der „natürliche[n] Begierde zur Bequemlichkeit“48 als den verbreitetsten Hemmnissen von sinnvoller Veränderung recht zu geben. Jede „vernünfftige Reformation einer Sache“ nämlich wirke sich zwangsläufig vorteilhaft aus, da sie einerseits vermögend sei, die „angebohrne[n] Fehler von derselben abzusondern“, andererseits aber auch „die Unvollkommenheiten zu zerstören, welche mit derselben“ von Dritten „also verknüpffet worden [sind], daß eine an sich vollkommene Sache fast eine Thorheit geworden“ ist.49 Einen solchen nicht zu leugnenden Nutzen bringe demgemäß auch die von der Vernunft geleitete Reform der Wissenschaften mit sich, weshalb sie keinesfalls verkehrt oder schädlich sein könne. Im Weiteren führte der Verfasser vier Arten von Fehlern und Mängeln auf, welche einer jeden Wissenschaft anhaften könnten: Erstens sei diese möglicherweise in ihren Grundsätzen, zweitens in den daraus abgeleiteten Folgen, drittens in der Anwendung dieser Grundlagen und viertens in der für den Vortrag gewählten Lehrart fehlerhaft, was eine vierfache Prüfung aller Wissenschaften, und zwar in der angegebenen Reihenfolge, erforderlich mache. „Halten sie die Probe“, fragte Darjes seine Leser, „warum wollen wir solche ändern? Halten sie aber die Probe nicht, so muss man solche bessern.“50 Typischerweise beließ er es in seiner Abhandlung nicht bei abstrakten Ausführungen, sondern regte seine Leser durch klare Zielformulierungen, Handlungsanweisungen, kleinere Erklärungen und warnende oder illustrierende Beispiele, die zum Großteil aus der Jurisprudenz stammten, zur konkreten Umsetzung seiner Darstellungen an – auch in seinen politischen Vorlesungen, so kündigte er an, werde er dieses Thema im Interesse seiner Studenten gebührend berücksichtigen. Als ein allgemeines Übel, welches den Fortschritt der Wissenschaften merklich behinderte, brandmarkte Darjes die verbreitete Autoritätenhörigkeit und die damit verbundene ungeprüfte Übernahme fremden Gedankenguts, der er sich in vielen seiner Schriften vehement entgegenstellte.51 Nicht „blinder Beyfall“ von einem, „der 47 48 49 50 51
DARJES, Vom Reformiren, S. 34. Ebd., S. 6. Ebd., S. 9. Ebd., S. 29. Bereits in der Vorrede seines ersten Lehrbuchs von 1737 prangerte Darjes an, dass die meisten „mit den Meinungen ihrer Eltern und Vor-Eltern zu frieden“ seien und „insgemein derjenige vor gelehrt gehalten“ werde, „welcher gelernet hat was andere schon vor ihm gelehret, und was diese wiederum von ihren Vorfahren empfangen“ hätten. Auf diese Weise würden nicht nur Fehler „aus Ehrerbietigkeit und Gehorsam“ immer weiter
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sich nicht geschickt macht zu untersuchen, ob einer des Lobes würdig“ sei, sondern die fortwährende vernünftige Prüfung vorhandener Theorien und Lehren sei der angemessene Ausdruck der „Hochachtung“, die große Geister zweifelsohne verdienten.52 Auch brillanten Denkern unterliefen Fehler und diese könnten natürlich, so betonte der Gelehrte, „durch kein Ansehen, auch nicht durch eine offtmahlige Wiederhohlung […] zur Wahrheit werden“. Jede blinde Anhängerschaft war mit dem von Darjes aufgestellten wesentlichen Bildungsziel der akademischen Lehrjahre, dem Selbstdenken, unvereinbar. Fehler konnten sich auch im Anwendungsbereich ergeben, etwa wenn Lehrsätze ohne Rücksicht auf den Rahmen ihrer Entstehung ausgelegt oder überlieferte wissenschaftliche Systeme, wie das antike Römische Recht, nicht an die tatsächliche Situation angepasst würden. Daraus folge, dass die Übernahme wissenschaftlicher Systeme nicht nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip erfolgen dürfe, sondern in den meisten Fällen eine vernünftige Adaption am nützlichsten sei. Solchen Überlegungen dürften Darjes’ eigene Erfahrungen zugrunde gelegen haben: War er als junger Hochschulabsolvent noch ein ebenso hitziger wie unkritischer Wolffianer, der jeden nicht ebenso vollständig von Wolffs sämtlichen Lehren überzeugten Gelehrten für seinen „Feind“ und „einen Menschen von einem blöden Verstande“ hielt, so begann er bald darauf, nach wiederholter intensiver Auseinandersetzung mit der Wolffischen Philosophie, „an einigen Grundlehren […] zu zweifeln“ und sie zu widerlegen, ohne jedoch Wolffs Leistung und den Nutzen seiner Denkart im Ganzen zu relativieren.53 So hatte er sich eine wachsam-kritische, dabei aber immer wertschätzende Haltung erworben, die, zumindest den schriftlichen Zeugnissen nach, auch seinen Umgang mit anderen Gelehrten im Weiteren prägte. Von der eigentlichen Wissenschaftsreform säuberlich zu unterscheiden war der Abhandlung vom Reformiren der Wissenschafften zufolge die Reform der Lehrart. Diese nämlich ändere nichts an der Wahrheit oder Falschheit der in ihr vorgetragenen Lehre, sie sei vielmehr „unter gewissen Umständen ein Mittel, das unvollkommene in der Wissenschafft leichter einzusehen, und in der Verbesserung glüklicher zu seyn“.54 Allein die innovative Verwendung der sogenannten philosophischen Lehrart auch in anderen Disziplinen als Alternative zur bislang gewohnten fachtypischen Vortragsmethode stelle somit zunächst noch keine grundlegende Reform dieser Wissenschaften selbst dar. Jedoch eigne sich diese von den neueren Philosophen propagierte logisch-rationale Art, Wissenschaft zu
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wiederholt, sondern auch neuartige oder seltene Probleme stellten unüberwindliche Hürden dar: „Ist es nun ein Unglück, daß ihre Bibliotheck von [einem] vorkommenden Fall nichts saget, so wissen sie sich weder zu helffen noch zu rathen, weil sie sich im Nachdencken niemahls geübet, und weil sie den Kopf mit so vielen fremden Idéen angefüllet, daß ihre eigene nicht mehr Platz darinnen haben“ DARJES, Vernunft-Kunst, Vorrede. DARJES, Vom Reformiren, S. 35 f. Vgl. DARJES, Bielefelds Staatsklugheit, S. 14, 24 f. Ders., Vom Reformiren, S. 53. Im Original hervorgehoben.
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betreiben, auf die an anderer Stelle noch ausführlicher eingegangen werden soll, in besonderer Weise zur Prüfung und Verbesserung jeglicher Theorien und sollte daher unbedingt auf sämtliche Universitätswissenschaften angewendet werden. Darjes befürwortete hier ganz klar in jedem akademischen Lehrfach eine nach modernen Maßstäben streng wissenschaftliche Vorgehensweise, die einer im gleichen Sinne „philosophischen“ Denkhaltung der Gelehrten entspringen und sie bei den Studenten zugleich fördern sollte. Die Möglichkeiten, diese Fähigkeit zum Philosophieren anzuwenden, erschöpften sich jedoch keineswegs in dem durch die klassischen Fakultäten abgesteckten Rahmen. Darjes hielt es, wie er beispielsweise in seiner Sitten-Lehre anmerkte, für „eine thörichte und dem Wohl der Menschen sehr nachtheilige Meynung […], daß Gelehrte entweder Gottesgelehrte, oder Rechtsgelehrte, oder Aerzte seyn“ mussten55 – der unmittelbare Nutzen einer soliden wissenschaftlichen Grundlage etwa für Ökonomie, Handel, Landwirtschaft oder Pädagogik lag für ihn auf der Hand. Als Dozent erweiterte er selbst die Universitätswissenschaften, indem er spätestens seit dem Wintersemester 1738/39 Vorlesungen zum Themenkreis Wirtschaft und Verwaltung und später kameralwissenschaftliche Lehrveranstaltungen anbot. Heute gilt er als Begründer der Kameralistik an der Jenaer Hochschule, für die 1770 eine erste eigene Professur56 eingerichtet wurde. Andere Belege verdeutlichen, dass Darjes sich vor Ort zudem aktiv für eine Verbesserung des Universitätsbetriebes einsetzte. Eine Möglichkeit dafür bot sich ihm, wie er nach Göttingen berichtete, im Frühjahr 1752, als eine Aufforderung seitens der fürstlichen Höfe einging, dass „ein jeder von den Professoribus die Mängel dieser Academie und die Mittel solche[n] abzuhelffen […] berichten“ solle: „Ich habe meine Meinung aufrichtig geschrieben“, so Darjes. „Der Himmel weiß es, wieweit es helffen wird.“57 Als Dekan der Philosophischen Fakultät versuchte er in kleinerem Rahmen wiederholt, die ursprüngliche „Ordnung, die der Academie sehr nützlich“ wäre, wieder herzustellen58 – insbesondere die häufig vorkommende Missachtung von Hierarchien, Obliegenschaften und dem offiziellen Dienstweg in Fragen der Lehrbefugnisse innerhalb der Fakultät, aber auch zwischen den verschiedenen Fakultäten, schien ihm problematisch. Die Vorrechte der ordentlichen Professoren und die an private Lehrveranstaltungen geknüpften Verdienstmöglichkeiten innerhalb der Fakultät mögen eine Ursache dafür gewesen sein, doch blieb auch stets zu befürchten, dass Vertreter der drei höheren Fakultäten die üblichen „philosophischen“ Lehrfächer allmählich übernahmen. Die „Folgen dieser Unordnung“ schätzte Darjes für die Philosophische als die geringste der vier Fakultäten
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Ders., Sitten-Lehre, S. 346 Anmerkung. Vgl. BAUMSTARK, Kameralistische Encyclopädie, S. 35. Darjes an Haller, 28. April 1752. BB Bern, Nachlass Albrecht von Haller, Briefe. In den Akten der Universität sind diese Schreiben der Professoren bzw. Kopien oder Konzepte davon nicht überliefert. UAJ, M 131, Bl. 27, 54; M 138, Bl. 4 (Zitat Bl. 4II).
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nicht zu Unrecht als „sehr gefährlich“ ein.59 In die Bedeutungslosigkeit abzurutschen war im Übrigen nicht nur ein Schicksal, das einzelne Fakultäten bedrohte, auch ganze Universitäten konnten davon betroffen sein. Darjes empfahl deswegen, deren Anzahl in einem Land gering zu halten.60 Abgesehen davon, dass es ohnehin nur einen sehr begrenzten Arbeitsmarkt für Akademiker gab, musste sich eine solche Politik insgesamt vorteilhaft auf die vorhandenen Universitäten auswirken: Zum einen bliebe die studentische Frequenz auf einem hohen Niveau, zum anderen konnte die geringere Anzahl an Professuren ausschließlich mit den besten Gelehrten besetzt und entsprechend besoldet werden. Einzig auf diese Weise wäre mit einem überschaubaren Aufwand eine exzellente Qualität zu erreichen.61 In seinen Schriften hatte Darjes also, dies ist deutlich geworden, das Ergebnis einer gelungenen akademischen Erziehung und Bildung festgesetzt, sowie auf die entsprechenden Hindernisse, Verantwortlichkeiten und nötigen Maßnahmen hingewiesen. Erinnert sei an dieser Stelle an seinen bemerkenswerten Vorstoß in Richtung eines verpflichtenden Lehramtsstudiums, mit welchem er der Institution Hochschule einen wesentlichen Teil der Verantwortung für den Erfolg und Nutzen des Bildungswesens insgesamt zuwies.62 Erstens verlangte er aus der Überzeugung heraus, dass ein jeglicher Lehrberuf mit sehr komplexen und vielfältigen Anforderungen einhergehe, alle Lehrerstellen nach Möglichkeit einzig mit Akademikern zu besetzen. Da er selbst die geringen Chancen auf eine auch nur teilweise Umsetzung dieses Appells eingestehen musste, forderte er zweitens, wenigstens für jede einzelne Schule einen akademisch gebildeten Schulinspektor zu verpflichten, wofür ein für sämtliche Studenten obligatorischer Grundkurs mit entsprechenden Inhalten an allen Universitäten eingeführt werden sollte. Drittens aber plante er die Angliederung eines Systems von Lehrerseminaren an die Hochschulen, in denen zur Qualitätssicherung einzig von besonders geschulten und erfahrenen Universitätsdozenten unterrichtet werden sollte. Letzten Endes also sollte damit nicht allein die Ausbildung der politischen und wissenschaftlichen Eliten in den Händen der Hochschulen liegen, sondern diejenige aller, auch der einfachsten, Schullehrer. Einen erwünschten gesellschaftlichen Fortschritt durch die Entwicklung und flächendeckende Verbreitung von wissenschaftlich fundierter Erziehung und Bildung herbeizuführen, fiele dann hauptsächlich in den Verantwortungsbereich der Universitäten.
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Ebd. Vgl. DARJES, Cameral-Wissenschaften, S. 398. Darjes’ Bemühungen um aufgeklärte Hochschulen und Wissenschaften bilden exemplarisch die für seine Zeit typischen Hoffnungen und Entwicklungen ab, wie sie beispielsweise Hammerstein für die europäischen Universitäten knapp zusammenfasst, vgl. HAMMERSTEIN, Universitäten in der Aufklärung, S. 495–506. Siehe auch Abschnitt III.2.4. dieser Arbeit.
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Darjes als Hochschullehrer
Darjes als Hochschullehrer 2.1. Vom Theologiestudenten zum Ordinarius der Jurisprudenz und Philosophie Darjes hatte als Schüler, wie weiter vorn gezeigt wurde, ein seinerzeit durchaus nicht ungewöhnliches, abwechslungsreiches Nebeneinander verschiedener Bildungsarrangements erlebt. Ziel war von Anfang an die Studierfähigkeit, welche der Jugendliche, wenn offenbar auch notdürftig, mit 16 Jahren erreicht hatte. Ein Theologiestudium an der mecklenburgischen Landesuniversität in Rostock schloss sich an, welches der junge Student auf seinen eigenen dringenden Wunsch hin ab dem Wintersemester 1733 an der Universität in Jena fortsetzen durfte.63 Vom Vater zum Abschluss des Studiums und zur Heimreise gedrängt, erwarb sich Darjes am 1. Februar 1735 den philosophischen Magistertitel und disputierte keine vier Wochen später De possibilitate creationis mundi ab aeterno zum Erhalt der Lehrerlaubnis für die Philosophische Fakultät.64 Nach Güstrow zurückgekehrt, fanden seine ersten Versuche als Prediger großen Anklang, doch sah er sich schon im Sommer zu einer erneuten Reise nach Jena gezwungen: Mit gerade 21 Jahren hatte Darjes erste weitreichende, wenn auch zweifelhafte Berühmtheit seiner kleinen Schrift Tractatus philosophicus, in quo pluralitas personarum in deitate […] demonstratur wegen erlangt, die unabgesprochen in Druck geraten war. Ermuntert durch seinen Lehrer in der Philosophie, den Wolffianer Jakob Carpov, „welchen er wegen Mangel hinreichender Überlegung fast anbethet[e]“, hatte der eifrige Student in dieser kecken, in einer Nacht hingeworfenen Geistesübung mit mathematischen Methoden zu beweisen gesucht, dass die „Gewisheit und Würcklichkeit“ des Mysteriums der Heiligen Dreifaltigkeit „aus den Gründen der Vernunft könne gefolgert werden“,65 und dabei auch den Hallischen Theologieprofessor Joachim Lange (1670–1744) angegriffen. Lange, der 1723 die Vertreibung Christian Wolffs aus Halle erreicht hatte und aggressiv gegen die Ausbreitung des Wolffianismus kämpfte, hielt nun mit Darjes’ Traktat das gesuchte Beweisstück für den verderblichen Einfluss dieser Philosophie und ihrer Verfechter in Händen. Wie brisant diese kleine Schrift, die Lange selbst nie gelesen hatte, tatsächlich war, wird deutlich, wenn Mühlpfordt deren Urheber aus heutiger Sicht zum „Paradigma für das erste selbstständige wissenschaftliche 63 64
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In Jena wurde Darjes am 19. Oktober 1733 immatrikuliert, vgl. Matrikel Jena. Obwohl man es im Dekanat nicht gern sah, dass die jungen Männer, „wenn der Magister kaum bey ihnen warm worden, auf den Catheder lauffen“ (UAJ M 89 Bl. 3v.), durfte Darjes wegen seiner bevorstehenden Abreise schon am 26. Februar 1735 disputieren. Ihm opponierten Reusch, Segner und Pfeiffer, Respondent war Christian Friedrich Kappelier. Vgl. UAJ M 88 Bl. 123 ff.; UAJ M 89 Bl. 2 ff., 12 ff.; Matrikel Jena. DARJES, Abgenöhtigte Vertheidigung, S. 8 f.
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Auftreten der radikalen Ausprägung des Wolffianismus im Jahre 1735 und für deren Lokalisierung in Jena“ erhebt.66 In der Folge musste Darjes auf Anordnung der Theologischen Fakultät den Widerruf zahlreicher Punkte seiner konfiszierten Abhandlung drucken und Lange eine schriftliche Entschuldigung zukommen lassen, welche dieser zur öffentlichen Demütigung des überführten Delinquenten sowie zur Abschreckung weiterer Abtrünniger vollständig veröffentlichte;67 Magister Carpov hingegen wurde gänzlich von der Universität entfernt, erhielt aber in der Folge eine Anstellung am Weimarer Gymnasium. Brach sich damit unter Langes Führerschaft Mitte der 1730er Jahre an den mitteldeutschen Universitäten eine zweite Welle des Anti-Wolffianismus ihre Bahn, so fand doch die Verbreitung dieser Philosophie, an welcher Goldenbaum zufolge übrigens weniger die bekannten Professoren als vielmehr die lehrberechtigten Magister den größten Anteil hatten, weiterhin maßgeblich über die besonders stark frequentierte Jenaer Hochschule statt.68 Darjes selbst, der zwar eine gemäßigtere Richtung einschlug, jedoch nie ganz vom Wolffianismus abkam,69 wirkte bedeutend daran mit: Da ihm aufgrund der skandalösen Ereignisse der Weg in ein Predigeramt nun versperrt war, konnte sich der junge Gelehrte den Vorgaben seines Vaters gänzlich entziehen und seinem eigenen Wunsch gemäß unverhofft eine akademische Laufbahn antreten. Ende September 1735 saß Darjes, dessen erste Disputation inhaltlich ebenfalls umstritten gewesen war, als Präses der Disputation De oculo, quod sit camera obscura, maxime artificiosa über ein unverfängliches
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MÜHLPFORDT, Radikaler Wolffianismus, S. 242. Eine Vorstellung von dem Aufsehen, welches der Traktat erregt hatte, vermag die Tatsache zu vermitteln, dass Wilhelm Gabriel Wegener (1767–1837), der ab 1785 in Frankfurt an der Oder studierte, in seiner später abgefassten Lebensbeschreibung über Darjes nur wenig zu sagen hatte, aber den 50 Jahre zurückliegenden Skandal erwähnte, vgl. HERMANN, Wegener, S. 451. Vgl. LANGE, Religions-Spötter, S. 28f. Der Widerruf wurde unter dem Titel Summae reverendae facultatis theologicae Jenensis theses orthodoxae, erroribus tractatus philos. in quo pluralitas etc. oppositae ab autore dicti tractatus iam ante privatim susbcriptae, iam vero ad tollendum quod publice datum fuit scandalum ab eodem editae veröffentlicht. In allen Einzelheiten berichtete Ludovici in seinem Ausführlichen Entwurf einer Historie der Wolffischen Philosophie über die Entstehungsgeschichte und den Skandal um Darjes’ Traktat, wo er auch umfangreich aus dieser selbst nach Meinung der Wolffianer „schändlichen“ und „übel gerathenen“ Schrift zitierte, vgl. LUDOVICI, Ausführlicher Entwurf 1, S. 173–176; Ausführlicher Entwurf 2, S. 479– 496, Zitat S. 479 f. Vgl. hierzu wie überhaupt zum Streit Langes mit den Wolffianern GOLDENBAUM, Wertheimer Bibel. Mühlpfordt zieht Darjes als „Musterbeispiel“ für die differenzierte und auch veränderliche Ausprägung wolffischer Gesinnung heran: „Darjes begann 1735 als radikaler Wolffianer, bequemte sich unter dem Druck der Verfolgung zu einer gemäßigt-wolffianischen Richtung auf der Ebene des aufgeklärten Absolutismus und ging schließlich zu einem ‚halbwolffianischen‘ Eklektizismus mit latenter Radikalität über. Im Laufe dieser drei Etappen durchmaß er den weiten Raum von der Theologie zur Philosophie, Kameralisitik und Rechtslehre“. MÜHLPFORDT, Radikaler Wolffianismus, S. 242.
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mathematisches Thema vor.70 Im Carpovischen „Auditorium […] in der Jener Gasse hinter der Kirche“71 gab er daraufhin Anfängerunterricht in Mathematik, Logik, Algebra, Metaphysik und Naturtheologie. Um den nicht enden wollenden Anfeindungen durch Theologen zu entgehen, freilich aber auch, um vollends seinen eigentlichen Neigungen und Interessen folgen zu können, gab Darjes 1737 die Theologie zugunsten der Jurisprudenz auf, welche er sich neben seiner Lehrtätigkeit autodidaktisch und in Privatstunden aneignete. In diesem Jahr erschien auch sein erstes Lehrbuch Die lehrende Vernunft-Kunst – anders als viele andere Dozenten nämlich setzte Darjes für seinen akademischen Unterricht auf eigene Kompendien mit einer ihm geeignet erscheinenden Methodik und Stoffauswahl, an deren Herausgabe er während seiner Jenaer Jahre nahezu ununterbrochen nebenher gearbeitet haben muss. Die Themen seiner Lehrveranstaltungen dehnte er auf Natur- und Völkerrecht, Moralphilosophie, Ökonomie sowie Mechanik und Ingenieurskunst aus. Von der Philosophischen Fakultät wurden Darjes’ Bemühungen Weihnachten 1738 mit dem Amt eines Adjunkten gewürdigt. Im Jahr darauf erwarb er sich unter dem Vorsitz Dietrich Hermann Kemmerichs (1677–1745) den Doktorgrad beider Rechte,72 um zusätzlich juristische Vorlesungen anbieten zu können. Sein Ruf als Philosoph und Rechtsgelehrter verbreitete sich spätestens 1740 mit der Herausgabe seines naturrechtlichen Lehrwerks Institutiones jurisprudentiae universalis, das bald vielerorts als Grundlage akademischer Vorlesungen diente und bis 1777 sieben Auflagen erlebte. Für eine rasche akademische Karriere allerdings waren damals wie heute, darauf weist Asche hin,73 nicht allein Leistungskriterien entscheidend, sondern ganz wesentlich das gesellschaftliche Beziehungsnetz, über welches der jeweilige Gelehrte verfügte oder das er sich aufzubauen verstand. Auch in dieser Hinsicht schien Darjes über ein nicht geringes Geschick zu verfügen, gelang es ihm doch in dieser Zeit, einige der für seinen beruflichen Werdegang entscheidenden Kontakte zu Gelehrten und Mächtigen zu knüpfen. Hervorzuheben ist seine enge freundschaftliche Verbindung mit dem hochangesehenen Jenaer Medizinprofessor Hermann Friedrich Teichmeyer (1685–1744),74 von der etwa die Verlegung der Darjesischen Lehrveranstaltungen aus Carpovs Hörsaal in das Auditorium im Teichmeyerischen Hinterhaus zum Wintersemester 1738/39 zeugt, wie auch eine 1740 gemeinschaftlich unternommene Reise nach Erfurt zum Fronleichnamsfest.75 In diesem Jahr wurde Darjes, für den kurz zuvor mit dem Tod des
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Siehe Bibliographie im Anhang. Angabe auf dem Anschlagzettel vom Sommersemester 1736. UAJ, M 91, Bl. 139. Seine Inauguraldissertation erschien 1739 in Jena unter dem Titel De tutela pactitia, tam in Jure Romano, quam Germanico fundata, ejus que in foris nostris usu. Vgl. ASCHE, Bürgeruniversität, S. 482 f. Zu Teichmeyer vgl. PAGEL, Teichmeyer, S. 542 f.; GÜNTHER, Lebensskizzen, S. 191 f. Vgl. UAJ M 95, Bl. 80; M 96, Bl. 137; MÜLLER, Lebens Vorfälle, S. 124.
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Vaters der letzte Grund, sich womöglich doch im Norden niederzulassen, hinfällig geworden war, zum außerordentlichen Professor76 ernannt und rückte damit endgültig in die Jenaer Gelehrtenkreise auf. Die nun erlangte gesellschaftliche Stellung wurde noch wesentlich befestigt durch Darjes’ Eheschließung mit Teichmeyers gerade 15-jähriger Tochter Catharina Wilhelmina Eleonora am 26. Januar 1741. Über die älteren Schwestern77 seiner Frau war Darjes nun verschwägert mit seinem ehemaligen Mathematiklehrer in Jena, Johann Andreas von Segner (1704–1777, Reichsadel 1755), der seit 1735 als Mediziner und Mathematikprofessor an der neu gegründeten Universität in Göttingen lehrte, außerdem mit dem Jenaer Medizinprofessor Johann Christian Stock (1707–1758), dessen Frau jedoch sehr bald verstarb, und mit dem Mediziner und Naturforscher Albrecht von Haller (1708–1777, Reichsadel 1749), mit welchem er auch in der Folge einen freundschaftlichen Briefwechsel78 anknüpfte. Haller, der Ludovici zufolge „eine der vornehmsten Zierden“ unter den „Leibnitz-Wolffischen Azeney-Verständigen“ war und heute als letzter Universalgelehrter gilt,79 hatte 1736 die Professur für Anatomie, Botanik und Chirurgie in Göttingen erhalten und vermutlich über Segner die Bekanntschaft mit Teichmeyer gemacht. Ermuntert vom Schwiegervater begann er sich sogleich um einen Göttinger Lehrstuhl für seinen jüngeren Schwager zu bemühen, blieb damit jedoch erfolglos.80 Den-
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Mit der Ernennung und zum Teil Bezahlung einer schwankenden Anzahl außerordentlicher Professoren (Extraordinarien) nahmen die Höfe, nicht immer im Einvernehmen mit der Jenaer Akademie, Einfluss auf deren Personalzusammensetzung. Außerordentliche Professuren waren – auch dann, wenn sie vakante ordentliche Professuren vertraten – nicht mit einem regelmäßigen Gehalt verbunden, stellten jedoch oft ein akademisches Karrieresprungbrett dar. Wie die ordentlichen Professoren hatten die Extraordinarien bestimmte Vorlesungen gratis zu halten und mussten ihre Professur mit einer öffentlichen Rede antreten. Vgl. MYLIUS, Blühendes Jena, S. 159 f. Anm.; WALLENTIN u.a., Korporation, S. 53 ff. Teichmeyer hatte mit seiner ersten Ehefrau Marianna Sophia, geb. Schellhase, elf Kinder, darunter zehn Töchter, von denen nur vier ein heiratsfähiges Alter erreichten. Davon wurden Marianna Carolina Sophia (1714–1796) am 24. November 1732 mit Johann Andreas von Segner, Christiana Wilhelmina Sophia (1718–vor 1743) am 25. November 1734 mit Johann Christian Stock, Sophia Amalia Christina (1722–1795) am 27. November 1741 mit Albrecht von Haller und Catharina Wilhelmina Eleonora (1725–1756) am 26. Januar 1741 mit Joachim Georg Darjes verheiratet. Vgl. HELLMANN, Alltag in Jena, S. 17 Anm. 19; MYLIUS, Blühendes Jena, S. 123. Die Briefe Darjes’ sind in der Burgerbibliothek Bern in Hallers Nachlass erhalten und konnten für diese Untersuchung genutzt werden, vgl. Quellenverzeichnis im Anhang. Haller war ebenso wie Darjes der Neueren Philosophie zugetan, sodass sich die beiden jungen Gelehrten bis zu ihrem völligen Zerwürfnis Ende 1752 zunächst gut verstanden. LUDOVICI, Merckwürdigkeiten, S. 314; SCHINDLING, Bildung, S. 103. In einem Brief an Haller vom 17. September 1742 wünschte Teichmeyer, dass „H[err] D[oktor] Daries dorten […] emploiret“ werde, damit er seine „Kinder in Göttingen zusammen haben“ könne. Deutlicher wurde er im nächsten Schreiben vom 28. September,
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noch konnte er Darjes zumindest den Dienst erweisen, für eine regelmäßige Besprechung seiner neu erschienenen Schriften in den Göttingischen Zeitungen von gelehrten Sachen zu sorgen. Indessen waren sicher die engen Beziehungen, in denen Teichmeyer als herzoglicher Leibarzt zum Weimarer Hof stand, für Darjes’ Karriere nicht ohne Bedeutung. Weil er eine aktuelle fürstliche Erbstreitigkeit zum Stoff seines Hochschulunterrichts genommen hatte, wurde Darjes im Jahr 1742 von Herzog Ernst August zu einem persönlichen Gespräch bestellt, das er als „das größte Examen in [s]einem Leben“81 in Erinnerung behielt. Fortan stand er unter dem besonderen Schutz seines Regenten, der den fähigen Gelehrten unbedingt in Jena halten wollte, und brauchte „für fernere Beförderung […] jetz auch nicht sorgen, denn Serenissimus schenken der Universitaet wiederum Ihre Gnade“,82 ja, er erlaubte sich sogar, Stellenangebote von Helmstedt und Leipzig auszuschlagen.83 Tatsächlich erhielt Darjes in Jena schließlich im November 1744 den mit einem regelmäßigen Gehalt verbundenen Lehrstuhl für Moral und Politik,84 welcher ein gutes halbes Jahr zuvor durch den Tod Gottlieb Stolles frei geworden war, zusammen mit dem ohne Beratungsaufgaben verbundenen Ehrentitel eines Sachsen-Weimar-Eisenachischen Hofrats. Zu seiner lateinischen Antrittsvorlesung De officiis eorum, quibus honores, praesertim Professoris philosopiae moralis & politices, conferendi atque collati sunt am 5. Dezember hatte er den Gepflogenheiten gemäß mit einer Schrift De vera atque ficta Philosophia practica offiziell eingeladen, in welcher er aus der Charakteristik der praktischen philosophischen Disziplinen die Anforderungen an einen Lehrer derselben herleitete.85 Schon vor
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in dem es heißt: „Ist es möglich so machen Sie das D[oktor] Darjes hinnunter kome so haben Sie an dem den besten freundt“. Kurze Zeit später jedoch schien klar zu sein, dass bei den für die Universität Göttingen zuständigen Herren von Hannover keine Anstellung für Darjes zu bekommen war, denn dieser schrieb am 19. November an Haller: „Die Nachricht von Hannover hat so wohl [m]ich als meine Liebste sehr betrübet, weil uns dadurch unsre Hoffnung benommen worden [ist] täglich bey Ewer HochEdelgebohrnen und der hochgeehrtesten Frau Schwester zu seyn“ . Teichmeyer an Haller, 1742; Darjes an Haller, 19. November 1742. BB Bern, Nachlass Albrecht von Haller, Briefe. DARJES, Bielefelds Staatsklugheit, S. 30. Darjes an Haller, 19. November 1742. BB Bern, Nachlass Albrecht von Haller, Briefe. Vgl. DARJES, Bielefelds Staatsklugheit, S. 31; ThHStA Weimar, A 6412, Bl. 20. Über die Besetzung der in Anzahl und Verteilung auf die Fakultäten feststehenden ordentlichen Professuren (Ordinarien) entschieden in letzter Instanz die Höfe. Jedoch hatte die Universität Vorschläge zu geeigneten und erwünschten Kandidaten zu unterbreiten, denen in aller Regel gefolgt wurde. Oft rückte schlicht ein ordentlicher Professor oder, wie in Darjes’ Fall, ein außerordentlicher Professor in eine ranghöhere vakante Professur auf. Vgl. WALLENTIN u.a., Korporation, S. 47–52. Albrecht von Haller gratulierte Darjes zum Antritt dieser Professur am 21. November 1744 mit einer neunstrophigen deutschen Ode. Sie ist abgedruckt in BAECHTOLD/VETTER, Bibliothek Älterer Schriftwerke, S. 234–237. PN 1745, 15. St., S. 117.
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Stolle aber war Hermann Friedrich Teichmeyer in Ausübung des Prorektorenamtes verstorben86 und hatte seinem einzigen in Jena lebenden Schwiegersohn neben dem Stadthaus samt Hinterhaus mit Hörsaal die beiden direkt bei Jena liegenden Freigüter Wenigenjena und Untercamsdorf vererbt. Mit diesen Ländereien bot sich Darjes’ Drang, die theoretische „Erkenntniß aus der Naturlehre und Mathematik zum Nutzen der Wirthschaft anzuwenden“, ein geeignetes Experimentierfeld: Er ließ die Neigung zu Landwirtschaft und Gartenbau seiner Knabenzeit in größerem Umfang wieder aufleben und unternahm in den folgenden Jahren dort „unendlich viele Versuche“.87 Zu einem Teil war es sicher seiner Hoffnung auf weitere naturwissenschaftliche und vor allem chemikalische Erkenntnisse zur vorteilhaften Verwendung in Land-, Haus- und Stadtwirtschaft geschuldet, dass Darjes sich dann 1745 den Freimaurern anschloss. Sein akademisches Lehramt wiederum gestattete es ihm, seine wirtschaftlichen Erfahrungen und Ergebnisse direkt in seinen Lehrveranstaltungen publik zu machen, in denen er interessierten Studenten auch „die ökonomischen Tage-Bücher nüzlich zu lesen“88 gab. Mit der ordentlichen Professur allerdings gingen auch eine Reihe offizieller Verpflichtungen einher: Im Wintersemester 1746/47 übernahm Darjes zum ersten Mal das Amt des Dekans der Philosophischen Fakultät, das er auch während der Sommersemester 1750 und 1756 und im Wintersemester 1759/60 wieder innehatte. Zudem war es in den Jahren 1748 und 1756 für je ein Semester an ihm, der Universität als Prorektor vorzustehen. Diese Würden waren vor allem mit einem hohen zusätzlichen Zeitaufwand verbunden, wie aus einem seiner Briefe an Haller deutlich wird: Als seine Frau im August 1748 zum Besuch nach Göttingen reiste, blieb Darjes mit der Entschuldigung zurück, er habe „zwar das Rectorat niedergeleget“, müsse „aber jetzo darauf bedacht seyn, wie [er] in [s]einen collegus wieder einhohle, was [er] bishieher [habe] versäumen müßen“.89 Seine bereits zuvor veröffentlichten umfangreichen Lehrbücher über die Logik (1737), das Natur- und Völkerrecht (1740) und die Metaphysik (1743/44) vermehrte er in seiner Zeit als ordentlicher Professor um weitere Werke über Mathematik (1747), Privatrecht (1749) und Moralphilosophie (1750), erneut über die Logik (1755), über Kameralwissenschaften (1756) und schließlich, nachdem noch eine deutsche Version seines Natur- und Völkerrechts erschienen war (1762/63), über Staatswissenschaften (1764). Neben Vorwörtern und anderen Beiträgen zu fremden Schriften erschienen von Darjes zudem verschiedene wissenschaftliche Abhandlungen, die er zum Teil für die Zusammenkünfte der Teutschen Gesellschaft in Jena verfasst hatte, außerdem von
86 87 88 89
Am 5. Februar 1744. Als Prorektor wurde Teichmeyer am 12. Februar mit einem aufwendigen und prunkvollen Zeremoniell bestattet, welches der Augenzeuge Mylius in allen Einzelheiten beschrieb, vgl. MYLIUS, Zusätze auf 1744, S. 4–8 Anm. Vgl. DARJES, Bielefelds Staatsklugheit, S. 32. Ders., Cameral-Wissenschaften, Vorrede zur ersten Auflage, S. XXXVIII. Darjes an Haller, 14. August 1748. BB Bern, Nachlass Albrecht von Haller, Briefe.
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1749 bis 1752 vier Sammlungen philosophischer Texte unter dem Titel Philosophische Nebenstunden und 1759/60 auch eine von ihm herausgegebene gelehrte Zeitung namens Jenaische Philosophische Bibliothek.90 Abgesehen von dieser beachtlich kontinuierlichen publizistischen Produktivität war insbesondere die Zeit um die Mitte der 1750er Jahre bis zu ihrem Ende für Darjes eine anregende und aktive Phase voller Veränderungen. Die erwähnte Teutsche Gesellschaft, deren Mitglied er war, befand sich in einem verheißungsvollen Aufschwung mit dem Ziel, eine anerkannte interdisziplinäre Wissenschaftlervereinigung zu werden, in Erfurt hatten sich erstrangige Gelehrte und Experten zu einer Akademie nützlicher Wissenschaften zusammengefunden, der Darjes beigetreten war, in der von ihm geleiteten Freimaurerloge Zu den drei Rosen kündigte sich ebenfalls ein für neue Unternehmungen günstiger Wandel an, und auch privat erlebte der Professor in dieser Zeit mit dem Tod seiner Frau und einer zweiten Ehe Höhen und Tiefen. Seine Möglichkeiten an der Hochschule hingegen hatte er bereits ausgeschöpft: Als Wissenschaftler und akademischer Lehrer war Darjes fest etabliert, weitere Karrierechancen oder wenigstens ein stattlicheres Gehalt jedoch waren in Jena für ihn nicht zu erwarten. Zugleich sah er sich zu dieser Zeit an der Universität neuerlichen Anfeindungen ausgesetzt91 – als ausnehmend erfolgreicher, vielbeachteter und geschätzter Gelehrter schien er, wie der Umfang seiner gedruckten Richtigstellungen nahelegt, überhaupt fast unablässig das Ziel mehr oder weniger sachlicher Angriffe gewesen zu sein.92 In beruflicher Hinsicht also war ihm Jena Anfang der 1760er Jahre bereits verleidet, übermäßige finanzielle Belastungen, verursacht vor allem durch den Siebenjährigen Krieg, kamen hinzu. Da inzwischen auch verschiedene ehrgeizige Projekte stagnierten oder bereits gescheitert waren und sich damit viele seiner Hoffnungen zerschlagen hatten,93 ergriff Darjes kurz entschlossen die Gelegenheit für einen Ortswechsel, welche sich ihm 1763 mit einem Ruf nach Frankfurt an der Oder bot. Friedrich II. plante nach Unterzeichnung des Hubertusburger Friedens der dortigen Universität zu einem Aufschwung zu verhelfen, weshalb er sich persönlich um fähige Wissenschaftler bemühte, deren Namen allein schon der Hochschule größere Anziehungskraft verleihen konnten. Der gelehrte Major und Kriegshistoriker Karl Theophil 90 91 92
93
Siehe Bibliographie im Anhang. Darjes an Haller, 19. Januar 1764. BB Bern, Nachlass Albrecht von Haller, Briefe. Siehe dazu Abschnitt IV.2.2.5. und die Bibliographie im Anhang. Auch Haller gegenüber thematisierte Darjes mehrfach seine jeweiligen gelehrten Gegner und ihre Vorgehensweise, vgl. Darjes an Haller, 04. August 1749, 22. August 1749, 28. Mai 1751, 22. November 1752. BB Bern, Nachlass Albrecht von Haller, Briefe. So wurde beispielsweise zum Ende des Siebenjährigen Krieges hin die Arbeit der Akademie nützlicher Wissenschaften, deren Vorstand Darjes angehörte, nahezu eingestellt. Führende Erfurter Kameralisten, darunter der Kammerdirektor und Akademiepräsident Johann Daniel Christoph Freiherr von Lyncker, sahen sich in dieser Krisenzeit wegen ihrer vorangegangenen weitreichenden wirtschaftspolitischen Maßnahmen Verfolgungen und Bestrafungen ausgesetzt, vgl. BAUER/MÜLLER, Theologie und Aufklärung, S. 151.
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Guichard (von Quintus Icilius, 1724–1775), welcher während seiner kriegsbedingten Einquartierung bei Jena mit Darjes bekannt geworden war, empfahl seinem König diesen berühmten Philosophen und Juristen als Nachfolger des verstorbenen Alexander Gottlieb Baumgarten (1714–1762). Das Angebot, das Friedrich der Große dem Jenaer Gelehrten daraufhin unterbreitete, war in jeder Hinsicht großzügig: Es beinhaltete den Titel eines Königlich-preußischen Geheimrates, einen ordentlichen Lehrstuhl als Philosoph und Jurist sowie ein Gehalt, das mit 1.100 Reichstalern 300 Taler über der üblichen Besoldung lag. „Wie schwer es mir ehedeßen gewesen [wäre] Jena zu verlaßen, so leicht war es mir jetzo“, gestand Darjes in einem Brief; der Umzug nach Frankfurt sei eine „Befreyung von den Jenaischen Zerstreuungen“, die ihn „wieder munter“ mache.94 An der Universität konnte er sich trotz namhafter Vorgänger rasch mit seinen gewohnten Lehrfächern etablieren – entgegen anderslautenden Prognosen auch mit dem in Frankfurt vorher wenig geschätzten Natur- und Völkerrecht. Sein Ruf lockte, wie erhofft, Studenten an.95 Erneut stellte sich für Darjes ein außergewöhnlicher Lehrerfolg ein, der die angesichts der verlässlichen materiellen Sicherheit und der anregenden großstädtischen Umgebung schon ausnehmend vorteilhaften Umstände weiter aufwertete. Wenig verlockend mussten dem großen Gelehrten deshalb selbst die „ansehnligsten“ Angebote anderer Hochschulen erscheinen – kam die ihm in dieser Zeit angetragene Professur in Erfurt schlicht des bescheidenen Gehalts wegen nicht infrage, so fand zwar die mit beachtlichen Konditionen verbundene Anfrage der Petersburger, „[s]eine Hand mit an die Ausarbeitung der Gesetzbücher zu legen“, durchaus Darjes’ Interesse, doch wog auch sie in seinen Augen einen neuerlichen Ortswechsel nicht auf. 96 Eine prüfende Unterredung über die philosophischen Wissenschaften, zu der er vom König bestellt worden war, befestigte offenbar dessen günstiges Urteil über den Gelehrten.97 Als im Jahr 1772 der Jurist Johann Samuel Friedrich von Böhmer (1704–1772, Reichsadel 1770) starb, erhielt Darjes, der im gleichen Jahr erstmalig das Rektorat an der Frankfurter Universität führte, nicht nur die erste juristische Professur inklusive freier Wohnung im Ordinariatshaus, sondern auch dessen Ämter als Universitätsdirektor und Ordinarius der Juristenfakultät auf 94 95 96
97
Darjes an Haller, 19. Januar 1764. BB Bern, Nachlass Albrecht von Haller, Briefe. Gerhard Anton von Halem etwa, der 1768 sein Studium in Frankfurt an der Oder begonnen hatte, erklärte Darjes’ Ruf bei der väterlichen Wahl dieser Universität für ausschlaggebend, vgl. HALEM, Selbstbiographie, S. 22. An Ulrich Freiherr von Ketelhodt schrieb Darjes am 24.05.1769: „Bey nahe hätte ich mich noch weiter von meiner alten Gegend endfernet, da mir aus Petersburg die ansehnligsten Vorschläge sind gemacht worden, mich dahin zu ziehen, um meine Hand mit an die Ausarbeitung der Gesetzbücher zu legen. Ich habe es aber meinem Körper nicht zugetrauet, daß er noch eine solche Veränderung würde aushalten können. Von Erffort habe ich auch einen Brieff erhalten. Die Bedingungen der Ehre waren ansehnlich, allein in der Bestimmung des Gehallts fehlte die Ratio sufficiens“. ThStA Rudolstadt, Ketelhodtsches Familienarchiv, Bestand A 060. Vgl. DARJES, Weg zur Wahrheit, Vorrede S. 12.
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Lebenszeit übertragen.98 Diese Position war, wie Patitz verdeutlicht,99 zwar sehr einflussreich, jedoch auch mit einem hohen Arbeitspensum verbunden, das von Darjes zusätzlich zu seinen sechs Vorlesungen pro Tag bewältigt werden wollte: Gemeinsam mit dem Rektor hatte der Direktor den gesamten Finanzhaushalt der Universität zu beaufsichtigen und jährlich alle sogenannten Universitätsdörfer persönlich zu bereisen, um deren Zustand zu inspizieren, juristische Streitigkeiten zu regeln und Abgaben einzuziehen. Als Ordinarius beriet Darjes den Rektor in juristischen Fragen, sorgte außerdem für die Aufrechterhaltung aller rechtlichen Befugnisse der Universität und war als Vorsitzender des Spruchkollegiums mit dessen Akten und Urteilen beschäftigt. Noch zwei weitere Male, nämlich in den Jahren 1779 und 1788, bekleidete Darjes überdies das Rektorenamt. Angesichts solcher Verpflichtungen verwundert es nicht, dass er an seine frühere rege literarische Tätigkeit in Frankfurt nicht wieder anknüpfte und, abgesehen von einer deutschen Fassung seiner Logik im Jahr 1776, nur noch einzelne juristische Dissertationen und kleinere Gelegenheitsschriften veröffentlichte. Tatsächlich verfolgte der Gelehrte noch verschiedene größere Buchprojekte,100 die er jedoch nicht verwirklichen konnte. Es waren andere, praktischere Vorhaben, deren Umsetzung Darjes an seinem neuen Wirkungsort parallel zum Lehrbetrieb vorantrieb. Deutlichstes Zeugnis dafür war 1767 die Gründung der Gelehrten Gesellschaft zum Nutzen der Künste und Wissenschaften, deren Präsident er zeitlebens blieb. Ebenso nahm 1776 die erste Freimaurerloge in Frankfurt, Zum aufrichtigen Herzen, ihre regelmäßige Logenarbeit auf, deren Eröffnung Darjes mit initiiert hatte und die er anfangs durch seine eigene Mitwirkung unterstützte. Auch lässt ein Gartengrundstück, welches Darjes in der Gubener Vorstadt erworben hatte, auf fortgesetzte Experimente im agrarökonomischen Bereich schließen. Nicht zuletzt schließlich geht aus dem Briefwechsel mit Johann Heinrich Casimir Graf von Carmer, königlicher Großkanzler und früher selbst Student bei Darjes,101 hervor, dass der Gelehrte auf dessen Einladung hin in den 1780er Jahren bis zu seinem Tod noch als Sachverständiger am Allgemeinen Preußischen Landrecht mitarbeitete; insbesondere befasste er sich mit dem Entwurf eines das Gesetzeswerk ergänzenden umfassenden Rechtslehrbuches als preußisches Standardwerk für Studenten der Jurisprudenz.102 In diese letzte Lebensphase fiel Darjes’ 50-jähriges Jubiläum als akademischer Lehrer, welches Ende 1785 feierlich begangen wurde – eine Anzahl seiner ehemaligen Hörer ließ es sich nicht nehmen, zu diesem Anlass eine Gedenkmünze mit seinem Bildnis in Auftrag zu geben, welcher sie außerdem eine 17-strophige lateinische Ode zu 98 ABL 1772, 2. Bd., 1. Anhang, S. 645 f. 99 Vgl. PATITZ, Darjes, S. 8. 100 Geplant waren unter anderem weitere juristische Lehrbücher, ein kameralistisches Lexikon und die Fortsetzung der Philosophischen Nebenstunden. Vgl. SCHLICHTEGROLL, Nekrolog 1792, S. 300; GÄRTNER, Darjes, S. 220–239; DARJES, Kurze Nachricht, S. 21. 101 Carmer bezog am 16. April 1739 die Universität Jena, vgl. Matrikel Jena. 102 Vgl. GÄRTNER, Darjes. Darin ist auch S. 220–239 der Briefwechsel abgedruckt.
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Ehren ihres Lehrers beifügten. Selbst Friedrich Wilhelm II. würdigte den großen Gelehrten, indem er ihm im darauffolgenden Jahr die Erneuerung seines Adels anbot, was Darjes allerdings ablehnte; seiner Wertschätzung verlieh der König später dennoch Ausdruck, indem er Darjes’ Witwe eine regelmäßige Pension auszahlen ließ, „gewiß das erste Beispiel auf preußischen Universitäten“.103 Trotz seiner zahlreichen anderen Verpflichtungen und Interessen wandte sich Darjes auch in seinen letzten Lebensjahren mit besonderer Aufmerksamkeit und Sorgfalt seinem akademischen Unterricht zu. Tatsächlich hielt er noch täglich drei Vorlesungen, ehe er schließlich nach kurzer Krankheit am 17. Juli 1791 an Altersschwäche starb. Sein Begräbnis am 20. Juli war ein Ereignis, zu dem sich neben zahlreichen Schaulustigen sämtliche Lehrer und Studenten der Universität, das geschlossene Offizierskorps sowie die höchsten Vertreter von Stadt und Geistlichkeit einfanden. Wenig später hielt die Frankfurter Gelehrte Gesellschaft noch eine eigene Gedenkstunde für ihren einstigen Gründer und Präsidenten ab. Im Sommer 1796 wurde auf dem Grab des Philosophen und seiner inzwischen ebenfalls verstorbenen Frau ein von Johann Gottfried Schadow ausgeführtes, fast fünf Meter hohes Monument errichtet, welches bis heute zusammen mit dem Denkmal für den Dichter Heinrich von Kleist im Gertraudenpark zu sehen ist.104 Auch erinnert eine Mauer mit seinem Relief, die am ehemaligen Standort der alten Universität errichtet wurde, an Darjes’ Wirken in Frankfurt an der Oder.
2.2.
Universitätslehrer sein: Darjes’ Anspruch und Praxis
2.2.1. Die besondere Anziehungskraft Darjesischer Lehrveranstaltungen Die Frage, inwieweit die wissenschaftlichen Leistungen dieses Gelehrten bis heute nachwirken und entsprechende Beachtung verdienen, wird sich abhängig vom eingenommenen Standpunkt unterschiedlich beantworten lassen. Die immensen Hörerzahlen in seinen Lehrveranstaltungen hingegen verdienen in jedem Falle besondere Aufmerksamkeit. Auch wenn sich diese mangels exakter Aufzeichnungen heute nicht konkret beziffern lassen, gehörte der Professor unstrittig zu den meistgehörten akademischen Lehrern seiner Zeit – er selbst sprach diesbezüglich einmal von seinem „Magnetismus“.105 Bereits in den Anfängen seiner Dozentenkarriere Mitte der 1730er Jahre wurde sein „Beyfall […] alle
103 SCHLICHTEGROLL, Nekrolog 1792, S. 308. 104 Das Grabmal des Ehepaars Darjes ist beschrieben und abgebildet in: BRANDENBURG. PROVINZIALVERBAND, Die Kunstdenkmäler, S. 238 ff. Vgl. außerdem MACKOWSKY, Schadow, S. 364–368. 105 DARJES, Bielefelds Staatsklugheit, S. 42.
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halbe Jahr größer“,106 wie er selbst nicht ohne Stolz betonte; 1741 berichtete er von 700 Hörern pro Tag,107 und seinen Schwager ließ er gut zehn Jahre später wissen, dass sein „Auditorium“ die Studenten „nicht fassen“ könne.108 Dies bestätigend, wurde der außerordentliche Zustrom zu Darjes’ Lehrveranstaltungen in Jena von gelehrten Zeitungen mit „täglich etliche[n] hundert“109 oder konkreter mit „900 biß 1.000“110 Hörern beziffert. Besonders beeindruckend schilderte der Rechtsprofessor Heinrich Gottfried Scheidemantel (1739–1788) seinem einstigen Lehrer Jahrzehnte später seinen ersten Besuch einer Darjesischen Vorlesung im Jahr 1758: Eine zahlreiche Menge aus allen Gegenden Europens drängte sich zu Ihrem Lehrstul, der weite Raum konnte Ihre Zuhörer doch nur kaum zur Hälfte umfassen; Vorsaal, Cabinet, und Treppen wurde[n] von den Jünglingen besetzt, ja so gar eine grose Anzahl lagerte sich in dem Hof, und hörte mit Aufmerksamkeit die Worte, welche durch die eröfnete[n] Fenster herausfallen konnten.111
Für seine 27 Jahre währende Lehrtätigkeit in Jena veranschlagte Darjes selbst die Gesamtzahl seiner Hörer in der fast ausschließlich privatissime angebotenen Mathematik bis 1749 auf „über 1.000 Personen“, im öffentlich gelesenen Naturund Völkerrecht bis 1762 auf „mehr als zehn Tausend“.112 In Frankfurt konnte er an diesen Erfolg, gemessen an der deutlich geringeren Frequenz der OderUniversität, offenbar problemlos anschließen: Gerhard Anton von Halem (1752–1819), ab 1768 Student in Frankfurt an der Oder, hielt es in der Beschreibung seiner Studienzeit jedenfalls für erwähnenswert, dass er bei Darjes ein „volles Collegium“ zum Naturrecht besucht habe.113 Anlässlich des Todes von Darjes schließlich unterließ es auch der Trauerredner Johann Gustav Hermann nicht, „den Zufluß der Studirenden“ zu erwähnen, „die, wenn die Lehrstunde schlug, voll Wißbegierde zu Seinem Hörsaal hinströmten“.114 Dieser studentische Andrang zu Darjesischen Lehrveranstaltungen, den zeitgenössische und spätere Verfasser gleichermaßen hervorhoben, wirft die Frage nach den Gründen seiner charismatischen Wirkung auf. Ganz offensichtlich verfügte Darjes – neben seiner soliden fachlichen Qualifikation – über die erforderlichen Charakterzüge, Einsichten und Talente, um als Universitätslehrer Erfolg zu haben.
106 107 108 109 110 111
Ebd., S. 24. Ders., Abgenöthigte Vertheidigung, S. 12 Darjes an Haller, 28. April 1752. BB Bern, Nachlass Albrecht von Haller, Briefe. Göttingische Zeitungen von gelehrten Sachen (im Folgenden: GZ) 1745, 40. St., S. 326. Freymüthige Nachrichten von Neuen Büchern (im Folgenden: FN) 1748, 9. St., S. 67. SCHEIDEMANTEL, An Darjes, S. 7. Auch Simon Gabriel Suckow etwa berichtete von einem „zahlreichen Haufen Seiner Zuhörer“. SUCKOW, Schreiben an Mayohl, S. 59. 112 DARJES, Antwort Rezension, S. 285; Ders., Discours, Vorrede. 113 HALEM, Selbstbiographie, S. 31. 114 HERMANN, Trauerrede, S. 5.
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Näheren Aufschluss verspricht hier die Rekonstruktion eines möglichst authentischen Bildes des Hochschuldozenten fernab posthumer Pauschalurteile. Wenn der Frage nachgegangen werden soll, weshalb und wie der Dozent Darjes derart viele junge Menschen über Jahrzehnte zu fesseln und zum selbstständigen Denken zu stimulieren vermochte, so ist zum einen das Augenmerk auf Äußerungen von Zeitgenossen aus dem akademischen Umfeld, vor allem von ehemaligen Studenten, zu richten. Eine umfangreichere Quelle stellt hier die mehrseitige Einladungsschrift zur offiziellen Gedenkfeier der Frankfurter Gelehrten Gesellschaft nach Darjes’ Tod dar, welche Carl Renatus Hausen (1740–1805), damals Inhaber der dortigen Professur für Geschichte, drucken ließ: Dieser Nachruf betrachtete den Verstorbenen vornehmlich in seiner Eigenschaft als akademischer Lehrer, denn Hausen beabsichtigte, wie er einleitend betonte, „einige charakteristische Züge seiner Denkungsart als Lehrer […] heraus[zu]heben und Lehrern der künftigen Zeit zur Nachahmung dar[zu]stellen“.115 Zum anderen liegen von Darjes selbst verschiedene schriftliche Erläuterungen zur Problematik des akademischen Lehrens und Bemerkungen über seine eigene Praxis vor, die ebenfalls relevant für die Betrachtungen sind. Drittens werden neben seinen zahlreichen Lehrbüchern, welche vom Lehrenden ja zum Zweck des Unterrichts angefertigt wurden, insbesondere die in verschiedensten gelehrten Zeitungen der Zeit abgedruckten Rezensionen Darjesischer Werke zu beachten sein. Sie können weiteren Aufschluss geben, da dort oft nicht allein das Erscheinen der neuen Schrift angezeigt und eine mehr oder weniger ausführliche Inhaltsangabe geliefert wurde, sondern häufig auch eine Beurteilung von Werk und Autor hinzukam. Über 70 dieser zeitgenössischen Kritiken – allein 20 davon aus den Göttingischen Zeitungen von gelehrten Sachen zwischen 1743 und 1752, 13 aus den Jenaischen gelehrten Zeitungen von 1749 bis 1756 und sieben aus den Züricher Freymüthigen Nachrichten von Neuen Büchern der Jahre 1748 bis 1761 – fanden hier Verwendung.116 Bei der Auswertung der letztgenannten Quellen ist, vor allem hinsichtlich des vorherrschenden Tons, allerdings zu berücksichtigen, dass die Rezension im Verlauf des 18. Jahrhunderts als bedeutsame eigenständige Textsorte regelrecht entdeckt wurde. Die kritischen Texte wurden zunehmend in eigens dafür ge-
115 Vgl. HAUSEN, Gedächtnißrede; Zitat S. 7. Nahezu wortgetreu auch als separate Veröffentlichung: HAUSEN, Darjes als Lehrer. Die Gedenkfeier fand am 9. August 1791 statt. 116 Weitere Rezensionen entstammen den Greifswalder Pommerschen Nachrichten, dem Ausführlichen Entwurf Carl Günther Ludovicis, den Hamburger Freyen Urtheilen und Nachrichten, den Tübingischen Berichten, der Berliner Allgemeinen deutschen Bibliothek, den Göttingischen Anzeigen, den Hamburgischen Berichten, Selchows Juristischer Bibliothek, den Leipziger Neuen Zeitungen, dem Leipziger Philosophischen Bücher-Saal, der Allgemeinen Literatur-Zeitung, den Critischen Nachrichten, den Neuen Jenaischen Nachrichten, den Leipziger Zuverläßigen Nachrichten, Riedels Philosophischer Bibliothek und Mendelssohns Briefen die Litteratur betreffend. Siehe die Bibliographie und das Verzeichnis der Rezensionsorgane im Anhang.
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gründete Zeitungen ausgelagert, womit eine tendenzielle Entwicklung der Autorenschaft weg vom Gelegenheitsrezensenten aus dem akademischen Umfeld, hin zum spezialisierten Berufskritiker einherging.117 Grundsätzlich strebte man in der Zeit der Aufklärung nach einer unparteiischen, also unvoreingenommenen und sachlichen Diskussion, in der sich, auch unter dem Erwartungsdruck des Publikums, herabsetzende Aussagen über Personen völlig verboten. Scharfe Kritik, selbst wenn sie mit Recht geäußert wurde, zog häufig hitzige Erwiderungen oder Verleumdungsklagen vonseiten der Rezensierten nach sich, da diese zum Teil noch kaum zu der gebotenen professionellen Distanz in der Lage waren. Vor diesem Hintergrund ist der freundlich-nichtssagende Grundton mehrerer Kritiken zu sehen, der oft vom verantwortlich zeichnenden Herausgeber bzw. Verleger einer Zeitung gepflegt wurde. 2.2.2. Die Wahrnehmung des Hochschullehrers Darjes in der gelehrten Öffentlichkeit Seine jeweiligen Studenten außer Acht gelassen, dürfte Darjes von gelehrten Zeitgenossen, sofern diese nicht selbst ehemalige Schüler waren, vornehmlich als Wissenschaftler wahrgenommen worden sein. Seltener die Vortragsart oder Struktur seiner Lehrbücher, sondern vor allem einige seiner Lehren verursachten zum Teil heftige Reaktionen vonseiten einzelner Kollegen, wie im Weiteren noch genauer zu sehen sein wird. Die Rezensionen seiner Schriften werden vielleicht mehr noch als diese selbst das öffentliche Urteil über Darjes geprägt haben. Darin wurde er im Allgemeinen als ein sehr sorgfältig arbeitender, tiefgründiger Gelehrter dargestellt, der bedeutsame Themen erschöpfend und dabei gut verständlich behandelte. Mehrfach wurde Darjes von Kritikern beispielsweise ein hervorragendes Erkenntnisvermögen bescheinigt: So bemerkte der Leipziger Philosophieprofessor Carl Günther Ludovici (1707–1778) bereits zu den ersten Schriften des jungen Magisters, dass dieser „im Nachsinnen geübt“ sei und auch „in Erklärungen und Beweisen eine ziemliche Stärke“ besitze.118 Ähnlich lobende Äußerungen waren Anfang der 1750er Jahre in den Hamburger Freyen Urtheilen
117 Vgl. hier und im Folgenden BAASNER, Grundzüge der Literaturkritik, S. 23 ff. Zugleich stieg nicht nur die Menge der neu erscheinenden Bücher rapide an, weshalb die Aktualität und die fachliche Sortierung von Rezensionen plötzlich einige Beachtung verdiente; es weitete sich auch der Adressatenkreis im Wechselspiel von Angebot und Nachfrage quantitativ und qualitativ deutlich aus. Diese sich gegenseitig beeinflussenden und bedingenden Entwicklungen zeichneten sich in den Rezensionen ab. 118 LUDOVICI, Ausführlicher Entwurf 2, S. 340; Ausführlicher Entwurf 3, S. 400. Ähnlich auch in Ders., Merckwürdigkeiten, S. 191, 197.
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und Nachrichten zu lesen.119 Andere Kritiker betonten ganz allgemein die „Gelehrsamkeit des Herrn Hofrath Daries“120, wie auch dessen „Scharfsinnigkeit“121 – laut den Freymüthigen Nachrichten war weithin bekannt, dass er durch „sein scharfsinniges Nachdenken Dinge zu bemerken“ vermochte, „die der Aufmerksamkeit auch anderer Männer von grossen Einsichten verdeckt geblieben“ seien.122 Schon den Inhalt einer seiner frühen philosophischen Texte, nämlich der Dissertation de eo, quod justum est circa legem talionis von 1737, beurteilte Ludovici als „höchstvernünfftig und nützlich“.123 Vor allem die Jenaischen gelehrten Zeitungen vermerkten, dass Darjes sich wiederholt mit Erfolg an anspruchsvollen und viel diskutierten Materien versuchte: Die in seinen Philosophischen Nebenstunden abgehandelten Themen stuften sie als „wichtige und schwehre Streitfragen“ ein, welche „bisher ein Zankapfel der Philosophie gewesen“ seien;124 desgleichen habe Darjes in seinen Observationes „Schwierigkeiten und Einwürfe“ aufgelöst, welche bis dahin „vielen Gelehrten fast unbeantwortlich geschienen“ hätten.125 Positiv wurde in Göttingen aufgenommen, dass er dabei nicht dogmatisch „als ein Sectirer, an seinen nächsten Vorgängern blindlings hange“, sondern eklektisch vorging.126 Durch die Bearbeitung der von ihm gewählten anspruchsvollen Gegenstände schaffe er, wie in verschiedenen Blättern bestätigt wurde, einen bemerkenswerten Nutzen in den Wissenschaften.127 Gerade in den Kritiken Darjesischer Schriften, die zwischen 1749 und 1752 in den Jenaischen gelehrten Zeitungen abgedruckt wurden, schwingt freilich eine Art lokalpatriotischer Stolz und Sympathie mit, da die Zeitung quasi als Organ der Universität von Universitätsangehörigen erstellt und herausgegeben wurde, und auch der Ton der 19 Rezensionen, mit denen die Göttingischen Zeitungen von gelehrten Sachen zwischen 1743 und 1754 Darjes’ Arbeiten anzeigten, ist deutlich wohlwollend, wenn auch merklich sachlicher. In beiden genannten Zeitungen wurden die Rezensionen wiederholt mit guten Wünschen für seine Gesundheit zum ungehinderten Fortgang seiner
119 Vgl. Freye Urtheile und Nachrichten (im Folgenden FUN) 1750, 49. St., S. 386; 1751, 48. St., S. 381. 120 GZ 1745, 10. St., S. 77. Vgl. auch NZ 1744, Nr. 40, S. 811. 121 Vgl. u.a. JZ 1749, 37. St., S. 296; 1750, 102. St., S. 807; FN 1749, 43. St., S. 342; 1755, 9. St., S. 28; NZ 1744, Nr. 40, S. 810; Tübingische Berichte von gelehrten Sachen (im Folgenden: TB) 1755, 7. St., S. 100. 122 FN 1749, 43. St., S. 342. 123 LUDOVICI, Merckwürdigkeiten, S. 191 f. 124 JZ 1749, 37. St., S. 296; 1750, 49. St., S. 390; 102. St., S. 807. Ganz ähnlich GZ 1750, 115. St., S. 918 f. 125 JZ 1751, 57. St., S. 468. 126 GZ 1744, 72. St., S. 624. Ähnlich GZ 1747, 20. St., S. 160; JZ 1750, 49. St., S. 390; NZ 1744, Nr. 14, S. 126; Nr. 40, S. 810. 127 Vgl. u.a. GZ 1745, 10. St., S. 78; 1748, 118. St., S. 943; FN 1748, 9. St., S. 68; JZ 1749, 31. St., S. 248; FUN 1751, 48. St., S. 381.
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Arbeit beschlossen.128 Leiter des Göttinger Blatts war zu dieser Zeit sein Schwager Albrecht von Haller, von dessen Hand die entsprechenden Rezensionen vermutlich stammen, denn er „rezensiert[e] unermüdlich“129 und die beiden Gelehrten ließen sich gegenseitig ihre Schriften zukommen.130 Somit ist der Verdacht einer gewissen Parteilichkeit der aus den genannten beiden Zeitungen entnommenen Texte nicht ganz unberechtigt – belegt ist, dass die Kritik des Mathematikers und Physikers Johann Ludwig Oeder (1722–1776) an Darjes’ Werken auf Hallers persönlichen Wunsch hin nicht zu heftig ausfiel.131 Es bleibt aber festzustellen, dass unabhängig davon auch in den weiteren aufgefundenen Rezensionen Darjesischer Schriften aus verschiedenen anderen Zeitungen nur selten ein kritisches Wort oder ein Einwand auftaucht. Teils höflich kritisierend, teils uneingeschränkt positiv fallen beispielsweise die in den von Johann Jakob Bodmer (1698–1783) in Zürich herausgegebenen Freymüthigen Nachrichten von Neuen Büchern und andern zur Gelehrtheit gehörigen Sachen zwischen 1748 und 1761 erschienenen Kritiken aus, die keinen einheitlichen Ton aufweisen und wahrscheinlich von unterschiedlichen Verfassern stammen. Erstaunlich ist, dass dieses Blatt 1750 eine vernichtende Kritik der Darjesischen Mathematik, die im Jahr zuvor in Leipzig erschienen war und die Darjes längst beantwortet hatte, erneut veröffentlichte, obwohl es besagtes Lehrbuch im Jahr 1748 bereits positiv rezensiert hatte.132 Erleichtert durch die bedenkliche Gepflogenheit, den (tatsächlichen) Namen der Rezensenten in aller Regel nicht unter die Texte zu setzen, hatte dieser Verriss einem ganz offensichtlich gekränkten Neider als hämische Abrechnung mit Darjes gedient – als ernstzunehmende negative Kritik kann dieser Text nicht gelten. Angesichts der hier verfolgten Fragestellung nach der öffentlichen Wahrnehmung des Darjes nicht als Wissenschaftler, sondern explizit als Hochschullehrer, sind die Rezensionen vor allem aber auf ihre diesbezüglichen Aussagen hin auszuwerten; zu erwarten sind aus naheliegenden Gründen vor allem Urteile über seine Lehrbücher. Tatsächlich gab ein großer Teil der Kritiker eine Einschätzung darüber ab, inwiefern seine für den akademischen Anfängerunterricht angefertigten Lehrwerke ihrem Zweck gerecht wurden. Eine Auszeichnung als „sehr geschicktes“, „wohlgerathenes“, „nützlich[es]“ oder „sehr bequemes Lehrgebäude“133 erhielten diese Kompendien unter anderem mit dem begründenden 128 Vgl. JZ 1749, 37. St., S. 296; 1750, 49. St., S. 389; 1751, 57. St., S. 468; GZ 1743, 3. St., S. 271; 1745, 10. St., S. 78, 13. St., S. 111; 1747, 82. St., S. 692; 1748, 135. St., S. 1078. 129 BAASNER, Literaturkritik der Aufklärung, S. 32. 130 Darjes an Haller, 14. August 1748, 22. August 1749, 28. Mai 1751. BB Bern, Nachlass Albrecht von Haller, Briefe. 131 Vgl. BOSCHUNG, Repertorium, S. 386. 132 Vgl. FN 1748, 9. St., S. 67 f.; 1750, 6. St., S. 44 ff. 133 (1) FUN 1747, 40. St., S. 316 f., rezensiert wurde DARJES, Mathematik; (2) GZ 1745, 40. St., S. 326 f., rezensiert wurden DARJES, Institutiones jurisprudentiae universalis, 2. Aufl.; (3) Allgemeine Literatur Zeitung (im Folgenden: ALZ) 1787, N. 200, S. 457, rezensiert wurde
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Hinweis, dass sie für Anfänger gut verständlich waren. So habe Darjes beispielsweise in seinem Mathematikbuch „sehr vieles in einen sehr deutlichen und so viel möglich leichten Vortrag zusammen gezogen“,134 und auch aus seinen Institutiones ließen „sich die Gesetze der Vernunfft, auf eine leichte überzeugende Art, […] abnehmen und begreiffen“.135 Selbst in den nicht für den Unterricht gedachten Philosophischen Nebenstunden erwies sich die didaktische Qualität seiner Schriften: Der Professor nämlich trage dem Urteil der Freymühtigen Nachrichten zufolge darin „seine Gedanken nach der Fähigkeit solcher Lehrbegierigen vor, die nicht das Glück gehabt haben, die philosophischen Lehren in ihrem Zusammenhange zu lernen“.136 Diese von den Rezensenten in Darjes’ Kompendien beobachtete adressatengerechte Darstellungsweise zeichnete sich unter anderem durch eine bewusste, dem Lehrzweck angemessene Verknappung der Inhalte aus,137 die jedoch keineswegs zu plumper Vereinfachung oder gar Vernachlässigung komplizierter Sachverhalte und damit zur „Verletzung der Gründlichkeit und Vollständigkeit“138 führte. Eben diese „Gründlichkeit“ seiner sämtlichen Ausführungen und auch deren „Deutlichkeit“ hoben Rezensenten durchgängig hervor,139 Merkmale also, die gerade für Lehrbücher von ganz besonderer Bedeutung sind. Auch dem „geübte[n] Leser“ übrigens empfahlen mehrere Kritiker das Studium Darjesischer Grundlagenbücher, da er „daraus noch manches lernen“ und sie „nicht ohne Nutzen lesen“ könne.140 War dem Gelehrten also objektiv ein besonderes Talent zur Aufbereitung und Vermittlung wissenschaftlicher Inhalte zuzuerkennen, so erfüllten seine Schriften überdies die von Hausen in seiner oben erwähnten Gedächtnißrede gestellte Forderung nach einem differenzierten Vortrag. Allein das Vermögen, zu ganz neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu gelangen, unbemerkt gebliebene Fehler und Irrtümer aufzudecken, bestehende Rätsel zu lösen und neuartige Wege und Methoden zu ersinnen, machte, wie der Historiker erinnerte, zwar einen hervorragenden Gelehrten, jedoch noch keinen
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DARJES, Bielefelds Staatsklugheit; (4) TB 1755, 9. St., S. 133f., rezensiert wurde DARJES, Via ad veritatem. Die Allgemeine deutsche Bibliothek übrigens lobte die Institutiones jurisprudentiae universalis, 7. Aufl., ebenfalls als „bequem“. AB 1777, 32. Bd., 1. St., S. 95 f. FUN 1747, 40. St., S. 316 f. GZ 1745, 40. St., S. 326 f. FN 1749, 43. St., S. 342. Die „vorgetragenen Sachen“ in der Sitten-Lehre beispielsweise seien den Göttinger Zeitungen zufolge „kurz gefasset“ und „viele Materien bloß angezeiget worden, welche dem mündlichen Vortrage vorbehalten sind“. GZ 1750, 104. St., S. 830 f. Vgl. auch GZ 1748, 135. St., S. 1078. GZ 1745, 40. St., S. 326 f. Vgl. u.a. GZ 1747, 20. St., S. 160; 1750, 115. St., S. 918; JZ 1749, 22. St., S. 173, 37. St., S. 296; 1750, 49. St., S. 388; FUN 1751, 48. St., S. 380; NZ 1744, Nr. 40, S. 811. GZ 1745, 13. St., S. 111; FN 1748, 9. St., S. 67. Rezensiert wurden Darjes’ mathematische Lehrwerke. Ähnlich auch über dessen Observationes, JZ 1751, 57. St., S. 468.
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akademischen Lehrer aus – „sein eigentlicher Beruf und seine wesentliche Bestimmung“ sei nämlich „der Unterricht“, auf welchen sich auch im Wesentlichen der „akademische Beifall“ für einen Dozenten gründe.141 Besondere Herausforderungen ergäben sich beim Unterrichten an einer Hochschule durch die innerhalb der ohnehin recht großen Gruppe der Zuhörer üblicherweise sehr stark voneinander abweichenden Fähigkeiten und „Vorbereitungskenntnisse“, denen zum Trotz sich „der Nutzen vom Unterricht überall gleich wirksam verbreiten“ solle, so Hausen weiter. Ein guter akademischer Lehrer müsse demnach nicht nur über ein „eignes Talent“ zum „klaren, bestimmten und überzeugenden Vortrag“ verfügen, welches als ein „Geschenk der Natur“ anzusehen sei; er habe überdies die „Pflicht […] alle Aufmerksamkeit des Geistes dieser Verschiedenheit der Fähigkeiten und Kenntnisse unermüdet zu widmen“ und seinen Vortrag „nicht allgemein und einförmig, sondern […] bald diesem Theil der Zuhörer, bald einem andern angemessen“ zu gestalten. Damit aber der Funke schließlich auf die Schüler überspränge, sie also „von Liebe für Wissenschaften und Kenntnisse ganz beseelt“ würden, müsse der Lehrer nicht nur ein solches rhetorischdidaktisches Geschick aufweisen, sondern sich überdies dem Unterricht stets mit seiner ganzen Hingabe und Ernsthaftigkeit widmen. In Darjes nun vereinigten sich, Hausens Urteil zufolge,142 diese sämtlichen beschriebenen Eigenschaften eines herausragenden Gelehrten und akademischen Lehrers. Wenngleich diese Darstellung, dem Anlass der Schrift entsprechend, sicherlich erhöhend und um negative Aspekte bereinigt ausfiel, so darf doch allein schon ihr von einem Berufskollegen gewählter Fokus zweifellos als nachdrückliches Zeichen der Anerkennung von Darjes’ besonderem pädagogischen Geschick und Erfolg angesehen werden. Ob die Schüler des Philosophen ein ähnliches Urteil über ihren Lehrer fällten, wird sich anhand entsprechender (autobiographischer) Zeugnisse im folgenden Abschnitt herausstellen. 2.2.3. Die studentische Perspektive: Darjes als Mentor und „Menschenfreund“ Was das Ansehen und die Anerkennung des Hochschullehrers Darjes betrifft, spricht die im Jahr 1785 von einer Reihe seiner einstigen Studenten – unter ihnen etwa der preußische Großkanzler Johann Heinrich Casimir Graf von Carmer (1720–1801) – eigens in Auftrag gegebene Medaille zum 50-jährigen Dienstjubiläum eine deutliche Sprache. Schon Jahre zuvor war Darjes selbst darauf zu sprechen gekommen, dass ihm nicht selten, ja „fast alle Woche“, frühere Zuhörer, die zum Teil bereits in achtbare Positionen aufgestiegen waren, brieflich oder öffentlich ihre Hochachtung und Dankbarkeit für den hervorragenden Unter-
141 Vgl. hier und im Folgenden HAUSEN, Gedächtnißrede, S. 4 ff. 142 Ebd., S. 7.
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richt aussprachen, auf welchen sie ihre vorteilhafte Lage zum großen Teil zurückführten.143 Diese Verehrung aber galt offenbar nicht allein dem ganz und gar geschickten Vermittler des Lehrstoffes – wie Hausen in Frankfurt an der Oder über Jahre hinweg beobachtet hatte, brachte Darjes seinen Studenten gegenüber ein kaum zu überbietendes Maß an wohlwollender Aufmerksamkeit, persönlicher Anteilnahme und großzügiger Unterstützung auf: Der Professor sei seinen Zuhörern „ganz zugethan“ und sein Umgang mit ihnen von „väterliche[r] Sorgfalt und freundschaftliche[r] Liebe“ bestimmt gewesen.144 Auch noch nach dem Studium verfolgte er interessiert und teilnahmsvoll ihren beruflichen Werdegang, den er nach Kräften beförderte. „Solche Eigenschaften“, schrieb Hausen, „erweckten ein allgemeines Vertrauen der Studirenden zu Ihm“.145 Zwar stellen die gedruckten und so bis heute erhalten gebliebenen Äußerungen von Schülern über Darjes angesichts seines außergewöhnlich zahlreichen und mehrere Generationen umfassenden studentischen Publikums freilich Einzelmeinungen dar, die schwerlich Tendenzen abzubilden vermögen – die vorliegenden allgemeinen Aussagen jedoch scheinen sie ausnahmslos zu bestätigen. Simon Gabriel Suckow (1721–1786)146 zum Beispiel, welcher nach seinem Jenaer Studium ab 1743 Philosophie und Naturwissenschaften an der Universität von Erlangen lehrte, benannte als Grund für seine Verehrung des nur um wenige Jahre älteren Darjes neben dessen „Gelehrsamkeit“ auch „die ungemeine Güte, welche Derselbe [ihm] täglich [erwies]“.147 Der ebenfalls in Jena ausgebildete und auf Lebzeiten dort lehrende Justus Christian Hennings (1731–1815) charakterisierte in einer insgesamt reichlich schwülstigen Huldigung den „fürtreflichen Darjes“ als „Menschenfreund“ – an dessen „Wohlthaten“ und den „treuen Unterricht“ zu denken, so schrieb er, presse ihm „allezeit Zähren der Liebe, Zähren der Ehrfurcht und Dankbarkeit aus“, ihm sei er „alles schuldig, was [s]eine geringen Kräfte in der Weltweisheit [vermochten]“.148 „Ich bin sehr vergnügt darüber, […] einem Verehrungswürdigen Gönner meine wahre Dankverpflichtung öffentlich zu bezeugen“, eröffnete schließlich Christian Nikolaus Naumann (1720– 1797) die von ihm besorgte deutsche Übersetzung eines Teils der Darjesischen Metaphysik und fuhr fort: „Der Charakter dieses berühmten Gelehrten entdeckete mir gleich Anfangs so viel edle Gesinnung, Leutseeligkeit, und rechtschaffenes Wesen, daß ich ungewiß blieb, ob er ein größerer Weltweiser, oder ein größrer Menschenfreund sey“.149 Hier wird deutlich, dass Darjes von Studenten
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DARJES, Abgenöthigte Verteidigung, S. 12. Vgl. auch HAUSEN, Gedächtnißrede, S. 8. HAUSEN, Gedächtnißrede, S. 12. Vgl. ebd. Zu Mitgliedern der Gelehrtenfamilie Suckow vgl. hier und im Folgenden JÄNNIKE, Suckow, S. 105 f. 147 SUCKOW, Schreiben an Mayohl, S. 5. 148 HENNINGS, Praktische Logik, Vorrede. Im Original teils hervorgehoben. 149 NAUMANN, Vorbericht.
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tatsächlich zum einen als kompetente Lehrperson, zum anderen aber seiner wertvollen menschlichen Eigenschaften wegen geschätzt wurde. Da der erste Aspekt im Anschluss noch unter speziellen Gesichtspunkten zu untersuchen ist, soll der Schwerpunkt zunächst darauf liegen, den zweiten im Rückgriff auf studentische Berichte greifbarer zu machen. Gelegenheiten zum persönlichen Umgang mit ihren Dozenten ergaben sich für Studenten im 18. Jahrhundert wohl leichter als heute, vermieteten doch zahlreiche Gelehrte Zimmer oder unterhielten gegen Bezahlung eine feste Tischgesellschaft. Dass diesen Gepflogenheiten auch im Hause Darjes entsprochen wurde, ist aus einem Brief von 1761 zu erfahren: Seinen „Tisch“, schrieb der Professor darin, sei er inzwischen zwar „genöthiget worden, durch die Unordnung der jungen Leuthe […] völlig aufzugeben“, doch wohnten weiterhin verschiedene studierende „Haußbürger“ bei ihm, mit welchen Darjes sich in seinen „müßigen Stunden besonders beschäftig[t]e“ und denen er „alle Abend die Freyheit“ einräumte, „zu [ihm] zu kommen, und sich [s]einer Fürsorge und [s]eines Rathes zu bedienen“.150 Bis zu seinem Tod noch nahm der Professor Studienanfänger in Frankfurt an der Oder in seine Obhut, so als einen der letzten den Enkel der Dichterin Anna Louisa Karsch (1722–1791).151 Wie aus Darjes’ eigener Biographie ersichtlich wird, war der Einfluss, den der Mentor auf die Lernenden hatte, oft besonders stark: Den täglichen Umgang mit dem Theologieprofessor Johann Joachim Weidner, in dessen Haus der Jugendliche in Rostock wohnte, empfand er als „eine beständige Aufmunterung zur Vermeidung der Ausschweifung und zum Fleiße“, und sein ihm bald freundschaftlich verbundener Hausvater in Jena, Magister Jakob Carpov, prägte Darjes’ Grundhaltung als Gelehrter entscheidend.152 Welche Studenten konkret später in seinem Haus ein und aus gingen, ist heute schwer auszumachen. Bekannt ist beispielsweise aus den akribisch geführten Jugendtagebüchern Karl Graf von Zinzendorfs (1739– 1813), dass dieser während seines Studiums in Jena zwischen 1757 und 1761 engeren Kontakt zu Darjes pflegte. Der junge Graf hielt nicht nur jede besuchte Unterrichtsstunde im Darjesischen Natur- und Völkerrecht, Kameralwissenschaften sowie Kriegs- und Friedensrecht nach Grotius samt des darin behandelten Lehrstoffs fest, sondern auch seine jeweiligen Unternehmungen – ein Urteil über den Professor selbst findet sich nicht darin. Zu erfahren ist allerdings, dass sich sein Umgang mit Darjes außerhalb der Lehrveranstaltungen nicht auf Besuche beschränkte, wie sie für Studenten anfielen, weil die Gebühren für den kostenpflichtigen Unterricht zu begleichen waren oder Privatvorlesungen eine persönliche Anmeldung verlangten;153 Zinzendorf vermerkte mehrfach inoffizielle Zusammenkünfte zum Abendessen in geselliger Runde, auch empfing der 150 151 152 153
LÖTZSCH, Rosenschule, S. 132. Vgl. POTT, Bruder in Apoll, S. 358 f., 365. DARJES, Bielefelds Staatsklugheit, S. 9 (Zitat), 12 f. Vgl. BREUNLICH/MADER, Zinzendorfs Jugendtagebücher, S. 136 f., 176.
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Gelehrte den jungen Grafen wiederholt in seinem Haus, um mit ihm Schach zu spielen, und beriet ihn schließlich sogar in Fragen des geeigneten Hauspersonals.154 Dieser offensichtlich freundschaftliche Kontakt kann mit Rücksicht auf die Sonderstellung des jungen Studenten zunächst nicht zur Regel erhoben werden – seine Herkunft aus dem Hochadel erhob Zinzendorf über alle Professoren sowie den Rektor der Universität, und diesen war nicht zuletzt seiner gesellschaftlichen Verbindungen und Umgangsformen wegen an einem engeren Kontakt mit dem Grafen gelegen.155 Eine ähnlich gute Verbindung hatte Darjes allem Anschein nach auch zu dem gemeinsam mit Zinzendorf in Jena immatrikulierten späteren königlich dänischen Kammerherrn Friedrich Ulrich Graf zu Lynar (1736–1807) hergestellt, denn dieser suchte während seiner Kavalierstour 1762 seinen ehemaligen Professor nicht nur für ein gemeinsames Abendessen auf, sondern wohnte auch noch einmal dessen Vorlesung über Moralphilosophie bei.156 Beide Grafen zählten jedoch nicht zu den Darjes-Schülern, welche noch über Jahre, zum Teil auch über Jahrzehnte hinweg dem engeren Netzwerk des Gelehrten angehörten. Verschiedene geistreiche und vielversprechende Studenten erhob der Professor zu seinen Gesprächspartnern oder (wissenschaftlichen) Mitarbeitern und unterhielt diese Bekanntschaften auf förderliche Weise bis weit über die Studienzeit hinaus. Als Beispiele seien Johann Stephan Müller (1730– 1768) und Balthasar Münter genannt, welche bereits 1759/60 tatkräftig an der unter Darjes’ Aufsicht herausgegebenen Jenaischen Philosophischen Bibliothek mitwirkten und Jahre später dessen Pläne zur Gründung einer Akademie der Wissenschaften in Frankfurt unterstützten, indem sie sich zur Mitgliedschaft bereit erklärten.157 Unter den Unterstützern fanden sich neben diesen beiden weitere Männer aus Darjes’ langjährigem Freundes- und Bekanntenkreis, die in Jena einst seine Studenten waren, so Johann Ernst Immanuel Walch, Justus Christian Hennings, Friedrich Just Riedel und der schon mehrfach erwähnte jüngere Bruder des oben genannten Simon Gabriel Suckow, Laurenz Johann Daniel.158 Die Brüder, geboren in Lübeck und schon sehr früh verwaist, hatten sich während des Studiums offenbar eng an ihren Landsmann Darjes angeschlossen, wobei insbesondere der jüngere diese Verbindung über die Jahre so weit wie nur möglich festigte: Laurenz Johann Daniel Suckow stand, nachdem er 1746 sein Studium unter seinem Mentor abgeschlossen hatte, nicht allein als Dozent der Jenaer Philosophischen Fakultät und ab 1756 als Professor für Mathematik und Physik 154 Vgl. ebd., S. 130, 136 ff., 146, 186 f., 150. 155 Vgl. ebd., Vorwort S. 26, 487 Anm. 70. 156 Vgl. LYNAR, Reise, S. 125 f.; LEIBETSEDER, Kavalierstour, S. 170 f. Friedrich Ulrich zu Lynar hatte erst in Halle und ab 1759 in Jena studiert, in welchem Jahr er auch als Freimaurer rezipiert wurde – dies allerdings nicht in Jena, sondern in Halle, vgl. ECKSTEIN, Geschichte der Freimaurerloge, S.63. Auch sein Bruder Ernst Friedrich zu Lynar war in Jena immatrikuliert. 157 Vgl. JPB; DARJES, Erste Zusammenkunft, S. 17 ff. 158 Vgl. ebd.
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beruflich anhaltend in direktem Kontakt mit Darjes, dessen Bücher er für einen Teil seiner Lehrveranstaltungen nutzte; wie dieser unterhielt er zudem Mitgliedschaften in der Teutschen Gesellschaft in Jena, in der Erfurter Akademie nützlicher Wissenschaften und in der Jenaer Freimaurerloge. Durch seine Ehe mit Anna Catharina Darjes, der jüngeren Halbschwester des Gelehrten, hatte er im Jahr 1750 überdies eine familiäre Verbindung hergestellt.159 Darjes hingegen war um diese Zeit bemüht, Suckow über eine Empfehlung an Albrecht von Haller eine Professur in Göttingen zu verschaffen, und übernahm die Patenschaft für dessen erstgeborenen Sohn, Georg Adolph (1751–1813), der später Professor für Physik, Chemie, Naturgeschichte und Kameralwissenschaften in Heidelberg wurde.160 Eine solche enge und langjährige Freundschaft zwischen Professoren und ihren Studenten, die verschiedentlich durch eine gemeinsame regionale Herkunft noch intensiviert wurde, brachte für beide Seiten einen spürbaren Nutzen mit sich, der sich nicht nur im regelmäßigen Informationsaustausch und in der Vermittlung von dienlichen Kontakten, sondern speziell dann erwies, wenn wissenschaftliche Beratung, finanzielle Unterstützung oder gesellschaftlicher Einfluss gefragt waren. Es waren nicht zuletzt (ehemalige) Schüler, die ihrem verehrten Lehrer Darjes Unterstützung und Zuwendungen zukommen ließen, als dieser mit seinen Freimaurerkollegen 1762 in Camsdorf die Versuchsschule Rosenschule eröffnet hatte.161 Der freundschaftlich-väterliche Umgang mit seinen Studenten, welchen nicht nur Hausen Darjes bescheinigte,162 kann freilich nicht auf einen Kalkül der später zu erwartenden Gegenleistungen zurückgeführt werden. Vielmehr muss es als ein Bestandteil seines Ethos als Lehrer gewertet werden, wenn er ungeachtet seiner Professorenwürde einen beachtlich regen Anteil am studentischen Wohl und Wehe auch über den eigentlichen Studienablauf hinaus nahm, wie beispielhaft eine Begebenheit aus der Autobiographie Halems illustriert. Gemeinsam mit einem weiteren Studienanfänger musste dieser in Frankfurt an der Oder gleich zu Beginn einen ehrenrührigen Angriff durch einen älteren Studenten parieren – eine an sich „unbedeutende Studenten-Geschichte“, wie Halem versicherte, die ihm allein durch die „persönliche Dazwi-
159 Vgl. VICK, Die vernünftige Wahl. 160 Die Empfehlung Suckows erfolgte im Brief von Darjes an Haller, 26. September 1749. BB Bern, Nachlass Albrecht von Haller, Briefe. Ein stärkerer Einfluss Darjes’ auf seinen Neffen Georg Adolph Suckow ist, zumindest in seinen Jenaer Jahren, denkbar: Einem seiner Briefe zufolge hatte ihn seine erste Ehefrau Catharina Wilhelmina Eleonora (1725–1756) auf ihrem Sterbebett ermahnt, er solle „für die Erziehung des ältesten Succows“ sorgen. Darjes an Frau Haller, 25. März 1756. BB Bern, Nachlass Albrecht von Haller, Briefe. 161 Vgl. DARJES, Das erste Jahr, S. 6 f., 10. 162 Einer Biographie des Darjes-Schülers Jakob Friedrich Rönnberg (1738–1809) zufolge, schätzte auch dieser den Professor als „vorzüglichen akademischen Lehrer und väterlichen Freund“ bzw. „seinen väterlichen Gönner und Freund“. KOPPE, Gelehrtes Mecklenburg, Bd. 2, S. 123, 129.
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schenkunft“ Darjes’ im Gedächtnis geblieben sei: Der Professor nämlich, nachdem er Zeuge des Kampfes geworden war, suchte die Beleidigten in ihren Zimmern auf „und ruhete nicht, bis er eine völlige Versöhnung zustande brachte“. Die „besondere Protection, der Darjes [sie] gewürdiget hatte“, sei den beiden jungen Männern im weiteren Verlauf ihres Studiums „vorteilhaft“ gewesen. 163 Dieses uneigennützige Interesse und Engagement, das Darjes für die aufstrebende nächste Generation von Gelehrten aufbrachte, drückt sich ebenso in der Autobiographie des brandenburgischen Superintendenten Wilhelm Gabriel Wegener (1767–1837) aus, welcher von 1785 bis 1788 in Frankfurt an der Oder immatrikuliert war: „Der alte Mann“, formulierte er seine Erinnerung an Darjes, „war […] ein gutdenkender Mensch“ und „erlies gern die Collegiengelder“ – ganz im Gegensatz zu Professor Carl Renatus Hausen übrigens, der den säumigen Studenten noch zwei Jahre nach dessen Studienabschluss schriftlich an seine Schulden erinnert habe.164 Nun gehörte Darjes spätestens in Frankfurt an der Oder zu denjenigen Gelehrten, die sich derartige Großzügigkeiten aufgrund ihres ordentlichen Einkommens und der Zuverdienste problemlos erlauben konnten. Dennoch schien dieses Entgegenkommen einer uneigennützigen Grundeinstellung als Lehrer zu entspringen, denn bereits in seinen ersten Semestern als Dozent hatte er versucht, kostenlosen Unterricht anzubieten.165 Nach dem Tod des Gelehrten jedenfalls hob Schlichtegroll den Umstand, dass dieser einen Besuch seiner Lehrveranstaltungen häufig für die Hälfte der Gebühren oder gratis gestattete, besonders hervor.166 Dass sein Lehramt für ihn weniger einen Broterwerb als eine moralische Verantwortung darstellte, machte der noch junge Dozent 1741 selbst deutlich, als er öffentlich versicherte, „das gröste Vergnügen und die gröste Auffmunterung zum Lobe Gottes“ sei ihm „der grosse Fleiß [s]einer Zuhörer“.167 Seine Einstellung gegenüber der universitären Lehre und den Studenten dürfte ein wesentlicher Grund für seine Lehrerfolge gewesen sein. Darjes kommunizierte nicht nur über seine Schriften und durch sein ganzes Verhalten unablässig, welch enorme Bedeutung seiner Meinung nach dem akademischen Unterricht beizumessen sei – Hausen zufolge hatte dieser gewissenhafte Universitätslehrer und patriotische Wissenschaftler bis zu seinem Tod ein „Bei-
163 HALEM, Selbstbiographie, S. 31 f. Der Angriff ist wohl im Zusammenhang mit den an den (protestantischen) deutschen Universitäten üblichen und oft groben studentischen Aufnahmeritualen, dem sogenannten Pennalismus, zu sehen. In seinen Erscheinungsformen je nach Hochschule verschieden, bestand er zumeist in einem symbolischen Dienstverhältnis der Neuankömmlinge gegenüber den älteren Studenten; die jüngeren wurden dabei zum Teil heftig beleidigt, geschurigelt und auch finanziell ausgebeutet. Dazu vgl. z.B. HENSEL, Pennalismus. 164 WEGENER, Lebensgeschichte, S. 451. 165 Vgl. UAJ, M 98, Inhalt, Bl. 99, 125. 166 Vgl. SCHLICHTEGROLL, Nekrolog 1792, S. 307. 167 DARJES, Abgenötigte Verteidigung, S. 12. Vgl. auch HAUSEN, Gedächtnißrede, S. 12.
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spiel von uneigennützigem Fleiß, Treue und Thätigkeit“ abgegeben, habe üblicherweise „täglich sechs Vorlesungen“ und immerhin noch drei in seinen letzten Lebensmonaten ungewöhnlich „genau“ und „punctuel“ gehalten und weder zugunsten einträglicherer Geschäfte noch wegen gesellschaftlicher Ereignisse oder eigener Kränklichkeit Unterrichtsstunden ausfallen lassen.168 Er begriff auch seine Schüler als ernstzunehmende (zukünftige) Mitdenker und Mitarbeiter bei der vernunftgeleiteten Wahrheitssuche und trat ihnen mit entsprechendem Respekt und ehrlichem Interesse gegenüber. In einzelnen Fällen freilich erwies sich dies als verlorene Mühe, wie beispielsweise Darjes’ Klage über das feindselige öffentliche Auftreten seines ehemaligen Studenten Johan Ernst Gunnerus (1718–1773) zeigt: „Es ist dieses ein Mann, der weder Gott noch Menschen getreu ist. Ich bin sein wahrhaftiger Wohlthäter. Und nun bekomme ich den Dank.“169 Der norwegische Theologe und Naturkundler hatte Darjes’ Vermutungen nach im Auftrag Dritter gegen ihn geschrieben und dabei die Regeln des Anstands verletzt. Wie der Professor auf derartige Angriffe gelehrter Gegner reagierte, wie er bei solchen Gelegenheiten zudem seine Schüler mit dem Reglement solcher Kontroversen vertraut zu machen pflegte, dies verdient eine nähere Betrachtung, welche sich an die nun folgenden Themen – die von Darjes präferierte Lehrart und die Verwendung der Muttersprache im Unterricht – anschließen wird. 2.2.4. Die „demonstrative Lehrart“ und die Muttersprache als Medium universitären Lehrens Wie verschiedentlich angedeutet wurde, scheint Darjes’ akademischer Unterricht für seine Zuhörer sehr einprägsam gewesen zu sein. Aus den Äußerungen einiger Studenten wird deutlich, dass dieser die Aufmerksamkeit seiner Studenten durch einen unterhaltsamen, kurzweiligen Vortrag zu wecken und zu erhalten suchte. Friedrich Gottlieb Klopstock (1724–1803) beispielsweise berichtete einem Schulfreund nach seinem Studienantritt in Jena 1745 begeistert von der „abstracte[n] Lebhaftigkeit“ des Professors.170 Einige Jahre zuvor hatte am selben Ort Johann Christian Müller (1720–1772) Darjesische Vorlesungen besucht und später als Stralsunder Pfarrer in seinen Lebenserinnerungen vermerkt, derselbe habe im Unterricht „zuweilen ein lustiges Histörchen“ angebracht, auch
168 HAUSEN, Gedächtnißrede, S. 6, 11. Die besondere Betonung dieses Umstands mutet nach heutigen Gewohnheiten seltsam an, doch war es in der Frühen Neuzeit durchaus üblich, dass Professoren ihre Lehrveranstaltungen zugunsten lukrativerer Nebentätigkeiten ausfallen oder von zweitklassigen Kräften vertreten ließen, vgl. VANDERMEERSCH, Universitätslehrer, S. 201 f. 169 Darjes an Haller, 22. August 1749. BB Bern, Nachlass Albrecht von Haller, Briefe. 170 GRONEMEYER, Klopstock, S. 2.
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wenn ihn in Müllers Augen dieser „Spaß […] nur gezwungen kleidete“.171 Einer von Gerhard Anton von Halem stammenden Anekdote zufolge allerdings versetzte Darjes durch seinen freundlich spöttelnden Witz die um 1770 in Frankfurt an der Oder Studierenden regelmäßig in „eine schnell sich mittheilende unruhige Bewegung“.172 Und auch Wilhelm von Humboldt, in dessen aus einer einzigen Begegnung gewonnenen Wahrnehmung der bereits greise Professor schlicht „ein alter Mann“ war, „der gern spricht, und am liebsten von sich“, fügte diesem Urteil hinzu: „Sein Vortrag aber soll nicht schlecht sein.“173 Wertet eine angenehme Lebendigkeit des Dozenten sicherlich jede Lehrstunde auf, so sind es doch vor allem dessen methodisch-didaktische Fähigkeiten, welche tiefgründiges und nachhaltiges Lernen begünstigen. Dass Darjes in dieser Hinsicht ebenfalls besonderes Geschick bewies, legen schon seine Hörerzahlen nahe. Methodisch hatte sich der Gelehrte als Anhänger Christian Wolffs (1679–1754) – und damit in der Tradition René Descartes’ (1596–1650) und Erhard Weigels (1625–1699) – ganz der sogenannten demonstrativen oder demonstrativischen Lehrart verschrieben. Das von den neueren Philosophen aus den mathematischen Wissenschaften übernommene wissenschaftliche Verfahren des sogenannten Demonstrierens, also des induktiven Entwickelns einer Lehre durch logisches Schließen und Beweisen, führte Anfang des 18. Jahrhunderts zur Verbreitung neuer Lehrformen in der Philosophie, welche viele der konservativen altgedienten Lehrkräfte vehement bekämpften. Zu einer klaren Positionierung gezwungen, begaben sich gerade junge Gelehrte wie Darjes mehrheitlich in Opposition und widmeten sich der tieferen Untersuchung und Weiterentwicklung dieser als „mathematische“, „demonstrativische“ oder „philosophische Lehrart“ bezeichneten174 Methode. Nach Meinung Darjes’, der einerseits selbst immer auf der Suche nach der endgültigen objektiven Wahrheit 171 172 173 174
MÜLLER, Lebens Vorfälle, S. 60. HALEM, Selbstbiographie, S. 29. LEITZMANN, Tagebuch Humboldt, S. 105. Der Argumentation Carl Günter Ludovicis folgend, wurde in Zedlers Universal-Lexicon darauf hingewiesen, dass die „philosophische“ und die „mathematische“ Methode beides „demonstrativische“ Lehrarten seien, wobei sich erstere jedoch „in Erweisung der Sätze“ auf den „Satz des zureichenden Grundes“, die zweite auf den „Satz des Widerspruches“ gründe. Da sich jede Wissenschaft jedoch mit beidem auseinanderzusetzen habe, könne allgemein von einer „demonstrativischen Lehrart“ gesprochen werden. „Sie hat noch viele andere Namen“, heißt es dort, „denn, weil einen solchen Vortrag die Vernunfft selbst an die Hand giebet, heisset sie Methodus rationis; weil die VernunfftLehre solche Methode nicht nur fordert, sondern auch derselben Regeln an die Hand giebet, wird sie Methodus logica geheissen; weil nach derselben alles systematisch, das ist, in seinem Zusammenhange vorgetragen wird, hat sie den Namen des Methodi systematica; und weil sie eine Ueberzeugung erwecket, nennet man sie Methodum apodicticam“. ZEDLER, Universal-Lexicon, Bd. 20, Sp. 1294 f. Vgl. ebd. auch Art. „Mathematische Lehrart“, Bd. 19, Sp. 2053 ff.; „Zureichenden Grundes (Lehrart oder Methode)“, Bd. 64, Sp. 394 f.
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war und andererseits als Hochschullehrer das Ziel verfolgte, seine Hörerschaft zum eigenständigen Untersuchen und Beurteilen vorgetragener Theorien zu befähigen, kam sie diesen seinen Absichten am meisten entgegen. Er nutzte daher auch in seinen Schriften die Möglichkeit, die Vorteile dieser Lehrart zu diskutieren und weiter bekannt zu machen – gleich dem ersten Lehrbuch des jungen Magisters, der 1737 erschienenen Vernunft-Kunst, war ein entsprechendes Kapitel vorangestellt, in welchem er die „Philosophische Lehr-Art“ zu definieren versuchte.175 Demzufolge müsse bei dieser Vorgehensweise der Vortrag von Lehrsätzen methodisch stringent sein und auf einem stimmigen System beruhen, das heißt, ausgehend von wenigen, als unanfechtbar geltenden Wahrheiten seien alle Sätze streng logisch und aufeinander aufbauend herzuleiten, sodass eine völlige Gewissheit der Erkenntnisse angenommen werden könne. Damit erfüllte diese Lehrart moderne Maßstäbe bezüglich strenger Wissenschaftlichkeit, worin Darjes ihren besonderen Vorteil und Nutzen sah, wie er in besagtem Kapitel hervorhob: Denn weil wir dadurch zur Wissenschaft und gründlichen Erkäntniß gelangen […], so folget daraus unmittelbar daß wir durch diese Lehr-Art geschickt werden, daß Wahre von dem Falschen zu unterscheiden, uns vor Irrthümer[n] zu bewahren, und eine Gewißheit in unsrer Erkäntniß zu bekommen.176
Dem gegenüber stand als eine übliche Unterweisungsmethode die dogmatische, bei der, wie Zedlers Universal-Lexicon es formulierte, „die Lehren zwar in kurtze Sprüche verfasset; aber gleichsam zufälliger weise durch einander gesetzet werden“.177 Die Inhalte konnten hierbei nicht im Gespräch entwickelt und entfaltet werden, sondern wurden den Studenten zur wortwörtlichen Mitschrift diktiert, wobei der Dozent, wie Darjes spöttisch schrieb, „einen Discours, […] ein Collegium, auch wohl Heffte […] alle halbe Jahre von dem LehrStule so lange ablieset“, bis er „es endlich durch die Länge der Zeit […] aus dem Gedächtnisse, auch wohl ohne Gedanken hersagen“ könne.178 Die dogmatische Lehrart lehnte Darjes entschieden ab,179 da die ihr eignende rein gedächtnisbasierte Vermittlung von Wissen nicht nur die Verstandesbildung völlig vernachlässigte, sondern überdies richtige wie auch falsche Lehrsätze ungeprüft über Generationen hinweg konservierte. Gerade darin bestand für Darjes eine inakzeptable Schwäche der überkommenen akademischen Lehrpraxis. Ein Dozent nämlich, der sich in seinem Unterricht für diese Form der wortwörtlich genommenen Vorlesungen 175 176 177 178
Vgl. DARJES, Vernunft-Kunst, Vorrede. Ebd. ZEDLER, Universal-Lexicon, Bd. 20, Sp. 1296. DARJES, Discours, Vorrede. Tatsächlich wurde bei einer Vorlesung ein Lehrbuch passagenweise vorgelesen oder zur Mitschrift diktiert und im besten Fall vom Dozenten zusätzlich kommentiert, vgl. z.B. MÜLLER, Studentenkultur, S. 269. 179 Vgl. Ders., Bielefelds Staatsklugheit, S. 23 f.; Ders., Discours, Vorrede; Ders., Vernunft-Kunst, Vorrede.
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entschieden habe, entziehe sich der Verantwortung, seine einmal festgehaltenen, womöglich fehlerhaften Lehren wiederholt neu zu überdenken; auf diese Weise lehre ein jeder, „was andere schon vor ihm gelehret, und was diese wiederum von ihren Vorfahren empfangen [haben], […] wie man von den Schafen saget, daß sie dem Widder ins Wasser nachspringen“.180 Die Studenten selbst verblieben bei dieser monologhaften Lehrart in einer gänzlich passiven Rolle, ja, da für sie zudem ein systematischer Zusammenhang der Inhalte gar nicht erst ersichtlich werde, seien sie ganz auf das Kopieren und Auswendiglernen angewiesen, welches zur Ausbildung der eigenen Denkfähigkeit nichts beitragen könne. Viele junge Gelehrte könnten später dann „nichts entscheiden […], als was sie in terminis terminantibus in ihren Büchern finden“, und wüssten sich in abweichenden Fällen „weder zu helffen noch zu rathen, weil sie sich im Nachdencken niemahls geübet“ hätten.181 Dass diese Art des Studierens einen wissbegierigen jungen Menschen von wachem Verstand keinesfalls zufriedenstellen konnte, hatte Darjes in seiner Schul- und Studienzeit selbst erfahren: „Mir war es verdrüßlich, einzusehen, daß etwas wahr sey, ohne zu wissen, wie man auf diese Wahrheit verfallen“ war, schrieb er in seiner Autobiographie.182 Als Dozent wollte er sich daher „in den ersten Jahren […] alle mögliche Mühe“ geben, sich selbst „durch das Lehren zum Lehren geschickt zu machen“, und gab daher seinen „Zuhöreren die Erlaubniß, [ihm] alle mögliche[n] Zweifel zu machen“: „Ich glaubte, daß die Untersuchung von der Quelle dieser Zweifel der beste Weg sey, einzusehen, wo man im Lehren gefehlet“ hatte.183 Aus dem gleichen Grund sollten seine Schriften für den akademischen Unterricht nicht mehr als einen „zusammenhangenden GrundRiß“ der jeweiligen Wissenschaften liefern, auf welcher Grundlage er seine „Vorlesungen aus beständiger Meditation“ zu halten beabsichtigte, um auf diesem Weg „immer mehr und mehr zur gewissen Erkenntniß der Wahrheit“ zu gelangen.184 „Der aufmerksame Zuhörer denket in der Ordnung nach“, erläuterte Darjes den beiderseitigen Vorteil, „er übet sich hiedurch unvermerkt in dem regelmäßigen Denken, und hiedurch fühlet er es, daß es Ihm leichter wird, Wahrheiten zu untersuchen und zu beurtheilen, als es Ihm zuvor gewesen ist“.185 Überzeugt von den Vorteilen des Demonstrierens, suchte er es in seinen ersten Veröffentlichungen zur Perfektion zu treiben und so schon die Anfänger der Philosophie mit „eine[r] vollkommene[n] Mathematische[n] Lehr-Art“ vertraut zu machen.186 Bald musste er aber erkennen, dass sich diese besonders für erfahrene Wissenschaftler, weniger jedoch für Anfänger eignete, denen es „zu schwer werden [mochte], eine ganze Wissenschaft, die 180 181 182 183 184 185 186
DARJES, Vernunft-Kunst, Vorrede. Ebd. DARJES, Bielefelds Staatsklugheit, S. 23. Ebd., Vorrede S. 23 f. Ders., Discours, Vorrede. Ebd. Ders., Vernunft-Kunst, Vorrede.
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ihnen noch unbekannt ist, in der strengsten Lehrart durch zu arbeiten“.187 Obgleich diese in seinen Augen „allemal ihren Vorzug [behielt], und unstreitig wirksamer [war]“ als andere, versuchte er sie um die jeweiligen Vorteile anderer, im Ganzen mangelhafter Lehrarten zu erweitern, indem er beispielsweise Induktion zuließ.188 Aus einer seiner späten Veröffentlichungen wird ersichtlich, dass sich der Professor bis ins hohe Alter mit der Problematik der geeigneten Unterweisungsmethode befasste. Darin äußerte er sich zur Streitfrage, ob die „Platonische“ oder die „Aristotelische Lehrart“ vorzuziehen sei, indem er die reine Anwendung der ersteren verwarf, da sie „sehr leicht die Einbildungskraft lebendig mach[e]“, ohne die „wahren Quellen der Wahrheit eröffnen“ zu können; er riet hingegen dazu, sie mit der aristotelisch-scholastischen Unterweisungsmethode in vernünftiger Weise zu verbinden, denn so werde „die Einbildungskraft den Verstand nicht tödten, sondern der Verstand […] das Ruder der Einbildungskraft“ bilden.189 An seiner unkonventionellen Lehrart schieden sich die Geister, wie aus den Rezensionen seiner Lehrbücher ersichtlich ist. Die Göttingischen Zeitungen etwa betonten wiederholt die Vorteile der von Darjes gewählten Methode.190 Im Jahr 1748 beispielsweise lobten sie an der dritten Auflage seiner Institutiones, das Kompendium sei nicht nur „ungemein deutlich und ordentlich“, dabei aber „sehr kurz gefasset“, sondern der Leser werde zudem „vielfältig“ darauf hingewiesen, „welchergestalt viele andere, mehr bestimmte Lehrsätze, aus den vorgetragenen ersten Gründen hergeleitet werden“ könnten, womit sich die besondere „Fruchtbarkeit seiner Schreibart“ erklären lasse.191 Anderen Kritikern waren dagegen die vorkommenden Schlüsse zu ausführlich und die Beweise nicht scharf genug abgefasst oder „zuweilen […] gezwungen und unzulänglich“, ein weiterer hätte bei „den Begriffen und Eintheilungen […] gerne gesehen, daß der H[err] V[erfasser] etwas natürlicher und sparsamer gewesen wäre“. 192 Dies alles jedoch waren Kritikpunkte, die auch als hinzunehmende Eigenheiten des Gelehrten und seiner Methode gelten konnten. So legte Darjes seinem ehemaligen Jenaer Schüler Ludwig Martin Träger (1742–1772) zufolge zwar eine besondere Liebe zur Terminologie an den Tag und „regiert[e]“ dabei seinen auffallenden „Scharfsinn“ durchaus „nach einer eigenen Logik“, war aber trotzdem stets darauf bedacht, seine Lehrsätze „auf Erfahrung zu gründen“ und sie „durch allgemeinen Menschenverstand zu bevestigen“; das scheine „man nicht allemahl
187 188 189 190 191 192
DARJES, Seine Gedanken, S. 23 f. Ebd. Ebd., S. 5 f. Vgl. u.a. GZ 1744, 72. St., S. 623; 1749, 68. St., S. 541 f. GZ 1748, 135. St., S. 1078. FN 1755, 9. St., S. 28; FUN 1747, 40. St., S. 316 f.; AB 1766, 3. Bd., 1. St., S. 131 (1. Zitat); Critische Nachrichten aus dem Reiche der Gelehrsamkeit (im Folgenden: CN) 1750, N. 2, S. 16 (2. Zitat).
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zu bemerken, wenn man ihm die willkührliche Bildung seiner Begriffe“ vorwerfe.193 Trotz massiver Gegenwehr versuchte Darjes als einer von wenigen Gelehrten, die demonstrative Lehrart von der Mathematik und Philosophie auch auf andere Wissenschaften zu übertragen und diese so zu erneuern. Dieser progressive Umgang des jungen Dozenten mit einer ohnehin neumodischen Vortragsweise schien offenbar zu verwirren: Ludovici kreidete Darjes in seiner Rezension der Vernunft-Kunst 1737 deren „mathematisches Kleidgen“ an und warnte den Verfasser davor, sich „lächerlich“ zu machen, da diese Lehrart „ausser den mathematischen Wissenschafften […] noch nicht gebräuchlich“ war.194 Ebenso schwer taten sich einige Rezensenten gegenüber Darjes’ Versuch, die demonstrative Methode in der Jurisprudenz anzuwenden: „Der Leser“, so urteilten beispielweise im Jahr 1750 die Critischen Nachrichten über die Darjesischen Institutiones jurisprudentiae privatae Romano Germanicae, werde „in dem System des H[er]rn V[erfassers] sehr oft verwirret werden“, denn das „Vorurtheil wieder eine philosophische Lehrart in den Rechten“ sei „noch allzustark“.195 Auch die Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts betriebene Herausgabe von überarbeiteten Auszügen oder Neuauflagen juristischer Schriften aus Darjes’ Werk wurde übrigens zum Teil mit seiner „lästigen und zweckwidrigen“ – zumindest aber aus der Mode gekommenen – Methode begründet.196 Mit Sicherheit vermochte derselbe diese strenge Art des Vortrags bei ihrer Einführung in andere Wissenschaften nicht gleich angemessen zu modifizieren – wie er seinen Lesern dann in einer Veröffentlichung von 1748 erklärte, sei in der Tat „nicht eine jede Lehr-Art einer Wissenschafft zuträglich“; man müsse zunächst „die Beschaffenheit der Sache, welche soll vorgetragen werden, untersuchen“ um festzustellen, „welche Fähigkeit der Seele besonders anzuwenden“ seien, wonach sich schließlich die Lehrart zu richten habe.197 Ebenso schwer schien jedoch zu wiegen, dass auch das Publikum erst lernen musste, aktiv mit der ungewohnten Lehrweise umzugehen. Simon Gabriel Suckow, den Leipziger Neuen Zeitungen nach „ein wohlgerathener Schüler des Herrn D[oktor] Daries“,198 veröffentlichte 1743 auf die gegen Darjes’ Metaphysiklehrbuch gerichtete Schmähschrift eines Studienfreundes ein zurechtweisendes Antwortschreiben,199 in welchem er die mit der Methode seines Lehrers einhergehenden Herausforderungen an den Leser wie folgt beschrieb:
193 194 195 196 197 198 199
TRÄGER, Metaphysik, S. 21 f. LUDOVICI, Ausführlicher Entwurf 2, S. 340. CN 1750, N. 2, S. 16. AB 1779, 38. Bd., 1. St., S. 115. DARJES, Vom Reformiren, S. 27. NZ 1744, Nr. 14, S. 126. Vgl. SUCKOW, Schreiben an Mayohl. Die Leipziger Neuen Zeitungen rezensierten die Schrift, vgl. NZ 1744, Nr. 14, S. 125 f.
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Der Herr Doctor [Darjes] ist gewohnt, also zu denken, daß Er beständig das genus zuerst ansetzet, hernach selbiges mehr und mehr determiniret, und auf diese Weise die Species heraus bringet. […]. Die Demonstration von der Möglichkeit oder Unmöglichkeit des gefundenen kommt oft lange hernach.200
Zwar räumte Suckow ein, dass „wenn man auf solche Art [wie Darjes] das genus determiniret, […] oft seltsame Sachen zum Vorschein kommen“, doch habe eben auch der akademisch gebildete Leser Verantwortung für den Verstehensprozess zu übernehmen. Er müsse zumindest „warten, und zusehen, ob im folgenden der Mangel nicht ersetzet“ werde, ja, überhaupt habe ein „Schriftsteller, der nach der mathematischen Lehrart schreibet, […] das Recht, von seinem Leser zu verlangen, daß er nicht eher urtheile, als bis er das ganze Buch bedächtlich und ohne Vorurtheile durchgelesen“ habe.201 Dass die von Darjes verwendete Methode im Lebensrückblick ehemaliger Studenten zum Teil als die für die Verstandesentwicklung einzig nützliche angesehen wurde, ist beispielhaft bei Adam Friedrich Ernst Jacobi (1733–1807) nachzulesen: Seinen Angaben nach hörte er als Student bei Darjes in Jena „auf das fleißigste die ganze Philosophie durch“, und verglichen mit „dem gemeinen Schlendrian“ in der Theologie, wo ihm „kein selbstdenkender Mann […] den richtigen Weg, zu einer wahren Gottesgelahrheit zu kommen, zeigte“, sei er dabei „am mehresten aufgeklärt“ worden.202 Für seine akademischen Schriften bevorzugte Darjes weitestgehend das Deutsche, mit dem er vergleichsweise geschickt umzugehen verstand. Er war sich der immensen Bedeutung bewusst, welche einem richtigen und differenzierten Gebrauch der (Mutter-)Sprache für die Entwicklung von Verstand und Vernunft zukommt. Von Beginn an war er in seinen Veröffentlichungen um einen weitestgehenden Verzicht auf das Lateinische bemüht: In seiner Vernunft-Kunst übersetzte er „alles was nur Namen haben mag, ins teutsche“, so merkte ein Rezensent an, „auch die sonst lateinisch gebräuchliche[n] Kunstwörter, z.E. haecceitatem nennet er die Di[e]sheit u.s.f.“.203 Die Sprache in seinen Lehrbüchern war klar, konkret und bilderreich, und trug damit zu deren guter Verständlichkeit wesentlich bei. Mehrfach fand er beispielsweise zu dem von ihm bekämpften „Denken mit eines anderen Verstand“ eingängige Analogien aus dem körperlichen Bereich, die in ihrer Einfachheit die Absurdität dieses Trugschlusses sogleich sichtbar machen konnten – niemand sei „so einfältig“ sich einzubilden, er könne „mit eines andern Menschen Füsse[n] gehen“, „mit eines andern Menschen Ohren hören“, „mit dessen Augen sehen“ oder gar „mit eines andern Munde diejenigen Speisen zu sich nehmen […], welche er selbst zu seinem Unterhalt nöthig“ habe.204 Speziell den Moralphilosophen legte der Schriftsteller 200 201 202 203 204
SUCKOW, Schreiben an Mayohl, S. 46 f. Ebd. JACOBI, Lebensgeschichte, S. 230. HB 1736, No. 103, S. 932 f. DARJES, Vernunft-Kunst, Vorrede; Ders., Vom Reformiren, S. 34.
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Christian Nikolaus Naumann (1720–1797) nahe, sie sollten, wenn sie mit ihrem Unterricht etwas bewirken wollten, auf eine ebenso „lebhafte und rührende Art“ und „so angenehm und so gründlich, wie Darjes in seiner Sitten-Lehre, schreiben“.205 Und der Journalist Friedrich Just Riedel äußerte sein Bedauern darüber, dass sein ehemaliger Lehrer nicht „alle seine Lehrbücher in der deutschen Sprache geschrieben“ habe, denn er habe „den didaktischen Ton so in seiner Gewalt […], daß er zugleich tiefsinnig und deutlich schreiben“ könne.206 Die nach diesen Kompendien konzipierten Lehrveranstaltungen wurden mit Sicherheit ebenfalls in deutscher Sprache abgehalten, wie dies ja auch die veröffentlichten studentischen Mitschriften nahelegen. Zwar waren deutsche Lehrveranstaltungen zu dieser Zeit kaum noch geeignet, einen Skandal auszulösen, doch gehörten sie keineswegs überall schon zu den beschwerdelos hingenommenen Alltäglichkeiten im Universitätsbetrieb, wie beispielsweise aus einem empörten Kommentar des Leipziger orthodoxen Theologen Heinrich Klausing (1675–1745) über einige der dort im Jahr 1736 lehrenden Magister deutlich wird: Diese trügen demnach „entweder Wolffii oder Rüdigerii Philosophiam mit einer so freyen und frechen Art vor, und zwar alles teutsch, daß sie dabey der studirenden Jugend sehr schade[te]n“.207 Eine gewisse Motivation für deutschsprachige Vorlesungen zog Darjes sicherlich aus seinen ohnehin höchstens mittelmäßigen Fähigkeiten im Lateinischen. Wiederholt wurde dieses Defizit von anderen Gelehrten thematisiert: Schon sein lateinisches Schreiben, mit welchem er im Januar 1735 beim Dekanat der Jenaer Philosophischen Fakultät um die Erteilung des Magistergrades anhielt, war nach Meinung des damaligen Professors für Moral, Johann Jakob Lehmann, „sehr schlegt“;208 auch seine wenige Jahre darauf folgende Bewerbung um eine Adjunktur begleitete Professor Friedrich Andreas Hallbauer (1692–1750), welcher auch Direktor der Lateinischen Gesellschaft war, mit der Ermahnung, er solle „in der lateinischen Sprache sich einen bessern habitum acquiriren“.209 Ebenso fand ein Rezensent 1755 bezüglich der „lateinische[n] Schreibart des Herrn Verfassers“ „sehr viel […] zu erinnern“,210 und der Schriftsteller Heinrich Wilhelm von Gerstenberg (1737–1823) kam in einem seiner 1766 veröffentlichten Briefe über Merkwürdigkeiten der Litteratur gleichfalls nicht
205 206 207 208 209 210
NAUMANN, Erfahrungsurtheile, S. 70. RIEDEL, Philosophische Bibliothek, S. 153. So zitiert bei GOLDENBAUM, Wertheimer Bibel, S. 213. UAJ, M 88, 123II. UAJ, M 96, 4II. FN 1755, 9. St., S. 28. Der Philosophische Bücher-Saal hingegen zeigte sich angesichts des kunstlosen und dabei nicht von Fehlern freien Darjesischen Lateins gelassen, als er über dessen Logik urteilte, man sehe gleich, „daß der Herr Verfasser eben kein großer Lateiner zu seyn bemühet gewesen“ sei, und auch zu den Institutiones bemerkte, sie seien „zwar eben in keiner schönen dennoch aber verständlichen Lateinischen Schreib-Art vorgetragen“. PBS 1743, 6. T., S. 529; 7. T., S. 248.
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umhin, das „alberne Latein des Hrn. Daries in Frankfurt“ zu erwähnen.211 Der anhaltend geäußerten Kritik an seinem Latein begegnete der Professor, als er schon seit mehr als 30 Jahren mit bestem Erfolg lehrte, in der Vorrede zur zweiten Auflage seiner Cameral-Wissenschaften: Er habe in diesem Punkt selbst niemals etwas anderes behauptet als seine Kritiker, und ermahne auch eifrig seine Studenten, im Lateinischen keinesfalls so nachlässig zu sein, wie er es gewesen war. Allerdings, so bewiesen es „Thomasius, Wolf[f] und viele andere“, müsse ein guter Denker „doch auch im schlechten Latein den Wissenschaften nützlich seyn können“.212 Er selbst, dessen war Darjes sich bewusst, gab eines der besten Beispiele dafür ab, dass der wissenschaftliche Dialog sich ebenso fruchtbar in der Muttersprache führen ließ: Als Mitglied der Teutschen Gesellschaft in Jena stellte er in den 1750er Jahren verschiedene seiner Forschungsgegenstände in der sogenannten Klasse der höheren Wissenschaften per gelehrtem Vortrag zur Diskussion. 2.2.5. Der vernünftige gelehrte Streit Als erfolgreicher, angesehener Wissenschaftler und Hochschullehrer war Darjes auch immer wieder mit der Missgunst einiger Kollegen konfrontiert. In einzelnen gelehrten Zeitungen oder als eigenständige Drucke tauchten Texte auf, in welchen er ganz offensichtlich angegriffen, beleidigt und lächerlich gemacht werden sollte. Solche Flegeleien gegenüber achtbaren Gelehrten wurden von den übrigen Journalen nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern zum Teil auch kommentiert und in ihrem weiteren Verlauf verfolgt. Die Jenaischen gelehrten Zeitungen beispielsweise berichteten 1750 von einem „L[eipziger] Recensenten, welcher zu verschiednen malen auf eine nicht sehr vernünftige Art die Schriften des H[er]rn Hofraths beurtheilet“ habe.213 Zwei Jahre zuvor hatten die Freymüthigen Nachrichten ihre Leser informiert, dass von Darjes eine schriftliche Verteidigung „wider einen aufgehetzten ungenennten Verfasser“, der ihn „partheyisch und aufs ungründlichste angegriffen“ habe, herausgekommen sei, „worinnen er dessen Blösse gezeiget“ habe.214 Viele der zahlreichen wissenschaftlichen Dispute, in welche Darjes verwickelt war, sind heute noch nachvollziehbar, weil sie auf diese Weise schriftlich und öffentlich geführt und dokumentiert wurden.215 Dass 211 212 213 214 215
GERSTENBERG, Briefe, S. 200 f. DARJES, Cameral-Wissenschaften, Vorrede zur andern Auflage, S. IV f. JZ 1750, 37. St., S. 294. FN 1748, 9. St., S. 67. Ein Beispiel dafür ist der Streit, den Darjes und Gunnerus im Jahr 1749 offenbar über ihre Schüler Dietrich Carl Martini und Friedrich Christian de La Roche Gallichon miteinander führten, und der u.a. in Göttingen und Jena mittels zusammengefasster Rezensionen aller zugehöriger Schriften bekannt gemacht und kommentiert wurde, vgl. GZ 1749, 94. St., S. 752; JZ 1749, 55. St., S. 437 f.; JZ 1750, 37. St., Beylage.
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sich die Zeitungsschreiber an den Reaktionen und Gegenreaktionen der beteiligten Parteien interessiert zeigten, sowie häufig deren Form und Inhalt diskutierten, lässt eine gewisse Vermittlerfunktion der gelehrten Blätter für die noch im Entstehen begriffene gelehrte Streitkultur erkennen. Darjes selbst schätzte, darauf wies er in seinen Veröffentlichungen mehr als einmal hin, den vernünftig betriebenen gelehrten Disput als einen Motor zur Weiterentwicklung von Wissenschaft. Wertete er in seiner Jugend abweichende Ansichten noch als Feindseligkeiten,216 so hielt er eine solche Einstellung bald darauf für „eine sehr große Thorheit […], für welche [er] [s]ich auch in [s]einem Zimmer schämen müste“, und begrüßte vielmehr die darin liegende „Gelegenheit […], [s]eine Erkänntniß zu erweitern, als welche Erweiterung [er] such[t]e“.217 Einem seiner Jenaer Studenten zufolge habe der Professor tatsächlich „oft“ die „Bereitwilligkeit“ gezeigt, „vernünftige Einwürfe anzuhören und nach genauer Untersuchung derselben entweder [seine] Meinung zu ändern oder beyzubehalten“,218 was auch Hausen bestätigte, demzufolge Darjes zwar von „seiner Meinung […] nur selten wich“, jedoch „bescheidene Widersprüche mit allem Anstand eines verdienstvollen Mannes“ und „gelaßen“ anhörte, sofern die „Einkleidung und Manier mit Ihm zu sprechen“ stimmte.219 Die menschliche und somit auch seine eigene Fehlbarkeit war dem Gelehrten bewusst220 und er empfand sie offenbar nicht als etwas Beschämendes oder Degradierendes: „Der Eigensinn in einer Lehre ist der Liebe zur Wahrheit zuwider“, formulierte Darjes dies in seiner Sitten-Lehre, „und ist man in einen Irrthum verfallen; so ist einem das begegnet, was so gar denen widerfähret, welche unter den Gelehrten als Sterne der ersten Größe angesehen werden“.221 In seinen Schriften ebenso wie in seinen Vorlesungen ermunterte er seine Leser daher, eventuelle Zweifel an seinen Lehren zum beiderseitigen Vorteil bekannt zu geben.222 Solche schriftlichen Äußerungen mögen vordergründig Floskeln zur eigenen Absicherung gewesen sein, doch selbst dann konnte Darjes sie bedenkenlos abdrucken lassen, weil er ein nicht nur sehr gründlich arbeitender, sondern auch erwiesenermaßen
216 Vgl. DARJES, Bielefelds Staatsklugheit, S. 14. 217 Ders., Sitten-Lehre, Vorrede zur ersten Auflage; Ders., Antwort Rezension, S. 286. Für ähnliche Äußerungen vgl. Ders., Sitten-Lehre, Vorrede zur andern Auflage; Mathematik, Vorrede; Krumme Linien, S. 201. 218 DARJES, Anmerkungen zu Wolff, Vorrede. 219 HAUSEN, Gedächtnißrede, S. 12 f. 220 In einer öffentlichen Stellungnahme beispielsweise schrieb Darjes 1749: „Uebrigens habe ich von mir keine so hohen Begriffe, als wenn ich, ohne zu irren, Wahrheiten untersuchen könnte“, und in den Philosophischen Nebenstunden stellte er gleich in der Vorrede klar: „Ich bin ein Mensch. Ich kann irren, ich kann aber auch meinen Irrthum einsehen, wenn er mir auf eine vernünftige Art gezeiget wird“. DARJES, Antwort Rezension, S. 285; Ders., Nebenstunden 1, Vorrede. 221 DARJES, Sitten-Lehre, Vorrede zur ersten Auflage. 222 Vgl. u.a. DARJES, Vom Reformiren, S. 58; Ders., Bielefelds Staatsklugheit, S. 24.
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streitbarer Wissenschaftler war, dem sicherlich die wenigsten Gegner beizukommen vermochten. Obwohl er sich schon in seiner Studentenzeit gern in gelehrte Streitgespräche stürzte und sich während seiner Jahrzehnte als Wissenschaftler fast ununterbrochen der Gegenwehr zu stellen hatte, welche seine teils kühnen Lehren ebenso wie seine ununterbrochenen Erfolge verursachten, verloren die Dispute offensichtlich auch für den alten Darjes nicht an Reiz, denn er forderte in Frankfurt wiederholt seinen namhaften Kollegen, den Theologen und Philosophen Johann Gottlieb Töllner (1724–1774), zum Kräftemessen heraus.223 Bemerkenswert ist nun die Art und Weise, wie Darjes im Schriftlichen über die eigentliche Widerlegung des jeweiligen Angriffs hinaus seine eigene Vorgehensweise und die seiner Kontrahenten kommentierte, auf Grundregeln des gelehrten Streits aufmerksam machte und (willentliche) Verstöße dagegen anprangerte. Ganz offensichtlich verfolgte er damit das Anliegen, seine Studenten, aber auch gestandene Gelehrte, zu einer vernünftigen wissenschaftlichen Streitkultur zu erziehen. Missachteten seine Gegner den einer wissenschaftlichen Diskussion angemessenen Rahmen, so sah er sich in seiner Entgegnung, wie er selbst einmal schrieb, „genöthiget, das Amt eines Vertheidigers, mit dem Amte eines Lehrers zu verwechseln“.224 Ein offenbar aus Vorlesungsmitschriften stammender dreiseitiger Vorbericht von den vernünftigen Controversien, der den 1748 von einem seiner Hörer aufgezeichneten und herausgegebenen Anmerkungen über einige Lehrsätze der Wolfischen Metaphysic225 vorangestellt war, legt nahe, dass der Dozent die allgemeinen Regeln für einen angemessenen und förderlichen wissenschaftlichen Disput mit seinen Studenten im Rahmen seiner Lehrveranstaltungen besprach. Eine vernünftige „Polemic“ erforderte für Darjes demnach dreierlei: Erstens müsse die Widerlegung eines Lehrsatzes einzig der „Begierde die Wahrheit zu untersuchen“ entspringen. Zweitens solle eine Lehre nur dann angegriffen werden, wenn deren Falschheit erhebliche Auswirkungen in der Wissenschaft hätte. Drittens seien Zweifel und Widerlegungen ausschließlich nach den Regeln der Logik anzubringen. Ein gelehrter Streit, wenn er der Wahrheit dienen solle, müsse daher von Parteien geführt werden, die „in Ansehung des Willens tugendhaft und in Ansehung des Verstandes gescheut“ seien oder sich zumindest darum bemühten. Methodisch sei nach Ansicht des Verfassers eine „directe“ Widerlegung, bei welcher die in der Beweisführung des Gegners vorkommenden
223 Vgl. HALEM, Selbstbiographie, S. 28. 224 Vgl. DARJES, Vertheidigung wider Kölbele, S. 200. 225 Vgl. Ders., Anmerkungen zu Wolff, S. 1–3. Als Herausgeber dieser Mitschriften gab Darjes einen Studenten namens Schulmeister an, Kandidat der Theologie an, welcher Mylius zufolge im Elsass geboren war und bis 1746 in Jena studierte, vgl. DARJES, Kurze Nachricht, S. 21; MYLIUS, Zusätze auf 1745, S. 99 Anm. Laut Jenaer Matrikel kommen infrage erstens ein Johann Gottfried Schulmeister aus Lichtenau in Baden (immatrikuliert am 9. Oktober 1743), und zweitens ein Johann Schulmeister aus Buchsweiler im Elsass (immatrikuliert am 10. Oktober 1744), vgl. Matrikel Jena.
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Fehler aufgespürt und offengelegt werden, einer „indirecten“, bei der die Falschheit des Lehrsatzes durch Beweis des Gegenteils nachgewiesen wird, stets vorzuziehen – durch den kompletten Nachvollzug der Beweisführung mit ihren eventuellen Irrwegen sei nämlich nicht nur mehr zu lernen, sondern es bestünde auch deutlich weniger Gefahr von Fehlinterpretation oder falschem Verständnis von Lehren als bei der reinen Betrachtung des Ergebnisses. Zur gelehrten Kommunikation nämlich gehörte für Darjes ganz unbedingt der ehrliche Wille, den anderen zu verstehen. Wie dieser kleine Kursus im konkreten Fall umgesetzt werden konnte, führte er in seinen Schriften vor – seine Verteidigungen gegen Kritiker waren stets zugleich wohlkomponierte Lehrstücke. Beispielhaft sollen hier seine Antworten auf drei Widerlegungsversuche näher betrachtet werden. Die erste erging an Johann Balthasar Kölbele (1726–1778), einen Juristen und Theologen in Frankfurt am Main, und wurde 1750 in der dritten Sammlung der Philosophischen Nebenstunden veröffentlicht.226 Die zweite von 1752 findet sich in der vierten Sammlung des gleichen Werks und war an den Rektor und Professor am Gymnasium in Stargard, Johann Achatius Felix Bielke (1716–1802), gerichtet.227 Die dritte schließlich erschien in der 1755 neu aufgelegten Sitten-Lehre: Darjes setzte sich darin mit der Kritik des Theologen und Historikers Johann Martin Chladenius (1710–1759) in Erlangen auseinander.228 Neben einer Zusammenfassung der diskutierten Problematiken enthalten die in einem höflich-sachlichen Tonfall abgefassten Texte jeweils auch genaue Verweise auf die strittigen Punkte der gegnerischen Schriften, welche zudem umfangreich zitiert werden. Die Verteidigung erfolgt einzig mittels logischer Beweise und wird schrittweise nach den Hauptangriffspunkten unternommen. Weniger geübten Lesern erleichtern es eine gut verständliche Schreibweise sowie zahlreiche einfache Erklärungen und Beispiele, die Argumentation nachzuvollziehen und die (Denk-)Fehler des Gegners zu entdecken. Mit auffälligem rhetorischen Geschick wechselte Darjes, ganz wie er es im obigen Zitat selbst beschrieben hatte, aus der Rolle eines Verteidigers in die 226 Vgl. DARJES, Vertheidigung wider Kölbele. Darjes reagierte damit auf Kölbeles Einwände gegen seine in der ersten Sammlung der Nebenstunden abgedruckte Abhandlung über die Allgemeinheit des Satzes vom zureichenden Grund. 227 Vgl. DARJES, Fernere Erläuterung wider Bielke. Der in Jena geborene Bielke hatte sich 1744 parallel zu Darjes um die Professur für Moral und Politik in Jena beworben und später dessen Abhandlung über die göttliche Absicht bei der Erschaffung der Dinge aus der zweiten Sammlung der Nebenstunden angegriffen. „Hr Bielke in Stargard hat wider mich geschrieben, und meine philosophischen Lehr-Sätze auf eine wohl hämische Art verkehret“, kommentierte Darjes dies in einem Brief und setzte ironisch hinzu: „Es scheinet, er habe hirzu einen Beruff gehabt, und als wenn denen gebohrne[n] Jenensern eine besondere Höflichkeit im controvertiren angebohren sey“. Darjes an Haller, 28. Mai 1751. BB Bern, Nachlass Albrecht von Haller, Briefe. 228 Darjes nahm Chladenius’ Prüfung einer neuen Definition von der Tugend, welche in der 48. und 51. Nummer der Erlangischen gelehrten Anzeigen auf das Jahr 1752 erschienen war, vollständig in seine neue Vorrede auf. Vgl. DARJES, Sitten-Lehre, Vorrede zur andern Auflage.
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eines Lehrers, indem er beispielsweise die gegnerische Schrift nicht bloß inhaltlich beantwortete, sondern seine Leser dabei auch auf seine Vorgehensweise aufmerksam machte, sie erläuterte und ebenso die des Kontrahenten kommentierte. Insbesondere bei der Antwort auf Kölbeles Widerlegung wird das Publikum sprachlich mit einbezogen, als handelte es sich um eine Lehrveranstaltung: „Laßt uns sehen“, so formulierte Darjes darin beispielsweise, „was mein Herr Gegner wider diese meine Gedanken zu erinnern hat“, oder: „Es erhellet hieraus, daß in dem Schlusse, den mein Hr. Gegner gebildet hat, gewiß ein Fehler stecket. Wir müssen diesen hervorsuchen.“229 Sobald die zu untersuchenden gelehrten Angriffe gegen die obigen Bedingungen „vernünftiger Controversien“ verstießen, vergaß er nicht, seine Leser darauf hinzuweisen und angemessene Alternativen anzusprechen. Zunächst erklärte der Professor in den betrachteten drei Fällen, dass und weshalb er seine jeweiligen Kritiker überhaupt einer Antwort für würdig befunden habe: Kölbele nämlich habe „deutlich gezeiget, daß er im Stande sey, eine Sache mit eignem Verstande durchzudenken, und ohne Vorurtheile zu streiten“, was Darjes „an[treibe], diese Schrift zu beantworten“, und auch Chladenius gehöre zur „Classe [s]einer Herren Gegner […], die das Recht haben von [ihm] eine Beantwortung der [ihm] gemachten Einwürfe zu fordern“, da dieselben „mit Verstande und mit Höflichkeit […] vorgetragen“ wurden.230 Wer hingegen „andre Einwürfe“ hervorbrächte, „als die mit Verstande sind ersonnen worden“, der müsse vordergründig auf die Beleidigung seines Kontrahenten aus sein und „verdiene den Namen eines Philosophen nicht“231 – folglich erklärte ihn Darjes auch jeglicher öffentlicher Antwort für unwürdig.232 Eine Zeitverschwendung schien ihm die Reaktion auf eine Streitschrift auch dann zu sein, wenn diese grob gegen die Maßstäbe der Wissenschaftlichkeit verstieß, also etwa nicht ausreichend kurz, sachlich oder logisch formuliert war.233 Einzig, wenn beispielsweise das beachtliche Ansehen des Gegners eine schriftliche Ehrenrettung erforderlich machte, beschränkte sich die Reaktion des Gelehrten gegenüber Schmähschriften nicht auf mitleidige Herablassung oder gänzliche Nichtbeachtung.234 Dies traf auf Bielkes Angriff zu: Da dieser aus Darjes’ Lehre „mit 229 230 231 232
DARJES, Vertheidigung wider Kölbele, S. 163 f., 158. Ebd., S. 132 f.; Ders., Sitten-Lehre, Vorrede zur andern Auflage. Ders., Vertheidigung wider Kölbele, S. 216. So zum Beispiel in seiner Reaktion auf die Rezension seiner Mathematik: „Ich will mich ietzo wider den Verfasser nicht vertheidigen; denn ein Mann, der die Stärke seines Verstandes und Willens auf eine solche Art an den Tag leget, der hat das Recht, mit mir zu Disputiren, gänzlich verlohren“. DARJES, Antwort Rezension, S. 281. Vgl. außerdem dessen Vernunft-Kunst, Vorrede; Sitten-Lehre, Vorrede zur ersten Auflage; Nebenstunden 1, Vorrede. 233 Vgl. DARJES, Abgenöthigte Vertheidigung, S. 27 f. 234 So versicherte Darjes in seiner Antwort an Johann Jakob Moser (1701–1785), dass er, wenn „der Herr Moser nicht ein so berühmter Mann“ gewesen wäre, „gerne diese seine Schrifft mit Mitleiden an[ge]sehen“ hätte; in der ihm notwendig erscheinenden Antwort allerdings wolle er nicht „dem berühmten Hr. Geheimen-Rath Moser“, sondern nur
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Gewalt Folgen gezogen [habe], die der Religion sehr nachtheilig“ seien, und sich bereits Dritte zum Schaden des Jenaer Professors darauf beriefen, habe er sich schließlich doch verteidigen müssen.235 Gelegentlich überließ er derartige Entgegnungen aber auch anderen, denn es war durchaus üblich, dass die Schüler und Anhänger eines Gelehrten gegen dessen Kontrahenten zur Feder griffen und sich dabei in ebenso hieb- und stichfesten wie schlagfertigen Verteidigungen übten.236 So entstand beispielsweise Riedels Satire Briontes der dritte als Antwort auf zwei 1764 erschienene Schriften, deren anonymer Verfasser Darjes’ Eignung als Sitten- und Rechtslehrer grundsätzlich bezweifelt hatte.237 Lag die Missachtung von Konventionen für den vernünftigen wissenschaftlichen Streit nicht gänzlich „in der Einfalt, oder in gewissen Neben-Absichten“238 begründet, wie es bei einigen seiner Gegner der Fall war, so erhielten sie in aller Regel eine belehrende Antwort von Darjes. Schonungslos wurden dabei die dem Gegner unterlaufenen Denk- oder Verfahrensfehler, etwaige Ungereimtheiten, Nachlässigkeiten oder Verletzungen der Etikette im Einzelnen aufgedeckt, beurteilt und meist auch mit einer angemessenen Alternative begleitet. Bielke beispielsweise hatte gegen Darjes’ Lehre die Autorität eines dritten bekannten Autors ins Feld geführt, beim Zitieren aus dessen Text aber alles ausgelassen, was seinen Absichten nicht dienlich war; somit hatte er grob sinnentstellend zitiert, was Darjes schlicht durch die erneute, diesmal aber ungekürzte Wiedergabe der fraglichen Textpassage nachwies. Dass er sich anschließend in gespielter Ahnungslosigkeit bei seinen Lesern erkundigte, „wie [er] dieß Verfahren des Herrn Professors erklären soll[e]?“,239 betonte die Ungehörigkeit in Bielkes Vorgehen stärker, als dies jeder direkte Vorwurf gekonnt hätte, und erklärte damit dessen gesamten Angriff für fragwürdig. Kölbele hingegen machte sich Darjes zufolge ab und an einer mangelhaften Gründlichkeit schuldig, er habe nämlich einen Absatz in Darjes Schrift vor der Widerlegung offenbar „nicht recht durchgelesen“ und auch einige andere Lehrsätze „nicht sehr genau untersuchet“.240 In der neuen Auflage seiner Mathematik
235 236 237
238 239 240
„dem Hrn. Moser als Verfertiger der Schrifft“, „öffentlich, doch mit aller Bescheidenheit und Hochachtung die Wahrheit sage[n]“. DARJES, Abgenöthigte Vertheidigung, S. 13. Vgl. DARJES, Fernere Erläuterung wider Bielke, S. 6 f. Solche Texte sind z.B. O. V., Eines Bekannten Sendschreiben; MÜLLER, Betrachtungen; RIEDEL, Briontes; SCHAUBERT, Unpartheyische Prüfung; SCHLETTWEIN, Des Darjes moralische Begriffe; ders., Bescheidene Verthäidigung; SUCKOW, Schreiben an Mayohl. Vgl. RIEDEL, Briontes. Die beiden Darjes angreifenden Schriften wurden von einem C.L.L. in Erfurt verfasst und zusammen mit einer dritten veröffentlicht, vgl. O. V., Widerlegung. Eine Rezension lieferte Resewitz 1766 für die Allgemeine deutsche Bibliothek, in welcher er sich insgesamt befremdet über die „dunkel und beynahe rätzelhaft in einem rauhen und unfreundlichen Styl geschrieben[en]“ Abhandlungen zeigte. AB 1766, 3. Bd., 1. St., S. 130–139; Zitat S. 138 f. DARJES, Mathematik, Vorrede. Vgl. Ders., Fernere Erläuterung wider Bielke, S. 27 f., Zitat S. 28. Ders., Vertheidigung wider Kölbele, S. 182, 216.
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übrigens thematisierte Darjes später unter anderem genau diesen Fehler des vorschnellen und oberflächlichen Urteilens, der ihm bei mehreren seiner weniger gründlich arbeitenden Gegner aufgefallen war: Viele läsen „die Bücher ausser dem Zusammenhange“ und kreideten den Verfassern rasch einen Irrtum an, „ohne zu untersuchen, ob auch dieser Fehler mit einem zureichenden Grunde ein Fehler könne genennet werden“.241 An Kölbeles Vorgehen hatte Darjes zwar noch weitere Punkte zu bemängeln, so beispielsweise, dass dessen „Art zu streiten“ streckenweise „nicht philosophisch“, sondern zu sehr „nach der Mode“ geraten war,242 doch ließ er keinen Zweifel daran aufkommen, dass er seinem Gegner wohlgesinnt war und dessen Person ebenso wie dessen Meinung wertschätzte. So unterstrich er sein „Vergnügen“ an Kölbeles „ungeheuchelte[r] Wahrheits-Liebe“ und lobte dessen offenkundiges „Verlangen […] deutlich zu denken“ sowie sein „gutes ehrliches Gemüth“.243 Ebenso hochachtungsvoll und freundschaftlich äußerte er sich auch über Moser, und wenn dagegen die Antwort auf Bielkes Schrift auch sehr kühl ausfiel, so war sie jedenfalls frei von Hohn und Beleidigungen. Dies bestätigend würdigten verschiedene Rezensenten die inhaltlich völlig überzeugenden, dabei aber großmütigen und höflich-bescheidenen Widerlegungen des Jenaer Gelehrten.244 Er „schämet[e]“ sich selbst als Professor „niemals […], denen, von welchen er selbst das meiste gelernet hat[te], ihren verdienten Ruhm zu lassen“, wie seinen Kritikern angenehm auffiel.245 Über Wolff beispielsweise, so betonte auch der oben erwähnte Herausgeber studentischer Mitschriften, sei Darjes, obschon er einige seiner wichtigsten Lehrsätze angegriffen habe, jederzeit voller „Hochachtung“ gewesen, die Studenten hätten in den Vorlesungen „viele 1.000 mal die unsterblichen Verdienste dieses Mannes aus seinem Munde rühmen hören“.246 Ganz konsequent lebte Darjes damit einen wichtigen Lehrsatz aus seinem moralphilosophischen Lehrbuch vor – „Wir müssen zwar verhindern, daß unser Feind unsre Vollkommenheiten […] schwächen könne, wir müssen aber keine härtere Mittel gegen ihn brauchen, als zu der Befördrung dieser Absicht erfordert werden“.247 Folgerichtig ist in der Verteidigung gegen Kölbele mehrfach die Versicherung zu lesen, Darjes wolle zwar „[s]eine Lehren vertheidigen, nicht aber [s]einen Gegner angreifen“.248 Es sei vielmehr auf einen Kontrahenten besonders einzugehen:
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Ders., Mathematik, Vorrede zur neuen Auflage. Ders., Vertheidigung wider Kölbele, S. 191, 193. Ebd., S. 132, 190, 206. Vgl. u.a. GZ 1746, 15. St., S. 120; 1747, 82. St., S. 691 f.; 1748, 135. St., S. 1078; JZ 1750, 102. St., S. 808 f. FN 1755, 4. St., S. 28. Ähnlich auch GZ 1743, 3. St., S. 270. DARJES, Anmerkungen zu Wolff, Vorrede. Ebenso TRÄGER, Metaphysik, S. 20: „Darjes […] zeigt gegen Wolffen die aufrichtigste Hochachtung.“ DARJES, Sitten-Lehre, S. 319. Ders., Vertheidigung wider Kölbele, S. 141. Ähnlich S. 154.
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Wolle jemand einen „genau denkenden Philosophen“ von seinem Irrtum überzeugen, so sei es vernünftig, „dessen Begriffe und dessen Sprache, soviel es [ihm] möglich“ sei, beizubehalten, „damit sich der Streit über eine wichtige Sache nicht in einen Wort-Streit verwandle“.249 Zur Unterstützung seiner Argumente gegen Bielkes Angriff führte Darjes zudem die Lehren anderer namhafter Philosophen an, weil Bielke es ebenso gemacht hatte.250 Nicht selten schloss Darjes seine Entgegnungen mit konkreten Regeln, die sein Gegner bei seinem nächsten Angriff beachten sollte, sofern er eine Antwort wünschte.251 Von anonymen Beiträgen zu einem wissenschaftlichen Streit schien der Jenaer Professor im Übrigen nicht viel zu halten – er selbst zumindest sei es „nicht gewohnt, etwas im Verborgnen zu schreiben“, was er „nicht einem jeden ins Gesicht sagen“ könne, wies er einmal die Verbreiter gegenteiliger Vermutungen zurecht.252 Zumindest bei einem Teil der jungen Gelehrten bildete sich offenbar über die Vorbildwirkung der älteren tatsächlich ein Bewusstsein für die zulässigen Schranken eines wissenschaftlichen Angriffes heraus, wie beispielsweise eine Anmerkung des Jenaer Absolventen Dietrich Carl Martini in einer schriftlichen Parteinahme für seinen Lehrer Darjes belegt: Er „schätze [s]ich recht glücklich“, beteuerte er, dass seine sämtlichen Lehrer „nicht nur selbst Feinde von […] Niederträchtigkeiten gewesen“ seien, sondern auch ihm „einen Abscheu dafür beygebracht haben“.253 An seiner Fähigkeit, eigene wissenschaftliche Lehrsätze in angemessener Weise vortragen und vertreten zu können, selbst wenn sie den Theorien anerkannter Gelehrter widersprachen, gab auch der Erfurter Philosoph und Theologe Johann Christian Lossius (1743–1813) ausdrücklich Darjes „die Schuld“: Dieser nämlich habe ihn gelehrt, „zwar den Rath großer Männer nicht zu verachten, aber doch auch mit seinem eignen Kopfe zu denken“ – infolgedessen war Lossius „in verschiednen Stücken“ vom System seines Lehrers abgewichen.254 „Sie sind übrigens zu sehr Philosoph“, kommentierte er anschließend noch Darjes’ üblichen Umgang mit höflichen Widerlegungen, „als daß ich von dieser Seite etwas zu befürchten hätte“. Der große studentische Zulauf zu den Lehrveranstaltungen des Darjes, auf welchen eingangs aufmerksam gemacht wurde, ist den hier unternommenen Betrachtungen nach also nicht allein auf sein, wenngleich offensichtlich vorhandenes, natürliches Talent zum Lehren zurückzuführen. Vielmehr spielten verschiedene be-
249 250 251 252 253 254
Ebd., S. 142. Vgl. DARJES, Fernere Erläuterung wider Bielke, S. 12. Vgl. ebd., S. 99 f.; Ders., Abgenöthigte Vertheidigung, S. 27 f. Ders., Sitten-Lehre, Vorrede zur ersten Auflage. JZ 1750, 37. St., Beilage. LOSSIUS, Physische Ursachen, Vorrede. Ähnlich äußerten sich die Göttingischen Anzeigen über Darjes: Er sei „Philosoph genug […] einen mit Gründen unterstützten widerspruch ohne Affect zu ertragen“. GA 1768, 4. St., S. 26 f.
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einflussbare Faktoren eine Rolle. Zum Ersten war dies seine Reputation als Gelehrter, welche vor allem auf seinen breit gefächerten und tiefgründigen Kenntnissen sowie auf seiner gründlichen wissenschaftlichen Arbeit beruhte. Zum Zweiten vermochten seine Lehrveranstaltungen Aufmerksamkeit zu erregen, weil er sich die Freiheit herausnahm, nicht nur überall dort die traditionellen Grenzen zwischen einzelnen Disziplinen zu ignorieren, wo es ihm sinnvoll erschien, sondern sie auch um aktuelle, praxisrelevante Lehrstoffe jenseits des klassischen Kanons zu erweitern. Seine anhaltend kritische, fortschrittliche und experimentierfreudige Einstellung hinsichtlich der Gestaltung des akademischen Unterrichts ließ ihn zum Dritten zu einer außergewöhnlich erfolgreichen Lehrmethodik finden. Zum Vierten erwies er sich in seiner einem moralischen Pflichtgefühl entspringenden ernsthaften Hinwendung zu seinen Schülern als, so Patitz, „begnadeter, wärmste Menschlichkeit ausströmender Erzieher“.255 Er versuchte diesen zum Fünften, wie am Beispiel seines respektvollen Umgangs mit gelehrten Gegnern oder der gewissenhaften Erfüllung seines Lehramtes zu sehen, auch nach allen Kräften ein mustergültiges Vorbild zu sein und so seinen Gelehrtenethos zu übermitteln. Eine Bestätigung und Würdigung dieses von ihm gewählten Weges stellte die von Freunden anlässlich seines 50-jährigen Dienstjubiläums gedichtete lateinische Ode dar, die den Wunsch beinhaltete, „das Darjesianische Bild“ möge „fortdauern in Ewigkeit“.256
2.3.
Darjes’ Lehrangebot in Jena und die Fortführung dort durch seine Schüler
2.3.1. Ermittlung von dessen Struktur und Schwerpunkten Im Hinblick auf seine über 55 Semester anhaltende Lehrtätigkeit in Jena und den studentischen Zulauf, den seine Veranstaltungen verzeichneten, gehörte Darjes zweifellos zu den Dozenten, die das Profil der dortigen Philosophischen Fakultät Mitte des 18. Jahrhunderts maßgeblich prägten. Seine breit gestreuten Interessen gingen weit über den Rahmen hinaus, der ihm durch seine 1744 erlangte Professur der Moral und Politik gesetzt war, doch ermöglichte ihm gerade die im Vergleich zu den höheren Fakultäten weniger starr organisierte akademische Philosophie, das übliche Repertoire zu erweitern. Vor allem die Herausgabe zahlreicher eigener Lehrbücher zeugt davon, dass Darjes die traditionellen Disziplinen insbesondere der praktischen Philosophie einer Prüfung und Neuordnung un-
255 PATITZ, Darjes, S. 16. 256 Vgl. O. V., Ode an Darjes; PATITZ, Darjes, S. 16 (Übersetzung).
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terzog. Durch seine Erfolge zu einer nahezu unanfechtbaren Instanz aufgestiegen, konnte er zusätzlich mit ganz neuen Lehrangeboten experimentieren, die den gesellschaftlichen Veränderungen Rechnung tragen sollten. Die von Darjes angestoßenen Tendenzen wurden in Jena bald von seinen Schülern, welche ebenfalls an der Universität lehrten, aufgegriffen und setzten sich auch nach seinem Weggang noch über Jahrzehnte hinweg fort. Ablesbar sind diese Entwicklungen aus dem Lehrangebot Darjes’ wie auch der sich an ihm orientierenden Dozenten, welches sich anhand verschiedener Quellen rekonstruieren lässt und im Anhang in zwei Übersichten zusammengestellt ist. Umfangreiches Material hierfür liefern die in den zeitgenössischen Zeitschriften verbreiteten bzw. gedruckt vorliegenden originalen Vorlesungsverzeichnisse der Universität Jena. Ab dem Jahr 1749 sind diese, mit Ausnahme einzelner Semester, zu denen keine Lektionskataloge ausfindig gemacht werden konnten, bereits durch eine Arbeitsgruppe um Horst Neuper für eine wissenschaftliche Nutzung aufbereitet und 2003 publiziert worden.257 Ergänzend wurden hier die Dekanatsakten der Philosophischen Fakultät im Jenaer Universitätsarchiv herangezogen, denen üblicherweise in jedem Semester Lektions- und Anschlagzettel beigeheftet sind.258 Während die gedruckten Vorlesungsverzeichnisse bis zum Sommersemester 1765 einzig die Veranstaltungen der ordentlichen Professoren, Supernumerarii und Extraordinarien, nicht aber die der zahlreichen übrigen Dozenten anzeigten,259 findet sich auf diesen Zetteln das Lehrprogramm der jungen Magister und Privatdozenten. Unverzichtbar sind sie daher, wenn Darjes’ anfängliches Lehrprogramm ab dem Wintersemester 1735 oder das seiner Anhänger ermittelt werden soll. Überdies lassen sie genauere Rückschlüsse auf die tatsächlich angebotenen Veranstaltungen zu, da gerade die Privatvorlesungen in Anzahl und Inhalt häufig erst nach Erscheinen des Vorlesungsverzeichnisses in Absprache mit den Zuhörern konkretisiert wurden.260 In diesen Quellen ist das Lehrangebot Darjes’ für zwei längere Zeiträume, nämlich zwischen den Wintersemestern 1735/36 und 1740/41 sowie zwischen den Sommersemestern 1749 und 1757, lückenlos dokumentiert. Vollständige Informationen für einzelne weitere Semester zusammen mit den exakt datierten Aufzeichnungen Karl von Zinzendorfs über sein Studium in Jena ermöglichen zudem eine weitgehende Rekonstruktion auch der später liegenden Darjesischen Lehrveranstaltungen. Zuverlässige Aussagen für die 1740er Jahre hingegen sind kaum möglich, da entsprechende Quellen fast gänzlich fehlen. Nur in Ausnahmefällen rekonstruierbar ist außerdem der Inhalt der sogenannten „privatissima“. Diese zusätzlichen, in kleinstem Rahmen stattfindenden Kurse für eine Handvoll Stu-
257 258 259 260
Vgl. NEUPER, Vorlesungsangebot. UAJ, Bestand M. Vgl. RASCHE, Vorlesungsverzeichnisse, S. 17. Vgl. ebd., S. 24.
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denten wurden in den Vorlesungsverzeichnissen immer ohne Angaben der geplanten Themen angekündigt, oft sind sie schlicht als seine „gewöhnlichen privatissima“ aufgeführt.261 Um eine differenzierte Sicht auf die traditionellen Inhalte der einzelnen Lehrfächer und ihre jeweilige Auslegung durch Darjes zu ermöglichen, werden außerdem die von ihm im akademischen Unterricht verwendeten fremden, vor allem aber selbst verfassten Lehrbücher berücksichtigt, wobei die zeitgenössischen Rezensionen der Darjesischen Kompendien weiteren Aufschluss geben können. Es spiegelt sich in diesem Zusammenhang unter anderem die Hochschätzung wider, die Darjes den Lehren Christian Wolffs entgegenbrachte, aber auch seine wachsende Distanz zu diesem. Ohne Zweifel gehörten die ausgezeichneten Werke des Jenaer Professors zu den seinerzeit besonders beliebten akademischen Lehrbüchern, zumal sie fast alle in deutscher Sprache vorlagen. Auf diese Kompendien ist es in sicher nicht geringem Maße zurückzuführen, dass sich nach dem Abgang des Professors aus Jena zum Wintersemester 1763/64 seine Systeme dort noch über Jahre hielten – zuletzt wurde in den Sommern 1787 und 1788 noch die „reine Mathematik nach dem Daries“ unterwiesen.262 Für alle philosophischen Lehrfächer einschließlich der Mathematik konnten mithilfe Neuperts Verzeichnisses und der Lektions- bzw. Anschlagzettel jeweils etwa zehn bis 15 Dozenten ausfindig gemacht werden, die sich für ihre Lehrveranstaltungen in Jena ausdrücklich auf Darjes beriefen. Unabhängig von der jeweiligen Disziplin ist dabei die Streubreite hinsichtlich der Häufigkeit und Kontinuität entsprechender Lehrangebote sehr groß. Oftmals blieben gerade die jungen Universitätslehrer Darjes’ Kompendien nur über einzelne Semester treu, weil sie verschiedene Systeme hintereinander durcharbeiteten, bald eigene Lehrbücher verfassten oder Jena nach kurzer Zeit wegen einer anderen Anstellung verließen. So unterrichteten etwa nur neun von 16 verschiedenen Dozenten das Darjesische Natur- und Völkerrecht länger als zwei Semester. In den meisten Fächern fanden sich jedoch nach Darjes’ Weggang auch einer oder mehrere etablierte Dozenten, die seine Lehren zum Teil über Jahrzehnte hinweg regelmäßig in ihr Programm aufnahmen. Unter diesen ist zuerst Justus Christian Hennings (1731–1815) hervorzuheben. Bereits Mitte der 1750er Jahre begann dieser das Naturrecht und nach und nach alle Hauptdisziplinen der theoretischen und praktischen Philosophie nach Darjes zu lesen. Vor seiner Abreise dann beauftragte der Professor den Adjunkten offenbar selbst damit, seine philosophischen Vorlesungen unter Verwendung der Darjesischen Kompendien fortzuführen.263 Zwar gelang es Hennings nicht, seinem Lehrer in der praktischen Professur für Natur- und Völkerrecht, Moral und Politik nachzufolgen, doch erhielt er 1765
261 Vgl. NEUPER, Vorlesungsangebot, S. 9–27, 46. 262 Vgl. ebd., S. 234, 240. 263 Vgl. UAJ, A 590, Bl. 103.
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den Jenaer Lehrstuhl für Logik und Metaphysik. In diesen Fächern der theoretischen Philosophie legte er noch in der ersten Hälfte der 1770er, in der praktischen Philosophie zum Teil noch bis weit in die 1780er Jahre die Darjesischen Lehrbücher zugrunde. Diese konsequente, teils über 30 Jahre beibehaltene Orientierung an seinem namhaften Lehrer war für Hennings im Übrigen durchaus nützlich: In einem Gutachten, welches die Philosophische Fakultät im November 1763 anlässlich seiner Bewerbung um die vakante Darjesische Professur zu erstellen hatte, heißt es, dass derselbe bisher „auswärtig wenig oder gar nicht bekannt“ gewesen sei und „ehedem nie einen sonderlichen applausum […] in seinen […] philosophischen Fürlesungen gehabt“, jedoch „seit der Abreise des Hrn. GeheimenRath Daries […] einen beträchtlichen numerum auditorum bekommen“ habe.264 Einen ähnlichen Zuwachs an zahlenden Hörern erhoffte sich vielleicht ein mit Darjes fast gleichaltriger Jenaer Philosoph und Philologe, der Magister und philosophische Adjunkt Johann Andreas Grosch (1717–1796), welcher ebenfalls häufig Vorlesungen über die Darjesischen Kompendien hielt. Beginnend in den 1750er Jahren mit Darjes’ Metaphysik, nahm er im folgenden Jahrzehnt auch dessen Natur- und Völkerrecht, Logik und Moralphilosophie in sein Lehrangebot auf. Tatsächlich lehrte er aber nur letztere kontinuierlich bis zum Winter 1772/73 und war damit der zweite bedeutende Dozent in dieser Disziplin neben Hennings. Größeren Erfolg schien er allerdings selbst mit solch populären Veranstaltungen nicht zu haben, gelangte er doch zeitlebens nicht auf eine ordentliche Professorenstelle. Außer diesen beiden Dozenten erwiesen sich speziell im Natur- und Völkerrecht noch Johann August Heinrich Ulrich (1746– 1843), welcher später die Professur für Moral und Politik erhielt, und der Rechtsprofessor Heinrich Gottfried Scheidemantel (1739–1788) als besonders stetige Anhänger Darjes’. Gleiches gilt im Bereich der mathematischen Wissenschaften für Darjes’ Schüler und Schwager Laurenz Johann Daniel Suckow (1722–1801), der 1756 eine Professur für Mathematik und Physik erhielt und sich mehr als 30 Jahre lang der Darjesischen Bücher bediente. Neben den Genannten orientierte sich eine beträchtliche Anzahl weiterer Dozenten an Darjes, die zu diesem in einem ganz unterschiedlichen Verhältnis standen: Während einzelne den akademischen Unterricht des Professors gar nicht mehr aus eigenem Erleben kannten, hatten andere über Jahre intensiv mit ihrem Lehrer zusammengearbeitet. So traten beispielsweise mit Johann Stephan Müller (1730–1768), Friedrich Daniel Behn (1734–1804) und Balthasar Münter (1735–1793) sämtliche Mitarbeiter an Darjes’ Philosophischer Bibliothek in verschiedenen Fächern kurzzeitig als Vermittler der Darjesischen Lehren auf, und auch der von Darjes in seinem Schulversuch Rosenschule eingesetzte Lehrer, Ludwig Ehrenfried Friedrich Cramer (1733–1795), versuchte sich im Winter 1763/64 als Dozent für das Natur- und Völkerrecht und die Sittenlehre nach Darjes. Im Einzelnen sollen die jeweiligen Schüler und Anhänger des Professors in den folgenden Abschnitten 264 UAJ, A 590, Bl. 51 ff.
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Erwähnung finden, in welchen die Darjesischen Lehrfächer mit ihren einzelnen Disziplinen zu behandeln sind.265 Das Lehrangebot des Professors war, wie zu sehen sein wird, in Jena verhältnismäßig breit und umfasste üblicherweise die Fächer der theoretischen und praktischen Philosophie sowie mathematischen und kameralwissenschaftlichen Unterricht.266 Juristische Vorlesungen blieben vereinzelt, erst später in Frankfurt an der Oder als Rechtsprofessor setzte Darjes hier einen Schwerpunkt; zwar wurden entsprechende Vorlesungsverzeichnisse hier nicht mehr mit berücksichtigt, doch bestand sein Vorlesungsprogramm beispielsweise um 1780 Ekkard zufolge aus „Inst[itutiones] Iur[isprudentiae] Univ[ersalis]“, „Gesellschaftsrecht“, „Röm[isch] Teutsches Privatr[echt]“, „Prozess-“ sowie „Bergrecht“ nach Friedrich Georg August Lobethan (1753–1832), außerdem Philosophie, „Politik, Oek[onomie] Cameralw[issenschaften] u. Polizei“ und Mathematik.267 2.3.2. Praktische Philosophie und Kameralistik Darjes eröffnete seine Lehrtätigkeit im Wintersemester 1735/36 in Jena mit mathematischen und philosophischen Lehrveranstaltungen. Gleich zu Beginn wandte er sich den Disziplinen der praktischen Philosophie zu, welche das Natur- und Völkerrecht, die Sittenlehre und die Politik umfasste, weshalb er schließlich 1744 die öffentliche ordentliche Professur für diesen Fachbereich an der Jenaer Universität erlangen konnte. Damit waren regelmäßige Vorlesungen in den genannten Lehrfächern verpflichtend geworden, doch hatte Darjes insbesondere über das Natur- und Völkerrecht schon zuvor in ausnahmslos jedem Semester angeschlagen. Diese Gewohnheit behielt er in seinen Jenaer Jahren ebenso wie später in Frankfurt an der Oder ohne Unterbrechung bei, sodass Schlichtegroll dieses Lehrfach im Nekrolog auf den verstorbenen Gelehrten zutreffend als dessen „Hauptwissenschaft“ bezeichnete, welche er als Dozent mehr als einhundert Mal vorgetragen habe.268 Anfangs schoss der junge Magister in seiner Begeisterung für diese Disziplin, welche er zuerst nach Johann Heinrich Köhler (1685–1737) unterrichtete, offensichtlich über das Ziel hinaus und musste von den Professoren der Philosophischen Fakultät in seine Schranken verwiesen werden: Seine erste Ankündigung einer Naturrechts-Vorlesung für das Sommersemester 1736 wurde wohl wegen fehlender Berechtigung von seinem Lektionszettel gestrichen, und obwohl er schließlich ab dem darauffolgenden Sommer oder spätestens ab dem Wintersemester 1737/38 eine solche Lehrveranstaltung regelmäßig anschlagen durfte, handelte er sich nochmals Ärger ein, 265 266 267 268
Siehe dazu auch die Übersicht unter VII.2. Siehe dazu auch die Übersicht unter VII.3. EKKARD, Handbuch, Teil 2, S. 18, 21. Im Original teils hervorgehoben. SCHLICHTEGROLL, Nekrolog 1792, S. 300 f.
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weil er sie im Winter 1739/40 trotz anderslautender Anweisung gratis zu lesen versprach, was eine Pflicht, aber auch ein Privileg der Professoren war.269 Als ein allgemeines, allein aus den Begriffen vernunftmäßig zu folgerndes Recht wurde das Naturrecht als der auf das positive Recht vorbereitende Teil der praktischen Philosophie verstanden und somit von Philosophiedozenten abgehandelt. Darjes konnte, da er ab 1737 auch die Jurisprudenz studierte und bald darauf dafür eine Lehrberechtigung erwarb, den Bogen zu eigentlich juristischen Materien schlagen und beschränkte sich überhaupt in seinen Vorlesungen und Schriften nicht auf die üblichen Inhalte des Naturrechts. So erweiterte er sein 1740270 in lateinischer Sprache erschienenes Kompendium Institutiones jurisprudentiae universalis, welches er seinen Vorlesungen zugrunde legte, in der vierten Auflage etwa um Fragen des Lehnrechts. Entsprechend missbilligend beurteilten einige Kollegen seine weite Auslegung des Natur- und Völkerrechts,271 worauf Darjes beispielsweise 1745 in der Vorrede seines zum dritten Mal aufgelegten Lehrbuches antwortete. Noch 30 Jahre später hielt er es außerdem für nützlich, in einer Gelegenheitsschrift Seine Gedanken von den Grenzen des Rechts der Natur zu eröffnen. Er habe, schrieb Darjes darin, im Naturrecht stets die Definition des niederländischen Natur- und Völkerrechtlers Hugo Grotius zugrunde gelegt und sei demnach davon überzeugt, [dass] das Recht der Natur untersuchen, nichts anders bedeute, als sich von den Handlungen der Menschen, und von den Verhältnissen der Menschen Begriffe bilden, und aus diesen folgern, was bey der Sache übereinstimmend und nothwendig [sei].272
Mit seiner Schrift nun wollte er den wiederholt gegen ihn erhobenen Vorwürfen entgegentreten, er vermische das Natur- und Völkerrecht zu sehr mit juristischen Teilbereichen oder weiche in seiner weiten Auslegung dessen genaue Trennung von der Sittenlehre und Politik auf. Solche Anschuldigungen konnte der Gelehrte umso ruhiger von sich weisen, als auch Gegenstimmen laut wurden, die im Natur- und Völkerrecht einzig denjenigen Gelehrten für brauchbar erklärten, „der so viele und so tiefe philosophische Einsicht, wie der Herr Hofrath Darjes, mit einer so starken Kenntniß der bürgerlichen Gesetze verbindet“.273 Doch 269 Für den Lektionszettel Sommer 1736 vgl. UAJ, M 91, Bl. 165. Ein Lektionszettel mit einer angekündigten Naturrechtsvorlesung findet sich in den Akten vom Winter 1737/38, weist die Veranstaltung jedoch für den Sommer, also vermutlich 1737, aus, vgl. UAJ, M 94, Bl. 108. Zum unerlaubten Gratiskollegium vgl. UAJ, M 98, Inhalt, Bl. 99, 125. 270 Vgl. DARJES, Institutiones jurisprudentiae universalis. In zeitgenössischen Bibliographien ist für die erste Auflage oft 1742 angegeben. 271 Eine intensive, polemische Auseinandersetzung mit Darjes’ naturrechtlichen Lehren beispielsweise weist Streidl für Gottfried Achenwall (1719–1772) aus dessen Notizen nach, vgl. STREIDL, Naturrecht, S. 103–106. 272 Ebd., S. 6 f. 273 FUN 1751, S. 381. Im Original teils hervorgehoben.
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hielt der Verfasser sein Lehrbuch in anderen Hinsichten selbst nicht für ein Meisterstück: Es sei ihm „unangenehm“, urteilte er später, dass er dessen „Ausarbeitung nicht so lange zurückgehalten“ habe, bis er „die wahre mathematische Lehrart, und selbst das Recht der Natur völlig in [s]einer Gewalt“ hatte, und erwog sogar eine gänzlich neue Fassung.274 Weder diese Zweifel noch die zuvor erwähnten Streitigkeiten verhinderten jedoch, dass die Institutiones jurisprudentiae universalis rasch zu einem der gefragtesten Lehrbücher für das Natur- und Völkerrecht aufstiegen: An den Weimarer Fürsten schrieb Darjes im März 1744 anlässlich seiner Bewerbung um die praktische philosophische Professur, dass „nicht nur in Halle und Copenhagen mit einem ansehnligem Applausu darüber gelesen“ werde, sondern er inzwischen auch „genöthiget wurde eine neue Auflage davon zu besorgen“.275 Die Leipziger Zuverläßigen Nachrichten lieferten 1745 in ihrer Rezension dieser zweiten Auflage eine kurze Zusammenfassung des Inhalts, wonach „in dem Vorberichte […] von dem […] sittlichen Zustande der Menschen, ingleichen von dem allgemeinen Natur- und Völkerrecht“ gehandelt, in den beiden Hauptteilen hingegen [zum einen] Unterricht von denen sittlichen Handlungen der Menschen und ihrer Sittlichkeit, der sittlichen Verbindlichkeit, dem Gesetz und besonders dem natürlichen, der Gröse und Maasse der sittlichen Handlungen oder der Sittlichkeit, wie auch von der sittlichen Beymessung oder Zurechnung [erteilt und zum anderen] die Ethick, die eigentliche so genannte Rechtsgelehrsamkeit, oder die Pflichten der Menschen gegen einander, in so weit wir uns solche ausser der bürgerlichen Gesellschaft vorstellen, das besondere und allgemeine gesellschaftliche Recht, das allgemeine Staatsrecht, das allgemeine bürgerliche Recht, das allgemeine geistliche Recht und das allgemeine Völkerrecht [abgehandelt werde].276
Bis 1764 erlebte das Werk sechs überarbeitete und teils erweiterte Auflagen und wurde zudem zweimal in Frankfurt am Main nachgedruckt. Johan Ernst Gunnerus, der später als Naturkundler, Theologieprofessor und Bischof in seinem Vaterland Norwegen wirkte, gab ab 1748 zu diesem Kompendium Vollständige Erläuterungen und Anmerkungen in mehreren Stücken heraus.277 „Dieser Commentarius“, merkte Darjes darüber an, „fasset sehr viel gutes, allein in den wichtigsten Stücken hat er meinen Sinn nicht getroffen“.278 Tatsächlich hatte sich Gunnerus
274 DARJES, Kurze Nachricht, S. 23. An einem neuen Lehrwerk zum Natur- und Völkerrecht arbeitete Darjes tatsächlich in seinen letzten Lebensjahren, vgl. den Briefwechsel mit Carmer in GÄRTNER, Darjes, S. 220–239. 275 ThHStA Weimar, A 6412, Bl. 19. 276 Zuverläßige Nachrichten von dem gegenwärtigen Zustande, Veränderung und Wachsthum der Wissenschaften (im Folgenden: ZN) 1745, 71. T., S. 835 f. Im Original teils hervorgehoben. Vgl. zur 3. Aufl. auch GZ 1748, 135. St., S. 1075 ff. 277 Vgl. GUNNERUS, Vollständige Erläuterungen. 278 DARJES, Kurze Nachricht, S. 24.
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einzig einer studentischen Mitschrift bedient, selbst jedoch niemals eine entsprechende Vorlesung bei Darjes besucht.279 Um Stellen in seinem Lehrbuch zu konkretisieren, die er als Anhänger des Grotius aus Vorsicht vor den Pufendorfianern inhaltlich zweideutig oder ungenau formuliert hatte, verfasste Darjes die ebenfalls lateinischen Observationes juris naturalis, socialis et gentium, welche in zwei Teilen 1751 und 1754 erschienen.280 Einer letzten gründlichen Überarbeitung unterzog Darjes seine Institutiones schließlich von Frankfurt an der Oder aus, sodass diese 1776 in Jena noch ein siebentes Mal aufgelegt wurden. Mit „Wahrheit und Vergnügen“ berichtete daraufhin ein Rezensent in der Allgemeinen deutschen Bibliothek von „diesem so beliebten, und auch außer Deutschland rühmlich bekannten Lehrbuche, das so manchem andern Muster geworden ist“, es sei durch die von Darjes vorgenommenen „vortheilhafte[n] Veränderungen“ und „Verbesserungen zu Vorlesungen weit bequemer geworden“ und könne daher „mit mehrerm Rechte seine Stelle unter den besten Lehrbüchern des N[atur] R[echts] behaupten“.281 Auf die Herausgabe eines deutschsprachigen Lehrbuches für das Natur- und Völkerrecht hingegen verzichtete Darjes viele Jahre lang, obgleich er seine stets außerordentlich gut besuchten Vorlesungen darüber offenbar in Deutsch abhielt. Aus diesem Grund zirkulierten zahlreiche studentische Mitschriften, die oft gegen Bezahlung von älteren Studenten an die Anfänger weitergereicht wurden und auch das Interesse der Buchhändler weckten.282 Um den drohenden unautorisierten Abdrucken zuvorzukommen, ließ Darjes schließlich 1762/63 eine von ihm überarbeitete Vorlesungsmitschrift unter dem Titel Discours über sein Natur- und Völkerrecht veröffentlichen. Bedingt durch diesen Entstehungszusammenhang bildet das Buch den tatsächlichen akademischen Unterricht verhältnismäßig authentisch ab, da Darjes, wie er in der Vorrede anmerkte, bei der Durchsicht des Manuskripts „weder in der Schreib-Art, noch in der Ordnung, in welcher [s]eine Vorlesungen sind nachgeschrieben worden, etwas verändert“ hatte – an der gleichen Stelle schätzte er übrigens die Anzahl aller Studenten, die bis zum Frühjahr 1762 seine naturrechtlichen Vorlesungen besucht hatten, auf „mehr als zehn Tausend“.283 Ein ergänzendes Angebot machte Darjes mit privaten Lehrstunden über Grotius’ Kriegs- und Friedensrecht, welche er durchgängig, wenn auch unregelmäßig und mehrfach nur auf Wunsch seiner Studenten stattfinden ließ. Zum Pflichtprogramm des Gelehrten zählten des Weiteren regelmäßige Lehrveranstaltungen über Moralphilosophie, welchen üblicherweise das Sommersemester vorbehalten blieb. Schon weit vor seiner Ernennung zum Professor, nämlich erstmals im Winter 1737/38, erklärte Darjes den Jenaer Studenten 279 280 281 282 283
Vgl. JZ 1749, 30. St., S. 237 f. Vgl. DARJES, Kurze Nachricht, S. 23. AB 1777, 32. Bd., 1. St. S. 95 f. Vgl. DARJES, Discours, Vorrede. Ebd.
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die Tugendlehre. Sein deutschsprachiges Unterrichtsbuch Erste Gründe der philosophischen Sitten-Lehre erschien im Jahr 1750. Wie aus der Vorrede deutlich wird, beabsichtigte er in seinen Stunden nicht allein, seinen Hörern eine genaue Vorstellung vom Guten und Bösen zu vermitteln und ihren Willen zur Tugend zu festigen; ihm war daran gelegen, dass dieses Wissen und Wollen durch das Können wirksam werde, weshalb auch die innere Kraft jedes Einzelnen zu moralischem Handeln gestärkt werden müsse.284 Entsprechend versah Darjes das Kompendium, welches er in einen theoretischen Teil über die „Allgemeine philosophische Sitten-Lehre“ und einen Anwendungsteil gegliedert hatte, mit Anleitungen zur schrittweisen Übung. Das im Lehrbuch zusammengefasste allgemeine sittliche Wissen erstreckt sich auf die Themenkreise „der wahren Glückseeligkeit“, der Tugend, der Mittel zu dieser und – da alle Philosophie selbstredend der Theologie untergeordnet blieb – „der Nothwendigkeit einer geoffenbahrten Sitten-Lehre und de[r] Merkmale ihrer Wahrheit“.285 Die Anwendung wird anschließend in vier Hinsichten dargelegt: erstens, und dies ist der deutlich umfangreichste Abschnitt, „in der Beobachtung der Pflichten gegen uns selbst“, welche im Wesentlichen die möglichste eigene Vervollkommnung auf geistiger, körperlicher und gesellschaftlicher Ebene in Abhängigkeit vom Stand beinhalten; zweitens „in der Beobachtung der Pflichten gegen andre“, wobei neben den allgemeingültigen Regeln für einen gesitteten zwischenmenschlichen Umgang speziell das Verhalten gegenüber Kindern, Freunden und Feinden erläutert wird; drittens „in der Beobachtung der Pflichten gegen Gott“, an welcher Stelle von religiösen Gefühlen, dem Umgang mit Zweifeln sowie dem angemessenen Gebet und Gottesdienst die Rede ist; und schließlich viertens „in der Beobachtung der“, Darjes zufolge nicht existenten, „Pflichten gegen unvernünftige und leblose Geschöpfe“.286 Mit diesen Inhalten ging der Verfasser offenbar über das in dieser Disziplin Gängige hinaus, denn die Jenaischen gelehrten Zeitungen rückten das gesamte Inhaltsverzeichnis in ihre Rezension ein, um „das vorzügliche“ des Darjesischen Lehrbuchs „vor andern Schriften dieser Art“ hervorzuheben und ihren Lesern zu verdeutlichen, „wie sehr der Herr Hofrath das Feld der Philosophischen Sittenlehre erweitert“ habe.287 Die moralphilosophischen Vorlesungen waren für Darjes auch der Ort, seine pädagogischen Überzeugungen darzulegen, da sich die Pädagogik als eigenständige wissenschaftliche Disziplin erst später herauszubilden begann. Weitere Auflagen seines Kompendiums erschienen in den Jahren 1755, 1762 und, weil die vorigen Ausgaben vergriffen waren,288 schließlich noch einmal 1782. 284 285 286 287 288
Vgl. DARJES, Sitten-Lehre, Vorrede zur ersten Auflage. Vgl. ebd., Inhalt. Ebd. JZ 1750, 37. St., S. 294. Lossius schrieb 1781: „Das Darjesische Lehrbuch der Sittenlehre ist, ohnerachtet seiner öftern Auflage, vergriffen; Beweises genug für seine Güte!“. LOSSIUS, Philosophische Litteratur, S. 24.
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Meist in Verbindung mit der Moralphilosophie las Darjes auch einige Male über die Wissenschaft von einer klugen Lebens- und Staatsführung, die Politik. Entsprechende Lehrangebote sind auf seinen Lektionszetteln ab dem Winter 1738/39 verzeichnet; für den Unterricht griff er vorerst auf das Wolffische Lehrbuch zurück.289 Später verwendete der Professor auch einige Semester lang die 1748 posthum erschienene Kurtzgefaßte Lehre der Allgemeinen Klugheit seines Amtsvorgängers Gottlieb Stolle, zu welcher er selbst ein Vorwort vom Reformiren der Wissenschafften verfasst hatte.290 Seine erste explizit staatswissenschaftliche Lehrveranstaltung kündigte Darjes für das Sommersemester 1750 und das darauffolgende Wintersemester unter dem Titel „Die wahren Grundregeln einer StatsWissenschafft, von der Fürstenmacht, auch dem Justiz- und Policeystaate u.s.w.“ an.291 Müller weist darauf hin, dass der Begriff der Staatswissenschaft hier noch sehr im Sinne der älteren Kameral- und Verwaltungslehre zu verstehen sei, für die Veit Ludwig von Seckendorffs (1626–1692) Teutscher Fürstenstaat das beispielgebende Standardwerk war, denn „eine Staatstheorie lag dem nicht zugrunde“.292 In der Folgezeit verlegte Darjes, seinem starken Interesse für Probleme der Land- und Stadtwirtschaft nachkommend, die staatswissenschaftlichen ebenso wie die ökonomischen Fragestellungen in eine allgemeine Vorlesung über Kameralistik.293 Dass der Professor dieser Thematik über mehrere Semester seine öffentliche Hauptvorlesung widmete, war auch dem Drängen seiner Studenten geschuldet, denen er schon mehrfach zuvor in seinen Lehrstunden zur Moral und Politik und in privaten Seminaren über seine ökonomischen Versuche berichtet hatte.294 Mitte der 1750er Jahre trat Darjes in engen Kontakt zu den Erfurter Kameralisten. Zur gleichen Zeit begann er, die einzelnen Teilbereiche der Land- und Stadtwirtschaft sowie der „Policey“ und des eigentlichen Kameralwesens in gesonderten, oft auch parallel angebotenen Lehrveranstaltungen abzuhandeln. Er folgte damit der Untergliederung der Kameralistik, die er in seinem 289 Vgl. UAJ, M 96, Bl. 137; M 97, Bl. 87; M 98, Bl. 125. 290 Vgl. DARJES, Vom Reformiren, S. 59: „Ich werde diese Stollische Lehr-Sätze von der Klugheit in meinen öffentlichen Academischen Fürlesungen, in welchen [ich] diese Wissenschafft zu erklären gewohnt [bin], zum Grunde legen.“ 291 Vgl. NEUPER, Vorlesungsangebot, S. 5, 7. 292 Vgl. MÜLLER, Staatswissenschaften, S. 228. 293 Krug zufolge war unter der „Cameralistik“ in ihrer engeren Auslegung einzig die „Volksund Staatswirthschaftslehre“ zu verstehen, während sie im weiteren Sinne als „Cameralwissenschaften“ zum Beispiel auch die „häusliche oder Privatwirthschaftslehre […] die Forst- und Jagdwirthschaft, die Technologie und die Handelswissenschaft“ in sich begreifen konnte. Erschien Krug hierfür die Eröffnung einer eigenen Fakultät angemessen, so wurde doch „das kameralistische Lehrfach, seitdem es von Darjes ausdrücklich in den Kreis des akademischen Unterrichts aufgenommen worden [war], auf den meisten Hochschulen der philosophischen Facultät zugewiesen“. KRUG, Handwörterbuch, 1. Bd., S. 421 f. Zur Kameralistik als Disziplin und Lehrfach vgl. auch SCHINDLING, Bildung, S. 70–74. 294 Vgl. DARJES, Cameral-Wissenschaften, Vorrede zur ersten Auflage, S. XXXVIII.
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Lehrbuch Erste Gründe der Cameral-Wissenschaften vorgenommen hatte. In der darin dem eigentlichen Lehrgebäude vorangesetzten „Vorbereitung“ warb Darjes um die Anerkennung der theoretischen „Haushaltungskunst“ als akademische Wissenschaft, da ihr Nutzen für „die Wohlfahrt der menschlichen Gesellschaft“, wie er vorher aufgezeigt hatte, dem der Medizin oder der Rechtswissenschaften durchaus vergleichbar sei.295 Die Ausführungen in seinem kameralwissenschaftlichen Lehrbuch pflegte Darjes während der Vorlesungen mit genaueren Erläuterungen und konkreten Beispielen anschaulich zu ergänzen.296 Besonders hilfreich und durchaus nicht selbstverständlich waren dabei die agrarökonomischen Erfahrungen, die er selbst schon in seiner Kindheit und bei seinen zahlreichen späteren Experimenten gesammelt hatte. So konnte der Professor beispielsweise auch den in landwirtschaftlicher Praxis völlig unbewanderten Studenten „alle Handgriffe vormachen, und […] deutlich genug einprägen“.297 Gerade weil ihm ein solch konkreter Bezug darin fehlte, hatte Darjes zuvor die Einleitung in die öconomische Policey- und Cameralwissenschaften des einstmaligen Professors für Kameralwissenschaften in Frankfurt an der Oder, Justus Christoph Dithmar (1678– 1737), als akademisches Lehrbuch verworfen, genauso wie die von einem ungenannten Verfasser stammende, sehr praxisnahe Schrift Klugheit zu leben und zu herrschen, die ihm wiederum zu wenig grundlegendes Wissen bot; da ihm auch Wilhelm von Schröders (1640–1689) Fürstliche Schatz- und Rentcammer sowie Seckendorffs Teutscher Fürstenstaat für den akademischen Unterricht nicht hinlänglich geeignet schienen, hatte er schließlich 1756 sein eigenes Kompendium ausgefertigt.298 Dessen „gemeinnütziger Inhalt“ lasse „eine allgemein beliebte Aufnahme“ erwarten, urteilten die Jenaischen gelehrten Zeitungen beim Erscheinen, und die Allgemeine deutsche Bibliothek nannte es zwölf Jahre später „immer noch das beste“ Handbuch der Kameralwissenschaften.299 Anfang der 1760er Jahre wandte sich Darjes vermehrt den Staatswissenschaften zu: Für das Wintersemester 1761/62 ist eine Vorlesung über die Lehren des Jakob Friedrich Freiherr von Bielfeld (1717–1770) verzeichnet, welche dieser 1760 in seinen Institutions politiques in französischer Sprache veröffentlicht hatte. Die beiden Gelehrten standen schon seit den 1740er Jahren als Freimaurer in enger Verbindung, da Bielfeld zu den Gründern der Berliner Loge Zu den drei Weltkugeln gehörte und Darjes deren Jenaer Tochterloge Zu den drei Rosen vorstand.300 Der Jenaer Professor setzte seine Vorlesung wahrscheinlich bis 1763 fort und ließ im Jahr darauf eine 295 296 297 298 299 300
Vgl. ebd., Vorbereitung. Vgl. ebd., Vorrede zur andern Auflage S. XXIIf. Vgl. GUGENMUS, Schriften, S. 3 f. Vgl. DARJES, Cameral-Wissenschaften, Vorrede zu ersten Auflage, S. XXXVIII f. Vgl. JZ 1756, 50. St., S. 395; AB 1768, 7. Bd., 2. St., S. 310. Vgl. MÜLLER, Freimaurerei und Führungseliten, S. 169. An dieser Stelle ist im Hinblick auf Darjes’ Karriere in Frankfurt an der Oder zudem erwähnenswert, dass Bielfeld ein „Jugendfreund Friedrichs II. und obligatorischer Teilnehmer der Tafelrunden von Sanssouci“ war. BAUER/MÜLLER, Theologie und Aufklärung, S. 145.
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deutsche Einleitung in des Freyherrn von Bielefeld Lehrbegriff der Staatsklugheit für seinen akademischen Unterricht herausgeben. Obschon er beabsichtigte, dessen Ideen auf diese Weise eine weitere Verbreitung zu verschaffen, handelte es sich bei der Schrift nicht um eine Übersetzung, sondern um ein deutlich abweichendes, eigenständiges Lehrbuch.301 Für den Gebrauch an Universitäten scheint es Anklang gefunden zu haben, da es 1787 nahezu unverändert nachgedruckt wurde. Darjes’ Versuch jedoch, mit seiner staatswissenschaftlichen Vorlesung über Bielfelds Werk an die modernere preußische Kameralistik – im Sinne einer Verwaltungs- und Wirtschaftspädagogik – anzuschließen, blieb wegen seiner Abberufung nach Frankfurt ein für Jena folgenloser Impuls. In den Disziplinen der praktischen Philosophie und in der Kameralistik richteten an der Jenaer Universität schon in den 1750er Jahren und teils bis weit in die 1780er Jahre hinein zahlreiche Dozenten ihre Vorlesungen nach Darjes’ Lehren ein. Als besonders populär und beständig erwies sich sein Natur- und Völkerrecht, zu dem sowohl Philosophen als auch Juristen noch mehr als 20 Jahre nach Darjes’ Weggang Lehrveranstaltungen anboten. Um 1766/67 sind über drei Semester gar sieben parallele Angebote nachweisbar. Unter den Vortragenden ist an erster Stelle der erwähnte Justus Christian Hennings zu nennen, welcher das Darjesische Naturrecht ab der Mitte der 1750er Jahre bis zum Winter 1786/87 nahezu ununterbrochen in sein Programm aufnahm. Zum Teil sind die für das jeweilige Semester geplanten Sektionen konkret angegeben, so etwa im Sommer 1776 allgemeines Staatsrecht, im Winter 1779/80 allgemeines Kirchenrecht und im Winter 1782/83 allgemeines bürgerliches Recht.302 Als Hennings schließlich zum inzwischen weitaus verbreiteteren Kompendium des Gießener Juristen Ludwig Julius Friedrich Höpfner (1743–1797) wechselte, hatte er das Naturrecht nach Darjes letztlich wohl häufiger in Jena vorgetragen als dieser selbst. Jedoch blieb er nicht der einzige ausdauernde Anhänger dieses Systems. Die beiden Professoren Ulrich und Scheidemantel etwa griffen ab Mitte der 1760er Jahre kontinuierlich über mehr als 15 beziehungsweise elf Jahre lang auf Darjes’ Kompendium zurück. Letzterer brachte als ordentlicher Rechtsprofessor 1778 schließlich noch ein eigenes Lehrbuch des natürlichen Rechts heraus, da ihm Darjes’ „Methode […] nicht mehr nach dem jetzigen Geschmacke zu seyn schien“ – Einteilungen und Grundbegriffe übernahm er dennoch gänzlich von seinem Vorbild.303 Zusätzlich informierte der Jurist Gottfried Just Wilhelm Salzmann (geb. 1740), ab 1773 außerordentlicher Professor der Rechte und später Hofgerichtsadvokat, die Jenaer Studenten vom Sommer 1765 an elf Semester lang über das Natur- und Völkerrecht nach Darjes, und auch Johann Andreas 301 Vgl. ALZ 1787, Nr. 200, S. 457. Das von Darjes entwickelte Modell des Staats- und Verwaltungsaufbaus beruhte beispielsweise auf den Berufs-, und nicht wie bei Bielfeld auf den Geburtsständen, vgl. BAUER/MÜLLER, Theologie und Aufklärung, S. 145. 302 Vgl. NEUPER, Vorlesungsangebot, S. 153, 184, 205. 303 Vgl. AB 1779, 38. Bd., 1. St., S. 115.
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Grosch, welcher bereits im Winter 1759/60 einen einsemestrigen Kurs darüber gegeben hatte, setzte um diese Zeit hier einen Schwerpunkt.304 Erstreckten sich die entsprechenden Lehrangebote einzelner Dozenten über mehrere aufeinander folgende Semester, wie es außerdem noch bei den philosophischen Magistern Gottlob August Tittel (1739–1816),305 Johann Gottlieb Waldin (1723–1795) und dem Juristen und späteren Professor Jakob Rave (1736–1767)306 der Fall war, so wurde das Natur- und Völkerrecht von diesen wahrscheinlich vollständig abgehandelt. Viele der Dozenten für Natur- und Völkerrecht lehrten auch Moralphilosophie und Politik nach Darjes, doch handelte es sich in diesem Bereich hauptsächlich um einmalige Lehrveranstaltungen: Zehn der 16 ermittelten Dozenten für Darjesische Sittenlehre boten diese nur für ein Semester lang an, vier weitere zwischen zwei und vier Mal. Einzig Hennings und Grosch kündigten ihre Moralvorlesungen anhaltend bis zu den Wintern 1780/81 bzw. 1772/73 nach Darjes’ Lehrbuch an. Seine Politik tauchte verhältnismäßig selten und üblicherweise in Verbindung mit der Moral im Lektionskatalog und auf den Anschlagzetteln auf. Wiederum war es Hennings, der sie zwischen 1770 und 1780 fast durchgängig in sein Programm nahm. In einer gesonderten Vorlesung über zwei Semester hatte vorher Johann Christian Blasche (1718–1792), Rektor der Jenaer Stadtschule sowie außerordentlicher Professor der Philosophie und später ordentlicher Theologieprofessor, die Politik nach Darjes abgehandelt. Ebenso verfuhren die beiden jüngeren Magister Friedrich Just Riedel (1742–1785) und Johann Andreas Sixt (1742–1810). Letzterer kam nach seinem Wirken als außerordentlicher Professor für Philosophie in Jena 1771 auf einen theologischen Lehrstuhl nach Altdorf, während der Publizist und Ästhetiker Riedel, welcher seine Studenten mehrfach wirkungsvoll in das „bekannte Auditorio im Darjesischen Hause“ einlud,307 im Jahr 1768 eine Professur in Erfurt antrat und später an die Kunstakademie nach Wien berufen wurde. Zuletzt erteilten im Winter 1783/84 mit den Professoren Scheidemantel und Ulrich noch zwei Dozenten einmalig Unterricht in Darjesischer Politik, die als einzige nicht auch dessen Moral lehrten – vielleicht gab der 20. Jahrestag von Darjes’ Wechsel nach Frankfurt hierzu Anlass. In kameralistischen Wissenschaften, spezieller über die Land- und Stadtwirtschaft nach Darjes, unterrichtete im Sommer 1761 mit dem in der Folge als Physiokrat bekannt gewordenen Johann August Schlettwein einer seiner engeren 304 Seitens der Universität wurde Grosch übrigens 1769 das Fortsetzen seiner Vorlesung über Natur- und Völkerrecht untersagt, weil seine Studenten dabei zu vielen „Muthwillen getrieben“ hatten, vgl. UAJ, A 2235. 305 Neben Gottlob August Tittel lehrte auch sein älterer Bruder, der außerordentliche Professor und Dr. jur. Karl August Tittel (1727–1784), in Jena Darjesisches Natur- und Völkerrecht. Da in den Quellen zum Teil nur der Nachname ohne Titel angegeben ist, war eine einwandfreie Zuordnung der Lehrveranstaltungen nicht in jedem Fall möglich. 306 Vgl. SPANGENBERG, Handbuch, S. 152 f. 307 Vgl. UAJ, M 150, Bl. 54; M 151, Bl. 63; M 153, Bl. 13.
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Schüler; bevor dieser 1763 als Kammer- und Polizeirat nach Karlsruhe ging, hatte er bereits ein eigenes System der ökonomischen Wissenschaften vorzuweisen.308 Später erhielt Schlettwein als Regierungsrat des Landgrafen von HessenDarmstadt die Professur für Politik, Kameral- und Finanzwissenschaften an der in Gießen eigens nach seinem Plan gegründeten ökonomischen Fakultät.309 In Jena setzte ab dem Wintersemester 1763/64 der Mathematik- und Physikprofessor Laurenz Johann Daniel Suckow (1722–1801) den kameralwissenschaftlichen Unterricht noch zwei Jahre nach den Lehren seines Schwagers fort. Wie jener zählte Suckow zu den ersten Mitgliedern der Erfurter Akademie nützlicher Wissenschaften, der er seit 1754 angehörte, und verfügte damit über langjährige Erfahrungen in dieser Disziplin. Im Jahr 1768 wurde sein eigenes Lehrbuch gedruckt, welches Riedel als „ordentlich, deutlich, zweckmäßig und zu akademischen Vorlesungen sehr brauchbar“ rühmte.310 Es führte zwar Darjes’ Namen im Titel und war von dessen Werk beeinflusst – dennoch distanzierte sich Suckow von einigen Ideen seines Lehrers und setzte eigene Schwerpunkte. Den von Darjes zuletzt versuchten Anschluss an die neuere Kameralistik vollzog er indessen nicht mit, sondern „lenkte sie für die nächsten fünfzig Jahre“, so Müller, „wieder in die Bahnen einer pragmatischen Ökonomie- und Verwaltungsausbildung zurück“.311 2.3.3. Theoretische Philosophie Zwar hatte Darjes 1744 die Professur für praktische Philosophie angetreten, doch unterwies er die Studenten schon zuvor und weiterhin auch in den theoretischen Fächern, der Logik und der Metaphysik. Lehrstuhlinhaber auf diesem Gebiet war zwischen 1738 und 1755 Johann Peter Reusch (1691–1758), dem durch Darjes sicherlich eine spürbare Konkurrenz erwuchs. In fast jedem Semester nämlich trug Darjes während seiner Lehrtätigkeit in Jena die Logik oder Vernunftlehre vor. Aus dieser Kontinuität ist zu ersehen, welche Bedeutung er dieser Disziplin beilegte. Nicht von ungefähr erschien mit der in deutscher Sprache abgefassten Vernunft-Kunst 1737 sein erstes Lehrbuch überhaupt, und auch die Verfertigung eines zweiten, völlig neuen Kompendiums Via ad veritatem sowie dessen spätere eigenhändige Übersetzung312 aus dem Lateinischen ins Deutsche 308 Vgl. UAJ, M 141, Bl. 28; M 143, Bl. 47. 309 Diese Fakultät, an welcher zukünftigen Beamten Unterricht in Politik und Ökonomie ausschließlich in deutscher Sprache erteilt werden sollte, war als fünfte den klassischen vier Fakultäten der Universität gleichgestellt, vgl. SCHLETTWEIN, Grundverfassung. 310 Vgl. SUCKOW, Cameral-Wißenschaften. Zitat: RIEDEL, Philosophische Bibliothek, S. 54. 311 MÜLLER, Staatswissenschaften, S. 230. 312 Vgl. DARJES, Via ad Veritatem; Ders., Weg zur Wahrheit. Die Übersetzung unternahm der Gelehrte auf die persönliche Bitte der Prinzen Wilhelm und Friedrich August von Braunschweig und Lüneburg hin, vgl. ebd., Vorrede S. 14 f.
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gehören zu den Besonderheiten in Darjes’ Bibliographie. Gemessen an dem von ihm formulierten wesentlichen Bildungsziel der Hochschulen, nämlich der Fähigkeit zum eigenständigen Denken und Urteilen, erscheint eine solche Gewichtung der Logik durchaus passend, lehrt sie doch die dafür erforderlichen Regeln. Litt das erste Lehrbuch aufgrund unzureichender Erfahrung des Verfassers noch unter einigen Mängeln, so war Darjes hinsichtlich seiner zweiten, „verbesserte[n] Logic“ auch 20 Jahre nach deren Erscheinen, während er an der deutschen Ausgabe arbeitete, „überzeuget, daß sie die Kunst selbstzudenken, so kurz als es möglich ist, aber doch vollständig, beschreibet“.313 Höchst ungewöhnlich und damit offenbar für einige Studenten verunsichernd schien der Umstand zu sein, dass der Dozent sich auch in seinen Vorlesungen nicht scheute, auf die Unreife seines ersten Werkes hinzuweisen: Der Student Johann Christian Müller jedenfalls befürchtete, Darjes könnte „um etl[iche] Jahre eben so“ über seine neue Logik sprechen, „so vollkommen er sie jetzo auch ausgiebet“.314 Im Übrigen war die Vernunft-Kunst bei gelehrten Zeitgenossen durchaus nicht durchgefallen, wie sich etwa in einer Rezension Ludovicis zeigt, welcher allein an der gewählten Vortragsart Anstoss nahm, das Werk an sich aber mit Lob bedachte.315 Als ein „neues und zu dem Gebrauch bey Vorlesungen sehr bequemes Lehrgebäude“ verzeichneten dann die Jenaischen gelehrten Zeitungen die 1755 erschienene lateinische Ausgabe, mit der dem Verfasser die „Befreyung“ der Vernunftlehre von dem „vielfältigen Verdruß“, den sie üblicherweise „im Vortrag den Zuhörern erwekt“, gelungen sei; er habe in diesem Lehrbuch „das wichtigste dieser Wissenschaft erleichtert und deutlicher gemacht“.316 In sechs Abschnitten wurden darin der Begriff der Wahrheit, die Erkenntnis der Wahrheit, die Hilfsmittel bei der Wahrheitsfindung, sowie das richtige Folgern und Schließen aus feststehenden Wahrheiten abgehandelt. Noch über 80 Jahre nach seinem Erscheinen zählte Krug das Werk in seinem Handwörterbuch der philosophischen Wissenschaften zu „den ältern Logiken, welche noch immer mit Nutzen zu gebrauchen sind“.317 Als brillanter und viel gehörter Logiklehrer bildete Darjes zahllose junge Männer zu respektablen Gelehrten aus – die ihm 1785 offerierte Ehrenmedaille trägt bezeichnenderweise den Titel seines Kompendiums Via ad veritatem als Umschrift.318 Zu vergegenwärtigen ist in diesem Zusammenhang, dass gerade über diese gut geschulten Gelehrten auch der Entwicklung der modern betriebenen Wissenschaften an den Universitäten weiter Vorschub geleistet wurde. Wollten sich Darjes’
313 314 315 316
DARJES, Kurze Nachricht, S. 19. MÜLLER, Lebens Vorfälle, S. 59. Vgl. LUDOVICI, Ausführlicher Entwurf 2, S. 340 f. Vgl. JZ 1755, 64. St., S. 505–507. Rezension auch übernommen in TB 1755, 9. St., S. 133 ff. 317 KRUG, Handwörterbuch, 5. Bd., S. 272. 318 Eine Abbildung und Beschreibung dieser Gedenkmedaille ist zu finden in BERSWORDTWALLRABE, Die Medaille, S. 108 f. Vgl. auch FREDE, Weimar in Medaillen, S. 139 f.
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Zuhörer zusätzlich zur Hauptvorlesung regelmäßig in der Anwendung der logischen Gesetze üben, konnten sie sich ebenfalls bei ihrem Lehrer für entsprechende Kurse anmelden.319 Neben der Mathematik empfahl Darjes ihnen, zur praktischen Übung Schach zu spielen und dessen Regeln ausführlich zu beschreiben; er selbst befasste sich, beispielsweise bei geselligen Zusammenkünften mit ausgewählten Studenten und befreundeten Professoren, ebenfalls gern mit derartigen Spielen.320 Mit seinem ehemaligen Hörer in Frankfurt übrigens, dem später als Mathematiker und Naturwissenschaftler in Braunschweig tätigen Johann Christian Ludwig Hellwig (1743–1831), wurde Darjes angeblich dadurch enger bekannt, dass dieser ihm seinen Versuch eines aufs Schachspiel gebaueten taktischen Spiels zur Durchsicht brachte; Darjes’ Name ist in der Subskribentenliste des 1780 gedruckten Buches verzeichnet.321 Neben der Logik lehrte Darjes mit der Metaphysik eine weitere Hauptdisziplin der theoretischen Philosophie, in der er die „Seele einer gründlichen Gelehrsamkeit“322 sah. Sie umfasste die spekulativen Wissenschaften, zu denen neben der allgemeinen Metaphysik, Ontologie und Monadologie unter anderem Psychologie und Geisterlehre, die Lehre von den Maschinen oder die Naturtheologie gehörten.323 Eine gesonderte Lehrveranstaltung über letztere schlug Darjes nur in seinem zweiten und dritten Semester als Dozent an; über die gesamte Metaphysik las er dagegen semesterweise, bis er spätestens Ende der 1740er Jahre diese Vorlesungen auf das Wintersemester beschränkte. Er stützte sich dabei wie gewöhnlich auf Wolffs Bücher, diktierte seinen Studenten aber zahlreiche Ergänzungen. 1743 ließ er den ersten Band seines eigenen, in lateinischer Sprache verfassten Lehrbuchs unter dem Titel Elementa metaphysices drucken, im darauffolgenden Jahr erschien der zweite, mit einem Register versehene Band. 324 Die „Schreibart und die Art der Ausführung“ war, so heißt es in den Göttingischen Zeitungen, „ganz nach dem Geschmack vieler jezt lebenden Philosophen, und […] seiner Zuhörer […] eingerichtet“,325 und so verwundert es nicht, dass im Jahr
319 Explizit bot Darjes „Uebungen zur Logik“ nur im Winter 1761/62 an, doch ist zu vermuten, dass auch die sonst als „übliche Privatissima“ bezeichneten Kurse öfter solche Stunden enthielten, vgl. NEUPER, Vorlesungsangebot, S. 46. 320 Die Allgemeine Literatur-Zeitung berichtete sogar darüber, dass „Darjes, nach Endigung seiner logischen Vorlesungen, seinen Zuhörern zur Uebung in dem systematischen Vortrage, die Beschreibung solcher Spiele vor[schlug]“. ALZ 1795, Nr. 327, Sp. 503 f. Vgl. außerdem BREUNLICH/MADER, Zinzendorfs Jugendtagebücher, S. 130, 136 ff. 321 Vgl. HELLWIG, Schachspiel, Subscribenten-Verzeichniß, S. VI. Vgl. außerdem Art. Johann Christian Ludewig Hellwig in KOETHE, Zeitgenossen, S. 122–147. 322 DARJES, Kurze Nachricht, S. 19. 323 Das Spektrum dieser Wissenschaft geben unter anderem die in den Titeln der Darjesischen metaphysischen Lehrbücher angegebenen Disziplinen wieder, vgl. DARJES, Elementa I, II. 324 Vgl. ebd. 325 GzvgS 1744, 72. St., S. 623.
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1753 unter dem gleichen Titel eine vermehrte Neuauflage in einem Band herauskam. Bemerkenswert indessen ist, dass die Metaphysik Darjes’ einziges Lehrfach blieb, für das bis zum Ende einzig ein Kompendium in lateinischer Sprache vorlag. Dessen beträchtlicher Umfang allerdings machte es den nach seinem System Lehrenden unmöglich, den neu aufkommenden Gebräuchen folgend die Metaphysik in einem Semester abzuhandeln, weshalb der Verfasser wiederholt um eine Kurzfassung des Lehrbuches ersucht wurde. Darjes jedoch lehnte entschieden ab, weil er „von diesem überzeuget [war], daß eine seichte metaphysische Erkänntniß der Wahrheit höchst nachtheilig sey“.326 Sein Schüler Friedrich Just Riedel schließlich versuchte sich 1766 vorerst anonym an einem knappen Auszug, indem er Darjes’ Elementa einer damals neuartigen Lehrmethode folgend in 34 Tabellen brachte – dem Urteil der Allgemeinen deutschen Bibliothek zufolge schuf er damit zwar eine nützliche Übersicht für jeden mit „bereits erlangter Erkenntnis“, doch als Unterrichtsbuch war dieses metaphysische „Sceleton“ offenbar nur „von sehr gutem Gebrauche“ für „Zuhörer, die […] Anfänger sind und bleiben wollen“.327 Im Jahr 1768 veröffentlichte daraufhin Hennings einen lateinischen Auszug, den Riedel durchaus für brauchbar hielt.328 Den Mangel an einem handlichen Lehrwerk für die Darjesische Metaphysik schien dieser dennoch nicht gänzlich zufriedenstellend behoben zu haben. In deutscher Sprache hingegen war im Jahr 1750 der naturtheologische Teil der Elementa als Anhang zu Darjes’ Sitten-Lehre herausgebracht worden. Verantwortlich für diese Übersetzung mit dem Titel Erste Gründe der natürlichen Gottesgelahrheit nebst der philosophischen und theoretischen Abhandlung von der Stadt Gottes zeichnete Christian Nikolaus Naumann (1720–1797), unter anderem Mitherausgeber der Jenaischen gelehrten Zeitungen, doch war mit der Hauptarbeit dem Vorwort zufolge ein Ungenannter betraut worden.329 Diese Übersetzung bildete vielleicht die Grundlage für einzelne Vorlesungen über Darjesische Naturtheologie, wie sie etwa von dem eingangs erwähnten Friedrich Daniel Behn Anfang der 1760er Jahre über mehrere Semester, danach auch von dem späteren Philosophieprofessor Gotthelf Hartmann Schramm (1722–1776) im Winter 1764/65 und von Sixt im Sommer 1768 anboten wurden.330 Die vollständige Metaphysik des Darjes fand als Lehrgegenstand ebenfalls ihre Anhänger, wenn das Interesse der Dozenten auch mäßig blieb: Pro Semester wurden höchstens drei Lehrveranstaltungen darüber angekündigt, was im Wesentlichen wohl auf das vergleichsweise sperrige Lehrbuch zurückzuführen war.
326 DARJES, Kurze Nachricht, S. 20. 327 Vgl. RIEDEL, Metaphysicae Dariesianae; AB 1769, 9. Bd., 2. St., S. 223–225. 328 Vgl. HENNINGS, Compendium Metaphysicum. Rezension vgl. RIEDEL, Philosophische Bibliothek, S. 85 ff. 329 Vgl. NAUMANN, Vorbericht. 330 Vgl. UAJ, M 141, Bl. 25, M 142, Bl. 61, M 144, Bl. 80 (Behn); M 147, Bl. 59 (Schramm); M 154, Bl. 68 (Sixt).
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Hennings schlug ab dem Winter 1759/60 und noch als Professor für theoretische Philosophie bis zum Sommer 1770 mit wenigen Ausnahmen durchgängig über Darjesische Metaphysik an. Ab 1765 gesellten sich für mehrere Semester die Angebote von Sixt und Riedel dazu, welche damit Grosch in seiner Lehrtätigkeit auf diesem Gebiet ablösten – Riedel nutzte für seinen Unterricht selbstverständlich die von ihm angefertigten Tabellen. Mit Hennings schließlich endeten die Metaphysikvorlesungen über den Darjes nur wenige Jahre nach dessen Weggang aus Jena. Einen der Metaphysik vergleichbaren Zuspruch unter den Lehrenden fand die Darjesische Logik. Auch sie tauchte einzig in Hennings’ Programm anhaltend und regelmäßig auf: Fast 15 Jahre lang las dieser mit offenbar ununterbrochener Regelmäßigkeit bis zum Sommer 1774 über Darjes’ System. Daneben konnten die Studenten in den 1760er Jahren für jeweils mehrere Semester einen entsprechenden Logikunterricht zuerst bei Behn, dann auch bei Grosch und später bei Sixt besuchen. In der Zeit um Darjes’ Abgang von der Universität, nämlich in den Semestern 1763 sowie 1765/66 und 1766, fanden sich jeweils vier parallele Lehrveranstaltung zu seiner Logik. Zuletzt griff noch einmal Grosch für seine Sommervorlesung 1782 auf Darjes’ Lehrbuch zurück. Im Zusammenhang mit der Frage, wie lange andere Dozenten die Darjesischen philosophischen Konzepte beibehielten, ist zu berücksichtigen, dass in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Philosophie Immanuel Kants (1724–1804) als Lehrsystem aufkam. Anfangs in ihrer Originalität von den wenigsten erfasst, wurde ihr vor allem durch ihre Rezeption in Jena um die Mitte der 1780er Jahre schließlich zum breiten Durchbruch verholfen – mit einem Schlag schienen die zuvor populären philosophischen Systeme gänzlich veraltet. Ein Kommentar Wilhelm Gabriel Wegeners (1767–1837), welcher ab 1785 in Frankfurt an der Oder studierte, verdeutlicht, dass Darjes’ Ansichten von der jüngeren Generation nun gleichermaßen als angestaubt empfunden wurden: Es sei „doch nicht unnütz“ gewesen, mokierte sich Wegener über dessen Vorlesungen, „daß wir mit der anno 1730 gangbaren Philosophie bekannt wurden, und das pedantische Wesen der damaligen Philosophie an einem lebendigen Exempel vor Augen sahen“.331 Aufschlussreicher ist das Urteil des Studenten Marot in Frankfurt: Demnach war Darjes „gründlich, aber nach alter Art“, „gelehrt, systematisch streng, konnte sich aber in die Kant’schen Ideen nicht hineinfinden, obgleich er achtungsvoll von Kant sprach und vieles in dessen System billigte“.332 Hinske weist darauf hin, dass sich um diese Zeit nahezu alle Jenaer Dozenten des Faches mit Kants kritischer Philosophie auseinandersetzten, was sich im Vorlesungsangebot entsprechend niederschlug: Johann August Heinrich Ulrich kündigte erstmals im
331 WEGENER, Lebensgeschichte, S. 451. 332 Zitiert nach BRUHNS, Humboldt, S. 52 f.
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Winter 1784 Logik und Metaphysik unter besonderer Berücksichtigung der Kantischen Lehren an, Hennings folgte ihm zwei Jahre später und Grosch schließlich im Sommer 1789.333 2.3.4. Mathematik Mit den mathematischen Wissenschaften, die er bereits in seiner Kindheit mit besonderer Leidenschaft betrieben und während seiner Hochschuljahre in Jena bei den Medizinern Georg Erhard Hamberger (1697–1755) und Johann Andreas von Segner (1704–1777) eingehend studiert hatte, eröffnete Darjes seine Dozentenkarriere. Neben der „Mathesis pura“ unterrichtete er auch Algebra und später „Mathesis adplicata“ nach Wolff. Dabei sollten, wie Darjes’ Anschlagzettel vom Sommersemester 1736 verlauten ließ, Wolffs Lehrbuch Auszug aus den Anfangsgründen aller mathematischen Wissenschaften für die Mathesis sowie der erste Band seines lateinischen Kompendiums Elementa Matheseos universae in der Algebra Verwendung finden.334 Den mathematischen Unterricht setzte Darjes in Jena regelmäßig bis zum Wintersemester 1755/56 fort, ab 1747 mithilfe seines eigenen deutschsprachigen Grundlagenbuchs Erste Gründe der gesamten Mathematik.335 Darin enthalten waren „Mathesis pura oder lehrende Mathematik“ und „Mathesis adplicata oder practische Mathematik“, welche von Darjes ab Mitte der 1740er Jahre meist abwechselnd in jeweils einem Semester abgehandelt wurden. Der erste, theoretische Teil umfasste „Rechen-Kunst“, Geometrie, Trigonometrie und Dynamik. Zum zweiten Teil, also zu der auf die Anwendung ausgerichteten und damit bereits in zahlreiche andere naturwissenschaftliche Disziplinen hineinreichenden Mathematik, zählte Darjes Mechanik, „Aerometrie“, Musik, Hydrostatik, Hydraulik, Optik, „Perspectiv“, „Feuer-Kunst“, bürgerliche und militärische Architektur, „Artillerie-Wissenschaft“, Astronomie, Chronologie, Gnomonik und Geographie. Die Deutlichkeit und gute Ordnung des Lehrbuchs brachten ihm das Lob der Rezensenten ein, welche überdies auf die ebenfalls darin enthaltene Theorie über die Töne als einen ungewöhnlichen Exkurs in die
333 Außer diesen führt Hinske noch Carl Christian Erhard Schmidt (1761–1812) und insbesondere Karl Leonhard Reinhold (1758–1823) als Vermittler Kantischer Philosophie in Jena an, vgl. HINSKE, Kantische Philosophie, S. 2 ff. Reinhold, der Schwiegersohn Christoph Martin Wielands, war übrigens seit dem Jahr 1787 Darjes’ Nachfolger in der bis dahin vakanten Jenaer Professur für praktische Philosophie. 334 UAJ M 91, Bl. 139. Christian Wolffs Auszug ist eine wiederholt aufgelegte kürzere Zusammenfassung seines vierteiligen, ab 1710 in mehreren Auflagen erschienenen Werks Anfangsgründe aller mathematischen Wissenschaften. Ab 1713 auch in lateinischer Sprache als Elementa Matheseos universae. 335 Vgl. hier und im Folgenden DARJES, Mathematik. Die folgenden Zitate entstammen dem Inhaltsverzeichnis.
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IV. AUFGABE DER HOCHSCHULE UND DES HOCHSCHULLEHRERS
Musik nicht hinzuweisen vergaßen.336 Weitere Auflagen des Lehrbuchs erschienen in den Jahren 1757 und 1764. An der Universität verwendete Darjes zur Veranschaulichung des Vorgetragenen selbstgefertigte Pappmodelle und lieh seinen Studenten, wie in Wegeners Autobiographie nachzulesen ist, auch bereitwillig „seine geometrischen Werkzeuge zum Feldmessen“.337 Die Algebrastunden, welche er nach den Anfangssemestern nur noch unregelmäßig und oft nur „auf Verlangen“ seiner Studenten anbot, hielt er bis zuletzt „nach Wolff“. Erst später in Frankfurt arbeitete der Professor auf Wunsch des Prinzen Wilhelm von Braunschweig ein eigenes Lehrbuch der Algebra aus, übergab es aber nicht dem Druck.338 Daneben liegen kleinere Abhandlungen und auch gedruckte Vorträge, in denen Darjes jeweils speziellere mathematische Fragen thematisiert hatte, aus verschiedenen Jahren vor, die sein besonderes und fortdauerndes Interesse an der Mathematik spiegeln. Darjes’ Mathematikstunden scheinen, so legen dies zumindest seine eigenen Aussagen nahe, verhältnismäßig gut besucht gewesen zu sein. So habe er ein eigenes Lehrbuch unter anderem deshalb herausgebracht, weil seine „Zuhörer in so ansehnlicher Zahl“ kämen – in einem Text von 1749 gab er deren absolute Anzahl mit „über 1.000 Personen“ an.339 Da andere Dozenten offenbar, sobald sie Mathematikunterricht nach Darjes’ Kompendium ankündigten, ebenfalls „einen artigen Applausum“ zusammenbrachten, musste die Frequenz in den Veranstaltungen des ordentlichen Mathematikprofessors in Jena, Johann Bernhard Wiedeburg (1687–1766), und seiner Anhänger merklich sinken – Darjes zufolge gelang es ihnen „mit aller angewandten Mühe kaum 5 Auditores in einem collegio“ zu versammeln,340 woraus wohl wegen der Hörgelder Konflikte zwischen den beiden Professoren erwuchsen; Darjes zumindest schrieb im August 1749 an Haller über eine Fehde mit Wiedeburg, welchen er auch für den Verfasser oder Auftraggeber des öffentlichen Verrisses seines Mathematikbuchs hielt.341 Ab dem Sommersemester 1756 scheint Darjes den Mathematikunterricht vollständig an Laurenz Johann Daniel Suckow abgetreten zu haben. Dieser hatte im gleichen Jahr eine ordentliche Professur für Mathematik und Physik erhalten und gebrauchte in seinen Vorlesungen das Darjesische Lehrbuch. Für die zweite Auflage 1757 steuerte er ein neues Kapitel über die von ihm besonders geschätzte Astronomie bei. Anfang der 1760er Jahre versuchte sich überdies Behn 336 337 338 339 340 341
Vgl. FN 1748, IX. St., S. 67 f.; FUN 1747, XL. St., S. 315 ff.; GzvgS 1747, 20. St., S. 160. WEGENER, Lebensgeschichte, S. 451. Vgl. auch DARJES, Antwort Rezension, S. 284. Vgl. Ders., Kurze Nachricht, S. 26. Ders., Mathematik, Vorrede; Ders., Antwort Rezension, S. 285. Darjes an Haller, 22. August 1749. BB Bern, Nachlass Albrecht von Haller, Briefe. Vgl. Darjes an Haller, 04. August 1749, 22. August 1749. BB Bern, Nachlass Albrecht von Haller, Briefe. Die negative Rezension der Mathematik erschien in Leipzig in den Neuen Zeitungen von Gelehrten Sachen (NZ 1749, Nr. XXXV. S. 313–316) und wurde nachgedruckt in Zürich in den Freymühtigen Nachrichten von Neuen Büchern (FN 1750, VI. St. S. 44–46).
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über mehrere Semester als Dozent in Darjesischer Mathematik. Die sieben übrigen ermittelten Vortragenden, welche in diesem Fach ausdrücklich Darjes’ Lehrbuch gebrauchten, boten ihre Kurse nur einmal an. Unter ihnen sei für das Wintersemester 1759/60 Johann August Schlettwein erwähnt. Suckow verzichtete nach dem Sommer 1787 auf entsprechende Bezugnahmen. Beschlossen wurde der Unterricht in der reinen Mathematik nach Darjes im Sommer darauf mit einer letzten Vorlesung von Johann Lorenz Julius von Gerstenbergk (1749– 1813), ab 1801 außerordentlicher Professor der Philosophie und später der Mathematik in Jena. 2.3.5. Zum Wirkungsradius Darjesischer Lehrbücher Insgesamt konnten für die Jenaer Universität der 1750er bis 1780er Jahre 32 Dozenten ermittelt werden, die für jeweils mindestens eine ihrer Lehrveranstaltungen ein Lehrbuch Darjes’ nutzten; oft hatten sie als Studenten selbst den Vorlesungen des Verfassers beigewohnt. Der Gebrauch der Kompendien für den akademischen Unterricht blieb jedoch keineswegs auf Jena beschränkt – allein die mehrfachen Neuauflagen lassen auf eine wesentlich größere Verbreitung schließen. Eben davon zeugt die bereits weiter oben zitierte Stelle aus einem Brief Darjes’ an seinen Weimarer Regenten, in welcher der Gelehrte über den Unterricht in Darjesischem Natur- und Völkerrecht an den Universitäten Halle und Kopenhagen berichtete. Entsprechendes ist auch den Züricher Freymüthigen Nachrichten von Neuen Büchern zu entnehmen, die 1748 in einer Rezension anmerkten, Darjes’ bis dahin erschienene Lehrbücher dienten Gelehrten „auf verschiedenen Universitäten in und ausser Deutschland“ als Grundlage für ihre Vorlesungen.342 In herausragender Weise gilt dies für sein Lehrbuch des Natur- und Völkerrechts, die Institutiones jurisprudentiae universalis, welches den Untersuchungen Schröders und Pielemeiers zufolge als eines der damaligen Standardwerke an deutschen Universitäten anzusehen ist: „Man wird sich an die Vorstellung gewöhnen müssen“, so resümieren sie, „daß die meisten Juristen und Philosophen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nicht nach Wolff oder Kant, sondern nach Darjes, Achenwall und Höpfner gelernt haben.“343 Oft setzten Absolventen oder junge Dozenten der Jenaer und später der Frankfurter Hochschule, wenn sie andernorts eine Stellung als Universitätslehrer antraten, ihren Unterricht nach den Darjesischen als ihren gewohnten Kompendien fort. So bot beispielsweise der Jurist und Philosoph Jakob Friedrich Rönnberg (1738–1809), der 1758 an der Jenaer Universität eingeschrieben war, in Rostock sogar noch nach der Wende zum 19. Jahrhundert – und damit bedeutend länger als die
342 FN 1748, IX. St., S. 67. 343 SCHRÖDER/PIELEMEIER, Naturrecht, S. 262 f.
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IV. AUFGABE DER HOCHSCHULE UND DES HOCHSCHULLEHRERS
Jenaer Dozenten – Lehrveranstaltungen über Darjes’ Sitten-Lehre an.344 Auch der philosophische Magister Ludwig Martin Träger (1742–1772), welcher an der Universität in Halle ab 1762 bis zu seinem Tod regelmäßig über Darjes’ Logik und anfangs auch über dessen Metaphysik las, hatte zuvor als Student in Jena noch kurze Zeit Darjes’ Vorlesungen besucht; sein eigenes metaphysisches Lehrbuch erschien 1770, blieb allerdings zumindest formal deutlich an den Vorgänger angelehnt.345 Ein weiterer ehemaliger Student aus Jena, der mit Darjes fast gleichaltrige Ungar Karl Andreas Bel (1717–1782), lehrte in Leipzig dessen allgemeines Staatsrecht346 – ein Philosoph und Jurist übrigens, den Darjes in einem Brief von 1749 als seinen „Feind in Leipzig“ betitelt hatte.347 Am gleichen Ort erwies sich mit Karl Ernst Wieland (1755–1828) zudem ein jüngerer, in Frankfurt an der Oder ausgebildeter Darjes-Schüler als Anhänger des Darjesischen Natur- und allgemeinen Staatsrechts sowie der Logik.348 Daneben belegen andere Beispiele, dass freilich einem Rückgriff auf die von Darjes verfassten Lehrbücher nicht unbedingt der persönliche Besuch seiner Vorlesungen vorausgegangen sein musste. Die Brüder Gustav Bernhard (1720–1783) und Otto David Heinrich Beckmann (gest. 1784) in Halle beispielweise, beide später Professoren in Göttingen, lehrten schon in den 1740er Jahren das Natur- und Völkerrecht nach dem Darjesischen Kompendium, sind jedoch nicht in der Jenaer Matrikel erfasst.349 Gleiches gilt für den Juristen Johann Wilhelm Gadendam (1709–1771), der an der Kieler Hochschule das Naturrecht nach Darjes lehrte.350 Einen punktuellen Überblick über die Rezeption der Darjesischen Systeme im deutschen Gebiet um 1780/82 erlaubt Friedrich Ekkards zweibändiges Litterarisches Handbuch der bekanntern hoehern Lehranstalten in und ausser Teutschland, da es die deutschen Universitäten und auch einige Gymnasien samt der zugehörigen Lehrer mit ihrem jeweiligen Lehrprogramm verzeichnet. Demnach hielten neben Darjes zu diesem Zeitpunkt weitere 13 Dozenten an sieben Hochschulen – nämlich in Erfurt, Jena, Bützow, Frankfurt an der Oder, Halle, Rinteln und Leipzig – ihre Vorlesungen nach Darjesischen Lehrbüchern. 351 Dass nicht an jeder Universität eine
344 Vgl. ESCHENBACH, Annalen, 3. Bd., 48. St., S. 379; 11. Bd., 31. St., S. 242. 345 Vgl. SCHRÖPFER, Träger. Ludwig Martin Träger ist in der Jenaer Matrikel unter dem 1. Mai 1762 als „Lud. Martin. Troeger. Saraepont“ verzeichnet, vgl. Matrikel Jena. 346 Vgl. Leipziger Intelligenz-Blatt (im Folgenden: LIB) 1779, S. 399. Bel war ab September 1736 Student in Jena, vgl. Matrikel Jena. 347 Darjes an Haller, 22. August 1749. BB Bern, Nachlass Albrecht von Haller, Briefe. 348 Vgl. LIB 1779, S. 183, 406; 1781, S. 398; EKKARD, Handbuch, Teil 2, S. 264. 349 Vgl. BECKMANN/BECKMANN, Gedancken, S. 22. 350 Vgl. O. V., Schriften Uni Kiel, S. 71. 351 Vgl. ebd. Es lehrten demnach in Erfurt der Jurist Karl Friedrich Dieterich (1734–1805) Naturrecht (I, S. 66), in Jena Suckow Kameralwissenschaften sowie Hennings und Ulrich praktische Philosophie (I, S. 159 ff.), in Bützow Samuel Simon Witte (1738–1802) Naturrecht und Ethik (I, S. 170 f.), in Frankfurt an der Oder der Philosoph und Jurist Georg Samuel Madihn (1729–1784) Naturrecht, Nikolaus [eigtl. Nathanael] Friedrich
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freie Wahl der Kompendien erwünscht war, berichtet Schlosser: Der Philosophieprofessor Johann Georg Heinrich Feder (1740–1821) nämlich habe bei seiner Ankunft in Göttingen 1768 seine Vorlesungen über die Moral ebenfalls nach dem Darjesischen Buch angekündigt, sei aber mit dem Hinweis auf die Vornehmheit der Hochschule ermahnt worden, künftig einzig die an dieser Universität selbst entstandenen Lehrbücher zu verwenden.352 Eine solche Anordnung allerdings diente wohl an dieser erst 1732 gegründeten Universität vordergründig dem Ziel, sich gegen die etablierten und renommierten Hochschulen durchzusetzen, und dürfte kaum gegen auswärtige Gelehrte gerichtet gewesen sein. Bemerkenswert bleibt aber der Umstand, dass Feder auf besagtes Werk offenbar aus einer Gewohnheit heraus zurückgreifen wollte, die aus seiner Zeit als Lehrer am Gymnasium Casimirianum zu Coburg stammte. Dort waren die Lehrbücher des Darjes von seinem Vorgänger Johann Christoph Cramer (173?–1765) für den studienvorbereitenden Unterricht eingeführt worden.353 Der Geistliche Adam Friedrich Ernst Jacobi, der ab 1752 in Jena bei Darjes studiert hatte, versuchte als Coppenbrügger Pfarrer sogar bereits den jüngeren Kindern zwischen acht und zwölf Jahren die Geometrie in einem Auszug aus dessen Lehrbuch zu vermitteln.354 Dass damals der aktuellste akademische Wissensstand in erstaunlich kurzer Zeit Eingang in den Bildungskanon des höheren Schulwesens fand, dokumentiert auch Ekkards Handbuch, welches für zwei Gymnasien Unterricht nach Darjes anzeigt: In Hamburg benutzte der ehemalige Jenaer Student Johann Heinrich Vincent Nölting (1736–1806) dessen Kompendium der Logik, in Karlsruhe lehrte der schon oben unter den Jenaer Universitätsdozenten angeführte Gottlob August Tittel Darjesische Philosophie.355 Da Professorenstellen an renommierten Gymnasien denen an Universitäten in Ansehen und Besoldung
352
353 354 355
From (1736–1797) Philosophie und Daniel [eigtl. Samuel] Benjamin Sitcovius reine Mathematik und Philosophie (II, S. 18–22), in Halle Wenzeslaus Johann Gustav Karsten (1732–1786) sowie Johann Philipp Müller Logik (II, S. 65 ff.), in Rinteln Johann Nikolaus Möckert (1732–1792) Naturrecht und Moral (II, S. 119 f.) und schließlich in Leipzig der erwähnte Wieland Natur- und allgemeines Staatsrecht nach Darjes (II, S. 264). Vgl. SCHLOSSER, Geschichte des 18. Jhds., S. 75. Laut dem in den Göttingischen Anzeigen abgedruckten Vorlesungsverzeichnis hatte Professor Feder für das Sommersemester 1768 eine Moralvorlesung „über den Darjes“ angekündigt (GA 1768, 38. u. 39. St., S. 306). In seinem eigenen Philosophielehrbuch schrieb Feder: „Darjes ist ohnstrittig der subtilste Philosoph unserer Zeit, und erfordert subtile Leser. Man kann das Nachdenken durch Lesung seiner Schriften üben, und man wird dadurch mit Hochachtung für ihn eingenommen.“ Allerdings riet er seinen Lesern davon ab, Darjes „allein als Führer zu nehmen […] weil man sich zu sehr an eine gehäufte Terminologie gewöhnt, dabey man andern unverständlich wird, und dabey mancher Gefahr laufen möchte, das Brauchbare der Wahrheiten zu verlieren“. FEDER, Grundriß, S. 44 f. Vgl. DÖRING, Feder, S. 212 f. Zu Cramer vgl. POGGENDORFF, Handwörterbuch, Sp. 493. Vgl. ABL 1772, 2. Bd., S. 52 ff. In dieser Rezension fiel Jacobis Versuch mit der Begründung durch, er sei gänzlich ungeeignet für so junge Kinder. Zu Jacobi vgl. JACOBI, Lebensgeschichte, S. 223–256. Vgl. EKKARD, Handbuch, Teil 1, S. 222, 247.
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oft nicht nachstanden, gehörte ein Wechsel zwischen akademischem und gymnasialem Lehreramt, wie ihn Tittel vollzog, übrigens zu den in dieser Zeit durchaus üblichen beruflichen Veränderungen. Laurenz Johann Daniel Suckow in Jena lehnte gar eine Berufung an die Universität Erlangen ab, um kurze Zeit später einem Ruf ans Hamburger Gymnasium zu folgen.356 Zweifelsohne wird sich diese verbindende Praxis, die der heutigen fast vollkommenen Abschottung von Schulen gegenüber jeglicher moderner Wissenschaft gänzlich entgegensteht, günstig auf das Niveau des studienvorbereitenden Unterrichts, die Studierfähigkeit der Absolventen und den zu meisternden Übertritt ins Studentendasein ausgewirkt haben. Die hier angeführten Beispiele zeigen bereits deutlich, dass die Darjesischen Systeme über Jahrzehnte in weiten Teilen des deutschsprachigen Raums und auch unter Gelehrten verschiedener Generationen populär waren. Ein über die Absicht dieses Kapitels hinausführendes, jedoch höchst aufschlussreiches Projekt dürfte die umfassende Auswertung zeitgenössischer Quellen sein, die beispielhafte Daten etwa über die tatsächliche geographische Verbreitung Darjes’ einzelner Kompendien oder die Intensität und die Dauer ihres jeweiligen Einflusses liefern könnte; insbesondere ein Vergleich mit den beliebtesten zeitgenössischen Lehrbüchern anderer Verfasser wäre in diesem Zusammenhang interessant.
356 Vgl. z.B. die Lebensbeschreibung Suckows in BALDINGER, Biographien, S. 130.
V.
Das Sozietätenwesen als ein Motor gesellschaftlicher Innovation
V. Das Sozietätenwesen
1.
Die Bildung von Sozietäten im 18. Jahrhundert
Bildung von Sozietäten im 18. Jahrhundert Ein aus den vorangegangenen Jahrhunderten durchaus schon bekanntes, jedoch in wesentlich geringerer Größenordnung und Bedeutung auftretendes Phänomen war der im 18. Jahrhundert bemerkenswert zunehmende Zusammenschluss verschiedener Bevölkerungsgruppen in einer Vielzahl, ihren Zielen, ihrer Organisationsform und ihrer jeweiligen Mitgliederstruktur nach recht unterschiedlichen Sozietäten. Es kann für diese Epoche mit Agethen geradezu ein „Bedürfnis nach Sozietätsbildung“ festgestellt werden.1 Ein wesentlicher Antrieb dürfte die durch absolutistische Etikette und strenge Formalität nahezu unüberwindliche Reglementierung des Öffentlichen gewesen sein, die für das gebildete Bürgertum ebenso wie für den Adel gleichzeitig mit einer weitgehenden politischen Einflusslosigkeit verbunden war. Erstarrte offizielle Strukturen und ein bedrohliches „Gefühl des Ausgeliefertseins“2 führten dazu, dass die Menschen zunehmend ins Private auswichen; was im offiziellen Rahmen unmöglich schien, wurde im Geheimen praktiziert. Agethen versteht die Sozietäten als „Formen bürgerlichadliger Selbstorganisation“: Neben dem Zweifel an der konsequenten Eigenleistung des Staates im aufklärerischen Prozeß, [dokumentierten diese Vereinigungen] den selbstbewußten Willen […], eigeninitiativ und autonom, in gemeinsamem Nachdenken und gemeinsamer Aktivität in bezug auf literarische, wissenschaftliche, pädagogische, ökonomische und zunehmend auch politische Gegenstände, Anliegen der Aufklärung zu verwirklichen.3
In den Zusammenkünften war ein vom Staat und der ständischen Ordnung einigermaßen unabhängiges Handeln und Kommunizieren, war eine gewisse Selbstverwirklichung möglich. Hier schufen sich Gleichgesinnte einen Rahmen des tatkräftigen Zusammenwirkens, hier entstanden vielfältige anregende Kontakte und weitreichende Netzwerke, hier konnten kühn anmutende Projekte entworfen und zum Teil verwirklicht werden. Nicht zuletzt wurde gerade in den akademischen Sozietäten neues Wissen generiert, wurden neuartige Ideen und Gedanken rasch und wirksam nötigenfalls mündlich verbreitet. So entstanden neben den oft behäbigen, im Traditionellen verharrenden Universitäten gelehrte 1 2 3
Vgl. im Folgenden AGETHEN, Geheimbund, S. 30–36, Zitat S. 30 f. Ebd. Ebd.
266
V. DAS SOZIETÄTENWESEN
Gesellschaften ohne komplizierten Verwaltungsapparat, in denen die gebildete Elite – Bürger und Adelige, Lehrende und Lernende, Wissenschaftler und Geschäftsleute – neue Wissenschaftsfelder eröffnen und erkunden konnte, wobei sie ihre Erkenntnisse einem sich ausweitenden Publikum teils in eigenen Publikationen unmittelbar zur Verfügung stellte.4 Auch für Jena, und hier vor allem an der Universität, sind unzählige derartige Zusammenschlüsse, von der verborgen arbeitenden Freimaurerloge mit überregionaler Bedeutung über die offiziell anerkannte und öffentlichkeitswirksam agierende akademische Sprachgesellschaft bis hin zu privaten studentischen Gesprächskreisen, nachweisbar.5 Ihren Mitgliedern boten die Sozietäten in jeder Hinsicht Vorteile. Schon die Aufnahme konnte als ein dem Ansehen des Einzelnen förderlicher Ausweis nicht nur seiner besonderen Fähigkeiten, sondern darüber hinaus seines vorbildlich tugendhaften Lebenswandels gelten. In aller Regel eröffnete eine Aufnahme in akademische Gesellschaften gerade den jungen, aufstrebenden Gelehrten eine günstige Gelegenheit, ihre Talente, ihr Können und Wissen zu präsentieren und zu erweitern und sich im öffentlichen Auftritt zu üben. Sie wurden dabei Teil eines nicht zuletzt der Karriere dienlichen Netzwerks. Bereits renommierte Wissenschaftler fanden sich in gelehrten Sozietäten zu einem (interdisziplinären) Expertenaustausch ohne Rücksicht auf standes- oder berufsbedingte Hierarchien und gängige Lehrmeinungen zusammen, in welchem beispielsweise die gemeinsame Erkundung neuer Forschungsfelder, die Konzentration auf praktisch verwertbare Wissenschaft und die Diskussion auch heikler Fragestellungen nicht, wie so oft an den Hochschulen, unmittelbare Gegenwehr und Zensur provozierte. In ihrer Gesamtheit berücksichtigten Gelehrtengesellschaften dabei ganz überwiegend die der Philosophischen Fakultät der Universitäten zuzuordnenden und dort in großer Zahl erst neu entstehenden Wissenschaftszweige, wohingegen die klassischen Disziplinen der drei oberen Fakultäten für Medizin, Jurisprudenz und insbesondere die der Theologie, aber auch die Politik weitgehend ausgespart blieben. Auch der Freimaurerbund mit seinen sinnbildlichen Ritualen und andere geheime6 Gesellschaften, welche zu den typischen Erscheinungsformen des aufklärerischen Sozietätenwesens gehörten, wirkten anziehend auf aufgeklärte Geister, weil sie nicht allein die Eröffnung grundlegender Wahrheiten 4
5 6
Es ist jedoch mit Schindler anzumerken, dass die „Verlagerung von Wissenschaft und Bildung in Akademien und außeruniversitäre Ausbildungsstätten […] sachlich und zeitlich nur begrenzt statt[fand]“ – Universitäten blieben auch im 18. Jahrhundert die „maßgebenden Institutionen des geistigen Lebens und der Wissenschaften“, vgl. Schindler, Bildung, S. 49 (Zitat), 64 ff. Zu den Jenaer Sozietäten im 18. Jahrhundert vgl. vor allem MARWINSKI, Fabricius; BAUER u.a., Logenbrüder. Das „Geheime“ ist hier nicht zwangsläufig verbunden mit konspirativer Geheimhaltung, sondern zunächst als privat-vertraulicher Rahmen im Gegensatz zum öffentlich-staatlichen zu verstehen, vgl. GRIMM, Wörterbuch, Bd. 5, Sp. 2351–2358; GÖTZE, Trübners Wörterbuch, Bd. 3, S. 60.
BILDUNG VON SOZIETÄTEN IM 18. JAHRHUNDERT
267
und einen zusätzlichen Erkenntnisgewinn abseits bekannter wissenschaftlicher Vorgehensweisen versprachen, sondern auch, wie in Jena, praktisch experimentierten7 und gemeinnützige Projekte anschoben. Wenn Sozietäten als Gegenentwurf zu bestehenden Strukturen also hilfreiche Kontaktmöglichkeiten, exklusives Wissen und größere Handlungsfreiräume versprachen, wenn sie Sendungsbedürfnis, Tatendrang und Gestaltungswillen den nötigen Raum boten, mussten sie sehr anziehend auf jeden vielseitig interessierten, projektierenden Menschen der Aufklärung wirken, den der öffentliche Rahmen zu sehr einschränkte. Es dürfte somit nicht überraschen, dass in den Mitgliederlisten mehrerer dieser Versammlungen auch der umfassend interessierte Gelehrte und ökonomisch versierte Gutsbesitzer Darjes verzeichnet ist. Insbesondere in verschiedenen wissenschaftlichen Gesellschaften beeinflusste sein aktives Mittun zum Teil über Jahre hinweg die Entwicklung und Strahlkraft dieser Verbindungen: Noch als Student war er offenbar in einem akademischen Debattierklub aktiv, hatte Recherchen Marwinskis zufolge ab 1753 den Vorsitz einer seit 1745 bestehenden rein privaten, von der Universität aber gebilligten philosophischen Gesellschaft inne,8 arbeitete in den 1750er Jahren in der Teutschen Gesellschaft in Jena (TGJ) mit, trat 1754 der Erfurter Akademie nützlicher Wissenschaften bei, rief um 1759 einen exklusiven philosophischen Zirkel ins Leben, der unter seiner Aufsicht die Jenaische Philosophische Bibliothek herausgab, und setzte in Frankfurt an der Oder 1766/67 die Gründung der Gelehrten Gesellschaft zum Nutzen der Künste und Wissenschaften (GNKW) durch. Beeindruckend sind die von Darjes und anderen Universitätsgelehrten parallel gepflegten, aktiven Mitgliedschaften in mehreren Gesellschaften, denn sie erbrachten diese Leistungen in aller Regel neben ihrem – so drückte Darjes selbst es aus – „Lehramte, das aus Geschäften kettenmäßig zusammen gesetzet“9 war und zahlreiche Verpflichtungen an der Hochschule mit sich führte. Wie viele seiner Zeitgenossen gehörte Darjes überdies dem Freimaurerbund an. Als eines der ersten Mitglieder wurde er am 15. Oktober 1745 in die erst kurz zuvor von Studenten in Jena gegründete Johannisloge Zu den drei Rosen aufgenommen, an deren Spitze er sich rasch setzte: Nachdem ihm die Brüder am 5. Februar 1746 den Hochgrad eines Schottischen
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9
Das im freimaurerischen Logenhaus befindliche große „Laboratorium des berühmten Teichmeyers“ eröffnete, wenigstens für einzelne zu Meistern erhobene Brüder, die Möglichkeit alchemistischen Experimentierens, vgl. HELLMANN, Ausstellungskatalog, S. 135. Die Aufsicht über diese Gesellschaft oblag anfänglich Magister Johann Christian Fischer, Mitglied der Lateinischen Gesellschaft in Jena, ab 1750 Magister Johann Wilhelm Schaubert, welcher drei Jahre zuvor durch die Herausgabe der moralischen Wochenschrift Der Menschenfreund bekannt geworden war, und nach dessen Tod 1752 Johann Andreas Fabricius bis Oktober 1753, vgl. MARWINSKI, Fabricius, S. 86–89. DARJES, Erste Zusammenkunft, S. 4.
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V. DAS SOZIETÄTENWESEN
Meisters10 verliehen hatten, wählten sie ihn schon Ende März des selben Jahres zum Meister vom Stuhl; bis zum Ende seiner Jenaer Jahre im September 1763 blieb er Vorsitzender der Loge und leitete Anfang der 1760er Jahre auch das Hochkapitel Zion. Später in Frankfurt schloss sich Darjes ebenfalls als sogenannter besuchender Bruder der dortigen Freimaurerloge Zum aufrichtigen Herzen an, an deren Gründung 1776 er sogar beteiligt gewesen sein soll.11 Im Übrigen war die Sozialstruktur sowohl in der Frankfurter als auch in der Jenaer Loge von der einer gelehrten Gesellschaft nicht allzu weit entfernt, denn die Mitglieder entstammten in beiden Fällen zu jeweils etwa zwei Dritteln dem akademischen Umfeld.12 In den meisten der von ihm frequentierten Verbindungen trat Darjes als engagiertes Mitglied mit einer Beamten- oder Leitungsposition hervor und gestaltete sie auf diese Weise aktiv mit. Zwar eigneten den Sozietäten weitgehend demokratische Strukturen – Gelehrte waren in ihren Gesellschaften, wie auch die Brüder in den Freimaurerlogen, untereinander meist gleichgestellt und wählten oft die jeweiligen Beamten aus ihrer Mitte mit der Mehrheit der Stimmen;13 freilich aber konnten die Vorstände in gewissem Maße das Geschehen in den Sozietäten lenken und auf die übrigen Mitglieder einwirken. So erlaubten Darjes seine verschiedenen Mitgliedschaften in diesen den staatlichen Einflüssen weitgehend entzogenen Verbindungen nicht allein, seine Ideen und Forschungsergebnisse vorzutragen, sie der Prüfung Sachverständiger auszusetzen, sie gegebenenfalls zu konkreten Projekten weiterzuentwickeln und, unterstützt von zuverlässigen Befürwortern, ihre Verwirklichung zu initiieren. Bedeutsamer noch schien Darjes die ihm als Multiplikator innerhalb der Sozietäten gegebene Möglichkeit zu sein, gleichgesinnte und befähigte (junge) Menschen überhaupt erst zu aktivieren und regelrecht bereits im neuen Denken heranzubilden; vorrangig diese Absicht dürfte, wie zu sehen sein wird, etwa seinem Engagement für die Gelehrte Gesellschaft in Frankfurt zugrunde gelegen haben. Insbesondere an dieser Gründung wird beispielhaft die Bedeutung sichtbar, welche den aufklärerischen Gesellschaften als Stätten der Wissenschaftlerausbildung beziehungsweise der Erwachsenenbildung und -erziehung im Allgemeinen zukam. Mit allem Recht wird die 10 11 12 13
In Jena wurde von Anfang an nicht nur in den drei Johannisgraden „Lehrling“, „Geselle“ und „Meister“, sondern zusätzlich im vierten Grad des „Schottenmeisters“ gearbeitet, vgl. BAUER/MÜLLER, Jena, Johnssen, Altenberga, S. 24. Vgl. GERLACH, Freimaurer, S. 169. Vgl. ebd., S. 136 f.; BAUER/RIEDERER, Geheimnis, S. 21. So war beispielsweise in der Frankfurter Gelehrten Gesellschaft nicht bloß vorgesehen, dass der Präsident, sechs Senioren, zwei Sekretäre und ein Bibliothekar per Wahl bestimmt werden sollten, wobei der Präsident selbstredend nur auf Bestätigung des Königs sein Amt antreten konnte; es sollten „überhaupt alle Angelegenheiten der Gesellschaft, unter der Direktion des Präsidenten, von den gegenwärtigen Gliedern der ersten und andern Ordnung überlegt, und durch die Mehrheit der Stimmen beschlossen“ werden, vgl. DARJES, Erste Zusammenkunft, S. 12 f., Zitat S. 14.
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Untersuchung des pädagogischen Werks Darjes’ daher nun zuletzt noch die von ihm aufgesuchten gelehrten oder geheimen Gesellschaften ins Visier nehmen, um beispielhaft zu zeigen, dass das Sozietätenwesen des 18. Jahrhunderts als ein höchst relevanter Baustein des Erziehungs- und Bildungswesens der Zeit begriffen werden muss.
2.
Gelehrte Sozietäten – Orte zur Heranbildung von Wissenschaftlern
Gelehrte Sozietäten Ein erster Nachweis über Darjes’ Mitwirkung in akademischen Gesellschaften findet sich für das Ende seiner Studienzeit beziehungsweise für die ersten Jahre seiner Dozententätigkeit in Jena: Zeitweise hatte er das Amt des Seniors in der Vertrauten Rednergesellschaft in Thüringen inne,14 welche von 1731 oder 1732 an bis etwa 174015 an der dortigen Universität bestand. Es handelte sich dabei um eine von dem Privatdozenten Johann Andreas Fabricius (1696–1769) als ein seine Lehrveranstaltungen ergänzendes praktisches Collegium eröffnete Übungsgesellschaft für Studenten und junge Magister, welche in den wöchentlichen Zusammenkünften die für wissenschaftliche Schriften und Vorträge erforderliche Gewandtheit im Deutschen zu erlangen suchten. Fabricius zufolge hielt dabei üblicherweise „einer von den Herrn zuhörern eine rede aus freiem gedächtniß, welche nachher von dem Herrn Adjuncto [Fabricius] genau, doch mit aller bescheidenheit geprüfet“ wurde, gelegentlich aber las dieser „auch selbst etwas, dadurch die kentniß der Teutschen sprache und beredsamkeit […] vermehret
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Zur Vertrauten Rednergesellschaft vgl. Thüringische Nachrichten von gelehrten Sachen (im Folgenden: TN) 1734, N. II, S. 16; N. IIII, S. 29 f.; FABRICIUS, Abriß, S. 779; MARWINSKI, Fabricius, S. 82 ff. In den angeführten Beiträgen der Thüringischen Nachrichten gab Fabricius für den Zeitraum bis 1734 außer dem späteren Professor für Recht und Geschichte an der Universität Jena, Joachim Erdmann Schmidt (1710–1776), noch folgende Mitglieder der Vertrauten Rednergesellschaft an: Carl Wilhelm von Davier, Johann Christoph Jahn, Johann Gottlieb Hofmann, Albrecht Friedrich Model, Joseph Benedict Köcher, Ludwig Conrad Schindler, Johann Heinrich Hesse, Johann Georg Bever, Sebastian Peter Rötger, Christoph Bernhard Ludwig Peithmann, Carl Alexander von Künßberg, Friedrich Jacob Glaser, Georg Friedrich Gernhard, Johann Bernhard Etlinger, Michael Pallant, Johann Gottfried Lamb, Johann Wilhelm Langen, Johann Matthias Cappelmann, Jacob Heinrich Schreven, Johann Georg Julius Büsching, Friedrich Wilhelm Dreißigmark und Johann Heinrich Jungius. Marwinski geht von einer Gründung 1732 aus, doch gab Fabricius 1734 bekannt, dass die Jenaer Vertraute Rednergesellschaft zu dieser Zeit „bereits über drei jahr gedauret habe“ (vgl. MARWINSKI, Fabricius, S. 82; TN 1734, N. IIII, S. 29). Spätestens mit Fabricius’ Weggang aus Jena 1740 endeten die Zusammenkünfte.
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werden“ konnte.16 Solche beaufsichtigten Übungs- und Disputiergesellschaften gehörten als eine Form der praktischen Lehre zu den ganz üblichen, wenn auch in ihren Aktivitäten vonseiten der Universität gelegentlich zu regulierenden Erscheinungen des Lehrbetriebs. Ganz ähnlich wie für ihre Tischgesellschaften und Hausburschen, trugen hier die beaufsichtigenden Dozenten jegliche Verantwortung. Freilich bot sich in solchen Gesprächskreisen der jungen Intelligenz auch eine Möglichkeit zu gewagten Gedankenspielen, wenigstens aber zur vorbereitenden Diskussion ihrer öffentlich vorzutragenden Abhandlungen. So wird es beispielsweise kein Zufall gewesen sein, dass der Theologiestudent Georg Krieger aus Neubrandenburg als Ephorus der Vertrauten Rednergesellschaft ausgerechnet dem Präses Darjes zu antworten hatte, als er im September 1735 eine später gedruckte wissenschaftliche Ausarbeitung über das Auge verteidigte.17 An den Gesellschaftstreffen nahm Darjes vermutlich auch früher schon teil: In seiner Autobiographie berichtete er von philosophischen Vorträgen, die er vor Freunden gehalten und deren Erfolg in diesem Rahmen maßgeblich zu seinem Entschluss beigetragen habe, die akademische Laufbahn einzuschlagen.18 Er gehörte dann auch zu den Universitätslehrern, die bevorzugt in deutscher Sprache unterrichteten. In der Sammlung Versuche in der Teutschen Rede- Dicht- und Sprach-Kunst allerdings, welche einige der Vertrauten Redner 1737 drucken ließen, findet sich kein Beitrag von Darjes.19 Neben der Vertrauten Rednergesellschaft existierten weitere praktische Zirkel zur Pflege der deutschen Sprache.20 Sie hatten sämtlich jedoch nicht annähernd eine solche Bedeutung, wie die schon im Jahr 1728 ebenfalls von besagtem Fabricius nach dem Leipziger Vorbild gegründete Teutsche Gesellschaft in Jena (TGJ), welche in neuerer Zeit vor allem Felicitas Marwinski zum Gegenstand ihrer Forschung machte.21 Zunächst als studentische Übungsgesellschaft gedacht, bot sie vor allem den späteren Pfarrern, Lehrern oder Verwal-
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TN 1734, N. II, S. 16. Vgl. DARJES/KRIEGER, De oculo. Mit Darjes als Senior, Johann Conrad Fuchs aus Strelitz als Sekretär und Georg Krieger aus Neubrandenburg als Ephorus standen der Gesellschaft zu dieser Zeit drei Mecklenburger vor, vgl. MARWINSKI, Fabricius, S. 84. Vgl. DARJES, Bielefelds Staatsklugheit, S. 13. Auch in Rostock übte sich Darjes, vielleicht in einem studentischen Debattierklub, bereits in wissenschaftlicher Streitkultur, vgl. ebd., S. 10f. Das Disputieren nach festen Regeln war „als Schulung der Rhetorik und Logik sowie als Nachweis fachlicher Qualifikation Grundbestandteil jeder Universitätsausbildung“, vgl. MÜLLER, Studentenkultur, S. 270 f. Vgl. O. V., Versuche Rede- Dicht- und Sprachkunst. Neben Anlassgedichten, Reden und schöngeistigen Abhandlungen sind auch einige, wahrscheinlich von Fabricius verfasste, sprachwissenschaftliche Texte zur Dichtkunst und Rechtschreibung enthalten. Vgl. auch LUDOVICI, Merckwürdigkeiten, S. 349–352. Marwinski erwähnt beispielsweise eine durch Johann Friedrich Cramer (*1712) um 1735 gegründete Übungsgesellschaft mit elf Mitgliedern, vgl. MARWINSKI, Fabricius, S. 84. Vgl. zur TGJ MARWINSKI, Fabricius, S. 17–81; Dies., Bücherschatz; Dies., Akademie Preisfragen; Dies., Gelehrte Frauen.
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tungsbeamten „berufspraktisch orientierte Lern- und Kommunikationsmöglichkeiten“, wobei zu offiziellen Anlässen der Universität „die Tüchtigsten unter ihnen vom Podium der Gesellschaft aus öffentliche Anerkennung“ erfuhren. 22 Der wesentliche Unterschied zu anderen Versammlungen bestand darin, dass die TGJ Anfang 1730 von der Universität eine offizielle Bestätigung als anerkannte akademische Gesellschaft erhalten hatte und somit entsprechend privilegiert agieren und auftreten konnte. Unter anderem die von Beginn an eingerichtete Gesellschaftsbibliothek, deren Bestand vorwiegend aus Geschenken und Belegexemplaren zustande kam und durch ausgesuchte Ankäufe ergänzt wurde, 23 sollte dem erklärten Ziel der „Verbesserung und Aufnahme einer vernüfftigen Beredsamkeit und Dichtkunst in der reinen teutschen Sprache“24 dienen. Darjes, den die bloß übende Sprachpflege offensichtlich kaum reizte, schien die Zusammenkünfte der TGJ als Student noch nicht zu nutzen, um, wie in der Vertrauten Rednergesellschaft, sein Vortragstalent auszubilden und seine Fertigkeiten im wissenschaftlichen Disput zu perfektionieren, zumal die wöchentlichen Versammlungen beider Gruppen parallel sonnabends von 15 bis 16 Uhr angesetzt waren.25 Dass er in deren Matrikel als sogenanntes vornehmes Mitglied geführt wurde, weist jedenfalls auf das Erreichen eines gewissen Status’ hin,26 und auch seine aktive Phase in dieser Sozietät begann erst gute zehn Jahre später, als die TGJ den Aufstieg zu einer Akademie der Wissenschaften versuchte. Vor allem dieser beachtlichen Entwicklung wegen soll diese Versammlung vorerst nicht weiter im Zusammenhang mit den akademischen Übungsgesellschaften untersucht werden, sondern wird später als Forschergemeinschaft die ihr gebührende Berücksichtigung erfahren. Aus dieser Vorgehensweise darf allerdings nicht gefolgert werden, dass die Ausbildung des akademischen Nachwuchses nicht auch in anerkannten gelehrten Gesellschaften stattgefunden habe. Ebenso ist die Annahme verfehlt, die privaten Studentenzirkel seien prinzipiell in bloß nachahmender Übung und damit in wissenschaftlicher Bedeutungslosigkeit verharrt. Letzteres wird ja bereits von der oben erwähnten Tatsache widerlegt, dass die Vertraute Rednergesellschaft in Thüringen gelungene Proben ihrer Arbeit publizierte. Es kann davon ausgegangen werden, dass zahlreiche akademische Zirkel der Zeit von der Hoffnung beflügelt wurden, über die Schulung der zukünftigen Gelehrten hinaus mit ihrer Arbeit einen gewissen verwertbaren Nutzen zu schaffen und dem Gemeinwohl zu dienen. Die Studenten begnügten sich häufig nicht mit der Aufnahme und Wiedergabe des Vorhandenen, sondern legten einen nicht zu übersehenden Eifer an den Tag, eigene Ergebnisse zu produzieren und diese auch zu verbreiten. Frühe eigene Veröffentlichungen waren damals wie heute als 22 23 24 25 26
Vgl. MARWINSKI, Bücherschatz, S. 7. Zur Bibliothek der TGJ vgl. MARWINSKI, Bücherschatz. Vgl. Akten TGJ (1), Nr. 1: Fassung vom 28.09.1728, Bl. 1f. Vgl. MARWINSKI, Fabricius, S. 82 f. Darjes wurde in der Mitgliederliste als vornehmes Mitglied Nr. 64 geführt, vgl. MÜLLER, Nachricht, S. 103. Der genaue Zeitpunkt seiner Aufnahme ist daraus nicht erkennbar.
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erste Präsentation vor der breiten gelehrten Öffentlichkeit für einen jungen Gelehrten von wesentlicher Bedeutung, denn sie konnten den Weg für eine erfolgreiche Karriere bereiten. Umso hilfreicher war es, wenn der die studentische Gesellschaft betreuende Dozent zuvor die Schrift begutachtete und alle eventuell mit einer Publikation verbundenen Schwierigkeiten und Hürden zu meistern half. In Jena jedenfalls schien die Herausgabe solcher gesammelten Abhandlungen keine Seltenheit zu sein: Auch die sogenannte Schlettweinische Gesellschaft27 beispielsweise – ein nicht legitimierter ökonomischer Zirkel junger Akademiker, welcher ab 1753 zusammenkam – legte dem gelehrten Publikum die besten und interessantesten Aufsätze ihrer Mitglieder 1759 und 1760 in vier Sammlungen vor.28 Namensgeber dieser Gesellschaft war der Darjesschüler Johann August Schlettwein (1731–1802), welcher erst in Jena studierte und dort dann zwischen 1759 und 1763 als Privatdozent Naturrecht, Mathematik und ökonomische Wissenschaften nach Darjes’ Lehre und später nach eigenen Systemen vortrug. Es ist denkbar, dass die Übungsgesellschaft zunächst auf eine Anregung des Professors hin regelmäßig zusammentrat: Zumindest geht aus der Vorrede zur ersten Auflage seiner Cameral-Wissenschaften hervor, dass Darjes schon Anfang der 1750er Jahre einem ausgesuchten Kreis seiner Hörer seine „ökonomischen Tagebücher nützlich zu lesen“ gab.29 Um eben diese Zeit trat Schlettwein öffentlich als erklärter Anhänger des Philosophen auf, indem er mittels zweier kleiner gelehrter Streitschriften für ihn Partei ergriff.30 Spätestens mit dem Abschluss seines Studiums und der eigenen Lehrtätigkeit hatte Schlettwein dann die Leitung der Übungsgesellschaft inne. Ihr Anspruch, mit eigener wissenschaftlicher Tätigkeit der Allgemeinheit zu nutzen, drückte sich in der Konzentration auf gemeinnützige ökonomische Fragestellungen ebenso aus wie in der öffentlichen Selbstbeschreibung als eine „Privatgesellschaft zur Übung des Verstandes, zur Beförderung der Künste und des gemeinen Besten“31 – später lobte Schlettwein sogar öffentlich Preise aus.32 Mit dem gleichen Ziel arbeiteten die studentischen Mitglieder der Vertrauten Rednergesellschaft und diejenigen der Teutschen Gesellschaft 27 28 29 30
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Zur Schlettweinischen Gesellschaft vgl. Jenaische Philosophische Bibliothek (im Folgenden: JPB) 1759, 1. Bd., 1. St., S. 66–69; BAUER/MÜLLER, Darjes Aufklärer, S. 173 ff.; MARWINSKI, Fabricius, S. 89. Vgl. SCHLETTWEIN, Schriften zum Vortheil. Vgl. DARJES, Cameral-Wissenschaften, Vorrede zur ersten Auflage, S. XXXVIII. Vgl. SCHLETTWEIN, Des Darjes moralische Begriffe; ders., Bescheidene Verthäidigung. Johann Gottlieb Waldin allerdings antwortete Schlettwein auf die erste der beiden Veröffentlichungen, dieser habe „zu früh die Vertheidigung eines berühmten Mannes“ übernommen, „dessen Schüler [er] nicht [sei]“, vgl. WALDIN, Antwort, S. 41. SCHLETTWEIN, Schriften zum Vortheil, Titel. Schlettwein hatte, wie er 1762 in den Weimarischen wöchentlichen Anzeigen kundtat, unter anderem einen Preis auf verbesserte Methoden im Ledergerben ausgesetzt, den sich der Jenaer Gerbermeister Johann Gottlob Täubner mit Versuchen unter Schlettweins persönlicher Aufsicht und nach der Prüfung der hergestellten Produkte durch die Zunft erwerben konnte, vgl. WWA, Jg. 1762, Nr. 5, S. 20; Nr. 7, S. 28; Nr. 8, S. 32.
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in Jena Fabricius beim Erstellen eines deutschen Wörterbuchs zu, zu dessen Herausgabe sich die TGJ in ihren Gesetzen von 1730 verpflichtet hatte.33 Auch hinsichtlich der Mitarbeiter seiner Jenaischen Philosophischen Bibliothek versicherte Darjes, diese bereits erprobten Akademiker seien es „nicht gewohnt eigennützig zu handeln“ und beabsichtigten über die Zeitschrift, ihre „gesellschafftlichen Bemühungen auch anderen nüzlich zu machen“.34 Die Praxis emporstrebender studentischer Versammlungen aber, ihre gesammelten Aufsätze ganz selbstbewusst dem Druck zu übergeben und sich überhaupt wie gelehrte Gesellschaften zu gebärden, statt ihre wissenschaftlichen Übungen genügsam im Privaten abzuhalten, wurde von den etablierten Gelehrten durchaus als Anmaßung empfunden. Unwirsch äußerte sich beispielsweise Darjes im September 1759 während seines Dekanats an der Jenaer Philosophischen Fakultät über die Privatdozenten, welche „zum Teil das Kapitel von der Subordination völlig vergeßen“ hätten: „Sie stiften, ohne Erlaubniß zu haben, Gesellschaften. Durchziehen die Professores und Ihre Lehre, laßen auch wohl solche Einfälle drukken, und maßen sich solche Rechte an, die [wir] nicht einmal den Professoribus verwilligen.“35 Schon dreieinhalb Jahre früher, als die studentische Schlettweinische Gesellschaft provokativ beim Weimarer Hof um eine herzogliche Genehmigung als gelehrte Gesellschaft nachgesucht hatte, verhinderte das philosophische Professorenkollegium unter Darjes mit dem dazu von ihm angeforderten Gutachten deren Autorisation. Mit Zustimmung seiner Kollegen führte Darjes gegen diese Gesellschaft ins Feld, 36 dass bei ihrer Genehmigung die angestammten Rechte und Privilegien der Phi-
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35 36
Vgl. Akten TGJ (1), Nr. 7: Druckfassung von 1730, Bl. 14; MARWINSKI, Fabricius, S. 84. JPB 1759, 1. Bd., 1. St., Vorwort. Dörfel und Bauer machen allerdings darauf aufmerksam, dass der Philosophieprofessor mit dieser anscheinend nur aus drei seiner engsten Schüler gebildeten festen Gruppe wohl einen eigenen „taktischen Zweck“, nämlich die Auseinandersetzung mit den Jenaer Wolffianern um den Metaphysiker Christian Friedrich Polz (1717–1782), verfolgte, weshalb die Gesellschaft nur bedingt unter die gewöhnlichen akademischen Gruppierungen oder Logen zu zählen ist, welche vordergründig tatsächlich der Pflege und Übung der Wissenschaften dienen sollten. Die Mitglieder dieser namenlosen Gesellschaft waren der Lizentiat der Theologischen Fakultät und außerordentliche Professor der Philosophie, Johann Stephan Müller (1730–1768), sowie die beiden aus Lübeck stammenden und zugleich am 6. Mai 1754 in Jena immatrikulierten (vgl. Matrikel Jena) Adjunkten der Philosophischen Fakultät, Balthasar Münter (1735–1793) und Friedrich Daniel Behn (1734–1804). Ihre mit Darjes’ Billigung teils derb polemisierenden Aufsätze gaben sie, ergänzt um aktuelle Nachrichten von der Universität, in der Jenaischen Philosophischen Bibliothek heraus; Nichtmitgliedern hingegen stand dieses Periodikum kaum offen. Ein eigentliches gesellschaftliches Leben schien nicht zu bestehen, auch wurde trotz anders lautender Ankündigung das Erscheinen der Bibliothek schon nach zwölf Stücken 1760 wieder eingestellt, was Dörfel und Bauer Grund zu der Annahme gibt, Darjes habe sein Ziel recht bald „als erfüllt“ angesehen. Vgl. DÖRFEL/BAUER, Gelenkte Kommunikation (Zitat S. 271). UAJ, M 138, Bl. 4. Vgl. UAJ, M 138, Bl. 41.
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losophischen Fakultät untergraben würden; auch sei außer dieser mit der Forschung und Unterweisung in den philosophischen Wissenschaften allenfalls die im Rahmen der TGJ bereits gestiftete und aus Professoren bestehende gelehrte Gesellschaft zu betrauen, nicht aber eine Versammlung ungeübter und unerfahrener Studenten. Schließlich werde die ganze Akademie lächerlich gemacht, wenn Professoren, statt die Studenten zu unterrichten, sich mit diesen in wissenschaftliche Streitgespräche einlassen müssten.37 Ganz entschieden also stellte sich Darjes gegen die Anerkennung auch der talentiertesten und eifrigsten Studenten als vollwertige Wissenschaftler, weil sie die formell erforderlichen akademischen Leistungen noch nicht erbracht hatten, und er suchte deren außeruniversitärer Organisation einen Riegel vorzuschieben. Dieses Festhalten an den Gepflogenheiten war jedoch nicht prinzipiell gegen die wissenschaftliche Eigentätigkeit von Studenten und ihren Wunsch nach Publikationsmöglichkeiten gerichtet: Im Jahr 1759 kritisierte er zwar wiederum die anmaßende Selbstdarstellung Schlettweins und seiner Privatgesellschaft in einer zur Drucklegung bestimmten Schrift; gegen die Veröffentlichung ihrer Schriften an sich fand er hingegen nichts einzuwenden, denn er empfahl deren Freigabe zur Zensur. 38 Erst kurz zuvor hatte überdies sein Schüler und Mitarbeiter Balthasar Münter im ersten Stück der von Darjes beaufsichtigten Jenaischen Philosophischen Bibliothek die Herausgabe studentischer Abhandlungen am Beispiel der Schlettweinischen Gesellschaft entschieden verteidigt:39 Geniestreiche kämen nicht bloß unter altgedienten Professoren vor, und die möglichst rasche Veröffentlichung jeglicher neuer wissenschaftlicher Ideen und Erkenntnisse sei in jedem Fall vorteilhaft, so argumentierte Münter; auch wirke die Möglichkeit, schon früh zu ersten eigenen Publikationen zu gelangen, auf angehende Gelehrte nachweislich ungeheuer aufmunternd, was die in den Schriften enthaltenen Mängel bei Weitem aufwiege, zumal der Aufseher der Gesellschaft als „ein Mann der Einsichten hat, aus den Übungsaufsätzen […] die etwanigen Fehler vorher wegnehmen“ könne.40 Diese wohlwollende Meinung dürfte Darjes im Großen und Ganzen geteilt haben. Deutlicher Ausdruck seiner Überzeugung, dass fähigen Köpfen auch schon am Anfang ihres Studiums zu Veröffentlichungen zu verhelfen sei, war die später in der von ihm gegründeten Frankfurter Gelehrten Gesellschaft zum Nutzen der Künste und Wissenschaften für die noch studierenden Mitglieder eingeplante Option, sich Gelehrten ersten Ranges mit ihren Arbeiten vorstellen und diese nach erfolgter Prüfung 37 38
39 40
Professor Walch gab zudem zu bedenken, dass „leider […] solche Gesellschafften von Privatdocenten als schädliche Mittel gebraucht werden, ganze Landsmannschaften um sich zu ziehen“. Ebd., Bl. 42II. Darjes war „der Meinung, es könne die Schrift censiret werden“, allerdings müsse „alles weggelaßen werden, wo von der Gesellschaft, von dem Verehrungs-würdigen […] Director und so w[eiter] der Gesellschaft geredet“ werde, da es sich um eine „Gesellschaft sine consensu Magistratuo“ handele. Ebd., Bl. 8. Vgl. JPB 1759, 1. Bd., 1. St., S. 67–69. Vgl. ebd., Zitat S. 68.
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„ohne weitere Censur unter der Unterschrift des Präsidis“ drucken lassen zu dürfen.41 Damit die akademische Jugend überhaupt zu lohnenden Arbeitsergebnissen, eventuell sogar zu neuen wissenschaftlichen Thesen oder eigenen Forschungsergebnissen gelangt, die eine Veröffentlichung rechtfertigen, kann es keineswegs genügen, wenn die an verschiedenen Versammlungen teilnehmenden Nachwuchswissenschaftler bloß allgemeine wissenschaftliche Arbeitstechniken einüben oder die jeweils maßgeblichen gelehrten Schriften exzerpieren. So zeigen bereits die hier betrachteten Beispiele, dass die Zusammenkünfte studentischer Übungsgesellschaften vielmehr in Form von beaufsichtigten, oft auch auf klar abgegrenzte Wissenschaftsgebiete ausgerichteten Diskussionsrunden organisiert waren, in denen bei einer intensiven gemeinsamen Durchdringung konkreter Problemstellungen genügend Raum zum eigenständigen Nachdenken und Argumentieren sowie zur kritischen Prüfung der Ansichten und Ausarbeitungen aller Mitstreiter nach streng wissenschaftlichen Maßstäben gegeben war. Nicht immer war ein Dozent Anreger für die Entstehung einer solchen wissenschaftlichen Arbeitsgruppe. Dass sich Studenten aus eigenem Antrieb gerade aus dem Grund zusammenfanden, weil sie eine ihnen im traditionellen universitären Lehrbetrieb kaum realisierbare eigene wissenschaftliche Wirksamkeit entfalten wollten, belegt beispielhaft die Vorgeschichte der Frankfurter GNKW: Darjes beschrieb,42 wie sich zuerst 19 Studenten der Jurisprudenz und der Theologie zu einer Gesellschaft der Freunde der Wissenschaften verbunden und ihn um die Beaufsichtigung dieser Versammlung ersucht hatten,43 deren selbst verfasste Gesetze und Verfassung den üblichen Rahmen und die Möglichkeiten einer einfachen studentischen Sozietät weit hinter sich ließen – so weit sogar, dass der Professor es für „strafbar“ hielt, „wenn ein Unterthan ohne Vorwissen der allerhöchsten Landes-Herrschaft eine solche Gesellschaft in einem Lande gründet“.44 Die Frankfurter Freunde der Wissenschaften führte Darjes aus diesen Gründen zunächst in die Schranken einer bestätigten akademischen Privatgesellschaft unter seiner Leitung zurück. Jedoch reichten die Hoffnungen und der Ehrgeiz dieser jungen Wissenschaftler deutlich weiter und so versuchten sie weiterhin, ihre ursprüngliche Absicht umzusetzen, indem sie in aller Heimlichkeit ihren ursprünglichen Plan einschließlich der unter ihnen aufgestellten Gesetze und eines entworfenen Siegels mit der Bitte um Genehmigung an den König schickten.45 Es war letzten 41 42 43
44 45
DARJES, Erste Zusammenkunft, S. 16. Vgl. DARJES, Erste Zusammenkunft, S. 7 ff. Zur Entstehungsgeschichte der GNKW vgl. auch MEIER, Gelehrte Gesellschaft; BAUER/MÜLLER, Darjes Aufklärer, S. 172–184. Nachdem Darjes die Aufsicht übernommen hatte, fanden sich sieben weitere studentische Mitglieder und acht Zuhörer ein. 23 dieser jungen Männer, also gut zwei Drittel, waren Juristen, zehn studierten Theologie und ein Mitglied war Mediziner. Vgl. DARJES, Erste Zusammenkunft, S. 7 ff. Ebd., S. 8. Vgl. GStAPK, I HA Rep. 51, Nr. 1, Pck. 16558, Bl. 2–6.
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Endes dieser studentischen Initiative geschuldet, dass Darjes den offiziellen Auftrag erhielt, eine Akademie der Wissenschaften zu entwerfen und diese nach erfolgter Genehmigung in Frankfurt an der Oder tatsächlich einrichten konnte. Zunächst jedoch verlangte Friedrich II. zum Ansinnen der Studenten eine schriftliche Stellungnahme von seinem Minister Carl Joseph Maximilian von Fürst (1717–1790), welcher entschieden dazu riet, das „lächerliche“ Gesuch zurückzuweisen:46 Eine beaufsichtigte Versammlung von Anfängern und Lernenden bleibe ein einfaches „praktisches Collegium“, das weder in der Lage sei, die Ziele einer gelehrten Gesellschaft umzusetzen, noch sich den äußerlichen „Pomp“ einer solchen anmaßen dürfe; die Studenten würden vielmehr durch solche „Tändeleyen“ vom Studium abgelenkt und ihrer Zeit beraubt, sie vernachlässigten ihre Lehrveranstaltungen, obschon sie als wissenschaftliche Anfänger ohnehin nur unreife, nicht zum Druck geeignete Ausarbeitungen liefern könnten. Stattdessen könne eine Erlaubnis dafür erteilt werden, dass die Studenten sich regelmäßig unter Darjes’ Aufsicht zusammenfänden, um eigene Abhandlungen zu vorgegebenen Materien aus der praktischen Philosophie und den angewandten Wissenschaften vorzulesen und gemeinsam zu verbessern. Das im Januar 1765 an Darjes abgehende Schreiben47 des Königs griff Fürsts Argumente – die im Übrigen denjenigen auffallend ähnelten, mit denen Darjes selbst Jahre zuvor von einer herzoglichen Anerkennung der Schlettweinischen Gesellschaft in Jena abgeraten hatte – auf und beauftragte ihn mit dem Entwurf einer solchen Übungsgesellschaft. Der Gelehrte antwortete im Februar,48 er habe den Tatendrang der Studenten selbst „bereits vor einigen Monathen“ in eine solche übende Privatversammlung gelenkt, die ihre Treffen „bisher wöchentlich einmal in [s]einem privat-Auditorio entweder des Freytags-Abends nach 6 Uhr, oder des Sonnabends Nachmittags von 2 – 4“ abgehalten habe; den Plan zu dieser Studentengesellschaft fügte er bei. Zweck dieser Zusammenkunft sollte es demnach sein, „sich im Denken zu üben“, seine Gedanken klar und überzeugend ausdrücken zu lernen und wesentliche Kenntnissen zu erwerben, „um hiedurch dermaleins in Cameral- Policey- Comercien u. Manufactur- Angelegenheiten nützlich dienen zu können“; gerade letzteres sollte unter anderem auch durch eigene Sammlungen von Instrumenten, Modellen und Naturalien sowie praktische „oeconomische Versuche“ erreicht werden.49 Es waren dies eben jene Bildungsziele, in deren allgemeiner Umsetzung Darjes die dringlichste, gleichwohl nur unzureichend in Angriff genommene Aufgabe der Hochschulen erkannt hatte50 – mit einer elitären studentischen Gruppe beabsichtigte er nun also einen Weg aufzuzeigen, den die moderne Lehre in dieser Hinsicht einschlagen konnte. Allerdings tat sich 46 47 48 49 50
Vgl. ebd., Bl. 8 ff. Vgl. ebd., Bl. 13 f. Vgl. ebd., Bl. 15 f. Vgl. ebd., Bl. 17–20. Vgl. DARJES, Cameral-Wissenschaften, S. 395 f., 398; Ders., Das Opfer der Dankbarkeit, S. 8.
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für Darjes mit dem Befehl des Königs, ihm seine Gedanken über die Gesellschaft der Freunde der Wissenschaften zu eröffnen, unverhofft eine viel größere und vielleicht einmalige Gelegenheit auf: Der Gelehrte legte seinem Brief eine Beschreibung der Jenaer Teutschen Gesellschaft bei, der er einen eigenen „Plan zu einer in Franckfurth an der Oder zu errichtenden Gesellschaft zum Nutzen der Wißenschaften und Künste“ hinzufügte,51 und wagte damit einen Vorstoß, die vor Jahren in Jena nur in Ansätzen verwirklichte Idee der Gründung einer Akademie der Wissenschaften nun vollends in die Tat umzusetzen. Werden Ew. Königl. Maj. allerhöchst geruhen, es allergnädigst zu befehlen, daß ich einen Versuch machen soll, ob ich nach einem solchen Plan eine Gesellschaft hier gründen könne; so werde ich alle mir mögliche[n] Kräfte anwenden, diesen allerhöchsten Befehl auf das genaueste zu befolgen,52
legte er dem ihm wohlgesonnenen Monarchen untertänig nahe. Tatsächlich erteilte ihm Friedrich II. den Auftrag, den Plan weiter auszuarbeiten und zugleich, um eine schleppende und bedeutungslose Anfangsphase der zukünftigen Gesellschaft zu verhindern, eine möglichst ansehnliche Zahl namhafter Wissenschaftler für die Mitarbeit zu gewinnen.53 Nach weiteren Absprachen und Verhandlungen erhielt Darjes vom König schließlich am 23. September 1766 die Erlaubnis zur Gründung der Gelehrten Gesellschaft zum Nutzen der Künste und Wissenschaften zu Frankfurt an der Oder.54 Anders als in den studentischen Übungsgesellschaften, in denen sich die Frage nach einer sinnvollen Einbindung der Lernenden gar nicht erst stellte, da sie ohnehin nahezu vollständig aus Studenten bestanden, mussten in den offiziellen Gelehrtenverbindungen solche Strukturen geschaffen werden, die dem gelehrten Nachwuchs nach und nach eine wirkliche Beteiligung an der eigentlichen wissenschaftlichen Arbeit ermöglichten. Aufschlussreich ist hier, wie Darjes die GNKW in diesem Sinne zweckdienlich organisierte. Jedes Mitglied dieser Sozietät gehörte einer von sechs fachlich gegeneinander abgegrenzten Abteilungen an, war dort aber seiner wissenschaftlichen Erfahrung und Position entsprechend wiederum einer von drei Stufen zugeteilt: Neben den bereits ausreichend erfahrenen, geschickten und allgemein anerkannten gelehrten „Beysizzer[n]“ der ersten Ordnung waren ein zweiter Rang für erwiesenermaßen fähige „Studiosis und Candidaten“ und schließlich eine dritte Gruppe „ordentliche[r] Zuhörer“ vorgesehen, deren studentische Mitglieder „noch nicht zum Nuzzen der Gesellschaft [arbeiteten], sich aber doch bemühen woll[t]en, jenen nachzuahmen“.55 Letzteren kam dabei, auch wenn die Bezeichnung „Zuhörer“ und das ihnen verweigerte Stimmrecht dies glauben machen könnten, durchaus 51 52 53 54 55
Vgl. GStAPK, I HA Rep. 51, Nr. 1, Pck. 16558, Bl. 16II, 21 f. Ebd., Bl. 16II. Ebd. Vgl. ebd., Bl. 40. DARJES, Erste Zusammenkunft, S. 11.
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keine rein passive Rolle zu: Ihre wöchentlichen Zusammenkünfte mit den Mitgliedern der zweiten Ordnung unter Darjes’ Leitung hatten im Gegenteil Seminarcharakter, eigene Ausarbeitungen wurden vorgetragen und diskutiert, die Ergebnisse schriftlich festgehalten und am Monatsende schließlich den Gliedern der ersten Ordnung, welche mindestens alle vier Wochen die Versammlung beehren und eigene Materien vortragen sollten, zur Prüfung vorgelegt.56 In diesem, der im Vorfeld von Darjes bereits betriebenen Übungsgesellschaft stark ähnelnden Rahmen, nämlich unter Lernenden, konnte sich der wissenschaftliche Nachwuchs so zunächst in vielfältiger Weise ausprobieren, genoss im Unterschied zu den Mitgliedern von Studentenzirkeln jedoch den Vorteil eines unmittelbaren Anschlusses an die Versammlung hochrangiger Gelehrter. Bei den monatlichen Vorträgen der Beisitzer erhielten die Mitglieder der untersten Ordnung Einblick in die aktuellste Theorie und Forschung, zusätzlich standen ihnen die Bibliothek der Gesellschaft sowie deren Kunst- und Naturaliensammlung als exklusive Bildungsmittel zur Verfügung. Da die Höhe der Beitritts- oder Mitgliedsgebühr offenbar an die jeweiligen Vermögensumstände der Mitglieder angepasst wurde, 57 stand die Sozietät prinzipiell jedem fähigen Studenten ohne Rücksicht auf seine finanzielle Situation offen. Seine Einladungsschrift zur ersten Zusammenkunft der GNKW gestaltete Darjes zu einem nachdrücklichen Plädoyer für die Aufnahme und darüber hinaus für die aktive Einbindung ganz unerfahrener und kaum erprobter Studienanfänger nicht nur in die weniger bedeutenden akademischen Clubs, sondern auch in ordentliche Akademien der Wissenschaften.58 In seiner Argumentation eröffnete er, indem er die Leistungsmöglichkeiten dieser Gesellschaften im Bildungsprozess junger Wissenschaftler betonte, eine ganz andere Perspektive, als nur die des unmittelbar verwertbaren Nutzens ihrer wissenschaftlichen Arbeit: Ihrer eigentümlichen Rahmenbedingungen wegen nämlich seien gelehrte Sozietäten in besonderer Weise geeignet, die übliche akademische Qualifizierung zu komplettieren. Seiner Erfahrung nach reife erst derjenige zum wirklichen Gelehrten, der „in einer gewissen Freiheit […] in der Kunst, sich selbst zu regieren, geübet“ werde, der seinen „Geist“ zu einem „dermaleinst in seinem Geschäfte […] selbstdenkende[n] Geist“ entwickeln könne und dessen „Herz […] gebildet und gereizet“ werde, „in der Welt gemeinnützlich zu arbeiten“.59 Dies zu leisten 56 57
58 59
Ebd., S. 15 f. In dem von Darjes wiedergegebenen und vom König genehmigten Entwurf werden keine zu entrichtenden Beiträge erwähnt. Die Mitglieder der beiden unteren Ordnungen allerdings waren zu einer Bücherspende verpflichtet, von den Mitgliedern der ersten Ordnung wurde ebenfalls eine erbeten. Vgl. ebd., S. 10–16. Laut den von Darjes im Februar 1765 an den König eingesandten Entwürfen sowohl der Übungsgesellschaft als auch der gelehrten Gesellschaft sollten „Arme“ keinerlei Gelder entrichten, vgl. GStAPK, I HA Rep. 51, Nr. 1, Pck. 16558, Bl. 17–22. Vgl. DARJES, Erste Zusammenkunft, S. 5 f. Ebd., S. 6.
GELEHRTE SOZIETÄTEN
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seien die starr durchreglementierten Universitäten als Stätten traditioneller Wissensvermittlung üblicherweise kaum in der Lage. Wissenschaftliche Gesellschaften hingegen böten den jungen Wissenschaftlern hierzu nicht allein den geeigneten Ort, sondern auch die nötigen Vorbilder, wie Darjes erklärte: Die Begierde mit den Lehrern in eine genaue Verbindung zu treten, reitzet den Lernenden zur Aufmerksamkeit auf seine Handlungen. Der Jüngling empfindet den gesellschaftlichen Eiffer der Lehrer gemeinnützlich zu arbeiten, und seine zum Nachahmen geneigte Seele wird feurig sich zu bilden.60
Würden junge Männer bereits während ihres Studiums Teil einer namhaften gelehrten Sozietät, stünden sie also unter dem förderlichen Einfluss würdiger Gelehrter, so könnten sie nicht allein ihr Wissen und ihre Fähigkeiten rasch und sinnvoll erweitern, sondern zugleich ein wünschenswertes wissenschaftliches Ethos annehmen. Überdies seien positive Effekte auch in die andere Richtung zu erwarten, so Darjes, denn für das Denken der Hochschullehrer, welche oftmals in ihrem Akademismus gefangen seien, könnten sich die frischen und originellen Impulse der Anfänger als fruchtbar erweisen.61 Zuletzt führte der Philosoph mit dem nicht zu unterschätzenden Phänomen der „patriotische[n] Verbindungen“ noch einen dritten vernünftigen Grund für die Aufnahme von Studienanfängern in gelehrte Gesellschaften an: Fühlten sich demnach die in diesen Sozietäten versammelten zukünftigen Wissenschaftler, Geistlichen und Staatsbediensteten durch die erhaltenen Vorteile zeitlebens ihrem Studienort verpflichtet, und blieben sie zudem anhaltend miteinander vernetzt, so seien davon in wissenschaftlicher wie auch in wirtschaftlicher Hinsicht günstige Auswirkungen für einzelne Regionen und die ganze Nation zu erwarten. Wie gesehen, war diese erweiterte Idee von gelehrten Gesellschaften nicht einzig als gemeinnützige Forschungsgemeinschaften, sondern insbesondere als notwendige Bildungsinstanzen für den akademischen Nachwuchs, ein entscheidender Leitgedanke bei der Einrichtung der Gelehrten Gesellschaft zum Nutzen der Künste und Wissenschaften. So verfolgte das Wirken dieser Sozietät von Beginn an ausdrücklich ein doppeltes Ziel: Erstens verpflichteten sich ihre Mitglieder, „die Erde und alles, was sich in und über derselben befindet, wie auch die Werke der Kunst“ genauestens zu erforschen und die daraus gewonnenen Erkenntnisse nutzbringend anzuwenden; zweitens aber wollten sie „durch diese Bemühungen insbesondere einen Theil der hier Studierenden aufmuntern, und ihnen eine vorzügliche Gelegenheit […] geben, sich zum Nuzzen des Staats rechtschaffen zu bilden“.62 Angesichts dieser sehr allgemein gewählten Formulierung soll daran erinnert werden, dass über studentische Mitarbeit in den gelehrten Gesellschaften und Akademien der Wissenschaften die Denkweise und das Gedankengut 60 61 62
Ebd. Ebd. Ebd., S. 10.
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V. DAS SOZIETÄTENWESEN
der Aufklärer die geistige Elite der neuen Generation prägte und so in den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen zum Tragen kommen musste.
3.
Wissenschaftliche Sozietäten als interdisziplinäre überregionale Gelehrtenverbünde
Wissenschaftliche Sozietäten als Gelehrtenverbünde Obschon die gelehrten Sozietäten der Aufklärung zur zeitgemäßen Ausbildung der nächsten Wissenschaftlergeneration offensichtlich genau das beitragen konnten, woran die traditionell organisierten Universitäten zu scheitern drohten, ist hierin freilich nicht der Hauptantrieb ihrer Gründung zu suchen – die ursprüngliche Idee von gelehrten Gesellschaften und insbesondere von Akademien der Wissenschaften war es, interessierte Gelehrte an Hochschulen untereinander und zumeist auch mit außeruniversitären Experten zu vernetzen und ihnen eine exklusive Plattform für einen ungehinderten, nutzbringenden Austausch und gemeinschaftliches Arbeiten anzubieten. Sie hielten einen Raum für Wissenschaft vor, der organisatorisch weder den üblichen strengen Hierarchien und festen Strukturen von Universität und Staat unterworfen war, noch von dem oft argwöhnisch-feindseligen Nebeneinander einzelner Fakultäten beeinträchtigt wurde. Auch eine merklich verschiedene Ausrichtung kam hinzu, denn die Gelehrtenverbünde, welche vordergründig auf unmittelbar umsetzbare gemeinnützige Ergebnisse hinarbeiteten, konzentrierten ihre Bemühungen auf Natur-, Gesellschafts- und ökonomische Wissenschaften. Die nicht neue Idee außeruniversitärer Forschergemeinschaften traf im Jahrhundert der Aufklärung offenbar einen Nerv, wie die zahlreichen Neugründungen zu dieser Zeit und auch die verbreiteten Mehrfachmitgliedschaften63 vieler Gelehrter bestätigen. Darjes selbst freilich hielt es mit dem Hinweis einerseits auf die endlichen Kräfte des Einzelnen, andererseits auf die „unleugbaren Vortheile, welche beynahe die ganze Welt aus solchen gesellschaftlichen Verbindungen“ bereits gezogen hatte, geradezu für die moralische „Pflicht“ wahrhaftiger Gelehrter, „sich miteinander genauer zu verbinden, um an der Erweiterung der Wissenschaften, und an deren Würksamkeit in den Werken der Natur und der Kunst gesellschaftlich zu arbeiten“.64
63
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Wie Darjes unterhielten viele Wissenschaftler Mitgliedschaften in mehreren gelehrten Sozietäten zugleich. Unter den ersten Beisitzern der Frankfurter Gelehrten Gesellschaft beispielsweise waren außer Darjes allein sieben Professoren auch Mitglieder der Erfurter Akademie der Wissenschaften, darunter die Mediziner Peter Immanuel Hartmann (1727– 1791) und Friedrich August Cartheuser (1734–1796) sowie Darjes’ Jenaer Schüler und Mitarbeiter Laurenz Johann Daniel Suckow (1722–1801) und Johann Stephan Müller (1730–1768). Vgl. DARJES, Erste Zusammenkunft, S. 17 ff. Ebd., S. 4.
WISSENSCHAFTLICHE SOZIETÄTEN ALS GELEHRTENVERBÜNDE
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Dahinter stand die von Darjes vertretene These eines menschlichen Vervollkommnungstriebes, derzufolge sich jeder Mensch nach seinen Möglichkeiten und seinen Kräften bemühen müsse, zu einer Weiterentwicklung seiner selbst sowie der Gesellschaft und damit zur Glückseligkeit der Menschheit beizutragen. In einem Wissenschaftler, der sich als vernünftiger Mensch aus Einsicht freiwillig in diese moralische Notwendigkeit fügen werde, müsse dementsprechend „nothwendig das Verlangen entstehen“, zum einen „die allgemeine[n] Wissenschaften in ganz besonderen Gegenständen genauer bestimmt zu erblicken, und durch bestimmtere Anwendungen derselben auf vielerley Fälle neue Entdekkungen zu machen“,65 zum anderen aber durch seine Bemühungen immer auch einen offenbaren Nutzen für die Gemeinschaft zu erzielen. Für beide Anliegen waren ganz offensichtlich nicht die vordergründig auf die Weitervermittlung umfassender Systeme setzenden Universitäten, sondern die konkret und anwendungsorientiert forschenden gelehrten Gesellschaften der geeignete Ort. Bei regelmäßigen interdisziplinären Zusammenkünften lernten die Anwesenden die aktuellen Arbeiten ihrer Kollegen kennen, zu denen sie bei Bedarf gleich vor Ort Stellung nehmen oder weitere Erklärungen erbitten konnten, auswärtige Mitglieder nutzten die Gelegenheit zur „schriftliche[n] Unterredung“ mit der Versammlung.66 Jungen Wissenschaftlern eröffneten sich durch die Gleichstellung der Mitglieder unkomplizierte Kontaktmöglichkeiten zu gelehrten Kapazitäten. Nicht überall konnte eine solche fächerübergreifende Akademie allerdings so problemlos realisiert werden, wie es in Frankfurt an der Oder anscheinend der Fall war – durch seine beherzte Initiative zur rechten Zeit verband Darjes seinen Namen untrennbar mit der Gelehrten Gesellschaft zum Nutzen der Künste und Wissenschaften. Dort hatte zwar schon seit 1743 eine von Wolf Balthasar Adolf von Steinwehr (1704–1771)67 ins Leben gerufene deutsche Sprachgesellschaft existiert, doch Darjes trug sich „mit einer ausgedehnteren Absicht“, da „die beständige Beschäftigung mit den so genannten schönen Wißenschaften“ seinen Beobachtungen nach „bey vielen die Lust zu reellen Dingen wankend“ mache.68 Als hochgeschätzter und praktisch versierter Jurist und Kameralwissenschaftler ebenso wie als (ehemaliges) Mitglied unterschiedlichster Sozietäten konnte er dienliche Erfahrungen für ein solches Akademieprojekt einbringen; auch seine vielfältigen Kontakte zu namhaften Gelehrten und Experten ließ er nicht ungenutzt.69 Geschickt unterstrich er Friedrich II. gegenüber zudem den aus einer
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Ebd., S. 3. Ebd., S. 5. Zu Steinwehr vgl. PÜTTER, Gelehrten-Geschichte, Bd. 1, S. 98 f.; Auserlesene Bibliothek der neuesten deutschen Litteratur (im Folgenden: ABL), 1. Bd., S. 655 ff. GStAPK, I HA Rep. 51, Nr. 1, Pck. 16558, Bl. 16. Er überzeugte allein 18 Professoren, zum Teil schon Mitglieder anderer Gelehrtenverbünde, aber auch zwei Frankfurter Kaufleute. Viele unter ihnen entstammten Darjes’ langjährigem Freundes- und Bekanntenkreis, so neben den Genannten, Müller und
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Forschungsgemeinschaft für den wirtschaftlich geschwächten Staat zu erwartenden ökonomischen Nutzen. Als der Regent im September 1766 die Gründung der GNKW in Frankfurt an der Oder anordnete, verlieh er ihr zugleich ein offizielles Siegel – den von den Mitgliedern erhofften Titel einer „königlichen“ Gesellschaft allerdings verweigerte er.70 Daraufhin ließ Darjes die Gesellschaft, die bald eine rege Tätigkeit entfaltete, demonstrativ erstmals am 24. Januar 1767, dem Geburtstag des Herrschers, zusammentreten. Eine ähnliche Entwicklung war Anfang der 1750er Jahre in Jena nicht von dem erhofften Erfolg gekrönt. Wie Marwinski in verschiedenen Veröffentlichungen darlegt,71 entwickelte sich die dortige Teutsche Gesellschaft, welche vorher unter der Aufsicht des Professors Gottlieb Stolle (1673–1744) zur gefestigten Institution gediehen war, zu dieser Zeit maßgeblich weiter: Ihr damaliger Senior Carl Gotthelf Müller (1717–1760), Professor der Dichtkunst und Beredsamkeit sowie Mitglied der Deutschen Gesellschaften in Königsberg, Greifswald und Göttingen, versuchte zu dieser Zeit mit großem Engagement, der Sozietät ein neues Profil hin zu einer Akademie der Wissenschaften zu verleihen.72 Diese Umgestaltung spiegelte sich in einer veränderten Mitgliederstruktur; laut Marwinski waren in den 1750er Jahren nahezu alle Professoren der Jenaer Universität vornehme Mitglieder der Teutschen Gesellschaft in Jena, zahlreiche repräsentative Ehrenmitglieder wurden ernannt und erstmals auch einzelne Frauen zugelassen.73 Zu überregionaler Bekanntheit und weitreichender Berühmtheit sollte die TGJ durch Veröffentlichungen in der seit 1749 quasi als Gesellschaftsorgan erscheinenden Jenaischen gelehrten Zeitung und eigene Sammlungen, aber auch durch das Ausschreiben von Preisaufgaben gelangen – repräsentativer Versammlungsort sollte das Jenaer Stadtschloss werden.74 Dass Darjes dieses Akademieprojekt reizte, zeigt deutlich genug seine zu
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Suckow, auch Johann Ernst Immanuel Walch, Justus Christian Hennings, Friedrich Just Riedel oder Balthasar Münter. Vgl. DARJES, Erste Zusammenkunft, S. 17 ff. Erst nach Darjes’ Tod unter der Regierung Friedrich Wilhelms II. (1744–1797) durfte sich die Gesellschaft Königliche Societät der Wissenschaften nennen, vgl. MEIER, Gelehrte Gesellschaft, S. 245 f., 251. Vgl. MARWINSKI, Fabricius; Dies., Akademie Preisfragen. Als 1751 der noch unmündige, 14-jährige Herzog Ernst August II. Konstantin (1737– 1758) Protektor der Teutschen Gesellschaft wurde und Graf Heinrich von Bünau, Premierminister von Weimar und Eisenach, in das Amt des Präsidenten einführte, verkündete Carl Gotthelf Müller auf Anregung Bünaus hin erstmals öffentlich die Hoffnung, die TGJ zu einer um nützliche Wissenschaften erweiterten Sozietät ausbauen zu können, vgl. ebd. Diesen Umständen schien auch die inzwischen einen Dukaten betragende Aufnahmegebühr für ordentliche Mitglieder Rechnung zu tragen, welche Müller selbstbewusst mit den „beträchtliche(n) Vorteile(n) aus den gelehrten Übungen und Prüfungen bei ihrem Aufenthalte auf hiesiger Akademie“ begründete, vgl. MARWINSKI, Bücherschatz, S. 57 f.; Dies., Gelehrte Frauen. Vgl. dazu MARWINSKI, Akademie Preisfragen. In einem Brief an Müller vom 12. Dezember 1756 lobte Bünau sowohl die Veröffentlichungen als auch die Preisaufgaben als geeignete Maßnahmen zum weiteren Aufstieg der TGJ, vgl. Akten TGJ (9), Bl. 45–47. Auch
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diesem Zeitpunkt einsetzende Aktivität in der TGJ. Wie einem seiner Briefe75 an Albrecht von Haller zu entnehmen ist, sollte er dabei auch eine prominente Rolle spielen: „Die Nachricht von einer Gesellschafft der Wißenschafften, die in unserm Jena soll gestifftet werden, ist gegründet“, berichtete der Gelehrte am 1. September 1752 nach Göttingen. „H[er]r [Georg Erhard] Hamberger, [Johann Peter] Reusch, [Carl Gotthelf] Müller und Ich sollen die ordentlichen Glieder werden.“ Der „Endwurff hirzu“ stamme vom Herrn „Statthalter“, das heißt von Heinrich Graf von Bünau (1697–1762), Statthalter von Sachsen-Eisenach und Präsident der Teutschen Gesellschaft in Jena, welcher auch schon den Entwurf für die Akademie der Wissenschaften zu Göttingen geliefert hatte. Darjes gehörte also zum Kern der Beratenden, die sich für eine Neuprofilierung der Gesellschaft entschieden und das Konzept überarbeiteten: In der neu eingeführten „Klasse der höheren Wissenschaften“, die der „Klasse der schönen Wissenschaften“ übergeordnet war und am 9. Juni 1753 erstmalig zusammentrat, sollten frei wählbare wissenschaftliche Materien aus den Bereichen Naturlehre, Mathematik, Astronomie, Arzneikunst, Weltweisheit, Geschichtskunde, Kritik der deutschen Sprache, Rechtskunde und Gottesgelehrtheit in deutscher Sprache vorgetragen, besprochen und später in den Schriften der Teutschen Gesellschaft zu Jena publiziert werden. Darjes selbst nutzte dieses Podium in der Folge, um verschiedene seiner neusten wissenschaftlichen Arbeiten aus unterschiedlichen Disziplinen vorzustellen: Im Jahr 1753 teilte er seine Gedanken von den Gleichungen der krummen Linien mit und sprach über neue Verfahren im Getreideanbau, lieferte 1754 den Beweis von dem Dasein der menschlichen Seele, als eines von dem menschlichen Körper ganz verschiedenen Wesens und hielt im Folgejahr einen Vortrag Über die wahre Ursache der Schwere; als Universitätsrektor lud er überdies 1756 zur Feier des Geburtstages Ernst August II. Konstantins mit einer Abhandlung über den Vorzug eines Dichters vor einem Historiker ein und lieferte auch 1758 einen juristischen Beitrag über das Naturrecht des Grotius zum 200-jährigen Universitätsjubiläum.76 Neuen Auftrieb verhieß im Jahr 1754 ein ganz bemerkenswertes Projekt: In einem Rundschreiben vom 26. August machte Professor Johann Peter Reusch (1691–1758) als Aufseher der Jenaer Teutschen Gesellschaft den Entwurf einer neu zu gründenden und mit der TGJ zu verbindenden ökonomischen Gesellschaft
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wollte er behilflich sein, bei Hofe die Erlaubnis zur Nutzung des Schlosses zu erwirken, vgl. ebd., Bl. 48. Nachdem Müller 1753 eine Nachricht von der Teutschen Gesellschaft zu Jena veröffentlicht hatte, gab er im darauffolgenden Jahr die als Periodikum geplanten Schriften der Teutschen Gesellschaft zu Jena heraus, die jedoch nur einmal erschienen, vgl. MÜLLER, Nachricht; ders., Schriften der TGJ. Offenbar waren auch Zuarbeiten der TGJ zu den Leipziger Oeconomischen Nachrichten geplant, vgl. Akten TGJ (9), Bl. 139. Darjes an Haller, 01. September 1752. BB Bern, Nachlass Albrecht von Haller, Briefe. Die genannten Professoren waren sämtlich Mitglieder der TGJ. Vgl. MÜLLER, Erste Fortsetzung; MARWINSKI, Bücherschatz, S. 27–30; JZ 1753, 45. St., S. 355 f. Vgl. auch DARJES, Gedanken von Gleichungen; Ders., Feyer der TGJ.
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bekannt.77 In den Akten der TGJ ist der besagte Plan zwar an dieser Stelle nicht überliefert, doch findet sich weiter vorn der Auszug eines Briefes von Johann Samuel Verch78 an Wiedeburg, damals Sekretär der TGJ, dem ein dreiseitiger Entwurf zu einer oeconomischen Gesellschafft beigefügt ist79 – die auf dem Schreiben offensichtlich sehr viel später ergänzte Datumsangabe „1753/Aug./26“ legt einen Irrtum im Jahr nahe, sodass es sich hier um das fragliche Projekt handeln dürfte. Es sieht eine „gelehrte Gesellschafft nach dem Riß der Schwedischen, bestehend aus Physicis, Mathematicis und Oeconomis“ vor, „welche hauptsächlich die Oeconomie zum Vorwurf ihrer Bemühung haben sollen, wenigstens die Landes Oeconomie die man auch sonsten Policey zu nennen pfleget“.80 Die vorerst zu bearbeitende wesentliche Frage sollte dabei volksaufklärerischer Natur sein, nämlich „wie man Bürger und Bauern auf eine vernünftigere GedenkensArt, in Absicht auf die Sittlichkeit, [die] Industrie und Häußlichkeit leiten möge“ – ein Gedanke übrigens, dem auch in Darjes’ späterem Schulprojekt eine Hauptrolle zukam. Geschehen könne dies dem Entwurf zufolge über eine „WochenSchrifft nebst einem von der Gesellschafft gefertigten Calender, der nach dem Climate und Begriffen des gemeinen Manns gerichtet seyn könnte“. Derartige Publikationen sollten der Leserschaft „die nüzliche[n] Endeckungen“ unterbreiten, „so weit sie der gemeine Mann verstehen und gebrauchen kan“, und zusätzlich mit „angenehmen Erzehlungen, jedoch nüzlichen“ zu unterhalten wissen. Dem ungenannten Verfasser erschien dabei auch die „Benennung des Ortes“, an dem die jeweiligen ökonomischen Versuche „geschehen, oder noch zu sehen“ sind, empfehlenswert, weil auf diese Weise die „Curiositaet“ beim Leser erweckt werde und er sich „an der Beaugenscheinigung selbsten deutliche Begriffe […] machen“ könne. Das sich hier offenbarende Bestreben, wissenschaftliche Erkenntnisse und Forschungsergebnisse auf neuen Publikationswegen nicht allein exklusiven Wissenschaftlerkreisen, sondern einem breiten und zum überwiegenden Teil nur mäßig gebildeten Publikum zugänglich zu machen, war Thiele zufolge übrigens eine Eigentümlichkeit gelehrter Sozietäten der Aufklärungszeit und brachte einen ganz neuen und bedeutsamen Zweig der Presse hervor.81 Nach einem solchen Anfang, so heißt es im Plan weiter, könne der Herzog die zu gründende Gesellschaft um andere Abteilungen, „zum Exempel von der Mathesi puriori, der teutschen Historia Diplomatica pp.“, erweitern; diese sollten sich aber, um eine „noble Beeiferung“ unter den Gelehrten des Herzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach zu entfachen, an verschiedenen Standorten befinden, 77 78
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Vgl. Akten TGJ (10), Bl. 189 f. Dazu MARWINSKI, Akademie Preisfragen, S. 85. Der Sachsen-Weimar-Eisenachische Hofrat Verch (1702–1764) war unter anderem als Lehrer des jungen Herzogs Ernst August II. Konstantin tätig und stiftete testamentarisch ein Kapital für die naturforschende Gesellschaft zu Danzig, vgl. WETTE, Herzöge zu Sachsen, S. 556. Vgl. Akten TGJ (10), Bl. 161 (Zitat), Entwurf Bl. 163 f. Hier und im Folgenden Akten TGJ (10), Bl. 163 f. THIELE, Gründung, S. 12 f.
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wobei „in Jena […] ein besonderes Departement für die Elegantiora Studia (belles Lettres)“ zu etablieren wäre – hier also sollte die TGJ ins Spiel kommen. Sie sei mit den anderen Abteilungen, die der Entwurf in Weimar und Eisenach vorsah, dann „unter einem Herrn Praesidenten vereinbaret nur für eine Gesellschafft anzusehen“, wobei aber jeder Standort „von Sachen die in deßen Departement einschlagen, die Beurtheilung alleinig habe[n] und behalte[n]“ sollte. Dieser spektakuläre Vorschlag zum Aufbau eines übergreifenden Wissenschaftsnetzwerks mit profilierten Standorten schien ganz nach Darjes’ Geschmack: Während andere Mitglieder der TGJ sich zwar prinzipiell zustimmend, aber eher verhalten zu dieser Idee äußerten,82 dachte Darjes bereits über die (finanzielle) Umsetzung des in seinen Augen höchst vorteilhaften Plans nach. Wie er seine Kollegen sehr bestimmt wissen ließ, war „es in Jena möglich eine solche Gesellschaft zu stifften“, und zwar „viel mehr, als an einem andren Orte […] ohne daß es nöthig [sei], von großen Hrn. zu dieser Absicht Geld zu erbitten“ – er könne „diese Möglichkeit beweisen“.83 Um diese Zeit aber hatte sich eine solche ökonomische Gesellschaft bereits im benachbarten Erfurt zusammengefunden, welche vom Mainzer Erzbischof Friedrich Karl von Ostein (1743–1763) als Churfürstlich-Mayntzische Gesellschaft oder Academie nützlicher Wissenschaften 1754 offiziell anerkannt wurde.84 Als ihr erster Präsident wirkte der Regierungsrat Johann Daniel Freiherr von Lyncker und Lützenwitz, von welchem wahrscheinlich auch die Arbeitsproben stammten, die dem eben besprochenen Entwurf zur Verdeutlichung beigefügt waren.85 Umgehend traten der Akadmie mit Joachim Georg Darjes, Christian Gottlieb Buder, Johann Kaspar Heimburg, Johann Peter Reusch, Laurenz Johann Daniel Suckow, Carl Friedrich Kaltschmied und etwas später Georg Erhard Hamberger die aktivsten vornehmen Mitglieder der Jenaer Teutschen Gesellschaft bei; Heinrich von Bünau wurde dort im gleichen Jahr zum Ehrenmitglied ernannt.86 Die Gründung einer ökonomischen Gesellschaft in Jena schien damit hinfällig zu sein. Umso interessanter erscheint die Tatsache, dass zwischen 1766 und 1769 in Jena sechs Stücke einer Zeitschrift namens Neue Beyträge zu der Cameral- und Haushaltungs-Wissenschaft publiziert wurden, in welcher die gesammelten Abhandlungen 82
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So votierte etwa Hamberger unter dem Vorbehalt dafür, dass „unsere Gesellschaft durch ihre Verbindung mit der zu errichtenden oeconomischen, zu weiter nichts verbunden wird, als die guten und bestätigten Erfindungen der letzteren in guten Teutsch bekand zu machen“; „daß aber selbst Glieder aus unserer Gesellschaft sich mit oeconomischen Versuchen beschäftigen solten“, hielt er hingegen „wenigstens in Absicht auf die meisten Glieder so Professores seyn vor ohnmöglich“. Akten TGJ (10), Bl. 190. Ebd. Die Erfurter Akademie nützlicher Wissenschaften war nach denjenigen in Berlin (1700) und Göttingen (1751) die dritte derartige Gesellschaft in Deutschland. Vgl. Akten TGJ (10), Bl. 189, 161. Vgl. StA Erfurt, Akten der Akademie nützlicher (gemeinnütziger) Wissenschaften, 5/733–129 Mitgliederverzeichnis; THIELE, Gründung, S. 37–43. Hamberger trat der Akademie erst 1755 bei.
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einer ungenannten „Societät in Thüringen“ veröffentlicht wurden – „die Herausgeber“, so Böning und Siegert, „[bezeichneten] sich als Mitglieder einer Art von geheimen Gesellschaft, die sich bereits vor zehn Jahren gebildet habe“.87 In der Vorrede zum ersten Stück erklärten diese Männer, „der Endzweck [ihrer] Bemühungen“ sei ursprünglich „weiter gegangen, als daß er sich an einer schriftlichen Unterhaltung des Publici hätte begnügen lassen sollen“.88 Allem Anschein nach also hatte sich in Jena um 1756 eine private ökonomische Gesellschaft versammelt, die ihre weitreichenden, sicherlich zumindest eine obrigkeitliche Anerkennung betreffenden Pläne nach dem ersten Jahrzehnt als nicht realisierbar einstufte und deshalb wenigstens durch die Publikation ihrer eigenen und geprüfter fremder Schriften der Allgemeinheit nützen wollte. Wer die Mitglieder dieser Vereinigung waren und woher sie stammten, ob sie vielleicht in Verbindung mit der TGJ oder der Erfurter Akademie der Wissenschaften standen, lässt sich aus der Zeitschrift nicht in Erfahrung bringen. Der einzige offiziell bestätigte Standort für derlei Forschung in der Gegend blieb nach wie vor Erfurt. Vorbild dieser Gelehrtenversammlung war die Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, welche im November 1751 „nach einem von Albrecht von Haller umgearbeiteten Plane des Grafen Bünau und auf Anraten des Ministers und Universitätskurators Grafen Gerlach Adolf von Münchhausen vom Könige Georg II. gestiftet“ worden war.89 Mit dem Anspruch einer unmittelbaren Verwertbarkeit von wissenschaftlicher Arbeit, der sich bei der Erfurter Akademie eben in der Beschränkung auf „nützliche“ Wissenschaften ausdrückte, konnte Darjes sich freilich sofort identifizieren. Von nicht geringem Interesse musste es im Übrigen selbst für den sich im Allgemeinen bescheiden gebenden Jenaer Professor sein, dass die Mitgliedschaft, welche öffentlich wie ein Titel angegeben wurde,90 und die Besprechung seiner Schriften in den von der Erfurter Akademie herausgegebenen Erfurtischen Gelehrten Nachrichten91 sein Ansehen und seine Bekanntheit außerhalb SachsenWeimar-Eisenachs weiter steigerte. Er trat in besonders enge Verbindung zum Erfurter Ratsherrn Christian Reichart, der auf der Stelle eine kameralwissenschaftliche Abhandlung Darjes’ als Vorwort in den nächsten Band seines viel 87
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BÖNING/SIEGERT, Volksaufklärung, Sp. 285, Nr. 600. Die Neuen Beyträge zu der Cameralund Haushaltungs-Wissenschaft richteten sich mit ihren Aufsätzen über „das Cameral- und Policey-Wesen, die Land- und Stadt-Wirthschaft, allgemeine und besondere NahrungsArten, Künste und Handwerker, die Erde, die Elemente und was darinnen ist“ an „sogenannte Oeconomen“. O. V., Neue Beiträge 1766, 1. St., Vorrede. Die Herausgeber und die Beiträger blieben anonym. Ebd. Vgl. THIELE, Gründung, S. 15 ff., Zitat S. 15. Darjes gab seine Tätigkeit als „des Senats der Churfürstl[ichen] Maynz[ischen] Academie nützlicher Wissenschaften ordentliche(r) Beysitzer“ beispielsweise auf den Titelseiten seiner Lehrbücher Sitten-Lehre (Jena 1755), Cameral-Wissenschaften (Jena 1756) und Naturund VölkerRecht (Jena 1762) nach seinen akademischen Titeln an. Darjes’ Schriften wurden in dieser Zeitung 1756/57 und 1759/60 besprochen, vgl. THIELE, Gründung, S. 56, 69.
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gerühmten Land- und Gartenschatzes aufnahm, ihn auch ausführlich in die Kameralwissenschaften einführte und ihn schließlich 1757 zum Schwiegersohn erwählte.92 Dem ganz offensichtlich aus der gemeinschaftlichen Arbeit in der Erfurter Akademie der Wissenschaften gezogenen beruflichen und privaten Nutzen, den Darjes übrigens durch die Zueignung seiner 1755 erschienenen Logik Via ad veritatem an deren Präsidenten würdigte, setzte er freilich einen nicht geringen eigenen Beitrag entgegen: Als sogenannter ordentlicher Beisitzer der Mathematik gehörte er, anders als die bloßen ordentlichen Mitglieder, zum erweiterten Vorstand der Gesellschaft, zudem lieferte er Beiträge zu den Erfurtischen Gelehrten Nachrichten.93 In Jena indessen war trotz des vielversprechenden Beginns das Engagement der Gelehrten für die Umwandlung der Teutschen Gesellschaft in eine Akademie der Wissenschaften über die Jahre erlahmt. Trotz der anhaltenden Bemühungen94 Müllers und Bünaus erhielt die Gesellschaft von der Obrigkeit nicht den gültigen Status eines offiziell genehmigten interdisziplinären Forschungsinstituts. Die Idee, wie eine wirkliche Akademie Preisaufgaben auszuschreiben, kann als ein Versuch gewertet werden, eine entsprechende Anerkennung beim Herzog einzufordern, zumindest jedoch von der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. In diesem Zusammenhang zeigte sich erneut, wie sehr die Gesellschaft auf die Bereitschaft ihrer Mitglieder vertraute, ideelle und materielle Ressourcen zur Verfügung zu stellen: Auf Müllers Bitte hin stifteten unter anderem Darjes und Suckow nicht nur einen Teil der Preisgelder, sie waren auch angehalten, etwas „Schweres und Nützliches“ aus der Mathematik, Physik oder Ökonomie als Preisfrage zu erdenken.95 Diese erste ausgeschriebene Preisaufgabe der TGJ für die höheren Wissenschaften, die der junge Theologe und Naturforscher Johann Samuel Schröter (1735–1808) am besten beantwortete, blieb die einzige.96 Zwar
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Vgl. DARJES, Bielefelds Staatsklugheit, S. 33 f. Darjes heiratete am 15. Februar 1757 Reicharts damals knapp 20-jährige jüngste Tochter Martha Friederike (1737–1794). Die erwähnte Abhandlung ist DARJES, Verbesserung der Landwirthschaft. Vgl. THIELE, Gründung, S. 37, 51, 64 f. An den 1757 und 1761 erscheinenden lateinischen Acta sowie dem ersten Bändchen deutschsprachiger Veröffentlichungen der Erfurter Akademie von 1762 war Darjes hingegen nicht beteiligt, vgl. ebd., S. 58, 70–75. Im Dezember 1756 beispielsweise versicherte Bünau bezugnehmend auf Müllers „geäußertes Verlangen, wegen desjenigen […], was zu Erhöhung des äußerlich Ansehens unserer Gesellschafft [der TGJ], sowohl durch Beförderung des Druckes ihrer Schrifften, als durch Verwandelung derselben in eine Akademie der Wißenschafften, gereichen möchte“, er werde sich „mit vielem Vergnügen alle mögliche Mühe geben“ und „in Ansehung beyder Punckte meinen gnädigsten Herrn HochFürstl. Durchl. zu einer günstigen Entschließung zu bewegen nicht verzweifeln“. Akten TGJ (9), Bl. 46. Im Februar 1750, vgl. MARWINSKI, Akademie Preisfragen, S. 85. Auch in den schönen Wissenschaften war 1756 eine bis 1758 zu beantwortende Preisaufgabe „von der Leichtigkeit des Ausdrucks beym Vortrag“ und den „sichersten und
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konnte sich die Sozietät auch weiterhin repräsentativer Zugänge erfreuen – im Oktober 1757 etwa traten ihr mit den Studenten Ernst Friedrich Graf zu Lynar und Karl Christian Heinrich zu Zinzendorf und Pottendorf zwei Vertreter des Hochadels bei.97 Die Akademiephase jedoch kam nach etwa einem Jahrzehnt schließlich ganz zum Erliegen, was wohl im Wesentlichen den sich Ende der 1750er, Anfang der 1760er Jahre unter den Protagonisten häufenden Todesfällen geschuldet war: 1758 verstarb nicht allein der fürstliche Protektor der TGJ, Ernst August II. Konstantin, sondern auch ihr Aufseher Reusch, der Bibliothekar Jakob Wilhelm Blaufuß und der Sekretär Basilius Christian Bernhard Wiedeburg;98 Müller selbst wurde im Jahr 1760 begraben und Bünau schließlich starb 1762. Von Darjes findet sich im Februar 1760 übrigens eine letzte Unterschrift in den Gesellschaftsakten99 – seine aktive Zeit in der Teutschen Gesellschaft wird auch er wohl um diese Zeit beendet haben. Wie die konkreten Beispiele zeigen, mangelte es im 18. Jahrhundert offensichtlich weder an erfolgversprechenden Plänen noch an engagierten und namhaften Experten, um unabhängige und weitgehend demokratisch organisierte Forschergemeinschaften ins Leben zu rufen. Ein merklicher Teil der Gelehrten pflegte dabei Mehrfachmitgliedschaften, womit eine umfassende Vernetzung und ein Austausch der wissenschaftlichen Gesellschaften auch untereinander gegeben war – die „res publica literaria“ oder „Gelehrtenrepublik“ erfuhr in der Aufklärungszeit ihre Institutionalisierung. Die Impulse für die Gründung von gelehrten Sozietäten kamen im Großen und Ganzen aus der Mitte der aufgeklärten Eliten; ihre Realisierung allerdings blieb gänzlich abhängig vom Interesse und von der Gunst der Obrigkeiten und damit von der Geschicklichkeit und der Überzeugungskraft einzelner.
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vollständigsten Mittel(n)“ dazu gestellt worden; da die von Ehrenreich Christian Leberecht Speiser eingereichte Abhandlung die einzige blieb, wurde das Preisgeld umgewidmet., vgl. Akten TGJ (9), Bl. 271 f. Vgl. MARWINSKI, Bücherschatz, S. 29. Vgl. MARWINSKI, Akademie Preisfragen, S. 118. Vgl. Akten TGJ (10), Bl. 279.
„TUGEND“ UND „BRAUCHBARKEIT“ ALS WERTE
4.
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„Tugend“ und „Brauchbarkeit“ als Werte in gelehrten und freimaurerischen Gesellschaften
„Tugend“ und „Brauchbarkeit“ als Werte Wenn im Vorangegangenen nur nebenher bemerkt worden ist, dass Sozietäten in allen ihren Ausprägungen auf einen gemeinen Nutzen ihrer Arbeit abzielten, dass sie eine Mitgliedschaft auch vom sittlichen Lebenswandel der Kandidaten abhängig machten oder gar ein Ethos weitergeben wollten, so soll auf derartige, teils gewissermaßen im Verborgenen wirksamen erzieherischen Funktionen solcher Gesellschaften nun eigens eingegangen werden. In diesem Zusammenhang sind nicht länger hauptsächlich die wissenschaftlichen, sondern vor allem die geheimen Gesellschaften und Freimaurerlogen intensiv in den Blick zu nehmen. Es ist dabei insgesamt festzustellen, dass die im Zusammenhang mit Darjes’ aufgeklärtem Konzept von Erziehung und Bildung identifizierten Erziehungsziele der „Tugend“ und „Brauchbarkeit“ des Menschen auch in sämtlichen Gesellschaften Erwachsener als wesentliche oder sogar als die hauptsächlichen Wertkategorien unverändert wieder auftauchen. Wie bereits weiter vorn mit Beispielen belegt wurde, trieb die Mitglieder wissenschaftlicher Gesellschaften und insbesondere studentischer Übungszirkel unter anderem das Anliegen an, nicht nur selbstverantwortlich für die eigene Brauchbarkeit zu sorgen, sondern sie nach Möglichkeit unablässig wirksam werden zu lassen. Allgemein nutzbringendes Tätigsein erschien den aufgeklärten Eliten ganz offensichtlich als ein Hauptstück eines sinnvollen und ausgefüllten irdischen Lebens. Als gemeinnütziger Fortschritt galt ihnen dabei zunächst jede auf wissenschaftlichem Weg gewonnene Erkenntnis oder Erfindung, die direkt oder mittelbar eine Verbesserung des realen Lebens bewirken konnte, was insbesondere das Feld der angewandten Natur- und ökonomischen Wissenschaften betraf. In der Akademie nützlicher Wissenschaften zu Erfurt etwa existierten folgerichtig die fünf Arbeitsbereiche Anatomie, Chemie, Kameralistik, Mathematik und Physik einschließlich Naturgeschichte, während alle übrigen Wissenschaften unberücksichtigt blieben.100 Die studentische Schlettweinische Gesellschaft in Jena wiederum beschränkte ihr Schaffen, wie erwähnt, einzig auf ökonomische Themen. Indessen war der Rahmen nicht allerorten so eng gesteckt, denn auch die Ansichten über den gemeinen Nutzen der einzelnen Disziplinen variierten. Darjes etwa hatte für die Gelehrte Gesellschaft zum Nutzen der Künste und Wissenschaften in Frankfurt an der Oder sechs „Classen“ eingeplant, die selbstredend die mathematischen Wissenschaften, die Physik, Chemie und Naturhistorie sowie die Ökonomie und Handelslehre berücksichtigten, in denen aber auch die Geschichte, die praktische Philosophie, also Politik, Sittenlehre und Naturrecht,
100 Vgl. BLAHA, Gründung der Akademie, S. 22.
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und die sogenannten schönen Wissenschaften ihren Platz erhielten.101 Ausschließlich mit letzteren beschäftigten sich an verschiedenen Orten auch deutsche Sprachgesellschaften, so die Teutsche Gesellschaft in Jena, welche auch schon in ihren Anfängen, also noch weit vor der späteren Akademiephase, ebenfalls beabsichtigte, ihren Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten: In ihren Gesetzen von 1730 hatten sich ihre Mitglieder zu gemeinnütziger Produktivität verpflichtet und angekündigt, „eine SprachKunst, ein Wörterbuch und andere Schriften […] auch Übersetzungen […] als Proben ihres Fleißes mit vereinigten Kräften ans Licht [zu] stellen“.102 Verglichen mit den Erkenntnissen aus naturwissenschaftlichen Experimenten, mit erprobten, unmittelbar umsetzbaren Anleitungen für den Landwirt oder mit Erfindungen, welche beschwerliche Arbeiten sinnvoll vereinfachen halfen, war der positive Nutzen solcher Maßnahmen zwar nicht derart offensichtlich; doch ermöglichte gerade in den Wissenschaften die bevorzugte und treffende Verwendung der Muttersprache breiteren Schichten der Bevölkerung, welche nur wenig Latein gelernt hatten, eine Teilhabe. Auch Darjes’ besondere Popularität als Universitätslehrer und die weite Verbreitung seiner Schriften beruhte sicherlich zu einem nicht unerheblichen Teil darauf, dass er weitgehend auf ein leicht verständliches Deutsch zurückgriff. Wie er in seiner Sitten-Lehre dargelegte, wächst das Denk- und Urteilsvermögen eines Menschen in dem Grad, in welchem dieser erlernt, eindeutige Begriffe zu bilden, sie untereinander genau zu unterscheiden und ihre Zusammenhänge zu erkennen – das einzig relevante Bildungsmittel ist hier die gründliche Auseinandersetzung mit Sprache.103 Bemühungen in den schönen Wissenschaften schulen somit die grundlegenden geistigen Fähigkeiten von Gelehrten, wirken sich also langfristig förderlich auf die Qualität und den Fortschritt aller wissenschaftlichen Disziplinen aus, womit zweifelsohne dem Gemeinwohl gedient ist. Einen wesentlichen Faktor für den tatsächlichen Erfolg ihrer Vorhaben erkannten die Gesellschaften in der Kontinuität nutzbringender Arbeit. Die Grundlage dafür schufen regelmäßige, meist wöchentliche Zusammenkünfte mit vorgeschriebenem Ablauf, die von allen oder bestimmten Mitgliedern nicht ohne triftigen Grund versäumt werden durften. Üblicherweise hatte reihum jeder Einzelne dabei für einen adäquaten wissenschaftlichen (Rede-)Beitrag zu sorgen, den er entweder selbst oder durch eine Vertretung liefern konnte. Auch die oft periodisch gedruckt erscheinenden Aufsatzsammlungen der Gesellschaften mussten gefüllt werden. So spielte es für die Aufnahme gerade der angehenden Gelehrten in wissenschaftliche Sozietäten immer auch eine Rolle, ob sie bisher den erwünschten Fleiß an den Tag gelegt hatten, ob von ihnen also eine anhaltend aktive und produktive Mitarbeit zu erwarten war.
101 Vgl. DARJES, Erste Zusammenkunft, S. 12. 102 Akten TGJ (1), Nr. 7: Druckfassung von 1730, Bl. 14. 103 Vgl. DARJES, Sitten-Lehre, S. 167 ff.; 238.
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Freilich musste der ausgeprägte wissenschaftliche Eifer zweifelsfrei auf ein moralisches Pflichtgefühl des fraglichen Kandidaten zurückzuführen sein, wie dieser überhaupt durch Tugendhaftigkeit überzeugen sollte: Ein tadelloser Lebenswandel und ein unbescholtener Ruf stellten wesentliche Aufnahmekriterien fast aller Wissenschaftlerverbünde dar. Die einzige und ausschließliche Zugangsbedingung zu den Versammlungen der Frankfurter Gelehrten Gesellschaft beispielsweise war für einen Studienanfänger, dass er „von den Gliedern der ersten und andern Ordnung das Zeugniß eines guten Lebens und eines regelmäßigen Fleißes erhalten“ hatte.104 Auch für die zugelassenen Mitglieder existierte in aller Regel ein gewisser Verhaltenskodex. Es ist freilich leicht einzusehen, warum öffentlich arbeitende Gesellschaften sich um die Tugendhaftigkeit ihrer (zukünftigen) Mitglieder kümmerten: Eine seriöse Sozietät musste in jeder Hinsicht auf den Erhalt und die Vermehrung ihres Ruhms bedacht sein, womit sich die sittliche Erziehung und Bildung der Mitglieder fast notwendig von selbst als ein Ziel gesellschaftlicher Verbindung ergab. Eine weitere Begründung ergibt sich aus Darjes’ wiederholter Forderung nach Tugendhaftigkeit und Herzensbildung insbesondere der gebildeten Schichten: Lehrer und Gelehrte sollten ja, ebenso wie alle angesehenen Personen, nicht nur der Masse des einfachen Volkes in jeder Hinsicht zum Vorbild gereichen, sondern hatten dieses auch zum Nutzen der ganzen Gemeinschaft zu erziehen und zu lenken. In diesem Sinne hielten beispielsweise die Frankfurter Freunde der Wissenschaften ihre Forderung nach einem angemessenen und gesitteten Umgang untereinander in den von ihnen 1764 ausgearbeiteten Gesetzen fest: Verstöße etwa gegen die „Liebe, Hochachtung und Dankbarkeit“, die jedes Mitglied dem Präsidenten der Versammlung schulde, sollten „nicht ungeahndet“ bleiben; auch verpflichteten sich die Mitglieder, den Beamten der Gesellschaft achtungsvoll zu begegnen, sie „niemahls zu beleidigen“ und ihnen stets ihre „Freundschaft und Hülfe“ zu gewähren.105 Speziell den Redner mahnten die Gesetze, er solle „ein edelmütiges Betragen“ an den Tag legen und „niemals sich über Jemanden in der Gesellschaft beißend oder satyrisch“ äußern, dann habe er ebenfalls alle „Zuneigung“ zu erwarten.106 Noch deutlicher griff Darjes diesen Anspruch in seinem Entwurf einer privaten Übungsgesellschaft auf, denn im vierten Paragraphen heißt es, jedes zuhörende Mitglied müsse „sich verpflichten, daß [es] freundschaftliche Ermahnungen und Erinnerungen willig annehmen und diesen folgen wolle“, weshalb zugleich „die Glieder der ersten Ordnung durch ihre Lebens-Art diese zu einem anständigen Verhalten ermun-
104 Ders., Erste Zusammenkunft, S. 15. Ein zukünftiges Mitglied der ersten Ordnung hingegen hatte bei seiner Aufnahme eine Antrittsrede zu halten, in der zweiten Ordnung musste ein Kandidat den stimmberechtigten Mitgliedern zuvor eine Arbeitsprobe vorlegen, woraufhin sein Beitritt zur Gesellschaft mit der Mehrheit der Stimmen beschlossen werden konnte, vgl. ebd., S. 14 f. 105 GStAPK, I HA Rep. 51, Nr. 1, Pck. 16558, Bl. 4II f. 106 Ebd., Bl. 5II.
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tern“ müssten; ebenso sei der mündliche und schriftliche gelehrte Streit „freundschaftlich und in einer einem Freunde der Wißenschaften anständigen Art“ zu führen.107 Die Sozietäten stellten also, wenn auch in unterschiedlich starker Ausprägung, Stätten der Moralerziehung dar, in denen der vernünftige Einzelne seine Vervollkommnung vorwiegend auf dem Weg der Selbsterziehung und Selbstdisziplinierung weiter vorantreiben konnte. Gravierende Verstöße gegen Sitte und Moral konnten auch bei langjährigen Mitgliedern den Ausschluss aus der Gesellschaft bedeuten, was zur Schande der Betroffenen zum Teil auch öffentlich bekannt gemacht wurde. Ein Beispiel dafür liefern die Akten der TGJ: Ein vom 26. November 1746 datierendes Schriftstück beurkundete einem immerhin adeligen Mitglied, dem Niederschlesier Magnus Adolph von Eberhard, feierlich seine einstimmig beschlossene Ausstoßung.108 Die Teutsche Gesellschaft nämlich, so hieß es in der Begründung, verpflichte ihre Mitglieder zur stetigen „Beförderung und Verherrlichung“ „der Tugend und der Weisheit“ und werte „lasterhaftes und ungesellschaftliches Bezeigen“ als „Schandfleck“ für alle – in Eberhard nun hatte die Gesellschaft „einen Feind ihrer eignen Gesetze und ihrer Mitglieder gefunden“, den sie offensichtlich ohne Erfolg „seit einem halben Jahre […] theils durch glimpfliche Nachsicht, theils durch freundschaftliche Warnungen auf beßere Gedanken zu bringen“ bemüht war, weshalb schließlich die Konsequenzen gezogen wurden.109 Schon zuvor hatte die TGJ in ähnlichen Fällen Mitgliedschaften aberkannt.110 Obwohl sie sich ohne jeden Zweifel vordergründig als wissenschaftliche Bildungs- und Forschungsinstitution verstand, waren bereits in der 1728 entworfenen ersten Version ihrer Gesetze mehrere disziplinarische Paragraphen verankert: Die Missachtung von Ordnung und Moral sollte durch verschieden hohe Strafgelder „zum gemeinen Nutzen“ geahndet werden, wobei das höchste Strafmaß mit acht Groschen der damaligen Aufnahme- bzw. Austrittsgebühr oder einem doppelten Monatsbeitrag entsprach.111 Aus dem Bemühen der Mitglieder aber, den Delinquenten Eberhard über mehrere Monate und mittels verschiedener Strategien zu einer Verhaltensänderung zu bewegen, spricht eindeutig ein über eine bloße Disziplinierung hinausgehender erzieherischer Anspruch, der sich freilich in den für eine Gemeinschaft Erwachsener gegebenen Grenzen bewegte. Viele Jahre später übrigens, im Oktober 1761, sprachen sich die Mitglieder der TGJ auf eine Anregung ihres Vorsitzenden Laurenz Johann Daniel Suckow hin dafür aus, das inzwischen offenbar nicht mehr praktizierte, wiewohl weiterhin in den Gesetzen vorgesehene Erheben von Strafgeldern für säumige Mitglieder wieder einzuführen, weil die Gesellschaft 107 108 109 110
Ebd., Bl. 17II. Vgl. Akten TGJ (10), Bl. 115. Vgl. ebd. Marwinski bestätigt diese Praxis: „Mitglieder, die ‚freventlich oder betrüglich‘ gegen ihre Pflichten gehandelt hatten, [wurden] aus der Gesellschaft entfernt und ihre Namen in den Matrikeln gelöscht“. MARWINSKI, Bücherschatz, S. 35. 111 Vgl. Akten TGJ (1), Nr. 1: Fassung vom 28.09.1728.
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„sich in einer großen Unordnung“ befand: Die ohnehin sehr schlecht besuchten Versammlungen hatten mehrere Male vergeblich stattgefunden, weil der jeweils eingeteilte Referent nicht erschienen war.112 Wie am Beispiel der TGJ zu sehen, versuchten wissenschaftliche Sozietäten also zweifellos zu einer angemessenen Sittlichkeit junger wie gestandener Gelehrter beizutragen, wenn dies freilich auch gemessen an der eigentlichen Forschungsarbeit eine Nebenabsicht blieb. In umgekehrter Weise hingegen hatte der Freimaurerbund, welcher seinen Mitgliedern ebenfalls einen gewissen Zuwachs an Wissen und Erkenntnissen sowie eine für die Karriere an Universitäten oder in den Hof- und Staatsverwaltungen förderliche Vernetzung anzubieten hatte, die Moralerziehung zu seinem vordergründigen Ansinnen erhoben: Das „Ziel, nach welchem er strebt, ist sittliche Vervollkommnung“, so lehrt es das Handbuch der Freimaurerei – um den erträumten „allgemeinen Menschheitsbund herbeiführen“ zu können, sollen die Eingeweihten „für das Wohl der Menschheit wirken, indem sie sich und andere sittlich zu veredeln suchen“.113 Neben der anhaltenden Selbsterkenntnis und Selbsterziehung kommt dem Freimaurer damit die Sorge für die Tugendhaftigkeit seiner Brüder und darüber hinaus für jeden anderen Menschen zu. Die Gründer einer regelmäßigen freimaurerischen Versammlung in Jena warben demgemäß, als sie sich im Februar 1745 schriftlich an Herzog Ernst August von Sachsen-Weimar um eine Genehmigung wandten, mit den aus ihrem Vorhaben zu erwartenden positiven Auswirkungen auf Sittlichkeit und Lebensführung. „Die Logentätigkeit“, so geben Bauer und Riederer das Argument wieder, „erbringe […] auch Jena tugendlichen Lebenswandel unter den Studenten“114 – ein angesichts der weithin wegen ihrer Rohheit und Rauflust berüchtigten Jenaer Studentenhorden sicherlich verlockendes Versprechen. Die Führungsposition der Loge wurde mit Darjes schließlich ideal besetzt: Abgesehen von seinem privaten und beruflichen Ansehen sowie seinen vielfältigen Kontakten zu gelehrten und mächtigen Männern, womit er ganz allgemein der Bruderschaft nützen konnte, 115 war er als Professor der Moral und Politik nicht
112 In einem Rundschreiben vom 17. Oktober 1761 verlangte Suckow zu wissen, „ob wir diejenigen Gesetze zu beabsichten Bereitwilligkeit hegen, welche in den gedruckten Nachrichten von der teutschen Gesellschaft befindlich sind? […] die Caße wird sich dabei ungleich beßer befinden“. Akten TGJ (10), Bl. 303I. 113 Freimaurerhandbuch, 1. Bd., Art. „Freimaurerbrüderschaft, Freimaurerbund“, S. 402; Art. „Freimaurerei“, S. 406. 114 BAUER/RIEDERER, Geheimnis, S. 20. 115 Dass der gelehrte Hofrat wohl zu einem guten Teil aus repräsentativen Gründen den Logenvorsitz erhielt, legt ein Schreiben des Gründungsmitglieds Johann August Stürtz’ vom 23. März 1746 an die Mutterloge nahe. Demnach wurde Darjes zum Meister vom Stuhl gewählt, obwohl er „wegen vieler Geschäffte nicht allemal Zeit“ hatte und damit auch „nicht allemal auf alles genau Acht haben“ konnte – für den brieflichen Austausch empfahl Stürtz weiterhin auf die Schreiben der Brüder Christian Nikolaus Alard und Rudolph Johann Friedrich Schmidt „vor allen andern reflexion [zu] machen“, da diese
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nur ein ausgewiesener Experte in Fragen der Tugend, sondern verfügte zudem in seinen Lehrveranstaltungen über eine ganz hervorragende Möglichkeit, sittlich vervollkommnend auf eine große Zahl junger Menschen einzuwirken, welches Publikum er durch die Veröffentlichung seines moralphilosophischen Lehrbuchs ab 1750 zusätzlich erweiterte. Da der Nachweis von Volljährigkeit und Selbstständigkeit nicht die einzigen Bedingungen für die Aufnahme in den Freimaurerbund darstellte, sondern die freimaurerische Pflicht zur Tugend und ihrer Verbreitung überdies einen gewissen Grad an geistiger und sittlicher Reife voraussetzte,116 dürfte Darjes’ fachkundiges Urteil auch bei jeder Rezeption eines neuen Bruders geschätzt worden sein. Die verlässliche Feststellung wahrer Tugend nämlich war durchaus nicht in jedem Fall möglich, wie der Professor in seiner Sitten-Lehre warnte: Viele Eigennützige verstehen […] die Kunst […] andern einzubilden, daß sie von nichts als von der Billigkeit, Aufrichtigkeit, Gütigkeit, Gerechtigkeit und dergleichen Begierden ihren Verbindlichkeiten zu folgen getrieben werden […] dergestalt, daß sie in kurzer Zeit […] auch bey den geschicktesten und verständigsten Männern zu einem Wunder werden.117
Einzig unter der Bürgschaft eines schon gefestigten Freimaurers und nach einer eingehenden Prüfung konnten daher Kandidaten Zutritt zum Bund erlangen, wenn die Brüder dies einstimmig beschlossen. Dass es sich hier – wenigstens bei der Jenaer Loge Zu den drei Rosen – um ein tatsächliches Auswahlverfahren und keineswegs um eine bloße Formalität handelte, zeigt ein Fall aus deren Anfangszeit: Ein Aufnahmekandidat namens Heusinger wurde „refusiret“.118 Es erhielten also nur für würdig befundene Männer Zugang, womit die Aufnahme in den Bund der Freimaurer wiederum einer verlässlichen Bescheinigung eines vorbildlich tugendhaften, frommen und nützlichen Lebenswandels gleichkam. Jedem Bruder nämlich stand es jederzeit frei, seine eigene Mitgliedschaft nach Wunsch öffentlich zu machen. Zwar basierten derartige Verbindungen auf dem allgemein bekannten Geheimhaltungsprinzip, doch diente dieses, obwohl häufig so gedeutet, nicht dem tatsächlichen Verbergen der Existenz, der Zwecke oder der Mitglieder von Freimaurerlogen, wie auch Agethen ausdrücklich betont, der darin am ehesten noch ein „Zugeständnis an die modischen Verhüllungsstrategien“ im 18. Jahrhundert sieht. 119 Das Schweigegebot über die Rituale, Vorgänge und
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„anjetzo die ältesten sind, denen die Verfaßung und Beschaffenheit hiesiger Loge am allerbesten bekand ist“. GStAPK, FM 5.1.4, Nr. 5944, Bl. 20 f. Vgl. hier und im Folgenden Freimaurerhandbuch, 1. Bd., Art. „Aufnahme“, S. 50 f.; Art. „Geheimniss“, S. 473 f. DARJES, Sitten-Lehre, Vorrede zur andern Auflage. Vgl. GStAPK, FM 5.1.4, Nr. 5944, Bl. 46. AGETHEN, Geheimbund, S. 137. Ähnlich auch BERGER/GRÜN, Einleitung, S. 12 f. Bestätigt wird dies durch das Freimaurerhandbuch: „Nicht zur Verheimlichung des Zweckes und
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Mitgliedschaften wurde jedem neu rezipierten Bruder vielmehr auferlegt, damit er durch dessen gewissenhafte Befolgung seine Ernsthaftigkeit und Aufrichtigkeit unter Beweis stellte. Gleichzeitig gewährleistete das auf die rituellen Handlungen und Begebenheiten während der Zusammenkünfte beschränkte Geheimnis den Brüdern eine größtmögliche Diskretion und Vertraulichkeit: „Soll man nicht“, so wird im Freimaurerhandbuch gefragt, „von den Freunden, welche man zu Vertrauten macht seines Strebens und Ringens nach sittlicher Veredlung, […] die man zu Zeugen nimmt seiner Tugenden und seines Seelenadels, Verschwiegenheit allen denen gegenüber verlangen, welche den Werth jenes Strebens und dieses Gelingens nicht zu schätzen wissen?“120 Vornehmlich das Verhalten der „noch Schwachen und des vollen sittlichen Ernstes des Bundes sich noch nicht völlig Bewussten“, denen Diskretion womöglich keine Selbstverständlichkeit war, sollte also mittels eines strengen Schweigegebots in die gewünschte Richtung gelenkt werden. Die Kunst des Schweigens, die übrigens auf die gleiche Weise beispielsweise in den Logen des zwar nicht freimaurerischen, aber diesem Bund strukturell nachgebildeten Espérance-Ordens instrumentalisiert wurde,121 war somit eine Loyalitätsbezeugung einerseits und eine Übung der Selbstbeherrschung andererseits. Wie ein Brief der Jenaer Brüder bestätigt, bekannte sich auch die Rosenloge zur Schweigepflicht.122 Im Übrigen hatten die Freimaurer nicht nur gegenüber den als Profane bezeichneten Nichtfreimaurern, also nach außen hin, Stillschweigen über Internes zu wahren – auch innerhalb der Logen wurde im Rahmen des Gradsystems das Geheimnis zum Macht- und Erziehungsmittel: Die mit jedem einzelnen Grad verbundenen exklusiven „Geheimnisse“ erzeugten einen „permanenten Spannungsbogen […] zwischen Nichtwissen und Wissen, zwischen neugieriger Erwartung und spannungslösender Enthüllung bei gleichzeitiger Schaffung eines neuen Geheimnisses“,123 der nicht allein den bereits weiter Fortgeschrittenen eine unanfechtbar überlegene Position gegenüber den noch Unerfahrenen verschaffte, sondern letztere auch durch die schrittweise Preisgabe neuer Erkenntnisse anhaltend in ihrem Streben nach Vervollkommnung anspornte. Hierin ist auch ein starkes Motiv für die bald schon inflationäre Ausbreitung von freimaurerischen Hochgraden zu vermuten.
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der Mittel der Freimaurerei werden die Mitglieder des Bundes verpflichtet, sondern einzig zur Geheimhaltung dessen, was in den Logen vorgeht und vorgenommen wird, der Art und Weise, wie sich der Umgang der zu den höchsten sittlichen Zwecken verbündeten Menschen thatsächlich gestaltet hat, dessen, was im weitesten Sinne des Wortes das Gebrauchthum ausmacht“. Freimaurerhandbuch, 1. Bd., Art. „Geheimniss“, S. 473. Hier und im Folgenden ebd., S. 473f. Vgl. BAUER/RIEDERER, Geheimnis, S. 39. Zum Espérance-Orden vgl. ebd. S. 35–40; Freimaurerhandbuch, 1. Bd., Art. „Espérance- oder Espérancierlogen“, S. 309. Gegenüber der Mutterloge erwähnten die Jenaer Freimaurer, dass „unsere [Loge] allhier verborgen lebet“. LÖTZSCH, Rosenschule, S. 163. AGETHEN, Geheimbund, S. 33.
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Die Loge selbst schafft in ihrer Geschlossenheit einen wirkungsvollen erzieherischen Raum. Dem aus dem Prinzip der Gleichheit aller Mitglieder – die Erkenntnisgrade bilden keine Hierarchiestufen, sondern sollen schlicht den jeweiligen Entwicklungsstand dokumentieren – und aus dem gemeinsamen Bekenntnis zum weltumspannenden Bund der Freimaurer erwachsenden brüderlichen Miteinander eignet die besondere „erziehende Macht“ einer respektvoll-freundschaftlichen Gemeinschaft: „Hier nun hat jeder wiederholte Gelegenheit, als Mensch sich in all seiner Blösse wie in all seiner Grösse zu zeigen“, heißt es dazu im Freimaurerhandbuch, „dabei aber lernen alle von- und durcheinander; sie lernen ihre Fehler zu verbessern, aber auch ihre Fehler gegenseitig zu tragen […] lernen einander als Menschen achten und ehren“.124 Gerade die Unabhängigkeit von äußerlichen Zwängen, wie sie den Profanen durch Stand, Alter, Titel oder Bildungsgrad auferlegt waren, sollten innerhalb der Gemeinschaft anregende Formen des Zusammenwirkens und gedeihliche Freundschaften fördern. Dabei bildeten häufige gesellige Treffen einen Gegenpol zur Logenarbeit, der vor allem die lange nur mündlich überlieferten, streng einzuhaltenden sinnbildlichen Rituale einen weihevollen, ernsthaften Charakter verliehen und dem Einzelnen wieder und wieder die im Streben nach Höherem liegende Bedeutsamkeit der feierlichen Zusammenkünfte ins Bewusstsein riefen. Die Loge bot den Brüdern damit ein allseitiges Zusammenleben; „Geist und Herz, Leib und Seele“125 wurden angemessen berücksichtigt, wobei die erzieherischen Intentionen ihre Wirkung desto tiefgehender und umfassender entfalteten – ein Prinzip, das sich übrigens auch in den unterschiedlichsten Jugendorganisationen immer wieder durchsetzt, und dessen erfolgreiche Anwendung in der Loge „man umso höher schätzen muss, als sie auf selbstständige Männer erziehend und bildend einwirkt“.126 Die größte erzieherische Leistung war dabei jeder angehalten, an seiner eigenen Person zu vollbringen. Wer die Freimaurerei zu seiner Geisteshaltung machte, dem war vollendete Tugend das stets erstrebte, wenngleich unerreichbare Ziel, wie es Darjes auch in seiner Moralphilosophie postulierte. In seinen Werken fehlt es nicht an Zeugnissen der Selbstreflexion, der Selbsterkenntnis und der Suche nach eigener Vervollkommnung, wenn sie sich auch, der Absicht seiner meisten Veröffentlichungen gemäß, hauptsächlich auf den Wissenschaftler beschränken. Häufig fügte er beispielsweise, wenn er seine Leser in den Vorworten seiner akademischen Werke zu sachlicher Kritik und Widerlegung aufforderte, den Verweis auf die eigene Unvollkommenheit und Fehlbarkeit hinzu. In seiner Autobiographie wiederum legte er mit der ungeschönten Beschreibung seiner jugendlichen Unreife und der damit verbundenen Auswirkungen der Öffentlichkeit diese überwundene Entwicklungsphase vor Augen.127 124 125 126 127
Freimaurerhandbuch, 1. Bd., Art. „Freimaurerei“, S. 411. Ebd. Ebd. Vgl. DARJES, Bielefelds Staatsklugheit, S. 3–23.
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(Selbst-)Erziehung wurde ganz ähnlich beim Orden De l'Espérance oder Zur Hoffnung, dem die seit dem Ende der 1740er Jahre in Jena arbeitende Loge Minerva angehörte,128 zur Verbindlichkeit erklärt. Diese Geheimgesellschaft, die im Gegensatz zum Freimaurerbund auch Frauen die Mitarbeit in den Logen gestattete, erlegte ihren Mitgliedern fünf Hauptpflichten auf, welche sich wie eine direkte Anweisung zum tugendhaft-frommen Leben lesen: „Fürchte Gott“, „Ehre die Obrigkeit“, „Liebe den Nächsten“, „Erkenne dich selbst“ und „Sei mitleidig gegen Notdürftige“.129 Für eine entsprechende Auslegung und Illustration dieser Maximen sorgte als Bruder Redner in der Minervaloge Darjes’ Schüler Balthasar Münter mit seinen Fünfmal fünf Reden über fünf wichtige Pflichten derer die da hoffen. Die nicht zu übersehenden Ähnlichkeiten in den Zielsetzungen, der Organisation und Regulierung des Miteinander in verschiedenen geheimen Gesellschaften, welche allesamt die grundsätzlichen Bedürfnisse und Möglichkeiten dieser Epoche zum Ausdruck brachten, dürften weitgehend über derartige Verbindungen zwischen den jeweiligen Mitgliedern zu erklären sein, in höherem Maße aber sicherlich noch mit den nicht ungewöhnlichen Parallelmitgliedschaften Einzelner in mehreren Sozietäten: Bauer etwa weist darauf hin, dass sich die Namen von mindestens zehn Brüdern des Jenaer Ordens Zur Hoffnung auch in den Listen des dortigen freimaurerischen Hochkapitels Zion wiederfinden.130 Die Verknüpfungen der geheimen mit den wissenschaftlichen Sozietäten in der Universitätsstadt dürfen um die Mitte des 18. Jahrhunderts ebenfalls als recht eng angenommen werden, da außer Darjes beispielsweise auch seine Schüler Münter und Suckow entsprechende Mehrfachmitgliedschaften pflegten.131 Auch rekrutierte beispielsweise die Rosenloge zahlreiche Mitglieder aus den Reihen der Akademiker. So blieben die recht abgeschlossen wirkenden Logen tatsächlich unmittelbar mit der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer geistigen Elite verbunden.132 Das Streben nach Tugend sollte sich bei den Freimaurern auch in Form einer „geräuschlose[n] und doch sichtlich wohlthätige[n] Wirksamkeit“ äußern.133 Beabsichtigt war dabei aber nicht in erster Linie das bloße Almosengeben – da sich die Brüder vor allem in ihren Taten als Freimaurer zu erkennen geben sollten, wurde die rein finanzielle Unterstützung bedürftiger Einzelpersonen oder gemeinnütziger Anstalten durch selbstständige Initiativen der Logen ergänzt. 128 Weitere deutsche Logen dieses Ordens wurden in Göttingen (Martin, 1752), Hamburg (Irene, 1757), Schleswig (Artemis, 1760) und Lübeck (Concordia, 1760) gegründet, vgl. BAUER/RIEDERER, Geheimnis, S. 37 f. 129 Zitiert nach ebd., S. 38. 130 Vgl. BAUER/RIEDERER, Geheimnis, S. 38. 131 Balthasar Münter war als Redner des Espérance-Ordens auch Mitglied der Teutschen Gesellschaft in Jena. Laurenz Johann Daniel Suckow, in Jena seit 1746 Mitglied der Rosenloge und ab 1760 des Hochkapitels Zion, war gleichzeitig Mitglied und Senior der TGJ und in Erfurt Mitglied der Akademie nützlicher Wissenschaften. 132 Vgl. BERGER/GRÜN, Einleitung, S. 11 ff. 133 Freimaurerhandbuch, 3. Bd., Art. „Freimaurerbruderschaft“, S. 403 (Zitat), S. 409 f.
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V. DAS SOZIETÄTENWESEN
Dabei war „die Förderung des geistigen und sittlichen Wohles – z.B. in Beförderung von Erziehungszwecken“ dem Freimaurerhandbuch zufolge „der des materiellen Wohles voran[zu]stellen“.134 Der an den wissenschaftlichen Gesellschaften bereits weiter vorn bemerkte Anspruch, in seinem Wirken einen Nutzen für die Allgemeinheit zu erbringen, fand sich also in vergleichbarer Weise, wenn auch anders gewendet, bei den Freimaurern wieder. Ganz in diesem Sinne handelte die Loge Zu den drei Rosen, als sie im Jahr 1762 die offiziell von Darjes privat betriebene Rosenschule bei Jena eröffnete, die armen Kindern eine kostenlose, brauchbare Ausbildung verschaffen sollte. Im genannten Handbuch ist diese Realschule, unmittelbar nach dem im Jahr 1753 in Stockholm gegründeten Waisenhaus, als erste deutsche freimaurerische Erziehungs- und Bildungseinrichtung vermerkt, die zudem über Jahre die einzige blieb. Ihr folgte 1773 das Freimaurerinstitut der Loge Zu den drei Schwertern in Dresden,135 ab dem 19. Jahrhundert kamen vor allem Sonntagsschulen an verschiedenen Orten hinzu. Die umfassende, auf einen nicht abzumessenden Zeitraum hin angelegte Zielsetzung des Freimaurerbunds, deren Verwirklichung kaum unmittelbar zu überprüfen war, sowie die gewollt intransparent-geheimnisvolle, nichtöffentliche Logenarbeit, nicht zuletzt auch die zur moralischen Pflicht erhobene materielle Freigiebigkeit der Brüder, machten die Freimaurerlogen allerdings grundsätzlich sowohl von außen als auch aus ihrem Inneren heraus angreifbar. Hatten die Logen, obgleich in politischen und kirchlichen Belangen grundsätzlich neutral,136 vonseiten ihrer Obrigkeit mit Misstrauen oder gar Versammlungsverboten zu rechnen, so fielen sie ebenso regelmäßig Betrügern aus ihren eigenen Reihen zum Opfer. So war es auch Anfang der 1760er Jahre einem Hochstapler namens Johnssen gelungen, die arglosen Jenaer Freimaurer derart für seine gegen die bestehende deutsche Freimaurerei gerichteten Umtriebe einzuspannen, dass die Rosenloge nach dessen Entlarvung ganz aufgelöst wurde. Für Darjes allerdings stellten diese Vorkommnisse keinen Grund dar, sich prinzipiell von der Freimaurerei abzuwenden – es wird unter anderem die innerhalb der Logen gegebene Chance zu einer nicht bloß sittlichen Selbstverwirklichung gewesen sein, die den Gelehrten dazu bewog, sich auch in Frankfurt an der Oder wieder den Freimaurern anzuschließen. 134 Ebd., Art. „Wohlthätigkeit, Wohlthätigkeitsanstalten“, S. 481 ff., Zitat S. 482. 135 Vgl. NEESE, Freimaurer-Institut. Am 1. Dezember 1772 war das Institut zur vorübergehenden kostenlosen Versorgung, Erziehung und Unterweisung von 30 armen und verwaisten Knaben und Mädchen eröffnet worden. Eine Aufwärterin sorgte für die Zöglinge und leitete sie in einfachen Handarbeiten an, ab Februar 1773 wurde durch einen Lehrer Unterricht erteilt. Der Erfolg und Zulauf zum Institut bewirkte, dass es schon ein halbes Jahr später als ständige Einrichtung in einem eigens errichteten Gebäude neu eröffnet werden konnte. Mitbegründer war übrigens der Oberkonsistorialpräsident Peter von Hohenthal. Vgl. ebd., S. 4 ff. 136 Mit den Andersonschen Konstitutionen von 1723 gehörten kirchliche und politische Neutralität sowie Loyalität gegenüber den Obrigkeiten zum Selbstverständnis der meisten deutschen Logen, vgl. BERGER/GRÜN, Einleitung, S. 12 f.
VI. Schlussbetrachtungen VI. Schlussbetrachtungen Schlussbetrachtungen Die in der Einleitung zu dieser Untersuchung umrissenen Wirkungsfelder, innerhalb derer die bildungsreformerischen Anregungen und Initiativen des Kameralisten Joachim Georg Darjes aufgespürt und nachvollzogen werden sollten, sind nun sämtlich durchwandert. Eine ausführliche und detailreiche, zugleich aber auf größere Zusammenhänge verweisende Arbeitsweise gewährte den Leserinnen und Lesern einen möglichst tiefen und umfassenden exemplarischen Einblick in die Erziehungs- und Bildungsprobleme in der Mitte des 18. Jahrhunderts und in die damaligen – das heißt vor dem Auftreten der Philanthropen unternommenen – Bemühungen um eine zeitgemäße Pädagogik. In historischer Hinsicht war das vorrangige Anliegen, Darjes’ bildungsreformerisches Wirken in seiner ganzen und bisher überhaupt selten erfassten Breite sichtbar zu machen – einen ersten Überblick geben bereits die Themenfelder der einzelnen Kapitel. Es bleibt festzuhalten, dass Darjes mit einem höchst beachtlichen Engagement versuchte, seinen volkserzieherischen Überzeugungen zu allgemeiner Wirksamkeit zu verhelfen. Vor allem aufgrund der besonderen Bildungserfahrungen aus seiner Kindheit sowie seiner Fähigkeit, wachen Verstands die Erfordernisse seiner Zeitlage zu erfassen, hatte er sein Forschungs- und Lehrinteresse auf praktische Philosophie, Kameralistik und Jurisprudenz gelenkt und damit die für eine pädagogische Erneuerung seinerzeit wesentlichen Wissenschaften verbunden. Bereits durch seine Stellung als Hochschullehrer befand er sich über fünf Jahrzehnte lang in einer Position, die es ihm ermöglichte, unmittelbar auf die junge geistige Elite Einfluss zu nehmen – angesichts seiner stark nachgefragten Lehrfächer und seiner Popularität unter den Studenten gelang ihm dies zudem in besonderer Intensität und Breite. Dabei ließ der Aufklärer es jedoch nicht bewenden: In den Bereichen des Schulwesens und des (akademischen) Sozietätenwesens suchte und fand er weitere Felder, auf denen er seinen Überzeugungen gemäß aktiv werden konnte. So erweiterte er, beispielsweise über seine Vorstandsarbeit in der Erfurter Akademie nützlicher Wissenschaften, nicht allein anhaltend seine Kontakte zu zahlreichen Gelehrten unterschiedlichster Disziplinen sowie außeruniversitären Experten und gelehrten Bürgern; mit seiner Versuchsschule schuf er sich die Möglichkeit, auf gänzlich andere, breitere Bevölkerungsschichten einzuwirken. Diese Gründung beweist ebenso wie die der Frankfurter Gelehrten Gesellschaft, dass Darjes willens war, durch theoretische Entwürfe und praktische Modellprojekte die erforderliche Entwicklungs- und Pionierarbeit zu leisten. Für beide von ihm entworfenen und realisierten Institutionen war eine herrschaftliche Konzession erforderlich – auch die Souveräne also wusste der Gelehrte von seinen aufklärerischen Zielen zu überzeugen. Wie kaum ein Zweiter wirkte Darjes damit über verschiedenste Wege auf die gesamte Gesellschaft. In
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VI. SCHLUSSBETRACHTUNGEN
der Untersuchung wurde Wert darauf gelegt, sein Werk enger mit seiner Lebensgeschichte zu verbinden, als es bislang geschehen ist. Es sind biographiebasierte Arbeiten, welche ein Bewusstsein dafür zu schaffen und zu erhalten vermögen, dass ein Lebenswerk immer das Produkt eines hochkomplexen Wechselgeschehens ist, an dem keineswegs nur der vermeintliche Urheber Anteil hat. So gesehen kann für eine Epoche das vielschichtige Geflecht ihrer Geschichte auch erst dann ansatzweise nachvollzogen werden, wenn die Forschung zentrale Sachfragen mit den Biographien und Kommunikationsnetzen von Zeitgenossen verknüpft. Die Komplexität derartiger Beziehungen und Zusammenhänge, welche einer solchen Herangehensweise noch vor wenigen Jahrzehnten klare Beschränkungen auferlegte, ist heute angesichts der durch gewaltige digitale Forschungsdatenbanken eröffneten Möglichkeiten durchaus zu bewältigen und erschließt neue Betrachtungsaspekte. Die Netzwerke der Gelehrten beispielsweise können weitreichend ermittelt und auf ihre räumliche und zeitliche Entwicklung hin untersucht werden, wobei die bisher geltenden Rollen der beteiligten Akteure zweifellos in nicht wenigen Fällen nach einer angemessenen Neubewertung verlangen. So ließ sich in der vorliegenden Arbeit beispielsweise für nahezu jeden der bedeutenden zeitgenössischen Schulreformer eine direkte Verbindung zu Darjes nachweisen, und wenn hier auch eine vertiefende Erforschung dieser Kommunikationswege entfallen musste, so offenbart sich darin bereits die Intensität, mit welcher der Austausch über Bildungsreformen – ganz unabhängig von räumlichen Entfernungen – zu dieser Zeit stattgefunden hat. Bei einer Einbeziehung digitalisierter historischer Schriften lässt sich anhand von Zitationen in zeitgenössischen Publikationen der Widerhall, den das Œuvre eines Gelehrten seinerzeit tatsächlich gefunden hat, quantitativ erfassen, so wie es hier in Ansätzen anhand der Rezensionen in gelehrten Zeitschriften für die Darjesischen Werke unternommen und für eine differenzierte Einschätzung genutzt worden ist. Auch enorm aufwendige Projekte sind inzwischen denkbar – so kann in Studien beispielsweise eine Suche über die temporäre sowie lokale Verwendung und Verbreitung von Schlüsselbegriffen einer Epoche in sämtlichen zeitgenössischen Schriften mit den biographischen Daten und den Kontakten der Autoren verknüpft werden, um die Entwicklung und die Bedeutung zeittypischer Ideen und Begriffe nachvollziehbar zu machen. Zwar vermag auch ein solcher historischer Rückblick meist nicht mehr, als gewisse, bereits interpretierend erfasste Ausschnitte von Geschichte zu liefern, doch lassen sich auf diesem Weg die tatsächliche Bedeutung und die Verbindung einzelner Denker, Strömungen oder geistiger Zentren gewissermaßen durch quantitative Aussagen bestätigen, womit eine realistischere Einschätzung der jeweiligen geistesgeschichtlichen Epoche gegeben ist. Es bleibt zum Schluss die in der Einleitung der vorliegenden Untersuchung aufgestellte Forderung, die aus der Geschichte gewonnenen Erkenntnisse müssten zum Aktuellen hin gewendet werden, zu erfüllen. Dass sich der einzelne Mensch durch wiederholtes Nachdenken über seine Erlebnisse und Erfahrungen
SCHLUSSBETRACHTUNGEN
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und durch das gedankliche Durchspielen von Alternativen selbst besser kennen und verstehen lernen kann; dass er zugleich Gelegenheit erhält, seine Potenziale auszuloten und zu erproben, dies leuchtet ein. Selbstreflexion erschöpft sich nicht im bloßen Erinnern, sie ist Situationsanalyse und Selbstprüfung. Auf diesem Weg wird dem Individuum das bewusste Erfassen gegenwärtiger und ihm noch bevorstehender Situationen leichter möglich und er erhält Gelegenheit, seine Fähigkeiten und Kompetenzen zu entwickeln und zu steigern. Ebenso vermag eine Gesellschaft durch eine kritische Analyse ihrer Geschichte wertvolle Erkenntnisse und richtungsweisende Denkanstöße für Gegenwart und Zukunft zu gewinnen – der Mensch und die von ihm begründeten Gesellschaften können nur daraus verstanden werden, wie sie sich im Vergangenen gezeigt haben. In diesem Sinne zielt diese Studie über den Schul- und Gesellschaftsreformer Joachim Georg Darjes auf einen Zugewinn an Erkenntnis und an Handlungsmöglichkeiten ab. Angesichts der gegenwärtigen Situation des öffentlichen Bildungswesens will sie auf seine noch heute bedeutsamen Impulse aufmerksam machen, für aktuelle komplexe Problemlagen sensibilisieren und Anregungen für eine vernünftige Konzipierung und Lenkung gegenwärtiger Reformprozesse bieten. In Darjes’ Ansichten verdichten sich beispielhaft die Forderungen, welche sich aus der realistisch-ökonomischen Geisteshaltung des 18. Jahrhunderts heraus für den Bereich der öffentlichen Erziehung und Bildung ergaben: Der Souverän sollte zum Vorteil aller für eine Ausschöpfung des ökonomischen Potenzials sorgen, welche auf einer guten Ausbildung seiner Untertanen beruhte. Deshalb war es nötig, das Schulwesen möglichst rasch zu verstaatlichen, umfassend auszubauen und zu modernisieren sowie eine allgemeine Schulpflicht einzuführen. Die entsprechenden Maßnahmen sollten dabei weniger durch Verbote, Drohungen und Strafen als durch überzeugende Aufklärung, klug gewählte Anreize und Gewöhnung durchgesetzt werden. Gemäß dieser Maxime sollte nach Meinung vieler Schulreformer verfahren werden, um die Masse des Volkes aufzuklären und in den Schulen Kinder und Jugendliche heranzubilden. Im Zuge der Reformation war die Forderung formuliert worden, jeder Einzelne müsse durch Bildung in die Lage versetzt werden, sich selbst und die Seinen versorgen zu können; den Aufklärern galten im Gefolge dieser volkserzieherischen Aufgabe Geschick und Nützlichkeit als notwendige Ziele von (öffentlichem) Unterricht, deren Vernachlässigung die Unvollkommenheit des Menschen zur Folge haben musste. Wie Darjes mit seiner Rosenschule vor Augen führen wollte, gelingt es durch zielstrebige Erziehungs- und Bildungsarbeit, desolate Verhältnisse zum Guten hin zu wenden. Er bewies mit seinem Schulversuch, dass selbst verwahrloste Bettelkinder, die dem Staat üblicherweise ihr Leben lang zur Last fielen und zum Ärgernis gereichten, durch zweckmäßige Erziehung und Bildung zu erwerbsfähigen, nützlichen und sittlichen Erwachsenen herangezogen werden können. Eine ökonomisch akzentuierte Denkweise ist für die Zeit der beginnenden Industrialisierung durchaus nachvollziehbar – mit einer gewissen Berechti-
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VI. SCHLUSSBETRACHTUNGEN
gung wurde vordergründig das Ideal der (produktiven) Leistung und ihrer möglichsten Steigerung erstmals mit allen Lebensbereichen, insbesondere mit dem beruflichen und infolgedessen auch mit dem schulischen, verknüpft. Bis heute prägt die Relation zwischen Pädagogik und Wirtschaft, welche im Zeitalter der Vernunft hergestellt wurde, merklich das Verständnis von öffentlicher Erziehung und Bildung. Dass dies nicht unproblematisch ist, zeigt sich immer dann, wenn ein stark auf wirtschaftliche Erfordernisse abgestelltes Bildungsverständnis Gefahr läuft, den Bildungs- und Erziehungsgedanken zu verkürzen oder sogar ganz zu verzerren. Die industriepädagogischen Überlegungen des 18. Jahrhunderts verfolgten das Anliegen, den Erwerbsgeist bei den Menschen auszubilden und ihnen durch die Vermittlung beruflicher Kompetenzen zu wirtschaftlicher Selbstständigkeit zu verhelfen. Gleichwohl verwarfen tonangebende Pädagogen der Zeit eine reine Berufsbildung, welche die Kräfte nur zum Zweck eines speziellen Könnens trainiert, aufgrund ihrer Einseitigkeit. Der Philanthrop Christian Gotthilf Salzmann betonte beispielsweise in seinem Ameisenbüchlein: Erzieht man das Kind zum Menschen, so werden alle seine Kräfte entwickelt und geübt, erzieht man es aber für ein gewisses Geschäfte, so hält man es oft für nötig, dass man nur diejenigen, die zur Verrichtung desselben erforderlich sind, in Tätigkeit setze, und andere, die der Wirksamkeit derselben nachteilig sein können, schlummern lasse oder gar lähme.1
Auch der Schulmann Johann Heinrich Pestalozzi (1746–1827) konstatierte: „Standes- und Berufsbildung, die nicht auf das Fundament der Menschenbildung gegründet ist, verfehlt selbst ihren eignen Zweck.“2 Wie am Beispiel Darjes’ deutlich geworden ist, teilten Vertreter der vorangegangenen Generation diese Auffassung: Obwohl dieser Gelehrte zweifellos darauf hinarbeitete, Pädagogik und Ökonomie in eine fruchtbare Verbindung zu bringen, war er weit davon entfernt, das Primat der Bildung dem Primat der Wirtschaft zu opfern. Das erklärte Ziel, die Tauglichkeit, Effizienz und Leistung der Heranwachsenden in ihrem künftigen Erwerbsleben durch eine zweckmäßige Erziehung und Bildung zu erhöhen, führte ihn eben nicht zu einem inhaltlich eingeschränkten und einseitigen Curriculum, sondern war im Gegenteil ein Argument für eine universelle Bildung – die Erziehung zur Brauchbarkeit blieb, wenngleich sie freilich besondere Beachtung verdiente, stets nur ein Bestandteil des Gedankens einer allumfassenden Vervollkommnung des Menschen. Statt zu rasch funktionierenden „Spezialautomaten“ wollte Darjes Schülerinnen und Schüler jeder sozialen Schicht ihren Umständen gemäß zu „Philosophen“ heranbilden, das heißt zu
1 2
SALZMANN, Ameisenbüchlein, S. 77 f. PESTALOZZI, Idee der Elementarbildung, S. 202.
SCHLUSSBETRACHTUNGEN
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verständigen, geschickten, findigen und vor allem auch verantwortungsbewussten Menschen.3 Die Frage, wie durch eine zeitgemäße Erziehung und (Aus-)Bildung der Heranwachsenden eine Anhebung der wirtschaftlichen Kompetenzen und mit ihnen eine Verbesserung der allgemeinen Lebensverhältnisse erreicht werden könne, ist unvermindert aktuell. Auch heute stellt sich den Schulen die Aufgabe, Kinder zu ökonomisch kompetenten und der Gesellschaft mit ihren Kenntnissen und Fähigkeiten nützenden Menschen zu bilden. Andersherum ist die Wirtschaft in vielerlei Hinsicht darauf angewiesen, dass Schulen, Hochschulen und Forschungsinstitutionen gute Arbeit leisten, indem sie etwa qualifizierte Fachkräfte liefern oder drängende wirtschaftliche Fragen zunächst auf wissenschaftlicher Ebene zu beantworten vermögen. Ein allgemeiner Konsens darüber, dass das überkommene Bildungssystem hier kaum den Bedürfnissen der Gegenwart, noch weniger aber denen der Zukunft gerecht werden kann, scheint inzwischen zu bestehen, wie die seit Jahren öffentlich geführte Diskussion und die sicher auch durch die Entscheidungshoheit der Bundesländer in Fragen des Schul- und Bildungswesens begünstigte Atmosphäre des Experimentierens nahelegt. Erneut muss auf eine geänderte gesellschaftliche Situation mit einem neuen Entwurf zukunftstauglicher Bildung reagiert werden. Die die gegenwärtige Phase kennzeichnenden Vorgänge sind bereits aus Darjes’ Epoche gut bekannt: Die bildungsreformerischen Überlegungen setzen mit einer umfassenden kritischen Überprüfung des bestehenden Bildungssystems und seiner ureigenen Institutionen ein. Auf dem Prüfstand steht, ob die ermittelten Leistungen der Schulabgänger den tatsächlichen aktuellen Anforderungen an sie genügen. Darüber und über die weiterreichende komplexe Thematik kommt eine breite öffentliche Diskussion in Gang und findet Niederschlag in einer regen publizistischen Aktivität. Gleichzeitig wird allerorten in der Praxis mehr oder minder bedacht und sinnvoll experimentiert und reformiert, wobei es ebenso von „oben“ verordnete Neuerungen wie Impulse von „unten“ gibt. Ein längerfristiger Erfolg, das zeigt sich im Blick auf den Leistungsstand der Schulen in den damaligen Kleinstaaten ebenso wie heute in den Bundesländern, ist abhängig von der Aufgeschlossenheit und Weitsicht der jeweiligen Regierung, und nicht zuletzt von deren Beständigkeit. Im diachronischen Vergleich wäre noch manch weitere Parallele zu entdecken, die es nahe legt, dass eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit aktuell wertvolle Denkanstöße liefern kann. Freilich hält ein Konzept wie das Darjesische keine fertigen Lösungen für die derzeitigen Bildungsprobleme vor – angesichts der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen der letzten 250 Jahre eignen sich die Reformansätze des 18. Jahrhunderts nur 3
Ausdrücklich wies Darjes darauf hin, dass das Kapitel über Kindererziehung in seiner Sitten-Lehre „zeigen [s]ollte, wie man einen Menschen geschickt machen könne, dem menschlichen Geschlechte in einer gewissen Ordnung mit Vernunft und nicht Handwerksmäßig zu dienen“. DARJES, Sitten-Lehre, S. 345 f., 1. Anm. Ebenso war in der Rosenschule der Besuch einer allgemeinbildenden „moralischen Klasse“ für alle Kinder obligatorisch, vgl. DARJES, Entwurf, S. 5 f.; Ders., Das erste Jahr, S. 3 f.
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VI. SCHLUSSBETRACHTUNGEN
bedingt für das 21. Jahrhundert. Vielmehr sind es die Vorgehensweise und der Frageansatz, die Aufmerksamkeit verdienen: Die in der Aufklärungszeit erforderlich gewordene tiefgreifende Reform des Bildungswesens war nicht mittels einer Diskussion über alternative Arbeitsformen in den Schulen und die inflationäre Verordnung und Wiederaufhebung neuer „Methödchen“ zu bewältigen, sondern indem die vermeintlich unabänderlichen, Schule geradezu ausmachenden Gegebenheiten, wie die seit Generationen üblichen Lernstoffe und deren Organisationsformen, einer Prüfung unterzogen und die wesentlichen Fragen nach Zielen, Aufgaben und Inhalten von öffentlicher Erziehung und Bildung ganz neu gestellt wurden. Wie kann der Mensch zu seinem Selbst gelangen und dabei zugleich lebenstüchtig werden? Was ist heute und in Zukunft eigentlich wissenswert, welche Fähigkeiten nützen einem erwachsenen Menschen in 30 Jahren? Die radikalen Forderungen und weitreichenden Maßnahmen der aufklärerischen Schulreformer belegen durch ihren langfristigen Erfolg, dass Schule von Zeit zu Zeit regelrecht neu erfunden werden muss: So gut wie alles, was öffentliche Schule gegenwärtig ausmacht, ist auf ihren engagierten Feldzug für die Erziehung und Bildung des Volkes zurückzuführen. Dies bedeutet zugleich, dass sich hinsichtlich des Schulsystems seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert im Wesentlichen kaum etwas geändert hat. So haben sich beispielsweise die meisten der damals neu eingeführten Unterrichtsfächer ganz selbstverständlich bis heute erhalten. Der schon häufig praktizierte fächerübergreifende Unterricht und die seit Jahren anwachsende Palette interdisziplinärer Studiengänge ebenso wie die unablässig aus unterschiedlichsten Richtungen verlautenden Forderungen nach neu einzuführenden Schulfächern4 deuten inzwischen jedoch darauf hin, dass die keineswegs zwangsläufige Aufteilung des Stoffs nach Fachgebieten mit Recht zu hinterfragen ist. Womöglich wird sich herausstellen, dass die bisher „nebenher“ in allen Fächern mit zu vermittelnden Kompetenzen, wie logisches Denken, Selbst- und Sozialkompetenz oder motorische Entwicklung, die eigentlich sinnvollen Kategorien für die Organisation des – ebenfalls neu zu ermittelnden – Lernenswerten darstellen, mit denen das Fachliche zukünftig in beispielhafter Auswahl zu verbinden ist. Dass solche Überlegungen über die Qualität eines bloßen Gedankenspiels hinausweisen, zeigen vereinzelte Experimente, die in dieser Richtung in den letzten Jahren unternommen wurden: An einer Schule in Bremen beispielsweise wurde im Jahr 2003 das Fach „Umgang, Benehmen, Verhalten“ eingeführt, während für Schüler in Heidelberg ab 2007 neben den üblichen Fächern auch „Glück“ auf dem Stundenplan stand.5 Ein angemessenes Umgangsverhalten und das Lebensglück stellen in der pädagogischen Welt überhaupt lohnenswerte, ja unumgängliche Erziehungsziele dar.6 Erstaunlich ist, dass diese heute zum Teil wie unerhörte Novitäten behandelt werden, belehrt doch 4 5 6
Vgl. KLEIN/VERBEET, Bildung (unpag.). Vgl. KOCH, Sitte mit Witte (unpag.); SCHÖNMANN, Neues Schulfach „Glück“ (unpag.). Vgl. u.a. BUROW, Positive Pädagogik; FRITZ-SCHUBERT, Schulfach Glück; HOYER, Glück.
SCHLUSSBETRACHTUNGEN
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neuerlich ein Blick ins 18. Jahrhundert, dass es vielmehr um eine Wiederbelebung geht. Bis heute wird beispielsweise im Zusammenhang mit guten Manieren und Etikette gern der „Knigge“ im Munde geführt – das schon zu seiner Entstehungszeit sehr populäre Werk Über den Umgang mit Menschen des Adolph Freiherr von Knigge (1752–1796) stammt aus dem Jahr 1788. Entgegen der landläufigen Meinung verfolgte der Aufklärer mit seiner pädagogisch relevanten Schrift jedoch keineswegs die Absicht, förmliche Anstands- und Benimmregeln zum allgemeinen Gebrauch zusammenzustellen. Vielmehr thematisierte er, ausdrücklich im Hinblick auf ein gelingendes Leben, das allgemeine Umgangsverhalten der Menschen, wie es durch Vernunft und Sittlichkeit begründet wird – zweifellos besitzen solche Fragen auch heute höchste Aktualität. Gleiches lässt sich über das Glück sagen. Die Erziehungspläne unter anderem eines Darjes und nach ihm diejenigen der Philanthropen zielten auf die Erlangung irdischer Glückseligkeit ab.7 Darjes beschrieb sie als die vom Einzelnen empfundene Übereinstimmung seines Wirkens mit seiner wesentlichen Bestimmung, als einen Zustand höchster „Gemütsruhe“.8 Um Glückseligkeit in seinem Dasein zu erreichen, war der Erwerb beruflicher Kompetenzen freilich unabdingbar, fraglos aber blieb sie der reinen Nützlichkeit als Zweck übergeordnet. Wenn heute die Befähigung der Heranwachsenden dazu, ihr individuelles Lebensglück zu erlangen, als Erziehungsziel eingefordert wird, bedeutet dies also, dass einer einseitig ökonomisch ausgerichteten Denk- und Argumentationsweise, wie sie sich in den seit Jahren geführten Diskussionen um die Reformbedürftigkeit des Bildungswesens ebenso wie in bereits eingeführten Neuerungen regelmäßig hervordrängt, Einhalt geboten werden soll. Ein solcher Vorstoß ist auch als eine Reaktion auf die beinahe schon absurd anmutende Beharrlichkeit zu werten, mit der (vorgebliches) Glücklichsein zur Schau gestellt und als eine Art Pflicht abverlangt wird. Insbesondere durch die in allen visuellen Medien unausgesetzt präsente Zurschaustellung strahlend lächelnder Gesichter9 wird Glück als der erstrebenswerteste Zustand dargestellt, ohne dass die Fragen, was Glück denn eigentlich sei und auf welchem Weg es erlangt werden könne, jenseits kitschiger Stereotype oder ökonomischer Kategorien geklärt werden. Junge Menschen durch philosophischen Unterricht darin zu unterstützen, diesbezüglich allgemeinmenschliche und auch individuelle Antworten zu finden, dürfte tatsächlich ein durch und durch sinnvolles Unterfangen sein. Mit einer Indienstnahme der Schule für die Wirtschaft und der damit einhergehenden Engführung der Bildung einzig auf das ökonomisch unmittelbar Relevante fielen solche Inhalte freilich ganz heraus. Die Folge muss zwangsläufig eine Verkümmerung der Gesellschaft sein. Das Potenzial jeder Art von Schule – 7 8 9
Vgl. BUROW, Positive Pädagogik, S. 15 f. Vgl. ebd., S. 46 f., 57 f. Bei modernen Fotoapparaten ist zum Teil ein Modus auswählbar, der die Kamera ausschließlich in demjenigen Moment auslösen lässt, in welchem alle anvisierten Personen lächeln.
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VI. SCHLUSSBETRACHTUNGEN
und zugleich ihr ureigener Auftrag – ist es aber gerade, durch möglichst breite Anregung und die Schaffung eines Überblicks über die Welt jeglicher Engstirnigkeit entgegentreten und damit einen Gegenpol zum in der stark arbeitsteiligen Gesellschaft erforderlichen, aber verengenden fachspezifischen Denken schaffen zu können. Überraschenderweise ist das notwendige Plädoyer für eine umfassende Allgemein- und Menschenbildung heute weit entschiedener aus der Industrie als aus der Bildungspolitik zu vernehmen. Wie im 18. Jahrhundert, in welchem sich die wissenschaftliche Pädagogik noch in ihren ersten Anfängen befand, sind es jetzt erneut offenbar Fachleute anderer Disziplinen, die die drängenden Probleme des Bildungssystems aufzuspüren und die tatsächlichen Erfordernisse zeitgemäßer Bildung zu formulieren verstehen – den um die Entwicklung des öffentlichen Bildungswesens bemühten Erziehungswissenschaftlern und Bildungspolitikern fehlt augenscheinlich mehrheitlich eine direkte Kontaktnahme zu den sich aktuell stellenden Problemen und Aufgaben. Dabei haben sich die Herausforderungen nicht verringert, seit jegliche Fragen von Bildung und Ausbildung auch in einem europäischen Bezugsrahmen zu erörtern sind. Was im Hochschulbereich heute mit der sogenannten Bologna-Reform erstrebt wird, war dem 18. Jahrhundert keineswegs fremd, wenigstens nicht der akademischen Elite, für die das Ideal einer europäischen oder gar weltweiten „Gelehrtenrepublik“ jenseits aller Ländergrenzen galt. Wie damals aber scheint ein solches Vorhaben außerhalb der Universitäten verwirklicht werden zu müssen, da diese in Deutschland mit der erwähnten Reform weitaus strikteren organisatorischen Zwängen unterworfen worden sind – die von Darjes mit überzeugender Begründung10 geforderte größtmögliche studentische Freiheit auf Universitäten jedenfalls ist gegenwärtig in weite Ferne gerückt. Fraglich bleibt damit vor allem, inwiefern die heute unverändert als ein dringliches Erfordernis zu wertende Befähigung der Jugend zum Selbstdenken, mithin zum eigenständigen Erkennen und Lösen von Problemen, welche der Aufklärer zum obersten Ziel spätestens des akademischen Unterrichts deklariert hatte, überhaupt an Hochschulen bewerkstelligt werden kann. Wichtiger aber als alle Systemfragen ist für gute Ergebnisse der öffentlichen Bildung und Erziehung die von der Bildungspolitik bisher mit allenfalls mäßigem Eifer bearbeitete Problematik, wie geeignetes Lehrpersonal zu bekommen ist. Die Ansatzpunkte sind noch immer dieselben, 10
Darjes wies darauf hin, dass unter den öffentlichen Bildungsinstitutionen einzig Hochschulen geeignet seien, den zukünftigen Führungskräften die Möglichkeit zu eröffnen, die wesentliche Fähigkeit, „sich selbst mit Vernunft regieren [zu] können“, nachzuweisen oder zu erwerben. Den Studenten während ihrer Studienjahre durch die Aufhebung aller schulischen Zwänge eine größtmögliche organisatorische Freiheit zu gewähren, sei daher ein Gebot der Klugheit. Vgl. DARJES, Cameral-Wissenschaften, S. 397. Populäre Gegenargumente sind seit jeher die zu erwartende längere Dauer und die höheren Kosten eines solch „freien“ Studiums. Die heute von Studenten erzwungene Eile, ihre Studien abzuschließen, allerdings wirkt angesichts des für sie bei einem meist anhaltend hervorragenden Gesundheitszustand zu erwartenden hohen Alters befremdlich.
SCHLUSSBETRACHTUNGEN
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welche hier in einem gesonderten Abschnitt aus den Reformvorschlägen des 18. Jahrhunderts aufgelistet wurden: Die zukünftigen Lehrer aller Schultypen müssen eine hervorragende akademische Ausbildung erhalten; zuvor jedoch sind geeignete Auswahlmechanismen zur Auslese der ebenso in fachlicher wie in pädagogischer Hinsicht Besten zu entwickeln. Maßstäbe setzt diesbezüglich das höchst anspruchsvolle, alle Fähigkeiten und Eigenschaften einer Person berücksichtigende Auswahlverfahren für Lehramtsstudenten in Finnland.11 Obschon eine Reihe weiterer Aspekte einer Betrachtung wert wären, soll das Vorangegangene genügen. In den angesprochenen Punkten hat sich das immense Potenzial hinlänglich offenbart, welches die Auseinandersetzung mit dem Lebenswerk des Aufklärers Joachim Georg Darjes, eines Mannes von bemerkenswerten Einsichten und beachtlichem Initiativgeist, jenseits eines reinen fachspezifischen historischen Interesses, nämlich im Hinblick auf gegenwärtige bildungsreformerische Notwendigkeiten, birgt.
11
An der Universität in Helsinki werden die Bewerber, nachdem sie einen ausführlichen schriftlichen Test bestanden haben, zu Gruppeninterviews und individuellen Gesprächen mit dem Pädagogikprofessor Matti Meri gebeten: „Wer Meris Blick nicht standhält, wird das auch nicht vor zwanzig Schülern schaffen. Wer schnell die Körperspannung verliert, wird keinen Schultag durchhalten. Wer alles zu wissen glaubt, weiß nichts von Erziehung. ‚Wer sagt, er hält seine Stunde ›erstens, zweitens, drittens‹, den nehmen wir nicht. Wer die ganze Prüfung über nicht einmal lacht, den nehmen wir nicht. Wer zu viel redet, den nehmen wir nicht.‘ […] In Finnland darf niemand Lehrer werden, weil ihm nichts Besseres eingefallen ist oder weil er sich für etwas Besseres hält“. Vgl. SUßEBACH, Wo die Lehrer (unpag.).
Anhang Anhang
1.
Tagesplan der Rosenschule
Tagesplan der Rosenschule Uhrzeit
Montag bis Samstag
Sonntag
5–6
Aufstehen, Waschen, Ankleiden, Frisieren
6–7
Gebet, Frühstück
7–8 8–9 9–10 10–11
Moralische Klasse (Leseanfänger) Schreiben (Lesekundige)
11–12
14–15 15–16 16–17 17–18
Arbeiten
Arbeiten
Gottesdienst, Wiederholung der Predigt, Freizeit
Mittagessen
12–13 13–14
Mathematische Klasse
Spielen Moralische Klasse (Lesekundige)
Arbeiten
Mathematische Klasse
Anleitung zur Arbeit
Mittwoch/ Samstag: Baden, Perückenmacher
Gottesdienst, Wiederholung der Predigt, Freizeit
Arbeiten
18–19
Abendessen
19–20
Spielen
20–21
Gebet, danach Kleider reinigen, Nachtruhe
Der Plan wurde erstellt nach DARJES, Das erste Jahr, S. 13 f. Die Dauer des für Mittwoch- und Samstagnachmittag angegebenen Programms (Baden, Perückenmacher) ist nicht genau festgehalten, eventuell fiel an diesen Tagen nicht der gesamte Nachmittagsunterricht aus.
310
2.
ANHANG
Darjes’ Lehrveranstaltungen in Jena
Darjes’ Lehrveranstaltungen in Jena Die Übersicht über die Darjesischen Lehrveranstaltungen in Jena wurde mithilfe der in den Dekanatsakten der Philosophischen Fakultät Jena erhaltenen Lektions- und Anschlagzettel ab dem Wintersemester 1735/36 (= UAJ M 90) bis zum Sommersemester 1744 (= UAJ M 107) erstellt. Lateinische Angaben wurden dabei von mir sinngemäß übersetzt. Ab dem Sommersemester 1749 bis zum Sommersemester 1763 wurden die Angaben aus Neupers auf den gedruckten Vorlesungsverzeichnissen der Universität Jena beruhenden Zusammenstellung1 entnommen.
Semester
Titel der Lehrveranstaltungen
W 1735/36 reine Mathesis nach Wolff [weitere philosophische Vorlesungen (angekündigt)] S 1736 (Auditorium in der Jenergasse hinter der Kirche)
Algebra nach Wolff reine Mathesis nach Wolff Logik natürliche Theologie Metaphysik [Naturrecht nach Köhler (gestrichen)]
W 1736/37 natürliche Theologie reine Mathesis nach Wolff Logik den polemischen Teil der natürlichen Theologie Logik Metaphysik auf Wunsch Algebra nach Wolff S 1737
(liegt nicht vor)
W 1737/382 reine Mathesis Naturrecht nach Köhler Moralphilosophie „fundament. ökon., philos., polit.“ Algebra Logik Metaphysik S 1738 1 2
Natur- und Völkerrecht nach Köhler
Vgl. NEUPER, Vorlesungsangebot. Auf dem Lektionszettel ist „Sommer“ angegeben, evtl. galten die Angaben für das Sommersemester 1737.
DARJES’ LEHRVERANSTALTUNGEN IN JENA
Semester
Titel der Lehrveranstaltungen
(Auditorium im Carpovischen Haus in der Collegiengasse)
natürliche Theologie Naturrecht nach Köhler Logik Metaphysik Mechanik und Ingenieurskunst reine Mathematik
W 1738/39 (Auditorium in Teichmeyers Hinterhaus in der Collegiengasse)
Moralphilosophie nach Wolff Ökonomie und Politik nach Wolff Natur- und Völkerrecht nach eigenen, an Köhler orientierten Prinzipien Algebra [Über] die wichtigsten metaphysische Streitfragen reine Mathesis nach Wolff praktische Logik Logik nach eigenem, an Wolff orientierten Buch Metaphysik nach Wolff
S 1739
Mechanik und Zivil- und Kriegsbaukunst Natur- und Völkerrecht nach eigenen, an Köhler orientierten Prinzipien Moralphilosophie und Politik nach Wolff reine Mathesis nach Wolff Metaphysik Völkerrecht nach eigenem Buch
W 1739/40 Römisches Zivilrecht Natur- und Völkerrecht nach eigenen, an Köhler orientierten Prinzipien Moralphilosophie und Politik nach Wolff reine Mathesis nach Wolff Logik nach Wolff Metaphysik nach Wolff Völkerrecht [gratis (gestrichen)] S 1740
Römisches Zivilrecht nach Heineccius Moralphilosophie nach Wolff Natur- und Völkerrecht nach eigenen, an Köhler orientierten Prinzipien reine Mathesis nach Wolff Logik nach Wolff Metaphysik nach Wolff
W 1740/41 Zivilrecht nach Heineccius Natur- und Völkerrecht
311
312 Semester
ANHANG
Titel der Lehrveranstaltungen Moral nach Wolff reine Mathesis und Mechanik nach Wolff Logik Metaphysik nach Wolff
S 1741 bis (liegen nicht vor) W 1743/44 S 1744
Pandekten nach einem von den Zuhörern bestimmten Lehrbuch Natur- und Völkerrecht nach eigenem Buch Moralphilosophie und Politik nach Wolff dazu öffentlich und privat eigene Zusätze über die Ökonomie und Politik
W 1744/45 (liegen nicht vor) bis (W 1746/47 Dekan der Philosophischen Fakultät, S 1748 Prorektor) W 1748/49 S 1749
Theoretische und praktische Logik Natur und VölkerRecht Die philosophische Sittenlehre Mathes. applic. die Algebra Über des sel. Stolles Politik, die Klugheit zu leben und zu herrschen
W 1749/50 Politik Natur- und Völkerrecht Mathesis pura Logik Metaphysik die üblichen Privatissima Des Grotii Buch vom Rechte des Krieges und des Friedens S 1750 (Dekan der Philosophischen Fakultät)
Die wahren Grundregeln einer Stats-Wissenschafft, von der Fürstenmacht, auch der Justiz- und Policeystaate u.s.w. Die Logik Das Natur- und Völkerrecht Die Philosophische Moral Mathesis adplicata
W 1750/51 Die wahren Grundregeln einer Stats-Wissenschafft, von der Fürstenmacht, auch der Justiz- und Policeystaat ec. [Fortsetzung] Natur- und Völkerrecht Die Mathesis pura Logik Metaphysik
DARJES’ LEHRVERANSTALTUNGEN IN JENA
Semester
Titel der Lehrveranstaltungen [Auf Begehren] Uebungen im Disputiren
S 1751
Unsers sel. Stolles Politik [Ueber seine] Logik [Ueber sein] Recht der Natur [Ueber seine] Sittenlehre [Ueber seine] Mathesis, und zwar diß halbe Jahr, über die vermischte [Sein] Gewöhnliches privatißimum [Auf Verlangen] Algeber
W 1751/52 Die Kameralwissenschaft Das Recht der Natur Grotius de I B & P Mathesis pura Logik Metaphysik [Privatißime] S 1752
Cameral Wissenschaft Natur und Völker Recht Vernunft- und Sittenlehre Vermischte Mathematik [Privatißimum]
W 1752/53 Kameralwissenschaft [Fortsetzung] Das Recht der Natur Die Mathesis pura Die Logik Die Metaphysik [Privatissimum] S 1753
Die cameral Wissenschaften Die Vernunftlehre [Logik] Das Recht der Natur [Natur- und Völkerrecht] Die Sittenlehre [Philosophische Moral] [Sein gewöhnliches Privatißimum] Ueber seine Institutionen
W 1753/54 Cameral-Wissenschaft [Fortsetzung] Das natürliche Recht Die reine Mathematik Die Logik Die Metaphysik Ueber den Grotium [Privatißime]
313
314
ANHANG
Semester
Titel der Lehrveranstaltungen
S 1754
Die CameralWissenschaft [Fortsetzung] Die Logik Das Natur und Völker Recht Die philosophische Sittenlehre [Priuatissimum] [Auf Verlangen] Erklärung des 1. Theils seiner Einleitung zu den CameralWissenschaften
W 1754/55 Die CameralWissenschaften [Fortsetzung und Schluß] Das Natur- und VölkerRecht Die reine Mathesis Die Vernunftlehre Die Metaphysik Ueber Grotii Buch de iure belli & pacis [Seine sonst gewöhnlichen Vorlesungen] S 1755
Von der Policey Die Vernunftlehre Das Natur und Völker Recht Die philosophische Sittenlehre Die vermischte Mathesis [Gewöhnliches Privatissimum] [Auf Verlangen] Eine Erklärung über den Grotius vom Rechte des Kriegs und Friedens
W 1755/56 Der letzte Theil der CameralWissenschaften Der 1. Theil der CameralWissenschaften, nach seinem Buch Das Natur- und VölkerRecht Die reine Mathesis Die Logik nach seinen eigenen Lehrbüchern Die Metaphysik nach seinen eigenen Lehrbüchern [Gewöhnliche Privatissima] Grotius und Erklärung zur Cameralwissenschaft S 1756 (Dekan der Philosophischen Fakultät und Prorektor)
Derjenige Theil der StaatsKunst, welcher die Policey genennet wird Das Natur- und VölkerRecht Die philosophische SittenLehre, nach seinem eigenen System [Nach geendigt. Prorectorat] Grotius de iure belli et pacis, in e. vollständigeres Licht gesetzt Logik
W 1756/57 Die Policey, in so fern sie als ein Theil der CameralWissenschaften zu betrachten ist Das Natur- und VölkerRecht
DARJES’ LEHRVERANSTALTUNGEN IN JENA
Semester
315
Titel der Lehrveranstaltungen Die VernunftLehre nach seinen eigenen LehrBüchern Die Metaphysik, nach seinen eigenen LehrBüchern Der Grotius de iure belli et pacis Die Algebre
S 1757
Der letzte Teil der Cameralwissenschaften Theoretische und praktische Logik Der 1. und 2. Theil der Cameralwissenschaften oder sowohl ländl. als auch städt. Oekonomie Das Natur- und Völkerrecht Die philosophische Moral
W 1757/58 (liegen nicht vor) und S 1758 [Natur- und Völkerrecht]3 W 1758/59 Die späteren Theile der Cameralwissenschaften: „die Policey“ und „das CameralWesen“ Ländliche und städtische Oekonomie Das Natur- und Völkerrecht Theoretische und praktische Logik Metaphysik [Auf Verlangen] Des H. Grotii Buch vom Rechte des Krieges und des Friedens [Auf Verlangen] Die Algebra nach dem sel. Wolff S 1759
(liegt nicht vor) [Ökonomie]4
W 1759/60 (Dekan der Philosophischen Fakultät)
Der Theil der Politik, den die bürgerliche [Rechts-]Gelehrtheit, die Policey nennet Das Natur- und Völkerrecht Des H. Grotius Ius belli et pacis Theoretische und praktische Logik Metaphysik [Auf Verlangen] Anleitung zur Algebra nach dem sel. Wolff
S 1760
(liegt nicht vor)
W 1760/61 (liegt nicht vor) [Kriegs- und Friedensrecht nach Grotius]5 3 4 5
Karl von Zinzendorf hielt in seinen Tagebüchern fest, dass er in beiden Semestern das Natur- und Völkerrecht bei Darjes gehört hat, vgl. BREUNLICH/MADER, Zinzendorfs Jugendtagebücher, S. 128, 135. Zinzendorf hörte in diesem Semester bei Darjes die Ökonomie, vgl. ebd., S. 152. Im Wintersemester 1760/61 hörte Zinzendorf bei Darjes das Kriegs- und Friedensrecht nach Grotius, vgl. ebd., S. 177.
316
ANHANG
Semester
Titel der Lehrveranstaltungen
S 1761
Die letzten Capitel der Iurisprudentia vniversalis, welche die Vorschriften des Naturrechts zum bürgerlichen Recht, zum Kirchenrecht und zum Völkerrecht enthalten Theoretische und praktische Logik Metaphysik Das Natur- und Völkerrecht Die philosophische Moral Ländliche und städtische Oeconomie
W 1761/62 Einleitung in die Politik des bedeutenden Hn L. B. von Bielfeld Das Natur- und Völkerrecht Des H. Grotius Ius belli et pacis Theoretische und praktische Logik Der zweite Theil der Metaphysik [Die gewöhnlichen Priuatissima] [Auf Verlangen] Uebungen zur Logik S 1762 und (liegen nicht vor) W 1762/63 S 1763
3.
Vorlesung zur Politik [Fortsetzung und Schluß] Die Geschichte der praktischen Philosophie Die Metaphysik Das Natur- und Völkerrecht Die philosophische Moral
Übersichten über die von Jenaer Dozenten angebotenen, ausdrücklich an Darjes orientierten Lehrveranstaltungen
Lehrveranstaltungen Jenaer Dozenten Die ermittelten Dozenten sind in der ersten Übersicht in alphabetischer Reihenfolge einschließlich ihrer jeweiligen an Darjes orientierten Lehrfächer zusammengestellt. Für alle mit einem Stern* gekennzeichneten Dozenten ließen sich die vollständigen Namen und Lebensdaten nicht oder nicht völlig zuverlässig ermitteln. Die danach folgende Darstellung, welche die Dauer der entsprechenden Lehrangebote getrennt nach Lehrfächern (Kam. = Kameralwissenschaften) veranschaulicht, verzeichnet die Dozenten unter den ihnen zuvor zugeordneten Nummern.
317
LEHRVERANSTALTUNGEN JENAER DOZENTEN
Nr Name (Lebensdaten)
Lehrfächer nach Darjes
1
Basch, Erdmann Sigmund (1738–1773)
Mathematik
2
Behn, Friedrich Daniel (1733–1804)
Logik, Metaphysik, Moral, Mathematik
3
Blasche, Johann Christian (1718–1792)
Moral, Politik
4
Bruns, Paul Jakob (1743–1814)
Moral, Mathematik
5
Cramer, Ludwig Ehrenfried Friedrich (1733–1795)
Natur- und Völkerrecht, Moral
6
Ebhardt, Christian Jakob*
Logik, Natur- und Völkerrecht
7
Fischer, Johann Karl (1760–1833)*
Mathematik
8
Gerstenbergk, Johann Lorenz Julius v. (1749–1813)
Mathematik
9
Grosch, Johann Andreas (1717–1796)
Logik, Metaphysik, Natur- und Völkerrecht, Moral, Politik
10 Gunnerus, Johan Ernst (1718–1773)
Natur- und Völkerrecht, Moral
11 Hennings, Justus Christian (1731–1815)
Logik, Metaphysik, Natur- und Völkerrecht, Moral, Politik
12 Hörschelmann, Ernst August Wilhelm (1743–1795)*
Logik
13 Köcher*
Moral
14 Lehmus, Christian Balthasar (1749–1814)*
Moral
15 Merz*
Mathematik
16 Möckert, Johann Nikolaus (1732–1792)
Logik
17 Müller, Johann Stephan (1730–1768)
Logik, Metaphysik
18 Münter, Balthasar (1735–1793)
Logik, Metaphysik, Moral
19 Rave, Jakob (1736–1767)
Natur- und Völkerrecht, Moral
20 Riedel, Friedrich Just (1742–1785)
Logik, Metaphysik, Natur- und Völkerrecht, Moral, Politik
318
ANHANG
Nr Name (Lebensdaten)
Lehrfächer nach Darjes
21 Salzmann, Gottfried Just Wilhelm (geb. 1740)*
Natur- und Völkerrecht
22 Scheidemantel, Heinrich Gottfried (1739–1788)
Natur- und Völkerrecht, Politik
23 Schlettwein, Johann August (1731–1802)
Natur- und Völkerrecht, Mathematik, Kameralistik
24 Schramm, Gotthelf Hartmann (1722–1776)
Metaphysik, Moral, Politik
25 Schröter*
Natur- und Völkerrecht
26 Sixt, Johann Andreas (1742–1810)
Logik, Metaphysik, Natur- und Völkerrecht, Moral, Politik
27 Suckow, Laurenz Johann Daniel (1722–1801)
Mathematik, Kameralistik
28 Tittel, Gottlob August (1739–1816)
Natur- und Völkerrecht, Moral
29 Tittel, Karl August (1727–1784)
Natur- und Völkerrecht
30 Ulrich, Johann August Heinrich (1746–1843)
Natur- und Völkerrecht, Politik
31 Waldin, Johann Gottlieb (1723–1795)
Natur- und Völkerrecht, Moral
32 Widmann, Johann Jakob (1731–1793)
Mathematik
Logik
Metaphysik Natur- und Völkerrecht
1753 1756 1756/57 1757 1757/58 1758 1758/59 1759 1759/60 1760 1760/61 1761 1761/62 1762 1762/63 1763 1763/64
9 17 17
9 17
10
Moral
Politik Mathem. Kam.
10 11
27
31
32
16
27
27 18 11
18
2 9
11
9 11 23
11
11
9 11
2 9
6
31
18
23
23 27 31
2
2
1 27
23
28
2 9
11
9 11
6 11 5 9 29
2 5
9
2 27 11
27
319
LEHRVERANSTALTUNGEN JENAER DOZENTEN
Logik 1764 1764/65 1765 1765/66 1766 1766/67 1767 1667/68 1768 1768/69 1769 1769/70 1770 1770/71 1771 1771/72 1772 1772/73 1773 1773/74 1774 1774/75 1775 1775/76 1776 1776/77 1777 1777/78 1778 1778/79 1779 1779/80 1780 1780/81 1781 1781/82 1782 1782/83 1783 1783/84 1784 1784/85 1785 1785/86 1786 1786/87 1787 1788
Metaphysik Natur- und Völkerrecht 24
31 9
12
Politik Mathem. Kam.
3 4 19 26
20 9 26
Moral 28
20 26 11
19
26 29
26
20
26
2
27
20
20 21
11
20 26
27
9 22
9
30
15
13 26
14 26 9
11 11
24
11
9 11
9 24
11 27 11
22
11
11
30
11
11
11
25 11
27
9 22 30 27 11 7 9
8
27
320
4.
ANHANG
Kommentiertes Verzeichnis der Darjesischen Veröffentlichungen und ihrer Rezensionen
Verzeichnis der Darjesischen Veröffentlichungen Joachim Georg Darjes, dies wurde in der Arbeit mehrfach thematisiert, war als gelehrter Autor ungemein produktiv – die weit über 70 Einträge umfassende folgende Bibliographie macht dieses sichtbar. Verfolgt wurde hier zunächst das Ziel möglichster Vollständigkeit und damit umfassender wissenschaftlicher Verwertbarkeit. Eine erste Grundlage bildete der kommentierte Überblick über ausgewählte Schriften, den Darjes selbst 1776 in der Vorrede zum Weg zur Wahrheit gegeben hatte,6 außerdem die zeitgenössischen Werkeverzeichnisse von Weidlich, Meusel und Mylius.7 Mittels eigener Recherchen in Bibliothekskatalogen und gelehrten Zeitschriften der Zeit wurden diese Übersichten ergänzt und Fehlerhaftes berichtigt. Mit der Entscheidung für ein kommentiertes Verzeichnis stehen dem Leser zusätzliche Informationen zur Verfügung, die bei der Auswahl relevanter Schriften für unterschiedliche Fragestellungen helfen sollen. Insbesondere erschien eine Verknüpfung mit den aufgespürten und auch in der Arbeit selbst verwendeten zeitgenössischen Rezensionen Darjesischer Schriften lohnenswert: In einer eigenen Spalte wurden sie deshalb der jeweiligen Veröffentlichung beigeordnet.8 Zwar ist diese Auswahl weder vollständig noch repräsentativ, da sie vor allem von der aktuellen digitalen Verfügbarkeit der zeitgenössischen Periodika beeinflusst wurde, doch kann sie durchaus bereits ein ungefähres Bild vom tatsächlichen Widerhall einzelner Werke des Gelehrten vermitteln. So liegt es nahe, dass der Großteil der Darjesischen Publikationen in den Jenaischen Gelehrten Zeitungen besprochen wurde, wohingegen es zunächst überrascht, dass ein Viertel aller verzeichneten Kritiken den Göttingischen Zeitungen von gelehrten Sachen entstammen – zu erklären ist dies durch den Umstand, dass Albrecht von Haller als Herausgeber dieser Zeitungen seinem aufstrebenden jüngeren Schwager Darjes auf diesem Weg förderliche Unterstützung zuteil werden ließ. Die Arbeiten, welche der Jenaer Professor selbst zu seinen wichtigsten zählte und deshalb 1776 in seine eben erwähnte Kurze Nachricht von seinen […] Schriften aufnahm, sind in der gleichen Spalte mit einem D markiert. Wie aus der folgenden Bibliographie zu ersehen ist, gehen Darjes’ Veröffentlichungen fast ausnahmslos auf seine Tätigkeiten und Verpflichtungen an den Universitäten in Jena und Frankfurt an der Oder zurück. Darunter fallen zahlreiche Dissertationen aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen. Solche Abhandlungen standen üblicherweise im Zusammenhang mit (öffentlichen) Disputationen, das heißt mit 6 7 8
Vgl. DARJES, Kurze Nachricht. Vgl. WEIDLICH, Biographische Nachrichten, S. 126–131; MEUSEL, Lexikon der Schriftsteller, 2. Bd., S. 279–284; MYLIUS, Blühendes Jena, S. 175–178. Vgl. dazu das Verzeichnis der verwendeten Rezensionsorgane nach ihren Kürzeln hier im Anhang.
VERZEICHNIS DER DARJESISCHEN VERÖFFENTLICHUNGEN
321
gelehrten Streitgesprächen nach festgelegten Schemata, die oft Prüfungscharakter hatten und obligatorisch für den Erwerb eines akademischen Grades oder Amtes, beispielsweise der Adjunktur, waren. Die später gedruckten Abhandlungen waren dabei meist Arbeiten des in der Wissenschaft bereits bewanderten Vorsitzenden, des Präses’, konnten jedoch auch den zu prüfenden Verteidigenden, den Respondenten, zum Verfasser haben. Hier wurde versucht, diesem Umstand Rechnung zu tragen, indem alle Beteiligten angegeben und die Autorenschaft des Respondenten, sofern bekannt, gesondert vermerkt wurden. Als Hochschullehrer verfasste Darjes auch verschiedene, in aller Regel sehr umfangreiche akademische Lehrbücher. Dass die meisten von ihnen mehrere neue Auflagen erlebten – sein Bestseller, die Institutiones Iurisprudentiae Universalis, sogar sieben –, welche alle vom Verfasser mit einigem Aufwand selbst durchgesehen, korrigiert und oft auch um zusätzliche Ergänzungen vermehrt wurden, spiegelt das Werkeverzeichnis freilich nur ungenügend wider, weshalb es ausdrücklich erwähnt werden soll. Deutlich wird hingegen, dass das Ideenreservoir des Gelehrten nach dem Wechsel an die Frankfurter Universität Ende 1763 weitgehend ausgeschöpft war: Die in ihrer thematischen Breite spannenden und in ihrer ununterbrochenen, raschen Aufeinanderfolge beeindruckenden Darjesischen Neuerscheinungen beschränken sich auf seine Jenaer Zeit; danach gelangte, mit merklich gesunkener Frequenz, bis auf wenige Ausnahmen nur noch das für den durchaus nicht mehr jungen und dabei stark eingespannten Juraprofessor Obligatorische in den Druck. Da sich die Bibliographie nicht auf wissenschaftliche Schriften beschränkt, vermag sie allerdings den Verdacht abzuwenden, dass Darjes in diesen Jahren schlicht einer altersbedingten Routine oder Bequemlichkeit zum Opfer gefallen war. Es wird im Gegenteil über seine ganze Schaffensphase hinweg die Fülle seiner Interessen, Projekte und Ämter dokumentiert, denn er meldete sich nicht nur als Wissenschaftler und Hochschullehrer, sondern auch als Dekan und Rektor, als Mitglied oder Präsident gelehrter Gesellschaften, als Schulgründer und bei privaten Anlässen zu Wort. Somit kann das folgende kommentierte Verzeichnis der Werke des Darjes als eine nützliche Ergänzung zur vorliegenden Untersuchung, aber auch darüber hinaus als Hilfsmittel für weitere Forschungsvorhaben genutzt werden.
322
ANHANG
Jahr
Veröffentlichung
Rezensionen
1735
Präses: Diss. Metaphys. de possibilitate creationis mundi ab ae- D; Lud 2,9 S. terno. Jena, Buch. 576. Entgegnung auf Johann Ernst Philippis Versuch von der Unmöglichkeit einer ewigen Welt (1733). Disp. zum Erhalt der Lehrerlaubnis für die Philosophische Fakultät am 26. Februar. Respondent: Christian Friedrich Kappelier. Tractatus Philos. in quo pluralitas personarum in deitate, qua (Lud 1, S. 173– omnes conditiones, ex solis rationis principiis methodo mathemati- 176; 2, S. 479 f.) corum demonstratur. Leovardiae [eigtl. Cale], Weizius. Versuch, die Dreieinigkeit mit mathematischen Sätzen zu beweisen Summae reverendae facultatis theologicae Jenensis theses orthodoxae, erroribus tractatus philos. in quo pluralitas etc. oppositae ab autore dicti tractatus iam ante privatim susbcriptae, iam vero ad tollendum quod publice datum fuit scandalum ab eodem editae. Jena.
(Lud 2, S. 482– 489)
Widerruf des obigen Tractatus auf Verlangen der Theologischen Fakultät. Abgedruckt auch in NSN 1736, No. 40, S. 337–344. Präses: Diss. Mathem. de oculo, quod sit camera obscura, max- Lud 3, S. 399 f. ime artificiosa. Jena, Buch. Zweite Disp. zum Erhalt der Lehrerlaubnis für die Philosophische Fakultät am 28. September. Respondent: Georg Krieger. 1737
Präses: Diss. Mathem. de methodo inveniendi logarithmos per hyperbolam. Jena, Buch.
Lud M, S. 197 f.
Disp. am 23. Februar. Respondent: Samuel Gottfried Eschert. Präses: Diss. Philos. Pract. de eo quod justum est circa legem ta- D; Lud M, S. lionis, tam in foro externo, quam in foro politico. Jena, Buch. 191 f.
9
Mit dem Kürzel „Lud“ sind Rezensionen aus der Feder Carl Günther Ludovicis gekennzeichnet. Die folgenden Ziffern verweisen dabei auf den jeweiligen Teil seines Ausführlichen Entwurfs einer vollständigen Historie der Wolffischen Philosophie, während das „M“ für seine Schrift Merckwürdigkeiten der Leibnitz-Wolffischen Weltweisheit steht, vgl. das Quellenverzeichnis im Anhang.
323
VERZEICHNIS DER DARJESISCHEN VERÖFFENTLICHUNGEN
Jahr
Veröffentlichung
Rezensionen
Disp. am 12. Oktober. Respondent: Christian Ephraim Weinmann. Die lehrende Vernunft-Kunst, welche eine vernünftige Anweisung zur Verbesserung der Kräfte des Verstandes in Beurtheilung und Erfindung der Wahrheiten in sich enthält und aus der Natur der Seele in mathematischer Lehr-Art zur Grundlegung zu einer höheren Wissenschaft und zum Nutzen seiner Zuhörer aufgesetzet worden. Jena, Buch.
D; HB 1736, No. 103, S. 932 f.; Lud 2, S. 340 f.
Widmungsempfänger: Friedrich von Reichenbach. Nachdruck: Hildesheim, Olms, 2000. 1738
Diss. pro loco de Arithmetica, quod fit summa scientiae species. Jena.
D; 2. Aufl.: GZ 1745, 13. St., S. 110 f.; PN 1745, Disp. zum Erhalt einer Adjunktur an der Philoso19. St., S. 152 f. phischen Fakultät. 2. Aufl. 1744: Commentatio mathematica, qua evoluta Arithmetices Theoria, eam summae scientiae speciem esse breviter docet. Jena, Cuno.
Präses: Qua evoluta arithmetices theoria. Jena, Buch. Respondent: Franz Karl Caspari. 1739
Respondent: Diss. Inaug. Jurid. de tutela pactitia, tam in Jure D; NJN 1740, S. Romano, quam Germanico fundata, ejus que in foris nostris usu. 59 ff. Jena, Buch. Präses: Dietrich Hermann Kemmerich. Erwerb des juristischen Doktortitels. Neuauflage 1749. Den Tod seines so hochgeliebten Vaters […] M. Joachim Darjes […] muste durch gegenwärtiges Gedicht in der Ferne beweinen Dessen ein[z]iger Sohn […]. Jena, Buch.
1740
Opii Xaniropii Meditatio de fictitio tutelae practitiae fundamento in Jure Romano, Dissertationi, De tutela pactitia tam in Jure Romano, quam Germanico fundata, ejusque in foris nostris usu, Jenae nuper habitae opposita. Aus seiner Inauguraldissertation. Institutiones Iurisprudentiae Universalis in quibus omnes Iuris Naturae Socialis et Gentium partes in usum auditorii sui methodo scientifica explanatur. Jena, Buch.
D; PBS 1743, 7. T., S. 246–256; 2. Aufl.: GZ
324 Jahr
ANHANG
Veröffentlichung 2. verm. u. verb. Aufl. 1745; Titel ab hier: Institutiones Iurisprudentiae Universalis in quibus omnia Iuris Naturae Socialis et Gentium capita in usum auditorii sui methodo scientifica explanantur. Verleger ab hier: Cuno; 3. Aufl. 1748; 4. Aufl. 1751; Neuaufl. 1754. Frankfurt und Leipzig, Societas: laut Darjes in Frankfurt am Main nachgedruckt durch Hechtel; 5. Aufl. 1757; 6. Aufl. 1764; 7. Aufl. 1776 (ADB; Weidl: Editio novissima)
1741
Rezensionen 1745, 40. St., S. 326 f.; PN 1745, 44. St., S. 354; ZN 1745, 71. T., S. 834–839; 3. Aufl.: GZ 1748, 135. St., S. 1075 ff.; 4. Aufl.: GZ 1752, 37. St., S. 387; 7. Aufl.: AB 1777, 32. Bd., 1. St., S. 95 f.
Abgenöthigte Verteidigung der Ehre und Unschuld wieder die D ungegründeten Beschuldigungen welche der Herr Geheime Rath Moser in seinen Schrifftmäßigen Gedancken von der Verbindung der Welt-Weisheit, besonders der Wolffischen mit der Theologie zu behaupten gesuchet […]. Jena, Gollner. Präses: Diss. Metaphys. sistens de mundo, ejusque conceptu meditationem. Jena, Buch.
HB 1741, No. 41, S. 760.
Respondent: Johann Friedrich Rau (ist Verfasser). Disp. am 19. August. 1742
Introductio in artem inveniendi, seu, Logicam theoretico-practiD; PBS 1743, 6. cam, qua Analytica atque Dialectica in usum auditorum suorum T., S. 520 542; methodo, iis commoda, proponuntur. Jena, Buch. PN 1743, 15. St., S. 117 ff.; 30. St., Widmungsempfänger: Ernst August von Sachsen. 2. S. 241–245. 2. Aufl. 1747. Aufl.: GZ 1747, 82. St., S. 690 ff. Beiträger: Die lezte[n] Pflichten der Dankbarkeit und der Ehrfurcht: Den theuresten Gebeinen der in Gott seeligen Frauen […] Mariana Sophia Teichmeyerinn gebohrner Schelhasinn an dem Tage Ihres feyerlichen Leichenbegängnisses den 2. Julius 1742. entrichtet von Dero […] Töchtern und Schwiegersöhnen […]. Jena, Horn.
1743
Vorrede. In: Wedel, Friedrich Wilhelm v.: Commentatio philosophica de principio rationis sufficientis. Jena.
325
VERZEICHNIS DER DARJESISCHEN VERÖFFENTLICHUNGEN
Jahr
Veröffentlichung
Rezensionen
Christiani Thomasii Historia Iuris Naturalis, variis observationibus, tam historicis, quam dogmaticis illustra deinde vsque ad tempora nostra continuata, atque cum Praesatione, verum vsum Iuris naturalis in omnibus iurisprudentiae partibus docente, edita. „Dieses Scriptum liegt auch noch unter der Presse, wird aber mit ehesten heraus kommen“. Mylius, S. 178. Nicht nachweisbar. Elementa metaphysices. Tomus prior. Qui philosophiam primam, ontologiam, monadologiam, somatologiam, atque mechanologiam complectitur et ad philosophicam inprimis de animabus, spiritibus, deo, mundo atque civitate divina cognitionem viam sternit. Jena, Cuno. 1744
D; GZ 1743, 3. St., S. 269 ff.; PN 1743, 52. St., S. 425 ff.
Elementa metaphysices. Tomus posterior. Qui psychologiam atque pneumaticam empiricam, psychologiam atque pneumaticam rationalem, theologiam naturalem, et de civitate dei eiusque territorio mundo nimirum mechanico meditationem philosophicam complectitur et ad philosophiam moralem viam sternit. Jena, Cuno.
D; GZ 1744, 72. St., S. 623 f.; NZ 1744, Nr. 40, S. 809 ff.; Neuausg.: TB Suppl. 1755, 7. Verm. u. verb. Neuaufl. beider Teile in einem Bd.: St., S. 99 f. Elementa Metaphysices, commoda auditoribus methodo adornata. 1753.
Progr. Aditiale de vera atque ficta Philosophia practica. Jena, Horn.
GZ 1745, 10. St., S. 77 f.; PN 1745, 15. St., S. Einladungsschrift zur Antrittsvorlesung am 5. De117. zember.
1745
Vertheidigung seines Natur- und Völker-Rechts wieder das LXXI. Stück der zuverläßigen Nachrichten 1745.
GZ 1746, 15. St., S. 119 f.
1746
Präses: Exercitatio Philos. de adquisitione hereditatis, ejusque effectibus secundum Ius Naturae. Jena, Schill.*10
GZ 1746, 55. St., S. 439 ff.
Respondent: Laurenz Johann Daniel Suckow. Disp. am 26. März. Widmungsempfänger: Ernst August von Sachsen. 1747
10
Erste Gründe der gesamten Mathematik, darinnen die Haupttheile, sowohl der Theoretischen, als auch Praktischen Mathematik, in ihrer natürlichen Verknüpfung auf Verlangen und zum Gebrauch seiner Zuhörer entworfen. Jena, Cuno.
D; GZ 1747, 20. St., S. 160; FUN 1747, 40. St., S. 315 ff.; FN
Die mit * gekennzeichneten Dissertationen sind verzeichnet in: VOGEL, Lexicon literaturae, S. 148.
326 Jahr
ANHANG
Veröffentlichung Widmungsempfänger: Johann Friedrich von Schwarzburg. Register von Theologie- und Philosophiestudent Johann Ernst Heumann aus Saalfeld. 2. verb. Aufl. 1757; 3. Aufl. 1764; 4. Aufl. in 2 Teilen 1777: Erste Gründe der theoretischen Mathematik […] und 1779: Erste Gründe der angewandten Mathematik […].
1748
Rezensionen 1748, 9. St., S. 67 f.; 1750, 6. St., S. 44 ff.; NZ 1749, N. 35, S. 313–316.
Anmerkungen über einige Lehrsätze der Wolfischen Metaphysic GZ 1748, 118. welche einer grosen Menge Zuhörern vorgetragen und mit einem St., S. 942 f. Sendschreiben an […] Rath und D. ** begleitet und hrsg. von einem ehemaligen Zuhörer und beständigen Verehrer des Darjesischen Namens. Frankfurt/Leipzig, Marggraf. Enthält einen Vorbericht von den vernünftigen Controversien. Herausgeber wahrscheinlich Johann Gottfried Schulmeister aus Lichtenau in Baden oder Johann Schulmeister aus Buchsweiler im Elsass. Vom Reformiren der Wissenschafften, und Anwendung der Philosophie auf andere Theile der Gelahrtheit. In: Stolle, Gottfried: Kurzgefaßte Lehre der allgemeinen Klugheit. Jena, Güth.
FN 1749, 15. St., S. 67 f.; GZ 1749, 12. St., S. 96; JZ 1749, 22. St., S. 172 f.
Programma ad honorem fvneris […] domino Lvdov. Iac. Rvdolpho de Massovv […]. Jena, Ritter. Universitätsprogramm als Rektor zum Tod des Jurastudenten Ludwig Jacob Rudolph von Massow vom 11. Juni. Programma in exsequiis cultissimi bonisque omnibus probatissimi iuvenis nicolai iungii holsati sanctioris disciplinae cultoris p.p. in Academiae Ienensi […]. Jena, Schill. Universitätsprogramm als Rektor zum Tod des Theologiestudenten Nicolaus Jung vom 22. März. 1749
[Antwort auf die negative Rezension seiner Mathematik in den Leipziger Neuen Zeitungen 1749, N. 35, S. 313–316.] In: Jenaische gelehrte Zeitungen 1749, 36. St., S. 281–286. Institutiones Jurisprudentiae privatae Romano-Germanicae in D; GZ 1749, 68. usum auditorii sui systematica adornatae methodo. Jena, Cuno. St., S. 540 ff.; JZ 1749, 29. St., S. 2. verm. u. verb. Aufl. 1766. Grundlage einer anony225–231; men Neuausg. von 1798.
327
VERZEICHNIS DER DARJESISCHEN VERÖFFENTLICHUNGEN
Jahr
Veröffentlichung
Rezensionen CN 1750, N. 2, S. 15 f.
Philosophische Nebenstunden. Erste Sammlung. Jena, Gollner. Neuauflage 1761.
1750
Philosophische Nebenstunden. Zweite Sammlung. Jena, Gollner. Neuauflage 1762.
FN 1749, 43. St., S. 341 f.; GZ 1749, 78. St., S. 618 ff.; JZ 1749, 37. St., S. 295 f.; NZ 1749, N. 52, S. 461 f. FUN 1750, 49. St., S. 385 f.; GZ 1750, 115. St., S. 918 f.; JZ 1750, 49. St., S. 388 ff.
Philosophische Nebenstunden. Dritte Sammlung. Jena, Goll- JZ 1750, 102. ner. St., S. 807 f. Neuauflage 1764. [Gedanken über den gegenwärtigen gelehrten Streit des verdienten Herrn Pater Gordons.] In: Jenaische gelehrte Zeitungen 1750, 76. St., S. 593–597. Präses: Diss. Iur. Nat. de genuina iuris voluntarii speciatim di- D; GZ 1750, 95. vini indole ejusque a iure naturali discrimine. Jena, Meyer.* St., S. 760; JZ 1750, 78. St., S. Respondent: David Ortlieb. 610. Erste Gründe der philosophischen Sitten-Lehre auf Verlangen und zum Gebrauche seiner Zuhörer entworfen. Jena, Cuno.
D; GZ 1750, 104. St., S. 829 ff.; JZ 1750, Register von Theologiestudent Johann Tartler aus 37. St., S. 293– Siebenbürgen. Enthält auch die von C. N. Naumann 296. ins Deutsche übersetzte Naturtheologie und die Abhandlung von der Stadt Gottes aus der Darjesischen Metaphysik. 2. vermehrte Aufl. 1755, 3. Aufl. 1762, 4. Aufl. 1782.
1751
Präses: Diss. Iur. Nat. qua per-illustris L. B. de Wolff de pote- D; GZ 1751, 97. state circa sacra et bona ecclesiastica doctrinam adversus S. V. St., S. 964; JZ Rodtfischeri impugnationes defendetur. Jena, Schill.* 1751, 56. St., S. 459 ff. Respondent: Johann Friedrich Julius Härter (auch: Herter).
328 Jahr
ANHANG
Veröffentlichung
Rezensionen
Observationes Iuris Naturalis, Socialis & Gentium, ad ordinem D; FUN 1751, Systematis sui Selectae. Vol. 1. Jena, Güth. 48. St., S. 380 f.; JZ 1751, 57. St., Neuaufl. beider Teile 1777: Observationibus iuris natuS. 467 f.; GZ ralis et gentium priores novem, quas ad praecognoscenda prae1751, 94. St., S. misit. Vienna, Ghelenianis. 935 f. 1752
Philosophische Nebenstunden. Vierte Sammlung. Jena, Goll- JZ 1752, 66. St., ner. S. 521 f. Mit Register über alle Sammlungen. Neuaufl. 1774. Beiträger: Supremi Honoris Monimenta Quae Viro […] Joanni Friderico Mullero […] Meritissomo Superatis Humanae Vitae Molestiis Sanctissima Caelestibus Animis Consietudine Aeternum Coniuncto, Statuerunt Academiae Ienensis Professores […]. Jena, Ritter. Trauergedichte der Jenaer Professoren beim Tod Johann Friedrich Müllers.
1754
Gedanken von den Gleichungen der krummen Linien, wie diese aus einem allgemeinen Grunde durch Hülfe der Bestimmung zu erfinden sind. In: Müller, Carl Gotthelf: Schriften der Teutschen Gesellschaft zu Jena aus den höheren Wissenschaften. Jena, Cröckers Witwe. Rede gehalten zur Versammlung der Teutschen Gesellschaft 1753. Observationes Juris Naturalis, Socialis & Gentium, ad ordinem D; FN 1755, 4. Systematis sui Selectae. Vol. 2. Jena, Güth. St., S. 27 f. Neuaufl. beider Teile 1777: Observationibus iuris naturalis et gentium priores novem, quas ad praecognoscenda praemisit. Vienna, Ghelenianis. Vorrede von der Verbesserung der Landwirthschaft zum Nutzen (GA 1754, 114. der herrschaftlichen Kammer. In: Reichardt, Christian: Land- St., S. 986–992); und Gartenschatz, 5. Teil. Erfurt, Nonne.
329
VERZEICHNIS DER DARJESISCHEN VERÖFFENTLICHUNGEN
Jahr
Veröffentlichung
Rezensionen
Widmungsempfänger: Ernst August II. Konstantin FN 1756, 30. St., zu Sachsen-Weimar-Eisenach. 2. Aufl. 1769; 3. Aufl. S. 234 ff. 1777. Veröffentlicht auch als: Gedancken von Verbesserung der Landwirthschaft zum Nutzen der herrschaftlichen Kammern, mit Anmerckungen auf den Zustand von Schwaben versehen […] von Joh. Jacob Moser in: Schwäbische Nachrichten 1757, 6. St., S. 563–575; 7. St., S. 655– 671; 8. St., S. 732–767; 9. St., S. 845–863; 10. St., S. 917–924. 1755
Via ad veritatem, commoda Auditoribus methodo demonstrata. Jena, Hartung.
D; JZ 1755, 64. St., S. 505 ff.; TB 1755, 9. St., Widmungsempfänger: Johann Daniel Christoph S. 133 ff. von Linker. 2. vermehrte u. verbesserte Aufl. 1764; Deutschsprachige Neuausgabe 1776.
Vorrede von der regelmäßigen Anwendung allgemeiner Wahrhei- JZ 1756, 12. St., ten auf einen besondern Fall. In: Wiebe, Karl Friedrich: S. 89 f. Grundriß von den Wissenschaften bey Erziehung eines Prinzen, nebst Vorrede des Herrn Hofrath Darjes. 1756. Jena/Leipzig, Schill. 1756
Erste Gründe der Cameral-Wissenschaften darinnen die HauptTheile sowohl der Oeconomie als auch der Policey und besondern Cameral-Wissenschaft in ihrer natürlichen Verknüpfung zum Gebrauch seiner academischen Fuerlesung entworfen. Jena, Melchiors Witwe. 2. verm., verb. u. mit einer neuen Vorrede versehene Aufl. Leipzig 1768. Neudruck der 2. Aufl. als: Erste Gründe der Kameralwissenschaften. Aalen, Scientia, 1969. Zu der würdigsten Feyer der Teutschen Gesellschaft in Jena mit welcher sie das höchste Geburthsfest ihres […] Herrn Ernst August Constantin Herzogs zu Sachsen […] begehen wird, geschiehet hierdurch die geziemende Einladung. Jena, Fickelscher.
1758
Vorrede von dem Unterschiede der Rechenkunst und der Algebra. In: Pabst, Johann Sebastian: Gründliche Anweisung zur Rechenkunst, darinnen nach einer ganz leichten und neuen Art vollständig und hinlänglich mit und ohne Brüche zu rechnen gezeigt wird, den Anfängern zum Besten. Jena, Cuno.
JZ 1756, 50. St., S. 393–395; 2. Aufl.: Riedel, Phil. Bib., S. 153.
330 Jahr
ANHANG
Veröffentlichung
Rezensionen
Kurzgefaßtes Ackersystem, wobey die Brachfelder nicht nur völlig, D sondern auch mit Nutzen können abgeschaffet werden. In: Ökonomische Nachrichten, Bd. 10. 115. St., S. 318–336. 1759/ Herausgeber: Jenaische Philosophische Bibliothek. Jena, Goll- TB 1759, 51. St., 1760 ner. S. 690; FN 1760, 49. St., S. 389; 2 Bände zu je 6 Stücken: 1. Bd. 1759, 2. Bd. 1760, Mendelssohn, danach Erscheinen eingestellt. Hauptsächliche BeiBriefe 1760, 95. träger: Friedrich Daniel Behn, Joachim Georg DarBr., S. 241–246; jes, Johann Stephan Müller, Balthasar Münter. EntFN 1761, 44. St., hält auch Nachrichten von der Universität und der S. 345 f. Teutschen Gesellschaft in Jena. 1761
Entwurf einer Real-Schule zur Erziehung armer Kinder, zum Nutzen der wirthschaftlichen Beschäftigungen. Jena, Marggraf. Auch als französische Version: Projet d’une école economique de charité pour l’éducation de pauvres enfants, à l’avantage des affaires économiques. Jena, Marggraf.
1762/ Discours über sein Natur- und VölkerRecht auf Verlangen her- D 763 ausgegeben. 3 Teile. Jena, Hartung. 1. Teil 1762, 2. und 3. Teil 1763. Nachdruck in 3 Bänden: Discours über sein Natur- und Völkerrecht. Eingeleitet von Esteban Mauerer. Goldbach, Keip, 1999. 1763
Das erste Jahr der Real-Schule die den Namen die Rosen-Schule bey Jena führet beschrieben von ihrem Stifter. Jena, Gollner. Commentatione de differentiis iurisprudentiae atque politiae quae JB 1768, 2. Bd., vulgo Die Polizey dicitur ad audiendam orationem inauguralem S. 228 ff. qua post religiose nuncupata vota pro potentissimi regis regnique salute modum iurisprudentiam docendi philosopho convenientem d. III. December MDCCLXIII. Frankfurt an der Oder, Winter.* Einladungsschrift zur Antrittsvorlesung in Frankfurt an der Oder am 3. Dezember. Enthält S. 13 f. den Wortlaut seines Entlassungsschreibens von Anna Amalia zu Weimar.
1764
Einleitung in des Freyherrn von Bielefeld Lehrbegriff der Staatsklugheit: zum Gebrauch seiner Zuhörer verfertiget. Jena, Hartung.
2. Aufl.: ALZ 1787, Nr. 200, S. 457.
331
VERZEICHNIS DER DARJESISCHEN VERÖFFENTLICHUNGEN
Jahr
Veröffentlichung
Rezensionen
Autobiographie in der Vorrede. 2. verbesserte Aufl. Berlin, Lange, 1786. Präses: Diss. period. Phil.-Iur. qua nonnullas de iure vindicandi D servos fugitivos. Frankfurt an der Oder, Winter. Respondent: Ernst Friedrich Scherer. 1765
Präses: Meditationum ad Pandectas, quibus praecipua iuris capita ex fontibus philosophicis explicantur. Spec. I. Frankfurt an der Oder, Hübner.*
D; JB 1768, 2. Bd., S. 232 ff.
Respondent: Gotthold Friedrich Theodor Zimmermann. Disp. am 23. Februar. 1766
Präses: Diss. Iur. de rerum divisione. Frankfurt an der Oder, Winter. Respondent: Gotthold Friedrich Theodor Zimmermann (ist Verfasser).
1767
Präses: Diss. Iur. de iure reali in personis. Frankfurt an der Oder, Alex.*
D; GA 1768, 4. St., S. 26 ff.
Widerlegung der Gegner seiner Diss. de iure vindicandi servos fugitivos von 1764. Respondent: Johann Friedrich Schöning. Die Gelehrte Gesellschaft zum Nutzen der Künste und Wissenschaften wird […] in Ihrer ersten öffentlichen Zusammenkunft eine Dollmetscherin der Frankfurthischen Wünsche für Sr. Königlichen Majestät allerhöchsten Wohlergehen sein. Einladungsschrift als Präsident der Gesellschaft. Enthält den Entwurf der Gesellschaft und eine Liste der Mitglieder. 1769
Präses: Diss. Iur. Gent. de caussis belli pro aliis suscipiendi. Frankfurt an der Oder, Winter.* Respondent: Immanuel Gottlob Wentzel.
1770
Präses: Diss. Iur. de pacto quotae litis invalido. Frankfurt an der Oder, Winter.* Respondent: Friedrich Leopold Bohm (ist Verfasser).
1771
Präses: Meditationes de combinatione methodi cogitandi Aristotelicorum et Platonicorum. Frankfurt an der Oder.*
D
332 Jahr
ANHANG
Veröffentlichung
Rezensionen
Respondent: J. C. Aller (ist Verfasser). 1772
Präses: Diss. Iur. Nat. qua differentias pacti voluntarii atque metu initi. Frankfurt an der Oder, Winter.* Respondent: Johann Christoph Geschke.
1774
Präses: Diss. Iur. an juste riteque exheredatus in computatione legitimae fit connumerandus? Frankfurt an der Oder. Respondent: [Christoph Wilhelm?] Lenz (ist Verfasser). Angeführt in Dabelow, Christoph Christian: System des gesammten heutigen Civil-Rechts. 2. T. 2. Ausgabe. Halle, 1796. S. 345. Präses: Diss. acad. de justo termino solutionis, quando in instrumento obligationis solutioni terminus non est praefinitus. Frankfurt an der Oder, Winter. Respondent: Christoph Wilhelm Lentz.
1775
Seine Gedanken von den Grenzen des Rechts der Natur wiedmet D dem Andenken der frohen 50-jährigen Amtsjubelfeyer […] Herrn Christian Ulrich Ketelhodts, aus wahrer Ergebenheit Johann [!] George Daries. Frankfurt an der Oder. Präses: Diss. acad. de interpretatione et extensione L. 2. C. de rescind. vendit. Frankfurt an der Oder, Winter. Respondent: Johann Friedrich Kubsch (ist Verfasser).
1776
Präses: Diss. Phil. de illa a nonnullis eruditorum agitata quaestione: Quam ob causam Pythagoras discipulos iusserit, abstinere a fabis […]. Frankfurt an der Oder, Winter. Respondent: Christian Wilhelm Kindleben. Disp. am 12. Februar. Weg zur Wahrheit, auf Verlangen übersetzt und mit Anmerkungen erläutert. Die Vorrede enthält zugleich eine kurze Nachricht von des Verfassers bisher herausgegebenen Schriften. Frankfurt an der Oder, Strauß. Widmungsempfänger: Friedrich August von Braunschweig und Lüneburg. Deutschsprachige Ausgabe von Via ad Veritatem […], 1755.
AB 1776, 28. Bd., 2. St., S. 501; ABL, 10. Bd., 1776 S. 17 f.
333
VERZEICHNIS DER DARJESISCHEN VERÖFFENTLICHUNGEN
Jahr
Veröffentlichung
1785
Progr. de differentia iuris aequi atque stricti, Des billigen und strengen Rechts […]. Frankfurt an der Oder, Winter.
Rezensionen
Universitätsprogramm als Pro-Dekan der Juristenfakultät zur Inauguraldissertation von Friedrich Georg Braun am 9. März. Progr. an feudum recte Lehn vertatur […]. Frankfurt an der Oder, Winter. Universitätsprogramm als Pro-Dekan der Juristenfakultät zur Inauguraldissertation von Joachim von Exter am 23. März. Präses: Diss. Iur. Inaug. de actione Pauliana Hamburgi non introducta sed necessario introducenda. Frankfurt an der Oder, Winter. Respondent: Joachim von Exter (ist Verfasser). Disp. am 23. März. 1786
Das Opfer der Dankbarkeit und das Gelübde der ehrerbietigsten Treue wird die hiesige gelehrte Gesellschaft […] Ehrfurchtsvoll verbinden und für Sr. Königlichen Majestät allerhöchstes Wohlergehen den Vater unsrer aller öffentlich anrufen. Frankfurt an der Oder, Winter. Einladungsschrift zur Zusammenkunft als Präsident der Gesellschaft. Thema der Schrift ist das eigenständige Denken. Auch als Teil einer Sammlung veröffentlicht: Das Opfer der Dankbarkeit und das Gelübde der ehrerbietigsten Treue […] in einer öffentlichen Zusammenkunft ehrfurchtsvoll verbunden von der zum Nutzen der Künste und Wißenschaften allergnädigst bestätigten gelehrten Gesellschaft.
1787
Das 44ste Geburts-Fest Sr. Königlichen Majestät Friedrich Wilhelms II gefeiert den 25. Sept. 1787 in der […] gelehrten Gesellschaft zu Frankfurt an der Oder. Mit einer Zuschrift an Sne. Majestät den König von Joachim Georg Darjes […]. Cüstrin, Oehmigcke.
1798
Institutiones iurisprudentiae Romanae, ad ductum Joachimi Georg Darjes, in usum praelectionum. Leipzig, Heinse. Anonymer Herausgeber. Neuausg. auf Grundlage der Institutiones […], 1749.
AB 1801, 58. Bd., 1. St., S. 48 f.
Quellen- und Literaturverzeichnis Quellen- und Literaturverzeichnis
1.
Abkürzungen für Archive und Bibliotheken
BB Bern BSB FrAFaM GStAPK HSA StA Aurich StA Erfurt StA Jena ThULB ThHstA Weimar
Burgerbibliothek Bern Bayerische Staatsbibliothek, München Archiv der Freimaurerloge Zur Einigkeit, Frankfurt am Main Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin Handschriftenabteilung Staatsarchiv Aurich Stadtarchiv Erfurt Stadtarchiv Jena Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek, Jena Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar
ThStA Rudolstadt
Thüringisches Staatsarchiv Rudolstadt
UAJ UB Freiburg i. Br.
Universitätsarchiv Jena Universitätsbibliothek Freiburg im Breisgau
Quellen- und Literaturverzeichnis
2.
Archivalien
Archivalien
AKirchJ, Kirchenbücher von Wenigenjena und Camsdorf (Digitalisate). [Akten TGJ] ThULB, HSA, Ms. Prov. f. 132 (1) Gesetze, (9) Briefe, (10) Rundschreiben. Akten der Teutschen Gesellschaft in Jena. BB Bern, Nachlass Albrecht von Haller, Briefe. 1 Darjes, Joachim Georg an Haller, Albrecht von, 19. November 1742, 14. August 1748, 04. August 1749, 22. August 1749, 26. September 1749, 28. Mai 1751, 03. Januar 1752, 28. April 1752, 01. September 1752, 22. November 1752, 19. Januar 1764. Darjes, Joachim Georg, an Haller, Sophia Amalia Christina von, 25. März 1756. Teichmeyer, Hermann Friedrich, an Haller, Albrecht von, 17. September 1742, 28. September 1742. FrAFaM, Protokoll der Logenversammlung vom 12. September 1762. GStAPK, FM 5.1.4, Nr. 5944. Korrespondenz der Jenaer Loge Zu den drei Rosen mit der Berliner Mutterloge Zu den drei Weltkugeln. GStAPK, FM 5.1.4, Nr. 5945. Korrespondenz der Jenaer Loge Zu den drei Rosen mit der Berliner Loge De la Concorde.
1 Vgl. dazu BOSCHUNG, Repertorium.
336
QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS
GStAPK, FM 5.2., J 12, Nr. 7/1. Akten des freimaurerischen Hochkapitels Zion in Jena. GStAPK, I HA Rep. 51, Nr. 1, Pck. 16558. Akten zur Gründung der Gelehrten Gesellschaft zum Nutzen der Künste und Wissenschaften in Frankfurt an der Oder. StA Aurich, 220/39, Nr. 56. Haus-Chronick der Familie Oldenhove im Nachlass Albert Pannenborg. StA Erfurt, Akten der Akademie nützlicher (gemeinnütziger) Wissenschaften, 5/733–129. ThStA Rudolstadt, Freiherrlich von Ketelhodtsches Familienarchiv, Bestand A 060. Darjes, Joachim Georg an Kettelhodt, Ulrich Freiherr von, 24. Mai 1769. ThHStA Weimar, Bestand 4756. Geheimbde Canzley-Acta die Rosen-Schule zu Camsdorf betr. 1760–1764. ThHStA Weimar, Bestand A 6412. Akten zur Neubesetzung der Professur für Moral und Politik in Jena. UAJ, Bestand A. Akten des akademischen Senats der Universität Jena. UAJ, Bestand M. Akten der Philosophischen Fakultät der Universität Jena.
3.
Historische Periodika
Historische Periodika ABL AB
ALZ CN FN
FUN GA
[Hrsg.?] Auserlesene Bibliothek der neuesten deutschen Litteratur. Lemgo 1772–1781. [Onlinefassung bei vd18.de] Nicolai, Friedrich (Hrsg.) Allgemeine deutsche Bibliothek. Berlin/Stettin 1765–1796, Anhänge 1771– 1791. [Onlinefassung URL: http://www.ub.uni-bielefeld.de/diglib/aufkl/ adb/] Bertuch, Friedrich Justin u. a. (Hrsg.) Allgemeine Literatur-Zeitung auf das Jahr […]. Halle (Saale)/Leipzig 1785– 1849. [Onlinefassung bei journals@UrMEL der ThULB] Sulzer, Johann Georg/Ramler, Karl Wilhelm (Hrsg.) Critische Nachrichten aus dem Reiche der Gelehrsamkeit auf das Jahr […]. Berlin 1750–1752. [Onlinefassung bei vd18.de] Bodmer, Johann Jakob (Hrsg.) Freymüthige Nachrichten von Neuen Büchern, und andern zur Gelehrtheit gehörigen Sachen. Zürich 1744–1763. [Onlinefassung beim Göttinger Digitalisierungszentrum (GDZ)] Liscow, Joachim Friedrich (Hrsg.) Freye Urtheile und Nachrichten zum Aufnehmen der Wissenschaften und Historie überhaupt. Hamburg 1744–1759. [Onlinefassung bei vd18.de] Königliche Gesellschaft der Wissenschaften (Hrsg.) Göttingische Anzeigen von Gelehrten Sachen. Göttingen 1753–1801. [Onlinefassung beim Göttinger Digitalisierungszentrum (GDZ)]
HISTORISCHE PERIODIKA
GZ
HB
JB JPB JZ LIB
LS
NJN NSN NZ OeN PBS
PN
337
Haller, Albrecht von (Hrsg.) Göttingische Zeitungen von gelehrten Sachen, auf das Jahr […]. Göttingen 1739– 1752. (Nachfolger: Göttingische Anzeigen von Gelehrten Sachen.) [Onlinefassung beim Göttinger Digitalisierungszentrum (GDZ)] Kohl, Johann Peter (Hrsg.) Hamburgische Berichte von den neuesten Gelehrten Sachen. Auf das Jahr […]. Hamburg 1732–1757. [Onlinefassung beim Göttinger Digitalisierungszentrum (GDZ)] Selchow, Johann Heinrich Christian von (Hrsg.) Juristische Bibliothek von neuen juristischen Büchern und Abhandlungen. Göttingen 1764–1782. Darjes, Joachim Georg (Hrsg.) Jenaische philosophische Bibliothek. Jena 1759/60. Hamberger, Adolph Friedrich u. a. (Hrsg.) Jenaische gelehrte Zeitungen. Jena 1749–1786. [Onlinefassung bei journals@UrMEL der ThULB] [Hrsg.?] [Leipziger Intelligenz-Blatt] Gnädigst privilegiertes Leipziger Intelligenz-Blatt, in Frag- und Anzeigen, vor Stadt- und Landwirthe, zum Besten des Nahrungsstandes. Auf das Jahr […]. Leipzig 1766–1843. Zincke, Georg Heinrich (Hrsg.) Leipziger Sammlungen von allerhand zum land- und stadtwirthschafftlichen PoliceyFinanz- und Cammer-Wesen dienlichen Nachrichten, Anmerckungen, Begebenheiten, Versuchen, Vorschlägen, neuen und alten Anstalten, Erfindungen, Vortheilen, Fehlern, Künsten, Wissenschaften und Schriften, wie auch von denen in diesen so nützlichen Wissenschaften und Uebungen wohlverdienten Leuten. Leipzig 1742–1767 (GeneralRegister 1761). Kunz, P. (Hrsg.) Neue Jenaische Nachrichten von Gelehrten Sachen, Büchern, Künsten, Wissenschaften, Disputationi […]. Jena 1740/41. Kohl, J. P./Leisner, C. F./Holtzbecher, C. M. (Hrsg.) Nieder-Sächsische Nachrichten von Gelehrten neuen Sachen Auf das Jahr […]. Hamburg 1731–1736. Krause, Johann Gottlieb (Hrsg.) Neue Zeitungen von gelehrten Sachen. Leipzig 1715–1784. [Onlinefassung bei journals@UrMEL der ThULB] Hohenthal, Peter von (Hrsg.) Oeconomische Nachrichten. Leipzig 1749–1763. Hager, Johann Georg/Zincke, Georg Heinrich (Hrsg.) Philosophischer Bücher-Saal. Worinnen So wohl von alten, als neuen dahin gehörigen Büchern eine gründliche Nachricht ertheilet wird. Von einigen Liebhabern der Weltweißheit. Leipzig 1741–1744. [Onlinefassung bei vd18.de] Dähnert, Johann Carl (Hrsg.) Pommersche Nachrichten von gelehrten Sachen. Greifswald 1743–1748.
338
QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS
TB
Schott, Christoph Friedrich (Hrsg.) Tübingische Berichte von gelehrten Sachen. Tübingen 1752–1763. Fabricius, Johann Andreas (Hrsg.) Thüringische Nachrichten von Gelehrten Sachen Auf das Jahr […]. Jena 1734–1736. Meyer, Johann Heinrich/Schrön, Matthias Ludwig (Hrsg.) Weimarische wöchentliche Anzeigen (auch: Wöchentliche Weimarische Anzeigen; ab 1764: Weimarische Wöchentliche Frag- und Anzeigen). Weimar 1755–1800. [Onlinefassung bei journals@UrMEL der ThULB] Jöcher, Christian Gottlieb (Hrsg.) Zuverläßige Nachrichten von dem gegenwärtigen Zustande, Veränderung und Wachsthum der Wissenschaften. Leipzig 1740–1757. [Onlinefassung beim Göttinger Digitalisierungszentrum (GDZ)]
TN WWA
ZN
4.
Gedruckte Quellen und Literatur bis 1850
Gedruckte Quellen und Literatur bis 1850
BAADER, Clemens Alois: Lexikon verstorbener Baierischer Schriftsteller des achtzehenten und neunzehenten Jahrhunderts. Bd. 2, Tl. 1. Augsburg/Leipzig 1825. BALDINGER, Ernst Gottfried: Biographien jetztlebender Aerzte und Naturforscher in und ausser Deutschland. Bd. 1. Jena 1772. BASEDOW, Johann Bernhard: Philalethie. Neue Aussichten in die Wahrheiten und Religion der Vernunft bis in die Gränzen der glaubwürdigen Offenbarung dem denkenden Publico eröffnet […]. Bd. 1. Altona 1764. DERS.: Vorstellung an Menschenfreunde und vermögende Männer über Schulen, Studien und ihren Einfluß in die öffentliche Wohlfahrt. Mit einem Plane eines Elementarbuchs der menschlichen Erkenntniß. Hamburg 1768. BAUMSTARK, Eduard: Kameralistische Encyclopädie. Handbuch der Kameralwissenschaften und ihrer Literatur für Rechts- und Verwaltungs-Beamte, Landstände, Gemeinde-Räthe und Kameral-Candidaten. Heidelberg/Leipzig 1835. BAUR, C. F.: Hähn. In: Ersch, Johann Samuel/Gruber, Johann Gottfried (Hrsg.): Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste. Mit Kupfern und Charten. Section 2, Tl. 1. S. 184–186. DERS.: Hallbauer. In: Ersch, Johann Samuel/Gruber, Johann Gottfried (Hrsg.): Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste. Mit Kupfern und Charten. Section 2, Tl. 1. S. 263. DERS.: Kurze Biographie des verstorbenen Inspectors zu Zosen Johann Ernst Ribbach. In: Annalen der Märkischen Oekonomischen Gesellschaft zu Potsdam. Bd. 3, H. 1. Potsdam 1797. S. 30. BECKMANN, Gustav Bernhard/BECKMANN, Otto David Heinrich: Gedancken vom Reformiren des Rechts. Womit sie ihre instehende Winter-Vorlesungen anzeigen. Halle 1747. BEHN, Friedrich Daniel: Vorschläge zur Reform der Lübeckischen hohen Schule nach pädagogischen Grundsätzen. Lübeck 1801.
GEDRUCKTE QUELLEN UND LITERATUR BIS 1850
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BENIT, Christian: Neueröffnete Mathematische und Mechanische REAL-Schule […]. Halle 1709. BUDER, Christian Gottlieb/CARSTENS, Christian Nicolaus: Dissertatio Inauguralis Florum Sparsionem Ad Potiora Privilegiorum Lubecensium Capita Exhibens. Jena 1758. CRAMER, Ludwig Ehrenfried Friedrich: Für die Policei. 2 Stücke. Hannover 1788. DERS.: Unvorgreiflicher Vorschlag zu zweckmäßigerer Einrichtung des Privatunterrichts in großen Städten. In: Neues Hannövrisches Magazin. Jg. 1793, 6. St. Sp. 81–90. DARJES, Joachim Georg: Abgenöthigte Verteidigung der Ehre und Unschuld wieder die ungegründeten Beschuldigungen welche der Herr Geheime Rath Moser in seinen Schrifftmäßigen Gedancken von der Verbindung der Welt-Weisheit, besonders der Wolffischen mit der Theologie zu behaupten gesuchet […]. Jena 1741. DERS.: Anmerkungen über einige Lehrsätze der Wolfischen Metaphysic herausgegeben von einem ehemaligen Zuhörer. Frankfurt/Leipzig 1748. DERS.: [Antwort auf die Rezension seiner „Mathematik“ im 35. Stück der NZ 1749.] In: Jenaische gelehrte Zeitungen, Jg. 1749, 36. St. S. 281–286. DERS.: Commentatione De Differentiis Iurisprudentiae Atque Politiae Quae Vulgo Die Polizey Dicitur. Ad Audiendam Orationem Inauguralem Qua Post Religiose Nuncupata Vota Pro Potentissimi Regis Regnique Salute Modum Iurisprudentiam Docendi Philosopho Convenientem D. III. December MDCCLXIII. Frankfurt an der Oder 1763. DERS.: Das 44te Geburts-Fest Sr. königlichen Majestät Friedrich Wilhelms II gefeiert […] in einer öffentlichen Zusammenkunft von der zum Nutzen der Künste und Wissenschaften allergnädigst bestätigten gelehrten Gesellschaft zu Frankfurt an der Oder. Mit einer Zuschrift an […] den König von Joachim Georg Darjes […]. Cüstrin 1787. DERS.: Das erste Jahr der Real-Schule die den Namen die Rosen-Schule bey Jena führet beschrieben von ihrem Stifter. Jena 1763. DERS.: Das Opfer der Dankbarkeit und das Gelübde der ehrerbietigsten Treue wird die hiesige gelehrte Gesellschaft […] Ehrfurchtsvoll verbinden und für Sr. Königlichen Majestät allerhöchstes Wohlergehn den Vater unsrer aller öffentlich anrufen […]. [Frankfurt an der Oder 1786.] [Stadtarchiv Frankfurt an der Oder IV:255]. DERS.: De oculo, quod sit camera obscura, maxime artificiosa. Jena 1735. DERS.: Den Tod seines so hochgeliebten Vaters […] M. Joachim Darjes […] muste durch gegenwärtiges Gedicht in der Ferne beweinen Dessen ein[z]iger Sohn […]. Jena [1739]. DERS.: Die lehrende Vernunft-Kunst. Welche eine vernünftige Anweisung zur Verbesserung der Kräfte des Verstandes in Beurtheilung und Erfindung der Wahrheiten in sich enthält und aus der Natur der Seele in mathematischer Lehr-Art zur Grundlegung zu einer höheren Wissenschaft und zum Nutzen seiner Zuhörer aufgesetzet worden. Nachdruck der Ausgabe Jena 1737 (= Wolff, Christian von: Gesammelte Werke. Herausg. und bearb. von Jean École. Abt. 3: Materialien und Dokumente. Bd. 60. Hildesheim u. a. 2000). DERS.: Discours über sein Natur- und VölkerRecht auf Verlangen herausgegeben. Jena 1762/63.
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DERS.: Einleitung in des Freyherrn von Bielefeld Lehrbegrif der Staatsklugheit zum Gebrauch seiner Zuhörer verfertiget. Jena 1764. DERS.: Elementa metaphysices. 2 Bde. Jena 1743/44. DERS.: Entwurf einer Real-Schule zur Erziehung armer Kinder, zum Nutzen der wirthschaftlichen Beschäftigungen. Jena 1761. DERS.: Erste Gründe der Cameral-Wissenschaften. Darinnen die Haupt-Theile sowohl der Oeconomie als auch der Policey und besondern Cameral-Wissenschaft in ihrer natürlichen Verknüpfung zum Gebrauch seiner academischen Fuerlesung entworfen. 2. Aufl. Leipzig 1768 (= Darjes, Joachim Georg: Erste Gründe der Kameralwissenschaften. Neudruck der 2. Aufl. Aalen 1969). DERS.: Erste Gründe der gesamten Mathematik. Darinnen die Haupttheile, sowohl der Theoretischen, als auch Praktischen Mathematik, in ihrer natürlichen Verknüpfung auf Verlangen und zum Gebrauch seiner Zuhörer entworfen. Jena 1747. DERS.: Erste Gründe der philosophischen Sitten-Lehre. Auf Verlangen und zum Gebrauche seiner Zuhörer entworfen. 3. Aufl. Jena 1762. DERS.: [Erste Zusammenkunft der GNKW] Die Gelehrte Gesellschaft zum Nutzen der Künste und Wissenschaften wird an dem […] dem 24sten dieses Monaths in dem grösseren akademischen Hörsaal Vormittags um 10 Uhr in Ihrer ersten öffentlichen Zusammenkunft eine Dollmetscherin der Frankfurthischen Wünsche für Sr. Königlichen Majestät allerhöchsten Wohlergehen sein […]. [Frankfurt an der Oder 1767] [Stadtarchiv Frankfurt an der Oder IV:255]. DERS.: Fernere Erläuterung und Vertheidigung meiner Gedanken von der göttlichen Absicht bey der Erschaffung der Dinge wider Herrn Professor Bielken. In: Ders.: Philosophische Nebenstunden. 4. Smlg. Jena 1752. S. 1–100. DERS.: [Gedanken über den gegenwärtigen gelehrten Streit des verdienten Herrn Pater Gordons.] In: Jenaische gelehrte Zeitungen, Jg. 1750, 76. St. S. 594. DERS.: Gedanken von den Gleichungen der krummen Linien, wie diese aus einem allgemeinen Grunde durch Hülfe der Bestimmung zu erfinden sind. 1753. In: Müller, Carl Gotthelf: Schriften der Teutschen Gesellschaft zu Jena aus den schönen/höheren Wissenschaften […] auf das Jahr 1753. Jena 1754. S. 197–210. DERS.: Institutiones jurisprudentiae privatae Romano-Germanicae in usum auditorii sui systematica adornatae methodo. Jena 1749. DERS.: Institutiones jurisprudentiae universalis, in quibus omnes juris naturae, socialis et gentium partes in usum auditorii sui methodo scientifica explanatur. Jena 1740. DERS.: Kurze Nachricht von meinen bis hieher herausgegebenen Schriften. In: Ders.: Weg zur Wahrheit, auf Verlangen übersetzt und mit Anmerkungen erläutert. Frankfurt an der Oder 1776. S. 17–32. DERS.: Kurzgefaßtes Ackersystem, wobey die Brachfelder nicht nur völlig, sondern auch mit Nutzen können abgeschaffet werden. In: Oeconomische Nachrichten, Jg. 1758 (= Bd. 10). S. 318–336. DERS.: Observationes juris naturalis, socialis et gentium, ad ordinem systematis sui selectae. 2 Bde. Jena 1751, 1754. DERS.: Philosophische Nebenstunden. 4 Sammlungen. Jena 1749–1752. DERS.: Projet d’une école économique de charité pour l’éducation de pauvres enfants: à l’avantage des affaires économiques. Jena 1761.
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DERS.: Seine Gedanken von den Grenzen des Rechts der Natur wiedmet dem Andenken der frohen 50jährigen Amtsjubelfeyer […] des Herrn […] Christian Ulrich von Ketelhodts, aus wahrer Ergebenheit Johann [!] George Daries. Frankfurt an der Oder 1775. DERS.: Summae reverendae facultatis theologicae Jenensis theses orthodoxae, erroribus tractatus philos. in quo pluralitas etc. oppositae ab autore dicti tractatus iam ante privatim susbcriptae, iam vero ad tollendum quod publice datum fuit scandalum ab eodem editae. Jena 1735. DERS.: Tractatus philosophicus in quo pluralitas personarum in deitate, qua omnes conditiones, ex solis rationis principiis methodo mathematicorum demonstratur. Jena 1735. DERS.: Via ad veritatem, commoda Auditoribus methodo demonstrata. Jena 1755. DERS.: Vorrede von der regelmäßigen Anwendung allgemeiner Wahrheiten auf einen besondern Fall. 1755. In: Wiebe, Karl Friedrich: Grundriß von den Wissenschaften bey Erziehung eines Prinzen. Jena/Leipzig 1756. (unpag.). DERS.: Vorrede von der Verbesserung der Land-Wirthschaft zum Nutzen der herrschaftlichen Cammer. In: Reichart, Christian: Land- u. Garten-Schatzes Fünfter Theil. Von vieljähriger Nutzung der Aecker ohne Brache und wiederholte Düngung, […]. Erfurt 1754. DERS.: Vom Reformiren der Wissenschafften und Anwendung der Philosophie auf andere Theile der Gelahrtheit […]. In: Stolle, Gottfried: Kurzgefaßte Lehre der allgemeinen Klugheit. Jena 1748. S. 3–59. DERS.: Weg zur Wahrheit, auf Verlangen übersetzt und mit Anmerkungen erläutert. Frankfurt an der Oder 1776. DERS.: Zu der würdigsten Feyer der Teutschen Gesellschaft in Jena mit welcher sie das höchste Geburthsfest ihres […] Herrn […] begehen wird, geschiehet hierdurch die geziemende Einladung. Jena 1756. DARJES, Joachim Georg/KAPPELIER, Christian Friedrich: De possibilitate creationis mundi ab aeterno. Jena 1735. DARJES, Joachim Georg/KRIEGER, Georg: De oculo, quod sit camera obscura, maxime artificiosa. Jena [1735]. DÖRING, Heinrich: Die deutschen Kanzelredner des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts, nach ihrem Leben und Wirken dargestellt […]. Neustadt an der Orla 1830. DERS.: Die gelehrten Theologen Deutschlands im 18. und 19. Jahrhundert. Nach ihrem Leben und Wirken dargestellt. 4 Bde. Neustadt an der Orla 1831–1835. DERS.: Feder. In: Ersch, Johann Samuel/Gruber, Johann Gottfried (Hrsg.): Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste. Mit Kupfern und Charten. Section 1, Tl. 42. S. 210–219. DERS.: Pagendarm. In: Ersch, Johann Samuel/Gruber, Johann Gottfried (Hrsg.): Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste. Mit Kupfern und Charten. Section 3, Tl. 9. S. 253 f. DUNKEL, Johann Gottlob Wilhelm: Historisch-kritische Nachrichten von verstorbenen Gelehrten und deren Schriften […]. Cöthen 1753. ECKSTEIN, Friedrich August: Geschichte der Freimaurer-Loge im Orient von Halle. Eine Festgabe zur Secularfeier der Loge zu den drei Degen. Halle 1844.
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QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS
EKKARD, Friedrich: Litterarisches Handbuch von allen bisher bekannten höhern Lehranstalten in und ausser Teutschland in statistisch-chronologischer Ordnung, oder Fortsetzung der akademischen Nachrichten. 2 Tle. Erlangen 1780–1782. ERSCH, Johann Samuel/GRUBER, Johann Gottfried (Hrsg.): Allgemeine Ecyclopädie der Wissenschaften und Künste. Mit Kupfern und Charten. 168 Bde. Leipzig 1818– 1889. ESCHENBACH, Johann Christian: Annalen der Rostockschen Academie. 13 Bde. Rostock 1790–1807. FABRICIUS, Johann Andreas: Abriß einer allgemeinen Historie der Gelehrsamkeit. Bd. 3. Leipzig 1754. FASELIUS, Johann Adolph Leopold: Neueste Beschreibung der Herzoglich Saechsischen Residenz- und Universitaets-Stadt Jena, oder historische, topographische, politische und akademische Nachrichten und Merkwuerdigkeiten derselben. Jena 1805. [FAUL, August Heinrich:] Briefe über die Einrichtung des Schulwesens und des Unterrichts der Kinder und jungen Leute überhaupt. Nebst einer historischen Betrachtung der Religion von Erschaffung der Welt an, biß zum Anfang der christlichen Kirche unter den Aposteln. Mit einer Vorrede begleitet von A. J. D. Aepinus. Rostock/Wismar 1759. GERSTENBERG, Heinrich Wilhelm von: Briefe über Merkwürdigkeiten der Litteratur. 2. Smlg. Schleswig/Leipzig 1766. GROSS, Johann Gottfried: Entwurf eines mit leichten Kosten zu errichtenden SEMINARII OECONOMICO-POLITICI, Das ist einer solchen Schul-Anstalt, darinnen die […] Nicht studirende Jugend, […] auf eine für Sie und das Publicum sehr vortheilhafte Weise, zu erziehen seyn möchte. 2. Aufl. Frankfurt/Leipzig/Nürnberg 1740. GUGENMUS, Stephan: Sämmtliche Schriften. Nach seinem Tode gesammlet, herausgegeben, und mit praktischen Anmerkungen begleitet von Georg Stumpf. Jena 1789. GUNNERUS, Johan Ernst: Vollständige Erläuterungen und Anmerkungen über das Naturund Völkerrecht des Herrn Hofrath Darjes. Frankfurt/Leipzig 1748–1750. HALEM, Gerhard Anton von: Selbstbiographie nebst einer Sammlung von Briefen an ihn […]. Zum Druck bearbeitet von seinem Bruder Ludwig Wilhelm Christian von Halem und herausgegeben von C. F. Strackerjan. Oldenburg 1840. HAMBERGER, Georg Christoph/MEUSEL, Johann Georg: Das gelehrte Teutschland oder Lexikon der jetztlebenden teutschen Schriftsteller. Reprografischer Nachdruck der 5. Aufl. Lemgo 1798. Hildesheim 1965 = 1798. HARLES, Gottlieb Christoph: Gedanken von dem Zustande der Schulen und ihren Verbesserungen. Jena 1761. DERS.: Gedanken von den Real-Schulen. Bremen 1766. HAUSEN, Carl Renatus: D. Joachim Georg Darjes als akademischer Lehrer geschildert […]. Frankfurt an der Oder 1791.
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DERS.: Zur Anhörung der Gedächtnißrede […] des am 17ten Julius vestorbenen Herrn Joachim Georg Darjes […] ladet im Namen der gelehrten Gesellschaft gehorsamst und ergebenst ein Carl Renatus Hausen […]. Frankfurt an der Oder 1791. HELLWIG, Johann Christian Ludwig: Versuch eines aufs Schachspiel gebaueten taktischen Spiels von zwey oder mehrern Personen zu spielen. Leipzig 1780. HENNINGS, Justus Christian: Compendium Metaphysicum usibus auditorii accommodatum. Jena 1768. DERS.: Praktische Logik. Jena 1764. DERS.: Sittenlehre der Vernunft. Altenburg 1782. HERMANN, Johann Gustav: Trauerrede und Gedicht auf Herrn Joachim Georg Darjes […]. Frankfurt an der Oder 1791. JACOBI, Adam Friedrich Ernst: Kurze Erzählung Seiner Lebensgeschichte. In: Ders.: Sammlung seiner kleinen und zerstreuten Schriften […] nebst einer kurzen Erzählung seiner Lebensgeschichte. Leipzig 1790. S. 223–256. JÖCHER, Christian Gottlieb: Allgemeines Gelehrten-Lexikon, worin die Schriftsteller und aller Stände nach ihren vornehmsten Lebensumständen und Schriften beschrieben werden. Fortsetzungen und Ergänzungen, Bd. 6, v. J. Chr. Adelung und H. W. Rotermund. Unveränderter Nachdruck der Ausgabe Bremen: Heyse, 1819. Hildesheim u. a. 1961=1819. KARSTEN, Wenceslaus Johann Gustav/EBERHARD, Johann August/SPRENGEL, Matthias Christian: Plan des Königlichen Erziehungs-Instituts zu Halle. Leipzig 1780. KLOSS, Johann Georg Burkhard Franz: Annalen der Loge zur Einigkeit, der Englischen Provincial-Loge, so wie der Provincial- und Directorial-Loge des eclectischen Bundes zu Frankfurt am Main 1742–1811. Eine Festgabe. Frankfurt am Main 1842. KNIGGE, Adolph von: Über den Umgang mit Menschen. 2 Tle. Hannover 1788. KOETHE, Friedrich August (Hrsg.): Zeitgenossen. Ein biographisches Magazin für die Geschichte unserer Zeit. 3. Reihe. 5. Bd. Herausgegeben von Friedrich Christian August Hasse. Leipzig 1836. KOPPE, Johann Christian: Daries, (Joachim Georg). In: Ders.: Jetztlebendes gelehrtes Mecklenburg. 3. St. Rostock/Leipzig 1784. S. 29–48. DERS.: Jetztlebendes gelehrtes Mecklenburg. Aus authentischen und andern sichern Quellen herausgegeben. 3 Stücke. Rostock/Leipzig 1783/84. KÖPPEN, Daniel Joachim: Specimen de rationali electione, quod […] Balthasari Müntero […] adiuncto designato […] offert Collegium illud sub eius Praesidio […] interprete Daniele Joachimo Koeppen. Jena 1759. DERS.: Unterricht für Schulmeister niederer Schulen, eine in Hamburg aufgegebene und mit dem ersten Preise gekrönte Abhandlung. Rostock 1782. KORDES, Berend: Lexikon der jetztlebenden Schleswig-Holsteinischen und Eutinischen Schriftsteller, möglichst vollständig zusammengetragen. Schleswig 1797. KRUG, Wilhelm Traugott: Allgemeines Handwörterbuch der philosophischen Wissenschaften, nebst ihrer Literatur und Geschichte. Nach dem heutigen Standpuncte der Wissenschaft bearbeitet und herausgegeben […]. 2. verbesserte uund vermehrte Aufl. 5 Bde. Leipzig 1832–1838.
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QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS
LACHMANN, Franz Heinrich August: Geschichte der Freimaurerei in Braunschweig von 1744 bis Neujahr 1844, aus den Protocollen und Archiven der [Loge] Carl zur gekrönten Säule ausgezogen. Braunschweig 1844. LANGE, Joachim: Der Philosophische Religions-Spötter. In dem ersten Theile Des Wertheimischen Bibel-Wercks verkappet, aber aus dringender Liebe zu Jesu Christo und der reinen Mosaischen Lehre von demselben, freimühtig entlarvet, und in seiner natürlichen Gestalt dargestellt […]. Halle 1735. LOSSIUS, Johann Christian: Neueste Philosophische Litteratur. 6. St. Halle 1781. DERS.: Physische Ursachen des Wahren. Gotha 1775. LUDOVICI, Carl Günther: Ausführlicher Entwurf einer vollständigen Historie der Wolffischen Philosophie. 3 Tle. Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1737/1738. (= Wolff, Christian von: Gesammelte Werke. Herausgegeben und bearbeitet von Jean École. Abteilung 3: Materialien und Dokumente. Bde. 1.1, 1.2, 1.3. Hildesheim u.a. 1977.) DERS.: Neueste Merckwürdigkeiten der Leibnitz-Wolffischen Weltweisheit. Nachdruck der Ausgabe Frankfurt/Leipzig 1738. (= Wolff, Christian von: Gesammelte Werke. Herausgegeben und bearbeitet von Jean École. Abteilung 3: Materialien und Dokumente. Bd. 3. Hildesheim u.a. 1996.) [LYNAR, Friedrich Ulrich zu:] Reise durch Ost-Deutschland. 1762. (Aus dessen handschriftlichen Tagebuch). In: Bernoulli, Johann: Sammlung kurzer Reisebeschreibungen und anderer zur Erweiterung der Länder- und Menschenkenntniß dienender Nachrichten. Jg. 1781. Bd. 2. Berlin/Altenburg 1781. S. 63–126. MEUSEL, Johann Georg: Lexikon der vom Jahr 1750 bis 1800 verstorbenen teutschen Schriftsteller. 15 Bde. Leipzig 1802–1816. MÜLLER, Carl Gotthelf: Erste Fortsetzung der Nachricht von der teutschen Gesellschaft in Jena und deren jetzigen Verfassung. In: Ders.: Schriften der Teutschen Gesellschaft zu Jena aus den schönen/höheren Wissenschaften […] auf das Jahr 1753. Jena 1754. (unpag.). DERS.: Nachricht von der Teutschen Gesellschaft zu Jena und der ietzigen Verfassung derselben […]. Jena 1753. DERS.: Schriften der Teutschen Gesellschaft zu Jena aus den schönen/höheren Wissenschaften […] auf das Jahr 1753. Jena 1754. MÜLLER, Johann Stephan: Betrachtungen über die Zusätze des Hr. Dr. Kölbele zu seinen Beweis der Allgemeinheit des zureichenden Grundes. Jena 1751. MÜLLER (von Itzehoe), Johann Gottwerth: Siegfried von Lindenberg. Eine komische Geschichte. Nachdruck der Erstausgabe Hamburg 1779 (= Dortmund 1978). MÜNTER, Balthasar: Fünfmal fünf Reden über fünf wichtige Pflichten derer die da hoffen. In der gerechten und vollkommenen Minervaloge des Ordens der Hoffnung gehalten von dem Bruder Redner. Jena 1759–1761. MÜNTER, Balthasar/KÖPPEN, Daniel Joachim: Specimen exhibens historiam dogmata et refutationem systematis illius quod a Benedicto de Spinoza nomen habet. Jena 1758.
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MÜNTER, Friedrich Christian Carl Heinrich: Balthasar Münters Leben und Charakter. In: Münter, Balthasar: Öffentliche Vorträge über Reden und Begebenheiten Jesu nach den vier Evangelisten. Bd. 9. Kopenhagen 1793. MURSINNA, Friedrich Samuel: Johann [!] George Daries. In: Ders.: Leben und Charaktere berühmter und edler im Jahr 1791 verstorbener Männer. Eine Beispielsammlung zur rühmlichen Nachahmung für junge Leute. Halle 1793. S. 233– 243. MYLIUS, Johann Christoph: [Blühendes Jena] Das in dem Jahr 1743 blühende Jena, darinnen von dem Ursprung der Stadt, Stifftung der Universität, und was sonsten zu dieser gehörig, besonders das Leben der Gelehrten erzehlet wird. Jena 1743. DERS.: Zusätze zu dem im Jahr 1743 Blühenden Jena, auf das Jahr 1744. Jena 1744. DERS.: Zusätze zu dem im Jahr 1743 und 1744 Blühenden Jena, auf die Jahre 1745, 1746, 1747, 1748 und 1749. Jena 1749. NAUMANN, Christian Nikolaus: Erfahrungsurtheile über den Unterschied des Guten und des Bösen. Erfurt 1752. DERS.: Vorbericht. In: Erste Gründe der natürliche Gottesgelahrheit nebst der philosophischen und theoretischen Abhandlung von der Stadt Gottes aus dem Lateinischen […] des Herrn Hofrath Darjes in das Deutsche übersetzet. Jena 1755. [NEMEITZ, Joachim Christoph:] Vernünfftige Gedancken über allerhand Historische, Critische und Moralische Materien. Nebst verschiedenen dahin gehörigen Anmerckungen. Tl. 1. Frankfurt am Main 1739. [Onlinefassung des Göttinger Digitalisierungszentrums URL: http://gdz.sub.uni-goettingen.de/dms/load/img/?PPN =PPN50073562X] NICOLAI, Friedrich: Ueber meine gelehrte Bildung […]. Reprographischer Nachdruck der Ausgabe Berlin/Stettin 1799 (= Hildesheim 1997). NÖSSELT, Friedrich: Breslau und dessen Umgebungen. Beschreibung alles Wissenswürdigsten für Einheimische und Fremde. 2., sehr verbesserte und mit einem Plan von Breslau versehene Ausgabe. Breslau 1833. OEMLER, Christian Wilhelm: Kurze Nachricht von der im Jahre 1768 eingerichteten Jenaischen Armen-Schule, auf Verlangen verschiedener Freunde herausgegeben. Jena 1773. DERS.: Repertorium über Pastoraltheologie und Casuistik für angehende Prediger, nach alphabetischer Ordnung. 4 Tle. und Supplementbd. Jena 1786–1793. DERS.: Vorrede. In: Matthesius, Christoph Heinrich: Lehrbuch für angehende Landprediger, wie ihre Wirthschaft ihnen und den Pfarrgütern am nützlichsten einzurichten sey, nebst gelegentlichen Erinnerungen über Brache, Hut und Stallfütterung, von einem selbstwirthschaftenden Landprediger. Jena 1791. O. V.: Beweiß daß eine vernünftige Ehe von keiner Herrschaft wisse. Bei der frohen Vollziehung des Darjes-Teichmeyerischen Ehebündnisses in Jena 1741 am 26sten Jenner zum Zeichen ihrer Ergebenheit gegen das vornehme Brautpaar angestellet von den allhier studierenden Mecklenburgern. Jena [1741]. O. V.: Der Pflegecommission zu St. Petri öffentliche Rechenschaft wie sie sich bisher bemüht hat die Königliche Verordnung vom 9. März 1792 über die Einrichtung und Regierung des Armenwesens in Kopenhagen in Ausübung zu bringen. Kopenhagen 1792.
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O.
V.: Ein patriotischer Wunsch für die Errichtung eines literarischen National-Instituts für die preußischen Staaten. Tl. 1. In: Preußisch-Brandenburgische Miszellen. Jg. 1804, Bd. 1, 1. und 2. Quartal. Berlin 1804. S. 259–269. O. V.: Eines, dem es betrift, Bekannten Sendschreiben an Christ. Friedrich Polz. Enthaltend einen Traum von des Hrn. Magisters gehaltenen Dissertation, worinne mit vieler Mühe gezeiget wird, daß der noch nicht gefallene Mensch vollkommener als die Engel Gottes selbsten. Frankfurt/Leipzig 1752. O. V.: Merckmale ihrer Ergebenheit suchten an dem Tage da […] der Herr Hoffrath Darjes […] sein öffentliches Lehramt der Philosophischen Moral […] antratt, durch nachstehende Zeilen zu erkennen zu geben einige von dessen verbundensten Landesleuten […]. Jena 1744. O. V.: Neue Beiträge zu der Cameral- und Haushaltungs-Wissenschaft, aus der Natur und Erfahrung bestärket von einer Societät in Thüringen. Jena 1766–1769. O. V.: [Ode an Darjes] Ad virum perillustrem amplissimum doctissimum Joachimum Georgium Daries […]. Berlin 1786. O. V.: Versuche in der Teutschen Rede- Dicht- und Sprachkunst, zur Aufnahme derselbigen gemacht, und herausgegeben von einigen Mitgliedern der vertrauten Redner-Gesellschaft in Thüringen. 2 Stücke. Weimar 1737. O. V.: Widerlegung zwey der heutigen größten philosophischen Geister in den ersten Gründen und Hauptbegriffen der edelsten Wissenschaften nebst einer Vorrede in welcher erwiesen wird daß die bisherige praktische Weltweisheit eine bloße Weltthorheit sey. Frankfurt/Leipzig 1764. PESTALOZZI, Johann Heinrich: Über die Idee der Elementarbildung und den Standpunkt ihrer Ausführung in der Pestalozzischen Anstalt zu Iferten. Eine Rede, gehalten vor der Gesellschaft der schweizerischen Erziehungsfreunde in Lenzburg, 30. August 1809. Gedruckte Fassung, 1810/11. In: Pestalozzi Sämtliche Werke. Kritische Ausgabe begründet von Artur Buchenau, Eduard Spranger, Hans Stettbacher. 22. Bd., bearbeitet von Emanuel Dejung. Zürich 1979. S. 130–324. POLCHOW, Johann David: Geniner Syllabierfibel, nach welcher kleine Kinder in den (Capitel- )Schulen der Gemeinde die erste Anleitung zum Lesen, Denken und Hochdeutsch verstehen empfangen. 2. Aufl. Lübeck 1790. RANKE, Karl Ferdinand: Johann Julius Hecker, der Gründer der Königlichen Realschule zu Berlin. Einladungsschrift […] zur ersten Säkular-Feier der Realschule […]. Berlin 1847. REICHART, Christian: Gemischte Schriften. Erfurt 1762. DERS.: Land- und Gartenschatzes […] Theil. 6 Tle. Erfurt 1753–1756 (Universalregister 1762). DERS.: [Mangel der Schulen] Sollte wohl ein Erfurter klagen können, über den Mangel der Schulen. In: Ders.: Gemischte Schriften. Erfurt 1762. S. 284–306. RICHTER, David: Catalogus Lectionum Publicarum in Gymnasii Meclenburgici […]. Güstrow 1726. DERS.: Genealogia Lutherorum oder Historische Erzehlung von D. Mart. Lutheri I. Heutigen Anverwandten, II. Hochzeits-Tag, und seines adelichen Gemahls Famille, Kindern und Wittwen-Stand, III. Jetziger Posterität […]. Berlin/Leipzig 1733. DERS.: Memoriam viri perquam reverendi […] Joachimi Darjes […]. Rostock [1739].
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RIEDEL, Friedrich Just: Briontes der dritte oder Lobrede auf Einen aus Hochfürstlich Waldeckischen Diensten der Wahrheit willen verabschiedeten Sergeanten […]. 1765. In: Ders.: Sämmtliche Schriften. Tl. 2. Wien 1787. S. 153–260. [Onlinefassung: Deutsche Literatur des 18. Jahrhunderts Online. Erstausgaben und Werkausgaben von der Frühaufklärung bis zur Spätaufklärung. De Gruyter. URL: http://db.saur.de/DLO/] DERS.: Metaphysicae Dariesianae Tenuia Rudimenta, in usum Auditorii sui per tabulas exposita […]. Jena 1766. DERS.: (Hrsg.): Philosophische Bibliothek. Halle 1768. ROTERMUND, Heinrich Wilhelm: Das gelehrte Hannover. Oder Lexicon von Schriftstellern und Schriftstellerinnen, gelehrten Geschäftsmännern und Künstlern die seit der Reformation in und außerhalb den sämtlichen zum jetzigen Königreich Hannover gehörigen Provinzen gelebt haben und noch leben. Bremen 1823. SALZMANN, Christian Gotthilf: Ameisenbüchlein oder Anweisung zu einer vernünftigen Erziehung der Erzieher. Schnepfenthal 1806. DERS.: Moralisches Elementarbuch, nebst einer Anleitung zum nützlichen Gebrauch desselben […]. Tl. 1. Leipzig 1782. SCHAUBERT, Johann Wilhelm: Unpartheyische Prüfung der in den neuen Hamburgischen gelehrten Zeitungen eingedruckten Gegen-Erinnerungen des Hrn. M. Gunnerus Auf die Vertheidigung des Hrn. Hofraths Daries die den philosophischen Neben-Stunden desselben angefüget ist. Leipzig 1749. SCHAUER, Johann Karl: Urkundliche Geschichte von Wenigenjena und Camsdorf, mit Inbegriff der Umgegend, als des Jenzigs, der Saalbrücke, der Saalüberschwemmungen u.s.w. Aus den Quellen zum ersten Male aufgestellt […]. Jena 1846. SCHEIDEMANTEL, Heinrich Gottfried: An den Herrn Geheimden Rath D. Darjes bei Gelegenheit der Jubelfeier seines akademischen Lehramts. Stuttgart 1786. SCHLETTWEIN, Johann August: Bescheidene Verthäidigung seiner neulichen Erläuterungen und Rettungen der moralischen Begriffe des Herrn Hofrath Darjes von der Tugend dem Laster und der menschlichen Schwachheit, wider die Einwürfe, die Herr Waldin gegen dieselbigen gemachet. Jena 1753. DERS.: Des hochberühmten Herrn Hofrath Darjes moralische Begriffe von der Tugend, dem Laster, und der menschlichen Schwachheit werden erläutert und wider die Einwürfe des Herrn Magister Polz verthaidiget […]. Jena 1752. DERS.: Die Metaphysik zum Gebrauch in den höhern Wissenschaften bequemer eingerichtet. Jena 1759. DERS.: Grundverfassung der neuerrichteten ökonomischen Facultät auf der Universität Gießen auf höchsten Befehl herausgegeben. Gießen 1778. DERS. (Hrsg.): Schriften zum Vortheil nützlicher Wissenschaften und des gesellschaftlichen Lebens, entworfen von einer Privatgesellschaft zur Übung des Verstandes, zur Beförderung der Künste und des gemeinen Bestens […]. 4 Tle. Jena 1759/60. SCHLICHTEGROLL, Adolf Heinrich Friedrich von: Nekrolog auf das Jahr 1791. Enthaltend Nachrichten von dem Leben merkwürdiger in diesem Jahre verstorbener Deutscher. Bd. 2. Gotha 1792.
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QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS
DERS.: Nekrolog auf das Jahr 1792. Enthaltend Nachrichten von dem Leben merkwürdiger in diesem Jahre verstorbener Deutscher. Bd. 2. Gotha 1794. SCHLOSSER, Friedrich Christoph: Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts und des neunzehnten bis zum Sturz des französischen Kaiserreichs. Bd. 3. Bis 1788. Abteilung 2. Heidelberg 1843. SCHMIDT, Johann Georg: Jesus als das beste Muster wohlerzogener Söhne und Töchter in einer Predigt […] vorgestellet […]. Jena 1762. SCHREIBER, Carl/FÄRBER, Alexander: Jena von seinem Ursprunge bis zur neuesten Zeit. Nach Adrian Beier, Wiedeburg, Spangenberg, Faselius, Zenker u.a. Jena 1850. SEMLER, Christoph: Nützliche Vorschläge von Auffrichtung einer Mathematischen Handwerks-Schule bey der Stadt Halle, in welcher allen denenjenigen Knaben welche Handwerker lernen sollen […] aus der Mathematik und aus den mechanischen Künsten alle Arten derer Materialien […] gezeiget werden […]. Halle 1705. DERS.: Vorrede. In: Benit, Christian: Neueröffnete Mathematische und Mechanische REAL-Schule […]. Halle 1709. (unpag.). SPANGENBERG, Johann Christian Jacob: Handbuch der in Jena seit beinahe fünfhundert Jahren dahingeschiedenen Gelehrten, Künstler, Studenten und andern bemerkenswerthen Personen […]. Jena 1819. SPITZNER, Franz Ernst Heinrich: Geschichte des Gymnasiums und der Schulanstalten zu Wittenberg aus den Quellen erzählt. Leipzig 1830. SUCKOW, Laurenz Johann Daniel: Die Cameral-Wißenschaften nach dem Grund-Risse des Herrn Geheimen-Rath Darjes zum akademischen Gebrauch entworfen […]. Jena 1768. SUCKOW, Simon Gabriel: Schreiben an […] Joach. Ludolph Mayohl in Rostock, darinnen Desselben Einwürfe Wieder einige Stellen in dem ersten Theile der Metaphysik Des Herrn Doctor Darjes untersucht und kürzlich beantwortet werden. Jena 1743. TRÄGER, Ludwig Martin: Metaphysik. Tl. 1. Halle 1770. VICK, Joachim Christoph: Die vernünftige Wahl einer Weisen bey der glücklichen Verbindung des […] Lorenz Johann Daniel Succow mit der […] Anna Catharina Darjes […] den 14. May 1750 in Jena glückwünschend fürgestellet […]. Jena 1750. VOGEL, Emil Ferdinand: Lexicon literaturae academico-juridicae […]. Tl. 1. A–M. Leipzig 1836. WAHL, August Rudolph: Des Herrn Past. Wahls zu Stotternheim Sendschreiben über die Art den Fleiß der Landleute zu erwecken. In: Oeconomische Nachrichten. Jg. 1761/62 (= Bd. 14). S. 189–206. DERS.: Herrn P. Wahls eingesendete Auszüge aus Joh. Jac. Reinhardts vermischten Schriften, so in Frankfurt und Leipzig 1760 in 8. herausgekommen. In: Oeconomische Nachrichten. Jg. 1761 (= Bd. 13). S. 477–510. WALDIN, Johann Gottlieb: Antwort auf die zwei Schriften welche kürzlich gegen die von Hr. Christian Friedrich Polz gehaltene Dissertation zum Vorschein gekommen. Jena 1752. WEDEKIND, Ludwig Eduard: Neue Chronik der Stadt Züllichau von den ersten Zeiten ihrer Entstehung bis auf die gegenwärtige Zeit. Züllichau 1846.
GEDRUCKTE QUELLEN UND LITERATUR BIS 1850
349
WEIDLICH, Christoph: Biographische Nachrichten von den jetztlebenden Rechts-Gelehrten in Teutschland. Tl. 1. Halle 1781. WETTE, Albin de: Kurzgefaßte LebensGeschichte der Herzöge zu Sachsen […]. Weimar 1770. WIEBE, Karl Friedrich: Grundriß von den Wissenschaften bey Erziehung eines Prinzen. Jena/Leipzig 1756. WIEDEBURG, Johann Ernst Basilius: Beschreibung der Stadt Jena nach ihrer Topographisch– , Politisch- und Akademischen Verfassung. Nebst vier Kupfer-Tafeln den Grund- und Auf-Riß nebst einer Karte über den nähern Distrikt, und einige denkwürdige Inschriften und Siegel darstellend. Jena 1785. ZEDLER, Johann Heinrich (Hrsg.): Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste. 64 Bde. u. 4 Supplementbde. 1731–1754. [Onlinefassung URL: http://www.zedler-lexikon.de] ZWICKE, Johann Arnold Anton: Vorläuffige Nachricht von der gegenwärtigen Verfassung der Schule im Hochfürstl[ichen] grossen Waysenhause zu Braunschweig um derer willen die sich darnach erkundigen ertheilt […]. Braunschweig 1754.
350
5.
QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS
Literatur nach 1850
Literatur nach 1850 AGETHEN, Manfred: Geheimbund und Utopie. Illuminaten, Freimaurer und deutsche Spätaufklärung. Mit einem Geleitwort von Eberhard Schmitt. München 1987. ASCHE, Matthias: Von der reichen hansischen Bürgeruniversität zur armen mecklenburgischen Landeshochschule. Das regionale und soziale Besucherprofil der Universitäten Rostock und Bützow in der Frühen Neuzeit (1500–1800). Stuttgart 2000. ASMUS, Ivo (Hrsg.): Gemeinsame Bekannte. Schweden und Deutschland in der Frühen Neuzeit. Münster 2003. B., A.: Blasche, Bernhard Heinrich. In: Allgemeine deutsche Biographie. Bd. 2 (1875). S. 693. BAASNER, Rainer: Allgemeine Grundzüge der Literaturkritik im 18. und 19. Jahrhundert. In: Anz, Thomas/Baasner, Rainer (Hrsg.): Literaturkritik. Geschichte, Theorie, Praxis. München 2004. S. 23–26. DERS.: Literaturkritik in der Zeit der Aufklärung. In: Anz, Thomas/Baasner, Rainer (Hrsg.): Literaturkritik. Geschichte, Theorie, Praxis. München 2004. S. 27–36. BAECHTOLD, Jakob/VETTER, Ferdinand (Hrsg.): Bibliothek Älterer Schriftwerke der deutschen Schweiz und ihres Grenzgebietes. Bd. 3: Albrecht von Hallers Gedichte. Herausgegeben und eingeleitet von Ludwig Hirzel. Frauenfeld 1882. BALLAUFF, Theodor/SCHALLER, Klaus: Pädagogik. Eine Geschichte der Bildung und Erziehung. Bd. 2. Vom 16. bis zum 19. Jahrhundert. Tl. 3. Die Entfaltung der neuzeitlichen Pädagogik im 18. Jahrhundert. Alber 1970. BAUER, Joachim/HELLMANN, Birgitt/MÜLLER, Gerhard (Hrsg.): Logenbrüder, Alchemisten und Studenten. Jena und seine geheimen Gesellschaften im 18. Jahrhundert. (= Bausteine zur Jenaer Stadtgeschichte, Bd. 6). Rudolstadt/Jena 2002. BAUER, Joachim/KLINGER, Andreas/SCHMIDT, Alexander/SCHMIDT, Georg (Hrsg.): Die Universität Jena in der Frühen Neuzeit. Heidelberg 2008. BAUER, Joachim/MÜLLER, Gerhard: „Kleinod“ der Ernestiner – die Herzoglich Sächsische Gesamt-Universität Jena und die Höfe. In: Neu entdeckt. Thüringen – Land der Residenzen (1485–1918). 2. Thüringer Landesausstellung Schloss Sondershausen, 15. Mai – 3. Oktober 2004. 3. Bd. Essays. Mainz am Rhein 2004. S. 324–336. DIES.: Jena, Johnssen, Altenberga. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Freimaurerei im 18. Jahrhundert. In: Bauer, Joachim/Hellmann, Birgitt/ Müller, Gerhard (Hrsg.): Logenbrüder, Alchemisten und Studenten. Jena und seine geheimen Gesellschaften im 18. Jahrhundert (= Bausteine zur Jenaer Stadtgeschichte, Bd. 6). Rudolstadt/Jena 2002. S. 19–85. DIES.: Joachim Georg Darjes (1714–1791) – Aufklärer, Pädagoge und Freimaurer. In: Bauer, Joachim/Riederer, Jens (Hrsg.): Zwischen Geheimnis und Öffentlichkeit. Jenaer Freimaurerei und studentische Geheimgesellschaften. Jena/Erlangen 1991. S. 129–199. DIES.: Zwischen Theologie und praktischen Wissenschaften: Der Aufklärer Joachim Georg Darjes. In: Breidbach, Olaf/Ziche, Paul: Naturwissenschaften um 1800. Wissenschaftskultur in Jena-Weimar. Weimar 2001. S. 143–154.
LITERATUR NACH 1850
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BAUER, Joachim/RIEDERER, Jens (Hrsg.): Zwischen Geheimnis und Öffentlichkeit. Jenaer Freimaurerei und studentische Geheimgesellschaften. Jena/Erlangen 1991. BENNER, Dietrich/KEMPER, Herwart (Hrsg.): Quellentexte zur Theorie und Geschichte der Reformpädagogik. Teil 1. Die pädagogische Bewegung von der Aufklärung bis zum Neuhumanismus. Herausgegeben von Dietrich Benner. Weinheim 2000. BERGER, Joachim/GRÜN, Klaus-Jürgen: Einleitung. In: Berger, Joachim (Hrsg.): Geheime Gesellschaft. Weimar und die deutsche Freimaurerei. Ausstellungskatalog. München 2002. S. 11–26. BERNET, Claus: Darjes, Joachim Georg. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon. Bd. 19 (2001). Sp. 163–173. BERSWORDT-WALLRABE, K. v. (Hrsg.): Die Medaille. Kunstwerk und Erinnerung. Komment. Katalog zu Beständen des Schweriner Münzkabinetts. Bearbeitet von T. Fried. Schwerin 2000. BEYREUTHER, Erich: Francke, August Hermann. In: Neue deutsche Biographie. Bd. 5 (1961). S. 322–325. BINDER: Salzmann, Christian Gotthilf. In: Allgemeine deutsche Biographie. Bd. 30 (1890). S. 293–297. BLAHA, Walter: Die Gründung der Akademie nützlicher Wissenschaften zu Erfurt 1754. In: Ein eigenartiges Stück deutschen Geisteslebens. 250 Jahre Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt. Ausstellungskatalog, zusammengestellt und bearbeitet von Rudolf Benl. Erfurt 2004. S. 22 f. BLANKERTZ, Herwig: Die Geschichte der Pädagogik. Von der Aufklärung bis zur Gegenwart. Wetzlar 1982. BLOTH, Hugo Gotthard: Johann Julius Hecker (1707–1768) und seine Universalschule. Dortmund 1968. DERS.: Zwei „Gesamtschulen“ an der Schwelle der industriellen Gesellschaft. Zum Lebenswerk der Brüder Johann Julius Hecker (1707–1768) in Berlin und Andreas Petrus Hecker (1709–1770) in Stargard/Pommern. In: Pädagogische Rundschau. Bd. 24. Henn 1970. S. 677–692. BOBÉ, Louis: Die deutsche St.-Petri-Gemeinde zu Kopenhagen, ihre Kirche, Schulen und Stiftungen. Kopenhagen 1925. BÖHM, A.: Die Jenaer „Schulweiber“ im 17. Jahrhundert. In: Vesper, Reinhold (Hrsg.): Das Thüringer Fähnlein. Monatshefte für die mitteldeutsche Heimat. 7. Jg., H. 1. 1938. S. 1–6. DERS.: Geschichte der Jenaer Schulen. Maschinenschriftliches Manuskript. 1953. BOLLNOW, Otto Friedrich: Basedow, Johann Bernhard. In: Neue deutsche Biographie. Bd. 1 (1953). S. 618 f. BÖNING, Holger/SIEGERT, Reinhart: Volksaufklärung. Biobibliographisches Handbuch zur Popularisierung aufklärerischen Denkens im deutschen Sprachraum von den Anfängen bis 1850. 2 Bde. Stuttgart/Bad Cannstatt 1990/2001. BOSCHUNG, Urs/BRAUN-BUCHER, Barbara/HÄCHLER, Stefan (Hrsg.): Repertorium zu Albrecht von Hallers Korrespondenz 1724–1777. Publiziert von der Albrecht-vonHaller-Stiftung der Burgergemeinde Bern. Basel 2002. BRACHMANN, Jens: Der pädagogische Diskurs der Sattelzeit. Eine Kommunikationsgeschichte. Bad Heilbrunn 2008.
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QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS
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LITERATUR NACH 1850
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DERS.: Universitäten. In: Hammerstein, Notker/Herrmann, Ulrich (Hrsg.): 18. Jahrhundert. Vom späten 17. Jahrhundert bis zur Neuordnung Deutschlands um 1800 (= Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Herausgegeben von Christa Berg u. a. Bd. 2. München 2005. S. 369–400. HAMMERSTEIN, Notker/MÜLLER, Rainer A.: Das Katholische Gymnasialwesen im 17. und 18. Jahrhundert. In: Hammerstein, Notker/Herrmann, Ulrich (Hrsg.): 18. Jahrhundert. Vom späten 17. Jahrhundert bis zur Neuordnung Deutschlands um 1800 (= Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Herausgegeben von Christa Berg u. a. Bd. 2. München 2005. S. 324–354. HELLMANN, Birgitt: Alltag in Jena in der Mitte des 18. Jahrhunderts. In: Bauer, Joachim/Hellmann, Birgitt/ Müller, Gerhard (Hrsg.): Logenbrüder, Alchemisten und Studenten. Jena und seine geheimen Gesellschaften im 18. Jahrhundert (= Bausteine zur Jenaer Stadtgeschichte, Bd. 6). Rudolstadt/Jena 2002. S. 9–17. DIES.: Ausstellungskatalog. In: Bauer, Joachim/Hellmann, Birgitt/ Müller, Gerhard (Hrsg.): Logenbrüder, Alchemisten und Studenten. Jena und seine geheimen Gesellschaften im 18. Jahrhundert (= Bausteine zur Jenaer Stadtgeschichte, Bd. 6). Rudolstadt/Jena 2002. S. 107–171. HEIDORN, Günter (Hrsg.): Geschichte der Universität Rostock. 1419–1969. Festschrift zur Fünfhundertfünfzig-Jahr-Feier der Universität. Bd. 1. Die Universität von 1419–1945. Berlin 1969. HENSEL, Matthias (Hrsg.): Pennalismus. Ein Phänomen protestantischer Universitäten im 17. Jahrhundert (= Quellen zur protestantischen Bildungsgeschichte Nr. 6). Leipzig 2014. HERMANN, Peter: Leben und Werk des brandenburgischen Superintendenten Wilhelm Gabriel Wegener (1767–1837) im Spiegel seiner Autobiographie. In: Donnert, Erich (Hrsg.): Europa in der Frühen Neuzeit. Festschrift für Günter Mühlpfordt. Bd. 7. Köln u. a. 2008. S. 399–533. HEUSER, Magdalene (Hrsg.): Ich wünschte so gar gelehrt zu werden. Drei Autobiographien von Frauen des 18. Jahrhunderts. Göttingen 1994. HINSKE, Norbert: Das erste Auftauchen der Kantischen Philosophie im Lehrangebot der Universität Jena. In: Ders. (Hrsg.): „Das Kantische Evangelium“. Der Frühkantianismus an der Universität Jena von 1785–1800 und seine Vorgeschichte. Ein Begleitkatalog. Stuttgart/Bad Cannstadt 1993. S. 1–14. HOYER, Timo (Hrsg.): Vom Glück und glücklichen Leben. Sozial- und geisteswissenschaftliche Zugänge. Göttingen 2007. IVEN, Kurt: Die Industriepädagogik des 18. Jahrhunderts. 1929. In: Koneffke, Gernot (Hrsg.): Zur Erforschung der Industrieschule des 17. und 18. Jahrhunderts. Schriften von Hermann Brödel, Kurt Iven, August Gans und Robert Alt. Herausgegeben und eingeleitet von Gernot Koneffke. Vaduz 1982. S. 105–231. JAEGER, Hans: Marperger, Paul Jacob. In: Neue deutsche Biographie. Bd. 16 (1990). S. 234 f. JAHN, Ilse/LANGE, Fritz G. (Hrsg.): Die Jugendbriefe Alexander von Humboldts 1787– 1799. Berlin 1973.
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QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS
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Abkürzungsverzeichnis
Anm. Art. Aufl. Bd./Bde. bzw. Ders. Dies. Disp. ebd. H. Jg. o. V. o. O. S. Smlg. Sp. St. Tl./Tle. u. a. unpag. vgl.
Anmerkung Artikel Auflage Band/Bände beziehungsweise Derselbe Dieselbe/Dieselben Disputation ebenda Heft Jahrgang ohne Verfasser ohne Ort Seite Sammlung Spalte Stück Teil/Teile und andere unpaginiert (ohne Seitenzahlen) vergleiche
Ortsregister Ortsregister Allstedt 142 Altenberga 168 Altenburg 193 Altona 175 Aurich 145, 146 Basedow 67 Berlin 16, 87, 91–97, 100–104, 109, 113, 115, 128, 131, 143, 147, 160, 164, 168, 169, 214, 251, 285 Brandenburg 93, 174, 224 Braunschweig 88, 94, 110, 115, 161, 162, 254, 256, 260 Breslau 101, 102 Bretleben 140 Bützow 171, 262 Camsdorf (Jena) 15, 60, 66, 100, 101, 111, 118, 119, 122–32, 137, 138, 146, 148, 152, 158, 166, 167, 168, 172, 178, 183, 185, 208, 223 Castel 89 Coburg 86, 193, 263 Coburg-Saalfeld 193 Coppenbrügge 263 Cospeda (Jena) 179 Dänemark 181 Danzig 284 Darmstadt 254 Dessau 175, 176 Dresden 298 Eisenach 127, 132–35, 193, 207, 282–85, 286 Eisleben 142 Elbingerode 156 England 80, 93 Erfurt 68, 78, 99, 120, 121, 126, 134, 140, 159, 173, 177, 178, 205, 209,
210, 223, 238, 240, 250, 253, 254, 262, 267, 280, 285–89, 297, 299 Erlangen 86, 87, 103, 185, 220, 236, 264 Essen 91 Frankfurt am Main 161, 162, 180, 236, 247 Frankfurt an der Oder 11, 14–17, 29, 56, 68, 103, 123, 143, 164–69, 177, 187, 194, 195, 198, 204, 209–14, 220–26, 233, 235, 245, 248, 251– 53, 256–62, 267, 268, 274–77, 281, 282, 289, 291, 298, 299, 320, 321 Frankreich 80 Genin (Lübeck) 171 Gießen 252, 254 Glaucha (Halle) 84 Gotha 84, 161, 181, 183, 193 Gotha-Altenburg 193 Göttingen 163, 182, 189, 193, 195, 201, 206–8, 216, 223, 233, 262, 263, 282–86, 297 Greifswald 214, 282 Güstrow 11, 66, 67–71, 171, 187, 203 Halberstadt 94 Halle (Saale) 82–97, 101–4, 114, 121, 125, 127, 134, 161, 162, 171, 173, 189–95, 203, 222, 247, 261–62 Hamburg 136, 161, 171, 214, 215, 263, 264, 297 Hannover 115, 143, 207 Harburg (Hamburg) 130, 159 Helmstedt 177, 207 Hersbruck 67 Hessen 254
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ORTSREGISTER
Hessen-Darmstadt 254 Jena 11–13, 15–18, 29, 60–66, 70– 74, 79–82, 89, 99, 100, 103, 110, 118–48, 158–216, 220–25, 229– 34, 238–77, 282–89, 293–98, 298 Jenalöbnitz (Jena) 63 Karlsruhe 254, 263 Kiel 175, 262 Königsberg 282 Königssee 68 Kopenhagen 173, 177, 181–83, 261 Köthen 161 Leipzig 78, 82, 88, 89, 94, 96, 109, 170, 171, 173, 175, 192–94, 207, 214–17, 230, 232, 247, 260–62, 270 Lindau 174 Lübeck 171, 172, 181, 222, 273, 297 Lübz 67 Lüneburg 254 Magdeburg 86, 97, 102, 114, 115 Mainz 285 Malchow 68 Mecklenburg 70, 99, 170, 171, 187, 188, 270 Mecklenburg-Schwerin 99 Meiningen 193 Meißen 145 Neubrandenburg 270 Neustadt an der Aisch 89 Niedersachsen 136 Parchim 67, 171 Petersburg 210 Potsdam 92, 96, 119, 120 Prenzlau 94 Preußen 13, 23, 82, 91, 92, 119, 139, 141, 174, 193, 194, 210–12, 219, 252
Rinteln 262, 263 Rostock 11, 17, 67, 70, 72, 99, 161, 171, 187–90, 193, 196, 197, 203, 221, 261, 270 Rudolstadt 115, 146, 161, 176 Saalfeld 193 Sachsen 127, 132, 135, 207, 283–84, 286, 293 Sachsen-Eisenach 283 Sachsen-Weimar 293 Sachsen-Weimar-Eisenach 127, 132, 135, 207, 284, 286 Schleswig 297 Schnepfenthal 103, 172 Schwarzburg 146, 160, 176 Schwerin 68, 99 Sorø 175 Stargard 96, 102, 104, 236 Stendal 97 Stettin 115, 161 Stockholm 127, 298 Stotternheim (Erfurt) 97–99 Straßburg 189 Strelitz 270 Thüringen 140, 269, 271, 286 Tonna 183 Weimar 66–68, 119, 120, 125–36, 140, 145, 164–67, 172, 179, 180, 193, 204, 207, 247, 261, 272, 273, 282–85, 286, 293 Wenigenjena (Jena) 128–32, 136–38, 148, 159, 167, 168, 173, 208 Wien 80, 253 Wismar 68 Wittenberg 95–97, 126 Wolfenbüttel 115 Zossen 96 Züllichau 102, 103, 134, 169 Zürich 214, 217, 261
Personenregister Personenregister Personenregister Achenwall, Gottfried 246, 261 Aepinus, Angelius Johann Daniel 99 Aepinus, Franz Albert 190 Aesop 65 Alard, Christian Nikolaus 293 Aller, J. C. 332 Anna Amalia von BraunschweigWolfenbüttel, Herzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach 66, 120, 125, 127, 128, 164–67, 180, 330 Aristoteles 25, 71, 188–92, 229 Ausfeld, Familie 103 Bachoff von Echt, Ludwig Heinrich 179 Basch, Erdmann Sigmund 317 Basch, Siegmund 172, 173 Basedow, Johann Bernhard 103, 175– 76 Batsch, Georg Lorenz 160 Bauer, Johann Gottfried 61, 62, 64 Baumgarten, Alexander Gottlieb 11, 194, 210 Becher, Johann Joachim 80, 81 Bechmann, Friedemann 65 Becker, Gottfried Bernhard 146 Becker, Gottlieb Joachim 120, 145, 146, 161, 164–69 Becker, Hartmann Christoph 145 Becker-Hegeler, Sophie Rosina 145 Becker-Roux, Sophia Charlotta 146 Beckmann, Gustav Bernhard 262 Beckmann, Otto David Heinrich 262 Behn, Friedrich Daniel 172, 244, 257, 258, 260, 273, 317, 330 Bel, Karl Andreas 262 Benit, Christian 82 Bernstorff, Johann Hartwig Ernst von 182
Bertuch, Friedrich Justin 177, 179, 180, 181 Bever, Johann Georg 269 Bielfeld, Jakob Friedrich von 251, 252, 316 Bielke, Johann Achatius Felix 236–40 Blasche, Bernhard Heinrich 157, 176 Blasche, Johann Christian 63, 64, 176, 177, 253, 317 Blaufuß, Jakob Wilhelm 288 Blumenthal, Daniel 68 Blumenthal-Darjes, Christina Elisabeth 68 Bodmer, Johann Jakob 217 Bohm, Friedrich Leopold 331 Böhmer, Johann Samuel Friedrich von 210 Bose, Carl Friedrich von 167 Boulet, Jakob 161 Brandenstein, Johann Heinrich von 130, 139, 141, 159 Braun, Friedrich Georg 333 Brockenburg, Christian Albrecht Günter von 161 Buch, Christian Franz 133 Budde, Johann Franz 71, 191, 192 Buder, Christian Gottlieb 285 Bünau, Heinrich von 282, 283, 285–88 Büsching, Johann Georg Julius 269 Campe, Joachim Heinrich 12 Cappelmann, Johann Matthias 269 Carmer, Johann Heinrich Casimir von 211, 219, 247 Carpov, Jakob 191, 197, 203–5, 221, 310 Carstens, Peter Heinrich 161 Cartheuser, Friedrich August 280 Caspari, Franz Karl 323 Chateaubriand, François René de 22
367
PERSONENREGISTER
Chladenius, Johann Martin 236, 237 Cicero, Marcus Tullius 65, 71, 188 Comenius, Johann 81, 84 Conring. Hermann 191 Cramer, Johann Andreas 182 Cramer, Johann Christoph 263 Cramer, Johann Friedrich 270 Cramer, Ludwig Ehrenfried Friedrich 141–45, 150, 161, 244, 317 Creutzberger, Andreas 89, 90, 113 Dähne, Christoph 62 Dähne, Wilhelm Christoph Karl 62 Danz, Johann Traugott Leberecht 63 Darjes, Carl Gotthelf 68 Darjes, Heinrich 67 Darjes, Joachim 67–70 Darjes-Reichart, Martha Friederike 68, 140, 212, 287 Darjes-Sibeth, Anna Catharina 68 Darjes-Stemwede, Dorothea Elisabeth 67 Darjes-Teichmeyer, Catharina Wilhelmina Eleonora 68, 206–9, 223 Darjes-Titius-Stemwede, Dorothea Elisabeth 67 Darjes-Troye, Anna Sophia 68 Darjes-Witter, Sophie 67 Davier, Carl Wilhelm von 269 Descartes, René 22, 226 Dieterich, Karl Friedrich 262 Dithmar, Justus Christoph 251 Dreißigmark, Friedrich Wilhelm 269 Eberhard, Magnus Adolph von 292 Ebhard, Christian 61, 64, 65 Ebhardt, Christian Jakob 317 Epikur 25 Ernst August I., Herzog von SachsenWeimar-Eisenach 127, 207, 293, 324, 325 Ernst August II. Konstantin, Herzog von Sachsen-Weimar-Eisenach 282–84, 288, 329
Ernst I., der Fromme, Herzog von Sachsen-Gotha-Altenburg 84, 173 Eschert, Samuel Gottfried 322 Essenwein, Johann Georg 61, 64, 65 Estor, Johann Georg 191 Etlinger, Johann Bernhard 269 Eulenstein, Heinrich Friedrich 138 Exter, Joachim von 333 Fabricius, Johann Andreas 267, 269– 73, 269, 273, 338 Faul, August Heinrich 99, 100 Fecht, Johannes 71, 189 Feder, Johann Georg Heinrich 263 Felbiger, Ignatz von 97 Fircks, Ernst Johann von 161 Fischer, Johann Christian 267 Fischer, Johann Christoph 133 Fischer, Johann Karl 317 Francke, August Hermann 82, 84–87, 90–95, 102, 104, 111, 114, 115, 125, 134, 136, 185 Friedrich August von BraunschweigWolfenbüttel, Herzog von Braunschweig-Lüneburg 254, 332 Friedrich II., der Große, König von Preußen 11, 23, 29, 91, 92, 95, 97, 141, 169, 193, 195, 209, 210, 275– 78, 281, 282 Friedrich III., Herzog von SachsenGotha-Altenburg 181 Friedrich Wilhelm I., König von Preußen 102 Friedrich Wilhelm II., König von Preußen 212, 282 From, Nathanael Friedrich 263 Fuchs, Johann Conrad 270 Fürst, Carl Joseph Maximilian von 276 Gadendam, Johann Wilhelm 262 Georg II. August, König von Großbritannien und Irland, Kurfürst von BraunschweigLüneburg 286 Gerich, Elias 102
368 Gerich-Steinbart, Anna Eleonora 102 Gernhard, Georg Friedrich 269 Gerstenberg, Heinrich Wilhelm von 182, 232 Gerstenbergk, Johann Lorenz Julius von 261, 317 Geschke, Johann Christoph 332 Glaser, Friedrich Gregorius 61, 62 Glaser, Friedrich Jakob 269 Goethe, Johann Wolfgang von 170, 180, 181 Gordon, Andreas 78 Griesheim, Christian Ludwig von 96 Grosch, Johann Andreas 244, 253, 258, 259, 317 Groß, Johann Gottfried 85–90, 104, 106, 109–15, 123, 152, 173 Grotius, Hugo 191, 221, 246–48, 283, 312–16 Guichard, Karl Theophil 210 Gunnerus, Johan Ernst 225, 233, 247, 317 Haensche, Johann Gottlieb 179 Hage, Johann Peter 63 Hähn, Johann Friedrich 95 Halem, Gerhard Anton von 194, 210, 213, 223, 226 Hallbauer, Friedrich Andreas 64, 177, 232 Hallbauer, Georg Christian 63, 64 Haller, Albrecht von 29, 43, 141, 163, 195, 206–9, 213, 217, 223, 260, 283, 286, 320 Haller-Teichmeyer, Sophia Amalia Christina 206 Hamberger, Georg Erhard 259, 283, 285 Hamberger, Johann Erhard 161 Harles, Gottlieb Christoph 87, 103, 104, 108, 123, 184 Härter, Johann Friedrich Julius 327 Hartmann, Peter Immanuel 280 Hausen, Carl Renatus 14, 15, 214, 218–20, 223, 224, 234
PERSONENREGISTER
Hecker, Andreas Jakob 102 Hecker, Andreas Petrus 96, 97, 102 Hecker, Gotthilf Samuel 102 Hecker, Johann Julius 16, 87, 88, 91– 97, 104–15, 122, 123, 152, 164, 169, 185 Heimburg, Johann Kaspar 285 Heineccius, Johann Gottlieb 311 Hellwig, Johann Christian Ludwig 256 Hennings, Justus Christian 170, 176, 220, 222, 243, 244, 252, 253, 257– 59, 262, 282, 317 Henschel, Johann 61, 62 Hering, Daniel Heinrich 101 Hermann, Johann Gustav 14, 213 Hesiod 65 Hesse, Johann Heinrich 269 Heumann, Johann Ernst 326 Heusinger, Johann Heinrich Gottlieb 177 Hobbes, Thomas 25 Hoffmann, Friedrich 91 Hofmann, Johann Gottlieb 269 Hohenthal, Peter von 95–97, 126, 298, 337 Höpfner, Ludwig Julius Friedrich 252, 261 Horaz 65 Hörschelmann, Ernst August Wilhelm 317 Humboldt, Alexander von 194 Humboldt, Wilhelm von 226 Hutcheson, Francis 26 Hutter, Leonhard 65 Jacobi, Adam Friedrich Ernst 231, 263 Jacobi, Johann Adolph 63 Jahn, Johann Christoph 269 Janson, Bartholomäus 63, 179 Johannetta Antoinetta Juliana von Sachsen-Eisenach, Herzogin von Sachsen-Weißenfels 133 Johnssen 168 Jung, Nicolaus 326 Jungius, Johann Heinrich 269
PERSONENREGISTER
Justi, Johann Heinrich Gottlob von 81 Kaltschmied, Carl Friedrich 285 Kant, Immanuel 12, 13, 258–61 Kappelier, Christian Friedrich 203, 322 Karsch, Anna Louisa 221 Karsten, Wenceslaus Johann Gustav 171, 263 Kemmerich, Dietrich Hermann 205, 323 Kemmrich, Dietrich Hermann 191 Ketelhodt, Ulrich von 210 Kettembeil, Georg Christian 140 Kettembeil, Heinrich Gotthard August 140 Kettembeil-Gander, Helene Christina 140 Kettenbeil, Johann August 140 Kettenbeil, Wilhelm Leberecht 140–43 Kindermann, Ferdinand 155 Kindleben, Christian Wilhelm 332 Kirsten, Johann Friedrich Ernst 66 Klausing, Heinrich 232 Kleist, Heinrich von 212 Klopstock, Friedrich Gottlieb 182, 225 Knigge, Adolph von 305 Köcher, Johann Christoph 177 Köcher, Joseph Benedict 269 Köhler, Johann Heinrich 245, 310, 311 Kölbele, Johann Balthasar 236–39 Komenský, Jan Amos Siehe Comenius Köppen, Daniel Joachim 171 Kramer, Friedrich 142 Kraus, Georg Melchior 180, 181 Krieger, Georg 270, 322 Kubsch, Johann Friedrich 332 Künßberg, Carl Alexander von 269 La Mettrie, Julien Offray de 23 La Roche Gallichon, Friedrich Christian de 233 Lamb, Johann Gottfried 269 Lange, Joachim 203, 204 Langen, Johann Wilhelm 269
369 Lanzenberger, Jeremias 64 Lauterbach, Johann 63 Lehmann, Johann Jakob 192, 232 Lehmus, Christian Balthasar 317 Leib, Johann Georg 81 Leibniz, Gottfried Wilhelm 22, 189, 191 Lembke, Gabriel Christian 161 Lentz, Christoph Wilhelm 332 Linker, Johann Daniel Christoph von 329 Lobethan, Friedrich Georg August 245 Locke, John 71 Lossius, Johann Christian 240, 249 Lossius, Johann Friedrich 180 Ludovici, Carl Günther 204, 206, 214– 16, 226, 230, 255, 322 Lukrez 25 Luther, Martin 70 Lynar, Ernst Friedrich zu 222, 288 Lynar, Friedrich Ulrich zu 222 Lyncker und Lützenwitz, Johann Daniel von 209, 285 Lyncker, Carl Wilhelm Heinrich von 131 Madihn, Georg Samuel 262 Malebranche, Nicolas 71 Marperger, Paul Jakob 89 Martini, Dietrich Carl 233, 240 Massow, Ludwig Jakob Rudolph von 326 Melanchthon, Philipp 13 Meyer, Dorothea Margarethe 133 Meyer, Johann 133 Möbius, Johann Andreas 167 Möckert, Johann Nikolaus 263, 317 Model, Albrecht Friedrich 269 Montaigne, Michel de 22 Moser, Johann Jakob 237, 238, 239 Müller (von Itzehoe), Johann Gottwerth 11 Müller, Carl Gotthelf 282, 283, 287, 288
370 Müller, Johann Christian 225, 226, 255 Müller, Johann Christian Christoph 62, 63, 178 Müller, Johann Friedrich 328 Müller, Johann Philipp 263 Müller, Johann Stephan 222, 244, 273, 280, 281, 317, 330 Münchhausen, Gerlach Adolf von 286 Münter, Balthasar 18, 171, 172, 177, 181–84, 222, 244, 273, 274, 282, 297, 317, 330 Münter, Friedrich Christian Carl Heinrich 181 Mursinna, Friedrich Samuel 14
PERSONENREGISTER
Pufendorf, Samuel von 191, 248
Oeder, Johann Ludwig 217 Oemler, Christian Wilhelm 63, 177–79 Oldenhove, Claas Franz Heinrich 146 Oldenhove-Becker, Aurora Sophia Catherina Bernhardina 146 Opfermann, Lucas 78 Ortlieb, David 327 Ostein, Friedrich Karl von 285 Ovid (Publius Ovidius Naso) 65
Ratke, Wolfgang 81, 84 Rau, Johann Friedrich 324 Rave, Jakob 317 Reichart, Christian 99, 121, 134, 159, 173, 286, 287 Reichart, Christoph Wilhelm Emanuel 140 Reichart-Kettenbeil, Johanna Sophia Regina 140 Reichenbach, Friedrich von 323 Rein, Wilhelm 118 Reinhold, Karl Leonhard 259 Resewitz, Friedrich Gabriel 182, 184, 238 Reusch, Johann Peter 63, 177, 203, 254, 283–85, 288 Rhenius, Johannes 65 Ribbach, Johann Ernst 96 Richter, David 70, 71 Richter, Johann Moritz 131 Riedel, Friedrich Just 214, 222, 232, 238, 253, 254, 257, 258, 282, 317 Ring, Friedrich Dominik 125, 128, 159, 185 Rönnberg, Jakob Friedrich 223, 261 Rosa, Philipp Samuel 127, 161, 162 Rötger, Sebastian Peter 269 Rousseau, Jean Jacques 24, 25 Roux, François 146 Rüdiger, Andreas Johannes 232
Pagendarm, Johann Gerhard 63, 64 Pallant, Michael 269 Paulßen, Johann Jacob Heinrich 160, 161 Peithmann, Christoph Bernhard Ludwig 269 Petersen, Peter 13 Petri, Johann Friedrich 132, 136 Philippi, Johann Ernst 322 Polchow, Johann David 171 Polz, Christian Friedrich 177, 273 Ponickau, Johann Gottlieb von 161
Salzmann, Carl 103 Salzmann, Christian Gotthilf 103, 157, 172–76, 302 Salzmann, Gottfried Just Wilhelm 252, 318 Sandow, David 70 Schadow, Johann Gottfried 212 Schaubert, Johann Wilhelm 267 Scheidemantel, Heinrich Gottfried 213, 244, 252, 253, 318 Scherer, Ernst Friedrich 331 Schertzer, Johann Adam 71
Naumann, Christian Nikolaus 220, 232, 257, 327 Nepos, Cornelius 65 Newton, Isaac 36 Nolde, Friedrich Wilhelm 68 Nolde-Darjes, Anna Maria 67, 68 Nölting, Johann Heinrich Vincent 263
PERSONENREGISTER
Schickard, Johann Friedrich 160 Schindler, Ludwig Conrad 269 Schlabrendorf, Ernst Wilhelm von 101 Schlettwein, Johann August 253, 254, 261, 272–76, 289, 318 Schlichtegroll, Adolf Heinrich Friedrich von 14, 122, 174, 224, 245 Schmid, Johann Nicolaus 132 Schmid, Magdalena Sybilla 132 Schmidt, Carl Christian Erhard 259 Schmidt, Joachim Erdmann 269 Schmidt, Johann Georg 129, 136, 148, 159, 173 Schmidt, Johann Wilhelm 65 Schmidt, Rudolph Johann Friedrich 293 Schneider, Daniel Balthasar 161 Schöning, Johann Friedrich 331 Schorus, Antonius 71 Schramm, Gotthelf Hartmann 257, 318 Schreven, Jacob Heinrich 269 Schröder, Johann Julius 68 Schröder, Wilhelm von 251 Schröder-Darjes, Elisabeth Catharina 68 Schröter, Johann Samuel 287 Schubert, Johann Christoph 138 Schubert, Maria Elisabetha 138 Schulmeister, Johann 235, 326 Schulmeister, Johann Gottfried 235, 326 Schwarzburg, Johann Friedrich von 326 Seckendorff, Veit Ludwig von 250, 251 Segner, Johann Andreas von 203, 206, 259 Segner-Teichmeyer, Marianna Carolina Sophia 206 Sembeck, Johann Gottlob Lorenz 174 Semler, Christoph 82–92, 101, 104, 106, 110, 122, 123, 152 Semler, Johann Salomon 85
371 Shaftesbury, Anthony Ashley-Cooper, 3. Earl of 26 Sibeth, Carl 68 Sibeth-Kistmacher, Anna Catharina 68 Sitcovius, Samuel Benjamin 263 Sixt, Johann Andreas 253, 257, 258, 318 Speiser, Ehrenreich Christian Leberecht 288 Stade, Tobias 167 Steinbart, Friedrich August 103 Steinbart, Gotthelf Samuel 102, 103, 169 Steinbart, Johann Christian 102 Steinbart, Siegmund 102 Steinwehr, Wolf Balthasar Adolf von 281 Stemwede, Joachim 67 Stemwede-Grever, Christine Margarethe 67 Stigel, Johannes 13 Stock, Johann Christian 43, 206 Stock-Teichmeyer, Christiana Wilhelmina Sophia 206 Stolle, Gottlieb 192, 198, 207, 208, 250, 282, 312, 313 Stoy, Karl Volkmar 118 Strigel, Viktorin 13 Struve, Burkhard Gotthelf 191 Stürtz, Johann August 293 Suckow, Georg Adolph 223 Suckow, Laurenz Johann Daniel 68, 141–43, 160, 175, 222, 223, 244, 254, 260–64, 280, 282, 285, 287, 292, 293, 297, 318, 325 Suckow, Simon Gabriel 213, 220, 222, 230, 231 Suckow-Darjes, Anna Catharina 68, 223 Tartler, Johann 327 Täubner, Johann Gottlob 272 Teichmeyer, August Heinrich Ludwig 160
372 Teichmeyer, Hermann Friedrich 29, 43, 130, 205–8, 267, 311 Teichmeyer-Schellhase, Marianna Sophia 206 Thomasius, Christian 189–94, 233 Titius, Johann Christoph 67 Tittel, Gottlob August 253, 263, 264, 318 Tittel, Karl August 253, 318 Töllner, Johann Gottlieb 235 Träger, Ludwig Martin 229, 262 Troye, Johann Daniel 68 Troye-Krüger, Anna Sophia 68 Tschirnhaus, Ehrenfried Walter von 71 Ulrich, Johann August Heinrich 244, 252, 253, 258, 262, 318 Verch, Johann Samuel 284 Vick, Joachim Rudolph 67 Vick-Titius, Augusta Margareta Wilhelmina 67 Voltaire 22, 25 Voss, Johann Gerhard 65 Wahl, August Gottfried 99 Wahl, August Rudolph 97–99, 126 Walch, Johann Ernst Immanuel 222, 274, 282 Walch, Johann Georg 177, 191 Waldin, Johann Gottlieb 272, 318 Wandalinus, Johannes 71 Wegener, Wilhelm Gabriel 204, 224, 258
PERSONENREGISTER
Weidner, Johann Joachim 190, 197, 221 Weigel, Erhard 13, 74, 81, 82, 89, 122, 226 Weinmann, Christian Ephraim 323 Weller, Christian Gottlob 65 Wentzel, Immanuel Gottlob 331 Widmann, Johann Jakob 318 Wiebe, Karl Friedrich 185 Wiedeburg, Basilius Christian Bernhard 284, 288 Wiedeburg, Friedrich August 177 Wiedeburg, Johann Bernhard 260 Wiedeburg, Johann Ernst Basilius 62, 133, 173, 179 Wieland, Christoph Martin 259 Wieland, Karl Ernst 262, 263 Wilhelm von BraunschweigWolfenbüttel 254, 260 Witte, Samuel Simon 262 Wolff, Christian 13, 189, 191, 194, 200, 203–6, 226, 232, 233, 239, 243, 250, 256, 259–61, 273, 310–12, 315 Zehner, Joachim 65 Zimmermann, Gotthold Friedrich Theodor 331 Zimmermann, Johann Caspar 62 Zincke, Georg Heinrich 81, 88–90, 94, 96, 109 Zinzendorf und Pottendorf, Karl Christian Heinrich zu 221, 222, 242, 288, 315 Zwicke, Johann Arnold Anton 94
VERÖFFENTLICHUNGEN DER HISTORISCHEN KOMMISSION FÜR THÜRINGEN NEUE FOLGE. KLEINE REIHE HERAUSGEGEBEN VON WERNER GREILING
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IM THÜRINGISCH-SÄCHSISCHEN RAUM
DAS MILITÄR DES FÜRSTENTUMS
ZU BEGINN DER FRÜHEN NEUZEIT
SACHSEN-HILDBURGHAUSEN
2015. 1095 S. ZAHLR. TAB. UND 2 KT. GB.
1680–1806
ISBN 978-3-412-22343-4
2015. 488 S. 10 S/W-ABB. 20 TAB. UND 24 GRAFIKEN. GB.
BD. 43 | HORST SCHRÖPFER
ISBN 978-3-412-50154-9
SCHACK HERMANN EWALD (1745–1822) EIN KANTIANER IN DER THÜRINGISCHEN
BD. 48 | HANS-WERNER HAHN,
RESIDENZSTADT GOTHA
DIRK OSCHMANN (HG.)
2015. 435 S. GB.
GUSTAV FREYTAG (1816–1895)
ISBN 978-3-412-22346-5
LITERAT – PUBLIZIST – HISTORIKER 2016. CA. 304 S. GB.
TR806
ISBN 978-3-412-50368-0
böhlau verlag, ursulaplatz 1, d-50668 köln, t: + 49 221 913 90-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar
VERÖFFENTLICHUNGEN DER HISTORISCHEN KOMMISSION FÜR THÜRINGEN NEUE FOLGE. GROSSE REIHE HERAUSGEGEBEN VON WERNER GREILING
EINE AUSWAHL
BD. 18 | GÜNTHER WÖLFING (HG.) DAS PRÄMONSTRATENSERKLOSTER
BD. 13 | JOHANNES MÖTSCH (HG.)
VESSRA
REGESTEN DES ARCHIVS DER GRAFEN
URKUNDENREGESTEN 1130–1573.
VON HENNEBERG-RÖMHILD
MIT EINEM VERZEICHNIS DER WEITEREN
2006. 2 TEILBDE. ZUS. XIV, 1717 S. GB.
ARCHIVALISCHEN QUELLEN
ISBN 978-3-412-35905-8
2010. 776 S. 24 S/W-ABB. AUF 4 TAF. GB. ISBN 978-3-412-20445-7
BD. 14 | VOLKER WAHL (HG.) HENRY VAN DE VELDE IN WEIMAR
BD. 19 | MARIE BEGAS
DOKUMENTE UND BERICHTE ZUR
TAGEBUCH ZUM KIRCHENKAMPF
FÖRDERUNG VON KUNSTHANDWERK
IN THÜRINGEN 1933–1938
UND INDUSTRIE (1902 BIS 1915)
HG. VON HEINZ-WERNER KOCH UND
2007. VI, 532 S. 34 S/W-ABB. AUF 16 TAF.
FOLKERT RICKERS
GB. | ISBN 978-3-412-01306-6
2015. CA. 1168 S. CA. 22 S/W-ABB. AUF TAF.
BD. 15 | VOLKER WAHL (HG.)
CD-ROM. GB. | ISBN 978-3-412-20661-1
UND EINEM DOKUMENTENANHANG AUF DAS STAATLICHE BAUHAUS IN WEIMAR DOKUMENTE ZUR GESCHICHTE
BD. 20 | HERBERT KÜHNERT
DES INSTITUTS 1919–1926
FORSCHUNGEN ZUR
2009. VI, 820 S. 36 S/W-ABB. AUF 32 TAF.
GESCHICHTE DES JENAER GLASWERKS
BEGLEITBD. AUF CD-ROM. GB.
SCHOTT & GENOSSEN
ISBN 978-3-412-20170-8
AUS DEM NACHLASS HERAUSGEGEBEN VON VOLKER WAHL UNTER MITARBEIT
BD. 16 | FRIEDHELM TROMM
VON VERA FASSHAUER, UTE LEONHARDT
DIE ERFURTER CHRONIK DES
UND ERNST WERNER
JOHANNES WELLENDORF (UM 1590)
2012. 511 S. 6 S/W-ABB. MIT CD-ROM. GB.
EDITION – KOMMENTAR – UNTERSUCHUNG
ISBN 978-3-412-20910-0
2013. LXII, 911 S. 1 S/W-ABB. 1 FARB. KT. AUF VORSATZ. GB.
BD. 21 | CHRISTIAN LOEFKE (HG.)
ISBN 978-3-412-20230-9
DAS MITTELALTERLICHE TOTENBUCH
BD. 17 | JACOB SIMON
DER MÜHLHÄUSER FRANZISKANER
EIN JÜDISCHES LEBEN IN THÜRINGEN
EDITION UND KOMMENTAR
LEBENSERINNERUNGEN BIS 1930
2016. CA. 244 S. CA. 50 FARB. ABB. GB.
HG. VON JOHANNES MÖTSCH UND
ISBN 978-3-412-22532-2
KATHARINA WITTER 2009. VII, 306 S. 8 S/W-ABB. AUF 6 TAF.
TT093
GB. | ISBN 978-3-412-20382-5
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KLEMENS KETELHUT
BERTHOLD OTTO ALS PÄDAGOGISCHER UNTERNEHMER EINE FALLSTUDIE ZUR DEUTSCHEN REFORMPÄDAGOGIK (BEITRÄGE ZUR HISTORISCHEN BILDUNGSFORSCHUNG, BAND 47)
Berthold Otto (1859–1933), Herausgeber der Zeitschrift »Der Hauslehrer«, Verlagsinhaber und Leiter seiner eigenen Privatschule, kann als pädagogischer Unternehmer verstanden werden: Er konkurrierte zum Auf bau und Erhalt seines Unternehmens auf dem pädagogischen Markt seiner Zeit um Ressourcen wie finanzielle Mittel oder kostenfreie Arbeitsleistung. Klemens Ketelhut erläutert in seinem Buch aus einer ökonomisch angeleiteten Perspektive, wie es Berthold Otto nicht nur gelang, ein besonderes pädagogisches Programm zu vertreten, sondern dieses vor allem zu vermarkten, und welcher Strategien er sich bediente, um kontinuierliche und umfangreiche Unterstützung zu akquirieren. 2015. 343 S. 10 S/W-ABB. BR. 155 X 225 MM | ISBN 978-3-412-50173-0
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