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German Pages [378] Year 2010
Beiträge zur Historischen Bildungsforschung Begründet von Rudolf W. Keck Herausgegeben von Klaus Peter Horn, Rudolf W. Keck, Elke Kleinau, Michael Klöcker und Karin Priem Band 39
Andreas Rutz (Hg.)
Das Rheinland als Schul- und Bildungslandschaft (1250–1750)
2010
Böhlau Verlag Köln Weimar Wien
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Landschaftsverbands Rheinland, des Erzbistums Köln und des Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Johannes Versor mit seinen Schülern („Versor cum discipulis suis.“) Titelblatt aus Johannes Versor: Quaestiones iuxta textum de anima Aristotelis cum textu, Köln: Heinrich Quentel 5. Sept. 1496. (Universitäts- und Stadtbibliothek Köln: Ennen 203)
© 2010 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Gesamtherstellung: Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-412-20335-1
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Andreas Rutz Bildung und Region. Schul- und Bildungslandschaften als Forschungsaufgabe . .
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I. Schule und Universität Kurt Wesoly Elementare Schulbildung im Rheinland bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts. . . . 31 Andreas Freitäger Artisten und ‚humanistae‘, ‚Jesuiter‘ und Aufklärer. Die Universitäten Köln, Trier, Duisburg und Bonn vom Spätmittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Karl Härter Bildung und Schule in der Ordnungsgesetzgebung rheinischer Territorien und Städte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
II. Bildung und Konfession Johannes Kistenich Geistliche Orden und öffentliches Schulwesen im Rheinland 1250–1750 . . . . . 119 Gerhard Menk Das protestantische Schulwesen im frühneuzeitlichen Rheinland. Eine Annäherung für die brandenburgische Herrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Birgit E. Klein Jüdisches Schul- und Bildungswesen im mittelalterlichen Rheinland . . . . . . . . . 191
III. Sprache und Medien Manfred Groten Pragmatische Schriftlichkeit im Rheinland im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
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Inhalt
Wolfgang Schmitz Das Kölner Verlagswesen der Frühen Neuzeit als Mittler für die Bildung im Rheinland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 Wolfgang Schmid Rheinische Schatzkammern im Zeitalter der katholischen Reform. Bildpublizistik, Goldschmiedekunst und Wallfahrten in Trier, Aachen und Köln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261
IV. Übergreifende Perspektiven Stefan Ehrenpreis Schule und Bildung im vormodernen Rheinland. Überlegungen zur Periodisierung und regionalen Vernetzung . . . . . . . . . . . . . . 295
V. Anhang Isabel Kane/Andreas Rutz/Volker Schneider Bibliographie zur rheinischen Schul- und Bildungsgeschichte bis 1815 . . . . . . . 327
Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378
Vorwort
Wie die Bibliographie am Ende dieses Bandes zeigt, hat die Erforschung der rheinischen Schul- und Bildungsgeschichte der Vormoderne bereits eine längere Tradition, die eine Fülle von Einzelergebnissen erbracht hat. Ein allgemeiner Überblick ist auf dieser Grundlage freilich nur ansatzweise zu erlangen. Während etwa für Bayern ein vierbändiges Handbuch zur Geschichte des Bildungswesens vorliegt, fehlt für das Rheinland eine Gesamtdarstellung, die einerseits den Forschungsstand resümiert und auf Desiderata hinweist und andererseits Fragen aufwirft, um der Forschung neue Impulse zu verleihen. Dieser Sammelband kann und soll ein solches Handbuch nicht ersetzen. Gleichwohl liefert er aufgrund der systematischen Diskussion von Schule und Bildung im Rheinland und der epochenübergreifenden Anlage wichtige Grundlagen und Anknüpfungspunkte für künftige Untersuchungen. Zugleich wird das aktuelle Forschungskonzept der ‚Bildungslandschaften‘ erstmals in einem größeren Rahmen an einem konkreten Fallbeispiel erprobt und weiterentwickelt. Der vorliegende Band versammelt die überarbeiteten und erweiterten Vorträge der Herbsttagung der Abteilung für Rheinische Landesgeschichte des Bonner Instituts für Geschichtswissenschaft vom September 2007. Nicht zum Abdruck kommt leider der Vortrag von Heinz Finger zu den „Bibliotheken des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit im Rheinland“. Dagegen wird das ursprüngliche thematische Spektrum durch einen Beitrag von Johannes Kistenich zum öffentlichen Schulwesen der geistlichen Orden erweitert. Als Hilfsmittel für die künftige Forschung soll die beigefügte Bibliographie zur rheinischen Schul- und Bildungsgeschichte bis 1815 dienen. Mein herzlicher Dank gilt zunächst allen Autorinnen und Autoren für die konstruktive Zusammenarbeit, ohne die der Band nicht in der vorliegenden inhaltlichen Geschlossenheit hätte realisiert werden können. Zu danken habe ich außerdem Frau Prof. Dr. Elke Kleinau, die die Aufnahme der Publikation in die renommierte Reihe „Beiträge zur Historischen Bildungsforschung“ ermöglichte und ihr damit eine auch überregionale Wahrnehmung sichert. Herrn Johannes van Ooyen vom Böhlau Verlag sei für die engagierte Betreuung der Drucklegung gedankt. Die studentischen Hilfskräfte der Abteilung für Rheinische Landesgeschichte, allen voran Isabel Kane und Ruth Weber, unterstützten mich bei der Redaktion der Beiträge; Prof. Dr. Manfred Groten förderte das Projekt durch dessen inhaltliche und organisatorische Einbindung in die Arbeit der Abteilung. Nicht zuletzt ist dem Landschaftsverband Rheinland, dem Erzbistum Köln und dem Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds für die großzügige Gewährung von Druckkostenzuschüssen zu danken. Bonn, im Januar 2010
Andreas Rutz
Andreas Rutz
Bildung und Region Schul- und Bildungslandschaften als Forschungsaufgabe
‚Bildungslandschaft‘ und verwandte Begriffe wie ‚Schul-‘ oder ‚Universitätslandschaft‘ begegnen seit einigen Jahren regelmäßig in der bildungshistorischen Forschung zum Spätmittelalter und zur Frühen Neuzeit.1 Was unter einer solchen ‚Landschaft‘ eigentlich zu verstehen sei, wird dabei nur selten genauer diskutiert. Unterschwellig ist mit dieser Etikettierung aber ganz offensichtlich die Überzeugung verbunden, dass die Schulen und sonstigen bildungskulturellen Phänomene in einer Region in einem wie auch immer gearteten Zusammenhang stünden, der eine zusammenfassende Darstellung rechtfertigt. Im Folgenden sollen die vorhandenen Diskussionsansätze zusammengeführt und kritisch überprüft werden, um auf dieser Grundlage die konzeptionellen Leitlinien des vorliegenden Sammelbandes zu entwickeln und dessen Aufbau zu erläutern.
1. Quantitative Ansätze In der einfachsten und am wenigsten methodisch reflektierten Variante werden Bildungslandschaften aufgrund vorgegebener Regionsbegriffe postuliert, wie sie in der landeskundlichen Forschung seit jeher verwendet werden, also etwa Franken, Mecklenburg oder Mitteldeutschland.2 Der räumliche Rahmen der Untersuchung ist da1 Vgl. zusammenfassend jüngst ASCHE, Matthias: Bildungslandschaften im Reich der Frühen Neuzeit. Überlegungen zum landsmannschaftlichen Prinzip an deutschen Universitäten in der Vormoderne, in: SIEBE, Daniela (Hrsg.): „Orte der Gelahrtheit“. Personen, Prozesse und Reformen an protestantischen Universitäten des Alten Reiches (Contubernium. Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 66), Stuttgart 2008, S. 1–44, hier S. 1–23. Vgl. zum ‚spatial turn‘ in den Kulturwissenschaften allg. BACHMANN-MEDICK, Doris: Cultural turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, Reinbek 2006, S. 284–328; mit Blick auf Landes- und Regionalgeschichte BAVAJ, Riccardo: Was bringt der ‚spatial turn‘ der Regionalgeschichte? Ein Beitrag zur Methodendiskussion, in: Westfälische Forschungen 56 (2006), S. 457–484. 2 Vgl. etwa WENDEHORST, Alfred: Die fränkische Universitätslandschaft in der Mitte des 18. Jahrhunderts, in: NEUHAUS, Helmut (Hrsg.): Aufbruch aus dem Ancien régime. Beiträge zur Geschichte des 18. Jahrhunderts, Köln/Weimar/Wien 1993, S. 267–288; SCHLEGEL, Gerhard: Zur Bildungslandschaft in Mecklenburg bis zur Reformation 1549, in: BLEYENBERG, Ursula (Hrsg.): Leben mit der Bibel in vier Jahrhunderten. Zweite Ausstellung seltener Druckwerke aus dem Bestand der Historischen Bibliothek St. Anna, Schwerin 2005, S. 130–
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mit vorab festgelegt, die zu beschreibende ‚Bildungslandschaft‘ deckt sich mit der nicht weiter hinterfragten historischen Landschaft. Das Ergebnis derartiger Studien ist ein Inventar der Bildungsinstitutionen in der benannten Region, nicht unähnlich den topographischen Beschreibungen frühneuzeitlicher Reisender und Gelehrter.3 Dass dieser antiquarische Zugang unbefriedigend ist, liegt auf der Hand, denn dem Terminus ‚Bildungslandschaft‘ eignet dabei keinerlei heuristische Aussagekraft. Auch andere, methodisch weiterreichende Ansätze vermögen in dieser Hinsicht nicht vollends zu überzeugen, da sie den per se allgemeinen und in verschiedenste Richtungen anschlussfähigen Begriff ‚Bildungslandschaft‘ von vornherein auf Einzelphänomene und/oder bestimmte Zeitschnitte beschränken. Zu nennen ist hier zunächst die Ableitung einer Bildungslandschaft aus der Bestimmung der quantitativen Dichte von Bildungsinstitutionen – etwa Universitäten, Gymnasien und Lateinschulen – in einer Region. Ein Weg zur Identifizierung solcher Bildungslandschaften ist die Kartierung, wobei freilich die Wahl des kartierten Ausschnitts immer ein Vor-Urteil und damit eine Vorwegnahme des Ergebnisses darstellt. Ich verweise hier für das Rheinland nur auf die Karten im „Geschichtlichen Atlas der Rheinlande“ (2008),4 im
136; BÜNZ, Enno: Die mitteldeutsche Bildungslandschaft am Ausgang des Mittelalters, in: FLÖTER, Jonas/WARTENBERG, Günther (Hrsg.): Die sächsischen Fürsten- und Landesschulen. Interaktion von lutherisch-humanistischem Erziehungsideal und Eliten-Bildung (Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde 9), Leipzig 2004, S. 39–71. Auch das Reich figuriert teilweise als ein solcher ‚Behälterraum‘, vgl. WALTHER, Helmut G.: Die Gründung der Universität Jena im Rahmen der deutschen Universitätslandschaft des 15. und 16. Jahrhunderts, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 135 (1999), S. 101–121; WOLLERSHEIM, Heinz-Werner: Die sächsischen Fürsten- und Landesschulen in der deutschen Bildungslandschaft, in: FLÖTER/WARTENBERG: Fürsten- und Landesschulen, S. 15–35; MÜLLER, Michael: Konfessionelle Universitätslandschaften im Heiligen Römischen Reich und in Frankreich, in: HARTMANN, Peter Claus (Hrsg.): Religion und Kultur im Europa des 17. und 18. Jahrhunderts (Mainzer Studien zur Neueren Geschichte 12), Frankfurt a. M. u. a. 22006, S. 455–471; RIDDER-SYMOENS, Hilde de: Bildungslandschaften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit im Deutschen Reich und in Europa, in: ALVERMANN, Dirk/JÖRN, Nils/OLESEN, Jens E. (Hrsg.): Die Universität Greifswald in der Bildungslandschaft des Ostseeraums (Nordische Geschichte 5), Münster/Berlin 2007, S. 13–28. 3 Vgl. etwa RANTZAU, Heinrich: Methodus describendi regiones, urbes et arces, et quid singulis locis praecipue in peregrinationibus homines nobiles ac docti animadvertere, observare et annotare debeant, Helmstedt 1587, zit. nach RASSEM, Mohammed/STAGL, Justin (Hrsg.): Geschichte der Staatsbeschreibung. Ausgewählte Quellentexte 1456–1813, Berlin 1994, S. 165f., 175f. Rantzaus ‚Checkliste‘ zur Beschreibung von Ländern, Städten und befestigten Plätzen enthält auch einen Abschnitt mit dem Titel „Scholastica“. Neben Schulen, Bibliotheken, Akademien, Lehrern und Gelehrten wird hier u. a. auch nach gebräuchlichen Schriften, Inschriften, Münzen, Malereien, Dichtungen, Sprichwörtern und Liedern, Musikinstrumenten sowie naturwissenschaftlichen Geräten und entsprechendem Wissen gefragt. 4 FLECK, Andrea (Bearb.): Hochschulen und höhere Schulen 1500–1814/15 (Geschichtlicher Atlas der Rheinlande. Karte und Beiheft XII/6; Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 12), Bonn 2008, die anhand der Zeitschnitte bis 1550, 1551–1650,
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„Atlas zur Geschichte des Niederrheins“ (1999),5 im „Geldern-Atlas“ (2003)6 oder auch in der „Rheinischen Geschichte“ (1976ff.).7 Neben dem genannten methodischen Problem besteht auch ein inhaltliches: Denn wieso sollte bereits die zahlenmäßige Häufung von Bildungsinstitutionen eine Region zu einer Bildungslandschaft machen? Müsste nicht mehr als allein räumliche Nähe die verschiedenen Schulen und Universitäten verbinden, um sie zu einer Bildungslandschaft zusammenzuschließen? Einen Schritt weiter führt in dieser Frage der Ansatz von Reinhard Jakob, der sich systematisch mit der Verbreitung von Schulen in Franken und der Oberpfalz im Spätmittelalter beschäftigt und in diesem Zusammenhang den Terminus „Schullandschaft“ geprägt hat.8 Jakob kartiert nicht lediglich, sondern berechnet die Schuldichte im engeren Radius um jeden einzelnen Schulstandort, verbindet Punkte gleicher Schuldichte zu Isolinien und gelangt so zu einer „Vorstellung von schulischen Kernräumen“.9 In einem zweiten Schritt vergleicht er diese Schultopographie mit dem räumlichen Verbreitungsmuster anderer Faktoren und kommt zu dem interessanten Ergebnis, dass sich die ‚schulischen Kernräume‘ mit denjenigen Gegenden seines Untersuchungsraums decken, die durch eine Häufung von Städten, eine hohe Bevölkerungsdichte sowie eine ausgeprägte Gewerbestruktur hervorstechen. „Die Schlußfolgerung liegt deshalb nahe, daß dem schulischen Verbreitungsmuster um 1520 die Interdependenz von Städtezahl, Bevölkerungsdichte und Wirtschaftskraft seine Gestalt verleiht.“10 In zeitlicher Perspektive stellt Jakob fest, dass die Entstehung einer Schule bis in das 15. Jahrhundert in immer kürzerem Abstand auf die Entstehung einer Stadt folgte. Gegen Ende des Jahrhunderts erreichte diese kulturelle Dynamik auch die größeren Märkte und Dörfer, die nun als Schulorte zu einem
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1651–1797/98 und 1798–1814/15 sehr schön die institutionelle Verdichtung der Schul- und Bildungslandschaft Rheinland zeigt. HANTSCHE, Irmgard: Atlas zur Geschichte des Niederrheins (Schriftenreihe der NiederrheinAkademie 4), Essen 42000, S. 88f.: „Akademische Bildungsstätten im Einzugsbereich des Niederrheins im 17. und frühen 18. Jahrhundert“. HANTSCHE, Irmgard: Geldern-Atlas. Karten und Texte zur Geschichte eines Territoriums (Veröffentlichungen des Historischen Vereins für Geldern und Umgegend 103), Geldern 2003, S. 102f.: „Gelehrte Bildung in Geldern in der Frühen Neuzeit. Universitäten und Lateinschulen“. PETRI, Franz/DROEGE, Georg (Hrsg.): Rheinische Geschichte, Bd. 2: Neuzeit, Düsseldorf 2 1980, S. 186: „Die Gründungen der Jesuiten im Rheinland bis 1615“. JAKOB, Reinhard: Schulen in Franken und in der Kuroberpfalz 1250–1520. Verbreitung – Organisation – Gesellschaftliche Bedeutung (Wissensliteratur im Mittelalter 16), Wiesbaden 1994, S. 23–136, sowie thesenorientiert und präzise zusammenfassend DERS.: Die Verbreitung von Schulen in Franken und in der Kuroberpfalz zwischen 1250 und 1520 unter historischgeographischer Fragestellung, in: DICKERHOFF, Harald (Hrsg.): Bildungs- und schulgeschichtliche Studien zu Spätmittelalter, Reformation und konfessionellem Zeitalter (Wissensliteratur im Mittelalter 19), Wiesbaden 1994, S. 116–128. JAKOB: Verbreitung (wie Anm. 8), S. 121. JAKOB: Verbreitung (wie Anm. 8), S. 122f.
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Teil des Verbreitungsmusters werden.11 Den Zusammenhang zwischen der Entstehung von ‚Städtelandschaften‘ und ‚Schullandschaften‘ hat Rolf Kießling am Beispiel Schwabens empirisch untermauert;12 Jakob selbst hat in vergleichender Perspektive zu seinem fränkischen Befund das Herzogtum Bayern untersucht.13 Die quantitative Analyse wäre freilich zu erweitern durch die Untersuchung von Netzwerken, personalen Verflechtungen, Migration von Lehrern und Schülern, unterrichtspraktischen Rezeptionsvorgängen etc., um auch auf dieser qualitativen Ebene den Zusammenhang von Städte- und Schullandschaften zu erweisen.14
2. Konfessionelle Bildungslandschaften Während Jakob und Kießling das Phänomen ‚Bildungslandschaft‘ auf der Basis quantitativer Analysen der Schuldichte in enger Anbindung an die Stadtgeschichtsforschung diskutieren, hat Anton Schindling pointiert das konfessionelle Element in die Debatte eingebracht. In seiner Überblicksdarstellung zu „Bildung und Wissenschaft 1650–1800“ unterscheidet er sechs Bildungslandschaften im Reich: 1. die habsburgischen Länder, 2. Bayern, Franken und Schwaben, 3. Rheinlande, Hessen und Westfalen, 4. Welfische Lande und Küstenländer, 5. Sachsen, Thüringen und Anhalt, 6. Brandenburg-Preußen.15 Wichtigstes Moment der Konstituierung von 11 JAKOB: Verbreitung (wie Anm. 8), S. 126f. 12 KIESSLING, Rolf: Ansatzpunkte und Entwicklungstendenzen in den spätmittelalterlichen Schullandschaften Schwabens, in: FLACHENECKER, Helmut/KIESSLING, Rolf (Hrsg.): Schullandschaften in Altbayern, Franken und Schwaben. Untersuchungen zur Ausbreitung und Typologie des Bildungswesens in Spätmittelalter und Früher Neuzeit (Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte. Beiheft B/26), München 2005, S. 247–279; vgl. auch KIESSLING, Rolf: ‚Schullandschaften‘ – ein Forschungsansatz für das Spätmittelalter und die Frühe Neuzeit. Entwickelt anhand süddeutscher Beispiele, in: SCHILLING, Heinz/EHRENPREIS, Stefan (Hrsg.): Erziehung und Schulwesen zwischen Konfessionalisierung und Säkularisierung. Forschungsperspektiven, europäische Fallbeispiele und Hilfsmittel, Münster u. a. 2003, S. 35–54, hier S. 45–47; KIESSLING, Rolf: Schullandschaft Schwaben. Überlegungen zu einer räumlichen Strukturierung von Bildungsgeschichte, in: FLACHENECKER, Helmut/GRYPA, Dietmar (Hrsg.): Schule, Universität und Bildung. Festschrift für Harald Dickerhoff zum 65. Geburtstag (Eichstätter Studien N.F. 59), Regensburg 2007, S. 49–66, hier S. 54–59. 13 JAKOB, Reinhard: Spätmittelalterliche Schullandschaften in Franken und in Bayern 1250– 1520. Ein Vergleich anhand ausgewählter Perspektiven und Beispiele, in: FLACHENECKER/ KIESSLING: Schullandschaften (wie Anm. 12), S. 157–182. 14 Ansätze hierzu bei FRIESS, Peer: Das Schulwesen der oberschwäbischen Reichsstädte im 16. Jahrhundert, in: FLACHENECKER/KIESSLING: Schullandschaften (wie Anm. 12), S. 303–323. Vgl. allg. KINTZINGER, Martin: Stadt und Schule im hoch- und spätmittelalterlichen Reich. Genese und Perspektiven der mediävistischen Stadtschulforschung, in: ebd., S. 15–42, hier S. 33–42. 15 SCHINDLING, Anton: Bildung und Wissenschaft in der Frühen Neuzeit 1650–1800 (Enzyklopädie deutscher Geschichte 30), München 21999, S. 3–44. Eine Variation des Modells mit
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Bildungslandschaften bei Schindling sind die territorialen Konfessionsverhältnisse. Im Reich habe es „kein einheitliches Bildungs- und Wissenschaftssystem [gegeben], sondern, neben vielfältigen regionalen Differenzierungen, die beiden konkurrierenden Bildungssysteme der katholischen und protestantischen Tradition.“16 Für den Zeitabschnitt, den Schindling behandelt, und sicher auch für die anderthalb Jahrhunderte zuvor, ist dieser Aspekt des Bildungswesens fraglos wichtig; ohne die konfessionelle Konkurrenz seit der Reformation ist dessen frühneuzeitliche Entwicklung nicht zu verstehen. Die zunehmende Abschließung der Konfessionen gegeneinander und die Ausbildung je eigener Bildungssysteme ist regional in räumlich abgrenzbaren Bildungslandschaften zu greifen, der sächsisch-thüringische Raum könnte hier beispielhaft für eine lutherische,17 Altbayern für eine katholische Bildungslandschaft18 stehen. Schwierigkeiten tun sich auf, wenn versucht wird, vorgegebene Epochengrenzen zu überschreiten, also nicht nur das konfessionelle Zeitalter bzw. die Frühe Neuzeit in den Blick zu nehmen, sondern auch das Spätmittelalter oder das lange 19. Jahrhundert. Haben die konfessionell geprägten Bildungslandschaften des 16. bis 18. Jahrhunderts eine Vorgeschichte, gab es also schon vor der Reformation und vor dem Tridentinum eine sächsisch-thüringische oder eine altbayerische Bildungslandschaft? Und wie sieht es mit den Wirkungen bis in das 19. oder vielleicht sogar bis in das 20. und 21. Jahrhundert aus – ist der konfessionelle Faktor der langfristig bestimmende oder kommen andere, unter Umständen bis ins Spätmittelalter zurückreichende Strukturmerkmale hinzu? Verweis auf die Reichskreise findet sich bei HARTMANN, Peter Claus: Kulturgeschichte des Heiligen Römischen Reiches 1648 bis 1806. Verfassung, Religion und Kultur (Studien zu Politik und Verwaltung 72), Wien/Köln/Graz 2001, S. 373–375. 16 SCHINDLING: Bildung (wie Anm. 15), S. 3. Vgl. auch DERS.: Katholische und protestantische Kulturlandschaften im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, in: HARTMANN: Religion (wie Anm. 2), S. 25–49. 17 BÜNZ: Bildungslandschaft (wie Anm. 2); TÖPFER, Thomas: Die Leucorea am Scheideweg. Der Übergang von Universität und Stadt Wittenberg an das albertinische Kursachsen 1547/48. Eine Studie zur Entstehung der mitteldeutschen Bildungslandschaft (Beiträge zur Leipziger Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte B/3), Leipzig 2004; zum sächsischthüringischen Bildungswesen vgl. allg. FLITNER, Wilhelm: Wissenschaft und Schulwesen in Thüringen von 1550 bis 1933, in: PATZE, Hans/SCHLESINGER, Walter (Hrsg.): Geschichte Thüringens, Bd. 4: Kirche und Kultur in der Neuzeit, Köln/Wien 1972, S. 53–206; STEUDE, Rudolf: Bildungswesen, in: HECKMANN, Hermann (Hrsg.): Historische Landeskunde Mitteldeutschlands, Bd. 1: Sachsen, Würzburg 31991, S. 135–151; HAASE, Annemarie: Bildungswesen, in: ebd., Bd. 2: Thüringen, Würzburg 31991, S. 143–162; DIES.: Bildungswesen, in: ebd., Bd. 3: Sachsen-Anhalt, Würzburg 31991, S. 179–198; UHLIG, Gottfried: Geschichte des sächsischen Schulwesens bis 1600 (Kleine sächsische Bibliothek 6), Dresden 1999; DÖRING, Detlef u. a. (Hrsg.): Erleuchtung der Welt. Sachsen und der Beginn der modernen Wissenschaften, 2 Bde., Dresden 2009. 18 FLACHENECKER/KIESSLING: Schullandschaften (wie Anm. 12); zum bayerischen Bildungswesen vgl. allg. LIEDTKE, Max (Hrsg.): Handbuch der Geschichte des bayerischen Bildungswesens, 4 Bde., Bad Heilbrunn 1991–1997.
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Neben der Ausblendung längerfristiger Kontinuitäten ergibt sich bei der ausschließlichen Betonung des konfessionellen Moments ein weiteres Problem. Mit der Abgrenzung konfessionell geprägter Bildungslandschaften wird eine konfessionelle Homogenität dieser Landschaften suggeriert, die vor Ort nicht oder zumindest nicht überall gegeben war.19 Das Rheinland ist hierfür ein schönes Beispiel: Unzweifelhaft war diese Region in weiten Teilen katholisch geprägt, und auch die Rede von einer katholischen Bildungslandschaft Rheinland wäre angesichts der konfessionellen Ausrichtung vieler Bildungsinstitutionen nicht falsch. Aber wie fügen sich etwa die selbst in der Domstadt Köln begegnenden protestantischen Lehrer in dieses Modell ein,20 wie gehen wir mit dem protestantischen Niederrhein und vor allem dem trikonfessionellen bergischen Land um? Sind das zu vernachlässigende Flecken in der sonst makellosen katholischen Bildungslandschaft Rheinland oder bilden diese Regionen schon wieder eigene Bildungslandschaften? Ersteres widerspricht dem aktuellen Stand der Kirchen- und Frömmigkeitsgeschichte. Letzteres wird der Landeshistoriker, der mit den engen Verflechtungen innerhalb des Rheinlandes in politischer, administrativer, wirtschaftlicher und alltagspraktischer Hinsicht vertraut ist, kaum akzeptieren. Und auch bildungsgeschichtlich betrachtet erscheinen die konfessionell verschiedenen Regionen innerhalb des Rheinlandes nicht völlig separiert nebeneinander zu bestehen – man denke nur an das weit verbreitete Phänomen, dass viele protestantische und mehr noch katholische Schülerinnen und Schüler die Brutstätten des jeweils anderen Geistes besuchten.21
19 SCHINDLING: Bildung (wie Anm. 15) verweist gelegentlich auf konfessionelle Mischverhältnisse und Konkurrenzsituationen in einzelnen Regionen (S. 7, 17, 20–22, 24, 37, 45f.), betont insgesamt aber, dass „die katholischen und protestantischen Bildungsräume bis zum Ende des Alten Reiches deutlich gegeneinander abgegrenzt“ (S. 13) blieben. 20 RUTZ, Andreas: Städtische Schulpolitik in der Konfessionalisierung. Aachen, Köln und Nürnberg im Vergleich, in: Zeitschrift für Historische Forschung 33 (2006), S. 359–385, hier S. 381–383; EHRENPREIS, Stefan: Das Schulwesen reformierter Minderheiten im Alten Reich 1570–1750. Rheinische und fränkische Beispiele, in: SCHILLING, Heinz/EHRENPREIS, Stefan (Hrsg.): Frühneuzeitliche Bildungsgeschichte der Reformierten in konfessionsvergleichender Perspektive. Schulwesen, Lesekultur und Wissenschaft (Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft 38), Berlin 2007, S. 97–122, hier S. 99–110. 21 Beispiele hierfür bei RUTZ, Andreas: Bildung – Konfession – Geschlecht. Religiöse Frauengemeinschaften und die katholische Mädchenbildung im Rheinland (16.–18. Jahrhundert) (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz 210), Mainz 2006, S. 315–318; EHRENPREIS: Schulwesen (wie Anm. 20), S. 106–108; WESOLY, Kurt: Das Interesse der weltlichen Obrigkeiten, der Konfessionen und der Eltern am Elementarunterricht im Herzogtum Berg vom 16. bis ins 18. Jahrhundert, in: MUSOLFF, Hans-Ulrich/JACOBI, Juliane/ LE CAM, Jean-Luc (Hrsg.): Säkularisierung vor der Aufklärung? Bildung, Kirche und Religion 1500–1750 (Beiträge zur Historischen Bildungsforschung 35), Köln/Weimar/Wien 2008, S. 157–177, hier S. 170f. Vgl. auch den Beitrag von Kurt WESOLY in diesem Band.
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Zu fragen wäre folglich, ob im Gegensatz zu dem von Schindling konstatierten „Nebeneinander von katholischen und protestantischen Bildungstraditionen“22 nicht auch das Mit- oder Gegeneinander verschieden konfessioneller Bildungsinstitutionen in einer Region in die Frage nach Bildungslandschaften einzubeziehen wäre. Einen diesbezüglichen Versuch hat vor einigen Jahren Rolf Kießling am Beispiel Ostschwabens unternommen und dabei die Existenz zweier „konkurrierende[r] Bildungssysteme in einer ehemals einheitlichen Bildungslandschaft“ konstatiert.23 Im 16. Jahrhundert traten diese Systeme auseinander, wobei die protestantische Entwicklung bis in das frühe 17. Jahrhundert einen gewissen Vorsprung vor der katholischen hatte. Dies war nicht zuletzt durch die spezifische Aufteilung von Stadt und Land in der Region bedingt, denn mit der Entscheidung der Reichsstädte für die Reformation fiel die obere, in den Städten angesiedelte Ebene der regionalen Schulorganisation an die Protestanten, bei den Katholiken verblieben lediglich Teile der unteren Ebene der Trivialschulen. „Insofern war das katholische Bildungsdefizit in diesem Raum weniger ideologisch als strukturell bedingt.“ Die Gründung der Universität Dillingen 1549/51 schuf hier nur zum Teil Abhilfe, da ihr gewissermaßen die Basis in der Fläche fehlte. Diese wurde erst durch die Schulgründungen der Jesuiten im späten 16. und 17. Jahrhundert bereitgestellt. In dieser Zeit lässt sich laut Kießling auch wiederum eine räumliche Verzahnung der beiden konkurrierenden Bildungssysteme feststellen; in den bikonfessionellen Städten Augsburg, Kaufbeuren und Oettingen kam es langfristig zu einer Überlagerung. Die Beobachtungen Kießlings verweisen auf eine dynamische Beziehung zwischen den protestantischen und katholischen Bildungseinrichtungen in einer Region. Wichtig erscheint mir der Hinweis, dass die konfessionelle Spaltung offensichtlich nicht zu einer vollständigen Auflösung der spätmittelalterlichen Bildungslandschaft Ostschwaben führte, sondern dass die sich ausbildenden Bildungssysteme in ihrer konfessionellen Konkurrenz aufeinander bezogen blieben. Von Kießling benannte strukturelle Unterschiede verweisen darüber hinaus jedoch sehr deutlich auf neue räumliche Zusammenhänge: „Während auf protestantischer Seite mit dem reichsstädtischen Scholarchat, in den Territorien mit den Konsistorien eine klare Unterordnung des Schulsystems unter die jeweilige Aufsicht der Obrigkeit vollzogen wurde […], erhielt es auf der katholischen Seite gerade durch die Dominanz des Jesuitenordens mit seinen Privilegien einen außerordentlichen Freiraum.“24
22 SCHINDLING: Bildung (wie Anm. 15), S. 22; vgl. auch DERS.: Kulturlandschaften (wie Anm. 16), S. 28f., 32. 23 KIESSLING, Rolf: Gymnasien und Lateinschulen. Bemerkungen zur Bildungslandschaft Ostschwaben im Zeitalter der Konfessionalisierung, in: DERS. (Hrsg.): Die Universität Dillingen und ihre Nachfolger. Stationen und Aspekte einer Hochschule in Schwaben. Festschrift zum 450jährigen Gründungsjubiläum ( Jahrbuch des Historischen Vereins Dillingen an der Donau 100), Dillingen/Donau 1999, S. 243–270, hier S. 269, das folgende Zitat ebd. Vgl. auch DERS.: Schullandschaft Schwaben (wie Anm. 12), S. 59–65. 24 KIESSLING: Gymnasien (wie Anm. 23), S. 269.
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3. Bildungslandschaft und Territorium Neben konfessionellen Aspekten ist mit Blick auf die Konstituierung von Bildungslandschaften also auch das Verhältnis von Bildungswesen und Landesherrschaft zu untersuchen, das heißt die Frage, inwieweit die Territorien den Rahmen spätmittelalterlich-frühneuzeitlicher Bildungslandschaften bilden bzw. letztere territorienübergreifend zu denken sind. Kießlings Beobachtungen für Ostschwaben lassen sich auf der Grundlage von Einzelstudien zu anderen Räumen verifizieren. Die Bedeutung der männlichen (Lehr-)Orden ist für das höhere katholische Bildungswesen des gesamten Reiches evident.25 Eine besondere Rolle spielte hier die global tätige Gesellschaft Jesu, deren Bildungsaktivitäten regional von Einrichtungen anderer Orden ergänzt wurden, etwa in Österreich und Bayern von Benediktinern und Piaristen. Im Nordwesten des Reiches (Habsburgische Niederlande, Fürstbistum Lüttich, Erzdiözese Köln, Westfalen) wurde die Mehrzahl der Gymnasien dagegen von Bettelorden getragen.26 Vergleichbare Tendenzen einer überregional bzw. überterritorial orientierten Schulorganisation sind auch im Bereich des katholischen Mädchenschulwesens festzustellen.27 Eine stärkere landesherrliche Einflussnahme auf das Ordensschulwesen lässt sich erst im Laufe des 18. Jahrhunderts nachweisen.28 Die Gleichsetzung von katholischer Bildungslandschaft und Territorium ist auf dieser Grundlage also kaum möglich. Wie schon bei Kießling angedeutet, scheint es sich für den protestantischen Bereich, zumindest mit Blick auf das institutionalisierte Schul- und Bildungswesen, genau umgekehrt zu verhalten. Nicht erst im 18. Jahrhundert, als in Preußen Schulen und Universitäten als „Veranstaltungen des Staats“ bezeichnet wurden, sondern bereits mit den Schul- und Kirchenordnungen der Reformationszeit postulierten die evangelischen Landesherren ihre Zuständigkeit für das Schul- und Bildungswesen 25 SEIFERT, Arno: Das höhere Schulwesen. Universitäten und Gymnasien, in: HAMMERSTEIN, Notker (Hrsg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 1: 15. bis 17. Jahrhundert, München 1996, S. 197–374, hier S. 312–332; HAMMERSTEIN, Notker/MÜLLER, Rainer A.: Das katholische Gymnasialwesen im 17. und 18. Jahrhundert, in: HAMMERSTEIN, Notker/ HERRMANN, Ulrich (Hrsg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 2: 18. Jahrhundert. Vom späten 17. Jahrhundert bis zur Neuordnung Deutschlands um 1800, München 2005, S. 324–354; KISTENICH, Johannes: Art. ‚Klosterschule‘, in: Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 6, Stuttgart 2007, Sp. 826–832. 26 KISTENICH, Johannes: Bettelmönche im öffentlichen Schulwesen. Ein Handbuch für die Erzdiözese Köln 1600 bis 1850 (Stadt und Gesellschaft. Studien zum Rheinischen Städteatlas 1), 2 Bde., Köln/Weimar/Wien 2001, hier Bd. 1, S. 42–44 und passim; vgl. auch den Beitrag von Johannes KISTENICH in diesem Band. 27 RUTZ: Bildung (wie Anm. 21); DERS.: Der Primat der Religion. Zur Entstehung und Entwicklung separater Mädchenschulen in den katholischen Territorien des Reiches im 17. Jahrhundert, in: MUSOLFF/JACOBI/LE CAM: Säkularisierung (wie Anm. 21), S. 275–288. 28 KISTENICH: Bettelmönche (wie Anm. 26), Bd. 1, S. 110–113; RUTZ: Bildung (wie Anm. 21), S. 295f.
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in ihren Territorien.29 Als Beispiel und Fortführung der Diskussion um Bildungslandschaften sei in diesem Zusammenhang auf die Studie von Thomas Töpfer zur Entstehung der mitteldeutschen Bildungslandschaft im 16. Jahrhundert verwiesen.30 Zentraler Fokus der Untersuchung ist der Übergang der Wittenberger Leucorea an das albertinische Sachsen 1547/48. Zusammen mit der Universität Leipzig verfügte das Kurfürstentum damit als einziger Reichsstand über zwei Hochschulen. Bereits in seinen ersten Regierungsjahren hatte Herzog Moritz von Sachsen die Universität Leipzig reformiert und finanziell konsolidiert. Mit den drei Fürstenschulen Pforta, St. Afra in Meißen und St. Augustin in Grimma wurden 1543/50 weitere Institutionen höherer Bildung gegründet, die in enger Verzahnung mit der Leipziger Universität ein leistungsfähiges territoriales bzw. landesherrliches Bildungssystem bildeten.31 Die Integration der Universität Wittenberg in die bestehenden Strukturen war laut Töpfer „keine alternativlose Selbstverständlichkeit, sondern stellte eine kostenintensive, gleichwohl aber prestigeträchtige und für die weitere Entwicklung Kursachsens im konfessionellen Zeitalter bedeutende, langfristig wirkende Weichenstellung dar.“32 Insbesondere durch die Ausbildung von Theologen und Juristen für Landeskirche und landesherrliche Verwaltung, als Instrumente zur Wahrung der konfessionellen Einheit sowie als identitätsstiftende Institutionen für die Eliten des Landes kam den beiden Universitäten in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine „entscheidende Bedeutung für den Ausbau Kursachsens zum lutherisch konfessionalisierten, frühmodernen Territorialstaat“ zu.33 Töpfers Studie zeigt exemplarisch, dass anders als in den katholischen Regionen des Reiches für die protestantischen Reichsteile von einer engen Verbindung von
29 HATTENHAUER, Hans (Hrsg.): Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794, Frankfurt a. M./Berlin 1970, S. 584, 12. Titel, § 1. Zu den reformatorischen Schul- und Kirchenordnungen vgl. KREIKER, Sebastian: Armut, Schule, Obrigkeit. Armenversorgung und Schulwesen in den evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts (Religion in der Geschichte. Kirche, Kultur und Gesellschaft 5), Bielefeld 1997. 30 TÖPFER: Leucorea (wie Anm. 17); vgl. auch DERS.: Die Universitäten Leipzig und Wittenberg im Reformationsjahrhundert. Aspekte einer vergleichenden Universitätsgeschichte im territorialen Kontext, in: DÖRING, Detlef (Hrsg.): Universitätsgeschichte als Landesgeschichte. Die Universität Leipzig in ihren territorialgeschichtlichen Bezügen (Beiträge zur Leipziger Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte A/4), Leipzig 2007, S. 41–83, hier insb. S. 73–83. Darüber hinaus ist der genannte Sammelband für die methodische Diskussion um Bildungslandschaften trotz des vielversprechenden Titels nicht besonders ergiebig. 31 Zu den sächsischen Fürstenschulen vgl. ausführlich FLÖTER/WARTENBERG: Fürsten- und Landesschulen (wie Anm. 2). 32 TÖPFER: Leucorea (wie Anm. 17), S. 189. 33 TÖPFER: Leucorea (wie Anm. 17), S. 180. Vgl. auch WARTENBERG, Günther: Joachim Camerarius. Mitgestalter der Kultur- und Bildungslandschaft Mitteldeutschlands, in: KÖSSLING, Rainer/WARTENBERG, Günther (Hrsg.): Joachim Camerarius (Leipziger Studien zur klassischen Philologie 1), Tübingen 2003, S. 9–20, hier S. 15–20.
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Bildungslandschaft und Territorium ausgegangen werden muss.34 Zwar setzt Töpfer die mitteldeutsche Bildungslandschaft nicht einfach mit Kursachsen gleich. Er bezeichnet das Kurfürstentum jedoch als das „Kernterritorium“ dieser Landschaft – „gerade aufgrund seiner beiden überterritorial bedeutenden Landesuniversitäten“.35 Das regionale Umfeld sieht Töpfer sodann – ohne diese Aspekte allerdings systematisch auszuführen – in dreierlei Beziehung mit dem Kernterritorium im Rahmen einer mitteldeutschen Bildungslandschaft verbunden: durch die gemeinsame konfessionelle Entwicklung seit dem 16. Jahrhundert, die vorgängige kulturelle Prägung durch den Humanismus und schließlich die politisch-dynastische Konkurrenz der Wettiner.36 Auf universitärer Ebene resultierte aus letzterer nicht nur die Gründung von Wittenberg als ernestinischem Konkurrenzunternehmen zum albertinischen Leipzig, sondern nach dem Übergang Wittenbergs an die Albertiner auch die Gründung der Universität Jena als erneute ernestinische Kampfansage – nunmehr gegenüber Leipzig und Wittenberg.
4. Bildungslandschaft und Universität Die von Töpfer angeführten Konstitutionsmerkmale einer Bildungslandschaft – protestantische Konfession, humanistische Tradition, territorial-dynastische Verhältnisse – ergeben sich aus der Perspektive des höheren, von landesherrlicher Seite kontrollierten und gesteuerten Bildungswesens. Den Universitäten kommt in diesem Modell die Rolle von Leitinstitutionen zu, auf die das übrige (höhere) Schulwesen ausgerichtet war. Als Motor dieser Systematisierung bzw. Hierarchisierung des Bildungswesens figuriert der Landesherr, Bildungslandschaften sind in dieser Perspektive also nicht zuletzt Ergebnis gezielter landesherrlicher Politik.37 Abgesehen davon, dass Töpfers Modell lediglich auf protestantische Territorien und Regionen anwendbar ist, fragt sich, ob die durch Universitäten und landesherrliche Politik konstituierten landschaftlichen Zusammenhänge auch für andere Bereiche des Bil34 Als weiteres Beispiel sei auf das Herzogtum Württemberg verwiesen, vgl. HAUER, Wolfram: Lokale Schulentwicklung und städtische Lebenswelt. Das Schulwesen in Tübingen von seinen Anfängen im Spätmittelalter bis 1806 (Contubernium. Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 57), Stuttgart 2003, S. 125–184; HOLTZ, Sabine: Schule – Universität – Staat. Württembergische Bildungspolitik im 17. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Württembergische Geschichte 67 (2008), S. 129–142. 35 TÖPFER: Leucorea (wie Anm. 17), S. 189. 36 TÖPFER: Leucorea (wie Anm. 17), S. 190f. 37 TÖPFER: Leucorea (wie Anm. 17), S. 181f.; vgl. auch KIESSLING: Gymnasien (wie Anm. 23), S. 268. Zu einer territorienübergreifenden, von unterschiedlichen protestantischen Landesherren geprägten Bildungslandschaft vgl. dagegen MENK, Gerhard: Die Hochschul- und Wissenschaftslandschaft zwischen Main und Weser in der frühen Neuzeit, in: EHRENPREIS, Stefan u. a. (Hrsg.): Wege der Neuzeit. Festschrift für Heinz Schilling zum 65. Geburtstag (Historische Forschungen 85), Berlin 2007, S. 585–619.
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dungswesens eine Rolle spielten, ob also die universitären Bildungslandschaften das übrige Schul- und Bildungswesen tatsächlich zu integrieren vermochten. Für den institutionellen Schulsektor mag dies bei entsprechender landesherrlicher Politik zutreffen,38 für nichtinstitutionellen Bildungserwerb und den außerschulischen Bereich der Bildungskultur wäre dies noch genauer zu überprüfen. Töpfer hat sein Modell in einem späteren Aufsatz nicht in der genannten Weise regional verdichtet, sondern es stattdessen um überregionale Aspekte erweitert, wie sie von der jüngeren Universitätsgeschichte in die Debatte eingeführt worden sind.39 Diese identifiziert Bildungslandschaften mehr oder weniger ausschließlich mit dem Hochschulwesen und dessen engerem und weiterem Einzugsbereich.40 So definierte Matthias Asche ‚Bildungslandschaften‘ kürzlich als „primär geographisch bestimmte Rekrutierungsregionen mit mehreren Universitäten in ihrem Zentrum“.41 Diese Gleichsetzung von Bildungslandschaften mit universitären Rekrutierungsregionen 38 Vgl. die Beispiele bei TÖPFER: Universitäten (wie Anm. 30), S. 78–80. 39 TÖPFER, Thomas: Gab es ‚Bildungslandschaften‘ im Alten Reich? Dimensionen und Möglichkeiten einer aktuellen Kategorie der frühneuzeitlichen Universitätsgeschichte am Beispiel Mitteldeutschlands, in: Jahrbuch für Universitätsgeschichte 9 (2006), S. 101–112; vgl. auch DERS.: Bildungsgeschichte, Raumbegriff und kultureller Austausch in der Frühen Neuzeit. „Bildungslandschaften“ zwischen regionaler Verdichtung und europäischer Ausstrahlung, in: NORTH, Michael (Hrsg.): Kultureller Austausch. Bilanz und Perspektiven der Frühneuzeitforschung, Köln/Weimar/Wien 2009, S. 115–139, hier S. 119–123. 40 Vgl. als jüngstes Beispiel ALVERMANN/JÖRN/OLESEN: Universität Greifswald (wie Anm. 2). 41 ASCHE, Matthias: Zu den Funktionen der Universität Greifswald von ihrer Gründung bis zum Ende der schwedischen Herrschaft. Eine Überprüfung von historiographischen Attributen, in: ALVERMANN/JÖRN/OLESEN: Universität Greifswald (wie Anm. 2), S. 29–68, hier S. 39. Vgl. auch ASCHE, Matthias: Der Ostseeraum als Universitäts- und Bildungslandschaft im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit. Baustein für eine hansische Kulturgeschichte, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 135 (1999), S. 1–20. Den umgekehrten Weg beschritten hat kürzlich IMMENHAUSER, Beat: Bildungswege – Lebenswege. Universitätsbesucher aus dem Bistum Konstanz im 15. und 16. Jahrhundert (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 8), Basel 2007, indem er nicht die Anziehungskraft von Universitäten einer Region, sondern den Universitätsbesuch aus dem Bistum Konstanz und die hieraus resultierende Akademisierung und Professionalisierung der Herkunftsregion untersuchte. Zum Berner Forschungsprojekt „Innovationsräume. Wissen und Raumentwicklung im Reich des späten Mittelalters“, in dessen Rahmen die Dissertation entstanden ist, vgl. SCHWINGES, Rainer C.: Innovationsräume und Universitäten in der älteren deutschen Vormoderne, in: DERS./MESSERLI, Paul/MÜNGER, Tamara (Hrsg.): Innovationsräume. Woher das Neue kommt in Vergangenheit und Gegenwart, Zürich 2001, S. 31–44, hier S. 31: ‚Innovationsräume‘ sind demnach „Vorsprungs- und Führungslandschaften, in denen Wissen und Fertigkeiten verschiedenster Art offenbar rascher rezipiert und umgesetzt worden sind als in anderen Räumen Europas“; als Indikatoren für solche Räume nennt Schwinges „Universitätsbesuch und Verbreitung von Wissen im Sinne wissenschaftlich-universitärer Bildung, Entwicklung einer modernen Verwaltung in den fürstlichen Landesstaaten und in den Städten des alten Reiches, Entstehung und Ausbildung der Gewerbewirtschaft auch jenseits der Leitgewerbe aus der Tuch- und Metallwarenherstellung, natürlich in Zusammen-
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führt zu einer erheblichen Ausweitung der räumlichen Dimensionen, denn die Anziehungskraft der meisten Universitäten reichte aus strukturellen, konfessionellen oder auch wissenschaftsimmanenten Gründen weit über das regionale bzw. territoriale Umfeld hinaus. Vor diesem Hintergrund mahnt Töpfer nun einen „doppelten Begriff von ‚Bildungslandschaft‘“ an: Einerseits ginge es um die engeren regionalen bzw. territorialen Zusammenhänge, in denen Bildungsinstitutionen stünden – Töpfer spricht hier von der „regionalen Bildungslandschaft“. Andererseits seien insbesondere Universitäten in „überregionale Bildungslandschaften“ einbezogen, die sich aus Konfessionsverwandtschaft und/oder intellektuellen Netzwerken ergäben.42 Eine solche überregionale Verflechtung konfessioneller Bildungslandschaften und -orte bei gleichzeitiger Abschottung gegen anderskonfessionelle Nachbarregionen betont übrigens auch Schindling in einem jüngeren Aufsatz: Die „Kehrseite der konfessionell bedingten Absonderung und Isolation, manchmal gegenüber den engeren geographischen Nachbarn, war die Anbindung an die größere, weiträumigere und oftmals internationale Gemeinschaft der Konfessionsverwandten.“43 Auch wenn derlei Zusammenhänge sicher richtig und wichtig sind und im Zentrum moderner Wissenschafts- und Universitätsgeschichte stehen sollten,44 sprengt die Einbeziehung solcher überregionaler Verknüpfungen meines Erachtens den Rahmen, in dem sinnvoll von ‚Bildungslandschaften‘ gesprochen werden kann. Denn der Terminus bezeichnet damit nicht mehr vorrangig regionale Zusammenhänge und Vernetzungen auf allen Ebenen des Schul- und Bildungswesens, sondern rückt überregionale Netzwerke und Kommunikationsräume und damit letztlich das höhere Bildungswesen in den Mittelpunkt.45 Am Ende dürften wir auf diese Weise – polemisch gesprochen – eine überdimensionale, vielfach vernetzte Universitätslandschaft Europa vor uns sehen, die jeweiligen Regionen, also die ursprünglichen
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hang mit den Finanzmärkten, sowie die Entfaltung des allgemeinen Verkehrs- und Kommunikationswesens.“ TÖPFER: Bildungslandschaften (wie Anm. 39), S. 111f. SCHINDLING: Kulturlandschaften (wie Anm. 16), S. 26f., 33f., 43, das Zitat S. 26; vgl. auch ASCHE: Bildungslandschaften (wie Anm. 1), S. 21f. Vgl. den Forschungsbericht von ASCHE, Matthias: Peregrinatio academica in Europa im Konfessionellen Zeitalter. Bestandsaufnahme eines unübersichtlichen Forschungsfeldes und Versuch einer Interpretation unter migrationsgeschichtlichen Aspekten, in: Jahrbuch für Europäische Geschichte 6 (2005), S. 3–33. Konsequent umgesetzt findet sich dieses Modell bei ASCHE: Bildungslandschaften (wie Anm. 1), S. 23–41. Der Autor fragt nach „landsmannschaftlich bestimmte[n] Klientel- und Kommunikationsstrukturen an vormodernen Bildungsinstitutionen“ (S. 30) und kommt zu dem Schluss: „Existenz und Nichtexistenz von frühneuzeitlichen Landsmannschaften können nicht nur sehr deutlich den regionalen Einzugsbereich einer Universität widerspiegeln, sondern sie müssen auch als Ausdruck vertiefter Kommunikations- und Interaktionsstrukturen zwischen einer Hochschule und einer Rekrutierungsregion verstanden werden und können somit Bildungslandschaften sichtbar machen.“ (S. 39f.) Vgl. auch ASCHE: Peregrinatio (wie Anm. 44), S. 28–32.
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Schul- und Bildungslandschaften, aber vollständig aus dem Blick verlieren. Sinnvoll scheint mir dagegen ein zweistufiges Verfahren: Bildungslandschaften sollten zunächst als regionale Phänomene untersucht werden. In einem zweiten Schritt können dann Vernetzungen und Verflechtungen der Bildungslandschaften untereinander oder auch die überregionale Anziehungskraft einzelner Bildungslandschaften untersucht werden. Diese überregionalen Zusammenhänge sollten freilich nicht als ‚Bildungslandschaften‘ bezeichnet werden; der Terminus muss dem engeren regionalen, sprich ‚landschaftlichen‘ Zusammenhang vorbehalten bleiben.46
5. Konzeptionelle Leitlinien und Anlage des Bandes Zusammenfassend lassen sich die bisherigen Ansätze zu einer Definition und zur Anwendung des Begriffes ‚Bildungslandschaft‘ als inhaltlich und methodisch unzureichend charakterisieren. Auf einer Tagung in Jena im Juli 2006 wurden dementsprechend Aussagekraft und Verwendung des Begriffs schon wieder grundsätzlich in Frage gestellt und es wurde diskutiert, ob er künftig nicht als rein geographisches Ordnungsschema dienen sollte.47 Ausschlaggebend für den bislang unbefriedigenden Diskussionsstand ist meines Erachtens, dass die Beiträger aus 46 SCHENK, Winfried: Art. ‚Landschaft‘, in: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Bd. 17, Berlin/New York 22001, S. 617–630, definiert ‚Landschaften‘ aus historisch-geographischer Sicht als „absichtsvoll und zielorientiert konstruierte Raumgebilde der Forschung mittleren (‚regionalen‘) Maßstabs mit einem gewissen Maß an Homogenität der zugrundeliegenden Kriterien. Sie fassen dennoch vielfältige natürliche, naturnahe und naturferne Phänomene zusammen, in denen sich wiederum vielfältige natürliche, kulturelle, wirtschaftliche und geistige Einflüsse aus unterschiedlichen Zeiten manifestieren“ (S. 620). Zur aktuellen Diskussion des Terminus in der Geschichtswissenschaft vgl. COSGROVE, Denis: Landscape and Landschaft, in: Bulletin of the German Historical Institute (Washington DC) 35 (2004), S. 57–71; KRIEG, Heinz: Zur Geschichte des Begriffs ‚Historische Landschaft‘ und der Landschaftsbezeichnung ‚Oberrhein‘, in: KURMANN, Peter/ZOTZ, Thomas (Hrsg.): Historische Landschaft – Kunstlandschaft? Der Oberrhein im späten Mittelalter (Vorträge und Forschungen 68), Ostfildern 2008, S. 31–64. Die Beiträge einer Mainzer Tagung zum Thema liegen noch nicht gedruckt vor, vgl. vorerst SAUERBREY, Anna: Tagungsbericht „Der Begriff der Landschaft in der landeshistorischen Forschung. Konzeptionen im interdisziplinären Austausch“, Mainz 20.–21.11.2008, in: H-Soz-u-Kult, URL: http://hsozkult.geschichte.huberlin.de/tagungsberichte/id=2489, 27.01.2009. Die älteren Bemühungen um den Begriff sind zusammengefasst in WALLTHOR, Alfred Hartlieb von/QUIRIN, Heinz (Hrsg.): „Landschaft“ als interdisziplinäres Forschungsproblem (Veröffentlichungen des Provinzialinstituts für westfälische Landes- und Volksforschung des Landschaftsverbandes Westfalen Lippe I/21), Münster 1973. 47 KUSCHE, Sebastian: Tagungsbericht „Orte der Gelahrtheit. Vom ‚Funktionieren‘ deutscher Universitäten im 17. und 18. Jahrhundert“, Jena 07.–08.07.2006, in: H-Soz-u-Kult, URL: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=1279, 24.07.2006; vgl. auch SIEBE: Orte (wie Anm. 1).
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verengten Perspektiven an das Problem herangehen. Nicht die räumliche Dimension von Schule und Bildung in der Vormoderne insgesamt wird in den Blick genommen, sondern es werden Einzelphänomene diskutiert und zum Maßstab für Bildungslandschaften herangezogen. So gehen verschiedene Autoren von den Universitäten als Zentren von Bildungslandschaften aus und organisieren den ‚Rest‘ – wenn überhaupt – um diese herum (Töpfer, Asche); andere stellen das (höhere) Schulwesen in den Mittelpunkt und postulieren lediglich die Erweiterbarkeit solcher Schul- zu Bildungslandschaften ( Jakob, Kießling). Bildungsinstitutionen wie Bibliotheken und Sammlungen, nichtschulische Bildungsformen wie Katechese, Autodidaxie und Berufsbildung oder auch bildungskulturelle Phänomene wie Buchdruck, Zeitungen, Alphabetisierung und Leseverhalten werden bislang jedoch nicht systematisch in die Diskussion um Bildungslandschaften einbezogen.48 Gleiches gilt für den wichtigen und in den letzten Jahren auch für den deutschsprachigen Raum intensiver erforschten Bereich des Elementarschulwesens.49 Neben dieser inhaltlichen Beschränkung sind die bisherigen Ansätze häufig auch auf einen engeren Zeitraum fokussiert. Es ist entweder das Spätmittelalter, die Reformationszeit oder das konfessionelle Zeitalter, das als Maßstab herangezogen wird; epochenübergreifende Überlegungen sind dagegen äußerst selten. Erschwerend kommt schließlich hinzu, dass in der Regel schon vorab ein geographischer Rahmen – ein Raum bzw. eine (Kultur-)Landschaft – bestimmt wird, in den dann bildungsgeschichtliche Beobachtungen eingeordnet werden. Aus dieser Kritik an der bisherigen Forschung ergeben sich die Anforderungen, die künftig bei der Untersuchung von Bildungslandschaften zu erfüllen sind: 1. Es ist von einem weiten Bildungsbegriff auszugehen, der neben den verschiedenen Sektoren des institutionellen Schul- und Bildungswesens auch nichtinstitutionelle Formen von Bildung und Ausbildung sowie Bildungskultur im weitesten Sinne in den Blick nimmt. Hierbei sollte es nicht von vornherein das Ziel sein, in einer Region eine einheitliche Bildungslandschaft zu entdecken, in der allen Phänomenen die gleiche Bedeutung zukommt. Vielmehr ist davon auszuge48 Lediglich als Ausblick verweist KIESSLING: Schullandschaften (wie Anm. 12), S. 54, auf Buchkultur und Kanzleiwesen, den Umgang mit Antiquitäten und Sammlungen, die Struktur von Kunstmärkten; in ähnlicher Weise nennt BÜNZ: Bildungslandschaft (wie Anm. 2), S. 40, Bibliotheken und Buchproduktion; ASCHE: Ostseeraum (wie Anm. 41), S. 1–3, nennt Sprache, Kunst, Musik, Literatur, Druck- und Schulwesen als Elemente einer „eigenständigen, gemeinhansischen Kultur“, bezieht sie aber nicht weiter in seine Betrachtungen zur Bildungslandschaft Ostseeraum ein. 49 Dies betont auch TÖPFER: Bildungsgeschichte (wie Anm. 39), S. 123. Vgl. zum Forschungsstand NEUGEBAUER, Wolfgang: Niedere Schulen und Realschulen, in: HAMMERSTEIN/HERRMANN: Handbuch (wie Anm. 25), S. 213–261; EHRENPREIS, Stefan: Das frühneuzeitliche Elementarschulwesen. Forschungsergebnisse und neue Fragestellungen, in: JACOBI, Juliane (Hrsg.): Zwischen christlicher Tradition und Aufbruch in die Moderne. Das Hallesche Waisenhaus im bildungsgeschichtlichen Kontext (Hallesche Forschungen 22), Tübingen 2007, S. 147–167.
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hen, dass sich je nach Art des untersuchten Phänomens, den diesbezüglichen Trägern, der jeweiligen Zielgruppe und konfessionellen Ausrichtung etc. unterschiedliche Bildungslandschaften herauskristallisieren, die sich teilweise decken und nur in den Randbereichen divergieren, mitunter aber auch stark voneinander abweichen oder sich im äußersten Fall nicht einmal überschneiden. Herausgearbeitet werden kann auf diese Weise die räumliche Dynamik von Bildungslandschaften, die nicht statische, eindeutig begrenzte ‚Raumbehälter‘ darstellen, in denen Bildungsinstitutionen angeordnet sind und Bildungsprozesse vor sich gehen. Vielmehr konstituieren umgekehrt erst diese Anordnungen und Bildungsprozesse die verschiedenen, ineinander greifenden Bildungslandschaften einer Region – und übergreifend des Reiches bzw. Europas.50 2. Die zeitliche Engführung ist zugunsten einer epochenübergreifenden Perspektive aufzugeben. Nur auf diese Weise lässt sich neben der räumlichen auch die zeitliche Dynamik von Bildungslandschaften aufzeigen. Diese verändern sich entsprechend der Entwicklung und Differenzierung des Bildungswesens und der Bildungskultur einer Gesellschaft. Auch im zeitlichen Verlauf ist also nicht von starren, fest umrissenen Bildungslandschaften auszugehen. Daher muss der Fokus auf dem Wandel dieser Landschaften und dessen Voraussetzungen und Konsequenzen liegen. 3. Geographische Räume können allenfalls als Hilfskonstrukt dienen, um Untersuchungen zunächst grob mit Blick auf Literatur- und Quellenrecherche zu verorten. Sie sollten das Ergebnis der Analyse jedoch weder vorwegnehmen noch über die Maßen vorstrukturieren und damit letztlich affirmativ wirken. Die gleiche Prämisse gilt für die kleineren und größeren Territorien des Alten Reiches sowie die von der Forschung aufgrund von politischen, wirtschaftlichen, sozialen und im weitesten Sinne kulturellen Faktoren als zusammenhängende Regionen, Landschaften oder Räume postulierten Einheiten mittlerer Größe, wenngleich die Wahrscheinlichkeit recht hoch ist, dass letztere auch bildungsgeschichtlich einen Zusammenhang im Sinne von Bildungslandschaften aufweisen. Der vorliegende Sammelband, der mit einer Tagung in Bonn im September 2007 vorbereitet wurde,51 trägt den genannten Anforderungen insofern Rechnung als zunächst ein möglichst breites Spektrum von Bildungsinstitutionen und bildungskulturellen Phänomenen in den Blick genommen wird. Die Beiträge behandeln Elementarschulen, Gymnasien und Universitäten, Orden und Klöster als Bildungsträger, das protestantische und das jüdische Schulwesen, Erziehung und Schule in der Gesetzgebung der Territorien und Städte, pragmatische Schriftlichkeit, das Verlagswe50 Vgl. zum theoretischen Hintergrund LÖW, Martina: Raumsoziologie, Frankfurt a. M. 2000. 51 Vgl. FRANKEN, René: Tagungsbericht „Das Rheinland als Schul- und Bildungslandschaft 1250–1750“, Bonn 24.–25.09.2007, in: H-Soz-u-Kult, URL: http://hsozkult.geschichte.huberlin.de/tagungsberichte/id=1836, 15.02.2008, sowie die Abstracts der Vorträge in: Rheinische Vierteljahrsblätter 72 (2008), S. 449–460.
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sen und schließlich Bildpublizistik und Schatzkammern. Ein abschließender Aufsatz diskutiert die Periodisierung der rheinischen Schul- und Bildungsgeschichte und deren Einbindung in überregionale Zusammenhänge. Der weite Bildungsbegriff, der dem Band zugrunde liegt, ist inspiriert von dem mittlerweile fertiggestellten „Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte“.52 Der Sammelband ergänzt und vertieft die dort angesprochenen Aspekte und bindet sie in einen regionalen Kontext ein. Neben der inhaltlichen Breite zielt der Band auf eine Untersuchung der Einzelphänomene in der ‚longue durée‘ vom Mittelalter bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts, so dass neben der räumlichen auch die zeitliche Dynamik der Schul- und Bildungslandschaft Rheinland analysiert werden kann. Dieser zeitliche Rahmen lässt sich aus bildungsgeschichtlicher Sicht rechtfertigen, muss freilich aber im Einzelfall den je spezifischen Entwicklungen und Befunden angepasst werden: Das Spätmittelalter stellt die Gründungsphase eines städtischen, seit dem 15. Jahrhundert auch ländlichen Schulwesens dar. Neben dem quantitativen Sprung und der Ausbreitung von Bildung in der Fläche ist diese Epoche insofern von neuer Qualität als sich zunehmend auch säkulare Bildungseinrichtungen und Bildungszwecke entwickelten. Mit Reformation und Konfessionalisierung differenzierte sich das Bildungswesen weiter, ein Prozess, der sich nach dem Dreißigjährigen Krieg noch beschleunigte. Die Aufklärung des 18. Jahrhunderts schloss sich hier unmittelbar an, prägte aber zugleich die Entwicklung von Schule und Bildung mindestens des 19. Jahrhunderts so nachhaltig, dass sie eher im Zusammenhang der Schul- und Bildungslandschaft Rheinland 1750–1850 diskutiert werden sollte. Zugleich scheint mir diese Epoche mit Blick auf unseren Raum eine wichtige Übergangszeit zu markieren: Sind Bildungslandschaften in der Vormoderne – zumindest im katholischen Bereich – regionale und das heißt im Wesentlichen überterritoriale Phänomene, lassen die zunehmenden schul- und bildungspolitischen Maßnahmen des modernen Staates im 19. und 20. Jahrhundert eine weitgehende Kongruenz von Bildungslandschaft und politischem Territorium erwarten.53 Wenn dem so ist, müsste sich in der Zeit von 1750 bis 1850 der entscheidende Wandel von einer vielfältigen, nicht staatlich definierten Bildungslandschaft mit je nach Institution und bildungskulturellem Phänomen ganz unterschiedlichen Bezugsräumen hin zu einer einheitlichen, auf den Staat ausgerichteten Bildungslandschaft vollziehen. In dieser Perspektive ergibt sich im Rheinland eine Kontinuität schul- und bildungspolitischer Maßnahmen von den aufgeklärten Schul- und Bildungsreformen Kur52 BERG, Christa u. a. (Hrsg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, 6 Bde., München 1987–2005. 53 Diesbezügliche Forschungen liegen noch nicht vor; einen Anfang machte kürzlich eine Tagung in Berlin, vgl. hierzu KÄBISCH, David: Tagungsbericht „Bildungsräume im langen 19. Jahrhundert. Wahrnehmungs- und Transferprozesse in der deutschen Staatenwelt“, Berlin 18.04.2008, in: H-Soz-u-Kult, URL: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=2102, 07.05.2008.
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triers und Kurkölns in den 1770er- und 1780er-Jahren über die Zentralisierungsbestrebungen der französischen Verwaltung um 1800 bis hin zur (Neu-)Gründung der Universität Bonn als rheinpreußischer Landesuniversität im Jahre 1818 und den weiteren durchgreifenden Reformen des preußischen Staates im Bereich des Schulwesens in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.54 Schließlich ist auf die dritte Anforderung, den geographischen bzw. wissenschaftlich generierten Raum, einzugehen. Der Begriff ‚Rheinland‘ ist ebenso schillernd und unbestimmt wie vorbelastet, bei genauerem Hinsehen entzieht sich das damit umschriebene Gebiet entweder jeder Eingrenzung oder aber die Grenzen sind in anachronistischer Anlehnung an die preußische Rheinprovinz allzu zementiert.55 54 Vgl. zu den genannten Entwicklungen die weiterhin grundlegende Arbeit von ZIMMERMANN, Wilhelm: Die Anfänge und der Aufbau des Lehrerbildungs- und Volksschulwesens am Rhein um die Wende des 18. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Geschichte des rheinischen Schulwesens, 3 Bde., Köln 1953–1963, sowie in jüngerer Zeit DÜWELL, Kurt: Das Schul- und Hochschulwesen der Rheinlande. Wissenschaft und Bildung seit 1815, in: PETRI, Franz/DROEGE, Georg (Hrsg.): Rheinische Geschichte, Bd. 3: Wirtschaft und Kultur im 19. und 20. Jahrhundert, Düsseldorf 21980, S. 465–552; APEL, Hans-Jürgen: Das preußische Gymnasium in den Rheinlanden und Westfalen 1814–1848. Die Modernisierung der traditionellen Gelehrtenschulen durch die preußische Unterrichtsverwaltung (Studien und Dokumentationen zur deutschen Bildungsgeschichte 25), Köln/Wien 1984; DERS./KLÖCKER, Michael: Schulwirklichkeit in Rheinpreußen. Analysen und Dokumente zur Modernisierung des Bildungswesens in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (Studien und Dokumentationen zur deutschen Bildungsgeschichte 30), Köln/Wien 1986; PABST, Klaus: Bildungs- und Kulturpolitik der Franzosen im Rheinland zwischen 1794 und 1814, in: HÜTTENBERGER, Peter/MOLITOR, Hansgeorg (Hrsg.): Franzosen und Deutsche am Rhein 1789 – 1918 – 1945 (Düsseldorfer Studien zur Neueren Landesgeschichte und zur Geschichte Nordrhein-Westfalens 23), Düsseldorf 1989, S. 185–201; KAMES, Josef Martin: Das Elementarschulwesen in Köln von 1815– 1850 (Rechtsgeschichtliche Schriften 4), Köln/Weimar/Wien 1992; KOLTES, Manfred: Das Rheinland zwischen Frankreich und Preußen. Studien zu Kontinuität und Wandel am Beginn der preußischen Herrschaft (1814–1822) (Dissertationen zur neueren Geschichte 22), Köln/Weimar/Wien 1992, S. 170–298; KISTENICH, Johannes: Schule im Rheinland zwischen Reformation und Revolution, in: ZEHNDER, Frank Günter (Hrsg.): Eine Gesellschaft zwischen Tradition und Wandel. Alltag und Umwelt im Rheinland des 18. Jahrhunderts (Der Riss im Himmel. Clemens August und seine Epoche 3), Köln 1999, S. 41–64, hier S. 53–58; DAMESME, Nathalie: Öffentliche Schulverwaltung in der Stadt Köln von 1794–1814 (Rechtsgeschichtliche Schriften 16), Köln/Weimar/Wien 2003; RUTZ: Bildung (wie Anm. 21), S. 262–295. 55 Vgl. zuletzt KAISER, Michael/LEIFELD, Marcus/RUTZ, Andreas: Ein Kurfürst macht noch keine Epoche. Eine Standortbestimmung der Frühneuzeitforschung im Rheinland, in: Geschichte in Köln 50 (2003), S. 55–87, hier S. 60–65; JANSSEN, Wilhelm: Rheinland – Begriff und Sache. Eine Skizze, in: DUCHHARDT, Heinz/REININGHAUS, Wilfried (Hrsg.): Stadt und Region. Internationale Forschungen und Perspektiven. Kolloquium für Peter Johanek (Städteforschung A/65), Köln/Weimar/Wien 2005, S. 31–42; zu den historischen Implikationen außerdem BLOTEVOGEL, Hans Heinrich: ‚Rheinische Landschaft‘. Zur geographischen Konstruktion des Rheinlands 1871–1945, in: KORTLÄNDER, Bernd/GRIMM, Günter E. (Hrsg.):
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Die Unmöglichkeit einer eindeutigen Definition von ‚Rheinland‘ ist freilich die beste Voraussetzung, um entsprechend der oben eingeforderten Unbestimmtheit und Flexibilität des Untersuchungsraums über eine Schul- und Bildungslandschaft nachzudenken: Das Rheinland wird als Ausgangspunkt für die Literatur- und Quellenrecherche genommen, ohne vorab genaue Grenzen zu ziehen und die Ergebnisse der Recherche damit vorwegzunehmen. Zugleich gerät mit dem Rheinland ein Raum in den Blick, der unter anderen Gesichtspunkten als mehr oder weniger zusammenhängend beschrieben wurde, so dass die bildungsgeschichtliche Diskussion in den landesgeschichtlichen Kontext eingebettet werden kann. Was macht nun eine Bildungslandschaft aus, welche Aspekte konstituieren sie? Kießling unterscheidet hier zwischen externen und internen Faktoren und geht von einer Wechselbeziehung zwischen beiden aus.56 Zu den externen Faktoren, die eine Bildungslandschaft konstituieren können, zählt er einerseits Territorien bzw. dynastische Verklammerungen, Bistümer und Diözesen etc., also administrative Einheiten, und andererseits ‚offene‘ politische, wirtschaftliche oder in anderer Weise als zusammenhängend geltende Räume. Zu denken wäre an bündische Strukturen, Gewerbe-, Kloster- oder Städtelandschaften, Verkehrs- und Kommunikationsräume usw. – „also alle jene Faktoren, die nicht vorgegeben sind, sondern erst sekundär als prägend für eine Region eingegrenzt werden müssen.“ Als interne Faktoren nennt Kießling die Bedeutung bestimmter Schultypen, die besondere Konzentration von Schulen und die Ausstrahlung von größeren Bildungszentren. Das behandelte Spektrum von Bildungsinstitutionen und bildungskulturellen Phänomenen wäre freilich im Sinne der oben formulierten Überlegungen erheblich zu erweitern. Der Aspekt der Ausstrahlung von größeren Bildungszentren scheint mir für die Diskussion um Bildungslandschaften ein besonders lohnenswerter Anknüpfungspunkt zu sein. Ich würde allerdings eher von Diffusionsprozessen sprechen, um nicht einseitig vom Zentrum zur Peripherie zu denken, sondern auch die umgekehrte Richtung einbeziehen zu können. Zu analysieren wären institutionelle, personelle, mediale und bildungspraktische Diffusionsprozesse, also etwa die Vorbildwirkung einzelner Bildungseinrichtungen und -systeme sowie die hierarchische Orientierung umliegender Bildungseinrichtungen auf ein Zentrum, die Anziehungskraft von Bildungszentren auf Studenten, Professoren usw. und umgekehrt das an andere Zentren oder in die Provinz abgegebene Humankapital, die Verbreitung von Medienerzeugnissen und damit von Ideen und schließlich die Prägung und Diffusion bestimmter Anwendungsformen von Wissen, etwa im Rahmen pragmatischer Schriftlichkeit. Wie im engeren regionalen Rahmen müssen in einem zweiten ‚Rheinisch‘. Zum Selbstverständnis einer Region (Heinrich-Heine-Institut Düsseldorf. Archiv – Bibliothek – Museum 9), Stuttgart/Weimar 2001, S. 53–79. 56 KIESSLING: Schullandschaften (wie Anm. 12), S. 41, die folgenden Zitate ebd.; vgl. auch FLACHENECKER, Helmut/KIESSLING, Rolf: Städtelandschaften – Schullandschaften. Eine Einführung, in: DIES.: Schullandschaften (wie Anm. 12), S. 1–14, hier S. 6.
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Schritt überregionale Diffusionsprozesse in die Diskussion einbezogen werden. Auch hier ist wiederum in beide Richtungen zu denken: von der Region bzw. von Zentren innerhalb derselben zu anderen Regionen im Reich oder in Europa und umgekehrt von anderen Regionen und Zentren zur behandelten Region. Ein letzter Aspekt, der neben externen und internen Faktoren hinsichtlich der Konstituierung von Bildungslandschaften anzusprechen ist, ist die Beziehung zwischen diesen beiden Feldern. Kießling spricht von „Wandel und Strukturunterschieden […] und damit auch der Stellung der Schulen im politisch verfaßten Kontext“ und nennt als Beispiele den spätmittelalterlichen Verdichtungsvorgang der Städtelandschaften, das Verhältnis von Städtelandschaften und sich ausbildenden Territorien, konfessionell bedingte Differenzen in der Frühen Neuzeit sowie den Wandel der Rolle der Städte von selbst verwalteten Körperschaften zu administrativen Zentren. Kurz: Es geht um die Verzahnung von Landes- und Bildungsgeschichte und deren Wechselbeziehungen. Die Frage nach Bildungslandschaften dürfte dabei in zweifacher Beziehung von Nutzen sein: Für die Landesgeschichte sind Bildungslandschaften ein weiteres Instrument zur Analyse ihres Arbeitsbereichs, denn sie konstituieren sich nicht zuletzt in Abhängigkeit zu anderen ‚landschaftlichen‘ Strukturmerkmalen. Für die Bildungsgeschichte ergeben sich durch die Betonung räumlicher Aspekte neue Analysekategorien und neuartige Zusammenhänge: Im Vordergrund stehen nunmehr Netzwerke, Kommunikation und Wissenstransfer, die wiederum anschlussfähig an gegenwärtig viel diskutierte kulturgeschichtliche Paradigmata sind.
6. Das Rheinland als Schul- und Bildungslandschaft? Entsprechend den obigen Überlegungen zu den je nach fokussiertem Phänomen divergierenden, sich gleichwohl überschneidenden und überlagernden Schul- und Bildungslandschaften in einer Region kommen die Beiträge für das Rheinland zu unterschiedlichen Ergebnissen. Kurt WESOLY betont die starke binnenregionale Differenzierung im Elementarschulwesen, die sich aus der konfessionell und gewerblich unterschiedlichen Ausrichtung der Territorien ergab. Einflussnahmen der Landesherren waren – wenn sie überhaupt stattfanden – auf das jeweilige Territorium beschränkt. Territorial übergreifende Ähnlichkeiten sind im Bereich der reformierten Kirche aufgrund der für Kleve, Mark, Jülich und Berg auch in Schulfragen zuständigen Generalsynode erkennbar. Eine einheitliche Bildungslandschaft Rheinland lässt sich für den Elementarschulbereich aber nicht konstruieren. Gleiches gilt für die Ordnungsgesetzgebung, die sich laut Karl HÄRTER nicht zur Konstruktion eines abgrenzbaren rheinischen Bildungsraums eignet. Zwar lassen sich trotz politischer und konfessioneller Unterschiede übereinstimmende Züge in der Bildungsund Schulpolitik aufzeigen. Diese waren aber nicht spezifisch ‚rheinisch‘, sondern ordneten sich in einen durch Rezeptions- und Interaktionsprozesse geprägten, überregionalen Bildungsdiskurs im Reich ein, wie Härter durch die Einbeziehung des südwestdeutschen Raumes herausarbeiten kann.
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Deutlicher konturieren lässt sich eine Schul- und Bildungslandschaft Rheinland ausgehend von der Reichsstadt Köln und deren zentraler Stellung im Bildungswesen der Region. Besonders hervorgehoben wird dies im Beitrag von Wolfgang SCHMITZ. Die Kölner Verlage produzierten nicht nur für die städtische Universität und die Gymnasien, sondern belieferten das gesamte Rheinland. Entscheidend hierfür war einerseits die drucktechnische Überlegenheit der Kölner Offizinen gegenüber Druckereien in kleineren Orten, etwa hinsichtlich Typenvorrat und Layout. Zum anderen orientierten sich die rheinischen ( Jesuiten-)Gymnasien am Kölner Tricoronatum und bezogen von dort ihre Schulbücher – und das selbst nach Auflösung des Ordens im späten 18. Jahrhundert. Auch wenn die an den protestantischen Schulen im Rheinland gebrauchten Bücher nicht aus Köln stammten und manche katholischen Schulen selbständig vor Ort druckten, beeinträchtigte das die dominierende Stellung der Verlagsmetropole für die rheinische Schul- und Bildungslandschaft nicht. Eine entsprechende Dominanz Kölns lässt sich auch im Bereich der pragmatischen Schriftlichkeit ausmachen, zumindest bis in das späte 15. Jahrhundert. Die Kölner Kanzlei bildete laut Manfred GROTEN einen Lernort, der über den eigenen Bedarf ausbildete und so hinsichtlich Kanzleigebrauch und -sprache andere Kanzleien der Region beeinflusste. Seit dem 16. Jahrhundert löste sich die so konstituierte Bildungslandschaft aufgrund von Veränderungen im Schulwesen, dem Niedergang der ripuarischen Schreibsprache und veränderten politischen Konstellationen auf. Die pragmatische Schriftlichkeit im Rheinland wurde zunehmend durch auswärtige Gewohnheiten und überregionale Entwicklungen in der Schrift- und Verwaltungspraxis beeinflusst. Auch im Hochschulwesen ist Köln als zentraler Ort einer rheinischen Schul- und Bildungslandschaft zu identifizieren. Wie Andreas FREITÄGER ausführt, blieb die 1388 gegründete Universität für fast einhundert Jahre die einzige Hochschule im Rheinland. Eine Gründung in Trier erfolgte 1473, personell befördert durch den Konzentrationsprozess der Kölner Bursen, der sich in dieser Zeit aufgrund der Konkurrenz um Scholaren vollzog. Seit dem 16. Jahrhundert war die Kölner Universität nicht zuletzt aufgrund des prägenden Einflusses der Jesuiten das Zentrum der katholischen Schul- und Bildungslandschaft Rheinland. Für den rheinischen Protestantismus übernahm seit 1655 ansatzweise Duisburg diese Funktion, wenngleich hier außerrheinische Universitäten weiterhin wichtig blieben. Ebenfalls in Konkurrenz zur Kölner Universität gegründet wurde im späten 18. Jahrhundert die Bonner Hochschule, nunmehr unter aufgeklärten Vorzeichen. Keine zentrale Rolle spielte Köln dagegen im jüdischen Schul- und Bildungswesen des Rheinlandes. Für das Mittelalter zeigt Birgit E. KLEIN vielmehr die große Prägekraft der Zentren jüdischer Gelehrsamkeit in Speyer, Worms und Mainz. Letzteres ist als Herkunftsort der jüdischen Gelehrten zu identifizieren, die seit dem 12. Jahrhundert in Bonn tätig waren und hier gleichsam als Mainzer ‚Außenposten‘ ein regionales Zentrum für den Niederrhein bildeten. Entscheidend waren dabei Familiennetzwerke, die durch gezielte Heiraten weiter ausgebaut wurden. Auf diese Weise wurden auch Einflüsse der süditalienischen jüdischen Gelehrsamkeit an den Mittelund Niederrhein vermittelt und in die dortige Tradition integriert.
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In weitere regionale Bezüge einzuordnen sind auch die verschiedenen christlichkonfessionell geprägten Bildungssysteme des Rheinlandes. Besonders hervorstechen die räumlichen Aspekte bei den von Johannes KISTENICH behandelten geistlichen Orden im öffentlichen Schulwesen. Das Rheinland zeichnete sich bereits im Mittelalter als eine Landschaft klösterlicher Verdichtung aus. Entsprechend viele Beispiele lassen sich für die Unterrichtung von Laien in geistlichen Institutionen finden. In der Frühen Neuzeit erlangte dieses Bildungsengagement eine neue Qualität, indem sich alte und neue Orden in den Dienst von katholischer Reform und Gegenreformation stellten. Die von Bettelorden und von im Mädchenbildungswesen aktiven religiösen Frauengemeinschaften geprägte Schul- und Bildungslandschaft war jedoch nicht auf das Rheinland begrenzt, sondern erstreckte sich – ausgehend von Nordfrankreich – im katholischen Nordwesten des Reiches von den spanischen Niederlanden über das Rheinland bis nach Westfalen. In ähnliche Richtung deutet der Befund von Wolfgang SCHMID, der rheinische Schatzkammern als religiöse ‚Wissensspeicher‘ und deren mediale Vermarktung in der katholischen Reform untersucht. Angelehnt an die entsprechenden gelehrten Kompendien machten großformatige Kupferstiche die Heiltümer der rheinischen Wallfahrtsmetropolen regional und überregional bekannt und dienten damit nicht zuletzt der Identitätsstiftung des katholischen Rheinlandes. Dabei wandten sie sich zunehmend auch an eine französischsprachige Pilger- und Käuferschaft, was die Einbindung des Rheinlandes in einen katholisch geprägten nordwesteuropäischen Bildungsraum unterstreicht. Auch dem protestantischen Bildungswesen des Rheinlandes eignen freilich über die Region hinausweisende Charakteristika. Gerhard MENK verweist in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung der Hohen Schule Herborn sowie überhaupt der angrenzenden protestantischen Territorien. Detailliert setzt er sich mit dem bildungspolitischen Einfluss der brandenburg-preußischen Landesherren auf ihre niederrheinischen Besitzungen auseinander. Bemühungen zur reformierten Konfessionalisierung des Schul- und Bildungswesens sind greifbar, waren aber allenfalls auf der Ebene des Hochschulwesens systematischer Natur. Hinsichtlich des Elementarschulwesens dominierten bis an das Ende des 18. Jahrhunderts lokale Traditionen. Der konfessionelle Flickenteppich des Rheinlandes verhinderte letztlich die Ausbildung einer protestantischen Bildungslandschaft. Auch in übergreifender Perspektive stehen die konfessionelle und territoriale Vielfalt der Region dem Postulat einer einheitlichen, klar definierten Schul- und Bildungslandschaft entgegen, wie Stefan EHRENPREIS abschließend feststellt. Charakteristisch ist gerade das Fehlen von Gemeinsamkeiten, wie die Aufeinanderbezogenheit von schulischen Institutionen, die einheitliche Konfessionsorientierung oder der verbindende politische Rahmen, und die daraus resultierende hohe Diversifizierung des Schul- und Bildungswesens. Zu betonen sind gleichwohl bildungsgeschichtliche Besonderheiten, wie die öffentliche Unterrichtstätigkeit der Mendikanten, das weite Netz katholischer Mädchenschulen und der hohe Versorgungsgrad des ländlichen Bereichs mit Unterricht, die das Rheinland deutlich von anderen Teilen des Reiches abheben. Zugleich zeigt sich gerade an diesen Besonderheiten die enge Einbindung der Region in den nordwesteuropäischen Raum.
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Eine einheitliche Schul- und Bildungslandschaft Rheinland für die Zeit von 1250 bis 1750 zu konstruieren, war nicht die Aufgabe des vorliegenden Sammelbandes. Vielmehr sollte das aktuelle Forschungsparadigma in epochenübergreifender Perspektive und unter Einbeziehung möglichst vieler bildungsgeschichtlicher Aspekte an einer Beispielregion auf seine Brauchbarkeit geprüft werden. Methodisch hat sich die vorgenommene Erweiterung des Ansatzes in zeitlicher und thematischer Hinsicht als fruchtbar erwiesen. In einem Raum, der nicht durch konfessionelle und territoriale Einheit gekennzeichnet war, können Untersuchungen etwa zur pragmatischen Schriftlichkeit, zum Buch- und Verlagswesen oder zu Schatzkammern übergreifende Zusammenhänge und Verflechtungen aufzeigen, die mit dem bloßen Blick auf institutionalisierte Lernformen nicht eruierbar sind. In der ‚longue durée‘ erweisen sich manche Bildungsphänomene, wie der starke Einfluss der Niederlande, als erstaunlich stabil, während andere, etwa die Tätigkeit der Orden im öffentlichen Schulwesen der Region, erst ein Ergebnis der Konfessionalisierung waren. Räumliche Aspekte von Schule und Bildung sind also auch in zeitlicher Perspektive zu differenzieren. Wenn das Rheinland auch keine einheitliche Schul- und Bildungslandschaft darstellt, hat die Untersuchung von regionalen Vernetzungen und Verflechtungen wesentliche neue Einsichten für die Bildungs- und Landesgeschichte erbracht. Künftige Forschung kann hier anknüpfen, indem sie einerseits neben den Schulen gerade nichtinstitutionalisierte Formen von Bildung und Ausbildung sowie Bildungskultur im weitesten Sinne in ihren räumlichen, landesgeschichtlichen Dimensionen untersucht und andererseits die Einbindung des Rheinlandes in die nordwesteuropäische Bildungslandschaft weiter konturiert.
Kurt Wesoly
Elementare Schulbildung im Rheinland bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts Im Titel des Tagungsbandes – wie auch in der Überschrift des Aufsatzes – kommt der Begriff Rheinland vor. Er ist, wie man weiß, nicht eindeutig. Als jemand, der in Velbert aufgewachsen ist, wäre ich in den ersten zwanzig Jahren meines Lebens nie auf den Gedanken gekommen, mich als Rheinländer zu bezeichnen. Dennoch enthielt der Briefstempel bis zur Einführung der Postleitzahlen die Abkürzung ‚Rhld‘. Bei der Nachbarstadt Heiligenhaus stand dort sogar ‚Niederrhein‘. Die Bewohner beider Städte empfanden sich jedoch kaum als Rheinländer, sondern als bergische Menschen oder als Niederberger. Nun, so vermessen, das Bergische Land aus dem Rheinland auszugliedern, will ich nicht sein. Mein Untersuchungsgebiet umfasst jedoch nicht die alte Rheinprovinz, sondern akzeptiert die jetzige Grenze zu Rheinland-Pfalz und beschränkt sich demnach auf das heute meist ‚Nördliche Rheinlande‘ genannte Gebiet. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen die Herzogtümer Berg, Jülich und Kleve sowie Kurköln. Der zeitliche Rahmen nach oben wurde vom Veranstalter der Tagung und Herausgeber dieses Bandes mit der Mitte des 18. Jahrhunderts vorgegeben. Die Beschränkung ist sinnvoll, denn zu dieser Zeit beginnt – ausgelöst durch die Aufklärung und den technischen Fortschritt – eine Periode verstärkter Bemühungen um schulische und außerschulische Bildung, und zwar auf der Ebene des Staates, der Kirche und der Eltern. Wegen der Quellenlage ist eine intensivere Beschäftigung mit der elementaren Bildung im Rheinland erst ab dem 16. Jahrhundert möglich. Dennoch beginnt das Zeitalter der elementaren Schulbildung nicht mit der Reformation. Deshalb wollen wir zu Beginn einen Blick auf die Zeit davor werfen.
1. Das Schulwesen vor der Reformation Wenngleich der berühmte Prediger Berthold von Regensburg noch in der Mitte des 13. Jahrhunderts erklärte: „Ir laien kunnet nit lesen als wir pfaffen“, so reichen doch die eher zufälligen Nachrichten über Schulen im Rheinland, die nicht nur der Ausbildung des Klerus und der Mönche dienten, sogar vor diese Zeit zurück. In Köln, Bonn, Münstereifel und Kaiserswerth werden bereits im 12. Jahrhundert „scholastici“ oder „magistri“ genannt.1 Nach dem Rheinischen Städteatlas, von 1 WESOLY, Kurt: Elementare Bildung bis zum Ende des 18. Jahrhunderts (insbesondere im Niederbergischen), in: Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins 95 (1991/92), S. 1–19, hier S. 1.
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dem nun 88 Mappen vorliegen, gab es im 13. Jahrhundert weitere Schulen in Kerpen und Duisburg, im Jahrhundert darauf in Dinslaken, Düren, Erpel, Gangelt, Kalkar, Mönchengladbach, Rheinberg, Straelen, Uerdingen und Werden. Vor der Wende zur Neuzeit lassen sich in dieser Publikation weitere 17 Orte mit Lehrern oder Schulen nachweisen.2 Dabei handelt es sich bis auf Meckenheim, wo 1440 ein „schoelmeister“ unterrichtet,3 ausnahmslos um Städte. Dies stimmt mit der Beobachtung Friedrich Wilhelm Oedigers überein, der bereits 1941 festhielt: „Um das Jahr 1500 war im Bereich des Bistums Köln kaum eine Stadt, die keine Schule besaß; ja, in den größeren Städten beginnen sich neben den städtischen Lateinschulen (meist private) Lese- und Schreibschulen zu entwickeln“.4 Offenbar befriedigten die von der Kirche und teilweise von den Stadträten betriebenen Lateinschulen nicht das Bedürfnis eines größer werdenden Bevölkerungsteils nach elementarer Bildung, nach Lesen, Schreiben – und zwar auf Deutsch – sowie auch nach Rechnen. Spätestens seit der Mitte des 14. Jahrhunderts, nachdem die Zünfte in vielen Städten am Rat beteiligt worden waren oder ihn sogar dominierten, fasste man die Protokolle in deutscher Sprache ab, ebenso die Korrespondenz, soweit sie nicht an einen kirchlichen oder ausländischen Adressaten gerichtet war. Dabei bediente man sich eines Berufsschreibers. Die von den Rats-, Gerichts- oder Zunftschreibern gefertigten Schriftstücke sind – von Mitschriften und Entwürfen abgesehen – eine Augenweide in jedem Archiv und erinnern in ihrer Gleichmäßigkeit und Sauberkeit an einen Druck. Daneben gibt es aber in großer Zahl Briefe, Petitionen und Rechnungen, die von den Kaufleuten, Handwerkern und anderen Bewohnern der Stadt geschrieben wurden, bei denen der heutige Archivbenutzer einige Zeit braucht, um sie zu entziffern. Da ich davon überzeugt bin, dass die Rheinländer in alter Zeit nicht dümmer als die Mittelrheinbewohner waren, führe ich einige Beispiele aus dieser Region an. Bei den Forschungen für meine Dissertation über die Lehrlinge und Handwerksgesellen am Mittelrhein5 bemerkte ich mit Erstaunen, wie hoch in allen besuchten Archiven der Anteil am zünftigen Schriftgut war, den die Handwerker selbst verfasst hatten. Ich war deshalb so erstaunt, weil ich gerade zuvor in einem Seminar des Berliner Professors Rolf Engelsing gehört hatte, dass selbst im 16. Jahrhundert nur ca. fünf Prozent der Bevölkerung in Deutschland lesen und schreiben gekonnt hätten. Diese
2 Rheinischer Städteatlas, hrsg. v. Amt für rheinische Landeskunde, Landschaftsverband Rheinland, Bonn 1972, Köln 1974–1998, Köln/Weimar/Wien 2001ff. 3 FLINK, Klaus (Bearb.): Meckenheim (Rheinischer Städteatlas 3), Bonn 1972. 4 OEDIGER, Friedrich Wilhelm: Die niederrheinischen Schulen vor dem Aufkommen der Gymnasien, in: Düsseldorfer Jahrbuch 43 (1941), S. 75–124, hier S. 89. 5 WESOLY, Kurt: Lehrlinge und Handwerksgesellen am Mittelrhein. Ihre soziale Lage und ihre Organisation vom 14. bis ins 17. Jahrhundert (Studien zur Frankfurter Geschichte 18), Frankfurt a. M. 1985.
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Meinung hatte er auch 1973 publiziert.6 Mir bot sich dagegen ein ganz anderes Bild. Selbst in den um 1350 einsetzenden Aufzeichnungen der Mainzer Schneider sind bis 1400 mindestens 25 verschiedene Hände der jeweils auf ein Jahr gewählten Zunftvorsteher auszumachen. Sie protokollierten nicht nur die wichtigsten Ereignisse, wie die Zunftaufnahmen und die Todesfälle, sondern legten am Ende ihrer Amtszeit Rechenschaft über die Einnahmen und Ausgaben der Zunft ab.7 Kann es hier sein, dass nur Schrift- und Rechenkundige an die Spitze der Zunft gewählt wurden, so geht die Ordnung der Frankfurter Hutmacher von 1451 davon aus, dass sämtliche Zunftgenossen lesen und schreiben konnten. In einem Artikel ihrer Ordnung heißt es nämlich, dass vom ältesten bis zum jüngsten Meister jeder vier Wochen das Handwerk „regieren“ solle, „es sy mit brieffen lesen oder brieffe zu schriben oder anders“.8 Auch in das Bruderschaftsbuch der Frankfurter Schmiede- und Schlossergesellen, das mit dem Jahr 1417 beginnt, trugen sich die Wandergesellen bis auf wenige Ausnahmen mit ihren Namen und Herkunftsorten eigenhändig ein.9 Gesellen aus dem Rheinland sind in dem Buch nur wenige verzeichnet, da das Wandergebiet der Metallhandwerke vornehmlich Süddeutschland bis zum Main, die Steiermark und Thüringen umfasste.
2. Die Bemühungen um elementare Bildung im 16. Jahrhundert Wenngleich ein Großteil der Zünftigen am Mittelrhein offensichtlich bereits am Ende des Mittelalters alphabetisiert war, können wir die Verhältnisse in den dortigen alten Bischofs- und Reichsstädten nicht auf das Rheinland übertragen. Im 16. Jahrhundert hat es aber einen kräftigen Bildungsschub gegeben, für den in erster Linie die Reformation verantwortlich war. Luther hat in verschiedenen Schriften immer wieder auf die Notwendigkeit höherer, aber auch elementarer Bildung hingewiesen.10 Die Reformatoren, insbesondere Luther und Melanchthon, haben zweifellos einen großen Anteil an der nicht zu übersehenden Vermehrung der Schulen im Rheinland und im gesamten deutschsprachigen Raum. Es war aber der Humanismus, der neben den zunehmenden Erfordernissen des Handels und der Gewerbe 6 ENGELSING, Rolf: Analphabetentum und Lektüre. Zur Sozialgeschichte des Lesens in Deutschland zwischen feudaler und industrieller Gesellschaft, Stuttgart 1973, S. 32. 7 Stadtarchiv Mainz, Abt. 21, 350. 8 SCHMIDT, Benno (Hrsg.): Frankfurter Zunfturkunden bis zum Jahre 1612, 2 Bde., Frankfurt a. M. 1914, ND Wiesbaden 1968, hier Bd. 2, S. 283. 9 BÜCHER, Karl: Mittelalterliche Handwerksverbände, in: Schmollers Jahrbücher 77 (1922), S. 295–327, hier S. 317. 10 Vgl. den Überblick bei RUTZ, Andreas: Bildung – Konfession – Geschlecht. Religiöse Frauengemeinschaften und die katholische Mädchenbildung im Rheinland (16.–18. Jahrhundert) (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz 210), Mainz 2006, S. 100–105.
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nach Schreib- und Rechenkünsten bereits am Ende des 15. Jahrhunderts eine neue Sicht der Bildung brachte. Die Humanisten waren davon überzeugt, „dass alles Böse nur aus Unwissenheit herrühre“.11 Zwar interessierte sie vornehmlich die höhere Bildung, aber Herzog Johann III. von Kleve-Mark und Jülich-Berg (1490–1539) sah in ähnlicher Weise in der mangelhaften Ausbildung der Priester die Ursache für die von ihm verurteilte Glaubensspaltung. Er ordnete deshalb 1533 an, „die Kirspelskirchen und Scholen mit guden beqwemen und fromen Predigern und Regenten“ besetzen zu lassen und „denselvigen gebürliche Underhaldung zu verschaffen“.12 Im gleichen Jahr befahl er eine Visitation, in der es in erster Linie um die kirchlichen Verhältnisse ging, doch es gab auch Fragen zur Schulsituation. Durchgeführt wurde sie allerdings nur im Landesteil Jülich. Die von Redlich bereits vor 100 Jahren veröffentlichten Protokolle sind von Hans Georg Kirchhoff im Hinblick auf das Vorhandensein von Schulen ausgewertet worden. Er konnte zeigen, dass außer dem ‚Tal Monschau‘ alle Städte im Jülicher Land mit einer Schule versorgt waren. Daneben gab es in den Dörfern 18 an die Kirche angeschlossene Schulen. Nach einer weiteren Visitation von 1559/60 waren in Jülich bereits 65 Orte, davon 51 Dörfer, mit einer Schule versehen.13 Das muss aber nicht bedeuten, dass in den übrigen 230 visitierten Ortschaften kein Unterricht stattgefunden hat. Wir wissen lediglich, dass in den 65 erfassten Schulorten eine Schule oder auch nur ein spezieller Unterrichtsraum und ein Lehrer vorhanden waren. Bei den Visitationen handelt es sich nicht um exakte Aufnahmen. Vielfach wurden Fragen nicht oder nur unvollständig beantwortet. Außerdem dürfen wir nicht vergessen, dass die Frage nach dem Vorhandensein einer Schule oder eines Lehrers nur eine in dem umfangreichen Fragenkatalog war. In keinem Fall ist die Sorge um das Schulwesen der Anlass für eine Visitation gewesen, auch nicht für die von 1533 in Jülich. Es ging in allen jülich-bergischen Befragungen vor allem darum, Übergriffe des Kölner Erzbischofs festzustellen, insbesondere in die herzogliche Gerichtsbarkeit. Auch für den Erzbischof, der seit 1569 ebenfalls Visitationen in seinem Sprengel durchführen ließ, standen seine Rechte, die kirchlichen Verhältnisse und der Kirchenbesitz im Vordergrund des Interesses und nicht die Existenz von Schulen.
11 EVERS, Meindert: Das Schulsystem in Gelderland im Ancien Régime 1580–1795, in: STINNER, Johannes/TEKATH, Karl-Heinz (Hrsg.): Gelre – Geldern – Gelderland. Geschichte und Kultur des Herzogtums Geldern, Geldern 2001, S. 365–372, hier S. 365. 12 REDLICH, Otto R.: Jülich-bergische Kirchenpolitik am Ausgang des Mittelalters und in der Reformationszeit (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 28), 2 Bde., Bonn 1907–1915, ND Düsseldorf 1986, hier Bd. 1, S. 260. 13 KIRCHHOFF, Hans Georg: Kirchspiels- und Küsterschulen in der Reformationszeit. Das niedere Schulwesen im Spiegel von Visitationsberichten des 16. Jahrhunderts, in: GOEBEL, Klaus (Hrsg.): Luther in der Schule. Beiträge zur Erziehungs- und Schulgeschichte, Pädagogik und Theologie (Dortmunder Arbeiten zur Schulgeschichte und zur historischen Didaktik 6), Bochum 1985, S. 127–147, hier S. 129. Kirchhoff zählt jeweils eine Schule mehr.
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Wie sehr Daten aus Visitationsprotokollen uns in die Irre führen können, darauf hat jüngst Andreas Rutz in seiner Dissertation hingewiesen. Während 1703 im Dekanat Ahrgau nach den Protokollen lediglich 22 Prozent der katholischen Pfarren Schulen besaßen, sollen es zwölf Jahre später stolze 92,6 Prozent gewesen sein.14 Eine solch wunderbare Schulvermehrung dürfte allein oder doch hauptsächlich in den ausdrücklichen Fragen der späteren Aufnahme nach den Schulverhältnissen begründet sein. Insofern können die verdienstvollen Auswertungen der Visitationsprotokolle, die Thomas Becker15 und Andreas Rutz16 vorgenommen haben, nur mit Bestimmtheit zeigen, dass in einem Ort eine Schule bestanden hat. Das heißt jedoch nicht, dass in einem Dorf, bei dem keine Schule erwähnt ist, die Kinder in jedem Fall ohne Unterricht geblieben sind. Besondere Skepsis scheint mir gegenüber der Visitation angebracht zu sein, die Erzbischof Salentin von Isenburg (1532–1610) 1569 in seinem Erzstift durchführen ließ. Hiernach hätte es nur in sechs von 18 Stadtpfarren und nur in acht von 92 Landgemeinden Schulen gegeben.17 Das halte ich für wenig wahrscheinlich, denn bereits die Kölner Provinzialsynode hatte 1536 gefordert, flächendeckend im gesamten Bistum Kirchspielsschulen einzurichten.18 Im Herzogtum Berg war diese Forderung offenbar auf fruchtbaren Boden gefallen. Es gab dort zwar im 16. Jahrhundert keine herzogliche Visitation, die ausdrücklich nach dem Vorhandensein einer Schule gefragt hätte, aber gegen Ende des Jahrhunderts scheint Schulunterricht dort normal gewesen zu sein. Wie anders wäre die Entschuldigung des Pastors zu Dhünn (heute zu Wermelskirchen) gegenüber den herzoglichen Beamten zu verstehen, der erklärte: „Wegen des kirspels gering- und unvermugenheit non esse ludimagistrum“.19 Der Gemeinde, zu der damals nur 70 Familienhäupter zählten, gelang es erst nach 1616 mit Hilfe der reformierten Bergischen Synode einen Lehrer an sich zu binden.20 Nicht nur in den größeren Dörfern der Vereinigten Herzogtümer, für die eine von dem Humanisten Konrad von Heresbach (1496–1576) beeinflusste Reformschrift 1545 Unterricht im Lesen, Schreiben, in der Glaubenslehre und in der Arithmetik gefordert hatte,21 bemühte man sich offenbar im ausgehenden 16. Jahrhundert 14 RUTZ: Bildung (wie Anm. 10), S. 63. 15 BECKER, Thomas P.: Konfessionalisierung in Kurköln. Untersuchungen zur Durchsetzung der katholischen Reform in den Dekanaten Ahrgau und Bonn anhand von Visitationsprotokollen 1583–1761 (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Bonn 43), Bonn 1989, S. 230. 16 RUTZ: Bildung (wie Anm. 10), S. 61, Tab. 6. 17 RUTZ: Bildung (wie Anm. 10), S. 59f.; vgl. FRANZEN, August (Hrsg.): Die Visitationsprotokolle der ersten nachtridentinischen Visitation im Erzstift Köln unter Salentin von Isenburg im Jahre 1569 (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 85), Münster 1960. 18 BECKER: Konfessionalisierung (wie Anm. 15), S. 226. 19 REDLICH: Kirchenpolitik (wie Anm. 12), Bd. 2/2, S. 109. 20 ROSENKRANZ, Albert (Bearb.): Die reformierten Bergischen Synoden während des jülichklevischen Erbfolgestreites (1611–1700) (Schriftenreihe des Vereins für rheinische Kirchengeschichte 16–17, 27), 3 Bde., Düsseldorf 1963–1967, hier Bd. 1, S. 75. 21 Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland [LAV NRW R], Jülich-Berg II, 200, fol. 3–5.
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um Lehrer. Hier wie auch in den übrigen Gebieten des Rheinlandes, in denen die Protestanten Fuß fassten, errichteten die Lutheraner und die Reformierten neben der Kirche eine Schule oder ein kombiniertes Schul- und Küsterhaus, wenn es ihnen nicht gelang, die bestehenden Gebäude zu übernehmen. Die Streitigkeiten um die Kirchen- und Schulrenten geben vor allem nach 1600 so manchen Hinweis auf eine Schule, wenn man die lokalen Quellen in den Kirchenarchiven und die Überlieferung der Ämter durchforstet. Für das Jahr 1624 können wir mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass es in Berg, aber auch in Jülich an fast allen Kirchorten Schulunterricht gegeben hat. 1624 wurde in den Religionsverhandlungen zwischen Brandenburg und Pfalz-Neuburg in den 1660er-Jahren zum ‚Normaljahr‘ erklärt. Man vereinbarte, diejenige Religionspartei, die in diesem Jahr die Kirche und die Schule besessen hatte, sollte sie weiterhin ungestört benutzen dürfen oder sie zurückerstattet bekommen. Wenn man bedenkt, welch großes finanzielles Interesse mit dem Nachweis des Besitzes verbunden war, dann kann es nicht überraschen, dass Katholiken, Lutheraner und Reformierte es mit der Wahrheit nicht so genau nahmen. Mit zum Teil notariell beglaubigten Zeugenaussagen versuchte jede Konfession zu beweisen, dass sie und nur sie Kirche und Schule innegehabt hätte. Wer nun tatsächlich 1624 den Lehrer besoldet und das Schulgebäude besessen hatte, das fanden häufig weder die voreingenommenen katholischen Beamten Pfalz-Neuburgs noch ihre ebenfalls parteiischen klevischen Kollegen heraus, welche die Reformierten zu bevorzugen suchten. Es ist deshalb unmöglich, aus den Protokollen im Bestand Jülich-Berg22 und aus der parallelen Überlieferung im Bestand Kleve-Mark des Landesarchivs in Düsseldorf genaue Zahlen zum Schulbesitz der einzelnen Konfessionen zu ermitteln. Was man aber sagen kann, ist dies: In nahezu allen Kirchspielen Jülichs und Bergs gab es 1624 eine Schule, in einigen gemischt-konfessionellen Orten sogar zwei.23
3. Die Schule als Ort der Glaubensunterweisung und der Elementarbildung Nur im ersten Moment mag es erstaunen, dass die Konfessionen danach trachteten, selbst in den kleinsten Dörfern eine eigene Schule zu betreiben. So unterrichtete in dem winzigen, heute zu Wülfrath gehörenden Örtchen Düssel weiterhin ein katho22 LAV NRW R, Jülich-Berg II, 321; ebd., 368 (I); ebd., 575. 23 Eine vergleichbar hohe Zahl von Schulen (25 katholische und vier reformierte Lehrer in 24 Kirchspielen) gibt es im klevischen Archidiakonat Xanten erst 1682. Die übrigen visitierten linksrheinischen Dekanate erreichten diese Schulquote erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts, vgl. FRIEDRICHS, Otto: Das niedere Schulwesen im linksrheinischen Herzogtum Kleve 1614– 1816. Ein Beitrag zur Regionalgeschichte der Elementarschulen in Brandenburg-Preußen (Schriften der Heresbach-Stiftung Kalkar 8), Bielefeld 2000, S. 87; außerdem RUTZ: Bildung (wie Anm. 10), S. 61.
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lischer Lehrer, obwohl nur sechs Familien beim alten Glauben geblieben waren. Dies war hier nur deshalb möglich, weil der katholisch gewordene Landesherr Wolfgang Wilhelm 1615 eine Teilung der Schulrenten mit den Reformierten durchgesetzt hatte.24 Bereits auf der Generalsynode der Reformierten, die für das gesamte Gebiet der ehemaligen Vereinigten Herzogtümer zuständig war, hatte man 1610 darüber beraten, wie man „mit notigen Schulen und Schuldiener hin und wider“ versehen werden könnte. Der Lehrer sollte „in der christlichen Lehr gesund und rein“ sein und „keinen anderen Catechismum, als der in diesen Kirchen ublich, der Jugend vortragen“.25 Üblich waren bei den Katholiken der Kölner Diözesankatechismus, der Löwener Katechismus und der des Petrus Canisius, bei den Lutheranern der Kleine Katechismus Luthers und bei den Reformierten der Heidelberger Katechismus.26 Wie sehr die religiöse Unterweisung ein Ziel der Konfessionen war, möchte ich anhand einer Schulordnung von 1666 zeigen, die aus Süchteln (heute zu Viersen) stammt.27 Gleichzeitig gewinnen wir einen Einblick in den Umfang und die Art des Unterrichts. Nach den vom reformierten Konsistorium aufgestellten Schulregeln begann der Unterricht im Sommer um 7, im Winter um 8 Uhr mit einem Morgengebet und dem Aufsagen der „fünff haubtstücke der Christlichen religion“.28 Das sind die zehn Gebote, das Glaubensbekenntnis, das Vaterunser, die Taufe und das Altarssakrament. Im Heidelberger Katechismus und in dem Luthers sind diese Grundlagen des Glaubens mit einfachen Verständnisfragen verbunden. Vermutlich wurde bei jeder der drei Gebetszeiten ein Gebot, ein Satz aus dem Glaubensbekenntnis oder dem Vaterunser aufgesagt und mit den Katechismusfragen und den dort formulierten Antworten verknüpft. Das Gebet und die Rezitation sollten täglich zwischen den Schülern wechseln. Nach dieser Übung lernte jedes Kind still eine vorgegebene Lektion aus dem Katechismus, bis es das Gelernte dem Lehrer aufsagen durfte. Bis 9 Uhr sollten die größeren und die kleineren Kinder ihre Lektion mindestens zweimal aufsagen. Auch in der folgenden Stunde wurden alle Schüler mit stillem Lernen und Aufsagen beschäftigt. Ab 11 Uhr schrieben die älteren Kinder die Sprüche, die der Prediger ihnen wöchentlich gab, „langsamlich klar und deutlich“ ab, während der Lehrer von Montag bis Mittwoch den Kleineren Gebete und die Hauptstücke beibrachte, „so vill die zeit leydet und ein jedes kind begreyffen 24 LAV NRW R, Jülich-Berg II, 317, fol. 226v. 25 ROSENKRANZ, Albert (Bearb.): Generalsynodalbuch. Die Akten der Generalsynoden von Jülich, Kleve, Berg und Mark 1610–1793, Bd. 1/1, Düsseldorf 1966, S. 18, 20. 26 KISTENICH, Johannes: Schule im Rheinland zwischen Reformation und Revolution, in: ZEHNDER, Frank Günter (Hrsg.): Eine Gesellschaft zwischen Tradition und Wandel. Alltag und Umwelt im Rheinland des 18. Jahrhunderts (Der Riss im Himmel. Clemens August und seine Epoche 3), Köln 1999, S. 40–64, hier S. 46. 27 Ein Volksschul-Regulativ aus der Mitte des 17. Jahrhunderts. Aus dem Protocollbuche der reformirten Gemeinde Süchteln, Herzogthums Jülich, in: Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins 1 (1863), S. 219–225. 28 Volksschul-Regulativ (wie Anm. 27), S. 220.
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kann“.29 Von Donnerstag bis Samstag sollten die Kleinen das Sprüchlein lernen, das der Prediger ihnen für die Woche aufgegeben hatte, und der Lehrer ihnen den Spruch erklären. Von 12 bis 13 Uhr legten die Schreibschüler dem Pädagogen jeweils das von ihnen Geschriebene zur Verbesserung vor. In dieser Zeit wurden alle übrigen Kinder während der Woche still damit beschäftigt, die Fragen und Antworten aus dem Heidelberger Katechismus auswendig zu lernen, die am folgenden Sonntagnachmittag aufgesagt werden mussten. In den drei Nachmittagsstunden lief der Unterricht identisch ab, außer dass in der dritten Stunde die älteren Schüler die Sprüche aus der Bibel lernen sollten, die ihnen der Prediger wöchentlich aufgab. Der Erfolg des Lernens wurde am Samstagnachmittag vom Lehrer überprüft. Mittwochs fand in der letzten Stunde bei allen Kindern, die den Katechismus lernten, ebenfalls eine Überprüfung statt, und zwar in der Weise, dass der Lehrer nur die Anfangsfrage stellte. Wer als erster geantwortet hatte, stellte dann die im Katechismus folgende Frage an einen Mitschüler. So sollte es weitergehen, bis alle gelernten Fragen und Antworten abgehandelt waren. Der Ernstfall der Überprüfung des Katechismuswissens trat am Sonntag ein. Von 13 Uhr an wurde noch einmal eine halbe Stunde in der Schule geübt, dann ging es in die Kirche, wo die Kinder ihr Wissen zeigen mussten. Außerdem fragte der Prediger ab, was sie von der der vormittäglichen Predigt behalten hatten. Innerhalb der Schule durchliefen die Mädchen und Jungen nach dem zehnten Artikel der Ordnung folgende Stufen: „Die kinder sollen nit eher lesen, biß sie woll konnen buchstaben, nit eher schreiben biß sie ziemlich die truck [gedruckte Texte] können lesen, und den Catechismum mit sprüchen dann erst lernen, wenn sie blosse fragen und antworten zuvoren woll gelernet haben“. Wohl nur eine Minderheit lernte auch, Briefe aufzusetzen. Hierfür waren Briefsammlungen und so genannte Titulbücher als Lehrmittel vorhanden. Da man sonst kaum einmal in den Quellen die benutzten Lehrbücher vollständig aufgeführt findet, seien sie hier genannt: Es gab „für die kleinere täffelges, ab bücher, kleyne Catechismus, sterbbüchlein und dann die Newe Testamenter nach Lutheri übersetzung, für die größere der Catechismus mit sprüchen in kleynere fragen und antworten verteutschet durch Johannem Valentinum Zenserum [?], titelbücher, und allerley brieffe“.30 Ich bin auf diese Ordnung so ausführlich eingegangen, weil sie einen Einblick in den Unterricht einer deutschen Schule der Reformierten im 17. Jahrhundert gibt, wie er nur selten zu finden ist. Ein Großteil der Unterrichtszeit war hiernach mit Auswendiglernen und Aufsagen des Katechismus und religiöser Sprüche ausgefüllt. Katechismusunterricht oder, allgemeiner ausgedrückt, religiöse Unterweisung in den Glaubenswahrheiten der jeweiligen Konfession war das vornehmste Unterrichtsziel. Dennoch war man sich bewusst, dass die Lese- und Schreibfähigkeit auch weltlichen Zwecken dienen konnten und förderte sie durch geeignete Lehrmittel, wie den Briefsammlungen. 29 Volksschul-Regulativ (wie Anm. 27), S. 221f. 30 Volksschul-Regulativ (wie Anm. 27), S. 223.
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Rechnen kam im Tagesablauf der Süchtelner Schüler nicht vor. Es hat auch in den bischöflichen Visitationsprotokollen keinen Platz gefunden, selbst bis in die Zeit von Clemens August von Bayern (1700–1761) nicht, wie Johannes Kistenich festgestellt hat.31 Ob man daraus schließen kann, dass Rechnen nur selten gelehrt wurde, möchte ich solange offen lassen, bis man sich auch im Bereich von Jülich, Kleve und Kurköln intensiver mit den Schulordnungen und den Inhalten der Berufsscheine beschäftigt hat. Eine von mir vorgenommene Zusammenstellung für das Herzogtum Berg, die bei weitem nicht vollständig ist, führt für die Zeit von 1619 bis 1732 in 14 von 17 Fällen Rechnen als Unterrichtsfach auf.32 Die Reihenfolge der Fächer ist dabei fast überall identisch. In der reformierten Schule zu Dorn (heute zu Waldbröl) sollten 1619 die Schüler ebenso wie 1624 in der katholischen Schule zu Hubbelrath (heute zu Düsseldorf ) Lesen, Schreiben, Rechnen und den Katechismus lernen. Die ersten drei Fächer finden sich in dieser Reihenfolge auch noch in dem spätesten von mir ausgewerteten Berufsschein für den reformierten Elberfelder Lehrer aus dem Jahr 1732. Nur folgen hier statt des Katechismusunterrichts die Fächer Singen, Musizieren und zum Schluss die Anfänge der christlichen Religion. Bekanntlich ist die Reihenfolge in mittelalterlichen Urkunden nicht zufällig, und auch die heutigen Deutschlehrer bringen ihren Schülern noch bei, in Aufzählungen die wichtigste Sache zuerst zu nennen. Insofern mag es erstaunen, dass in meiner kleinen Zusammenstellung nur einmal, und zwar 1694 in der Schulordnung des außerhalb des Bergischen gelegenen Städtchens Neuwied, die Katechismuslehre die erste Stelle einnimmt.33 Offensichtlich bildete der jeweilige Katechismus häufig die Grundlage der Schulstunden, und die Glaubensunterweisung war für die Konfessionen und auch für die Eltern ein Ziel, aber nicht das wichtigste. Die als Schulaufsicht eingesetzten Gemeindemitglieder – meist als Scholarchen bezeichnet – scheinen den Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen mit dem Hintansetzen der religiösen Unterweisung besondere Bedeutung beigemessen zu haben. Vor allem die Scholarchen waren es nämlich, die allein oder zusammen mit dem Prediger die Artikel verfassten, so etwa bei den Elberfelder Schulordnungen des frühen 17. Jahrhunderts. Vermutlich hat man in dieses Amt Eltern gewählt, und diese hatten offenbar ein Interesse daran, dass ihre Kinder lesen, schreiben und wenigstens teilweise rechnen lernten. Nur so kann man verstehen, dass reformierte Kinder im niederbergischen Velbert vor 1616 in die lutherische Schule geschickt wurden, nur weil der
31 KISTENICH: Schule (wie Anm. 26), S. 47. 32 WESOLY, Kurt: Das Interesse der weltlichen Obrigkeiten, der Konfessionen und der Eltern am Elementarunterricht im Herzogtum Berg vom 16. bis ins 18. Jahrhundert, in: MUSOLFF, Hans-Ulrich/JACOBI, Juliane/LE CAM, Jean-Luc (Hrsg.): Säkularisierung vor der Aufklärung? Bildung, Kirche und Religion 1500–1750 (Beiträge zur Historischen Bildungsforschung 35), Köln/Weimar/Wien 2008, S. 157–177, hier S. 177. 33 WESOLY: Interesse (wie Anm. 32), S. 177.
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Lehrer den Ruf hatte, dass er „woll schreiben und rechnen konne“.34 Zu dieser Zeit, das muss man wissen, waren sich die beiden protestantischen Konfessionen mindestens ebenso feindlich gesonnen wie beide den Katholiken. Im Streit um den Kirchenbesitz in Velbert holte der reformierte Prediger 1618 den lutherischen Pastor während des Gottesdienstes mit gezücktem Degen von der Kanzel. „Schlechter Stumpax“ und „vertrunken Bestiam“ waren die wenig schmeichelhaften Anreden.35 In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts war der Besuch einer konfessionsverschiedenen Schule noch nicht von Sanktionen bedroht. Erst 1659 beschloss die reformierte Bergische Synode, diejenigen, „so ihre Kinder uf päbstischen oder lutherischen Schulen hinschicken, nach gütlichen Vermahnungen […] mit der Suspension von den Sacramenten“ zu bestrafen.36 Das Verbot des Besuchs der „papistischen Schulen“ wiederholte die Generalsynode 1671 für Jülich, Berg und Kleve.37 Ursache dafür, dass Eltern ihre Kinder auf eine konfessionsverschiedene Schule schickten, war in jedem Fall schlechter Unterricht. Wenn die Beschwerden beim Lehrer, den Scholarchen, beim Pastor und eventuell bei der Synode nichts halfen, nahm man sogar die angedrohten Höllenstrafen in Kauf, wie etwa 1697 in Hilden, wo ein großer Teil der reformierten Eltern ihre Töchter und Söhne in der erst 15 Jahre vorher gegründeten katholischen Schule anmeldete. Übrigens schickten 50 Jahre später die Katholiken ihre Kinder in den Unterricht des reformierten Lehrers.38
4. Die Winkel-, Neben- und Honnschaftsschulen Das Interesse der Eltern an einer elementaren Bildung für ihre Kinder wird nicht nur dadurch deutlich, dass sie ihren Nachwuchs auf eine konfessionsverschiedene Schule schickten, sondern noch mehr an den zahlreich entstandenen Neben- und Winkelschulen. Für letztere gibt es eine treffende Definition aus dem Jahre 1740: „Winkelschulen sind eine gewisse Art Haußschulen, die zum Nachteil der öffentlichen Schulen von gewissen eigennützigen Leuten gantz eigenmächtig errichtet werden […], von denen die Obrigkeit oft gar nichts weiß, mithin sie auch durchaus
34 WESOLY, Kurt: Die Auseinandersetzungen zwischen Lutheranern und Reformierten in Velbert zu Beginn des 17. Jahrhunderts, in: Historische Beiträge [Velberts] 11 (1991), S. 5–14, hier S. 12. 35 WESOLY: Auseinandersetzungen (wie Anm. 34), S. 12. 36 ROSENKRANZ: Synoden (wie Anm. 20), Bd. 2, S. 144, 147. 37 ROSENKRANZ: Generalsynodalbuch (wie Anm. 25), S. 142. 38 HUCKENBECK, Ernst: Die Anfänge des katholischen Schulwesens in Hilden. Von der konfessionellen Spaltung bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, in: DERS.: Zur Geschichte der katholischen Pfarrschule in Hilden (1650–1907) (Niederbergische Beiträge 57), Hilden 1991, S. 1–52, hier S. 13, 18.
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nicht gehörig kontrollieren kann“.39 Derartige Schulen können bereits in den spätmittelalterlichen Städten nachgewiesen werden.40 Wie verbreitet sie im 17. und 18. Jahrhundert waren, dafür mag die Stadt Kleve als Beispiel dienen. Nach einer Aufstellung in einer Petition katholischer Bürger gab es 1711 neben der katholischen und lutherischen Schule mit je einem Lehrer und der reformierten mit drei Lehrern noch 21 nicht privilegierte Privatschulen.41 Davon wurden zehn von Katholiken betrieben, neun von Reformierten und zwei von Lutheranern. Mindestens vier der Schulen, bei denen die Schülerzahl angegeben ist, lassen sich in ihrer Größe durchaus mit den öffentlichen Schulen in eine Reihe stellen. Drei reformierte Winkelschulen, die hier Kloppen- oder Heckschulen genannt werden, hatten 50, 60 bis 70 und 80 Schüler, die katholische Anstalt 25. Alle diese Schulen tauchen selbstverständlich nicht in den Visitationsakten auf. Insofern ist es schwierig, wenn nicht gar unmöglich, eine Schulbesuchsquote für eine Stadt oder eine Region zu ermitteln. In der erwähnten katholischen Schule wie in 13 anderen Schulen aller Konfessionen unterrichteten Frauen. Ob sie auf kleine Kinder und den Lautierunterricht beschränkt waren, wie das in Düsseldorf und einigen anderen bergischen Städten der Fall war,42 sagt die Quelle nicht. Zwei der Frauen erteilten Französischunterricht, eine davon in einem Gasthaus. Der Magistrat von Kleve ging gelegentlich gegen von ihm nicht privilegierte Lehrer vor, so 1725 gegen einen „Studioso von Cölln“.43 Auch ein allgemeines Verbot konnte aber das Florieren der Winkelschulen in der Stadt auf Dauer nicht verhindern. Zu groß war der Wunsch der Eltern, ihren Kindern die bestmögliche Ausbildung angedeihen zu lassen. Sicher gab es unter den Winkelschullehrern auch fragwürdige Gestalten, in deren Schulen die Schüler mehr verwahrt als gefördert wurden. Die Konzentration auf den Elementarunterricht und die kleineren Klassen in den Winkelschulen boten aber die Chance zu einem schnelleren Lernfortschritt. Deshalb waren Eltern bereit, für diesen Unterricht ein Mehrfaches an Schulgeld zu entrichten. So zahlten Eltern 1724 in Langenberg statt der üblichen acht Stüber an den Lehrer der Pfarrschule 20 Stüber an den Lehrer der Winkelschule. Sie taten dies gern, denn während jener ihren Kindern bescheinigt hatte, „sie wären zu dumm und hartledrig, das [er] nichts drein bringen könne“, 39 Das Zitat eines schlesischen Schulrektors bei FRIEDRICHS: Schulwesen (wie Anm. 23), S. 200. 40 SCHMIEDER, Felicitas: „Wenn Du Kinder hast, erziehe sie“, spricht Salomo. Auf der Suche nach ländlicher Elementarschulbildung für Laien im Mittelalter, in: ANDERMANN, Ulrich/ ANDERMANN, Kurt (Hrsg.): Regionale Aspekte des frühen Schulwesens (Kraichtaler Kolloquien 2), Tübingen 2000, S. 9–28, hier S. 27. 41 FRIEDRICHS: Schulwesen (wie Anm. 23), S. 204–206. 42 MÜLLER, Klaus: Unter pfalz-neuburgischer und pfalz-bayerischer Herrschaft (1614–1806), in: WEIDENHAUPT, Hugo (Hrsg.): Düsseldorf. Geschichte von den Ursprüngen bis ins 20. Jahrhundert, Bd. 2, Düsseldorf 1988, S. 7–312, hier S. 237; WESOLY, Kurt: Hof- und Honnschaftsschulen im Bergischen Land bis zum Ende des Alten Reiches, in: ANDERMANN/ANDERMANN: Regionale Aspekte (wie Anm. 40), S. 201–220, hier S. 212. 43 FRIEDRICHS: Schulwesen (wie Anm. 23), S. 206.
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hatte nach der Aussage der Eltern der Winkelschullehrer in wenigen Monaten „dieselbe zu unserer höchster Verwunderung und Freude nach Proportion des Alters im Lessen und theils im Schreiben fast perfectioniret“.44 Da sich die Winkel- und Nebenschulen einer Kontrolle weitgehend entzogen, gingen nicht nur die Obrigkeiten, sondern auch die Konfessionen gegen sie vor. 1659 sprach die reformierte Klever Synode ein generelles Verbot von Nebenschulen aus und erwirkte ein kurfürstliches Dekret, 1687 folgten die Lutheraner in ihrer vom brandenburgischen Kurfürsten bestätigten Kirchen- und Schulordnung.45 Ob im Klevischen und im Erzstift Köln die Nebenschulen außerhalb der Städte eine Rolle gespielt haben, ist der vorhandenen Literatur nicht zu entnehmen. Sehr viel klarer wird dies für das Herzogtum Berg. Hier musste man sich bereits früh mit Schulen auseinandersetzen, die außerhalb des kirchlich beeinflussten Rahmens entstanden waren. Dies ist nicht verwunderlich, herrschte doch dort die Einzelhofsiedlung vor – von der Rheinebene abgesehen. Die verstreut liegenden Bauernhöfe waren in Honnschaften zusammengefasst, eine Einheit, die vermutlich bis in die Zeit der fränkischen Gaugrafenverfassung zurückreicht.46 Die Einteilung war die Grundlage der Pfarren, der Landgerichte und der Ämter. Da eine Pfarrei bis zu acht Honnschaften umfassen konnte, ist es verständlich, dass Eltern ihren Kindern keine Wege von sieben Kilometern und mehr zur Kirchspielsschule zumuten wollten, wie ich sie bereits für das 16. Jahrhundert im Niederbergischen nachweisen kann.47 Von den ersten Schulen fernab der Kirche hören wir durch die Klagen der Lehrer in den reformierten Gemeinden von Solingen, Mülheim am Rhein und Gräfrath in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Verständlicherweise waren die Pädagogen daran interessiert, dass möglichst viele Kinder ihre Schule besuchten, denn das Schulgeld bildete das Gros ihrer Einkünfte. 1652 beschwerte sich deshalb der Solinger Schuldiener Clemens Busch darüber, dass in allen acht Honnschaften der Gemeinde Lehrer auf den Höfen unterrichteten und dadurch seine Einkünfte geschmälert würden.48 1659 sprach man wie in Kleve ein allgemeines Verbot der Nebenschulen aus. Die Entwicklung ließ sich jedoch nicht mehr aufhalten. Nur vier Jahre später gab es im Dorf Mülheim an der Ruhr neben den beiden Kirchspielslehrern bereits in allen sieben zugehörigen Honnschaften Lehrer. Dabei nahmen die reformierten Prediger 44 WESOLY: Honnschaftsschulen (wie Anm. 42), S. 215. 45 FRIEDRICHS: Schulwesen (wie Anm. 23), S. 64. 46 Zu den Honnschaften fehlt bisher jegliche Literatur. Einen ersten kleinen Artikel habe ich in der Wikipedia veröffentlicht, http://de.wikipedia.org/wiki/Honnschaft. 47 Von den 21 Reformierten aus Heiligenhaus, die 1618 in einer Petition an den Landesherrn um die Bestätigung eines reformierten Predigers baten, unterschrieben elf mit eigener Hand. Sie müssen diese Fähigkeit bereits im 16. Jahrhundert in der sechs bis acht Kilometer entfernten Schule in Velbert erworben haben, WESOLY, Kurt: Heiligenhaus. Von der Reformationszeit bis zum Beginn der Selbständigkeit (1897), in: LUX, Thomas/NOLTE, Hartmut/ WESOLY, Kurt (Hrsg.): Heiligenhaus. Geschichte einer Stadt im Niederbergischen, Heiligenhaus 1997, S. 125–202, hier S. 157. 48 WESOLY: Honnschaftsschulen (wie Anm. 42), S. 209.
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eine gewisse Aufsicht wahr. Im Konsistorialprotokoll von 1664 heißt es nämlich: „Die Schull in Heißen betreffend, ist vorgefallen, daß Teill auf der Steinkaul, weil er sich vor diesem der Schulkinder daselbst angenommen, vor Predigern erscheinen soll, von ihm zu vernehmen, welche Geschicklichkeit er in instituendo habe“.49 Es ging hier also bereits nur noch um eine Überprüfung der Fähigkeiten des Lehrers, nicht um ein Verbot des Unterrichts. Dies findet seine Entsprechung in den Düsseldorfer Klassikalprotokollen, in denen wenig später Kollektenpatente zum Bau von Honnschaftsschulen erwähnt sind. Bereits 1676 war der Unterricht in den Honnschaften schon so normal, dass die Bergische Provinzialsynode verordnete, „daß die Schulen, sonderlich in den großen Gemeinen, da sich die Kirspels-Nebenschulen viel finden, zum oftern fleißig von den Pastoribus und Scholarchen sollen visitiert werden“.50 Die Kontrolle dehnte man schließlich auf die Anstellung der Lehrer aus. 1697 verkündeten die reformierten Prediger von allen Kanzeln in Berg das Gebot, „daß nemlich keine Hondschaft ihres Gefallens an einigem Orthe einen Schulmeister ohne Vorwissen des consistorii erwehle“.51 Das Recht der Lehrerwahl blieb aber in den bergischen Honnschaftsschulen immer bei den Schulinteressierten, also bei den Eltern mit Schulkindern. Auch in den Pfarrschulen war teilweise dieser Modus üblich. Meist waren dort aber alle männlichen Gemeindemitglieder das Wahlgremium. Das galt für alle drei Konfessionen. Auch nachdem 1743 ein Beschluss der Reformierten gefordert hatte, „das stehende und abgestandene Consistorium sollen die schulmeister wehlen, nicht die gemeinen kopf vor kopf“, änderte sich bis zum Ende des Alten Reiches nichts an dem Wahlmodus, wie viele Berufsscheine der Lehrer und die Protokolle aus den Gemeinden zeigen. Eine höhere geistliche oder weltliche Instanz war an der Wahl nicht beteiligt.52 Lediglich die Inhaber der Herrschaft Hardenberg übten ein Bestätigungsrecht aus. Die so genannte Kollation erteilten sie aber regelmäßig unbesehen gegen Zahlung eines Reichstalers.53 Im katholischen Erzstift Köln war die Lehrerwahl eine Sache der Kirchengemeinde, in den Städten auch der bürgerlichen Gemeinde. Gelegentlich berief der Pastor allein den Schulmeister, häufiger aber die mit dem Rügegericht beauftragten Sendschöffen. Anders als in Berg nahmen im Erzstift Köln, aber auch in Kleve, häufig die Landesherren selbst oder ihre Vertreter das Besetzungsrecht an den Schulen wahr. Selbst bei den katholischen Schulen beharrte die reformiert ausgerichtete Klever Regierung auf ihrem Recht. Wo die – im Gegensatz zum Ber49 FORSTHOFF, Heinrich: Schulverhältnisse am Niederrhein im 17. Jahrhundert, in: Monatshefte für Evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes 10 (1916), S. 103–126, hier S. 111. 50 WESOLY: Honnschaftsschulen (wie Anm. 42), S. 209. 51 WESOLY: Honnschaftsschulen (wie Anm. 42), S. 210. 52 WESOLY, Kurt: „…und mit keinem Geld der Welt zu bezahlen“. Zur Situation des Lehrerstandes im Niederbergischen bis zum Ende des Alten Reiches (1806), in: Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins 98 (1997/98), S. 149–166, hier S. 154. 53 Ev. Gemeindearchiv Langenberg, orange 2.
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gischen – zahlreich vorhandenen Inhaber von kleinen Herrschaften oder geistliche Institute die Kollation der Pfarrstellen innehatten, setzten sie meist auch den Lehrer ein.54
5. Die Lehrer an den Pfarrschulen Wenngleich unterschiedliche Personen, Personengruppen oder Institutionen dafür sorgten, dass eine Schule mit einem neuen Lehrer versorgt wurde, kann man keinen gravierenden Unterschied in der Qualifikation feststellen. Eine Überprüfung der pädagogischen oder geistigen Fähigkeiten war bis Ende des 18. Jahrhunderts kaum üblich. Erst dann sind Probestunden vor den Schulinteressierten gelegentlich in den Quellen erwähnt. Schon früher wurde dagegen die richtige Glaubensauffassung durch den Pfarrer überprüft. Eine spezielle Lehrerausbildung gab es nicht. In der Regel reichte es aus, lesen und schreiben zu können. Zum Teil unterrichteten aber auch theologisch gebildete Lehrer. Bereits im 16. Jahrhundert war mit mancher Vikarie das Schulamt verbunden. Nach der herzoglichen Jülicher Visitation von 1559/60 wurde in immerhin gut einem Fünftel der erfassten Schulen der Unterricht von einem Vikar oder dem Pastor selbst abgehalten.55 Noch 1682 lag im Klevischen der Anteil von geistlichen Lehrern in den katholischen Schulen bei acht und 1753 bei zehn Prozent. Tätig waren sie vor allem in den Städten Xanten, Goch und Kalkar.56 Im Erzstift Köln hat Wilhelm Zimmermann für die Mitte des 18. Jahrhunderts einen Wert von 13 Prozent ermittelt.57 Darunter waren auch einige Ordensleute. Insgesamt ist der Anteil der Patres und Mönche an der Vermittlung elementarer Bildung aber gering gewesen. Die Orden engagierten sich eher im Bereich der höheren Bildung. Das gilt nicht nur für die Jesuiten, sondern auch für die Bettelorden. Gerade einmal in neun Orten unseres Untersuchungsgebietes konnte Johannes Kistenich bis 1750 Bettelmönche an einer deutschen oder einer deutsch-lateinischen Elementarschule nachweisen.58 Sechs davon lagen in den protestantischen Gebieten Bergs und sind im Zusammenhang mit den Rekatholisierungsbemühungen der katholischen Landesherren zu sehen. Lediglich an der Vermittlung ele-
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KISTENICH: Schule (wie Anm. 26), S. 47. KIRCHHOFF: Küsterschulen (wie Anm. 13), S. 130f. FRIEDRICHS: Schulwesen (wie Anm. 23), S. 90. ZIMMERMANN, Wilhelm: Die Anfänge und der Aufbau des Lehrerbildungs- und Volksschulwesens am Rhein um die Wende des 18. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Geschichte des rheinischen Schulwesens, Bd. 1: Die Anfänge der Lehrerbildung und die Reform des niederen Schulwesens in den rheinischen Territorialstaaten (1770–1794) (1806), Köln 1953, S. 26. 58 KISTENICH, Johannes: Bettelmönche im öffentlichen Schulwesen. Ein Handbuch für die Erzdiözese Köln 1600 bis 1850 (Stadt und Gesellschaft. Studien zum Rheinischen Städteatlas 1), 2 Bde., Köln/Weimar/Wien 2001.
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mentarer Bildung für Mädchen hatten die Orden und religiösen Frauengemeinschaften einen deutlich höheren Anteil.59 Eine dem Unterricht förderliche Ausbildung hatten weder die Theologen noch die übrigen Lehrer durchlaufen. Meist lernten letztere das Lehrerhandwerk bei einem gestandenen Lehrer als so genannte Adjunkten. Soweit wir das ermitteln können, begann diese Art Lehre bereits mit 14 oder 15 Jahren und dauerte drei oder vier Jahre. Der jüngste Lehrer, der mir begegnet ist, war 18 Jahre alt, als er seine Stelle antrat. Noch 1814 gaben 18 der 63 im linksrheinischen Teil Kleves lehrenden Pädagogen ein Eintrittsalter in den Schuldienst von unter 20 Jahren an.60 Nach oben gab es keine Altersbegrenzung. Meist rief der Tod und nur gelegentlich der Unmut der Eltern wegen der zunehmenden Senilität den Lehrer von seinem Posten ab. Nach den Visitationsprotokollen des Archidiakonats Xanten von 1722 war dort ein Lehrer noch mit 80 Jahren aktiv.61 Gerade eine ältere Lehrkraft stellte gern gegen Kost und Logis einen Adjunkten zur Unterstützung ein, denn eine Altersversorgung gab es noch nicht. Manchmal erlaubte man invaliden Kräften einen Unterlehrer, dessen Vergütung jedoch häufig ganz oder zum größten Teil vom Gehalt des Hauptlehrers abgezogen wurde. Obwohl die Pfarrschullehrer gewöhnlich für ihre Wohnung nichts zu bezahlen brauchten und im ländlichen Raum mit der Lehrerstelle häufig die Nutzung eines Ackers oder wenigstens eines Gartens verbunden war, reichte das Einkommen aus der Lehrertätigkeit kaum irgendwo, um eine Familie zu ernähren. Die Kirchspielslehrer übten deshalb sehr häufig das Amt des Küsters und/oder des Organisten aus. Hierbei lassen sich allerdings erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Gebieten des Rheinlandes feststellen. Während die Kombination Lehrer/ Küster in Berg so normal war, dass man von der bergischen Küsterschule spricht, und auch im Klevischen nach den Visitationen bis 1753 mindestens 70 Prozent der Schulmeister mit dem Küsteramt betraut waren, gab es in Kurköln und Jülich deutlich weniger Lehrer in dieser Doppelfunktion. Am geringsten war der Anteil 1753 mit 17 Prozent im Eifeldekanat und mit 20 Prozent im Dekanat Zülpich.62 Wo das Küsteramt nicht zur Verfügung stand, waren die Lehrer bei der Wahl ihrer Nebenbeschäftigungen nicht wählerisch. Vom Schneider über den Schuster bis zum Landmesser ist alles vertreten. Am häufigsten betrieben sie, zum Teil mit
59 Vgl. dazu erschöpfend RUTZ: Bildung (wie Anm. 10); außerdem den Beitrag von Johannes KISTENICH in diesem Band. 60 Johann Engelbert Quack wurde 1795 in diesem Alter an die Vossnacker Schule bei Langenberg berufen, Ev. Gemeindearchiv Langenberg, orange 9. Eine Übersicht über das Eintrittsalter der klevischen Lehrer findet sich bei FRIEDRICHS: Schulwesen (wie Anm. 23), S. 192. 61 FRIEDRICHS: Schulwesen (wie Anm. 23), S. 93. 62 FRIEDRICHS: Schulwesen (wie Anm. 23), S. 90; KISTENICH: Schule (wie Anm. 26), S. 47.
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ihrer Frau, einen kleinen Handel, der ihnen so lange erlaubt war, wie sie nicht Alkohol anboten.63 Gegenüber den Winkelschullehrern und den Lehrern in den Honnschaften (in der Herrschaft Hardenberg: Bauerschaften) hatte die Tätigkeit als Kirchspielslehrer den Vorteil, dass die Schul- und Küsterrenten einigermaßen verlässlich einkamen. Die 60 Taler, welche die jülich-bergischen Beamten in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts als Mindesteinkommen für notwendig hielten, erreichte jedoch keiner der Lehrer aus derartigen Quellen. Nach einer Aufstellung aus den Jahren 1722/23 für die Düsseldorfer, Elberfelder und Solinger reformierte Klasse war lediglich der Elberfelder Lehrer mit 59 Talern aus Zinsen und Renten nicht auf andere Einkünfte angewiesen. Nur vier weitere Lehrer, nämlich aus Hilden, Mettmann, Sonnborn und Neviges, erreichten ein fixes Einkommen von 30 Talern. Die übrigen Schulmeister erhielten deutlich weniger oder mussten sich sogar mit einigen Naturaleinkünften begnügen.64 Soweit in den Visitationsberichten von 1714/22 Angaben zum festen Gehalt gemacht werden, herrschten im Klevischen ähnliche Verhältnisse. Mit 20 Reichstalern zählten die Lehrer in Büderich und Donsbrüggen (heute zu Kleve) bereits zu den Spitzenverdienern.65 Überall waren die Schulmeister demnach auf das Einkommen aus dem Schulgeld angewiesen. Es musste monatlich entrichtet werden und betrug, von wenigen Ausnahmen abgesehen, im gesamten Rheinland vom Beginn des 17. bis über die Mitte des 18. Jahrhunderts hinaus zwischen vier und sechs Stübern.66 Regelmäßiger Schulbesuch vorausgesetzt, ergab dies bei dem am häufigsten genannten Monatsbetrag von fünf Stübern ein Jahreseinkommen von einem Reichstaler pro Kind. Bei gelegentlich genannten Schülerzahlen von 60, 80 oder gar noch mehr Kindern in einer Schule ergibt das ein durchaus respektables Einkommen. Die hohen Zahlen werden allerdings meist dann genannt, wenn Eltern wegen „Anwachsens der Schule“, wie es in den Quellen heißt, einen Unterlehrer forderten oder der Lehrer wegen der Erschwernis eine Zulage von der Gemeinde erbat. Im Durchschnitt war die Klassengröße sicher deutlich geringer. Die Visitation der katholischen Schulen im Herzogtum Kleve von 1682 nennt neunmal Schülerzahlen.67 Nur in der Stadt Dinslaken wurden danach 50 Kinder unterrichtet. In den genannten ländlichen Orten gingen nur 15 bis 30 Kinder zur Schule, in den Sommermonaten meist noch weniger, wenn die Kinder in der Landwirtschaft mithalfen. Im Klevischen und in Kurköln gab es sogar Schulen, in denen während der Sommermonate überhaupt kein Unterricht stattfand. Selbst noch in der Zeit des Kurfürsten Clemens August gingen die Kinder in den Dekanaten Deutz und Eifel in 15 Prozent 63 64 65 66
WESOLY: Situation des Lehrerstandes (wie Anm. 52), S. 156. WESOLY: Situation des Lehrerstandes (wie Anm. 52), S. 159f. FRIEDRICHS: Schulwesen (wie Anm. 23), S. 101. FRIEDRICHS: Schulwesen (wie Anm. 23), S. 101; WESOLY: Situation des Lehrerstandes (wie Anm. 52), S. 161. 67 KISTENICH: Schule (wie Anm. 26), S. 48.
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der Dörfer nur im Winter in die Schule.68 Unter solchen Voraussetzungen waren die Lernerfolge sicher sehr gering. Trotz eifrigen Suchens ist mir eine derartige Winterschule im Herzogtum Berg nur einmal in den Quellen begegnet. Dabei handelt es sich um die Meiersberger Honnschaftsschule im Kirchspiel Homberg (heute zu Ratingen), in der bis in die 1720er-Jahre ein reformierter Lehrer nur in den Wintermonaten unterrichtete. Im Sommer, so heißt es im Protokoll des Konsistoriums, sei die Schule „stillgesetzet, alsdann die Leute ihre Kinder zur Arbeit brauchen, und der Schulmeister nicht so viele Schüler hätte, daß er subsidiren könnte“.69 Dennoch beeinflusste die Jahreszeit die Schulbesuchsquote auch im Bergischen. In der zur Herrschaft Hardenberg gehörenden Bauerschaft Siebeneick lag die Höchstzahl der Schüler im Februar 1722 bei 55 Schülern, während im Juli und August nur 31 bzw. 30 Kinder den Unterricht besuchten. Im Durchschnitt des Schuljahres 1721/22 waren es 37. Dies ergab für den dort tätigen Lehrer ein Gehalt von 37 Talern. Es wurde dadurch aufgebessert, dass es dem Schulmeister erlaubt war, im Schulhaus „Salz, Tran, Öl und andere Krautwaren“ zu verkaufen.70 Dennoch waren die Einkommen der Winkel-, Honnschafts- und Bauerschaftslehrer regelmäßig niedriger und ungesicherter als die der Pfarrschullehrer. Nach Möglichkeit wechselten sie deshalb an eine Kirchspielsschule. Dieser Wechsel zeigt, dass beide Gruppen offensichtlich gleich gut qualifiziert waren.
6. Die Erfolge des Unterrichts Ziel des Unterrichts in allen Schulen war – sieht man von einigen Winkel- und Rechenschulen in den Städten ab – neben der religiösen Unterweisung die Vermittlung von Lesen, Schreiben und Rechnen. Letzteres war zumindest in Berg keine seltene Ausnahme, wie bereits gezeigt wurde. Inwieweit Lehrer Erfolg bei ihren Bemühungen hatten und wie hoch der Prozentsatz von Kindern war, der völlig ohne Schulbildung blieb, ist natürlich sehr schwierig festzustellen. Erst mit dem Aufkommen der Zivilstandsregister am Ende des 18. Jahrhunderts im linksrheinischen und wenig später auch im rechtsrheinischen Teil des Rheinlandes haben wir einen Anhaltspunkt dafür, wie viele Frauen und Männer zu einer Unterschrift fähig waren. Seit der so genannten Franzosenzeit mussten Braut und Bräutigam sowie die Zeugen den Heiratsakt eigenhändig unterschreiben, wenn sie es denn konnten. Norbert Winnige hat die entsprechenden Akten für Bonn und sieben Mairien im Umland ausgewertet. Danach unterschrieben 88,5 Prozent der Bonner Männer und 66,7 Prozent ihrer Bräute den Heiratsvertrag. Im Umland waren es deutlich weniger, 68 KISTENICH: Schule (wie Anm. 26), S. 48f. 69 Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland Düsseldorf, A I, Ib 18. 70 DREYER, Hermann: Die alte Fingscheidter Schule in Neviges, in: Historische Beiträge [Velberts] 11 (1991), S. 15–26, hier S. 23.
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nämlich 67 Prozent der Bräutigame und nur 19,4 Prozent ihrer Partnerinnen. Die Signierfähigkeit war auch in der Elterngeneration ähnlich verbreitet, wie die Unterschriftsrate der Väter zeigt, die nur unwesentlich niedriger lag.71 Natürlich ist die soziale Differenzierung der Bevölkerung an der Unterschriftsquote ablesbar. Alle Händler und fast alle Handwerker unterschrieben mit eigener Hand, während selbst in der Stadt Bonn dies nicht einmal der Hälfte der Tagelöhner möglich war. Bonn ist übrigens nicht repräsentativ für die kurkölnischen Städte. In Neuss und Kempen war die Signierfähigkeit deutlich geringer.72 Die Tatsache, dass jemand unterschreiben konnte, beweist noch nicht, dass er auch anderes geschrieben hat. In vielen Fällen kamen die Unterschriften jedoch so flüssig aus der Feder, dass man auf geübte Schreiber schließen kann. Nur außerhalb des Rheinlands gibt es gelegentlich bereits vor der Mitte des 18. Jahrhunderts genaue Angaben über die Lese- und Schreibfähigkeit der Erwachsenen eines ganzen Dorfes. So hat der Pfarrer von Kleinheppach, einem Weinort im Remstal, die Leseund Schreibfähigkeit von 85 Frauen und 71 Männern beurteilt, die zwischen 1666 und 1736 geboren wurden. Von den Männern konnten lediglich sechs Prozent nicht lesen und von den Frauen sieben Prozent. 17 Prozent der Männer und 18 Prozent der Frauen hatten nach Meinung des Pfarrers besonders gute Lesefähigkeiten. Bei der Schreibfähigkeit sieht die Sache ganz anders aus. 71 Prozent der Frauen, aber nur 14 Prozent der Männer waren des Schreibens nicht mächtig.73 Ob sie alle mit einem Kreuzchen oder Handzeichen ein Schriftstück unterzeichneten, sei dahingestellt. Vermutlich darf man aber bei den eben vorgestellten rheinischen Bräuten, die keine Unterschrift leisteten, durchaus annehmen, dass ein größerer Teil von ihnen lesen konnte. Da man Kindern Lesen und Schreiben bis in das frühe 19. Jahrhundert nicht parallel, sondern nacheinander beibrachte, dürfte der unterschiedliche Bildungsstand der Geschlechter daher rühren, dass Mädchen deutlich früher aus der Schule genommen wurden als Jungen. Für den Zeitraum bis zum Ende des 18. Jahrhunderts gibt es für das Rheinland nur wenige Quellen, um eine Vorstellung über den Alphabetisierungsgrad der Bevölkerung zu gewinnen. In erster Linie kommen dafür Unterschriften unter Erbverträgen, Heiratsabreden, Petitionen und Berufsscheinen von Lehrern in Frage. Bisher hat sich jedoch noch niemand in größerem Umfang an diese mühevolle Arbeit gemacht. Auch im Bergischen, in dem ich mich beruflich bewegt habe, bin ich derartigen Quellen nicht systematisch nachgegangen. Dennoch will ich exemplarisch die Ergebnisse aus einigen in anderem Zusammenhang kopierten Unterschriftslisten nennen. 1618 unterschrieben in Velbert 21 von 42 Kirchspielsange71 WINNIGE, Norbert: Zum Stand der Alphabetisierung im Kurfürstentum Köln im ausgehenden 18. Jahrhundert, in: ZEHNDER: Gesellschaft (wie Anm. 26), S. 65–86, hier S. 74–76. 72 RUTZ: Bildung (wie Anm. 10), S. 33, Anm. 32. 73 EHMER, Hermann: Ländliches Schulwesen in Südwestdeutschland während der frühen Neuzeit, in: ANDERMANN/ANDERMANN: Regionale Aspekte (wie Anm. 40), S. 75–106, hier S. 97f.
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hörigen die Petition an den Landesherrn um einen reformierten Prediger eigenhändig. Davon wohnte die Hälfte in zwei etwa sieben Kilometer entfernten Honnschaften.74 Bei einer drei Jahre späteren Petition aus dem gleichen Anlass an den Wülfrather Kirchherrn, den Grafen von Tecklenburg, unterschrieben 18 Gemeindemitglieder und drei machten ein Handzeichen.75 Den Berufsschein für den neuen Lehrer in Langenberg unterschrieben 1713 alle 40 Schulinteressierten mit eigener Hand.76 Langenberg mit seinem Privileg für den Leinwandhandel mag ein Sonderfall sein. Hier gab es seit 1704 sogar eine Lateinschule, die durch die Stiftungen reich gewordener Kaufleute ermöglicht worden war. Aber auch im nicht weit davon entfernten ländlichen Bereich von Siebeneick, einer Gegend, wo sich heute noch Fuchs und Hase ‚Gute Nacht‘ sagen, war 1721 nur einer der 15 Petenten an die Freifrau von Hardenberg „schreibens unerfahren“.77 Eine von mir vorgenommene Auszählung der Unterschriften unter Ehevereinbarungen im evangelischen Gemeindearchiv Velbert, die von 1740 bis 1786 vorliegen, ergab eine Signierfähigkeit von fast 80 Prozent, wobei die Männer nur einen geringen Vorsprung hatten.78 Ohne mich auf einen genauen Prozentsatz festlegen zu wollen, scheint mir der Alphabetisierungsgrad in Berg recht hoch gewesen zu sein. Die Gründe dafür habe ich in einem jüngst erschienenen Beitrag ausführlicher zusammengetragen.79 Förderlich waren meines Erachtens: 1. die positive Einstellung der protestantischen Konfessionen zur Bildung allgemein, aber auch zu elementarer Bildung, 2. die Konkurrenzsituation zwischen den Lehrern der verschiedenen Religionsparteien, 3. die Übernahme des Schulgeldes durch den Armenfonds, wie es schließlich auch die bergischen Katholiken praktizieren mussten. Wichtiger aber war 4., dass in Berg die Bauern auf der untersten Verwaltungsebene, den Honnschaften, Funktionen übernommen hatten, in denen Lesen, Schreiben und sogar Rechnen wünschenswert, wenn nicht gar notwendig waren.80 Bauern sprachen das Recht nicht nur in den Hofgerichten, sondern auch in den seit dem frühen 14. Jahrhundert nachweisbaren Landgerichten, in letzteren allerdings unter dem Vorsitz eines landesherrlichen Richters. Zwei von ihnen reichten jedoch aus, Verträgen mit dem Schöffensiegel Gültigkeit zu verschaffen. Da dürfte trotz eines Gerichtsschreibers sehr bald der Wunsch aufgekommen sein, das lesen zu können, was sie besiegelten. Die Schöffen wurden jähr-
74 Ev. Gemeindearchiv Velbert, Best. 2000, Nr. 13 (Abschriften des heute durch Nässe verdorbenen Originals durch den ehemaligen Archiv- und Kulturamtsleiter Willy Fentsch in den 1930er-Jahren). 75 Landesarchiv NRW, Abt. Westfalen, Best. Grafschaft Tecklenburg, Akt. 446, fol 28r-v. 76 WESOLY: Honnschaftsschulen (wie Anm. 42), S. 213. 77 DREYER: Schule (wie Anm. 70), S. 22. 78 WESOLY: Bildung (wie Anm. 1), S. 18. 79 WESOLY: Interesse (wie Anm. 32). 80 Zum Folgenden vgl. WESOLY: Interesse (wie Anm. 32), S. 173f.; DERS.: Honnschaftsschulen (wie Anm. 42), S. 205–208.
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lich auf einer Versammlung der in einer Honnschaft lebenden Hofbesitzer gewählt. Die kleinen Kötter waren davon ausgeschlossen. Der Honne hatte unter anderem die Aufgabe, den auf die Honnschaft entfallenden Steueranteil auf die einzelnen Höfe und Kotten umzulegen. Das war nicht durch eine einfache Teilung möglich, da mancher Hof nur die Hälfte, ein Viertel oder noch weniger zu zahlen hatte, von den Bruchteilen der Kotten ganz zu schweigen. Die komplizierten Rechenvorgänge kann man für die Zeit von 1675–1749 in einem erhaltenen Bauerschaftsbuch aus Siebeneick nachvollziehen.81 Schließlich war für die Wertschätzung der Schule in Berg 5. sicher auch von Vorteil, dass sich im Bergischen bereits im 17. Jahrhundert in erheblichem Maße Gewerberegionen entwickelten, in denen der Ackerbau vielfach nur noch als Nebenerwerb betrieben wurde.82 Der gesamte Solinger/Remscheider Raum mit der Schwerter- und Messerherstellung ist hier zu nennen, aber auch das Wuppertal mit dem 1529 erteilten Privileg der Garnnahrung und dem Textilgewerbe, für das im weiten Umkreis Hunderte von Handwerkern arbeiteten. In Velbert und Umgebung begann im 17. Jahrhundert die Kleinschmiederei und insbesondere die Schlösserherstellung eine dominierende Rolle zu spielen. Nach einer Liste von 1739/40 lebten in dem niederbergischen Ort nur noch 35 von 129 Steuerzahlern von der Landwirtschaft, 29 arbeiteten in den Metallhandwerken.83 Da es sich jeweils um selbstständige Meister handelte und nicht um Verlagsarbeiter, war es im Umgang mit den Kaufleuten sicher von Vorteil, schreiben und rechnen zu können. Offenbar war die Schulbesuchsquote in den katholischen Orten schlechter als in dem protestantischen oder dem gemischt protestantisch/katholischen Teil Bergs. Klagen über das katholische Schulwesen in Düsseldorf setzten bereits im 17. Jahrhundert ein. 1660 wollte Herzog Philipp Wilhelm sogar aus eigenen Mitteln eine „freye teutsche schuel“ für arme katholische Kinder einrichten, um deren Müßiggang zu verhindern. Der Rat fürchtete die Folgekosten und verfolgte das Projekt nicht. Die katholischen Schulen waren 1720 in der Landeshauptstadt so schlecht, dass 19 Privatschullehrer – teilweise ohne ausreichende Qualifikation – die entstandene Lücke zu füllen suchten. Noch 1760 machte Kurfürst Karl Theodor den katholischen Eltern Düsseldorfs den Vorwurf, sie ließen ihre Kinder wie „die wilde auff denen straßen herumlaufen“.84 Dass Karl Theodor sich in dem mangelhaften Streben der Katholiken nach Bildung nicht getäuscht hatte, macht eine Zählung zu Beginn der Franzosenzeit in dem nunmehr stark vergrößerten Großherzogtum Berg
81 Ev. Gemeindearchiv Langenberg, hellblau 11. 82 Die schwindende Bedeutung der Landwirtschaft in Berg zeigt der Beitrag von WESOLY, Kurt: „Es gibt hier weder Monipolium noch Zunft…“. Zum Handwerkswesen im Herzogtum Berg, in: FELTEN, Franz J./IRRGANG, Stephanie/WESOLY, Kurt (Hrsg.): Ein gefüllter Willkomm. Festschrift für Knut Schulz zum 65. Geburtstag, Aachen 2002, S. 487–502. 83 WESOLY, Kurt (Bearb.): Velbert (Rheinischer Städteatlas 57), Köln 1992, S. 10. 84 MÜLLER: Herrschaft (wie Anm. 42), S. 233–235.
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deutlich. Danach erhielten 53,5 Prozent der katholischen Kinder regelmäßigen Schulunterricht, jedoch 84,6 Prozent der protestantischen.85 Einige der aufgezählten Faktoren, die im Bergischen das Elementarschulwesen positiv beeinflusst haben, waren in den übrigen Teilen des Rheinlandes nicht oder nur in geringem Maß vorhanden. So kannte man zwar im Raum Mönchengladbach, Krefeld und in einigen Gebieten am Niederrhein Honnschaften, aber die Honnen hatten wohl nur in wenigen Fällen die Befugnisse wie in Berg, so möglicherweise in den Ämtern Uerdingen und Linn.86 Auch das dauerhafte Nebeneinander der Konfessionen, das keine Vernachlässigung der Schule zuließ, gab es abgesehen von einigen klevischen Städten im übrigen Rheinland nicht.87 Der deutliche Unterschied in der gewerblichen Entwicklung zwischen dem ländlichen bergischen Raum zum Rest des Rheinlandes dürfte sich ebenfalls auf die frühe flächendeckende Verbreitung von Schulen in Berg ausgewirkt haben.88 Während sich in Jülich, Kleve und Kurköln die Gewerbeausübung – sieht man von der Textilherstellung ab – weitgehend auf die Städte beschränkte, waren es in Berg bereits im Mittelalter die Landbewohner, die den überregionalen Ruf der Solinger Schwerter und der Ratinger Scheren begründeten. Die im 16. und 17. Jahrhundert einsetzende Produktion von Schlössern im Velberter Raum und die Messer- und Sensenherstellung im Bereich von Remscheid und Ronsdorf entwickelten sich weitgehend unabhängig von städtischen Einflüssen. Die schlechte Qualität der Böden und die zunehmende Zersplitterung der Hofflächen zwang die Bevölkerung zu handwerklichen Unternehmungen, deren Produkte selbst im außerdeutschen Raum verhandelt wurden. Bei dieser Entwicklung war (eine zumindest elementare) Bildung vorteilhaft oder sogar unabdingbar. So scheint in Berg – zumindest nach dem heutigen Forschungsstand – ein Bildungsvorsprung bestanden zu haben. Vielleicht würden Untersuchungen über die unteren Verwaltungseinheiten in Jülich, Kleve und Kurköln und der Blick auf dörfliche Quellen dieses Bild jedoch verändern. Ob die nachweisbare flächendeckende Versorgung Bergs mit Elementarschulen spätestens in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts wirklich im Rheinland einzigartig ist, muss so lange offen bleiben, wie die Forschung sich bei der Untersuchung dieser Schulen im Linksrheinischen weitgehend auf die Auswertung von Visitationsprotokollen beschränkt. Wahrscheinlich ließen sich
85 MÜLLER: Herrschaft (wie Anm. 42), S. 237. 86 HANGEBRUCH, Dieter: Die kurkölnischen Städte und Ämter Uerdingen und Linn im 17. und 18. Jahrhundert, in: FEINENDEGEN, Reinhard/VOGT, Hans (Hrsg.): Krefeld. Die Geschichte der Stadt, Bd. 2, Krefeld 2000, S. 376–620, hier S. 498. 87 Vgl. hierzu DIETZ, Burkhard/EHRENPREIS, Stefan (Hrsg.): Drei Konfessionen in einer Region. Beiträge zur Geschichte der Konfessionalisierung im Herzogtum Berg vom 16. bis zum 18. Jahrhundert (Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte 136), Köln/ Bonn 1999. 88 Vgl. zusammenfassend GOEBEL, Klaus (Hrsg.): Oberbergische Geschichte, 3 Bde., Wiehl 1998–2001, hier Bd. 1, S. 197–215, 241–245, 294–304; Bd. 2, S. 48–61.
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jedoch auch dort deutlich eher Schulen nachweisen, wenn man sämtliche dafür in Frage kommenden Archive durchforstete, insbesondere die der kirchlichen Gemeinden. Für den Kreis Mettmann konnte ich so für das 16. Jahrhundert in allen Pfarr- und sogar in einigen Kapellenbezirken Schulen nachweisen.89 Eine einheitliche Entwicklung der Elementarbildung wird man aber vermutlich auch nach einer intensiveren Erforschung des Schulwesens im gesamten Rheinland nicht feststellen können. Zu stark dürften sich in den Territorien die Unterschiede der konfessionellen und gewerblichen Ausrichtung sowie im Maß der Teilhabe an der Verwaltung ausgewirkt haben. Obwohl ich den Einfluss der staatlichen Obrigkeit auf das Schulwesen als eher gering einschätze, haben doch die Landesherren oder ihre Beamten immer wieder fördernd auf das Schulwesen eingewirkt.90 Dies geschah selbstverständlich nur in ihrem jeweiligen Territorium, sieht man von den klevischen Hilfsgeldern für die reformierten Schulen in Berg einmal ab. Ähnlichkeiten in der Schulentwicklung der Reformierten hat es zwar dadurch gegeben, dass die reformierte Generalsynode auf ihren Sitzungen Schulfragen ihrer Mitgliedsgemeinden in Kleve, Mark, Jülich und Berg behandelte, aber es werden dort auch Unterschiede deutlich. Man kann deshalb nicht von einer einheitlichen ‚Bildungslandschaft Rheinland‘ sprechen, zumindest nicht im Elementarschulbereich. Eine Tendenz zur Vereinheitlichung und zur Verbesserung im Bildungsbereich setzt erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein. Deutlich machen dies die Übernahme der klevischen Schulordnung durch die reformierten Glaubensgenossen in Berg und die Verabschiedung einer gemeinsamen Küster- und Schulordnung der Lutheraner in Kleve und Berg. Um ein abschließendes oder auch nur ein vorläufiges Urteil über das Ausmaß und die Qualität der elementaren Bildung im gesamten Untersuchungsgebiet oder auch nur in einzelnen Teilen machen zu können, reichen die Vorarbeiten noch nicht aus. Und ob das katholische Kurköln tatsächlich mehr Analphabeten hatte als die Gebiete in Kleve mit einer vom Landesherrn geförderten protestantischen Mehrheit – das herauszubekommen dürfte großen Arbeitseinsatz erfordern und eventuell ohne sicheres Ergebnis bleiben. Was sich aber zusammenfassend sagen lässt, ist dies: Die deutsche Elementarschule, die mit ihren Wurzeln mindestens bis ins 15. Jahrhundert zurückreicht, gehörte spätestens seit dem 17. Jahrhundert fast überall im Rheinland neben der Kirche zum Dorfbild. Inwieweit die um 1650 beklagte Entstehung von Honnschaftsschulen eine bergische (und klevische?) Besonderheit gewesen ist, müsste in den übrigen Gebieten, insbesondere in denen mit Honnschaftseinteilung, geklärt werden. Aus bergischer Perspektive glaube ich an einen zunehmenden elementaren Bildungsgrad bis zum Ende des Untersuchungszeitraumes, wobei aber die Kriege zwischenzeitlich zu Rückschlägen geführt haben. Einen wirklichen Bil89 WESOLY, Kurt: Keine dummen Bauern. Frühes Schulwesen im Kreis Mettmann, in: Journal 20. Jahrbuch des Kreises Mettmann 2000/01, S. 119–124, hier S. 119. 90 Zur Schulgesetzgebung in den rheinischen Territorien vgl. den Beitrag von Karl HÄRTER in diesem Band.
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dungsschub und verstärkte Bemühungen der Landesherren um die Schulen hat es erst mit dem Beginn der Aufklärung und dem einsetzenden technischen Fortschritt in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gegeben.91 Aber diese Epoche wäre wohl ein lohnendes Thema einer weiteren Tagung und vieler wissenschaftlicher Untersuchungen.
91 Vgl. KISTENICH: Schule (wie Anm. 26), S. 55–58. An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass der hohe Alphabetisierungsgrad Bergs in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts deutlich abnahm. Ablesbar ist dies an den Unterschriftslisten der Velberter und Hardenberger Sterbe- und Krankenladen, in denen nach 1820 viele Schreibunkundige nachzuweisen sind. Als Ursache hierfür vermute ich, dass die hohen Kontributionen, die nach der Besetzung Bergs durch die Franzosen 1795 und noch bis in die Zeit des Großherzogtum hinein auch von wenig vermögenden Personen gezahlt werden mussten, zu einem starkem Rückgang des Schulbesuchs geführt haben. Zu den von der Wissenschaft bisher nicht beachteten Sterbeladen vgl. WESOLY, Kurt: Sterbeladen und Leichengesellschaften als frühe Formen der sozialen Sicherung, in: Volkskultur an Rhein und Maas 12 (1993), Heft 1, S. 88–97.
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Artisten und ‚humanistae‘, ‚Jesuiter‘ und Aufklärer Die Universitäten Köln, Trier, Duisburg und Bonn vom Spätmittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts Erasmus ist ‚in‘ – Studieren in Paris, Promotion in Turin, später wissenschaftliches Wirken in Cambridge, Basel und Freiburg. Kommt das Mittelalter wieder zurück? Was damals einem Wissenschaftler möglich war, soll heute nach Annette Schavan dank ‚Bologna‘ wieder möglich werden. Dafür baut man sogar die überkommene Humboldtsche Universität um. So konnte man – mit durchaus skeptischen Untertönen – jüngst im Leitartikel der „Kölner Universitätszeitung“ lesen.1 Der Giessener Mediävist Peter Moraw hat die deutsche Universitätsgeschichte in eine im Spätmittelalter beginnende „vorklassische“ und eine in den 1970er-Jahren beginnende „nachklassische“ Epoche gegliedert. Das dazwischen liegende „klassische“ Zeitalter beginnt nach Moraw mit der Gründung der von Wilhelm von Humboldt theoretisch begründeten Berliner Universität 1810.2 Gegen solche Verkürzung hat sich Widerstand geregt: Georg Wieland etwa hat darauf hingewiesen, dass die von Humboldt propagierte Idee der ‚reinen Wissenschaft‘, die wissenschaftliche Betätigung um ihrer selbst Willen ohne berufsbildende oder praktische Zweckbindungen, sich schon in der Frühphase der europäischen Universitätsgeschichte manifestiert habe, als Magister in Bologna und Paris ohne Bestallung, Graduierung und Lehrauftrag, eben ‚sua sponte‘, das römische Recht oder Aristoteles auslegten.3 Auch die spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Geschichte der rheinischen Universitäten ist von Verkürzungen und Verzerrungen nicht frei – in dem mir als Kölner Universitätsarchivar am nächsten liegenden Falle irgendwo angesiedelt zwischen dem Image als ‚Dunkelmännerhochschule‘ und einer (heute wohl kaum noch 1 HIMMELRATH, Armin/BURCKHART, Holger: Auf den Spuren von Erasmus, in: Kölner Universitätszeitung 37 (August 2007), S. 1f. 2 MORAW, Peter: Aspekte und Dimensionen älterer deutscher Universitätsgeschichte, in: MORAW, Peter/PRESS, Volker (Hrsg.): Academia Gissensis. Beiträge zur älteren Giessener Universitätsgeschichte (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 45), Marburg 1982, S. 1–44, hier S. 7f., zit. nach BAUMGART, Peter: Die deutschen Universitäten im Zeichen des Konfessionalismus, in: PATSCHOWSKY, Alexander/RABE, Horst (Hrsg.): Die Universität in Alteuropa (Konstanzer Bibliothek 22), Konstanz 1994, S. 147–168, hier S. 147. 3 WIELAND, Georg: Wissenschaft und allgemeiner Nutzen. Über die ‚Nützlichkeit‘ der mittelalterlichen und neuzeitlichen Universität, in: SPEER, Andreas (Hrsg.): Philosophie und geistiges Erbe des Mittelalters. Beiträge gehalten auf dem Symposion zum 65. Geburtstag von Professor Dr. Albert Zimmermann am 9. Juli 1993 (Kölner Universitätsreden 75), Köln 1999, S. 43–52.
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bekannten) konfessionell-religiös bestimmten Verklärung des spätmittelalterlichen Bursenwesens in der unmittelbaren Nachkriegszeit.4 Verfolgen wir also die Geschichte der Universität im Rheinland zwischen 1190 und 1798. An dieser Stelle bin ich eine kurze Rechtfertigung dafür schuldig, warum ich den zeitlichen Rahmen des Sammelbandes sowohl nach vorne wie nach hinten überschreite: Die Forschungen von Manfred Groten haben um 1190 eine Gruppe rechtskundiger Magistri unter den Kölner Klerikern nachgewiesen, die publizistisch in innerstädtische Auseinandersetzungen von Anhängern der Welfen und Staufer eingriffen. Dies warf einige, aus meiner Sicht lohnende Fragestellungen auf. Und wenngleich die alte Duisburger Universität erst 1818 ihr Ende fand, so wollte ich im Falle von Trier, Bonn und Köln den ‚Schlussspurt‘ vor ihrer erzwungenen Aufhebung 1798 noch einbeziehen. Beides möge die Problematik von tagungstechnisch sicher sinnvollen Epochengrenzen aufzeigen. Darüber hinaus war aus arbeitsökonomischen Gründen eine Grenze in der Auswahl der zu berücksichtigenden Hochschulen zu ziehen. Wie definiert sich das Rheinland? Sicherlich ist Mainz eine rheinische Hochschule, dies trifft aber ebenso für Straßburg zu. Ich habe mich daher für die frühere Rheinprovinz als Bezugsrahmen entschieden, woraus sich die Konzentration auf die vier genannten Universitäten ergab. Nur in einem Fall habe ich mir davon abzuweichen erlaubt. Für das 18. Jahrhundert werde ich kurz die Rechtsakademie in Düsseldorf ansprechen wegen des darin liegenden Modellcharakters, der ihr Überleben bis in die in französische Zeit sicherte. Die Materiallage zu Köln, Trier, Duisburg und Bonn ist überraschend günstig: Alle Hochschulen teilen das Schicksal der Aufhebung zu Ende des 18. bzw. zu Beginn des 19. Jahrhunderts und wurden – bis auf Bonn – erst im 20. Jahrhundert wiederbegründet. Trotzdem liegen aus Anlass ‚runder‘ Gründungsjubiläen Festschriften vor: Köln 19385 und 1988,6 Trier 19737 und Duisburg 19188 – ausgerechnet zur Hundertjahrfeier der Duisburg beerbenden Universität Bonn – sowie jüngst 2007.9 Erwähnt werden müssen aber auch Günter von Rodens Duisburger Univer-
4 KEIMER, Wilhelm: Wieder Bursen für unsere Studenten (Katholische Erziehung und Bildung), als Manuskript gedruckt, Münster o. J. [1945]. 5 GRAVEN, Hubert (Hrsg.): Festschrift zur Erinnerung an die Gründung der alten Universität Köln im Jahre 1388, Köln 1938; unentbehrlich bis heute auch KEUSSEN, Hermann: Die alte Universität Köln. Grundzüge ihrer Verfassung und Geschichte. Festschrift zum Einzug in die neue Universität Köln, Köln 1934. 6 MEUTHEN, Erich: Kölner Universitätsgeschichte, Bd. 1: Die alte Universität, Köln/Wien 1988. 7 DROEGE, Georg/FRÜHWALD, Wolfgang/PAULY, Ferdinand (Hrsg.): Verführung zur Geschichte. Festschrift zum 500. Jahrestag der Eröffnung einer Universität in Trier, Trier 1973. 8 RING, Walter: Geschichte der Universität Duisburg, Duisburg 1920. 9 GEUENICH, Dieter/HANTSCHE, Irmgard (Hrsg.): Zur Geschichte der Universität Duisburg 1655– 1818 (Duisburger Forschungen 53), Duisburg 2007.
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sitätsgeschichte von 1967,10 die immer noch maßgebliche Geschichte der Bonner Hochschule von Max Braubach11und für Trier neben der älteren Gesamtdarstellung von Emil Zenz von 194912 zahlreiche Einzeluntersuchungen sowie die neue Darstellung von Michael Trauth über die Trierer Universität in der Aufklärung.13 Matrikeleditionen unterschiedlicher Qualität liegen für Köln von Hermann Keussen,14 für Duisburg von Wilhelm Rotscheidt15 und für Bonn von Braubach16 vor. Für Trier existieren nur Promotionslisten der Artisten und Juristen sowie geringe Matrikelfragmente.17 Daneben ist die Überlieferungslage in den Archiven alles andere als optimal: Das Kölner Universitätsarchiv, ein Depositum des Gymnasialund Stiftungsfonds im Historischen Archiv der Stadt, ist im Umfang immer noch beeindruckend, weist aber große Lücken auf. Die Masse des erhaltenen Materials stammt – durchaus im Gegensatz zu den Interessenschwerpunkten bisheriger Forschungen – aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Offenbar gut erhalten ist das deutlich jüngere Duisburger Hochschularchiv, das seit den 1930er-Jahren im Hauptstaatsarchiv Düsseldorf (heute Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland) und seit den 1950erJahren in Kopie im Duisburger Stadtarchiv liegt. Die Akten der kurfürstlichen Akademie und Universität in Bonn werden in der dortigen Universitäts- und Landesbibliothek aufbewahrt, teilweise aber auch in Düsseldorf. Am schlimmsten hat es wohl Trier getroffen, wo nur noch Reste vorliegen. Umso mehr Respekt ringt mir die Leistung von Michael Trauth ab, der – wie das Quellenverzeichnis belegt – wirklich meilenweite Umwege durch andere Archivbestände gegangen ist, um diese
10 RODEN, Günter von: Die Universität Duisburg. Mit einem Beitrag von Hubert Jedin (Duisburger Forschungen 12), Duisburg 1968. 11 BRAUBACH, Max: Die erste Bonner Hochschule. Maxische Akademie und kurfürstliche Universität 1774/77 bis 1798 (Academica Bonnensia 1), Bonn 1966. 12 ZENZ, Emil: Die Trierer Universität 1473 bis 1798. Ein Beitrag zur abendländischen Universitätsgeschichte (Trierer geistesgeschichtliche Studien 1), Trier 1949. 13 TRAUTH, Michael: Eine Begegnung von Wissenschaft und Aufklärung. Die Universität Trier im 18. Jahrhundert, Trier 2000. 14 KEUSSEN, Hermann (Bearb.): Die Matrikel der Universität Köln 1389–1797, 7 Bde. (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 8), Bonn 1892–1931, Düsseldorf 1981. 15 ROTSCHEIDT, Wilhelm (Hrsg.): Die Matrikel der Universität Duisburg, Duisburg 1938; zur digitalen Matrikeledition vgl. KOMOROWSKI, Manfred: Duisburger Studenten der frühen Neuzeit. Zur neuen Edition der alten Duisburger Universitätsmatrikel, in: GEUENICH/HANTSCHE: Geschichte (wie Anm. 9), S. 271–292; vgl. auch http://www.uni-due.de/collcart/matrikel/00–index.htm. 16 BRAUBACH: Hochschule (wie Anm. 11), S. 325–397. 17 KEIL, Leonhard (Bearb.): Das Promotionsbuch der Artisten-Fakultät (Akten und Urkunden zur Geschichte der Trierer Universität 1), Trier 1917; DERS.: Die Promotionslisten der Artisten-Fakultät 1604 bis 1794, nebst einem Anhang: Verzeichnis der an der juristischen Fakultät 1739–1794 immatrikulierten Studenten und einiger an derselben Fakultät wirkenden Professoren (Akten und Urkunden zur Geschichte der Trierer Universität 2), Trier 1926.
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zu erschließen, auch wenn ihn das Ergebnis stellenweise selbst wenig befriedigte, wie man dem Vorwort entnehmen kann.18 Das umfangreiche Material, dem auch Überblicksdarstellungen zur spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Hochschulgeschichte zuzurechnen sind,19 forderte wegen der gewünschten vergleichenden Perspektive in der ‚longue durée‘ Strukturierung; ich habe mich dabei an den Leitfragen des lesenswerten Buches „Papier und Marktgeschrei“ von Peter Burke orientiert.20 Zwar ausdrücklich nicht allein auf die Geschichte des Hochschulwesens beschränkt, kam mir seine Gliederung des Stoffes unter den Überschriften Institutionen, Zentren, Curricula/Bibliotheken/Enzyklopädien und Kontrolle in vergleichender Hinsicht sehr entgegen, wollte ich nicht eine synoptische Aneinanderreihung der Hochschulgeschichte in chronologischer Folge riskieren. Zugegebenermaßen von den mir am besten bekannten Kölner Verhältnissen geprägt, wollte ich durch die bewusst gewählte Akzentuierung „Artisten und ‚humanistae‘, ‚Jesuiter‘ und Aufklärer“ auf eine gewisse zeitliche Strukturierung nicht verzichten. Es hat sich gefügt, dass sich beide Strukturierungsansätze überraschend gut miteinander in Einklang bringen ließen.
1. Institutionen Warum entsteht die erste rheinische Universität ausgerechnet in Köln? Dazu müssen wir etwas weiter ausholen und erteilen dem Archipoeta das Wort, jenem bis heute etwas rätselhaften Dichter im Umfeld des Kölner Erzbischofs Rainald von Dassel (1159–1167): Also, ich bin wieder da Samt Gedicht. Du wolltest ja. Bitte leihe mir Dein Ohr und sei heiter. Ich les vor. Hoch gepriesen sei Salernum heute wie auch in aeternum! Braucht der Mensch ‘nen Mediziner, segelt auf der Stelle hin er; denn was dort die Uni lehrt, ist sein Geld auch wirklich wert. Nur die Leute in Salern‘ 18 TRAUTH: Begegnung (wie Anm. 13), S. 11. 19 HAMMERSTEIN, Notker: Bildung und Wissenschaft vom 15. bis zum 17. Jahrhundert (Enzyklopädie deutscher Geschichte 64), München 2003; SCHINDLING, Anton: Bildung und Wissenschaft in der Frühen Neuzeit 1650–1800 (Enzyklopädie deutscher Geschichte 30), München 21999. 20 BURKE, Peter: Papier und Marktgeschrei. Die Geburt der Wissensgesellschaft, Berlin 2001.
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können mich mal wirklich gern – mir ging‘s seelisch und auch leiblich dort ganz einfach unbeschreiblich. Ich lag da so sterbensmatt, Fieber über vierzig Grad, Schmerzen so verteufelt schwer, daß ich denk, ich wird nicht mehr. [...] Immerhin, die Medizin kriegte mich so halbwegs hin; aber seht mich nur mal an – ich war wirklich drauf und dran. [...] Da, wo ich was lernen sollte, wo ich Doktor werden wollte, wurd‘ ich krank und blieb ich dumm und hing auf der Straße rum. Nichts mit Stab des Aeskulap – mir blieb nur der Bettelstab.21
Besser als der Archipoeta, der nach dem (unfreiwilligen?) Abbruch seines Medizinstudiums als Dichter jobben musste, hatte es eine andere Gruppe Kölner Kleriker getroffen. Manfred Groten ist den Spuren von mehreren Trägern eines Magistertitels unter den stadtkölnischen Pfarrern und Stiftsklerikern um 1200 nachgegangen. Ohne genauere Belege beibringen zu können, vermutet er, dass diese das Studium der ‚artes liberales‘ absolvierten. Daneben verbreitete sich seit den 1180er-Jahren auch in Köln unter Klerikern die Kenntnis des gelehrten Rechts.22 So unterschiedlich sie aber auch sein mögen, der verhinderte Mediziner, der an die berühmte Schule von Salerno zieht, wie auch die rechtskundigen Kölner Kleriker, die nach dem Studium in Paris, Montpellier oder Orléans geistliche Ämter und Pfründen in der Heimat erhalten: Sie belegen schon um 1200 ein Bedürfnis nach höherer Bildung, das offensichtlich nicht in Köln zu befriedigen war und zur ‚peregrinatio studii causa‘ zwang. Warum führte aber dieses Bedürfnis damals nicht – noch nicht – im Rheinland zur Gründung einer ‚universitas magistrorum et scholarium‘, einem freien, den Zünften analogen Zusammenschluss von Lehrenden und Lernenden nach dem Vorbild von Paris, Bologna oder Montpellier? Eine mögliche Antwort auf diese – wohl bisher nicht gestellte – Frage hat der italienische Philosophiehistoriker Loris
21 ARCHIPOETA: Vagantenbeichte, neu übertragen von Georg Bungter und Günter Frorath, Köln 1981, S. 39–43: „Rückkehr nach der Bitte aus Salerno“. 22 GROTEN, Manfred: Köln im 13. Jahrhundert. Gesellschaftlicher Wandel und Verfassungsentwicklung (Städteforschung A/36), Köln/Weimar/Wien 1995, S. 31–54, insb. S. 45–50 betr. juristisch gebildete Kleriker in Köln im frühen 13. Jahrhundert.
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Sturlese 1993 angeboten. Danach „orientierten sich die Lehrer der deutschen Domschulen an der moderaten Option der grammatikalischen, theologisch-exegetischen Bildung, die vor allem vom kluniazensischen Mönchtum vertreten wurde. [...] Die deutsche Antwort auf die Herausforderung durch die nordfranzösischen Schulen kam also aus Mönchskreisen. Ihr Erfolg hatte für lange Zeit ernormen Einfluß auf die Entwicklung des philosophischen Denkens und ist wahrscheinlich eine wichtige Ursache eines ebenso einmaligen wie auch bislang ungeklärten Phänomens, nämlich des langen Ausbleibens von Universitätsgründungen auf deutschem Boden.“23 Kurz: Im Rheinland behaupteten Mönche und Stiftskleriker das Monopol auf höhere Bildung. Die in Paris aufkommende scholastische Methode wurde als Bedrohung empfunden. Später, im 14. Jahrhundert, tadelte der in Avignon residierende Papst Clemens VI. (1342–1352) die Universitäten: Die Artisten beschäftigten sich nicht mehr mit Aristoteles, sondern mit Mutmaßungen und Scheinproblemen, die Theologen statt mit der Bibel mit Haarspaltereien und alle zusammen vergeudeten ihre Zeit mit endlosen Sitzungen – gerade letzteres dürfte sich bis heute nicht wesentlich geändert haben.24 Entscheidenden Anteil am Übergang von den Kloster- und Domschulen zu den Universitäten könnte jedoch die spätere Artistenfakultät gehabt haben, da in beiden Einrichtungen die spätantiken ‚artes liberales‘ vertreten waren, in der spätmittelalterlichen Universität freilich nur noch in verkürzter Form, da sie meist nicht mehr die Grammatik berücksichtigte. In den seit 1248 in Köln entstehenden Generalstudien der Mendikantenorden wurde dann die Scholastik hoffähig. Es war aber auch dies wohl noch nicht der große Wurf; jedenfalls weiß man zu wenig über sie, obwohl sie trotz Inkorporation in die Universität bis ins 17. Jahrhundert weiter bestanden.25 Unsere Kenntnis der Mendikantenstudien beschränkt sich, so Erich Meuthen, für die Frühzeit im Wesentlichen auf eine Reihung von bekannten Namen wie Albertus Magnus und seinen Schüler Thomas von Aquin.26 Immerhin zeigen diese beiden Namen ein Nachleben in den Kölner Bursen, die sich entweder zur ‚via sancti Thomae‘ bzw. zur ‚via Alberti‘ bekannten. Anreize, sich wieder mit den Kölner Generalstudien zu beschäftigen, gibt vielleicht der Katalog zur Ausstellung „Blühende Gelehrsamkeit“, in der Walter Senner umfangreiches Material zusammengetragen hat.27 Wichtiger als das Fehlen der ‚höheren‘ Fakultäten der Medizin und der Rechte dürfte freilich das Fehlen des allseits anerkannten Graduierungsrechts gewesen sein. 23 STURLESE, Loris: Die deutsche Philosophie im Mittelalter. Von Bonifatius bis zu Albert dem Großen (748–1280), München 1993, S. 98f. 24 WIELAND: Wissenschaft (wie Anm. 3), S. 48. 25 Inhaltlich dürftig ist der Beitrag von SCHNEIDER, Arthur: Die Ordensschulen in Köln als Vorläufer der Universität, in: GRAVEN: Festschrift (wie Anm. 5), S. 5–12. 26 MEUTHEN: Universitätsgeschichte (wie Anm. 6), S. 41–51. 27 SENNER, Walter: Blühende Gelehrsamkeit. Eine Ausstellung zur Gründung des Studium generale der Dominikaner in Köln vor 750 Jahren, Köln 1998.
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Die erste Universität entstand im Rheinland also erst Ende des 14. Jahrhunderts. Am Fall des Kölner Privilegs hat Anna Dorothee von den Brincken durch Vergleich mit den Formularen anderer päpstlicher Bullen diese Gründung in den weiteren Kontext der ersten Gründungswelle zwischen 1303 und 1398 eingeordnet.28 Damals hatte sich die Situation gegenüber der des 12. Jahrhunderts grundlegend geändert: Seit dem Jahr 1303, als die Universität Rom eine päpstliches Privileg erhielt, beanspruchten die Päpste die Aufsicht über das Bildungswesen kraft ihres Amtes, während sich in Paris und Bologna um 1100 noch freie, zünftig angelegte Personalverbände (‚universitates‘) von Lehrenden und Lernenden gebildet hatten, die erst später durch das Papsttum und weltliche Herrscher privilegiert wurden. Zudem befinden wir uns im Jahr 1388 mitten im Schisma, das die abendländisch-lateinische Christenheit in eine römische und eine avignonesische Obödienz spaltete. Mit dem Kölner Rat erbat erstmals eine städtische Obrigkeit, die sich weitgehend vom geistlichen Stadtherrn emanzipiert hatte, vom römischen Papst ein Universitätsprivileg. Am 21. Mai 1388 bewilligte Urban VI. in Perugia dem Rat, den Bürgermeistern und Schöffen der Stadt Köln die Gründung eines ‚studium generale‘ mit allen erlaubten Fakultäten nach Pariser Vorbild; hervorgehoben werden Kanonisches Recht und Theologie. Nicht eigens erwähnt wird von Urban VI. dagegen die Artistenfakultät. Der 21. Mai ist übrigens der Anlass für die jährliche Gründungsfeier der neuen Kölner Universität, nicht die ebenfalls im Mai 1919 erfolgte Unterzeichnung des Staatsvertrages zwischen Preußen und der Stadt Köln, der die Wiederbegründung 1919 bewirkte. Jürgen Miethke hat darauf hingewiesen, dass aufgrund eines päpstlichen Privilegs keineswegs in allen Fällen eine Universität ins Leben trat; es bedurfte noch des Stiftungsaktes. Überdies wurde, so Miethke, den ‚studia generalia‘ im Privileg nur ein Minimalbestand von Rechten eingeräumt; wirtschaftlich wichtige Rechte wie die ‚Residenzprivilegien‘, welche den Kanonikern unter den Studierenden den Genuss ihrer Pfründe während der studienbedingten Abwesenheit sicherte, waren gesondert zu erbitten – und zu bezahlen, während die Päpste andere Rechte wie die Steuerbefreiung und den besonderen Gerichtsstand zu verleihen gar nicht in der Lage waren.29 Diese Rechte erhielt Köln etwa erst 1442 durch ein Privileg Kaiser Friedrichs III. Die Verlesung der Gründungsbulle erfolgte im Stiftungsakt, der auch die materielle Ausstattung garantierte und in Prag und Heidelberg von den weltlichen Landesherren, in Köln eben vom Rat vorgenommen wurde. Diese Vorgänge hat 1992 28 BRINCKEN, Anna Dorothee von den: „In supreme dignitatis“. Zur Gründungsurkunde Papst Urbans VI. für die Universität Köln vom 21. Mai 1388, in: Geschichte in Köln 23 (1988), S. 9–36. 29 MIETHKE, Jürgen: Päpstliche Universitätsgründungsprivilegien und der Begriff eines ‚studium generale‘ im römisch-deutschen Reich des 14. Jahrhundert, in: KOHNLE, Armin/ENGEHAUSEN, Frank (Hrsg.): Zwischen Wissenschaften und Politik. Studien zur deutschen Universitätsgeschichte. Festschrift für Eike Wolgast zum 65. Geburtstag, Stuttgart 2001, S. 1–10.
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Frank Rexroth zum Gegenstand einer vergleichenden Studie über Universitätsstiftungen gemacht.30 Der Rat übernahm in Köln bis in das 16. Jahrhundert die Besoldung von einigen Professuren aus der Stadtkasse. Allerdings ging das finanzielle Engagement der Stadt vom Ende des 16. Jahrhunderts bis in das 18. Jahrhundert tendenziell eher zurück, von einzelnen Phasen verstärkter Unterstützung abgesehen. Erwähnt sei die Einrichtung einer „greikschen lectura“31 im 16. Jahrhundert, die aber noch im gleichen Säkulum wieder einging. Das Gros der Professuren in der Theologie war durch die Pfründen der ‚ersten Gnade‘ an den stadtkölnischen Stiftern und Pfarreien abgesichert.32 Während in Köln schon am 6. Januar 1389 der Vorlesungsbetrieb aufgenommen werden konnte, hatten sowohl Trier wie später auch Duisburg erhebliche Startprobleme. Den Kontext der Trierer Gründung hat Michael Matheus aufgearbeitet.33 Er konnte zeigen, dass ein Universitätsprivileg auch politischer Dank für den Wechsel der Obödienz sein konnte. Möglicher Anlass für das am Beginn der zweiten Gründungswelle stehende Trierer Gründungsprivileg war nach seinen Forschungen das Heilige Jahr 1450. Die Trierer Gründungsbulle weist – wie die Kölner in ihrer Zeit – Gemeinsamkeiten im Formular mit denen für Barcelona, Glasgow und Pforzheim auf. Allerdings wäre es Trier fast ebenso wie dem badischen Pforzheim ergangen, das ungeachtet des päpstlichen Privilegs nie ins Leben trat: Erzbischof Jakob von Sierck und seinem Nachfolger Johann von Baden fehlten schlicht die Mittel für die Stiftung der Trierer Universität.34 Entsprechend ruhte das Projekt bis 1473, als die Stadt Trier dem Erzbischof das Gründungsprivileg abkaufte. Trotzdem nahm Trier nicht eine ähnliche Entwicklung wie Köln und wurde eine städtische Universität, wenngleich die Motivation der Trierer für den Erwerb eine Stärkung ihrer Selbstständigkeit gegenüber dem erzbischöflichen Landesherren gewesen sein dürfte. Interessierte Kreise, etwa der Erfurter Magister Johannes Leyendecker, aber auch der Auszug des Kölner Magisters Nikolaus Momer von Raemsdonck, beförderten 30 Zum Kölner Stiftungsvorgang vgl. REXROTH, Frank: Deutsche Universitätsstiftungen von Prag bis Köln. Die Intentionen des Stifters und die Wege und Chancen ihrer Verwirklichung im spätmittelalterlichen deutschen Territorialstaat (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 24), Köln/Wien 1992, insb. S. 227–268. 31 MEUTHEN: Universitätsgeschichte (wie Anm. 6), S. 249. 32 LOHMANN, Friedrich Wilhelm: Universitäts-Kanonikate an kölnischen Stiftskapiteln, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 15 (1933), S. 153–160. 33 MATHEUS, Michael: Heiliges Jahr, Nikolaus V. und das Trierer Universitätsprojekt. Eine Universitätsgründung in Etappen, in: LORENZ, Sönke (Hrsg.): Attempto – oder wie stiftet man eine Universität. Die Universitätsgründungen der sogenannten zweiten Gründungswelle im Vergleich (Contubernium. Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 50), Stuttgart 1999, S. 35–53, dort auch eine Edition der Gründungsbulle nach der Fassung der vatikanischen Register; desgl. bei ZENZ: Universität (wie Anm. 12), S. 205–211. 34 Zur Konsolidierungspolitik unter Johann von Baden vgl. KERBER, Dieter: Herrschaftsmittelpunkte im Erzstift Trier. Hof und Residenz im späten Mittelalter (Residenzenforschung 4), Sigmaringen 1995.
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die noch im gleichen Jahr erfolgte Stiftung, die am 16. März 1473 eröffnet wurde.35 Allerdings erwiesen sich die materiellen Grundlagen in Trier als zu dürftig, so dass die Universität erst Ende des 16. Jahrhunderts mit dem Einzug der Jesuiten zu einer ersten Blüte gelangte, während die Medizinische Fakultät nach den Forschungen von Michael Trauth bis in das 18. Jahrhundert gar nicht lehrte. Er unterscheidet hier zwischen „formalem Bestand und funktionierendem Lehrbetrieb“.36 Im Gegensatz zu Köln und Trier waren die beiden anderen, deutlich jüngeren Gründungen in Duisburg und Bonn neuzeitliche, landesherrliche Universitäten. Herzog Wilhelm V. von Jülich-Kleve-Berg bemühte sich seit 1556 um ein päpstliches Privileg für eine landesherrliche Universität im klevischen Duisburg. Laut Hubert Jedin waren es die aus römischer Sicht zweifelhafte konfessionelle Haltung des Herzogs und – damit zusammenhängend – Denunziationen gegen den in Düsseldorf wirkenden Gymnasialleiter Johannes Monheim, die die Aushändigung der Gründungsbullen bis 1564 mehrfach verzögerten.37 Anzunehmen sind auch Interventionen der Kölner Universität gegen die neu erwachsende Konkurrenz. Aber auch nach der Aushändigung der Gründungsbullen kam es nicht mehr zum Stiftungsakt, unter anderem – so Jedin – wegen der Erkrankung von Herzog Wilhelm V. Die Stiftung der Duisburger Universität erfolgte erst nach dem Übergang des Herzogtums Kleve an Brandenburg im Jahre 1655. Der – reformierte – Kurfürst von Brandenburg als neuer Landesherr stützte sich bei der Gründung zwar eher auf das kaiserliche Privileg Maximilians II. von 1566, allerdings wurde bei der Eröffnung 1655 auch die päpstliche Bulle mitgeführt und dem ersten Rektor überreicht. Wenngleich das vom Landesherrn der Duisburger Universität zugebilligte Stiftungsvermögen sowie – ein Novum – die jährlichen finanziellen Zuweisungen eher schlecht als recht ausreichten, überlebte die Universität Duisburg bis zu ihrer Aufhebung zugunsten der neu gegründeten rheinischen Provinzialuniversität Bonn im Jahre 1818. Vor dem Hintergrund dieser Gründungen mit päpstlichen Privilegien ist schließlich die Entstehung der älteren kurkölnischen Bonner Universität ein wirkliches Kuriosum: Nach Aufhebung des Jesuitenordens 1773 begründete der Kölner Kurfürst und Erzbischof Maximilian Friedrich von Königsegg-Rothenfels auf der Grundlage des vorhandenen Jesuitengymnasiums aus dem im Kurfürstentum gelegenen Jesuitenvermögen zunächst eine Akademie, also ein ‚studium provinciale‘, das erst 1783 unter seinem Nachfolger Max Franz von Österreich durch ein kaiserliches Privileg Josephs II. zur Universität erhoben wurde. Die Zeiten hatten sich geändert, 35 MATHEUS, Michael: Die Trierer Universität im 15. Jahrhundert, in: ANTON, Hans Hubert/ HAVERKAMP, Alfred (Hrsg.): Trier im Mittelalter (2000 Jahre Trier 2), Trier 1996, S. 531–552. 36 TRAUTH: Begegnung (wie Anm. 13), S. 55. 37 JEDIN, Hubert: Der Plan einer Universitätsgründung in Duisburg, in: RODEN: Universität (wie Anm. 10), S. 1–32, hier S. 32; ergänzend JEDIN, Hubert: Die Kosten der päpstlichen Privilegien für die geplante Universität Duisburg 1560, in: Römische Quartalsschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 64 (1969), S. 218–228.
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auf eine päpstliche Genehmigung legten beide Landesherren aus kirchenpolitischen Gründen keinen Wert mehr.38
2. Zentren und Peripherien: Zur Binnengliederung der Universitäten Wie waren die einzelnen Hochschulen fachlich ausgestattet? Auf die einzelnen Fakultäten möchte ich im Folgenden kursorisch und mit der Tendenz eines Forschungsberichts eingehen: In Köln legte das Gründungsprivileg Urbans VI. in der Dispositio besonderes Gewicht auf das kanonische Recht und die Theologie, während die übrigen ‚erlaubten Fakultäten‘, also Artes und Medizin, nur summarisch erwähnt werden. Umso merkwürdiger mutet es an, dass die Theologische Fakultät bisher wissenschaftlich am wenigsten Beachtung gefunden hat; nach meinem Kenntnisstand beschränkt sich die bisherige Forschung auf die Edition der Fakultätsstatuten von 1393 durch den Kölner Kirchenrechtler Franz Gescher,39 auf eine Kölner Dissertation über den „Wissenschaftscharakter der Theologie bei dem Kölner Thomisten Gerhard von Elten“40 sowie auf die Kölner philosophische Dissertation von Sophronius Clasen zu den akademischen Redeakten im Rahmen des Theologiestudiums; auf diese werde ich unten noch eingehen. Erstaunlicherweise fehlt in dem respektheischenden Literaturverzeichnis zum ersten Band der Kölner Universitätsgeschichte von Erich Meuthen die Monographie von Hermann Schüssler über den „Primat der Heiligen Schrift als theologisches und kanonistisches Problem im Spätmittelalter“.41 Von hier aus lassen sich vermutlich Fragestellungen zur Kölner Theologie in der Hochphase ihrer Geschichte entwickeln, die dann Aufschluss über ihren besonderen, im Gründungsprivileg hervorgehobenen Rang geben. Die Rolle der theologischen Fakultät im 17. und 18. Jahrhundert ist bislang noch völlig unbearbeitet bis auf die knappen Anmerkungen in der Universitätsgeschichte von 1988.42 In den Händen der Theologen lag auch die Ausübung der Zensur, die der Universität Köln 1479 verliehen worden war. Den ersten derartigen Prozess hat 1906 der Bibliothekar Otto Zaretzky dargestellt.43 Außerhalb der Sphäre der Bibliothe38 BRAUBACH: Hochschule (wie Anm. 11). 39 GESCHER, Franz: Die Statuten der theologischen Fakultät an der alten Universität, in: GRAVEN: Festschrift (wie Anm. 5), S. 43–108. 40 HÖHN, Erich: Der Wissenschaftscharakter der Theologie bei dem Kölner Thomisten Gerhard von Elten, Diss. Köln 1977. 41 SCHÜSSLER, Hermann: Der Primat der Heiligen Schrift als theologisches und kanonistisches Problem im Spätmittelalter (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz 86), Wiesbaden 1977. 42 MEUTHEN: Universitätsgeschichte (wie Anm. 6), S. 141–169, 420–450. 43 ZARETZKY, Otto: Der erste Kölner Zensurprozeß. Ein Beitrag zur Kölner Geschichte und Inkunabelkunde. Mit einer Nachbildung des „Dialogus super libertate ecclesiastica“ 1477 (Veröffentlichungen der Stadtbibliothek Köln. Beiheft 6), Köln 1906. Grundlegend zum
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kare hat sich nur Michael Trauth für Trier in der Zeit nach der Reform 1722 mit diesem Thema befasst.44 Man sollte nicht mit Fingern auf die Kölner ‚obscuri‘ zeigen – die universitäre Bücherzensur hat eine deutlich längere, bis in die Zeit der klassischen Humboldtschen Universität reichende Nachwirkung in den ‚besonderen Staatsbeauftragten‘ des Vormärz, also bis 1848.45 Etwas besser erforscht sind von den drei höheren Fakultäten die Medizinische und die Rechtwissenschaftliche. Die 1940 erschienene Greifswalder Dissertation von Walter Pribilla über die „Geschichte der Anatomie an der Kölner Universität von 1478–1798“ darf wohl nicht als erschöpfend gelten.46 Zur Pestvorsorge und zur Leprosenaufsicht der Universitätsmedizin haben sich Rudolf Creutz und zuletzt Martin Uhrmacher geäußert.47 Für die Geschichte der Kölner Medizin bis heute grundlegend ist der Beitrag des Kölner Internisten und Medizinhistorikers aus Leidenschaft Friedrich Moritz.48 Mein 2005 veröffentlichter Überblick beruhte wesentlich auf seinen Ausführungen.49 Ich habe allerdings auch auf bisher unberücksichtigte Weiterentwicklungen der Kölner Medizin im 16. und 17. Jahrhundert hingewiesen: So blieb Köln von den neuen methodischen Ansätzen der humanistischen Naturkunde nicht unberührt; erwähnt seien hier die um 1540 in Köln forschenden Botaniker Carolus Figulus und Gybertus Longolius.50 Aus der Aufsichtstätigkeit der
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Thema auch VOULLIÈME, Ernst: Der Buchdruck Kölns bis zum Ende des 15. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Inkunabelbibliographie (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 24), Bonn 1903, ND Düsseldorf 1978, S. LXXX–XCIII. TRAUTH: Begegnung (wie Anm. 13), S. 241–274. Vgl. BRÜMMER, Manfred: Staat kontra Universität. Die Universität Halle-Wittenberg und die Karlsbader Beschlüsse 1819–1848, Weimar 1991. PRIBILLA, Walter: Die Geschichte der Anatomie an der Universität Köln 1478–1798, Diss. Greifswald 1940; ein Exemplar befindet sich im Universitätsarchiv Köln. CREUTZ, Rudolf: Pest und Pestabwehr im alten Köln, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 15 (1933), S. 79–119; UHRMACHER, Martin: Die Lepra in Köln vom 12. bis 18. Jahrhundert, in: DERES, Thomas (Hrsg.): krank/gesund. 2000 Jahre Krankheit und Gesundheit in Köln, Köln 2005, S. 98–113. MORITZ, Friedrich: Aus der medizinischen Fakultät der alten Universität Köln, in: GRAVEN: Festschrift (wie Anm. 5), S. 237–287. FREITÄGER, Andreas: Zwischen Scholastik und Aufklärung. Medizinerausbildung an der alten Kölner Universität 1393–1798, in: DERES: krank/gesund (wie Anm. 47), S. 84–97. Neben der bei FINGER, Heinz: Gisbert Longolius. Ein niederrheinischer Humanist (Studia humaniora. Series minor 3), Düsseldorf 1990, zitierten Literatur noch ergänzend FREITÄGER, Andreas: Der Italienaufenthalt des Gisbert Longolius und seine Kölner Griechisch-Professur, in: Düsseldorfer Jahrbuch 68 (1997), S. 57–75. Zur wissenschaftsgeschichtlichen Neubewertung der humanistischen Botanik und Zoologie vgl. HOPPE, Brigitte: Rezeption und Wandlung der antiken Forschungsgrundsätze. Zur Eigenständigkeit der humanistischen Naturkunde aufgrund unbeachteter und unbearbeiteter Quellen, in: DÖRING, Klaus/WÖHRLE, Georg (Hrsg.): Vorträge des ersten Symposions des Bamberger Arbeitskreises „Antike Naturwissenschaft und ihre Rezeption“ (AKAN) (Gratia. Bamberger Schriften zur Renaissanceforschung 21), Wiesbaden 1990, S. 141–185.
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Medizinischen Fakultät über die Kölner Apotheker resultierten Anfang des 17. Jahrhunderts große Pharmakopoën.51 Hinsichtlich der Wirkungsgeschichte der neuen botanisch-zoologischen Ansätze des 16. Jahrhunderts im 17. Jahrhundert liegt noch Forschungsbedarf vor, wie überhaupt das 17. Jahrhundert seine Bedeutung in der Entwicklung des modernen Wissenschaftsbegriffs und in der Funktionsbestimmung der Universitäten hat, indem die angewandten Wissenschaften Recht und Medizin als ‚litterae lucrativae‘ an Bedeutung gewannen. Umso bedauerlicher ist es, dass die Kölner Rechtswissenschaftliche Fakultät neben dem älteren Beitrag des Kölner Strafrechtlers Gotthold Bohne von 1938, der sehr breit das freilich noch ausführlicher zu bearbeitende Material zusammenstellte,52 bislang nur in einem knappen Abriss bis 1600 durch den früheren Kölner Rechtshistoriker Hans-Jürgen Becker gewürdigt wurde.53 Daher kann auch nicht abschließend festgestellt werden, ob die im frühen 18. Jahrhundert (wohl um 1715) aus einer Privatinitiative erwachsene Düsseldorfer Rechtsakademie, die 1755 durch Verleihung des besonderen Gerichtsstands durch Kurfürst Karl Theodor von der Pfalz privilegiert wurde, in Konkurrenz zur Kölner oder zur Duisburger Juristenfakultät entstanden ist.54 Es liegt die Vermutung nahe, dass hier an einem inländischen ‚Collegium iuridicum‘ für den pfälzischen Anteil der seit 1666 geteilten niederrheinischen Herzogtümer praxisbezogene Rechtsausbildung des Verwaltungsnachwuchses gefördert werden sollte. Die Duisburger Juristenfakultät lag ja in dem an Brandenburg gefallenen Herzogtum Kleve. Die Düsseldorfer Rechtsakademie überlebte bis in die Franzosenzeit (1803). Neben ihr entstand 1794 als französische Gründung und in bewusster Absetzung von Köln die Koblenzer Rechtsakademie (bis 1814).55
51 CREUTZ, Rudolf: Dr. Petrus Holtzemius (1570–1651). Professor primarius der med. Fakultät in Köln und Comes Palatinus Caesareus, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 13 (1931), S. 29–58. 52 BOHNE, Gotthold: Die juristische Fakultät der alten Kölner Universität in den ersten beiden Jahrhunderten ihres Bestehens, in: GRAVEN: Festschrift (wie Anm. 5), S. 109–236. 53 BECKER, Hans-Jürgen: Die Entwicklung der juristischen Fakultät in Köln bis zum Jahre 1600, in: KEIL, Gundolf/MOELLER, Bernd/TRUSEN, Winfried (Hrsg.): Der Humanismus und die oberen Fakultäten (Mitteilungen der Kommission für Humanismusforschung 14), Weinheim 1987, S. 43–64. 54 In Einzelheiten unzuverlässig, aber dennoch zum Thema unverzichtbar FISCHER, Guntram: Düsseldorf und seine Rechtsakademie. Ein Beitrag zur Düsseldorfer Universitätsgeschichte, Düsseldorf 1983. Die Studie spannt einen weiten Bogen vom Düsseldorfer Monheimschen Gymnasium des 16. Jahrhunderts bis zu den großherzoglich-französischen Universitätsplänen unter Napoleon und ist vor dem Hintergrund des damals noch nicht erfüllten Wunsches nach einer Rechtwissenschaftlichen Fakultät an der heutigen Heinrich-Heine-Universität zu sehen. 55 MALLMANN, Luitwin: Französische Juristenausbildung im Rheinland 1794 bis 1814. Die Rechtsschule von Koblenz (Studien zur Geschichte der Universität zu Köln 5), Köln/Wien 1987.
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Einen besonderen Platz nahmen Kölner Rechtslehrer schon früh in der Erstellung von Gutachten, so genannten Konsilien ein.56 Von der Kölner Rechtswissenschaftlichen Fakultät wird gerne darauf hingewiesen, dass auch Nikolaus von Kues hier als Dozent an Konsilien beteiligt war. Erwähnt seien, weil gut erforscht, die Konsilien zur Zollfreiheit des Bacharacher Pfarrweins 1426 und zum Utrechter Bistumsstreit 1425/26.57 In ihrer Nachfolge steht die Spruchtätigkeit der Universitäten, das heißt die nur beratende oder auch den Fall abschließend entscheidende Stellungnahme durch Rechtsprofessoren. Eine solche Spruchtätigkeit lässt sich zwar auch in Köln und Trier nachweisen, erforscht ist sie nur für die Universität Duisburg durch die Untersuchung von Tilo Ahrens.58 Er ging dabei auf die gerichtlichte Funktion gegenüber den Studenten ebenso ein wie auf die Lehr- und Forschungstätigkeit der Duisburger Juristen. Die universitäre Gerichtsbarkeit an der Trierer Universität hat Michael Trauth für die Zeit nach 1722 dargestellt.59 Untersuchungen wie die Arbeit von Kim Siebenhüner über „Studenten vor dem Freiburger Universitätsgericht 1561–1577“60 oder von Peter Woeste über die akademische Gerichtsbarkeit Marburgs im 18. und 19. Jahrhundert61 fehlen für unseren Bereich. Nachholbedarf besteht ferner hinsichtlich der Kölner Jurisprudenz im 18. Jahrhundert. In Trier ordnete der Kurfürst als Landesherr 1722 die rechtswissenschaftlichen Lehrstühle neu, sorgte sich um ihre Besetzung und richtete eine Professur für Staatsrecht ein. Das Lehrangebot wurde durch Veranstaltungen zum Kriminal- und zum Lehenrecht erweitert. Hinderlich blieb allerdings bis zum Ende der Universität die unzureichende finanzielle Ausstattung, wodurch die Gewinnung erster Kräfte verhindert wurde.62
56 Vgl. BOHNE: Fakultät (wie Anm. 52), S. 155–188. 57 MEUTHEN, Erich: Konsilien Kölner Professoren zum Utrechter Bistumsstreit (1425/26), in: NEUHAUS, Helmut/STOLLBERG-RILINGER, Barbara (Hrsg.): Menschen und Strukturen in der Geschichte Alteuropas. Festschrift für Johannes Kunisch (Historische Forschungen 73), Berlin 2002, S. 1–17, mit weiterer Literatur. 58 AHRENS, Tilo: Aus der Lehr- und Spruchtätigkeit der alten Duisburger Juristenfakultät (Duisburger Forschungen. Beiheft 4), Duisburg 1962. 59 TRAUTH: Begegnung (wie Anm. 13), S. 297–310. 60 Zur spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen universitären Gerichtsbarkeit in Freiburg vgl. SIEBENHÜNER, Kim: „Zechen, Zücken, Lärmen“. Studenten vor dem Freiburger Universitätsgericht 1561–1577 (Alltag und Provinz 9), Freiburg 1999. 61 WOESTE, Peter: Akademische Väter als Richter. Zur Geschichte der akademischen Gerichtsbarkeit der Philipps-Universität unter besonderer Berücksichtigung von Gerichtsverfahren des 18. und 19. Jahrhunderts (Marburger Stadtschriften zur Geschichte und Kultur 22), Marburg 1987. 62 TRAUTH: Begegnung (wie Anm. 13), S. 40–54.
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3. Artistenfakultät und Bursen An dieser Stelle ist auf die bislang vollständig ausgesparte Artisten- bzw. Philosophische Fakultät einzugehen. Entsprechende Einrichtungen bestanden in Trier, Duisburg und Bonn, die Kölner Artistenfakultät ist im Privileg Urbans VI. nicht ausdrücklich genannt. Sie könnte jedoch – wie bereits angedeutet – den ‚missing link‘ zwischen den Kapitels- und Klosterschulen und dem ‚studium generale‘ bilden. Ihre Bedeutung ist – obwohl als ‚untere Fakultät‘ bezeichnet – nicht zu unterschätzen, weil einerseits der Universitätsbesuch der meisten Studenten lediglich ein Artes-Studium beinhaltete, und weil andererseits auch der Großteil der Studenten, die später Theologie, Recht oder Medizin studierten, diese Fakultät durchlaufen hatten. Allerdings stand sie lange Zeit im Schatten des Forschungsinteresses. Für Köln gehört das Bursenwesen nicht nur in den Bereich der Sozialgeschichte des Studiums in Spätmittelalter und Frühneuzeit, sondern auch maßgeblich in die Verfassungsgeschichte. Es war wieder Erich Meuthen, dem wir die grundsätzliche Darlegung über den Status der Kölner Artistenfakultät und der Bursen als kontinuitätsstiftendes Moment der Kölner Universitätsgeschichte verdanken.63 Waren die frühen Universitäten im Gegensatz zu den Kloster- oder Kapitelschulen freie Zusammenschlüsse von Magistern und Scholaren, so kommt dennoch recht früh mit Bursen, ‚halls‘, Hospizien oder Kollegien ein Moment organisatorischer Verfestigung hinzu. Dabei ist in Köln allerdings die Burse als Wirtschaftsunternehmen der lehrenden Magister typischer als etwa die auf den Stiftungen Dwerg und Vorburg beruhende Kronenburse der Juristenfakultät.64 Von dem Konzentrationsprozess der Bursen infolge der Konkurrenz um die Scholaren in Köln profitierte die junge Trierer Universität, als der Kölner Magister Nikolaus Momer von Raemsdonck schmollend mit seiner Burse aus Köln abzog und seine Bursalen der jungen Trierer Hochschule gleich als Studierende zuführte. In Trier wie in dem etwa gleichzeitig gegründeten Mainz beschränkte man sich auch auf zwei Bursen, die jeweils den Hauptlehrrichtungen der Scholastik, der ‚via moderna‘ (Nominalismus) und der ‚via antiqua‘ (Universalienrealismus) gewidmet waren. Hier überlebten die Bursen im
63 MEUTHEN, Erich: Die Artesfakultät der alten Kölner Universität im 15. und 16. Jahrhundert, in: ZIMMERMANN, Albert (Hrsg.): Die Kölner Universität im Mittelalter. Vorgeschichte – Gründungsphase – Folgezeit (Miscellanea Mediaevalia 20), Berlin/New York 1989, S. 366– 393. 64 KEUSSEN, Hermann: Die Kölner Juristenschule und die Kronenburse. Die Stiftungen Dwerg und Vorburg, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 14 (1932), S. 54–91. Wir verfügen aus dem 16. Jahrhundert über eine farbige Schilderung des Lebens in dieser Burse in den Aufzeichnungen des Hermann Weinsberg, vgl. HERBORN, Wolfgang: „O alte Burschenherrlichkeit“. Hermann Weinsberg als Student, in: GROTEN, Manfred (Hrsg.): Hermann Weinsberg (1518–1597) – Kölner Bürger und Ratsherr. Studien zu Leben und Werk (Geschichte in Köln. Beihefte 1), Köln 2005, S. 79–114, mit weiterer Literatur.
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Gegensatz zu Köln nicht die Studienkrise des 16. Jahrhunderts, sie gingen spätestens mit dem Einzug der Jesuiten ein.65 In Köln wuchsen jedoch die privatwirtschaftlich geführten und erst später mit Stiftungen bedachten Bursen über die personale Schiene der sie leitenden Magister in die Hochschule hinein. Hatten die Bursen also zunächst nicht unmittelbar mit der Universität zu tun, so schreiben 1577 die neuen Statuten der Artistenfakultät die Prinzipalbursen Montana, Laurentiana und die als Tricoronatum von der Stadt und dann von den Jesuiten weitergeführte Bursa Kuyck als konstitutive ‚membra facultatis‘ fest.66
4. Wissen aufbereiten: Disputationen und Copulat-Drucke Nun ging ich Greifswald zu, wo nicht viel Leben ist; Drum ging ich alsbald fort, obgleich es Nacht schon war, Und kam nach Frankfurt, welches an der Oder liegt, Wo durch Gedichte mich Hermann Trebellius Gar arg schimpfiert und unverschämt verlästert hat, und beide Osthen, seine Schüler ebenfalls, Die bei den Bürgern gräulich mich verhöhneten: Do hieß mich die gantz statt: ‚das Colnisch Copulat‘.67
So schildert der Kölner Magister Philipp Schlauraff in seinem „Rhythmischen Gedicht, das er verfasst und zusammengetragen hat, als er Kursor in der Theologie war und durch ganz Oberdeutschland wanderte“ dem Empfänger Ortwin Gratius in Köln, was ihm in der Fremde widerfahren ist. Es dürfte in der Bildungsgeschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit nicht allzu häufig vorkommen, das ein Begriff so sehr mit einer Stadt und ihrer Hochschule verknüpft wird wie in diesem Fall das „Colnisch Copulat“. Freilich werden die Kölner Kopulatdrucke in der bitterbösen Satire gegen die ‚Dunkelmänner‘, aus der das Zitat stammt, nicht als positiv besetztes Markenzeichen der dortigen Universität anerkannt. Allerdings hat die Nachwirkung dieser Satire lange den Blick der Forschung für den positiven Wert der Kölner Scholastik verstellt, die sich sehr um didaktische Momente bemüht hat.
65 Zu Mainz vgl. STEINER, Jürgen: Die Artistenfakultät der Universität Mainz 1477–1562 (Beiträge zur Geschichte der Universität Mainz 14), Wiesbaden 1989, S. 492–512; zu Trier vgl. die Hinweise bei ZENZ: Universität (wie Anm. 12 ), S. 156–158. 66 MEUTHEN: Universitätsgeschichte (wie Anm. 6), S. 301–303. 67 RIHA, Karl (Hrsg.): Dunkelmännerbriefe – Epistolae obscurorum virorum an Magister Ortwin Gratius aus Deventer, Frankfurt a. M. 1991, S. 160; die letzte Zeile wegen des Reimes zit. nach MEUTHEN, Erich: Die „Epistolae obscurorum virorum“, in: BRANDMÜLLER, Walter/IMMENKÖTTER, Herbert/ISERLOH, Erwin (Hrsg.): Ecclesia militans. Studien zur Konzilien- und Reformationsgeschichte, Bd. 2, Paderborn 1988, S. 53–80, hier S. 69.
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Am Fall des späteren Werdener Humanisten Johannes Kruyshaer alias Cincinnius von Lippstadt konnte ich anhand von Notizen in seinen Studientexten die Praxis der universitären Lehre in der Kölner Montanerburse um 1500 aufzeigen.68 Ausgehend vom zeitlichen Rahmen der Immatrikulation im April 1502 und der Graduierung zum ‚Bakkalaureus artium‘ am 2. November 1503 konnten aufgrund von datierbaren Randbemerkungen zunächst die von den Statuten vorgeschriebenen Lektionen in eine zeitliche Abfolge gebracht werden. Die straffe Vorlesungsfolge von eineinhalb Jahren, die im Falle des Cincinnius noch durch den Ausbruch der Pest im Juli 1502 und vermutlich durch eine längere Krankheit unterbrochen wurde, verlangten einigen Fleiß von den Studierenden, und von den Lehrern ein bislang noch nicht genau erforschtes didaktisches Repertoire, um den oftmals erst 13 bis 16 Jahre alten Scholaren das Erlernen der scholastischen Philosophie und ihrer Formen zu ermöglichen. Eine Säule waren dabei die bereits erwähnten ‚Copulaten‘. Wie der Name schon ausdrückt, verbinden sie im Druck den Text der durch die Statuten vorgeschriebenen Lehrtexte mit dem Kommentar der Kölner Magister. Kölner Werkausgaben des Aristoteles etwa lagen nur in dieser Form vor.69 Bei der Auseinandersetzung mit den Humanisten wird hierauf zurückzukommen sein. Die zweite Säule in der Vermittlung des scholastischen Rüstzeuges waren Übungsdisputationen, ‚aulae‘ wie Cincinnius sie in seinen Randbemerkungen nennt. Schon vor dem Erwerb des Bakkalaureats wurde von den Studierenden die passive Teilnahme an 20 Disputationen und die aktive Teilnahme an vier ordentlichen und drei außerordentlichen Disputationen gefordert. Die sichere Beherrschung der Formen wurde für die Bakkalaureatsprüfung von den jungen Studenten wahrscheinlich schlicht auswendig gelernt. Sie waren aber das Fundament für jedes weitere Studium. Sophronius Clasen hat in seiner Untersuchung über „Die akademischen Redeakte des Walram von Siegburg“ für die Theologische Fakultät die bis zur Promotion zum Lizentiaten oder Doktor fortdauernde Duplizität von Lehren und Lernen deutlich aufgezeigt.70 Clasen verdanken wir ferner das separat und an anderem Ort als Register zu seiner Dissertation publizierte Glossar zum Disputationswesen.71 Schließlich hat er das personale Netz der die Disputationen leitenden Theologieprofessoren und der als Opponenten mitwirkenden Studiengenossen Walrams aufgearbeitet; hier ist einer der Anschlusspunkte zu den intellektuellen Beziehun-
68 FREITÄGER, Andreas: Johannes Cincinnius von Lippstadt (ca. 1485–1555). Bibliothek und Geisteswelt eines westfälischen Humanisten (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen 18; Westfälische Biographien 10), Münster 2000, S. 83–112. 69 VOULLIÈME: Buchdruck (wie Anm. 43), S. LXXIX und S. 49–69 (s.v. Aristoteles). 70 CLASEN, Sophronius: Walram von Siegburg OFM und seine Doktorpromotion an der Kölner Universität, in: Archivum Franciscanum historicum 44 (1951), S. 257–317; 45 (1952), S. 72–126, 323–396; als Sonderdruck mit durchgehender Seitenzählung auch Mönchengladbach: Joh.-Duns-Scotus Akademie [1952]. 71 CLASEN, Sophronius: Collectanea zum Studien- und Buchwesen des Mittelalters, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 42 (1960), S. 159–206, 247–271.
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gen, die Götz-Rüdiger Tewes für die Artesfakultät untersucht hat.72 Ich habe mich ausführlich am Kölner Beispiel mit der Wissensaufbereitung aufgehalten, weil vergleichbare Untersuchungen weder für die Universität Trier noch für die Universität Duisburg existieren. Was Walram von Siegburg noch privat notierte, wurde im 16. Jahrhundert zur Grundlage des Dissertationswesens, indem die verteidigten Thesen der Disputationen ‚pro gradu‘ wie auch ‚de quolibet‘ als Plakatdrucke erschienen.73 Aus den Thesendrucken ‚pro gradu‘ entwickelten sich im Laufe des 17. Jahrhunderts die Inauguraldissertationen. Sowohl für Köln wie für Duisburg und Bonn liegen entsprechende Spezialbibliographien vor,74 die nur ausgewertet werden müssten.75 Das für Duisburg und Köln gesammelte Material lässt Unterschiede zwischen den einzelnen Fächern erkennen: Während die Kölner Theologen weiterhin an der ‚disputatio pro gradu‘ festhielten, verlagerte sich bei den angewandten Wissenschaften Recht und Medizin das Schwergewicht auf die wissenschaftliche Ausarbeitung. Manfred Komorowski hat darauf hingewiesen, dass Duisburg seit dem Ende des 17. Jahrhunderts immer mehr zu einer ‚Promotionshochschule‘ wurde, an der man sich für deutlich weniger Geld als etwa in Köln den Grad des Lizentiaten oder Doktors der Medizin oder der Rechte holte, hier aber nicht studiert hatte.76
5. Curricula und Bibliotheken Kopulaten und Dissertationsdrucke leiten über zur Entwicklung der Curricula. Zunächst möchte ich auf die Hochschulbibliotheken hinweisen, insofern Bibliotheken getreue Spiegelungen geistiger Strömungen sind – auch das Fehlen bestimmter Literatur in ihnen ist ein wichtiger Befund. Von den vier hier betrachteten Universitäten verfügte allein Duisburg über eine eigentliche Universitätsbibliothek, die Pro72 TEWES, Götz-Rüdiger: Die Bursen der Kölner Artisten-Fakultät bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts (Studien zur Geschichte der Universität zu Köln 13), Köln/Weimar/Wien 1993. 73 LIESSEM, H. J.: Die quodlibetarischen Disputationen an der Universität Köln, in: Beilage zum Programm des Kaiser-Wilhelm-Gymnasiums zu Köln 1886, S. 58–70. 74 STAUDER, Peter: Die Hochschulschriften der alten Kölner Universität 1583–1798. Ein Verzeichnis, München u. a. 1990; KOMOROWSKI, Manfred: Bibliographie der Duisburger Universitätsschriften (1652–1817) (Duisburger Studien 7), St. Augustin 1984; BRAUBACH: Hochschule (wie Anm. 11), S. 247–323. 75 Methodisch wichtig ist hier KOMOROWSKI, Manfred: Die alten Duisburger Universitätsschriften. Erfassung, Erschließung, wissenschaftliche Auswertung, in: HANTSCHE, Irmgard (Hrsg.): Zur Geschichte der Universität. Das „Gelehrte Duisburg“ im Rahmen der allgemeinen Universitätsentwicklung (Duisburger Mercator-Studien 5), Duisburg 1997, S. 107–126. 76 KOMOROWSKI, Manfred: Zum Promotionswesen an der alten Universität Duisburg, in: MÜLLER, Rainer A. (Hrsg.): Promotionen und Promotionswesen an den deutschen Hochschulen der Frühmoderne (Abhandlungen zum Studenten- und Hochschulwesen 10), Köln 2001, S. 187–195.
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fessoren und eventuell Studierende mit Literatur versorgte. Ihre Geschichte bis zur Auflösung 1818 und der Überführung der Bücher nach Bonn hat Karlheinz Goldmann 1942 dargestellt.77 Die in der Bonner Universitätsbibliothek erhalten gebliebenen Bestände hat dann Jörg Fligge in seiner Kölner Assessorenarbeit 1974 zusammengestellt.78 Am Beispiel der Bibliothek wird das wesentliche Problem Duisburgs, der westlichsten der brandenburgisch-preußischen Universitäten, deutlich: ihre chronische Unterfinanzierung, die sich mit der Errichtung der Universität Halle noch verschlimmerte. Allerdings ist hier relativierend auf den Fall der 1506 gegründeten brandenburgischen Landesuniversität in Frankfurt/Oder hinzuweisen, die mit Duisburg sowohl die Vernachlässigung wie auch die Verbringung an eine Nachfolgeuniversität (hier in Breslau) teilte.79 An der Kölner Universität verfügte allein die Artistenfakultät über eine Bibliothek, die nach Aufgehen der Fakultät in den drei Prinzipalbursen 1577 auf diese aufgeteilt wurde. Greifbar wird sie nur noch durch den als Buchbindermakulatur verwendeten Plakatkatalog von 1474.80 In Trier kam es 1494 zu einer privaten Bücherstiftung des Magisters Johann Leyendecker, die aber nicht in die Gründung einer Universitätsbibliothek mündete. Die heute noch nachweisbaren 24 Bände dieser Stiftung wurden der Trierer Kartause und dem Simeonsstift zur Verwahrung übergeben mit der Maßgabe, sie Studierenden zugänglich zu machen.81 Erst im 18. Jahrhundert nach der Universitätsreform des Kurfürsten Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg lässt sich eine Universitätsbibliothek nachweisen.82 In Bonn begründete der Kurfürst aus eigenen Mitteln eine Bibliothek, die allerdings den Anforderungen von Wissenschaft und Unterricht zunächst kaum genügte. 1794 waren dann immerhin 15.000 Bände vorhanden.83
77 GOLDMANN, Karlheinz: Geschichte der Universitätsbibliothek Duisburg, in: Zentralblatt für Bibliothekswesen 59 (1942), S. 85–135. 78 FLIGGE, Jörg: Die Bestände der ehemaligen Universitätsbibliothek Duisburg in der Universitätsbibliothek Bonn, in: Duisburger Forschungen 23 (1976), S. 151–237. 79 Vgl. die Beiträge von TARGIEL, Ralf-Rüdiger: Zur Geschichte der Frankfurter Universitätsbibliothek 1506 bis 1811, in: Die Bibliothek der Alma mater Viadrina. Zur Geschichte der einstigen Universitätsbibliothek Frankfurt und ihrer Nachfolger in Wrocław und Frankfurt (Oder) (Historische Schriftenreihe des Stadtarchivs Frankfurt/Oder 4), Frankfurt a. d. Oder 2001, S. 7–16, und FERCZ, Julian: Die Entwicklung der Universitätsbibliothek zu Breslau seit 1811, in: ebd., S. 17–33. 80 KEUSSEN, Hermann: Die alte Kölner Universitätsbibliothek, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 11 (1929), S. 138–190. 81 SIMMERT, Johannes/BECKER, P. Paulus: Eine Anregung zur Einrichtung einer Universitätsbibliothek im Testament des Trierer Magisters Dr. theol. Joh. Leyendecker († 1494), in: DROEGE/FRÜHWALD/PAULY: Verführung (wie Anm. 7), S. 150–164. 82 BISSELS, Paul: Die alte Trierer Universitätsbibliothek, in: Kurtrierisches Jahrbuch 13 (1973), S. 64–69. 83 BRAUBACH: Hochschule (wie Anm. 11), S. 36, 63.
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An der Auflistung im bibliographischen Verzeichnis der Kölner Inkunabeldrucke von Ernst Voullième wird sichtbar, dass die erwähnten Kopulatdrucke neben ihrer didaktischen Funktion auch einen wirtschaftlichen Aspekt hatten. Gedruckt wurden Kommentare der Kölner Magister zu den statutenmäßig festgelegten Texten. Dies garantierte den Drucker-Verlegern, allen voran Heinrich Quentel, einen regelmäßigen Absatz dieser Drucke, was sich an den wiederholten Neuauflagen ablesen lässt. Allerdings erklärt dies aber auch, weshalb sich eine Reform des Lehrplans in humanistischem Sinne nicht vor den 1520er-Jahren und dann sehr zögerlich durchsetzte. Diese an anderer Stelle von mir ausgeführte ‚normative Zentrierung‘ der Kölner Theologie,84 die vornehmlich aus fiskalischen Gründen jedwede Umstrukturierung des artistischen Lehrplans ablehnte, hat Wolfgang Schmitz bestätigt. Anhand der Druckgeschichte der 1523/25 in den Kölner Lehrplan eingeführten ‚neuen‘ Lehrbücher zeigt er, dass diese schon vorher im Kölner Buchdruck nachweisbar sind, also offensichtlich schon inoffiziell Verwendung fanden. Nur ausnahmsweise beginnen die Kölner Ausgaben nach oder mit der Reform, vor allem die „Dialektik“ des Georg von Trapezunt. In der Mehrzahl der Fälle endet die Druckgeschichte mit dem Zeitpunkt der Reform – also kein überzeugendes Argument einer fortschrittlichen Studienreform unter humanistischen Vorzeichen. Die Ausgaben erfolgten überdies meist in Auswahl, die vom Bedarf des Lehrbetriebs diktiert war, häufig mit Scholien der Kölner Magister.85 Ich möchte das Thema Universität und Buchdruck in Köln hier nicht allzu sehr vertiefen; Severin Corsten hat diesem Thema lesenswerte Beiträge gewidmet.86 Noch nicht untersucht wurde allerdings, wie der Buchdruck das Studium zwischen 1470 und 1500 veränderte, nachdem vor Einführung des Buchdrucks in Köln die Texte von den Dozenten diktiert und von den Studenten mit der Hand geschrieben werden mussten. Was die von den Studierenden genutzte Literatur betrifft, ist man auf Untersuchungen zu Privatbibliotheken angewiesen, insofern in Köln die Nutzung der Fakultätsbibliothek auf die Professoren beschränkt war. Studentischer Bücherbesitz ist vor allem dann interessant, wenn er neben den vorgeschriebenen Studientexten auch noch andere Literatur enthält; für Köln erwähne ich neben der Bibliothek des Werdener Humanisten Johannes Cincinnius noch die des Abdinghofer Benediktiners Martin Dudenhofen von Gießen und die von Heinz Finger erforschte Bibliothek des 84 FREITÄGER: Cincinnius (wie Anm. 68), S. 113–143. 85 SCHMITZ, Wolfgang: Die Kölner Universitätsreformen von 1523/25 im Spiegel des Buchdrucks, in: ARNOLD, Werner (Hrsg.): Bibliotheken und Bücher im Zeitalter der Renaissance (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 16), Wiesbaden 1997, S. 55–75. Zu der als missglückt zu bezeichnenden Lehrplanreform in den 1520er-Jahren vgl. NAUERT, Charles G.: Humanists, Scholastics and the Struggle to Reform the University of Cologne 1523–1525, in: MEHL, James V. (Hrsg.): Humanismus in Köln/Humanism in Cologne (Studien zur Geschichte der Universität zu Köln 10), Köln/Weimar/Wien 1991, S. 39–76. 86 CORSTEN, Severin: Universität und Buchdruck in Köln, in: DERS.: Studien zum Kölner Frühdruck. Gesammelte Beiträge 1955–1985 (Kölner Arbeiten zum Bibliotheks- und Dokumentationswesen 7), Köln 1985, S. 123–137. Zum Buchdruck in Köln und im Rheinland vgl. auch den Beitrag von Wolfgang SCHMITZ in diesem Band.
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schon genannten Gisbert van Langeraeck alias Gybertus Longolius.87 Neben seiner wissenschaftsgeschichtlich interessanten Stellung in der Entwicklung der Botanik und Zoologie mag Longolius hier auch für modernisierende Tendenzen des deutschen Humanismus stehen, die sich in Köln an den bestehenden Strukturen die Zähne ausbissen: Es ist das Verdienst von Götz-Rüdiger Tewes, auf die in Köln schon in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts nachweisbare Pflege des humanistischen Lateins und der antiken Literatur hingewiesen zu haben – ausgerechnet in der Person des scholastischen Theologen Johannes Tinctoris von Tournai.88 Aber genau deswegen konnte sich der Kölner Bursenhumanismus etablieren und halten, insofern er nur neben dem durch die Statuten festgelegten Lehrplan der Artistenfakultät stand. Der Fall des italienischen Rechtsgelehrten Petrus Ravennas kann als symptomatisch für das Verhältnis zwischen ‚freien‘ Humanisten in den oberen Fakultäten der Rechtswissenschaft und der Medizin und den Magistern der Theologischen und der Artesfakultät zwischen 1500 und 1543 gelten.89 Eine konsequente Umgestaltung des Universitätsunterrichts in humanistischem Sinne wie etwa in Wittenberg durch Philipp Melanchthon hat in Köln nicht stattgefunden, ebenso wenig in Trier. An dieser Stelle sei eine kurze Parenthese eröffnet hinsichtlich der Frage, weshalb weder Trier noch Köln sich der Reformation anschlossen. Für den zweiten Fall hat – trotz einiger Korrekturen im Detail – der 1976 zunächst auf Englisch, 2000 dann auf Deutsch erschienene Aufsatz von Bob Scribner „Why was there no Reformation in Cologne?“ Zuspruch gefunden, der auf die strukturellen Bedingungen der Reichsstadt um 1520 hingewiesen hatte.90 Aus anderer Perspektive näherte sich schon 1936 der Kölner Anglist und Kulturhistoriker Herbert Schöffler dieser Frage und gab eine
87 FREITÄGER: Cincinnius (wie Anm. 68); REKER, Michael: Die Bücher des Scholaren Martin Dudenhofen von Giessen am Ende des 15. Jahrhunderts. Die Kölner Studienbibliothek eines bislang unbekannten gelehrten Mönchs im Benediktinerkloster Abdinghof in Paderborn, in: Westfälische Zeitschrift 146 (1996), S. 223–244; FINGER, Heinz/BENGER, Anita: Der Kölner Professor Gisbert Longolius, Leibarzt Hermanns von Wied, und die Reste seiner Bibliothek in der Universitätsbibliothek Düsseldorf (Schriften der Universitätsbibliothek Düsseldorf 3), Düsseldorf 1987. 88 TEWES, Götz-Rüdiger: Frühhumanismus in Köln. Neue Beobachtungen zum thomistischen Theologen Johannes Tinctoris von Tournai, in: HELMRATH, Johannes/MÜLLER, Heribert (Hrsg.): Studien zum 15. Jahrhundert. Festschrift für Erich Meuthen, München 1994, S. 667–693. 89 BOHNE, Gotthold: Petrus Ravennas. Sein Leben und sein Werk, in: Concordia decennalis – deutsche Italienforschungen. Festschrift der Universität Köln zum 10jährigen Bestehen des Deutsch-Italienischen Kulturinstituts Petrarcahaus 1941, Köln 1941, S. 147–200. 90 SCRIBNER, Robert W.: Warum gab es in Köln keine Reformation?, in: MÖLICH, Georg/ SCHWERHOFF, Gerd (Hrsg.): Köln als Kommunikationszentrum. Studien zur frühneuzeitlichen Stadtgeschichte (Der Riss im Himmel. Clemens August und seine Epoche 4), Köln 2000, S. 88–109; mit den ergänzenden Beiträgen von Manfred GROTEN, Manfred: Die nächste Generation. Scribners Thesen aus heutiger Sicht, in: ebd., S. 110–113; sowie JÜTTE, Robert: Robert W. Scribner. Der Sozialhistoriker der Reformation, in: ebd., S. 114f.
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überraschende Antwort: Das erst 1502 gegründete und 1507 privilegierte Wittenberger Studium schleppte keine lange Tradition mit sich herum, sehr wohl aber das in der ‚Pfaffengasse‘ des Reiches gelegene Köln. Hier wehrten nicht nur Theologie und Kanonistik, sondern auch die Artisten jedwede Reform, die das wirtschaftliche Fundament der Bursenregentien angetastet hätte, erfolgreich ab.91 Köln war, so Schöffler, im Gegensatz zu Wittenberg auch hinsichtlich der Lehrenden eine ‚alte‘ Hochschule – in Wittenberg setzte der eben erst 21jährige Philipp Melanchthon seine in der Antrittsrede von 1518 umrissenen Neugestaltungspläne innerhalb weniger Jahre um.92 Wenngleich noch nicht ausgearbeitet, darf ich an dieser Stelle aufgrund des bereits gesammelten Materials zu dem Kölner Gräzisten und Arzt-Humanisten Gybertus Longolius die These formulieren, dass die Kölnische Reformation von 1543 eine starke bildungspolitische Implikation hatte – sicher nicht zufällig standen mit Longolius, Gerhard Bronckhorst von Nimwegen und vor allem Philipp Melanchthon drei profilierte Schul- und Universitätsreformer parat. Diese bislang wohl noch nicht beachteten Aspekte des Reformationsversuchs des Hermann von Wied werde ich demnächst in einem eigenen Beitrag genauer ausführen.93 Nach erfolglosen Reformansätzen, die von den 1520er- bis in die 1550er-Jahre reichen, brachten die Jesuiten in Köln wie auch in Trier eine nachhaltige Weiterentwicklung des Curriculums in Gang. In Köln gelangte die junge Gesellschaft Jesu nur durch einen juristischen Kunstgriff in den faktischen Besitz der Dreikronenburse, als der den Jesuiten angehörende Kölner Patriziersohn Johann von Rheidt (Rethius) ‚ad personam‘ das Tricoronatum von der Stadt als Regens übernahm.94 Die Jesuiten führten Entwicklungen des späten 16. Jahrhunderts konsequent weiter, indem der Unterricht klassenweise gegliedert wurde und die Kölner Prinzipalbursen in den unteren Stufen zu Gymnasien wurden, deren Übergang in die Oberklassen ‚Logica‘ und ‚Physica‘ den Beginn des Universitätsstudiums bedeuteten. Als erster befasste sich Josef Kuckhoff mit dem Tricoronatum.95 Von den anderen beiden ‚Prinzipalbur91 SCHÖFFLER, Herbert: Die Reformation. Einführung in eine Geistesgeschichte der Neuzeit (1936), in: DERS.: Wirkungen der Reformation. Religionssoziologische Folgerungen für England und Deutschland, Frankfurt a. M. 1960, S. 105–188. 92 Eine deutsche Übersetzung von Melanchthons Antrittsrede „De corrigendis adolescentiae studiis“ (1518), in: BAYER, Michael/RHEIN, Stefan/WARTENBERG, Günther (Hrsg.): Melanchthon deutsch, Bd. 1: Schule und Universität. Philosophie, Geschichte und Politik, Leipzig 1997, S. 41–63; zur Schul- und Universitätsreform ferner die Beiträge in LEONHARDT, Jürgen (Hrsg.): Melanchthon und das Lehrbuch des 16. Jahrhunderts (Rostocker Studien zur Kulturwissenschaft 1), Rostock 1997. 93 Siehe vorerst FREITÄGER: Italienaufenthalt (wie Anm. 50). 94 Zur Politik des Rates gegenüber den Jesuiten vgl. RUTZ, Andreas: Städtische Schulpolitik in der Konfessionalisierung. Aachen, Köln und Nürnberg im Vergleich, in: Zeitschrift für Historische Forschung 33 (2006), S. 359–385, hier S. 378f. 95 KUCKHOFF, Josef: Die Geschichte des Gymnasium Tricoronatum. Ein Querschnitt durch die Geschichte der Jugenderziehung in Köln vom 15. bis zum 18. Jahrhundert (Veröffentlichungen des Rheinischen Museums in Köln 1), Köln 1931.
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sen‘ fand bislang nur das Montanum in Dorothea Fellmann eine Bearbeiterin.96 Noch nicht ausführlicher untersucht ist das Laurentianum; hierzu bleiben wir vorläufig auf den Beitrag von Siegfried Schmidt in dem erst kürzlich erschienenen Katalog zur Ausstellung „Kaspar Ulenberg und die Kolumbapfarre“ verwiesen.97 Auch in Köln bestand die von Ernst Schubert angeführte Doppelung von Jesuitenkolleg und Studieneinrichtung, freilich nach den örtlichen Gegebenheiten.98 Sowohl Trier wie auch Köln wurden aber keine Jesuiten-Universitäten wie etwa Ingolstadt, Dillingen oder das durch Julius Echter von Mespelbrunn in gegenreformatorischer Absicht wiederbegründete Würzburger ‚studium generale‘,99 insofern in Köln der Einfluss der Gesellschaft Jesu allein auf das Gymnasium Tricoronatum begrenzt blieb. Siegfried Schmidt hat im Übrigen jüngst die Bedeutung des Kölner Jesuitengymnasiums relativiert, in dessen Geschichte es vor allem durch zahlreiche Wegberufungen von Lehrenden nach Süddeutschland tiefe Krisen gab.100 Die Suppression des Ordens im Jahre 1773 riss in Köln wie in Trier, wo die Jesuiten die Artisten- und die Theologenfakultät übernahmen, durch die Weiterbeschäftigung der Ex-Jesuiten keine schweren Lücken in das Lehrangebot,101 eröffnete andererseits aber auf der Grundlage, die Jesuiten gelegt hatten,102 auch eine energische Weiterentwicklung auf dem Gebiet der Naturkunde. Allzu wenig weiß man dagegen über die Entwicklung der Kölner Theologie, die – wie schon gesagt – bislang ein Stiefkind der Kölner Universitätsgeschichtsschreibung ist. Wurden durch die Aufsicht der Medizinischen Fakultät über die in Köln praktizierenden Bader, Chirurgen und Hebammen die bis dahin als ‚artes mechanicae‘ betrachtete Chirurgie und Geburtshilfe allmählich Teil des universitären Lehrange96 FELLMANN, Dorothea: Das Gymnasium Montanum 1550–1798. Zur Geschichte der Artesfakultät der alten Kölner Universität (Studien zur Geschichte der Universität zu Köln 15), Köln/Weimar/Wien 1999. 97 SCHMIDT, Siegfried: Kaspar Ulenberg und die Kölner Universität, in: Der Kolumbapfarrer Kaspar Ulenberg und die Geschichte der Kolumbapfarre (Libelli Rhenani 20), Köln 2007, S. 159–176. 98 SCHUBERT, Ernst: Zur Typologie gegenreformatorischer Universitätsgründungen. Jesuiten in Fulda, Würzburg, Ingolstadt und Dillingen, in: RÖSSLER, Hellmuth/FRANZ, Günther (Hrsg.): Universität und Gelehrtenstand 1400–1800 (Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit 4), Limburg 1970, S. 85–105. 99 Vgl. dazu BERGERHAUSEN, Hans-Wolfgang: Zwei Universitäten des konfessionellen Zeitalters im Vergleich. Würzburg und Köln, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 67 (1996), S. 83–104. 100 Lesenswert die neue Überblicksdarstellung von SCHMIDT, Siegfried: Das Gymnasium Tricoronatum unter der Regentschaft der Kölner Jesuiten, in: Die Anfänge der Gesellschaft Jesu und das erste Kölner Jesuitenkolleg in Köln (Libelli Rhenani 17), Köln 2006, S. 71– 186. 101 MEUTHEN: Universitätsgeschichte (wie Anm. 6), S. 372; SCHMIDT: Gymnasium (wie Anm. 100), S. 170–172. 102 SCHMIDT: Gymnasium (wie Anm. 100), S. 157–169: „Späte Blüte – die Schulreformen des Hermann Joseph Hartzheim“.
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bots, so beförderten auch die Jesuiten in der Artesfakultät die allmähliche Durchsetzung der praktischen Wissenschaften im universitären Lehrstoff. Gunter Quarg hat in seiner gründlichen Untersuchung über „Naturkunde und Naturwissenschaft an der alten Kölner Universität“103 zeigen können, dass sich im 18. Jahrhundert die mathematisch-physikalischen Wissenschaften einen festen Platz in Forschung und Lehre erobern konnten, wobei der stärkste Modernisierungsschub in den 1780erJahren lag. Ich habe hier nicht ohne Bedacht die heute geläufige, geradezu selbstverständliche Verbindung von Forschung und Lehre betont, die im 18. Jahrhundert in noch stärkerem Maße für die naturwissenschaftlichen Fächer Botanik und Chemie im Lehrangebot der Medizinischen Fakultät galt. Hinsichtlich der Modernisierung der Lehrpläne konnte es eine obrigkeitlich verordnete Radikalkur der Lehrpläne durch den Landesherren wie in Trier oder bei der Bonner Neugründung in Köln nicht geben, insofern dem Stadtregiment als Träger der Hochschule geringere Eingriffsmöglichkeiten zur Verfügung standen als an den landesherrlichen Gründungen. Die Universitäten wurden seit dem 17. Jahrhundert als Bildungseinrichtungen mit praktischen Auswirkungen zur Hebung der Landeswohlfahrt gesehen, eben als ‚seminaria rei publicae‘. Eine konsequente Fortführung dieser Entwicklung war etwa für das Herzogtum Jülich-Berg unter den Pfälzern die Förderung einer Juristenakademie zur Reproduktion des in der Verwaltung benötigten Personals und die Einrichtung eines ‚collegium medico-chirurgicum‘. Dagegen zog sich der Kölner Rat seit dem 16. Jahrhundert immer mehr aus der Finanzierung der Universität zurück. Die Kölner Universität ist allerdings gerade in den letzten Dezennien ihres Bestehens nicht als ‚erzkonservativ‘ und ‚rückständig‘ abzuschreiben, auch wenn sich das fehlgeschlagene Experiment einer Geschichtsprofessur in den 1720er-Jahren nicht eben als ein Ruhmesblatt der späten Universitätsgeschichte darstellt.104 Auf keinen Fall mehr maßgeblich sein kann die Darstellung von Robert Haas, aus der man den Eindruck gewinnen muss, die Verhältnisse an der Kölner Universität hätten geradezu zwangsläufig in ihrer Aufhebung münden müssen. Hier stellte sich dann nämlich die Frage, wie dies mit den Entwicklungen an der ebenfalls 1798 von den Franzosen aufgehobenen Universität Trier oder der bewusst unter aufklärerischen Aspekten begründeten Bonner Hochschule zusammenzubringen wäre.105 Die Aufhebung von Bonn, Köln und Trier 1798 war eine politische Ent-
103 QUARG, Gunter: Naturkunde und Naturwissenschaft an der alten Kölner Universität (Studien zur Geschichte der Universität zu Köln 14), Köln/Weimar/Wien 1996. 104 HÖMIG, Herbert: Jean Ignace Roderique und die Anfänge der Geschichtswissenschaft an der Kölner Universität, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 180 (1978), S. 146–168; KEMP, Jacob: Das Studium der Geschichte an der Kölner Universität, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 1 (1912), S. 52–78; 2 (1913), S. 53–74. 105 HAAS, Robert: Die geistige Haltung der katholischen Universitäten Deutschlands im 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Geschichte der Aufklärung, Freiburg 1952, zu Köln S. 17–32, zu Trier S. 38–44; für Trier vgl. außerdem die profunde Studie von TRAUTH: Begegnung (wie Anm. 13), für Bonn BRAUBACH: Hochschule (wie Anm. 11) sowie DERS.: Rheinische Aufklä-
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Andreas Freitäger
scheidung, bedingt durch die Verweigerung einer uneingeschränkten Verpflichtung der Professoren auf die Französische Republik angesichts des faktischen, wenngleich noch nicht staatsrechtlich sanktionierten Souveränitätsverlust der bisherigen meist geistlichen Landesherren in den linksrheinischen Gebieten. Als Gegenbeispiel mag hier der Fall des rechtsrheinischen Duisburg dienen, dessen Universität – abgesehen von den momentanen Erschütterungen beim Einmarsch der Franzosen – sich bis 1818 halten konnte. Wissenschaftlich sicher auch nicht besser als die alten Universitäten Trier und Köln und die trotz des aufklärerischen Impetus letztlich auch nicht zur Blüte gelangte erste Bonner Universität, überlebte Duisburg die Zeit des napoleonischen Großherzogtums Berg, um erst unter preußischer Herrschaft einer neuen Hochschulkonzeption weichen zu müssen.
Fazit Wie stellt sich nun die Entwicklung der rheinischen Hochschulen über die hier skizzierten mehr als 700 Jahre dar? Eine Antwort kann natürlich nur vorläufigen Charakter angesichts der eingangs getroffenen räumlichen und sachlichen Einschränkungen haben: Eine spezifisch ‚rheinische‘ Hochschullandschaft hat es bis zum Beginn des konfessionellen Zeitalters sicher nicht gegeben. Dazu war die älteste der hier behandelten vier Universitäten in Köln zu sehr nehmender Part, vor allem der Universitäten Prag und Paris. Umgekehrt hat Götz-Rüdiger Tewes eindruckvoll die personelle Ausstrahlung der Kölner Artistenfakultät dargelegt. Für die Zeit nach 1550 fehlen solche Untersuchungen leider noch. Trier, Duisburg und Bonn eint der Umstand, dass es sich bei diesen drei Universitäten um landesherrlich initiierte Gründungen handelt, wobei im Falle Triers der ansatzweise feststellbare städtische, von Köln geprägte Einfluss rasch im Sand verlief. Eine personelle Bezogenheit auf Köln wäre auch nur hier feststellbar, denn Duisburg und später Bonn waren zu sehr als Kontrapunkte zur Kölner Universität gegründet worden. Insofern spielen regionale Faktoren – soweit sich dies aufgrund der bisherigen Forschung sagen lässt – bei den Universitätsgründungen eine nicht unerhebliche Rolle. Diese für das konfessionelle Zeitalter und das 18. Jahrhundert aufzuzeigen, bleibt vorläufig Forschungsdesiderat.106
rung. Neue Funde zur Geschichte der ersten Bonner Universität, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 149/150 (1950/51), S. 74–180; 151/152 (1952), S. 257–346. 106 Vgl. vorerst HÖROLDT, Dietrich: Das rheinische Hochschulwesen der Frühen Neuzeit, in: ZEHNDER, Frank Günter (Hrsg.): Eine Gesellschaft zwischen Tradition und Wandel. Alltag und Umwelt im Rheinland des 18. Jahrhunderts (Der Riss im Himmel. Clemens August und seine Epoche 3), Köln 1999, S. 109–125.
Karl Härter
Bildung und Schule in der Ordnungsgesetzgebung rheinischer Territorien und Städte
Ein Rezess des Kölner Erzbischofs Hermann V. zu Streitigkeiten in der Stadt Neuss vom 21. Juni 1546 untersagte nicht nur den Schulmeistern, die Stadt mit „gerichtligem proces“ zu überziehen, sondern verkündete auch gleich das schulpolitische Credo des Kurfürsten: „Und naichdeme dan one gute schule kein rechte christliche lewhr, auch gute policei und ordnung gepflantzt und erhalten werden mag […] so soll naich gotzfurchtigen, fromen und gelerten scholmeisteren getrachtet“ werden.1 Erziehung, Bildung und Schule sollten folglich bereits in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts im Rheinland nicht nur der Förderung des Glaubens und damit der Konfessionalisierung dienen, sondern waren auch Voraussetzung ‚guter Ordnung und Policey‘.2 In dieser Hinsicht bildeten das Bildungs- und Schulwesen Felder des Policeywesens und Gegenstände policeylicher Normierung in der vielgestaltigen Policey- und Ordnungsgesetzgebung, derer sich auch die Obrigkeiten des Rheinlands seit dem späten Mittelalter in steigender Intensität bedienten, um die gute Ordnung des Gemeinwesens aufrecht zu erhalten. Bis zum 18. Jahrhundert entwickelten sich Bildung und Schule zu einem unverzichtbaren Element ‚guter Policey‘, dem einerseits eine wichtige erzieherisch-disziplinierende Funktion im Hinblick auf die Erhaltung von Ordnung zukam, das aber andererseits einer zunehmenden Reglementierung durch obrigkeitliche Policeygesetzgebung unterworfen wurde. Zumindest in der Perspektive der zeitgenössischen Policeywissenschaft diente die „Unterrichtspolicey“ damit primär der „Erreichung des Staatszweckes“, weil die Bürger dadurch die richtige Einstellung zu ihren „Rechten und Pflichten“ erwerben und „Hindernisse des öffentlichen Wohls“ aus dem Weg geräumt würden. Der Staat sei daher verpflichtet, gegen Mängel, Fehler und Missbräuche im Bildungswesen vorzugehen, 1 Rezess des Erzbischofs Hermann V., 21.06.1546, in: LAU, Friedrich (Bearb.): Quellen zur Rechts- und Wirtschaftsgeschichte der rheinischen Städte (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 29), Kurkölnische Städte I: Neuss, Bonn 1911, S. 221–228, hier S. 227. 2 Vgl. grundsätzlich JANSSEN, Wilhelm: „Gute Ordnung“ als Element der Kirchenpolitik in den Vereinigten Herzogtümern Jülich-Kleve-Berg, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 61 (1997), S. 161–174; HÄRTER, Karl: „... zum Besten und Sicherheit des gemeinen Weesens ...“ Kurkölnische Policeygesetzgebung während der Regierung des Kurfürsten Clemens August, in: ZEHNDER, Frank Günter (Hrsg.): Im Wechselspiel der Kräfte. Politische Entwicklungen des 17. und 18. Jahrhunderts in Kurköln (Der Riss im Himmel. Clemens August und seine Epoche 2), Köln 1999, S. 203–235.
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Karl Härter
alle notwendigen Anstalten „auf öffentliche Kosten“ zu treffen und mittels Unterrichtspolicey „dem Mangel an Hülfsmitteln zum Unterricht hauptsächlich durch Lehranstalten sowohl für beide Geschlechter in jedem Alter, als auch für jeden Stand und für die verschiedenen Gewerbe vorzubeugen“.3 Dieser durch Günther Heinrich von Berg gegen Ende des 18. Jahrhunderts idealtypisch zusammengefasste obrigkeitlich-staatliche Anspruch, im Rahmen der ‚guten Policey‘ mittels Gesetzgebung und Verwaltungsmaßnahmen Bildungs- und Schulpolitik zu betreiben, ist zwar in der Bildungs- und Schulforschung vielfach aufgegriffen und untersucht worden. Grundsätzlich überwiegt allerdings in den neueren Arbeiten Skepsis und Kritik gegenüber einem etatistisch-normativen Ansatz, der Schulordnungen, Schulgesetze und Verwaltungsmaßnahmen bevorzugt und damit die vormoderne Schulpraxis oder Schulrealität bestenfalls bedingt erschließen kann.4 Es erscheint daher problematisch, Erziehung, Bildung und Schule primär unter dem Aspekt der ‚guten Policey‘ und der vormodernen Ordnungsgesetzgebung zu betrachten, zumal neuere systematische und übergreifende Untersuchungen zur Entwicklung der Schulgesetzgebung bzw. des Schulrechts nicht vorhanden sind. Gleichwohl werden in zahlreichen lokalen Fallstudien – auch für rheinländische Obrigkeiten und Bildungseinrichtungen – obrigkeitlich-staatliche normative Quellen herangezogen, um diese zumindest mit der ‚Bildungswirklichkeit‘ und dem ‚Schulalltag‘ zu kontrastieren und die Umsetzungsdefizite von Schulordnungen und -gesetzen aufzuzeigen.5 Hier soll weder an der grundlegenden Differenz von Norm und Praxis gezweifelt noch eine lineare ungebrochene Verstaatlichung des Bildungswesens mittels Poli3 BERG, Günther Heinrich von: Handbuch des Teutschen Policeyrechts, 7 Bde., Hannover 1802–1809, hier Bd. 2, S. 303–305. 4 Vgl. den Forschungsüberblick von EHRENPREIS, Stefan: Erziehungs- und Schulwesen zwischen Konfessionalisierung und Säkularisierung. Forschungsprobleme und methodische Innovationen, in: SCHILLING, Heinz/EHRENPREIS, Stefan (Hrsg.): Erziehung und Schulwesen zwischen Konfessionalisierung und Säkularisierung. Forschungsperspektiven, europäische Fallbeispiele und Hilfsmittel, Münster u. a. 2003, S. 19–33; EHRENPREIS, Stefan: Das frühneuzeitliche Elementarschulwesen. Forschungsergebnisse und neue Fragestellungen, in: JACOBI, Juliane (Hrsg.): Zwischen christlicher Tradition und Aufbruch in die Moderne. Das Hallesche Waisenhaus im bildungsgeschichtlichen Kontext (Hallesche Forschungen 22), Tübingen 2007, S. 147–168. 5 Vgl. KREIKER, Sebastian: Armut, Schule, Obrigkeit. Armenversorgung und Schulwesen in den evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts (Religion in der Geschichte. Kirche, Kultur und Gesellschaft 5), Bielefeld 1997; FRIEDRICHS, Otto: Das niedere Schulwesen im linksrheinischen Herzogtum Kleve 1614–1816. Ein Beitrag zur Regionalgeschichte der Elementarschulen in Brandenburg-Preußen (Schriften der Heresbach-Stiftung Kalkar 8), Bielefeld 2000; SCHMAHL, Helmut: Zwischen Reformation und Aufklärung. Das ländliche Schulwesen im rheinhessisch-mittelrheinischen Raum vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, in: ANDERMANN, Ulrich/ANDERMANN, Kurt (Hrsg.): Regionale Aspekte des frühen Schulwesens (Kraichtaler Kolloquien 2), Tübingen 2000, S. 137–151, hier S. 137: „Eine wichtige Grundlage für die Erforschung des ländlichen Schulwesens sind die zahlreichen landesherrlichen Verordnungen“.
Bildung und Schule in der Ordnungsgesetzgebung
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ceygesetzgebung während der Frühen Neuzeit behauptet werden. Dennoch scheint es gewinnbringend, den Fokus auf die Akteursebene ‚Obrigkeit‘ oder ‚Staat‘ und die entsprechende ‚Bildungsgesetzgebung‘ zu richten. Stellt man die Frage nach regionalen Bildungslandschaften bzw. einer rheinischen Schul- und Bildungslandschaft und bevorzugt einen territorial übergreifenden, vergleichenden Ansatz, dann bietet sich die Policeygesetzgebung als Untersuchungsfeld an, um grundlegende Strukturen und langfristige Tendenzen sichtbar zu machen, unterschiedliche Territorien und Städte zu vergleichen und Unterschiede wie Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten.6 Denn die auf Erziehung, Bildung und Schule zielende Ordnungsgesetzgebung bildete ein wesentliches Element frühneuzeitlicher Bildungs- und Erziehungsdiskurse, die sich territorial übergreifend vollzogen. Wie die neuere Forschung herausgearbeitet hat, entwickelten sich das Ordnungsmodell der ‚guten Policey‘ und die darauf bezogene Ordnungsgesetzgebung in – auch territorial – übergreifenden Interaktions- und Kommunikationsprozessen zwischen unterschiedlichen Normgebern, Inhabern von Herrschaftsrechten und sozialen Gemeinschaften.7 Im Falle der Bildungs- und Schulpolitik waren dies Territorien, Städte bzw. Bürgergemeinden und Kirche, und insofern flossen nicht nur obrigkeitlich-staatliche, sondern auch religiös-konfessionelle, soziale und traditionelle Normen ein. Allerdings existierten auch Bereiche – exemplarisch genannt sei hier nur die Schulpflicht –, bei denen die Vorstellungen von Obrigkeiten, Untertanen und intermediären Gewalten über die gute Ordnung im Schul- und Bildungswesen erheblich auseinanderklafften. An der Policeygesetzgebung lassen sich folglich – so die methodische Ausgangsthese – Intentionen, Zielvorstellung und Instrumentarium einer territorial übergreifenden, sich in der Frühen Neuzeit allmählich entfaltenden obrigkeitlichen Bildungs- und Schulpolitik ablesen; sie markiert längerfristige Tendenzen und Entwicklungen insbesondere hinsichtlich des spannungsreichen Verhältnisses von
6 SCHINDLING, Anton: Bildung und Wissenschaft in der Frühen Neuzeit (Enzyklopädie deutscher Geschichte 30), München 1994; KIESSLING, Rolf: „Schullandschaften“ – ein Forschungsansatz für das Spätmittelalter und die Frühe Neuzeit. Entwickelt anhand süddeutscher Beispiele, in: SCHILLING/EHRENPREIS: Erziehung (wie Anm. 4), S. 35–54, hier insb. S. 42f.; EHRENPREIS: Elementarschulwesen (wie Anm. 4), S. 154. 7 Vgl. HÄRTER, Karl (Hrsg.): Policey und frühneuzeitliche Gesellschaft (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 129), Frankfurt a. M. 2000; LANDWEHR, Achim: Policey im Alltag. Die Implementation frühneuzeitlicher Polizeiordnungen in Leonberg (Studien zu Policey und Policeywissenschaft), Frankfurt a. M. 2000; BLICKLE, Peter/KISSLING, Peter/SCHMIDT, Heinrich Richard (Hrsg.): Gute Policey als Politik im 16. Jahrhundert. Die Entstehung des öffentlichen Raumes in Oberdeutschland (Studien zu Policey und Policeywissenschaft), Frankfurt a. M. 2003; HOLENSTEIN, André: „Gute Policey“ und lokale Gesellschaft im Staat des Ancien Régime. Das Fallbeispiel Baden(-Durlach) (Frühneuzeit-Forschungen 9), 2 Bde., Tübingen 2003; SIMON, Thomas: „Gute Policey“. Ordnungsleitbilder und Zielvorstellungen politischen Handelns in der frühen Neuzeit (Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte 170), Frankfurt a. M. 2004.
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Karl Härter
Kommune, Kirche und Staat und sie bildet Verrechtlichung, Verstaatlichung und Säkularisierung von Bildung, Erziehung und Schule ab. Insofern handelt es sich aber zweifellos um einen analytisch begrenzten Zugang zu Erziehung, Bildung und Schule im Rheinland, welcher der eingeschränkten normativ-obrigkeitlichen Perspektive der ‚guten Policey‘ bzw. Ordnungsgesetzgebung folgt und die jeweilige konkrete lokale Praxis nicht einbeziehen kann. Dennoch sei grundsätzlich vorausgeschickt, dass sowohl die Entstehung der Policeynormen im Bereich von Erziehung, Bildung und Schule als auch deren Um- und Durchsetzung hier nicht als ein einseitiger obrigkeitlicher Akt einer repressiven, von oben nach unten durchgesetzten ‚Schulzucht‘ verstanden werden sollen. Grundsätzlich gilt auch für die ‚Unterrichtspolicey‘, dass die Normadressaten eigene Bildungsinteressen artikulierten und einbrachten – zum Beispiel auf dem Weg von Supplikationen oder Dispensgesuchen, die durchaus mit obrigkeitlichen Vorstellungen übereinstimmen konnten. Gerade Familien aus städtischen und dörflichen Mittelschichten und Eliten hatten ein begrenztes Bildungsinteresse an der Ausbildung ihrer Kinder im Lesen, Schreiben oder auch im Rechnen. Allerdings gab es bezüglich vieler gesetzlicher Vorgaben – erinnert sei hier nur an die Schulpflicht – durchaus gravierende Differenzen zwischen Normgeber und Normadressaten (Schülern, Eltern und Lehrern) und letztere entwickelten unterschiedliche Strategien eines ‚produktiven‘ alltäglichen pragmatischen Umgangs mit oder auch der Umgehung und Nicht-Einhaltung von Policeynormen. Da der vormoderne Staat nur über geringe staatliche Verwaltungs- und Exekutivorgane verfügte, waren Untertanen, intermediäre Gewalten sowie lokale, genossenschaftliche und kommunale Gemeinschaften ebenfalls an der Um- und Durchsetzung der Policeynormen beteiligt und konnten derart die Bildungs- und Schulpolitik beeinflussen. Der Bereich der Normdurchsetzung, der Normumgehung und der Verfolgung von Verstößen kann hier allerdings nur exemplarisch anhand einiger Fallbeispiele und der vorliegenden Forschungsliteratur thematisiert werden. Auch wenn Beharren, Widersetzlichkeit, Umsetzungsprobleme und Verstöße mehr oder weniger zur alltäglichen Praxis gehörten und die Nichteinhaltung von Policeynormen als stereotype Begründung neuer Policeygesetzgebung fungierte, bildet diese dennoch in begrenztem Maße Probleme der Schulwirklichkeit und Bildungspraxis ab, zumindest in der Perspektive, in der sie von den Obrigkeiten wahrgenommen wurden und Regelungsbedarf evozierten. Funktion und Wirkung der Policey- bzw. Bildungs- und Schulgesetzgebung kann daher weder auf das Modell der Sozialdisziplinierung noch auf das Messen von Effizienz an der Messlatte einer gleichsam einhundertprozentigen Umsetzung reduziert werden.8 8 Vgl. EHRENPREIS, Stefan: Sozialdisziplinierung durch Schulzucht? Bildungsnachfrage, konkurrierende Schulsysteme und der „deutsche Schulstaat“ des 17. Jahrhunderts, in: SCHILLING, Heinz (Hrsg.): Institutionen, Instrumente und Akteure sozialer Kontrolle und Disziplinierung im frühneuzeitlichen Europa (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 127), Frankfurt a. M. 1999, S. 167–185; HOLENSTEIN: „Gute Policey“ (wie Anm. 7), hier S. 572–586 zu Policey und Schule.
Bildung und Schule in der Ordnungsgesetzgebung
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Im Folgenden wird die auf Bildung, Erziehung und Schule abzielende Ordnungsgesetzgebung mehrerer am Rhein (in einem nach Südwestdeutschland erweiterten Rheinland) liegender Territorien und Reichsstädte quantitativ vergleichend untersucht.9 Dabei stehen vorwiegend das Schulwesen und darauf bezogene zentrale Regelungen und Problemfelder der ‚Lehr- und Unterrichtspolicey‘ wie Schulpflicht, Einschulungsalter, Dauer des Schulbesuchs, Unterrichtsgegenstände, Lehrpersonal und das Umsetzungsinstrumentarium im Mittelpunkt. Auf allgemeine Bildungsanstalten und Erziehungsnormen und den ‚Sonderfall‘ der Universität kann im Rahmen der Policeygesetzgebung nur im Überblick eingegangen werden; dies gilt ebenfalls für den Bereich der Berufsausbildung, der hier nicht berücksichtigt wurde und zu dem die ‚gute Policey‘ besondere Regelungsbereiche ausbildete (Handwerks- und Zunftordnungen und entsprechende spezifische Policeygesetze). Die Auswahl der Territorien und Reichsstädte versucht der Gemengelage und multikonfessionellen Bildungslandschaft der Reichsstände am Rhein Rechnung zu tragen: Einbezogen wurden die vier rheinischen Kurfürsten, darunter bekanntlich drei katholisch-geistliche, die weltlichen Territorien Jülich-Berg und Kleve-Mark, die 1614 nach dem Erbfolgestreit an die Kurpfalz bzw. den Kurfürsten von Brandenburg fielen, die Markgrafschaft Baden (die Linien Baden und Durlach), das Fürstbistum Speyer sowie die drei Reichsstädte Speyer, Worms und Köln, letztere wiederum katholisch. Die quantitative Auswertung der Policeygesetzgebung dieser Obrigkeiten beruht auf den Daten, die für das Repertorium der Policeyordnungen der Frühen Neuzeit erfasst wurden, wobei nicht Gesetze, sondern einzelne Regelungsmaterien bzw. Policeynormen gezählt sind.10 Im systematischen hierarchischen Index des Repertoriums bildet das Bildungswesen eine eigene Gruppe (3.3 Erziehungswesen), innerhalb
9 Überblick und Forschungsstand bei KISTENICH, Johannes: Schule im Rheinland zwischen Reformation und Revolution, in: ZEHNDER, Frank Günter (Hrsg.): Eine Gesellschaft zwischen Tradition und Wandel. Alltag und Umwelt im Rheinland des 18. Jahrhunderts (Der Riss im Himmel. Clemens August und seine Epoche 3), Köln 1999, S. 40–64; SCHMAHL: Reformation (wie Anm. 5); EHMER, Hermann: Ländliches Schulwesen in Südwestdeutschland während der frühen Neuzeit, in: ANDERMANN/ANDERMANN: Aspekte (wie Anm. 5), S. 75–105; RUTZ, Andreas: Bildung – Konfession – Geschlecht. Religiöse Frauengemeinschaften und die katholische Mädchenbildung im Rheinland (16.–18. Jahrhundert) (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz 210), Mainz 2006. 10 HÄRTER, Karl/STOLLEIS, Michael (Hrsg.): Repertorium der Policeyordnungen der Frühen Neuzeit, Bd. 1–8, Frankfurt a. M. 1996–2007; noch nicht publiziert, aber hier einbezogen wurden die bereits abschließend erfassten Städte Speyer, bearb. v. Thomas Rölle, und Worms, bearb. v. Gunther Mahlerwein. Im Folgenden werden die Policeygesetze mit Angabe von Territorium, Nummer im Repertorium, Form und Datum zitiert und nachgewiesen. Die im Repertorium bzw. in den zugrunde liegenden Datenbanken erfaßten Policeynormen (Erfassungsstand ist Juli 2007) bilden die Grundlage für die statistische Auswertung der Regelungsmaterien nach dem dreistufigen Materienindex des Repertoriums (5 Bereiche, 25 Gruppen von 1.1 bis 5.4 und ca. 200 einzelne Policeymaterien); vgl. hierzu HÄRTER, Karl/STOLLEIS, Michael: Einleitung, in: DIES. (Hrsg.): Repertorium der Policeyordnungen der Frühen Neuzeit, Bd. 1, S. 1–36, hier S. 18–31.
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derer Policeymaterien erfasst sind zu Bibliotheken, Fachschulen, Schule, Universität und Wissenschaft sowie zu Kunst und Zeitrechnung; die letzten beiden sind hier nicht berücksichtigt. Ebenso wenig einbezogen wurden über andere Gruppen verstreute Ordnungsnormen zum Thema Eltern/Kinder und Erziehung, die allgemeine Regelungen zu deviantem Verhalten von Kindern/Jugendlichen (zum Beispiel Lärmen/Herumstreunen) und zu Aufsichts- und Erziehungspflichten der Eltern enthalten.11 Erfasst sind dagegen die Ordnungsnormen zur Sonntagsschule (im Bereich 1.1 Religion). Insgesamt setzt sich das für die elf Obrigkeiten erhobene Datensample aus 944 Datensätzen bzw. Policeymaterien zusammen, dabei 922 für den Kernzeitraum 1430 bis 1799, die in rund 500 einzelnen Ordnungsgesetzen enthalten sind. Aufgrund der Anzahl der Territorien und Ordnungsnormen kann die qualitative Analyse nur exemplarisch erfolgen, zumal die Forschungslage zu den hier untersuchten Territorien und Städten sehr heterogen ausfällt.
1. Quantitative Verteilung der Normen Blickt man zunächst auf die quantitative Verteilung der Bildungs- und Schulnormen, zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den Reichsständen, die sich – setzt man sie zur Gesamtnormgebung in Bezug – nur teilweise relativieren (Graphik 1, Tab. 1). Grundsätzlich ist der Anteil von Policeynormen, die sich mit Erziehung, Bildung und Schule beschäftigen, an der gesamten Ordnungsgesetzgebung der Obrigkeiten sehr niedrig und liegt im Mittel bei knapp 1,5 Prozent. Allerdings muss bedacht werden, dass nahezu 40 Prozent der Policeygesetzgebung auf den Bereich Wirtschaft entfällt und auch zahlreiche der anderen 25 Policeybereiche nur auf einen Anteil von einem bis drei Prozent kommt. Dennoch kann als erstes Ergebnis hervorgehoben werden, dass das Bildungswesen einen eher niedrigen Normierungs- und Regulierungsbedarf hatte. Dies liegt sowohl an der lang andauernden Zuständigkeit von Kirche und Kommunen als auch am bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts eher gering ausgeprägten obrigkeitlichen Interesse für das Bildungswesen. Nicht zuletzt zog eine intensive policeyliche Reglementierung und Normierung auch kostenintensive Verwaltungsmaßnahmen nach sich, was den Eifer dämpfte. Darüber hinaus lässt sich aber auch die Folgerung ziehen, dass das kommunale und kirchliche Bildungswesen entgegen den wiederholten Behauptungen von Obrigkeiten und Reformern durchaus funktionierte und keinen besonders intensiven Normierungsbedarf evozierte.12 11 Vgl. z. B. Kurmainz 900, Verordnung, 19.07.1747. 12 Vgl. z. B. BRUYN-OUBOTER, Hans Joachim de: Konfessionalisierung des Schulwesens? Das Beispiel der Barmer Schule von 1579, in: DIETZ, Burkhard/EHRENPREIS, Stefan (Hrsg.): Drei Konfessionen in einer Region. Beiträge zur Geschichte der Konfessionalisierung im Herzogtum Berg vom 16. bis zum 18. Jahrhundert (Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte 136), Köln 1999, S. 351–405, hier S. 359; WESOLY, Kurt: Elementare Bildung bis zum Ende des 18. Jahrhunderts (insbesondere im Niederbergischen), in: Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins 95 (1993), S. 1–19.
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Bildung und Schule in der Ordnungsgesetzgebung
Graphik 1: Bildungs- und Policeynormen rheinischer Reichsstände 100% Speyer (Stadt)
Worms (Stadt)
90%
Köln (Stadt)
80% Speyer
Kurtrier
70%
Kurköln
60% Kurmainz
50%
Baden (Baden & Durlach)
Kleve-Mark
40% Jülich-Berg
30%
Kurpfalz (Neuburg, Sulzbach)
20%
10%
0%
Policeynormen gesamt
Schule, Universität & Bildung
Erstaunlich erscheinen zunächst die – mit Ausnahme Speyers – geringen Aktivitäten der städtischen Obrigkeiten, die trotz einer insgesamt ausgeprägten Ordnungsgesetzgebung kaum regulierend und normierend in das kommunale Schulwesen eingriffen. Dieser Befund bestätigt jedoch die Ergebnisse vorliegender Fallstu-
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Karl Härter
Tabelle 1: Bildungs- und Policeynormen rheinischer Reichsstände Reichsstände Kurpfalz (Neuburg, Sulzbach)
Policeynormen Bildung Policeynormen insg. (absolut & prozentual) (Anteil Bildungsnormen in %) 341 (35 %)
10.889 (3,1 %)
Jülich-Berg
24 (3 %)
5.093 (0,5 %)
Kleve-Mark
49 (5 %)
3.101 (1,6 %)
Baden (Baden & Durlach)
178 (19 %)
6.805 (2,6 %)
Kurmainz
76 (8 %)
5.108 (1,5 %)
Kurköln
25 (3 %)
1.975 (1,3 %)
Kurtrier
54 (6 %)
3.175 (1,7 %)
Speyer
46 (5 %)
3.344 (1,4 %)
Köln (Stadt)
63 (7 %)
18.298 (0,4 %)
Worms (Stadt)
12 (1 %)
1.606 (0,7 %)
Speyer (Stadt)
76 (8 %)
5.668 (1,3 %)
944 (100 %)
65.062 (1,5 %)
Gesamt
dien zu einzelnen Reichsstädten: So wurde zum Beispiel für die Reichsstadt Köln herausgearbeitet, dass sich der Rat, abgesehen von der Abwehr ‚unkatholischer‘ Einflüsse, in das städtische Schulwesen nur bedingt einschaltete. Die Gründe hierfür mögen in dem bereits vor Einsetzen der Policeygesetzgebung häufig bereits entfaltetem und funktionierendem städtischen Schulwesen liegen, das auf der Bürgergemeinschaft aufruhte. Da sich zudem in einer Stadt meist nur eine begrenzte Anzahl von Schulen befand, die direkt verwaltet und kontrolliert werden konnten, waren Normierungs- und Homogenisierungsbedarf geringer. Probleme und Konflikte konnten auch der Einzelfallentscheidung des Rates oder der Bürgergemeinschaft überlassen werden.13 Die Normierungsintensität in den meisten Territorien – und zwar auch in den katholischen geistlichen Staaten – liegt um den Durchschnittswert von 1,5 Prozent. Lediglich Jülich-Berg weist eine deutlich niedrigere Aktivität auf, die sich zudem eher auf das 16. Jahrhundert konzentriert. Dies stimmt durchaus mit den bisherigen Forschungsergebnissen überein, wobei weiterhin zu bedenken ist, dass die Kurpfalz wie Brandenburg im 18. Jahrhundert allmählich dazu übergingen, für Jülich-Berg bzw. Kleve-Mark keine partikularen Policeygesetze mehr auszuarbeiten, sondern auch im Schulwesen übergreifende Ordnungen erließen.14 Dass die 13 Vgl. RUTZ, Andreas: Städtische Schulpolitik in der Konfessionalisierung. Aachen, Köln und Nürnberg im Vergleich, in: Zeitschrift für Historische Forschung 33 (2006), S. 359–385, hier bes. S. 383 zu Köln. 14 Vgl. KISTENICH, Johannes: Das Schulwesen der Stadt Kalkar vor 1800, Köln/Bonn 1996; FRIEDRICHS: Schulwesen (wie Anm. 5), S. 65–78; EHRENPREIS, Stefan: Kirchen, Bildungswesen und Gesellschaft im 17. und 18. Jahrhundert. Herzogtum Berg und Grafschaft Mark im Vergleich, in: Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins 99 (1999/2001) [2003], S. 71–113.
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Kurpfalz wie die beiden badischen Teilterritorien eine überdurchschnittliche Normierungsintensität im Bereich der Bildung entfalteten, liegt im Fall des ersteren insbesondere an der Universität Heidelberg, für die zahlreiche Ordnungen und Gesetze ergingen, sowie an der ausgeprägten konfessionellen Schulpolitik, die nach dem Wechsel zur katholischen Linie der Neuburger im 18. Jahrhundert in der multikonfessionellen Bildungslandschaft der Pfalz eine weitere Intensivierung erfuhr.15 Neben der konfessionellen Vielfalt (auch Baden war ja zeitweilig unter zwei konfessionsverschiedene Linien geteilt) evozierte auch die territoriale Zersplitterung und der ländliche Charakter beider Territorien einen erhöhten Regelungs- und Normierungsbedarf, der sich besonders in einer ausgeprägten Schulgesetzgebung niederschlug, die sich – wie erwähnt – im 18. Jahrhundert aber auch für die drei geistlichen Kurfürsten nachweisen lässt.16 Das Schwergewicht der ‚bildungspoliceylichen‘ Gesetzgebung der untersuchten Territorien lag eindeutig auf dem Schulwesen (Graphik 2, Tab. 2). Policeynormen zu Elementarschulen, Gymnasien/höheren Schulen, Fachschulen und Sonntagsschule/ Religionsunterricht machen über zwei Drittel der Policeymaterien im Bereich Bildung und Schule aus. Die Universität spielt mit 25 Prozent eine deutlich geringere Rolle, was nicht zuletzt mit der geringen Anzahl der Universitäten und deren (auch im Bereich Normgebung/innere Ordnung) zumindest teilweise bestehenden Autonomie zusammenhängt. Die sonstigen Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen liegen bei drei Prozent oder darunter und sind damit kein primäres Objekt policeylicher Normierung. Mit Ausnahme der hier nicht erfassten Bereiche Vormundschaftswesen und Ehe/Familie (die aber insgesamt nur auf einen sehr geringen prozentualen Anteil kommen) beschäftigten sich praktisch keine Policeynormen mit der elterlichen Erziehung. Die folgenden Ausführungen werden sich daher weitgehend auf den Bereich der Schule und die diesbezügliche Ordnungsgesetzgebung konzentrieren. Hier zeigt sich bezüglich der territorialen Verteilung ein ähnliches Bild wie insgesamt: die multikonfessionellen, territorial zersplitterten und ländlich geprägten Territorien Kurpfalz und Baden weisen absolut und auch relativ die höchste Normierungsintensität im Schulwesen auf (zusammen über 50 Prozent). Die Anteile der anderen Territorien liegen zwischen drei und neun Prozent, wobei sich keine auffälligen konfessionellen Unterschiede zeigen und sich für Jülich-Berg 15 JÖRG, Hans: Die Entwicklung des Volksschulwesens im heutigen Kreis Kreuznach bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, Düsseldorf 1959; KONERSMANN, Frank: Elementarbildung in bäuerlichen Familien in der Pfalz und in Rheinhessen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: HANSCHMIDT, Alwin/MUSOLFF, Hans-Ulrich (Hrsg.): Elementarbildung und Berufsausbildung 1450–1750 (Beiträge zur Historischen Bildungsforschung 31), Köln/Weimar/Wien 2005, S. 287–313. 16 Vgl. SCHAAF, Erwin: Die niedere Schule im Raum Trier-Saarbrücken von der späten Aufklärung bis zur Restauration 1780–1825, Trier 1966; DILLMANN, Edwin: Schule und Volkskultur im 18. und 19. Jahrhundert. Erkundungen zum Modernisierungsprozeß im saarländischtrierischen Raum (Studien und Dokumentationen zur deutschen Bildungsgeschichte 57), Köln/Weimar/Wien 1995.
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Graphik 2: Verteilung der Policeymaterien Bildung, Universität, Schule (n = 944) Schule 572 (60%)
Fachschule 19 (2%) Sonntagsschule 61 (6%) Zeitrechnung 25 (3%) Kunstt K 6 (1%) Bibliothek 3 (0%) Wissenschaft 25 (3%) Universität 233 (25%)
Tabelle 2: Policeynormen im Bereich Schule (inkl. Fachschule, Sonntagsschule) nach Territorien Territorien/Städte
Policeynormen Schule (absolut & prozentual)
Anteil Schule an Bildungsnormen
164 (25,1 %)
48 %
Jülich-Berg
16 (2,5 %)
66 %
Kleve-Mark
34 (5,2 %)
69 %
Kurpfalz (Neuburg, Sulzbach)
Baden (Baden & Durlach)
165 (25,3 %)
92 %
Kurmainz
61 (9,3 %)
80 %
Kurköln
24 (3,7 %)
96 %
Kurtrier
34 (5,2 %)
62 %
Speyer
44 (6,7 %)
95 %
Köln (Stadt)
26 (4,0 %)
69 %
Worms (Stadt)
11 (1,7 %)
91 %
74 (11,3 %)
97 %
652 (100 %)
68 %
Speyer (Stadt) Summe
Bildung und Schule in der Ordnungsgesetzgebung
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auch im Bereich der Schule nur geringe Gesetzgebungsaktivitäten nachweisen lassen. Mit Ausnahme Speyers fällt auch die obrigkeitliche Schulgesetzgebung der Reichsstädte relativ gering aus, was neben den oben angeführten Gründen auch auf das Fortbestehen spezifischer Schulordnungen einzelner Schulen verweist, die durch den Rat bestenfalls konfirmiert wurden (und daher hier nicht erfasst wurden). In den Reichsstädten blieben die Normierung des Schulwesens und die Schulordnung offensichtlich weitgehend eine ‚innerschulische‘ Angelegenheit. Allerdings konzentrierten sich gerade die Obrigkeiten mit einer insgesamt geringen Bildungsgesetzgebung stark auf die Schule, was deren Bedeutung für die ‚gute Policey‘ wiederum unterstreicht. Die Befunde bestätigen insofern bisherige Forschungsergebnisse und verweisen darauf, dass in den Territorien und Städten mit niedriger Normierungsintensität Kirchen und Gemeinden bis weit ins 18. Jahrhundert hinein eine zentrale Rolle im Schulwesen, und zwar auch hinsichtlich der Normgebung in Form kommunaler, spezifisch auf eine Schule bezogener Ordnungen oder kirchlicher Normen spielten. Gleichwohl zeigen die quantitativen Befunde auch eine wachsende obrigkeitlich-staatliche Ordnungsgesetzgebung gerade im Bereich des Schulwesens, welche eine nähere Analyse der zeitlichen Entwicklung bestätigt.
2. Zeitliche Entwicklung der Normierungsintensität Wie die Graphiken 3 und 4 zeigen, fiel die Regelungsintensität bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts niedrig aus. Im Gegensatz zur Gesamtentwicklung, in der vor dem 17. Jahrhundert die früher einsetzende städtische Ordnungsgesetzgebung dominiert, fallen die Gesetzgebungsaktivitäten der hier einbezogenen drei Reichsstädte gegenüber der territorialen im Bildungsbereich deutlich niedriger aus. In Köln, Worms und Speyer gaben offensichtlich erst die Reformation und die konfessionellen Konflikte den entscheidenden Anstoß, allmählich mit Gesetzen in das kommunale, durch Bürger und Kirche getragene Schul- und Bildungswesen einzugreifen. Noch vor den Territorien erließ die Reichsstadt Speyer 1540 eine Schulordnung, die 1557 und 1594 ergänzt und erweitert wurde.17 Gerade der Typus der ‚Schulordnung‘, die im konfessionellen Zeitalter häufig in eine Kirchenordnung integriert war, entstammte der kommunalen Sphäre und damit dem Statutarrecht, aus dem sich letztlich auch die ‚Policeyordnung‘ entwickelte. Die frühesten Ordnungen im Bereich Bildung und Schule finden sich folglich in den Reichsstädten und den Städten der hier untersuchten Territorien, allerdings begrenzt auf einzelne Schulen bzw. Schulformen. In der Reichsstadt Köln blieben die ordnungspoliceylichen Bildungsnormen in die Ratsbeschlüsse und Morgensprache integriert; das erste spezifische Schulge17 Speyer (Reichsstadt) 739, Ordnung (Schulordnung Gymnasium), 00.00.1540; Speyer (Reichsstadt) 862, Ordnung („Teutsche schulordenung“), 21.08.1557; Speyer (Reichsstadt) 1546, Ordnung („Lateinische Schul Ordnung“), 00.00.1594; Speyer (Reichsstadt) 1565, Ordnung („Teutsche schul ordnung“), 14.09.1594.
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setz lässt sich erst für das Jahr 1647 nachweisen und trägt durch das Verbot von Privat- und Winkelschulen einen stark konfessionellen Charakter.18 Grundsätzlich bestätigt folglich auch die zeitliche Entwicklung der Policeygesetzgebung, dass die rheinischen Obrigkeiten bereits vor der Reformation dem Bildungswesen Aufmerksamkeit widmeten bzw. dieses im Rahmen der entstehenden Ordnungsgesetzgebung ebenfalls – gleichwohl noch zögerlich und meist nur mit wenigen einzelnen Bestimmungen – reglementierten, wobei die größte Zahl auf die Universitäten, insbesondere die Kurpfalz und die Universität Heidelberg entfallen.19 Ob diese frühere Universitätsgesetzgebung die spätere Bildungs- und Schulgesetzgebung beeinflusste, lässt sich beim derzeitigen Stand der Forschung kaum beantworten, doch kann ein Einfluss auf die Schulgesetzgebung im Bereich der Lateinschulen und Gymnasien angenommen werden. Dennoch zeigt sich bereits an der deutlich zunehmenden Normierungsintensität der Ordnungsgesetzgebung in der Mitte des 16. Jahrhunderts deutlich der Einfluss von Reformation und Gegenreformation bzw. protestantischer und katholischer Konfessionalisierung.20 In der Kurpfalz und in Baden schlug er sich in ersten, umfangreichen Schulordnungen nieder, die nicht mehr allein einzelnen Schulen oder Schulformen galten, sondern ‚landesweit‘ auch die Elementarschulen einbezogen. Auch die Reorganisation der Lateinschulen im rheinisch-westfälischen Raum um die Mitte des 16. Jahrhunderts wirkte sich in der Ordnungsgesetzgebung aus. In den katholischen Territorien setzte zeitlich etwas versetzt eine verstärkte Normierung zunächst in den Synodalstatuten ein, und ab 1614/15 (Kurköln und Kurmainz) dann auch in den katholischen Kirchenordnungen, die stark policeylich geprägt waren und ebenfalls Ordnungsnormen zum Bildungs- und Schulwesen enthielten.21 Der starke Einfluss von Religion und Konfession auf die Ordnungsgesetzgebung belegt zumindest für die policeyliche Reglementierung des Bildungswesens das Mo-
18 Köln (Reichsstadt) 5347, Edikt, 24.04.1647 („Edict die Schullen betreffendt“). 19 Vgl. BRUYN-OUBOTER: Konfessionalisierung (wie Anm. 12), S. 360f., der für Berg ebenfalls die Bedeutung der vorreformatorischen landesherrlichen Politik betont. 20 Zum Forschungsstand vgl. BRECHT, Martin: Einflüsse der Reformation auf das Schulwesen, in: ANDERMANN/ANDERMANN: Aspekte (wie Anm. 5), S. 63–73; MENK, Gerhard: Das Bildungswesen in den deutschen protestantischen Territorien der frühen Neuzeit, in: SCHILLING/ EHRENPREIS: Erziehung (wie Anm. 4), S. 55–99; KISTENICH, Johannes: Forschungsprobleme zum katholischen Schulwesen im Alten Reich zwischen Reformation und Aufklärung (ca. 1530–1750), in: SCHILLING/EHRENPREIS: Erziehung (wie Anm. 4), S. 101–125; SCHILLING, Heinz/EHRENPREIS, Stefan (Hrsg.): Frühneuzeitliche Bildungsgeschichte der Reformierten in konfessionsvergleichender Perspektive. Schulwesen, Lesekultur und Wissenschaft (Zeitschrift für historische Forschung. Beiheft 38), Berlin 2007. 21 Kurköln 26, Kirchenordnung, 04.11.1614; Kurmainz 164, Kirchenordnung, 10.07.1615; sowie Kurtrier 46, Synodalstatuten, 13.05.1549.
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Bildung und Schule in der Ordnungsgesetzgebung
Graphiken 3 und 4: Zeitlicher Verlauf der Normierungsintensität im Bildungsbereich Bildung 117116117
120
Gesamt 4800
Policeynormen Gesamt 4400
110
Schule, Universität, Bildung 100
4000
90
3600
80
3200
74
70
65
2400
60 50
2000
45 45
1600
40 29
30
29 20
20
16
15 12
10
2800
7 3 2 4 2 1 2
19
18
27
1200
21 17
15
14
800
10
8
7
6
4
21
400
5 6
2
1
0
1790
1770
1750
1730
1710
1690
1670
1650
1630
1610
1590
1570
1550
1530
1510
1490
1470
1450
1430
0
110
Policeynormen Schule, Universität, Bildung (n = 883) 100
8 Territorien 90
3 Reichsstädte 80 70 60 50 40 30 20 10
1790
1770
1750
1730
1710
1690
1670
1650
1630
1610
1590
1570
1550
1530
1510
1490
1470
1450
1430
0
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dell der Konfessionalisierung22 und erklärt teilweise die Unterschiede zwischen katholischen und protestantischen Territorien. Bei den protestantischen Obrigkeiten – insbesondere der Kurpfalz und Baden-Durlach – setzte die konfessionell-policeyliche Reglementierung Mitte des 16. Jahrhunderts ein. Die 1556 erlassenen kurpfälzischen und badischen Schulordnungen sind Bestandteil der jeweiligen Kirchenordnung, die wiederum die gleichzeitigen Landes- und Policeyordnungen ergänzten.23 Nahezu gleichzeitig publizierten die eher auf konfessionellen Ausgleich bedachten Herzogtümer Jülich-Kleve-Berg, in denen mit den Kirchenordnungen von 1532/33 die obrigkeitliche Schulpolitik eingeleitet worden war, 1554 Ordnungsnormen zur Förderung bedürftiger Schüler und 1558 in der jülich-bergischen Policeyordnung, die auch in Kleve-Mark in Kraft trat, weitere Bestimmungen zur Schule, welche die Konfession des Lehrpersonals betrafen und ‚Winkeldozenten‘ mit ‚Berufsverbot‘ bzw. Strafe (Ausweisung) bedrohten.24 Nach der Erbteilung verstärkten die Brandenburger und Pfälzer Kurfürsten noch die Konfessionalisierung insbesondere im Hinblick auf das Lehrpersonal, und es dominierten ab- und ausgrenzende Regelungen, die den Besuch anderskonfessioneller Bildungseinrichtungen meist unter Strafe untersagten und die jeweils ‚richtige‘ Konfession des Lehrpersonals und die konfessionell-religiösen Inhalte des Unterrichts sicherstellen wollten. Die geistlichen Territorien Mainz, Köln, Trier und Speyer begannen (abgesehen von den Synodalstatuten) erst Anfang des 17. Jahrhundert im Rahmen von Kirchenordnungen mit einer Reglementierung des Schulwesens, aus der sich Ende des 17. Jahrhundert eine mehr oder weniger eigenständige Bildungs- und Schulgesetzgebung entwickelte.25 Nur für das katholische Baden-Baden lässt sich bereits 1541 eine frühe katholische Schulordnung nachweisen, deren Geltung allerdings auf die Stadt
22 Vgl. zu dieser Diskussion EHRENPREIS: Erziehungs- und Schulwesen (wie Anm. 4), S. 19–33; dezidiertes Urteil bei BRUYN-OUBOTER: Konfessionalisierung (wie Anm. 12), S. 405: „Schule war im Konfessionellen Zeitalter ein Instrument der Konfessionalisierung und des Kampfes der Konfessionen“. 23 Kurpfalz 221, Schulordnung, 04.04.1556 sowie Kurpfalz 219, Kirchenordnung, 04.04.1556; Badische Visitationsordnung 1556, in: BRUNNER, Karl: Die badischen Schulordnungen, Bd. 1: Die Schulordnungen der Badischen Markgrafschaften (Monumenta Germaniae Paedagogica 24), Berlin 1902, S. LIV, zugehörig zu Baden-Durlach 45, Kirchenordnung, 01.06.1556; zu den Kirchenordnungen vgl. HAUSS, Fritz/ZIER, Hans Georg (Hrsg.): Die Kirchenordnungen von 1556 in der Kurpfalz und in der Markgrafschaft Baden-Durlach, Karlsruhe 1956. 24 Kleve-Mark 87, Ordnung, 10.10.1554, und Jülich-Berg 42, Ordnung, 10.10.1554; JülichBerg 38, Edikt, 10.10.1554; Jülich-Berg 53, Policeyordnung, 15.05.1558. Vgl. zu den Herzogtümern KISTENICH: Schule (wie Anm. 9), S. 54; KISTENICH: Forschungsprobleme (wie Anm. 20), S. 104f., sowie JANSSEN: „Gute Ordnung“ (wie Anm. 2). 25 Kurtrier 46, Synodalstatuten, 13.05.1549; Kurtrier 435, Kirchen- & Schulordnung, 27.05.1712; Kurköln 26, Kirchenordnung, 04.11.1614; Kurmainz 164, Kirchenordnung, 10.07.1615; Kurmainz 181, Aufwands- & Kirchenordnung, 00.00.1648; Kurmainz 262, Kirchenordnung, 18.09.1669.
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Baden beschränkt war.26 Auch wenn sich aufgrund der konfessionellen Gemengelage einiger der hier untersuchten rheinländischen Territorien keine eindeutige konfessionelle Zuordnung vornehmen lässt, so spiegelt sich in der Tendenz dennoch der katholische ‚Bildungsrückstand‘27 in der geringeren Normierungsdichte im Bereich des Bildungswesens (von etwa 1:4) bei einer ansonsten quantitativ nahezu entsprechenden Ordnungsgesetzgebung. Bedingt ist dies freilich insbesondere durch die im Verhältnis zur gesamten Ordnungsgesetzgebung sehr niedrige Normierungsdichte der Reichsstadt Köln sowie durch Jülich-Berg und weniger durch die geistlichen Territorien. Zudem holten die katholischen Territorien im 18. Jahrhundert deutlich auf und zogen ab etwa 1750 gleich, was freilich von einer deutlichen Zunahme von Konflikten zwischen Bevölkerung, Obrigkeit und kirchlichen Institutionen begleitet war, die insbesondere in Kurmainz zu regelrechten Widerstandsaktionen gegen die ‚Schulpolicey‘ führten.28 Auch darin drückt sich eine gewisse Säkularisierung und Verstaatlichung des Bildungswesens durch staatliche Ordnungsgesetzgebung aus, die im 18. Jahrhundert allmählich von der konfessionell-religiösen Zielsetzung und Abgrenzung des Schulwesens abrückte.29 Die ‚Bildungsreformen‘ des so genannten aufgeklärten Absolutismus bedienten sich auch in den hier untersuchten rheinischen Territorien einer wachsenden Ordnungsgesetzgebung, nicht nur um Reformen normativ abzusichern, sondern auch die Verstaatlichung des Schulwesens voranzutreiben und den staatlichen Maßnahmen Legitimität und rechtliche Qualität zu verleihen. Dagegen blieb in den drei Reichsstädten die Bildungsgesetzgebung des 18. auf dem Niveau des 16. Jahrhunderts, was das Weiterbestehen eines eher traditionellen von der Bürgergemeinschaft getragenen kommunalen Bildungs- und Schulwesens bestätigt. Die konfessionelle Prägung, aber auch die Entstehung einer staatlich-policeylichen Bildungsgesetzgebung lässt sich auch anhand der Formen und Typen der Ordnungsgesetzgebung zeigen: Im 16. und 17. Jahrhundert waren Schul- und Bildungsnormen noch häufig in Kirchenordnungen enthalten, die allerdings keinen von der sonstigen Ordnungsgesetzgebung separierten Rechtsbereich formierten. Vielmehr handelte es sich eher um ‚Kirchenpoliceyordnungen‘, die über den innerkirchlichen Bereich hinaus charakteristische policeyliche Ordnungsnormen enthiel26 Baden-Baden 4, Schulordnung, 08.10.1541. Zu dieser Zeit hatte der Herzog von Bayern zudem die Vormundschaft über den minderjährigen Markgrafen, vgl. BRUNNER: Schulordnungen (wie Anm. 23), S. XXXf., LXXXVIIf. 27 Vgl. zusammenfassend KISTENICH: Forschungsprobleme (wie Anm. 20); SCHRAUT, Sylvia/ PIERI, Gabriele (Hrsg.): Katholische Schulbildung in der Frühen Neuzeit. Vom „guten Christenmenschen“ zu „tüchtigen Jungen“ und „braven Mädchen“. Darstellungen und Quellen, Paderborn u. a. 2004. 28 Vgl. für Kurmainz nur BRÜCK, Anton Philipp: Kurmainzer Schulgeschichte. Texte, Berichte und Memoranden, Wiesbaden 1960. 29 Besonders markant, aber gleichzeitig charakteristisch für die in der Praxis existierende Multikonfessionalität ist Kleve-Mark 1572, Schulreglement, 10.05.1782, nach dem Lehrer fremde Religionen nicht ‚anzüglich‘ darstellen durften.
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ten, die allgemein auf deviantes Verhalten (‚Zucht‘ und ‚Sittlichkeit‘) abzielten. Im Unterschied zu den kirchlichen Synodalstatuten wurden die Kirchenordnungen von den jeweiligen weltlichen Obrigkeiten bzw. Landesherren erlassen. Allerdings konnten in den geistlichen und den multikonfessionellen weltlichen Territorien die kirchlichen Organe (insbesondere die Vikariate) weiterhin an der Schulgesetzgebung mitwirken und bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts ihren Einfluss geltend machen. In Kurmainz lehnten sich die vom Hofrat erlassenen Verordnungen von 1682, 1685 und 1688 zu Schulpflicht, Unterrichtszeiten und Schulgeld noch an die Kirchenordnung von 1669 an und waren durch das Vikariat mit konzipiert worden.30 Und in Kurtrier war die Bildungsgesetzgebung zu Beginn des 18. Jahrhunderts noch wesentlich durch die Kirchen- und Schulordnung von 1712, eine Verordnung des Offizialats von 1715 und die Vikariatsordnung 1719 geprägt, die ausführliche Bestimmungen zum Schulwesen, darunter zu Lehrpersonal, Schulgeld, Schulpflicht und Schuldisziplin enthielten.31 Die geringe Intensität der landesherrlichen Ordnungsgesetzgebung im Bereich von Schule und Bildung ist auch darauf zurückzuführen, dass die kirchlichen Organe zuständig blieben und bis zu den Reformen im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts durch eigene (hier nicht erfasste) kirchliche Normgebung regulierend tätig waren.32 Der kirchliche Einfluss blieb auch in weltlichen Territorien bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts präsent. So kommunizierte die Kurpfalz nach Übernahme der Herrschaft durch das katholische Pfalz-Neuburg häufig mit benachbarten katholischen Kirchenbehörden und Reichsständen, wie den Vikariaten in Worms und Mainz, um neue Policeynormen für die katholischen Schulen abzustimmen; zum Teil wurden diese dann auch in ihren prinzipiellen Regelungen in den lutherischen und reformierten Schulen umgesetzt. Auch mit dem benachbarten Baden traf die Kurpfalz Vereinbarungen oder stimmte einzelne Schulgesetze ab. Und Baden orientierte sich wiederum in seiner Schulgesetzgebung Ende des 16. Jahrhunderts an der Straßburger Kirchen(policey)ordnung.33 Formal entwickelte sich die Bildungsgesetzgebung jedoch – wie die obige Graphik auch für die quantitative Entwicklung unterstreicht – immer stärker zu einem wichtigen Bereich landesherrlich-staatlicher Gesetzgebung und Verwaltung. Beson30 Kurmainz 262, Kirchenordnung, 18.09.1669; Kurmainz 350, Verordnung, 12.11.1682; Kurmainz 360, Verordnung, 25.10.1685; Kurmainz 368, Verordnung, 06.08.1688. 31 Kurtrier 435, Kirchen- & Schulordnung, 27.05.1712; Kurtrier 483, Verordnung (Offizialat), 20.07.1715; Kurtrier 536, Vikariatsordnung, 26.12.1719. 32 Vgl. z. B. RUTZ, Andreas: Zwischen konfessioneller Disziplinierung und staatlichem Bildungsauftrag. Das Mädchenschulwesen der Stadt Bonn in kurfürstlicher und französischer Zeit, in: Bonner Geschichtsblätter 49/50 (1999/2000) [2001], S. 225–264, hier S. 234 zu einer Vikariatsverordnung von 1751. 33 Noch Kurpfalz 2574, Verordnung, 05.05.1752 (Unterrichtszeiten), und Kurpfalz 3143, Verordnung, 17.05.1763 (Schulpflicht und Prüfungen), wurden mit dem Wormser Bischof und dem Mainzer Vikariat abgestimmt, vgl. JÖRG: Entwicklung (wie Anm. 15), S. 53– 58, 82.
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ders deutlich kommt dies durch die Aufnahme der Regelungsbereiche Universität und Schule in umfassende Policeyordnungen zum Ausdruck, die seit dem 16. Jahrhundert das Ordnungsmodell der ‚guten Policey‘ und die zu regelnden Bereiche – häufig nach dem Vorbild der Reichspoliceyordnungen von 1530 und 1548/77 – wesentlich definierten. So beschäftigte sich die umfassende jülich-bergische Policeyordnung von 1556, die im übrigen auch mit der kurkölnischen Policeyordnung abgestimmt worden war, in einem Artikel mit den Schulen, und auch im Fürstbistum Speyer, in Kurköln und in Baden-Durlach finden sich in den Policeyordnungen bzw. Landesordnungen von 1653, 1703, 1715 und 1723 Regelungen zu Bildung und Schule.34
3. Einzelgesetz und Schulordnung Als wichtiger für die allmähliche Etablierung einer territorial-staatlichen Bildungsund Schulgesetzgebung erwies sich jedoch die seit dem Ende des 17. Jahrhunderts in den Territorien stark zunehmende ordnungspoliceyliche Einzelgesetzgebung, in der ausschließlich bildungs- und schulpolitische Themen geregelt wurden. Die Entwicklung der Gesetzesformen lässt dabei erneut bildungspolitische Veränderungen erkennen: Seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts entwickelte sich zunächst eine spezifische ordnungspoliceyliche Einzelgesetzgebung (Verordnungen, Edikte, Mandate, Reskripte usw.), die häufig einen spezifischen Aspekt des Bildungs- und Schulwesens regelte, wie insbesondere Lehrpersonal, Schulgebäude, Schulpflicht oder Schulzwang. Sehr früh setzte diese Entwicklung in der Kurpfalz ein, die bereits im 16. und frühen 17. Jahrhundert die Universität durch zahlreiche spezifische Verordnungen reglementiert hatte: 1656 erging für das Schulwesen eine erste Verordnung „An alle Ämbter wegen der Underthanenfrohn bey aufbawung der Kirchen, Pfarr- und Schulhäuser“. Seit den 1660er-Jahren folgten zahlreiche weitere spezifische Verordnungen wie zum Beispiel ein „Generalbefehl wegen entrichtung des Schulgeldts für die Schuldiener“ (1664), eine Verordnung an „alle Ämbter uf der Kirchen undt Schuldiener ärgerliche Leben zu inquirieren“ (1664), oder die „Churfürstlicher Pfaltz Schuldiener bestallungs Puncten“ (1684).35 Auch in Kurmainz, wo bereits unter dem Kurfürsten Johann Philipp von Schönborn die Mitwirkung der kirchlichen Institutionen im Policeywesen und der Ordnungsgesetzgebung deutlich beschränkt worden war, erließ die Landesregierung 1682, 1685 und 1688 spezifische Verordnungen zum Schulwesen (Schulpflicht, Unterrichtszeiten, Schuldisziplin, Lehrpersonal, Schulgeld). In Baden (Baden und Durlach) kam im gleichen Zeit34 Jülich-Berg 53, Policeyordnung, 15.05.1558; Speyer (Fürstbistum) 137, Policeyordnung, 06.05.1653; Speyer (Fürstbistum) 194, Policeyordnung, 10.03.1703; Kurköln 350, Policeyordnung, 20.09.1723; Baden-Durlach 709, Landesordnung, 12.03.1715. 35 Kurpfalz 812, Generalbefehl, 11.06.1664; Kurpfalz 819, Verordnung, 22.08.1664; Kurpfalz 1012, Verordnung, 00.00.1684.
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raum eine spezifische, meist an lokale Amtsträger gerichtete Verordnungstätigkeit zum Schul- und Bildungswesen auf, in Durlach markiert durch Reskripte von 1657 und 1771 zu Schulpflicht, bedürftigen Schülern und Schulgeld und von 1705 zu den Schulbüchern.36 Ebenso entwickelte sich im Fürstbistum Speyer in den 1720er-Jahren eine stärker säkular geprägte, weltliche Schulgesetzgebung: 1722 erging eine Verordnung zwecks „Anhaltung der Jugend zur Kirche und Schule“, 1723 ein Reskript (an die Ämter) über die „Approbation der Schulmeister“ und 1728 der „Befehl, daß die Beamte die Aeltern Vormünder mit Strafen anhalten sollen, die Kinder zur Schule und Christenlehre zu schicken“. 1729, 1730, 1731 und 1739 folgten Verordnungen zum Lehrpersonal (Einkommen und Nebentätigkeitsverbote) sowie Reskripte an die Ämter, „Listen der Schulbaren Kinder ein[zu]schicken“ und über „die Aufführung der Schulmeister [zu] berichten“.37 Bereits vor und dann vor allem nach der Kirchen- und Schulordnung von 1687 ergingen in Kleve-Mark Verordnungen und Reskripte zum Lehrpersonal (1660), zur Universität (Stipendien, Verbindungen) und 1717 zu Schulbesuch/Schulpflicht und Schulgeld sowie 1734 und 1735 zu Vermögen/Finanzierung von Schulen, der Förderung begabter Schüler aus armen Familien und dem Besuch ‚ausländischer‘ Schulen (dem Gymnasium in Dortmund).38 In Jülich-Berg (1709) und Kurtrier (1731/32) beschränkte sich die Verordnungstätigkeit der weltlichen Behörden im Schulwesen auf ein bis zwei Verordnungen oder Reskripte; in Kurköln erging mit Ausnahme eines Reskripts von 1656 (Herzogtum Westfalen) bis zur Schulordnung von 1782 überhaupt kein spezifisches ‚Schulgesetz‘.39 In einer gewissen zeitlichen Parallelität (vor allem 1656–1688 und 1720–1739) entwickelte sich die spezifische Bildungsgesetzgebung zunächst in den Territorien, in denen der ordnungspoliceyliche Anspruch der weltlichen Obrigkeit auf Reglementierung gegenüber Kirche sowie Städten und Gemeinden am stärksten ausgeprägt war. Dies ging einher mit einer qualitativen Ausdifferenzierung spezifischer und detaillierter Normen, die flexibler auf akute Einzelprobleme reagierten und auf 36 Baden-Durlach 181, Reskript, 12.10.1657; Baden-Durlach 571, Reskript, 04.11.1711; Baden-Durlach 443, Reskript, 28.03.1705; vgl. auch Baden-Baden 169, Reskript, 16.06.1680, und Baden-Baden 337, Reskript, 06.04.1728. 37 Speyer (Fürstbistum) 307, Verordnung, 04.11.1722; Speyer (Fürstbistum) 332, Reskript, 22.12.1723; Speyer (Fürstbistum) 464, Verordnung, 18.03.1730; Speyer (Fürstbistum) 473, Verordnung, 18.11.1730; Speyer (Fürstbistum) 474, Schulordnung, 00.00.1731; Speyer (Fürstbistum) 426, Befehl, 06.03.1728; Speyer (Fürstbistum) 452, Reskript, 21.07.1729; Speyer (Fürstbistum) 604, Befehl, 25.03.1739. 38 Kleve-Mark 250, Reskript, 23.04.1660; Kleve-Mark 381, Reskript, 10.06.1693; Kleve-Mark 417, Verordnung, 04.12.1699; Kleve-Mark 486, Reskript, 31.10.1710; Kleve-Mark 597, Verordnung, 09.10.1717; Kleve-Mark 829, Verordnung, 15.03.1734; Kleve-Mark 832, Verordnung, 01.04.1734; Kleve-Mark 839, Verordnung, 26.06.1734; Kleve-Mark 853, Reskript, 06.01.1735; Kleve-Mark 884, Verordnung, 28.06.1736. 39 Jülich-Berg 723, Verordnung, 26.08.1709; Kurtrier 716, Verordnung, 02.07.1731; Kurtrier 738, Verordnung, 24.10.1732; Kurköln 66, Reskript, 12.10.1656.
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konkrete Verwaltungsmaßnahmen abzielten. Insofern erschöpfte sich die Einflussnahme der Obrigkeiten und Landesherren keineswegs nur auf gelegentliche Gesetze bei der Errichtung von Schulen.40 Vielmehr beschäftigte sich diese Verordnungsgesetzgebung mit zahlreichen wichtigen Elementen von Bildung und Schule, insbesondere mit dem Lehrpersonal, der Schulpflicht, dem Schulgeld, der Schuldisziplin und zum Teil auch mit Unterrichtsgegenständen. Dabei veränderte sich auch der Adressatenkreis: Neben allgemeinen Normadressaten wie Städten und Kommunen, Kirchengemeinden oder den Untertanen richteten sich Verordnungen und Reskripte zunehmend an Amtsträger der territorialen Lokalverwaltung, welche die Normen nicht nur publizieren, sondern auch für deren Umsetzung sorgen und über die jeweiligen Zustände und Probleme an die zentralen Behörden berichten sollten. Bis zum letzten Drittel des 18. Jahrhunderts setzte sich in allen untersuchten rheinländischen Territorien (in den drei Reichsstädten allerdings in deutlich geringerem Maß) eine solche spezifische Bildungs- und Schulgesetzgebung durch, die sich vorwiegend der Verordnung und des Reskripts bediente und die jeweiligen territorialen Lokalverwaltungen einbezog. Grundsätzlich ging damit der Anspruch der weltlichterritorialen Obrigkeit auf eine allgemeine, im gesamten Territorium (und unter Umständen auch für mehrere Schulformen) geltende Bildungsgesetzgebung einher. Dieser manifestierte sich dann insbesondere in umfassenden, für das ganze Territorium geltenden Schulordnungen, die sich aus dem Kontext der Kirchen- und Policeyordnungen lösten und alle Normen (auch aus der verstreuten Einzelgesetzgebung) zu einer normativen Gesamtordnung zumindest für das staatliche Schulwesen kompilierten. Entwickelte sich doch die ‚bildungspoliceyliche‘ Einzelgesetzgebung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu einem teilweise unüberschaubaren, teilweise auch mit Widersprüchen und Umsetzungsproblemen behafteten Normenkonglomerat, das nach ‚Ordnung‘ und Kodifizierung verlangte und dem frühmodernen Staat die Gelegenheit eröffnete, seinen Anspruch auf alleinige Zuständigkeit im Bildungswesen zumindest auf der normativen Ebene in erschöpfenden Ordnungsgesetzen zu demonstrieren. Dabei ist ein Übergang zu beobachten von Schulordnungen, die Bestandteil einer Kirchenordnung bildeten oder lediglich für einzelne konkrete Schulen erlassen worden waren, zu territorial umfassenden Ordnungen. Dem ersten, begrenzten Typus gehören die bereits erwähnten kleve-märkischen Ordnungen von 1662 und 1687, die badischen Ordnungen für die Schulen in Durlach und Lörrach von 1677 sowie die Ordnung für das Durlacher und Karlsruher Gymnasium von 1705 und 1725, die kurtrierische Kirchen- und Schulordnung von 1712 und die Wormser Stadtschulordnungen von 1729, 1736 und 1739 an. Daneben existierte insbesondere im kommunalen Bereich eine Vielzahl an Ordnungen für einzelne Schulen, die ohne Mitwirkung der territorialen bzw. reichsstädtischen Obrigkeiten von den Gemeinden
40 So dagegen KISTENICH: Schule (wie Anm. 9), S. 54.
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oder den Schulen verfasst worden waren.41 Zumindest am badischen Beispiel lässt sich zeigen, dass diese lokal und sachlich begrenzten Ordnungen als Experimentierfeld und Vorbild für die territorialen Landesschulordnungen dienten, in die aber auch Regelungen aus den eher kirchlich geprägten Ordnungen, den Policey- und Landesordnungen und der Einzelgesetzgebung eingingen.42 Während es in den Reichsstädten (mir ihrer geringeren Anzahl an Schulen) bei einigen wenigen Ordnungen für einzelne Schulen blieb,43 erließen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts alle hier untersuchten Territorien umfassende, für das ganze Territorium und zum Teil für mehrere Schulformen geltende Ordnungen. Den Anfang machte Baden 1763 und 1768; ebenfalls 1768 erließ Kurtrier eine erste Schulordnung, der 1784 eine weitere für die ‚Normalschulen‘ folgte; 1773 publizierte Kurmainz eine Schulordnung in Form einer Druckschrift; schließlich folgten 1782 Kleve-Mark und Kurköln (für Westfalen), das 1783 eine weitere für das Erzstift und 1799 Ordnungen für Westfalen erließ; 1785 publizierte das Fürstbistum Speyer zwei Ordnungen für die höheren und die „niedern deutschen Schulen“, und zuletzt gelangte auch das gesetzgeberisch im Bereich des Schulwesens wenig aktive Jülich-Berg 1794 zu einer Schulordnung. 44 Nur die multikonfessionelle Kurpfalz verzichtete auf landesweite Schulordnungen und beschränkte sich auf eine steigende Zahl von Einzelgesetzen, darunter umfangreiche Verordnungen zum territorialen Schulwesen, allerdings teilweise nach katholischen, lutherischen oder reformierten Schulen differenziert, was den insgesamt großen Umfang der Kurpfälzer Bildungsgesetzgebung im 18. Jahrhundert erklärt. Zwar lassen sich die deutliche Intensivierung der Bildungsgesetzgebung und die Massierung der Schulordnungen in der zweiten
41 Vgl. beispielhaft BRUYN-OUBOTER: Konfessionalisierung (wie Anm. 12), S. 400f. Inwieweit solche partikularen Ordnungen von der obrigkeitlichen Gesetzgebung beeinflusst waren, lässt sich im Rahmen dieser nur die zentrale Ebene der Normgebung einbeziehenden Untersuchung nicht sagen. 42 Vgl. Baden-Durlach 223, Schulordnung, 00.00.1677; Baden-Durlach 224, Schulordnung, 00.00.1677; Baden-Durlach 445, Schulordnung, 15.06.1705; Baden-Baden 1072, Schulordnung, 04.09.1725, sowie Baden-Durlach 709, Landesordnung, 12.03.1715; und dazu die Ausführungen von BRUNNER: Schulordnungen (wie Anm. 23), S. LIV–LXXXVIII. 43 Vgl. Speyer (Reichsstadt) 3332, Ordnung, 12.08.1776 (Ordnung für das Gymnasium); Köln (Reichsstadt) 9234, Wirkschulenordnung, 00.00.1771. 44 Baden 2082, Schulordnung, 00.11.1763; Baden 2299, Schulordnung, 30.12.1768; Kurtrier 1341, Schulordnung, 29.10.1768; Kurtrier 1345, Verordnung („Verordnungen für die Universitaet zu Trier, auch andere hohe, und niedrige Schulen […]“), 16.11.1768; Kurtrier 1660, Schulordnung, 22.10.1784 („Verordnung die Normal-Schule betreffend“); Kleve-Mark 1572, Schulreglement, 10.05.1782; Kurköln 938, Schulordnung (Westfalen), 12.11.1782; Kurköln 950, Schulordnung, 19.12.1783; Kurköln 1193, Landschulordnung (Westfalen), 08.03.1799; Kurköln 1194, Schulordnung (Westfalen), 23.10.1799; Speyer (Fürstbistum) 1568, Schulordnung, 26.03.1785; Speyer (Fürstbistum) 1579, Schulordnung („Allgemeine Ordnung für die niedern deutschen Schulen im Hochstift Speier“), 01.07.1785; Jülich-Berg 2033, Verordnung (Schulordnung), 04.04.1794.
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Hälfte des 18. Jahrhunderts auch auf Impulse der Aufklärung und der diesbezüglichen Reformdiskurse zurückführen, einen tief greifenden Bruch markieren sie jedoch nicht. Denn sowohl bezüglich der Bestimmungen, Regelungen, Themen und Maßnahmen als auch hinsichtlich der Intentionen und Ziele stehen sie in einer deutlichen Kontinuität zur vorangegangenen ordnungspoliceylichen Schul- und Bildungsgesetzgebung. Gleichwohl kann in deren Entwicklung durchaus ein Wandel der bildungspolitischen Intentionen und Ziele festgestellt werden.
4. Intentionen und Ziele Die bildungs- und schulpoliceyliche Ordnungsgesetzgebung aller untersuchten Territorien ist bis weit in das 18. Jahrhundert hinein mehr oder weniger stark durch religiöse und konfessionelle Intentionen und Ziele geprägt: Gottesfurcht und die Pflanzung des rechten Glaubens bzw. die Festigung der ‚richtigen‘ Konfession werden vielfach angeführt. So heißt es zum Beispiel in einer Verordnung des Kurfürsten von Trier: „Erstlich wollen ire churfurstliche gnaden der gemeinen burgerschaft zu guetem ein schule ufrichten lassen, dorin die jugent in der alten catholischen religion und gotesforcht instituiert und erzogen werde.“45 Auch die protestantischen Schulordnungen und Schulgesetze nennen – wie die baden-durlachische von 1715 – die Erziehung zur „Forcht Gottes“ und die „Fortpflanzung seines Worts/ und unser wahren seligmachenden Evangelischen Lehr“ als wesentliche Ziele.46 Besonders in der Ordnungsgesetzgebung der katholischen und geistlichen Territorien blieb – so die kurtrierische Ordnung von 1719 – die „Nothwendigkeit der Christlicher Lehr und deren Underweisung“ bis in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts das primäre ‚bildungspolitische‘ Ziel.47 Die konfessionelle Ausrichtung verband sich allerdings bereits im 16. Jahrhundert – und zwar stärker ausgeprägt in den protestantischen Territorien – mit dem Policeygedanken und weiteren Bildungszielen, die zwar ebenfalls religiös-konfessionell grundiert waren, aber auch etatistisch-utilitaristische Züge aufweisen. So begründete die umfassende jülich-bergische Policeyordnung von 1556, die wie bereits erwähnt mit der kurkölnischen Policeyordnung abgestimmt worden war, in dem Ar45 Kurtrier 79, Verordnung, 06.12.1577, hier zit. nach: EILER, Klaus, Das Limburger Stadtbuch von 1548. Georg Rauschers „Ordenung der Oberkeit“ und andere ausgewählte Quellen zu Bürgerrecht und Stadtverfassung von Limburg im 16. und 17. Jahrhundert (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau 46), Wiesbaden 1991, S. 146. 46 Schulordnung Baden-Durlach von 1715, zit. nach BRUNNER: Schulordnungen (wie Anm. 23), S. 24–27, hier S. 24f., § I und IV. 47 Kurtrier 536, Vikariatsordnung, 26.12.1719, mit der Kirchen- & Schulordnung vom 27.05.1712 im Anhang, SCOTTI, J. J. (Hrsg.): Sammlung der Gesetze und Verordnungen, welche in dem vormaligen Churfürstenthum Trier über Gegenstände der Landeshoheit, Verfassung, Verwaltung und Rechtspflege ergangen sind [...], 3 Bde., Düsseldorf 1832, hier Bd. 2, S. 811.
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tikel „Von den Schölen“ die Einrichtung von Lateinschulen mit „hohe[r] notturfft vnd furderung des gemeinen nutz“ und „zu auffrichtung vnd erhaltung einer erbaren bestendigen vnd guten Policey/ dauon dan Landt vnd Leuthen/ ehr vnd wollfahrt entstehet/ der furnembsten wg vnnd mittel eins ist/ das die jugendt zu der ehr vnd furcht Gottes/ auch tugendt/ nutzlichen vnd ehrlichen kunsten aufferzogen werde/ darzu dan die Latinische Schölen ein furnembst anfang sein sollen“.48 Die Kurpfalz betonte ebenfalls nahezu zeitgleich Elitenausbildung und Ämternachwuchs als wesentliche Bildungsziele: „Es ist bey menigklich rechts, gesundts verstands bekentlich, das die schulen nicht allein zur leer der guten, nutzlichen künsten, sonder auch zu erhaltung der nötigen ämbter in kirchen, in regimenten und im haußhalten dienstlich, nutzlich und nötig sind“. Genannt werden darüber hinaus „der jungen nutz vnd fürderung“ und „des lands nutz“ sowie Zucht und Fleiß – und zwar als Verhaltensmaxime für Schüler und Lehrer.49 Schulzucht, Disziplin und Gehorsam bilden auch in den kleve-märkischen Schulgesetzen von 1662 und 1687 zentrale Ziele, wobei hier bereits eine deutlichere Ausrichtung auf den Gehorsam gegen die Obrigkeit, Eltern und alle Vorgestellten erfolgte, denn alle gefährlichen Arten zu reden (und zu denken) sollten unterdrückt und ein stilles und ruhiges Verhalten der Schüler erreicht werden.50 Seit dem späten 17. Jahrhundert gewannen die auch im Policeydiskurs propagierten ‚bürgerlichen‘ Erziehungstugenden Gehorsam, Fleiß und Erziehung zu einer ‚nützlichen‘ Arbeit bzw. Arbeitsamkeit und Arbeitsdisziplin stärkeres Gewicht in der ‚bildungspoliceylichen‘ Ordnungsgesetzgebung. Damit einher geht eine Konkretisierung und Differenzierung im Hinblick auf die durch Bildung und Schule zu vermittelnden Fertigkeiten. Standen Lesen, Schreiben und Singen sowie der Katechismusunterricht im 16. und zum Teil auch im 17. Jahrhundert noch ganz unter den Vorzeichen der Vermittlung des rechten Glaubens bzw. der konfessionellen Disziplinierung, so bilden sie im 18. Jahrhundert zunehmend die Voraussetzung für Wohlfahrt und gute Ordnung des gemeinen Wesens: Erziehung, Bildung und Unterrichtung der Jugend sei der Anfang „aller guten heilsamen Policey und Ordnungen“, betonte die badische Schulordnung von 1715 gleich eingangs.51 Das „Reglement für die Deutschen Reformirten Schulen im Herzogthum Cleve und der 48 Jülich-Berg 53, Policeyordnung, 15.05.1558 („Policey sambt anderen Ordnungen vnnd Edicten“, Köln 1558); vgl. auch BRUYN-OUBOTER: Konfessionalisierung (wie Anm. 12), S. 396, der ebenfalls die religiöse und gesellschaftspolitisch-soziale Sozialisation als zentrale Intentionen betont. 49 Kurpfalz 221, Schulordnung, 04.04.1556, zit. nach HAUSS/ZIER: Kirchenordnungen (wie Anm. 23), S. 107–113, hier S. 107f. 50 Kleve-Mark 263, Verordnung, 20.05.1662; Kleve-Mark 357, Kirchen- und Schulordnung, 06.08.1687. Vgl. grundlegend zur kontroversen Diskussion um die Funktionen und Wirkung der Schulzucht bzw. zur Anwendung des Disziplinierungsmodells auf die Schule EHRENPREIS: Sozialdisziplinierung (wie Anm. 8). 51 Schulordnung Baden-Durlach von 1715, BRUNNER: Schulordnungen (wie Anm. 23), S. 24– 27, hier Präambel, S. 24f.
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Graffschaft Marck“ von 1782 konkretisierte die Verbindung von Glauben und Nützlichkeit als Pflicht „der Aeltern und Vorgesetzten“, ihre Kinder „zur Schule und zum Unterricht in nützlichen Kenntnißen, besonders in unsrer allerheiligsten Religion anzuhalten, um daraus sowohl nützliche Bürger und Unterthanen, als auch würdige Glieder der christlichen Kirche, deren Bestimmung auf die Ewigkeit gehet, zu erziehen“.52 Verbunden war dies mit einer Bewertung von Fähigkeiten, Fleiß, Betragen und Sitten, welche die Lehrer in Schulverzeichnissen dokumentieren sollten. Dieser Ausrichtung, die in der Forschung meist unter dem Modell der Bildungsreformen von Aufklärung und ‚aufgeklärtem Absolutismus‘ subsumiert wird, folgte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auch die Bildungsgesetzgebung der katholischen bzw. geistlichen Territorien.53 So stellte das Kurmainzer Vikariat in einer Verordnung von 1754 eine „bey dem Landmann fast durchgehends wahrgenommene Unwissenheit im Lesen, Schreiben, Rechnen und nothwendigen GlaubensPuncten“ fest, deren Ergebnis sei, dass „die Jugend und wenige Schul-Jahren ohne Frucht dahin streichen, und hieraus Gott und der Kirchen kaum ein halber christ, dem Landes-Herren und gemeinen Wesen aber ein gar schlechter Untertahnen aufgezogen“ werde. Die Eltern sollen daher Kinder zur Schule schicken und unterweisen lassen, damit man „diese zu einem geschickten Welt-Bürger und guten Christen bilden“ könne.54 Die 1794 erlassene, erste Schulordnung für Jülich-Berg betonte ebenfalls die Vermittlung von „Grundsätzen der Religion“ und „nützliche Kennt-
52 Kleve-Mark 1572, Schulreglement, 10.05.1782, zit. nach SCOTTI, J. J. (Hrsg.): Sammlung der Gesetze und Verordnungen, welche in dem Herzogthum Cleve und in der Grafschaft Mark über Gegenstände der Landeshoheit, Verfassung, Verwaltung und Rechtspflege ergangen sind [...], 5 Bde., Düsseldorf 1826, hier Bd. 4, S. 2190. 53 Vgl. zusammenfassend RUTZ: Bildung (wie Anm. 9), S. 257–296, sowie die weitgehend überholten älteren Arbeiten, die sich zumeist in einer unkritischen, Humanisierung und Modernisierung überbetonenden Darstellung der Reformmaßnahmen erschöpfen: NIEDIECK, Joseph: Das Erziehungs- und Bildungswesen unter dem letztregierenden Kurfürsten von Köln, Maximilian Franz (1784–1801) im Erzstift Köln und im Vest Recklinghausen, Köln 1910; BÖRGER, Wilhelm: Anton Wiggermann – der Reformator des Schulwesens im Vest Recklinghausen. Ein Beitrag zur Geschichte des Schulwesens im Zeitalter der Aufklärung und des Neuhumanismus, Bottrop 1937; SCHÜLLER, Andreas: Die Volksbildung im Kurfürstentum Trier zur Zeit der Aufklärung, in: Trierer Jahresberichte 4 (1911), S. 65–105; 5 (1912), S. 43–90; 6 (1913), S. 38–105; SCHAAF: Schule (wie Anm. 16); MESSER, August: Die Reform des Schulwesens im Kurfürstentum Mainz unter Emmerich Joseph (1763–1774), Mainz 1897; SCHÄFER, Walter: Die ideengeschichtlichen Grundlagen der Reform des Volksschulwesens im Großherzogtum Berg und in der Stadt Düsseldorf von 1799–1816, Rheydt 1929; JEHLE, Edmund: Das niedere Schulwesen unter August Graf von Limburg-Stirum, Fürstbischof von Speier 1770–1797, Freiburg i. Br. 1923; SALES HOCHSTUHL, Franz: Staat, Kirche und Schule in den baden-badischen Landen unter Markgraf Karl Friedrich (1771–1803), Bd. 1: Das höhere Schulwesen, Freiburg i. Br. 1927. 54 Zit. nach BRÜCK: Schulgeschichte (wie Anm. 28), S. 22f.
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nisse“ zum allgemeinen und eigenen Besten der Schüler als zentrale Ziele.55 Ebenso betrachtete der Trierer Kurfürst in der Schulordnung von 1768 Schüler und Studierende „als die Pflänzlinge der Kirchen und des Staats“, wollte aber nur die Qualifiziertesten zur höheren Bildung in den Gymnasien und Universitäten zulassen, während alle anderen möglichst eine „Berufsausbildung“ erhalten sollten: Sei es doch „eine schädliche Sache […] für das gemeine Wesen […], wenn man untüchtige Leute durch die Schulen laufen lasset, ohne sie frühzeitig zu einem Handwerk, oder anderer ehrbahrer Profession zu verwenden“. Folglich avancierte Selektion zu einem Ziel der kurfürstlichen Bildungspolitik; es gelte „bereits in denen unteren Schulen, daß das Artige von dem Unartigen, das gute Gewächs von dem Unkraut, die tüchtige Subjecta von denen Untüchtigen abgesonderet“ werden müsse.56 Ein Kriterium des im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts in einigen Schulgesetzen auftauchenden Selektionsprinzips bildete übrigens nicht nur die ‚Tüchtigkeit‘, sondern auch der soziale und der Vermögensstatus der Eltern. So sollten im Fürstbistum Speyer nach einer Verordnung von 1767 „jene, die arm von Eltern seind“, nicht „zu dem Studiren gelassen“ werden, denn es „sollen nicht zu viele Kinder ohne Unterschied zum Studiren erzogen werden“.57 Die ständische Differenzierung hinsichtlich des Zugangs zu höherer und niederer Bildung einhergehend mit einer differenzierten Ausrichtung der Schulbildung auf das Arbeits- und Berufsleben und das Staatswohl mittels Selektion, Leistungsbewertung, Zensuren und Zeugnissen spielte folglich eine zunehmende Rolle in der Bildungsgesetzgebung, und zwar unabhängig von der Konfession. Der Schulbesuch sei notwendig, damit „kein Bürger zur Erlernung eines Handwerks, Profession oder Kunst aus den Schulen übergehe, ohne vorher die seinem künftigen Stande nöthigen Kenntnisse erlanget zu haben“, so einer Kurmainzer Verordnung von 1780.58 Dabei avanciert gelegentlich auch das für die ‚gute Policey‘ des 18. Jahrhunderts charakteristische Ziel der ‚Glückseeligkeit‘ und das Wohl der Mitbürger zu einem normativen Ziel der Bildungsgesetzgebung, sei doch an „guter Instruction der Jugend des Menschen zeitlich- und ewiges Glück gelegen“, so der Bischof von Speyer 1758.59 Und der Kölner Kurfürst Max Franz äußerte 1799 die Überzeugung, „daß 55 Jülich-Berg 2033, Verordnung, 04.04.1794, zit. nach SCOTTI, J. J. (Hrsg.): Sammlung der Gesetze und Verordnungen, welche in den ehemaligen Herzogthümern Jülich, Cleve und Berg und in dem vormaligen Großherzogthum Berg über Gegenstände der Landeshoheit, Verfassung, Verwaltung und Rechtspflege ergangen sind [...], 4 Bde., Düsseldorf 1821/22, hier Bd. 2, S. 738. 56 Kurtrier 1341, Schulordnung, 29.10.1768, zit. nach SCOTTI: Trier (wie Anm. 47), Bd. 3, S. 1226f. 57 Speyer (Fürstbistum) 1122, Verordnung, 14.02.1767, zit. nach Sammlung der Hochfürstlich-Speierischen Gesetze und Landesverordnungen, 4 Bde., Bruchsal 1788, hier Bd. 3, S. 292, Nr. 369. 58 Kurmainz 1910, Verordnung, 27.10.1780. 59 Speyer (Fürstbistum) 941, Verordnung, 15.03.1758, zit. nach Sammlung Speyer (wie Anm. 57), Bd. 3, S. 209, Nr. 224.
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nur die verbesserten Einsichten den dauernden Grund zu der Menschen Glückseligkeit legen können“, und erachtete es als landsfürstliche Pflicht, „jedem aus Unseren Untertanen die Gelegenheit zu geben, daß er die seinem Stande angemessenen Kenntnisse durch einen zweckmäßigen Unterricht erhalten kann, und auf diese Art in Stand gesetzt wird, durch Ausbildung seines Verstandes, sein und seiner Mitbürger Wohl auf eine dauerhafte Art zu befördern“.60 Erstmals wird damit in der Ordnungsgesetzgebung ein ständisch differenziertes ‚Recht auf Unterricht‘ festgeschrieben, das zwar keinen subjektiven Rechtsanspruch begründete, gleichwohl eine Verpflichtung des Landesherren bzw. Staates postulierte. Differenzierung und Selektion mittels Bildung und Schule verband sich dabei mit einem modifizierten Disziplinierungsanspruch, der nun nicht mehr allein auf eine Verhaltensdisziplinierung gemäß der christlichen bzw. konfessionellen Werte abstellte (die freilich nicht verschwanden), sondern stärker den utilitaristischen Staatsbezug und die „guten Sitten“ der Bürger und die „Bürgereinigkeit“ als Intention staatlicher Bildungsgesetzgebung betonte.61 Der Wandel in den Zielen und Intentionen zeigt sich deutlich in der Entwicklung der im Einzelnen geregelten und reglementierten Bildungsbereiche, insbesondere in den Regelungsgegenständen und Policeymaterien der Schulgesetzgebung.
5. Regelungsgegenstände, Policeymaterien und inhaltliche Schwerpunkte Im Bereich des Schulwesens ist eine relativ kontinuierliche Ausdifferenzierung spezifischer Regelungen, Normen und Instrumente festzustellen, die im 18. Jahrhundert zu detaillierteren normativen Vorgaben für die Rahmenbedingungen (Schulformen, Einrichtung, Gebäude, Schulgeld, Schulpflicht, Schulzeiten), die Beteiligten (Lehrpersonal, Schülerinnen/Schüler, Eltern) und den Unterricht (Lehrplan, Lernmaterial, Stundentafel) führten. Zugleich brachten sie aber auch Kriminalisierung, Verhaltensdisziplinierung, Sanktionen und Strafe mit sich und weiteten staatlich-obrigkeitliche Kontrolle, Umsetzungsinstrumentarium, Institutionen und Verwaltung aus. Graphik 5 gibt einen knappen Überblick über die quantitative Verteilung der einzelnen Policeymaterien bzw. Regelungsgegenstände der Schulgesetzgebung.62 60 Kurköln 1193, Landschulordnung, 08.03.1799, zit. nach SCOTTI, J. J. (Hrsg.): Sammlung der Gesetze und Verordnungen, welche in dem vormaligen Churfürstentum Cöln [...] über Gegenstände der Landeshoheit, Verfassung, Verwaltung und Rechtspflege ergangen sind, vom Jahre 1463 bis zum Eintritt der Königlich Preußischen Regierungen im Jahre 1816, 2 Bde., Düsseldorf 1830, Bd. 1/2, S. 1262. 61 Kurköln 950, Schulordnung, 19.12.1783, zit. nach SCOTTI: Cöln (wie Anm. 60), Bd. 1/2, S. 1066. 62 Da auf dieser Ebene der Erfassung und Verschlagwortung den Bearbeiterinnen und Bearbeitern ein begrenzter Spielraum eingeräumt war, ist eine gewisse Unschärfe vorhanden; die Tendenzen und Schwerpunkte sind jedoch valide und entsprechen den Forschungsbefunden.
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Graphik 5: Regelungsgegenstände der Policeygesetzgebung im Bereich Schule Einrichtung
34
Baulast/Gebäude/Unterhaltung/Finanzierung
79
Schulgeld
27
Aufnahmebedingungen
24
Winkel-/Privatschulen
26
Visitationen/Schulaufsicht
100
Schulpflicht
78
Lehrer/Lehrpersonal
208
Lehrer: Ausbildung/Qualifikation
105
Lehrer: Besoldung
28
Personal
36
Unterrichtszeiten
23
Lehrplan
52
Gebete/Gottesdienstgang
33
Religionsunterricht
36
Sonntagsschule
57
Lehrmaterial/Schulbücher/Katechismus
62
Schulzucht/Hausordnung
48
Schüler, bedürftige/Förderung
38 0
10
20
30
40
50
60
70
80
90 100 110 120 130 140 150 160 170 180 190 200 210
Grundsätzlich weist die Schulgesetzgebung der untersuchten Obrigkeiten hinsichtlich der Schulformen kaum spezifische qualitative Differenzierungen der Regelungsgegenstände auf, und in der Tendenz zeigt sich eine Angleichung in den basalen Regelungen. Das Schwergewicht der Normierung liegt allerdings auf den Elementarschulen, die besonders im 18. Jahrhundert – zusammen mit den auftauchenden Fachschulen (Real-, Bau-, Landwirtschafts- oder Zeichenschulen) in den Vordergrund rückten. Die Errichtung von Schulen und die Unterhaltung der Gebäude wurden besonders im 16. und 17. Jahrhundert thematisiert, wobei insbesondere die Zuständigkeit der Gemeinden bezüglich Finanzierung und Baulast festgeschrieben wurden. Zumindest auf der normativen Ebene hatten sich diese Prinzipien im 18. Jahrhundert weitgehend durchgesetzt, und die entsprechenden Policeynormen fokussierten stärker auf die Kontrolle der Gemeinden. Ein weiterer Schwerpunkt der früheren Regelungen bildeten Konfessionalisierung, Territorialisierung und Verstaatlichung des Schulwesens: Verbote, konfessionsverschiedene Schulen und ‚private‘ Winkelschulen zu besuchen, finden sich sowohl bei den katholischen als auch protestantischen Obrigkeiten; das früheste Verbot von „Winkeldozenten“ stammt aus Jülich-Berg (1554).63 Aufgrund der konfessionellen Gemengelage der meisten untersuchten rheinischen Territorien konnten sol63 Jülich-Berg 38, Edikt, 10.10.1554.
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che Verbote zwar kaum durchgesetzt werden, dennoch belegen sie die obrigkeitliche Absicht der Territorialisierung von Bildung und der Unterdrückung bzw. Verstaatlichung von ‚Neben- und Winkelschulen‘. Dabei trat im 18. Jahrhundert das konfessionelle Motiv in den Hintergrund und es sollte der „unvollkommene und unzureichende privat-Unterricht vielmöglichst gehemmet werden“, wie eine Kurmainzer Verordnung von 1777 postuliert.64 Nicht nur konfessionelle, sondern auch territorialherrschaftliche Intentionen leiteten zum Beispiel auch in Kleve-Mark 1734 das Verbot, „daß die Landes Kinder sich des Dortmundischen Gymnasii enthalten sollen“, weil der dortige Rektor falsche Sätze lehre.65 Territorialisierung und Verstaatlichung waren und blieben zentrale Ziele der ordnungspoliceylichen Schulgesetzgebung, die mit der ‚Winkelschule‘ ein Etikett etablierte, das eine flexible Kriminalisierung und Kontrolle anderer, nicht-landesherrlicher bzw. obrigkeitlicher Schulen ermöglichte und der langfristigen Etablierung eines staatlichen Schulmonopols diente. Auch wenn diesbezüglich das territorial und konfessionell zersplitterte Rheinland die Umsetzung erheblich erschwerte und sich Kommunen und Eltern ‚eigensinnig‘ zeigten,66 verzeichneten die jeweiligen Obrigkeiten bis zum Ende des 18. Jahrhunderts dennoch Erfolge, die nicht zuletzt auch darin begründet waren, dass sie nicht nur Zwang und Strafe einsetzten, sondern das eigene Schulwesen durch Reformen verbesserten und damit attraktiver machten. Ein durchgängig dominierender Regelungsbereich, in dem sich die Schwerpunkte ebenfalls von Konfessionalisierung und Disziplinierung zu Reformen und Qualifizierung verschoben, bildete auch das Lehrpersonal. Charakteristisch für das 16. und 17. Jahrhundert ist die Pfälzer Schulordnung von 1556, die Konfession und Verhaltensdisziplinierung klar vor ‚pädagogische Eignung‘ setzt: „Hierauf erfordert die not, das die kinderschul mit erbarn, gelerten gottförchtigen und fleissigen schulmeistern bestellt werden. Und darnach, so ein schulmeister berufen oder seinen dienst selbst anbeut, soll er vorhin seins wesens und lebens gute kundtschaft haben. Darauf soll er von den verordneten examiniert werden, ob er zu dem ambt tauglich und sonderlich, ob er ein guter grammaticus sey“.67 Andersgläubigen drohten Strafen wie Dienstenthebung und Ausweisung, wobei sich keine prinzipiellen Unterschiede zwischen protestantischen und katholischen Obrigkeiten feststellen lassen. In Kleve-Mark mussten die Lehrer 1662 „der wahren Reformierten Religion“ zugetan sein, was nach
64 Kurmainz 1770, Dekret, 27.02.1777, zit. nach BRÜCK: Schulgeschichte (wie Anm. 28), S. 26 (mit abweichender Datierung). 65 Kleve-Mark 832, Verordnung, 01.04.1734, zit. nach SCOTTI: Cleve (wie Anm. 52), Bd. 2, S. 1146; vgl. auch die entsprechenden allgemeinen, ausführlichen Regelungen in Kleve-Mark 357, Kirchen- und Schulordnung, 06.08.1687, und hierzu FRIEDRICHS: Schulwesen (wie Anm. 5), S. 62–83. 66 EHRENPREIS: Elementarschulwesen (wie Anm. 4), S. 150; RUTZ: Disziplinierung (wie Anm. 32); KISTENICH: Schule (wie Anm. 9), S. 44. 67 Kurpfalz 221, Schulordnung, 04.04.1556, zit. nach HAUSS/ZIER: Kirchenordnungen (wie Anm. 23), S. 226.
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dem Konfessionswechsel in der Schulordnung von 1687 auf die „Evangelisch-lutherische Religion“ abgeändert wurde; wer den Vorgaben nicht „nachlebte“ sollte ermahnt und dann entlassen werden.68 Auch der Kurfürst von Köln verordnete 1614, es „solle kein unkatholischer Scholmeister oder Scholmeisterin in unsern Erzstifft gestattet werden, sondern wird hiemit den Pastoren befohlen die Scholen zu visitiren und umbzusehen, was für Bücher zu der Kinder institution gebraucht, und da einige unkatholische gefunden würden, dieselben sollen abgeschafft, auch nach befindung der Scholmeister, oder die Scholmeisterin ihres Dienstes entsetzt, und andere auffrichtige fromme katholische Leuth an ihre statt verordent und angestellt werden“.69 Neben der richtigen Konfession forderten zahlreiche Schulgesetze einen disziplinierten, ‚sittlichen‘ Lebenswandel und eine Vorbildfunktion der Lehrer: Die Kurpfalz verlangte, dass der Lehrer „mit einem züchtigen, erbarn und nüchtern leben den schulern ein gut exempel fürtrage“; in Kurmainz sollten die Lehrer „ihres Verhaltens und Wandels, auch Qualification wegen verhört und examiniert“ werden; in Kleve-Mark mussten sie sich vor „üppigen Gesellschaften, sündlichen oder pöbelhaften Musicken und Gelagen“ hüten.70 Und der Bischof von Speyer verkündete 1739, „daß bei ein- und anderem Schulmeister […] viele und verschiedene Untugenden im Saufen und recht innerlichen Aergerniß und bösen Exempel geben, auch Unfleiß in Belehrung der Kinder, in Schreiben und Lesen, und was dergleichen mehr ist, mithin eine sträfliche Verabsäumung der Unterweisung, besonders, wie schon gesagt, im Lesen und Schreiben verspühret werden“. Solche „dem Seelenheil, guten Zucht, Ehrlichkeit und Exempel so wohl, als Nutzen des gemeinen Wesens zuwider laufende Dinge“ dürften nicht geduldet werden, und Pfarrer und lokale Amtsträger sollten die Kontrolle verstärken und deviante Lehrer – „so weit es in die Polizei- und weltliche Dinge eingehet“ – anzeigen, um sie aus dem Schuldienst entfernen zu können.71 Im 18. Jahrhundert verschob sich der Schwerpunkt der Regelungen allerdings von konfessioneller Zuverlässigkeit und Disziplinierung auf die Qualifikation der Lehrer, es wurden Zeugnisse und Prüfungen verlangt und ab Mitte des 18. Jahrhunderts kam es in den meisten Territorien zur Einrichtung eigener Lehrerseminare.72 In der Folge forderten die Obrigkeiten entsprechende Zeugnisse und Qualifikationsnachweise, die insbesondere von den landeseigenen Seminaren und Behörden (in
68 Kleve-Mark 263, Verordnung, 20.05.1662; Kleve-Mark 357, Kirchen- und Schulordnung, 06.08.1687, zit. nach SCOTTI: Cleve (wie Anm. 52), Bd. 1, S. 391–416 bzw. S. 595–636. 69 Kurköln 26, Kirchenordnung, 04.11.1614, zit. nach SCOTTI: Cöln (wie Anm. 60), Bd. 1/1, S. 221f. 70 Kurpfalz 221, Schulordnung, 04.04.1556, zit. nach HAUSS/ZIER: Kirchenordnungen (wie Anm. 23), S. 226; Kurmainz 164, Kirchenordnung, 10.07.1615; Kleve-Mark 1572, Schulreglement, 10.05.1782, zit. nach SCOTTI: Cleve (wie Anm. 52), Bd. 4, S. 2191. 71 Speyer (Fürstbistum) 604, Befehl, 25.03.1739, zit. nach Sammlung Speyer (wie Anm. 57), Bd. 2, S. 190f., Nr. 294. 72 Vgl. JÖRG: Entwicklung (wie Anm. 15), S. 192ff.
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den katholischen Territorien meist die Vikariate) stammen mussten; Baden erließ gar eine ausführliche „Schul-Candidaten-Ordnung“.73 Damit wurde folglich nicht nur ein höheres Ausbildungsniveau der Lehrer angestrebt, sondern auch eine charakteristische policeyliche Technik installiert, die mittels obrigkeitlicher Zertifizierung die staatliche Kontrolle verstärkte und die herkömmliche Bestallungspraxis der Gemeinden beschnitt. Alle Territorien versuchten auf dem Weg der Policeygesetzgebung, die Zuständigkeiten der Städte, Gemeinden und Ortsgeistlichen für das Lehrpersonal zu begrenzen und verlagerten Einstellung und Kontrolle zu zentralen Institutionen: Kurtrier untersagte 1739 Pfarrern und Gemeindevorstehern die Einstellung von Schulmeistern ohne vorherige Prüfung durch das Vikariat, und im Fürstbistum Speyer durften die Gemeinden seit 1759 dem Vikariat nur noch drei „taugliche Subjekte“ vorschlagen.74 Die verstärkte Kontrolle von Qualifikation und Einstellung ging einher mit einer rechtlichen bzw. ordnungspoliceylichen Neuordnung des Einkommens, das meist lediglich aus dem sehr unregelmäßig gezahlten Schulgeld und Naturalabgaben (wie dem Schulholz) bestand. Die meisten Lehrer gingen daher weiteren Erwerbsmöglichkeiten (als Glöckner, Musiker usw.) nach oder versahen ihre Lehrtätigkeit überhaupt nur nebenamtlich. Obwohl die Normierungsintensität hinsichtlich der Nebentätigkeiten (Beschränkungen und zum Teil auch Verbote), der Vereinheitlichung des Einkommens und der Etablierung eines regelmäßigen Gehalts in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts besonders hoch ausfiel, blieben die meisten Reformen und Maßnahmen auf halbem Weg stehen, da sowohl die zuständigen Gemeinden als auch die Lehrer kein Interesse an einer staatlichen Reglementierung und Kontrolle des ‚Arbeitsverhältnisses‘ hatten. Immerhin kam es vielfach zur Festschreibung sozialer Fürsorgemaßnahmen (Altersversorgung, Unterhalt für Witwen und Waisen) sowie zu einer Gleichoder Besserstellung der Lehrer mit Bürgern und Gemeindemitgliedern bezüglich der Dienste und Abgaben. So ordnete Kurtrier 1788 an: „Da es in der Billigkeit gegründet ist, daß derjenige, welcher die Jugend in den erforderlichen, nötigen, und nützlichen Lehren und Kenntnißen unterrichtet, mithin dardurch sich für die Gemeinde selbst als ein der nützlichsten Mitglieder beweißet, auch wenigstens den übrigen Gemeindsgliederen gleich gehalten werde“.75 Kontrolle durch zentrale Staatsorgane, Disziplinierung und Sanktionsdrohung im Bereich des Lehrpersonals sprechen zwar für die von Gerhard Oestreich postulierte Stabsdisziplinierung als Element des Sozialdiszplinierungsmodells. Allerdings scheinen sich Qualifizierung und soziale Verbesserungen langfristig als ebenso wirkungsvoll erwiesen zu haben. Die vorliegenden Forschungsergebnisse zu Qualität und Einstellung der Lehrer in den untersuchten Territorien betonen überwiegend die defizitäre Umsetzung der auf die Lehrer zielenden Normen und die bestenfalls 73 Baden 1933, Reskript, 02.09.1757. 74 Kurtrier 738, Verordnung, 24.10.1732; Speyer (Fürstbistum) 974, Verordnung, 29.12.1759. 75 Kurtrier 1776, Verordnung, 16.04.1789, zit. nach SCOTTI: Trier (wie Anm. 47), Bd. 3, S. 1472.
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allmählich erfolgenden Verbesserungen hinsichtlich Ausbildung und Qualifikation.76 Unabhängig von den Umsetzungsproblemen bildete die ordnungspoliceyliche ‚Lehrergesetzgebung‘ ein wichtiges Element der Professionalisierung und Verrechtlichung des Lehrerberufs und insofern eine wichtige Vorstufe des späteren Beamtenrechts, das auch das Lehrpersonal staatlichen Qualifikationskriterien, Prüfungen, Zertifikaten und spezifisch staatlichen Normen unterwarf. Diese Tendenz manifestierte sich insbesondere in den von einigen Territorien erlassenen spezifischen Instruktionen, wie die „Instructionis Für die Catholische Schul-Diener In Churfürstlicher Pfaltz“ oder die „Allgemeine Instruction für die oeffentlichen Lehrer der Trivial-Real und Mittelschulen in den Kurmainzischen Landen“.77 Wie bei den Lehrern dominieren in den auf die Schüler abstellenden Regelungen im 16. und 17. Jahrhundert religiös-konfessionelle und disziplinierende Normen: Gottesfurcht und Gehorsam gegenüber Eltern und Obrigkeit sowie Exklusion konfessionsverschiedener oder ‚ausländischer‘ Schüler vom Schulbesuch. Gebet, Besuch der Messe, Sonntagsschule und Religionsunterricht erreichen einen beachtlichen Anteil in der Schulgesetzgebung. Seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts kamen auch ‚sittliches‘ und stilles oder ruhiges Verhalten im Unterricht hinzu,78 und gelegentlich erfolgte eine Ausdehnung auch auf den öffentlichen Raum außerhalb der Schule. So beklagte eine Kurmainzer Verordnung von 1758 „Willmuth und sonstiger zaumloser, ja ärgerlicher Aufführung mancher Jugend“ sowie „sträffliche Unternehmungen und anhaltenden Müßiggang“, was dazu geführt habe, dass die Schüler „unwissend, und gleichsam verwildert“ seien. Dementsprechend drohte die Verordnung nicht nur der devianten Schuljugend, sondern auch Lehrern, Pfarrern und Eltern mit Sanktionen und Geldbußen, falls sie nicht für Schulbesuch und Schuldisziplin sorgen würden.79 Solche auf Verhaltensdisziplinierung und Schulzucht abstellende Regelungen bleiben zwar im 18. Jahrhundert ein Thema der Schulgesetzgebung, standen jedoch nicht im Vordergrund. Auch die Sanktionsdrohung gegenüber ‚undisziplinierten‘ Schülern – in der Regel Schulstrafen wie Prügel oder Ausschluss vom Unterricht – spielten keine dominierende Rolle. Offensichtlich wollten die Obrigkeiten dies der flexiblen Handhabung der Lehrer überlassen, deren Züchtigungsrecht und Gewaltanwendung auch nur gelegentlich begrenzt wurde: 76 Vgl. z. B. EHRENPREIS: Kirchen (wie Anm. 14), S. 91, 105f., 107; SCHMAHL: Reformation (wie Anm. 5), S. 140–142; KISTENICH: Schule (wie Anm. 9). S. 47f.; EHMER: Schulwesen (wie Anm. 9), S. 82–89. 77 Kurpfalz 1842, Verordnung, 30.07.1736; Kurmainz 1617, Schulordnung (Druckschrift), 09.10.1773; vgl. auch Kleve-Mark 1698, Instruktion, 03.02.1793. 78 Charakteristisch Kleve-Mark 357, Kirchen- und Schulordnung, 06.08.1687; Worms (Reichsstadt) 997, Schulordnung, 27.10.1739 mit dem Verbot des Fluchens und Schwörens. 79 Kurmainz 1171, Verordnung, 12.08.1758, zit. nach KERSTING, Hermann (Hrsg.): Die Sonderrechte im Kurfürsthentume Hessen. Sammlung des Fuldaer, Hanauer, Isenburger, Kurmainzer und Schaumburger Rechts, einschließlich der Normen für das Buchische Quartier und für die Cent Mittelsinn, sowie der im Fürstenthume Hanau recipirten Hülfsrechte, Fulda 1857, Sp. 1140f.
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Bereits 1687 wies die kleve-märkische Schulordnung die Lehrer an, die Schulzucht nicht nur mit Zorn und Grimm, sondern auch mit Worten und nur wenn nötig mit Ruten durchzusetzen. Solche Regelungen blieben jedoch die Ausnahme; das im Bereich des Schulwesens gesetzgeberisch sehr aktive Baden erließ zum Beispiel erst 1753 eine ausführliche Verordnung zur Begrenzung des Züchtigungsrechts, das die Erziehung mit „Worten und vernünftigen Vorstellungen“ präferierte, so „daß die Züchtigung mit Schlägen selten nötthig seyn dürfte“; eine ähnliche Anweisung (Stock und Rute nur selten zu gebrauchen) enthielt schließlich die kleve-märkische Schulordnung von 1782.80 Gering fiel auch die Normierungsintensität hinsichtlich der Geschlechtertrennung aus. Kurmainz verordnete beispielsweise 1615, „die Knaben und Mägdlein sollen in der Schule allweg voneinander geschieden und absonderlich gesetzt werden“.81 Solche Regelungen finden sich allerdings nur sehr selten, und bezüglich der Mädchen- bzw. Knabenschulen lassen sich kaum spezifische Schulgesetze oder gar geschlechtsspezifische Policeynormen feststellen.82 Ein großes Gewicht legten die meisten Obrigkeiten (insbesondere die Territorien) dagegen auf die Normierung der Schulzeiten, des schulpflichtigen Alters und des Schulbesuches, wobei die Etablierung von Zeitordnungen und Altersstufen ein charakteristisches Instrument bildeten.83 Zwar überwiegen diesbezüglich Schulpflicht, Zwang und Sanktionsdrohungen, doch finden sich seit dem 16. Jahrhundert ebenfalls Regelungen, die auf Förderung und Ermöglichung von Bildung zielten: Nahezu 40 Normen ergingen zur Förderung des Schulbesuchs armer und bedürftiger einheimischer Schüler, denen insbesondere Schulgeld und Schulholz erlassen bzw. aus der Gemeindekasse gezahlt werden sollten. Dies erfolgte ausdrücklich unter der Leitvorstellung der „Ordnung und Policey die Armen belangendt“, die bereits eine der frühesten Regelungen, die klevisch-märkische bzw. jülisch-bergische Ordnung von 1554 postulierte.84 Bis weit in das 17. Jahrhundert hinein beschränkten 80 Kleve-Mark 357, Kirchen- und Schulordnung, 06.08.1687, und Kleve-Mark 1572, Schulreglement, 10.05.1782; Baden 1768, Generaldekret, 11.05.1753, zit. nach BRUNNER: Schulordnungen (wie Anm. 23), S. 87f.; vgl. JÖRG: Entwicklung (wie Anm. 15), S. 183f. 81 Kurmainz 164, Kirchenordnung, 10.07.1615. 82 Eine geringe Geschlechterdifferenzierung findet sich im Übrigen als generelle Tendenz der Policeygesetzgebung. Vgl. grundsätzlich zur Geschlechterproblematik im Bereich des rheinischen Schulwesens: RUTZ: Bildung (wie Anm. 9); außerdem DERS.: Disziplinierung (wie Anm. 32); DERS.: Semireligiosentum und elementare Mädchenbildung. Zur Unterrichtstätigkeit von Devotessen im frühneuzeitlichen Köln, in: HANSCHMIDT/MUSOLFF: Elementarbildung (wie Anm. 15), S. 247–264. 83 Vgl. hierzu allgemein HÄRTER, Karl: Zeitordnungen und ‚Zeitverbrechen‘. Reglementierung, Disziplinierung und Fragmentierung von Zeit in der frühneuzeitlichen Policeygesetzgebung, in: BRENDECKE, Arndt/FUCHS, Ralf-Peter/KOLLER, Edith (Hrsg.): Die Autorität der Zeit in der Frühen Neuzeit, Berlin 2007, S. 187–232. 84 Kleve-Mark 87, Ordnung, 10.10.1554; Jülich-Berg 42, Ordnung, 10.10.1554; vgl. auch Jülich-Berg 34, Armenordnung, 05.10.1546.
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sich die auf den Schulbesuch bezogenen Regelungen, insbesondere in den katholischen Territorien und den Reichsstädten, auf Appelle und vage Anordnungen, die bestenfalls den Besuch der ‚Winterschule‘ als Pflicht postulierten. Erst seit dem späten 17. Jahrhundert enthalten die Schulgesetze allmählich präzisere Vorgaben, die sich dann im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts in der Gesetzgebung aller Territorien finden. So verordnete 1682 Kurmainz erstmals eine Schulpflicht für alle Kinder zu „winterlicher zeit, da sie ohne das sonst nichts versäumen können“, allerdings ohne genaue zeitliche Angaben. 1685 erfolgte eine Präzisierung dahingehend, dass „alle Kinder von 6 biß 12 Jahren zur Schul gehalten“ seien; falls die Schule versäumt werde, müssten die Eltern dennoch dem Schulmeister das Schulgeld zahlen.85 Eine Umgehungsmöglichkeit war damit faktisch eingeräumt worden, falls die Strafe – das Schulgeld – den ökonomischen Gewinn durch die Arbeitskraft der Schüler nicht überwog und die Geldbuße in Kauf genommen wurde. Auch Kleve-Mark verfügte nahezu zeitgleich in der Schulordnung von 1687, dass im Sommer nur vier Wochen Ferien seien und ansonsten die Schule besucht werden müsse, freilich ohne präzisere Regelungen oder gar Strafandrohungen zu formulieren.86 Erst die Verordnung von 1717 postulierte ausdrücklich und unter Androhung nachdrücklicher Strafe (Geldbuße) eine tägliche Schulpflicht im Winter und für zwei Schultage pro Woche im Sommer.87 Nur Baden hatte bereits 1709/11 einen durchgängigen Schulbesuch verordnet und 1721 bezüglich der reduzierten Sommerschule präzisiert.88 Etwa zeitgleich folgte Kurtrier, das 1712 und 1719 anordnete, die „schuhlbahre Jugent, so da ist vom siebenten biß eilften Jahr, jederzeit zur Schuhl [zu] schicken“.89 Das Fürstbistum Speyer verordnete 1718 und 1722 eine „Anhaltung der Jugend zur Kirche und Schule“ und verstärkte 1728/29 die Schulpflicht durch die Androhung von Geldbußen sowie Arbeits- und Ausweisungsstrafen für ‚Wiederholungstäter‘ und legte das schulpflichtige Alter für „alle schuhlbare Kinder beyderley Geschlechts vom 6ten bis auf das 12te Jahr inclusive“ fest.90 Auch die Kurpfalz verfügte 1722 Schulpflicht und Schulzeiten, die 1732/35/36 im Hinblick auf eine allgemeine Schulpflicht und der täglichen Unterrichtsdauer (im Sommer von 7 bis 10, im Win85 Kurmainz 350, Verordnung, 12.11.1682, zit. nach BRÜCK: Schulgeschichte (wie Anm. 28), S. 20; Kurmainz 360, Verordnung, 25.10.1685. 86 Kleve-Mark 357, Kirchen- und Schulordnung, 06.08.1687. 87 Kleve-Mark 597, Verordnung, 09.10.1717; vgl. zur schwierigen Umsetzung NEUGEBAUER, Wolfgang: Absolutistischer Staat und Schulwirklichkeit in Brandenburg-Preussen (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 62), Berlin/New York 1985, S. 173. 88 Baden 571, Reskript, 04.11.1711; Baden 933, Dekret, 15.03.1721; JÖRG: Entwicklung (wie Anm. 15), S. 147. 89 Kurtrier 435, Kirchen- & Schulordnung, 27.05.1712; Kurtrier 536, Vikariatsordnung, 26.12.1719, zit. nach SCOTTI: Trier (wie Anm. 47), Bd. 2, S. 814. 90 Speyer (Fürstbistum) 249, Schulordnung, 08.03.1718; Speyer (Fürstbistum) 307, Verordnung, 04.11.1722; Speyer (Fürstbistum) 426, Befehl, 06.03.1728, S. 93; Speyer (Fürstbistum) 452, Reskript, 21.07.1729, zit. nach Sammlung Speyer (wie Anm. 57), Bd. 2, S. 106, Nr. 166.
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ter 8 von 11 Uhr) präzisiert wurden.91 Kurköln ließ wie Kurmainz, das erst 1768 die Ausnahmebestimmungen zur Sommerschule abschaffte, Ausnahmen zu: Die westfälische Policeyordnung von 1723 befahl den Eltern, ihre minderjährigen Kinder solange zur Schule zu schicken, „bis sie wenigstens den Catechismum von aussen gelernet und wol verstehen, auch getrückte Schrifft lesen können“. Außerdem erlaubte sie, dass Eltern, die „der Kinder zu Sommers-Zeit aus der Arbeit nicht entrahten und an Wercktägen nicht zur schulen schicken können“, diese zumindest „an Sonn- und Feyertägen zum Gottes-Dienst und Christlicher Lehr senden“ müssten.92 Die Policeynormen spiegeln folglich die häufig beschriebenen Probleme bei der Einführung der Schulpflicht wider: Aufgrund des Widerstrebens in der Bevölkerung und ökonomischer Zwänge war eine Schulpflicht für die Sommerzeit faktisch nicht durchsetzbar, da die Kinder als Arbeitskräfte bei Aussaat und Ernte gebraucht wurden. Erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts schafften die meisten Obrigkeiten Ausnahmen und Umgehungsmöglichkeiten ab, ordneten eine durchgängige, allgemeine Schulpflicht für genauer festgelegte Schulzeiten und Altersgruppen an, verstärkten die Sanktionsdrohungen und intensivierten die Kontrollmaßnahmen. Die Kurpfalz und Baden dehnten das schulpflichtige Alter sogar bis zum 15. Lebensjahr aus und knüpften das Verlassen der Schule an das Bestehen eines Examens bzw. das Erreichen bestimmter Lehrziele (Grundfähigkeiten im Lesen und Schreiben). Am Ende des 18. Jahrhunderts konnte die Policeywissenschaft dann auch behaupten: „Alle teutsche Landes-Policeygesetze legen den Eltern die Verpflichtung auf, ihre Kinder frühzeitig zur Schule zu halten, einige vom vierten, andere vom fünften, andere endlich vom sechsten Jahre ihres Alters an“.93 Dass freilich auch um 1800 trotz eines gegenüber früheren Zeiten deutlich gesteigerten Schulbesuchs noch immer viele Kinder zumindest im Sommer nur zeitweilig oder gar nicht zur Schule gingen, ist in der neueren Forschung deutlich herausgearbeitet worden. Dennoch: An der Legitimität einer vom Staat verordneten und notfalls mittels Strafen umgesetzten allgemeinen Schulpflicht, die auf normativ festgelegten Zeitordnungen und Alterstufen fußte, gab es trotz Verstößen und Umgehungsstrategien wohl kaum noch Zweifel. Ähnliches gilt für die normativen Vorgaben der Ordnungsgesetzgebung bezüglich der Unterrichtsorganisation, Klassen-/Altersstufen, Unterrichtsgegenstände/ Fächer, Lernmittel und Leistungskontrolle/-nachweise (Zeugnisse). Bereits die Kurpfälzer Schulordnung von 1556 ordnete an, dass „die kinder ordentlich in drey oder vier heuflein nach gelegenheit geteilt werden“. Dabei handelte es sich freilich nicht um Alters- oder Leistungsklassen, sondern um eine organisatorische Maßnah91 Kurpfalz 1436, Verordnung, 12.10.1722; Kurpfalz 1842, Verordnung, 30.07.1736; JÖRG: Entwicklung (wie Anm. 15), S. 146. 92 Kurköln 350, Policeyordnung, 20.09.1723, Tit. 14, §§ 1–2, zit. nach SCOTTI: Cöln (wie Anm. 60), Bd. 1/1, S. 634f. 93 BERG: Handbuch (wie Anm. 3), Bd. 2, S. 318.
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me.94 Als Lernmittel dominierte auch in der Schulgesetzgebung bis ins 18. Jahrhundert der Katechismus und als methodische Vorgabe der Unterrichtsbeginn mit einem Gebet oder Kirchenlied. Begrenzt und knapp fallen auch die Normen bezüglich der Unterrichtsgegenstände und der Leistungsnachweise aus: Meist wird lapidar angeordnet, dass Lesen, Schreiben und Singen sowie in den Gymnasien zusätzlich Latein unterrichtet und die Schüler darin Fertigkeiten entwickeln sollten. Zwar mag die innere Organisation des Unterrichts auch im 16. und 17. Jahrhundert in vielen Schulen durchaus eine gewisse Entwicklungsstufe erreicht haben,95 doch erst im 18. Jahrhundert gingen die rheinischen Obrigkeiten dazu über, den Unterricht normativ detaillierter zu regeln, auch um eine gewisse Vereinheitlichung zu erreichen. Zunächst wurde der Fächerkanon allmählich erweitert und Rechnen, Singen, Zeichnen oder Naturkunde normativ verankert. Eine einheitliche präzisere und auf Klassenbzw. Altersstufen bezogene Festschreibung von Unterrichtsgegenständen und Lernmitteln erfolgte jedoch erst im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts in den Schulordnungen, die 1739 (Reichsstadt Worms), 1768 (Kurtrier), 1770 (Baden-Baden), 1772/73 (Kurmainz), 1782 (Kleve-Mark), 1782/83 (Kurköln), 1784/86 (Reichsstadt Speyer), 1785 (Fürstbistum Speyer), 1789 (Kurpfalz) und 1794 ( Jülich-Berg) erlassen wurden.96 Dies war meist begleitet von einer Festlegung der täglichen Unterrichtszeiten, einer Stundentafel und genaueren pädagogisch-didaktischen Anweisungen an die Lehrer zu Ablauf und Gestaltung des Unterrichts und den Lehrmethoden, damit „nach einem Plan von allen Lehrern einförmig gearbeitet“ werde, wie eine Kurmainzer Ausführungsanordnung unterstrich.97 Die angestrebte Standardisierung der Lehrmethoden und des Unterrichts diente folglich ebenfalls der Verbesserung der Kontrollmöglichkeiten, die letztlich auch bezüglich der Schüler und der erzielten Lernerfolge in die allmähliche Etablierung von Leistungskontrollen, Leistungsbewertungen, Examina und einer entsprechenden Zertifizierung (in ‚Abschlusszeugnissen‘) mündeten. Bereits die kleve-märkische Schulordnung von 1687 hatte eine Bewertung der Schularbeit und halbjährliche Examen der Schü-
94 Kurpfalz 221, Schulordnung, 04.04.1556, zit. nach HAUSS/ZIER: Kirchenordnungen (wie Anm. 23), S. 226. 95 So war nach JÖRG: Entwicklung (wie Anm. 15), S. 148f., in Elementarschulen die Einteilung nach Unterrichtsgegenständen zu Beginn des 18. Jahrhunderts weit verbreitet. 96 Worms (Reichsstadt) 997, Schulordnung, 27.10.1739; Kurtrier 1341, Schulordnung, 29.10.1768; Baden-Baden 736, Schulordnung, 27.06.1770; Kurmainz 1564, Protokollextrakt (Schulkommission), 19.05.1772; Kurmainz 1617, Schulordnung (Druckschrift), 09.10.1773; Kleve-Mark 1565, Verordnung, 00.00.1782, und Kleve-Mark 1572, Schulreglement, 10.05.1782; Kurköln 938, Schulordnung, 12.11.1782, und Kurköln 950, Schulordnung, 19.12.1783; Speyer (Reichsstadt) 3353, Verordnung, 17.06.1784, und Speyer (Reichsstadt) 3357, Verordnung, 21.08.1786; Speyer (Fürstbistum) 1568, Schulordnung, 26.03.1785; Kurpfalz 4477, Verordnung, 20.05.1789; Jülich-Berg 2033, Verordnung, 04.04.1794. 97 Verordnung, 08.07.1777 (BRÜCK, Schulgeschichte [wie Anm. 28], S. 26f.); ähnlich Kurtrier 1502, Verordnung (Offizialat), 04.11.1776.
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ler durch die Lehrer enthalten.98 Eine durchgängige normative Festschreibung erfolgte in den rheinischen Territorien jedoch erst im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts in den erwähnten Schulordnungen und in einzelnen Schulgesetzen, so zum Beispiel 1763 in Verordnungen der Kurpfalz und des Fürstbistums Speyer, die untereinander und mit Kurmainz abgestimmt worden waren. Der Speyerer Fürstbischof gewährte allerdings zusätzlich eine Belohnung für besonders fleißige und gute Schüler, denen Bilder und Bücher ausgeteilt werden sollten.99 Wesentlicher hierbei war jedoch die Verknüpfung von Verhaltensdisziplinierung, Leistungsbewertung, staatlicher Zertifizierung und späterer Berufstätigkeit. In Kleve-Mark sollten die Schüler in Schulverzeichnissen monatlich bewertet werden „in Ansehung 1) ihrer Fähigkeiten, 2) ihres Fleißes, 3) ihres Betragens und ihrer Sitten, worin angemerkt werden muß, welches die Fähigen und Unfähigen, die Fleißigen und Trägen, Gehorsamen und die Ungehorsamen“ seien; die Bewertungen sollten in das jährliche Examen eingehen. Die Eltern sollten zudem das Lernpensum der Schüler kontrollieren und sie zu den Hausaufgaben anhalten, damit sie „vom übermäßigem spielen und dem Umgang mit unartigen Kindern abgehalten“ würden.100 Zumindest Kurmainz verankerte auch den Zusammenhang zwischen Verhaltensdisziplinierung, Leistungsbewertung und späterer Berufstätigkeit: Die Zünfte durften „keinen Lehrjungen einschreiben, welcher nicht mit einem schriftlichen Entlassungs-Schein von der kurfürstlichen Schulkommission, oder wo deren keine sind, des Schuldirectoriums, oder des Orths-Pfarrers und Schuhl-Lehrers versehen sey, und dadurch hinlänglich beweisen könne, dass er die für seinen künftigen Stand nötigen Kenntnisse sich eigen gemacht habe.“101 Schulordnungen und Schulgesetze des späten 18. Jahrhunderts schrieben folglich in den rheinischen Territorien zentrale, wenn man so will ‚moderne‘ Elemente des Schulunterrichts wie Klassen-/Altersstufen, Fächerkanon, Unterrichtsgegenstände, Lehrpläne, Lernmittel und Leistungskontrolle/-nachweise einheitlich für das jeweilige Territorium normativ in staatlichen Ordnungsgesetzen fest. Damit war nicht nur der ‚moderne‘ Lehrplan etabliert, sondern diesem im Rahmen der ‚guten Policey‘ eine quasi ‚gesetzesgleiche Autorität‘ verliehen und die staatliche Zuständigkeit verankert worden: „Die Lehrpolicey ist ohne Zweifel berechtigt, die Gegenstände zu bestimmen, welche vorzüglich gelehrt werden sollen“, fasste Günther Heinrich von Berg die Entwicklung bündig zusammen.102
98 Kleve-Mark 357, Kirchen- und Schulordnung, 06.08.1687. 99 Kurpfalz 3143, Verordnung, 17.05.1763; Speyer (Fürstbistum) 1039, Reskript, 08.07.1763, sowie die Erneuerung Speyer (Fürstbistum) 1219, Verordnung, 18.01.1771; vgl. weiterhin JÖRG: Entwicklung (wie Anm. 15), S. 57. 100 Kleve-Mark 1572, Schulreglement, 10.05.1782, zit. nach SCOTTI: Cleve (wie Anm. 52), Bd. 4, S. 2191, 2196. 101 Kurmainz 1910, Verordnung, 27.10.1780, zit. nach BRÜCK: Schulgeschichte (wie Anm. 28), S. 27f., hier datiert auf das Datum der kurfürstlichen Anweisung vom 13.10. 102 BERG: Handbuch (wie Anm. 3), Bd. 2, S. 335.
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6. Normdurchsetzung Wie mehrfach hervorgehoben, betont die neuere Forschung die Umsetzungsdefizite und partielle Wirkungslosigkeit der vormodernen Bildungs- und Schulgesetzgebung. Die vielfach nachweisbaren Probleme der Schulpraxis sollen hier keineswegs verkleinert werden, doch erschöpft sich die Frage der Umsetzung, Wirkung und Funktion der obrigkeitlichen Ordnungsgesetzgebung nicht in der Feststellung, dass obrigkeitliche Normen nicht gleichsam hundertprozentig umgesetzt werden konnten und erhebliche Abweichungen bzw. deviantes Verhalten auftraten. Dies stellt vielmehr ein generelles Problem jeglicher obrigkeitlich-staatlicher Gesetzgebung dar, die von Steuerungsproblemen und abweichendem oder kriminellem Verhalten ausgeht und dieses auch häufig zur Legitimation neuer Normgebung anführt. Im Folgenden soll daher nicht (die hier auch kaum leistbare) Umsetzung im Einzelnen untersucht, sondern der Fokus auf Funktionen und Instrumentarium gerichtet werden.103 Dabei gilt auch für die untersuchten rheinischen Territorien, dass sie mit ihrer Bildungs- und Schulgesetzgebung allmählich und gleichsam experimentierend bis zum Ende des 18. Jahrhunderts ein Instrumentarium sozialer Kontrolle etablierten, wie es sich auch in anderen Bereichen der frühneuzeitlichen ‚guten Policey‘ findet und das letztlich dauerhaft die Schulpolitik und das staatliche Schulwesen prägte. Betont sei zunächst noch einmal, dass die staatliche Bildungs- und Schulgesetzgebung eine obrigkeitlich-normative Festschreibung devianter Verhaltensweisen und Delikte sowie damit verbundener Etikettierungen und Zuschreibungsmöglichkeiten mit sich brachte. Erinnert sei hier nur an die Kriminalisierung nicht-staatlicher bzw. nicht-genehmigter ‚privater‘ Schulen als Winkelschulen, die Territorialisierung von Bildung und Schule durch Exklusion ‚ausländischer‘ Schüler und das Verbot, ‚ausländische‘ oder konfessionsverschiedene Bildungseinrichtungen zu besuchen, Entlassung und Ausweisung konfessionell unzuverlässiger Lehrer sowie die strafbewehrte Schulpflicht. Dabei zeichnet sich ein deutliche Tendenz ab von der religiösen Einstufung abweichenden Verhaltens (Sünde und Buße) zur normativen Festschreibung als Ordnungswidrigkeiten und Delikte, die mit Sanktionen und Strafen bedroht wurden, die entweder unter Kontrolle des Staates oder durch obrigkeitliche Institutionen durchgesetzt werden sollten: So sollten Amtsträger, Pfarrer und Lehrer im Fürstbistum Speyer die Eltern „dahin mit aller Schärffe und Ernst anhalten […], damit sie ihre Kinder ohnfehlbar fleißiger, als bishero geschehen, in die Schul sowohl, als Christen-Lehr schicken, und […] sie nicht die accurate Parition leisten oder sogleich erfolgen sollte, ein solches anfänglich mit scharfen Geld103 Zu diesem Ansatz vgl. HÄRTER, Karl: Social Control and the Enforcement of Police-Ordinances in Early Modern Criminal Procedure, in: SCHILLING: Institutionen (wie Anm. 8), S. 39–63; HÄRTER, Karl: Soziale Disziplinierung durch Strafe? Intentionen frühneuzeitlicher Policeyordnungen und staatliche Sanktionspraxis, in: Zeitschrift für historische Forschung 26 (1999), S. 365–379.
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oder Arbeitstrafen, ohngefehr ad 1 fl. an ihnen ahnden, das zweytemahl bey sich erzeigter Hartnäckig- oder Verstocktheit, Verachtung, Nachläsigkeit oder bösen Willen a 1 fl. 30 kr. die Straf vornehmen, das 3te mahl aber ad 2 fl. wirklich von Amtswegen bestrafen; wer aber über diese dreifache Ermahnung und Bestrafung nachlässig, oder boshaft seyn sollte, der ist uns gleich anzuzeigen, damit wir ihn, oder solche Eltern, Vormünder etc zur vollkommenen Raison bringen können, entweder mit publiquen Arbeiten, oder gar Fortschaffungen aus unseren Land, oder mit anderen Mitteln und Wegen“.104 Besonders in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, einhergehend mit den ‚aufgeklärten‘ Bildungs- und Schulreformen, verstärkten und konkretisierten die rheinischen Territorien die Sanktionsandrohungen und verlagerten die Sanktionskompetenzen auf staatliche lokale Amtsträger, die unter der Kontrolle der jeweiligen zentralen Regierungsinstitutionen strafen sollten. Allerdings dürfen Kriminalisierungstendenzen und Strafandrohungen nicht überbewertet werden: Die Mehrzahl der hier untersuchten Ordnungsnormen enthielten vielfach keine oder bestenfalls unbestimmte Sanktionen oder ließen durch unbestimmte oder gar widersprüchliche Vorschriften Normumgehung zu. Harte Strafandrohungen (wie die oben zitierten) blieben eher die Ausnahme; in der Regel dominierten Sanktionen der niederen Strafgerichtsbarkeit wie insbesondere Geldbußen, die auch die Strafpraxis prägten.105 Flexibilität, Spielraum und Sanktionierung nach Umständen bildeten generelle Kennzeichen der Sanktionsdrohungen der Policeygesetzgebung, fielen aber im Bereich Bildung und Schule besonders deutlich aus. Konservatives Beharren und Widerstände seitens der Bevölkerung sowie die Anforderung der durch Landwirtschaft und Handwerk geprägten, auf die Arbeitskraft von Kindern und Jugendlichen angewiesenen vormodernen Gesellschafts- und Herrschaftsstrukturen spiegeln sich in den Policeynormen wie der ambivalenten, flexiblen Strafpraxis wider. Lokale Amtsträger, Pfarrer, Lehrer, Eltern und Schüler hatten nur partielles Interesse an der Durchsetzung der Bildungs- und Schulgesetzgebung und konnten Normumgehung und einen produktiven Umgang mit den Normen praktizieren. Demgegenüber litten die rheinischen Territorialstaaten nicht nur an chronischem Finanzmangel, sondern waren in hohem Maß auf die Mitwirkung von Kommunen und Kirche angewiesen, sowohl was die Finanzierung als auch die konkrete Schulverwaltung betraf. Dass eine Verschärfung staatlichen Zwangs zu erheblichen Widerstandsaktionen führen konnte, musste beispielsweise der Mainzer Kurfürst Emmerich Joseph erfahren.106 Auch wenn die rheinischen Territorien hinsichtlich der Um- und Durchsetzung erheblich auf die traditionellen Strukturen angewiesen blieben und keine rigorose 104 Speyer (Fürstbistum) 426, Befehl, 06.03.1728, zit. nach Sammlung Speyer (wie Anm. 57), Bd. 2, S. 93, Nr. 141. 105 Vgl. hierzu exemplarisch HOLENSTEIN: „Gute Policey“ (wie Anm. 7), S. 572–586; FLECK, Peter: Beiträge zur Geschichte des Bensheimer Schulwesens. Von der Reformationszeit bis zum Ersten Weltkrieg, Bensheim 1989, S. 50f. 106 Vgl. nur MESSER: Reform (wie Anm. 53).
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Normdurchsetzung mittels Strafe betreiben konnten, so lässt sich doch im 18. Jahrhundert ein allmählicher Ausbau staatlicher Instrumente und Institutionen feststellen, der auch aus dem Problem der schwierigen Umsetzung der Bildungs- und Schulgesetzgebung resultierte. Mittels zahlreicher Ordnungsgesetze wurden die seit dem 16. Jahrhundert als zentrale Kontrollmaßnahme eingerichteten Visitationen durch Pfarrer oder Gemeinderatsmitglieder der Aufsicht staatlicher Zentralorgane – insbesondere den Schulkommissionen – unterstellt und vielfach lokalen staatlichen Amtsträgern übertragen,107 die mittels standardisierter Tabellen, Listen und Berichte differenziert und periodisch über die Umsetzung von Policeynormen berichten und Daten zu Lehrern, Schülern/Schulbesuch und Schulgebäuden/Inventar in Tabellen sammeln und weitergeben mussten.108 Einige Territorien setzten zusätzliche zentrale Schulinspektoren oder Schulvisitatoren ein, die von Fall zu Fall örtliche Schulen visitierten, und verstärkten die Zensur der Schulbücher.109 Bereits erwähnt wurde der Ausbau charakteristischer Instrumente sozialer Kontrolle in den Schulen und im Unterricht mittels Zeitordnungen bzw. Unterrichts- und Schulzeiten, Schulaltersstufen, Leistungskontrollen und -bewertungen (mittels Zertifikaten/Zeugnissen), Verlängerung der Schulpflicht bei ungenügenden Leistungen,110 Lehrplänen, Schulbuchzensur oder Eintragung fehlender Kinder in Listen. Die gegen Ende des 18. Jahrhunderts weitgehend in Form von Schulkommissionen (Kurmainz 1758/70, Baden 1771, Kurköln 1777/81/85, Kurtrier 1780, Jülich-Berg 1787) etablierte staatliche Schulaufsicht – gelegentlich auch als Schulpolicey oder gar „Gymnasienpolizey“ betitelt111 – verfügte insofern zumindest über bessere Informationsgrundlagen für die weitere Schulgesetzgebung. Auch dieser verstärkte Informationsfluss über die konkrete örtliche Schulpraxis – von den Regierungen meist als problembeladen und regelungsbedürftig wahrgenommen – trug mit zur starken Intensivierung der Bildungsgesetzgebung im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts bei. Gleichwohl muss betont werden, dass nicht nur in den geistlichen Territorien, sondern auch in der Kurpfalz oder in Baden gerade bezüglich Kontrolle und Visitationen der einzelnen Schulen die Kirche Zuständigkeiten und Aufgaben behielt und neben dem Ausbau des Kontrollinstrumentariums auch Fördermaßnahmen wie die Zahlung des Schulgeldes für bedürftige Kinder, Belohnungen für gute Schüler, die 107 Vgl. Graphik 5: Regelungsgegenstände der Policeygesetzgebung im Bereich Schule, mit 100 Policeynormen zum Thema Visitationen. 108 Vgl. z. B. Kurmainz 1933, Verordnung, 22.06.1781; Baden 2684, Generaldekret, 06.02.1782; Speyer (Fürstbistum) 1580, Zirkularreskript, 05.07.1785; Kleve-Mark 1607, Reskript, 18.07.1785; Kleve-Mark 1647, Reskript, 11.01.1788; Kleve-Mark 1654, Reskript, 28.11.1788; Kurpfalz 4477, Verordnung, 20.05.1789. 109 Vgl. z. B. Kurtrier 716, Verordnung, 02.07.1731; Kurtrier 1789, Verordnung, 01.12.1789; Kleve-Mark 1572, Schulreglement, 10.05.1782; Kleve-Mark 1693, Verordnung, 08.11.1792. 110 Kurpfalz 3143, Verordnung, 17.05.1763, verlängerte die Schulpflicht bei Nichtbestehen des Examens bis zum 18. Lebensjahr. 111 Baden 3047, Reskript, 22.03.1797.
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Befreiung der Lehrer von Dienstpflichten oder gar von der Leibeigenschaft (Kurpfalz 1794) etabliert wurden.
Fazit Zusammenfassend ergibt sich ein ambivalentes Bild der Funktionen der obrigkeitlichen Policeygesetzgebung im Bereich von Bildung und Schule. Ohne die Bedeutung der kommunalen und kirchlichen Einflüsse mindern zu wollen, kann zunächst festgehalten werden, dass gute Policey und vormoderne Ordnungsgesetzgebung wesentlich dazu beitrugen, Erziehung, Bildung und Schule in den öffentlichen-staatlichen Bereich zu integrieren und als Staatsaufgabe normativ zu fixieren und zu legitimieren. Über die policeyliche Ordnungsgesetzgebung entwickelte und manifestierte sich während der Frühen Neuzeit allmählich eine obrigkeitlich-staatliche Bildungsund Schulpolitik, die für die hier untersuchten rheinischen Obrigkeiten bei allen politisch und konfessionellen Differenzen auch übereinstimmende Züge aufweist. Sie ist freilich kein Spezifikum einer rheinischen Bildungslandschaft, sondern findet sich auch bei anderen Mitgliedern des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation.112 Denn bei allen territorialen und konfessionellen Differenzen bildete die Ordnungsgesetzgebung ein wesentliches Element eines überterritorialen Bildungsdiskurses, der – gerade unter den Bedingungen von Herrschaftszersplitterung und Herrschaftskonkurrenz – Rezeption, Austausch und damit auch eine gewisse Angleichung von Bildungs- und Schulnormen bewirkte. Insofern trug die Policeygesetzgebung wesentlich zur Verrechtlichung von Bildung und Schule bei und formte ein mehr oder weniger staatliches Schulrecht, das letztlich sowohl die spezifischen kommunalen als auch die kirchlichen Schulnormen ablöste.113 Dieser Prozess der Verstaatlichung, Säkularisierung und Homogenisierung des Schulrechts und der Bildungspolitik hatte freilich auch in den rheinischen Territorien Grenzen: Brandenburg-Preußen setzte zwar im 18. Jahrhundert seine Bildungsund Schulnormen in Kleve-Mark in Kraft, behielt jedoch für die katholischen und reformierten Schulen eine spezifische mit den jeweiligen kirchlichen Organen abgestimmte Gesetzgebung bei. Für das von den Wittelsbachern regierte Jülich-Berg ist keine Übertragung der kurpfälzischen Bildungsgesetzgebung erkennbar, so dass es bei einer mehr oder weniger eigenständigen, gering ausfallenden Ordnungsgesetzgebung im Bereich Bildung und Schule blieb. Die Kurpfalz und auch Baden erließen zudem weiterhin konfessionsspezifische Schulgesetze, die zwar hinsichtlich der zentralen Policeynormen weitgehend übereinstimmen, aber häufig in Zusammenarbeit
112 Vgl. dazu nur KREIKER: Armut (wie Anm. 5), S. 117–233. 113 So auch der Befund von EHMER: Schulwesen (wie Anm. 9), hier insb. S. 106, und KISTENICH: Schule (wie Anm. 9), S. 58.
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zwischen Regierungen und kirchlichen Institutionen entstanden.114 Und die Schulgesetzgebung der Reichsstädte zeigte im 18. Jahrhundert kaum eine Weiterentwicklung. Der Formulierung von Bildungszielen in der Policeygesetzgebung stand zudem eine Schulpraxis gegenüber, die kaum den normativen Vorgaben folgte und den lokalen Beteiligten erheblichen Spielraum zu einem ‚produktiven Umgang‘ mit den obrigkeitlichen Policeynormen ließ. Dennoch verstärkten gerade die Umsetzungsdefizite die gesetzliche Fixierung und den Ausbau eines keinesfalls vollständig wirkungslosen Umsetzungsinstrumentariums, das sich flexibler Kriminalisierungsmöglichkeiten, Sanktionen und Strafen sowie einem Instrumentarium sozialer Kontrolle bediente und langfristig die staatliche Schulpolitik prägen sollte. Bildung und Schule wurden durch die frühneuzeitliche Ordnungsgesetzgebung auch in den hier untersuchten rheinischen Territorien und Reichsstädten durch das Ordnungsmodell der ‚guten Policey‘ geprägt. Damit wurde langfristig eine umfassende staatlich-ordnungspolitische Zuständigkeit für Bildung und Schule begründet, die aus der ‚Bildungs- und Schulpolicey‘ ihre Legitimität bezog: „Das Recht, Schulordnungen zu erlassen, ist in der Regel ein Theil der landesherrlichen Policeygewalt, so wie ohnehin die Bestellung der öffentlichen Lehrer, oder, wenn diese Privatpersonen im Staate zustände, deren Prüfung und Bestätigung, und die Aufsicht über ihre Amtsführung in dem Rechte der Unterrichtspolicey enthalten ist“, fasste der Policeywissenschaftler Günther Heinrich von Berg am Ende des 18. Jahrhunderts treffend zusammen.115
114 Den fortdauernden konfessionellen Einfluss für die katholische Mädchenbildung betont RUTZ: Bildung (wie Anm. 9), S. 426f.; für Berg EHRENPREIS: Kirchen (wie Anm. 14), S. 112f.; für Kurpfalz und Baden JÖRG: Entwicklung (wie Anm. 15), S. 220f. 115 BERG: Handbuch (wie Anm. 3), Bd. 2, S. 314f.
Johannes Kistenich
Geistliche Orden und öffentliches Schulwesen im Rheinland 1250–1750
Die Frage nach der Rolle geistlicher Institute für das Rheinland als Schul- und Bildungslandschaft vom Spätmittelalter bis zum Beginn der Aufklärung im Sinne des Leitthemas des vorliegenden Sammelbandes eröffnet ein schier unüberschaubares Forschungsfeld, insbesondere wenn der Bildungsbegriff nicht in einer terminologisch verengten Form verstanden wird. Die Bedeutung von Klöstern und Stiften bzw. einzelner gelehrter Frauen und Männer aus ihren Reihen beispielsweise für die Entwicklung von Theologie, Philosophie, Literatur und Musik, für die Geschichte von Schriftlichkeit, Buchmalerei und Einbandgestaltung in den Skriptorien, für die Kultivierung von Land, für Architektur oder Fortentwicklung handwerklicher Techniken ist in Gänze angesichts und ungeachtet einer Fülle von Studien zu einzelnen geistlichen Einrichtungen, ihren Vernetzungen und Wirkungskreisen kaum zu überschauen. Der vorliegende Beitrag diskutiert die Frage, ob es im Rheinland eine spezifische Situation im Hinblick auf die Beteiligung von Orden und Klöstern am öffentlichen Schulwesen, also eine durch die geistlichen Institute geprägte ‚Schullandschaft‘ gegeben hat.1 Unter öffentlichen Schulen von Orden und Klöstern verstehe ich hier grundsätzlich auf Dauer angelegte Bildungsinstitutionen in Trägerschaft geistlicher Institute (eines Ordens bzw. einzelner Ordensniederlassungen), deren Unterrichtsprogramm über eine rein religiöse Unterweisung (Katechese) hinaus reicht, in denen überwiegend Ordensangehörige als Lehrer (vornehmlich bzw. auch) Personen unterweisen, 1 Zum Begriff ‚Schullandschaft‘ vgl. mit zentralen Grundüberlegungen KIESSLING, Rolf: „Schullandschaften“ – ein Forschungsansatz für das Spätmittelalter und die Frühe Neuzeit. Entwickelt anhand süddeutscher Beispiele, in: SCHILLING, Heinz/EHRENPREIS, Stefan (Hrsg.): Erziehung und Schulwesen zwischen Konfessionalisierung und Säkularisierung. Forschungsperspektiven, europäische Fallbeispiele und Hilfsmittel, Münster u. a. 2003, S. 35–54. Eine Zusammenstellung wichtiger Beiträge zur Frage der Bildungslandschaft bieten RUDERSDORF, Manfred/TÖPFER, Thomas: Fürstenhof, Universität und Territorialstaat. Der Wittenberger Humanismus, seine Wirkungsräume und Funktionsfelder im Zeichen der Reformation, in: MAISSEN, Thomas/WALTHER, Gerrit (Hrsg.): Funktionen des Humanismus. Studien zum Nutzen des Neuen in der humanistischen Kultur, Göttingen 2006, S. 214–261, hier S. 216, Anm. 8. Eine wichtige Grundlage für die systematische Erforschung der Bedeutung von Klöstern und Stiften für eine rheinische Bildungslandschaft, die hier noch nicht berücksichtigt werden konnte, bietet GROTEN, Manfred u. a. (Hrsg.): Nordrheinisches Klosterbuch. Lexikon der Stifte und Klöster bis 1815 (Studien zur Kölner Kirchengeschichte 37), Bd. 1: Aachen – Düren, Siegburg 2009.
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die nicht Mitglied der Klostergemeinschaft sind oder verpflichtend werden sollen. Es geht also nicht um die Kinder, die einem Kloster (in vortridentinischer Zeit) zur Erziehung mit dem Ziel des späteren Eintritts in die Klostergemeinschaft übergeben worden waren, die so genannten ‚pueri oblati‘ und ‚puellae oblatae‘,2 und auch nicht um die Novizenausbildung oder um die primär ordensinternen Studiengänge, sondern um Schulen, zu denen prinzipiell jeder Zugang hatte. Ebenso unberücksichtigt bleibt die Lehrtätigkeit von Ordensangehörigen an Universitäten und Stadtschulen oder die Einrichtung von und Aufsicht über Schulen durch Klöster und Stifte, an denen ausschließlich oder überwiegend weltliche Lehrkräfte angestellt waren.3 All dies sind freilich auch Facetten des Verhältnisses von geistlichen Instituten und öffentlichem Schulwesen. 2 Vgl. hierzu insg. die ältere Darstellung von RIEPENHOFF, Joseph Raphael: Zur Frage des Ursprungs der Verbindlichkeit des Oblateninstituts. Beiträge zur Geschichte des mittelalterlichen Bildungswesens (Münsterische Beiträge zur Geschichtsforschung. 3. Folge 23–24), Münster 1939, sowie die neueren Untersuchungen von JONG, Mayke de: Kind en klooster in de vroege middeleeuwen (Amsterdamse Historische Reeks. Kleine Serie 8), Amsterdam 1986; QUINN, Patricia A.: Better than the Sons of Kings (Studies in History and Culture 2), New York/Frankfurt a. M. 1989. Nach entsprechenden Vorstößen durch Papst Martin V. (1417–1431) zur Aufhebung der Oblation, wurde sie erst durch das Tridentinum mit der Festlegung eines Mindestalters zur Mönchung von 16 Jahren (Session XXV c. 15) abgeschafft. Die Ausbildung von ‚pueri oblati‘ in den Klöstern wird man insgesamt zu den Formen innerklösterlicher Ausbildung zählen müssen und nicht als ‚öffentliche Schulen‘ bezeichnen dürfen. 3 Enge Beziehungen sind seit dem 15. Jahrhundert beispielsweise zwischen der Kölner Benediktinerabtei Groß St. Martin und der Pfarrschule von St. Brigida nachzuweisen. 1530 richtete die Abtei an ihren Kirchen in Flittard und Vettweiß Schulen ein, die sie durch eigene Konventualen versehen ließ, KEUSSEN, Hermann: Topographie der Stadt Köln im Mittelalter (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 2), 2 Bde., Bonn 1910, ND Düsseldorf 1986, hier Bd. 1, S. 91, 112, 134f. Am 17. Oktober 1455 wurde ein Vertrag zwischen den Kirchmeistern von St. Brigida und der Abtei über den Neubau der Schule geschlossen, ebd., Bd. 1, S. 112. Mag dieser Beleg noch aus der Tatsache resultieren, dass das Kloster von der geplanten Baumaßnahme an der Klostermauer unmittelbar betroffen war, weist ein Vertrag vom 19. April 1505 weiter: Die Kirchmeister sollen „dessgelichen ouch setzen und untsetzen eyne odyr mere schoelmeyster daeselffs, so ducke des van noeden ys, allet buessen versoechen indracht odyr widerredt des pastoirs der cyt, as dat ouch van alders gewoentlich gewest is biss zo diesem dage“, zit. nach OEDIGER, Friedrich Wilhelm: Die niederrheinischen Schulen vor dem Aufkommen der Gymnasien (1941), in: DERS.: Vom Leben am Niederrhein. Aufsätze aus dem Bereich des alten Erzbistums Köln, Düsseldorf 1973, S. 351–408, hier S. 390; vgl. OPLADEN, Peter: Groß St. Martin. Geschichte einer stadtkölnischen Abtei, Düsseldorf 1954, S. 222f. Zur Entstehung von Stadtschulen im Rheinland im Spätmittelalter vgl. OEDIGER: Schulen, S. 358f. Zu den Kölner Pfarrschulen und den engen Verbindungen zu stadtkölnischen Stiften vgl. ebd., S. 389f., 392–395; KOTTJE, Raymund: Zur Bedeutung der Stifte für Schulen und Bildung in den mittelalterlichen Städten des Niederrheins, in: MEUTHEN, Erich (Hrsg.): Stift und Stadt am Niederrhein (Klever Archiv 5), Kleve 1984, S. 109–119, hier S. 116f. Am Aufsichtsrecht über Schulen hielten Klöster (und Stifte)
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Öffentliche Schulen von Orden und Klöstern in dem eingangs definierten Sinne entstanden als nahezu flächendeckendes Phänomen erst im Zeitalter der katholischen Reform seit Mitte des 16. Jahrhunderts und ohne nennenswerte Kontinuität zum Mittelalter. Insofern bildet das Jahrhundert etwa zwischen der Mitte des 16. und der Mitte des 17. Jahrhunderts im Bezug auf unser Thema eine Wendezeit. Richten wir den Blick zunächst auf die Entwicklung vom Mittelalter bis zum Beginn des Zeitalters der Reformation bzw. der katholischen Reform und Gegenreformation.
1. Vom Frühmittelalter bis zur Reformation (bis ca. 1550) Zwar gehörte die Vermittlung von Elementarkenntnissen an Ordensangehörige zu den Gemeinplätzen bereits in den frühen Regeln der Mönche und Nonnen,4 zu den auch dann noch fest, wenn sie die Leitung der Anstalten Weltgeistlichen oder Laien übertragen hatten, vgl. hierzu auch die Zusammenstellung betreffend die bayerischen Verhältnisse bei ENDRES, Rudolf: Das Schulwesen von ca. 1200 bis zur Reformation. Gesamtdarstellung, in: LIEDTKE, Max (Hrsg.): Handbuch der Geschichte des Bayerischen Bildungswesens, Bd. 1, Bad Heilbrunn 1991, S. 141–188, hier S. 150. Nach OEDIGER: Schulen, S. 356f., findet man seit etwa 1270 Schulrektoren an allen Stiften: „Praktisch war die Stiftsschule die Lateinschule des Ortes, und die Scholaster nahmen für sich – wo sie das alleinige Recht ihrer Schule nicht behaupten konnten – die Zulassung der anderen Schulleiter in Anspruch.“ (S. 356). Vgl. auch die Einzelbefunde bei QUIX, Christian: Geschichte der Stadt Aachen nach den Quellen bearbeitet. Mit einem Codex Diplomaticus Aquensis, 2 Bde., Aachen/Leipzig 1840/31, hier Bd. 2, S. 166f., Nr. 245; HÖROLDT, Dietrich: Das Stift St. Cassius zu Bonn von den Anfängen der Kirche bis zum Jahre 1580 (Bonner Geschichtsblätter 11), Bonn 21984, S. 94; WISPLINGHOFF, Erich : Die Benediktinerabtei Brauweiler (Germania Sacra N.F. 29; Das Erzbistum Köln 5), Berlin/New York 1992, S. 127–131; ROPERTZ, Peter: Quellen und Beiträge zur Geschichte der Benedictiner-Abtei des Hl. Vitus von M. Gladbach (Aus der Rheinischen Geschichte 2), Bonn 1877, S. 236.; DORNBUSCH, J. B.: Beitrag zur Verfassungsgeschichte der Vogtei und Stadt Siegburg unter den reichsunmittelbaren Aebten im XV., XVI. und XVII. Jahrhundert, mit besonderer Berücksichtigung der Culturgeschichte, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 23 (1871), S. 60–143, hier S. 99; DERS.: Aebte, Pröbste und Mönche der Abtei Siegburg (1156 bis 1771), in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 30 (1876), S. 75–82, hier S. 76; WISPLINGHOFF, Erich (Bearb.): Die Benediktinerabtei Siegburg (Germania Sacra N.F. 9; Das Erzbistum Köln 2), Berlin/New York 1975, S. 110f.; STÜWER, Wilhelm (Bearb.): Die Reichsabtei Werden an der Ruhr (Germania Sacra N.F. 12; Das Erzbistum Köln 3), Berlin/New York 1980, S. 28, 227–229; WEILER, Peter (Bearb.): Urkundenbuch des Stiftes Xanten, Bd. 1 (Veröffentlichungen des Vereins zur Erhaltung des Xantener Domes 2) Bonn 1935, S. 206f., Nr. 307. 4 So verlangte diejenige des Pachomios aus der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts, dass jeder Mönch zumindest das Neue Testament und den Psalter lesen können müsse, wozu die Vorsteher dreimal wöchentlich zu unterrichten hatten: „Postea vero scribentur ei elementa, syllabae, verbae ac nomina; et etiam nolens legere compelletur. Et omnino nullus erit in monasterio qui non discat litteras et de scripturis aliquid teneat: qui minimum usque ad novum testamentum et psalterium [...] Si quis dormitaverit sedens, praepositio domus vel monasterii
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Kernaufgaben zählte nach spätantiker und frühmittelalterlicher Sichtweise der öffentliche Unterricht allerdings ausdrücklich nicht: „Monachus non habet docentis offitium sed plangentis“, formulierte das Kirchenrecht gestützt auf Hieronymus (um 350–420).5 Die Ausbildung von Personen, die nicht der Klostergemeinschaft angehörten in Klosterschulen war denn auch in keiner der frühen Mönchsregeln vorgesehen, gelegentlich sogar ausdrücklich untersagt.6 Die Erwähnung solcher Verbote principe disputante, statim sugere compelletur, et tamdiu stabit donec ei iubeatur ut sedeat“, Praecepta Pachomii 139f., 148, BOON, Amand (Hrsg.): Pachomiana latina, Löwen 1932, S. 50. Vgl. die Bestimmungen in der Augustinusregel, bei Caesarius von Arles (MORIN, Germain: Sancti Caesarii episcopi Arelatensis Opera Omnia nunc primum in unum collecta, 2 Bde., Brügge 1937/42) und Kolumban (Regula monachorum, BIEHLER, Ludwig: Irland – Wegbereiter des Mittelalters, Olten 1961, S. 38–46). Ähnlich setzt die ‚Regula‘ Benedikts von Nursia eine – nicht explizit genannte – Klosterschule voraus, wenn man die Regelungen über die Aufnahme von Kindern einerseits mit den Verpflichtungen der Mönche zur Lesung andererseits zusammen sieht, Regula Benedicti XXX 2; XXXVII 1; XLVIII 4f., 10, 13–23; XLIX 4, LIX. Vgl. auch die Bestimmungen in der Regula magistri (ca. 500–530) § 50, 8–17, 62–69. 5 Decretum II, Causa XVI, q. 1, c. 4, Corpus iuris canonici, Bd. 1, hrsg. v. E. FRIEDBERG, Leipzig 1879, Sp. 762. Hierauf beriefen sich noch Ivo von Chartres (um 1040–1115) und Anselm von Laon (†1117) in ihrer Kritik an öffentlich zugänglichen Klosterschulen: „Monachus non docentis sed dolentis habet officium“, Ivo von Chartres: Brief 36, MIGNE, Jacques Paul: Patrologiae cursus completus seu bibliotheca universalis. Series latina [MIGNE PL], 221 Bde., Paris 1844ff., hier Bd. 162, Sp. 48. Ähnlich Anselm von Laon: „Clerici electi sunt ad praedicandum et ad docendos subditos, monachi vero ad orandum; [...] Tamen causa necessitatis, saepe monachi assumunt officium praedicandi et docendi“, Anselmus Laudunensis: Epistola ad H. Abbatem S. Laurentii Leodiensis, MIGNE PL 172, Sp. 1590. Roscelin hielt Abaelard, als dieser Mönch wurde und seinen Unterricht wieder aufnahm, unter anderem vor, er höre auf, Mönch zu sein, wenn er unterrichte: „Non docenda docere non desinis, cum et docenda docere non debueras [...] Quia igitur, suscepto habitu, doctoris officium mendacia docendo usurpasti, utique monachus esse cessasti, quia beatus Hieronymus monachum, monachus ipse, diffiniens ‚Monachus, inquit, non doctoris, sed plangentis habet officium, qui scilicet mundum lugeat et Domini pavidus praestolet adventum‘“, Epistola 15a quae est Roscelini ad Abaelardum, MIGNE PL 178, Sp. 370. 6 So enthält etwa die ‚Regula ad virgines‘ (513) des Caesarius von Arles (470–542) das ausdrückliche Verbot, Mädchen aufzunehmen, die nicht ein Gott geweihtes Leben führen wollten: „Omnes litteras discant; omni tempore duabus horis, hoc est a mane usque ad horam secundam, lectioni vacent. [...] Et si fieri potest, aut difficile, aut ulla unquam in monasterio infantula parvula, nisi ab annis sex aut septem, quae jam et litterax discere et obedientiae possit obtemperare, suscipiatur [...] Matronae etiam saeculares vel puellae seu reliquae mulieres, aut viri adhuc in habitu laico, similiter introire prohibeantur“, Caesarius von Arles: Regula ad virgines, MIGNE PL 67, Sp. 1108f., 1114. Eine entsprechende Bestimmung übernahm auch Donatus (ca. 590/597–ca. 660) in seine Regel für Nonnenklöster: „Nobilium filiae sive ignobilium ad nutriendum aut ad docendum penitus non accipiantur“, Caesarius von Arles: Statuta Sancta Virginum, VOGÜÉ, A. de (Hrsg.): Césaire d‘Arles. Oeuvres Monastique, Bd. 1: Oeuvres pour les Moniales (Sources Chrétiennes 345), Paris 1988, S. 186. Auch die Regel des Donatus verbot die Unterrichtung solcher Mädchen: „neque ad enutriendum, ne-
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legt freilich nahe, dass in Einzelfällen sehr wohl die Teilnahme ordensfremder Personen an der Ausbildung geduldet oder zumindest erwogen wurde. So nahmen bekanntermaßen Klöster gelegentlich Kinder von Herrscher- und Adelsfamilien oder auch Nachkommen der Wohltäter des Klosters zur Erziehung auf.7 Wohl ganz in einem solchen Sinne des Zugangs eines exklusiven Personenkreises zu den Klosterschulen sind auch die einschlägigen Bestimmungen in den normativen Quellen zur ‚Bildungsreform‘ Karls des Großen (768/800–814) zu verstehen.8 Vor allem in der „Admonitio generalis“ von 789 wird den Klöstern eine Funktion für die Bildung auch externer Schüler zugewiesen.9 Die Beschäftigung mit liturgischen Texten, Geque ad docendum, nobilium vel pauperum filiae recipiantur, nisi quae in monasterio sub habitu religionis, sicut et reliquae, perseverent“, Donatus: Regula ad virgines, c. 54, MIGNE PL 137, Sp. 290. 7 Zur Forschungslage betreffend die Klosterschulen des Früh- und Hochmittelalters vgl. JOHANEK, Peter: Klosterstudien im 12. Jahrhundert, in: FRIED, Johannes (Hrsg.): Schulen und Studium im sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters (Vorträge und Forschungen 30), Sigmaringen 1986, S. 35–68, hier S. 35f. mit Anm. 3, S. 38. Vgl. außerdem HILDEBRANDT, Madge M.: The external school in Carolingian society (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance 1), Leiden/New York/Köln 1992. Zumindest in Süddeutschland scheinen in größerem Umfang adlige Mädchen Klöstern zur Ausbildung übergeben worden zu sein, HAMANN, Bruno: Der Unterricht in Frauenklöstern, in: LIEDTKE: Handbuch (wie Anm. 3), S. 135–140, hier S. 137. Solchen Zöglingen stand grundsätzlich die Rückkehr ins weltliche Leben offen, BERLIÈRE, Ursmer: Écoles claustrales au moyen âge, in: Bulletin de la classe des lettres et des sciences morales et politiques 12 (1921), S. 550–572, hier S. 553–560. 1061 bestimmten beispielsweise ein Kaufmann aus Tours und seine Frau anlässlich einer Schenkung an das Kloster Marmoutier, dass der Abt im Todesfall der Eltern ihren Sohn ausbilden solle; wenn der Nachkomme später keine Berufung zum Mönchtum empfinde, sollte ihm als eine Leibrente ein Drittel des vom Vater geschenkten Vermögens zustehen, ebd., S. 555, sowie MARTÈNE, Edmond: Histoire de l‘abbaye de Marmoutier, 2 Bde. (Mémoires de la Société Archéologique de Touraine 24/25), Tours 1874/75, hier Bd. 1, S. 375f. Um 1100 übergab ein Greis seinen Sohn Wilhelm „ad litteras docendum et enutriendum“ den Mönchen von St.Florent an ihr Priorat St.-Gondon und schloss mit den Mönchen einen Vertrag: Der Vater schenkte ihnen eine Kirche und nahm selbst das Mönchskleid. Die Ordensleute nahmen den jungen Wilhelm in „domo sua“ auf, wo er unterrichtet wurde und mit den Mönchen wohnte. Wenn er es wollte, sollte er später Kaplan der Kirche des Priorats oder der von seinem Vater geschenkten Kirche werden, MARCHEGAY, Paul: Cartulaire du prieuré bénédictin de SaintGondon sur Loire 866–1172, Les Roches-Baritaud 1879, S. 45f., Nr. 24. 8 Zum Konzept der Bildungsreform im Rahmen der ‚karolingischen Renaissance‘ vgl. die Darstellung bei Notker Balbulus: Notkeri Balbuli Gesta Karoli Magni imperatoris, Monumenta Germaniae Historica [MGH] SRG NS XII, I, 1–2, S. 1–3. 9 „[...] ut eorum bona conversatione multi protrahantur ad servitium Dei, et non solum servilis conditionis infantes, sed etiam ingenuorum filios adgregent sivique socient. Et ut scolae legentium puerorum fiant. Psalmos, notas, cantus, compotum, grammaticam per singula monasteria vel episcopaia et libros catholicos bene emendate; quia saepe, dum bene aliqui Deum rogare cupiunt, sed per inemendatos libros male rogant. Et pueros vestros non sinite eos vel legendo vel scribendo corrumpere; et si opus est evangelium, psalterium et missale
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sang, Lesen, Schreiben und Grammatik der lateinischen Sprache sowie Rechnen als ausdrücklich genannten Bildungsinhalten zielten freilich über den innerklösterlichen Bereich hinaus – vor allem auf den Weltklerus und zur Vorbereitung für Schlüsselstellungen in der Reichsverwaltung.10 Von ‚öffentlichen Schulen‘ bei Klöstern wird man hingegen gesichert dort ausgehen können, wo eine gesonderte ‚äußere Schule‘ (‚schola exterior‘) belegt ist, wie sie etwa im St.-Galler Klosterplan eingetragen ist. Solche Einrichtungen sind aber auch nach eingehenden Forschungen zum Früh- und Hochmittelalter insgesamt nur spärlich nachzuweisen.11 Theo Kölzer resümiert zutreffend zu den äußeren Klosterschulen: „Sie sind nicht so häufig bezeugt, wie darüber geschrieben wurde. [...] Die Klöster des Frühmittelalters haben nie die Funktion von ‚öffentlichen Schulen‘ übernommen oder beansprucht“.12 Bei den Reformbemühungen von Ludwig dem Frommen (814–840) unter maßgeblicher Beteiligung Benedikts von Aniane (um 750– 821) standen Fragen der monastischen Disziplin im Vordergrund. Die Anwesenheit auswärtiger Schüler im Kloster bedeutete im Geist dieser Reform eine Störung des innerklösterlichen Lebens. Folgerichtig zielten die Beschlüsse der Aachener Synode von 817 hinsichtlich der Klosterschulen darauf, eine Schule ausschließlich für die angehenden Mönche im Kloster einzurichten.13 Wie zur Zeit Ludwigs des Frommen bedeutete die Zulassung von auswärtigen Schülern zur vorübergehenden Erziehung und Unterrichtung durch Mönche auch in den Augen der Reformer des 11. Jahrhunderts einen Regelverstoß. Die Reformkräfte versuchten vielerorts, den Zugang zur Klosterschule wieder strikt auf angehende Mönche und Nonnen bzw. Novizen und Novizinnen einzugrenzen.14 Weitge-
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scribere, perfectae aetatis homines scribant cum omni diligentia“, MGH LL Capit. I § 72, S. 60 (Zitat), 79. JOHANEK: Klosterstudien (wie Anm. 7), S. 38; FLECKENSTEIN, Josef: Die Bildungsreform Karls des Großen als Verwirklichung der norma rectitudinis, Freiburg i. Br. 1953, S. 40f.; HILDEBRANDT: External school (wie Anm. 7), S. 57, 76f.; RICHÉ, Pierre: Les écoles et l‘enseignement dans l‘Occident chrétien de la fin du Ve siècle au milieu du XIe siècle, Paris 1979, S. 111f. ENGELBRECHT, Helmut: Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Erziehung und Unterricht auf dem Boden Österreichs, 3 Bde., Wien 1982–1984, hier Bd. 1, S. 116–120; HILDEBRANDT: External school (wie Anm. 7), S. 18f. Zur älteren Forschung vgl. ebd., S. 7– 18. KÖLZER, Theo: Frühmittelalterliches Mönchtum und abendländische Kultur, in: Die Kultur der Abtei St. Gallen (Bonner Akademische Reden 77), Bonn 1997, S. 9–31, hier S. 24. „Ut schola in monasterio non habeatur nisi eorum qui oblati sunt“, Synodi secundae Aquisgranensis decreta authentica, in: HALLINGER, Karl: Corpus consuetudines monasticarum, Bd. 1: Initia consuetudines benedictinae, Siegburg 1963, S. 474. Vgl. Petrus Damianus: Brief an Abt Didier (1057–1086), Lib. II, ep. 17, MIGNE PL 155, col. 621: „Hoc mihi non mediocriter placuit quod ibi scholas puerorum qui saepe rigorem sanctitatis enervant non inveni“; Guibert von Nogent: De vita sua § 8, MIGNE PL 156, col. 637; Chronicon Andrense, Nr. 49, MGH SS XXIV, S. 705; Gesta abb. Trudon. P. II, MGH SS X, S. 402; als Zeugnis aus dem 13. Jahrhundert vgl. Johann von Ypern: Chronicon S. Bertini, MGH SS XXV, S. 834, 843. In welchem Umfang sich vor diesem Hintergrund die Klöster
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hend durchsetzen konnte sich diese Auffassung unter anderem dort, wo die cluniazensische Reformbewegung Eingang fand. In dem Kloster Lobbes (westlich des heutigen Charleroi) im Hennegau gingen daher mit der Reform tiefgreifende Veränderungen des Bildungsbetriebs einher. Das Kloster hatte im 11. Jahrhundert, möglicherweise auch schon früher, zwei Schulen: Eine innere für die ‚pueri oblati‘ und eine äußere für Fremde, die beide unter der Leitung von Mönchen standen. Die äußere Schule wurde auf einem Hügel im Sambretal, bei der Pfarrkirche St. Ursmer, gehalten. Unter dem von den cluniazensischen Reformbemühungen beeinflussten Abt Leonius (1131–1137), wurde zum Unwillen der Laubacher Mönche die ‚schola interior‘ geschlossen, die ‚schola exterior‘ aber der Leitung eines Weltgeistlichen unterstellt.15 infolge der seit Mitte des 11. Jahrhunderts wiederholt geforderten Unterrichtspflicht für Söhne des deutschen Adels verstärkt der Unterweisung von Laien gewidmet haben, ist schwer feststellbar. Der Hofkaplan Heinrichs III., Wipo, hatte in den 1040er-Jahren vom Kaiser eine allgemeine Schulpflicht für die Söhne des deutschen Adels verlangt, Wipo: Tetralogus, MGH SRG in us. schol. 61, S. 81f. Im 12. Jahrhundert wurde Unterricht für den Hochadel als seit langem üblicher Bestandteil der Erziehung ausgegeben, z. B. in den Anfang des 12. Jahrhunderts verfassten Gesta der Bischöfe von Toul betreffend Hermann von Toul (†1026): „litterarum studiis, ut decet nobiles, adprime eruditus“, Gesta episcoporum Tullensium, MGH SS VIII, c. 37, S. 643. Vgl. EHLERS, Joachim: Deutsche Scholaren in Frankreich während des 12. Jahrhunderts, in: FRIED: Schulen (wie Anm. 7), S. 97–120, hier S. 100f. 15 „Scolarum regimen ecclesiae Sancti Ursmari, quod prius aliquis monachorum ad hoc idoneus tenere solebat, sicut eiusdem ecclesiae monachus ad hoc deputatus et tenuit et tenet, ipse uni ex canonicis de cetero tenendum dedit. Eadem quoque non religione dicenda sed superstitione, scolarum studium etiam celebre semper apud nos habitum, de cetero interdixit, dum scilicet tantos ac tales sperat convertere, ut erudiendis pueris, quasi hoc religioni debeat esse contrarium non sit ulterius opus intendere“, Gesta abbatum Lobbiensium, MGH SS XXI, S. 327. Kanonikern, Mitgliedern der ‚familia‘ des Klosters, wurden auch die ‚scholae exteriores‘ von Waulsort, St.-Hubert und St.-Trond unterstellt, DELHAYE, Philippe: L‘organisation scolaire au XIIe siècle, Löwen 1961, S. 229; RENARDY, Christine: Les écoles liégeoises du IXe au XIIe siècle. Grandes lignes de leur évolution, in: Revue belge de philologie et d‘histoire 57 (1979), S. 309–328, hier S. 323 mit Anm. 75. Ähnliches ist auch für die benediktinischen Reformbewegungen im Humanismus des 15. Jahrhunderts festzustellen. MÜLLER, Harald: Habit und Habitus. Mönchtum und Humanismus im Dialog (Spätmittelalter und Reformation N.F. 32), Tübingen 2006, konstatiert, dass die Benediktiner im Spätmittelalter trotz erfolgreicher Reformen als Träger von Studieneinrichtungen ausscheiden. Allenfalls die rheinischen Abteien der Bursfelder Kongregation scheinen der Bildung einen größeren Stellenwert beigemessen zu haben. Einen Beleg dafür, dass auch im Bereich des benediktinischen Mönchtums mit den hochmittelalterlichen Reformbewegungen die Unterweisung ordensfremder Personen nicht gänzlich zum Erliegen kam, bietet Abt Konrad I. von Tegernsee. Für das nach mehreren Anläufen im Sinne der Gorzer Reform erneuerte Kloster berichtet er für die Mitte des 12. Jahrhunderts über die Aufnahme eines späteren Passauer Kanonikers, der als Verwandter eines Tegernseer Mönches im Kindesalter in das Kloster aufgenommen worden sei, ohne zum Mönch bestimmt gewesen zu sein, und fügt hinzu, dies sei geschehen, wie es auch in anderen Klöstern üblich sei, „quod ab incunabulis in loco nostro
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Ein prinzipielles Verbot für die Laienunterrichtung sahen auch die Generalstatuten des Zisterzienserordens von 1134 vor. In dem Abschnitt „De pueris litteras discentibus“ wurde festgelegt, dass niemand zur Unterrichtung im Kloster oder dem Ort der Niederlassung angenommen werden solle, der nicht Mönch sei oder Novize.16 Von der rigiden Haltung der Frühphase rückte man mit der Zeit jedoch ab. 1195 bestand man nur noch darauf, dass solche Knaben wenigstens zwölf Jahre alt sein mussten. Im 13. Jahrhundert verhängte Strafen gegen Äbte, die sich nicht an diese Anordnung hielten, beweisen, dass gelegentlich auch jüngere Knaben zum Unterricht angenommen wurden.17 Ein Beispiel aus dem ersten Viertel des 13. Jahrnutritus esset [...] Patruus eius quidam de praelatis nostris, hodie vivens, suscepit illum infantem, fovit, atque nutrivit, sicut multi apud nos usque in hodiernum diem, et in aliis claustris regularibus nutriuntur, qui tamen nullo vinculo obedientiae tenentur, PEZ, Bernhard: Thesaurus anecdotorum novissimus seu veterum monumentorum, praecipue ecclesiasticorum, Bd. 6/1, Augsburg 1729, S. 370f., Nr. CXXX, 3. Auch die Tatsache, dass Hartmann von Aue (ca. 1160–1215) in seiner um 1190/95 verfassten epischen Verserzählung über das Leben des Papstes Gregorius auch die Erziehung des Jungen im Kloster schildert, kann als ein Beleg dafür gelten, dass die Klöster häufiger einzelne Kinder zur Unterweisung aufnahmen, die nicht in das Kloster eintreten sollten, Hartmann von Aue: Gregorius, Stuttgart 1993, 1154– 1163, 1181–1190, 1193–1197. Hartmann von Aues wohl in der ersten Hälfte der 1190erJahre abgefasste epische Verserzählung beruht auf der anonym überlieferten altfranzösischen Dichtung „La vie du pape Grégoire“ aus dem 12. Jahrhundert. 16 „De pueris litteras discentibus. Nullus puerorum doceatur litteras intra monasterium vel in locis monasterii, nisi sit monachus, vel receptus in probatione novitius. Quibus tempore lectionis discere licet. Et notandum quia nullum nisi post quintumdecimum aetatis suae annum in probatione nobis ponere licet“, CANIVEZ, Joseph M.: Statuta capitolorum Generalium Ordinis Cisterciensis ab anno 1116 ad annum 1786, Bd. 1, Löwen 1933, S. 31, § 78. Bernhard von Clairvaux selbst hatte sich für die Schließung und gegen die Errichtung von Klosterschulen ausgesprochen. In seiner Predigt vor Studenten in Paris rief er zur Flucht aus diesem Babylon auf: „Fugite de medio Babylonis, fugite et salvate animas vestras. Convolate ad urbes refugii, ubi possitis et de praeteritis agere, penitentiam et in praesenti obtinere gratiam et futuram gloriam fidusialiter praestolari“, S. Bernardus: De conversione ad clericos sermo seu liber, c. 21, MIGNE PL 182, Sp. 855. „Monachi non est docere sed lugere“, Bernhard von Clairvaux, ep. 88, 89, MIGNE PL 182, Sp. 218, 221; 183, Sp. 1085. Selbst theologische Bildung hielt er für wenig geeignet für das klösterliche Leben: „Experto crede: aliquid amplius iuvenies in silvis quam in libris“, Bernhard von Clairvaux, ep. 106, MIGNE PL 182, Sp. 241f. 17 Die Erziehung von Mädchen in Zisterzienserinnenklöstern war hingegen lange üblich, LEKAI, Louis J.: Studien, Studiensystem und Lehrtätigkeit der Zisterzienser, in: Die Zisterzienser. Ordensleben zwischen Ideal und Wirklichkeit (Schriften des Rheinischen Museumsamtes 10), Bonn 1980, S. 165–170, hier S. 168. SCHNEIDER, Reinhard: Rheinische Zisterzienser im mittelalterlichen Studienbetrieb, in: KOTTJE, Raymund (Hrsg.): Die niederrheinischen Zisterzienser im späten Mittelalter. Reformbemühungen, Wirtschaft, Kultur (Zisterzienser im Rheinland 3), Köln/Bonn 1992, S. 121–136, vermutet, dass das Hausstudium der Zisterzienser, das vorrangig dem Elementarunterricht diente, „vielleicht häufiger, als wir ahnen, für Dritte bzw. Außenstehende geöffnet“ war. Solche „klösterlichen Elementarschulen“ fänden „sich zumal seit dem 15. und 16. Jahrhundert in manchen Zisterzen und
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hunderts bietet der Fall des Mönchs Abundus im Zisterzienserkloster Villers-enBrabant. Er war dort eingetreten, obwohl sein Vater, ein Kaufmann aus Huy, ihn mit dem ausdrücklichen Wunsch dem Kloster anvertraut hatte, dass dieser ihm nach der Ausbildung bei den Geschäften zur Seite stehen könne.18 Bei den im 13. Jahrhundert entstandenen Bettelorden, bei den Augustiner-Eremiten, den Dominikanern, den Karmeliten und den Franziskanern bzw. Minoriten (Franziskaner-Konventualen) war bis in das 16. Jahrhundert ebenfalls die Teilnahme weltlicher Personen an den ordensinternen Sprach- oder Philosophiestudien verboten. Gleiches gilt für vom Ordensstudium unabhängige öffentliche Schulen bei den Konventen.19 1292 untersagte etwa das Pariser Generalkapitel des Minoritenordens explizit den Besuch von Lehrveranstaltungen des philosophischen Ordensstudiums durch Personen, die nicht dem Orden angehörten: „Saeculares autem ad huiusmodi lectiones nullatenus admittantur“.20 Die römische Dominikanerprovinz hatte ganz ähnlich bereits 1275 verfügt: „ad lectiones philosophiae [...] non recipiant saeculares“.21 Bestimmungen des Generalkapitels der Augustiner-Eremiten noch aus den Jahren 1497 und 1564 (!) drohten harte Strafen an, sofern Ordensbrüder es wagen sollten, ordensfremden Personen Zugang zum internen Unterricht in Grammatik und anderen Disziplinen zu gewähren oder gar öffentliche Schulen zu errichten. Klostervorsteher, die so etwas duldeten, sollten mit Kerkerhaft bestraft und ihres Amtes enthoben werden.22 Die Notwendigkeit, solche Verbote wiederholt einzuschärfen, kann auch hier als ein Zeichen dafür gewertet werden, dass gegen diese Bestimmungen gelegentlich verstoßen wurde.
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leiten über zum Typ eines klösterlichen Gymnasialbetriebs, dessen Tradition gelegentlich bis weit in die Neuzeit“ reicht (S. 127). „[...] cum litterarum studiis esset traditus, ea de causa ut patris debita sive commercia stylo disceret annotare, miro modo proficere studuit“, Gestis Sanctorum Villariensium, MGH SS XXV, S. 232. Vgl. hierzu insg. KISTENICH, Johannes: Bettelmönche im öffentlichen Schulwesen. Ein Handbuch für die Erzdiözese Köln 1600 bis 1850 (Stadt und Gesellschaft. Studien zum Rheinischen Städteatlas 1), 2 Bde., Köln/Weimar/Wien 2001, hier Bd. 1, S. 20–25. Statuta generalia Ordinis edita in capitulis generalibus celebratis Narbonae an. 1260, Assisii an. 1279 atque Parisiis an. 1292, bearb. v. Michael BIHL, in: Archivum Franciscanum Historicum 34 (1941), S. 13–94, 284–358, hier S. 76. KAEPPELI, Thomas/DONDAINE, Antonio/TAURISANO, Innocentius (Hrsg.): Acta capitulorum provincialium provinciae Romanae (1243–1344) (Monumenta Ordinis Fratrum Praedicatorum Historica 20), Rom 1941, S. 45. 1564 heißt es hierzu: „Scholam saecularium puerorum in conventibus nullo pacto haberi volumus, sub poena trimestris carceris ac privationis officii venerabilis Prioris, si hoc permiserit“, Acta Capituli Generalis anno 1497 Romae celebrati, in: Analecta Augustiniana 8 (1919/20), S. 7–17, insb. S. 14; Acta Capituli Generalis Mediolani anno 1564, in: Analecta Augustiniana 9 (1921/22), S. 419–430, das Zitat S. 127.
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Dass man zumindest damit rechnete, dass auch Mendikanten Schulunterricht erteilen könnten, belegt vergleichsweise früh eine Quelle aus dem 13. Jahrhundert: Im Auftrag des Kölner Erzbischofs Konrad von Hochstaden (1238–1261) handelte der Domdekan Goswin am 29. März 1260 Anordnungen für die Karmeliten in der Erzdiözese Köln aus, in der das Verhältnis zur Pfarrgeistlichkeit näher bestimmt wurde. Darin heißt es über die Ordensleute: „Item scolas puerorum non habebunt“.23 Offenbar fürchtete man die Konkurrenz zu den bestehenden (Pfarr-)Schulen. Im Zuge der Umsetzung der Ordensreform im Moerser Karmelitenkloster knapp zwei Jahrhunderte später (1453) wurde dem Konvent ausdrücklich untersagt, sich als Erzieher im Umland wohnender Adliger zu bestätigen.24 Aus dem spätmittelalterlichen Rheinland kennen wir zudem einen Einzelfall namentlich: Der Kölner Historiograph Ägidius Gelenius nahm in seine 1645 erschienene Abhandlung über die Stadt Köln die lange tradierte Erzählung über einen Knaben namens Johannecken aus Troisdorf auf, der auf dem Weg zum Unterricht bei den Minoriten des Klosters Seligenthal bei Siegburg überfallen und von Juden mit Messerstichen getötet worden sei.25 Den Hinweis, dass es im Kloster Seligenthal öffentlich zugängliche Lehrveranstaltungen gab, wird man getrost zum historischen Kern der geschilderten Ritualmordbeschuldigung zählen dürfen, denn dass man eigens eine zugängliche Unterrichtsanstalt erfunden hätte, erscheint in Anbetracht der Nebensächlichkeit der Information doch recht unwahrscheinlich. Bei dem in den Quellen des 17. Jahrhunderts beschriebenen Unterricht dürfte es sich um ein Artes- oder Philosophiestudium im Rahmen der ordensinternen Klerikerausbildung bei den Bettelorden gehandelt haben.26 Sitz eines solchen Ordensstudiums der Kölnischen Minoritenprovinz war das Kloster Seligenthal nachweislich von den 1420er- bis in die 1480erJahre. Vieles spricht also für eine Datierung des historischen Kerns der Johannecken-Erzählung und damit der Teilnahme des Troisdorfer Jungen am Unterricht im Kloster während der Mitte des 15. Jahrhunderts.27 23 Historisches Archiv der Stadt Köln, Best. 295 (Geistliche Abteilung), 79, fol. 183r. 24 „Prohibentes nichilominus quibuslibet fratribus ex nunc et deinceps recedentibus sub prefatis penis sine uestro consensu aut eciam cum consenso, ne se extra nostros conventus ordinis sub retextu cuiuscumque priuiligii in posterum procurandi presumat prope uos a septem miliaria per circulum comptando locare sub nomine ... pedagogii nobilium uel religiosarum“, Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland [LAV NRW R], Moers, Karmeliten, Rep. u. Hs. 1, fol. 50v-51v; vgl. KISTENICH: Bettelmönche (wie Anm. 19), S. 1207f. 25 GELENIUS, Ägidius: De admiranda, sacra et civili magnitudine Coloniae Claudiae Agrippinensis Ubiorum urbis libri IV, Köln 1645, S. 724f. Vgl. hierzu ausführlich KISTENICH, Johannes: Ritualmordbeschuldigung und Minoritenschule. Anmerkungen zur Datierung der Johannecken-Legende und zur „Schule“ der Seligenthaler Minoriten, in: Heimatblätter des Rhein-Sieg-Kreises 64/65 (1996/97), S. 105–116. 26 KISTENICH: Bettelmönche (wie Anm. 19), Bd. 1, S. 12–14; zu Seligenthal ebd., Bd. 2, S. 1363–1371. 27 Vgl. hierzu und zur Diskussion der älteren Forschung KISTENICH: Ritualmordbeschuldigung (wie Anm. 25). Eine gewisse Rolle für die Unterweisung gerade adliger Nachkommen schei-
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Resümierend kann man für das Mittelalter sagen: Das Bildungsangebot der mittelalterlichen Klöster orientierte sich maßgeblich an den internen Bedürfnissen der geistlichen Gemeinschaften, während Personen, die nicht der Klosterbzw. Ordensgemeinschaft angehörten, nur in sehr begrenztem Maße daran partizipierten. Ungeachtet einer beträchtlichen Zahl von Belegen für die Unterweisung einzelner Laien in Klöstern und Konventen der verschiedensten Orden, bildete deren Ausbildung allgemein und die Errichtung spezieller Schulen für ordensfremde Personen im Besonderen während des Mittelalters die Ausnahme und nicht die Regel. Die Belege für den Besuch von Klosterschulen durch Laien im Mittelalter sind exzeptionell und nicht exemplarisch. Die Einrichtung öffentlicher Schulen durch die Orden wurde im Mittelalter ganz überwiegend nicht als Betätigungsfeld akzeptiert oder als Aufgabe begriffen. Kein mittelalterlicher Orden hat ein ‚Schulapostolat‘ entwickelt oder sich als öffentlich tätiger Schulorden verstanden. Zudem verloren vielerorts Klöster und (Dom-)Stifte an Bedeutung für das öffentliche Schulwesen im Zuge des seit dem 12. und 13. Jahrhundert aufblühenden Stadtschul- und Universitätswesen, wenngleich daran Orden und Ordensleute durchaus erheblichen Anteil hatten.28 Dieser Befund der bildungsgeschichtlichen Forschung für das Mittelalter – der im Übrigen für Männer- wie für Frauengemeinschaften, für Jungen wie für Mädchen gilt29 – lässt sich auch auf das nen beispielsweise auch Johanniterkommenden gespielt zu haben. So verschrieb etwa Herzog Johann I. von Kleve den Johannitern von Wesel insgesamt 108 Gulden Kostgeld, „also wy Johan onsen alsten soen to Wesell in sunt Johans huyss eyn tyt lanck dair to woynen ind to leren ind oen Johan van Embrick, Engelbert van Buderick onsse bastart soene, Wilhelm Pels vur eynen schoilmeister ind Derick Mynnen vur eynen kemerlingh toegevueght hebn“, LAV NRW R, Hs. A III 23, fol. 70v, zit. nach OEDIGER: Schulen (wie Anm. 3), S. 364f., Anm. 55. Auch Klarissen haben, zumindest im süddeutschen Raum, bereits im Spätmittelalter Mädchenunterricht gehalten, ENDRES: Schulwesen (wie Anm. 3), S. 151. 28 Zum Bedeutungsverlust beispielsweise der Kölner Domschule im 12. Jahrhundert vgl. OEDIGER: Schulen (wie Anm. 3), S. 354. Zuweilen wird vom Bruch mit der Kloster- und Kathedralschulbildung im 12. Jahrhundert gesprochen, vgl. z. B. EHLERS: Scholaren (wie Anm. 14), S. 97. 29 Eine Auswertung der für das Rheinland einschlägigen Quellen für Unterricht und Erziehung von Mädchen (auch angehenden Nonnen und Stiftsdamen) in Klöstern und Stiften findet sich bei RUTZ, Andreas: Bildung – Konfession – Geschlecht. Religiöse Frauengemeinschaften und die katholische Mädchenbildung im Rheinland (16.–18. Jahrhundert) (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz 210), Mainz 2006, S. 81–89. Es fällt auf, dass die Mehrzahl der Belege auf Stifte entfällt. Als ein Beispiel für die ansonsten schwach ausgeprägte Kontinuität des Schulengagements geistlicher Gemeinschaften zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit kann mit Rutz auf die Lehrtätigkeit einzelner (ursprünglicher) Beginenhäuser hingewiesen werden, die größtenteils nach dem Konzil von Vienne (1311) eine Drittordensregel annahmen und mithin als Tertiarinnen anzusprechen sind, ebd., S. 86f. Vgl. hierzu auch WENSKY, Margret: Mädchen- und Frauenbildung in der spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Stadt, in: JANSSEN, Wilhelm/WENSKY, Margret (Hrsg.): Mitteleuropäisches Städtewesen in Mittelalter und Frühneuzeit, Köln/Wei-
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Rheinland übertragen, ohne dass für den nordrheinischen Raum eine spezifische, eine signifikant eigene Entwicklung erkennbar wäre.
2. Von der katholischen Reform bis zum Beginn der Aufklärung (1550–1750) Das Verhältnis zwischen geistlichen Orden und öffentlichem Schulwesen wandelte sich im Zeitalter der katholischen Reform und Gegenreformation grundlegend.30 Dabei lassen sich vier Gruppen unterscheiden: GRUPPE 1: Als Schulorden gegründete Gemeinschaften Bei manchen Gründungen neuer Orden und Kongregationen seit der Mitte des 16. bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts war die Lehrtätigkeit bereits von Anfang an vorgesehen, war gleichsam Gründungsmotiv und stand im Mittelpunkt des Wirkens der Gemeinschaften. Diese entwickelten ein regelrechtes ‚Schulapostolat‘: Exemplarisch hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang etwa die Doktrinarier (Pères Doctrinaires/Prêtres séculiers de la doctrine chrétienne), die sich 1592 unter César de Bus als Kongregation von Weltpriestern formierten und 1597 päpstlich bestätigt wurden, die Piaristen (Ordo Clericorum Regularium Pauperum Matris Dei Scholarum Piarum), die unter Leitung des spanischen Priesters Josef von Calasanza 1597 ihre erste Schule in Trastevere (Rom) eröffneten (1669 endgültig approbiert), oder die vom Priester Jean Baptiste de La Salle gegründete Laienkongregation der Brüder von den christlichen Schulen (Institutum Fratrum Scholarum Christianarum), welche sich seit den 1680er-Jahren der Erziehung und dem Unterricht widmeten, noch bevor sie 1725 die päpstliche Bestätigung erhielten.31 Auf dem Sektor der Mädchenschulen sind zu nennen der von Angela Merici 1535 errichtete Ursulinenorden, die seit 1598 im Schuldienst tätigen AugustinerChorfrauen der Kongregation Beatae Mariae Virginis (Welschnonnen), gegründet von Pierre Fourier und Alix le Clerc (päpstliche Bestätigung 1628) sowie die von Mary Ward 1609/10 eingerichtete Vereinigung der Englischen Fräulein. Entstan-
mar/Wien 1999, S. 21–40, hier S. 34; WENSKY, Margret: Mädchenbildung zwischen Kommerz und Religion. Das Mädchenschulwesen in der Reichsstadt Köln vom 15. bis zum 17. Jahrhundert, in: MÖLICH, Georg/SCHWERHOFF, Gerd (Hrsg.): Köln als Kommunikationszentrum. Studien zur frühneuzeitlichen Stadtgeschichte (Der Riss im Himmel. Clemens August und seine Epoche 4), Köln 2000, S. 271–285, hier S. 275f. 30 Zum Ordenswesen in der Frühen Neuzeit vgl. JÜRGENSMEIER, Friedhelm/SCHWERDTFEGER, Elisabeth Regina (Hrsg.): Orden und Klöster im Zeitalter von Reformation und katholischer Reform 1500–1700, 3 Bde. (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 65–67), Münster 2005–2007. 31 Vgl. die in Anm. 35 genannte Literatur, außerdem RIGAULT, Georges: Histoire générale de l‘Institut des Frères des Écoles Chrétiennes, 9 Bde., Paris 1937–1953.
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den waren diese weiblichen Lehrorden in Frankreich und den spanischen Niederlanden. Von dort aus breiteten sie sich über Lothringen und das Fürstbistum Lüttich in das Rheinland und nach Westfalen aus.32 Der wichtigste Frauenlehrorden dieser Gruppe im Rheinland waren die Ursulinen, die im 17. Jahrhundert in Köln (1639), Aachen (1651), Düren (1681) und Düsseldorf (1681) sowie in dem zum kurkölnischen Vest Recklinghausen gehörigen Dorsten (1699) Niederlassungen errichteten. Im 18. Jahrhundert kamen Monschau (1710) und Elten (1737/38) hinzu. Die Welschnonnen waren mit Klöstern in Trier (1640), Essen (1652), Bonn (1664) und Mainz (1679) vertreten. Die Englischen Fräulein ließen sich in Köln (1620) und Trier (1621) nieder; die Häuser wurden aber bereits 1630 aufgrund der von Rom verfügten Auflösung der Gemeinschaft geschlossen.33 Die weiblichen Lehrorden unterhielten zwar große Schulen, aber nur in wenigen, meist größeren Städten.34 Demgegenüber haben die im 16. und 17. Jahrhundert neu gegründeten männlichen Schulorden, also etwa Piaristen oder Doktrinarier, für das rheinische Schulwesen interessanterweise keine nennenswerte Bedeutung erlangt, wie dies in anderen Regionen Europas der Fall war. So spielten etwa die Piaristen im 17. und 18. Jahrhundert für den Gymnasial- und Elementarunterricht in Österreich und Ungarn eine beachtliche Rolle, im Königreich Frankreich unterhielten die Doktrinarier, Barnabiten und Oratorianer (vgl. Gruppe 2) im Jahre 1710 zusammen 64 Kollegien (höhere Schulen), hinzu kamen noch 116 niedere Schulen in der Hand der Brüder von den christlichen Schulen.35 32 CONRAD, Anne: Zwischen Kloster und Welt. Ursulinen und Jesuitinnen in der katholischen Reformbewegung des 16. und 17. Jahrhunderts (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz 142), Mainz 1991; RUTZ: Bildung (wie Anm. 29). Die Ausbreitung der weiblichen Lehrorden im Osten und Südosten (Franken, Bayern, Österreich, Schlesien, Böhmen) erfolgte schwerpunktmäßig erst im 18. Jahrhundert, DERS.: Der Primat der Religion. Zur Entstehung und Entwicklung separater Mädchenschulen in den katholischen Territorien des Reiches im 17. Jahrhundert, in: MUSOLFF, Hans-Ulrich/JACOBI, Juliane/LE CAM, Jean-Luc (Hrsg.): Säkularisierung vor der Aufklärung? Bildung, Kirche und Religion 1500– 1750 (Beiträge zur Historischen Bildungsforschung 35), Köln/Weimar/Wien 2008, S. 275– 288, hier S. 281. 33 RUTZ: Bildung (wie Anm. 29), S. 135, 140, 144. 34 RUTZ: Bildung (wie Anm. 29), S. 304. 35 Zu Frankreich vgl. CHARTIER, Roger/JULIA, Dominique/COMPÈRE, Marie-Madeleine: L‘Éducation en France du XVIe au XVIIIIe siècle, Paris 1975, S. 187f., 213. Zu Österreich vgl. ENGELBRECHT: Geschichte (wie Anm. 11), Bd. 2, S. 136–149, 179; Bd. 3, S. 25–27, 35– 39. Zu den Schulen der Piaristen im Kontext der Reformpolitik Maria Theresias und Josephs II. vgl. demnächst die Dissertation von Julia Riedel (Universität Tübingen). Vgl. darüber hinaus zu Bayern MÜLLER, Rainer A.: Altbayern, in: LIEDTKE: Handbuch (wie Anm. 3), S. 385–394, hier S. 391, sowie zu den katholischen Gebieten in Preußen, darunter Schlesien, während der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts LEHMANN, Max: Preußen und die katholische Kirche seit 1640, 7 Bde. (Publicationen aus den K. Preußischen Staatsarchiven 1, 10, 13, 18, 24, 53, 56, 76, 77), Leipzig 1878–1902, hier Bd. 2, Nr. 273; Bd. 4, Nr. 106, 331, 513, 540, 551, 557f., 573, 588; Bd. 5, Nr. 219, 224, 316, 318; KARP, Hans-Jürgen/TRILLER, Anne-
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GRUPPE 2: Orden der katholischen Reform, die sich nach ihrer Gründung auch dem öffentlichen Schulunterricht widmeten Andere Orden haben zwar die Lehrtätigkeit nicht von Anfang an zu ihren Aufgaben gezählt, ihre Tätigkeit jedoch bald auf dieses Feld ausgedehnt, wie etwa die Oratorianer. Auf Betreiben Papst Pauls V. sahen die 1612 approbierten Statuten der in der Mitte des 16. Jahrhunderts entstandenen Priestergemeinschaft ausdrücklich die Schultätigkeit vor, der sich der Orden dann besonders im Königreich Frankreich widmete. Vorbild und Kristallisationspunkt für die Tätigkeit der Schulorden wurde die Societas Jesu, wenngleich auch bei den Jesuiten Schulgründungen durchaus nicht in der ursprünglichen Ordenskonzeption vorgesehen waren, die Gesellschaft Jesu also dezidiert nicht als Schulorden gegründet wurde.36 Ignatius von Loyola und seine ersten Gefährten, die sich während der Pariser Studienzeit in den Jahren um 1530 um ihn sammelten, beabsichtigten zunächst außer Katechese keinen weiteren Unterricht. Hinsichtlich des Ordensnachwuchses ging man vielmehr davon aus, dass sich der Gemeinschaft eine genügende Zahl wissenschaftlich ausgebildeter Personen anschließen würde. In dem Maße, wie sich die Notwendigkeit ergab, auch Jugendliche in den Orden aufzunehmen, deren Ausbildung noch nicht abgeschlossen war, sah man sich zunächst zur Einrichtung von Häusern in Universitätsstädten veranlasst, in denen die angehenden Ordensangehörigen unter der Aufsicht der Gesellschaft Jesu wohnten, während sie die Lehrveranstaltungen an den Hochschulen besuchten. Der Entwurf einer Ordensverfassung von Ignatius und fünf seiner ersten Gefährten aus dem Jahr 1541 schloss regulären Unterricht und Vorlesungen selbst innerhalb der Societas Jesu noch kategorisch aus: „No estudios ni lectiones en la Compagñía“. Bald hielt man freilich auf Ordensseite die Universitätsstudien für unzureichend und langatmig. Um die Ausbildung des Ordensnachwuchses effektiver und effizienter zu gestalten, begannen zunächst Jesuiten in einzelnen Ordenshäusern mit Lektionen. Hatten die seit 1547 von P. Juan de Polanco erarbeiteten Ordenskonstitutionen vorerst nur die Ausbildung der angehenden Ordensleute im Blick, so zeugen die 1550 abgefassten Generalkonstitutionen mit der Nennung öffentlicher Schulen für die Gymnasialfächer und externer Schüler von der seitdem greifbar positiveren Einschätzung des öffentlichen Unterrichts durch Angehörige der Gesellschaft Jesu seitens der Ordensleitung. Das Vorhandensein von Schülern an den Unterrichtsanstalten der Societas Jesu, die zunächst keinen Ordenseintritt beabsichtigten, wurde fortan ungeachtet manch artikulierter Bedenken nicht mehr grundsätzlich in Frage gestellt und fand liese: Bildung beim katholischen Bevölkerungsteil, in: OPGENOORTH, Ernst (Hrsg.): Handbuch der Geschichte Ost- und Westpreußens (Einzelschriften der Historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung 10), Bd. 2/2, Lüneburg 1996, S. 138–145, hier S. 138f., 141f. 36 Vgl. zum Jesuitenorden allg. DUHR, Bernhard: Geschichte der Jesuiten in den Ländern deutscher Zunge, 4 Bde., Freiburg/München 1907–1928; HARTMANN, Claus Peter: Die Jesuiten, München 2001.
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Eingang in die 1563/64 einsetzenden Beratungen um eine für den Gesamtorden verbindliche (Rahmen-)Studienordnung vom Grammatikunterricht bis zum Theologiestudium. Erst unter dem Ordensgeneral P. Claudio Aquaviva kamen die Beratungen darüber nach wiederholter Praxiserprobung 1599 zum Abschluss. Die „Ratio atque institutio studiorum Societatis Jesu“ blieb abgesehen von wenigen Textänderungen 1616 bis zum Verbot des Ordens 1773 Grundlage des Unterrichts und inhaltlich wie methodisch Vorbild weit über den Jesuitenorden hinaus.37 Im nordrheinischen Bereich errichtete die Gesellschaft Jesu Gymnasien in Köln (1557), Emmerich (1592), Aachen (1601), Neuss (1616), Düsseldorf (1620), Düren (1630/36), Münstereifel (1625/1649), Jülich (1664), Essen (1669) und Bonn (1673).38 Die Jesuiten eröffneten gleichsam ubiquitär, in allen katholischen Gebieten der Welt höhere Schulen und erlangten in einigen überwiegend katholischen Gebieten Zentraleuropas, so auch im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation etwa in Österreich, Schlesien oder Bayern eine dominante, teils monopolartige Stellung im katholischen Gelehrtenschulwesen.39 Im Bereich des Mädchenschulwesens wären dieser zweiten Gruppe zuzurechnen die 1623 in Limburg gegründeten Pönitenten-Rekollektinnen und die 1622/27 in Aachen entstandenen Elisabethinnen, die sich zunächst im Rheinland und später im Südosten des Reiches etablierten.40 Erstere hielten Mädchenschulen in Aachen (1645) und Heinsberg (1682), letztere in Düren (vor 1681) und Jülich (ca. 1700).41 GRUPPE 3: Orden aus vorreformatorischer Zeit, die sich im Zeitalter der katholischen Reform neu im öffentlichen Schulwesen engagierten Schließlich wandten sich im Zeitalter von katholischer Reform und Gegenreformation auch Orden und Konvente dem öffentlichen Schulwesen zu, die das in dieser Form in den Jahrhunderten seit ihrem Bestehen zuvor nicht getan hatten. Im Rheinland und den angrenzenden Gebieten (südliche/habsburgische Niederlande, Fürstbistum Lüttich und Westfalen) wurden neben den Jesuiten insbesondere Bettelorden, namentlich die Augustiner-Eremiten, Minoriten und Franziskaner-Rekollekten mit
37 Einen ausführlichen Überblick über die Entwicklung des Gesellschaft Jesu hin zu einem Schulorden und zur Haltung des Ordens zu Fragen von ordensinterner Ausbildung bieten Einführung und Edition von LUKACS, Ladislaus (Hrsg.): Monumenta Paedagogica Societatis Iesu, Bd. 1–2, 4–5 (Monumenta Historica Societatis Iesu 92, 107, 124, 129), Rom 1965–1986. 38 KISTENICH, Johannes: Schule im Rheinland zwischen Reformation und Revolution, in: ZEHNDER, Frank Günter (Hrsg.): Eine Gesellschaft zwischen Tradition und Wandel (Der Riss im Himmel. Clemens August und seine Epoche 3), Köln 1999, S. 41–64, hier S. 52. 39 Vgl. die in Anm. 35 genannte Literatur; außerdem SCHINDLING, Anton: Bildung und Wissenschaft in der frühen Neuzeit 1650–1800 (Enzyklopädie deutscher Geschichte 30), München 1994. 40 RUTZ: Primat (wie Anm. 32), S. 282. 41 RUTZ: Bildung (wie Anm. 29), S. 181–184.
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regionalen Schwerpunkten im öffentlichen Schulwesen tätig.42 Das Rheinland lag gewissermaßen im Diffusionsbereich verschiedener Orden, die seit den Jahrzehnten um 1600 den öffentlichen Schulunterricht als neues Betätigungsfeld für sich entdeckten. Die Augustiner-Eremiten hatten als erster von ihnen im Rhein-Maas-Raum ergänzend und konkurrierend mit den Jesuiten mit dem Aufbau eines Gymnasialnetzes begonnen und zwar in Brüssel 1601. In dichter Zeitabfolge entstanden bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts 23 Augustiner-Eremitenschulen, vornehmlich in den habsburgischen Niederlanden und im Fürstbistum Lüttich sowie den östlich angrenzenden rheinischen Gebieten. Bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts folgten noch Bedburg an der Erft (1698), Hillesheim und Saarlouis (1703).43 Ähnlich wie bei den Jesuiten erfolgten bei den Augustiner-Eremiten der Kölnisch-Belgischen Provinz die Gründung neuer Klöster und Konvente und die Einrichtung von Gymnasien in Trägerschaft der Orden in enger zeitlicher Folge. Bei 13 der 15 neuen Konvente wurde praktisch zeitgleich mit der Klostergründung auch ein Gymnasium eingerichtet (Tabelle 1). Tabelle 1: Augustiner-Eremiten Ort
Gründung der Niederlassung
Gründung einer höheren Schule
Antwerpen
1608
1608
Herentals
1613
1613
Bouvignes
1614
1614
Diest
1614
1614
Hoei (Huy)
1614
1615
Lille
1614
1622
Tienen
1615
1615/17
Frauweiler
1624/25
um 1657 (Elementarunterricht)
La Bassée
1624/27
1627
Dendermonde
1627
1627
Hazebroek
1630
1630
Roeselare
1635
um 1640/1652
Bree
1651
1652
Valenciennes
um 1655
1656
Rösrath
1672
(vor?) 1710 (Elementarunterricht)
42 Vgl. zum Folgenden ausführlich KISTENICH: Bettelmönche (wie Anm. 19). 43 Vgl. die Karte bei KISTENICH: Bettelmönche (wie Anm. 19), Bd. 1, S. 31.
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Hinzu kommen noch Schulgründungen an den seit dem Mittelalter bestehenden Ordensniederlassungen. Der Ordenschronist Nikolaus de Tombeur nennt darüber hinaus namentlich 19 weitere Orte, aus denen Anfragen an die Ordensprovinz zur Eröffnung von höheren Schulen und Ordensniederlassungen an die AugustinerEremiten dieser Provinz herangetragen wurden, denen man aber wegen mancher Widerstände und angesichts der Vielzahl an Gesuchen nicht habe nachkommen können.44 Lag der räumliche Schwerpunkt der Augustiner-Eremiten also westlich des Rheins, so errichteten die Minoriten der Kölnischen Ordensprovinz zwischen den 1620er- und 1650er-Jahren vor allem im Rheinland selbst Schulen:45 Von den zwölf Niederlassungsgründungen und fünf ermittelten Gründungsversuchen während des 17. Jahrhunderts stehen wiederum 13 Fälle in unmittelbarem Zusammenhang mit der Errichtung von (höheren) Schulen (Tabelle 2). Als dritter Zweig der im öffentlichen Schulwesen tätigen Bettelorden ist schließlich auf die Franziskaner-Observanten (Rekollekten) hinzuweisen, die insbesondere in ihren Ordensprovinzen im heutigen Belgien (für das 17. Jahrhundert: Châtelet 1615, Visé 1637, Verviers 1646, Fontaine l‘Évêque 1652, Fleurus 1653, Poperinge 1656, Grevelingen und Waver beide 1661, Laroche 1663, Chimay 1667, Tielt 1668, Borgworm/Waremme 1669 (Versuch), Florennes und Hoogstraaten 1688, Durbuy 1697) und in Westfalen (Konvente der Sächsischen und Thüringischen Ordensprovinzen: Attendorn 1637, Dorsten 1642, Vechta 1650/52, Rheine 1658, Warendorf 1675, Vreden 1677, Geseke 1687, Hallenberg 1728 (Plan), Recklinghausen 1730, Rietberg 1743) höhere Schulen errichteten.46 Zur Sächsischen Ordensprovinz gehörte auch das Kloster Wipperfürth im Rheinland, in dem 1690 eine höhere Schule eingerichtet wurde. Die zwischen diesen Provinzen gelegene Kölnische Rekollektenprovinz stand der Frage öffentlicher Unterrichtstätigkeit weit zurückhaltender gegenüber und hat sich erst im ausgehenden 18. Jahrhundert nennenswert im Schuldienst betätigt. Gerade der Blick auf die Franziskanerprovinzen zeigt deutlich, dass es innerhalb des zentral geleiteten Ordens im Wesentlichen die Verantwortungsträ-
44 TOMBEUR, Nikolaus de: Provincia Belgica ord. Ff. Eremitarum s.p.n. Augustini olim dicta Coloniensis et inferioris Germaniae eiusdem origo, progressus, regimen, fundamentum, praerogativae, privilegia et incrementum cum dissertatione praeliminari et compendiosa monasteriorum singulorum descriptione chronologica, Löwen 1727, insb. S. 91f. Vgl. hierzu LEYDER, Dirk: Onderwijs als hefboom voor de heropleving van de Keulse Augustijnenprovincie (zeventiende eeuw), in: Trajecta 6 (1997), S. 318–333; DERS.: Monasticon Augustinianum Belgicum (Bibliografische inleiding tot de Belgische kloostergeschiedenis vóór 1796 16), Brüssel 1998. 45 Grundlegend EUBEL, Konrad: Geschichte der Kölnischen Minoriten-Ordensprovinz (Veröffentlichungen des Historischen Vereins für den Niederrhein 1), Köln 1906. 46 Vgl. die entsprechenden Artikel in HOEBAERT, Archangelus u. a. (Bearb.): Minderbroederkloosters in den Zuidelijke Nederlanden/Kloosterlexicon. Die Artikel erschienen einzeln in Franciscana 26–54 (1971–1999).
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Tabelle 2: Minoriten Ort
Gründung der Niederlassung
Gründung einer höheren Schule
Münstereifel
1623 (gescheiterter Versuch)
1623 (gescheiterter Versuch)
Bocholt
1627
Lennep
1641
Linnich
1643
1643/1649
Zons
1645 (gescheiterter Versuch)
1645 (gescheiterter Versuch)
Sinzig
1648/1650
1648/1650
Zülpich
1650 (gescheiterter Versuch)
1650 (gescheiterter Versuch)
Ratingen
1651
Nideggen
1651/52
1651, 1654/55
Brilon
1652
1655
Siegburg
1654
1654/55
Blankenheim
1656 (gescheiterter Versuch)
1656 (gescheiterter Versuch)
Zwillbrock
1657
Herstelle
1657
Neersen
1658
1641
1658
Langenschwalbach 1670 Monschau
1690 (gescheiterter Versuch) 1712 Niederlassung
1690 (gescheiterter Versuch) 1721/22 Schulgründung
ger an der Spitze der Ordensprovinzen waren, von denen abhing, ob sich in einer bestimmten Region ein Orden im öffentlichen Schulwesen einbrachte oder nicht.47 Andere Mendikantenorden engagierten sich jedenfalls im Rheinland nur punktuell auf diesem Sektor wie die Dominikaner im niederrheinischen Kalkar (seit 1634)48 oder die Karmeliter vorübergehend in Köln (1642–1650)49 und bis zur Säkularisation in Geldern (seit 1634).50 Die Chronik des Kapuzinerkonvents Rheinberg berichtet zu 1672, dem Jahr der Einnahme der Stadt durch französische Truppen nach einer fast vierzigjährigen Besatzung durch die Generalstaaten, dass die Karmeliter aus Geldern sich nachdrücklich um eine Niederlassung in Rheinberg bemüht und versprochen hätten, die Jugend in den Wissenschaften zu unterweisen: „Hoc anno plurimum laboraverunt patres Carmelitae Geldrienses hic habitare, iuventutem 47 48 49 50
Vgl. KISTENICH: Bettelmönche (wie Anm. 19), insb. Bd. 1, S. 33–36. KISTENICH: Bettelmönche (wie Anm. 19), Bd. 2, S. 973–979. KISTENICH: Bettelmönche (wie Anm. 19), Bd. 2, S. 1112–1127. NETTESHEIM, Friedrich: Geschichte der Schulen im alten Herzogtum Geldern und in den benachbarten Landestheilen. Ein Beitrag zur Geschichte des Unterrichtswesens Deutschlands und der Niederlande, Düsseldorf 1881, insb. S. 625–628.
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in litteris instruere promittentes“. Aus dem Plan wurde freilich nichts und der Kurfürst-Erzbischof nahm die bereits in Rheinberg ansässigen Kapuziner vor dem Niederlassungsversuch der Karmeliter in Schutz.51 Auch andere ‚alte‘ Orden waren im Nordwesten des Alten Reiches nur sporadisch im Schuldienst tätig wie beispielsweise die Prämonstratenser von Wedinghausen im westfälischen Arnsberg (1643).52 Insgesamt lag aber das höhere katholische Schulwesen auch im Rheinland fast ausschließlich in der Hand von geistlichen Instituten. Zu den wenigen Ausnahmen zählen mit dem Gymnasium Montanum und dem Gymnasium Laurentianum zwei der drei Kölner Universiätsbursen.53 Zumindest im Rheinland schwächer ausgeprägt als bei den männlichen Orden nahmen sich auch einzelne, im Mittelalter entstandene Frauenorden im Zeitalter der katholischen Reform neu der Mädchenbildung an. So waren die Sepulchrinerinnen (Augustiner-Chorfrauen vom Heiligen Grab) in Aachen (1626), Jülich (1644) und Neuss (1654) tätig, die Augustiner-Chorfrauen in Alfter (1749), Rheinberg (1682) und Geldern (1781).54 GRUPPE 4: Tertiarinnen und Semireligiose Im Rheinland war das Mädchenschulwesen neben und – gemessen an der Zahl der Schulen – weit stärker von den Tertiarinnen der Bettelorden und den Semireligiosen als durch die weiblichen Lehrorden geprägt.55 Während letztere jeweils neue Niederlassungen gründen mussten, um Mädchenschulen zu betreiben, verfügten die Tertiarinnen bereits vor dem konfessionellen Zeitalter über eine Vielzahl von Niederlassungen im Rheinland. „Die Einrichtung von Schulen oder die Übernahme eines Lehramtes bedeutete für sie lediglich die Aufnahme einer neuartigen Tätigkeit und bedurfte keiner Klosterneugründungen.“56 Nur die Elisabethinnen und Pönitenten-Rekollektinnen mussten als neue Orden dieser Zeit Klöster gründen und sind dementsprechend ähnlich selten vertreten wie die weiblichen Lehrorden. Die größte Verbreitung hatten im Rheinland schließlich die semireligiosen Devotessen. Sie waren – ähnlich wie die gelegentlich auftretenden nichtklösterlich lebenden Tertiarinnen – an keine Klausurgesetze gebunden und dementsprechend unabhängig. 51 Bistumsarchiv Münster, Dep. Pfarrarchiv Rheinberg, Karton 44 („Annales Fratrum Minorum Capucinorum Rhenobercae“). Vgl. hierzu KISTENICH: Bettelmönche (wie Anm. 19), Bd. 2, S. 1331–1334. 52 Grundlegend für das höhere Schulwesen in Westfalen, auch zu anderen Ordensschulen WALLTHOR, Alfred Hartlieb von: Höhere Schulen in Westfalen vom Ende des 15. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, in: Westfälische Zeitschrift 107 (1957), S. 1–105. 53 Für das Gymnasium Montanum vgl. FELLMANN, Dorothea: Das Gymnasium Montanum in Köln 1550–1798 (Studien zur Geschichte der Universität zu Köln 15), Köln/Weimar/Wien 1999; außerdem MEUTHEN, Erich: Die alte Universität (Kölner Universitätsgeschichte 1), Köln/Wien 1988. 54 RUTZ: Bildung (wie Anm. 29), S. 165–168. 55 RUTZ: Bildung (wie Anm. 29), S. 303–306, 312, Tab. 13. 56 RUTZ: Bildung (wie Anm. 29), S. 305.
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Allein oder in kleinen Gruppen von zwei oder drei Frauen lebend und arbeitend, prägten sie die rheinische Mädchenschulbildung bis in die Kleinstädte und Dörfer. In größeren Städten wie Köln errichteten sie in enger Zusammenarbeit mit der Gesellschaft Jesu ein regelrechtes Netz von Zweigschulen in den Pfarreien.57 Ähnlich wie das Engagement der Bettelorden lässt sich das Phänomen der Mädchenschulen von Tertiarinnen und Semireligiosen auch für den Bereich der südlichen Niederlande, das Fürstbistum Lüttich, das Rheinland und Westfalen nachweisen. Tertiarinnen scheinen darüber hinaus auch in anderen Regionen des Reiches, wie in Bayern oder Österreich, seit dem 17. Jahrhundert verstärkt Unterricht aufgenommen zu haben, wenngleich hierzu noch systematische Studien fehlen.58 Interessanterweise waren es nicht die Zweiten Orden, also die in nicht unerheblicher Zahl seit dem Mittelalter bestehenden Klarissen- oder Dominikanerinnenkonvente, sondern die weiblichen Angehörigen der Drittordensgemeinschaften von Franziskanern, Dominikanern, Augustinern und Serviten, die dem Vorbild der Ersten Orden folgten.59 Anders als bei den Tertiarinnen blieb das Phänomen der unterrichtenden Devotessen im Wesentlichen ein Spezifikum des Nordwestens des Alten Reiches.60
3. Initiativen und Motive für öffentliche Schulen der Orden Die Initiative zu den Schulprojekten der Orden im Zeitalter der katholischen Reform ging im Wesentlichen von zwei Kräften aus: einerseits von den Städten und Landesherrn und andererseits von den Orden selbst. Betrachten wir zunächst die Motive der Stadtobrigkeiten und Landesherrn. Die Städte knüpften ihre Zustimmung zur Niederlassung eines Ordens häufig an die Bedingung, dass von den Or57 RUTZ: Primat (wie Anm. 32), S. 277f.; DERS.: Semireligiosentum und elementare Mädchenbildung. Zur Unterrichtstätigkeit von Devotessen im frühneuzeitlichen Köln, in: HANSCHMIDT, Alwin/MUSOLFF, Hans-Ulrich (Hrsg.): Elementarbildung und Berufsausbildung 1450 bis 1750 (Beiträge zur Historischen Bildungsforschung 31), Köln/Weimar/Wien 2005, S. 247–264; RUTZ, Andreas: Weibliches Bildungsmäzenatentum in der Frühen Neuzeit. Devotessen als Stifterinnen und Förderinnen des katholischen Schulwesens im Rheinland, in: FLÖTER, Jonas/RITZI, Christian (Hrsg.): Bildungsmäzenatentum. Privates Handeln – Bürgersinn – kulturelle Kompetenz seit der Frühen Neuzeit (Beiträge zur Historischen Bildungsforschung 33), Köln/Weimar/Wien 2007, S. 85–105. 58 VROEDE, Maurice de: „Kwezels“ en „Zusters“. De geestelijke dochters in de Zuidelijke Nederlanden, 17de en 18de eeuw (Verhandelingen van de Koninklijke Academie voor Wetenschappen, Letteren en Schone Kunsten van België, Klasse der Letteren 56/152), Brüssel 1994; DERS.: Religieuses et béguines enseignantes dans les Pays-Bas méridionaux et la principauté de Liège aux XVIIe–XVIIe siècles (Studia Paedagogica 20), Löwen 1996; RUTZ: Primat (wie Anm. 32), S. 278, 280. 59 RUTZ: Primat (wie Anm. 32), S. 277. 60 RUTZ: Primat (wie Anm. 32), S. 281, weist darauf hin, dass das Phänomen der Devotessen „Parallelen am ehesten in Frankreich und Italien hat.“
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densleuten höhere Schulen eingerichtet würden. Hinter solchen städtischen Initiativen stand vor allem ein ökonomisches Interesse, bot eine Gymnasialeinrichtung doch Aussicht auf Einnahmen aus dem Kostgeld auswärtiger Schüler und zudem eine kostengünstige Gelegenheit, die eigene städtische Jugend unter der Aufsicht der Eltern unterweisen zu lassen, anstatt sie mit hohem Kostenaufwand in jungen Jahren an fremde Schulen zu schicken.61 Eine attraktive höhere Lehranstalt konnte für die Städte zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor werden und offenbar nutzten gerade die durch die Kriegsauswirkungen wirtschaftlich geschwächten Kommunen während und unmittelbar nach dem Dreißigjährigen Krieg die Einrichtung von Gymnasien gezielt als Instrument der Wirtschaftsförderung. Seit Anfang der 1640er-Jahre bemühte sich beispielsweise der Stadtmagistrat von Linnich um eine Ordensniederlassung in der Stadt, hauptsächlich mit dem Ziel der Errichtung eines Gymnasiums.62 Es kam schließlich 1643 zur Gründung eines Minoritenkonvents. Wie sehr der Schulaspekt bei den Planungen zu dieser Niederlassung im Vordergrund stand, belegen die am 28. März 1643 zwischen Stadt und Minoriten getroffenen Vereinbarungen. Zwei der sechs Paragraphen beschäftigen sich mit der Organisation des Schulwesens in der Stadt. Zum einen verpflichteten sich die Minoriten zur unentgeltlichen Haltung der vier unteren Gymnasialklassen, weil dies der eigentliche Anlass ihrer Berufung sei. Zum anderen versprachen sie, die bestehende Elementarschule in der Stadt nicht zu behindern, da deren Existenz für den Chorgesang und das Zeremoniell in der Pfarrkirche unentbehrlich sei.63 Nur wenige Wochen nach den Vereinbarungen besetzten hessische Truppen im Mai 1643 die Stadt Linnich und blieben bis 1649.64 Erst nach Abzug der Truppen konn61 Vgl. weitere Beispiele hierzu bei KISTENICH: Bettelmönche (wie Anm. 19), Bd. 1, S. 123– 126. 62 Curia Generalizia dei Frati Minori Conventuali – Archivio Generale Roma, Ms. III/25, S. 420. Vgl. zu den Ereignissen in Linnich insg. KISTENICH: Bettelmönche (wie Anm. 19), Bd. 2, S. 1160–1178. 63 „(4) Sollen unserem erbieten nach die vier erste classes inferiores anstellen undt jederzeit gratis halten, welches die eintzigste oder principaliste bewegung unserer admission ist. (5) Sollen dadurch die kinderschul allda nicht behindern, sondern deren ihr behörlichen lauf lassen, damit der chor undt andere christliche ceremonien in dero pfahrkirchen nicht beeinträgtigt werden moegen“, Bischöfliches Diözesanarchiv Aachen, Dep. Pfarrarchiv St. Martin Linnich, C5/21, Nr. 323, S. 184. Dass das Minoritenkloster in Linnich insbesondere wegen des höheren Unterrichts entstanden war, betont auch noch Schultheiß Daniels 1787: „Wie gnädigst bekant, ist dahiesiges Minoriten kloster für die lateinische schuhl von stadts gemeinden wegen angenohmen“, LAV NRW R, Jülich-Berg II, 1249, fol. 12v. 64 „Admodum reverendus pater magister Bernardus Lanerus post reverendum patrem Maternum Pescher praesidentem protho guardianus residentiae in formalium conventuum numerum iam relatae prosequendae humaniori in scholis litteraturae primos asseruit ac praecipuos labores scholarum usu circa solemnitatem omnium sanctorum feliciter inchoato, ab his tamen pariter ac coeptanda conventus structura in brevi impeditur Hessorum in vicinam arcem Breidenberdensem iniuria 1644 kalendas Septembris irrumpentium, urbemque vexantium, studiis igitur publicis initiandoque fratrum domicilio remova iniecta advehendis tamen
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te man an die Errichtung der Schule gehen, die dann noch im Jahr 1649 realisiert wurde.65 Bezeichnend ist auch der Kloster- und Schulgründungplan in Zons: 1645/46, just als sich die Stadt während des Hessenkriegs am Niederrhein den wiederholten Angriffsversuchen des Generals Karl Rabenhaupt von Sucha zu erwehren hatte, bemühten sich Teile der Zonser Bevölkerung um die Errichtung einer neuen Ordensniederlassung. Unzweifelhaft standen von Seiten der Bürgerschaft und des Rates 1645 diese Bemühungen vornehmlich im Zusammenhang mit der Hebung der sittlich-moralischen, aber auch der wissenschaftlichen Bildung der Bevölkerung. Konkurrierend bemühten sich Franziskaner-Observanten (Rekollekten) und Minoriten (Franziskaner-Konventualen) um die Genehmigung einer Niederlassung. Die Franziskaner-Konventualen griffen dabei das ausdrücklich formulierte Bildungsinteresse der Befürworter einer Ordensniederlassung auf und versprachen für den Fall ihrer Zulassung, Schule zu halten („si pro casu admittentur scholas servare promiserunt“). Rat und Bürger gingen daher bereitwillig auf das Angebot der Konventualen ein und erbaten nachdrücklich beim Kölner Domkapitel, das durch Pfandschaft faktisch im Besitz der Unterherrschaft in Zons war, die Genehmigung, wo man sich jedoch für die angeblich bereits früher vorgeschlagenen Observanten entschied.66 Die Schulfrage erscheint auch in der Folgezeit aus Sicht der Bürgerschaft und des Rates als zentrales Interesse im Zusammenhang einer neuen Ordensniederlassung. Die schließlich vom Domkapitel zugelassenen FranziskanerObservanten weigerten sich im Anschluss, öffentlichen Schulunterricht zu materialibus quantum per belli incommoda licuit, colligendisque apud externos adminiculis ad annum 1648 insudatum est“, Curia Generalizia dei Frati Minori Conventuali – Archivio Generale Roma, Ms. III/25, S. 423. Vgl. OFFERGELD, Peter: Linnich als Schauplatz kriegerischer Ereignisse, in: Linnich im Wandel der Zeiten, hrsg. v. Linnicher Geschichtsverein, Jülich 1992, S. 226–255, hier S. 241f. 65 „Relaxatis inde animis gymnas Bonaventurana parabolam epulonis evangelici suas scholasticorum exercitiorum primitias spectandam exhibuit“, Curia Generalizia dei Frati Minori Conventuali – Archivio Generale Roma, Ms. III/25, S. 425. 66 „Hoc igitur in loco magna messis operarii pauci tam enim adulti quoad spiritualia ignorantissimi quam parvuli et quoad spiritualia quam enim moralia minime imbuti. Prudentiores miserrimum oppidi statum tum intum externum penitius considerantes religiosos quosdam admittere in oppidum decreverunt, ut inibi residentes tum verbo et exemplo adultos ad meliorem frugem adducerent, et parvulos pedetentim prius in orthodoxae fidei fundamentis instructos, bonisque moribus, disciplinis, literisque exercitatos, ne parentum moribus insisterent communitatique melius conpilerentes arierent“, Archiv der Kölnischen Franziskanerprovinz, Mönchengladbach, Tr 5, S. 5. Vgl. zur Bedeutung von Zons im Hessenkrieg die Ausführungen bei ENGELBERT, Günther: Der Hessenkrieg am Niederrhein, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 161 (1959), S. 65–113; 162 (1960), S. 35–96, sowie die Zusammenstellung bei DERS.: Schadensliste zum „Hessenkrieg am Niederrhein“, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 163 (1961), S. 134–165, hier S. 165. Zum Schulengagement der Franziskaner in Zons vgl. insg. KISTENICH: Bettelmönche (wie Anm. 19), Bd. 2, S. 1492–1499.
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übernehmen. Daraus entstanden langwierige Verhandlungen zwischen Stadt und Orden. Von Beginn der Niederlassung an, so berichtet die Konventschronik zum Jahr 1657, seien die Rekollekten von den Bürgern bedrängt worden, die Unterweisung der Jugend bis zur dritten Gymnasialklasse zu übernehmen. Bislang hätten sich die Patres auf vielerlei Weise entschuldigt. Nachdem andere Konvente nun aber mit Zustimmung der Oberen begonnen hätten, Jugendliche zu unterweisen, sähen sich die Bürger von Zons umso mehr in ihrer Auffassung bestätigt, dass auch in ihrer Stadt die Franziskaner-Observanten sich dem Schuldienst widmen sollten. Bürgermeister, Schöffen und Rat wandten sich in dieser Angelegenheit schriftlich an den Patron und Fundator der Ordensniederlassung, den Kölner Domkapitular Georg von Eyschen. Auch in diesem Schreiben wird die Gründungsabsicht nochmals deutlich: „Ewer hochwurden werden sich verhoffentlich zu erinnern wissen, waß gestalt, alß die herrn patres strictioris observantiae hieselbsten allererst admittirt worden dazumahl ewer hochwurden etc. alß deroselben fundatoris eigentliche meinung gewesen, daß die kinder in lateinischer sprach educiren mögten.“ Georg von Eyschen stimmte dieser Position des Stadtmagistrats uneingeschränkt zu („Iusta petitio iuxta primam intentionem fiat ut petitur“).67 Der eigentliche Zweck der Berufung von Ordensleuten mitten in den Kriegsdrangsalen 1645/46 war es also, den Schulunterricht in der lateinischen Sprache bzw. den unteren Gymnasialklassen zu erhalten. Ungeachtet des Drängens von Seiten der Stadt und des Patrons der Niederlassung nahmen die Ordensleute den Unterricht dennoch nicht auf. Als am 24. Mai 1659 der Provinzial in Zons weilte, trugen ihm Ratsherren und der Stadtschreiber neuerlich die Bitte vor, einem Ordensbruder des Konvents die Aufgabe der Schulunterweisung in der lateinischen Grammatik zu übertragen, wie dies auch die Intention des Fundators und Patrons sei. Der Provinzial lehnte dies wiederum mit dem Hinweis auf die angebliche Unvereinbarkeit mit Stand und Berufung des Ordens ab.68 Schließlich ist der Bestätigungsurkunde des Kurfürsten Johann Wilhelm von Pfalz-Neuburg für die Gründung des Wipperfürther Franziskanergymnasiums vom 18. April 1690 zu entnehmen, dass auch dort die Initiative von Bürgermeister und Rat ausgegangen war: „Burgermeister und Raht unßerer Haubtstatt Wipperfürth unterthänigst supplicando zu erkennen gegeben, waßgestalt denen dorthin auf- und angenohmenen patribus strictioris observantiae die eingegebene, clösterliche wohnung dergestalt verstattet und eingeräumbt worden, daß sie mit der zeit zur aufferbauung der jugend die studia humaniora ab infima bis Rhetoricam inclusive daselbst
67 Archiv der Kölnischen Franziskanerprovinz, Mönchengladbach, Tr 5, S. 217. 68 „Primum ut vellet mandare et ordinare, quatenus fratres istius conventus in se susciperent onus et labores instruendi pueros in grammaticis, hanc allegantes esse mentem et intentionem fundatoris et patroni conventus istius“, Archiv der Kölnischen Franziskanerprovinz, Mönchengladbach, APC 2, S. 142.
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zu Wipperfürth einführen und contingiren solten und wolten, wann zuvordirst das dazu erforderliches Gymnasium erbauet und aptirt sein würde“.69 Wie in Linnich oder Zons so erfolgte eine ganze Reihe von Gymnasialgründungen der Bettelorden in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges und der unmittelbaren Nachkriegszeit. Neben mentalitätsgeschichtlich hoch interessanten Begründungen – Krieg als Gottesstrafe für die bislang vernachlässigte Bildung, Errichtung von Schulen zur Moralisierung der Gesellschaft etc. – waren es vor allem ausdrücklich genannte wirtschaftliche Erwägungen, die für die Errichtung höherer Lehranstalten und die Übertragung des Unterrichts gerade an Bettelmönche sprachen: Die Bettelorden waren gegenüber den Jesuiten für die von den zahllosen Kriegen wirtschaftlich geschädigten Städte gerade deshalb so lukrativ, weil sie Lehrkräfte in der Regel gratis oder gegen ein vergleichsweise geringes Salär aus städtischen und/oder landesherrlichen Mitteln stellten und deren Unterhalt überwiegend aus den Almosengängen sowie durch Schulgelderhebungen finanzierten, ihre Kosten somit – modern gesprochen – ‚sozialisierten‘.70 Die Bettelorden boten den Städten also billige Lehrkräfte. Im Gegensatz dazu war der Aufbau eines Jesuitenkollegs mit angeschlossenem Gymnasium für die daran interessierten Landesherren bzw. Städte eine weitaus kostspieligere Angelegenheit, verlangte die Societas Jesu in der Regel doch bei der Gründung eine hinreichende Dotierung mit regelmäßigen Einkünften für die nötige Zahl von Ordensleuten sowie für die Unterkunft, erteilte im Gegenzug aber schulgeldfreien Unterricht.71 1640 sicherte der Dürener Stadtmagistrat alleine für die Anstellung eines Jesuiten für den Unterricht in der obersten Gymnasialklasse die jährliche Zahlung von 100 Reichstalern zu. Ferner übertrug die Stadt Düren dem Orden zu diesem Zeitpunkt für den Unterricht in der obersten Gymnasialklasse weitere 460 Reichstaler und 40 Morgen Land.72 Insgesamt lagen die städtischen Aufwendungen für eine öffentliche Schule in der Hand der Mendikanten weitaus niedriger als bei den Jesuiten, Weltgeistlichen oder weltlichen Lehrern, während die Bevölkerung in und um die Stadt durch ihre Gaben bei den Bettelgängen (Terminieren) der Patres und durch das Schulgeld zur Finanzierung in erheblich größerem Umfang beitrug als dies bei einer Jesuitenschule der Fall war. In dem Maße, wie die Wirtschaftskraft vieler und gerade kleinerer Städte seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert infolge der andauernden Kriegswirren versiegte und nicht wenige zu unbedeutenden Landstädtchen herabsanken, bot das ‚mendikantische Finanzierungsmo-
69 Zit. nach FUNCKE, Franz: Beiträge zur alten Geschichte der ehemaligen bergischen Hauptstadt Wipperfürth, Krefeld 1889, S. 23. Zu Wipperfürth vgl. KISTENICH: Bettelmönche (wie Anm. 19), Bd. 2, S. 1474–1489. 70 Vgl. hierzu KISTENICH: Bettelmönche (wie Anm. 19), Bd. 1, S. 128–137. 71 Vgl. hierzu KISTENICH: Bettelmönche (wie Anm. 19), Bd. 1, S. 126–128. 72 BONN, Mathias Michael/RUMPEL, D./FISCHBACH, Peter Joseph: Sammlung von Materialien zur Geschichte Dürens und seiner nächsten Umgebung, Düren 1835, S. 395; SCHOOP, August: Beiträge zur Schul- und Kirchengeschichte Dürens, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 26 (1904), S. 278–326, hier S. 297–313.
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dell‘ eine attraktive Möglichkeit, mit geringem Aufwand für die Stadtkasse zu einer höheren Lehranstalt zu kommen, die selbst wiederum ein Element der städtischen Wirtschaftsförderung sein konnte. Die Kombination ‚sozialisierter‘ Kosten mit vergleichsweise geringen Beiträgen seitens der Stadt einerseits und die Aussicht auf eine Begünstigung des bürgerlichen Wohlstands durch die Anwesenheit auswärtiger Schüler und die kostengünstige Unterweisung der einheimischen Jugend bis zur Vorbereitung auf die Hochschulstudien andererseits machten Mendikantenschulen in Zeiten knapper Kassen besonders attraktiv und dürften den Erfolg der Bettelordensschulen als Phänomen im Nordwesten des Alten Reiches mit dem Kerngebiet Rheinland begünstigt haben. Schauen wir auf die Motive der Orden, so nutzten diese das Angebot, Schule zu halten, vor allem um für eine neue Niederlassung des Ordens bei den Städten oder Landesherrn zu werben. Wie entscheidend gerade die Tätigkeit im höheren Schulunterricht für die Etablierung und Akzeptanz einer Niederlassung des Ordens sein konnte, erfuhren die Jesuiten bereits bei ihrer Niederlassungsgründung in Köln während der 1550er-Jahre.73 Erste Versuche, die Gesellschaft Jesu in der Stadt zu etablieren, waren in den 1540er-Jahren noch auf vehemente Widerstände seitens des Stadtrats gegenüber einem neuen geistlichen Institut überhaupt und den Jesuiten im Besonderen gestoßen. Als 1551 eine der drei Kölner Hauptbursen einging und ein Neubeginn als humanistische Lehranstalt – Gymnasium Tricoronatum – unter Leitung von Jakob Leichius bald wieder in Schwierigkeiten geriet, übernahm 1557 der Jesuit Johannes Rethius, Sohn einer Kölner Bürgermeisterfamilie, zunächst für seine Person die Leitung des Bursengymnasiums und setzte in der Folgezeit fast ausschließlich Jesuiten als Lehrkräfte ein. Schon wenige Jahre später war unumstritten, dass die Bildungsanstalt von den Jesuiten geleitet wurde. Seit 1559 wohnten die Lehrkräfte in einem gemeinsamen Haus, aber erst 1574 erbat Rethius vom Erzbischof die offizielle Gründung des Kölner Kollegs, die dann 1582 realisiert wurde. Der Ruf der Jesuiten als Schulorden verbreitete sich rasch und mit der überwiegenden Mehrzahl von Niederlassungen, insbesondere in Residenzstädten und so genannten Hauptstädten (Hauptorten) der Territorien, war dann zugleich die Übertragung bzw. Errichtung höherer Lehranstalten verbunden, wie die Tabelle 3 zeigt. Ein Orden allein war freilich nicht in der Lage, den Bedarf nach Schulen und insbesondere gymnasialen Bildungseinrichtungen in einer so städtereichen Region wie dem Nordwesten des Alten Reiches zu decken. So mehrten sich seit Beginn des 17. Jahrhunderts innerhalb der Gesellschaft Jesu die Stimmen, die angesichts der Personallage und neuer Aufgabengebiete zur Zurückhaltung bei der Gründung neuer Niederlassungen und neuer Schulen mahnten. Schon der General Aquaviva hielt 73 Vgl. übergreifend RUTZ, Andreas: Städtische Schulpolitik in der Konfessionalisierung. Aachen, Köln und Nürnberg im Vergleich, in: Zeitschrift für Historische Forschung 33 (2006), S. 359–385, hier S. 378–381; außerdem MEUTHEN: Universität (wie Anm. 53), S. 297–301.
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Tabelle 3: Jesuiten Ort
Gründung der Niederlassung
Gründung einer höheren Schule
Köln
(1557) 1582
(1557)
Paderborn
1580
1585
Maastricht
1580, nochmals 1673
1580, nochmals 1673
Lüttich (1)
1582
1582 (?)
Münster
1588
1588
Emmerich
(1592) 1603
1592
Aachen
1601/1603
1601/1603
Dinant
1610
1610
Roermond
1611
1611
Lüttich (2)
1613
1613 (?)
Neuss
1615
1616
Huy
(1615) 1641/52–1679
1631 (Plan), 1641/1649–1679
Lippstadt
1618–1633
1631
Düsseldorf
1619/20
1620
Münstereifel
1625
1625
Siegen
1626
1626
Coesfeld
1627
1627
Düren
1628
1630/1636
Minden
1629–1634
1630/31 (gescheiterter Versuch)
Jülich
1643/1646
1664
Tongern
1643
1643 (?)
Elberfeld
1658
(nach) 1658 (Elementarschule)
Solingen
1658
(vor) 1670er-Jahre (Elementarschule)
Essen
1665/1666
1669
1601 vor dem Hintergrund nachdrücklich geäußerter Erwartungen des Kölner Koadjutors und späteren Kurfürst-Erzbischofs Ferdinand von Wittelsbach bezüglich einer in Neuss einzurichtenden Jesuitenresidenz fest, dass die Provinz aus Mangel an Leuten dem Verlangen nicht nachgeben könne, weil man in diesem Fall andernorts Ordenspersonen abziehen müsse.74 Den erst seit dem Vorjahr in Münstereifel als Lehrer tätigen beiden Jesuiten teilte der Provinzial am 15. Januar 1626 mit, der eine 74 DUHR: Geschichte (wie Anm. 36), Bd. 2/1, S. 14, 106. Auch die Jahresberichte des Kölner Kollegs aus dem Jahre 1615 erwähnen den großen Mangel an Ordensleuten in der Rheinischen Provinz, ebd., S. 23.
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werde abgezogen, um ihn wegen des Personalmangels nach Siegen zu schicken, der andere vermutlich um Ostern in das von Spaniern besetzte Wesel abberufen.75 Im Zusammenhang der Verhandlungen zwischen der Ordensprovinz und dem General um Niederlassungsgründungen in Düren oder Jülich lehnte der General Vitelleschi in einem Schreiben aus dem Jahre 1628 an den Provinzial Baving solche Neugründungen mit folgender Argumentation ab: „Da jedoch in den Gegenden, von welchen Ew. Hochwürden in dem Berichte über die Reise zum Grafen Tilly schreiben, die Not viel größer ist, so bitte ich, bei dem Mangel an Leuten in der Provinz, nicht so eilig die Gesellschaft an die kleineren Städte zu fesseln, welche weniger bedrängt sind und leicht von benachbarten Kollegien Hilfe erhalten können, während so viele andere und weit größere Städte in solcher Not sich befinden und dazu von unserer Gesellschaft Hilfe erwarten“.76 Angesichts der militärischen Erfolge der spanischen und kaiserlichen Truppen während der 1620er-Jahre, welche die Aussicht auf eine umfassende Restitution des Katholizismus in protestantischen Städten und Reichsgebieten eröffneten, stufte der General also selbst die ‚Mithauptstädte‘ des Jülicher Landes in dieser Phase als Orte nachrangiger Priorität ein, an denen man zumindest vorerst keine Niederlassungen einrichten könne. In allen genannten Fällen, in Neuss, Münstereifel, Düren und Jülich wurden schließlich Jesuitenkollegien dauerhaft eingerichtet, mit denen Schulen verbunden waren, doch teilweise erst Jahre oder Jahrzehnte später, nachdem hartnäckiges Drängen vornehmlich seitens der Landesherren die Ordensleitung dazu bewegt hatte und als die wirtschaftliche Lage der Ordensniederlassungen einigermaßen gesichert schien. Gerade im Herzogtum Jülich zeigt sich langfristig deutlich die Tendenz der Gesellschaft Jesu, sich bei den Kloster- und Schulgründungen auf Städte mit zentralörtlichen Funktionen zu beschränken. Eine knappe Personaldecke, veränderte Prioritätensetzungen bei den Jesuiten einerseits und das in der Zeit der katholischen Reform deutlich gestiegene Bedürfnis in den Städten nach (höheren) Bildungseinrichtungen andererseits führten zu einer Lücke im Bildungsangebot, in die andere Orden stoßen konnten. Engagierte Jesuiten vor Ort sahen dass freilich mit Unbehagen und sich in einer für den Orden bedenklichen Konkurrenzsituation: Mitglieder der Jülicher Jesuitenniederlassung drängten Mitte des 17. Jahrhunderts die Leitung ihrer Ordensprovinz dazu, mit dem Magistrat der Stadt über die Aufnahme von Gymnasialunterricht zu verhandeln. Sonst würden ihnen Augustiner-Eremiten oder andere Ordensleute zuvorkommen 75 BECKER, Thomas P.: „Kein geringeres Verdienst vor Gott als in den weit entfernten Heidenländern“. Die Geschichte der Jesuiten in Münstereifel, in: MÖTSCH, Johannes/SCHOEBEL, Martin (Hrsg.): Eiflia Sacra. Studien zu einer Klosterlandschaft (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 79), Mainz 1994, S. 407–428, hier S. 420. 76 Zit. nach DUHR: Geschichte (wie Anm. 36), Bd. 2/1, S. 113. Vgl. hierzu die Verhandlungen betreffend eine Jesuitenniederlassung mit Gymnasium in Coesfeld 1627, NEUMÜLLERS, Otto (Hrsg.): 300 Jahre Coesfelder Gymnasium. Festschrift zum Doppeljubiläum am 22., 23., 24. September 1928, Coesfeld [1928], S. 11.
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und mit einer Schulgründung in Jülich den bereits bestehenden Jesuitengymnasien in der Umgebung schaden. Warnend wies man auf das Beispiel der benachbarten Stadt Linnich hin, wo die Minoriten bei der Niederlassungsgründung 1643 gegenüber der Stadt vertraglich zugesagt hatten, die Lehrkräfte für den Aufbau eines Gymnasiums zu stellen.77 Von Seiten der Leitung des Jesuitenordens mahnte man hingegen zur Gelassenheit.78 Hatte ein Orden sich erst einmal den Ruf eines Schulordens erarbeitet, so konnte ein regelrechter Wettlauf um neue Niederlassungsorte entbrennen. Als 1631 die Jesuiten Anstrengungen unternahmen, in Huy an der Maas neben den AugustinerEremiten, die dort schon 1615 ein Kolleg eröffnet hatten, Unterricht zu halten, entbrannte ein Schulstreit. In dessen Folge erhielt zwar die Gesellschaft Jesu 1641 die Zustimmung des Fürstbischofs Ferdinand von Wittelsbach und nach langem Zögern 1649 auch diejenige der Stadt zur Gründung von Schule und Niederlassung, doch das Gymnasium schloss mangels Schülern bereits 1679 wieder und die Jesuiten
77 „Hanc opportunitatem nisi Societas nunc, dum res integra est, apprehendat, facient id Augustiniani aliique regulares, qui sicut nunc Scholas Linichii, quod est exiguum in vicinitate oppidum, aperuerunt, ita si intelligant nos de stabili sede Juliaci figenda non amplius cogitare, Scholas Juliacenses absque dubio affectabunt et a Magistratu impetrabunt a quibus tunc vicina nostra Collegia paterentur illa ipsa incommoda, propter quae nunc existimant Scholas Juliacenses a nobis non esse admittendas. […] quid tamen fiet, si Magistratus Juliacensis de nobis desperans pro secularibus Professoribus Augustinianos admittat, qui quantum Scholis Societatis officiant in Belgio et alibi damno nostro satis sumus experti. Verum non fore hoc Scholarum nostrarum vicinarum damnum tantum, quantum a quibusdam apprehenditur, clarius apparebit“, KUHL, Joseph: Geschichte der Stadt Jülich insbesondere des früheren Gymnasiums zu Jülich, 4 Bde., Jülich 1891–1897, hier Bd. 2, S. 37f. 78 Der Ordensgeneral Vitelleschi schrieb bereits 1624 an den Vizeprovinzial der Rheinischen Provinz, P. Johannes Copper: Aus der Rheinischen Provinz sei er auf die Beunruhigung hingewiesen worden, die durch die Eröffnung von Schulen seitens der Augustiner-Eremiten in einigen Städten der Provinz wie zuvor schon in den südlichen Niederlanden entstanden sei. Der Ordensgeneral wandte sich ausdrücklich dagegen, die Gründung von Gymnasien durch die Augustiner-Eremiten zu hintertreiben; dies widerspräche der religiösen Liebe und Klugheit. Vielmehr solle man den Patres kein Hindernis entgegensetzen, sondern sie mit Eifer und in Freundschaft unterstützen, geradeso wie dies umgekehrt die Jesuiten bei der Eröffnung eigener Schulen von anderen Orden erwarteten. 14 Tage später sandte Vitelleschi ein entsprechendes Schreiben an den Rektor des Aachener Jesuitenkollegs, der über die drohende Konkurrenz für das dortige Gymnasium klagte. Sofern nur die eigenen Lehrer mit Eifer ihrem Amt nachkämen, brauche man eine Konkurrenz nicht zu fürchten, wie das Nebeneinander von Jesuiten und Augustiner-Schulen in Belgien zeige, DUHR: Geschichte (wie Anm. 36), Bd. 2/1, S. 518f. Auf Bitten des Aachener Stadtrats waren die Augustiner-Eremiten 1617 an die Einrichtung eines Gymnasiums gegangen, was aber am Widerstand der Provinzleitung des Mendikantenordens gescheitert sein soll, QUIX, Christian: Geschichte des Karmeliten-Klosters, der Villa Harna, der Gelehrtenschulen in Aachen vor der Einführung des Jesuitengymnasiums, der vormaligen Herrschaft Eilendorf usw., Aachen 1835, S. 92.
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verließen daraufhin Huy.79 Hier setzten sich langfristig die Augustiner-Eremiten durch. Den für das rheinische (Ordens-)Schulwesen bedeutenden Minoriten fehlte zunächst das ‚Image‘ eines bewährten Schulordens, wie es insbesondere den Jesuiten und seit Beginn des 17. Jahrhunderts zunehmend auch den Augustiner-Eremiten durch ihre Erfolge in den habsburgischen Niederlanden und im Fürstbistum Lüttich anhaftete. Kein anderer Fall zeigt die daraus resultierenden Schwierigkeiten deutlicher, als die Reaktion auf das Angebot der Minoriten, 1623 eine Niederlassung in Münstereifel zu gründen und dort das vom Magistrat und dem Amtmann gewünschte Gymnasium zu errichten.80 Der Frage, ob die Franziskaner-Konventualen geeignete Lehrkräfte stellen könnten, standen Bürgermeister, Schöffen und Rat skeptisch gegenüber, indem sie hervorhoben, die Minoriten übten bislang weder im Reich noch in angrenzenden Königreichen eine solche Funktion aus. Grafen, Ritter und andere hatten signalisiert, im Falle der Berufung von Minoriten nichts zur Errichtung der Schule beitragen zu wollen. Nach dem Vorbild von Emmerich und Düsseldorf wünsche man die Übertragung an die Gesellschaft Jesu, die erwiesenermaßen Verdienste im öffentlichen Schulwesen habe. Möglicherweise wäre die Entscheidung nach der Eröffnung des Bonner Minoritengymnasiums (spätestens 1626) anders ausgefallen. So aber sprach neben dem Streit mit den bereits in Münstereifel ansässigen Kapuzinern um die Niederlassung eines weiteren Bettelordens das mangelnde Zutrauen in die Lehrbefähigung gegen die Minoriten und für die Jesuiten, die dann 1625 den Unterricht aufnahmen. Auch wenn gesicherte Zeugnisse über einen Zusammenhang mit der Entstehung des Bonner Minoritengymnasiums fehlen, so scheint doch die Hypothese nicht abwegig, dass möglicherweise die Bevorzugung der Jesuiten in Münstereifel sowie die ähnliche Entwicklung in Neuss, wo das Minoritenkloster 1615/16 zugunsten einer Niederlassung der Gesellschaft Jesu mit angeschlossenem Gymnasium aufgehoben wurde, das Bewusstsein und die Bereitschaft der Minoriten stärkten, an so exponiertem Ort wie der kurkölnischen Residenzstadt Bonn den höheren Schulunterricht zu übernehmen, als ihnen dies angetragen wurde. Jedenfalls fungierte das Bonner Minoritengymnasium schon bald als ‚Aushängeschild‘ für die Lehrtätigkeit des Ordens auch über den kurkölnischen Raum hinaus.81 In ihrem Bittschreiben an den Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm im Herbst 1641 bezüglich einer Niederlassung im bergischen Lennep betonten die Minoriten beispielsweise eigens ihre Bereitschaft, „wofern es die occasion und gelegenheit leiden mogte, drey inferiores classes, nemblich infimam, grammaticam, und syntaxin zu 79 MOISSE, Georges: Le Collège des Augustins à Huy (1615–1796), in: Leodium 52 (1965), S. 5–24, hier S. 12f. 80 Vgl. zu Münstereifel KISTENICH: Bettelmönche (wie Anm. 19), Bd. 2, S. 1228–1232. 81 KISTENICH, Johannes: Das Bonner Minoritengymnasium. Zur Geschichte des ältesten Minoritengymnasiums im Rheinland, in: Beethoven-Gymnasium Bonn. Jahresbericht 1998, Bonn 1998, S. 7–39. Vgl. auch KISTENICH: Bettelmönche (wie Anm. 19), Bd. 1, S. 478–519.
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underrichtung der jugendt und den umbliegenden dorferen zum besten, gleich wie von uns zu Bonn die humaniora studia volkomlich docirt werden, anfangen wollten.“82 Das Hauptinteresse des Ordens war freilich ein anderes: man suchte nach einer Niederlassung, die als Quartier bei den Zügen aus den rheinischen Konventen in die westfälischen dienen konnte. Hier verbinden sich zwei Aspekte: Der Hinweis auf die erfolgreiche Lehrtätigkeit in Bonn und das Schulangebot als erfolgreiche ‚Werbung‘ für eine neue Niederlassung. Ähnlich warben die Minoriten 1648 beim Pfalzgrafen um die Übertragung der Mauritius-Kapelle vor der Stadt Sinzig mit dem Angebot, „auch die inferiores classes in bemelter unßer statt Sintzig anstellen, und die jugendt, sowohl in der gottesforcht und devotion, alß den humanioribus studiis instruiren [zu] wollen“.83 Nach Aussage des „Liber magistralis“ der Sinziger Minoriten hatte der Vogt der Ämter Sinzig und Remagen die Kapuziner zur Aufgabe ihrer Niederlassung in Sinzig bewogen und bei den Bürgern mit dem Angebot der Minoriten zum Unterricht für deren Aufnahme geworben: „Is collaboravit praecipue, ut patres Capucini locum hunc vel illius ecclesiae usum resignarent in nos atque cives in oppidum reciperent nos ob iuventutis instructionem.“84 Man wird wohl annehmen dürfen, dass Pastor, Vogt, Bürgermeister und Rat den Wechsel von den Kapuzinern zu den Minoriten gerade deshalb nachhaltig förderten, weil die Franziskaner-Konventualen anboten, ein Gymnasium einzurichten. Dass die Verdienste der Minoriten um das Bonner Gelehrtenschulwesen in Sinzig bekannt waren und das Klosterprojekt zumindest indirekt beförderten, verdeutlichen zwei Beispiele: Am 24. Januar 1650 vermachte der erbenlose Bernhard Uberbach aus dankbarer Erinnerung an seine Schulzeit am Minoritengymnasium der kurkölnischen Residenzstadt sein gesamtes Vermögen für die neue Niederlassung im jülichschen Sinzig. Zu den Wohltätern der dortigen Niederlassung in den Anfangsjahren zählte auch Johannes Stroë aus Westum, dessen Sohn Matthias Lehrer am Bonner Minoritengymnasium war.85 In diese Reihe der Werbungen für neue Minoritenkonvente mit dem Angebot zu öffentlichem Schulunterricht gehört auch der Fall Monschau: Am Wahltag der Stadt (5. Mai) im Jahr 1690 erschien der Guardian der Minoriten von Nideggen vor der versammelten Bürgerschaft und warb unter anderem damit bei den Anwesenden, man werde im Falle einer Zulassung in Monschau auch Schulunterricht halten. Bei den anschließenden Beratungen setzte man sich innerhalb der Bürgerschaft mit diesem Argument kritisch auseinander: „Dergleichen promissen haben dieselbige auch, als verschiedene clöster, als nemblich zu Nideggen, Bonn und Linnich zu erbauen vergünstiget worden, gethan, die schuhlen auch einige jahren gehalten und 82 LAV NRW R, Jülich-Berg II, 827, fol. 2r. Zu Lennep vgl. KISTENICH: Bettelmönche (wie Anm. 19), Bd. 2, S. 1142–1151. 83 Landeshauptarchiv Koblenz, 13/207. Zu Sinzig vgl. KISTENICH: Bettelmönche (wie Anm. 19), Bd. 1, S. 1387–1395. 84 Landeshauptarchiv Koblenz, 176/10, S. 24. 85 Landeshauptarchiv Koblenz, 176/10, S. 25.
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schon vor lange jahren in untergang gehen lassen und wurde diesem stättlein dergleichen auch widerfahren“.86 So unberechtigt die Kritik zumindest im Falle von Bonn ist, in Nideggen wurde der Unterricht in der Tat mehrfach unterbrochen und für Linnich liegen aus der betreffenden Zeit keine Quellen vor. Die Diskussion macht aber nochmals deutlich, dass man städtischerseits den Werbecharakter des Schulangebots klar durchschaute und hinterfragte. Erst 21 Jahre später gelang 1711/12 ein erneuter Versuch zur Gründung einer Minoritenniederlassung in Monschau, an der weitere zehn Jahre später auch ein Gymnasium eingerichtet wurde: In einem Schreiben an den Amtmann von Monschau am 13. Oktober 1711 sprachen die Minoriten diesmal nur recht vage davon, auch „die jugent instruiren, in wissenschaft und tugendt unterweisen“ zu wollen.87 Schon sehr viel konkreter artikulierten Unterzeichner aus landesherrlicher Beamtenschaft, Stadt und Pfarrei in einem Schreiben vom 25. Oktober die Einrichtung der drei unteren Gymnasialklassen durch die Minoriten.88 Die Ordensleute sollten verpflichtet werden, den Unterricht bis zur Syntax einschließlich zu übernehmen. Bei den Beratungen im Geistlichen und Geheimen Rat fand die Schulangelegenheit sorgfältige Prüfung und erfuhr eine wesentliche Erweiterung, indem nunmehr der Unterricht in sämtlichen Gymnasialklassen bis zur Rhetorica vorgeschrieben wurde. So erhielt Monschau denn auch ein fünfklassiges Gymnasium. Unübersehbar stehen das werbende Angebot der Ordensleute zur Schulhaltung im Zusammenhang der gewünschten Niederlassungsgründung und die Interessenvertreter auf kommunaler Ebene am Beginn des Entstehungsprozesses. Doch dokumentiert die Mitwirkung der landesherrlichen Räte, dass der Territorialstaat allmählich durch ein aktiv lenkendes Eingreifen auch bei den Bettelordensschulen eigene Kompetenzen im Bereich des öffentlichen Schulwesens zu artikulieren und auch durchzusetzen vermochte. Zu Motiven und Initiativen lässt sich also zusammenfassend sagen: Die Städte suchten ihre Zustimmung zur Niederlassung eines Ordens an die Bedingung zur Schulgründung zu knüpfen. Dahinter standen vor allem ökonomische Erwägungen. Eine Gymnasialeinrichtung bot Aussicht auf Einnahmen aus dem Kostgeld auswärtiger Schüler und zudem eine kostengünstige Gelegenheit, die eigene städtische Jugend unter der Aufsicht der Eltern unterweisen zu lassen. Gerade die durch die Kriegsauswirkungen von den 1580er-Jahren bis zum Westfälischen Frieden wirtschaftlich geschwächten Kommunen nutzten gezielt die Einrichtung von Gymnasien als Instrument der Wirtschaftsförderung. Die Orden instrumentalisierten ihrerseits das Angebot, Schule zu halten, um für die Zulassung einer neuen Niederlassung bei den Verantwortlichen zu werben. Dabei ging es nicht etwa primär um die Rekrutierung von Ordensnachwuchs, sondern vielmehr angesichts des enormen Zulaufs zu den Ordensgemeinschaften bis zur Mitte des 86 LAV NRW R, Monschau, Minoriten, Akt. 1, S. 2f. Zu Monschau vgl. KISTENICH: Bettelmönche (wie Anm. 19), Bd. 2, S. 1208–1223. 87 LAV NRW R, Monschau, Minoriten, Akt. 1, S. 4. 88 LAV NRW R, Monschau, Minoriten, Akt. 1, S. 6.
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Gründungszeitraum von Klöstern und Stiften im nördlichen Rheinland und in Westfalen 100
Anzahl
80 60 40 20 0 6.
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9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. Jahrhundert Nordrhein
Westfalen
17. Jahrhunderts darum, neue Ordenshäuser gründen zu müssen, um die Ordensangehörigen versorgen zu können. Zum Schneeballsystem entwickelte sich dies freilich, indem die Schulen faktisch sehr wohl auch als Rekrutierungsanstalten für weiteren Ordensnachwuchs fungierten.89 Die Gründungswelle an Klöstern und Konventen gerade im 17. Jahrhundert ist insofern auch eine Folge der Tatsache, dass Ordensleute öffentlichen Schulunterricht als eine Kernaufgabe begriffen (Graphik).90 89 KISTENICH: Bettelmönche (wie Anm. 19), Bd. 1, S. 140–145. 90 Als Planungsinstrument für das Projekt „Nordrheinisches Klosterbuch“ (wie Anm. 1) wurde eine Liste derjenigen Stifte und Klöster erarbeitet und online gestellt, die im Untersuchungsraum vom Frühmittelalter bis zur Säkularisation entstanden waren. Der Zeitraum mit den meisten Kloster- bzw. Stiftsgründungen im nördlichen Rheinland war demnach das 17. Jahrhundert mit 95 Erwähnungen, entsprechend einem knappen Viertel (23,3 %) aller Gründungen vor der Säkularisation. Ein Blick in das Westfälische Klosterbuch ergibt ein ähnliches Bild, HENGST, Karl (Hrsg.): Westfälisches Klosterbuch. Lexikon der vor 1815 errichteten Stifte und Klöster von ihrer Gründung bis zur Aufhebung (Quellen und Forschungen zur Kirchen- und Religionsgeschichte 2; Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen 44), 2 Bde., Münster 1992/94, hier Bd. 2, S. 510–517. Um Vergleichbarkeit herzustellen, müssen die dort gesondert aufgeführten Verlegungen von Niederlassungen, Wechsel der Ordenszugehörigkeit bzw. der Regel zusammengefasst werden. Zudem sind aus der Liste der geistlichen Institute für einen Vergleich diejenigen Niederlassungen von nicht regulierten Gemeinschaften – im Wesentlichen also der Beginen – herauszurechnen. Der Gründungsboom des 17. Jahrhunderts im Nordwesten des Alten Reiches wird noch bekräftigt, wenn man den Blick auf das Gebiet des heutigen Belgien ausweitet. Zwar liegen nur zu einzelnen Orden (Augustinereremiten, Franziskaner) Nachschlagewerke vor, eine systematische Zu-
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Fazit Abweichend von der älteren Forschungsmeinung, die von einer generellen Dominanz oder gar ‚Monopolstellung‘ der Jesuiten auf dem Sektor des katholischen, insbesondere höheren Schulwesens ausging, lässt sich im Nordwesten des Alten Reichs, also einem Gebiet von den südlichen, habsburgischen Niederlanden, über das Rheinland bis nach Westfalen, eine bedeutende Aktivität der Bettelorden im öffentlichen Schulwesen der Frühneuzeit beobachten. Mendikanten, allen voran die AugustinerEremiten, die Minoriten und die von diesen am Beginn des 16. Jahrhunderts als selbstständiger Ordenszweig abgespaltenen Franziskaner-Rekollekten übernahmen seit der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts Lehrämter, und zwar im gesamten Spektrum vom Elementarunterricht über Lateinschulen und Gymnasien bis hin zu philosophischen Studien vergleichbar den Artesstudien der Universitäten. Mit dieser großen Bedeutung der Bettelordensschulen unterschied sich die Situation im Nordwesten des Alten Reiches grundlegend von anderen überwiegend katholischen Gebieten Zentraleuropas, in denen – wie in Frankreich, Österreich, Schlesien oder Bayern – die Gesellschaft Jesu das Gelehrtenschulwesen in der Tat weitaus stärker dominierte. Mit Blick auf das Engagement von geistlichen Orden im öffentlichen Schulwesen ist also nicht das Rheinland als isolierte oder isolierbare Schullandschaft zu greifen, sondern das Rheinland in seiner – gleichsam traditionellen – kulturellen Einbindung im Nordwesten des Alten Reiches. Dieser Raum, als Zentrum der Entstehung und frühen Ausbreitung weiblicher Lehrorden, der Wirkung von Semireligiosen (Devotessen) und des Wirkens vor allem der Bettelorden neben den Jesuiten im höheren Jungenschulwesen, ist recht gut als ‚Schullandschaft‘ gegenüber anderen katholischen Gebieten des Alten Reichs und darüber hinaus abzugrenzen. Für bestimmte Phänomene, zum Beispiel die Minoritenschulen, ist das Rheinland Kerngebiet innerhalb der ‚Schullandschaft‘, unter anderen Gesichtspunkten gehört das Rheinland zu den früh beeinflussten Gebieten (Lehrorden für Mädchen, Augustinerschulen).
sammenstellung in einem Klosterbuch steht hingegen aus. Näherungsweise lässt sich die quantitative Entwicklung jedoch nachzeichnen: 1559 bestanden 301 Klöster und 44 Beginenhöfe, 1773 400 Männer- und 453 Frauenklöster neben 41 Beginenhöfen, MOREAU, E. de: Histoire de l‘église en Belgique, Bd. 5 (Museum Lessianum. Section historique 15), Brüssel 1952; THION, André: Les religieuses en Belgique du XVIIIe au XXe siècle. Approche statistique, in: Revue Belge d‘histoire contemporaine 7 (1976), S. 1–54. Selbst wenn man mit Thion die Liste zu 1559 für wahrscheinlich unvollständig hält („cette liste [...] n‘est probablement pas exhaustive“), lässt sich daraus doch eine enorme Steigerung der Zahl an geistlichen Instituten zwischen 1559 und 1773 ablesen (um bis zu 180 %!). Die in den habsburgischen Niederlanden, dem Fürstbistum Lüttich und den kleineren Territorien dieses Raums während des ausgehenden 16. Jahrhunderts beginnende Welle an Klostergründungen erreichte auch hier im 17. Jahrhundert ihren Höhepunkt.
Gerhard Menk
Das protestantische Schulwesen im frühneuzeitlichen Rheinland Eine Annäherung für die brandenburgische Herrschaft 1. Der Protestantismus in der Minderheit und die Konkurrenz der Konfessionen Das frühneuzeitliche Rheinland war weder ein klar definierter noch ein konfessionell einheitlicher Raum.1 Es stellt eine der vielen Landschaften im Heiligen Römischen Reich dar, die schon im Mittelalter ein äußerst buntscheckiges Bild aufwiesen und im Verlaufe des 16. Jahrhunderts noch buntscheckiger wurden, als hier alle drei großen Konfessionen – Katholizismus, Luthertum und Kalvinismus – auf der Landkarte erschienen. Schließlich gesellten sich auch noch die Mennoniten in einem überschaubaren Rahmen dazu. Diese Konfiguration blieb nicht ohne Konsequenzen für das Bildungswesen, das sich üblicherweise in den größeren deutschen Landschaften der Frühen Neuzeit von der obersten Stufe in Form von Hohen Schulen und Universitäten über die Lateinschulen in den Städten bis hin zu den kleinsten Dorf- und Winkelschulen erstreckte. Anders als in den großen Flächenstaaten in Westeuropa, die mit wenigen Universitäten auskamen, wurde das Heilige Römische Reich mit seinen völlig anderen, territorial und regional geprägten Strukturen, zu einem Eldorado von Hochschulen.2 Obwohl im Rheinland mit der Kölner Universität zu Beginn der Neuzeit bereits eine Universität bestand, lässt sich im 16. Jahrhundert noch eine weitere Gründungsinitiative registrieren. Allerdings stellen die 1555 einsetzenden Bemühungen Herzog Wilhelms V. von Jülich-Kleve-Berg, in Duisburg eine Universität einzurichten, keineswegs den zuzeiten üblichen Versuch von protestantischer Seite dar, das territoriale oder städtische Bildungswesen mit einer Hochschulgründung aufzu-
1 Vgl. im Überblick PETRI, Franz: Im Zeitalter der Glaubenskämpfe, in: DERS./DROEGE, Georg (Hrsg.): Rheinische Geschichte, Bd. 2: Neuzeit, Düsseldorf 1976, S. 1–198; BRAUBACH, Max: Vom Westfälischen Frieden bis zum Wiener Kongreß, in: ebd., S. 219–310. 2 An Überblicksdarstellungen seien genannt HAMMERSTEIN, Notker (Hrsg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 1: 15.–17. Jahrhundert. Von der Renaissance und der Reformation bis zum Ende der Glaubenskämpfe, München 1996; MENK, Gerhard: Das Bildungswesen in den deutschen protestantischen Territorien der frühen Neuzeit, in: SCHILLING, Heinz/EHRENPREIS, Stefan (Hrsg.): Erziehung und Schulwesen zwischen Konfessionalisierung und Säkularisierung, Münster u. a. 2003, S. 55–99.
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werten.3 Beispiele für solche protestantischen Gründungen sind etwa das hessische Marburg, gegründet 1527 und privilegiert 1541, oder das wettinische Jena. Beide bildeten in der Reformationszeit ebenso wie das Straßburger Gymnasium illustre neue akademische Einrichtungen mit universitärem Charakter. Für Duisburg, wo die jülich-klevisch-bergische Anstalt entstehen sollte, galten freilich in jeder Hinsicht andere Bedingungen. Der Landesherr versuchte eine Universität nicht mit einem ausdrücklich protestantischen Anstrich zu gründen – und hat deswegen auch beim Papst wie beim Kaiser um ein Privileg nachgesucht. Doch weder das 1564 von päpstlicher Seite noch das zwei Jahre später auf dem Augsburger Reichstag von Kaiser Maximilian II. ausgestellte kaiserliche Privileg und auch keine der anderen bisher unternommenen Anstrengungen reichten hin, um eine akademische Anstalt an der vorgesehenen Stelle ins Leben zu rufen.4 So blieb das Duisburger Gründungsunternehmen das letzte im konfessionellen Zeitalter, für das zwei Privilegien vorlagen.5 Allerdings ragt der Duisburger Gründungsversuch doch noch in den protestantischen Raum hinein, wenn auch erst nach dem Ende des konfessionellen Zeitalters. Die Initiative Herzog Wilhelms ging nämlich keineswegs unter und blieb damit auch nicht bedeutungslos. Vielmehr diente sie durchaus bewusst als Ausgangspunkt für einen nächsten Gründungsversuch – und diesmal war es ein prononciert protestantischer mit kalvinistischem Anstrich. Die noch größere territoriale und konfessionelle Zersplitterung der Rheinlande, wie sie mit dem Ende der jülich-klevisch-bergischen Dynastie 1609 eingeleitet wurde und sich in der Aufteilung der von ihr verwalteten Lande unter Brandenburg und Pfalz-Neuburg niederschlug, bildete dabei den Ausgangspunkt für eine protestantische Universitätsgründung. Zwingend
3 Zur Geschichte Duisburgs vgl. RING, Walter: Geschichte der Universität Duisburg, Duisburg 1920; RODEN, Günter von: Die Universität Duisburg, mit einem Beitrag von Hubert Jedin (Duisburger Forschungen 12), Duisburg 1968; HANTSCHE, Irmgard (Hrsg.): Zur Geschichte der Universität. Das „Gelehrte Duisburg“ im Rahmen der allgemeinen Universitätsentwicklung (Duisburger Mercator Studien 5), Bochum 1997; BORN, Gernot/KOPATSCHEK, Frank: Die alte Universität Duisburg, Duisburg 2001; GEUENICH, Dieter/HANTSCHE, Irmgard (Hrsg.): Zur Geschichte der Universität Duisburg 1655–1818 (Duisburger Forschungen 53), Duisburg 2007; trotz aller, gerade auch jüngerer beachtlicher Anstrengungen, der älteren Universität Duisburg Konturen zu verleihen, bleiben noch manche Desiderate der Forschung festzuhalten, auch und vor allem im Hinblick auf bisher nicht genutzte ungedruckte Quellen. 4 Vgl. hierzu JEDIN, Hubert: Der Plan einer Universitätsgründung in Duisburg 1555/64, in: RODEN: Universität (wie Anm. 3), S. 1–32; STÖVE, Eckehart: Ein gescheiterter Gründungsversuch im Spannungsfeld von Humanismus und Gegenreformation, in: HANTSCHE: Geschichte (wie Anm. 3), S. 23–46. 5 Edition der Privilegien schon in LUCAE, Friedrich: Europäischer Helicon, auf welchen die Academien oder hohe Schulen von Anfang der Welt biß jetzt aller Nationen besonders Europae ... vorgestellt, Frankfurt a. M. 1711; vgl. auch Haus-, Hof und Staatsarchiv Wien, Confirmationes Privilegiorum, lat. exped. 9.
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war sie nicht und sie hat auch nicht unmittelbar nach der Aufteilung des klevischen Erbes stattgefunden. Es dauerte nämlich einige Zeit, ehe zu dieser Maßnahme gegriffen wurde. Zuvor jedoch erreichte die konfessionelle Problematik, obschon ohnehin der große Treibsatz der Zeit, im gegebenen Fall eine besondere Schärfe, als die beiden Erben Johann Sigismund von Brandenburg und Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg ihren bisher gemeinsamen lutherischen Glauben verließen, um sich im Falle des Brandenburgers dem Kalvinismus, des Pfalz-Neuburgers hingegen auf der anderen Seite des konfessionellen Spektrums dem Katholizismus anzuschließen.6 Damit waren politisch wie konfessionell längerfristig sehr klare Akzente gesetzt – und sie mussten sich auch in bildungspolitischer Hinsicht niederschlagen. Allerdings kam mit dem Dreißigjährigen Krieg erst einmal eine Zeitspanne, die dem Bildungswesen jedweder Art höchst abträglich war. Eine Änderung zeichnete sich in den letzten Kriegsjahren ab. Überdies ließ Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg, der sich weitaus später, nämlich nach der Schlacht von Fehrbellin zum ‚Großen Kurfürsten‘ befördert fand,7 nach Kriegsende nur wenige Jahre verstreichen, ehe er just am früher schon vorgesehenen Platz in Duisburg die Gründung einer Universität vollzog. Als sie am 14. Oktober 1655 feierlich eröffnet wurde, war mit dem kürzlich erst gefürsteten Johann Moritz von Nassau-Siegen nicht nur der klevische Statthalter des brandenburgischen Kurfürsten in Duisburg anwesend, sondern zugleich ein Mann, der über einige Erfahrung im Bildungswesen, aber auch in der Wissenschaftsorganisation insgesamt verfügte.8 Ohnehin aus einer Familie
6 Vgl. hierzu insb. ANDERSON, Alison A.: On the verge of war. The Jülich-Kleve succession crisis 1614–1620 (Studies in Central European Histories), Boston 1999. 7 Zu ihm PETERSDORFF, Hermann von: Der Große Kurfürst, Gotha 1926; OESTREICH, Gerhard: Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst (Persönlichkeit und Geschichte 65), Göttingen/Zürich 1971; OPGENOORTH, Ernst: Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst von Brandenburg. Eine politische Biographie, 2 Bde., Göttingen 1971/78. 8 Dies ist schon so gut wie ausgeblendet bei einer der frühesten zusammenfassenden Darstellungen: HÖTZSCH, Otto: Fürst Johann Moritz von Nassau-Siegen als brandenburgischer Staatsmann 1647–1679, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 19 (1906), S. 89–113; dagegen jüngst HANTSCHE, Irmgard: Johann Moritz und die Gründung der Universität Duisburg, in: DIES. (Hrsg.): Johann Moritz von Nassau-Siegen (1604– 1679) als Vermittler. Politik und Kultur am Niederrhein im 17. Jahrhundert (Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas 13), Münster u. a. 2005, S. 131–154. Zu Johann Moritz vgl. außerdem BOOGART, E. van den/HOETINK, H. R./WHITEHEAD, P. J. P. (Hrsg.): Johann Maurits van Nassau-Siegen, 1604–1679, Den Haag 1979; BIJL, Murk van der: Johann Moritz von Nassau Siegen (1604–1679). Eine vermittelnde Persönlichkeit, in: LADEMACHER, Horst (Hrsg.): Oranien-Nassau, die Niederlande und das Reich. Beiträge zur Geschichte einer Dynastie (Niederlande-Studien 13), Münster 1995, S. 125–154; BRUNN, Gerhard/ NEUTSCH, Cornelius (Hrsg.): Sein Feld war die Welt. Johann Moritz von Nassau-Siegen (1604–1679). Von Siegen über die Niederlande und Brasilien nach Brandenburg (Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas 14), Münster u. a. 2008.
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stammend, die dem Bildungsgedanken eng verbunden war,9 hatte Johann Moritz dem wissenschaftlichen Moment schon während seiner Zeit als Statthalter im niederländischen Brasilien zwischen 1636 und 1643 einen äußerst hohen Rang eingeräumt.10 Aber auch die Privilegierung der von seinem Großvater Johann VI. von Nassau-Dillenburg errichteten Hohen Schule Herborn ist vorrangig von ihm und nicht vom Dillenburger Grafen Ludwig Heinrich betrieben worden.11 Da Johann Moritz das dreistufige nassauische Bildungswesen ebenso gut kannte wie das hessische unter Landgraf Moritz dem Gelehrten, an dessen Kasseler Hof er seine Ausbildung absolviert hatte,12 war auch ihm erkennbar an der Einrichtung einer höheren Bildungseinrichtung im brandenburgischen Westen gelegen. Die Verbindungen zwischen Duisburg und Nassau waren vielfältig. Als nämlich die dritte brandenburgische Universität nach Königsberg und der Viadrina in Frankfurt an der Oder Mitte der 1650er-Jahre ihren Lehrbetrieb aufnahm, zog sie auch personell Nutzen aus Nassau. Mit dem Philosophen Johann Clauberg und seinem Kollegen Christoph Wittich kamen nämlich gleich zwei Professoren aus Herborn nach Duisburg, um hier in den Mittelpunkt des Lehrbetriebs zu rücken.13 Während sie als Cartesianer Herborn relativ rasch hatten verlassen müssen, verfügte Duisburg mit ihnen von vornherein über zwei Repräsentanten der wissenschaftlichen Moderne, denen es leicht fiel, den Bogenschlag von Duisburg aus in die nahen Niederlande zu ermöglichen. Duisburg blieb freilich nicht die einzige Bildungsinstitution, die in den westlichen Gebieten Brandenburgs während der 1650er-Jahre zu neuen Ufern fand. Wenn die neue Universität für den klevischen Landesteil steht, der damit ein neues intellektuelles Zentrum mit akademischen Zuschnitt erhielt, das künftig zur Ausbildung
9 Zusammenfassend zuletzt MENK, Gerhard: Der deutsche Hintergrund des Hauses NassauOranien in der frühen Neuzeit. Eine Dynastie im Spannungsfeld von Politik, Religion und Wissenschaft, in: Jaarboek Oranje-Nassau 2007 (2008), S. 15–39. 10 Vor allem hierzu BOXER, Charles R.: The Dutch in Brazil 1624–1654, Oxford 1957; zu den wissenschaftlichen und religiösen Bedingungen zuletzt BRIENEN, Rebecca Parker: Visions of savage paradise. Albert Eckhout, court painter in colonial Dutch Brazil, Amsterdam 2006; ISRAEL, Jonathan I.: The expansion of tolerance. Religion in Dutch Brazil (1624–1654), Amsterdam 2006. 11 Näher hierzu MENK, Gerhard: Die Hohe Schule Herborn in ihrer Frühzeit (1584–1660). Ein Beitrag zum Hochschulwesen des deutschen Kalvinismus im Zeitalter der Gegenreformation (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau 30), Wiesbaden 1981. 12 Hierzu MOUT, M. E. H. N.: The youth of Johan Maurits and aristocratic culture in the early seventeenth century, in: BOOGART/HOETINK/WHITEHEAD: Johann Maurits (wie Anm. 8), S. 13–38. 13 Zu ihrem Hintergrund vgl. MENK, Gerhard: „Omnis novitas periculosa“. Der frühe Cartesianismus an der Hohen Schule Herborn (1649–1651) und die reformierte Geisteswelt nach dem Dreißigjährigen Krieg, in: DERS.: Zwischen Kanzel und Katheder. Protestantische Pfarrer- und Professorenprofile zwischen dem 16. und 20. Jahrhundert. Ausgewählte Aufsätze, Marburg 2010 [im Druck].
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aller höheren Beamten und reformierten Pfarrer im preußischen Westen dienen sollte und konnte, so darf das 1657 noch einmal institutionell erhöhte Gymnasium Hammonense im märkischen Teil der brandenburgischen Lande ebenfalls nicht vergessen werden.14 Selbst wenn es für die Rheinlande keinerlei erkennbare Rolle spielte, so stellte es doch die zweite Bildungseinrichtung von Belang dar, die ebenfalls von brandenburgischer Seite überaus nachhaltig gefördert wurde. Ist mit Brandenburg schon eine der großen territorialen Gewalten genannt, die sich mit der akademischen Bildung zugleich der schulischen besonders widmete, so ist als zweite der oranisch-nassauische Herrschaftskomplex zu erwähnen. Das Haus Oranien mit dem seinerzeitigen König-Statthalter Wilhelm III. gründete Ende des 17. Jahrhunderts die Hohe Schule Lingen, die für die oranischen Gebietsteile am Niederrhein geplant war, aber auf einen weit größeren Bereich abstrahlte.15 Allerdings darf man bei einem solchen Überblick nicht nur die in einem Lande existierenden Anstalten betrachten, sondern muss auch die in ihrem weiteren Umkreis gelegenen Bildungseinrichtungen einbeziehen, deren Einzugsbereich an Studenten zugleich auch wiederum den schon erwähnten Einflussbereich markieren. Hier tritt mit Wesel im frühen 17. Jahrhundert eine der gewichtigeren Schulen in das Blickfeld, die ihre personellen und intellektuellen, bedingt sogar ihre institutionellen Impulse aus dem nassauischen Herborn und damit letztlich dem nassauischoranischen Raum verdanken. Mit Johannes Brant stand dabei der bisher immer genannte federführende Mann im Vordergrund, und an seiner herausragenden wissenschaftlichen wie institutionellen Rolle über die Stadt Wesel hinaus ist nicht zu zweifeln.16 Allerdings scheint es mit Wesel ähnlich gegangen zu sein wie ein halbes Jahrhundert zuvor mit Duisburg. Wenn in beiden Fällen der gesamte geplante Prozess zum Erliegen kam, so war es im Falle Wesels wohl eine geplante Höherstufung zu einem Gymnasium illustre jenes institutionellen Zuschnitts, der von Herborn selbst, vom westfälischen Steinfurt oder von Bremen bekannt ist. Den klaren Beweis hierfür liefert der Versuch, 1610 den seinerzeitigen jungen Herborner Philosophen und späteren Theologen sowie großen Enzyklopäden Johann Heinrich Alsted mit
14 Zu Hamm in Verbindung mit Duisburg zuletzt KOMOROWSKI, Manfred: Das Akademische Gymnasium Hamm und die Universität Duisburg. Zwei reformierte Hohe Schulen der frühen Neuzeit, in: HAWEL, Marcus/KOMO, Wolfgang (Red.): Festschrift zur 350-Jahr-Feier des Gymnasium Hammonense 1657–2007, Hamm 2007, S. 14–31. 15 Eine angemessene Untersuchung liegt bisher nur für die medizinische Fakultät vor: HAGEL, Annette: Die Hohe Schule zu Lingen an der Ems (1698–1820) in medizinhistorischer Sicht. Lebenswege Lingener Professoren und Studenten, Diss. Bochum 1990. 16 Zu ihm SARDEMANN, Johann Gerhard: J. Brantius, Rector an der höheren Schule in Wesel, 1584–1620, in: Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins 4 (1867), S. 115–208; zu Wesel insgesamt jetzt auch SCHROEDER, Horst: Die Lateinschule in der reformierten Stadt nach der Sciagraphia Gymnasii Vesaliensis, in: PRIEUR, Jutta (Hrsg.): Stadt und Festung Wesel. Beiträge zur Stadtgeschichte der frühen Neuzeit, Wesel 1998, S. 49–92.
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weltweiter Wirkung nach Wesel zu ziehen.17 Alsted hatte sich seinerzeit schon durch seine Schriften wie seine Herborner Stellung zuerst einmal als großer Didaktiker und Schulkenner hervorgetan. Überdies verfügte er als Pädagogearch über jenes Know-how in institutionellen Fragen, das in Wesel offenbar bei der Höherstufung der Lateinschule in ein Gymnasium illustre zur Anwendung kommen sollte. Orientieren konnte man sich dabei an Bremen, wo dieser Prozess gerade eben, nämlich 1610, unter dem früheren Herborner Philologen und Theologen Matthias Martinius stattgefunden hatte. Allerdings ist die Berufung Alsteds nach Wesel nicht zustande gekommen, da er trotz eines weiteren Angebots aus Hanau auf gräfliche Anordnung in seinem bisherigen Wirkungsfeld bleiben musste. Es lässt sich gleichwohl leicht erkennen, dass mit einer Erhebung Wesels zu einem Gymnasium illustre Herborner Zuschnitts, vor allem aber durch einen äußerst ambitionierten und auch zu großer Bedeutung gelangenden Mann wie Alsted am linken Niederrhein bereits weit vor der Gründung Duisburgs ein Bildungszentrum von außerordentlichem Belang und großer Wirkung hätte entstehen können. Allerdings wäre dies nur kurzfristig der Fall gewesen, denn mit der spanischen Besetzung der Stadt 1614 änderten sich die konfessionellen Parameter entschieden zu Ungunsten des Protestantismus. Es scheint freilich, als wenn nicht nur in Wesel der Versuch unternommen worden ist, ein Gymnasium illustre einzurichten. Ob auch im bergischen Elberfeld noch vor 1609 ein solcher Plan gefasst wurde, ist jedoch unsicher, wenngleich mit Caspar Sibelius (später in Deventer) nach seinem Abgang von der nassauischen Hohen Schule in Herborn ein vor Ort bestens verankerter, zugleich aber auch sehr fähiger Mann für eine institutionelle Reform nach Maßgabe der Zeit bereit stand.18 Mit diesem Überblick ist nur die Spitze eines Eisbergs umrissen – und doch bliebe das Schulwesen ohne seine universitären Spitzen gerade im brandenburgischen Bereich nur ein Bruchstück. Es lässt sich nämlich im Falle größerer Territorien oder territorialer Komplexe wie den Wetterauer Grafschaften nur dann voll in den Griff nehmen, wenn alle drei Stufen Berücksichtigung finden. Im protestantischen Rahmen gilt dies schon für seinen Vorreiter, nämlich die Landgrafschaft Hessen unter Landgraf Philipp. Wie bereits erwähnt, hatte er im Zuge der Reformation mit der Gründung einer eigenen Universität einen sehr systematischen Zu17 Nachweis bei MENK, Hohe Schule (wie Anm. 11); zu Alsted zuletzt SCHMIDT-BIGGEMANN, Wilhelm: Topica universalis. Eine Modellgeschichte humanistischer und barocker Wissenschaft, Hamburg 1983; HOTSON, Howard: Johann Heinrich Alsted 1588–1638. Between Renaissance, Reformation and Universal Reform, Oxford 2000; DERS.: Paradise postponed. Johann Heinrich Alsted and the birth of Calvinist millenarianism, Dordrecht 2000; MENK, Gerhard: Vom hessischen Wetter nach Siebenbürgen, in: DERS.: Kanzel (wie Anm. 13). 18 Zu ihm vgl. u. a. SCHLOSSER, Heinrich: Caspar Sibels Herborner Schülerjahre (1605–1608), in: Oranien-Nassau 2 (1939), S. 14ff.; seine Autobiographie ist ediert in SCHEIBE, L. (Hrsg.): Historica narratio Caspari Sibelii de curriculo totius vitae et peregrinationis suae (1652), in: Festschrift zur Feier des 300jährigen Bestehens der zum Gymnasium ausgebildeten lateinischen Schule, Elberfeld 1893, S. 53–92.
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griff auf das territoriale Bildungswesen unternommen. Aber auch ein Nachbar des Hessen, Graf Johann VI. von Nassau-Dillenburg, der nächst jüngere Bruder Wilhelms von Oranien, verfuhr nach der Einführung der ‚zweiten Reformation‘ im eigenen Territorium ähnlich. Er setzte überdies durch, dass das Modell in den meisten Grafschaften des Wetterauer Grafenvereins Anwendung fand.19 Aber auch der Große Kurfürst machte es sich zu eigen, als er nach dem Dreißigjährigen Krieg die Chance hatte, nicht nur in politischer Hinsicht im deutschen Westen zu neuen Ufern vorzustoßen, sondern auch im Bildungsbereich mit Gründung der Duisburger Universität ein deutliches Zeichen zu setzen. Freilich muss die Schaffung einer solchen Institution nicht zwingend bedeuten, dass sich das Bildungswesen in idealtypischer Form bis auf die unterste Stufe auf der Ebene der Kirchspiels- und Dorfschulen entwickelt, wie sich dies für Nassau oder aber für die Grafschaft HanauMünzenberg im konfessionellen Zeitalter festhalten lässt.20 Eine solche Konstellation setzt allerdings eine enge Zusammenarbeit zwischen dem jeweiligen Landesherrn und seinen Behörden einerseits und den kirchlichen Institutionen andererseits voraus. Ja, es war nicht einmal zwingend, dass die Initiativen bis auf die unterste Ebene nur von kirchlicher Seite kamen, sondern in Nassau waren auch Juristen wie Johannes Althusius beteiligt, der mit seiner berühmten Schulrede („Oratio de utilitate, necessitate et antiquitate scholarum“) nicht geringe Aufmerksamkeit erregte.21 So verwundert es nicht, dass Althusius auch von nassauischen Gemeinden als persönliche Sicherung für die eigene Dorfschule genutzt wurde.22 Doch sind auch Beispiele für hessische Gemeinden in der Umgebung Marburgs vorhanden, in denen Kommunen hervortreten, um Bildungsinitiativen zu starten, die die Chancen der heranwachsenden Jugend vor Ort verbessern sollten.23 Das Rheinland, vielleicht sogar präziser noch: die territorial und konfessionell stark zerklüfteten Rheinlande bilden für das protestantische Bildungswesen in seinen drei Stufen ein kaum minder exzellentes Untersuchungsfeld als der Raum zwischen Westerwald und den Ausläufern der Rhön. Bei aller Unterschiedlichkeit des Rahmens bieten sich enge Anknüpfungspunkte an. Zum einen ließ sich in den 19 Zusammenfassend zu beiden Territorien zuletzt MENK, Gerhard: Das frühneuzeitliche Bildungs- und Schulwesen im Bereich des heutigen Hessen, in: ANDERMANN, Kurt/ANDERMANN, Ulrich (Hrsg.): Regionale Aspekte des frühen Schulwesens (Kraichtaler Kolloquien 2), Tübingen 2000, S. 153–199. 20 Für Nassau vgl. MENK: Bildungs- und Schulwesen (wie Anm. 19); für Hanau ist auf eine einschlägige Studie von Peter Gbiorczyk zu verweisen, die im Entstehen ist. 21 Angebunden an ALTHUSIUS, Johannes: Politica methodice digesta, Herborn 31614; schon die erste Auflage (Herborn 1603) enthielt die Rede. 22 Für die Gemeinde Schönbach bei Herborn vgl. für das späte 16. Jahrhundert STÖRKEL, Rüdiger: Landesherr und Untertanen in Nassau-Dillenburg im 16. bis 18. Jahrhundert, in: DUSO, Giuseppe/KRAWIETZ, Werner/WYDUCKEL, Dieter (Hrsg.): Konsens und Konsoziation in der politischen Theorie des frühen Föderalismus, Berlin 1997, S. 185–208, hier S. 189f. 23 Für Beltershausen bei Marburg in der Mitte des 17. Jahrhunderts vgl. MENK: Bildungs- und Schulwesen (wie Anm. 19), S. 162f.
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Rheinlanden an die schulischen Bedingungen während des Dreißigjährigen Krieges anknüpfen, mehr aber noch setzten sich die nassauischen Traditionen nach 1647 unter und mit Johann Moritz als klevischem Statthalter fort. Wenn der Sohn Johanns VII. von Nassau-Siegen schon als Statthalter des niederländischen Teils Brasiliens mitten im Dreißigjährigen Krieg in einem Gebiet fernab der europäischen Konfessionskämpfe eine ausgesprochene Toleranz vorwalten lassen konnte,24 so musste sich diese Haltung keineswegs fortsetzen, als er in eine der Regionen zurückkam, die spätestens seit den späten 1570er- und frühen 1580er-Jahren konfessionell besonders umkämpft waren: die Rheinlande. Schon dank der nahen Niederlande war hier eine besonders hohe konfessionelle Aufladung gegeben, die sich im Kölner Krieg als einer weit über das Heilige Römische Reich hinausreichenden Auseinandersetzung niederschlug. Die besondere Aufladung musste sich aber auch innerhalb der beiden Gebiete finden, deren Herrscher im Zuge des Erbes ihre Konfession in eine jeweils andere Richtung wechselten. Da die Schulen seinerzeit noch einen integrierten Teil des Kirchenwesens bildeten, konnten sie sich eigentlich nicht von den kirchlichen Einflüssen freimachen, sondern mussten als Diener der Kirche ihren Einflüssen und Eingebungen folgen. Mit dem Summepiskopat standen dem Landesherrn Eingriffs-, natürlich aber auch Förderungsmöglichkeiten zur Verfügung. In Gebieten mit einer besonders prekären konfessionellen Konkurrenzsituation darf dabei von vornherein von einem besonders aktiven Eingreifen von obrigkeitlicher Seite ausgegangen werden25 – und im Falle Brandenburgs ist dies auch etwa am Beispiel Altenas 1619 im Sinne des reformierten Bekenntnisses nachzuweisen.26 Auch die erheblichen Einkünfte, die während der älteren klevischen Zeit von herrschaftlicher Seite für die Düsseldorfer Lateinschule aufgewandt, aber 1645 von brandenburgischer Seite zur Unterstützung der Schule in den neuen Zentralort Kleve abgezogen wurden,27 markieren schon für die Zeit vor dem Ende des Dreißigjährigen Krieges eine klare Richtung der brandenburgischen Schulpolitik im Westen des Reiches. Zwar haben die Brandenburger Kurfürsten sowohl in Kleve wie in Mark eine eindeutige Konfessionalisierungspolitik zugunsten der reformierten Konfession durchzuführen gesucht, doch blieb sie nur begrenzt erfolgreich. Sie stieß sich nämlich an den tradierten konfessionellen Verhältnissen, die nicht einfach umgangen oder gar mit einem Federstrich beseitigt werden konnten. Mit den deutlich katho-
24 Umfangreiche Nachweise bei BOXER: Dutch (wie Anm. 10); ISRAEL: Expansion (wie Anm. 10). 25 Vgl. hierzu MENK, Gerhard: Territorialstaat und Schulwesen in der frühen Neuzeit. Eine Untersuchung zur religiösen Dynamik an den Grafschaften Nassau und Sayn, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 9 (1983), S. 177–220. 26 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz [GStAPK], I. HA., Rep. 34, Nr. 309; näher hierzu unten. 27 Klevische Landesregierung an Kurfürst Friedrich Wilhelm, Kleve 20.04.1645, GStAPK, I. HA., Rep. 34, Nr. 40c.
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lisch geprägten Ständen standen Hüter der tradierten Religionsverfassung bereit, die den Kurfürsten und Königen auf die Finger schauten. Die zerklüfteten lokalen Traditionen einschließlich der Rechtsverhältnisse zeitigten aber Folgen auch für die schulischen Verhältnisse, so dass sich fast schon ein Wildwuchs einstellte, der eigentlich eine Herausforderung für absolutistische Herrscher wie Friedrich Wilhelm von Brandenburg sein musste. Wenn er sich schon mit der Universität Duisburg unmittelbar nach Ende des Dreißigjährigen Krieges eine Ausbildungsstätte für Juristen und Beamte in den klevischen Landen schuf und 1657 mit dem Gymnasium Hammonense eine weitere gehobene, aber eben nicht mit Privilegien ausgestattete Bildungseinrichtung für die Grafschaft Mark hinzutrat, so stünde zu erwarten, dass der klassische Repräsentant des fürstlichen Absolutismus seine politischen und konfessionellen Maximen auch im deutschen Westen bis auf die unterste Ebene im Schulwesen durchzusetzen wusste. Allerdings bestanden nicht nur in den klevischen Landen neben den reformierten auch lutherische und katholische Gemeinden, sondern es kamen schließlich auch noch Mennoniten hinzu. Neben Kleve verfügte auch die Grafschaft bzw. das Fürstentum Moers, das über Kurfürstin Louise Henriette von Oranien, der Frau des Großen Kurfürsten aus oranischem Hause, 1702 an Preußen fiel, nicht über die konfessionelle Isonomie, wobei sie ohnehin gerade für das Rheinland allenfalls als obrigkeitlich gewünschter Ideal-, hingegen nicht als faktischer Normalzustand zu bezeichnen ist.28 Auch in dem Kleinterritorium Moers, das mit Graf Hermann von Neuenahr ein Schwager Graf Johanns VI. von Nassau-Dillenburg nach 1560 dem Protestantismus zugeführt hatte,29 erhielten sich einige katholische Kirchen und Klöster (darunter das in der Nähe Duisburgs gelegene Rumeln), die 1742 von herrschaftlicher Seite auch einer Visitation unterworfen wurden.30 Im überwiegend protestantischen Moers begann sich insbesondere im zweiten Hauptort Krefeld seit Mitte des 18. Jahrhunderts eine katholische Gemeinde auszubreiten. Sie, die bereits 1764 auf eine eigene Fahne zur stärkeren Betonung der eigenen Identität drängte, 28 Vgl. hierzu POHL, Meinhard: Territorium und frühmoderner Staat. Moers und Preußen, in: DERS./MÖLICH, Georg/VELTZKE, Veit (Hrsg.): Preußens schwieriger Westen. Rheinischpreußische Beziehungen, Konflikte und Wechselwirkungen, Duisburg 2003, S. 62–77. 29 Zur Biographie vgl. LOSSEN, Max: Art. ‚Neuenar, Hermann (der Jüngere)‘, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 23, Leipzig 1886, S. 486–488 (mit weiteren Literaturangaben); zu Hermanns politischer Bedeutung im nassauisch-niederländischen Umfeld vgl. v.a. GLAWISCHNIG, Rolf: Niederlande, Kalvinismus und Reichsgrafenstand 1559–1584. Nassau-Dillenburg unter Graf Johann VI. (Schriften des Hessischen Landesamtes für Geschichtliche Landeskunde 36), Marburg 1973; zur kirchlichen Situation in Moers im 16. Jahrhundert, die einer intensiveren Aufarbeitung bedürfte, vor allem aus vergleichender normativer Sicht vgl. GOETERS, Johann F. Gerhard: Die bentheim-tecklenburgische Kirchenordnung von 1588 und die Moerser Kirchenordnung von 1581, in: Monatshefte für evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes 35 (1986), S. 75–92. 30 Zum katholischen Kirchenwesen im Fürstentum Moers und seiner Verfassung vgl. den aus preußischer Sicht erstellten Überblick in GStAPK, I. HA., Rep. 64, Moers Eccl. Konvolut 7.
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stellte nur fünf Jahre später den Antrag, einen Schulmeister mit dem Prädikat Rektor einstellen zu dürfen.31 Während sich in Moers selbst – soweit zu erkennen – eine solche Situation nicht ergab, verstärkte sich der katholische Einfluss während der Franzosenzeit in Krefeld (ab 1794) noch einmal entschieden.32 Überdies stellten sich im innerprotestantischen Verhältnis Änderungen ein, die auf eine wahrscheinlich von der Aufklärung verursachte nivellierende Tendenz wirkten. Wie deutlich sich gerade im späten 18. Jahrhundert der Brückenschlag im innerprotestantischen Konkurrenzkampf auswirkte und neuere Entwicklungen verzeichnete, lässt sich wiederum in der Stadt Moers erkennen. Denn hier kam es 1786 zur Einsetzung eines lutherischen Lehrers der französischen Sprache im örtlichen reformierten Gymnasium.33 Selbst wenn der Anfall eines kleinen Teiles des früheren Herzogtums Geldern an Preußen mit Geldern, Straelen, Wachtendonk, Kessel und Krieckenbeck im Utrechter Frieden 1713 an Preußen für den Protestantismus kaum ins Gewicht fiel,34 erhielt der konfessionelle Flickenteppich, den das Rheinland bot, weit früher an anderer Stelle auf dem linken Rheinufer eine Bereicherung. Denn schon das Wirken des Trierer Reformators Caspar Olevian sowohl in der Pfalz wie in Wittgenstein und Nassau einschließlich der Wetterauer Grafschaften schlug sich in den südlichen Teilen des Herzogtums Jülich nieder.35 Aber auch die kleinen Reichsherrschaften Wickrath und Homburg ganz am Rande des Rheinlandes bildeten ab 1563 protestantische bzw. reformierte Flecken.36 Dies hieß allerdings nicht, dass sich die kirchliche Ausrichtung hier problemlos in einer einheitlichen konfessionellen und zugleich schulischen Formierung niedergeschlagen hätte, wie es sich etwa am Beispiel des Kleinstterritoriums Wickrath erweist.37 Aber auch am östlichen Ende der Rheinlande zwischen Sieg und Westerwald waren die Verhältnisse kaum anders. Denn von
31 GStAPK, I. HA., Rep. 64, Moers Eccl. Konvolut 6. 32 Vgl. hierzu ENGELBRECHT, Jörg: Die Franzosenzeit (1794–1815), in: FEINENDEGEN, Reinhard/VOGT, Hans (Hrsg.): Krefeld. Die Geschichte der Stadt, Bd. 3: Von der Franzosenzeit bis zum Ende des Ersten Weltkrieges, Krefeld 2006, S. 15–80. 33 GStAPK, I. HA., Rep. 64, Moers Eccl. Konvolut 7. 34 Vgl. insb. HOLTHUSEN, Hermann: Verwaltung und Stände des Herzogtums Geldern preußischen Anteils im 18. Jahrhundert, Diss. Bonn 1916. 35 Zuletzt zu ihm MENK, Gerhard: Caspar Olevian während der Berleburger und Herborner Zeit (1577–1587). Ein Beitrag zum Selbstverständnis des frühen deutschen Kalvinismus, in: DERS.: Kanzel (wie Anm. 13). 36 Hierzu v.a. HECKMANN, Karl: Die Reformation in der ehemaligen Herrschaft Homburg a. d. Mark und die Einführung des reformierten Bekenntnisses, Wuppertal-Elberfeld 1934; BARTHELEMY, Eric: Beiträge zur Geschichte der Herrschaft Homburg an der Mark, Nümbrecht 1993. 37 Für Wickrath zuletzt KRINGS, Günter: Die Reichsunmittelbarkeit Wickraths 1488–1794. Zur frühneuzeitlichen Verfassungs- und Landesgeschichte eines niederrheinischen Kleinterritoriums im deutschen Reich, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 206 (2003), S. 95–128, hier S. 111–116.
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Freusburg bis nach Hachenburg bestand ebenfalls eine äußerst gesprenkelte konfessionelle Landschaft, wobei im konfessionell besonders umkämpften Sayn die Einflusszonen Kurkölns und Kurtriers auf der einen Seite sowie der Kurpfalz und Nassaus auf der anderen Seite zu registrieren waren.38 Entsprechend fragil fielen die kirchlichen Verhältnisse aus – und sie strahlten auf das Schulwesen ab. Sucht man nach Fixpunkten, dann ist vor allem das Kölner Kurfürstentum auszumachen. Selbst die Grafschaft Nassau, die an den Rändern der Rheinlande seit dem späten 16. Jahrhundert über die Hohe Schule Herborn einen deutlich kalvinistischen Einfluss gerade auch in personeller Hinsicht ausübte, indem sie das reformierte Rheinland mit ihren Abgängern bereicherte, sandte seit den 1620er-Jahren sowohl durch die Konversion Johann VIII. von Nassau-Siegen wie auch Johann Ludwigs von Nassau-Hadamar samt der von ihnen gegründeten Jesuitenschulen katholische Signale aus.39 Im Folgenden bleiben freilich die Kleinterritorien sowie auch die Reichsstadt Aachen mit ihrer kurzen, aber keineswegs unbedeutenden protestantischen Episode ausgeblendet.40 Der Blick richtet sich hingegen auf jenen größeren territorialen Bereich, der gerade hinsichtlich der schulischen Verhältnisse im regionalen Rahmen einige Bedeutung besaß: die brandenburgischen Lande. Sowohl durch die jüngere Studie Otto Friedrichs41 als auch die älteren, aber umfangreichen Untersuchungen Friedrich Wilhelm Oedigers zum niederrheinischen Schulwesen42 und Friedrich Nettesheims über das Schulwesen im Herzogtum Geldern43 wird der Eindruck erweckt, als sei gerade der Niederrhein recht gut, ja vielleicht sogar exzellent erforscht. Dem ist jedoch nicht so, selbst wenn man weitere jüngere Forschungen über einzel38 Vgl. hierzu MENK, Gerhard: Langer Weg und halber Erfolg. Die „Zweite Reformation“ in Sayn. Betrachtungen zu Dynamik und Gefährdung des Kalvinismus im Zeitalter des Konfessionalismus, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 18 (1992), S. 181–265. 39 Zu Siegen vgl. SPECHT, Gerhard: Johann VIII. von Nassau-Siegen und die katholische Restauration in der Grafschaft Siegen (Studien und Quellen zur westfälischen Geschichte 4), Paderborn 1964. 40 Vgl. hierzu MACCO, Hermann Friedrich: Die reformatorischen Bewegungen während des 16. Jahrhunderts in der Reichsstadt Aachen, Leipzig 1900; zum vorläufigen Ende SCHILLING, Heinz: Bürgerkämpfe in Aachen zu Beginn des 17. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Historische Forschung 1 (1974), S. 176–231, sowie zusammenfassend MOLITOR, Hansgeorg: Reformation und Gegenreformation in der Reichsstadt Aachen, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 98/99 (1992/93), S. 185–203; zum Schulwesen RUTZ, Andreas: Städtische Schulpolitik in der Konfessionalisierung. Aachen, Köln und Nürnberg im Vergleich, in: Zeitschrift für Historische Forschung 33 (2006), S. 359–385. 41 FRIEDRICHS, Otto: Das niedere Schulwesen im linksrheinischen Herzogtum Kleve 1614– 1816. Ein Beitrag zur Regionalgeschichte der Elementarschulen in Brandenburg-Preußen (Schriften der Heresbach-Stiftung Kalkar 8), Kalkar 2000. 42 OEDIGER, Friedrich Wilhelm: Die niederrheinischen Schulen vor dem Aufkommen der Gymnasien (1941), in: DERS.: Vom Leben am Niederrhein. Aufsätze aus dem Bereich des alten Erzbistums Köln, Düsseldorf 1973, S. 351–408. 43 NETTESHEIM, Friedrich: Geschichte der Schulen im alten Herzogtum Geldern und in den benachbarten Landestheilen, Düsseldorf 1881.
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ne Orte wie Kalkar mit in Betracht zieht.44 Zuerst einmal fehlt es an einer vergleichenden Perspektive, die insbesondere jüngere Studien zur konfessionellen Entwicklung im Klevischen,45 aber auch die recht breite Literatur zum Schulwesen in protestantischen Territorien und Landschaften mit einbezöge. Überdies fällt gerade für das Herzogtum Kleve auf, dass die Quellenstudien im staatlichen Bereich bisher auf das Hauptstaatsarchiv Düsseldorf beschränkt bleiben. Dies ist insbesondere für die Erforschung jenes Teils nachteilig, der nach der Aufteilung des Herzogtums an den brandenburgischen Kurstaat fiel und fortan von Berlin regiert wurde. Dabei ist im Geheimen Staatsarchiv (Berlin-Dahlem) eine Überlieferung angewachsen, die bisher nicht genutzt wurde. So enthält die Repositur 34 schon für die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts umfangreiche Betreffe. Für das 18. Jahrhundert nimmt die Überlieferung, wie nicht anders zu erwarten, an Umfang wie Dichte weiterhin zu. Hinzu kommen innerhalb der Berliner Quellen auch noch die Moerser Betreffe nach 1703, die sich in der Repositur 64 befinden. Sie erweisen sich als so umfangreich, dass sie eine eigenständige Darstellung rechtfertigen könnten. Neben der Erweiterung der Quellenbasis muss die Perspektive auf das gesamte Bildungswesen einschließlich der universitären Anstalten ausgedehnt werden. Denn nur wenn man sie einbezieht, lässt sich die Frage lösen, ob eine größere Anlage erkennbar ist, ein gesamtheitliches Konzept, das im frühneuzeitlichen Territorialstaat und einem Kurfürstentum zumal einen Schluss auf die Qualität des gesamten Bildungswesens zulässt. Zwar bilden die brandenburgischen Westprovinzen nur einen Teil des Gesamtstaates, doch erscheinen sie als gehobenes Experimentierfeld im Übergang von den Niederlanden als neuem, aufstrebenden Staat und dem Heiligen Römischen Reich. Insoweit könnten die obrigkeitlichen Eingriffe in das Bildungswesen als wesentlicher Grundlage eines gut funktionierenden Staats- und Kirchenwesens einen Gradmesser für die staatliche Tätigkeit insgesamt abgeben. Allerdings bleibt das obrigkeitliche Handeln selbst bei größter konfessioneller Konkurrenz nur ein Aspekt des Schulwesens, stellen doch die kommunalen Verhältnisse Parameter dar, die sich nicht leicht übergehen lassen. Gleichwohl werden im Folgenden die Spezifika des protestantischen Bildungs- und Schulwesens an einem Territorium exemplifiziert, das in der Frühen Neuzeit wie kein anderes für eine bemerkenswerte Hochschul- und Schulpolitik auch am Niederrhein zu stehen scheint: Brandenburg bzw. Brandenburg-Preußen.
44 KISTENICH, Johannes: Das Schulwesen der Stadt Kalkar vor 1800, Köln 1996. 45 Hierzu vor allem DIETZ, Burkhard/EHRENPREIS, Stefan (Hrsg.): Drei Konfessionen in einer Region. Beiträge zur Geschichte der Konfessionalisierung im Herzogtum Berg vom 16. bis zum 18. Jahrhundert (Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte 136), Köln/Bonn 1999; GOETERS, Johann F. Gerhard: Die konfessionelle Entwicklung innerhalb des Protestantismus im Herzogtum Kleve, in: DERS.: Studien zur niederrheinischen Reformationsgeschichte (Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte 153), Köln 2002, S. 187–212; DERS.: Der Protestantismus im Herzogtum Kleve, in: ebd., S. 213–230.
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Bei diesem Staat handelt es sich – mit dem Vorspiel von 1609 bis 1648 – um ein Territorium, das nach dem Dreißigjährigen Krieg über das größte politische Aufstiegspotential innerhalb des Heiligen Römischen Reiches verfügte. Dies scheint auch schon allein der Blick auf die Universitäten zu verdeutlichen, wobei ihre Zahl und Platzierung meist schon einen ersten Gradmesser für die Bildungspolitik und ihre Qualitäten insgesamt liefern. In Brandenburg verdoppelte sich die Zahl der universitären Anstalten bereits in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, indem früh schon mit Duisburg im brandenburgischen Westen und schließlich gegen Ende des 17. Jahrhunderts mit dem mitteldeutschen Halle eine weitere, keineswegs unbedeutende Anstalt hinzutrat.46 Schon dieser Quantensprung macht deutlich, dass wir es nicht nur nach 1650 mit einem in politischer Hinsicht besonders sendungsbewussten Territorialstaat zu tun haben, sondern mindestens ebenso auf Bildungs- und nicht zuletzt auch auf kirchlicher Ebene. Wenn letztere von den Zeiten des Großen Kurfürsten47 bis auf den pietistischen Impuls unter seinen Nachfolgern gut untersucht erscheint,48 so soll hier das Schulwesen im brandenburgischen Westen ein zusätzliches Feld zur Bestimmung der staatlichen Qualitäten bilden. Letztlich erfährt damit ein Ansatz seine Ergänzung, der bereits an anderer, geographisch zumindest zentralerer Stelle vorgenommen worden ist.49
2. Von der Konversion Johann Sigismunds über das hessenkasselische Intermezzo im Dreißigjährigen Krieg zur Nachkriegszeit: Höhen und Tiefen der schulischen Entwicklung Obwohl der 1608 in Brandenburg zur Regierung gekommene Kurfürst Johann Sigismund streng lutherisch erzogen worden war, ging er nur fünf Jahre nach seinem Regierungsantritt einen Weg, den auch zuvor schon zahlreiche andere bis dahin lutherische Territorialherrn beschritten hatten: Er vollzog den Übergang zum reformierten Glauben.50 Doch lassen sich Glaubensänderungen am Niederrhein vom Luthertum zum Kalvinismus schon zuvor im Rahmen des brandenburgischen 46 Zu Halle zuletzt HAMMERSTEIN, Notker: Jus und Historie. Ein Beitrag zur Geschichte des historischen Denkens im späten 17. und im 18. Jahrhundert, Göttingen 1972. 47 Für den Großen Kurfürsten vgl. insb. LACKNER, Martin: Die Kirchenpolitik des Großen Kurfürsten (Untersuchungen zur Kirchengeschichte 8), Witten 1973; hier auch weitere Hinweise auf die ältere Literatur. 48 Vgl. hierzu HINRICHS, Carl: Preußentum und Pietismus. Der Pietismus in BrandenburgPreußen als religiös-soziale Reformbewegung, Göttingen 1971. 49 NEUGEBAUER, Wolfgang: Absolutistischer Staat und Schulwirklichkeit in Brandenburg-Preußen (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 62), Berlin/New York 1985. 50 Zur kirchlichen Entwicklung Brandenburgs unter Johann Sigismund vgl. das zahlreiche Facetten berücksichtigende Buch von NISCHAN, Bodo: Prince, people and confession. The Second Reformation in Brandenburg, Philadelphia 1994.
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Hauses festhalten. So nahm der in dem bisherigen klevischen Zentralort Düsseldorf residierende Markgraf Ernst von Brandenburg bereits zu Pfingsten 1610 an einer reformierten Abendmahlsfeier teil und dokumentierte dadurch seine Absicht zum Glaubenswechsel. Im September desselben Jahres trat mit kurpfälzischer und geldrischer Hilfe eine erste Generalsynode von Jülich, Kleve und Berg in Duisburg zusammen, die die Grundlage für die reformierte Kirchenverfassung am Niederrhein legte. Im Gegensatz zum Brandenburger hat sein politischer Kontrahent Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg anfangs noch die Lutheraner vor Ort unterstützt. Auf der Synode von Dinslaken traten im September 1612 dreizehn lutherische Pfarrer und auch vier Schulmeister unter dem Weseler Pfarrer Johann Hesselbein zusammen, wobei sie sich konfessionell deutlich gegenüber ihren reformierten Brüdern abgrenzten. Von harmonischen Verhältnissen innerhalb des rheinischen Protestantismus konnte in der Übergangsphase bis zur Konversion Pfalzgraf Wolfgang Wilhelms wie auch Kurfürst Johann Sigismunds von Brandenburg nicht einmal annähernd die Rede sein. Vielmehr standen beide Konfessionen in heftiger Konkurrenz. Allerdings handelte es sich in beiden Fällen um Minderheitenkirchen, wie es das Beispiel des Herzogtums Kleve beweist. Hier nämlich standen den 90 katholischen Pfarr- und Filialkirchen 12 lutherische und 26 reformierte gegenüber. Als Kurfürst Johann Sigismund zu Weihnachten 1613 den Übergang zum Kalvinismus offiziell machte, gab er diesen persönlichen Schritt zwar rasch im reformierten Rahmen durch gedruckte Publikationen bekannt, doch beging er in seinen Stammlanden nicht den Fehler eines zu offensiven Vorgehens, den Landgraf Moritz von Hessen-Kassel wenige Jahre zuvor gemacht und dabei den 1567 geteilten Staat in eine schwere Krise geführt hatte.51 Bei vorherigen Verhandlungen, aber auch bei kalvinistischen Büchersendungen an den Cöllner Hof52 hatte der Landgraf wohl seine Hand bei der Durchsetzung der ‚Zweiten Reformation‘ ebenso im Spiel wie bei der Gestellung von Beamten am Niederrhein. Mit Jean Hotman zählte hierzu eine der großen in-
51 Vgl. hierzu zuletzt MENK, Gerhard: Die „Zweite Reformation“ in Hessen-Kassel. Landgraf Moritz und die Einführung der Verbesserungspunkte, in: SCHILLING, Heinz (Hrsg.): Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland. Das Problem der „Zweiten Reformation“ (Schriftenreihe des Vereins für Reformationsgeschichte 195), Gütersloh 1986, S. 154–183; MENK, Gerhard: Absolutistisches Wollen und verfremdete Wirklichkeit. Der calvinistische Sonderweg Hessen-Kassels, in: SCHAAB, Meinhard (Hrsg.): Territorialstaat und Calvinismus (Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg B/127), Stuttgart 1993, S. 167–238; zuletzt als Ersatz für eine bislang fehlende Biographie MENK, Gerhard (Hrsg.): Landgraf Moritz der Gelehrte von Hessen-Kassel. Ein Kalvinist zwischen Politik und Wissenschaft (Beiträge zur hessischen Geschichte 15), Marburg 2000. 52 Landgraf Moritz an Kurfürstin Anna, Allendorf a. d. Sooden 08.10.1614, Staatsarchiv Marburg, 4 f Preußen 195.
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ternationalen Figuren des europäischen Kalvinismus.53 Zugleich gestattete der Kurfürst mit der „Confessio Sigismundi“ seinen Landeskindern ausdrücklich den Verbleib beim bisherigen lutherischen Glauben, die Konversion schien sich nur auf den dynastisch-familiären Rahmen zu beschränken. Doch blieb dies eher Anschein, denn gleichzeitig mit seinem Übertritt zum Kalvinismus begann der Brandenburger mit Macht die besondere Stärke des reformierten Glaubens auszuspielen: die Bildungspolitik. Mit ihrer Hilfe ließen sich jene Nachteile ausgleichen, die dem Kalvinismus ansonsten gerade im Heiligen Römischen Reich zueigneten. Die Begründung einer reformierten Lateinschule in Düsseldorf bereits 1613 stellt einen Akt dar, der sich ohne die von der bevorstehenden Konversion Johann Sigismunds entfachte und von seinem Sohn Georg Wilhelm als klevischem Statthalter verstärkte konfessionelle Dynamik nur schwerlich weitab vom brandenburgischen Zentrum vorstellen lässt.54 Allerdings werden die neuen bildungspolitischen Initiativen des Brandenburgers nicht nur am Niederrhein erkennbar, sondern – aller Kautelen für die Untertanen zum Trotz – auch in den brandenburgischen Kernlanden. Hier erstreckte sich der Handlungswille zuerst einmal auf die oberste Ebene des Bildungswesens in Form der bereits älteren Universität Frankfurt.55 Denn sie, die Viadrina, versuchte Johann Sigismund jetzt so rasch wie möglich in eine reformierte Vorzeigeanstalt umzuwandeln, wobei sich zumindest indirekt Bezüge zum reformierten Rheinland ergeben. Denn ebenso wie in Wesel wurde man 1615 auch am Hofe des brandenburgischen Kurfürsten auf die wissenschaftlichen Qualitäten des Herborner Professors Johann Heinrich Alsted aufmerksam. Allerdings haben es die nassauischen Grafen nur wenige Jahre nach dessen Berufung an den Niederrhein abermals verhindert, dass das seinerzeit hoffnungsvollste Talent, das die Herborner Hohe Schule besaß, nach Brandenburg abwandern konnte und damit der nassauischen Anstalt verloren ging.56 Der künftige politische Rahmen wurde durch den Xantener Vertrag vom 14. November 1614 gesetzt, indem jetzt jene scheinbar eindeutige Landesteilung vorgenommen wurde, die eigentlich für eine Beruhigung der längst von verschärfter Konkurrenz zwischen Pfalz-Neuburg und Brandenburg bestimmten Situation hätte 53 Kurfürst Johann Sigismund an Landgraf Moritz, Cölln an der Spree 06.10.1609, Staatsarchiv Marburg, 4 f Preußen 178; zu ihm vgl. u. a. SMITH, Donald B.: Jean de Villiers Hotman, in: Scottish Historical Review 14 (1917), S. 147–166; POSTHUMUS MEYJES, G. H. M.: Jean Hotman and Hugo Grotius, in: Grotiana, NS II, 1981, S. 3–29; DERS.: Jean Hotman en het calvinisme in Frankrijk, in: Nederlands Archief voor Kerkgeschiedenis 64 (1984), S. 42–77; DERS.: Jean Hotman‘s English Connection, Amsterdam u. a. 1990. 54 Zum Entstehungszeitpunkt vgl. u. a. HUCKENBECK, Ernst: Die Schulordnung der reformierten Lateinschule zu Düsseldorf, in: Monatshefte für evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes 36 (1987), S. 20–62. 55 Zu ihr zuletzt BLÄNKNER, Reinhard (Hrsg.): Europäische Bildungsströme. Die Viadrina im Kontext der europäischen Gelehrtenrepublik der Frühen Neuzeit (1506–1811), Schöneiche 2008. 56 Vgl. hierzu MENK: Hohe Schule (wie Anm. 11).
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sorgen können. Aber dies war weder im Zentrum noch an den territorialen Rändern der Fall, denn die ‚Anschläge‘ der Spanier und Pfalz-Neuburger bestimmten inzwischen die Verhältnisse, betrachtet man die Dinge aus brandenburgisch-protestantischer Sicht. Sie blieben nicht nur auf zentrale politische Punkte beschränkt, sondern schlugen bis auf das Schulwesen durch. Wie angespannt die Situation schon vor dem Dreißigjährigen Krieg war, für wie ernst sie gerade auch Kurprinz Georg Wilhelm hielt, der seine Residenz inzwischen nach Kleve verlegt hatte, zeigen Nachrichten, die er nach Kassel sandte. In seinen Briefen kamen nicht nur die spanischen Attacken auf die brandenburgischen Besitzungen zur Sprache, sondern auch 1615 einsetzende vereinte Bestrebungen von brandenburgischer, nassauischer, saynischer, wiedischer und wittgensteinischer Seite, eine gemeinsame „Landrettung“ nach nassauischem Vorbild einzurichten.57 Dies bedeutete den politisch-militärischen, natürlich aber auch konfessionellen Bogenschlag zwischen dem Niederrhein bis weit in den Wetterauer Grafenverein hinein und zeigt zugleich das Bemühen von brandenburgischer Seite, sich dem Ganzheitsmodell kalvinistischer Staats- und Militärdoktrin nassauisch-wetterauischer Prägung einschließlich ihrer betont antispanischen Haltung anzuschließen.58 Doch nicht nur auf Seiten der deutschen Landesherren reformierter Prägung zog man jetzt alle Register bis hin zur innerstaatlichen Formierung, sondern auch von niederländischer Seite hielt man sich am Niederrhein in der Umgebung Emmerichs nicht zurück, Vorteile für den Kalvinismus zu suchen. Soweit es die zentralen Berliner Akten erkennen lassen, sind von brandenburgischer Seite erst wieder 1619 im märkischen Altena Bemühungen erkennbar, die auf eine deutliche Betonung des reformierten Moments im Schulwesen abzielten. Seinerzeit sorgte man aus der brandenburgischen Zentrale dafür, dass der von der Gemeinde vertriebene reformierte Schulmeister Johannes Schluten wieder in sein Amt zurückkehren konnte.59 Allerdings waren die neuen brandenburgischen Landesherren nicht die einzigen Protagonisten einer prononciert protestantischen Schulpolitik. Für die Beförderung der religiösen und schulischen Dinge spielten auch die kirchlichen Organe in Form von Synoden bis hin zu den Klassenkonventen eine maßgebliche Rolle. Dabei bestanden in den an Pfalz-Neuburg gefallenen Her57 Vgl. den Bericht Georg Wilhelms von Brandenburg an Landgraf Moritz von Hessen, Kleve 10./20.05.1615, Staatsarchiv Marburg, 4f Preußen 199; zum Landrettungswerk vgl. WOLF, Karl: Der Aufbau eines Volksheeres in den Gebieten der Wetterauer Grafenkorrespondenz zur Zeit des Grafen Johann des Älteren und Johann des Mittleren von Nassau-Dillenburg, Wiesbaden 1937; zum theoretischen Unterbau vgl. auch HAHLWEG, Werner (Bearb.): Die Heeresreform der Oranier. Das Kriegsbuch des Grafen Johann von Nassau-Siegen (Studien zur Militärgeschichte, Militärwissenschaft und Konfliktforschung 16), Wiesbaden 1973. 58 Bisher hierzu MENK, Gerhard: Die politische Kultur in den Wetterauer Grafschaften am Ende des 16. und zu Anfang des 17. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Wirkung monarchomachischer Theorie auf den deutschen Territorialstaat, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 34 (1984), S. 67–100. 59 Vgl. schon oben bzw. GStAPK, I. HA., Rep. 34, Nr. 309.
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zogtümern Jülich und Berg reformierte Synoden und Klassenkonvente,60 zugleich aber auch in Kleve und Mark lutherische Gemeinden, die nicht gewillt waren, sich den neuen obrigkeitlichen konfessionellen Vorgaben anzuschließen. Überdies aber griff der 80jährige Krieg zwischen den Niederlanden und Spanien, schließlich auch der Dreißigjährige Krieg, der sich am Niederrhein relativ ungebrochen an die konfessionellen Auseinandersetzungen zwischen Brandenburg und Pfalz-Neuburg anschloss, nachhaltig in die örtlichen Verhältnisse ein. Durch die mit einiger Vehemenz geführten Auseinandersetzungen traten in rechtlicher und konfessioneller Hinsicht Sonderentwicklungen ein, wie sie auch andernorts während des langen Krieges festzuhalten sind. Es war die hessen-kasselische Militärverwaltung, die nicht nur in Westfalen, sondern bis hin zum kurkölnisch beherrschten Niederrhein alle Möglichkeiten ausschöpfte, um ihre konfessionellen, aber auch schulischen Möglichkeiten durchzusetzen.61 Während wir nicht wissen, ob sich schon zuvor etwa in der Stadt Köln nicht nur Kirchen, sondern auch Schulen unter dem Kreuze entwickelten, dürfen wir für die Kriegszeit sicher sein, dass in den Städten des Kurstaates nun plötzlich reformierte Schulen gehalten wurden. Denn zuzeiten der politisch wie konfessionell außerordentlich energischen Landgräfinwitwe Amalie Elisabeth, einer gebürtigen Hanauerin, nahmen die hessischen Truppen mit ihren Feldpredigern auch das Schulwesen in den von ihnen besetzten Städten in ihre Obhut. In Fortsetzung einer gezielten Schulpolitik, die bereits unter Landgraf Philipp dem Großmütigen begann und ihre offensive Fortsetzung unter Moritz dem Gelehrten fand,62 lassen sich reformierte Schulen auf dem linken Rheinufer unter anderem in Neuss, Kempen, Linn, zwischenzeitlich auch Kalkar und weiteren Orten wie Rheydt nachweisen. Diese überraschende Entwicklung war freilich nicht von Dauer, bestand sie doch nur so lange, wie die militärische Besetzung anhielt. Langfristige Folgen zeitigte die hessische Schulpolitik jedenfalls nicht. Wie vieles andere, was im Dreißigjährigen Krieg gerade auch an konfessionellen Neuerungen umgesetzt wurde, besaß sie nur vorläufigen Charakter. So sehr die Kriegsschäden längerfristig bedeutsam blieben, so wenig gilt dies für Veränderungen in rechts- und verfassungsrechtlicher Hinsicht,
60 Als Beispiele seien genannt ROSENKRANZ, Albert (Bearb.): Die reformierten Synoden während des jülich-klevischen Erbfolgstreites, Bd. 1: Die Zeit des großen Krieges 1611–1648 (Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte 16), Düsseldorf 1963; DERS. (Bearb.): Sitzungsberichte der reformierten Synoden des Herzogtums Jülich während der Gegenreformation 1611–1675 (Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte 45), Düsseldorf 1972; KELM, Hermann (Hrsg.): Die lutherische Kirche von Jülich-Berg. Synoden und Konvente 1701–1812 (Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte 151), Köln 2001. 61 Nachweise in ENGELBERT, Günter: Das Kirchen- und Schulwesen in hessischen Garnisonen am Rhein während des Dreißigjährigen Krieges, in: Monatshefte für Kirchengeschichte des Rheinlandes 1 (1952), S. 105–121. 62 Nachweise hierzu zuletzt bei MENK: Bildungs- und Schulwesen (wie Anm. 19).
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aber auch für schulische Außergewöhnlichkeiten, wie sie das hessen-kasselische Militär bewirkte. Ganz den traditionellen Usancen entspricht es, dass bereits in den letzten Kriegsjahren ernsthafte Anstrengungen in bildungspolitischer Hinsicht unternommen wurden. So versuchten die brandenburgischen Behörden zwar nicht in direkter lokaler Tradition, aber doch im weiteren konfessionellen Rahmen an die hessen-kasselischen Sonderentwicklungen anzuknüpfen und den reformierten Glauben gerade am linken Niederrhein besonders zu fördern. Noch bevor Johann Moritz von NassauSiegen 1647 das brandenburgische Statthalteramt im neuen Zentralort Kleve antrat,63 nahm sich die Regierung im April 1645 einer Beschwerde der örtlichen Lehrer an, die die dortige Lateinschule zum Gegenstand hatte. Von ungefähr kam das Ersuchen nicht, denn erst zwei Jahre zuvor waren sowohl die brandenburgische Kanzlei wie die reformierte Lateinschule von Emmerich nach Kleve verlegt worden, so dass das enge Zusammenwirken von Verwaltung und Schulwesen im reformierten Sinne vorausgesetzt werden darf.64 Die Beamten vor Ort machten sich die an sie herangetragenen Wünsche höchst willig zu eigen und leiteten diese mit einem umfangreichen Schreiben an den seinerzeit noch jungen Kurfürsten Friedrich Wilhelm weiter.65 In diesem Schreiben wurden zunächst generell die „Behinderungen“ moniert, die die Lateinschule vor Ort zu erdulden habe, dann aber auch, dass die örtlichen Lehrer „ihren Dienst bißhero oft mit Kummer, Seufzen und Klagen“ hätten verrichten müssen. Dies könne aber nicht das Ziel und Zweck des Unternehmens sein. Vielmehr sei das Schulwesen nach Möglichkeit so nachdrücklich zu befördern, dass es als „Pflanzgarten der Christlichen Kirche“ wirken könne. Ohnehin genieße es von jeher Gottes Segen, wurde hier ausdrücklich mit einem deutlichen konfessionellen Unterton betont. Mit diesen Worten, die an Luthers Schulschrift erinnerten, ließen es die um die Schule besorgten klevischen Beamten aber nicht bewenden. Obwohl seinerzeit schon 100 Reichstaler aus der Landrentmeisterei an die Schule bezahlt wurden, überdies aus der Waldschreiberei 19 und der Schlüterei 12 Taler hinzu kamen, schien den Beamten eine Verbesserung der Zahlungen dringend vonnöten. Der aus Kleve kommende Vorschlag, die Lehrer nicht aus mehreren Rentereien bezahlen zu lassen, sondern nunmehr der Waldschreiberei die alleinige Zuständigkeit zu übertragen, fand schließlich auch die volle Zustimmung des Landesherrn.66 Denn dieser Vorschlag verband klare Verwaltungszuständigkeit mit dem Moment der Beständigkeit bzw. Perpetuität – mithin einem Gesichtspunkt, den der absolutistische Fürst als 63 Zum seinerzeitigen Ort vgl. FLINK, Klaus: Kleve im 17. Jahrhundert. Studien und Quellen, 2 Bde. (Klever Archiv 1–2), Kleve 1979/80. 64 FLINK: Kleve (wie Anm. 63), Bd. 2, S. 237. 65 Klevische Landesregierung an Friedrich Wilhelm, Kleve 20.04.1645, GStAPK, I. HA., Rep. 34, Nr. 40c, die folgenden Zitate ebd. 66 Kurfürst Friedrich Wilhelm an Klevische Regierung, Königsberg 13.06.1645, GStAPK, I. HA., Rep. 34, Nr. 40c, die folgenden Zitate ebd.
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Herrschaftsmittel sehr zu schätzen und zu nutzen wusste. Dieses Moment sollte sich im brandenburgischen Staat noch verstärken, als mit Georg Friedrich von Waldeck ein weitblickender Mann in den brandenburgischen Beamtenapparat eintrat.67 Doch mit dem bisher schon umrissenen Vorgehen gab sich Friedrich Wilhelm nicht zufrieden, vielmehr wurde den klevischen Beamten aufgegeben, die Zahl der Präzeptoren um einen auf fünf zu erhöhen. Der Grund für diese personelle Verbesserung war ihm von den Klever Juristen geliefert worden, die argumentierten, auf diese Weise könnte das Gymnasium „bestendig sein und die Schüler ad publicas lectiones gebracht werden“. Neuerlich erscheint der Gesichtspunkt der Beständigkeit, überdies aber deutet der Begriff der ‚publicas lectiones‘ auf eine gehobene Form der Lehre hin. Mit der in jeder Hinsicht positiven Antwort des seinerzeit 25jährigen brandenburgischen Regenten Friedrich Wilhelm hatte dieser ein erstes, klares Zeichen gesetzt, dem Lateinschulwesen vor Ort unter die Arme zu greifen. Dass dieses in eine reformierte Richtung gelenkt werden sollte, hat man beim Kurfürsten bzw. seiner Umgebung selbstredend vorausgesetzt. Selbst wenn die Königsberger Verfügung lange brauchte, ehe sie im brandenburgischen Westen ankam, so wurde den Beamten in Kleve klargemacht, dass sie in Schulfragen auf die volle Unterstützung des Landesherrn rechnen durften. Es stand nämlich sofort außer Frage, dass der Kurfürst und die örtliche Beamtenschaft gleichermaßen am Gedeihen der Klever Schule höchstes Interesse zeigten. Das dem Klever Schreiben beiliegende Einkunftsverzeichnis macht dies auch unschwer deutlich.68 Von den insgesamt 774 Reichstalern Einkünften, mit der die Klever Schule jährlich unterhalten wurde, kamen nämlich allein 500 Reichstaler aus den kurfürstlichen Verfügungen selbst. Überdies aber hatte Friedrich Wilhelm 300 Reichstaler aus dem nunmehr jülich-bergischen Düsseldorf nach Kleve abgezogen, wobei die Quelle nicht genau genannt wird. Sie ist aber wohl in den Schuleinkünften der vorherigen klevischen und nunmehrigen pfalzneuburgischen Residenz zu suchen. Daneben waren weitere 200 Reichstaler aus der kurfürstlichen Schatulle zugesagt. Doch nicht nur der Landesherr selbst, sondern auch seine Beamten zeigten sich am schulischen Aufkommen in Kleve außerordentlich interessiert, so dass sich wieder einmal jener Eindruck bestätigt, der auch an anderen Stellen schon gewonnen wurde: das reformierte Schulwesen war inzwischen alles andere als nur eine kirchliche Veranstaltung, sondern hatte längst seine nachhaltigen Förderer im Landesherrn und überdies auch der örtlichen höheren Beamtenschaft.
67 Vgl. hierzu MENK, Gerhard: Georg Friedrich von Waldeck 1620–1692, Arolsen 1992; DERS.: Absolutismus und Regierungsform in Waldeck. Der Zugriff Graf Georg Friedrichs und seines Kanzlers Johann Viëtor auf Staat und Stände, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 35 (1985), S. 69–135. 68 Klevische Landesregierung an Friedrich Wilhelm, Kleve 20.04.1645, Anlage, GStAPK, I. HA., Rep. 34, Nr. 40c.
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So gut nämlich die Schule vor Ort war, so qualitätvoll fiel auch die Ausbildung der Beamtenkinder aus – und diese sollte schon im Eigeninteresse möglichst am oberen Rande der Möglichkeiten liegen. Mehrere der zahlreichen Klever Beamten69 beherzigten diese Maxime, indem sie Legate aussetzten. Dies galt zuerst einmal für den Rat von Röden, der ein Kapital über 500 Reichstalern stiftete, aus dem jährliche Zinsen in Höhe von 31 Reichstalern erwartet wurden. Ein zweites Legat über 200 Reichstaler war dem Hofmeister Volmar zu verdanken, das 12 Reichstaler abwerfen sollte. Die großzügigste Unterstützung kam jedoch nicht von den höheren Beamten, sondern von einem vermeintlich schlichten Holzförster: Holland Polyander stellte nicht weniger als 600 Reichstaler zur Verfügung, um die örtliche Klever Schule zu unterhalten. Ob er mit dem Leidener Professor Johann Polyander van Kerckhoven verwandt ist, muss offen bleiben.70 Ingesamt stand mithin jährlich eine private Unterstützung in Höhe von knapp 75 Reichstalern aus Renten zu erwarten – eine durchaus beachtliche Summe für eine städtische Lateinschule. Allerdings war die klevische Schule eben doch keine normale Lateinschule, sondern es handelte sich vielmehr um eine Einrichtung, die an einem besonderen Platze lag: am Regierungssitz. Schon die Übernahme der 300 Reichstaler aus Düsseldorf nach Kleve verdeutlichte, dass das neue Verwaltungszentrum auch in schulischer Hinsicht angemessen ausgestattet werden und neben die bisherigen reformierten Zentren Wesel und Duisburg treten sollte. Die nachgerade erhebliche politische Aufwertung Kleves machte auch die am 29. Oktober 1647 erfolgte Ernennung eines eigenen klevischen Statthalters deutlich, wobei künftig mit Johann Moritz von Nassau-Siegen ein Mann von ausgesprochen hohem wissenschaftlichen Ansehen, zugleich aber auch mit einem nicht minder großen Interesse für die schulischen und universitären Belange den Kurfürsten in seinen klevisch-märkischen Landen vertreten sollte. Während sich seine Bestallung zumindest langfristig in vielerlei Hinsicht bezahlt machte, war es ihm nicht möglich, sofort alle jene Mängel abzustellen, die unmittelbar nach 1647 an der Klever Schule auftraten. Denn landesherrliche Zusicherungen, wie sie Friedrich Wilhelm 1645 gegeben hatte, waren das eine, und ihre Umsetzung ein völlig anderes. Hatte man trotz der kurfürstlichen Zustimmung die Zahl der Präzeptoren auf vier begrenzen müssen und nicht auf die vorgesehenen fünf aufstocken können, so traten nur drei Jahre später neuerlich Probleme bei der ordentlichen Bezahlung des Personals auf. Da Friedrich Wilhelm sich seinerzeit kurzfristig in Kleve aufhielt,71 konnte er rasch handeln. Er wies die örtliche Kammer im Sommer 1648 kurzerhand an, nun einen neuen Finanztopf für den Unterhalt der Lehrer heranzuziehen. „Weiln Supplicanten nicht hülfflos zu lassen“ so der Kurfürst, 69 Zur Kanzlei und ihrem Umfang 1656 vgl. FLINK: Kleve (wie Anm. 63), Bd. 2, S. 27. 70 Zu ihm vgl. LUNSINGH SCHEURLEER, Th. H./MEIJES, G. H. Posthumus (Hrsg.): Leiden University in the Seventeenth Century, Leiden 1975. 71 Ein erster Aufenthalt, den LEDEBUR, Leopold von: Schauplatz der Thaten oder AufenthaltsNachweis des Kurfürsten Friedrich Wilhelm des Großen, Berlin 1940, S. 18, erst für 1664 festhält, ist damit zu korrigieren.
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„sondern selbigen zu Erhaltung der Schulen in alle Wege der Underhalt verschaffet werden muß“, sei es notwendig, „das Ihr Ihnen die bey Euch vorhandenen Armengelder einmittelst gegen Quittung abfolgen laßen wollet.“72 Diese unmittelbare landesherrliche Anweisung an die Kammer dürfte befolgt worden sein. Zwar zeigte sich in dieser Anweisung eine Form von frühneuzeitlicher landesherrlicher Flexibilität im Spannungsfeld von Staat, Kirche und Schule, doch zugleich wird damit unterstrichen, dass der nur drei Jahre zuvor noch entworfene jährliche Haushaltsplan für die örtliche Schule allenfalls einen groben Rahmen lieferte, die harte Wirklichkeit sich aber nicht selten an ihr gestoßen haben muss. Dass die Lateinschule zu Kleve trotz aller bestehenden Probleme in der Folgezeit keineswegs als Anstalt von untergeordneter Bedeutung anzusehen ist, sondern vielmehr als personelles Zentrum für die umliegenden reformierten Schulen diente, zeigte sich schlaglichtartig 1665. Ein Jahr vor der definitiven Regelung der klevischen Erbschaft (1666) und im Vorfeld des Religionsvergleichs mit Pfalz-Neuburg (1672) verlor die Klever Schule nämlich innerhalb kürzester Zeit gleich zwei ihrer Lehrer an andere Schulen in der Umgebung. Zum einen wurde der bisherige Präzeptor der 3. Klasse Rektor in Rees,73 zum anderen hatte sich der weitere Präzeptor Johann Sudec[k] auf die Stelle des Rektors der reformierten Schule in Emmerich beworben, war hier angenommen worden und hatte sich damit sehr wahrscheinlich in finanzieller Hinsicht verbessert.74 Dies sind Einzelbeispiele aus einem sehr kurzen Zeitraum, denn die Schule zu Kleve diente bis 1672 neben dem Weseler Gymnasium als hauptsächliches personelles Rekrutierungsreservoir für die umliegenden höheren Schulen, darunter auch die kleineren Gymnasien mit ihren Rektorenstellen. Was die Universität Duisburg seit ihrer Gründung auf der obersten Ebene darstellte, das war Kleve neben Wesel auf der mittleren, mithin der Lateinschulebene. Die beiden genannten Anstalten dürften Emmerich und Duisburg mit ihren drei bzw. zwei Präzeptorenstellen überragt haben. Ohne Frage hat auch Statthalter Johann Moritz in den 1660er-Jahren seinen Teil dazu beigetragen, dass das reformierte Schulwesen in Kleve selbst, aber auch andernorts zumindest auf der Höhe der Zeit blieb. Dies lässt sich unter anderem daran sehen, dass er sich 1664 für den Klever Konrektor Johannes Lemmerstorf einsetzte, als dieser Not litt und darüber Beschwerde führte, dass ihn und seine Familie die 100 72 Kurfürst Friedrich Wilhelm an Klevische Kammer, Kleve 23.06.1648, GStAPK, I. HA., Rep. 34, Nr. 40c. 73 Kurfürst Friedrich Wilhelm an Fürst Johann Moritz, Cölln an der Spree 25.04.1665, GStAPK, I. HA., Rep. 34, Nr. 40c. 74 Johann Moritz zu Nassau und die Klevische Regierung an Kurfürst Friedrich Wilhelm, Kleve 24.07.1665, GStAPK, I. HA., Rep. 34, Nr. 40c; zu Emmerich vgl. neben OEDIGER: Schulen (wie Anm. 42) die pointillistische Studie von ENNEN, Edith: Die Lateinschule in Emmerich – niederrheinisches Beispiel einer bedeutenden Schule in einer kleinen Stadt, in: MOELLER, Bernd/PATZE, Hans/STACKMANN, Karl (Hrsg.): Studien zum städtischen Bildungswesen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Phil.-Hist. Kl. 3/137), Göttingen 1983, S. 235–242.
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Reichstaler nicht durchbrächten, die er als Bezahlung erhielt. Er und Johann Moritz wussten dabei nur zu gut, dass ihm nicht 100, sondern vielmehr 166 Reichstaler zustanden. Der Statthalter nahm die Beschwerde zum Anlass, Lemmerstorf die fehlenden 66 Reichstaler aus einem anderen Fonds ausbezahlen zu lassen. In die frühen 1660er-Jahre fiel aber auch die „Kirchen-Ordnung der Christlich-Reformirten Gemeinden in den Ländern Gülich/Cleve/Berg und Marck“ (1662).75 Sie ist mithin noch vier Jahre vor dem definitiven Religionsausgleich mit Pfalz-Neuburg erlassen worden, so dass sie als Sinnbild für die Förderung der Reformierten in den westlichen Gebieten Brandenburgs gelten darf. Sie stand dabei ganz eindeutig unter dem Ordnungsmoment, das für den Großen Kurfürsten größte Bedeutung hatte. Ihr Sinnspruch, bereits auf dem Titelblatt ausgedruckt, lautete nämlich: „Lasset alles ehrlich und ordentlich zugehen.“ Die Kirchenordnung, auf die die Synoden immer wieder gedrängt hatten, enthält selbstredend auch einen Teil zum Schulwesen, wobei dieser Teil bemerkenswert kurz bleibt. In Artikel 49 heißt es nämlich: „Kirchen und Gemeinen sollen/so viel an ihnen ist/allen Fleiß anwenden/dass hien und wieder/so wol in den Dörfferen/Flecken/als Städten/wohlbestelte Schulen/jedoch nach Einhalt des Religions-Vergleichs/angeordnet und allerseits dazu bequäme/gottselige und gelehrte Männer der Jugent vorgestellet werden.“76 Mit diesem ersten Artikel war ein Normgefüge gegeben, das auch bereits in der landesherrlichen Kirchen- und Schulpolitik des späten 16. Jahrhunderts nicht besser hätte formuliert werden können. Der 50. Artikel ist vielleicht noch von größerem Interesse, weil er die Lehrer dazu anhält, alle dogmatischen und sonstigen anstößigen Bemerkungen zu unterlassen: „Die Schul-Diener sollen der Evangelisch-Reformirten Religion nit allein zugethan seyn/sondern auch die Jugend darin erziehen/ zum Gehorsam gegen ihre Obrigkeit/Elteren und allen die ihnen vorgestellet seind/ ermahnen/in den freyen Künsten/den Sprachen und Sitten/und sonst in allen Tugenden und insonderheit der Gottes-Furcht unterweisen/die Irrthümer und Gottes Wort ihnen benehmen/und aller gefährlichen Arten zu reden/sowohl in Philosophia als Theologia/sich enthalten.“ Dabei ist weniger der Umstand von Bedeutung, dass die Philosophie als immer noch eindeutige ‚ancilla theologiae‘ fungiert, sondern vielmehr, dass die reformierten Präzeptoren auf die konfessionelle Zurückhaltung verpflichtet werden – ein Umstand, der sicherlich nicht allenthalben Freude auf reformierter Seite ausgelöst haben dürfte. Allerdings trug er den Verhältnissen in den klevischen Landen schon vor dem definitiven Ausgleich mit Pfalz-Neuburg insofern Rechnung, als gerade in den größeren Städten neben den reformierten auch lutherische, ja selbst katholische Schulen bestanden. Ihre Existenz durfte nicht angegrif75 Gedruckt bei SCOTTI, J. J.: Sammlung der Gesetze und Verordnungen, welche in dem Herzogthum Cleve und in der Grafschaft Mark über Gegenstände der Landeshoheit, Verfassung, Verwaltung und Rechtspflege ergangen sind vom Jahre 1418 bis zum Eintritt der königlich preußischen Regierung im Jahre 1826, 5 Bde., Düsseldorf 1826, hier Bd. 1, S. 391–416, Nr. 273; vgl. hierzu auch FRIEDRICHS: Schulwesen (wie Anm. 41), S. 63. 76 SCOTTI: Sammlung (wie Anm. 75), Bd. 1, S. 401; die folgenden Zitate ebd.
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fen werden, hätte dies doch einen Aufschrei bei den jeweiligen Konfessionsverwandten ausgelöst. Hieran konnte man in Brandenburg nach den schmerzlichen Erfahrungen des so genannten ‚Kuhkriegs‘ zu Anfang der 1650er-Jahre, bei dem Friedrich Wilhelm nur Prügel einsteckte, keinesfalls interessiert sein. So musste bei aller eindeutigen konfessionellen Haltung des Kurfürsten selbst, die auf eine privilegierte Stellung der Reformierten hinauslief, aus übergeordneten staatlichen Interessen die Förderung des konfessionellen Friedens stehen. Vielleicht hatte aber auch Johann Moritz, der wie erwähnt während seiner brasilianischen Zeit weit über den Konfessionen gestanden hatte, seine nicht immer, aber doch oft irenische Hand im Spiel. Wenn es völlig klar war, dass an den reformierten Schulen der Heidelberger Katechismus gelehrt werden sollte, so bedarf es aber noch des Hinweises auf einen anderen erwähnenswerten Artikel der Kirchenordnung zum Schulwesen. Es wurde darauf gedrängt, dass „einerley Praecepta, soviel möglich ist/gelehret werden/ damit nit die Jugend mit veränderten Praeceptis beschweret und im Lauff ihres studirens irre gemacht werden“. Hier kommt der isonomische Gesichtspunkt zum Ausdruck, der im absolutistischen Staat eine herausragende Rolle spielte. Insoweit verwundert es nicht, dass dieser Artikel fast wortgleich in der 1687 bei dem brandenburgischen Hofdrucker Tobias Silberling zu Kleve gedruckten lutherischen Kirchenordnung erscheint.77 Sie ist, wie auch an anderen Stellen zu sehen, eindeutig unter Vorlage und damit in Bezug zu der reformierten Kirchenordnung für Kleve und Mark erstellt worden. Auch hier werden die Lehrer ausdrücklich dazu verpflichtet, alle dogmatischen und sonstigen anstößigen Bemerkungen zu vermeiden. Ansonsten freilich enthält die lutherische Kirchenordnung, die gerade eben noch in der Regierungszeit des Großen Kurfürsten in die Öffentlichkeit gebracht wurde, weitaus umfangreichere Maximen und Vorkehrungen zum Schulwesen. In dem Verbot der Neben- und Winkelschulen kommt dabei das absolutistische Interesse an der uneingeschränkten Aufsicht über das nur kirchlich bestimmte und zugleich öffentliche Schulwesen zum Ausdruck. Auch dem disziplinierenden Moment innerhalb der Lehrer- wie der Schülerschaft gleichermaßen kommt eine weitaus größere Bedeutung zu als in der genau ein Vierteljahrhundert zuvor gedruckten reformierten Vorgängerin. Aber auch in anderer Hinsicht unterschieden sich die beiden Verordnungen. Für die lutherische Ordnung ist lediglich vorgesehen, dass die „von alters her sowohl in den Kirchspielen als auch Städten fundirte und hergebrachte Schulen“ erhalten werden sollten, während die reformierte Schulordnung ausdrücklich auch die Neugründung von Bildungseinrichtungen vorsah.78 Mit dieser Vorgabe war natürlich noch keine neue Schule gegründet, aber doch immerhin deutlich gemacht, dass die brandenburgische Landesherrschaft dem reformierten Schulwesen besonders positiv ge77 Gedruckt bei SCOTTI: Sammlung (wie Anm. 75), Bd. 1, S. 595–636, Nr. 397; zum Inhalt auch FRIEDRICHS: Schulwesen (wie Anm. 41), S. 64f. 78 SCOTTI: Sammlung (wie Anm. 75), Bd. 1, S. 618 und S. 401.
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genüber stand. Dies zeigte sich bereits 1662, wurde doch seinerzeit mit dem ‚Aerarium ecclesiasticum‘ ein landesherrlicher Fonds gegründet, der Beihilfen für arme Gemeinden, Witwen und Waisen von Pastoren sowie Lehrern gewähren sollte.79 Die hierfür zuständige Behörde bestand in dem ‚Consilium ecclesiasticum‘. Auch das ‚Aerarium ecclesiasticum‘ verdeutlicht das Interesse des Großen Kurfürsten, in seinen vergleichsweise kleinen, aber doch gewichtigen westlichen Provinzen ein Instrument zur Verfügung zu haben, das seinen landesherrlichen Einfluss in Kirchenwie in Schulfragen angemessen zur Geltung bringen konnte. Dies wird auch ersichtlich durch einen Neubau der Klever Lateinschule, der nach der Baufälligkeit und dem Abbruch des bisherigen Gebäudes 1665 vorgenommen werden musste. Der Neubau sollte 1665 stehen, ist aber erst nach 1668 vollendet worden.80 Nicht nur dieser Verzug machte deutlich, dass die kirchlich-schulische Normenwelt eines war – und die harte Wirklichkeit etwas anderes. Denn der französische Einfall in die Niederlande 1672, in den der Brandenburger involviert war, der aber auch ganz nebenbei zur Restitution des oranischen Hauses in die Generalstatthalterschaft führte, betraf auch Teile des Niederrheins, nämlich den Bereich zwischen Emmerich und dem dem Duisburger Stadtteil Walsum gegenüber liegenden Orsoy. Selbstredend hatte auch dies für das Schulwesen nachhaltige Konsequenzen. So gab der brandenburgische Beamte Werner Wilhelm Blaspeil, der Kurfürst Friedrich Wilhelm auch als außenpolitischer Agent wichtige Dienste in Den Haag und anderwärts leistete, bereits im November 1673 die Anweisung, dass bei den Gehältern „in diesen kümmerlichen Zeiten“ dringend gespart werden müsse.81 Die Verringerung des Schulpersonals um eine Präzeptur just am Regierungssitz Kleve, wie sie seinerzeit auf dem Plane stand, war jedoch für den bildungsinteressierten Statthalter Johann Moritz auf längere Frist nicht hinnehmbar. Er intervenierte zusammen mit allen Regierungsräten im Frühjahr 1676 beim Kurfürsten, um ihm die Situation aller und nicht nur der reformierten Pfarrer und Schullehrer in den klevisch-märkischen Landen ans Herz zu legen.82 Bei der jetzigen Bezahlung litten die Pfarrer und Schuldiener Not, wie aus täglichen Eingaben zu sehen sei, wurde argumentiert. Kirchen und Schulen könnten sogar untergehen, heißt es in der aufrüttelnden Schilderung aus Kleve. Allerdings enthielt das Schreiben auch einen Vorschlag zur Besserung der Dinge. Es müssten nur die 600 Reichstaler richtig ausbezahlt werden, die für das Schulwesen ohnehin zur Verfügung stünden, wird hier moniert. Auch erinnerte das
79 Vgl. hierzu ENGELBERT, Heinrich: Das Aerarium ecclesiasticum der reformierten Kirchen in Kleve und Mark, Jülich und Berg (Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte 21), Düsseldorf 1966; kurz auch FRIEDRICHS: Schulwesen (wie Anm. 41), S. 63. 80 Ansicht der beiden Gebäude bei FLINK: Kleve (wie Anm. 63), Bd. 2, S. 239f. 81 Werner Wilhelm Blaspeil (für Friedrich Wilhelm) an Klevische Regierung, Koblenz 4./14.11.1673, GStAPK, I. HA., Rep. 34, Nr. 40c. 82 Fürst Johann Moritz und Klevische Regierung an Kurfürst Friedrich Wilhelm, Kleve 17.02.1676, GStAPK, I. HA., Rep. 34, Nr. 40c, das folgende Zitat ebd.
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Schreiben noch einmal an einen jüngst eingereichten Vorschlag, „zu Conservation obgd. hiesigen Schulen gnädigste Ordre zu ertheilen.“ Zwar schweigen die Berliner Akten über die Folgen, doch macht die Intervention durch Johann Moritz deutlich, dass er sich nach 1670 keineswegs in einer mehr dekorativen Funktion als brandenburgischer Statthalter übte, sondern sich bei ihn interessierenden Fragen etwa im Schulbereich sehr wohl beim Kurfürsten einschaltete. Dabei wird er registriert haben, dass bereits ab 1674 mit Joachim Neander ein gebürtiger Bremer zum Rektor der Düsseldorfer reformierten Lateinschule berufen worden war.83 Mit Neander, der unter anderem in Heidelberg studiert hatte, gewann nämlich der Pietismus zu einem sehr frühen Zeitpunkt Eingang in das rechtsrheinische Rheinland, allerdings im pfalz-neuburgischen Herrschaftsbereich. Viel wichtiger dürfte es aber aus reformierter Sicht gewesen sein, dass Neander die Gewähr dafür bot, dass dem örtlichen Jesuitengymnasium ein erkennbares konfessionelles Gegengewicht erwuchs. Dies war ohne Frage im Sinne des brandenburgischen Statthalters Johann Moritz, der sowohl in Kleve-Mark wie im heimatlichen Nassau, nicht zuletzt aber in Brasilien hohes Interesse für ein gut entwickeltes Bildungs- und Unterrichtswesen an den Tag legte. So war es ein schwerer Verlust auch für das Schulwesen am brandenburgischen Niederrhein, als er 1679 an seinem Dienstsitz Kleve starb. Doch selbst wenn man ihm und auch Friedrich Wilhelm positive Ansätze zur Förderung des gesamten Bildungswesens in jenem Teil des bisherigen Herzogtums in Rechnung stellt, der Brandenburg nach der Teilung 1610 bzw. 1614 verblieb, so ist außer der sicherlich nicht unwesentlichen Gründung Duisburgs und nachhaltigen Förderung der Lateinschule in der statthalterlichen Residenz ein eher nüchternes Fazit zu ziehen. Sieht man einmal von Einzelbeispielen wie der Rückendeckung für reformierte Lehrer und Rückgriffen auf das ‚Aerarium ecclesiasticum‘ ab, so blieb das Schulwesen ganz überwiegend auf dem Stande, wie es durch die tradierten lokalen Verhältnisse geprägt worden war. Verhältnisse wie in Kleve mit seiner gehobenen Funktion als Residenz mit zahlreichen höheren Beamten und einem so energischen und zugleich auch dem Schulwesen besonders gewogenen Mann wie Johann Moritz waren die Ausnahme. Wirkte sich ohnehin der Vergleich mit Pfalz-Neuburg mit seiner konfessionellen Bestandsgarantie für beide Teile hemmend auf eine besonders aktive brandenburgische Schulpolitik aus, so scheint zudem die Herrschaftsferne eine wesentliche Rolle für einen letztlich eher zurückhaltenden Zugriff gespielt zu haben. Im Ganzen blieb der Status quo und nicht die konfessionelle Veränderung das Maß 83 Zu ihm vgl. die inzwischen überholte Biographie von IKEN, Johann Friedrich: Joachim Neander. Sein Leben und seine Lieder, Bremen 1880; zu seiner Zeit in Düsseldorf MASSNER, Hans-Joachim: Joachim Neander als Rektor der Lateinschule in Düsseldorf, in: Monatshefte für evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes 29 (1980), S. 209–239; zuletzt ausführlich GOETERS, Johann F. Gerhard: Der reformierte Pietismus in Deutschland, in: Geschichte des Pietismus, Bd. 1: Das 17. und frühe 18. Jahrhundert, hrsg. von Martin Brecht, Göttingen 1993, S. 241–277, hier S. 259ff.
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aller Dinge. So waren auch die beiden Kirchenordnungen mit ihren jeweiligen Schulpassagen nicht in erster Linie dazu geeignet, auf das mittlere und untere Schulwesen fördernd einzuwirken, sondern sie verfolgten den eindeutigen Zweck, zentralen landesherrlichen Bedürfnissen zum Durchbruch zu verhelfen. Sie bestanden in einer gut überschaubaren Ordnung, dann aber auch möglichst weitgehender Isonomie, nicht zuletzt auch der Regelung von Aufsicht jenseits der kirchlichen Rechte. Doch so sehr auch die kirchlichen Organe zuvor ebenfalls auf eine staatliche Regelung gedrängt hatten, so stieß die Verwirklichung des Wunsches nicht allenthalben auf Zustimmung vor Ort. So sah sich die vielfach zum Widerspruch neigende Stadt Wesel 1662 gedrängt, gegen die reformierte Kirchenordnung zu protestieren. Allerdings wurde dieser Protest zwei Jahre später vom Kurfürsten in gänzlich absolutistischer Manier abgewiesen.
3. Das Schulwesen von 1688 bis 1794: Vom Niedergang bis zum nachhaltigen Eingriff des Staates Mit dem Tod Johann Moritz‘ 1679 und demjenigen des Großen Kurfürsten neun Jahre später 1688 ging die erste Epoche brandenburgisch-reformierter Kirchen- und Schulpolitik im Westen des Reiches zu Ende. Denn zu keinem Zeitpunkt waren die Brandenburger im Rheinland so präsent wie zu Zeiten Friedrich Wilhelms. Wenn Ledebur eine Aufenthaltsdauer des Großen Kurfürsten von sechs Jahren errechnet hat,84 so dürfte der richtige Wert noch erheblich höher liegen, da ihm einige Präsenzen entgangen sind. Vor allem aber erwies sich Johann Moritz als Sachwalter der Interessen der, ja vielleicht sogar ‚seiner‘ klevischen Lande, wobei diese ihm weit mehr am Herzen lagen als die Grafschaft Mark. Unter den Nachfolgern rückte der brandenburgische Westen zunehmend von den Kernlanden ab – und dies trotz der Tatsache, dass die hohenzollernsche Dynastie 1702 mit Moers und Lingen dort gleich zwei territoriale Zuwächse durch Erbfall zu verzeichnen hatte. Sie waren nicht groß, doch verstärkte gerade der Moerser Anwuchs den Protestantismus am linken Niederrhein ganz erheblich. Doch hieß dies noch lange nicht, dass die neuen kirchlichen Maximen, wie sie sich am deutlichsten unter Friedrich Wilhelm I. in Form der neuen Reformbewegung des Pietismus greifen lassen, auch bis in den brandenburgisch-preußischen Westen durchgedrungen wären. Die Entwicklung des Schulwesens stand gleichwohl nach dem Tod des Großen Kurfürsten nicht still. Vielmehr wurden nur drei Jahre später die „Regulae Gimnasii Clivensis“ erlassen, mithin eine Schulordnung für das Klever Gymnasium.85 Dabei treten – so scheint es – durchaus charakteristische Un-
84 LEDEBUR: Schauplatz (wie Anm. 71), S. 18. 85 Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland [LAV NRW R], Kleve-Mark, Akt. 1280, fol. 38–40; gedruckt bei FLINK: Kleve (wie Anm. 63), Bd. 2, S. 237–239.
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terschiede zu den beiden Kirchenordnungen von 1662 und 1687 zutage. Während hier noch auf den Gebrauch des Heidelbergischen und Lutherischen Katechismus hingewiesen, darüber hinaus in der reformierten Ordnung auf die Vermeidung von konfessionellen Disputen gedrängt wird, fehlt in der Klever Schulordnung von 1691 jeder Hinweis auf die konfessionelle Bestimmung des Unterrichts. Hier steht vor allem die innere Ordnung der Schule im Vordergrund, in besonderem Maße die Disziplinierung der Schüler wie auch die der Lehrer im Hinblick auf den Kirchenbesuch. Bemerkenswert ist auch, dass der private Unterricht außerhalb des öffentlichen Unterrichts ausdrücklich erlaubt wird, was natürlich die Neigung zur Gründung und zum Besuch von Winkelschulen fördern musste. Hieran hat es denn auch weder in Kleve selbst noch auf dem flachen Lande gefehlt,86 zumal der Besuch von Winkelschulen – wenn auch unter ausdrücklicher Aufsicht der Pastoren – bereits in der reformierten Schulordnung von 1662 erlaubt worden war. Dies deutet darauf hin, dass das öffentliche Schulwesen in einem Zustand der Schwäche, wenn nicht gar der Unordnung geraten war. Dabei fehlte es, wie wir gesehen haben, wahrhaft nicht an normativen Rahmenbedingungen. Am 9. Oktober 1717 erließ der preußische König Friedrich Wilhelm I. zudem ein Schuledikt, das ausdrücklich auch für den klevisch-märkischen Bereich galt.87 Neugebauer hat das Edikt als einen fortdauernden „Ausdruck von Regionalismus“ und als Beispiel für einen geringen Durchschlag auf das Land charakterisiert.88 Hierfür finden sich beste Beispiele in unserer Region. Als nämlich der preußische Kriegsrat Samuel von Schmettau nur drei Jahre nach Erlass des Schuledikts in die westlichen Provinzen reiste, malte er geradezu den Teufel an die Wand, als er die Verhältnisse im Klevischen zu sehen bekam. Der Mann, der seinerzeit ein Zucht- und Arbeitshaus in Kleve aus dem Boden stampfen wollte, war erschüttert von dem, was ihm vor die Augen trat – und sah allen Grund, das Ergebnis seiner Inspektion nach Berlin zu berichten. In seinen längeren Ausführungen heißt es an zentraler Stelle: „Das SchulWesen stehet auch alhie in schlechter Verfaßung, und finden sich keine rechtschaffene Leuthe, sondern die Kinder müssen in Ermangelung derselben nach fremden Städten mit großen Kosten derer Eltern versandt werden. Die Salaria derer SchulBedienten seyndt noch so ziemlich beschaffen, und würde zu Verbesserung derselben sich noch wohl hie und da ein Fond finden, und wenn die gegenwärtige ausge-
86 Ähnliche Verhältnisse finden sich im Bergischen, vgl. WESOLY, Kurt: Hof- und Honnschaftsschulen im Bergischen Land bis zum Ende des Alten Reiches, in: ANDERMANN/ANDERMANN: Aspekte (wie Anm. 19), S. 201–220; sehr viel weniger Winkelschulen als in Kleve sind dagegen im wesentlich größeren Marburg nachgewiesen, vgl. SOLIDAY, Gerald: Aus schlechten Christen werden gemeiniglich auch schlechte Unterhanen. Die Schulbildung der Marburger Handwerker in der frühen Neuzeit, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 43 (1993), S. 107–137. 87 Gedruckt bei SCOTTI: Sammlung (wie Anm. 75), Bd. 2, S. 921, Nr. 780; kurze Charakteristik bei FRIEDRICHS: Schulwesen (wie Anm. 41), S. 66. 88 NEUGEBAUER: Staat (wie Anm. 49), S. 173.
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storben, tüchtige Leute anhero berufen, und die Schule mit könig. allergnädigster Approbation in ein Gymnasium, so in gantzem Lande nicht vorhanden, verändert werden können.“89 Gerade bei der Bemerkung, dass es im Klevischen an einem angemessenen Gymnasium fehle, griff Schmettau auf seine unmittelbaren Eindrücke von den für ihn verheerenden Verhältnissen zurück. Ihm erschien nämlich das Schulwesen im brandenburgischen Westen im Ganzen eindeutig im Niedergang – und deswegen erhoffte sich der sehr um Bildung bemühte preußische Kriegsrat großzügige Hilfe aus dem weit entfernten Regierungssitz. Nicht die Kirche, sondern ausdrücklich der Staat erschien dem Beamten als dasjenige Institut, um eine Besserung zu erreichen. In Berlin reagierte man aufgrund der drastischen Schilderungen Schmettaus umgehend. Allerdings brachte die Anweisung des Berliner Oberhofmarschalls Prinz an die Klevische Regierung aus dem Mai 1720, man möge doch so rasch wie möglich mit Schmettau in Verbindung treten, damit eine Wende in der Sache eingeleitet werden könne,90 keinerlei erkennbares oder gar nachhaltiges Ergebnis. Denn nur fünf Jahre später wurde man in Berlin erneut über die schulischen Probleme am Sitz der Regierung selbst informiert. Auf ein Reskript an die klevische Regierung, in dem die Frage enthalten war, „ob das Gymnasium zu Cleve einen zureichenden Fond habe, wovon sie das benöthigte Holtz kauffen könten“, erfolgte abermals eine ernüchternde Antwort.91 Man habe erfahren, so heißt es in ihr, dass „diese Schule gar keinen eigentlichen Fondt habe, sondern die salaria der praeceptorum aus dem ohndem anjetzo schier erschöpften aerario ecclesiastico jährlich bezahlet würden.“ Der zeitliche Verzug, der sich bei der Antwort aus Berlin einstellte, scheint paradigmatisch für die Aufmerksamkeit zu sein, die man in der Zentrale den schulischen Verhältnissen weit im Westen der brandenburgisch-preußischen Lande zukommen ließ. Denn erst 1726 wurde verfügt, dass die Klever Schule weiter mit Deputatholz beliefert werden sollte, womit ihr zumindest die Heizung im Winter gesichert war. Über die Einkünfte jenseits des ‚Aerarium ecclesiasticum‘ verlautete allerdings nichts – und just hierüber schien man in Kleve eine Antwort erwartet zu haben. Dies wirft kein gutes Licht auf das Interesse, das man im frühen 18. Jahrhundert in Berlin an schulischen Fragen in den weit entfernten klevischen Landen zeigte. Allerdings schien unter Friedrich dem Großen eine Änderung im normativen Bereich einzutreten. Denn das von ihm am Ende des Siebenjährigen Krieges am 12. August 1763 erlassene ‚General-Land-Schulreglement‘ ist – offenbar im Gegensatz zu seinem Vorgänger von 1717 – zumindest in der Klever Regierung angekommen
89 Extractus Protocolli des Kriegsrats Samuel von Schmettach, Kleve 17.01.1720, GStAPK, I. HA., Rep. 34, Nr. 40c. 90 Anweisung des Oberhofmarschalls Prinz an die Klevische Regierung, Berlin 27.05.1720, GStAPK, I. HA., Rep. 34, Nr. 40c. 91 Bericht, Kleve 06.07.1725, GStAPK, I. HA., Rep. 34, Nr. 40c, das folgende Zitat ebd.
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und auch hier nachgewiesen.92 Bereits einige Monate zuvor bereitete sich dieses ‚Reglement‘ vor, indem der Preußenkönig am 1. April 1763 in einer Kabinettsorder an den Minister von Danckelmann darauf drängte, dass die Superintendenten und Inspektoren – mithin weiterhin kirchliche Instanzen – die Landschulen jährlich bereisen und den Zustand jeder Schule „examinieren“ sollten.93 Erinnerte dies an jenes Maß an obrigkeitlich verordneter Aufsicht, das etwa in der Grafschaft Nassau im späten 16. Jahrhundert eindeutig in Übung war, so sollte bei dieser Gelegenheit vor allem darauf geachtet werden, ob der Schulmeister „von der nöthigen Capacité“ sei und er den Schülern die „gehörige Anweisung und Anführung“ geben könne. Friedrich setzte dabei an einer der Schwachstellen des niederen Schulwesens nicht nur hier, sondern auch andernorts an, nämlich der nicht hinreichenden Ausbildung der Lehrer – und die andere lag im schlechten Schulbesuch. In seiner Kabinettsordre gab Friedrich auch den Befehl, ein Reglement für alle preußischen Provinzen auszuarbeiten, womit der Konsistorialrat Johann Julius Hecker beauftragt wurde. Der in Werden bei Essen als Sohn eines Lehrers geborene Hecker, der im pietistischen Halle ausgebildet worden war, muss mithin während seiner Jugend mit den schulischen Verhältnissen im preußischen Westen vertraut gewesen sein. Wurde das Reglement in der älteren Literatur als eine Maßnahme angesehen, eine Jugend heranzuziehen, die „durch den Unterricht in den unbedingt erforderlichen Kenntnissen und Fertigkeiten imstande“ sein sollte, „den Ansprüchen des bürgerlichen Lebens zu genügen“,94 so hat sich Friedrich selbst 1779 noch einmal ausführlicher zu den Zielen der Ausbildung auf dem Lande geäußert. In einer Kabinettsordre vom 5. September 1779 heißt es nämlich: „Sonsten ist es auf dem platten Lande genug, wenn die Leute ein bisschen lesen und schreiben lernen. Wissen sie aber zuviel, so laufen sie in die Städte und wollen Secretärs und sowas werden. Deshalb muß man auf dem platten Lande den Unterricht der jungen Leute so einrichten, dass sie das Nothwendige, was zu ihrem Wissen nothwendig ist, lernen, aber auch in der Art, dass die Leute nicht aus den Dörfern weglaufen, sondern hübsch da bleiben.“95 Überrascht schon der besondere Wert, der unter dem aufgeklärten Regenten im ‚General-Land-Schulreglement‘ der religiösen Erziehung beigemessen wird, so ist es nunmehr das statische Moment, das bei Friedrich dominiert. Von einer Erschließung aller Bildungsressourcen in der Bevölkerung, wie sie im konfessionellen Rahmen und vor allem auch im Hochabsolutismus zu erkennen ist, verbleibt in den Vorstellungen Friedrichs eigentlich nichts mehr. 92 LAV NRW R, Kleve Mark, Akt. Nr. 1427, fol. 2–11; gedruckt u. a. bei LEWIN, Heinrich: Geschichte der Entwicklung der preußischen Volksschule und der Förderung der Volksbildung durch die Hohenzollern, Leipzig 1910, S. 78–91; bei SCOTTI: Sammlung (wie Anm. 75), Bd. 3, S. 1540f., Nr. 1800, findet sich nur eine verkürzte Fassung. 93 Vgl. hierzu näher LEWIN: Geschichte (wie Anm. 92), S. 76f.; die folgenden Zitate ebd. 94 VOLLMER, Ferdinand: Die preußische Volksschulpolitik unter Friedrich dem Großen (Monumenta Germaniae Paedagogica 56), Berlin 1918, S. 56. 95 Zit. nach NEUGEBAUER: Staat (wie Anm. 49), S. 186.
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Es stellt eine glückliche Fügung dar, dass bereits fünf Jahre nach dem Erlass des ‚General-Land-Schulreglements‘ ein Bericht der kleve-märkischen Regierung über die schulischen Verhältnisse im Klevischen vorliegt, der einen guten Einblick in die Verhältnisse auf dem flachen Land ermöglicht.96 Das höchste provinziale Regierungsorgan, das ganz offenbar in der Zwischenzeit keinen Anlass mehr gesehen hatte, in die Dinge einzugreifen, bestätigt dabei nicht unbedingt den Eindruck, von einer größeren Geschäftigkeit, wie sie im absolutistischen Staate üblich war. Vielmehr lagen alle schulischen Dinge so gut wie ein halbes Jahrhundert brach – und erst auf Anforderung aus Berlin kamen sie in Kleve wieder auf die Tagesordnung. Die klevische Regierung war nämlich dazu aufgefordert worden, einen Bericht über die schulischen Verhältnisse in ihrem Bereich zu verfassen, wobei Kleve und Mark gleichermaßen betroffen waren. Nun sah man sich zu einer längeren und sehr eingehenden Antwort veranlasst, zumal die Dinge – wie aus der Anweisung der Zentrale zu schließen war – sehr im Argen lagen. Allerdings galt dies nicht durchweg, sondern die Beamten gingen differenziert vor. So wurde der mangelnde Schulbesuch in den zurückliegenden Jahren ausdrücklich nicht mit der Nachlässigkeit der Lehrer begründet, sondern darauf hingewiesen, dass die Schulmeister „von denen Predigern gerühmet als fleißige Leute, die ihre Lehre nach dem Schul-Reglement einzurichten befleißen wären.“ Ohnehin sei man willens, „dieselbe annoch durch den benachbarten Sahlenschen Schulmeister, so aus der Berlinschen Real-Schule gekommen, nach der Berlinischen Methode zu instruiren unterrichtet werden.“ Dies zeigt an, dass der brandenburgisch-preußische Westen durchaus von den personellen Ressourcen lebte, die aus der Berliner Zentrale geholt wurden. In einigen Schulen scheint nämlich durchaus nach der ‚Berlinischen Methode‘ und damit wohl nach modernen Vorgaben unterrichtet worden zu sein. Doch damit waren schon alle Positiva genannt, folgte doch dann eine höchst nüchterne Beschreibung jener Probleme, wie sie zuzeiten allenthalben festzuhalten waren: der außerordentlich mangelnde Schulbesuch gerade im Sommer, damit zugleich die Schwierigkeiten, die bei der Durchsetzung des obrigkeitlichen Schulzwanges auftraten. Die Klever Regierung führte dabei den schlechten Schulbesuch vor allem darauf zurück, dass „viele Eltern aufm platten Lande durch die besonders in dem letzten Kriege entstandene Dürftigkeit abgehalten, ihre Kinder zur Schule zu halten, weil sie solche nicht ordentlich kleiden, das Schul-Geld und die Schulbücher nicht bezahlen noch auch selbst die Hülfe der Kinder in ihren häuslichen Geschäften entbehren können.“ Waren dies die klassischen Argumente, so kam aber nach Auffassung der Beamten noch die ureigene Beschaffenheit der niederrheinischen Siedlungsweise hinzu: „Hindert den fleißigen Besuch der Schulen die besondere Beschaffenheit dieser Provintzen gar sehr, allwo keine sogenante geschlossene Dörffer vorhanden, sondern die zu denen Dörffern gehörige Häuser zerstreuet auseinander gelegen sind, also dass ein jeder Bauer fast alle seine Ländereyen rund um sich hat.“ Dies wiederum führe dazu, 96 Bericht „wegen des Zustands der Schule auf dem platten Land“, Kleve 19.12.1768, GStAPK, I. HA., Rep. 34, Nr. 73, Paket 1698–1790, die folgenden Zitate ebd.
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so die Klevische Regierung nach Berlin, dass die Kinder zum Viehhüten gebraucht würden – was freilich auch in anderen agrarischen Gebieten der Fall war. Doch hielt dies die klevische Regierung nicht davon ab, noch einmal die Besonderheiten des Niederrheins herauszustreichen: „Diese gestreuete Lage der Dörffer hat auch noch die Folge, dass viele Bauren in einer ziemlichen Entfernung von denen Kirchen, Predigern und Schul-Haltern wohnen, mithin die Kinder bey schlechten Wegen und Wetter nicht zur Schule kommen können, für eintzelne entlegene Familien aber Neben-Schulen anzulegen theils zu kostbahr, theils für den ordentlichen SchulMeister der Gegend nachtheilig seyn würde, zumahlen diese mehrenteils schlecht salariret, und zu deren Verbesserung keine Mittelen noch vor der Hand Hoffnung vorhanden ist.“ Die klevischen Beamten wären schlechte Repräsentanten ihres Berufsstandes gewesen, hätten sie nicht Mittel zur Abhilfe nennen können. So wird neben dem üblichen Mittel einer besseren Aufsicht vor Ort vorgeschlagen, die Ferien in die Erntezeit zu legen, die Ernte allerdings auf vier Wochen zu beschränken. Nach Ende der vier Wochen sollten die Prediger öffentlich darauf drängen, dass die Kinder wieder in die Schule geschickt würden. Ein besonders raffinierter Vorschlag bestand darin, die Pfarrer dazu anzuhalten, keine Präparanden zum Heiligen Abendmahl anzunehmen, die nicht schriftliche Zeugnisse von Pfarrer und Lehrer über die Teilnahme am Schulbesuch hatten. Auf diese Weise sollte sozialer Druck ausgeübt werden, denn ein möglicher Ausschluss vom Abendmahl war sozial diskriminierend. Doch selbst solche klugen Erwägungen hielten die Berliner Behörden nicht davon ab, den schwarzen Peter nach Kleve zurückzureichen.97 Die Beamten selbst hätten den Schulen zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet, ihre nunmehrigen Vorschläge seien nicht hinreichend. Damit war man in Berlin den Festlegungen des Allgemeinen Landrechts von 1794 schon mehr als nahe gekommen, indem man jetzt nur noch die Beamten selbst für die schulischen Verhältnisse auf dem Lande verantwortlich machte. Freilich noch nicht ganz. Denn 1782 unterbreiteten der kleve-märkische Präsident und die örtlichen Räte König Friedrich II. einen Vorschlag, der noch einmal die kirchlichen Dimensionen des Schulwesens erkennen lässt, diese aber bereits enger als es in der Praxis der Fall war mit den staatlichen Interessen verbindet.98 Dabei lenkt der Umstand, dass der Vorschlag nur „zur beßeren Aufnahme der Refomirten Schulen in der hiesigen Provinz“ unterbreitet wurde, erst einmal deutlich in Richtung reformierte Kirche. Es war nämlich für die reformierten Gemeinden eine jährliche Kollekte in den Kirchen vorgesehen, die zur „Anschaffung der nötigen Schulbücher und Biebeln wie auch anderer Bedürfnisse in den Schulen, derengleichen zum Ankaufe der erforderlichen Schulbücher für arme Schüler“ dienen sollte. Nachdem entsprechende Maßnahmen in den lutherischen Bereichen längst ergriffen 97 Berlin 31.01.1769 (Konzept), GStAPK, I. HA., Rep. 34, Nr. 73, Paket 1698–1790. 98 Kleve-märkischer Präsident und Räte an den König, Kleve 07.09.1782, GStAPK, I. HA., Rep. 34, Nr. 40c, die folgenden Zitate ebd.
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worden waren, schienen endlich auch die Reformierten an der Reihe. Allerdings kam nach diesen eindeutigen kirchlichen Bezügen doch noch der Staat ins Spiel, sollten die Kollektengelder doch eindeutig auch zur Unterstützung eines zu errichtenden ‚Schulmeister Seminarii‘ dienen. Mit der einheitlichen Ausbildung der Lehrer an einem Seminar schien schon eindeutig der Weg in Richtung Staatsanstalt gewiesen. Wenn Friedrich II. dem Vorschlag seine persönliche Approbation erteilte,99 so geschah dies sicherlich ganz aus der borussischen Staatsräson heraus, hingegen kaum kirchlicher Sonderinteressen wegen, die ihm eher fremd waren. Wenn hier bereits von einem ‚Schulmeister Seminarii‘ die Rede war, so gingen die Planungen für eine solche Einrichtung auf das Jahr 1769 zurück. Allerdings bildete bezeichnenderweise nicht der brandenburgisch-preußische Staat, sondern die klevische reformierte Synode den Ausgangspunkt für eine solche Anstalt. Am 23. November des genannten Jahres schlug die Synode unter Hinweis auf die zum Teil sogar erbärmlichen schulischen Verhältnisse sowohl in den Städten wie auf dem platten Lande vor, entweder in Wesel oder in Duisburg ein Seminar einzurichten.100 Es sei unabdingbar, so heißt es hier, dass die Jungen einige Jahre lang „in den Wahrheiten der Religion, der Sittenlehre, der Geographie und Historie nebst der Rechen- und der Lesekunst“ unterrichtet würden. Die Erziehung zur Gottesfurcht sollte neben derjenigen zur „Ehrung gegen den König“ das wichtigste Ziel der Ausbildung bilden. Als am besten geeigneter Ort wurde aufgrund der besseren Baulichkeiten Wesel angesehen. Vom Plan bis zur Vollendung hat es allerdings noch 15 Jahre gedauert. Nachdem der Klever Pastor Christian Friedrich Baumann 1783 einen Lehrplan aufgestellt hatte, öffnete das reformierte Seminar seine Pforten dann auch – wie ursprünglich vorgeschlagen – in Wesel. Damit war erstmals eine zentrale Ausbildungsstätte für die reformierten Lehrer geschaffen worden, wobei das Weseler Seminar in geringerer Anzahl auch Lutheraner ausbildete.101 Es hat allerdings nur bis 1806 bestanden, ein rund zehn Jahre später unternommener Wiedergründungsversuch scheiterte. Allerdings hatten sich die territorialen Verhältnisse am linken Niederrhein seit 1794 schon einschneidend geändert: er war an Frankreich gefallen, was nicht zuletzt Veränderungen im Bildungssektor nach sich zog.102 1806 ist das rechte Rheinufer dem linken gefolgt, wobei es dem territorial weit ausgreifenden Großherzogtum Berg mit einem hohen Modernisierungspotential zugeordnet wurde.103 99 Eigenhändiger Vermerk, GStAPK, I. HA., Rep. 34, Nr. 40c. 100 LAV NRW R, Kleve-Mark, Akt. Nr. 1415, fol. 2–3, die folgenden Zitate ebd. 101 Zur Weseler Ausbildung näher OBHUES, Heinrich: Die Anfänge der Lehrerbildung in Wesel (1784–1806), in: KIRCHHOFF, Hans Georg (Hrsg.): Der Lehrer in Bild und Zerrbild. 200 Jahre Lehrerausbildung Wesel – Soest – Dortmund 1784–1984 (Dortmunder Arbeiten zur Schulgeschichte und historischen Didaktik 9), Bochum 1986, S. 1–24; FRIEDRICHS: Schulwesen (wie Anm. 41), S. 232–255. 102 Näher hierzu FRIEDRICHS: Schulwesen (wie Anm. 41), S. 115–118. 103 Zu den neuen Rahmenbedingungen vgl. SEVERIN-BARBOUTIE, Bettina: Französische Herrschaftspolitik und Modernisierung. Verwaltungs- und Verfassungsreformen im Großherzogtum Berg (Pariser Historische Studien 85), München 2008.
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Bevor dieser Fall eintrat, ist 1798 von preußischer Seite eine Bestandsaufnahme der Gelder vorgenommen worden, die von der klevischen und märkischen Regierung für die rechtsrheinischen protestantischen Schulen gezahlt wurden.104 Die bei der Erhebung entstandene Liste bietet freilich weit mehr, nämlich ein recht präzises Verzeichnis aller Schulen einschließlich der Namen der Lehrer, Küster und Organisten, und zwar nach Konfessionen getrennt. Während die Lehrer auch überwiegend mit Namen genannt sind, gilt dies nicht für die Küster und Organisten, die ebenfalls im schulischen Bereich Verwendung fanden. Da auch die Einkünfte verzeichnet sind, und zwar nach den unterschiedlichen Provenienzen, bietet diese Liste eine exzellente Übersicht über das niedere Schulwesen zumindest der rechtsrheinischen Seite am Ende des Ancien Régime. Dabei fällt zunächst einmal das auf, was eingangs bereits gesagt wurde: die außerordentliche konfessionelle Vielfalt, ja Zerrissenheit des rechten Niederrheins. Überdies wird aber auch die ebenfalls sehr unterschiedliche Bezahlung der Lehrer in Städten und Dörfern deutlich. Selbst innerhalb der Schulen ergeben sich durchaus unterschiedliche fixe Einnahmen, wie es die reformierte Duisburger Schule am besten erkennen lässt. Hier tritt auch die Besonderheit auf, dass der dritte Lehrer mit einem fixen Einkommen von 220 Reichstalern geführt wird, der zweite Lehrer mit 158 und der erste Lehrer nur mit 107. Damit war in der Bezahlung eine gänzliche Umkehrung der Hierarchie gegeben – und so die Frage aufgeworfen, ob dies ein Modell von Tragfähigkeit oder Dauer sein konnte. Vermutlich waren die Naturaleinkünfte der oberen beiden Lehrer so hoch, dass sie die geringeren Geldeinkünfte mehr als kompensierten. Die umfangreiche Liste lässt überdies erkennen, dass nahezu ein Gleichgewicht zwischen reformierter und lutherischer Seite herrschte. Die größeren Städte Wesel, Duisburg und Emmerich wiesen dabei Schulen beider Konfessionen auf, wobei sich das Spektrum in allen drei Städten auch noch auf jeweils eine katholische Schule erweiterte. Denn auch die Existenz katholischer Lehrer ist ausdrücklich in der Aufstellung vermerkt, wobei in Wesel je ein Lehrer im Dominikanerkloster und im Fraternhaus zur Verfügung stand. Aber auch in Rees sind zwei katholische Lehrer genannt. Innerhalb des lutherischen Bereichs fallen die beiden Bauerschaftsschulen aus dem Rahmen, die für Bruckhausen und Buchholt in der Nähe von Hünxe nachgewiesen sind. Hier war es offenbar wegen der Zersiedlung nicht anstößig, dass eigene Schulen eingerichtet wurden, wobei die Lehrer Bönnecken und Erharz auch Unterstützung von staatlicher Seite erhielten. Das höchste Einkommen verzeichnete im Übrigen der Rektor der reformierten Emmericher Schule mit immerhin 324 Reichstalern, wobei noch einmal Naturaleinkünfte hinzugekommen sein dürften. Über ihre Bezahlung nicht beschweren durften sich auch die Lehrer an der lutherischen Schule zu Wesel, deren Geldeinkünfte mit 220 Reichstalern für den seinerzeitigen Rektor Schneider, mit 211 Reichstalern für den ersten Lehrer und Küster Kolb sowie 230 Reichstalern für den zweiten Lehrer und Organisten Creutzberg 104 GStAPK, I. HA., Rep. 34, Nr. 73, Paket 1791–1802, No. 2: Geistliche Rechnungs-Revisions-Gelder, Etat der Clevischen Regierung, auch für Grafschaft Mark.
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eine Spitzenposition einnahmen. Am unteren Ende der Einkünfte stand hingegen die lutherische Schule zu Spellen, wo die drei Funktionen des Lehrers, Organisten und Küsters nur mit 46 Reichstalern entlohnt wurden. Allein im katholischen Bereich wurde diese Summe in Grietherbusch (bei Rees) unterschritten, wo die Küsterdienste einschließlich Lehrerfunktion gerade einmal 20 Reichstaler einbrachten. In diesem wie in anderen Fällen war es aber für die meisten Lehrer auf dem Lande selbstverständlich, dass sie eine oder mehrere Einkünfte aus weiteren Tätigkeiten besaßen.
Resümee und Ausblick Wenn das Rheinland unter dem Eindruck des Humanismus seine intellektuelle Signatur deutlich änderte105 und diese auch Männer wie den späteren Züricher Reformator Heinrich Bullinger in seinen Bann zog und zum Schulbesuch in Emmerich bewog,106 so hat sich das Rheinland als Landschaft während der folgenden Reformation vor allem durch eines ausgezeichnet: durch eine konfessionelle Aufsplitterung, die sich am besten mit einem Flickenteppich vergleichen lässt. Im Klevischen als dem größten Territorialkomplex der protestantischen Rheinlande verteilten sich die protestantischen Bekenntnisse recht kunterbunt auf das gesamte Herrschaftsgebiet. Gerade hier hat sich kein konfessionell einheitliches ‚territorium clausum‘ ausbilden können, wie es im 18. Jahrhundert nicht nur in der Staatstheorie, sondern auch in der politischen Praxis als Rechtsfigur erscheint.107 Zwar liegen die Verhältnisse im vergleichsweise kleinen Moers, das ganz zu Anfang des 18. Jahrhunderts an Brandenburg fiel, durchaus anders, doch fehlte dem Protestantismus ein entsprechend großflächiges protestantisches Gegenstück zum Kölner Kurfürstentum. Letzteres blieb mit seiner weiten Erstreckung in den mittleren Rheinbereich einschließlich Bonns als einer der Residenzen bis zur Mitte der achtziger Jahre des 16. Jahrhunderts von protestantischen Anfechtungen nicht frei, wurde dann aber doch mit allen auf katholischer Seite zur Verfügung stehenden Mitteln dem alten Glauben erhalten. Wenn der Niederrhein schon den territorialen Übergang zu den Niederlanden bildete, so bildete das Kölner Kurfürstentum nach dem Ende des Kölner Krieges in jeder und damit auch bildungspolitischer Hinsicht ein Bollwerk des alten Glaubens. Der Protestantismus hatte der Kölner Stellung wenig entgegen zu setzen, vielmehr wirkte das Territorium, dann aber auch die Reichsstadt Köln mit ihrer Univer105 Vgl. hierzu POHL, Meinhard (Hrsg): Der Niederrhein im Zeitalter des Humanismus. Konrad Heresbach und sein Kreis (Schriften der Heresbach-Stiftung Kalkar 5), Bielefeld 1997. 106 Nachweis bei ENNEN: Lateinschule (wie Anm. 74), S. 241. 107 Als ein Beispiel von vielen sei aus der Überlieferung des Reichshofrats genannt: Räte und Ausschuß der unmittelbaren freien Reichsritterschaft des Mittelrhein. Kreises diesseits des Rheins in der Wetterau und den zugehörigen Orten, Burg Friedberg 20.02.1743, präs. Wien 28.02.1743, Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, Reichshofrat, Lehen dt. Exped. 69.
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sität, einem päpstlichen Nuntius vor Ort, nicht zuletzt aber auch durch die zahlreichen Drucker und die von ihnen herausgegebenen Bücher geradezu wie ein großer intellektueller Riegel gegen den so unterschiedlichen Niederrhein.108 Eine grundlegende Änderung der Dinge zeichnete sich auch nicht ab, als das Herzogtum Jülich-Kleve-Berg 1609 als großer Territorialkomplex verschwand und an zwei bis dahin lutherische Landesherren fiel. Denn sie bzw. ihre Nachfolger entschieden sich nicht zuletzt unter den Bedingungen des Erbes zur Konversion, wobei sie in unterschiedliche Lager abdrifteten. Bis auf kleinere Erfolge verhinderte der beginnende Dreißigjährige Krieg eine offensive und zugleich systematische Konfessionspolitik mit dem Durchstoß auf das Universitäts- und Schulwesen, wie es zumindest die größeren Territorien im konfessionellen Zeitalter üblicherweise auszeichnete. Denn nur dann, wenn das Schulwesen als Teil des konfessionellen Programms in dieses voll integriert war, ließen sich die gerade auch mit Konversionen verbundenen Absichten im Staatsinneren verwirklichen. Wenn auch die von Hessen-Kassel eröffneten reformierten Schulen in den Städten des Niederrheins während des Dreißigjährigen Krieges eine flüchtige Erscheinung blieben, so eröffneten sich Brandenburg unter dem Großen Kurfürsten und seinem klevischen Adlatus Johann Moritz nach dessen Ende neue Möglichkeiten. Sie wurden dadurch beschritten, dass der Kurfürst bereits Anfang der 1650er-Jahre mit der Gründung der Duisburger Universität den Versuch unternahm, ein dreistufiges reformiertes Bildungswesen zu etablieren. Dass es sich dabei um kein Zufallsunternehmen handelte, sondern der Gründung eine systematische und konzeptionelle Komponente innewohnte, bestätigt sich durch die nahezu gleichzeitige Höherstufung des Gymnasium Hammonense. Selbst wenn die märkische Schule nicht wie Duisburg in den Genuss von Privilegien kam, obwohl ein entsprechender Antrag dem Kurfürsten und den Räten nach der reichsrechtlichen Gleichstellung des Kalvinismus im Westfälischen Frieden offen gestanden hätte, so tritt gleichwohl das großflächig-konzeptionelle des Bildungswesens im brandenburgischen Westen auf der obersten Bildungsstufe zutage. Allerdings erscheinen dabei die älteren Besitzungen in Form von Kleve-Mark zumindest auf der oberen Stufe eindeutig gegenüber den jüngeren, erst 1648 getätigten Erwerbungen Minden und Ravensberg bevorteilt.109 Schon die universitären Ambitionen mit der Universität Duisburg an der Spitze belegen eindeutig, dass der Brandenburger als ausgemachter Kalvinist und kaum minder Johann Moritz alle Anstrengungen unternahmen, der reformierten Konfession über das Bildungswesen Vorteile zu verschaffen. Doch blieben diese Versuche auf die oberste Stufe in Form der landesherrlich bestimmten Universität bzw. dem 108 Jetzt hierzu MENK, Gerhard: Konfessionelle Haltung im Konflikt. Eine Fallstudie am Beispiel des Pfarrers Johannes Croll (1553/54–1615/16), in: DERS.: Kanzel (wie Anm. 13). 109 Zum Schulwesen unter brandenburgisch-preußischer Ägide vgl. BRUNING, Jens: Das pädagogische Jahrhundert in der Praxis. Schulwandel in Stadt und Land in den preußischen Westprovinzen Minden und Ravensberg 1648–1816 (Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 15), Berlin 1998.
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Hammer akademischen Gymnasium begrenzt. Sie fanden ihre Grenze zuerst einmal an den lokalen Traditionen, schließlich zusätzlich an den Vereinbarungen mit PfalzNeuburg. Das ‚Aerarium ecclesiasticum‘, wie es zugleich als landesherrliches Instrument eingerichtet wurde, konnte sicherlich in Einzelfällen Hilfestellung leisten, auch konnten der Landesherr und seine Beamten gerade der Lateinschule in Kleve durch bemerkenswert zahlreiche Gelder und Naturalzuweisungen eine Verbesserung angedeihen lassen. Gleichwohl besaßen solche Unternehmungen einen erkennbar kurzen Atem – und unterschieden sich insoweit auch nicht von Kleinterritorien wie Waldeck, wo die absolutistisch eingefärbte Schulpolitik Graf Georg Friedrichs ebenfalls ihre klaren Grenzen hatte.110 Neben den kommunalen Traditionen und dynastischen Belastungen hatten aber auch die militärischen Ereignisse im Rahmen des französischen Einfalls in die Niederlande 1672 einen gewichtigen Anteil daran, dass nach den ersten konzeptionellen Blütenträumen rasch eine Phase der Festschreibung, zugleich wohl auch der Stagnation eintrat. Auch pietistische Ansätze, wie sie Joachim Neander in der Düsseldorfer reformierten Lateinschule – und damit außerhalb des brandenburgischen Territoriums, ihm aber gleichwohl nicht besonders fern – punktuell durchsetzen konnte, änderten daran wenig. Selbst der klevische Statthalter Johann Moritz hat trotz aller Anstrengungen nicht einmal ansatzweise dasjenige erreichen können, was ihm aus seiner Jugendzeit in Nassau bekannt war: ein konfessionell einheitliches, immer wieder aus eigenen personellen Quellen gespeistes dreigliedriges Schulwesen. Nach seinem und des Großen Kurfürsten Tod verminderten sich die Eingriffsmöglichkeiten aus dem fernen Berlin noch weiter, wobei manche Schuledikte wie jenes von 1717 kaum das Papier wert waren, auf dem sie standen. Wenn in den zu Anfang des 18. Jahrhunderts an Preußen angefallenen Gebieten zunächst alles beim Alten blieb, so galt dies kaum minder für den früheren klevischen Bereich. Auch unter Friedrich dem Großen änderte sich nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges erst einmal wenig – außer dass die frühere konfessionelle Einhegung des Schulwesens ersten Aufweichungserscheinungen etwa im früheren moersischen Krefeld ausgesetzt war. Während der linke Niederrhein 1794 an Frankreich fiel und damit dem Berliner Einfluss fortan entzogen war, blieb die politische Ordnung auf dem rechten Rheinufer zunächst bestehen. Die Übersicht für das klevische Schulwesen des rechtsrhei-
110 Zum gescheiterten Versuch Graf Georg Friedrichs von Waldeck, die Korbacher Lateinschule in einem zweiten Versuch mit dem Rektor Conrad Samuel Schurzfleisch in einen gehobenen, alle territorialen Bedürfnisse befriedigenden Zustand zu versetzen, vgl. MENK: Absolutismus (wie Anm. 67); zu Schurzfleisch, der später als bedeutender Historiker und Enzyklopädist an der Universität Wittenberg wirkte, vgl. zusammenfassend den vornehmlich ihm gewidmeten Artikel von GRAFTON, Anthony: The World of the Polyhistors. Humanism and Encyclopedism, in: Central European History 18 (1985), S. 35–47; außerdem MENK, Gerhard: Einleitung, in: DERS. (Bearb.): Nachlaß der Familie Schurzfleisch. Bestandsverzeichnis und Bibliographie (Repertorien des Thüringischen Hauptstaatsarchivs Weimar 1), Weimar 1994, S. 1–77.
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nischen Teils aus dem Jahre 1798 lässt noch einmal jenen konfessionellen Flickenteppich mit allen drei großen Konfessionen erkennen, der sich weit zuvor ausgebildet und dann mit einiger Konstanz erhalten hatte. Zugleich bestätigt die Liste, dass die allermeisten Schulstellen besetzt waren, so dass es an Personal nicht fehlte. Ja, auf dem flachen und zersiedelten Lande hatten sich sogar einzelne wenige Bauerschaften zur Einrichtung von Schulen entschlossen, um so den Bildungsanforderungen für ihre Kinder Genüge zu tun. Damit steht fest, dass nicht nur von kirchlicher Seite über Synoden und Klassen auf die Bildung gedrängt wurde, sondern die Initiativen sich bis auf semikommunale Einheiten verfolgen lassen. Einzigartig war dies aber keineswegs, vielmehr herrschten im Bergischen ganz ähnliche Verhältnisse. Ergibt sich für die Zeit des Ancien Régime auf der unteren kommunalen Ebene ein Bild von extremer lokaler Vielfarbigkeit in konfessioneller Hinsicht, daneben aber auch ein Flickenteppich im Hinblick auf die Bezahlung der Lehrer, so bestand andererseits ein hohes Maß an lokaler Stabilität, die auch durch die Eingriffe der jeweiligen Landesherrschaft nur maßvoll verändert werden konnte. Immerhin stellte die Gründung von gleich zwei Lehrerseminaren einen Versuch dar, die kaum zu übersehende Buntscheckigkeit künftig einzugrenzen. Der mit den Lehrerseminaren verfolgte Plan bestand darin, über die größere Isonomie der Ausbildung künftig zumindest eine relativ gleichmäßige, ja vielleicht sogar eine möglichst gute Ausbildung zu sichern. Doch schon die konfessionelle Dichotomie der beiden Anstalten in Kleve und Emmerich unterstreicht, dass die traditionellen Trennungen noch keineswegs überwunden waren. Überdies trat das Luthertum bei dieser Lösung eindeutig in den Hintergrund, indem es keine eigene Anstalt erhielt. Damit stand die konfessionelle Gleichheit innerhalb des Protestantismus nur auf dem Papier, die bis 1648 bestehenden reichsrechtlichen Verhältnisse waren nun umgekehrt worden. Mit einiger Ironie lässt sich vermerken, dass man von brandenburgisch-preußischer Seite nahezu zwei Jahrhunderte brauchte, um dem reformierten Bekenntnis jenen Vorteil zu verschaffen, der eigentlich längst schon durch Johann Sigismund und mehr noch den Großen Kurfürsten in die politische und kirchliche Praxis umgesetzt werden sollte. Nach dem Ende der französischen Ära hat gerade auch im Rheinland eine deutliche Veränderung der konfessionellen Verhältnisse wie der Bildungslandschaft stattgefunden. Schon die Einrichtung der preußischen Union schuf innerhalb des Protestantismus völlig neue Verhältnisse, wurden damit doch institutionelle Brücken geschaffen.111 Noch mehr änderten sich freilich die Dinge unter anderem durch den Anfall des früheren kurkölnischen und kurtrierischen Territoriums an Preußen. Es bildete nun kein Territorium unter vielen mehr, sondern nahm die dominierende Position im Rheinland ein. Dies führte auch zu einer neuen Topographie für die oberste Ebene des Bildungswesens, denn die beachtlich große Rheinprovinz bedurf111 Vgl. hierzu GOETERS, Johann F. Gerhard: Beiträge zur Union und zum reformierten Bekenntnis, hrsg. von Heiner Faulenbach und Wilhelm Neuser (Unio und confessio 25), Bielefeld 2007; zu den nachteiligen Folgen in Gebieten wie Althessen, wo die Unionsbildung nicht zustande kam, vgl. u. a. MENK: Absolutistisches Wollen (wie Anm. 51).
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te einer eigenen universitären Institution. Freilich verlor der alte klevische Niederrhein seine nach dem Dreißigjährigen Krieg vom Großen Kurfürsten eingerichtete Anstalt in Duisburg. Waren längst Überlegungen über ihren rechten Sitz aufgekommen, so bedeutete es mehr als nur einen symbolischen Akt, dass sie nicht in Düsseldorf wiedererstand, sondern in die frühere kurkölnische Residenz nach Bonn abwanderte. Hier erhielt sie ihren Sitz im früheren kurfürstlichen Schloss, das nach der Säkularisation auf eine neue Bestimmung gewartet hatte.112 Für den 1815 abermals erheblich vergrößerten preußischen Westen deuteten sich damit gänzlich neue Verhältnisse auf der obersten Bildungsstufe an, indem der künftige universitäre Mittelpunkt nun südlich von Köln und nicht mehr am Niederrhein lag. Doch damit erschöpften sich die Änderungen innerhalb des dreistufigen Bildungssystems keineswegs. Vielmehr setzten sie sich – wie in anderen Staaten des Deutschen Bundes auch – bis auf die untere Ebene der Volksschulen fort.113 Jetzt war auch die Stunde des brandenburg-preußischen Staates gekommen, nachdem seine Bemühungen zuvor eher endlich ausgefallen waren. Mit den Möglichkeiten des modernen Anstaltsstaates konnte endlich auf jene Vereinheitlichung der unteren schulischen Ebene hingewirkt werden, die bislang aufgrund lokaler Traditionen und konfessioneller Beharrungskräfte, aber auch den mangelnden Durchgriffsmöglichkeiten der Territorialherren und ihrer Verwaltungen nicht möglich gewesen war. Nun ergab sich ein neues Kapitel der rheinisch-preußischen Beziehungen, die – wie zuvor schon – keineswegs konfliktlos blieben.114
112 Zur Universität Bonn vgl. den immer noch nützlichen Überblick von BRAUBACH, Max: Kleine Geschichte der Universität Bonn, 1818–1968, Bonn 1968. 113 Vgl. hierzu schon koäval BECKENDORFF, Ludolph (Hrsg.): Jahrbücher des preußischen Volksschulwesens, 9 Bde., Berlin 1825; für Kurhessen jetzt die jüngere Pilotstudie von KESPER-BIERMANN, Sylvia: Staat und Schule in Kurhessen 1813–1866 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 114), Göttingen 2001. 114 Vgl. hierzu POHL/MÖLICH/VELTZKE: Westen (wie Anm. 28).
Birgit E. Klein
Jüdisches Schul- und Bildungswesen im mittelalterlichen Rheinland
Das rheinisch-jüdische Schul- und Bildungswesen des Mittelalters war Teil der jüdischen Bildungskultur in Mitteleuropa und von deren Idealen geprägt. Daher setzt jede Beschäftigung mit den rheinischen Vertretern dieser Kultur die Kenntnis ihrer in die Antike zurückreichenden Grundlagen voraus, verkörpert von der rabbinischen Literatur, vor allem im Babylonischen Talmud.
1. Grundlagen des jüdischen Schul- und Bildungswesens1 Gegen Ende des 5. Jahrhunderts in seiner ersten Fassung redigiert, sammelte der Babylonische Talmud in fast enzyklopädischer Form die in Babylonien vom 3. bis zum 5. Jahrhundert geführten Diskussionen und Auslegungen der so genannten Mischna (Lehre). Diese war um 220 nach der Zeitenwende im Land Israel zusammengestellt worden und hatte erstmalig jenes Recht kodifiziert, das bis dahin komplementär zur ‚schriftlichen Tora‘, der Hebräischen Bibel, als ,mündliche Tora‘ in Form von Auslegungen und Ergänzungen der biblischen Gebote, teilweise aber auch ohne jeden Bezug zur biblischen Überlieferung entstanden war. Die Bestimmungen der Mischna bildeten die Basis für alle späteren Ausprägungen jüdischer Erziehung und Bildung. Zur Zeit der Mischna (200 v.–200 n. d. Z.) gab es anscheinend kein institutionalisiertes Erziehungssystem. Die Erziehung war vielmehr Aufgabe der Eltern, die wiederholt ermahnt werden, ihre Kinder (mNed 4,1) bzw. Söhne (mSot 3,4; mQid 4,14 u. ö.) in der Tora zu unterrichten, was wiederum deren (wohl eher selten vorhandene) Fähigkeit, hebräische Texte zu lesen, voraussetzte. Trotz der fehlenden Institutionen wurde dem Lernen ein hoher Wert beigemessen: „Mit fünf Jahren beginnt man, die Schrift zu lernen, mit zehn die ‚mischna‘ [hier die mündliche Tora als Auslegung der schriftlichen Tora]; mit dreizehn muss man die Gebote halten; mit fünfzehn beginnt man mit der Lehre [‚talmud‘, hier die Erläuterung der Halacha, der religionsgesetzlichen Vorschriften]; mit achtzehn heiratet man, und mit zwanzig sucht man sich einen Broterwerb“ (mAwot 5,21). Gelegentlich werden
1 Vgl. zum Folgenden KLEIN, Birgit: Art. ‚Religiöse Erziehung in den Religionen. Judentum‘, in: Lexikon der Religionspädagogik, Neukirchen-Vluyn 2001, Bd. 2, Sp. 1630–1637, und die dort angegebene Literatur.
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Kinderlehrer erwähnt, jedoch nur zweimal eine Schule (tSuk 2,5; tSot 6,2). Erst in Texten aus der Zeit des Talmuds (200–500 n. d.Z.) erscheinen vermehrt Elementarlehrer und -schulen. War die Synagoge vor der Zerstörung des Tempels im Jahre 70 n. d. Z. zunächst keine Gebetsstätte, sondern das Zentrum des gesamten öffentlichen jüdischen Lebens und auch der religiösen Unterweisung gewesen, so nahm danach im Land Israel das Gebet einen zentralen Platz in der Synagoge ein. Dennoch blieb sie auch ein Ort des Lernens (jMeg 3; 74a u. ö.). In dieser Funktion war sie eng mit der städtischen Gemeinde verknüpft; die Bezahlung der Tora- und Mischnalehrer galt als eine Pflicht der Allgemeinheit und eine Art städtischer Steuer (jPea 8; 21a). In der Babylonischen Diaspora hingegen stellte die Synagoge zunächst vor allem einen Ort des Gebets dar. Nur allmählich fanden hier auch andere Tätigkeiten ihren Raum, das religiöse Lernen eingeschlossen. Im Babylonischen Talmud fehlen nahezu jegliche Hinweise darauf, dass die städtische Gemeinde in das Erziehungswesen involviert war, wohingegen die direkte Beziehung zwischen Elementarlehrern und Eltern hervortritt. Der Vater spielte eine besondere Rolle bei der Erziehung seiner Söhne, indem er sie die Tora und ein Handwerk lehren musste (bQid 29a). Mädchen wurden auch im Land Israel nicht im Rahmen des institutionalisierten Erziehungssystems unterrichtet. Sie lernten Lesen und Schreiben zu Hause, sofern dort jemand bereit und fähig war, sie zu unterrichten. Außerdem wurde ihnen beigebracht, den Haushalt entsprechend der ‚kaschrut‘, der rituellen Speisegebote, zu führen. Frauen hatten zuweilen in den sie betreffenden Bereichen ein Spezialwissen, welches das der rabbinischen Gelehrten übertraf, so in den Geboten über die Sorge um Kranke und in Fragen der rituellen Reinheit im Zusammenhang mit der Menstruation. Der Ausspruch Rabbi Eliesers (2. Jh.) „Jeder, der seine Tochter Tora lehrt, lehrt sie Unzucht“ (mSot 3,4), ursprünglich im Zusammenhang einer des Ehebruchs verdächtigen Frau und nur hinsichtlich der mündlichen Auslegungstradition der Tora geäußert, wurde über die Jahrhunderte hinweg bis in die Neuzeit gegen eine Unterrichtung von Mädchen nicht nur in der mündlichen, sondern auch in der schriftlichen Tora angeführt. Mit Abschluss des Babylonischen Talmuds Ende des 5. Jahrhunderts übernahm die babylonische Diaspora für fünf Jahrhunderte die Führungsrolle. Ihr Führungsanspruch drückte sich auch im Erziehungssystem und dem hohen Niveau der Gelehrsamkeit aus. Die hierarchisch geprägten Talmudakademien (‚jeschiwot‘) vermittelten auch weiten Bevölkerungsschichten jüdisches Wissen und verfassten Responsen (rabbinische Rechtsgutachten) auf Anfragen aus der ganzen Diaspora zu schwer verständlichen Talmudstellen und zur Halacha. Mit der Entstehung von neuen Stätten talmudischer Studien und dem Auftreten großer Gelehrter in der Diaspora außerhalb Babyloniens schwächten sich die Bindungen an die dortigen Akademien. Im muslimischen Spanien ist im 9. Jahrhundert ein am babylonischen Vorbild orientiertes Schulsystem belegt, wohingegen im Reich, in Frankreich und in Italien ein Schul- und Ausbildungssystem erst ab dem 11. Jahrhundert in Responsen erwähnt wird. Herausragende Gelehrte sammelten – nun
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auch im Rheinland – in ihrem Haus Schüler um sich. Beim Lehrstoff beschränkte man sich auf die Bibel und den (vor allem Babylonischen) Talmud, während in Spanien, Südfrankreich und Italien auch ‚weltliche‘ Inhalte (Philosophie, Grammatik, Rhetorik und naturwissenschaftliche Stoffe) vermittelt wurden. Diese unterschiedlichen Erziehungsauffassungen und Bildungsinhalte sind charakteristisch für die kulturellen Differenzen zwischen den drei zentralen jüdischen Siedlungsregionen im hochmittelalterlichen Europa, die seit dem 12. Jahrhundert mit ‚Aschkenas‘ für die im später als ,Deutschland‘ bezeichneten Raum, ,Zarfat‘ für die in Nordfrankreich und ‚Sefarad‘ für die in Spanien liegenden jüdischen Gemeinden bezeichnet wurden.2 Der Unterrichtsstil in Aschkenas und Zarfat war – anders als in Babylonien – zunächst wenig hierarchisch; so durften Schüler, trotz eines talmudischen Verbots, in Gegenwart ihrer Lehrer halachische Probleme entscheiden. R. Salomon bar Isaak (gest. 1105, nach seinem Akronym auch Raschi genannt) verfasste einen Kommentar zu Pentateuch und Babylonischem Talmud. Vor allem durch letzteren Kommentar legte Raschi die Grundlage für die spezifisch aschkenasische Gelehrsamkeit der kommenden Jahrhunderte, indem er erstmals ein eigenständiges unabhängiges Studium des Talmud möglich machte: unabhängig von den bisherigen Zentren jüdischer Gelehrsamkeit, vor allem den großen Talmudakademien in Babylonien; unabhängig aber auch von einem Lehrer, denn die Kommentare ermöglichten das Selbststudium, wenn die wichtigsten Grundlagenkenntnisse, vor allem das Beherrschen des Hebräischen und Aramäischen, vorhanden waren. Jüdische Gelehrte im Aschkenas der Vormoderne, allen voran in den mittelalterlichen Zentren jüdischer Gelehrsamkeit am Oberrhein in Speyer, Worms und Mainz, nach den Anfangsbuchstaben abgekürzt auch die Schum-Gemeinden genannt, waren in erster Linie Rechtsgelehrte, das heißt Experten der Halacha. Rituale begleiteten die Erziehung. Im „Machsor Vitry“, einer Zusammenstellung jüdischer Gesetze, Gebete und Bräuche im Ablauf des Jahres, verfasst von Simcha von Vitry (gest. um 1105), wird berichtet, dass dem fünf Jahre alten Knaben bei seiner Einschulung hebräische Buchstaben mit Honig auf eine Tafel geschrieben und vorgelesen wurden, die er anschließend ablecken durfte.3 Die Kinder- und Jugenderziehung war im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Aschkenas nur indirekt Aufgabe der Gemeinden. Diese stellten in der Regel nur für die Grundausbildung der Kinder von Mittellosen einen Schulmeister an, der in seiner Stube, dem ‚cheder‘, unterrichtete. Dagegen beschäftigten die vermögenden 2 Erst infolge der großen Vertreibungen des 15. und 16. Jahrhunderts wird die Bezeichnung ‚Aschkenas‘ entlokalisiert und bezeichnet fortan das gesamte mittel- und mittelosteuropäische Judentum im Unterschied zum Judentum des Mittelmeerraums und des Nahen Ostens, dem sefardischen Judentum. 3 Zu diesem Initiationsritus und seinen unterschiedlichen Überlieferungen vgl. ausführlich MARCUS, Ivan: The Jewish Life Cycle. Rites of Passage from Biblical to Modern Times, Seattle 2004, S. 18–34.
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Familien durchweg Hauslehrer, die in der Familie wohnten und in deren Aufenthaltsgenehmigung eingeschlossen waren. Zur Elementarbildung gehörten Lesen, Schreiben und das Studium des Pentateuchs zusammen mit Raschis Kommentar. Manche Kinder setzten mit zwölf bis dreizehn Jahren ihre Studien an einer Talmudschule (‚jeschiwa‘) fort, die jeder durch ein Rabbinerdiplom ordinierte Talmudkundige berechtigt war zu gründen. Sie war dessen private Lehranstalt, ganz an die Person und Gelehrsamkeit ihres Leiters gebunden und teilweise in die Familie integriert. Das Wanderstudium bei möglichst vielen Lehrern mit unterschiedlichen Lehrmethoden war die Regel. Die familiären Verhältnisse der aschkenasischen Talmudschulen gaben aufgeweckten Mädchen die Möglichkeit, in der Stube der Jeschiwa einiges mitzuhören und zu lernen. Daher sind gerade einige Töchter und Gattinnen von Gelehrten für ihr religiöses Wissen bekannt. Einige Frauen kopierten hebräische Handschriften; manche rabbinische Rechtsgutachten richten sich an Frauen. Die meisten Mädchen lernten zwar Lesen und Schreiben, erlangten aber nur rudimentäres religiöses Wissen in den Gebeten und den sie betreffenden Geboten.
2. Spezifische Formen des jüdischen Schul- und Bildungswesens im Rheinland? Für die weitgehend informelle Elementarbildung im Spätmittelalter und auch in weiten Teilen der Frühen Neuzeit gibt es für das Rheinland wie auch für die meisten anderen Gegenden nur selten Belege. Quellen, die hierüber am ehesten Aufschluss geben könnten, wie die Protokollbücher oder Rechnungsbücher der jüdischen Gemeinden, sind nicht erhalten. Die Kenntnis der Existenz einer solchen Elementarbildung verdankt sich oft nur zufällig überlieferten Notizen nichtjüdisch-obrigkeitlicher Provenienz.4 Man kann also lediglich konstatieren, dass es Elementarbildung auch im Rheinland gab; detaillierte Aussagen sind aufgrund der kaum vorhandenen Quellen nicht möglich. Ungleich besser ist die Überlieferung hinsichtlich der bedeutenden Gelehrten, die Kommentare und Rechtsgutachten zum Talmud sowie liturgische Dichtungen hinterlassen haben. Grundsätzlich gilt die Regel: Je bedeutender ein Gelehrter war, desto mehr Schüler, also auch desto mehr Tradenten und Rezipienten hatte er, und desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Überlieferungskette bis ins 16. und 17. Jahrhundert reichte, jene Zeit, in der der Buchdruck einsetzte oder die Werke handschriftlich in so vielen Exemplaren überliefert waren, dass einige bis in unsere Zeit überdauert haben.
4 KLEIN, Birgit E.: Wohltat und Hochverrat. Kurfürst Ernst von Köln, Juda bar Chajjim und die Juden im Alten Reich (Netiva. Wege deutsch-jüdischer Geschichte und Kultur 5), Hildesheim/Zürich/New York 2003, S. 91, Anm. 199.
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Wenn Speyer, Worms und Mainz als rheinische Zentren jüdischer Gelehrsamkeit genannt werden, stellt sich die Frage nach Köln, verbindet sich doch mit dieser Stadt jenes reichsweite Dekret Konstantins aus dem Jahre 321, bekannt nur als Abschrift der Ausfertigung an den dortigen Rat, die im Codex Theodosianus überliefert ist:5 Dem Rat wird hierin erlaubt, auch Juden in seine Reihen zu berufen. Sie waren damit nicht mehr generell von städtischen Ämtern befreit, was vor dem Hintergrund einer Zeit zu sehen ist, in der die Berufung in ein städtisches Amt noch als Last aufgefasst wurde, nicht aber als ein Privileg, das Juden dann bis in das 19. Jahrhundert vorenthalten werden sollte. In Verbindung mit einem weiteren Edikt aus dem Jahr 330 wird dieses Privileg bislang zumeist als Beleg für die Existenz einer jüdischen Gemeinde in Köln mit einer differenzierten Ämterhierarchie gedeutet, was auch ein formelles Bildungswesen annehmen ließe. In jüngerer Zeit ist indes hinterfragt worden, ob allein aus dem Umstand, dass das allgemeine Reichsgesetz in der Ausfertigung für den Kölner Rat überliefert ist, eindeutig auf die Existenz einer jüdischen Gemeinde in Köln geschlossen werden kann.6 Sicher lässt sich aber umgekehrt sagen, dass Köln bis weit ins Mittelalter hinein keine Rolle als Ort jüdischer Gelehrsamkeit spielte. Eine hebräische Chronik zu den Verfolgungen während des ersten Kreuzzugs 1096 berichtet zwar, die Kunde von den Verfolgungen sei auch in die „Stadt Köln (medinat kolonija)“ gelangt, „eine schöne Stadt […], wo sich die Gelehrtenversammlung traf“, von der „etablierter Rechtsspruch (din kawua) für all unsere, an allen Enden zerstreuten Brüder ausging“. Nach Aussage desselben Berichts „pflegten alle Gemeinden dreimal im Jahr nach Köln zu den Märkten zu kommen“.7 Kombiniert man beide Aussagen, könnte die Kölner Gemeinde der Ort überregionaler regelmäßiger Versammlungen der Gelehrten auch anderer Gemeinden gewesen sein. Diese Hinweise sind jedoch von der Bedeutung Kölns als Handelsplatz her zu interpretieren.8 Auf die Kölner Märkte kamen auch jüdische Gelehrte, allerdings zuvorderst in ihrer Funktion als Händler. Denn die Rabbiner des Mittelalters verdienten ihren Lebensunterhalt in der Regel nicht mit ihrer Gelehrsamkeit, sondern mit ihrem ökonomischen Wissen, unter an5 Wiedergegeben und analysiert bei LINDER, Amnon (Hrsg.): The Jews in Roman Imperial Legislation, Detroit/Jerusalem 1987, S. 120–124, 132–138. 6 CLUSE, Christoph: Juden am Niederrhein während des Mittelalters, in: GRÜBEL, Monika/ MÖLICH, Georg (Hrsg.): Jüdisches Leben im Rheinland. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Köln/Weimar/Wien 2005, S. 1–27, hier S. 4f., 23, Anm. 13. Vgl. dagegen ECK, Werner: Köln in römischer Zeit. Geschichte einer Stadt im Rahmen des Imperium Romanum (Geschichte der Stadt Köln 1), Köln 2004, S. 325–327. 7 Eigene Übersetzung des hebräischen Texts bei HAVERKAMP, Eva (Hrsg.): Hebräische Berichte über die Judenverfolgungen während des Ersten Kreuzzugs (Monumenta Germaniae Historica. Hebräische Texte aus dem mittelalterlichen Deutschland 1), Hannover 2005, S. 401, 429. 8 SCHMANDT, Matthias: Judei, cives et incole. Studien zur jüdischen Geschichte Kölns im Mittelalter (Forschungen zur Geschichte der Juden A/11), Hannover 2002, S. 11, dort auch weitere Literatur.
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derem eben in ihrer Tätigkeit als Händler, die die Kölner Märkte besuchten und bei dieser Gelegenheit das Zusammentreffen mit anderen Gelehrten nutzten, um fachspezifische Versammlungen abzuhalten. Solche Zusammenkünfte sind daher kein Indiz für eine herausragende kontinuierliche jüdische Gelehrsamkeit am Ort. Vielmehr stand Köln im Schatten der oberrheinischen Schum-Gemeinden, was eine Legende aus dem 15. Jahrhundert anschaulich demonstriert: Rabbi Amram, der Mainz im frühen Mittelalter verlassen und in Köln eine Jeschiwa gegründet hatte, bat in vorgerücktem Alter seine Schüler, ihn nach seinem Tod in Mainz bei seinen Vorfahren zu begraben. Da den Schülern die Überführung des Leichnams als zu gefährlich erschien, trug Amram ihnen auf, den Sarg lediglich auf ein Schiff zu stellen und dieses sich selbst zu überlassen. Nach seinem Tod taten seine Schüler wie aufgetragen und vertrauten das Schiff mit dem Sarg dem Rhein an; es bewegte sich entgegen der Flussströmung nach Mainz.9 Diese Legende tritt nicht nur als polemische Inversion des christlichen Kultes um den Regensburger Heiligen Emmeram an, sondern unterstreicht auch bildhaft die Bedeutung von Mainz als der wichtigsten jüdischen Gemeinde im mittelalterlichen Aschkenas bis ins 11. Jahrhundert10 und als dem Gründungszentrum aschkenasischer jüdischer Gelehrsamkeit schlechthin.11 Auch wenn entgegen dieser Legende kein literarisch überliefertes Zeugnis von Kölner Juden vor dem ersten Kreuzzug im Jahre 1096 erhalten ist, so enthält sie zumindest den historisch zutreffenden Kern, dass Mainz auch der Herkunftsort der Gelehrten des Niederrheins war, die im 12. Jahrhundert hier eine Mainzer Dependance gründeten, allerdings nicht in Köln, sondern vielmehr in Bonn.
3. „Bonna“ und ihre Gelehrten Aus dem 12. Jahrhundert sind uns die ersten schriftlichen Zeugnisse niederrheinisch-jüdischer Gelehrsamkeit aus Bonn in beachtlicher Zahl überliefert. Bonn ist in dieser Zeit bereits als eine der rheinischen Stätten jüdischer Gelehrsamkeit bekannt und anerkannt, das heißt als ein Ort des Studiums des Talmud, den auch die 9 Zur Legende und einer ähnlichen zu St. Emmeran von Regensburg vgl. ausführlich RASPE, Lucia: Jüdische Hagiographie im mittelalterlichen Aschkenas, Tübingen 2006, S. 92–129. 10 TOCH, Michael: Die Juden im mittelalterlichen Reich (Enzyklopädie deutscher Geschichte 44), München 1998, S. 5. 11 Zur Selbstwahrnehmung der Mainzer Gemeinde im Mittelalter vgl. YUVAL, Israel Jacob: Heilige Städte, heilige Gemeinden – Mainz als das Jerusalem Deutschlands, in: JÜTTE, Robert/KUSTERMANN, Abraham P. (Hrsg.): Jüdische Gemeinden und Organisationsformen von der Antike bis zur Gegenwart, Wien/Köln/Weimar 1996, S. 91–101; zu Köln vgl. MUTIUS, Hans-Georg: Mittelalterliche jüdische Gelehrsamkeit in Köln, in: BOHNKE-KOLLWITZ, Jutta u. a. (Hrsg.): Köln und das rheinische Judentum. Festschrift Germania Judaica 1959–1984, Köln 1984, S. 47–51, der jüdische Gelehrsamkeit – aufgrund der lokalen Perspektive – allerdings zuweilen ungerechtfertigter Weise in Köln verortet.
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Bonner Juristen kommentieren und glossieren, über den sie sich intensiv mit anderen Gelehrten der Halacha nah und fern austauschen und auf dessen Grundlage sie alte und neue Probleme des alltäglichen Lebens entscheiden. Dieses Ringen um die ‚rechtmäßige‘ Halacha schlägt sich im ersten vollständig erhaltenen Werk des aschkenasischen Judentums nieder, verfasst von R. Elieser ben Nathan aus Mainz (ca. 1090–ca. 1170, Akronym Ra‘AWaN),12 der als Vater von vier Töchtern auch der Schwiegervater zweier Gelehrter in Bonn war.13 Der Titel seines Werkes „Ewen ha-eser“ („Stein der Hilfe“), eine Sammlung von Rechtsgutachten, -entscheiden und -bräuchen in der Reihenfolge der talmudischen Traktate, spielt zum einen auf das Akronym seines Verfassers (EWeN, „Stein“) an und ist daher auch unter dem Titel „Sefer [Buch] Ra‘AWaN“ („Buch des R. Elieser b. Nathan“) bekannt. Zum anderen bezieht der Titel sich auf den „Stein der Hilfe“ in 1 Sam 7,12, der nach dem Propheten Samuel die Stelle markiert, bis zu der Gott dem Volk Israel im Kampf gegen die Philister geholfen hat. Der Titel ist also durchaus passend für ein Werk, das als erstes vollständiges Werk des mittelalterlichen aschkenasischen Judentums bis in die Neuzeit überdauert hat, vor allem weil es als eines der wenigen mittelalterlichen Werke bereits im Jahr 1609/10 in Prag gedruckt wurde. Auch dieser Umstand unterstreicht seine bleibende Bedeutung gerade für unsere Kenntnis jüdischen Lebens im 12. Jahrhundert. Elieser b. Nathans Buch dokumentiert an vielen Stellen die heftigen halachischen (juristischen) Auseinandersetzungen zwischen dem Autor in Mainz und R. Samuel b. Natronai, dem älteren der beiden gelehrten Bonner Schwiegersöhne.14 Von Elieser b. Nathan – der zu seiner Zeit führenden rabbinischen Autorität aus Aschkenas – stammt das stets gern zu Bonn zitierte, durchaus auch diplomatische Lob: „Aus welcher Stadt könnte man uns die Wahrheit verkünden, wenn nicht aus Bonn mit ihren Gelehrten, denn von dort ‚geht die Tora aus und das Wort Gottes‘.“15 Dies war 12 Der erste Buchstabe des Namens, das hebräische ‚alef‘, bezeichnet lediglich einen weichen Silbenanlaut und kann mit jedem Vokal, der zweite Buchstabe des Akronyms ‚bet‘, mit dem das hebräische ‚ben‘, ‚Sohn‘, beginnt, kann auch ‚wet‘ gesprochen werden. 13 APTOWITZER, Victor Avigdor: Introductio ad Sefer Rabiah (hebr.), Jerusalem 1938, S. 49f. In die Ausführungen zur Bonner Gelehrtengeschichte sind langjährige Diskussionen mit Prof. Dr. Michael Brocke (Salomon Ludwig Steinheim-Institut für deutsch-jüdische Geschichte, Duisburg) eingegangen, dem an dieser Stelle herzlich gedankt sei. 14 So schreibt Elieser unter Anspielung auf Daniel 8,4 über seinen Schwiegersohn: „Ich, Elieser, sah den Widder, der gegen Westen und Norden stößt, es ist mein Schwiegersohn Herr Samuel, der (auf )steht und gegen mich polemisiert“, Elieser b. Nathan: Sefer Raawan, Bd. 1, hrsg. v. Schalom Albeck, Warschau 1904; Bd. 2–3, hrsg. v. Arje Leib Raskes (auf der Basis des Erstdrucks Prag 1609/10), Jerusalem 1912–1916, ND Jerusalem 51983/84, fol. 12b, § 27. 15 Die Zitate sind eigene Übersetzungen einer Handschrift, veröffentlicht von BRÜLL, Nehemiah: Beiträge zur jüdischen Sagen- und Spruchkunde, in: Jahrbuch für Jüdische Geschichte und Litteratur 9 (1889), S. 1–71, hier S. 38, Anm. 1, die sich heute in der Jewish National and University Library Jerusalem, Heb. 8° 3182, befindet. Vgl. ZFATMAN, Sara: The Jewish Tale in the Middle Ages. Between Ashkenaz and Sepharad (hebr.), Jerusalem 1993, S. 82, Anm. 2.
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nicht nur eine Anspielung auf den in der jüdischen Tradition und Liturgie bedeutenden Vers Jes 2,3: „Denn von Zion wird Tora ausgehen und Wort des Ewigen von Jerusalem“, sondern auch dessen Aktualisierung, indem Bonn hier die Stelle Jerusalems einnahm – ein nicht unbedeutender Anspruch. Als Bonner Gelehrte werden hier namentlich genannt R. Joel (b. Isaak) ha-levi, der zweite Bonner Schwiegersohn des Mainzers, ferner R. Ephraim (b. Jakob) und sein Bruder Hillel, sowie ein R. David „und viele Rabbiner mehr“. Von letzteren sind einige Namen aus anderen Quellen bekannt, gemeint sein könnten R. Gersom und R. Kalonymos, ebenfalls Brüder von R. Ephraim b. Jakob, die auch unter die Bonner Gelehrten zählen.16 Somit beherbergte Bonn damals eine renommierte ‚Akademie‘ talmudisch-halachischer Studien, was selbstverständlich auch auf eine Infrastruktur, das heißt eine Gemeinde von einer gewissen Größe schließen lässt, die unter anderem in der Lage gewesen sein muss, einige Studenten aufzunehmen und zu versorgen. Außer Eliesers beiden Schwiegersöhnen Samuel b. Natronai und Joel b. Isaak halevi waren, wie es scheint, auch alle anderen herausragenden Bonner Gelehrten des 12. Jahrhunderts mit der Mainzer Kapazität verwandt, so auch die bereits genannten Brüder R. Ephraim,17 R. Hillel, R. Gersom und R. Kalonymos, Söhne des Jakob. Sie alle entstammten also einer einzigen mittelrheinischen Familie. Fast möchte man das jüdische Bonn des 12. Jahrhunderts, zumindest das gelehrte, als eine Mainzer Gründung oder als einen Mainzer Außenposten charakterisieren. Zugleich zeigt sich hier die Ballung von Autorität und Macht in einer Familie, deren Bande durch gezielte Heiraten, vor allem der Töchter, fortgeknüpft wurden, und zwar unter dem Vorzeichen einer talmudisch-halachischen Gelehrsamkeit, die europaweit ausstrahlte und bis heute im traditionellen Judentum weiterwirkt. Die beiden Bonner Schwiegersöhne des R. Elieser von Mainz und ihre Familien verdienen Aufmerksamkeit in mancherlei Hinsicht. Der streitbare, die Feder mit Eleganz führende Samuel b. Natronai, der oft mit dem Zusatz ‚von Bonn‘ benannt wird, wurde Anfang des 12. Jahrhunderts weder in Bonn noch in Mainz, sondern in der süditalienischen Hafenstadt Bari in Apulien geboren. Außer Mainz und Bonn war Regensburg die uns bekannte Station seines Lebens, allesamt Stätten jüdischer Die prosopographischen Angaben der Erzählung dürften trotz ihres legendarischen Charakters historisch zuverlässig sein. 16 FREIMANN, Jakob: Art. ‚Bonn‘, in: Germania Judaica, Bd. 1: Von den ältesten Zeiten bis 1238, hrsg. v. M. Brann u. a., Tübingen 1963, S. 46–60, hier S. 49. 17 R. Ephraims (nicht näher definierte) Verwandtschaft mit R. Elieser b. Nathan nehmen APTOWITZER: Introductio (wie Anm. 13), S. 52, und FREIMANN: Bonn (wie Anm. 16), S. 50, 58, Anm. 133, an; letzterer stützt sich auf R. Eliesers Aussage: „mein Verwandter, Rabbenu Ephraim der junge“ („krowi rabbenu Ephraim ha-bachur“), Sefer Raawan (wie Anm. 14), Bd. 3, fol. 34c, Ende § 66. Nach Freimann titulierte Elieser b. Nathan seinen Verwandten R. Ephraim von Bonn als „den jungen“, um ihn von dem älteren R. Ephraim von Regensburg zu unterscheiden; dies vermutet auch der Herausgeber des ersten Teils des „Sefer Raawan“, der Warschauer Rabbiner und Gelehrte Schalom Albeck, Sefer Raawan (wie Anm. 14), Bd. 1, S. XIII, § 6.
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Wissenschaft par excellence. Sein Todesdatum ist unbekannt.18 Ob er bereits 1132/33 mit einer Tochter des R. Elieser b. Nathan verheiratet war und mit seinem Schwiegervater korrespondierte, ist jüngst in Frage gestellt worden.19 Fest steht, dass er spätestens 1148 als Schwiegersohn des R. Elieser b. Nathan in Deutschland lebte.20 Obgleich er vermutlich schon in jungen Jahren aus Bari nach Mainz kam, hat er maßgeblich als Vermittler süditalienischer jüdischer Gelehrsamkeit gewirkt. Dies ist umso wichtiger, als er der erste bekannte kulturelle Gesandte des byzantinischen Süditalien in Deutschland war.21 Das dortige jüdische intellektuelle Zentrum unterschied sich von denen in Mittel- und Norditalien: Bedingt durch seine geographische Lage trafen an dieser historischen Kreuzung verschiedene Kulturen zusammen, vermischten sich Traditionen zwischen Ost und West. Mit anderen Städten am Mittelmeer stand es in enger Verbindung, gerade auch mit dem Land Israel. Daher wirkte es als zentraler Ort für die Vermittlung und Überlieferung von Lehre und Tradition des Landes Israel und damit eines großen Teils der klassischen rabbinischen Literatur in andere Zentren jüdischen Lernens.22 Bereits im 9. und 10. Jahrhundert war Apulien eine blühende Stätte des Torastudiums, von dem R. Tam, ein herausragender nordfranzösischer Gelehrter und ein Enkel Raschis, im 12. Jahrhundert sagte: „Aus Bari wird Tora hervorgehen und das Wort des Ewigen aus Otranto“.23 In deutlichem Gegensatz zu 18 Der herausragende nordfranzösische Gelehrte R. Jakob b. Meir, ein Enkel Raschis, nach Gen 25,27 („Und Jakob war ein gesitteter [‚tam‘] Mann“) auch ‚Rabbenu Tam‘ genannt, richtete eines seiner Rechtsgutachten an den nicht näher identifizierten R. Samuel aus Bari; erst jüngst konnte er dank einer Pariser Handschrift mit R. Samuel b. Natronai aus Bari gleichgesetzt werden, vgl. EMANUEL, Simcha: Fragments of the Tables. Lost Books of the Tosaphists (hebr.), Jerusalem 2006, S. 60–81, hier S. 68 mit Anm. 82f. Sein Todesdatum ist unbekannt, ebd., S. 60, Anm. 37. 19 EMANUEL: Fragments (wie Anm. 18), S. 69, gegen APTOWITZER: Introductio (wie Anm. 13), S. 49, 70, und URBACH, Ephraim E.: The Tosaphists. Their History, Writings and Methods (hebr.), 2 Bde., Jerusalem 41980, hier Bd. 1, S. 208f., die beide auf Sefer Raawan (wie Anm. 14), Bd. 1, fol. 18a-19c, § 48a-d, basieren. Die Neuinterpretation dieser Passage durch Emanuel ist überzeugend, daher ist auch GROSS, Heinrich: Elieser b. Joel halevi. Ein literarhistorischer Vergleich, in: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums 34 (1885), S. 303–320, 365–375, 502–524, 555–572; 35 (1886), S. 24–32, 74–81, hier Teil 1, S. 307, zu korrigieren. 20 EMANUEL: Fragments (wie Anm. 18), S. 69, Anm. 87, auf der Basis von Sefer Raawan (wie Anm. 14), Bd. 1, fol. 8b-9a, § 19. Da aber seine Nichte Hanna, Tochter seines jüngeren Schwagers und Schülers R. Joel ha-levi sowie Enkelin des R. Elieser b. Nathan, bereits 1153/54 als Gebärende starb (s.u.) und somit spätestens 1140 geboren sein dürfte, müsste R. Samuel noch vor R. Joel, d. h. in den 1130er-Jahren, eine Tochter des R. Elieser b. Nathan geheiratet haben. 21 EMANUEL: Fragments (wie Anm. 18), S. 79. 22 EMANUEL: Fragments (wie Anm. 18), S. 78. 23 Sefer ha-jaschar le-Rabbenu Tam. Teil Responsen, hrsg. v. Schraga gen. Feis Rosenthal, Berlin 1897/98, S. 90, Ende Nr. 46; vgl. EMANUEL: Fragments (wie Anm. 18), S. 75. Zu Bari
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dieser Bedeutung steht der Umstand, dass fast nichts von den Früchten dieser Gelehrsamkeit überliefert ist, und die Kenntnis des Wenigen verdankt sich vor allem R. Samuel ben Natronai,24 der in seinen Novellen zum Talmudtraktat „Kidduschin“ (Antrauung) ein Responsum der Gelehrten des rabbinischen Gerichts von Bari zitiert.25 Überdies ist Samuel b. Natronai der erste Gelehrte, der aus dem „Sefer jerushalmi“ zitiert,26 einem Werk, das – in erster Linie auf dem Jerusalemer Talmud basierend – lediglich um Passagen aus dem Babylonischen Talmud und aus den Schriften der babylonischen Gaonen, also die Lehre des seinerzeit vorherrschenden babylonischen Zentrums, ergänzt ist. Auf diese Weise gibt das Werk vor allem die kulturellen und literarischen Traditionen des Landes Israel wieder. Seine Entstehung ist bislang ungeklärt, doch dürfte alles dafür sprechen, dass wie der in Süditalien gebürtige R. Samuel ben Natronai auch der „Sefer jerushalmi“ hierher stammt und der Gelehrte ihn und andere Werke mit sich aus Süditalien nach Deutschland gebracht und hiermit den aschkenasischen Bücherschrank nachhaltig verändert hat.27 Als erster Migrant aus Süditalien verband R. Samuel die dortige religiös-kulturelle Tradition mit der Lehre seines Mainzer Schwiegervaters. Er beeinflusste so maßgeblich auch seinen Neffen R. Elieser b. Joel ha-levi, der den „Sefer jerushalmi“ zitiert, und aschkenasische Gelehrte nach ihm.28 Mit dieser Verbindung Bari-Mainz-Regensburg-Bonn tritt ein weiteres Element der bisher wenig aufgehellten Verbindungen zwischen Süditalien und Deutschland noch im 12. Jahrhundert zutage. Die Gelehrten der Zeit nahmen R. Samuels Urteile und halachischen Novellen (‚chidduschim‘) zum Babylonischen Talmud an. Hinsichtlich seiner Entscheidungen und Bräuche stützten sie sich später auch auf das Zeugnis seiner Witwe,29 wie Samuels Neffe Elieser b. Joel ha-levi berichtet: „Ich hörte von meiner Tante, der Gattin unseres Meisters Samuel b. Natronai, dass sie von ihm bezeugte, er habe am Fasten vor dem Neujahrsfest den Trauernden nicht am Begräbnistage fasten lassen.“ Und weil der Trauernde nicht zu fasten verpflichtet sei, gebe man ihm (so Elieser) zu essen und zu trinken, um seine Ängste schwinden zu lassen.30 Von Samuel b. Natronais
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immer noch grundlegend CASSUTO, Umberto: Art. ‚Bari‘, in: Encyclopaedia Judaica, Bd. 3, Berlin 1929, Sp. 1075–1077; vgl. auch MILANO, Attilio/ZELDES, Nadia, Art. ‚Bari‘, in: Encyclopaedia Judaica, Detroit u. a. 22007, Bd. 3, S. 152. EMANUEL: Fragments (wie Anm. 18), S. 67. Überliefert in den Hagahot Maimonijot, zu Moses ben Maimon, Mischne Tora, Hilchot Ischut, Kap. 23 § 9; unter den Unterzeichnern findet sich auch der bekannte liturgische Dichter aus Bari, Elias b. Schemaja; zu ihm vgl. die Angaben und weiteren Literaturhinweise bei EMANUEL: Fragments (wie Anm. 18), S. 67, Anm. 80. EMANUEL: Fragments (wie Anm. 18), S. 66, 78. EMANUEL: Fragments (wie Anm. 18), S. 79. EMANUEL: Fragments (wie Anm. 18), S. 81. URBACH: Tosaphists (wie Anm. 19), Bd. 1, S. 208f. Elieser b. Joel ha-levi: Sefer Raawjah, hrsg. v. Awigdor Aptowitzer, Jerusalem ²1963/64, 2. Teil, III, S. 561. Dieselbe Aussage des Samuel b. Natronai wird auch von Isaak b. Moses von
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Dichtungen – jene großen Juristen pflegten fast alle auch für gottesdienstliche Zwecke zu dichten – ist nur eine ‚selicha‘ (Bußgebet mit der Bitte um Vergebung) für Jom Kippur, den Versöhnungstag, bekannt.31 R. Joel b. Isaak ha-levi32 wurde durch seine Heirat mit Momuna33 der zweite, jüngere Schwiegersohn des Elieser b. Nathan aus Mainz und zugleich der Schwager des Samuel b. Natronai.34 Seine Mutter hatte in zweiter Ehe R. Joels Vater R. Isaak geheiratet, über dessen Herkunft nichts bekannt ist. Nach längerem Studium in Regensburg, wo auch sein älterer Verwandter und Lehrer Samuel gelernt hatte, sowie Aufenthalten in Würzburg und Köln, verbrachte R. Joel den größten Teil seines Lebens in Bonn. Er dürfte um das Jahr 1200 gestorben sein.35 R. Joel leitete seit ca. 1145/50 in Bonn eine Jeschiwa. Er ist daher auch unter dem Namen R. Joel von Bonn bekannt. Seine Novellen, Kommentare, Urteile und
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Wien angeführt, ohne dass dieser jedoch die Witwe als Tradentin erwähnte, Isaak b. Moses: Sefer or sarua, Schitomir 1861/62, 2. Teil, fol. 88d, § 430; vgl. URBACH: Tosaphists (wie Anm. 19), Bd. 1, S. 209. BRODY, Heinrich: Die Handschriften der Prager jüdischen Gemeindebibliothek, Prag 1911, S. 16. Zu R. Joel vgl. URBACH: Tosaphists (wie Anm. 19), Bd. 1, S. 209–211; TA-SHMA, Israel M.: Art. ‚Joel ben Isaac Ha-Levi‘, in: Encyclopaedia Judaica, Jerusalem 1971/72, Bd. 10, Sp. 137. Ihr Name wurde erst jüngst durch das Würzburger Grabsteinfragment ihrer Tochter Hanna bekannt, die dort bei der Niederkunft 1153/54 starb; vgl. hierzu REINER, Awraham (Rami): Fragment nähert sich Fragment. Entdeckungen vom Würzburger jüdischen Friedhof (hebr.), in: Semanim 95 (2006), S. 52–57, hier S. 55f.; die Angaben bei MÜLLER, Karlheinz: Würzburg. The World‘s Largest Find From a Medieval Jewish Cemetery, in: CLUSE, Christoph (Hrsg.): The Jews of Europe in the Middle Ages (Tenth to Fifteenth Centuries) (Cultural Encounters in Late Antiquity and the Middle Ages 4), Turnout 2004, S. 379–389, hier S. 383f., sind zu korrigieren, da Hanna irrtümlich als Tochter und nicht als Enkelin des R. Elieser b. Nathan bezeichnet wird. Zum Namen Ma(i)muna, von dem Momuna abgeleitet ist, vgl. BEIDER, Alexander: A Dictionary of Ashkenazic Given Names. Their Origins, Structure, Pronounciation, and Migrations, Bergenfield/NJ 2001, S. 537f. Die aschkenasische Aussprache ‚Momuna‘ laut frdl. Mitteilung von Yacov Guggenheim ( Jerusalem), 15.03.2009. Nach der Lesart des „Sefer Raawjah“, Ende § 1069, wäre R. Joel zugleich auch R. Samuels Cousin gewesen, da danach seine Mutter und die Mutter seines Schwagers Schwestern waren; nach der Lesart des „Sefer Assufot“ hingegen wäre R. Joel der Bruder von R. Samuels Mutter und somit sein Onkel gewesen; beide Lesarten zitiert bei APTOWITZER: Introductio (wie Anm. 13), S. 69, und EMANUEL: Fragments (wie Anm. 18), S. 68 mit Anm. 64. Beide Lesarten sind jedoch fehlerhaft, wie Emanuel überzeugend dargestellt hat und S. 69 die folgende korrigierte Lesung vorschlägt: „Unser Gelehrter Samuel bar Natronai, der Gatte der Schwester meiner Mutter, die wiederum die Gattin unseres Gelehrten, meines Vaters und Lehrers war, führte einen Beweis an“ (Übersetzung BK); somit waren R. Joel und R. Samuel lediglich Schwäger. Fest steht, dass er 1200/01 nicht mehr lebte. Vermutlich hat er kurz vor seinem Tod Bonn verlassen und als Rabbiner in Köln gelebt, APTOWITZER: Introductio (wie Anm. 13), S. 428f. Es trifft aber nicht zu, dass er „eine längere Zeit in Köln als Rabbiner amtierte“, wie von MUTIUS: Gelehrsamkeit (wie Anm. 11), S. 47, behauptet.
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Rechtsgutachten sind sowohl in den Werken seines Schwiegervaters Elieser b. Nathan von Mainz und seines Sohnes Elieser b. Joel36 als auch in einem Werk des R. Jehuda b. Kalonymos von Speyer37 tradiert.38 Anerkennung und Wertschätzung genoss der als sanft charakterisierte R. Joel b. Isaak ha-levi nicht nur bei seinen rheinischen Kollegen, sondern auch bei dem größten zeitgenössischen Gelehrten Frankreichs, R. Isaak b. Samuel. Seine synagogalen Dichtungen sind ein Echo auf die Verfolgungen der Kölner Juden während des zweiten Kreuzzugs von 1147 und die Leiden dieser Zeit.39 R. Joel b. Isaak ha-levi war schließlich auch der Vater des nicht weniger hervorragenden, ja später noch weitaus bekannteren R. Elieser b. Joel ha-levi (ca. 1140– 1225?).40 In Mainz geboren, als seine Eltern noch bei den Schwiegereltern wohnten, zog es ihn zu fast allen großen Lehrern der Zeit, so auch zu R. Jehuda he-chassid in Regensburg. Nach Abschluss seiner Studien wurde er in Bonn sesshaft. Gegen Ende des 12. Jahrhunderts verließ er Bonn, möglicherweise wegen eines größeren Brandes in der Stadt im Jahre 1198,41 und lebte wieder einige Jahre unstet, sorgte sich beispielsweise in Frankfurt um die Auslösung von Gefangenen und hielt sich auch eine Zeitlang in Bingen auf. Dort, so klagt er einmal, wurde er seiner Bücher und eigener Manuskripte beraubt. Bald nach 1200 nahm er, wohl als Nachfolger seines Vaters R. Joel, als inzwischen Sechzigjähriger das Kölner Rabbinat an. 1220 besuchte er eine Synode der rheinischen Gemeinden in Mainz und unterzeichnete deren Beschlüsse. 36 APTOWITZER: Introductio (wie Anm. 13), S. 252–257 (R. Elieser b. Joel ha-levi) und S. 45 (R. Elieser b. Nathan). 37 Jehuda b. Kalonymos: Lexikon der Tannaiten und Amoräer (hebr.), hrsg. von Jehuda L. Maimon, Jerusalem 1963, Bd. 1, S. 222–226. 38 Zu seinen Novellen vgl. eingehend EMANUEL: Fragments (wie Anm. 18), S. 81–86. 39 Zu R. Joels Dichtungen vgl. ZUNZ, Leopold: Literaturgeschichte der synagogalen Poesie, Berlin 1865, ND Hildesheim 1966, S. 269f. Eine seiner Bußdichtungen findet sich übersetzt bei DERS.: Die synagogale Poesie des Mittelalters (1855), Frankfurt a. M. ²1920, ND Hildesheim 1969, Bd. 1, S. 252. Zwei weitere Gedichte hat HABERMANN, Abraham M.: Buch der Verfolgungen von Deutschland und Frankreich [hebr.], Jerusalem 1945, S. 109–112, veröffentlicht. Zu seinen handschriftlich überlieferten Dichtungen vgl. HOLLENDER, Elisabeth: Clavis commentariorum of Hebrew Liturgical Poetry in Manuscript (Clavis commentariorum Antiquitatis et Medii Aevi 4), Leiden/Boston 2005, S. 266, Nr. 4224f. (Selicha); S. 306, Nr. 4962f. (Selicha); S. 369, Nr. 6191f. (Selicha). 40 APTOWITZER: Introductio (wie Anm. 13), S. 1–16; URBACH: Tosaphists (wie Anm. 19), Bd. 1, S. 378–388. Der Titel „Awi ha-esri“ („Mein Vater ist meine Hilfe“) enthält das Akronym AWJ seines Namens Elieser b. Joel und den zweiten Teil seines Namens Elieser, ebenso wie seine spätere Bezeichnung „Sefer RaAWJaH“ (R. Elieser b. Joel ha-levi); ähnlich spielt der Titel seines zweiten Werkes „Awi assaf“ auf das Akronym AWJ und auf Assaf an, den levitischen Psalmendichter zur Zeit Davids, um so auf Eliesers levitische Abkunft hinzuweisen. 41 So KOBER, Adolf: Art. ‚Cöln‘, in: Germania Judaica, Bd. 1 (wie Anm. 16), S. 69–85, hier S. 75; sowie NIESSEN, Joseph/ENNEN, Edith: Art. ‚Bonn, Stadtkreis‘, in: KEYSER, Erich (Hrsg.): Rheinisches Städtebuch, Stuttgart 1956, S. 68–80, die zumindest die Einäscherung des Cassiusstift 1198 erwähnen (S. 69).
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Danach haben wir kein weiteres Zeugnis seiner Tätigkeit, vermutlich ist er wenig später gestorben. In seinem Hauptwerk „Awi ha-esri“ hat er eigene Abhandlungen zu diversen halachischen Fragen nach der Reihenfolge der Talmudtraktate (vor allem zum Traktat „Berachot“, der Ordnung „Moed“ und zum Traktat „Chullin“) zusammengestellt. Hierin geht er auf zeitgenössische Rechtssatzungen und religiöse Bräuche ein, zitiert eigene Rechtsgutachten und die seines Vaters R. Joel und erläutert talmudische Abschnitte (‚sugjot‘). Von seinem zweiten halachischen Werk „Awi assaf“ zu den im „Awi ha-esri“ kaum behandelten Ordnungen „Naschim“ und „Nesikin“ des babylonischen Talmuds wissen wir nur durch Zitate in den Werken anderer Gelehrter.42 Daneben hat er eine Erläuterung des Textes der Heiratsurkunde (‚ketubba‘) mit dem Titel „Mischpete ketubba“, Erläuterungen zur Tora und zu synagogale Dichtungen (‚pijjutim‘) verfasst, von denen uns sechs bekannt sind.43 Elieser b. Joel war auf die Unabhängigkeit von weltlichen und geistlich-kirchlichen Autoritäten in allen innerjüdischen Angelegenheiten bedacht und verwahrte sich entschieden gegen jede Intervention in die jüdische Autonomie. Ein Schülersschüler, R. Meir von Rothenburg, erzählt von einem Vorfall in Köln, bei dem Elieser b. Joel furchtlos dem Erzbischof gegenübergetreten sei: Ein Jude hatte dem Erzbischof von der Ernennung des R. Elieser b. Joel zum ‚chasan‘ (Kantor und Vorbeter) in der Absicht berichtet, R. Elieser möge doch die große Ehre widerfahren, dass der Erzbischof ihn persönlich in sein neues Amt investiere. Der Bischof ging auf den Vorschlag ein, ließ R. Elieser zu sich kommen, nahm seine Mitra ab und setze sie R. Elieser mit den Worten auf: „Die sei Euch zum Kantorenamt.“ Darauf erwiderte ihm der Rabbiner zornig: „Mein Herr, es ist nicht recht, von Euch den Dienst für unseren Schöpfer zu empfangen.“44 Und anschließend soll er den Juden, der ihm diese Ehre verschaffen wollte, mit einer Geldstrafe belegt haben. Von R. Eliesers Kindern sind nur eine Tochter, die Großmutter des berühmten Halachisten R. Mordechai b. Hillel,45 und sein Sohn R. Joel bekannt.46 Dieser R. Joel ist vermutlich mit dem Kölner Greis Herr Joel genannt Adolf identisch. Dieser, als 42 Ausführlich erörtert bei EMANUEL: Fragments (wie Anm. 18), S. 86–100. 43 APTOWITZER: Introductio (wie Anm. 13), S. 117–119, 130–140. 44 R. Meir ben Baruch von Rothenburg: Rechtsgutachten, Druck Prag 1608, hrsg. von M. A. Bloch, Budapest 1895, Nr. 137; zu weiteren Editionen vgl. URBACH: Tosaphists (wie Anm. 19), Bd. 1, S. 380f.; APTOWITZER: Introductio (wie Anm. 13), S. 16; GUGGENHEIM, Yacov: „A suis paribus et non aliis iudicentur“. Jüdische Gerichtsbarkeit, ihre Kontrolle durch die christliche Herrschaft und die obersten „rabi gemeiner Judenschafft im heilgen Reich“, in: CLUSE, Christoph/HAVERKAMP, Alfred/YUVAL, Israel J. (Hrsg.): Jüdische Gemeinden und ihr christlicher Kontext in kulturräumlich vergleichender Betrachtung von der Spätantike bis zum 18. Jahrhundert (Forschungen zur Geschichte der Juden A/13), Hannover 2003, S. 405–439, hier S. 405f. 45 ZUNZ: Literaturgeschichte (wie Anm. 39), S. 508; APTOWITZER: Introductio (wie Anm. 13), S. 62f. 46 APTOWITZER: Introductio (wie Anm. 13), S. 57.
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schon Verstorbener 1270, 1281 und 1291 in Kölner Urkunden genannt, hatte sein Haus in der Kölner Engergasse seinen sechs Söhnen hinterlassen, von denen nur Eljakim b. Joel genannt Gottschalk namentlich aufgeführt ist.47 Eine weitere immer wieder genannte und besonders markante Persönlichkeit der Bonner Judenschaft des 12. Jahrhunderts ist R. Ephraim b. Jakob. 1133 in Bonn geboren, war auch er mit Elieser b. Nathan von Mainz verwandt. Auch er studierte an der Jeschiwa des R. Joel von Bonn, wie er auch juristische Novellen zu verschiedenen Talmudtraktaten verfasste und halachische Entscheidungen fällte. Doch gewinnt er seine Bedeutung eher aus seinen Dichtungen und seinen Kommentaren zur synagogalen Liturgie.48 In seinem „Buch des Gedenkens“ („Sefer ha-sechira“)49 hielt er knapp fest, wie er die Verfolgungen des zweiten Kreuzzugs auf der Wolkenburg, unweit von Bonn im Siebengebirge gelegen, überlebte: „Auch ich, der unbedeutende Schreiber, befand mich damals als dreizehnjähriger Knabe in der Festung Wolkenburg bei meinen Verwandten, die grösstentheils zur Familie meiner Mutter – sie ruhe im Paradiese – gehörten.“50 Die Wolkenburg war Anfang des 12. Jahrhunderts von Erzbischof Friedrich I. von Köln erbaut worden;51 während der Verfolgungen von 1096 hatte sie daher noch nicht als Zufluchtsort der Kölner Juden dienen können. Doch als im August 1146 der Kreuzprediger Rudolf und mit ihm die Vorboten des zweiten Kreuzzugs nach Köln kamen, zahlten kurz darauf, nach dem Laubhüttenfest des neuen jüdischen Jahres 4907, die meisten Kölner Juden eine große Summe an Erzbischof Arnold I., damit er ihnen diese Festung zum Schutz überließe. Für das Zugeständnis, dass kein Fremder oder Christ bei ihnen auf der Festung blieb, hatten sie ihren Besitz und ihre
47 HOENIGER, Robert (Hrsg.): Judenschreinsbuch der Laurenzpfarre zu Köln (Quellen zur Geschichte der Juden in Deutschland 1), Berlin 1888, S. 22–24, Nr. 105f.; S. 44f., Nr. 149; S. 72–74, Nr. 199f. 48 Zu seinen handschriftlich überlieferten Dichtungen vgl. HOLLENDER: Clavis (wie Anm. 39), S. 175, Nr. 2519–2521; S. 306, Nr. 4972f.; S. 417, Nr. 7206–7208; S. 911f., Nr. 17131– 17136. 49 1892 wurde Ephraims „Buch des Gedenkens“ („Sefer ha-sechira“) erstmalig veröffentlicht, NEUBAUER, A[dolf ]/STERN, M[oritz] (Hrsg.): Hebräische Berichte über die Judenverfolgungen während der Kreuzzüge (Quellen zur Geschichte der Juden in Deutschland 2), Berlin 1892, S. 58–75 (hebr.), 187–213 (dt.). 1945 wurde es abermals gedruckt in HABERMANN: Buch (wie Anm. 39), S. 115–132. Auf seiner Notiz über die Wolkenburg basieren alle auf dieses Ereignis Bezug nehmenden Darstellungen, so auch ARONIUS, Julius (Bearb.): Regesten zur Geschichte der Juden im fränkischen und deutschen Reiche bis zum Jahre 1273, Berlin 1902, ND Hildesheim/New York 1970, S. 110, Nr. 236, und diesem folgend KNIPPING, Richard (Bearb.): Die Regesten der Erzbischöfe von Köln im Mittelalter (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 21), Bd. 2: 1100–1205, Bonn 1901, ND Düsseldorf 1985, S. 76, Nr. 443. 50 NEUBAUER/STERN: Berichte (wie Anm. 49), S. 60 (hebr.), 190 (dt.). 51 Vgl. BEIN, A.: Art. ‚Wolkenburg‘, in: Germania Judaica, Bd. 1 (wie Anm. 16), S. 436f.
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Häuser dem Erzbischof hypothekarisch verpfändet.52 Wie R. Ephraim, so könnte auch die Bonner Gemeinde auf der Wolkenburg die Verfolgungen überlebt haben, da keine Opfer aus Bonn bekannt sind. Weitere Verfolgungen in Deutschland, England und Frankreich in den Jahren 1171 bis 1196 machte R. Ephraim in Nachträgen zu seinem „Gedenkbuch“ namhaft.53 R. Ephraim von Bonn kann nicht lange nach 1197 gestorben sein, da sein Bericht mit den Verfolgungen in Speyer und Boppard 1196 und der von Neuss 1197 endet; dieser letzteren war er selbst nur um Haaresbreite entronnen.54 Möglicherweise hatte R. Ephraim einen Sohn namens Eljakim, der 1170 als „Jüngling und Bräutigam“ verstarb. An diesen Eljakim, Sohn des Herrn Ephraim, erinnert eine Gedenkinschrift, die sich ehemals am Tor des mittelalterlichen Kölner Friedhofs befand.55 Im Gedächtnis des Judentums lebt Ephraim b. Jakob von Bonn vor allem als bedeutender Schöpfer zahlreicher synagogaler Dichtungen (‚pijjutim‘) fort.56 Er verarbeitete darin auch zeitgenössische Ereignisse, so in einem Klagelied auf die Verbrennung aller Angehörigen der Gemeinde von Blois an der Loire im Mai des Jahres 1171, die durch eine Ritualmord-Anschuldigung ausgelöst worden war:
52 NEUBAUER/STERN: Berichte (wie Anm. 49), S. 59f. (hebr.), 189f. (dt.); vgl. die Textkorrektur des Übersetzers Baer ebd., S. 190, Anm. 22; BEIN: Wolkenburg (wie Anm. 51). Diese Angabe lässt auf Ephraims Geburtsjahr 1133 schließen. Baer übernimmt in seiner Übersetzung zwar das in der hebräischen Vorlage fälschlich angegebene Jahr 4906 als jüdisches Jahr des Laubhüttenfestes, dem nach christlicher Zeitrechnung das Jahr 1145 entspräche; am Rand schreibt er aber richtig „Septbr. 1146“; anders FREIMANN: Bonn (wie Anm. 16), S. 58, Anm. 130. 53 NEUBAUER/STERN: Berichte (wie Anm. 49), S. 66–75 (hebr.), 199–213 (dt.). 54 NEUBAUER/STERN: Berichte (wie Anm. 49), S. 73–75 (hebr.), 209–213 (dt.). Zum Jahr 1197 der Neusser Verfolgungen siehe BRANN, Marcus: Das zweite Martyrium von Neuss, in: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums 38 (1894), S. 318–322. In der jüngsten deutschsprachigen Übersetzung von Werken Ephraims wird als Todesjahr Ephraims 1221 genannt, Ephraim von Bonn: Hymnen und Gebete, übers. v. Hans-Georg von Mutius, Hildesheim u. a. 1989, S. XI. Dies ist jedoch höchst unwahrscheinlich. 55 Die Inschrift ist abgedruckt bei KOBER, Adolf: Jewish Monuments of the Middle Ages in Germany, III. Hebrew Tombstone Inscriptions from Cologne (12th to 15th Centuries), in: Proceedings of the American Academy for Jewish Research 15 (1945), S. 1–91, hier S. 57f. (Stein 61). 56 Diese Dichtung tritt zur Ausschmückung und Variation zwischen die in ihrem Wortlaut festgelegten Stammgebete des Gottesdienstes. Sie ist durch eine große Anzahl von Anspielungen auf biblische Passagen, aber auch auf talmudische und midraschische Prägungen, und durch die Strenge ihrer Form bestimmt. Ihre Sprache, die sich durch Flexibilität, neue Wortbildungen und Wendungen auszeichnet, erreicht eine oft eindrucksvolle Erhabenheit. Sie zeugt von souveränem Umgang mit der gesamten rabbinischen Traditionsliteratur und von den sprachlich-literarischen Fähigkeiten ihrer Autoren.
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Wer ruft Wehe, wer schreit Ach und wird angefeindet? Wer muß klagen, wer ist verwundet und der Schande ausgeliefert? Wer hat gerötete Augen von Weinen und Kummer? Jene, die viel zu lange schon in Gefangenschaft sind, die daherkommen und nach der Erlösung forschen. Jenen, die auf Frieden und Heilung hoffen, wird Betrübnis zuteil; die gesteinigt und verbrannt und auf vielerlei Weise gerichtet werden. Ins Feuer und Wasser gelangen sie, in denen sie gerichtet werden. Es bringen ein Familienopfer die Eltern und Kinder dar. Gehäutet und zerstückelt werden sie als feuriges Ganzopfer verbrannt… Du erwähltest uns zum Eigentumsvolk; doch wir sind zum Gegenstand eines Fluches geworden. Siehe, wir starben und gingen zugrunde! Wir alle gingen zugrunde. Im Jahre 856 [1096] wurden wir der Vernichtung anheimgegeben, im Jahre 907 [1146/7] erlitten wir Schäden. Im Jahre 931 [1171] kamen Abschlachtung und Verbrennung in Blois zusammen.57
Auch von Ephraims Bruder Hillel ist eine Dichtung zu demselben Martyrium überliefert: Und man befahl, sie zur Brandstätte herauszuführen, einmütig freuten sie sich wie bei der Heimführung der Braut unter den Baldachin, ‚an uns ist es zu preisen‘, so priesen sie sehnsuchtserfüllt, ‚siehe, schön bist du, meine Gefährtin, siehe, schön‘ [Hld 1,15 und 4,1].58
Weit weniger bekannt als Ephraims und Hillels gottesdienstliche Dichtung ist ihre geradezu demonstrative Entscheidung einer alten personenrechtlichen Frage. Der Tod ihres Bruders R. Kalonymos und dessen Rechtsfolgen für seine Witwe, ihre Bonner Schwägerin Or(i)gia,59 lieferten ihnen den Anlass zu einer nicht unumstrittenen halachischen Stellungnahme. Als Origia nach dem Tod ihres Mannes kinderlos zurückblieb, wollten beide Schwäger das biblische Gebot der Leviratsehe ausüben, und das, obwohl Ephraim und Hillel bereits verheiratet waren und Origia wohl schon zu alt,
57 Ephraim von Bonn: Hymnen (wie Anm. 54), S. 74f. Als erster übertrug ZUNZ: Literaturgeschichte (wie Anm. 39), S. 288–293, einige Schöpfungen Ephraims ins Deutsche. Eine weitere berühmte Dichtung Ephraims, die Akeda, eine Nachdichtung der Erzählung von der Opferbindung Isaaks (Gen 22), findet sich in englischer Übersetzung bei SPIEGEL, Shalom: The Last Trial, New York 1967, S. 139–152, in deutscher Übersetzung bei KRUPP, Michael: Ein Psalm von der ‚Bindung Isaaks‘, in: BAUDIS, Andreas u. a. (Hrsg.): Richte unsere Füße auf den Weg des Friedens. Helmut Gollwitzer zum 70. Geburtstag, München 1979, S. 49–58; sowie Ephraim von Bonn: Hymnen (wie Anm. 54), S. 42–51. 58 Eigene Übersetzung, der hebräische Text bei HABERMANN: Buch (wie Anm. 39), S. 137–141. In Auszügen übersetzte schon ZUNZ: Poesie (wie Anm. 39), S. 24, dieses Gebet. Zu Hillel vgl. auch ZUNZ: Literaturgeschichte (wie Anm. 39), S. 293. Zu seinen handschriftlich überlieferten Dichtungen siehe HOLLENDER: Clavis (wie Anm. 39), S. 338, Nr. 5585–5587. 59 Der Name wird unterschiedlich überliefert.
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um noch Kinder zu gebären. Sie weigerte sich, von einflussreichen Wormser Verwandten unterstützt, blieb dabei jedoch ohne Erfolg. Origia musste ihre Schwäger mit der gewaltigen Summe von 100 Mark Silber abfinden, um die Leviratsehe abzuwenden.60 Für die Bonner Gelehrtengeschichte ist daran interessant, dass Ephraim und Hillel Zwillingsbrüder gewesen sein könnten: Beide wollten die Leviratsehe vollziehen, obwohl dieses Recht biblisch nur dem ältesten Sohn zusteht.61 Weitere Mitglieder dieser Familie wurden als Experten in Beschneidungsfragen bekannt: Ein Sohn von Ephraims und Hillels Bruder R. Gerschom, R. Jakob hagoser („der Beschneider“, Synonym zu ‚mohel‘), als auch dessen Sohn R. Gerschom mit dem gleichen Beinamen ‚ha-goser‘ hatten sich auf dieses Gebiet spezialisiert und hinterließen dazu theoretische und praktische Leitfäden, wahrscheinlich die ersten thematisch scharf eingegrenzten Werke der rabbinischen Literatur Deutschlands.62 Die zahlreichen rabbinischen Quellen zur Bonner Gelehrtengeschichte zeichnen das Bild einer schöpferischen Gemeinde, die Mitte des 12. Jahrhunderts aufblühte. Welche äußeren Bedingungen könnten diese Entwicklung unterstützt haben; was könnte Juden veranlasst haben, sich in Bonn niederzulassen? Einmal entfaltete sich in jenem Jahrhundert in Bonn eine rege Bautätigkeit: Das Cassiusstift befand sich auf dem Höhepunkt seiner Entwicklung, der Mittelpunkt der Stiftsstadt, das Müns60 Dies zwischen 1158 und 1165 Vorgefallene berichtet R. Elieser b. Joel ha-levi, vgl. APTOWITZER: Introductio (wie Anm. 13), S. 203. 61 So die Interpretation von APTOWITZER: Introductio (wie Anm. 13), S. 203, Anm. 4. Dagegen hält KATZ, Jakob: Leviratsehe und Befreiung von der Leviratsehe in nachtalmudischer Zeit (hebr.), in: Tarbiz 51 (1983/84), S. 59–106, hier S. 72f., es für unwahrscheinlich, dass die Brüder Zwillinge waren und deshalb beide die Leviratsehe vollziehen wollten. Er sieht den Grund ihres ungewöhnlichen Verhaltens darin, dass sie um jeden Preis das Erbe ihres Bruders in der Familie halten wollten und dass die Witwe in jedem Fall einen Bruder ihrer Wahl zum Levir nehmen musste. Schon FREIMANN, Abraham Ch.: Ketubbahöhen in Deutschland und Frankreich im Mittelalter (hebr.), in: Alexander Marx Jubilee Volume on the Occasion of His Seventieth Birthday, hrsg. v. Jewish Theological Seminary of America, New York 1950, Bd. 2, S. 371–385, hier S. 375f., hatte erwogen, dass das Erbe des Verstorbenen eine Rolle gespielt haben könnte. Seiner Meinung nach waren die von den Brüdern geforderten 100 Mark bzw. deren Gegenwert die Hälfte des gesamten Erbes von 200 Mark. Die andere Hälfte habe die Witwe als die Summe ihres Heiratsvertrages (‚ketubba‘) erhalten. 62 Ihre Werke sind greifbar in GLASBERG, Jakob M. (Hrsg.): Sichron brit la-rischonim, Berlin/ Krakau 1892; vgl. FREIMANN: Bonn (wie Anm. 16), S. 51; TA-SHMA, Israel M.: Art. ‚Hagozer, Jacob and Gershom‘, in: Encyclopaedia Judaica ( Jerusalem) (wie Anm. 32), Bd. 7, Sp. 1123. Ob auch ein gewisser R. Meschullam b. Josef in Bonn gelebt hat, wie GROSS: Elieser b. Joel halevi (wie Anm. 19), S. 75; und danach KOBER, Adolf: Art. ‚Bonn‘, in: Germania Judaica, Bd. 2/1: Von 1238 bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts, hrsg. von Zvi Avneri, Tübingen 1968, S. 93–95, hier S. 94f., Anm. 16, behaupten, ist nicht sicher. Über ihn berichtet R. Elieser b. Joel ha-levi lediglich, dass sein Vater, R. Joel ha-levi von Bonn, die Witwe jenes Meschullam b. Josef als Bevollmächtigter vertreten habe, um ihre ‚ketubba‘, d. h. die ihr zustehende Summe ihres Heiratsvertrags, einzufordern, vgl. Elieser b. Joel ha-levi: Sefer Raawjah (hebr.). Responsa, Nr. 920–968 und 988–991, hrsg. von David Dvelaitzki, Bne Brak 1988/89, S. 162, Nr. 957a.
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ter, wurde neugebaut. Edith Ennen spricht gar „von einer ersten Glanzzeit Bonns“.63 Zwei weitere Kirchen der Stiftsstadt (St. Martin und St. Gangolf ) wurden ebenfalls im 12. Jahrhundert errichtet.64 Überdies finden sich Belege für die Handelstätigkeit der Bonner: 1158 ist in einer Urkunde des Cassiusstifts vom „burgensis populus“ die Rede – ‚burgensis‘ als Bezeichnung für den Stadtbewohner bürgerlicher Stellung, abgeleitet von ‚burgus‘, einem Flecken oder einer unbefestigten, vornehmlich gewerblichen Vorstadt eines befestigten Herrensitzes. Dass die hier wohnenden Händler und Handwerker selbständig waren und nicht dem Cassiusstift unterstanden, geht aus einer Bestimmung des Jahres 1143 hervor: Sie ordnet an, dass die im Dienst des Cassiusstifts stehenden Handwerker nicht vom Marktrichter, sondern vom Propst des Stiftes oder dessen Beauftragten abgeurteilt werden sollen, was eben umgekehrt auf die Existenz einer vom Stift unabhängigen Gewerbe treibenden Bevölkerung schließen lässt, die der Rechtsprechung des Marktrichters unterworfen war.65 Diese Bau- und Handelstätigkeit im Bonn des 12. Jahrhunderts dürfte wohl der Grund für das Aufblühen der jüdischen Gemeinde gewesen sein, da sie den Juden Erwerbsmöglichkeiten im Handel und Geldverleih bot. Ein weiterer Grund für das rasche Aufblühen der Bonner Gemeinde könnte die Nähe der Stadt zur Anfang des 12. Jahrhunderts erbauten Wolkenburg gewesen sein, auf der vermutlich neben der Kölner auch die Bonner Gemeinde 1146 die Verfolgungen des zweiten Kreuzzugs überlebte. Vielleicht erklärt diese in Verfolgungszeiten strategisch günstige Lage der Bonner Gemeinde zumindest teilweise ihr rasches Aufblühen, wie es um die Mitte des 12. Jahrhunderts wahrnehmbar ist. In demselben Jahrhundert ist im benachbarten Köln nur ein Gelehrter bekannt, R. Elieser b. Simson, auch er von R. Elieser b. Nathan als ein Verwandter bezeichnet.66 Wir hören von ihm, als er gemeinsam mit R. Samuel ben Natronai, der nach Köln gekommen war, in einem Rechtsfall mit R. Elieser b. Nathan korrespondierte und dabei das Antwortschreiben des Mainzer Verwandten mit kritischen Glossen überzog. Nur ein einziger bedeutender Gelehrter war in Köln gebürtig, verbrachte aber die meiste Zeit seines Lebens im spanischen Toledo: R. Ascher ben Jechiel, nach seinem Akronym auch als ROSch bekannt und möglicherweise um 1250 in Köln geboren, hat nachweisbar von 1266, dem Jahr seiner Heirat, bis 1281 in der Stadt gelebt, bevor er nach dem Studium bei R. Meir von Rothenburg 1303 nach Spanien übersiedelte und ab 1305 Rabbiner von Toledo wurde, wo er bis zu seinem Todesjahr 1328 wirkte. Als Talmudlehrer und Halachaexperte hinterließ er mehr als 1.000 Rechtsgutachten, die 1517 in Konstantinopel gedruckt wurden, sowie einen Kommentar (‚Piske ha-rosch‘)
63 ENNEN, Edith/HÖROLDT, Dietrich: Vom Römerkastell zur Bundeshauptstadt. Kleine Geschichte der Stadt Bonn, Bonn 41985, S. 42. 64 ENNEN/HÖROLDT: Römerkastell (wie Anm. 63), S. 44. 65 ENNEN/HÖROLDT: Römerkastell (wie Anm. 63), S. 45f. 66 Sefer Raawan (wie Anm. 14), Bd. 1, fol. 18a-21a, Nr. 48; vgl. APTOWITZER: Introductio (wie Anm. 13), S. 52.
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zu den meisten Traktaten des Babylonischen Talmuds.67 Sein Sohn Jakob ben Ascher, um 1269 in Köln geboren, war nach 1327 Präsident des Gerichts in Toledo und Leiter der dortigen Jeschiwa. Er verfasste das halachische Kompendium „Arba‘a turim“, die „Vier Säulen“, welche die Grundlage für den Kodex „Schulchan aruch“, den „Gedeckten Tisch“, des R. Josef Karo bildeten, der, erstmals 1564/65 in Venedig gedruckt, bis heute autoritativ ist.68 Auf diese Weise fand Köln doch noch seinen Platz in der universalen jüdischen Gelehrtengeschichte, aber eben nur als vorübergehender Aufenthaltsort. Endgültig verlor Köln seine ‚jüdische‘ Bedeutung mit der Ausweisung der Juden im Jahr 1424. Fortan sollte sich jüdische rheinische Gelehrsamkeit im nördlichen Rheinland wieder nahezu ausschließlich mit Bonner Gelehrten, vor allem den hier bis ins 19. Jahrhundert residierenden Landesrabbinern verbinden.69
Fazit Jüdisches Bildungswesen und jüdisches Schulwesen lassen sich nicht trennen. Auf den ersten Blick lässt sich zwar jüdische Bildung oft nur an den Namen der herausragenden Gelehrten mit ihren Talmudhochschulen festmachen, die Werke bleibender Bedeutung hinterließen und zweifelsohne Exponenten eines elitären jüdischen Bildungswesens darstellten. Doch waren sie ihrerseits stets Anziehungspunkte für Schüler, die das jüdische Bildungsideal weiter trugen, dem Juden bis in das 19. Jahrhundert nachstrebten. Auf diese Weise war zumindest die religiöse Elementarbildung für alle Juden, in Teilen auch für Mädchen, garantiert, auch wenn über die Tatsache ihrer schieren Existenz hinaus oft nur weniges bekannt ist. In der universalen mittelalterlichen Gelehrtengeschichte hatten die Zentren am Oberrhein und insbesondere Mainz als Vorreiterin eine zentrale Funktion, denen das nördliche Rheinland mit Bonn als regionalem Zentrum und gewissermaßen Filialgründung untergeordnet war. Beide Zentren verdankten indes ihre Bedeutung vornehmlich innovativen Zuwanderern, sei es in Mainz zunächst die Familie Kalonymus aus Lucca oder im 12. Jahrhundert die beiden Schwiegersöhne des Elieser b. Nathan in Bonn, von denen der eine aus Bari kam. Indem ihre Impulse auf fruchtbaren Boden fielen, kam es zu lebendigem Austausch, so dass sich eine jüdische Bildungslandschaft entwickeln konnte, die als spezifisch ‚rheinisch‘ wahrgenommen wurde. 67 FREIMANN, Alfred: Ascher b. Jechiel. Sein Leben und Wirken, in: Jahrbuch der Jüdisch-Literarischen Gesellschaft 12 (1918), S. 237–317. 68 TWERSKY, Isadore: The Shulhan ‘Arukh. Enduring Code of Jewish Law, in: Judaism 16,2 (1967), S. 141–158, hier S. 143. Vier weitere Gelehrte, darunter zwei Kabbalisten, die im 13. und 15. Jahrhundert zeitweise in Köln lebten, bei MUTIUS: Gelehrsamkeit (wie Anm. 11), S. 48–50. 69 Hierzu ausführlich KLEIN, Birgit E.: „Unter der Herrschaft einer gnädigen Obrigkeit“. Das Kurkölner Landesrabbinat von den Anfängen bis in die Zeit von Kurfürst Clemens August, in: ZEHNDER, Frank Günter (Hrsg.): Hirt und Herde. Religiosität und Frömmigkeit im Rheinland des 18. Jahrhunderts (Der Riss im Himmel. Clemens August und seine Epoche 5), Köln 2000, S. 252–278.
Manfred Groten
Pragmatische Schriftlichkeit im Rheinland im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit 1. Begrifflichkeit Der Begriff pragmatische Schriftlichkeit ist vor allem durch den Münsteraner Sonderforschungsbereich 231 „Träger, Felder, Formen pragmatischer Schriftlichkeit im Mittelalter“, der 1988 seine Arbeit aufnahm, geläufig geworden.1 Richard Britnell hat auf dem „International Congress of Historical Sciences“ in Madrid 1990 eine weltweite Bestandsaufnahme des wohl in allen Schriftkulturen anzutreffenden Phänomens angeregt; der 1997 erschienene Ergebnisband konnte allerdings nur erste Impressionen vermitteln.2 Das Bestimmungswort pragmatisch in der Bedeutung von „auf die Praxis berechnet und anwendlich, gemeinnützlich“3 wurde im 17. Jahrhundert nach dem griechischen Adjektiv πραγµατικóς gebildet, das sich von τó πρᾶγμα (das Handeln), einer Nebenform von Praxis ableitet. Pragmatische Schriftlichkeit ist also handlungsorientierte Schriftlichkeit, „die unmittelbar zweckhaftem Handeln dienen oder die menschliches Tun und Verhalten durch Bereitstellung von Wissen anleiten“ will.4 Bei letzterem geht es um das, was Martin Kintzinger als Handlungswissen im Gegensatz zu Bildungswissen bezeichnet hat.5 In der Frühen Neuzeit war der Begriff ‚pragmatisch‘ der obrigkeitlich-staatlichen Sphäre zugeordnet,6 der geschichtswis1 Vgl. Träger, Felder, Formen pragmatischer Schriftlichkeit im Mittelalter. Der neue Sonderforschungsbereich 231 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, in: Frühmittelalterliche Studien 22 (1988), S. 388–409; Abschlussbericht in: Frühmittelalterliche Studien 34 (2000), S. 413–446. 2 BRITNELL, Richard (Hrsg.): Pragmatic Literacy. East and West 1200–1330, Woodbridge 1997, darin GROTEN, Manfred: Civic Recordkeeping in Cologne 1250–1330, S. 81–88. Britnell übernahm den Begriff auf Anregung von Thomas Behrmann aus Münster (BRITNELL: Literacy, S. VII). Als Alternativen wurden erwogen „official literacy“, „administrative literacy“ oder „practical literacy“. 3 GRIMM, Jacob/GRIMM, Wilhelm: Deutsches Wörterbuch, Bd. 7, Leipzig 1889, Sp. 2057. 4 Träger, Felder, Formen (wie Anm. 1), S. 389. Vgl. auch KELLER, Hagen: Einführung, in: DERS./GRUBMÜLLER, Klaus/STAUBACH, Nikolaus (Hrsg.): Pragmatische Schriftlichkeit im Mittelalter. Erscheinungsformen und Entwicklungsstufen (Münstersche Mittelalter-Schriften 65), München 1992, S. 1–7, hier S. 1. 5 KINTZINGER, Martin: Wissen wird Macht. Bildung im Mittelalter, Ostfildern 2003, S. 25–30. 6 ZEDLER, Johann Heinrich: Grosses vollständiges Universallexicon aller Wissenschafften und Künste, Bd. 29, Halle/Leipzig 1741, Art. ‚pragmatica principum historia‘, Sp. 168; ‚pragmatische Sanction‘, Sp. 169–171.
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senschaftliche Terminus ist allerdings nicht so eindeutig festgelegt, er kann auch auf private Schriftlichkeit angewendet werden. Pragmatische Schriftlichkeit erweist sich ohnehin als ein recht unscharfer Begriff. Wenn man schon unter Berufung auf den zweiten Teil der oben zitierten Definition Textsorten wie Rechtskodifizierungen und ‚technische‘ Lehrbücher (etwa für Falkner7 und Jäger,8 Büchsenmeister,9 Briefschreiber10 oder Alchimisten11) der pragmatischen Schriftlichkeit zurechnen will,12 dann sollte man diese wenigstens von literarischen Texten (Fiktionen), religiösen Texten ohne unmittelbaren Handlungsbezug13 und wissenschaftlich-theoretischen Texten abgrenzen. Das Münsteraner Programm führt jedoch aus: „Präferenz des Pragmatischen besagt dabei nicht die Beschränkung auf bestimmte Textsorten der Alltagswelt und damit die Vernachlässigung der wissenschaftlichen und literarischen Sphäre, da doch in der mittelalterlichen Entwicklung pragmatische, wissenschaftliche und literarische Textproduktion vielfach in der Hand derselben Personen liegen, sich in ihren Formen überschneiden, gemeinsame Träger und Gebrauchsräume haben.“14 In dieser Verallgemeinerung droht der Begriff ‚pragmatisch‘ zur Worthülse zu verkommen.15 Deshalb ziehe ich mich im Folgenden lieber auf den festeren Boden des englischen
7 Am bekanntesten ist WILLEMSEN, Carl Arnold (Hrsg.): Friderici Romanorum imperatoris secundi De arte venandi cum avibus, 2 Bde., Leipzig 1942. 8 GIESE, Martina: Graue Theorie und grünes Weidwerk? Die mittelalterliche Jagd zwischen Buchwissen und Praxis, in: Archiv für Kulturgeschichte 89 (2007), S. 19–59. 9 LENG, Rainer: Ars belli. Deutsche taktische und kriegstechnische Bilderhandschriften und Traktate im 15. und 16. Jahrhundert (Imagines Medii Aevi 12), 2 Bde., Wiesbaden 2002; KYESER aus Eichstätt, Conrad: Bellifortis, 2 Bde., Facsimileausgabe von Götz Quarg, Düsseldorf 1967. 10 DIEVOET, Guido van: Les coutumiers, les styles, les formulaires et les „artes notariae“ (Typologie des sources du moyen âge occidental 48), Turnhout 1985; CAMARGO, Martin: Ars dictaminis. Ars dictandi (Typologie des sources du moyen âge occidental 60), Turnhout 1991. 11 HALLEUX, Robert: Les textes alchimiques (Typologie des sources du moyen âge occidental 32), Turnhout 1979. 12 Vgl. das Arbeitsprogramm der Gesellschaft für pragmatische Schriftlichkeit, http://www. pragmatische-schriftlichkeit.de/gesellschaft.html. Zu verweisen wäre u. a. auch auf LAURIOUX, Bruno: Les livres de cuisine médiévaux (Typologie des sources du moyen âge occidental 77), Turnhout 1997. 13 Dagegen gehören z. B. Predigtanleitungen zur pragmatischen Schriftlichkeit, vgl. GRIER BRISCOE, Marianne/JAYE, Barbara H.: Artes praedicandi. Artes orandi (Typologie des sources du moyen âge occidental 61), Turnhout 1992; außerdem BOZÓKY, Edina: Charmes et priers apotropaïques (Typologie des sources du moyen âge occidental 86), Turnhout 2003. 14 Träger, Felder, Formen (wie Anm. 1), S. 397. 15 Dieses Problem sieht auch MELIS-SPIELKAMP, Bianca van: Pragmatische Schriftlichkeit in englischen arthurischen Romanzen (Gesellschaft, Kultur und Schrift. Mediävistische Beiträge 6), Frankfurt a. M. 1999, S. 52–56: „In letzter Konsequenz würde die Anerkennung der Tatsache, daß auch ‚literarische‘ Texte pragmatische Funktionen haben und im gesellschaftlichen Leben von Nutzen sein können, bedeuten, daß der Begriff ‚pragmatische Schriftlichkeit‘ tautologisch wäre und damit seine Berechtigung verlöre.“ (S. 55)
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Pragmatismus zurück und mache Schriftgut aus den Bereichen der alltäglichen Rechtspflege und Verwaltung zum Gegenstand meiner Untersuchung.16
2. Die allgemeine Entwicklung pragmatischer Schriftlichkeit Bevor ich in konkrete Überlegungen einsteige, müssen die Voraussetzungen geklärt werden. Im Rahmen des Generalthemas des vorliegenden Bandes geht es zuerst um die Frage, inwieweit Orte pragmatischer Schriftlichkeit als Lernorte oder Ausbildungsstätten bezeichnet werden können oder vielmehr als Orte, an denen anderweitig erworbene Fähigkeiten zur Anwendung kommen, weiterhin dann um die Frage, inwieweit sich die pragmatische Schriftlichkeit des Rheinlands von derjenigen angrenzender Räume abheben lässt. Beide Fragen sind bislang nicht systematisch gestellt, geschweige denn beantwortet worden. Ich bin deshalb gezwungen, erste Vermessungsversuche auf einem kaum beackerten Feld zu unternehmen. Als Ergebnis darf man eher zaghafte Lösungsvorschläge und die engere Eingrenzung von Wissenslücken als die Präsentation von gesicherten neuen Erkenntnissen erwarten. Zur Strukturierung des Themas möchte ich das Spektrum der pragmatischen Schriftlichkeit in vier Sektoren unterteilen: 1. den kirchlichen, 2. den landesherrlichen, 3. den städtischen und 4. den privaten, dem man das Schriftwesen von Bruderschaften17 und ähnlichen Organisationen zurechnen kann. Weiterhin können vier grundlegende Anwendungsbereiche pragmatischer Schriftlichkeit unterschieden werden, nämlich 1. Rechtssicherung, 2. Kommunikation, 3. Organisation und 4. Rechnungswesen. Orte, an denen pragmatische Schriftlichkeit praktiziert wird, bezeichne ich der Einfachheit halber mit dem viel gescholtenen Begriff Kanzlei.18 Der private Sektor bleibt dabei ausgeklammert. Eine Kanzlei in meinem Sinne besteht dort, wo von der Intention her auf Dauer, nicht auf das Wirken einer einzelnen Person beschränkt, pragmatische Schriftlichkeit stattfindet. Bezogen auf die oben definierten Sektoren kann man von kirchlichen, landesherrlichen und städtischen Kanzleien sprechen. Dabei sind zwei Typen von Kanzleien zu unterscheiden: Die erste ist eine Kanzlei, die sich aus ihrer eigenen Institution heraus erneuert. Hier werden die Fertigkeiten der pragmatischen 16 BRITNELL, Richard: Pragmatic Literacy in Latin Christendom, in: DERS.: Literacy (wie Anm. 2), S. 3–24, unterscheidet „two different modes of written text“: „One is the literary manuscript – the work of philosophy, theology, history, law, poetry or romance – which had the capacity to instruct, edify or entertain an indefinite number of readers. […] By contrast, the sort of written text under discussion contributed to some legal or administrative operation and was produced for the use of a particular administrator or property-owner“ (S. 3). Wertvoll erscheint mir die Unterscheidung von allgemeinem und partikularem Interesse. 17 Vgl. unten Anm. 34. 18 WILLOWEIT, Dietmar: Die Entwicklung und Verwaltung der spätmittelalterlichen Landesherrschaft, in: JESERICH, Kurt G. A./POHL, Hans/UNRUH, Georg-Christoph von (Hrsg.): Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 1, Stuttgart 1983, S. 66–143, hier S. 106–108.
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Schriftlichkeit von einem Meister an einzelne Schüler weitergegeben. Es handelt sich um eine vom allgemeinen Schulbetrieb abgehobene Lernsituation. Die hier angedeuteten Verhältnisse waren charakteristisch für das Schriftwesen der früh- und hochmittelalterlichen Klöster und Stifte. Bei einem zweiten Kanzleityp werden die Schreiber in größerem Umfang von außen angeworben. Sie bringen anderswo erworbene Fähigkeiten mit, die an die Bedürfnisse des neuen Arbeitsplatzes angepasst werden. Prototyp einer solchen Kanzlei war die Reichskanzlei,19 aber auch bischöfliche, landesherrliche und städtische Kanzleien sind eher diesem Typ zuzurechnen, wenngleich sie ihn, wie noch zu zeigen sein wird, oft auch nicht in reiner Form darstellten. Vorarbeiten zum Thema pragmatische Schriftlichkeit gibt es für den rheinischen Raum nur wenige.20 Anlässlich des 6. Internationalen Kongresses für Diplomatik 1983 in München beschäftigte sich Wilhelm Janssen mit der Kanzlei der Kölner Erzbischöfe,21 Wolf-Rüdiger Schleidgen berichtete über die klevische Kanzlei.22 Zum Schriftwesen der Stadt Köln im 14. Jahrhundert habe ich eine kurze Übersicht vorgelegt.23 Aus jüngerer Zeit wären die Dissertationen von Hans Fuhrmann über das Urkundenwesen der Kölner Erzbischöfe im 13. Jahrhundert24 und von Tobias Herrmann über das frühe Schriftwesen der Stadt Aachen25 zu nennen. Untersu19 CSENDES, Peter: Art. ‚Kanzlei. Allgemeine Fragestellung und Deutsches Reich‘, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 5, München/Zürich 1991, Sp. 910–912, mit Literatur; eine neuere Arbeit zum Thema ist GLEIXNER, Sebastian: Sprachrohr kaiserlichen Willens. Die Kanzlei Kaiser Friedrichs II. (1226–1236) (Archiv für Diplomatik. Beiheft 11), Köln/Weimar/Wien 2006. 20 Nur bedingt brauchbar ist PITZ, Ernst: Schrift- und Aktenwesen der städtischen Verwaltung im Spätmittelalter. Köln – Nürnberg – Lübeck. Beiträge zur vergleichenden Städteforschung und zur spätmittelalterlichen Aktenkunde (Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln 45), Köln 1959. 21 JANSSEN, Wilhelm: Die Kanzlei der Erzbischöfe von Köln im Spätmittelalter, in: Landesherrliche Kanzleien im Spätmittelalter (Münchener Beiträge zur Mediävistik und Renaissance-Forschung 35), München 1984, S. 147–169. Vgl. auch ANDERNACH, Norbert: Die landesherrliche Verwaltung, in: FLINK, Klaus (Hrsg.): Kurköln. Land unter dem Krummstab (Veröffentlichungen der Staatlichen Archive des Landes Nordrhein-Westfalen C/22), Kevelaer 1985, S. 241–255; ROTTHOFF, Guido: Gerichtswesen und Rechtsordnungen, in: ebd., S. 256–265. Für das Früh- und Hochmittelalter vgl. GROTEN, Manfred: Die Urkunden der Erzbischöfe von Köln vom 9. bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts, in: HAIDACHER, Christoph/KÖFLER, Werner (Hrsg.): Die Diplomatik der Bischofsurkunde vor 1250, Innsbruck 1995, S. 97–108. 22 SCHLEIDGEN, Wolf-Rüdiger: Die Kanzlei der Grafen und Herzöge von Kleve im 14. und 15. Jahrhundert, in: Landesherrliche Kanzleien (wie Anm. 21), S. 171–192. 23 GROTEN, Manfred: Das Schriftwesen der Stadt Köln im 14. Jahrhundert, in: GÄRTNER, Kurt u. a. (Hrsg.): Skripta, Schreiblandschaften und Standardisierungstendenzen. Urkundensprachen im Grenzbereich von Germania und Romania im 13. und 14. Jahrhundert (Trierer Historische Forschungen 47), Trier 2001, S. 549–562. 24 FUHRMANN, Hans: Das Urkundenwesen der Erzbischöfe von Köln im 13. Jahrhundert (1238– 1297) (Studien zur Kölner Kirchengeschichte 33), Siegburg 2000. 25 HERRMANN, Tobias: Anfänge kommunaler Schriftlichkeit. Aachen im europäischen Kontext (Bonner Historische Forschungen 62), Siegburg 2006.
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chungen zum Spätmittelalter und zur Frühen Neuzeit haben Seltenheitswert, vergleichende Arbeiten stehen gar nicht zur Verfügung.26 Zahlreiche Quelleneditionen und -erschließungen ermöglichen allerdings einen groben Überblick über die Entwicklung der pragmatischen Schriftlichkeit im hier interessierenden Zeitraum. Die pragmatische Schriftlichkeit des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit ist einerseits charakterisiert durch ein beschleunigtes Anwachsen des Umfangs der Schriftlichkeit sowie der Zahl der Schreibenden und der Schreiborte, andererseits durch die zunehmende Differenzierung der schon im Hochmittelalter etablierten Gattungen und die Entwicklung neuer Formen. Erhebliche Auswirkungen hatte die Einführung des neuen Beschreibstoffs Papier seit dem 14. Jahrhundert,27 die die Voraussetzung für die Entstehung von Sachakten darstellt.28 Neben den Amtsbuchserien bestimmten die Sachakten die frühneuzeitliche Schriftgutorganisation. Urkunden als Instrumente der Rechtssicherung und die meist sekundär in Sammlungen überlieferten Briefe29 als Medium der Kommunikation sind die ältesten Formen mittelalterlicher pragmatischer Schriftlichkeit. Zum Bereich der Organisation gehört das interne Verwaltungsschriftgut von Klöstern und Stiften, das im Hochmittelalter vor allem durch Güter- und Einkünfteverzeichnisse verschiedener Art30 26 Allgemein zur Verwaltung vgl. AUBIN, Hermann: Die Territorialverwaltung, in: DERS. u. a. (Hrsg.): Geschichte des Rheinlandes von der ältesten Zeit bis zur Gegenwart, Bd. 2, Essen 1922, S. 23–50; DROEGE, Georg: Die Territorien am Mittel- und Niederrhein, in: JESERICH/ POHL/UNRUH: Verwaltungsgeschichte (wie Anm. 18), S. 690–720. 27 PICCARD, Gerhard: Über die Anfänge des Gebrauchs des Papiers in deutschen Kanzleien, in: Studi in onore die Amintore Fanfani, Bd. 3 (Medioevo), Mailand 1962, S. 345–401; für Köln vgl. GROTEN: Recordkeeping (wie Anm. 2), S. 87f.: sporadische Verwendung ab 1330, seit 1367 Briefbücher auf Papier. Zum Papierhandel vgl. IRSIGLER, Franz: Papierhandel in Mitteleuropa 14.–16. Jahrhundert, in: HENN, Volker u. a. (Hrsg.): Miscellanea Franz Irsigler. Festgabe zum 65. Geburtstag, Trier 2006, S. 309–348. 28 KLOOSTERHUIS, Jürgen: Amtliche Aktenkunde der Neuzeit. Ein hilfswissenschaftliches Kompendium, in: Archiv für Diplomatik 45 (1999), S. 455–563, mit Bibliographie S. 549–560. 29 Vgl. etwa die Briefsammlung des Propstes Ulrich von Steinfeld, JOESTER, Ingrid (Bearb.): Urkundenbuch der Abtei Steinfeld (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 60), Köln/Bonn 1976, S. 603–639. Vgl. allg. CONSTABLE, Giles: Letters and Letter-Collections (Typologie des sources du moyen âge occidental 17), Turnhout 1976. 30 FOSSIER, Robert: Polyptiques et censiers (Typologie des sources du moyen âge occidental 28), Turnhout 1978; HÄGERMANN, Dieter: Anmerkungen zum Stand und den Aufgaben frühmittelalterlicher Urbarforschung, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 50 (1986), S. 32–58. Vgl. als Beispiele: Rheinische Urbare (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 20), Bd. 1: HILLIGER, Benno (Bearb.): Die Urbare von S. Pantaleon in Köln, Bonn 1902; Bd. 2–4: KÖTZSCHKE, Rudolf (Bearb.): Die Urbare der Abtei Werden an den Ruhr, Bonn 1906–1950/58; Bd. 5: SCHWAB, Ingo (Bearb.): Das Prümer Urbar, Düsseldorf 1983; Bd. 6; NOLDEN, Reiner (Bearb.): Das Urbar der Abtei St. Maximin vor Trier, Düsseldorf 1999; OEDIGER, Friedrich Wilhelm (Bearb.): Das Einkünfteverzeichnis des Grafen Dietrich IX. von 1319 und drei kleinere Verzeichnisse des rechtsrheinischen Bereichs (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 38; Quellen zur inneren Geschichte der rheini-
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und Nekrologien31 repräsentiert wird. Diese Quellengattungen lassen sich überwiegend dem Typ des Amtsbuchs32 zurechnen. Seit dem 12. Jahrhundert traten neue Formen des Amtsbuchs in Erscheinung, etwa solche von politischen Gremien33 oder religiösen Bruderschaften,34 die Statuten und Mitgliederlisten enthalten. In der Form des Mischbuchs war das Amtsbuch vor allem in vielen kleinen Städten für lange Zeit das einzige Erzeugnis interner pragmatischer Schriftlichkeit.35 Im letzten
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schen Territorien. Grafschaft Kleve 2), Düsseldorf 1982. Vgl. allg. SABLONIER, Roger: Verschriftlichung und Herrschaftspraxis. Urbariales Schriftgut im spätmittelalterlichen Gebrauch, in: MEIER, Christel u. a. (Hrsg.): Pragmatische Dimensionen mittelalterlicher Schriftkultur (Münstersche Mittelalter-Schriften 79), München 2002, S. 91–120. Vgl. HUYGHEBAERT, Nicolas: Les documents nécrologiques (Typologie des sources du moyen âge occidental 4), Turnhout 1972. Vgl. als rheinische Beispiele: WEISE, Erich (Bearb.): Die Memorien des Stiftes Xanten, Bonn 1937; NAGEL, Rolf (Bearb): Das Neusser Totenbuch. Liber animarum capituli monasterii sancti Quirini Nussiensis (London, British Library, Ms. Add. 15456), Facsimile, Neuss 2000; OEPEN, Joachim: Die Totenbücher von St. Maria im Kapitol zu Köln. Edition und personengeschichtlicher Kommentar (Studien zur Kölner Kirchengeschichte 32), Siegburg 1999. HARTMANN, Josef: Amtsbücher, in: BECK, Friedrich/HENNING, Eckart (Hrsg.): Die archivalischen Quellen. Eine Einführung in ihre Benutzung (Veröffentlichungen aus dem Brandenburgischen Landeshauptarchiv 29), Weimar 21994, S. 86–98; PÄTZOLD, Stefan: Amtsbücher des Mittelalters. Überlegungen zum Stand ihrer Erforschung, in: Archivalische Zeitschrift 81 (1998), S. 87–111; NEITMANN, Klaus: Überlegungen zur archivischen Erschließung von spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Amtsbuchüberlieferungen, in: KRETZSCHMAR, Robert (Hrsg.): Archive und Forschung (Der Archivar. Beiband 8), Siegburg 2003, S. 71–90; SARNOWSKY, Jürgen (Hrsg.): Verwaltung und Schriftlichkeit in den Hansestädten (Hansische Studien 16), Trier 2006, hier insb. PETTER, Andreas: Schriftorganisation, Kulturtransfer und Überformung. Drei Gesichtspunkte zur Entstehung, Funktion und Struktur städtischer Amtsbuchüberlieferung aus dem Mittelalter, S. 17–63. An der Universität Halle-Wittenberg wird unter der Leitung von Andreas Ranft ein „Index Librorum Civitatum –Verzeichnis der Stadtbücher des Mittelalters und der Frühen Neuzeit“ erstellt, vgl. http://www.geschichte. uni-halle.de/mitarbeiter/ranft/forschung. BUYKEN, Thea/HERMANN, Conrad (Hrsg.): Die Amtleutebücher der kölnischen Sondergemeinden (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 45), Weimar 1936. Trümmer eines Amtsbuchs stellen die erhaltenen Reste des Kölner Schöffenschreins dar, die bis in die Mitte des 12. Jahrhunderts zurückreichen, HOENIGER, Robert (Hrsg.): Kölner Schreinsurkunden des zwölften Jahrhunderts (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 1), Bd. 2/1, Bonn 1893, S. 289–323; LAU, Friedrich: Entwicklung der kommunalen Verfassung und Verwaltung der Stadt Köln bis zum Jahre 1396 (Preis-Schriften der Mevissen-Stiftung 1), Bonn 1898, S. 361–366. MILITZER, Klaus (Bearb.): Quellen zur Geschichte der Kölner Laienbruderschaften vom 12. Jahrhundert bis 1562/63 (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 71), 4 Bde., Düsseldorf 1997–2000. HEMANN, Friedrich-Wilhelm (Hrsg.): Das Rietberger Stadtbuch. Edition, Einleitung, Typologie. Ein Beitrag zur Erforschung von Klein- und Residenzstädten sowie zur Frage der Schriftlichkeit in frühneuzeitlichen Städten Westfalens (Beiträge und Quellen zur Stadtgeschichte Niederdeutschlands 3), Warendorf 1994. Vgl. auch GIESSMANN, Thomas: Zur Quel-
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Drittel des 13. Jahrhunderts setzte die spätmittelalterliche Expansions- und Differenzierungsphase der pragmatischen Schriftlichkeit ein.36 Das Urkundenwesen veränderte sich durch die Einführung des Notariatsinstruments als Alternative zur Siegelurkunde und durch die zunehmende Verwendung der deutschen Sprache anstelle der lateinischen. Das Auftreten von Notaren in den rheinischen Städten, beginnend mit Köln 1279,37 harrt noch der systematischen Erfassung,38 mit den regionalen Formen der deutschen Urkundensprache haben sich bislang vorwiegend Germanisten beschäftigt.39 Die bedeutendsten Neuerungen in der spätmittelalterlichen pragmatischen Schriftlichkeit zeigen sich auf dem Gebiet des internen Verwaltungsschriftguts einschließlich der Schriftgutorganisation und des Rechnungswesens. Registerführung seit dem 14. Jahrhundert und Protokollierung von Entscheidungsprozessen seit dem 15. Jahrhundert40 sind Kennzeichen einer fortschreitenden Verschriftlichung von Regierung und Verwaltung, die ihren Niederschlag vor allem in Lehnregistern,41 Auslaufregistern von Briefen und Urkunden,42 Kapitelprotokollen43 und
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lentypologie der Stadtbücher, am Beispiel der Altstadt Hildesheim, in: KÉRY, Lotte/LOHRMANN, Dieter/MÜLLER, Harald (Hrsg.): Licet preter solitum. Ludwig Falkenstein zum 65. Geburtstag, Aachen 1998, S. 165–175. PATZE, Hans: Neue Typen des Geschäftsschriftgutes im 14. Jahrhundert, in: DERS. (Hrsg.): Der deutsche Territorialstaat im 14. Jahrhundert (Vorträge und Forschungen 13), Bd. 1, Sigmaringen 1970, S. 9–64. KOECHLING, Ludwig: Untersuchungen über die Anfänge des öffentlichen Notariats in Deutschland (Marburger Studien zur älteren deutschen Geschichte 2/1), Marburg 1925, S. 5, 47f., 70; GERIG, Hans: Frühe Notariats-Signete in Köln, Köln 1971, S. 21f. Johannes-Peter Schuler baut ein elektronisches „Repertorium Germanicum notariorum publicorum“ (RGN) auf, vgl. http://web.archive.org/web/20061128231707/http://www.historische-notare.de Vgl. unten bei Anm. 70ff.; außerdem GÄRTNER: Skripta (wie Anm. 23); DERS./HOLTHUS, Günter (Hrsg): Überlieferungs- und Aneignungsprozesse im 13. und 14. Jahrhundert auf dem Gebiet der westmitteldeutschen und ostfränkischen Urkunden- und Literatursprachen (Trierer Historische Forschungen 59), Trier 2005. BLATTMANN, Marita: Prolegomena zur Untersuchung mittelalterlicher Protokollaufzeichnungen, in: Frühmittelalterliche Studien 36 (2002), S. 413–432. DÖSSELER, Emil/OEDIGER, Friedrich Wilhelm (Bearb.): Die Lehnregister des Herzogtums Kleve (Das Hauptstaatsarchiv Düsseldorf und seine Bestände 8), Siegburg 1974. KELLER, Kaspar: Die stadtkölnischen Kopienbücher, Teil 1, in: Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln 1 (1882), S. 61–98 (beginnen 1367); Herzogtum Jülich: Briefregister 1392/93, Brief- und Fehderegister 1393–99, vgl. OEDIGER, Friedrich Wilhelm (Bearb.): Landes- und Gerichtsarchive von Jülich-Berg, Kleve-Mark, Moers und Geldern. Bestandsübersichten (Das Hauptstaatsarchiv Düsseldorf und seine Bestände 1), Siegburg 1957, S. 80, 81; DERS.: Zwei Briefbücher des Stiftes Xanten 1469–1484 und Briefe zumeist aus den Jahren 1506– 1512 (Die Stiftskirche des hl. Viktor zu Xanten 4/3), Xanten 1979. MILITZER, Klaus (Bearb.): Die Protokolle des Kölner Domkapitels (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 77), Bd. 1: Regesten 1454–1511, Düsseldorf 2009.
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Ratsprotokollen44 findet. Kirchliche, landesherrliche und städtische Rechnungen dienen hier und da schon im späten 13. Jahrhundert,45 verbreiteter im 14. Jahrhundert vor allem der Transparenz und Kontrolle der Finanzverwaltung.46 Die Entwicklung und Verbreitung der einzelnen Schriftgutformen können hier nicht verfolgt werden, zumal für manche kaum ein Überblick über den erhaltenen Bestand zu gewinnen ist. Das lateinische Schriftwesen der Kirche war die Wiege der pragmatischen Schriftlichkeit im Mittelalter. Dieses Schriftwesen wurde seit der Karolingerzeit auch in den Dienst der Königsherrschaft gestellt. Seit dem 12. Jahrhundert wurden landesherrliche und städtische Kanzleien mit Hilfe von Klerikern eingerichtet. In landesherrlichen und städtischen Diensten sahen sich diese Kleriker mit neuen Aufgaben konfrontiert, auf die sie ihre Ausbildung nur wenig vorbereitet hatte. Vor allem der Wechsel von der lateinischen zur deutschen Sprache war mit Schwierigkeiten verknüpft, auf die ich noch näher eingehen werde. Welche Aura des Außergewöhnlichen, ja Festlichen das pragmatische Schreiben noch in der Mitte des 14. Jahrhunderts umgab, zeigt eine Bestimmung aus dem Amtleutebuch des Kirchspiels
44 GROTEN, Manfred/HUISKES, Manfred (Bearb.): Beschlüsse des Rates der Stadt Köln 1320– 1550 (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 65), 6 Bde., Düsseldorf 1988–2003. 45 BÄR, Max (Bearb.): Der Koblenzer Mauerbau. Rechnungen 1276–1298 (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 5), Leipzig 1888. 46 Zur kirchlichen Finanzverwaltung vgl. WILKES, Carl (Bearb.): Quellen zur Rechts- und Wirtschaftsgeschichte des Archidiakonats und Stifts Xanten, Bonn 1937; zur landesherrlichen Finanzverwaltung MERSIOWSKY, Mark: Die Anfänge territorialer Rechnungslegung im deutschen Nordwesten. Spätmittelalterliche Rechungen, Verwaltungspraxis, Hof und Territorium (Residenzenforschung 3), Stuttgart 2000; ein rheinisches Beispiel liefert ZIMMER, Theresia (Bearb.): Quellen zur Geschichte der Herrschaft Landskron an der Ahr (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 56), Bd. 2, Bonn 1966; zur städtischen Finanzverwaltung JAPPE ALBERTS, Wiebe: Mittelalterliche Stadtrechnungen als Geschichtsquellen, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 23 (1958), S. 75–96; KNIPPING, Richard (Bearb.): Die Kölner Stadtrechnungen des Mittelalters mit einer Darstellung der Finanzverwaltung (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 15), 2 Bde., Bonn 1897/98; GORISSEN, Friedrich (Bearb.): Stadtrechnungen von Wesel (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 55), 5 Bde., Bonn 1963–1968; KUPPERS, Willem: Die Stadtrechnungen von Geldern 1386–1423. Einführung, Textausgabe, Register (Geldrisches Archiv 2), Geldern 1993; LAURENT, Joseph: Aachener Stadtrechnungen aus dem XIV. Jahrhundert nach den Stadtarchiv-Urkunden mit Einleitung, Registern und Glossar, Aachen 1866; KRAUS, Thomas R. (Bearb.): Die Aachener Stadtrechnungen des 15. Jahrhunderts (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 72), Düsseldorf 2004; zu weiteren Beispielen, vor allem aus den Niederlanden, vgl. ebd., S. VIIf.; MIHM, Arend/MIHM, Margret: Mittelalterliche Stadtrechnungen im historischen Prozess. Die älteste Duisburger Überlieferung (1348–1449), 2 Bde., Köln/Weimar/Wien 2007/08, vgl. dazu RUNDE, Ingo: Die Duisburger Stadtrechnungen von 1348/49 bis 1407. Ansätze zu einer interdisziplinären Quellenauswertung, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 200 (1997), S. 39–74.
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St. Laurenz in Köln: „End wainne man de veyder ayn setzit tzo schrivene, so solen de meyster senden um eyne flesche wins.“47
3. Kanzleien als Lernorte Für uns stellt sich nun die Frage, welche Voraussetzungen das Kanzleipersonal mitbringen musste und wo die benötigten Kenntnisse erworben wurden. Weiterhin ist zu klären, inwieweit Kanzleien als Lernorte bezeichnet werden können. Zur Annäherung an diese Fragen möchte ich mich zunächst mit einer für das 14. Jahrhundert typischen Schriftgutform beschäftigen, nämlich mit den Urkundenkopiaren. Kopiare kennen wir zwar auch schon aus früheren Jahrhunderten des Mittelalters,48 für das Spätmittelalter ist aber ein bestimmter Typ von Abschriftensammlungen charakteristisch. Eingedenk der Vorbildfunktion kirchlicher Kanzleien beginne ich mit dem von einem namentlich nicht bekannten Schreiber im Auftrag des Kölner Erzbischofs Siegfried von Westerburg im Jahre 1295 auf 31 Folioblättern angelegten Kopiar.49 Die 109 in diesem Kopiar ohne Lücken hintereinander eingetragenen Texte sind nicht chronologisch geordnet, wie wir das von unseren Urkundenbüchern gewohnt sind. Auf den ersten Blick fällt es schwer, überhaupt eine Ordnung zu entdecken. Dass sich der Schreiber aber Gedanken über eine sachgemäße Reihenfolge seiner Abschriften gemacht hat, geht aus einer Vorbemerkung hervor, mit der er sein Werk begonnen hat.50 Er kündigt an, das vom Erzbischof in Auftrag gegebene „registrum“ bestehe aus drei Teilen: Teil 1 soll Papsturkunden jeglicher Art aufnehmen, Teil 2 Urkunden „de donacionibus, concessionibus, feudis et bonis immobilibus acquisitis et acquirendis ecclesie Coloniensi“, also über Schenkungen, Privilegien, Lehen und Immobilien, Teil 3 schließlich enthalte Urkunden „de composicionibus amicabilibus, pactis, refutacionibus, confederacionibus et hiis similes“, also Schiede, Verträge, Aufsagungen, Bündnisse und ähnliches. Der Gliederung liegt kein einheitliches Prinzip zugrunde. Der Schreiber beginnt mit einer hierarchischen Ordnung, indem er Papsturkunden an den Anfang seiner Sammlung stellt. Dann wechselt er aber sofort zu einem sachlichen Einteilungsprinzip über. Er trennt die ausgewählten Urkunden in solche, die Güter und Rechte der Kölner Kirche betreffen, und solche, in denen es
47 BUYKEN/HERMANN: Amtleutebücher (wie Anm. 33), S. 128 (20. Januar 1356). 48 GUYOTJEANNIN, Olivier/MORELLE, Laurent/PARISSE, Michel (Hrsg.): Les Cartulaires, Paris 1993; RESL, Brigitte: Vom Nutzen des Abschreibens. Überlegungen zu mittelalterlichen Chartularen, in: POHL, Walter/HEROLD, Paul (Hrsg.): Vom Nutzen des Schreibens. Soziales Gedächtnis, Herrschaft und Besitz (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 5), Wien 2002, S. 205–222. 49 KORTH, Leonard: Ein Kopiar des Erzbischofs Siegfried von Köln, in: Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln 12 (1887), S. 41–66. 50 KORTH: Kopiar (wie Anm. 49), S. 42.
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um Krieg und Frieden sowie Bündnisse geht, also um veränderliche politische Konstellationen. Schaut man sich die Umsetzung des in der Vorbemerkung entwickelten Plans an, zeigt sich, dass die Gliederung nicht geeignet ist, ein rasches Auffinden bestimmter Texte zu ermöglichen. Bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, dass es dem Schreiber überhaupt nicht gelungen ist, seine Gliederung durchzuhalten. Teil 1 umfasst nur drei Urkunden Papst Gregors X.51 In dem an die Papsturkunden anschließenden Block von Urkunden, die sich auf die Königswahl Adolfs von Nassau 1292 beziehen,52 sind drei Urkunden eingestreut, die das Stift Essen betreffen.53 Das Diplom Rudolfs von Habsburg für Essen erscheint übrigens als Dublette noch einmal unter Nr. 20.54 Die Urkunden Adolfs von Nassau darf man mit Fug und Recht dem zweiten Teil des Kopiars zuweisen, der Privilegien der Kölner Kirche dokumentieren soll. Wo allerdings der dritte Teil beginnt, ist nicht ersichtlich. Schon die fünfzehnte Urkunde bezieht sich auf ein Schiedsverfahren, Urkunde Nr. 68 gehört in denselben Zusammenhang.55 Man sieht, der Schreiber ist bei seinem Versuch, Ordnung in sein Material zu bringen, kläglich gescheitert. Aufgrund der lückenlosen Aneinanderreihung der Texte ist das Kopiar nicht systematisch erweiterungsfähig. Gegen Ende des 13. Jahrhunderts wurde auch im Stift St. Viktor zu Xanten ein Kopiar angelegt, der so genannte „Liber ruber“.56 Sein Aufbau entspricht dem des erzbischöflichen Kopiars, es ist aber sehr viel stärker untergliedert. Der erste, hierarchische Teil unterscheidet Papsturkunden, Bischofsurkunden, Urkunden von Königen, Grafen und anderen Laien, Urkunden der Xantener Pröpste sowie Urkunden und Statuten von Dekan und Kapitel von Xanten. Der anschließende sachlich gegliederte Teil hat die Rubriken Käufe und Verkäufe von Gütern, Zinsen und Renten sowie Bruderschaften. Für die einzelnen Gliederungspunkte hat der Schreiber bestimmte Blätter reserviert. So stehen die Papsturkunden auf Blatt 1 bis 6, die Bischofsurkunden beginnen auf Blatt 10. Es hätte also die Möglichkeit gegeben, weitere Papsturkunden an die schon eingetragenen anzuschließen. Dass die gute Idee nicht verwirklicht worden ist, indem auf den freien Blättern häufig beliebige Texte nachgetragen worden sind, kann man freilich dem Organisator des Kopiars nicht anlasten. Die Benutzbarkeit des Kopiars wird weiter erleichtert durch ein Inhaltsverzeichnis auf vier vorgeschalteten Blättern. Insgesamt hat der Xantener Schreiber
51 KORTH: Kopiar (wie Anm. 49), S. 44, Nr. 9–10; S. 45, Nr. 21, alle von 1275. 52 KORTH: Kopiar (wie Anm. 49), S. 53, Nr. 94 (Nr. 4 des Kopiars); S. 52, Nr. 92–93 (Nr. 8–9); S. 53, Nr. 95–99 (Nr. 11, 13, 14 sowie zwei Urkunden ohne Nachweis der Fundstellen im Kopiar). 53 KORTH: Kopiar (wie Anm. 49), S. 46, Nr. 29 (Nr. 5 des Kopiars); S. 44, Nr. 6 (Nr. 6); S. 46, Nr. 25 (Nr. 7). Auf Essen bezieht sich auch S. 45, Nr. 24 (Nr. 17). 54 KORTH: Kopiar (wie Anm. 49), S. 46, Nr. 29 (Nr. 5 und 20 des Kopiars). 55 KORTH: Kopiar (wie Anm. 49), S. 44, Nr. 13, Nr. 12. 56 Beschreibung in WEILER, Peter (Bearb.): Urkundenbuch des Stiftes Xanten, Bonn 1935, S. VIf.
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das Erschließungspotential der Kopiarorganisation sehr viel besser genutzt als sein Kölner Kollege. Am besten sind wir über die Anfertigung des so genannten „Weißen Buches“ unterrichtet, das dem Rat der Stadt Köln am 4. Oktober 1326 vorgelegt wurde.57 Verantwortlich für das Projekt war der „overste scriver“ der Stadt „meister Arnolt“.58 Sein Titel weist ihn als Universitätsabsolventen aus. Über seinen Werdegang wissen wir nur wenig. Er taucht 1319 als Zeuge in einer Urkunde innerhalb einer Gruppe auf, die als Advokaten, Notare und Kleriker der Kölner Kurie bezeichnet werden.59 Nach dem Ende seiner Studien hatte Magister Arnold die Ausbildung zum Notar von kaiserlicher Autorität durchlaufen, die nicht institutionalisiert war, sondern auf privater Basis erfolgte.60 Schließlich nutzte Arnold den erzbischöflichen Hof als Karrieresprungbrett. Am 28. November 1323 verfasste er zusammen mit Magister Wichard von Jülich ein Notariatsinstrument.61 In dieser Urkunde wird noch der Stadtschreiber Magister Johann genannt, dessen Nachfolge Arnold bald antreten sollte.62 Zur Herstellung des Weißen Buches zog Arnold acht Helfer hinzu, darunter seinen früheren Kollegen Wichard und einen zweiten kaiserlichen Notar sowie drei weitere als „tabellien“, also auch Notare, bezeichnete Männer, von denen zumindest einer noch recht jung war.63 Nur zwei der Helfer standen als Boten in städtischen Diensten. Die übrigen Schreiber wurden angeworben, weil die Herstellung des Kopiars die Kräfte des ständigen Kanzleipersonals der Stadt überstieg. Die Anlage des Weißen Buches erfolgte nach dem Muster der eben vorgestellten Kopiare. Die ausgewählten 123 Urkunden wurden nach hierarchischen Ge-
57 GROTEN, Manfred: Das Weiße Buch von 1326. Das älteste Urkundenkopiar des Kölner Rates, in: GÄRTNER/HOLTHUS: Aneignungsprozesse (wie Anm. 39), S. 75–88, hier S. 79 nach ENNEN, Leonard (Hrsg.): Quellen zur Geschichte der Stadt Köln, Bd. 4, Köln 1870, S. 119, Nr. 133. 58 STEIN, Walther (Bearb.): Akten zur Geschichte der Verfassung und Verwaltung der Stadt Köln im 14. und 15. Jahrhundert (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 10), Bd. 1, Bonn 1893, S. CXIXf. 59 KISKY, Wilhelm (Bearb.): Die Regesten der Erzbischöfe von Köln im Mittelalter (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 21), Bd. 4, Bonn 1915, S. 257, Nr. 1141 (07.10.1319). 60 Nach KNIPPING: Stadtrechnungen (wie Anm. 46), S. XV, waren alle Schreiber der Rentkammern Notare. 61 KISKY: Regesten (wie Anm. 59), S. 344f., Nr. 1427. Wichard findet sich auch in JANSSEN, Wilhelm (Bearb.): Die Regesten der Erzbischöfe von Köln im Mittelalter (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 21), Bd. 5, Bonn 1973, S. 262, Nr. 967f.; S. 264, Nr. 977–979; S. 272, Nr. 1016 (alle 1343). 62 Zu Johann de Pothoven vgl. STEIN: Akten (wie Anm. 58), S. CXIX, Nr. 8; zu Arnold ebd., S. CXIXf., Nr. 10. Johann begegnet auch in KISKY: Regesten (wie Anm. 59), S. 255f., Nr. 1141. 63 Winand von Barrenstein ist noch 1352 und 1365 belegt, ENNEN: Quellen (wie Anm. 57), S. 371, Nr. 339; S. 485, Nr. 433.
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sichtspunkten in Gruppen aufgeteilt. Neu ist die Bezeichnung dieser Gruppen mit Großbuchstaben: A für Papsturkunden, B bis D für Diplome, E bis H für Privaturkunden. Für jeden Buchstaben war eine Lage des geplanten Buches reserviert. In jeder Lage wurde, wie beim Xantener Kopiar, Raum für Nachträge freigelassen. Da eine Lage für die Aufnahme der Herrscherurkunden nicht reichte, mussten drei Lagen (B, C, D) angelegt werden. Innerhalb jeder Lage wurden die Urkunden offenbar nach Bedeutung angeordnet. An den Anfang jeder mit einem Buchstaben gekennzeichneten Lage konnte man so jeweils eine wichtige, häufig konsultierte Urkunde platzieren. Die offene Struktur der Lagengliederung des Weißen Buches, die man tatsächlich für ausgiebige Nachträge genutzt hat, wurde allerdings konterkariert durch eine weitere Erschließungsmethode. Die Urkunden wurden nämlich der Reihe nach fortlaufend durchnummeriert und in einem Inhaltsverzeichnis mit Kurzregesten aufgelistet. In dieses System ließen sich die Nachträge nicht einarbeiten, die somit nur an Ort und Stelle aufgesucht werden konnten. Das Kopiar, das 1336/38 am Klever Hof angefertigt wurde, ähnelt in seiner Anlage dem Weißen Buch.64 Die Urkunden erscheinen in der üblichen Weise nach Ausstellern und Sachbetreffen in Gruppen eingeteilt. Hinter jeder Gruppe wurde Raum für Nachträge reserviert. Ein zweiter Bearbeiter hat den Abschriften ein Inhaltsverzeichnis vorangestellt, das auf die Blattzählung des Bandes verweist. Diese Form der Erschließung ist der des Weißen Buches überlegen, da sie in gewissem Umfang die Einarbeitung von Nachträgen zulässt. Als Kuriosum sei vermerkt, dass das Inhaltsverzeichnis Papsturkunden und andere wertvolle Urkunden nachweist, die – wohl aus Geheimhaltungsgründen - gar nicht in das Kopiar aufgenommen worden sind.65 Die Angabe des Aufbewahrungsortes erlaubte aber einen unmittelbaren Zugriff auf die Originale. Was zeigt nun der Vergleich der vier Kopiare, denen noch weitere Beispiele zur Seite gestellt werden könnten?66 Keines ist unmittelbar von einem der übrigen abhängig. In jeder der vier Kanzleien ist das Kopiar ein Erstlingswerk. Die Urheber
64 SCHLEIDGEN, Wolf-Rüdiger (Bearb.): Das Kopiar der Grafen von Kleve (Klever Archiv 6), Kleve 1986. 65 SCHLEIDGEN: Kopiar (wie Anm. 64), S. 25–27. 66 MÖTSCH, Johannes: Die Balduineen. Aufbau, Entstehung und Inhalt der Urkundensammlung des Erzbischofs Balduin von Trier (Veröffentlichungen der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz 33), Koblenz 1980; KORTH, Leonard (Bearb.): Liber privilegiorum maioris ecclesie Coloniensis. Der älteste Kartular des Kölner Domstiftes, in: Westdeutsche Zeitschrift für Geschichte und Kunst. Ergänzungsheft 3, Trier 1886, S. 103–290, Beschreibung S. 104– 107 (zwischen 1356 und 1369). Das Kopiar weist drei „distinctiones“ (Urkunden von Päpsten, Kaisern, Erzbischöfen u. a.) auf mit jeweils eigener Durchzählung der Urkunden im vorangestellten Inhaltsverzeichnis, vgl. ebd., S. 105. Weitere Beispiele wären das Kartular des Herzogtums Jülich (ca. 1350) und das Kartular des Herzogtums Berg (14. Jahrhundert), OEDIGER: Gerichtsarchive (wie Anm. 42), S. 79.
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können die Anlagetechnik also nicht an ihrem Arbeitsplatz gelernt haben. Sie bringen Fertigkeiten zur Anwendung, die sie anderswo erworben haben. Die Frage, wo man lernen konnte, wie man ein Kopiar anlegt, führt dann aber wieder in Kanzleien zurück, und zwar in solche, die durch ihren technischen Entwicklungsstand benachbarte Einrichtungen überragten. Herausragende Kanzleien hätten demnach als Lernorte fungiert, wenn sie von jungen Schulabsolventen besucht wurden, die ihre praktischen Fähigkeiten erweitern wollten. So könnte etwa einer der an der Herstellung des Weißen Buches beteiligten Hilfsschreiber seine Erfahrungen an anderer Stelle genutzt haben. Diese Überlegungen lenken den Blick auf die Schreiber, die Innovationen in eine Kanzlei einführten.67 Sie erwiesen sich als wertvolle Helfer ihrer neuen Herren, indem sie erworbenes Grundwissen, etwa über die Prinzipien der Anlage eines Kopiars, den jeweils herrschenden Gegebenheiten anpassten, denn alle untersuchten Kopiare unterscheiden sich ja in der konkreten Ausgestaltung des Grundmusters voneinander. Nur selten kann man, wie im Falle des Kölner Stadtschreibers Magister Arnold, die Männer namhaft machen, die einen Entwicklungssprung in einer Kanzlei herbeiführten. Aber man sollte intensiver, als das bisher der Fall gewesen ist, ihren Spuren nachgehen, um das Netzwerk freizulegen, das den Transfer von Fertigkeiten der pragmatischen Schriftlichkeit in engerem oder weiterem Rahmen vermittelt hat. Dazu sind vergleichende Untersuchungen von Schrift, Sprache und Arbeitstechniken erforderlich.
4. Sprache und Schriftlichkeit Um die eingangs formulierten Fragen weiter zu verfolgen, wende ich mich einem anderen Aspekt spätmittelalterlicher pragmatischer Schriftlichkeit zu – der Einführung der deutschen Sprache. Die Verwendung der deutschen Sprache setzte einen besonderen Lernprozess voraus, denn im Mittelalter lernte man nicht einfach schreiben, sondern lateinisch schreiben. Schrift- und Spracherwerb gehörten untrennbar zusammen. Vor allem das komplexe Abkürzungssystem koppelte die Schreibpraxis eng an die lateinische Sprache. Für das Schreiben von anderen Sprachen wurden Konventionen in zahlreichen Varianten aus den lateinischen Schreibgewohnheiten entwickelt. Wie sich an einer Fülle von Beispielen zeigen lässt, schrieb ein und der-
67 Auf ihre Bedeutung weist auch PETTER: Schriftorganisation (wie Anm. 32), S. 31–42, hin. Vgl. schon STEIN, Walther: Deutsche Stadtschreiber im Mittelalter, in: Beiträge zur Geschichte vornehmlich Kölns und der Rheinlande zum 80. Geburtstag von Gustav Mevissen, Köln 1895, S. 27–70, und neuerdings SUNTRUP, Rudolf/VEENSTRA, Jan R. (Hrsg.): Stadt, Kanzlei und Kultur im Übergang zur Frühen Neuzeit (Kultureller Wandel vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit 4), Bern u. a. 2004.
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selbe Schreiber Lateinisch anders als Deutsch,68 und Französisch oder Englisch69 wieder anders. Die Unterschiede reichen bis in die Buchstabenformen und den Schriftduktus hinein. Bei den in der pragmatischen Schriftlichkeit verwendeten volkssprachlichen Varietäten handelt es sich um Schreibsprachen, die auf den vor Ort gesprochenen Dialekten beruhen, sich aber in ihrer Stilisierung von diesen abheben.70 Durch längeren Gebrauch erlangten diese Schreibsprachen ein hohes Maß an transpersonaler Konstanz. Am besten erforscht ist im Rheinland die stadtkölnische Schreibsprache (Ripuarisch).71 Für Sittard einerseits und Venlo, Duisburg und Essen andererseits (Rheinmaasländisch) liegen Monographien vor.72 In jüngster Zeit sind weitere Untersuchungen zu Duisburg erschienen.73 Die Schreibsprachen der landesherrlichen 68 Vgl. etwa GROTEN, Manfred: Köln im 13. Jahrhundert. Gesellschaftlicher Wandel und Verfassungsentwicklung (Städteforschung A/36), Köln/Weimar/Wien 21998, Tafel 7: Gottfried Hagen deutsch, Tafel 9–10: Gottfried Hagen lateinisch. 69 Beispiele von der Hand des Kölner Kaufmanns Gerhard von Wesel in Historisches Archiv der Stadt Köln [HAStK], Best. 83 (Hanse III) K 15, fol. 67f., 91, 99, 100f. Zur Person vgl. SCHLEICHER, Herbert M.: Ratsherrenverzeichnis von Köln zu reichsstädtischer Zeit von 1396–1796 (Veröffentlichungen der Westdeutschen Gesellschaft für Familienkunde N.F. 19), Köln 1982, S. 581, Nr. 3830 (Ratsherr seit 1481, Bürgermeister seit 1494/95, gest. am 23.11.1510); ULLRICH, Paula: Gerhard von Wesel. Ein Kölner Kaufherr und Bürgermeister, Diss. Marburg 1918. 70 MIHM, Arend: Das Aufkommen der hochmittelalterlichen Schreibsprachen im nordwestlichen Sprachraum, in: GÄRTNER: Skripta (wie Anm. 23), S. 563–618. 71 SCHÜTZEICHEL, Rudolf: Die Kölner Schreibsprache. Aufgaben und Problembereiche der Erforschung spätmittelalterlicher Schreibsprachen im Nordwesten, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 27 (1962), S. 69–96; LANGENBUCHER, Karl-Otto: Studien zur Sprache des Kölner Judenschreinsbuchs 465 (Scabinorum Judaeorum) aus dem 14. Jahrhundert (Rheinisches Archiv 72), Bonn 1970; SCHELLENBERGER, Barbara: Studien zur Kölner Schreibsprache des 13. Jahrhunderts (Rheinisches Archiv 90), Bonn 1974; HOFFMANN, Walter: Deutsch und Latein im spätmittelalterlichen Köln, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 44 (1980), S. 117–147; HABSCHEID, Stephan: Die Kölner Urkundensprache des 13. Jahrhunderts (Rheinisches Archiv 135), Köln/ Weimar/Wien 1997; MÖLLER, Robert: Regionale Schreibsprachen im überregionalen Schriftverkehr (Rheinisches Archiv 139), Köln/Weimar/Wien 1998; DERS.: Rheinische Sprachgeschichte von 1300 bis 1500, in: MACHA, Jürgen/NEUSS, Elmar/PETERS, Robert (Hrsg.): Rheinisch-Westfälische Sprachgeschichte, Köln/Weimar/Wien 2000, S. 51–75. 72 OTTEN, Dirk: Schreibtraditionen und Schreibschichten in Sittard im Zeitraum von 1450– 1609 (Rheinisches Archiv 98), Bonn 1977; WEBER, Hildegard: Venlo – Duisburg – Essen. Diatopische Untersuchungen zu den historischen Stadtsprachen im 14. Jahrhundert (Arbeiten aus dem Duisburger Graphematikprojekt 1), Heidelberg 2003. 73 ELMENTALER, Michael: Zur Koexistenz graphematischer Systeme in der spätmittelalterlichen Stadt, in: DERS. (Hrsg.): Regionalsprachen, Stadtsprachen und Institutionssprachen im historischen Prozess (Schriften zur diachronen Sprachwissenschaft 10), Wien 2000, S. 53–72; MIHM, Arend u. a.: Die frühneuzeitliche Überschichtung der rheinmaasländischen Stadtsprachen. Ein Duisburger Forschungsprojekt zur Entstehung der deutsch-niederländischen Sprachgrenze, in: ebd., S. 115–154; ELMENTALER, Michael: Der Erkenntniswert der schreibsprachlichen Variation für die Sprachgeschichte. Überlegungen zu den Ergebnissen eines
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Kanzleien sind noch kaum erforscht.74 Die von Theodor Frings angeregten Bonner Dissertationen über die Urkundensprachen von Jülich, Berg und Geldern beschränken sich auf eine globale Bestandsaufnahme von Vokalismus, Konsonantismus und Formenlehre.75 In Köln wurde ein deutschsprachiges Urkundenwesen nach früheren Anläufen ab 1262 von Gottfried Hagen begründet.76 Da Gottfrieds Nachfolger aber fast ohne Ausnahme zur lateinischen Urkundensprache zurückkehrten, konnte sich ein deutsches Schriftwesen in der städtischen Kanzlei erst im Laufe des 14. Jahrhunderts auf Dauer etablieren. Die Sprache der pragmatischen Schriftlichkeit weist im 14. und 15. Jahrhundert in Köln eine bemerkenswerte Standardisierung auf. Sie kann nur das Resultat einer geradezu schulmäßigen Vermittlung gewesen sein. Das würde aber bedeuten, dass die Kölner Stadtschreiber und andere städtische Schreiber junge Männer, die die lateinische Sprache erlernt hatten, in der Kunst der ripuarischen pragmatischen Schriftlichkeit ausgebildet haben müssen. In den hier postulierten Meister-Schüler-Kreis wird man auch die deutsch schreibenden Notare einbeziehen müssen.77 Die erste Stufe der Ausbildung von Schreibern ist in den Quellen kaum zu fassen. Vielleicht befand sich der 1367 als „clericus“ des Stadtschreibers bezeichnete Simon in einer solchen Lehre.78 Sobald die Schüler in der
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Duisburger Graphematikprojektes, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 65 (2001), S. 290–314; DERS.: Struktur und Wandel vormoderner Schreibsprachen (Studia Linguistica Germanica 71), Berlin/New York 2003. SMET, Gilbert A. R. de: Zur Urkundensprache in der Grafschaft Moers 1322–1420, in: MIHM, Arend (Hrsg.): Sprache an Rhein und Ruhr. Dialektologische und soziolinguistische Studien zur sprachlichen Situation im Rhein-Ruhr-Gebiet und ihrer Geschichte (Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik. Beihefte 50), Stuttgart 1985, S. 17–29; STERNBERG, Brigitte: Frühe niederrheinische Urkunden am klevischen Hof, in: BISTER-BROOSEN, Helga (Hrsg.): Niederländisch am Niederrhein (Duisburger Arbeiten zur Sprach- und Kulturwissenschaft 35), Frankfurt a. M. u. a. 1998, S. 53–82, STERNBERG, Brigitte: Die ältesten klevischen Register als sprachgeschichtliche Quelle, in: GÄRTNER: Skripta (wie Anm. 23), S. 619–645. SCHEBEN, Maria: Die Geschichte der Urkundensprache des Herzogtums Jülich, handschriftl. Diss. Bonn 1923 (Bibliothek des Instituts für Geschichtswissenschaft der Universität Bonn, Abt. für Rheinische Landesgeschichte, J 68/381); SCHEURMANN, Rudi: Die Geschichte der Urkundensprache des Herzogtums Berg 1257–1423, Diss. Bonn 1923 (ebd., J 68/382); TILLE, Edda: Zur Sprache der Urkunden des Herzogtums Geldern (Rheinische Beiträge und Hülfsbücher zur germanistischen Philologie und Volkskunde 7), Bonn/Leipzig 1925, S. 15, geht kurz auf „deutsche“ Einflüsse und die Zurückdrängung „niederländischer“ Sprachentwicklungen ein. GROTEN: Köln (wie Anm. 68), S. 230–246; HABSCHEID: Urkundensprache (wie Anm. 71). ELSENER, Ferdinand: Notare und Stadtschreiber. Zur Geschichte des schweizerischen Notariats (1962), in: EBEL, Friedrich/WILLOWEIT, Dietmar (Hrsg.): Studien zur Rezeption des gelehrten Rechts, Sigmaringen 1989, S. 114–151. STEIN: Akten (wie Anm. 58), S. CXXI. Johannes Tilmanni de Hoyfsteden ist von 1373 bis 1381 als „clericus“ bzw. „famulus“ des Stadtschreibers belegt, blieb also auch nach seiner Ausbildung im Dienst seines Herrn, ebd., S. CXXIII, Nr. 20.
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Lage waren, selbständig zu arbeiten, bemühten sie sich, vom Rat der Stadt bezahlte Schreibarbeiten zu übernehmen. Solche Aufträge sind in den seit 1370 in Bruchstücken überlieferten Stadtrechnungen wiederholt verzeichnet.79 Einigen Schreibern gelang es, eine feste Anstellung zu erhalten.80 In mehreren Fällen folgten Söhne ihren Vätern im städtischen Dienst.81 Manche in Köln ausgebildeten Schreiber mögen außerhalb der rheinischen Metropole eine Anstellung gefunden haben.82 Das wäre noch näher zu untersuchen. Auf jeden Fall konnten im Umkreis der stadtkölnischen Kanzlei geschulte Schreiber auf eigene Rechnung als Notare fungieren. Für den Zeitraum des 14. und 15. Jahrhunderts kann man die stadtkölnische Kanzlei also als Ausbildungsstätte bezeichnen, die nicht nur für den eigenen Bedarf ausbildete.83 Weitere rheinische Schreibzentren wären noch zu ermitteln und zu untersuchen. Um 1440 verlangte ein Gutachten vom kurkölnischen Kanzler, dass er lateinisch und deutsch schreiben können müsse.84 Dem Kanzler und dem ersten Schreiber (Protonotar) sollte je ein Sekretär zugeordnet werden, dem Kanzleipersonal sollten außerdem noch drei weitere Schreiber und Boten angehören.85 Auch diese Organisation bot Raum für eine Heranbildung von Schreibern. Nach 1500 änderten sich die Verhältnisse grundlegend. Das hängt aber keineswegs nur mit dem sich im 16. Jahrhundert vollziehenden Sprachwandel zusammen, der eine Ausbildung in den kölnischen Formen pragmatischer Schriftlichkeit unat-
79 Vgl. etwa STEIN: Akten (wie Anm. 58), S. CXXV, Nr. 24: Johannes Pijl (1371, 1375); Nr. 28: Gerardus (1372–1380); Nr. 29: Bernardus de Berka (1380/81). 80 So etwa Constantinus Morart de Virtute, STEIN: Akten (wie Anm. 58), S. CXXVIf., Nr. 30; Thomas von Lomer, ebd., S. CXXX, Nr. 37. 81 Stadtschreiber Petrus de Virtute (van der Stete) und sein Sohn Constantinus Morart de Virtute, STEIN: Akten (wie Anm. 58), S. CXXI, Nr. 15; S. CXXVIf., Nr. 30; Sibert von Eilsich (S. CXXXVII–CXXXIX, Nr. 50) und sein Sohn Emund (S. CXLIX–CLIV, Nr. 58); Heinrich Vrunt (S. CXXXII–CXXXIV, Nr. 40) und Johann Frunt (S. CLVI–CLXIX, Nr. 61); Jakob d. Ä. und d. J. sowie Matthias Kraen von Dülken (S. CLXIX–CLXXII, CLXXVII, Nr. 62, 63, 69); Johannes Helman und sein gleichnamiger Sohn, KLOOSTERHUIS, Elisabeth M.: Erasmusjünger als politische Reformer. Humanismusideal und Herrschaftspraxis am Niederrhein im 16. Jahrhundert (Rheinisches Archiv 148), Köln/Weimar/Wien 2006, S. 598f. 82 Dietrich Hoyke von Nienburg erscheint 1411 als Notar in Dortmund, STEIN: Akten (wie Anm. 58), S. CXXX, Nr. 36. 83 Ähnliche Befunde bei ZAHND, Urs-Martin: Studium und Kanzlei. Der Bildungsweg von Stadt- und Ratsschreibern in eidgenössischen Städten des ausgehenden Mittelalters, in: SCHWINGES, Rainer Christoph (Hrsg.): Gelehrte im Reich. Zur Sozial- und Wirkungsgeschichte akademischer Eliten des 14. bis 16. Jahrhunderts (Zeitschrift für Historische Forschung. Beihefte 18), Berlin 1996, S. 453–476. 84 AUBIN, Hermann: Ein Gutachten über die Verbesserung der kurkölnischen Zentralverwaltung von etwa 1440. Ein Beitrag zur Entstehung der Ratsbehörde und des Budgetwesens, in: Festgabe Friedrich von Bezold dargebracht zum 70. Geburtstag von seinen Schülern, Kollegen und Freunden, Bonn/Leipzig 1921, S. 150–164, hier S. 160. 85 AUBIN: Gutachten (wie Anm. 84), S. 153.
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traktiv gemacht hätte.86 Die unverkennbaren Veränderungen im Erscheinungsbild der Produkte der stadtkölnischen Kanzlei offenbaren nämlich keineswegs eine konsequente Entwicklung in Richtung auf den neuen Sprachstand. Für die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts ist vielmehr charakteristisch, dass die Schreiber in Schrift- und Sprachformen starke individuelle Unterschiede aufweisen. Das zeigt etwa die Gegenüberstellung von Texten des Sekretärs Magister Johann Merode (1513–1544) und des Kanzlers Dr. Peter Bellinghausen (1523–1543).87 Eine Erklärung für dieses Phänomen könnte in Veränderungen in der deutschen Schullandschaft gesucht werden. Seit dem 15. Jahrhundert wurde deutscher Schreibunterricht auch in das Programm der Stadtschulen aufgenommen, die zuvor nur lateinischen Unterricht erteilt hatten.88 In so genannten deutschen Schulen wurde sogar vorrangig Unterricht im Deutschen angeboten.89 Aus Hermann Weinsbergs Berichten über seine Schullaufbahn geht hervor, dass die Kölner Pfarrschulen sowohl Deutsch als auch Lateinisch lehrten.90 Wer in einem frühen Stadium seiner Ausbildung eine deutsche Schreibsprache erlernt hatte, tat sich zweifellos schwer damit, sich in späteren Jahren an eine vorgegebene Kanzleivarietät anzupassen. Dies
86 HOFFMANN, Walter: Rheinische Sprachgeschichte im 16. Jahrhundert, in: MACHA/NEUSS/ PETERS: Sprachgeschichte (wie Anm. 71), S. 123–138; MIHM, Arend: Ausgleichssprachen und frühneuzeitliche Standardisierung, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 65 (2001), S. 315– 359. 87 GROTEN/HUISKES: Beschlüsse (wie Anm. 44), Bd. 2, S. XXIII–XXVI mit Abb. 1, 2 und 11 (S. XXXII). 88 Hinweise auf den Lernstoff in der städtischen Schule in Lübeck um 1368/69 liefern in einer Kloake gefundene Wachstafeln, CORDES, Albrecht: Juristische Bildung für Kaufmannskinder. Die städtische Schule in Lübeck und ihr Lehrplan im 13./14. Jahrhundert, in: Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde 87 (2007), S. 41–53; vgl. auch WRIEDT, Klaus: Schulen und bürgerliches Bildungswesen in Norddeutschland im Spätmittelalter, in: MOELLER, Bernd/PATZE, Hans/STACKMANN, Karl (Hrsg): Studien zum städtischen Bildungswesen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Phil.-hist. Klasse 3/137), Göttingen 1983, S. 152–172; ENDRES, Rudolf: Das Schulwesen in Franken im ausgehenden Mittelalter, in: ebd., S. 173– 214. 89 BLEUMER, Hartmut: „Deutsche Schulmeister“ und „Deutsche Schule“. Forschungskritik und Materialien, in: GRUBMÜLLER, Klaus (Hrsg.): Schulliteratur im späten Mittelalter (Münstersche Mittelalter-Schriften 69), München 2000, S. 77–98; vgl. auch ENDRES, Rudolf: Handwerk – Berufsbildung, in: HAMMERSTEIN, Notker (Hrsg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 1, München 1996, S. 375–424, hier S. 376–379, sowie GRUBMÜLLER, Klaus: Der Lehrgang des Triviums und die Rolle der Volkssprache im späten Mittelalter, in: MOELLER/PATZE/STACKMANN: Studien (wie Anm. 88), S. 371–397; SCHINDEL, Ulrich: Die „auctores“ im Unterricht deutscher Stadtschulen im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit, in: ebd., S. 430–452; KIEPE, Hansjürgen: Die älteste deutsche Fibel. Leseunterricht und deutsche Grammatik um 1486, in: ebd., S. 453–461. 90 HERBORN, Wolfgang: Kölner Schulen, Schüler und Lehrer an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 77 (2006), S. 53–94.
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gilt vor allem für eine Zeit, in der die ripuarische Schreibsprache ihre dominante Stellung einzubüßen begann. Die Toleranz gegenüber Standardabweichungen ermöglichte eine weiträumige Rekrutierung des Kanzleipersonals. Der Kölner Sekretär Antonius Heresbach/Hirtzbach (1544–1567) stammte aus Boppard, sein Kollege Laurenz Weber vom Hagen (1547–1594) aus Sachsen.91 Konsequenz der neuen Entwicklung war, dass die stadtkölnische Kanzlei seit der Zeit um 1500 ihre Funktion als Ausbildungsstätte weitgehend verloren haben muss. Ihr Personal kam nun mit ausreichender deutscher Schreibkompetenz in den Dienst. Die weitere Ausbildung konnte sich auf die Einweisung in die konkreten Kanzleigewohnheiten beschränken.
Fazit und Ausblick Damit lässt sich auch ansatzweise die Frage beantworten, ob man das Rheinland in Bezug auf die pragmatische Schriftlichkeit als eingrenzbare Bildungslandschaft bezeichnen kann. Für die Blütezeit der ripuarischen Schreibsprache ist ein solches Raumkonzept im Hinblick auf einzelne Aspekte der pragmatischen Schriftlichkeit durchaus vertretbar. Im 16. Jahrhundert hat sich dieser Raum aber aufgelöst. Mit dem Beginn der Regierung des Erzstifts Köln durch eine Reihe von Erzbischöfen aus dem Hause Wittelsbach seit 1583 sowie der Besitzergreifung der pfälzischen Wittelsbacher und der Brandenburger in den vereinigten Herzogtümern JülichBerg-Kleve-Mark 1609 verflüchtigten sich im 17. Jahrhundert seine Konturen vollends. Hinzu kommt, dass das nördliche Rheinland zwei verschiedenen Reichskreisen – dem niederrheinischen und dem kurrheinischen – zugeordnet war, die beide weit über den hier behandelten Raum hinausreichten. Auch auf dieser Ebene konnten damit auswärtige Gewohnheiten auf die Schrift- und Verwaltungspraxis im Rheinland wirken. In der Frühen Neuzeit war die Entwicklung der pragmatischen Schriftlichkeit gekennzeichnet durch Professionalisierung, Hierarchisierung und Dezentralisierung. Im Spätmittelalter leiteten dagegen noch häufig mit kirchlichen Pfründen ausgestattete Kleriker auch die Kanzleien der Städte und Landesherren.92 Nicht selten ist ein Wechsel zwischen kirchlichen Ämtern und Posten in landesherrlichen oder städtischen Kanzleien zu beobachten.93 Im 16. Jahrhundert treten zunehmend gelehrte Juristen an die Stelle von Klerikern. Der stadtkölnische Sekretär Heinrich 91 GROTEN/HUISKES: Beschlüsse (wie Anm. 44), Bd. 2, S. XXVI, XXXIf. 92 Zu diesem Zweck stiftete z. B. der Herzog von Kleve 1442 die Propstei des 1334 errichteten Stiftes Kleve, das faktisch weiterhin unter der Leitung eines Dekans stand, CLASSEN, Wilhelm (Bearb.): Das Erzbistum Köln. Archidiakonat von Xanten (Germania Sacra 3/1), Berlin 1938, S. 351f., Biogramme der Amtsinhaber S. 364–366. 93 Zahlreiche Belege bei KLOOSTERHUIS: Erasmusjünger (wie Anm. 81), S. 540–694; STEIN: Akten (wie Anm. 58), u. a. S. CXXI–CXXIII: Thomas von Dalen; S. CXXVIf.: Constantinus
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Buschof von Fücht (1528–1536)94 erlangte 1531 den Grad des Lic. decr. (1539 Dr. decr., 1555 Dr. utr.), sein Kollege Johann Helman (1536–1547)95 war seit 1535 Lic. iur. Neben den Kanzleibeamten gewannen Juristen, darunter Professoren der Kölner Universität,96 als Syndici, das heißt Rechtsberater der Regierungen steigende Bedeutung. Der Syndikus Dr. Johann Michaelis Cronenburg, der zwischen 1620 und 1626 dem Kölner Stadtarchiv eine neue Ordnung gab, wurde 1633 sogar zum Bürgermeister gewählt, wie schon 1608 sein Kollege Dr. Wilhelm Hackstein.97 Das Vordringen der Juristen in den frühneuzeitlichen Verwaltungen harrt noch der intensiveren Erforschung.98 Besser bekannt sind die gelehrten Räte an den Fürstenhöfen.99 Die Spitzenkräfte der Kanzleien traten nach wie vor als Urheber von Innovationen in der pragmatischen Schriftlichkeit in Erscheinung. Als Beispiel möchte ich den schon genannten Kölner Sekretär Laurenz Weber anführen.100 Weber hatte maßgeblichen Anteil an der Ausgestaltung eines neuen Regierungsgebarens des Kölner Rates seit etwa 1570. Die Kommunikation des Rates mit der Gemeinde
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Morart de Virtute; S. CXXVII: Hermann Rose von Warendorf; S. CXXXIX–CLIII: Johann von Stummel. GROTEN/HUISKES: Beschlüsse (wie Anm. 44), Bd. 2, S. XXX; KEUSSEN, Hermann: Die alte Universität Köln. Grundzüge ihrer Verfassung und Geschichte, Köln 1934, S. 463, Nr. 225 (Professur 1539–1561); KLOOSTERHUIS: Erasmusjünger (wie Anm. 81), S. 691 (irrtümlich mit der Angabe „kam aus Nordbrabant“, der Nachname bezieht sich auf den Ortsnamen Waldfeucht in der Selfkant). GROTEN/HUISKES: Beschlüsse (wie Anm. 44), Bd. 2, S. XXXf.; KLOOSTERHUIS: Erasmusjünger (wie Anm. 81), S. 598f. KEUSSEN: Universität (wie Anm. 94), S. 106–108. KEUSSEN: Universität (wie Anm. 94), S. 466, Nr. 279 (Professur von 1599–1632); ULRICH, Adolf: Zur älteren Geschichte des Kölner Stadtarchivs, in: Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln 10 (1886), S. 1–14, hier S. 11; SCHLEICHER: Ratsherrenverzeichnis (wie Anm. 69), S. 370f., Nr. 2304. Vgl. auch DEETERS, Joachim: Die Kölner Bürgermeister in der Frühen Neuzeit. Profil einer Gruppe von Berufspolitikern, in: MÖLICH, Georg/ SCHWERHOFF, Gerd (Hrsg.): Köln als Kommunikationszentrum. Studien zur frühneuzeitlichen Stadtgeschichte (Der Riss im Himmel. Clemens August und seine Epoche 4), Köln 1999, S. 365– 402, hier S. 377; HEUSER, Peter Arnold: Prosopografie der kurkölnischen Zentralbehörden, Tl. 1: Die gelehrten rheinischen Räte 1550–1600. Studien- und Karriereverläufe, soziale Verflechtung, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 66 (2002), S. 264–319; 67 (2003), S. 37–103, hier S. 73, Anm. 629. HESSE, Christian: Qualifikation durch Studium? Die Bedeutung des Universitätsbesuchs in der lokalen Verwaltung spätmittelalterlicher Territorien im Alten Reich, in: SCHULZ, Günther (Hrsg.): Sozialer Aufstieg. Funktionseliten im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit (Büdinger Forschungen zur Sozialgeschichte 2000 und 2001), München 2002, S. 243– 268; HOLTZ, Sabine: Bildung und Herrschaft. Zur Verwissenschaftlichung politischer Führungsschichten im 17. Jahrhundert (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde 32), Leinfelden-Echterdingen 2002. KLOOSTERHUIS: Erasmusjünger (wie Anm. 81), S. 111ff. (Kurköln), 392ff. (Kleve-JülichBerg); HEUSER: Prosopografie (wie Anm. 97). Vgl. oben Anm. 91.
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vollzog sich seither vornehmlich in Form gedruckter Edikte, in denen der Rat zu einer fürsorglichen, aber zunehmend unnahbaren Instanz stilisiert wurde.101 Die von Weber geschriebenen Quittungen der vom Rat verwalteten Stiftung Haich für arme Mädchen setzten nicht mehr mit einem großen ‚Ich‘ in Auszeichnungsschrift ein, sondern seit 1568 mit dem hervorgehobenen Wort „Bekenn“ gefolgt von einem bescheidenen „ich“ in Normalschrift.102 In den Territorien kam es durch die fortschreitende Verschriftlichung der Lokalverwaltung zu einer Ausbreitung der pragmatischen Schriftlichkeit.103 In den Bistümern wurde seit dem späten 16. Jahrhundert auf der Ebene der Pfarreien die Registrierung von Eheschließungen und Taufen, später auch von Sterbefällen, in Kirchenbüchern eingeführt.104 Der Schriftwechsel zwischen Lokalverwaltung und Zentrale führte eine Vernetzung und zunehmende Standardisierung der schriftlichen Verwaltung herbei. Diese Form der Landesverwaltung erforderte eine Vielzahl von Schreibern, deren Bildungshintergründe noch kaum erforscht sind. Einen Einblick in den Bedarf gewährt beispielsweise ein Fragment eines kurkölnischen Bestallungsbuches für die Jahre von 1607 bis 1616.105 Aufgeführt werden darin fünf neu ernannte Zollschreiber, vier Gerichtsschreiber, Kanzlisten und Sekretäre. Mehrfach ist der Aufstieg von Schreibern zu Zöllnern zu beobachten. Ein Sekretär wird zum Vogt des Hohen Gerichts in Bonn befördert,106 ein Kornschreiber zum Kellner.107 Einfache Schreibertätigkeiten waren unverkennbar Einstiegspositionen in der lan101 GROTEN, Manfred: Vom Recht der Bürger zum Sorgerecht des Rates. Zur Veränderung der Sprache des innerstädtischen Diskurses in Köln im späten 16. Jahrhundert, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 78 (2007), S. 71–88. 102 HAStK, Best. 1 (Haupturkundenarchiv), 1/17831 (17.08.1568); letzter Beleg für das ältere Formular ebd., 1/17820 (26.01.1568). Zur Stiftung Haich vgl. GROTEN, Manfred: Bürgermeister und arme Töchter 1452–1670. Die Stiftung des Kölner Bürgers Heinrich Haich von 1452, Teil 1, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 73 (2009), S. 31–78. 103 Vgl. OEDIGER: Gerichtsarchive (wie Anm. 42), S. 171ff. ( Jülich), 185ff. (Berg), 289ff. (Kleve), 322ff. (Moers), 347ff. (Geldern); DERS. (Bearb.): Kurköln (Landesarchiv und Gerichte), Herrschaften, Niederrheinisch-Westfälischer Kreis (Das Hauptstaatsarchiv Düsseldorf und seine Bestände 2), Siegburg 1970, S. 257ff. 104 HORN, Karin u. a. (Bearb.): Übersicht über die Kirchenbücher des Personenstandsarchivs Brühl (Veröffentlichungen der staatlichen Archive des Landes Nordrhein-Westfalen B/2), Düsseldorf 1970 (erhaltene Bücher seit 1571); seit 1999 läuft ein Digitalisierungsprojekt, vgl. REINICKE, Christian: Kirchenbücher im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen Personenstandsarchiv Brühl. Neue Auswertungs- und Erschließungsmethoden, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 70 (2006), S. 261–287. Allgemein zu Kirchenbüchern vgl. HENNING, Eckart/ WEGELEBEN, Christel (Hrsg.): Bibliographie gedruckter Tauf-, Trau- und Totenregister sowie der Bestandsverzeichnisse im deutschen Sprachgebiet (Genealogische Informationen 23), Neustadt a. d. Aisch 1991. 105 ADERS, Günter: Ein kurkölnisches Bestallungsbuch 1607–1616, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 174 (1972), S. 112–121. 106 ADERS: Bestallungsbuch (wie Anm. 105), S. 115. 107 ADERS: Bestallungsbuch (wie Anm. 105), S. 114.
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desherrlichen Verwaltung. Söhne folgten ihren Vätern im Schreiberdienst. So wurde der Sohn des verstorbenen Gerichtsschreibers von Hülchrath zum Gerichtsschreiber in Zülpich ernannt.108 Seit dem 17. Jahrhundert wurde Schriftlichkeit zu einem Massenphänomen und in der Verwaltung auf allen Ebenen zum Normalfall. Schreibfähigkeit erlangte auf dieser Entwicklungsstufe eine neue Bedeutung. Sie war nicht mehr allein Rüstzeug der Gebildeten und der professionellen Schreiber, sie wurde zum Kennzeichen des geschäftsfähigen, am öffentlichen Leben teilhabenden Menschen. Die unterste Stufe pragmatischer Schriftkompetenz stellte die Fähigkeit dar, den eigenen Namen zu schreiben.109 Die Verbreitung dieser Fähigkeit lässt sich im Verwaltungsschriftgut verfolgen. So liefern etwa dem Kölner Rat eingereichte Suppliken massenhaft Belegmaterial für rudimentäre Alphabetisierung der städtischen Bevölkerung.110 Unterschriften der Kölner Bürgermeister unter Abrechnungen über die Ausgabe von Stiftungsgeldern dokumentieren das wachsende Bewusstsein für die Anforderungen einer individuellen Unterschrift ohne Varianz.111 Die schiere Allgegenwart und damit in gewissem Maße Banalität von Schriftlichkeit hat die historische Forschung wenig ermutigt, sich mit ihr zu beschäftigen. Untersuchungen, vor allem solche mit kulturgeschichtlichen Ansätzen, haben vor allen Dingen an den Rändern des Phänomens angesetzt. Insgesamt ist die pragmatische Schriftlichkeit der Neuzeit nach wie vor in erster Linie die Domäne der Archivare.
108 ADERS: Bestallungsbuch (wie Anm. 105), S. 121. 109 WINNIGE, Norbert: Zum Stand der Alphabetisierung im Kurfürstentum Köln im ausgehenden 18. Jahrhundert, in: ZEHNDER, Frank Günter (Hrsg.): Eine Gesellschaft zwischen Tradition und Wandel. Alltag und Umwelt im Rheinland des 18. Jahrhunderts (Der Riss im Himmel. Clemens August und seine Epoche 3), Köln 1999, S. 65–86. 110 HAStK, Best. 36 (Suppliken); vgl. SCHWERHOFF, Gerd: Das Kölner Supplikenwesen in der Frühen Neuzeit. Annäherungen an ein Kommunikationsmedium zwischen Untertanen und Obrigkeit, in: MÖLICH/SCHWERHOFF: Köln (wie Anm. 97), S. 473–496. 111 HAStK, Best. 160 (Armenverwaltung), Bücher 806.
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Das Kölner Verlagswesen der Frühen Neuzeit als Mittler für die Bildung im Rheinland*
„Bildung“ ist nach einem Wort Manfred Fuhrmanns eine „Form des Bewahrens […]. Sie hat [...] neben anderem den Zweck, Tradition zu sichern“,1 und ist durch Inhalte bestimmt, in unseren Breiten durch jüdisch-christliche und griechisch-römische (humanistische). Dieser zweifache Kanon prägte seit der Antike bis in unsere Zeit die europäische Schule und wirkte auch auf die seit dem Hochmittelalter entstehenden Universitäten. Bildung, in dieser Form als Tradition begriffen, war im Laufe der Zeiten immer wieder Krisen ausgesetzt, die die Überlieferungsfundamente wegzuspülen drohten. Besonders augenfällig wurde das am Ausgang der Antike, als die Kirche die beiden Kanones ins Mittelalter rettete. Das geschah wesentlich durch Bücher. Sie waren der kondensierte, materialisierte Speicher der Bildung, der für ihr Überleben sorgte, und für unsere europäische Bildungstradition eine unabdingbare Voraussetzung darstellt. Das ist der Hintergrund, vor dem sich unsere Fragestellung vollzieht: Wir gehen vom Bildungsbegriff im skizzierten Sinne Fuhrmanns aus und wollen die Bedeutung des Buchdrucks für Gymnasien und Universitäten in Köln und dem Rheinland am Ausgang des Mittelalters und in der Frühen Neuzeit in einigen Facetten beleuchten. Fragen wir danach, welche Veränderungen der Lehrbetrieb dadurch erfahren hat oder fragen wir genauer: Was leistete der Buchdruck in Bezug auf die Universität/ Schule, was die Handschriften nicht konnten? Zunächst gilt das, was generell für alle gedruckten Texte galt: Die Herstellung identischer oder nahezu identischer Exemplare in einer Auflage bewirkte eine Normierung, eine Gleichartigkeit und Zuverlässigkeit der Präsentation, die vorher so nicht möglich war. Das galt zeitgenössisch zum Beispiel auch für die ‚Liturgica‘. Die Kirche des späten 15. Jahrhunderts hat die ‚schwarze Kunst‘ gerade unter dem Aspekt einheitlicher und zuverlässiger liturgischer Texte begrüßt. Das Anliegen der Universität ging in die gleiche Richtung.2 In den Universitätssatzungen gab es aus*
Zum Nachweis der frühneuzeitlichen Drucke werden folgende Abkürzungen verwandt: VD 16 = Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des XVI. Jahrhunderts, 25 Bde., Stuttgart 1983–2000; VK = VOULLIÈME, Ernst: Der Buchdruck Kölns bis zum Ende des fünfzehnten Jahrhunderts (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 24), Bonn 1903, ND Düsseldorf 1978. 1 FUHRMANN, Manfred: Bildung. Europas kulturelle Identität, Stuttgart 2002, S. 6. 2 Vgl. HUMPHREYS, Kenneth W.: The provision of student’s textbooks in the later middle ages, in: HALLER, Bertram (Hrsg.): Erlesenes aus der Welt des Buches, Wiesbaden 1979, S. 61–76.
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führliche Bestimmungen über die Versorgung der Universitäten mit Büchern. Das war Aufgabe eines ‚stationarius‘ oder ‚librarius‘; er verlieh einerseits die an der Universität eingeführten Bücher, andererseits verkaufte er solche Texte zu einem vorgeschriebenen Preis oder zog sie gegebenenfalls von abziehenden Studenten an sich.3 Dennoch war es schwierig, wenn nicht unmöglich, durch Abschreiben eine ausreichende Menge von qualitätvollen Texten zu garantieren. Da brachte der Buchdruck völlig neue qualitative und quantitative Möglichkeiten.
1. Köln als Druck- und Verlagsort von Studienliteratur Köln verdient in unserem Zusammenhang insofern die vorrangige Betrachtung als es der weitaus bedeutendste und weithin ausstrahlende Druck- und Verlagsort im Rheinland und einer der wichtigsten im Deutschland des ausgehenden Mittelalters und der Frühen Neuzeit war. Schon von der Zahl der hier verlegten Erzeugnisse her erweisen sich alle anderen rheinischen Städte, in denen damals gedruckt wurde, als marginal. Die neue Technik wurde in Köln verhältnismäßig früh, 1465, eingeführt. Ihre frühe und große Bedeutung bedeutet freilich nicht, dass im Sinne unserer Fragestellung der Bildungsbereich ebenso frühzeitig einen großen Niederschlag gefunden hätte. Die sprachlichen und literarischen Studien der Artisten beschränkten sich vor dem Aufkommen des Humanismus auf die lateinische Grammatik und einige Schriften Ciceros und Ovids, auf Terenz und ein paar andere Autoren, die sich folglich im Buchdruck wiederfinden. Die Kölner Universität als Korporation hat von der neuen Vervielfältigungskunst für die gelehrte Tätigkeit und den Unterricht kaum Notiz genommen. Es gibt keinen Hinweis, dass sie oder einzelne Professoren bei der Niederlassung des ersten ortsansässigen Druckers, Ulrich Zell, die Hand im Spiele gehabt hätten wie in Bologna oder Perugia.4 Die von Severin Corsten kunstvoll erschlossene ‚Universitätsdruckerei‘ verdient diesen Namen nicht, weil sie kaum und erst recht nicht schwerpunktmäßig in ihrer Produktion universitäre Belange in den Vordergrund geschoben hat.5 Das „impres3 Vom Eid des Universitätsbuchhändlers berichtet HEITJAN, Isabell: Die Stellung der Buchgewerbetreibenden in der Stadt Köln und zu ihrer Universität (15. bis 18. Jahrhundert), in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 11 (1971), S. 2117–2231, hier S. 2183. Abdruck des lateinischen Textes und deutsche Übersetzung bei BIANCO, Franz Joseph von: Die alte Universität Köln und die spätern Gelehrten-Schulen dieser Stadt, Bd. 1, Köln 1855, ND Aalen 1974, S. 104. Dies scheint bis in das 16. Jahrhundert praktiziert worden zu sein, vgl. HEITJAN: Stellung, S. 2183–2201. 4 JUCHHOFF, Rudolf: Die Universität Köln und die frühen Typographen, in: DERS.: Kleine Schriften zur Frühdruckforschung, Bonn 1973, S. 154–164. 5 CORSTEN, Severin: Impressus in alma universitate Coloniensi. Eine Universitätsbuchdruckerei der Inkunabelzeit in Köln, in: DERS.: Studien zum Kölner Frühdruck. Gesammelte Beiträge 1955–1985 (Kölner Arbeiten zum Bibliotheks- und Dokumentationswesen 7), Köln 1985,
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sus in alma universitate“ ist somit eher als Druckwerkstatt in den Räumen der Universität zu deuten. Mit dieser Abstinenz steht Köln in einer Reihe mit den Universitäten der Zeit, die berühmte und ehrwürdige Universität Bologna hat da nicht viel anders gehandelt.6 Rudolf Juchhoff ermittelte für Köln, dass von 180 Professoren der Artistenfakultät der Inkunabelzeit und 63 Professoren der Theologie nur 12 als Autoren und Herausgeber hervorgetreten sind, davon einige mit vielen Werken. Von den 80 Professoren der Juristenfakultät haben drei je eine Schrift und ein weiterer zwei Schriften zum Druck gebracht, von den 31 Professoren der Medizin, der kleinsten Fakultät, keiner.7 Das mag wesentlich durch die Traditionsverhaftung zu erklären sein. Die Drucklegung zumindest einiger Werke war eng mit dem Universitäts-, sprich Vorlesungsbetrieb verbunden. Dabei sind es auch Angaben in den Kolophonen (den Schlussschriften der Drucke), die expressis verbis auf die Verbindung mit dem Lehrbetrieb, unter anderem in den Bursen, hinweisen.8 Viel mehr als die zitierte vorgebliche Universitätsdruckerei publizierten vor allem zwei namhafte Verlage Texte für die Kölner Wissenschaft. Zum einen druckte Johann Koelhoff d. Ä. scholastische Werke, besonders des Thomas von Aquin sowie gelehrte Rechtsliteratur zum kanonischen Recht oder zum Zivilrecht. Noch wichtiger für die Universität, besonders für Theologen und Artisten, war Kölns bedeutendster Drucker, Heinrich Quentell, der auf dem Feld der scholastischen Lehrbuchliteratur wirkte. In Quentells Offizin kamen zum Beispiel die Regenten der Bursen Montanum und Laurentianum zu Wort, die den Artesunterricht zum großen Teil an sich gezogen hatten. Daraus können wir einiges für die Kenntnis des akademischen Lehrbetriebs gewinnen, da die beiden Regenten in ihren Kommentaren zu den Textbüchern des Petrus Hispanus und des Aristoteles ihre Lehrmethoden darlegten. Die Bursen folgten verschiedenen Richtungen: Die Laurentiana war S. 138–168; vgl. z. B. die Kolophon-Notiz im Missale Coloniense von 1481: „Conradi de Hombergh in alma universitatis Coloniensi residentis“ (VK 801); das folgende Zitat ebd. 6 BÜHLER, Curt F.: The University and the Press in Fifteenth Century Bologna (Texts and Studies in the History of Medieval Education 7), Notre Dame/IN 1958; MONTECCHI, G.: Bologna, in: Lexikon des gesamten Buchwesens, Bd. 1, Stuttgart 21987, S. 497, mit weiterführender Literatur. Die Untersuchung zur Universität und Buchdruck in Bologna zeigt laut JUCHHOFF: Universität (wie Anm. 4), S. 155, „wie gering der Anteil der zeitgenössischen Autoren an der frühen Bologneser Buchproduktion gewesen ist, wie wenige Werke vor allem der an der Universität lehrenden Professoren von den Bologneser Druckverlegern durch den Druck bekanntgemacht worden sind.“ 7 JUCHHOFF: Universität (wie Anm. 4), S. 155: „Insofern sind die Universitäten in den ersten Jahrzehnten der Typographie für die Welt der Drucker und Verleger noch nicht so entscheidend wichtig, wie es angesichts des ausgedehnten akademischen Lehrbetriebs erwartet werden könnte.“ 8 CORSTEN, Severin: Universität und Buchdruck in Köln. Versuch eines Überblicks für das 15. Jahrhundert, in: DERS.: Studien (wie Anm. 5), S. 123–137, hier S. 128, weitere Beispiele ebd. Vgl. auch VOULLIÈME: Buchdruck (wie Anm. *).
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dem Albertismus, die Montana dem Thomismus verpflichtet und da konnte man auch schon einmal heftig werden.9 Mitte der neunziger Jahre des 15. Jahrhunderts trat in Köln wie anderswo eine intensive Propagierung der eigenen Positionen durch die Schulen ein. Im März 1496 machte die Laurentiana erstmals das theoretische Fundament ihres albertistischen Weges durch die Herausgabe eines Werkes des Heymericus de Campo deutlich.10 Ein am Schluss angefügtes äußerst kämpferisches Schlussgedicht belebte die scharfe Konfrontation gegenüber Thomisten und Nominalisten.11 Die Gegenantwort der Montaner folgte im September 1497 in einem Band mit Kommentaren des Gerardus de Monte zu Schriften des Aquinaten12 mit heftigen Rügen der gegnerischen Problemata und polemischer Begleitmusik. 1498 ließ Lambert de Monte seine „Quaestio de salvatione Aristotelis“ mit einem kampfeslustigen Distichon drucken.13 Die Auseinandersetzung setzte sich in weiteren Druckwerken bis in das 16. Jahrhundert fort. Hier wird also der Buchdruck über die Tradierung von Bildungselementen und wissenschaftlichen Abhandlungen hinaus zum Mittel gezielter Kampagnen und genussvoller Polemik.14 Um eine Kölner Besonderheit handelte es sich bei der Einführungsvorlesung zu den Institutionen, die den römisch-rechtlichen Studienstoff ausgewählt und mundgerecht vor allem für die Kirchenrechtler als Prüfungsgegenstand der Bakkalaren vermittelte. Ihre Verfasser waren so gut wie alle Kölner Professoren, etwa der schon genannte Henricus de Piro,15 Nicasius de Voerda16 oder Hermannus Sinnema.17 Durch den Kölner Buchdruck gewannen diese wie auch entspre-
9 Seit Ende der 1480er-Jahre gab es Druckwerke der beiden größeren Bursen mit der Formulierung thomistischer bzw. albertistischer Inhalte der Lehrtraditionen und zur Diskreditierung der Gegner, vor allem hetzten die Laurentianer. 10 „Problemata inter Albertum Magnum et Sanctum Thomam“ durch den Bursenregenten Arnoldus de Dammone bei Johann von Landen (VK 546). 11 Unter dem Titel „De proprietatibus elementorum quaestio“ bei Heinrich Quentell (VK 983). 12 Bei Quentell (VK 150). 13 Bei Quentell (VK 732). 14 TEWES, Götz-Rüdiger: Die Bursen der Kölner Artisten-Fakultät bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts (Studien zur Geschichte der Universität zu Köln 13), Köln/Weimar/Wien 1993, S. 730–736. Als Titelholzschnitt in solchen Drucken hat Quentell den so genannten AccipiesHolzschnitt verwandt, der Papst Gregor den Großen, den Patron des Schulwesens, mit zwei vor ihm sitzenden Schülern darstellt mit dem Spruchband: „Accipies tanti doctoris dogmata sancti“, vgl. SCHRAMM, Albert: Der Bilderschmuck der Frühdrucke, Bd. 8: Die Kölner Drucker, Leipzig 1924, Abb. 484; weitere ähnliche Darstellungen mit z.T. mehr Scholaren ebd., Abb. 485–489. 15 VK 552–553. 16 VK 830; „Arborum trium consanguinitatis […] lectura“ bei Quentell 1502–1506 und 1508 (VD 16 N 1423–1428). 17 VK 1087–1089.
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chende anonyme Schriften weit über Köln hinaus schnelle und relativ weite Verbreitung.18 Ein anderes Produkt der Kölner Hochschule waren die so genannten Kopulate. Darunter versteht man die Verbindung von vorgeschrieben Lehrtexten mit dem Kommentar der Kölner Magister. Nicht sonderlich kreativ, dienten sie als didaktisches Material zur Vermittlung des thomistischen Aristotelismus. Sie waren aus dem Unterricht hervorgegangen, und Text und Kommentar wurden nur gemeinsam gedruckt. Vorzüglich eigneten sie sich für die Verbreitung durch die neue Buchdruckerkunst und wurden dann im Rhythmus des Vorlesungszyklus immer wieder veröffentlicht, teilweise unter wechselnden Titeln.19 Die Kopulate hatten offenbar eine hohe Auflagenzahl und wurden weithin verbreitet, auch an anderen Orten nachgedruckt. Von den „Auctoritates Aristotelis“, eine der wichtigsten mittelalterlichen Florilegiensammlungen in Köln, gab es insgesamt 39 Drucke, darunter 9 Kölner20 und 17 Pariser Editionen. Man kann dabei konstatieren, dass eine Reihe bedeutender Kölner Verlage wie zum Beispiel derjenige der Quentell regelrecht als Schulbuchverlage fungiert haben.21 Wie sehr einige Ausgaben auf die konkrete Kölner Unterrichtssituation zugeschnitten waren, zeigt ein Kommentar der Laurentianer Everhardus de Amorsfordia und Johannes de Nutringen zu Aristoteles’ „De caelo“: Dieser bricht vor dem dritten Buch in der Drucklegung ausdrücklich deshalb ab, weil mehr zur Erlangung der Magisterwürde nicht notwendig war.22 In Köln gab es im frühen 16. Jahrhundert verstärkt innerhalb der Professoren, der Studenten und auch in der Bürgerschaft Bestrebungen, dem Humanismus im offi-
18 In der Frühzeit scheint sich vor allem Petrus von Olpe als Drucker in diesem Metier engagiert zu haben (VK 788, 789, 790, 302), dann besonders Johann Koelhoff d. Ä. und d. J., vgl. MEUTHEN, Erich: Kölner Universitätsgeschichte, Bd. 1, Köln/Wien 1988, S. 136f. Nachdruck des Werkes von Henricus de Piro in Oppenheim bei Jakob Köbel 1514 (VD 16 B 5608); von Nicasius de Voerdas „Arborum trium consanguinitatis […] lectura“ 1502–1506 und 1508 bei Quentell (VD 16 N 1423–1428). 19 Zwölfmal wurden z. B. die von Lambert de Monte und anderen Montanerprofessoren als Gemeinschaftswerk herausgegebenen „Copulata tractatuum Petri Hispani et parvorum logicalium iuxta doctrinam Colonie in bursa Montis regentium“ gedruckt, vor allem bei Zell und Quentell (VK 921–932). 20 Im 15. Jahrhundert bei Guldenschaff und Quentell (VK 180–182); 16. Jahrhundert: VD 16 A 4020–4036, davon 6 aus Köln. 21 HAMESSE, Jacqueline: Les Auctoritates Aristotelis. Un florilège médiéval. Etude historique et édition critique, Löwen/Paris 1974. 22 Bei Quentell (VK 408); LOHR, Charles M.: Medieval Latin Aristotle Commentaries, in: Traditio 23 (1967), S. 313–413, hier S. 406; 27 (1971), S. 251–351, hier S. 264; SENGER, Hans-Gerhard: Albertismus? Überlegungen zur ‚via Albert‘ im 15. Jahrhundert, in: ZIMMERMANN, Albert (Hrsg.): Albert der Große. Seine Zeit, sein Werk, seine Wirkung (Miscellanea mediaevalia 14), Berlin 1981, S. 217–236, hier S. 235: „liber tertius pro magisterii gradu adipiscendo non legitur“.
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ziellen Lehrprogramm mehr Raum zu geben.23 Im Reich und ganz Europa fand damals ein Wechsel in der Studienliteratur statt. Die Kölner Überlegungen mündeten nach Vorschlägen 1523, die einen ausgesprochenen Kompromisscharakter zeigen, indem die scholastische Tradition noch ausgiebige Berücksichtigung fand, in einer erweiterten Reform der Artistenfakultät am 12. September 1525. Greifbar wird diese in der Pflege der Rhetorik, einer größeren Berücksichtigung der moralphilosophischen Schriften des Aristoteles und einer Reform der Dialektik. Die von den Humanisten als anachronistisch empfundenen Werke des Petrus Hispanus und Alexander von Villa Dei sind nach 1512 bzw. 1524 in der zeitgenössischen Kölner Buchproduktion nicht mehr nachweisbar.24 Die an ihre Stelle tretenden humanistischen Texte beginnen nur ausnahmsweise ihr Erscheinen mit der Reform. So geschieht es mit der Dialektik des Georg von Trapezunt, die Petrus Hispanus ersetzte, und ab 1524 mit 15 Ausgaben fast ein Drittel aller zeitgenössischen Ausgaben erreichte. Vielfach hatte die Überlieferung schon früher eingesetzt. Das gilt für die von den Studenten geforderte Dialektik des Rudolf Agricola, die circa 1520 bis 1570 gedruckt wurde; das gilt auch für die Rudimenta und die große Grammatik des Despauterius (1521–1575) und für die sehr häufig publizierte, damit konkurrierende Grammatik des Aldus Manutius (1517–1556). Die Reform wurde also im Kölner Buchdruck mit vorbereitet und die Texte wurden wohl schon vorher im Umkreis der Kölner Universität gebraucht. Bei Despauterius sind die Teile 3 und 4 sehr viel weniger häufig gedruckt worden. Vermutlich spiegelte sich darin der Bedarf im akademischen Unterricht. Die meisten hier betrachteten Ausgaben sind von in Köln tätigen Gelehrten herausgegeben und teilweise mit Kommentaren versehen worden. Gelegentlich belegen Auswahlausgaben die enge Verbindung mit dem akademischen Unterricht.25 Ähnlich ist die im Entwurf genannte Grammatik des berühmten venezianischen Verle23 Vgl. zum Folgenden SCHMITZ, Wolfgang: Die Kölner Universitätsreformen von 1523/1525 im Spiegel des Buchdrucks, in: ARNOLD, Werner (Hrsg.): Bibliotheken und Bücher im Zeitalter der Renaissance (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 16), Wiesbaden 1997, S. 55–75. 24 Die Werke des Petrus Hispanus erschienen ab ca. 1486 im Kölner Buchdruck in insgesamt 14 Ausgaben, nur sechs davon im 16. Jahrhundert (nach VD 16) und zwar fünf im ersten Jahrzehnt und nur eine (1512) im zweiten. Das Doctrinale des Alexander de Villa Dei hatte in Köln zwischen ca. 1487 und 1500 in Übereinstimmung mit anderswo üblichen Praktiken mit 40 Ausgaben der verschiedenen Teile eine deutliche Beliebtheit besessen, und auch im 16. Jahrhundert sind bis 1524 22 Ausgaben (Teilausgaben eingerechnet) nachweisbar, davon allerdings 14 Ausgaben im ersten Jahrzehnt. Der Index Aureliensis. Catalogus librorum sedecimo saeculo impressorum, Bd. 1ff., Baden-Baden 1964ff., vermeldet international für 1500 bis 1524 150 Ausgaben, für den Rest des Jahrhunderts dann nur noch elf Ausgaben. Auch das spricht eine deutliche Sprache: Das Doctrinale spielte hinfort keine Rolle mehr. 25 Vgl. einen Beleg 1509 für Graf Wilhelm von Waldeck, der in der Laurentianerburse sein artes-Studium absolvierte und die Grammatik des Hermann Torrentinus, die Briefe des Filelfo, Vergils Bucolica und die Moralia Catonis benutzte, HUYSKENS, Albert: Junggraf Wil-
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gers Aldus Manutius zwischen 1517 und 1556 mehrfach erschienen. Nicht alle in dem Entwurf genannten Texte finden allerdings eine Berücksichtigung: Die Grammatik des Mancinelli erscheint nicht in Köln, umgekehrt endet die Überlieferung der Grammatik des Perotti, die im 15. und besonders 16. Jahrhundert mehrfach gedruckt wurde, gerade 1524, als sie empfohlen wurde. Ähnliches gilt für die Werke des Filelfo und des Baptista Mantianus. Die Werke von Perotti und Baptista hatten nach Auskunft der Druckhäufigkeit 1525 längst den Zenit ihres Erfolges überschritten. Man kann also auch bei den humanistischen Texten von einem gewissen konservativen Zug sprechen. Natürlich muss man in Rechnung stellen, dass nicht nur gedruckte Bücher aus Köln, sondern auch über den Buchhandel von auswärts bezogene benutzt wurden. Aber dennoch zeigt sich im Sinne unserer Fragestellung nach viel benötigter Studienliteratur schon ein bedarfsmäßiges Schwergewicht. Insgesamt ist festzustellen, dass in Kölner Verlagshäusern des 16. Jahrhunderts eine Fülle humanistischer Texte erschienen ist. Die Hittorff und Alopecius, Soter und Cervicornus sind hier besonders zu nennen, aber das gilt für viele andere mehr. Quentell ist in seiner Produktion ambivalent, er arbeitet sowohl für die Laurentianer wie die Montaner, druckt scholastische und humanistische Texte und ebenso für die frühe Reformation und die katholische Reform. Das war für einen geschäftstüchtigen Drucker nichts Ungewöhnliches. Wir halten als bisheriges Fazit fest: Gedruckte wissenschaftliche Literatur und Schulbücher gehören schon in der Inkunabelzeit zum Schulalltag, wenngleich sie sich erst langsam und unterschiedlich stark durchsetzen, da sie von einzelnen Initiativen abhängig waren. Dies nimmt im 16. Jahrhundert sehr deutlich zu, die Zahl der im Kölner Buchdruck erscheinenden wissenschaftlichen und Schulbücher ist Legion.
2. Lehrbücher als Quelle für Unterrichtsinhalte Es gab in Köln eine außergewöhnlich enge Verbindung der Gymnasien, die aus den Bursen hervorgingen, mit der Artesfakultät, ja ab 1577 bildeten die Oberklassen der drei Kölner Gymnasien (Tricoronatum, Laurentianum, Montanum) gemeinsam die Artistenfakultät. Schulunterricht und universitäre Bildung gingen also sehr konkret ineinander über. Die Lehrbücher sind neben den Lektionsplänen eine wichtige Quelle für die Unterrichtsinhalte. Sie vermitteln Kenntnisse, die wir aus den Akten nicht immer ermitteln können.26 Ihre Veränderungen im Laufe der Auflagen registrieren einen Wandel im Bildungsdenken und in der Schulpraxis. Andererseits sind Schulbücher wie heute kein Bibliotheks-, sondern Gebrauchsgut, das dem Verhelm von Waldeck an der Universität Köln 1609/10, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 97 (1915), S. 78–110, hier S. 84f. 26 Vgl. die Argumentation von KUCKHOFF, Josef: Die Geschichte des Gymnasium Tricoronatum. Ein Querschnitt durch die Geschichte der Jugenderziehung in Köln vom 15. bis zum 18. Jahrhundert (Veröffentlichungen des Rheinischen Museums in Köln 1), Köln 1931, S. 367.
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schleiß unterliegt.27 Wir haben daher im Verhältnis zur ursprünglichen Zahl nur noch geringe Nachweise von Exemplaren, die umso kostbarer sind. Der Buchdruck erlaubte örtliche und ortsübergreifende Vereinheitlichungen und Belieferungen. Waren im 15. und beginnenden 16. Jahrhundert noch die Texte laut Kolophon ausdrücklich für den Gebrauch in einer Burse gedacht,28 so ändert sich das allmählich, auch wenn es nach wie vor Lehrbücher für den speziellen Gebrauch an einem Gymnasium gab. Innerhalb Kölns ist es aber bemerkenswert, dass die drei konkurrierenden Gymnasien trotz aller Bemühungen um ein eigenständiges Profil immer wieder die Tendenz zu gemeinsamen Lehrbüchern und gemeinsamen Klassikertexten zeigten. Eine zeitgenössische Stimme, nämlich einer der bedeutenden Humanisten des Niederrheins, Matthias Bredenbach, bringt das in seiner Apologia zum Ausdruck: „Einen großen Übelstand bildet die Mannigfaltigkeit der Lehrbücher. Jede Schule hat ihren besonderen Katechismus, ihre eigene Grammatik und Dialektik. Der Kaiser und die deutschen Fürsten sollten sich dahin einigen, daß im ganzen Reiche nur ein Katechismus dem Unterricht zu Grunde gelegt wird. […] Ebenso sollte man aus den vielen Grammatiken eine gute und kurzgefaßte auswählen und unter Androhung von Strafe den Lehrern aufgeben, nur diese eine zu benutzen. Es hemmt nämlich den Fortschritt der Schüler sehr, wenn sie beim Übergang von der einen Schule zur andern gezwungen sind, eine neue Grammatik vorzunehmen. In der Dialektik sind die Nachteile geringer.“ 29 Für eine Vereinheitlichung arbeiteten namentlich die Jesuiten.30 Sie hatten für ihren Orden ein übergreifendes einheitliches Bildungs- und Erziehungssystem 27 Vgl. KUCKHOFF: Geschichte (wie Anm. 26), S. XIX: Schulbücher „sind ganz außerordentlich selten geworden. Das gilt für die ganze Zeit der Wirksamkeit des Tricoronatums. Die Bibliotheken der alten rheinischen Jesuitenschulen sind vielfach auseinander gerissen worden. Abgesehen davon, dass dabei große Schätze verlorengegangen sind, scheint auch festzustehen, dass in diesen großen Büchersammlungen Schulbücher nicht eingestellt waren. Das Tricoronatum wenigstens hatte eine eigene Schulbibliothek. Da diese im Jahre 1727 sicher durch den großen Brand zerstört wurde, ist nicht verwunderlich, dass sich in Köln fast gar keine Schulbücher mehr finden. Auch die alte Koblenzer Gymnasialbibliothek [...] hat fast gar keine Schulbücher [...]. Auch die alten Bücherbestände der übrigen alten rheinischen Jesuitenschulen bieten in dieser Beziehung sehr wenig Material. Etwas mehr Schulbücher des Tricoronatums finden sich noch in der Stiftsbibliothek in Xanten und in der Bibliothek des alten Augustinerklosters [...] in Gaesdonck. Die Schulbücher des 18. Jahrhunderts (1761 und 1782) sind noch für alle Klassen in der Bibliothek des Dreikönigsgymnasiums erhalten.“ 28 Copulata Petri Hyspani secundum processum Burse Laurentii, 1488 = Commentum sex tractatuum Petri Hispani (VK 443). Gerhard bestimmte seinen Kommentar ausdrücklich für den Lehrbetrieb an seiner Burse, wie er es auch mit seinen Kommentaren zur „Ars vetus“ und „Ars nova“ des Aristoteles tat (VK 438–440). 29 Zit. nach der dt. Übersetzung von Mertens in DISSELBECK, Hermann (Hrsg.): 1200 Jahre Gymnasium Emmerich, Emmerich 1932, S. 149; lat. Text bei BREDENBACH, Matthias: Apologia, Köln: Maternus Cholinus 1557 (VD 16 B 7362). 30 „Bald stellte sich das Bedürfnis heraus, für die einzelnen Gymnasien der Provinz in Bezug auf die zu benutzenden Bücher eine gewisse Einheitlichkeit anzustreben. Bei der Provinzialkon-
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durch die „Ratio studiorum“ von 1599 geschaffen.31 1628 erhielt die niederrheinische Ordensprovinz nach dem Beispiel der oberdeutschen einen Normallehrplan mit Minimalforderungen, in der Stoffverteilung gewann offenbar die des Tricoronatums Vorbildfunktion.32 Von Jesuiten herausgegebene oder verfasste Lehrbücher wurden die Regel und lösten ältere Texte ab. Das gilt für die Rhetorik des Cyprian Soarez, der schon in den Lektionsplänen von 1576 und 1578 das Buch des Franzosen Nicolaus Gulonius ersetzt, das Rhetius eingeführt hatte.33 Die Stilistik des Jakob Pontanus „Progymnasmata latina“ trat an die Stelle von Erasmus’ von Rotterdam „De duplici copia verborum et rerum“, der als häretisch verbannt wurde. Pontanus löste auch das gleichnamige Buch des römischen Jesuiten Andreas Frusius ab.34 Von Pontanus’ Werk wurden aber, da es zu umfangreich war, Auswahlausgaben für die Klassen produziert. Die Lehrbücher der alten Humanisten verschwanden, selbst bei den Klassikerausgaben wurden nach Möglichkeit nur die von Jesuiten besorgten verwendet.35 In der Philosophie blieben aber die alten, seit Jahrhunderten von der Universität Köln vorgeschriebenen Stoffe. Obwohl Montanum und Laurentianum bewusst weiter nichtjesuitische Lehrbücher und die der Humanisten verwendeten, mussten sie häufig den Jesuiten zähneknirschend nachgeben, die immer wieder mit Hinweis auf ihre überregionalen Verpflichtungen auf den von ihnen bevorzugten Lehrbüchern bestanden.36 Ein Beispiel:
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gregation der rheinischen Provinz im Jahre 1573 wurde am 18. Januar der Beschluß gefasst, daß die Kollegien der Provinz über die hauptsächlichen Schulautoren auch in den humanistischen Fächern eine Vereinbarung treffen sollten, damit dieselben Autoren in allen Kollegien gelesen und rechtzeitig gedruckt würden.“, DUHR, Bernhard: Geschichte der Jesuiten in den Ländern deutscher Zunge, 4 Bde., Freiburg/München/Regensburg 1907–1928, hier Bd. 1, S. 252; der Katalog der Autoren ebd., Anm. 5. Druck in Mainz bei Balthasar Lippius 1600; Edition bei DUHR, Bernhard: Die Studienordnung der Jesuiten (Bibliothek der katholischen Pädagogik 9), Freiburg 1896. FUHRMANN: Bildung (wie Anm. 1), S. 25, hebt die entscheidende Bedeutung der Jesuiten für das Erziehungswesen hervor, die ein strikt einheitliches Regiment mit hunderten von Lehranstalten schufen: „Ihnen gelang zum ersten Male eine großflächige Vereinheitlichung des Unterrichtswesens im Stil eines modernen europäischen Staates.“ KUCKHOFF: Geschichte (wie Anm. 26), S. 343. Ausgaben bei Maternus Cholinus in Köln 1570, 1577, 1579, 1582, 1586, 1590 (VD 16 S 1065–1069, 1071), daneben Ausgaben in Frankfurt a. M. 1589 und Ingolstadt 1596. De utraque copia verborum et rerum praecepta, Köln: Maternus Cholinus 1558 (VD 16 D 598; Ausgabe 1568: VD 16 D 600). Die Rheinische Provinzialkongregation von 1597 regte die Herausgabe von guten Kommentaren zu den Dichtern und Autoren der Studienordnung an, zumal wenn keine vorhanden waren, DUHR: Geschichte (wie Anm. 30), Bd. 1, S. 653, nach Acta Congr. Prov. X, 202. Auch Rhetius setzte sich in Köln für die Verbreitung und Verbesserung der Schulbücher ein, ebd., S. 770. Ausgaben des Alvarus aus den Jahren 1669–1701 trugen den Titelzusatz „Trium Coloniensis Academiae Gymnasiorum consensione recepta“, KUCKHOFF: Geschichte (wie Anm. 26), S. 193f. Man hielt am Montanum lange an Büchern fest, die bei den Jesuiten durch Werke je-
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Die Jesuiten hatten andernorts die Grammatik des Jesuiten Emanuel Alvarus eingeführt. Sie war von ihrer berühmten Vorgängerin, der des Despauterius, abhängig, die bis zum Ende des 16. Jahrhunderts am ganzen Niederrhein und in allen Jesuitenschulen der Welt im Gebrauch stand und in Methode und Versen an die des Alexander de Villa Dei angeknüpft hatte.37 Alvarus’ Werk charakterisiert sich im Grunde genommen nur als eine Bearbeitung des Despauterius, wie noch die Ausgabe von 1773 bei Schauberg dokumentiert. Die beiden anderen Gymnasien bevorzugten stattdessen das Werk des Simon Verepäus, der ebenfalls die umständliche und schwere Grammatik des Despauterius veränderte und erleichterte. Eine gekürzte Neuausgabe des Despauterius von Verepäus wurde in Köln gedruckt und benutzt. Aber Laurentianum und Montanum sahen sich durch die unnachgiebige Haltung der Jesuiten 1596 gezwungen, ebenfalls die Grammatik des Alvarus einzuführen.38 Ähnliches gilt für die Übernahme der griechischen Grammatik des Gretser.39 Einige der Lehrbücher (nicht alle) waren dann erstaunlich lange, manchmal Jahrhunderte in Gebrauch! Alvarus’ Grammatik erschien zum Beispiel bis zum Untergang der
suitischer Autoren abgelöst worden waren. Lehrbücher der Humanisten Johannes Murmellius, in der Bearbeitung von Heinrich Schmitz, und Simon Verepaeus wurden dort bis in das 18. Jahrhundert verwendet; Lehrbücher von Cornelius Valerius und Aldus Manutius wurden noch in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zumindest vorübergehend benutzt. 37 Erste Ausgabe in Lissabon 1572; eindeutig hat Dillingen die Dominanz in der deutschen Textüberlieferung des 16. Jahrhunderts. Es erschienen dort verschieden umfangreiche Ausgaben 1579, 1580, 1583 (2x), 1585, 1588, 1589, 1592, 1595, 1598, 1599 (VD 16 A 2070–2079). Erst 1596 erschien eine Ausgabe in Köln bei Birckmann-Mylius (VD 16 A 2080). 38 MEUTHEN: Universitätsgeschichte (wie Anm. 18), S. 364; Ausgaben bei FÖHL, Hildegard/ BENGER, Anita: Katalog der Stiftsbibliothek Xanten, Kevelaer 1986, S. 11; KUCKHOFF: Geschichte (wie Anm. 26), S. 194, der die recht dramatischen Umstände schildert, unter denen die Jesuiten die Grammatik des Alvarus durchsetzten (nach Historisches Archiv der Stadt Köln [HAStK], Best. 150 (Universität), U 157 (Dekanatsbuch), fol. 209v); die bei Arnold Mylius gedruckte Ausgabe von 1596 findet sich in Xanten, Stiftsbibliothek, Nr. 3525. Der Kölner Satiriker Heinrich Lindenborn, einst Schüler des Tricoronatums, nimmt diese Dominanzfixiertheit der Jesuiten in seinem „Der die Welt beleuchtende Cöllnische Diogenes“ (Köln: Schauberg 1740/41, 21742) auf die Schippe; in den Beleuchtungen tritt Simon Verepäus auf: „Er ist Türhüter und beklagt sich darüber, daß gewisse Leute ganz unten am Aufgang zum Parnaß eine Zollschranke widerrechtlich aufgerichtet hätten. Des Verepäus Verskunst wurde damals noch in Köln am Montanum gelehrt. Es sollte also hier das Bestreben der Jesuiten getroffen werden, für ihre Schulbücher ein Monopol zu schaffen.“, KUCKHOFF: Geschichte (wie Anm. 26), S. 470. 39 Hiervon gab es laut VD 16 nur zwei Ingolstädter Ausgaben von 1593 und 1595 (VD 16 G 3218–3219) und offenbar damals noch keine in Köln erschienene. Gretser folgt der Grammatik des Clenard in Aufbau, z.T. in der Argumentation wörtlich; der Erstdruck in Köln nach KUCKHOFF: Geschichte (wie Anm. 26), S. 369, erfolgte 1615 bei Gerhard Grevenbroich und löste die Arbeiten von Clenard, Varennius und Vergara ab.
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Jesuitenschulen in Köln in unzähligen Auflagen40 und das gilt ebenso für die griechische Grammatik von Gretser. Wie bei den Lehrbüchern gab es bei den Gebetbüchern zumindest zwischenzeitlich das Bestreben, zu einer Vereinheitlichung zu kommen: Gegen Ende des 17. Jahrhunderts (1692) erschien ein für alle drei Gymnasien zusammengestelltes Gebetbuch mit dem Titel „Oratorium gymnasticum Coloniense ex precibus selectioribus in gratiam Montis, Laurentiani, Tricoronati aedificatum a Wolfgango Boeclero“, bearbeitet vom Kanoniker an St. Aposteln Wolfgang Boecler.41 Es besteht kein Zweifel, dass solche Vereinheitlichungstendenzen den Druckern entgegenkamen. Sie hatten bei einer einheitlichen Ausgabe für alle Gymnasien den gleichen Absatz an Exemplaren bei weniger Arbeit, sie sparten nämlich den mehrfachen aufwändigen Satz. Diese Texte weisen sich häufig auf dem Titelblatt ausdrücklich speziell für den Schulgebrauch aus. Als Besonderheit gegenüber heute dürfen wir die Sammellehrbücher ansehen.42 In der Tradition der Humanistenschulen und nach dem Brauch der Pfarrschulen in Köln nachweisbar seit der Mitte des 16. Jahrhunderts hatten die unteren Klassen nur ein Schulbuch, das für jedes Jahr aus den vorgesehenen Teilen der Grammatiken und der Lektüre zusammengesetzt wurde. Sinnvollerweise hatten alle Faszikel bis in den Anfang des 18. Jahrhunderts ein für alle Schulen gleiches Format (8°). Daher konnten Lehrbücher aus Texten verschiedener Druckereien und für verschiedene Anstalten zusammengebunden werden. Solche Sammellehrbücher konnten Auszüge aus Sprachlehrbüchern, aus klassischen Werken und aus biblischen oder katechetischen Texten vereinigen.43 Überwiegend wurden Klassikerausgaben gelesen, die von Jesui40 Z. B. die „Rudimenta grammaticae latinae ex probatissimis scriptoribus selecta in faciliorum usum gymnasiorum Coloniensium excusa“, im 18. Jahrhundert mehrere Ausgaben, vgl. FELLMANN, Dorothea: Das Gymnasium Montanum 1550–1798. Zur Geschichte der Artes-Fakultät der alten Kölner Universität (Studien zur Geschichte der Universität zu Köln 15), Köln 1999, S. 102, Anm. 451; Ausgabe von 1739 in Sammellehrbuch enthalten, USB Köln Grün 1371. Im 17. Jahrhundert wurde für das Griechische an allen drei Gymnasien die Grammatik des Jakob Gretser verwendet. Matthaeus Hoen schuf im 17. Jahrhundert Lehrbücher zur aristotelischen Philosophie insb. den Logikkurs für alle Kölner Gymnasien. „Hoen kritisiert, bisher habe jedes Gymnasium den Unterrichtskanon für die Beschäftigung mit Aristotelestexten ohne Abstimmung mit den anderen Gymnasien zusammengestellt und gegliedert. Dies habe zu Schwierigkeiten bei den Prüfungen geführt. Daher sehe er keine andere Möglichkeit, als sich auf eine einheitliche Gliederung in Bücher und Kapitel und auf einheitliche Frage- und Antwortschemata zu einigen.“, FELLMANN: Gymnasium, S. 199. 41 Bei Alstorff; BÜLLINGEN, Ludwig von: Annales typographici Colonienses (handschriftl. Bibliographie des Kölner Buchdrucks in der USB Köln), Bd. 4, fol. 349f.; KUCKHOFF: Geschichte (wie Anm. 26), S. 498, Anm. 104. 42 KUCKHOFF: Geschichte (wie Anm. 26), S. 352, 360, 371. 43 Beispiele für Sammellehrbücher: KUCKHOFF: Geschichte (wie Anm. 26), S. 168, Anm. 22: Sammelband mit Klassikertexten in Xanten, Stiftsbibliothek, Nr. 3606; ebd., S. 343f., Anm. 2: verschollenes Sammellehrbuch aus dem 17. Jahrhundert (1655–1660), das offenbar am Montanergymnasium verwendet wurde. Es enthielt mehrere für den Unterricht relevante
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ten besorgt worden waren und wie die Lehrbücher zumeist in Köln zum Druck kamen. Diese Sammellehrbücher sind relativ selten und weit verstreut, es würde sich lohnen, sie einmal systematisch aufzulisten und auf ihre Zusammenstellung zu untersuchen. Eine Neuerung und Konsequenz aus dieser Tradition der Sammellehrbücher zog man um die Mitte des 18. Jahrhunderts, als alle drei Kölner Gymnasien spezielle Schulbücher mit dem gesammelten Lernstoff von den klassischen Sprachen über Deutsch und Mathematik bis zur Religion von vornherein in einem Band drucken ließen.44
Texte, darunter auch von Torrentius herausgegebene Evangelien und Episteln; ebd. S. 179, 372: Schulbücher des Heinrich Fuist aus Goch aus dem Tricoronatum 1589 befinden sich in Gaesdonck; ein Exemplar stammt vermutlich aus dem Montanum; ebd., S. 371f. mit Anm. 60: in der Gymnasialbibliothek Koblenz finden sich MURMELLIUS: Einführung in die lateinische Formenlehre, Köln: Johann Gymnich 1541, und Einführung in die Verskunst, Köln: Martin Gymnich 1545, daran: NOVIOMAGUS, Johann: Rechenkunst, Köln: Johann Gymnich 1545, und ein Büchlein über Anfangsgründe des Griechischen, Köln: Martin Gymnich 1546, vielleicht für das Montanum; Kölner Sammelbuch in Gaesdonck aus etwas späterer Zeit mit griechischem Paulusbrief an die Römer, Sallusts Catilina in der Ausgabe des Rivius und Melanchthon, Köln: Gualterus Fabritius 1560, Suetons Nero, Ciceros Officien, Köln: Soter 1555; weiterer Sammelband aus dem Tricoronatum mit Ciceros Epistolae familiares, Werken des Montanerregenten Gerhard Mathisius und der Summa doctrinae Christianae des Canisius in der Stiftsbibliothek Xanten; Sammellehrbuch des Laurentianum aus dem 18. Jahrhundert in Gleuel. Von Jesuiten bearbeitete Klassikertexte fanden laut einem am Montanum benutzten Sammellehrbuch mit zwischen 1689 und 1707 gedruckten Texten Verbreitung: Es enthält Reden Ciceros in Bearbeitung des schottischen Jesuiten Alexander Scotus, der sich an dem Rhetoriklehrbuch des Jesuiten Cyprianus Soarius orientierte, FELLMANN: Gymnasium (wie Anm. 40), S. 89, vgl. Exemplar in der USB Köln: PP 9/822. In der Rhetorikklasse wurden vor allem Horaz’ ‚Carmina‘ und Dramen Senecas gelesen, aber offenbar auch für den Schulgebrauch gereinigte Gedichte von Juvenal und Persius, vgl. Sammellehrbuch in der USB Köln: PP 9/823. „Wie eine Ausgabe der Grammatik nach Alvarus so gestaltet werden konnte, daß sie über mehrere Jahre hin unterrichtsbegleitend zu verwenden war, lehrt der Blick in ein Sammellehrbuch des Montanum, das unter anderem einen Teil des Syntaxlehrbuchs von Alvarus in einer Ausgabe von 1734 enthält. Dieses Lehrbuch ist so aufbereitet, daß es in den drei unteren Klassen eingesetzt werden konnte; im Anschluß an die bereits für die Infimisten wichtigen Regeln folgen abschnittsweise jeweils drei verschiedene Arten von Appendizes, die sich typographisch von dem Hauptregelwerk abheben und nur für den Unterricht in der Grammatik- bzw. Syntaxklasse gedacht waren, wie der Drucker in einer kurzen Vorrede erläuterte.“, FELLMANN: Gymnasium (wie Anm. 40), S. 91, vgl. Sammellehrbuch im Oratorium Kevelariense: Sign. 2314; ein weiterer Sammelband 1768–1770 findet sich in Kölnisches Stadtmuseum, Sign. D 356; diese Information verdanke ich Frau Beatrix Alexander von der Bibliothek des Stadtmuseums Köln. 44 Z. B. Praelectiones Scholasticae pro Classe Rhetorices, Köln: Everaerts 1782 (Diözesan- und Dombibliothek Köln, Lit. 805).
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3. Absatzmärkte und Druckorte im Rheinland Eine erhebliche Erweiterung des Absatzmarktes bedeutete es natürlich für die Kölner Druckereien, wenn sie Texte nicht nur für die Universität und die Gymnasien der Reichsstadt herstellten, sondern zugleich für das Umland. Bei der starken Verbindung der rheinisch-westfälischen Gymnasien mit der Kölner Universität45 und bei der Dominanz der Verlags- und Druckstadt Köln ist es nicht verwunderlich, dass am Niederrhein und im südlichen und nordöstlichen Umkreis der Stadt Köln hier gedruckte Schulbücher Verwendung fanden. Der Jesuitenorden hatte das in der Ordensprovinz geradezu zur Vorschrift gemacht und dieser Brauch wird für Trier noch im 18. Jahrhundert bezeugt.46 Im Zusammenhang mit den Bemühungen, die aus dem 16. Jahrhundert überkommenen Inhalte und Strukturen zeitgemäß zu reformieren, erhielt der Kölner Regens Hartzheim 1729 den Auftrag des Provinzials, in Abstimmung mit Sachverständigen aus anderen Kollegien Vorschläge für die Einführung neuer Schul- und Lehrbücher in der Ordensprovinz zu machen. Ein Bezug aus dem internationalen Buchmarkt war natürlich generell möglich, hier boten Deventer und Antwerpen mit ihren Pressen eine Alternative. Generell aber gilt, dass Köln seine beherrschende Position als Druckzentrum am Niederrhein behaupten konnte, obwohl die Reformation neues theologisches und liturgisches Schrifttum mit sich brachte, das für Köln kein Verlags- und Handelsobjekt werden konnte. Wir haben bis heute nur einen unvollkommenen Überblick über die Druckproduktion der vielen kleineren Städte im weiteren Umkreis von Köln. Diejenige der Residenzstadt Düsseldorf ist jetzt in einer verdienstvollen Bibliographie aufgelistet worden und verzeichnet für 250 Jahre gerade einmal 862 Titel,47 wo doch allein in Köln zwischen 1465 und 1500, also in der Frühzeit und weniger als einem halben Jahrhundert über 1200 Titel verlegt worden sind. Das gibt schon einen deutlichen Hinweis auf den Quantitätsunterschied. Typisch ist für die meisten dieser kleinen 45 Zu den außerkölnischen Gymnasien und ihren Beziehungen nach Köln vgl. MEUTHEN: Universitätsgeschichte (wie Anm. 18), S. 258–262. 46 KUCKHOFF: Geschichte (wie Anm. 26), S. 612: „Die Ausgabe der neuen Schulbücher, die nach der hergebrachten Übung für die ganze niederrheinische Ordensprovinz Geltung hatten, verursachte einige Aufregung. Der Weihbischof Hontheim in Trier berichtete im Jahre 1763 seinem Kurfürsten Johann Philipp, die Jesuiten hätten im Jahre 1761 die Schulbücher für die drei unteren Klassen geändert und ständen im Begriffe, auch die für die oberen neu herauszugeben. Auch die Trierer Schule beziehe diese Bücher aus Köln, und die Jesuiten verdienten an dem Vertrieb jedes Jahr einige hundert Taler. Solcher Handel passe sich nicht für Geistliche. Deshalb sollten nur Bücher zugelassen werden, die im Erzstift Trier gedruckt seien. So wurde denn die weitere Einfuhr der Kölner Bücher verboten, und der Kurfürst ordnete die Ausgabe von neuen und der modernen Geistesrichtung mehr entsprechenden Lehrbüchern für Trier und Koblenz an. Das war ein empfindlicher Schlag gegen die Vormachtstellung des Tricoronatums am Rhein.“ 47 Darunter sind auch einige Schulbücher, vgl. Verzeichnis Düsseldorfer Drucke 1555–1806 (Schriften der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf 39), Wiesbaden 2005.
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Druckorte der relativ späte Beginn der Drucktätigkeit, keine gesicherte Kontinuität durch die Jahrhunderte und im Verhältnis wenige Drucke. Das gilt auch für Emmerich, das über eine sehr bedeutende Schule mit einem deutlich humanistisch geprägten Unterricht im 16. Jahrhundert verfügte. Der schon genannte Matthias Bredenbach orientierte sich als Rektor (1534–1559) beim Erstellen von Lehrplänen und bei der Wahl von Lehrbüchern am Kölner Jesuitengymnasium.48 Die beiden Schulen beschlossen, gemeinsame Lehrpläne und Lehrbücher zu benutzen und dabei allerdings den (mittlerweile suspekten und dann indizierten) Erasmus durch das in Köln eingeführte Handbuch für den lateinischen Sprachunterricht des Jesuiten Andreas Frusius „De utraque copia“ zu ersetzen.49 Bredenbachs Nachfolger Heinrich Uranius (1559–1572) schrieb ein „Compendium Hebraeae grammaticae“, das in einem Kölner Verlag erschien ( Jakob Soter für Walther Fabritius 1559) und ein Auszug aus der griechischen Grammatik Gretsers mit speziellem Bezug zur Emmericher Schule wurde ebenfalls in Köln gedruckt.50 In der Reichsstadt Aachen hat der Buchdruck erst spät, Mitte des 17. Jahrhunderts, eine dauernde Ansiedlung gefunden.51 Bekannt ist die Herstellung von Theaterprogrammen für das Jesuitengymnasium durch den aus Köln übergesiedelten Anton Metternich 1671; der spätere Johann Heinrich Clemens engagierte sich unter anderem für das Jesuitengymnasium in Jülich (1683) und sein Nachfolger Petrus Clemens (1691) für das Aachener Jesuitentheater. Die Schulbücher dürften innerhalb der Ordensprovinz aus Köln bezogen worden sein. Wieder anders war die Lage in der kurfürstlichen Residenzstadt Bonn. Dort können wir seit der Mitte des 17. Jahrhunderts kontinuierlich eine Hof-Buchdruckerei nachweisen, die im wesentlichen für den Bedarf des Hofes und Staates, aber gelegentlich darüber hinaus vereinzelt Werke herstellte. Darunter waren häufiger solche für das Bonner und das Münstereifeler Jesuitentheater, seltener Schulbücher, allerdings nicht für die Jesuitenschule, und Disputationsthesen für die Minoriten.52 Fer48 Vgl. ULRICH, Herbert: Matthias Bredenbach (1499–1559). Lebensbild eines niederrheinischen Humanisten. Ein Beitrag zur Reformations- und Schulgeschichte, Emmerich 1984, S. 24f., 260; FELLMANN: Gymnasium (wie Anm. 40), S. 154. 49 DUHR: Geschichte (wie Anm. 30), Bd. 1, S. 244 mit Anm. 2. 50 URANIUS, Heinrich: Compendium Hebraeae grammatices, Köln: Soter für Fabritius 1559 (VD 16 U 214). Compendium Paradigmatum graece declinandi et componendi pro schola Embricensi, Köln 1566; vgl. KUCKHOFF: Geschichte (wie Anm. 26), S. 367, Anm. 54. 51 RESKE, Christoph: Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet, Wiesbaden 2007, S. 1f.; PAULS, E.: Beiträge zur Geschichte der Buchdruckereien, des Buchhandels, der Censur und der Zeitungspresse in Aachen bis zum Jahre 1816, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 15 (1893), S. 97–235; MUMMENHOFF, Wilhelm: Verschollene Aachener Zeitungen des 17. Jahrhunderts und ihre Drucker, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 62 (1949), S. 83–96. 52 RESKE: Buchdrucker (wie Anm. 51), S. 113–115; HENSELER, Theodor Anton: Beiträge zur Geschichte des Bonner Buch- und Zeitungsverlages, in: Bonner Geschichtsblätter 7 (1953), S. 7–60.
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dinand Rommerskirchens Tätigkeit intensivierte sich mit der Errichtung der so genannten Maxischen Akademie aus Mitteln des aufgelösten Jesuitenordens und er wuchs so in die Rolle eines Akademie-Buchdruckers hinein, die dann erst sein Nachfolger Johann Friedrich Abshoven offiziell übertragen bekam. 1784 wurde er Universitäts-Buchdrucker, der Schwerpunkt seiner Arbeit lang von Anfang an auf Veröffentlichungen für die Bonner Akademie und Universität („Typographia Academico-Aulica“), mit kurzen Thesendrucken, umfänglichen Dissertationen und Kompendien. Auch das Gymnasium ließ alljährlich ‚Exercitationes‘, öffentliche Proben und allerlei Schulbücher bis in die 1790er-Jahre hinein bei ihm drucken. Deutlich wird aber zugleich die begrenzte Ausstattung der Druckerei, die keine griechischen und hebräischen Lettern besaß, sehr zum Ärger der Professoren, die „so oft sie etwas dem Druck übergeben wollen, so müssen sie es ins Ausland schicken“,53 und damit war überwiegend die benachbarte Reichsstadt Köln gemeint. Abshovens Rechte und Pflichten als Akademie- bzw. Universitätsdrucker sind im Privileg vom 28. November 1777 niedergelegt: Alle kleineren Akademie-Abhandlungen müsse er unentgeltlich drucken, das Papier werde von der Akademie geliefert; er habe das Alleinverkaufsrecht aller bei der Akademie vorgeschriebenen Bücher und das Alleinverlagsrecht für alle kurkölnischen Schulbücher mit der Verpflichtung, diese so billig wie möglich zu vertreiben. Das ganze rechnete sich für Abshoven nicht. Großen Gewinn konnten diese über 40 Akademie- und Universitätsschriften nicht bringen, denn ihre Auflagenhöhe war zu klein.54 Duisburg verdankt seine Offizine der 1655 gegründeten Universität, obwohl sie immer sehr klein blieb und nicht über 120 bis 150 Studenten hinauskam. Wegen des konfessionellen Gegensatzes zu Köln war eine eigene Druckerei in Duisburg offenbar sinnvoll. Gerhard Mercator hatte im 16. Jahrhundert wohl keine Druckerei in Duisburg, sondern ließ seine qualitätvollen Erzeugnisse in Köln drucken. Nach 1655 druckte man in Duisburg philosophische und theologische Disputationen, Dissertationen und Universitätsschriften.55 Interessant ist der Vertrag zwischen Samuel van Diest und der Universität von 1664, in der er sich verpflichtete, neue Typen aus 53 Brief des Universitätskurators von Spiegel zum Diesenberg an den Kurfürsten vom 27.02.1794, zit. nach HENSELER: Beiträge (wie Anm. 52), S. 31. Das zeigt generell das Problem solcher Druckereien, die für große wissenschaftliche Abhandlungen mit speziellem Typensatz zu schlecht ausgestattet waren. Über die Klagen auch REUTER, Wolfgang: Zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Buchdruckgewerbes im Rheinland bis 1800 (Köln – Bonn – Düsseldorf ), in: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, Frankfurter Ausgabe 14 (1958), S. 129–223, hier S. 180f. 54 REUTER: Sozialgeschichte (wie Anm. 53), S.180f. 55 RESKE: Buchdrucker (wie Anm. 51), S. 171–174; MENNENÖH, Peter J.: Duisburg in der Geschichte des niederrheinischen Buchdrucks und Buchhandels bis 1820 (Duisburger Forschungen. Beiheft 13), Duisburg 1970, S. 29; KOMOROWSKI, Manfred: Duisburger Universitäts- und Personalschriften des 17. und 18. Jahrhunderts, in: GARBER, Klaus (Hrsg.): Stadt und Literatur im deutschen Sprachraum der frühen Neuzeit, Bd. 1, Tübingen 1998, S. 156– 180.
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Amsterdam zu beschaffen, um hebräische und griechische Drucke herstellen zu können. Dazu kam es dann aber nicht.56 Wesel hatte bis zum Ende des 17. Jahrhunderts nur eine unzusammenhängende, wenig bedeutende Buchdrucktradition mit wenigen Drucken, auszunehmen ist lediglich die Produktion von Derick van der Straten (1546–1565). An Drucken im engeren Bildungsbereich ist überliefert das „Programma de Schola Vesaliensi publica“ von Quirinus Rheinerius 1545, gedruckt von Johann von Kempen, der sonst in Köln bezeugt ist, so dass man diesen Druck gern in Köln beheimatet und Wesel als fingiertes Impressum betrachtet.57 Die Folge der religiösen Spaltung war, dass die bisher weit überwiegend in Köln studierenden jungen Weseler nunmehr auch in den drei protestantischen Universitäten Marburg, Wittenberg und Heidelberg studierten. Es bleibt zu prüfen, wieweit damit Köln als Druckort von Weseler Schulbüchern ausfallen dürfte. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts konnte der rührige Weseler Buchhändler und seit 1766 Drucker F. J. Roeder den Verlag von Schulbüchern an sich bringen, soweit es zu eigenen Schulbüchern im Herzogtum Kleve überhaupt gekommen ist.58 In Münster ist seit 1485 mit größeren Unterbrechungen gedruckt worden. Erst nach 1510 begann der Buchdruck mit aus Köln bezogenen Zellschen Typen neu und im 16. Jahrhundert ist die Herstellung von Schulliteratur mehrfach nachweisbar. Die eigentlichen Schultexte sind bei der Jesuitenschule offenbar wieder aus Köln bezogen worden. Dietrich Tzwyvel (1512–1533) ist aber dafür bekannt, dass er lateinische Lehrbücher und Texte zum Gebrauch an den humanistischen Schulen gedruckt hat.59 Eine singuläre Nachricht finden wir schließlich für Wickrath. Als der Dekan der Kölner Artistenfakultät erfuhr, dass 1599 eine Neuausgabe des Etymologie-Teils der Grammatik von Alvarus in der Druckerei der Witwe Gymnich erschienen war, ließ er den Herausgeber ermitteln: Es war ein Magister aus Wickrath (vermutlich Johannes Buchler, der damals in Wickrath eine Schule leitete), der den Text für seine Partikularschule neu bearbeitet hatte. Für uns ist es ein Beleg für den eigenständigen Gebrauch von Kölner Schulbüchern im Umland! Die Fakultät nahm eine Neuausgabe vor und verpflichtete Schüler und Lehrer bei Strafe auf diese Ausgabe, ein Zeichen für die Tendenz zur Einheitlichkeit bei den Kölner Gymnasien.60
56 RESKE: Buchdrucker (wie Anm. 51), S. 173. 57 RESKE: Buchdrucker (wie Anm. 51), S. 957–962; MENNENÖH: Duisburg (wie Anm. 55), S. 15 mit Anm. 61. 58 MENNENÖH: Duisburg (wie Anm. 55), S. 85. 59 RESKE: Buchdrucker (wie Anm. 51), S. 629–638; vgl. auch die entsprechenden Sachregistereinträge bei HALLER, Bertram: Der Buchdruck Münsters 1485 bis 1583. Eine Bibliographie, Münster 1986. 60 HAStK, Best. 150 (Universität), U 157 (Dekanatsbuch), fol. 238v und 239; vgl. KUCKHOFF: Geschichte (wie Anm. 26), S. 201. Ausgabe von 1596 bei Gymnich (VD 16 A 2080).
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Wir müssen also verschiedene Möglichkeiten auseinander halten: Zum einen gab es Städte und Städtchen mit einem Gymnasium ohne eine Druckerei, da war man geradezu auf die Kölner Druckereien angewiesen. Zum anderen gab es Jesuitenschulen in der niederrheinischen Ordensprovinz in Emmerich (1593), Aachen (1601), Neuss (1619), Düsseldorf (1620), Münstereifel (1625), Düren (1636), Jülich (1664), Essen (1669) und Bonn (1673), die sich durch die Festlegung des Ordens und seine Tendenz zur Einheitlichkeit an den Schulbüchern des Tricoronatums orientierten und die Exemplare aus Köln bezogen. Schließlich gab es auch Gymnasien in Orten, die durch ihr Bekenntnis zur Reformation zu den in Köln verwendeten Schulbüchern Abstinenz übten und sie von anderswo bezogen. Darüber hinaus ist auch das ein oder andere Schulbuch in den ortsansässigen Offizinen erschienen. Aber die Entscheidung, Bücher in Köln drucken zu lassen, wurde von Institutionen der Umgebung nicht zuletzt auch aufgrund der besonderen Möglichkeiten der Kölner Druckerpressen mit ihrem leistungsfähigen Angebot getroffen: Die Typographie bot dort vom 15. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts mit der reichen Vielfalt an verschiedenen Schriftarten und -größen, Zierstücken, und besonderen Alphabeten des Griechischen, Hebräischen und weiteren Sprachen in Deutschland ein Spitzenniveau. Allenfalls in der Illustration haperte es, von einzelnen herausragenden Objekten abgesehen. In dieser Blütezeit war ein ansprechender gut proportionierter Satzspiegel üblich, durch die Typographie wurde im Sinne der Didaktik Wichtiges von weniger Wichtigem geschieden wie bei der bereits erwähnten griechischen Grammatik von Gretser. Bei den Schulbüchern wurde der Satz so gehalten, dass zwischen den einzelnen Zeilen freier Raum für Eintragung von Interlinearkommentierungen oder -übersetzungen blieb, gegebenenfalls waren die Exemplare mit Blankobögen durchschossen. Freilich nahmen die Schulbücher an der allgemeinen Entwicklung des Kölner Buchdrucks teil: Im 17. Jahrhundert lassen die Qualität von Papier, Druck und Genauigkeit der Textwiedergabe deutlich nach. Dennoch blieb der Qualitätsunterschied zum Umland gewahrt. Wie bereits erwähnt, mussten noch im 18. Jahrhundert Druckaufträge mit höheren Qualitätsmerkmalen von Bonn nach Köln gegeben werden, so zum Teil Thaddaeus Deresers exegetische Abhandlungen.61
4. Verbreitung von gedruckten Lehrbüchern in der Schüler- und Studentenschaft Hat die Tatsache, dass die Schüler und Studenten die Texte nicht mehr abschreiben oder Bücher vorübergehend leihen mussten, das Unterrichtsverhalten verändert? Diese Frage führt natürlich über das Rheinland hinaus in allgemeine Zusammenhänge und kann hier nur am Rande angesprochen werden. Fuhrmann scheint eine
61 Erschienen teilweise in deutsch, griechisch und lateinisch bei Everaerts.
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solche Veränderung anzunehmen, wenn er schreibt: „Außerdem hatte jetzt die Plackerei des buchlosen Lernens ein Ende: Während sich der mittelalterliche Scholar, der meist zu arm war, einen kostbaren Pergamentcodex zu erwerben, die lateinische Grammatik durch das Memorieren von 2.600 leoninischen Hexametern zu eigen machen mußte (so umfangreich war das gängigste einschlägige Werk, das Doctrinale des Alexander de Villa Dei), konnte sich der humanistische Student eines ihm gehörenden gedruckten Exemplars bedienen, so dass er die Regeln und Ausnahmen nur noch dem Sinne nach zu erfassen brauchte.“62 Andererseits ist es wenig wahrscheinlich, dass die bewusst in Hexameter gekleideten Merkverse nicht weiterhin auswendig gelernt werden mussten.63 Ähnlich urteilt Rommel in seiner Darstellung der Schulbücher des 18. Jahrhunderts und stellt fest, „daß das Memorieren Hauptaufgabe des Lernenden blieb, und der Lehrer […] nur darüber zu wachen [hatte], daß das akrobatisch Vorgetragene auch gewußt wurde.“64 Erst im Laufe des 18. Jahrhunderts entwickelte sich das Buch im Unterricht zum eigentlichen Schulbuch: Ende des Jahrhunderts hatte man entsprechende Kriterien gefunden und eine zweckmäßige Illustration. Der Kölner Professor Matthaeus Hoen begründet allerdings schon im 17. Jahrhundert sein gedrucktes Kompendium damit, dass die Professoren zu viel Zeit durch das Diktieren von Passagen aus Kompendien verlören und dass die Schüler zu viel nach Diktat und häufig fehlerhaft schrieben und bei Versäumen der Stunden zu lang durch nachträgliches Abschreiben aufgehalten würden.65 In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie man sich die Verteilung der Schulbücher in der Schülerschaft vorstellen muss. Für die Bewertung der Verlagsleistung ist es nicht unwichtig, die Zahl der Studierenden an der Universität Köln bzw. der Schüler der drei Gymnasien zu kennen, die mit Büchern bedacht werden mussten. Diese Zahl ist aus den Matrikeln nur mit Vorsicht und mit Berücksichtigung einer Reihe methodischer Probleme abzulesen.66 Keussen hat für 1491 bis 1495 circa 1.718 Studierende in der Artistenfakultät ermittelt, bei einer Verweildauer von zweieinhalb Jahren waren das circa 850 zur selben Zeit. Man hält aber unmittelbar vor 1500 auch 1.000 bis 1.500 Studenten für möglich. Damit gehörte Köln zu den am stärksten frequentierten Universitäten im Reich. Durch die konfessionelle Spaltung brachen ganze wichtige Regionen, aus denen regelmäßig Studenten nach Köln kamen, weg. Es kam zu einem erheblichen Einbruch der Immatrikulationen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, was nicht zuletzt durch die politische Situation
62 FUHRMANN: Bildung (wie Anm. 1), S. 21. 63 REICHLING, Dietrich: Das Doctrinale des Alexander de Villa Dei (Monumenta Germaniae Paedagogica 12), Berlin 1893. 64 ROMMEL, Heinz: Das Schulbuch im 18. Jahrhundert, Diss. Mainz 1966, S. 254f. 65 FELLMANN: Gymnasium (wie Anm. 40), S. 199f. 66 Vgl. zum Folgenden die Ausführungen von MEUTHEN: Universitätsgeschichte (wie Anm. 18), S. 30, 78, 322, 329f.
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der Reichsstadt, der ein mächtiges Territorium fehlte, befördert wurde. Im 17. Jahrhundert erholten sich die Studentenzahlen beträchtlich. Wichtig ist für unsere Frage die Zahl der gleichzeitig an den Kölner Gymnasien lernenden Schüler. Das Zahlenverhältnis wechselte allerdings, man überflügelte sich in Abständen gegenseitig. Das Tricoronatum hatte seit Ende des 16. Jahrhunderts und im 17. Jahrhundert zwischen 800 und 1.100 Schüler. Die fünf unteren eigentlichen Gymnasialklassen umfassten davon 600 bis 800 Schüler, wobei die Zahl nach oben hin abnahm und erst in der Logik-Klasse, die bereits zur Artes-Fakultät der Universität zählte, ein größerer Zugang von anderen Gymnasien, die naturgemäß diese Stufe nicht anboten, stattfand. Einen Einblick in die Stärke der ersten Gymnasialklassen geben die Immatrikulationen von zum Beispiel 1686: 123 ‚Tricoronaten‘, 115 ‚Laurentianer‘, 45 ‚Montaner‘, insgesamt also 283 Immatrikulierte. Die entsprechende Zahl der Bakkalare lag etwas niedriger, bot aber ein ähnliches Verhältnis, nämlich insgesamt etwa 250.67 Ein Jahrgang der drei Gymnasien umfasste also ungefähr 250 bis 300 Schüler, die mit Schulbüchern versorgt werden mussten. Das ist ein erster Richtwert für die Kalkulation der Auflagenhöhe, wobei die Frage zu stellen ist, ob sich alle Schüler ein Lehrbuch leisten konnten. Allerdings ist zu bedenken, dass gleichzeitig viele Schulen, namentlich der Jesuiten, außerhalb Kölns mit den Schulbüchern versorgt werden mussten. Außerdem ist natürlich möglich, dass man für mehrere Jahrgänge im Voraus die Auflage kalkulierte. Köln als Massenuniversität hatte den weitaus größten Anteil an ‚pauperes‘, so problematisch dieser Begriff als solcher ist. Gerade von weiter her kommende Studenten erscheinen überdurchschnittlich in dieser Gruppe. Es ist kein Schluss möglich, ob die ‚pauperes‘ echte oder angebliche waren. „Ein (!) bestimmter Maßstab aber für die Einteilung in Adelige, Reiche oder besser Bemittelte und Arme gab es nicht.“68 Auch reiche Schüler meldeten sich ohne Wissen der Eltern als ‚pauperes‘ an, um Gebühren zu sparen. Am Anfang des 18. Jahrhunderts waren etwa 50 Prozent der Schüler des Tricoronatums bzw. unter 20 Prozent des Laurentianums und Montanums so ausgewiesen, dann schwand die Zahl beträchtlich.69 Wurden Lehrbücher leihweise ausgegeben? Für das Rheinland habe ich hierfür keinen Beleg gefunden,70 dagegen gab es allgemein im 18. Jahrhundert die Klage, dass die Schulbücher zu teuer seien und ärmere Schüler sie sich nicht leisten könnten. 67 MEUTHEN: Universitätsgeschichte (wie Anm. 18), S. 346. 68 KUCKHOFF: Geschichte (wie Anm. 26), S. 491f. 69 Zur Bedürftigkeit der Studierenden vgl. DITTSCHE, Magnus: Zur Studienförderung im Mittelalter, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 41 (1977), S. 53–62. 70 Dagegen berichtet DUHR: Geschichte (wie Anm. 30), Bd. 1, S. 318, für München solche Verfahren: „anderen besseren und fleißigeren Studenten könnten auch die notwendigen Bücher und Kleider besorgt werden, wodurch dann auch der Eifer derjenigen, die weniger erhalten, wachgerüttelt wird.“, und wenig später: „Reinlichkeit sollen sie […] besonders auch in den Büchern beobachten, die sie aus der Bibliothek der Armen erhalten haben. Diese Bücher müssen sie monatlich ihrem Präfekten zeigen, damit dieser sieht, wie sie damit umgehen. Wenn sie wegziehen, sollen sie die Bücher unbeschädigt und ohne in dieselben etwas zu
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In manchen deutschen Territorien des 18. Jahrhunderts gab es Versuche der Unterstützung aus Gebühren, Strafgeldern, Kollekten, dann sollten die hieraus finanzierten Schulbücher den Kindern überlassen werden.71 In der Aufklärung begann man darin eine Verpflichtung des Staates zu sehen. Billige Preise für Schulbücher und kostenlose Abgabe an arme Kinder wurde als wichtige Maßnahmen empfunden. Ebenso wurde in manchen Schulordnungen der Besitz von Schulbüchern vorgeschrieben, „damit er nicht brauche mit dem Nachbar ins Buch zu sehen und Unordnung zu erregen“, so die Ordnung der Amelungsborner Klosterschule von 1778.72 Andererseits weisen Abschriften bereits gedruckter Bücher im Sinne der mittelalterlichen Tradierung auf zu hohe Bücherpreise für den Abschreiber hin. Solche handschriftlichen Kopien bereits gedruckter Bände werden in Bamberg, Heidelberg, Würzburg und Greifswald verwahrt.73
5. Wirtschaftliche Aspekte der Schulbuchproduktion und Zensur Ich habe in der Literatur nur einen einzigen Beleg für den Preis eines Kölner Sammelschulbuches gefunden. 1610 zahlte der Schüler Eberhard Coci aus Essen in der ‚Secunda Grammatica‘ am Tricoronatum für die Faszikel zusammen 15 Albus; der Buchbinder, der auch die Bücher lieferte, bekam für das Einbinden noch 12 Albus. Zum Vergleich: zwei Schreibkladden kosteten 14 Albus, Schuhe 2 Gulden 6 Albus, ein Wams 3 Gulden, 11 Albus. 1612 musste für Bücher die außerordentlich hohe Summe von 4 Talern, 44 Albus, 2 Heller aufgewendet werden, dazu 10 Albus für eine ältere Lieferung.74 Bei der Diskussion neuer Lehrbücher am Tricoronatum erklärte sich im 18. Jahrhundert der Verleger Mylius bereit, das Lehrbuch der Rhetorik für 12 Blaffert, die anderen noch billiger zu liefern.75 Aus dem 18. Jahrhundert haben wir interessante Nachrichten über den Vertrieb der Schulbücher durch das Tricoronatum. Seitdem die Schule 1760 wirtschaftlich auf eigene Füße gestellt worden war, nutzte sie den Büchervertrieb in ihrer Ordensprovinz als eine besondere Einnahmequelle. „Die Auflagen wurden für Rechnung des Tricoronatums hergestellt und von diesem an den anderen Schulen am Rhein vertrieben. So kostete die im Jahre 1773 hergestellte Ausgabe eines neuen
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schreiben, dem Schulpräfekten zurückgeben.“ Mit der Bibliothek der Armen war offensichtlich eine Schul-Leihbibliothek für ärmere Schüler gemeint. ROMMEL: Schulbuch (wie Anm. 64), S. 100f., so etwa ein Vorschlag im Kurfürstentum Mainz 1776. Zit. nach ROMMEL: Schulbuch (wie Anm. 64), S. 150. LEEUWENBERG, H. L. Ph.: Lambertus van s’ Heerenberg (de monte Domini). Een nederlands geleerde aan de universiteit van Keulen, in: Tijdschrift voor Geschiedenis 85 (1972), S. 325– 349, hier S. 337. Originalrechnungen in HAStK, Best. 150 (Universität), U 746, vgl. KUCKHOFF: Geschichte (wie Anm. 26), S. 384–386. KUCKHOFF: Geschichte (wie Anm. 26), S. 605; 1739 war 1 Goldgulden gleich 30 Blaffert.
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Infimistenlehrbuchs 550 Reichstaler. Im Jahre 1782 bezog man für das neue Schulbuch der Poetik von der Firma Hoesch in Düren Papier für 242 Reichstaler, der Druck kostete 196 Reichstaler; mit allen Auslagen erforderte die Auflage von 3000 Exemplaren 445 Reichstaler. Da die Schülerzahl in dieser Zeit am Tricoronatum außerordentlich gering war, zeigt die hohe Auflagezahl, daß auch nach der Auflösung des Jesuitenordens die Kölner Schule noch immer für die anderen Schulen des Rheinlandes maßgebend war. In den Jahren 1780 bis 1782 betrugen die Einnahmen der Schule aus dem Schulbücherverkauf 1328 Reichstaler, 4 Albus. Aus dieser hohen Summe sind Rückschlüsse möglich für den gewaltigen Absatz, den die Kölner Jesuiten an Schulbüchern in der Zeit der Blüte des Tricoronatums und der anderen rheinischen Jesuitenschulen gehabt haben müssen.“76 Die Reform der Schulbücher am Niederrhein wurde vorangetrieben und 1760/61 ein von vornherein einheitlich gedrucktes Sammellehrbuch herausgegeben. Die Laurentianer zahlten analog im 18. Jahrhundert einmal über 100 Reichstaler für 2000 Schulbücher,77 verlässliche Aussagen über die Montaner können mangels Quellen nicht getroffen werden.78 Buchhandel und Verlag sind – das wird hier wieder einmal deutlich – auch ein Geschäft. Dass sich im 15. und 16. Jahrhundert große Verlage wie Koelhoff und besonders Quentell mit Schulbüchern abgegeben haben, ist ein Zeichen dafür, dass hier etwas zu holen war, sonst hätte man das den kleineren überlassen. Severin Corsten hat für die Frühzeit die Gewinnspanne für die Kölner Drucker auf das drei bis viereinhalbfache der Entstehungskosten berechnet.79 Allerdings wurden Schulbücher – wie wir aus den erhaltenen Rechnungen wissen – häufig als Lohnauftrag durch die Schulen gedruckt, die die Drucker bezahlten und dann den Gewinn einnahmen. Die internationale Verflechtung des Buchmarktes und die Wirtschaftlichkeit geboten, dass man nicht druckte, was schon anderswo in erschöpfendem Maße lieferbar war; das galt weniger für die Schulbücher in beschriebener Weise als die wissenschaftliche Literatur der Kölner Universität, die häufig international gebraucht wurde. Der Kölner Buchdruck ist Teil eines weiten Netzes, das unter anderem an der Frankfurter Messe seine Austauschbörse fand. Man konnte Texte schon im 15. Jahrhundert über den Buchhandel aus anderen Städten beziehen. 76 KUCKHOFF: Geschichte (wie Anm. 26), S. 605f., nach HAStK, Best. 223 ( Jesuiten), Akt. 18: Aufstellung des Regenten Carrich vom Dezember 1782. 77 HEITJAN: Stellung (wie Anm. 3), S. 2192. 78 So HEITJAN: Stellung (wie Anm. 3), S. 1273, bestätigt durch FELLMANN: Gymnasium (wie Anm. 40), S. 73, Anm. 304. 79 CORSTEN, Severin: Ulrich Zell als Geschäftsmann, in: DERS.: Studien (wie Anm. 5), S. 208– 232. Demnach betrug das Verhältnis Papierkosten / Druckosten ca. 1:1, d. h. der Druck kam in den Herstellungskosten genau so teuer wie der zugrunde liegende Papierpreis. Das gilt offenbar auch noch ungefähr im 17. Jahrhundert, vgl. die Rechnung bei HEITJAN: Stellung (wie Anm. 3), S. 2187. Die Gesamtherstellungskosten verhalten sich dann jedenfalls in der Frühzeit zum Verkaufspreis wie 1:3 bzw. 1:4,5. Das konnte, wenn die Auflage gut lief, ein gutes Geschäft sein.
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Der internationale Absatz war durch die allgemein gültige lateinische Unterrichts- und Bildungssprache an allen Universitäten erleichtert. Gerade der Buchdruck Kölns war in seiner Gesamtheit außergewöhnlich stark auf die lateinische Sprache ausgerichtet: 96 Prozent waren in lateinischer Sprache, nur 4 Prozent in Deutsch verfasst,80 während wir im 15. Jahrhundert sonst mit gut 20 Prozent deutscher Texte rechnen dürfen.81 Das liegt am Profil der Kölner Offizinen, die stark auf die Theologie und die Wissenschaften insgesamt ausgerichtet waren. Texte wurden international weit verbreitet zum gegenseitigen Austausch der Wissenschaften. „Es ist eindrucksvoll zu sehen, wie über den Buchdruck die Lehre der Kölner Universität Einfluß auf andere Hochschulen genommen hat.“82 Erst der Bedeutungsschwund der Frankfurter Messe, die Abnahme der Latinität und die Verlagerung der Schwerpunkte wissenschaftlichen Geistes nach Nordosten im späteren 17. und im 18. Jahrhundert begünstigten den Verfall.83 Die Bedeutung zeigt sich auch in den Nachdrucken. Hierzu nur ein Beispiel aus der Frühzeit für viele: Sebastian Niermoell aus Duisburg (Novimola) hatte in Köln wie erwähnt die umfassende Sprachlehre des Despauterius neu herausgegeben; die ‚Syntaxis‘, vor allem aber die ‚Grammatica‘ im engeren Sinne erlebten viele Auflagen, die meistens in Köln (7 bzw. 8), aber auch in Ingolstadt (2 bzw. 1), in Dillingen (je 6), wie auch in Antwerpen (2 bzw. 1) und Löwen (je 1), schließlich noch im 17. Jahrhundert in Edinburgh (4 bzw. 5) herauskamen.84 Wir sahen schon, dass die Universität keine Hausdruckerei im eigentlichen Sinne besaß, die primär für ihre eigenen Belange druckte. Das wird den gleichen Grund haben, warum es nicht viele Klosterdruckereien gab, obwohl die Klöster noch im 15. Jahrhundert in der Handschriftenherstellung eine große Rolle spielten. Es war wohl hier wie dort der Faktor des wirtschaftlichen Handelns mit Kreditaufnahme, der wirtschaftlichen Führung der Offizine, der Einrichtung einer leistungsfähigen Werkstatt mit ausgedehntem Material, die Organisation des Absatzes usw., der die Klöster wie auch die Universität Köln Abstand nehmen ließ.85 Man vertraute ganz
80 VOULLIÈME: Buchdruck (wie Anm. *), S. LXXX. 81 SAUER, Manfred: Die deutschen Inkunabeln, ihre historischen Merkmale und ihr Publikum, Diss. Köln 1956, S. 19. 82 CORSTEN, Severin: Universität und früher Buchdruck, in: DERS.: Untersuchungen zum Buchund Bibliothekswesen (Arbeiten und Bibliographien zum Buch- und Bibliothekswesen 5), Frankfurt a. M. 1988, S. 163–181, hier S. 176. 83 Vgl. auch MENNENÖH: Duisburg (wie Anm. 55), S. 13. 84 FELLMANN: Gymnasium (wie Anm. 40), S. 166f. 85 SCHMITZ, Wolfgang: Klösterliche Buchkultur auf neuen Wegen? Die Entstehungsbedingungen von Klosterdruckereien im ersten Jahrhundert nach Gutenberg, in: PLASSMANN, Engelbert (Hrsg.): Buch und Bibliothekswissenschaft im Informationszeitalter. Internationale Festschrift für Paul Kaegbein zum 65. Geburtstag, München u. a. 1990, S. 345–362; aus diesen Gründen hat der Orden 1706 den Plan von Paul Aller, eine eigene Jesuitendruckerei am Rhein zu gründen, als den Statuten des Ordens entgegenstehend abgelehnt, vgl. DUHR: Ge-
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auf die Zusammenarbeit mit den ortsansässigen erfahrenen Druckern und ihrer Leistungsfähigkeit. Eine frühe Kehrseite der neuen Möglichkeiten des Buchdrucks war die Zensur. Sie sollte eben religiös oder sonstig unerwünschtes Schrifttum verhindern. Gerade die Universität Köln hat sich hier zeitig hervorgetan, denn schon 1479 verlieh ihr der Papst auf ihre Bitten hin das allgemeine und umfassende Zensurrecht, das es ihr erlaubte, die Kölner Texte zu sichten und gegebenenfalls ihre Verbreitung zu verhindern.86 Infolgedessen gibt es zwischen 1479 und 1486 Approbationsvermerke in Kölner Drucken; dann war der Eifer offenbar erlahmt. Im Zusammenhang mit der Reformation lebte nach 1520 die Zensur wieder auf, indem durch sie unerwünschtes Ideengut ferngehalten werden sollte. Die Nachrichten über stattgefundene oder beantragte Zensurmaßnahmen sind in der Frühen Neuzeit Legion.87 Es ist nur zu natürlich, dass auch die Schulbücher einer Überwachung unterlagen. Soweit ich sehe, ist dies aber noch nicht systematisch erforscht worden. Natürlich sah auch der Jesuitenorden sehr genau hin, welche Texte in seinen Lehranstalten zugrunde gelegt wurden. Diese Zensur sollte sicherstellen, dass die Philosophie die Wahrheiten der Theologie stützte. Erst kurz vor der Aufhebung des Ordens 1773 ging die Wirksamkeit der Zensurmaßnahmen zurück.88 In Köln gab es neben der Universitätszensur eine erzbischöfliche Zensurstelle. Im Kurfürstentum Köln wurde zum Beispiel 1791 ein von Eulogius Schneider verfasster Katechismus verboten, die Exemplare wurden konfisziert, der Autor erhielt Schreib- und Lehrverbot. Der Zensor, der die Druckerlaubnis gegeben hatte, musste sein Amt verlassen.89 Im 18. Jahrhundert öffnete man sich in Köln erst spät und zögernd gegenüber der katholischen Aufklärung. Als aber Mitte des 18. Jahrhunderts neue Lehrbücher katholischer Autoren erschienen, fanden einige auch in Köln Eingang. Kennzeichnend ist die Orientierung an Lehrbüchern von Professoren der Salzburger Benediktineruniversität, die einer gemäßigten katholischen Aufklärung verpflichtet war. Dort lehrte der Benediktiner Dominikus Beck, seine Lehrbücher „Institutiones logicae“, „Institutiones physicae“, „Institutiones metaphysicae“ und „Institutiones mathematicae“ fanden am Montanum Verwendung und setzten dort in den letzten Jahren der Universität im Verhältnis zum Tricoronatum und Laurentianum im Unterricht von Logik, Physik, Metaphysik und teilweise Mathematik eigene Akzente. Wie wir aus
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schichte (wie Anm. 30), Bd. 4/2, S. 497; außerdem ebd., Bd. 1, S. 582–585, über die Wiener Offizin der Jesuiten und ihr Scheitern. VOULLIÈME: Buchdruck (wie Anm. *), S. LXXX–LXVII. SCHMITZ, Wolfgang: Buchdruck und Reformation in Köln, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 55 (1984), S. 117–154; HEITJAN: Stellung (wie Anm. 3), S. 2210–2215; MUCKEL, Viktor: Die Entwicklung der Zensur in Köln, Würzburg 1932. HELLYER, Marcus: Catholic Physics. Jesuit Natural Philosophy in Early Modern Germany, Notre Dame/IN 2005, S. 165–180. NIEDIECK, Joseph: Das Erziehungs- und Bildungswesen unter dem letztregierenden Kurfürsten von Köln, Maximilian Franz (1784–1801), Münster 1910, S. 45–53, insb. S. 45f.
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den Akten des Montanums wissen, wurden die Texte Becks nicht in Köln gedruckt, sondern durch das Montanum aus Salzburg bezogen: Im Kopiar der vom Sekretär des Montanums versandten Briefe findet sich die Abschrift eines 1787 nach Salzburg geschickten Briefes mit der Bitte um Zusendung von je 40 Exemplaren der „Institutiones logicae“ und der „Institutiones metaphysicae“ sowie die Empfangsbescheinigung.90 Für diesen Sonderweg, den die anderen Gymnasien nicht mit beschritten, lohnte sich offenbar keine eigene Kölner Auflage.
6. Weitere Druckerzeugnisse im Bildungsbereich Es bleibt am Schluss noch, einen Blick auf weitere Bereiche zu werfen, in denen das Kölner Druck- und Verlagswesen sich in der Bildung engagierte. Da sind zunächst die Disputationen, ein wichtiger Bestandteil des mittelalterlichen und frühneuzeitlichen akademischen Lebens, sowohl Teil des Prüfungswesens wie Ausdruck einer festlichen Disputierlust, an der junge und alte, Anfänger und etablierte Gelehrte mit und gegeneinander über spezielle fachliche Themen ihre Geistesschärfe unter Beweis stellten. Die umfängliche Bibliographie von Peter Stauder verzeichnet Disputationen vom späten 16. Jahrhundert bis zur Schließung 1798 aus den drei höheren Fakultäten und der Artes-Fakultät und damit auch in den höheren Klassen der drei Gymnasien.91 Früher wenig geschätzt, hat sich ihr wissenschaftsgeschichtlicher Stellenwert unter dem Eindruck einer Neuorientierung der Sozial- und Alltagsgeschichte deutlich erhöht. Darunter sind subsumiert Dissertationen, Thesen zur Erlangung eines akademischen Grades, Magisterarbeiten, Prüfungsschriften zum Bakkalaureat und sonstige Disputationen. Diese Arbeiten oder Thesen wurden von Kölner Druckern gedruckt, nicht nur im Interesse der Disputierenden, sondern ebenso zur Selbstdarstellung der Gymnasien und der Universität, der äußerlich dokumentiert wurde durch den festlichen Rahmen, in dem diese Veranstaltungen stattfanden. Diesem Bereich der Selbstdarstellung dienten ebenso die Theateraufführungen der drei Kölner Gymnasien, bei denen die Jesuiten am Tricoronatum die beiden anderen weit übertrafen.92 Aktuelle Stoffe häufig mit Bezug auf Köln und Aufführungen im eigenen Theater zum Zweck der Erbauung und Läuterung, zugleich der Pflege des Lateinischen bei den Schülern wurden geschickt ausgewählt und mit großer Prachtentfaltung selbst in den düsteren Jahren des 17. Jahrhunderts mit 90 HAStK, Best. 150 (Universität), U 576, fol. 8r und 9v; FELLMANN: Gymnasium (wie Anm. 40), S. 112 mit Anm. 511. 91 STAUDER, Peter: Die Hochschulschriften der alten Kölner Universität 1583–1798. Ein Verzeichnis, München u. a. 1989. 92 DUHR: Geschichte (wie Anm. 30), Bd. 1, S. 325–356. Der Theaterbetrieb begann demnach in Köln spät, u. a. wegen der unsicheren Situation, aber auch wegen des Fehlens eines mäzenatischen Hofes.
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prächtigen Kostümen und geschickt gestalteten Kulissen zu allen möglichen Ereignissen – und seien es nur die Versetzungsfeiern – durchgeführt. Dies alles machte durch den gesellschaftlichen Rahmen, in dem neben den stadtkölnischen Honoratioren auswärtige Fürsten und der Kölner Kurfürst-Erzbischof häufige Gäste waren, die Veranstaltungen zum Ereignis. Vergeblich eiferten Laurentianum und Montanum der Jesuitenschule nach, das Jesuitendrama war für sie unerreichbar. Gedruckte Theaterzettel mit Besetzungslisten und deutschen Inhaltsangaben der lateinischen Stücke wurden verteilt und zeugten später noch von der Aufführung.93 „Mit der Theateraufführung war die Prämienverteilung aufs engste verbunden. Sehr oft gehörten beide innerlich, nach dem Wortlaut des Textes, zusammen.“94 Ein Wettstreit gab den Lehrern Auskunft über den Leistungsstand der Schüler. Die ‚Compositiones pro prämiis’ prämierten besondere Leistungen durch Bücher, die im Laufe der Zeit wertvoller wurden und von denen zumindest einige mit Goldschnitt versehen waren. Während man früher vor allem Schulbücher schenkte, bevorzugte man im 17. Jahrhundert die belehrende und asketische Literatur. Sehr gern wurden beim Tricoronatum Autoren aus dem Jesuitenorden gewählt.95 Natürlich fanden Haus- und Disziplinarordnungen den Weg zum Druck. Von den Jesuiten stammt ein Text der Hausordnung von ca. 1720–1730. Drei sind für das Montanum bekannt, zwei aus dem 18. Jahrhundert, vermutlich auch der dritte. Sie geben Einblick in das Leben im Konvikt mit Ermahnungen, Verpflichtungen, Bestimmungen zu Disziplin und Tagesablauf, Strafe.96 Dem schließt sich ein bunter Reigen gedruckter Berichte, Ankündigungen, Festgedichte an. Bürgermeister, Fürstlichkeiten und Geistliche wurden bei Übernahme ihrer Ämter, ehemalige Schüler bei Erwerb des Doktorgrades, viele dieser Personen bei ihrem Tode in umfangreichen lateinischen Gedichten oder sonstigen Texten gefeiert. Dazu kamen Lobgedichte der Schüler auf Verwandte und Gönner und nicht
93 NIESSEN, Carl: Dramatische Darstellungen in Köln von 1526–1700 (Veröffentlichungen des Kölnischen Geschichtsvereins 3), Köln 1917; KUCKHOFF: Geschichte (wie Anm. 26), S. 336– 342; ein ausführliches Verzeichnis aller Mitwirkenden erhöhte die Attraktivität für die Schüler, vgl. FELLMANN: Gymnasium (wie Anm. 40), S. 82, 193; KUCKHOFF: Geschichte (wie Anm. 26), S. 509, Anm. 21; HAStK, Best. 150 (Universität), U 660, fol. 107. 94 KUCKHOFF: Geschichte (wie Anm. 26), S. 399. 95 Vgl. FELLMANN: Gymnasium (wie Anm. 40), S. 73, Anm. 302: In HAStK, Best. 150 (Universität), U 594, fol. 50r, ist von ‚güldenen‘ Büchern die Rede (Mitte des 18. Jahrhunderts); als Prämienbücher lieferte z. B. der Buchhändler Johannes Wilhelm Steinbüchel 1770 Gottscheds „Kern der deutschen Sprachkunst“ an das Montanum und zwar in rotem Saffran gebunden und mit Goldschnitt; Abrechnung vorhanden in HAStK, Best. 150 (Universität), U 713, Fasz. III, fol. 201r; zu den Prämienbüchern vgl. BESSELMANN, Karl-Ferdinand: Alte Bücher – neu geschätzt (Kleine Schriften der Universitäts- und Stadtbibliothek 5), Köln 1998, S. 31–35. 96 HAStK, Best. 150 (Universität), U 614a, vgl. KUCKHOFF: Geschichte (wie Anm. 26), S. 575– 578. Dazu und zum Inhalt ausführlicher FELLMANN: Gymnasium (wie Anm. 40), S. 78.
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zuletzt die große Zahl von Thesen.97 Inhaltlich sind sie vielfach ohne Bedeutung, wohl aber kulturgeschichtlich! Es gab Schülerarbeiten zu festlichen Anlässen, in Folio- und Quartformat gedruckt und jetzt im 17. Jahrhundert oft mit hübschen Kupferstichen verziert.98 Prachtvoll waren die Einladungen zum Doktorschmaus, aufwändig mit Wappenabbildungen auf Seide. Die Werbung, die damit auch evoziert werden sollte, trat schon im 16. Jahrhundert im noch jungen jesuitischen Tricoronatum unverhüllt ans Licht. Regens Rethius ließ den Unterrichtsplan für das kommende Schuljahr in 100 Exemplaren drucken und an hochrangige geistliche und weltliche Persönlichkeiten adressieren. Offenbar war die Resonanz nicht stark genug, deshalb wurde der Unterrichtsplan 1558 noch einmal in 500 Exemplaren durch Johannes Bathemius gedruckt und in alle Welt verschickt bis nach Königsberg, nach Bayern, Tirol, England und die Schweiz. Es gab lebhaften Protest der beiden anderen Gymnasien, bis die Jesuiten die Einstellung dieses Unternehmens zusagten.99 Kurzfristig hatten die Schüler des Montanums zwischen 1664 und 1667 Gelegenheit, an der Zeitung „Extraordinariae relationes“ des Peter Hilden, Absolvent des Montanum, mitzuarbeiten, um die eingehenden Nachrichten in gepflegtes Latein zu gießen.100
Fazit Druck und Verlag dienten der Wissenschaftspflege, der Schullektüre, Information, Werbung und Selbstdarstellung im Bildungsbereich. Der Buchdruck erlaubte in bisher ungekannter Weise die Herstellung identischer Exemplare und damit eine Normierung der Texte und kam so den Erfordernissen der Wissenschaft und der Schule sehr entgegen; umgekehrt lässt die Druckproduktion die Veränderungen in der Schullektüre deutlich erkennen. Die Drucke und ihre Zusammenstellung zu Sammelbänden vermitteln bei eingehender Analyse vieles zur Bildungsgeschichte, das in Akten so nicht oder nicht mehr überliefert ist. Betrachten wir die Verleger und Drucker, so ist das Feld sehr weit gestreut. Es verbindet von Anfang an bedeutende (Quentell) und unbedeutende. Bei den Jesuiten kann man eine gewisse Bevorzugung herauslesen: „Die Jesuiten ließen bei allen Kölner Druckern ihre Schulbücher und auch ihre zahlreichen gelehrten Werke verlegen. Bevorzugt war zuerst Maternus Cholinus, dann traten an dessen Stelle Bernard Gualthieri, Johann Kinckius, Johann Gervinus, Peter Cholinus, in ganz überragendem Maße aber Hermann Mylius, den man als den Verleger der Kölner Jesuiten 97 Vgl. KUCKHOFF: Geschichte (wie Anm. 26), S. 439f. 98 KUCKHOFF: Geschichte (wie Anm. 26), S. 441f. 99 DUHR: Geschichte (wie Anm. 30), Bd. 1, S. 761, Adressenliste nach dem Tagebuch des Jesuiten Rhetius; KUCKHOFF: Geschichte (wie Anm. 26), S. 119, 123. 100 FELLMANN: Gymnasium (wie Anm. 40), S. 93f.
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im 17. Jahrhundert bezeichnen kann“ und der mit seinen Geschäften davon sehr profitierte.101 Seit dem 16. Jahrhundert können wir eine ganze Reihe von Druckern nachweisen, die als Universitätsdrucker oder vereidigte Drucker der juristischen und/oder theologischen Fakultät amtiert haben. „Das Universitätsprivileg für konstante Druckaufträge einer bestimmten Fakultät bestand […] in der Herstellung von Kleinschriften und Gelegenheitsdrucken wie Thesen für Disputationen, Festprogrammen, Gratulationsschriften.102 Dagegen fielen die großen Werke der Professoren nicht unter dieses Privileg, sondern wurden von Verlegern eigenständig hergestellt. Welche genaue Rechtsstellung sie hatten und welche Verpflichtungen bleibt trotz Heitjans Recherchen noch genauer zu untersuchen. Von den Kleinschriften allein konnte der Universitätsdrucker freilich nicht leben, allerdings konnte sich mit seiner Tätigkeit auch die Herstellung großer Werke verbinden, so zum Beispiel bei Peter Metternich.103 In den letzten Jahren der alten Universität finden wir eine so bezeichnete „Universitätsdruckerey“ („Typographia universitatis“), in der offizielle Universitätsschriften wie die Vorlesungsverzeichnisse erschienen sind.104 Waren die Erben Schauberg die Ausführenden? War es eine neue Einrichtung als Folge der Reformbemühungen der Universität in ihren letzten Jahrzehnten? Es wird an vielen Stellen deutlich, dass bei der Erforschung des Beziehungsgeflechts von Buchdruck und Bildungswesen immer noch Desiderate bestehen. Die Schul- und Bildungslandschaft Rheinland wurde einschließlich des südlichen Teils (Trier) hinsichtlich des Buch- und Verlagswesens von der alles überragenden Verlagsstadt Köln dominiert, in der früh der Buchdruck eingeführt wurde und die sich schon im 15. Jahrhundert zu einem der bedeutendsten deutschen wie europäischen Druckorte entwickelte. Die Leistungsfähigkeit der Kölner Offizine war denen der anderen rheinischen Städte hinsichtlich Typenvorrat, Initialenschmuck, Vignetten und Layout weit überlegen. Diese Dominanz ist auch bei der wissenschaftlichen und Schulliteratur greifbar. Obwohl es seit dem 16. Jahrhundert in einigen rheinischen Städten Druckereien gab, gingen die Druckaufträge aus die101 KUCKHOFF: Geschichte (wie Anm. 26), S. 343; vgl. auch ebd., S. 604 zu 1729: „Seit über 50 Jahren hatte die Buchdrucker- und Verlegerfirma Birckmann-Mylius ein Monopol für die Schulbücher des Tricoronatums und damit in der ganzen niederrheinischen Jesuitenprovinz.“ 102 REUTER: Sozialgeschichte (wie Anm. 53) nennt Arnold von Kempen, 1609–1654, Universitätsbuchdrucker; Peter Theodor Hilden, 1696–1709 (-1729), Privilegierter Kölner Universitätsdrucker; Gereon Arnold Schauberg, 1735–1762 (1805), Universitäts-Buchdrucker; Peter von Brachel, 1600 bis nach 1640, Vereidigter Drucker der Juristischen Fakultät; Peter Metternich, ca. 1625–1671 (-1681), Vereidigter Drucker der Juristischen Fakultät; Peter Hilden, vor 1650–1683 (-1695), Vereidigter Buchdrucker der Juristischen Fakultät; HEITJAN: Stellung (wie Anm. 3), S. 2184, nennt diese und weitere und differenziert noch weiter nach Fakultäten. 103 HEITJAN: Stellung (wie Anm. 3), S. 2184. 104 Exemplare in der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln.
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sen Gründen sehr häufig nach Köln. Dazu kam, dass der Jesuitenorden in seiner Provinz einheitliche Schulbücher vorschrieb, die in Köln hergestellt wurden und von dort aus bis in das 18. Jahrhundert verteilt wurden. Dies trug zur Vereinheitlichung der Schulbücher bei, insofern zum Beispiel in Köln die anderen Gymnasien unter diesen Vorgaben weitgehend die jesuitischen Texte übernehmen mussten. Aufgrund der konfessionellen Spaltung haben evangelische Schulen im Rheinland die Kölner Lehrbücher nur eingeschränkt bezogen; sie wurden entweder am Ort hergestellt oder aus anderen Städten eingeführt. Auch in katholischen Regionen wurden in geringerem Maße Schulbücher in ortsansässigen Offizinen hergestellt; das hat aber im Gesamtbild die zentrale Stellung Kölns als Druckort für Schulliteratur in der Frühen Neuzeit nie beeinträchtigt.
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Rheinische Schatzkammern im Zeitalter der katholischen Reform Bildpublizistik, Goldschmiedekunst und Wallfahrten in Trier, Aachen und Köln* 1957 veröffentlichte Hermann Schnitzler, der damalige Direktor des Kölner Schnütgen-Museums, ein zweibändiges Werk mit dem Titel „Rheinische Schatzkammer“, in dem er dem Leser die Augen dafür öffnete, was in bzw. aus den Schatzkammern der Kathedralen und Stiftskirchen von Trier, Mainz und Köln, von Aachen, Echternach und Essen an Werken der Schatzkunst erhalten ist.1 Der Begriff der Schatzkunst war und ist stets doppeldeutig. Einmal bezeichnet er die Umhüllung kostbarer Reliquien, der materiellen Überreste von Heiligen. Andererseits beruhte deren Wertschätzung auf dem wertvollen Material wie Gold und Edelsteine sowie dessen kostbarer Verarbeitung zu Bildern und Inschriften, die komplexe heilsgeschichtliche Programme transferieren. Werken der Schatzkunst galt somit stets eine besondere Wertschätzung, nicht nur aufgrund ihres kostbaren Inhalts, sondern auch wegen ihres materiellen Wertes; so wurden Kirchenschätze in Zeiten der Not und zur Finanzierung von Kriegen häufig verpfändet oder eingeschmolzen.2 Schatzkammern bargen also Reliquien und Reliquiare, sie waren dadurch ebenso ‚Wissensspeicher‘ wie die Bibliotheken der Klöster und Stifte. Neben Schatzkammern und Bibliotheken sei in diesem Zusammenhang auf die Kunst- und Antikensammlungen verwiesen, die seit dem 16. Jahrhundert in Höfen und Residenzen, aber
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Die Publikation entstand in einem 2007 aus Mitteln des Historisch-Kulturwissenschaftlichen Forschungszentrums (HKFZ) Mainz-Trier geförderten Kleinprojekt und setzt ein früheres Forschungsvorhaben über die Heiltumsschriften der Zeit um 1500 fort, vgl. Anm. 9. 1 SCHNITZLER, Hermann: Rheinische Schatzkammer, 2 Bde., Düsseldorf 1957. 2 SCHRAMM, Percy Ernst: Herrschaftszeichen: gestiftet, verschenkt, verkauft, verpfändet. Belege aus dem Mittelalter, in: Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-Historische Klasse 5 (1957), S. 161–226; FRITZ, Johann Michael: Goldschmiedekunst der Gotik in Mitteleuropa, München 1982, S. 88–109; HARDT, Matthias: Gold und Herrschaft. Die Schätze europäischer Könige und Fürsten im ersten Jahrtausend (Europa im Mittelalter 6), Berlin 2004; BURKART, Lucas u. a. (Hrsg.): Le trésor au Moyen Age. Questions et perspectives de recherche/Der Schatz im Mittelalter. Fragestellungen und Forschungsperspektiven, Neuchâtel 2005.
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auch in den Städten zusammengetragen wurden,3 zum Beispiel die Kollektion des Grafen Hermann von Blankenheim-Manderscheid4 oder die Kölner Sammlungen des Johann Helmann im 16.5 und des Franz von Imstenraedt im 17. Jahrhundert.6 Besonders hervorzuheben sind die Bibliotheken und Graphiksammlungen der Jesuiten im 18. Jahrhundert.7 Diese Auflistung ließe sich fortsetzen. Im Zusammenhang mit dem Thema unseres Sammelbandes stellt sich die Frage, welche Rolle Schatzkammern bei der Konstituierung und Erhaltung von Schul- und Bildungslandschaften spielten. Ich will versuchen, anhand einer bisher kaum genutzten Quellengruppe eine Antwort zu finden. Im 17. Jahrhundert entstand eine Reihe großformatiger Kupferstiche, welche Bilder der Heiltumsweisungen in alle Welt verbreitete. Meine These ist, dass es in diesen Jahren einen Zusammenhang von 3 WULFF, Sabine: Zwischen Politik und Plaisir. Zwei kurfürstliche Kunstsammlungen im Rheinland, in: ZEHNDER, Frank Günter (Hrsg.): Das Ideal der Schönheit. Rheinische Kunst in Barock und Rokoko (Der Riss im Himmel. Clemens August und seine Epoche 6), Köln 2000, S. 229–264; THAMER, Hans-Ulrich: Der Bürger als Sammler in der Frühen Neuzeit, in: DERS. (Hrsg.): Bürgertum und Kunst in der Neuzeit (Städteforschung A/57), Köln/ Weimar/Wien 2002, S. 99–113; vgl. für Köln: SCHMID, Wolfgang: Kölner Renaissancekultur im Spiegel der Aufzeichnungen des Hermann Weinsberg (1518–1597) (Veröffentlichungen des Kölnischen Stadtmuseums 8), Köln 1991, S. 69–130; DERS.: Kölner Sammler im Renaissancezeitalter, in: KIER, Hiltrud/ZEHNDER, Frank Günter (Hrsg.): Lust und Verlust – Kölner Sammler zwischen Trikolore und Preußenadler, Köln 1995, S. 15–30; für Nürnberg: HAMPE, Theodor: Kunstfreunde im alten Nürnberg und ihre Sammlungen (Nebst Beiträgen zur Nürnberger Handelsgeschichte), in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 16 (1904), S. 58–124; SCHWEMMER, Wilhelm: Aus der Geschichte der Kunstsammlungen der Stadt Nürnberg, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 40 (1949), S. 97–206; HERNARD, Béatrice (Bearb.): Die Graphiksammlung des Humanisten Hartmann Schedel, München 1990; Kunst des Sammelns. Das Praunsche Kabinett. Meisterwerke von Dürer bis Carracci, Nürnberg 1994; KUBACH-REUTTER, Ursula: Nürnbergs Umgang mit seiner reichsstädtischen Vergangenheit. Die Kunstsammlungen der Stadt Nürnberg um 1800, in: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums 2002, S. 345– 355. 4 Die Manderscheider. Eine Eifeler Adelsfamilie. Herrschaft – Wirtschaft – Kultur, Köln 1990; BUSCH, Renate von: Studien zu deutschen Antikensammlungen des 16. Jahrhunderts, Diss. Tübingen 1973, S. 26–28; MOUSSET, Jean-Luc (Hrsg.): Un prince de la Renaissance. PierreErnest de Mansfeld (1517–1604), 2 Bde., Luxemburg 2007. 5 KIRGUS, Isabelle: Die Rathauslaube in Köln (1569–1573). Architektur und Antikerezeption (Sigurd Greven-Studien 4), Bonn 2003, S. 25–62, 221–240. 6 SEYFARTH, Jutta: Ein Schatzhaus des Apelles (Iconophylacium). Beschreibung der Bildersammlung des Kölner Ratsherrn Franz von Imstenraedt, 1667, in: SCHÄFKE, Werner (Hrsg.): Coellen eyn Croyn. Renaissance und Barock in Köln (Der Riss im Himmel. Clemens August und seine Epoche 1), Köln 1999, S. 157–254. 7 SPENGLER, Dietmar: Spiritualia et pictura. Die Graphische Sammlung des ehemaligen Jesuitenkollegs in Köln. Die Druckgraphik, Köln 2002; APPUHN-RADTKE, Sibylle: Visuelle Medien im Dienst der Gesellschaft Jesu. Johann Christoph Storer (1620–1671) als Maler der katholischen Reform ( Jesuitica 3), Regensburg 2000.
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Heiligenverehrung und Reliquienkult,8 von katholischer Reform und neu belebten Wallfahrten gab, der sich der barocken Bildpublizistik sowie alter und neuer Werke der Goldschmiedekunst bediente, um dem Publikum ein Bild der rheinischen Sakrallandschaft zu vermitteln. Die Untersuchungen nehmen in Trier, bei der Heilig-RockWeisung von 1655, ihren Ausgang, werden am Beispiel Köln weitergeführt und berücksichtigen schließlich die Drucke für Aachen und Kornelimünster. Das dabei gewonnene Bild der Wallfahrtslandschaft Rheinland wird abschließend vergleichbaren katholischen Territorien wie Bayern oder Österreich kurz gegenübergestellt.9
1. Trier Die Wallfahrt zum Heiligen Rock in Trier gehört zu den wichtigsten Ereignissen in der rheinischen Geschichte der Frühen Neuzeit. Die folgenden Überlegungen befassen sich zunächst mit der bisher noch wenig erforschten Heilig-Rock-Weisung von 1655 und untersuchen dabei vor allem die Rolle der Bildpublizistik. Im Mittelpunkt steht das neue Medium des großformatigen Kupferstichs, das die Botschaft des Trierer Ereignisses in aller Herren Länder trug. Es geht vorrangig um die Frage der Kommunikation, um die Frage, was die Gläubigen von den Heiltümern einer Stadt vor ihrer Wallfahrt wussten und welche Nachrichten sie danach mit nach Hause nahmen. Dieses ‚Bild‘ versuchten die Veranstalter zu prägen: Von einer Stadt, einer Kirche und ihrem Reliquienschatz sollte – in der Terminologie der neueren Forschung – ein bestimmtes ‚image‘ vermittelt werden, das sich unter Umständen von der ‚Wirklichkeit‘ unterschied.10 8 ANGENENDT, Arnold: Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart, München 1994; LEGNER, Anton (Hrsg.): Reliquien. Verehrung und Verklärung. Skizzen und Noten zur Thematik, Köln 1989; DERS.: Reliquien in Kunst und Kult. Zwischen Antike und Aufklärung, Darmstadt 1995; DERS.: Kölner Heilige und Heiligtümer. Ein Jahrtausend europäischer Reliquienkultur, Köln 2003; BOZÓKY, Edina/HELVÉTIUS, Anne-Marie (Hrsg.): Les reliques. Objets, cultes, symboles, Turnhout 1999; OS, Henk van: Der Weg zum Himmel. Reliquienverehrung im Mittelalter, Regensburg 2001; REUDENBACH, Bruno/TOUSSAINT, Gia (Hrsg.): Reliquiare im Mittelalter (Hamburger Forschungen zur Kunstgeschichte 5), Berlin 2005; TACKE, Andreas (Hrsg.): „Ich armer sundiger mensch“. Heiligen- und Reliquienkult am Übergang zum konfessionellen Zeitalter (Schriftenreihe der Stiftung Moritzburg 2), Göttingen 2006; CORDEZ, Philippe: Die Reliquien, ein Forschungsfeld. Traditionslinien und Erkundigungen, in: Kunstchronik 60 (2007), S. 271–282. 9 SCHMID, Wolfgang: Die Wallfahrtslandschaft Rheinland am Vorabend der Reformation. Studien zu Trierer und Kölner Heiltumsdrucken, in: SCHNEIDER, Bernhard (Hrsg.): Wallfahrt und Kommunikation – Kommunikation über Wallfahrt (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 109), Mainz 2004, S. 17–195. 10 Mit dem Begriff ‚Image‘ konnte eine zu positivistische Sicht gerade der Historiker auf Stadtansichten, Grabdenkmäler und Porträts korrigiert werden, vgl. ROECK, Bernd: Stadtdarstellungen der frühen Neuzeit. Realität und Abbildung, in: DERS. (Hrsg.): Stadtbilder der Neuzeit (Stadt in der Geschichte 32), Ostfildern 2006, S. 19–39; KÖSTLER, Andreas: Das Portrait.
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Im Jahre 1512 wurde in Trier der Heilige Rock erhoben und danach zunächst jährlich, dann alle sieben Jahre ausgestellt. Seit 1585 fand keine Weisung mehr statt. In den Wirren des Dreißigjährigen Krieges brachte man die Reliquie 1632 auf der Festung Ehrenbreitstein und dann 1635 in Köln in Sicherheit. Nach den zahlreichen Auseinandersetzungen während der Regierungszeit des Erzbischofs Philipp Christoph von Sötern wurde sein Nachfolger Karl Kaspar von der Leyen 1652 mit vielen Vorschusslorbeeren begrüßt.11 Er leitete ein umfassendes Reformprogramm ein, das die kirchliche Ordnung wiederherstellen und dem religiösen Leben neue Impulse verleihen wollte. Vor allem führte er den Heiligen Rock im Jahre 1652 wieder nach Trier zurück. 1655 beschloss der Erzbischof eine Ausstellung des Heiltums; begründet wurde die Weisung mit den überstandenen Verheerungen der Kriegszeit sowie einer langen Zeit der materiellen Not und Verwilderung in allen Lebensbereichen, die zum Verfall von Andacht und Gottesfurcht geführt hätten.12 Die Weisung sollte an fünf Feiertagen stattfinden, um die erwarteten Pilgerströme regulieren zu können. An Himmelfahrt (6. Mai) kamen die Bistümer Metz, Toul und Verdun, an Pfingsten (16. Mai) Stadt und Land Köln, also Reichsstadt und Bistum, am Dreifaltigkeitstag (23. Mai) die Pilger aus Lüttich, Aachen und Jülich, an Johannes dem Täufer (14. Juni) nochmals Stadt und Land Köln und am Tag der Bistumspatrone Peter und Paul (29. Juni) das Erzstift Trier mit Luxemburg. Wir haben leider für die früheren Heilig-Rock-Wallfahrten keine vergleichbaren Angaben, aber es erscheint bemerkenswert, dass sich das Einzugsgebiet zunächst auf die Erzdiözese Trier mit den Suffraganbistümern Metz, Toul und
Individuum und Image, in: DERS./SEIDL, Ernst (Hrsg.): Bildnis und Image. Das Portrait zwischen Intention und Rezeption, Köln 1998, S. 9–14. 11 ELLERHORST, Friedrich: Karl Kaspar von der Leyen (1652–1676). Zu seinem 300. Geburtstag am 1. Juni 1976, in: Neues Trierisches Jahrbuch 1976, S. 41–50; LAUFNER, Richard: Politische Geschichte, Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte 1580–1794, in: DÜWELL, Kurt/IRSIGLER, Franz (Hrsg.): Trier in der Neuzeit (2000 Jahre Trier 3), Trier 1988, S. 3–60, hier S. 21–28; SEIBRICH, Wolfgang: Karl Kaspar Reichsritter von der Leyen-Hohengeroldseck, in: GATZ, Erwin (Hrsg.): Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1648 bis 1803. Ein biographisches Lexikon, Berlin 1990, S. 273–275. 12 BEISSEL, Stephan: Geschichte der Trierer Kirchen, ihrer Reliquien und Kunstschätze, Tl. 2: Zur Geschichte des hl. Rockes, Trier 1889, S. 283–288; MARX, J.: Geschichte des heil. Rockes in der Domkirche zu Trier, Trier 1844, S. 102–106; Bericht eines Augenzeugen über die Ausstellung des h. Rockes i. J. 1655, in: Trierisches Archiv 3 (1899), S. 83–86; EWEN, Jos.: Zur Ausstellung des hl. Rockes im Jahre 1655, in: Pastor bonus 6 (1894), S. 378–380; LAUFNER, Richard: Die Heilig Rock-Ausstellung im Jahre 1655, in: Trierisches Jahrbuch 10 (1959), S. 56–67; DERS.: Logistische und organisatorische, finanzielle und wirtschaftliche Aspekte bei den Hl.-Rock-Wallfahrten 1512 bis 1959, in: Der Heilige Rock zu Trier. Studien zur Geschichte und Verehrung der Tunika Christi, Trier 1995, S. 457–481, hier S. 462–464; SEIBRICH, Wolfgang, Die Heilig-Rock-Ausstellungen und Heilig-Rock-Wallfahrten von 1512 bis 1765, in: ebd., S. 175–217, hier S. 197–206.
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Verdun konzentrierte. Ein zweiter Schwerpunkt ist im Norden erkennbar, für die Nachbardiözese Köln waren gleich zwei Tage reserviert, auch aus Lüttich rechnete man mit zahlreichen Pilgern. Dafür fehlen der Osten und Süden; hier hatte der katholische Glauben durch die Reformation an Boden verloren. Es lassen sich aber auch Kontinuitätslinien beobachten: Im 14. Jahrhundert waren Maastricht, Kornelimünster, Aachen und Köln zu einem bistumsübergreifenden Wallfahrtsverbund zusammengewachsen, dem sich dann auch Düren und Trier anschlossen. Alle sieben Jahre wurden in diesen Städten die Reliquien gezeigt, 1517 erschien neben vielen Heiltumsdrucken auch ein gemeinsamer Pilgerführer für alle sechs Orte.13 Die Heiligen- und Reliquienverehrung, die Wallfahrten und Weisungen waren für diese Städte so wichtig, dass sie trotz aller Reformationsversuche am katholischen Glauben festhielten und sich auch nach dem Dreißigjährigen Krieg als Pilgerstädte präsentierten. Hinzu kommt ein herrschaftliches Element: Der Zusammenhang zwischen Politik und Heiligenverehrung ist für das Mittelalter von zentraler Bedeutung,14 für die Frühe Neuzeit spielt er gerade in den katholischen Territorien eine wichtige Rolle. Die Bewahrung und Vermehrung des Reliquienschatzes war eine zentrale Aufgabe eines jeden Landesherren; Konflikte zwischen Bischof, Kapitel und Rat über die Kontrolle des Heilsschatzes und eine Beteiligung an den Einnahmen aus den Spenden der Pilger sind für nahezu jede Wallfahrtsstadt nachzuweisen.15 Eine Antwort auf die Fragen, ob die Wallfahrt von 1655 in quantitativer oder in qualitativer Hinsicht einen Erfolg darstellte, wie viele Pilger sie anzog und ob sie einen Anstoß zu einer religiösen Erneuerung nach dem Dreißigjährigen Krieg darstellte, ist nur schwer zu finden. Die Zahl von einer Million Pilgern geistert durch die Literatur, lässt sich aus den Quellen aber nicht bestätigen.16 Ein zeitgenössischer Heiltumsdruck zeigt den von Pilgern dicht gefüllten Domfreihof, doch wurde das Blatt wohl schon vor der Wallfahrt gedruckt und dann an Pilger ver-
13 STEPHANY, Erich: Der Zusammenhang der großen Wallfahrtsorte an Rhein-Maas-Mosel, in: Achthundert Jahre Verehrung der Heiligen Drei Könige in Köln 1164–1964 (Kölner Domblatt 23/24), Köln 1964, S. 163–179; SCHMID: Wallfahrtslandschaft (wie Anm. 9); DERS.: Wallfahrtspublizistik am Niederrhein am Vorabend der Reformation, in: GEUENICH, Dieter (Hrsg.): Heiligenverehrung und Wallfahrt am Niederrhein (Schriftenreihe der NiederrheinAkademie 6), Essen 2004, S. 71–98. 14 PETERSOHN, Jürgen (Hrsg.): Politik und Heiligenverehrung im Hochmittelalter (Vorträge und Forschungen 42), Sigmaringen 1994. 15 SCHMID: Wallfahrtslandschaft (wie Anm. 9), S. 54f. 16 Die Quelle ist unbekannt, vgl. die kritischen Bemerkungen bei SEIBRICH: Ausstellungen (wie Anm. 12), S. 205; BEISSEL: Geschichte (wie Anm. 12), S. 285, nennt ebenfalls ohne Quellenangabe „weit über 200.000“ Pilger. Vgl. auch GROSS-MORGEN, Markus: Ein Flugblatt zur Heilig-Rock-Wallfahrt 1655, in: SCHNEIDER: Wallfahrt (wie Anm. 9), S. 245–280, hier S. 248.
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kauft. Ein zeitgenössischer Bericht nennt mehrfach „eine überaus große Menge Volkes von allerorten ohne Unterschied des Standes, vom Adel, Bürgersleute und gemeiner Pöbel“, welche bereits die Wege nach Trier in großer Zahl bevölkert habe. Zudem seien zahllose „Fürsten, Grafen, Freiherrn und Standespersonen“ nach Trier gekommen, darunter die Erzbischöfe von Köln und Mainz sowie der Landgraf von Hessen, und zwar „ohne Unterschied der Religion“.17 An die Pilger wurden Heiltumsdrucke und Wallfahrtsandenken verkauft, für vermögende Gäste prägte die Koblenzer Münze 1.000 Silbermedaillen zur Erinnerung an die Wallfahrt.18 Doch Anspruch und Realität, Image und Wirklichkeit klafften mitunter weit auseinander. Ob der Heiltumsdruck und der Bericht von 1655 die Realität widerspiegeln, lässt sich schwer entscheiden. Von seinem groß angelegten Reformprogramm konnte Karl Kaspar von der Leyen bis zu seinem Tod 1676 kaum etwas durchsetzen, weil Kriege und militärische Besetzungen jede kontinuierliche Politik verhinderten. Dafür errichtete er bereits zu Lebzeiten 1664/66 im Westchor des Trierer Domes sein Grabmal. Mit einer Höhe von elf Metern war es das großartigste Monument eines barocken Kirchenfürsten im westdeutschen Raum.19 Zur Heilig-Rock-Wallfahrt von 1655 erschien bei dem Kölner Verleger Gerhard Altzenbach ein großformatiges Blatt mit der Überschrift „Designatio sacratissimarum quarundam reliquiarum […]“ (Zeichnung der heiligsten Reliquien, die mit dem Gewand des Herrn Jesu Christi, mit seinem Nagel und einem großen Teil des heiligen Kreuzes in der Metropolitankirche zu Trier ausgestellt wie auch in anderen Kirchen derselben Stadt edle und heiligste Reliquien dem frommen Volk zum Anschauen gezeigt werden) (Abb. 1).20 Es folgen die Weisungstermine und der Druckervermerk „Zu Cöllen bei Gerhard Altzenbach in dem Minderbrüder
17 LAUFNER: Heilig Rock-Ausstellung (wie Anm. 12), S. 61, 63, 66; ZIMMER, Theresia: Eine Einladung des Kurfürsten K. K. v. d. Leyen zur Hl.-Rock-Ausstellung i. J. 1655, in: Trierisches Jahrbuch 10 (1959), S. 68f. 18 SCHNEIDER, Konrad/FORNECK, Gerd Martin: Die Medaillen und Gedenkmünzen der Erzbischöfe und Kurfürsten von Trier (Kataloge und Schriften des Bischöflichen Dom- und Diözesanmuseums Trier 2), Trier 1993, S. 48f.; GILLES, Karl-Josef: Unbekannte Wallfahrtsmedaillen und Pilgerzeichen des 16.–19. Jahrhunderts, in: Landeskundliche Vierteljahrsblätter 42 (1996), S. 105–115. 19 Für Gott und die Menschen. Die Gesellschaft Jesu und ihr Wirken im Erzbistum Trier (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 66), Mainz 1991, S. 556–558, Nr. 131; HEINZ, Stefan/ROTHBRUST, Barbara/SCHMID, Wolfgang: Die Grabdenkmäler der Erzbischöfe von Trier, Köln und Mainz, Trier 2004, S. 63f. 20 Die Reliquien der anderen Trierer Kirchen werden nicht erwähnt, wurden aber in anderen Heiltumsdrucken durchaus verzeichnet.
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Abbildung 1: Heiltumsdruck mit den Reliquien des Trierer Domes, Köln 1655 (Bibliothek des Bischöflichen Priesterseminars Trier)
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umbgang zu finden 1655“.21 Der Kreuzgang des Kölner Franziskanerklosters ist seit dem 16. Jahrhundert als Kunsthandelsplatz belegt.22 Von dem Kupferstich sind bisher drei Exemplare bekannt, die sich vor allem durch das Tempus des Textes unterscheiden. Einmal heißt es im Futur, die Reliquien werden ausgestellt, und einmal im Imperfekt, sie wurden ausgestellt. Neben kleineren Abweichungen gibt es eine Korrektur: Im französischen Text wurde der Satz, es werde der Nagel gezeigt, mit dem Christi rechte Hand befestigt wurde, korrigiert und mit einem schmalen Papierstreifen überklebt: Der Trierer Nagel wurde durch den rechten Fuß getrieben. Hier mussten die Angaben exakt sein und der Trierer Überlieferung entsprechen. Das Blatt war also im Vorfeld der Weisung auf den Markt gebracht worden und muss sich so gut verkauft haben, dass eine Neuauflage sinnvoll erschien. Der Kupferstich zeigt unten eine Leiste mit drei Wappen und zwei Inschriftenkartuschen. Es sind die Wappen des Bistums, des Erzbischofs und der Stadt Trier. Die linke Kartusche widmet den Druck dem Erzbischof, der als frommer Einrichter des Festes der heiligen Reliquien, als großer Eiferer für die Ehre Gottes und aller Trierischen Heiligen sowie als guter Hirte seiner Schafe bezeichnet wird; ihm wünscht der Verleger die Gunst und die Unterstützung der Heiligen.23 Es handelt sich bei dem Blatt um die kommerzielle Produktion eines Kölner Verlegers, der auf diesem Markt einschlägige Erfahrungen besaß. Altzenbach ist in Köln von 1612 bis 1672/75 als ‚Heiligendrucker‘ nachweisbar; sein Werk umfasst religiöse und profane Kupferstiche, darunter Pilgerdrucke für Trier, Aachen und Kornelimünster, eine Kölner Stadtansicht, die Darstellung einer Hinrichtung, die Kölner Ratsherrenkalender, eine Fronleichnamsprozession und eine Darstellung der Prozession zum Bonner Kreuzberg von 1641, zu der die Gläubigen zu Fuß und zu Schiff aus allen kölnischen Landstädten herbeiströmen. Altzenbachs Umsatz muss
21 GROSS-MORGEN: Flugblatt (wie Anm. 16); RONIG, Franz: Die Heiligtümer des Trierer Domschatzes. Wallfahrtsbild von 1655, Kupferstich. Gestochen und verlegt von Gerhard Altzenbach, Köln, Trier 2007; STORK, Hans-Walter: „Ruhm der Stadt Trier“. Die „Designatio sacrarum reliquiarum“ des Gerhard Altzenbach von 1655, in: HELLENBRAND, Karl-Heinz u. a. (Hrsg.): Rund um den Dom. Kleine Beiträge zur Geschichte der Trierer Bücherschätze (Libri Pretiosi 10), Trier 2007, S. 97–107; SCHMID, Wolfgang: Graphische Medien und katholische Reform. Reliquienverehrung, Goldschmiedekunst und Wallfahrt in rheinischen Städten nach dem Dreißigjährigen Krieg (Mitteilungen und Verzeichnisse aus der Bibliothek des bischöflichen Priesterseminars zu Trier 25), Trier 2008; DERS.: Bildpublizistik und katholische Reform. Die Trierer Heilig-Rock-Wallfahrt von 1655 als Medienereignis, in: FRANK, Thomas/ MATHEUS, Michael/REICHERT, Sabine (Hrsg.): Wege zum Heil. Pilger und heilige Orte an Mosel und Rhein (Geschichtliche Landeskunde 67), Stuttgart 2009, S. 81–96. 22 SCHMID: Renaissancekultur (wie Anm. 3), S. 103–110. 23 Vollständiger Text mit Übersetzung bei RONIG: Heiligtümer (wie Anm. 21), S. 9f.
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beträchtlich gewesen sein, er besaß in Köln drei Verkaufsstellen und eine weitere in Straßburg.24 Altzenbachs Trierer Heiltumsdruck von 1655 war keine unmittelbare Auftragsarbeit, aber man kann eine enge Kooperation mit den lokalen Institutionen voraussetzen, allein schon, um Auseinandersetzungen mit der Zensur zu vermeiden. Altzenbach war vor der Heiltumsweisung nach Trier gereist, hatte hier die einzelnen Stücke des Domschatzes gezeichnet bzw. zeichnen lassen und sich eine Gesamtkonzeption überlegt, die dem Trierer Selbstverständnis zumindest entgegenkam. Widmungen an Bischof, Domkapitel und Stadtrat verliehen der Publikation einen offiziösen Anstrich und ermöglichten es, sie auf dem Trierer Markt zu verkaufen. Unser Blatt besteht aus drei Teilen und misst 40 x 60 cm. Links und rechts sind zwei mit beweglichen Lettern gedruckte Inschriftenstreifen angebracht, die in deutscher und in französischer Sprache einen weitgehend identischen Text bieten. Die Mitteltafel (40 x 30 cm) ist als Kupferstich im Tiefdruckverfahren hergestellt. Man musste die Blätter also nachträglich zusammenkleben und wohl auch zur Verstärkung auf Papier oder Leinwand aufziehen.25 Über die intendierte Verwendung kann man nur spekulieren; vom gelehrten Sammlerstück26 bis hin zum illustrierten Andachtsbild ist alles möglich.27 24 ENNEN, Leonhard: Art. ‚Altzenbach, Gerhard‘, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 1, Leipzig 1887, S. 375; MERLO, Johann Jacob: Kölnische Künstler in alter und neuer Zeit (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 9), Düsseldorf 1895, Sp. 40–42, zu Wilhelm Altzenbach ebd., Sp. 42–43; Allgemeines Künstlerlexikon, Bd. 2, Leipzig 1986, S. 730f., zu Wilhelm ebd., S. 731; SCHÖLLER, Bernadette: Religiöse Drucke aus Kölner Produktion. Flugblätter und Wandbilder des 16. bis 19. Jahrhunderts aus den Beständen des Kölnischen Stadtmuseums, Köln 1995, S. 121. 25 Beispiele bei HARMS, Wolfgang/SCHILLING, Michael: Zum illustrierten Flugblatt der Barockzeit, in: HARMS, Wolfgang u. a. (Hrsg.): Illustrierte Flugblätter des Barock. Eine Auswahl, Tübingen 1983, S. VII–XVI, hier S. XI. 26 Der Kölner Ratsherr Hermann Weinsberg schätze Hogenbergs Blätter sehr, er besaß oder kannte viele von ihnen und beschrieb auch die Herstellung von Klebebänden: „Man weis die abgetruckte brief in boicher zu leimen, darin man die ganse historien und geschichten kan sehen“, zit. nach SCHMID: Renaissancekultur (wie Anm. 3), S. 125f.; vgl. allg. auch BRAKENSIEK, Stephan: Vom „Theatrum mundi“ zum „Cabinet des Estampes“. Das Sammeln von Druckgraphik in Deutschland 1565–1821 (Studien zur Kunstgeschichte 150), Hildesheim 2003. 27 Die Meinungen über die Funktionen von Heiltumsdrucken gehen auseinander, wobei die Kupferstiche des 17. Jahrhunderts größer und artifizieller gestaltet sind als die Holzschnitte des 15. Jahrhunderts. Vgl. zuletzt – ohne dass hier die einzelnen Positionen diskutiert werden können – HEISER, Sabine: Andenken, Andachtspraxis und Medienstrategie. Das Wiener Heiltumsbuch von 1502 und seine Folgen für das Wittenberger Heiltumsbuch von 1509, in: TACKE: „Ich armer sundiger mensch“ (wie Anm. 8), S. 208–238, hier S. 224–238; BANGERTER-SCHMID, Eva-Maria: Erbauliche illustrierte Flugblätter aus den Jahren 1570–1670 (Mikrokosmos 20), Frankfurt 1986; FRESE, Annette: Barocke Titelgraphik am Beispiel der Verlagsstadt Köln (1570–1700). Funktion, Sujet, Typologie (Dissertationen zur Kunstgeschichte 31), Köln 1989, S. 188; SCHILLING, Michael: Bildpublizistik der frühen Neuzeit. Aufgaben
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Die Mitteltafel besteht neben der oberen und der unteren Inschriftenleiste aus vier Regalen ungefähr gleicher Höhe, die in bis zu fünf Fächer eingeteilt sind. Die vier mittleren sind zu einem großen Feld zusammengefasst. Der Kupferstecher konnte die chronologisch angeordnete Reihenfolge der Heiltumsweisung nicht darstellen und entschied sich für eine Art Reliquienschrank mit Fächern. Böden und Hintergründe verleihen dem Ganzen eine gewisse Dreidimensionalität, allerdings passen die Horizontlinien nicht immer zusammen. Zu jedem Reliquiar gehört eine Kartusche, die an mittelalterliche ‚cedulae‘ erinnert, mit einem lateinischen Text, der die darin geborgenen Überreste der Heiligen benennt. Freilich spielt der Kupferstecher mit der Wirklichkeit, denn bereits ein Blick auf das mittlere Bildfeld zeigt, dass es sich nicht um ein Regalfach handelt, sondern um ein Fenster, das den Blick vom Markusberg auf die Stadt Trier mit ihren Kirchen freigibt: Er reicht vom Dom und der Liebfrauenkirche über St. Gangolf und die Basilika bis hin zur Kartause und St. Matthias südlich der Stadtmauer. Die Römerbrücke bildet den rechten Abschluss. Es handelt sich um einen Ausschnitt aus der Stadtansicht von Matthäus Merian von 1646, die der Künstler verwendet hat.28 Der Kupferstecher der „Designatio“ präsentiert uns ein Bild der vom Erzbischof gut regierten heiligen Stadt, die von Kirchtürmen überragt, von Mauern umgeben und durch ehrwürdige Römerbauten ausgezeichnet ist. Unterstrichen wird diese Botschaft durch einen lateinischen Vers „Ante Romam Treuiris stetit Annis mille trecentis“ (Vor Rom stand Trier schon 1.300 Jahre). Der auch an dem 1685 am Hauptmarkt errichteten ‚Roten Haus‘ angebrachte Spruch verweist auf die TrebetaLegende, wonach ein assyrischer Königssohn 1300 Jahre vor Rom die Stadt Trier gegründet habe.29 Die bereits in den „Gesta Treverorum“ um 1100 fixierte Stadtgründungslegende ist Teil des ‚image‘ der barocken Wallfahrtsstadt Trier, die sich ganz in der mittelalterlichen Tradition als ‚Sancta Treviris‘, als ‚civitas sancta‘ präsentiert.30 Und ohne den Überlegungen hier allzu weit vorgreifen zu wollen: Trier ist und Leistungen des illustrierten Flugblatts in Deutschland bis um 1700 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 29), Tübingen 1990. 28 FRANZ, Gunther: Trier, in: BEHRINGER, Wolfgang/ROECK, Bernd (Hrsg.): Das Bild der Stadt in der Neuzeit 1400–1800, München 1999, S. 383–391; FUSS, Ulrike Valeria: Matthaeus Merian der Ältere: Von der lieblichen Landschaft zum Kriegsschauplatz. Landschaft als Kulisse des 30jährigen Krieges (Europäische Hochschulschriften 28/350), Frankfurt a. M. u. a. 2000. 29 KENTENICH, Gottfried: Die Trierer Gründungssage in Wort und Bild, in: Trierer Heimatbuch. Festschrift zur Rheinischen Jahrtausendfeier, Trier 1925, S. 193–212; HAARIOBERG, Ilse: Die Wirkungsgeschichte der Trierer Gründungssage vom 10. bis zum 15. Jahrhundert (Europäische Hochschulschriften 3/607), Bern u. a. 1994. 30 HAVERKAMP, Alfred: „Heilige Städte“ im hohen Mittelalter (1987), in: DERS.: Verfassung, Kultur und Lebensform. Beiträge zur italienischen, deutschen und jüdischen Geschichte im europäischen Mittelalter, Mainz 1997, S. 361–402; SCHMID, Wolfgang: Sancta Treveris. Zur Bedeutung der Formel vom Heiligen Trier in Mittelalter und Früher Neuzeit, in: Rheinische Heimatpflege 37 (2000), S. 12–18; DERS.: Die Stadt und ihre Heiligen. Die ‚Sancta Treviris‘
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die einzige Wallfahrtsstadt, die sich für eine solche Art der Selbstdarstellung entschied, weder für Köln noch für Aachen ist ein vergleichbares Blatt nachweisbar – obwohl es zum Beispiel genug Kölner Stadtpanoramen gab, welche die zahlreichen Kirchen der von Heiligen geschützten ‚Sancta Colonia‘ darstellten.31 Und noch etwas ist hervorzuheben: Über der Trierer Stadtansicht schwebt der Heilige Rock. Das Blatt zeigt die Reliquien des Domes, bildet aber alle Kirchen der Stadt ab. Zudem schwebt der Heilige Rock an einer Stelle, an der auf Sebastian Münsters Stadtansicht von 1548 das ebenfalls von Engeln gehaltene Amtswappen des Erzbischofs Johann von Isenburg angebracht ist; auf dem Merian-Stich ist es das Wappen des Philipp Christoph von Sötern. Dieses Wappen signalisiert eine politische Botschaft, die im 16. Jahrhundert noch umstritten war, im 17. aber nur noch unterstrichen werden musste: Trier ist eine landesherrliche Stadt, die dem Bischof untersteht.32 Was nicht minder erstaunt, sind die beiden Engel, die über der Stadt Trier schweben und dabei den Heiligen Rock und zwei weitere Reliquien präsentieren. Durch die Ärmel der Tunika ist eine Stange gezogen, damit dieser frei hängen und sich entfalten kann. Der Stab wird von zwei Engeln in Diakonsgewändern gehalten. Die beiden knien auf einem Wolkenband, das dann zurückspringt, um den Blick auf die Tunika freizugeben. Diese befindet sich in kompositorischer Hinsicht genau in der Mittelachse des Blattes. Über ihr erkennt man eine Kartusche, in der die drei Reliquien bezeichnet werden: Der linke Engel trägt ein Kreuz, in das „ein großes Stück vom Heiligen Kreuz“ eingefügt ist, der rechte präsentiert den Heiligen Nagel.33 Auf den anderen Brettern des Regals befinden sich insgesamt 18 Reliquiare:34 Zunächst sehen wir links und rechts in vier Fächern das Haupt des Apostels Matthias und das der heiligen Helena, unten das des Bischof Blasius, des Papstes Kornelius und des Märtyrers Getulius. Es handelt sich um fünf gotische Büstenreliquiare, die recht genau wiedergegeben sind: Die Figur der heiligen Helena zum Beispiel präsentiert mit der einen Hand ein Kreuz und mit der anderen drei Nägel. Ferner erkennt man das Stifterbild des Domherrn Arnold von Saarbrücken mit zwei kleinen Engeln. Das Matthiashaupt stiftete Erzbischof Kuno von Falkenstein, das des heiligen Kornelius der Domdekan Eberhard von Hohenfels. Wir sind darüber gut unter-
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und die ‚Sancta Colonia‘ am Ende des Mittelalters, in: Kurtrierisches Jahrbuch 48 (2008), S. 123–154. BORGER, Hugo/ZEHNDER, Frank Günter: Köln. Die Stadt als Kunstwerk. Stadtansichten vom 15. bis 20. Jahrhundert, Köln 1982; HERBORN, Wolfgang : Köln, in: BEHRINGER/ROECK: Bild (wie Anm. 28), S. 256–263. ROECK: Stadtdarstellungen (wie Anm. 10), S. 34–37. GROSS-MORGEN: Flugblatt (wie Anm. 16), S. 250f. KUHN, Hans Wolfgang: Zur Geschichte des Trierer und des Limburger Domschatzes. Die Pretiosenüberlieferung aus dem linksrheinischen Erzstift Trier seit 1792, in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 28 (1976), S. 155–207; KENTENICH, Gottfried: Ein Verzeichnis des Trierer Domschatzes aus dem Jahre 1429, in: Trierisches Archiv 24/25 (1916), S. 228–233; HULLEY, Josef: Der Domschatz zu Trier vor der französischen Revolution, in: Pastor Bonus 12 (1899/1900), S. 374–376.
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richtet, weil die Stiftertestamente überliefert sind und weil das Domschatzinventar von 1776 die Inschriften festhält. In der oberen Reihe sieht man die Armreliquiare der heiligen Anna und Barbara, die 1530 der Domdekan Christoph von Rheineck gestiftet hatte. Es folgen ein Kästchen mit dem Haupt des heiligen Lazarus und zwei Statuetten von Petrus und Paulus; die erste war eine Stiftung Erzbischof Balduins für eine Petrusreliquie, die er aus dem Nachlass seines Bruders, Kaiser Heinrichs VII., dem Trierer Dom übergab. Zwischen den Statuetten ist recht unscheinbar, aber genau in der Mittelachse des Blattes, der Petrusstab dargestellt; er ist stark verkleinert, damit er zwischen die beiden armhohen Figuren passt. Rechts folgen ein Kästchen mit einem Arm des heiligen Andreas und eine ebenfalls verlorene Monstranz mit einem Horn, in der zahlreiche Reliquien aufbewahrt wurden. Die untere Reihe beginnt mit einer weiteren Monstranz mit Horn, in der ebenfalls mehrere Reliquien aufbewahrt wurden, gefolgt von drei Reliquienschreinen: Zunächst ein Schrein in Form einer Basilika, dann der Maternusschrein und als drittes der Andreas-Tragaltar, der außer der Sandale des Apostels Glieder von der Kette des heiligen Petrus, die Krone der Kaiserin Helena, ihre Trinkschale und ihre Kopfbinde enthält. Ein Vergleich mit dem erhaltenen Original zeigt, dass dieses Meisterwerk der ottonischen Goldschmiedekunst recht treffend wiedergegeben ist.35 Die 18 Reliquiare enthalten insgesamt 45 verschiedene Reliquien. Es gibt ein zentrales Mittelfeld, umgeben von fünf Büstenreliquiaren, es folgt die obere Reihe und schließlich die untere, sechs Katalognummern mit 30 Reliquien. Ein Blick auf die ‚Ordines‘ der Heiltumsweisungen zeigt, dass man 1512 den Arm der heiligen Anna zeigte, den Petrusstab, das Matthias- und das Helenahaupt, die Barbarareliquien, das Haupt des heiligen Kornelius, den heiligen Maternus und schließlich den Heiligen Rock. 1655 war die Liste auf zehn Positionen angewachsen: Petruskette, Petruszahn und Andreassandale, vor allem aber das Heilige Kreuz waren dazu gekommen.36 Es lässt sich also festhalten, dass eine bestimmte Kerngruppe von Reliquien im Mittelpunkt sowohl der Weisungsordines als auch der „Designatio“ stand, dass dies aber ein eher kleiner gemeinsamer Nenner war. Weiter ist festzuhalten, dass weibliche Heilige (Anna, Barbara, Helena) eine untergeordnete Rolle spielen; zwar sind zwei prominente Passionsreliquien vorhanden, aber Anknüpfungspunkte für eine Marienverehrung fehlen. Hervorzuheben ist außerdem eine Akzentverschiebung in der Funktion der dargestellten Werke: Spätestens seit den Werken der Egbert-Werkstatt hatte Schatzkunst stets auch eine memoriale Funktion, das heißt, sie sollte die Erinnerung an 35 WESTERMANN-ANGERHAUSEN, Hiltrud: Überlegungen zum Trierer Egbertschrein, in: Trierer Zeitschrift 41 (1977/78), S. 201–220; KRUG, Antje: Die Bekrönung des Egbertschreins, in: Trierer Zeitschrift 63 (2000), S. 353–363; FUCHS, Rüdiger (Bearb.): Die Inschriften der Stadt Trier I (bis 1500) (Die Deutschen Inschriften 70), Wiesbaden 2006, S. 98–102, Nr. 52. 36 LAUFNER: Heilig Rock-Ausstellung (wie Anm. 12), S. 60, 63.
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den Stifter aufrecht erhalten, wenn das von ihm gestiftete und mit seinem Wappen versehene Reliquiar in der Liturgie verwendet wurde. Wappen und Inschriften erinnern die nachfolgenden Generationen an ihre Verpflichtungen, für den Verstorbenen zu beten.37 Sie spielen auch in den Inventaren eine wichtige Rolle, weil sich anhand der Wappen die Reliquiare zweifelsfrei benennen ließen. Auf unserem Heiltumsdruck sind einige Wappen angedeutet, sie reichen aber für eine Identifizierung nicht aus; in den Inschriften auf den Kartuschen werden die Namen der Stifter nicht genannt. Die Kupferstiche verkürzen so trotz aller Genauigkeit im Detail die Aussagen der abgebildeten Gegenstände; auch ihre materielle Qualität (Gold, Edelsteine) geht bei der Wiedergabe verloren. Im Mittelpunkt der Präsentation der „Designatio“ stand das Fenster mit dem Blick auf die Trierer Kirchen, zugleich ein Blick in den Himmel, in dem der Heilige Rock schwebt. Gerahmt wird diese Kerngruppe von fünf Büstenreliquiaren. Die Konstruktion besitzt ein Dach und ein Fundament aus Reliquien; die obere Reihe ist symmetrisch aufgebaut, so dass der Petrusstab in der Mitte von zwei Statuetten flankiert wird, die wiederum von zwei Kistchen umgeben sind. Im Mittelpunkt der unteren Reihe stehen drei Schreine. Wir können also sowohl bei dem Gesamtplan für den Reliquienschrank als auch bei der Platzierung der Einzelstücke eine gewisse Systematik nach ästhetischen Gesichtspunkten feststellen.38 Außerdem ist festzuhalten, dass eine Konstruktion aus einer großen Mitteltafel, die von einer Reihe kleinerer Rahmenfelder, auf denen zum Beispiel Szenen aus der Vita des in der Bildmitte dargestellten Heiligen gezeigt werden, zum künstlerischen Standard der Zeit zählten. Ansonsten ist die Gestaltung des Blattes recht nüchtern. Die Reliquiare des Domschatzes werden abgebildet und bezeichnet, wobei zwei bedeutende Heiltümer, der Heilige Rock und der Heilige Nagel, aus ihrer Hülle entnommen und ohne diese abgebildet sind. Es handelt sich um höchst prominente Passionsreliquien, wobei sich für den Heiligen Nagel nachweisen lässt, dass er im Mittelalter bei Prozessionen getrennt von seiner Hülle mitgeführt wurde. Die restlichen Reliquien sind kein Gegenstand des Interesses, sie werden weder abgebildet noch beschrieben. Wie kam der Kupferstecher zu der Idee, die Reliquien des Trierer Domschatzes in der Art eines Regalsystems zu präsentieren? Wahrscheinlich gibt es zwei künstle-
37 SCHMID, Wolfgang: Egberts Memoria, in: HELLENBRAND: Rund um den Dom (wie Anm. 21), S. 84–97; SCHMID, Wolfgang: Frömmigkeit und Repräsentation einer geistlichen Elite. Die Grabdenkmäler der Domkanoniker im Trierer Dom und in Liebfrauen, in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 59 (2007), S. 145–228. 38 DIEDRICHS, Christof L.: Reliquientheater. Die Weisung der Reichskleinodien in Nürnberg, oder: Performative Patina mittelalterlicher Kunst, in: FISCHER-LICHTE, Erika u. a. (Hrsg.): Diskurse des Theatralen (Theatralität 7), Tübingen/Basel 2005, S. 211–229; BROSSETTE, Ursula: Die Inszenierung des Sakralen. Das theatralische Raum- und Ausstattungsprogramm süddeutscher Barockkirchen in seinem liturgischen und zeremoniellen Kontext (Marburger Studien zur Kunst- und Kulturgeschichte 4), 2 Bde., Weimar 2002.
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rische Wurzeln: Zunächst lässt sich bereits in der Zeit um 1500 ein Boom an Heiltumsschriften, zum Beispiel für Maastricht, Kornelimünster, Aachen und Köln sowie Düren und Trier, nachweisen.39 Die frühen Holzschnitte waren recht kunstlos, doch kamen in der Dürerzeit auch artifizielle Darstellungsformen wie das Bamberger (1491) und das Wiener (1502), das Wittenberger (1509) und das Hallenser Heiltumsbuch (1520) auf.40 Eine nochmalige Steigerung stellten Heiltumsbücher dar, die mit Buchmalereien ausgestattet und somit individuelle Anfertigungen anspruchsvoller Auftraggeber waren, wie das Halle‘sche Heiltum, 1526 für Kardinal Albrecht von Brandenburg angefertigt, oder das um 1591/1602 entstandene Buch über den Heiltumsschatz in Sankt Michael in München, ein Auftrag Herzog Wilhelms V. von Bayern.41 Außerdem setzten sich im 17. Jahrhundert die großformatigen Kupferstiche durch und verdrängten die kleinen Holzschnitte, mit denen die Heiltumsdrucke im Quart- oder Oktavformat ausgestattet waren und die die Pilger bequem in die Tasche stecken konnten.42 Im 15., vor allem aber im späten 16. Jahrhundert fing man damit an, die Reliquienschätze in langen Regalreihen und auf großformatigen Blättern zu präsentieren. Beispiele sind das Augsburger Blatt mit den Reliquien von St. Ulrich und Afra (1494),43 ein Holzschnitt mit den Reliquien von St.-Trond aus den Jahren 1552/5944 sowie der Andechser Heiltumsbrief von 1496 (53 x 76 cm), der Heiltumsbrief von 1572/79 (33 x 41 cm) und das Große Andechser Heiltumsblatt von 1640/55 (119 x 56 cm).45 Die zweite künstlerische Wurzel sind die Reliquienschränke in Kirchen, in denen zum Beispiel die zahllosen Häupter der Gefährtinnen der heiligen Ursula oder der Thebäer präsentiert wurden.46 Dabei war der künstlerische Aufwand recht unterschiedlich, er reicht von einfachen Regalen der Gotik bis zu aufwändigen Stellagen
39 Vgl. Anm. 13. 40 LEGNER: Reliquien in Kunst und Kult (wie Anm. 8), S. 98–118; TACKE: „Ich armer sundiger mensch“ (wie Anm. 8). 41 LEGNER: Reliquien in Kunst und Kult (wie Anm. 8), S. 116f. 42 SCHÖLLER, Bernadette: Kölner Druckgraphik der Gegenreformation. Ein Beitrag zur Geschichte religiöser Bildpropaganda zur Zeit der Glaubenskämpfe mit einem Katalog der Einblattdrucke des Verlages Johann Bussemacher (Veröffentlichungen des Kölnischen Stadtmuseums 9), Köln 1992, S. 28; HARMS/SCHILLING: Flugblatt (wie Anm. 25), S. IX. 43 CORDEZ, Philippe: Wallfahrt und Medienwettbewerb. Serialität und Formenwandel der Heiltumsverzeichnisse mit Reliquienbildern im Heiligen Römischen Reich (1460–1520), in: TACKE: „Ich armer sundiger mensch“ (wie Anm. 8), S. 37–73, hier S. 47–49, Abb. 4. 44 CORDEZ: Wallfahrt (wie Anm. 43), S. 70f., Abb. 11. 45 LEGNER: Reliquien in Kunst und Kult (wie Anm. 8), S. 97–100; CORDEZ: Wallfahrt (wie Anm. 43), S. 50f. 46 LEGNER, Anton: Kölnische Hagiophilie. Die Domreliquienschränke und ihre Nachfolgeschaft in Kölner Kirchen, in: Kölner Domblatt 51 (1986), S. 195–274; DERS.: Reliquienpräsenz und Wanddekoration. Mit einem Beitrag über Kriegsschäden und Wiederherstellung von Anton Goergen, in: Die Jesuitenkirche St. Mariae Himmelfahrt in Köln (Beiträge zu den Bau- und Kunstdenkmälern im Rheinland 28), Düsseldorf 1980, S. 269–296.
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im Barock; verwiesen sei nur auf die 1643 errichtete „Goldene Kammer“ in St. Ursula in Köln47 oder auf die in der 1618 bis 1629 gebauten und in den Jahren danach ausgestatteten Jesuitenkirche St. Mariae Himmelfahrt; bei vielen barocken Regalsystemen lässt sich ein bewusster Rückgriff auf mittelalterliche Traditionen nachweisen.48 Es erscheint denkbar, dass sich unser Kupferstecher solche Reliquienschränke zum Vorbild genommen hat; der Gedanke ist noch nicht einmal abwegig, weil Altzenbach die Kölner Kirchen kannte und die Reliquienschränke bzw. Heiltumsdrucke annähernd gleichzeitig entstanden. Einige Fragen sind bei der Analyse des Kupferstichs der „Designatio“ offen geblieben. Man kann sie anhand der Texte beantworten, die links und rechts an dem Kupferstich angebracht wurden. Zunächst ist ihre Sprache hervorzuheben: Sie sind in Deutsch und in Französisch abgefasst; die lateinischen Texte auf der Mitteltafel sind dagegen recht kurz. Bemerkenswert erscheint dabei, dass von den etwa 60, im Gefolge der Erhebung des Heiligen Rocks ab 1512 erschienenen Heiltumsdrucken die Hälfte auf Deutsch und die Hälfte auf Latein abgefasst sind. Trotz der Nähe zu Frankreich und obwohl der wichtigste Drucker – Kaspar Hochfeder49 – seine Offizin in Metz hatte, befand sich kein einziger französischsprachiger Druck darunter. Dies war 1655 anders, jetzt rechnete man mit zahlreichen Pilgern aus Frankreich und Belgien und wollte wohl auch die Verbindung zu den Suffraganbistümern Metz, Toul und Verdun festigen.50 Der Text beginnt mit der Überschrift „Trierische Heylstumbs Festen“ und referiert zunächst einmal als Vorrede an den Leser den lateinischen Text der „Designatio“. Dann folgt ein Kapitel über den Ruhm der Stadt Trier. Lange Zeit habe man wegen Unruhen und Kriegsgefahr auf Heiltumsweisungen verzichtet. Jetzt aber habe der Kurfürst eine Weisung des Heiligen Rocks in seiner „hauptstatt“ beschlossen, die nicht nur wegen ihrer „antiquiteit rühmlich“ sei, sondern vielmehr noch wegen ihrer bedeutenden Reliquien. Trier habe nämlich schon 1.300 Jahre vor Rom bestanden. Ruhm und Glorie der Stadt seien auch darauf zurückzuführen, dass der Stadt im „Niederland“ die Bedeutung zukäme, die Rom in Italien besäße; hier wird auf den Primatsstreit des hohen Mittelalters angespielt.51 Dann sei die Stadt durch die Bischöfe Eucharius, Valerius und Maternus, die Petrus in den Norden geschickt 47 LEGNER: Hagiophilie (wie Anm. 46), S. 239–244; URBANEK, Regina: Die goldene Kammer von St. Ursula in Köln. Studien zu Gestalt und Ausstattung vom Mittelalter bis zur Vollendung im Barock, Diss. Bonn 2007. 48 LEGNER: Reliquienpräsenz (wie Anm. 46), S. 272, mit einem Verweis auf Burg Karlstein, vgl. dazu DERS.: Karolingische Edelsteinwände, in: SEIBT, Ferdinand (Hrsg.): Kaiser Karl IV. Staatsmann und Mäzen, München 21978, S. 356–362. 49 SCHMID, Wolfgang: Der Nürnberger Buchdruck und die Wallfahrt zum Heiligen Rock, in: Gutenberg-Jahrbuch 2003, S. 119–133. 50 Bei der Heiltumsweisung von 1655 wurde die einleitende Predigt ins Französische übersetzt, SEIBRICH: Ausstellungen (wie Anm. 12), S. 203. 51 BÖNNEN, Gerold: Trier zwischen dem 10. und dem beginnenden 12. Jahrhundert. Erzbischöfe und Erzstift, regionale Herrschaftsträger und Stadtbevölkerung, in: ANTON, Hans Hubert/
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habe, zum katholischen Glauben bekehrt worden. Viele tausend Christen (gemeint sind die Angehörigen der Thebäischen Legion), ja sogar Bürgermeister und Ratsherren seien für ihre Religion gestorben; trotz aller Verfolgungen seien sie dem katholischen Glauben treu geblieben.52 Schließlich habe die in Trier geborene heilige Helena den Dom auf dem Palast ihres Sohns bauen lassen und bedeutende Reliquien der Trierer Kirche geschenkt.53 Im dritten Teil des Klappentextes wird die 17 Positionen umfassende Reliquienliste ins Deutsche übersetzt. Der vierte Teil schließlich ist ein Gebet zu allen in der „Designatio“ genannten Heiligen; den Abschluss bildet nochmals der Name des Druckers. Reliquienlisten, Gebete und Weisungstermine waren charakteristische Bestandteile der Gattung Heiltumsdruck.54 Dagegen spielen – und das gilt auch für die anderen, hier zu untersuchenden Drucke – Hinweise auf Ablässe, auf Gebetserhörungen und auf Wunder nur eine untergeordnete Rolle.55 Besonders wichtig für unser Thema ist jedoch der zweite Teil, der die Trierer Geschichte anspricht. Trier sei eine alte und eine heilige Stadt, eine ‚civitas sancta‘, und die Wallfahrt zum Heiligen Rock ist ein Brennglas, das die Hauptelemente aus der Geschichte von Stadt und Bistum bündelt: Roma-secunda-Formel, Trebeta-Legende, Petrusstab-Sage, Thebäer-Martyrium und Helena-Mythos sind fünf zentrale Elemente Trierer Identität.56 Sie brachten Alter und Heiligkeit der Stadt in besonderer Weise zum Ausdruck. Der Heilige Rock, 1512 in Zeiten der Krise und des Niedergangs erhoben, bündelte die Kräfte von Stadt und Bistum. 1655 war der nächste Zeitpunkt für eine Renaissance des Mittelalters gekommen: Die Reformation hatte Mitteleuropa gespalten; die Kirche, die Bischöfe, die Domherren und die Gläubigen waren in Bedrängnis geraten. Das Reformwerk des Konzils von Trient, das im Bistum Trier besonders nachdrücklich umgesetzt wurde, erlitt durch den Dreißigjährigen Krieg
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HAVERKAMP, Alfred (Hrsg.): Trier im Mittelalter (2000 Jahre Trier 2), Trier 1996, S. 203–237, hier S. 215–218. HEYEN, Franz-Josef: Die Öffnung der Paulinus-Gruft in Trier im Jahre 1072 und die Trierer Märtyrerlegende, in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 16 (1964), S. 23–57. CLEMENS, Lukas/SCHMID, Wolfgang : Traditionen der konstantinischen Familie in Trier, in: DEMANDT, Alexander/ENGEMANN, Josef (Hrsg.): Konstantin der Große, Trier 2007, S. 488– 497. ERLEMANN, Hildegard/STANGIER, Thomas: Art. ‚Heiltumsbuch‘, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 4, München 1989, Sp. 2032f.; EISERMANN, Falk: Art. ‚Heiltumsbücher‘, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, Bd. 11/2, Berlin 22001, Sp. 604–609. Den Zusammenhang zwischen Andacht und Ablass bei Heiltumsdrucken der Zeit um 1500 hebt HEISER: Andenken (wie Anm. 27) hervor, ebenso CORDEZ: Wallfahrt (wie Anm. 43), S. 40–47. SAUER, Christine: Fundatio und Memoria. Stifter und Klostergründer im Bild 1100 bis 1350 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 109), Göttingen 1993; ALBRECHT, Stephan: Die Inszenierung der Vergangenheit im Mittelalter. Die Klöster von Glastonbury und Saint-Denis (Kunstwissenschaftliche Studien 104), Berlin 2003.
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erhebliche Rückschläge.57 Daraus resultierte der Wunsch nach einem Neuanfang, einer Reform der Kirche, aber auch einer Bekräftigung der eigenen Identität. Hier erwies sich der Rückgriff auf Heilige und Reliquien als Erfolg versprechender Ansatz, da die Kirchenschätze des Mittelalters allein schon durch ihr Alter eine besondere Würde und Autorität ausstrahlten.58
2. Köln Der Trierer Heiltumsdruck von 1655 stammt aus einer Kölner Offizin.59 Köln war im 17. Jahrhundert mit circa 20 Druckereien der größte Verlagsort in Deutschland und hatte sich stark auf katholisches Schrifttum im weitesten Sinne konzentriert; zudem war Köln ein bedeutender Buch- und Graphikhandelsplatz.60 Dabei spielte auch das breit gefächerte Angebot an großformatigen Kupferstichen eine bedeutende Rolle. Diese verdrängten die einfachen Holzschnitte, mit denen die frühen Heiltumsdrucke ausgestattet waren. Auf den Kupferstichen der Titelblätter können wir eine Auferstehung der Kölner Märtyrer der Frühzeit erkennen: Helena, Gereon und die Thebäische Legion begründeten den Ruhm der ‚Sancta Colonia‘, für deren Selbstverständnis die zahlreichen Heiligen und ihre Reliquien nicht minder bedeutsam waren als für Trier.61 Für unser Thema von Interesse ist ein großformatiger Kupferstich (46 x 33 cm) aus dem Jahre 1671 (Abb. 2). Er trägt den Titel „Thesaurus SS. Reliquiarum templi metropolitani“ und zeigt in 45 Bildfeldern auf sieben Etagen den Kölner Dom-
57 MOLITOR, Hansgeorg: Kurtrier, in: SCHINDLING, Anton/ZIEGLER, Walter (Hrsg.): Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650, Bd. 5: Der Südwesten (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 53), Münster 1993, S. 51–71; Für Gott und die Menschen (wie Anm. 19). 58 FREITAG, Werner: Sichtbares Heil. Wallfahrtsbilder in Mittelalter und Neuzeit, in: Imagination des Unsichtbaren. 1200 Jahre bildende Kunst im Bistum Münster, Münster 1993, Bd. 1, S. 122–146, hier S. 128f. 59 SCHMITZ, Wolfgang: Die Überlieferung deutscher Texte im Kölner Buchdruck des 15. und 16. Jahrhunderts, Habil. Köln 1989, URL: http://deposit.ddb.de/cgi-bin/dokserv?idn=971948313; RAUTENBERG, Ursula: Überlieferung und Druck. Heiligenlegenden aus frühen Kölner Offizinen (Frühe Neuzeit 30), Tübingen 1996; SCHMID: Wallfahrtslandschaft (wie Anm. 9), S. 114–145. 60 SCHÖLLER: Druckgraphik (wie Anm. 42); DIES.: Drucke (wie Anm. 24). 61 SCHULTEN, Walter: Kölner Reliquien, in: LEGNER, Anton (Hrsg.): Ornamenta Ecclesiae. Kunst und Künstler der Romanik, 3 Bde., Köln 1985, hier Bd. 2, S. 61–78; BODSCH, Ingrid: Sacrarium Agrippinae, in: ebd., S. 157–178; DIEDERICH, Toni: Stadtpatrone an Rhein und Mosel, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 58 (1994), S. 25–86; LEGNER: Heilige (wie Anm. 8); MILITZER, Klaus: Collen eyn kroyn boven allen steden schoyn. Zum Selbstverständnis einer Stadt, in: Colonia Romanica 1 (1986), S. 15–32; KRACHT, Hans-Joachim/TORSY, Jakob (Hrsg.): Reliquiarium Coloniense (Studien zur Kölner Kirchengeschichte 34), Köln 2003.
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schatz.62 Die Felder sind unterschiedlich groß und werden von einer Arkadenarchitektur gerahmt. Die Anlage wird von zwei repräsentativen korinthisierenden Säulen eingefasst, die auf Postamenten stehen und auf deren Kapitellen ein Bogen mit dem Titel aufliegt. Auf diesen Säulen sind links und rechts zwei Engel mit Lorbeerkränzen und Palmzweigen platziert. Der Kupferstich ist schlichter gestaltet als die anderen Heiltumssdrucke, man erkennt aber das Bemühen des Künstlers um eine ansprechende symmetrische Anordnung der einzelnen Reliquiare. Den Mittelpunkt der Präsentation auf dem „Thesaurus“ bildet der romanische Schrein der Heiligen Drei Könige, dessen Front- und rechte Langseite recht detailliert wiedergegeben sind. Mittelalterlichem Bedeutungsmaßstab entsprechend ist er größer dargestellt als die anderen Werke und darf auch ein größeres Feld beanspruchen.63 Der ausführliche Text bezeichnet ihn als Werk der „alten kunst“. Bilder, Wallfahrtsmedaillen und Rosenkränze würde man mit den Reliquien in Kontakt bringen. Wenn man außerdem die Heiligen anrufe, würden sie bei Gefahr auf der Reise, Fallsucht, Kopfschmerzen, Gift und Zauberei helfen, „wie solches fast tägliche Exempeln beweisen“. Darunter ist etwas kleiner der barocke Engelbertschrein dargestellt, er wird als zeitgenössisches Kunstwerk bezeichnet („nach der Weiß und Art dieser Zeit“).64 Über den beiden Schreinen (4, 5) sind in drei in der Mitte des Blattes angeordneten Fächern ein gotisches („nach Gotischer Kunst“) Dreiturmreliquiar, ein goldenes Kreuz mit Kreuzreliquien sowie eine goldene Monstranz untergebracht (33, 1, 2). Links und rechts von diesen zentralen Fächern werden auf sieben Ebenen 40 Reliquiare präsentiert. Die Zählung beginnt in der zweituntersten Reihe, wo sich – wie auf dem Trierer Blatt – vier Büstenreliquiare mit den Häuptern von Papst Sylvester, Gregor von Spoleto (einer Stiftung des 1504 gestorbenen Domherrn Johann Menchen),65 Felix und Nabor befinden (6–9). Darunter sind, symmetrisch angeordnet, in der Mitte zwei Marienbilder zu sehen, rechts die ‚Mailänder Madonna‘, „dabey viele
62 HARMS, Wolfgang (Hrsg.): Deutsche illustrierte Flugblätter des 16. und 17. Jahrhundert. Die Sammlung der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel, Bd. 3, Tübingen 1989, S. 152; SCHÖLLER: Drucke (wie Anm. 24), S. 107f., Nr. 92; BECKS, Leonie/LAUER, Rolf: Die Schatzkammer des Kölner Doms (Meisterwerke des Kölner Domes 6), Köln 2000, S. 34f., Nr. 23; HOSTER, Joseph: Der Dom zu Köln, Köln 1964, S. 55; LEGNER: Heilige (wie Anm. 8), S. 94–98; KEMPER, Dorothee: Gregor von Spoleto im Kölner Dom, in: Kölner Domblatt 72 (2007), S. 61–96. 63 LAUER, Rolf: Der Schrein der Heiligen Drei Könige (Meisterwerke des Kölner Domes 9), Köln 2006; ZWIERLEIN-DIEHL, Erika: Die Gemmen und Kameen des Dreikönigschreins (Studien zum Kölner Dom 1/1), Köln 1998, S. 34–36. 64 WEIRAUCH, Ursula: Der Engelbertschrein von 1633 im Kölner Domschatz und das Werk des Bildhauers Jeremias Geisselbrunn (Die Kunstdenkmäler des Rheinlandes. Beiheft 21), Düsseldorf 1973. 65 Hierzu jetzt die grundlegende Arbeit von KEMPER: Gregor (wie Anm. 62), die freilich die neuere Forschung zu den behandelten Heiltumsdrucken nicht kennt.
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Abbildung 2: Heiltumsdruck mit den Reliquien des Kölner Domes, Köln 1671 (Rheinisches Bildarchiv Köln)
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Mirackel und Wunderwercks gescheben“, außen der Kölner Petrusstab und eine Monstranz mit zahlreichen Reliquien (14–17). Im dritten Regal von unten sind zwei Monstranzen und ein Kästchen in Form einer Burg sowie ein silberner Kasten mit drei Türmen, ein Geschenk eines griechischen Kaisers an den Dom, das Gebeine der unschuldigen Kinder enthält, dargestellt (10–13).66 Im Regal darüber sind sechs verschiedene Reliquiare untergebracht, von denen eines die Ketten des heiligen Petrus enthält, in die ihn der König Herodes gelegt und aus denen ihn der Engel befreit hat (18–23). Darüber folgen zwölf silberne Figuren der zwölf Apostel, in denen zahlreiche Reliquien geborgen waren und die sich auf dem Hochaltar befanden (24). Alle Reliquiare besitzen – wie auf der Trierer „Designatio“ – Verweiszahlen, nur die zwölf Apostel sind trotz ihrer deutlich erkennbaren Attribute beschriftet. Im nächsten Regal folgen dann noch einmal sechs Gefäße, darunter ein Caravaca-Kreuz,67 ein Kästchen mit Erde aus dem Heiligen Land und eine Kusstafel, die – wie wir aus anderen Quellen erfahren – eine Stiftung des Kardinals Albrecht von Brandenburg darstellt (25–30). Das oberste Regal enthält dann nochmals vier Reliquiare, darunter „ein köstlich Gefäß nach Gothischer Kunst mit dreyen Thürnen außgearbeittet, darin von der Brust der H. Maria Magdalena und ihr Finger begriffen“ und ein Gefäß mit einem Teil eines Marienkleides (31–35), und schließlich befindet sich ganz unten eine Abbildung eines Dreikönigspfennigs, mit denen der Schrein berührt wurde, was mit einem „vollkommenen Ablaß“ verbunden war (36).68 Die ganze Architektur ruht wiederum auf einem Fundament, das aus den Wappen des Erzbischofs Maximilian Heinrich von Bayern (1651–1688) und des Domkapitels, zwei Kartuschen mit Widmungen an den Erzbischof und den Domdekan sowie dem Dreikönigspfennig gebildet wird. Der Kupferstecher war Johann Eckhard Löffler, der Initiator des Unternehmens – wie wir aus den Widmungen, die auch einen Hinweis auf die beiden Privilegien enthalten, erfahren – der Domküster Peter Schonemann, mit dem wir erstmals den Urheber eines solchen Unternehmens benennen können: Er 66 HAHNLOSER, Hans R.: Der Schrein der Unschuldigen Kindlein im Kölner Domschatz und Magister Gerardus, in: Miscellanea Pro Arte. Festschrift Hermann Schnitzler (Schriften des Pro Arte Medii Aevi 1), Düsseldorf 1965, S. 218–223. 67 Kreuz von Caravaca (Spanisches Kreuz): Während der Reconquista soll sich ein Wunder ereignet haben, als bei einer Messe in Caravaca das fehlende Kreuz von Engeln auf den Altar gelegt wurde. Im 17. Jahrhundert spielte das zweiarmige Kreuz als Amulett und als Schutz gegen Gewitter eine große Rolle. Seine Verehrung wurde von den Jesuiten in mehreren Publikationen gefördert, WENDLING, Gottfried: Zur Spiritualität im 17. Jahrhundert. Christoph Gunzingers Pilgerbericht nach Santiago de Compostela aus dem Jahr 1655, in: HERBERS, Klaus/PLÖTZ, Robert (Hrsg.): Spiritualität des Pilgerns. Kontinuität und Wandel ( JakobusStudien 5), Tübingen 1993, S. 83–101, hier S. 98. 68 Von den 36 Positionen bzw. 45 Reliquiaren sind gerade einmal die Nummern 1 (bis 1975), 3, 5, 7, 14 (unvollständig) und 17 erhalten, vgl. die Verlustliste in CLEMEN, Paul: Der Dom zu Köln (Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz 6/3), Düsseldorf 1937, S. 376f.; HOSTER: Dom (wie Anm. 62), S. 55; BECKS/LAUER: Schatzkammer (wie Anm. 62), S. 34.
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stammte aus Rotterdam und hatte sich 1660 an der Universität Köln immatrikuliert, 1664 fertigte er eine Abschrift der Domchronik des Goswin Gymnich an, die bis auf dieses Manuskript verloren ging; Schonemann kommt also durchaus auch als Verfasser des Textes unseres Blattes in Frage. 1671 wurde der „Thesaurus“ gedruckt. In diesem Jahr erlaubte das Domkapitel „Petri Schonemann offermann im Thumb“, dass er die Reliquien der Domkirche zur größeren Verehrung „(zu mehrer veneration derselben) in Kupffer außstechen und zum feilen Kauff außpiten möge“.69 1671 wird Schonemann als Offermann, als Domküster, und 1673 als Priester bezeichnet. Als 1682 sein Nachlass verteilt wird, erscheint er als „receptor“ der Marienkapelle, Verwalter eines der größten Sondervermögen innerhalb der Kathedrale.70 Den Anlass für den Druck stellte die Heiltumsfahrt von 1671 dar, die am Peterund Paulstag auch zahlreiche Ungarnpilger nach Köln führte. Außerdem wurde 1671 die Dreikönigsbruderschaft im Dom neu gegründet und mit zahlreichen päpstlichen Ablässen ausgestattet; auch der Dreikönigspfennig und die Beschreibung des Dreikönigsschreins verweisen auf die Wallfahrt. Zudem könnte das Vorbild von Aachen und Trier eine Rolle gespielt haben, wo solche Drucke schon zuvor erschienen waren. Der „Thesaurus“ wurde 1697 und 1745 nachgedruckt, was einen wichtigen Hinweis auf die Frage der Auflage liefert. Während die Widmung an den Domdekan keinen Namen nennt, blieb die an den 1688 verstorbenen Erzbischof unverändert. An den Kupferstich ist ein Blatt geklebt, das einen längeren Erläuterungstext in deutscher Sprache anführt: zunächst eine allgemeine Betrachtung über die Reliquienverehrung, dann eine „Specification“ der Reliquien im Kölner Dom und schließlich ein Gebet. Der einleitende Text „Von Verehrung der HH. RELIQUIEN“ ist allein schon deshalb hervorzuheben, als er eine theologische Legitimation der Heiligen- und Reliquienverehrung und eben keine historische Übersicht wie die Trierer „Designatio“ bietet.71 Große Ehre gebühre den Heiligen und Auserwählten Gottes, ihren Gebeinen und Reliquien, für die der Herr selbst Sorge trage, heißt es unter Berufung auf Psalm 33,21 („Er behütet all seine Glieder, dass nicht eins davon zerbrochen wird.“). Gott liebt die Verehrung der Heiligen, diese frohlocken in ihrer Herrlichkeit und freuen sich in ihren Schlafkammern, das sind die Orte, an denen 69 Historisches Archiv der Stadt Köln [HAStK], Best. 210 (Domstift), Akt. Nr. 195, S. 283; LEGNER: Ornamenta (wie Anm. 61), Bd. 2, S. 180, Nr. E 4; SCHÖLLER: Drucke (wie Anm. 24), S. 108. 70 HOSTER: Dom (wie Anm. 62), S. 55; KEUSSEN, Hermann (Bearb.): Die Matrikel der Universität Köln (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 8), Bd. 4, Düsseldorf 1981, S. 614, Nr. 395; die Domchronik in HAStK, Best. 7030 (Chroniken und Darstellungen), 259y; KUPHAL, Erich: Die Kölner Domchronik des Goswin Gymnich 1550–1608, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 14 (1932), S. 246–292. Die Schreiben von 1682/83 zum Nachlass im Historischen Archiv des Erzbistums Köln, Dom-Archiv, A II 129f. 71 Eine umfassende Analyse steht noch aus, einige Deutungsansätze bei HARMS: Flugblätter (wie Anm. 62), Bd. 3, S. 152; KEMPER: Gregor (wie Anm. 62), S. 96, Anm. 135.
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ihre Gebeine ruhen. Wie nützlich die Heiligenverehrung ist, belegen Stellen aus der Bibel und den Werken der Kirchenväter. Beispiele sind die Auferweckung eines Toten durch die Berührung der Gebeine des Elisaeus (2. Könige 13,21). Aus den Gebeinen der Heiligen entspringt ein „Brunquell süsser und wohlschmeckender salben“, der Krankheiten heilt, Schwäche vertreibt, Blinde sehend macht und Aussätzige reinigt. Die Leiber der Heiligen, insbesondere die Reliquien der Märtyrer, solle man als Glieder Christi verehren. Wer nicht daran glaube, sei kein katholischer Christ, sondern ein Ketzer. Weiter führt der Autor das Konzil von Trient an, welches 1563 die Beschlüsse des 2. Konzils von Nicäa (787) über die Reliquienverehrung bestätigt hatte: Die mit Christus regierenden Auserwählten, die Glieder Christi und ein Tempel des Heiligen Geistes seien, sollen von allen Rechtgläubigen verehrt werden, damit Gott den Menschen durch sie viele Wohltaten erweise. Dann schlägt der Verfasser einen Bogen zur ‚Sancta Colonia‘, die zur Zeit der Gottesgebärerin und durch den Petrusschüler Maternus zum „wahren Glauben Christi“ geführt worden sei. Köln besitze die Reliquien der Heiligen Drei Könige, tausender Jungfrauen, von Felix und Nabor, Engelbert und Gereon, die der Thebäer und Mauren „sowie vieler andern HH. Martyrer und Beichtiger HH. Cörper und Reliquien“. Deshalb sei Köln zu loben und zu preisen, zumal die Stadt seit 1.600 Jahren von ihrem Glauben niemals abgewichen sei. Deswegen stimme der alten Vers „Gaude Felix &c.“ – gemeint ist die in einer Handschrift von 1412 überlieferte Sequenz „Gaude felix Agrippina“.72 Papst Clemens VII. (1523–1534) habe die Stadt als eine beständige „Säul des christlichen Glaubens“ bezeichnet, man könne auch den Vers aus Psalm 87,3 auf sie beziehen: „Herrliche Dinge werden in dir gepredigt, du Stadt Gottes“. Köln wird der Tochter Zion gleichgesetzt und als zweites Jerusalem gedeutet. Von der Trierer „Designatio“ unterscheidet sich der Text des „Thesaurus“ durch die alleinige Verwendung der deutschen Sprache und durch eine etwas andere Argumentation: Er beginnt mit einer grundsätzlichen, in der Tradition der katholischen Reform stehenden und gegen die Protestanten gerichteten Rechtfertigung der Heiligen- und Reliquienverehrung, schlägt dann aber einen Bogen zu einer historischen Argumentation, die zahlreiche Parallelen zu dem Trierer Text aufweist.
3. Aachen Aachen ist seit dem 14. Jahrhundert die bedeutendste Wallfahrtsstadt im westdeutschen Raum, Zielpunkt der alle sieben Jahre stattfindenden Aachenfahrt, der sich im 14./15. Jahrhundert auch die anderen rheinischen Pilgerstätten anschlossen.73 Um 72 CORSTEN, Karl: Gaude Felix Agrippina, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 149 (1950/51), S. 238–243. 73 LERMEN, Birgit/WYNANDS, Dieter P. J.: Die Aachenfahrt in Geschichte und Literatur, Aachen 1986; WYNANDS, Dieter P. J.: Geschichte der Wallfahrten im Bistum Aachen (Veröf-
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Abbildung 3: Heiltumsdruck mit den Reliquien des Aachener Marienstifts, Köln um 1615 (Domschatz Aachen)
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1615 – eine Begründung für diese recht frühe Datierung ließ sich nicht finden – entstand der erste unserer großformatigen Heiltumsdrucke,74 wiederum ein Werk von Gerhard Altzenbach. Die erhaltenen Blätter nennen kein Druckjahr, konnten also bei mehreren Aachenfahrten verkauft werden. Bei einem Exemplar ist der angeklebte Textanhang 1657 datiert, was auf eine Neuauflage hindeutet,75 ebenso wie ein Druck von 1671,76 der im gleichen Jahr erschien wie der Kölner „Thesaurus“. Außerdem wurde für die Aachener Noppius-Chronik von 1643 eine querformatige Fassung des Blattes hergestellt, bei der er sich um einen Nachstich handeln dürfte. Das hochformatige Aachener Blatt misst 35 x 26 cm, mit Textanhang 55 x 26 cm (Abb. 3). Es trägt den Titel „Declaratio principalium reliquiarum quae in imperiali civitate Aquisgranensi asservantur et singulis septem annis a 10 die july usque 24 eiusdem mensis fideli populo in omni pietate monstrantur“. Am unteren Rand des Kupferstichs ist eine Widmung an das Aachener Stiftskapitel angebracht, in der sich auch der Verleger nennt. Der sich anschließende Textanhang übersetzt den Titel der „Declaratio“: „Anweisung und verzeichnuß der fürnembsten Reliquien oder Heiltumbs, so in dem Sanctuario deß Königlichen Stuls und Statt Achen behalten, deren die erste vier alle sieben Jahr den 10 Julij biß auff den 24, die ander alle Jahr auff den heiligen Fronleichnams Tag mit grosser Andacht den andächtigen Pilgramen gezeiget werden“.77 Der Kupferstich verzichtet – wie der Kölner „Thesaurus“ und anders als die Trierer „Designatio“ – auf eine Stadtansicht von Aachen78 und versucht stattdessen –
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fentlichungen des Bischöflichen Diözesanarchivs Aachen 41), Aachen 1986; DERS.: Die Aachener Heiltumsfahrt. Kontinuität und Wandel eines mittelalterlichen Reliquienfestes (Ortstermine. Historische Funde und Befunde aus der deutschen Provinz 8), Siegburg 1996; PREISING, Dagmar: Die Aachener Heiligtumsfahrt. Bildzeugnisse und Dokumente, Aachen 1993; KÜHNE, Hartmut: Ostensio Reliquiarum. Untersuchungen über Entstehung, Ausbreitung, Gestalt und Funktion der Heiltumsweisungen im römisch-deutschen Regnum (Arbeiten zur Kirchengeschichte 75), Berlin 2000, S. 153–197. Zu den Aachener Heiltumsdrucken vgl. SCHMID: Wallfahrtslandschaft (wie Anm. 9), S. 145– 154. Eine systematische Bearbeitung dieses für die Geschichte der Aachenfahrt und des Aachener Domschatzes gleichermaßen wichtigen Kupferstiches fehlt, vgl. PREISING: Heiligtumsfahrt (wie Anm. 73), S. 16f., Nr. 21. MARKOWITZ, Irene: Wallfahrten am Niederrhein, Düsseldorf 1982, S. 10, Nr. 27. FAYMONVILLE, Karl: Das Münster zu Aachen (Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz 10/1), Düsseldorf 1916, S. 193–260; GRIMME, Ernst Günther: Der Aachener Domschatz (Aachener Kunstblätter 42), Düsseldorf 21973; LEPIE, Herta/MINKENBERG, Georg: Die Schatzkammer des Aachener Domes, Aachen 1995. SCHMITT, Michael: Vorbild, Abbild und Kopie. Zur Entwicklung von Sehweisen und Darstellungsarten in druckgraphischen Stadtabbildungen des 15. bis 18. Jahrhunderts am Beispiel Aachen, in: JÄGER, Helmut/PETRI, Franz/QUIRIN, Heinz (Hrsg.): Civitatum Communitas. Studien zum europäischen Städtewesen. Festschrift für Heinz Stoob (Städteforschung A/21), Bd. 1, Köln/Wien 1984, S. 322–354; DERS.: Aachen, in: BEHRINGER/ROECK: Bild (wie Anm. 28), S. 125–130.
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ähnlich wie die noch zu behandelnde „Designatio“ für Kornelimünster – eine Kombination von Heiltumsweisung, Reliquiendarstellung und Heiligenpräsentation. In einer oberen Zone erkennt man zwischen einer aufwändigen Säulenarchitektur vier szenische Darstellungen der Weisung der vier Hauptreliquien, der vier großen im Gegensatz zu den drei kleinen Aachener Heiligtümern: Das Marienkleid, die Windel Christi, das Tuch, in das Christus nach der Kreuzigung gewickelt wurde, und das Tuch, das bei der Enthauptung Johannes des Täufers verwendet wurde.79 Die vier Hauptszenen sind in Kirchenräume verlegt. Jeweils fünf Stiftsherren präsentieren eine Reliquie bzw. zeigen mit Stäben auf sie. Die Reliquien sind in Kartuschen in lateinischer Sprache bezeichnet und mit den Nummern 1 bis 4 gekennzeichnet. In der darunter liegenden Etage finden wir in der Mitte und damit im Zentrum sowie besonders groß dargestellt den der Tradition nach in einem hinter einem Altar auf Säulen stehenden Schrein ruhenden Leichnam des 362 verstorbenen heiligen Leopardus, den Otto III. nach Aachen überführen ließ. Flankiert wird er von zwei Monstranzen mit dem Gürtel Christi und dem Seil, mit dem dieser gefesselt war; sie zählen mit dem weiter unten dargestellten Mariengürtel zu den drei kleinen Heiligtümern. Darunter befinden sich zwei gotische Statuetten, ein silbernes Marienbild und eine Petrusfigur, die ein Glied von der Kette des Apostelfürsten birgt (6–11). Links und rechts wird diese Regalreihe von zwei großen und detaillierten Darstellungen beschlossen, links das Karlsreliquiar von ca. 1350, ein dreitürmiges, von Engeln getragenes Reliquiar mit Statuetten von Kaiser Karl, Maria und Katharina, und rechts das Dreiturmreliquiar von ca. 1370, das Johannes, Christus und einen Subdiakon als Stifter darstellt; beide Reliquiare sind erhalten und ermöglichen es, die Qualität der Darstellungen zu beurteilen. Die „Declaratio“ benennt die in den beiden Behältnissen geborgenen Reliquien: Beim Karlsreliquiar sind es Partikel vom Heiligen Kreuz, vom Heiligen Nagel, Manna, Katharinenöl sowie ein Armknochen des heiligen Kaisers Karl der Große. Im Dreiturmreliquiar sind Haare Johannes des Täufers, Partikel vom Schweißtuch und vom Rohr sowie vom heiligen Stephanus enthalten. Reliquiare und Reliquien, Inhalt und Verpackung, konnten also, wie schon mehrfach beobachtet, auseinanderklaffen (9–10). In vier Reihen, die aus gleich gestalteten rundbogigen Steinrahmen mit durchgängig schraffiertem Hintergrund gebildet werden, folgen weitere 16 Reliquiare. Ein hausförmiges Kästchen mit Blut des heiligen Stephanus, das Simeonsreliquar, ein vom heiligen Lukas gemaltes Marienbild (heute in Cleveland), ein scheibenförmiges Reliquiar mit Haaren Mariens, der rechte Arm Kaiser Karls des Großen und ein Evangelienbuch, das in dessen Grab gefunden worden sein soll (12–17)80 – es ist das Reichsevangeliar, das mit der Stephansbursa und dem Säbel Karls des Großen 79 MINKENBERG, Georg: Die vier großen Heiligtümer und ihre textilen Hüllen, in: WYNANDS, Dieter P. J. (Hrsg.): Der Aachener Marienschrein, Aachen 2000, S. 159–170. 80 RAMJOUÉ, Fritz: Die Eigentumsverhältnisse an den drei Aachener Reichskleinodien, Stuttgart 1968; FILLITZ, Hermann: Die Schatzkammer in Wien. Symbole abendländischen Kaisertums, Wien 1986.
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1794 nach Paderborn, 1798 nach Hildesheim und 1801 schließlich nach Wien gelangte, wo die Aachener Kleinodien mit den Nürnberger Kleinodien vereint wurden. Darunter finden wir ein scheibenförmiges Reliquiar mit Partikeln vom Heiligen Kreuz, vom Schwamm und von den Haaren Johannes des Täufers, ein Kreuz mit einem Partikel des Heiligen Kreuzes, das im Grab Kaiser Karls gefunden wurde (das Brustkreuz Karls des Großen), das berühmte Karlsreliquiar: „Deß H. Keysers Caroli Magni Haupt, Jägerhorn und Schwerd“ (der Säbel Karls des Großen in Wien), „Unterschiedliche Heilthumben der H. Gottes, und Noch viel sehr altes Heilthumb“ (18–23). Die beiden darunter befindlichen Regale sind geteilt. In der Mitte finden wir wiederum vier Fächer, welche die Reihe fortsetzen: Ein mit Beinplatten verkleinerter Holzschrein des 12. Jahrhunderts mit der Reliquie des heiligen Spes, ein Kuppelreliquiar mit dem Haupt des heiligen Anastasius, eine Monstranz mit dem Gürtel Mariens und ein Agnus Dei, das ein Papst Kaiser Karl zugeschickt haben soll (26– 29). In keinem anderen, der hier untersuchten Kirchenschätze sind so viele der im 17. Jahrhundert vorhandenen Reliquiare überliefert wie in Aachen, wo man ja auch noch die drei Wiener Stücke und weitere in Cleveland und Reims hinzurechnen muss. Im Gegensatz zu Trier und Köln, wo die großen Reliquienschreine dargestellt sind, fehlen auf der Declaratio der Karls- und der Marienschrein.81 Links und rechts unten hat der Kupferstecher aus acht kleinen zwei große Felder gebildet, die mit den großen Fächern der dreitürmigen Reliquiare korrespondieren. Auf der wichtigeren rechten Seite befindet sich ein ‚kunstfertiges Bild‘ von Maria, die Christus auf dem rechten Arm hält. Mit ihrer Linken präsentiert sie einen Rosenkranz, Christus hält nach rechts eine Krone. Umgeben sind sie von einer großen Pilgerschar, getrennt nach Männern und Frauen, die teils noch herbeieilen, teils schon niederknien. Dem entspricht auf der rechten Seite die gedrungene Gestalt Kaiser Karls des Großen, der eine Rüstung, ein Schwert und eine Krone trägt und auf seiner rechten Hand ebenfalls zur Bildmitte hin ein Modell des Aachener Münsters präsentiert. Der Text hebt die Bedeutung Karls als „Fundator“ des Stifts hervor, der „nicht allein diese herrliche alte Statt erbawet und die Kirch zu unser L. Frawen gestifftet, sondern auch fast alle obgemelte Reliquien auß weiten Landen mit grossem Fleiß, Andacht unnd Vorsichtigkeit zusammen getragen und gemelter Kirchen zum mercklichen Schatz hinderlasen“.82 Der Kaiser hält das Kirchenmodell nach
81 WYNANDS: Marienschrein (wie Anm. 79); MÜLLEJANS, Hans (Hrsg.): Karl der Große und sein Schrein in Aachen. Eine Festschrift, Mönchengladbach 1988; GRIMME, Ernst Günther: Der Karlsschrein und der Marienschrein im Aachener Dom, Aachen 2002. 82 KRAUS, Thomas/PABST, Klaus (Hrsg.): Karl der Große und sein Nachleben in Geschichte, Kunst und Literatur (Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 104/105), Aachen 2003.
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rechts, streckt es also Maria mit Kind hin. Er ist also nicht nur als ‚Fundator‘ dargestellt, sondern auch als ‚Dedicator‘, der das Marienstift der Gottesmutter weiht.83 Auch auf die Erläuterungstexte der „Designatio“ ist hinzuweisen: Damit sich die andächtigen Pilger und andere gottliebenden Christen besser erinnern und wissen, was sie besucht und angeschaut haben, hätte er die einzelnen „Stück nicht allein in dieser Schrifft kürtzlich anzeigen, sondern auch die Monstrantzen, darin dieselbe behalten werden, eigentlich abreissen und in Kupffer stechen lassen“. Er hofft, seine Arbeit werde zur Ehre Gottes und seiner Heiligen „wie auch zu sonderlichem Nutz und Wolgefallen aller Andächtigen Catholischen Christen gereichen“. Die Erläuterungen sind in drei Spalten in deutscher und in französischer Sprache abgefasst, wobei die Texte nacheinander und nicht nebeneinander abgedruckt sind. Die deutschen Überschriften und der Druckervermerk werden dagegen über drei Spalten hinweg platziert. Hier nennt sich nochmals Gerhard Altzenbach und macht darauf aufmerksam, dass er auch einen Druck für das eine Meile entfernt liegende Kornelimünster gestochen habe. Schließlich findet sich bei dem Marienbild ähnlich wie auf dem Kölner Blatt noch ein Hinweis auf seine beiden Druckprivilegien („cum Privilegio Ecclesiastico et Seculari“).
4. Kornelimünster Im frühen 17. Jahrhundert entstand ein Pilgerdruck für Kornelimünster, wiederum ein Werk von Altzenbach, der Kupferstich „Designatio sacrarum reliquiarum, quae imperiali monasterio S. Cornelii ad Indam asservantur, fidelique populo pietatis causa singulis 7 annis ostenantur“. Das Blatt (ohne Textanhang 34 x 27 cm) weist deutliche Parallelen zu dem Druck für Aachen auf, auch hier wird die Darstellung von Reliquien mit Darstellungen ihrer Weisung und mit szenischen Bildern von Heiligen kombiniert (Abb. 4).84 Die Abtei wurde von Ludwig dem Frommen (Kaiser 813–840) im Tal der Inde gegründet und mit bedeutenden Reliquien aus dem Aachener Münsterschatz ausgestattet. Es handelt sich um das Schürztuch, das Grabtuch und das Schweißtuch des Herrn.85 Die alle sieben Jahre im Zyklus der Aachenfahrt durchgeführte Heiltumsweisung ist in Form von drei, durch bauchige Säulen voneinander getrennte Szenen in der oberen Galerie dargestellt; allerdings präsentiert hier ein Bischof oder Abt die drei 83 So auch auf den Tafeln des Aachener Marienlebens von ca. 1485, GRIMME: Domschatz (wie Anm. 77), Tafel 136f., und am Dreiturmreliquiar um 1350, FAYMONVILLE: Münster (wie Anm. 77), S. 229. 84 PREISING: Heiligtumsfahrt (wie Anm. 73), S. 20, Nr. 34. 85 KÜHN, Norbert: Kornelimünster, in: HAACKE, Rhaban (Bearb.): Die Benediktinerklöster in Nordrhein-Westfalen (Germania Benedictina 9), St. Ottilien 1980, S. 404–421; WYNANDS: Geschichte (wie Anm. 73), S. 127–134; KÜHNE: Ostensio (wie Anm. 73), S. 198– 207.
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Reliquien. Zwei Geistliche weisen mit Stäben auf die drei Tücher, dahinter stehen fünf Stiftsherren und Chorknaben mit Fackeln. Das ursprüngliche Salvatorpatrozinium der Abtei wurde von dem des heiligen Papstes Kornelius († 253) verdrängt, dessen Vorderhaupt, rechter Arm und Trinkhorn 866 in das Kloster gelangten.86 Außerdem erhielt das Kloster durch einen Tausch mit der Abtei Compiègne einen Teil des Hauptes des karthagischen Bischofs Cyprianus († 258), einem Zeitgenossen und Mitstreiter des Kornelius. Diese Heiligen sind in der mittleren Zone dargestellt, die als eindrucksvolle Repräsentation der Abtei und ihrer Schutzheiligen, aber auch des Abtes und des Konvents gestaltet wird: In drei von Säulen begrenzten Nischen, man denkt fast an ein Altarretabel, steht links der heilige Papst Kornelius mit Tiara, Kreuzstab und Horn, der von einem Engel mit Märtyrerpalme mit einem Lorbeerkranz bekrönt wird. Im Gewölbe sind die Petrusschlüssel und zu seinen Füßen ein Modell des Petersdomes zu sehen. Rechts erkennt man Bischof Cyprian mit Krone und Bischofsstab, einem Engel und einem Kirchenmodell, und in der Mitte Christus, der Hauptpatron der Abtei, der auf einem prächtigen Thron sitzt und eine gewaltige Weltkugel in der Hand hält. Der Weltenrichter im Mittelpunkt des Blattes ordnet die beiden ihn flankierenden Heiligen und die Szenen der Weisung der Herrenreliquien in einen heilsgeschichtlichen Zusammenhang ein. Dazu gehören weitere Elemente: Die Bekrönung des Thrones wird von dem Rahmen überschnitten, auf seinen Stufen befindet sich das Wappen des Abtes Isaak Hirtz von Landskron, dessen Namen die weiter unten angebrachte Widmungsinschrift nennt. Links und rechts davon knien eine Pilgerschar und die Mönche des Konvents, der sich und seiner Heiligenverehrung hier ein gedrucktes ‚Denkmal auf Papier‘ gesetzt hat. Da der Abt in den Jahren 1652 bis 1669 regierte, wird man die Entstehung des Kupferstichs nicht zu Beginn des 17. Jahrhunderts, sondern in diese Zeit ansetzen dürfen. Weil 1671 ein Aachenjahr war, wäre eine Entstehung im Zusammenhang mit den Vorgängerweisungen 1657 oder 1664 denkbar, also in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Trierer (1654) und dem Kölner (1671) Blatt. Im unteren Regal sind unter fünf kunstvoll mit Vorhängen drapierten Bögen sechs Heiltumsbehältnisse dargestellt, in der Mitte Büstenreliquiare von Kornelius und Cyprian, daneben das Horn des heiligen Kornelius und sein Armknochen, aufbewahrt in einem Schrein, den zwei Engel präsentieren. Hinzu kommen zwei Monstranzen mit „diversae SS. Reliquiae“. Insgesamt gesehen handelt es ich also nicht um eine reine Reliquienpräsentation wie auf dem Trierer und dem Kölner Blatt, sondern um drei unterschiedliche Darstellungsformen, die wir ähnlich schon bei dem Aachener Druck beobachtet haben: Oben sind die Hauptreliquien in Form einer imaginären Weisung dargestellt, unten werden die restlichen Heiltümer abge-
86 ZENDER, Matthias: Räume und Schichten mittelalterlicher Heiligenverehrung in ihrer Bedeutung für die Volkskunde. Die Heiligen des mittleren Maaslandes und der Rheinlande in Kultgeschichte und Kultverbreitung, Köln 21959, S. 144–175.
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Abbildung 4: Heiltumsdruck mit den Reliquien des Stifts Kornelimünster, Köln um 1660 (Rheinisches Bildarchiv Köln)
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bildet, und in der Mittelzone werden figürliche Bilder der Hauptheiligen präsentiert. Hinzu kommt eine Darstellung der Klostergemeinschaft. Ein Textanhang beschreibt in deutscher und französischer Sprache die Reliquien; man muss also auch hier – wie in Trier und Aachen – mit zahlreichen Pilgern aus dem belgisch-französischen Raum gerechnet haben. In der mittleren Zone befindet sich ein kurzes lateinisches Gedicht über die Reliquienverehrung, darunter der deutschsprachige Druckervermerk. Einleitend wird der Titel der „Designatio“ übersetzt: „Verzeichnuß der fürnehmsten HH. Reliquien oder Heylhumbs, welche in der Keyserlichen Abdeyen S. Cornelis-Münster alle 7 Jahren dem Christlichen Volck zu mehrung der Andacht gezeigt werden“. Nach einer Wiederholung der drei Patrozinien und einer Beschreibung der drei Tücher werden die sechs Reliquiare der unteren Zone genauer bezeichnet. Die erste Monstranz enthält Reliquien von Stephanus, Kornelius, Sebastian, Nikolaus, Aldegund, dem Papst Gregor, Martin und Laurentius, „Himmelbrod“ (Manna), Florentinus, Jakobus minor, Bischof Hubertus von Lüttich, Remaklus von Stavelot, Abt Bernhard und Öl der Jungfrau Katharina. Dann folgen Arm, Haupt und Horn des heiligen Kornelius und das Cyprianushaupt sowie Angaben zum Inhalt der anderen Monstranz, nämlich ein Stück Paradiesholz, auf dem der Engel des Herrn stand, als er Adam und Eva aus dem Gelobten Land vertrieb, ein Stück von dem Kamelhautkleid des Täufers Johannes, Partikel vom Heiligen Kreuz, vom Heiligen Grab, vom Haupt des heiligen Christophorus, von der Albe des heiligen Hubert, vom Apostel Thomas und von dem Stein, mit dem Stephanus gesteinigt wurde. Dies sind also – fährt der Text fort – die heiligen Reliquien, die man den gottesliebenden Christen zur Ehre Gottes und seiner Auserwählten in der Klosterkirche zeigt, damit jeder erkennt, was der Prophet David sagt: „Das Gott wunderbarlich seye in seinen Heiligen, und daß sie ihn darbey loben und preysen“ (Psalm 68,36: „Wundersam ist Gott in seinem Heiligtum er ist Israels Gott. Er wird dem Volke Macht und Kraft geben. Gelobt sei Gott!“). Und: „Sein lob ist in der Kirchen oder Zusammenkunfft der Heiligen“ (Psalm 149,1: „Singt dem Herrn ein neues Lied! Sein Lob erschalle in der Gemeinde der Frommen.“). Da Gott der Herr alle Heiligen mit eigenen Händen oder in göttlicher Gnade geschaffen habe, sollen diese gelobt und geehrt werden.
Fazit Die Untersuchungen zu den vier großformatigen Heiltumsdrucken haben deutlich gemacht, dass diese sich räumlich auf die katholisch gebliebenen Territorien des Rheinlandes konzentrieren, und zwar auf Städte, die sich bereits um 1500 einem regionalen Wallfahrtsverband angeschlossen hatten: Die Kathedralstädte Köln und Trier, die Reichs- und Stiftsstadt Aachen sowie die Abtei Kornelimünster. Eine Gegenprobe zeigt, dass für keine der nicht zu diesem Verbund zählenden Städte vergleichbare Drucke nachweisbar sind, weder für das als Wallfahrtsort recht bedeu-
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tende Neuss noch für Siegburg mit seinem Grab des heiligen Anno noch für die Kathedralstadt Mainz. Auf einen ausführlicheren Vergleich mit anderen Wallfahrtslandschaften wie zum Beispiel Bayern, Franken oder Österreich muss leider verzichtet werden. Es entsteht jedoch der Eindruck, dass in der ‚Pietas Bavarica‘ oder in der ‚Pietas Austriaca‘ die mariologische Komponente und ihre Verknüpfung mit dem Herrscherhaus eine weitaus größere Rolle gespielt hat als in den geistlichen Kurfürstentümern Trier und Köln. Als Beispiel verweise ich auf den 1615 datierten Kupferstich, der das Sammelwerk ‚Bavarica Sancta‘ schmückt: Vier Schutzengel mit den Wappen der vier Hauptstädte und der Erzengel Michael präsentieren Maria eine Karte des heiligen Bayernlandes.87 Ein Blick auf das Rheinland zeigt ein etwas anderes Bild: Im Bistum Trier gab es Marienwallfahrtsorte unter anderem in Beurig an der Saar, Klausen, Fraukirch, Bassenheim und Bornhofen, aber eine überregionale Bedeutung hat keiner von ihnen erreicht. Hier wären Luxemburg (begründet 1625), Kevelaer (1642) und Werl (1661)88 sowie einige ostfranzösische und belgische Orte zu nennen, zum Beispiel Notre-Dame de Montaigu (1581), Notre-Dame de Foy (1609) und Notre-Dame de Hal (1602).89 Namur (1622), Lille (1634), Nancy (1642) und Arlon (1656) stellten sich unter den Schutz der Gottesmutter, 1666 auch die Stadt und 1678 das Land Luxemburg.90 Diesem neuen Bedürfnis nach Marienfrömmigkeit kam man in den großen Wallfahrtsorten des Rheinlandes nicht entgegen, hier wurden die Kulte des hohen Mittelalters und die seit dem späten Mittelalter florierende Verehrung textiler Reliquien fortgeschrieben und allenfalls – wie beim Engelbertschrein – neu in Szene gesetzt. Sieht man vom Aachener Marienkleid und den Marienbildern im Kölner und im Aachener Domschatz ab, dann war keiner der alten Wallfahrtsorte ein Zentrum der Marienverehrung.
87 CORETH, Anna: Pietas Austriaca. Ursprung und Entwicklung barocker Frömmigkeit in Österreich (Österreich Archiv), München 21982; HÜTTL, Ludwig: Marianische Wallfahrten im süddeutsch-österreichischen Raum. Analysen von der Reformations- bis zur Aufklärungsepoche (Kölner Veröffentlichungen zur Religionsgeschichte 6), Köln/Wien 1985, S. 95–153; WOECKEL, Gerhard P.: Pietas Bavarica. Wallfahrt, Prozession und Ex-voto-Gabe im Hause Wittelsbach in Ettal, Wessobrunn, Altötting und der Landeshauptstadt München von der Gegenreformation bis zur Säkularisation und der „Renovatio Ecclesiae“, Weißenhorn 1992. 88 HECKENS, Josef/SCHULTE STAADE, Richard (Hrsg.): Consolatrix afflictorum. Das Marienbild zu Kevelaer. Botschaft, Geschichte, Gegenwart, Kevelaer 1992; DOHMS, Peter: Die Wallfahrt nach Kevelaer zum Gnadenbild der „Trösterin der Betrübten“, Kevelaer 1992. 89 MAERTZ, Joseph: Entstehung und Entwicklung der Wallfahrt zur Trösterin der Betrübten in Luxemburg 1624–1666, in: Hémecht 18 (1966), S. 7–132, hier S. 50f., mit weiteren Beispielen. 90 SCHMITT, Georges: Luxemburger Kupferstecher in ihren Zusammenhängen mit dem Andachtsbild der Trösterin der Betrübten, in: Hémecht 18 (1966), S. 297–310; HEINZ, Andreas: Die Wallfahrt zu Maria, der „Trösterin der Betrübten“ in Luxemburg, in: BIRSENS, Josy (Hrsg.): „Fir Glawen a Kultur“. Les jésuites à Luxembourg, Luxemburg 1994, S. 125–139.
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Dagegen spielten Marienbilder in der Kölner Graphikproduktion eine bedeutende Rolle. 1607 brachte Johann Bussemacher einen Kupferstich mit der Verehrung der Madonna von Scherpenheuvel (Montaigu) durch Pilger und Fürsten auf den Markt und um 1620/30 einen Kupferstich mit dem spätgotischen Gnadenbild gegenüber dem Epitaph des Dombaumeisters Konrad Kuene († 1469) im Kölner Dom. Das Gnadenbild wurde 1622 in die Marienkapelle versetzt und zog dort spätestens 1645 Ströme von Gläubigen an; der Kupferstich lässt freilich schon für das Jahr 1607 eine intensive Verehrung erkennen, wie die zahlreichen Votivgaben und Kerzen sowie die betenden Gläubigen zeigen. Gleichzeitig machte der qualitätvolle Kupferstich das Marienbild im Kölner Dom überregional bekannt.91 Die Bilder der Engel der ‚Bavarica Sancta‘ und des heiligen Kaisers Karl des Großen mit einem Modell des Aachener Marienstifts zeigen uns, dass es den Autoren dieser Blätter um weitaus mehr ging als um Werbeblätter für Wallfahrten oder um Reliquienverzeichnisse. Die Kupferstiche waren Medien der Selbstdarstellung einer Kirche, bei der die altehrwürdige Geschichte und die prominenten Gründer sowie die bedeutenden Heiligen und Reliquien einen hohen Stellenwert besaßen. Diese wurden zu zentralen Eckpfeilern im Selbstverständnis der geistlichen Institutionen. Den Schatzkammern der Kathedralen, Klöster und Stifte kommt in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle zu: Sie konnten auf eine bis in die Romanik zurückreichende Tradition zurückblicken und stellten gewissermaßen das sichtbare Gedächtnis der Kirche, ihrer Geschichte und ihrer Traditionen dar. Sie waren deshalb nicht nur Kunst- und Heiltumskammern, sondern – wie die Klosterbibliotheken – auch zentrale Wissensspeicher. Die Heiltumsdrucke machten dieses Wissen jetzt auch außerhalb der Schatzkammern regional und überregional verfügbar; die Pilger konnten sie mit nach Hause nehmen, Gelehrte konnten sie ihrer Graphiksammlung einverleiben. Die großformatigen Kupferstiche dienten damit auch der Identitätsstiftung des katholischen Rheinlandes. Wallfahrten und Heiltumsdrucke festigten den Zusammenhalt des katholischen Lagers und grenzten es gegen die protestantische Konkurrenz ab, die hier natürlich alle Vorurteile bestätigt sah. In ähnlicher Weise diente auch die Geschichtsschreibung als Medium der Lagerbildung im konfessionellen Zeitalter. Unsere Heiltumsdrucke für Trier, Köln und Aachen entsprechen den gelehrten Kompendien von Brower und Masen für Trier, Crombach und Gelenius für Köln sowie Noppius für Aachen.92 Wir haben also eine deutlich erkennbare Bildungslandschaft vor uns, die 91 SCHÖLLER: Druckgraphik (wie Anm. 42), S. 56–62, Nr. 44f. Zum Kühne-Epitaph und der Madonna vgl. BÖTTCHER, Petra: Das Epitaph für Konrad Kuyn im Kölner Dom, in: Kölner Domblatt 60 (1995), S. 47–102, hier S. 59–63. 92 BENZ, Stefan: Zwischen Tradition und Kritik. Katholische Geschichtsschreibung im barocken Heiligen Römischen Reich (Historische Studien 473), Husum 2003. Vgl. für die protestantische Position jetzt das monumentale Werk von REINITZER, Heimo: Gesetz und Evangelium. Über ein reformatorisches Bildthema, seine Tradition, Funktion und Wirkungsgeschichte, 2 Bde., Hamburg 2006. Hingewiesen sei außerdem noch auf EMICH, Birgit: Bildlichkeit und
Rheinische Schatzkammern im Zeitalter der katholischen Reform
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nicht nur durch Schulen und Universitäten, sondern auch durch eine spezifische katholische Gelehrsamkeit geprägt wird, die sehr stark der mittelalterlichen Tradition der Heiligen- und Reliquienverehrung verpflichtet ist. Dieses Wissen musste auch außerhalb der Gelehrtenstuben verbreitet werden. Schatzkunst und Heiltumsdrucke stellen in diesem Zusammenhang Facetten eines Gesamtprogramms der katholischen Reform dar, mit dem nach dem Dreißigjährigen Krieg das religiöse Leben neu organisiert werden sollte. Hierbei kommt auch den Prozessionen und Wallfahrten, von denen viele nach 1648 neu belebt oder neu begründet wurden, eine große Bedeutung zu. Um nur wenige Beispiele herauszugreifen, nenne ich die Überführung des heiligen Donatus von Rom nach Münstereifel 1646, der als Schutzheiliger gegen Unwetter und Blitzschlag fast genauso populär werden sollte wie der 1729 kanonisierte Brückenheilige Johann Nepomuk.93 Darüber hinaus ist auf die Marienwallfahrt in Aldenhoven ab 165494 oder den Bau der Marienkapelle auf dem Karmelenberg in Bassenheim 166295 zu verweisen. Anführen lässt sich nicht zuletzt auch der Druck eines Mirakelbuches für St. Matthias 1652, das ebenfalls die Wallfahrt neu beleben sollte.96 Außerdem wurden überall Kreuzwege, Kalvarienberge, Heilige Gräber und Nachbauten der Grabeskirche errichtet.97 Sie machten jedem Besucher deutlich, dass nicht nur die Metropolen Trier und Köln heilige Städte,98
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Intermedialität in der Frühen Neuzeit. Eine interdisziplinäre Spurensuche, in: Zeitschrift für Historische Forschung 35 (2008), S. 31–56. Die methodisch außerordentlich anregende Studie basiert leider auf einer recht schmalen Materialbasis und berücksichtigt die Drucke mit religiösen Themen fast überhaupt nicht, so dass von der frühneuzeitlichen Bildlichkeit ein nicht nur aus rheinischer Perspektive schiefes Bild entsteht. SCHNEIDER, Bernhard: Wallfahrten im frühneuzeitlichen Erzbistum Trier, in: Kurtrierisches Jahrbuch 47 (2007), S. 347–381, hier S. 352; BECKER, Thomas Paul: Konfessionalisierung in Kurköln. Untersuchungen zur Durchsetzung der katholischen Reform in den Dekanaten Ahrgau und Bonn anhand von Visitationsprotokollen 1583–1761 (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Bonn 43), Bonn 1989, S. 196–225; DRHOVSKÝ, Karel: Johannes von Nepomuk. Der Heilige Mitteleuropas (Edition Grenzgänger 36), Passau 2002. BERS, Günter: „Das Miraculöß Mariä Bildlein zu Aldenhoven“. Geschichte einer rheinischen Wallfahrt 1655–1985 (Schriften zur rheinischen Geschichte 6), Köln 1986. GROSS, Theobald: Die Marienkapelle auf dem Karmelenberg von 1662. Sakrales Kleinod mit Zukunft, o. O. 1998. 1650 erhielt die Matthiasbruderschaft ein päpstliches Ablassprivileg, wonach jedes Mitglied am Tag seiner Aufnahme einen vollkommenen Ablass erwerben konnte, BECKER, Petrus: Die Benediktinerabtei St. Eucharius-St. Matthias vor Trier (Germania Sacra N.F. 34), Berlin/ New York 1996, S. 452f.; ZIMMER, Verena Maria: Über das literarische Schicksal der Wunder des Apostels Matthias, in: Kurtrierisches Jahrbuch 47 (2007), S. 211–248. GIERSCH, Paula/SCHMID, Wolfgang: Rheinland – Heiliges Land. Pilgerreisen und Kulturkontakte im Mittelalter (Armarium Trevirense 1), Trier 2004, S. 229–253; RÜDIGER, Michael: Nachbauten des Heiligen Grabes von Jerusalem in der Zeit von Gegenreformation und Barock. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte architektonischer Devotionalkopien, Regensburg 2003. Vgl. für Trier oben Anm. 30, für Köln oben Anm. 61.
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sondern dass auch die Territorien von Kurtrier und Kurköln gut regiertes heiliges Land waren. Kurköln stellte mit Werken wie dem Engelbertschrein, mit Bauten wie der Kölner Jesuitenkirche St. Mariae Himmelfahrt (1615 als „monumentum Bavaricae pietatis“ geplant, 1618–1629 errichtet, 1678 vollendet)99 oder der Wallfahrtskirche auf dem Bonner Kreuzberg (1627, Neuausstattung 1746/51) und seiner städtebaulichen Verzahnung mit der Residenz die Trierer Bauten in den Schatten.100
99 Zit. nach KNOPP, Gisbert: Avita fide. Zur Wittelsbachschen Hausmacht- und Kirchenpolitik am Ende des 16. und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, in: Jesuitenkirche (wie Anm. 46), S. 135–154, hier S. 148. 100 KNOPP, Gisbert: Die Heilige Stiege und die Wallfahrtskirche auf dem Kreuzberg in Bonn. Zeugnisse barocker Volksfrömmigkeit und fürstlicher Prachtliebe, in: ZEHNDER, Frank Günter (Hrsg.): Das Ideal der Schönheit. Rheinische Kunst in Barock und Rokoko (Der Riss im Himmel. Clemens August und seine Epoche 6), Köln 2000, S. 111–128.
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Schule und Bildung im vormodernen Rheinland Überlegungen zur Periodisierung und regionalen Vernetzung Im Frühjahr und Sommer 1579 trafen sich in der kleinen ländlichen Siedlung Barmen ganz im Osten des Wuppertals alle Hausväter, um das gemeinsame Ziel der Gründung einer eigenen kirchlichen Gemeinde zu beraten. Als wichtiges erstes Mittel, um sich vom zuständigen Kirchspiel Schwelm abzuspalten, beschlossen die Familienoberhäupter die Gründung einer Schule. Sie setzten eine Liste auf, in der von jeder Familie eine einmalige Geldspende zum Bau des Gebäudes sowie eine zukünftig jährlich zu entrichtende Geldsumme zum Unterhalt des Lehrers verzeichnet wurden. Familienväter, die in den aufstrebenden Textilproduktionsort Barmen zuzogen, sollten zukünftig verpflichtet werden, der Spenderliste beizutreten.1 Diese Form einer autonomen Schulgründung durch die Einwohnerschaft ist im frühneuzeitlichen Alten Reich ungewöhnlich, war aber zum Beispiel in England üblich, wie die weit verbreiteten „Inscription Lists“ zeigen, mit der Gemeinden bei fehlenden Pfarrgütern die Finanzierung des Unterrichts in ländlichen Gebieten sicherstellten.2 In Barmen waren es jedoch nicht die fehlenden Unterrichtsangebote, die die Hausväter zu den Separationsbestrebungen motivierten, sondern der konfessionelle Gegensatz: die Barmer waren an der reformierten Lehre orientiert, während das Schwelmer Kirchspiel lutherisch blieb. Wie in einem Brennglas bündeln sich in Barmen die bildungsgeschichtlichen Tendenzen des 16. und 17. Jahrhunderts: Die Schule ist eine der Kerninstitutionen der Gemeinde, Schule und Kirche sind eng verknüpft, der Unterricht beinhaltet eine religiöse Unterweisung, eine Kultur der Alphabetisierung verpflichtet zumindest die mit Besitz ausgestatteten Einwohner, ihre Kinder zur Schule zu schicken. Im Gegensatz zu dem von der älteren Forschung geprägten Bild, das mit dem Schulwesen vor 1800 im Wesentlichen eine Geschichte der Disziplinierung und Indoktrination und der weit verbreitete Missachtung von Bildung verband, lernen wir in Barmen ein ausgeprägtes Interesse an Alphabetisierung und Bildung in der ländlichen Gesellschaft kennen. Zugleich kommt der konfessionelle Gegensatz in den Blick, der in seinen Auswirkungen auf das Schulwesen hier nicht einfach als spaltend, sondern 1 BRUYN-OUBOTER, Hans-Joachim de: Konfessionalisierung des Schulwesens? Das Beispiel der Barmer Amtsschule von 1579, in: DIETZ, Burkhard/EHRENPREIS, Stefan (Hrsg.): Drei Konfessionen in einer Region. Beiträge zur Geschichte der Konfessionalisierung im Herzogtum Berg (Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte 136), Köln 1999, S. 351– 406, hier S. 365–372. 2 JEWELL, Helen: Education in Early Modern England, Basingstoke 1999, S. 29.
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als Movens beschrieben werden kann. Es gilt, sich mit beiden Aspekten zu beschäftigen. Dazu wird im Folgenden in punktuell zugespitzten Schritten vorgegangen, die die lange Chronologie vom 13. bis zum 18. Jahrhundert sinnvoll gliedern, indem sie Wendemarken konturieren. Vor diesem chronologischen Durchgang müssen wir jedoch die Klärung des Begriffs ‚Bildungslandschaft‘ vornehmen, eine historiographische Raumkonstruktion mittels eines Parameters, über den man in der internationalen methodischen Diskussion der Frühneuzeitforschung seit den 1970er-Jahren debattiert. Der deutsche Begriff ‚Bildung‘ ist bekanntlich in seiner im frühen 19. Jahrhundert entwickelten Bedeutung kaum in andere europäische Sprachen zu übersetzen, da er dem allgemeineren Terminus ‚Erziehung‘ eine spezifische Konnotation an die Seite stellt.3 Für eine Gesamtschau des frühneuzeitlichen Schulwesens ist der Bildungsbegriff jedoch analytisch ungeeignet, da er einengend ein historisches Erziehungsmodell privilegiert, das für die Frühe Neuzeit einen Anachronismus darstellt und sie zwangsläufig als eine Epoche fehlender moderner Erziehungsvorstellungen beschreibt. Die Hybris der Neuhumanisten um 1800 gegenüber den älteren Erziehungssystemen würde so unreflektiert fortgeschrieben. Historiographisch bestehen in einer unkritischen Verwendung des Bildungsbegriffs zwei Gefahren: einmal würde der Fokus auf die Entwicklung des höheren Schulwesens gelegt und damit der Untersuchungsgegenstand eingeengt, und zweitens würde der historische Wandel von Erziehungsvorstellungen und -praxis vor der Entstehung des modernen Bildungsbegriffs tendenziell eingeebnet.4 Ich schlage daher vor, den Ausgangspunkt zur Erforschung frühneuzeitlicher Erziehungs- und Bildungskulturen anders zu verorten, nämlich bei den kulturanthropologischen Überlegungen zur besonderen Rolle der Schrift in der Entwicklung europäischer Gesellschaften seit der Antike. Der Kulturanthropologe Jack Goody verfolgte die Frage nach der Ausnahmestellung der westlichen Schriftkultur-Entwicklung im systematischen Vergleich aller literalen Hochkulturen. Dabei betonte er zwei wichtige Unterscheidungsmerkmale: erstens die Verbreitung der alphabetischen Lautschrift im antiken Europa im Gegensatz zu den Zeichenschriften anderer Kontinente und zweitens die Förderung der Massenalphabetisierung in Europa seit dem Spätmittelalter im Gegensatz zum esoterischen Schriftgebrauch oder der bewusst sozial begrenzten Schriftvermittlung in den Hochkulturen Chinas, Indiens oder der arabischen Welt.5
3 TENORTH, Heinz-Elmar: Geschichte der Erziehung. Einführung in die Grundzüge ihrer neuzeitlichen Entwicklung, Weinheim/München 32000, S. 15–17. 4 Gegen eine solche Tendenz jetzt OVERHOFF, Jürgen: Die Frühgeschichte des Philanthropismus (1715–1771). Konstitutionsbedingungen, Praxisfelder und Wirkung eines pädagogischen Reformprogramms im Zeitalter der Aufklärung (Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung 26), Tübingen 2004, der die Verbindungslinien zwischen den philanthropischen Ideen und der lutherischen Theologie im frühen 18. Jahrhundert verankert. 5 Zusammenfassung der Forschungen in GOODY, Jack: Funktionen der Schrift in traditionalen Gesellschaften, in: DERS./WATT, Ian/GOUGH, Kathleen (Hrsg.): Entstehung und Folgen der Schriftkultur, Frankfurt a. M. 1986, S. 25–61.
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In einer vergleichenden Perspektive versuchte dann Harvey Graff, die Anstöße von Goody empirisch genauer auf die historische Entwicklung Europas anzuwenden.6 In einer 1987 publizierten zusammenfassenden Studie zur Literalität des Westens seit der Antike stellte er die kulturellen Einflüsse der christlichen Lehre auf die Legitimität von Schriftlichkeit heraus, vor allem für die Verbreitung der Lesefähigkeit.7 Den Epochenumbruch von Renaissance, Humanismus und Reformation sah er für die Geschichte der Schriftkultur als eher marginal an und setzte stattdessen einen Einschnitt in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Gewandelte Erziehungsvorstellungen hätten gleichzeitig in allen Gesellschaftsschichten die systematische Unterweisung der Kinder zum Gegenstand institutionalisierter Bemühungen gemacht, vor allem seitens der staatlichen Verwaltungen. Die politischen Kampagnen der Massenverschulung hätten jedoch erst nach 1760 zu messbaren Erfolgen bei den nationalen Alphabetisierungsquoten geführt.8 Die Antworten, die Graff hier auf elementare Fragen der Periodisierung und sozio-kulturellen Folgewirkung des Literalisierungsprozesses in der europäischen Geschichte gab, wurden zur Folie für die geschichtswissenschaftliche Forschung der nächsten Jahrzehnte. Das Verhältnis von ‚Alphabetisierung‘, ‚Buchkultur‘ und ‚Erziehung‘, das die frühen Studien Goodys und Graffs eher postulierten als empirisch nachwiesen, wurde zum Gegenstand zahlreicher Einzelstudien, die erst seit den 1990er-Jahren systematisch verknüpft werden konnten.9 Das modernisierungstheoretische Interesse an der Geschichte von Alphabetisierung und Schriftlichkeit setzte in den unterschiedlichen europäischen Forschungstraditionen eine Dynamik in Gang, die der etablierten Erziehungs- und Bildungsgeschichte eine neue Forschungsrichtung an die Seite stellte.10 Seit den 1970erJahren arbeiteten französische Sozialhistoriker an der Auswertung der Unterschriften in den seit 1686 geführten – allerdings meist erst aus späterer Zeit überlieferten – Heiratsregistern und entwickelten daran eine Methodik zur Berechnung der Alphabetisierungsrate.11 Erste Ergebnisse wurden in zwei 1977 publizierten Überblicks-
6 GRAFF, Harvey: The Labyrinths of Literacy. Reflections on Literacy Past and Present, Pittsburgh/London 1995. 7 GRAFF, Harvey: The Legacies of Literacy. Continuities and Contradictions in Western Culture and Society, Bloomington 1987, S. 10–15. 8 GRAFF: Legacies (wie Anm. 7), S. 173–178. 9 Als Beispiel für eine kulturanthropologisch orientierte Geschichte der europäischen Schriftkultur vgl. jetzt LUDWIG, Otto: Geschichte des Schreibens, Bd. 1: Von der Antike bis zum Buchdruck, Berlin 2005. 10 Vgl. zum historiographischen Hintergrund der Entwicklungen in der Annales-Schule zusammenfassend RAPHAEL, Lutz: Geschichtswissenschaft im Zeitalter der Extreme. Theorien, Methoden, Tendenzen von 1900 bis zur Gegenwart, München 2003, S. 104–108. 11 Vgl. den Überblick zur Methodologie bei PRASS, Rainer: Signierfähigkeit und Schriftkultur. Methodische Überlegungen und neuere Studien zur Alphabetisierungsforschung in Frankreich und Deutschland, in: Francia 25/2 (1998), S. 175–197.
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bänden diskutiert.12 Die regional erhobenen Daten flossen in den zweiten Band des „Atlas de la Revolution française“ ein, der die regionalen Alphabetisierungsraten mit der Schuldichte und den Schulbesuchsquoten verglich.13 Der Band bestätigte die schon früher in der französischen Schulgeschichtsforschung behauptete geographische Linie der Bildungskultur von St.-Malo nach Genf: Die Bevölkerung nördlich und östlich dieser geographischen Linie war deutlich besser mit Schulen versorgt (circa 80 Prozent der Gemeinden) als die südlich und westlich dieser Linie lebende (circa 50 Prozent).14 Mit dieser großen nationalen Darstellung hatte die französische Forschung ein Modell vorgelegt, um die rein statistisch verfahrende Alphabetisierungsforschung sozial- und kulturgeschichtlich zu erweitern. Die quantitativen Analysen der Alphabetisierungsforschung hatten aber neben ihren unbestreitbaren Erfolgen auch die Grenzen dieser Methode aufgezeigt: So liegen für viele europäische Länder kaum Quellen zur Signierfähigkeit vor, die aus der Zeit vor der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts stammen. Ausnahmen mit guter Überlieferung quantifizierbarer Daten sind Schweden und England.15 Darüber hinaus sagt die Signierfähigkeit nichts über Umfang und Teilhabe an der Literalität der Gesellschaft aus, die nur mit der Erforschung von veränderten sozialen Kommunikationsformen, Buchbesitz, Lektüregewohnheiten und von Beziehungen literaler zu oralen und visuellen Kulturformen aufzuklären ist. Drittens trägt die Alphabetisierungsrate nichts zu Erkenntnissen über die Funktion bei, die der Schriftlichkeit in vergangenen Gesellschaften zugewiesen wurde. In welchem Verhältnis standen Lese- und Schreibfähigkeit zu Normen sozialer Praxis und deren Vermittlung in der Erziehung? Wozu sollte Lesen gelernt werden? Die Erkenntnis der begrenzten Aussagekraft der Alphabetisierungsforschung über den kulturellen Wandel in der europäischen Frühneuzeit hatte ihre Einbettung in übergreifende historische Modelle von Sozialisation und Akkulturation der nachwachsenden Generationen zur Folge. Nicht nur die Fähigkeit zur Literalität, sondern vor allem die Formen ihres Erwerbs und ihres Gebrauchs durch Individuen und soziale Gruppen sowie insgesamt ihr ‚sozialer Sinn‘ rückten in den Mittelpunkt der Fragestellungen. Bereits 1976 legten drei das kontinentaleuropäische Forschungsfeld prägende Historiker – Roger Chartier, Marie-Madeleine Compère und 12 FURET, François/OZOUF, Jacques (Hrsg.): Lire et écrire. L‘alphabétisation des Français de Calvin à Jules Ferry, 2 Bde., Paris 1977. 13 JULIA, Dominique (Hrsg.): Atlas de la Révolution française, Bd. 2: L‘enseignement, 1760– 1815, Paris 1987. 14 Zusammenfassung der Forschung bei SCHMALE, Wolfgang: Soziographische Divergenz und nationale Nivellierung. Die Schulerziehung in Frankreich in der schöpferischen Krise, in: DERS./ DODDE, Nan L. (Hrsg.): Revolution des Wissens? Europa und seine Schulen im Zeitalter der Aufklärung (1750–1825). Ein Handbuch zur europäischen Schulgeschichte, Bochum 1991, S. 179–221, hier S. 193f. 15 Vgl. zur Quellenlage zusammenfassend HOUSTON, Robert A.: Literacy in Early Modern Europe. Culture and Education 1500–1800, London 22002, S. 129–139.
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Dominique Julia – eine Gesamtdarstellung der frühneuzeitlichen Erziehungs- und Bildungsgeschichte vor, die ein im 16. Jahrhundert entstehendes humanistisches Interesse an der Kindheit, den Aufbau eines differenzierten Schul- und Hochschulwesens, die Entwicklung einer Unterrichtsdidaktik sowie eines Schulbuchmarktes und anderes mehr in ein neues Bild des Wandels von Erziehungsideen und -institutionen zu integrieren suchte.16 Die französischen Anstöße wurden europaweit aufgegriffen.17 Vergleicht man heute europäische und außereuropäische Modelle von Schriftlichkeit in einer Gesellschaft, so steht nicht mehr die modernisierungstheoretisch inspirierte Frage nach dem ‚Entwicklungsstand‘ der Alphabetisierungsrate im Vordergrund, sondern die nach dem kulturell vermittelten Umgang mit Schriftlichkeit in der gesellschaftlichen Kommunikation. Diese Verschiebung der Fragestellung stellt die Erforschung der frühneuzeitlichen Epoche, in der in Europa die Literalisierung großer Bevölkerungsteile begann, vor neue Herauforderungen. Die frühneuzeitliche Institution ‚Schule‘ ist daher nur als ein Bestandteil eines übergeordneten Literalisierungsprozesses zu beschreiben, der familiäre Sozialisationsbedingungen, soziale Verhaltensnormierungen, kulturelle Kommunikationsformen und den politisch-sozialen Diskurs mit umfasst. ‚Erziehung‘ und auch ‚Schule‘ als gesellschaftliche Veranstaltungen sind also in einen größeren Kontext einzubetten – eine Forderung, die für die deutsche ‚Bildungsgeschichte‘ bisher kaum eingelöst worden ist.18 Für unsere Beschäftigung mit dem Rheinland sind forschungspraktisch zwei methodische Folgerungen festzuhalten: 1. ‚Bildung‘ sollte als ein weiter Begriff für das kulturell-geistige Beziehungsgeflecht von institutioneller Akkulturation der nachwachsenden Generation gebraucht werden. Dazu gehören auch alle Formen der Sozialisation außerhalb der Schule wie zum Beispiel Buchmarkt, kulturelle Öffentlichkeit, Umgang mit geschriebenen Texten und das generelle Verhältnis von Oralität und Literalität in einer Gesellschaft, wie es zum Beispiel in der Bedeutung der Schriftlichkeit in der Verwaltung und vor Gericht zutage tritt.19 Für eine solche Sichtweise liegen jedoch noch kaum kulturhistorische Untersuchungen vor. 16 CHARTIER, Roger/COMPÈRE, Marie-Madeleine/JULIA, Dominique: L‘éducation en France du XVIe au XVIIIe siècle, Paris 1976. 17 Einen aktuellen Überblick bietet HOUSTON: Literacy (wie Anm. 15), S. 125–140. 18 Nur am Rande sei hier die Beobachtung eingefügt, dass sich auch die Bonner Schule der historischen Kulturraumforschung bis in die 1980er-Jahre hinein überraschenderweise kaum mit Schulen als kulturellem Faktor beschäftigte. Vgl. zur deutschen Forschungssituation GESTRICH, Andreas: Vergesellschaftungen des Menschen. Einführung in die Historische Sozialisationsforschung (Historische Einführungen 1), Tübingen 1999. 19 Vgl. für diesen Kontext von Bildung etwa LORENZEN-SCHMIDT, Klaus-J.: Schriftliche Elemente in der dörflichen Kommunikation in Spätmittelalter und Frühen Neuzeit. Das Beispiel Schleswig-Holstein, in: RÖSENER, Werner (Hrsg.): Kommunikation in der ländlichen Gesellschaft (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 156), Göttingen 2000, S. 169–187. Vgl. auch den Beitrag von Manfred GROTEN in diesem Band.
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2. Unter ‚Schule‘ bzw. ‚Schuldichte‘ als Parameter für eine Landschaftskonstruktion verstehe ich die Aufeinanderbezogenheit aller Arten von Unterricht in einer Region inklusive des Buchmarktes für Schulbücher und des regionalen Diskurses über erzieherische oder didaktische Ziele und Methoden. Die Hauptfrage lautet also, ob das Rheinland in dieser Hinsicht eine Schul- und Bildungslandschaft bildete und was diese charakterisierte. Die Universitäten – denkbarer Nukleus eines solchen Beziehungsgeflechts – sind im Rheinland nur sehr eingeschränkt als Untersuchungsgegenstand geeignet, um die Strukturen von Bildung und Unterricht zu erhellen. Weder die rheinischen Studenten, die in größerer Zahl außerhalb der Region studierten, noch die Profile der Lehrenden an rheinischen frühneuzeitlichen Universitäten weisen spezifische Charakteristika auf, die man zur Konstruktion einer einheitlichen Bildungslandschaft nützen könnte. Anders als beispielsweise die „Hollandse School-Ordre“ von 1628, die ein Leitbild für das gesamte höhere Schulwesen der Niederländischen Republik entwarf, konnte die fürstliche Bildungspolitik am Rhein keine allgemeine Prägekraft für die Gymnasien und Lateinschulen entwickeln.20 Lediglich in der Sonderbeziehung zwischen dem Akademischen Gymnasium im westfälischen Hamm und der 1653 gegründeten kurbrandenburgischen Universität in Duisburg entstand eine konfessionell bedingte Aufeinanderbezogenheit der Unterrichtsinhalte mit systemischem Charakter.21 Stärker als auf die Universitäten ist daher auf das höhere und niedere Schulwesen zu achten, aber auch auf die gesellschaftliche Kommunikation, auf personelle Netzwerke und räumliche Beziehungsgeflechte, zu denen dann allerdings die gelehrte Welt einen erheblichen Beitrag leistete, auf den noch zurück zu kommen sein wird.
1. Spätmittelalter und Humanismus Einen ersten epochalen Einschnitt in der rheinischen Bildungsentwicklung bilden das Spätmittelalter und der frühe Humanismus. Im Rheinland ist das Bildungswe20 Zur „Hollandse Schoolordre“ vgl. BAKKER, Nelleke/NOORDAM, Jan/RIETVELD-VAN WINGWERDEN, Marjoke: Vijf Eeuwen Opvoeden in Nederland. Idee & Praktijk 1500–2000, Assen 2006, S. 443f. Die regional weit über das Rheinland hinausgreifenden Bezüge lassen sich besonders an dessen Randzonen studieren. Hier waren keine zentralisierenden Kräfte am Werk, vgl. etwa KELLER, Karl/NAGEL, Rolf/STENMANS, Peter (Hrsg.): Beiträge zur Kirchenund Schulgeschichte des Gelderlandes (Veröffentlichungen des Historischen Vereins für Geldern und Umgegend 104), Geldern 2004; ELS, Josef: Kleine Eifeler Schulgeschichte. Die Entwicklung des Schulwesens in der Eifel vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert (Beiträge zur Geschichte des Monschauer Landes 6), Monschau/Aachen 2002. 21 BRUNING, Jens: Das pädagogische Jahrhundert in der Praxis. Schulwandel in Stadt und Land in den preußischen Westprovinzen Minden und Ravensberg 1648–1816 (Quellen und Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte 15), Berlin 1998. Vgl. auch die in Anm. 59 genannte Literatur.
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sen des Spätmittelalters neben der Universität Köln durch drei Typen von Schulen gekennzeichnet: 1. die Klosterschulen; 2. die städtischen Schulen in Ratsträgerschaft, vor allem in den zahlreichen kleineren Städten; und 3. die Pfarrschulen auf dem Land, aber auch in einzelnen Städten wie zum Beispiel in der Reichsstadt Köln.22 Für die langfristige Entwicklung scheinen mir zwei Momente wichtig zu sein: Zunächst ist ein Trend zur Kommunalisierung von Schulen zu nennen, der auch in anderen Regionen des Reiches zu fassen ist.23 Er verbindet sich mit einer kleinen ‚Bildungsrevolution‘ unter der städtischen Handwerkerschaft und befördert den Aufstieg von städtischen Mittelschichten in die neuen akademischen Berufe. Ein Beispiel für diese Entwicklung auch abseits der rheinischen Metropole Köln bietet etwa Düsseldorf. Hier wurde anlässlich der Vergrößerung der Zahl der Geistlichen an der Kollegiatkirche St. Lambertus 1392 eine Trivialschule gegründet, die einem geistlichen Scholasticus unterstand, der auch als Frühmessner Einkünfte erhielt. Die Schülerschaft hatte sich an Andachten und Prozessionen zu beteiligen. Im 15. Jahrhundert waren die Lehrer nebenher auch als Schreiber tätig.24 Für die große Gruppe der rheinischen Kleinstädte kann Moers als Beispiel dienen, wo um 1500 eine städtische Schule bestand, in der sowohl die Kulturtechniken in der Muttersprache als auch die Anfänge des Lateinischen unterrichtet wurden. Für die Ausbildung in den geistlichen Berufen wurde hingegen eine Klosterschule der Karmeliter besucht, die einer kleinen Gruppe von Bürgersöhnen eine intensivere Vorbereitung auf ein Studium ermöglichte.25
22 OEDIGER, Friedrich Wilhelm: Die niederrheinischen Schulen vor dem Aufkommen der Gymnasien (1941), in: DERS.: Vom Leben am Niederrhein. Aufsätze aus dem Bereich des alten Erzbistums Köln, Düsseldorf 1973, S. 351–408; HERBORN, Wolfgang: Kölner Schulen, Schüler und Lehrer an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 77 (2006), S. 53–94. In Ermangelung neuerer Forschungen vgl. auch nach wie vor HASHAGEN, Justus: Hauptrichtungen des rheinischen Humanismus, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 106 (1922), S. 1–56. 23 FLACHENECKER, Helmut: Freising – Regensburg. Eine prosopographische Annäherung an altbayerische Schul- und Universitätslandschaften im ausgehenden Mittelalter, in: DERS./ KIESSLING, Rolf (Hrsg.): Schullandschaften in Altbayern, Franken und Schwaben (Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte. Beiheft 26), München 2005, S. 133–156. Das Würzburger Vorgehen, die Matrikel auf die Herkunftsorte und möglichen Schulbesuch zu analysieren, wäre methodisch auch auf die Kölner Matrikel anwendbar, vgl. KEUSSEN, Hermann (Bearb.): Die Matrikel der Universität Köln (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 8), 7 Bde., Bonn 1919–1931, Düsseldorf 1981. 24 KNIFFLER, Gustav: Beiträge zur Geschichte des Schulwesens zu Düsseldorf, in: Beiträge zur Geschichte des Niederrheins 4 (1889), S. 11–50, hier S. 11, 15. 25 BECKER, Thomas P.: Moers im Zeitalter der Reformation (1500–1600), in: WENSKY, Margret (Hrsg.): Moers. Die Geschichte der Stadt von der Frühzeit bis zur Gegenwart, Bd. 1: Von der Frühzeit bis zum Ende der oranischen Zeit (bis 1702), Köln/Weimar/Wien 2000, S. 159– 269, hier S. 261f.
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Zweitens bahnten sich im 15. Jahrhundert bildungsgeschichtliche Verbindungen mit dem niederländischen Raum vor allem an Maas und Ijssel an, die bis in das 18. Jahrhundert hinein anhielten. Diese wurden durch hansische Handelskontakte und durch einen gemeinsamen Buchmarkt gestützt und sind auch in den zahlreichen niederländischen Studenten an der Kölner Universität fassbar.26 Eine geistige Verbindung bestand über die spätmittelalterliche Frömmigkeitsbewegung der ‚Devotio moderna‘. Vorbild städtischer Bildungsbewegungen war Deventer, wo Alexander Hegius 1474 bis 1498 die Schule der Fraterherren zu hoher Blüte brachte.27 Die hohe Bedeutung, die der Bildung im Karriereweg der Geistlichkeit im Rheinland zukam, korrespondierte mit der Wertschätzung, die die Bürgerschaften den kommunalen Schulen entgegen brachten.28 Die Konkurrenz der Schulen in den Ijsselstädten wirkte sich auch am Niederrhein aus: 1450 beschwerte sich die Emmericher Bürgerschaft bitter über die Vernachlässigung der Stiftsschule.29 Die Langzeitwirkung des maasländisch-niederrheinischen Humanismus als Vorbild zeigt sich bis in das 16. Jahrhundert: In Düsseldorf beschwerten sich städtische Vertreter 1535 über das schlechte Niveau des Unterrichts in der Stiftsschule bei St. Lambertus: „Nu aver haits eyne lange zit gedourt welicher burger eyn geschickt und geliernt kynt gerne hette ertzehen wille, der hait solichs in andern steden und mit sweren costen uiswendich suechen und hollen moissen [...] Item der burger besweren sich ouch, das eyn schoilmeister priester seyn soll umb willen, das er myt syner getzide, myssen und presentien und dergelichen sich mit der orgelen beirren durffen, wobey der scholen de flissiger achtgenommen und der armer gemeindt gelt und groisse chost vur hyn nit so unnutz lenger in den wynt gesloigen [...] moge.“30 Desiderate der Forschung sehe ich insbesondere in der Berücksichtigung des so genannten Klosterhumanismus.31 Die Bedeutung des Humanismus in der klösterlichen Welt ist bisher nur anhand der Kölner Kartause bearbeitet worden. In dieser 26 Zum Buchmarkt jetzt HERMANS, Jos M.M.: Zwolse boeken voor een markt zonder grenzen 1477–1523, met een catalogus van de verschenenen edities en gegevens over de bewaard gebleven exemplaren (Bibliotheca Bibliographia Neerlandica, Series Major 1), t‘Goy-Houten 2004. Der für die niederländische und friesische Handschriften- und Buchgeschichte einschlägige Wissenschaftler Hermans ist leider allzu früh 2007 verstorben, vgl. den Nachruf in: Quarendo 38 (2008), S. 1–5. 27 Vgl. etwa zur Beeinflussung der weiblichen Bildung KLUG, Martina B.: Armut und Arbeit in der Devotio moderna. Studien zum Leben der Schwestern in niederrheinischen Gemeinschaften (Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas 15), Münster/New York 2005. 28 Dazu die klassische Studie von OEDIGER, Friedrich Wilhelm: Über die Bildung der Geistlichen im späten Mittelalter (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 2), Bonn 1953. 29 OEDIGER: Schulen (wie Anm. 22), S. 378. 30 Zit. nach KNIFFLER: Beiträge (wie Anm. 24), S. 17. 31 MÜLLER, Harald: Habit und Habitus. Mönche und Humanisten im Dialog (Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe 32), Tübingen 2006.
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führenden intellektuellen Einrichtung kamen neue frömmigkeitsgeschichtliche Tendenzen und publizistische Wirksamkeit zusammen.32 Die jüngst vorgelegte Edition des chronikalischen Tagebuchs des Bruders Göbel aus dem westfälischen Kloster Böddeken, das zahlreiche Notizen zu seinen Reisen ins Rheinland bringt, zeigt ebenfalls ein hohes geistliches Interesse an Bildung und an überregionalen gelehrten Kontakten.33
2. Landesherrliche Schulpolitik in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts Der frühe Humanismus muss bereits als Überleitung in die zweite Phase betrachtet werden, die die Jahrzehnte der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts betrifft. Hier sind zwei entscheidende Wegmarken zu konstatieren: Einerseits beeinflussten Humanismus und Kirchenreform nicht nur die Bildungspolitik der Landesherrschaften, sondern auch das geistige Klima. Die Debatte um die berüchtigten ‚Dunkelmännerbriefe‘ verdeckt, dass auch der niederrheinische Humanismus in großem Ausmaß aus Köln gespeist wurde, da sich hier ein Zentrum des frühen Buchdrucks etablierte.34 Auch international strahlte der Niederrhein aus: Der erste Drucker an der Universität Cambridge kam aus Köln, ebenso zahlreiche venezianische Vertreter des Buchgewerbes.35 Schon vor der Ankunft der Jesuiten wurde der Bildungskanon der Universität modernisiert und auf eine humanistisch aufpolierte Scholastik ausgerichtet.36 Von Köln aus wurden auch die wenigen anderen humanistischen Gelehrtenschulen am Niederrhein beeinflusst, beispielsweise die unter Matthias Bredenbach in den 1530er-Jahren zu einem Gymnasium umgewandelte Stiftsschule in Emmerich.37 Bemerkenswerterweise hatten auch kleinere Territorien einen Anteil am rheinischen 32 CHAIX, Gérald: Réforme et Contre-Réforme catholiques. Recherches sur la chartreuse de Cologne au XVIe siècle (Analecta cartusiana 80), Salzburg 1981; SCHÄFKE, Werner (Hrsg.): Die Kölner Kartause um 1500. Aufsatzband, Köln 1991. 33 RÜTHING, Heinrich (Hrsg.): Die Chronik Bruder Göbels. Aufzeichnungen eines Laienbruders aus dem Kloster Böddeken 1502 bis 1543 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen 44; Quellen und Forschungen zur Kirchen- und Religionsgeschichte 7), Bielefeld 22006. 34 Vgl. auch den Beitrag von Wolfgang SCHMITZ in diesem Band. 35 MCKITTERICK, David: A history of Cambridge University Press, Bd. 1, Cambridge 1992, S. 22– 37; WIRTZ, Carolin: Köln und Venedig. Wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen im 15. und 16. Jahrhundert (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 57), Köln/Weimar/Wien 2006. 36 SEIFERT, Arno: Der Humanismus an den Artistenfakultäten des katholischen Deutschland, in: REINHARD, Wolfgang (Hrsg.): Humanismus im Bildungswesen des 15. und 16. Jahrhunderts (Mitteilung der Kommission für Humanismusforschung 12), Weinheim 1984, S. 135– 154, hier S. 144. 37 ULRICH, Herbert: Matthias Bredenbach (1499–1559). Lebensbild eines niederrheinischen Humanisten, Emmerich 1984.
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Humanismus, zum Beispiel die Grafschaft Schleiden mit dem Historiographen Johan Sleidan, Moers mit seinem humanistischen Landesherrn Graf Herman von Neuenahr (1553–1578), oder das Stift Essen, wo in der Hauptstadt zeitweise der Theologe Hermann Hamelmann wirkte.38 Die zweite wichtige Veränderung in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts waren die energischen Versuche der Landesherren, eine fürstliche Bildungspolitik zu etablieren und als neues Einflussfeld, auch gegenüber den geistlichen Gewalten, zu sichern. Es ist für die Strukturen der Landesherrschaft im Rheinland kennzeichnend, dass diese Bestrebungen in den größeren Territorien langfristig scheiterten, sowohl in Jülich-Kleve-Berg, wo nur das Düsseldorfer Gymnasium Bestand hatte, als auch in Kurköln während der kurzen protestantischen Phase unter Hermann von Wied.39 Anders als beispielsweise in Kursachsen, Württemberg oder den brandenburgischen Markgrafentümern Ansbach und Bayreuth, wo die fürstlichen Regierungen mit Stiftungen versehene Landesschulen einrichteten, die bis ins 18. Jahrhundert zentrale territoriale Ausbildungsstätten bildeten,40 versuchten die rheinischen Landesherren, an vorhandene lokale Schwerpunkte anzuknüpfen. Trotz der Einschränkungen, die ein Vergleich mit aktiven protestantischen Landesfürsten nahe legt, sollten die Bemühungen beachtet werden, einzelne städtische Lateinschulen im Unterrichtsprogramm aufzuwerten. Die fürstlichen Bemühungen in Jülich-Kleve-Berg wurden von bekannten humanistischen Persönlichkeiten unter den Räten Herzog Wilhelms V. gefördert.41 Konrad Heresbach, ein Freund des Erasmus, formulierte als Ziel: „Wie man Sämlinge in Baumschulen pflegt, um sie an die Stelle abgehender Bäume zu pflanzen, so muß man durch Unterricht die Kinder üben, welche an die leeren Stellen in Kirche und Staat treten sollen.“42 Obwohl keine eigene fürstliche Schulordnung erlassen wurde, erwähnte man in der JülichBergischen Polizeiordnung von 1558 die Pflicht der Eltern, ihre Kinder zur Schule
38 Vgl. jetzt auch ELS: Schulgeschichte (wie Anm. 20), S. 75; HORSTKEMPER, Gregor: Spaltungen – Spannungen – Spielräume. Entstehung und Zusammenleben dreier Konfessionen in Essen, in: GERCHOW, Jan (Hrsg.): Die Mauer der Stadt. Essen vor der Industrie 1244 bis 1865, Bottrop 1995, S. 183–196. 39 Zur kommunalen Schulpolitik in der Zeit Hermanns vgl. LAUX, Stephan: Reformationsversuche in Kurköln (1542–1548). Fallstudien zu einer Strukturgeschichte landstädtischer Reformation (Neuss, Kempen, Andernach, Linz) (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 143), Münster 2001. 40 Vgl. die Beiträge in FLÖTER, Jonas/WARTENBERG, Günther (Hrsg.): Die sächsischen Fürstenund Landesschulen. Interaktion von lutherisch-humanistischem Erziehungsideal und Eliten-Bildung (Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde 9), Leipzig 2004. 41 Vgl. zu den Biographien der erasmianisch eingestellten Räte jüngst KLOOSTERHUIS, Elisabeth M.: Erasmusjünger als politische Reformer. Humanismusideal und Herrschaftspraxis am Niederrhein im 16. Jahrhundert (Rheinisches Archiv 148), Köln/Weimar/Wien 2006. 42 Übersetzung eines Zitats nach WOLTERS, G.: Konrad von Heresbach und der Clevische Hof zu seiner Zeit, Elberfeld 1886, S. 125.
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zu schicken.43 Konkrete Entscheidungen zur Schulpolitik fielen in der noch zwischen den Residenzen Kleve, Jülich und Düsseldorf pendelnden Hofspitze zugunsten des zukünftigen Regierungssitzes. Im Frühjahr 1545 wurde ein herzogliches Gymnasium in Düsseldorf gegründet und mit dem bisherigen Kölner Domschulrektor Johannes Monheim besetzt.44 Gebäude, Landbesitz und Gefälle der neuen Schule stiftete der Landesherr, freilich in nicht genügendem Umfang, um die vorgesehenen sechs Klassen mit qualifizierten Lehrkräften zu versehen. Das Lehrprogramm umfasste die antiken Sprachen, inklusive Hebräisch, und die Anfänge der ‚Artes‘. Daneben wurden auch die ‚Institutionen‘ des Römischen Rechts gelehrt, was als ungewöhnlich bezeichnet werden kann und die Schule nicht ausschließlich auf die Theologenausbildung ausrichtete. Ab circa 1550 nahm die Schule hinsichtlich der Schülerzahl einen Aufschwung und auch ihr Bekanntheitsgrad stieg, so dass die Herkunft der Schüler weit über die Rheinlande hinausreichte.45 Auffällig ist, dass diese Aktivitäten zur Hebung der höheren Bildung in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts nicht mit entsprechenden landesherrlichen Stipendienprogrammen begleitet wurden. Inwieweit dies durch eine Kultur bürgerlicher Stipendien städtischer Herkunft aufgewogen wurde, ist – mit Ausnahme der Kölner Studienfonds46 – noch nicht untersucht worden. Städtische Stipendien sind auch in rheinischen Kleinstädten anzunehmen, aber ihre Dimension ist unklar.47 Neben der fürstlich-zentralen Bildungspolitik müssen die nicht minder wichtigen kommunalen Bestrebungen zur Verbesserung der schulischen Versorgung der 43 Policey sambt anderen Ordnungen und Edicten des Durchleuchtigen [...] Herren Wilhelms Herzogen zu Gülich [...], Köln 1558. Vgl. hierzu auch den Beitrag von Karl HÄRTER in diesem Band. 44 Das Folgende nach WILLEMSEN, Heinrich: Aus der Geschichte des Düsseldorfer Gymnasiums, in: Beiträge zur Geschichte des Niederrheins 23 (1910), S. 218–333, hier S. 219–256. 45 Zu einigen später als Pfarrer und Lehrer tätigen Absolventen des Monheimschen Gymnasiums vgl. SCHUMACHER, Karl: Zur Düsseldorfer Schulgeschichte des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Düsseldorfer Jahrbuch 26 (1913/14), S. 291–297. 46 Vgl. TEWES, Götz-Rüdiger: Die Bursen der Kölner Artisten-Fakultät bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts (Studien zur Geschichte der Universität Köln 13), Köln/Wien 1993; FELLMANN, Dorothea: Das Gymnasium Montanum in Köln 1550–1798 (Studien zur Geschichte der Universität Köln 15), Köln/Weimar/Wien 1999, S. 34–47; FRANKEN, René: Die Kölner Studienstiftungen in der Frühen Neuzeit, in: FLÖTER, Jonas: Bildungsmäzenatentum. Privates Handeln, Bürgersinn, kulturelle Kompetenz seit der Frühen Neuzeit (Beiträge zur Historischen Bildungsforschung 33), Köln/Weimar/Wien 2007, S. 73–84. 47 Vgl. beispielsweise PREUSS, Heike: Moers in oranischer Zeit (1601–1702), in: WENSKY: Moers (wie Anm. 25), S. 271–398, hier S. 395f. Vgl. auch die mustergültigen Studien zu Franken von EBNETH, Bernhard: Stipendienstiftungen in Nürnberg. Eine historische Studie zum Funktionszusammenhang der Ausbildungsförderung für Studenten am Beispiel einer Großstadt (15.–20. Jahrhundert) (Nürnberger Werkstücke zur Stadt- und Landesgeschichte 52), Nürnberg 1994, und RIEGEL, Martin: Studienförderung in Kitzingen von der Reformation bis zum Dreißigjährigen Krieg. Stipendienstiftungen, Stipendienwesen, Stipendiaten (Schriften des Stadtarchivs Kitzingen 7), Kitzingen 2006.
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Jugend berücksichtigt werden, die sich im Rheinland – wie überall im Reich – vor allem in den Städten zeigen.48 Seit dem zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts machte sich ein durch den säkularen Wirtschaftsaufschwung hervorgerufener Aufstieg neuer bürgerlicher Schichten bemerkbar, der zum Teil durch Zuwanderung vor allem aus den Niederlanden forciert war. Zwar barg dieser Prozess langfristig auch sozialen Konfliktstoff; zunächst hat er aber für den Schulbereich eine deutliche Ausweitung der Bildungsangebote für die Handwerkerschaft erbracht. In den Städten vollzog sich eine Aufspaltung des bisherigen schulischen Angebots in eine Lateinund in eine deutsche Schule. Erstere nahm die Kinder der an humanistischer Bildung interessierten urbanen Elite auf. Die zweite Schulform, durch muttersprachlichen Unterricht in Lesen, Schreiben, Schönschreiben, Rechnen und Buchführung charakterisiert, wurde vor allem von Kindern der niederen Kaufleuteschicht und der Handwerkerschaft besucht. Im Rheinland ist dieser Prozess der Herauslösung der muttersprachlichen Unterklassen aus den Stadtschulen nicht von den Landesregierungen gefördert worden, wie wir das etwa aus Kursachsen oder Württemberg kennen.49 Der zusätzliche Impuls durch die religiösen Neuorientierungen ab den 1530erJahren verstärkte die vorhandenen bildungspolitischen Tendenzen und brachte auch die kirchlichen Kräfte wieder ins Spiel. Die frühe lutherische Bewegung im Rheinland war jedoch kaum zur Gemeindebildung und daher auch nicht zum Engagement für den Unterricht in der Lage.50 Die kurzzeitige Tätigkeit des Reformators Martin Bucer, der ein kirchliches Reformprogramm für Kurköln in seiner Schrift „Einfältiges Bedencken“ von 1543 publizierte, hat in der Region keine längerfristigen Konsequenzen gehabt. Allerdings brachte der Streit um den Reformversuch Erzbischof Hermanns von Wied eine lebhafte Pamphletistik und damit einen großen Aufschwung des muttersprachlichen Buchmarktes mit sich.51 Eindeutiger ver48 Zum Folgenden vgl. am Beispiel Wesel KIPP, Herbert: „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes“. Landstädtische Reformation und Rats-Konfessionalisierung in Wesel (1520–1600) (Schriften der Heresbach-Stiftung Kalkar 12), Bielefeld 2004, S. 103–137. 49 Vgl. für Sachsen SCHWABE, Ernst: Das Gelehrtenschulwesen Kursachsens von seinen Anfängen bis zur Schulordnung von 1580, Leipzig 1914, sowie STRAUSS, Gerald: Luther‘s House of Learning. Indoctrination of the Youth in the German Reformation, Baltimore 1978, mit zahlreichen Beispielen für landesherrliche Eingriffe in das kommunale Schulwesen. Für Württemberg vgl. SCHMID, Ernst: Geschichte des Volksschulwesens in Altwürttemberg, Stuttgart 1927, S. 28–42, mit Beispielen herzoglicher Besoldungszulagen für kommunale Lehrer. 50 Vgl. LAUFF, Werner: Adolf Clarenbach (um 1495–1529) – zu Recht vergessen?, in: Romerike Berge 54 (2004), S. 2–12. 51 Vgl. jetzt SCHLÜTER, Theodor C.: Flug- und Streitschriften zur „Kölner Reformation“. Die Publizistik um den Reformationsversuch des Kölner Erzbischofs und Kurfürsten Hermann von Wied (1515–1547) (Buchwissenschaftliche Beiträge aus dem Deutschen Bucharchiv 73), Wiesbaden 2005, mit einer Bibliographie der Flugschriftenliteratur zu den Ereignissen in Kurköln.
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lief die Entwicklung in kleineren Territorien, in denen die Obrigkeit die kommunale Situation beeinflussen konnte: In Moers etwa ordnete Graf Hermann von Neuenahr im Zuge reformatorischer Maßnahmen 1573 die Umwandlung des Karmelitenklosters in eine Lateinschule an, die ein humanistisches Niveau des Unterrichts erreichen sollte.52
3. Konfessionalisierung Die dritte Phase der rheinischen Bildungsgeschichte ist durch die Fortsetzung der vorhergehenden bildungspolitischen Tendenzen gekennzeichnet, allerdings unter dem Vorzeichen der Konfessionalisierung von Gesellschaft, Kirchen und Bildungsinstitutionen. Eine Spaltung in konfessionell unterschiedlich geprägte Institutionen und damit korrespondierende pädagogische Theorien bestimmte die Jahrzehnte zwischen circa 1570 und 1700. Damit war jedoch keine eindeutige Grenze zum Humanismus gezogen, vielmehr wurden landesherrliche und kommunale Bildungsbemühungen durch eine verstärkte Kontrolle der Bildungsinhalte und des Lehrpersonals ergänzt. Deutliches Zeichen der beginnenden Konfessionalisierung und damit der partiellen Neujustierung des Bildungswesens gegenüber dem Humanismus wurde der verhinderte Versuch Herzog Wilhelms von Jülich-Kleve-Berg, um 1560 eine Universität in Duisburg zu eröffnen.53 Ein kurz zuvor veröffentlichter Katechismus des Düsseldorfer Rektors Monheim erregte bei den Kölner Jesuiten den Verdacht protestantischer Neigungen, und die Verhandlungen mit der Kurie in Rom zogen sich nach entsprechenden Berichten aus Köln in die Länge. Zwar wurde die päpstliche Anerkennung der Universitätsgründung schließlich 1564 erreicht. Finanzielle Probleme und ausbrechende konfessionspolitische Konflikte innerhalb der Regierung beendeten dann allerdings die hochfliegenden Pläne.54 Seit den 1570er-Jahren lässt sich denn auch ein deutlicher Niedergang des Düsseldorfer Gymnasiums feststellen,
52 BECKER: Moers (wie Anm. 25), S. 263f. 53 Vgl. hierzu detailliert JEDIN, Hubert: Der Plan einer Universitätsgründung in Duisburg 1555/64, in: RODEN, Günter von: Die Universität Duisburg (Duisburger Forschungen 12), Duisburg 1968, S. 1–32. 54 Mit neuen Quellenfunden STÖVE, Eckehart: Via media. Humanistischer Traum oder kirchenpolitische Chance? Zur Religionspolitik der vereinigten Herzogtümer Jülich-KleveBerg im 16. Jahrhundert, in: Monatshefte für Evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes 39 (1990), S. 115–133; SCHOOR, Rob van: Canisius‘ Vorgehen gegen das reformierte Schulwesen im Herzogtum Jülich-Kleve-Berg. Wie im Jahr 1564 Monheims Katechismus am Düsseldorfer Gymnasium durch den des Canisius ersetzt wurde, in: Nederlands Archief voor Kerkgeschiedenis 81 (2001), S. 26–37. Vgl. auch WILLEMSEN: Geschichte (wie Anm. 44), S. 246–254.
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während das von den Jesuiten geleitete Kölner Gymnasium Tricoronatum eine Blütezeit erlebte.55 Der Ausbruch des niederländischen Aufstands 1566 brachte im Rheinland einen endgültigen Durchbruch konfessioneller Politik- und Kirchenmodelle unter den Bedingungen gemischtkonfessioneller Konkurrenz.56 Die katholische Reform und die Konstituierung lutherischer und reformierter Gemeinden im Rheinland hatten große Auswirkungen auf die Realität von Schule und Unterricht, Katechese und Buchmarkt. Die Situation in den rheinischen Städten (aber zum Beispiel auch in Bremen) veränderte sich mit dem Zuzug niederländischer Flüchtlinge, ihrer reformierten Gemeindegründungen und ihrer Verschmelzung mit einheimischen reformierten Gruppen. Die reformierten Gemeinden, die seit den 1570er-Jahren in der Reichstadt Köln, in der Grafschaft Moers und den Herzogtümern Kleve und Jülich und in den 1580er-Jahren auch in Berg entstanden, legten hohen Wert auf die konfessionell gesicherte Bildung ihrer Kinder.57 Es blieb aber für die Gemeinden bis weit in das 17. Jahrhundert hinein ein Problem, dass ein Universitätsbesuch der Knaben nur in der Niederländischen Republik oder auf den semi-akademischen Hohen Schulen in Bremen oder Herborn möglich war.58 Erst als nach dem Dreißigjährigen Krieg die alten Universitätspläne für Duisburg von der brandenburgischen Obrigkeit wiederaufgegriffen und 1654 verwirklicht wurden, gab es am Niederrhein eine reformierte Hochschule, die auch schnell einen regionalen Einzugsbereich etablierte.59 In den rheinischen Städten mit einer reformierten Gemeinde wurden die höheren Schulen schnell zu Ausbildungsstätten mit besonderem konfessionellen Cha-
55 KUCKHOFF, Josef: Die Geschichte des Gymnasiums Tricoronatum. Ein Querschnitt durch die Geschichte der Jugenderziehung in Köln vom 15. bis zum 18. Jahrhundert (Veröffentlichungen des Rheinischen Museums Köln 1), Köln 1931. 56 Zusammenfassend EHRENPREIS, Stefan: Die Vereinigten Herzogtümer Jülich-Kleve-Berg und der Augsburger Religionsfriede, in: SCHILLING, Heinz/SMOLINSKY, Heribert (Hrsg.): Der Augsburger Religionsfrieden 1555 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 206), Gütersloh 2007, S. 239–267. 57 Vgl. zur Betonung des reformierten Bildungsgedankens EHRENPREIS, Stefan: Das Schulwesen reformierter Minderheiten im Alten Reich 1570–1750. Rheinische und fränkische Beispiele, in: SCHILLING, Heinz/EHRENPREIS, Stefan (Hrsg.): Frühneuzeitliche Bildungsgeschichte der Reformierten in konfessionsvergleichender Perspektive. Schulwesen, Lesekultur und Wissenschaft (Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft 38), Berlin 2007, S. 97–122. 58 ROTSCHEIDT, Walter: Rheinische Studenten am Gymnasium illustre in Bremen (1610–1788), in: Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins 41 (1908), S. 133–155. Vgl. zur Rolle von Herborn MENK, Gerhard: Die Hohe Schule Herborn in ihrer Frühzeit (1584–1660). Ein Beitrag zum Hochschulwesen des deutschen Kalvinismus im Zeitalter der Gegenreformation (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau 30), Wiesbaden 1981. 59 RODEN: Duisburg (wie Anm. 53); GEUENICH, Dieter/HANTSCHE, Irmgard (Hrsg.): Zur Geschichte der Universität Duisburg 1655–1818 (Duisburger Forschungen 53), Duisburg 2007.
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rakter. 1592 wurde beispielsweise die reformierte Lateinschule in Elberfeld gegründet, die über beste Beziehungen zur Hohen Schule Herborn und auch in die Niederlande verfügte. Das Lehrprogramm konzentrierte sich auf die Vermittlung von Latein, 1632 wurde die deutsche Schule als Unterklasse integriert.60 Mit dem Ausbruch des jülich-klevischen Erbfolgestreits ergab sich für die rheinischen Reformierten eine neue, politisch aussichtsreichere Position. Die 1610 gebildete Niederrheinische Reformierte Generalsynode beschloss auf ihrer ersten Sitzung in Duisburg, dass in allen Gemeinden eine Schule einzurichten und mit einem Lehrer reformierten Glaubens auszustatten sei. Damit war eine Verbindung zwischen Gemeinde und Unterricht gelegt, die sich in den nächsten Jahrzehnten als fruchtbar erwies und die Katechese als Mittelpunkt der Erziehung definierte.61 Insbesondere in den ländlichen reformierten Gemeinden, die finanziell schlecht gestellt waren, half die Generalsynode mit Zuweisung von erfahrenen Lehrern, aber auch mit Ermahnungen zur regelmäßigen Besoldung, eine minimale Unterrichtsversorgung selbst in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges aufrecht zu erhalten. Die Kriegszeit belastete jedoch durch das Übergewicht der kaiserlich-ligistischen Truppen im Rheinland gerade die reformierten Gemeinden schwer. Auch die Gemeinden, die die Bevölkerungsmehrheit repräsentierten und die lokale politische Elite stellten, gerieten nun unter Druck. Die politischen Bedingungen, unter denen die Reformierten bis 1648 in zahlreichen Orten lebten, machten sich für die Möglichkeiten der höheren Bildung negativ bemerkbar. Sie konnten jedoch nicht verhindern, dass ein – wenn nötig illegales – Netz reformierter deutscher Schulen entstand, das konfessionell gebundenen Unterricht garantierte. Ein charakteristisches Beispiel hierfür ist Köln: Selbst in den Zeiten starker obrigkeitlicher Verfolgung durch den Magistrat in den Jahren um 1600 suchten die drei reichsstädtischen reformierten Gemeinden, den getarnten Unterricht bei Lehrern ihrer Konfession aufrecht zu erhalten.62 Der Grund für diese bemerkenswerte Beachtung des Unterrichts liegt in seiner Verknüpfung mit der Katechese. In den reformierten Gemeinden von Jülich-KleveBerg wurde dem Amt des Schulmeisters eine besondere Bedeutung zugemessen.63 Der hohe Stellenwert des Unterrichts ist auch in kleineren reformierten Herrschaftsräumen nachvollziehbar. In Krefeld etwa ging mit dem Übergang der Grafschaft Moers an die Oranier 1607 mit der Pfarrkirche auch die Schule von den Katholiken
60 BOUTERWEK, Karl Wilhelm: Geschichte der Lateinischen Schule zu Elberfeld und des aus ihr erwachsenen Gymnasiums, Elberfeld 1865. 61 Vgl. die ältere, aber nach wie vor einschlägige Quellenedition von ROSENKRANZ, Albert (Hrsg.): Generalsynodalbuch. Die Akten der Generalsynoden von Jülich, Kleve, Berg und Mark 1610–1793, 2 Bde., Düsseldorf 1966/70. 62 Vgl. EHRENPREIS: Schulwesen (wie Anm. 57), S. 103–109. 63 Lokale Beispiele bei EHRENPREIS, Stefan: Kirchen, Bildungswesen und Gesellschaft im 17. und 18. Jahrhundert. Herzogtum Berg und Grafschaft Mark im Vergleich, in: Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins 99 (1999/2000) [2001], S. 71–113, hier S. 84–91.
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auf die Reformierten über und man suchte, einen größeren Teil der Eltern von der Notwendigkeit des Schulbesuchs zu überzeugen.64 In der kleinen Residenzstadt Moers plante schon Graf Adolf von Neuenahr 1582 den Ausbau der Lateinschule zu einem Gymnasium illustre nach Bremer Vorbild und gewann den bekannten Theologen Johannes Piscator als Rektor. Der Kölner Krieg beendete diese Pläne.65 Die zur einfachen Lateinschule herabgesunkene Anstalt umfasste 1620 nur vier Klassen, aber Mitte des 17. Jahrhunderts suchte die Regierung die Rektorstelle durch eine Berufung aus den Niederlanden wieder aufzuwerten, 1654 stattete man den Posten mit einem jährlichen Gehalt von 520 Talern aus. Ein aus Regierung und Magistrat gebildeter ‚Schulsenat‘ kümmerte sich um die Organisation und die Unterrichtspraxis. Schon um 1640 erteilten die drei Lehrer auch öffentliche Lektionen und im Schulunterricht wurde neben Latein auch Griechisch und Hebräisch angeboten.66 Reformierte Lateinschulen in Kleinstädten wie Ratingen oder Frechen hatten jedoch Schwierigkeiten, ihre Finanzierung und ihr Lehrpersonal dauerhaft auf dem universitätsvorbereitenden Niveau zu halten, da die kommunale Unterstützung auf Grund wirtschaftlicher Wechsellagen zu instabil blieb.67 Die rheinische reformierte Generalsynode war zwar bestrebt, die Gemeinden zu schulischen Aktivitäten anzuspornen und vermittelte auch möglichst geeignetes Lehrpersonal. Die konfessionspolitischen Verfolgungen und wirtschaftlichen Krisen des 17. Jahrhunderts verhinderten aber eine hinreichende Umsetzung der Ziele. Vielmehr entwickelte sich das Verhältnis zur reformierten Nachbarschaft von anfänglicher Unterstützung zu unerwünschter Konkurrenz. Zahlreiche Absolventen der reformierten Lateinschulen wechselten im 17. Jahrhundert zum Studium an niederländische Universitäten und erhielten anschließend dort Pfarrstellen oder andere Ämter. Auch der in Diensten der Vereinigten Ostindischen Compagnie stehende erste reformierte Prediger in Ostasien (1605) war früher in Barmen als Lehrer der reformierten Amtsschule tätig gewesen.68 Ein weiteres Beispiel für eine bedeutende europäische Karriere stellt auch der in Hilden geborene Wilhelm Fabry dar, der nach seiner Ausbildung in Medizin in Düsseldorf und Genf als Arzt in Bern Berühmtheit erlangte.69 Die zweite große Gruppe der konfessionellen Schulen stellte der rheinische Katholizismus. Eine besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang den geistlichen Orden zu.70 Seit der ersten deutschen Niederlassung der Jesuiten in Köln
64 DEISEL, Frank: Alt-Krefeld, in: FEINENDEGEN, Reinhard/VOGT, Hans (Hrsg.): Krefeld. Die Geschichte der Stadt, Bd. 4: Kirchen-, Kultur und Baugeschichte (1600–1900), Krefeld 2003, S. 15–119, hier S. 103. 65 BECKER: Moers (wie Anm. 25), S. 265–269. 66 Vgl. PREUSS: Moers (wie Anm. 47), S. 382–390. 67 Vgl. die Beispiele bei EHRENPREIS: Kirchen (wie Anm. 63), S. 85f. 68 BRUYN-OUBOTER: Amtsschule (wie Anm. 1), S. 381f. 69 Vgl. jetzt PIES, Eike: Wilhelm Fabry (1560–1634). Ein rheinisch-bergischer Chirurg von europäischer Bedeutung, Sprockhövel 2010. 70 Vgl. zum Folgenden ausführlich den Beitrag von Johannes KISTENICH in diesem Band.
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stand dieser neue Orden im Blickpunkt der konfessionellen Auseinandersetzungen der Zeitgenossen und hat entsprechende Berücksichtigung in der Forschung gefunden. In einer ersten Gründungswelle entstanden die Jesuitengymnasien in Köln (seit 1557), Neuss (1616), Düsseldorf (1620), Münstereifel (1625) und Düren (1636), der mit Jülich (1664), Essen (1669) und Bonn (1673) eine zweite folgte. Obwohl durch die politisch-militärischen Ereignisse im Dreißigjährigen Krieg gefördert, litten sie jedoch unter Personalmangel und sahen sich einer erheblichen Konkurrenz durch die Mendikantenorden gegenüber, was die Forschung lange Zeit vernachlässigt hat.71 Zwischen 1620 und 1660 hatten die Bettelorden, vor allem die Minoriten, im Erzbistum Köln zwölf höhere Schulen und damit doppelt so viele wie die Jesuiten übernommen, die allerdings oft nicht das volle humanistische Lehrprogramm anbieten konnten. Zwischen 1685 und 1735 und wieder von 1765 bis 1790 eröffneten die katholischen Schulorden weitere Anstalten. Wichtige Standorte waren neben Köln Wipperfürth, Siegburg, Kempen, Zons, Kalkar, Lennep, Düsseldorf, Monschau und Ratingen. Die Initiativen zur Gründung gingen überwiegend von den städtischen Kommunen und deren Oberschicht aus.72 In Fortführung der Tendenzen aus den 1570er- und 1580er-Jahren lassen sich in den Jahren des Dreißigjährigen Krieges konfessionelle Prägungen des Bildungswesens weiterverfolgen, die bis weit in das späte 17. Jahrhundert hineinreichen. Soweit es die Kriegsverläufe zuließen, wurden höhere Schulen ausgebaut und unter dem Schutz der konfessionell nahestehenden Kriegspartei gesichert, was plötzlichen Niedergang oder Schließung nach militärischen Wechselfällen einschloss oder einen Weggang der Studierenden. In der Zeit nach 1648 bestand also ein hoher Bedarf an Neu- oder Wiederbegründung der Institutionen höherer Bildung. Es ist daher kein Zufall, dass aus den ersten Jahrzehnten der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts neue Schulordnungen überliefert sind, die an ältere Traditionen anknüpfen. So wurde 1679 für die Düsseldorfer Kollegiatschule bei St. Lambertus die Bestimmung zur täglichen Teilnahme aller Schüler am Gottesdienst erneuert.73 Die Zeit der katholischen Reform, in der die konfessionelle Verwandlung des Schulsystems stattfand, war keineswegs 1648 zu Ende. Vielmehr reichte sie bis tief in das 17. Jahrhundert hinein und vollendete sich teilweise sogar erst im 18. Jahrhundert.74
71 Vgl. die monumentale Studie von KISTENICH, Johannes: Bettelmönche im öffentlichen Schulwesen. Ein Handbuch für die Erzdiözese Köln 1600 bis 1850 (Stadt und Gesellschaft. Studien zum Rheinischen Städteatlas 1), 2 Bde., Köln/Weimar/Wien 2001, die wesentlich zu einem Wandel unseres Bildes vom frühneuzeitlichen katholischen Schulwesen im Rheinland beigetragen hat. 72 KISTENICH: Bettelmönche (wie Anm. 71), Bd. 1, S. 92–103. 73 KNIFFLER: Beiträge (wie Anm. 24), S. 12f. 74 Vgl. BECKER, Thomas P.: Konfessionalisierung in Kurköln. Untersuchungen zur Durchsetzung der katholischen Reform in den Dekanaten Ahrgau und Bonn anhand von Visitationsprotokollen 1583–1761 (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Bonn 43), Bonn 1989.
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Im Bild der konfessionellen Schulsysteme stellt die dritte Gruppe, das rheinische Luthertum, den größten weißen Flecken dar.75 In den protestantischen Zentren wurden die lutherischen Anfänge nach 1570 durch das Reformiertentum überrollt. Um 1600 wurde jedoch deutlich, dass zahlreiche kleinere ländliche protestantische Gemeinden, vor allem an der Rheinschiene, sich der reformierten Synode nicht anschließen wollten. Im höheren Schulwesen waren sie jedoch zwangsläufig auf benachbarte westfälische oder hessische lutherische Gymnasien und Universitäten orientiert. Beachtenswert erscheint mir allerdings, dass es in der späthumanistischen Blüte um 1600 auch den einzigen weiteren Versuch einer zentralisierenden landesherrlichen Bildungspolitik für die höheren Schulen im Rheinland nach den 1540er-Jahren gegeben hat. In einer in der bisherigen Forschung unbeachteten Initiative suchte der damals noch lutherische jülich-bergische Erbschaftsinhaber Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg 1612, das ‚enfant terrible‘ des protestantischen Bildungswesens im Reich, den mitteldeutschen Schulpädagogen und Didaktiker Wolfgang Ratke an das Düsseldorfer Gymnasium zu holen.76 Obwohl dieser dem Ruf nicht folgte, schaffte Wolfgang Wilhelm immerhin dessen Schriften und Schulbücher für die Düsseldorfer Hofbibliothek an. Der Erbprinz verband mit diesem Berufungsplan, den er in enger Abstimmung mit seinem Vater in Neuburg an der Donau verfolgte, wohl die Idee eines innenpolitischen ‚Leuchtturms‘ der Bildung. Der im folgenden Jahr erfolgte Übertritt zum Katholizismus veränderte dann die bildungspolitischen Pläne zugunsten der Jesuiten – ein Umschwung ins eindeutig konfessionell-reformkatholische Lager. Lediglich im bergischen Lennep hatte das rheinische Luthertum längerfristig einen respektablen Bildungsstandort, an anderen Orten scheinen die Lutheraner als religiöse Minderheit eher anderskonfessionelle höhere Schulen besucht zu haben.77 Es bleibt zu betonen, dass die Erforschung der überregionalen Bezüge des rheinischen Luthertums, seines theologischen Profils und seiner lokalen Bildungsbestrebungen das größte Desiderat der rheinischen Konfessionalisierungsgeschichte darstellen.78 Bei der Betrachtung konfessioneller Bildungsbestrebungen scheint mir die in der Einleitung angesprochene kulturelle Dimension des Prozesses noch zu wenig unter75 ROSENKRANZ, Albert: Zu den lutherischen Synoden des Jahres 1612, in: Monatshefte für Evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes 16 (1967), S. 94–118. 76 Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, Best. Pfalz-Neuburg, Geheime Kanzlei JülichBerg, Jülichsche Registratur Nr. 517. Die bei FÜCHTNER, Ruth/PREUSS, Heike (Bearb.): Das Inventar der Geheimen Kanzlei der Herzöge von Jülich-Berg aus dem Hause Pfalz-Neuburg (1609–1716) (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 61; Materialien zur Rheinischen Geschichte 3), Düsseldorf 1994, bezeichneten Archivsignaturen sind wegen einer Umorganisation im Münchener Hauptstaatsarchiv nicht mehr gültig. 77 Zu Lennep vgl. STURSBERG, Egon Erwin: Zur älteren Geschichte Lenneps, Remscheid 1956. 78 Anzuknüpfen wäre an ESTIÈ, Paul: Het plaatselijk bestuur van de Nederlandse Lutherse gemeenten. Ontstaan en ontwikkeling in de jaren 1566 tot 1686, Amsterdam 1987.
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sucht zu sein. Daher ist ein ergänzender Blickwinkel notwendig. Wie oben dargestellt, mischte sich die konfessionell geprägte Bildungskultur mit Tendenzen des um 1600 blühenden Späthumanismus in Philosophie, Literatur und Kunst. Typisch frühneuzeitlich, lässt sich diese Bewegung allerdings nicht von der zeitgenössischen politischen Kultur trennen: Gelehrte und Künstler traten in enge Verbindung mit den Sphären der Höfe und der Regierungen. Dies ist meines Erachtens als Argument gegen die ältere Forschung wichtig zu nehmen, die die Zeit des rheinischen Späthumanismus als eine Epoche des Niedergangs beschrieb. Aus der Sicht des klassischen Humanismus mag die Kultur des späten 16. Jahrhunderts nicht mehr der literarischen Qualität eines Erasmus und Trithemius entsprochen haben. Die soziale und politische Bedeutung des Späthumanismus muss aber mit anderen Kriterien als denen der Geistes- oder der Literaturgeschichte gemessen werden. Trotz neuer Konkurrenz erlebte die Kölner Universität um 1600 eine kurze Blütezeit, was die quantitative, aber auch die intellektuelle Kapazität betrifft.79 Die Kölner Buchproduktion stand um 1600 hinter der von Augsburg oder Nürnberg nicht zurück.80 Nähert man sich dem rheinischen Späthumanismus unter dem Blickwinkel des Untersuchungsfeldes ‚Gelehrtennetzwerke im Reich‘, so wird schnell deutlich, dass Köln und der Niederrhein hier eine bedeutende Stellung einnahmen. Als Beispiel für die späthumanistischen Gelehrtenbeziehungen sei hier auf rheinische Verbindungen zum Prager Kaiserhof Rudolfs II. verwiesen. In Prag waren seit der Verlegung der kaiserlichen Residenz nach Böhmen 1577/78 mehrere Rheinländer tätig. Erste und bedeutendste Person war der Kölner Politiker Andreas Gail, der wohl bekannteste deutsche Jurist seiner Zeit und Autor eines bis in das 18. Jahrhundert benützten Kompendiums des Reichsrechts.81 Er ging 1589 von Prag als Kanzler an den kurfürstlichen Hof nach Bonn, da Rudolf II. ihn ausdrücklich von seiner Tätigkeit im kaiserlichen Reichshofrat entbunden hatte, um das bankrotte und durch den Truchsessischen Krieg in seiner Existenz gefährdete Kurfürstentum Köln zu retten. Gail vermittelte jedoch im Gegenzug andere Rheinländer nach Prag, unter anderem den jülicher Rat und späteren kaiserlichen Geheimen Rat Johann Barvitius, der zu einem der wenigen Vertrauten Rudolfs II. wurde.82 Am Kaiserhof wirkte ferner der aus Sittard im Herzogtum
79 Vgl. umfassend MEUTHEN, Erich: Die alte Universität (Kölner Universitätsgeschichte 1), Köln/Wien 1988, sowie SCHMIDT, Siegfried: Kaspar Ulenberg und die Kölner Universität, in: WESSEL, Werner (Hrsg.): Der Kolumbapfarrer Kaspar Ulenberg und die Geistlichkeit der Kolumbapfarre (Libelli Rhenani 20), Köln 2007, S. 159–174. 80 ENDERLE, Wilfried: Die Buchdrucker der Reichsstadt Köln und die katholische Publizistik zwischen 1555 und 1648, in: MÖLICH, Georg/SCHWERHOFF, Gerd (Hrsg.): Köln als Kommunikationszentrum. Studien zur frühneuzeitlichen Stadtgeschichte (Der Riss im Himmel. Clemens August und seine Epoche 4), Köln 2000, S. 167–182. 81 KEMPIS, Karl von: Andreas Gaill (1526–1587). Zum Leben und Werk eines Juristen der frühen Neuzeit (Rechtshistorische Reihe 65), Frankfurt a. M. u. a. 1988. 82 EHRENPREIS, Stefan: Kaiserliche Gerichtsbarkeit und Konfessionskonflikt. Der Reichshofrat unter Rudolf II. 1576–1612 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Baye-
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Jülich stammende Hofkaplan Jacob Chimarrheus, der die Tradition einer ganzen Reihe von kaiserlichen Hofgeistlichen aus Sittard fortsetzte.83 Einen anderen Karriereweg beschritten die aus Geldern stammenden Gebrüder Franz und Sebastian Tengnagel.84 Die Familie hatte im 16. Jahrhundert Ämter in der Grafschaft Ravensberg inne, wo die Adelsfamilie Bylandt zu Rheydt das Drostenamt ausübte und über eine politische Vermittlungsfunktion in die niederländische Republik verfügte. Im Auftrag des Kaiserhofes beteiligte sich Ottheinrich von Bylandt an Versuchen zur Vermittlung des Reiches im spanisch-niederländischen Unabhängigkeitskrieg.85 Vermutlich über diese Beziehung gelangten die Brüder, die an der Universität Köln studiert hatten, in den Umkreis der Erzherzöge Matthias und Ernst, die als Statthalter in Brüssel tätig waren.86 Franz Tengnagel finden wir seit den späten 1590er-Jahren im Rat des Erzherzogs Matthias, dem er in der Zeit des habsburgischen Bruderzwists 1608 bis 1611 in einflussreicher Stellung als Obersthofmeister diente.87 Sein Bruder Sebastian wurde in Prag zunächst Gehilfe und schließlich 1608 Nachfolger des ebenfalls aus Geldern stammenden kaiserlichen Hofbibliothekars Hugo Blotius und hatte in dieser Eigenschaft eine Zentralposition in den Gelehrtennetzwerken des Kaiserhofes.88 Mit einem weiteren Familienmitglied, Dr. Georg Tengnagel, wurde 1596 wegen des Eintritts in den Reichshofrat erfolglos verhandelt.89 Die Personengruppe der rheinisch-kaiserlichen Klientel könnte noch erweitert werden, etwa durch den bis 1599 amtierenden kaiserlichen Oberstkämmerer und Geheimen Rat Wolfgang Rumpf, dessen Sohn in Köln lebte. Nach dem Tod Ru-
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rischen Akademie der Wissenschaften 72), Göttingen 2006, S. 291, und die dort genannte Literatur. Erster Hofkaplan aus Sittard war wohl der am Hof Ferdinand I. amtierende Matthias Zittardus. Hinweise zur Familiengeschichte der Tengnagel verdanke ich einigen Zuhörern meines Bonner Vortrags. Vgl. zu Bylandt die Angaben im Register bei ARNDT, Johannes: Das Heilige Römische Reich und die Niederlande 1566 bis 1648. Politisch-konfessionelle Verflechtung und Publizistik im Achtzigjährigen Krieg (Münstersche Historische Forschungen 13), Köln/Weimar/Wien 1998. FELLMANN: Gymnasium (wie Anm. 46), S. 145. Vgl. Briefe und Akten zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges in den Zeiten des vorwaltenden Einflusses der Wittelsbacher, Bde. 8–13, München 1889–1905, Register. Korrespondenzen Sebastian Tengnagels finden sich im Nachlass des Hofbibliothekars Blotius in der Handschriftenabteilung der Österreichischen Nationalbibliothek, Cvp 9737z. Vgl. auch UNTERKIRCHER, Franz: Hugo Blotius und seine ersten Nachfolger (1573–1663), in: STUMMVOLL, Josef u. a. (Hrsg.): Geschichte der Österreichischen Nationalbibliothek, Bd. 1, Wien 1968, S. 81–162, insb. S. 144. Georg Tengnagel hatte eine Professur für die Rechte an der Universität Löwen inne und war auf Vorschlag der spanischen Statthalterschaft Reichskammergerichtsassessor geworden, vgl. GSCHLIESSER, Oswald von: Der Reichshofrat. Bedeutung und Verfassung, Schicksal und Besetzung einer obersten Reichsbehörde von 1559 bis 1806, Wien 1942, S. 166.
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dolfs II. finden wir dann im 17. Jahrhundert unter anderem Angehörige des Kölner Patriziergeschlechts Questenberg als Amtsträger in kaiserlichen Behörden.90 Diese und ähnliche Netzwerkstrukturen wären auch für andere Orte und Institutionen zu ergänzen und schärfen den Blick für überregionale Verbindungen der geistigen und politischen Elite des Rheinlandes, die ohne den heimatlichen Bildungshintergrund nicht denkbar gewesen wären. Die intellektuelle Bedeutung Kölns wuchs seit dem Ausbruch des niederländischen Unabhängigkeitskampfes parallel zu seiner politischen und kommunikationsgeschichtlichen Rolle als Knotenpunkt niederländischer und deutscher Beziehungen.91 Diese politisch-kommunikative Funktion der Reichsstadt hatte auch Folgen für ihre Ausstrahlung als Bildungszentrum, wenn man diesen Terminus nicht nur schulgeschichtlich versteht. Es wäre freilich zu kurz gegriffen, wenn man die Beschreibung konfessioneller Bildungsstrukturen auf das höhere Schulwesen beschränken würde. Neben dem Aufbau eines konfessionell ausgerichteten und kontrollierten Schulwesens betraten die Landesregierungen und Konfessionskirchen ein zweites, bis dahin unbeackertes Feld: das ländliche Unterrichtswesen. Der Aufbau eines dörflichen niederen Schulwesens, das für die Einwohnerschaft ein flächendeckendes Unterrichtsangebot im Lesen, Schreiben und Rechnen bereitstellte, war eine wesentliche Leistung der Konfessionalisierungsepoche, die gegenüber den Entwicklungen im gelehrten Bereich nicht gering geschätzt werden darf. Vermutlich hatten hier die protestantischen Konfessionen einen Vorsprung, der aus dem hohen Stellenwert resultierte, den sie mit Blick auf die Bibellektüre der Alphabetisierung beimaßen.92 Zwar konnten die katholischen Gemeinden ebenso auf spätmittelalterliche Vorläufer deutscher Schulen zurückgreifen, bauten diese jedoch bis zum Beginn des Dreißigjährigen Krieges kaum aus. In katholischen Gemeinden des Herzogtums Berg lässt sich nachvollziehen, dass finanzielle Grundlagen für Gründungen deutscher Schulen erst im 18. Jahrhundert durch grundherrliche Stiftungen geschaffen wurden.93 In den Gebieten mit katholischen Minderheiten waren die Gemeinden auf die Hilfe der Bettelorden angewiesen, wobei die örtlichen Obrigkeiten oder auch die Pfarrer ausdrücklich auf den Aspekt der religiösen Jugendunterweisung hinwiesen.94 90 GSCHLIESSER: Reichshofrat (wie Anm. 89), S. 199, 217, 230, 234, 349. Vgl. auch EHRENPREIS, Stefan: „Wollen an Euer Kayserliche Majestät untertänigst gelangen lassen...“. Die Tätigkeit des kaiserlichen Reichshofrats am Niederrhein, in: ZEHNDER, Frank Günter (Hrsg.): Im Wechselspiel der Kräfte. Politische Entwicklungen des 17. und 18. Jahrhunderts in Kurköln (Der Riss im Himmel. Clemens August und seine Epoche 2), Köln 1999, S. 185–202. 91 Vgl. MÖLICH/SCHWERHOFF: Köln (wie Anm. 80). 92 Vgl. hierzu den Beitrag von Kurt WESOLY in diesem Band und die dort zitierten weiteren Veröffentlichungen dieses Autors. 93 Vgl. EHRENPREIS, Stefan: Der Raum Leverkusen 1521 bis 1648, in: Leverkusen. Geschichte einer Stadt am Rhein, hrsg. von KulturstadtLev und Stadtarchiv, Bielefeld 2005, S. 101–144, hier S. 121–123. Vgl. generell zur Epoche um 1800 für das niedere Schulwesen KISTENICH: Bettelmönche (wie Anm. 71), Bd. 1, S. 79–92. 94 KISTENICH: Bettelmönche (wie Anm. 71), Bd. 1, S. 85.
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Insgesamt ist beachtenswert, dass es auch in kleineren rheinischen Herrschaftsgebieten gelang, ein flächendeckendes System niederer Schulen zu etablieren: So existierten im oberbergischen Homburg seit den 1560er-Jahren zahlreiche Dorfschulen in den Kirchdörfern, und 1605 erließen die lutherischen Sayner Grafen eine Schulordnung zur dauerhaften Existenzsicherung von Unterricht auch in kleineren Filialgemeinden.95 In der benachbarten Herrschaft Gimborn-Neustadt der katholischen Grafen von Schwarzenberg stiftete der lokale Adel im 17. Jahrhundert Ländereien und Gebäude, um eine Schule gründen und einen Lehrer finanzieren zu können.96 Von reformierten Dorfschulen wie im bergischen Barmen ist oben schon die Rede gewesen, aber auch die beiden anderen Konfessionen erkannten den Wert schulischen Unterrichts für die konfessionelle Prägung ihrer Untertanen, auch wenn dies in der Praxis oft an Unzulänglichkeiten wie schlechter Lehrerbesoldung oder ungenügender Schulbesuchsquote scheiterte. Die besondere Bedeutung des niederen Schulwesens erklärt sich für alle Konfessionsgruppen aus der Verbindung mit der Katechese, die allerdings bislang nur unzureichend erforscht ist.97 Die rheinische reformierte Generalsynode stellte den Religionsunterricht immer wieder in den Mittelpunkt ihrer Beratungen, und auch die Kölner Generalvikare suchten in Visitationen und Lehrerernennungen die Kenntnis katholischer Glaubenslehre zu verbessern. Auch der Kölner Theologe Kaspar Ulenberg begründete 1599 sein Engagement in der ersten katholischen Psalmübersetzung mit der Attraktivität populärer Formen konfessionellen Liedguts, das die Protestanten für sich auszunutzen verständen.98 So waren selbst die rheinischen Jesuiten, andernorts auf die höhere Bildung konzentriert, in beachtlichem Ausmaß auch an der Erziehung städtischer Kinder aus den niederen sozialen Schichten beteiligt. In Köln beispielsweise waren sie für 13 bis 15 Pfarrkatechesen zuständig und engagierten sich darüber hinaus in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges in der Katechese dortiger Soldatenkinder. In Köln und Düsseldorf versammelten sie tagsüber die Kinder in den Gassen um sich, um sie zu unterweisen. Als Bildungsspezialisten begleiteten sie Kölner Weihbischöfe und Archidiakone auf den (seltenen)
95 KAUFMANN, Otto: Zur älteren Homburgischen Schulgeschichte, in: Romerike Berge 20 (1970), S. 1–14. 96 BOHNEMANN, Erich: Das evangelische niedere Schulwesen im Herzogtum Berg, in: Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins 55 (1925/26), S. 132–259, hier S. 144f. 97 Generell muss darauf verwiesen werden, dass die Erforschung der Katechese in Deutschland bisher kaum Beachtung gefunden hat und im europäischen Vergleich ein dringendes Desiderat darstellt, vgl. EHRENPREIS, Stefan: Das frühneuzeitliche Elementarschulwesen. Forschungsergebnisse und neue Fragestellungen, in: JACOBI, Juliane (Hrsg.): Zwischen christlicher Tradition und Aufbruch in die Moderne. Das Hallesche Waisenhaus im bildungsgeschichtlichen Kontext (Hallesche Forschungen 22), Tübingen 2007, S. 147–168. 98 Vgl. EHRENPREIS, Stefan: „...wir sind mit blutigen Köpfen davongelaufen“. Lokale Konfessionskonflikte im Herzogtum Berg 1550–1700, Bochum 1993, S. 80, sowie WESSEL: Kolumbapfarrer (wie Anm. 79).
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Visitationen, um Schulen und Schulmeister zu kontrollieren.99 Seit circa 1715 wurden nach italienischen Vorbildern auch im Rheinland Bußprozessionen und Volksschauspiele aufgeführt, bei denen die Erstkommunikanten eine prominente Rolle spielten. Der vorbereitende Unterricht wurde ein zusätzliches katechetisches Hilfsmittel.100 Die genannten ländlichen Schulen waren überwiegend aus lokalen Schulinitiativen erwachsen, aber das Rheinland hat auch eine landesherrliche Bildungspolitik für das niedere Schulwesen aufzuweisen: die Schulförderung in den brandenburgischpreußischen Westprovinzen. Die Berliner Initiativen waren Teil der forcierten Religionspolitik zugunsten der Reformierten, die in allen Landesteilen des brandenburgischen Staates Unterstützung erhielten. In Kleve-Mark, wo im Gegensatz zu vielen anderen Provinzen bereits zahlreiche reformierte Gemeinden bestanden, erfreuten sich diese dauerhafter finanzieller Förderung durch die Umwidmung ehemaligen Kirchenbesitzes nach 1648.101 Der von der Berliner Regierung verwaltete Fonds zur Unterstützung der reformierten Gemeinden in den Ländern der ehemals Vereinigten Herzogtümer Jülich-Kleve-Berg und der zugehörigen Grafschaften Mark und Ravensberg wurde als ‚Aerarium Ecclesiasticum‘ bezeichnet und nach Vorschlägen der niederrheinischen reformierten Generalsynode zur Finanzierung von Seelsorge und Schulwesen benutzt. In zahlreichen Gemeinden konnte das Gehalt der deutschen Schulmeister durch den Zuschuss auf ein Existenzminimum von 100 Reichstalern oder sogar darüber erhöht werden.102 Damit waren die Schulen in klevischen, jülichschen und bergischen reformierten Gemeinden finanziell besser ausgestattet als der Durchschnitt der lutherischen und katholischen. Ob sich dies allerdings auch in einer signifikant höheren Schulbesuchsquote niederschlug, können wir mangels Quellen bisher nicht eindeutig beantworten. Die selbstverwaltete, gleichwohl regional-zentralisierte Organisationsform der reformierten niederrheinischen Generalsynode übte einen höheren Druck auf die Gemeinden aus, das Schulwesen zu einem wichtigen Teil des religiösen Lebens zu machen.103 Obwohl eine solche Haltung auch bei der klevischen lutherischen Synode und der Leitung des Erzbistums Köln 99 SCHÜLLER, Andreas: Die Jesuiten und die Erstkommunionfeier, sowie verwandte Religionsbräuche im Rheinlande, besonders in der alten Erzdiözese Köln, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 107 (1923), S. 138–162, hier S. 140–143; vgl. auch DERS.: Die Volkskatechese der Jesuiten in der Stadt Köln (1586–1773), in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 114 (1929), S. 34–86. 100 SCHÜLLER: Jesuiten (wie Anm. 99), S. 149–158, mit Beispielen der Volksmission in JülichBerg. 101 Vgl. auch HOLLWEG, Otto: Ein Bericht des klevischen Regierungsrats Adolf Wüsthaus an den großen Kurfürsten über das Religions- und Kirchenwesen am Niederrhein (1683), in: Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins 50 (1917), S. 81–114. 102 Eine Zusammenstellung der Zuschüsse findet sich bei ENGELBERT, Heinrich: Das Aerarium ecclesiasticum der reformierten Kirche in Kleve, Mark, Jülich und Berg (Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte 21), Düsseldorf 1966, S. 119–123. 103 Vgl. ROSENKRANZ: Generalsynodalbuch (wie Anm. 61).
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verbreitet war, traf dies bei diesen beiden Konfessionsgemeinschaften auf größere Umsetzungsschwierigkeiten in den Gemeinden, da die finanziellen Grundlagen nach den Zerstörungen des Dreißigjährigen Krieges und der nachfolgenden Erbfolgekriege geschwächt waren. Die preußische Politik verhinderte überdies eine Steuerung der katholischen Religionspolitik durch die erzbischöflichen Behörden und förderte eine politische Isolierung der katholischen Minderheit.104 Solche Spätwirkungen der Konfessionsspaltung waren im Rheinland nicht untypisch. Auch der jülich-bergische Landesherr Philipp Wilhelm begründete 1666 seine Stiftung von jährlich 100 Reichstaler zur Finanzierung zweier freier deutscher Schulmeister in der Residenzstadt Düsseldorf gegenüber dem Rat mit der ungenügenden Erziehung armer Kinder, die in Müßiggang, Sünden und Lastern aufwüchsen.105 Die Folgewirkungen der Konfessionalisierung, der wohl wichtigsten Epoche im Bildungswesen des vormodernen Rheinlandes, scheinen mir die drei folgenden zu sein: 1. Im höheren Schulwesen orientierten sich die Studierwilligen nun überwiegend konfessionell. Katholische Studierende des Rheinlandes besuchten, soweit sie nicht die Region ganz verließen, die Universitäten in Löwen und Köln. Die Reformierten, insbesondere die mit den Kirchen dieser Gebiete vielfach verbundenen Theologen, hatten die niederländischen Universitäten und die Hohe Schule in Herborn als nahe Ausbildungsstätten zur Verfügung. Für die geringere Zahl der Lutheraner fehlen noch Untersuchungen; es kann vermutet werden, dass sich auch bei den Rheinländern die westfälische Orientierung auf die Universität Rostock niederschlug.106 2. Im katholischen Schulwesen behaupteten die Jesuiten keine Monopolstellung.107 Auch die Bettelorden übernahmen im Rheinland seit dem 17. Jahrhundert zahlreiche städtische Schulen und gründeten Konkurrenzinstitute zu jesuitischen (und protestantischen) höheren Schulen neu. Dagegen fehlte im Rheinland bei104 EHRENPREIS, Stefan: Catholic minorities and school education. The cases of Brandenburg and the Dutch Republic 1600–1750, in: ANDOR, Eszter/TÓTH, Istvan György (Hrsg.): Frontiers of Faith. Religious exchange and the constitution of religious identities 1400–1750 (Cultural Exchange in Europe 1400–1750 1), Budapest 2001, S. 177–193. Die wichtigste Quellenedition ist LEHMANN, Max (Hrsg.): Preußen und die katholische Kirche, 3 Bde., Leipzig 1878–1882. 105 KNIFFLER: Beiträge (wie Anm. 24), S. 18. 106 Vgl. KISTENICH, Johannes: Studienorte der in den Grafschaften Mark und Ravensberg während des 16. Jahrhunderts tätigen lutherischen Geistlichen, in: SELDERHUIS, Herman J./ WRIEDT, Markus (Hrsg.): Bildung und Konfession. Theologenausbildung im Zeitalter der Konfessionalisierung (Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe 27), Tübingen 2006, S. 103–129. 107 So noch PETRI, Franz: Im Zeitalter der Glaubenskämpfe (1500–1648), in: DERS./DROEGE, Georg (Hrsg.): Rheinische Geschichte, Bd. 2: Neuzeit, Düsseldorf 1976, S. 1–217, hier S. 183–189. Zu einer differenzierteren Sicht jetzt FINGER, Heinz (Hrsg.): Die Anfänge der Gesellschaft Jesu und das erste Jesuitenkolleg in Köln (Libelli Rhenani 17), Köln 2006.
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spielsweise der Piaristenorden, der in den habsburgischen Ländern oder auch in Frankreich die Speerspitze gegen die Jesuiten bildete. Nach bisherigem Forschungsstand waren die rheinischen Jesuiten ihrem Unterrichtsprogramm nach auch konservativer als die benachbarten belgischen, die sich zum Beispiel durch Emblematik-Wettbewerbe innovativen didaktischen Ideen öffneten.108 Allerdings lässt sich auch im Rheinland die besondere Rolle des jesuitischen Schultheaters nachweisen, durch das der Orden auch die städtische Kultur beeinflusste.109 3. Für das niedere Schulwesen war eine starke konfessionelle Konkurrenz kennzeichnend. Lokale mischkonfessionelle Verhältnisse sind für das Rheinland typisch, und daraus erwuchs eine jeweilige Minderheitenposition, die sich auch pädagogisch bemerkbar machte. Besonders zeigt sich dies in der starken Verbindung von Schule und Katechese.
4. Pädagogische Innovationen um 1700 Die letzte Phase der frühneuzeitlichen rheinischen Bildungsgeschichte umfasst die Veränderungen im späten 17. und im 18. Jahrhundert. Zwar lassen sich hier auch viele Kontinuitäten feststellen, vor allem in der verspäteten Umsetzung von katholischen Reformmaßnahmen. Die deutliche Kumulation von pädagogischen und didaktischen Innovationen um 1700 macht es jedoch notwendig, diese gesondert von der gleichzeitigen Fortsetzung von konfessionellen Entwicklungen zu beschreiben. Hervorzuheben sind insbesondere die neuen protestantischen Frömmigkeitsbewegungen und ihre Verbindungen mit Gedankengut der Frühaufklärung.110 Über die Wirkungen des Halleschen Pietismus im protestantischen Rheinland wissen wir noch zu wenig, um die pädagogische Rezeption abschätzen zu können.111 An einem Beispiel kann man jedoch deren Bedeutung ablesen. Der an der lutherischen Stadtschule in Lennep im zweiten Viertel des 18. Jahrhunderts tätige Daniel Christian Francke war ein Absolvent des Franckeschen Lehrerseminars.112 In sei108 Vgl. DEPAEPE, Marc/HENEKENS, B.: The History of education and the change of the visual, in: Paedagogica historica 36 (2000), S. 11–17. 109 POHLE, Frank: Das Jesuitentheater im Rheinland. Ein multimediales Großereignis des Barock, in: Geschichte im Bistum Aachen 6 (2000/01), S. 61–115; DERS.: Glaube und Beredsamkeit. Katholisches Schultheater in Jülich-Berg, Ravenstein und Aachen (1601–1817) (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme 29), Münster 2010 [im Druck]. 110 Vgl. dazu OVERHOFF: Frühgeschichte (wie Anm. 4). 111 Vgl. dagegen für Westfalen PETERS, Christian: Pietismus in Westfalen, in: BRECHT, Martin/ DEPPERMANN, Klaus (Hrsg.): Der Pietismus im 18. Jahrhundert (Geschichte des Pietismus 2), Göttingen 1995, S. 358–371. 112 Vgl. NEBE, August: Daniel Christian Francke, ein Schüler August Hermann Franckes, als Rektor der Lateinschule Lennep, in: Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins 56 (1927), S. 115–134, und jetzt BÜSEMEYER, Heinrich: Daniel Christian Francke (1690–1775). Ein
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ne Rektoratszeit fallen einige auffällige Neuerungen im Unterrichtswesen dieser Schule: Eine Programmschrift vom September 1733 lädt Gönner und Freunde der Schule zu einer nachmittäglichen Aufführung von Schulreden und für den kommenden Tag zu einem öffentlichen Examen ein. Die circa 25 Schulreden beschrieben die unterschiedlichen Erziehungsgrundsätze in der Antike und den großen Weltreligionen sowie in zeitgenössischen europäischen und asiatischen Reichen. Das Thema zeigt das Interesse an weltweiter Geschichte und Kulturvergleich, das auch in Halle gepflegt wurde. Zu den Vortragenden gehörten Kinder aus Adelsfamilien und von bekannten Lenneper Kaufleuten. Der Rektor Francke hielt selbst einen Vortrag zu dem kurz zuvor eingetretenen Großfeuer, dass das benachbarte Lüttringhausen heimgesucht hatte.113 Ganz selbstverständlich ging man in Lennep auch davon aus, dass die Schüler in deutscher Rede geübt werden sollten, was im Gegensatz zum traditionell auf das Latein bezogenen jesuitischen Lehrprogramm stand. Die Lenneper Ausweitung des Unterrichtsprogramms auf Geschichte, Kultur und Geographie der ganzen Welt steht sicher nicht repräsentativ für die Entwicklung aller protestantischen rheinischen Stadtschulen, die vielmehr in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zumeist einen finanziellen und pädagogischen Niedergang erlebten. Das Beispiel zeigt jedoch, dass es zu neuen Zentrenbildungen kommen konnte, wenn es gelang, die protestantischen Oberschichten mittels pädagogischer Innovationen besonders anzusprechen. An der regionalen Untersuchung dieses Phänomens sollte ähnlich wie an der kulturellen Prägekraft katholischer Schulen für die Öffentlichkeit katholischer Städte weiter gearbeitet werden. Dabei sollte auch die Rezeption der jeweiligen europäischen Entwicklungen im Alten Reich thematisiert werden. Die intensiven Forschungen zur niederländischen ‚Nadere Reformatie‘ oder dem katholischen Jansenismus lassen in Ansätzen erkennen, dass intellektuelle Verbindungen ins Rheinland und niederländisch-rheinische personale Netzwerke bestanden, auch über den Buchmarkt. Neue Frömmigkeitsformen griffen um sich, die der individuellen Bildung, zum Beispiel durch Lektüre von Erbauungsbüchern, einen hohen Stellenwert einräumten. Zwar konnte die Kritik an der etablierten Kirchlichkeit durch die Frömmigkeitsbewegungen eine Ablehnung des herkömmlichen Schulwesens einschließen. Gelegentlich bot sich damit aber auch die Chance zu beachtenswerten pädagogischen Experimenten. Wie weit diese verbreitet waren, lässt sich je-
Schüler August Hermann Franckes wird Pfarrer in Werther, in: Jahresbericht des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg 94 (2009), S. 119–146. 113 Die Programmschrift trägt den Titel: Die bey unterschiedlichen Völckern sehr verschiedene Erziehung der Jugend wolte in einigen Schul-Reden/ durch die hieselbst Studierende/ kurz und deutlich fürstellen [...], Mülheim am Rhein 1733. Johann Daniel Francke war mit dem Hallenser Anstaltsgründer August Hermann Francke nicht verwandt. Zur weltweiten Tätigkeit der Franckeschen Anstalten vgl. u. a. LIEBAU, Heike (Hrsg.): Geliebtes Europa/Ostindische Welt. 300 Jahre Interkultureller Dialog im Spiegel der Dänisch-Halleschen Mission, Halle 2008.
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doch noch nicht abschätzen. Sicher gab es auch kleinere Vorläufer: Im bergischen Odenspiel etwa wurde durch eine Schulordnung 1678 ein Wettbewerb zwischen den Schülern um die Schönschrift des sonntäglichen Evangeliums veranstaltet.114 Eine ganz anders geartete ‚Revolution‘ des Unterrichtswesens griff im 18. Jahrhundert durch die überkonfessionell verbreitete erhebliche Ausweitung des niederen Schulwesens um sich. Diese wurde kaum von den zentralen Verwaltungsebenen der Territorien getragen, die überwiegend lediglich per gesetzlichen Vorschriften ein erhöhtes Interesse am Schulbesuch aller Kinder signalisierten. Vielmehr lässt sich in den Jahrzehnten um 1700 ein gesteigertes Interesse der Gemeinden selbst an einem Unterrichtsangebot in den elementaren Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen feststellen. In Filialorten abseits der Kirchdörfer, wie etwa im niederbergischen Fingscheid, entschlossen sich die Bauern, per Umlage das Kapital zur Erbauung eines Schulgebäudes aufzubringen.115 Landesherrliche Kontrollmaßnahmen lassen sich vor den Aufklärungsreformen lediglich in den Residenzstädten feststellen. In Düsseldorf ließ die Regierung 1720 eine Untersuchung über die privaten Schulmeister anstellen, die eine Zahl von 19 Schreibmeistern oder Präzeptoren ergab. Fast alle erklärten, ihre Dienste ohne Genehmigung anzubieten, manche hatten lateinische Sprachkenntnisse und mindestens fünf galten der Untersuchungskommission als völlig unfähig. Einige unterrichteten nur wenige Kinder aus Familien von Regierungsräten, ein ehemaliger Kutscher hingegen hatte 50 ärmere Schüler beiderlei Geschlechts.116 Ob wie in anderen Regionen parallel zum Ausbau des niederen Schulwesens auch Traditionen von Schulmeisterfamilien entstanden, bei denen der Sohn dem Vater im Lehreramt nachfolgte, ist für das Rheinland noch nicht untersucht. Zumindest im protestantischen Teil des Herzogtums Berg deuten einige Beispiele darauf hin.117 Eine interessante Sonderentwicklung lässt sich für die brandenburgischen Westprovinzen feststellen, die als einzige rheinische Territorien zentralistischen Eingriffen im Bildungswesen ausgesetzt waren, obwohl in anderen Verwaltungsbereichen die Regierung in Kleve Eigenständigkeit bewahrte. In der Grafschaft Mark waren einzelne pädagogische Neuerer tätig, deren Ideen Anstoß für Berliner bildungspolitische Initiativen wurden, die im preußischen Generallandschulreglement von 1763
114 BOHNEMANN: Schulwesen (wie Anm. 96), S. 142f. 115 SCHELL, Otto: Die Erbauung der Schule zu Fingscheid bei Neviges im Anfang des 18. Jahrhunderts, in: Monatsschrift des Bergischen Geschichtsvereins 21 (1914), S. 26–29. 116 KNIFFLER: Beiträge (wie Anm. 24), S. 20–22. 117 Vgl. KLEIN, J. H.: Zur Geschichte der Pfarrschule in Burscheid, in: Monatsschrift des Bergischen Geschichtsvereins 13 (1906), S. 190–192. Da die späteren protestantischen Pfarrer oft zunächst als Lehrer tätig waren, könnte zur Rekonstruktion von Einzelbiographien und familiären Kontinuitäten ROSENKRANZ, Albert: Das evangelische Rheinland, Bd. 2: Die Pfarrer (Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte 7), Düsseldorf 1958, als Quelle dienen.
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gipfelten.118 Das Gesetz, das nur für die lutherischen Schulen galt, schrieb Schulpflicht in den Orten vor, in denen eine Schule bestand, regelte Unterrichtszeiten und Lehrgegenstände, Schulbücher und Anstellungsprüfung der Lehrer; die kirchliche Schulaufsicht blieb erhalten. Wesentliche Änderungen bisheriger Praxis waren eine verpflichtende Einführung der Sommerschule mit wöchentlich dreitägiger Anwesenheitspflicht der Schüler, sowie das Angebot einer sonntäglichen Lese- und Schreibübung für junge Erwachsene. Allerdings muss betont werden, dass die Wirkungen des Generallandschulreglements bei der relativ geringen Zahl lutherischer Gemeinden in den rheinischen Gebieten Preußens nur begrenzt blieb.119 Für die reformierten Schulen galten weiter die Bestimmungen der synodalen Schulordnung von 1662, während die katholischen Schulen der Regelung ihres Archidiakonats überlassen blieben. Unter diesen Verhältnissen waren auch die Katholiken zu kommunalen Initiativen gezwungen. In Krefeld gründeten 1717 die Eltern der katholischen Siedlung Inrath eine eigene Dorfschule, nachdem die preußische Regierung alle Kinder im Winter zum Schulbesuch verpflichtet hatte. Die freiwilligen Spenden reichten jedoch nur für ein ganz ungenügendes Jahresgehalt von 23 Reichstalern für den Schulmeister.120 Ein weiteres, sich seit dem frühen 17. Jahrhundert ausbreitendes bildungsgeschichtliches Phänomen der katholischen Welt war das Mädchenschulwesen, das die Einrichtungen für protestantische höhere Töchter bei weitem an Zahl überragte. Verantwortlich für die Entwicklung im Rheinland waren neben den bekannten Lehrorden der Ursulinen, Welschnonnen und Englischen Fräulein vor allem die weiblichen Drittorden der Mendikanten (Tertiarinnen) und semireligiose Devotessen.121 Die bildungspolitischen Aktivitäten in diesem Zweig waren Teil der katholischen Reformbewegungen im 17. Jahrhundert, dienten der Erziehung zur Frömmigkeit und richteten sich vorwiegend an Mädchen aus niederadeligen und 118 Zu diesen Reformern müsste man aus rheinischer Sicht Johann Julius Hecker rechnen, der 1707 in Werden an der Ruhr geboren wurde. Nach Tätigkeit als Lehrer an den Franckeschen Stiftungen gründete er 1747 in Berlin die erste Realschule, vgl. BLOTH, Hugo Gotthard: Johann Julius Hecker (1707–1768). Seine Universalschule und seine Stellung zum Pietismus und Absolutismus, in: Jahrbuch des Vereins für Westfälische Kirchengeschichte 61 (1968), S. 63–129. 119 Vgl. FRIEDRICHS, Otto: Das niedere Schulwesen im linksrheinischen Herzogtum Kleve 1614–1816 (Schriften der Heresbach-Stiftung Kalkar 8), Bielefeld 2000, S. 66–78. Vgl. aber auch FUCHS, Ralf-Peter: Die Schwierigkeiten der preußischen Landschulreform (1763) vor Ort. Die Stockum-Dürnener Irrungen 1769, in: Jahrbuch des Vereins für Orts- und Heimatkunde in der Grafschaft Mark 89 (1991), S. 139–168. 120 DEISEL: Alt-Krefeld (wie Anm. 64), S. 108. 121 Hierzu jetzt mustergültig RUTZ, Andreas: Bildung – Konfession – Geschlecht. Religiöse Frauengemeinschaften und die katholische Mädchenbildung im Rheinland (16.–18. Jahrhundert) (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz 210), Mainz 2006. Zum Überblick vgl. die Karte der Mädchenschulen ebd., S. 427. Vgl. auch den Beitrag von Johannes KISTENICH in diesem Band.
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bürgerlichen Kreisen. Bei diesem herausragenden katholischen Spezifikum waren neben den Zentren Köln, Aachen, Bonn, Koblenz und Trier auch die Randzonen des Rheinlandes, etwa die Eifel, einbezogen.122 Bereits 1594 kam es zur Gründung einer Mädchenerziehungsanstalt in Münstereifel durch eine private Stiftung. Unterricht wurde in der Elementarbildung und im Nähen erteilt.123 1709 bat der Monschauer Rat die Ursulinen, auch in ihrer Stadt eine Mädchenschule zu eröffnen. Diese übernahmen zunächst die städtische Elementarschule, ab 1718 auch das höhere Mädchenpensionat (12–15 Kostschülerinnen und zehn Tagesschülerinnen, darunter auch protestantische). Als Motiv der Einrichtung wurde genannt, dass die „Döchtergen, so bis hierhin mit schweren und verderblichen Kosten außer land verschickt, die übrigen aber unwissent und in ihrer Unerfahrung der geistlichen Sitten und Manieren stecken geblieben“ wären.124 Im 18. Jahrhundert wurden mindestens neun weitere Mädchenschulen in Eupen, Malmedy, St. Vith, Blankenheim und Ahrweiler gegründet, die von weiblichen Lehrorden getragen wurden und finanziell auf Privatstiftungen beruhten. In den meisten Fällen wurde neben den elementaren Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen auch Hauswirtschafts- und Französischunterricht angeboten. Die tragenden Frauengemeinschaften gerieten seit der Mitte des 18. Jahrhunderts durch Nachwuchsmangel an Lehrerinnen in eine Krise, die die Bedeutung der Schulen schmälerte. Das Bildungswesen im Rheinland trat also mit territorial unterschiedlichen Traditionen und Kontexten in das Zeitalter der Aufklärung ein. Wie überall im Reich muss jedoch auch für die rheinischen Verhältnisse betont werden, das die ‚pädagogische Aufklärung‘ in ihren Ideen und Praktiken auf zahlreichen Vorläufern fußte und oft nur schon vorher propagierte Methoden durch einen unvollkommenen staatlichen Zentralismus durchzusetzen versuchte.125
122 Zur Eifel vgl. neben RUTZ: Bildung (wie Anm. 121), passim, auch ELS, JOSEF: Das höhere Schulwesen und die Mädchenbildung in der Eifel des 17. und 18. Jahrhunderts, in: EifelJahrbuch 2002, S. 87–94. 123 RUTZ: Bildung (wie Anm. 121), S. 211–215; DERS.: Art. ‚Bad Münstereifel – Haus „Zum Salvator“‘, in: GROTEN, Manfred u. a. (Hrsg.): Nordrheinisches Klosterbuch. Lexikon der Stifte und Klöster bis 1815 (Studien zur Kölner Kirchengeschichte 37), Bd. 1, Siegburg 2009, S. 267–270. 124 ELS: Schulwesen (wie Anm. 122), S. 92, das Zitat ebd. 125 Eine besondere Schwierigkeit in der Interpretation der aufgeklärten Pädagogik stellen die im Laufe der Pädagogikgeschichte wechselnden didaktischen ‚Modewellen‘ dar. So galt der pädagogischen Aufklärung beispielsweise das Singen der Buchstaben durch die ABC-Anfänger als ein unmethodischer Mangel und die Abschaffung dieser Praxis, z. B. in Essen 1783, als ein didaktischer Fortschritt. Seit dem frühen 20. Jahrhundert wird die Verbindung musischer und sprachlicher Ausdrucksform jedoch wieder außerordentlicher Wert zugeschrieben, KAMP, Max van de: Das niedere Schulwesen in Stadt und Stift Essen bis 1815, in: Essener Beiträge 47 (1930), S. 121–225, hier S. 155f. Daher sollte die Fortschrittsrhetorik der Aufklärung zunächst als Selbstbeschreibung gelesen werden, ohne vorschnell als Beweis
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Fazit Der Überblick zur Entwicklung des rheinischen Schul- und Bildungswesens hat ergeben, dass es schwierig ist, für das Rheinland von einer räumlich, epochal und systemisch einheitlichen Entwicklung zu sprechen. Kriterien, die für andere Regionen die Konstruktion vereinheitlichender Tendenzen zur Definition einer ‚Bildungslandschaft‘ ermöglichen, sind im Rheinland kaum anzuwenden. Weder gab es eine Aufeinanderbezogenheit von regionalen Institutionen und Lehrprogrammen höherer Bildung, noch eine einheitliche Konfessionsorientierung und Trägerschicht von öffentlicher Erziehung, noch einen vergleichbaren politischen Bezugsrahmen für Bildungspolitik in den rheinischen Territorien. Am ehesten könnte man also das Fehlen solcher Gemeinsamkeiten und damit eine hohe Diversifizierung als typisch für die Bildungslandschaft Rheinland anerkennen. Jedoch lassen sich vielleicht jenseits der eingeschliffenen Pfade der Bildungsgeschichte Elemente finden, die zur Charakteristik der rheinischen Bildungslandschaft herangezogen werden können. Dazu gehört die Offenheit der rheinischen Bildungssysteme für Bevölkerungsschichten, die historiographisch lange vernachlässigt wurden: die Mädchen des Bürgertums und die ländlichen Schulkinder. Das im Rheinland vorhandene städtische Mädchenschulwesen war nach Lage der Forschung sowohl in seiner Quantität stärker ausgeprägt als auch in seiner programmatischen Entwicklung eigenständiger als in anderen Regionen des Alten Reiches.126 Ältere, in der Frühen Neuzeit erneuerte Verbindungen in den niederländischen und französischen Raum wirkten sich hier aus. Ein zweites besonderes Merkmal bildet das kleinstädtische und insbesondere ländliche niedere Schulwesen. Aufbauend auf älteren Grundlagen im Spätmittelalter entwickelte sich im 16. und 17. Jahrhundert eine bemerkenswerte Aufmerksamkeit der Obrigkeiten und der Konfessionskirchen, aber auch der dörflichen sozialen Eliten für den Unterricht in den elementaren Kulturtechniken. Dies wurde durch die überkonfessionell verbreitete Verbindung von Schule und Katechese unterstützt. Die durch die gemischtkonfessionelle Lage hervorgerufene konfessionelle Konkurrenz hat sich vermutlich positiv gerade auf die Versorgung ländlicher Regionen mit Unterricht ausgewirkt.127 tatsächlicher Veränderungen zu gelten. Nach dem bildungspolitischen Innovationsgehalt vieler aufgeklärter Bildungsprogramme muss kritisch gefragt werden. 126 Vgl. RUTZ, Andreas: Der Primat der Religion. Zur Entstehung und Entwicklung separater Mädchenschulen in den katholischen Territorien des Reiches im 17. Jahrhundert, in: MUSOLFF, Hans-Ulrich/JACOBI, Juliane/LE CAM, Jean-Luc (Hrsg.): Säkularisierung vor der Aufklärung? Bildung, Kirche und Religion 1500–1750 (Beiträge zur Historischen Bildungsforschung 35), Köln/Weimar/Wien 2008, S. 275–288. 127 Zu einer möglichen Verallgemeinerung dieser Aussage vgl. NEUGEBAUER, Wolfgang: Kultureller Lokalismus und schulische Praxis. Katholisches und protestantisches Elementarschulwesen besonders im 17. und 18. Jahrhundert in Mitteleuropa, in: HARTMANN, Peter-Claus (Hrsg.): Religion und Kultur im Europa des 17. und 18. Jahrhunderts (Mainzer Studien zur neueren Geschichte 12), Frankfurt a. M. u. a. 2004, S. 385–408.
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Ob diese beiden Besonderheiten der rheinischen Bildungsgeschichte durch andere zu ergänzen wären, bleibt Aufgabe der Forschung. Eine Geschichte des rheinischen Buchmarktes, insbesondere für Schulbücher, könnte neue Aufschlüsse erbringen. Die rheinische Bibliotheksgeschichte wäre auf die Rezeption des frühneuzeitlichen Erziehungsdiskurses hin zu untersuchen. Für manche Teilbereiche hat die Forschung noch kaum Antworten auf die eingangs gestellten Fragen gegeben. Was für die Schulgeschichte zu konstatieren ist, gilt jedoch erst Recht für die allgemeine Geschichte von Bildung und Erziehung. Über den sozialen, aber auch den wirtschaftlichen und kulturell-kommunikativen Rahmen von Erziehung und Bildung im vormodernen Rheinland wissen wir noch viel zuwenig.
Bibliographie zur rheinischen Schul- und Bildungsgeschichte bis 1815 bearbeitet von Isabel Kane, Andreas Rutz und Volker Schneider Die Bibliographie umfasst Literaturnachweise zur rheinischen Schul- und Bildungsgeschichte bis 1815. Die aufgenommenen Titel stammen aus Bibliographien, Bibliothekskatalogen und der einschlägigen Literatur. Die Titelaufnahmen konnten dabei nicht immer im Einzelnen überprüft werden, eine Übernahme von Fehlern bei den bibliographischen Angaben ist daher nicht auszuschließen. Die Bibliographie ist in dreizehn Sachgebiete gegliedert. Bei zwei Gliederungspunkten werden weitere Unterpunkte differenziert. So wird in der Kategorie ‚Schule‘ nach einzelnen Schulformen unterschieden. Beiträge, die mehrere Schulformen behandeln, finden sich in der Rubrik ‚Schulwesen allgemein‘, wobei die Literatur zu ‚Territorien/Regionen‘ und einzelnen ‚Orten‘ getrennt aufgeführt wird. Beim Gliederungspunkt ‚Lehrorden‘ werden Titel, die mehrere Orden betreffen, unter ,übergreifende Beiträge‘ zusammengefasst. Bei vielen Titeln wäre die Einordnung in mehrere Gliederungspunkte möglich. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurde jedoch von Querverweisen wie auch Mehrfachnennungen abgesehen. Gewählt wurde jeweils die vorrangigste und plausibelste Zuordnung.
Gliederung 1. 2. 3. 4.
Bibliographien Kindheit/Jugend Katechese Schule 4.1. Schulwesen allgemein 4.1.1. Territorien/Regionen 4.1.2. Orte (alphabetisch nach Ortsnamen) 4.2. Elementarschule 4.3. Mädchenbildung 4.4. Dom-/Stifts-/Klosterschule 4.5. Lateinschule 4.6. Gymnasium 5. Lehrorden 5.1. Übergreifende Beiträge 5.2. Congrégation de Notre-Dame 5.3. Devotessen
6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13.
5.4. Jesuiten 5.5. Mendikanten 5.6. Sepulchrinerinnen 5.7. Ursulinen 5.8. Zisterzienser Universität/Wissenschaft Schul- und Studienstiftungen Berufsbildung Schulpolitik/Bildungsreform Alphabetisierung/Sprache/ Schriftlichkeit Bibliotheken Buchdruck/Medien Museen/Sammlungen
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1. Bibliographien Bibliographie zum Kölner Humanismus/Bibliography on Cologne Humanism, in: Mehl, James V. (Hrsg.): Humanismus in Köln/Humanism in Cologne (Studien zur Geschichte der Universität zu Köln 10), Köln/Weimar/Wien 1991, S. 209–221. LEMKE, Ulrich: Schulgeschichte in regionalen Zeitschriften. Kommentierte Bibliographie der Aufsätze zur Schulgeschichte in Nordrhein-Westfalen 1784–1982 (Dortmunder Arbeiten zur Schulgeschichte und zur historischen Didaktik 21), 2 Bde., Bochum 1993.
2. Kindheit/Jugend BECKER, Johannes: Die Waisenerziehung im Hochstifte Essen bis zu dessen Säkularisierung im Jahre 1803 unter besonderer Berücksichtigung des Steeler Waisenhauses. Ein Beitrag zur Anstaltserziehung des 18. Jahrhunderts, in: Beiträge zur Geschichte von Stadt und Stift Essen 49 (1931), S. 135–232. DAHMEN, Stefanie: Das Kölner Waisenhaus im 17. und 18. Jahrhundert (1648–1794), in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 72 (2001), S. 53–111. DICKS, Johannes: Die stadtkölnische Waisenerziehung von 1520 bis 1825, Köln 1925. GROPPE, Carola: Der Geist des Unternehmertums. Eine Bildungs- und Sozialgeschichte. Die Seidenfabrikantenfamilie Colsmann (1649–1840), Köln/Weimar/Wien 2004. HANE, Helmut (Bearb.): Kindheit in Köln. Die Bestände des Kölnischen Stadtmuseums, Köln 1989. KOSTER, Jutta: Die katholische Waisenhausstiftung Emmerich 1567–1919, Emmerich 1997. LÖHR, Wolfgang: „Uns geht‘s gut!“ Studien- und Erziehungsreisen niederrheinischer Adliger im 17./18. Jahrhundert, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 70 (2006), S. 215–235. WUNDERLICH, Heinke: Studienjahre der Grafen Salm-Reifferscheidt (1780–1791). Ein Beitrag zur Adelserziehung am Ende des Ancien Régime (Beiträge zur Geschichte der Literatur und Kunst des 18. Jahrhunderts 8), Heidelberg 1984.
3. Katechese HEUSER, Peter Arnold: Hexenverfolgung und Volkskatechese. Beobachtungen am Beispiel der gefürsteten Eifelgrafschaft Arenberg 1590–1593, in: Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde 44 (1999), S. 95–142. MIEBACH, Peter: Die Katechese in der Erzdiözese Köln unter den Kurfürsten Max Heinrich bis Max Franz 1650–1801, Köln 1926. OORSCHOT, Theo van: Die Kölner Katechismusspiele. Eine literarische Sonderform aus der Zeit der Gegenreformation, in: Valentin, Jean-Marie (Hrsg.): Gegenreformation und Literatur, Amsterdam 1979, S. 217–243. SCHÜLLER, Andreas: Die Volkskatechese der Jesuiten in der Stadt Köln (1586–1773), in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 114 (1929), S. 34–86.
Bibliographie zur rheinischen Schul- und Bildungsgeschichte bis 1815
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4. Schule 4.1. Schulwesen allgemein 4.1.1. Territorien/Regionen APEL, Hans Jürgen/KLÖCKER, Michael: Schulwirklichkeit in Rheinpreußen. Analysen und neue Dokumente zur Modernisierung des Bildungswesens in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (Studien und Dokumentationen zur deutschen Bildungsgeschichte 30), Köln/Wien 1986. ASBACH, J.: Der Zustand des bergischen Schulwesens im Jahre 1809 und die Napoleonische Universität in Düsseldorf, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 69 (1900), S. 128–137. BERG, Helmut vom: Einfluß des Neuhumanismus auf die Entwicklung des höheren Schulwesens in Cleve-Mark (1770–1810) (Forschungen zur Geschichte der Philosophie und der Pädagogik 2,1), Leipzig 1927. BRÜCK, Anton Philipp: Kurmainzer Schulgeschichte. Texte, Berichte, Memoranden, Wiesbaden 1960. CORNELISSEN, Georg: Sprache, Schule, Bildung, in: Frankewitz, Stefan (Hrsg.): Preußen an Peel, Maas und Niers, Geldern 2003, S. 354–357. DILLMANN, Edwin: Schule und Volkskultur im 18. und 19. Jahrhundert. Erkundungen zum Modernisierungsprozeß im saarländisch-trierischen Raum (Studien und Dokumentationen zur deutschen Bildungsgeschichte 57), Köln/Weimar/Wien 1995. EHRENPREIS, Stefan: Kirchen, Bildungswesen und Gesellschaft im 17. und 18. Jahrhundert. Herzogtum Berg und Grafschaft Mark im Vergleich, in: Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins 99 (1999/2001) [2003], S. 71–113. EHRENPREIS, Stefan: Catholic minorities and school education. The cases of Brandenburg and the Dutch Republic 1600–1750, in: Andor, Eszter/Tóth, Istvan György (Hrsg.): Frontiers of Faith. Religious exchange and the constitution of religious identities 1400–1750 (Cultural Exchange in Europe 1400–1750 1), Budapest 2001, S. 177–193. EHRENPREIS, Stefan: Das Schulwesen reformierter Minderheiten im Alten Reich 1570–1750. Rheinische und fränkische Beispiele, in: Schilling, Heinz/Ehrenpreis, Stefan (Hrsg.): Frühneuzeitliche Bildungsgeschichte der Reformierten in konfessionsvergleichender Perspektive. Schulwesen, Lesekultur und Wissenschaft (Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft 38), Berlin 2007, S. 97–122. ELS, Josef: Kleine Eifeler Schulgeschichte. Die Entwicklung des Schulwesens in der Eifel vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert (Beiträge zur Geschichte des Monschauer Landes 6), Monschau/Aachen 2002. ELS, Josef: Das höhere Schulwesen und die Mädchenbildung in der Eifel des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Eifeljahrbuch 2002, S. 87–94. EVERS, Meindert: Das Schulsystem im Gelderland im Ancien Régime. 1580–1795, in: Stinner, Johannes/Tekath, Heinz (Hrsg.): Gelre – Geldern – Gelderland. Geschichte und Kultur des Herzogtums Geldern (Veröffentlichungen des Historischen Vereins für Geldern und Umgegend 100), Geldern 2001, S. 365–372. FELTEN, Wilhelm: Vom Schulwesen älterer Zeit im Kreise Sieg, in: Heimatblätter des Siegkreises 5 (1929), S. 2–6, 29–35. FORSTHOFF, Heinrich: Schulverhältnisse am Niederrhein im 17. Jahrhundert, in: Mitteilungen für Evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes 10 (1916), S. 108–126.
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THEIS, Maria Magdalena: Vorformen einer modernen Mädchenbildung und -erziehung dargestellt am Beispiel katholischer Privatschulen in Münstereifel, Diss. Aachen 2001. VOSS, Ludwig: Geschichte der höheren Mädchenschule. Allgemeine Schulentwicklung in Deutschland und Geschichte der höheren Mädchenschule Kölns, Opladen 1952. WENSKY, Margret: Mädchenbildung zwischen Kommerz und Religion. Das Mädchenschulwesen in der Reichsstadt Köln vom 15. bis zum 17. Jahrhundert, in: Mölich, Georg/Schwerhoff, Gerd (Hrsg.): Köln als Kommunikationszentrum. Studien zur frühneuzeitlichen Stadtgeschichte (Der Riss im Himmel. Clemens August und seine Epoche 4), Köln 2000, S. 271–285.
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4.5. Lateinschule BASTIAANSE, R./BOTS, H./EVERS, Meindert: „Tot meesten nut ende dienst van de jeught“. Een onderzoek naar zeventien Gelderse Latijnse scholen ca. 1580–1815 (Gelderse historische reeks 16), Zutphen 1985. BERNHARDT, J.: Die lateinische Schule in Solingen, in: Die Heimat. Halbmonats-Beilage zum Solinger Tageblatt 8 (1932), S. 45f., 55f. BOUTERWEK, Karl W.: Geschichte der Lateinischen Schule zu Elberfeld und des aus dieser erwachsenen Gymnasiums, Elberfeld 1865. BRANGS, Hans: Rektoren der Lateinschule in Solingen, in: Die Heimat. Beilage zum Solinger Tageblatt 24 (1958), S. 7. BREMER, Heinz: Musikunterricht und Musikpflege an den niederrheinischen Lateinschulen im Späthumanismus (1570–1700) (Beiträge zur rheinischen Musikgeschichte 110), Köln 1976. ENNEN, Edith: Die Lateinschule in Emmerich. Niederrheinisches Beispiel einer bedeutenden Schule in einer kleinen Stadt, in: Moeller, Bernd/Patze, Hans/Stackmann, Karl (Hrsg.): Studien zum städtischen Bildungswesen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-Historische Klasse 3/137), Göttingen 1983, S. 235–242. HEINEKAMP, Rudolf: Die Lateinschule zu Siegburg bis zum Jahre 1855, in: Jahresbericht über das Königl. Gymnasium zu Siegburg für das Schuljahr 1887/88, S. 3–20. HUCKENBECK, Ernst: Die Schulordnungen der reformierten Lateinschule zu Düsseldorf, in: Monatshefte für Evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes 36 (1987), S. 29–62. IMMEKEPPEL, Heinz: 400 Jahre. Von der Schulordnung der städtischen Lateinschule zum AnnoGymnasium Siegburg 1597–1997, in: Jahrbuch des Rhein-Sieg-Kreises 1997, S. 150–164; Wiederabdruck in: 400 Jahre. Von der städtischen Lateinschule zum Anno-Gymnasium 1597–1997, Siegburg 1997, S. 31–46. KÖHLER, J.: Rückblick auf die Entwicklung des höheren Schulwesens in Emmerich von seinen Anfängen bis zur Gegenwart. Teil 1, Emmerich 1882. KÖHLER, J.: Nachträge und Ergänzungen zu dem 1. Teil des „Rückblicks auf die Entwicklung des höheren Schulwesens in Emmerich von seinen Anfängen bis zur Gegenwart.“ (Beilage zu dem Osterprogramm des Gymnasiums zu Emmerich 1883), Emmerich 1883. MASSNER, Hanns-Joachim: Joachim Neander als Rektor der Lateinschule in Düsseldorf, in: Monatshefte für Evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes 29 (1980), S. 209–239. NEBE, August: Daniel Christian Francke, ein Schüler August Hermann Franckes, als Rektor der Lateinschule Lennep, in: Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins 56 (1927), S. 115– 134. QUIX, Christian: Geschichte des Karmeliten-Klosters, der Villa Harna, der Gelehrtenschulen in Aachen vor Einführung des Jesuiten-Gymnasiums, der vormaligen Herrschaft Eilendorf usw., Aachen 1835.
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ROSENTHAL, Heinz: Hier erlangte die Geschichte Gegenwartsnähe. Aus der Frühzeit der Solinger Lateinschule. Latein oder Französisch, in: Die Heimat. Beilage zum Solinger Tageblatt 30 (1964), S. 17f., 23f. SCHROEDER, Horst: Die Lateinschule in der reformierten Stadt Wesel nach der Sciagraphica Gymnasii Vesaliensis, in: Prieur, Jutta (Hrsg.): Stadt und Festung Wesel. Beiträge zur Stadtgeschichte der Frühen Neuzeit, Wesel 1998, S. 49–92. SEITZ, Friedrich: Beiträge zur Geschichte der Elberfelder Lateinschule, in: Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins 50 (1917), S. 163–176. STORCH, Werner: Die Geschichte der höheren Schule in Langenberg/Rheinland. Von der Lateinschule der reformierten Gemeinde zum städtischen Realgymnasium 1711–1911, Neustadt a. d. Aisch 1969.
4.6. Gymnasium 650 Jahre Konrad-Duden-Gymnasium, Wesel 1992. AVERDUNK, Heinrich: Geschichte des Duisburger Gymnasiums von 1303 bis 1802, Duisburg 1909. BERS, Günter: Das erste Jülicher Gymnasium 1572–1664, in: ders. (Hrsg.): 50 Jahre Jülicher Geschichtsverein 1923–1973. Festschrift (Beiträge zur Jülicher Geschichte 40), Jülich 1973, S. 61–79. BETTE, Ludwig: Fünfhundertjahrfeier des Städtischen Gymnasiums zu Recklinghausen, in: Gladbecker Blätter für Orts- und Heimatkunde 16 (1929), S. 75. BETTE, Ludwig: Aus der Geschichte der drei ältesten höheren Schulen im Veste Recklinghausen, in: Gladbecker Blätter für Orts- und Heimatkunde 25 (1939), S. 33–48. BINSFELD, J.-P. (Hrsg.): Festschrift zu dem dreihundertjährigen Jubiläum des Königlichen Gymnasiums zu Coblenz, Koblenz 1882. BONNAIRE, Heiner: Zur Geschichte des Staatlichen Gymnasiums Saarlouis, in: 300 Jahre Gymnasium Stadtgarten Saarlouis, Saarlouis 1991, S. 16–61. BOSCHHEIDGEN, H.: Gründungs- und Baugeschichte des Karmeliterklosters und des alten Gymnasium Adolfinum zu Moers, Moers 1921. BROECK, Heribert van der: Geschichtliches über das höhere Schulwesen in Zülpich, in: Festschrift zur 50–Jahr-Feier der städtischen höheren Schule am 12. September 1953, Köln 1953, S. 14–20. BUERBAUM, Joseph: Beschreibung der zweiten Sekular-Feier des Progymnasiums zu Dorsten, am 26. October 1842, nebst einer kurzen Geschichte der Stadt, des Franziskanerklosters und Progymnasiums, Münster 1843. BUSCHMANN, Joseph: Zur Geschichte des Bonner Gymnasiums, in: Jahresbericht des Königlichen Gymnasiums zu Bonn 1890/91, S. 1–41. CASPERS, Wilhelm: Zur Geschichte des Gymnasiums zu Recklinghausen, in: Gymnasium Recklinghausen. Jahresberichte des Gymnasiums zu Recklinghausen 4 (1832/33), S. 4–24. DECHANGE, Günter R.: Das Siegburger Schulwesen im Mittelalter und die Anfänge des Staatlichen Gymnasiums, in: Heimatblätter des Siegkreises 28 (1960), S. 62–76. DISSELBECK, H. (Hrsg.): 1200 Jahre Gymnasium Emmerich. Festschrift des staatlichen Gymnasiums zu Emmerich zur Jahrtausendfeier der Wiedererrichtung verbunden mit der Zwölfhundertjahrfeier des Bestehens, Emmerich 21958.
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5. Lehrorden 5.1. Übergreifende Beiträge NEUEFEIND, K[onsolata]: Die Neugründung klösterlicher Erziehungsanstalten in Aachen im Zeitalter der Gegenreformation, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 56 (1935), S. 61–104; 58 (1937), S. 57–103. RUTZ, Andreas: Bildung – Konfession – Geschlecht. Religiöse Frauengemeinschaften und die katholische Mädchenbildung im Rheinland (16.–18. Jahrhundert) (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz 210), Mainz 2006. SCHAFFER, Wolfgang: Schulorden im Rheinland. Ein Beitrag zur Geschichte religiöser Genossenschaften im Erzbistum Köln zwischen 1815 und 1875 (Kölner Schriften zu Geschichte und Kultur 13), Köln 1988.
5.2. Congrégation de Notre-Dame ALBRECHT, Waltraud: Die B.M.V.-Schule in Essen 1652–1997, Essen 1997. ARENS, Franz: Geschichte des Klosters und der Schule der Congregatio B.M.V. in Essen 1652– 1902 (Beiträge zur Geschichte von Stadt und Stift Essen 25), Essen 1903. DARAPSKY, Elisabeth: Geschichte der Welschnonnen in Mainz. Die regulierten Chorfrauen des Hl. Augustinus und ihre Schulen (Beiträge zur Geschichte der Stadt Mainz 25), Mainz 1980. LICHTER, Eduard: Das Welschnonnenkloster zu Trier von 1640 bis 1875, in: Neues Trierisches Jahrbuch 1992, S. 13–34. MUTH, Karl: Die Kongregation Unserer Lieben Frauen von Trier – Welschnonnenkloster. Eine kirchenrechtliche Studie zur Entwicklung des Instituts der religiösen Genossenschaften unter dem französischen Konsulat und ersten Kaiserreich, Straßburg 1907. RUTZ, Andreas: Bildungsanspruch und Unterrichtspraxis religiöser Frauengemeinschaften im frühneuzeitlichen Rheinland am Beispiel der Bonner Congrégation de Notre-Dame, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 67 (2003), S. 212–263. SCHULTE, Gisela: Die Gründung des Welschnonnenklosters in Trier und seine erste Entwicklung, Münster 1931 (masch.). SÖNNERT, Ingrid: Zur Geschichte der Klöster des Ordens der Augustiner Chorfrauen in der Congregatio Beatae Mariae Virginis in Münster, Hagen und Essen, in: Stiegermann, Christoph (Hrsg.): 400 Jahre Augustiner-Chorfrauen C.B.M.V. Das St. Michaelskloster in Paderborn, Paderborn 1997, S. 15–39.
5.3. Devotessen ARENS, Anton: Friedrich Spee und die „Jesuitinnen“ von Köln. Zur Entstehungsgeschichte des „Güldenen Tugend-Buches“, in: Kehl, Medard (Hrsg.): Du führst mich hinaus ins Weite: Erfahrungen im Glauben – Zugänge zum priesterlichen Dienst. Freundesgabe für Georg Mühlenbrock und Karl Hillenbrand, Würzburg 1991, S. 405–436.
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Ortsregister Einträge ohne nähere Bestimmung bezeichnen den Ort bzw. die Region/Landschaft. Aachen 131, 133, 137, 144, 146, 163, 214, 246, 249, 261, 263–265, 268, 271, 274, 281–288, 290–292, 323 Ahrgau, Dekanat 35 Ahrweiler 323 Aldenhoven 293 Alfter 137 Altena 160, 168 Amsterdam 248 Andechs 274 Anhalt, Fürstentum 12 Ansbach, Markgrafschaft 304 Antwerpen 134, 245, 254 Arlon 291 Arnsberg 137 Attendorn 135 Augsburg 15, 274, 313 Avignon 60 Bacharach 67 Baden (Baden und Durlach), Markgrafschaft 83, 85–88, 90, 92, 94–100, 107, 109–112, 116f. Baden, Stadt 93 Bamberg 252, 274 Bari 198–200, 209 Barmen 295, 310, 316 Bassenheim 291, 293 Bayern 12, 16, 131, 133, 138, 151, 258, 291 Bayern, Herzogtum 12f., 263 Bayreuth, Markgrafschaft 304 Bedburg an der Erft 134 Belgien 135, 146, 150, 275, 290, 319 Berg, Großherzogtum 50, 78, 184 Berg, Herzogtum 14, 27, 31, 35f., 39–45, 47–53, 90, 166, 169, 179, 189, 225, 308, 315, 317, 321 Berlin 55, 164, 166, 179f., 182f., 188, 317, 322 Bern 310 Beurig 291 Bingen 202 Blankenheim 136, 323
Blois 205f. Bocholt 136 Böddeken 303 Böhmen 131, 313 Bologna 55, 59, 61, 234f. Bonn 25, 28, 31, 47f., 55–78, 131, 133, 147–149, 186, 190, 196–198, 200–202, 204–209, 230, 246f., 249, 268, 294, 311, 313, 323 Boppard 205, 228 Borgworm/Waremme 135 Bornhofen 291 Bouvignes 134 Brandenburg-Preußen 12, 16, 25, 29, 36, 42, 61, 63, 66, 72, 78, 83, 86, 92, 117, 153–190, 228, 308, 317f., 321f. Brasilien 156, 160, 177 Bree 134 Bremen 157f., 177, 308, 310 Breslau 72 Brilon 136 Bruckhausen 185 Brüssel 134, 314 Buchhold 185 Büderich 46 Cambridge 303 Caravaca 280 Charleroi 125 Châtelet 135 Chimay 135 Coesfeld 144 Compiègne 288 Den Haag 176 Dendermonde 134 Deutz, Dekanat 46 Deventer 245, 302 Dhünn 35 Diest 134 Dillingen 15, 76, 254 Dinant 144 Dinslaken 32, 46, 166 Donsbrüggen 46
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Ortsregister
Dorn 39 Dorsten 131, 135 Dortmund 96, 105, 226 Duisburg 28, 32, 55–78, 153–159, 161, 165f., 172f., 176f., 184f., 187, 190, 224, 247, 254, 300, 307–309 Durbuy 135 Düren 32, 131, 133, 142, 144f., 249, 253, 265, 274, 311 Durlach 97 Düssel 36 Düsseldorf 39, 41, 46, 50, 56, 63, 66, 131, 133, 144, 147, 160, 166f., 171f., 177, 188, 190, 245, 249, 301f., 304f., 307, 310–312, 316, 318, 321 Echternach 261 Edinburgh 254 Eifel 323 Eifel, Dekanat 45f. Elberfeld 39, 46, 144, 158, 309 Elten 131 Emmerich 133, 144, 147, 168, 170, 173, 176, 185f., 189, 246, 249, 302f. England 205, 258, 295, 298 Erfurt 62 Erpel 32 Essen, Stadt 131, 133, 144, 181, 224, 249, 252, 261, 304, 311, 323 Essen, Stift 304 Eupen 323 Europa 19f., 23, 27, 29f., 55, 131, 133, 151, 153, 191, 193, 198, 233, 238, 259, 276, 296–299, 310, 320 Fingscheid 321 Fleurus 135 Florennes 135 Fontaine l’Évêque 135 Franken 9, 11f., 131, 291, 305 Frankfurt am Main 33, 202, 253f. Frankfurt an der Oder 69, 72, 156, 167 Frankreich 29, 60, 78, 131f., 138, 151, 184, 188, 192f., 202, 205, 275, 290f., 297f., 319, 324 Fraukirch 291 Frauweiler 134 Frechen 310 Freusburg 163 Gangelt 32
Geldern, Herzogtum 162f., 166, 225 Geldern, Stadt 136f., 162, 314 Genf 298, 310 Geseke 135 Gimborn-Neustadt, Herrschaft 316 Goch 44 Gräfrath 42 Greifswald 69, 252 Grevelingen 135 Grietherbusch 186 Grimma 17 Hachenburg 163 Halle 72, 165, 181, 274, 319f. Hallenberg 135 Hamm 157, 161, 187f., 300 Hanau-Münzenberg, Grafschaft 159 Hardenberg, Herrschaft 43, 46f., 53 Hazebroek 134 Heidelberg 61, 87, 90, 177, 248, 252 Heiligenhaus 42 Heinsberg 133 Heißen 43 Herborn 29, 156–158, 163, 167, 308f., 318 Herentals 134 Herstelle 136 Hessen 12, 312 Hessen, Landgrafschaft 158, 169f., 187 Hilden 40, 46, 310 Hildesheim 286 Hillesheim 134 Homberg 47 Homburg 316 Homburg, Herrschaft 162 Hoogstraaten 135 Hubbelrath 39 Hünxe 185 Huy 127, 134, 144, 146f. Ingolstadt 76, 254 Inrath 322 Italien 28, 138, 192f., 199f., 317 Jena 18, 154 Jülich, Herzogtum 27, 31, 34, 36, 39f., 44f., 51f., 145, 162, 166, 169, 225, 308f., 313f., 317 Jülich, Stadt 133, 137, 144–146, 246, 249, 264, 305, 311
Ortsregister Jülich-Berg, Herzogtum 34, 36, 46, 77, 83, 85–88, 92f., 95f., 98f., 101, 104, 109, 112, 116f., 304, 312, 318 Jülich-Kleve-Berg, Vereinigte Herzogtümer 35, 37, 66, 92, 153f., 174, 187, 228, 304, 307, 309, 317 Kaiserswerth 31 Kalkar 32, 44, 136, 164, 169, 311 Karlsruhe 97 Kassel 156, 168 Kaufbeuren 15 Kempen 48, 169, 311 Kerpen 32 Kessel 162 Kevelaer 291 Klausen 291 Kleinheppach 48 Kleve, Herzogtum 27, 31, 39f., 42–46, 51f., 63, 66, 100, 155f., 160f., 164, 166, 169– 172, 174f., 178–180, 182–184, 186, 188, 190, 214, 222, 248, 308f., 317, 321 Kleve, Stadt 41, 168, 170–173, 175–180, 188f., 305 Kleve-Mark, Herzogtum 34, 36, 83, 85f., 88, 92, 96–98, 100, 105f., 109f., 112f., 117, 172, 176f., 179, 185, 187, 317 Koblenz 66, 245, 323 Köln, Erzbistum 16, 32, 35, 79, 128, 214, 264f., 311, 317 Köln, Kurfürstentum 25, 31, 35, 39, 42–46, 48, 51f., 63, 85f., 88, 90, 92, 95f., 98f., 106, 111f., 116, 147, 163, 169, 186, 226, 228, 230, 247, 255, 268, 291, 294, 304, 306, 313 Köln, Stadt 14, 28, 31, 41, 55–78, 83, 85f., 88f., 93, 120, 128f., 131, 133, 138, 143f., 153, 169, 186, 195f., 201–204, 208f., 214, 217, 219, 221, 223–229, 231, 233–266, 268f., 271, 274f., 277–282, 284, 286–288, 290–294, 301–303, 305, 307–311, 313– 316, 318, 323 Königsberg 156, 258 Konstantinopel 208 Konstanz, Bistum 19 Korbach 188 Kornelimünster 263, 265, 268, 274, 285, 287– 290 Krefeld 51, 161f., 188, 309, 322
375
Krieckenbeck 162 La Bassée 134 Langenberg 41, 45, 49 Langenschwalbach 136 Laroche 135 Leipzig 17f. Lennep 136, 147, 311f., 319f. Lille 134, 291 Limburg, Herzogtum 133 Lingen 157, 178 Linn 51, 169 Linnich 136, 139, 142, 146, 148f. Lippstadt 144 Lissabon 242 Lobbes 125 Lörrach 97 Lothringen 131 Löwen 254, 314, 318 Lübeck 227 Lucca 209 Lüttich, Fürstbistum 16, 131, 133f., 138, 147, 151, 265 Lüttich, Stadt 144, 264 Lüttringhausen 320 Luxemburg, Herzogtum 264, 291 Luxemburg, Stadt 291 Maastricht 144, 265, 274 Mainz, Kurfürstentum 85f., 88, 90, 92–95, 98, 101f., 105f., 108–113, 116, 252 Mainz, Stadt 28, 33, 56, 68, 94, 131, 193, 195–202, 204, 208f., 261, 291 Malmedy 323 Marburg 154, 159, 179, 248 Mark, Grafschaft 27, 52, 101, 160f., 169, 174f., 178, 182, 317, 321 Meckenheim 32 Mecklenburg 9 Meißen 17 Mettmann 46, 52 Metz, Bistum 264, 275 Metz, Stadt 275 Minden, Fürstentum 187 Minden, Stadt 144 Mitteldeutschland 9, 17f., 312 Mittelrhein 28, 32f., 198 Moers, Grafschaft 161, 164, 178, 186, 304, 308f. Moers, Stadt 128, 162, 301, 307, 310
376
Ortsregister
Mönchengladbach 32, 51 Monschau 34, 131, 136, 148f., 311 Montpellier 59 Mülheim am Rhein 42 Mülheim an der Ruhr 42 München 251, 274 Münster 144, 248 Münstereifel 31, 133, 136, 144f., 147, 246, 249, 293, 311, 323 Namur 291 Nancy 291 Nassau, Grafschaft 156f., 159f., 162f., 177, 181, 188 Neersen 136 Neuburg an der Donau 312 Neuss 48, 79, 133, 137, 144f., 147, 169, 205, 249, 291, 311 Neuwied 39 Neviges 46 Nideggen 136, 148f. Niederlande 30, 156, 160, 164, 176, 186, 188, 302, 306, 308–310, 315, 318, 320, 324 Niederlande, nördl. 300, 308, 314 Niederlande, südl. 16, 29, 131, 133f., 138, 146f., 151 Notre-Dame de Foy 291 Notre-Dame de Hal 291 Notre-Dame de Montaigu 291 Nürnberg 286, 313 Oberdeutschland 69 Oberpfalz 11 Oberrhein 193, 196, 209 Odenspiel 321 Oettingen 15 Orléans 59 Orsoy 176 Österreich 12, 16, 131, 133, 138, 151, 263, 291, 319 Paderborn 73, 144, 286 Paris 55, 59–61, 78, 126, 132 Passau 125 Perugia 61, 234 Pfalz, Kurfürstentum 83, 85–88, 90, 92, 94f., 98, 100, 105f., 110–113, 116f., 162f., 166 Pfalz-Neuburg, Fürstentum 36, 94, 154f., 167–169, 171, 173f., 177, 188, 228, 312 Pforta 17 Pforzheim 62
Poperinge 135 Prag 61, 78, 197, 313f. Ratingen 47, 51, 136, 310f. Ravensberg, Grafschaft 187, 314, 317 Recklinghausen, Stadt 135 Recklinghausen, Vest 131 Rees 173, 185f. Regensburg 198, 200–202 Remagen 148 Remscheid 50f. Rheinberg 32, 136f. Rheine 135 Rheydt 169 Rietberg 135 Roermond 144 Roeselare 134 Rom 61, 130, 270, 275, 293, 307 Ronsdorf 51 Rösrath 134 Rostock 318 Rothenburg 208 Rotterdam 281 Rumeln 161 Saarlouis 134 Sachsen 12f., 228 Sachsen, Kurfürstentum 17f., 304, 306 Salerno 58f. Salzburg 255f. Sayn, Grafschaft 163, 316 Schleiden, Grafschaft 304 Schlesien 41, 131, 133, 151 Schwaben 12, 15f. Schweden 298 Schweiz 258 Schwelm 295 Seligenthal 128 Siebeneick 47, 49f. Siegburg 128, 136, 291, 311 Siegen 144f. Sinzig 136, 148, 224 Sittard 313f. Solingen 42, 46, 50f., 144 Sonnborn 46 Spanien 192f., 208 Speyer, Fürstbistum 83, 85f., 88, 92, 95f., 98, 102, 106f., 110, 112–114 Speyer, Stadt 28, 83, 85f., 88f., 112, 193, 195, 202, 205
Ortsregister St. Gallen 124 St. Vith 323 St.-Florent 123 St.-Gondon 123 St.-Hubert 125 St.-Malo 298 St.-Trond 125, 274 Steiermark 33 Steinfurt 157 Straelen 32, 162 Straßburg 56, 94, 154, 269 Süchteln 37, 39 Süddeutschland 33, 76, 123 Südwestdeutschland 27, 83 Thüringen 12f., 33 Tielt 135 Tienen 134 Tirol 258 Toledo 208f. Tongern 144 Toul, Bistum 264, 275 Tours 123 Trier, Erzbistum 264, 276, 291 Trier, Kurfürstentum 25, 85, 88, 92, 94, 96– 99, 102, 107, 110, 112, 116, 163, 245, 259, 264, 291, 294 Trier, Stadt 28, 55–78, 131, 162, 245, 261, 263–278, 280f., 284, 286, 288, 290, 292–294, 323 Troisdorf 128 Uerdingen 32, 51 Ungarn 131 Utrecht, Bistum 67 Valenciennes 134 Vechta 135 Velbert 39f., 42, 48–51, 53 Venedig 209, 303 Venlo 224 Verdun, Bistum 264f., 275 Verviers 135
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Viersen 37 Villers-en-Brabant 127 Visé 135 Vossnack 45 Vreden 135 Wachtendonk 162 Waldbröl 39 Waldeck, Grafschaft 188 Waldfeucht 229 Walsum 176 Warendorf 135 Waulsort 125 Waver 135 Welfische Lande 12 Werden 32, 70, 73, 181, 322 Werl 291 Wermelskirchen 35 Wesel 129, 145, 157f., 166f., 172f., 178, 184f., 248, 306 Westfalen 12, 16, 29, 90, 131, 133, 135, 137f., 148, 150f., 169, 245, 312 Westfalen, Herzogtum 96, 98 Wetterauer Grafschaften 158f., 168 Wickrath, Herrschaft 162, 248 Wien 255, 274, 286 Wipperfürth 141f., 311 Wittenberg 17f., 74f., 248, 274 Wittgenstein, Grafschaft 162 Worms 28, 83, 85f., 88f., 94, 97, 112, 193, 195, 207 Wülfrath 36, 49 Württemberg, Herzogtum 18, 304, 306 Würzburg 76, 201, 252 Xanten, Archidiakonat 36, 45 Xanten, Stadt 44 Zons 136, 140–142, 311 Zülpich, Dekanat 45 Zülpich, Stadt 136 Zwillbrock 136
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren Prof. Dr. Stefan EHRENPREIS, Historisches Seminar der Ludwig-Maximilians-Universität München, Geschichte der Frühen Neuzeit Dr. Andreas FREITÄGER, Universitätsarchiv Köln Prof. Dr. Manfred GROTEN, Institut für Geschichtswissenschaft der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Abt. für Rheinische Landesgeschichte Prof. Dr. Karl HÄRTER, Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte, Frankfurt am Main Isabel KANE M.A., Institut für Geschichtswissenschaft der Rheinischen FriedrichWilhelms-Universität Bonn, Abt. für Rheinische Landesgeschichte Dr. Johannes KISTENICH, Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Technisches Zentrum, Münster Prof. Dr. Birgit E. KLEIN, Hochschule für jüdische Studien, Heidelberg Prof. Dr. Gerhard MENK, Hessisches Staatsarchiv Marburg Dr. Andreas RUTZ, Institut für Geschichtswissenschaft der Rheinischen FriedrichWilhelms-Universität Bonn, Abt. für Rheinische Landesgeschichte Prof. Dr. Wolfgang SCHMID, Fachbereich III – Geschichtliche Landeskunde, Universität Trier Prof. Dr. Wolfgang SCHMITZ, Universitäts- und Stadtbibliothek Köln Volker SCHNEIDER, Institut für Geschichtswissenschaft der Rheinischen FriedrichWilhelms-Universität Bonn, Abt. für Rheinische Landesgeschichte Dr. Kurt WESOLY, Bonn