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German Pages 650 [651] Year 2010
Jahrbuch für Recht und Ethik Annual Review of Law and Ethics Band 18 (2010) Herausgegeben von B. Sharon Byrd Joachim Hruschka Jan C. Joerden
Duncker & Humblot · Berlin
Jahrbuch für Recht und Ethik Annual Review of Law and Ethics Band 18
Jahrbuch für Recht und Ethik Annual Review of Law and Ethics Herausgegeben von B. S h a r o n B y r d · J o a c h i m H r u s c h k a · J a n C. J o e r d e n
Band 18
Duncker & Humblot · Berlin
Jahrbuch für Recht und Ethik Annual Review of Law and Ethics Band 18 (2010) Themenschwerpunkt:
Wirtschaftsethik Business Ethics Herausgegeben von B. Sharon Byrd Joachim Hruschka Jan C. Joerden
Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Empfohlene Abkürzung: JRE Recommended Abbreviation: JRE Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten # 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0944-4610 ISBN 978-3-428-13455-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Die in den Jahren 2008 / 09 zum Ausbruch gekommene globale Finanz- und Wirtschaftskrise gab den Anlass, den Schwerpunkt des vorliegenden Bandes der Wirtschaftsethik zu widmen. Die Herausgeber freuen sich, dass sich eine Reihe namhafter Autoren bereitgefunden hat, ihre Sicht auf die Aufgaben der Wirtschaftsethik im Allgemeinen darzustellen und zu versuchen, wirtschaftsethische Antworten auf die Finanz- und Wirtschaftskrise der letzten Jahre zu geben. Außerdem werden in diesem Band weitere spezielle Problemstellungen der Wirtschaftsethik behandelt. Es schließen sich Abhandlungen und ein Diskussionsforum zu anderen Bereichen des Themenfeldes Recht und Ethik an. Für ihre Mitwirkung bei der Herstellung der Druckvorlagen ist den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Lehrstuhls für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) Susen Pönitzsch, Carola Uhlig, Johannes Bochmann und Jonathan Lang zu danken. Carola Uhlig danken wir zudem für die Erstellung der Register. Last, but not least gebührt Lars Hartmann (Berlin) Dank für die umsichtige Betreuung der Drucklegung im Verlag Duncker & Humblot. Hingewiesen sei schließlich auf die Internet-Seiten des Jahrbuchs für Recht und Ethik: http: //www.uni-erlangen.de/JRE Dort sind auch weitere Informationen, insbesondere die englische und deutsche Zusammenfassung der Artikel und Bestellinformationen, zum Jahrbuch erhältlich. Die Herausgeber
Preface The outbreak of the global financial and economic crisis in the years 2008 / 09 gave reason for focusing on the topic of business ethics in the present volume. The editors appreciate the fact that a number of significant authors were willing to contribute their view on the tasks of business ethics in general, and also take an attempt at responding to the past years’ financial and economic crisis from a business ethical point of view. Additionally, this volume deals with further specific problems of business ethics. Finally, essays and a discussion forum on other topics from the field of law and ethics are included. Our gratitude goes to Susen Pönitzsch, Carola Uhlig, Johannes Bochmann and Jonathan Lang, members of the Chair for Criminal Law and Legal Philosophy at the European University Viadrina Frankfurt (Oder) for their support in preparing the manuscripts for publication. We also appreciate Carola Uhlig’s contribution in preparing the indices. Last, but not least, we would like to thank Lars Hartmann at Duncker & Humblot (Berlin) for his comprehensive assistance in printing the volume. We would also like to draw the readers’ attention to our website: http: //www.uni-erlangen.de/JRE where they will find further information on the Annual Review of Law and Ethics, including English and German summaries of the articles it contains and purchasing procedures. The Editors
Inhaltsverzeichnis – Table of Contents I. Wirtschaftsethik – eine Bestandsaufnahme / Business Ethics – A Survey Michael S. Aßländer: Corporate Social Responsibility zwischen Philosophie und Praxis
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Daniel Dietzfelbinger: Der Beitrag der Wirtschaftsstilforschung zu einer evangelischen Wirtschaftsethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Stefan Heuser: „Unser tägliches Brot“. . . und was man noch zum Leben braucht. Ethische Aufgaben der Ökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Bettina Hollstein: Glück und Gemeinsinn – zwei ordnungspolitische Leitbegriffe in wirtschaftsethischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Matthias Karmasin / Michael Litschka: Unternehmensethik zwischen Ordnungspolitik und Selbstregulierung. Zum Stand der Debatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Christoph Lütge: Mechanismen der Wirtschaftsethik – Zwischen Verrechtlichung und freiwilliger Akzeptanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Elke Mack: Leistungsfähigkeit und Grenzen der ökonomischen Moral. Erweiterung durch eine kontraktualistische Institutionen- und Rechtsethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Wolfgang Nethöfel: Regulierung als sozial- und wirtschaftsethisches Bewährungsfeld . . 119 Birger P. Priddat: Wirtschaftsethik – Synopsis und kritischer Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Manfred Spieker: Markt und Staat als Bedingungen der Civitas Humana. Gemeinsamkeiten zwischen der Christlichen Soziallehre und Wilhelm Röpke (1899 – 1966) . . . . . 167 II. Wirtschaftsethik und Finanzkrise / Business Ethics and the Financial Crisis Hans Lenk / Matthias Maring: Finanzkrise – Wirtschaftskrise – die Möglichkeiten wirtschaftsethischer Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Ingo Pies / Peter Sass: Verdienen Manager, was sie verdienen? Eine wirtschaftsethische Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Ewald Stübinger: Wirtschaftsethik vor neuen Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Joachim Wiemeyer: Die Finanzkrise aus wirtschaftsethischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269
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Inhaltsverzeichnis – Table of Contents III. Spezielle Fragen der Wirtschaftsethik / Specific Issues in Business Ethics
Alexander Brink / Justin Sauter: Ethik im Legal Service Sektor. Über Vertrauen, Versprechen und Verträge – Schlüsselfaktoren einer erfolgreichen Mandatsbeziehung . . . 297 Nikolaus Knoepffler / Reyk Albrecht: Führungsverantwortung – zur Sinnhaftigkeit einer Personenfolgeneinschätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 Michèle Morner: Funktionsbedingungen für Regeln und Diskurs zur Beeinflussung von moralischem Handeln: Implikationen organisatorischer Steuerung für Unternehmensund Wirtschaftsethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 Christian Neuhäuser / Marc C. Hübscher: Unternehmen, ihre (ethische) Governance und Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 Günther Ortmann: Die wahren Verantwortlichen. Organisationen als zurechnungsfähige Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 Heinrich Scholler: Verwaltung und Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 Michael Schramm: Differenziertes Anreizmanagement. Behavioral Law und Wirtschaftsethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 Albrecht Söllner: Verantwortliches Management und die Principles of Responsible Management Education (PRME) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 Horst Steinmann: Corporate Ethics and Business Practice. Reflections on the PUMA Case . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 IV. Abhandlungen / Articles Gary Chartier: Pirate Constitutions and Workplace Democracy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 Sigrid Graumann: Wohltätigkeit oder Menschenrechte? Eine menschenrechtssoziologische und -philosophische Reflexion der neuen UN-Behindertenrechtskonvention . . 469 Hans-Ulrich Hoche / Michael Knoop: Logical Relations Between Kant’s Categorical Imperative and the Two Golden Rules . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 Michael Knoop: Eine Anmerkung zur logischen Struktur von „Goldene-Regel“-Argumenten im Sinne Hares . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519 Heather M. Roff: Kantian Provisional Duties . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533 Ulli F. H. Rühl: Der intelligible Besitz – und nicht Eigentum – als rechtsmetaphysischer Fundamentalbegriff in Kants ,Privatrecht‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 563
Inhaltsverzeichnis – Table of Contents
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V. Diskussionsforum / Discussion Forum Shreya Atrey: Making the ‘Smartness’ Brand Accessible: Fortifying the Merit Quotient in Indian Higher Education System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583 Krzysztof Mularski: Zur Verwendbarkeit der Modallogik im Bürgerlichen Recht – Überlegungen am Beispiel der Auslegung von § 118 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 599 Rezension / Review Vasileios Syros, Die Rezeption der aristotelischen politischen Philosophie bei Marsilius von Padua. Eine Untersuchung zur ersten Diktion des „Defensor pacis“ (Alexander Aichele) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 615 Autoren- und Herausgeberverzeichnis / Index of Contributors and Editors . . . . . . . . . 619 Personenverzeichnis / Index of Names . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 623 Sachverzeichnis / Index of Subjects . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 629 Hinweise für Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 635 Information for Authors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 637
I. Wirtschaftsethik – eine Bestandsaufnahme / Business Ethics – A Survey
Corporate Social Responsibility zwischen Philosophie und Praxis Michael S. Aßländer I. Einleitung In der derzeitigen Diskussion um eine Corporate Social Responsibility (CSR) hat es den Anschein, als ob der philosophische Diskurs den aktuellen Entwicklungen in Sachen Wirtschaftsethik wieder einmal hinterherhinke. Während in den Elfenbeintürmen der philosophischen Fakultäten noch über die Bedeutung und den Geltungsbereich von Verantwortung im Allgemeinen und einer unternehmerischen Verantwortung im Besonderen nachgedacht wird, hat sich innerhalb der selbstredend englischsprachigen Unternehmenspraxis längst die Vorstellung etabliert, dass Unternehmen im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit auch eine „Corporate Social Responsibility“ zukäme. Dies, so die gängige Lesart, sei nicht nur für die Gesellschaft als Ganzes von Nutzen, sondern biete zudem den Unternehmen einen Vorteil, da sich der „Business Case for CSR“ auch finanziell rechne. Durch ökologisch nachhaltige Wirtschaftsweise und ihr soziales Engagement seien Unternehmen in der Lage, zusätzliche Kosteneinsparungspotenziale, beispielsweise durch Einsparungen in ihrem Energieverbrauch, zu nutzen, sich im „War of Talents“ am Markt um fähige Nachwuchskräfte zu behaupten und sich gegenüber ihren Konsumenten und Klienten zusätzliches Reputationskapital zu erarbeiten, was sich letztlich in einem höheren Maß an Kundentreue niederschlage.1 Als ebenso ausgemacht scheint zu gelten, dass die freiwillige Übernahme sozialer Verantwortung dazu beitrage, vor unliebsamen Verbraucherprotesten, etwa hinsichtlich des eigenen Umweltverhaltens oder der sozialen Zustände bei den jeweiligen Zulieferbetrieben, zu schützen und darüber hinaus geeignet sei, gesetzlichen Reglementierungen in sensiblen Feldern, wie etwa dem Patentrecht, vorzubeugen und so dem Schutz des „freien Unternehmertums“ insgesamt zu Gute käme.2 Zudem – wie könnte es auch anders sein – erwiesen sich natürlich erneut die deutschsprachigen Wissenschaftler als die Schlusslichter innerhalb der internationalen Debatte. Während die Fragen der Corporate Social Responsibility beispiels1 Vgl. Michael S. Aßländer / Konstanze Senge, Einleitung: Zur Bedeutung einer Corporate Social Responsibility für den Einzelhandel, in: dies. (Hrsg.), Corporate Social Responsibility im Einzelhandel, Marburg: Metropolis, 2009, S. 8. 2 Vgl. ebd., S. 9.
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weise im US-amerikanischen Sprachraum bereits seit Mitte der 1950er Jahre intensiv debattiert würden,3 erwachse das deutsche Interesse an dieser Diskussion bestenfalls aus dem Zwang, international nicht den Anschluss zu verlieren und wenigstens ex post die aktuellen Entwicklungen der unternehmerischen Praxis auch wissenschaftlich zu kommentieren. Weder bilde CSR einen ausgewiesenen Forschungsbereich der deutschsprachigen Wirtschaftswissenschaften, wie dies vergleichsweise in den amerikanischen Wissenschaften der Fall sei,4 noch spiele CSR oder etwas allgemeiner „Business Ethics“ innerhalb der deutschsprachigen wirtschaftswissenschaftlichen Ausbildung überhaupt eine Rolle.5 So weit verbreitet diese Sichtweise der deutschen Debatte um eine unternehmerische Verantwortung auch sein mag, als so falsch erweist sie sich bei einer näheren Analyse. Zunächst gilt es dabei festzuhalten, dass es nicht die generellen Berührungsängste fachfremder Philosophen mit dem Thema unternehmerische Verantwortung oder umgekehrt die prinzipielle Scheu der Wirtschaftswissenschaftler vor der kritischen Prinzipienreflexion des eigenen Faches war, die die Zurückhaltung zum Thema CSR bestimmte.6 – Die wissenschaftliche Tradition, den Blick über den eigenen Tellerrand hinaus zu scheuen, dürfte sich in Deutschland keiner größeren oder geringeren Beleibtheit erfreuen als in anderen Ländern auch. – Vielmehr scheint es das spezifisch deutsche Verständnis einer unternehmerischen Mitverantwortung zu sein, wie es insbesondere durch das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft geprägt wurde, das das Thema CSR in seiner angloamerikanischen Diktion lange Zeit für die deutsche Diskussion als ungeeignet erscheinen ließ. Angesichts 3 Als Startpunkt dieser Diskussion gilt allgemein Howard R. Bowens Buch, Social Responsibilities of the Businessman, New York: Harper & Bros, 1953. Zur Geschichte der amerikanischen „CSR-Bewegung“ siehe auch Archie B. Carroll, A History of Corporate Social Responsibility – Concepts and Practices, in: Andrew Crane, et al. (Hrsg.), The Oxford Handbook of Corporate Social Responsibility. Oxford: Oxford University Press, 2008, S. 19 – 46. 4 Vertreten wird dieses Themenfeld beispielsweise durch die Division „Social Issues in Management“ in der Academy of Management. Eine vergleichbare Gruppierung im Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaftslehre befindet sich gerade im Aufbau. 5 Zum Stand der Wirtschaftsethikausbildung in Deutschland vgl. Michael S. Aßländer, Die Wirtschafts- und Unternehmensethikausbildung in Deutschland – Versuch einer Standortbestimmung, in: Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik, Jg. 10, Heft 2 / 2009, S. 203 – 217, sowie Forum Wirtschaftsethik Jg. 16, Heft 1 / 2008 und Heft 2 / 2008. 6 Zur Beschäftigung der deutschen Philosophen und Wirtschaftswissenschaftler mit dem Thema „unternehmerische Verantwortung“ vgl. u. a. Otfried Höffe, Moral als Preis der Moderne, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1993; Otfried Höffe, Soziale Verantwortung von Unternehmen – Rechtsphilosophische Überlegungen, in: Michael S. Aßländer / Albert Löhr (Hrsg.), Corporate Social Responsibility in der Wirtschaftskrise – Reichweiten der Verantwortung, München / Mering: Rainer Hampp Verlag, 2010, S. 35 – 48; Hans Lenk / Matthias Maring (Hrsg.), Wirtschaft und Ethik, Stuttgart: Philipp Reclam jun., 1992; Horst Steinmann / Albert Löhr (Hrsg.), Unternehmensethik, Stuttgart: Schäffer-Poeschel Verlag, 1989; dies., Grundlagen der Unternehmensethik, Stuttgart: Schäffer-Poeschel Verlag, 1991; Peter Ulrich, Transformation der ökonomischen Vernunft, Bern: Haupt-Verlag, 1986; Karl Homann / Franz Blome-Drees, Wirtschafts- und Unternehmensethik, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1992.
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klarer gesetzlicher Regelungen zum Thema Mitbestimmung, kodifizierter Umweltrichtlinien, eines etablierten Sozialstaates, dessen Aufgabe es ist, für einen sozialen Ausgleich zu sorgen, eines über ein staatliches Versicherungswesen geregelten Rentensystems etc. blieb das Thema einer „zusätzlichen“ und über die im Rahmen der Sozialen Marktwirtschaft vorgesehenen Mitwirkungspflichten hinausgehenden Unternehmensverantwortung zumeist außerhalb des Blickfeldes der deutschen Diskussion. Bezeichnend ist daher auch, dass die deutsche Diskussion um die Verantwortung von Unternehmen über lange Jahre hinweg als sozialpolitische Diskussion verstanden wurde und in den politischen Arenen, und dort vor allem seitens der zahlreichen etablierten Parteien, Verbände und Gewerkschaften und nicht von Seiten der Unternehmen oder von den akademischen Vertretern der Wirtschaftswissenschaften geführt wurde. Entsprechend der strukturellen Vorgaben des Wirtschaftssystems der Sozialen Marktwirtschaft bezog sich die Diskussion vor allem auf die ,sozial gerechte‘ Ausgestaltung der bundesdeutschen Wirtschaftsordnung und umfasste Fragen, wie Lohngerechtigkeit, Mitbestimmung, Altersvorsorge oder Sozialverpflichtung des Eigentums.7 Entsprechend lässt sich von einer gewissen Pfadabhängigkeit der Deutschen Diskussion sprechen und es stellt sich – mindestens aus deutscher Sicht – die Frage, ob es möglich und hilfreich ist, den angloamerikanischen Diskurs ohne Kenntnis dieser Entwicklungslinien auf das deutsche Konzept unternehmerischer Mitverantwortung zu übertragen. Um dieser Frage nachzugehen, sollen im Folgenden zunächst die wichtigsten Entwicklungslinien der europäischen CSR-Diskussion nachgezeichnet werden. Sodann gilt es, nach den Möglichkeiten und Grenzen bei der Ausgestaltung von CSR zu fragen. Schließlich soll in einem Ausblick auf die ISO 26000 als möglicher künftiger Entwicklungslinie einer Corporate Social Responsibility eingegangen werden.
II. Die europäische Debatte um eine Corporate Social Responsibility Innerhalb der kontinentaleuropäischen Debatte um eine gesellschaftliche Mitverantwortung von Unternehmen spielt das Konzept einer „Corporate Social Responsibility“ lange Zeit keine Rolle. Erst Ende der 1990er Jahre taucht die Vokabel „CSR“ in der bis dahin unter dem Oberbegriff „Business Ethics“ respektive „Wirtschafts- und Unternehmensethik“ geführten Diskussion auf. Interessant scheint es dabei zu vermerken, dass trotz der vermeintlich längeren Begriffsgeschichte auch in der US-amerikanischen Diskussion der Begriff „CSR“ als Etikett unternehmerischer Verantwortung zu diesem Zeitpunkt noch nicht endgültig etabliert scheint. So ist beispielsweise in dem 1998 erschienenen „Encyclopedic Dictionary of Busi7 Vgl. Michael S. Aßländer (Fn. 5), S. 205 – 208 und Michael S. Aßländer / Albert Löhr, Zum Klärungsbedarf der Modevokabel „Corporate Social Responsibility“, in: dies. (Hrsg.), Corporate Social Responsibility in der Wirtschaftskrise – Reichweiten der Verantwortung, München / Mering: Rainer Hampp Verlag, 2010, S. 12 f.
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ness Ethics“ CSR als eigenständiger Begriff nicht aufgeführt; „CSR“ wird hier noch unter dem Thema „Social Responsibility“ mit abgehandelt.8 Den wohl wichtigsten Schritt bei der Etablierung des CSR-Konzeptes innerhalb Europas bildet die Initiierung des „European Business Network for Social Cohesion“ im Jahre 1996 durch die Europäische Kommission, das im Jahr 2000 werbewirksam in „CSR Europe“ umfirmierte. Auf Grundlage der Arbeit von CSR-Europe legte die Europäische Kommission 2001 ein so genanntes Grünbuch mit dem Titel „Europäische Rahmenbedingungen für die Soziale Verantwortung der Unternehmen“ vor. Die freiwillige Übernahme sozialer Verantwortung wird dabei als Beitrag der Unternehmen verstanden, das auf dem Lissabonner Gipfel verabschiedete strategische Ziel der Europäischen Union zu erreichen, diese auf Basis nachhaltigen Wirtschaftswachstums und sozialen Zusammenhalts bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen.9 Dabei definiert die Kommission CSR als „ . . . ein Konzept, das den Unternehmen als Grundlage dient, auf freiwilliger Basis soziale Belange und Umweltbelange in ihre Unternehmenstätigkeit und in die Wechselbeziehungen mit den Stakeholdern zu integrieren.“10 Wesentliche Kennzeichen dieser europäischen CSR-Definition sind somit: (a) Freiwilligkeit, (b) soziale und (c) ökologische Verantwortung, sowie der (d) Austausch mit den unternehmensrelevanten Stakeholdern. Explizit bezieht sich die Kommission dabei auf die Vorstellung einer nachhaltigen Entwicklung,11 wie sie im so genannten „Brundtland-Bericht“ zum Ausdruck kommt. So dürfe die Bedürfnisbefriedigung der jetzt lebenden Generationen nicht zu Lasten der Bedürfnisbefriedigung zukünftiger Generationen gehen.12 Damit orientiert sich die europäische CSR-Definition ausdrücklich an der so genannten „triple-bottom-line“ 13 und fordert Unternehmen dazu auf, sich in ihrem Handeln an 8 Vgl. Archie B. Carroll, Social Responsibility, in: Patricia H. Werhane / Edward R. Freeman (Hrsg.), Encyclopedic Dictionary of Business Ethics, Malden: Blackwell Publishing, S. 593 – 595. 9 Vgl. Europäische Kommission, Grünbuch: Europäische Rahmenbedingungen für die Soziale Verantwortung der Unternehmen, Luxemburg: Amt für amtliche Veröffentlichungen, 2001, S. 4; Europäische Kommission, Miteilungen der Kommission betreffend die soziale Verantwortung der Unternehmen: ein Unternehmensbeitrag zur nachhaltigen Entwicklung, Brüssel: Europäische Kommission, 2002, S. 3; Europäische Kommission, Mitteilungen der Kommission betreffend die Umsetzung der Partnerschaft für Wachstum und Beschäftigung: Europa soll auf dem Gebiet der sozialen Verantwortung der Unternehmen führend werden, Brüssel: Europäische Kommission, 2006. 10 Europäische Kommission (2001, Fn. 9), S. 8. 11 Vgl. ebd., S. 6. 12 Vgl. Volker Hauff, Unsere gemeinsame Zukunft. Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, Greven: Eggenkamp, 1987, S. 46. 13 Vgl. John Elkington, Cannibals with Forks – The Triple Bottom Line of 21st Century Business. Oxford: Capstone Publishing, 1999, S. 69 – 94; John Elkington, Enter the Triple Bottom Line, in: Adrian Henriques / Julie Richardson (Hrsg.): The Triple Bottom Line, Does it all Add up? London: Earthscan, 2004, S. 1 – 16.
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den drei CSR-Dimensionen: nachhaltige wirtschaftliche Prosperität, ökologische Qualität und soziale Gerechtigkeit zu orientieren. CSR wird dabei als eine Art regulative Idee verstanden, die die Beachtung und die freiwillige Umsetzung ökologischer und gesellschaftlicher Belange innerhalb der Unternehmenspolitik fördern soll. Dabei will die Kommission zum einen den aktiven Dialog um CSR in Europa befördern und zum anderen durch die Entwicklung neuer Partnerschaftskonzepte zwischen Politik und Wirtschaft die Übernahme freiwilliger Verantwortung durch die Wirtschaft unterstützen.14 Jedoch sieht die Europäische Kommission durchaus auch die möglichen Grenzen unternehmerischer Verantwortungsübernahme in den Bereichen Soziales und Umwelt: „CSR-Praktiken sind kein Allheilmittel, und es darf nicht erwartet werden, dass die Übernahme sozialer Verantwortung allein zu den gewünschten Ergebnissen führt. Sie sind kein Ersatz für politische Maßnahmen, können jedoch zu einer Reihe politischer Zielsetzungen beitragen.“15 Dennoch hält die Kommission an ihrer CSR-Definition fest. Ihren Mitgliedsländern empfiehlt sie, das Wissen um CSR zu vertiefen, den Erfahrungsaustausch im Sinne einer Best Practice zu unterstützen, die Entwicklung entsprechender Managementkompetenzen zu fördern, die Transparenz von CSR-Maßnahmen zu erhöhen, entsprechende Stakeholder Foren zu implementieren und CSR stärker innerhalb der Politik zu integrieren.16 In der Bundesrepublik Deutschland hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die „Federführung“ bei der Gestaltung einer nationalen CSR-Strategie übernommen. In einer Studie im Auftrag des Bundesministeriums empfehlen die Beratungsagenturen Pleon GmbH und IFOK GmbH das „CSR-Verständnis“ in Deutschland insbesondere durch die Konzentration auf folgende Themenfelder zu stärken:17 (1) „Vorbildfunktion der Unternehmen der öffentlichen Hand“, in diesem Sinne sollen die Beschaffungsstrukturen und die Personalpolitik öffentlicher Unternehmen an den Kriterien sozialverantwortlicher und ökologisch nachhaltiger Unternehmenspolitik ausgerichtet werden.18 (2) „Förderung internationaler CSRStandards“, insbesondere gilt es in diesem Zusammenhang, die von deutschen Unternehmen aufgrund rechtlicher Vorgaben erbrachten CSR-Leistungen im interVgl. Europäische Kommission (2001, Fn. 9), S. 4. Europäische Kommission (2006, Fn. 9), S. 4. 16 Vgl. Europäische Kommission (2002, Fn. 9), S. 9 f. 17 Vgl. Pleon / IFOK, Die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen (CSR) zwischen Markt und Politik, Berlin: IFOK GmbH / Pleon GmbH, 2008, S. 11 – 16. 18 Einen ersten Schritt in diese Richtung dürfte die Novellierung des Vergaberechts darstellen, die mit dem „Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts“ vom 20. 4. 2009 in Kraft trat. Zur Kritik, insbesondere aus Sicht kleiner und mittelständischer Unternehmen, vgl. Jan Dannenbring, Gesellschaftliches Engagement im Handwerk im Spannungsfeld zwischen Förderung und Regulierung, in: Michael S. Aßländer / Albert Löhr, Corporate Social Responsibility in der Wirtschaftskrise – Reichweiten der Verantwortung, München / Mering: Rainer Hampp Verlag, 2010, S. 260 f. 14 15
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nationalen Wettbewerb stärker herauszustellen. (3) „Förderung von CSR in Wissenschaft und Ausbildung“, Ziel müsse es sein, Fragen der sozialen Verantwortung von Unternehmen bereits in die Ausbildung an den Hochschulen, aber auch innerhalb des dualen Ausbildungssystems zu integrieren. (4) „Stärkere Öffentlichkeit von CSR“, so müsse durch Dialogkampagnen mit den Medien eine bereiter Öffentlichkeit für das Thema hergestellt werden, um so auch die Aufmerksamkeit kleiner und mittlerer Unternehmen zu gewinnen. Mit Beginn des Jahres 2009 wurde seitens des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) ein eigenes CSR-Forum der Bundesregierung etabliert, dem neben Mitarbeitern verschiedener Ministerien auch Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen, der Wissenschaft und der Wirtschaft angehören. Generell hält dabei auch die Bundesregierung an der EU-Definition von CSR fest und betont ausdrücklich die Freiwilligkeit des gesellschaftlichen Engagements von Unternehmen: „Bei Corporate Social Responsibility (CSR) geht es um Unternehmen sowie andere Organisationen und Institutionen, die freiwillig gesellschaftliche Verantwortung übernehmen – und zwar über ihre rechtlichen Pflichten hinaus.“19 Damit unterscheidet sich die europäische CSR-Diskussion mindestens in zweierlei Hinsicht von der US-amerikanischen Debatte. So sind es zum einen vor allem politische Gremien, etwa der Europäischen Union oder der einzelnen Bundesministerien, und nicht die Vertreter der wissenschaftlichen Forschung oder der wirtschaftlichen Praxis, die die Debatte um eine Corporate Social Responsibility in Europa und Deutschland initiiert haben. Zwar scheint sich der Begriff zwischenzeitlich insbesondere bei den multinational agierenden Unternehmen als Sammelbegriff für verschiedenste Aktivitäten durchgesetzt zu haben, und auch in den Wissenschaften lässt sich bezüglich der Beschäftigung mit dem Begriff CSR eine gewisse nachholende Entwicklung konstatieren. Dennoch ist CSR in Europa vor allem ein von der Politik besetztes Thema. Zum zweiten liegt dem europäischen CSR-Verständnis eine klare Ausrichtung am Konzept der Nachhaltigkeit zugrunde. Während die US-amerikanische CSR-Debatte vor allem von Fragen der Unternehmenssteuerung (Governance) und das philanthropischen Engagements der Unternehmen bestimmt wird, sind es in Europa vor allem die Themen einer ökonomischen, ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit und die Verständigung mit den jeweiligen Stakeholdern der Unternehmen, die den CSR-Diskurs beherrschen. Diese unterschiedliche Auslegung einer korporativen Verantwortung diesseits und jenseits des Atlantiks wird durchaus auch in der US-amerikanischen CSRDebatte wahrgenommen, wobei die europäische Orientierung am Konzept der Nachhaltigkeit mitunter durchaus als fortschrittlich anerkannt wird. So bemerken Norman Bowie und Patricia Werhane anerkennend: „Through the use of triple bottom-line accounting they have tried to measure firm’s progress in being socially responsible or – as they would say – in running a sustainable business. We urge 19 BMAS, Unternehmenswerte: Corporate Social Responsibility in Deutschland. http: // www.csr-in-deutschland.de/portal/generator/1836/startseite.html (31. 12. 2009).
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American business firms to move to the next level – to move from corporate philanthropy to corporate social responsibility through the running of a sustainable business. Only than will a manager’s obligations to the community be fully met.“20
III. Möglichkeiten und Grenzen bei der Ausgestaltung korporativer Verantwortung Obwohl es angesichts dieser politischen Rahmenvorgaben schwer sein dürfte, sich der aktuellen CSR-Debatte zu entziehen, scheint gleichwohl eine vorsichtige und differenziertere Betrachtungsweise angezeigt. Trotz der scheinbar zunehmenden Akzeptanz dieses neuen Themas in Wissenschaft und Praxis lassen sich zahlreiche Schwachstellen anführen, die nicht nur die theoretische Konzeption des europäischen CSR-Verständnisses in Frage stellen, sondern auch mögliche Probleme bei der Umsetzung eines derartigen Konzepts unternehmerischer Verantwortung adressieren. Zu den wesentlichen Kritikpunkten zählen dabei vor allem (1) die mangelnde begriffliche Klarheit in der Verwendung des CSR-Begriffes, (2) die schwache theoretische Grundlage, (3) der Fokus auf die Freiwilligkeit der Verantwortungsübernahme, (4) die Begrenzung der Themenfelder und (5) die mangelnde konzeptionelle Einbindung des Konzepts in die bereits existierenden wirtschaftsund sozialpolitischen Vorgaben.
1. Una veritas in variis signis resplendet . . . Einer der wohl gewichtigsten Kritikpunkte, nicht nur bezogen auf das spezifisch europäische CSR Verständnis, ist die mangelnde inhaltliche Präzision des CSR-Begriffs selbst. So werden Begriffe wie Corporate Social Responsibility, Corporate Citizenship oder nachhaltige Entwicklung vielfach synonym verwendet, ein Problem, das auch der US-amerikanischen Diskussion nicht fremd ist.21 Zudem halten 20 Norman E. Bowie / Patricia H. Werhane, Management Ethics. Malden: Blackwell Publishers, 2005, S. 114. 21 So etwas verwendet Archie Carroll, einer der großen Vertreter der US-amerikanischen CSR-Debatte, in seinen jüngsten Veröffentlichungen die Begriffe Corporate Social Responsibility und Corporate Citizenship als ineinander greifende Konzepte, wobei Corporate Citizenship als Oberbegriff fungiert, vgl. Ann K. Buchholtz / Archie B. Carroll, Business and Society, Mason: South-Western Publishing, 2009, S. 33 – 79. Demgegenüber wird in der deutschen Debatte CSR vielfach dem Kerngeschäft des Unternehmens zugeordnet, während Corporate Citizenship ein darüber hinausgehendes philanthropisches Engagement beschreiben soll, vgl. u. a. Michael Arretz, Pioniere und Phasenmodelle – Wege zum erfolgreichen Management von CSR, in: Michael S. Aßländer / Konstanze Senge (Hrsg.), Corporate Social Responsibility im Einzelhandel, Marburg: Metropolis, 2009, S. 283 – 286 und Torben Kehne, Lässt sich Verantwortung normen? – Überlegungen zu Rolle und Funktion von Standards im Themenfeld Corporate Social Responsibility, ebd., 211 – 214. Bei anderen Autoren wird hingegen auf eine Unterscheidung der beiden Begriffe verzichtet, vgl. hierzu z. B. André Habisch et al. (Hrsg.),
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stetig neue Begriffe, wie etwa die vom gleichnamigen Netzwerk „CorA“ erhobene Forderung nach „Corporate Accountability“, Einzug in die ohnehin schon unübersichtliche Begriffslandschaft.22 Um diese Babylonische Sprachverwirrung zu komplettieren, finden sich zudem in der aktuellen Debatte auch Überlegungen, „CSR“ durch „SR“ oder „CR“ zu ersetzen, um so entweder anzudeuten, dass sich soziale Verantwortung nicht alleine auf Unternehmen beschränke, sondern alle Organisationen beträfe, oder sich von dem weitgehend unbestimmten Begriff einer „sozialen“ respektive „gesellschaftlichen“ Verantwortung zu trennen und den Fokus erneut auf die unternehmerische Verantwortung im ursprünglichen Wortsinne zu legen.23 Auch die insbesondere im europäischen Kontext gebräuchliche Definition der Nachhaltigkeit als Orientierungspunkt für CSR erweist sich als problematisch. Angesichts der europäischen CSR-Definition kommt Subhabrata Bobby Banerjee, einer der schärfsten Kritiker des CSR-Konzepts, zu dem Schluss: „The Brundtland definition is really not a definition; it is a slogan, and slogans, however pretty, do not make for good theory.“24 Insgesamt, so sein Vorwurf, bleibe in diesem Kontext völlig unklar, worin im Einzelfall der Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung bestehe und wie sich die hierunter gefassten, spezifischen Aktivitäten miteinander vergleichen lassen.25 Dies betrifft sowohl die Frage nach der Vergleichbarkeit innerhalb der jeweiligen Verantwortungsdimension wie auch die Frage nach der Vergleichbarkeit zwischen den einzelnen Verantwortungsdimensionen. So ergibt sich beispielsweise in der Praxis das Problem, wie sich etwa das soziale Engagement für Aids-Waisen in Afrika mit der Kürzung betrieblicher Sozialleistungen in Deutschland „verrechnen“ lässt. Darüber hinaus stellt sich aus philosophischer Sicht die wesentlich bedeutsamere Frage, ob unterschiedliche Pflichten des Unternehmens überhaupt gegeneinander aufgewogen werden können und sollen. Auch basiere das europäische CSR-Konzept auf der Annahme, dass es mittels des Marktmechanismus möglich sei, soziale und gesellschaftliche Anliegen innerhalb der Unternehmenspolitik dadurch zur Geltung zu bringen, dass sie sich für Unternehmen in „soziales“ und „ökologisches Kapital“ transformieren ließen und sich damit für die Unternehmen „rechneten“; 26 dies verkenne den politischen Anspruch der ursprünglichen CSR-Debatte, der darauf abzielte, die Rolle der Unternehmen innerhalb der Gesellschaft kritisch zu überdenken.27 Handbuch Corporate Citizenship – Corporate Social Responsibility für Manager, Berlin: Springer Verlag, 2008. 22 Vgl. Janina Curbach, Gut ist nicht gut genug! Zur gesellschaftliche (Un)Produktivität von kritischen NGOs und CSR-Verweigerern, in: Michael S. Aßländer / Albert Löhr (Hrsg.): Corporate Social Responsibility in der Wirtschaftskrise – Reichweiten der Verantwortung, München / Mering: Rainer Hampp Verlag, 2010, S. 163 f. 23 Vgl. Michael S. Aßländer / Albert Löhr (Fn. 7), S. 23. 24 Subhabrata Bobby Banerjee, Corporate Social Responsibility – The Good, the Bad and the Ugly, Cheltenham: Edward Elgar, 2007, S. 67. 25 Vgl. ebd., S. 85 f. 26 Vgl. ebd., S. 72.
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Damit erweist es sich in der aktuellen CSR-Diskussion als ausgesprochen schwierig, den Begriff CSR und das damit verbundene Verständnis unternehmerischer Verantwortung inhaltlich exakt zu fassen. Letztlich spiegeln die einzelnen Sichtweisen von CSR zwar jeweils unterschiedliche Aspekte unternehmerischer Verantwortung wider, sind aber kaum in der Lage, den Begriff korporativer Verantwortung umfassend zu beschreiben. Diese mit der Begriffs- und Definitionsvielfalt des CSR-Begriffs verbundene Deutungsoffenheit zeigt sich letztendlich auch innerhalb der deutschen CSR-Debatte. So kommen Peter Friedrich und Heiko Hadasch in einer Studie zur Positionierung einzelner gesellschaftlicher Akteure zum Thema CSR in Deutschland zu dem Schluss, dass sich CSR als Leitbegriff zur Umschreibung gesellschaftlichen Engagements in Deutschland weitgehend etabliert habe. Allerdings stellen sie fest, dass auch nach einer immerhin zehnjährigen Diskussion noch keine Einigkeit darüber zu bestehen scheint, was genau nun der Begriff eigentlich bezeichne. Diese Unbestimmtheit bei der Auslegung des CSR-Begriffes zeige sich nicht zuletzt daran, dass selbst einzelne Bundesministerien je nach Ressort grundverschiedene Begriffsverständnisse von CSR kommunizieren. Insgesamt lassen sich derzeit mindestens drei unterschiedliche Lesarten von CSR innerhalb der gesellschaftspolitischen Debatte nachweisen: (1) Dies ist zum ersten eine spezifisch deutsche Sichtweise, die das Unternehmen in erster Linie als Steuer- und Beitragszahler begreift, was gelegentliches Mäzenatentum, kommunales Engagement und die Mitwirkung in Verbänden nicht ausschließt. (2) Eine weitere Sichtweise von CSR stellt den „Business-Case“ des gesellschaftlichen Engagements von Unternehmen in den Vordergrund und betrachtet CSR vor allem als Instrument der strategischen Unternehmenspolitik, das gezielt zu Gewinnerzielungszwecken genutzt werden könne. (3) Schließlich findet sich drittens eine politisch-kritische Sichtweise von CSR, die die Bedeutung verantwortlichen Handelns als Voraussetzung der „License to Operate“ für Unternehmen thematisiert.28 2. Theoretische und normative Grundlagen der CSR Ein weiterer Kritikpunkt bezieht sich auf die nur mangelhaft entwickelte philosophisch-normative Grundlegung des CSR-Begriffs, die letztlich wesentlich zu seiner Un(ter)bestimmtheit in der Praxis beitrage. Zwar existiert sowohl im USamerikanischen wie auch zunehmend im deutschsprachigen Raum eine Vielzahl von Modellen zur Ausgestaltung einer Corporate Social Responsibility;29 eine HerVgl. ebd., S. 91 ff. Peter Friedrich / Heiko Hadasch, Corporate Social Responsibility in Deutschland – Stand einer gesellschaftspolitischen Diskussion, in: Michael S. Aßländer / Albert Löhr (Hrsg.), Corporate Social Responsibility in der Wirtschaftskrise – Reichweiten der Verantwortung, München / Mering: Rainer Hampp Verlag, 2010, S. 128 – 143. 29 Vgl. hierzu u. a. Archie Carroll, A Three-Dimensional Conceptual Model of Corporate Performance, in: Academy of Management Review, Jg. 4, Heft 4 / 1979, S. 497 – 505; Klaus 27 28
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leitung der normativen Grundlagen, auf deren Basis sich eine derartige Verantwortung aber begründen lässt, ist dabei aber nur in den seltensten Fällen ersichtlich. Zwar wird diese typisch deutsche Prinzipienreflexion von einigen Autoren durchaus belächelt, gehe es doch darum, sich den konkreten Fragen des Wirtschaftens zuzuwenden und den Unternehmen bei der Lösung ihrer praktischen Probleme zu helfen.30 Dennoch ist die Erarbeitung der normativen Grundlagen unternehmerischer Verantwortung auch für die Praxis von Bedeutung, da es nur so möglich scheint, gerechtfertigte Ansprüche zur „Verantwortungsübernahme“ von ungerechtfertigten Ansprüchen, wie sie mitunter lautstark von Nichtregierungsorganisationen erhoben werden, zu unterscheiden.31 Aus philosophischer Sicht ist Verantwortung stets das Resultat einer normativen Zuschreibung. In diesem Sinne bedarf es auch für Unternehmen konkreter Regeln, die die Verantwortungsübernahme für ein Tun oder Unterlassen bestimmen. Verantwortung ergibt sich somit aus konkreten Rollenzuschreibungen, Funktionen und Ämtern oder aufgrund rechtlicher, politischer, vertraglicher oder moralischer Pflichten.32 Die weitgehende theoretische Unbestimmtheit der Verantwortungsbereiche innerhalb des CSR-Konzepts führt hier jedoch dazu, dass der Gegenstand dieser Verantwortung auch in der Praxis unscharf wird und die Wahl des Verantwortungsbereichs faktisch in das Belieben der Unternehmen gestellt ist. Insbesondere innerhalb der betrieblichen Praxis stelle sich CSR daher, so die Kritik, bestenfalls als ein „umbrella-term“ dar, unter dem sich beliebige ökologische und soziale Aktivitäten seitens der Unternehmen versammeln lassen.33 M. Leisinger, Corporate Philanthropy: The „Top of the Pyramid“, in: Business and Society Review, Jg. 112, Heft 3 / 2007, S. 315 – 342. 30 Vgl. Guido Palazzo, Des Kaisers neue Kleider? Kritische Anmerkungen zum CSRBoom, in: Michael S. Aßländer / Albert Löhr (Hrsg.), Corporate Social Responsibility in der Wirtschaftskrise – Reichweiten der Verantwortung, München / Mering: Rainer Hampp Verlag, 2010, S. 73 – 82; Dirk Matten / Guido Palazzo, Unternehmensethik in Praxis, Forschung und Lehre – Status Quo und zukünftige Perspektiven im internationalen Raum, in: Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, Jg. 58, Heft 8 / 2008, S. 50 – 71. 31 Vgl. Annette Kleinfeld / Birthe Henze, Wenn der Maßstab fehlt – oder wann ist CSR (unternehmens)ethisch vertretbar?, in: Michael S. Aßländer / Albert Löhr (Hrsg.), Corporate Social Responsibility in der Wirtschaftskrise – Reichweiten der Verantwortung, München / Mering: Rainer Hampp Verlag, 2010, S. 59 ff. 32 Vgl. Otfried Höffe (2010, Fn. 6); Michael S. Aßländer, Die Soziale Verantwortung von Unternehmen – Versuch einer theoretischen Bestimmung, in: Michael S. Aßländer / Konstanze Senge (Hrsg.), Corporate Social Responsibility im Einzelhandel, Marburg: Metropolis, 2009, S. 30 – 47. 33 Dies gilt letztlich nicht nur für die verschiedenen hierunter versammelten Unternehmensaktivitäten sondern auch für die jeweiligen nationalen Umsetzungsbemühungen sowie die unter dem Oberbegriff CSR versammelten theoretischen Konzepte, wie Nachhaltigkeit oder Corporate Citizenship, vgl. Dirk Matten / Jeremy Moon, „Implicit“ and „Explicit“ CSR: A Conceptual Framework for a Comparative Understanding of Corporate Social Responsibility, in: Academy of Management Review, Jg. 33, Heft 2 / 2008, S. 405 f.; Konstanze Senge, Wie tragfähig ist CSR? – Das Beispiel Wal-Mart, in: Forum Wirtschaftsethik, Jg. 14, Heft 3 / 2006, S. 19.
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Dabei existieren in der Wissenschaft durchaus Versuche, die korporative Verantwortungsübernahme von Unternehmen theoretisch zu begründen. Trotz gewisser Unterschiede im Detail lassen sich dabei insgesamt vier unterschiedliche Ansätze bei der Begründung einer sozialen Verantwortung von Unternehmen unterscheiden:34 (1) Instrumentelle Ansätze; sie stellen den „Business Case for CSR“, also die Bedeutung von CSR als Instrument der Gewinnerzielung in den Vordergrund. Mittels Umweltengagement, Einführung elaborierter Sozialstandards und institutionell verankerter Stakeholder-Dialoge, so die Annahme, seien Unternehmen in der Lage „Reputationskapital“ aufzubauen und so ihre Erfolgschancen auf den Märkten zu erhöhen. (2) Politisch orientierte Ansätze, die vor allem die Fähigkeit von Unternehmen betonen, Träger von Rechten aber auch von Pflichten zu sein. Als „juristische Personen“ besitzen Unternehmen eine eigenständige Rechtspersönlichkeit und stehen so auch in der Verantwortung für ihr Handeln. Als Corporate Citizens sollen sie einen Beitrag zur gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt leisten, der über die reine Gesetzestreue und das Bezahlen von Steuern hinausgeht. (3) Integrative Ansätze; sie unterstreichen die Wechselwirkungen zwischen Wirtschaft und Gesellschaft und die daraus resultierende Verantwortung der Unternehmen. Grundlegend hierfür ist unter anderem der Gedanke, dass die wirtschaftlichen Aktivitäten der Unternehmen stets an eine gesellschaftliche „License to Operate“ gebunden sind und Unternehmen in ihrem Tun auf die Akzeptanz der Bürger angewiesen sind. (4) Ethische Ansätze, die davon ausgehen, dass moralische Regeln für juristische Personen ebenso bindend sind wie für Privatpersonen. In diesem Sinne gibt es keine „unternehmerische Sondermoral“, die es erlauben würde das wirtschaftliche Handeln der Unternehmen anders zu bewerten als das privater Akteure. Entsprechend haben sich Unternehmen an allgemein akzeptierten moralischen Regeln, wie sie etwa in den Prinzipien des Global Compact oder den Sullivan Principles zum Ausdruck kommen, zu orientieren. Diese Unterteilung macht deutlich, dass auch innerhalb der Wissenschaft durchaus unterschiedliche Vorstellungen zur Herleitung und Begründung einer korporativen Verantwortung existieren. Dies macht es schwer, CSR als „Gestaltungsauftrag“ für eine verantwortungsbewusste Unternehmenspolitik zu begreifen. Während aus einem instrumentellen Blickwinkel das gesellschaftliche Engagement der Unternehmen dort endet, wo es sich nicht mehr rechnet und sich das einzelne Unternehmen keine weiteren finanziellen Vorteile von einem zusätzlichen Engagement erhofft, fordert die ethische Sichtweise eine verantwortungsbewusste Geschäftspolitik auch dort, wo dies unter Umständen mit Kosten für das Unternehmen verbunden ist.
34 Vgl. Elisabet Garriga / Domènec Melé, Corporate Social Responsibiliy Theories: Mapping the Territory, in: Journal of Business Ethics, Jg. 53, Heft 1 – 2 / 2004, S. 51 – 71.
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3. Das Problem der „freiwilligen“ Verantwortung Von einem ethischen Standpunkt aus gesehen macht die innerhalb der europäischen CSR Definition zum Ausdruck kommende Annahme einer „freiwilligen“ Verantwortungsübernahme wenig Sinn. Entweder ist man für etwas verantwortlich – z. B. die Folgen des eigenen Handelns – oder man ist es nicht. Allenfalls ist es möglich, sich seiner Verantwortung zu stellen oder sich ihr zu entziehen. „Sich verantworten müssen“ bedeutet ja im ursprünglichen Wortsinne gerade: „Jemandem Rede und Antwort stehen zu müssen“35 und eben nicht: „Jemandem Rede und Antwort stehen zu können“. In vielen Bereichen gesellschaftlicher Verantwortung von Unternehmen, etwa wenn es um die Wahrung der Menschenrechte oder den Schutz der natürlichen Umwelt geht, ist die Übernahme einer „sozialen“ und „ökologischen“ Verantwortung also kein Akt der Freiwilligkeit, sondern ergibt sich vielmehr aus der simplen Tatsache, dass auch Unternehmen für die Folgen ihres Handelns gerade zu stehen haben. Entsprechend dieser Sichtweise sind auch die meisten der hierunter abgehandelten Tatbestände, wie Mitbestimmung oder Umweltverschmutzung, innerhalb der meisten Industrieländer auf gesetzlichem Wege geregelt. Jedoch besteht insbesondere für multinational agierende Unternehmen die Möglichkeit, sich durch Betriebsstättenauslagerungen oder die Verlagerung der Lieferkette in Länder, in denen die Einhaltung derartiger Standards weniger restriktiv gefordert wird, einen Kostenvorteil zu verschaffen. Mindestens in jenen Fällen, in denen diese Entscheidungen gezielt getroffen werden, um den Reglementierungen der Heimatländer zu entgehen, kommt dies dem Versuch gleich, sich seiner Verantwortung zu entziehen. Kurz: Bei einer Vielzahl der unter der Bezeichnung CSR versammelten vermeintlichen „guten Taten“ handelt es sich aus verantwortungstheoretischer Sicht nicht um die verdienstliche und freiwillige Übernahme zusätzlicher Pflichten seitens der Unternehmen, sondern um eine den durch das unternehmerische Handeln Betroffenen geschuldete Verantwortung.36 Allerdings, und hier scheint sich erneut die mangelnde Sorgfalt bei der Definition des CSR-Begriffs bemerkbar zu machen, besteht im Bereich des so genannten philanthropischen Engagements für Unternehmen durchaus die Möglichkeit, sich über den Bereich der geschuldeten Verantwortung hinaus als verantwortungsbewusster „Corporate Citizen“ zu erweisen. Gemeint ist damit das vielfältige Engagement, mit dem sich Unternehmen über ihre reinen Steuer- und Beitragsleistungen hinaus bei der Gestaltung des Gemeinwesens einbringen, sei es im Kleinen, durch die ehrenamtliche Unterstützung von Vereinen oder Sachspenden für kommunale Einrichtungen, oder im Großen, durch die Gründung von Stiftungen, beispielsweise zur Förderung von Umweltbelangen oder kulturellen und sozialen Einrichtungen.37 Hier handelt es sich in der Tat um die „freiwillige“ Übernahme von Vgl. Otfried Höffe (1993, Fn. 6), S. 22 ff. Vgl. hierzu Otfried Höffe (2010, Fn. 6), S. 38 f.; Annette Kleinfeld / Birthe Henze (Fn. 31), S. 67; Michael S. Aßländer / Albert Löhr (Fn. 7), S. 20 f. 35 36
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Verantwortung, die nicht erzwungen werden kann, sondern ein Verdienst der Unternehmen darstellt. Gerade in diesen Bereichen scheint es aber wenig sinnvoll, wenn nicht gar unmöglich, eine korporative Verantwortung zu regulieren.
4. Verantwortung als ökonomische, ökologische und soziale Nachhaltigkeit Als ähnlich problematisch scheint die in der europäischen CSR-Definition enthaltene implizite Annahme, unternehmerische Verantwortung erschöpfe sich in den Dimensionen ökonomische, ökologische und soziale Nachhaltigkeit. Legt man zur Beschreibung der unternehmerischen Verantwortung den oben skizzierten Verantwortungsbegriff zugrunde, ergibt sich diese primär für die Folgen unternehmerischen Handelns und lässt sich nicht auf die Bereiche ökonomische, ökologische und soziale Nachhaltigkeit begrenzen. Der Begriff der Verantwortung selbst weist bereits über die apriorische Beschränkung des Verantwortungsbereiches hinaus. Unternehmen sind auch verantwortlich: für die Ausgestaltung fairer Vertragsbedingungen gegenüber ihren Geschäftspartnern, für ihre Einflussnahme auf die staatliche Gesetzgebung und ihre Mitwirkung bei der politischen Ausgestaltung einer globalen Wirtschaftsordnung oder für einen sensiblen Umgang mit gesellschaftlichen Werthaltungen, beispielsweise bei der Gestaltung ihrer Werbemaßnahmen. Kurz: Verantwortung ergibt sich aus dem konkreten Handeln der Unternehmen und ist nicht ex ante auf bestimmte „Verantwortungsfelder“ beschränkt.38 Eine lediglich auf die Dimensionen ökonomische, ökologische und soziale Nachhaltigkeit verkürzte Definition unternehmerischer Verantwortung verstellt nur allzu leicht den Blick auf dieses weitaus größere Spektrum unternehmerischer Verantwortungsbereiche. Allerdings lässt sich in diesem Kontext zu Recht die Frage nach den „Reichweiten“ unternehmerischer Verantwortung stellen. Sind Unternehmen, wie dies oft von kritischen Nichtregierungsorganisationen behauptet wird, auch für die Zulieferbedingungen in ihren Herstellerbetrieben, wie etwa fehlende Gewerkschaftsfreiheit oder Kinderarbeit, verantwortlich, oder sollen sie gegebenenfalls auch für die unmoralischen Verwendungsweisen ihrer Erzeugnisse und Dienstleistungen zur (Mit)Verantwortung gezogen werden, etwa dann, wenn die Finanzierung eines Staudammes zu irreparablen Umweltschäden oder menschenrechtsverletzenden Zwangsumsiedlungen führt? Wie steht es im Konfliktfall um die Verantwortung 37 Vgl. hierzu ausführlich Enquete-Kommission, „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ Deutscher Bundestag – Bericht: Bürgerschaftliches Engagement: auf dem Weg in eine zukunftsfähige Bürgergesellschaft. Opladen: Verlag Leske und Budrich, 2002; Holger Backhaus-Maul et al. (Hrsg.), Corporate Citizenship in Deutschland, Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, 2008; André Habisch, Corporate Citizenship – Gesellschaftliches Engagement von Unternehmen in Deutschland, Berlin / Heidelberg: Springer-Verlag 2003. 38 Vgl. Michael S. Aßländer (Fn. 32), S. 23 f.; Michael S. Aßländer / Albert Löhr (Fn. 7), S. 22.
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von Unternehmen, wenn es auf der einen Seite um den Erhalt von Arbeitsplätzen und auf der anderen Seite um die Durchführung eines ökologisch umstrittenen Bauprojektes geht? Derartige Dilemmasituationen werden sich wohl auch durch eine noch so präzise Definition „unternehmerischer Verantwortung“ nicht entschärfen lassen. Allerdings schafft eine klare Begriffsbestimmung die Voraussetzung dafür, im konkreten Einzelfall konfligierende Verantwortungsbereiche identifizieren, gerechtfertigte von ungerechtfertigten Ansprüchen unterscheiden und gegebenenfalls zwischen vorrangigen und nachrangigen Pflichten bei der Verantwortungsübernahme unterscheiden zu können.
5. Mangelnde Einbindung des Konzepts Ein letzter Kritikpunkt, der hier genannt werden soll, bezieht sich auf die bereits eingangs erwähnte besondere Tradition der sozialen Verantwortungsübernahme von Unternehmen in der Sozialen Marktwirtschaft. Innerhalb dieser spezifisch bundesrepublikanischen Wirtschaftsordnung sind die Mitwirkungsrechte und Mitwirkungspflichten von Unternehmen, mindestens theoretisch, klar formuliert. Das Spektrum reicht hier von der Verbandsarbeit über die Mitwirkung im dualen Ausbildungswesen bis hin zur Mitarbeit in politischen Sachverständigen- und Expertenausschüssen. Daneben hat sich eine breite „Engagementkultur“ vor allem auch der kleinen und mittelständischen Unternehmen etabliert, die sich überwiegend auf das regionale Umfeld bezieht.39 Die Bandbreite dieses Engagements umfasst nahezu alle in den theoretischen Abhandlungen zum Thema „Corporate Citizenship“ aufgelisteten Bereiche des Unternehmensengagements und reicht, um nur einige Beispiele zu nennen, von der Freistellung von Mitarbeitern zur Mitarbeit in den Einrichtungen des Zivilschutzes, über die Förderungen von Vereinen und Bürgerinitiativen durch Sach-, Geld- und Zeitspenden bis hin zur regelmäßigen Unterstützung von Sozialeinrichtungen, wie etwa der Tafel-Bewegung. Wesentlichen Grundsatz für die Übernahme unternehmerischer Sozialverantwortung bildet dabei das Prinzip der Subsidiarität als zentrales Element der Sozialen Marktwirtschaft.40 In diesem Sinne verstehen sich Unternehmen in der Tat als „Corporate Citizens“, die in ihrer Gemeinschaft vor Ort ihren Beitrag zur Lösung gesellschaftlicher Probleme leisten. Weder geht es hier um einen „Business Case for CSR“ noch um ein stets planvoll auf die Unternehmenszwecke abgestimmtes gesellschaftliches Engagement. Ausgangspunkt bilden die Probleme in den lokalen Gemeinschaften und nicht die strategischen Überlegungen des Unternehmens. 39 Zu den unterschiedlichen Engagementformen vgl. die aktuelle Studie von Sebastian Braun, Wohlfahrtspluralistisches Arrangement und gesellschaftliches Engagement von Unternehmen, in: Michael S. Aßländer / Albert Löhr (Hrsg.), Corporate Social Responsibility in der Wirtschaftskrise – Reichweiten der Verantwortung, München / Mering: Rainer Hampp Verlag, 2010, S. 111 – 117; zum Engagement der Mittelständler vgl. Jan Dannenbring (Fn. 18), S. 249 – 255. 40 Vgl. Sebastian Braun (Fn. 39), S. 121 f.
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Damit soll nicht geleugnet werden, dass die globalen Beschaffungsstrukturen, internationale Liefer- und Absatzketten, Betriebsstättenauslagerungen ins Ausland oder Betriebsübernahmen neue Herausforderungen auch für die Gestaltung gesellschaftlicher Verantwortung darstellen und sich mit den geänderten Rahmenbedingungen im Einzelfall auch die Strukturen und Möglichkeiten gesellschaftlicher Verantwortungsübernahme verändern. Dennoch scheint auch in diesen Fällen die Aufgabenteilung zwischen Unternehmen und Staat entsprechend dem Grundsatz der Subsidiarität generell möglich und mit den politischen Vorgaben der Sozialen Marktwirtschaft vereinbar. Unter dem Stichwort „CSR“ wird jedoch die „Rolle“ der Unternehmen innerhalb der Gesellschaft neu definiert. Sie sollen sich vor allem in jenen Feldern engagieren, aus denen sich die staatlichen Akteure, sei es mangels Kompetenz, sei es aufgrund leerer Kassen, zurückziehen. Dabei geht es nicht alleine um „gute Taten“ im Sinne einer Corporate Philanthropy. Vielmehr sind Unternehmen dazu aufgerufen, an der Beseitigung sozialer und ökologischer Missstände im weitesten Sinne, von der Kinderarbeit über mangelnde Bildungsmöglichkeiten bis hin zur Luftverschmutzung, mitzuwirken. Unternehmen werden so zu „Ausfallbürgen“ für staatliche Leistungen in all jenen Fällen, in denen es Staaten unterlassen, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, in denen sie hierfür noch keine Maßnahmen ergriffen haben, oder in Fällen, in denen sich Maßnahmen außerhalb der Regulierungsmöglichkeiten der Nationalstaaten befinden.41 In diesem Sinne treten Unternehmen als quasi-staatliche Akteure auf,42 die die vorhandenen Regulierungs- und Leistungsdefizite staatlicher Organisationen ausgleichen. Unklar bleibt dabei jedoch, in welchem Verhältnis die neu formulierten sozialen Aufgaben der Unternehmen zu den klassischen sozialen Aufgaben des Staates stehen sollen. Sollen Unternehmen staatliche Leistungen und Aufgaben kompensieren, sollen sie diese substituieren oder sollen sie diese ergänzen? Die europäische Vorstellung von CSR schafft hier eine Art „Parallel-Universum“ mit der Folge, dass die Aufgabenteilung zwischen Staat und Unternehmen weitgehend unklar bleibt. So lässt sich fragen, ob sich aus dem Versagen staatlicher Strukturen auch zwangsläufig eine Pflicht für zusätzliches Unternehmensengagement ableiten lässt, oder ob es nicht vielmehr das primäre Anliegen der betroffenen Gesellschaften sein müsste, in diesen Fällen die politischen Strukturen in ihren Ländern zu stabilisieren, um so die staatlichen Organe zur Wahrnehmung ihrer originären Aufgaben zu befähigen. Zudem liegt die Gefahr auf der Hand, dass Staaten die Pflicht zur sozialen Verantwortungs41 Vgl. Dirk Matten / Andrew Crane, Corporate Citizenship: Toward an Extended Theoretical Conceptualization, in: Academy of Management Review, Jg. 30, Heft 1 / 2005, S. 171 f.; Andrew Crane / Dirk Matten, Business Ethics. Oxford: Oxford University Press, 2007, S. 74 f. 42 Vgl. Jeremy Moon / Andrew Crane / Dirk Matten, Citizenship als Bezugsrahmen für politische Macht und Verantwortung der Unternehmen, in: Holger Backhaus-Maul et al. (Hrsg.): Corporate Citizenship in Deutschland – Bilanz und Perspektiven, Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, 2008, S. 60 ff.
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übernahme seitens der Unternehmen zum Vorwand nehmen, sich aus klassischen staatlichen Funktionen, wie Bildung, Sozialfürsorge oder Gesundheitswesen, zurückzuziehen. Zur Klärung der Aufgabenteilung zwischen Staat und Unternehmen im Konzept der CSR bedarf es eindeutigerer Vorgaben als diese durch die europäische CSRDefinition bisher vorgelegt wurden. Hier wird es vor allem Aufgabe der nationalen politischen CSR-Gremien sein, entsprechende Konzepte zu entwickeln und die Anpassung des offenen CSR-Konzepts der EU an den jeweiligen nationalen wirtschaftlichen Ordnungsrahmen vorzunehmen. In Deutschland ist ein derartiges Konzept derzeit noch nicht in Sicht.
IV. ISO 26000 – Soft-Law für CSR? Mit der für Ende 2010 geplanten Verabschiedung des „ISO 26.000 – Guidance Document on Social Responsibility“ der Internationalen Organisation für Normung (ISO) wird die „Normierung“ unternehmerischer Verantwortung weiter voranschreiten. Man kann bereits jetzt davon ausgehen, dass die ISO-Norm künftig zu einem der wichtigsten „Soft-Laws“ bei der Ausgestaltung einer sozialen Verantwortung von Unternehmen werden wird. Dabei versteht sich die ISO 26.000 nicht als „Normierung“ im eigentlichen Sinne. Vielmehr geht es darum, einen Leitfaden für die Gestaltung sozialer Verantwortung unterschiedlichster Organisationen zur Verfügung zu stellen. Weder ist eine „Normung“ der im Sinne der Wahrnehmung sozialer Verantwortung einzurichtenden Managementstandards angestrebt noch eine Zertifizierung entsprechender Tools und Prozesse geplant. Vielmehr ist es das Ziel der ISO Working Group, Leitlinien für die Verbesserung der Rahmenbedingungen zur Übernahme sozialer Verantwortung in Organisationen zu erarbeiten.43 Zwar betont auch die ISO Working Group den strategischen Nutzen unternehmerischen CSR-Engagements: Unternehmen und andere Organisationen könnten durch ihr CSR-Engagement Wettbewerbsvorteile erringen, Reputationskapital aufbauen, ihre Attraktivität für potenzielle Mitarbeiter und Kunden steigern, die Produktivität ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erhöhen, ein positives Image bei Investoren und Sponsoren generieren und ihre Beziehungen zu Regierungen, Medien, Zulieferern und ihrem lokalen Umfeld verbessern.44 Insgesamt bleibt man bei der Propagierung eines „Business Case for CSR“ jedoch eher zurückhaltend. In ihrer Definition der Sozialverantwortung von Unternehmen folgt die ISO Working 43 Vgl. u. a. Maud Schmiedeknecht, Gesellschaftliche Verantwortung von Organisationen – Erarbeitung eines internationalen ISO Standards „Social Responsibility“ (ISO 26000), in: Forum Wirtschaftsethik, Jg. 14, Heft 4 / 2006, S. 32; ISO, Guidance on Social Responsibility (draft version), Genf: ISO Copyright Office, 2009, S. 1. 44 Vgl. ISO (Fn. 43), S. iv.
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Group grundsätzlich der europäischen Sichtweise und definiert CSR als Verantwortung von Organisationen für die Auswirkungen ihrer Entscheidung und Tätigkeiten auf die Gesellschaft und Umwelt, die in einem transparenten und ethischen Verhalten zum Ausdruck kommt, das (a) zur nachhaltigen Entwicklung, einschließlich Gesundheit und Gemeinwohl, beiträgt; (b) die Erwartungen der Interessen- und Anspruchsgruppen berücksichtigt; (c) anwendbares Recht erfüllt und mit internationalen Verhaltensstandards übereinstimmt; und (d) in der gesamten Organisation integriert ist und in ihren Beziehungen gelebt wird.45 Wesentlich stärker als die Europäische Kommission betont die ISO Working Group dabei die moralische Pflicht von Unternehmen, auch in Zeiten wirtschaftlicher Krisen soziale Verantwortung zu übernehmen und ihre Unternehmenspolitik an den Erwartungen der Gesellschaft auszurichten. Die Übernahme sozialer Verantwortung müsse ein integraler Bestandteil der strategischen Ausrichtung von Unternehmen werden, auf allen Organisationsebenen verankert sein und auch im „day-to-day-business“ der Unternehmen zum Ausdruck kommen.46 Als wichtigste Prinzipen sozialer Verantwortungsübernahme werden dabei genannt:47 (1) Verantwortlichkeit: Organisationen sind verantwortlich für die Folgen ihre Entscheidungen und die daraus resultierenden Handlungen und Handlungsfolgen. Das Management ist auskunftspflichtig gegenüber den Kontrollinstanzen der Organisation und diese gegenüber den Gesetzesvertretern und den durch ihr Handeln Betroffenen. Dies schließt die Verantwortung des Managements und der Organisation mit ein, Fehlverhalten einzugestehen, Gegenmaßnahmen zu ergreifen und dem Wiederholungsfall durch geeignete Schritte vorzubeugen. (2) Transparenz: Organisationen sollen wahrheitsgemäß, vollständig und im vertretbaren Maße über die bekannten und möglichen Folgen ihrer Entscheidungen und ihres Verhaltens auf Umwelt und Gesellschaft berichten. Diese Informationen sollen verständlich kommuniziert und der Öffentlichkeit leicht zugänglich gemacht werden. Eine rechtzeitige, sachliche und objektive Information soll es den Anspruchsgruppen des Unternehmens ermöglichen, die Folgen der Unternehmensentscheidungen für ihre jeweiligen Interessen richtig einschätzen zu können. (3) Ethisches Verhalten: Das ethisch korrekte Verhalten der Organisation sollte die Regel sein. Zu den hier erwarteten ethischen Mindeststandards unternehmerischen Verhaltens zählen Aufrichtigkeit, Billigkeit und Integrität. Dabei soll die besondere Sorge einer Organisation den Menschen, der belebten und nicht belebten Natur sowie den Anliegen ihrer Anspruchsgruppen gelten. Es gilt, entsprechende ethische Verhaltensstandards und Steuerungsmechanismen zu entwickeln und bereitzustellen und die Einhaltung dieser Regeln innerhalb der Organisation zu fördern und zu überwachen. 45 46 47
Vgl. ebd., S. 3; Annette Kleinfeld / Birthe Henze (Fn. 31), S. 62. Vgl. ISO (Fn. 43), S. 6 ff. Vgl. ebd., S. 10 – 14.
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(4) Achtung der Stakeholder Interessen: Generell gilt, dass Organisationen im Sinne ihrer Sozialverantwortung zu einem respektvollen Umgang mit ihren Anspruchsgruppen verpflichtet sind, deren Anliegen und Interessen im unternehmerischen Entscheidungsprozess beachtet werden sollen. Dies gilt nicht nur für die primären Stakeholder wie Eigentümern, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Kunden, sondern für alle Individuen und Gruppen, die ein berechtigtes Interesse an den Unternehmensentscheidungen haben, da sie von deren Auswirkungen (potenziell) betroffen sind. (5) Beachtung gesetzlicher Regulierungen: Die Einhaltung gesetzlicher Regeln ist bindend; Unternehmen haben die geltenden Gesetze in ihren Entscheidungen zu beachten und das gesetzeskonforme Verhalten der Organisationsmitglieder sicherzustellen. Zu diesem Zweck sollen sie Maßnahmen ergreifen, die die Einhaltung der Regeln überprüfen und sicherstellen helfen. Insbesondere sind sie gehalten, sich über die relevanten gesetzlichen Regeln in den Ländern zu informieren, in denen sie aktiv sind, und diese Informationen an alle Abteilungen und Entscheidungsträger weiterzugeben, für die diese von Bedeutung sein können. (6) Beachtung internationaler Verhaltensstandards: Zusätzlich zur Einhaltung bestehender Gesetze sind Organisationen dazu aufgefordert, sich in ihrem Handeln an international gültigen Verhaltensstandards zu orientieren. Dies gilt vor allem in Ländern, in denen gesetzliche Regulierungen in Bezug auf Umweltschutz und Sozialstandards nur unzureichend implementiert sind oder umgesetzt werden. Wo Landesgesetze international anerkannten Verhaltensstandards zuwiderlaufen, sollen sich Organisationen, soweit dies möglich ist, an den internationalen Standards orientieren; ist dies auf Dauer nicht möglich, müssen sie ihr Engagement in diesen Ländern überdenken. (7) Achtung der allgemeinen Menschenrechte: Die Menschenrechte besitzen universalen Charakter und sind unterschiedslos in allen Ländern und Kulturen anzuwenden, auch dann, wenn sie in einzelnen Ländern, in denen die Organisation tätig ist, keine oder nur bedingt Beachtung finden. Unternehmen sollen die Menschenrechte innerhalb ihrer Einflusssphäre beachten und fördern und es vermeiden, von Menschenrechtsverletzungen in ihren Gastländern zu profitieren. Bei der Ausgestaltung ihrer CSR-Maßnahmen sollen sich Organisationen insbesondere auf die Bereiche Organisationssteuerung, Menschenrechte, Arbeitsbeziehungen, Umwelt, faire Geschäftspraktiken, Konsumentenbelange und gesellschaftliche Entwicklung im lokalen Umfeld konzentrieren. Der ISO Verhaltensstandards beschreibt hier ausführlich welche Verhaltenserwartungen an ein sozial verantwortliches Management gestellt werden.48 Mit der detaillierten Ausarbeitung der Inhalte sozial verantwortlichen Verhaltens von Unternehmen geht der Entwurf der ISO 26.000 somit weit über die vagen Formulierungen des Grünbuchs der Europäischen Kommission zum Thema CSR hinaus. Die hier formulierten Verhal48
Vgl. ebd., S. 21 – 67.
Corporate Social Responsibility zwischen Philosophie und Praxis
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tensstandards umfassen das Geschäftsgebaren gegenüber Kunden, Zulieferern und Geschäftspartnern ebenso wie das Engagement innerhalb lokaler Gemeinschaften. Auch tritt der Aspekt des „freiwilligen Engagements“, beispielsweise dann, wenn es um die Beachtung der Menschenrechte geht, deutlich in den Hintergrund. Mit dieser Konkretisierung leistet die ISO Norm einen Beitrag sowohl zur inhaltlichen Klärung des CSR-Begriffs wie auch zur Umsetzung von CSR in der Unternehmenspraxis. – Allerdings bleibt auch die ISO 26.000 eine normative Begründung für die soziale Verantwortung von Unternehmen schuldig. Über die Begründung, die Bedeutung und den Geltungsbereich unternehmerischer Verantwortung nachzudenken, wird somit auch weiterhin die Aufgabe der Philosophen bleiben.
Summary In recent business ethics research Corporate Social Responsibility (CSR) has become one of the most prominent topics. Although there is an increasing amount of publications on this subject, CSR till nowadays lacks from a commonly accepted definition. Especially different economic traditions in the Anglo-American and the European context lead to different interpretations of what corporations are responsible for. While the American perspective of CSR mainly focuses on “ethical responsibility” and “corporate philanthropy” in most European countries with developed welfare systems such responsibilities are by and large seen as governmental task. Despite such differences CSR became prominent also in the European discussion. Nevertheless, the conception remains not undisputed. Major points of critique concern the by and large unclear definition of CSR, the weak theoretical background and the insufficient normative foundation of the CSR conception, the emphasis of voluntary engagement and a limitation to economic, social and environmental responsibilities, especially in the European discussion, and the only weak linkage of CSR with macroeconomic conceptions. In this mess of different CSR definitions and understandings the ISO 26000 – Guidance on Social Responsibility, scheduled for end of 2010, might serve as a remedy and help to clarify the CSR conception.
Der Beitrag der Wirtschaftsstilforschung zu einer evangelischen Wirtschaftsethik Daniel Dietzfelbinger I. Der Begriff Wirtschaftsstil – Herkunft und Bedeutung 1. Ausgangslage Erste Wurzeln für einen über die kunstgeschichtliche Verwendung hinausgehenden Stilbegriff finden sich in Italien.1 Im Jahre 1770 verwendet der Ökonom Cesare Beccaria den Begriff Stil außerhalb eines explizit ästhetisch-künstlerisch orientierten Umfeldes2. Beccaria These ist, dass sich der Stil einer Epoche und der in ihr lebenden Menschen im Sprachwortschatz ausdrücke, der durch die Ideen des Menschen geprägt ist, verbindet mithin die Frage nach dem Stil einer Zeit mit der Anthropologie:3 Doch bleibt Beccaria mit dieser weiter gehenden Deutung des Stilbegriffs zunächst allein. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wird der Stilbegriff für die wirtschaftswissenschaftliche Forschung interessant: Frühe Spuren finden sich im Zuge des nationalökonomischen Grundlagenstreites zwischen Grenznutzenschule auf der einen Seite sowie Historischer Schule und ihrer Stufenlehre auf der anderen Seite.4 Ziel der nationalökonomischen Forschung um die Jahrhundertwende ist es, das methodologische Schisma hinter sich zu lassen, die „große Antinomie“5 – wie Walter Eucken es ausdrückt – zwischen einer eher am Individuum orientierten Geschichtsbetrachtung und einer auf die kollektive, institutionelle Entwicklung der Historie fixierten Zugangsweise aufzulösen. Max Weber und Werner Sombart sind es, die in Auseinandersetzung mit dem Stilbegriff, wie ihn Georg Simmel verwendet,6 diesen Schritt vollziehen. Georg Simmel analysiert mit dem Stilbegriff das seinerzeitige moderne Leben. Stil bedeutet für Simmel das Allgemeine, das strikt von der Einzigartigkeit etwa eines Kunstwerks zu trennen sei.7 Heinz (1986), 15. Beccaria (1770). 3 Beccaria (1770), 71. 4 Kaufhold (1996), 22. 5 Eucken (1940), 18. 6 Simmel, G. (1884), (1886). Vgl. hierzu und zur Auseinandersetzung mit dem Simmelschen Stilbegriff: Lichtblau (1995), 203 ff. 1 2
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2. Die theoretischen Vorarbeiten Der von Max Weber in die Debatte eingeführte Begriff Idealtypus liefert den entscheidenden Impuls8 für die Stildebatte in der Nationalökonomie. Weber erarbeitet den Begriff 1904 in dem Aufsatz „Die ,Objektivität‘ sozialwissenschaftlicher und politischer Erkenntnis“9. Ziel Webers ist es, ein spezifisches hermeneutisches Instrument zur Deutung der Geschichte zu entwickeln, das die Einseitigkeiten der vor ihm liegenden Diskussion überwindet. Nach Weber wird der Idealtypus einer Zeit „durch einseitige Steigerung eines oder einiger Gesichtspunkte und durch Zusammenschluß einer Fülle diffus und diskret, hier mehr, dort weniger, stellenweise gar nicht vorhandener Einzelerscheinungen (gewonnen), die sich jenen einseitig herausgehobenen Gesichtspunkten fügen, zu einem in sich einheitlichem Gedankengebilde.“10 Allerdings sei dieser Idealtypus nie realiter zu finden, sondern sei „eine Utopie, und für die historische Arbeit erwächst die Aufgabe, in jedem einzelnen Falle festzustellen, wie nahe oder wie fern die Wirklichkeit jenem Idealbilde steht“11. Weber unterstellt, dass eine solche Konstruktion zur Erkenntnis der Geschichte notwendig sei – wenn nicht explizit, dann doch immer so, dass der Historiker „bewußt oder unbewußt, andere ähnliche [theoretische Konstruktionen] ohne sprachliche Formulierung und logische Betrachtung verwendet, oder daß er im Gebiet des unbestimmt ,Empfundenen‘ stecken bleibt.“12 Der Idealtypus sei eine wertfrei formulierte Hilfskonstruktion. So gebe es „Idealtypen von Bordellen so gut wie von Religionen, und es gibt von den ersteren sowohl Idealtypen von solchen, die von Standpunkt der heutigen Polizeiethik aus technisch ,zweckmäßig‘ erscheinen würden, wie von solchen, bei denen das gerade Gegenteil der Fall ist.“13 Damit hatte Weber eine ökomisch-wissenschaftliche Diskussion eröffnet, die die Frage bearbeitete, mit welchen Hilfskonstruktionen und hermeneutischen Methoden Wirtschaftsgeschichte zu erfassen sei. Werner Sombart verwendet in der zweiten Auflage seines Buches „Der Moderne Kapitalismus“14 1916 dazu den Begriff Stil: Zur Charakterisierung der jeweiligen Kultur eines Volkes gehöre der „Inbegriff aller Kulturerscheinungen, die wir in unserem Geiste zu einer Einheit zusammenfassen . . . Man könnte es den Kulturstil (einer Zeit, eines Landes) nennen, den wir zweifellos als eine Einheit empfinden, Vgl. Lichtblau (1995), 221. Vgl. Spiethoff (1932), 897. Vgl. auch: Schachtschabel (1971), 10 ff. 9 Weber (1988), 146 – 214. 10 Weber (1988), 191. 11 Weber (1988), 191. 12 Weber (1988), 195, eckige Klammer von Verf. 13 Weber (1988), 200. 14 Sombart (1916). 7 8
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wenn er auch als solcher in nichts anderem sich darstellt als in den tausendfachen, disparaten Äußerungen der objektiven und subjektiven Kultur dieser Zeit oder dieses Landes. Wenn wir von der ,Kultur der Renaissance‘ im Gegensatz etwa zur ,modernen Kultur‘ sprechen, so ist es der eigentümliche ,Kulturstil‘, den wir im Sinne haben. Daß auch dieser besondere Kulturstil großen Einfluß auf das Wirtschaftsleben ausüben kann, sagt die Überlegung und lehrt die Geschichte.“15 Sombart verwendet dann 1927 den Begriff Stil, um „die Ganzheit des wirtschaftlichen Lebens zu umfassen“16. Und weiter: „Diese Stilidee der Wirtschaftswissenschaften (wie wir einstweilen in Anlehnung an die Terminologie der Kunstwissenschaft sagen wollen) muß nun offenbar die Ganzheit des wirtschaftlichen Lebens zu umfassen trachten, muß Wirtschaftsgesinnung, Ordnung und Technik in ihrer Besonderheit zu bestimmen imstande sein, ist also umfassender als die (praktischen) Ordnungsideen der Wirtschafts- und Betriebsordnung.“17 1927 expliziert Heinrich Bechtel in seiner „Vorstudie“18 zu dem 1930 erscheinenden Buch „Der Wirtschaftsstil des Spätmittelalters“ 19, die den Titel „Kunstgeschichte als Erkenntnisquelle für den Wirtschaftsstil des Spätmittelalters“ trägt, den von Sombart angeregten Gedanken, die Kunstgeschichte und deren Stilbegriff in die nationalökonomische Debatte einzubringen. Bechtel ist damit der Begründer der Wirtschaftsstillehre in der Nationalökonomie. Bechtel betrachtet Wirtschaftsgeschichte nicht isoliert, sondern ordnet sie in den Rahmen der Universalgeschichte ein, um sie so in den Dialog mit den geisteswissenschaftlichen Disziplinen zu bringen. Dazu nutzt er den Begriff Wirtschaftsstil. Gleichwohl unterscheide sich der Stilbegriff insofern von der Kunstgeschichte, als die Wirtschaftsgeschichte zuerst nicht von den Individuen ausgehe, sondern „die Wirtschaftshandlungen und ihre Motivationen nicht nur beim Wirtschaftsmenschen, sondern auch bei den Wirtschaftsgruppen und der Wirtschaftsgemeinschaft“20 untersucht. Bechtel zitiert den Kunstgeschichtler Rudolf Hedicke der davon ausgeht, dass es „,in jeder Zeit eine geistesgeschichtliche Einheit, ein einheitliches Wertsystem, einen einheitlichen Geist gibt, und daß es letzten Endes gilt, diese Einheit, diese Wertgruppe, diesen Geist zu erkennen und darzustellen‘.“21 Dementsprechend sei es Aufgabe der Wirtschaftsstillehre, so Bechtel, „ordnen und erkennen zu helfen.“22 Sombart (1916), 18 / 19, runde Klammer im Original, kursiv von Verf. Sombart (1927), 5, kursiv von Verf. 17 Sombart (1927), 5, Klammer im Original, kursiv von Verf. 1925 schreibt Sombart noch statt „Wirtschaftsgesinnung, Ordnung und Technik“: „Geist, Form und Ordnung“. (1. Aufl. 1925, S. 5). 18 Bechtel (1927), 217. 19 Bechtel (1930). 20 Bechtel (1930), 8. 21 Bechtel (1930), 9, kursiv von Verf. Zitat im Zitat aus: Hedicke, R.: Methodenlehre der Kunstgeschichte, 1924, Zitat direkt übernommen von Bechtel. 15 16
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Arthur Spiethoff definiert den Stilbegriff innerhalb der nationalökonomischen Diskussion systematisch-methodisch. Er formuliert 1932 in einem Aufsatz die Kriterien eines hermeneutischen Prinzips Wirtschaftsstils – vollzieht aber keine material-inhaltliche Analyse – und verbindet die Frage nach den Wirtschaftsstilen mit der Frage der Objektivität der Nationalökonomie im Ganzen. Wirtschaftsstil wird bei Spiethoff entwickelt als „Inbegriff der Merkmale, die eine arteigene Gestaltung des Wirtschaftslebens zur Verkörperung bringen“23, gleichwohl bleibe ein Wirtschaftsstil immer ein subjektives „Denkgebilde“24. Damit grenzt sich Spiethoff – im Sinne der Historischen Schule – von einer allgemeinen, objektiv gefassten Theorie der Nationalökonomie ab, da Wirtschaften nach Spiethoffs Ansicht stets dem geschichtlichen Wandel unterliege und deswegen nicht in immer gültigen, objektiven Kategorien gefasst werden könne.25 Die Vielzahl der einzelnen „Teillehren mit begrenzter Gültigkeit“26 innerhalb der Nationalökonomie entsprechen nach Spiethoff den Wirtschaftsstilen, die erst zusammen das Gebiet der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre bilden.27 Gleichwohl: Um Wirtschaftsstile konkret charakterisieren zu können und damit der vollkommenen Subjektivierung sowie einer „phantasieorientierten Bestimmung der Wirtschaftsstile Einhalt zu gebieten“28, schlägt Spiethoff gegenüber den drei Grundkriterien für ein Wirtschaftssystem nach Sombart eine erweitere Palette von fünf Merkmalen vor, nämlich: 1. Wirtschaftsgeist, 2. natürliche und technische Grundlagen, 3. Gesellschaftsverfassung, 4. Wirtschaftsverfassung, 5. Wirtschaftslauf. Daraus ergibt sich, jeweils untergliedert, eine Liste von 16 Merkmalen, mit deren Hilfe sich ein Wirtschaftsstil einer Zeit genauer erfassen lässt, nämlich: I. Wirtschaftsgeist: 1. Sittliche Zweckeinstellung, 2. Die seelischen Antriebe zum wirtschaftlichen Handeln, 3. Die geistige Einstellung; II. Natürliche und technische Grundlagen: 4. Bevölkerungsdichte, 5. Natürliche Bevölkerungsbewegung, 6. Güterherstellung, 7. Geistige und Handarbeit vereint oder geteilt, 8. Organische oder anorganische-mechanische Durchführung der Technik; III. Gesellschaftsverfassung: 9. Die Größe des wirtschaftlichen Gesellschaftskreises, 10. Das gesellschaftliche Verbundensein. Blutzusammnenhang, Zwang, Vertrag, 11. Die gesellschaftliche Arbeitsteilung und die gesellschaftliche Zusammensetzung; IV. Wirtschaftsverfassung: 12. Eigentumsverfassung, 13. Verfassung der Gütererzeugung, 14. Verteilungsverfassung, 15. Arbeitsverfassung; V. Wirtschaftslauf: 22 23 24 25 26 27 28
Bechtel (1930), 13. Spiethoff (1932), 896. Spiethoff (1932), 896. Spiethoff (1932), 893. Spiethoff (1932), 893. Spiethoff (1932), 893. Schachtschabel (1971), 15.
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16. Ständige Wirtschaft, fortschreitende Wirtschaft, Wirtschaftsablauf im Wandel von Aufschwung und Stockung).29
II. Der Stilbegriff bei Alfred Müller-Armack 1. Die rekonstruktive Funktion Alfred Müller-Armack, Wirtschaftssoziologe und einer der Konzeptoren der Sozialen Marktwirtschaft, nimmt die Wirtschaftsstillehre bei seinen religionssoziologischen Studien während des Zweiten Weltkrieges in seine sozioökonomische Theorie auf und führt sie über den Zweiten Weltkrieg weiter fort. Ausgangspunkt ist auch bei Müller-Armack das Streben, „das wieder zusammenzuführen, was sich im 19. Jahrhundert getrennt hatte: die synthetische Geschichtsbetrachtung und die empirische Untersuchung.“30 Um dies zu leisten, will Müller-Armack interdisziplinär arbeiten und bedient sich dazu des Begriffs Wirtschaftsstil. Zwar gesteht Müller-Armack zu, dass „die Irrtumsmöglichkeiten wachsen, je mehr Disziplinen die wissenschaftliche Arbeit zu umfassen hat. Aber die dauernd notwendige Korrektur der Tatsachen und Deutungen der Stilforschung sagt nichts gegen die Methode selbst.“31 Wichtig ist für Müller-Armack, die Spaltung zwischen Idealismus und Naturalismus, zwischen den absoluten Theorien der Grenznutzenschule und den geschichtlich relativierten Thesen der Historischen Schule, schließlich zwischen Liberalismus und Sozialismus zu überwinden. Die Dualismen der Geistesgeschichte sind in Müller-Armacks Augen immer nur als zwei Seiten einer Medaille zu betrachten. Wie wird der Stilbegriff bei Müller-Armack charakterisiert? Die Kategorie Wirtschaftsstil kommt bei Müller-Armack in zwei Formen zum Tragen: Zunächst ist der Begriff dann von Bedeutung, wenn es darum geht, rückblickend die Geschichte zu erfassen. Man könne vom Wirtschaftsstil einer Epoche reden, wenn gilt, „daß es im Historischen neben individuellen Erscheinungen, die auch nur idealtypisch faßbar sind, generelle Strukturen, Zeiten und Räume umfassende Gemeinsamkeiten gibt.“32 Der Stilbegriff wird also in Anlehnung an Bechtels kunstgeschichtlich hergeleiteter Definition aufgenommen. Spiethoff (1932), 916 f. Müller-Armack (1981), 52. In dem 1981 in dritter Auflage erschienenen Sammelband „Religion und Wirtschaft“ sind die wesentlichen Aufsätze Müller-Armacks, zur Wirtschaftsstillehre enthalten, die nach seinem Buch „Entwicklungsgesetze des Kapitalismus“ (1932) erschienen sind. Die Aufsätze im Sammelband umfassen den Zeitraum von 1940 bis 1951. Um den Apparat nicht ausufern zu lassen und Übersichtlichkeit zu bewahren, wird hier im Folgenden aus dem Sammelband zitiert. Vgl. zur Datierung der Schriften und zum Ganzen: Dietzfelbinger (1998). 31 Müller-Armack (1981), 52 / 53. 32 Müller-Armack (1981), 59. 29 30
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Die Stilbetrachtung – in ihrer historisch rückblickenden Funktion – geht nach Müller-Armack von einer universalistischen Geschichtsbetrachtung aus. Mit dem Begriff Wirtschaftsstil wird also zuerst das Generelle erfasst, das aus den sozioökonomischen Realitäten wie aus der geistig-religiösen Verfasstheit einer Epoche zu entfalten ist. Zugleich soll aber auch die individuelle Struktur einer Zeit beschrieben werden. Realfaktoren wie Idealfaktoren, Natur und Geist, prägen nach MüllerArmack komplementär den Wirtschaftsstil einer Zeit. Damit integriert der Stilbegriff, was retrospektiv als die komplementäre Einheit aus faktischen Gegebenheiten und geistig-religiösem Gedankengut einer Zeit definiert wird. Also hat der Stilbegriff historisch rückblickend hermeneutisch eine rekonstruktive Funktion. Nach Müller-Armack kann der so verstandene Stilbegriff charakterisiert werden als „die alle Lebensbereiche erfassende Ausdruckseinheit, eine geheimnisvolle Korrespondenz, die alles Getrennte doch noch zu einer Einheit sich zusammenfinden läßt.“33 Wie können nach Müller-Armack die stilbildenden Elemente einer Zeit benannt werden? Zunächst grenzt sich Müller-Armack ab: Der Stilbegriff sein nicht als „Epiphaenomen bestimmter natürlicher Fundamentaltatsachen zu fassen“34 – etwa Klima, Volk etc. Müller-Armack entgeht so einem logischen Fehlschluss, da die Herleitung eines stilbildenden Elements allein aus der Faktizität der Historie dem Problem unterliegen würde, eine historische Erscheinungsform aus dem zu erklären, was immer erst durch sie bedingt ist. Geklärt wird damit nicht die historische Möglichkeit, Neuansätze zu schaffen, die dem schöpferischen Geist des Menschen entspringen. Demgegenüber ist auch die geistige Ebene des Menschen nach Müller-Armack als stilbildendes Element einer Zeit anzusehen. Stile seien „selbst Resultate der Gestaltung durch die Menschen ihrer Zeit“35, denn kein historischer Prozess ist anthropologisch isoliert Dem Wirtschaftsstil eines Gemeinwesens einer Epoche ist also zugleich geprägt von dem Lebensstil der Menschen, da es der Mensch ist, der Ideal- wie Realfaktoren einer Zeit erfasst, durch sie beeinflusst wird und sie gestaltet. 2. Anthropologie als Legitimation der Stiltheorie Die Anthropologie ist demnach Dreh- und Angelpunkt der Stiltheorie MüllerArmacks: Er rezipiert Helmuth Plessner, der in seiner dualitätsübergreifenden Anthropologie ein umfassendes Menschenbild entwirft. Im Blick auf die Frage nach der Einheit einer Stilbildung ist zunächst der Versuch Plessners hervorzuheben, unterschiedliche Disziplinen – und damit unter33 34 35
Müller-Armack (1981), 518. Müller-Armack (1981), 59. Müller-Armack (1981), 59.
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schiedliche Rationalitäten – in seine anthropologische Theorie zu integrieren. Plessner will die vor ihm liegende, ihrem Wesen nach dual gefasste Anthropologie durch eine übergreifende Theorie des menschlichen Daseins ersetzen, um Einseitigkeiten und damit verbundene Ideologiebildungen zu vermeiden.36 Die Anthropologie Plessners sieht beide Seiten im Menschen – Vernunft und Trieb. Dies ist das Material, aus dem Plessner sein Menschenbild auf einer logisch vorgeordneten Metaebene bildet. Ausgangspunkt Plessners ist die Fähigkeit des Menschen, auf sich zu reflektieren. Damit könne der Mensch über seine eigene Triebstruktur hinausgehen, ohne sie materialiter zu verlieren. Plessner nennt dies die exzentrische Positionalität37 des Menschen: Der Mensch grenzt sein Sein gegen die Umwelt ab, gegen eine Umwelt, in der er zugleich lebt und auf die er bezogen ist. Dadurch, so Plessner, sei der Mensch in der Lage, von sich selbst zu abstrahieren, ohne dabei den Bezug zum Ich zu verlieren. Aufgrund dieser Fähigkeit zur Selbstreflexion könne sich der Mensch zu sich selbst verhalten. Wenn der Mensch seine Existenz erkennt, sei er schon über sie hinweggeschritten.38 Er „erlebt die Bindung im absoluten Hier-jetzt, die Totalkonvergenz des Umfeldes und des eigenen Leibes gegen das Zentrum seiner Position und ist darum nicht mehr von ihr gebunden, . . . er weiß sich frei und trotz dieser Freiheit in eine Existenz gebannt, die ihn hemmt und mit der er kämpfen muß.“39 So liegt nach Plessner „[p]ositional ein Dreifaches vor: das Lebendige ist Körper, im Körper (als Innenleben oder Seele) und außer dem Körper als Blickpunkt, von dem aus es beides ist.“40 Diese dreifache Gliederung wird für Plessner zur notwendigen Bedingung des individuellen Personseins: „Ein Individuum, welches positional derart dreifach charakterisiert ist, heißt Person. Es ist das Subjekt seines Erlebens, seiner Wahrnehmungen und seiner Aktionen, seiner Initiative.“41 Der Mensch spürt nach Plessner den „Doppelaspekt seiner Existenz“42 als „Bruch seiner Natur“.43 Damit lebe der Mensch aber bereits „diesseits und jenseits des Bruches, als Seele und als Körper und als psychologisch neutrale Einheit dieser Sphären.“44 Mit dem Begriff Einheit soll nach Plessner keine dritte Ebene formuliert werden: Einheit kaschiere „nicht den Doppelaspekt, sie läßt ihn nicht aus sich hervorgehen, sie ist nicht das den Gegensatz versöhnende Dritte, das in die entgegengesetzten Sphären überleitet, sie bildet keine selbständige Sphäre. Sie ist der Bruch, der Hiatus, das leere Hindurch der Vermittlung, die für den Lebendigen 36 37 38 39 40 41 42 43 44
Vgl. Plessner (1975). Plessner (1975), 288 ff. Plessner (1975), 291. Plessner (1975), 291. Plessner (1975), 293, eckige Klammer von Verf., runde Klammer im Original. Plessner (1975), 293. Plessner (1975), 292. Plessner (1975), 292. Plessner (1975), 292.
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selber den absoluten Doppelcharakter und Doppelaspekt von Körperleib und Seele gleichkommt, in der er ihn erlebt.“45 Durch die exzentrische Positionalität werde es dem Menschen möglich über sich selbst, über seine Gattung als Ganzes und über sein eigenes Dasein zu reflektieren. Er ist fähig zur Kulturgestaltung. Der Anfang aller Kultur liegt nach Plessner in der Erkenntnis des Menschen seiner selbst. Es dürfe aber, darauf weist Plessner verschiedentlich hin, dabei nicht übersehen werden, dass der Mensch trotz seiner exzentrischen Positionalität sich nicht von seiner tierischen, organischen Umwelt freimachen könne; die Umwelt bleibe Objekt des menschlichen Handelns und wirke zugleich ihrerseits auf dieses zurück. Ein solches Menschenbild, das Müller-Armack rezipiert, zeitigt Folgen für die historische Hermeneutik: Aus der geschichtlichen Bindung des Menschen an Umwelt und sich selbst, erhebt sich für Müller-Armack die Forderung, die sozioökonomische Verfasstheit einer Zeit aus den menschlichen Dasein heraus zu verstehen. Ziel müsse es sein, beide Seiten des Menschen, die Trieb- wie die Geistseite, die Gefühls- wie die Vernunftseite in eine historische Betrachtung der Entwicklung zu integrieren. So kann die Plessnersche Anthropologie praktisch das leisten, was theoretisch postuliert wurde: Sie rechtfertigt die Bildung eines Weltbildes, das sich nicht in differenzierter Spezialisierung verliert, sondern in der offengestalteten Stillehre das adäquate historisch-hermeneutische Instrumentarium erhält. Denn der spezifische anthropologische Ansatz nimmt auf, dass der Mensch für Gefühl und Geist, für Freiheit und Bindung, für Religion und reale Welt, für Metaphysik und Sozioökonomie, damit also für den Stil einer Zeit, offen ist und zugleich gestalterisch in ihm wirksam werden kann. Damit wird die Anthropologie, die die Differenzierung in Systeme anerkennt, aber über ihren Gegenstand, nämlich den Menschen, deren Einheit zu reformulieren sucht, zum Dreh- und Angelpunkt des stiltheoretischen Ansatzes. Innerhalb der Stiltheorie übernimmt die Anthropologie die Funktion, die Differenzierung in Subsysteme von innen heraus zu verbinden, da der Mensch als Teil aller Systeme und Rationalitäten konstitutiv angesehen wird, zugleich die unterschiedlichen Systeme und Rationalitäten den Menschen konstituieren.
III. Exkurs: Der Einfluss des Protestantismus auf den Wirtschaftsstil Die Wirtschaftsstilforschung beschäftigt sich also trotz ihrer unterschiedlichen Detailcharakterisierung bei den genannten Nationalökonomen mit dem jeweils eine Zeit Übergreifende, das auch im ökonomischen Verhalten einer Gesellschaft in 45
Plessner (1975), 292, kursiv von Verf.
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einer bestimmten Epoche prägend ist. Gemeinsam ist den Wissenschaftlern, die Frage danach zu stellen, was der Impetus einer jeweiligen Wirtschaftsordnung ist, gewissermaßen die Idee, die dahinter steht, zu erforschen, und welche Einflüsse auf sie eingewirkt haben. Es geht also um die sozioökonomische Verfasstheit einer Zeit und die Frage danach, welche über das wirtschaftliche hinausgehende Faktoren in Anschlag gebracht werden können. Dass dazu die Religion in ihrer jeweils spezifischen historischen Ausdrucksform eine wichtige Rolle spielt, liegt für die genannten Wirtschaftsstilforscher auf der Hand. Um dieser Frage nachzugehen, kommt man nicht umhin, einige kurze Blicke auf Max Webers Buch „Die protestantische Ethik und der ,Geist‘ des Kapitalismus“46 zu werfen. Darin versucht Weber nachzuweisen, dass die individuelle Lebensführung des Puritaners im unmittelbaren Konnex mit dem Dogma der doppelten Prädestination steht. Weber widmet sich dieser Fragestellung aufgrund einer länger geführten Auseinandersetzung innerhalb der Nationalökonomie: Bei diesen Auseinandersetzungen geht es um das Problem, wo der entscheidende Impuls für die Entstehung des modernen Kapitalismus liegt. Was versteht Weber unter „Geist“? Zu Beginn seiner „Protestantischen Ethik“ zitiert er als Beschreibung dessen, was dieser Geist ist, ein Dokument Benjamin Franklins. Darin finden sich Sätze wie „Bedenke, daß die Zeit Geld ist . . . Bedenke, daß Kredit Geld ist. . . . Bedenke, daß Geld von einer zeugungskräftigen und fruchtbaren Natur ist. Geld kann Geld erzeugen.“47 Interpretiere man das „Glaubensbekenntnis des Yankeetums“, so ist nach Weber als hervorstechendes Merkmal das Profitstreben signifikant für den „Geist“. Es sei augenscheinlich, dass diese Einstellung „den Charakter einer ethisch gefärbten Maxime der Lebensführung“48 annehme: „In diesem spezifischen Sinne wird hier der Begriff ,Geist des Kapitalismus‘ gebraucht.“49 Dieser Geist sei nicht nur eine innere Haltung des Menschen, sondern der Mensch bringt ihn als pseudoethische Maxime der Lebensführung nach außen hin zum Ausdruck. Die Lebensführung im Protestantismus sei – generalisiert – geprägt durch eine strenge, enthaltsame, regulierte, asketische Lebensform. Im Gegensatz zum Katholizismus, so beschreibt es später Müller-Armack, in dem „die Kirche mit ihren sakralen Gnadenmitteln dem einzelnen die Gewißheit vermittelt, daß er des Heiles teilhaftig sei, vollzieht sich im Kalvinismus eine Vereinsamung und Isolierung des einzelnen, in der dieser weder durch den Glauben noch durch gute Werke noch durch die Vermittlung der Kirche den Stand der Erwähltheit erfahren kann.“50 46 47 48 49 50
Weber (1987). Zit. nach: Weber (1987), 12. Weber (1987), 13 / 14, kursiv im Original. Weber (1987), 14, kursiv im Original. Müller-Armack (1964), 793.
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Der auffällige ökonomische Erfolg der Calvinisten in der Geschichte steht nach Max Weber in unmittelbarem Zusammenhang mit den spezifischen Explikationen des calvinistischen Dogmas. Denn an sich müsste die apriorische Determination des Individuums durch das Dogma zur völligen Tatenlosigkeit und Energielosigkeit führen;51 logische Konsequenz dieses decretum horribile wäre Lethargie, da jegliche fromme Aktivität nutzlos ist. Der Puritaner entzieht sich aber nach Weber dieser Determination durch Fleiß und Arbeitsdrang, durch die bedingungslose Erfüllung weltimmanenter Pflichten.52 Mit dem damit verbundenen materiellen Erfolg wolle der Puritaner seine Erwähltheit nach außen hin beweisen und nach innen hin empfinden. So hat nach Weber der Geist des modernen Kapitalismus entscheidende Impulse durch das calvinistische Dogma der gemina praedestinatio zur Erwähltheit und zur Verdammnis, erhalten. Gerade die „religiöse Wertung der rastlosen stetigen, systematischen, weltlichen Berufsarbeit als schlechthin höchsten asketischen Mittels und zugleich sicherster und sichtbarster Bewährung des wiedergeborenen Menschen und seiner Glaubensechtheit, mußte ja der denkbar mächtigste Hebel der Expansion jener Lebensauffassung sein, die wir hier als den ,Geist‘ des Kapitalismus bezeichnet haben.“53 Auch Müller-Armack weist dem Calvinismus eine besondere Rolle zu. Zur Rettung der Seele des Gläubigen helfe kein Gnadenmittel der Kirche, da alles Handeln dem Verdikt menschlicher und damit weltlicher Gestaltung ausgesetzt sei. Alle Autorität läge im Willen Gottes und seiner Offenbarung. Das führt dazu, alles zu verwerfen, was nicht dem Willen Gottes adäquat ist, und fordert die irdische Erfüllung der Arbeit als strengen Berufsgehorsam gegenüber Gott. Diese Gehorsamspflicht entlade sich „in asketischer Aktivität im Irdischen“54. Das daraus sich ableitende Arbeitsethos präge in erheblichem Maße den neuzeitlichen Wirtschaftsstil. Das Besondere des Calvinismus gegenüber dem Luthertum findet sich nach Müller-Armack in seiner geschichtswirksamen Durchsetzung. Nur selten sei der Calvinismus staatlich autoritär zur Macht gekommen. Der Calvinismus erfasse vor allem unterschiedliche soziale Gruppen, die nicht der herrschenden Schicht angehörten. Zunächst entfällt nach Müller-Armack grundsätzlich für die protestantischen Kirchen durch die Destruktion der Universalkirche die strenge Bipolarität und der kontinuierliche Machtkampf zwischen Staat und Kirche, allerdings mit unterschiedlichen Folgen: So sei für den Calvinismus die Form des lutherischen Staatskirchentums unmöglich, da alle weltliche Macht sich dem Gehorsam Gottes unterstellen müsse. Staat und Obrigkeit seien irdisches Machwerk, weshalb der Calvinismus gegenüber dem Staat eine alternative Macht positioniere, die sich sektiererisch freikirchlich organisiere. 51 52 53 54
Müller-Armack (1964), 793. Weber (1987), 39 ff. Weber (1987), 146 / 147. Müller-Armack (1981), 108.
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Der Calvinismus konzentriert nach Müller-Armack seine Energien auf das Unternehmertum, da infolge des Prädestinationsdogmas allein die „rastlose, asketische disziplinierte Weltarbeit der Ausweg der Gläubigen (war), der äußere Welterfolg das Signum der Erwähltheit.“55 Der Berufserfolg werde zum Maßstab der Wertung des Menschen, während dieses Kriterium im Luthertum in der Berufserfüllung liege.56 Arbeit erhalte mithin einen religiösen Akzent, da sie zum Kennzeichen der Erfüllung der Treue in einem vom Gott verliehenen Beruf werde.57 Dazu kommt, dass den Calvinisten – wegen ihrer tendenziell staatskritischen Haltung – höhere staatliche Ämter und damit auch Pfründe und Lehen versagt blieben. Alfred Müller-Armack weist dem Calvinismus die entscheidende Rolle bei der Herausbildung des neuzeitlichen, kapitalistischen Wirtschaftsstils zu, da der „Gedanke der inneren Gesetzmäßigkeiten des wirtschaftlichen Lebens, zuerst theologisch fundiert, . . . eine erneute Verstärkung mit der zunehmenden Liberalisierung im calvinistischen Bereich (fand).“58 Die geistige Fundierung eines Wirtschaftssystems sei „genetisch nur als säkularisiertes Endprodukt des calvinistischen Denkens zu begreifen. Alle ihre Elemente: die Ablehnung des Staates, das naturwissenschaftliche Ideal, die Idee der ökonomischen immanenten Gesetze, die Idee der sich selbst überlassenen Welt, die gleichwohl ein geordnetes System darstellt, der Gedanke, daß selbst die bösen Triebe in der Weltordnung noch dem Guten dienen, sind Haltungen und Überzeugungen, die nicht vom wirtschaftswissenschaftlichen Denken selbst errungen wurden, sondern sich seit Jahrhunderten in einer tieferen Schicht herausbilden.“59 Dem Luthertum weist Müller-Armack weniger Bedeutung bei der Entwicklung des neuzeitlichen Wirtschaftsstils zu. Die auf die Reformation folgenden innerlutherischen Lehrstreitigkeiten zeigten darüber hinaus eine dogmatische Unsicherheit höchsten Maßes, da sie das Luthertum in eine fundamentale innere Beschäftigung stürzen, die ihm zunächst die äußere Durchschlagkraft genommen haben. Problematisch beim Luthertum sei, dass „an die Stelle, die bisher die römische Kirche einnahm, nunmehr der deutsche Fürstenstaat trat.“60 Damit gerate der Fürstenstaat in eine Position, die ihn – weil religiös zumindest nicht angefochten – absolut werden lässt.61 So bleibt nach Müller-Armack dem Luthertum – abgesehen vom Gedanken der Berufserfüllung62 – nur geringer Einfluss auf die Wirtschaftshaltung: Weder gebe es eine ausgewiesene Form der Askese noch eine ausdrückliche Distanz zur Welt, die zu einer Pflichterfüllung aufrufen könnte. 55 56 57 58 59 60 61 62
Müller-Armack (1981), 111. Müller-Armack (1981), 112. Müller-Armack (1981), 127. Müller-Armack (1981), 117. Müller-Armack (1981), 117 / 118, kursiv von Verf. Müller-Armack (1981), 121. Müller-Armack (1981), 121. Müller-Armack (1981), 122.
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IV. Der Wandel des Stilbegriffs in der Moderne 1. Müller-Armack: Kapitalismus als „Selbstrealisierungsprozess“ Müller-Armack rekonstruiert den Kapitalismus entsprechend seiner historischhermeneutischen Methode zunächst als Wirtschaftsstil, dessen Einheit umfassend sei, da „vom religiösen Dogma bis zur Form der Technik, von der Wirtschaftsführung bis zur soziologischen Gestalt des Parteiwesens . . . sich ihr die verschiedensten und in ihrer Entwicklung unverbundensten Kulturgebiete ein(fügen).“63 Müller-Armack fordert, den Begriff Kapitalismus durch „neuzeitlicher Wirtschaftsstil“64 zu ersetzen, denn jener sei „durch den Wortsinn und den politischen Beigeschmack . . . erheblichen Bedenken ausgesetzt.“65 Das besondere an der Form des neuzeitlichen Wirtschaftsstils liegt nach MüllerArmack darin, dass es sich hierbei nicht – wie der Marxismus lehrt – um ein mechanistisches Entwicklungsmodell handele. Das Monopol oder die Sonderstellung des neuzeitlichen Wirtschaftsstils gründe in der Dynamik, die er zu seinem inhärenten Lebensprinzip hat werden lassen, da hier „der wirtschaftliche Fortschritt zum Baugedanken eines Wirtschaftssystems erhoben“66 werde. Dies ist für MüllerArmack der entscheidende Wendepunkt, der die Eigenheit des neuzeitlichen Wirtschaftsstils ausmache. Das spezifische „System rationaler äußerer Ordnungen und innerer Haltungen ist nur zu verstehen als Antizipationsschema für den ökonomischen Fortschritt.“67 Konstituiert und ermöglicht durch den Kreditmechanismus nennt Müller-Armack die Entwicklung des neuzeitlichen Wirtschaftsstils einen „Selbstrealisierungsprozeß.“68 Mit anderen Worten: Die moderne marktwirtschaftliche Verfassung der Ökonomie holt die Zukunft in die Gegenwart und nutzt diese Antizipation zum Antrieb des Eigeninteresses. Die je aktuelle Bedürfnissituation, in der der Mensch lebt, ist geschaffen durch eine Vorwegnahme dieser Situation in der Vergangenheit; somit antizipiert der neuzeitliche Wirtschaftsstil das Geschehen, das in nächster Zukunft eintreffen kann, rationalisiert vermeintlich diese Situation und schafft sich so seine spezifische Welt, in der der einzelne in Zukunft zu agieren hat. Diese spezifische europäische Wirtschafts- wie Gesellschaftsform steht nach Müller-Armack mit dem Christentum als konkreter Ausprägung des monotheistischen Wirtschaftsstils in unmittelbarer Wechselwirkung. Werde Europa mit anderen Hochkulturen verglichen, zeige sich, dass keine der anderen entwickelten 63 64 65 66 67 68
Müller-Armack (1932), 25. Müller-Armack (1981), 98. Müller-Armack (1981), 97. Müller-Armack (1932), 18. Müller-Armack (1932), 18. Müller-Armack (1932), 18, kursiv von Verf.
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Lebensformen aus eigener Kraft einen dem Europäischen vergleichbaren Wirtschaftsstil entwickelt habe. Müller-Armack sieht dabei keine Differenz in den anthropologischen Dispositionen, vielmehr liege die Begründung der Unterschiede in den meist stark dem Ritualismus verhafteten Religionen, wie etwa dem Islam, oder in der strengen Konzentration auf ethische Formen des Religiösen, wie beispielsweise in China.69 Im Vergleich werde deutlich, „wie sehr auch unsere gegenwärtige wirtschaftliche und technische Kultur in Europa auf geistigen Voraussetzungen beruht, die das Christentum schuf, und zwar speziell in seiner westeuropäischen Form.“70 In der spezifischen Situation des Abendlandes komme – im Gegensatz zu weltabgewandten ritualisierten Religionen des fernen Ostens – ein Spezifikum des Christentums zum Tragen, das den ökonomischen Stil wesentlich beeinflusst: „(E)inzig im christlichen Raume (ist) . . . der Glaube durchgedrungen, daß die innere Lebensgesinnung, die Art den Alltag zu führen, mit über das Heil und den Wert des Menschen entscheide.“71 Weil das Christentum das „irdische Verhalten zum Maßstabe der Erlösung nahm, lenkte es religiöse Energie . . . in das Weltleben hinein“72. Ausgehend von dieser zunächst hermeneutisch rekonstruktiv verwendeten Funktion des Stilbegriffs bezeichnet Müller-Armack die von ihm mit entworfene Wirtschaftsform der Sozialen Marktwirtschaft einen „Wirtschaftsstil der Moderne“. Das überrascht zunächst, waren doch die Kriterien für den Stilbegriff, dass er in seiner historisch-hermeneutisch rekonstruktiven Funktion die Summe der Erscheinungen einer Zeit erfasst und dabei die metaphysischen Strukturen aufnimmt.73 Stil zeichnete sich zunächst in der Müller-Armackschen Definition als hermeneutische Kategorie dadurch aus, dass Religion, metaphysische Strukturen und die daraus abgeleiteten Werte sowie die reale Verfasstheit der Sozioökonomie in ein komplementäres Verhältnis gesetzt werden und aus ihnen die sie verbindende Einheit, die der Menschen repräsentiert, rekonstruiert wird. Indem Müller-Armack nun die Soziale Marktwirtschaft, also die für ihn zeitaktuelle Form des Wirtschaftens als einen Wirtschaftsstil bezeichnet, deutet er den Stilbegriff um, er misst ihm eine neue Funktion bei: Das stilbildende Element einer Zeit wird in der neuen Deutung des Stilbegriffs nicht mehr aus der Vergangenheit als die in den verschiedenen Entwicklungen und Strukturen unterschiedlicher Interessen liegende Einheit, die sich im Menschen selbst widerspiegelt, rekonstruiert, sondern aus der Zukunft, wie eine Gesellschaft in einer vorgestellten Einheit entsprechenden Maßstabe leben soll, antizipiert. 69 70 71 72 73
Müller-Armack (1981), 547. Müller-Armack (1981), 547. Müller-Armack (1981), 81. Müller-Armack (1981), 79. Müller-Armack (1932), 25.
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Vorweggenommen wird ein Gesellschaftsmodell, in dem sich verschiedene Interessen in Form eines Kompromisses zusammenfinden, geleitet von dem Anspruch, historische Gegensätze zwischen dualen Prinzipien wie Kommunismus oder Liberalismus, Freiheit oder Gerechtigkeit, aber auch zwischen unterschiedlichen Fächerdisziplinen, zu überwinden. Damit avanciert der Stilbegriff zu einem sozioökonomischen Imperativ für alle unter ihrer Leitidee lebenden Individuen und Institutionen. 2. Der Einfluss des Christentums auf den Wirtschaftsstil der Moderne Auch auf die Soziale Marktwirtschaft als Wirtschaftsstil der Moderne hat das Christentum nach Müller-Armack Einfluss. Müller-Armack bestimmt die Werte, die das Fundament der Sozialen Marktwirtschaft bilden, als Humanitas, Freiheit und soziale Gerechtigkeit, die er explizit aus der abendländisch-christlichen Tradition ableitet. Grundlage und Gestaltung eines sozioökonomischen Imperativs heißt nach Müller-Armack ein Bekenntnis zu Werten, „die . . . nur dem christlichen Wertfundament entstammen können.“74 Das heißt nicht, dass die Soziale Marktwirtschaft ein christlich-normatives Wirtschaftsordnungskonzept ist oder Affinitäten75 zu einer bestimmten konfessionell geprägten Soziallehre habe. Vielmehr muss sie aus den verschiedenen Soziallehren die systematischen Elemente in sich aufnehmen, die die Ausgestaltung eines irenischen Stilgedankens ermöglichen.76 Wichtig sei dabei die christliche Anthropologie, die durch ihre Lehre von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen einen entscheidenden Beitrag zur Ausgestaltung eines Wirtschaftsstils bilden könne.77 Basierend darauf, sei der Grundgedanke der Sozialen Marktwirtschaft der einer „sozialen Irenik.“78 Der Beitrag, den die katholische Soziallehre für die Stilgestaltung der Sozialen Marktwirtschaft nach Müller-Armack leisten kann, ist der Ordogedanke. Dieser schütze vor Verabsolutierung, er weise weiterliegende, längerfristige, umfassende Wertziele aus.79 Demgegenüber ist das Fundament der evangelischen Sozialethik nach Müller-Armack „flüssig“80. Der Beitrag, den die protestantische Theologie aktuell-historisch zu einer Stiltheorie der sozialen Irenik leisten kann, komme von lutherischer Seite, denn die lutherische Theologie kann nach Müller-Armack zur Ausgestaltung des Berufsgedankens beitragen, der „der Erfüllung des einmal gewählten Lebensberufes eine sittliche Vertiefung gegeben hat.“81 Allerdings sei 74 75 76 77 78 79 80 81
Müller-Armack (1981), 507. Vgl. etwa: Friedberger (1982), 476 f. Vgl. dazu: Walter (1986). Müller-Armack (1981), 564. Muthesius (1966), 548. Müller-Armack (1981), 565. Müller-Armack (1981), 569. Müller-Armack (1981), 569 / 570.
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im Luthertum die Gefahr, „daß man dem Staat zuviel überantwortet und damit auch der sozialen Bindung ein zu großes Vertrauen entgegenbringt“82. Der Katholizismus sei wegen seines universalkirchlichen Anspruches besser davor geschützt, den Staat zu verabsolutieren. Die betonte Offenheit der evangelischen Soziallehre bietet nach Müller-Armack in sich einen Vorteil, denn man könne flexibler auf neuere wissenschaftliche Erkenntnisse reagieren.83 Schließlich müsse auch die historische Leistung des Protestantismus, lutherisch wie reformiert, gewürdigt werden, die zu der geistesgeschichtlichen Situation geführt haben, in der sich die heutige Gesellschaft befinde und in der der Stilgedanke Soziale Marktwirtschaft gestaltet werden solle. Gerade die Sozialpolitik in der Sozialen Marktwirtschaft hat ihre Wurzeln in den lutherischen Sozialreformen, so Müller-Armack.84 Im von Müller-Armack geforderten Dialog zwischen unterschiedlichen Gruppen und Rationalitäten entstehen mithin wechselseitige Pflichten. Die christlichen Soziallehren werden bei Müller-Armack zugleich verstanden in ihrer Funktion, Konzepten gesellschaftlicher Theoriebildung den Anspruch von Letztgültigkeit zu nehmen und sie in ihrer Vorläufigkeit wahrzunehmen, sie aber als solches vorläufiges Instrumentarium mit einem Wertefundament auszustatten, auf dessen Basis sie zur aktiven Gestaltung der Gesellschaft die notwendigen Mittel ergreifen müssen. Ihr Selbstverständnis ist, „daß nur ein ausgewogenes und stabiles Gleichgewicht zwischen Freiheit und Verantwortung, zwischen Subsidiarität und Solidarität, zwischen den Belangen des Individuums und denen der Gemeinschaft, zwischen Markt und Staat, zwischen Leistung und Verteilung auf Dauer eine humane Ordnung schaffen und erhalten kann.“85
V. Fazit Erst in neuerer Zeit rekurriert man in der Debatte um ökonomische Paradigmen und Wirtschaftsethik wieder auf den Begriff Wirtschaftsstil. Es ist im Folgenden die Frage zu diskutieren, inwiefern der Stilbegriff insbesondere für eine Wirtschaftsethik aus evangelisch-theologischer Perspektive fruchtbar gemacht werden kann. Der Stilbegriff kann – das war gezeigt worden – auf der einen Seite als hermeneutisches Prinzip zur Betrachtung der Geschichte verwendet werden, auf der anderen Seite – in antizipatorischer Funktion – als sozioökonomischer Imperativ.
82 83 84 85
Müller-Armack (1981), 570. Müller-Armack (1981), 570. Müller-Armack (1981), 570. Müller-Armack, Andreas (1984), 299.
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In der antizipatorischen Funktion bekommt der Stilbegriff eine evident und eminent ethische Funktion. Diese ethische Komponente zeigt sich in der Vorstellung einer in verschiedenen Weltsichten liegenden Einheit, die der Wirtschaftsstil für sich in Anspruch nimmt und daraus konkrete Forderungen für die Ausgestaltung der Gegenwart herleitet, mithin selbst zum Imperativ einer Zeit wird. Wie sich zeigte, versucht Müller-Armack nach der ersten Überwindung ökonomischer Bedürfnisse, die Ausgestaltung der Sozialen Marktwirtschaft als leitbildhaften Gedanken zu entfalten, der zugleich die Verwurzelung des Gesamtkonzeptes in der abendländisch-christlichen Tradition verdeutlichen soll. Müller-Armack will vermeiden, dass die Soziale Marktwirtschaft das Schicksal erleidet, das der Kapitalismus in der von Weber beschriebenen Form nimmt. So war nach Weber ein „konstitutiver Bestandteil des kapitalistischen Geistes, und nicht nur dieses, sondern der modernen Kultur: die rationale Lebensführung auf Grundlage der Berufsidee . . . geboren aus dem Geist der christlichen Askese.“86 Dieser Geist der christlichen Askese sei aber, „ob endgültig, wer weiß es? – aus diesem Gehäuse entwichen. Der siegreiche Kapitalismus jedenfalls bedarf, seit er auf mechanischer Grundlage beruht, dieser Stütze nicht mehr.“87 Das aber heißt: Ziel der ethischen Theorie der Wirtschaftsstile muss es sein, jenseits der Mainstream-Ökonomie den Blick auch auf die Felder zu richten, die das Umfeld und damit das Gesamte der Wirtschaft ausmachen. Es geht um die wechselseitigen Beziehungen zwischen Wirtschaft und Gesellschaft und Ökonomie und Mensch – also auch die psychologischen Grundlagen, ohne die Wirtschaft nicht zu verstehen ist. In dieser ethischen Bedeutung kann der Wirtschaftsstilgedanke auch für eine evangelische Wirtschaftsethik nutzbar gemacht werden, die ihren Drehund Angelpunkt in der Anthropologie hat. Grundlegend sind dabei die Begriffe Freiheit und Verantwortung zu nennen, wie sie von vielen protestantischen Ethikern formuliert und reformuliert wurden. Luther entwirft in seiner Freiheitsschrift88 ein dual gefasste Anthropologie: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“89 Luther trennt die anthropologische Struktur in eine geistliche, innere und eine leibliche, äußere Natur.90 Der innere Christenmensch, der im Glauben die Freiheit als libertas aliena von Christus empfängt, ist im Gewissen frei vom Zwang der Werksgerechtigkeit. Gleichwohl: Ist diese Freiheit erst empfangen, so soll der Mensch nicht in den Zustand der Lethargie verfallen, sondern er soll diese Freiheit, die ihm von Gott zuteil wurde, der Welt gegenüber in guten Werken betätigen. Das aber heißt: Während Freiheit in der inneren Natur nur empfangen werden kann, also in 86 87 88 89 90
Weber (1987), 152. Weber (1987), 153 / 154. Luther (1883, WA 7), 20 – 38. Luther (1883, WA 7), 20. Luther (1883, WA 7), 21.
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Bezug auf den Menschen von passiver Art ist, ist sie für die äußere Natur aktiver Art; sie muss betätigt werden. Diese duale Perspektive, das Auseinandergerissensein des Menschen, ist ein Grundthema in der Anthropologie Luthers, die in der theologischen Aussage über den Menschen als simul iustus et peccator91 ihre dogmatische Verdichtung erfährt (erstmals 1514 / 15 in einer Vorlesung über den Römerbrief). Dem entspricht die duale Perspektive im Blick auf die zwei Regierungsweisen Gottes in Luthers 1523 publizierter Schrift „Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei.“92 Die sich in ihrer Grundstruktur wiederholende Dualität, die aber im Menschen zugleich verortet ist, zieht sich auch durch die wirtschaftsethischen Äußerungen, die sich bei Luther finden: Luthers Zugang zu wirtschaftsethischen Fragen ist tugendethisch, dabei zugleich auf Christus orientiert. Luther orientiert sich dabei am Gegebensein seiner Zeit, entwirft also keine systematische Wirtschaftsethik. Seine grundsätzlichen Äußerungen zu wirtschaftsethischen Fragen werden vor allem in den Tischreden verhandelt.93 Dabei stellt Luther das wirtschaftliche System als solches nicht in Frage. So heißt es in seiner Schrift „Von Kaufshandlung und Wucher“94, es klar sei klar, „das keuffen und verkeuffen eyn nottig ding ist, . . . . Es sind Gottes gaben, die er aus der erden gibt und unter die menschen teylet.“95 Das System gibt es vor, aber Luther appelliert an die Verantwortung des einzelnen. Dies wird besonders deutlich bei Luthers Argumentation im Blick auf einen gerechten Preis, bei der er auf Billigkeit, also Angemessenheit setzt: „Es sollt nicht so heyssen ,Ich mag meyne wahr so theur geben, as ich kann oder will‘, sondern also ,Ich mag meyne wahr so theur gebe als ich soll odder alls recht und billich ist‘.“96 Luther setzt auf das Individuum und seine Einstellung zum wirtschaftlichen Handeln. Das überrascht nicht, steht doch bei Luther ohnehin immer der Einzelne vor Gott. Trutz Rendtorff nimmt Luther auf, wenn er Freiheit zum Thema der Theologie überhaupt erhebt.97 Als „spezifisch christlichen Grund“98 der Freiheit bestimmt Rendtorff Gottes Zukommen auf die „in sich verlorene Welt“99. Für Rendtorff existiert Freiheit dort, „wo Einsicht in die Gründe des Gebotenen offen steht, wo das Gesetz nicht nur befolgt wird, sondern wo der Gesetzgeber, Gott selbst erkannt 91 92 93 94 95 96 97 98 99
Luther (1883, WA 56), 272. Luther (1883, WA 11), 245 – 281. Vgl. z. B. zum Thema Reichtum: Luther (1883, WA 4), 240 f. Luther (1883, WA 15), 293 ff. Luther (1883, WA 15), 293. Luther (1883, WA 15), 295. Rendtorff (1993a), 378; vgl. auch: Rendtorff (1986a), 298; und Rendtorff (1986b), 559. Rendtorff (1993a), 378. Rendtorff (1993a), 378.
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wird. Der Ort der Freiheit ist dann beim Subjekt des Gebietens selbst, bei Gott selbst zu finden.“100 Das kann nicht mehr in bloßer Begrenzung auf das menschliche Subjekt geschehen, d. h. theologisch ist der Freiheitsbegriff an Gott gebunden zu denken, freilich nicht in exklusiver Weise als „Gottes Freiheit“, sondern indem man hinter der Erfahrung der menschlichen Freiheit Gott als den Geber glaubt. Der spezifisch christliche Einsatzpunkt des Freiheitsverständnisses von Trutz Rendtorff ist also dort, wo Freiheit als Gabe Gottes, vermittelt durch die Schöpfungslehre im Glauben und als solche dann, wie die Gabe des Lebens, im Charakter des Geschenkes, als unverfügbar anerkannt wird. Freiheit bedarf aber so verstanden der Verwirklichung unter der Norm der Liebe und somit wird der Begriff Verantwortung zu einer „Steigerung des Begriffs der Freiheit und dessen ethische Einlösung.“101 Schließlich könnte der Begriff Wirtschaftsstil auch neuere Überlegungen der Ethik aufgreifen. Johannes Fischer spricht in seiner „Theologischen Ethik“102 vom christlichen Ethos im Geist der Liebe und misst der christlichen Ethik, die auf dieses christliche Ethos verpflichtet ist, eine dreifache Aufgabe zu: „Erstens muss sie die dem christlichen Ethos eigentümliche Symbolisierung der Lebenswirklichkeit – Geist, Sünde, Freiheit usw. – in kritischer Auseinandersetzung mit anderen Auffassungen des Sittlichen gegenwärtigem Verstehen erschließen und in ihrem orientierenden Sinn verdeutlichen. . . . Zweitens hat die theologische Ethik die Aufgabe, aktuelle ethische Fragen aus der Perspektive des christlichen Ethos zu beurteilen und nach Möglichkeit einer Entscheidung zuzuführen. Schließlich hat sie drittens die Aufgabe, dem, was aus der Perspektive des christlichen Ethos richtig und geboten ist, in der allgemeinen Ethik-Debatte Geltung zu verschaffen und auf seine institutionelle Verankerung – insbesondere mit den Mitteln des Rechts – hinzuwirken. Die theologische Ethik hat also das christliche Ethos auszulegen, sie hat es im Hinblick auf die ethischen Probleme der Gegenwart zu konkretisieren und sie muss sich zum öffentlichen Anwalt des christlichen Ethos machen und ihm mit argumentativen mitteln und konzeptioneller Phantasie öffentliche Geltung und institutionelle Dauerhaftigkeit verschaffen.“103 Bisher tut sich evangelische Wirtschaftsethik noch immer schwer – schwer damit, in der allgemeinen Diskussion um Moral und Ökonomie wahrgenommen zu werden, schwer aber auch mit sich selbst. Evangelische Theologie scheint – anders als etwa bei bioethischen Fragen – im Bereich der Ökonomie noch immer Berührungsängste zu haben. Das mag mit einer im Hintergrund mitschwingenden missverständlich gedeuteten Zwei-Regimenter-Lehre Luthers zusammenhängen. Gleichwohl sind es gerade die material-ethischen Fragen der Ökonomie, zu denen sich Evangelische Theologie verhalten muss, will sie nicht gänzlich unerhört blei100 101 102 103
Rendtorff (1993a), 381; kursiv von Verf. Rendtorff (1993b), 118. Fischer (2002). Fischer (2002), 46 / 47.
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ben. Aktuelle Ansätze und Entwürfe bleiben in den Konkretionen in der Schwebe104 oder vermitteln eine an einzelnen Stellen sicher notwendige, in der Praxis aber nicht hilfreiche Grundsatzkritik.105 Beiträge der Evangelischen Kirche spielen – vermutlich wegen deren meist normativen oder appellativen Ausrichtungen – in der aktuellen Debatte nur am Rande eine Rolle. Wünschenswert wäre demgegenüber ein tiefer gehende Deskription der Themen, die sich aus der Ökonomie heraus für Evangelische Ethik ergeben, um von dort die Frage zu klären, wie sich der in der Welt zum Handeln befreite Christenmensch zu einzelnen Themen verhalten kann. Die lutherische Anthropologie, Freiheit in Verantwortung, und die Frage nach dem Ethos im Geist der Liebe: Hier liegen die Grundkennzeichen eines protestantischen Wirtschaftsstils, der in seiner antizipatorischen Funktion einem Kernbestandteil bildet, um den herum sich eine materiale Wirtschaftsethik evangelischer Provenienz entwickeln kann. Summary In the current discussion on economic ethics from a Protestant perspective one can still notice strong reservations between Protestant theology and economics. With the exception of Artur Rich’s outline of Protest economic ethics from the 1980s there is still no fundamental systematic concept until today. Nonetheless, questions and topics from the area of tension between business and morality, economy and ethics come into the focus of Protestant theology more and more. This article examines the term “economic style” (Wirtschaftsstil), that appeared first in the 1920s and has regained popularity in recent years, and will determine whether it is useful in describing specifically Protestant ethics. This article will take into account the history and interpretation of this term and, going further, the ethical interpretation of “economic style”, as it was promoted especially by Alfred Müller-Armack in the 1950s, is presented.
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Etwa Meckenstock (1997), Oermann (2007), Jähnichen (2008). Vgl. Duchrow (1987, 1997, 2008).
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„Unser tägliches Brot“ . . . und was man noch zum Leben braucht Ethische Aufgaben der Ökonomie Stefan Heuser
In den letzten Jahrzehnten wurden eine ganze Reihe von ethischen Perspektiven auf das Wirtschaften entwickelt. Aus der Vielzahl der Antworten auf die Frage, wie „Wirtschaft“ und „Ethik“ zusammenhängen, lassen sich vier paradigmatische Perspektiven destillieren: Erstens eine Perspektive auf die Integration von Ökonomie und Moral, zweitens eine Perspektive auf die Korrektur von Ökonomie durch Moral, drittens eine Perspektive auf das ökonomische Eigeninteresse an Moral und viertens eine Perspektive auf die spezifisch ethischen Aufgaben der Ökonomie. Im Folgenden werde ich einige Hauptanliegen dieser Perspektiven am Beispiel der wirtschaftsethischen Konzeptionen von Karl Homann, Peter Ulrich, Peter Koslowski, Michael Hardt und Antonio Negri sowie Amartya Sen skizzieren und deren Probleme erörtern. Im Anschluss an das vierte Modell werde ich in Aufnahme von Einsichten einer Wirtschaftsethik der guten Werke, wie sie von Hans G. Ulrich vorgetragen worden ist, die Frage diskutieren, welche Aufgaben dem Wirtschaften aus der Sicht einer Ethik zugemessen werden können, die sich um die Frage dreht, was alles zu dem täglichen Brot gehört, von dem Menschen leben. Das „tägliche Brot“ verstehe ich dabei sowohl wörtlich als auch im übertragenen Sinn als Metapher für die Vielzahl von materiellen und immateriellen Gütern, von denen Menschen leben, die sie empfangen, erarbeiten, bereitstellen, anderen weitergeben und mitteilen, und die niemandem ohne zwingenden Grund vorenthalten werden können. Die theologische Codierung dieser Fragestellung kommt in meinem Aufsatz dadurch zur Geltung, dass ich das Wirtschaften als dynamische und spannungsvolle Praxis wahrnehme, in der Empfangen und Mitteilen, Phänomene der vita passiva und vita activa, aufeinander treffen, sich miteinander verschränken und unterscheiden lassen. Man könnte das eine theologische Heuristik des Wirtschaftens nennen. Die Bestimmung der ethischen Aufgaben der Ökonomie werde ich aus der Sicht einer theologischen „Güterethik“ entwickeln, in der es um die Frage geht, welche Güter das menschliche Leben tragen und durch welche Praxis und Institutionen Menschen solche Güter empfangen und einander mitteilen. Dass Menschen das tägliche Brot, um das Christen im „Vaterunser“ bitten, tatsächlich heute und immer wieder erhalten, ist das Ergebnis eines komplexen Zusammenwirkens von Vorgän-
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gen, die ohne ihr Zutun für Menschen geschehen und Schritten, die sie selbst unternehmen müssen. Da die Güter, die menschliches Leben tragen, weitgehend sozial, politisch und ökonomisch konstruiert sind, impliziert dies auch einen politischen Diskurs über die Frage, was alles in einem spezifischen Kontext ein „tägliches Brot“ heißen kann, welche Güter Menschen nicht vorenthalten werden dürfen und welche ethische und institutionelle Praxis der Verteilung, der Anerkennung sowie der Mitteilung den jeweiligen Gütern entspricht.1 Mein Ansatz setzt zweierlei voraus: Er zielt auf die Wahrnehmung, Erkundung und Beurteilung der wirtschaftlichen Praxis hinsichtlich ihrer ethischen Aufgaben und weniger auf die moralische Begründung oder Vergewisserung wirtschaftlichen Handelns. Und er impliziert, dass im Begriff der Moral mindestens zwei Dimensionen zusammenlaufen, die in der Ethik zu berücksichtigen sind, wenn sie sich als Reflexion über die Moral in ihrer ganzen Komplexität versteht: Da ist zum einen die Dimension von universalitätsheischenden Regeln und Normen und ihrer Einhaltung. Zum anderen ist da die Dimension von wandelbaren Lebensformen, die mit verschiedenen Formen und Inhalten ethischer Praxis verbunden sind. Vor dem Hintergrund vor allem letzterer Dimension von Ethik gilt mein Interesse in diesem Aufsatz denjenigen ethischen Zugängen zur Ökonomie, die nach dem substantiellen Beitrag des Wirtschaftens für Menschen fragen und dabei den Fokus auf das direkte und institutionell vermittelte Handeln miteinander und füreinander richten. Dabei werde ich das Wirtschaften als eine institutionell verortete Praxis beschreiben, durch die Menschen entdecken, was allen Menschen an Gütern zukommt und was sie einander in gemeinsamer Arbeit an Gutem bereitstellen können. Die ethische Aufgabe des Wirtschaftens verstehe ich demnach als kooperative Sorge, Menschen diejenigen Güter zukommen zu lassen, die ihnen um eines erträglichen Lebens willen heute Not tun. Zu den Gütern, über die angesichts der gegenwärtigen Anforderungen an das Wirtschaften seit einigen Jahren intensiv diskutiert wird, gehört das Gut der Kooperation. Ich werde meine Ausführungen über das „Versorgen“ als ethische Aufgabe der Wirtschaft um das Beispiel des Guts der Kooperation ergänzen und zeigen, was es heißt, die Praxis des Wirtschaftens auf die Erfüllung dieser Aufgabe hin zu beurteilen. I. Perspektiven gegenwärtiger Wirtschaftsethik Eine Unterscheidung von vier paradigmatischen wirtschaftsethischen „Perspektiven“ muss vereinfachen und kann den Spezifika der konkreten wirtschaftsethi1 Vgl. hierzu die Debatte in Nancy Fraser und Axel Honneth, Umverteilung oder Anerkennung? Eine politisch-philosophische Kontroverse, Frankfurt / Main: Suhrkamp 2003.
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schen Theorien nicht genügend Rechnung tragen. Sie erlaubt aber, neben Überschneidungen und Konvergenzen auch die wichtigsten Unterschiede dieser Theorien hinsichtlich ihres Verständnisses von Ethik und Ökonomie und deren Beziehung zueinander zu sehen. Stellt man sich Moral und Ökonomie bildlich als zwei Felder vor, deren Normen und Regeln, Handlungen, Lebensformen und Institutionen in Ethik und Ökonomik theoretisch reflektiert und antizipiert werden, dann lassen sich eine Integrationsperspektive, eine Korrekturperspektive, eine Perspektive funktionaler Inanspruchnahme und eine Perspektive auf die ethische Aufgabe des Wirtschaftens unterscheiden: Die Integrationsperspektive basiert auf der Vorstellung, dass sich die Felder Ökonomie und Moral möglichst weit überlappen bzw. ineinander aufgehen müssten. Sie hat zum Ziel, die Rationalitäten der beiden Handlungsfelder (schrittweise) zu transformieren, indem beispielsweise die Moral ökonomisch genutzt wird oder – umgekehrt – indem die Moral das Wirtschaften durchformt und trägt. Innerhalb dieser Perspektive gibt es zwei Konzeptionen, die einander wiederum diametral widersprechen: Da ist zum einen der Standpunkt der normativen Ökonomik, die davon ausgeht, dass Ethik im Dienst der ökonomischen Rationalität steht und den wirtschaftlichen Erfolg zu befördern bzw. abzusichern hat. Karl Homanns Konzeption lässt sich von diesem Anliegen her interpretieren.2 Im Anschluss an Adam Smiths klassische Theorie setzt Homann voraus, dass das Wirtschaften auf den individuellen Vorteil eines jeden bezogen ist und dass der Wohlstand aller wie von einer unsichtbaren Hand gelenkt steigt, wenn nur jeder die Gelegenheit hat, seinen eigenen Interessen zu folgen. Um einen pareto-optimalen Wirtschaftsprozess zu ermöglichen, setzt diese Theorie ein kontinuierliches Wirtschaftswachstum voraus. Die Bedeutung der Ethik für die ökonomischen Prozesse sieht Homann darin begründet, dass es ohne Kooperation kein Wachstum gibt. Um des Wachstums willen wird jeder gebraucht, der etwas in der Zusammenarbeit mit anderen in die Ökonomie einbringen kann. Kooperation wird so zu einem Zentralbegriff einer „ökonomischen Ethik“. Zum anderen führt das Bemühen um eine Zusammenführung von Ökonomie und Ethik zur Konzeption einer „integrativen Wirtschaftsethik“, wie sie von Peter Ulrich auf den Begriff gebracht worden ist. Ulrich entfaltet die ökonomische Rationalität von ethischen Grundlagen aus und will sie auf diese Grundlagen zurückführen.3 Seiner integrativen Wirtschaftsethik zufolge ist das Wirtschaften über die 2 Vgl. Karl Homann, Wirtschaftsethik. Die Funktion der Moral in der modernen Wirtschaft, in: Josef Wieland (Hrsg.), Wirtschaftsethik und Theorie der Gesellschaft, Frankfurt / Main: Suhrkamp 1993, S. 32 – 53. Vgl. auch Karl Homann und Andreas Suchanek, Ökonomik. Eine Einführung, Tübingen: Mohr Siebeck 2000. 3 Vgl. Peter Ulrich, Integrative Wirtschaftsethik. Grundlagen einer lebensdienlichen Ökonomie, Bern / Stuttgart / Wien: Haupt, 4. Auflage 2008.
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Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern hinaus auch auf die Frage bezogen, wie Menschen im guten Sinne leben wollen. Er nennt dies die „Ökonomie der Lebensfülle“, über deren Konturen es nach Ulrich einer diskursiven Verständigung und politischer Entscheidungen bedarf. Diese politischen Diskurse stehen darüberhinaus der Ausbreitung ökonomischer Imperative entgegen.4 Ulrich versteht Ökonomie über die unmittelbare Sorge um das Überleben hinaus als eine „Sinngemeinschaft“, deren ökonomische, politische und kulturelle Dimensionen in der Figur des Wirtschaftsbürgers zusammenlaufen. Die Perspektive einer Korrektur der Ökonomie durch die Moral trägt die Moral als externe Handlungslogik an die Wirtschaft heran bzw. setzt sie ihr entgegen. Sie zielt darauf, die Ökonomie und ihre Rationalität durch ein ethisches Gegengewicht einzuhegen. Im Rahmen des Korrekturmodells herrscht die Vorstellung vor, dass die Ethik als Kritik gegen ökonomische Handlungslogiken und Moral als Gegengewicht gegen deren Ausweitung im Sinne einer fortschreitenden Ökonomisierung eingesetzt werden kann. In einer extremen Form vertreten vor allem kapitalismusoder ökonomisierungskritische Autoren wie Michael Hardt und Antonio Negri5 oder Jean Ziegler6 diese Perspektive. Aus der Sicht der Ethik geben sowohl die Perspektive einer Korrektur der Ökonomie durch Moral als auch das Modell ihrer Integration Anlass zur Kritik: Bei beiden Perspektiven besteht eine Tendenz, die Moral zu funktionalisieren, indem sie entweder für das wirtschaftliche Handeln (als Treibstoff, als Schmiermittel oder Sinngebungsinstanz) in Anspruch genommen oder antagonistisch gegen die ökonomische Sachlogik in Stellung gebracht wird. Im Dienst moralfremder Zwecke aber löst sich die Moral auf bzw. verliert ihre Orientierungskraft. Geht man zusätzlich davon aus, dass die geschichtlichen Transformationsprozesse der Ökonomie eng mit der Genealogie der Moral verbunden sind, dann wird beim Korrekturmodell zum Thema, von welchem Standpunkt (geschichtsphilosophisch, anthropologisch, theologisch?) die Kritik an der Ökonomie vorgetragen werden kann. Zusätzlich stellt sich die Frage, wie die ökonomische Praxis in ihren Details zur Geltung kommen soll. Beim Integrationsmodell entsteht vor dem Hintergrund der Genealogie der Moral das Bild einer künstlich ethisierten Wirtschaftspraxis, in der die Trennschärfe von Moral und Ökonomie in einem Konglomerat ineinander übersetzbarer Werte und Funktionen verloren geht. Es wird dann undeutlich, welche spezifischen Aufgaben der Moral bzw. der Ökonomie in den wirtschaftlichen Vorgängen und Institutionen jeweils zukommen. Derartige Transformations- und Integrationsprozesse 4 Vgl. Peter Ulrich, Transformation der ökonomischen Vernunft. Fortschrittsperspektiven der modernen Industriegesellschaft, Bern / Stuttgart: Haupt, 2. Auflage 1987, S. 452 ff. 5 Vgl. hierzu Michael Hardt und Antonio Negri, Empire. Die neue Weltordnung, Frankfurt / Main: Campus 2002. 6 Vgl. Jean Ziegler, Das Imperium der Schande. Der Kampf gegen Armut und Unterdrückung, mit einem aktuellen Vorwort, Dieter Hornig (Üb.), München: Goldmann 2008.
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entziehen sich darüber hinaus einem gezielten kritischen Diskurs über die Aufgaben von Moral und Ökonomie. Diese Probleme beider Modelle lassen sich nur vermeiden, wenn Wirtschaft und Ethik weder getrennt noch integriert werden sollen, sondern in einem spannungsvollen Miteinander bleiben, in dem die jeweiligen Aufgaben und Problemstellungen klar und abgrenzbar sind und vom jeweils anderen Standpunkt aus kritisch beurteilt werden können. Um dieses kritischen Standpunkts willen ist es tatsächlich wichtig, dass es sowohl ein Außerhalb der Moral als auch ein Außerhalb der Wirtschaft gibt, von dem aus ein Urteil über die jeweiligen Aufgaben und deren Erfüllung möglich bleibt und einen institutionellen Ort gewinnt. Neben der Notwendigkeit, von moralischer wie von ökonomischer Seite Anfragen an die Aufgaben und Folgen des jeweils anderen Handlungsfelds stellen zu können, bedarf es auch eines politischen Ortes, an dem es zur Verständigung über diese Aufgaben und Folgen und die Parameter und Verfahren ihrer Beurteilung kommen kann. Ein ethischer Zugang zur Wirtschaft eröffnet sich dann beispielsweise durch die Frage, welche Aufgaben und Folgen moralische Verhaltensweisen innerhalb wirtschaftlicher Prozesse haben. Zugleich ist zu fragen, welche Aufgaben wir unserem Wirtschaften beimessen und wie die Folgen des Wirtschaftens aus moralischer und ethischer Sicht eingeschätzt werden müssen. In den wirtschaftsethischen Diskursen ist letztere Frage freilich erst im Zuge der globalen Finanzkrise wieder deutlicher gestellt worden. Vorrangig wurde in der Unternehmensethik der letzten Jahre die Frage behandelt, inwiefern Moral zu den Anliegen der Unternehmen selbst gehört. Dabei standen und stehen das Markenimage, das Ansehen des Unternehmens, die Mitarbeitermotivation, das Arbeitsklima und die Standortpflege im Vordergrund des Nachdenkens. Es geht hier um einen dritten Zugang zur Wirtschaftsethik, der sich um das Ausmaß an Ethik dreht, an dem die Ökonomie und insbesondere die Unternehmen selbst interessiert sind. Hier setzt die Perspektive einer funktionalen Inanspruchnahme der Moral durch die Ökonomie an, wie sie in Peter Koslowskis Entwurf einer ethischen Ökonomie entfaltet wird. Koslowski geht es im Unterschied zum Programm einer integrativen Wirtschaftsethik nicht um eine Ethisierung oder Politisierung der Ökonomie, sondern um die Inanspruchnahme der Moral innerhalb einer Kultur des Wirtschaftens.7 Seine Frage ist, welche moralischen Verhaltensweisen die ökonomische Rationalität im Bezug auf die menschliche Selbstverwirklichung befördern. Die Ökonomie wird bei Koslowski zum Medium dieser Verwirklichung und bedient sich dabei der Ethik und der Politik. Unklar bleibt, was ein solches Ökonomieverständnis davor bewahrt, total zu werden. 7 Vgl. Peter Koslowski, Prinzipien der ethischen Ökonomie. Grundlegung der Wirtschaftsethik und der auf die Ökonomie bezogenen Ethik, Tübingen: Mohr 1994. Vgl. auch Peter Koslowski, Wirtschaft als Kultur. Wirtschaftskultur und Wirtschaftsethik in der Postmoderne, Wien: Passagen 1989.
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Auf dieses Problem antwortet die vierte Perspektive eines ethischen Zugangs zur Ökonomie. Sie geht von der Vorstellung aus, dass das Wirtschaften und seine Institutionen erfüllbare ethische Aufgaben bzw. sogar einen politisch begründeten ethischen Auftrag hat. Diese Perspektive wendet sich gegen die Annahme, die Ökonomie durchdringe mit ihrer Sachlogik natürlicherweise die gesamte Wirklichkeit, in der sich Menschen vorfinden. Sie sucht aber anders als das Korrekturmodell die Lösung nicht in einer prinzipiellen Trennung von Ökonomie und Moral. Die Vorstellung, dass das Wirtschaften eine ethische Aufgabe hat, geht davon aus, dass nicht nur die Ökonomie ein Interesse an der Moral hat, sondern dass es auch umgekehrt einen Beitrag der Wirtschaft und ihrer Unternehmen zur Moral bzw. zum sozialen und politischen Zusammenleben gibt. Die Ethik in ihren vielfältigen Reflexionsgestalten einer sozialen, politischen, rechtlichen und medizinischen Praxis hat demnach auch ein ausdrückliches und erfüllbares Interesse an der Ökonomie. Dieses Interesse kann sich in einer unausgesprochenen Erwartung niederschlagen oder sogar als explizite Aufgabenformulierung bis hin zum institutionalisierten Auftrag Gestalt gewinnen. Die im guten Sinne begrenzte ethische „Aufgabe“ der Wirtschaft besteht nach dieser wirtschaftsethischen Perspektive darin, die Menschen so mit den in einem gegebenen Kontext notwendigen Gütern zu versorgen, dass sie frei genug werden, um herausfinden zu können, was alles über die unmittelbare Existenzsicherung hinaus zu ihrem Menschsein dazugehört. Als einer ihrer prominentesten Vertreter hat Amartya Sen diese Perspektive von lokalen und regionalen bis hin zu globalen Zusammenhängen erprobt. Sen beharrt darauf, dass Menschen nicht um der Wirtschaft, sondern um der Freiheit willen wirtschaften.8 Die wirtschaftliche Entwicklung soll dazu dienen, die realen Freiheiten von Menschen zur Teilnahme am politischen, gesellschaftlichen und religiösen Leben zu erweitern.9 Während eine Leitfrage im neoklassischen Wirtschaftsparadigma lautet, wieviel Freiheit das Wirtschaften braucht, dreht Sen diese Frage um und erörtert, wieviel Freiheit das Wirtschaften Menschen ermöglicht. Dies geschieht, indem Menschen durch ihre wirtschaftliche Praxis vom unmittelbaren Kampf ums Überleben freigestellt werden. Alle sollen die Möglichkeit erhalten, sich mit dem, was sie ökonomisch leisten können, am Marktgeschehen zu beteiligen. Niemand darf systematisch ausgeschlossen werden. Vielmehr gehört es zu jener durch Wirtschaften ermöglichten Freiheit, dass Menschen sich am politischen Geschehen beteiligen können. Keiner, der für sich selber sorgen könnte, darf in ökonomischer Abhängig8 Vgl. Amartya Sen, Ökonomie für den Menschen. Wege zu Gerechtigkeit und Solidarität in der Marktwirtschaft, Christiana Goldmann (Üb.), München: Dt. Taschenbuch-Verlag, 2005. 9 Vgl. Amartya Sen, Capability and Well-Being, in: Martha C. Nussbaum / Amartya Sen (Hrsg.), The Quality of Life. A study prepared for the World Institute for Development Economics Research (WIDER) of the United Nations University, Oxford: Clarendon Press 1997, S. 30 – 53.
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keit von anderen Menschen gehalten werden. Direkte Hilfe dient im Wirtschaften dazu, Menschen in die Lage zu versetzen, für sich selbst wirtschaften zu können. Sens Interpretation von Subsidiarität zielt damit auf den Gewinn „substantieller“ Freiheit durch Beteiligung am Marktgeschehen. An diesem Punkt bedarf Sens Konzeption einer Ökonomie für den Menschen einer Weiterentwicklung. Denn Beteiligung ist allenfalls ein indirektes Medium für den Erwerb von je nach Kontext verschieden konstruierten Gütern, die Menschen frei von der Sorge um ihr Überleben machen sollen. Wie Hans G. Ulrich aus Sicht der theologischen Wirtschaftsethik gezeigt hat, hängt substantielle Freiheit vor allem daran, dass Menschen die Güter, von denen sie leben, über Chancen zur Teilhabe hinaus auch wirklich direkt bekommen.10 Das Wirtschaften dreht sich Ulrich zufolge nicht allein um Beteiligung und Chancengleichheit, sondern auch um die direkte Versorgung von Menschen mit dem, was sie brauchen.11 Dies ist nicht allein eine Frage der politischen Organisation von Verteilungsgerechtigkeit nach Maßgabe allgemeiner Fairnessregeln12 oder nach den Anforderungen unterschiedlicher Gütersphären13. Dies ist auch Gegenstand einer ethischen Praxis, die das Wirtschaften trägt. Hierin liegt eine primäre ethische Aufgabe des Wirtschaftens, zu deren Erfüllung dann auch Beteiligung und Chancengleichheit gehören.
II. Versorgung als primäre ethische Aufgabe des Wirtschaftens Aus der Sicht einer Ethik des direkten Tuns, des Handelns für andere und mit anderen, drehen sich die ökonomische Praxis und ihre Institutionen primär darum, materielle und immaterielle Güter in der Zusammenarbeit mit anderen bereitzustellen und möglichst allen Menschen im Sinne einer verbindlichen, direkten und gemeinsamen Sorge für deren Wohl zukommen zu lassen. In diesem Dienst liegt eine primäre ethische Aufgabe des Wirtschaftens: Es dreht sich um die Versorgung von Menschen mit all dem, was in einem gegebenen Kontext aufgrund sozialer, politi10 Vgl. Hans G. Ulrich, Die Ökonomie Gottes und das menschliche Wirtschaften. Zur theologischen Perspektive der Wirtschaftsethik, in: Hans Ruh (Hrsg.), Theologie und Ökonomie, Symposium zum 100. Geburtstag von Emil Brunner, Zürich: Theologischer Verlag 1992, S. 80 – 112. Vgl. auch Hans G. Ulrich, Theologische Zugänge zum Menschenbild der Ökonomie, in: Norbert Brieskorn / Johannes Wallacher (Hrsg.), Homo oeconomicus. Der Mensch der Zukunft?, Stuttgart: Kohlhammer 1998, S. 147 – 164. Vgl. auch Hans G. Ulrich, Wie Geschöpfe leben. Konturen evangelischer Ethik, Berlin: Lit 2005. 11 Vgl. Hans G. Ulrich, Wie Geschöpfe leben (2005), S. 524. 12 Vgl. hierzu das Programm von John Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, Frankfurt / Main 1975 und desssen Weiterentwicklung in: John Rawls, Die Idee des politischen Liberalismus, Aufsätze 1978 – 1989, Wilfried Hinsch (Hrsg.), Frankfurt / Main: Suhrkamp 1994. 13 Vgl. Michael Walzer, Spheres of Justice. A Defence of Pluralism and Equality, Oxford: Blackwell 1989.
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scher und wirtschaftlicher Konventionen zum „täglichen Brot“ gehört. Auf diese Aufgabe ist es ansprechbar und an ihr lässt es sich messen. Die ökonomischen Prozesse, die um dieser Aufgabe willen im Hintergrund wirken, lassen sich von dieser primären Aufgabe aus evaluieren. Allgemeine Werte wie „Wachstum“, „Gemeinwohl“ und „Chancengleichheit“, im abgeschwächten Sinn auch „Beteiligung“, lassen die Frage nach den Gütern, die beim einzelnen Menschen um eines erträglichen Lebens willen wirklich jetzt ankommen müssen, weitgehend offen. Das berechtigte Anliegen, dem Marktgeschehen möglichst weitgehende Freiheiten einzuräumen, kann aber nicht die Konsequenz haben, dass lediglich konturenlose Aufgaben an das Wirtschaften herangetragen werden, deren Einlösung nicht absehbar ist. Oft werden „Lebensdienlichkeit“ oder „Nachhaltigkeit“ als solche Aufgaben genannt. Es muss aber um definierbare Aufgaben der Ökonomie gehen, wie sie sich hinsichtlich der gemeinsamen und kooperativen Bereitstellung der Güter, von denen Menschen leben, konkretisieren lassen. Die ökonomische Wirklichkeit kommt aus dieser Perspektive nicht nur als Folge ungreifbarer Zustände in den Blick, sondern kann von einer vielfältigen und komplexen Praxis her verstanden werden, in deren Vollzug die Ökonomie für Menschen ansprechbar wird und nicht bloß ein anonymes Kräftespiel bleibt. In einer solchen kooperativen Praxis, in der jemand etwas Bestimmtes mit einem und für einen oder mehrere Menschen tut, und deren Inhalte artikuliert und kritisiert werden können, zeichnet sich eine wichtige ethische Aufgabe des Wirtschaftens ab. Dadurch tritt die Wirtschaftspraxis in ihren Akteuren, Verantwortlichkeiten, Inhalten und Adressaten hervor. Wirtschaft und Ethik – und die Politik – treffen sich in der Frage, was für den Anderen getan werden kann und wie sich diese direkte Hilfe institutionalisieren lässt. Ziel ist es, dass nicht nur der Nächste, sondern auch der Übernächste und prinzipiell alle Betroffenen ihren Anteil an der Mitteilung der Güter erhalten, die sie für ein erträgliches Leben brauchen. Es kann daher nicht die erste Aufgabe der Ethik oder der Politik sein, bei der Wirtschaft eine Orientierung am „Wachstum“ und am „Gemeinwohl“ einzuklagen. Wachstum und die Steigerung des Gemeinwohls sind bedeutende ökonomische Vorgänge hinter der primären Aufgabe der Wirtschaft, Menschen mit den notwendigen Gütern zu versorgen. Unter Umständen erscheinen diese Vorgänge von der primären Aufgabe aus als kritikwürdig, beispielsweise, wenn um eines unabsehbaren Wachstums willen Ressourcen verbraucht und Arbeitslosigkeit verfestigt wird. Das Interesse der Ethik an der Wirtschaft richtet sich auf die kooperative und sozial eingebettete Entwicklung und Bereitstellung der materiellen und immateriellen Güter, von denen Menschen leben. Die wirtschaftsethische Fragestellung umfasst damit die Frage nach dem jeweiligen „Gut“ des Wirtschaftens inmitten einer vielfältigen ökonomischen Praxis sowie die Frage, inwiefern die Güter an Menschen adressiert sind, die ihrer bedürfen. Offen ist, ob die Mitteilung, Zutei-
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lung und Verteilung von Gütern in erster Linie eine ökonomische oder nicht eher eine politische Aufgabe ist. Jedenfalls gehört diese Frage immer wieder neu auf die politische Agenda. Fest steht, dass wohl nur die Politik dafür Sorge tragen kann, dass nicht das Vermögen von Monopolisten und Kartellen allein über die Verteilung- und Mitteilung dieser Güter entscheidet.14 Die eigentliche ethische Aufgabe scheint aber eher in das Spannungsfeld von persönlicher und institutioneller Interaktion hineinzuführen als in ein Gegenüber von ökonomischem und politischem Handeln. Die Frage, wie Menschen dazu kommen, einander Gutes mitzuteilen, stellt sich sowohl im Medium der Macht (Politik) als auch im Medium der Kooperation (Ökonomie) – sie ist aber in erster Linie eine Frage nach der institutionellen Reichweite einer Praxis des direkten Tuns. Innerhalb dieses Spannungsfeldes steht der Beitrag der Ökonomie dazu, dass das Gute, das Menschen Not tut, auch tatsächlich bei ihnen ankommt, zur Diskussion. Ob ethische Aufgaben des Wirtschaftens den Rang einer res publica haben, ist jeweils politisch zu ermitteln und auf politischem Weg auf ihre institutionelle Gestalt hin zu beurteilen. Die Frage, wie Menschen mit anderen und für andere so wirtschaften, dass keiner arm und in unerträglicher Sorge bleiben muss, wird sich an den jeweiligen Gütern festmachen, die aus verschiedenen und vielschichtigen Bereichen des Wirtschaftens stammen und die ihren Gehalt in sozialen Beziehungen entfalten.15 Beispiele für Güter sind „Arbeit“ und „Kooperation“, „Wohlstand“, „Gesundheit“, „Einkommen“, „Bildung“, „Nahrung“ und „Wohnung“, kurz: alles, was in einem historischen Kontext aufgrund vielfältig codierter Bedürfnisse, Konventionen und Bedingungen zum täglichen Brot gehört, von dem Menschen leben. Von Gütern, die solcherart das Leben von Menschen tragen, kann niemand dauerhaft und prinzipiell ausgeschlossen werden. Die Frage aber, was in einem gegebenen Kontext zu diesen Gütern zählt und wie ihre Mitteilung institutionalisiert ist, gehört auf die politische Tagesordnung. Damit bleibt die inhaltliche Dimension der Zusammenarbeit der Wirtschaftspartner Thema einer öffentlichen Auseinandersetzung über die ethischen Aufgaben der Ökonomie. Die Wirtschaftsethik beurteilt dann nicht bloß wirtschaftliche Zustände oder prüft die Möglichkeiten, die Ökonomie zu ethisieren. Vielmehr bringt sie die primäre ethische Aufgabe der Ökonomie in den öffentlichen Diskurs ein und erkundet dort, was durch eine Wirtschaftspraxis des Empfangens, der Erarbeitung, der Bereitstellung sowie der Mitteilung von Gütern für Menschen direkt oder auf dem Weg institutioneller Vermittlung getan werden kann. Gegenstand des wirtschaftsethischen Diskurses sind dann nicht bloß wirtschaftliche Zustände, sondern die Inhalte des Wirtschaftens, die sich Menschen durch die Praxis des Wirtschaftens hindurch mitteilen und durch die sie gemeinsam für das Sorge tragen, was sie und andere für ein erträgliches Leben brauchen. Vgl. ibid., S. 17 ff. Wegen dieser Rolle von Gütern als Resultat und Medium sozialer Beziehungen spricht Michael Walzer von Gütern als „social goods“: Spheres of Justice (1989), S. 10. 14 15
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Dabei wird auch ein Begriff zum Gegenstand werden, der den wirtschaftsethischen Diskurs der letzten Jahre mitbestimmt hat: der Begriff der Kooperation. Je mehr das kooperative Wirtschaften zur Notwendigkeit und Selbstverständlichkeit wird, desto deutlicher wird, dass Kooperation selbst ein komplexes und unverzichtbares Gut und eine ethische Aufgabe der Wirtschaft ist.
III. Das Gut der Kooperation und die Begrenzung der Sorge Das Thema „Kooperation“ zieht sich quer durch alle mir bekannten Zugänge zur Wirtschaftsethik. Dabei bewegt sich der Begriff in einem Spannungsfeld zwischen Zwang und Versprechen: Einerseits erhält die Rationalität der Kooperation angesichts der komplexen, interdependenten und hoch arbeitsteiligen Wirtschaft der Gegenwart den Rang eines unhintergehbaren, notwendigen und zwingenden Imperativs. Es wird von den wirtschaftenden Menschen selbstverständlich erwartet, sich auch über gegenläufige Motive hinweg auf Kooperationen einzulassen. Andererseits ist Kooperation mit dem Versprechen von Synergie, Produktivität, Innovation, Hilfe, Miteinander und Freude am gemeinsamen Wirtschaften verbunden. Wir sind gleichermaßen verdammt und verlockt zur Kooperation. Josef Wieland zufolge muss Kooperation im Wirtschaften hinsichtlich ihrer Prozesse und ihrer Substanz immer wieder neu gewonnen werden – ein Vorgang institutionell verorteter Interaktionen, bei dem Moral eine entscheidende Rolle spielt.16 Freilich geht Wieland nicht davon aus, dass Moral in Form von Tugenden, Regeln oder Normen in die Wirtschaftsprozesse hineingetragen werden kann oder müsste. Ohne negative Folgen für die Moral und für die Wirtschaft lässt sich das Wirtschaften nicht künstlich ethisieren. Das zeigt auch die Erfahrung, der ein CEO von Levi Strauss, Robert D. Haas, nach dem vergeblichen Versuch gemacht hat, ein Compliance-Programm in seinem Unternehmen zu etablieren. Er bringt das folgendermaßen auf den Punkt: „You can‘t force ethical conduct into an organization.“17 Die Moral entfaltet eine positive Wirkung in der Wirtschaft demnach nur, wenn sie nicht in die ökonomische Rationalität eingebaut wird, sondern ein Gegenüber der Ökonomie bleibt, das erst einmal für sich steht und als solches in Wirtschaftsprozesse hineinwirkt bzw. im Wirtschaften virulent wird. Dies gilt insbesondere für die Kooperation als ethische Aufgabe des Wirtschaftens. Für die Gestalt und die Logik der Kooperation ist es nicht unerheblich, wo sie im Spannungsfeld von Versprechen und Zwang zu stehen kommt. Ebenso dringlich 16 Vgl. Josef Wieland, Kooperationsökonomie. Über das Verhältnis von Ökonomie und Gesellschaft, in: Birger P. Priddat (Hrsg.), Der bewegte Staat. Formen seiner ReForm. Notizen zur „new governance“. Marburg: Metropolis 2000. Vgl. auch Josef Wieland, Globale Wirtschaftsethik. Steuerung, Legitimität und Kooperation, in: Matthias Kettner (Hrsg.), Angewandte Ethik als Politikum, Frankfurt / Main: Suhrkamp 2000, S. 365 – 387. 17 Robert D. Haas, Ethics – A Global Business Challenge, in: B.N. Kumar / H. Steinmann (Hrsg.), Ethics in International Management, Berlin / New York: de Gruyter 1998, S. 216.
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ist die Frage, ob Kooperation als eine Praxis gesehen wird, die wirtschaftliches Handeln trägt oder als eine Strategie, um die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und den wirtschaftlichen Erfolg zu steigern. Dreht sich Kooperation vorrangig um eine Verbesserung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit? Oder bringt sie eine gemeinsame Sorge um das zur Geltung, was Menschen zum Leben brauchen? Im letzteren Fall wäre Kooperation als eine wirtschaftliche Praxis zu verstehen, durch die Menschen herausfinden, was sie im gemeinsamen Tun empfangen, wodurch ihre Arbeit im guten Sinn begrenzt ist und was sie einander durch die Zusammenarbeit an Gutem mitteilen können. In dieser Erfahrung eines gemeinsamen, kooperativen Wirtschaftens können sich vita activa und vita passiva miteinander verschränken. Kooperation kann auf besondere Weise erfahrbar machen, wie das Leben aus dem Empfangen und das Leben aus dem Herstellen bzw. Produzieren zusammenhängen. Diese Erfahrung ist so wichtig wie das tägliche Brot, weil sie im Wirtschaften präsent werden lässt, wovon Menschen leben und was alles für sie geschieht, bevor sie überhaupt aktiv werden. Dass sich diese Erfahrung in der Kooperation überhaupt einen Weg bahnen kann, hängt wesentlich an der (Erwerbs-)Arbeit als wirtschaftlichem Bezugsrahmen der Kooperation. Die Eigenart von Kooperationen und ihr Erfahrungsgehalt ändern sich mit dem Charakter der jeweiligen Arbeitsverhältnisse. Das Spannungsfeld dessen, was „Arbeit“ heißen kann, reicht von der antiken Marginalisierung der Arbeit bis hin zu ihrer modernen Totalisierung. Heute bringen die Imperative der Flexibilität, der Selbstsorge und der Mobilität Lebensformen wie diejenige des „Intrapreneurs“18, eines Unternehmers in eigener Sache hervor. Dieser tritt an die Stelle des „Arbeiters“.19 Mit Blick auf die moderne Arbeitsgesellschaft war noch Hannah Arendt davon ausgegangen, dass sich eine Gruppe von Menschen in der Arbeitsgesellschaft immer mehr zu Arbeitstieren verwandelt, während eine andere Gruppe durch die Rationalisierung der Produktionsprozesse systematisch aus der Erwerbsarbeit ausgeschlossen wird.20 Heute fügen die Übergänge von arbeitsgesellschaftlich zu tätigkeits- bzw. wissensgesellschaftlich begründeten Beschäftigungsformen dem Problem des Totalwerdens der Arbeit noch neue Facetten hinzu. So stellt sich die Frage, ob es gelingt, Menschen zugleich in den Arbeitsmarkt zu integrieren und die Arbeit heilsam zu begrenzen. Angesichts dieser Frage aber kann der Begriff der Arbeit inhaltlich nicht unbestimmt bleiben. Von welchen Inhalten von „Arbeit“ geht die Diskussion über neue Formen von Erwerbsarbeit (z. B. das ambivalente Konzept einer „Bürgerarbeit“) und die Transformation bisheriger Arbeitsverhältnisse (z. B. die Verwandlung informeller in formelle Arbeitsverhältnisse) aus? Bei der Bestimmung der Inhalte von „Arbeit“ 18 Vgl. Birger P. Priddat, Arbeit an der Arbeit: Verschiedenen Zukünfte von Arbeit, Marburg: Metropolis 2000, S. 62 ff. 19 Vgl. Ulrich Bröckling, Das unternehmerische Selbst. Soziologie einer Subjektivierungsform, Frankfurt / Main: Suhrkamp 2007. 20 Vgl. Hannah Arendt, Vita activa oder Vom tätigen Leben, München: Piper 2002, S. 407 ff.
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kommt dem Begriff der Kooperation eine Schlüsselfunktion zu. „Kooperation“ ist nicht nur ein Mittel, um Güter bereitzustellen, sondern sie ist selbst ein Gut. Ein Gut, durch das die Wirtschaft für Menschen erfahrbar werden lässt, wovon sie (unter anderem) leben – sei es aus der schieren Notwendigkeit zu Kooperieren oder aus Freude an der Zusammenarbeit, sei es durch gelungene oder missglückte Kooperationen. Durch Kooperation können Menschen erfahren, was es heißt, etwas zusammen mit anderen und für andere zu tun und etwas für sich geschehen zu lassen. Vor dem Hintergrund dieser Bedeutung von Kooperation ist es eine ethische Aufgabe des Wirtschaftens, Erwerbsarbeitsverhältnisse zu stiften und zu erhalten, durch die Menschen auf andere Menschen in der Praxis der Kooperation ausgerichtet werden und je nach Dauer, Inhalt und Reichweite dieser Kooperation erkunden, was sie miteinander und füreinander tun können. Erwerbsarbeit ist eine herausgehobene, unhintergehbare Gelegenheit zur Kooperation. Es bleibt für Kooperationen nicht folgenlos, wenn Normalarbeitsverhältnisse durch befristete Formen von Beschäftigung ersetzt werden. Die Differenz zwischen einem von Dauer geprägten und mit einem deutlichen Auftrag versehenen Normalarbeitsverhältnis und anonymen, unabsehbaren und auf das Ganze des Lebens übergreifenden Wirtschaftsprozessen wirkt sich auf Kooperationsmöglichkeiten und Kooperationserfordernisse aus. Durch Kooperation teilt sich Menschen je nach Institutionalisierungsgrad ihrer Arbeitsverhältnisse Unterschiedliches mit. Das Angebot und die Logik der Arbeit können jenen ethischen Aufgaben der Wirtschaft auch zuwiderlaufen, ohne deren zumindest partielle Erfüllung wir uns ein erträgliches Wirtschaften nicht vorstellen können. Erträglich bleibt das Wirtschaften da, wo Kooperation nicht allein als Instrument einer zwanghaften Verbesserung von Produktivität oder einer unabsehbaren Steigerung des Tätigseins ausgeübt wird, sondern immer wieder auch als Praxis erfahren wird, durch die Menschen auf den Anderen im Sinne gemeinsamer und geteilter Sorge aufmerksam und ausgerichtet werden. Kooperation muss neben einer ökonomischen Strategie auch eine komplexe Praxis des Empfangens und des Mitteilens sein, in der Menschen durch die Erfahrung dessen, was ihnen vor und in allem eigenen Tätigsein zukommt, auf den Dienst am Anderen ausgerichtet werden.21 So verstanden, kommt durch Kooperation eine unverzichtbare Aufgabe und Begrenzung von Arbeit zur Geltung. Die Wirtschaft ist im Zusammenspiel mit anderen gesellschaftlichen Akteuren daher gefragt, Normalarbeitsverhältnisse bereitzustellen, in denen Menschen erfahren und erkunden können, was es heißt, arbeitend im Empfangen und Werden zu bleiben, gemeinsam für das Leben Sorge tragen und nicht zu Arbeitstieren werden müssen. Vom Gut der Kooperation her gewinnt auch das Gut der Freiheit einen konkreten Sachgehalt: Es geht im Wirtschaften durch die konkrete Zusammenarbeit mit ansprechbaren und verantwortlichen Akteuren nicht irgendwie um Freiheit, sondern 21
Vgl. Hans G. Ulrich, Wie Geschöpfe leben (2005), S. 513 ff.
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um die (Wieder-)Gewinnung einer konkreten und einlösbaren Freiheit von ungreifbaren Abhängigkeiten und von undurchsichtigen Vorgängen. Diese Erfahrung eröffnen nicht nur geglückte Kooperationen. Aber Kooperationen müssen auch immer wieder einmal gelingen, wenn Menschen durch sie erfahren sollen, dass sie nicht allein auf der Welt sind und nicht für alles alleine Sorge tragen müssen. Die Freude, die gelungene Kooperationen machen, geht auf diese Erfahrung der Begrenzung der Sorge zurück. Kooperation richtet sich gegen das Überhandnehmen der Sorge um das eigene Leben und Überleben. Die Erfahrung, dass jemand in der Kooperation etwas für einen anderen tut und dieser andere umgekehrt auch für ihn, begrenzt diese lähmende Sorge und befreit dazu, für sich und andere im rechten Maß Sorge zu tragen. Die Begrenzung menschlicher Sorge durch die Versorgung mit den Gütern, die allen zukommen, ist die zentrale ethische Aufgabe der Wirtschaft. Eine dieser Aufgabe entsprechende Praxis ist die Kooperation. Sie ist das paradigmatische immaterielle Gut der Wirtschaftspraxis, so wie das tägliche Brot das paradigmatische materielle Gut ist. Indem Kooperation diese ethische Aufgabe in aller Ambivalenz und Gebrochenheit immer wieder erfüllt, löst die Wirtschaft ein Versprechen ein, das allen Menschen gilt: das millionenfach uneingelöste Versprechen, dass kein Mensch aus Sorge um sein tägliches Brot verzweifeln muss.
Summary In this paper, the author takes the point of view of an ethics that not only orbits around rules, norms, conscience, attitudes, habits, virtues or responsibilities, but also around the question what people can do directly for others and together with others. He argues that much of economic ethics today runs the risk of either taking an external, moralizing or simply stabilizing perspective on the economy, or of allowing ethics to become an internal function of economic action. The author suggests a turn towards the discussion of ethical tasks of the economy to yield a framework for a critical and explorative evaluation of economic action and institutions. Drawing on ideas of Amartya Sen and of Hans G. Ulrich, the author suggests that one primary ethical task of the economy is to supply people with their “daily bread” – a metaphor for the material and immaterial goods that people need to lead bearable lives in the contexts they inhabit. The corresponding ethical question to the economy is whether it serves to produce and to provide such goods and really makes them arrive at those who are in need of them. The author contends that the limitation of anxiety and the provision of substantial freedom cannot be left to trickle-down effects or to the “invisible hand”, but needs to be regarded as the primary and direct ethical task of the economy. In this perspective on the economy, “cooperation” forms a paradigmatic practice by means of which people directly experience what it means to do something for others and to receive what happens for them. As one medium of the experience of what people live on, cooperation is
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described as a central ethical task of the economy. The author concludes that due to the conventional nature of goods his approach implies a political discourse about the question what counts as “daily bread” in specific contexts, and which ethical and institutional practices of distribution and of recognition accord to these goods.
Glück und Gemeinsinn – zwei ordnungspolitische Leitbegriffe in wirtschaftsethischer Perspektive Bettina Hollstein
I. Einleitung Fragt man Wirtschaftsethiker, was das wichtigste Konzept sei, wenn es um Fragen von Recht und Wirtschaft geht, dann lautet die Antwort häufig: die Rahmenordnung – die der Wirtschaft einerseits Handlungsmöglichkeiten eröffnet, aber andererseits auch Grenzen aufzeigt. Schon der Begriff Rahmenordnung deutet an, dass die Ökonomie nicht als isoliertes System betrachtet werden kann, sondern in einen Gesamtrahmen eingebettet ist. Dabei ist dieser Rahmen nicht auf rechtliche Vorgaben begrenzt, sondern umfasst auch soziale, kulturelle und natürliche Umwelten. Sie alle spielen für die Eingebettetheit oder „embeddedness“ der Wirtschaft, wie sie u. a. von Wirtschaftssoziologen1 thematisiert wurde, eine zentrale Rolle.2 Nimmt man diese Vorstellung der „embeddedness“ ernst, so bedeutet dies, dass Kulturalität3 in ihrem breitesten Sinne für die Erklärung und Interpretation ökonomischer Sachverhalte von besonderer Bedeutung ist. Dabei verweist Kultur als „shared symbolic system“4 auf Sinnmuster, also geteilte Symbole, deren Sinn Handlungen Orientierung verleiht. Somit kommen Werte, Normen, Traditionen und Verhaltensweisen, Institutionen, Solidaritäts- und Subsidiaritätssysteme in den Blick, die kulturell sehr unterschiedlich ausgeprägt sein können und somit je unterschiedlich auf das ökonomische System einwirken und auch selbst wieder von diesem beeinflusst werden. Selbst dort, wo scheinbar besonders strenge wissenschaftliche Maßstäbe – nämlich der Naturwissenschaften – an eine so genannte „reine Ökonomik“ angelegt werden, lässt sich beispielsweise zeigen, dass diese häufig von einer impliziten Ethik durchzogen ist5. Wie Schumann in einem theorieGranovetter 1985 / 1992. Die Rede von der „eingebetteten“ Ökonomie – erstmals bei Polanyi (1978) – findet sich bei einer ganzen Reihe von sozialwissenschaftlichen Kritiken der „reinen Ökonomie“ (Schumpeter 1908, S. 29), die in unterschiedlicher Weise die Berücksichtigung des kulturellen Kontextes einfordern. Siehe zum Konzept der „embeddedness“ auch Barber (1995). 3 Kultur ist hier kein Bereich, sondern eine Dimension des menschlichen Lebens (Geertz 1983, S. 194 ff.). Die Wirtschaft und die darin stattfindenden Handlungen sind davon tangiert und folgen weder ausschließlich Nutzenkalkülen noch Modellen der Normenbefolgung (Beschorner / Schmidt 2004, S. 10). 4 Priddat 2003, S. 195 mit Verweis auf Parsons 1951, S. 16. 1 2
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geschichtlichen Beitrag mit Bezug auf Adam Smith und dessen unvollendet gebliebenen Integrationsversuch von Ethik, Politik und Ökonomie zeigt, stellen diese Bereiche interdependente gleichberechtigte Einheiten dar, die nicht unabhängig voneinander abschließend untersucht werden können6. Die Wirtschaftsethik interessiert sich vor allem für Fragestellungen an den Schnittstellen dieser Einheiten – also beispielsweise dafür, welches die Politik und die Wirtschaft bestimmende Werte und Traditionen sind, wie ethische und / oder politische Normen das ökonomische Handeln bewerten und direkt oder indirekt beeinflussen, wie die Ökonomie auf die kulturellen Gemeinschaften, die Wertsysteme und die Politik zurückwirkt, wie aus diesen Interaktionen Ideen für wirtschaftspolitische Empfehlungen generiert werden können etc. Diese Interdependenzen zu untersuchen, ist zentraler Gegenstand der Wirtschaftsethik. Die Rede von der „eingebetteten“ Ökonomie kann dabei in zweierlei Weise interpretiert werden. Zum einen kann man dies so verstehen, als würde einerseits ein rechtlich-institutioneller Ordnungsrahmen von außen gesetzt, innerhalb dessen die Wirtschaft entsprechend ihrer eigenen Logik agieren kann. Eine solche Vorstellung wird beispielsweise von Karl Homann vertreten, der folglich den systematischen Ort der Wirtschaftsethik – also der Disziplin, die sich mit der Frage befasst, „welche Normen und Ideale unter den Bedingungen der modernen Wirtschaft und Gesellschaft zur Geltung gebracht werden [sollen]“7 – in der Rahmenordnung sieht. Andererseits kann man den Begriff der Einbettung auch so verstehen, dass jedes reale ökonomische Handeln in seinen Kontext verwoben ist und dass eine Trennung des Handelns einerseits von Rahmenordnung und kulturellem Kontext andererseits lediglich analytisch möglich ist, so dass auch theoretisch dieser Einbettung oder Verwobenheit Rechnung getragen werden muss. Diese vom Pragmatismus inspirierte Herangehensweise ist leitend für den vorliegenden Beitrag.8 Dieses kontextuale Denken, das die Ökonomie nicht als eigenständiges unabhängiges System, sondern als eingebettet in eine natürliche und soziale Umwelt und in kulturelle Werte und Interpretationskontexte betrachtet, ist auch charakteristisch für die ordoliberale Schule. Unter Wirtschaftshistorikern besteht weitgehend Konsens darüber, dass gerade das kontextuale Denken der Ordoliberalen den Erfolg der Sozialen Marktwirtschaft im Deutschland der frühen 1950er Jahre mit begründete9. In dieser Perspektive ist es dann nicht mehr möglich, außerhalb des ökonomischen Systems die Zwecke zu bestimmten, die dann innerhalb der Ökonomie mit zweckrationalen Mitteln verfolgt werden. Zwecke und Mittel lassen sich dann Schumann 2005, S. 110. Ebd., S. 111 ff. 7 Homann 1992, S. 7 f. 8 Für weitere Hinweise zu einer pragmatistischen Wirtschaftsethik unter Bezugnahme auf Joas (1992) s. Hollstein (2007). 9 Goldschmidt / Zweynert 2009, S. 2. 5 6
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nicht unabhängig voneinander bestimmen. Bereits Hans Albert hat hierzu festgestellt: „Das Problem der Entscheidung bleibt auch dann ein ethisches, wenn über die zu realisierenden Zwecke bereits vorentschieden wurde. . . . Wenn der Zweck nicht die Mittel heiligt, wenn eine Entscheidung über das zu realisierende Zwecksystem nicht die Rationalisierung der Mittelverwendung ermöglicht, dann hat es vom ethischen Gesichtspunkt keinen Sinn, die Probleme in zwei Stufen zu lösen“10. In diesem Beitrag wird daher an die pragmatistische Erkenntnis angeknüpft, dass Zwecke nie unabhängig vom Handeln ein für alle mal festgelegt werden können, sondern sich kreativ im Prozess des Handelns entwickeln und verändern11. Dabei spielen für die Deutung des Handelns bestimmte Wertvorstellungen und Deutungsangebote, die kulturell vorfindbar sind, eine große Rolle. Zwei davon sollen im Folgenden näher betrachtet werden. Die zwei zentralen Wertvorstellungen moderner Gesellschaften, die hier in den Blick genommen werden sollen, sind Glück und Gemeinsinn. Teilweise werden sie sogar als Antipoden wahrgenommen: Während Glück in der Regel individualistisch interpretiert wird und somit als Bezugspunkt das einzelne Individuum hat, verweist der Begriff Gemeinsinn explizit auf die Gemeinschaft. Dem Glück – häufig als individuelles Ziel verstanden, dessen egoistische Verfolgung Gemeinschaft zerstören kann – wird dann der Gemeinsinn entgegengesetzt, der oft als notwendige Tugend für den Zusammenhalt von modernen, individualistischen Gesellschaften gefordert wird. Beide Wertvorstellungen sollen dahingehend untersucht werden, inwiefern sie (1) als normative Prämissen dienen, in die die Wirtschaft eingebettet ist12 und die ökonomisches Handeln prägen oder legitimieren, (2) ob sie als Maßstab zur wirtschaftsethischen Beurteilung von Wirtschaftsordnungen geeignet sind und (3) ob sie darüber hinaus eine heuristische Funktion bei der Entwicklung von wirtschaftspolitischen Maßnahmen aus wirtschaftsethischer Perspektive übernehmen können.
II. Glück – die Norm moderner Wirtschaftsgesellschaften? Glück ist ein wesentliches Ziel moderner Gesellschaften, die in der Regel versuchen, dieses – häufig als „subjektives Wohlbefinden“ operationalisierte Ziel – mit Hilfe von kapitalistischen Marktwirtschaftssystemen zu realisieren. Die utilitaristische Konzeption von Glück als Nutzenmaximum und seine weitere Operationalisierung in der Ökonomik über steigendes Einkommen bzw. steigenden Wohlstand bietet dabei die normative Grundlage und stellt somit eine zentrale Kategorie der Mainstream-Ökonomik dar, die heute noch wirkungsmächtig ist in ordnungs10 11 12
Albert 1972, S. 21. Joas 1992, S. 187 ff. Ulrich 2004, S. 56.
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politischen Vorstellungen, wie sie sich bereits im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz vom 8. Juni 1967 ausdrücken und heute noch handlungsleitend sind – beispielsweise für die Bemühungen der deutschen Bundesregierung zur Bewältigung gegenwärtiger Finanzkrisen durch das Wachstumsförderungsgesetz oder diverse Konjunkturpakete.13 Utilitaristen streb(t)en an, das größte Glück der größten Zahl zu realisieren14. Einer der Begründer des Utilitarismus, Jeremy Bentham, beschreibt das Nutzenprinzip so, dass alles, was das Glück der betroffenen Person befördert, positiv beurteilt wird15. Dabei werden die Begriffe Vorteil, Nutzen, Freude, Zufriedenheit, das Gute und Glück synonym benutzt. Der spezifische Inhalt dessen, was Glück bedeutet, wird völlig offen gelassen. Die Gruppe oder Gemeinschaft, ist eine fiktive Größe, die sich aus den Individuen zusammensetzt, die betroffen sind. Der Nutzen der Gemeinschaft ist daher die Summe der Nutzen der Individuen, die berechnet und maximiert werden kann16. Damit wurde eine bestimmte aufklärerische Position – unter vielen anderen – eingenommen, die den Nutzen jedes einzelnen Individuums, unabhängig von seinem Status, in den Blick nimmt. Die genannten drei Charakteristika (inhaltsleeres Konzept des Glücks / Nutzens, methodologischer Individualismus und Quantifizierung, die eine Maximierung erlaubt) sind auch heute noch charakteristisch für das Verständnis von Glück in der Ökonomik. Für Adam Smith war noch klar, dass eine liberale politische Ökonomie, wie er sie in seinem Buch The Wealth of Nations17 entwickelt, nur ein Teil eines Systems ist, das durch die Theory of Moral Sentiments18 ergänzt werden muss.19 Doch im Zuge der Veränderung der Ökonomik in Richtung Neoklassik veränderte sich das hedonistische Glückskonzept von Bentham in Richtung stabiler individueller Präferenzen, die nur ordinal messbar sind. Ökonomische Aktivitäten beruhen nach dieser Denkweise auf einem eigennutzorientierten Kalkül im Lichte knapper Ressourcen. Damit wurde die „reine“ Ökonomik etabliert und ihre Unabhängigkeit 13 Siehe aber hierzu auch die Anmerkungen des Sachverständigenrats zur Begutachtung der wirtschaftlichen Entwicklung im Gutachten von 2009 / 10: „Wachstum allein löse die Probleme nicht, so das Gutachten.“ (Mitteilung auf der Website der Bundesregierung: http: // www.bundesregierung.de/nn_774/Content/DE/Artikel/2009/11/2009-11-13-jahresgutachten. html ermittelt am 08. 04. 2010). 14 Bentham 1996, S. 227. 15 Ebd., S. 11 – 12. 16 Ebd., S. 12. 17 Smith 2005. 18 Smith 2004. 19 Die widerstreitenden Interpretationen von Adam Smith spiegeln sich auch in der Wirtschaftsethik wieder. Z. B. geht Karl Homann davon aus, dass die „Theorie der ethischen Gefühle“ nur auf face-to-face Beziehungen bezogen ist, während sich der „Wohlstand der Nationen“ auf moderne Großgruppengesellschaften beziehe (Homann 2001, S. 25 und 91, FN 15), andere interpretieren das Smithsche Werk als „Integrations- und Emanzipationsversuch von Ethik, Politik und Ökonomie“ (Schumann 2005, S. 111). Hier wird die zweite Lesart favorisiert.
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von politischen, ethischen und religiösen Kontexten bestätigt statt ihrer Eingebettetheit in dieselben. Konfrontiert man Ökonomen mit dem Hinweis, dass dieses Modell wenig realistisch sei, so wird dem entgegen gehalten, dass dies nur ein „Als ob“-Modell sei, das nicht die Realität abbilde, aber dennoch einen hohen prognostischen Wert habe20. Allerdings werden einerseits wirtschaftspolitische Empfehlungen häufig auf der Basis dieses „Als ob“-Modells gemacht, ohne die Frage des Realitätsgehalts und der latenten normativen Implikationen zu problematisieren und andererseits dient diese Argumentation auch der Immunisierung des Modells21. Darüber hinaus werden institutionelle Vorkehrungen sowie kognitive und motivationale Komponenten des Verhaltens in der traditionellen Neoklassik nicht ausreichend berücksichtigt22. In der wirtschaftspolitischen Praxis wird das größte Glück der größten Zahl mit dem größten Wohlstand für die Bürger einer Gesellschaft gleichgesetzt, weil Wohlstand als eine wesentliche Voraussetzung für Glück betrachtet wird. Die Maximierung des Wohlstands wird dann als Erfüllung der Präferenzen und Bedürfnisse betrachtet. Auf diese Weise legitimieren sich Wirtschaftsordnungen und -politiken, die Wohlstands- oder Einkommensmaximierung zum Ziel haben und dabei auf die Maximierung des individuellen Eigennutzes setzen23. Doch ist das wirklich das Glück in der Moderne? Der Philosoph Dieter Thomä lenkt den Blick auf eine zweite Dimension der Interpretation von Glück: neben der Selbsterhaltung im Sinne der Erfüllung von Bedürfnissen und Wünschen verweist er auf die Selbstbestimmung im Sinne der Freiheit, in zielorientierter, wertbasierter und selbstbestimmter Weise zu handeln24. Indem die Ökonomik Bedürfnisse und Wünsche in rein subjektive Präferenzen verwandelt hat, die die Individuen selbstbestimmt verfolgen, scheint sie diese beiden Dimensionen des Glücks per se harmonisiert zu haben. Die Ökonomik wäre dann die richtige Wissenschaft, um Glück in der Moderne zu garantieren. Doch ganz so einfach ist dies nicht. In den letzten Jahrzehnten wurde der Begriff „Glück“ in der Ökonomik mit Blick auf empirische Ergebnisse erneut diskutiert. Diese Debatte begann mit einem Artikel von Psychologen25, die zeigten, dass die Verbesserung objektiver Lebensbedingungen (Einkommen oder Wohlstand) keinen Effekt auf die individuelle Zufriedenheit (Glück) hatte. Die zugrunde liegende Vorstellung, die in der Psychologie unter dem Begriff „set point-theory“ bekannt ist, ist die, dass Glück oder subjektive Zufriedenheit auf charakterlichen Eigenschaften beruhen, die bereits vor der Geburt und in den ersten frühkindlichen Jahren fest20 21 22 23 24 25
Friedman 1974, S. 40 f. Albert 1972. Albert 2005, S. 28 mit weiteren Verweisen. Bruni 2006. Thomä 2003, S. 131 ff. Brickman / Campbell 1971.
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gelegt würden, so dass weder individuelle Anstrengungen noch staatliche Politiken etwas zur Verbesserung des Glücks in einer Gesellschaft beitragen können. Zwei Ökonomen, Tibor Scitovsky und Richard Easterlin, haben dann in den 1970er Jahren das Glück in westlichen Gesellschaften in empirischer Hinsicht untersucht26. Dabei zeigte Scitovsky, dass in entwickelten Gesellschaften unter den Personen über einem bestimmten Einkommensniveau eher Unglück (basierend auf Langeweile) als Glück mit steigenden Einkommen verbunden ist27. Dieser Langeweile versuchen die Individuen durch mehr Konsum zu entkommen, was aber nur in einen Teufelskreis von weiterer Langeweile und erneutem Konsum führt. Als Ausweg sieht Scitovsky nur physische Aktivitäten und Kultur. Die ausgedehnten empirischen Untersuchungen der Glücksforschung belegen mittlerweile, dass jenseits eines Einkommens von ca. 22.000 $ pro Jahr zusätzliches Einkommen keinen zusätzlichen Zufriedenheitseffekt hat, weil dieser durch Anpassung der Erwartungen und der Nachfrage aufgrund sozialer Vergleiche und früherer Erfahrungen praktisch vollständig aufgezehrt wird28. Man kann also mit Easterlin von einer „money illusion“ ausgehen, der moderne Menschen unterliegen und die sie dazu verleitet, ihre künftige Präferenz für höheres Einkommen zu hoch zu bewerten und daher falsche Zeitallokationsentscheidungen zulasten nicht monetärer Ziele zu treffen29. In der Summe zeigt die empirische Glücksforschung, dass ein Minimum an objektiv guten Lebensbedingungen eine notwendige Bedingung für Zufriedenheit und Glück ist, dass aber ein darüber hinaus steigendes Einkommen und die Erfüllung weiterer Bedürfnisse keineswegs ein glückliches Leben garantieren können. Doch auch auf theoretischer Ebene ist die Gleichsetzung von Glück mit der Erfüllung von Bedürfnissen zu kritisieren, weil hier ein Wert auf eine Präferenz reduziert wird. Werte müssen aber als grundlegende Überzeugungen, dass etwas gut sei, von Präferenzen, die subjektive Wünsche darstellen, deutlich unterschieden werden. Bei Werten handelt es sich um jeweils subjektive Überzeugungen vom Guten, die aber einen Anspruch auf Objektivierbarkeit erheben, der allerdings nur diskursiv eingelöst werden kann. Die fälschliche Gleichsetzung von Werten mit Präferenzen lässt die Tatsache außer acht, dass verantwortliche Bürger in der Lage sind, ihre eigenen Präferenzen auf der Basis ihrer Werte zu reflektieren und rational zu kritisieren. Diese Fähigkeit, eine souveräne Einstellung gegenüber dem eigenen hedonistischen Nutzen einzunehmen, unter Einbeziehung der Reflektion der eigenen Präferenzen, ist eine Einstellung beispielhaften Menschseins30. Glück kann in dieser Vorstellung nur in moralischen Kategorien erreicht werden. Wirtschaftssubjekte sind dann nicht nur homines oeconomici, die ihren Nutzen maximieren, son26 27 28 29 30
Scitovsky 1976, Easterlin 2001. Friedman / McCabe 1996, S. 471 ff. Frey / Stutzer 2002, S. 83. Easterlin 2004, S. 355. Höffe 2008.
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dern Menschen mit mehr oder weniger Gemeinschaftssinn, die das Wirtschaften als Teil des guten Lebens betrachten und es mit ihren individuellen Lebensplänen und Vorstellungen von einem guten Leben in einer Gesellschaft verbinden31. Allerdings kann dieser liberalen Vorstellung kantischer Prägung zum Vorwurf gemacht werden, dass sie das Glück in zu starker Weise als selbstbestimmt und machbar konzeptionalisiert. Sie unterstellt autonome, selbstbestimmt handelnde Personen mit spezifischen Bedürfnissen und vergessen dabei, dass in der Realität Individuen sich zu Personen erst entwickeln und dass sie lernen müssen, mit Komplexität in moralischen Fragen und mit dem Leben im Allgemeinen umzugehen. Wie in der kritisierten Ökonomik, die von souveränen Konsumenten ausgeht, wird auch hier von souveränen, erwachsenen Personen ausgegangen – von Martha Nussbaum treffend als „the fiction of competent adulthood“ bezeichnet32. In der oben beschriebenen kontextualen Perspektive kommt nun auch die zweite Dimension des Glücks ins Spiel, die statt einer hedonistisch-utilitaristischen Akzentuierung stärker das gute Leben als Ausdruck von Selbstbestimmung in den Blick nimmt. Amartya Sen und Martha Nussbaum haben die Bedeutung des guten Lebens mit Hilfe ihres Fähigkeiten-Ansatzes betont, der die Bedeutung von Faktoren wie Demokratie, Sozialkapital, Gesundheit, Arbeitsbedingungen in den Mittelpunkt rückt und dabei die Möglichkeiten betont, die Individuen haben, ihre Fähigkeiten für ein jeweils selbstbestimmtes Leben zu realisieren33. Insbesondere im Rahmen von vergleichenden Beurteilungen von Ökonomien in unterschiedlichen Weltregionen verweist diese Sichtweise auf die Bedeutung der Indikatorenwahl. Während traditionell das Bruttoinlandsprodukt als das Wohlfahrtsmaß für Gesellschaften gilt, das über Kaufentscheidungen die offenbarten Präferenzen und somit das maximale Glück von Gesellschaften misst, spielen für den Fähigkeitenansatz Sozialindikatoren und ganzheitliche Wohlfahrtsmaße, die auch die Bedeutung von natürlicher, sozialer und kultureller Umwelt in den Blick nehmen, eine zentrale Rolle. Damit werden auch wesentliche Rahmenbedingungen jenseits der Einführung bzw. Erhaltung von funktionierenden Märkten, wie z. B. Gesundheitssystem, innere Sicherheit, Rechtsordnungen usw. thematisiert. Allerdings bleibt die Vorstellung der „Machbarkeit“ des Glücks, die sich in dem Sprichwort „Jeder ist seines Glückes Schmied.“ veranschaulichen lässt und in beiden Dimensionen des Glücksbegriffs enthalten ist, problematisch. Tatsächlich ist das Glück eher etwas, was uns passiert, das uns geschenkt wird oder in uns entsteht34. In der gleichen Weise wie man nicht beschließen kann, jetzt einzuschlafen, kann man nicht beschließen, jetzt glücklich zu sein. Es bleibt ein Element von Passivität, das Hans Joas im Kontext handlungstheoretischer Überlegungen für die Kreativität allen Handelns wie für die Entstehung von Werten aufgezeigt hat35. 31 32 33 34
Ulrich 2004, S. 63. Nussbaum 2000. Nussbaum / Sen 1993. Thomä 2003, S. 142.
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Dieser Aspekt wird im ökonomischen wie im selbstbestimmten Glückskonzept vernachlässigt. John Stuart Mill hat daher darauf verwiesen, dass man Glück nicht direkt erreichen kann, sondern nur indirekt durch das Verfolgen anderer Ziele. Auf diesem indirekten Weg stellt sich dann unerwartet das Glück ein. „Those only are happy (I thought) who have their minds fixed on some object other than their own happiness: on the happiness of others, on the improvement of mankind, even on some art or pursuit, followed not as a means, but as itself an ideal end. Aiming thus at something else, they find happiness by the way.“36 Damit verweist Mill auf Vorstellungen von dem, was man alltagssprachlich als „sinnvolles“ oder „erfülltes“ Leben bezeichnen würde. Die Sinnhaltigkeit ist somit Bestandteil eines guten Lebens, unabhängig von den Präferenzen eines Menschen, auch wenn diese wiederum für ein glückliches Leben eine Rolle spielen37. Diese Frage nach dem Glück oder guten Leben als eines erfüllten Lebens wird von der Philosophin Susan Wolf mit dem Hinweis auf „ein Leben, in dem man sich aktiv mit lohnenswerten Vorhaben beschäftigt“, beantwortet38. Eine aktive Beschäftigung meint dabei, Tätigkeiten zu realisieren, die einen bewegen, begeistern, inspirieren oder berühren in dem Sinn, dass sie uns ein Gefühl von Lebendigkeit geben. Solche Tätigkeiten sind nicht immer erfreulich, sondern können auch mit Stress und Sorge verbunden sein (z. B. bei der Pflege kranker Angehörigen), doch sie erzeugen auf jeden Fall ein Gefühl, lebendig zu sein. Lohnenswerte Vorhaben deuten auf eine Verpflichtung zu einem objektiven Wert hin, wobei diese Vorstellung zentral ist für die Idee der Sinnhaltigkeit. Wenn Menschen nach einer Quelle für Sinn suchen, dann suchen sie nach Vorhaben, deren Rechtfertigung jenseits ihrer eigenen Präferenzen und Wünsche liegen. Solche Vorhaben sind lohnend, auch wenn uns nicht nach ihnen verlangt oder sie unser Leben nicht angenehmer machen. Wolf zeigt somit auf, dass „Sinn entsteht, wenn subjektive Anziehung mit objektiver Attraktivität zusammentrifft“39. Während bestimmte Aktivitäten uns subjektiv attraktiv erscheinen und ihren Sinn in sich haben (z. B. Hobby und Spiel), werden andere sinnvoll durch ihren Bezug zur sozialen Umwelt und durch ihre „objektive“ Bewertung als wünschenswert. Dabei meint „objektiv“ hier den Anspruch, dass Aktivitäten über die eigene subjektive Einschätzung hinaus auch für andere wertvoll sind oder sein können und von diesen auch so beurteilt werden. Skepsis könnte man allerdings haben bezüglich der Kohärenz der Unterscheidungen lohnender von wertlosen Tätigkeiten oder Vorhaben über Zeit und Raum, da diese Unterscheidungen in kulturelle Kontexte eingebettet sind, die veränderbar sind. Obwohl man diese Urteile durch Artikulation und gemeinsame Prüfung ver35 36 37 38 39
Joas 1992, Joas 1997. Mill 1996, Chap. V, S. 145 / 147. Wolf 1998, S. 169. Ebd., S. 170. Ebd., S. 174.
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bessern kann, wird man nicht zu einer verlässlichen Methode zur allgemeinen Unterscheidung von lohnenden und damit erfüllenden Handlungen einerseits und wertlosen Handlungen andererseits gelangen. Dennoch wird man sich darauf verständigen können, dass eine solche Unterscheidung prinzipiell möglich ist, auch wenn die genaue Spezifizierung jeweils diskursiven Aushandlungsprozessen überlassen bleiben muss. Wenn man eine Tätigkeit oder ein Vorhaben als lohnend bestimmt, so sagt man damit auch immer, dass man Gründe hat, diese Tätigkeit oder das Vorhaben auszuführen40. Diese Gründe können öffentlich kommuniziert werden. Hierbei kommen dann gesellschaftliche Kriterien wie z. B. das Gemeinwohl ins Spiel. Solche Kriterien können nicht abstrakt gewonnen werden, sondern sind das Ergebnis von kommunikativen Verständigungsprozessen über gemeinsame Wertvorstellungen mit einem zumindest vorläufigen Objektivitätsanspruch. Diese Überlegungen zu gemeinsamen Wertvorstellungen und der objektiven Wünschbarkeit von Tätigkeiten lassen nun den zweiten Leitbegriff dieses Beitrags in den Vordergrund treten: den Gemeinsinn.
III. Gemeinsinn – notwendige Tugend für moderne Gesellschaften?41 Der Begriff Gemeinsinn hat eine lange Tradition in der Philosophie. In der aristotelischen Tradition bezeichnet er das allgemeine Wahrnehmungsvermögen, welches die Tätigkeiten verschiedener Sinne vereinheitlicht, sowie das Bewusstsein, dass wir wahrnehmen42. Dieser ursprüngliche Begriff ist also stark auf die Funktion der Sinne bezogen, die zusammen wirken, um die Umwelt zu begreifen. In der humanistischen Tradition wird der Gemeinsinn mit Rhetorik und Ästhetik verbunden. Cicero beispielsweise weist darauf hin, dass der politische Redner auf die Einsichtskraft und Wünsche seiner Mitbürger bzw. Mitmenschen zu achten hat43. Hier wird also nicht nur wahrgenommen, was andere denken oder wünschen – es wird vielmehr auch antizipiert, um sie überzeugen zu können. Neuzeitlich wird der Gemeinsinn als „moral sense“ interpretiert, als „civility which rises from a just sense of the common rights of mankind“44 und Interesse am Gemeinwohl45. Die schottische Schule von Reid u. a. bezeichnet als common sense den gesunden Menschenverstand im Sinne eines „common judgement“, der Ebd., S. 194. Vgl. zu diesem Abschnitt auch meinen Beitrag „Gemeinsinn und Engagement“ im Handbuch Angewandte Ethik, hg. von Ralf Stoecker (Hollstein, Veröffentlichung für 2011 in Vorbereitung). 42 Aristoteles 1995, Buch III, Kap. 1, S. 425a ff. 43 Cicero 1988, S. 23 Rz 8, S. 95 Rz 33. 44 Shaftesbury 1999, S. 48. 45 Ebd., S. 57. 40 41
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immer im Einklang mit der Vernunft sei46. Auch Paine sieht im common sense eine universale Vernunft und die Grundlage für die Menschenrechte47. Die „common-sense ethics“ beziehen sich auf die vortheoretischen moralischen Urteile normaler Menschen48. Hier wird also auf allgemeine Rechte verwiesen, die anderen Menschen vernünftigerweise entsprechend der goldenen Regel zukommen. Aus dem Wahrnehmen und Einfühlen in andere werden demnach Rechte entwickelt, die vernünftigerweise für alle, aufgrund der Fähigkeit, sich in andere einzufühlen, verpflichtend werden. Bei Kant hat der Gemeinsinn (gemeine Menschenvernunft) die Funktion eines Prüfsteins in Moral bzw. Wissenschaft49. Eine besondere Rolle spielt der Gemeinsinn auch für das ästhetische Urteil, denn dieses erhält durch den Gemeinsinn als der „notwendigen Bedingung der allgemeinen Mitteilbarkeit unserer Erkenntnis“50 allgemeine Gültigkeit. Die Aufgabe des sensus communis aestheticus wird bei Kant analog mit den Maximen des gemeinen Menschenverstandes beschrieben: 1. Selbstdenken; 2. An der Stelle jedes anderen denken; 3. Jederzeit mit sich selbst einstimmig denken. Mit diesen Maximen werden denken (des Selbst) auf der einen Seite und einfühlen in die Gedanken des anderen auf der anderen Seite zusammengefügt und aufeinander abgestimmt. Kant betont auch, dass der Gemeinsinn, wie andere Anlagen des Menschen ausgebildet und ausgeübt werden muss51. In diesen Formulierungen wird die Notwendigkeit der Bildung des Gemeinsinns deutlich. Gemeinsinn ist demnach keine fertig entwickelte Fähigkeit, sondern muss im Selbst ausgebildet und mit Bezug auf den anderen verfeinert werden. In der modernen Debatte bezieht sich der Gemeinsinn vor allem auf seine Rolle in der Politik. Während z. B. Lyotard einen moralischen sensus communis bestreitet52, berufen sich Neoaristotelismus und Hermeneutik auf einen sensus communis, der Gemeinsamkeit stiftet, überliefert wird und interpretiert werden muss, um das soziale und individuelle Handeln zu orientieren53. Der wesentliche Aspekt ist hier, dass über den Gemeinsinn nicht nur die Belange der anderen berücksichtig werden, sondern auch Gemeinschaft gestiftet wird. Hier werden die sozialen Bindungen thematisiert, die mit Hilfe von Traditionen überliefert werden und nicht nur dem individuellen, sondern auch dem sozialen Handeln eine Richtung geben. Gemeinsinn ist damit ein Wert, der soziales – also auch wirtschaftliches – Handeln beeinflusst.
46 47 48 49 50 51 52 53
Reid 1967, Bd. I, S. 423 ff. Paine 1982, S. 7 ff. Brown 1998, S. 449. Kant 1904, S. 34 ff. Kant 1992, S. 158. Guyer 1979, S. 304. Lyotard 1992, S. 8. Gadamer 1986, S. 26 ff.
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Mit dem Gemeinsinn kann auch ein kritischer Prozess in Gang kommen. Er werde dann zu einem moralischen Gemeinsinn, der aber vom sittlichen Selbstverständnis einer Gemeinschaft zu unterscheiden sei54. Mit diesem Aspekt wird die Selbstreflexivität thematisiert, also die Fähigkeit eigene Wertvorstellungen wiederum kritisch zu überdenken und zu hinterfragen – ein Aspekt, der – wie oben gezeigt wurde – im ökonomischen Präferenzmodell fehlt. Der Gemeinsinn als ein Gemeinbewusstsein, wie es Kommunitaristen betonen, beruht laut Rorty auf geteilten Erfahrungen und entsprechender Sensibilisierung55 und ist die Grundlage von Solidarität, die daher aber immer nur begrenzt innerhalb einer bestimmten Gemeinschaft gegeben sei. Der Gemeinsinn ist demnach in allen angelegt, muss aber in der moralischen Einstellung einer allgemeinen Solidarität aller Menschen verwirklicht werden. Bellah und seine Koautoren56 verorten den Gemeinsinn ebenfalls in konkreten Zivilgesellschaften, aber ohne ihn auf das faktische Selbstverständnis der jeweiligen Gemeinschaft zu beschränken. Vielmehr entwickeln sie auf der Basis der amerikanischen Traditionen des Republikanismus und des Protestantismus eine Vision, die „die sozialen Fragen und die letzten Fragen des menschlichen Lebens“57 verbinden will und somit universalistische Ansprüche hat, ohne eine spezifische Moral vorgeben zu wollen. Gemeinsinn wird hier zu einer regulativen Idee, die der Entwicklung von Rahmenordnungen und Politiken eine Richtung geben kann. Wie kann eine solche regulative Idee wirksam werden? Gemeinsinn wie auch das Wissen um die Gemeinschaft, um das Angewiesensein auf das Zusammenleben mit anderen wird häufig als beispielpflichtige Bürgertugend gefordert58. Dabei wird postuliert, dass aus der Erkenntnis, auf die Gemeinschaft angewiesen zu sein, auch die Bereitschaft folgen müsste, sich für diese zu engagieren59. Diese Annahme könnte allerdings voreilig sein. Gemeinsinn und die Geltungskraft von Pflichtmotiven lassen sich nämlich nicht einfach anordnen oder durch Beschwörungen hervorrufen60. Diese Forderung kann sogar angesichts von Rahmenbedingungen, die Gemeinsinn unterminieren, zynisch klingen61. Entscheidend ist es daher, Institutionen zu schaffen, in denen sich Gemeinsinn entwickeln kann. Ausgangspunkt für diese institutionellen Überlegungen sind die konkreten Gemeinschaften, in die das einzelne Individuum eingebettet ist. Denn in Institutionen, in denen Bürger verantwortlich und sozial handeln können, entsteht Gemeinsinn62. Für diesen Vorgang ist eine gemeinsame Praxis, die durch geteilte Werte 54 55 56 57 58 59 60 61 62
Wingert 1993, S. 46. Rorty 1989, S. 281. Bellah et al. 1987, Kap. 8. Ebd., S. 334. Lübbe 2007, S. 3. Schäuble 1996, S. 67. Dubiel 1996, S. 85. Böckenförde 1996, S. 94. Dubiel 1996, S. 86.
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geprägt wird, von zentraler Bedeutung. Diese gemeinsame Praxis wird in konkreten Gemeinschaften gelebt. „Dazu gehören das Familienleben und die Nachbarschaft, ferner das, was sich in Vereinen und Bürgerclubs abspielt, selbst was in Seilschaften und anderen Utilitätennetzen geschieht. Aristoteles und die Kommunitaristen sehen zu Recht, dass ein derartiges Zusammenleben, eines, das teils um des gemeinsamen Nutzens, teils um der gemeinsamen Freude willen geschieht, für den gesellschaftlichen Zusammenhalt unterlässlich ist.“63 Tocqueville habe bereits in seiner berühmten Studie zur Demokratie in Amerika die Bedeutung der zahlreichen nichtkommerziellen Vereinigungen, in denen sich Bürger engagieren, darin gesehen, dass sie verhinderten, dass „die bürgerliche Gesellschaft . . . durch die „Selbstsucht“ ihrer Bürger zerstört wird.“64 Der Individualismus, so meint Tocqueville, ist ein ruhiges und gesetztes Lebensgefühl, verbunden mit der Neigung, sich von der Masse seiner Mitbürger zu isolieren und sich in den Kreis der Familie und Freunde zurückzuziehen; in dieser kleinen, nach eigenem Geschmack geformten Gesellschaft überlässt der Bürger gern die größere Gesellschaft sich selbst.65 Wenn Bürger am öffentlichen Leben teilnehmen, so müssen sie über ihre privaten Interessen hinausgehen und ihre Aufmerksamkeit gelegentlich auf etwas anderes als sich selbst richten.66 Eine Förderung des Gemeinsinns impliziert also die Schaffung von institutionellen Rahmenbedingungen für eine gemeinsame Praxis67, die Gemeinschaften wie beispielsweise Familien und Nachbarschaften als Wurzeln des Gemeinsinns fördern68. Speziell die kommunitaristische Debatte hat auf die Bedeutung von Institutionen hingewiesen, die einerseits Gemeinsinn ermöglichen und wiederum von Gemeinsinn geprägt sind69. In diesen Gemeinschaften erfahren die Menschen wechselseitig von anderen Anerkennung und Freundschaft, wodurch soziale Bindungen entstehen. Die mit Freundschaft verbundenen Tugenden wie die der wechselseitigen Kritik70 sind nicht bloß privat: „Sie sind öffentlich, sogar politisch, denn eine städtische Ordnung besteht aus einem Netzwerk von Freunden. Ohne diese Freundschaften würde eine City im Kampf der politischen Interessengruppen degenerieren, denn jede öffentliche Solidarität ginge verloren71. Die Rolle der Gemeinschaften, in denen soziale Bindungen und Freundschaften in diesem politischen Sinne entstehen, sind 63 64 65 66 67 68 69 70 71
Höffe 1996, S. 31. Dubiel 1996, S. 81. Tocqueville 1961, S. 143. Ebd., S. 149. Böckenförde 1996, S. 98. Etzioni 1996, S. 42. Evers 1996, S. 209. Bellah (Fn. 57), S. 145. Ebd., S. 146.
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für Bellah et al. zentral. Sie bilden den institutionellen Kontext, aus dem sich dem Selbst ein Sinn erschließt72. Für diese Sinndimension ist von besonderer Bedeutung, dass diese Gemeinschaften durch ihre Vergangenheit konstituiert werden. Erinnerungsgemeinschaften spielen für die Entstehung von Werten eine große Rolle. Sie werden dabei nicht nur durch die Geschichten über ihre Entstehung, ihre Ziele und Visionen geprägt, sondern auch durch die „rituellen, ästhetischen und ethischen Bräuche“ die eine Gemeinschaft als Lebensform ausmachen73. Wichtig ist es in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass keine Erinnerungsgemeinschaft oder Tradition über jede Kritik erhaben ist und dass jedes Selbst durch das Wechselspiel unterschiedlicher Gruppengeschichten, die auch miteinander konkurrieren können, geprägt wird. Innerhalb dieser Spannungen verbleiben Spielräume für das Selbst, Wertbindungen zu realisieren oder sich von traditionellen Werten zu distanzieren. Eine besondere Rolle kommt dabei der Erziehung zu, im Sinne einer Stärkung und Ermutigung zur Entwicklung des Selbst, in Familie und Schule74. Von besonderer Bedeutung für die Entwicklung von Gemeinsinn sind daher Vorbilder einer beispielhaft und glaubwürdig vorgelebten Praxis engagierten Lebens75. Gemeinsinn fordert aber nicht nur von Vorbildern, sondern von allen Bürgern die Bereitschaft zu Solidarität und Engagement sowie Aktivität und Kompetenz76. Im Zusammenhang mit der Diskussion um die Krise des Wohlfahrtsstaates ist das Problem der Reproduktion sozio-moralischer Ressourcen wie des „Gemeinsinns“ diskutiert worden. Speziell stellte sich die Frage, ob die sozialen Sicherungssysteme eher als Versicherungssysteme oder als Solidaritätsverbünde verstanden werden und Solidarität eher untergraben oder befördern. Gemeinsinn dürfte in diesem Zusammenhang sowohl erodieren, wenn die Bürger unterfordert werden (d. h. wenn sie den Eindruck haben, auf ihr gemeinwohl-orientiertes Verhalten komme es nicht an, da der Staat hier eine Allzuständigkeit hat) als auch wenn sie überfordert werden (d. h. wenn mehr Gemeinsinn von ihnen verlangt wird, als für sie individuell sinnvoll, erforderlich und verträglich ist)77. „Zivilität ist in modernen Gesellschaften gleichermaßen bedroht durch mangelnde Solidarität der Bürger untereinander und durch mangelndes Interesse oder fehlgeleitetes Handeln staatlicher Machtträger. Sie ist ohne eine breite Basis, vor allem ohne die Aufmerksamkeit der Vertreter einer kritischen Öffentlichkeit nicht vorstellbar.“78 72 73 74 75 76 77 78
Ebd., S. 185. Ebd., S. 186. Böckenförde 1996, S. 95. Schäuble 1996, S. 75. Gierer 2002, S. 31. Ebd., S. 32. Frey 2001, S. 297.
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Um eine solche breite Basis zu schaffen und auf der Grundlage der Erkenntnis, dass der Staat auf fragilen und wechselhaften sozio-moralischen Ressourcen gründet, die er selbst nicht schaffen kann (Böckenförde), scheint es sinnvoll zu sein, dass der Staat sich als aktivierender oder ermöglichender Staat79 betätigt, um die Bürgerkompetenz in Sachen Gemeinsinn zu fördern. Der Staat tritt somit als Institution auf, die institutionelle Arrangements einrichtet zur Umsetzung und Stabilisierung von Werten, die nicht von ihm selbst geschaffen werden können. Ein aktivierender, nicht paternalistischer Staat wird dabei versuchen, die thematische Singularität zu begrenzen, indem er moderierend eine große Bandbreite von Anliegen zur Kenntnis nimmt und zugleich versucht, die unterschiedlichen Projekte der jeweiligen Gruppen in ihrer Komplexität zu berücksichtigen. Hierzu könnte die Erhaltung bzw. Verstärkung föderaler und subsidiärer Strukturen ein Schlüssel sein, insbesondere unter den Vorzeichen von Europäisierung und Globalisierung. In diesem Zusammenhang muss sich der Staat aber auch den partikularen Interessen widersetzen und zumindest auf der Ebene des Staates für einen gesellschaftlichen Ausgleich sorgen. Zu beachten ist, dass gerade kleine partikulare Interessengruppen sich leichter koordinieren und artikulieren können, während große Gruppen mit unspezifischeren Interessen systematisch geringere Chancen haben, Gehör zu finden.80 Das in der katholischen Soziallehre entwickelte Prinzip der Subsidiarität kann an dieser Stelle durch die Verweisung der Zuständigkeit an die jeweils kleinstmögliche Handlungseinheit strukturierend wirken.
IV. Fazit Am Ende der obigen Überlegungen bleibt nun ein Fazit zu ziehen in Bezug auf die drei Ausgangsfragen. Bezüglich der ersten Frage, der nach den kulturellen Werten, in die die Wirtschaft eingebettet ist, kann man zweifelsohne sagen, dass sowohl Glück als auch Gemeinsinn Werte sind, die das ökonomische Handeln beeinflussen – Glück legitimiert nutzenorientiertes Wirtschaften und Wirtschaftspolitiken, die der Wohlstandsmaximierung verpflichtet sind, verweist aber auch auf Selbstbestimmungsmöglichkeiten und hilft schließlich das ökonomische Handeln mit Blick auf das gute Leben zu hinterfragen. Gemeinsinn stiftet Gemeinschaft durch soziale Bindungen und entsteht in Gemeinschaften, in denen Vertrauen und 79 „Der Aktivierende Staat bedeutet eine neu gelebte Verantwortungsteilung zwischen Staat und Gesellschaft zur Realisierung gemeinsamer Ziele im Hinblick auf Fortschritt und Solidarität. Dabei geht es um Kooperation und Koproduktion staatlicher, halbstaatlicher und privater Akteure in der Verfolgung des öffentlichen Interesses. Der Aktivierende Staat will sein Engagement mit Eigeninitiative und Eigenverantwortung von Bürgerinnen und Bürgern verbinden und eine neue Leistungsaktivierung in allen Stufen der Wertschöpfungskette öffentlicher Leistungen erreichen.“ (Blanke 2003, S. 1). 80 Olson 1992. Eine spezifische Problematik tritt hier bei der Berücksichtigung künftiger Generationen auf. Hier muss neben föderalen und subsidiären Prinzipien noch das Vorsorgeprinzip berücksichtigt werden.
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Institutionen entstehen können – grundlegende Vorbedingungen und Ressourcen für ökonomisches Handeln. Als Kriterium zur Beurteilung ordnungspolitischer Rahmungen können beide Werte ebenfalls dienen, weil Ordnungen dahin gehend untersucht werden können, inwieweit sie das individuelle Glück in seinen unterschiedlichen Facetten, aber auch Gemeinsinn und die Schaffung von Bindungen in Gemeinschaften ermöglichen oder systematisch behindern. Allerdings liefern beide Wertvorstellungen keine eindeutigen Handlungsanleitungen, sondern können letztlich nur heuristische Funktion für die Entwicklung wirtschaftspolitischer Maßnahmen im Rahmen von gesellschaftlichen Diskursen beanspruchen.81 Sie dienen somit als regulative Ideen, die den ökonomischen Sachverstand anleiten, nach kreativen Lösungen zu suchen, welche solch zentralen Wertvorstellungen in modernen Gesellschaften Entfaltungsraum bieten. Dabei bleibt von entscheidender Bedeutung, dass Werte nicht ein für allemal festgelegt werden und danach die ordnungs- oder wirtschaftspolitischen Maßnahmen entsprechend entwickelt werden können. Vielmehr interferieren die Werte ständig im Prozess der Maßnahmenentwicklung und -implementierung mit den Operationalisierungshandlungen und verändern diese und werden von diesen wiederum verändert und kreativ weiter entwickelt. Wirtschaftsethik hat diese Prozesse zu reflektieren und kann auf diese Weise dazu beitragen, in die öffentlichen Diskurse die Bedeutung ethisch reflektierten Wirtschaftshandelns einzubringen sowie die Potenziale und Grenzen von ökonomischem Handeln aufzuzeigen. Demnach kann die Orientierung am Glück – unter Einbeziehung der Sinnfrage – und am Gemeinsinn fruchtbare Denkanstöße für die Reform und Weiterentwicklung unserer Wirtschaftsordnung geben. Denn Ökonomen sollten sich nicht nur mit Fragen beschäftigen, wie die Wirtschaftsordnung eingerichtet werden kann, damit die Ökonomie effizient, reibungslos und krisenfest funktioniert, sondern auch zu welchen Zwecken sie dies tut.
Summary In economic ethics the concept of the embeddedness of an economic system in its juridical, social, cultural and natural environments is a crucial one. Therefore the framework of regulation that opens opportunities of action on the one hand and restricts possibilities to do whatever you want on the other is a core element in most approaches of economic ethics. According to a broad concept of embeddedness, cultural aspects including value systems, traditions, institutions etc. are constantly framing economic action. In this contribution two central values of modern societies – happiness and common sense – will be analysed in order to show (1) whether and how they are components of normative orders that influence economic systems and interact with economic action, (2) whether they can provide criteria 81 Zu konkreten Vorschlägen in Bezug auf die Reform des Sozialstaats mit Blick auf die Ermöglichung des guten Lebens s. Barkhaus / Hollstein (2003).
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for the evaluation of frameworks of regulation for economic systems and (3) whether they can suggest us – as a heuristic – concepts how we can improve economic policies from an economic ethics perspective.
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Unternehmensethik zwischen Ordnungspolitik und Selbstregulierung Zum Stand der Debatte Matthias Karmasin und Michael Litschka
I. Einleitung Die Debatte um die Verantwortung von Unternehmen hat via einer breiten medialisierten Diskussion die Politik erreicht. Die EU-Kommission hat sich zum Ziel gesetzt, Europa im CSR Bereich weltweit an die Spitze zu führen (s. a. http: // ec.europa.eu/enterprise/csr/index_de.htm). Sie definiert Coporate Social Responsibility a.a.O als ein „Konzept, das den Unternehmen als Grundlage dient, auf freiwilliger Basis soziale Belange in ihre Tätigkeit und in die Wechselbeziehungen mit den Stakeholdern zu integrieren.“ Und weiter heißt es: „Sozial verantwortlich handeln heißt, [ . . . ] über die bloße Gesetzeskonformität hinaus ,mehr‘ zu investieren in Humankapital, in die Umwelt und in die Beziehungen zu anderen Stakeholdern“. Die Frage jedoch, wie Unternehmen motiviert werden sollen, eben diese Aktivitäten zu beginnen, die Frage, wo (falls überhaupt) die Grenze von ethischem Commitment liegen soll, wird höchst dispers beantwortet. Unser Beitrag will die wesentlichsten Konturen dieser Diskussion rekonstruieren und insbesondere dem Verhältnis von Ordnungspolitik und freiwilliger Selbstverpflichtung nachgehen. In diesem Spannungsfeld der Unternehmensethik spielen Compliance und Stakeholdermanagement eine zentrale Rolle. II. Unternehmensethik – Stand der Debatte im deutschsprachigen Raum Die Diskussion um Unternehmensethik im deutschsprachigen Raum hat einige selbständige Ansätze hervorgebracht, die nur bedingt an die angloamerikanische Traditionen der „Business Ethics“ oder „Ethics and Economics“ anschließen. In der „Ethics and Economics“ Schiene1 artikulieren ÖkonomInnen und andere SozialwissenschaftlerInnen sowie PhilosophInnen ihre Sicht ethischer Probleme in der Ökonomik. In der „Business Ethics“ werden v. a. unternehmensethische Fragen dis1
Auch „Philosophy of Economics“ wird oft verwendet.
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kutiert. Einen Überbegriff „Wirtschaftsethik“, wie er sich in Kontinentaleuropa herauskristallisiert hat, gibt es demnach nicht unbedingt. Allerdings werden unter dem Thema „Business Ethics“ durchaus auch Fragen allgemein wirtschaftsethischer Natur, wie die Ethik des kapitalistischen Systems oder des freien Unternehmertums, behandelt,2 aber eben doch meist aus Unternehmenssicht, oder mit dem Unternehmen als Zentrum der Analyse. Diese eigene Disziplin Unternehmensethik in den USA und England entstand, weil ein steigendes Interesse an systematischer philosophischer Betrachtung des Wirtschaftssystems3 (und der Korporation) dies erforderte. Auch praktische Fragestellungen wie diverse Skandale erleichterten zu dieser Zeit diese Entwicklung. Die moralische Verantwortung der Korporation, Stakeholder-Ansätze, Ethik-Kodizes u.v.a.m. waren (und sind bis heute) die Inhalte der modernen „Business Ethics“. Im deutschsprachigen Raum scheint es viel schwieriger zu sein, eine eigenständige Disziplin „Unternehmensethik“ zu erkennen. Lehrstühle gibt es zwar einige zum Thema „Wirtschaftsethik“, doch werden genuin unternehmensethische Fragen eher von betriebswirtschaftlich orientierten WissenschaftlerInnen behandelt, dann meist unter dem Titel CSR, Nachhaltigkeit, soziale Verantwortung des Managements etc. Das bedeutet, dass wir grundsätzlich zwei Möglichkeiten besitzen, der Unternehmensethik im deutschsprachigen Raum nachzuspüren: bei wirtschaftsethischen ExpertInnen und bei betriebswirtschaftlichen AutorInnen.4 Diesem Argument folgend, können wir wenigstens drei solche Ansätze identifizieren; einen defensiven bei Lücken in der Rahmenordnung, einen strategisch-situativen und einen grundlagenkritisch-republikanischen. Der erste genannte Ansatz folgt Argumenten der ökonomischen Ethik. Manche dieser Theoretiker, wie etwa Karl Homann5 (ähnlich und noch radikaler: Milton Friedman) gehen zwar davon aus, dass Unternehmensethik gar nicht notwendig sei, da mit in der Rahmenordnung des Marktes vorgegebenen Regeln das Auslangen zu finden wäre (so die Rahmenordnung gut gemacht wurde). Denn diese Rahmenordnung sorge durch ein effizientes Anreizsystem (Strafen, Steuern, Gesetze etc.) von vornherein dafür, dass Unternehmen sich dem Gemeinwohl entsprechend verhalten, obwohl sie nur ihr eigenes Interesse verfolgen. Das Rechtswesen,6 ein anreizkompatibles Steuersystem und eben ein gut funktionierender Markt würden Vgl. De George 1992: 301. Nicht zuletzt wegen dem bahnbrechenden Werk „A Theory of Justice“ von John Rawls. 4 PhilosophInnen beschäftigen sich, im Gegensatz zum angloamerikanischen Raum, kaum mit Unternehmensethik, eher mit sozialethischen Fragen des Wirtschaftssystems. 5 Vgl. Homann 1994, 2002; Friedman 1970. 6 Dass das Rechtssystem alleine niemals ethische Überlegungen überflüssig machen kann, wird in der Wirtschafts- und Unternehmensethik mit dem Begriffspaar „Legalität“ vs. „Legitimität“ betont. Erstere bezieht sich auf die Erfüllung rechtlich gesetzter Normen, letztere auf die Erfüllung ethisch reflektierter Normen. 2 3
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somit als Wirtschaftsethik schon genügen, denn Unternehmen seien in erster (und einziger) Linie dazu da, Gewinne zu machen. So kam es z. B. zum berühmten Diktum Milton Friedmans: „. . . there is one and only one social responsibility of business – to use its resources and engage in activities designed to increase its profits so long as it stays within the rules of the game, which is to say, engages in open and free competition without deception or fraud“.7 In jüngerer Zeit waren es v.a. die Verfechter des „Shareholder-Value“, die eine reine Gewinnorientierung des Unternehmens als dessen Daseinsberechtigung (und Überlebenschance angesichts weltweiten Wettbewerbs) sahen. Vertreter der ökonomischen Ethik8 pochen generell auf einen Vorrang ökonomischer Handlungsorientierung, sobald dem Unternehmen durch ethisches Handeln ein wirtschaftlicher Nachteil entstehen würde. Im Wettbewerb könne es im „Konfliktfall“ keine andere Entscheidungsgrundlage (als die Gewinnmaximierung) geben, weil dies (v.a. auf Dauer) die Existenz des Unternehmens bedrohen würde. Nur eine effiziente Rahmenordnung könne diese Probleme von vorneherein verhindern. Doch anerkennen auch ökonomische Ethiker, dass es schon in der Rahmenordnung selbst ethische Defizite gibt, die es durch Unternehmensethik zu füllen gilt. Solche nennt z. B. Noll9: Gesetze setzen äußere Schranken für Handlungen fest, indem sie bestimmte Verhaltensweisen untersagen. Somit bleiben aber immer Handlungsfreiräume im Unternehmen, die eben nicht immer moralisch genützt werden, wie die Realität zeigt. Es gibt immer „time lags“ zwischen dem Entstehen eines Problems und einer gesetzlichen Regelung, bzw. auch zwischen der Einführung eines Gesetzes und der Möglichkeit, dieses zu befolgen. Inzwischen können aber längst neue Probleme im Wirtschaften entstanden sein, bzw. vorhandene Probleme (man denke nur an die Umweltproblematik) größer geworden sein. Da die Rahmenordnung von Politikern gesetzt wird, die in unserer Demokratie permanente Interessenskonflikte auszugleichen haben (bedingt durch die pluralistische Wählerstruktur) und dies noch dazu selten frei von Eigeninteressen tun, kann leicht ein Ungleichgewicht bei der Berücksichtigung verschieden mächtiger (und unterschiedlich legitimierter) Interessensgruppen entstehen. Ohne eine funktionierende Weltwirtschaftsordnung werden Politikerinnen berechtigte Interessen auch nur schwer im eigenen Land berücksichtigen können (etwa strengere Umweltschutzrichtlinien einführen, wenn dies die eigene Industrie schwächt) und Unternehmen immer den Anreiz haben, sich das für sie bezüglich der Rahmenordnung „angenehmste“ Land als Produktionsstätte auszusuchen. 7 8 9
Friedman 1970 / 1997: 287. s. z. B. Homann / Blome-Dress 1992: 46. Vgl. Noll 2002: 93 f., in Anlehnung an Überlegungen Homanns.
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Wenn die Rahmenordnung aber nicht automatisch alle moralischen Probleme (oder Grenz-)fälle berücksichtigen kann, müssen Unternehmen einen eigenen (ethisch gerechtfertigten) Umgang mit diesen finden. Dies ist ein systematischer Ort der Moral der Unternehmensethik. Aber auch innerhalb dieser Begründungsstrategie ist zwischen der beschriebenen defensiven Begründung für Unternehmensethik (eben als Antwort auf Defizite der Rechts- und Marktordnung) und einer offensiven Variante zu unterscheiden. Unternehmen können Moral ja durchaus auch als produktive unternehmerische Ressource verwenden, als Investition in Reputation, Glaubwürdigkeit und nachhaltigen Geschäftserfolg.10 Moralische Probleme, die im Unternehmen zuerst entstehen, können ohne weiteres auch dort thematisiert und das Know-how des Unternehmens zu deren Lösung genutzt werden. Kunden, ArbeitnehmerInnen, KapitalgeberInnen (generell alle Stakeholder) hätten ja sonst bei funktionierendem Wettbewerb (und möglichen anderen Einschränkungen) die Möglichkeit, zu einem vertrauenswürdigeren Unternehmen zu wechseln. Diese Argumentation, sei es in der defensiven oder offensiven Variante, bleibt jedoch einem gewissen Sachzwangdenken verhaftet. Das heißt, der Markt und die Wettbewerbsordnung werden als gegeben hingenommen und das Gewinnprinzip der Unternehmung nicht in Frage gestellt. Vielmehr gilt etwas, das Steinmann / Löhr11 als „ethische Richtigkeitsvermutung“ des Gewinnprinzips bezeichnen, dass also Unternehmen jedenfalls Gewinne machen „dürfen“ müssen, da sonst ihre Existenz bedroht sei. Aufbauend auf dieser Sachzwangargumentation der Ökonomik kann der Begründungsansatz von Steinmann / Löhr für die Unternehmensethik gesehen werden, der eine zweite Begründungsstrategie anbietet. Nennen wir diesen Ansatz den strategisch-situativen Ansatz. Gerade die Systemzwänge seien es, die unethisches Handeln der Unternehmen anreizen und nur eine gewinnorientierte Kalkulation kann das langfristige Überleben des Unternehmens sichern.12 Der Wettbewerb verleitet nun aber dazu, sich Vorteile zu verschaffen, indem man „leicht“ unmoralischer als die Konkurrenz handelt; Steinmann / Löhr nennen dies das „Prinzip der negativen Grenzmoral“. Die Konkurrenten werden sich auf Dauer den niedrigeren Standards anpassen, es kommt zu einer „Erosion der Moralstandards“.13 Der Ort der Unternehmensethik wäre in diesem Ansatz zwischen der Wirtschaftsordnung und dem Management / Güterherstellungsprozess eingebettet. Steinmann / Löhr verlangen nun eine dialogische Lösung dieses Problems, indem die Auswahl bestimmter unternehmerischer Strategien auf deren Konsensfähigkeit beruhen soll.14 Unternehmensethik soll nach dieser Sichtweise die kon10 11 12 13 14
So auch Noll 2002: 97. Steinmann / Löhr 1994: 132. Vgl. ibid: 27. Ibid: 28. Vgl. ibid: 102.
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krete Unternehmensstrategie legitimieren.15 „Die Unternehmensethik zielt auf die Entwicklung konsensfähiger Strategien des Unternehmens ab.“16 Eine Folge dieser Überlegungen wäre, dass das Gewinnziel der Unternehmung als Formalziel unangetastet bleibt, aber eben situationsgerecht (konsensfähig) angewendet werden muss; deshalb auch: „situativer Ansatz“. Eine weitere Begründung geht hier einen Schritt weiter und stellt z. B. eben dieses Gewinnprinzip in Frage. So wäre eine dritte Begründungsstrategie jene von Ulrich, der keine bisher in der Wissenschaft vorgebrachte Deutung und Rechtfertigung des Gewinnprinzips akzeptiert und sich somit gegen „Gewinnmaximierung“ als (einzig) legitimes Handlungsziel des Unternehmens richtet. Wir nennen diese Strategie den grundlagenkritisch-republikanischen Ansatz. Er argumentiert dies folgendermaßen: Das Unternehmen ist immer schon eingebettet in eine ordnungspolitische und gesellschaftliche Rahmenordnung. Zwischen institutionenethischen Überlegungen für die Unternehmensziele und verantwortungsethischen Überlegungen für die Unternehmensführung kann daher logisch nicht strikt getrennt werden.17 Somit müssen aber auch die ethischen Voraussetzungen des Gewinnstrebens erst erforscht werden, bevor eine „ethische Richtigkeitsvermutung“ überhaupt postuliert werden kann. „Unternehmensethik wird so als Vernunftethik unternehmerischen Wirtschaftens im Ganzen konzipiert.“18 Würde man dies anders sehen, reduzierte sich laut Ulrich die Unternehmensethik auf eine Managementethik, die sich mit den empirischen Voraussetzungen des Gewinnprinzips abfindet und dieses nur je situativ überprüft. Ulrich sieht prinzipiell vier Deutungsmöglichkeiten des Gewinnprinzips19, nämlich als subjektives Gewinnstreben unternehmerischen Handelns: Unternehmer oder Managerinnen handeln tatsächlich so, als ob ihr Motiv Gewinnmaximierung wäre. Daraus auf eine normative Gültigkeit zu schließen, wäre aber ein philosophischer Denkfehler; moralische Pflicht des Unternehmers: Er muss das kapitalistische Ethos durch sein Gewinnstreben erfüllen. Dies kann ebenfalls nicht Unternehmensethik ausmachen, sondern eben bestenfalls ein bestimmtes „Ethos“ von Managerinnen / Unternehmern; systemischer Sachzwang: Der Wettbewerb „zwingt“ aus Überlebensgründen das Unternehmen zur Gewinnmaximierung. Unternehmensethik wird so besehen „unmöglich“. Die Frage hierbei ist aber laut Ulrich, ob dieser Zwang nicht 15 16 17 18 19
Vgl. ibid: 103 ff. Ibid: 106. Vgl. Ulrich 2001: 394. Ibid: 395 (kursiv im Original). Vgl. ibid: 399 ff.
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bereits durch die (vom Unternehmen und gemeinsam mit allen Unternehmen) vorgegebenen Ziele erfolgt statt eines immer schon vorhandenen Wettbewerbsmarktes; ordnungspolitische Spielregel: Die Annahme, dass die Verfolgung der Gewinnziele aller Unternehmen unintendiert, aber wirkungsvoll zum Gemeinwohl beitrage, würde eine eigene Unternehmensethik „unnötig“ machen. Die Quantität des erzielbaren Gewinns ist aber von der ethischen Qualität der eingesetzten Mittel und v.a. auch den ethischen Dilemmata konfligierender Stakeholder-Interessen nicht unabhängig und somit permanent neu zu legitimieren.
So kommt Ulrich zum Schluss: „Strikte Gewinnmaximierung kann prinzipiell keine legitime unternehmerische Handlungsorientierung sein“.20 In seinem integrativen Ansatz der Unternehmensethik ist das unternehmerische Erfolgsstreben zu legitimieren, also auf eine normative Geschäftsgrundlage zu stellen. Man kommt dann zwangsläufig zu einem Konzept der „Geschäftsintegrität“.21 Die zwei Stufen der Unternehmensethik wären also laut Ulrich folgendermaßen zu besetzen:22 Als „Geschäftsethik“ sucht sie nach einer unternehmerischen Wertschöpfungsaufgabe, die aber lebensdienlich (nicht nur ökonomisch systemkonform) zu konzipieren ist und Als „republikanische Unternehmensethik“ verlangt sie nach einer branchen- und ordnungspolitischen Mitverantwortung des Unternehmens, wie sie z. B. in einer Branchenvereinbarung oder in Lobbying-Maßnahmen zum Ausdruck kommen kann.
Das Unternehmen selbst ist dann auch keine Organisation zur Gewinnmaximierung, nicht einmal eine der Produktherstellung oder Dienstleistungserbringung, sondern eine pluralistische Wertschöpfungsveranstaltung,23 die auch mit dementsprechenden Stakeholder-Rechten umzugehen hat. Die folgende Abbildung (s. Abb. 1) zeigt noch einmal (verkürzt) die Argumentationsstrategie verschiedener Ansätze, warum eine eigenständige Unternehmensethik theoretisch wohl begründet und praktisch notwendig ist: Zusammenfassend lässt sich auch sagen:24 Ethik als autonome Zielsetzung der Unternehmung auch im Sinne der Übernahme machtadäquater Verantwortung entsteht entweder aus einer marktbezogenen Perspektive (defensive oder pro-aktive Strategie, um Lücken der Rahmenordnung zu füllen oder Marktchancen durch Ethik wahrzunehmen), 20 21 22 23 24
Ibid: 415. Vgl. ibid: 428. Vgl. ibid: 429 f. Vgl. ibid: 438. Vgl. ähnlich Karmasin 1996: 223.
Unternehmensethik zwischen Ordnungspolitik und Selbstregulierung Rahmenordnung defizitär? Politik Recht Wirtschaftsordnung Time Lags
Konsensfähige Strategie? Sachzwang des Gewinnprinzips Erosion der Moralstandards
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Gewinne legitim? Gewinnmaximierung? Ethische Voraussetzungen des Gewinns klären
Unternehmen soll Gewinnprinzip Unternehmen soll Defizite Unternehmen als pluralistische situationsgerecht anwenden ethisch legitimiert füllen Wertschöpfungsveranstaltung Unternehmen kann Moral auch Unternehmen soll Unternehmensstrategie Geschäftsethik dialogisch rechtfertigen als Ressource verwenden Republikanische Unternehmensethik
Abb. 1: Mögliche Begründungen für Unternehmensethik
dialogischen Perspektive (strategisch-situative Strategie, um innerhalb des Gewinn-Paradigmas allen Anspruchsgruppen der Unternehmung auch ethisch gerecht zu werden), oder deontologischen Perspektive (grundlagenkritisch-republikanische Strategie, um nicht rein nutzen- und gewinnorientiert eine legitime Wertschöpfung zu erreichen).
III. Unternehmensethik zwischen Sozial- und Individualethik Unethische Verhaltensweisen in Unternehmen (z. B. bei dubiosen Geschäftspraktiken, Kinderarbeit, Steuerflucht, gefährlichen Produkten, Umweltschäden, Massenentlassungen, Korruption, etc.) beziehen sich immer in irgendeiner Art und Weise auf die Personen, die es konstituieren. Können moralische Problemfelder dann nicht rein individualethisch, also auf personeller Ebene, behandelt werden, z. B. durch Appelle an die Tugend der Führungskräfte? Andererseits agieren Unternehmen in einem von der Politik und dem Weltmarkt vorgegeben Setting, das ihren Handlungsspielraum einengt. Sind also nicht sozial- (ordnungs-)ethische Denkweisen zur Lösung offensichtlich vorhandener Probleme im Unternehmensumfeld geeignet, z. B. rechtliche Vorschriften, steuerliche Anreize u. ä.? Die Antwort ist, dass beide Ebenen der Ethik hierfür zwar notwendig sind, aber nicht hinreichend in ihrer strukturellen und inhaltlichen Wirksamkeit. Grundsätzlich ist mit der Marktmacht der Unternehmung auch ein Handlungsspielraum verbunden, der automatisch zur Frage der Verantwortung für wirtschaftliche Handlungen und Entscheidungen führt. Denn mit diesen Handlungen und
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Entscheidungen sind immer auch externe (soziale) Kosten verbunden, für die Unternehmen nicht automatisch aufkommen müssen. Ebenso haben marktmächtige Unternehmungen die Möglichkeit, Kommunikation zur Öffentlichkeit zu steuern und von ihren Entscheidungen Betroffene von wichtigen Informationen auszuschließen. Es stellt sich daher die Frage, wie eine Organisation überhaupt für etwas verantwortlich gemacht werden kann. Die Unternehmensethik als Mesoebene der Wirtschaftsethik (also als Organisationsethik) identifiziert dabei zumindest zwei organisationsspezifische Elemente, die in unserer arbeitsteiligen und hochkomplexen Wirtschaft die Richtung einer Antwort auf diese Frage vorgeben: Das Phänomen des „kollektiven Handelns“ erstens bewirkt, dass Verantwortungszuschreibungen an Individuen unmöglich werden. Beispiele dafür sind:25 Großprojekte in Unternehmen, strategisches Handeln, komplexe Verursachungsprozesse, Informationsasymmetrien, gemeinsam getroffene Entscheidungen u.v.a.m. Es genügt daher nicht, mit den in der Ethik traditionellerweise üblichen individualistischen Verantwortungskonzepten zu arbeiten, sondern das „überindividualistische“ Handeln der Korporation ist zu betonen, das gleichzeitig mit der individuellen Verantwortung der Korporationsmitglieder besteht. Erstere wird wie schon erwähnt mit der Marktmacht der Unternehmung steigen, letztere mit dem Einfluss / der Macht der Person im Unternehmen. Die Schwierigkeit besteht also darin, die kollektive Verantwortung entweder auf individuelle Verantwortlichkeiten zurückzuführen (alle Personen sind voll oder einige sind stärker verantwortlich für eine Handlungsfolge) oder eine Gruppe unabhängig von (oder u.U. gemeinsam mit) den Mitgliedern der Gruppe verantwortlich zu machen.26 Die so genannte „innere Struktur“27 zweitens ist den Entscheidungen der Individuen in Unternehmen vorgelagert und bestimmt diese mit. Die Struktur der Organisation ist hier ebenso ein Faktor wie frühere Strategien, Kommunikationssysteme, bestimmte Produktions- oder Verfahrensweisen, Anreizsysteme, Verträge etc. So gesehen handelt also im Endeffekt das Unternehmen intentional und die Mitarbeiterin / die Führungskraft ist in diese innere Struktur eingebettet. Anschließend an diese Überlegungen folgt die Frage, ob diese eigenständige Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeit auch zu einem Status als Träger von Rechten und Pflichten führt. Gerade bei Unternehmen in der Marktwirtschaft verhält es sich oft so, dass diese das Recht, autonom und von staatlichem Einfluss unbehelligt wirtschaften zu können, in Anspruch nehmen. Soll ein solcher Anspruch gerechtfertigt sein, ist er sowohl als rechtlicher als auch als moralischer Anspruch zu legitimieren.28 Da nun mit moralischen Rechten auch Pflichten verbunden sind, müssen Korporationen konsequenterweise verantwortlich sein kön25 Vgl. Lenk / Maring 1992a: 154; zum Handeln und zur Ethik von Organisationen vgl. Phillips 2003. 26 Vgl. Lenk / Maring 1992a: 155, 159. 27 Vgl. Göbel 2006: 92. 28 Vgl. Werhane 1992: 329.
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nen. Um diese Verantwortung etwas genauer zu spezifizieren, bietet sich eine Unterscheidung in primäre und sekundäre moralische Rechte an. Rechte, die Unternehmungen zuschreibbar sind, sind sekundärer Natur, während nur Rechte, die Personen zuschreibbar sind, als primäre moralische Rechte zu bezeichnen sind (wie etwa das Recht auf Leben). Dies macht die Unternehmung zu einem so genannten „sekundären moralischer Akteur“. Daraus folgt, dass die individuellen, primären Rechte der handelnden Personen nicht von sekundären Rechten der Unternehmung verdrängt werden können; sie haben sozusagen Vorrang vor den erst aus individuellen Rechten abgeleiteten Rechten. Wenn diese Einschätzung zutrifft, können Pflichten (und Verantwortung) gegenüber Individuen und deren Rechten entstehen, bevor die sekundären Rechte der Unternehmung berührt werden.29 Eine Folge dieses Denkansatzes ist es, dass ein Unternehmen z. B. nicht mehr Freiheit für sich selbst in Anspruch nehmen kann, als es seinen Mitgliedern an Rechten zugesteht. Diese konstituieren ja durch ihre Handlungen und Entscheidungen das kollektive Handeln des Unternehmens und die dafür notwendige Freiheit (bzw. bestimmte Grundrechte) müssen ihnen zuvor zugestanden werden.30 Ein Unternehmen kann also beispielsweise nicht seinen Mitarbeitern bestimmte grundlegende Arbeitsschutzmaßnahmen (primäres Recht) verbieten mit dem Hinweis auf das (sekundäre) wirtschaftliche Recht, eine Expansion in ein anderes Land mit weniger Arbeitsschutz zu unternehmen. Diese Überlegungen führen zu einem Konzept der Unternehmung als „quasiöffentliche“ Institution. Denn Verantwortung und diverse Verpflichtungen müssen ja in erster Linie gegenüber der Gesellschaft, der Öffentlichkeit wahrgenommen werden und Strategien und Ziele des Unternehmens müssen sich öffentlich legitimieren, nicht alleine im Marktumfeld oder gar nur im privaten Bereich der Unternehmensmitglieder. Die Verflechtungen mit der sozialen und natürlichen Umwelt sind von vornherein komplex und mit divergenten Ansprüchen behaftet, die über die Ansprüche der Anteilseigner (Shareholder) weit hinausgehen. In der so genannten „Mediengesellschaft“, in der mediale Produktion (und Investitionen in Information) einen stetig wachsenden Anteil an der Wirtschaft und der Kultur der globalen Kommerzialisierung hat,31 gilt dies in noch stärkerem Ausmaß. Die Unternehmen, die sich dieser Prozesse bedienen, verändern sich in Richtung sozialkontraktueller und interaktiver Organisationen, deren Grenzen und Funktionen nicht nur durch die Allokation von Ressourcen, sondern auch durch kommunikative Prozesse bestimmt sind. Es gibt in der Informationsgesellschaft in diesem kommunikativen Sinn keine „privaten“ Unternehmen mehr, wenn auch privates Eigentum an Mitteln der Produktion und Distribution. Unternehmungen sind daher öffentlich exponierte Organisationen. Als solche stehen sie unter permanentem Legitimationszwang, was ihre Handlungen und Entscheidungen betrifft. Dieser besagt, dass 29 30 31
Vgl. Ibid: 330 ff. Vgl. Ibid: 334. Vgl. Castells 2002.
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ein Unternehmen die Verantwortung gegenüber vielen Personen, Organisationen und Ansprüchen gleichzeitig, dialogisch, transparent und öffentlich wahrnehmen muss; der gesellschaftliche Druck dazu wird auch noch weiter steigen. Zusammenfassend gilt, dass sozialethische Konzepte (der Gleichheit, Freiheit, Gerechtigkeit, gesellschaftliche Leistungsfähigkeit, etc.) unternehmensethischen Diskussionen immer vorgelagert sein werden, ebenso wie individualethische Aspekte (des Ethos einer Führungskraft, der Einstellung und Tugend der MitarbeiterInnen, des Pflichtbewusstseins der BürgerInnen, etc.) eine wichtige Rolle in der Ethisierung der Wirtschaft spielen. Beides wird angesichts der Dominanz der Organisationsform „Unternehmen“ nicht ausreichend sein, die moralischen Problemfelder des modernen Wirtschaftens analytisch und pragmatisch anzugehen.
IV. Compliance als pro-aktives Ethikmanagement Der Begriff Compliance / Regelüberwachung bezeichnet die Gesamtheit aller Maßnahmen, die das regelkonforme Verhalten eines Unternehmens, seiner Organisationsmitglieder und seiner Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Hinblick auf alle gesetzlichen Ge- und Verbote, aber auch im Hinblick auf die Übereinstimmung mit selbst gewählten Regeln begründen. Damit umfasst der Begriff Compliance aus wirtschaftsethischer Perspektive drei Ebenen: Auf der Makroebene bedeutet Compliance die Einhaltung ordnungspolitischer Regulative und die sinnvolle Umsetzung von Gesetzen (dies wird im Englischen auch als Corporate Governance – ordnungsgemäße Unternehmensführung – bezeichnet). Auf der Mesoebene bedeutet Compliance die Einhaltung und die institutionelle Absicherung von selbst gewählten Regeln (etwa im Sinn von CSR oder Good Corporate Citizenship). Auf der Mikroebene bedeutet Compliance das Einhalten dieser Regeln im Sinn individueller Verpflichtung und individueller Verantwortungsübernahme.
Aus wirtschaftsethischer Sicht sind diese drei Ebenen und Elemente der Compliance nicht voneinander zu trennen. So ist es Aufgabe der Ordnungspolitik, die Marktordnung so zu gestalten, dass es Anreize für gemeinwohlverträgliches Verhalten gibt und dass, pointiert formuliert, der ethisch Gute nicht der ökonomisch Dumme ist. Die Unternehmungen sind angehalten nachzuweisen, dass sie zum Nutzen der Gemeinschaft existieren und nicht zu deren Schaden. Diese allgemeinen Rahmenbedingungen werden immer verschieden ausgelegt: je nach Branche, Konzentrationsgrad, Wettbewerbsintensität, ethischer Tradition und Unternehmenskultur wird man zu Interpretationsvarianten im Einzelnen kommen. Bestehende Ermessensspielräume werden somit durch unternehmensspezifische Regeln gefüllt und durch unternehmensethische Regulative institutionalisiert. Compliance bedeutet also nicht nur das Einhalten von Gesetzen, sondern auch die unterneh-
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mensspezifische Selbstkontrolle und Selbstregulation. Bei aller Relevanz von Marktordnung und Unternehmenskultur geht es letztlich um das Handeln von Individuen: von Eigentümern und Eigentümerinnen, von Managern und Managerinnen sowie von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Compliance bedeutet auch die individuelle Bereitschaft und die Motivation, sich an diese Regeln zu halten. Dafür braucht es entsprechende Anreizsysteme (im Unternehmen und außerhalb), aber auch das Wissen um die möglichen Wertkonflikte und den Willen, diese zu lösen. Die Frage aber, welches Verhalten überhaupt gewünscht ist, kann nur unter Einbeziehung ethisch fundierter Reflexionen beantwortet werden. Compliance-Systeme zeichnen sich dadurch aus, dass Ethik und Recht, vor allem in der Führung von Unternehmen, zusammenspielen und sich gegenseitig stützen. Ohne ethische Grundlage wäre ein Compliance-System einseitig rechtlich ausgerichtet. Das Thema Compliance ist wie erwähnt auf mehreren Ebenen angesiedelt. Zumindest die Unterscheidung von Branchen- und Unternehmensebene kann bei diesem Thema als bekannt vorausgesetzt werden. Auf der Branchenebene könnte es Regeln geben, die das Verhalten vieler Unternehmen einer Branche, z. B. der Pharmaindustrie, normieren. Auf Unternehmensebene hingegen soll das Verhalten der Unternehmensmitglieder gesteuert werden. Allerdings hat auch die Rahmenordnung selbst einen Einfluss auf Compliance-Systeme, z. B. wenn gesetzlich vorgegeben ist, wie sich Branchen oder Unternehmen in bestimmten Situationen zu verhalten haben, z. B. wenn Banken strengere Eigenkapitalvorschriften zu befolgen haben, die wiederum das Verhalten der Spekulation eindämmen sollen. Individualethisch gewendet kommt das Thema Compliance dann zum Tragen, wenn Führungskräfte durch (vorgegebene oder selbst gewählte) Regeln von einem Unternehmensschädigenden und unmoralischen Verhalten abgehalten werden sollen, so etwa beim Problemfeld Korruption. Es werden also immer makro-, meso- und mikroökonomische (-ethische) Themen aus Compliance-Sicht zu behandeln sein. Man kann gedanklich folgenden Stufenaufbau (als erste Annäherung) der Compliance von legalem zu legitimen Verhalten verfolgen: Tabelle 1 Von Legalita¨t zu Legitimita¨t A. Legalität
= die Gesetze beachten
B. Rechtskonformität
= A + betriebliche Regeln beachten
C. Unternehmenskonformität
= B + Unternehmenswerte beachten
D. Legitimität
= C + Handlungen begründen
Was genau ist nun mit pro-aktivem Ethikmanagement gemeint, wenn es um Compliance geht? Oft ergibt sich in den genannten Diskussionsprozessen die Notwendigkeit, Lücken und Ermessensspielräume zu schließen, oder die Rahmenord-
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nung schreibt lediglich eine allgemeine Selbstbindung vor, ohne diese inhaltlich zu definieren. In diesen Fällen werden zusätzlich oder ergänzend unternehmensinterne Regeln (etwa in Form eines ethischen Kodex) aufgestellt. Sie dienen nicht nur der Erhöhung von Compliance und sollen ethisches Commitment ermöglichen, sondern sie können und sollen durchaus auch demonstrieren, dass es Unternehmen gibt, die ihre soziale Verantwortung pro-aktiv und aus Gründen der Vernunft wahrnehmen. In der Praxis bestehen unternehmensethische Richtlinien (ethische Kodizes) also meist aus beiden Elementen. Damit aber auch sichergestellt werden kann, dass diese Regelungen nicht nur kommunikativ wirksam werden, sondern auch das Verhalten der Organisation und ihrer Mitglieder verändern, bedarf es auch Regulative, die die Einhaltung dieser Regeln gewährleisten. Compliance kann aus unternehmensethischer Perspektive nur erreicht werden, wenn es neben Regeln („Was soll ich tun?“) auch institutionelle Maßnahmen (Managementsysteme, Schulungen, Ethikbeauftragte etc.) gibt. Erst die Institutionalisierung von Verantwortung stellt eine solide legitimatorische Basis jenseits kommunikativer Imagebewirtschaftung dar. Die Unternehmensethik hat nun einige Instrumente entwickelt, die sich für die eben angesprochene Institutionalisierung von Ethik in Unternehmen als Form des pro-aktiven Ethikmanagements eignen; hierbei handelt es sich z. B. um Stakeholder-Management, Ethik-Kodices, Management der Unternehmenskultur / -struktur und Reputationsmanagement. Im Folgenden soll der Stakeholder-Ansatz und dessen Implikationen kurz charakterisiert werden. Das Konzept des Stakeholder-Managements ist eine der Möglichkeiten, die dialogische Verantwortung von Unternehmen, eben als öffentlich exponierte Institutionen, wahrzunehmen, ohne die Unternehmensstrategie aus den Augen zu verlieren. Ein Unternehmen kann auch als eine „Interessenskoalition unterschiedlicher Anspruchsgruppen“32 verstanden werden, die man als Stakeholder bezeichnet. Stakeholder sind demnach Personen, Gruppen oder Organisationen, die ein wie immer geartetes Interesse an einem Unternehmen haben, sei es, weil sie in das Unternehmen investiert haben, Ressourcen für das Unternehmen bereitstellen oder von Handlungen und Entscheidungen des Unternehmens betroffen sind. Diese Stakeholder-Interessen zu steuern und pro-aktiv in die Unternehmensstrategie einzubeziehen ist eine genuine Management-Aufgabe. Damit verbunden ist eine Redefinition des Begriffs Unternehmen, wie es etwa Post, Preston und Sachs versuchen:33 „The corporation is an organization engaged in mobilizing resources for productive uses in order to create wealth and other benefits (and not to intentionally destroy wealth, increase risk, or cause harm) for its multiple constituents, or stakeholders“. 32 33
Karmasin 1996: 208. Ibid: 17.
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Dieser Ansatz würde auch einer der oben genannten Unternehmensethik-Strategien im deutschsprachigen Raum, nämlich jener von Steinmann / Löhr, entsprechen, dass konsensfähige Unternehmensstrategien zu finden seien. Natürlich ist eine Einbeziehung sämtlicher Stakeholder-Interessen eine die Kapazität eines Unternehmens meist übersteigende Aufgabe. Stakeholder, die vielleicht Ansprüche an das Unternehmen stellen, weil sie von Unternehmensentscheidungen betroffen werden, diese Ansprüche aber nicht in einem argumentativen Prozess legitimieren können, werden daher für eine konsensfähige Strategie eine untergeordnete Rolle spielen. „Stakeholder im ethischen Sinne sind alle, die gegenüber dem Unternehmen legitime Ansprüche haben“.34 Es gilt also, zwischen divergenten legitimen Interessenlagen abzuwägen, ohne a priori einer bestimmten Stakeholder-Gruppe den Vorzug zu geben. Um diesen Vorgang gerecht im Sinne der Verfahrensgerechtigkeit zu gestalten, kommt das zentrale Konzept der Transparenz zur Geltung. Dies verlangt:35 Informationen müssen an die Stakeholder gleich verteilt werden Kriterien für die Auswahl der Stakeholder müssen offen gelegt werden Kriterien für die Abwägung konfligierender Stakeholder-Interessen müssen offen gelegt werden
In diesem Prozess können ökonomische ebenso wie ethische Kriterien eine Rolle spielen.36 Die Verantwortung für die Stakeholder wächst dabei, je marktmächtiger ein Unternehmen ist und je mehr Handlungsspielräume es hat. Denn die Freiheit, aus verschiedenen Strategien zu wählen (was ja Marktmacht bedingt) führt nahtlos zur Aufgabe, eine bestimmte Strategie auszuwählen (was in Verantwortungskonzepten wie etwa der Verpflichtung zum Diskurs mündet). Erst die kommunikative Rationalisierung des Unternehmens und seiner Mitglieder, wie sie z. B. Ulrich37 verlangt, wird so ein verantwortungsbewusstes und integratives Stakeholder-Modell ermöglichen. Um den Stakeholder-Ansatz im Unternehmen zum Leben zu erwecken und mittels Reputationsmanagements die Anspruchsgruppen und deren Anliegen ernst zu nehmen, empfiehlt sich die Installierung eines Wertemanagementsystems. In Anlehnung an Wieland wären dann folgenden Elemente eines Wertemanagementsystems zentral.38 Kodifizierung: Es ist sinnvoll, die Werte des Unternehmens niederzuschreiben. Nur so werden sie zum Inventar der Organisation und die Einforderung der Einhaltung wird leichter. Ein Ethikkodex oder detailliertes Mission Statement sind hierfür mögliche Maßnahmen. 34 35 36 37 38
Göbel 2006: 114, nach einem Definitionsvorschlag Ulrichs. Vgl. Karmasin 1996: 239. Vgl. hierzu Karmasin / Litschka 2008. Vgl. Ulrich 2001. Vgl. Wieland 2004: 23 f.
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Kommunikation: Die Werte müssen kommuniziert werden, etwa in Arbeitsverträgen oder Anweisungen; Lieferanten sollten gescreent werden, ob sie bereit sind, zu den Bedingungen der Wertekultur zu kooperieren und PR sollte in ein ganzes Corporate Citizenship Modell eingefasst werden. Implementierung: Zur Implementierung wird ein Compliance Programm nötig sein und Sanktionen bei Non-Compliance müssen klar gemacht werden. Organisation: Neben der zentralen Rolle des CEO als Vorbild sollten Organisationsanstrengungen auch ein Ethics Office oder einen „Corporate Reputation Officer“ umfassen.
V. Zur Zukunft Die Frage nach der sozialen Verantwortung der Unternehmung wird weder von der medialen noch der politischen Agenda verschwinden, da es sich um eine zentrale Frage der Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft handelt. Eine unternehmensethische Selbstverpflichtung auf rein volativer Basis, motiviert durch die Aussicht auf Reputation und Wettbewerbsvorteile durch Differenzierung oder auch nur die Vernunft, scheint nicht hinreichend zu wirken, um alle Unternehmen zu sozialverträglichem Verhalten zu veranlassen. Will man das eingangs erwähnte Ziel der EU-Kommission, Europa zum führenden CSR Wirtschaftraum der Welt zu machen, erreichen, werden neben motivatorischen und pädagogischen Maßnahmen auch ordnungspolitische Rahmenbedingungen von Nöten sein. Wenn es autonome ethischen Verpflichtungen von Unternehmungen gibt (und wir sind der begründeten Meinung: es gibt sie), dann muss die scheinbare Dichotomie von Markt oder Staat durch eine verantwortete Rahmenordnung in Richtung einer umfassenden Unternehmensverantwortung aufgelöst werden. Im Sinne regulierter Selbstregulierung sollten diese Maßnahmen – so meinen wir – nicht materiell in die Unternehmungen eingreifen, sondern Rahmenbedingungen schaffen, die Selbstregulierung motivieren und fördern. Wenn ordnungspolitische Maßnahmen also als vernünftiger Rahmen der Schaffung von „bonum commune“ aufgefasst werden (und welchen Sinn sollten sie sonst haben?), dann müsste eine solche Rechtskonstruktion an der Unternehmung und nicht am Individuum ansetzen, müsste also Unternehmensverantwortung zentral sehen; der sozialen und ethischen Verantwortung der Unternehmung Rechnung tragen, so dass es einen rechtlichen und wirtschaftlichen Anreiz gibt, sich Gemeinwohlverträglich zu verhalten; ein ökonomisch anschlussfähiges System sein; mit Sanktionen und Anreizen also, die auch ökonomisch relevant sind, damit die Unternehmung unter konkurrenzwirtschaftlichen Rahmenbedingungen ihrer ethischen Verantwortung (zumindest) ohne Wettbewerbsnachteile gerecht werden kann;
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formale Normen beinhalten, da aus praktischen (time lags, Komplexität etc.) sowie theoretischen Gründen (Meinungsfreiheit, Pluralismus) materielle Normen problematisch sind.
Ob sich auf Ebene des Gemeinschaftsrechtes und auf Ebene der Kompetenzen der Mitgliedsstaaten der europäischen Union entsprechende Regelungen finden werden, wird die Zukunft weisen. Die Diskussion um die Verantwortung der Unternehmung ist jedenfalls begonnen und wird weder in der Wissenschaft, noch in der Praxis so bald verstummen.
Summary This paper deals with the current scientific debate in German speaking countries concerning the role of Corporate ethics as meso-level ethics of an (business-)organization. While these countries have developed own approaches to business ethics which can be discerned from Anglo-American approaches, it still seems not clear which legal and structural elements are needed to “motivate” companies to follow the path of social responsibility. Such elements have to be identified if the EU Commission’s goal of making Europe the top region for CSR shall be reached. After giving an overview on current approaches to business ethics and their philosophical groundings, the authors depict the specific place of corporate ethics between social ethics (ethics within the social framework) and individual ethics (ethics of the manager). Ethical legitimation is provided for an understanding of responsibility that is directly connected to the enterprise as quasi-public organization. It is shown how proactive “compliance” can be understood as a self-regulating framework for entrepreneurial action. One of the most important instruments to reach a new picture of CSR and business ethics is stakeholder management. Some implications for such an approach, seen from economics and ethics likewise, are described. Lastly, some hints to what a legal framework for CSR and business ethics activities would comprise in the future, are given.
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Mechanismen der Wirtschaftsethik – Zwischen Verrechtlichung und freiwilliger Akzeptanz Christoph Lütge I. Einleitung Wirtschaftsethik wird in unterschiedlicher Weise definiert: einerseits wird sie als „nur“ angewandte Ethik gesehen, die sich mit der Anwendung zuvor durch die Ethik begründeter Normen im Bereich der Wirtschaft befasst. Andererseits wird sie auch als diejenige Wissenschaft gesehen, die sich mit der Implementierung von Normen befasst – und zwar ganz unabhängig von einem bestimmten Bereich. In diesem Fall wäre sie, im Verbindung mit anderen Disziplinen (insbesondere der Ökonomik), Umsetzungswissenschaft. Unabhängig davon, welchen dieser beiden Standpunkte man einnimmt, kann man doch festhalten: in der Wirtschaftsethik steht oftmals nicht so sehr die Frage nach den richtigen Normen, sondern nach den richtigen Umsetzungsmechanismen im Zentrum. Man unterscheidet hier i.d.R. – in einem ersten Zugriff – grundlegend zwischen zwei Arten von Mechanismen: solchen, die auf Sanktionen basieren, und solchen, die auf freiwilliger Einhaltung gründen. Diese Unterscheidung scheint zunächst unproblematisch zu sein: Entweder setzt man auf Strafe oder auf Freiwilligkeit. Viele öffentliche Diskussionen laufen dementsprechend ab: die einen wollen härtere Strafen (für Verkehrsrowdys, Drogensünder oder Steuerhinterzieher) oder allgemeiner eine gesetzliche Regelung (etwa bei Tarifverhandlungen oder Ausbildungsinitiativen), die anderen suchen nach einer freiwilligen Lösung. Eine grundsätzliche Vermittlung zwischen beiden Positionen scheint nicht möglich, meist wird in der Tagespolitik ein mehr schlechter als rechter Kompromiss gefunden, bei dem es ein bisschen von beidem gibt. Auch in der Wirtschaftsethik werden die Mechanismen rechtliche Sanktionen und Freiwilligkeit gern gegeneinander ausgespielt. Aber ist dies überhaupt die angemessene Kategorienwahl? Diese Frage bildet den Kern meiner Ausführungen.
II. Eigeninteressierte Freiwilligkeit Man kann die grundlegenden Mechanismen auch in anderer Weise unterscheiden. Dazu muss man sich allerdings von der oberflächlichen Dichotomie Strafe
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versus Freiwilligkeit verabschieden und die Debatte vor einem differenzierteren theoretischen Hintergrund betrachten. Warum wird denn die freiwillige Lösung als problematisch angesehen? Die Theoretiker der Strafe sind in der Regel skeptisch gegenüber den Umsetzungschancen freiwilliger Lösungen. Freiwilligkeit sei nichts wert, Vertrauen ohne Kontrolle ebenso wenig. Aber: Wenn der Umsetzungsmechanismus freiwilliger Lösungen überzeugend konzipiert wäre, dann müssten auch die Kritiker zustimmen. Um eine solche Konzeption geht es mir im Folgenden. Ich werde zunächst auf ihre normativen Grundlagen eingehen. Entscheidend ist, wie die normative Grundlage der jeweiligen wirtschaftsethischen Konzeption gedacht wird. Legt man als letztes normatives Kriterium Grundwerte, etwa die abendländischen Werte, religiöse Gebote, Naturrecht oder Konsens bzw. Zustimmung zu Grunde? Der ordnungsethische Ansatz, den ich vertrete1, trifft hier eine klare Entscheidung und beruft sich nur auf die Zustimmung der Einzelnen. Diese Entscheidung für das Konsenskriterium kann nun auf unterschiedlichen Wegen begründet werden: 1. Die einfachste Begründung lautet, dass das Konsenskriterium am voraussetzungsärmsten ist. Es setzt keine vorhergehende Normativität voraus, sondern akzeptiert einfach, auf was die Einzelnen sich einigen (diese Bestimmung kann natürlich auf unterschiedliche Weise qualifiziert werden). Damit wird eine wichtige methodologische Forderung erfüllt: Bevor man die Voraussetzungen einer Theorie verschärft, sollte man zunächst versuchen, wie weit man mit einfacheren Mitteln kommt. Über diese einfache Strategie hinaus gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten: 2. Gemäß der zweiten Begründungsstrategie ist Zustimmung bzw. Konsens das ,moderne‘ Kriterium. Nachdem theologische, naturrechtliche und klassisch vernunfttheoretische Begründungen nicht mehr vertretbar seien, können in der Moderne nur die Bürger, die einzelnen Individuen in ihrer Autonomie, als letzte Quelle von Normativität gelten. Nur dies werde dem modernen Autonomiegedanken, welcher der Demokratie zu Grunde liege, gerecht.2 3. Eine dritte Begründungsstrategie setzt jedoch anders an (ohne dabei die Kerngedanken der zweiten abzulehnen): Sie denkt nicht von einem normativen Postulat her, weder von der Vernunft noch vom Autonomieprinzip. Stattdessen beruft sie sich auf Strukturen der Welt – und das heißt vor allem: der 1 Vgl. Karl Homann / Christoph Lütge, Einführung in die Wirtschaftsethik, 2. Aufl., Münster: LIT, 2005 sowie Ingo Pies, Moral als Heuristik: Ordonomische Schriften zur Wirtschaftsethik, Berlin: wvb, 2009 und Christoph Lütge, Was hält eine Gesellschaft zusammen? Ethik im Zeitalter der Globalisierung, Tübingen: Mohr Siebeck, 2007. 2 In dieser Weise argumentieren letztlich sowohl Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung: Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats, Frankfurt / M.: Suhrkamp, 1992 als auch John Rawls, Politischer Liberalismus, Frankfurt / M.: Suhrkamp, 1998.
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sozialen Welt. Die soziale Welt ist heute so gestaltet, dass nur noch Ethiken, die auf dem Konsensgedanken basieren, Chancen auf Implementierung haben. Das heißt, Grundlage für die Wahl des Konsensprinzips ist nicht ein normatives Postulat, sondern eine faktische Gegebenheit: In der heutigen sozialen Welt herrschen zum einen Wettbewerbsstrukturen (etwa in der Form von Dilemmastrukturen3) vor, zum anderen ist die Öffentlichkeit in ganz anderer Weise verfasst als in früherer Zeit. Der Kerngedanke ist in beiden Fällen, dass einzelne und kleine Gruppen ein ganz anderes Gewicht entfalten können, als dies früher der Fall war – das heißt in Strukturen ohne scharfen Wettbewerb und ohne die heutige mediale Öffentlichkeit. Zu den Wettbewerbsstrukturen ist anderenorts hinreichend viel gesagt worden4, ich werde hier den zweiten Punkt etwas weiter ausführen.
III. Zur Relevanz des Internets für die Implementierung von Normen Als J. Habermas 1962 den Strukturwandel der Öffentlichkeit beschrieb, war die damals „moderne“ Öffentlichkeit wesentlich durch Massenkommunikation geprägt, durch die Macht der großen Zeitungen und durch den Aufstieg des Fernsehens. Massenkommunikation geschah zentral – das heißt nach dem Modell „ein Sender – viele Empfänger“. Wer die – wenigen – Sender kontrollierte, hatte das Monopol. Kritische Öffentlichkeit, die gerade auch von Habermas eingefordert wurde, hatte es schwer. Sie konnte sich nur auf dem mühseligen Weg der allmählichen „Eroberung“ der Institutionen der Massenkommunikation behaupten. Dezentrale Kommunikation dagegen war im Wesentlichen nur im Modell „ein Sender – ein (allenfalls wenige) Empfänger“ möglich (Beispiel Telefon). Seit dem Aufstieg des Internets – das heißt, mindestens seit Beginn seiner weltweiten Durchsetzung ab ca. 19955 und der damit verbundenen Realisierung dezentraler Massenkommunikation – hat sich dieses Bild verändert. Alternative Meinungen und Standpunkte, andere Sichtweisen, kulturell unterschiedliche Weltanschauungen und zweifellos auch Polemiken jeglicher Art und Qualität haben durch das erste interaktive Massenmedium der Weltgeschichte eine ganz neue Verbreitungsmöglichkeit gefunden. Das Internet wird immer noch missverstanden: Es ist primär ein soziales, kein technisches Phänomen. Es hat ganz neue Formen von Vernetzung, von Interaktion – und von Subversion – hervorgebracht. Mit der Erweiterung des Internets auf die so genannten Web 2.0-Applikationen wie Facebook oder Vgl. Lütge (Fn. 1), Kap. 2. Vgl. Homann / Lütge (Fn. 1). 5 Vgl. bereits Christoph Lütge, „Wie verändert das Internet die Gesellschaft? Philosophische Überlegungen“, in: Venanz Schubert (Hrsg.), Die Geisteswissenschaften in der Informationsgesellschaft, St. Ottilien: EOS 2002, S. 147 – 164. 3 4
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Twitter haben diese neuen Interaktionsformen noch einmal einen erheblichen Schub an Dynamik erhalten. Man kann versuchen, die Bedeutung dieser neuen Kommunikationsformen herunterzuspielen, man kann etwa behaupten, die alternativen Sichtweisen würden einfach in einer Flut von Information untergehen und sich gegenseitig neutralisieren. Das stimmt nur zum Teil, denn gerade die klassischen Massenmedien wie Fernsehen und Printmedien bedienen sich gern der Informationsquelle Internet – ob in Form von Blogs, Twitter, Wikipedia oder anderen Mechanismen – und finden dort gezielt Informationen, die anders nicht zu bekommen sind (beispielsweise alternative Stimmen aus diktatorisch regierten Ländern). Es ist für kreative Nutzer nicht allzu schwer, die Aufmerksamkeit klassischer Medien zu erreichen. Von Seiten der Diskursethik und anderer wird außerdem als Kritik vorgebracht, das Internet sei nur eine Fortsetzung „ökonomischer“ Mechanismen, es sei kommerzialisiert und liefere nicht die gewünschte kritische Öffentlichkeit. Diese Kritik geht ins Leere. Natürlich ist es richtig, dass im Internet Meinungen aller Art vertreten sind – wie in der Gesellschaft. Und dazu gehören auch weniger elaborierte, weniger gut begründete und sogenannte „irrationale“ Meinungen. Was man aber dem Netz – und gerade auch den Web 2.0-Applikationen – nicht vorwerfen kann, ist eine verschärfte Form der Ökonomisierung. Die Gemeinschaft der Netzuser ist sich im Gegenteil, bei allen unterschiedlichen Meinungen, in einer Frage sehr weitgehend einig: dass nämlich wesentliche Webapplikationen kostenfrei bleiben müssen. Das gilt für Facebook und Twitter genauso wie für die zahlreichen Open Source-Projekte, die im Internet kostenlos nutzbar sind. Wenn man diese Phänomene zusammen betrachtet, erweist sich das Internet als Kommunikationsmedium, das so erfolgreich wie bisher kein anderes ganz neue Formen von Ökonomie – etwa eine Ökonomie des Zugangs6 oder eine Ökonomie der Aufmerksamkeit7 – erzeugt oder jedenfalls stark forciert hat. Gleichzeitig hat das Internet auch den Status von Experten untergraben. Ob im medizinischen, im naturwissenschaftlichen oder auch im geistesgeschichtlichen Bereich: Laien – genauer gesagt: solche, die man klassischerweise als Laien bezeichnet hätte – können sich gegenüber der Vor-Internet-Zeit in ganz anderer Weise informieren, und zwar ohne die Zwischenstation über den „Experten“. Das gilt, um nur einige Beispiele zu nennen, etwa für den Stand klinischer Forschung, für astronomische Daten oder historische Quellen (wie etwa den vollständig im Internet einsehbaren Codex Sinaiticus) gleichermaßen. Daraus folgt zweifellos nicht, dass Fachkenntnisse unmöglich oder gar Experten überflüssig werden. Nur muss der Status eines Experten in etwas anderem bestehen als in der Kenntnis, wo und wie sich Daten oder Quellen finden lassen, oder in der Möglichkeit eines exklusiven Zugangs zu ihnen. 6 Jeremy Rifkin, Access: Das Verschwinden des Eigentums: Warum wir weniger besitzen und mehr ausgeben werden, Frankfurt / New York: Campus, 2000. 7 Georg Franck, Ökonomie der Aufmerksamkeit: ein Entwurf, München: Hanser, 1998.
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Schließlich kommt noch ein letzter Punkt hinzu: Alles, was sich in eine digitale Form bringen lässt, ist grundsätzlich auch kopier- und verbreitbar. Sowohl Musikund Videodateien als auch Texte lassen sich nicht dauerhaft gegen eine Verbreitung im Netz schützen. Dies zeigen sowohl die Auseinandersetzungen um die Schließung kostenloser Musik-Tauschbörsen8 als auch die Diskussionen über geistiges Eigentum, insbesondere die Verbreitung von Texten über Google – und das sind m. E. nur Vorboten dessen, was das Internetzeitalter noch bereithält. In diesen Fällen kommt man mit klassischen rechtlichen Verboten nicht dauerhaft weiter, sie werden vom Internet systematisch untergraben – aufgrund technischer Gegebenheiten und weil international unterschiedliche Auffassungen aufeinanderprallen (aber nicht mehr durch Grenzen voneinander getrennt sind). Neue Lösungen, die ökonomische Anreizmechanismen (etwa in der Form eines einfacheren, bequemeren Zugangs zu Daten, verbunden mit Micro Payment-Bezahlsystemen) kreativ einsetzen, sind die einzige Alternative. Es lässt sich festhalten: das Internet stellt – zusätzlich zu den Wettbewerbsstrukturen moderner globalisierter Gesellschaften – ein weiteres erhebliches Hindernis für die Implementierung von Normen via traditionelles Recht dar. IV. Freiwillige Selbstverpflichtungen von Unternehmen Multinationale Unternehmen haben die Problematik wirtschaftsethischer Mechanismen bereits seit langem erkannt. Jene Aktivitäten, die zum Bereich Corporate Social Responsibility (CSR) oder Corporate Citizenship gerechnet werden können, sind zurückzuführen auf eine wesentliche – implizite oder explizite – Erkenntnis seitens der Unternehmen: Sie können sich nicht mehr auf den nationalstaatlichen, rechtlichen Rahmen verlassen, um gute, dauerhaft und nachhaltig erfolgreiche Geschäfte machen zu können.9 Verfehlungen seitens der Unternehmen, ob tatsächliche oder vermeintliche, werden von anderen Akteuren in der globalisierten Wirtschaft (etwa NGOs) sehr schnell angeprangert, auch wenn nicht gegen Gesetze verstoßen wurde. Viele Unternehmen, die lange Zeit auf compliance, also auf reine Gesetzestreue als Grundlage von CSR bauten, kommen mittlerweile zu der Erkenntnis, dass sie sich damit auf die Dauer selbst schädigen. Reputationsverluste, Projektverzögerungen und vergleichbare Nachteile können sogar viel stärker ins Gewicht fallen als die Furcht vor Strafzahlungen. Daher betreiben immer mehr multinationale Unternehmen gerade aus ethisch sensiblen Branchen aktive CSR als Risikomanagement, um möglicherweise drohende moralische Risiken schon im Vorfeld erkennen zu können. 8 Vgl. Christoph Lütge, „Zur Ethik von Napster, Gnutella und anderen Internet-Musiktauschbörsen“, in: Peter Fischer / Christoph Hubig / Peter Koslowski (Hrsg.), Wirtschaftsethische Fragen der E-Economy, Heidelberg: Physica 2002, S. 347 – 359. 9 Vgl. Andrew Crane et al. (Hrsg.), The Oxford Handbook of Corporate Social Responsibility, New York: Oxford University Press, 2008.
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Einige Beispiele mögen dies belegen: 1. Die wichtigen Konzerne der multinationalen Ölindustrie versuchten bis 2002, mithilfe der Global Climate Coalition den weltweiten Klimawandel zu bestreiten, um Maßnahmen zur Senkung von Kohlendioxid-Emissionen zu verhindern. In den späten 1990er Jahren setzte jedoch ein Umdenken ein, das zur Auflösung der Global Climate Coalition und schließlich dazu führte, dass die Ölkonzerne mittlerweile in erheblichem Maße aktive CSR betreiben und zahlreiche Dialoge mit NGOs unter anderen Organisationen der Zivilgesellschaft weltweit pflegen.10 2. Eine Reihe von Konzernen wie etwa Volkswagen engagieren sich im Kampf gegen AIDS (insbesondere in Südafrika), sie kümmern sich dabei nicht nur um erkrankte Mitarbeiter, sondern fördern auch Aufklärungsprogramme und Bildungsinitiativen, deren Reichweite deutlich über die eigenen Mitarbeiter hinausgeht. Volkswagens Engagement ist 2005 mit einem internationalen Preis (der Global Business Coalition on HIV / Aids) ausgezeichnet wurden, was der Reputation des Konzerns durchaus förderlich ist. 3. Unter dem Begriff „Cause Related Marketing“ werden Aktivitäten subsumiert, bei denen Unternehmen Marketing-Aktivitäten mit einer „guten Sache“ verknüpfen; meist ist auch eine Non-Profit-Organisation beteiligt. So wirbt etwa Häagen Dazs für eine Kampagne zum Schutz von Bienen, die offenbar11 seit einigen Jahren von einem bisher ungeklärten Massensterben bedroht sind (www.helpthehoneybees.com). 4. Als Nachhaltigkeits-Management bezeichnet man Aktivitäten von Unternehmen, die sich dem Thema Nachhaltigkeit nicht nur kontingent, sondern systematisch nähern: Sie unterhalten Management-Strukturen, die darauf ausgerichtet sind, nachhaltiges Wirtschaften nicht erst im Nachhinein, sondern bereits im Vorhinein planerisch anzugehen. Ein Beispiel liefert das Nachhaltigkeit-Management der Ölindustrie. Dies sind nur einige Beispiele dafür, dass Unternehmen beginnen, ihre – gerade auch von Seiten der Wirtschaftsethik eingeforderte12 – politische Rolle zu übernehmen. Der wirtschaftsethische Mechanismus der Umsetzung von Normen via unternehmerische Aktivität basiert hier weder auf „Strafen“ noch auf Freiwilligkeit aus altruistischen Gründen, sondern auf eigeninteressierter Freiwilligkeit. Dieser Mechanismus wirkt außerordentlich erfolgreich – und zwar gerade in jenen Regionen der Welt, in denen nationalstaatliche gesetzliche Mechanismen (aus unter10 Vgl. Ingo Pies et al., Nachhaltigkeit in der Mineralölindustrie: Theorie und Praxis freiwilliger Selbstverpflichtungen, Wirtschaftsethik-Studie Nr. 1 – 2009 des Lehrstuhls für Wirtschaftsethik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle, 2009. 11 Ob die wissenschaftlichen Grundlagen dieses Massensterbens solide sind, ist dabei für das Unternehmen – und auch für die öffentliche Wirkung – eher sekundär. 12 Vgl. etwa Andrew Crane / Dirk Matten, Business Ethics: A European Perspective, Oxford: Oxford University Press, 2003.
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schiedlichen Gründen) wenig ausrichten. Tatsächlich setzen Unternehmen mittlerweile freiwillige Verpflichtungen nicht nur für sich selbst ein, sondern stellen auch für andere Akteure (etwa Staaten und Regionen) „Bindungs-Services“ bereit, die diesen helfen, ethische Standards (wie Nachhaltigkeitsstandards) einzuhalten. Bisher bin ich quasi selbstverständlich davon ausgegangen, dass die betreffenden Unternehmen auch in ethischer Hinsicht als verantwortliche Akteure angesehen werden können. Das setzt jedoch grundsätzlich voraus, dass kollektive Akteure (neben Unternehmen etwa auch andere Organisationen) überhaupt Träger von Verantwortung sein können. Auf die diesbezügliche ethische Diskussion gehe ich nun ein. V. Kollektive und individuelle Verantwortung Die Verantwortungs-Debatte hat eine lange Tradition: kann man kollektiven Akteuren Verantwortung und moralische Schuld zuschreiben – und wenn ja, unter welchen Bedingungen? Tendenziell gestehen Moralphilosophen, so bereits Max Weber, kollektiven Akteuren letztlich, wenn auch nach einer langen Diskussion, keine Möglichkeit zur Verantwortungsübernahme jenseits der individuellen Verantwortung der Mitglieder des Kollektivs zu: 1. So argumentiert etwa der amerikanische Ethiker J. Narveson13, das einzige für Kollektive relevante ethische Prinzip sei das Prinzip der Freiheit des Zusammenschlusses („freedom of association“). Individuen seien als einzige verantwortlich, und zwar dafür, zu welchen Verbindungen sie sich zusammenschlössen. Innerhalb ihrer Mitgliedschaft in einer solchen Verbindung seien sie dann – wenn auch zu unterschiedlichen, näher zu bestimmenden Anteilen – verantwortlich. Narveson bestreitet aber die Möglichkeit tatsächlicher sozialer ,Fakten‘; ein Kollektiv aus menschlichen Individuen sei eben kein Organismus, sondern seine Handlungen seien zurückführbar auf die Handlungen seiner Mitglieder. Dies ist zwar richtig, und ich bestreite keineswegs die Berechtigung eines methodologischen Individualismus. Was aber in Narvesons Analyse vernachlässigt wird, sind die Anreize. Auf die Mitglieder von Organisationen, Unternehmen und anderen Kollektiven wirken Anreize. Und diese Anreize können so gesetzt sein, dass man nur noch sehr begrenzt von einer individuellen Verantwortung sinnvoll sprechen kann. Was eine Ethik ohne empirische Wissenschaften in ihrer Analyse vernachlässigt, sind Situationen mit Wettbewerb. Man muss – jedenfalls unter modernen Bedingungen – zwischen Ethik unter Wettbewerbsbedingungen und Ethik ohne 13
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Wettbewerbsbedingungen unterscheiden – die zum Teil zu ganz unterschiedlichen Handlungsempfehlungen kommen können. Der Wettbewerb selbst kann konzeptionell mit spieltheoretischen Methoden gefasst werden. Die klassischen Beispiele hier sind Dilemma-Situationen. In der Wirtschaftsethik sind diese Situationen seit langem zentraler Bestandteil der Analysen; sie umfassen übrigens – anders als es häufig verkürzt wahrgenommen wird – nicht nur das Gefangenendilemma, sondern eine ganze Reihe weiterer spieltheoretischer Situationen, etwa das Game of Chicken, das so genannte „Kampf der Geschlechter“-Spiel oder die „Jagdpartie“ (Stag Hunt).14 Auch das von List und Pettit beschriebene „diskursive Dilemma“15 gehört in diese Kategorie. Das diskursive Dilemma ist eine dem Arrow-Theorem vergleichbare Situation, in der mehrere Entscheider zu einer gemeinsamen Entscheidung gelangen, die niemand gewollt hat. In allen diesen Situationen können die Individuen das Ergebnis nicht selbst verändern – sie können es nicht einmal beeinflussen. In welchem Sinn soll man sie dann individuell für verantwortlich erklären? Sinnvoller ist der Weg, den Beteiligten eine gemeinsame Verantwortung für eine Lösung zuzusprechen. Die Rahmenbedingungen der Situation müssen geändert werden – die Spielregeln. Und das geht nur gemeinsam, etwa im politischen Diskurs. 2. Narveson bringt ein zweites Argument gegen die kollektive Verantwortung vor: man muss unbedingt vermeiden, dass Unschuldige, die an den Taten anderer Mitglieder des Kollektivs nicht beteiligt waren, mit zur Verantwortung gezogen werden. Das würde wohl kaum jemand bestreiten. Die Wirtschaftsethik dreht dieses Argument jedoch gerade um: in Situationen mit Wettbewerb ist derjenige, der moralische Vorleistungen liefert, der Dumme, der ausgebeutet werden kann. Gerade damit nun Moral (wieder) möglich wird, muss die kollektive Verantwortung erkannt – und über die Änderung der Anreize, der Spielregeln, umgesetzt werden. 3. Ein drittes Argument der Gegner der kollektiven Verantwortung (vorgebracht etwa von S. Sverdlik16) lautet: Kollektive haben kein Bewusstsein. Sie verfügten nicht über die Fähigkeit zu intentionalem Handeln. Allerdings diskutieren sowohl Gegner als auch Befürworter die Möglichkeit von funktionalen Äquivalenten zu Intentionalität. P. French17 etwa schlägt fol14 Vgl. Lütge (Fn. 1), Kap. 2 sowie Ken Binmore, Game Theory and the Social Contract, 2 vols., Cambridge / MA: MIT Press, 1994 – 1998. 15 Vgl. Christian List / Philip Pettit, „Aggregating Sets of Judgments: Two Impossibility Results Compared“, in: Synthese 140, 2004, S. 207 – 235. 16 Stephen Sverdlik, „Collective Responsibility“, in: Philosophical Studies, 51, 1987, S. 61 – 76. 17 Peter French, Collective and Corporate Responsibility, New York: Columbia University Press, 1984.
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gende Bedingungen vor, die erfüllt sein müssen, damit einem Kollektiv Verantwortung zugeschrieben werden kann: 1. das Kollektiv muss handlungsfähig sein, 2. das Kollektiv muss über eine interne Organisations- und Entscheidungsstruktur verfügen und 3. diese Entscheidungsstruktur muss kreative Entscheidungen ermöglichen, das heißt, sie darf nicht nur Routinen hervorbringen. Aber auch die andere Seite sieht diese Möglichkeit. Nur reicht sie ihr in der Regel nicht. Und hier wird folgendes Argument – etwa von D. Birnbacher18 – verwendet: Selbst wenn das Kollektiv in irgendeiner Form reflektieren könnte, so habe es doch keine eigenständigen Gefühle – und deswegen mangelte es ihm an Einsichtsfähigkeit. Diese sei aber in der Ethik unverzichtbar, denn Ethik setze auf den „Appell an die Vernunft und die Einsicht des Beurteilten“. Dass man es mit vernünftigen Individuen zu tun hat, davon geht wohl jede Ethik aus. Dass man aber mit der Wirksamkeit von Appellen rechnet und sich auf die Einsicht der Akteure verlässt, ist für eine Ethik, die auch die Um- und Durchsetzbarkeit ihrer Normen im Blick hat, zu wenig. In Situationen, in denen systematisch mit einem Auseinanderfallen von individueller Moral und Anreizen gerechnet wird, muss die Normdurchsetzung anders gedacht werden. Damit zusammen hängt ein zweiter Punkt: das Konzept der unbeabsichtigten Konsequenzen, das von Adam Smith und der Institutionenökonomik zentral verwendet wird, ist in der Diskussion um die kollektive Verantwortung ebenfalls zu wenig präsent. Für systematisch entstehende unbeabsichtigte Konsequenzen – auch und gerade in einer konsequenzialistischen Ethik – können nicht die Einzelnen verantwortlich gemacht werden, sondern nur Kollektive.
VI. Schluss Damit schließt sich der Kreis zurück zur anfänglichen Frage nach den Mechanismen für die Umsetzung ethischer Normen: Kollektive Akteure haben – im Rahmen von CSR u. a. – oftmals eine wesentlich größere Chance, Normen zur Implementierung zu führen, als sowohl individuelle als auch staatliche Akteure. Staaten haben letztlich nur das Mittel des Gesetzes – und das ist oft zu grob. Bei den Einzelnen helfen moralische Appelle, Vor- und Leitbilder nicht angesichts gegenläufiger Anreize. Bleibt die Frage: Welchen Sinn haben solche Leitbilder dann noch? Um nur ein Beispiel aus der wirtschaftsethischen Diskussion um die Finanzkrise zu nennen: Immer wieder geht es um die Frage, ob das Leitbild des „ehrbaren 18 Dieter Birnbacher, Analytische Einführung in die Ethik, Berlin / New York: de Gruyter, 2003, S. 17 ff.
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Kaufmanns“ heute noch tauge. Als Leitbild ist es tauglich – aber der ehrbare Kaufmann muss auch die Chance haben, ehrlich zu bleiben. Das heißt: Die Regeln müssen so gestaltet werden, dass der Ehrbare für sein Verhalten keine dauerhaften Nachteile trägt. Und diese Regeln können nicht nur von staatlichen Akteuren, sondern auch von Unternehmen und Branchenorganisationen gesetzt werden. Im internationalen Finanzsektor sieht es gegenwärtig allerdings danach aus, als brauchten wir hier mehr Verrechtlichung: Ein „gläsernes Finanzsystem“ ist in der Diskussion. Ob dies gelingt, bleibt freilich abzuwarten.
Summary This article deals with different mechanisms for implementing business ethics. Usually, the mechanisms of coercion and voluntariness are distinguished, leaving little room for a middle way. The author argues that self-interested voluntariness is such a middle way that subverts the usual distinction. It rests on a normative conception that has its roots in the contractarian idea of consensus. However, this criterion is not taken as a normative postulate here, but justified further, with reference to the structures of competition and the structure of the Internet. Many multinational corporations are now recognising voluntary self-constraints as being in their own interest. Examples are given which include fighting against AIDS and cause-related marketing. Finally, a presupposition of self-interested voluntariness is analysed: the possibility of ascribing responsibility to collective actors. Several arguments are discussed, before concluding that corporations and other collective actors can be held responsible – which reinforces the argument in favour of selfinterested voluntariness as a means for implementing ethical norms in business.
Leistungsfähigkeit und Grenzen der ökonomischen Moral Erweiterung durch eine kontraktualistische Institutionenund Rechtsethik Elke Mack
Die Leistungsfähigkeit und die Grenzen eines durch Karl Homann vertretenen moralökonomischen Ansatzes der Wirtschaftsethik verdienen es – angesichts ihrer erheblichen Rezeptionsgeschichte in der deutschen wirtschaftsethischen Debatte – mit Blick auf aktuelle Forschungsfelder diskutiert zu werden. Auch wenn sich die Forschungsrichtung der ökonomischen Ethik bzw. der Ordonomik gerade erst in der internationalen Wirtschaftsethikdebatte zu etablieren beginnt1, kann von einer überragenden Erfolgsgeschichte dieses spezifischen Ansatzes in der einschlägigen Literatur gesprochen werden. Dennoch hat kaum ein anderer Ansatz derartige Anfeindungen aus Philosophie und Theologie erfahren wie der der ökonomischen Ethik2, weil er kontraintuitive Einsichten ausdifferenzierter Subsysteme wie der Ökonomie in ethisch übergreifende Reflexionen einbringt, und dennoch die Logik der Systeme von einerseits Wirtschaft, Politik und Recht sowie andererseits Wirtschaft und Ethik deutlich voneinander unterschieden werden. Zugleich wird jedoch die Separationsthese von Ethik und Ökonomik zurückgewiesen und ein systematischer Integrationsansatz vorgelegt, der für sich in Anspruch nimmt, nicht utilitaristisch zu sein. Homann unternimmt mit der ökonomischen Ethik nicht weniger, als die Logik des Wettbewerbs und seine Leistungsfähigkeit in die moderne Ethik und deren Kategorien einzubringen, was seiner Ansicht nach bis heute nicht geleistet wurde. Er geht hier konform mit der Position des amerikanischen Wirtschaftsethikers Edward Freeman, dem Begründer der wirtschaftsethischen Stakeholdertheorie, der die dringende Notwendigkeit sieht, in die normativen Ideale der klassischen Ethik das Verständnis von Wert und Tausch einzubauen.3 Allerdings unterscheiden sich beide deutlich in der Methodenwahl bezüglich der Integration von Ökonomik und Ethik. Inwieweit die Integration verschiedener Rationalitäten und 1 Vgl. Pies, Ingo, Moral commitments and the societal role of business. An ordonomic approach to corporate citizenship, in: BEQ 19 (2009), 375 – 401. 2 Vgl. Mack, Elke, Die deutsche Christliche Sozialethik und die Theorie Karl Homanns, in: Pies, Ingo / Schönwälder-Kuntze, Tatjana / Lütge, Christoph / u. a. (Hrsg.), Freiheit durch Demokratie. Festschrift für Karl Homann, Berlin 2008, 143 – 155. 3 Vgl. Freeman, R. Edward, Ending the so-called „Friedman-Freeman“ debate, in: BEQ 18 (2008), 162 – 166, hier bes. 163.
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Subsysteme in der ökonomischen Ethik Homann’scher Provenienz gelingt, soll hier anhand ihrer Problemlösungskapazität getestet werden. Es soll weiterhin aufgezeigt werden, mit welchen Methoden die moralische Problemlösung im Bereich der Wirtschaftsethik alternativ und ergänzend erfolgen kann, nämlich durch eine vertragstheoretische Institutionen- und Rechtsethik, die die Ergebnisse des Politischen Liberalismus4 sowie der „Contractarian Business Ethics“5 aufnimmt. Die hier zu argumentierende Hypothese einer größeren Lösungskapazität letzterer beruht darauf, dass in einer solchen interdisziplinär angelegten Wirtschaftsethik relevante angrenzende Gesellschafts- und Wissenschaftsbereiche hinzugezogen werden und die normative Begründung mit Hilfe gängiger Methoden der praktischen Philosophie und der Sozialwissenschaften erfolgt, die allerdings ökonomiekompatibel sind. Auch ein solcher Ansatz muss sich hinsichtlich seiner Problemlösungskapazität bewähren.
I. Aktuelle Problemstellung Der Test der Leistungsfähigkeit der ökonomischen Ethik soll anhand des aktuellen Forschungsproblems der globalen Investition von Unternehmen in Ländern ohne demokratische oder rechtsstaatliches Rahmenbedingungen praxisorientiert geschehen. Mit derartigen Problemstellungen sieht sich die Betriebswirtschaftslehre bei moralischen Konflikten im praktischen Unternehmensalltag angesichts der Globalisierung in einer erheblichen Komplexität, Intensität und Quantität konfrontiert. Diese stellen zurzeit auch stark diskutierte Forschungsfelder der Unternehmensethik dar.6 Die Beispiele reichen von transnationalen Investitionen im ganzen afrikanischen Kontinent, bis hin zu Investitionen von MNEs (Multinational Enterprises) in Schwellen- oder Entwicklungsländer ohne Good Governance. Themen wie Sozial- und Umweltdumping, mangelnde Rechtsstandards, ebenso wie Themen der Eigentums- und Rechtsunsicherheit für auswärtige Direktinvestitionen sind unter betriebswirtschaftlicher und ethischer Rücksicht von großer Relevanz und für die Entwicklung der betroffenen Menschen in diesen Ländern oft durch eine langfristig negative Wirkung nicht zu unterschätzen. 4 Vgl. Rawls, John, Political Liberalism, New York 1993. Ders., Die Idee des politischen Liberalismus. Aufsätze 1978 – 1989, hrsg. v. Hinsch, Wilfried, Frankfurt a. M. 1994. 5 Hauptvertreter dieser Ausrichtung der Wirtschaftsethik sind: Donaldson, Thomas / Dunfee, Thomas W., Ties that bind. A social contracts approach to business ethics, Boston (Mass.) 1999. Bishop, John D., For-profit corporations in a just society. A social contract argument concerning the rights and responsibilities of corporations, in: BEQ 18 (2008), 191 – 212. 6 Vgl. Scherer, Andreas G. / Palazzo, Guido, Introduction to the special issue Globalization as a challenge for business responsibilities, in: BEQ 19 (2009), 327 – 347, hier bes. 339. Pies, Ingo, Können Unternehmen Verantwortung tragen? Ein ökonomisches Kooperationsangebot an die philosophische Ethik, in: Wieland, Josef (Hrsg.), Die Moralische Verantwortung kollektiver Akteure, Heidelberg 2001, 171 – 199.
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Ein repräsentativer aktueller Fall stellt sich beim Unternehmen Google dar, das im Januar 2010 bekanntgab, dass es keine Selbstzensur in China mehr vornehmen wolle und deshalb unter Umständen seine Internetsuchmaschine aus dem chinesischen Markt zurückziehen müsse, was es nun7, mit Ausnahme der teilautonomen Provinz Hongkong, getan hat. Chinesische User werden automatisch dorthin umgeleitet und gelangen auf eine zensurfreie Internetsuchmaschine. Google steht grundsätzlich in dem Dilemma, entweder Netzneutralität zu garantieren oder eine politisch erzwungene Netzzensur durchzuführen bzw. Cyber-Attacken auf Gmail Konten und den eigenen Hauptserver von Google zu tolerieren. Der öffentliche Vorwurf in der Weltpresse gegen die amerikanische Aktiengesellschaft lautet, sie sei Kollaborateur einer menschenrechtsfeindlichen Diktatur. Ein so heftiger Vorwurf stellt für ein Unternehmen nicht nur ein moralisches Problem dar, sondern auch ein ökonomisches. Denn Unternehmenserfolge hängen nicht nur von den kurzfristigen konkreten Gewinnerwartungen, sondern auch von der langfristigen moralischen Integrität eines Unternehmens ab. Es ist von dem empirischen Befund auszugehen, dass derartige moralische Dilemmata für viele Unternehmen – wenn auch in jeweils abgewandelter Form – repräsentativ sind, die in Länder mit Rechtsunsicherheiten investieren. Der Fall Google soll nur als Veranschaulichung und exemplarischer Fall dienen, anhand dessen die Leistungsfähigkeit einer ökonomischen Wirtschafsethik getestet werden kann.
II. Der klassische Lösungsansatz der ökonomischen Ethik Die moderne Wirtschaftsethik in der Tradition Karl Homanns bemüht sich um eine innerökonomische Lösung aller moralischen Problemstellungen, die im Kontext der Wirtschaft auftreten: Sie geht von dem Grundsatz aus, dass Moral auf Märkten ausbeutbar ist, weil Unternehmer, die sozial agieren, in der Gefahr stehen, den Konkurrenten im Wettbewerb zu unterliegen. Zugespitzt wird eine solche wirtschaftsethische Position vom Nobelpreisträger Milton Friedman bereits 1974 in seinem Werk Capitalism and Freedom: „( . . . ) there is one and only one social responsibility of business ( . . . ) to increase its profits so long as it stays within the rules of the game ( . . . ) without deception or fraud.“8. Hier wird davon ausgegangen, dass Unternehmen wirklich keine andere Verantwortung haben, als innerhalb des bestehenden Rechtsrahmens, ihre Gewinne zu steigern. Jegliche weiter gehende moralische, gesellschaftliche oder politische Verantwortung von Unternehmen wird abgelehnt, weil sie einzelwirtschaftliche Rentabilität schmälert. In einem wesentlichen Punkt geht die ökonomische Ethik über die Position Milton Friedmans hinaus: sie wird politisch und institutionell. Der Rechtsrahmen und 7 8
Stand: April 2010. Friedman, Milton, Capitalism and Freedom, Chicago 1962, 133.
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die politischen Rahmenbedingungen sollen aufgrund ihrer Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und die Funktion des Wettbewerbs überhaupt veränderbar sein. Durch die Initiative von Wirtschaftsunternehmen soll ökonomisch begründet werden, wie sie – insbesondere bei moralischen Dilemmata – wettbewerbsneutral geändert werden können. Deshalb ist es erklärtes Forschungsprogramm der ökonomischen Ethik, Moral durch eine anreizkompatible Institutionenökonomik zu etablieren, in der Moral einen produktiven Wettbewerbsfaktor für Unternehmen und Wirtschaftssubjekte darstellt. Die hierzu notwendigen Regeln, Rechtsfestsetzungen und Rahmenbedingungen sollen einer „race to the bottom“ in Sachen Moral vorbeugen, indem informelle Institutionen in ganzen Branchen gelten oder indem die politische und juridische Ordnung moralisches Verhalten von Unternehmen unterstützt, belohnt oder anreizt. Wie kann diese Implementierung von Moral ökonomiekompatibel erfolgen? Dies ist eine der wesentlichen Fragen der ökonomischen Ethik.
1. Die politische Ordnung Homann präzisiert diese bevorzugte Lokalisierung von Moral: „Die politische Rahmenordnung ist der systematische Ort der Moral“.9 Aus dieser Einsicht heraus, versucht er moralische Probleme im Markt zu überwinden und bilaterale Verhandlungssituationen zu konzeptionieren, in denen das moralische Dilemma in wechselseitigem Eigeninteresse überwunden werden kann.10 Dies wird methodisch in Gefangenendilemmasituationen modelliert, die schließlich sogar mathematisch belegen, dass eine Überwindung des Dilemmas im wechselseitigen Interesse liegt. Das Ziel der ökonomischen Ethik besteht letztlich darin, Rechtssicherheit für die Lösung moralischer Probleme auf der politischen Ebene zu schaffen. Dies funktioniert auch empirisch nachweisbar in rechtsstaatlichen Demokratien, in denen Wirtschaftsverbände den politischen Einfluss besitzen, kollektive moralische Probleme zu artikulieren, und Parteien sowie Regierungen für Gesetzesänderungen gewinnen können, die wiederum Marktversagen in moralischer Hinsicht strukturell verhindern. Wir beobachten derartige Prozesse in vielen Bereichen des Rechts und der Gesetzgebung, in denen in sozial ausgerichteten Marktwirtschaften auf die wechselseitigen Vorteile von Konsumenten und Produzenten geachtet wird. Allerdings besteht auf einer globalen Ebene das Problem, dass die Rahmenordnung in vielen Ländern dieser Erde, in die Unternehmen investieren, nicht rechtsstaatlicher und auch nicht demokratischer Natur ist. Multinationale Unternehmen sind in einem System vertikal aufeinander aufbauender Rahmenbedingungen tätig, in denen ganz global gesehen auch immer die Chance einer Investition in Märkte 9 Homann, Karl / Blome-Drees, Franz, Wirtschafts- und Unternehmensethik, Göttingen 1992, 35. 10 Vgl. Homann, Karl / Lütge, Christoph, Einführung in die Wirtschaftsethik, Berlin / Münster 22005, 35 – 49.
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ohne „Good Governance“ besteht. Global gesehen besteht zusätzlich das Problem einer Investition in die rechtsfreien Räume einer globalen Gesellschaft ohne eine entsprechende Weltrahmenordnung, in denen jedoch Menschen und potentielle Kunden existieren, die dringend ethischen Schutz verdienen. Deshalb wird der Lösungsvorschlag zur Rahmenordnung durch die ökonomische Ethik nicht selten bei globalen Investitionen in rechtsfreie Räume ergebnislos bleiben, denn dort liegen oft nur lückenhafte Rahmenbedingungen vor, sofern sie überhaupt existent sind. So ist es einhellige Meinung der Entwicklungsökonomen, dass die globale Ordnung defizitär ist und in vielen Schwellenund Entwicklungsländern defizitäre Strukturen, Institutionen oder Rechtsordnungen vorliegen, weshalb auch die für Unternehmen wichtige Rechtsdurchsetzung mangelhaft ist.11 Insbesondere bei Investitionen in totalitäre Staaten, Diktaturen, failing oder failed states12 können Unternehmen nicht mit Rechtssicherheit rechnen oder stehen unter Umständen sogar in direkter Konkurrenz zu staatlichen und politischen Interessen. Der Fall Google ist hier wiederum repräsentativ. Verhandlungspartner im Gefangenendilemma wäre in diesem Fall eine Regierung, die ein elementares Interesse an Netzzensur zu bestimmten menschenrechtsrelevanten Themen hat und keine Netzfreiheit in ihrem Hoheitsbereich zulassen möchte, weil es nicht in ihrem Interesse ist, dass ihre Bürgerinnen und Bürger freien Zugang zu weltweit allen verfügbaren Informationen haben. Analoge Hindernisse treten bei potentiellen Verhandlungen mit totalitären Regimen in anderen Teilen der Welt auf, wo nicht angenommen werden kann, dass Moral im Interesse der politischen Machthaber liegt. Ingo Pies schlägt in vergleichbaren Fällen dennoch vor, eine Win-Win-Situation zu konstruieren, in dem die Komponente „wechselseitig vorteilhafte Wertschöpfung“13 als Argument in die Verhandlungssituation mit Regierungen eingebracht wird. Er sieht hierin eine Chance der ordonomischen Lösung, weil auch einer rein machtorientierten politischen Größe die ökonomische Vorteilhaftigkeit der Ressource Moral so plausibel gemacht werden könne. Ganz konkret sieht er eine Chance auf ordonomische Einigung zwischen potentiellen Investoren und staatlichen Entscheidungsträgern, indem er die Vorteilhaftigkeit einer Wachstumssituation plausibel macht, die im beidseitigen Interesse liegen könnte. Hier verbleiben allerdings begründete Zweifel an der tatsächlichen Überzeugungskraft dieser rein 11 Vgl. Sautter, Hermann, Weltwirtschaftsordnung. Die Institutionen der globalen Ökonomie, München 2004. 12 Diese Begriffe werden in der wissenschaftlichen Debatte für Staaten mit unsicherem oder nicht vorhandenem Gewaltmonopol verwendet. 13 Pies, Ingo / Beckmann, Markus / Hielscher, Stefan, Competitive Markets, Corporate Firms, and New Governance – An Ordonomic Conceptualization, Diskussionspapier des Lehrstuhls für Wirtschaftsethik an der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg Nr. 2009 – 13, Halle 2009, 1 – 19, 9. Vgl. auch Pies, Ingo, „Moral Commitment and the Societal Role of Business: An Ordonomic Approach to Corporate Citizenship“, BEQ 2009, 19:3, 375 – 401.
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auf ökonomischen Vorteilhaftigkeit aufgebauten Argumentation, denn Regierungen, die für ihre weitere Legitimation historische Rechtsverletzungen vertuschen oder Regimekritik unter Strafe stellen, werden sich auch von langfristigen ökonomischen Vorteilen nicht überzeugen lassen. Zur Systemstruktur totalitärer Staaten gehört es prinzipiell, dass Freiheits- und Rechtsargumente nur dann zugelassen werden, wenn sie die politische Stabilität nicht gefährden. Hierfür werden – auch nach historischer Erfahrung – negative Effekte für die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrtssteigerung billigend in Kauf genommen. Nimmt man konkret Bezug auf den Fall Google, so dürfte auch die Chance einer erheblichen volkswirtschaftlichen Entwicklung auf dem Internetmarkt den chinesischen Staat nicht beeindrucken. Hierzu stehen auf der Gegenseite zu viele Glaubwürdigkeitsverluste der chinesischen Regierung auf dem Gebiet der Menschenrechtsverletzung und die Gefahr einer so erheblichen zivilgesellschaftlichen Kritik, dass die Legitimität des Staates auf dem Spiel steht. Die von der ökonomischen Ethik fraglos vorausgesetzte Machbarkeit der Auflösung und Überwindung von Gefangenendilemmata darf zu recht in der vielschichtigen Realität der gesellschaftlichen Praxis in Frage gestellt werden. Deshalb ist davon auszugehen, dass es nicht immer zur Realisierung einer WinWin-Situation zwischen konkreten Unternehmen und dem Staat kommt. Der Ruf der ökonomischen Ethik nach einer geeigneten Rahmenordnung bleibt allzu oft folgenlos, weil die Verhandlungsoption mit totalitären Staaten oder politischen Organisationen gar nicht möglich ist, weil sie nicht existieren. 2. Die Wettbewerbsordnung Es verbleibt die zweite Lösung der ökonomischen Ethik, als alternative Regelung zur rechtsstaatlichen Implementation, nämlich die betriebswirtschaftliche Selbstorganisation der Unternehmen in Form einer „Co-opetition“ zu wählen, die eine Dualität von Konkurrenz und Kooperation unter Wettbewerbern nahe legt. Unternehmen sollten im wechselseitigen Interesse „Branchenvereinbarungen“14 treffen, die Politikversagen kompensieren. Hierzu müssen sie sich verständigen und verbindlich informelle Institutionen schaffen, die für eine Branche verbindlich von allen Wettbewerbern eingehalten werden. Auch dies wäre bei vollständiger Konkurrenz zur Überwindung von Dilemmastrukturen und zur Lösung moralischer Probleme im Markt geeignet. Generell ist dies eine funktionale Methode, auf der Marktebene zu einer kollektiv verbindlichen Implementation von Moral zu kommen, die durch die Branchenvereinbarung wettbewerbsneutral wird und Moraldumping verhindert. So existie14 Homann, Karl / Suchanek, Andreas, Ökonomik. Eine Einführung, Tübingen 22005, 183. Vgl. auch Küppers, Arndt, Analytische Unternehmensethik als betriebswirtschaftliches Konzept zur Behandlung von Wertkonflikten in Unternehmungen, in: ZfBW 75 (2005), 833 – 857.
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ren in rechtsstaatlichen Demokratien für die meisten Branchen Wirtschaftsverbände, Handwerkskammern oder Dachverbände für Dienstleistungen jeglicher Art. Hier besteht eher die Gefahr der Kartellbildung oder die vom Kartellamt zu verhindernden Wettbewerbsabsprachen, die wiederum nicht im Sinne einer gemeinwohlorientierten Wirtschaftsethik sein können. Dennoch bleibt die Option der Branchenvereinbarung in Sachen Moral ein sehr sinnvoller Vorschlag der ökonomischen Ethik für rechtsstaatliche Demokratien und freie Marktwirtschaften mit einer funktionierenden Selbstorganisation der Wirtschaft als Alternative zur gesetzlichen Lösung. Problematisch wird die Option der Branchenvereinbarung wiederum in sehr jungen Volkswirtschaften mit negativen staatlichen Anreizstrukturen, wie in totalitären Staaten oder in Staaten ohne Good Governance“. So ist beispielsweise im Fall Google der härteste Wettbewerber ein nationaler chinesischer Konkurrent Namens Beidu, der einem staatlichen Zugriff überhaupt nicht entkommen kann, so dass eine Brachenvereinbarung bereits aus Gründen der politischen Erpressbarkeit nicht zustande kommen kann. Es ist in anderen Fällen auch ein Konkurrent denkbar, der bewusst Sozial- bzw. Moraldumping betreibt, um Wettbewerbsvorteile zu erzielen und dies mit Einverständnis oder Duldung einheimischer staatlicher Organisationen tut. Innerökonomische Lösungen der Moral sind auf Wettbewerbs- wie auf Strukturebene in demokratischen Rechtsstaaten möglich und sehr funktional, stoßen jedoch bei dysfunktionalen Rahmenbedingungen an erhebliche Grenzen. Denn dort lassen sich rein innerökonomisch allzu oft komplexe Dilemmasituationen nicht lösen, weil auch auf der Wettbewerbsebene keine Win-Win-Lösungen zwischen den Beteiligten konstruiert werden können, die auf gemeinsamen oder zumindest gleichgerichteten Interessen aufbauen könnten. Trotz aller Verdienste der ökonomischen Ethik um wettbewerbsneutrale Lösungen erscheint hier eine Grenze des klassischen ökonomischen Paradigmas erreicht, weil es suboptimale und fehlerhafte Rahmenbedingungen idealtypisch kaum rekonstruieren kann.15 Es existiert zumindest in der ökonomischen Ethik keine Möglichkeit, die Normativität von Gesellschaft, Recht, Kulturen und Religion interdisziplinär mit einzubeziehen, weil diese in ihren Rationalitätstypen und Sytemlogiken zum Teil erheblich von der ökonomischen Logik abweichen. Um komplexe moralische Dilemmata und soziale Probleme der Wirtschaft und im Kontext von Wirtschaft zu lösen, muss der methodische Zugang der Wirtschaftsethik deshalb erweitert werden.
15 Eine Ausnahme stellt hier die ökonomische Institutionentheorie dar, die auch SecondBest-Optionen zu rekonstruieren sucht. Vgl. Voigt, Stefan, Institutionenökonomik, Paderborn, 2 2009.
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II. Der Lösungsansatz einer kontraktualistischen Institutionenund Rechtsethik Wirtschaftsunternehmen stehen nicht nur auf der globalen Ebene in multiplen Dilemmatastrukturen: Die Erwartungen der Öffentlichkeit bezüglich der Einhaltung gewisser moralischer Standards und Unternehmensleitbilder, die oft widersprüchlichen staatlichen Bedingungen in den Investitionsländern und in den Heimatländern, die Ansprüche der Shareholder nach kurzfristigen Gewinnsteigerungen ebenso wie die Ansprüche der Stakeholder (Mitarbeiter, Zulieferer, zivilen Akteure, Konsumenten, Kunden oder Verbraucher) treffen auf die Unternehmen mit oft widersprüchlichen Erwartungshaltungen und moralischen Ansprüchen. Den global agierenden Unternehmen verbleibt hier nur eine sehr differenzierte Einbeziehung und moralische Abwägung aller berechtigten Interessen, die auf sie gerichtet sind. Diese Entscheidungen werden dem Unternehmen weder durch einen Transfer von moralischer Verantwortung in die Rahmenbedingungen, noch durch ökonomische Vorteilserwägungen und Kooperationen in einem bilateralen Gefangenendilemma vollständig abgenommen. Das Unternehmen muss selbst für sich seine moralische Verantwortung durch komplexe Güterabwägungen klären, will es nicht bezüglich seiner moralischen Legitimität bei allen Beteiligten Einbußen hinnehmen. Dem aktuellen globalen Forschungsproblem der Investitionen in rechtsfreie Räume begegnen auch Teile der modernen Betriebswirtschaftslehre in Deutschland, der Schweiz und den USA auf ähnliche Weise wie die Ethik. Sie fordern eine innovative Weise der Selbstorganisation von Unternehmen und gehen davon aus, dass Unternehmen soziale und politische Akteure sind, die aufgrund der ihnen zugestandenen Handlungsfreiheit auch eine moralische Verantwortlichkeit haben.16 Es handelt sich um eine begrenzte Moralfähigkeit am Markt und im Wettbewerb, die durch neueste Forschungen näher hin bestimmt wird. Spezifiziert wird sie in der Debatte als eine „korporative gesellschaftliche Verantwortung“ in Abhängigkeit von der Umwelt der Unternehmen.17 Unternehmen 16 Vgl. Crane, Andrew / Matten, Dirk, Business ethics. A European perspective; managing corporate citizenship and sustainability in the age of globalization, Oxford 2004. Scherer, Andreas / Palazzo, Guido, Towards a political conception of corporate responsibility. Business and society seen from a Habermasian perspective, in: Acad Manage Rev 32 (2007), 1096 – 1120. Wagner, Gerd R., Gesellschaftliche Verantwortung als Unternehmensleitbild?, in: Hilger, Susanne (Hrsg.): Kapital und Moral. Ökonomie und Verantwortung in historisch-vergleichender Perspektive, Köln / Weimar / Wien 2007, 35 – 66. 17 Vgl. Debatte über „Corporate Social Responsibility“ und „Corporate Governance“: Williamson, Oliver E., Corporate finance and corporate governance, in: The JoF 43 (1988), 567 – 591. Brink, Alexander, Corporate Governance, Kapital und Ethik. Eine institutionenökonomische Kapitaltheorie impliziter Verträge, in: Priddat, Birger P., Moral als Indikator und Kontext von Ökonomie, Marburg 2007, 55 – 82. Hsieh, Nien-hê, Does global business have a responsibility to promote just institutions?, in: BEQ 9 (2009), 251 – 273. Bishop (2008). Freeman (2008).
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sind nicht nur soziologisch oder systemtheoretisch betrachtet, sondern auch im Ansatz einer kulturalistischen oder evolutiven Ökonomik18 in eine kulturelle, zivilgesellschaftliche, soziale und politische Umwelt eingebettet, auf die sie in einer qualifizierten Weise reagieren müssen. Wir sprechen hier von „embedded markets“, deren moralische Dimension durch eine sozialwissenschaftliche Öffnung der Ökonomik untersucht werden kann. Es wird hier deutlich, wie sehr Märkte und funktionierender Wettbewerb von sozialen Beziehungen, moralischen Codes, Vertrauen und kultureller Kontextualität abhängen. Dies belegen maßgeblich bereits die Untersuchungen der Nobelpreisträgerin Elinor Ostroms, die die Leistungsfähigkeit sozialen Kapitals nachgewiesen hat.19 Alle genannten Positionen lassen uns zu der Schlussfolgerung kommen, dass Unternehmen die Funktion von Treuhändern von Moral in einem Rechtsvakuum übernehmen können und auch in ihrem eigenen Interesse sollten. Hierzu müssen Unternehmen sowohl (a) eine eigenständige rechtsethische Reflexion durchführen als auch (b) sich kohärent hieran anschließende ethische Kriterien zu Nutze machen. Eine vertragstheoretische Institutionen- und Rechtsethik würde ein solches gerechtigkeitstheoretisches Prozedere der Selbstorganisation wirtschaftlicher Interaktionen und ergänzende ethische Kriterien liefern. Das Hauptkriterium der Entscheidungsfindung in einem Raum der sozialen, politischen und kulturellen Kontextualität müsste die Konsensfähgikeit der unternehmerischen Entscheidung bei regional Betroffenen sowie in der globalen Öffentlichkeit sein: Unternehmen handeln immer dann ethisch richtig, wenn sie eine praktische Übereinkunft mit Ihrer Umwelt im vor-juristischen Raum finden; wenn sie damit neue, verallgemeinerbare Ordnungsmuster und Ordnungsregeln ethisch begründen können. Es wird davon ausgegangen, dass es neben dem Staat, der Rechtsordnung und der Wettbewerbsordnung noch alternative Räume von Moral gibt, nämlich gesellschaftliche Zwischenräume, in denen Sozialkontrakte oder gesellschaftliche Übereinkünfte mit den Betroffenen als Orte der Moral geschaffen werden können. Die hypothetische Konsenssuche mit den Betroffenen erlaubt Unternehmen eine Unternehmensentscheidung im Sinne der potentiellen Kunden und Verbraucher, ebenso wie in Einklang mit ihren langfristigen Gewinninteressen, wenn eine solche zustande kommt. Sollte sie nicht zustande kommen, kann dies auch die Exit-Option für ein Unternehmen bedeuten. 18 Vgl. Müller, Martin / Hübscher, Marc, Moral: Kriterium oder Kultur? Kulturalistische Unternehmensethik zwischen moralischer Sauberkeit und schmutziger wirklicher Welt, in: Antoni-Komar, Irene / Beerman, Marina / Lautermann, Christina u. a. (Hrsg.), Neue Konzepte der Ökonomik. Unternehmen zwischen Nachhaltigkeit, Kultur und Ethik. Festschrift für Reinhard Pfriem zum 60. Geburtstag, Marburg 2009, 439 – 463. Beschorner, Thomas / Linnebach, Patrick / Pfriem, Reinhard u. a. (Hrsg.), Unternehmensverantwortung aus kulturalistischer Sicht, Marburg 2007. 19 Ostrom, Elinor, Governing the commons. The evolution of institutions for collective action, Cambridge 222008. Dies. / Poteete, Amy R. / Janssen, Marco A. (Hrsg.), Working together. Collective action, the commons, and multiple methods in practice, Princeton 2010.
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In der Konsenssuche durch Unternehmen besteht die Möglichkeit, qualifizierte „mikrosoziale Verträge“20 mit der Zivilgesellschaft zu schließen. Die Kunden als Stakeholder werden indirekt, also hypothetisch befragt und ihre eigentlichen Interessen durch Perspektivenübernahme eruiert, weil eine echte Meinungsabfrage nicht möglich ist. Der Sozialkontrakt, den die moderne Gesellschaftstheorie fordert, wird in diesem Fall nicht mit der Politik gesucht, sondern zwischen Unternehmen und Zivilbevölkerung. Dies steht im Einklang mit den genannten unternehmensethischen Konzepten der Selbstorganisation, der Corporate Governance und der Global Governance21 im globalen vor-juristischen Raum. Sozialkontrakte sind dann stabil und öffentlich zu rechtfertigen, wenn sie niemandem einen durch das Unternehmen zu verantwortenden Schaden zufügen. Die Mittel, durch die gesellschaftliche Übereinkünfte manifest gemacht werden können, sollten nach Meinung der kontraktualistischen Wirtschaftsethik wenigstens minimal gerechte informelle Institutionen sein22. Um diese Minimalität an Gerechtigkeit zu erreichen, sollten zur Konsensfindung ethische Kriterien und Vorzugsregeln herangezogen werden, die einer allgemein konsensfähigen Rechtsethik Rechnung tragen. Diese Konsensorientierung von Unternehmensentscheidungen mit öffentlicher Tragweite gilt für die globale Wirtschaftsethik und wird von der „Contractarian Business Ethics“ in den USA in großen Teilen anerkannt. Der Konsens muss jedoch in konkreten Fällen durch ergänzende ethische Kriterienbildung und materiale Rechtsnormen ergänzt werden, die fallbezogen herangezogen werden sollten. Im Fall Google, würden vier konkrete ethische Kriterien genügen: a) Keine Person in China und anderswo darf in ihren Menschenrechten verletzt werden. Diesbezüglich besteht eine negative Rechtspflicht des Unternehmens potentiellen Kunden und Nutzern gegenüber. Im Fall Google wäre ein Verbleib in China deshalb nur unter der Bedingung und Gewährleistung von Rechts-, Datenschutz und Accountsicherheit möglich. b) Jeder hat das gleiche Recht auf das umfangreichste Gesamtsystem gleicher Grundfreiheiten, das für alle möglich ist.23 Die bedeutet im Fall Google, dass Netzfreiheit als Möglichkeit des freien Zugangs zu Informationen medienethisch ein grundsätzliches moralisches Gut darstellt und deshalb für alle Menschen in China eine Anspruchsberechtigung auf dieses Gut existiert. Die Versorgung mit freier Information im Netz ist deshalb eine vorzugswürdige Handlung. Donaldson / Dunfee (1999), 19 – 20. Scherer / Palazzo / Matten (2009). 22 Bishop (2008). 23 Dies ist der erste Gerechtigkeitsgrundsatz der Gerechtigkeitstheorie von John Rawls. Vgl. ders., Eine Theorie der Gerechtigkeit, Frankfurt a. M. 1979, 81 – 86. 20 21
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c) Transparenzgarantien müssen im Sinne größter möglicher Freiheit und Sicherheit gewährleistet sein.24 Im Fall Google müsste deshalb immer dann eine Warnung vor Zensur und eingeschränkter Netzneutralität erfolgen, wenn für den User die konkrete Gefahr besteht, keine freie Information zu erhalten oder in ihrem Surfverhalten kontrollierbar zu werden.
IV. Schlussfolgerung Ohne sich dem Vorwurf der ökonomistischen Engführung aussetzen zu müssen, würde aus der Sicht einer vertragstheoretischen Wirtschaftsethik dann die SecondBest-Lösung bei Einhaltung dieser Kriterien ethisch höher zu bewerten sein als die Hochmoral, weil sie den Betroffenen eine sichere und weitere Dimension von Freiheit ermöglicht. Auch in vielfältigen anderen, insbesondere entwicklungsökonomischen Zusammenhängen wird die Würde der Menschen am meisten berücksichtigt, wenn sie beteiligt und nicht exkludiert werden. Erst die Inklusion von Menschen in qualifizierte Wertschöpfungsketten schafft die Möglichkeit für weitergehende gesellschaftliche und politische Entwicklungsprozesse. Insofern haben Unternehmen eine kosmopolitische Verantwortung im Rahmen der Globalisierung, die sie im Sinne der noch nicht inkludierten Menschen wahrnehmen sollten. Eine vertragstheoretische Institutionen- und Rechtsethik geht davon aus, dass auch eine rein ökonomische Ethik eine Möglichkeit der Humanisierung von Gesellschaft darstellt. Sie kann diese Funktion allerdings nur unter den Bedingungen einer vollständigen Konkurrenz, rechtsstaatlicher Demokratien und einer gewissen Sozialstaatsorientierung erfüllen, weil nur dort positive Verteilungseffekte und soziale Effekte erreicht werden, die Menschen in ihren moralischen Rechtsansprüchen befriedigen. In vielen deutlich komplexeren moralischen Problemsituationen sind in der Wirtschaftsethik gerechtigkeitstheoretische Reflexionen notwendig, um zu sehen, wie und auf welche Weise Moral durch hypothetische Konsense in mikrosoziale Verträge, informelle Institutionen oder in die Rahmenordnung implementiert werden kann. Ohne diese zusätzliche ethische Reflexion bleiben Unternehmen orientierungslos und können ihre Unternehmensentscheidungen mit erheblicher moralischer Tragweite oft nicht hinreichend begründen.25 Die vertragstheoretische Institutionen- und Rechtsethik erweitert die Moralökonomik folglich durch ein Gesellschaftskonzept des Politischen Liberalismus26, der 24 Amartya Sen sieht in Transparanzgarantieren eine notwendige Dimension von Freiheit. Vgl. Sen, Amartya, Ökonomie für den Menschen. Wege zu Gerechtigkeit und Solidarität in der Marktwirtschaft, New York 1999, 52 – 54. 25 Wir beobachten dies auch im Fall Google, in dem der Vorstand ambivalente und teilweise widersprüchliche Entscheidungen bezüglich des Verbraucherschutzes im Rahmen unterschiedlicher Internetangebote trifft: Google Streetview, Gemailaccounts, Buzz, Internetzensur usw. . . . 26 Rawls (1993).
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kontraktualistischen Wirtschaftethik27 und der fallbezogenen Rechtskriteriologie. Diese Methode entspricht vor allem darin der modernen Ethik (sowohl Diskurswie auch Gerechtigkeitstheorie), dass nämlich der im Rahmen einer neutralen Situierung gefundene Konsens über Normen und Regeln bei den Betroffenen das eigentliche und wichtigste Normativitätskriterium für moralisches Handeln und moralische Institutionen ist. Der Politische Liberalismus kann insofern auch für die Wirtschaftsethik im Sinne einer sozialwissenschaftlich erweiterten Ökonomik den Rahmen für eine freie Marktwirtschaft bilden und dabei helfen, sie so zu gestalten, dass Wirtschaft allen Menschen zum langfristigen Vorteil gereichen kann, insbesondere den am meisten Benachteiligten.
Summary With regards to current fields of research, it is highly recommended to discuss the strengths and limits of the economic business ethics presented by Karl Homann, an approach which has been broadly recited – especially in Germany. Nevertheless, no other approach has been rejected repudiated by so many philosophers and theologians. This is the case, because contra intuitive knowledge of economic systems is integrated into broader ethical reflections, and nevertheless the different logics of economics, politics and law are upheld. At the same time, the separation between ethics and economics is refused by him and a systematic approach of an economic ethics is presented. Economic ethics does not pursue less than to integrate the logic of competition and markets into the categories of ethics. The well known American business ethicist Edward Freeman sees the same urgent necessity, namely to build in the normative ideals of value and exchange into the classical understanding of moral philosophy.28 Nevertheless they differ extremely in their methods. In this article it shall therefore be tested, whether economic ethics and moral economy really are successful in integrating the different rationalities and subsystems with regards to their competence to solve true problems of current business ethics. It shall also be discussed, which alternative method could be advocated or added to economic ethics, namely a contractarian ethics of institutions and rights, in order to overcome the limits of pure economic ethics.
Literatur Beschorner, Thomas / Linnebach, Patrick / Pfriem, Reinhard u. a. (Hrsg.): Unternehmensverantwortung aus kulturalistischer Sicht, Marburg 2007. Donaldson / Dunfee (1999). cf. Freeman, Ending the so-called „Friedman-Freeman“ Debate, Business Ethics Quarterly, 2008, 153 – 189, 163. 27 28
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Regulierung als sozial- und wirtschaftsethisches Bewährungsfeld Wolfgang Nethöfel
In der Finanz- und Wirtschaftskrise sehen wir, dass aktuelle Regulierungen versagen, wenn die Umstände sich ändern. Atom-, Bio- und jetzt die Nanotechnologie zeigen, dass das Neue häufig schlecht reguliert ist, wenn es auf den Markt kommt. Dass wir in dem einen wie im anderen Fall schlecht mit Innovationen umgehen, provoziert Rückfragen an Institutionen, Routineverfahren und Konzepte gesellschaftlicher Regulierung. Was ist eigentlich „Regulierung“, und wie funktioniert sie – wenn sie funktioniert? Wer reguliert was – und warum? Wie kann man das planen und gestalten? Und wie kann man regulierendes Handeln so erforschen, dass daraus wiederum Schlüsse für eine bessere Praxis gezogen werden können? Solche Fragen sind von exemplarischer Bedeutung für die Erörterung des Verhältnisses von Wirtschaft und Recht, da sie Berührungspunkte dieser beiden Funktionssysteme unserer Gesellschaft als kritische Parameter gesellschaftlicher Entwicklung thematisieren. Aber hier entstehen dann Fragen neuer Ordnung. Wie können unterschiedliche gesellschaftlichen Akteure regelnd zusammenwirken – und an welche Regeln sollen sie sich dabei selbst halten? Sozial- wie Wirtschaftsethik werden praktisch, indem etwas überhaupt oder anders reguliert wird als zuvor. Was sich so oder anders ereignen kann, erscheint vor dem Horizont ethischer Begründbarkeit im Schlaglicht moralischer Argumente. Ich skizziere im Folgenden kurz unterschiedliche Definitionen von „Regulierung“ und disziplinäre Zugänge zu den Problemfeldern, die sich in verschieden Regulierungsbereichen überlagern (I), erläutere dann die zu Grunde liegende Problemkonstellation am Regulierungsbeispiel Nanotechnologie (II) und zeige am Schluss sozial- und wirtschaftsethische Regulierungsperspektiven auf, die sich in diesem Gesamtbild abzeichnen: Nachhaltigkeit, Partizipation und Autonomie (III).
I. „Regulierung“: ein schillernder Begriff auf einem verminten Problemfeld Regulierendes Handeln bestimmt in vielfältiger Weise unsere gesellschaftliche Praxis. Man kann einen engeren von einem weiteren Thematisierungskontext un-
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Wolfgang Netho¨fel
terscheiden, dem jeweils unterschiedliche disziplinäre Zugriffe entsprechen. Zum einen geht es um die Regulierung der Wirtschaft, weil entweder die regelnde Hand des Staates oder weil jene „unsichtbare Hand“ versagt hat, mit der sich der Markt angeblich selbst reguliert (1). Zum anderen erscheint das Steuerungsproblem zwischen diesen Regulierungsbereichen eingeordnet in parallele und übergreifende Gesetzmäßigkeiten anderer Funktionssysteme, wie sie in der Technikfolgeabschätzung und in der Unternehmensethik praktisch werden (2).
1. „Regulierung“ zwischen Regierungs- und Marktversagen „Regulation is suddenly back in fashion“, heißt es einleitend in einem neu erschienenen Sammelband zum Thema. „After more than thirty years of deregulation being all the rage, the financial crisis of 2007 to 2009 has dramatically changed attitudes about the proper role of government.“1 Und in einem zweiten Sammelband wird schon im Klappentext erläutert: „As the financial crisis has shown, neither traditional market failure models nor public choice theory, by themselves, sufficiently inform or explain our current regulatory challenges, nor point us toward the best solutions.“2 Beide Publikationen beziehen sich auf das Auf und Ab von (eigentlich Re-)Regulierung und Deregulierung in den 60er- und 80er-Jahren des vorigen Jahrhunderts, wo zunächst angesichts der Umweltkrise von „externalisierten Effekten“ wirtschaftlichen Handelns die Rede war und dann überwiegend von den „nicht intendierten Nebenfolgen“ staatlicher Eingriffe. Wie das ökonomische und ökologische Scheitern der realsozialistischen Alternative zu beweisen schien, bewirken sie vor allem eins: Sie lassen die Selbstheilungskräfte des Marktes leer laufen – letztlich zum Schaden aller. Nun wird also auch im angepassten Mainstream der Zunft neu über den „ökonomischen Imperialismus“ nachgedacht, zum dem sich der Nobelpreisträger Gary S. Becker noch fröhlich bekannt hatte. „Regulierung“ (engl. regulation, dt. auch Regelung), so zeigt sich dann freilich bald, war in seiner engen und scheinbar präzisen Bedeutung geradezu parasitär bestimmt worden. Das, was Regulierungsindizes messen, wurde von den Auftraggebern der entsprechenden Studien als letztlich überflüssige Transaktionskosten betrachtet; sie wirken auf Wettbewerber wie ein Klotz am Bein.3 „Regulierung“ ist das, was durch „Deregulierung“ aufgehoben 1 David Moss / John Cisternino (Hrsg.), New Perspectives on Regulation, Cambridge: The Tobin Project 2009, 7. 2 Edward Balleisen / David Moss (Hrsg.), Government and Markets: Toward a New Theory of Regulation, Cambridge: Cambridge University Press 2010. 3 Vgl. Dominik H. Enste / Stefan Hardege, IW-Regulierungsindex: Methodik, Analysen und Ergebnisse eines internationalen Vergleichs (IW-Analysen 16, Forschungsberichte aus dem Institut der deutschen Wirtschaft), Köln: IW 2006; für die Weltbank zum Beispiel The International Bank for Reconstruction and Development / The World Bank (Hrsg.), Doing Business 2010: Reforming through Difficult Times, Washington DC: Palgrave Macmillan 2009. Weltbank Items sind starting a business, dealing with construction permits, employing
Regulierung als sozial- und wirtschaftsethisches Bewa¨hrungsfeld
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werden soll: die Einschränkung ökonomischer Handlungsfreiheit durch Regeln, die staatliche Akteure setzen und kontrollieren, um Marktversagen zu korrigieren. Und genau so: sekundär wird Regulierung auch rechtlich greifbar: Der Begriff Regulierung steht für die Summe der Regeln – Gesetze, Verordnungen und sonstige Bestimmungen – mit denen der Staat steuernd ins Wirtschaftsgeschehen und in das Verhalten der Marktteilnehmer eingreift. Ziel dieser Regulierung ist zum einen die Beeinflussung des Wettbewerbs zwischen den Marktteilnehmern, um unerwünschte Ergebnisse zu verhindern . . . Zum anderen versucht der Staat, mit Regulierungsmaßnahmen soziale Ziele durchzusetzen. Diesem Zweck dienen z. B. die Arbeitsmarktregulierung und die Sozialgesetzgebung.4
Erst jetzt, nach der Krise, wirkt sich ein tieferes Verständnis in der Wissenschaftspraxis aus, demzufolge gesellschaftliche Regulierungen Ergebnis unterschiedlich regulierenden Handelns sind.5 Es werde an den Sanktionen kenntlich, die Regelverstöße nach sich ziehen. Man kann hier kritisch einwenden, dass Regulierung dann kaum noch vom weiten und vielfältigen Institutionen-Verständnis in der Soziologie und daran anknüpfenden anderen gesellschaftswissenschaftlichen Disziplinen abzugrenzen ist. Und man muss zu bedenken geben, dass Regulierungen (wie Institutionen) auch durch Anreize (engl. incentives) wirken. Immerhin könnte man aber dann Rechtssetzung als charakteristische Regulierungsform eines Regulierungsbereiches identifizieren und Wirtschaftspolitik als einen anderen Regulierungsbereich, in dem diese sich als Ordnungs-, Strukturoder Prozesspolitik auswirkt. Die konkrete „Theorie der Wirtschaftspolitik“ ist Wissenschaft – wiederum ein Bereich mit eigenen Regeln –, und zwar genauer ein wirtschaftswissenschaftlicher Hybrid aus Volks- und Politikwissenschaft.6 Dieser workers, registering property, getting credit, protecting investors, paying taxes, trading across borders, enforcing contracts and closing a business. Für die OECD werden als wichtigste Items genannt: scope of public enterprises, government involvement in network sectors, direct control over business enterprises, price controls, use of command and control regulation, licenses and permits systems, communication and simplification of rules and procedures, administrative burdens for corporations, administrative burdens for sole proprietors, sectorspecific administrative burdens, legal barriers, antitrust exemptions, barriers to entry in network sectors, barriers to entry in services, barriers to foreign direct investment, tariffs, discriminatory procedures, regulatory barriers (wobei unter dem letzten Item lediglich verbleibende nicht tarifäre Handelshemmnisse zusammengefasst sind); Anita Wölfl u. a., Ten Years of Product Market Reform in OECD Countries – Insights from a Revised PMR Indicator (Economics Department Working Papers 695) 2009, 36 (oecd.org/eco/working_papers). 4 INSM – Lexikon der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), s.v. Regulierung, (insm-lexikon.de. Die Weltbank stellt für ihre Einschätzungen klar: „The standard cost model is a quantitative methodology for determining the administrative burdens that regulation imposes on businesses.“ (Doing Business, zit. Anm. 3, IX) 5 – „controlling human or societal behaviour by rules or restrictions“, (Bert-Jaap Koops u. a., Starting Points for ICT Regulations. Deconstructing Prevalent Policy One-liners, Cambridge: Cambridge University Press 2006, 8. 6 Vgl. Manfred E. Streit, Theorie der Wirtschaftspolitik, Düsseldorf: Lucius und Lucius (1979), 20005.
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entnimmt sie das Inventar und das Verständnis der regulierenden institutionellen Funktionen, jener die Methodik, mit der sie sich nach der Diagnose und Prognose wirtschaftlicher Zustände als „normative Ökonomik“ entfaltet. Deren Verteilungsmodelle unter Knappheitsbedingungen kommen im mathematischen Gewand daher, werden aber sofort kenntlich, wenn sie sich empirisch bewähren müssen. Den Leser erwarten dann in einer lagebezogenen Zusammenschau etwa „historische Erfahrungen, ökonomische Analysen, theoretische Fundierungen, wettbewerbspolitische Beschränkungen und die Auswirkungen der Bürokratie auf KMU“ – und er kann froh sein, wenn er durch so eine Aufzählung darauf vorbereitet wird.7 Die Wirtschaftswissenschaft steht im Ganzen in der Nachfolge der ehrwürdigen Politischen Ökonomie, die eigentlich Praktische Ethik ist. Vielleicht verfällt sie so leicht einer ideologisierten („neoliberalen“) Ökonomik, weil Marktüberforderung sie wie ein Geburtsfehler begleitet. Denn nicht erst seit Max Weber, seit Karl Marx und Adam Smith verteilt die Sonne der Gerechtigkeit Licht und Schatten auf dem Markt. Wenn Kooperation der Anfang der Kultur, vielleicht der Menschwerdung war, dann war vielleicht sogar Ökonomik, einhergehend mit dem Geldwesen, die Grundlage, von der her traditionale Moral zu Ethik, archaische Regel zum Recht wurde. Schon bei Aristoteles verhalten sich partitive und distributive Gerechtigkeit wie Produktions- und Distributionssphäre, in denen Gerechtigkeit nach Alternativkosten berechnet wird: dort arithmetisch, hier proportional. Die Normativität solcher Ansätze, die wie Rechenexempel wirken, ist eher verdeckt. Aber zugleich enthüllt dann die Empirie umso deutlicher, wes Geistes Kind jeweils die Konstrukteure sind.8 Ökonomik schützt nicht vor Ideologisierung, im Gegenteil. Dennoch wird es spannend, wenn regulierende Formeln auf emergente Sachverhalte angewandt werden müssen. Das war der Fall bei der Transformationsökonomie, die sich nach den Zusammenbruch der Zentralverwaltungswirtschaften entwickelte9, und das ist stets der Fall, wenn es gilt, Innovationspotenziale einzuschätzen, wie wir noch sehen werden. Festzuhalten bleibt hier, dass rechtliche Regelungen im Bereich der Wirtschaft eingebunden sein müssen in ein zugleich vertieftes wie realistischeres Bild der Gesellschaft, in dem das wirtschaftliche wie jedes andere soziale Handeln mit Regulierern aus allen ökonomischen Sektoren zu tun hat. Nicht nur der Staat und die Wirtschaft, sondern auch Verbände und Vereine, Familie und Freunde setzen unserer Freiheit Grenzen oder, bei anderer Betrachtungsweise von Akteuren und Betroffenen: den Rahmen, in dem sie sich allererst entfalten kann. Sie sind dabei von individuellen wie kollektiven Interessen und Perspektiven geleitet, die man 7 Christoph A. Müller, (De-)Regulierung und Unternehmertum, St. Gallen: IGW-HSG 2003, 11. 8 – etwa in Form eines Gutachtens über empirische Auswirkungen von Regelungen; vgl. Michael Greenstone, Effective Regulation through Credible Cost-Benefit Analysis: The Opportunity Costs of Superfund, in: Government, zit. Anm. 2, 52 – 91. 9 Benjamin Benz / Jürgen Boeckh / Ernst-Ulrich Huster, Sozialraum Europa. Ökonomische und politische Transformation in Ost und West, Opladen: Leske und Budrich 2000.
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schlecht einschätzen und berechnen kann, wenn man sie nicht zuvor verstanden hat. Es kommt auf einen differenzierenden und wertenden Blick an, der Wichtiges vom Unwichtigen, Förderliches vom Hinderlichen oder Schädlichen unterscheidet – beziehungsweise auf eine adäquate Modellbildung, die dann auch im Bereich der Wirtschaft regelnde wie geregelte Größen sowie ihre systemischen Beziehungen benennt und Regulierungsprozesse abzubilden erlaubt.
2. Regulierung zwischen Technikfolgeabschätzung und Governanceethik Erste Schritte in diese Richtung ging man in einem ganz anderen Kontext – unterhalb jenes vorwiegend wirtschaftspolitischen Hin und Hers zwischen Re- und Deregulierung und quer zu den Interessen der alten Akteure. Handfeste Bestechungsskandale im Rüstungsbereich, die Club of Rome-Studie und populäre Verbraucherschützer wie George Nader ließen in den USA seit den 70er Jahren im Bereich der Wirtschaft aus politisch-pragmatischen Gründen Ethik praktisch werden. Die Öffentlichkeit forderte Regulierung, und die Politik antwortete darauf zunächst mit der Forderung, die Wirtschaft möge sich selbst regulieren. Dies führte schließlich zur Ausdifferenzierung einer Unternehmensethik (business oder corporate ethics) als praktischem Pendant zur bestehenden Sozial- und Wirtschaftsethik.10 Sodann installierte die Nixon-Administration 1972 als Reaktion auf die Komplexität der zu regelnden Sachverhalte ein Office of Technology Assesment (OTA), das zum institutionellen Nukleus der Technikfolgeabschätzung (engl. technology assessment) wurde. Deutschland vollzog wie viele andere Länder diese Entwicklung mit zeitlicher Verzögerung nach, dann aber in beiden Bereichen als Musterschüler, auf den heute die Gründerväter teilweise neidvoll blicken.11 Kennzeichnend und lehrreich für die praktische Wirtschaftsethik ist die Kombination beider Bereiche in den sentences guidelines des us-amerikanischen Rechts. Sie machen die Institutionalisierung ethischer Abwägung zum Maßstab 10 Vgl. zum Beispiel das Journal of business ethics (1982 ff.) und als deutsches Pendant die Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik (1999 ff.) Institutionelle Träger sind in Deutschland das Deutsche Netzwerk Wirtschaftsethik (DNWE; dnwe.de) und auf europäischer Ebene das European Business Ethics Network (EBEN; eben-net.org). 11 Es war ein Elternpaar: „Technology assessment is now widely known in the government, policy, and business communities in the United States, although it is virtually unpracticed.“ Joseph C. und Vary T. Coates, Next Stages in Technology Assessment: Topics and Tools, in: G. Banse / A. Grunwald / M. Rader (Hrsg.), Innovations for an e-Society. Challenges for Technology Assessment, Berlin: Edition Sigma 2002, 99 – 112: 99. Das deutsche Pendant ist das Büro für Technikfolgen-Abschätzung (TAB) beim Deutschen Bundestag. Institutioneller Hauptträger ist das Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) des Forschungszentrums Karlsruhe, das auch die maßgebliche Fachzeitschrift herausgibt (Technikfolgenabschätzung – Theorie und Praxis, 1991 ff.) und mitbeteiligt ist am Europäischen Netzwerk TA (netzwerk-ta.net). Zum Ganzen vgl. Armin Grunwald, Technikfolgenabschätzung – eine Einführung, Berlin: Edition Sigma 2004.
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der Haftung. Wenn etwas passiert ist, haftet das Unternehmen mehr, das vorher versäumt hat zu regeln und zu kontrollieren; die Guten werden nachträglich prämiert. Die zivilrechtliche Bewertung greift dort regelnd ein, wo es nach unserem Rechtsverständnis bereits um Ordnungs- oder gar Strafrecht geht. Dadurch verlagern sich komplizierte Zuständigkeiten und Verfahren auf Selbstregulierungsprozesse: die aber wiederum alle rechtlich relevant werden. Wenn es funktioniert, stabilisieren sich Regelbeachtung (institutionalisiert als Compliance), Verantwortung und Vorsorge (engl. precaution) gegenseitig. Doch fehlende Regulierungsdichte und fortdauernde Rechtsunsicherheit zeigen immer wieder, dass bei der Umsetzung jener zivilgesellschaftliche Forderungen in Gesetzgebungsverfahren nicht nur der Politikbetrieb an systemische Grenzen kam. In der Praxis der Technikfolgenabschätzung (TA) führten Regulierungsnotwendigkeiten entlang naturwissenschaftlicher oder technischer Grenzwerte, die unterschiedlichen Normen, Messroutinen und Fachsprachen der jeweils kooperierenden Fachdisziplinen, komplexe Vorregelungen, umfangreiche Beschreibungen und Anleitungen zu Überlastungsentscheidungen, noch ehe jene unterschiedlichen ökonomischen Interessen und politischen Vorgaben spürbar wurden, die zur Beauftragung führten. Sie werden allerdings in konkurrierenden und sich wechselseitig blockierenden oder doch relativierenden Hearings und Kommissionen deutlich spürbar und bestimmen so, was in den – ihrerseits wieder unterschiedlich interpretierbaren und interpretierten – Berichten, Gutachten und Empfehlungen gesagt werden darf oder verschwiegen werden muss. Und dies geschieht auch in Deutschland heute überwiegend bereits innerhalb eines europäischen oder gar globalen Regulierungsbereiches. TA betrachtet technische Inventionen als potenzielle Innovationen und bindet deren Regulierung an ihre absehbaren gesellschaftlichen Folgen. Im Unterschied zum immer wieder auch praktisch spürbaren Nebeneinander von Politik, Recht und Wirtschaft beim eng gefassten rechtlichen Verständnis von Regulierung ist TA von vornherein ausgerichtet auf komplexe Wirkungsketten, Überdeterminierungen, intersystemische Schnittstellen und Kopplungen, und sie ist als wissenschaftliche Politikberatung von vornherein interdisziplinär. Oft genug scheitert TA allerdings nicht heroisch an übermächtigen Interessen, nicht an ihrer notorischen Ressourcenknappheit im Verhältnis zur faktischen Komplexität von Technikfolge-Konstellationen, sondern an sich selbst. Sie wird ideologieanfällig, weil sie es gut meint, wie sich in der Klimaschutzdebatte zeigt. Oder sie verheddert sich selbstverliebt zwischen blinder universaler Kausalitätsverfolgung und bloß abstrakter inhaltsleeren Zurechnung von Folgen, wie die starken Abweichungen der Kostenmodelle belegen, mit denen die Technik anwendende Wirtschaft in die Pflicht genommen werden soll (wenn man hier nicht wiederum eine fehlgeleitete „gute Absicht“ unterstellt). Daher ist für TA als Prinzip wissenschaftlicher Politikberatung wissenschaftliche Selbstreflexion weder Selbstzweck noch überflüssiges Beiwerk. Sie ist unabdingbar für Selbstorientierung und Selbstkritik. Nachdem sich – praktisch folgenlos – in der Metatheorie der TA Erweiterungen von der Multi- über die Inter- zur Transdisziplinarität etabliert haben12, ent-
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wickelten sich allerdings weder TA-typische Standardroutinen und -verfahren, noch konnte sich eine jüngere Forschergeneration an einem konsistenten Standardparadigma arbeiten. Vielmehr scheinen die immer neuen Ad-hoc-Vorschläge zur Lösung neuer Problemlagen eine spezifische Überforderungssituation zu spiegeln, die sich von den Gegebenheiten im Objektbereich über alle Bearbeitungs- und Reflexionsebenen hin ausbreitet. Solche systemischen Grenzen zwischen Regulierungsbereichen sind schmerzlich, weil für moderne Gesellschaften ein Politikverständnis unhintergehbar ist, demzufolge zivilgesellschaftliche Anliegen zugleich sachlich begründbar, öffentlich und rechtlich zu regeln sind. Sie können nicht dahinter zurück, ohne sich selbst aufzugeben – vielleicht können sie aber nach der Moderne darüber hinaus gehen. In diese Richtung scheinen am ehesten jene Regulierungsalternativen zu weisen, mit denen das System Wirtschaft auf Regulierungsüberforderung reagierte.13 Zugleich unter dem Druck, den Nichtregierungsorganisationen (NRO, engl. NGOs) auf Politik und Wirtschaft ausübten, und nach deren Vorbild internalisierte die Wirtschaft die institutionalisierten Zuschreibung von Verantwortung zunächst als Corporate Social Responsibility (CSR) und integrierte sie in ein umfassendes, systemische Grenzen überspringendes Öffentlichkeitsverständnis. Am Anfang standen auch hier Skandale, die inzwischen in den Gründungsmythos einer eigenständigen Unternehmensethik eingegangen sind: die Trockenmilchvermarktung bei Nestlé und die Entsorgung der Ölplattform Brent Spar bei Shell. Am Ende waren alle Beteiligten überzeugt: In Unternehmen mag Rechtsdurchsetzung bei Compliance beginnen. Gesellschaftlich funktionieren kann modernes Recht nur, wenn Praxis und Theorie einer universalen öffentlichen Verantwortung die klassische Trennung von politischer Außen- und ökonomischer Innenregelung prinzipiell überwinden. Dass es hier nicht einfach um den „social day“ und um Charity-projekte als Teil einer erweiterten Öffentlichkeitsarbeit geht, dass dies auch nicht nur den endgültigen Sieg des republikanischen Citoyens oder des solidarisch engagierten Citizen über den ebenso egoistischen wie bornierten Untertan bedeutet, zeigt sich gegenwärtig auf einer zweiten Stufe. Hier beginnt nun umgekehrt die in der gegenwärtigen wirtschaftlichen Kooperation begründete lokale Wahrnehmung globaler Verantwortung, die „Governanceethik“, eine „Governancegesellschaft“ zu erzeugen. Deren „ordnungspolitischer Referenzpunkt“, schreibt der Wirtschaftsethiker Josef Wieland, sei 12 „Transdisziplinär“ wird der nicht mehr nur kooperativ sondern integriert gedachte Fachdialog ergänzt durch den methodisch reflektierten Dialog mit Praktikern, Betroffenen und Interessierten; vgl. Jürgen Mittelstrass, Transdisziplinarität – wissenschaftliche Zukunft und institutionelle Wirklichkeit, Konstanz: UVK 2003. 13 Die Regulierungsformen, die das System Unternehmen wahrnimmt, sind begrenzt: „Information requirements, proscriptions (things firms may not do), and mandates (things firms must do)“ (Joseph E. Stieglitz, Government Failure vs. Market Failure: Principles of Regulations, in: Government, zit. Anm. 2, 13 – 51: 25) , und sie bedeuten immer dasselbe: Stress.
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nicht mehr der Staat, sondern die Gesellschaft freier Bürger und ihrer Organisationen, die zur Lösung ihrer Gestaltungs- und Erzwingungsprobleme multiple Governancestrukturen nutzen können und nutzen werden. Staatliche Organe, Unternehmen, Kirchen, Umweltschutzgruppen, Audit-Organisationen und so weiter – sie alle sind immer auch Steuerungsstrukturen gesellschaftlicher Aufgaben.14
(Ideal-)typische Produkte einer Governanceethik sind leitbildintegrierte öffentliche Selbstverpflichtungen von Unternehmen, deren Einhaltung in Schulungs-, Monitoring- und Controllingprozessen entlang der ganzen Wertschöpfungskette gesichert wird, in Kooperation mit NROs und begleitet vom freiwilligen Engagement einzelner Mitarbeitender. Als Prozess umfasst sie „die moralischen Ressourcen, die Handlungsbeschränkungen aus organisationalen Regeln und Werten sowie deren Kommunikation in und mittels von Kooperationsprojekten.“ 15 Wieland weist der (Governance-)Moral zugleich einen funktionalen Beitrag zur Steuerung der Wirtschaft und zur Integration der Gesellschaft zu.16 Damit kann er sich von Niklas Luhmanns spätmoderner Theorie sozialer Systeme abgrenzen, in der Moral, Politik, Recht und Wirtschaft einander allenfalls irritieren können, weil sie verschiedene Sprachen sprechen. Aber mit welchen praktischen und mit welcher paradigmatischen Perspektive?
II. Das Regulierungsbeispiel Nanotechnologie Das Regulierungsbeispiel Nanotechnologie begegnete mir auf einem gelockertem Boden sozialethischer Theorie und Praxis.17 Vor dem Hintergrund eines drohenden und vielleicht schon sich vollziehenden Scheiterns erster regulierender Versuche eröffnet die spezifische Risikokonstellation dieser Querschnitttechnologie (1) einen neuen Blick auf unterschiedliche Regulierungskriterien und Regulierungsgestalten (2). Alternative Regulierungsverfahren, die im Umfeld jener Technologie entstanden sind, eröffnen nicht nur einen neuen Blick auf das Wirtschaft regulierende Recht, sondern auf die gegenwärtige Gesamtkonstellation aller Regulierungsbereiche (3).
Josef Wieland, Die Ethik der Governance, Marburg: Metropolis 2007, 42. A. a. O. 67. 16 „Ihre Leistung für die Organisationen der Wirtschaft ist es, die Durchführung des ökonomischen Funktionscodes auch dort noch zu sichern, wo das mit rechtlichen und ökonomischen Mitteln nicht mehr möglich ist.“ (A. a. O. 62) 17 Vgl. zum Folgenden Wolfgang Nethöfel, Integrierte Innovation in der Entwicklung der Nanotechnologie. Von der Regulierung durch Definitionen zur Orientierung an Dritten Größen, in: Alfred Nordmann / Joachim Schummer / Astrid Schwarz (Hrsg.), Nanotechnologien im Kontext. Philosophische, ethische und gesellschaftliche Perspektiven, Berlin: Akademische Verlagsgesellschaft 2006, 371 – 395. 14 15
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1. Zwischen REACH und Risiko: das Nano-Risikoprofil „Schwere Lungenschäden. Nanopartikel sollen chinesische Arbeiterinnen krank gemacht haben.“18 Diese Meldung war der GAU der Regulierungsversuche im Bereich der Nanotechnologie. Nur noch die Aufmerksamkeitsökonomie, die Medien und Öffentlichkeit auf die Finanz- und Wirtschaftskrise fixierte, rettete vorerst die Nanowirtschaft und lenkte vom wissenschaftlichen, rechtlichen und politischen Versagen der Nanoregulierer ab. Weltweit, denn Produktion und Distribution dieser neuen Technologie funktionieren beziehungsweise versagen längst global, und das signifikante Versagen von Controlling und Monitoring hätte nach den längst artikulierten Erwartungen der Fachleute eine ganze Zukunftsbranche in den Abgrund reißen müssen. Das Nano-Risikomanagement versagte auf der ganzen Linie. Zunächst wurde jeglicher Handlungsbedarf geleugnet19, anschließend vorbeugend die Verantwortung für die Leugnung20. Dabei war die wissenschaftliche Regelungsbasis eigentlich eindeutig: „Currently, it is still quite unclear, which nanoparticulated material in which state and form reveals which type of danger. It is also unclear, if current measurement and classification of conventional materials, such as critical mass concentration at working places can be applied for the industrial usage of nanoparticle at all.21 Sie kann nur ein Moratorium begründen und die Verlagerung der begleitenden Risikoforschung auf Risikovorbeugung.22 Doch die Nanosafe-Web18 Spiegel Online vom 20. 8. 2009 (spiegel.de/wissenschaft/medizin/0,1518,644009,00. html); vgl. Y. Song / X. Li / X. Du, Exposure to nanoparticles is related to pleural effusion, pulmonary fibrosis and granuloma, in: European Respiratory Journal 34(3), 2009, 559 – 567. 19 „Nach derzeitigem Kenntnisstand sieht die Bundesregierung gegenwärtig grundsätzlich keinen Veränderungsbedarf bei bestehenden Gesetzen und Verordnungen aufgrund nanotechnologischer Entwicklungen. Das bestehende gesetzliche und untergesetzliche Regelwerk auf nationaler wie auf EU-Ebene (beispielsweise das neue Chemikalienrecht der Europäischen Union – REACH) bietet flexible Instrumente, um mögliche Risiken nanotechnologischer Entwicklungen zu erkennen und gegebenenfalls darauf zu reagieren.“ Deutscher Bundestag, Drucksache 16 / 6337 vom 30. 08. 2007 (Bericht der Bundesregierung zum Veränderungsbedarf des bestehenden Rechtsrahmens für Anwendungen der Nanotechnologie), 4. REACH = Registration, Evaluation and Authorization of Chemicals (Anm. d. Verf.). 20 „Das Umweltbundesamt empfiehlt weiterhin, die Verwendung von Produkten, die Nanomaterialien enthalten und frei setzen können, im Sinne eines vorsorgenden Umweltschutzes so lange zu vermeiden, als ihre Wirkungen in der Umwelt und auf die menschliche Gesundheit noch weitgehend unbekannt sind. So lange nicht die erforderlichen Daten für eine abschließende Bewertung von Produkten vorliegen, steht das Umweltbundesamt der Vergabe des ,Blauen Engels‘ an Nanomaterialien enthaltende Produkte ablehnend gegenüber.“ Heidi Becker u. a., Nanotechnik für Mensch und Umwelt. Chancen fördern und Risiken mindern, Dessau-Roßlau: Umweltbundesamt 2009, 20. 21 Martin Klenke – First results for safe procedures for handling nanoparticles. Nanosafe, Dissemination Report (DR-331-200810-6), Oktober 2008 (nanosafe.org/home/liblocal/docs/ Dissemination%20report/DR6_s.pdf). Auf der Website die Ergebnisse einen nanospezifischen Sicherheitsprojekts der EU zugänglich gemacht.
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seite der EU, die über nanotypische Risiken ebenso wie über mögliche Präventionsmaßnahmen informiert, dokumentiert zugleich mit ihren Hinweisen auf ähnliche Seiten, die sich wiederum wechselseitig verlinken, den gegenwärtigen rasenden Stillstand der Nanoregulierung. Sie stirbt im Overkill regulierungsrelevanter Informationen, die rechtlich unverbindlich bleiben. Zivilgesellschaftlich relevant ist lediglich ihre Funktion, politische, mediale und wissenschaftliche Potenziale zu binden und vom System Wirtschaft zu entkoppeln. Es hatte anders begonnen. Die Nanotechnologie entwickelte sich rasch von einer Querschnitt- zur Schlüsseltechnologie. Schon früh zeichnete sich ein ähnlicher Hype ab wie in der Anfangsphase der des Booms vernetzter Informations- und Kommunikations- (IuK-)Technik. Möglicherweise, dachten einige, werde sich die Nanotechnologie sogar gegen die Biotechnik und gegen Wellnessprodukte durchsetzen als Kandidat des nächsten Kondratieff-Zyklus. Sie habe das Potenzial, zum Impulsgeber einer epochalen Innovationswelle zu werden, wie einst die Dampfmaschine oder der Verbrennungsmotor. Atomenergie und Gentechnik standen den Kollegen, die in diesem Bereich anwendungsbezogene Grundlagenforschung betrieben, allerdings als abschreckendes Beispiel vor Augen, als sie auf uns zukamen. So wie einst „Atom-“ und „Bio-“ oder „Gen-“, wie heute gelegentlich noch „Netz-“ und „i-“, so warb jetzt „Nano-“ für Vieles: selbst für Produkte ganz ohne Nanotechnologie. Es galt proaktiv zu werden. Kultur-, Kommunikations- und Gesellschaftswissenschaftler waren gefragt, vor allem Ethiker. Diesmal drängten wir uns nicht auf, wir wurden gerufen. Die interdisziplinäre NanoGroup Marburg konstituierte sich vor dem Hintergrund eines generischen Risikos, das die Naturwissenschaftler frühzeitig erkannten. Ein Produkt wirbt nicht nur für alle: es nimmt auch alle in Haftung. Das erste gefährliche Nanoprodukt würde alle Nanoprodukte in Verruf bringen. Wie wir bald analysierten: auf spezifische Weise, nämlich selbst wiederum Gattungsgrenzen überschreitend. Die generische Faszination würde umschlagen in ein kollektives gesellschaftliches Misstrauen. Das frühzeitig beschworene „Asbestrisiko“ feinster Fäden und Stäube, zu Recht oder Unrecht mit der Nanotechnologie assoziiert, ließe sich durch ein noch so hohes Maß an differenzierender Sachinformation nicht wieder aus der Nanowelt entfernen. Unsere ersten Modelle waren katastrophentheoretisch, und sie blieben es nicht nur in diesem Bereich. Im interdisziplinären Dialog beschäftigten wir uns mit den gar nicht trivialen Fragen einer angemessenen Definition und Terminologie und von dort ausgehend mit den komplexen, immer wieder neu sich verzweigenden naturwissenschaftlichen Grundlagen der einzelnen Forschungszweige und Produktlinien jener Technologie. Nanotechnologie bezieht sich überall auf neue Eigen22 „This requires a switch from reactive to anticipatory risk research.“ (Maaike van Zijverden / Adrienne Sips, Nanotechnology in perspective: summary. Risks to man and the environment, Bilthoven (NL) 2009, 98 (vollst. rivm.nl): ähnliche und frühere Äußerungen zusammenfassend.
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schaften, die sprunghaft auftreten, wenn kritische Größendimensionen unterschritten werden. Farbe, Leit- und Reaktionsfähigkeit verändern sich. Dabei emergieren erwünschte wie unerwünschte Effekte. Ein generelles Hintergrundproblem sind Messbarkeits- und Manipulationsgrenzen: schließlich wir ja stets in Grenzbereichen geforscht und später produziert. Die herkömmliche Toxikologie und die darauf aufbauenden Risikoregulierung würde – wie sich bald bestätigte – nicht nur an empirische, sondern an systemische Grenzen kommen. Die Nanotechnologie bewegt sich stets am Limit. Zwischen einer inhärenten Sicherheit auf Grund von Naturgesetzen und einer theoretischen Gefahr, die ich Kolloidrisiko nannte (die ubiquitäre Dispersion einer ultrafeinen, ultrastabilen und toxischen Nanoverbindung), mussten Abstände, die Wirkungen ausschließen, Verbindungen, die chemisch stabil sind usw. stets neu bestimmt und überprüft werden. Wir notierten als regulierungsrelevant nanospezifische Grenzorientierungen in verschiedenen Bereichen – während die damals bestehende europäische REACH-Regelung für chemische Produkte eine jetzt absurd klingende pragmatische 1-Tonnen-Materialmenge als Risikoschwelle definiert hatte. Technik könnte die wirksamste Risikoregulierung außer Kraft setzen, über die wir verfügen: Koevolution. Im Bereich der Nanomedizin stellten sich die Fragen jedoch in charakteristischer Weise differenzierter. Nanostoffe, -produkte und -verfahren thematisieren die Oberflächenbegrenzung von Körpersystemen. Sie machen biologische Barrieren zu nicht beliebigen Bezugspunkten beliebiger Nanotechnologie-Regulierung. Nanopartikel können die Haut durchdringen, Lungenbarrieren und die Blut-Hirschranke überwinden, körpereigene Abwehrsysteme unterlaufen oder sie durch Überlastung zum systemischen Kollaps bringen. Was aber einerseits natürlichen Schutz gefährdet, ist andererseits erwünscht, wenn es gilt, Wirkstoffe in geringster Menge präzise dort zu platzieren, wo Wirkung mit geringem Streueffekt erwünscht ist: in früher unzugänglichen Lungenregionen, in Tumoren: so dass hier nicht nur im Einzelnen sondern im Ganzen eine nanospezifische Risikoabwägung erforderlich wird. Das gilt aber, wie unser interdisziplinärer Ansatz zeigte, über medizinische Nanowirkstoffe hinaus auch für die gesellschaftliche Verteilung von Nanonutzen und Nanorisiken. Unterschiedliche Interessengruppen traten auf den Plan, es wurde grundsätzlich um Risikoeinschätzung gestritten. Den Trivialisierungsversuchen stand das Muster eines spezifischen Nanoversicherungsrisikos gegenüber, in dem große Schäden erwartet, aber wegen eindeutiger Rückverfolgbarkeit nicht mehr auf eine Haftungsgemeinschaft bezogen werden konnten. Das Bild wurde abgerundet durch die Militarisierung und Ideologisierung der Nanotechnologie, in denen Science Fiction-Szenarios zum Auslöser politischer, gesellschaftlicher und kultureller Risiken wurden. Aus einer Kombi-Technologie wurde in den USA das Konzept einer alles integrierenden Konvergenzwissenschaft, aus medizinischen Hilfen eine Menschenverbesserungsvison bis hin zum Cyborg-„enhancement of the warrior“. Die Angst davor kann dann einen Nanograben zwischen denjenigen, die über diese Technologie verfügen, und denjenigen, die auf sie angewiesen wären (engl.
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nano gap oder divide) zu einer realen Gefahr machen. Und schließlich muss man vielleicht eines Tages mit Schreckensfantasien vor einer sich verselbstständigenden Technikwolke, die alles Leben in grauen Schleim verwandelt (Grey-goo-Szenario) möglicherweise ebenso ernsthaft rechnen wie mit der Hoffnung, man könne mit Hilfe der Nanotechnologie den Tod abschaffen. Schließlich hat so, mit viel Fantasie, alles begonnen. Aus nanospezifischen Grenz- und Schwellenwerten ergeben sich zusammenhängende Kennzahlen- und Risikokonstellationen, in denen sich die Umrisse eines nanospezifischen Risikoprofils (NRP) abzeichnen. Wie ergibt sich daraus eine gute Nanoregulierung?
2. Vom Nano-Risikoprofil zu Nano-Regulierungstypen Die normative Ökonomik ist durch die neoliberale Ideologie nachhaltig diskreditiert. Aber dem ökonomischen Imperialismus entspricht eine Tabuisierung der „Lebenswelt“, die das Kind mit dem Bade ausschüttet. Die klassische Politische Ökonomie vermag uns daran zu erinnern, dass sich normative Ökonomik nicht nur auf private Güter sinnvoll anwenden lässt, sondern auch auf öffentliche Güter wie Sicherheit und Gesundheit. Sie misst Wohlstand in einem weiten Sinn. Regulierer verteilen – unter Informationsknappheit – den stets knappe Kooperationsgewinn einer Gesellschaft. Dabei müssen sie den Gerechtigkeitsstatus, der durch die gegenwärtige Schaden- und Nutzenverteilung erreicht ist, gegen die Chancen abwägen, die eine Umverteilung eröffnet. Moralisch wie ethisch entscheidend sind die Kriterien, an denen sich die Regulierer orientieren, und die Verteilungskurven beziehungsweise -linien, die sich daraus ergeben. Sie lassen eine Typologie von Regulierungsgestalten erkennen, denen man historisch geprägte Leitbilder idealtypisch zuordnen kann. Die dadurch anschaulicher darstellbaren Verteilungsmodelle erschließen auch Nano-Regulierungsgestalten unterschiedlicher Regulierungsdichte.23 – Liberale (Hayek-)Regulierungen erstreben Wohlstand um jeden Preis. Sie folgen dem klassischem Laissez-faire-Prinzip der Regulierungsvermeidung, begründet in der Überzeugung: Wenn sich die Tüchtigen die Taschen füllen dürfen, bleibt für die anderen letztlich am meisten übrig. Der Markt vermeidet Armut also nur in einem Maße, das mit maximaler Wohlstandsmehrung vereinbar ist; sogar neue Armut wird dabei in Kauf genommen. In ähnlicher Weise soll sich Nano23 Man kann diese auch topologisch entlang tiefer liegender Orientierungsachsen anordnen. Vgl. Wolfgang Merkel, Soziale Gerechtigkeit. Theorie und Wirklichkeit (fes-online-akademie.de); zum Gesamtzusammenhang (mit weiteren Strukturierungsmöglichkeiten) Wolfgang Nethöfel, Innovation. Die Formel (Ms. im Druck 2009), bes. in 1.4 (über Netzwerkdifferenzierungen bei der Unterscheidung zwischen „Institution und Organisation“ als Regulierungsaspekten) und in 4.2 („Innovationsmanagement als Management von Werten“) über den Schritt „von der Topologie zur Taxonomie: Orientierung durch Wertemuster“.
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sicherheit auf dem Markt der Nanoprodukte wie von selbst ergeben: gelenkt von unsichtbarer Hand – oder eben nicht. In abgeschwächter Weise sind hier Positionen zuzuordnen, die davon ausgehen, dass die bestehenden Sicherheitsbedingungen auch für die Nanoproduktion und für den Vertrieb von Nanoprodukten ausreichen beziehungsweise rechtzeitig durch Standardverfahren angepasst werden können. – Kommunitaristische (Walzer-)Regulierungen ziehen im Unterschied dazu ein Sicherheitsnetz ein, über dem dann der Markt seine Kunststücke vollbringen kann. Ökonomisch sind hier Grundsicherungen kennzeichnend, die das Überleben sichern und Notlagen zu überwinden helfen. Aber auch deren quantitative und qualitative Ausweitungen durch bürgerschaftliches Engagement lassen nur vor einem marktliberalen Hintergrund Solidarität als Markenkern dieser Regulierungsgestalt erscheinen. Vor dem Hintergrund stark regulierter Wohlfahrtsstaaten tritt ebenso stark die mit dieser Position verbundene Abwehr verbindlicher Regelungen als charakteristisch hervor. Für die Nanoregulierung ergibt sich daher die Maxime: So viel Markt wie möglich, solange nichts Ernsthaftes passiert. Oder umgekehrt: Basis-Sicherheitsstandards müssen auch für Nanoprodukte gelten beziehungsweise: jene dürfen durch diese nicht unterlaufen werden. Das ist nicht verhandelbar. – Ökonomistische (Marx-)Regulierungen würden sich heute der Wohlfahrtsökonomik unterwerfen und sich von ihr die optimale Verteilungskurve erwirtschafteter Güter vorschreiben lassen – so wie einst der „wissenschaftliche Sozialismus“ die planmäßig erwirtschafteten Güter nach „objektiv“ festgestellten Bedürfnissen und Fähigkeiten verteilte. Die Wirtschaft wäre dem Primat der Wissenschaft unterworfen, wie sie in den Zentralverwaltungswirtschaften der Politik unterworfen war, genauer: einer politischen Ökonomie, die sich als Quasi-Naturwissenschaft missverstand. Die zu erwartenden starken Regulierungen würden heute vor allem „basic needs“ absichern, zu denen dann auch Sicherheitsstandards gehören würden, an denen entlang sich Nanoforschung und -technologie allenfalls zur Nanowirtschaft entfalten könnten. Die Grundbedürfnisse Gesundheit und Sicherheit wären dann statt mit Planzahlen mit nanospezifischen Kennzahlen korreliert. – Egalitäre (Rousseau-)Regulierungen müssen nicht um jeden Preis identische Lebenslagen anstreben, aber sie wollen unter allen Umständen vermeiden, dass es nach der Umverteilung noch signifikante Wohlfahrtsunterschiede gibt wie die zwischen Arm und Reich – auch wenn das den Markt gefährdet. So wie man hier auf Reichtum verzichten würde, um Armut zu vermeiden, so würden radikale Nanoregulierer auf Nanotechnologie und -wirtschaft völlig verzichten, um Nanorisiken zu vermeiden. Dieser Position kann man auch die abgeschwächte Variante zuordnen, die ein (gelegentlich: zeitlich befristetes) Nanomoratorium fordert, um Nanorisiken auszuschließen. Die Nanoforschung müsste sich am Vorsorgeprinzip der Nano-Risikoforschung orientieren.
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Zwischen all diesen Positionen und den von dort aus angestrebten Regulierungsgestalten vermitteln sozialliberale (Rawls-)Regulierungen. Sie optimieren die Wohlfahrtsverteilung nach einem starken Pareto-Kriterium, das nach unten geeicht ist: an der besten möglichen Armutsüberwindung, die mit Reichtum kompatibel ist. In der Nanotechnologie würde das jenem Höchstmaß an Sicherheit entsprechen, das sich mit dem Funktionieren einer Nanowirtschaft vereinbaren lässt. Die denkbaren Leistungen der Wissenschaft wären hier integriert, aber die Politik ist durch eine nicht nur theoretisch existierende Pareto-Alternative gefährdet. Wenn der Citoyen sich um der Vorteile der Nanoprodukte willen sein Bürgerrecht abkaufen lässt, hat er sich über den Markt mit den anderen Konsument auf einen Regulierungsverzicht verständigt. Genau dies versucht die Nanowirtschaft durch Lobbyismus einerseits, Werbung andererseits zu erreichen. Das Ergebnis ist der Ersatz von verbindlichen Regelungen durch irgendwo hinterlegte kiloschwere Dokumentationen, verschleiernde Aufdrucke und unlesbare Beipackzettel: der Informationsoverkill unter der Überschrift „Konsumentensouveränität“. Der Streit zwischen Befähigungs-, Chancen- und Ergebnisgerechtigkeit ist in einem strengen Sinne oberflächlich. Ob bei Umverteilungen persönliche Möglichkeiten, institutionelle Gelegenheiten oder erzielter Erfolg gemessen werden, ist zunächst eine controllingtechnische Frage der Ökometrie, die pragmatisch und nicht ideologisch entschieden werden sollte. Und in der Ökonomik sollte es nicht um ein immer tieferes Verstehen der Differenzen zwischen Smith und Marx, Hayek und Keynes gehen. Aktuelle Regulierungsherausforderungen helfen zu verstehen, dass wir entweder die ganze Skala von Regulierungsmöglichkeiten ausschöpfen müssen oder integrationsfähige Rawls-Tools schmieden müssen. Wie gehen wir aber mit Implementierungsdynamiken um? 3. Nano-Regulierungsverfahren: „Integral Innovation“ und RSA Die Nanotechnologie lehrte uns praktisch, dass man als Regulierer entlang einer Netzwerklogik erfolgreich sein oder scheitern kann. Denn diese erlaubt es, nach Regulierungsbereichen einer Stufe, wie wir sie in den verschiedenen Funktionssystemen der Gesellschaft vor uns haben, und Regulierungsgestalten unterschiedlicher Regulierungsdichte Regulierungsschichten zu unterscheiden. Unterschiedliche Schnittstellen lassen auf deren Mächtigkeit schließen. Welche Information am Ende etwas bewirkt, hängt zuvor davon ab, wer an wen berichtet. Die Substanz der Gesellschaft, auch wenn diese sich noch nicht als Wissensgesellschaft versteht, sind Informationsnetze, die durch unterschiedlich geregelte Überlagerung auf immer komplexeren Ebenen die Phänomene und Gestalten erzeugen, die wir beobachtend wahrnehmen: Personen als Quelle des Neuen; Institutionen zwischen Staat und Markt, die dieses Neue mehr oder minder geregelt verarbeiten; Kulturen, die sich darauf hin in ihrem Naturverhältnis „geschichtlich“ unterscheiden. Ich fasste die Arbeit unserer Marburger NanoGroup zum Regulierungsmodell „Integral Innovation“ zusammen, das wir im Vorfeld einer internationalen Kon-
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ferenz entwickelten und in einer summer school mit jungen Wissenschaftlern aus aller Welt interdisziplinär zugleich erproben und erforschen wollten.24 Ein echter Investor sponsert einen Preis, um den Teams konkurrieren, die einen Nano-Doktoranden beim Entwurf eines Businessplans unterstützen, mit dem er die Fragen eines „idealen Investors“ beantwortet. Der will wissen, warum das intendierte neue Produkt patentierbar, nützlich und gut verkäuflich ist und was seine Produktion bis zur Marktreife kostet. Er will aber auch auf öffentliche Gelder nicht verzichten und fragt daher nach sauberer Forschung und durchgehender Regelbeachtung. Nahezu um jeden Preis aber will er das generische Risiko vermeiden und daher fragt er ebenso wie zuvor die übrigen Teammitglieder, den einzigen, der diese Frage beantworten kann, wie an der Nanogrenze des Neuen – notfalls mit ganz neuen Tools und Regelungen – Nanorisiken so gut wie nur irgend möglich ausgeschlossen werden können. Wenn es gut geht, entstehen so im Wettbewerb NRP regulierende Rawls-Tools. Aber Integral Innovation ist eigentlich ein Bildungskonzept. Indem es auf einer personalen Ebene Kreativität reguliert, sollte es auf der Ebene der Gesellschaft als sich selbst regulierende Innovation in Erscheinung treten. Nicht nur, um regulatorische Transaktionskosten zu vermeiden, sondern um dort wirksam zu regulieren, wo Fremdregulierung notorisch zu spät kommt, wie uns die angewandte Grundlagenforschung im Bereich Nanotechnologie anschaulich vor Augen führte. Gleichzeitig entwarfen die mit uns gelegentlich kooperierenden Kolleginnen und Kollegen Büro für Interdisziplinäre Nanoforschung Darmstadt ein nanospezifisches Verfahrensmodell. Wo wir für unsere interdisziplinären Nanomodelle das Rastertunnelmikroskop (RTM) lediglich als Realsymbol und Verständigungsmodell verwendeten, entwarfen sie die Raster-Sonden-Agentur (R-S-A) als institutionelles Regulierungsmodell. Eine R-S-A besteht aus drei „Grundfunktionen“, erläutern sie: einer Rasterfunktion zum Abtasten des Feldes wissenschaftlich-technischer Entwicklungen und zur Identifizierung klärungsbedürftiger Entwicklungen, Produkte und Diskurse; einer Sondenfunktion zur Auswahl und Verständigung über die Dimensionen exemplarischer Themen in der ,Experten-Lerngemeinschaft‘; exemplarische Sondierungen werden mit Hilfe von Zeugenanhörungen (z. B. aus Forschung, Behörden, Industrie) durchgeführt; einer Agenturfunktion zur Durchführung öffentlicher, gerichtsförmiger Urteilsverfahren, zur Intervention in Debatten und zur Erarbeitung der gesellschaftlich breit abgesicherten Empfehlungen, welche z. B. Handlungsbedarf anderer Regulierungsinstanzen sowie Forschungs- und Kommunikationsdefizite benennen.25 24 Vgl. Wolfgang Nethöfel, Integrierte Innovation. Schritte zu einer intersystemischen Kontrolltheorie, in: Hagen Hof / Ulrich Wengenroth (Hrsg.), Innovationsforschung. Ansätze, Methoden, Grenzen und Perspektiven (Innovationsforschung 1), Hamburg: Lit 2007, 127 – 140.
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Beide alternativen Regulierungsmodelle weisen in die Zukunft, weil sie das spezifische Risikoprofil einer innovativen Technologie mit Verfahren kombinieren, die mit der Dynamik von Innovationsprozessen besser kompatibel sind als ein notwendig reaktives Recht, das allein Unternehmen reguliert. Allerdings bleiben Lücken. Durch das Integral-Innovation-Verfahren wäre zwar das spezifische Nanorisikoprofil schon im Akt der Invention auf dem Niveau von Rawls-Tools intersystemisch und im Prinzip global eingebunden in proaktive Risikoabwägungen – aber die Produktion bliebe jenseits der Startphase im Innovationszyklus sich selbst überlassen. R-S-A wäre zwar innerhalb des ganzen Zyklus wirksam, bliebe aber als Institution beschränkt hinsichtlich der Reichweite, der Dichte und der Mächtigkeit ihrer Regulierungsvorschläge: prinzipiell, wenn man den Rechtscharakter überdenkt. Der „governance turn“, der sich durch beide Verfahren auf die Nanotechnologie übertragen ließe, könnte zwar aktuelle Regulierungslücken schließen, würde aber mit Sicherheit neue aufreißen. Er wäre nicht „sozial robust“ genug, um neue Nanoschäden zu verhindern.26
III. Nachhaltigkeit – Partizipation – Autonomie: sozial- und wirtschaftsethische Regulierungsperspektiven Welche Ethik, welche Politik wäre der Nanotechnologie angemessen? Ein UNESCO-Papier, das dieser Frage gewidmet ist, skizziert eine kaum zu bewältigende Regelungsaufgabe: One of the most troubling issues that nanotechnology raises is that concerning the very structure of science itself, and is not restricted only to nanotechnology. . . One of these is clearly the expanding system of intellectual property rights and rewards; another is the increasing public scrutiny of scientific research, and the demands that it be made accountable to the public; a third is the use and abuse of scientific information by governments in the context of increased secrecy and novel antiterrorism efforts . . . Furthermore, in large part due to the ever-increasing globalization of scientific research and the expansion of networks that contribute to it and feed off it, the question of who will benefit or who will suffer from these potential threats is newly unclear.27
Wenn man genauer hinschaut und partielle Regelungserfolge ebenso verarbeitet wie ein sich wiederholendes Scheitern, kann man daraus allerdings auch den Schluss ziehen, dass die Nanotechnologie nicht nur wegen der Struktur, sondern auch wegen der Reichweite ihrer Innovationsproblematik exemplarisch ist. Wir 25 Andreas Lösch / Stefan Gammel / Alfred Nordmann, Observieren – Sondieren – Regulieren. Zur gesellschaftlichen Einbettung nanotechnologischer Entwicklungsprozesse (Bestandsaufnahme und Modellentwurf, Schlussbericht 2008, 5 (nanobuero.de). 26 Vgl. Monika Kurath, Nanotechnology Governance. Accountability and Democracy in New Modes of Regulation and Deliberation, in: Science, Technology and Innovation Studies 5, 2009, 87 – 110, unter Bezug auf das Konzept sozial robusten Wissens. 27 The Ethics and Politics of Nanotechnology, Paris: UNESCO 2006, 17.
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sind ausgegangen von der wirtschaftspolitischen Alternative zwischen Regulierung und Deregulierung und fragen nun angesichts der Innovationskonstellation, die uns die Nanotechnologie exemplarisch erschlossen hat, nach dem paradigmatischen Zusammenhang von Re- und Deregulierung, der ethisch beurteilt und wirksam geregelt werden muss. Dadurch lassen gerade Regulierungsdefizite die Umrisse eines neuen intersystemischen Regulierungstyps erkennen, dessen eines Metakriterium Nachhaltigkeit heißt (1). Das andere Metakriterium heißt Partizipation. Prinzipiell globale Regulierungen sollte man im Zeitalter des Leitmediums IuK-Technik prinzipiell global vernetzen. Der Übergang zum Web 3.0 bringt sicherlich neuen Regulierungsbedarf mit sich. Gerade diese zeigen aber jetzt schon neue Regulierungsmöglichkeiten auf, an denen wir uns vorläufig orientieren können (2). Ich schließe mit einer theologischen Nachbemerkung zum Zusammenhang von Regulierung und Kreativität, Innovation und Schöpfung (3).
1. Nachhaltigkeit! Von der Regulierung als Reaktion zur intersystemischen Sensibilisierung Was ist eigentlich zu regeln? Die Nanotechnologie zeigt, dass es dabei nicht um eine ideologische Entscheidung zwischen Staats- und Marktversagen geht, sondern um Kreativität als Unruheelement in der Auseinandersetzung der Menschheitsgattung mit der Natur; nicht platt um Fortschritt, aber um Innovation als permanente Ursache von Regulierungsdefiziten. Man kann daraus den Schluss ziehen, „one of the reasons the invisible hand often seems invisible is that it’s not there“.28 Man kann aber auch versuchen, sich auf jene Dynamik als auf das eigentlich zu Regelnde zu konzentrieren. Innerhalb der normativen Ökonomie setzt dann die Kunst des Regulierens die selbst kreative Integration von Neoklassik und Institutionalismus, von Gleichgewichts- und Chaostheorien voraus. Es gibt Markt- und Staatsversagen, aber je nach den Rahmenbedingungen sind die Wahrscheinlichkeitsverteilungen sind unterschiedlich. Geht es im Innovationszyklus abwärts, empfiehlt es sich eher zu deregulieren und ein gewisses Maß an Inflation in Kauf zu nehmen, geht es aufwärts, sind eher Re- und Neuregulierung und Inflationsbekämpfung angesagt. Was aber relevant ist, wann der richtige Zeitpunkt ist, wie die entgegenstehenden Kräfte einzusetzen sind: da sind Regulierer wie Unternehmer eher auf Kunst und Können angewiesen, als auf Wissenschaft. Konzentrieren wir uns auf jene Metastabilität, die auch instabile Märkte funktionieren lässt, und auf Orientierungen, die sich gerade in Krisen bewähren, dann zeigt sich als Pendant zum Marktwert von Vertrauen und zur Praxistauglichkeit von Ethik allerdings auch die Unhintergehbarkeit der Ökonomik. Wirksame Regulierungen müssen differenzieren und in Beziehung setzen können, was als Grund28 „(W) henever information is imperfect or markets incomplete – that is, always – there is a presumption that markets are not (constrained) pareto efficient.“ (Stieglitz, Government Failure, zit. Anm. 13, 16)
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voraussetzung für alle Veränderungen immer und überall und für jeden zur Verfügung stehen muss, welche Grundgüter hier und jetzt berechtigt zur Verfügung stehen und welche Grundpotenziale jetzt zu beachten sind, damit Güter neu erworben und verteilt werden können. Eben dies legitimiert, ja erfordert neben der Differenzierung auch die vielfach gescholtene prinzipielle Verrechenbarkeit von Natur-, Sach- und Humankapital. Denn sie sichern Befähigungs-, Chancen- und Befähigungsgerechtigkeit innerhalb von Verfahren, die intra- wie intergenerative Interessen integrieren. Das lässt Nachhaltigkeit zum Metakriterium aller gegenwärtig anstehenden komplexen Regulierungsaufgaben werden.29
2. Partizipation! Von der moralischen zur globalen Selbstregulierung Bei ökologischen Fragestellungen hat sich Nachhaltigkeit als Verteilungskriterium längst bewährt und durchgesetzt, weil es die räumliche und zeitliche Verantwortungsdimension einer Weltgesellschaft erschließt, die heute im Raumschiff Erde gemeinsam ums Überleben kämpft. Allerdings stehen die Regulierer nach der zwar längst nicht faktisch, aber prinzipiell abgeschlossenen Phase der Installierung weltweiter Regulierung in der jetzt anstehenden Phase ihrer globalen Implementierung vor völlig neuen Problemen. Die harten Kennzahlen globaler Klimastabilisierung, die Wissenschaft begründet, Recht geregelt und Politik in Geltung gesetzt hat, lassen lokal die Notwendigkeit langfristig stabiler Verhaltensänderungen und robuster Maßnahmen erkennen. Das globale Soll setzt individuelle Einsicht voraus, die Aktualisierung geschichtlich gewachsener und kulturell eingebundener Kenntnisse und Aktivierung der sozialen Fähigkeiten kleiner Gemeinschaften. Da die Prozesskoordination in jedem Fall den Austausch vernetzter Informationen erfordert, orientierten wir uns in Nachhaltigkeits-Modellprojekten des Marburger Instituts für Wirschafts- und Sozialethik (IWS) zunächst am Vorbild von NRO-Netzplattformen, auf denen die ökologischen und sozialen Ansprüche von weltweit tätigen Unternehmen mit den Wahrnehmungen von Betroffenen konfrontiert wurden – und mit Gegenargumenten oder (nach-)regulierenden Maßnahmen darauf antworten konnten. Bei der Weiterarbeit konnten wir an das Arbeit Plus-Projekt anknüpfen, das wir für die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) entwickelt hatten.30 Das IWS 29 Dies ist eine paradigmatische Weiterentwicklung des Brundtland-Konzepts nach dem von der Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren entwickelten (HGF-)Modell. Die drei „Säulen“ Ökologie, Ökonomie und Soziales werden dabei nach dem Gibbschen Dreieck korreliert; vgl. zur Darstellung Klaus Fichter u. a., Nachhaltigkeitskonzepte für Innovationsprozesse, Stuttgart 2006. Auch so lassen sich Indikatoren und Kennzahlen und Kennzahlen entwickeln; vgl. Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Sustainable Governance Indicators 2009, Gütersloh 2009 (sgi-network.org). 30 Vgl. arbeit-plus.de, sowie Wolfgang Nethöfel, Arbeit Plus: Von der Sozialverkündigung zur sozialethischen Orientierung, in: Kontinuität und Umbruch des deutschen Wirtschaftsund Sozialmodells (Jahrbuch Sozialer Protestantismus 1), Gütersloh 2007, 208 – 228.
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entwickelte und strukturierte das Vergabeverfahren eines Siegels, das Unternehmen mit einer vorbildlichen innerbetrieblichen Arbeitsmarktpolitik verliehen wurde. Durch die Koppelung qualitativer Denkschriftvorgaben an ein von uns entwickeltes und gepflegtes Indikatorenmodell hatten wir ein lernendes Verfahren entwickelt, in dem aus moralischer Intervention institutionelle Kooperation wurde. Die Kirche korrelierte bestimmte Forderungen mit einem Kriterienset, dessen Kennzahlen jeweils am unterschiedlichen und veränderlichen Branchendurchschnitt geeicht wurden. Veränderlich war aber auch dieser Set selbst, weil weiche Kriterien wie die Teilnahme an Runden Tischen durch härtere wie die Zugehörigkeit zu Qualitätszirkeln abgelöst wurden und schließlich durch messbare Kennzahlen. Jetzt entwickelten wir daraus einen Verfahrensalgorithmus, mit dem auch in anderen materialethischen Bereichen der Übergang gesichert werden kann von der moralischer Forderung über das kooperative Setzen von Standards und über Benchmarkprozesse bis hin zur gemeinsamen öffentlichen Auszeichnung von Best practice-Beispielen. 31 Die R-S-A ist danach zu erweitern und zu ersetzen durch ein zivilgesellschaftliches Sozialethikforum, das nach Rawlskriterien zunächst einmal darüber befindet, welche Themen auf die Agenda gesetzt und wie sie gewichtet werden. Dann folgt die Veröffentlichung von Standards, gegebenenfalls die Benennung von Defiziten und die Auslobung von Auszeichnungen: mit dem Hinweis auf ein Verfahren, das im Netz nicht nur abgebildet wird, sondern das wesentlich dort stattfindet. Eine Kombination der NRO-Netzpraxis mit dem institutionell verankerten Arbeit-Plus-Verfahrens kann so im Prinzip globale Regulierungen zugleich implementieren und weiterentwickeln, da die Rückmeldungen lokaler Stakeholder nicht nur einfach notiert, sondern über eine Schleife mit dem Expertendialog zurückgekoppelt und so in den Prozess einbezogen werden. Zur institutionellen Prägung dieses Modells gehören die öffentliche Auszeichnung und ein Abschluss im Forum, der eine neue Priorisierung ermöglicht. Zivilgesellschaftliche Institutionen wie die Kirche können allerdings nur stellvertretend handeln. Sie können, wie andere NROs, Regulierung verdichten: aber sie tun dies exemplarisch und demonstrativ. Sie können Lücken in den Regulierungsschichten unserer Weltgesellschaft nicht schließen, aber sie können auf sie aufmerksam machen. Vor allem aber halten sie das Bewusstsein dafür wach, dass auf dem Komplexitätsniveau heutiger Regulierungsprozesse dem Metakriterium Nachhaltigkeit das Metakriterium Partizipation entsprechen muss. 3. Autonomie! Eine theologische Nachbemerkung Die Ethik der Regulierung wirft neues Licht auf das sonst vielleicht überkomplexe Feld, auf dem sich die Systeme von Politik und Wirtschaft, Wissenschaft 31 Institutioneller Ort unserer Bemühungen ist das EKD-Forum „Kirche-Wirtschaft-Arbeitswelt“.
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und Recht überlagern. Ich kann es als evangelischer Sozialethiker und Sprecher des „Netzwerks Kirchenreform“32 nicht ins Auge fassen, ohne an das spannungsreiche Verhältnis von Religion und Regulierung zu denken. Die Aufgabe, Charisma zu institutionalisieren ohne die Institution selbst zum petrifizierten Götzen werden zu lassen, der die spirituellen Energien bindet, ist mit der Sohm-HarnackDebatte um den Status kirchlichen Rechts ja nicht erledigt. Sie bleibt bis in die jetzige Kirchenreformdebatte hinein aktuell. Das ökumenische Spannungsverhältnis zwischen reich gewordenen volkskirchlichen Institutionen und weltweit aufbrechenden pfingstlichen Gemeinschaften spiegelt sich im internen Ringen um Reformleitbilder. Soll am Ende eine Institution nur besser verwaltet werden – oder ist diese wieder einmal radikal zu reformieren? Heißt die Formel, mit der wir uns heute in der Kirche auf den uralten Kern zurückorientieren: Ziel- statt Regelorientierung – wo Institution war, soll Organisation werden? Oder bleibt das alles noch an der Oberfläche? An der vorletzten Epochenschwelle, als das Leitmedium Buch, das jetzt vom Netz abgelöst wurde, seinen Siegeszug begann, kämpfte Martin Luther in einem Zweifrontenkrieg einerseits gegen die ideologischen päpstlichen Regulierer der Institution, andererseits gegen die „schwärmerischen“ Deregulierer, die sich nicht minder ideologisch auf den Geist beriefen. „Sine vi humana, sed verbo“, setzte die Reformation dagegen: „ohn menschlichen Gewalt, sondern allein durch Gottes Wort“.33 Das Prinzip, das sich damals Bahn brach, hieß: Selbst- statt Fremdregulierung, und es war schöpfungstheologisch begründet. Der Glaube an die bedingungslose Liebe Gottes, wie sie in Jesu Leben und Geschick Gestalt angenommen hatte, erneuert den Menschen nach Luthers Überzeugung auch in all seinen Weltbezügen. Aber er hatte auch erfahren, dass dieser Glaube unhintergehbar an eigene Einsicht gebunden ist. Er befreit uns vom Zwang der Selbsterlösung, aber er setzt auch jene göttliche Liebe in uns frei, die uns an den Nächsten bindet. In dieser Einheit von Freiheit und Bindung ist Gott in uns als Schöpfer gegenwärtig. So begründet Luther auch seine Sozial- und Wirtschaftsethik. Er könnte es wohl selbst tun, lehrt Luther beständig: Er will es aber durch dich tun.34 Unsere Freiheit ist letztbegründet – und Autonomie ist Selbstbindung aus Freiheit. In dieser Hinsicht war Immanuel Kant fromm, aber umgekehrt ist nach ihm auch die Säkularisierung des frei Erforschten und Erschaffenen unhintergehbar. Jetzt, nach dem Überschreiten einer neuen Epochenschwelle, geht allerdings nur so weiter, dass wir in und zwischen den Traditionsgemeinschaften voneinander lerZusammen mit Sigurd Rink (netzwerkkirchenreform.de). Confessio fidei / Augsburgische Konfession (1530), Art. 28 (De potestate ecclesiastica / Von der Bischofen Gewalt), in: Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 199812, 31 – 137: 124. 34 So zum Beispiel in der Auslegung von Psalm 147, 2: „Er könnte dir wohl Korn und Früchte geben ohne dein Säen und Pflanzen. Aber er will es nicht tun . . . Predige du und laß ihn die Herzen fromm machen.“ (Lauda Jerusalem, ausgelegt, 1532; Weimarer Ausgabe 53 I, 435 f.). 32 33
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nen. Die Theologie kann lernen von dem Ineinandergreifen von Induktion und Deduktion, wenn sie mitwirkt beim Entwerfen und Erproben neuer Regulierungsgestalten. Nur auf diesem Theorieniveau lässt sich eine Schöpfungslehre entwerden, die anschlussfähig ist an heutige Natur- und Gesellschaftswissenschaften. Diese sollte das Verhältnis von Innovation und Regulierung vertieft bedenken. Entsprechen sie sich, bedingen sie einander? Ist Regulierung die dunkle Kehrseite von Kreativität oder vereist sie auf den Hintergrund, aus dem sie hervortritt? Autonomie ist zwar kein neues Metakriterium, aber meiner Meinung nach bleibt sie Selbstregulierungsleitbild auch dann aktuell, wenn wir uns heute global vernetzt verständigen müssen. Außenregulierung kommt in einer „Welt als Schöpfung“ notwendig zu spät.35 Summary The present financial and economic crisis stimulates the interplay of (re-)regulation and deregulation by which politics, via justice, attempts to influence ethically the economic system. But an economy that is globally linked and in principle innovative, renders regulation to a test for social and economic ethics. The innovationexample nanotechnology displays, why scientific policy advice confronts systemic regulation limits. For the balance of interests we need Pareto optimized RawlsTools, innovative-centered educational processes, and the web-networking of a global civil society. Governance ethics should integrate types of different regulation density and institutional different regulation stratifications. Sustainability and participation must stand the test as regulizing metacriteria. Autonomy could be added as a principle of selfregulation, if it is justified as (secularized) responsibility for Creation.
35 Vgl. Eberhard Wölfel, Welt als Schöpfung. Zu den Fundamentalsätzen christlicher Schöpfungslehre heute, München: Kaiser 1981.
Wirtschaftsethik – Synopsis und kritischer Ausblick* Birger P. Priddat
Man redet so, als ob die Wirtschaft eine Ethik habe, oder, wenn nicht, eine haben solle. Dabei verwendet man, unbesehen, vormoderne Topoi: Ethik und Politik sind, in klassischer aristotelischer Tradition, Reflexionen über die Ordnung von Gesellschaften, die aber, um modern wirksam zu werden, in rechtliche (Verfassungen, Gesetze (= formelle Institutionen)) und sittliche (Erziehung, öffentliche (politische) Diskurse über die Relevanz informeller Institutionen bzw. Normen) Institutionen übersetzt werden müssen. Moderne Gesellschaften haben seit dem 18. Jahrhundert andere Wissensformen zur Analyse und Klärung ihrer Ordnungen: Ökonomik, Soziologie, Politologie, Juridik. Die Frage der Ordnung wird darin funktional oder normativ behandelt. Das Ethische ist ein Gegenstand der Philosophie geworden und in den genannten Wissenschaftsformen nicht dominant. Daß heute wieder – seit den 90er Jahren – über Wirtschaftsethik reflektiert wird, ist erst einmal ein Reflex auf die analytische Form der Wissenschaften: es fehlte ihnen Normativität. Ethik, hier auf die Wirtschaft angewandt, operiert kritisch – eine rein wirtschaftliche Betrachtung der Wirtschaft sei unangemessen, weil zum einen damit faktische Geltungsdimensionen weggelassen würden, zum anderen nicht mehr reflektiert würde, was gelten solle. Diese kritische Disposition hat wiederum zwei Ausprägungen: – erstens eine tendentiell grundsätzlichere Kritik der Wirtschaft in ihren modernen Formen (1), – zweitens Überlegungen, wie in die Ökonomik Fragen der Normengeltung, Tugend, Moral etc. systematisch integriert werden können, um sie analytisch gehaltvoller zu machen (2).
Die letztere Ausprägung läuft unter dem Namen „ökonomische Ethik“; sie ist in Deutschland mit Autoren wie Homann, Pies, Suchanek verbunden (Homann / Lütge 2004; Pies 2009; Suchanek 2007), in weniger prätentiöser Form mit den (meist spieltheoretisch argumentierenden) Ökonomen der behaviourial economics, die Fragen des Vertrauens, des Altruismus, der Reziprozität in die Analyse der Interaktion von rational actors untersuchen (Falk 2003; Fehr / Fischbacher 2004 etc.). * Eine kürzere Version ist bereits in der Zfwu (Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik) publiziert (Jg. 10, Nr. 3 / 2010).
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Sie behaupten nicht, ein wirtschaftsethisches Programm zu entfalten, nehmen aber die Topoi, die in der Wirtschaftsethik verhandelt werden, ins Visier: als Grundformen kooperativen Handelns. Karl Homanns ,ökonomische Ethik‘ plädiert dafür, die Ökonomie als System eigener Valenz und eigner Handlungsbedingungen zu achten. Das Ethische ist wiederum ein anderer, eigener Diskurs, der sich in den – politisch durchzusetzenden – Rahmenbedingungen niederschlagen muß. Individuelle Moral oder Tugend wie moralische Appelle bleiben kontingent, d. h. systematisch wirkungslos (Homann 1993; Homann / Lütge 2004). Wer Moral fordert, ohne die Implementierungsbedingungen nicht zu beachten, verstößt möglicherweise gegen seine eigenen (ökonomischen) Interessen. In den Rahmenbedingungen sollen die Institutionen der Gesellschaft und ihrer Wirtschaft so gestaltet werden, daß es Anreize gibt, sie einzuhalten (Homann / Suchanek 2004). Josef Wieland hingegen, mit einer eigenen Konzeption einer ökonomischen Governanceethik, analysiert die wirtschaftlichen Implikationen der Unterlassung wie Gestaltung von value managment (Wieland 2004) d. h., um es zu pointieren, die Atmosphäre einer Organisation, die in O.E. Williamsons Theory of the firm als Problem offen gelassen wurde (Wieland 1996). Wirtschaft und Ethik stehen in einem Spannungsbogen, der durch die governance (der Firmen), d. h. durch geeignete Anreiz- und Motivationssysteme geregelt werden müsse (Wieland 2007a). Beide Richtungen sind Weiterentwicklungen der institutional economics, die formelle wie vor allem informelle Institutionen als Voraussetzung der Markwirtschaft in die Forschung zurückgeholt hat (in ihnen unbekannter Tradition der (deutschen) Historischen Schule der Ökonomie des 19. Jahrhunderts (Priddat 1995a)). Sie greifen zum einem zurück auf J.M. Buchanans Unterscheidung von Spielregeln und Spielzügen, um die Frage der Generierung, Geltung und Stabilität solcher Regeln (constitutions) zu prüfen (aus der Domäne der public choice theory erweitert zur constitutional economics (vgl. Buchanan 1984)). Zum anderen untersuchen sie die Konsequenzen aus H. Simons Konzeption der bounded rationality (Simon 1983): wenn die Akteure nur bedingt rational operieren können, bleibt offen, mit welchem Ausschnitt der Welt die Akteure agieren. Williamson (und Coase (Williamson 2002; Coase 1937)) entwickeln eine Theorie der relationalen Verträge, in denen, insbesondere über die Zeit, nicht alle Fragen so geklärt werden können, daß man eine sichere Effizienz hat. Um diese Offenheit zu schließen, sind Fragen der Regelgeltung, Normen und angemessenen Verhaltensweisen ins Spiel zu bringen, die den Untersuchungsraum einer Wirtschaftsethik markieren. Die eben genannten Ansätze werden als anreiz-orientiert klassifiziert, im Kontrast zu einer anderen Gruppe der Dialogorientierung (vgl. Aßländer in: Vorbohle 2010: 258). Peter Ulrich zum Beispiel steht in der (aristotelischen) Tradition des Primates der Politik vor der Wirtschaft; er sieht die Rahmenordnung nur als Ort der Moralumsetzung; die Moralbegründung schöpft sich aus der Öffentlichkeit mündiger Bürger, deren Diskurs entscheidet, was moralisch-politisch gelten soll
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(eine schweizerisch inspirierte direktdemokratisch-diskurstheoretische Wirtschaftsethik) (Ulrich 2007). Homanns Konzeption sei zu sehr von Rationalitätsunterstellungen der Akteure geprägt; die ökonomische Rationalität könne eine Wirtschaftsethik nicht begründen, sie müsse selber kritisch erweitert werden zu einem Konzept der Lebensdienlichkeit. Homann und Ulrich sind Antipoden eines deutschen wirtschaftsethischen Diskurses. Beide wollen Wirtschaft und Moral integrieren. Homann unterteilt operative Sphären – ,die Effizienz in den Spielzügen, die Moral in den Spielregeln‘ –, Ulrich hingegen will den ,ökonomischen Determinismus‘ der Rationalität aufheben, damit die Herrschaft der Sachzwänge, um in freier politischer Überzeugung das zu ordnen, was den Menschen diene. Damit befindet er sich in den Reihen derer, die Moral mit antikapitalistischer Skepsis verbinden. Moral ist für ihn ein Tatbestand freier (politischer) Normenfindung. Beide Konzepte sind sich ähnlicher, als ihre Auseinandersetzungen anscheinen lassen; sie verlagern die Frage der Moralbestimmungen in die Politik – Homann mehr in die institutionelle Ordnung, Ulrich mehr in die politische Diskursfreiheit. Homann plädiert für eine Konkordanz von Wirtschaft und Ethik, Ulrich für eine Subordination der Wirtschaft unter die politisch-normative Selbstbestimmung der Bürger (eine Art bürger- oder zivilgesellschaftlicher Wirtschaftsethik). Homann fragt natürlich, wie bei dieser Selbstbestimmung eine Ordnung entstehen kann, die den Systembedingungen von Wirtschaft gerecht wird. Was ist das Maß der politomoralischen Intervention? Weiß es um die Erhaltungsbedingungen wirtschaftlicher Effizienz, die zugleich die Lebensbedingungen sind (auch die eines Lebensdienlichkeitskonzeptes)? (zu einem generellen Überblick vgl. Beschorner et al. 2005). Solche grundsätzlichen Konzeptionen – auch Wieland bietet ein ökonomisches Konzept, das im ethischen philosophischen und soziologischen Diskurs verankert ist – sind typisch deutsch; im angelsächsischen Raum finden wir eher pragmatische Konzeptionen, insbesondere im Bereich corporate governance, sustainability und corporate social responsability, aber auch in den Dimensionen diversity und diversity management etc. (Sternberg 2000; Bassen / Jastram / Meyer 2005; Brink / Priddat 2008; Basu / Palazzo 2008; Malachowski 2010; Hartman 2010; Crane / Matten 2010). Diese Wellen – es gibt auch hier wissenschaftliche Moden – haben inzwischen auch die deutsche Diskussion erreicht (Kuhlen 2005; Riess / Welzel / Lüth / Bertelsmannstiftung 2008; Weber 2008), bis hin zum Thema social entrepreneurship (Reichelt 2009) und in Kombination mit der ökologischen Dimension (Nicolidi 2005; Weber 2008; Dyckhoff / Souren 2007; Wilkens 2007; Málovics / Csigéné / Kraus 2008). Amerikanische Konzepte auf deutsche Mentalität überträgt angemessen das ,Wertemangement‘ (Wieland 2004). Hier unterscheiden wir wiederum zwei Ausprägungen: die konzeptionellen, die sich als neue Formen des Managements verstehen (Brink / Tiberius 2005), und die pragmatischen, die vornehmlich an der marketing- und public relation Dimension der Firmen angehängt sind (Tewes 2008; Oestreicher 2010). Unternehmen haben sich darauf eingelassen, für ihre Selbstdarstellung solche ,weichen Themen‘ zu
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kommunizieren, weil sie damit eine gewisse Legitimation in der Öffentlichkeit, vor allem bei Kunden, fördern wollen (stakeholder management (Hahn 2005; Nicoldi 2005; Mardsen 2005; Barnett 2007; O’Riordan / Fairbrass 2008)). Diese Dimension aber ist abgekoppelt von den strengeren betriebswirtschaftlichen Entscheidungen; CSR etc. sind häufig nicht integriert in die relevanten Firmenprozesse. Man kommuniziert Transparenz, moralische Intentionen und liefert Sozialbilanzen, aber der Managementstil ändert sich kaum. Ohne konzeptionelle Überlegungen, die immer auch eine gewisse Revision der ökonomischen Konzeptionen bedeuten, bleiben die meisten Ansätze in einem Relationismus von Wirtschaft und Moral / Ethik verhaftet, der sich im Resultat als Paradoxie darstellt: ,Wirtschaft‘ und ,Ethik‘ bleiben zwei disparate ontologische Bereiche, die nur handlungspragmatisch zu überbrücken sind (= Management). Diese Brückenfunktion des Managers evoziert immer wieder tugendethische Erörterungen (bis hin zur Frage des wirtschaftsethischen coaching) (Bausch / Kleinfeld / Steinmann 2000; vorsichtiger: Wieland 2006). Dabei wird wiederum nicht systematisch reflektiert, ob Paradoxien auflösbar sind. Wieso soll der Manager, über seine Haltung bzw. Tugenden, das, was konzeptionell disparat und synthetisch konzeptlos bleibt, individuell leisten können? Letztlich bedeutet es, daß Manager immer dann, wenn sie in einen Konflikt zwischen Business und Moral kommen, ein Moralkriterium in Anschlag bringen sollen, ohne daß die Erwägungskomplexität ausreichend bedacht wird, die Karriereoptionen, der tatsächliche Handlungsspielraum etc. Tendentiell werden Manager so ,heroisch überfordert‘. Man kann zwar ,Schuldige‘ identifizieren – vor allem in den Medien –, aber der systematische Zusammenhang bleibt unberührt. „Kostenreiche Normkonformität ist dem einzelnen nur zuzumuten, wenn gewährleistet ist, dass dass auch andere die Normen beachten. Nicht individuelles Heroentum fordert Moral, sondern fairen Interessenausgleich unter allen Beteiligten“ (Nunner-Winkler 2010: 182). Die Reflexion der Leistungsfähigkeit von Moral im wirtschaftlichen Kontext ist wenig ausgeprägt; die normative Direktive überwiegt (bei vollem Bewußtsein des Prekären dieser dilemmatischen Entscheidungswelt). Manager im Dilemma von Moral und Wirtschaft stehen zu lassen, folgt einem gewissensethischen Repressionsmodell: ,überlege, was du tust, und mache es mit deinem Gewissen aus, wenn du doch wieder eher ökonomischen Effizienzen nachgibst‘. Da sich Manager zum einen angesprochen fühlen (weil die wirtschaftsethische Kommunikation auch in den Medien präsent ist), weil ihre Familien ihnen zusetzen etc., reagieren Manager durchschnittlich mit Objektivierungen: was nicht in Zahlen dem Controlling vorzeigbar ist, bleibt unbehandelt. Darauf reagiert die Wissenschaft mit ethical codicees, social factor lists etc. Die Frage, wie die weichen Faktoren abbildbar sind im Zahlenwerk der Unternehmen, bleibt häufig offen, weil die Konzepte nicht wirklich den net profit der ethischen Maßnahmen darstellen können (ein später Reflex der Weberschen Differenz zwischen Zweck- und Wertrationalität). Der Ansatz verschiebt die ethische Verantwortung, die ja gemeint ist, auf die Rechtfertigbarkeit vor dem Controlling (Wilkens 2007). Daß Manager eine Hal-
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tung einnehmen können, wird selten beleuchtet (Jansen 2008). Das ,Ethische‘ läßt sich eher durch Konzeptionen der Organisationsentwicklung, der Sinnhaftigkeit von Kommunikationen, von motivierender Führung, von überlegter Personalentwicklung etc. tragfähig machen, die weniger von Ethik als von motivierenden Arbeitsformen sprechen, von Vertrauenskapital z. B. (Osterloh / Weibel 2006). Parallel läuft eine Theorie des social capital, die z. T. netzwerktheoretisch fundiert ist (Lin 2001, Herrman-Pillath 2000). Ohne philosophisch-ethische Argumente werden dort Beziehungen von Akteuren untersucht, die aus der Gemeinschaftlichkeit ihres Handelns Vorteile erreichen (returns on social investment, Kooperationsrenten). Moral ist kein System, sondern ein mentales Modell, das Regeln festlegen möchte für den Umgang untereinander. Wenn Moral tatsächlich eine (informelle) Institution ausbildet, gleichsam als shared mental model (North 1995), halten sich alle an die Regel, so daß das wiederum alle erwarten können (Institutionen als Erwartungsgleichgewichte (Aoki 2001)). Moral tritt vornehmlich als propositionale Attitude auf: als Forderung an andere. Tugendethisch setzt diese Forderung voraus, daß die, die von anderen die Einhaltung von moral rules fordern, sie selber bereits praktizieren, als Vorbild und kopierbares Muster (Moral operiert als Norm für alle, während Tugenden als Norm für die einzelnen gelten, die allerdings Modell für andere werden können (vgl. Wieland 2006)). Beides – die reine Proposition und das singuläre tugendhafte Verhalten – sind Initiativen, deren Wirkung völlig offen bleibt. Moral ist erst einmal Attitude und Anspruch. Prozessual meint man, mit moralischen Aufforderungen Resonanz oder Interferenz zu erzeugen bei anderen Akteuren, gleichsam als Aktivierung sozial gelernter moral behaviour. Das aber ist schwierig in modernen Gesellschaften, da einheitliche moral codes fehlen; wir haben es mit heterogenen Moralfrakta zu tun, die es den Gesellschaftsmitgliedern erlauben, nicht immer zu reagieren (weil sie z. B. eine andere moralische Disposition haben). Es ist nicht in Abrede zustellen, daß Individuen über Moral verfügen; die kulturkritische Vermutung des ,Wertverfalls‘ trifft nicht zu. Es gibt allerdings weniger gemeinsam interpretierte Werte, dafür um so mehr fraktionierte: mehr, aber divers (vgl. Priddat 1995b). Oder anderes: es gibt nicht zuwenig, sondern zuviel Moral, und damit ein Sinnausrichtungsproblem. Denn moderne Gesellschaften sind weder normativ homogen, noch ist Moral ein System (mit autologischen Systemeigenschaften). Moral, die als Angebot gerechter oder fairerer Ordnung gehandelt wird, ist selber nicht geordnet; Moral steht in Konkurrenz zu anderen Moralen. Die gewöhnliche moralische Kritik an der Ökonomie hält ihr vor, nur Nutzenoder Eigensinnkalküle zu betrachten, gerade spezifisch moralische Handlungsgründe aber außer Acht zu lassen. Diese Reduktion sei ,unmenschlich‘ im Sinne von: nicht dem Menschen als Ganzem gerecht werdend. Der Kritik ist insofern Aufmerksamkeit zu schenken, als moralische Anforderungen ein Indikator für Gerechtigkeits- und Motivationsprobleme sein können (Priddat 2007). Moral, die ja keine Handlungs-, Ordnungs- oder Interaktionstheorie aufweist, kann die auf-
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geworfenen Probleme kaum lösen, aber Hinweise geben für die Ökonomie, die Fragen in ihrem Kontext zu bearbeiten. In diesem Sinne ist Moral als begleitende indikatorische Kommunikation notwendig, aber überfordert, wenn sie einen disorder ordnen soll. Moral ist kein Handlungssystem und organisatorisch unreif. Sie braucht ein soziales Medium. Wirtschaftsethik versucht in dieser neuen Bedingungswelt zusätzliche Gründe für moral behaviour anzubieten, indem die moralischen Zwecke als ökonomisch relevant oder sogar vorteilhaft definiert werden. Man versucht so synthetisch zu operieren: moralische Gesinnung + ökonomischen Vorteil uno actu zu erreichen. In gewissen Bereichen ist das sinnvoll, in vielen aber führt das zu einem klareren Bewußtsein des dadurch erzeugten Dilemmas, ohne es, wie bevorzugt, moralisch auflösen zu können, weil die Umstände komplexer sind, als daß sie durch eine Maxime ordiniert werden könnten. Zudem sind alle moralischen Zwecke, die sich zugleich als ökonomisch vorteilhaft erweisen, nur eine Untermenge der möglichen moralischen Zwecke. Dennoch ist diese Sichtweise sinnvoll, da sie zeigen kann, daß viele ökonomische Zwecke effiziente Koordination sozialer Beziehungen erreichen können. Effizienz ist kein Selbstzweck, sondern ein spezifisches Ordnungskonzept, das Ressourcen für andere Handlungen schafft. Man darf nicht vergessen, daß die moderne Ökonomie eine emanzipatorische Rolle gespielt hat in der Geschichte, nämlich Entlastung von feudalen Machtgefügen und tradierten Normen, die die Freiheit der Individuen begrenzten. Der rational actor, den die Ökonomie als Akteurskonzept bevorzugt, ist, normativ betrachtet, ein freier Mensch. Er birgt noch das emanzipatorische Potential der Ökonomie der Aufklärung. Erst die kapitalinvestorisch wachsenden Märkte bringen Wohlstand für alle, wenn auch asymmetrisch verteilt. Durch die Konkurrenz, die erst einmal politisch erkämpft werden mußte, so Adam Smith’s Ursprungskonzept, begrenzen die modernen Märkte jeden Exzess. Die ,Habgier‘ der einen wird in der Konkurrenz durch die ,Habgier‘ der anderen limitiert (in moderater Anlehnung an Mandevilles ,private vices, public virtues‘). Erst als im 19. Jahrhundert deutlich wurde, daß Konkurrenz kein Automatismus ist, sondern selber der wettbewerbspolitischen Regelungen bedarf, und als die Schere zwischen arm und reich nicht nur größer, sondern politisch brisant wurde (soziale Frage, Revolution), begann man, normative Fragen wieder in den Vordergrund zu stellen. Die Frage der Moral wurde aber nicht moralisch, sondern wirtschaftspolitisch und ordnungsrechtlich reformuliert. Es geht um Regeln der marktlichen Konkurrenz (historische Schule der Nationalökonomie, älterer Institutionalismus, welfare economics). Methodisch kennt man zwei unterschiedliche Einführungen der Moral in die Ökonomie: 1. rational actors mit moralischen Restriktionen, 2. Institutionen, d. h. Akteure als Regelbefolger.
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Wenn wir (ad 1) den normalen ökonomischen Akteur grundsätzlich beibehalten, operiert Moral als Restriktion (z. B. als Metapräferenz). Rational actors sind so definiert, daß sie aus gegebenen Alternativen die beste wählen (rational choice). Wird Moral eingeführt, fungiert sie als Restriktion der gegebenen Alternativen: bestimme Alternativen sind moralisch tabu bzw. dürfen nicht gewählt werden. Die als frei und unabhängig geltenden rational actors werden zu normativ restringierten bounded actors (vorausgesetzt, sie binden sich moralisch freiwillig, weil sie bestimmte Verhalten ausschließen wollen). Die Handlungsfreiheit wird – freiwillig – eingeschränkt. In der modernen Institutionenökonomie (North 1992, 1995) wird diese Begrenztheit der Akteure methodisch anders gefaßt: Institutionen sind gemeinsam geteilte mentale Modelle des Verhaltens (shared mental models). Jeder kann erwarten, daß sich andere an die Regeln halten, so wie man sich selbst an die Regel hält (Erwartungsgleichgewicht). Institutionen wechseln das Verhalten von choice zu rule following. North arbeitet mit bounded rationaltiy: die Akteure sind von vornherein auf begrenzte Alternativen ausgerichtet; die Institutionen komplettieren diese Begrenztheit, indem sie für das Regelbefolgen klare Orientierungen setzen. In diesem Sinne sind Institutionen die ökonomische Form der Geltung von Moral: als Regeln, an die sich die Akteure halten (ad 2). Damit kann, über ein anderes Konzept, geklärt werden, warum sich die rational actors (ad 1) an die Restriktionen halten: so wie sie auf Märkten weiterhin frei entscheiden, binden sie sich parallel in den Institutionen an bestimmte moralische Regeln oder Normen. Sie sind dann aber – methodisch betrachtet – keine homogenen Akteurstypen mehr, sondern divided: multiple selves, die parallel in zwei Handlungswelten agieren, die sie person-intern koordinieren müssen. Deren Komplexität nimmt zu, wenn wir, wie oben skizziert, annehmen müssen, daß in modernen Gesellschaft Individuen gleichzeitig mehreren Institutionen angehören, d. h. verschiedenen, nicht ohne weiteres kompatiblen Regeln unterliegen. Es wäre falsch, hierzu anzunehmen, daß sie sich ihre Institutionen frei wählen können. Institutionen sind soziale Gebilde, deren Kontexte man nicht ohne weiters verlassen kann (was ihre relative zeitliche Stabilität ausmacht). Eher umgekehrt verkehren Individuen in verschiedenen Milieus oder Netzwerken; wenn sie in einem anderen Kontext agieren, folgen sie der dort geltenden Regeln bzw. Institutionen. Sie nehmen gleichsam eine andere Rolle an, auch eine andere Moral (wenn wir Moral als die Regeln der je anderen Institution anerkennen bzw. überhaupt Moral als informelle Institution). Moral ist kein homogenes Konzept, sondern diversifiziert in dem Sinne, daß Akteure je nachdem, in welchem sozialen Kontext sie sich bewegen, verschiedenen Institutionen zugehören. Faktisch bedeutet das, daß jede Institution ihre eigene, potentiell moralische Regel aufweist und daß moderne Individuen moralisch multipel ordiniert sind, ohne im jeweiligen Kontext in moralische Konflikte kommen zu müssen (denn im jeweiligen Kontext gelten wieder eindeutige Regeln). Problema-
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tisch kann es werden, wenn eine Moral die institutionelle Diversifikation dominieren will (was faktisch bedeuten kann, daß diese Akteure nur in engeren institutionellen Milieus handeln können = normative Enge). Moralische Konflikte treten auf, wenn in einem institutionellen Kontext nach den Regeln eines anderen verfahren werden soll (diese Ambivalenz soll klassisch das Gewissen lösen). Umgekehrt läßt sich schließen, daß moderne Gesellschaften das Problem der Moral insofern lösen, als sie es auf die verschiedenen Kontexte divers verteilen lassen, gleichsam in einer Art von moralischer Arbeitsteilung. Die Gesellschaft ist das ein Netz von diversen Institutionen (mit je diversen moralischen Regeln), innerhalb dessen die Akteure sich regelwechselnd bewegen. Man sieht leicht, wie problematisch es dann wäre, sie auf eine Moral festzulegen: sie würden dann von anderen Institutionen ausgeschlossen, d. h. ihre soziale (und wirtschaftliche) Beweglichkeit wäre eingeschränkt. Moral bildet, so betrachtet, ein Feld aus verschiedenen (informellen) Institutionen, innerhalb dessen sich Akteure bewegen können. Jede Institution dient bestimmten sozialen Regelungen, aber keine dominiert andere. Man wechselt die Ebenen / Institutionen aber nicht beliebig, sondern in Kommunikation mit Freunden, Familie, Bekannten, Kollegen etc. (Netzwerke). Die Geltung von Moral ist nur zum Teil intrinsisch (Haltung, Tugend, Gewissen etc.), zum Teil extrinsisch, d. h. davon abhängig, was in den Netzwerken als relevant und legitim erörtert, kommuniziert und fokussiert wird. Weil Moral als Anforderung an das Verhalten aller interpretiert wird, sichert man sich kommunikativ ab. Nur dort, wo individuelle Haltungen ausgeprägt sind, ist die Kommunikation weniger bedeutsam. Ausgeprägte moralische Haltungen aber sind in modernen Gesellschaften selten und deshalb nicht konstitutiv für das soziale Gefüge. Das steht nicht im Gegensatz dazu, daß Moral öffentlich intensivst erörtert wird: sie wird stärker kommuniziert, um sich zu versichern, was gelten soll und was nicht. Denn natürlich werden Vergleiche angestellt, welche Institutionen welche Regeln sinnvoll gestalten und welche nicht, und ob es besser wäre, Regeln aus einem Kontext auf andere zu übertragen. Regeln bzw. Institutionen sind nicht mehr einfach traditional legitimiert (insofern ist jeder Traditionalismus romantisch und ineffektiv). Gerade weil es die moral diversification gibt, wird mehr darüber diskutiert. Das macht den Anschein, daß Moral in der Öffentlichkeit eine größere Rolle spielt. Zugleich erweist sich daran, daß es eine größere Unsicherheit über die Geltung von Moral gibt. Eine Wirtschaftsethik als Reflexionsinstanz für begründete moralische Regeln ist eine intellektuelle Disposition, die geltungspraktisch häufig versagt. Es fehlt eine Theorie moralischer Medien. Gewöhnlich tritt Moral als frei geäußerte Proposition auf (oft in Form von behauptenden (assertorischen) Sätzen), als Kommentar zu einem Handlungskontext, der, moralisch ordiniert, die Ziele ändert. Dabei wird so argumentiert, als ob jedem sui generis einsichtig sein möge, dass die moralische Forderung Geltung bekommen soll, ohne Reflexion der damit einhergehenden moralischen Interessen. Denn assertorische Moral ist nicht ethisch reflektiert,
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inwieweit jeder einsichtig sein könne, sie befolgen zu sollen (als ob Moral nurmehr erinnert, was alle eigentlich tun sollen); gibt es kein pragmatisches Maß der Moralimplementation. Implizite werden Diskursmodelle in Anschlag gebracht, d. h. die moralische Assertation wird als gleichsam überzeugende Rede simuliert (davon zu unterscheiden sind die diskursethisch ausgelegten Moraltheorien, die (Apel, Habermas) nur solche Maximen gelten lassen wollen, die im idealen Diskurs Konsensus haben, d. h. denen jeder habe zustimmen können (ähnlich, wenn auch auf politische Arenen der Abstimmung begrenzt, James Buchanan (1984)). Eben das ist zu bestreiten: wer fordert Moral in welcher Konstellation, für wen? Wenn wir das implizite Diskursmodell reflektieren, haben wir es nicht mit allgemeingültigen (also gegebenenfalls von jedem erinnerbaren) Moralvorstellungen zu tun, sondern spezifischen Interventionen und Aufrufen, deren Geltung spezifisch geprüft werden muß. Moral hat Interessen (z. B. die, die jeweils gewünschte Moral allgemein gültig zu machen. Da wir uns in Felder moralischer Heterogenität bewegen, ist das, was allgemein gültig sein könnte, nicht a priori klar. Die institutionellen Lösungen definieren Regeln, die als strukturelles Äquivalent von Normen und Moral angesehen werden können. Aber die sozialen und Netzwerkkommunikationen können immer wieder neue Semantiken einspielen, die die Regelgeltungen zumindest irritieren wenn nicht ändern. Die im institutionellen Ansatz anvisierte Regel- bzw. Moralhomogenisierung bleibt durch die Kommunikationen volatil). Der Hinweis auf die fehlende Medientheorie der Moral meint dieses: hat der, der Moral fordert, soziale Reputation? In welchen Netzwerken findet welche moralische Argumentation welche Resonanz? Gibt es mediale Transakteure, die die Öffentlichkeit interpenetrieren können? Ist Moral ein issue, der im agenda setting der Medien Passung hat? Und wenn: welche? Welche Themen? Wer ist ansprechbar, d. h. moralisch erregbar? Möglicherweise haben wir es mit einer Affektenlogik zu tun (Ciompi 2004), in der Kognition und Affekte komplementär arbeiten. Mit der Folge, daß Moral als kommunikative Aufregung zu verstehen ist, die in nächsten Schritten rational abgearbeitet, d. h. institutional koordiniert werden solle. Die Öffentlichkeit wie die kommunikativen Netzwerke bilden gewisse linguistic communities (bzw. Sprachspiele), in denen semantische Standards ausgebildet sind, die thematisch jeweils aktiviert werden können. In diesem Sinne ist es konsequent, z. B. solche Themen wie wie CSR, corporate civilship, sustainibility, Transparenz, corporate integrity etc. als kommunikative Ereignisse zu inszenieren: Moral fungiert hierbei als medial erzeugte Resonnanz, die erst gelernt werden müsse. Medientheoretisch können wir sagen, daß Moral erst einmal Kommunikation und Generierung von semantischen Standards erfordert, die in die Netzwerke, in die Sprache der Öffentlichkeit übernommen, institutionale Qualität generieren und stabilisieren kann, wenn shared mental models entstehen, die für die Akteure handlungsleitend werden können. Es kommt letztlich darauf an, welche moralische Topik die Kommunikation entwirft. Meistens geht es um Gerechtigkeits- und daraus entspringende Verteilungsfragen (Redistribution).
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I. Social norms In der Spieltheorie, die rationales Verhalten immer in Hinblick auf das rationale Verhalten der anderen koordiniert, hat Kenneth Binmore das bargaining (bzw. negotiation) auf Märkten untersucht (Binmore 2005). Jede Verhandlung – und Märkte sind nichts anderes als viele parallele Verhandlungen, die zu Verträgen führen – unterliegt sozialen Normen. Er leitet sie als evolutive Erfahrungen der Gesellschaften her. Binmores Konzept ist eine interessante Variante der Klärung von Marktprozessen. Moral spielt als social norm eine konstitutive Rolle in der Vertragsbildung. Und zwar nicht über die jeweiligen Inhalte, sondern funktional: über die Geltung sozialer Normen, die die beiden Vertragspartner in ihren Verhandlungen teilen. In einem Interaktionswelt wie der spieltheoretischen gibt es keine frei und unabhängig agierenden rational actors, die nur ihren Vorteil maximieren, sondern das bilaterale Vertragspaar – zu einem Vertrag gehören immer zwei, wenn man so will, eine minimalsoziologische Bedingung der Marktökonomie – ist für ein Gelingen an Bedingungen geknüpft, die den eigenen Vorteil an den Vorteil der anderen knüpfen. Nur wenn beide einen Vorteil sehen (von Machtbeziehungen abgesehen), ist die Verhandlung erfolgreich, was einschließt, die Handlungsziele des anderen zu achten. Das ist eine moralische Dimension im weiten Sinne; je nach dem, welche social norm in Anschlag gerät, modifizieren sich die Verhandlungen. Basal sind Rechtsnormen (jede ökonomische Vertrag ist zugleich rechtlich konfundiert, in Form eines BGB-Vertrages), aber auch andere Normen spielen mit: welche Haftungen, welche Risikozumessungen, welche Fristen etc. gelten sollen und wie man im Konfliktfall miteinander umgeht (Toleranzen), welche kulturellen Habitus etc.). Je nach dem, welche Atmosphäre der Vertragsbildung (ihre Kultur, ihre Moral) gilt, entwickelt sich ein Vertrauen aus, das nicht nur Zugeständnisse machen läßt, sondern auch den Raum weiterer Vertragsmöglichkeiten eröffnet (als Momentum der Adam Smithschen sympathy), die im harten, nur auf eigene Vorteile bedachten Verhandeln nicht gewährt würden. Genauer betrachtet haben wir es mit einem 2-Phasen-Modell zu tun: in der Vertragsanbahnung agieren die Akteure rational abwägend, mit wem sie überhaupt vertraglich kontrahieren wollen (Konkurrenz um Dritte). Man kann jederzeit abbrechen und wechseln. Hat man sich auf eine Verhandlung geeinigt, und zeigen sich Überseinstimmungen der social norms, weicht die Konkurrenz der Phase 1 in ein eher kooperatives Bargaining der Phase 2, in dem man sich an Absprachen bindet. Konkurrenz wird zur Kooperation. Man kann natürlich weiterhin aussteigen, aber wirkt die Bindung, wechselt man nicht mehr, sondern lotet den so gemeinsam gefundenen Möglichkeitsraum aus – ein Vorgang, der unter Konkurrenz kaum möglich ist. Das nenne ich eine moralische Form von Verträgen: die Einigung besteht dann nicht mehr nur im rationalen Nutzenabgleich, sondern in der Generierung eines Vertrauensverhältnisses, das von Absicherung auf Ermöglichung umstellt. Das ist mehr als die nur rechtliche Gewährleistung
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von Verträgen (die als ex post-Auffangposition sowieso weiterhin gilt) (Priddat 2010a). Für den wirtschaftsethischen Kontext sind stabile Formen menschlicher Kooperation besonders zu wichten: Elinor Ostrom (Nobelpreis 2009) hat in ihren Arbeiten „über die spezifische Ökonomie von Gemeinschaftsgütern deutlich gemacht, wie moralische Regeln und informelle Institutionen als soziales Kapital Kooperationen auch dort noch stabilisieren, wo die ökonomische Analyse eigentlich ihren Zerfall voraussagen würde“ (Goldschmidt / Habisch 2010: Sp. 3; vgl. Ostrom 2006). Hierbei erzeugen die menschlichen Interaktionen über social norms nicht nur eine natural fairness, wie Binmore resultiert, sondern viable Formen von Solidarität, d. h. stabile reziprozitäre Gemeinschaftlichkeiten. Vertrauen wird normenkräftig und senkt die wechselseitigen Maximierungs- und Absicherungsanforderungen. Man kann diese Kooperationsformen als social contracts interpretieren, braucht aber einen erweiterten Vertragsbegriff, der das Grundmuster ökonomischer Vertragsbildung: wechselseitige Optimierung in Konkurrenz, aufhebt in ein neues Muster: vertrauensvolle committments über Spielräume toleranter Gewährleistung (Priddat 2010c). Hier läßt sich eine Basis für eine Wirtschaftsethik finden, die weniger das Verhältnis von Moral und Wirtschaft moderiert, sondern als Theorie der Bedingungen der Möglichkeit menschlicher stabiler Kooperation auftreten kann. Das scheint, im Rahmen einer Synopsis, ein gangbarer Weg zu sein. II. Verteilungen / Gerechtigkeiten Die ausdifferenzierte Welt der Wirtschaft hat, so wie sie marktsensibel ist, auch moralsensibel zu sein, um die Legitimation ihrer Operationen zu prüfen und gegebenenfalls zu ändern oder zumindest strategisch ins Visier zu nehmen. Die ethische Debatte überschätzt die Geltung von Moral, aber die Ökonomie (Ökonomen wie Manager) unterschätzen sie: wenn sie die moralischen Indikatoren nicht für relevant nehmen, sinkt ihre Beobachterqualität, damit ihre potentielle Reagibilität auf Kontext- und Marktänderungen. Moralische Regeln sind für Akteure insbesondere bedeutsam, wenn sie sich ungerecht behandelt sehen bzw. wenn andere Vorteile ziehen, für die sie sich auch berechtigt fühlen. Oder wenn sie Nachteile erfahren, die anderen nicht haben im selben Bereich. Arbeitnehmer reagieren mit Leistungsdemotivation, Kunden mit Kaufenthaltung oder -änderung. Inwieweit das ein kulturell eingebettetes Phänomen ist, bleibt noch forschungsoffen (kulturell differente Gerechtigkeitssemantiken). Umgekehrt arbeitet Moral in Wohlstandsgesellschaften als Anspruchstreiber: was den einen zugestanden wird (z. B. im verteilenden Sozialstaat), wollen andere auch bekommen. Die moralisch festgestellte Disproportionalität, als Gerechtigkeitslücke empfunden, führt zu Anspruchshaltungen, die als relative Kompensation deklariert sind, volkswirtschaftlich aber Kosten generieren, die die Gesamtheit der
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Steuerzahler tragen muß – mit neuen Disproportionen zwischen Zahlerkollektiv und Nutzerkollektiv bei öffentlichen Gütern, neben dem Phänomen des free riding (nicht zu zahlen, aber die Nutzung mitzunehmen: das Schwarzfahrerphänomen als die klassische Ungerechtigkeitskonstellation). Welfare-Fragen aber sind Fragen der politischen Ökonomie (Schefczyk 2005), die das wirtschaftsethische Problem als politisches der Abstimmung in Parlamenten reproduzieren muß. Hier finden wir Erörterungen in der constitutional economics bzw. generell der theory of public choice (berühmt Tullocks renst seekeing society (Tullock 2005), sonst vornehmlich J. Buchanan (1984)). Was der Markt an diesen Fragen nicht lösen kann, muß im demokratischen Abstimmungsprozedere über Mehrheitsentscheidungen geklärt werden. Der Konsensus, der hierfür erreicht werden kann, ist kein vollständiger, weshalb die regierende Mehrheit bedenken muß, wie die Abstimmungsunterlegenen zur (indirekten) Zustimmung animiert werden könnten durch die Ausführung der Gesetze. Man lernt, Rücksicht zu nehmen. Hier haben wir wieder eine moralische Form des Vertrages – diesmal eines social contract. John Rawls besteht darauf, daß es keine allgemeine Theorie der Gerechtigkeit (und Liberalität) geben kann, sondern lediglich eine rudimentäre Minimalkonzeption, die nur dann akzeptiert wird, wenn sie der gesellschaftlichen Gerechtigkeitsintuition entspricht, d. h. dem kulturell und historisch bedingten common sense. Die moderne Theorie der Gerechtigkeit klärt die Bürger über dieses „implizite Wissen“ auf, so daß sie bewußter in ihren Handlungen darauf reflektieren können – ohne Rückgriff auf besondere Ideologien, Konzeptionen des guten Lebens (kurz „Moralen“) oder Wertvorstellungen (Rawls 1972). Die Gerechtigkeitsgrundsätze lesen sich wie folgt: Wenn Interessen und „Moralen“ konfligieren, würden rationale Akteure nur dann „faire Gerechtigkeitsprinzipien“ wählen und Institutionen einer „fairen sozialen Kooperation etablieren, wenn sie in einer original position hinter dem „Schleier des Nichtwissens“ die Gelegenheit bekämen, unbeeinflußt von den „Moralen“ ihren unmittelbaren Interessen bleiben zu können, die ihnen den Konflikt bescherten. Rawls bestreitet, daß der zu erstrebende Grundkonsensus selber eine „Konzeption des Guten“ bzw. eine Moral ist. Die faire soziale Kooperation ist zwar eine moralische Konzeption, aber basiert nicht auf einer der in der Gesellschaft vorhandenen „Moralen“. Rawls gesteht zu, daß die liberale Gesellschaft in der politischen Gerechtigkeit der fairen sozialen Kooperation ein gemeinsames Ziel besäße, das aber nicht identisch sei mit einer „Konzeption des Guten“. Anstelle eines moralischen Konsensus wird der politische Konsensus gesetzt, der allerdings moralische Funktion übernimmt. Diese Theorien arbeiten mit social contracts als fiktiven Verträgen der Gesellschaft untereinander (modifiziertes Hobbes-Prinzip). Demokratie simuliert die permanente Vertragsbildung bzw. deren re-contracting (um die Spielregeln festzulegen, innerhalb derer die Spielzüge der Märkte operieren). Die Verträge sind Stellvertreter-Verträge; niemand aus der Bevölkerung ist tatsächlich beteiligt. Knut
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Wicksells Konsensprinzip läßt sich pragmatisch nur als Mehrheitsentscheidung durchsetzen (mit Kompensationszahlungen an unterlegene Minderheiten, um die Legitimation zu kaufen). Es geht nicht darum, effektiv zuzustimmen, sondern um zustimmungsfähig formulierte Stellvertreterargumentationen (der Entscheidungseliten). Dieses Konzept unterscheidet sich von der Diskursethik Habermas’ und Apels durch seine demokratiepragmatische Dimension: man verhandelt nicht so lange, bis alle Interessen ausdiskutiert sind, d. h. bis kein Veto mehr erfolgt. Beider Konzepte – Buchanans wie Habermas’ (Habermas 2006; Wieland 2007b) – unterstellen eine kollektive Vernunft, nur die einen pragmatisch als Ergebnis von politischem Bargaining, die anderen als Vernunft, die man durch Diskurs final bestimmt, indem man die transzendentale Bedingung der Geltung des Diskurses durch konsensforderndes Verfahren einhält. Die Moral ist in beiden Ansätzen Konstruktion, und zwar mehr oder minder von denen, für die sie als Regel gelten soll. Natürlich meint man eher grundsätzliche Fragen, da sie aber immer wieder in den Diskurs geraten können, können sie sich entsprechend auch immer wieder ändern. Rorty, in Interpretation von John Rawls, spricht von einem ,temporären kontingenten Konsensus‘, der in Demokratien allein erreichbar wäre (Rorty 1988: 1. Essay). Damit wird anerkannt, daß Moral, als Ergebnis kollektiver Übereinkünfte fungibel wird (es mag Grundtypen der Moralität geben, aber ihre Extension ist jeweils historisch). Social norms sind Festlegungen auf Zeit aus einem politisch-ökonomischen Verfahren, das mit den Marktverfahren nur bedingt abgestimmt ist. Die erforderliche Vernunft verlangt, die politisch lancierten Redistributionen mit dem Allokationseffizienzen des sie finanzierenden Marktes kongruent zu machen; dabei muß die Demokratie als ein permanent lernendes System verstanden werden, das die Moral der Politik belehrt, was sie letztlich nur fordern kann – ein tendentiell labiles Arrangement. Man sieht leicht, daß ein gewisser Regelkonservatismus (bzw. eine Pfadabhängigkeit von Institutionen) eine Trägheit einbringt gegen zu schnelle und wechselnde politische Anforderungen, als eine Art von Temperierung des Politik- / Wirtschaftssystems, die andererseits in der Gefahr der Machtfestschreibung steht. Diese Ambivalenz ist prozessual zu meistern. Was klassisch die Ideologien hierfür zu leisten versprachen, wird heute, im heterogenen Moralfeld, kommunikativ zu erledigen versucht. Politik wie Moral ohne Medienanalyse bleiben normativ flach. Moral hat eine eigene Dignität, die in Spannung zur Wirtschaft bleibt; allfällige Unangepaßtheiten müssen über kluge Abwägungen zwischen moralischer Normativität und ökonomischer Effizienz im Kontext divergierender Interessen geklärt werden, was ideal nie gelingt (allein wegen der in den Interessenorganisationen liegenden Machtasymmetrien), aber Anlaß für Regelmodifikationen erbringt, die neue Rahmen für den wirtschaftlichen Kontext setzen. Nur über solche Prozeßbeschreibungen, nicht durch normative Deklarationen, kann Moral sinnhaft im Spiel bleiben. Die wirtschaftsethischen Konzeptionen sind dann jeweils Argumente für die einzelnen Interessengruppen in der Moral / Ökonomie-Matrix, die insofern re-
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levant werden, wenn sie die Semantik der verhandelnden linguistic community bestimmen können bzw. zwischen verschiedenen Sprachspielgemeinschaften Brückensemantiken generieren, die orientierend werden. Was einer moralisch aktualisiert, wird nicht singulär durch die Moral, die er gerade verfügt, definiert, sondern durch den Kontext anderer Moralen und Einstellungen, und deren graduelle Distanzen oder Nähen. Die soziale Kommunikation sichert, über Rückfragen und Anlehnungen, das im Grunde imperfekte individuelle Urteil. Homo moralis ist ein homo imperfectus, der seine Unabgeschlossenheit oder Offenheit kommunikativ komplettiert: über die Semantiken der Öffentlichkeit, vornehmlich aber in seinen Netzwerken, die ihm die Gewähr bieten, reputativ nicht ins Abseits zu gelangen, wenn er deren codes übernimmt oder perpetuiert. Denn Moral hat die Eigenschaft, nicht etwas für sich selber zu tun, sondern für andere oder zumindest im Einklang mit ihnen. Deswegen wird moralisches Handeln auch sozial beobachtet und bewertet. Und man will positiv bewertet bzw. nicht sanktioniert werden.
III. Finanzkrise: Beispiel Nehmen wir ein aktuelles Beispiel. Wir neigen dazu, die Finanzkrise als Vertrauenskrise zu beschreiben. Die Anleger haben ihr Vertrauen in die Seriosität der Banken verloren. Der deutsche Bundespräsident, selber ein ehemaliger Banker, ruft die Branche zu mehr Demut und Anstand auf. Demut und Anstand sind eher moralische Begriffe. Oft werden auch Gier und Hybris als Ursachen der Finanzkrise ausgemacht. Damit wird unterstellt, daß es eigentlich ein Maß gäbe, das, eingehalten, die Krise nicht hätte entfalten lassen. Die moralische Kritik orientiert sich an Tugenden. Ist die Finanzkrise eine moralische oder Tugendkrise? Es scheint so, daß der Anreiz, schnell hohe Profite zu machen, die Haltung zu einer angemessenen (und risikokompetenten) Geschäftskultur unterhöhlt hat. Haben die Banker unmoralisch gehandelt? War übertriebene Profitgier ihr Motiv? Vielfach waren die Anleger selber extrem risikofreudig, aber nicht, weil sie unmoralisch oder tugendlos handelten, sondern weil sie die Profitversprechen der Anlageberater vor dem Hintergrund akzeptierten, die Bank sei so groß, also sicher. Nur vor dem Hintergrund dieser sublunar mitlaufenden Gewährleistungsmetaphysik sind die Risiken zu verstehen, die die Anleger eingingen: sie vertrauen der Kompetenz der Banker und der Gewißheit, große Häuser könnten gar nicht untergehen – ein Vertrauenszeichen hoher Dignität. Haben die Banker das Vertrauen mißbraucht? Karl Homann plädiert deshalb für mehr geregelten Wettbewerb: bestes Beispiel für ungeregelten Wettbewerb „sind die neuen Instrumente für den Finanzmarkt, die in den vergangenen Jahren auf den Markt kamen und naturgemäß noch keinem
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geeigneten Regelsystem unterlagen, zum Teil dienten sie wohl auch dazu, sich den bestehenden Bilanz- und Kontrollregeln zu entziehen. Diese neuen Produkte dienten im Wettbewerb wie nicht anders zu erwarten allein dazu, Rendite und Wachstum zu steigern. Und ihr Erfolg sorgte für den entsprechenden Druck auf die Konkurrenz: Es blieb dem einzelnen Bankvorstand gar nichts anderes übrig als mitzumachen. Andernfalls wäre er entlassen worden, mit der Begründung, daß er die Chancen des Marktes nicht erkannt habe. Der scharfe Wettbewerb unter unzureichenden Regeln führte also in die kollektive Irrationalität, zum Zusammenbruch des Systems – und nicht ein irrationaler „Herdentrieb“. Vermutlich hat manch ein Banker diese Folge vorhergesehen, konnte aber als einzelner unter dem Druck des Wettbewerbs nichts dagegen ausrichten (Homann 2009). Das ist die besondere Paradoxie der Finanzkrise: weil man vertraute und glaubte, unterschätzte man das Risiko. Weil man das Risiko unterschätzte, wirkte sich das Vertrauen, die eigentlich hochwertige moral relation, als Krisenverstärker aus. Vertrauen, eines der Beschwörungszeichen guter Wirtschaft, ein Gewährleistungsgarant, als Verstärker der Finanzkrise? So sehr ein Anleger als ,gierig‘ erscheinen mag: seine Gier ist keine Charakterschwäche, sondern angebotsgetrieben, durch die Kommunikation vertrauenswürdiger Akteure der Banken, auf deren Urteil man sich bisher immer verlassen konnte. Der Entschluß der Anleger, auf hohe Renditen einzugehen, entsteht im Vertrauensraum – ein sozialer Raum wechselseitiger Anerkennung, in dem sehr auf das Gute gehofft wird, weil man alles andere zu erwarten – vertrauensvoll gläubig – ausblendet. Erst auf dieser moralischen Basis scheinen die hohen Renditeangebote als legitimiert. Man geht nicht natürlich ins Risiko; es braucht eine Atmosphäre des Vertrauens und des Glaubens, daß dieses Vertrauen auch angesichts neuer Wachstumspotentiale gerechtfertigt ist. Alle Zeichen sind positiv. Auf Vertrauen kann man nicht mehr vertrauen, lautet die Quintessenz, sondern muß es sich ständig wieder erarbeiten, bestätigen lassen, Signalsysteme haben, die darüber aufklären, wie der mögliche Vertrauensstatus ist etc. Vertrauen wird ein kommunikativer Prozeß, keine Eigenschaft, die dem Charakter von Personen zugeschrieben werden kann. Man muß interpretieren lernen, Zeichen deuten. Das ist neu: daß Vertrauen kein Zeichen in sich selbst mehr ist. Es entsteht die Paradoxie des vertrauenslosen Vertrauens. Man kann vertrauen, muß aber aufmerksam sein, welche Zeichen darauf hin deuten, nicht mehr vertrauen zu können (das gilt für Moral schlechthin: sie ist kein eindeutiges Zeichen des Guten, sondern muß interpretiert werden. Was sie leistet? In welcher Situation? Wem? Und was sie verhindert? Und ob es das, abgewogen, wert ist). Vertrauen verliert seine institutionalen Qualitäten und verlagert sich, als reproduktiver Prozeß, in die Kommunikation. Vertrauen verliert seine alteuropäische Stabilisationsgarantie. Wir vertrauen nicht mehr erprobten, ausgewählten Vertrauenspersonen oder Vertrauensmechanismen, sondern wir vertrauen sehr viel mehr und sehr viel schneller unbekannten
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Personen oder Mechanismen, die uns hoch divers und hoch projektspezifisch angeboten werden. Das ist in einer auf Innovation gepolten Gesellschaft und Wirtschaft nichts Ungewöhnliches. Nicht mehr das über lange Zeit ausgebildete Vertrauen ist maßgebend, sondern ein Vertrauen, das in kurzer Zeit gebildet werden kann: über besondere Zeichenbildungen, Markierungen, Auszeichnungen, Kommunikationen. Das scheint in der Finanzkrise einerseits gelungen zu sein: die sich ausweitende Kommunikation der positiven Zeichen – der Signifikantenketten –, zum anderen aber haben wir es mit overconfidence zu tun, einer Überbewertung der Vertrauensbeziehungen der Anleger zu ihren Beratern: ein Rückfall in vormoderne trust-relations. Dies zweite ist bedeutsam: die Akteure haben, indem sie vertrauten, die Modi verwechselt. Sie haben eher klassisch vertraut, obwohl sie in einer modernen Situation ein modernes, taktisches Vertrauen hätten aufbieten müssen. Sie haben die semantische Verschiebung altes / neues Vertrauen nicht mitbekommen. In einem gewissen Sinne sind sie in der Post-Moderne der Ökonomie nicht angekommen. Daß sie den alten Zeichen vertrauten, war ausbeutbar von den Taktikern der Finanzmärkte, die in den strukturierten Papieren eine Komplexität einführten, die sie selber nicht beherrschten. Jemandem etwas zu verkaufen, das man selber nicht einschätzen kann, ist möglicherweise betrügerisch, möglicherweise aber ein Ausnutzen der Differenz zweier moral rules (alte und neues Vertrauen), die beide gesellschaftlich legitim sind. Auch Moral hat eine Modernisierungsgeschichte: deshalb haben wir es mit asymmetrisch bzw. asynchron verteilten diversen Moralen zu tun in einer Gesellschaft. Auf alle kann man sich berufen, aber in welchem Kontext auf welche? In diesem Kontext wird Vertrauen vorschnell als moralische Kategorie erinnert: Begriffe wie Ehrbarkeit, Zuversicht, Treue etc. werden memoriert und als Zulassungskriterien für das unbedingte Vertrauen aufgerufen. Neben der neuen Dimension des glücksverheißenden Wachstums der Wirtschaft – die financial markets waren die neuen Wertschöpfungsarenen – kommt eine alte Dimension zum Zuge: wir vertrauen Personen, die uns bisher immer gut beraten haben, in völliger Verkennung der Systemeigenschaften des Kapitalismus. Die Investoren legten Erwartungen an die Personen, die diese nicht erfüllen konnten (cultural dissonance). Sind andererseits die Banker, die diese hohen Renditen anbieten, unmoralisch? Sie vertrauen ebenfalls: und zwar dem System. Nur so läßt sich erklären, daß sie ihre jeweilige Kompetenz, Chancen und Risiken angemessen einzuschätzen, beiseite drängten. Sie glaubten an eine kulturelle Änderung des Kapitalismus, der, endlich bei sich angekommen, ein neues Reich der Mehrwertschöpfung kreiert hatte, das goldene Zeiten versprach. Daß dieses Vertrauen in eine segensbringende Zukunft so ausgeprägt aufschäumte, ist das eigentlich interessante Kulturphänomen (nachdem wir es in der new market-Internet-Krise um 2000 ja bereits schon einmal erlebt hatten). Ich nenne dieses Phänomen ,normative Erwartungsdogmatik‘: das Wachstum, die Wertschöpfung habe zu geschehen! Der ,kollektive Irrsinn‘ erzeugt eine eigene
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Prognostik, in der alle Zeichen auf Prolongation stehen. Sie unterliegt einem naturalistischen Fehlschluß: vom Sollen wird auf das Sein geschlossen. Man kann auch von einem ,Wahn‘ reden: jeder bestätigt sich und andere, daß die Entscheidungen, diese Märkte zu forcieren, richtig, sind – weil alle diese Entscheidungen forcieren. Gegen eine solche self fulling prophecy anders zu entscheiden, bedarf einer Unabhängigkeit, die in solchen Situationen wagemutig genannt werden darf. Vor allem läuft hier ein neues System, das Michael Hutter als „Herstellen von Erwartungsprodukten durch die Finanzwirtschaft“ bezeichnet (Hutter 2010: 104). Über die Derivate etc. werden Gewinne, die zukünftig projektiert sind, schon jetzt realisiert – und bei anderen, als die, die sie erzeugen (wir haben es mit einer Art von Umverteilung von Zukunfts- bzw. Erwartungswerten in die Gegenwart zu tun). „Das Umschalten von Vergangenheitswerten auf Zukunftswerte birgt Schwierigkeiten, die wir noch nicht kennen“ (Hutter 2010: 108). In dieser terra nova der Wirtschaft Regeln zu implementieren – moralisch konfundierte oder andere – bleibt riskant, da wir die Gegend, ihre Mechanismen und Valenzen nicht kennen und – als auto-emergentes Phänomen – nicht kennen können; der Finanzsektor wird von seinen eigenen, internen Ereignissen abhängig (Hutter 2010: 104 f.). Was in solch einem hohen Maße kommunikationsreagibel ist, wird jede moral intervention als Moment seiner Dynamik integrieren. Es geht nicht mehr darum, klassische ökonomische Ereignisse finanzmarktlich zu bewerten, sondern jedwelche Ereignisse, die das System tangieren (das wiederum entscheidet, was es tangiert). In diesem Sinne – aber das erst nur eine erste Idee – sind die moral communications, die am Rande der Wirtschaft aufkommen und zum Gegenstand der ,Wirtschaftsethik‘ werden: CRS, corporate citizenhip, moralische Ökonomie etc., nurmehr weitere Ereignishorizonte, die der Finanzmarktdynamik Anlaß für weitere Differenzierungen von Erwartungsprodukten sind (so wie die nächsten Zertifikatebatterien am Thema ,Klima‘ sich ausrichten, without or within moral, as You like). Diese Sichtweise ginge konform mit der Analyse der Moral als Kommunikationsoperator, deren normative Funktion der Sinnregulierung für die Finanzmärkte in Erwartungsprodukte übersetzt wird. Damit wäre Moral doppelt codiert: als Moral und als Topoi der Finanzmärkte. Das Vertrauen ist eine Institution, die die Skepsis ebenso ausblendet wie eine rationalere Risikoeinschätzung. Vertrauen funktioniert – als Institution – wie eine Regel, der man unbefragt folgt. Vertrauen ersetzt keine Moral, bekommt aber die Rolle eines Äquivalents: man vertraut, weil man das im Vertrauen ausgeführte Handeln für legitim und rechtfertigbar hält, ohne es vor sich selber rechtfertigen zu müssen. Es ersetzt die eigene Urteilskraft, hat als Regel eine eigene normative Kraft: ,es wird schon richtig sein‘, denn ,alle tun es ja‘. Wir unterschätzen leicht diese soziologische Dimension. Alle beobachten sich untereinander, wie sie handeln, und kopieren das, was sie beobachten, solange es nicht irritiert. Die Regel, die sich durchsetzt, verstärkt das kopierende Verhalten. Man vertraut schlicht dem, was alle machen.
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Man sieht nach alledem, daß wirtschaftsethische Überlegungen nicht ausreichen, um des Phänomens habhaft zu werden. Die Dynamik der Prozesse wäre durch moralische Regeln nicht aufzuhalten gewesen. Das ganze System schwingt sich auf Zustände ein, in denen individuelle Moral nur bedeutet hätte, auszusteigen, d. h. die Karriere zu opfern. Aber auch die Anleger würden, als moral men, zu fragen sein: hättet ihr, aus Vorsicht, verzichten wollen, anzulegen? Das Vertrauen, das wechselseitig herrschte, ließ Fragen des Risikos unterbelichtet. Umgekehrt könnte man eine ,ökonomische Moral‘ in Anschlag bringen: wer solche Risiken eingeht, muß auch die Verluste auf sich nehmen. Der moralische Bewertungsansatz trägt nicht in dynamischen Systemen; eine andere Regel greift besser: die Eigentumsregel. Für die privaten Anleger bedeutet es: es ist eine Illusion, bei hohen Profiterwartungen zu glauben, daß sei nicht riskant. Wenn man aber riskante Anlagen eingeht, muß man so positioniert sein, daß man den Verlust gegebenenfalls aushalten kann (es sei denn, Betrug wäre nachzuweisen (was der Fall ist, wenn Banken explizite nicht auf das Risiko von Anlagen hingewiesen haben)). Für die Banken bedeutet es, daß sie für das Handeln ihrer Angestellten verantwortlich sind, d. h. für Verluste haften, gegebenenfalls mit einer Insolvenz. Würden sie das einkalkulieren müssen, würden sie weniger riskant operieren. Die eigentumsrechtliche Irregularität liegt darin, daß die Banken den Staat als ,lender of last resort‘ ansehen, der sie nicht untergehen läßt. Lehman war ein unerwarteter Schock (und hat sich nur bei kleineren Banken wiederholt). Die bei den Banken durch die Sicherungsgewährleistung erzeugte strukturelle Unverantwortlichkeit läßt Risiken nicht so bewerten, daß die eigene Bank davon betroffen sein müßte. Man handelt unbedenklicher. Durch Aussetzung der Eigentumshaftung wird eine feed-back-Schlaufe des Wettbewerbssystems gelöst. Die Staatsgewährleistung liegt darin begründet, daß Geld kein Privatgut ist, sondern letztlich eine öffentliche Infrastruktur: ein spezifisches public good. Folglich sind sind Banken keine rein privaten Unternehmen, sondern stehen in einem PPP-Verhältnis (private public partnership). D. h. daß sie nicht nur einer staatlichen Bankenaufsicht unterliegen, sondern selber eine volkswirtschaftliche Agentur sind, kein rein betriebswirtschaftliches Unternehmen. Sie haben einen gesellschaftlichen Dienstleistungsauftrag, die Wirtschaft mit Krediten versorgen. Andere Geschäfte sind womöglich mit diesem Auftrag nicht vereinbar. Bei den faktisch geringen Eigenkapitalquoten wird zudem die Frage virulent, inwieweit die Manager der Banken für das eingelegte Fremdkapital im Grunde verantwortlicher sind, als sie es durch ihre Verhalten bewiesen haben. Deswegen werden zur Vermeidung weiterer Finanzkrisen nicht die Banker aufgefordert, moralischer zu handeln, sondern Regeln erstellt, die das Eigenkapital der Banken verpflichtend erhöhen, die Boni der Manager limitieren oder gegen Verluste verrechnen lassen, Eigengeschäfte verboten werden etc. (vgl. Siebert 2008). Das sind institutionelle Regulationen, die, wenn man so will – ganz im Sinne K. Homanns – Moral institutional einführen, nicht individuell.
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Das Vertrauensthema ist komplexer. Wahrscheinlich hat das Vertrauen, das wir zu den positiven moral ressources zählen, die Finanzkrise verstärkt. Vertrauen hat das eigene Urteilsvermögen, zumindest den Risikoteil, getrübt. Hier zu raten, skeptischer zu sein (oder klassisch rational, d. h. Kosten und Nutzen tatsächlich abzuwägen), ist ein Rat gegen abstrakte Moral (der in diesem Fall heißt, dem Vertrauen nicht zu vertrauen). Doch helfen hier, wie man geschichtlich weiß, keine Maximen; die Anleger werden sich wieder in riskante Optionen stürzen. Ihre Netzwerkkommunikationen werden sich wieder aufschaukeln, vielleicht wird sich aber über eine Serie von Krisen (dot-com 2000; Finanzkrise 2008 / 09 und demnächst?) eine andere Risikosemantik einbürgern. Die große Frage: mehr Sicherheit oder mehr Wachstum, stellt sich bisher für die Ökonomie noch nicht wirklich. Die Antwort wird aber nicht die Wirtschaftsethik liefern, sondern eine neue Risikobewertung von Futures und Optionen bzw. von Investitionen insgesamt. Die moralische Kritik: Gier, Hybris, Verantwortungslosigkeit etc. trifft nicht den Handlungskern in ökonomischen Systemen. Moral setzt voraus, daß es anerkannte Regeln gibt, die zu ignorieren allen anzeigen, daß hier erwartete Verhaltensmuster ungültig sind, weil sie andere schädigen oder unbillig übergehen. Wenn die Regeln als Handlungsgewohnheiten oder informelle Institutionen kulturell ausgeprägt sind, können wir nicht erwarten, daß das individuelle Gewissen moralisch schlägt, oder daß ältere Tugendkataloge aufgeblättert werden, um Einhalt zu gebieten. Solche moralischen Regeln haben keine systematische Geltung, auch wenn sie individuell vorkommen. Deshalb sind Vorschläge wie ,Demut‘, Anstand‘ oder generell ,Moral‘ zwar Erinnerungsposten an ideale Verhaltensmodalitäten, treffen aber nicht den Kern gelebter Geschäftskulturen. Moral wird kommuniziert, wenn diese Kulturen abbrechen; Moral hat dann Indikatorfunktion, sie weist auf Verhaltensunklarheiten, ohne selber Klarheit zu schaffen (Priddat 2007).
IV. Ausblick Wir haben wesentliche Ausschnitte der wirtschaftsethischen Diskussion vorgetragen. Es bleibt ein Spannungszustand, an dem wir aber klären konnten, daß eine moralische Disposition der Wirtschaft – bis hin zum Vorwurf eines unmoralischen Systems – die Frage der Organisation von Wirtschaft und ihrer Leistungspotentiale unklar läßt, daß sich die Wirtschaft aber auch keine Ignoranz von Moral leisten kann, da sie entweder in das Risiko gerät, dann politisch ordiniert zu werden, oder aber ihre Legitimation zu verlieren (market failure). Politik und Wirtschaft sind enger verknüpft, als es die gewöhnliche ökonomische Theorie wahrhaben will, die ihre idealen Konkurrenzmarktmodelle empfiehlt. Die Konkurrenz herzustellen bzw. zu gewährleisten, bleibt eine perennierende politische Aufgabe, ob die Politik es nun angemessen leistet oder nicht (failure of the state). Moral ist ein Argument in diesem Spannungszustand. Moral hat kein eigenes System (außer dem Mythos einer eigenständigen Positivität. Gemessen aber an dem, was sie ge-
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sellschaftlich und wirtschaftlich organisieren würde, bleibt ihr Potential bescheiden: sie ist auf institutionale Umsetzung von Recht, Wirtschaft, Politik etc. angewiesen1). Niklas Luhmanns Skepsis, ob ,Wirtschaftsethik‘ überhaupt methodisch gerechtfertigt werden können (Luhmann 1993), läßt sich nicht auflösen in eine general theory, in der Wirtschaft und Ethik integriert sind (auch wenn die HomannSchule in dieser Richtung argumentiert).2 Daß Moral kein eigenes System ist, erweist sich gerade dann, wenn sie nicht assertorisch, als Aufforderung vorgetragen, und praktisch wird. Effektiv wird sie, wenn sie unmittelbar, am ,Nächsten‘ ausgeübt wird, d. h. wenn moralisches Handeln den Kontext der anderen Anforderungen dominiert, weil man in Abschätzung der Lage meint, nicht nur moralisch handeln zu sollen, sondern es auch zu können. Der moralische Handlungsimpuls wird dann in ein lokales Gleichgewicht integriert, das den Konsequenzenraum eher abgeschätzen kann. Auch Moral will effektiv sein, was nur embedded gelingen kann: in Einbettung in die Systemanforderungen, die zu überschreiten sie anerkennen muß. Dazu bedarf es praktischer Urteilskraft. Ein Problem der Moral ist ihre angemaßte Generalität: daß alle sie befolgen sollen. Für ihre Effektivität reicht es, wenn die sie befolgen, die sie befolgen wollen, mit dem Ergebnis lokaler Gleichgewichte. So bilden sich Interaktionsmuster, die evolutiv entfaltet werden können. Um es pointiert zu sagen: bei Moral geht es nicht um Menschheitsprobleme, sondern um soziale Lösungen mit den Nächsten, d. h. mit jenen, die sozial erreichbar sind. Moral birgt somit eine spezifische Spannung: daß sie allgemein gelten soll, aber nur konkret effektiv wird. Ihr 1 Oder, wie J. Wieland es konzipiert, auf anreizsensibles Wertemangement in Unternehmensorganisationen (Wieland 2004, 2007b). 2 Vgl. neuestens Pies 2009, der eine ,Ordonomik‘ begründen will, in der Moral als Produktionsfaktor operiert. Letztlich haben wir es mit einer modernisierten Ordnungstheorie zu tun, die in der Tradition des Ordoliberalismus steht. Man redet nicht mehr von dem einen Markt, sondern sieht ihn institutional differenziert, d. h. als ein Geflecht von differenten Anreizsystemen, die innerhalb ihrer jeweiligen Arenen so viel Markt wie möglich sichern sollen. Es erinnert an Walter Euckens ,Interdependenz der Ordnungen‘; Goldschmidt / Habisch verweisen auf den zivilgesellschaftlichen Prozeß, der – neben Staat und Markt – als dritte Kraft historisch immer wieder neue institutionelle Arrangements generiert, deren Ursprung oft im moralischen Engagement einzelner zu finden ist (Goldschmidt / Habisch 2010). Hier wird nun wiederum ein anderer Ordnungstypus angesprochen, der nicht auf hierarchisch gesteuerten Anreizen beruht, sondern auf Selbstorganisation und motivationaler Emergenz (soziale Bewegungen, Nichtregierungsorganisationen, social entrepreneurship (vgl. Ladeur 2000)). Ob man dies noch als Ordnung verstehen will, muß offen bleiben. Ob das Ethische überhaupt ,ordentlich‘ ist im Sinne einer Ordnungsherstellung, muß ebenso offen bleiben; in meiner Indikatorkonzeption tritt die Moral als produktive Störung des soziale Gewohnten auf. Man darf den Wunsch nach Ordnung, der der Assertorik der Moral einwohnt, nicht mit ihrer Funktion verwechseln: faktische Ordnungen zu reflektieren, ohne selber Ordnungen entwerfen zu können, die viabel sind. Diejenigen Politiken, die sich historisch als moralisch ordiniert ausgaben, waren nicht zufällig Zwangsherrschaften. Die historische Antwort auf solche Monogamien war der Liberalismus, der das Zusammenspiel vieler Moralen koordiniert wissen will, aber nicht geordnet. Ordnungspolitik ist eine deutsche Erfindung, die ein gehöriges Moment von Staatspaternalismus birgt. Deswegen ist diese Konzeption womöglich nicht mehr à jour.
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Versagen beruht häufig darin, wegen der angestrebten Allgemeinheit das konkrete moralische Handeln als zu unwichtig anzusehen und gar nicht zu beginnen. So läuft sie leer, verbleibt im Modus des ,bloßen Geredes‘, was dann den Anschein ihrer Irrelevanz verstärkt. In einem erweiterten Sinne ist Moral ein Argument in den diversen Diskursen wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Art. Und zwar unabhängig davon, wie Moraltheorien bzw. -philosophien argumentieren; sie liefern nur Ausfeilungen der Argumente, die im social discourse relevant werden. Was aber davon relevant wird, bleibt je offen. Manchmal gelingt es den Theorien, das Vokabular zu ändern und semantisch wirksam zu werden. Andererseits: Moral ist ein fait social. Empirisch können wir Gerechtigkeitsempfinden, fairness-Vorstellungen und Altruismus nachweisen. Wann das je gilt, bleibt offen, da es sich im Konflikt mit anderen Regeln und Maximen befindet. It depends. Die relativen Geltungen sind situativ-kontextuell, d. h. urteilsabhängig. Wir können das eine hybride Form nennen. Wirtschaft, Gesellschaft, Recht haben ihre Handlungsfelder, in die Moral partiell interveniert, qua Diskurs und Kommunikation, um Grenzen neu zu justieren, Foki neu zu bilden, Indikatoren zu liefern für Änderungen etc. Moral selber setzt nichts pur. Immer steht ihre Anforderung im Vergleich mit den Systemanforderungen. Aber Moral setzt Zeichen, die zu ignorieren negative Konsequenzen haben kann. Insofern ist der moralische Diskurs ein Diskurs über die Änderungsbedarfe und Verschiebungen, die der Gesellschaft und ihrer Wirtschaft laufen. Das zu notieren ist eine Kompetenz, die in der Wirtschaft noch schwach ausgeprägt ist. Deshalb ist die Wirtschaftsethik ein Diskurszusammenhang, der dafür sensibilisiert. Aber alles, was dort indiziert wird, muß letztlich ökonomisch, politisch, sozial oder rechtlich übersetzt werden. Wirtschaftsethik, obwohl sie so auftreten mag, ist keine eigene Disziplin, die die Ökonomie ersetzt oder dirigiert. Moral leistet die Achtsamkeit, daß Menschen nicht vergessen, sich als Menschen zu begegnen. Aber sie leistet deswegen allein keine bessere Gesellschaft oder Wirtschaft. Das muß, übersetzt, als Gesellschaft oder Wirtschaft konfiguriert werden. Wirtschaftsethik kann deshalb als humanisierender Impuls gelten, als eine konstruktive Störung der Systeme ad hominem. Nicht aber selber als System.3
3 Als spezifische Form der Wissenschaft wäre eine Wirtschaftsethik eher nur als Theorie der Bedingungen der Möglichkeit menschlicher stabiler Kooperation zu verorten (vorbildlich im Grunde E. Ostrom 2006, ohne daß sie sich als Wirtschaftsethikerin verstünde. Ähnlich der normative Impuls bei Homann, Pies, Wieland etc., die die institutionellen Arrangements ventilieren). Das heißt nicht, daß eine Ethik damit aufgegeben würde; die aber ist ein Momentum der Philosophie, die nicht in Modellen denkt, sondern in Reflexion jeder Selbstverständlichkeit, auch der der Wissenschaften. Philosophie ist keine Wissenschaft, sondern deren kritische Instanz (so wie sie kritische Instanz ihrer eigenen Reflektionen ist). In diesem Geist ist diese Synopsis geschrieben.
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Summary The relation of economics, business and ethics becomes scientific relevance since the 90th of the last century. These are many different conceptions, we can list in three main categories: 1. incentive-compatible conceptions, 2. discourse-oriented conceptions und 3. even more pragmatic ones. The incentive oriented conceptions deal with institutional rules to guide behaviour; it is the most prominent approach, relating politics and economics (or, in the market field, with governance-approaches of firms). The discourse-oriented conceptions are reflecting normative constitutions of the political-economic process. The pragmatic approaches are divided in different issues: from CRS to ecological themes. Modern societies are living with heterogenous moral resources, so we have to be aware of moral competitions and diversity of rules / institutions. The institutional approach believes in a certain homogenisation of shared mental models to install some order and regulation of behaviour. But there is no guarantee because of the floating moral communications (in society and in networks). Society is transforming form classical moral order to moral communication, with a higher ability of moral issues, but also with higher contingencies of moral sustainability. Economic ethics continues to be an open field of conceptualizations, with a certain focus on the analysis of structures of cooperative interactions. But ethics has no system; moral must be translated in economic, legal and social processes as media of moral processing.
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Markt und Staat als Bedingungen der Civitas Humana Gemeinsamkeiten zwischen der Christlichen Soziallehre und Wilhelm Röpke (1899 – 1966) Manfred Spieker
Wilhelm Röpke wurde am 10. Oktober 1899 in Schwarmstedt in der Nähe von Hannover in einer Arztfamilie mit lutherischer Tradition geboren. Er studierte an den Universitäten Göttingen, Tübingen und Marburg Nationalökonomie. Nach seiner Habilitation in Marburg wurde er am 1. Oktober 1924, wenige Tage vor seinem 25. Geburtstag, mit der Berufung an die Universität Jena der jüngste Professor in Deutschland. Er wechselte 1927 an die Universität Graz und 1929 an die Universität Marburg. Knapp drei Monate nach ihrer Machtübernahme entließen ihn die Nationalsozialisten am 25. April 1933 als einen der ersten Professoren der Universität Marburg, weil er sich als Gegner des Nationalsozialismus und als Verteidiger eines zum Selbstmord getriebenen jüdischen Kollegen einen Namen gemacht hatte. Er entzog sich einer Verhaftung, indem er im September 1933 einem Ruf an die Universität Istanbul folgte, die vom Gründer der laizistischen Türkei, Kemal Atatürk, als westlich orientierte neue Universität errichtet worden war. Ende 1937 folgte er einem Ruf auf eine Professur für internationale Wirtschaftsfragen an das Institut in Genf, an dem der Diplomaten- und Beamtennachwuchs für die nach dem ersten Weltkrieg gegründeten internationalen Organisationen ausgebildet werden sollte. Hier blieb er trotz mehrerer Versuche, ihn nach dem Ende des HitlerRegimes zur Rückkehr nach Deutschland zu bewegen, bis zu seinem Tod am 13. Februar 1966. Aber auch in seiner Genfer Zeit war er wie schon Ende der 20er Jahre ein viel gefragter Gutachter und Berater der deutschen Politik. Er unterstützte Erhards Währungsreform und die Freigabe der Preise 1948, die am Anfang des wirtschaftlichen Wiederaufstiegs Deutschlands standen, und er teilte Adenauers Präferenz für die Westintegration der Bundesrepublik zur Abwehr des Kommunismus. Wilhelm Röpke gilt als einer der großen ökonomischen Denker des 20. Jahrhunderts und zusammen mit Walter Eucken, Alexander Rüstow, Franz Böhm, Alfred Müller-Armack und Ludwig Erhard, dem späteren Wirtschaftsminister und Bundeskanzler, als einer der Väter der Sozialen Marktwirtschaft, jener Wirtschaftsordnung, die in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg die Grundlage eines beispiellosen wirtschaftlichen Aufstiegs, sozialen Friedens und politischer
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Stabilität wurde. Er war trotz seines Verbleibens in Genf der „kongeniale Intellektuelle der Ära Adenauer / Erhard“.1 Er war weit mehr als ein Nationalökonom. Er war ein Gesellschaftstheoretiker, der die Kompetenz des Wirtschaftswissenschaftlers mit der des Soziologen und des Philosophen vereinte, der als Lutheraner die Soziallehre der katholischen Kirche kannte, schätzte und immer wieder zitierte und der eine ungewöhnlich reiche publizistische Aktivität entfaltete, die neben seinen Büchern ungezählte Artikel in verschiedenen Sprachen und Ländern, vor allem in der Neuen Züricher Zeitung, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und im Rheinischen Merkur umfasste. Er gilt heute als „Pionier einer kulturellen Ökonomik“.2 Seine Gesellschaftstheorie entwickelt Röpke in drei Büchern, der berühmten Trilogie „Die Gesellschaftskrisis der Gegenwart“ (1942), „Civitas Humana“ (1944) und „Jenseits von Angebot und Nachfrage“ (1958), seinem bekanntesten Buch, dessen Titel geradezu ein geflügeltes Wort wurde. Die beiden ersten während des Zweiten Weltkrieges geschriebenen Bücher enthalten den Entwurf einer Gesellschaftsordnung für die Zeit nach der Hitler-Diktatur und eine radikale Kritik der totalitären Gesellschaftsmodelle des Nationalsozialismus und des Kommunismus, aber auch immer wieder eine Kritik der Tendenzen zur Konzentration der ökonomischen und politischen Macht in den „kapitalistisch“ genannten westlichen Industriegesellschaften, die den Markt zerstören, den Staat überfordern und die Gesellschaft lähmen. Rolf Hasse und Joachim Starbatty würdigen diese Bücher als „Zeichen der Hoffnung und der Ermutigung“ im Dunkel der nationalsozialistischen Tyrannis.3 Röpke formuliert „die Gründungsprinzipien der Bundesrepublik: Marktwirtschaft, Föderalismus, Westbindung“.4 In „Jenseits von Angebot und Nachfrage“ setzt er sich in einer teilweise sehr pessimistischen Perspektive mit der Entwicklung der westlichen Industriegesellschaften im ersten Jahrzehnt nach dem Zweiten Weltkrieg auseinander. Er kritisiert den Trend zum ausufernden Wohlfahrtsstaat und erinnert an die rechtlichen und ethischen Voraussetzungen einer freiheitlichen Marktwirtschaft. Entscheidend seien „die Dinge jenseits von Angebot und Nachfrage, von denen Sinn, Würde und innere Fülle des Daseins abhängen, die Zwecke und Werte, die dem Reich des Sittlichen . . . angehören“.5 Seine eigene Position beschreibt er dabei als die eines liberalen Konservativen.6 Er steht 1 Hans Jörg Hennecke, Wilhelm Röpke. Ein Leben in der Brandung, Stuttgart 2005, S. 218. 2 Nils Goldschmidt, Liberalismus als Kulturideal. Wilhelm Röpke und die kulturelle Ökonomik, Freiburger Diskussionspapiere zur Ordnungsökonomik 09 / 2, Freiburg 2009, S. 10. 3 Rolf Hasse / Joachim Starbatty, Mit Herz und Verstand für Freiheit und Menschlichkeit. Zum 100. Geburtstag des liberalen Nationalökonomen Wilhelm Röpke, in: FAZ vom 9. 10. 1999. 4 Hans Jörg Hennecke, a. a. O., S. 249 f. 5 W. Röpke, Jenseits von Angebot und Nachfrage (1958), 5. Aufl. Bern 1979, S. 22. 6 A. a. O., S. 20 f.; ders., Civitas Humana, (1944), 4. Aufl. Bern 1979, S. 18.
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in der Tradition eines Edmund Burke (1729 – 1797) und eines Alexis de Tocqueville (1805 – 1859).
I. Markt und Wettbewerb Röpke sieht wie alle Väter des Konzepts der Sozialen Marktwirtschaft in der Marktwirtschaft „die einzige Wirtschaftsordnung, die mit der Freiheit des Menschen . . . harmoniert“.7 Warum ist der Marktwirtschaft – auch aus der Sicht der christlichen Soziallehre – gegenüber allen anderen Wirtschaftsordnungen der Vorzug zu geben? Nicht deshalb, weil sie zu mehr Wohlstand führt, sondern deshalb, weil sie der Freiheit und der Würde der Person besser entspricht, seine Leistungsbereitschaft fördert und sein Verantwortungsbewusstsein fordert. Dass die Marktwirtschaft auch zu höherer Produktivität und mehr Wohlstand führt als eine sozialistische Wirtschaftsordnung, sei ein „unverdientes Glück“. Wäre dies nicht so, würde sie zu weniger Wohlstand führen als eine sozialistische Wirtschaftsordnung, dann müsse ihr dennoch der Vorzug gegeben werden.8 Zu allen Zeiten besteht die Aufgabe der Wirtschaft darin, die materielle Versorgung der Menschen angesichts knapper Ressourcen zu gewährleisten und Armut zu überwinden. Wenn die Wirtschaft dieser Aufgabe gerecht werden will, muss sie im Dienst des Verbrauchers stehen. Im Dienst des Verbrauchers steht sie dann, wenn sie den Wettbewerb als Instrument zur Koordinierung dezentraler wirtschaftlicher Entscheidungen sichert. Der Wettbewerb ist entgegen auch unter Christen weit verbreiteter Ansicht nichts Unsoziales. Im Gegenteil, er ist „sozial nützlich, weil er die Produkte verbessert, Kosten und Preise senkt und damit den Lebensstandard aller steigert“.9 Er gibt dem erfinderischen, Bedürfnisse erkennenden und risikobereiten Unternehmer die Chance, durch eine optimale Befriedigung von Konsumentenpräferenzen Gewinne zu erwirtschaften. Aber er nötigt ihn auch, Verantwortung für seine Aktivitäten zu übernehmen, weil der Gewinnchance immer ein Verlustrisiko gegenübersteht. Dem Arbeitnehmer gibt der Wettbewerb die Chance, durch Lohnverhandlungen am Gewinn zu partizipieren und seinen Arbeitsplatz frei zu wählen. Dem Konsumenten ermöglicht er die preisgünstigste Befriedigung seiner Bedürfnisse. Da alle, die auf dem Markt etwas anbieten oder nachfragen, legitimerweise ihren ökonomischen Vorteil suchen, sind Produktverbesserungen sowie Preis- und Kostensenkungen eine automatische Nebenfolge. „Es werden neue Ideen, die im Wettbewerbsprozess entstehen, von Konkurrenten übernommen . . . , so dass sich das Wissen um neue Güter, Produktionsverfahren und Märkte verbreitet. Auf diese Weise werden die Früchte privater LeistungsA. a. O., S. 21 f. A. a. O., S. 22. 9 Christian Watrin, Soziale Marktwirtschaft – was heißt das?, Dresdener Kathedralvorträge Nr. 3, Paderborn 1990, S. 14 f. 7 8
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erfolge vergesellschaftet (Hans Willgerodt). Gleichzeitig baut der Wettbewerb die entsprechenden Gewinne wieder ab.“10 So muss der Wettbewerb „als eine Form, möglichst unbehindert den technischen und ökonomischen Fortschritt zu realisieren, begriffen werden“.11 Die Wirtschaft befindet sich, so Röpke, nie in einem stabilen Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage. Es gibt immer den Druck der Anpassung. Deshalb habe man nie die Wahl zwischen Anpassung und Nichtanpassung, sondern nur die Wahl zwischen verschiedenen Formen der Anpassung, entweder der sozialistischen durch Plan, Kommando und Zwang oder der marktwirtschaftlichen durch Wettbewerb, freie Preise und begrenzte Lohnelastizität. 12 Auf Märkten ohne oder mit beschränktem Wettbewerb dagegen „werden die Kunden durch überhöhte Preise, schlechte Qualitäten, nachlässigen Service und das Warten auf Belieferung in eine Bittstellerposition gedrängt“.13 Der Wettbewerb, so wenig er auch jedem einzelnen behagen mag, ist die wirksamste Vorkehrung, die Wirtschaft dem Konsumenten dienstbar zu machen. Er ermöglicht „Wohlstand für alle“ (Ludwig Erhard). Ihm kommt deshalb selbst schon eine soziale Funktion zu. Die Soziallehre der katholischen Kirche teilt diese Ansichten implizit seit Rerum Novarum, ganz explizit aber seit Centesimus Annus. Johannes Paul II. sah im freien Markt „das wirksamste Instrument für die Anlage der Ressourcen und für die beste Befriedigung der Bedürfnisse“.14 Die Marktmechanismen helfen, „besseren Gebrauch von den Ressourcen zu machen; sie fördern den Austausch der Produkte und stellen den Willen und die Präferenzen des Menschen in den Mittelpunkt“.15 Benedikt XVI. bestätigt dies in Caritas in Veritate: „Der Markt ist an sich nicht ein Ort der Unterdrückung des Armen durch den Reichen . . .“ Er ist vielmehr, „wenn gegenseitiges und allgemeines Vertrauen herrscht, die wirtschaftliche Institution, die die Begegnung zwischen den Menschen ermöglicht, welche als Wirtschaftstreibende ihre Beziehungen durch einen Vertrag regeln und die gegeneinander aufrechenbaren Güter und Dienstleistungen austauschen, um ihre Bedürfnisse und Wünsche zu befriedigen“.16 Damit der Wettbewerb diese soziale Funktion ausüben kann, müssen aber sowohl aus der Sicht der christlichen Soziallehre als auch aus der Röpkes und der anderen Väter der Sozialen Marktwirtschaft einige Voraussetzungen erfüllt sein: das Privateigentum und die Vertragsfreiheit müssen respektiert und rechtlich gesichert, eine freie Preisbildung auf dem Markt und eine stabile Währung müssen gewährleistet und die Freizügigkeit von Arbeit, Kapital, Gütern und DienstleistunCh. Watrin, Wettbewerb, in: Staatslexikon, 7. Aufl., Bd. 5, Sp. 975. Alfred Müller-Armack, Soziale Marktwirtschaft, in: derselbe, Wirtschaftsordnung und Wirtschaftspolitik, Bern / Stuttgart 1976, S. 247. 12 W. Röpke, Civitas Humana, a. a. O., S. 346. 13 Ch. Watrin, Soziale Marktwirtschaft – Was heißt das?, a. a. O., S. 15. 14 Johannes Paul II., Centesimus Annus (1991) 34. 15 A. a. O. 40. 16 Benedikt XVI., Caritas in Veritate (2009) 35 und 36. 10 11
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gen muss anerkannt und geschützt sein. Eine Marktwirtschaft, die diese Bedingungen erfüllt, ist die Wirtschaftsordnung, die dem politischen System einer gewaltenteiligen Demokratie am besten entspricht. Die Marktwirtschaft kann die Leistungsbereitschaft der Menschen aber nur dann anspornen und belohnen, wenn der Markt nicht durch Monopole korrumpiert wird.17 Ein Wettbewerb, der diese Voraussetzung erfüllt, ist ein Instrument zur Dezentralisierung wirtschaftlicher Macht. Die Kritik an Konzentrationstendenzen und das Plädoyer für eine Dezentralisierung ziehen sich wie ein roter Faden durch das Werk von Wilhelm Röpke. Gelegentlich tendiert er auch zur Idealisierung kleinräumiger (schweizerischer) Verhältnisse. Drei Einwände könnten gegen dieses Lob der Marktwirtschaft erhoben werden: 1. Ein Wettbewerb, der sich selbst überlassen bleibt, tendiert dazu, dass Anbieter von Gütern und Dienstleistungen sich durch Konzentration, durch Oligopole und Monopole wettbewerbsfremde Vorteile zu sichern versuchen. Die stärksten Anbieter verdrängen die schwächeren. So steht der Wettbewerb immer in der Gefahr, sich selbst aufzuheben. 2. Selbst wenn der Wettbewerb funktioniert, den an ihm Beteiligten also die erwähnten Vorteil bringt, so gibt es doch in jeder Gesellschaft zahlreiche Gruppen, die zum ökonomischen Wettbewerb nichts beizutragen vermögen und die bei der Verteilung seiner Früchte benachteiligt sind: die Alten und Kranken, die Invaliden und Behinderten, die Jugendlichen und Kinderreichen und nicht zuletzt die Arbeitslosen. 3. Es gibt Güter und Dienstleistungen, die nicht marktfähig sind, die also aus dem Spiel von Angebot und Nachfrage herausfallen oder, wie die Enzyklika Caritas in Veritate sagt, nicht gegeneinander „aufrechenbar“ sind. Diese Einwände sind ernst zu nehmen. Sie sind richtig und wichtig. Sie werden aber auch von Wilhelm Röpke und den Vätern der Sozialen Marktwirtschaft ernst genommen. Dies unterscheidet sie von den Vertretern eines Laissez-faire-Kapitalismus. Wilhelm Röpke beschreibt seine Position deshalb als „Dritten Weg“ jenseits von Kapitalismus und Kollektivismus.18 Er lehnt einen „entarteten Liberalismus“ ebenso ab wie den Kollektivismus.19 Alfred Müller-Armack wirft dem klassischen Liberalismus den „folgenschweren Fehler“ vor, übersehen zu haben, nicht nur, dass Markt und Wettbewerb erheblicher kultureller, sozialer und politischer Sicherungen bedürfen, sondern auch, dass die Ergebnisse marktwirtschaftlicher Prozesse nicht eo ipso sozial befriedigend sind und deshalb der zwar marktkonformen, aber doch zunächst einmal politischen Korrektur bedürfen.20 Der Markt kann in dieser Perspektive also nicht sich selbst überlassen bleiben. Er bedarf zum einen des Staates und zum anderen einer humanen Kultur. Gesetzgeber, Verwaltung und W. Röpke, Civitas Humana, a. a. O., S. 74. A. a. O., S. 46. 19 A. a. O., S. 18. 20 A. Müller-Armack, Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft (1949), in: ders., Wirtschaftsordnung und Wirtschaftspolitik, a. a. O., S. 106 f. 17 18
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Rechtsprechung haben zu gewährleisten, dass der Zugang zu ihm offen bleibt, dass der Wettbewerb nicht beschränkt wird, dass die Verlustrisiken nicht den Steuerzahlern aufgebürdet werden und dass seine Ergebnisse behutsam so korrigiert werden, dass sie sozialverträglich sind. Die Kultur aber hat die Werte jenseits von Angebot und Nachfrage zu sichern, die das Verhalten der Marktteilnehmer prägen und für das Gemeinwohl nicht weniger entscheidend sind als richtige Institutionen.
II. Die Aufgaben des Staates Der Staat hat eine zentrale wirtschaftspolitische und eine nicht weniger zentrale sozialpolitische Aufgabe. Die wirtschaftspolitische Aufgabe ist die Sicherung der Wettbewerbsfreiheit, die vielfach bedroht ist durch unlautere Wettbewerbsmethoden, durch Preisabsprachen, Kartelle, Oligopole und Monopole. Wilhelm Röpke und die Väter der sozialen Marktwirtschaft plädieren deshalb für eine staatliche Ordnungspolitik, die eine Rahmenordnung schafft, die Markt und Wettbewerb sowie Privateigentum und Vertragsfreiheit gewährleistet. Staatliche Interventionen lehnen sie nicht a priori ab. Aber es müssen marktkonforme Anpassungsinterventionen und nicht marktfremde Erhaltungsinterventionen sein.21 Der Gesetzgeber, der die Freiheit des Wettbewerbs sichern möchte, muss im Auge behalten, dass er durch zu viele oder durch falsche Regelungen, beispielsweise durch Subventionen, durch „Abwrackprämien“, durch Kontingentierungen im Außenhandel, durch Devisenvorschriften, durch Bürgschaften oder Kredite zur Insolvenzverhinderung wie in der jüngsten Wirtschaftskrise auch selbst die Wettbewerbsfreiheit gefährden kann. Er muss sich deshalb ebenso davor hüten, zu viel zu reglementieren wie er sich davor hüten muss, zu wenig zu tun. Die zweite Aufgabe des Staates besteht darin, ein Mindestmaß an sozialer Sicherheit zu gewährleisten. Ein Staat, der mit Markt und Wettbewerb auch die Lohnelastizität bejaht, mithin dem Arbeiter das Risiko der vorübergehenden Arbeitslosigkeit zumutet, muss ihm „ein Minimum an materieller und immaterieller Stabilität seiner Existenz“ gewährleisten.22 Die Sozialpolitik ist in dieser Perspektive nicht nur nachträgliche Korrektur unerwünschter Verteilungsergebnisse der Marktprozesse, sondern Möglichkeitsbedingung der Marktwirtschaft. Wirtschaftliche Freiheit, insbesondere Wettbewerbsfreiheit und soziale Gerechtigkeit bzw. „sozialer Ausgleich“, wie Müller-Armack zu sagen pflegt, sind gleichrangige und komplementäre Ziele der sozialen Marktwirtschaft. Gewiss gilt schon die größere wirtschaftliche Effizienz der Marktwirtschaft als „sozialpolitischer Gewinn“, aber sie reicht nicht, um das Ziel der sozialen Gerechtigkeit zu verwirklichen.23 Dazu bedarf es vielmehr eines sozialstaatlichen Leistungssystems, das 21 22 23
W. Röpke, Civitas Humana, a. a. O., S. 77. A. a. O., S. 86. A. Müller-Armack, Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft, a. a. O., S. 131.
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jenen Teilen der Gesellschaft eine menschenwürdige Existenz gewährleistet, die wirtschaftlich nicht leistungsfähig sind, das auch den Armen und Nichtversicherten einen Anspruch auf Sozialhilfe gewährt und das schließlich durch die Ordnung der Arbeitsbeziehungen mittels Arbeits-, Tarifvertrags-, Betriebsverfassungs- und Mitbestimmungsrecht die Rechte der Arbeiternehmer schützt. Dabei galt die Sorge der Väter der sozialen Marktwirtschaft nicht nur dem Vorhandensein eines sozialstaatlichen Leistungssystems, sondern auch seinem Instrumentarium. Die sozialstaatlichen Leistungen müssen das Kriterium der Marktkonformität erfüllen, d. h. sie müssen als Transfereinkommen Hilfe zur Selbsthilfe sein.24 Nur so vermeiden sie es, die Marktwirtschaft als Steuer- und Beitragsquelle zur Finanzierung dieser Leistungen auszuhöhlen. Würde der Sozialstaat seine Leistungen dagegen auf nicht marktkonformem Weg, beispielsweise durch Preisbindungen, Preissubventionen, Arbeitsplatzgarantien, Lohnfestsetzungen und ähnliches aufzubringen versuchen, würde er sich langfristig selbst ruinieren. Auch in der christlichen Soziallehre werden die Aufgaben des Staates zur Sicherung einer gemeinwohlorientierten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung gesehen, wenngleich die zweite, die sozialpolitische Aufgabe gegenüber der ersten, die Freiheit von Markt und Wettbewerb sichernden Aufgabe lange Zeit dominierte. Haben schon Leo XIII. in Rerum Novarum (1891) und Pius XI. in Quadragesimo Anno (1931) die Notwendigkeit staatlicher Interventionen in den Grenzen des Naturrechts und des Subsidiaritätsprinzips zur Lösung der Sozialen Frage und für den Aufbau einer humanen gesellschaftlichen und politischen Ordnung unterstrichen25, so widmen sich die beiden jüngsten Enzykliken Centesimus Annus von Johannes Paul II. (1991) und Caritas in Veritate von Benedikt XVI. (2009) ausführlich den Aufgaben des Staates bei der Sicherung einer marktwirtschaftlichen Ordnung einerseits und einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung andererseits. Benedikt XVI. geht angesichts der gegenwärtigen Wirtschaftskrise sogar von einem Wachstum der Rolle des Staates aus. Er sieht ihn viele seiner Kompetenzen zurückgewinnen, ohne allerdings zu sagen, um welche Kompetenzen es sich dabei handelt.26 Schließlich fordert er wie schon Johannes XXIII. in Pacem in Terris27 eine „echte politische Weltautorität“, die sich freilich am Subsidiaritätsprinzip orientieren soll.28 Centesimus Annus war da einerseits zurückhaltender und andererseits präziser. Der Staat habe „die Aufgabe, den rechtlichen Rahmen zu erstellen, innerhalb dessen sich das Wirtschaftsleben entfalten kann. Damit schafft er die Grundvoraussetzung für eine freie Wirtschaft, die in einer gewissen Gleichheit unter den Beteiligten besteht, so dass der eine nicht so übermächtig wird, dass er den anderen 24 W. Röpke, Civitas Humana, a. a. O., S. 77; A. Müller-Armack, Soziale Marktwirtschaft, a. a. O., S. 246. 25 Leo XIII., Rerum Novarum 13, 26 – 29, 32 und 38; Pius XI., Quadragesimo Anno 25 und 79. 26 Benedikt XVI., Caritas in Veritate 41. 27 Johannes XXIII., Pacem in Terris (1963) 137. 28 Benedikt XVI., Caritas in Veritate 67.
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praktisch zur Sklaverei verurteilt“.29 Er hat zu verhindern, „dass die Arbeit des Menschen und der Mensch selber auf das Niveau einer bloßen Ware herabgedrückt werden“.30 Er hat sich um den Schutz der Arbeitsbedingungen und der natürlichen Umwelt zu kümmern.31 Er hat Mitbestimmungsbedingungen zu regeln32, den Wettbewerb zerstörende Monopole zu verhindern und schließlich „die Sicherheit der individuellen Freiheit und des Eigentums sowie eine stabile Währung und leistungsfähige öffentliche Dienste“ zu garantieren.33 Er hat durch seine Wirtschafts-, Finanz-, Sozial- und Umweltpolitik das „Ziel eines ausgeglichenen Wachstums und der Sicherung der Vollbeschäftigung“ zu verfolgen, eine Renten- und Arbeitslosenversicherung, ein hohes Ausbildungsniveau und in schweren Strukturkrisen auch Umschulungsmaßnahmen zu gewährleisten.34 So vielfältig die Aufgaben auch sind, die die christliche Soziallehre dem Staat zuspricht, sie wird nicht müde, auch die Grenzen des Staates in Erinnerung zu rufen. In zwei Problembereichen, die in der Wirtschaftskrise 2008 / 09 von besonderer Aktualität waren, wird dies deutlich und in beiden Problembereichen zeigen sich erneut Parallelen zum Werk von Wilhelm Röpke, auf die jüngst auch Wolfgang Ockenfels hingewiesen hat.35 Der Staat könne, schreibt Johannes Paul II. in Centesimus Annus, neben den vielfältigen Einzelaufgaben „in Ausnahmefällen Vertretungsfunktionen wahrnehmen, wenn Teilbereiche der Gesellschaft oder Gruppen von Unternehmen zu schwach oder erst im Entstehen begriffen und daher noch nicht imstande sind, ihre Aufgabe zu erfüllen“.36 Das bezog sich 1991 zwar auf jene Länder, die gerade dabei waren, die kommunistische Unterdrückung zu überwinden und die weder eine Marktwirtschaft noch ein freies Unternehmertum kannten. Es gilt aber gewiss auch für globale oder „systemische“ Wirtschaftskrisen, wie die Weltwirtschaftskrise 1931 oder die Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise 2008 / 09. Aber schon in Centesimus Annus mahnte Johannes Paul II., „solche stellvertretenden Interventionen, die durch dringende, vom Gemeinwohl geforderte Gründe gerechtfertigt sind, müssen . . . zeitlich möglichst begrenzt sein, um nicht den genannten Teilbereichen und Unternehmensgruppen die ihnen eigenen Kompetenzen auf Dauer zu entziehen und dadurch den Umfang der staatlichen Interventionen übermäßig auszuweiten. Dies wäre sowohl für die wirtschaftliche wie für die bürgerliche Freiheit schädlich“.37 Wilhelm Röpke sah dies ähnlich. Zur Überwindung der „Großen Depression“, der Weltwirtschaftskrise von 1931, sprach er dem Staat, auf dessen Johannes Paul II., Centesimus Annus 15. A. a. O. 34. 31 A. a. O. 40 und 34; Benedikt XVI., Caritas in Veritate 51. 32 A. a. O. 43; Benedikt XVI., Caritas in Veritate 25 und 64. 33 A. a. O. 48. 34 A. a. O. 15. 35 W. Ockenfels, Wie viel Staat braucht die Marktwirtschaft? Kirche und Gesellschaft 361, Köln 2009. 36 Johannes Paul II., Centesimus Annus 48. 37 A. a. O. 48. 29 30
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Grenzen er sonst so großen Wert legte, durchaus Vertretungsfunktionen zu, auch wenn er im übrigen ein heftiger Kritiker der Keynesschen Theorie der Konjunktursteuerung mittels abstrakter Totalgrößen war. Aber in diesem Ausnahmefall befürwortete er wie Keynes eine Verschuldung des Staates zwecks Ankurbelung der Nachfrage.38 Die zweite Parallele im Hinblick auf die Grenzen des Staates zeigt sich in der Kritik des Wohlfahrtsstaates. Dass der Staat die Aufgabe hat, ein sozialstaatliches Leistungssystem bereitzustellen, um „menschenunwürdige Formen der Armut und Entbehrung“ zu beseitigen, daran haben die Kirche seit 2000 Jahren und die christliche Soziallehre seit Rerum Novarum keinen Zweifel gelassen. Aber auch der Sozialstaat hat das Subsidiaritätsprinzip zu beachten. Der das Subsidiaritätsprinzip missachtende Versorgungsstaat dagegen, so warnte Johannes Paul II. in Centesimus Annus, „der direkt eingreift und die Gesellschaft ihrer Verantwortung beraubt, löst den Verlust an menschlicher Energie und das Aufblähen der Staatsapparate aus, die mehr von bürokratischer Logik als von dem Bemühen beherrscht werden, den Empfängern zu dienen; Hand in Hand damit geht eine ungeheure Ausgabensteigerung“.39 So kann es auch kein vom Staat einzulösendes Recht auf Arbeit geben. Der Staat könnte ein solches Recht „nicht direkt sicherstellen, ohne das gesamte Wirtschaftsleben zu reglementieren und die freie Initiative der einzelnen einzugrenzen“.40 Wilhelm Röpke, der an der Notwendigkeit „solidarischer Hilfe der Gesellschaft“ für die Opfer wirtschaftlicher Entwicklungen ebenfalls keinen Zweifel lässt,41 kritisiert den aufgeblähten Wohlfahrtsstaat als „Taschengeldstaat“, der den Menschen die freie Verfügung über ihr Einkommen entzieht und die Verantwortung für die Befriedigung der lebenswichtigen Bedürfnisse an sich zieht. Ein solcher Staat, so Röpke mit Tocqueville, werde zum Tyrannen und zerstöre die Freiheit. Das Ergebnis sei nicht die Vermenschlichung des Staates, sondern die Verstaatlichung des Menschen.42
III. Jenseits von Angebot und Nachfrage Nicht weniger wichtig als ein rechtes Verständnis der Staatsaufgaben ist für die Sicherung der sozialen Marktwirtschaft die Kultur der Gesellschaft und das Ethos der Marktteilnehmer. Röpke lässt in seinem gesamten Werk keinen Zweifel daran aufkommen, dass Markt und Wettbewerb „nur als Teil einer höheren und weiteren Gesamtordnung verstanden und verteidigt werden“ können. Die Gesellschaft selbst könne nicht auf dem Gesetz von Angebot und Nachfrage gebaut werden. 38 W. Röpke, Civitas Humana, a. a. O., S. 347. Vgl. auch Rolf Hasse / Joachim Starbatty, a. a. O. 39 Johannes Paul II., Centesimus Annus 48. 40 A. a. O. 48. 41 W. Röpke, Civitas Humana, a. a. O., S. 376. 42 W. Röpke, Jenseits von Angebot und Nachfrage, a. a. O., S. 234 f.
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Der Staat sei mehr als eine Aktiengesellschaft.43 Die Marktwirtschaft bedürfe „eines festen anthropologisch-soziologischen Rahmens“.44 Röpke kritisiert die „verbreitete Prüderie der Gelehrten“, insbesondere der Nationalökonomen, sich mit ethischen Fragen zu beschäftigen.45 Die Sozialwissenschaften einschließlich der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften sind für ihn moralische und praktische Wissenschaften, die untrennbar mit Werturteilen verbunden seien.46 Röpkes Biograph Hennecke nennt dessen Verständnis der Wirtschaftswissenschaft eine „Ethik im aristotelischen Sinne“.47 Röpke beschreibt seine eigene Position als „Dritten Weg“ jenseits von Kapitalismus und Kollektivismus oder auch als „Wirtschaftshumanismus“.48 Der anthropologische und soziologische Rahmen, in den er die Marktwirtschaft eingebettet sehen will, ist den anthropologischen Grundlagen und den Ordnungsprinzipien der christlichen Soziallehre eng verwandt. Expressis verbis kommt Röpke nur selten auf die christliche Soziallehre, die Religion oder die Kirchen zu sprechen. Er gehöre zu denen, sagt er selbst, „die ungern ihre religiösen Überzeugungen zu Markte tragen.49 Aber wenn er von seinen religiösen Überzeugungen und sozialethischen Orientierungen spricht, dann an entscheidenden Stellen seines Werkes, die einen tiefen Einblick erlauben. Der zentrale Grund der Krise der Kultur im 20. Jahrhundert ist für ihn eine „geistig-religiöse Krise“.50 Er stellt einen Zusammenhang her „zwischen dem Grade der Zivilisation und dem Grade der Religiosität“.51 Eine leere Seele begünstige den Kommunismus eher als ein leerer Magen.52 Man könne, so meint er etwas sarkastisch, „den praktischen Folgen der angenommenen Nichtexistenz Gottes“ einen neuen indirekten Gottesbeweis entnehmen.53 Seine Kritik am Relativismus ist der Kritik Papst Benedikts XVI. an der Diktatur des Relativismus durchaus vergleichbar. Der axiologische Relativismus, der alle Werte relativiert, schreibt er schon 1944, hebe sich selbst auf. Er sei „eine wissenschaftliche Methodologie, die, während sie Werturteile in der Wissenschaft verurteilt, selbst ein Werturteil enthält, alle anderen aber intolerant verbietet“.54 Der Relativismus sei für „die innere Haltlosigkeit der heutigen Welt“ verantwortlich, weshalb die Weihnachtsbotschaft von Papst Pius XII. von 1942 mit ihrer KriA. a. O., S. 145 f. W. Röpke, Civitas Humana, a. a. O., S. 83. 45 A. a. O., S. 161. 46 A. a. O., S. 155. 47 Hans Jörg Hennecke, a. a. O., S. 248. 48 W. Röpke, Civitas Humana, a. a. O., S. 46. Vgl. auch P. de Laubier, L’éthique de l’entreprise, in: Revue Thomiste, 96. Jg. (1988), S. 122. 49 W. Röpke, Jenseits von Angebot und Nachfrage, a. a. O., S. 25. 50 A. a. O., S. 25. 51 A. a. O., S. 27. 52 A. a. O., S. 169. 53 A. a. O., S. 25. 54 W. Röpke, Civitas Humana, a. a. O., S. 155. 43 44
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tik am Rechtspositivismus „weit über die katholische Welt hinaus Widerhall gefunden“ habe.55 Röpke rühmt als Lutheraner die „unermessliche Leistung der katholischen Kirche“ im Mittelalter, weil sie ein wirksames Gegengewicht zur politischen Herrschaft gebildet und der Person den Vorrang vor dem Staat eingeräumt habe. Das Christentum habe den „esprit pharaonique“ des antiken Staates überwunden und Europa davor bewahrt, „eine Halbinsel Asiens“ zu werden. Mit dem Zerfall der Kirchen beider Konfessionen durch Reformation und Nationalisierung sei „die Begrenzung der Staatsmacht aufs neue zu einem brennenden Problem“ geworden. Er kritisiert seine eigene Kirche, das Luthertum, für seine „penetrante Staatsfrömmigkeit“ und den Calvinismus für seine „theokratischen Tendenzen“. Am nächsten stehe ihm unter den Reformatoren noch Zwingli, weil er sich sowohl vom „theologischen Starrsinn Luthers wie den eifervollen theokratischen Tendenzen Calvins“ fern gehalten habe.56 Röpke identifiziert sich 1944 mit der Enzyklika Quadragesimo Anno von 1931, deren Gesellschafts- und Wirtschaftsphilosophie die Marktwirtschaft bejahe und einen entarteten Liberalismus ebenso ablehne wie den Kollektivismus. Er verteidigt die Enzyklika gegen eine korporatistische Interpretation, die mit ihr einen autoritären Ständestaat begründen will. Die Enzyklika wende sich nicht gegen Markt und Wettbewerb, sondern gegen den Klassenkampf. Sie setze sich ebenso für eine „Reinigung der Marktwirtschaft von ihren monopolitischen Entartungen“ und für eine „Entproletarisierung“ ein wie gegen „die Aushöhlung des Staates durch wirtschaftliche Gruppenmacht“.57 Zur Beschreibung seines eigenen föderativen Staatskonzepts stützt er sich auf einen Ausdruck der christlichen Soziallehre, der dies „am besten“ beschreibe: das Prinzip der Subsidiarität, dessen Definition Quadragesimo Anno erstmals vorgenommen hat.58 Zu den Möglichkeitsbedingungen einer Marktwirtschaft gehört auch das Ethos der Marktteilnehmer, das für Wilhelm Röpke seine Wurzeln ebenfalls jenseits von Angebot und Nachfrage hat. Sein Bild vom Menschen sei durch die antik-christliche Überlieferung geformt. Er sehe im Menschen das „Kind und Ebenbild Gottes“, das nicht zum Mittel erniedrigt werden dürfe, aber auch selbst nicht Gott sei, „zu dem ihn die Hybris eines falschen, atheistischen Humanismus vergötzt“.59 Das Ebenbild Gottes aber ist sterblich. Diese Erkenntnis ist weniger trivial als sie klingt. Schon in seiner Kulturkritik in Civitas Humana stellt Röpke unvermittelt fest, „dass niemand wirklich frei sein kann, der nicht mit dem Tode innerlich seiA. a. O., S. 160. A. a. O., S. 197 ff. Joseph Kardinal Höffner hat Röpkes Beurteilung der Leistung des Christentums mehrfach zitiert. Vgl. seine Reden- und Aufsatzsammlung In der Kraft des Glaubens, Freiburg 1986, Bd. 1, S. 484 und Bd. 2, S. 633. 57 A. a. O., S. 96 f., Fußnote 15. 58 A. a. O., S. 179. Zum Subsidiaritätsprinzip vgl. Pius XI., Quadragesimo Anno (1931) 79. 59 W. Röpke, Jenseits von Angebot und Nachfrage, a. a. O., S. 21. 55 56
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nen Frieden geschlossen hat“.60 Die Marktwirtschaft setzt freie, interessierte, erfinderische, leistungswillige und risikobereite Menschen voraus. Sie bedarf der zu einem Ethos geformten Tugenden. „Selbstdisziplin, Gerechtigkeitssinn, Ehrlichkeit, Fairness, Ritterlichkeit, Maßhalten, Gemeinsinn, Achtung vor der Menschenwürde des anderen, feste sittliche Normen – das alles sind Dinge, die die Menschen bereits mitbringen müssen, wenn sie auf den Markt gehen und sich im Wettbewerb miteinander messen. Sie sind die unentbehrlichen Stützen, die beide vor Entartung bewahren. Familie, Kirche, echte Gemeinschaften und Überlieferung müssen sie damit ausstatten“.61 Markt und Wettbewerb hängen also von Voraussetzungen ab, die sie selbst nicht schaffen können. Ihre moralische Grundlage sind die Zehn Gebote62 bzw. die Gebote der christlichen Ethik,63 die zu vermitteln Aufgabe der Kirchen ist. Aber auch der Familie spricht Röpke dabei eine zentrale Rolle zu. Sie sei in einer gesunden Gesellschaft der erste Ort der Verantwortung und Lebensplanung.64 Angesichts der vielfältigen Gefährdungen der Familie durch kulturelle und politische Trends wie den Scheidungsboom, die Geburtenarmut, die Genderideologie und die Krippenpolitik, deren primäres Ziel nicht das Wohl des Kindes und die Bildung des Humanvermögens künftiger Generationen, sondern die Verfügbarkeit der Mutter für den gegenwärtigen Arbeitsmarkt ist,65 steht es gut 40 Jahre nach Röpkes Tod um diese Voraussetzung für das Ethos der Marktteilnehmer nicht zum besten. Je mehr die Familie als Ort der Verantwortung und der Lebensplanung ausfällt, je zahlreicher die Alleinerziehenden und die ohne Familie aufwachsenden Kinder sind , desto verbreiteter sind Armut, der Ruf nach Betreuung und staatlichen Interventionen.66 Je schwächer die Familie, desto eher tendiert der Staat zum Versorgungsstaat. Je stärker der Versorgungsstaat, desto näher der Leviathan. Eine Wirtschaftsordnung ohne ethisches Fundament, ein Markt ohne Moral sind auch für die christliche Soziallehre nicht denkbar. Darin sind sich die katholische Soziallehre und die evangelische Sozialethik einig.67 Insofern ist es nicht überW. Röpke, Civitas Humana, a. a. O., S. 202. W. Röpke, Jenseits von Angebot und Nachfrage, a. a. O., S. 186. 62 W. Röpke, Moral und Wirtschaft, in: Was ist wichtiger als Wirtschaft?, hrsg. von der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft, Ludwigsburg 1960, S. 22. 63 Vgl. auch Egon Tuchtfeldt, Soziale Marktwirtschaft als offenes System, in: Fritz Windhager, Hrsg., Soziale Marktwirtschaft, Wien 1982, S. 19. 64 Wilhelm Röpke, Jenseits von Angebot und Nachfrage, a. a. O., S. 241. 65 Vgl. Manfred Spieker, Voraussetzungen, Ziele und Tabus der Krippenpolitik in Deutschland. Sozialethische Anmerkungen zur Rolle der Familie, in: Kinderbetreuung in der ersten Lebensphase zwischen Familie, Kirche und Staat, Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 43, hrsg. von Burckhard Kämper und Hans-Werner Thönnes, Münster 2009, S. 69 ff. 66 Vgl. das Manifest Ehe und Gemeinwohl des Witherspoon-Instituts, deutsch in Neue Ordnung, Sonderheft August 2009. 67 Die russisch-orthodoxe Kirche dagegen schweigt in ihrem ersten Sozialhirtenbrief „Die Grundlagen der Sozialdoktrin der Russisch-Orthodoxen Kirche“, hrsg. von Josef Thesing und 60 61
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raschend, dass es viele Gemeinsamkeiten zwischen Wilhelm Röpke und der christlichen Soziallehre gibt. Schon Leo XIII. hat in Rerum Novarum die Bedeutung von Religion und Kirche für die Lösung der Sozialen Frage unterstrichen.68 Das menschenwürdige Verhältnis von Kapital und Arbeit war für ihn in erster Linie nicht eine ökonomische, sondern eine sittliche und politische Frage. Pius XI. hat in der von Röpke so geschätzten Enzyklika Quadragesimo Anno davor gewarnt, „die Bereiche des Wirtschaftlichen und des Sittlichen derart auseinander zu reißen“, dass sie nichts mehr miteinander zu tun haben.69 Alle Enzykliken gehen , wenn sie ökonomische Fragen berühren, auf den Bereich jenseits von Angebot und Nachfrage ein. Die christliche Perspektive in der Erörterung der Fragen wirtschaftlicher Aktivität sei geradezu daran zu erkennen, „dass sie nicht nur nach ihren Regeln, sondern auch nach ihrer moralischen Qualität und ihrer Bedeutung fragt“.70 Dies gilt auch für die. Evangelische Sozialethik.71 Markt und Wettbewerb haben immer im Dienst des Menschen zu stehen, ist der Mensch doch, wie das Zweite Vatikanische Konzil im ersten Satz des Wirtschaftskapitels seines Schlüsseltextes Gaudium et Spes erklärt, „Urheber, Mittelpunkt und Ziel aller Wirtschaft“, weshalb auch im Wirtschaftsleben die Würde der menschlichen Person und ihre ungeschmälerte Berufung sowie das Wohl der gesamten Gesellschaft zu achten und zu fördern sind.72 Aus sich selbst heraus, schreibt Johannes Paul II. in Centesimus Annus, verfügt die Wirtschaft aber „über keine Kriterien, mit deren Hilfe neue und höhere menschliche Bedürfnisse von solchen, die die Entfaltung einer reifen Persönlichkeit verhindern, klar zu unterscheiden sind“.73 Benedikt XVI. stellt in Caritas in Veritate lapidar fest, „die Wirtschaft braucht für ihr korrektes Funktionieren die Ethik, nicht irgendeine Ethik, sondern eine menschenfreundliche Ethik“. Man dürfe sich auch „nicht nur darum bemühen . . . , dass ,ethische‘ Sektoren . . . der Ökonomie oder des Finanzwesens entstehen, sondern dass die gesamte Wirtschaft und das gesamte Finanzwesen ethisch sind und das nicht nur durch eine äußerliche Etikettierung, sondern aus Achtung vor den ihrer Natur selbst wesenseigenen Ansprüchen“. 74 Das Ziel der Wirtschaft liegt also „nicht in der Wirtschaft selbst, sondern in ihrer menschlichen und gesellschaftlichen Bestimmung“.75 Rudolf Uertz, St. Augustin 2001 zum Thema Wirtschaftsordnung. Der Grund dürfte darin liegen, dass sie sich nicht zum Vorrang des Privateigentums bekennen will. Unter den vielen Eigentumsformen sei keine zu bevorzugen (a. a. O., S. 61). 68 Leo XIII., Rerum Novarum 13. 69 Pius XI., Quadragesimo Anno 42. 70 Päpstlicher Rat Justitia et Pax (Hrsg.), Kompendium der Soziallehre der Kirche (2004), 335. 71 Vgl. die Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland Gemeinwohl und Eigennutz. Wirtschaftliches Handeln in Verantwortung für die Zukunft, Gütersloh 1991, Ziffer 6 und 97 – 102 und Martin Honecker, Grundriss der Sozialethik, Berlin 1995, S. 435 f. 72 II. Vatikanisches Konzil, Gaudium et Spes (1965) 63. 73 Johannes Paul II., Centesimus Annus 36. 74 Benedikt XVI., Caritas in Veritate 45. 75 Kompendium der Soziallehre der Kirche 331.
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Konkretere Aussagen zur menschlichen und gesellschaftlichen Bestimmung, in deren Dienst die Wirtschaft steht, finden sich in allen Sozialenzykliken. Die Wirtschaft hat im Dienst des ganzen Menschen und aller Menschen zu stehen. Im Dienst des ganzen Menschen heißt, sie hat nicht nur seinen materiellen, sondern auch seinen immateriellen Bedürfnissen zu dienen und zu beachten, dass es auch nicht marktfähige Bedürfnisse gibt.76 Im Dienst aller Menschen zu stehen heißt, dem Prinzip der universalen Bestimmung der Güter und damit dem Gemeinwohl Rechnung zu tragen, also alle Schichten und alle Völker an den Früchten der Entwicklung teilhaben zu lassen.77 Auch die Lösung globaler Probleme, so schließt Papst Johannes Paul II. seine Enzyklika Centesimus Annus sei „nicht nur eine Frage der Wirtschaft oder der Rechts- oder Gesellschaftsordnung“. Sie erfordere vielmehr „klare sittlich-religiöse Werte sowie die Änderung der Gesinnung, des Verhaltens und der Strukturen“. Dazu mittels ihrer Soziallehre einen Beitrag anzubieten, fühle sich die Kirche in besonderer Weise verantwortlich. Johannes Paul hegt die Hoffnung, „dass auch jene große Gruppe, die sich zu keiner Religion bekennt, dazu beitragen kann, der sozialen Frage das notwendige sittliche Fundament zu geben“.78 Wilhelm Röpke und die christliche Soziallehre versuchen gemeinsam deutlich zu machen, dass Markt und Wettbewerb kein Natur-, sondern ein Kulturprodukt sind und dass der Markt nicht nur Tauschplatz für Produzenten und Konsumenten, für Angebot und Nachfrage, sondern Möglichkeitsbedingung menschlicher Freiheit und Entfaltung ist. Sie zeigen, dass er der sorgfältigen Hegung bedarf, einer Hegung, die sich auch in der Architektur vieler mitteleuropäischer Städte spiegelt: Im Zentrum dieser Städte liegt meist ein Marktplatz, der umgeben ist von einem Rathaus, einem Gericht, einer Waage, einer Post, einem oder mehreren Gasthöfen und einer Kirche und nicht selten steht die Kirche im Zentrum des Marktplatzes.
Summary Wilhelm Röpke (1899 – 1966) was a leading advocate of the “humane economy” that helped to lay the foundation for the economic recovery of Germany and its newly acquired prosperity after 1945. His public stance against Nazi rule had lead to his immediate dismissal as professor of economics in 1933. After gaining an academic appointment in Geneva, Switzerland 1937, Röpke established his reputation with the publication of two books (1) Die Gesellschaftskrisis der Gegenwart (1942) – published in the United States as The Social Crisis of Our Time, and (2) Civitas Humana (1944) – published as The Moral Foundation of Civil Society. 76 77 78
Johannes Paul II., Centesimus Annus 34. A. a. O. 31. A. a. O. 60 unter Verweis auf Sollicitudo Rei Socialis (1987) 47.
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Brought illegally into Germany during World War II, these volumes provided hope and encouragement during dark times. Röpke, who descended from a line of Lutheran pastors, placed great stock in key concepts of Catholic social teaching and made his name as an advocate of a culturally grounded economics. From this perspective Röpke formulated the founding principles of the post-war German State: Market Economy, Federalism and West-European integration. Until the end of his life Röpke taught at the ‘Institute of International Studies’ in Geneva. His writings did not only emphasize the economic dimension of free societies but stressed likewise the abiding moral and spiritual presuppositions of the economic / social order. It is precisely this emphasis on dignity within the humane economy that underscored the affinities between Röpke and Catholic social doctrine. In his acclaimed book Jenseits von Angebot und Nachfrage (1958) [A Humane Economy: The Social Framework of the Free Market], Röpke demonstrates that the economic order is dependent on prerequisites that it cannot create by itself. At the same time the author shows that the science of economics is a moral science. This assertion also forms a crucial element of Catholic social teaching and figures as a dominant theme in the encyclical Caritas in Veritate (2009) by Pope Benedict XVI.
II. Wirtschaftsethik und Finanzkrise / Business Ethics and the Financial Crisis
Finanzkrise – Wirtschaftskrise – die Möglichkeiten wirtschaftsethischer Überlegungen Hans Lenk und Matthias Maring
Deutschland „ist das einzige Land, wo diejenigen, die erfolgreich sind und Werte schaffen, deswegen vor Gericht stehen“ (Josef Ackermann, Chef der Deutschen Bank als Angeklagter im Mannesmann-Prozess). „Der Sozialismus glaubt an das Gute, der Kapitalismus an den Bonus“ (Thomas Städtler, Psychologe und Aphoristiker).
I. Die weltweite Finanzkrise – Skizze der Gier und des Zockens im Kasino Finanzmarkt (vgl. u. a. Lechner 20091): 1. In den 1990er Jahren stieg in den USA das Kreditvolumen. Niedrige Zinsen der Federal Reserve Bank, Anreize zum Verkauf von Krediten und geringe bzw. keine Sicherheiten für Hypothekendarlehen (sog. Subprime-Kredite) führten zu diesem Anstieg. Die Preise für Immobilien stiegen in der Folge kontinuierlich. 2. Banken bündelten und verkauften dann verbriefte2 Kredite, die von Ratingagenturen – positiv – bewertet wurden, als Wertpapiere in großem Stil weltweit. Durch jeden Weiterverkauf steigen die Preise und die Gewinne. Die Erwartungen an Eigenkapitalrenditen steigerten sich wechselseitig. Boni erreichten im Finanzsektor astronomische Höhen. Die Bündelung führte zu Black-Box-Papieren – niemand wusste genau bzw. gar nicht, was ,drin‘ war. 3. Ab 2006 fielen die Preise für Immobilien – dramatisch; die Zinsen stiegen. Die Blase platzte. Wertpapiere verloren an Wert. Abschreibungen wurden nötig und führten zu Verlusten. Banken gingen in Konkurs – u. a. die Investmentbank Lehman Brothers (im September 2008), die bis kurz vor dem Bankrott mit der 1 Für Horn u. a. (2009) sind Einkommensungleichheiten und außenwirtschaftliche Ungleichgewichte in den Industrie- und Schwellenländern wesentliche Ursachen. Weitere allgemeinere Ursachen sind die Shareholder-Ideologie, die Deregulierung und Liberalisierung in der Wirtschaft, insbesondere im Finanzsektor. Konkret z. B.: die Zulassung von Hedgefonds und von Zweckgesellschaften; Letztere erlauben die Ausgliederung von u. a. Risiken aus der Bilanz der Muttergesellschaft. 2 Verbriefen – urkundlich – garantieren, ein Recht einräumen; oft durch Ratingagenturen geprüft und bewertet.
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besten Note „AAA“ von Ratingagenturen bewertet war. Kettenreaktionen der finanziellen Schieflage und der Konkurse entstanden. 4. Banken liehen sich gegenseitig kein Geld mehr. Mangelndes Vertrauen3 brachte den Interbankenmarkt zum Erliegen. Notenbanken sorgten für Liquidität. Staaten bildeten Rettungsfonds, beteiligten sich an Banken bzw. verstaatlichten diese. 5. Die Finanzkrise erreichte die Realwirtschaft. Zunächst ging in den USA die Konsumnachfrage massiv zurück. Weitere Länder folgten. Unternehmen erlitten Absatzeinbußen und machten Verluste bis hin zum Bankrott. Nach und nach traf und trifft es alle Branche. Die Aktienkurse brachen weltweit ein. Staaten legten riesige Konjunkturprogramme auf. Die Staatsverschuldung war und ist enorm gestiegen. Die Arbeitslosigkeit stieg und steigt. Die Blasenspekulation und die Vertrauenskrise schlagen auf die Ebene der Beschäftigten und Zuwendungsempfänger durch. Soweit diese grobe Skizze des Entstehens und Ablaufs der Finanzkrise. Was wurde daraus gelernt? Wurde aus der Krise überhaupt etwas gelernt – und nicht nur staatliche Finanzhilfe in Anspruch genommen? „Fast wie früher“ so titelt Die Zeit (07. 05. 2009, Nr. 20, 21) und schreibt dann, dass Josef Ackermann zu dem 25 Prozent Rendite-Ziel auf das Eigenkapital zurückgekehrt sei – die gute alte Zeit ist also wieder da. Dies war aber nur möglich, weil die Deutsche Bank „diverse Schrottpapiere munter an deutsche Staatsbanken verkauft hatte“, obwohl sie doch Staatshilfe immer ablehnte. So soll Ackermann sogar gesagt haben: „Ich würde mich schämen, wenn wir in der Krise Staatsgeld annehmen würden“. Indirekt nahm die Bank jedoch mehrfach Staatshilfe in Anspruch z. B. bei Rettung der Hypo Real Estate durch den deutschen Steuerzahler und bei der Rettung des amerikanischen Versicherungskonzerns AIG durch den amerikanischen Steuerzahler. Überdies war / ist der Staat indirekt Miteigner der Deutschen Bank, da diese den Kauf von Anteilen an der Postbank von der Deutschen Post, deren Miteigentümer der Staat ist, mit eigenen Aktien bezahlte. Und weiter können wir in der Zeit lesen, dass solche alten und neuen Rendite-Ziele „genau die Mentalität“ zeigen, „aus der die Finanzkrise überhaupt erst entstanden ist“. Wenn die gegenwärtige Finanzkrise so zutreffend beschrieben werden kann, dann lassen sich u. a. folgende Fragen erörtern: Was waren die Ursachen der Finanzkrise? Gibt es verantwortliche Personen oder ist das ,Ganze‘ Folge eines „anonymen Systemfehlers“ (wie der Ökonom Hans-Werner Sinn meint – ganz ,marxistisch‘, so Zudeick 2009, 154), für den niemand Verantwortung trägt? Wer sind denn die potenziell Verantwortlichen? Handelt es sich bei der Finanzkrise um 3 Es gibt im Übrigen eine Asymmetrie im Aufbau und dem Verlust bzw. bei der Zerstörung des Vertrauens, d. h. der Verlust des Vertrauens kann schlagartig erfolgen, während der Aufbau von Vertrauen längere Zeit braucht.
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ein Marktversagen oder Politikversagen oder um beides? Welche Rolle spielt die Politik, die ja die Regeln für Märkte zu gestalten hat, und welche spiel(t)en die Banker, die geradezu gierige 25 Prozent als Rendite-Ziel in der ,guten alten Zeit‘ vorgaben? Waren die Anreize für Banker und verwandte Berufe einfach zu verlockend? Hat hier ein ganzer Berufsstand versagt? Sind wir gar alle mitverantwortlich auf unserer ,Jagd‘ nach einer Rendite von ebenfalls 25 Prozent – etwa nach dem modischen Motto „Geiz ist geil“? Was haben Ratingagenturen und die sog. Analysten mit der Finanzkrise zu tun? Wer hat die Folgen zu tragen und warum? Warum gilt das klassische Verursacherprinzip nicht bzw. warum wird ihm nicht Geltung verschafft? Ist es gerecht, so genannten systemrelevanten Banken zu helfen und Firmen und Privatpersonen Bankrott gehen zu lassen? Ist es gerecht, Geld für Banken auszugeben und nicht für Hartz-IV-Empfänger wegen angeblicher fiskalischer Geldnot? Können Märkte – allein – Vertrauen erzeugen bzw. Misstrauen abbauen? Benötigen wir dazu institutionelle Arrangements und soziale Regelungssysteme? Ganz generell ließe sich auch fragen: Bräuchten wir eine andere Wirtschaftsordnung, Wirtschaftspolitik oder ein ,neues‘ ökonomisches Paradigma, das der Marktgläubigkeit, Privatisierung, Deregulierung usw. nicht unhinterfragt Priorität einräumt? Offiziell scheint die neoliberale Marktideologie, nach der deregulierte Märkte alles am besten regeln – vorerst – gescheitert zu sein, aber in ein paar Jahren werden wir eine Renaissance erleben. Bereits jetzt gibt es nicht nur verbale Abwiegelungstendenzen, um Reformen der Finanzmärkte zu verhindern. Forderungen zur durchgreifenden Regulierung usw. werden u.E. letztendlich nicht verwirklicht werden.4 Und schon heute warnen manche in Deutschland wegen der Staatshilfen für Banken und Unternehmen vor einer „DDR light“. Dass neben Banken und Versicherungen mittlerweile auch einige Staaten vom finanziellen Kollaps bzw. Bankrott – z. B. Island, Irland und Griechenland – bedroht sind, scheint nicht viele zu interessieren. So wird etwa Griechenland nur mit „BBB“ von Ratingagenturen bewertet, was die Aufnahme von Krediten, die das Land dringend braucht, extrem erschwert. Dieses Beispiel wirft viele – nicht nur, aber durchaus auch ethische – Fragen auf, z. B. die schon angesprochenen nach ,der‘ Verantwortung für relevante Entscheidungen, Entwicklungen und Folgen, der Verteilungsgerechtigkeit und allgemein gar die Systemfrage nach einer gerechten, nachhaltigen Wirtschaftsordnung. Oder gilt das altbekanntes Motto oder die „alte Leier“ (Zudeick 2009, 168), nämlich der ,Sozialisierung der Verluste und der Privatisierung der Gewinne‘?
4 Auch der G 20-Gipfel in Pittsburgh im September 2009 brachte keinerlei bindende Beschlüsse. Lösungsvorschläge wie strengere Eigenkapitalregeln, Tobin- bzw. Transaktionssteuer, Abbau der Ungleichgewichte der Zahlungsbilanzen, langfristige, nachhaltige Boni usw. sind seit langem bekannt, nur deren Realisierung lässt auf sich warten. Auf dem Gipfel wurde allerdings beschlossen, dass einige dieser Vorschläge bis Ende 2012 umzusetzen sind. Allein es fehlt der Glaube . . .
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Ob gegen die geschilderten exzessiven – von der Realwirtschaft praktisch völlig losgelösten – Ziele und Mentalitäten in der Finanzwelt Wirtschaftsethik tatsächlich hilft, bezweifeln wir. Wie Ethik ganz allgemein hat auch die Wirtschaftsethik Appellfunktion, kann Orientierung und Aufklärung bieten, Steuerungs- und Lösungsvorschläge für bestimmte Problemlagen machen und vieles mehr. Aber ohne Beachtung des Umsetzungs- und Durchsetzungsproblems der Vorschläge und damit ohne Politik und Recht bleibt Wirtschaftsethik doch recht wirkungslos. „Moralische Regeln sind“ – so Ropohl (1986, 4) – „die rationale Idee“, erst „Gesetze sorgen für die gesellschaftliche Realisierung“. Im Folgenden nun zu allgemeineren Überlegungen zur Wirtschaftsethik.
II. Wirtschaftsethik Wirtschaftsethik ist ein vieldeutiger und vielfältig verwendeter Begriff für „Ethik für die Wirtschaft“, „Ethik in der Wirtschaft“ und „Ethik mit ökonomischen Mitteln“. Wieder entdeckt wurde die Wirtschaftsethik vielfach als Reaktion auf soziale Probleme und Umweltfragen. Die Ökonomisierung und neoliberale Durchdringung aller Lebensbereiche, die Shareholder-Value-Ideologie und die sog. Globalisierung taten ein Übriges. Ob es eine eigenständige theoretische Disziplin „Wirtschaftsethik“ mit eigenen Prinzipien und Kriterien und ob es eine Sondermoral für die Ökonomie gibt, ist umstritten. In der Praxis hat sich tatsächlich eine Sonderdisziplin Wirtschafts- bzw. Unternehmensethik entwickelt: Lehrstühle, Institute und eigene Kurse usw. wurden eingerichtet. Wirtschaftsethik wird auch als Teilbereich der Praktischen Philosophie bzw. (Anwendung) der normativen ökonomischen Theorie (Ökonomik) aufgefasst. Für Homann (z. B. 2002, 27 ff.) ist die Wirtschaftsethik u. a. Anreiz-, Ordnungs- und Institutionenethik; der systematische, nicht der alleinige „Ort der Moral“ ist die Rahmenordnung. Nach Homanns ökonomischer Theorie der Moral bzw. der normativen Regeln befasst sich Wirtschaftsethik mit der Frage, wie und „welche moralische Normen und Ideale unter den Bedingungen der modernen Wirtschaft und Gesellschaft [ . . . ] zur Geltung gebracht werden können“ (z. B. Homann / BlomeDrees 1992, 14). Priorität hat also die ökonomische Funktionslogik, eine Analyse der modelltheoretischen, institutionenökonomischen Anreiz(system)e, erst dann kommt die ,schlichte‘ Moral. Für Ulrich (2001, z. B. 126) ist Wirtschaftsethik „republikanische“ integrative Diskursethik, eine „Vernunftethik des Wirtschaftens“; er verbindet damit die grundlegende doppelte Kritik an der „,angewandte[n]‘“ Bindestrich-Ethik und an der „normative[n reinen] Ökonomik“ (ebd. 16). Für Koslowski (1988, 31 ff.) ist Wirtschaftsethik „Korrektiv von Ökonomieversagen“, d. h. von Marktversagen. Kontrovers wird auch das Gewinnprinzip diskutiert: Während in der dialogischen Unternehmensethik (etwa Steinmann / Löhr 1991, 7 ff.) das Gewinnprinzip – nahezu – ungefragt vorausgesetzt wird (dies gilt auch – auf der Unternehmensebene –
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für Homann / Blome-Drees 1992, 182 f.), ordnet Ulrich (2001, 428) dieses Ziel „kategorisch der normativen Bedingung der Legitimität“ unter. Diese Frage wird auch in den Stockholder- vs. Stakeholder-Ansätzen behandelt – ebenso jene nach den – faktischen bzw. theoretischen – Handlungsspielräumen von Marktakteuren, wie z. B. Unternehmen. Weitere Stichworte hierzu sind: Systemdominanz, Sachzwänge und Autonomie gesellschaftlicher Subsysteme. Neuerdings nennt Pies (2009, III) seinen Ansatz „Ordonomik“; dieser ist ein „institutionalistisch ausgerichteter Rational-Choice-Ansatz zur Analyse von Interdependenzen [ . . . ] zwischen Sozialstruktur und Semantik“, wobei „Sozialstruktur für die Anreizwirkungen institutioneller Arrangements“ steht und „Semantik als Sammelbegriff [ . . . ] für Begriffe und die ihnen zugrunde liegenden Denkkategorien“. Zu Letzterem gehören u. a. Werte und Ethik. Der ganze – auf Luhmannscher systemtheoretischer Grundlage basierende – Ansatz erscheint begrifflich etwas ,aufgemotzt‘ und bietet inhaltlich nichts wirklich Neues. Auch in diesem Ansatz determiniert die Rahmenordnung das Agieren des zweck-mittel-rationalen Homo oeconomicus. Die Anfänge der Wirtschaftsethik lassen sich – ohne dass der Begriff selbst verwendet wurde – im magischen, mythischen und religiösen Denken finden (vgl. Surányi-Unger 1965, 84). Von der Antike bis zum Beginn der Neuzeit gab es einen „Primat der Ethik“ und keine Trennung von Ethik und Ökonomie (vgl. ebd., auch zur Geschichte); dieser wird zum Teil auch noch heute vertreten (z. B. Lenk / Maring 1992, 18). Wichtige kontrovers diskutierte Themen sind u. a.: Bedürfnisse, Eigentum, „gerechter Preis“, Zinsverbot, Arbeit, Armut, Bevölkerungsentwicklung, Ökologie, Individual- und Gemeinwohl sowie unterschiedliche Arten der Gerechtigkeit. Eine explizite Trennung von Ethik und Ökonomie fand erst im Liberalismus des 18. und 19. Jahrhunderts statt: Charakteristisch sind gesellschaftliche Ausdifferenzierung, autonome gesellschaftliche Subsysteme und Selbstinteresse, Wettbewerb, Rahmenordnung sowie Privateigentum; alles dies sollte fast automatisch zum größten Gemeinwohl beitragen (Mandeville, A. Smith, Bentham). Der typische ökonomische Utilitarismus führte also zur (dem Anspruch nach deskriptiven) Wohlfahrtsökonomie. Die Werturteilsfreiheitsthesen der Neoklassik ab ca. 1870 und im Neoliberalismus des 20. Jahrhunderts vollendeten die Trennung. Aktuell und wieder belebt wurde die Wirtschaftsethik zunächst in den USA in den 1960er Jahren und im deutschsprachigen Raum in den 1980er Jahren.5
5 Vgl. zur Geschichte der Wirtschaftsethik in Europa Cortina 2008, 12 ff. Cortina unterscheidet u. a. „reflexive functionalism“ mit Homann, Pies u. a., „integrative economic ethics approach“ mit Ulrich, Thielemann u. a., das Dialog-Modell von Steinmann, Löhr u. a. und den „hermeneutic-critical approach“ der Valencia-Schule mit Cortina u. a.
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III. Wirtschaftsethik: theoretisch – praktisch Theoretische Fragen der Wirtschaftsethik sind beispielsweise begriffliche „Rückfragen der Wirtschaftsethik an die Ethik und Metaethik“ und die „wirtschaftsethische Aufarbeitung ökonomischer Grundbegriffe und Theorien“ (Enderle 1983, 18 ff.): So werden Arten der Rationalität und Nutzenbegriffe, die Wirklichkeitsadäquatheit und Ceteris-paribus-Klauseln ökonomischer Theorien analysiert. Eher theoretisch, aber durchaus mit praxisrelevanten Folgen, sind Fragen der Werturteilsfreiheit, der reflexiven – selbstbezüglichen – Prognosen, der welt- und menschenbildprägenden Potenz ökonomischer Modelle und der Zweck-Mittel-Neutralität. Schwerpunkte praktischer oder angewandter Wirtschaftsethik – Enderle (1983, 23 ff.) spricht von „Institutionalisierung der Wirtschaftsethik“ – sind unter anderem Umwelt-, Sozialbilanzen, disziplinäre „Eide für Ökonomen“ (z. B. neuerdings der völlig unverbindliche MBA Oath für Manager), (internationale) Verhaltensund Ethikkodizes, Verbands-, Branchenkodizes, Unternehmensethiken, Unternehmenskulturen, Unternehmensleitbilder. Organisatorische Formen der Institutionalisierung sind „Ethik-Audits“, Ethikbeauftragte, Ethikkomitees, „Ethik-Hot-Lines“, Ethik-Netzwerke und Ethikkurse. Zur praktischen Wirtschaftsethik zu rechnen sind unter anderem auch Konzepte der Nachhaltigkeit als Konkretisierung der Wirtschaftsethik (vgl. Lenk / Maring 2003, 275 ff.) oder die neue Wunderformel der „Corporate Social Responsibility“ (CSR), das Durchsetzungsproblem wirtschaftsethischer Überlegungen (siehe auch Lenk 2009). Es lassen sich insgesamt zwei grundlegende Formen der nicht-organisationsgebundenen Institutionalisierung unterscheiden: weiche – bloß verbale Bekenntnisse – und harte – gesetzliche Regelungen mit Kontrollen beziehungsweise Überwachung durch unabhängige Dritte. Wirksame Regelungen weisen nicht nur eine Alibifunktion auf, sind nicht lediglich publizitäre oder imageorientierte Etikettenschwindeleien, die u.U. dazu dienen (sollen), oftmals strikteren gesetzlichen Regelungen zuvorzukommen. Solche sind eingebettet in gesellschaftliche Institutionen und Ordnungen – in die Rechts-, Staats- und Wirtschaftsordnung – und von diesen geprägt. Rahmenordnungen steuern nie vollständig; sie sind stets unterbestimmt und ergänzungsbedürftig; Institutionalisierungen füllen diese Lücke allenfalls teilweise. Wie alle Institutionen haben sie eine Entlastungsfunktion und senken die Transaktionskosten – genauso wie es die Moral tut. Nicht nur deshalb sind das Handeln des Einzelnen und seine Verantwortlichkeit wichtig; moralisch gesehen ist der verantwortlich Handelnde prototypisch Vorbild. Auch kann Vertrauen innerhalb von Unternehmen und zwischen Unternehmen als ,moralischer‘ Kostensenkungsbeitrag und gerade als Werbe- und Imagefaktor gesehen werden. Es können sich also unter Umständen auch Marktvorteile, praktische Nutzeffekte durch „ethical governance“ ergeben.
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IV. Zum Verhältnis von Ökonomik und Ethik Angesichts der wechselseitigen Beeinflussung von Ökonomik und realer Ökonomie reicht es weder, sich nur mit der sog. realen Wirtschaft allein zu befassen, noch bloß mit der ökonomischen Theorie. Die ,Güte‘ einer Wirtschaftsethik hängt entscheidend auch von der Sachanalyse der Wirtschaft und vom Grundverständnis des Ökonomischen ab: Versteht man unter Ökonomik eine deskriptive, empirischtheoretische (Sozial-)Wissenschaft, die sich auf einen – nur unscharf abgrenzbaren – Phänomenbereich ,Wirtschaft‘ oder allgemeiner auf Knappheitsbereiche und Tauschbeziehungen bezieht, so bestehen die Hauptaufgaben des Ökonomen (u. a.) in der Beschreibung, Erklärung und Prognose ökonomischer / sozialer Phänomene – und gerade nicht in der Formulierung (krypto-)normativer Empfehlungen. Normative Aussagen sind dann jedoch ein genuines Feld der der sog. normativen Ethik. – Versteht man unter Ökonomik die traditionelle neoklassische Gleichgewichtstheorie, dann schließt diese Position jegliche normative Wirtschaftsethik aus: In Modellwelten, in denen nicht gehandelt wird, sondern lediglich reaktive Anpassungen geschehen, ist für ethische Überlegungen kein Platz. – Vielfach versteht man unter Ökonomie eine (u. a.) Handlungsanweisungen formulierende präskriptive Wissenschaft, in deren Mittelpunkt ein normativ-vorschreibendes oder wertendes ökonomi(sti)sches Rationalprinzip (Zweck-Mittel-Prinzip) steht; dann werden die Sollens-Aussagen des (in der Regel individuenorientierten) KostenNutzen-Kalküls oft in Konflikt oder gar in Widerspruch mit nicht-ökonomischen normativen (ethischen) Aussagen geraten. V. Ebenen wirtschaftsethischer Analyse In der abendländischen Tradition bezogen sich ethische Begründungen, universalmoralische Regeln und die Konzepte des Homo oeconomicus fast ausschließlich auf das Handeln und Leben von Individuen.6 In den heutigen (Industrie-)Gesellschaften treten demgegenüber Phänomene des kollektiven und korporativen Handelns auf, etwa bei Großprojekten. Es gibt synergetische und kumulative Wirkungen von strategisch Handelnden sowie Gerechtigkeitsprobleme der Verteilung (öffentlicher und kollektiver) sozialer Güter mit Einzelansprüchen an das erwirtschaftete Gemeinschaftsgut – Probleme, die mit einer streng individualistischen Universalmoral nicht mehr erfasst werden können. Man denke nur an die „Tragödie der Gemeingüter“ in der Umweltproblematik (Hardin 1968, vgl. Lenk 1998, 349 ff.). Hier wie auch allgemeiner stellen sich sog. soziale Fallen ein, indem einzelne abweichende („defektierende“) Handelnde Vorteile ausschließlich daraus beziehen, dass alle anderen sich an Gemeinschaftsregeln halten (die Bedeutung von Dilemma-Strukturen für die Wirtschaftsethik betonen auch u. a. Homann, 2002, z. B. 94 ff. und Koslowski 1988, z. B. 7 ff.). 6 Dies gilt nicht in gleicher Weise für rechtliche Regelungen. Es gibt aber sehr wohl Parallelen z. B bei der rechtlichen und moralischen Verantwortung.
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Wählt man einen allgemeinen (nicht Luhmannschen) systemtheoretischen Ansatz, so ergeben sich drei eng verzahnte wirtschaftsethische Problembereiche (vgl. Enderle 1993, 65 ff., Maring 2001, 327 ff., Zimmerli / Aßländer 2005): (1) die Makroebene des (Wettbewerbs-)Systems und der (Welt-)Gesellschaft, (2) die Mesoebene der Korporationen und (3) die Mikroebene der Individuen. Auf der Mikroebene stellen sich zunächst hauptsächlich Fragen individuellen Handelns; dieses ist jedoch in eine Mesoebene – mit Unternehmen, Korporationen, Märkten, Arbeitsteilung usw. – und wiederum in die Makroebene – Staat, Gesamtgesellschaft, Moral, Recht usw. – eingebettet. Faktoren aller dieser Ebenen wirken differenziert in die anderen hinein. Typisch sind hier Verantwortungs- und Rollenkonflikte im Rahmen von Arbeitsverhältnissen (betriebliche Interessen vs. Sicherheit usw.). Die Mesoebene stellt wegen der Bedeutsamkeit korporativen Handelns einen besonders wichtigen unternehmensethischen Bereich dar.7 Einschlägig sind etwa die Fragen der (internen und externen) Verantwortung von und in Unternehmen, Probleme der Arten und Typen von Verantwortung: Wem gegenüber sind Korporationen (Institutionen und Unternehmen) in welchen Hinsichten verantwortlich? Können Korporationen selbst ,handeln‘, sei es in sekundärer bzw. nicht-reduzierbarer Art, und insofern auch moralisch verantwortlich sein?8 Zur Mesoebene gehören neben den Unternehmen auch intermediäre Organisationen wie Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände oder Konsumentenorganisationen. Zur Makroebene zählen die (Sozial-)Ethik der Eigentums- und Wirtschaftsordnung, der wirtschaftsrelevanten Gesetze, der Steuer- und Sozialpolitik, der nationalen und internationalen Arbeitsteilung und der Wirtschaftsordnung z. B. im Hinblick auf (Tausch- und Verteilungs-)Gerechtigkeit. Für diese Ebenen ließen sich differenzierende und handhabbare Modelle der Verantwortungszuteilung und Verantwortungsverteilung und ein Hierarchiemodell entwickeln, das die Verantwortlichkeiten auf den jeweiligen Ebenen lokalisiert bzw. verbindet und den sozial geregelten Verantwortungsverteilungen gerecht wird. Es geht also um eine Ergänzung und Vermittlung der Verantwortungstypen und nicht um eine Ersetzung oder Abschiebung von Verantwortlichkeiten. Als Leitlinie könnte ein Prinzip der größtmöglichen Eigenverantwortlichkeit bzw. ein Prinzip der Subsidiarität für alle Hierarchieebenen gelten (Maring 2001, 345 ff.): 7 Prominente Beispiele für Fragen nach einer genuinen korporativen Verantwortung sind u. a.: Deutsche Banken und die Arisierung von Vermögen, die Firma Manville und Haftung für Asbest-Schädigungen (ab 1930), Jürgen Schneider und die Deutsche Bank (1994), Nick Leeson und der Bankrott der Barings Bank (1995), das Flugzeug-Zusammenstoß bei Überlingen (2002), die Unglück der Raumgleiter Challenger (1986) und Columbia (2003), der Untergang der Estonia in der Ostsee (1994) und des Herald of Free Enterprise bei Zeebrügge (1987), die Chemie-Katastrophe in Bhopal (1984). 8 Entgegen der Tendenz der strikten Individualisierung der Verantwortung bzw. der NichtVerantwortung in der Ethik und im Strafrecht wird seit einiger Zeit untersucht, ob Korporationen nicht – wie in den USA – auch moralisch bzw. strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden sollten. Vgl. z. B. Alwart 1998, Fromm 2007, Heine 1996, Maring 2001, Mittelsdorf 2001, Weigend 2008 – auch zu Parallelen strafrechtlicher und ethischer Überlegungen.
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soviel (individuelle) Selbst- und Eigenverantwortung wie möglich, soviel Verantwortung auf der nächsten Ebene wie nötig – unter Beachtung der Verantwortbarkeit, Zumutbarkeit sowie des Prinzips ,Ultra posse nemo obligatur‘. Was die untere Ebene (faktisch) nicht leisten kann, ist dann erst auf übergeordneter Ebene anzugehen und zu regeln. Und generell gilt gemäß dem Subsidiaritätsprinzip: so wenig Eingriffe von ranghöheren gesellschaftlichen Ebenen wie möglich, so viele wie eben gerade nötig! In systemtheoretischer Sicht erweisen sich Konflikte von Ökonomie und Ökologie, auch die von Unternehmen und Haushalten verursachten externen Effekte, großenteils als Probleme der Systemgrenzfestlegung. Auch die kontroversen Fragen nach dem Verhältnis von Individual- und Gemeinwohl und die um sich greifende ,Sektoralisierung‘ der Gesellschaft, die scheinbare Autonomie – ,Moralresistenz‘ – der gesellschaftlichen Subsysteme, insbesondere der Wirtschaft, könnten so realitätsnäher untersucht werden. Bei der Diskussion korporativer bzw. institutioneller Verantwortung ist es wichtig, zwischen Korporationen und Institutionen zu unterscheiden, da Institutionen als gesellschaftliche Strukturen sozial normierter Verhaltenserwartungen keine korporativen Akteure mit entsprechender Verantwortung sind. Eine Institutionenethik, in der gesellschaftliche Institutionen ethisch-moralisch beurteilt und bewertet werden, ist ein allgemein wichtiges Desiderat. In Bezug auf institutionelle Regelungsmechanismen ließe sich dann z. B. genauer fragen, wie sie wirken und zu welchen Ergebnissen sie führen, und ob diese – ein entsprechender Beurteilungsmaßstab sei vorausgesetzt – (moralisch) wünschenswert sind. Bei Marktmechanismen könnte man etwa fragen: Schützen diese die Minderheiten, ergibt sich eine gerechte Verteilung usw.? Institutionen lassen sich überdies auch als ,Kollektivgüter‘ auffassen; doch damit ist ein weiteres strukturelles Problem verbunden: Es entstehen die für soziale Fallen typischen Fragen der Verantwortung(sverteilung).
VI. Verhaltenskodizes – Selbstverpflichtungen Beispiele für institutionell-ethische Verhaltenskodizes sind der „Globale Pakt“ („Global Compact“) des früheren UN-Generalsekretärs Kofi Annan (1999, ergänzt 2004 um Korruptionsbekämpfung); durch diesen Pakt soll die Zusammenarbeit zwischen UNO, Wirtschaft und anderen gesellschaftlichen Gruppen verbessert werden, um Ziele der UNO wie Beachtung der Menschenrechte, menschengerechte Arbeitsbeziehungen und Schutz der Umwelt zu verwirklichen. Weltweit sagten viele namhafte Unternehmen zu, dass sie solche Ziele unterstützen werden. Auch die deutsche Bundesregierung fördert diese. In ähnliche Richtung wie der „Globale Pakt“ zielt auch das „Manifest“ „Globales Wirtschaftsethos“ (vom 6. Oktober 2009) – initiiert von der Stiftung Weltethos – mit dem „Prinzip der Humanität“ und den Grundwerten: „Gewaltlosigkeit und Achtung vor dem Leben“, „Ge-
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rechtigkeit und Solidarität“, „Wahrhaftigkeit und Toleranz“ sowie „Gegenseitige Achtung und Partnerschaft“. Wer könnte dem nicht zustimmen? Aber wie sollen diese Grundwerte realisiert werden? Internationale Kodizes führten auch die OECD, die EG, die ILO (International Labour Organization der UN), die WHO (Weltgesundheitsorganisation) ein – der Kodex der ILO etwa soll zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen beitragen. Die ICC (International Chamber of Commerce) und viele multinationale Unternehmen stellten Leitsätzen auf für Investitionen im Ausland. Zum Inhalt haben letztere Kodizes das Verhalten multinationaler Firmen in den verschiedensten Gastländern. Neben solchen Verhaltenskodizes, die beispielsweise Kinderarbeit auch bei Zulieferern verbieten, sind Kontrollen bei diesen vor Ort notwendig, die zum Beispiel bei Verstößen gegen die Kodizes wirksam den Verlust von Aufträgen androhen können. Europaweit gilt seit längerem das – als vorbildlich angesehene – Davoser Manifest (zit. in Lenk / Maring 1992, 397 f.), ein Verhaltenskodex für das Management. In diesem wird unter anderem gefordert: „Zielsetzung des professionellen Wirtschaftsmanagements ist es, seinen Kunden, Anlegern, Arbeitern und Angestellten sowie den Gemeinschaften, innerhalb deren es tätig ist, zu dienen und deren unterschiedliche Interessen in Einklang zu bringen.“ Neuere, wichtige Richtlinien, die ständig aktualisiert werden und firmenextern zertifiziert werden können, sind: Social Accountability (SA) 8000 mit den Schwerpunkten Arbeitnehmerrechte, Arbeitsplatzbedingungen und Menschenrechte, ISO 9000 mit dem Bezug zum Qualitätsmanagement sowie ISO 14001 zum Umweltmanagement der Internationalen Organisation für Normung (ISO).
1. Corporate Governance Kodex (Deutschland) Seit acht Jahren gibt es für DAX-notierte Unternehmen den Deutschen Corporate Governance Kodex (seit 2002, hier: Fassung vom 18. 06. 2009), den viele Unternehmen übernahmen und mit dem sie auch werben. Dieser Kodex bleibt aber sehr vage, sieht keine Sanktionen vor und „stellt“ lediglich ohnehin geltende „gesetzliche Vorschriften zur Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Gesellschaften [ . . . ] dar und enthält international und national anerkannte Standards guter und verantwortungsvoller Unternehmensführung“ (Präambel). Doch im Laufe der Jahre hat es Änderungen dieses Kodex gegeben. Hieß es 2006 noch, dass der „Vorstand [ . . . ] das Unternehmen in eigener Verantwortung [ . . . ] leitet und dass er dabei „an das Unternehmensinteresse gebunden [ . . . ] und der Steigerung des nachhaltigen Unternehmenswertes verpflichtet“ ist (4.1.1), so heißt es in der Neufassung (2009): „Der Vorstand leitet das Unternehmen mit dem Ziel nachhaltiger Wertschöpfung in eigener Verantwortung und im Unternehmensinteresse, also unter Berücksichtigung der Belange der Aktionäre, seiner Arbeitnehmer und der sonstigen dem Unternehmen verbundenen Gruppen (Stakeholder).“
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Der vielfach bloß und allenfalls empfehlende Charakter des Kodexes („soll“) wird allerdings insofern eingeschränkt, dass Abweichungen von den Empfehlungen „offenzulegen“ sind, aber nicht für solche, welche „die Berücksichtigung branchen- und unternehmensspezifischer Bedürfnisse“ gewährleisten kann (Präambel). Auch die Empfehlung 4.2.4, die Vergütung der Vorstände offenzulegen, wird dadurch eingeschränkt, dass einerseits „die Hauptversammlung mit Dreiviertelmehrheit“ davon abweichen kann und andererseits der „Besitz von Aktien“, Optionen und Derivaten – Letztere machen oft ein Vielfaches der Gehälter aus – nur „dann anzugeben [sind], wenn [der Besitz] direkt oder indirekt größer als 1 % der von der Gesellschaft ausgegebenen Aktien ist“ (6.6). Ruhestandszahlungen waren von der Offenlegungspflicht im Übrigen gänzlich ausgenommen. Neuerdings (2009) sind diese offenzulegen, aber nicht etwa auf freiwilliger Basis, sondern aufgrund gesetzlicher Bestimmung (= kursiv): „4.2.4 Die Gesamtvergütung eines jeden Vorstandsmitglieds wird, aufgeteilt nach fixen und variablen Vergütungsteilen unter Namensnennung offen gelegt. Gleiches gilt für Zusagen auf Leistungen, die einem Vorstandsmitglied für den Fall der vorzeitigen oder regulären Beendigung der Tätigkeit als Vorstandsmitglied gewährt oder die während des Geschäftsjahres geändert worden sind. Die Offenlegung kann unterbleiben, wenn die Hauptversammlung dies mit Dreiviertelmehrheit anderweitig beschlossen hat.“
Auf einen interessanten Aspekt – Bezugnahme in einem Gesetz und Stärkung der Bedeutung durch dieses – im Zusammenhang mit dem Kodex macht Gregor Bachmann (Frankfurter Allgemeine Zeitung 03. 02. 2010) aufmerksam: „Börsennotierte Unternehmen werden vom Aktiengesetz verpflichtet, die Einhaltung oder Nichteinhaltung“ des Kodex „öffentlich zu verlautbaren“. Und das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz von Anfang 2009 verpflichtet „abweichende Unternehmen dazu [ . . . ], ihre Nichtbefolgung öffentlich zu begründen“. Daraus folgert Bachmann, dass „[s]elbst ungeliebte Empfehlungen [ . . . ] offenbar eher in Kauf genommen [werden], als dem Kapitalmarkt die Nichteinhaltung halbamtlicher Standards zu beichten“. Dieser – für Bachmann – „an sich erfreuliche Umstand hat eine allerdings Kehrseite“: „Erklärt [ . . . ] eine Gesellschaft, dass sie [dem Kodex] folgt“, „obwohl dies nicht der Fall ist, [so] verletzt sie nicht nur den Kodex, sondern zugleich ihre gesetzliche Erklärungspflicht“ gegenüber den „Anteilseigner der Gesellschaft“. Hieraus ergibt sich die Möglichkeit der Anfechtung von Beschlüssen der Hauptversammlung wegen „falscher Informationsgrundlage“. 2. Unternehmens- und Branchenkodizes Zentrale Inhalte der Unternehmenskodizes sind: Führungsgrundsätze, Verhaltensleitlinien, Handlungsmaximen, Mitarbeiterverhalten, Zusammenarbeit im Unternehmen, Verantwortung gegenüber Anteilseignern, Kunden, Mitarbeitern, der Umwelt und Gesellschaft usw. In Unternehmenskodizes wird darüber hinaus eingegangen auf: spezifische Unternehmensziele, Stellung des Unternehmens in der Gesellschaft, Geschäftspolitik, Verhältnis von Gewinn und anderen Zielen usw. (zu
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Unternehmenskodizes vgl. Talaulicar 2006). Des Weiteren wird in den Firmenkodizes das Verhältnis von Ertrag und anderen Zielen des Unternehmens behandelt (in Lenk / Maring 1992, 358 ff., 374), zum Beispiel bei den BASF: „Wirtschaftliche Belange haben keinen Vorrang gegenüber dem Umwelt- und Arbeitsschutz“ (2007: „Wirtschaftliche Belange haben keinen Vorrang gegenüber Sicherheit, Gesundheits- und Umweltschutz“), bei Bayer: „Es ist vornehmlich unsere Aufgabe, einen angemessenen Ertrag zu erwirtschaften. Dies ist notwendige Voraussetzung für Bestand und Erfolg des Unternehmens, für Investitionen und damit für die Sicherung unserer Arbeitsplätze“ (2007 bei Bayer Schering Pharma: „Bayer Schering Pharma sieht sich in der Pflicht, ökonomisch, sozial und umweltbewusst zu handeln“), und einst bei Hoechst: „Wirtschaftliche Gesichtspunkte dürfen niemals zu Lasten der Sicherheit gehen“ (2007 unter dem Dach von sanofi-aventis: „Der Schutz der Umwelt, der sichere Betrieb der Anlagen, ein hohes Niveau im Arbeitsschutz und damit die Sicherheit der Mitarbeiter sind grundlegende Bestandteile der Unternehmenspolitik von sanofi-aventis. Sie stehen gleichberechtigt neben den wirtschaftlichen Zielen des Unternehmens“). Beispielhaft auf der Mesoebene und für einen Verbands-, Branchenkodex sind die vom Verband der Chemischen Industrie (VCI) entwickelten „Leitlinien Verantwortliches Handeln“; sie wurden in der Nachfolge zu den „Umwelt-Leitlinien“ von 1986 entwickelt und sind für die Mitgliedsfirmen verbindlich (1995 beschlossen von der Mitgliederversammlung des VCI). In ihnen wird ausgeführt: „Die deutsche chemische Industrie will ihren Beitrag [zum Rio-Leitbild „sustainable development“] leisten. Unter Berücksichtigung ökologischer, ökonomischer und sozialer Aspekte bemühen wir uns, die Natur als Lebensgrundlage für die heute lebenden und die kommenden Generationen zu erhalten“ (heute ähnlich und ausführlicher mit zahlreichen Materialien und Dokumentationen der guten Taten). Neuerdings gibt es einen Kodex des Chemie-Sozialpartnernetzes von Bundesarbeitgeberverband Chemie e.V. (BAVC) und Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE)9 „Verantwortliches Handeln in der Sozialen Marktwirtschaft“ mit den Schwerpunkten Nachhaltigkeit, Fairness und Wertorientierung. 3. Selbstverpflichtungen Als Königsweg zur Lösung der Probleme des Umweltschutzes, der externen Effekte und allgemeiner als eine Ausprägung praktischer Wirtschaftsethik gelten in Wirtschaft und Industrie sog. Selbstverpflichtungen. Selbstverpflichtungen setzen auf Eigenverantwortung und sind eine Art von Verhandlungskompromiss der beteiligten Unternehmen – oftmals zur Vorbeugung bzw. Abwendung staatlicher Maßnahmen; sie werden als Alternative zu staatlichen Auflagen vor allem von der Industrie beispielsweise als Mittel empfohlen, um die Umwelt zu schützen – man denke etwa an Selbstverpflichtungen der deutschen Industrie zur Minderung von 9
Initiiert 2007, unterzeichnet 2008 vgl. http: //www.chemie-sozialpartner.de/.
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CO2-Emissionen, deren Einhaltung Probleme mit sich bringen könnte, und an den Streit in Deutschland vor der Einführung des europaweiten Emissionshandels. Eingeführt wurde der Emissionshandel 2005 – manche bezeichnen ihn auch als eine Art ,modernen Ablasshandel‘. Ein weiteres Beispiel für Selbstverpflichtungen ist jene der Automobilindustrie in Europa zum CO2-Ausstoß von Neuwagen: Im Jahre 1998 verpflichtete man sich, den CO2-Ausstoß bis zum Jahre 2008 auf 140 g / km zu reduzieren. Aktuelle Statistiken zum CO2-Ausstoß nähren jedoch starke Zweifel an der Wirksamkeit von Selbstverpflichtungen, wenngleich gewisse Verbesserungen nicht zu leugnen sind.10 Selbstverpflichtungen werden aber oft auch vielfach vorgeschlagen – wie erwähnt –, um gesetzlichen Regelungen zuvorzukommen. So dient die Selbstverpflichtung von Banken und Versicherungen in Deutschland, Boni nur noch langfristig und nachhaltig zu bezahlen, offenkundig nur dem Zweck, einer höheren Besteuerung – wie in Großbritannien und Frankreich geschehen – vorzubeugen.
VII. Ethikkodizes, kollektive Güter und soziale Fallen Zu den Unternehmenskodizes und ihrer manifesten Funktion zur Lösung von Konflikten schreibt Bowie (1992, 348) zusammenfassend: Sie seien „ideal, um Fälle eines Interessenkonflikts zu lösen“, „nicht effektiv in Fällen, wo ihre Befolgung eine Firma in einen Wettbewerbsnachteil brächte“ – also in PD-Situationen (Prisoners’ Dilemma); sie seien „auch nicht geeignet, [solche] ethische[n] Dilemmata zu lösen, die sich aus konkurrierenden Interessen ergeben“. Neben dem Problem des Zustande-Kommens eines Kodex und des Trittbrettfahrens sind die Hauptprobleme bei Kodizes, Selbstverpflichtungen und vielen weiteren institutionellen Regelungen in der Regel: die Höhe der Standards, der Mangel an Konkretheit, der bloß empfehlende Charakter, mangelnde moralische und motivationale Unterstützung von Mitarbeitern (zum Beispiel durch Ethik-Hotlines), Fehlen von Kontrollen und Sanktionen; ohne Letztere bleiben die Kodizes weitgehend ,schöner Schein‘, wobei Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander klaffen – wie zum Beispiel bezüglich verbreiterter Kinderarbeit im Ausland bei manchen Sportartikelherstellern und beim Einhalten der „Konvention“ der OECD gegen Korruption. Auch beim Testen von Medikamenten an Kindern in der Dritten Welt, das ohne ausreichende Information der Eltern geschieht, wird gegen Kodizes der betreffenden Pharmafirmen verstoßen. Kinderarbeit, Diskriminierung, Recht auf (gewerkschaftliche) Interessenorganisation und sichere Arbeitsumgebung sind weitere kritische Punkte der Kodizes (vgl. Maring 2005). Oft sollen die Kodizes vor allem die Kunden beruhigen. 10 Vgl. z. B. Kraftfahrt-Bundesamt: www.kba.de/cln_005/nn_124384/DE/Statistik/Fahrzeuge/ Neuzulassungen/EmissionenKraftstoffe/2009_n_co2_emission.html (vom 08. 03.2010).
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Kodizes haben aber auch noch eine andere Funktion, nämlich bezogen auf den einzelnen Beschäftigten – Manager, Ingenieur usw. – eine Schutzfunktion: Wenn Beschäftigte zum Beispiel auf Missstände in Unternehmen mit Folgen für Dritte aufmerksam machen möchten und dies von ihnen moralischen Heroismus verlangen würde, so können heutzutage vielfältige Formen der Institutionalisierung des Informantenschutzes beziehungsweise Ethikkodizes helfen und Schutz bieten (vgl. Lenk / Maring 2004). (Findet der Ethikkodex noch Anerkennung über positives Recht – wie im Hinblick auf § 138 BGB „gute Sitten“ –, so stärkt dies die Position des Einzelnen im Betrieb noch und die Wirksamkeit des Kodex selbst.) Aber auch ein verbindlicher Unternehmenskodex oder die obligatorische Priorität von Sicherheit vor Profit im Unternehmen könnte hilfreich für den Einzelnen sein – wobei zu beachten ist, dass das einzelne Unternehmen quasi überfordert sein kann und selbst in eine Fallensituation geraten kann. Was dann auf Unternehmensebene nicht lösbar ist, sollte auf der nächst höheren gesellschaftlichen Ebene angegangen werden. Auf Branchenebene könnten Branchenkodizes oder -vereinbarungen entwickelt werden, in denen etwa hohe Sicherheitsstandards für Produkte und Produktion definitiv festgeschrieben werden. Branchenselbstverpflichtungen und Branchenkodizes sind ebenfalls ein Versuch zur Vermeidung des Prisoners’ Dilemma bei einzelnen Unternehmen, die Bankrott gehen könnten, falls zum Beispiel sie allein in Umweltschutzmaßnahmen investieren würden. Was auf Unternehmensebene nicht lösbar scheint, weil es zum wirtschaftlichen Ruin führen könnte, wird mit einem Branchenkodex auf der nächst höheren gesellschaftlichen Ebene angegangen. Auf der gesellschaftlichen Makroebene könnten dann solche Probleme angegangen werden, die nicht zureichend auf den unteren Ebenen gelöst werden können. Gesetze, verbindliche Kontrollen usw. könnten auf dieser Ebene geeignete Instrumente sein. Werden aber – als Folge solcher Überlegungen – Maßnahmen auf der Makroebene ergriffen, so bedeutet das keineswegs, dass die individuellen und korporativen Akteure (die Unternehmen) von ihrer Verantwortung vollständig befreit und nun nicht mehr verantwortlich wären. Eventuell bestehen genauer zu spezifizierende Verantwortlichkeiten weiterhin. Ein Subsidiaritätsprinzip kann recht verstanden auf diese Weise auch die Eigenverantwortung des Einzelnen stärken, falls notwendige Rahmenbedingungen und Unterstützung gegeben sind (vgl. Maring 2001, 345 ff.). Die individuelle moralische Handlungsverantwortung ist und bleibt zwar das prototypische Beispiel und Vorbild der Verantwortung überhaupt – auch der i.w.S. kollektiven Arten von Verantwortlichkeit. Doch ist sie nicht der einzige relevante Verantwortungstyp. Es gibt eben auch eine sekundäre moralische oder moralanaloge Verantwortung von Unternehmen, Korporationen usw. Diese ,korporative Verantwortung‘ ist stets in Verbindung mit der individuellen moralischen Verantwortung zu sehen und damit in eine operational greifbare Beziehung zu setzen. Die individuelle, persönliche moralische Verantwortung wird stets bei moralisch relevantem sekundären und primären Handeln mitaktiviert, mitaktualisiert. Wenn andere in ihrem Wohlbefinden, in ihrer Gesundheit oder evtl. nur in ihrem Lebensinteresse betroffen sind, dann ist das immer moralisch relevant. Sekundäre
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Verantwortung, also Verantwortung für sekundäres, organisationsgebundenes korporatives Handeln aktiviert auch primäre (persönliche) Verantwortung; sie ist systematisch verbunden mit primärem Handeln und / oder mit der Verantwortung dafür. Die verschiedenen Ebenen der Verantwortung lassen sich in einem hierarchischen Modell verknüpfen (vgl. Maring 2001, 345 ff.). Ethikkodizes bedürfen also einer institutionellen Einbettung in Verfahren und Kontrollmöglichkeiten, damit sie sozial wirksam werden können. Dabei scheint es notwendig, eine sanktionsgestützte Rückkopplung einzubauen. So kann es sich ein Wirtschaftsunternehmen auf lange Sicht – eigentlich! – nicht leisten, von den Regeln des ,guten Kaufmanns‘, der fairen und lauteren Kunden- und auch Konkurrentenbehandlung merklich abzuweichen, will er nicht Gefahr laufen, seinen Ruf zu verlieren und finanzielle Einbußen und Rückschläge zu erleiden. Die eingebauten Rückkopplungs- und Sanktionsverfahren können den in Konkurrenzsystemen immanenten Versuchungen zur (eventuell heimlichen) Unfairness und anderen Regelverstößen tendenziell entgegenwirken. Offenheit, Praktikabilität und verfahrensmäßige Absicherung müssen zusammenwirken, um aus den idealen Gedanken der Regelbefolgung und der formellen Regelforderung ein wirksames Kontrollinstrument zu machen, das nur in institutioneller Einbettung funktionieren kann. – Erinnert sei aber auch an die sich in letzter Zeit häufenden Finanzskandale, Bilanzfälschungen usw. – nicht nur in den USA, wo sie jüngst zu verschärften rechtlichen Regelungen führten. Helfen also letztlich nur Gesetze, rechtsgestützte und sanktionsbewehrte Kontrollen? Hinsichtlich bestimmter Missstände in Betrieben11 wie z. B. der „Aufdeckung von Gesetzesverstößen und Straftaten“, „Kritik an internen Missständen“ und „Bagatellisierung von Schadensfällen“ (Deiseroth 2008) scheint eine gesetzliche Regelung angebracht. Deiseroth schlägt für solche Fälle zum Schutz der Beschäftigten folgende Änderungen bzw. Ergänzungen des BGB vor, die auch wir für sinnvoll und diskussionswürdig halten. Anstelle des § 612a „Maßregelverbot“ soll ein „Anzeigerecht“ treten (ebd.)12: (1) Ist ein Arbeitnehmer auf Grund konkreter Anhaltspunkte der Auffassung, dass im Betrieb oder bei einer betrieblichen Tätigkeit gesetzliche Pflichten verletzt werden, kann er sich an den Arbeitgeber oder eine zur innerbetrieblichen Klärung zuständige Stelle wenden und Abhilfe verlangen. Kommt der Arbeitgeber dem Verlangen nach Abhilfe nicht, nicht in angemessener Frist oder nach Auffassung des Arbeitnehmers nicht ausreichend nach, hat der Arbeitnehmer das Recht, sich an eine zuständige außerbetriebliche Stelle zu wenden. 11 Ein besonders aktuellen und brisanten Fall stellen Frankfurter Steuerfahnder dar, die auf Missstände bei der Finanzverwaltung hingewiesen haben und die mittels zumindest zweifelhafter, wenn nicht gar falscher psychiatrischer Gutachten zwangspensionert wurden. Ihnen wurde – völlig zu Recht – der Whistleblower-Preis 2009 der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) und der der Deutschen Sektion der Juristenvereinigung IALANA – International Association of Lawyers Against Nuclear Arms – verliehen. 12 „Der bisherige § 612a [Maßregelverbot] wird [geändert] zu § 612b“ (Deiseroth 2008).
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(2) Ein vorheriges Verlangen nach Abhilfe ist nicht erforderlich, wenn dies dem Arbeitnehmer nicht zumutbar ist. Unzumutbar ist ein solches Verlangen stets, wenn der Arbeitnehmer aufgrund konkreter Anhaltspunkte der Auffassung ist, dass 1. aus dem Betrieb eine unmittelbare Gefahr für Leben oder Gesundheit von Menschen oder für die Umwelt oder für vergleichbare erhebliche Rechtsgüter Dritter oder der Allgemeinheit droht, 2. der Arbeitgeber oder ein anderer Arbeitnehmer im Betrieb oder im Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit eine Straftat begangen hat; bei Straftaten anderer Arbeitnehmer entfällt die Notwendigkeit eines vorherigen Verlangens nach Abhilfe nur dann, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Arbeitgeber die Straftat billigt oder aus sonstigen Gründen eine innerbetriebliche Abhilfe nicht, nicht rechtzeitig oder nicht ausreichend erfolgen wird 3. eine Straftat geplant ist, durch deren Nichtanzeige er sich selbst der Strafverfolgung aussetzen würde, 4. eine innerbetriebliche Abhilfe nicht oder nicht ausreichend erfolgen wird.
VIII. Eigenverantwortung – Subsidiaritätsprinzip Was können nun Einzelne angesichts der angesprochenen ,sozialen Fallen‘ tun? Sicherlich können einzelne Unternehmer eine Vorreiterrolle spielen, doch dies reicht nicht aus. Wir brauchen unter anderem institutionelle Maßnahmen – wie etwa ein verbindlich vorgeschriebenes Öko-Audit und ein entsprechendes Umweltmanagement. Die institutionalisierten prozessintegrierten Ansätze zur korporativen sozialen Verantwortung (CSR) mit der dreifachen Nachhaltigkeit als wirtschaftsethischen Indikator können in diesem Sinne einen echten Mehrwert schaffen13. Um aber zu verhindern, dass strikt zweck-mittel-rational kalkulierende Personen, Positionsinhaber, Unternehmen oder andere korporative Akteure nicht als rücksichtslose Trittbrettfahrer strukturelle Mängel für sich zum Nachteil anderer ausnutzen, ist es mit (moralischen) Appellen allein nicht getan. Einzelne Unternehmer beispielsweise können zwar sicherlich Vorbild und zugleich im Schumpeterschen Sinne schöpferische Pionierunternehmer sein und dadurch einen Wettbewerbsvorteil – zum Beispiel extra Gewinne – erzielen; überdies können sich Nachahmeffekte ergeben. Doch all dies nur, wenn Unternehmer und Manager nicht bloßes Outsourcing und Downsizing als Höhepunkte unternehmerischen Handelns ansehen. So entdeckten japanische Elektronikkonzerne vor kurzem Ernst Ulrich von Weizsäckers „Faktor vier“ und beginnen entsprechend zu planen.14 Weitere beispielhafte Firmen sind der Otto-Versand mit der „Pure Wear“-Kollektion aus Biobaumwolle und Hoechst im Hinblick auf konkreten Umweltschutz im Sinne der Nachhaltigkeit – bis heute sind das freilich nur Einzelfälle. Vgl. zu den drei Säulen der Nachhaltigkeit Lenk / Maring 2003, 280 ff. Die Produktivität von Energie und natürlichen Ressourcen soll nach diesem Prinzip vervierfacht werden. 13 14
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Auf Eigenverantwortung in Form von Kodizes und Selbstverpflichtungen zu setzen, ist zweifellos – so meinen wir – ein sinnvoller Ansatz, zumal in Verbindung ,Incentives‘ und öffentlicher Wahrnehmung (i.S. sozialer Kontrolle). Wichtig ist insgesamt ein Mix individuenbezogener und institutioneller Maßnahmen: Denn was auf einer bestimmten gesellschaftlichen Ebene allein nicht lösbar ist, sollte auf der nächst höheren angegangen werden. Und falls doch Freiwilligkeit („freiwillige Selbstverpflichtung“) keine ausreichende Gewähr für die Erreichung von hochrangigen Gemeinschaftsgütern und entsprechenden Zielen bieten kann, so ist staatliches, rechtliches Handeln not-wendig. Dies bedeutet zwar keine generelle Verrechtlichung; häufig sind aber rechtliche Maßnahmen unverzichtbar oder gar die einzige Chance zur Wirksamkeit. Bloße Einzelmaßnahmen genügen fast nie; es ist stets eine Mischung von Lösungsmaßnahmen für je spezifische Probleme zu testen – so zum Beispiel die Eignung von Zertifikaten oder Steuern bei drohenden Umweltschädigungen. Als recht allgemeine Leitlinie könnte in der Tat gelten: nur so viele Gesetze, Gebote und Verbote wie nötig, aber so viele Anreize, so viel Eigeninitiative und Eigenverantwortung wie möglich – ganz im Sinne des Subsidiaritätsprinzip15. IX. Wirtschaftsethik – Kompetenzen – Schlüsselqualifikation Auch eine wissenschaftsethische Aufarbeitung der Mitverantwortung ,der‘ Ökonomen für die Finanzkrise erscheint dringlich. Oder sollten das Propagieren von Deregulierung und Privatisierung sowie die Entwicklung mathematischer Modelle für hochkomplexe Anlagen, Derivate u. Ä. – u. a. durch Nobelpreisträger der Ökonomie – im völlig verantwortungsfreien Raum erfolgt sein? Ein ethisches Durchleuchten der intrikaten Gemengelagen wirtschafts- und gesellschaftspolitischer, rechtlicher, ethischer sowie betrieblicher Zusammenhänge ist heute und weiterhin unerlässlich.16 Die Wirtschaftsethik könnte dafür systematische Vorbereitungen und Grundlagen erstellen. Wirtschaftsethik kann nämlich ebenso wie allgemeine Ethik und praktische Philosophie generell Schlüsselqualifikationen in Form von grundlegenden ethischphilosophischen Kenntnissen und entsprechenden Kompetenzen vermitteln (vgl. Maring 2009). Die fachspezifischen und ethischen Dimensionen und Aspekte aktueller ökonomischer, technischer und sozialer Fragen und Probleme können so zusammengeführt, interdisziplinär analysiert und praxisnah erörtert werden, besonders z. B. Fragen der Subsidiarität und der Verantwortungsverteilung. Verantwortliche Entscheidungen in Teams zu treffen, über entsprechendes Orientierungswissen zu verfügen, in Diskussionen sachlich argumentieren zu können, 15 Vgl. zum Subsidiaritätsprinzip zur Lösung der Finanzkrise Eichhorn / Solte 2009, 208 ff. 16 Auch die Untersuchung der weltweit verbreiteten mafiösen und korruptionsanfälligen Strukturen gehört dazu.
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Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen, die notorische eindimensionale Fachorientierung zu erweitern – all diese Kompetenzen sind neben ethisch-philophischem Grundlagenwissen Inhalt von wirtschaftsethischen Vorlesungen und Seminaren. Sie ergänzen in sinnvoller, ja, nötiger Weise jene Fertig- und Fähigkeiten, die im Fachstudium erworben werden. Von einem interdisziplinären Dialog kann aber nicht nur die Fachwissenschaft profitieren, sondern ebenfalls die Ethik und die Philosophie. Praxisnähe tut not, ist not-wendig!
Summary Starting from a description of the triggering processes and decisive factors of the recent and still on-going global financial crisis in terms of a comprehensive loss of trust which led to a systems collapse and to worldwide structural consequences in terms of a financial and economic clash, the paper focuses on the question: What have politicians and economists as well as all of us learned from this crisis? The emphasis is on the role and function of business ethics and the ethics of economics in general, stressing the impact of systems factors, practical differentiation, and institutionalization. Ethics has to turn to different levels of analysis like individual (“micro”), corporate (“meso”) and state as well as internationally oriented (“macro”) and also to corresponding levels or types of responsibilities. Codes of conduct and governance including international and global ones (e.g. by OECD, ILO etc.) are discussed with special regard to institutionalization, while self-obligations are examined with practical regard to codes of trade and industrial branches. Questions are broached whether or not such codes are apt to solve problems of “social traps” and “collective goods” or if they are just recommendations without real impact. The authors favour a differential “mixed” approach of ethical and corporate codes, self-obligations and responsibility, by underlining the “principle of subsidiarity”. In general, schooling in ethics of economics turns out to provide or is hoped to convey a sort of “key competence” for a conducive and comprehensive qualification in economical studies.
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Verdienen Manager, was sie verdienen? Eine wirtschaftsethische Stellungnahme Ingo Pies und Peter Sass Die Vergütungsstruktur für wirtschaftliche Führungskräfte ist ins Zentrum massenmedialer Aufmerksamkeit geraten. Insbesondere die Höhe der Managergehälter hat in Deutschland eine öffentliche Diskussion ausgelöst, die sehr kontrovers geführt wird. Zwei Positionen stehen sich recht unversöhnlich gegenüber. Auf der einen Seite wird die gegenwärtige Vergütungspraxis massiv kritisiert. Es wird der Vorwurf erhoben, dass ihre Kriterien nicht nachvollziehbar seien, und es wird insinuiert, dies lasse darauf schließen, dass man es hier mit einem Phänomen von Selbstbedienungsmentalität und Klüngelwirtschaft zu tun habe. Auf der anderen Seite verteidigen Vorstände und Aufsichtsräte die von ihnen zu verantwortende Vergütungspraxis, indem sie sich gegen den Vorwurf der Gier und der Unverhältnismäßigkeit zu Wehr setzen, ihrerseits den Vorwurf einer Neiddebatte erheben und in der Sache zahlreiche Gegenargumente vorbringen, die in der Öffentlichkeit freilich eher auf Unverständnis stoßen und geeignet sind, die Vorbehalte der Kritiker unfreiwillig zu bestätigen.
Die Diskussion wird auf beiden Seiten mit einem erheblichen emotionalen Aufwand inklusive moralischer Empörung geführt. Deshalb zielt dieser Beitrag darauf ab, mittels einer wirtschaftsethischen Stellungnahme zur Versachlichung der Diskussion und zur Überwindung der derzeit unübersehbaren Denk- und Handlungsblockaden beizutragen. Die wirtschaftsethische Stellungnahme erfolgt aus einer „ordonomischen“ Perspektive, d. h. sie reflektiert auf mögliche Diskrepanzen zwischen Sozialstruktur und Semantik sowie auf die durchaus unterschiedlichen Möglichkeiten, solche Diskrepanzen abzubauen.1 Hierbei bezeichnet „Sozialstruktur“ allgemein institutionelle Regelungen und ihre Anreizwirkungen, während „Semantik“ die – oft normativen – Begriffe und die ihnen zugrundeliegenden Ideen, die Denkkategorien, bezeichnet. Diskrepanzen zwischen Sozialstruktur und Semantik liegen dann vor, wenn Institutionen und Ideen auseinanderklaffen, also wenn die tatsächlichen Anreizarrangements nicht den in der Öffentlichkeit verbreiteten Vorstellungen ent1 Zum ordonomischen Forschungsprogramm vgl. Pies (2009a) und (2009b) sowie Pies, Hielscher und Beckmann (2009a).
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sprechen. Solche Diskrepanzen lassen sich abbauen, indem man entweder die Sozialstruktur an die Semantik oder umgekehrt die Semantik an die Sozialstruktur anpasst. Im ersten Fall benötigt man institutionelle Reformen, im zweiten Fall einen Paradigmawechsel, der die Sichtweise auf die institutionellen Arrangements perspektivisch verändert. Die ordonomische Argumentation wird in sieben Schritten entwickelt. (1) Nicht nur die kontroversen Positionen und Gegenpositionen innerhalb der öffentlichen Diskussion um die Vergütungsstruktur für Manager sind strittig. Strittig ist auch, inwiefern die Diskussion selbst überhaupt berechtigt ist. Deshalb beleuchtet der erste Abschnitt den Problemhintergrund der aktuellen Debatte und zeigt ihre Legitimität auf. (2) Der zweite Abschnitt untersucht, wie die Debatte gegenwärtig geführt wird. Hier wird die Semantik analysiert. Dabei zeigt sich, dass die beiden strittigen Positionen in der aktuellen Debatte eine wichtige Gemeinsamkeit aufweisen: Beide Seiten – pro und contra – verwenden die Semantik der Leistungsgerechtigkeit. Sie unterscheiden sich lediglich darin, ob sie dieses Prinzip in der gegenwärtigen Vergütungspraxis befolgt oder verletzt sehen. (3) Der dritte Abschnitt gibt einen Überblick über die empirischen Erkenntnisse zur Entwicklung der Managergehälter. Hier wird dokumentiert, dass die Vergütungsstruktur dem Prinzip der Leistungsgerechtigkeit nicht entspricht und dass die Bevölkerung auf diese Diskrepanz zwischen Semantik und Sozialstruktur mit einer Kritik an der Sozialstruktur reagiert, was die Regierung zu entsprechenden Maßnahmen veranlasst. (4) Der vierte Abschnitt diskutiert, inwiefern es funktional ist, das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit zum Orientierungsmaßstab für die Entlohnung von Managern zu machen. Hier lautet die differenzierte Antwort, dass es gemeinwohlförderlich sein kann, vom Prinzip der Leistungsgerechtigkeit abzuweichen. (5) Dass die moderne Entwicklung eines Strukturwandels von der sachkapitalintensiven zur humankapitalintensiven Wirtschaft solche Abweichungen sogar erfordert und tendenziell größer werden lässt, ist Gegenstand des fünften Abschnitts. (6) Der sechste Abschnitt schließlich gelangt zu dem Schluss, dass es – entgegen dem oberflächlichen Eindruck – nicht gemeinwohlförderlich wäre, die Diskrepanz zwischen Sozialstruktur und Semantik einseitig nur durch Anpassungen der Sozialstruktur abzubauen. Vielmehr kommt es aus wirtschaftsethischer Sicht darauf an, dass auch umgekehrt die Semantik an sozialstrukturelle Erfordernisse angepasst wird. (7) Anstatt einer Zusammenfassung wird der rote Faden der hier entwickelten Argumentation in Form von zehn Thesen abschließend vor Augen geführt.
I. Zur Legitimität der Debatte In der öffentlichen Debatte über die Angemessenheit der Managerentlohnung stoßen pro und contra heftig aufeinander. Aber nicht nur die Positionen innerhalb dieser Debatte sind umstritten. Umstritten ist auch, inwiefern es überhaupt statthaft
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ist, eine solche Debatte zu führen. Hierzu wird gelegentlich die Meinung vertreten, dass die Vergütungsstruktur eine Privatangelegenheit sei, die primär zwischen den Managern und den Unternehmenseigentümern bzw. ihren Vertretern geregelt werden müsse und die Öffentlichkeit eigentlich kaum etwas angehe. „Die Politik sollte sich da raushalten“, äußert der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages Ludwig Georg Braun zu diesem Thema.2 Und der Präsident des Bundesverbandes des Groß- und Außenhandels Anton Börner meint in ganz ähnlicher Weise: „Die Frage der Gehälter ist eine Frage der Eigentümer“3. Aus der Perspektive einer ordonomischen Wirtschaftsethik kann man hierzu differenzierend Stellung nehmen, indem man Unternehmen als Wertschöpfungsagenten im gesellschaftlichen Auftrag bestimmt und sodann drei unterschiedliche Ebenen identifiziert.4 Auf diese Weise lässt sich deutlich machen, dass die aktuelle Debatte nicht nur statthaft, sondern sogar dringend notwendig ist – und dass gerade Anhänger der Marktwirtschaft allen Grund haben, daran interessiert zu sein, dass diese Debatte mit sachlicher Kompetenz geführt wird. ((1)) Ausgangspunkt der wirtschaftsethischen Überlegungen ist, die Marktwirtschaft als eine gesellschaftliche Veranstaltung zu begreifen. Demzufolge ist das wirtschaftliche Handeln der Unternehmen ebensowenig ein Selbstzweck wie ihre Handlungsorientierung am unternehmerischen Gewinnkalkül. Beides bedarf vielmehr der Rechtfertigung – durch den Nachweis von Funktionalität im Sinne gesellschaftlicher Nützlichkeit. Das wirtschaftsethische Kernargument hierzu lautet, dass unter ganz bestimmten Bedingungen, die ordnungspolitisch herzustellen sind, das Handeln der Unternehmen nicht nur die Interessen der Unternehmenseigentümer befriedigt, sondern insbesondere auch die Interessen der diversen Interaktionspartner, mit denen das Unternehmen Wertschöpfung organisiert, also der Kunden und Lieferanten, der Mitarbeiter und Fremdkapitalgeber. Sichere Eigentumsrechte und ein leistungsfähiges Vertragsrecht zur konsensualen Übertragung von Eigentumsrechten per Tausch sowie wettbewerblich verfasste Märkte führen dazu, dass ein Unternehmen nur dann Gewinne erwirtschaften kann, wenn es ihm gelingt, bei seinen Kunden auf freiwilliger Basis eine Zahlungsbereitschaft zu aktivieren, die die Ansprüche seiner sonstigen Interaktionspartner – und mithin die Kosten der Produktion – übersteigt. Gewinne sind unter diesen Bedingungen ein Signal – und Vgl. Spiegel Online (2007d). Vgl. Spiegel Online (2007c). 4 Die Sichtweise, dass Unternehmen Wertschöpfungsagenten im gesellschaftlichen Auftrag sind, findet sich bereits bei Franz Böhm (1971, 1980; S. 203, H.i.O.). Dort liest man: „Die Gewerbefreiheit hat . . . den Charakter einer sozialen Auftragszuständigkeit, die der Rechtfertigung durch den sozialen Nutzen bedarf.“ Ähnlich heißt es bei Ludwig von Mises (1959; S. 131): „Eigentum an Produktionsmitteln ist in der Marktwirtschaft gewissermaßen ein gesellschaftliches Mandat, das dem Mandatar entzogen wird, wenn er den jeweiligen Weisungen seiner Auftraggeber, der Verbraucher, nicht nachkommt.“ 2 3
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gleichzeitig eine Belohnung – dafür, dass es dem Unternehmen gelungen ist, im Wege wechselseitig vorteilhafter Interaktionen eine genuine Wertschöpfung zu organisieren. Diese wirtschaftsethische Überlegung, die der Ebene der Ordnungspolitik einen systematisch wichtigen Stellenwert zuweist, lässt sich nun in zwei Richtungen weiter- und zu Ende denken. Auf der einen Seite ist davon auszugehen, dass die Ordnungspolitik, die Märkte mit institutionellen Rahmenbedingungen versieht, letztlich davon abhängt, welches Problemverständnis und welche Lösungsideen sich in der demokratischen Öffentlichkeit durchsetzen. Auf der anderen Seite ist zu bedenken, dass es innerhalb der marktwirtschaftlichen Rahmenordnung ein ganz normales betriebswirtschaftliches Problem darstellt, mit den jeweiligen Interaktionspartnern in Prozesse der Preisfindung einzutreten und hier solche Vereinbarungen zu treffen, die der Wertschöpfung dienen. ((2)) Hält man diese drei Ebenen auseinander – also erstens die Ebene des demokratischen Diskurses, zweitens die Ebene der ordnungspolitischen Gestaltung marktlicher Rahmenbedingungen und drittens die Ebene betriebswirtschaftlicher Problemlösungen –, so lässt sich der Vorstellung, die Preisfindung sei eine marktwirtschaftliche Privatangelegenheit, durchaus etwas abgewinnen. Dieses Argument – und seine Pointe – werden nun in drei Schritten gedanklich entwickelt. Erster Schritt: Im Idealfall einer perfekten Rahmenordnung kann man sich vorstellen, dass in der Öffentlichkeit Einigkeit darüber herrscht, wie eine funktionale Rahmenordnung auszusehen hat, und dass man gerade aufgrund dieser Funktionalität darauf vertraut, dass die wirtschaftlichen Akteure hinreichend mit Anreizen ausgestattet sind, sich in ihrem eigenen Interesse so zu verhalten, wie es gesellschaftlich gewünscht wird. Unter diesen stark idealisierenden Bedingungen kann man sich vorstellen, dass das, was systematisch betrachtet als gesellschaftlicher Auftrag ausgeführt wird – nämlich wirtschaftliches Handeln einschließlich der Preisfindung –, aus pragmatischen Gründen von Seiten der Gesellschaft wie eine Privatangelegenheit betrachtet und behandelt wird. Zweiter Schritt: Im Fall einer nicht perfekten Rahmenordnung muss man davon ausgehen, dass die Gewinnorientierung der Unternehmen zu Fehlsteuerungen führt. Haben beispielsweise natürliche Ressourcen – aufgrund mangelhafter Eigentumsrechte – keinen oder einen zu niedrigen Preis, dann können Unternehmen durch ökologisches Engagement keine Kosten sparen und keine Umsätze erwirtschaften. Folglich gehen sie – veranlasst durch Wettbewerbsanreize – mit diesen natürlichen Ressourcen nicht sparsam, sondern verschwenderisch um. Es kommt zu Externalitäten, weil nicht mehr alle gesellschaftlichen Kosten- und Nutzenaspekte im unternehmerischen Gewinnkalkül pekuniär gespiegelt werden. Unter diesen Bedingungen wäre es absolut verfehlt, wirtschaftliche Interaktionen als reine Privatangelegenheit auffassen zu wollen. Schließlich besteht ein öffentliches Interesse daran, die Steuerungsdefizite zu beheben, um die Interaktionen funktional auszurichten. Folglich bedarf es hier einer öffentlichen Debatte, denn die ord-
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nungspolitischen Weichenstellungen, die für Funktionalität sorgen, lassen sich nur im Wege eines demokratischen Politikprozesses organisieren. Dritter Schritt: In der aktuellen Auseinandersetzung um das besondere Preisfindungsproblem der Managervergütung steht zur Debatte, ob die gegenwärtigen Vergütungsstrukturen funktional oder dysfunktional sind. Hier sind zahlreiche Fragen zu diskutieren, die angesichts aufsehenerregender Unternehmensskandale sowie angesichts der weltweiten Finanzmarktkrise eine besondere Dringlichkeit erfahren haben: Waren Vergütungsstrukturen mitverantwortlich für die Krise? Haben falsche Entlohnungsanreize dazu geführt, dass vor allem Bank-Manager auf kurzfristige (Buch-)Gewinne aus waren, anstatt die langfristige Wertsteigerung ihrer Unternehmen im Blick zu haben? Gab es, bedingt durch dysfunktionale Vergütungsstrukturen, (Fehl-)Anreize zugunsten von Bilanzmanipulationen und zur kurzfristigen Beeinflussung von Aktienkursen? Verleiten Aktienoptionen Manager dazu, ihre intrinsische Motivation erodieren zu lassen und sich auf eine kennzahlfixierte Jagd nach individuellem Erfolg einzulassen, bei der systemische Kollateralschäden entstehen? Wie kommen hohe Abfindungen für Manager zustande? Handelt es sich der Sache nach um eine Art von Veruntreuung des Aktionärsvermögens, wenn ausgerechnet erfolglose Manager in den Genuss solcher Abfindungen kommen? Sind vielleicht verfehlte Vergütungsstrukturen dafür verantwortlich, dass insbesondere im Finanzsektor offenbar exzessive Risiken eingegangen wurden? Müssen die Eigenkapitalvorschriften verschärft werden, um Bank-Manager zu einem verantwortbaren Risikomanagement anzuhalten bzw. um die Bankeigentümer und ihre Interessenvertreter im Aufsichtsrat dazu anzuhalten, mit den Managern Vergütungsstrukturen zu vereinbaren, die ein verantwortbares Risikomanagement zur Folge haben? Solche und ähnliche Fragen lassen offenkundig werden, dass in der demokratischen Öffentlichkeit das Vertrauen in die Funktionalität marktlicher Rahmenordnungen und insbesondere in die Funktionalität betriebswirtschaftlicher Preisfindung massiv eingebrochen ist. Angesichts dieses Vertrauensverlusts darauf zu beharren, dass die Preisfindung eine Privatsache zwischen Unternehmenseigentümern und Managern sei, verkennt den Sachverhalt gründlich. Ein solches Beharren schürt Misstrauen. Will man hingegen das in weiten Teilen der Gesellschaft ganz offenbar verloren gegangene Vertrauen wiedergewinnen, dann muss man dafür sorgen, dass die Bürger argumentativ nachvollziehen können, dass die betriebswirtschaftlich vereinbarten Vergütungsstrukturen der Manager gemeinwohlkompatibel sind. ((3)) Vor diesem Hintergrund lautet die wirtschaftsethische Pointe: Wenn man dazu beitragen will, dass das Aushandeln von Vergütungsstrukturen in Zukunft ohne öffentliche Besorgnis und deshalb pragmatisch wie eine betriebswirtschaftliche Privatangelegenheit behandelt werden kann, dann darf man sich einer öffentlichen Debatte nicht verweigern, sondern muss ganz im Gegenteil versuchen, sie so kompetent zu führen, dass man die Öffentlichkeit überzeugt.
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Diese Überlegungen lassen sich wie folgt zuspitzen: These 1: Der öffentliche Diskurs über die Angemessenheit von Managerbezügen ist legitim und sogar notwendig. Man kann es auch so ausdrücken: Es wäre – gerade auch aus wirtschaftsethischer Sicht – durchaus zu begrüßen, wenn sich die öffentliche Aufregung wieder beruhigen würde. Eine solche Beruhigung kann man dem öffentlichen Diskurs jedoch nicht als Vorgabe, sondern allenfalls als Aufgabe zuweisen: Sie muss argumentativ erarbeitet werden. II. Semantik im öffentlichen Diskurs: Das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit Im vorigen Abschnitt wurde argumentiert, es sei legitim – und sogar notwendig –, dass eine Debatte über die Höhe der Managergehälter geführt wird. Nun geht es darum, näher zu untersuchen, wie diese Debatte bestritten wird, d. h. welche Argumente hier zum Einsatz kommen und welche Denkkategorien diesen Argumenten zugrunde liegen. ((1)) In der öffentlichen Debatte um Managergehälter stehen sich zwei Lager gegenüber: Auf der einen Seite kritisieren weite Teile der Öffentlichkeit und der Politik, der Gewerkschaften und der Kirchen die gegenwärtigen Managervergütungen als unangemessen, vor allem als unangemessen hoch. Auf der anderen Seite verteidigen Unternehmen, Branchenverbände und unternehmensnahe Vertreter der Politik die kritisierten Vergütungsstrukturen als angemessen. Diese Positionen liegen weit auseinander – obwohl sie, je nach Anlass, gelegentlich von denselben Personen vertreten werden. Eine Annäherung im Streit ist derzeit allerdings nicht beobachtbar. Damit die Wirtschaftsethik in diesem Streit vermittelnd Stellung nehmen kann, ohne sich einfach auf die eine oder andere Seite zu schlagen, ist es zunächst erforderlich, die Semantik zu untersuchen, an der sich die Kontrahenten der öffentlichen Diskussion orientieren. Zu diesem Zweck werden im Folgenden erst die Kritiker und sodann die Verteidiger des Status quo darauf hin untersucht, welche Argumente sie für ihre Sache jeweils ins Feld führen und welche Denkkategorie ihren Argumenten jeweils zugrunde liegt. ((2)) Im Folgenden werden einige Zitate aufgelistet. Sie machen deutlich, dass die Kritiker ganz ähnliche Argumentationsmuster verwenden, und zwar interessanterweise völlig unabhängig davon, welcher politischen Partei sie angehören: „Mit Leistungsgerechtigkeit haben diese Vergütungssysteme ebenso wenig zu tun wie der Manager, der das 40-fache einer Bankfachfrau verdient. Denn wer will darlegen, dass der Manager das 40-fache der Bankfachfrau leistet?“ (Die Linke-Bundestagsfraktion)5
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„Wenn Manager selbst bei einer Riesenpleite noch mit Millionen-Abfindungen nach Hause geschickt werden, kann ich den Zorn der Leute verstehen.“ (Kurt Beck, SPD)6 „Dass einer tausendfach so gut ist wie ein anderer, das kann überhaupt nicht sein“. (Franz Müntefering, SPD)7 „Die gesellschaftlichen Kosten steigen, wenn Bankmanager jedes Maß bei ihrer Vergütung verloren haben, obwohl sie keine Leistung erbracht haben.“ (Peer Steinbrück, SPD)8 „Wenn das Versagen von Spitzenkräften mit Fantasieabfindungen vergoldet wird, dann untergräbt das das Vertrauen in das soziale Gleichgewicht unseres Landes.“ (Angela Merkel, CDU)9 „Es ist nicht länger sozial-ethisch vertretbar, wenn Leute, die zum Teil Millionen in den Sand setzen, dafür fürstlich abgefunden werden“ (CDA-Vorsitzende Gerald Weiß, CDU)10 „Wenn Nieten mit hohen Abfindungen abgeschoben werden, ist das ein Skandal“ (Michael Gloß, CSU)11 „[D]ie soziale Marktwirtschaft wird diskreditiert, wenn Vorstandsbezüge explodieren und millionenschwere Abfindungen gezahlt werden, während die Belegschaft reduziert wird oder auf Lohnsteigerungen verzichten muss“ (Peter Müller, CDU)12 „Warum wird mit Geld überschüttet, wer auf ganzer Linie versagt hat?“ (Angela Merkel, CDU)13
Die hier zitierten Äußerungen sind – quer durch das politische Spektrum – typisch für die öffentliche Debatte. Ihr Tenor lautet, dass die Kritiker der gegenwärtigen Vergütungsstrukturen das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit verletzt sehen. Diese Kritik hat zwei Ausprägungen. Erstens hält sie die Managergehälter für generell zu hoch. Zweitens hält sie die asymmetrische Entlohnung von Erfolgen und Misserfolgen für unangemessen. Beim ersten Aspekt geht es vor allem um die Relation zwischen den Bezügen der Top-Manager und den Bezügen einfacher Arbeitnehmer („1000-fach“). Beim zweiten Aspekt geht es um die UngleichbeVgl. Troost (2009). Vgl. Spiegel Online (2007a). 7 Vgl. Sueddeutsche.de (2007). 8 Vgl. FAZ.NET (2009). 9 Vgl. Manager Magazin (2007a). 10 Vgl. FAZ.NET (2007). 11 Vgl. Spiegel Online (2007b). 12 Vgl. Spiegel Online (2007c). 13 Vgl. Spiegel Online (2007a). 5 6
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handlung von guten und schlechten Managementleistungen (gute Leistungen werden belohnt, schlechte aber nicht bestraft). ((3)) Hohe Managerbezüge werden aber nicht nur kritisiert. Sie werden auch verteidigt. Befürworter der gegenwärtigen Vergütungspraxis stammen vor allem aus Unternehmen und Verbänden, aber zum Teil auch aus der Politik. Sie führen für ihre Sicht der Dinge ebenfalls Argumente ins Feld. Im Folgenden werden wiederum einige exemplarische Äußerungen aufgelistet: „Wenn ich Erfolg habe, möchte ich auch gut bezahlt werden“ (Wendelin Wiedeking, Porsche).14 „Diese stark leistungsorientierte Zusammensetzung der Bezüge ist fair“ (Henning Kagermann, SAP).15 „Ich finde, die Vorstandsgehälter der Telekom bewegen sich im Rahmen, wenn man bedenkt, dass damit eine 90-Stunden-Woche und eine große Verantwortung für die vielen Mitarbeiter und Aktionäre verbunden ist. Für unanständig halte ich sie nicht.“ (René Obermann, Vorstandsvorsitzender Deutsche Telekom AG).16 „Ich bin absolut überzeugt, dass Leistung und Erfolg auch bezahlt werden müssen“ (Herbert Hainer, Vorstandsvorsitzender Adidas AG).17 „Es ist dann gerecht, wenn der Chef auch die entsprechende Leistung bringt“ (Wolfgang Reizle, Vorstandsvorsitzender Linde AG, auf die Frage, ob es gerecht sei, dass ein Vorstandsvorsitzender 500-mal mehr bekommt als ein Arbeiter)18 „Ich bekomme mein Gehalt zu Recht, weil es nur zum kleineren Teil fix und die Vergütung insgesamt extrem an die Leistung gekoppelt ist.“ (Manfred Wennemer, Vorstandsvorsitzender Continental AG)19 „Wenn einer einen guten Job macht, dann muss er auch entsprechend bezahlt werden“ (Randolf Rodenstock, Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft).20 „Top-Manager, die gute Arbeit leisten, sollen angemessen viel verdienen.“ (Christian Wulff, CDU).21 „Wer viel für sein Unternehmen und seine Mitarbeiter tut, der soll auch gut bezahlt werden.“ (Angela Merkel, CDU)22 14 15 16 17 18 19 20 21 22
Vgl. Manager Magazin (2007b). Vgl. Manager Magazin (2008). Vgl. Spiegel Online (2007e). Vgl. Focus.de (2007). Vgl. Welt online (2007a). Vgl. Spiegel Online (2007e). Vgl. Welt Online (2007b). Vgl. Welt Online (2007b). Vgl. Welt Online (2007c).
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„Es ist ein Grundpfeiler unserer sozialen Marktwirtschaft, dass Spitzenleistung ein Spitzeneinkommen verdient“ (Günther Beckstein, CSU)23
Diese Äußerungen machen deutlich, dass auch bei der Rechtfertigung der hohen Managergehälter das Kriterium „Entlohnung nach Leistung“ – also das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit – hoch gehalten wird. Lediglich in der Einschätzung der konkreten Leistung unterscheiden sich die Verteidiger der gegenwärtigen Vergütungspraxis von den Kritikern: Sie halten die Leistung des Managements für so hoch, dass eine hohe Entlohnung aus ihrer Sicht gerechtfertigt ist. ((4)) Aus der Perspektive einer ordonomischen Wirtschaftsethik betrachtet, lautet der semantische Befund, dass beide Seiten – pro und contra – im gleichen Paradigma denken. Nicht nur die Gegner der gegenwärtigen Vergütungspraxis, sondern auch die Befürworter argumentieren mit der Kategorie der Leistungsgerechtigkeit. Die eine Seite hält die Managerbezüge für angemessen, weil sie die Leistung der Manager als hoch einschätzt. Die andere Seite hält die Managerbezüge für nicht angemessen, weil sie die Leistung der Manager als niedrig einschätzt. Dieser semantische Befund lässt sich wie folgt zuspitzen: These 2: Leistungsgerechtigkeit ist die zentrale Kategorie im öffentlichen Diskurs über die Angemessenheit von Managerbezügen. Damit stellt sich nun die Frage, wie es um die Fakten bestellt ist: Was sagt die verfügbare empirische Evidenz aus? Entspricht oder widerspricht die gegenwärtige Vergütungsstruktur dem Prinzip der Leistungsgerechtigkeit? Der folgende Abschnitt geht dieser Frage nach.
III. Zur Empirie der Managervergütung und ihrer sozialen Akzeptanz ((1)) Die recht umfangreiche empirische Literatur zur Praxis der Managerentlohnung gelangt zum Teil zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Im Hinblick auf verschiedene Betrachtungsintervalle, Länder oder Branchen gibt es große Variationen im Detail. Allerdings können doch einige allgemeine Trends identifiziert werden. Die verfügbaren Ergebnisse empirischer Untersuchungen über die Struktur und die Entwicklung von Managergehältern erlauben durchaus einige verallgemeinernde Aussagen, die hier im Sinne von stilisierten Fakten formuliert werden: Fakt 1: Die Höhe der Managementvergütung übersteigt die Höhe der Entlohnung der Mitarbeiter um ein Vielfaches. Dieser Sachverhalt ist in Abbildung 1 dokumentiert. Die linke Graphik gibt eine Übersicht über die absolute Höhe der Vergütung der Vorstandsvorsitzenden von 23
Vgl. RP Online (2007).
214
Ingo Pies und Peter Sass
DAX-30-Unternehmen im Jahr 2007. Die Spannbreite reicht von 1,5 Mio. A bei der Postbank bis hin zu 13,8 Mio. A bei der Deutschen Bank. Der Mittelwert der Bezüge beträgt 3,8 Mio A. In der rechten Graphik ist die relative Entlohnung der Vorstandsvorsitzenden für denselben Zeitraum abgetragen, also das Verhältnis ihrer Bezüge zu den Personalkosten pro Kopf im jeweiligen Unternehmen. Im Durchschnitt betrug 2007 die Vergütung eines Vorstandsmitglieds in DAX-30-Unternehmen das 52-fache der Personalkosten pro Kopf, die des Vorstandsvorsitzenden das 85-fache.24 In Einzelfällen beträgt diese Relation tatsächlich mehr als das Tausendfache. Das trifft z. B. auf die Vergütung von Wendelin Wiedeking (Vorstandsvorsitzender Porsche AG) im Jahr 2008 (77,4 Mio. A) zu.25 13,8
Deutsche Bank Siemens Daimler Linde Merck RWE SAP Eon Allianz BASF Volkswagen Tui FMC Deutsche Post Adidas MünchenerRück Thyssen Krupp BMW Continental Bayer Metro Henkel MAN Deutsche Börse Commerzbank Lufthansa Dt. Telekom Infineon Hypo Real Estate Deutsche Postbank
10,8 9,6 8,0 7,6 6,6 5,9 5,3 5,2 5,1 4,9 4,5 4,3 4,3 4,2 4,1 3,9 3,7 3,7 3,5 3,5 3,3 3,3 3,3 2,8 2,6 2,4 2,0 1,8 1,5 0
5
10
15
a) Bezüge des Vorstandsvorsitzenden in DAX-30-Unternehmen 2007 (Mio. B)
197
Daimler Linde Siemens Metro FMC Volkswagen Deutsche Post Adidas Eon RWE Deutsche Bank Thyssen Krupp Henkel Allianz BASF SAP MAN Infineon BMW Lufthansa Bayer Münchener Rück Deutsche Dt. Telekom Commerzbank Deutsche Börse
166 155 145 119 116 112 111 102 90 89 84 76 76 75 62 61 55 54 50 50 48 47 42 36 20 0
50
100
150
200
b) Bezüge des Vorstandsvorsitzenden im Verhältnis zu den Personalkosten pro Kopf in DAX-30-Unternehmen 2007
Abbildung 1: Absolute (a) und relative (b) Entlohnung von Vorstandsvorsitzenden der DAX-30-Unternehmen im Jahr 200726
Fakt 2: Die Entwicklung der Vergütung des Top-Managements hat sich losgelöst von der allgemeinen Lohn- und Gehaltsentwicklung. Abbildung 2 zeigt die Entwicklung der Bezüge des Managements und der Personalkosten pro Kopf für den Zeitraum 1987 – 2005 im Hinblick auf die 17 Unternehmen, die in diesem Zeitraum durchgängig dem DAX-30 angehörten. Vgl. Schwalbach (2008; S. 129). Vgl. Spiegel Online (2009). 26 Eigene Darstellung. Die Daten sind entnommen aus: Manager-Magazin (2008) und Schwalbach (2008). 24 25
Verdienen Manager, was sie verdienen?
215
Vorstandsbezüge (Pro- Kopf-Durchschnitt, 1987=100) Personalkosten (Pro - Kopf-Durchschnitt, 1987=100) Aktienkurs (Durchschnitt, 1987=100)
Abbildung 2: Entwicklung der Vorstandsvergütung, der Personalkosten und der Aktienkurse von DAX-30-Unternehmen in den Jahren 1987 – 200527
Ausgehend vom Basisjahr 1987 entwickeln sich die Vorstandsbezüge und die Personalkosten bis Mitte der 1990er Jahre im Gleichschritt. Danach trennen sich die Entwicklungspfade. Während die Personalkosten weiterhin moderat ansteigen, erhöhen sich die Vorstandgehälter innerhalb weniger Jahre um ein Vielfaches. Die durchschnittlichen Vergütungen der Vorstände der DAX-30-Unternehmen stiegen im Zeitraum 1987 – 2005 insgesamt um 445 %. Davon entfallen auf die Jahre 1987 – 1994 lediglich 64%, auf die Jahre 1994 – 2005 hingegen 331 %.28 Fakt 3: „Pay without Performance“: Offenbar besteht kein systematischer Zusammenhang zwischen Leistung und Entlohnung des Top-Managements. Für die DAX-30-Unternehmen illustriert Abbildung 3 den Zusammenhang zwischen Leistung und Entlohnung.29 Die Unternehmen sind von links nach rechts nach den Bezügen des Vorstandsvorsitzenden sortiert. Die Graphik illustriert, was empirische Studien belegen: Es gibt keinen systematischen Zusammenhang zwiQuelle: Schmidt und Schwalbach (2007; S. 119). Vgl. Schmidt und Schwalbach (2007). 29 Eine einfache Graphik kann eine systematische empirische Analyse des Zusammenhangs von Entlohnung und (langfristiger) Leistung natürlich nicht ersetzen. In den letzten Jahren ist dieser Zusammenhang denn auch Gegenstand zahlreicher Untersuchungen geworden. Selbst wenn einige empirische Studien für bestimmte Stichproben eine positive Beziehung finden, ist doch bei vielen anderen keine Korrelation feststellbar. Insofern kann keinesfalls von einem systematischen Zusammenhang zwischen Leistung und Entlohnung gesprochen werden. Vgl. hierzu die umfangreiche Metastudie von Rost und Osterloh (2009). Für eine umfassende Diskussion des „Pay without Performance“-Phänomens vgl. Bebchuk und Fried (2006a), für einen kurzen Überblick vgl. Bebchuk und Fried (2006b). 27 28
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Ingo Pies und Peter Sass
schen Entlohnung und Leistung (hier erfasst durch die Eigenkapitalrendite und die Aktienrendite). Besonders anschaulich ist der Vergleich der Unternehmen an den beiden Rändern des Spektrums: Die Postbank und die Deutsche Bank erzielten im Betrachtungszeitraum bei Eigenkapitalrendite und Aktienrendite vergleichbare Ergebnisse. Die Bezüge der jeweiligen Vorstandsvorsitzenden unterschieden sich jedoch um ein Vielfaches. 100 14 12
Bezüge in Mio.
80
10
Rendite (%)
8 6
60 40
4 20 2 0
0
-2 -20
Siemens
Deutsche Bank
Linde
Daimler
RWE
Merck
Eon
SAP
BASF
Allianz
Tui
Volkswagen
FMC
Adidas
Deutsche Post
Münchener Rück
BMW
Thyssen Krupp
Bayer
Continental
Metro
MAN
Henkel
Deutsche Börse
Lufthansa
Commerzbank
Infineon
Dt. Telekom
Deutsche
-6
Hypo Real
-4 -40
Abbildung 3: Bezüge des Vorstandsvorsitzenden (linke Achse, in Mio. A), Eigenkapitalrendite und Aktienrendite (rechte Achse, in %) von DAX-30-Unternehmen im Jahr 200730
Eine weitere Illustration der „Pay without Performance“-These liefert die Entwicklung in den Jahren 1999 bis 2003 in Abbildung 2. Während der „Dotcom“Blase in den Jahren 1998 – 2000 profitierten die Manager von steigenden Kursen: Die Vorstandsentlohnung stieg mit den Aktienkursen an. Nach dem Platzen der Blase und dem Rückgang der Kurse in den Jahren 2000 / 2001 folgte freilich keine vergleichbare Anpassung der Vorstandsvergütung nach unten. Hier zeigt sich eine Asymmetrie der Vergütungsschemata: Die Manager werden für Erfolge belohnt, nicht aber für Misserfolge bestraft. Fakt 4: Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung findet die gegenwärtige Praxis der Managerentlohnung nicht angemessen. Abbildung 4: verdeutlicht die Diskrepanz zwischen der aktuellen Praxis der Managerentlohnung und ihrer öffentlichen Bewertung. Die linke Graphik enthält eine Auflistung der Bezüge der Vorstandsvorsitzenden der DAX-30-Unternehmen im Jahr 2007. Die rechte Graphik zeigt Ergebnisse einer Umfrage von TNS Infratest ebenfalls aus dem Jahr 2007.31 Die Gegenüberstellung macht deutlich: Nur 14% der Befragten betrachten die gegenwärtige Praxis der Managerentlohnung als angemessen. Insbesondere die Höhe der relativen 30 31
Eigene Darstellung. Die Daten sind entnommen aus: Manager-Magazin (2008). Vgl. Welt Online (2007d).
Verdienen Manager, was sie verdienen? Deutsche Bank Siemens Daimler Linde Bezüge Merck RWE der VV, SAP Eon 2007, in Allianz Mio. BASF Volkswagen Tui FMC Deutsche Post Adidas MünchenerRück Thyssen Krupp BMW Continental Bayer Metro Henkel MAN Deutsche Börse Commerzbank Lufthansa Dt. Telekom Infineon Hypo Real Estate Deutsche Postbank
217
13,8 10,8
Umfrage von TNS INFRATEST, 2007: Welche Jahresgehälter sind für die Vorstandschefs der 30 DAX Unternehmen angemessen?
9,6 8,0 7,6 6,6 5,9 5,3 5,2 5,1 4,9 4,5 4,3 4,3 4,2 4,1 3,9 3,7 3,7 3,5 3,5 3,3 3,3 3,3 2,8 2,6 2,4 2,0 1,8 1,5 0
5
1 bis 2 Mio.: 15%
0,5 bis 1 Mio.: 21%
2 bis 3 Mio.: 8% 3 bis 4 Mio.: 2% Mehr als 4 Mio.: 4% Weiß nicht /k.A.: 21%
10
Bis 0,5 Mio.: 29%
15
Abbildung 4: Die Höhe der Managerbezüge in den Dax-30-Unternehmen (linke Graphik) und die geringe Ausprägung sozialer Akzeptanz (rechte Graphik)32
Entlohnung findet kein Verständnis. Laut einer Umfrage des Wirtschaftsforschungsinstituts Dr. Doeblin aus dem Jahr 2008 beurteilen 90% der Befragten in Deutschland eine Vorstandsvergütung als ungerecht, wenn sie mehr als das 50-fache des durchschnittlichen Arbeitnehmers beträgt. Die Mehrheit (55%) hält lediglich das 10-fache für gerecht.33 Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass sich die Durchschnittsvergütung der DAX-30-Vorstände im Jahr 2007 auf das 52-fache des durchschnittlichen Arbeitnehmerlohns belief. Man kann diese Befunde wie folgt zuspitzen: These 3: Die gegenwärtige Praxis der Managerentlohnung entspricht nicht dem Prinzip der Leistungsgerechtigkeit. Hier besteht eine Diskrepanz zwischen Sozialstruktur und Semantik. Vor diesem Hintergrund ist es zunächst nicht weiter verwunderlich, dass bereits erste gesetzliche Vorstöße auf den Weg gebracht wurden, die darauf abzielen, die Praxis der Managerentlohnung stärker an dem Ideal der Leistungsgerechtigkeit auszurichten. So hat der Deutsche Bundestag am 18. Juni 2009 das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) beschlossen, das am 5. September 2009 in Kraft trat. Darin enthalten sind unter anderem folgende Regelungen, die ausdrücklich das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit als Orientierungsmaßstab zur ManagerEntlohnung in Deutschland einführen:34 Vgl. FAZ.NET (2008). Eigene Darstellung. Die Daten sind entnommen aus: Manager Magazin (2008) und Welt Online (2007d). 32 33
218
Ingo Pies und Peter Sass
Die Vergütung des Vorstands muss in einem angemessenen Verhältnis zu dessen Leistung stehen. Auch gegen bestehende Verträge kann die Vergütung von Vorständen herabgesetzt werden, wenn die Lage des Unternehmens sich verschlechtert. Bei unangemessener Vergütung ist der Aufsichtsrat schadensersatzpflichtig (persönliche Haftung der Aufsichtsräte).
Dies setzt klare Anreize für den Aufsichtsrat: Um eventuelle Haftungsansprüche zu begrenzen, muss er sich bei der Bestimmung der Manager-Entlohnung zukünftig ausdrücklich am Prinzip der Leistungsgerechtigkeit orientieren. Insofern kann man diese Tendenz wie folgt als These zuspitzen: These 4: Der Gesetzgeber reagiert auf diese Diskrepanz zwischen Sozialstruktur und Semantik, indem er versucht, die Sozialstruktur der Semantik anzupassen, also die Managerentlohnung am Prinzip der Leistungsgerechtigkeit auszurichten. Aus der Perspektive einer ordonomischen Wirtschaftsethik drängt sich nun allerdings die Frage auf, ob solche politischen Initiativen nicht doch vielleicht etwas vorschnell sind. Denn bevor man die Leistungsgerechtigkeit als Orientierungsmaßstab per Gesetz festschreibt und vorschreibt, wäre eigentlich erst noch zu prüfen, ob es sich hierbei überhaupt um ein funktionales Prinzip handelt. Einer solchen Prüfung widmet sich der folgende Abschnitt.
IV. Zur Theorie der Managervergütung: Wie funktional ist das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit? Systematisch betrachtet, hat ein Vergütungssystem für Manager vor allem ein Prinzipal-Agent-Problem zu lösen, damit es im Rahmen einer wettbewerblich verfassten Marktwirtschaft zur Gemeinwohlorientierung unternehmerischer Führungsentscheidungen beiträgt. Dieses Hauptproblem besteht darin, Interessendivergenzen zwischen den Eigentümern des Unternehmens (den Prinzipalen) auf der einen Seite und den Managern des Unternehmens (den Agenten) auf der anderen Seite abzumildern. Aus gesellschaftlicher Sicht ist es wichtig, dass dieses Problem 34 Für eine Übersicht über die neuen Regelungen vgl. Bundesministerium der Justiz (2009). Diese Regelungen gelten für alle Aktiengesellschaften in Deutschland. Speziell für die Finanzbranche wurden in Deutschland noch weiter gehende Vorschriften eingeführt. Die von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) festgelegten „Mindestanforderungen für das Risikomanagement“ bei Kreditinstituten (MARisk (BA)) wurden am 14. August 2009 verschärft. Ziel ist es, „schädliche Anreize“ zur exzessiven Risikoübernahme zu eliminieren. Insbesondere wird gefordert, dass Mitarbeiter auf Boni nicht „signifikant angewiesen“ sein dürfen, kurzfristige Gewinne sich nicht mehr in den Boni niederschlagen, bei Verlusten Boni zurückgefordert werden können und Abfindungen begrenzt werden. Vgl. Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (2009; Anlage 2, S. 19 – 20).
Verdienen Manager, was sie verdienen?
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möglichst gut gelöst wird, weil die Unternehmen ihre marktwirtschaftliche Funktion der Wertschöpfung nur dann richtig erfüllen können, wenn die Unternehmensentscheidungen sich konsequent daran orientieren, den Unternehmenswert zu erhöhen, woran ja die Eigentümer des Unternehmens ein genuines Eigeninteresse haben. Dies setzt voraus, dass sich die Führungskräfte tendenziell so verhalten, wie es die Eigentümer wünschen. Und genau dazu kann die Vergütungsstruktur für Führungskräfte einen maßgeblichen Beitrag leisten. Aus der Perspektive einer ordonomischen Wirtschaftsethik lautet die entscheidende Frage, ob bzw. inwiefern das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit überhaupt geeignet ist, als Orientierungsmaßstab für eine funktionale Vergütungsstruktur zu dienen, also ob bzw. inwiefern es (als Semantik) paradigmatisch dazu beitragen kann, das (sozialstrukturelle) Problem der Interessendivergenzen zwischen Prinzipalen und Agenten in den Griff zu bekommen. Diese Frage wird im Folgenden differenziert beantwortet, indem das zu lösende Prinzipal-Agenten-Problem aus drei verschiedenen Blickwinkeln betrachtet wird. Die erste Perspektive fokussiert auf das Problem, das Anstrengungsniveau der Manager zu optimieren; die zweite fokussiert auf das Problem einer optimalen Risikoallokation; die dritte auf das Problem, verschiedene Ebenen des Managements mit funktionalen Anreizen zu versorgen. ((1)) Die Eigentümer einer Unternehmung beziehen ein Residualeinkommen: Sie erhalten – je nachdem, als Gewinn oder als Verlust – das, was vom Ertrag übrig bleibt, nachdem die kostenträchtigen Ansprüche sämtlicher Vertragspartner (der Mitarbeiter, der Lieferanten und Fremdkapitalgeber) bedient worden sind. Während die Vertragspartner allenfalls ein Interesse daran haben, dass das Unternehmen nicht stirbt, sind die Eigentümer die einzigen, die ein Interesse daran haben, dass der Unternehmenswert nachhaltig gesteigert wird. Insofern ist die – gesellschaftlich gewährte – Übertragung der Entscheidungsbefugnis über das Unternehmenshandeln an die Eigentümer kein Privileg, das ihnen gegenüber den Rechten der anderen Vertragspartner ein Vorrecht einräumt, sondern ganz im Gegenteil ein funktionales Arrangement, das auch im Interesse der Vertragspartner – und vor allem natürlich: auch der Endkunden – liegt.35 Typisch für die moderne Unternehmung ist nun, dass die Eigentümer von diesem Entscheidungsrecht selbst keinen unmittelbaren Gebrauch machen. Vielmehr delegieren sie die Entscheidungen an Spezialisten, die diese Managementfunktion ausüben. Nimmt man an, dass diese Spezialisten ebenfalls eigeninteressiert sind, dann muss man von einer natürlichen Interessendivergenz zwischen Managern und Eigentümern ausgehen: Letztere wollen den Wert des Unternehmens nachhaltig 35 Man kann dieses Argument auch umkehren: In dem Maße, wie nicht nur die Eigentümer, sondern auch die Vertragspartner „spezifische Investitionen“ tätigen, so dass sie ihr Wohlergehen substantiell an das Schicksal des Unternehmens knüpfen, kann es funktional sein, ihnen im Hinblick auf die Entscheidungen über das Unternehmenshandeln „Mitsprache“ zu gewähren.
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Ingo Pies und Peter Sass
gesteigert sehen, während erstere sich beispielsweise nicht unnötig anstrengen möchten. Modelltechnisch betrachtet, würde eine ideale Lösung, die dieses Problem zwischen Prinzipalen und Agenten vollständig umgeht, darin bestehen, dass man das gesamte Unternehmen gedanklich in verschiedene Projekte aufteilt und dann für jedes Projekt einen Manager identifiziert, der dieses Projekt auf eigene Rechnung leitet. Dies würde zu einer personalen Identität von Eigentümer und Manager führen und dadurch die problematische Interessendivergenz ausräumen. Allerdings setzt eine solche Lösung voraus, dass die Manager nicht nur willens, sondern vor allem auch vermögend (bzw. kreditwürdig) genug sind, jene Teile des Unternehmens zu kaufen, über die sie dann die Entscheidungsbefugnis ausüben. Geht man nun davon aus, dass eine solche Lösung nicht herbeigeführt werden kann – z. B. weil die einzelnen Teilprojekte nicht gut getrennt werden können oder weil die einzelnen Manager nicht vermögend genug sind –, dann lässt sich das Problem nicht umgehen, sondern nur annäherungsweise lösen. Solche Lösungen zielen darauf ab, das Eigeninteresse der Manager an das Eigeninteresse der Eigentümer zu binden, indem die Manager für das bezahlt werden, was sich die Eigentümer wünschen. Das Motto lautet: „Pay for Performance“. Dies ist das StandardProblem der Prinzipal-Agent-Literatur.36 Die systematische Beschäftigung mit solchen „Pay for Performance“-Vergütungsstrukturen beginnt mit dem Beitrag von Jensen und Meckling (1976). Einflussreich war auch die empirische Studie von Jensen und Murphy (1990b). Sie stellte fest, dass die Entlohnung nach Leistung in US-amerikanischen Unternehmen im Untersuchungszeitraum nur sehr gering ausgeprägt war: Für jede Erhöhung des Unternehmenswerts um 1.000$ erhielt der Vorstandsvorsitzende (der Chief Executive Officer, CEO) einen Einkommenszuwachs von nur 3.25$.37 Die Autoren interpretierten dieses Ergebnis wie folgt: „On average, corporate America pays its most important leaders like bureaucrats. Is it any wonder then that so many CEOs act like bureaucrats [ . . . ]?“38 Ihre Schlussfolgerung mündete in folgende Empfehlung: „Cash compensation should be structured to provide big rewards for outstanding performance and meaningful penalties for poor performance“39. 36 Für einen leicht zugänglichen Überblick, wie die Beziehung zwischen Eigentümern und Managern in der Prinzipal-Agent-Theorie typischerweise modelliert wird, vgl. Campbell (1996, 2006; S. 212 – 251) sowie Ricketts (2003; S. 98 – 166). 37 Vgl. Jensen und Murphy (1990b; S. 225). 38 Jensen und Murphy (1990a; S. 138). 39 Jensen und Murphy (1990a; S. 141). – Ein anderer in jüngster Zeit viel beachteter Ansatz steht der Entlohnung nach Leistung allerdings kritisch gegenüber. Einige Autoren argumentieren, eine starke Orientierung der Managergehälter an Performance-Indikatoren zerstöre die intrinsische Motivation der Manager. Deshalb formulieren die Kritiker folgende Antwort auf Jensen und Murphy (1990a): „Yes, managers schould be paid like bureaucrats“. So jedenfalls lautet der Titel des Beitrags von Frey und Osterloh (2005). Zu dieser Kritik vgl. grundsätzlich Frey (1997), ferner Frey und Osterloh (2002) sowie (2005). Zur empirischen
Verdienen Manager, was sie verdienen?
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Die zugrunde liegende Überlegung ist leicht nachzuvollziehen: Bleibt das Prinzipal-Agenten-Problem ungelöst, so strengen sich die Manager nicht besonders an. Sie verhalten sich dann eher wie Bürokraten, nicht jedoch wie Unternehmer. Dies antizipierend, werden die Eigentümer die geringe Leistung der Manager nur gering entlohnen. Nimmt man dies als Referenzmaßstab, dann können sich beide Seiten – Manager und Eigentümer, aber auch alle anderen indirekt betroffenen Vertragspartner des Unternehmens einschließlich der Endkunden – wechselseitig besserstellen, wenn die Vergütungsstruktur so beschaffen ist, dass sie die Manager mit Leistungsanreizen versorgt, indem sie deren Einkommen an eine Steigerung des Unternehmenswerts bindet, z. B. in Form von Erfolgsprämien oder Aktienoptionen. Dieses theoretisch fundierte Plädoyer für eine leistungsgerechte Managerentlohnung hat die Ausgestaltung der Vergütungsstrukturen in der Praxis seit den 1990er Jahren wesentlich beeinflusst.40 Zugleich zeigt es, dass die Semantik der Leistungsgerechtigkeit durchaus hilfreich sein kann, um eine funktionale Vergütungsstruktur heuristisch anzuleiten. Diesen Befund gilt es nun weiter zu differenzieren. ((2)) Neben dem Anstrengungsniveau gibt es noch weitere Interessendivergenzen, die zu berücksichtigen sind. Ein besonders wichtiger Aspekt betrifft die Risikoallokation: Typisch für die moderne Wirtschaft sind funktionierende Kapitalmärkte. Sie erlauben es den Eigentümern, ihr Eigenkapital auf zahlreiche verschiedene Unternehmen zu verteilen. Diese Möglichkeit zur Diversifizierung lässt die Eigentümer tendenziell risikoneutral werden. Ihnen kommt es dann nicht mehr darauf an, dass ein bestimmtes Unternehmen besonders erfolgreich ist. Vielmehr ist für sie wichtig, dass die durchschnittliche Eigenkapitalrendite hoch ausfällt. Dies bedeutet tendenziell, dass aus ihrer Sicht die Investitionsprojekte nicht nach ihrem Risiko, sondern allein nach ihrer erwarteten Rendite ausgewählt werden sollten. Manager verfügen, anders als die Eigenkapitalgeber, primär über Humankapital, und dieses ist gerade nicht diversifizierbar, sondern vielmehr spezifisch an ein einzelnes Unternehmen gebunden. Das Wohlergehen eines Managers hängt sehr stark von dem Wohlergehen jenes Unternehmens ab, für das er arbeitet. Deshalb sind Manager tendenziell risikoavers. Sie interessiert also nicht nur der Erwartungswert ihres an Projekterfolge gebundenen Einkommens. Von großer Bedeutung für sie Evidenz vgl. Frey und Jegen (2001). – Allerdings kann man diese Kritik auch sehr gut in den Kategorien der Prinzipal-Agenten-Theorie reformulieren. Sie stellt dann keinen prinzipiellen Einwand gegen Anreizlöhne dar, sondern formuliert das Argument, dass man die Anreize nicht einseitig auf einige wenige Aufgaben ausrichten darf, wenn man verhindern will, dass andere Aufgaben systematisch vernachlässigt werden. Zur Theorie des „multitasking“ vgl. Holmstrom und Milgrom (1991). – Dass es nach Berücksichtigung dieser Kritik immer noch ausgesprochen gute Gründe gibt, Manager nicht wie Bürokraten zu bezahlen, wird im Folgenden noch ausführlich erläutert. 40 Zum Wandel der Rolle des Managers vom Verwalter zum Mitunternehmer vgl. Boatright (2009a) und (2009b).
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sind vielmehr auch die letztlich zufallsbedingten Schwankungen des Projekterfolgs, also ihre individuellen Einkommensrisiken. Aus dieser Perspektive betrachtet, besteht das Prinzipal-Agenten-Problem nicht nur darin, eine Vergütungsstruktur zu finden, die das Anstrengungsniveau der Manager anhebt. Die Vergütungsstruktur muss auch dafür sorgen, dass die Manager nicht zu vorsichtig agieren – gemessen am Interesse der Eigentümer und am Interesse der gesamten Gesellschaft, in deren Auftrag die Eigentümer ihre Funktion wahrnehmen, indem sie sie delegieren. Im Hinblick auf die Dimension der Risikoallokation ist Leistungsgerechtigkeit nun nicht mehr die Lösung, sondern wird zum Teil des Problems, und zwar aus folgendem Grund: Wenn das Einkommen eines risikoaversen Managers eng an den Projektertrag gekoppelt und mithin „leistungsgerecht“ ist, dann wählt er Projekte mit dem für ihn optimalen Risiko-Ertrag-Verhältnis. Dies sind in der Regel aber nicht die Projekte, die den höchsten erwarteten Ertrag versprechen. Es kommt mithin zu einer aus Sicht der risikoneutralen Eigentümer (und aus Sicht der gesamten Gesellschaft) suboptimalen Investitionsentscheidung.41 Dies lässt sich am einfachsten nachvollziehen, wenn man das Beispiel durchdenkt, dass ein ungelöstes Prinzipal-Agent-Problem zwischen risikoneutralen Eigentümern und risikoaversen Managern systematisch dazu führt, dass es zu einer Unterinvestition in Innovationen kommt, woran gerade auch aus Sicht der gesamten Gesellschaft natürlich kein Interesse besteht, ganz im Gegenteil. Folgende Überlegungen helfen dabei, dieses Beispiel zu durchdenken: Unternehmerische Anstrengungen zur Forschung und Entwicklung neuer Produkte und Prozesse sind Wagnisse mit ungewissem Ausgang. Den heute sicheren Ausgaben für Innovationsanstrengungen stehen zukünftige Erträge in unbekannter Höhe gegenüber. Diese Erträge sind also stark risikobehaftet. Deshalb wird ein risikoaverses Management weniger investieren, als es risikoneutralen Eigentümern recht wäre. Würde man dies zulassen, so hätte dies zur Folge, dass es nicht nur aus betriebswirtschaftlicher, sondern gerade auch aus volkswirtschaftlicher Sicht zu wenig Innovationen technischer und organisatorischer Art gäbe. Vor diesem theoretischen Hintergrund ist es von großer praktischer Bedeutung, dass Vergütungsstrukturen implementiert werden, die dazu führen, dass Manager bei ihren Unternehmensentscheidungen größere Risiken eingehen, als es ihrem genuinen Eigeninteresse entspricht. Die grundlegende Schlussfolgerung hieraus besagt, dass es darauf ankommt, Manager für die Übernahme von Risiko zu belohnen. Hierfür ist es erforderlich, dass Verluste aus Investitionsprojekten – und die mit ihnen verbundenen Minderungen des Unternehmenswerts – sich nur unterproportional auf das Einkommen der Manager auswirken. Obwohl diese Schlussfolgerung unmittelbar einleuchtend ist, begann ihre systematische Untersuchung erst vergleichsweise spät. Die eingehende Beschäftigung 41 Für eine spezifisch wirtschaftsethische Analyse der Risikoallokation in und durch Unternehmen vgl. Hielscher (2010).
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mit dem Prinzipal-Agenten-Problem der Risikoallokation – das heute in der Fachliteratur unter dem Stichwort „Konvexität von Entlohnungsschemata“ diskutiert wird – lässt sich auf den Beitrag von Smith und Stulz (1985) zurückverfolgen.42 Hier wurde erstmals ausführlich dargelegt, dass Leistungsgerechtigkeit nicht immer eine perfekte Lösung ist, sondern durchaus Teil des Problems sein kann. Die Diagnose der Autoren lautete, dass risikoaverse Manager, deren Einkommen (leistungsgerecht) stark vom Projektertrag abhängig ist, dazu tendieren werden, durchaus profitable, aber eben riskante Projekte nicht durchzuführen, was gegen die Interessen der Eigentümer verstoßen würde. Aus dieser Diagnose leiteten die Autoren als Therapie die Empfehlung ab, das Instrument der Aktienoptionen zur Vergütung von Managern einzusetzen. Anstatt Manager durch Aktienbesitz an den Schwankungen des Unternehmenswerts vollumfänglich zu beteiligen, eröffnen Aktienoptionen die Möglichkeit, dass Manager einseitig nur an Kurssteigerungen, nicht jedoch an Kursverlusten beteiligt werden. Diese Asymmetrie ist durchaus gewollt, weil sie funktionale Anreize setzt, übervorsichtige Manager in ihren Entscheidungen mutiger werden zu lassen. Das Instrument der „Golden Parachutes“ hat eine ähnliche Wirkung. „Golden Parachutes“ sind Abfindungen, die Managern beim vorzeitigen Verlassen der Firma gezahlt werden, und zwar insbesondere dann, wenn es aufgrund einer Unternehmensübernahme zur Auswechslung des Managements kommt. Da solche Übernahmen sich in der Regel als Folge schlechter Unternehmensergebnisse einstellen, sind Golden Parachutes auch ein Mittel, die Manager bei geringem Erfolg nicht allzu stark negativ zu sanktionieren. Rein ex post betrachtet, erscheint es vielen Kritikern als völlig unverständlich, warum ausgerechnet „Versager“, die ein Unternehmen „gegen die Wand gefahren“ haben, nicht zur Rechenschaft gezogen, sondern stattdessen mit hohen Abfindungen bedacht werden. Die Sinnhaftigkeit eines solchen Anreizarrangements erschließt sich aber nun einmal nur, wenn es ex ante betrachtet wird: Seine Funktion besteht darin, das Management zum Eingehen von Risiken zu bewegen, damit produktive Investitionen getätigt werden, die andernfalls unterbleiben würden. Festzuhalten bleibt, dass sowohl das Instrument der Aktienoption als auch das Instrument der Abfindung (Golden Parachute) notwendig damit verbunden ist, das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit zu verletzen. In beiden Fällen wird eine grundlegende Asymmetrie eingeführt: Gute Leistung wird belohnt, ohne dass schlechte Leistung bestraft wird.
42 Vgl. Smith und Stulz (1985). Seitdem hat sich eine eigenständige Literatur entwickelt, die genau untersucht, wie sich eine Entlohnung mit Hilfe von Aktien und Optionen auf die Investmententscheidungen des Managements auswirkt. Für einen Überblick über die theoretischen und empirischen Arbeiten vgl. Guay, Core und Larcker (2003). Auch die spätere Studie von Coles et al. (2006) ist informativ. Hier wird empirisch belegt, dass größere Anreize zur Risikoübernahme tatsächlich mehr Investitionen in Forschung und Entwicklung nach sich ziehen.
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Ein solcher Verstoß gegen das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit ist besonders dann funktional, wenn die Finanzmärkte zahlreiche Diversifikationsmöglichkeiten eröffnen, so dass es zu starken Diskrepanzen zwischen den Risikoeinstellungen mutiger Eigentümer und übervorsichtiger Manager kommt wenn das Eigentum am Unternehmen auf zahlreiche Eigentümer verteilt ist (Streubesitz), so dass kein einzelner Eigentümer einen starken Anreiz hat, die Transaktionskosten – für Information, Monitoring usw. – auf sich zu nehmen, die damit verbunden wären, die Entscheidungen der Manager im Detail selbst zu kontrollieren wenn innovative Problemlösungen gesellschaftlich stark gewünscht werden.43
((3)) Es gibt noch einen weiteren Aspekt, der bedacht werden muss, sobald es in einem Unternehmen nicht nur eine einzige Management-Ebene gibt. Dann stehen die Eigentümer vor der Aufgabe, nicht nur das Top-Management, sondern auch eine zweite oder dritte Management-Ebene mit funktionalen Anreizen zu versorgen. Hierfür gibt es im Prinzip zwei Möglichkeiten. Die erste besteht darin, jede einzelne Führungskraft auch unterhalb der Vorstandsebene einer absoluten Leistungsbewertung zu unterziehen und die Vergütungsstruktur an entsprechenden Messkriterien auszurichten, was freilich aufgrund der Messkosten sehr teuer sein kann. Die zweite Möglichkeit hingegen besteht darin, die Führungskräfte unterhalb der Vorstandsebene nur einer relativen Leistungsbewertung zu unterziehen. Dies kann erhebliche (Mess-)Kosten einsparen. Man veranstaltet dann innerhalb des Unternehmens ein Leistungsturnier, in dem nur die jeweils Besten befördert werden.44 Setzt man Leistungsturniere als Entlohnungsinstrument ein, so kommt es zu einer Interdependenz zwischen den jeweiligen Management-Ebenen: Hohe Gehälter auf einer oberen Ebene fungieren dann als Leistungsanreiz nicht nur für die Manager, die diese Gehälter tatsächlich beziehen, sondern auch für jene Manager auf der unteren Ebene, die um eine Beförderung konkurrieren. Für sie konstituiert die Aussicht, in Zukunft aufzusteigen und dann das Gehalt der nächst höheren 43 Werden innovative Problemlösungen gesellschaftlich stark gewünscht, dann gibt es in den entsprechenden Marktnischen prinzipiell eine hohe Zahlungsbereitschaft. Kann diese tatsächlich aktiviert werden, so können Pionierunternehmen hohe Pioniergewinne erwirtschaften. Empirisch ist zu beobachten, wie Guay (1999) zeigt, dass Firmen mit vergleichsweise besseren Investment-Möglichkeiten und höherer R&D-Intensität stärkere Anreize zur Risikoübernahme setzen und dass diese Anreize dann auch tatsächlich dazu führen, dass Manager für ihre Unternehmen größere Risiken in Kauf nehmen. 44 Die wissenschaftliche Analyse von Leistungsturnieren („tournaments“) geht auf einen Beitrag von Lazear und Rosen (1981) zurück. Aus diesem Beitrag hat sich eine umfangreiche empirische und theoretische Literatur zu Leistungsturnieren entwickelt. Für eine Diskussion des Tournament-Modells und seiner praktischen Konsequenzen und Umsetzungsprobleme vgl. Kräckel (1999, S. 109 – 118 und S. 213 – 256). Einen Überblick über empirische Studien zu diesem Thema geben Conyon et al. (2001; S. 806 – 808).
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Ebene zu verdienen, einen Leistungsanreiz. Im Klartext bedeutet dies, dass der einzelne Manager auf einer unteren Ebene weniger und spiegelbildlich der einzelne Manager auf einer höheren Ebene mehr verdient, als es der je individuellen Leistung entspricht. Diese Verletzung des Prinzips der Leistungsgerechtigkeit kann gleichwohl funktional sein, weil sie dem Unternehmen hilft, trotz beträchtlicher Messkosten die gesamte Gruppe der Manager mit den nötigen Anreizen zu versorgen. Der Einsatz von Leistungsturnieren führt also zu einer deutlichen Aufspreizung der Vergütungsstruktur, so dass Manager auf höheren Ebenen wesentlich mehr verdienen als Manager auf niedrigeren Ebenen. Diese Aufspreizung ist erforderlich, um funktionale Anreize zu setzen. Hierbei liegt die Idee zugrunde, dass die Aussicht auf eine Beförderung individuell attraktiv sein muss, selbst wenn die Beförderungswahrscheinlichkeit gering ist. Daher muss der „Preis“ für den Gewinner im Karrierewettbewerb entsprechend hoch angesetzt werden. Folgt man dieser Logik, so ist ein solcher Verstoß gegen das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit besonders dann funktional, wenn die Monitoringkosten für eine absolute Leistungsbewertung der mittleren und unteren Management-Ebenen vergleichsweise hoch sind, so dass es sich lohnt, auf eine relative Leistungsbewertung umzuschwenken.
Ferner ist es funktional, dass solche Verstöße gegen das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit besonders stark ausgeprägt sind, wenn es viele Hierarchie-Ebenen gibt, wenn auf einer Ebene viele Manager miteinander konkurrieren und wenn die Aufstiegskonkurrenz wirklich als fairer Wettbewerb organisiert ist, so dass Beförderungen weitestgehend unabhängig sind von Rasse, Geschlecht, Religionszugehörigkeit usw.
Hierfür sprechen – in umgekehrter Reihenfolge – folgende Überlegungen: In einem Leistungsturnier können die Bezüge des Top-Managements vor allem dann als Leistungsanreiz für die unteren Hierarchie-Ebenen dienen, wenn die dort angesiedelten Führungskräfte ihren eigenen Aufstieg – genauer: ihre individuelle Aufstiegswahrscheinlichkeit – durch ihre eigene Leistung beeinflussen können. Sachfremde Faktoren müssen also so weit wie möglich ausgesteuert werden, damit ein Leistungsturnier seine funktionale Anreizwirkung entfalten kann. Je mehr Manager auf der gleichen Ebene um eine Beförderung konkurrieren, desto geringer ist die individuelle Beförderungswahrscheinlichkeit und desto größer muss folglich der „Preis“ sein, den man durch Beförderung gewinnen kann. Je mehr Management-Ebenen es gibt, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass man die oberste Ebene erreicht und desto größer muss folglich auch hier
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der „Preis“ sein, den man gewinnen kann, wenn man die höchste Ebene erklimmt.45 ((4)) Betrachtet man das Prinzipal-Agent-Problem unter allen drei Gesichtspunkten – unter dem Aspekt des Anstrengungsniveaus der Manager, unter dem Aspekt ihres Risikoverhaltens und unter dem Aspekt, verschiedene ManagementEbenen kostengünstig mit geeigneten Anreizen zu versorgen –, so gelangt man zu folgendem Ergebnis: Das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit ist intuitiv eingängig, aber nicht durchgehend funktional. Vielmehr können innerhalb eines Unternehmens Probleme auftreten, deren Lösung eine bewusste (und möglicherweise sogar sehr starke) Abweichung vom Prinzip der Leistungsgerechtigkeit erforderlich macht. Wie eine funktionale Vergütungsstruktur konkret auszusehen hat, hängt von einer großen Vielzahl unterschiedlicher Faktoren ab, die von Einzelfall zu Einzelfall sehr stark divergieren können. Deshalb gibt es hier keine Patentlösungen, nach dem Motto: „one size fits all“. Um es als These zuzuspitzen: These 5: Das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit ist nicht durchgängig geeignet, als Orientierungsmaßstab für funktionale Vergütungsstrukturen zu dienen. Vielmehr können zahlreiche einzelne Faktoren dazu führen, dass Unternehmen mit guten Gründen von einer i.e.S. „leistungsgerechten“ Managerentlohnung abweichen. Zu diesen Faktoren zählen: ein tiefgestaffeltes Angebot zur Portfoliodiversifikation auf Finanzmärkten, die Eigentümerstruktur (Streubesitz), große Innovationspotentiale einer Branche, hohe Monitoringkosten für die Messung absoluter Leistung bei Managern, große Hierarchien und Diskriminierungsfreiheit bei Beförderungen. Abbildung 5 verdeutlicht, dass die Semantik der Leistungsgerechtigkeit nur bedingt geeignet ist, als Orientierungsmaßstab für die Manager-Entlohnung zu dienen, weil hierfür ganz bestimmte sozialstrukturelle Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Dies heißt im Umkehrschluss, dass es zu gravierenden Fehlorientierungen kommen kann, wenn man sich – ohne theoretische Differenzierung und ohne pragmatische Flexibilität – ausschließlich und rigide auf das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit kaprizieren würde.
45 Empirische Evidenz hierzu findet man bei Main et al. (1993), bei Eriksson (1999) sowie bei Conyon et al. (2001). Letztere gelangen zu folgendem Befund: Der Entlohnungabstand zwischen dem Vorstandsvorsitzenden und den restlichen Vorstandsmitgliedern steigt mit der Anzahl der Teilnehmer im Turnier, und zwar auch dann, wenn man die Effekte von Unternehmensgröße und Industriebranche kontrolliert.
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Leistungsgerechtigkeit Große Orientierungskraft
Sozialstruktur
• • • • • •
Geringe Kontrollkosten Geringes Potential für Innovationen Hierarchie undurchlässig Wenige Hierarchieebenen Wenige Konkurrenten auf einer Ebene Geringe Möglichkeiten zur Diversifikation auf Finanzmärkten • Wenige große Anteilseigner
Abbildung 5: Sozialstrukturelle Bedingungen für die semantische Orientierungskraft des Prinzips der Leistungsgerechtigkeit
V. Zur dritten Industriellen Revolution: Warum nehmen die Diskrepanzen zwischen Sozialstruktur und Semantik systematisch zu? Der bisherige Befund, dass die Semantik der Leistungsgerechtigkeit nur unter ganz bestimmten sozialstrukturellen Bedingungen geeignet – und das heißt eben: unter anderen Bedingungen durchaus ungeeignet – ist, die Vergütungsstruktur für Manager heuristisch anzuleiten, legt die Frage nahe, wie es zu dieser Diskrepanz zwischen Sozialstruktur und Semantik überhaupt gekommen ist. Zur Beantwortung dieser Frage sind folgende Überlegungen hilfreich, die hier freilich nur grob skizziert werden können.46 Die erste Industrielle Revolution, zu Beginn des 19. Jahrhunderts, führt zum Entstehen der Fabrik als einem vom Haushalt getrennten Arbeitsort sowie zur Entstehung des Unternehmens als Organisation. Die zweite Industrielle Revolution, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, führt die Automatisierung der Fabrikarbeit ein. Hierdurch wird Massenproduktion ermöglicht. Im Vordergrund stehen Größen- und Verbundeffekte der industriellen Fertigung. In dieser Wirtschaftsstruktur ist Sachkapital der entscheidende Produktionsfaktor. Ausgehend von dieser Wirtschaftsstruktur ist seit einigen Jahrzehnten ein Strukturwandel zu beobachten, der auch als dritte Industrielle Revolution bezeichnet wird. Ihr zentrales Kennzeichen ist, dass die Bedeutung des Humankapitals deutlich ansteigt. Die Produktion wird zunehmend wissenszentriert.
Diese dritte Industrielle Revolution und ihre Begleiterscheinungen haben radikale Auswirkungen auf die Art und Weise, wie moderne Unternehmen Güter und 46
Vgl. hierzu ausführlicher Jensen (1993) sowie Zingales (2000).
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Dienstleistungen produzieren, welche Probleme sie hierbei zu lösen haben und welche Anreizarrangements sich dafür als funktional erweisen. Folgende Punkte sind von besonderem Interesse, weil sie verständlich werden lassen, dass sich die Anforderungen an das Management durch diesen grundlegenden Strukturwandel der Wirtschaft drastisch geändert haben. ((1)) In der Sachkapital-orientierten Wirtschaft geht es vor allem darum, erfolgreiche Geschäftsmodelle zu skalieren, um Größen- und Verbundvorteile auszuschöpfen. Diese Management-Aufgabe ist im Kern administrativ ausgerichtet und leicht beobachtbar. Sie kann daher mit bürokratischen Entlohnungsschemata – ohne spezifische Vorkehrungen gegen die Interessendivergenz zwischen Agenten und Prinzipalen – vergütet werden. In der Humankapital-orientierten Wirtschaft hingegen verlagert sich die Konkurrenz zwischen Unternehmen von einem Preiswettbewerb tendenziell zu einem Qualitätswettbewerb.47 Hier kommt es zunehmend auf Innovationen an, auf das kreative Entwickeln neuer Geschäftsmodelle. Diese Management-Aufgabe ist sehr viel stärker unternehmerisch ausgerichtet. Dies macht es schwieriger, gute Leistung zu messen. Von daher werden hier spezifische Vorkehrungen benötigt, um die Interessendivergenz zwischen Agenten und Prinzipalen – und die mit ihnen verbundenen Fehlanreize – institutionell auszusteuern. ((2)) Hinzu kommt, dass die spezifische Führungsaufgabe des Managements einen radikalen Wandel erfahren hat. Im klassischen Industriebetrieb mit Fließbandfertigung kann industrielle Arbeit leicht beobachtet und durch Akkordlohn vergütet werden. Hier kann hierarchisch geführt werden, in Form von Anweisungen. Bei einer zunehmend wissenszentrierten Produktion hingegen verlieren die Arbeitsverträge zunehmend an Justitiabilität. Die Leistungen, die das Unternehmen vom Faktor „Arbeit“ erwünscht, lassen sich immer weniger im Arbeitsvertrag spezifizieren und dann auch gerichtlich durchsetzen. Dies bedeutet, dass die Unternehmen, die auf die Eigeninitiative und das kreative Engagement ihrer Wissensmitarbeiter angewiesen sind, in den Genuss dieser Leistungen nur dann kommen können, wenn es ihnen gelingt, eine Unternehmenskultur zu pflegen – und mithin eine Arbeitsatmosphäre einzurichten –, in der die Mitarbeiter die erwünschten Leistungen freiwillig, von sich aus, ohne hierarchische Anweisung erbringen. Die zunehmende Unvollständigkeit der Arbeitsverträge für Wissensarbeiter stellt das Management also vor ganz neue Herausforderungen. Erfolgreiche Manager zeichnen sich durch einen viel stärker partizipativen Führungsstil aus, was eine stark kommunikative Ausrichtung mit einschließt.48 All dies aber macht es wiederum sehr viel schwieriger, einfache Kriterien von Leistungsgerechtigkeit funktional einzusetzen: Nicht nur die Arbeit der Wissensarbeiter, sondern auch die Management47 Zur zentralen Rolle des Innovationswettbewerbs in der modernen Wirtschaft vgl. Baumol (2002; S. 4 et passim). Vgl. hierzu auch Zingales (2000; S. 29). 48 Für eine detaillierte Erläuterung der Führungskompetenzen, die aus der Perspektive einer ordonomischen Wirtschaftsethik erforderlich sind, vgl. Pies, Hielscher und Beckmann (2009b).
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aufgabe, Wissensarbeiter erfolgreich zu führen, verlangt nach immer raffinierteren Entlohnungsschemata. ((3)) Zudem trägt die Globalisierung der Finanzmärkte dazu bei, Anleger mit immer besseren Möglichkeiten zur Diversifikation ihrer Portfolios zu versorgen. Dies erhöht in systematischer Weise die Interessendivergenz zwischen Eigentümern und Managern. Dafür sind vor allem drei Faktoren maßgeblich. Erstens nimmt die Risikoneigung der Eigentümer systematisch zu, wenn sie ihr Eigenkapital breit streuen können. Zweitens nimmt durch Streubesitz die Zahl der Unternehmen ab, die über einen Großaktionär verfügen, der ein Interesse daran hat, die Manager sorgfältig zu kontrollieren und hierfür auch erhebliche Kosten in Kauf zu nehmen. Drittens spielen nicht nur große Eigenkapitalgeber, sondern auch große Fremdkapitalgeber eine immer geringere Rolle, weil Unternehmen auf den Finanzmärkten zunehmend auch eigene Anleihen auflegen.49 Dies macht es erforderlich, die „geborenen“ Kontrolleure, die zunehmend ausfallen, durch eigens eingerichtete Kontrollmechanismen zu ersetzen, damit für funktionale Anreize gesorgt wird. ((4)) Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass die Rekrutierungskriterien für Manager offenbar zunehmend meritokratisch ausgerichtet werden. Die moderne Gesellschaft wird durchlässiger: In der traditionellen Wirtschaft rekrutierte sich das TopManagement primär aus den oberen sozialen Schichten. Karrieren vom Mitarbeiter zum CEO waren kaum möglich. Dies hat sich jedoch verändert. Bildung und Leistung spielen eine immer größere Rolle für die Besetzung wirtschaftlicher Führungspositionen.50 ((5)) Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich ein Strukturwandel beobachten lässt weg von der traditionellen Sachkapital-orientierten Industriewirtschaft hin zu einer Humankapital-orientierten Innovationswirtschaft, die gekennzeichnet ist durch schwer zu kontrollierende Wissensarbeit, durch immer besser werdende Möglichkeiten der Diversifikation, durch komplexere Organisationsstrukturen und durch verbesserte Möglichkeiten des Aufstiegs für alle soziale Schichten. Diese beobachtbaren Tendenzen geben Anlass zu folgender Formulierung: These 6: Im Zuge des Strukturwandels der dritten Industriellen Revolution verliert das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit aus systematischen Gründen zunehmend an Orientierungskraft. 49 Zu den grundlegenden Veränderungen auf den Finanzmärkten und bei der Finanzierungsstruktur deutscher Unternehmen im Zuge der Globalisierung vgl. den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2005; S. 457 – 463). 50 Die empirische Eliteforschung stellt für die Bundesrepublik Deutschland fest, dass sich die Eliten gerade im wirtschaftlichen Bereich nach wie vor im Wesentlichen aus den oberen Sozialschichten rekrutieren. Allerdings zeigt ein Vergleich der Ergebnisse der Mannheimer Elitestudie von 1981 mit den Ergebnissen der Potsdamer Elitestudie von 1995, dass die Rekrutierungsbasis der wirtschaftlichen Eliten in Deutschland breiter geworden ist. Die Aufstiegsoption steht somit einem höheren Anteil der Bevölkerung zur Verfügung. Für einen Überblick über die Ergebnisse der Eliteforschung in Deutschland vgl. Kaina (2004) sowie Hartmann (2004).
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Ingo Pies und Peter Sass
Es entsteht also eine immer größer werdende Diskrepanz zwischen der altehrwürdigen Semantik der Leistungsgerechtigkeit und der sich im Zuge der dritten Industriellen Revolution stark wandelnden Sozialstruktur. Dieser Problembefund ist in Abbildung 6 illustriert.
Leistungsgerechtigkeit
Semantik a
Große Orientierungskraft
Sachkapital-orientierte Wirtschaft
Sozialstruktur • • • • • • •
Geringe Kontrollkosten Geringes Potential für Innovationen Hierarchie undurchlässig Wenige Hierarchieebenen Wenige Positionen auf einer Ebene Geringe Möglichkeiten zur Diversifikation auf Finanzmärkten Wenige große Anteilseigner
c
Humankapital-orientierte Wirtschaft
b Dritte Industrielle Revolution
Geringe Orientierungskraft
• • • • • •
Hohe Kontrollkosten Großes Potential für Innovationen Hierarchie durchlässig Komplexe Hierarchien Zahlreiche Möglichkeiten zur Diversifikation auf Finanzmärkten Unternehmen in Streubesitz –Aktionäre kontrollieren das Tagesgeschäft nicht.
Abbildung 6: Die zunehmende Diskrepanz zwischen Sozialstruktur und Semantik
Es ist folglich damit zu rechnen, dass das hier diagnostizierte Problem einer Diskrepanz zwischen Sozialstruktur und Semantik nicht einfach von allein wieder weggehen wird. Wie man dieses Problem intelligent lösen kann, ist Gegenstand des folgenden Abschnitts.
VI. Wie löst man das Problem? – Eine Stellungnahme aus wirtschaftsethischer Sicht Die bisherige Analyse führt zu dem Schluss, dass die öffentliche Debatte auf eine ziemlich verworrene Art geführt wird, so dass man entlang der dominierenden Frontstellung zwischen Verteidigern und Kritikern der gegenwärtigen Vergütungsstrukturen für Manager weder der einen Seite noch der anderen einfach Recht geben kann. Aus der Perspektive einer ordonomischen Wirtschaftsethik ist es vielmehr erforderlich, differenzierend Stellung zu nehmen. Die wesentlichen Überlegungen hierzu lassen sich in acht Punkten entwickeln. Erstens ist es eine unabweisbare Tatsache, dass sich die Entlohnungsformen der Manager in den letzten Jahren sehr deutlich vom Prinzip der Leistungsgerechtigkeit abgekoppelt haben. Deshalb entbehrt es nicht tragikomischer Züge, wenn die Verteidiger dieses Status quo trutzig behaupten, die sehr hohen Gehaltszuwächse seien nur Ausdruck dessen, dass Leistung sich eben lohnen müsse. Mehr noch: Wer so argumentiert, erweist dem Bemühen um soziale Akzeptanz letztlich einen Bärendienst, denn er trägt nicht zur Legitimierung, sondern geradewegs umgekehrt zur fortschreitenden Delegitimierung der bisherigen Vergütungspraxis bei: Nichts schadet einer Sache so sehr, als wenn sie mit den falschen Argumenten verteidigt wird.
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Zweitens ist es zwar unbestreitbar, dass sich die Entlohnungsformen der Manager in den letzten Jahren sehr deutlich vom Prinzip der Leistungsgerechtigkeit abgekoppelt haben. Dies bedeutet aber keineswegs, dass es sich bei dieser Entwicklung um eine generelle Fehlentwicklung gehandelt hat, wie die Kritiker des Status quo mutmaßen. Ganz im Gegenteil: Aufgrund eines tiefgreifenden Strukturwandels ist damit zu rechnen, dass funktionale Anreizarrangements zur Entlohnung von Managern systematisch – und in Zukunft, bei Fortschreibung dieses Trends, immer stärker – vom Prinzip der Leistungsgerechtigkeit abweichen werden. Drittens hängt es von zahlreichen Faktoren ab, wie eine funktionale Vergütungsstruktur im Detail auszusehen hat. Diese Faktoren können von Einzelfall zu Einzelfall stark divergieren. Deshalb verbietet es sich, eine „0815“-Lösung nach „Schema F“ flächendeckend vorschreiben zu wollen. Hier sind nicht zentrale Vorgaben, sondern dezentrale Problemlösungen gefragt, die den zahlreichen Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls sorgsam Rechnung tragen. Dies betrifft nicht nur die Höhe der Managergehälter, sondern vor allem auch die genauen Kriterien, an die die jeweiligen Entlohnungsbestandteile geknüpft werden. Viertens besteht die zum Auffinden funktionaler Vergütungsstrukturen am besten geeignete Prozedur darin, den Wettbewerb – ganz im Sinne von Hayeks (1968, 1994) – als „Entdeckungsverfahren“ einzusetzen: Die Eigentümer sollten ermutigt werden, auf eigene Rechnung damit zu experimentieren, wie funktionale Lösungen beschaffen sein könnten.51 Es ist davon auszugehen, dass es einzelnen Unternehmen gelingen wird, gerade aufgrund innovativer Anreizmechanismen Wettbewerbsvorteile zu erringen und damit in anderen Unternehmen eine individuell angepasste Nachahmung erfolgreicher Entlohnungsmodelle anzuregen. Fünftens benötigt ein solcher Wettbewerb um organisatorische Innovationen, damit er richtig funktioniert, eine geeignete Rahmenordnung. Aus ordonomischer Sicht wird also nicht einfach für ein „laissez-faire“ plädiert. Ganz im Gegenteil: Gesetzliche und behördliche Regelungen spielen für das Auffinden funktionaler Arrangements eine durchaus unverzichtbar wichtige Rolle. Allerdings kommt viel darauf an, dass solche Regelungen konzeptionell nicht als Ordnungspolitik erster Ordnung, sondern als Ordnungspolitik zweiter Ordnung eingesetzt werden: dass 51 Im Hinblick auf Bankmanager, deren Gehälter in letzter Zeit ganz besonders im Zentrum öffentlicher Aufmerksamkeit und Kritik standen, sind folgende Überlegungen anzustellen: Wenn man (aus guten Gründen) den Weg geht, systemrelevante Banken – nach dem Motto: „too big to fail“ – mit staatlichen Mitteln zu stützen, anstatt sie in Konkurs gehen zu lassen, dann kann dies zu massiven Fehlanreizen führen, weil die Eigentümer dieser Banken nun nur noch sehr eingeschränkt daran interessiert sind, sehr große Verluste zu vermeiden. Dies kann zur Folge haben, dass die Vergütungsstrukturen über das eigentliche Ziel hinausschießen, so dass an sich vorsichtige Bankmanager „überinzentiviert“ werden und dann eine Risikofreude an den Tag legen, die aus gesellschaftlicher Sicht unerwünscht ist. Anstatt aber nun interventionistisch die Gehälter der Bankmanager zu regulieren, besteht der Königsweg darin, die Interessen der Bankeigentümer zu regulieren und sie, z. B. durch erhöhte Eigenkapitalquoten, stärker an den Risiken der Bankgeschäfte zu beteiligen.
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sie nicht ein bestimmtes Ergebnismuster vorschreiben, sondern vielmehr den Prozess flankieren, innerhalb dessen geeignete Ergebnismuster allererst herausgefunden werden. In diesem Sinne setzt eine Ordnungspolitik zweiter Ordnung Anreize zur Anreizsetzung in und durch Unternehmen.52 Sechstens hat eine solche Ordnungspolitik zweiter Ordnung vor allem für die Transparenz und Fairness des Verfahrens zu sorgen, in dem die Vergütungsstrukturen für das Management ausgehandelt werden. Dabei ist es durchaus sinnvoll, von der Überlegung auszugehen, dass Abweichungen der Vergütungsstruktur vom Prinzip der Leistungsgerechtigkeit prinzipiell sowohl begründungsbedürftig als auch begründungsfähig sind. Wenn man schon, wie dies mit § 87 des Aktiengesetzes der Fall ist, dem Aufsichtsrat die haftungsrelevante Pflicht auferlegt, für eine leistungsgerechte Entlohnung des Vorstands zu sorgen, dann ist es von großer Bedeutung, dies auch in Zukunft weiterhin nicht als bindende Vorschrift zu interpretieren, sondern als ausnahmefähigen Regelfall, und zwar nach dem Motto „comply or explain“. Siebtens gilt für die demokratische Öffentlichkeit, dass eine konsensuale Annäherung der strittigen Positionen nur dann zu erwarten ist, wenn man sich auf die Komplexität der zu regelnden Sachverhalte mit dem nötigen Differenzierungsvermögen einlässt. Verständigung setzt Verständnis voraus. Ein solches Verständnis – und das mit ihm einhergehende wechselseitige Lernen – wird erleichtert, wenn die öffentliche Auseinandersetzung nicht ausschließlich im Paradigma der Leistungsgerechtigkeit geführt wird. Das Paradigma der Verfahrensgerechtigkeit wäre vergleichsweise besser geeignet, ein solches Verständnis zu fördern (siehe Abbildung 7). Achtens bedeutet dies, dass auf die Unternehmen als Corporate Citizens die Aufgabe zukommt, „Ordnungsverantwortung“ zu übernehmen. Dies meint zweierlei: Einerseits kommt es darauf an, dass die Unternehmen selbst-regulierend tätig werden. Andererseits ist es wichtig, dass sie in der öffentlichen Debatte eine Diskursverantwortung übernehmen und aktiv daran mitarbeiten, die Debatte kategorial so ausrichten zu helfen, dass die kontroverse und kritische Auseinandersetzung 52 Zum ordonomischen Konzept einer „Ordnungspolitik zweiter Ordnung“ vgl. ausführlich Pies (2008) sowie Pies et al. (2009). – In Deutschland hatte man mit dem Corporate-Governance-Kodex zunächst den Weg der Selbst-Regulierung beschritten. Im Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung vom 18. Juni 2009 wurden nun diverse Regulierungen vorgenommen. Diese Regulierungen lassen sich jedoch weitgehend als „Ordnungspolitik zweiter Ordnung“ interpretieren, weil sie nicht direkt das Ergebnis festlegen, sondern einzelne Merkmale des Prozesses, durch den Ergebnisse zustande kommen. So wird beispielsweise gesetzlich vorgeschrieben, dass die Entscheidung über die Vergütung von Vorständen im Aufsichtsrat zu treffen ist und nicht mehr an einen Ausschuss delegiert werden darf oder dass ausscheidende Vorstandsmitglieder nunmehr eine „Cooling-off“-Periode von zwei Jahren abwarten müssen, bevor sie in den Aufsichtsrat wechseln dürfen. – Im Hinblick auf die gesetzlichen und behördlichen Vorschriften speziell für Bankmanager jedoch ist derzeit fraglich, ob hier nicht ein Rückfall droht und die angestrebte Selbst-Regulierung der Wirtschaft durch eine politische Regulierung „verschlimmbessert“ wird. Vgl. hierzu auch die Fußnoten 34 und 51 in diesem Beitrag.
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produktiv geführt werden kann und nicht als Streit in Denk- und Handlungsblockaden mündet.53
Leistungsgerechtigkeit
Semantik
Verfahrensgerechtigkeit
Große Orientierungskraft
Große Orientierungskraft
Sachkapital-orientierte Wirtschaft
Sozialstruktur • • • • • • •
Geringe Kontrollkosten Geringes Potential für Innovationen Hierarchie undurchlässig Wenige Hierarchieebenen Wenige Positionen auf einer Ebene Geringe Möglichkeiten zur Diversifikation auf Finanzmärkten Wenige große Anteilseigner
Humankapital-orientierte Wirtschaft Dritte Industrielle Revolution
• • • • • •
Hohe Kontrollkosten Großes Potential für Innovationen Hierarchie durchlässig Komplexe Hierarchien Zahlreiche Möglichkeiten zur Diversifikation auf Finanzmärkten Unternehmen in Streubesitz – Aktionäre kontrollieren das Tagesgeschäft nicht.
Abbildung 7: Ein Paradigmawechsel zur Schließung der Lücke zwischen Sozialstruktur und Semantik
VII. Statt einer Zusammenfassung Die wesentlichen Gedanken der hier entwickelten Argumentation lassen sich mit Hilfe der folgenden Thesen leicht nachvollziehen: These 1: Der öffentliche Diskurs über die Angemessenheit von Managerbezügen ist legitim und sogar notwendig. These 2: Leistungsgerechtigkeit ist die zentrale Kategorie im öffentlichen Diskurs über die Angemessenheit von Managerbezügen. These 3: Die gegenwärtige Praxis der Managerentlohnung entspricht nicht dem Prinzip der Leistungsgerechtigkeit. Hier besteht eine Diskrepanz zwischen Sozialstruktur und Semantik. These 4: Der Gesetzgeber reagiert auf diese Diskrepanz zwischen Sozialstruktur und Semantik, indem er versucht, die Sozialstruktur der Semantik anzupassen und die Managerentlohnung am Prinzip der Leistungsgerechtigkeit auszurichten. These 5: Das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit ist nicht durchgängig geeignet, als Orientierungsmaßstab für funktionale Vergütungsstrukturen zu dienen. Vielmehr können zahlreiche einzelne Faktoren dazu führen, dass Unternehmen mit guten Gründen von einer i.e.S. „leistungsgerechten“ Managerentlohnung abweichen. Zu diesen Faktoren zählen: ein tiefgestaffeltes Angebot zur Portfoliodiversifikation auf Finanzmärkten, die Eigentümerstruktur (Streubesitz), große Innovationspotentiale 53 Zum ordonomischen Konzept der „Ordnungsverantwortung“ vgl. Beckmann und Pies (2008). Für anschaulich konkrete Anwendungen vgl. Braun (2009), von Winning (2009) sowie Pies et al. (2009).
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einer Branche, hohe Monitoringkosten für die Messung absoluter Leistung bei Managern, große Hierarchien und Diskriminierungsfreiheit bei Beförderungen. These 6: Im Zuge des Strukturwandels der dritten Industriellen Revolution verliert das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit aus systematischen Gründen zunehmend an Orientierungskraft. These 7: Abweichungen vom Prinzip der Leistungsgerechtigkeit sind also nicht nur begründungsbedürftig, sie sind auch begründungsfähig. These 8: Es kommt darauf an, in den Unternehmen Lernprozesse in Gang zu setzen und in Gang zu halten, die funktionale Anreizarrangements ausfindig machen. These 9: Solche Lernprozesse erfordern eine Ordnungspolitik zweiter Ordnung, die nicht zentral eine bestimmte Lösung verordnet, sondern dezentral und prozessorientiert Anreize setzt zur Anreizsetzung in und durch Unternehmen. These 10: Verständigung gründet auf Verständnis. Deshalb wäre es zweckmäßig, die öffentliche Auseinandersetzung vom Paradigma der Leistungsgerechtigkeit umzustellen auf das Paradigma der Verfahrensgerechtigkeit. Hieran als Corporate Citizens konstruktiv mitzuwirken und Ordnungsverantwortung – hier insbesondere: Diskursverantwortung – zu übernehmen, ist eine freilich noch weitgehend ungewohnte, aber doch sehr wichtige Aufgabe für Unternehmen: Für sie wird soziale Akzeptanz immer mehr zu einem knappen Faktor, der eigenständige Bewirtschaftungsmaßnahmen erforderlich macht. Summary This article employs an ordonomic approach to Business Ethics in order to shed light on the recent and highly controversial debate about management compensation. The argumentation proceeds in seven steps. (1) The first section shows that this debate is important, necessary, and legitimate. (2) The second section documents that both sides of the debate share the same paradigm. Defenders as well as critics argue that a compensation scheme is appropriate if it reflects the performance of the managers. (3) The third section identifies some stylized facts and shows empirically that managerial compensation is not systematically tied with performance. (4) The fourth section argues that a rigorous use of “Pay for Performance” as an incentive instrument leads in many cases not to the best outcome. Drawing on rational-choice based principal-agent analyses, this section identifies several cases in which it is both in the public interest as well as in the shareholders’ interest to deviate from the principle to compensate managers according to their individual performance. (5) The fifth section discusses some structural changes in
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the modern economy which make it more likely (and more urgent) to deviate from “Pay for Performance”. (6) The sixth section recommends to redirect public discourse: instead of dictating by law that pay schemes have to compensate managers according to their individual performance, it would be more prudent to shift paradigm and to substitute a sound process orientation for the outcome orientation of the often misleading “Pay for Performance” principle. (7) Finally, the seventh section summarizes this ordonomic line of argumentation in ten points.
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Wirtschaftsethik vor neuen Herausforderungen Ewald Stübinger
Wirtschaftsethik gehört „zu der Sorte von Erscheinungen . . . wie auch die Staatsräson oder die englische Küche, die in der Form eines Geheimnisses auftreten, weil sie geheimhalten müssen, dass sie gar nicht existieren“1.
Gegenüber diesem Diktum des Soziologen Niklas Luhmann vor fast zwei Jahrzehnten hat sich die Situation inzwischen wesentlich verändert. Die Wirtschaftsund Unternehmensethik, die seit den 1980er Jahren sich im deutschsprachigen Raum ausgebildet hat, hat sich im Laufe der Jahre nicht nur konzeptionell weiter profiliert und erweitert, sondern auch in bezug auf die Themenbearbeitung differenziert und konkretisiert. Angesichts der massiven Finanzmarkt- und Wirtschaftsprobleme der jüngsten Vergangenheit mit ihren unabsehbaren Auswirkungen auf die Zukunft ist der Ruf nach Ethik und Moral lauter denn je zu vernehmen. Prominente Ökonomen bzw. Nobelpreisträger2 und Politiker3 fordern inzwischen eine radikale Umkehr in Theorie und Praxis der Ökonomie. Das autonome Subsystem Wirtschaft mit seiner eigenen Funktionslogik steht vor einer massiven Legitimationskrise, die nicht nur die Suche nach einer Neuorientierung in der Wirtschaftstheorie, sondern vor allem auch nach einer ethischen (Neu-)Ausrichtung der Ökonomie evoziert. Die Zunahme an nationalen wie internationalen Krisenphänomenen insbesondere auf den Gebieten von Politik, Wirtschaft, Technologie und Um1 N. Luhmann, Wirtschaftsethik – als Ethik?, in: Wirtschaftsethik und Theorie der Gesellschaft, hrsg. von J. Wieland, Frankfurt a. M. 1993, S. 134 – 147; hier: S. 134. Luhmann vermutet, dass (Wirtschafts-)Ethik vor allem deshalb „als Medizin verschrieben (wird; E. S.), weil sie zwar nicht heilt, aber den Juckreiz der Probleme verringert“ (S. 139). Sie stelle letztlich nichts anderes dar als „eine Ablenkung von allen ernsthaften Versuchen, die moderne Gesellschaft und in ihr das Funktionssystem Wirtschaft zu begreifen“ (S. 142), da sie sich statt mit realen Problemen „in die Welt des Sollens flüchte()“ (S. 145). 2 So forderte der Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman jüngst in einem Vortrag vor Studenten der London School of Economics: „Wir brauchen eine ganz neue Art, Ökonomie zu lehren.“ – Und er setze hinzu: „Aber ich weiss auch nicht so genau, wie das gehen soll.“ (Vgl. Süddeutsche Zeitung, Nr. 210 vom 12. / 13. 9. 2009, S. 25). 3 Der CDU-Politiker Kurt Biedenkopf sieht das definitive Ende des Wohlstandswachstums gekommen und fordert: „Die Krise leitet einen Paradigmenwechsel ein. Das 21. Jahrhundert muss ein Jahrhundert der Bescheidenheit werden.“ (Vgl. Süddeutsche Zeitung, Nr. 210 vom 12. / 13. 9. 2009, S. 25).
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welt – bzw. deren zyklische Wiederkehr4 – hat nicht nur zu einer kaum mehr überblickbaren Fülle an Veröffentlichungen geführt, die sich aus ethischer Perspektive mit diesen Problembereichen beschäftigen, sondern sie hat auch eine weitere Ausdifferenzierung in sog. Bereichsethiken einschließlich der damit verbundenen Spezialisierung beigetragen (wie z. B. Umweltethik, Bioethik, Medizinethik, Technikethik, Governanceethik, Energieethik usw.). Die anfänglich im deutschsprachigen Raum mehr oder minder feststellbare Zweiteilung der wirtschafts- und unternehmensethischen Diskussion in Grundlagentheorie auf der einen Seite und in anwendungsorientierter Problembearbeitung auf der anderen Seite ist in Bewegung geraten. So wenden sich klassische Grundlagentheoretiker wie Peter Ulrich und seine „St. Gallener Schule“ sowie Karl Homann und seine Schüler in letzter Zeit auch verstärkt konkreten Problemen auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Unternehmensethik zu. Generell hat die Beschäftigung mit konkreten wirtschafts- und unternehmensethischen Fragen in den letzten Jahren stark zugenommen hat,5 ohne dass damit freilich die Grundlagendebatte obsolet geworden wäre. Die vor allem durch die Finanzmarktkrise und die globalen Umweltprobleme verursachte zunehmende interne und externe Infragestellung der herrschenden wissenschaftlichen Ökonomik und der realen Ökonomie ruft zugleich die Erwartung hervor, Ethik und Moral müssten korrigierend und problemlösend eingreifen. Kann Ethik dieser Erwartung überhaupt gerecht werden? Oder ist sie damit nicht überfordert? Welchen neuen Herausforderungen hat sich die Wirtschaftsethik zu stellen, und welche Lösung(en) hat sie anzubieten? Zunächst werde ich die wichtigsten aktuellen wirtschafts- und unternehmensethischen Ansätze im deutschsprachigen Raum skizzieren (= I.). Anschließend werden Grundfragen und Themen, die im Zentrum der wirtschaftsethischen Diskussion stehen, behandelt (= II.). Die spezifischen Herausforderungen, die sich mit den Stichworten „Globalisierung“ und „Ressourcen- bzw. Umweltproblematik“ umschreiben lassen, und ihre Implikationen für die Wirtschaftsethik (= III.) führen zu der Frage, ob Wirtschaftsethik in der Lage ist, unter Aufrechterhaltung ihrer Ausdifferenzierung und Spezialisierung eine (Re-)Kontextualisierung unterschiedlicher erkenntnistheoretischer, bereichsspezifischer und lösungsorientierter Zu4 Bezeichnenderweise ist aus Anlass der aktuellen Finanzmarktkrise ein Buch des Wirtschaftsethikers Peter Koslowski aus der zweiten Hälfte der 1990er Jahre soeben – aktualisiert – (wieder-)veröffentlicht worden: P. Koslowski, Ethik der Banken. Folgerungen aus der Finanzkrise, Paderborn 2009. 5 Vgl. paradigmatisch die Schriftenreihe für Wirtschafts- und Unternehmensethik (sfwu; hrsg. von T. Beschorner / A. Brink / W. Schmidt / O. J. Schumann) sowie die Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik (zfwu; wechselnde Herausgeber). Eine Analyse findet sich in dem Sammelband T. Beschorner / B. Hollstein / M. König / M. Lee-Peuker / O. J. Schumann (Hrsg.), Wirtschafts- und Unternehmensethik. Rückblick – Ausblick – Perspektiven, München und Mering 2005 (Schriftenreihe für Wirtschafts- und Unternehmensethik; Bd. 10); H. Albach, Unternehmensethik: Ein subjektiver Überblick, in: Unternehmensethik und Unternehmenspraxis, hrsg. von H. Albach, Wiesbaden 2005, S. 3 – 36 (Zeitschrift für Betriebswirtschaft, Special Issue 5 / 2005).
Wirtschaftsethik vor neuen Herausforderungen
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gangsweisen zu erreichen (= IV). Die These, die ich dabei zu begründen versuche, ist, dass die sich abzeichnenden Herausforderungen für die Wirtschaftsethik einerseits zu einer wechselseitigen Integration von Wirtschafts- und Umweltethik unter einer interkulturell-globalen Perspektive drängen und dass sie andererseits eine Reinterpretation von „klassischen“ Themen unter veränderten Bedingungen erforderlich machen, die sich inhaltlich vor allem auf den Begriff der Gerechtigkeit fokussiert und die methodisch auf die Überwindung der Diskrepanz von grundlagentheoretischer und anwendungsorientierter Perspektive zielt.
I. Wirtschafts- und unternehmensethische Ansätze im deutschsprachigen Raum Auf die angloamerikanische Business-Ethics-Bewegung kann hier nicht näher eingegangen werden. Obwohl bestimmte Parallelen und konvergente Entwicklungen zum deutschsprachigen Raum durchaus konstatierbar sind6, lassen sich die Business-Ethics mit Stichworten wie stärkere Betonung der Tugendethik und der Praxisorientierung mit Fokussierung auf Ethikkodices charakterisieren. 7 Demgegenüber zeichnet sich die deutschsprachige Diskussion durch ein deutliches Übergewicht an institutionellen und ordnungstheoretischen Aspekten aus. Im folgenden werden die gegenwärtig führenden wirtschaftsethischen Positionen von Karl Homann, Peter Ulrich, Horst Steinmann und Josef Wieland kurz dargestellt. In einem Exkurs wird außerdem auf theologische wirtschaftsethische Ansätze eingegangen, da sie sowohl auf die genannten führenden Positionen rekurrieren als auch zusätzliche Aspekte einbringen.
1. Wirtschaftsethik auf der Basis einer funktionalen ökonomischen Ethik – Der Ansatz von Karl Homann und seiner Schule Karl Homann (und seine „Ingolstädter Schule“8) nimmt in seinem wirtschaftsethischen Ansatz Elemente der Luhmannschen Systemtheorie, der Institutionenökonomik sowie eines funktional-konsequentialistischen Ethikverständnisses auf. Erfolgte in den Anfängen – auf der Basis des „Gefangenendilemmas“ der Spieltheorie und der daraus gezogenen institutionellen Konsequenzen – eine starke 6 Vgl. hierzu B. Palazzo, The story so far – revisited: Die kulturellen Hintergründe der Business Ethics, in: T. Beschorner u. a. (Hrsg.) (Fn. 5), bes. S. 191 f. 7 Vgl. hierzu S. Grabner-Kräuter, US-Amerikanische Business Ethics-Forschung – the story so far, in: T. Beschorner u. a. (Hrsg.) (Fn. 5), S. 141 – 179. 8 Der Begriff „Ingolstädter Schule“ resultiert daher, dass die Grundlagen der Position Homanns in seiner Zeit als Lehrstuhlinhaber für Wirtschaftsethik an der Hochschule IngolstadtEichstätt (1990 – 1999) konzipiert worden sind und hieraus auch ein Großteil seiner „Schüler“ (Andreas Suchanek, Ingo Pies u. a.) stammt. Später lehrte Homann – bis zu seiner Emeritierung – in München (1999 – 2008).
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Fokussierung auf die Rahmenordnung als dem „systematischen Ort der Moral“9, die der Unternehmensethik eine eher geringe Aufmerksamkeit widmete10, so ist in der Folgezeit der Unternehmensethik stärkere Beachtung zuteil geworden. Damit einher geht außerdem eine Aufwertung von moralischen Tugenden, die bei der ursprünglichen Betonung der Ablösung von Face-to-face-Beziehungen durch anonymisierte Interaktionen in der modernen Gesellschaft eine nur untergeordnete Rolle spielten. Wegen der zunehmenden Bedeutung der Globalisierung gerade im Bereich der Wirtschaft und der damit verbundenen prekären Rolle der nationalen Rahmenordnung – sowie einer kaum vorhandenen verbindlichen internationalen Rahmenordnung – hält Homann unternehmensethische Selbstverpflichtungen, wie beispielsweise branchen- und unternehmenseigene „EthikManagements“, Umweltund Ethik-Rankings für zunehmend wichtiger11. Homann votiert für ein „hochdifferenziertes Zusammenspiel von Individualethik und Ordnungsethik (beziehungsweise Organisations- oder Governance-Ethik)“12. Die Struktur des Gefangenendilemmas, die nach Homann die moderne, funktional differenzierte Gesellschaft einschließlich der Wirtschaft mit ihren anonymisierten Interaktionen kennzeichnet13, führt dazu, dass nur durch eine Rahmenordnung K. Homann / F. Blome-Drees, Wirtschafts- und Unternehmensethik, Göttingen 1992, S. 35. Vgl. E. Stübinger, Wirtschaftsethik I / II, in: Zeitschrift für Evangelische Ethik (ZEE), 40. Jg., H. 2 / 3, Gütersloh 1996, S. 148 – 161; 226 – 244; E. Stübinger, Literaturbericht zur Wirtschaftsethik, in: ZEE 49. Jg., H. 4, Gütersloh 2005, S. 284 – 313. Homann verteidigt demgegenüber die Kontinuität seiner Konzeption, wenn er geltend macht, dass er schon immer die Möglichkeit der Unternehmensethik mit der Unvollständigkeit der Verträge begründet habe (vgl. K. Homann, Wirtschaftsethik: Versuch einer Bilanz und Forschungsaufgaben, in: T. Beschorner u. a. (Hrsg.) (Fn. 5), S. 197 – 211, bes. S. 198). Dem ist zuzustimmen. Allerdings gilt sein systematisches Interesse der Rahmenordnung als dem primären (wenngleich nicht exklusiven) Ort der Moral. Aufgrund dieses Ansatzes war es naheliegend, der Unternehmensethik eine lediglich untergeordnete Bedeutung zuzuschreiben. Wenn sich dies bei Homann in letzter Zeit geändert hat, dann dürfte dies vor allem dem Problem der Globalisierung bei zunehmender Macht der wirtschaftlichen global players sowie einer nicht existierenden verbindlichen internationalen Rahmenordnung zuzuschreiben sein. 11 Vgl. K. Homann, Grundlagen einer Ethik für die Globalisierung, in: Zwischen Profit und Moral – Für eine menschliche Wirtschaft, hrsg. von H. v. Pierer / K. Homann / G. LübbeWolff, München / Wien 2003, S. 35 – 72, bes. S. 57 ff. (Edition Initiative und Diskurs, hrsg. von B. Hentschel, Bd. 1). 12 K. Homann / D. H. Enste / O. Koppel, Ökonomik und Theologie. Der Einfluss christlicher Gebote auf Wirtschaft und Gesellschaft (hrsg. vom ROMAN HERZOG INSTITUT e. V.), München 2009, S. 42. 13 Nach Homann stellt das Gefangenendilemma, „mit dem Zugleich von gemeinsamen und konfligierenden Interessen unter Bedingungen von Interdependenz“, „die grundlegende Anatomie aller Interaktionen“ dar (K. Homann / D. H. Enste / O. Koppel [Fn. 12], S. 38). Hieraus resultiert die Applizierbarkeit dieses Modells auf grundsätzlich alle Interaktionsstrukturen, d. h. weit über die Ökonomie hinaus. An anderer Stelle macht Homann deutlich, dass das Gefangenendilemma ein heuristisches und kein empirisches Modell ist: „Methodisch ist in diesem Zusammenhang wichtig, dass man das Gefangenendilemma nicht als adäquate Beschreibung der sozialen Realität versteht, sondern als die zugrunde liegende Struktur bei allen Interaktionen.“ (Ebd., S. 26). 9
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(pareto-)optimale Ergebnisse erzielt werden können. Die Rahmenordnung ist nicht nur der systematische Ort der Moral, sondern sie ist zugleich institutionalisierte Moral selbst, denn sie hemmt zum einen kurzfristiges egoistisches Vorteilsstreben, indem sie Anreize für eine längerfristige Kooperation setzt; zum anderen senkt sie wirtschaftliche Transaktionskosten, indem sie verlässliches und vertragstreues Verhalten in Anbetracht der Unvollständigkeit von Verträgen fördert. Eine Ethik, die in der Lage ist, derartiges zu leisten, muss selbst bestimmten Bedingungen gehorchen. Erstens ist sie als Bedingungsethik – und nicht als Handlungsethik – zu konzipieren14, die auf die Frage der Implementierung von Normen unter den Bedingungen der modernen Gesellschaft zugeschnitten ist. „Eine Ethik, die das Problem der Ausbeutbarkeit moralischen Verhaltens im Wettbewerb nicht löst, muss in der modernen Welt versagen.“15. Damit grenzt sich Homann gegen ein Ethikverständnis ab, das Moral strikt normativ und als Gegensatz zur Vorteilskalkulation definiert, wie dies im traditionellen Ethikbegriff der Fall ist.16 An dessen Stelle tritt ein nicht-kognitivistischer Ethikbegriff bzw. eine „Moralbegründung aus Interessen“17. Homann lehnt einen Primat der Ethik dezidiert ab18. Zweitens ergibt sich für Homann das funktional-konsequentialistische Ethikverständnis daraus, dass es bei der Rahmenordnung für Wirtschaft und Gesellschaft nicht (mehr) um Handlungsmotive, sondern um Handlungsregeln und -restriktionen geht. Ethik und Moral haben aus diesem Grunde nicht den Status von normativen Vorgaben oder korrektiven Eingriffen in das Wirtschaftsgeschehen, sondern den von „Intuitionen, sie sind keine Handlungs-, sondern eher Such- oder Denkanweisungen“19. Ethik wird somit in Ökonomik, deren Grundbegriff der Homo oeconomicus im Sinne eines methodologischen Individualismus ist, überführt, bzw. sie „wird so zur Heuristik der Ökonomik“20, da diese die Bedingungen für eine funktionale Anreiz-, Interessenund Vorteilsethik ausarbeitet. Hatte der frühe Homann „Ökonomik und Ethik als wechselseitige Heuristik und Restriktionsanalyse“21 verstanden, was ihm den Vor14 Die Bedingungsethik korrelliert mit einer „Umstellung von der Aktions-, Entscheidungs- oder Handlungstheorie auf eine Interaktionstheorie“ (K. Homann [Fn. 10], S. 207). Sie verzichtet damit zugleich auf „,externe‘ Normativität“ (ebd.). 15 K. Homann (Fn. 11), S. 71. 16 „Die Demarkationslinie zwischen unmoralischem und moralischem Handeln ist somit nicht entlang der Unterscheidung von Egoismus und Altruismus zu ziehen . . . , sondern . . . zwischen einseitigem und wechselseitigem Vorteilsstreben.“ (K. Homann [Fn. 11], S. 50). 17 K. Homann, Entstehung, Befolgung und Wandel moralischer Normen: Neuere Erklärungsansätze, in: F. U. Pappi (Hrsg.): Wirtschaftsethik – Gesellschaftswissenschaftliche Perspektiven, Kiel 1989, S. 47 – 64; hier: S. 61. 18 Vgl. K. Homann (Fn. 10), S. 203. 19 K. Homann (Fn. 11), S. 70. 20 K. Homann, Ökonomik: Fortsetzung der Ethik mit anderen Mitteln, in: Artibus ingenuis. Beiträge zu Theologie, Philosophie, Jurisprudenz und Ökonomik, hrsg. von G. Siebeck, Tübingen 2001, S. 85 – 110; hier: S. 103. 21 K. Homann / I. Pies, Replik: Wie ist Wirtschaftsethik als Wissenschaft möglich, in: Ethik und Sozialwissenschaften 5 (1994), S. 94 – 108, hier: S. 99.
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wurf einbrachte, er führe diese Wechselseitigkeit lediglich als Übersetzung von Ethik in Ökonomik durch,22 so intendiert er später eine „philosophische Ethik mit ökonomischer Methode“23. Das Ethikverständnis von Homann läuft darauf hinaus, dass die normativen Vorgaben „nach Art eines Kompasses, nicht nach Art eines Navigationssystems“24 funktionieren, d. h. diese haben Problemanzeige- und Signalfunktion, geben jedoch keine unmittelbaren Handlungsanweisungen vor. Ökonomik verweist darauf, dass Moral und Ethik auf Dauer nur dann Bestand haben, „wenn die Befolgung moralischer Normen über die Sequenz hin (!) grössere Vorteile verspricht als die Übertretung im Einzelfall“25. Auf der Ebene der Unternehmensethik bedeutet dies die prinzipielle Aufhebung des Gegensatzes zwischen Ethik und Gewinnprinzip: „Mit mehr Moral Geld zu verdienen tut dem moralischen Charakter des Handelns keinen Abbruch.“26 Die Ökonomiekompatibilität der Ethik darf freilich nicht im Sinne von Gewinnmaximierung um jeden Preis missverstanden werden. Was Ethik vor allem in die Wirtschaft einbringt, ist eine Ausweitung der Perspektive, u.z. in zweifacher Hinsicht: „Moral verlangt die Ersetzung der kurzfristigen durch eine langfristige Vorteilskalkulation – dies ist die zeitliche Dimension –, und Moral verlangt die Rücksicht auf den / die anderen, weil Ego zur Erreichung seines Optimums auf Alter angewiesen ist – dies ist die soziale Dimension.“27. Dem korrespondiert ein offener Vorteils- bzw. Nutzenbegriff, der insbesondere nicht auf monetäre Werte verkürzt werden soll, weshalb die positive Verwendung dieses Begriffs im Sinne eines „ökonomischen Imperialismus“ – d. h. über das System der Wirtschaft hinaus auf andere gesellschaftliche Bereiche übertragbar – nach Homann keinen Reduktionismus darstellt28. Allerdings erhebt sich dann die Frage, ob ein derart offener und weiter Nutzenbegriff letztlich nicht doch 22 So z. B. J. Wieland, Die Tugend kollektiver Akteure, in: J. Wieland (Hrsg.): Die moralische Verantwortung kollektiver Akteure, Heidelberg 2001, S. 22 – 40, bes. S. 28 ff. 23 K. Homann, Governanceethik und philosophische Ethik mit ökonomischer Methode: Versuch einer Verhältnisbestimmung, in: Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik 2 (2001), S. 34 – 47. 24 K. Homann (Fn. 12), S. 42. 25 K. Homann, Wirtschaftsethik: Dient die Moral dem eigenen Vorteil?, in: Moral und Moralismus in Politik und Wirtschaft, hrsg. von D. Ruloff, Zürich 2002, S. 81 – 100; hier: S. 91 (Sozialwissenschaftliche Studien des schweizerischen Instituts für Auslandsforschung Bd. 31, Neue Folge). 26 K. Homann (Fn. 11), S. 56. An anderer Stelle formuliert Homann noch eindeutiger und kommt der „neoliberalen“ Position bedenklich nahe: „Armut durch ,Teilen‘ und ,Opfern‘ überwinden zu wollen, ist ein Ausdruck der Hilflosigkeit gegenüber den Problemen unserer Welt. Volkswirtschaften werden nicht durch ,Teilen‘ und ,Opfern‘ entwickelt, sondern durch Investitionen, und Investitionen werden nur vorgenommen, wenn sich die Investoren davon Vorteile versprechen. Die Folge: Es wird den ,Armen‘ nur besser gehen, wenn es auch den ,Reichen‘ besser geht, das heisst wenn sie eine marktgerechte Rendite auf ihre Investitionen erwarten können. Denn die Wirtschaft ist kein Nullsummenspiel, sondern ein Positivsummenspiel.“ (K. Homann [Fn. 12], S. 77) Hierzu passt auch das Bekenntnis Homanns zum Shareholder-Value-Ansatz (Ebd., S. 77). 27 K. Homann (Fn. 25), S. 92 f.; vgl. K. Homann (Fn. 11), S. 63 ff. 28 Vgl. K. Homann (Fn. 10), S. 201.
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an inhaltlicher Schärfe verliert, so dass er als heuristisches Prinzip kaum mehr taugt. Er gerät dann in den Verdacht, eine Tautologie oder eine petititio principii darzustellen. Nach welchen Kriterien wird bewertet, was als Nutzen zu gelten hat, und welche Zeiträume – kurz-, mittel- oder langfristig – sind dabei wie stark zu berücksichtigen? Was macht man, wenn es hierbei zu Spannungen und Widersprüchen kommt? Bedarf es dann nicht weiterer Kriterien – ethisch-normativer und / oder ökonomischer Art –, so dass es zu einer Iteration des Problems kommen kann? Damit sind Fragen benannt, die aus der Position von Homann heraus konsequent mit Vorteilserwägungen und dem Erstellen von Win-win-Situationen (pareto-optimal) beantwortet werden müssten, was vermutlich in weitere Folgeprobleme führen dürfte, wenn man eine normative Ethik bzw. Moral im engeren Sinne nicht akzeptieren will. Aber letztlich betrachtet Homann Moral nicht als ein originäres, sondern als ein aus Problemen der menschlichen Interaktion entstandenes abgeleitetes Phänomen.29 Es wird sich zeigen müssen, ob die Position von Homann in der Lage ist, neue Herausforderungen, die sich stellen, konstruktiv zu bearbeiten (s. u., Kap. III.). 2. Wirtschaftsethik als Wirtschaftsbürgerethik – Der integrative, diskursethische Ansatz von Peter Ulrich Peter Ulrich und seine „St. Gallener Schule“ vertreten von allen wirtschaftsethischen Positionen wohl am dezidiertesten eine philosophisch-ethische Begründung und Fundierung von Wirtschaftsethik und Wirtschaftswissenschaft. An die Stelle einer ökonomischen Ethik wie bei Homann setzt Ulrich eine strikt normative Ethik in der Tradition Kants und insbesondere der Diskursethik von Apel und Habermas30. An die Stelle der Systemtheorie tritt die Lebenswelt und die Integration der sozialen Systeme in diese, an die Stelle einer weitgehenden Autonomie des Wirtschaftssystems und der ökonomischen Rationalität deren Einbettung in eine Politische Ökonomie des guten Lebens, an die Stelle des Implementierungsproblems die Begründung der Wirtschaft auf eine ethisch legitimierte Lebensordnung, an die Stelle der Ethik als regulativer Idee deren konstituierender und normativ regulierender Status. Ulrich versteht seinen Ansatz als Integrative Wirtschaftsethik, die einen „dritten Weg“ beschreitet zwischen einer bloßen angewandten Ethik einerseits, die „mehr Moral“ in bestimmte Bereiche der Wirtschaft zu bringen versucht, und einer normativen Ökonomik andererseits, die Ethik im Sinne eines ökono29 Homann knüpft dabei an die klassische Vertragstheorie (Hobbes, Spinoza, Rousseau) an, indem er Moral „aus nicht-moralischen Voraussetzungen – ,Naturzustand‘ – und dem ebenfalls nicht-moralischen Vorteilskalkül der Einzelnen“ (K. Homann [Fn. 10], S. 205) ableitet. 30 Allerdings übt Ulrich auch Kritik an bestimmten „Resten“ instrumentell-vernünftigen Denkens bei Habermas und Apel (vgl. P. Ulrich, Integrative Wirtschaftsethik. Versuch einer (Selbst-)Einschätzung des Enwicklungs- und Diskussionsstands, in: T. Beschorner u. a. (Hrsg.) (Fn. 5), S. 233 – 250, bes. S. 235 f.), was zu einer „Radikalisierung“ der Diskursethik führt.
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mischen Reduktionismus auf ökonomische Funktionalisierbarkeit verkürzt. Die Integrationsfähigkeit von Wirtschaft hat sich am Prinzip der Lebensdienlichkeit auszurichten, das von den Ideen des guten Lebens und des gerechten Zusammenlebens der Menschen geprägt ist. Die integrative Wirtschaftsethik basiert auf einer (diskursiven) Vernunftethik des Wirtschaftens, einem sozialökonomischen Rationalitätsverständnis sowie einem republikanischen Liberalismus, der vom ökonomischen Liberalismus scharf abgegrenzt wird. Im Zentrum steht eine Grundlagenreflexion, deren Hauptinhalte einerseits eine Kritik am herrschenden „Ökonomismus“31 und andererseits das Konzept eines vernünftigen Wirtschaftens aus dem Blickwinkel der Lebenswelt32 darstellen. Letzteres wird von Ulrich in Abgrenzung von der neoklassischen Idee „reiner“ ökonomischer Rationalität auch als sozialökonomische Rationalitätsidee bezeichnet33. Im Gegensatz zu Homann bestimmt Ulrich als Orte der Moral des Wirtschaftens alle drei Ebenen: die Mikroebene als Wirtschaftsbürgerethik, die Mesoebene als Unternehmensethik und die Makroebene als Ordnungs- bzw. Institutionenethik34. Allerdings wird diese Unterscheidung von Ulrich faktisch aufgehoben, da er die drei Ebenen „in ihrer dialektischen Beziehung begriffen“35 sehen möchte. Die Aufgabe auf der individuellen Akteursebene besteht in der „Suche nach einer ethisch integrierten Erfolgsorientierung, die sich verantwortliche Wirtschaftsbürger zu eigen machen“36, auf der Unternehmensebene in einer „entsprechend ,zivilisierte(n)‘ Unternehmensführung“37 und auf der Ordnungsebene in der „ordnungsethische(n) – und eben nicht bloß institutionenökonomische(n) . . . – Suche nach einer ethisch integrierten Konzeption ,guter‘ Marktwirtschaft“38. Das Ziel dieser Aufgaben konzentriert sich im Leitbild einer voll entfalteten Bürgergesellschaft als Wesenskern eines republikanischen Liberalismus, der von drei elementaren Leitideen gekennzeichnet ist39: umfassender Bürgerstatus (Persönlichkeitsrechte, Staatsbürgerrechte, Wirtschaftsbürgerrechte), Bürgersinn („Zivilgesellschaft“) und Zivilisierung des Marktes sowie des Staates. In allem geht es bei Ulrichs Ansatz um den „Primat der Politik vor der Logik des Marktes“40. Zwar möchte Ulrich die moderne Ausdifferenzierung der 31 P. Ulrich, Integrative Wirtschaftsethik. Grundlagen einer lebensdienlichen Ökonomie, 3. rev. Aufl. Bern / Stuttgart / Wien 2001 (1. Aufl. 1997), S. 131 ff. Zum „Ökonomismus“ zählen für Ulrich alle Formen von Begründungen, die aus ökonomischer Rationalität normative Ansprüche ableiten (z. B. Homann sowie ein Großteil der übrigen Wirtschaftsethiker, der Wirtschaftswissenschaften und der Wirtschaftspraktiker). 32 Ebd., S. 207 ff. 33 Vgl. ebd., S. 120 ff. 34 Ebd., S. 289 ff. 35 P. Ulrich (Fn. 30), S. 239. 36 Ebd., S. 238. 37 Ebd. 38 Ebd. 39 P. Ulrich, Der entzauberte Markt. Eine wirtschaftsethische Orientierung, Freiburg / Basel / Wien 2002, S. 84 ff. 40 P. Ulrich (Fn. 30), S. 240.
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Gesellschaft in selbständige (Sub-)Systeme nicht rückgängig machen, aber ihm liegt an der umfassenden Integration der relativen Selbständigkeit der Systeme, wie z. B. des Wirtschaftssystems, „das sich jedoch gegenüber Ethik und Politik niemals ganz verselbständigen darf“41. Die praktischen Konsequenzen, die sich hieraus ergeben, bestehen in der systematischen sowie realpolitischen Einbettung des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs in eine „emanzipatorische Gesellschaftspolitik“: „Gemeint ist damit eine wahrhaft liberale Politik, die danach strebt, alle Bürgerinnen und Bürger zu befähigen und zu berechtigen, ihr Leben in realer Freiheit unter nicht ausgrenzenden und nicht demütigenden existenziellen Bedingungen zu führen“. Da der Arbeitsmarkt den Hauptfaktor bei der sozialen Integration bildet, erblickt Ulrich in dessen entsprechender Gestaltung „eine der bedeutendsten weltweiten Herausforderungen der Wirtschaftsethik überhaupt“.42 Was das Gebiet der Unternehmensethik anbelangt, so setzt Ulrich neben der ordnungspolitischen Mitverantwortung der Unternehmen auf „eine institutionalisierte Selbstverpflichtung auf ethische Leitlinien und Leitplanken der Geschäftspolitik“43 in der Form von „Ethikmaßnahmen“, bezüglich denen er aufgrund von empirischen Untersuchungen zur Bekanntheit und Verbreitung verschiedener Ethikmaßnahmen in Unternehmen Anlass zur Hoffnung sieht44. Auch hinsichtlich der Moral der Führungskräfte der Wirtschaft erkennt Ulrich keinen Grund zum Pessimismus – trotz der weiten Verbreitung einer „ökonomistischen“ Grundeinstellung. Da Führungskräfte immer zugleich auch (Staats-)Bürger seien, würden diese „tendenziell auch integrative Denkmuster“ entwickeln, weil sie „bei dem, was sie tun, eine gesunde Selbstachtung ebenso bewahren können (möchten; E.S.) wie die Anerkennung als achtenswertes Mitglied der Gemeinschaften, denen sie angehören“45. In den letzten Jahren hat sich Ulrich verstärkt auch dem Problem der Globalisierung zugewendet. So ersetzte er das Kapitel „Ordnungsethik“46 durch „Weltwirtschaftsethik“47 und stellte es von der zweiten an die dritte Stelle, so dass seine Ausführungen insgesamt auf die Weltwirtschaftsethik zulaufen und somit dieser Ebd. Ebd., S. 242. Im Blick auf den Arbeitsmarkt fordert Ulrich ein Wirtschaftsbürgerrecht auf Erwerbsarbeit für alle, auf ein erwerbsunabhängiges Grundeinkommen für alle („Bürgergeld“) sowie auf Teilhabe am volkswirtschaftlichen Kapital für alle („Bürgerkapital“), so dass alle Bürger „prinzipiell auf zwei Existenzbeinen stehen, also einen Arbeitslohn haben und angemessen am volkswirtschaftlich erzeugten Shareholder Value partizipieren – nach dem Motto: Wenn schon Kapitalismus, dann gleich für alle.“ (P. Ulrich [Fn. 39], S. 96 f.). 43 P. Ulrich / J. Wieland (Hrsg.), Unternehmensethik in der Praxis. Impulse aus den USA, Deutschland und der Schweiz, Bern / Stuttgart / Wien 1998, S. 137. 44 Ebd., S. 153 ff. 45 P. Ulrich (Fn. 30), S. 243. 46 P. Ulrich (Fn. 31), S. 333 ff. 47 P. Ulrich (Fn. 39), S. 158 ff. 41 42
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Punkt eine größere Relevanz erhält. Aufgrund der systematischen Elaboriertheit seiner eigenen Position stellt das Thema „Globalisierung“ für Ulrich kein eigentliches Problem in bezug auf Lösungsstrategien dar: „Die Räume, in denen die institutionellen Voraussetzungen zur Wahrung des Primats der Politik gegeben sind, müssen mit den offenen Markträumen deckungsgleich sein.“48 Probleme bereitet eher die Frage der praktischen Umsetzung. Hier setzt Ulrich konsequent auf das diskursethische Potential der Zivilgesellschaft, indem er die Idee eines weltbürgerlichen Bewusstseins anmahnt, die sowohl den solidarischen Weltbürger als auch die kritische Weltöffentlichkeit „als moralische Instanz einer weltumspannenden Zivilisation“49 zum Zentrum hat. Eine Nähe zu Ulrich Becks kritischer Weltbürgergesellschaft50 ist hier unverkennbar. Auf institutioneller Ebene spricht sich Ulrich für die Errichtung einer „balancierten Gegenmacht“51 gegen die etabilierten internationalen Institutionen von WTO, Weltbank, IWF usw. aus. Ulrich ist sich durchaus bewusst, dass ein „geradezu epochaler ,Bewusstseinsschub der Menschheit‘ erforderlich“52 ist und es noch reichlich wirtschaftsethischer Aufklärung bedarf, um gegen den „ökonomistischen Zeitgeist“53 effektiv wirken zu können. Ulrichs Konzept ist geprägt von einer kritischen und zugleich reformerisch-optimistischen Grundhaltung, trotz seiner scharfen Kritik an der wissenschaftlichen „Mainstream-Ökonomie“ sowie an der wirtschaftlichen Realität. Die Frage nach der vernünftigen Begründbarkeit einer universalen Ethik sowie von deren Realisierbarkeit innerhalb der Rationalität des ökonomischen Systems ist nach Ulrich prinzipiell positiv beantwortbar. Dieser kritische Optimismus macht zwar dem Anspruch nach vernünftige Gründe geltend, er wird aber gegen zum Teil massive Widerstände theoretischer wie praktischer Natur zu kämpfen haben – dessen ist sich Ulrich durchaus bewusst, was ihn jedoch nicht davon abhält, auf die Überzeugungskraft kritischer Vernunft zu vertrauen. Ob dieser kritische Optimismus letztlich nicht doch Hoffnung bleibt, wird wohl erst die Zukunft erweisen.
3. Governanceethik als Wertemanagement – Der Ansatz einer unternehmensbezogenen Wirtschaftsethik von Josef Wieland Innerhalb der wirtschaftsethischen Diskussion hat sich in den letzten Jahren der Konstanzer Wirtschaftsethiker Josef Wieland mit einer eigenen Position immer stärker profiliert, die konzeptionell auf den Bereich der Unternehmensethik zielt. P. Ulrich (Fn. 31), S. 387 (im Original kursiv). P. Ulrich (Fn. 39), S. 182. 50 Vgl. U. Beck, Schöne neue Arbeitswelt. Vision: Weltbürgergesellschaft, Frankfurt a. M. 1999; U. Beck: Weltrisikogesellschaft, Frankfurt a. M. 2007. 51 P. Ulrich (Fn. 39), S. 180. 52 Ebd., S. 183. 53 Ebd., S. 184. 48 49
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Wieland nimmt Grundelemente sowohl der Systemtheorie Luhmanns als auch der „Neuen Institutionenökonomik“ (Williamson u. a.) auf. Mit letzterer verbindet Wieland „die simultane Abarbeitung von Tausch- und Vertragsbeziehungen und Vertrags- und Organisationsbeziehungen unter Unsicherheit und Unvollständigkeit“54. Mit Luhmann (und Homann) übernimmt Wieland das Modell der funktionalen Differenzierung der modernen Gesellschaft in autonome Subsysteme, was eine unmittelbare Verknüpfung von Ökonomie und Ethik – im Sinne einer „Moralisierung“ der Wirtschaft – ausschließt. Allerdings versucht Wieland die operationale Abgeschlossenheit der sozialen Systeme in der Systemtheorie dadurch zu überwinden, dass er zwischen Funktionssystemen (Markt), Organisationssystemen (Unternehmen) und Akteuren unterscheidet: „Während Funktionssysteme wie der Markt monolingual verfasst sind, also nur eine Sprache – die der Preise – verstehen, sind Organisationssysteme wie Unternehmen konstitutiv auf die Fähigkeit angewiesen, polylinguale Diskurse zu generieren und zu stabilisieren. Damit wird es theorietechnisch möglich, genuin moralische Überlegungen in das ökonomische Entscheidungskalkül nicht nur individueller, sondern auch kollektiver Akteure einzuspeisen, und zwar als Bestandteil des ökonomischen Problems selbst.“55
Hieraus generiert Wieland das Konzept einer Unternehmensethik als Governanceethik, die davon ausgeht, dass nicht nur ökomonische Anreize, sondern „auch moralische, psychologische, soziale oder rechtliche Anreize in Betracht gezogen werden, moralisches Verhalten zu triggern und zu stabilisieren“56. Wieland grenzt sich insoweit von einem „ökonomischen Imperialismus“ im Sinne Homanns u. a. ab57, indem er moralischen Anreizen innerhalb der Ökonomie einen über ökonomische Aspekte hinausgehenden eigenständigen Wert zuschreibt. Die moralischen Anreize können sich beispielsweise in Achtung, Missachtung, Anerkennung, habitualisierten Pflichten, Normen oder Tugenden äußern.58 Ethik kann auf Dauer nur dann im Bereich der Ökonomie eine positive Wirkung entfalten, wenn sie gerade nicht in ökonomischer Funktionalität aufgeht59. Damit diese Intention nicht in eine 54 J. Wieland, Governanceethik und moralische Anreize, in: T. Beschorner u. a. (Hrsg.) (Fn. 5), S. 251 – 280; hier: S. 258. 55 Ebd., S. 256. 56 Ebd., S. 252. 57 Grundsätzlich steht Wieland sowohl im Grundverständnis von Ethik und Ökonomik als auch in den praxisbezogenen Konsequenzen Homann allerdings näher als Ulrich (vgl. J. Wieland: Die Ethik der Governance, Marburg 1999, S. 62 f.; gegen Ulrich: S. 82 ff. [Institutionelle und evolutorische Ökonomik; Bd. 9]). 58 Moralische und ökonomische Anreize unterscheiden sich nach Wieland vor allem durch ihre Referentialität: “ Moralische Anreize sind Wertschätzungen, die individuelle und kollektive Akteure selbstreferentiell oder fremdreferentiell zurechnen, weil und insoweit ihr Handeln und Verhalten Werten folgt, deren moralische Legitimität für eine Person in einer Gesellschaft gegeben ist. Genau das unterscheidet moralische Anreize von ökonomischen Anreizen, deren Fundament ausschließlich selbstreferentielle Affekte sind, die sich auf materielle und immaterielle Anreize richten können.“ (J. Wieland [Fn. 54], S. 276). 59 J. Wieland (Fn. 57), S. 36; 78 ff.
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„Moralisierung“ der Wirtschaft mündet, fordert Wieland eine Entkoppelung von Begründungs- und Anwendungsdiskurs. Governanceethik stellt kein Konzept zur Begründung von Ethik, sondern (nur) zu deren Anwendung dar, was sie „an das Urteil der anderen Wissenssysteme wie etwa Ökonomie, Technik, Recht oder Politik“60 bindet. Die konkrete Umsetzung der Governanceethik erfolgt über die Ausarbeitung und Implementierung eines Wertemanagementsystems in Unternehmen. Begründet ist dies nach Wieland darin, dass wegen der zunehmenden Komplexität wirtschaftlicher Entscheidungen – der gestiegenen Informations- und Wissensbasierung – nicht zuletzt auf dem Hintergrund der Globalisierung die Wirtschaft in Zukunft „weniger eine klassische Markt-, als vielmehr eine Kooperationsökonomie“ sein wird, „in der Wettbewerbsfähigkeit und Kooperationsfähigkeit füreinander Bestandsvoraussetzung sind“61. Informale Steuerungsmechanismen wie Werte und Moral sollen nach Wieland eine einseitige Shareholder-Value-Perspektive und deren an vielen Skandalen der letzten Zeit (Betrug, Korruption, Preisabsprachen etc.) sichtbar werdenden negativen Folgen überwinden. Über einen Grundwertekatalog62 und die Festlegung verbindlicher Verhaltensstandards als der Grundlage des Wertemanagements werden Anreize für ein moralkonformes Wirtschaften gesetzt. Wieland verknüpft somit die Ebene des individuellen (Tugendethik) mit der des kollektiven Akteurs (Unternehmens- als Organisationsethik) miteinander. In mehreren Schritten wird das Wertemanagementsystem im Unternehmen umgesetzt und mit Leben gefüllt.63 Am Ende stehen regelmäßig stattfindende Evaluierungen mit Zertifizierungen.64 In Form von EthikManagementSystemen, EthikAudits, Conducts of Ethics etc. sollen sich Unternehmen durch Selbstverpflichtung und Selbstregulierung (Governance, Corporate Citizenship) in die Lage bringen, „die Kooperationsbereitschaft, die Kooperationsfähigkeit und die Kooperationschancen der Wirtschaftsakteure durch ökonomische und moralische Prämierung und performative Kommunikation (zu) fördern und mit moralischer Erwartungssicherheit durch Selbstbindung und indirekte Fremdbindung aus(zu)statten“65. Hieraus folgt, J. Wieland (Fn. 54), S. 254. J. Wieland, Wozu Wertemanagement? Ein Leitfaden für die Praxis, in: J. Wieland (Hrsg.): Handbuch Wertemanagement. Erfolgsstrategien einer modernen Corporate Governance, Hamburg 2004, S. 13 – 52; hier: S. 17. Wieland fährt fort: „Kooperation aber hat auch eine organisationale und personale Dimension, und dies ist eine der tief reichenden Ursachen, warum ein modernes Unternehmen auf ein Management von Werten nicht verzichten kann.“ (Ebd.). 62 Wieland unterscheidet in einem „Werteviereck“ Leistungs-, Kooperations-, Kommunikations- und moralische Werte und ordnet diesen vier Wertegruppen jeweils einzelne Werte zu (vgl. ebd., S. 24). 63 Vgl. die detaillierte Beschreibung der Umsetzungsstrategie des Wertemanagementsystems in: Ebd., S. 30 – 51. 64 Vgl. exemplarisch das Wertemanagementsystem der Bauwirtschaft, das maßgeblich von Wieland konzipiert worden ist, in: EthikManagement der Bauwirtschaft e.V., Ethikmanagementsystem für die Bauwirtschaft in Deutschland, München 2002 (4. Aufl.). 60 61
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dass es der Unternehmensethik als Governanceethik nicht um das Gute (an sich), sondern nur um das (relativ) „Bessere“ gehen kann. In Ethikverständnis, Gesellschaftstheorie und Ökonomiebegriff steht Wieland der Position Homanns grundsätzlich näher als der Ulrichs. Funktionale Ethik statt normative Diskursethik, (modifizierte) Luhmannsche Systemtheorie mit Eigenlogik der Ökonomie statt Einbettung der Ökonomie in die Zivilgesellschaft, Anreizparadigma statt normative Sozialökonomie sind die Schlagworte, die die Unterschiede zu Ulrich markieren. Von Homann unterscheidet sich Wieland vor allem dadurch, dass er den Ort der Moral primär auf der Mesoebene der Unternehmen – unter Einschluss der Mikroebene der individuellen Wirtschaftsakteure – festmacht, während Homann hierfür die Rahmenordnung (Makroebene) vorsieht. Damit in Zusammenhang steht ein Verständnis von Moral, das diese nicht wie bei Homann auf ihre (ökonomische) Implementierbarkeit restringiert, sondern einen eigenständigen „moralischen Überschuss“ (als moralisches Anreizsystem neben dem ökonomischen) postuliert, der gerade nicht in seiner ökonomischen Funktionalität aufgehen soll. Da Wieland – wie Homann (gegen Ulrich) – den Anwendungsdiskurs vom Begründungsdiskurs in Bezug auf die Moral strikt trennt, bleibt unklar, auf welcher normativen Grundlage der Begründungsdiskurs erfolgen soll und wie dieser angesichts einer sich beschleunigenden „Ökonomisierung“ aller Wissens- und Lebensbereiche vor Funktionalisierung und damit vor normativer Erodierung bewahrt werden kann. Vielmehr wird ein existierender Wertepool als gegeben vorausgesetzt. Darüber hinaus wirft die Konzipierung von Normen- und Wertetafeln, wie Wieland sie praktiziert, die Frage auf, nach welchen (Meta-)Kriterien eine Abwägung dieser Vielzahl an Werten erfolgen soll. Sind diese Kriterien nicht eindeutig bestimmbar – auch und gerade in ihrem Verhältnis und ihrer Gewichtung zueinander –, dann besteht die Gefahr, dass letztlich doch wiederum rein ökonomische Faktoren sich durchsetzen werden, da diese im Unterschied zu jenen (leichter) operationalisierbar sind. Ungeachtet dieser kritischen Einwände bleibt festzuhalten, dass Wielands Governanceethik vor allem im Hinblick auf die Umsetzbarkeit zu konkreten und detaillierten Aussagen gelangt und damit einen hohen Praxisbezug aufweist.
4. Wirtschaftsethik als republikanische Unternehmensethik – Der Ansatz von Horst Steinmann und Albert Löhr Während die Unternehmensethik von Wieland neueren Datums ist, kann man diejenige von Horst Steinmann und Albert Löhr bereits als einen Klassiker bezeichnen66. In den „Grundlagen der Unternehmensethik“ (1991, 21994) entwerfen J. Wieland (Fn. 57), S. 68 f. H. Steinmann wurde 1999 emeritiert. Er hält noch Vorträge und publiziert kleinere Aufsätze. Sein Schüler A. Löhr lehrt am Internationalen Hochschulinstitut in Zittau Umwelt-, Sozial- und Wirtschaftsethik. 65 66
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die Autoren ein Konzept, das vom Ansatz her dem von Peter Ulrich relativ nahe kommt. In dem Beitrag „Unternehmensethik – Ein republikanisches Programm in der Kritik“ (1994), in dem Steinmann / Löhr ihren Ansatz akzentuieren und gegenüber anderen Positionen verteidigen, wird dies sehr deutlich.67 Sie verbindet mit Ulrich vor allem ein diskursethischer, dialogorientierter Ausgangspunkt sowie ein „republikanisches“ Verständnis von Wirtschafts- und Unternehmensethik. Steinmann / Löhr fokussieren ihren Ansatz auf die Mesoebene der Unternehmensethik, da sie die Makroebene einer marktwirtschaftlich basierten Wirtschaftsordnung für grundsätzlich legitimierbar erachten. Ausgangspunkt ist die Annahme, dass die Wirtschaftsethik (im engeren Sinne) in Form des marktwirtschaftlichen Ordnungssystems grundsätzlich ethisch legitimierbar ist. Eine dezentrale Markt- und Wettbewerbswirtschaft erweist sich als effizienter als andere Wirtschaftssysteme. Die Freiheit zur Selektion von Zielen und Mitteln, die damit den Unternehmen zugestanden wird, muss allerdings in sozialverträglicher Weise genutzt werden. Die generelle „Richtigkeitsvermutung“ zugunsten des Gewinnprinzips, die darin impliziert ist, begründen die Autoren damit, dass gerade in hochkomplexen Industriegesellschaften die Lösung des Koordinationsproblems wirtschaftlicher Handlungen nicht mehr über die Koordination der Handlungsmotive (Intentionalismus), sondern nur noch über die Koordination der Handlungsfolgen mittels externer Restriktionen (Konsequentialismus) erfolgen kann68. Die institutionentheoretische Perspektive der Unternehmensethik, die Steinmann / Löhr vertreten, nimmt hier Einsichten der Systemtheorie Luhmanns auf, ohne allerdings dessen grundlegende Skepsis gegenüber der Möglichkeit von Wirtschaftsethik zu teilen. Vielmehr kommt die Ethik dort ins Spiel, wo gezeigt wird, dass Gewinnprinzip (ökonomische Rationalität) und Recht (Legalität) allein nicht ausreichen, um das unternehmerische Handeln zu legitimieren. Der sozialverträgliche Gebrauch der unternehmerischen Freiheit zur Selektion stellt diese nämlich unter Friedensvorbehalt: „Unternehmensstrategien müssen effizient und konsensfähig sein. Dies macht den Kerngedanken einer betriebswirtschaftlichen Unternehmensethik im Sinne des wohlverstandenen Republikanismus aus. Sie soll einen Beitrag zur gesellschaftlichen Friedensstiftung leisten, um das Konfliktpotential der Marktwirtschaft zu begrenzen und damit (zusätzliche) Erfolgsvoraussetzungen für ihre Funktionsfähigkeit und Legitimation zu schaffen.“69 Dem korrespondiert in epistemischer Hinsicht die systematische Vorordnung der Ethik in Gestalt des Friedensprinzips gegenüber dem Effizienzprinzip sowie in 67 Vgl. H. Steinmann / A. Löhr, Unternehmensethik – Ein republikanisches Programm in der Kritik, in: Forum für Philosophie, Bad Homburg. S. Blasche / W. R. Köhler / R. Rohs (Hrsg.): Markt und Moral: die Diskussion um die Unternehmensethik, Bern / Stuttgart / Wien 1994, S. 145 – 180, bes. S. 155 ff. (St. Galler Beiträge zur Wirtschaftsethik; Bd. 13). 68 Ebd., S. 150 ff.; ähnlich Homann. 69 Ebd., S. 152; vgl. auch H. Steinmann / A. Löhr, Grundlagen der Unternehmensethik, Stuttgart 1991 (21994), S. 95 ff.
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praktischer Hinsicht die analoge Vorordnung im Konfliktfall. Während im Regelfall das Verfolgen des Gewinnprinzips für die Unternehmen ausreicht – da es als legitimiert zu betrachten ist –, bedarf es im Konfliktfall eines Korrektivs gegenüber dem Gewinnprinzip. Die Unternehmens-Ethik zielt folglich auf die „Entwicklung konsensfähiger Strategien“70 ab, mit der Intention, begründete materiale und prozessuale Normen zu finden, die das Unternehmen zur friedlichen Konfliktregelung qua Selbstverpflichtung befähigen. Dazu ist ein Unternehmensdialog notwendig (als praktizierter „Republikanismus“), der monologische Einwegkommunikation (wie z. B. klassische PR-Maßnahmen) überschreitet, indem er relevante Konfliktfelder feststellt und gegebenenfalls mit den betroffenen Interessengruppen einen offenen Dialog sucht, um zu konsensfähigen Lösungen („Konsensinseln“) sowie zur Feststellung noch bestehender Dissensbereiche zu gelangen71. Zwar teilen Steinmann / Löhr mit Ulrich das diskursiv-dialogische Ethikverständnis, aber die Gemeinsamkeiten enden dort, wo es um dessen genauere Interpretation geht. Während Steinmann / Löhr vom Erlanger Konstruktivismus (P. Lorenzen, F. Kambartel u. a.) beeinflusst sind, geht Ulrich von der Diskursethik aus, und zwar in einer gegenüber Habermas und Apel nochmals radikalisierten Form, da jener Abstriche vom Geltungsanspruch der Diskursethik auf der Anwendungsebene (Zumutbarkeit der Geltung) ablehnt.72 Während bei Ulrich die ethische Legitimitätsfrage zur Forderung nach einer grundlegenden „Transformation der ökonomischen Vernunft“73 im Sinne eines „dritten Weges“ zwischen kapitalistischer Marktwirtschaft und zentraler Verwaltungswirtschaft führt – und somit zentral sowohl die Makro- als auch die Mesoebene betrifft –, ist für Steinmann / Löhr diese durch die Vorzüge einer marktwirtschaftlichen Ordnung auf der Makroebene als gelöst zu betrachten. Sie stellt sich demnach vor allem auf der Mesoebene der Unternehmen. Mit Homann erkennen Steinmann / Löhr die Gültigkeit des Gewinnprinzips für Unternehmen grundsätzlich an – gegen Ulrich, der lediglich eine „Gewinnorientierung“74 gelten lässt. Aber im Konfliktfall soll – gegen Homann – das Gewinnprinzip zurücktreten zugunsten einer an einer dialogischen Ethik orientierten Konsensstrategie mit allen Konfliktparteien.75 Aus der Sicht von Ulrich liegt hier ein restringiertes Ethikverständnis vor, das Ethik zum Korrektiv für einen eng umgrenzten Anwendungsbereich herabsetzt. Mit Wieland wird Moral insEbd., S. 155. Ebd., S. 171 ff. 72 Vgl. hierzu im einzelnen M. H. Werner, Diskursethik als Maximenethik. Von der Prinzipienbegründung zur Handlungsorientierung, Würzburg 2003, bes. S. 230 ff. 73 P. Ulrich, Transformation der ökonomischen Vernunft: Fortschrittsperspektiven der modernen Industriegesellschaft, Bern / Stuttgart / Wien, 3. rev. Aufl. 1993 (1986). 74 Vgl. P. Ulrich (Fn. 31; 2. Aufl.), S. 396 ff. 75 Steinmann / Löhr unterscheiden diese situationsspezifischen Ad-hoc-Konflikte von allgemeinen Strukturkonflikten. Letztere sind über die Unternehmensverfassung zu regeln und demnach nicht unmittelbar Gegenstand der Unternehmensethik (vgl. H. Steinmann / A. Löhr, Grundlagen der Unternehmensethik, Stuttgart 1991 (21994), S. 95 ff.). 70 71
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besondere auf der institutionellen Ebene der Unternehmen verortet, allerdings bei Steinmann / Löhr mit einer stark korrektiven und zugleich restringierten Komponente, während bei Wieland Moral mit einer mehr funktionalen Ausrichtung als Ermöglichung und Förderung von Kooperationschancen eingebracht wird. Der Vergleich der vier analysierten wirtschafts- und unternehmensethischen Ansätze macht deutlich, dass die jeweiligen Unterschiede sich sowohl auf Grundlagenfragen von Ethik / Moral und Ökonomik als auch auf deren Anwendungsbezüge gleichermaßen beziehen. Dies zeigt, dass das eine vom anderen nicht zu trennen ist. Mit Homann, Ulrich, Wieland und Steinmann / Löhr liegen wohl die gegenwärtig wichtigsten und elaboriertesten Ansätze von Wirtschafts- und Unternehmensethik im deutschsprachigen Raum vor. Zwar ist damit die Liste der gegenwärtigen Konzeptionen bei weitem nicht vollständig,76 aber die behandelten Positionen decken doch einen Großteil der Spannbreite in diesem Bereich ab.
Exkurs: Theologische Wirtschaftsethik zwischen Interdisziplinarität und wissenschaftlichem Sonderstatus Obwohl von seiten von Theologie und Kirche inzwischen zahlreiche Veröffentlichungen zur Wirtschafts- und Unternehmensethik vorliegen77, werden diese in der allgemeinen wirtschaftsethischen Diskussion kaum beachtet. Dies ist umso auffälliger, als diese meist stark interdisziplinär ausgerichtet sind und sich intensiv und sachbezogen mit der allgemeinen Diskussionslage auseinandersetzen. Am ehesten werden noch Verlautbarungen aus dem kirchlichen Bereich rezipiert, die sich mit konkreten wirtschaftsethischen Einzelfragen befassen.78 Auch die Veröffentlichungen von Theologen zu aktuellen Problemen im Bereich der Wirtschaftsethik bewegen sich großenteils innerhalb des allgemeinen Diskurses und sind interdisziplinär durchaus kommunizierbar.79 Die auf Begründungsfragen und Grundlagenorientie76 Zu nennen wären hier außerdem Peter Koslowski, Birger Priddat, Hans G. Nutzinger, Werner Lachmann u. a. Daneben existieren vermehrt auch wirtschaftsethische Ansätze, die eine spezielle Zugangsweise suchen, die im allgemeinen interdisziplinären Diskurs jedoch keine große Beachtung finden (vgl. z. B. T. Kohl, Holistische Wirtschaftsethik, Stuttgart 2009; K.-H. Brodbeck, Buddhistische Wirtschaftsethik: Eine vergleichende Einführung, Aachen 2002 (Berichte aus der Philosophie)). 77 Vgl. E. Stübinger (Fn. 10), bes. S. 226 ff. (1996); S. 284 ff. (2005). 78 Dies betrifft vor allem Kirchenamt der EKD / Sekretariat der Dt. Bischofskonferenz (Hrsg.), Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit. Wort des Rates der EKD und der Dt. Bischofskonferenz zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland, Hannover / Bonn 1997; Kirchenamt der EKD: Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive. Eine Denkschrift, Gütersloh 2008. 79 Vgl. bei neuesten Publikationen z. B. J. Rehm / H. G. Ulrich (Hrsg.), Menschenrecht auf Arbeit? Sozialethische Perspektiven, Stuttgart 2009; J. Hübner, „Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon!“ Grundsatzüberlegungen zu einer Ethik der Finanzmärkte, Stuttgart 2009.
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rung zielenden theologischen Reflexionen finden hingegen so gut wie keine Beachtung. Dies verweist auf das grundsätzliche Problem, dass der Status theologischer Begründungsfragen und -aussagen im allgemeinen wissenschaftlichen Disput als prekär und positionell wahrgenommen wird.80 Die Inanspruchnahme eines eigenen, nämlich theologischen Rationalitätsmodells erweist sich hierbei als ein Hindernis, und dies trotz der von theologischer Seite immer wieder ins Spiel gebrachten Pluralität des Vernunftbegriffs, die in der nicht-theologischen scientific community durchaus zugestanden wird. Während jedoch letztere um den Anspruch auf Allgemeingültigkeit ihrer Aussagen ringt, nimmt die theologische Seite entweder einen positivistischen Standpunkt (normativer Rekurs auf traditionelle Lehraussagen, biblische Topoi, Katholische Soziallehre u.ä.) ein oder sie vertritt die These von der unhintergehbaren Pluralität und Perspektivität aller Erkenntnis und Wissenschaft. Damit wird aber der Anspruch auf vernünftige Allgemeingültigkeit der Aussagen und auf deren wissenschaftliche Nachprüfbarkeit depotenziert. Dies kommt – gegenläufig zur eigentlichen Intention – theoretisch und praktisch jedoch einem Selbstausschluss aus dem allgemeinen wissenschaftlichen Disput gleich. Dieses Problem wird von manchen theologischen (Wirtschafts-)Ethikern durchaus gesehen. Anhand von zwei Beispielen soll verdeutlicht werden, mit welch unterschiedlichen Denkmodellen dieser Herausforderung zu begegnen versucht wird. Das eine Modell repräsentiert der evangelische Theologe Günter Meckenstock. Er fordert von der theologischen Wirtschaftsethik, dass sie „auf Allgemeinheit und Vernünftigkeit angelegt“81 sein müsse und ihre Aussagen „den allgemeinen wissenschaftlichen Kriterien der Verstehbarkeit und Nachvollziebarkeit“82 unterlägen. Aus dem christlichen Liebesgedanken als „exzentrisches Relationsgeschehen“ 83 generiert Meckenstock Geschöpflichkeit, Zeitlichkeit und Gemeinschaftlichkeit84 bzw. verantwortlichen Freiheitssinn und solidarischen Gerechtigkeitssinn85 als wirtschaftsethische Grundprinzipien. Mit diesen konvergiert eine „sozial gebundene und geordnete Marktwirtschaft, die individuelle Entscheidungsfreiheit und soziale Verantwortung zusammenknüpft“86. Darüber hinaus tendiere das Konzept der sozial geordneten nachhaltigen Marktwirtschaft nicht zum „Ökonomismus“, 80 Dies trifft auch auf den Versuch des (kath.) Philosophen und Wirtschaftsethikers Peter Koslowski zu, seinen Ansatz einer „Ethischen Ökonomie“ auf ein sehr weites Verständnis von Religion – als Instanz zur Verhinderung von Ethikversagen – hinzuführen (vgl. P. Koslowski, Prinzipien der Ethischen Ökonomie. Grundlegung der Wirtschaftsethik und der auf die Ökonomie bezogenen Ethik, Tübingen 1988, bes. S. 37 ff.). 81 G. Meckenstock, Wirtschaftsethik, Berlin / New York 1997, S. 18. 82 Ebd., S. 138. 83 Ebd., S. 139. 84 Ebd., S. 137 ff. 85 G. Meckenstock, Zur wirtschaftsethischen Bedeutung des christlichen Menschenbildes, in: Menschenbild und Menschenwürde, hg. von E. Herms, Gütersloh 2001, S. 107 – 117; hier: S. 113 f. (Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie; Bd. 17). 86 G. Meckenstock (Fn. 81), S. 175.
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sondern bejahe das Eigenrecht der anderen Lebensbereiche neben der Wirtschaft. Der Markt sei lediglich ein Koordinierungs- und Entdeckungsgeschehen und damit auf eine humane, sozial- und umweltverträgliche Gesellschaft bezogen bzw. beziehbar. Meckenstock kommt dem Konzept von Peter Ulrich inhaltlich sehr nahe, wenn auch seine normativen Leitideen von anderen Begrifflichkeiten und Begründungen bestimmt werden. Ein anderes Modell verfolgt der (evang.) theologische Ethiker Jochen Gerlach. An die Stelle einer Synthese von Ethik und Wirtschaftstheorie, die nach Gerlachs Analyse bei den führenden wirtschaftsethischen Ansätzen vorzufinden ist, setzt er ein Zuordnungsverhältnis von Ethik und Ökonomik, das „die Selbständigkeit der Reflexionsformen und Methoden von Ethik und Wirtschaftstheorie und damit auch der beiden Disziplinen gewahrt“87 sein lässt. Sein „Korrelationsmodell“ geht von der bleibenden methodischen und inhaltlichen Eigenständigkeit von Ethik und Ökonomik aus, wobei die Theologie als eine Art Rahmentheorie fungiert. Aufgabe der Theologie ist es, aus ihrer eigenen Perspektive eines christlichen Wirklichkeitsverständnisses heraus Ethik und Wirtschaftstheorie vor der Gefahr eines methodischen und inhaltlichen Kurzschlusses zu bewahren. Theologische Wirtschaftsethik ersetzt nicht Ethik bzw. Ökonomik, auch führt sie nach Gerlach beide nicht – wie in der katholischen Tradition – zu einer Synthese; vielmehr bezieht sie als kritische Rahmentheorie beide korrelativ dadurch aufeinander, dass sie ein kategoriales theologisches Wirklichkeitsverständnis expliziert, das Ethik und Ökonomik gleichermaßen relativiert und zugleich umfasst. Dies erfolgt in der Weise, dass die Theologie „nicht nur die Perspektivität verschiedener Disziplinen ( . . . ) und ökonomischer Schulen offen legt, sondern . . . auch ihre eigene durch ein bestimmtes Daseinsverständnis geprägte Perspektivität durchsichtig macht“ (281).88 Die Theologie bekommt hier den Status einer normativen Metatheorie zugesprochen, die zwar die (relative) Selbständigkeit von Ethik und Ökonomik respektiert, dafür aber Schwierigkeiten hat, sich auf materialethischer Ebene im interdisziplinären Diskurs mit eigenen Ideen einzubringen. Ihre Impulse beschränken sich hauptsächlich auf die (meta-)theoretische Ebene. Ihr (metatheoretischer) Allgemeinheitsanspruch dürfte außerdem – trotz der benannten Perspektivität – gegenüber den nicht-theologischen Positionen nur schwerlich vermittelbar bzw. diskursfähig sein. Es ist durchaus so, dass theologische Wirtschaftsethiker wie Arthur Rich89 (ev.) oder 87 J. Gerlach, Ethik und Wirtschaftstheorie. Modelle ökonomischer Wirtschaftsethik in theologischer Analyse, Gütersloh 2002, S. 274 (Leiten, Lenken, Gestalten; 11). 88 Ebd., S. 281. E. Gräb-Schmidt, Technikethik und ihre Fundamente. Dargestellt in Auseinandersetzung mit den technikethischen Ansätzen von Günter Rohpohl und Walter Christoph Zimmerli, Berlin / New York 2002, vertritt auf der Grundlage Hermsscher Theologie in bezug auf das Verhältnis von Technik und Ethik eine ähnliche ethisch-theologische Position: Es sei eine „grundlegende Tatsache, dass ethische Normen auf der Ebene von verpflichtender Lebens- und Welterfahrung begründet werden“ (9), welche stets religiös-weltanschaulich geprägt sei (vgl. bes. S. 28 ff., 320 ff.). 89 Vgl. hierzu S. Edel, Wirtschaftsethik im Dialog. Der Beitrag Arthur Richs zur Verständigung zwischen Theologie und Ökonomik, Stuttgart 1998.
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Oswald von Nell-Breuning und sein Institut (kath.; F. Hengsbach u. a.) mancherlei Impulse für den wirtschaftsethischen Diskurs eingebracht haben. Diese betreffen insbesondere Fragen zu den normativen Grundlagen eines zugleich lebensdienlichen und effizienten Wirtschaftens („Menschengerechtes“ und „Sachgemäßes“ nach Rich), zu dessen ethischen Kriterien sowie zur Weiterentwicklung des Konzepts der sozialen Marktwirtschaft zu einer öko-sozialen Marktwirtschaft im globalen Maßstab. Dennoch findet so gut wie keine Auseinandersetzung – geschweige denn Rezeption – um die theologischen Begründungen außerhalb der Theologie statt. Die Theologie steht somit vor der schwierigen Aufgabe, entweder sich mehr oder minder auf einen theologischen und kirchlichen Binnendiskurs zu beschränken oder ihre theologischen Bezüge und Begründungen in eine allgemein einsichtige Denk- und Sprechweise zu übersetzen und sie dem außertheologischen Diskurs auszusetzen.90 II. Grundfragen des wirtschaftsethischen Diskurses Analysiert man den neueren wirtschaftsethischen Diskurs im Hinblick auf die expliziten oder impliziten Grundfragen und Themen, dann lassen sich folgende Tendenzen feststellen: (1) Obwohl alle Wirtschafts- und Unternehmensethiker in irgendeiner Form eine positive Zuordnung von Wirtschaft / Ökonomik und Moral / Ethik vornehmen, ist die inhaltliche Qualifizierung sowohl von Wirtschaft / Ökonomik als auch von Ethik / Moral strittig. Grob gesagt steht ein stark normativer Begriff von Ökonomie in Anlehnung an den Ordoliberalismus (v.a. bei Ulrich) einem institutionenökonomischen Verständnis im Gefolge der Neoklassik gegenüber (v.a. bei Homann). Analoges trifft auf Ethik bzw. Moral zu. Während einige auf eine strikt normative Ethik in Anlehnung an I. Kant bzw. die Diskursethik rekurrieren (v.a. Ulrich, Steinmann / Löhr) und folglich in systematischer Hinsicht eine Vorordnung der Ethik vor die Ökonomie vertreten, favorisieren andere eine funktionalistische Ethik, die eine ökonomiekompatible Moralbegründung aus Interessen und Vorteilen darstellt (v.a. Homann und seine „Schule“) oder die aus einem Pool an Werten schöpft, der dauerhafte Kooperationschancen für Unternehmen erhöhen soll (v. a. Wieland). (2) Mit dem unter Punkt (1) Ausgeführten hängt die Frage zusammen, ob Wirtschaftsethik primär als Grundlagen- oder als Anwendungsdiskurs zu führen sei. Hier stehen sich entsprechend Positionen gegenüber, die einen grundlagenkritischen Diskurs anzielen, der sich auf die normativen Voraussetzungen lebensdien90 In diese Richtung gehen Äußerungen des Philosophen Jürgen Habermas in letzter Zeit, der vorschlägt den Fundus an biblisch-theologischem Orientierungswissen in den allgemein kulturellen Grundstock einzuspeisen unter Übersetzung der biblisch-theologischen Topoi in eine allgemein verständliche und vernünftig-plausible nicht-religiöse Sprache (vgl. J. Habermas, Zwischen Naturalismus und Religion. Philosophische Aufsätze, Frankfurt a. M. 2005).
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lichen Wirtschaftens bezieht (v.a. Ulrich und seine „Schule“). Für andere Autoren steht der Anwendungsdiskurs im Zentrum, der die Implementierbarkeit von Moral und Ethik in bezug auf Wirtschaft reflektiert (v. a. Homann; Wieland). (3) Bei der systematischen Zuordnung von Wirtschaft und Ethik spielen die gesellschaftstheoretischen Voraussetzungen eine wichtige Rolle. So nehmen die einen wesentliche Aspekte der (soziologischen) Systemtheorie Luhmanns auf (v. a. Homann, Wieland), was impliziert, dass die Wirtschaft als ein (weitgehend) autonomes (Sub-)System der modernen ausdifferenzierten Gesellschaft betrachtet wird, bei der der Geldcode bzw. die Nutzenmaximierung eine zentrale Bedeutung hat. Andere wiederum rekurrieren eher auf die Diskursethik von Habermas und Apel mit ihrer Unterscheidung von System und Lebenswelt und warnen vor einer zunehmenden „Kolonialisierung“ der Lebenswelt insbesondere durch die Ökonomie. Im Gegenzug wird für eine Wiederankoppelung der Wirtschaft an die Lebenswelt im Sinne ihrer integrativen (Re-)Kontextualisierung in der (Welt-)Bürgergesellschaft plädiert (v. a. Ulrich, Steinmann / Löhr). Wieder andere binden die Wirtschaft an die Vorgaben einer Wertethik, die neoaristotelisch, naturrechtlich oder positiv-religiös basiert ist (z. B. P. Koslowski, christliche Kirchen sowie die Mehrzahl der theologischen Autoren), so dass die Verselbständigung der Ökonomie gegenüber der Ethik größtenteils rückgängig gemacht werden soll. (4) Ein weitere Grundfrage betrifft den verantwortlichen Akteur bzw. das verantwortliche „Subjekt“. Diese spiegelt sich wider in der Frage nach dem systematischen Ort der Moral. Am dezidiertesten votiert hier Homann, der diesen in erster Linie der Rahmenordnung (Makroebene) zuweist. In zunehmendem Maße werden allerdings in letzter Zeit auch die Unternehmen (Mesoebene) in die Pflicht genommen (v.a. Wieland, Steinmann / Löhr). Unternehmen und andere Organisationen werden hierbei als „kollektive Akteure“ betrachtet, die moralische Verantwortung tragen. Über die Frage, ob Unternehmen als „moralische Akteure“ einzustufen sind, ist eine kontroverse Debatte entstanden. Eine dritte Position sieht vor allem den einzelnen (Manager, Führungskraft, Konsument etc.) als verantwortliches Subjekt. Die Vertreter einer Individual- bzw. Tugendethik (z. B. H. Albach, P. Koslowski, W. Lachmann) nehmen zwar im wirtschaftsethischen Diskurs eher eine Randposition ein, sie verspüren aber seit der internationalen Finanzmarktkrise und diversen Skandalen (Korruption, Bestechung etc.) wieder Aufwind (vgl. die „Gier“-Diskussion in bezug auf Führungskräfte der Wirtschaft). Eine vierte Position verortet aufgrund eines „starken“ Moral- bzw. Ethikbegriffs die Verantwortung auf allen drei Ebenen gleichermaßen (v.a. Ulrich: Ordoliberalismus, Unternehmensethik und Bürgergesellschaft auf der Basis eines Republikanismus). (5) An die Stelle von Wirtschaftssystemfragen (Kapitalismus, Zentralverwaltungswirtschaft, Selbstverwaltungswirtschaft usw.), die im Zentrum der älteren Wirtschaftsethikansätze standen (G. Wünsch, A. Rich, O. von Nell-Breuning, M. Weber u. a.), ist seit 1980er Jahren die Diskussion um die Ausgestaltung der Ökonomie auf der Grundlage eines marktwirtschaftlichen Koordinationskontextes getreten. Hier stehen sich tendenziell mehr neoliberale (z. B. Homann) Positionen
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und mehr reformistische, auf Demokratisierung und Zivilisierung der Wirtschaft abzielende Konzepte (z. B. Ulrich) gegenüber. Die Staatszentierung der älteren Ansätze wird in bezug auf die Wirtschaft zunehmend abgelöst von der Berücksichtigung einer Pluralität von zivilgesellschaftlichen Akteuren und Organisationen (z. B. Nichtregierungsorganisationen, Bürgerbewegungen etc.). Zwar existieren in der wirtschaftsethischen Diskussion auch dezidiert kapitalismuskritische Positionen (z. B. Ulrich und seine „Schule“, F. Hengsbach, E. Altvater u. a.). Dies impliziert aber nicht zugleich eine Ablehnung der Marktwirtschaft als solcher. Vielmehr werden von den meisten – und dies trifft im Prinzip auch auf die Mehrheit der befreiungstheologischen und wirtschaftsdemokratischen Ansätze91 zu – marktwirtschaftliche Steuerungs- und Koordinierungsmechanismen durchaus akzeptiert, wenn auch in restringierter Form und eingebettet in ein übergeordnetes normatives Ökonomiekonzept. Die aufgeführten Punkte sollen auf wesentliche Grundfragen im wirtschaftsethischen Diskurs verweisen. Sie zeigen zugleich, dass weiterer Diskussions- und Klärungsbedarf besteht. Die Herausforderungen, die sich der Wirtschaftsethik zukünftig in verstärktem Maße stellen werden, könnten möglicherweise auch hierzu dienen und zur Weiterentwicklung der einen oder anderen Konzeption führen.
III. Herausforderungen für die Wirtschaftsund Unternehmensethik Die beiden wichtigsten Herausforderungen, die sich für die Wirtschafts- und Unternehmensethik in zunehmendem Maße stellen, können mit den Begriffen „Globalisierung / Interkulturalität“ und „Umwelt- und Ressourcenprobleme“ umschrieben werden. Diese Herausforderungen sind nicht in dem Sinne neu, dass sie nicht schon seit längerem bekannt wären. Denn Fragen der Globalisierung92 sowie der Umweltprobleme93 werden bereits seit einiger Zeit diskutiert. Was sich meines Erachtens allerdings abzeichnet, ist deren steigende Dringlichkeit, die dazu führt, 91 Vgl. exemplarisch H. Kaiser, Ökologische Wirtschaftsdemokratie. Wege zu einem lebensdienlichen Wirtschaften im Kontext der Globalisierung, Aachen 2007. 92 Aus der mittlerweise kaum mehr überblickbaren Fülle an Literatur zur Globalisierung vgl. den Überblick von M. Prisching, Die Globalisierung von zeitdiagnostischen Wirtschaftsund Gesellschaftsmodellen, in: Wirtschaftsethik der Globalisierung, hrsg. von K. Homann / P. Koslowski / C. Lütge, Tübingen 2005, S. 34 ff.; grundlegend vgl. U. Beck, Was ist Globalisierung?, Frankfurt a. M. 1997; ders., Weltrisikogesellschaft, Frankfurt a. M. 2007; J. Stiglitz, Die Schatten der Globalisierung, Berlin 2002; ders., Die Chancen der Globalisierung, München 2008. 93 Aus der gleichfalls zahllosen Literatur zur Umweltthematik vgl. A. Lienkamp, Klimawandel und Gerechtigkeit. Eine Ethik der Nachhaltigkeit in christlicher Perspektive, Paderborn u. a. 2009; H. Diefenbacher, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Zum Verhältnis von Ethik und Ökonomie, Darmstadt 2001.
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dass auch in wirtschaftsethischen Publikationen diese Bereiche in den letzten Jahren zunehmend wahrgenommen und reflektiert werden. Dies bedeutet, dass sich zum einen die Frage nach der Kulturabhängigkeit der wirtschaftsethischen Ansätze94 stellt und zum anderen die bisher häufig getrennt behandelten Bereiche von Wirtschafts- und Unternehmensethik einerseits und der Umweltethik95 andererseits zusammengeführt werden müssen. Die vorgestellten wirtschaftsethischen Ansätze reagieren in den letzten Jahren verstärkt auf diese Problemlagen, indem sie den nationalstaatlichen Bereich, auf den hin die besagten Konzeptionen ursprünglich erstellt worden sind, transzendieren. Aufgrund des universalistischen Ethikverständnisses sowie eines deliberativen Politik- und Gesellschaftsbegriffs, wie sie vor allem von Peter Ulrich und seiner „Schule“ vertreten werden, werden die durch Globalisierung, globale Umweltprobleme und interkulturelle Differenzen bedingten Herausforderungen mittels einer Aktivierung der Zivilgesellschaft (NGOs, Bürgerbewegungen, Gewerkschaften usw.) sowie einer Stärkung und Demokratisierung internationaler staatsähnlicher Institutionen (Vereinte Nationen, Weltbank, IWF usw.) anzugehen versucht.96 Dies trifft in ähnlicher Weise auch auf Horst Steinmann zu, fokussiert auf transnationale Unternehmen. Auch Josef Wielands Unternehmens- als Governanceethik und das zu implementierende Wertemanagement können sowohl die Herausforderungen durch die Globalisierung als auch ökologische Belange integrieren. Ein größeres Problem ergibt bei der Position Karl Homanns. Da bzw. solange keine verbindliche internationale Rahmenordnung existiert, scheint zunächst dessen Ansatz am wenigsten in der Lage zu sein, auf diese Herausforderungen reagieren zu können. Homann versucht dies aber dadurch zu lösen, dass er – ähnlich wie Wieland – zum einen auf die Unternehmensebene und die freiwillige Festlegung auf internationale Kodizes (Codes of Conduct etc.) rekurriert und zum anderen die Bildung von Netzwerken vorschlägt, die auf Kooperation mit dem Ziel der Konsensfindung von Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen und einzelnen Staaten setzt.97 Auch hierbei ist sein Konzept der Anreiz- und Nutzenmaximierung leitend, was Homann 94 Einen entsprechenden Entwurf bieten T. Beschorner / H. G. Nutzinger, Umrisse einer kulturwissenschaftlichen Wirtschafts- und Unternehmensethik, in: Unternehmensverantwortung aus kulturalistischer Sicht, hrsg. von T. Beschorner u. a., Marburg 2007, S. 223 – 248 (Theorie der Unternehmung, hrsg. von R. Pfriem; Bd. 37). 95 Einen guten Überblick zu Fragen und Themen der Umweltethik bieten: G. Altner / G. Michelsen (Hrsg.), Ethik und Nachhaltigkeit, Frankfurt a. M. 2001; Naturethik. Grundtexte der gegenwärtigen tier- und ökoethischen Diskussion, hrsg. von A. Krebs, Frankfurt a. M. 1997; A. Brenner, UmweltEthik – ein Lehr- und Lesebuch, Fribourg 2008; vgl. auch K. Köchy / M. Norwig (Hrsg.), Umwelt-Handeln. Zum Zusammenhang von Naturphilosophie und Umweltethik, München 2006 (Lebenswissenschaften im Dialog, hrsg. von K. Köchy und S. Majetschak; Bd. 2). 96 Vgl. P. Ulrich (Fn. 39). 97 Vgl. K. Homann, Globalisierung aus wirtschaftsethischer Sicht, in: Wirtschaftsethik der Globalisierung, hrsg. von K. Homann / P. Koslowski / C. Lütge, Tübingen 2005, S. 7 – 15, bes. S. 13 ff.
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zu einer optimistischen Prognose hinsichtlich der auf der Basis von Freiwilligkeit stattfindenden Konsenserzielung führt.98 Die Analyse zeigt, dass die wirtschafts- und unternehmensethischen Ansätze auf die genannten Herausforderungen konzeptionell durchaus eingestellt sind. Die Globalisierungstendenzen der beiden letzten Jahrzehnte haben – trotz der durchaus einzuräumenden skeptischen „euphemistischen“ Konnotationen99 – nicht nur die Regulierungsmöglichkeiten der Nationalstaaten vermindert und den Einfluss der transnational agierenden Unternehmen gestärkt, sondern sie haben zugleich die Frage aufgeworfen, auf welcher moralischen, ethischen oder ideellen Grundlage angesichts der faktisch bestehenden internationalen Pluralität von kulturellen Überzeugungen Wirtschafts- und Unternehmensethik durchführbar ist. Durch die Globalisierung (wirtschaftlich, kulturell usw.) treten die weltweiten Probleme umso stärker ins Bewusstsein. Dies betrifft sowohl den sozialen (Kluft zwischen reichen und armen Ländern, Armuts- und Umweltmigration, Menschenrechte etc.) als auch den ökologischen Bereich (Klimawandel, zu hoher Ressourcenverbrauch, Wasserknappheit etc.). Es zeichnet sich immer deutlicher ab, dass zum einen die gravierenden Gegenwarts- und Zukunftsprobleme der Menschheit nicht mehr national, sondern nur noch durch internationale Vereinbarungen lösbar sind und zum anderen die ökologischen, sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Probleme nicht mehr separat, sondern nur noch zusammenhängend und in einem gemeinsamen Kontext sich angehen lassen.100 Ungeachtet der Vielzahl an Detailfragen, die damit verbunden sind, zeigen die Diskussionen der letzten Jahre, dass es letztlich um grundsätzliche Fragen nach globaler Verantwortung, nach einer gerechten Weltordnung sowie einer gerechten Verteilung bzw. Partizipation hinsichtlich der Lebensgrundlagen geht. Damit steht die Gerechtigkeitsfrage101 erneut zur 98 „Es gibt also für alle Beteiligten Anreize zu einer Veränderung ihrer Perspektiven . . .“ (Ebd., S. 14, mit Bezug auf den Global Compact). 99 Auf den „Euphemismus“, nämlich dass an der Globalisierung faktisch nur ein geringer Teil der Staaten der Welt hieran wirklich partizipiert, beziehen sich insbesondere die Kritiker der Globalisierung (vgl. exemplarisch: F. Hengsbach, Globalisierung aus wirtschaftsethischer Perspektive, Heidelberg 1997 / 1998 (Schriftenreihe Juristische Studiengesellschaft Karlsruhe; H. 235). 100 Beide Dimensionen werden in der umfassenden Studie von Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Brot für die Welt, Evangelischer Entwicklungsdienst (Hrsg.), Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt. Eine Studie des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie, Frankfurt a. M. 2008, deutlich herausgestellt. 101 Zum Gerechtigkeitsproblem vgl. H. Hahn, Globale Gerechtigkeit – eine philosophische Einführung, Frankfurt a. M. 2009; M. Möhring-Hesse (Hrsg.), Streit um die Gerechtigkeit. Themen und Kontroversen im gegenwärtigen Gerechtigkeitsdiskurs, Schwalbach / Ts. 2005 (Reihe Politik und Bildung, Bd. 39); J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, Berlin 1998; J. Rawls, Gerechtigkeit als Fairness. Ein Neuentwurf, Frankfurt a. M. 2003; W. Kersting, Theorien der sozialen Gerechtigkeit, Stuttgart u. a. 2000; W. Lienemann, Gerechtigkeit, Göttingen 1995; W. Veith, Intergenerationelle Gerechtigkeit. Ein Beitrag zur sozialethischen Theoriebildung, Stuttgart 2006 (Forum Systematik, hrsg. von J. Brosseder / J. Fischer / J. Track; Bd. 25); H. Unnerstall, Rechte zukünftiger Generationen, Würzburg 1999 (Episte-
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Debatte. Diese schien für viele zumindest in den wirtschaftlich entwickelten Staaten durch die wohlstandsfördernde Dynamik der Marktwirtschaft eingelöst und damit obsolet geworden zu sein. Allerdings stellt sich die „neue soziale Frage“ im Zuge von Globalisierung und globalen Umweltproblemen auf internationaler Ebene umso dringlicher. Überaus deutlich zeigt sich dies an den Diskussionen im Kontext der internationalen Klimakonferenzen. Diese haben die Gerechtigkeitsfrage ins Zentrum rücken lassen.
IV. Rekontextualisierung von Wirtschaftsethik, Umweltethik und die Frage der Gerechtigkeit Bestehen zentrale Herausforderungen der Menschheit in der Wechselwirkung zwischen Globalisierung und Umweltproblematik und deren gegenseitigen Verstärkung, dann ist es unabdingbar, dass diese auch als Aufgabe und Thema für die Wirtschaftsethik gesehen werden. Angesichts eines bestehenden globalen Wertepluralismus kann nicht auf einen global existierenden Wertekonsens zurückgegriffen werden.102 Dennoch bedarf es aufgrund von globalen Problemen auch eines globalen Konsenses, um zu Entscheidungen und entsprechenden Lösungswegen zu gelangen. Am deutlichsten zeigt sich dies paradigmatisch103 am weltweiten Klimaproblem. Der Ökonom N. Stern, der versucht hat, die Kosten des Klimawandels zu berechnen, spricht hier vom „größten Marktversagen in der bisherigen Geschichte“104. Das (nicht nur) ethische Dilemma besteht darin, dass die reichen Industriestaaten die Hauptverursacher (von Treibhausgasen), die ärmeren Länder aber die Hauptleidtragenden sind und darüber hinaus das westliche Wohlstandsmodell aus ökologischen Gründen nicht verallgemeinerbar ist, obwohl zugleich die ärmeren Länder dieses selbst als erstrebenswert für sich betrachten. Damit ist der Weg einer (nachholenden) Modernisierung der ärmeren Länder nicht gangbar. Hieraus resultiert der Hauptvorwurf dieser Länder, dass die ökologisch notwendigen Reduktionsziele sozial ungerecht seien, da sie zum einen die Kluft zwischen reichen und armen Ländern zementierten und zum anderen die reichen Staaten ihrer historischen Verantwortung als Verursacher der Klimaprobleme nicht gerecht würden.105 Hierin manifestiert sich ein Zielkonflikt zwischen intragenerationeller, inmata: Reihe Philosophie; Bd. 247); P. Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit. Vom Recht Gottes zum modernen Rechtsstaat, München 2003. 102 Dies stellt eine Schwierigkeit insbesondere für den Ansatz von J. Wieland dar, der auf einem faktisch bestehenden Ensemble von Werten aufbaut und angesichts des Fehlens eines solchen im globalen Kontext auf sektoral und lokal begrenzte vorhandene Wertekanons setzen muss, so dass sich die Frage nach dem übergreifenden Wertekanon von pluralen Werten stellt. 103 Viele globale Umwelt-, Ressourcen- und Energieprobleme sind ähnlich gelagert (z. B. Überfischung der Weltmeere, Schadstoffexporte in ärmere Länder, Sicherung von Ressourcen und genetischer Vielfalt u.v.m.). 104 N. Stern, The economics of climate change, Cambridge u. a. 2007, S. II.
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tergenerationeller und ökologischer Gerechtigkeit. Genauer betrachtet handelt es sich um mehrere Zielkonflikte, die miteinander zusammenhängen. Aus der Perspektive ökologischer Gerechtigkeit ist das Wohlstandsmodell bzw. der Lebensstil der Industriestaaten weder im Hinblick auf die gegenwärtig lebende Menschheit (intragenerationelle Gerechtigkeit) noch im Hinblick auf die künftigen Generationen (intergenerationelle Gerechtigkeit) verallgemeinerbar. Umgekehrt ist es aus der Perspektive intra- wie intergenerationeller Gerechtigkeit nicht legitimierbar, dass den Menschen in den ärmeren Ländern sowie den künftigen Generationen der Abbau dieser Ungleichheit grundsätzlich verwehrt wird. Ohne die Thematisierung der globalen Gerechtigkeitsfrage ist das Problem letztlich nicht lösbar. Denn Reduktionsziele bei den Treibhausgasen, die diese globale ungerechte Lage nicht berücksichtigen, haben wenig Aussicht auf erfolgreiche Durchsetzung. Wie aber könnte eine gerechte Verteilung aussehen, zumal „Gerechtigkeit“ ein sehr komplexer und zugleich schillernder Begriff ist? Die Globalität – räumlich wie zeitlich – von immer mehr Problemen sozialer, ökonomischer und ökologischer Art nötigt dazu, die wirtschafts- und umweltethische Dimension miteinander zu verknüpfen. Zwar liegen bereits seit längerem elaborierte Konzepte in Gestalt von Ökologischer Ökonomie106 und Umweltökonomie107 vor, jedoch zeigt die Entwicklung bis heute, dass der ethischen Frage internationaler und intertemporaler Gerechtigkeit stärker als bisher Beachtung geschenkt werden muss, und zwar auch und gerade auf einer anwendungsbezogenen, kriteriologischen – und nicht nur auf einer begründungstheoretischen – Ebene. Wie dies aussehen könnte, kann hier nur angedeutet werden. Der neoklassisch-ökonomische Ansatz hebt die Gerechtigkeitsfrage entweder in den Allokationsprozess auf – das Markt- als Gleichgewichtsgeschehen wird selbst als Antwort auf das Gerechtigkeitsproblem betrachtet –, oder diese wird als nachträgliche Korrektur der Marktergebnisse zugelassen, aber damit zugleich aus der ökonomischen Rationalität ausgeschieden.108 Diverse Versuche, intra- und inter105 „Man kann dies (das ethische Grundproblem des Klimawandels; E. S.) als eine dreifache Externalisierung der Kosten unseres Wohlstandsmodells charakterisieren: Ein guter Teil der Lasten wird auf die Zukunft, die Armen und die Natur abgelagert.“ (M. Vogt, Gerechtigkeit im Klimaschutz. Ethische Analysen zur gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung von Industrie- und Entwicklungsländern, in: M. Dabrowski / J. Wolf / K. Abmeier (Hrsg.): Globalisierung und globale Gerechtigkeit, Paderborn u. a. 2009, S. 135 – 156; hier: S. 139). 106 Vgl. z. B. R. Constanza u. a., Einführung in die Ökologische Ökonomik, Stuttgart 2001. 107 Vgl. z. B. U. Hampicke, Naturschutz-Ökonomie, Stuttgart 1991. 108 „Zum einen wird Gerechtigkeit im Allokationsprozess (der Neoklassik; E. S.) nicht berücksichtigt, zum anderen wird Wirtschaftswachstum als unabdingbare Voraussetzung angesehen. Beides verstärkt die Umweltkrise, weil ökologische Gerechtigkeit soziale Gerechtigkeit erfordert, denn Armut ist eine der Hauptursachen für Umweltprobleme, und weil unbegrenztes Wachstum in einer begrenzten Welt prima facie unmöglich ist.“ (S. C. Beckmann, Umweltbewusstsein und Verbraucherverhalten: Über die Notwendigkeit eines Paradigmen-
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temporale Gerechtigkeit dadurch in die Ökonomik zu integrieren, dass mittels eines offenen Nutzenbegriffs das (mögliche) Defektieren eines Teils der Menschheit im Kontext des Generationenvertrages aufgrund seiner Rückwirkung als Selbstschädigung der Defektierenden interpretiert wird und damit verhindert werden soll,109 führen vor allem zu der Schwierigkeit, dass sie das Pareto-Kriterium als gegebenen Ausgangspunkt und als normative Grundlage ansetzen. Dadurch besteht die Gefahr, dass bereits eine minimale Verbesserung eines ungerechten Zustandes als gerecht interpretiert wird.110 Die Alternative hierzu besteht in einem explizit ethischen Gerechtigkeitsbegriff, der sich zum einen nicht am Pareto-Optimum orientiert und zum anderen einen (idealen) Endzustand als normative Grundlage beinhaltet, welcher wiederum von prinzipiell gleichen Partizipations- und Nutzungsrechten aller – realer und potentieller im Sinne von künftiger – Menschen ausgeht.111 Dieser alternative normative und methodische Zugang zur Frage intra- und intergenerationeller Gerechtigkeit hat nicht notwendigerweise die völlige Eliminierung des ökonomischen Effizienzkriteriums zur Folge. Aber er kehrt gleichsam die lexikalische Reihenfolge um: Priorität hat die ethische Perspektive, während die ökonomische als Mittel und Strategie bei der Umsetzung fungiert. Die normative Perspektive kann nicht in die Implementierungsfrage aufgehoben werden. Der Kantische, „starke“ normative Ethikbegriff ist somit nicht überflüssig, auch nicht aufhebbar (beispielsweise in Pareto-Optimalität), wenngleich dieser auch nicht völlig losgelöst von der ökonomischen Rationalität existiert, insbesondere was die Frage der Umsetzung betrifft. Im Hinblick auf die Integration von Wirtschafts- und Umweltethik bedeutet dies, dass bei Problemen mit globaler Dimension112 die ethische Frage nach einer gerechten Partizipation, Ordnung und Verteilung von wechsels, in: Konsumperspektiven: Verhaltensaspekte und Infrastruktur; Gerhard Scherhorn zur Emiritierung, hrsg. von M. Neuner / L. A. Reisch, Berlin 1998, S. 15 – 32; hier: S. 23 (Beiträge zur Verhaltensforschung; H. 33). 109 So beispielsweise der Versuch von K. Homann, Sustainability: Politikvorgabe oder regulative Idee?, in: L. Gerken (Hrsg.): Ordnungspolitische Grundfragen einer Politik der Nachhaltigkeit, Baden-Baden 1996, S. 3 – 47. 110 Zu diesen und weiteren Schwächen des auf dem Pareto-Kriterium basierenden ökonomischen Ansatzes vgl. die Kritik von H. G. Nutzinger, Ökonomik und Gerechtigkeit: Grundsätzliche Überlegungen und der Anwendungsfall Klimapolitik, in: T. Beschorner (Fn. 5), S. 383 – 423; bes. S. 405 ff. Nutzinger resümiert: „Diese Erweiterung des Pareto-Kriteriums reicht aber offensichtlich nicht in jedem Falle zur Lösung der Nachhaltigkeitsproblematik aus. Zum einen kann das Drohpotential künftiger Generationen gegenüber den heute Privilegierten so gering, vielleicht sogar überhaupt nicht vorhanden sein, so dass sich daraus kein Anreiz für Anspruchsbegrenzungen der heute privilegiert lebenden Menschen ergeben muss. Zum anderen ist die Geschichte reich an Beispielen dafür, dass von den Privilegierten das Drohpotential der Benachteiligten myopisch falsch antizipiert wurde.“ (Ebd., S. 408). 111 In der christlichen Theologie wird dies durch den Gedanken der Welt bzw. Erde als Schöpfung Gottes unter Wahrung ihrer Integrität durch menschliches Handeln sowie unter Blickrichtung auf ihre Erlösung repräsentiert. 112 Hierzu zählen stetig mehr Problembereiche: z. B. Klimawandel, Energie- und Ressourcenverbrauch, globaler Weltmarkt, Armuts- und Hungerprobleme, Migration, Bevölkerungswachstum etc.
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Gütern und Lebensmöglichkeiten sich stellt. Die Anspruchsrechte der benachteiligten Bevölkerungsgruppen sollten dabei primär weder unter wirtschaftlichen Nützlichkeitserwägungen noch unter drohendem Defektierverhalten, sondern unter ethischen Gerechtigkeitsgesichtspunkten reflektiert werden. Was dies bedeutet bzw. welche weitreichenden Folgen damit verbunden sind, lässt sich am Beispiel des Klimawandels113 und der internationalen Reduktion von Treibhausgasen gut demonstrieren. Die Weltklimakonferenzen setzen auf ein internationales Abkommen mit Reduktionszielen bezüglich Treibhausgasen, die die Klimaerwärmung beherrschbar halten soll. In einem komplizierten Verfahren werden für einzelne Länder Emissionsmengen innerhalb bestimmter Zeiträume festgelegt. Dabei spielen unter anderem die zu hohen Emissionsmengen der reichen Staaten und deren Reduktion, die wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten ärmerer Staaten sowie die Erhaltung bestimmter Lebensstandards für künftige Generationen eine wichtige Rolle. Hinzu kommen wirtschafts- und machtpolitische, relativierende (in bezug auf die wissenschaftliche Datenbasis des Klimawandels) und historische (kolonialistische Erblasten) Faktoren. Diese unklare und wenig transparente Gemengenlage an Faktoren und die letztlich von den Staaten frei aushandelbaren Vereinbarungen haben mit dazu beigetragen, dass es bisher – siehe Kopenhagen im Jahr 2009 – zu keiner wirklich verbindlichen und damit effektiven Begrenzung der Treibhausgasemissionen gekommen ist. Weder die USA noch China – als die beiden größten Emittenten – haben sich bisher auf verbindliche Vereinbarungen festlegen lassen. Ein erfolgversprechenderer Weg ergäbe sich möglicherweise, wenn als Basis eine robuste ethische Grundlage angesetzt würde. Hierzu hat der Wissenschaftliche Beirat der (deutschen) Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) in seinem neuesten Gutachten einen zukunftsweisenden Vorschlag unterbreitet.114 Danach werden als ethische Basisnorm115 in sozialer Hinsicht prinzipiell gleiche Anspruchsrechte aller lebenden Menschen weltweit auf ein bestimmtes Ausmaß an Ausstoß von Treibhausgasen angenommen. Hieraus wird eine ökologische Höchstgrenze an noch tolerierbaren Treibhausgasemissionen für die Zukunft festgelegt, die eine Begrenzung der Erderwärmung auf maximal zwei Grad Celsius bis zum Jahr 2050 erlaubt. Auf diese Weise werden intra- und intergenerationelle Gerechtigkeit auf der Basis ökologischer Gerechtigkeit miteinander verknüpft. Schließlich wird für jeden Staat ein genau beziffertes Atmosphären-Kapital errech113 Zum Klimawandel vgl. S. Rahmstorf / H. J. Schellnhuber, Der Klimawandel, 4. Aufl., München 2007. 114 WBGU Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen, Kassensturz für den Weltklimavertrag – Der Budgetansatz. Sondergutachten, Berlin 2009 . Zu weiteren Konzepten, die im Grundsatz analoge Ansätze verfolgen, vgl. M. Vogt (Fn. 105), S. 148 ff. 115 Weitere ethische Grundlagen sind das Verursacherprinzip im Sinne der (historischen) Verantwortung der Industriestaaten sowie das Vorsorgeprinzip im Sinne des rechtzeitigen Handelns zur Verhinderung irreversibler Schäden (vgl. WBGU, ebd., S. 22).
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net, wieviel an Treibhausgasen ein einzelner Staat in Zukunft emittieren darf.116 Der Vorteil dieses Konzepts ist vor allem darin zu sehen, dass man auf der Grundlage von eindeutigen ethischen Basisprinzipien (intra- und intergenerationelle, ökologische Gerechtigkeit), die versprechen, international weithin konsensfähig zu sein,117 zu klaren und transparenten Zielvereinbarungen sowie Umsetzungsstrategien gelangt. Die Verteilung von Nutzungs- und Anspruchsrechten erfolgt in erster Linie normativ, und erst auf der Ebene der praktischen Realisierung kommen ökonomische, technische, politische etc. Mittel ins Spiel. Dabei ist bei dem vom WBGU empfohlenen Konzept (Option II „Zukunftsverantwortung“: Zeitraum 2010 – 2050) an zentraler Stelle gar nicht die Frage berücksichtigt, ob die Industriestaaten nicht auch eine ethische Verpflichtung haben, aufgrund ihres Mehrverbrauchs an Energie und als Hauptverursacher der Klimaveränderungen in der Vergangenheit, der sie zu einem enormen Wohlstand geführt hat, zusätzlich Kompensationsleistungen an die ärmeren Länder zu erbringen. Denn das favorisierte Konzept der WBGU bezieht das Gerechtigkeitskriterium auf Gegenwart und Zukunft (Basisjahr: 2010), jedoch nicht auf die Vergangenheit.118 Das Verursacherprinzip wird somit nur partiell veranschlagt. Die aus ethischer Perspektive virulente Frage, ob die nicht universalisierbare (Über-)Nutzung von natürlichen Gütern durch die reichen Staaten in der Vergangenheit, die diese zu nie dagewesenem Wohlstand geführt hat, nicht Ausgleichsmaßnahmen dieser Staaten gegenüber den ärmeren Ländern bedingen würden, wird hierbei explizit gar nicht gestellt. Diese könnten beispielsweise in verstärkten Entwicklungshilfeleistungen, umweltschonenden Technologietransfers zu Sonderkonditionen, Schuldenerlass o.ä. bestehen. Fast alle globalen Probleme der letzten Jahrzehnte machen ethische Reflexion erforderlich. Sie zeigen außerdem, dass globale Gerechtigkeit eine der zentralen Fragen darstellt. Da Armut mit eine der Hauptursachen für Umweltprobleme ist, bedarf es der Verknüpfung von ökologischer und sozialer Gerechtigkeit. Zugleich werden Wirtschafts- und Umweltethik nicht als zwei voneinander weitgehend unabhängige Disziplinen betrachtet werden müssen, sondern als komplementär auf116 Deutschland hätte nach dieser Berechnung (gemäß Option II) sein Budget bereits bis zum Jahr 2020 (statt: 2050) aufgebraucht (die USA bereits im Jahr 2016) (vgl. ebd., S. 28) und müsste danach Emissionsrechte von in der Regel ärmeren Ländern zukaufen, was wiederum diesen Ländern Einnahmen erbrächte für deren eigene nachhaltige Entwicklung. Der Emissionshandel – als ein Marktprinzip – ist somit nicht Grundlage bzw. Zentrum – dies sind die ethischen Prinzipien –, sondern Mittel der Umsetzung. 117 Gerade die ärmeren Länder beklagen immer wieder das Gerechtigkeitsdefizit und fordern gegenüber den Industriestaaten prinzipiell gleiche Anspruchsrechte hinsichtlich der Nutzung ökologischer Güter. 118 Dieses ethische Problem wird vom WBGU in Option I „Historische Verantwortung“: Zeitraum 1990 – 2050 berücksichtigt, die aber wegen seiner vor allem für die Industriestaaten radikalen Konsequenzen für nicht realisierbar – wenngleich ethisch vertretbar – gehalten wird (vgl. ebd., S. 25 ff.).
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einander angewiesene und sich ergänzende Größen.119 Ein erster wichtiger Schritt hierzu wäre es, „distributive Gerechtigkeit wieder zu einem Thema der Ökonomik zu machen“120, da deren normatives Potential nicht durch Allokation, Gleichgewichtstheorie, Pareto-Optimum oder ähnliche (neo)klassische Paradigmen einzulösen ist. In diesem Zusammenhang gewinnt auch die ethische Diskussion des Egalitarismus an Aktualität und muss neu geführt werden – ein Prinzip, das lange Zeit als verpönt galt, da es oftmals mit „Gleichmacherei“ assoziiert wird.121 Die klassischen Fragen der Gerechtigkeit stellen sich somit unter veränderten, globalen Bedingungen mit neuer Dringlichkeit und eröffnen damit ein weites Aufgabenfeld für die Wirtschaftsethik der Zukunft.
Summary There is a steady tendency in the theory construction of ethics in business and economics in the German-speaking countries since the 1980s. During this process, a trend towards more sophisticated concepts and a distinct focus on practical demands, has appeared. In the face of the massive financial and economic problems of the recent past the call for ethics and morality is heard louder than ever. Distinguished economists and politicians claim for a radical change in theory and practice of economics. The article seeks to identify the most important current approaches, to show that economic and business ethics are facing new challenges. Globalization, cross-cultural challenges, and global environmental problems require a special attention of business ethics as well as an integration and (re-)contextualization of formerly independent areas. The assumption is to ensure that future emerging challenges for business ethics will lead to a mutual integration of economic and environmental ethics, in a cross-cultural and global perspective. Also, the need for a reinterpretation in the comprehension of justice is proposed. The international discussions about the problems of climate change and the reduction of carbon dioxide illustrate the intersection of cross-cultural issues and the theory of justice. This relation allocates that pragmatic action is not practicable 119 Es mehren sich inzwischen Publikationen, die in diese Richtung weisen: vgl. z. B. M. Dabrowski / J. Wolf / K. Abmeier (Hrsg.), Globalisierung und globale Gerechtigkeit, Paderborn / München / Wien / Zürich 2009 (Sozialethik konkret, hrsg. von M. Dabrowski / J. Wolf); C. Frey / J. Hädrich / L. Klinnert (Hrsg.), Gerechtigkeit – Illusion oder Herausforderung. Felder und Aufgaben für die interdisziplinäre Diskussion, Münster 2006 (Bochumer Studien zur Gerechtigkeit, hrsg. von C. Frey, Bd. 1). 120 H. G. Nutzinger (Fn. 110), S. 384. 121 Vgl. zur Diskussion des Egalitarismus A. Krebs (Hrsg.), Gleichheit oder Gerechtigkeit. Texte der neuen Egalitarismuskritik, Frankfurt a. M. 2000. Aufsehen erregte zuletzt die auf weltweiten statistischen Befunden basierende Publikation zweier Wissenschaftler zu dem Thema: K. Pickett / R. Wilkinson, Gleichheit ist Glück. Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind, Berlin 2010.
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without an understanding of ethical principles. But at the same time, global threats open up the possibility to overcome the gap between theoretical foundations and an application-oriented perspective.
Die Finanzkrise aus wirtschaftsethischer Sicht Joachim Wiemeyer Einleitung In der ökonomischen Literatur wird über die Ursachen der 2007 ausgelösten Finanzkrise1, die 2008 dann in eine weltweite Wirtschaftskrise einmündete, gestritten. Es gibt dabei zwei Kernthesen, die sich gegenüberstehen: Die erste führt die Finanzkrise auf Staatsversagen zurück, wobei zum einen die langanhaltende Niedrigzinspolitik der amerikanischen Notenbank, die Art der Wohnungsbauförderung in den USA, die unzureichende Regulierung der Finanzmärkte, Fehler in der staatlichen Bankenaufsicht usw. genannt werden.2 Die Gegenthese lautet, dass hier ein eklatantes Marktversagen vorliegt: Dies sei in der Gier der Marktteilnehmer, vor allem dem Streben nach überhöhten Renditen im Finanzmarkt, zu großer Risikobereitschaft von Bankern, Managern von Hedgefonds etc. begründet. Die in den Banken entwickelten Finanzinnovationen, Risikomanagementverfahren, strategische Ausrichtung und Geschäftsmodelle hätten versagt.3 Die Marktteilnehmer hätten durch politische Lobbyarbeit staatliche Regulierung abgeschwächt oder die Regeln bewusst unterlaufen, z. B. mit der Errichtung von Zweckgesellschaften, oder sind staatlichen Vorschriften, mit der Verlagerung von Geschäften auf wenig regulierte Finanzoasen, z. B. Cayman-Inseln, wo viele Hedgefonds registriert sind, ausgewichen. Offensichtlich spielen bei der Ursachenanalyse wie bei den aufgezeigten Konsequenzen und Lösungsvorschlägen auch normative Vorentscheidungen der Auto1 Eine erste Einschätzung: Joachim Wiemeyer, Krise der Finanzwirtschaft – Krise der sozialen Marktwirtschaft? In: Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. (Hrsg.): Lehren aus der Finanzmarktkrise. Ein Comeback der sozialen Marktwirtschaft, Bd. I: ordnungspolitische und sozialethische Perspektiven, Sankt Augustin / Berlin 2008, S. 21 – 30. 2 Diese Sicht dominiert die 8 Beiträge zur Finanzkrise im Ordo-Jahrbuch 60. Bd. (2009) und wird auch von dem Wirtschaftsethiker Karl Homann vertreten. Vgl. „Der linke Funke ist übergesprungen“, Interview in der Wirtschaftswoche v. 9. 4. 2009. 3 Diese Sicht dominiert bei Hans-Werner Sinn, Kasino-Kapitalismus. Wie es zur Finanzkrise kam, und was jetzt zu tun ist, 2. überarbeitete Aufl. Berlin 2009 sowie Sebastian Dullien / Hansjörg Herr / Christian Kellermann, Der gute Kapitalismus . . . und was sich nach der Krise ändern müsste. Bielefeld 2009, kürzer: Bernhard Emunds, Goodbye Wallstreet, hello Wallstreet! Wirtschaftsethische Überlegungen zum Bedarf, die neue kapitalmarktdominierte Finanzwirtschaft „umzubiegen“, in: Martin Dabrowski u. a. (Hg.) Globalisierung und globale Gerechtigkeit, Paderborn 2009, S. 55 – 83.
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ren eine wesentliche Rolle. Dabei lassen sich eher marktliberale Positionen identifizieren, die häufig von einzelnen Unternehmen und einzelnen Märkten her argumentieren und die eher im „Staatsversagen“ Ursachen suchen. Diese lassen sich von eher marktkritischen Positionen unterscheiden, die gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge und gesellschaftliche Zielsetzungen betonen. Häufig werden diese normativen Vorentscheidungen nicht explizit reflektiert und offen ausgewiesen. Hier soll ein anderer Weg beschritten werden, indem explizit eine normative Perspektive eingenommen und offengelegt wird. Zunächst werden aus der Sicht der Christlichen Sozialethik, wirtschaftsethische Grundpositionen skizziert. Die folgenden wirtschaftsethischen Überlegungen sind zwar vor dem Hintergrund einer spezifischen konfessionellen Tradition (katholisch) entstanden. Da es in der Sozialethik allgemein wie speziell in der Wirtschaftsethik4 kaum konfessionsspezifische Unterschiede gibt5, kann man konfessionsübergreifend von einer Christlichen Sozialethik sprechen. Diese Grundpositionen dienen dann im nächsten Schritt als Heuristik, um die Finanzkrise zu analysieren. Im dritten Schritt bilden sie dann auch den normativen Hintergrund für die aufgezeigten Reformschritte.
A. Wirtschaftsethische Grundlagen In der pluralistischen Gesellschaft der Gegenwart können christliche Wertvorstellungen nicht von vornherein auf eine breite gesellschaftliche Zustimmung stoßen. Die christlichen Kirchen gehen aber davon aus, dass ihre Wertvorstellungen, von „allen Menschen guten Willens“6 eingesehen und gebilligt werden können. Dies betrifft sowohl Angehörige anderer nichtchristlicher Religionen wie Menschen ohne religiösen Glauben. Die Christliche Sozialethik will daher ihre Positionen argumentativ entfalten und nicht allein oder primär auf biblische Schriften oder kirchliche Autoritäten stützen. In dieser argumentativen Entfaltung bedient 4 Vgl. speziell aus protestantischer Sicht: Traugott Jähnichen, Wirtschaftsethik, Stuttgart 2008 und W. Korff, Handbuch der Wirtschaftsethik, 4. Bde. Gütersloh 1999. Neuauflage: Berlin 2009. 5 Dies zeigen auch die Stellungnahmen der beiden großen Kirchen in Deutschland zur Finanzkrise: Wie ein Riss in einer hohen Mauer, Wort des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zur globalen Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise, EKD-Texte Nr. 100, hrsg. v. Kirchenamt der EKD, Hannover 2009 und Die Deutschen Bischöfe, Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen, Auf dem Weg aus der Krise. Beobachtungen und Orientierungen. Stellungnahme einer von der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz berufenen Arbeitsgruppe zur Finanz- und Wirtschaftskrise, Bonn 2009. Grundlegende wirtschaftsethische Perspektiven wurden im gemeinsamen Wort von EKD und Deutscher Bischofskonferenz, Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit, Hannover / Bonn 1997 formuliert. 6 So die ausdrücklichen Adressaten päpstlicher Sozialenzykliken. Vgl. Benedikt XVI, Caritas in Veritate, v. 29. Juni 2009 (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 186, hrsg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2009).
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sich die Christliche Sozialethik auch der modernen Sozialphilosophie, etwa vertragstheoretischer oder diskursethischer Theorien.7 In einer sozialethischen Argumentation bilden Reflexionen über den Menschen und die gesellschaftliche Organisation menschlichen Zusammenlebens den Ausgangspunkt. In der anthropologischen Perspektive sind in diesem Kontext folgende Überlegungen relevant: Erstens ist der Mensch für sachliche und moralische Irrtümer anfällig. Dies bedingt, dass gesellschaftliche Institutionen so einzurichten sind, dass Fehler korrigierbar sind und Menschen nicht unnötig oft und im großen Umfang in Versuchung geführt werden sollen sowie die gesellschaftlichen Institutionen so einzurichten sind, dass die Folgen von Fehlverhalten von Individuen oder Wenigen begrenzt bleiben.8 Eine zweite anthropologische Überlegung im christlichen Kontext ist, dass man von einer ganzheitlichen Sicht des Menschen ausgeht und Visionen von einem gelungenen menschlichen Leben formuliert werden. Aus einer solchen Sicht spielt zwar der ökonomische Bereich eine wichtige Rolle, weil er als materielle Basis für andere Lebenszusammenhänge unverzichtbar ist und sich der Mensch in und durch Arbeit entfaltet. Einkommenserzielung, Konsum, Vermögenserwerb nehmen damit zwar eine wesentliche Zeit des menschlichen Lebens in Anspruch, sind aber nicht alles, weil personale menschliche Beziehungen, Kultur, Religion, Sport, Muße, ästhetisches Erleben etc. hinzukommen und dafür auch Freiraum jenseits der Arbeit benötigt wird. Weiterhin kommt hinzu, dass es in den Bereichen Wirtschaft, Sport, Politik etc. eine Spannung zwischen kurzfristigen Erfolgsstreben um jeden Preis und langfristigen (Negativ-)Folgen gibt. Dies wird z. B. deutlich bei Sportlern, die ihre Erfolge gezieltem Doping verdanken und, wie einige Profiradfahrer, früh daran sterben. Die Christliche Sozialethik legt daher dem einzelnen Menschen ein nachhaltiges Denken nahe, in dem man sich vor einer Entscheidung die Frage stellen sollte, ob man im Nachhinein, in einer reflektierten Bilanzierung des Lebens, wieder so handeln würde. Dieser Gesichtspunkt, dass der Einzelne nachhaltig handeln soll, hat aber auch gesamtgesellschaftliche Bedeutung. Nachhaltigkeit heisst etwa im ökologischen Bereich kein Raubbau an der Natur zu betreiben.9 Aufgrund ihrer anthropologischen Einsichten und als Institution, in der die Weitergabe und Fortführung historischer Erfahrungen eine wichtige Rolle spielt, hat die katholische Kirche vor der Finanzmarktentwicklung gewarnt. So heißt es bereits im Kompendium der Soziallehre der Kirche von 2004: „Die Entwicklung des Finanzwesens, dessen Transaktionen den Umfang der realen Transaktionen schon längst hinter sich gelassen haben, läuft Gefahr, einer immer stärker auf sich selbst bezogenen Logik zu folgen, die nicht mehr auf dem Boden der wirtschaftlichen 7 Vgl. Arno Anzenbacher, Christliche Sozialethik. Einführung und Prinzipien, Paderborn 1997, S. 97 ff. 8 Vgl. Joachim Wiemeyer, Europäische Union und weltwirtschaftliche Gerechtigkeit, Münster 1998, S. 56. 9 Deutsche Bischofskonferenz, Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen, Handeln für die Zukunft der Schöpfung, Bonn 1998.
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Realität steht. Eine Finanzwirtschaft, die zum Selbstzweck wird, ist dazu bestimmt, ihren Zielsetzungen zu widersprechen, weil sie sich von ihren eigenen Wurzeln und dem eigentlichen Grund ihres Bestehens, das heißt von ihrer ursprünglichen und wesentlichen Aufgabe löst, der realen Wirtschaft und damit letztlich der Entwicklung der menschlichen Personen und Gemeinschaften zu dienen. . . . Angesichts der unvermittelten Beschleunigung von Prozessen wie der enormen Wertsteigerung der von den Finanzinstitutionen verwalteten Wertpapierbestände und der rasch um sich greifenden neuen und ausgefeilten Finanzinstrumente ist es um so wichtiger, institutionelle Lösungen zu finden, die die Stabilität des Systems wirksam fördern können, ohne seine Leistungsfähigkeit und Effizienz zu verringern.“10 Wenn Wirtschaft ein wichtiger, aber nicht der alleinige oder der wichtigste Teilbereich des Lebens für den einzelnen Menschen ist, hat dies auch gesellschaftliche Konsequenzen. Die Menschen müssen politisch gemeinsam entscheiden, wie sie ihr Wirtschaften einrichten, und das Wirtschaften mit anderen Teilbereichen des gesellschaftlichen Lebens abstimmen.11 Wenn Wirtschaft der wichtigste Teilbereich der Gesellschaft wäre, erschiene z. B. eine Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen als ein bloßes „ökonomisches Verlustgeschäft“. Es ist gesellschaftlich festzulegen, welche Bereiche des gesellschaftlichen Lebens der ökonomischen Tauschlogik überlassen werden und wo die Gesellschaft bewusst aus guten normativen Gründen davon absieht, sich der ökonomischen Tauschlogik als dominierendem Steuerungssystem zu bedienen, angefangen von Kauf von Stimmen bei Wahlen, den Kauf von Gerichtsurteilen, über den Zugang aller unabhängig von Kaufkraft zum Gesundheits- und Bildungswesen, sowie im Bereich der politisch relevanten Medien (öffentlich-rechtlicher Rundfunk) etc. Auch in den Bereichen, die die Gesellschaft bewusst der Marktsteuerung überlässt, sind die Institutionen des Wirtschaftens gesellschaftlich zu gestalten, z. B. in der Definition von Eigentumsrechten, des Vertrags- und Gesellschaftsrechts.12 Dabei haben vielfältige normative Überlegungen wie der Schutz schwächerer Marktteilnehmer (Arbeitnehmer, Mieter, Verbraucher), Sicherung des Wettbewerbs (Kartellrecht) etc. eine wichtige Bedeutung. In Märkten ist eine Kongruenz von Entscheidungskompetenz und Verantwortung sowie Haftung und Erfolgszuweisung anzustreben. Private Gewinnerzielung auf Märkten wird erst ermöglicht bzw. gefördert, wenn die Gesellschaft die infrastrukturelle Voraussetzungen (Verkehrswege, Versorgungseinrichtungen) bereitstellt. Die Gesellschaft nimmt Marktergebnisse aber 10 Vgl. Päpstlicher Rat für Gerechtigkeit und Frieden (Hrsg.), Kompendium der Soziallehre der Kirche, Freiburg 2006 (itl. u. engl. 2004), Nr. 368 f. 11 Dies wird auch von liberalen Ökonomen eingeräumt: Gebhard Kirchgässner, Die Krise der Wirtschaft: Auch eine Krise der Wirtschaftswissenschaften?, in: Perspektiven der Wirtschaftspolitik Bd. 10 (2009), S. 436 – 468, hier 457. 12 Vgl. Die deutschen Bischöfe, Auf dem Weg aus der Krise, a. a. O., S. 16 f.
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nicht einfach hin, sondern korrigiert etwa die sich aus dem Markt ergebende Einkommensverteilung durch eine progressive Besteuerung, Sozialversicherungsbeiträge einerseits und Staatsleistungen (kostenloses Bildungswesen) sowie Sozialtransfers andererseits. Weiterhin versucht die Gesellschaft negative externe Effekte des Wirtschaftens (Umweltverschmutzung) zurückzudrängen und den Verursachern anzulasten. Da die Erfahrungen von rd. 200 Jahren marktwirtschaftlicher Ordnungen gezeigt haben, dass diese für konjunkturelle Schwankungen (inflationärer Boom, wie Rezession mit Deflation) anfällig sind, gibt es Instrumente der Prävention (stabile Geld- und staatliche Haushaltspolitik) wie der Kompensation von Wirtschaftsschwankungen (antizyklische Fiskalpolitik). Märkte verändern sich im Strukturwandel fortlaufend, so dass bei regionalen und sektoralen Strukturkrisen ebenfalls staatliche Maßnahmen erforderlich sind. Märkte müssen also durch staatliches Handeln ermöglicht und gefördert, aufrechterhalten, korrigiert und ergänzt werden. So können sie ihre sozialethisch wertvollen Funktionen (preisgünstige Versorgung der Konsumenten, effizienter Einsatz knapper ökonomischer Ressourcen, leistungsgerechte Entlohnung, Prozess- und Produktinnovationen) entfalten. Dabei ist immer eine Gradwanderung im Prozeß der „schöpferischen Zerstörung“ (Schumpeter)13 gegeben, dem Innovativ-schöpferischen des Wettbewerbs hinreichend Freiraum zu geben und ihn nicht zu stark einzuschränken, zugleich aber das „Zerstörerische“ des dynamischen Wettbewerbs mit seinen negativen gesellschaftlichen Folgen zu begrenzen. Da es nicht nur Marktversagen, sondern auch Demokratie-, Bürokratie- bzw. Staatsversagen gibt, darf sich der Staat in seinen eigenen wirtschaftlichen Aktivitäten sowie in seinen Märkte ergänzenden und korrigierenden Aktivitäten nicht übernehmen. Allerdings gibt es Bereiche privater Güter, die prinzipiell auf Märkten angeboten werden könnten, wo auch staatliche Monopole (z. B. kantonale Gebäudeversicherung in der Schweiz)14 Leistungen effizienter als im Wettbewerb bereitstellen können. Dies gilt vor allem in Bereichen, die nicht durch große Innovationen geprägt sind. Die EU-Kommission hat aus marktideologischen Gründen – ohne Rücksicht auf die Schädigung der deutschen Versicherungsnehmer – entsprechende öffentliche Versicherungen in Hamburg und Baden-Württemberg aufgehoben und den Markt privaten Versicherungen geöffnet. Wenn der Sinn der Wirtschaft in einer Versorgung der Bevölkerung mit Gütern und Dienstleistungen besteht, ergibt sich daraus eine Verhältnisbestimmung von Realwirtschaft und Geld-(Finanz-)wirtschaft. Die Geldwirtschaft hat gegenüber der Realwirtschaft eine sekundäre, eine dienende Funktion. In der christlichen Tradition ist gegen eine Verselbständigung bzw. Dominanz der Finanzwirtschaft ein tiefes Mißtrauen verankert, was sich z. B. fast jahrtausendelang im auf das Alte Testament (Exodus 22,24, Deuteronomium 23,20f) zurückgehenden Zinsverbot 13 Ulrich Thielemann, System error. Warum der freie Markt zur Unfreiheit führt, Frankfurt a. M. 2009, S. 16 ff. weist zutreffend auf diese Ambivalenz hin. 14 Vgl. Gebhard Kirchgässner, a. a. O., S. 445.
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artikulierte.15 Während die Produktion realer Güter längere Zeit in Anspruch nimmt und sowohl in Produktion und Konsum an physische Grenzen stößt, gilt dies für Geld, vor allem für Papiergeld nicht. Papiergeld / Höhe der Konten sind unbegrenzt vermehrbar. In den heutigen Finanzmärkten kann eine Vermehrung auch sehr schnell geschehen. Die Christliche Sozialethik hat ein Gesellschaftsbild, das sie nicht nur auf freie, sozial ungebundene Individuen setzt. Menschen leben immer in einer gesellschaftlichen Verbundenheit. Dies bedeutet, dass es nicht nur im Sinne der Subsidiarität individuelle Freiheit gibt, sondern das Gemeinwohl eine sinnvolle Kategorie ist und Menschen solidarisch verbunden sind. Gesellschaft basiert damit auf einen sozialen Zusammenhalt.16 Dies setzt gerechte Chancen für alle Gesellschaftsmitglieder voraus und bedingt eine Begrenzung sozialer Unterschiede in der Gesellschaft. Dies geht bereits auf das Alte Testament zurück, wo es in Deuteronomium 15,4 heisst: „eigentlich sollte es bei dir keine Armen geben“. Eine Gesellschaft ohne krasse soziale und ökonomische Gegensätze fördert die Akzeptanz des politischen Systems und der Wirtschaftsordnung, erhält den sozialen Frieden und ist auch ökonomisch produktiv, weil sie zum einen hohen Bildungsstand der Gesamtbevölkerung voraussetzt, die Leistungsmotivation fördert, wirtschaftliche Strukturveränderungen eher hingenommen und Risiken eher eingegangen werden. Zum anderen sind soziale Probleme der Gesellschaft wie Kriminalität geringer.17 Es gilt also das bewährte Konzept einer „Sozialen Marktwirtschaft“ in ökologischer Weise unter Berücksichtigung der Generationengerechtigkeit weiterzuentwickeln.18 Dieses zunächst im Kontext des Nationalstaates entworfene Konzept einer ÖkoSozialen Marktwirtschaft ist nicht nur für die Europäische Union relevant, sondern kann auch als Leitbild für die internationale bzw. globale Ebene dienen. Ausgangspunkt ist dabei die gleiche Würde aller Menschen unabhängig von Nation, Hautfarbe, Geschlecht, Religion im weltweiten Horizont. Allen Menschen kommen fundamental gleiche Menschenrechte zu. Die Menschenrechte bedingen u. a., dass auch Beziehungen zwischen Staaten rechtsförmig zu gestalten sind, da zwischenstaatliche Beziehungen auf die einzelnen Menschen zurückwirken. Dabei spielt aus christlich-sozialethischer Sicht die „vorrangige Option für die Armen“, also die Rücksichtnahme auf Schwächere, Benachteiligte etc. eine besondere Rolle.19 An internationale Organisationen und internationale Regelwerke sind dementspre15 Vgl. Joachim Wiemeyer, Art. Zins, in: Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Bd. 10, Freiburg 2001, Sp. 1459 – 1461. 16 Vgl. Joachim Wiemeyer, Christliche Weltverantwortung und sozialer Zusammenhalt, in: Gesellschaft im Test Nr. XLV, Heft 2, (2004), 4 – 16. 17 So fand man bei marktliberalen Ökonomen häufig einen Lobpreis der US-Wirtschaft mit geringeren Steuern, einer stärkeren Marktsteuerung im Gesundheits- und Bildungswesen sowie einen flexiblen Arbeitsmarkt. Dass in den USA pro 100 000 Einwohner mehr als 8 Mal mehr Personen inhaftiert sind als in Deutschland wurde ignoriert. 18 Vgl. Deutsche Bischofskonferenz, Auf dem Weg aus der Krise, a. a. O., S. 38 und EKD, a. a. O., S. 19.
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chende normative Anforderungen zu stellen. So sind nationale wie internationale Finanzmärkte wesentlich daran zu messen, ob sie eine wirksame Armutsbekämpfung ermöglichen. Ein Kernproblem internationaler Ordnungen ist ihr faktisches Zurückbleiben hinter den Erfordernissen des Weltgemeinwohls (z. B. Klimaschutz).20 Für internationale Ordnungen gilt, dass Subsidiaritätsprinzips, d. h. nur die unabdingbar notwendigen Kompetenzen sind auf internationale Organisationen zu übertragen, um die Eigenverantwortung des Nationalstaates zu bewahren.21 Dies ist deshalb erforderlich, um jeweils die demokratische Steuerung und Eigenverantwortung kleinerer Einheiten zu sichern. Auch auf globaler Ebene sind extreme Ungleichheiten und Ungleichgewichte zu vermeiden. Dies gilt etwa auch für erhebliche Leistungsbilanzüberschüsse einzelner Staaten wie struktureller Leistungsbilanzdefizite anderer Länder.
B. Wirtschaftsethische Analyse der Krisenursachen Wenn man aus dieser skizzierten wirtschaftsethischen Grundperspektive die Finanzkrise analysiert, lassen sich eine Vielzahl von Ursachen benennen. Auf diese soll in drei Abschnitten näher angegangen werden. Erstens ist die globale Ebene zu behandeln. Zweitens sind generelle Probleme in nationalen Volkswirtschaften zu nennen. Drittens sind dann spezifische Probleme im Finanzsektor anzuschneiden.
I. Defizite auf globaler Ebene 1. Konsum auf Kredit versus zu geringe Binnennachfrage Die USA weist seit Jahren ein erhebliches Leistungsbilanzdefizit auf, das in den letzten Jahren 6 % des Bruttosozialprodukts überschritt.22 Ein Leistungsbilanzdefizit bedeutet, dass in einem Land mehr investiert bzw. konsumiert wird als in der Wirtschaft selbst erzeugt wird. In den USA war dies der Konsum, weil die Sparquote amerikanischer Haushalte in den letzten Jahren bei weniger als einem 1 % lag.23 D. h. Kreditaufnahme des Staates oder der Unternehmen in den USA mussten von ausländischen Ersparnissen finanziert werden. Da vor allem China und 19 Vgl. Sachverständigengruppe „Weltwirtschaft und Sozialethik“, Globale Finanzen und menschliche Entwicklung, hrsg. v. der Wissenschaftlichen Arbeitsgruppe für weltkirchliche Aufgaben der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2001. 20 Deutsche Bischofskonferenz, Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen und Kommission Weltkirche, Der Klimawandel: Brennpunkt globaler, intergenerationeller und ökologischer Gerechtigkeit, Bonn 2006. 21 Vgl. Benedikt XVI., Caritas in veritate, a. a. O., Nr. 57. 22 Vgl. Sinn, a. a. O., S. 33 ff. und Dullien u. a., a. a. O., S. 66 ff. 23 Vgl. Sinn a. a. O., S. 34.
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Japan, aber auch Deutschland einen Leistungsbilanzüberschuss aufwiesen, finanzierten sie über die globalen Finanzmärkte den Konsum der Amerikaner. Wenn man die vielfältigen zwischengeschalteten Finanzmechanismen beiseite lässt, und den Vorgang realwirtschaftlich beschreibt, haben deutsche (chinesische und japanische Arbeiter) wertvolle materielle Güter (z. B. Autos, Maschinen) produziert. Da man nicht in gleicher Höhe amerikanische Güter oder Dienstleistungen (z. B. als Tourist) bezogen hat, wurden Vermögensansprüche (Wertpapiere) gegen die USA erworben, die sich nun teilweise als wertlos herausgestellt haben.
2. Wenig regulierte Finanzplätze und Steueroasen Weltweit gibt es etwa 50 Finanzplätze24, die Banken, Fonds und andere Anbieter wenig regulieren und bei denen nur geringe oder keine Steuern erhoben werden. Teilweise dienen solche Finanzplätze auch dem Waschen von Geld aus organisierter Kriminalität, Korruption, der Finanzierung von Terroristen etc. Das „Geschäftsmodell“ dieser meist sehr kleinen Länder beruht darauf, dass sie durch sehr liberale Gesetze der Finanzmarktüberwachung und der Steuerfreiheit Kapital anlocken, um so Arbeitsplätze zu schaffen bzw. Staatseinnahmen durch Lizenzgebühren oder geringe Steuern der Banken bzw. deren Mitarbeiter zu gewinnen. Dass ein solches Modell in ethischer Hinsicht bedenklich ist, lässt sich daran ablesen, dass nicht jeder Staat diesem Beispiel folgen könnte, z. B. auf Steuern für Finanzanlagen zu verzichten. Es ist ein Modell für kleine Länder (Luxemburg, Liechtenstein, Schweiz etc.), die zu Lasten großer Nachbarländer (Deutschland, Frankreich, Italien) Kapital aus diesen Ländern anlocken, um von reichen Personen zu profitieren, die Steuern hinterziehen wollen. Sie legen das Geld der Reichen umgehend wieder in den Herkunftsländern ihrer Kunden an, weil die Gewinne und Zinsen, die in Finanzoasen gezahlt werden, natürlich von den dortigen kleinen Volkswirtschaften gar nicht erwirtschaftet werden können. Solche Länder haben im Verhältnis zur Größe ihrer Volkswirtschaften einen völlig überdimensionierten Finanzsektor. Es ist sehr bedenklich, dass in solchen Steueroasen selbst deutsche Landesbanken, in deren Aufsichtsräten in der Regel der jeweilige Landesfinanzminister sitzt, Niederlassungen unterhalten haben. Deutsche Finanzminister haben damit Steuerflucht aus Deutschland mitorganisiert.25 Wegen der fehlenden Universalisierbarkeit des Konzepts von Off shore Finanzplätzen ist es also ausdrücklich als ungerecht zu werten.
24 In der OECD-Liste von Anfang 2009 waren genau 46 Juristiktionen aufgeführt. Vgl. FAZ Nr. 73 v. 27. 3. 2009, S. 16. Inzwischen haben die meisten in der Liste aufgeführten Juristiktionen neue Steuerabkommen geschlossen bzw. verhandeln darüber. 25 Kirchenbanken haben hingegen Kapitalanlagen z. B. in Luxemburg (Investmentfonds) in der Regel nicht angeboten, weil sie wussten, dass diese häufig mit Steuerhinterziehung verbunden waren.
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3. Zurückbleiben der Regulierung gegenüber effektiver Verflechtung der Finanzmärkte Durch die zunehmende Verflechtung der globalen Finanzmärkte war der Regulierungsbedarf für weltweit agierende Finanzmarktakteure gestiegen. Dies gilt sowohl für international agierende Großbanken, Versicherungen, Hedgefonds, Private-Equity-Fonds, staatliche Anlagefonds und andere. Im Rahmen der Bank für internationalen Zahlungsverkehr (BIZ) in Basel hat man zwar für Banken Mindeststandards z. B. für die Eigenkapitalunterlegung von Krediten vereinbart (Basel I und Basel II). Diese Regelwerke waren aber aus folgenden Gründen unzureichend: Erstens setzten die einzelnen Länder nur zögernd Vereinbarungen durch (z. B. ist Basel II in den USA nicht in Kraft gesetzt worden). Zweitens waren die Vorschriften durch die erfolgreiche Lobby-Arbeit der Banken geprägt, so dass sie faktisch ihre Eigenkapitalquote deutlich herabsetzen konnten, so dass eine Geschäftsexpansion vieler internationaler Banken einsetzte.26 Die Banken hatten eine strikte Aufsicht ihrer Geschäfte vermieden und erreicht, dass sie lediglich gegenüber den Aufsichtsbehörden ein Risikomanagementsystem nachweisen mussten.27 Die Alternative wäre gewesen, Banken nur solche Finanzgeschäfte zu erlauben, die auch von den Aufsichtsbehörden (sowie vielfach auch von den Vorständen und Aufsichtsräten der Banken selbst) nachvollziehbar sind. Vielfach gab es drittens keine Regelwerke für andere Finanzmarktakteure (z. B. Hedgefonds), weil politische Forderungen nach mehr Transparenz auch aus Deutschland von Ländern mit dem Sitz vieler Hedgefonds wie Großbritannien abgelehnt wurden.
II. Defizite in der nationalen Wirtschaftspolitik 1. Zunehmende Ungleichheit der Einkommensverteilung In den letzten 20 Jahren gab es in den meisten Industrienationen eine wachsende Ungleichheit der Einkommensverteilung.28 Diese ist auf verschiedene Gründe zurückzuführen: Erstens erzielen Marktführer in globalen Märkten immer höhere Einkommen, weil sie nicht mehr nur in ihrem angestammten Heimatmarkt an erster Stelle liegen, sondern im Weltmarkt. Daher wurde der Inhaber des weltweiten führenden Softwareunternehmens Microsoft Bill Gates zum reichsten Mann der Welt. Zweitens stagnieren oder sinken sogar Arbeitseinkommen, weil nach Ende des Ostblocks, der Öffnung Chinas für den Weltmarkt und einer wachsenden Weltbevölkerung ein größeres Arbeitsangebot vorherrscht, das in liberalen Märkten 26 27 28
Vgl. Sinn, a. a. O., S. 155 ff. Vgl. Dullien u. a., a. a. O., S. 45 f. Vgl. ebenda., a. a. O., S. 93 ff.
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durch Importe und Auslagerung von Produktionen für Länder mit bisher hohen Arbeitseinkommen spürbar wurde. Drittens hat in vielen Ländern die soziale Ausgleichsfunktion des Staates abgenommen, weil die Erhebung von Steuern und Sozialabgaben angesichts der Mobilität von hochqualifizierten Arbeitskräften und Kapital schwieriger geworden ist. Das rasante Anwachsen der internationalen Kapitalmärkte ist durch die ungleiche Einkommensverteilung mitbedingt, weil die „Reichen“ weltweit nach Anlagemöglichkeiten für ihr Kapital suchen.
2. Überschätzung kapitalgedeckter Verfahren der Alterssicherung Kapital, das Anlagemöglichkeiten auf den Finanzmärkten suchte, wurde aber nicht nur von wohlhabenden Bevölkerungsschichten gebildet, sondern auch von größeren Bevölkerungsanteilen in Industrieländern. So gewannen kapitalgedeckte Elemente in der Alterssicherung eine wachsende Bedeutung, indem z. B. der Leistungsumfang umlagefinanzierter Systeme reduziert und kapitalgedeckte Renten politisch bewusst gefördert wurden, z. B. die Riester- und Rürup-Renten in der Bundesrepublik Deutschland.29 Damit kam weiteres Anlagekapital auf globale Märkte.
3. Anlagekapital aus Energieländern Die hohen Rohstoffpreise, vor allem im Energiebereich bei Öl- und Gasproduzenten haben dazu geführt, dass aus diesen Ländern hohe Kapitalbeträge Anlagemöglichkeiten auf internationalen Märkten suchten. Dies gilt z. B. für den norwegischen Staatsfonds, wo wesentliche Teile der Öleinnahmen kapitalisiert werden, um daraus auch Erträge für nachfolgende Generationen zu sichern. Dies ist im Sinne der Generationengerechtigkeit ein sinnvolles Anliegen. Ähnliche Investmentfonds unterhalten Emirate am Persischen Golf. Anderes Anlagekapital ist Fluchtgeld aus ölreichen Ländern, indem sich Privatpersonen (z. B. in Rußland) bei der Transformation der sozialistischen Wirtschaft Energiekonzerne angeeignet haben. Verbreitete Korruption und Kapitalflucht führte zu internationalem Anlagekapital trotz des erheblichen Investitionsbedarfs in Rußland selbst.
4. Fehlgesteuerte Sozialpolitik in den USA Angesichts der wachsenden Ungleichheit der Einkommensverteilung in den USA schien der amerikanische Traum, wenigstens der Mittelschicht anzugehören, 29 30
Vgl. ebenda, S. 174 f. Vgl. Die deutschen Bischöfe, Auf dem Weg aus der Krise, a. a. O., S. 18.
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für immer weniger Arbeitnehmer erreichbar.30 Da nicht durch staatliche Steuerpolitik, ein gutes Angebot öffentlicher Leistungen (z. B. Bildungs- und Gesundheitswesen) und Sozialtransfers ein sozialer Ausgleich herbeigeführt werden sollte, der für große Bevölkerungskreise in den USA eine soziale Integration hergestellt hätte, verfiel die Regierung Clinton – dies wurde vom nachfolgenden Präsidenten Bush fortgeführt – auf die Idee den Hausbesitz in den USA zu fördern.31 Das Wohnen im eigenen Haus hätte für viele Bevölkerungsgruppen sozialen Aufstieg und soziale Zugehörigkeit symbolisiert. Um den Anteil der Hausbesitzer an der Bevölkerung zu erhöhen, wurden die Kreditvergabepolitik von Banken, die bisher ganze Stadtteile auf einer „schwarzen Liste“ hatten, in die keine Kredite vergeben wurden, weil dort die Bevölkerung als wenig zahlungsfähig galt, verpflichtet auch dorthin Kredite zu vergeben. Solche Stadtteile waren überwiegend von farbigen Bevölkerungsgruppen und anderen Minderheiten bewohnt. Die bisherige Kreditpolitik wurde als rassendiskriminierend angesehen. Um auch an weniger kreditwürdige Schichten Kredite vergeben zu können, wurden die sogenannten Subprime(zweitklassigen – weniger gesicherten) Kredite vergeben. Deren Volumen hatte nach 2000 stark expandiert.
III. Gravierende Defizite in den Finanzmärkten 1. Keine nachhaltigen Arbeitsbedingungen In Finanzzentren wie London werden junge Akademiker von den Universitäten mit hohen Gehältern und möglichst hohen Boni angeworben, um sie dann häufig vor mehrere Bildschirme und Computer zu setzen, wo sie schnell Entscheidungen über Kauf und Verkauf von Wertpapieren treffen müssen.32 Diese Tätigkeiten sind sehr stressgeplagt, weil man auf neue Nachrichten schnell mit Kauf- oder Verkaufentscheidungen reagieren muss. Zu späte Entscheidungen können hohe Verluste oder entgangene Gewinne bedeuten. In der Regel sind diese Tätigkeiten nicht in einer 40 Std.-, sondern eher in einer 70 Std.-Woche auszufüllen. Außerdem kann ein solcher Beruf nicht 20 Jahre und mehr ausgeübt werden, da der berufliche Stress nicht durchhaltbar ist. 2. Moralische Korrumpierung der Mitarbeiter In den Banken, Hedgefonds und anderen Kapitalgesellschaften werden junge Mitarbeiter nach Abschluss ihres Studiums angeworben, die teilweise erst 21 Jahre alt sind.33 Diese sind als Persönlichkeiten, etwa mit einer ethischen Grundhaltung, Vgl. Sinn, a. a. O., S. 119 ff. Vgl. dazu den Insiderbericht: Geraint Anderson, Cityboy, Geld, Sex und Drogen im Herzen des Londoner Finanzdistrikt, 3. Aufl. Kulmbach 2009. 33 Vgl. ebenda, S. 244 f. 31 32
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nicht ausgereift oder werden durch ihre Arbeitsbedingungen korrumpiert. Zum einen werden sie durch ältere Teammitglieder in das Geschäftemachen eingeführt. Dann erhalten sie durch ihr Gehalt, das höher als in allen anderen Wirtschaftszweigen ist und hohen Bonuszahlungen einen hohen Anreiz vorgegebene Gewinnziele mit allen Mitteln anzustreben. Moralische Trübungen durch Konsumexzesse wie Alkohol-, Medikamenten- und Drogenmißbrauch treten hinzu. Weiterhin erkennen sie, dass sie diesen Job nur wenige Jahre durchhalten können, so dass man spätestens mit 40 Jahren durch einen Millionenbetrag „ausgesorgt“ haben muss.34 Dies führt dazu, dass man dann z. B. gegen die Sicherheitsvorschriften der eigenen Banken verstösst und zu riskoreiche Geschäfte tätigt. So hatte bereits 1993 der 28-jährige Mitarbeiter Nick Leeson die traditionsreiche, 200 Jahre alte „Barring Bank“ 1995 in den Ruin getrieben.35 In Frankreich konnte Jerome Kerviel 2008 bei der französischen Bank Sociéte Général Geschäfte in der Größenordnung von 50 Mrd. Euro aufbauen und letztlich einen Verlust von 5 Mrd. Euro verursachen. Moralische Versuchungen bestehen aber auch darin, schnell sehr viel Geld zu verdienen, indem man Kurse durch Gerüchte versucht zu manipulieren. So kann z. B. die Nachricht, dass ein Unternehmen aufgekauft bzw. übernommen wird, dessen Kurse treiben, hingegen können Nachrichten über wirtschaftliche Schwierigkeiten bzw. einen bevorstehende Insolvenz die Kurse drücken. In der Finanzwirtschaft kam es zum Verfall moralischer Standards.36 Bei Hedgefonds oder Investmentgesellschaften für Großanleger kann es sein, dass einmal aufgetretene Verluste dann zu betrügerischen Manipulationen führen, indem z. B. nach einem Schneeballsystem gearbeitet wird. Dies bedeutet, dass eingehendes Anlagekapital umgehend als Verzinsung an Altanleger ausgezahlt wird. Ein solches System ist auf laufenden Mittelzuwachs angelegt. Anfang der 70er Jahre gab es mit dem IOS-Investmentfond von Bernie Cornfeld in Deutschland eine solche Pleite. In der jetzigen Finanzkrise machte der Fall Bernard Madhoff 37 Schlagzeilen, der das Geld vieler Privatanleger wie von Stiftungen verspielte. Während in der Realwirtschaft Vermögensvermehrung Zeit in Anspruch (z. B. Bau einer Fabrik) nimmt und an physische Grenzen (der Ressourcen und Konsummöglichkeiten) stösst, gelten diese Schranken, in der Finanzwirtschaft nicht, weil große Gewinne von Tag zu Tag möglich sind, und die Ziffern auf Konten unbegrenzt erhöhbar sind. Daher ist die Finanzwirtschaft als eine virtuelle Welt für moralische Versuchungen anfälliger als Aktivitäten in der Realwirtschaft. Weil die Finanzwirtschaft eine virtuelle Welt ist, die viele Parallelen zu einem religiösen Glauben aufweist, ist sie fundamental auf Vertrauen angewiesen. Der materielle Wert eines Geldscheins beträgt vielleicht 1 Cent, er wird aber als 34 35 36 37
Vgl. ebenda S. 265. Vgl. Meyer, a. a. O., S. 340. Vgl. Emunds, a. a. O., S. 59 f. Vgl. Sinn, a. a. O., S. 153 f.
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100 Euro akzeptiert. Man glaubt den Zahlen, die auf Sparbüchern, Kontoauszügen und Depotbescheinigungen eingetragen sind. Deshalb haben viele Autoren auf die Parallelität von Geld und Glaube hingewiesen (z. B. Credo und Kredit). In der Finanzkrise war nach der Pleite von Lehman-Brothers zum einen das Vertrauen zwischen den Banken verloren gegangen, so dass sie sich nicht mehr untereinander Geld geliehen hatten. Zum anderen war aber auch das Vertrauen der Sparer in ihre Banken geschwunden, so dass in Deutschland im Oktober 2008 kurz vor der Garantieerklärung der Bundeskanzlerin und des Bundesfinanzministers bereits Sparer ihr Konto geleert hatten, und für das Bargeld dann vermeidlich sichere Anlageformen wie Goldbarren erworben hatten. Weil die Finanzwirtschaft als virtuelles Geschehen fundamental auf Vertrauen angewiesen ist, sind hohe moralische Standards unverzichtbar, weshalb der Verfall der Moral der handelnden Akteure die Funktionsfähigkeit des Systems in Frage stellt. 3. Falsche Entlohnungssysteme für Spitzenmanager Die moralische Korrumpierung von Mitarbeitern war in dem Finanzsystem kein Einzelfall einzelner Mitarbeiter, einzelner Banken, sondern im System selbst angelegt, weil die Unternehmensvorstände ihr Unternehmen selbst so organisiert hatten. Dies lag daran, weil die Vorstände der Finanzunternehmen in diese Richtung getrieben wurden.38 Erstens erhielten sie sehr hohe erfolgsabhängige Einkommen. Bei einem relativ geringen Grundgehalt wurden sehr hohe Boni gezahlt, die lediglich am Geschäftserfolg des letzten Jahres bemessen war. Dies stellte einen Anreiz dar, keine langfristig ausgerichtete Geschäftspolitik zu betreiben, die durch Investitionen kurzfristig Kosten verursacht, aber erst später Gewinne auslöst. Einer solchen Unternehmensstrategie stand nicht nur das Entlohnungssystem für Manager entgegen, sondern zwei weitere Faktoren. Bei börsennotierten Banken ohne Großaktionär droht einem Management die Übernahme, indem ein Investor eine aggressivere Geschäftspolitik durchsetzen will. Daher wurden hohe Renditeziele, z. B. bei der Deutschen Bank 25% Eigenkapitalrendite angepeilt.39 Zweitens könnte eine weniger risikoreichere und nachhaltigere Geschäftspolitik mit geringer Verzinsung Anleger, vor allem Großanleger zur Abwanderung veranlassen. 4. Abkoppelung der Finanzwirtschaft von der Realwirtschaft Wenn man mit nur sehr geringem Eigenkapital, aber mit viel Fremdkapital arbeitet (Leverageeffekt) ist eine hohe Eigenkapitalrendite möglich, während die 38 Vgl. zu Managervergütungen das Zeitgespräch im Wirtschaftsdienst 84. Jg. (2004) Joachim Wiemeyer, Die Höhe der Managergehälter und die Frage der „sozialen Gerechtigkeit“, S. 354 – 357. Weitere Beiträge dort von Hans-Hagen Härtel, Jochen Zimmermann und Ulrich Thielemann. 39 Eine solche und noch höhere Rendite erzielten eine Reihe von Investmentbanken. Vgl. Sinn a. a. O., S. 89.
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Gesamtkapitalrendite erheblich geringer ist. Trotzdem sind im Finanzmarkt hohe Renditen aller Anleger nicht möglich. Eine Kapitalverzinsung muss etwa dem realen Wirtschaftswachstum zuzüglich der Inflationsrate entsprechen. Wenn die Gewinnrate im Finanzsektor größer ist, müsste zum einen der Anteil aus abhängiger Arbeit am Sozialprodukt fortlaufend sinken, während der Anteil des Volkseinkommens aus Unternehmertätigkeit und Vermögen fortlaufend steigt. Dies ist in den letzten Jahren geschehen. Dies kann aber nicht unbegrenzt weiterlaufen. Zum anderen können Gewinne der Finanzwirtschaft zu Lasten der Realwirtschaft gehen und somit eine Verschiebung der Realwirtschaft hin zur Finanzwirtschaft bedeuten. Dies ist vor allem in Großbritannien und den USA geschehen, wo bei einer Wertschöpfung von 10% am gesamten Bruttosozialprodukt die Finanzwirtschaft 40% aller Unternehmensgewinne ausmachte. Innerhalb der Finanzwirtschaft gibt es Gewinner, die in der Regel große Publizität suchen, während die Verlierer eher stillschweigend agieren. Viele Finanzmarktaktionen stellen ein Null-SummenSpiel dar, wo der Gewinn des einen der Verlust des anderen ist.40 Es ist davon auszugehen, dass professionelle Anleger, die unmittelbar auf jede Nachricht durch Käufe und Verkäufe reagieren können, und innerhalb der professionellen Anleger, diejenigen mit den besten Personal und technischen Hilfsmitteln einen Vorteil erzielen können, während Privatanleger, Anleger aus Schwellen- und Entwicklungsländern, sowie nachrangige Finanzmarktakteuere aus Industrieländern eher zu den Verlierern gehören. Ein besonderes Problem der Finanzwirtschaft sind die starken Schwankungen, z. B. von Währungen, Aktienkursen etc. Dies ist darauf zurückzuführen, weil Transaktionen im Finanzsektor privilegiert sind, weil sie steuerfrei sind, und zweitens die Abwicklungskosten von Finanzgeschäften, vor allem durch Computersteuerung, immer mehr sinken. So lange ein Finanzgeschäft, z. B. der Kauf einer ausländischen Devise lediglich das Gegenstück zu einem realen Handelsgeschäft wäre, läge bei einer Devisentransaktionssteuer eine Doppelbesteuerung vor. Da über 90% von Finanzmarkttransaktionen keine realen Grundlagen haben, liegt hier eine steuerliche Privilegierung dieses Sektors vor. Vor allem in den USA und Großbritannien hatten die Finanzmarktakteure die Rolle eines Dieners der Realwirtschaft bereits weit hinter sich gelassen. Finanzmarktakteure und Finanzprodukte sollten, nicht mehr primär oder allein dazu dienen, die Realwirtschaft zu unterstützen. Vielmehr sollten bestimmte Finanzgeschäfte global nach London und New York gezogen werden. Die globalen Finanzmärkte, die einige Jahre die Finanzierung des hohen Leistungsbilanzdefizits der USA organisierten, sind aber problematisch, weil sie realwirtschaftliche Anpassungen nur überspielen bzw. hinausschieben, aber nicht vermeiden konnten.
40 Vgl. Stephan Schulmeister, Der Boom der Finanzderivate und seine Folgen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 26 / 2009 v. 22.6., S. 6 – 14.
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5. Volatilität der Finanzmärkte Mit der Steuerfreiheit und den geringen Transaktionskosten hängt zusammen, dass Finanzmärkte extrem hohe Schwankungen aufweisen, z. B. Wechselkurse zwischen Währungen nicht mit unterschiedlichen Wachstumsraten, Differenzen in den Inflationsraten, Kaufkraftunterschiede etc. wie die traditionellen Erklärungsansätze der ökonomischen Theorie lauten, zu tun haben, sondern von kurzfristigen Kapitalbewegungen bestimmt sind. Diese starken Schwankungen sind vor allem auch auf Herdentriebphänome zurückzuführen41, indem Finanzmarktakteure sich alle in eine Richtung (eine Branche, ein Land etc.) bewegen, oder aus einer Region, einem Land, einer Branche, einem Unternehmen, einem Rohstoff fliehen. Der moderne Finanzkapitalismus zeichnet sich immer wieder durch überschießende Boomphasen mit spekulativen Blasen und gegenläufigen Zusammenbrüchen (vgl. etwa den „Neuen Markt“ – Internetblase – 2001) aus. Wegen der damit für die Realwirtschaft ausgehenden destabilisierenden Wirkungen und des damit bedingten strukturellen Marktversagens im Währungsbereich haben eine Reihe von EU-Ländern beschlossen, den Euro als gemeinsame Währung einzuführen, nachdem sie bei variablen Wechselkursen wiederholt negative Auswirkungen auf die Realwirtschaft erlebt hatten. Es ist bemerkenswert, dass es unter dem System fester Wechselkurse nach 1945 bis 1971 in den meisten westeuropäischen Ländern hohe Wachstumsraten, geringe Inflation und Arbeitslosigkeit (deshalb wurden viele ausländische Arbeitskräfte angeworben) und praktisch keine Bankenzusammenbrüche gab.42 Jedenfalls ließen in Deutschland nach der Freigabe der Wechselkurse 1973 die Wachstumsraten nach, es bildete sich eine strukturelle Arbeitslosigkeit heraus, Banken gingen aufgrund der nun möglichen Devisenmarktspekulationen in Konkurs (Herstattbank 1973). Asiatische Entwicklungs- und Schwellenländer, die sich auf Rat des IWF globalen Finanzmärkten geöffnet haben, gerieten 1997 in eine Krise, als sich kurzfristige Anleger zurückzogen. China wurde damit nicht infiziert, weil sich China durch Kapitalverkehrskontrollen von spekulativem Kapital fernhielt.
6. Verfehlter normativer Grundansatz der neuen Bilanzierungsvorschriften Das deutsche Bilanzrecht war nach der Wirtschafts- und Finanzkrise 1873 systematisch von den Gläubigerinteressen definiert, daher waren Vermögenswerte mit den niedrigsten Werten anzusetzen. Nichtrealisierte Gewinne (z. B. Wertsteigerungen von Wertpapieren, die noch nicht veräußert waren) durften nicht ausgewiesen Vgl. Jagdish Bhagwati, Die Chancen der Globalisierung, Bonn 2008, S. 332. Vgl. Wilhelm Meyer, Finanzmarktinnovationen und Finanzkrisen: Historische Perspektive, in: Ordo Bd. 60 (2009), S. 325 – 354, hier S. 335. 41 42
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und an Aktionäre / Manager ausgeschüttet werden.43 Die Bilanzierungsvorschriften ermöglichten die Bildung hoher stiller Reserven auf die in Krisenzeiten zurückgegriffen werden konnte. Die neuen Bilanzierungsvorschriften44 orientierten sich stärker an den Interessen kurzfristig orientierter Kapitaleigner und der Manager. In Krisensituation treten aber extreme Probleme auf, wenn Vermögenswerte nach Kursabstürzen stark abgewertet müssen, Verluste zu Lasten des Eigenkapitals auftreten. Wenn Banken das mögliche Geschäftsvolumen im Verhältnis zum vorgeschriebenen Eigenkapital maximal ausgereizt hatten, statt einen erheblichen Sicherheitsbereich vorzuhalten, geraten sie in große Schwierigkeiten, weil sie dann kurzfristig Vermögenswerte abstoßen müssen. Die Banken hatten geglaubt, dass sie ihre Risiken durch Gegengeschäfte und Absicherungen (Kreditversicherungen) streuen können und damit keinen größeren Risikopuffer benötigen. Dies ist zutreffend soweit es sich lediglich um einzelne auftretende Risiken handelt, nicht aber Großrisiken, die den Gesamtmarkt infizieren.
7. Unzureichende Haftung und fehlende institutionelle Unabhängigkeit Ein normativer Grundsatz einer marktwirtschaftlichen Ordnung ist, dass der wirtschaftlich frei handelnde Mensch bzw. das Unternehmen für seine Handlungen haften soll. Eigenkapital hat die ökonomische Funktion einer Risikoträgerschaft und Risikoabsicherung. Damit wirtschaftliche Akteure Risiken eingehen, gibt es die Möglichkeit solche zu versichern. Versicherungen sprechen nicht gegen die Eigenverantwortung, wenn risikoabhängige Prämien gezahlt werden müssen. Im Finanzmarkt spielten Ratingagenturen45 eine große Rolle. Diese haben die Funktion Wertpapiere zu bewerten und sie nach Ausfallrisiken einzustufen. Das Rating wird von den Finanzpapiere ausgebenden Akteuren (Banken) bezahlt. Außerdem beraten Ratingagenturen Banken und andere Finanzmarktakteure bei der Konstruktion von Wertpapieren. Mehrere Jahre bezogen Rating-Agenturen mehr als 30% ihres Gewinns aus der Beratung bei der Konstruktion der Bündelung von Wertpapieren.46 So hatten Rating-Agenturen amerikanische Hypothekenbanken dabei beraten, wie sie Kredite mischen und zusammenfassen müssen, damit sie ein hohes Rating erhalten und diese weiterveräußern können. Ein möglichst hohes Rating ist erforderlich, weil es bestimmte Kapitalmarktakteure gibt, die nur in erstVgl. Sinn, a. a. O. S. 89 f. Vgl. Bernhard Pellens, Stefan Janett, André Schmidt, Bilanzierungsstandards im Kontext der Finanzmarktkrise, Perspektiven der Wirtschaftspolitik Bd. 10 (2009), S. 413 – 435. 45 Vgl. Sinn a. a. O., S. 144 ff. 46 Vgl. Max Otte, Die Finanzkrise und das Versagen der modernen Ökonomie, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 52 / 2009, v. 21. 12. 2009, S. 9 – 16, hier 11. 43 44
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klassige Papiere (A-Rating) investieren dürfen. Dies gilt besonders für sehr langfristig angelegte Investoren wie z. B. Pensionsfonds, Lebensversicherungen, Stiftungen. Es ist verständlich, dass solche Anleger nicht in hochspekulative Papiere, bei denen ein Totalverlust droht, investieren dürfen. Für ein Fehlrating, z. B. Lehman-Brothers, noch eine Woche vor der Pleite in der höchsten Kategorie (A-Rating) einzustufen, haften Ratingagenturen aber nicht. Ebenso hat die Finanzkrise gezeigt, dass weder die Vermittler von Hypotheken in den USA, das Management für Fehlentscheidungen, noch die Aktionäre hinreichend haften mussten, wie dies die Grundlage einer marktwirtschaftlichen Ordnung darstellt. Weil der Zusammenbruch einer Großbank einen weltweiten Flächenbrand im Finanzsystem auslöste, mussten weitere Zusammenbrüche von Großbanken verhindert werden und der Steuerzahler trat für Verluste ein. Ebensowenig mussten Sparer haften, die für einen Prozentpunkt höherer Zinsen, die heimische Volksbank oder Sparkasse verließen und ihr Geld bei isländischen Banken anlegten. Diese Anleger erhielten mit Hilfe des deutschen Finanzministeriums ihr Geld zurück.
8. Finanzinnovationen und Gemeinwohl Im wirtschaftlichen Wettbewerb ist es im Allgemeinen so, dass Unternehmen versuchen, durch neue Produkte neue Kundenkreise für sich zu erschließen und dies der Akzeptanz im Markt zu überlassen, ob Innovationen erfolgreich waren oder nicht. Im bestimmten Bereichen (z. B. Kraftfahrzeuge, Maschinen) müssen zum Schutz der Gesundheit der Verbraucher Produkte Mindeststandards erfüllen. Die Einhaltung dieser Standards wird von unabhängigen Prüfinstitutionen (TÜV) überwacht. Bei besonderen Produkten (Arzneimittel) gibt es eine eigene Zulassungsbehörde, die erst nach langjährigen Tests neue Arzneimittel freigibt. In jüngerer Zeit werden die Zulassungsvoraussetzungen (vor allem hinsichtlich der Erststattungsfähigkeit aus einem solidarischen Gesundheitssystem) verschärft, indem nicht nur die gesundheitliche Unbedenklichkeit, sondern auch der therapeutische Zusatznutzen zu den Kosten abgewogen wird. Solche Zulassungsverfahren gibt es für Finanzinnovationen nicht, weil man Produkte dem Markt überlassen hat.47 Bei diesen Finanzinnovationen gab es zwei Probleme: erstens wurden normalen Sparern Finanzprodukte verkauft, bei denen die Kapitalanleger die Risiken nicht hinreichend übersahen. Zweitens wurde nicht überprüft, welche Konsequenzen Finanzinnovationen, wie die Bündelung von Krediten und ihr Weiterverkauf, Kreditabsicherungen, Optionen, Derivate etc. im gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang haben. Es wurde nicht ausdrücklich von der einzelwirtschaftlichen Perspektive einer Vorteilhaftigkeit einzelner Kapitalanbieter (Investmentbanken) und einzelner Nachfrager (z. B. Hedgefonds) abgegangen.
47
Vgl. Emunds, a. a. O., S. 79 und Dullien u. a., a. a. O., S. 159.
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IV. Fazit Die aufgezeigten Fehlentwicklungen haben vielfach etwas damit zu tun, dass sich in der Ökonomie in den 70er Jahren eine marktliberale Position durchsetzte und seit den Regierungsantritten von Margaret Thatcher 1979 und Ronald Reagan 1981 politisch wirksam wurde. Diese Richtung, für die die Ökonomienobelpreisträger F. A. v. Hayek und Milton Friedman stehen, ist durch eine Überbetonung individueller Freiheit ohne soziale Verantwortung, den Glauben an die gesellschaftliche Vorteilhaftigkeit individuellen Erfolgsstrebens, der Stabilität, Funktionsfähigkeit und Selbstheilungsfähigkeiten von Märkten gekennzeichnet. Mit ihrer Kritik an staatlichen Regulierungen (feste Wechselkurse, staatlich festgesetzte Preise wie Zinsen), Beschränkungen unternehmerischen Handelns, sowie die Ablehnung von Fragen sozialer Gerechtigkeit bei der Einkommens- und Vermögensverteilung hat diese Richtung der Ökonomie den genannten Entwicklungen Vorschub geleistet. Aus christlich-sozialethischer Sicht ist eine Rückbesinnung auf die Grundwerte einer ökologisch ausgerichteten und sozialverpflichteten Marktwirtschaft notwendig. Die daraus für Wirtschafts- und Finanzkrise zu ziehenden Konsequenzen haben sich nicht auf technische Einzelheiten, nämlich etwa der genauen Bemessung der Eigenkapitalquoten von Banken, Clearingstellen für den Derivatehandel48, Details von Bilanzierungsvorschriften etc. zu richten, sondern auf Grundsatzfragen und ethische Kriterien und Leitlinien, die dann der technischen Umsetzung bedürfen. Die im nächsten Abschnitt aufgeführten 10 Kriterien sind damit als eine normative Heuristik zu verstehen.
C. Konsequenzen aus der Wirtschafts- und Finanzkrise aus wirtschaftsethischer Sicht I. Finanzmärkte sind politisch zu gestalten Wirtschaft ist ein Teilbereich menschlicher Gesellschaft, die Finanzmärkte wiederum lediglich ein Teilbereich der Wirtschaft. Nur durch politische Gestaltung können Finanzmärkte in die gesamte Ordnung der Gesellschaft und der Wirtschaft eingefügt werden. In den letzten Jahren hatten sich aber wichtige Akteure auf den Finanzmärkten selbst die Stellung einer „fünften Gewalt“ angemaßt49, die auch die Politik kontrolliert. Diese Kontrolle der Politik sollte an den Finanzmärkten dadurch erfolgen, dass täglich an den Devisenbörsen und Wertpapiermärkten das Handeln von Regierungen und die Beschlüsse von Parlamenten bewertet würden, natürlich danach, ob sie den Interessen vermögender Kapitalanleger, nicht der 48 Vgl. dazu: Günter Franke / Jan P. Krahnen, Instabile Finanzmärkte, in: Perspektiven der Wirtschaftspolitik, Bd. 10 (2009), S. 335 – 366. 49 Vgl. den früheren Vorstandssprecher der Deutschen Bank Rolf. E. Breuer, Die fünfte Gewalt, in. Die ZEIT v. 27. 4. 2000, S. 21 f.
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Bevölkerungsmehrheit entsprechen. Indem ein Teil dieser Akteure im Rahmen von Bankenrettungen zu Bittstellern der Politik wurde, hat sich das Verhältnis in der Krise geändert. Es besteht daher in der Gegenwart noch die Chance demokratisch legitimierter Politik, nicht im Interesse einer Minderheit von Kapitalanlegern, sondern des Gemeinwohls Finanzmärkte politisch zu gestalten. Nur so kann gewährleistet werden, dass in Zukunft Finanzmärkte nicht mehr so verheerende Folgen auslösen und andere gesellschaftliche Bereiche wie die Politik massiv unter Handlungsdruck setzen können. Vielmehr hat die demokratisch legitimierte Politik auf nationaler Ebene, auf europäischer Ebene und global jeweils die Rahmenordnungen vorzugeben. In der Vergangenheit hat auch eine massive politische Lobbyarbeit der Finanzmarktakteure 50 eine umfassende und rechtzeitige politische Setzung von Rahmenordnungen verhindert. In den USA waren viele Finanzminister ehemalige Manager New Yorker Investmentbanken. Dies ist auf nationaler Ebene zu unterbinden. International ist zu befürchten, dass einzelne Länder – wie USA und Großbritannien in der Vergangenheit – auf europäischer und globaler Ebene umfassende Regulierungen blockieren. Dem Grundsatz, dass die politisch gestaltete Regulierung dem Ausmaß der Marktflechtungen Rechnung zu tragen hat, kann aber dadurch gefolgt werden, dass Akteuren aus unzureichend regulierten Finanzräumen kein Marktzutritt gewährt wird (z. B. ausländische Banken), einheimischen Banken Geschäfte auf solchen Märkten untersagt wird und ggf. Kapitalverkehrskontrollen (z. B. für das Euro-Währungsgebiet) eingeführt werden.51 Leider hat man sich auch nach der Finanzkrise auf EU-Ebene nicht auf eine einheitliche und wirksame europäische Finanzmarktaufsicht einigen können. Die EUStaaten waren trotz der grenzüberschreitenden Aktivitäten ihrer Großbanken, Versicherungen und anderer Kapitalmarktakteure nicht bereit, ihre Kompetenzen auf die EU-Ebene zu übertragen.52 Für Schwellen- und Entwicklungsländer ist deutlich zu machen, dass sie ihre Finanzmärkte nicht leichtfertig vor allem für kurzfristiges Kapital (Hot money) öffnen sollten, sondern kurzfristig spekulatives Kapital von ihren Märkten fernhalten.
II. Der soziale Zusammenhalt der (Welt-)Gesellschaft ist zu fördern Aufgrund der geschilderten Tendenzen zu einer größeren Ungleichheit der Einkommensverteilung sind eine hinreichende Korrektur von Markteinkommen durch staatliches Handeln und ein wachsender sozialer Ausgleich notwendig. Dies erfordert eine erhebliche Staatstätigkeit (z. B. im Bildungswesen, Soziale 50 Vgl. Bhagwati, a. a. O., eine Kapitelüberschrift bei ihm lautet: „Die Gefahren des wild gewordenen internationalen Finanzkapitalismus“ (S. 313.) Er spricht von „Wallstreet-Finanzministerium“-Komplex. 51 Vgl. Dullien u.a, a. a. O., S. 147 f. 52 Dies wird im Jahresgutachten 2009 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Ziff. 241. scharf kritisiert.
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Dienste, Öffentliche Infrastruktur) sowie eine Korrektur der Einkommensverteilung durch Besteuerung und Sozialtransfers. Dafür müssen hinreichende Besteuerungsgrundlagen vorhanden sein und zwar auch für Zins- und Gewinneinkommen. Dies bedeutet auch, dass zu dem im vorherigen Abschnitt geschilderten globalen Regelwerk auch die Bekämpfung von Steueroasen, von Kapital- und Steuerflucht gehört. Das sozialethische Grundpostulat eines sozialen Zusammenhalts und der Bekämpfung krasser sozialer und ökonomischer Ungleichheiten gilt aus der Sicht der Christlichen Sozialethik selbstverständlich nicht nur für den Nationalstaat, sondern im globalen Kontext. Dies ist in den drei Entwicklungsenzykliken von Paul VI., Populorum progressio von 1967, Johannes Paul II., Sollicitudo rei socialis von 198753 und Benedikt XVI., Caritas in Veritate von 2009 unterstrichen worden. Dies ist nach dem Subsidiaritätsprinzip zunächst Aufgabe der einzelnen Länder selbst, dann der Gestaltung der Weltwirtschaftsordnung wie der Entwicklungszusammenarbeit. Die dazu erforderlichen Schritte können in diesem Kontext nicht umfassend erläutert werden. Es sei aber darauf verwiesen, dass eine internationale Börsenumsatz- und Devisentransaktionssteuer geeignet wäre, erhebliche Mittel zu mobilisieren. Obwohl die angezielten Doppeleffekte einer solchen Steuer, nämlich einmal die schnellen und hohen Schwankungen der Finanzmärkte, in dem man „Sand ins Getriebe“ streut, und ein hohes Mittelaufkommen für umwelt- und entwicklungspolitische Ziele in Konflikt geraten, wäre ihre Einführung sinnvoll. Es müssten sich daran aber alle wesentlichen Finanzplätze beteiligen.
III. Förderung des weltweiten Gemeinwohls Als die weltweite Finanzkrise und in deren Folge eine weltweite Wirtschaftskrise ausbrach, kam es – im Gegensatz zur Weltwirtschaftskrise von 1929 in der der Versuch einer weltweiten Wirtschaftskonferenz zur gemeinsamen Krisenbewältigung am Egoismus der einzelnen Staaten scheiterte – zu einem koordinierten und abgestimmten Handeln, der führenden Wirtschaftsnationen. Bei einem Zusammenbruch des weltweiten Finanzsystems hätte das Bruttosozialprodukt aller Länder dramatisch sinken können. Durch gemeinsames Handeln der G 20 konnte die Finanzkrise eingedämmt und der wirtschaftliche Einbruch relativ kurz gehalten werden. Auch konnten relativ lang blockierte Forderungen, z. B. Bekämpfung von Steueroasen in relativ kurzer Zeit durchgesetzt werden. Erforderlich ist, dass in Zukunft präventiv eine Kooperation von Staaten erfolgt, in der auf gegenseitige Schädigung verzichtet wird und das Handeln, vor allem großer Länder in weltwirtschaftlicher Verantwortlichkeit durchgeführt wird.54 53 Abgedruckt in: Bundesverband der KAB (Hrsg.) Texte zur Katholischen Soziallehre, 9. Aufl. Kevelaer 2007. 54 Vgl. Die deutsche Bischofskonferenz, Auf dem Weg aus der Krise, a. a. O., S. 27 f. und EKD, a. a. O., S. 16 f.
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Zu den hier bestehenden Problemen gehören die strukturell sehr hohen Leistungsbilanzüberschüsse von China, Japan, in etwas geringerem Ausmaß aber auch von Deutschland, und das gravierende Leistungsbilanzdefizit der USA. Durch geeignete wirtschaftspolitische Maßnahmen, z. B. einer Aufwertung der chinesischen Währung, Stärkung der Binnennachfrage, Verbesserung von Arbeitnehmerrechten, durch öffentliche Investitionen, verstärkte Sozialpolitik könnten hier Ungleichgewichte abgebaut werden. Die einzelnen Staaten müssen ihr Verhalten an den Erfordernissen des weltweiten Gemeinwohls ausrichten. Dabei haben die G 20 auch die Interessen der ärmeren Entwicklungsländer zu berücksichtigen.
IV. Finanzmärkte haben der Realwirtschaft zu dienen In den letzten Jahren hatten sich wichtige Akteure der Finanzmärkte (Investmentbanker, Hedgefondsmanager, Leiter von Private-Equity-Fonds) als Lenker der Gesamtwirtschaft, z. B. durch Kreditgewährung, Übernahme und Zerschlagung von Unternehmen, gesehen. Zwar haben Finanzmärkte eine Querschnittsfunktion in der Wirtschaft, weil sie den Zahlungsverkehr abwickeln, Risiken streuen, Kapital sammeln, die Kapitalverwendung kontrollieren etc. Aber andere Sektoren der Wirtschaft wie die Energieversorgung, Kommunikationstechniken, Verkehrsunternehmen etc. haben auch solche Querschnittsfunktionen, weil praktisch alle Wirtschaftszweige auf sie angewiesen sind. Trotzdem haben diese Wirtschaftszweige nicht versucht, eine Herrschaftsfunktion über andere Wirtschaftszweige anzustreben. Auch die Finanzwirtschaft ist wieder auf eine dienende Funktion zu beschränken.55 Dies ist deshalb der Fall, weil letztlich der Mensch nicht von Geld lebt, sondern in seinem Leben auf reale Güter (Nahrungsmittel) und Dienste (Krankenbehandlung, Pflege) angewiesen ist und Geld immer nur eine instrumentelle Funktion haben kann und soll, um solche realen Güter zu erwerben. Die Geldwirtschaft darf sich daher nicht verselbständigen und von solchen realen Bezügen lösen. Neue Geldgeschäfte, Finanzinnovationen etc. sollten daher jeweils nachweisen, was ihr konkreter Bezug zur realen Wirtschaft ist und wie sie die reale Wirtschaft fördern. Um es an einem Beispiel zu verdeutlichen: Aktien sind sinnvoll, um für große Unternehmen das notwendige Kapital durch eine Vielzahl von Anlegern aufzubringen. Die Anleger sollten sich für das Unternehmen und seine Geschäfte auch im Sinne einer nachhaltigen Geschäftspolitik interessieren und z. B. ihre Rechte, etwa in der Hauptversammlung wahrnehmen. Ein solcher Besitz sollte auf Dauer (z. B. durchschnittliche Haltedauer von 10 Jahren) angelegt sein. Börsen sind deshalb sinnvoll, weil die Zukunft unsicher ist und ein Anleger bzw. seine Erben nach einigen Jahren das Geld für andere Zwecke benötigen. Aber unter dieser Perspektive 55
Vgl. Kirchgässner, a. a. O., S. 458.
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dürfen im Laufe eines Jahres nur 10 % der Aktien eines Unternehmens an der Börse gehandelt werden. Tatsächlich wird heute bei großen Aktiengesellschaften ohne Großaktionäre häufig das Aktienkapital in einem Jahr zwei- bis dreimal umgeschlagen. Dies könnte man ändern, wenn z. B. eine Aktie den Nennwert von 5000 Euro erhält, Aktien als physische Stücke ausgegeben werden müssen, jeder Kauf und Verkauf in ein Aktionärsverzeichnis eingetragen werden muss und eine Umsatzsteuer in Höhe von 5 % erhoben wird. Die Belastung für einen Aktionär, der eine Aktie 10 Jahre oder länger hält, wäre gering, nicht hingegen bei kürzerer Haltefrist. Da mit einer solchen Änderung des Aktienrechts eine langfristig angelegte Geschäftspolitik gefördert würde, wie sie Unternehmen mit Großaktionären und Familienunternehmen vielfach betreiben, würden zwar die Finanzmärkte (Börsen und Banken) massiv beeinträchtigt, die reale Wirtschaft aber massiv gefördert. Damit würden viele Arbeitsplätze in der Finanzwirtschaft verloren gehen. Es wäre nicht mehr sinnvoll die besten Akademiker eines Landes (Mathematiker, Ingenieure) mit hohen Gehältern an die Finanzmärkte zu locken, sondern sie könnten in der Realwirtschaft z. B. Maschinen, Arzneimittel entwickeln.56 Für Volkswirtschaften wie Großbritannien stellt sich das Strukturproblem, ob die politisch geförderte Expansion des Londoner Finanzplatzes und der Niedergang und die Schrumpfung der britischen Industrie eine für das Land langfristig sinnvolle Strategie gewesen ist. V. Anfälligkeit des Menschen in Rechnung stellen Bei der Regulierung der Finanzmärkte ist in Rechnung zu stellen, dass Menschen für sachliche und moralische Irrtümer anfällig sind. Dies gilt zwar generell für vielfältiges menschliches Handeln, dass im Flugverkehr, bei Kraftwerken etc. immer umfangreiche technische Sicherungseinrichtungen installiert werden, umfangreiche Sicherheitsvorschriften existieren und Abläufe von mehreren Personen überwacht werden, damit nicht Fehler einzelner Personen verheerende Folgen auslösen können. Im Finanzmarkt gibt es aber zwei Aspekte, die in besonderer Weise nicht Vorkehrungen und Sicherungen rufen: Anders als in anderen Wirtschaftszweigen ist dort die moralische Anfälligkeit besonders hoch, weil hier besonders große Chancen der persönlichen Bereicherung bestehen. Viele andere Berufe haben keine oder kaum die Möglichkeit sich zu bereichern, vor allem nicht in einem so großen Ausmaß. Dies gilt zwar nicht für alle Beschäftigte in diesem Wirtschafszweig, aber für viele Mitarbeiter. Ein zweites Problem kommt hinzu: Da Finanzmärkte ein virtuelles Geschehen sind und fundamental auf Vertrauen angewiesen sind, nämlich des Sparers in seine 56
Vgl. Anderson, a. a. O., S. 48.
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Bank, der Banken und Finanzmarktakteure untereinander, droht hier ein Systemrisiko. Daher bedürfen Finanzmärkte solche Regulierungen, die diese Risiken eindämmen.
VI. Gesellschaftliche Grundfunktionen nicht von Kapitalmärkten abhängig machen In den letzten Jahren waren von interessierten Finanzmarktakteuren (Banken, Lebensversicherungen, Investmentfonds) auf die demographisch bedingten Finanzprobleme der umlagefinanzierten Sozialversicherungssysteme durch ihre massive Werbekampagnen eindrücklich hingewiesen worden. Auch aus der ökonomischen Wissenschaft gab es Stimmen, diese Systeme vollständig auf ein Kapitaldeckungsverfahren umzustellen. In der Wirtschafts- und Finanzkrise haben sich aber umlagefinanzierte Sicherungssysteme als stabiler erwiesen, während bei den kapitalgedeckten Systemen erhebliche Verluste aufgetreten sind. Diese Systeme konnten ihre Renditeversprechen nicht einhalten. Da also kapitalgedeckte Systeme erhebliche Risiken der Finanzmärkte aufweisen, erscheint es nicht sinnvoll, die Soziale Sicherung für breite Bevölkerungsgruppen allein oder überwiegend auf kapitalgedeckte Systeme zu stützen.57 Kapitalgedeckte Systeme sollten auf ergänzende bzw. zusätzliche Funktionen (vor allem für besser situierte Bevölkerungskreise, die Kapitalmarktrisiken besser tragen können) beschränkt bleiben.58
VII. Stärkung nicht gewinnorientierter Akteure im Finanzmarkt Alle Bevölkerungsgruppen in einem Land sollten Zugang zu Finanzdienstleistungen haben. Dies bedeutet, dass es allen Bevölkerungsgruppen möglich sein muss, ein Konto zu eröffnen, Sparguthaben anzulegen, Kleinkredite zu erhalten und über Geldanlagen beraten zu werden und für breite Bevölkerungskreise sinnvolle Finanzprodukte angeboten zu kommen. Neben Arbeitnehmern sind solche Funktionen auch wichtig für Selbständige und kleine Gewerbetreibende. In Deutschland haben Genossenschaftsbanken und Sparkassen diese Aufgaben übernommen.59 Sparkassen sind im kommunalen Eigentum und sollen so im ganzen Land diese Grundfunktionen wahrnehmen. Genossenschaftsbanken sind Banken, die im Eigentum ihrer Kunden liegen, und daher in der Geschäftspolitik ihrem Eigentümer besonders verpflichtet sind, was sie z. B. daran hindern sollte, auf Finanzmärkten unkundigen Personen Risikopapiere, die der Bank aber hohe Provisionen bieten, aufzudrängen. 57 58 59
Vgl. Dullien u. a., a. a. O., S. 171 ff. Vgl. Kirchgässner, a. a. O., S. 458 – 460. Vgl. Dullien, u. a., S. 218.
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In ihrer marktliberalen Ideologie hatte die EU-Kommission vor Ausbruch der Finanzkrise den deutschen Bankenmarkt, der dreigeteilt war, in Sparkassensektor, den Bereich der Genossenschaftsbanken und der privaten Banken, kritisiert und als wenig profitabel eingeordnet. Tatsächlich haben sich die beiden von der EU kritisch betrachten Bereiche des Genossenschafts- und des Sparkassensektors in der Krise als stabil erwiesen und die Kreditversorgung für kleinere und mittlere Unternehmen gewährleistet (Verhinderung einer Kreditklemme). In Entwicklungsländern, in denen die meisten Zahlungen noch bar abgewickelt werden bzw. sogar noch der Naturaltausch Bedeutung hat und Ersparnisse in Sachkapital (z. B. Vieh) gebildet werden, wäre es wichtig, z. B. Kleinbauern und Händlern Zugang zum Finanzmarkt zu eröffnen. Dabei können Mikrofinanzinstitute eine wichtige Rolle spielen. Mit Hilfe von den lokalen Verhältnissen angepassten Finanzinstituten können lokale Ersparnisse für den Wirtschaftskreislauf mobilisiert werden, indem sie nicht mehr in totes Kapital (z. B. Goldschmuck) investiert werden, und zugleich durch Kredite Investitionen zur Produktionssteigerung erst ermöglicht werden. VIII. Stärkere Haftung der Verantwortlichen In einer marktwirtschaftlichen Ordnung sollen diejenigen, die Freiheitsmöglichkeiten nutzen, um Gewinne zu erzielen auch für ihre Fehlentscheidungen haften. Die Verantwortlichkeiten gelten für Unternehmensleiter / Manager, für Mitglieder von Aufsichtsorganen (Aufsichts- und Verwaltungsräten) sowie die Eigenkapitalgeber. In der Finanzkrise wurde zwar eine Reihe von Managern entlassen. Vielfach erhielten diese hohe Abfindungen bzw. Pensionen. Auch die in den Jahren vorher verdienten hohen Boni mussten nicht zur Verlustabdeckung zurückgezahlt werden. Ebensowenig wurden Aufsichtsräte, die für ihre Tätigkeit erhebliche Vergütungen erhielten, zur Rechenschaft gezogen, die den Vorständen riskante Fusionen, Ausweitung des Geschäftsbetriebs usw. gestattet hatten. Bei der „Hypo-Real-Estate“, die bankrott war, deren Aktien völlig wertlos waren und die nur durch den Staat gerettet wurde, erhielten die Aktionäre sogar noch eine geringe Entschädigung zu Lasten des Steuerzahlers. Die deutschen Kapitalanleger, die statt bei der heimischen Sparkasse oder Volksbank ihr Geld anzulegen, zu isländischen Banken gegangen waren, erhielten ihr Geld mit Hilfe des deutschen Finanzministeriums zurück. Erforderlich ist daher, dass die Verantwortlichen tatsächlich persönlich zur Haftung herangezogen werden können.60 Dies kann z. B. dadurch geschehen, dass Bonuszahlungen für eine längere Frist von etwa fünf Jahren auf Sperrkonten einzuzahlen sind und dann erst freigegeben werden. Weiterhin ist eine erhebliche Eigenbeteiligung im Haftungsfall notwendig. Dies gilt auch für Aufsichtsratsmit60 Vgl. Otte, a. a. O., und Die deutschen Bischöfe, Auf dem Weg aus der Krise, a. a. O., S. 24 f.
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glieder. Aufsichtsratsmitglieder sollten überhaupt keine gewinnabhängige Vergütung erhalten. Ebenso sollte es auch für Kapitalanleger Selbstbehalte geben. Generell sind die Eigenkapitalanforderungen für Banken und andere Finanzmarktakteure deutlich anzuheben, zumal durch die staatlichen Rettungsaktionen der Gegenwart spekulatives Verhalten mit hohen Risiken noch attraktiver erscheint, weil keine Regierung eine größere Bank fallen lassen wird. Dies könnte die moralischen Versuchungen (moral hazard) noch weiter erhöhen. Durch eine Progression der vorgeschriebenen Eigenkapitalhöhe mit der Größe der Bilanzsumme können Risiken besser abgesichert und die Aktionäre zur Haftung herangezogen werden.61 Außerdem kann einer Oligopolbildung von großen Banken vorgebeugt werden und, vor allem für kleinere Länder wie Island oder der Schweiz, volkswirtschaftlich relevante Großrisiken durch ihren Bankensektor unterbunden werden. IX. Schutz schwächerer Marktteilnehmer Auf den Finanzmärkten ist z. T. bewusst eine Vielfalt und Intransparenz von Anlageformen geschaffen worden. Damit wird es vor allem wirtschaftlich Unkundigen Personen erschwert, einzelne Produkte zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Erforderlich ist im Sinne des Schutzes schwächerer Marktteilnehmer ein Finanz-TÜV, der erst eine Zulassung von Finanzprodukten für private Anleger ermöglicht. Neben der Produktkontrolle ist aber auch notwendig, dass viele Banken und Finanzdienstleister ihre Vertriebsformen überprüfen. Die Mitarbeiter wurden durch Prämiensysteme und Leistungskontrollen unter einen hohen Druck gesetzt, Investmentfonds und andere Produkte zu veräußern. Im internen Jargon sprach man von den „A und D“-Kunden (alt und doof), denen man für sie ungeeignete Produkte aufschwatzte. Es gibt Banken, die bewußt auf Prämiensysteme für ihre Mitarbeiter verzichten, damit die Mitarbeiter ihre Kunden in deren Interesse beraten. Wenn Banken und andere Vertriebsformen (Versicherungen) auf solche Prämienformen nicht verzichten wollen, könnten diese gesetzlich verpflichtet werden, vor jedem Beratungsgespräch dieses Anreizsystem offen zu legen.
X. Regulierung als Ermöglichung langfristiger Freiheit In den vorherigen Punkten sind eine Reihe von Kriterien aufgestellt worden, die in Richtung einer stärkeren Regulierung der Finanzmärkten zielen. Solche staatlichen Regulierungen haben aber immer nur eine begrenzte Reichweite, wenn es einen Wettlauf zwischen Regulierung und Umgehungsversuchen gibt. Regulierungen sind nicht nur dem Buchstaben nach, sondern dem Geist nach zu erfüllen.62 So 61 62
Vgl. Dullien u. a., a. a. O., S. 157. Vgl. Die deutschen Bischöfe, Auf dem Weg aus der Krise, a. a. O., S. 21.
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hat etwa der Versuch der britischen Regierung 2010 eine hohe Steuer auf Bonuszahlungen für Banker in London einzuführen oder der Versuch von Präsident Obama mit einer Steuer von den 50 größten Banken Mittel des staatlichen Rettungspakets zurückzugewinnen, sofort die Suche nach Umgehungsstrategien ausgelöst. Dies scheinen systematische Reflexe der Finanzmärkte zu sein, die Fragen, wie man staatliche Regelungen, alle als freiheitsfeindlich verstanden werden, unterlaufen oder ausweichen (ins Ausland) kann. Es ist hier ein neues Selbstverständnis der Branche notwendig, die staatliche Regulierungen als Ermöglichung langfristiger Freiheit zu verstehen hat.63 Indem Regulierungen Systemkrisen vorbeugen, stabilisieren sie die Finanzmärkte und die einzelnen Unternehmen. Auch die Finanzmarktakteure haben Verantwortung für die gesellschaftliche Akzeptanz einer marktwirtschaftlichen Ordnung, weil sie sonst die Basis ihrer Tätigkeit unterminieren. Schlussbemerkung Die Christliche Sozialethik plädiert daher angesichts der Wirtschafts- und Finanzkrise für eine gesellschaftlichen Diskurs über die Rolle der Wirtschaft, von ökonomischen Faktoren (Arbeit, Konsum, Einkommen, Vermögen) im individuellen Leben und gesellschaftlichen Zusammenleben. Sie ist der Auffassung, dass die oben geschilderten Überlegungen in einem solchen Diskurs mehrheitlich zustimmungsfähig wären. Sie könnten dann sowohl das individuelle Verhalten wie auch die gesellschaftlichen Institutionen bestimmen. Dabei ist auch eine Selbstbesinnung einzelner Kapitalanleger notwendig.
Summary This article analyzes the main causes of the financial and economic crisis from a Christian social ethical point of view which understands economy and society normatively. A difference is made between causes based on global economic policy, national economic policies, and the specific problems of the financial sector. A special emphasis is placed on the aspects of increasing income inequality, the misguided US social policy of promoting home ownership, and the introduction of funded pension schemes – all aspects that are hardly found in the public discussion. Subsequently, reform proposals, aiming at giving the global finance industry back its role as “servant” of real economy, are developed. In order to accomplish this, it is necessary to reduce economic inequalities within a country, as well as between different countries. Also, other finance institutions than those that are merely capital market-orientated must be strengthened (e.g. cooperatives, micro-finance institutions). 63 Vgl. dazu Nick Lin-Hi / Andreas Suchanek, Eine wirtschaftsethische Kommentierung der Finanzkrise, in: ForumWirtschaftsethik 17. Jg. Heft 1 / 2009, S. 20 – 27, bes. 25.
III. Spezielle Fragen der Wirtschaftsethik / Specific Issues in Business Ethics
Ethik im Legal Service Sektor Über Vertrauen, Versprechen und Verträge – Schlüsselfaktoren einer erfolgreichen Mandatsbeziehung Alexander Brink und Justin Sauter
I. Einleitung Ethische Aspekte werden in der stark juristisch geprägten Diskussion um das Berufsrecht1 bislang systematisch vernachlässigt (vgl. z. B. Busse 1998; Clemm 1991; von Westphalen 2003; Zahrnt 1993 und Zuck 2002). Vertrauen und Vertrauenswürdigkeit bilden jedoch die Basis für ein gesundes und funktionierendes Anwalt-Mandanten-Verhältnis, aber auch für eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz und Wertschätzung. Letztere ist durch eine zunehmend kritischere Öffentlichkeit und ein „angekratztes“ Anwalts-Bild gefährdet: „Das Image des Anwalts ist nicht das Beste. Zu viele gelten als raffgierig, als eitel, als machtbewusst; sie haben vor allem und allzu oft ihr eigenes Interesse im Visier, für den Mandanten aber, wenn es denn nicht ein lukratives Mandat ist, haben sie – das wird immer wieder beklagt – zu wenig Zeit.“ (von Westphalen 2003, S. 125)
Wir möchten in diesem Beitrag nicht moralisch-appellierend argumentieren oder uns an großen Ethik-Entwürfen wie etwa dem deontologischen Ansatz von Immanuel Kant oder der Diskursethik von Jürgen Habermas und Karl-Otto Apel abarbeiten. Hingegen werden wir zunächst den Gesetzen und Inhalten der Ökonomie folgen, genauer gesagt der Neuen Institutionenökonomik. Nach einer Heuristik, die dem Ökonomie-Nobelpreisträger Gary Becker zugeschrieben wird, wenden wir die „ökonomische Methode“ auf außerökonomische Wissenschaften an, hier auf die Rechtswissenschaft. Wir schließen damit auf zur ökonomischen Analyse des Rechts (law and economics), von der etwa Richard A. Posner spricht (vgl. Posner 2003; Coase 1960; Kirchgässner 1991, S. 126 ff.). Sodann werden wir vor dem Hintergrund der besonderen Rolle des Vertrauens in der Mandatsbeziehung zeigen, dass Ethik dem Eigeninteresse des Rechtsanwalts nicht unbedingt widersprechen muss. Wir werden zwei Thesen prüfen:
1 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO), Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO), Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) und die Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA).
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1. These: Es ist ökonomisch klug und zugleich ethisch wünschenswert, zur Stabilisierung von Vertrauen und Vertrauenswürdigkeit ethische Aspekte im Legal Service Sektor einzufordern und umzusetzen. 2. These: Ein Lawyers’ Professional Code of Ethics sollte nicht ausschließlich über Vorschriften und Gesetze definiert, sondern darüber hinaus im Rahmen einer freiwilligen individuellen Selbstverpflichtung ergänzt werden. Durch psychologische Verträge und Versprechen wird die Glaubwürdigkeit des Rechtsanwalts gestärkt. Im Ergebnis empfehlen wir dem Rechtsanwalt, sich über die bestehenden gesetzlichen Vorschriften hinaus einer freiwilligen individuellen Selbstverpflichtung zu unterwerfen. Die Ausführungen unserer Argumentation gliedern sich in die folgenden fünf Kapitel: Ausgehend von dieser Einleitung (I.) werden Merkmale sogenannter Legal Services und aktuelle Entwicklungen im anwaltlichen Berufsfeld sowie die damit einhergehenden Orientierungsprobleme skizziert (II.). Der Fokus des dritten Kapitels liegt auf dem Agenturverhältnis mit Blick auf das Rollenverständnis und das Zusammenwirken von Anwalt und Mandant (III.). Dabei wird nicht nur die „Überlegenheit“ des Professionals (Anwalt) gegenüber den Kunden (Mandanten) aufgezeigt, sondern es gilt auch, die Möglichkeiten des Mandanten zu beleuchten, diesem Problem der Macht- und Informationsasymmetrie entgegenzutreten. Intensiv wird die Rolle des Vertrauens in der Mandatsbeziehung betrachtet. Über die Bedeutung moralischer Werte, welche in dem Vertrauensmechanismus wirken, wird die Brücke zur Ethik und deren Bedeutung in der anwaltlichen Berufsausübung geschlagen. Auf dieser Grundlage fundieren wir unsere erste These. Schlussendlich liegt der Schwerpunkt im vierten Kapitel auf den Möglichkeiten einer freiwilligen Selbstverpflichtung im Bereich Legal Services (IV.). Behandelt werden die Fragen der Freiwilligkeit, der individuellen oder kollektiven Ausrichtung solcher Selbstverpflichtungen sowie deren praktische Ausgestaltung. Erkenntnisse aus der Analyse von Versprechen und der Forschung zu psychologischen Verträgen werden hierzu herangezogen. Die Ausführungen dieses Kapitels bilden die Basis für unsere zweite These. Eine kritische Würdigung schließt den Beitrag im fünften Kapitel ab (V.).
II. Legal Services zwischen Ökonomie und Ethik 1. Merkmale, Situation und Entwicklungen im Legal Service Bereich Legal Services sind anwaltliche Dienstleistungen, die den sogenannten Professional Services zugeordnet werden. Hierunter sind die vielfältigen Dienstleistungen von Unternehmensberatern, Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern und natürlich auch von Anwälten zu verstehen.2 Sie stellen brain-driven oder knowledge-inten-
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sive Services dar.3 Ein hohes Maß an Fachwissen, Erfahrung und intellektueller Kompetenz wird damit zur Voraussetzung für eine erfolgreiche Dienstleistung. In Abgrenzung zu ähnlichen Leistungen öffentlicher Institutionen haben sie einen erwerbswirtschaftlichen Charakter. Die Dienstleistungen selbst stellen Kontraktgüter dar, deren Charakteristika im Gegensatz zu Austauschgütern weder ex ante genau bestimmt noch ex post genau verifiziert werden können. Damit ist ein Kernproblem dieser Serviceart angesprochen. Da anwaltliche Dienstleistungen im Allgemeinen gleich zwei Dimensionen aufweisen, nämlich die Eigenschaften des Mandanten und die des Mandats, ist ihr Standardisierungsgrad tendenziell gering. Die mangelnde Bestimmtheit der Dienstleistung verweist auf fehlende Justiziabilität solcher Güter auf der einen Seite und auf die Bedeutung von Ethik für die Handlungsakteure auf der anderen Seite (vgl. Bartlett 1991; Beets 1991; Brecht 1991; Carnes / Keithley 1993; Carpenter 1994; Cooper / Frank / Heaston 1994; DePree / Jude 1993; Shiner 1994; Brooks 2004). Weiterhin verlangt die Komplexität vieler Sachverhalte eine intensive Interaktion bzw. Kommunikation mit dem Mandanten, auf dessen Seite i.d.R. ein nicht unbedeutender Problemdruck existiert. Schließlich erfolgt die Erstellung der Dienstleistung und der Konsum der vorzuhaltenden Kapazitäten gleichzeitig, was für den Erbringer permanent mit Problemen der Kapazitätsplanung und der Durchführungsorganisation verbunden ist. Allein aus diesen knapp skizzierten Merkmalen lässt sich eine hohe Problemintensität in der „Geschäftsbeziehung“ Anwalt / Mandant aus institutionenökonomischer Perspektive ausmachen. Problematischer wird dieses Phänomen noch dadurch, dass der Ruf von Professionals zunehmend in die Kritik gerät. Die wachsende Bereitschaft zur Selbstverpflichtung bei den Berufsträgern wie auch das Verlangen der Mandanten nach „Vertrauens-Garantie“ wird vor diesem Hintergrund nachvollziehbar: Je komplexer die Dienstleistung, umso geringer ist der Grad ihrer Bestimmtheit, umso höher ist die Unsicherheit und umso eher wird Qualität über Vertrauen und das Halten von Versprechen gekennzeichnet. Aber auch sonst ist einiges in Bewegung: Das traditionelle Berufsbild des Anwalts basiert auf seiner institutionellen Rolle im Rahmen des Rechtssystems bzw. des streitigen Verfahrens. „Each participant in the legal drama has a role to play, and it is the judge’s and or jury’s roll to cull the truth from the competing arguments.“ (Jones / Gautschi 1992, S. 394)
Der Anwalt ist daher verpflichtet, die Interessen seines Mandanten im Streit mit Nachdruck zu vertreten.4 Der anwaltliche Ethos findet seinen Ausdruck in der Be2 Vgl. Müller-Stewens / Drolshammer / Kriegmeier 1999; Maister 1997; Scherer / Alt 2002 und Kieser 2002. Der Verweis auf die Diskussion um Professional Services dient der Einführung und Darstellung des thematischen Zusammenhangs. Im Folgenden wird sich jedoch auf anwaltliche Dienstleistungen konzentriert. 3 Die folgenden Ausführungen orientieren sich an den Forschungsergebnissen aus den USA. Daher bitten wir die zahlreichen Anglizismen in diesem Beitrag zu entschuldigen. 4 Vgl. Lennertz 1991, S. 578 sowie Kipins 1991, S. 569, der von „zealous advocacy and confidentiality“ als den wesentlichen Pflichten des Anwalts spricht.
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rufsordnung. Das traditionelle Berufsbild bekommt jedoch eine überproportional wachsende Konkurrenz in Form der beratenden – insbesondere wirtschaftsberatenden – Serviceleistungen. Diese sind nicht nur auf die Vorbeugung und Vermeidung juristischer Auseinandersetzungen beschränkt, sondern sie reichen teilweise weit in die eingangs aufgeführten anderen Professional Services hinein wie zum Beispiel in die Managementberatung. Die wachsende Regelungsfülle auf nationaler und internationaler Ebene sowie ein steigender Umfang und eine zunehmende Komplexität internationaler wirtschaftlicher Transaktionen erweitern das Tätigkeitsfeld der Anwälte fortlaufend. Mehr denn je sieht sich die Anwaltschaft der Notwendigkeit ausgesetzt, unternehmerisch zu handeln, den Markt systematisch zu erschließen, Qualität glaubwürdig zu sichern sowie über ein wertegestütztes Vertrauensverhältnis von der Laufkundschaft weg zum Stamm-Mandanten zu gelangen. Insgesamt haben diese in stark verkürzter Form dargestellten Entwicklungen zu intensiven Orientierungsbemühungen in der Anwaltschaft und zu einer breiten Diskussion über Änderungen des Berufsrechts – z. B. in Fragen der Berufszulassung oder der Qualitätssicherung – und nicht zuletzt auch über die Ethik bzw. Anpassungen des Ethos des Berufstands geführt.
2. Moral und Ethik im Legal Service Sektor Um das Thema Ethik und Moral nunmehr im Rechtsanwaltskontext anwendbar zu machen, ist es bedeutsam, dass Moral (vom lat. Wort mos, pl. mores = die [guten] Sitten) die Gesamtheit der in einer sozialen Gemeinschaft geltenden Wertvorstellungen, Grundsätze und Normen sittlichen Handelns darstellt. Die moderne Ethik (vom griechischen Wort ethos = der Wohnsitz, Vorzüge des Charakters) hingegen kann man eher als Reflexionsdisziplin der Moral bezeichnen. Genauer ist darunter ein methodisch diszipliniertes Nachdenken mit dem Ziel der theoretischen Begründung moralischer Praxis zu verstehen. Die Ethik ist somit der Moral methodisch prinzipiell nachgelagert, da ohne Moral das Bezugsobjekt der Reflexion fehlt. In der gegenwärtigen Diskussion bezeichnet das Wort ethisch sowohl zur Ethik gehörig als auch sittlich (gut). Damit wird deutlich, dass Ethik sich nicht nur auf die Geltung von Normen (deskriptiver Aspekt) bezieht, sondern auch die Gültigkeit (normativer Aspekt) für sich beansprucht. Ähnlich kann auch das Wort moralisch im neutralen Sinne als zur Moral gehörig oder wertend als moralisch gut genutzt werden. Die berufliche Praxis eines Rechtsanwalts ist von einer Fülle moralischer Normen, die sich auf Entscheidungen, Urteile und Handlungen beziehen, beeinflusst – der Rechtsanwalt somit von einer kontinuierlichen kritisch-reflexiven Begleitung durch die Ethik abhängig. Ethik wird zu einem ständigen Begleiter im anwaltlichen Urteil und in der anwaltlichen Handlung. Der erwerbswirtschaftliche bzw. unternehmerische Charakter dieser Dienste lässt es dabei nur folgerichtig erscheinen, die Problemanalyse – wie oben bereits erwähnt – mittels eines vereinfachten öko-
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nomischen Modells vorzunehmen. Darauf aufbauend wird das „Terrain“ für Vertrauen und Ethik vorbereitet. Zur begrifflichen Einstimmung sei an dieser Stelle bereits ausgeführt, dass das, was sich zwischen Anwalt und Mandant abspielt, in der Sprache der Ökonomen als Transaktion, die Geschäftsbeziehung mit ihrer juristischen, fachlichen aber auch ethischen Facette schlicht als Agenturverhältnis bezeichnet wird. Im Übrigen handelt es sich hierbei um den Kern eines jeden arbeitsteiligen Wirtschaftsprozesses.
III. Problembereiche in der Anwalt-Mandanten-Beziehung 1. Die Stakeholder-Agency-Theory Sehr abstrakt kann man sich ein Unternehmen – und eine Kanzlei ist ein solches – als einen nexus of treaties vorstellen. Auch Jensen / Meckling sehen das Unternehmen als „nexus for a set of contractual relations among individuals“ (1976, S. 310). Die Agency-Theory beschreibt in diesem Sinne eine „relationship as a contract under which one or more persons (the principal[s]) engage another person (the agent) to perform some service on their behalf that involves delegating some decision making authority to the agent.“ (Jensen / Meckling 1976, S. 308)
Freeman / Evan verstehen aus einer ökonomisch-juristischen Perspektive das Unternehmen ähnlich „as a series of multilateral contracts among (all) stakeholders“ (1990, S. 354). Dabei wird das Standardmodell der Principal-Agent-Theory aus den Finanzwissenschaften zur sogenannten Stakeholder-Agency-Theory ausgeweitet. Manager sind demnach nicht mehr nur Agenten des Aktionärs, sondern „can be seen as the agents of (all) other stakeholders“ (Hill / Jones 1992, S. 134).5 Übertragen auf das vorliegende Untersuchungsobjekt wäre der Rechtsanwalt der Agent des Mandanten.6 Allerdings trägt er nicht allein eine Verantwortung gegenüber seinem Mandanten (obwohl dies wohl den wichtigsten Teil darstellt und von seiner institutionellen Rolle im Rechtssystem gefordert wird), sondern er hat auch eine Verantwortung im Rahmen des gesamten Stakeholdernetzwerkes, also gegenüber der Gesellschaft und seinen KollegInnen. An einem einfachen Beispiel illustriert, sollte – trotz der Verpflichtung gegenüber seinem Mandanten – auf stillose, persönliche und nicht mit dem eigentlichen „Rechtsstreit“ verbundene Attacken verzichtet werden. Auch im Streit ist ein kollegialer Ton beizubehalten.7 Clemm 5 Zur Entwicklung und den Ausprägungen der Neuen Institutionenökonomik vgl. Coase 1984; Alchian 1961, 1965 und Alchian / Demsetz 1972; Fama 1980; Fama / Jensen 1983; Jensen / Meckling 1976; Arrow 1985; Williamson 1985 sowie Furubotn / Richter 2005. 6 Dass der Anwalt als Organ der Rechtspflege einen weiteren Prinzipal hat, nämlich die Öffentlichkeit, welche ihn zusammen mit anderen Organen mit der Sicherung des Rechtssystems beauftragt, sei an dieser Stelle nur erwähnt. 7 Vgl. Lennerts 1991, S. 578: „limits of such responsibilities ( . . . ) require collegial considerations.“
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spricht ausdrücklich von einer Verantwortung bei fachlich hochqualifizierten Berufsarbeiten im Interesse der Mandanten, aber eventuell auch anderer Betroffener (vgl. Clemm 1991, S. 171). Warum dieser Ausflug in die Ökonomie? Ganz einfach: Der Anwalt ist gut beraten, wenn er neben seiner Rolle als Jurist (mindestens auch) die des Ökonomen einnimmt. Das Modell des eigennutzorientierten Akteurs (homo oeconomicus) kann auf ihn übertragen werden (vgl. Kirchgässner 1991; McKennzie / Tullock 1975). Und natürlich hat diese „Umorientierung“ Auswirkungen auf sein Verhalten (vgl. Maister 1997). Um dieses zu erfassen, bietet die ökonomische Analyse des Rechts ein treffliches Instrument. Sie ist in gewisser Weise abstrakt und neutral, muss also kein Blatt vor den Mund nehmen und kann sich über Befindlichkeiten hinwegsetzen, wie dies umgehend mit dem homo-oeconomicus-Modell unter Beweis gestellt wird. Demnach sind Menschen durchaus geneigt, unter Zuhilfenahme von List ihren eigenen Vorteil zu verfolgen, was häufig in Form von raffinierten Täuschungen, einer verzerrten Weitergabe von Informationen mit dem Ziel der Verschleierung, Verwirrung, Verzerrung etc. geschieht (vgl. Williamson 1985; Becker / Becker 1996; Becker 1996). Zugegeben, diese Formulierungen sind „hart“ und sollten unter dem Blickwinkel gesehen werden, dass Modelle keine „Weichspüler“ sind, sondern – bis hin zur Provokation – Mittel zur besseren Darstellung und Durchdringung von Zusammenhängen. Wir möchten deutlich machen, dass wir in dem homo-oeconomicus-Modell keineswegs eine normative Dimension sehen oder gar eine Art Menschenbild darunter fassen möchten (vgl. Brink / Eurich 2006). Auch sind wir uns bewusst, dass sich Menschen in der Realität nicht zwangsläufig konform zu diesem Modell verhalten (vgl. Simon 1957). Hingegen ist es ein Erklärungsmodell, eine Heuristik, die uns hilft, Argumente zur Stützung unserer beiden hier zugrundeliegenden Thesen zu generieren. Der homo-oeconomicus wurde in der Volkswirtschaftslehre auf Basis des methodologischen Individualismus entworfen und ist seither Basisbestandteil der neoklassischen Theorie. Das Individuum wird zur Einheit der Analyse (vgl. Kirchgässner 1991, S. 18). Ökonomen verwenden es, um bestimmte ökonomische Problemkonstellationen und Entscheidungsprozesse rekonstruieren und modellieren zu können. Genau dies möchten wir am Beispiel der Legal Services tun.
2. Informationsasymmetrien im Legal Service Bereich Chancen für den Agenten, mit List seinen eigenen Vorteil zu verfolgen, ergeben sich aus vielfältigen Informationsasymmetrien, welche im weiteren Untersuchungsverlauf zwar klassifiziert werden, jedoch vereinfachend so beschrieben werden können, dass von den in eine Transaktion eingebundenen Akteuren die einen etwas wissen, was sich den anderen aus vielerlei Gründen nicht erschließt. Schon vor der Transaktion, sprich Auftragserteilung, treten sogenannte hidden characteristics, die erste Kategorie von Informationsasymmetrien, auf. Der Man-
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dant, i.d.R. Laie und nur selten in Rechtsstreitigkeiten bzw. in Rechtsprobleme verwickelt, weiß bei einer ersten Auswahl eines Anwalts bzw. einer Kanzlei wenig über dessen bzw. deren Eigenschaften. Gerade vor dem Hintergrund fortschreitender Spezialisierung sieht er sich immer der Gefahr ausgesetzt, eine Auswahl zu treffen, welche für seine Angelegenheit nicht optimal ist (adverse selection). Daran lassen sich einige Informationsnachteile der Mandanten gut illustrieren. Entscheidet sich ein Mandant bspw. für eine Kanzlei, so weiß er i.d.R. wenig über die Fähigkeiten, Erfahrungen und Eigenschaften des ihn betreuenden Anwalts. Genauso wenig weiß er über Leveragestrukturen, geschäftspolitische Schwerpunkte, Kapazitätsauslastungsgrade u.ä. – Faktoren, die Einfluss auf die Bearbeitung seines Falles haben können. Die verbreitete Überzeugung „Clients hire lawyers, not law firms“ (Smith 2001, S. 29) gewinnt vor diesem Hintergrund weiter an Gewicht. Hat sich der Mandant entschieden und sein Mandat vergeben, existieren während der Bearbeitung weitere Informationsasymmetrien. Sie werden als hidden action bezeichnet und resultieren daraus, dass der Agent (hier der Anwalt) weder lückenlos beobachtet werden kann, noch aus den Ergebnissen Rückschlüsse auf sein Anstrengungsniveau gezogen werden können. Zunächst ist festzustellen, dass ein Großteil der Leistung des Anwalts i.d.R. räumlich getrennt vom Mandanten erbracht wird. Der Mandant hat keine Möglichkeit nachzuvollziehen, wann, wie lange, ob mit oder ohne Störungen (Telefonate etc.) bzw. ob sich „sein Anwalt“ überhaupt (siehe Leveragestrukturen) – so wie es sich der Mandant vorstellt – mit seinem Mandat beschäftigt. Aber auch ohne die räumliche Trennung haben Dienstleistungen mit dem Anspruch brain-driven und knowledge-intensive die Eigenschaft, dass sich der Prinzipal kaum ein Bild über die geistige Intensität oder Konzentration machen kann, mit der sich sein Anwalt mit den meist komplexen Auftragsinhalten auseinandersetzt. Gerade im Bereich beratender Tätigkeiten ist es weiterhin kaum möglich, das Ausmaß konzeptioneller und kreativer Arbeit nachzuvollziehen. Die dritte Kategorie von Asymmetrien sind sogenannte hidden information. Sie entstehen, wenn der Wissensvorsprung des Agenten zumeist in Form von Spezialkenntnissen und Expertenwissen erheblich ist. Diese Situation ist bei Legal Services sicherlich zutreffend.8 Die Qualität der anwaltlichen Tätigkeit ist für den Nichtjuristen i.d.R. kaum zu beurteilen. Schriftsätze, Argumentationen und Verfahrensabläufe sind für den Laien oftmals unverständlich, wobei Anwälten nicht gerade übertriebener Eifer nachgesagt werden kann, dem Mandanten die Dinge zu erschließen. Im Übrigen liegt dies auch daran, dass sich der Mandant häufig nicht weiter mit einer für ihn zumeist „leidvollen“ Sache beschäftigen möchte. Hidden information-Situationen können vielfach zur Verfolgung des eigenen Vorteils genutzt werden, sei es zur Rechtfertigung einer Terminverschiebung oder eines 8 Vgl. Kipins 1991, S. 573: „As a counsellor, a lawyer has a duty to educate the lay client as to the complexities of the client’s legal situation.“
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verlorenen Prozesses, zur Begründung eines zusätzlichen – und natürlich abrechenbaren – Rechercheaufwands (vgl. Heussen 1999, S. 108 f.). Welcher Mandant wird schon protestieren, wenn dies zur Beurteilung seines Falles als notwendig deklariert wird? Verbleibt noch auf die aus dem Wissens- und Informationsvorsprung entstehende erhebliche Mitwirkungsintensität hinzuweisen. Verstanden wird darunter der Einfluss des Anwalts auf den Entscheidungsfindungsprozess und damit auf die Entscheidung des Mandanten selbst. Was als Beratung deklariert wird, hat oftmals operativen Charakter. Diese „Verschiebungsmöglichkeiten“ von Entscheidung und Verantwortung sind allerdings nicht selten auch ganz im Sinne des Mandanten und stellen ein häufiges Motiv bei der Einschaltung des Professionals dar. Allgemein klingt es gut, aus anwaltlichem Munde zu hören, dass schließlich nur „gedient“ wird. Oft ist es viel mehr. Als letzte Informationsasymmetrie sind sogenannte hidden intentions, d. h. verborgene Absichten des Agenten zu betrachten. Die Basis für ihre Realisierung bilden insbesondere im Laufe der Auftragsbeziehung entstandene Abhängigkeiten. Sie sind ursächlich dafür, dass eigennütziges Verhalten des Agenten dem Prinzipal sogar offenbar werden kann, ohne dass dies Auswirkungen auf die Auftragsbeziehung hat. So ist der Anwalt nach der Mandatserteilung und Sachverhaltsermittlung i.d.R. nur noch schwer bzw. nur unter finanziellen Einbußen austauschbar. Ebenso sprechen häufig zeitliche Restriktionen dagegen. Ferner besteht auch die Möglichkeit, das entstandene mandantenspezifische Wissen zur Akquisition von Folgeaufträgen gerade im Bereich der beratenden Tätigkeiten zu nutzen. Hauptsächlich größere Sozietäten mit vielfältigen Spezialisierungen können von Quer-Akquisitionen über Folgeaufträge (Cross Selling) profitieren.9 Diese Ausführungen verdeutlichen, dass Mandanten sich sowohl bei der Auswahl als auch nach Mandatserteilung mit Verhaltensunsicherheiten konfrontiert sehen. Logischerweise schließt sich die Frage an, wie diese Unsicherheiten zu beseitigen bzw. zu vermindern sind. Die in Auswahlverfahren (screening) übliche Vorgehensweise der Aufstellung eines Kriterienkatalogs und des systematischen Anbietervergleichs funktioniert im Bereich der Legal Services nur bedingt. Der aphoristischen Redewendung „Wer weiß, was er will, kann prüfen, was er kriegt“ (Sauter 1998, S. 38) steht das Problem gegenüber, dass ein Mandant i.d.R. nur eine unvollkommene Kenntnis darüber besitzt, was bzw. wen er eigentlich benötigt. Er kennt zwar seinen Konflikt, meist auch noch das unmittelbar betroffene Rechtsproblem, alle weiteren Verbindungen und Auswirkungen sind ihm jedoch fremd (vgl. Heussen 1999, S. 82). Den passenden Anwalt auszuwählen ist somit nicht einfach. Selbst bei „routinierten“ Mandanten ist das unübersichtliche Feld der Anbieter nur mit einiger Branchenkenntnis zu überblicken. Auswahlverfahren (beauty contests) zwischen alternativen Anbietern bzw. Kanzleien bieten sich nur für eine geringe Anzahl sehr großer Mandate an. Ferner gehen die zur Verfügung gestellten Infor9 Zum sogenannten „Cross Selling“ vgl. Maister 1997, S. 337 f. und Baumert 2002, S. 20 ff.
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mationen zu individuellen und fachlichen Kompetenzen sowie zu persönlichen Eigenschaften zumeist nicht über die formalen Qualifikationen aus Lebensläufen, Fachbeiträgen etc. hinaus. Die Einschätzung der Stärken einer bestimmten Kanzlei bzw. eines Anwalts aus offiziell bereitgestellten Informationen (Kanzleibroschüre, Internetauftritt etc.) gestaltet sich daher äußerst schwierig. Verbleibt die Reputation, welche dem Mandanten Orientierung bieten kann. Aber auch sie ist mit Vorsicht zu genießen. Unter anderem ist die Reputation einer Kanzlei nur in wenigen Fällen dazu geeignet, Aufschlüsse über denjenigen zu gewinnen, der sich des Falles letztendlich annimmt. Jeder Anwalt kann die Reputation seiner Kanzlei für sich reklamieren, ohne auch nur den geringsten Beitrag dazu geleistet zu haben. Weiterhin sind die genauen Umstände der Reputationsentstehung i.d.R. unbekannt, bspw. können Nachahmungseffekte (Magnetwirkung bekannter Mandanten) oder Legitimationseffekte (i.S.: Wer hätte es besser machen können?) die gleiche Wirkung wie solide Qualität haben. Am ehesten sind persönliche Empfehlungen geeignet, aber auch hier bestehen bspw. durch die Individualität der Fälle Unsicherheiten. Wie bei den Informationsasymmetrien bereits aufgezeigt, ist auch das sogenannte monitoring, im ökonomischen Modell als die Überprüfung des Agenten durch den Auftraggeber bezeichnet, kaum möglich. Was die als letzte Möglichkeit aufzugreifende Ergebniskontrolle betrifft, so ist sie für den Mandanten im forensischen Bereich über den Ausgang des Verfahrens bzw. durch den „Test“ der gegnerischen Seite formal denkbar, im beratenden Bereich dagegen stellt sich – wenn überhaupt – die Bewährungsprobe meist zeitlich versetzt und unter dem Einfluss einer Vielzahl neuer Faktoren ein. Dem kritischen und eher vorsichtigen Mandanten bietet sich nach dieser ökonomischen Analyse ein entmutigendes Bild. Die kaum zu beseitigenden Informationsasymmetrien gekoppelt mit steigender Wettbewerbsintensität, einhergehend mit der Lockerung von Berufs- und Standesregeln z. B. im Bereich von Marketing und Werbung, lassen eher auf ein Ansteigen des Gefühls von Unsicherheit beim Mandanten schließen. Und dennoch, die Dienstleistung wächst und wächst – und zwar nicht nur da, wo es der Fall unvermeidbar macht, sondern gerade dort, wo der Mandant den Rechtsrat aus freien Stücken anstrebt. Es verbleibt daher zu fragen, wie denn Mandanten sich „tatsächlich“ entscheiden, wenn es um die Frage des „ob überhaupt“ und des Anwalts bzw. einer Kanzlei geht. Läuft es womöglich darauf hinaus, dass die gefühlsmäßige Überzeugung, dem Anwalt vertrauen zu können bzw. gut aufgehoben zu sein, weit ausschlaggebender ist, als dies die Akteure zugeben wollen? Das Ergebnis der oben aufgeführten Modellbetrachtung lässt ein eindeutiges „Ja“ zu. Und die Praxis? Sie ziert sich, die Entscheidung „aus dem Bauch heraus“ zuzugeben und – so könnte man meinen – ist froh, im Vertrauen einen Verbündeten zu finden, mit welchem Lücken im Agenturverhältnis geschlossen werden können. Es lohnt somit, dem Phänomen Vertrauen Aufmerksamkeit zu widmen.
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3. Die Bedeutung des Vertrauens im Legal Service Bereich Der Bedeutung des Vertrauens als Basis der anwaltlichen Berufsausübung wird in einer Vielzahl weiterer Literaturbeiträge Rechnung getragen (vgl. u. a. Maister 1997, S. 97 ff.; Müller-Stewens / Drolshammer / Kriegmeier 1999, S. 126; Scherer / Alt 2002, S. 304 ff.; Busse 1998, S. 232 f.; Prütting 1994, S. 318). Zwei wichtige Eigenschaften des Vertrauens sind vorzustellen, nämlich seine Fähigkeit, Risiken zu absorbieren und Verhaltensunsicherheiten abzubauen. Die Auseinandersetzung mit den Informationsasymmetrien hat gezeigt, dass sich der Mandant einer Vielzahl von Verhaltensrisiken ausgesetzt sieht und diese durch explizite Sicherungsmaßnahmen (screening, monitoring) kaum vermindern kann. In dieser Lage ist es einzig die Risikoabsorptionskraft des Vertrauens, welche den Mandanten dazu veranlasst, sich für die Einholung von Rechtsrat und damit für einen bestimmten Anwalt bzw. eine Kanzlei zu entscheiden. Er verinnerlicht das Risiko, indem er es bewusst akzeptiert (vgl. Ripperger 2003, S. 47). Das Ausmaß an Vertrauen entscheidet folglich darüber, an wen der Auftrag geht. Vertrauen ist somit ein konstitutives Element der Auftragsbeziehung – ein Wettbewerbsfaktor, ohne den es in vielen Fällen nicht zur Auftragsbeziehung kommen würde. Die Komplexität der Transaktion zwischen Mandant und Anwalt wird mit seiner Hilfe beherrschbar Vertrauen leistet damit generell einen wesentlichen Beitrag zur Funktionsfähigkeit der marktwirtschaftlichen Ordnung, welcher im Übrigen von weiteren Forschungsergebnissen bestätigt wird (vgl. Fukuyama 1995; Coleman 1994; Lahno 1995; Baier 1986; Güth / Kliemt 1994 und die empirischen Untersuchungen von Glaeser et al. 2000; Rousseau / Sitkin / Burt / Camerer 1998). Kleinster gemeinsamer Nenner aller Vertrauensdefinitionen ist die Überzeugung, dass der sogenannte Vertrauensgeber (der Vertrauende) eine riskante Vorleistung erbringen muss, um das Vertrauensverhältnis zu initiieren; hier der Mandant mit der Mandatsvergabe. Anders ausgedrückt, macht sich immer der Initiator eines Vertrauensverhältnisses in irgendeiner Form „verwundbar“. Dem Vertrauensnehmer (der Person, der vertraut wird) stehen zwei Optionen offen: Zum einen kann er sich den Nutzen aus der riskanten Vorleistung aneignen und damit das Vertrauen missbrauchen oder – zum anderen – mit der riskanten Vorleistung vertrauensvoll umgehen, um damit Anerkennung sowie einen Anspruch auf eine gleichwertige Gegenleistung zu erwerben. Wiederholt sich dieser Prozess, so entsteht eine positive Vertrauensspirale, von der beide Seiten profitieren. Der Anwalt profitiert von den positiven Folgen aus dem entstandenen Sozialkapital, bspw. in Form einer engeren Mandantenbindung, einer günstigeren Position bei der Akquisition von Folgeaufträgen, guter Referenzen etc., und der Mandant profitiert davon, dass der Anwalt diese Assets nicht aufs Spiel setzen wird, sondern eher über gute Leistung weiter ausbauen möchte. Die Vorteile sind sozusagen aneinander gekoppelt. Vertrauen initiiert diese Entwicklung und baut auf diese Weise Verhaltensunsicherheiten ab.
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Verbleibt die zentrale Frage, wie ein Mandant die Vertrauenswürdigkeit des Anwalts bzw. alternativer Anwälte in der jeweiligen Situation einschätzen kann. Hierbei werden neben Informationen über die situativen Umstände bei einer stark personenbezogenen Dienstleistung insbesondere bestimmte Werte, an denen sich die Handlungen des Anwalts orientieren, eine Rolle spielen. Diese Werte können aus verschiedenen Sphären stammen. So kann es sich um die Qualität als eher leistungsbezogenen Wert oder die Transparenz aus dem Bereich der Kommunikation handeln. Bei der Erklärung eines Verzichts auf opportunistisches Verhalten nehmen jedoch moralische Werte einen besonderen Stellenwert ein. Kann der Anwalt deutlich machen, dass er um der Ziele und Werte willen handelt, welche er mit dem Mandanten teilt, so stärkt dies seine Vertrauenswürdigkeit. Er handelt aus einer Haltung heraus, welche dem Mandanten gegenüber wohlwollend ist. Der Anwalt hat daher die Chance, mit Hilfe einer glaubwürdigen bzw. authentischen Selbstverpflichtung ein Versprechen auf die Einhaltung bestimmter moralischer Werte zu geben, sein Verhalten an diesen auszurichten und damit die Bildung personalen Vertrauens zu begünstigen. Die Beantwortung der Fragen, wie bzw. anhand welcher Anhaltspunkte ein Mandant die ethische Ausrichtung des Anwalts bzw. einer Kanzlei erkennen kann, was zur verstärkten ethischen Ausrichtung der Dienstleister zu unternehmen ist und wie derartige Bemühungen institutionalisiert und dem Mandanten signalisiert werden können, soll in den folgenden Ausführungen zu Art und Wirkungsweise sogenannter Ethik-Kodizes als Formen freiwilliger Selbstverpflichtung versucht werden. Zentrales Element ist hierbei die Wirkungsweise von Versprechen als psychologischen Verträgen. Es ist nicht unsere Intention, das bestehende Berufsrecht in Frage zu stellen, sondern das Recht als das ethische Minimum zu betrachten (vgl. von Westphalen 2003, S. 125). Aus Sicht des Anwalts unterstützen Jones und Gautschi diese Überzeugung: „the rules ( . . . ) force individual lawyers into modes of moral reasoning which may be below their potential“ (Jones / Gautschi 1992, S. 395). Mit einer freiwilligen Selbstverpflichtung soll über ein Minimalethos hinausgegangen werden. Damit wird etwas eingefordert, was die Ethik anwaltlichen Handelns erst auszeichnet, sie über das hinaushebt, was von Rechts wegen ohnehin geboten ist (vgl. von Westphalen 2003, S. 125). Ihr Nutzen als „Signal“ über die Vertrauenswürdigkeit eines Anwalts bzw. einer Kanzlei ist dabei kritisch zu bewerten und hängt sehr stark von einer sinnvollen und effektiven Implementierung ab, welcher wir uns im nächsten Kapitel zuwenden. Mit den oben gemachten Ausführungen konnten wir unsere eingangs genannte erste These untermauern: Es ist ökonomisch klug und zugleich ethisch wünschenswert, zur Stabilisierung von Vertrauen und Vertrauenswürdigkeit ethische Aspekte im Legal Service Sektor einzufordern und umzusetzen.
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IV. Zum Berufsethos des Rechtsanwalts: Die freiwillige Selbstverpflichtung zwischen Versprechen und Vertrag 1. Selbstverpflichtung für Rechtsanwälte: Regulierung versus Freiwilligkeit Rechtsanwälte weisen Merkmale auf, die den Anwaltsberuf zu einer Profession machen. Eines dieser Merkmale besteht darin, dass sie – ähnlich wie Ärzte (die im Übrigen einen Hippokratischen Eid ablegen) – ein Ethos ausbilden. Ein Ethos stellt nach dem heutigen Gebrauch des Wortes „die (charakterprägende) Gesinnung oder Grundhaltung von Personen“ (Ulrich 2001, S. 33) dar. Dies kann analog auf einen Berufsstand (Profession) übertragen werden. Teile des anwaltlichen Ethos sind rechtlich verankert. Man spricht in diesem Fall von Maßnahmen der sogenannten Institutionenethik – auch als Sozial-, Strukturen-, Ordnungs-, Anreizethik bezeichnet –, da hier durch entsprechende Gestaltung der Rahmenbedingungen (Regulierung) sowie Anreizstrukturen moralisches Handeln begünstigt werden soll (vgl. etwa Homann 1994; Homann / Blome-Drees 1992). Aufgeführt werden können bspw. die Gewissenhaftigkeit oder die Sachlichkeit und Verschwiegenheit. Unseres Erachtens – wenn wir zunächst einen eigennutzorientierten Rechtsanwalt unterstellen – wird es bei Missachtung solcher Wertorientierungen zu den o.g. Defektierungen kommen, die juristisch kaum zu verhindern sind: Die institutionenethische Variante greift also zu kurz, obwohl sie ja gerade das Trittbrett-Fahren verhindern und damit Gefangenen-Dilemma-Situationen vermeiden soll. So ist es nicht verwunderlich, dass diese Aufzählung auch schon als Pathoskatalog bezeichnet worden ist (vgl. Kleine-Cosack 1994, S. 2249 ff.). Einhergehend greifen auch die von der Institutionenökonomik für den Agenten vorgeschlagenen Möglichkeiten des Abbaus von Informationsasymmetrien (screening, monitoring) kaum. Daher ist zu untersuchen, ob moralische Normen im Legal Service Bereich neben gesetzlicher Regulierung und der institutionenethischen Bindung nicht auch in der Form individualethischer freiwilliger Selbstverpflichtungen (einem Versprechen, Handlungen an definierten Werten auszurichten) implementiert werden sollten. Hier muss man zunächst die Moralfähigkeit der Akteure von ihrer Moralbereitschaft unterscheiden. Bei professionalisierten Berufen ist von einer im Sinne von Lawrence Kohlberg eher hohen moralischen Urteilsfähigkeit und damit Moralfähigkeit auszugehen, d. h. die Fähigkeit, moralisch gute von weniger guten Handlungen unterscheiden zu können. Die Bereitschaft hingegen, sich tatsächlich gemäß seinem Urteil zu verhalten, könnte über einen freiwilligen Charakter der Anerkennung der Norm gestärkt werden (vgl. u. a. Kohlberg 1981, 1984; ähnlich argumentieren Jones / Gautschi 1992, S. 394 ff.). Anders ausgedrückt: Normen, denen man sich freiwillig unterwirft, stärken beim Individuum das Commitment und verhindern Trittbrettfahrer-Effekte.
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2. Versprechen als Grundlage für die freiwillige Selbstverpflichtung Deutlicher werden die Zusammenhänge, wenn man sich das Verhältnis von Vertrag und Versprechen anschaut. Es besteht ein breiter Konsens in der Gesellschaft, dass sich aus einem Versprechen kein Rechtsanspruch, sondern höchstens eine moralische Verpflichtung ableiten lässt. Zwar werden viele Bestandteile eines Vertrages zwischen Mandant und Anwalt explizit geregelt, einige Dinge lassen sich aber eben nicht explizit vereinbaren. Da in einem formalen Vertrag nicht alle Eventualitäten geregelt sein können, dienen psychologische Verträge in der Regel dazu, die Unbestimmtheitslücke und damit Unsicherheit zu reduzieren und Vertrauen zu stärken. Das grundlegende Problem der Implizität von Verträgen besteht gerade darin, dass man nicht genau definieren kann, was versprochen wurde. „The moralist of duty thus posits a general obligation to keep promises, of which the obligation of contract will be only a special case – that special case in which certain promises have attained legal as well as moral force. But since a contract is first of all a promise, the contract must be kept because a promise must be kept.“ (Fried 1981, S. 17)
Damit rückt nicht nur der implizite Vertrag in den Blick, sondern auch das gesprochene Wort in Form eines Versprechens (vgl. Fried 1981; Atiyah 1981; Kimel 2003). „The institution of promising is a way for me to bind myself to another so that the other may expect a future performance, and binding myself in this way is something that I may want to be able to do.“ (Fried 1981, S. 14; vgl. auch Searle 1964)
Seit den 1960er Jahren sind psychologische Verträge Gegenstand wissenschaftlicher Forschung. Denise M. Rousseau versteht unter einem psychologischen Vertrag die individuelle Überzeugung von einer wechselseitige Verpflichtung zwischen zwei Parteien (vgl. Rousseau 1995, S. 15). Ein psychologischer Vertrag ist eine Art Versprechen. Und an dieses sollte man sich gemäß dem Grundsatz pacta sunt servanda halten. Rousseau unterscheidet zwei Arten von psychologischen Verträgen: Zum einen gibt es solche, die sich aus einem extrinsisch motivierten ökonomischen Selbstinteresse ergeben wie z. B. Verträge über Vergütungen (transactional obligations). Hier kann zum Beispiel ein Mandant von seinem Anwalt erwarten, dass er eine adäquate Leistung erbringt und eine faire Rechnung stellt. Zum anderen basieren intrinsisch motivierte Verträge auf einer sozio-emotionalen Bindung wie z. B. Verträge über Erfolgschancen (relational obligations). Aber warum sollte sich der Anwalt an den Inhalt eines psychologischen Vertrages halten? Rousseau liefert eine Reihe von Gründen dafür (vgl. Rousseau 1995, S. 24 f.): Anwälte binden sich durch ihr Versprechen an ein persönlich formuliertes Ziel. Da sie nach Konsistenz von Einstellung und Verhalten streben und darin auch ihre individuelle Selbstachtung reflektieren, wird die Bindung verstärkt. Durch das Versprechen wird ferner die individuelle Vorstellungskraft inspiriert, die durch ihre handlungsleitende Wirkung positiv auf die Einlösung des Versprechens wirkt. Ver-
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trauensverlust sollte vermieden werden, Verlässlichkeit und Kontinuität hingegen sind nach außen zu demonstrieren. Das Einhalten von Versprechen selbst kann darüber hinaus zu einer sozialen Norm werden, die sozialen Druck erzeugt. Und schließlich geht es um den positiven Anreiz, den der Vertrag für beide Vertragspartner aufgrund seiner Freiwilligkeit erzeugt: Man hat sich autonom für das Versprechen und die damit verbundene Verpflichtung entschieden. Rousseaus theoretische Vorstellungen werden durch empirische Studien untermauert, in denen gezeigt wird, dass freiwillig eingegangene Commitments zu einer starken Bindung an das Versprechen führen (vgl. Latham / Saari 1979).
3. Individuelle und kollektive freiwillige Selbstverpflichtungen Eine freiwillige Selbstverpflichtung auf individualethischer Basis kann auf der Ebene des einzelnen Individuums bzw. Rechtsanwalts, aber auch auf kollektiver Ebene, d. h. der Kanzlei oder berufsständischer Einrichtungen, erfolgen. Auf der Ebene des einzelnen Individuums handelt es sich um eine kritische Reflexion der eigenen Tätigkeit, um einen Prozess der Selbstorientierung. Die sich dabei heraus kristallisierenden Werte werden anschließend in der eigenen Tätigkeit umgesetzt. Es besteht die Möglichkeit, sie dem Mandanten bspw. in Form eines Kodex explizit zu machen.10 Dazu ist zu ergänzen, dass mit Hilfe der philosophischen Sprechakttheorie nachgewiesen werden kann, dass die Explizität bzw. das zur Sprache bringen von Moral und das Kodifizieren von moralischen Werten immer schon ein Leistungsversprechen beinhaltet (vgl. Wieland 1999, S. 65 f.). Eine kollektive freiwillige moralische Selbstbindung bzw. -verpflichtung kann zunächst auf Kanzleiebene erfolgen. Dort können sich die Sozietäten auf die bereits in den Ausführungen zum Vertrauen erwähnten in einer Kanzlei „gelebten Werte“ bzw. anzustrebenden Werte festlegen. Für alle ersichtlich werden sie in einem Kodex zusammengefasst oder in das in vielen Fällen schon existierende Leitbild integriert. Die Vorgehensweise bei der Erstellung und Implementierung eines Kodex kann an dieser Stelle nicht in Einzelheiten erläutert werden.11 Es sei jedoch nicht verschwiegen, dass der Prozess aufwendig und mit zahlreichen zu lösenden Problemen verbunden ist. Ihre Lösung ist im Diskurs mit den betroffenen und interessierten Parteien zu erarbeiten. Die Fragen-Komplexe drehen sich insbesondere um Inhalt, Konkretisierung, Durchsetzung, Kommunikation und Anpassung. Natürlich kann ein Kodex auch kanzleiübergreifend formuliert werden, wobei sich organisatorisch betrachtet die Einrichtungen der Selbstverwaltung zur Federführung eignen würden. So könnte die Selbstverpflichtung auf der Ebene des Zum wert(e)orientierten Führungskräfte-Kodex vgl. Brink / Tiberius 2005, S. 26 ff. Vgl. u. a. die Ausführungen bei Brooks 1989; Benson 1989; Kaptein / Wempe 1998; Bowie 1984 sowie Paine 1994. 10 11
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Berufsstands (Profession) erfolgen. Ähnliches ist auch im Rahmen der privatrechtlich organisierten Vereinigungen von Rechtsanwälten denkbar. 4. Evaluation der Ausgestaltungsmöglichkeiten einer freiwilligen Selbstverpflichtung im Legal Service Bereich Nach den bisherigen Ausführungen ergibt sich folgendes Bild: Teile des anwaltlichen Ethos – Werte, Normen und Verhaltensstandards – sind rechtlich fixiert mit dem Nachteil der geringen Justiziabilität. Maßnahmen der sogenannten Institutionenethik, d. h. die Gestaltung von Rahmenbedingungen und Anreizstrukturen, scheinen nicht ausreichend zu sein. Zu einem ähnlichen Ergebnis – wenn auch ohne konkrete Konsequenz – kommt Prütting, für den weder das Gesetz noch die Richtlinien den Bereich anwaltlicher Ethik voll abdecken, sondern ein anwaltliches Ethos gerade auch ohne staatlichen Zwang zwingend notwendig und wichtig ist (vgl. Prütting 1994, S. 319 ff.).12 Eben dieses Ethos wird durch eine freiwillige individualethische Selbstverpflichtung gestärkt. Daher sind die institutionenethischen Aspekte um individualethisch basierte Maßnahmen der freiwilligen Selbstverpflichtung zu ergänzen, welche auf individueller und kollektiver Ebene (Kanzlei, Berufsstand / Profession) erfolgen können. Es schließt sich die Frage nach der Evaluation der genannten alternativen Selbstverpflichtungsmöglichkeiten an, welche an dieser Stelle nicht abschließend geklärt, aber doch einige Argumente des Für und Wider genannt werden sollen. Zunächst ist die freiwillige Selbstverpflichtung als Ergänzung zum Berufsrecht zu sehen. Innerhalb der Möglichkeiten zur freiwilligen Selbstverpflichtung ist die Priorität auf den individuellen Reflexionsprozess zu legen. Nur diese Art der bewussten Auseinandersetzung mit moralischen Aspekten kann dem Mandanten im stark personenbezogenen und interaktionsintensiven Beratungsprozess authentisch vermittelt bzw. versprochen werden. Ohne Authentizität kann keine vertrauensbildende Wirkung erreicht werden. Erinnert sei an dieser Stelle an die Aussage „Clients hire lawyers, not law firms“ (Smith 2001, S. 29). Was die kollektive Selbstbindung auf Kanzleiebene betrifft, so hat diese ihr Augenmerk auf die Begünstigung des individuellen Reflexionsprozesses zu richten. Ohne diesen Rückkoppelungsprozess bleibt jeder Kodex auf Kanzleiebene ein bloßes Lippenbekenntnis bzw. eine „Leerformel“. Werte mögen zwar kodifiziert sein, werden aber nicht „gelebt“, was dem Mandanten im direkten Umgang mit seinem Anwalt nicht verborgen bleiben wird. Genau diese Problematik, man könnte sie auch als „Distanzproblematik“ bezeichnen, potenziert sich im Rahmen einer kollektiven Selbstverpflichtung auf Berufsstandsebene (Profession). Zwangsläufig fällt der Einbezug der Berufsträger in die Kodexformulierung geringer aus und damit auch deren individuelle Auseinandersetzung mit der Thematik, was wiede12 Ähnlich setzt auch von Westphalen (2003, S. 126) nicht „auf die Karte einer zunehmenden Verrechtlichung“.
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rum eine geringere „Spürbarkeit“ für den Mandanten zur Folge hat. Anders ausgerückt kommt es zu einem „Reflexionsvakuum“ auf der Individualebene. Man wird daher vor dem Hintergrund der Vertrauensbildung eine freiwillige Selbstbindung oder ein Versprechen wohl am effektivsten auf der individuellen Ebene sowie der Kanzleiebene bewerkstelligen können und eine starke Verzahnung bzw. eine starke Rückkoppelung zwischen den beiden anstreben. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass dies eine Möglichkeit darstellt, sich vor dem Hintergrund der eingangs geschilderten steigenden Wettbewerbsintensität abzuheben, zu differenzieren. Die freiwillige Selbstverpflichtung kann also zum einen den Rechtsanwalt bzw. die Kanzlei positiv von den konkurrierenden Beratungsdienstleistern abheben, zum anderen könnte sich eine Art „Konkurrenz“ um die „beste“ Selbstbindung herausbilden. Eine kollektive Selbstbindung auf der Ebene des Berufsstands (Profession) (Kodex, Eid) verhindert dies. Die „Gleichheit“ aller verpflichteten Berufsträger kann dann erst wieder mit Hilfe eines Auditsystems über Erfüllungsgrade – anders ausgedrückt einer „Benotung“ – überwunden werden. Mit diesem Kapitel haben wir die zweite These gestützt: Ein Lawyers’ Professional Code of Ethics sollte nicht ausschließlich über Vorschriften und Gesetze definiert, sondern darüber hinaus im Rahmen einer freiwilligen individuellen Selbstverpflichtung ergänzt werden. Durch psychologische Verträge und Versprechen wird die Glaubwürdigkeit des Rechtsanwalts gestärkt.
V. Abschließende Bemerkungen Bewusst ist in diesem Beitrag ein etwas anderer Blickwinkel gewählt worden. Es sind daher im ersten Schritt die Gefährdungspotentiale „aufzuspüren“, denen jeder einzelne Akteur, aber auch das „Kollektiv“ (Kanzlei, Branche), ausgesetzt ist. Da es sich bei Anwälten um Wirtschaftsakteure handelt, ist hierzu die Neue Institutionenökonomik besonders geeignet: Informationsasymmetrien, opportunistisches Verhalten, Mitwirkungsintensität sind die Stichworte (vgl. hierzu Kapitel III). Nur wer seine „Schwachstellen“ kennt, kann etwas gegen sie unternehmen. Über das Vertrauen – und ohne solches würde kein Kooperationsprojekt funktionieren – befasst sich jeder Akteur und jede Institution mit Ethik und Moral. In Verbindung mit der „Professionalität“ lassen sich Geschäftsbeziehungen aufbauen und nachhaltig pflegen. Gänzlich „ethikunerfahren“ ist somit niemand. Eine intensive und systematische Auseinandersetzung mit dem Ethos der anwaltlichen Tätigkeit und seinen Implementierungsmöglichkeiten ist allerdings hilfreich. Wenn seine Inhalte auch zum großen Teil im Berufsrecht (institutionalethisch) verankert sind, zeigt sich die Notwendigkeit einer zusätzlichen Implementierung auf der Basis einer freiwilligen Selbstverpflichtung auf individueller und kollektiver Ebene – A Lawyers’ Professional Code of Ethics. Dieser stellt ein Versprechen dar, dessen Effektivität mit Hilfe der Ausführungen zu psychologischen Verträgen untermauert werden konnte. Ein Code of Ethics bietet die Chance, die Vertrau-
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enswürdigkeit bzw. das Vertrauen im Mandatsverhältnis ebenso wie das der Gesellschaft in den Berufsstand (Profession) zu fördern. Summary Ethical aspects have been systematically neglected in the juridical discussion surrounding legal professionalism. However, both trust and trustworthiness form the basis of a sound attorney-client relationship. Following the heuristics of Nobel Memorial Prize winner Gary Becker, we aim to make use of economics in the field of law, an idea first raised within the interdisciplinary field of law and economics by Richard A. Posner. The special role of trust within an attorney-client relationship supports our argument that ethics are not inevitably a contradiction to the self-interest of the legal professional. Within this context we raise two theses: (1) It is both economically clever and morally desirable to demand ethical aspects and their implementation in the legal sector, for the purpose of stabilizing trust and trustworthiness. (2) A lawyers’ professional code of ethics should not be defined exclusively by regulations, but be further complemented with a voluntary self-commitment. Psychological contracts and promises serve to strengthen a lawyer’s credibility. In our conclusion we recommend that lawyers undertake a voluntary and individual self-commitment which extends beyond the limits of legal compliance. Our argument is presented in five sections: Following the introduction (section I) we outline characteristics of legal services and current problematic developments (section II). Our focus lies on the agency relationship between lawyer and client. We display both the problematic superiority of the principal (lawyer) over the agent (client), as well as the client’s ability to challenge and actively confront this problem. Finally, we link our ideas with the lawyer’s perspective (section III). The main emphasis of this paper is to discuss self-commitment within legal services based on insights from research on psychological contracts and promises (section IV). We then close with a discussion of critical implications (section V).
Literatur Alchian, A. A. (1961): Some Economics of Property Rights, Santa Monica, CA: Rand Corporation. – (1965): „The Basis of Some Recent Advances in the Theory of Management of the Firm“, in: Journal of Industrial Economics, Vol. 14(1), S. 30 – 41. Alchian, A. A. / Demsetz, H. (1972): „Production, Information Costs, and Economic Organization“, in: The American Economic Review, Vol. 62(5), S. 777 – 795.
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Führungsverantwortung – zur Sinnhaftigkeit einer Personenfolgeneinschätzung Nikolaus Knoepffler und Reyk Albrecht I. Führungskrisen, Führungsskandale und die Frage der Führungsverantwortung Betrachtet man die Wirtschaftspresse, so scheinen zahlreiche Führungskräfte sowohl ihrer wirtschaftlichen als auch ihrer moralischen Verantwortung nicht (mehr) gerecht zu werden (z. B. Finanzkrise, die Entwicklungen in der Autoindustrie oder Abhörskandale) und dabei Grundprinzipien nachhaltigen unternehmerischen Wirtschaftens zu verletzen.1 Was genau ist jedoch Führungsverantwortung im Bereich der Wirtschaft und wie kann verantwortungsvolles Führungsverhalten in Unternehmen gefördert werden?
II. Verantwortungsdimensionen im Bereich des Führungshandelns Wer hat sich im wirtschaftlichen Bereich zu verantworten?2 Es sind letztlich alle, die an Handlungen oder Unterlassungen im Zusammenhang mit der Herstellung 1 Vgl. Knoepffler / Albrecht, „Entwurf einer Führungsethik – ein Weg zu einem nachhaltigen unternehmerischen Wirken“, in: Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis, 2009, 465 f. 2 Bei den Ausführungen zur Verantwortung folgen wir Ropohls Matrix verschiedener Verantwortungstypen (Ropohl, Ethik und Technikbewertung, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1996, 75 ff.; „Das Risiko im Prinzip Verantwortung“, in: Ethik und Sozialwissenschaften 1, 1994, 109 ff.; vgl. auch Ott, „Technikethik“, in: Nida-Rümelin [Hrsg.], Angewandte Ethik, Stuttgart: Kröner, 2005, 609 – 612 sowie Kunzmann, „Technikethik“, in: Knoepffler / Kunzmann / Pies / Siegetsleitner [Hrsg.], Einführung in die Angewandte Ethik, Alber, 2006, 253 – 258). Dabei beschränken wir die Betrachtung jedoch gerade nicht auf technikethische Fragen und nehmen Änderungen im Detail vor (vgl. hierzu auch Körtner, Freiheit und Verantwortung. Studien zur Grundlegung theologischer Ethik, Freiburg i. Ü. / Freiburg i. B.: Universitätsverlag / Herder, 2001 sowie Lenk, Konkrete Humanität. Vorlesungen über Verantwortung und Menschlichkeit, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1998). Ausführungen zur Bedeutung der Verantwortung im Bereich der Führung finden sich unter anderem auch bei Gardner, Responsibility at work: how leading professionals act (or don‘t act) responsibly, San Francisco: Jossey-Bass, 2007 oder Maak / Pless, Responsible leadership in business, New York: Routledge, 2006.
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und dem Vertrieb von Waren oder Dienstleistungen beteiligt sind, seien es Individuen, Unternehmen oder sogar Staatengemeinschaften. Dabei stehen Führungskräfte der Wirtschaft in einer besonderen Verantwortung, da ihre Entscheidungen große Hebelwirkung entfalten und weit in die Zukunft reichen können (z. B. Entscheidungen im Bereich Mergers and Acquisitions). Damit verbunden ist eine weitere Dimension der Verantwortung, das Wann. Verantwortung kann im Vorhinein zu einer Handlung bzw. Unterlassung, im Vollzug der Handlung und retrospektiv wahrgenommen werden. Sie kann zudem in einer Weise vollzogen werden – das Wie der Verantwortung –, in der der Einzelne und / oder die Gruppe bzw. die Gesellschaft als Akteure das Handeln bzw. Unterlassen direkt verursacht haben. Es kann aber auch sein, dass Handlungen oder Unterlassungen jemandem (teilweise) zugerechnet werden, der diese nicht selbst vollzogen hat. In bestimmten Fällen haftet sogar nicht die Person, die einen Schaden verursacht hat, sondern diejenige, der man den Schaden zurechnet. Es muss nicht einmal persönliche Schuld im Spiel sein. So haftet eine Führungskraft in vielen Fällen auch für das Fehlverhalten ihrer Mitarbeiter.3 Diese Überlegungen führen zum zweifachen Objekt der Verantwortung: dem Was und dem Wofür. Dabei bilden Handlung oder Unterlassung und das intendierte Produkt bzw. Resultat das Was der Verantwortung (Bsp. Wirksame, aber mit Nebenwirkungen behaftete Medikamente), die vorhersehbaren und unvorhersehbaren Folgen der Handlung, die über das intendierte Produkt bzw. Resultat hinausgehen, das Wofür (z. B. Toyotas funktionsuntüchtige Bremsen). Eine weitere Verantwortungsdimension wird durch die Fragen nach dem wovor bzw. dem, wem gegenüber Verantwortung zu realisieren ist, deutlich. Hier sind verschiedene Institutionen denkbar, z. B. Gerichte. Es kann sich jedoch auch um das persönliche Gewissen oder Dritte handeln, seien es einzelne Individuen oder Gruppen. Mit dem Weswegen wird die Frage angesprochen, welche Normen, Werte oder Gesetze die Verantwortung begründen und letztlich auch, wie Verantwortung zu konkretisieren ist. Verantwortung als vielstellige Relation lässt sich damit in folgender Weise verbildlichen: Siehe Schaubild nächste Seite
III. Führungsverantwortung als Werteverantwortung 1. Werte als Weswegen der Verantwortung Das Weswegen der Verantwortung von Führungskräften kann modern als Werte im Management verstanden werden. Werte kennzeichnen ganz allgemein Positives 3 Siehe z. B. Dietzfelbinger, „Aller Anfang ist leicht“, in: Unternehmens- und Wirtschaftsethik für die Praxis, München: Utz, 2002, 111.
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und Erwünschtes.4 Dies können die bei Rokeach5 als terminale Werte bezeichneten Zustände Frieden oder Nationale Sicherheit sein. Für den hier betrachteten Bereich der Führungsverantwortung erscheint es jedoch sinnvoll, stärker zu fokussieren. Werte charakterisieren dabei zum einen allgemein anerkannte positive Persönlichkeitsmerkmale und Verhaltensweisen und zum anderen auch Merkmale, die für eine Gesellschaft als grundlegend angesehen werden.6 Das Verhältnis der beiden 4 Siehe z. B. Wunderer, Führung und Zusammenarbeit, München / Neuwied: Luchterhand, 2003, 177 ff. 5 Weiterführend siehe Rokeach, The nature of human values, New York: John Wiley, 1973. 6 Damit sollen an dieser Stelle nicht materielle Werte, wie z. B. Grundbesitz, betrachtet werden. Anders als bei Baumgartner („Wertetheorie“, in: Prechtl / Burkard (Hrsg.), Metzler Philosophie Lexikon, Stuttgart / Weimar: J.B. Metzler, 1999, 658) sollen Werte nicht lediglich als etwas verstanden werden, dessen es „ermangelt“, und anders als bei Homann (Die Interdependenz von Zielen und Mitteln, Tübingen: Mohr, 1980, 251) müssen Werte nicht primär als „Arsenal von Beurteilungsgesichtspunkten“ verstanden werden. Zu den hier betrachteten
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Wertedimensionen kann wie folgt beschrieben werden: Durch die Orientierung an zentralen personenbezogenen Werten sowohl in der eigenen Person als auch durch die Forderung und Förderung von Mitarbeitern folgt eine Führungskraft gleichzeitig ihrer Verantwortung in Bezug auf die zentralen gesellschaftlichen Werte Menschenwürde, Menschenrechte, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit.7 Werte können dabei als Wegmarken für ein lebensdienliches Verhalten angesehen werden. In Bezug auf das Handeln im Rahmen der Wirtschaft geht es konkret um die dreifache Verantwortung für ein nachhaltiges Wirtschaften, nämlich in ökologischer, sozialer und ökonomischer Hinsicht.8 Dabei ist die ökonomische Dimension der Nachhaltigkeit wesentlicher Teil ethischer Verantwortung und gehört konstitutiv zur ethischen Bewertung einer Führungskraft. Ohne ökonomische Nachhaltigkeit verschwindet das Unternehmen über kurz oder lang vom Markt und damit verlieren nicht nur Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz, sondern es verschwinden auch Errungenschaften im Bereich Umwelt und Menschenrechte.
2. Systematisierung konkreter Werte im Management Konkrete Werte im Management lassen sich in moralische und nicht moralische Werte unterscheiden. Die nicht moralischen Werte können in Leistungs-, Kommunikations- und Kooperationswerte unterteilt werden.9 Diese sind nicht mit wichtigen Gütern wie verfügbaren Ressourcen, einem guten Unternehmensumfeld oder Gesundheit zu verwechseln. Gleichzeitig ist zu beachten, dass das Herz dieses Wertevierecks der grundlegende Wertekomplex von Menschenwürde, Menschenrechten sowie Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit ist. Die allgemeine Verantwortung der Führungskräfte eines Unternehmens in Bezug auf die Grundwerte kann wie folgt umrissen werden: Sie stellen eine Umweltpolitik, ein Umweltmanagement und eine Umweltperformance sicher, die der Verantwortung für Nachhaltigkeit und kommende Generationen gerecht wird. Die gesamte Führung trägt gleichzeitig Verantwortung für den ökonomischen Erfolg des Unternehmens. Im Bereich sozialer Nachhaltigkeit werden Menschenwürde, Menschenrechte und Gerechtigkeit geachtet. So sorgt die Unternehmensführung für eine umfassende Menschenrechtspolitik. Diese basiert auf einem Managementsystem, das z. B. die Chancengleichheit der Mitarbeiter mittels Fähigkeitsprofilen, Bemühungen zur Personal- und Führungskräfteentwicklung, aber auch durch ErWerten zählen dabei aber durchaus so genannte Tugenden (siehe hier auch Russi, Über Werte und Tugenden, Weimar: Bertuch, 2009, 72 f.). 7 Vgl. auch Knoepffler, Angewandte Ethik, Ein systematischer Leitfaden, Köln: Böhlau (UTB), 2010, 65 ff. 8 Vgl. auch Detzer / Dietzfelbinger / Gruber / Uhl / Wittmann, Nachhaltig Wirtschaften – Expertenwissen für umweltbewusste Führungskräfte in Wirtschaft und Politik. Daten – Argumente – Fakten, Augsburg: Kognos, 1999. 9 Vgl. Wieland, Die Ethik des Governance, Marburg: Metropolis, 2005, 93 f.
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stellung von Bedarfsanalysen in angemessener Weise fördert und Mitarbeiter fair entlohnt. Damit ergibt sich die weiterführende Frage, welche konkreten personenbezogenen Werte nötig sind, damit verantwortungsvolles Management gelingen kann. Modellhaft lassen sich zentrale Werte10 im Hinblick auf die Führungsverantwortung im dargestellten Werteviereck systematisieren:11
10 Siehe z. B. Brink / Tiberius, Ethisches Management – Grundlagen eines wert(e)orientierten Führungskräfte-Kodex, Bern / Stuttgart / Wien: Haupt Verlag, 2005; Khurana / Nohria, It‘s Time to Make Management a True Profession: Harvard Business Review, 2008, 219 ff.; Lennick / Kiel, Moral intelligence: enhancing business performance and leadership success, Upper Saddle River, N.J.: Wharton School Pub., 2005, 79 ff. 11 Hier führen wir die Überlegungen von Wieland (Fn. 9) unter Zuhilfenahme von Detzer, Von den Zehn Geboten zu Verhaltenskodizes für Manager und Ingenieure. Was sagen uns ethische Prinzipien, Leitsätze und Normen?, Düsseldorf: VDI-Report 11, 1992, 12 weiter. Andere Systematisierungen von Werten finden sich unter anderem bei Rokeach (Fn. 5).
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Einige Werte können verschiedenen Bereichen zugeordnet werden. So ist der Kooperationswert „Zuverlässigkeit“ eng mit dem moralischen Wert „Vertragstreue“ verbunden und besitzt eine moralische Komponente. Umgekehrt ist die Ehrlichkeit ein wichtiger Kommunikations- und Kooperationswert. Die dargestellte Auswahl zentraler Werte ist für den jeweiligen Anwendungskontext zu ergänzen und zu konkretisieren. Wie kann ein durch das Werteviereck näher beschriebenes verantwortungsvolles Führungsverhalten im Unternehmen gefördert werden?
IV. Personenfolgeneinschätzung als neuer Weg zu mehr Führungsverantwortung? 1. Der klassische Lösungsvorschlag: Belohnung und Strafe Führungskräfte bewegen sich in einem spannungs- und risikoreichen Umfeld. Sie sind dabei in mehrfacher Weise gefährdet, ihrer ethischen Verantwortung nicht gerecht zu werden und die genannten Werte zu verletzen.12 Folgende Grafik fasst die Herausforderungen zusammen:
spontanes, spannungs- und risikoreiches Umfeld; Organisations- und Ergebnisdruck; hohe Arbeitslast und Verantwortung; persönliche Belastungen; besondere Beobachtung
Klassisch löst man das Problem der Durchsetzung von Regeln durch Belohnung und Strafe.13 Zur Sicherung verantwortungsvollen Führungsverhaltens könnten Methoden dieser Art eingesetzt werden. Das umgangssprachlich mit „Zuckerbrot 12 Siehe z. B. Kets de Vries, Führer, Narren und Hochstapler: Die Psychologie der Führung, Stuttgart: Schäffer-Pöschel, 2008 und Kets de Vries, Leben und Sterben im Business, Düsseldorf: ECON, 1996. 13 Vgl. hierzu auch Becker, The economic approach to human behavior, Chicago: The University of Chicago Press, 1990, 46 ff.; French / Raven, „The bases of social power“, in: Cartwright (Hrsg.), Studies in social power, Ann Arbor (MI): University of Michigan Press, 1959.
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und Peitsche“ umschriebene Modell ist jedoch unter den Bedingungen des sozialen und ökonomischen Wandels nicht mehr in der lange geübten Form tragfähig.14 Ein wichtiger Effekt sowohl der technischen Beschleunigung als auch der Beschleunigung des Lebenstempos15 ist, dass mehr und mehr einfache Arbeiten durch Maschinen ausgeführt werden und dass die dadurch frei werdenden Mitarbeiter die komplexeren Aufgaben, z. B. die Instandhaltung dieser Maschinen, übernehmen oder, wenn sie dazu nicht fähig sind, versetzt oder entlassen werden.16 Zur gleichen Zeit führen Beschleunigungen sowie das exponentiell wachsende Wissen17 und der mit ihr verbundene Rationalisierungsdruck zu einer sich ständig ausweitenden Arbeitsteilung und zu einer hoch interdependenten Arbeits- und Lebenswelt. Die Einschätzung der individuellen (Fehl)Leistung wird dabei zunehmend schwieriger (z. B. Bewertung der Zuverlässigkeit). Dies gilt insbesondere für Handlungen oder Unterlassungen im Zusammenhang mit den dargestellten Werten. Hinzu kommt die Schwierigkeit in Bezug auf die Festlegung objektiver Leistungsmaße, welche einem Belohnungs- oder Bestrafungssystem zugrunde gelegt werden könnten.18 Ein System, welches ausschließlich auf Belohnung und Bestrafung basiert, wird unter diesen Voraussetzungen entweder sehr teuer oder unwirksam, da angenommen werden muss, dass die Kosten, welche für die Verhütung eines regelwidrigen Verhaltens aufgewendet werden müssen, mit den notwendigerweise wachsenden Kontrollaktivitäten nicht nur linear sondern sogar exponentiell wachsen würden.19 Daraus darf nicht geschlussfolgert werden, dass alle Mitarbeiter, die Führungskräfte eingeschlossen, zwangsläufig Regeln übertreten oder Werte missachten. Es bedeutet jedoch, dass die, die es nicht tun, es auch ohne das Belohnungs- und Strafsystem nicht getan hätten. Mit anderen Worten, diese Instrumente sind oder werden ineffizient. Will man also die gerade entwickelten Regeln eines nachhaltigen und von Werten geprägten Wirtschaftens durchsetzen, muss man, sowohl was das Verhalten von Siehe auch Knoepffler / Albrecht (Fn. 1), 472 f. Vgl. Rosa, Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2005. 16 Dies ist natürlich eine vereinfachte Darstellung des Prozesses. Manche händisch ausgeführten Aufgaben, welche noch nicht von Maschinen übernommen werden können oder sollen, werden auch in Länder mit niedrigen Arbeitskosten verlagert. 17 Vgl. Rosa (Fn. 15) oder siehe bereits Bell, The Coming of Post-Industrial Society. A Venture in Social Forecasting., New York: Basic Books, 1973; Drucker, The Age of Discontinuity. Guidelines to Our Changing Society, New York: Harper & Row, 1969; Lane, „The decline of politics and ideology in a knowledgeable society“, in: American Sociological Review, 1966. 18 Siehe auch Schuler, „Funktionen und Formen der Leistungsbeurteilung“, in: Schuler / Sonntag (Hrsg.), Handbuch der Arbeits- und Organisationspsychologie, Göttingen et al.: Hogrefe, 2007, 534 ff. 19 Vgl. auch Knoepffler / Albrecht (Fn. 1). 14 15
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Führungskräften als auch was das Verhalten der Mitarbeitenden angeht, diese Schwierigkeit bei der Durchsetzung in Rechnung stellen. Das Problem stellt sich für die Führungskraft sozusagen in beide Richtungen: Einerseits gibt es für sie selbst Anreize, Regeln und Werte zu verletzen, um des kurzfristigen Erfolgs willen, aber auch aus gewisser Bequemlichkeit heraus. Andererseits steht sie vor der Herausforderung, ethische Regeln bei den eigenen Mitarbeitern zu implementieren, da diese durch die geschilderten Rahmenbedingungen ebenfalls Anreize haben können, um kurzfristiger Vorteile willen, Regeln zu brechen. Es sei nicht nur auf das klassische Beispiel verwiesen, Bestechungsgelder anzunehmen, die dem Mitarbeiter Gewinn bringen, aber das Unternehmen schädigen,20 es geht auch um kleinere Verletzungen wie Ressourcenvergeudung am Arbeitsplatz oder Abzweigen von Büromaterial für den privaten Bedarf. Ein Bild aus der Sportwelt verdeutlicht die sich im Zuge des sozialen und ökonomischen Wandels verschärfenden Probleme. Im Streben nach fairem sportlichem Wettkampf können Regeln gegen Doping sorgfältig definiert werden und die Strafen für einen Bruch der Regeln können hoch sein. Doch ist eine wirksame Überprüfung der Regeltreue wesentlich. Sonst ist der Anreiz für deren Einhaltung so niedrig wie die Gefahr überführt zu werden.21 Neuberger22 trifft den Kern der Problematik: „Je komplexer und intransparenter die Verhältnisse werden, je verteilter und personalisierter das Wissen ist, je schneller auf neue Technologien und Marktchancen reagiert werden muss, desto mehr versagen hierarchisch-zentralistische Steuerungsmodelle.“
2. Eine bessere Alternative: Personenfolgeneinschätzung (PFE) Ein alternativer Weg der Implementation bzw. Sicherung der Grundwerte und der beschriebenen personenbezogenen Werte des Wertevierecks besteht darin, Mitarbeiter und Führungskräfte auf das Risiko hin einzuschätzen, eben diese Werte zu verletzen. In einer gewissen Analogie zur Technikfolgenabschätzung kann dabei von einer Personenfolgeneinschätzung (PFE) gesprochen werden.23
20 Weiterführende Ausführungen hierzu u. a. bei Dölling, Handbuch der Korruptionsprävention, München: C.H. Beck, 2007; Pies, „Korruption: Eine ökonomische Analyse mit einem Ausblick auf die Wirtschafts- und Unternehmensethik“, in: Arnold (Hrsg.), Wirtschaftsethische Perspektiven, Berlin: Duncker & Humblot, 2002; Sen, „Moral Codes and economic success“, in: Brittan (Hrsg.), Market Capitalism and Moral Values, Aldershot: Edward Elgar, 1993. 21 Vgl. Albrecht, Doping und Wettbewerb: eine ethische Reflexion, Freiburg u. a.: Alber, 2008, 243 ff. 22 Siehe Neuberger, Führen und führen lassen: Ansätze, Ergebnisse und Kritik der Führungsforschung, Stuttgart: Lucius & Lucius, 2002, 142. 23 Vgl. hierzu auch Knoepffler (Fn. 7).
Fu¨hrungsverantwortung – zur Sinnhaftigkeit einer Personenfolgeneinscha¨tzung
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Der dahinter liegende Grundgedanke könnte lauten: Wenn es nicht (mehr) möglich ist, Mitarbeiter bzw. Führungskräfte durch äußeren Druck oder Anreize zu erwünschtem Verhalten zu bewegen, ist es für ein Unternehmen entscheidend, die Personen zu finden, die die erwünschten Werte aus eigenem Antrieb verfolgen. In der Unternehmenspraxis existieren verschiedenste Konzepte, um Personen einzuschätzen.24 In der Regel werden Qualifikation, bisherige Leistungsperformance oder das Entwicklungspotenzial untersucht und in einer eher allgemein gehaltenen Stärken- und Schwächenanalyse die Eignung für bestimmte Stellen oder die Ausrichtung auf eine fachliche oder dispositive Führungskarriere konstatiert. Spezifische dispositionelle Risikofaktoren in der Persönlichkeit, die für das Führungshandeln problematisch werden könnten, werden nicht explizit diagnostiziert. Diese Lücke soll die PFE schließen, indem sie: das Risiko- und Gefährdungspotenzial einer Person und auch ihre Entwicklungsmöglichkeiten analysiert, unmittelbare und mittelbare soziale, ökologische und ökonomische Folgen einschätzt, die sich aus Entscheidungen dieser Person aufgrund ihrer Persönlichkeitszüge, ihres Wertegerüsts und ihrer Fähigkeiten und Schwächen ergeben haben oder ergeben könnten, auf der Basis des zugrunde gelegten Werte- und Normfundaments diese Folgen beurteilt oder auch weitere wünschenswerte Entwicklungen der Person fördert, Maßnahmen für solche Entwicklungsschritte aufzeigt.
Ein sinnvolles Analyseverfahren untersucht das Gefährdungspotential von Führungskräften in folgender Weise:25 biographische Interviews, um objektive Fakten zu ermitteln; critical incident interview, um das Verhalten in Erfolgs- und Misserfolgssituationen auf dessen Ursachen hin herauszuarbeiten; vertiefendes Persönlichkeitsinterview, um gezielt bestimmte Aspekte aus Leben und Umfeld in die Bewertung einzubeziehen sowie ein psychometrisches Verfahren, das mit Hilfe von Fragen darauf abzielt, Motivation und Sinn in der Arbeit, bio-psycho-soziale Belastung, stressfördernde Einstellungen, stressfördernde Verhaltensmuster, Salutogenese und somatoforme Störungen zu erkennen.
24 Siehe auch Schuler (Fn. 18); Höft, „Assessment Center“, in: Schuler / Sonntag (Hrsg.), Handbuch der Arbeits- und Organisationspsychologie, Göttingen et al.: Hogrefe, 2007; Wunderer (Fn. 4) 325 ff.; Neuberger (Fn. 22) 257 ff. 25 Wir machen hier Anleihen bei der Methodik wie sie die Beratungsfirma IEXRIM einsetzt (bei www.iexrim.de eingesehen am 30.März 2010).
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Aus den Analyseergebnissen wird ein vertrauliches Gutachten erstellt und im Rahmen eines Feedbackgesprächs erläutert. Der Führungskraft werden besondere Lernfelder aufgezeigt und Handlungsempfehlungen gegeben. Diese erstrecken sich von Weiterbildungsmaßnahmen und Training über Coaching bis hin zur Übertragung von Projekten und zu (Förder)Versetzungen. Optional erfolgt nach einer vereinbarten Zeit ein Follow-up-Gespräch, in dem die Lernfortschritte evaluiert werden. 3. Identifizierung von Risikofaktoren Bei der Identifikation wesentlicher Risikofaktoren, aufgrund derer Führungskräfte und Mitarbeiter gegen Regeln verstoßen oder Werte nicht leben, gibt es bereits eine lange Tradition. Diese reicht von benediktinischen Regeln zur Auswahl eines Abtes (Kapitel 64) bis hin zur Existenzanalyse26 und psychoanalytischen Erkenntnissen. Als wesentliche Risikofaktoren werden angesehen: Angst (Gegenpol: Souveränität) Aufgeregtheit (Gegenpol: Ausgeglichenheit) 26 Vgl. Frankl, Logotheraphie und Existenzanalyse: Texte aus sechs Jahrzehnten, Berlin et al.: Quintessenz, 1994.
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Maßlosigkeit (Gegenpol: Augenmaß) Engstirnigkeit (Gegenpol: Offenheit) Eifersucht / Neid (Gegenpol: Gönnen können) Argwohn (Gegenpol: Vertrauen) Theatralik / Eitelkeit (Gegenpol: Authentizität) Sinndissonanz (Gegenpol: Sinnerfülltheit)
Auf der Identifikation dieser Risikofaktoren basiert die Durchführung des ersten und elementaren Schrittes einer PFE. Ziel ist es, das WER der Verantwortung in seiner Verantwortungsbelastbarkeit einzuschätzen, d. h. in seiner Fähigkeit, den dargestellten Werten als WESWEGEN der Verantwortung gerecht zu werden.27 Welche Bedeutung haben diese Faktoren konkret für die dargestellten Werte? In welchem Verhältnis stehen die genannten Risikofaktoren zu einem verantwortungsvollen Führungsverhalten? Angst wirkt sich negativ auf verschiedene Leistungswerte aus. Insbesondere die Werte „Kreativität“ und „Flexibilität“, aber auch die Entscheidungsfähigkeit werden durch Angst eingeschränkt. Ängstliches Verhalten kann dazu führen, bestimmte Ideen gar nicht erst zuzulassen oder umzusetzen oder in kritischen Situationen Entscheidungen auf die lange Bank zu schieben und so den Bestand des Unternehmens zu gefährden. Auch die Kooperations- und Kommunikationswerte werden durch Angst bedroht. Angst verhindert Offenheit und führt zu übertriebener Vorsicht, sie lässt Sensibilität für die Bedürfnisse des anderen kaum zu. Der besonders wichtige Kooperationswert „Vertrauen“ kann in einem Klima der Angst nicht entstehen. Wer ängstlich ist, wird nicht souverän auftreten und wird Konflikt- und Durchsetzungsfähigkeit vermissen lassen. Angst gefährdet aber auch die Verwirklichung moralischer Werte: wer ängstlich ist, dem fällt es schwer, authentisch zu sein, das heißt, sich zu zeigen, wie er ist. Angst behindert ebenso die Fürsorge für andere, weil der Ängstliche auf sich fokussiert ist und deshalb den anderen kaum im Blick hat. Ein weiterer Risikofaktor ist die Aufgeregtheit. Wer aufgeregt ist, dem gelingt es oft nicht, Kompetenz zu zeigen, also in der entsprechenden Situation das Richtige zu tun und somit einen zentralen Leistungswert umzusetzen. Auch wird er kaum dem anderen zuhören können und somit wesentliche Kommunikationswerte wie Freundlichkeit und Sensibilität vermissen lassen. Aufgeregtheit steht im Gegensatz zum Kooperationswert der Souveränität und lässt Zweifel an der Zuverlässigkeit einer Person entstehen. Sie kann dazu führen, dass in wichtigen Situationen Un27 Weiterführende Einblicke in Gründe für ethisches Fehlverhalten gibt z. B. Price, Understanding ethical failures in leadership, Cambridge et al.: Cambridge Univ. Press, 2006.
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ruhe und sinnloser Aktionismus ausgelöst wird, obwohl beharrliche und geduldige Führung vonnöten gewesen wäre. Maßlosigkeit stellt einen der gefährlichsten Risikofaktoren dar. Insbesondere moralische Prinzipien und Werte sind durch Maßlosigkeit bedroht. Wer maßlos ist, neigt dazu, durch seine Gier lebensdienliche Grenzen zu überschreiten und dabei womöglich auch Gesetze zu verletzen, Verträge zu brechen und sich unfair zu verhalten. Somit kann Maßlosigkeit auch die Existenz des Unternehmens gefährden.28 Ganz andere Werte sind durch Engstirnigkeit bedroht. Neben dem Kommunikationswert Offenheit, der mit Engstirnigkeit per Definition nicht vereinbar ist, sind dies auch andere. Wer engstirnig ist, ist meist weder kreativ noch flexibel, häufig unfähig, aus Fehlern zu lernen, und missachtet damit wichtige Leistungswerte. Engstirnigkeit steht im Gegensatz zu den Kooperationswerten Souveränität und Vertrauen. Oft fehlt dem engstirnigen Mitarbeiter bzw. der engstirnigen Führungskraft auch Freundlichkeit und die Bereitschaft zur Fürsorge für andere. Engstirnigkeit kann wichtige Innovationen verhindern und Innovatoren aus dem Unternehmen vertreiben. Während ein engstirniger Mensch oft anderen etwas einfach deshalb nicht gönnen kann, weil dies seinen Horizont überschreitet, bewirken die Risikofaktoren von Eifersucht und Neid ein aktives Missgönnen. Eifersucht und Neid können das Teamwork zerstören und erfolgreiche Kooperationen verhindern. Informationen fließen nicht, Verleumdungen treten auf. Der andere wird als Gegner gesehen. Neid bedroht praktisch alle Kooperations- und Kommunikationswerte. Es ist auch eine wesentliche Triebfeder, moralische Werte zu verletzen und wichtige Prinzipien zu missachten. Neid verträgt sich nicht mit Fairness, nicht mit Fürsorge. Er erlaubt es kaum, vergeben zu können. Starker Neid kann auch dazu führen, Gesetze zu brechen. Es entsteht eine Atmosphäre von Argwohn und Misstrauen. Der Risikofaktor Argwohn bedroht zwar kaum moralische Werte, wie z. B. die Gesetzestreue, aber er kann Ehrlichkeit und Vertrauen verhindern. Gleichzeitig untergräbt er verschiedenste Leistungs-, Kooperations- und Kommunikationswerte. Argwohn verhindert Offenheit und Transparenz. Er bewirkt übergroße Vorsicht und schränkt wesentlich die Fähigkeit ein, Kompetenz zu erwerben. Wer argwöhnisch ist, wird sich zudem in Konflikten häufig falsch verhalten und Souveränität vermissen lassen. Auch wird er kaum authentisch sein. Noch weniger authentisch ist, wer für Theatralik beziehungsweise Eitelkeit anfällig ist. Indem eine solche Person mehr vorgeben möchte als sie ist oder doch wenigstens die Neigung hat, eigene Fähigkeiten besonders herauszustellen, gefährdet sie in grundsätzlicher Weise eine gute Kommunikation und verhindert eine gelingende Kooperation. Eitelkeit und Theatralik können dazu führen, dass mög28
Vgl. Leyendecker, Die Grosse Gier, Berlin: Rowohlt, 2007.
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liche Chancen einer Korrektur von Fehlentscheidungen überspielt und Krisen weggeredet werden ohne angemessen zu reagieren. Oft sind die genannten Risikofaktoren insgesamt ein Zeichen dafür, dass Lebenssinnorientierung nicht ausreichend ausgebildet ist und sogenannte Sinndissonanzen vorhanden sind. Wer nicht weiß, wofür er eigentlich lebt, erscheint besonders gefährdet, die dargestellten Werte zu missachten. Sinndissonanzen sind Ursache von innerer Kündigung, Burn-out-Syndrom oder gar existenzgefährdendem Verhalten bis hin zur Selbsttötung und sie lassen die Einhaltung von Werten als bedeutungslos erscheinen.
V. Zur Sinnhaftigkeit einer Personenfolgeneinschätzung Durch die Ausrichtung an zentralen moralischen und nicht moralischen Werten sowohl im eigenen Verhalten als auch durch die Forderung und Förderung von Mitarbeitern folgt eine Führungskraft ihrer Verantwortung in Bezug auf den zentralen Wertekomplex Menschenwürde, Menschenrechte, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Verschiedenste Faktoren können dazu führen, dass die dargestellten personenbezogenen Werte missachtet werden. Aus den beschriebenen Gründen greifen dabei klassische Steuerungsmechanismen wie Belohnung und Bestrafung oftmals nur bedingt. Die Missachtung ist dabei umso gefährlicher, je verantwortungsvoller und wichtiger die Aufgabe einer Person ist. Darum ist es insbesondere bei Führungskräften wichtig, Risikofaktoren rechtzeitig aufzufinden, um sowohl das Unternehmen als auch die Führungskraft zu schützen. Wesentliche Risikofaktoren liegen dabei in Fehlhaltungen wie Angst, Maßlosigkeit oder Engstirnigkeit. Diese können die Umsetzung eines großen Teils moralischer und nicht moralischer Werte negativ beeinflussen. Aus diesem Grund erscheint die PFE als zielführendes Instrument im Hinblick auf die Stärkung verantwortungsvollen Führungsverhaltens. Zum einen sensibilisiert PFE Führungskräfte für eigene Fehlhaltungen und deren Gefahren und zeigt zum anderen, ob und in welcher Weise eine Führungskraft überhaupt in einem überschaubaren Zeitraum veränderbar ist oder in bestimmten Positionen ein bleibendes Risiko darstellt, da bestimmte Fehlhaltungen nur sehr langfristig verändert werden können. Aus der Sicht eines guten Leaderships stellt die PFE eine wesentliche Maßnahme dar, das Unternehmen einer kompetenten und verantwortungsvollen Führung anzuvertrauen. Aus ethischer Sicht entspricht der PFE Ansatz dem Nachhaltigkeitsgedanken, da hier nicht nur das Risikopotential herausgearbeitet wird, sondern auch konkrete Hinweise gegeben werden, um das genannte Ziel einer Werteorientierung zu erreichen.
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Summary Executives have an overriding influence upon ethical practices in the workplace. They thus have a critical responsibility to orient their own behavior and that of their workforce according to the basic matrix of values represented by human dignity, human rights, justice and sustainability. Various factors influence individuals to spurn these values. Classic control mechanisms like reward and punishment can fail or are inefficient because of problems in measuring compliance or as a result of growing complexity. Discovering executives’ deep commitment to values is thus as critical to protecting enterprises as it is difficult to discover. There are, however, personnel-resource instruments to reveal relevant behavioral risk factors – traits such as fear, narrow-mindedness and other counter-values. An “individual dispositions assessment” (IDA) represents a potentially valuable service for enterprises to validate competent and responsible executives, and to discover potential ethical risks. The IDA represents an approach that enables sustainable value-based leadership by combining the analysis of risk potential with concrete advice for risk prevention.
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Funktionsbedingungen für Regeln und Diskurs zur Beeinflussung von moralischem Handeln: Implikationen organisatorischer Steuerung für Unternehmens- und Wirtschaftsethik Michèle Morner I. Einführung Während der Unternehmens- und Wirtschaftsethik als Lehre der Moral des Wirtschaftens jahrzehntelang eher wenig Aufmerksamkeit zuteil wurde und sie im Schattendasein ihrer großen Schwestern der Wirtschaftswissenschaften dahinvegetierten, wird seit einigen Jahren der Ruf nach der Moral in der Wirtschaft und damit auch nach Unternehmens- und Wirtschaftsethik immer lauter. Gleichzeitig wird immer deutlicher, dass es nicht so einfach ist, eben diese Moral aufrecht zu erhalten bzw. moralisches Handeln in der Wirtschaft zu beeinflussen. Zunehmend sind wirtschaftsethische Abhandlungen von der Frage geprägt, was und vor allem wie der Staat oder die Unternehmensleitung in einer so komplexen Welt überhaupt noch moralische Ansprüche durchsetzen kann: Wie und unter welchen Bedingungen können die richtigen Regeln aufgestellt und deren Einhaltung kontrolliert werden? Kann der von einigen Vertretern als funktionales Äquivalent geforderte Diskurs moralische Steuerungswirkung entfalten und, wenn ja, unter welchen Bedingungen? Vertreter der Wirtschafts- und Unternehmensethik haben bereits ausgiebig die Grenzen rein marktlicher Lösungen,1 aber auch die Grenzen von gesetzlichen Regelungen2 und die grundsätzlichen Probleme des Diskurses diskutiert. Im Mittelpunkt steht dabei meist der Streit über die grundsätzliche Überlegenheit der einen oder der anderen Steuerungsform. Dabei sind die gegenüberstehenden Positionen derart widersprüchlich, dass ein fruchtbarer Dialog hier kaum noch zu erwarten scheint. Was jedoch bisher kaum thematisiert wurde, sind die Bedingungen, unter denen die verschiedenen Steuerungsformen funktionieren. 1 Vgl. Homann, K. / Blome-Drees, F., Wirtschafts- und Unternehmensethik, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1992. 2 Vgl. Steinmann, H./ Löhr, A., „Grundfragen und Problembestände einer Unternehmensethik“, in: Steinmann, H. / Löhr, A. (Hrsg.), Unternehmensethik, Stuttgart: Poeschel, 1989, S. 3 – 21; Wieland, J., „Eine Theorie der Governanceethik“, in: Zeitschrift für Wirtschaftsund Unternehmensethik (zfwu), Jahrgang 2, Heft 1, 2001, S. 8 – 33.
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Dieser Beitrag setzt genau hier an und möchte aufzeigen, dass die Grundsatzfrage des „Entweder-Oder“ durch ein subtileres „Es-kommt-darauf-an“ substituiert werden müsste, um die Diskussion in der Wirtschafts- und Unternehmensethik eventuell wieder fruchtbarer zu gestalten. Er zeigt auf, dass es auf die Bedingungen ankommt, die einen sinnvollen Einsatz der jeweiligen Steuerungsform erlauben, um moralisches Handeln in Unternehmen und Wirtschaft zu beeinflussen. Um diese Bedingungen herauszuarbeiten, wird auf (altbewährte und neuere) Erkenntnisse der Organisationstheorie rekurriert, die ein neues Licht auf die in der Unternehmens- und Wirtschaftsethik geführte Diskussion werfen, indem sie erlauben über Bedingungen nachzudenken, unter denen moralisches Handeln beeinflusst werden kann. Dabei soll es nicht um konkrete Handlungsanweisungen gehen, sondern um die Reflexion über die jeweiligen Funktionsbedingungen der einzelnen Steuerungsformen. Als theoretische Basis für diese Form der Reflexion erscheint die Organisationstheorie nicht nur deswegen geeignet, weil einer ihrer wesentlichen Gegenstandsbereiche die Beeinflussung von Entscheidungen und Handeln ist, sondern insbesondere auch, weil sie auf die Interaktionen zwischen den Akteuren fokussiert und dabei Funktionsbedingungen aufzeigt, unter denen die verschiedenen Steuerungsformen funktionieren – oder eben nicht.3 Dabei haben Vertreter der Organisationstheorie bereits früh die für die Neoklassik bekannten Verhaltensannahmen des homo oeconomicus in mehrerlei Hinsicht relativiert und so der Realität angenähert.4 Legt man diese (realitätsnäheren) Verhaltensannahmen zugrunde, versagen unter bestimmten Bedingungen nicht nur (wie längst aus der politischen Ökonomie bekannt und auf die Wirtschaftsethik übertragen) marktliche Steuerungsmechanismen, sondern auch verfahrensorientierte, wie Regeln und Gesetze, aber auch Mechanismen der Selbstabstimmung beispielsweise in Form des Diskurses. Der folgende Teil II dieses Beitrags umreißt zunächst grob den Begriff des moralischen Handelns und die verschiedenen Steuerungsformen, bevor die Anwendungsbedingungen für das Funktionieren von Regeln (Teil III) und von Diskursen (Teil IV) dargelegt werden. Von besonderer Bedeutung dabei ist, dass die verschiedenen Steuerungsformen in der Regel in einem subtilen Mix zum Einsatz kommen und sich zum Teil gegenseitig fördern, teilweise aber gegenseitig behindern (Teil V). Ein kurzer Schluss mit Zusammenfassung und Ausblick rundet die Überlegungen ab (Teil VI).
3 Vgl. Ouchi, W. G., „A conceptual framework for the design of organizational control mechanisms“, in: Management Science, Vol. 25, No. 9, 1979, S. 833 – 848. 4 Vgl. Simon, H. A., „A behavioural model of rational choice“, in: Quarterly Journal of Economics, Vol. 69, No. 1, 1955, S. 99 – 118.
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II. Moralisches Handeln in und von Unternehmen und verschiedene Steuerungsformen Da sich dieser Beitrag nicht auf eine wirtschaftsethische Position festlegen will, definiert er den Begriff der Wirtschafts- und Unternehmensethik allgemein als Beschäftigung mit den Werten, Normen und Folgen eines reflektierten, sachgerechten, menschenbezogenen und gesellschaftsverträglichen Wirtschaftens.5 Dabei kann es einerseits um die Begründung, Rechtfertigung und Implementierung von Werten und Handlungen gehen, die über das (unternehmerisch) Zweckrationale hinaus- und auf das (gesellschaftlich) Wertrationale hinweisen,6 andererseits um eine situationsangemessene, legitime Handhabung von Konflikten.7 Eine besondere Rolle spielt dabei das moralische Handeln in und von Unternehmen. Dieses wird zwar unterschiedlich definiert, aber es herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass die „moralische Lösung“ im Sinne einer kollektiven Rationalität zu erfolgen hat, die unter Umständen dem individuell rationalen Verhalten der einzelnen Akteure widerspricht (1.). Die daraus resultierenden sozialen Dilemmata können durch verschiedene Steuerungsformen gehandhabt werden (2.).
1. Moralisches Handeln in und von Unternehmen Moralische Fragen werden erst relevant, wenn mehrere Akteure zur Verfolgung übergeordneter, gemeinsamer Ziele, von denen die Gemeinschaft profitiert, zusammenarbeiten. In der Organisationstheorie spricht man vom „interdependenten Handeln“. Interdependenzen in diesem Sinne stellen das Ausmaß an Verknüpfungen und Überschneidungen zwischen Ressourcenbestandteilen, Aufgabenelementen, Entscheidungen, Aktivitäten und Wissensmodulen dar und bestimmen, ob und wie umfangreich die koordinierte Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Akteuren aufeinander abzustimmen ist.8 Dabei gilt grundsätzlich, je intensiver die Interdependenzen, desto umfangreicher der Steuerungs- bzw. Koordinationsaufwand. Interdependenzen sind jedoch noch keine hinreichende Bedingung für moralisches Handeln. Moralische Fragen werden erst in Interaktionsbeziehungen relevant, in denen im Sinne Kants (1910) zugleich gemeinsame und konfligierende 5 Vgl. Neugebauer, U., Unternehmensethik in der Betriebswirtschaftslehre, Ludwigsburg / Berlin: Verl. Wiss. und Praxis, 1994. 6 Vgl. Osterloh, M., „Unternehmensethik und Unternehmenskultur“, in: Steinmann, H. / Löhr, A. (Hrsg.), Unternehmensethik, Stuttgart: Poeschel, 1989, S. 143 – 161. 7 Vgl. Gerum, E., „Unternehmensethik und Unternehmensverfassung“, in: Steinmann, H. / Löhr, A. (Hrsg.), Unternehmensethik, Stuttgart: Poeschel, 1989, S. 131 – 142. 8 Zum Interdependenzkonzept vgl. Frese, E., Grundlagen der Organisation. Entscheidungsorientiertes Konzept der Organisationsgestaltung (9. ed.), Wiesbaden: Gabler Verlag, 2005; Thompson, J. D., Organizations in Action: Social Science Bases of Administrative Theory, New York: McGraw-Hill, 1967.
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Interessen vorliegen,9 sich also individuelle und kollektive Rationalität gegenüberstehen. Dabei stellt die Realisierung der alle besser stellenden Interaktion im Sinne der kollektiven Rationalität die „moralische Lösung“10 dar. Diese wird erreicht durch kollektives Handeln, bei dem mehrere Akteure zur Verfolgung übergeordneter, gemeinsamer Ziele, von denen die Gemeinschaft profitiert, zusammenarbeiten. Widerspricht die kollektive Rationalität der individuellen, führt dies zu sozialen Dilemmata,11 da individuell rationales Verhalten der Einzelnen zu einem suboptimalen Gesamtergebnis führen würde. Aus dieser Perspektive heraus bedeutet die Beeinflussung moralischen Verhaltens die Vermeidung bzw. Handhabung von sozialen Dilemmata. Schon früh wurde in der politischen Ökonomie gezeigt, dass ein Umgang mit sozialen Dilemmata spezifische Steuerungsmechanismen notwendig macht bzw. dass der Markt in solchen Situationen meistens versagt. Der Politökonom Gary Miller (1992) bezeichnet soziale Dilemmasituationen gar als das Herzstück aller wirtschaftlichen Steuerungsprobleme.12 2. Steuerungsformen zur Beeinflussung moralischen Handelns Widerspricht die „moralische Lösung“ als Form kollektiver Rationalität der individuellen Rationalität einzelner Akteure, entstehen soziale Dilemmata. Diese können durch verschiedene Steuerungsformen bzw. Koordinations- oder Governance-Mechanismen (mehr oder weniger) gezielt gehandhabt werden.13 Hierbei handelt sich um Entscheidungsverfahren, die die interdependenten Prozesse und Interaktionsbeziehungen zwischen den Akteuren koordinieren und so kollektives Handeln auf ein Gesamtziel hin fördern.14 9 Vgl. Homann, K. / Lütge, C., Einführung in die Wirtschaftsethik, 2. Aufl., Münster: LIT Verlag, 2005; Kant, I., „Kants gesammelte Schriften“, Von der königlichen Akademie der Wissenschaften (Hrsg.), Berlin: De Gruyter, 1910. 10 Hohmann, K. / Lütge (Fn. 9), S. 33. 11 Vgl. Frost, J. / Morner, M., Konzernmanagement. Strategien für Mehrwert, Gabler: Wiesbaden, 2010, S. 141 – 147. Diese mit dem kollektiven Handeln verbundene Dilemmaproblematik der kollektiven Selbstschädigung ist in den fünfziger Jahren unter dem Begriff Gefangenendilemma bekannt geworden. Vgl. zur spieltheoretischen Diskussion dieser Dilemmasituation z. B. Axelrod, R., Die Evolution der Kooperation. München: Oldenbourg Verlag. 2000; Rapoport, A. / Chammah, A. M., Prisoner’s dilemma: a study in conflict and cooperation. Michigan: University of Michigan Press, 1965. 12 Miller, G., Managerial Dilemmas. The Political Economy of Hierarchy. Cambridge, UK: Cambridge University Press, 1992. 13 Vgl. Frost, J. / Morner, M. (Fn. 11), S. 141 – 147. 14 Vgl. z. B. Galbraith, J. R., Organization Design, Reading, Mass.: Addison-Wesley, 1977; Grandori, A., „Governance structures, coordination mechanisms and cognitive models“, in: Journal of Management and Governance, Vol. 1, No. 1, 1997, S. 29 – 47; Grandori, A., Organization and Economic Behavior, London: Routledge, 2001; Grandori, A., „Neither hierarchy nor identity: Knowledge-governance mechanisms and the theory of the firm“, in: Journal of Management and Governance, Vol. 5, No. 3., 2001, S. 381 – 399; Khandwalla, P. N., „Viable and effective organizational design of firms“, in: Academy of Management
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In jeder Organisation, aber auch in jeder Gesellschaft, wirken unterschiedliche Steuerungsformen jeweils simultan. Im Rahmen organisatorischer Steuerung gilt es, die verschiedenen Steuerungsmechanismen sinnvoll zu kombinieren, um das jeweilige Gestaltungsproblem zu lösen und gemeinsame Ziele zu erreichen. In der Organisationstheorie wird grundsätzlich zwischen drei verschiedenen Arten von Steuerungsformen unterschieden: marktlicher bzw. ergebnisorientierter Steuerung (a), Verfahrenssteuerung (b) und Selbstabstimmung (c).15 Alle drei Formen der Steuerung dienen dazu, das Handeln der Akteure so untereinander abzustimmen, dass anschließend eine Entscheidung bzw. ein Handeln im Sinne einer kollektiven Rationalität erfolgt. Und alle drei Arten der Steuerung finden sich analog in den Ansätzen der Wirtschafts- und Unternehmensethik wieder als marktliche Steuerung durch Wettbewerb, als Rahmenordnung und als Diskurs.
a) Ergebnisorientierte Steuerung durch Märkte Ergebnisorientierte Steuerung entspricht dem Steuerungsprinzip der „Invisible Hand“, der unsichtbaren Hand effizienter Marktsteuerung in Form von Preisen.16 Sie setzt am Output bzw. an den Ergebnissen der verschiedenen zu steuernden Akteure an. Die Abstimmung zwischen den Akteuren ist als Austauschbeziehung gestaltet, in der Leistung und Gegenleistung eindeutig spezifizierbar und zurechenbar sind. Innerhalb von Unternehmen ist Outputsteuerung zum einen in Verrechnungspreisen realisiert; zum anderen sind Ergebniskontrollen eine Form von Outputsteuerung, bei denen unterstützt von Kennzahlensystemen, Soll- und Ist-Werte verglichen werden. Außerhalb von Unternehmen ist in der Regel, zumindest in der Marktwirtschaft, das Prinzip der ergebnisorientierten Steuerung durch Märkte fest verankert. Allerdings gibt es, wie zu zeigen sein wird, unter bestimmten Bedingungen ein Marktversagen, das entsprechend durch andere Steuerungsformen gehandhabt werden kann.
Review, Vol. 16, 1973, S. 481 – 495; Kieser, A. / Kubicek, H., Organisation, Berlin: de Gruyter, 1992; Lawrence, P. R. / Lorsch, J. W., Organization and Environment. Managing Differentiation and Integration, Boston, 1969. March, J. G. / Simon, H. A., Organizations, New York: John Wiley, 1958. 15 Vgl. z. B. Frost, J. / Morner, M. (Fn. 11); Cardinal, L. B. / Sitkin, S. B. / Long, C. P., „Balancing and rebalancing in the creation and evolution of organizational control“, in: Organization Science, Vol. 15, No. 4, 2004, S. 411 – 431; Eisenhardt, K. M., „Control: Organizational and Economic Approaches“, in: Management Science, Vol. 31, No. 2, 1985, S. 134 – 149; Ouchi, W. G. (Fn. 3); Peterson, K. D., „Mechanisms of administrative control over managers in educational organizations“, in: Administrative Science Quarterly, Vol. 29, No. 4, 1984, S. 573 – 597; vgl. Snell, S. A., „Control-Theory in Strategic Human-Resource Management – the Mediating Effect of Administrative Information“, in: Academy of Management Journal, Vol. 35, No. 2, 1992, S. 292 – 327. 16 Vgl. Smith, A., The Theory of Moral Sentiments, hrsg. von Knud Haakonssen, Cambridge: University Press, 2002.
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b) Verfahrenssteuerung durch Regeln Die Verfahrenssteuerung greift in den Leistungserstellungsprozess ein.17 Sie nimmt direkten Einfluss auf die Handlungen und das Verhalten der Akteure, indem sie die zulässigen und unzulässigen Verfahren der Zusammenarbeit und der Leistungserstellung vorschreibt. Verfahrenssteuerung kann entweder fallweise in Form einer direkten Weisung oder durch Regeln erfolgen. Fallweise Weisung wird klassischerweise definiert als unmittelbare persönliche Kommunikation in Form einseitiger Abstimmung.18 Generelle Regeln ersetzen fallweise Weisung durch Programme und Pläne. Es handelt sich dabei um verbindlich festgelegte Verfahrensrichtlinien, die das Handeln der Akteure bestimmen. Damit wird der Abstimmungsbedarf durch Standardisierung gesenkt.19 Gleichzeitig erhöhen generelle Regeln die Verlässlichkeit und verringern das Konfliktpotential zwischen den Akteuren. In der Wirtschafts- und Unternehmensethik spielen, wie zu zeigen sein wird, gesetzliche Regeln und Prinzipien eine große Rolle zur Beeinflussung moralischen Handelns. Es gibt jedoch auch Rahmenbedingungen, unter denen Regeln in ihrer Steuerungswirkung versagen.
c) Selbstabstimmung und Diskurs Selbstabstimmung bedeutet dezentrale wechselseitige Abstimmung der Akteure ohne Einmischung durch eine vorgesetzte Instanz.20 Die Akteure stimmen sich auf Basis von Gruppenentscheidungen ab.21 Konstituierendes Merkmal der Selbstabstimmung ist die Konsensbildung der Akteure in Abgrenzung zur Selbstabstimmung über Preise auf Märkten. Während auf Märkten die Transaktion der Interessen im Vordergrund steht, geht es bei der Selbstabstimmung durch Konsensbildung um die Transformation derselben.22 Vertreter der so genannten kommunikativen bzw. diskursiven Ansätze der Unternehmens- und Wirtschaftsethik fordern diese Form der Abstimmung als Diskurs. Doch wie zu zeigen sein wird, gibt es unter bestimmten Bedingungen Diskursversagen.
17 Zur Verfahrenssteuerung ausführlicher vgl. Frost, J., Märkte in Unternehmen. Organisatorische Steuerung und Theorien der Firma, Wiesbaden: Gabler, 2005, S. 308 – 313. 18 Vgl. Mintzberg, H., The Structure of Organizations, Engelwood Cliffs, NJ: PrenticeHall, 1979; Schreyögg, G., Organisation. Grundlagen moderner Organisationsgestaltung, 3. Aufl. Wiesbaden: Gabler, 1999, S. 164. 19 Vgl. Schreyögg, G. (Fn. 18), S. 164. 20 Vgl. z. B. ebd., S. 164; Kieser, A. / Kubicek, H., Organisation, Berlin / New York: de Gruyter, 1992, S. 85. Teilweise werden Selbstabstimmungsmechanismen nicht als expliziter Koordinationsmechanismus berücksichtigt, da sie als „riskantes Abenteuer in der Leistungsorganisation“ gelten (Schreyögg, G. (Fn. 18), S. 164). 21 Vgl. Kieser, A. / Kubicek, H. (Fn. 18), S. 85. 22 Vgl. Frost, J. (Fn. 17), S. 334.
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III. Die Rolle von Regeln zur Beeinflussung von moralischem Handeln in Unternehmen und Wirtschaft Die Vertreter der verschiedenen wirtschafts- und unternehmensethischen Ansätze sind sich einig, dass moralisches Handeln in der Wirtschaft kaum alleine durch marktliche Mechanismen gehandhabt werden kann, sondern entsprechender Verfahrenssteuerung in Form von Regeln bedarf. Doch auch diese können versagen (1.), wenn nicht spezifische Anwendungsbedingungen vorliegen (2.).
1. Vom Markt- zum Regelversagen Rein marktliche Steuerung führt immer dann zu externen Effekten, wenn die Beiträge nicht eindeutig spezifizierbar bzw. messbar sind. Der Markt versagt. Das Marktversagen abfedern können gesetzliche Regelungen, die entsprechend im Mittelpunkt vieler wirtschaftsethischer Ausführungen stehen. Eine besonders große Rolle spielen diese gesetzlichen Regeln als Rahmenordnung bzw. „Spielregeln“ im Ansatz von Karl Homann.23 Innerhalb der Rahmenordnung können die Unternehmen geleitet von ihren Interessen handeln.24 Homann (2002) verortet entsprechend in der Rahmenordnung die Moral der modernen Welt – und eben gerade nicht in den Handlungsmotiven der Akteure: „In der modernen Gesellschaft liegt die Moral nicht länger in den Motiven der Akteure, sondern in den Regeln“.25 Die Einhaltung der Rahmenordnung wird durch die Justiz gewährleistet. Zweifelsohne haben gesetzliche Regelungen eine große Bedeutung als dominanter Zurechnungsfaktor für moralische Ansprüche der Gesellschaft an die Wirtschaft.26 Es gibt jedoch auch Steuerungsgrenzen des Rechts, wie bereits 1975 Stone diagnostiziert.27 Dem schließen sich die Vertreter von kommunikativen und diskursiven Ansätzen der Wirtschafts- und / oder Unternehmensethik an und bezweifeln, dass ein derart komplexes System wie die Wirtschaft alleine mit Hilfe allgemeiner Ordnungsregeln gesteuert werden kann. Entsprechend betonen Steinmann und Löhr in ihrem Ansatz der Unternehmensethik,28 dass Regeln in Form von Recht im heutigen komplexen System der Wirtschaft versagen, und diagnostizieren ein „systematisches Defizit“ der Steuerungsform Recht.29
Vgl. Homann, K. / Lütge, C. (Fn. 9). Ebd. 25 Vgl. Homann, K., „Wider die Erosion der Moral durch Moralisten“, in: Lüdtge, C. (Hrsg.), Vorteile und Anreize, Tübingen: Mohr Siebeck , 2002, S. 3 – 20. 26 Vgl. Wieland, J. (Fn. 2), S. 8 – 33. 27 Vgl. Stone, C. D., Where the law ends: the social control of corporate behavior, New York: Harper & Row, 1975. 28 Vgl. Steinmann, H. / Löhr, A. (Fn. 2). 29 Vgl. ebd., S. 8. 23 24
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Aktuelle Entwicklungen in der Wirtschaft zeigen, dass Regeln aus vier Gründen in ihrer Steuerungswirkung versagen können: Erstens, sind nicht alle Spielregeln, die erlassen wurden, immer sinnvoll; es gibt auch „schlechte“ Regeln.30 Zweitens kann es zu Regelverstößen kommen – egal ob gegen „gute“ oder gegen „schlechte“ Regeln. Und, drittens, sind diese Verstöße nicht immer überprüf- bzw. nachweisbar sowie, viertens, manchmal nicht sanktionierbar. Vor diesem Hintergrund stellt sich auch die Frage, welche Instanz die Regeln erlassen, und welche sie entsprechend überprüfen und sanktionieren soll bzw. kann. Insbesondere die Globalisierung politischer und ökonomischer Prozesse erschwert die Steuerung über Regeln und Gesetze.31
2. Funktionsbedingungen für Regeln In der Organisationstheorie beschreibt das Nichtfunktionieren von Regeln bereits 1979 William G. Ouchi. In seinem einschlägigen Artikel zur organisatorischen Steuerung zeigt er die Voraussetzungen für verschiedene organisatorische Steuerungsformen auf. Demnach funktioniert hierarchische Steuerung in Form von Regeln nur dann, wenn eine Aufstellung von sinnvollen Regeln möglich und deren Einhaltung kontrollier- bzw. sanktionierbar ist. Dies funktioniert nur dann, wenn die die Regeln erlassende und kontrollierende Instanz In- und Output bewerten kann (dann wäre auch marktliche Steuerung möglich) oder über ausreichend Transformationswissen verfügt. Transformationswissen ist das Wissen über die Transformation eines Inputs in einen Output. Es besagt, in welchem Ausmaß Einblick in den Leistungserstellungsprozess und die zu bearbeitenden Problemstellungen existiert. Dabei geht es um die Fähigkeit, diese Prozesse – auch wenn sie nicht direkt messbar sind – zumindest grob abschätzen und beurteilen zu können. Die Regeln erlassende Instanz muss wissen, welche Verfahren, welche Handlungen und Verhaltensweisen zu welchen Ergebnissen führen, damit sie die „richtigen“ Regeln aufstellen und logische Weisungen erteilen kann. Dazu benötigt sie zwar keine unbeschränkte Informationsverarbeitungskapazität, aber eine gewisse fachliche Nähe („cognitive proximity“32), um die Relevanz von Problemstellungen zu erkennen. Die Fähigkeit, die richtigen Regeln zu erlassen und deren Einhaltung zu kontrollieren, mag in vielen wirtschaftsethischen Zusammenhängen vorhanden sein, was Regeln und Gesetze in diesen Fällen zum sinnvollen Instrumentarium macht. Al30 Vgl. Ortmann, G., Organisation und Moral: Die dunkle Seite, Weilerswist: Velbrück, 2010. 31 Vgl. Scherer, A. / Palazzo, G. / Baumann, D., „Global rules and private actors: Toward a new role of the transnational corporation in global governance“, in: Business Ethics Quarterly, Vol. 16, 2006, S. 505 – 532. 32 Vgl. Nooteboom, B., Learning and innovation in organizations and economics, Oxford: Oxford University Press, 2000.
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lerdings gibt es nicht erst in Zeiten der Globalisierung Tatbestände, in denen das entsprechende Transformationswissen nicht zur Verfügung steht. Gründe dafür liegen unter anderem in zunehmender Zeitknappheit, in mangelnder wirtschaftlicher Expertise in der Politik, aber auch in der Widersprüchlichkeit verschiedener involvierter Rahmenordnungen. In diesen Fällen versagt die hierarchische Steuerung in Form von Regeln als Zurechnungsfaktor für moralische Ansprüche der Gesellschaft an die Wirtschaft.33 Im Ansatz der kommunikativen Ethik nach Steinmann und Löhr (1989) wird Unternehmensethik immer dann erst notwendig, wenn gesetzliche Regelungen versagen.34 Das Recht gilt in ihren Augen lediglich als „zusätzliche“ Bemühung, friedliche Koordination wirtschaftlichen Handelns in Gang zu bringen – und zwar in Form des Diskurses.
IV. Die Rolle von Selbstabstimmung und Diskurs zur Beeinflussung von moralischem Handeln in Unternehmen und Wirtschaft Der Diskurs stellt aus organisationstheoretischer Perspektive eine Form der Selbstabstimmung dar (1.),35 der spezifischen Anwendungsbedingungen – mit hohen Anforderungen an die beteiligten Akteure – unterliegt (2.).
1. Diskurs als Form der Selbstabstimmung In der Wirtschafts- und Unternehmensethik spielt der Diskurs eine prominente Rolle. So fordert die kommunikative Ethik von Steinmann und Löhr (1989) die Begründung durch argumentative Verständigung im Dialog – und zwar eine „unvoreingenommene, zwanglose, nicht-persuasive Verständigung zwischen sachverständigen Gesprächspartnern“36. Alle Betroffenen sollen als gleichberechtigte Argumentationspartner in einem praktischen Diskurs beteiligt sein. Aus organisationstheoretischer Perspektive kann der Diskurs der Steuerungsform der Selbstabstimmung zugeordnet werden. Hier liegen die Entscheidungsrechte und Befugnisse bei denjenigen, die direkt von der Entscheidung betroffen sind.37 Die Beteiligten stimmen sich ohne Einwirkung einer übergeordneten Instanz selbst miteinander ab. Üblicherweise finden derartige Selbstabstimmungsprozesse in kleineren Arbeitsgruppen, Ausschüssen und Komitees oder ad hoc einfach fallweise statt. Durch neue Informations- und Kommunikationstechnologien gibt es aber auch neue Formen IT-basierter Selbstabstimmung, bei der unter 33 34 35 36 37
Vgl. Wieland, J. (Fn. 2), S. 14. Vgl. Steinmann, H. / Löhr, A. (Fn. 2). Vgl. ebd., S. 8. Vgl. ebd. Vgl. Mintzberg, H. (Fn. 18).
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bestimmten Bedingungen eine Beteiligung sehr vieler Teilnehmer möglich ist.38 Unabhängig davon in welcher Form die Selbstabstimmung genau stattfindet, handelt es sich nur dann um eine Form der Steuerung, wenn die damit verbundenen Kommunikationsprozesse nicht nur einen unverbindlichen Informationsaustausch darstellen, sondern zu verbindlichen Entscheidungen führen, die das tatsächliche Handeln prägen. Konstituierendes Merkmal der Selbstabstimmung ist die Konsensbildung der Akteure.39 Während bei marktlicher Steuerung die Transaktion der Interessen im Vordergrund steht, geht es bei der Selbstabstimmung durch Konsensbildung um die Transformation derselben.40 Im Mittelpunkt steht der Aufbau von Verständigungspotentialen, um durch Kommunikation und Verhandlung ein Angleichen der Interessen und Logiken zu erreichen und so ein gemeinsames Handeln im Sinne kollektiver Rationalität aufeinander abzustimmen. Auf diese Weise können qualitativ hochwertige Entscheidungen getroffen werden, weil durch den Einbezug verschiedener Akteure mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Wissen eine größere Problemumsicht entsteht. Außerdem werden die über Selbstabstimmung getroffenen Entscheidungen meist mit großem Engagement umgesetzt, da die Betroffenen direkt in den Entscheidungsprozess involviert waren. In diesem Sinne trägt auch der Diskurs zum Aufbau unternehmenspolitischer Glaubwürdigkeit und entsprechender Verständigungspotentiale bei. Während in der klassischen Form der Selbstabstimmung, die üblicherweise in Kleingruppen stattfindet, nur wenige Betroffene direkt am Entscheidungsprozess beteiligt werden können, ergibt sich durch eine durch moderne Informations- und Kommunikationstechnologien unterstützte IT-basierte Selbstabstimmung die Möglichkeit, theoretisch unbegrenzt viele Akteure einzubeziehen. 41 Voraussetzung dafür sind, zusätzlich zu den Funktionsbedingungen für Selbstabstimmung, eine entsprechende Zugänglichkeit und Transparenz.42
2. Funktionsbedingungen für die Beeinflussung moralischen Handelns durch Selbstabstimmung Selbstabstimmung ist – genauso wie der in der Wirtschafts- und Unternehmensethik diskutierte praktische Diskurs – nicht nur in ihrer Durchführung extrem auf38 Vgl. Lanzara, G. F. / Morner, M., „Artifacts Rule! How Organizing Happens in Open Source Software Projects“, in: Czarniawska, B. und T. Hernes (Hrsg.), Actor-NetworkTheory and Organizing, Liber / Copenhagen: Business School Press, 2005, S. 67 – 90. 39 Vgl. Frost, J. (Fn. 17), S. 280. 40 Vgl. ebd., S. 334. 41 Vgl. Lanzara, G. F. / Morner, M. (Fn. 38). 42 Vgl. Morner, M. / von Krogh, G., „A note on knowledge creation in open-source software projects: What can we learn from Luhmann’s theory of social systems?“, in: Systemic Practise and Action Research, Vol. 22, No. 6, S. 431 – 433.
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wändig, sondern auch unzuverlässig. Das gilt vor allem in konfliktintensiven Situationen. Verhandlungen können damit enden, dass die Beteiligten nicht in der Lage sind, gemeinsam eine Lösung zu finden und sich zu einigen. Erfolgreiche Selbstabstimmung und die damit einhergehende Konsensbildung stellt insbesondere hohe Anforderungen an die beteiligten Akteure. Diese müssen sowohl motivational zur Teilnahme am Entscheidungsprozess willens (a) als auch kognitiv dazu fähig sein (b).43 a) Motivationale Disposition: Konditionale Kooperationsbereitschaft der Akteure Bei den Ausführungen über Motivation der Akteure spielt in der Wirtschaftsund Unternehmensethik von jeher das Prinzip der Gewinnmaximierung eine besondere Rolle – sei es in Negativ- oder Positivabgrenzung. So möchte die Ordnungsethik von Karl Homann das Gewinnstreben im Sinne von Adam Smith durch entsprechende Wettbewerbsbedingungen für die Gesellschaft fruchtbar machen.44 Andere Ansätze grenzen im Gegensatz dazu das Sujet Wirtschafts- und Unternehmensethik negativ vom Gewinnprinzip ab. So erklären Steinmann und Löhr Unternehmensethik als „materiale und prozessuale Normen, die die konfliktrelevanten Auswirkungen des Gewinnprinzips bei der Steuerung der konkreten Unternehmensaktivitäten begrenzen“.45 In der verhaltenswissenschaftlich geprägten Organisationstheorie dominiert bereits seit längerem die Erkenntnis, dass menschliches Handeln in Unternehmen auf vielschichtigeren Motiven basiert als es der homo oeconomicus erahnen lässt. Es geht eben nicht nur um Vorteils- und Nachteilskalküle, sondern um eine komplexe Motivstruktur. Dieser liegen verschiedene extrinsische und intrinsische Motive zugrunde, die sich gegenseitig verdrängen und verstärken können.46 Eine besondere Rolle spielt dabei die intrinsische Motivation, die vor allem dann erzeugt wird, wenn die Akteure einerseits den Sinn ihres Handelns erkennen und andererseits sehen, dass ihre Argumente ernst genommen und ihr Engagement zu Ergebnissen führt.47 Von wesentlicher Bedeutung für das tatsächliche Verhalten ist 43 Vgl. Frost, J. / Morner, M. (Fn. 13), S. 200 – 204; Morner, M. / Renger, E.-M. / Valle Thiele, R., „Unravelling the human side of the board. The role of motivational and cognitive compatibility in board decision making.“ Int. J. Business and Governance Ethics, Vol. 5, No. 4, 2010, S. 323 – 342. 44 Vgl. Homann, K. / Lütge, C. (Fn. 9). 45 Die rein funktionale Beziehung ethischer Bemühungen zum Zwecke der Gewinnerzielung fällt nach Steinmann und Löhr (1989) nicht in den Bereich Wirtschafts- bzw. Unternehmensethik (vgl. ebd., S. 7). 46 Vgl. Osterloh, M. / Frey, B. S., „Motivation, knowledge transfer, and organizational forms“, in: Organization Science, Vol. 11, No, 5, S. 538 – 550. 47 Vgl. Cabrera, Á. / Cabrera, E. F., „Knowledge-sharing Dilemmas“, Vol. 23, No. 5, 2002, S. 678 – 710.
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dabei nicht nur die Präferenzstruktur des Einzelnen, sondern die der jeweils Anderen. Nur wenn Alter bereit ist, seine individuellen Ziele im Sinne der kollektiven Rationalität zurückzustellen, steigt die Bereitschaft Egos zum kooperativen Handeln. Ostrom (2000) spricht in diesem Zusammenhang von „konditionaler Kooperationsbereitschaft“. 48
b) Kognitive Disposition: Kognitive Kompatibilität der Akteure Eine weitere Voraussetzung für Selbstabstimmung ist eine entsprechende kognitive Disposition der Akteure. So haben neuere Ergebnisse aus der Organisationsforschung ergeben, dass kooperative Entscheidungsprozesse am besten funktionieren, wenn eine „optimale kognitive Kompatibilität“ vorliegt.49 Optimale kognitive Kompatibilität bedeutet, dass einerseits eine gewisse „kognitive Nähe“ zwischen den Akteuren vorliegt, die eine funktionierende Kommunikation überhaupt erst ermöglicht. Nur die kognitive Nähe der am Entscheidungsprozess Beteiligten ermöglicht deren gegenseitiges Grundverständnis im Sinne einer gemeinsamen Sprach- und Lebenswelt. Nur so können Entscheidungen sinnvoll diskutiert und abgestimmt werden. Wird die kognitive Nähe jedoch andererseits zu hoch, entsteht die Gefahr „pathologischer Entscheidungen“. Denn die Herausbildung einer gemeinsamen starken Gruppenidentität kann zu Entscheidungsprozessen führen, die durch Gruppendenken („Groupthink“50) geprägt sind und schließlich zu deutlich risikoreicheren Entscheidungen führen. Idealerweise verfügt bei der Steuerungsform Selbstabstimmung keiner allein über genügend Wissen zur Problemlösung. Der Abstimmungsbedarf ergibt sich dann unter anderem daraus, dass unterschiedlich spezialisierte Kenntnisse und Wissensbestände integriert und weiterentwickelt werden müssen, um daraus innovative Leistungen zu entwickeln. Auch wenn die involvierten Akteure unterschiedliche Kompetenzen und Wissen aus verschiedenen Bereichen in den Entscheidungsprozess mit einbringen, verfügen sie im Idealfall über eine prinzipiell qualitativ gleichwertige Wissens- und Kompetenzausstattung, die dann auch ungefähr gleichberechtigt in den Entscheidungsprozess einfließt. Dies ist Voraussetzung dafür, dass sich die Akteure als „Peers“, d. h. als ebenbürtige Interaktionspartner verstehen und sich in den Abstimmungsprozessen entsprechend engagieren.
48 Vgl. Ostrom, E., „Crowding out citizenship“, in: Scandinavian Political Studies, Vol. 23, No. 1, 2000, S. 3 – 16. 49 Morner, M. / Renger, E.-M. / Valle Thiele, R. (Fn. 44), S. 331; Nooteboom, B., „Towards a dynamic theory of transactions“, in: Journal of Evolutionary Economics, Vol. 2, No. 4, 1992, S. 281 – 299. 50 Janis, I., Victims of Groupthink: A Psychological Study of foreign-Policy Decisions and Fiascoes, Boston: Houghton Mifflin, 1972.
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V. Steuerungsmix: Gegenseitige Unterstützung und Behinderung von verschiedenen Steuerungsformen In realiter wirken die verschiedenen Steuerungsformen in einem komplexen Steuerungsmix zusammen.51 So laufen Selbstabstimmungsprozesse bzw. Diskurse in der Regel vor dem Hintergrund existierender Regeln ab. Oder Regeln entstehen in Form von Selbstverpflichtungsklauseln durch partizipative Selbstabstimmungsprozesse. Genauso wie auch marktliche Steuerung über Preise mit Rahmenregeln kombiniert wird. Dabei unterstützen oder bedingen sich die verschiedenen Steuerungsformen gegenseitig. Allerdings gibt es auch negative Wechselwirkungen. So kann starker Fokus auf marktlicher Steuerung dazu führen, dass Selbstabstimmungsprozesse erschwert werden. Das liegt daran, dass Selbstabstimmungsprozesse kognitive Kompatibilität und konditionale Kooperationsbereitschaft voraussetzen, die bei marktlicher Steuerung von untergeordneter Relevanz sind. Denn im Rahmen der Ergebnissteuerung fokussiert jeder auf sein Eigeninteresse und seine eigene Logik; Kommunikation und Kooperation sind nicht notwendig, sondern zum Teil sogar (wie z. B. im Fall von Kartellen) untersagt. Unter diesen Bedingungen wird Selbstabstimmung bzw. Diskurs erschwert. VI. Fazit und Ausblick Der vorliegende Beitrag ergänzt die Grundsatzdebatte „Diskurs versus Rahmenordnung“ in der Unternehmens- und Wirtschaftsethik durch die Frage nach den jeweiligen Anwendungsbedingungen von Diskurs und Regeln. Um diese Frage zu beantworten, wird auf organisationstheoretische Ansätze rekurriert, die zeigen, unter welchen Bedingungen die verschiedenen Steuerungsformen funktionieren. Festgehalten werden kann, dass unter gewissen Bedingungen jede Steuerungsform ihre Existenzberechtigung hat. So setzt das Funktionieren von gesetzlichen Regelungen entsprechendes Transformationswissen der Regeln erlassenden Instanzen und die Möglichkeit zur Sanktionierung bei Nichteinhaltung voraus. Ist dies nicht der Fall können Regeln nicht funktionieren. Besonders hohe Anforderungen stellt der Diskurs als spezifische Form der Selbstabstimmung. Hier müssen die beteiligten Akteure einerseits eine gewisse kognitive Kompatibilität als auch entsprechende konditionale Kooperationsbereitschaft aufweisen. Sowohl die Voraussetzungen für das Funktionieren von Regeln als auch die für das Funktionieren von Diskursen setzen letztlich an den beteiligten Menschen an. Transformationswissen und kognitive Kompatibilität betreffen dabei deren Kognition, konditionale Kooperationsbereitschaft bezieht sich auf deren Motivation. Daraus lässt sich ableiten, dass es für die Beeinflussung des moralischen Handelns in Unternehmen und Wirtschaft darauf ankommt, die beteiligten Akteure gemäß ihrer 51
Vgl. Frost, J. / Morner, M. (Fn. 13).
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kognitiven und motivationalen Disposition an den jeweiligen Steuerungsformen zu beteiligen bzw. Rahmenbedingungen zu schaffen, die es den Regelerlassenden ermöglichen, sich entsprechendes Transformationswissen anzueignen, und den in der Selbstabstimmung Beteiligten, adäquate kognitive Kompatibilität aufzubauen sowie deren konditionale Kooperationsbereitschaft positiv zu beeinflussen. Ansatzpunkte zur Erhöhung des Transformationswissens und der kognitiven Kompatibilität der Akteure wären insbesondere entsprechende Bildungsmaßnahmen und die Bereitstellung entsprechenden Wissens und entsprechender Kompetenzen. Konditionale Kooperationsbereitschaft kann positiv durch die Transparenz über die Beiträge anderer Beteiligter sowie die verstärkte Vermittlung entsprechender gesellschaftlicher Werte beeinflusst werden. Dadurch würden die Qualität der Regeln und des Diskurses steigen, was wiederum kognitive Kompatibilität und konditionale Kooperationsbereitschaft der Akteure erhöhen würde. Dabei ist davon auszugehen, dass auch die verbesserte kognitive Kompatibilität die konditionale Kooperationsbereitschaft der Akteure erhöht et vice versa.
Summary This paper tries to enhance the partly gridlocked debate in business and economic ethics concerning whether discourse or regulations, i.e. soft law or hard law, represents the ‘superior’ governance mode. Referring to basic assumptions of organizational theory, it shows that the functioning of both governance modes depends on specific conditions. In this line of argument, the effective use of regulations requires adequate transformation knowledge of the regulating entity in order to establish and manage reasonable rules. Otherwise, regulations are unable to function. Discourse, as a specific mode of self-governance, makes particularly high demands on the participating actors. Participants must show a certain cognitive compatibility as well as minimum (conditional) willingness to cooperate in order to allow successful discourse.
Unternehmen, ihre (ethische) Governance und Menschenrechte Christian Neuhäuser und Marc C. Hübscher I. Einleitung Bereits vor der globalen Finanzkrise war es eigentlich schon klar, aber sie hat noch einmal verdeutlicht, welche große Bedeutung Banken und andere Unternehmen in unserer sozialen Welt spielen. Ihr Handeln hat enormen Einfluss auf individuelle Lebensvollzüge, aber auch und vielleicht vor allem auf die Funktionalität sozialer Systeme und die Stabilität sozialer Ordnungen. Einerseits hängen Arbeitsplätze, Ersparnisse und Zukunftschancen individueller Menschen von dem Tun und Lassen der Unternehmen ab. Andererseits sind einzelne Länder zum Erhalt des Wohlstandes und des sozialen Friedens darauf angewiesen, als Standort möglichst attraktiv für viele Unternehmen zu sein und gleichzeitig genug Steuern einzunehmen. Darüber hinaus hängt die Stabilität des globalen Wirtschaftssystems davon ab, wie Unternehmen mit möglichen Krisen umgehen. Besonders die erste betriebswirtschaftliche Lektion der Finanzkrise lässt tiefe Risse in der Stabilität des bestehenden Systems vermuten. Denn diese erste Lektion besteht offensichtlich darin, dass die Gewinne eines extrem risikoaffinen Verhaltens den Banken, Unternehmen und ihren Topmanagern zukommen, während die Verluste externalisiert werden können und von der ganzen Gesellschaft getragen werden müssen. Dieser kurze Problemaufriss verweist bereits darauf, dass es struktureller Reformen der Wirtschaftsordnung bedarf, um systemische Mängel zu beheben und massive individuelle Schädigungen zu vermeiden. Gleichzeitig sollte dabei aber auch ein anderes Problem deutlich werden. Manchen galt das bestehende globale Wirtschaftssystem ohnehin schon als das bestmögliche unter den schlechten Wirtschaftssystemen und selbst von den Kritikern hätten nur sehr wenige so plötzlich derart starke Verwerfungen erwartet. Gravierender erscheint noch, dass es inzwischen zwar einige zum Teil recht weitreichende Reformvorschläge gibt, aber deren Wirksamkeit alles andere als klar ist.1 Zwar versprechen diese Vorschläge bei Umsetzung zu verhindern, dass exakt dieselbe Art von Krise noch einmal auftritt. Aber was ist mit bloß ähnlichen und erst recht ganz anders gearteten Krisen? Tatsächlich scheint es so zu sein, dass solche Krisen immer wieder und unvorherge1
Peter Bofinger, Ist der Markt noch zu retten?, Berlin: Econ Verlag, 2009, S. 42 ff.
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sehen auftreten können und getrieben werden von der scheinbar eindeutigen Handlungslogik der Unternehmen: ihre Kosten zu minimieren und ihren Gewinn zu maximieren. Demgegenüber drängt sich eine gänzlich andere Perspektive als Alternative auf. Wenn Unternehmen nicht bloß als notwendigerweise kurzfristig Gewinn maximierende, sondern als längerfristige und vor allem weniger egoistisch denkende Akteure aufgefasst werden, dann ergeben sich neue Spielräume. In diesem Fall können Unternehmen selbst mit ihrem großen und hoch aktuellen Wissen als Akteure auftreten, die auf systemische Schwierigkeiten und die Gefahr der wirtschaftlichen Schädigung vieler Menschen hinweisen und sie können sogar diesbezügliche Verbesserungsvorschläge machen. Kurzum, Unternehmen hätten die Finanzkrise verhindern können und sie sind in der Lage zukünftige Krisen zu verhindern. Offensichtlich läuft diese Perspektive darauf hinaus, Unternehmen zumindest in einem schwachen Sinne als moralische Akteure aufzufassen.2 Genau diese Möglichkeit wird natürlich vehement angezweifelt. Unternehmen werden häufig für bloß zweckgerichtete Organisationen gehalten, die gar nicht anders können, als der Handlungslogik der kurzfristigen Gewinnmaximierung zu folgen. Demgegenüber soll hier gezeigt werden, wie oder besser warum es doch möglich ist, Unternehmen in einem gewissen Sinne als moralische Akteure aufzufassen und von ihnen zu verlangen, Finanzkrisen und ähnliche systemische Verwerfungen zu verhindern und vielleicht sogar noch viel mehr zu tun. Dazu werden wir in einem ersten Abschnitt zeigen, dass Unternehmen als grundsätzlich moralfähige Akteure aufgefasst werden können. In einem zweiten Abschnitt wollen wir dafür argumentieren, dass es sich bei dieser Perspektive nicht bloß um frommes, aber letztlich bloß akademisches Wunschdenken handelt. Vielmehr legen Einsichten der Organisationstheorie nahe, dass das Ziel des Erhalts der Funktionsfähigkeit von Unternehmen unmittelbar zu einem Selbstverständnis als moralische Akteure und der Integration eines transparenten normativen Maßstabes auffordert. Nur so ist die viel diskutierte good governance eines Unternehmens praktisch möglich.3 In einem dritten Abschnitt sollen die Menschenrechte und damit zusammenhängende moralische Normen als moralischer und letztlich vielleicht auch rechtlicher Maßstab für die Bewertung von Unternehmen vorgeschlagen werden.
2 Diese Idee wurde zum ersten Mal von Peter French Ende der siebziger Jahre stark gemacht: Peter French, „The Corporation as a Moral Person“, in: American Philosophical Quarterly 16, 1979, S. 207 – 215. Vgl. auch: Peter French, Corporate Ethics, Stamford: Thomson Learning, 1995. 3 Vgl. Alexander Brink, „Corporate Good Governance. Eine Kritik der Unternehmensführung und Unternehmenskontrolle“, in: Markus Breuer / Alexander Brink / Olaf J. Schumann (Hrsg.), Wirtschaftsethik als kritische Sozialwissenschaft, Bern / Stuttgart / Wien: Haupt, 2003, S. 375 – 400.
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II. Unternehmen als moralfähige Akteure Wenn es möglich ist, Unternehmen als moralfähige Akteure aufzufassen, dann verliert die Standardentschuldigung zur Erklärung des manchmal extrem schädlichen Verhaltens von Unternehmen ihre Plausibilität. Denn diese Standardentschuldigung besteht in der Behauptung, dass Unternehmen als bloße Organisationen nur einer festgelegten Verhaltenslogik folgen können, die in nichts anderem besteht, als den Gewinn zu maximieren. Bei Unternehmen handelt es sich demnach gar nicht um richtige Akteure, die entscheiden und frei handeln können und ganz sicher nicht um Akteure, die moralisch handeln können. Tatsächlich stecken in dieser zunächst recht plausibel klingenden Position zwei Thesen: Erstens sind Unternehmen keine Akteure, sondern bloß Organisationen, die das Handeln individueller Akteure koordinieren. Zweitens folgt diese Koordination einer klar vorgegebenen Logik, die den individuellen Akteuren ein Handeln nahe legt, das der Gewinnmaximierung des Unternehmens dient. Wenn die Position der Standardentschuldigung zurückgewiesen werden soll, müssen diese beiden Thesen entkräftet bzw. die gegenteiligen Thesen behauptet werden. Erstens muss das Unternehmen selbst handeln können und nicht nur die individuellen Akteure. Sonst kann es immer nur um die moralische Verantwortung von individuellen Akteuren und nie um die Verantwortung von Unternehmen gehen. Denn Verantwortung setzt Handlungsfähigkeit voraus. Wer nichts tun kann, hat auch nichts zu verantworten. Zweitens reicht es nicht aus, Unternehmen als Akteure aufzufassen. Vielmehr müssen sie als moralfähige Akteure aufgefasst werden, die offensichtlich nicht immer schon moralisch handeln, aber zumindest dazu in der Lage sind. Sonst hätten sie möglicherweise einen ähnlichen Status wie die meisten Tiere, denen häufig Handlungsfähigkeit zugeschrieben wird, die aber trotzdem nicht fähig sind, moralisch zu handeln. Ein Löwe beispielsweise kann nicht aus moralischen Gründen zum Vegetarier werden. Wir halten beide Thesen für richtig: Unternehmen sind Akteure und sie sind fähig, moralisch zu handeln. Wir können diese Position hier nicht in aller Ausführlichkeit verteidigen, dennoch sollen die wesentlichen Punkte genannt werden, um zumindest deutlich zu machen, auf welchen grundlegenden Annahmen diese Position beruht und zu verteidigen, dass sie entgegen des Dogmas des methodologischen Individualismus einige Plausibilität besitzt.4 Das Dogma des methodologischen Individualismus besteht unserem Verständnis nach darin, dass in den empirischen und normativen Sozialwissenschaften, einschließlich der Rechtswissenschaften und der praktischen Philosophie davon ausgegangen werden muss, dass ausschließlich individuelle Menschen handeln können.5 Wenn von handelnden 4 Diese Überlegungen werden stärker ausgearbeitet in: Christian Neuhäuser, Unternehmen als moralische Akteure: Menschenrechte und korporative Verantwortung in der globalen Ökonomie, Potsdam: noch unveröffentlichte Dissertation, 2010.
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Kollektiven oder Korporationen die Rede ist, dann kann es sich dabei immer nur um eine verkürzte Redeweise handeln, denn eigentlich sind es immer einzelne Menschen, die innerhalb dieser bloß als Institutionen und nicht als Akteure zu verstehenden Organisationen handeln. Dieses Dogma steht in einer gewissen Spannung zum alltäglichen Sprachgebrauch. Tatsächlich reden wir ständig so, als könnten auch Staaten, Parteien, Kirchen und Unternehmen handeln. Es stimmt auch nicht, dass damit eigentlich immer individuelle Akteure gemeint sind. Beispielsweise kann jemand sagen: Das Unternehmen Coca Cola hat bei seiner Werbung schon immer auf den Spaßfaktor gesetzt. Oder: Durch sein zögerliches Handel verliert Volkswagen wichtige Marktanteile. In beiden Fällen wird offensichtlich nicht über einzelne handelnde Personen gesprochen. Coca Cola wurde schon im Jahre 1892 gegründet, zu dieser Zeit haben also ganz andere Menschen die Cola als Getränk mit hohem Spaßfaktor angepriesen als heute. Und das zögerliche Handeln von Volkswagen muss nicht in dem zögerlichen Handeln einzelner Mitarbeiter liegen. Im Gegenteil kann es gerade sein, dass alle führenden Mitarbeiter von Volkswagen voller Elan sind und sich gegenseitig ins Handwerk pfuschen, was letztlich sogar zu dem zögerlichen Handeln des Konzerns geführt mag, aber sicherlich nicht dasselbe ist.6 Dennoch ließe sich zur Verteidigung des methodologischen Individualismus eine gewisse wissenschaftliche Skepsis gegen den alltäglichen Sprachgebrauch anführen. So reden die Leute zwar, aber dennoch handelt es sich um nichts anderes, als einen schädlichen Aberglauben, ähnlich der griechischen Mythologie vielleicht.7 Natürlich stimmt es, dass sich Menschen nicht nur individuell, sondern auch kollektiv täuschen können und dass sich diese Täuschung auch im Sprachgebrauch festgesetzt hat. Vielleicht handelt es sich bei der Redeweise von Unternehmen als Akteuren um solch eine Täuschung. Dann müsste dies allerdings von den Verteidigern des methodologischen Individualismus gezeigt werden. Diesen methodologischen Individualismus einfach nur zu behaupten, stellt tatsächlich nichts anderes als ein Dogma dar und ist insofern wissenschaftlich unredlich. Hinzu kommt, dass es neben der Faktizität des alltäglichen Sprachgebrauchs noch philosophisches Argumente für die Annahme von Unternehmen als korporativen Akteuren gibt. Von den sollen hier zwei genannt werden: ein phänomenologisches und ein sprachanalytisches Argument. Das phänomenologische Argument beruht auf der Beobachtung, dass individuelle Akteure wie die Mitarbeiter von Unternehmen über diese Unternehmen nicht 5 Lars Udehn, Methodological Individualism: Background, History and Meaning, London / New York: Routledge, 2001. Für eine Kritik: Steven Lukes, Individualism, New York: Harper Row, 1973. 6 Philip Pettit, „Gruppen mit einem eigenen Geist“, in: H. B. Schmid / D. P. Schweikard (Hrsg.), Kollektive Intentionalität, Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag, S. 586 – 625. 7 John Ladd, Corporate Mythology and Individual Responsibility, in: The International Journal of Applied Philosophy, Vol. 2 (2), 1984, S. 1 – 21.
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nur so reden, als seien sie Akteure, sondern mit ihnen so wie mit anderen Akteuren auch interagieren. Wenn jemand beispielsweise einen Arbeitsvertrag mit einer Bank unterschreibt, dann steht er auf der einen Seite des Vertrages und die Bank auf der anderen Seite. Zwar wird der Vertrag auch auf Arbeitgeberseite von einem individuellen Menschen unterschrieben, aber dieser Manager handelt bloß als Agent des korporativen Akteurs, nur im Auftrag der Bank. Wenn der Manager die Bank verlässt, vielleicht weil er des Insiderhandels überführt wurde, so bleibt der Arbeitsvertrag trotzdem bestehen, gerade weil er mit der Bank und nicht diesem korrupten Manager geschlossen wurde. In gewisser Weise stimmt es, dass Unternehmen als Akteure im Hintergrund aufzufassen sind, die stets durch ihre Handlanger, die individuellen Mitarbeiter an der Oberfläche agieren. Insofern ist die hier vorgeschlagene Position auch gar nicht so weit entfernt vom methodologischen Individualismus, weil nicht angenommen wird, dass Unternehmen über einen eigenen Geist ganz unabhängig von individuellen Akteuren verfügen.8 Entscheidend ist jedoch, dass das Handeln des korporativen Akteurs Unternehmen nicht auf das zwar gemeinsame aber letztlich bloß individuelle Handeln der einzelnen Mitarbeiter reduziert werden kann. Der Grund liegt darin, dass ein Unternehmen von den Mitarbeitern selbst als ein von ihnen zu unterscheidender Akteur aufgefasst wird. Sie richten ihr eigenes Handeln als Mitarbeiter nach den Plänen dieses Unternehmens aus.9 Insofern handeln sie als Agenten des korporativen Akteurs. Wenn sie sich fragen, was sie tun sollen, welches die richtigen Entscheidungen in ihrem Arbeitsbereich sind, dann fragen sie als Agenten des korporativen Akteurs nicht bloß danach, was ihre Vorgesetzen wollen, sondern sie fragen danach, was gut für das Unternehmen ist. Und wenn sich die Mitarbeiter in einem Konflikt zwischen ihren eigenen Interessen und ihrer Loyalität zu ihrem Unternehmen sehen, dann geht es nicht oder zumindest nicht nur um Loyalität ihrem Vorgesetzten oder ihren Kollegen gegenüber, sondern es geht um das ganze Unternehmen. Diese Konstruktion des Unternehmens als planenden Akteur geschieht nicht individuell, sondern in einem vielschichtigen kollektiven Prozess. Die Weichenstellungen möglicherweise längst verstorbener Unternehmensgründer oder Topmanager sind hier genauso relevant wie etablierte Gewohnheiten und eine komplexe Unternehmenskultur. Wenn individuelle Mitarbeiter sich als Agenten des korporativen Akteurs verstehen und nach den Plänen des Unternehmens fragen, dann können sie diese Vorgaben nicht einfach ignorieren, sondern müssen sich nach den sozialen Vorgaben in dem Verständnis dieser Pläne richten. Dies scheint uns letztlich ein wesentlicher Grund dafür zu sein, dass Unternehmen mit manchmal vielen tausend aber auch nur fünfzig Mitarbeitern trotz aller Reibungen und Missver8 John Searle, „Kollektive Absichten und Handlungen“, in: H. B. Schmid / D. P. Schweikard (Hrsg.), Kollektive Intentionalität, Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag, S. 99 – 118. 9 Michael E. Bratman, „Geteiltes kooperatives Handeln“, in: H. B. Schmid / D. P. Schweikard (Hrsg.), Kollektive Intentionalität, Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag, S. 176 – 193.
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ständnisse überhaupt funktionieren. Die Mitarbeiter können ihr individuelles Handeln gar nicht durch explizite Einigungsverfahren miteinander koordinieren. Die Koordination kann nur dadurch erfolgreich gelingen, dass alle oder zumindest die meisten Mitarbeiter in ihrem Handeln zumindest meistens den Plänen des Unternehmens als korporative Akteure folgen.10 Das zweite, sprachanalytische Argument stellt selbst kein positives Argument für die Annahme dar, dass Unternehmen korporative Akteure sind. Es will vielmehr nur zeigen, dass entgegen des Dogmas des methodologischen Individualismus nichts dagegen spricht, Unternehmen als Akteure aufzufassen. Zusammen mit dem phänomenologischen Argument stellt das sprachanalytische Argument eine gute Basis für die Annahme dar, dass Unternehmen tatsächlich Akteure sind, weil es einen guten Grund für diese Annahme gibt, und ein vermeintlich guter Grund dagegen entkräftet wurde. Das sprachanalytische Argument baut auf dem klassischen philosophischen Handlungsverständnis auf. Demnach hat jemand genau dann gehandelt, wenn eine Veränderung in der Welt kausal auf eine seiner Absichten zurückgeht. Dafür ist es unerheblich, ob Absichten als eine Verbindung von Überzeugungen und Wünschen oder irgendwie anders verstanden werden. Ebenso ist es zunächst für die Zuschreibung der Handlung unerheblich, ob die eingetretene Veränderung in der Welt oder eigentlich etwas ganz anderes beabsichtigt war. Das ist nur für die Zuschreibung von Verantwortung wichtig.11 Entscheidend für die Zuschreibung von Handlungen ist vielmehr nur, dass ein kausales Verhältnis zwischen der einem Akteur zugeschriebenen Absicht und einer Veränderung in der Welt hergestellt werden kann. Im Mittelpunkt der Frage danach, ob Unternehmen Akteure sind, steht also die Frage danach, ob ihnen Absichten zugeschrieben werden können. Nun besteht allerdings das Problem, dass im Grunde jedem und alles Absichten zugeschrieben werden können. Ein Stein beispielsweise könnte Absichten haben, aber unfähig sein, in die Welt einzugreifen, weil er sozusagen in seinem Körper gefangen ist. Um solche kontraintuitive Zuschreibungen auszuschließen, erscheint es sinnvoll, nur dann Absichten zuzuschreiben, wenn es Grund zur Annahme gibt, dass jemand tatsächlich auch in die Welt eingreifen kann. Allerdings kann dies keine hinreichende Bedingung sein, denn es gibt natürliche Ereignisse, die einen erheblichen Einfluss auf die Welt haben. Trotzdem hat der Mond beispielsweise nicht die Absicht, einen stetigen Wechsel von Ebbe und Flut zu verursachen. Es bedarf also eines weiteren Kriteriums, um bestimmen zu können, ob jemand absichtlich in die Welt eingreift.
10 Dies scheint uns auch der Grund dafür sein, dass Unternehmen schon lange als Subjekte des Zivilrechts aufgefasst werden und langsam auf internationaler Ebene eine Debatte zu der Frage entsteht, ob sie auch als Subjekte des Strafrechts aufgefasst werden sollten. Vgl.: Celia Wells, Corporations and Criminal Responsibility, Oxford: Oxford University Press, 2001. 11 Donald Davidson, „Handlungen, Gründe und Ursachen“, in: R. Stoecker (Hrsg.), Handlungen und Handlungsgründe, Paderborn: Mentis, 2002.
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Das beste Kriterium, das wir dafür haben, um zu bestimmen, ob jemand absichtlich handeln kann, besteht darin festzustellen, ob jemand sein Verhalten dann ändert, wenn sich seine Absichten geändert haben. Doch wie lässt sich bestimmen, ob jemand seine Absichten ändert? Letztlich nur dadurch, dass jemand in seinem Handeln auf das absichtliche Handeln eines anderen Akteurs reagiert. Entscheidend ist hierbei, dass der reagierende Akteur das Handeln des zweiten Akteurs als absichtliches Handeln auffassen muss. Er muss also über Intentionalität höherer Stufe verfügen: auf Intentionalität bezogene Intentionalität. 12 Wenn Unternehmen Akteure sein sollen, dann müssen sie all diese Bedingungen erfüllen. Es muss möglich sein, ihnen Absichten zuzuschreiben, die ursächlich für Veränderungen in der Welt sind und dies muss darüber bestimmbar sein, dass sie in ihren Absichten auf die Absichten anderer Akteure reagieren. Ist es plausibel anzunehmen, dass Unternehmen dies können? Tatsächlich erscheint es uns nicht nur plausibel, sondern geradezu notwendig, um das Handeln von Unternehmen überhaupt sinnvoll beschreiben zu können. Denn bereits die individuellen Mitarbeiter treten in ihrem Handeln in eine intentionale Interaktion mit dem Unternehmen selbst. Sie richten ihr intentionales Handeln nach den Plänen des Unternehmens aus. Diese Pläne ändern sich natürlich in Reaktion auf veränderte Umweltbedingungen und auch in Reaktion auf geänderte intentionale Einstellungen externer Akteure in Bezug auf das Unternehmen. Wenn Kaffeekonsumenten beispielsweise vermehrt ihre Absicht äußern, nur noch fair gehandelten Kaffee zu kaufen, bzw. wenn ein Unternehmen den Konsumenten diese Absicht zuschreibt, dann ändert es seine Pläne und die individuellen Mitarbeiter ändern ihre diesen Plänen nachfolgenden Absichten. Letztlich ist für die Auffassung von Unternehmen als Akteure also entscheidend, dass mit Unternehmen über Sprache kommuniziert werden kann. Allerdings ließe sich an dieser Stelle noch einwenden, dass ja eigentlich niemals mit dem Unternehmen selbst, sondern immer nur mit individuellen Mitarbeitern gesprochen wird. Doch dies verkennt die Bedeutung der Einsicht, dass mit diesen Mitarbeitern als Agenten des korporativen Akteurs gesprochen wird. Sie richten ihre Absichten nach den Plänen des Unternehmens und diese Pläne werden nicht von ihnen selbst erfunden, sondern in einem irreduziblen kollektiven Prozess dem Unternehmen zugeschrieben. Zusammenfassend lässt sich noch einmal wiederholen, dass diese Zuschreibung von Plänen und Absichten bei Unternehmen aus drei Gründen gerechtfertigt ist: Erstens können Unternehmen auf bloß sprachlich geäußerte Absichten reagieren. Sie sind also in der Lage anderen Akteuren Absichten zuzuschreiben. Zweitens sind sie in der Lage, ihre eigenen Pläne und Absichten aufgrund dieser Zuschreibung zu modifizieren. Dies geschieht, indem sich die Pläne des Unternehmens ändern. Drittens sind Unternehmen fähig, über ihre individuellen Agenten, die in ihren Absichten den Plänen des korporativen Akteurs Unternehmen folgen, in die 12
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Daniel Dennett, „Intentional Systems“, in: The Journal of Philosophy 68, 1971, S. 87 –
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Welt einzugreifen und sie zu verändern. Damit erfüllen Unternehmen alle Bedingungen die nötig sind, um als Akteure aufgefasst zu werden. Doch es geht nicht nur um die Frage, ob Unternehmen Akteure sind, sondern auch und vor allem um die Frage, ob sie moralische Akteure sind. Dafür sprechen wiederum zwei Argumente, von denen eins ebenfalls sprachanalytischer und das andere normativer Natur ist. Das sprachanalytische Argument beruht auf den bisherigen Ausführungen zur Frage, ob Unternehmen als Bedingungen erfüllen, um Akteure sein zu können. Wenn akzeptiert ist, dass Unternehmen Akteure sind, so muss im nächsten Schritt danach gefragt werden, was noch hinzukommen muss, damit sie sinnvoll als moralische Akteure aufgefasst werden können. Sonst wäre es denkbar, sie als zwar frei handelnde Akteure zu verstehen, die aber zu moralischem Handeln nicht fähig sind. Beispielsweise könnten Banken dann möglicherweise Akteure sein, die frei sind, verschiedene Wege einzuschlagen, um ihren Gewinn zu maximieren. Eine besonders innovative Vorgehensweise bestünde darin, Risiken zu minimieren, indem schlechte Geschäfte in so genannte bad banks ausgelagert werden, die dann von Regierungen notgedrungen aufgekauft werden müssen, weil sonst das ganze Finanzsystem zusammenbricht. Banken hätten dann frei gehandelt, wenn sie sich für diese Vorgehensweise entscheiden. Moralische Erwägungen kommen dabei jedoch nicht ins Spiel und es ist keineswegs klar, dass Banken aus moralischen Gründen von solch einem gesellschaftsschädlichen Handeln absehen können. Was muss hinzukommen, damit Banken und andere Unternehmen nicht bloß als planende Akteure, sondern als moralische Akteure aufgefasst werden können? Bei der Beantwortung dieser Frage hilft eine wichtige praktische Gleichsetzung weiter: Alle moralischen Akteure sind verantwortungsfähige Akteure und alle verantwortungsfähigen Akteure sind moralische Akteure.13 Diese Gleichsetzung hilft deswegen weiter, weil nunmehr über die Frage der Verantwortungsfähigkeit geklärt werden kann, ob Unternehmen moralische Akteure sind. Was also gehört zu Verantwortungsfähigkeit dazu? Grundsätzlich verantwortungsfähig sind alle freien Akteure, die fähig sind, den moralischen Standpunkt einzunehmen. Dazu ist es nicht notwendig, dass jemand auch motiviert ist, den moralischen Standpunkt einzunehmen und erst recht nicht, dass dieser Akteur motiviert ist, von diesem moralischen Standpunkt aus zu handeln. Es reicht vielmehr, dass er es könnte. Dies macht ja gerade die Dynamik des Verantwortungsbegriffs aus. Jemand kann auch und gerade dann für sein Handeln verantwortlich gemacht werden, wenn ihm moralische Erwägungen gleichgültig sind. Es stellt sich also die Frage, ob Unternehmen fähig sind, den moralischen Standpunkt einzunehmen, ganz unabhängig davon ob sie dies tatsächlich auch tun oder 13 Dieser Gedanke ist darauf zurückzuführen, dass Moral darauf beruht, dass jemand über die Gründe seines Handelns reflektieren kann. Genau deswegen ist er auch in der Lage, für sein Handeln Rede und Antwort zustehen, kann sich also verantworten. Für einen Überblick: Peter French (Hrsg.), The Spectrum of Responsibility, New York: St. Martin’s Press, 1991.
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nicht. Wir denken, dass diese Frage bejaht werden kann, Einige soziologischen Argumente befürworten sogar die Sicht, dass Unternehmen im Vergleich zu Individuen eine größere Moralfähigkeit zukommt.14 Selbst wenn dies zutrifft, so verbürgen diese Gründe für eine größere Moralfähigkeit noch lange keine moralische Praxis. Und selbst falls eine größere Moralfähigkeit besteht, so haben wir es zugleich immer auch mit der wirkmächtigen Möglichkeit der Moralverdrängung zu tun, die Ortmann jüngst als die dunkle Seite des Phänomens der Organisationsmoral bezeichnet hat.15 Wirtschaftswissenschaftlich lässt sich dieses Problem so ausdrücken: Ökonomische Organisationen sind als Akteure des Wirtschaftssystems der Gesellschaft grundsätzlich der Leitcodierung von Aufwand und Ertrag unterstellt; müssen aber zugleich, als Grenzgänger zwischen den gesellschaftlichen Subsystemen, auch andere gesellschaftliche Erwartungen in ihren Programmen verarbeiten. Unternehmen sind nicht nur, aber eben auch, moralfähige Akteure. Ihre anderen Interessen können sie jedoch daran hindern, ihre Moralfähigkeit so weit auszubilden, dass sie tatsächlich auch moralisch handeln, also zu moralischen Akteuren werden. In dieser Perspektive sind Unternehmen dann mit Kindern zu vergleichen, die wir verantwortlich machen, obwohl sie noch nicht richtig gelernt haben, den moralischen Standpunkt einzunehmen und Verantwortung zu übernehmen. Letztlich muss sich in der Praxis erweisen, ob Unternehmen in der Lage sind, Verantwortung zu übernehmen oder ob die Erziehung zu verantwortlichen Akteuren scheitern wird. Allerdings sprechen zwei Punkte dafür, dass es durchaus Grund zur Hoffnung gibt. Als sprachfähige Akteure können Unternehmen durchaus an moralischer Kommunikation teilnehmen, die Frage ist bloß, ob sie deren Bedeutung auch verstehen und sich irgendwie motivieren lassen, danach zu handeln. Da die individuellen Mitarbeiter eines Unternehmens bereits moralische Akteure sind, können deren moralischen Fähigkeiten sozusagen im Dienste des Unternehmens angezapft werden. Dies unterscheidet sich eigentlich nicht davon, dass die betriebswirtschaftlichen, kreativen oder wissenschaftlichen Fähigkeiten mancher Mitarbeiter ebenfalls im Dienst des Unternehmens stehen. Es kommt allerdings sehr darauf an, dass die Organisation des Unternehmens so umgebaut wird, dass moralische Erwägungen mehr Berücksichtigung erfahren und Entscheidungen tatsächlich auch beeinflussen können. Wie dies gelingen kann, wird Gegenstand des folgenden Abschnitts sein, wenn es um die Governance der Unternehmen geht. Zuvor gilt es jedoch noch zu motivieren, warum dies überhaupt sinnvoll erscheint. Dies hat mit dem normativen Argument für die Annahme von Unternehmen als verantwortungsfähige Akteure zu tun. Dieses Argument lautet schlicht: Es 14 Hans Geser, „Interorganisationelle Normkulturen“, in: M. Haller / H.-J. Nowottny / W. Zapf (Hrsg.), Kultur und Gesellschaft, Frankfurt / New York: Campus Verlag, 1989, S. 211 – 223. Josef Wieland, Normativität und Governance. Gesellschaftstheoretische und philosophische Reflexionen der Governanceethik, Marburg: Metropolis, 2005. 15 Günther Ortmann, Organisation und Moral. Die dunkle Seite, Weilerswist: Velbrück, 2010.
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ist gut, Unternehmen als verantwortliche Akteure aufzufassen.16 Das hängt natürlich zuerst davon ab, dass es auch möglich ist, Unternehmen als moralische Akteure zu sehen. Genau dies haben wir mithilfe des begriffsanalytischen Arguments bereits gezeigt. Darüber hinaus spricht tatsächlich einiges dafür, dass es auch wirklich gut ist, Unternehmen verantwortlich zu machen: Unternehmen sind sehr mächtige Akteure mit zahlreichen Fähigkeiten. Der Fortschritt des Wirtschaftssystems und die Vielzahl technischer Innovationen sind nicht zuletzt der Kompetenz der Unternehmen geschuldet. Es liegt nahe, danach zu fragen, ob diese Akteure nicht auch in anderer Hinsicht Hilfe leisten und Verantwortung übernehmen können. Außerdem besteht ein gewisser Verdacht, dass mächtige Akteure auch viel Schaden anrichten können, wenn sie aufgrund moralischer Erwägungen nicht davor zurückschrecken. Das Verhalten der Banken in der Finanzkrise bestätigt diesen Eindruck. Die Banken haben enormen Schaden angerichtet, für die Volkswirtschaft genauso wie für viele einzelne Kleinsparer. Hinzu kommt, dass individuelle Mitarbeiter kaum etwas hätten ausrichten können, um die Krise zu verhindern. Hätten sie einfach nicht mitgemacht oder auf das ihrer Ansicht nach unmoralische Handeln der Banken hingewiesen, dann wären sie entlassen oder irgendwie anders kaltgestellt worden.17 Große Banken hingegen hätten sich durchaus Gehör verschaffen, frühzeitig auf die schädliche Praxis der Kreditvergabe aufmerksam machen und Gegenmaßnahmen vorschlagen können. Auch jetzt nach der Krise kann von Banken als verantwortlichen Akteuren erwartet werden, dass sie Wiedergutmachung leisten. All dies spricht normativ dafür, Unternehmen tatsächlich als verantwortliche Akteure aufzufassen. III. Unternehmen und Good Corporate Governance Bisher haben wir dafür argumentiert, dass Unternehmen nicht nur als korporative, sondern auch als moralische Akteure zu verstehen sind. Doch wie lässt sich diese Einsicht in eine organisationsökonomische Perspektive übersetzen? Denn 16 David Copp, „On the Agency of Certain Collective Entities: An Argument from Normative Autonomy“, in: P. A. French / H. K. Wettstein (Hrsg.), Shared Intentions and Collective Responsibility, Malden MA / Oxford: Blackwell, 2006, S. 194 – 221. 17 Das bedeutet natürlich nicht, dass die individuellen Mitarbeiter nicht trotzdem individuell verantwortlich sein können, für das, was sie tun. Natürlich ist es beispielsweise nicht gerechtfertigt, an Menschenrechtsverletzungen teilzunehmen mit der Begründung, dass es auch nichts ändern würde, wenn man allein damit aufhört. Bei kleineren Vergehen des Chefs, beispielsweise Steuerhinterziehungen, stellt sich allerdings durchaus die Frage, ob man eine Kündigung und möglicherweise lange Arbeitslosigkeit Kauf nehmen muss, um dieses Vergehen zur Anzeige zu bringen. Wichtig ist vor allem, dass individuelle Mitarbeiter zwar regelmäßig eine haftende Verantwortung übernehmen können, aber sehr oft keine sorgende Verantwortung. Sie haben zu wenig Handlungsmacht, um eingetretene schlechte Konsequenzen wiedergutmachen zu können oder zukünftige schlechte Ereignisse verhindern zu können. Dies wird ausführlicher ausgearbeitet in: Christian Neuhäuser (Fn. 4).
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diese Argumentation bedeutet natürlich nicht, dass Unternehmen einfach so ein Gewissen zugeschrieben werden könnte. Auch die Behauptung eines Gewissens zweiter Ordnung kann auf den ersten Blick nicht überzeugen. Denn aus der schlichten Feststellung, dass Organisationsmitglieder auch als korporative Agenten zur Vernunft und Moral fähige Akteure mit einem Gewissen sind, folgt nicht, dass diese individuellen Gewissen zu einer Art Organisationsgewissen emergieren. Aber selbst wenn Unternehmen keine eigenen Gewissen hervorbringen können, so stellt dies dennoch kein unüberwindliches Problem dar. Vielmehr können und müssen sich Unternehmen auf die Gewissen der Organisationsmitglieder als Personen ,verlassen‘. Doch wie soll das gelingen? Wenn ein Organisationsgewissen nicht erwartet werden kann und Unternehmen aus den bisher genannten Argumenten dennoch als moralische Akteure zu begreifen sind, dann müssen wir auf der Ebene von Organisationen nach möglichen funktionalen Äquivalente zum klassisch verstandenen Gewissen suchen. Dafür bietet sich der Begriff der Governance an. Ein ökonomisch informierter Begriff der Governance „is the means by which to infuse order; thereby to mitigate conflict and realize mutual gains“.18 Die Governanceperspektive auf Unternehmen bricht mit der organisationsökonomischen Sicht auf Unternehmen als bloße Institution, weil die Governance im Vergleich zu Institutionen auf „die Integration und Interaktion formaler und informaler Constraints im Hinblick auf ein bestimmtes Problem und ( . . . ) auf Adaptivität [fokussiert], das heißt auf die Reflexivität und Rekursivität von Strukturen als Steuerungsproblemen“.19 Diese Rekursivität von Strukturen ist ein wichtiges Element von Governance, beschreibt sie aber noch nicht vollständig. Wenn Rekursivität die Operation beschreibt, dass zwei distinkte Phänomene wechselseitig Grundlage und Resultat sind,20 dann entfaltet sich die Governance nicht als bloße Rekursivität von Strukturen, sondern als Rekursivität von Individuen (Organisationsmitgliedern) und Institutionen (Strukturen und Kulturen).21 Governance impliziert dann eine intersubjektive Struktur, die sich analytisch in eine subjektive und objektive Governancedimension teilen lässt.22 Dieses Verständnis von Governance als Inbegriff einer eigentümlichen Rekursivität von Individuen und Institutionen stellt nicht nur 18 Oliver E. Williamson, „The Economics of Governance“, http: // www.aeaweb.org/annual _mtg_papers/2005/0107_1645_0101.pdf (Stand: 21. Oktober 2007). 19 Josef Wieland, Die Ethik der Governance, 5., neu durchgesehene Auflage, Marburg: Metropolis, 2007. Vgl. zu dieser Argumentation, die wir hier nicht im Einzelnen entfalten können, auch: Marc C. Hübscher, Die Firma als Nexus von Rechtfertigungskontexten. Eine normative Untersuchung zur rekursiven Simultanität von Individuen und Institutionen in der Governanceethik, Oldenburg: noch unveröffentlichte Dissertation, 2010. 20 Vgl. Günther Ortmann, Formen der Produktion. Organisation und Rekursivität, Opladen: VS Verlag, 1995, S. 81 ff. 21 Vgl. Geoffrey M. Hodgson, „Institutions and Individuals. Interaction and Evolution“, in: Organization Studies 28, 2007, S. 95 – 116. 22 Vgl. Birger P. Priddat, Politische Ökonomie. Neue Schnittstellendynamik zwischen Wirtschaft, Gesellschaft und Politik, Wiesbaden: VS Verlag, 2009. S. 154.
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ein gutes Verständnis der Praxis von Unternehmen dar. Sie ist darüber hinaus auch anschlussfähig zu der oben angeführten Argumentation, dass die Organisationsmitglieder Agenten des korporativen Akteurs sind, die die institutionellen Arrangements der Kooperation und Koordination als Pläne prozessieren und letztendlich vollständig konstituieren. In loser Anlehnung an Wieland lässt sich sagen, dass erstens die moralsensitive Gestaltung von Institutionen die Moralität von individuellen Akteuren voraussetzt und zweitens moralsensitive Institutionen bereits die Voraussetzung für die Wirksamkeit der Moralität von individuellen Akteuren ist.23 Genau diese Wechselwirkung ist mit Rekursivität der Governance gemeint: Good Corporate Governance ist einerseits nur im Maße einer entgegenkommenden Personal Governance erwartbar und andererseits kann eine wohlverstandene Personal Governance nur dann gelingen, wenn das eigene Handeln als Agent der korporativen Akteurs auf die verständigungsorientierte, gleichsam praktisch notwendige Offenheit der Institutionen vertrauen kann. An dieser Stelle ist es äußerst wichtig zu betonen, dass dieser Vorschlag, die Governance des kollektiven Akteurs als funktionales Äquivalent für das Gewissen der individuellen Akteure zu begreifen, selbst kein normatives Argument darstellt. Genauso wie in der Sozialisation individueller Menschen die Stimme des Gewissens merkwürdig betäubt, hinausgezögert und sogar vollständig ausbleiben kann, lässt sich die Governance der Unternehmung nicht per se als normatives Korrektiv der Moral kennzeichnen. Dem Misslingen der individuellen Sozialisation entspricht vielmehr eine Governance der Moralverdrängung. Die Erziehung von Unternehmen zu moralischen und verantwortlichen Akteuren kann also scheitern, und das gilt selbst dann, wenn sie mit den besten Absichten geschieht. Die bisher vor allem von Josef Wieland entwickelte Ethik der Governance hat in ihrer Fokussierung auf Strukturen vorgeschlagen, so genannte Wertemanagementsysteme zu etablieren. Erweitert man die Governance jedoch auf die hier eingeführte Rekursivität von Individuen und Institutionen, so können Wertemanagementsysteme gar nicht allein auf die strukturellen Vorgaben aufsetzen, sondern müssen in zwei Hinsichten erweitert werden. Erstens müssen die kulturell eingelagerten ,Interpretationsvorräte‘ eines Unternehmens, die in den Wertemanagementsystemen der Governanceethik bereits schwach berücksichtigt werden, deutlich höhere Aufmerksamkeit erfahren. Zweitens und insbesondere muss das zielgerichtete und planbezogene Handeln der Organisationsmitglieder in den Mittelpunkt rücken. Dies ist so wichtig, weil jene Interpretationsvorräte mit Blick auf die Moral zugleich Fluch und Segen sind. Wenn sich Interpretationsvorräte als Resultat von Institutionen und zielgerichtetem Handeln ergeben, so versorgen Wertemanagementsysteme die Organisationsmitglieder nur dann mit entscheidungsrelevanten Werten, wenn die Mitglieder innerhalb der Organisation eben diese Werte in Plänen und Handlungen des Unternehmens als tatsächlich relevant kennen gelernt 23
Vgl. Josef Wieland (Fn. 19), S. 78.
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haben und diese Relevanz immer wieder erwarten dürfen. Wenn dies nicht zutrifft, dann kann und darf dieses werteorientierte Handeln von Organisationsmitgliedern auch nicht erwartet werden. Denn die Pläne des Unternehmens verlangen dann von den korporativen Agenten etwas anderes. Insofern brüskieren bloß postulierte Organisationswerte die Handlungsspielräume der Organisationsmitglieder als korporative Agenten, weil gerade das als unwahrscheinlich und sogar unerwünscht gilt, was in diesen abstrakt gesollten Wertepostulaten gefordert wird, es handelt sich eben nicht um die wirklichen Pläne des Unternehmens. Werteinduzierte Institutionen ereilt dann das gleiche Schicksal wie misslingende Sozialisierungsprozesse bei individuellen Akteuren. Zunächst kommt es zu vielleicht noch schmerzhaft empfundenen Widersprüchen in der Rekursivität von individuellen Selbstbindungsmechanismen sowie informalen und formalen Institutionen. Doch die quälende Stimme des Gewissens der Organisationsmitglieder, dass etwas nicht richtig sein kann mit diesen oder jenen Handlungen in und von Unternehmen, kann natürlich verstummen und wird es bei völliger Wirkungslosigkeit im Laufe der Zeit wohl auch tun. Aber selbst wenn die Stimme des Gewissens von korporativen Agenten durch solche Prozesse der Resignation eigentümlich sediert wird, so stellt dies immer noch nicht die generelle Moralfähigkeit des kollektiven Akteurs in Frage, wohl aber deren Praxis. Die Gründe für das Misslingen einer moralischen Praxis sind lebensweltlich eigentlich gut bekannt, aber im Kontext der Unternehmung nicht hinreichend erforscht. Auf individueller Ebene kennt die Moralpsychologie außerdem zahlreiche Mechanismen der Moralverdrängung, die häufig in kognitiven Dissonanzen münden und institutionell Möglichkeiten der Verantwortungsverschiebung und -verdrängung beispielsweise durch hierarchische Zuständigkeitsordnungen befördern.24 Muss sich der ,kleine Mann‘ im Unternehmen sorgen, ob die Entscheidung unmoralisch oder amoralisch ist, wenn diese Entscheidungen bereits im Management gefallen ist? Muss er diese Entscheidung moralisch in Frage stellen, wenn er nicht ausschließen kann, dass die damit verbundene Deliberation einen möglichen Nachteil für seine individuelle Entwicklung enthält? Ja und nein ist man geneigt zu sagen. Ja, weil er überhaupt nicht ausschließen kann, dass das Management die von ihm gesehenen Argumente in ihrer Entscheidungsfindung berücksichtigt hat und möglicherweise anders entscheiden würde, wenn es diese Argumente kennen und nachvollziehen könnte. Ja, weil das Organisationsmitglied keinesfalls sicher sein kann, dass das Management seine Response nachteilig auslegen würde. Nein, weil ebenfalls nicht auszuschließen ist, dass die seltsam monolingual transportierte Entscheidung auch zu kostenintensiven Aushandlungsprozessen führen kann, die dem Organisationsmitglied angelastet werden kann, und die Response des Managements zu eben den Nachteilen führen kann, die das Organisationsmitglied ja 24 Vgl. Marc C. Hübscher, „Lucifer in between. Governance und schmutzige Praxis. Die Psychologie der Moralverdrängung und das Recht auf Rechtfertigung“, in: Josef Wieland (Hrsg): Behavioural Business Ethics. Psychologie, Neuroökonomik und Governanceethik, Marburg: Metropolis, 2010.
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gerade zu vermeiden sucht. Das Interessante an dieser Uneindeutigkeit der Situationseinschätzung ist nicht nur eine Frage der geeigneten Institutionen, sondern vor allem nach der richtigen Rekursivität der Governance. Wenn es zutrifft, dass die Entscheidungen des Managements auf einem Abstraktionsniveau fallen, das die konkrete Richtigkeit dieser Entscheidung in situ nicht verbürgen können, dann bedarf es der mal kritischen mal affirmativen Response derjenigen korporativen Agenten, die diese Entscheidung im hic et nunc umzusetzen haben. Das heißt aber zugleich natürlich auch, dass es der institutionell verankerten Möglichkeit solch einer Response bedarf. Sonst kann dies nicht funktionieren und Organisationsmitglieder können kaum Verantwortung dafür übernehmen, die Pläne der Unternehmen in moralischer Hinsicht zu verbessern. Doch warum sollten sich Unternehmen als korporative Akteure darauf einlassen, das Gewissen und die moralischen Fähigkeiten seiner Organisationsmitglieder anzuzapfen, um selbst seine grundsätzliche Moralfähigkeit zu einer moralischen Handlungspraxis auszubauen? Governance als Steuerungsrepertoire des Unternehmens muss soziale Ordnung herstellen, sagt der Institutionenökonom Williamson (was durchaus normativ gemeint ist),25 damit Konflikte gelöst und wechselseitige Gewinne auf Dauer gestellt werden können. Dieses Steuerungsrepertoire des Unternehmens kann aber nur gelingen, wenn Konfliktlösungsmechanismen und der Anspruch wechselseitiger Gewinne in den Institutionen der Governance bereits eingebaut sind. Konfliktlösungsmechanismen aber, die alle Beteiligten auch akzeptieren können, zehren von Argumenten, die nur dann ökonomisch wirken, wenn sie nicht selbst ökonomisch motiviert sind. Verständigung ist zu unterscheiden vom rationalen Einverständnis und bedarf des lebensweltlichen ausgerichteten Verständigenwollens, das in gelingenden Kooperationen bereits besteht, bevor es thematisiert wird. Die damit verbundenen nichtökonomischen, ja moralischen Grundlagen der Ökonomik werden in Bezug auf Unternehmen also ökonomisch relevant. Hier liegt die Chance der Governance als organisationales Gewissen. Das Unternehmen als korporativer Akteur braucht das Verständigenwollen seiner Organisationsmitglieder als seine Agenten. Dies heißt aber letztlich, dass es der moralischen Fähigkeiten dieser Agenten bedarf. Governance, als rekursives Zusammenspiel von Organisationsmitgliedern und Institutionen, stellt somit die Möglichkeit des moralischen Gewissens einer Organisation dar. Denn Responsivität lässt sich nicht oder nur sehr schwer auf die gewünschten Bereiche einschränken; je mehr Response ein Unternehmen also zulässt, desto mehr Moral muss es in seine Pläne integrieren. Davon abgesehen kann ein moralischer Druck von außen natürlich dabei helfen, die moralische Response der Organisationsmitglieder zu befördern. Woran aber können sich Unternehmen in ihren so verstandenen Entscheidungsprozessen orientieren, wenn sie dieser Argumentation folgen und Konfliktlösungs25 Oliver E. Williamson, The Mechanisms of Governance, New York / Oxford: Oxford University Press, 1996, S. 42.
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mechanismen an wechselseitigen Gewinnen ausrichten wollen ohne in Widersprüche zu geraten? – Diese Orientierung kann zumindest minimal, so denken wir, in den Menschenrechten zu finden sein.
IV. Unternehmen und Menschenrechte Es hat sich gezeigt, dass Unternehmen als verantwortliche Akteure aufgefasst werden können und dass es für sie selbst durchaus auch gute Gründe gibt, moralische Erwägungen in ihre Entscheidungsprozesse zu integrieren. Doch dies lässt die Frage unbeantwortet, aufgrund welches ethischen Maßstabes Unternehmen von außen Verantwortung zugewiesen werden soll, bzw. an welchem Maßstab sie sich in ihren Entscheidungen orientieren sollen. Es bedarf natürlich solch eines Maßstabes, weil sonst überhaupt nicht klar ist, wann Entscheidungen moralisch und Handlungen verantwortlich sind und wann nicht. Doch es ist gar nicht so einfach einen verbindlichen moralischen Maßstab zu finden. In der Theorie herrscht ein großer Pluralismus verschiedener und miteinander konkurrierender Ansätze vor und auch in der Praxis verbreitet sich der Eindruck, dass jeder seine eigene Ethik habe.26 Aber wenn jeder seine eigene Ethik hat, dann gibt es keine Moral, weil diese praktisch nur funktionieren kann, indem sie einen gemeinsamen Orientierungspunkt liefert. Dieses generelle Problem besteht für Unternehmen in besonderer Schärfe, weil sie nicht immer schon in eine bestehende moralische Praxis eingebettet waren, sondern erst aktiv integriert werden müssen. Dafür bedarf es dringend einer klar identifizierbaren moralischen Grundlegung. Tatsächlich gibt es eine Möglichkeit mit diesem Problem umzugehen, weil es einen Maßstab gibt, der sich als Grundlage für Unternehmen als moralische Akteure anbietet. Dieser Maßstab besteht in den nicht bloß politisch, sondern auch moralisch verstandenen Menschenrechten. Dies liegt schlicht daran, dass die Menschenrechte weltweit große politische Akzeptanz erfahren und sich daher auch für international agierende Unternehmen eignen. Außerdem gibt es einen formal und inhaltlich relativ klar umgrenzten Kern der Menschenrechtsfamilie: die Menschenrechtsdokumente der Vereinten Nationen. Allerdings gibt es auch zwei Probleme damit, die Menschenrechte zum Maßstab für Unternehmen als moralische Akteure zu machen. Erstens verpflichten Menschenrechte der klassischen Interpretation nach bloß Staaten dazu, eine entsprechende Grundstruktur zu schaffen.27 Zweitens ist auf den ersten Blick nicht klar, in welchem Zusammenhang moralische Probleme von Unternehmen, wie beispielsweise das Verhalten der Banken in der Finanzkrise, mit den Menschenrechten zu tun haben. 26 Vgl. Jens Badura, Die Suche nach Angemessenheit. Praktische Philosophie als Beratung, Münster: Lit-Verlag, 2002. 27 Christoph Menke / Arnd Pollmann, Philosophie der Menschenrechte zur Einführung, Hamburg: Junius, 2007.
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Auf das erste Problem gibt es eine abstrakt ganz einfache Antwort. Demnach ist es falsch, die Menschenrechte so zu verstehen, dass sie bloß Staaten politisch verpflichten und darüber hinaus keine normative Wirkung haben. Der Menschenrechtsdiskurs hat auch in der Praxis eine moralische Ebene: Die Menschenrechte verpflichten Staaten, weil sie moralisch gerechtfertigt sind und nicht weil man sich bloß zufälligerweise auf sie geeinigt hat.28 Wenn die Menschenrechte allerdings auf einer moralischen Grundlage stehen, dann ist nicht zu sehen, warum sie nur Staaten verpflichten sollen und nicht andere Akteure, wie beispielsweise Unternehmen auch. Dahinter scheint ein Bild zu stehen, nachdem dies einfach nicht nötig ist, weil die Welt in viele Einzelstaaten aufgeteilt ist und wenn diese auf ihren Territorien für die Durchsetzung der Menschenrechte sorgen, dann bedarf es keiner weitern Verpflichtungen anderer Akteure mehr. Dieses Bild lässt sich so zusammenfassen: Die Staaten werden durch die Menschenrechte verpflichtet und alle anderen Akteure durch das positive Recht dieser Staaten. Doch dieses Bild kann schon allein deswegen nicht überzeugen, weil es die Realität nicht widerspiegelt. Staaten haben deutlich an Souveränität eingebüßt. Einerseits gibt es supranationale Organisationen, wie beispielsweise die Vereinten Nationen oder die Europäische Union. Andererseits gibt es zahlreiche globale Akteure, die nicht mehr an Staatsgrenzen gebunden sind, sondern Staaten als eigenständige politische Akteure gegenüberstehen, wie beispielsweise und gerade Unternehmen, aber auch Nichtregierungsorganisationen. Außerdem gibt es zahlreiche Staaten, in denen die Menschenrechte kaum oder gar nicht als positives Recht umgesetzt sind und noch weniger durchgesetzt werden. In dieser alles anderen als idealen Welt geht die Rechnung einfach nicht auf, dass auf globaler Ebene bloß die Staaten durch Menschenrechte verpflichtet und alles weitere dem positiven Recht überlassen wird.29 Hinzu kommt noch, dass solch eine klare Arbeitsteilung vielleicht auch gar nicht wünschenswert wäre. Immerhin kann eine zunehmende politische Verflechtung einen Rückfall in nationalistische Machtpolitik bzw. deren Fortbestand verhindern. Ein nicht nur politisches, sondern auch moralisches Verständnis der Menschenrechte kann bewirken, dass andere Akteure die Lücken schließen, die von in ihrer Handlungsmacht eingeschränkten Staaten hinterlassen werden. Doch warum oder besser inwiefern kann dies Unternehmen einschließen? Dass nach diesem Verständnis die Menschenrechte auch Unternehmen betreffen, mag einleuchten, wenn es um gravierende Probleme wie globale Armut, Kinderarbeit und mangelnde Schuldbildung oder schwere Krankheiten wie Malaria oder Aids geht. Doch inwiefern können die Menschenrechte Unternehmen in Bezug auf ganz andere Probleme wie die Finanzkrise, Massenentlassungen oder den Klimawandel verpflichten? Be28 Dies scheint die Konsequenz einer Interpretation der Menschenrechte als bloß politische Errungenschaften zu sein, vgl. Charles Beitz, The Idea of Human Rights, Oxford: Oxford University Press, 2009, S. 102 – 116. 29 Vgl. Amartya Sen, The Idea of Justice, Cambridge Mass.: Harvard University Press, 2009, S. 361 – 366.
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sonders bei der Finanzkrise entsteht schnell der Eindruck, dass es sich zwar um ein gravierendes, durchaus auch moralisches Problem handelt und die Banken vieles falsch gemacht, aber sicher keine Menschenrechte verletzt haben. Die Antwort auf diese Herausforderung muss zweiteilig ausfallen. Erstens stimmt es natürlich, dass nicht jedes moralische Problem mit Unternehmen als verantwortungsfähige Akteure eine Menschenrechtsverletzung darstellt. Der Raum moralischer Rechte, Ansprüche, Interessen und Pflichten umschließt mehr als bloß die Menschenrechte. Beispielsweise ist nicht jede Gerechtigkeitsfrage ein Problem der Menschenrechte. Dies gilt auch mit Blick auf Unternehmen. Dennoch stellen die Menschenrechte einen guten Startpunkt dar, um Unternehmen sozusagen in die Gemeinschaft der moralischen Akteure zu integrieren. Dies liegt natürlich daran, dass die Menschenrechte die erwähnte weltweite Anerkennung erfahren, die Integration der Unternehmen also nicht bereits an einem unauflöslichen Streit über die zuzuweisende Verantwortung scheitert. Darüber hinaus geht es bei den Menschenrechten nicht um irgendwelche moralischen Fragen, sondern um die allerwichtigsten, genau deswegen sollen es ja universell geltende Menschenrechte sein. Die Antwort auf die Herausforderung, dass die Menschenrechte einen zu engen und zum Teil nicht geeigneten moralischen Rahmen liefern, wenn es beispielsweise um die Finanzkrise geht, hat einen zweiten Teil. Bei Menschenrechten fällt oft zuerst so etwas wie der unmittelbare Schutz der Grundbedürfnisse bzw. Grundfähigkeiten ein, wie beispielsweise Gesundheit, Ernährung, Kleidung, Wohnung und Bildung. Doch die Idee der Menschenrechte ist komplizierter und klüger. Es geht nicht bloß um die unmittelbare Versorgung mit Grundgütern, sondern es geht zugleich darum, Strukturen zu etablieren, die die Sicherung der Menschenrechte langfristig garantieren.30 Dies hat unmittelbare Auswirkungen auf die Relevanz der Menschenrechte für das Handeln von Unternehmen, auch und gerade wenn es um Probleme geht, die auf den ersten Blick nichts mit Grundbedürfnissen und Grundgütern zu tun haben, wie beispielsweise die Finanzkrise. Dies zeigt sich deutlich an zumindest drei Artikeln der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen. Zunächst lässt sich dieser Punkt an Artikel 22 nachvollziehen, der lautet: Jeder hat als Mitglied der Gesellschaft das Recht auf soziale Sicherheit und Anspruch darauf, durch innerstaatliche Maßnahmen und internationale Zusammenarbeit sowie unter Berücksichtigung der Organisation und der Mittel jedes Staates in den Genuß der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu gelangen, die für seine Würde und die freie Entwicklung seiner Persönlichkeit unentbehrlich sind.
Als Rechtstext stellt auch dieser Artikel vor allem auf Staaten als verpflichtete Akteure ab. Moralisch interpretiert kann er jedoch durchaus auch Verantwortungen für Unternehmen, wie Banken generieren. Es ist offensichtlich, dass die Finanz30 Vgl. Thomas Pogge, World Poverty and Human Rights, Cambridge / Maldon MA: Polity Press, 2002, S. 168 – 195.
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krise einigen Menschen so sehr geschadet hat, dass ihre soziale Sicherheit gefährdet wurde, weil sie ihren Beruf oder ihre Ersparnisse verloren haben. Beispielsweise waren viele Rentner betroffen, die ihre Altersvorsorge falsch bzw. schlecht beraten angelegt haben. Sicher lässt sich darüber streiten, ob dies eine Würdeverletzung dieser Menschen darstellt. Klar scheint jedoch zu sein, dass Banken sowohl diejenigen Menschen, die ohne hinreichende Liquidität ein Immobiliendarlehen bekommen haben, als auch diejenigen Menschen, denen sie diese faulen Kredite weiterverkauft haben, bloß instrumentalisiert, bloß als Mittel und nicht als Zweck behandelt haben.31 Etwas Ähnliches ergibt sich aus Artikel 25, Abs. 1, der lautet: Jeder hat das Recht auf einen Lebensstandard, der seine und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Versorgung und notwendige soziale Leistungen gewährleistet sowie das Recht auf Sicherheit im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität oder Verwitwung, im Alter sowie bei anderweitigem Verlust seiner Unterhaltsmittel durch unverschuldete Umstände.
Auch hier gilt wieder, dass Banken in der Finanzkrise durch ihr fahrlässiges und unverantwortliches Handeln den durch die Menschenrechte garantierten Lebensstandard vieler Menschen gefährdet haben, indem sie deren materielle Lebensgrundlage leichtfertig verspielt haben. Es ist also falsch zu glauben, (moralische) Menschenrechtsverletzungen seien etwas, dass nur in der „Dritten Welt“ und vielleicht noch China geschehen. Wenn die sozioökonomischen Rechte der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ernst genommen werden, dann besteht auch in den industrialisierten Ländern dringender Nachbesserungsbedarf. Dies wird in allgemeiner Form noch einmal in Artikel 28 auf den Punkt gebracht, der lautet: Jeder hat Anspruch auf eine soziale und internationale Ordnung, in der die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten voll verwirklicht werden können.
Hier zeigt sich wieder, dass Unternehmen einen wesentlichen Beitrag zur Erfüllung der Menschenrechte leisten können, wenn diese als nicht nur Staaten, sondern auch andere verantwortungsfähige Akteure verpflichtend interpretiert werden. Die Finanzkrise hat gezeigt, dass die soziale und internationale Ordnung auch in Bezug auf die wirtschaftliche Situation der industrialisierten Länder in einer Weise beschädigt ist, dass die Grundrechte und Grundfreiheiten von Menschen durchaus gefährdet sind. Banken können ihren Teil dazu beitragen, diese Ordnung zu stabilisieren. Dazu können sie erstens selbst Mechanismen entwickeln, um stark risikoreiche und das System destabilisierende Spekulationspraktiken zu verhindern. Sie können sich zweitens gemeinsam mit anderen Banken kollektiv selbst verpflichten, um jene schädigenden Praktiken effektiv zu verhindern. Und sie können schließlich mit Regierungen zusammenarbeiten, um bessere Regulierungen für ihren Sektor umzusetzen. Derzeit scheinen Banken nichts von dem zu tun, sondern all dies nach Möglichkeit verhindern zu wollen. Dabei handeln sie in hohem Maße unver31 Peter Schaber, „Menschenwürde und Selbstachtung“, in: Studia Philosophica 63, 2004, S. 93 – 106.
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antwortlich und wir haben im Geiste der Menschenrechte alles Recht ihnen schwere moralische Vorwürfe zu machen.32 Am Beispiel der Finanzkrise und der Banken also zeigt sich, dass die Menschenrechte durchaus auch als Maßstab für die moralische Bewertung das Handeln von Unternehmen innerhalb der industrialisierten Welt herhalten können. Was für Banken gilt, gilt in vielerlei Hinsicht auch für andere Unternehmen. Die Sicherung von Arbeitsplätzen und die Sicherung minimal anständiger Löhne sind nur zwei Elemente der hier genannten Artikel der Menschenrechtserklärung, die offensichtlich weiteren Handlungsbedarf generieren. Beispielsweise ist in Deutschland für viele Eltern nicht mehr gesichert, dass sie trotz Berufstätigkeit für sich und ihre Kindern die materiellen Voraussetzungen für Wohl und Gesundheit gewährleisten können.33 Dies ist ein mit den Menschenrechten unvereinbarer Zustand. Unternehmen sind sicher nicht die einzigen Akteure, die an diesen Verhältnissen etwas zu ändern haben. Dazu bedarf es fraglos und vor allem der Anstrengungen der Politik und der gesamten Zivilgesellschaft. Aber Unternehmen können sich zielorientiert an Lösungsansätzen beteiligen und ihren Beitrag leisten, anstatt alle Reformansätze aus bloß egoistischen Gründen so weit wie möglich zu verhindern. Damit würden sie schon deutlich verantwortlicher handeln, als sie es derzeit tun, und letztlich nicht weniger ihre Existenzberechtigung in einer von den Menschenrechten geprägten Welt unter Beweis stellen. Abschließend und zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Unternehmen erstens durchaus als moralische und verantwortungsfähige Akteure aufgefasst werden können. Dies liegt vor allem daran, dass sie als planende korporative Akteure aufzufassen sind, deren Pläne das intentionale Handeln der Organisationsmitglieder als ihre Agenten zumindest mitbestimmt. Neuere Einsichten der Organisationsökonomik legen zweitens nahe, dass Unternehmen aus ihrer betriebswirtschaftlichen Verfasstheit außerdem ein zumindest indirektes Interesse daran haben, sich zu Akteuren umzubauen, die praktisch moralische Erwägungen berücksichtigen können. Dies hat damit zu tun, dass Unternehmen auf die unverfälschte Response ihrer Organisationsmitglieder angewiesen sind, um Konfliktpotentiale abzubauen. Die Menschenrechte schließlich liefern einen minimalen Maßstab, an dem das Handeln von Unternehmen moralisch bewertet werden kann. Dies kann von außen geschehen, aber auch von ihnen durch die Organisationsmitglieder erfolgen. So lässt sich bestimmen, ob Unternehmen ihrer Verantwortung zumindest minimal nachkommen oder nicht, ob ihnen Vorwürfe gemacht werden sollten oder nicht und ob es vielleicht stärkerer Mechanismen bedarf, um sie in ihrem Handeln zu kontrollieren und zu mehr Moral zu erziehen.
32 Zur großen Bedeutung von moralischen Vorwürfen, also von „blaming and shaming“ in einem politischen, aber moralisch orientierten Prozess: Iris M. Young, Inclusion and Democracy, Oxford, Oxford University Press, 2000. 33 Christoph Butterwegge, Armut und Kindheit: Ein regionaler, nationaler und internationaler Vergleich, Wiesbaden: VS Verlag, 2004.
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Summary In this article we take the global financial crises as a starting point and as a recurring example to argue in three steps that corporations can and should be seen as moral agents with according responsibilities. Firstly, we show that corporations can indeed be seen as moral agents, which of course does not mean that they always or even only sometimes act morally in practice. But they do have the capacity to act morally, because they can be understood as planning agents and therefore we can ascribe moral responsibility for those plans to them. Secondly, we argue that corporations themselves have a vital interest in incorporating morality into their culture and structure. This is suggested by a certain understanding of the theory of the firm: To really lower the transaction costs within a corporation the moral resources of its employees need to be utilized, because only then the surplus of trust and benevolence can be generated. Efficient governance of a corporation therefore has to be understood as good governance, but that can not be established instrumentally, which is why corporations have a real incentive to adopt a moral stance. Thirdly, we argue that the best way for corporations to integrate this moral point of view is to incorporate human rights as a real and straightforward moral standard. Human rights present themselves as the best alternative for integrating moral norms, because they are clear cut, philosophically well established and widely accepted in practice.
„Die wahren Verantwortlichen“ Organisationen als zurechnungsfähige Akteure Günther Ortmann
Am 5. 2. 2010 erschien auf der Seite 4 – der Meinungsseite – der Süddeutschen Zeitung eine Stellungnahme von Heribert Prantl zur Rolle der Banken bei jenen Steuerhinterziehungsdelikten, die seit einigen Jahren stärker als früher die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erregen. Dass die Konditionen, mit denen Bankplätze etwa in Luxemburg, Liechtenstein und in der Schweiz aufwarten können, Konditionen, betreffend zum Beispiel die rechtliche Würdigung der Steuerhinterziehung und das Bankgeheimnis, dem deutschen Täter systematische Vorteile bieten, ist hinlänglich bekannt und nicht Gegenstand der folgenden Ausführungen. Diese kreisen vielmehr um die Frage: Wer sind diejenigen Akteure, die als Adressaten der Zurechnung von Verantwortung für die inkriminierten Taten in Frage kommen? Das deutsche Strafrecht fasst aus vielerlei Gründen, vor allem auch um seiner rechtsdogmatischen Architektur willen, ausschließlich individuelle Akteure ins Auge – hier: die steuerhinterziehenden Bankkunden und, gegebenenfalls, Bankangestellte als deren Helfer. Heribert Prantl gibt zu bedenken, ob man nicht auch – oder sogar vor allem – einen anderen Akteurstyp in Betracht ziehen sollte. Er beginnt seinen Kommentar allerdings mit der althergebrachten Sicht der Dinge: „Der Steuerhinterzieher ist der Täter; wer ihm bei seiner Steuerhinterziehung hilft, ist sein Gehilfe und er wird, so steht es im Gesetz, erheblich milder bestraft als der Täter. Man kann sich fragen, ob das immer so sein soll. Ist es in den spektakulären Fällen, in denen das Anwerben von Schwarzgeldern zum Geschäftsmodell einer Bank gehört, nicht eher umgekehrt? Wenn der Kunde von der Bank verleitet und geleitet wird, wenn er nur ,Ja‘ sagen und sein Geld deponieren muss, wenn die Hinterziehungsdetails aber samt und sonders von der Bank erledigt werden – dann ist die Bank mehr als ein Helfer, dann ist sie Täter. Sie ist es auch dann, wenn der Kunde zur Steuerhinterziehung schon fest entschlossen war, aber einfach nicht wusste, wie er es am besten anstellen soll. Der Täter hat das Geld; die Bank hat die Tatherrschaft.“
Die Bank? Oder nicht doch eher die Bankangestellten, also eben individuelle Akteure? Gegen viele von ihnen seien Hunderte von Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Die meisten seien „gegen Zahlung von Geldauflagen wieder eingestellt“ worden. Interessanter als dieser Hinweis Prantls ist aber dies: „Die meisten Geldauflagen sind, so sagt es der Steuergewerkschaftschef Dieter Ondracek, von den Banken bezahlt worden.“ Nehmen wir dies um des Arguments willen einmal
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als zutreffend an, dann kann man darin einen Fingerzeig für die Suche nach zurechnungsfähigen Adressaten erblicken. Liegt nicht, losgelöst von der jeweils geltenden Gesetzgebung und Rechtsprechung, in der Übernahme der Geldauflagen durch die Banken mehr als der Hauch einer (wenn auch nicht explizit-konstativen, so doch) performativen Anerkenntnis ihrer Täterschaft und Verantwortlichkeit? In diese Richtung denkt Heribert Prantl: „Es sind ja im Regelfall nicht die Bankangestellten für die Konzepte und Strategien ihrer Bank verantwortlich. Aber: Die Gerichte werden sich mit den wahren Verantwortlichen beschäftigen müssen.“ (Hervorh. G. O.) Wer also sind, abgesehen von den Bankkunden, „die wahren Verantwortlichen“? Wenn, wie angedeutet, die „kleineren“ Bankangestellten eher ausscheiden, bleiben zwei mögliche Kandidaten: die „großen“ Bankangestellten, also die Bankvorstände, oder die Banken selbst, von denen Prantl doch sagte: Sie haben die Tatherrschaft. Ich werde die Banken nominieren. Vorsorglich sei vermerkt: Mein Argument wird ein sozialwissenschaftliches und näherhin organisationstheoretisches, kein rechtliches sein. Allerdings halte ich dafür, dass es rechtliche Konsequenzen hat oder haben könnte, jedenfalls: haben sollte. Sozial- und organisationstheoretisch stellen sich hier folgende Fragen, die ich der Reihe nach abarbeiten werde: (I.) Was ist ein Akteur? (II.) Gibt es überhaupt so etwas wie nicht-individuelle – korporative, organisationale – Akteure? (III.) Was kann die Organisationstheorie zu der Frage der Verantwortlichkeit in oder von Organisationen beisteuern, näherhin: Sind Organisationen (IV.) zu höherer Moral befähigt oder neigen sie (V.) zu Moralverdrängung und scheinheiliger oder sonstwie passender Legitimationsfabrikation? Bevor ich diesen Fragen in der abstrahierenden Manier der Sozial- und der Organisationstheorie nachgehe, biete ich noch einige Praxisbeispiele auf, im Dienste einer notwendigen Realitätsmächtigkeit der Diskussion. Zunächst noch einmal Heribert Prantl: „Die wahren Verantwortlichen sind die, die ihren Angestellten, also ihren Gehilfen, dubiose und kriminelle Handreichungen für die Beratung geben. Wenn ein Bankvorstand die Strukturen und Logistik seiner Bank mit Bedacht, Vorsatz und gutem Gewinn für professionelle Steuerhinterziehung zur Verfügung stellt, ist er nicht nur Gehilfe des Steuerhinterziehers. Er ist mehr. In solchen Fällen gestaltet die Bank die Steuerhinterziehung; sie führt sie aus. Wie die Steuerhinterziehung im Detail funktioniert, kapiert ja der Geldgeber ja meist gar nicht. Er ist zwar auch dann nicht nur ein Werkzeug in den Händen einer solchen Bank, aber doch immerhin eine Art Spielzeug – ein finanziell potentes und zugleich gieriges Spielzeug. Das macht ihn, den Steuerhinterzieher, zwar nicht zum bloßen Gehilfen seiner eigenen Tat. Es macht aber eine Bank, die systematisch mit solcher Steuerhinterziehung arbeitet, zum Täter hinter dem Täter. In den USA entzieht man solchen Banken die Lizenz.“
Prantl nominiert also die Bankvorstände, aber auch die Banken als Kandidaten für die Rolle der wahren Verantwortlichen. Wenn man nun noch hinzudenkt, dass
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auch die Vorstände organisationalen Nötigungen – in Gestalt von (organisations-) systemischen Imperativen, Funktions- und Überlebenserfordernissen, von Verhaltens- und Leistungsanforderungen, von Karriere- und Beschäftigungserfordernissen – unterliegen; dass sie auswechselbar sind; und dass die inkriminierten Praktiken und Geschäftsmodelle der Banken oft Generationen von Beschäftigten und Vorständen überdauern: dann mag an Plausibilität gewinnen, unter Umständen die Unternehmen und nicht nur, vielleicht nicht einmal in erster Linie individuelle Akteure verantwortlich zu machen. (Letztere sollen damit nicht etwa aus ihrer zivilund ggf. strafrechtlichen Haftung entlassen werden.) Ein zweites Beispiel ist das System der Korruption bei Siemens mit diesen Merkmalen: jahrzehntelange, regelmäßige Abzweigung von Beträgen; ein geheimer Code, unter anderem mit dem Schlüssel „MAKE PROFIT“, dessen zehn Buchstaben die Zahlen von 1 bis 10 zugeordnet wurden, derart, dass zum Beispiel „die Botschaft, man möge die übersandten Unterlagen im Ordner APP ablegen, . . . (bedeutete), die vereinbarte Provision betrage 2,55 Prozent“ (Süddeutsche Zeitung Nr. 86 vom 12. / 13. 4. 2008, S. 26); einschlägige Konten in Österreich, der Schweiz und Liechtenstein; Schattenbuchhaltung; Verwendung berüchtigter gelber Zettel, Post-its, die nach Bedarf wieder entfernt werden konnten, für Schmiergeldanforderungen oder -freigaben; Aufbewahrung von Zahlungsabrufen und -anweisungen in gesonderten Stahlschränken; Briefkastenfirmen (ebd.). Ein solches System überdauert, überstimmt und transzendiert die individuellen Akteure, auf die es gleichwohl angewiesen bleibt, und deren Tatherrschaft. Die negativen Sanktionen, die diese Akteure befürchten müssen, wenn sie sich weigern mitzumachen, fungieren als Instrumente organisationaler Imperative. Drittes Beispiel: Zur Banken- und Finanzkrise seit 2007 ist es selbstverständlich ebenfalls nicht ohne rechtlich und / oder moralisch bedenkliches Handeln individueller Akteure gekommen (dazu jetzt Schünemann 2010). Auch diesmal aber waren es oft Individuen, die starken organisationalen Nötigungen und Bedrohungen ausgesetzt waren. Ein Hypotheken-Manager etwa sagte über die Subprime-Geschäfte: „ . . . my boss was in the business for 25 years. He hated those loans. He hated and used to rant (toben, G. O.) and say, ,It makes me sick to my stomach . . .‘ He fought the owners and sales force tooth and neck (mit Händen und Füßen, G. O.) about these guidelines.“ (Blumberg u. a. 2008) Gemeint sind die immer lockereren organisationalen Richtlinien für die Kreditvergabe und die Geschäfte mit den faulen Krediten. Antwort: Nein, wir können nicht darauf verzichten – „other people are offering it. We’re going to get more market share this way.“ (Ebd.) Man mag sagen: Die diese Antwort gaben, waren ebenfalls individuelle Akteure. Die aber waren ihrerseits Nötigungen durch Organisationen ausgesetzt, welche ihrerseits System-, nämlich Wirtschaftssystemzwängen unterworfen waren. Dieses Argument kann selbstverständlich keinen moralischen oder rechtlichen Blankoscheck bedeuten. Wenn wir dann aber nach derjenigen Instanz fragen, bei der gerade noch mit Gründen – dazu siehe unten – von Akteuren und Akteursverantwortlichkeit gesprochen werden kann, dann bleiben die Organisationen – hier: die
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Unternehmen, die Banken – sozusagen als „last resort“ der Zurechnung, und zwar sozial- und handlungstheoretisch ebenso wie organisationspraktisch und nicht zuletzt rechtlich. Sie sind – in den angeführten Fällen, aber auch sonst immer öfter – die wahren Verantwortlichen (sofern solche in den immer komplexeren Systemzusammenhängen der Moderne überhaupt noch identifizierbar sind). Das kann durch die Beispiele allenfalls plausibilisiert werden. Es bleiben die oben gestellten fünf sozial- und organisationstheoretischen Fragen. Kommen Organisationen, und das heißt übrigens nicht nur Unternehmen, sondern zum Beispiel auch Behörden, Kirchen, Parteien, die Bundeswehr oder Universitäten, als verantwortliche Akteure in Betracht?
I. Was ist ein Akteur? Da Akteure Handelnde sind, folgt die Frage: Was ist Handeln? Das nun ist ein weites Feld. Ich begnüge mich hier mit einer Definition von Anthony Giddens (1984a, 90): „Ich definiere Handeln als den Strom tatsächlichen oder in Betracht gezogenen Eingreifens von körperlichen Wesen in den Prozeß der in der Welt stattfindenden Ereignisse.“ Um aber von Handeln sprechen zu können, muss es die Möglichkeit geben / gegeben haben, anders zu handeln (so auch Giddens, ebd.). Das wiederum impliziert eine gewisse, wenn auch nur schwache Intentionalität 1, damit aber auch eine Zurechnungsfähigkeit und, vielleicht nicht auf den ersten Blick zu sehen, Zurechnungsnotwendigkeit: Die Anerkennung eines Verhaltens als Handeln erfordert Zurechnungen. Man muss das Verhalten einem Sinn, einer zumindest minimalen Intention des „So-und-nicht-anders“ und damit auch einem Akteur als Träger dieses Sinns, dieser Intention zurechnen können. Ob eine Beinbewegung bloßes Verhalten, etwa infolge eines Kniereflexes beim Arzt, oder ein Handeln war, kann man nicht durch Beobachtung ermitteln. Es bedarf eines Zurechnungsprozesses, mit bekannten Grenzfällen des Handelns – Handelns? – im Affekt, unter Alkoholeinfluss etc. Ein beliebter Einwand nun gegenüber der Annahme korporativer Akteure lautet: Wer hat je eine Organisation handeln sehen? Man sehe doch nur Individuen handeln. Darauf kann und muss man antworten: Nein, auch deren Handeln kann man nicht sehen. Man kann nur Verhalten sehen, das man erst über Interpretations- und Zurechnungsprozesse als Handeln identifizieren kann. Damit entfällt der insoweit 1 Zu Recht verwendet Giddens (1984a, 85 ff.; ferner 1984b, 5 ff.) viel Sorgfalt darauf zu zeigen, dass man mit dem Begriff der Intentionalität in der Handlungstheorie sehr vorsichtig umgehen sollte. Intentionalität kann sich einfach darauf beziehen, dass man nicht einfach „tun“ kann, sondern „etwas tun“ muss. Der Begriff kann sich darauf beziehen, dass man dieses, aber nicht jenes tut – also auf die Kontingenz allen Handelns als dessen notwendige Bedingung. Dies beides ist mit meiner Rede von schwacher Intentionalität gemeint. Nicht davon gedeckt ist Intentionalität im Sinne beabsichtigter Handlungsergebnisse (obwohl ein großer Teil des alltäglichen Handelns in diesem Sinne Absichten verfolgt).
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schlagendste Einwand gegen die Figur des korporativen Akteurs. Wenn Handeln immer auf die Zurechnung angewiesen ist, lautet die ausschlaggebende Frage ja: welchem Sinn, welcher Intention, welchem Akteur ist ein Handeln begründet zuzurechnen. In der systemtheoretischen Sprache Luhmanns (1984, 228): „Handlungen werden durch Zurechnungsprozesse konstituiert. Sie kommen dadurch zustande, dass Selektionen, aus welchen Gründen und mithilfe welcher Semantiken (,Absicht‘, ,Motiv‘, ,Interesse‘) immer, auf Systeme zugerechnet werden.“2 Luhmann nominiert Systeme, nicht (nur) Individuen, als Adressaten der Zurechnung. Darin werde ich ihm folgen, allerdings mit der Präzisierung: Systeme, denen mit Gründen der Status eines Akteurs zugesprochen werden kann / muss.
II. Gibt es korporative Akteure?3 Ich glaube, dass es starke, ja: unabweisbare Gründe gibt, die Frage nach dem Akteursstatus von Organisationen mit einem entschiedenen „Ja, aber“ zu beantworten. Tatsächlich sind darin Handlungstheoretiker und Systemtheoretiker nicht besonders weit auseinander – und von Max Weber nicht so weit entfernt, wie die meisten glauben. Die Differenz zu Weber liegt am ehesten in der Anerkennung der Emergenz einer Akteurseigenschaft, die aus einer Verselbständigung gegenüber den Vermögen, Motiven, Interessen und Intentionen der Organisationsmitglieder resultiert. Dass wir auch das Handeln von „natürlichen“ Personen nicht etwa sehen, sondern (re-)konstruieren und Subjekten zurechnen – Subjekten, deren Zurechnungsfähigkeit, Konsistenz etc. wir ebenfalls fingieren, in einer in der Moderne fest institutionalisierten und praktisch wirksamen Fiktion oder Etikettierung – ist sozial- und organisationstheoretisch wohletabliert (Douglas 1991; Jepperson, Meyer 1991). Max Weber (1972, 6 f., 25 ff.) hat für die Soziologie die Tradition eines methodologischen Individualismus begründet, die über Herbert A. Simon (1964) und Cyert / March (1959) bis zu den Rational-Choice-Ansätzen reicht und mit der Annahme einer Handlungsfähigkeit von Kollektiven respektive Verbänden unvereinbar scheint. So wichtige Organisationstheoretiker wie Simon, Cyert und March wittern Reifikation, also Verdinglichung der Organisation und die Beschwörung eines Gruppengeistes. Sie bestehen auf dem methodologischen Postulat, dass Aussagen über die Organisation und ihr Verhalten stets auf Aussagen über Individuen und ihr Handeln zurückführbar sein müssten. Wie nahe Weber der Anerkennung 2 „Aus welchen Gründen und mithilfe welcher Semantiken immer“, das suggeriert allerdings eine Beliebigkeit, die weder dem lay actor in der Praxis noch dem Sozialtheoretiker offensteht. Die Zurechnung muss sich begründen lassen. Wie, ist zwar – zumal historisch und kulturell – kontingent, aber nicht beliebig. Das wiederum hat der Sozialtheoretiker zu berücksichtigen. 3 Für die Abschnitte II – V greife ich weitgehend auf Passagen aus Ortmann (2010) zurück; dort Näheres zum Verhältnis von Organisation und Moral.
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eines korporativen Akteurs aber doch gekommen ist, ist heute kaum noch geläufig. Man lese nur, was Max Weber über „Kollektivverbände“ sagt: „Die Deutung des Handelns muß von der grundsätzlich wichtigen Tatsache Notiz nehmen: daß jene dem Alltagsdenken . . . angehörigen Kollektivgebilde Vorstellungen von etwas teils Seiendem, teils Geltensollendem in den Köpfen realer Menschen . . . sind, an denen sich deren Handeln orientiert, und daß sie als solche ganz gewaltige, oft geradezu beherrschende, kausale Bedeutung für die Art des Ablaufs des Handelns der realen Menschen haben. Vor allem als Vorstellung von etwas Gelten- (oder auch: Nicht-Gelten-) Sollendem. (Ein moderner ,Staat‘ besteht zum nicht unerheblichen Teil deshalb in dieser Art: – als Komplex eines spezifischen Zusammenhandelns von Menschen, – weil bestimmte Menschen ihr Handeln an der Vorstellung orientieren, daß er bestehe oder bestehen solle . . . )“ (Weber 1972, 7; Hervorh. i. Orig. gesperrt.)
Dass wir im Alltag, und auch Gerichte in der Rechtsprechung, die Zurechnungsfähigkeit und monolithische Einheit(lichkeit) „natürlicher“ Personen ebenfalls zu fingieren pflegen, solange dem nichts entgegenzustehen scheint, auch das war schon Max Weber (1972, 424) ganz klar. Mehr noch, die Konstitution dieser Personen in früher Kindheit geschieht überhaupt erst auf den Wegen einer kontrafaktischen Fiktion ihrer Zurechnungsfähigkeit – Eltern sprechen mit Kleinkindern, als ob diese sprachfähig und vernunftbegabt wären. Und es ist genau dieser Vorgriff auf eine erst noch herzustellende Sprach- und Vernunftfähigkeit, der sie allmählich wirklich werden lässt. Organisationen werden als juristische Personen und korporative Akteure fingiert, aber diese Fiktion resultiert aus sozialer Praxis und mündet wieder in sie ein, ist in vielfacher Hinsicht der Bewährung in der sozialen Praxis ausgesetzt und kann daher an widerstreitender Praxis und Erfahrung scheitern. Akteursstatus erlangen Organisationen durch zyklische Verknüpfung von Selbst- und Fremdbeschreibung einerseits und Selbst- und Fremdzurechnung des Handelns, Entscheidens und Kommunizieren ihrer Mitglieder andererseits im und durch das Handeln, Entscheiden und Kommunizieren – oder, kürzer, in der Formulierung von Teubner (1987, 64): durch zyklische Verknüpfung von Identität und Handlung. Der Korporativakteur ist eine Realität, die sich einer Fiktion verdankt. „Er ist ,real‘, weil diese Fiktion Strukturwert gewinnt und soziale Handlungen dadurch orientiert, dass es diese kollektiv bindet.“ (Teubner 1987, 69) Die Differenz zu Max Weber ist hier minimal. Was „Strukturwert“ heißt, lässt sich weiter ausbuchstabieren. Man kann an eine „Corporation’s Internal Decison Structure“ (CID-Struktur) denken, die es erlaubt, einer Organisation korporative Intentionalität zuzusprechen (so Kettner 2001, 167, unter Rekurs auf French 1984). Weber sprach von einem Verwaltungs- respektive Erzwingungsstab. Autoritäts-, Weisungs-, Verantwortlichkeits-, Zuständigkeitsund Vertretungsregelungen erlauben es, Interaktionen einer Organisation zuzurechnen. Solche Zurechnung ist nicht schiere gedankliche Konstruktion, sondern basiert erstens auf organisatorisch geregelten Repräsentationsverhältnissen – das Organisationsmitglied handelt für die Organisation (im Dienste, in Stellvertretung,
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im Auftrag, auf Weisung, im Namen, mit Prokura, im Interesse oder jedenfalls unter dem Schutz und Schirm der Organisation) – und zweitens auf der Emergenz organisationaler, individuell nicht verfügbarer Handlungsvermögen und Handlungsweisen. Man kann, in abstrakterer Perspektive, an Eigenschaften wie Handlungsfreiheit, Voraussicht, Überlegungsfähigkeit und Mitbetroffenheit (Kettner 2001, 149) oder auch an Selbstbindungsfähigkeit (Pies 2001) denken, die eine Akteurseigenschaft konstituieren. Man muss daher Organisationen mit ihrem Eigensinn als „Verursachungsinstanz“ etwa von Gesetzgebungsakten, MarketingKampagnen oder Zinspolitik anerkennen und diese Vorgänge „Handeln“ (des Bundestages, eines Unternehmens, der Zentralbank) nennen, weil es einigermaßen autonom selegierte, sinnhaft intendierte oder jedenfalls zurechenbare und daher – in Grenzen – moralisch zu verantwortende Verhaltensakte sind.4
III. Emergenz und Verantwortlichkeit korporativer Akteure Mitbetroffenheit ist diejenige der eben angeführten Eigenschaften, die Organisationen zuzuerkennen wohl besonders fraglich sein kann. Kettner bestimmt sie als die komplexe Fähigkeit eines Akteurs A, (1.) repräsentativ ernst zu nehmen, wie (2.) die Aktivität von A (3.) in einem Bereich, für den A als zuständig gilt, (4.) ausschlägt zum Guten oder Schlechten (5.) aller Wesen, die diesbezüglich zählen. Das mit (1.) postulierte Ernstnehmen kann seinen Sinn nur ausschöpfen mittels einer moralischen, und das impliziert als Dimension: einer emotionalen Wahrnehmungs- und Urteilsfähigkeit, die allererst Menschen, nur in einem „emergentistischen“ Sinne Organisationen – organisierten Handlungssystemen – zukommt. James Coleman (1979, 81) bestreitet Organisationen diese Fähigkeit sogar rundweg: „Wenn eine Person gegenüber einer anderen Person handelt, so kann sie sich selbst in deren Lage versetzen. Von daher hat sie ein Motiv, im Sinne des Kantschen Imperativs zu handeln“.
(Kant selbst hatte allerdings eine solche Motivierung durch Empathie gerade nicht im Sinn, wenn er von moralischer Pflicht sprach.) Eine Organisation aber, ein korporativer Akteur, so Coleman weiter, „wird niemals eine Person sein, und . . . hat von daher keinen Anlaß, eine beabsichtigte korporative Handlung aus der Sicht der Person zu beurteilen, die von deren Konsequenzen betroffen ist. So kann eine Bank als Korporation eine Hypothek viel schneller und ungenierter für verfallen erklären als ein Bankier, der die Person, die von der Verfallserklärung betroffen ist, näher kennt.“ (Ebd., 82)
4 Vgl. Geser (1990, 402 ff.). „Verursachungsinstanz“ steht in Anführungszeichen, weil es nicht um eine naturwissenschaftliche Verursachung geht, sondern um Aktorkausalität im Sinne Richard Taylors (1966). Instruktive Erörterungen der ethischen Aspekte der Herausbildung / Anerkennung des Akteursstatus von Korporationen bei Bühl (1998, 61 ff., 297 ff.).
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Diese Denkfigur, gewiss nahe am common sense, ist von dem kanadischen JuraProfessor Joel Bakan (2005), mit Blick speziell auf Konzerne, zu einem „psychologischen Gutachten“ ausgemünzt worden: Konzerne ähnelten Psychopathen. Sie hätten kein Mitgefühl, kein Gewissen, kein Verantwortungsbewusstsein. Gnadenlos bekämpften sie jeden, der sich ihnen in den Weg stellt. Die eigene Egozentrik versteckten sie hinter einer Fassade der Corporate Social Responsibility. Dieser Skepsis, so sehr sie Realitätssinn zeigt, braucht man sich nicht widerstandslos auszuliefern. Dass dort, „wo Personen und korporative Akteure zusammen leben müssen, die rationale Grundlage für ein Moralsystem zum Teil abgeschnitten ist“, ja, dass im Falle des korporativen Akteurs „die rationale Grundlage für den Kant’schen Imperativ . . . dadurch zerstört [ist], daß seine Struktur ihn gegenüber den Konsequenzen unempfindsam macht, die seine Handlungen für Personen haben“ (Coleman 1979, 83)5, wird entgegen erstem Anschein den Besonderheiten korporativer Akteure nicht ganz gerecht. In gewissem Maße kann eine entsprechende Wahrnehmungsfähigkeit durchaus organisatorisch gefördert oder erzeugt und stabilisiert werden. Organisationen allerdings ein Gewissen, Einfühlung, Mitgefühl oder Mitleid zuzusprechen, das hieße einem Anthropomorphismus zu verfallen, der dadurch erschlichen ist, dass Gefühlsregungen stillschweigend aus dem psychischen ins soziale System transponiert werden. Wir müssen daher fragen: Selbst wenn wir mit gutem Grund Organisationen als korporative Akteure und mithin als mögliche Adressaten von Zurechnung auffassen dürfen und müssen – können wir sie auch als Adressaten moralischer Zurechnung auffassen? Und wenn ja, unter welchen Bedingungen? Wann kann die FDP mit Recht sagen: „Das Wahlkampfmanöver ist eine Angelegenheit von Jürgen Möllemann und nicht der FDP?“ Wann ist ein Unternehmen, wann nur einer seiner Mitarbeiter „schuld“ – etwa die Siemens AG in Sachen Korruption? Das sind heikle Fragen, und darauf bezieht sich das „Aber“ in meinem „Ja, aber“. Moral, noch einmal, scheint doch auf Gewissen zu verweisen, auf Gefühle des Mitleids, der Schuld, Scham, Reue und Peinlichkeit, ergo auf moralische, und das heißt: emotionale Wahrnehmungsfähigkeit. Organisationen aber haben selbst keine Gefühle. Jedoch gilt, dass Organisationen von Gefühlen (oder auch der Gefühlsarmut) ihrer Mitglieder – ihrer Repräsentanten im weitesten Sinne – zehren und dass sie diese hervorrufen, beeinflussen, er- und entmutigen oder auch betäuben können; dass es daher so etwas wie einen Gefühlshaushalt von Organisationen als emergentes Resultat des organisationalen Geschehens gibt; dass Organisationen dem – vernünftig? – Rechnung tragen müssen; und dass dieser Gefühlshaushalt – emotionale Intensitäten, Sensibilitäten und Taubheiten und am Ende das uneinheitliche emotionale Ganze, Stil und Gestalt, zu dem sie zusammenschießen – insoweit den 5 Für Kant allerdings darf die Rücksicht auf die Konsequenz des moralischen Handelns als Handlungsmotiv keinerlei Rolle spielen, weil das der Reinheit der Befolgung des Sittengesetzes Abbruch täte.
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Organisationen zuzurechnen sind und in ihrer Verantwortung liegt. So können wir auch von der emotionalen Kondition und vom moralischen Vermögen und Stil einer Organisation sprechen, schließlich von kollektiven Denkstilen (Douglas 1991) und einer, wie ich es nenne, responsiven Organisationskultur (Ortmann 2010). Man kann in Organisationen dafür geeignete Strukturen, mit Giddens (1984b) verstanden als Sets von Regeln und Ressourcen, schaffen, also Regeln etablieren, die Wahrnehmungs- und Kommunikationsfähigkeit schulen, über rechtliche und ethische Aspekte aufklären, personelle Ressourcen bereitstellen, geeignete Leute einstellen, Orte der Reflexion, der Supervision, des Coaching etc. vorsehen und so fort. Eine Organisation, die so etwas tut, trifft Vorkehrungen für ihre Rechtfertigung angesichts gesellschaftlicher Anforderungen – weil es für die eigene Funktions- und Überlebensfähigkeit erforderlich ist. Sie tut es nicht aus eigener Scham, Ehrfurcht vor der Würde des Menschen, Mitgefühl, Respekt. Wohl aber können Ehrgefühl, Respekt, Mitgefühl und andere Gefühle, schließlich auch Achtsamkeit und moralische Urteilskraft zum Teil Resultanten organisatorischer Vorkehrungen und Praxis sein, auch: der Spezialisierung und sogar Routinisierung, also von der Organisation etabliert, forciert, stabilisiert und insoweit als organisationale Vermögen hervorgebracht werden. Eine Organisation kann sich nicht schämen, aber sie kann es zu einem Plus – oder zu einem Minus – des individuellen, aber organisationalen Vorkehrungen zu verdankenden Schamempfindens ihrer Mitglieder bringen, das wir ihr als Vermögen oder Unvermögen zurechnen müssen, als moralische und emotionale Wahrnehmungsfähigkeit, Denkstil und Responsivität der Organisation, als organisationale Ressource. Das Verhältnis organisationaler zu individuellen Eigenschaften und Vermögen hat die Struktur einer Hierarchie derart, dass (1.) die organisationale Ebene nur durch einen auf der individuellen Ebene nicht auffindbaren Prozess – nämlich: der Etablierung von Regeln und Bereitstellung und Nutzung von Ressourcen – entstehen kann, den man folglich mit Michael Polanyi (1985) als Emergenz bezeichnen kann, und dass (2.) die Prinzipien, Gesetze oder Regeln der höheren, hier: der organisationalen Ebene diejenigen Randbedingungen kontrollieren, die von den Prinzipien, Gesetzen oder Regeln der darunterliegenden, hier: der individuellen Ebene offen gelassen worden sind. Organisatorische Regeln üben diese „marginale Kontrolle“ (Polanyi 1985, 42 ff.) über individuelle moralische Standards und Imperative aus: Das ist die Präzisierung dessen, was mit Blick auf Organisation und Moral „Emergenz“ heißen soll, wie Polanyi sie versteht. Die individuellen Gesetze / Regeln werden also nicht etwa durch die organisatorischen außer Kraft gesetzt, wohl aber ergänzt, überlagert und womöglich „überstimmt“. Es ist diese marginale Kontrolle, diese Ergänzung und Überlagerung individueller Moral und Urteilskraft durch (förmlich oder informell etablierte) organisationale Regelwerke und Ressourcen, die es rechtfertigt, in aller Vorsicht von einer Organisationsmoral und von so etwas wie organisationaler Wahrnehmungsfähigkeit, Umsicht und Achtsamkeit zu sprechen – im Sinne von
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Vermögen der Organisation. Es sind spezifische Vermögen – oder Unvermögen! – der Organisation, weil sie sich organisatorischen Regeln, Ressourcen und Praktiken verdanken und dadurch die individuellen Vermögen oder Unvermögen transzendieren. Das Ausscheiden von Personen tangiert daher nicht zwangsläufig die Organisationsvermögen. Im alltäglichen Anthropomorphismus, der Organisationen unbekümmert moralisch verantwortlich macht, zeigt sich eine soziale Kompetenz der lay actors: ihr Sinn für diese Emergenz, für die Akteurseigenschaft von Organisationen. „Emergenz“, dieser Begriff bleibt nicht nur für den wissenschaftlichen Laien immer ein wenig mysteriös und ungreifbar. Gemeint ist das „Auftauchen“ einer neuen Qualität auf höheren Seinsstufen, ihr Entstehen aus niedrigeren, aus denen sie aber nicht einfach abgeleitet sind. Organisationale Vermögen entstehen – emergieren – zwar aus individuellen, können aber nicht aus ihnen abgeleitet oder auf sie reduziert werden. Emergenz heißt: Es entsteht ein Neues – Ziegelsteine aus Ton, eine Mauer aus Ziegelsteinen, ein Haus aus Mauern, eine Stadt aus Häusern. In unserem Zusammenhang entsteht Organisatorisches, etwa eine Mannschaft, ein Team, Gruppendruck, eine Hierarchie, ein Arbeitszusammenhang, Komplementarität von Kompetenzen, geteiltes Wissen, gegenseitige Begeisterung, und nun auch: eine geteilte Organisationskultur und -moral, die in mancher Hinsicht mehr und jedenfalls anderes ist als die Summe oder der Durchschnitt der je individuellen moralischen Auffassungen. Es ist von ausschlaggehender Bedeutung zu sehen, dass erst diese Emergenz organisationaler, also: nicht den isoliert genommenen einzelnen Mitgliedern zurechenbarer Eigenschaften und Vermögen es erlaubt – und erfordert! –, rechtliche und moralische Zumutungen an Organisationen zu adressieren. Im Englischen heißt dies „accountability“. Verantwortlichkeit hängt von Zurechenbarkeit ab. „Accountability“ trägt nicht zufällig einen doppelten Sinn, den eines Vermögens – Zurechnungsfähigkeit – und den der zugehörigen Möglichkeit, für die Ausübung dieses Vermögens und dessen Folgen als Verursacher, zumal von Dritten, moralisch und rechtlich in Anspruch genommen zu werden. Gemeint ist dann, schärfer formuliert, die Eignung als Träger von Rechenschaftspflichten, und daher, noch schärfer: Zurechnungspflichtigkeit. Ich durchschlage nun den gordischen Knoten aus moralischen Theorie- und theoretischen Moralverwicklungen, indem ich konstatiere: Der moderne Mensch ist längst zur Tat geschritten, hat beide Teilfragen, die theoretische nach korporativen Akteuren und die moralisch-praktische nach ihrer Verantwortlichkeit, mit „Ja“ beantwortet – und hatte dabei auch kaum eine Wahl. So auch, in den Grenzen des Zivilrechts, der Gesetzgeber, die Rechtsprechung und nicht zuletzt die rechtsfähigen Organisationen selbst, die einander immerhin als Vertragsparteien anerkennen, also: Rechte und Pflichten zubilligen, verklagen und so fort. Gesetzgebung und Rechtsprechung haben es zur Figur der juristischen Person und zu den Tatbeständen der Organschaft, der Stellvertretung und des Organisationsverschuldens gebracht. Zur Anerkennung von Verbandskriminalität und strafrechtlicher Verant-
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wortlichkeit von Unternehmen ist es von hier aus nicht mehr weit. Das deutsche Recht ist da allerdings erheblich zurückhaltender als das anderer Länder. In Deutschland gibt es Verbandsgeldbußen wegen Ordnungswidrigkeiten, aber keine Strafen im engeren Sinne gegen Unternehmen (s. aber Schünemann 1979; Heine 1995; Dannecker 2001; umfassend Achenbach, Ransiek 2004). Das Ministerkommitee des Europarats hat sich allerdings 1988 für eine weitgehende strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen ausgesprochen (dazu Heine 1995, 301 ff.). An pragmatischer Dringlichkeit fehlt es nicht: Verbandskriminalität macht den weitaus größten Teil der Wirtschaftskriminalität aus. Es geht da um Milliardenbeträge – und für den Juristen im Kern um Zurechnungsfragen. Dem zivilrechtlichen Organisationsverschulden hat die Rechtsprechung besonders als Begrenzung der Arbeitnehmerhaftung Geltung verschafft. Die Gefahrengeneigtheit eines Betriebes etwa mag zu Schäden führen, die selbst dem fahrlässigen Arbeitnehmer nicht vollständig zugerechnet werden können. Die causa ist entschieden. Organisationen gelten als verantwortliche Akteure (zu alledem Spindler 2001). Dieses „Gelten als“ oder „Zählen als“, daran sei noch einmal erinnert, ist – wie im Falle individueller Akteure! – eine durch performative Sprechakte und entsprechendes Handeln bewirkte und ihrerseits operativ wirksame, aber keineswegs beliebige, keineswegs auch idealistische Fiktion, und keineswegs Sache bloßer Attribution oder Konstruktion (Searle 1997; Ortmann 2004). Wir tun so, als ob eine Unternehmung eine Person wäre, gestehen ihr also Rechte, Pflichten und eben Verantwortlichkeit zu, aber wir tun es, weil die Unternehmung so ähnlich wie eine Person agiert und weil es daher gute Gründe gibt, der sozialen Praxis entspringende Gründe, sie so ähnlich zu behandeln. Und: Wir tun so. Wir handeln so. Wir behandeln sie tatsächlich so ähnlich – wenn, weil und solange wir damit in praxi gut zurechtzukommen glauben. Auch das ist von Max Weber nicht sehr weit entfernt. Dass es hier überall um Geltung und um Legitimitätsglauben geht, ist seit Weber ebenso geklärt (s. a. Weber 1972, 122 ff., 549) wie der nur scheinbar magische Kausalzusammenhang zwischen Glauben und bewirkter Wirklichkeit: Institutionen bestehen, weil wir an sie glauben – und entsprechend handeln. Heute heißt derlei „soziale Konstruktion“. Gegenüber allzu radikalen Konstruktivismen muß man aber betonen, dass diese Konstruktionen einen Anhalt in der Realität haben und sich angesichts einer Widerständigkeit dieser Realität bewähren müssen – angesichts von Widerständen, die ihrerseits nicht restlos in Konstruktionen aufgehen. Organisationen haftbar zu machen, gelingt ohne Schwierigkeiten, weil eine Zurechnung von Wirkungen auf sie einen solchen Anhalt findet – anders als im Falle von Familien, wo eine solche Zurechnung nicht recht funktioniert und meist als Sippenhaft abgelehnt wird. Erst recht würde so eine Zurechnung bei noch weniger integrierten sozialen Systemen scheitern – man denke an Schlangen vor einer Theaterkasse oder das Publikum eines Fußballspiels, die es zwar zu kollektivem Handeln bringen können, aber nicht den Status eines korporativen Akteurs verdienen, weil es nämlich an verbindlichen Repräsentations-, Vertretungs-, Anweisungs-, Auftragsketten fehlt.
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Der Schweizer Soziologe Hans Geser nun behauptet sogar: Organisationen eigneten sich besser als natürliche Personen, als Adressaten moralischer Zurechnung behandelt zu werden.
IV. Höhere Moralfähigkeit von Organisationen? Geser argumentiert keineswegs blauäugig. Dass Organisationen „immerhin auch Auschwitz und Tschernobyl mitzuverantworten haben“, spricht er (1989, 220) deutlich genug aus. Begründen will er nur eine im Vergleich zu individuellen Akteuren größere Moralfähigkeit, nicht eine moralisch überlegene Praxis von Organisationen. Seine Argumente sind daher zunächst theoretischer Natur, aber schlecht sind sie nicht. Besonders seinen Ausgangspunkt kann man nur unterstreichen: Organisationen würde in der modernen Gesellschaft eine enorme Autonomie zugestanden und gewaltige Macht überlassen, ja, „es wird immer offensichtlicher, dass z. B. globalwirtschaftliche Prozesse in den weltweiten Verbundsystemen von Banken und Industrieunternehmungen ihre genetische Wurzel haben, und dass die nationale Politik ein emergentes Produkt interorganisationeller Akkordierungsprozesse darstellt, an denen der Staat selbst mit einer Mehrzahl relativ eigenständiger Akteure partizipiert.“ (Geser 1989, 212; Hervorh. G. O.)
Das lässt sich noch schärfer formulieren: Organisationen sind die mächtigen Akteure der Moderne. Individuelle Akteure haben heute, überspitzt formuliert, nichts mehr zu sagen. „Zur höheren moralischen Handlungsfähigkeit von Organisationen (im Vergleich zu menschlichen Personen)“ tragen für Geser besonders fünf Eigenschaften bei: (1.) Organisationen seien als Adressaten für normative, besonders auch rechtliche Zumutungen und Erwartungen besser als Individuen geeignet, weil sie über mehr Selbstverantwortlichkeit verfügten. Sie könnten sich nicht, wie Menschen, auf geminderte Zurechnungsfähigkeit, Müdigkeit, Krankheit, jugendliche Unreife, psychische Störungen oder auf „Handeln im Affekt“ berufen. (2.) Sie seien sogar für ihre Handlungsmotivation noch selbst verantwortlich, könnten zum Beispiel die Motivation ihrer Mitglieder durch Anreize steuern und stabilisieren. (3.) Sie könnten mit mehr – auch: moralischer – Komplexität zurechtkommen, zum Beispiel mit der Komplexität moderner Produktionsprozesse. (4.) Sie besäßen eine viel größere Fähigkeit, verantwortungsethisch zu handeln, weil sie sich mit den dazu erforderlichen Qualifikationen durch geeignete Rekrutierung, durch Qualifikation, durch Personalentwicklung und organisationales Lernen selbst ausstatten könnten.
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(5.) Sie hätten eine höhere Kapazität, Normen, die sie anwenden, selber mitzugestalten und diskursiv zu legitimieren – man denke etwa an Normen der Produktqualität, des Arbeitsschutzes oder der Sicherheit. Geser, noch einmal, malt damit nicht etwa das Bild heiler Organisationswelten. Eher scheint mir seine Intention darauf hinauszulaufen, von Organisationen mehr Verantwortlichkeit zu verlangen, weil ihre Verantwortungskapazitäten größer sind. Geser will sagen: Die Organisationen können mehr, also sollen und müssen sie auch mehr. Wenn Organisationen dafür geeignete Strukturen ernstlich (und nicht nur scheinheilig) als richtig etablieren, sei es als formales Regelwerk, sei es als Organisationskultur, nicht zuletzt in Gestalt einschlägiger Ressourcen und Kompetenzen, mag ihre Verantwortlichkeit, ganz im Sinne Gesers, höhere Stabilität und Verlässlichkeit gewinnen als durch gute Vorsätze und guten Willen von Individuen. Das Problem mit Gesers Behauptung ist also nicht, dass er Organisationen das Potential zu erhöhter Verantwortlichkeit zu Unrecht zuspricht. Tatsächlich erblicke ich darin den letzten Schritt eines wohlüberlegten Dreischritts. Der erste Schritt besteht in der nüchternen Bestandsaufnahme: Macht und zumal das, was im Soziologenjargon heute unter Titeln wie corporate power, Risikoproduktion und Negativexternalisierung gehandelt wird, geht heutzutage besonders von Organisationen aus. In der zuspitzenden Formulierung Dirk Baeckers (1998, 110): „Produktion verseucht die natürliche Umwelt. Organisierte Schulbildung belastet die Gesellschaft mit einer unangemessenen Selektionsdramatik. Organisierter Erkenntnisfortschritt verwandelt die Gesellschaft in ein Labor der Erforschung der Effekte unsicheren Wissens. Organisierter Machtgebrauch absorbiert die Ressourcen der Gesellschaft für Problemlösungen, die nicht im Spielraum der Politik liegen. Organisierter Glauben setzt immer wieder unkalkulierbare Fundamentalismen frei, die sich gegen die Organisationen der Kirche auf einen verfälschten situationsadäquaten Glauben berufen. Organisierte Sozialhilfe prämiert die Anpassung an die Bedingungen der Hilfsbedürftigkeit, aber nicht den Erfolg der Hilfe. Und so weiter.“
Wie könnten wir da, zweitens, Organisationen aus Verantwortlichkeit entlassen? Wir müssen sie zum Adressaten moralischer Zumutungen machen, und dies um so energischer, je triftiger die Bestandsaufnahme aus Schritt 1 ist, je mehr daher gilt, dass die Tugend alt wird (Adorno 1997, 145 ff.) und die Verantwortlichkeit des Einzelnen in der Moderne einer Antiquiertheit verfällt. Und nun also, drittens: Wir können es auch, weil Organisationen zu Verantwortlichkeit befähigt sind – sogar viel mehr als diese Einzelnen. Daran finde ich nichts auszusetzen, allerdings nur dann nicht, wenn man dem die Einsicht hinzufügt, dass Organisation in Sachen Verantwortlichkeit nicht einfach ein Heilmittel bieten, sondern ein Pharmakon sensu Derrida (1995): Arznei, Gift oder Droge, je nach dem.
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V. Die dunkle Seite: Moralverdrängung und Legitimationsfabrikation in und durch Organisationen Worüber Geser kaum spricht, davon möchte ich in diesem Abschnitt handeln: von den dunkleren Seiten der Organisationsräson. Man muss sehen, (1.) dass die ungleich höheren Kapazitäten und Ressourcen, die Qualifikationsvielfalt und Anreize, über die Organisationen verfügen, pro malo ebenso einsetzbar sind wie pro bono. Organisationen haben ganz andere zeitliche, räumliche, sachliche und soziale Möglichkeiten als Einzelne, Moral zu verdrängen, intern moralisch bedenkliche Normen durchzusetzen und externe Normen zu dehnen, zu überschreiten oder im eigenen Interesse zu beeinflussen; Kritik auszusitzen; Rechtfertigungen zu produzieren, sei es intern, in der Öffentlichkeit oder vor Gericht; hinter den Kulissen zu agieren; den Schein zu wahren; Bauernopfer vorzunehmen; moralisch inkonsistent zu handeln („multiple-selfIdentität“; Wiesenthal 1990); Gesetzeslücken aufzuspüren und zu nutzen; regionale und nationale Differenzen auszubeuten; zu lügen; Dinge geheim zu halten und so fort. Implizit ist all das wohl gerade Gesers Ausgangspunkt: Eben deshalb seien Organisationen normativer Bändigung bedürftig; unter Gebühr aber handelt er auch davon, (2.) dass der Charakter von Organisationen als Veranstaltungen organisierter, notwendig selektiver, um nicht zu sagen: engstirnig-zweckorientierter Interessenverfolgung ihrer Befähigung zu Verantwortlichkeit Grenzen setzt; (3.) dass die Steuerungs- oder Kommunikationsmedien Geld und Macht denkbar schlecht geeignet sind, moralischen Fragen gerecht zu werden; (4.) dass die funktionalistische Logik von Organisationen und zumal die Profitinteressen von Unternehmen zu solcher Moralverdrängung und zur Ersetzung einer übergeordneten Moral durch eine utilitaristische Funktionsmoral geradezu drängen; (5.) dass Organisationen zwar nach dem Motto „moral pays“ von einer ehrlich erworbenen Reputation der Fairness, Ehrbarkeit, Vertrauenswürdigkeit etc. profitieren können, aber auch von einer unehrlich erworbenen und vor allem auch, trivial genug, von Unfairness, Trittbrettfahrerei, Nepp, Täuschung, Manipulation, Korruption und überhaupt der Bereitschaft und Fähigkeit, moralische Standards über Bord zu werfen6; 6 Sich darüber auszuschweigen, leistet der Illusion Vorschub, als sei anständiges Handeln eo ipso ein Fall von Nutzenstreben. Es impliziert aber oft genug den Verzicht auf erzielbare Nutzen. Wenn also ein Autor wie Dieter Sadowski in seinem Lehrbuch Personalökonomie und Arbeitspolitik (2002) das hohe Lied eines aus Fairness, Loyalität und Vertrauenswürdigkeit bestehenden Organisationskapitals singt, so kann man zwar zustimmen, muss aber ergänzen: Streng betriebswirtschaftlich gesehen ist natürlich auch die Bereitschaft und Fähigkeit einer Organisation zu Lug und Trug ein Kapital. Es gibt nicht nur ehrlich, sondern auch unehrlich erworbene Reputationsrenten, und vor allem gibt es auch sonst Amoralitäts-Renten.
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(6.) dass der Eigensinn und die Eigendynamik von Organisationen, aus denen auch Geser gerade ihren Status als autonome Akteure herleitet, moralisch gesehen keineswegs neutral sind, eine Verkehrung auch löblicher Zwecke in Richtung auf organisationale Funktionserfordernisse und Systemimperative begünstigt und jedwede Steuerung, erst recht aber eine Steuerung in Richtung auf Verantwortlichkeit zumindest schwierig macht (dagegen Geser 1990, 412: „Es lassen sich Organisationen auch viel zuverlässiger als Individuen in übergeordnete Steuerungssysteme integrieren“); (7.) dass Organisationen selbst scham- und gewissenlos in einem zunächst ganz neutralen Sinne sind, ja, für Max Weber (1972, 563) idealtypisch auf der „Ausschaltung von Liebe, Hass und allen rein persönlichen . . . Empfindungselementen aus der Erledigung der Amtsgeschäfte“ geradezu beruhen; (8.) dass selbst die Mittel, die Organisationen für die Sicherung von Verantwortlichkeit einsetzen (können) – etwa: Regelwerke, Ressourcen, Standardisierung, Programme –, zweischneidige Schwerter sind, weil sie wie ein Persilschein für individuelle Verantwortlichkeit wirken können. Das Verhältnis von Organisation(en) zur Moral hat also eine dunkle Seite. Nach dieser Seite hin lässt sich eine ganze Vielfalt problematischer Mechanismen und Effekte ausmachen und theoretisch erklären, die ich – in einer analytischen Unterscheidung – zu zwei großen Komplexen zusammenfasse: Moralverdrängung und Legitimationsfabrikation (zum Folgenden s. im Einzelnen Ortmann 2010). Organisation bewirkt, Organisationen bewirken, erleichtern oder fördern eine Verdrängung des moral point of view auf viele Weisen. Sie operieren mit Geld und Macht, also mit zugehörigen Anreizen und (Be-)Drohungen. Sie sind die Quelle der Existenzsicherung – und daher womöglich -angst – für die meisten ihrer Mitglieder. Sie sind moralische Sinnfilter. Sie bewirken „institutionelles Vergessen“ sensu Mary Douglas (1991). Sie operieren mit moralischer Arbeitsteilung – niemand muss mehr als einen kleinen, oft insignifikanten Beitrag zur gesellschaftlichen Sündenproduktion leisten, und niemand kennt die Leichen im Keller der anderen. Diffusion von Verantwortung im Dickicht organisationaler Komplexität und Schottenbildung kommen erschwerend hinzu – mit Blick auf Moralverdrängung müsste man sagen: erleichternd. Organisationen sorgen für eine Art moralischer Anästhesie oder Indifferenz. Organisationszwecke wirken als „Scheuklappenprinzip“, das heißt, sie neutralisieren alle anderen, womöglich heiklen Wertaspekte im Bereich des Mitteleinsatzes und der Folgen des Handelns (Luhmann 1973). Organisationen verschieben Verantwortung – auf Sündenböcke, auf menschliches Versagen, auf „die Politik“, jedenfalls auf Andere. Sie gewähren Uneinsehbarkeit. Sie bescheren Gelegenheiten, die Diebe machen – man denke nur an Aktienoptionsprogramme oder an Korruption. Und dies alles folgt oft genug dem Muster von circuli vitiosi, wie man sich am Falle von Korruptionsspiralen oder auch am Verfall moralischer Standards auf den Wegen so genannter mimetischer Isomorphismen (DiMaggio, Powell 1983) klarmachen kann: Die einen tun es, weil die anderen es tun und vice versa.
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Während die implizierte Moralverdrängung sich auf eine gesellschaftlich gegebene, faktisch geltende Legitimationsordnung bezieht, ist der zweite große Komplex, die Legitimationsfabrikation, auf die (Mitwirkung an der) Schaffung, Etablierung oder Veränderung dieser Ordnung gerichtet. Organisationen, nicht Individuen, sind die mächtigen Akteure der Moderne auch in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um die Legitimation dessen, was ist und was sein soll. Sie sind es nach innen – Stichwort: „Legitimation durch Verfahren“ (Luhmann 1997), das heißt durch organisationale Regelwerke – und nach außen, nicht zuletzt durch organisierte Scheinheiligkeit (Brunsson 1989), vor allem aber durch ihren Einfluss auf die Gesetzgebung, die Politik, die öffentliche Meinung, die technologische Entwicklung – man denke an die Nuklear- oder die Biotechnik – u. v. a. Sie sind es meist ohne ernstliche demokratische Legitimation, und sie pflegen ihren Einfluss für passende Legitimationen zu nutzen, solche, die sich ihren Organisationszwecken und Funktionserfordernissen fügen. Organisationen sind die mächtigen Akteure der Moderne. Folgt daraus nicht, dass wir sie, und zwar weitaus mehr als bisher, in die Pflicht nehmen müssen? La Fontaines Fabel „Der Wolf und das Lamm“ handelt vom Recht des Stärkeren. Das betrifft die faktische Geltung. Zu sprechen und zu handeln wäre von der Pflicht des Stärkeren.
VI. Was folgt? Zurechnungsexpansion und Systemverantwortung In aller Kürze: Es folgt erstens längst, und muss gerade mit Blick auf Organisationen, noch erheblich weiter gehen, was Hermann Lübbe (1998, 36 ff.) Zurechnungsexpansion genannt hat. Sie ist die Folge „der zivilisationsabhängigen Expansion unserer realen Abhängigkeiten und Betroffenheiten von Handlungen sozial entfernter Anderer“. Infolge dessen werde „in komplexen Systemen die Zurechenbarkeit kontingenter Handlungsfolgen an die Adresse speziell verantwortlicher individueller oder juristischer Personen fiktiv.“ (Ebd., 39) Lübbe denkt, wenn er der Zurechnungsexpansion das Wort redet, an „die Sicherstellung verschuldensunabhängiger haftrechtlicher (sic; muss heißen: haftungsrechtlicher, G. O.) Zurechenbarkeit kontingenter Handlungsfolgen“ (ebd.), also an das Zivilrecht. Mit Blick auf Organisationen wäre aber auch an ein Organisations-, zumindest aber Unternehmensstrafrecht zu denken, auch wenn das für viele Juristen ein befremdlicher Gedanke ist (s. aber Schünemann 1979; Heine 1995; Dannecker 2001; dazu Ortmann 2010, 262 ff.). Organisationen sind in vieler Hinsicht „gefahrengeneigte Betriebe“. Sie sind ein „Risikofaktor“ (Spindler 2001, VII), Unternehmen eine „Gefahrenquelle“ (ebd., 4). Es folgt zweitens das Erfordernis, Verantwortlichkeit weit mehr als bisher in Systeme einzubauen – nicht nur in diejenigen Systeme, die hier mein Thema sind, Organisationen, sondern auch in umfassendere gesellschaftliche Teilsysteme, etwa
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die Wirtschaft, die Politik, den Sport, um nur einige zu nennen. Ein solches Programm hat Walter Bühl (1998) unter dem Titel „Systemverantwortung“ zusammengefasst. Die Systemkomplexität, die transnationale und transkulturelle Reichweite von Handlungen und Prozessketten, die Unmöglichkeit der Zurechnung von Systemoutputs zu -inputs oder gar zu individuellen oder auch korporativen Handlungen, die Rückkopplungsstruktur mitsamt unberechenbarer zirkulärer Verursachungszusammenhänge, die Pfadabhängigkeit und Selbstverstärkung von Prozessverläufen: all das macht es zu einem hoffnungslos unterkomplexen Unterfangen, das Verantwortungsproblem immer noch traditionell handlungstheoretisch erschöpfen und lösen zu wollen. Verantwortlichkeit, so Bühl, müsse daher in die Systeme eingebaut werden – Stichworte: Design- und Systemverantwortung. Wenn man es so sieht, gibt es so etwas wie „die wahren Verantwortlichen“ nicht mehr, oder sie entschwinden jedenfalls dem zurechnungsbedachten Blick. Dieses Kind jedoch soll man nicht mit dem Bade ausschütten. Bevor wir die Waffen der Zurechnung strecken, lassen sie sich noch erheblich schärfen – und Organisationen als zurechnungsfähige Akteure in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken.
Summary The usual suspects, when it comes to attributing responsibility for offenses against rules in organizational contexts – let alone for criminal offenses such as corruption or tax evasion – are individual actors. In this article, however, I make the case for attributing responsibility, under certain circumstances, to organizations treated as corporate actors. In that context, I consider the following questions: what is an actor? Is there such a thing as a corporate actor? What about the morality or responsibility of this kind of actor? Certain authors take the viewpoint that organizations are in a position to act more responsibly than individual actors. Without denying that this may be so, in this paper I emphasize the dark side of morality on the level of organizations; more specifically, on the repression of morality and the fabrication of legitimation in and through organizations. In view of this dark side, I plead for Zurechnungsexpansion (expansion of attribution), Systemverantwortung (responsibility on the level of systems), and for the introduction of a corporate criminal law, which is traditionally considered to be incompatible with German law. Literatur Achenbach, H. / Ransiek, A. (Hrsg.) (2004): Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, Heidelberg. Adorno, Th. W. (1997): Probleme der Moralphilosophie, 2. Auflage, Frankfurt a. M. Baecker, D. (1998): Poker im Osten. Probleme der Transformationsgesellschaft, Berlin.
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Verwaltung und Ethik Heinrich Scholler
I. Einführung Die nachstehenden Ausführungen behandeln vor allem die moderne Gesundheitsverwaltung einschließlich einiger Randerscheinungen, weshalb das gegenwärtig zentrale Problem Wirtschaftsverwaltung und Ethik nicht behandelt werden soll. Dennoch zeigt gerade die „Gesundheitsverwaltung“ mit besonderer Schärfe die modernen ethischen Konflikte auf. Bei der Erörterung der Beziehung von Verwaltung, Administration oder Governance1 und Ethik denkt man zunächst unwillkürlich an zwei inkommensurable Größen, also Phänomene, die sich nicht vergleichen lassen, weil sie verschiedenen Kategorien angehören. Wenn wir von „verwalten“ sprechen, dann denken wir an den Staat oder sonstige Hoheitsträger und vernachlässigen, dass natürlich in der Gesellschaft ebenfalls verwaltet wird. Und dieses gesellschaftliche Verwalten oder das Handeln in der Civil Society schlechthin muss sich ja an den Kategorien von Gut und Böse orientieren, wenn wir nicht von vorne herein das öffentliche Handeln als jenseits aller Postulate von Gut und Böse angesiedelt sehen wollen. Im deutschen Sprachraum erkennt man eine weitere Bedeutung des Begriffs verwalten, wenn man an den älteren Sprachgebrauch denkt oder auch an älteres Liedgut, wo vom „Walten Gottes“ die Rede war, so zum Beispiel „das walte Gott“ mit der Bedeutung, das soll Gott entscheiden, tun oder regeln oder als Ausdruck einer ethischen Gesamteinstellung in dem Vers: „Wer nur den lieben Gott lässt walten“. Hier ist das Walten hoheitliches, göttliches Handeln und per se Teil der Kategorie des Guten. So lässt sich verstehen, wenn man den Staat als Hoheitsträger im Sinne des „deus mortalis“ sieht, dann ist sein Walten natürlich ebenfalls zwar prinzipiell den Kategorien Gut und Böse unterworfen, aber von vornherein unzweifelhaft ein Teil des Guten und Richtigen in dem Sinne, dass auch die lex mala als Gesetzesgebot nicht angezweifelt werden kann. Die Vorstellung, die Gustav Radbruch2 im Zusammenstoß mit dem nationalsozialistischen 1 Der Begriff stammt aus dem Lateinischen (gubernare), das Steuerruder führen, und wird benutzt für die Bezeichnung von Steuerungssysteme im Sinne von struktureller Einwirkung auf eine Organisation. 2 Siehe zu Gustav Radbruch, „Der Geist des englischen Rechts“, Heidelberg, 1946 sowie „Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht“ (1946), in: Arthur Kaufmann (Hrsg.), Gustav Radbruch – Gesamtausgabe, Rechtsphilosophie III, Heidelberg: C. F. Müller Verlag,1990, S. 83 ff. Heinrich Scholler, „Rechtsvergleichung als Vergleich von Rechtskulturen“,
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Rechtsdenken entwickelt hat und die er in der sog. Radbruch’schen Formel ausdrückte, wonach es eben doch nicht überpositives Recht, sondern auch rechtswidrige Gesetze gibt, ist eine Rückführung der öffentlichen Gewalt hinter die Denkkategorie des Gut und Böse, also eine Unterwerfung der Verwaltung unter bestimmte ethische Postulate. Ob sie die gleichen sind, wie sie für jeden Menschen gelten, oder ob hier andere Anforderungen zu stellen sind, mag an dieser Stelle offen bleiben.
II. Von der Tugendlehre des Prinzen bis zur Lehre der Rechtsstaatlichkeit der Verwaltung 1. Im Zeitalter des absoluten Staates, also vor allem im 18. Jahrhundert, war der Staat mit der Person des Monarchen identisch, was mit dem Zitat des Satzes von Ludwig XIV. belegt wird: Der Staat bin ich (L’état, c’est moi). Besieht man aber diese Identifizierung von Souverän und Ethik näher, dann weiß man, dass die Erziehung des Monarchen in besonderer Weise den Philosophen zugewiesen wurde, weil gerade die Unterscheidung von Gut und Böse, also das ethische Handeln, für den Monarchen gleichzeitig die Garantie des De bene esse für die Gesellschaft und den Bürger war. Deswegen spielte die Tugendlehre und die Erziehung zur Tugend so eine große Rolle in der Erziehung der jungen Thronanwärter. Ein berühmtes, wenn auch umstrittenes Lehrbuch der Tugendlehre für den Monarchen war Il Principe (verfasst 1513) des Niccolò Machiavelli, dem allerdings der preußische König Friedrich II. einen Anti-Machiavelli3, also eine andere Sittenlehre oder Tugendlehre entgegenstellen wollte. 2. Die modernen Verfassungen haben deshalb auch in die Garantie des Rechtsstaats eine ethische Komponente hinein genommen, indem sie sich zum „sozialen Rechtsstaat“ bekennen. Allerdings ist hier zu bemerken, dass die Bezeichnung „sozial“ im Zusammenhang mit dem Begriff des Rechtsstaats oder des Staats im Allgemeinen weniger einen Aufruf zum sozialethischen Verhalten des Bürgers, als eine Verpflichtung zum sozialpolitischen Verhalten des Hoheitsträgers beinhaltet. Der Hoheitsträger nämlich ist hier in erster Linie angesprochen, seine staatlichen Maßnahmen, also insbesondere Leistungen und Eingriffe, an dem Kriterium der Förderung des Wohls der Bürger oder Menschen schlechthin zu messen. Mit dem in: Haft / Hassemer / Neumann / Schild / Schroth (Hrsg.), Strafgerechtigkeit, Festschrift für Arthur Kaufmann zum 70. Geburtstag, Heidelberg: C. F. Müller Verlag, 1993, S. 743 ff. Vgl. auch: Buchbesprechungen Heinrich Scholler, Hanno Durth, Der Kampf gegen das Unrecht, Baden-Baden, 2001 und Marc André Wiegand, Unrichtiges Recht, Tübingen, 2004, in: Zeitschrift für Rechtsphilosophie, LIT Verlag, 1+2 / 2008, S. 106. 3 Das Buch, das der Preußenkönig Friedrich II. verfasste und das von Voltaire 1740 herausgegeben wurde, trug den Titel: Anti-Machiavel oder Versuch einer Kritik über Nic. Machiavels Regierungskunst eines Fürsten. Es gab eine ganze hierarchische Gattung, die man als Antimachiavellismus bezeichnete und die die Tugendlehre des Prinzen zum Gegenstand hatte.
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Begriff des „sozialen“ werden eben Wertvorstellungen aus der Zivilgesellschaft integriert in die Wirklichkeit des Staatsverwaltungsmanagements, sodass die Wertvorstellungen zwischen Staat und Gesellschaft wesentlich mehr angenähert werden, als dies bei einem reinen Bekenntnis zum Rechtsstaat als Funktionsapparat der Fall war. 3. Allerdings darf man nicht übersehen, dass bei der Definition des Rechtsstaates schon vor der Festlegung auf den sozialen Rechtsstaat ein ethisches Element eine Rolle gespielt hat. Die Beziehung zwischen dem Verwaltungsstaat auf der einen Seite und dem Gesetzgebungsstaat auf der anderen Seite, also der beiden wichtigen Elemente der Gewaltenteilung, wurde dahingehend festgelegt, dass dem Gesetzgeber die höhere Funktion im Verhältnis zur Aufgabe der Verwaltung zugewiesen wurde. Dies drückt sich aus in den Begriffen der „Gesetzmäßigkeit der Verwaltung“ und dem weiteren Begriff des „Vorbehalts des Gesetzes“. Darum wird durch diese beiden Definitionen dem Gesetzgeber, also dem Parlament, ein höherer Wert beigemessen, ein höherer Wert deshalb, weil das durch Wahlen beauftragte Staatsorgan, das Parlament, den Inhalt, Zweck und Ausmaß4 aller administrativen Tätigkeiten oder das Programm, wie das die deutsche Rechtsprechung formuliert hat, bestimmt. Das bedeutet, dass die Verwaltung nichts zu Inhalt, Zweck und Ausmaß ihrer Tätigkeit hinzufügen kann, sondern an die Vorgaben des Parlaments gebunden ist. Dies deshalb, weil das Parlament ein Staatsorgan ist, das unmittelbar aus Volkswahlen hervorgegangen ist, und dem Volk bzw. seinem Vertretungsorgan wird die höhere Kompetenz in der Definition dessen, was gut und ungut ist, zuerkannt. Das Gleiche gilt für den Begriff des Vorbehalts des Gesetzes, der als Rechtsbegriff bedeutet, dass Eingriffe und Eigentum des Menschen bzw. Bürgers nur durch die Verwaltung erfolgen dürfen, wenn der Gesetzgeber diese Eingriffe nach Inhalt, Zweck und Ausmaß definiert und damit zugelassen hat. Mit den Begriffen Eigentum und Freiheit des Bürgers verbinden sich im bürgerlichen Staat die Grundlagen der menschlich-bürgerlichen Existenz einerseits, aber auch die Wertordnung, die der freiheitlich-demokratisch agierende Bürger für die politische Gestaltung postuliert. Der Schutz und die Vermehrung der Freiheit durch staatliche Maßnahmen wird als ethisch gut, ihre Verringerung oder ihre Aufhebung als ungut oder böse angesehen, auch wenn diese Maßnahmen durch den Souverän erfolgen sollten. Bezeichnend ist schließlich, dass diese Begriffsbestimmung, die in Deutschland auf den Juristen Otto Mayer5 zurückgeht, noch eine dritte Definition kennt, nämlich die Lehre vom „Mehrwert des Gesetzes“ gegenüber dem Wert der Verwaltung. Das Gesetz, das eben unmittelbar aus dem Handeln des Volkes oder eines Vertretungsorgans hervorgeht, hat durch diesen seinen Ursprung eine größere Nähere und Unmittelbarkeit gegenüber ethischen Postulaten, als das konkret spezielle Verwaltungsanordnungen der Exekutive haben können. Selbst die generell abstrakten, also abgeleiteten Normen der Verwaltung haben eine geringere 4 5
Siehe dazu BVerfGE 2, 307 [334]; 23, 62 [72]. Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, 1. Aufl., Leipzig 1895 / 96, S. 92 f.
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Qualität gegenüber der Welt der ethischen Postulate, als dies den Gesetzgebungsakten zugebilligt wird. Dabei bleibt die Frage offen, ob dieser Vorsprung anders zu beurteilen ist, wenn die Spitze der Exekutive unmittelbar aus Volkswahlen hervorgeht, wie dies z. B. in der Präsidialverwaltung bzw. im Präsidialstaat der Fall ist. Kann man dann immer noch vom „Mehrwert des Gesetzes“ sprechen oder steht dem Mehrwert des Gesetzes ein gleicher Mehrwert des unmittelbar plebiszitär ermächtigten Exekutivorganes gegenüber? Selbst dort, wo die Verwaltung sich nicht auf plebiszitäre unmittelbare Autorität zurückführen lässt, wo sie also das Prinzip des „Mehrwertes des Gesetzes“ anerkennen muss, gibt es aber Gebiete, in welchen die Ethik der Verwaltung immer noch eine unmittelbare Rolle spielt, sei es, weil das Gesetz hier einen Spielraum lässt, oder weil der Beamte selbst aufgrund seiner besonderen Qualifikation vom Gesetz als Träger einer besonderen Verwaltungsethik angesprochen wird. Vielleicht wird man hier den Schwerpunkt der Diskussion zwischen Ethik und Verwaltung in der heutigen Zeit sehen müssen, denn es geht im Grunde genommen auch hier um eine zentrale Frage der modernen Verwaltung, die dahingehend lautet: Ist das Berufsbeamtentum in der bisherigen Form auch im modernen demokratischen Staat noch erforderlich oder vielleicht überhaupt noch zulässig? 4. Zunächst darf man feststellen, dass der Gesetzgeber selbst in bestimmten Bereichen der Verwaltung eine Einschätzung macht oder sogar Einschätzungsprärogative einräumt. Überall dort, wo der Gesetzgeber ein Handeln der Verwaltung nach Ermessen für zulässig hält oder vielleicht sogar für unumgänglich ansieht, spielt auch die Ethik des verwaltenden Handelns eine besondere Rolle. Die Norm drückt dies meist mit der Formulierung aus: „Die Behörde kann . . . die Erlaubnis erteilen, wenn . . . vorliegt“. Als Beispiel soll das deutsche Namensänderungsrecht herangezogen werden. Dort wird gesagt, dass der Namen geändert werden kann, wenn wichtige Gründe vorliegen. Hier hat die Verwaltung aufgrund von zwei Ermächtigungen oder Einschätzungsprärogativen die Befugnis, den Rahmen des Gesetzgebers mit eigener Wertung auszufüllen, d. h. nach einem Gut- und Böseschema oder Gut- und Schlechtschema zu handeln. Schon das Vorliegen des unbestimmten Rechtsbegriffs „wichtiger Grund“ verlangt eine eigene Einschätzungsmacht der Behörde, wonach festgestellt wird, was wichtig und was unwichtig ist als Grund für die Namensänderung. Liegt schließlich ein wichtiger Grund vor und hat die Behörde hier ihr eigenes Ermessen mit eingebracht, dann kommt es zur eigentlichen Ermessensentscheidung, denn sie kann sowohl den Antrag ablehnen als ihn genehmigen, denn selbst bei Vorliegen eines wichtigen Grundes ist sie in ihrer Entscheidung prinzipiell frei. Hier werden ethische Grundsätze eingreifen, wenn nicht durch ein bestimmtes verbindliches oder empfehlenswertes Case Law eine Festlegung erfolgt ist. 5. Ein anderes Feld der Ermächtigung der Verwaltung zur Eigenentscheidung ist das Beamtenrecht selbst, wo es die Voraussetzungen für eine freie Entscheidung ermöglicht, vor allem dort, wo eben Ermessensentscheidungen notwendig sind. So hat das Beamtengesetz in der Regel eine Vorschrift darüber getroffen, dass der
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Beamte unparteilich und neutral entscheiden muss und auf die politische, soziale oder religiöse Stellung der Beteiligten nicht abheben darf. Damit werden bestimmte Orientierungspunkte als unzulässig ausgeschieden und eine freiere Entscheidung des Beamten im konkreten Einzelfall ermöglicht. Als weiteren Beispielsfall der Einwirkung ethischer Überzeugungen im Rahmen der beamtenrechtlichen Tätigkeit soll auf das Remonstrationsrecht hingewiesen werden6. Dieses Recht als Recht der Gegenvorstellung ermächtigt den Beamten zu ethischem Handeln, das in den Fällen eingeräumt wird, in denen der Beamte einer Weisung des Vorgesetzten nicht folgen will oder nicht folgen kann, weil er der Meinung ist, dass diese Weisung Unrecht darstellt. Die letzte Entscheidung trifft dann der dem Vorgesetzten übergeordnete Amtsträger. In diesem Fall soll er aus dem Gewissenskonflikt, in den er zwischen der Eigenüberzeugung und der Weisung des Vorgesetzten geraten ist, befreit werden, indem er dem Vorgesetzten oder dem weiteren Vorgesetzten seine Bedenken gegenüber vorträgt. Haben seine Gegenvorstellungen Erfolg, dann ist er aus dem Entscheidungsdilemma befreit, haben sie keinen Erfolg, kann er sagen, dass er zwar mit seiner eigenen ethischen Interpretation der Vorschriften der Verwaltung erfolglos geblieben ist, dass er aber die gesetzlich eingeräumte Chance der Korrektur ergriffen hatte. Gerade in der Einräumung der Gegenvorstellung hat die Verwaltung durch den Gesetzgeber ein Mittel erhalten, das einer überkommenen Ethik oder einer neuen Ethik eine nicht unbeachtliche Chance der Durchsetzung lässt. Es wurde hier bisher unterlassen, diese Fragen auf der Ebene des europäischen Rechts, insbesondere eines sich entwickelnden europäischen Beamtenrechts, zu untersuchen. Sicher werden auch hier die gleichen Probleme und verwandte Lösungen sich entwickeln, weshalb eine Beschäftigung mit dem jeweiligen nationalen Ausgangsrecht nie ohne Bedeutung ist. 6. Von besonderer Bedeutung für das Spannungsverhältnis Verwaltung und Ethik unter dem Gesichtspunkt einer möglicherweise eingeräumten Handlungs- oder Ermessensfreiheit des Beamten ist die Einräumung von Handlungsstrich und Beurteilungsermessen durch das Gesetz. Ein Handlungsermessen liegt kraft Gesetzes dann vor, wenn der Rechtssatz davon spricht, dass eine Maßnahme ergriffen werden „kann“ oder ergriffen werden „soll“, dagegen fehlt ein solches Handlungsermessen, wenn die Rechtsfolge durch die strikte verbale Formulierung des „Muss“ angeordnet wird. Als Beispiel hierfür soll der bekannte Regelungsfall erwähnt werden, der die Behörde zu einem Handlungsermessen ermächtigt, wenn ein so genanntes illegales Bauvorhaben, also ein Bauvorhaben ohne vorangehende gesetzliche Genehmigung, vorliegt. Hier „kann“ in der Regel die Behörde den Bau beseitigen lassen, sie ist dazu aber nicht verpflichtet. Allerdings ist zu beobachten, dass in jüngster Zeit aus vielen „Kann“-Ermächtigungen inzwischen „Soll“- oder 6 § 36 BeamtStG, früher § 38 BRRG; siehe dazu: Johannes Rux, „Das Remonstrationsrecht – Eine Tradition des liberalen Rechtsstaats?“, in: Beamte heute, Bund-Verlag, März 1992, S. 10 – 14.
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„Muss“-Ermächtigungen geworden sind. Eine andere Art von Ermächtigung liegt in der legislativen Benutzung so genannter unbestimmter Rechtsbegriffe vor, weil auch bei diesen Rechtsbegriffen ein Beurteilungsermessen oder ein Beurteilungsspielraum zugunsten der Behörde eingeräumt ist. Natürlich gewähren beide Formen des Ermessens dem Vollzugsorgan der Verwaltung eine Ausübung ethischer Beurteilung des zu regelnden Falles.
III. Das überpositive Recht als Ausdruck der Ethik 1. Eigentlich müsste man das Thema mit Kants Analyse und Neubegründung der Ethik beginnen, auch wenn sie bereits vollständig im 18. Jahrhundert entwickelt war. Dennoch scheint es aus verschiedenen Gründen notwendig zu sein, Kants zentrale Schriften über die Sittenlehre und die Anthropologie, insbesondere seinen kategorischen Imperativ, zunächst für unsere Betrachtung zurückzustellen, da im 19. Jahrhundert eine wesentlich strengere Fragestellung aufgetaucht ist, die man mit dem fundamentalen Konflikt des Gesetzgebers mit der Gesellschaft umschreiben kann. Außerdem bricht in die Problematik der Sittenlehre und der philosophischen Betrachtung die empirisch-wissenschaftliche Rechtfertigung des Handelns durch die wissenschaftliche Begründung der Psychologie ein. Deswegen sollen hier drei Vertreter betrachtet werden, und zwar Wilhelm Wundt, Georg Jellinek und Gustav Radbruch. 2. Gegenüber Jellinek soll Wilhelm Wundt (1832 – 1920) gestellt werden, der die wissenschaftliche Psychologie begründet hat und der als Philosoph sich auch mit der Ethik beschäftigte. Er ist der Begründer des ersten experimentellen Institutes für Psychologie weltweit, wird aber fälschlich nur unter dem Gesichtspunkt seiner psychologischen Leistungen, nicht als Philosoph und Ethiker dargestellt. In seinem mehrbändigen Werk über Ethik beschäftigt er sich intensiv mit dem Verhältnis der Sittennorm zur Rechtsnorm. Hinsichtlich der Sittennorm spricht er wörtlich davon, dass sie in ihrer Durchsetzbarkeit eher noch stärker sei als die Rechtsnorm. So heißt es wörtlich bei ihm: „Der Wilde ist ein Sklave der Sitte“7. Man kann den Zwangscharakter der Norm nicht intensiver ausdrücken. Man muss somit sagen, das Recht ist das ethische Maximum und somit der Sitte des Wilden vergleichbar, wenn man beide gegenüber stellt. Wundt hat also die Idee vertreten, die man gegenüber Jellinek als die des ethischen Maximums bezeichnen muss, auch wenn dieser Begriff mir bei Wundt nicht als solcher aufgefallen ist. Demzufolge sind Recht, Staat und jede legale Institution eine Entwicklung aus der Sitte8. Zu seinen Ehren ist der Asteroid (635) Vundtia nach ihm benannt.9 Bei Wundt in Leipzig studierten und assistierten u. a. Bechterew, Boas, Durkheim10, Hus7 8
Wilhelm Wundt, Ethik, Band I, Stuttgart: Enke, 1903, S. 225. Wundt (Fn. 6), Band II, S. 193 ff.
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serl11, Lange, Malinowski12, Mead, Sapir, Thomas, Tönnies13, Whorf und Wygotski. 3. Es wurde bereits zu Eingang dieser Ausführungen auf Gustav Radbruch hingewiesen, dessen Lehre vom überpositiven Recht gezeigt hat, dass hier ein fundamentales ungelöstes Problem vorliegt, das durch die Gesetzlichkeit der Verwaltung nicht gelöst worden war. Bevor auf Radbruchs Kritik am positiven Recht eingegangen werden kann, soll eine geradezu gegenläufige Auffassung vom Recht als „ethisches Minimum“ erwähnt werden, die auf den Staatsrechtslehrer Georg Jellinek14 und seine Schrift Die sozialethische Bedeutung von Recht, Unrecht und Strafe zurückgeht. Dort wurde das Recht wegen seiner stabilisierenden und die Gesellschaft erhaltenden Funktion als „ethisches Minimum“ angesehen, weil es die tragende Funktion innerhalb von Staat und Gesellschaft verkörpere. Zusammenfassend lässt sich Folgendes im Anschluss an Jellineks Schrift hier anführen: „Das Recht ist nichts anderes als das ethische Minimum. Objektiv sind es die Erhaltungsbedingungen der Gesellschaft, soweit sie vom menschlichen Willen abhängig sind, also das Existenzminimum ethischer Normen, subjektiv ist es das Minimum sittlicher Lebensbetätigung und Gesinnung, welches von den Gesellschaftsgliedern gefordert wird. [ . . . ] Das Recht wird also, als das erhaltende Moment, das Minimum der Normen eines bestimmten Gesellschaftszustandes bilden, d. h. diejenigen Normen umfassen, welche die unveränderte Existenz eines solchen sichern.“15 Wie steht nun die Verwaltung, die zweite Säule des Staates, zum Problem des überpositiven Rechts und des gesetzlichen Unrechts? Darf sie auf Grund gesetzlichen Unrechts tätig werden, oder gibt es ein überpositives Management auf der einen Seite und eine rechtswidrige Administration auf der anderen Seite? Es ist erforderlich, Radbruchs Lehre etwas näher zu untersuchen, seine Entstehung und Verwirklichung aufzuzeigen und ihre Anwendbarkeit zu prüfen. 4. Nach dem Zweiten Weltkrieg sind drei wichtige Werke von Radbruch erschienen, die eine Wendung zum überpositiven Recht darstellen.16 Ja, man hat sogar über die „Kehre“ Radbruchs gesprochen. 9 Wundt wurde 1902 zum Ehrenbürger der Stadt Leipzig und 1907 der Stadt Mannheim ernannt. 10 Französischer Soziologe und Ethnologe, 1858 – 1917, Hauptwerk: Le suicide, 1897. 11 Ursprünglich österreichischer Philosoph und Mathematiker, 1859 – 1938, letztes Hauptwerk: Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie: Eine Einleitung in die phänomenologische Philosophie, 1936. 12 Polnischer Sozialanthropologe, 1884 – 1942, Hauptwerk: Argonauten des westlichen Pazifik, 1922. 13 Deutscher Soziologe, Nationalökonom und Philosoph, 1855 – 1936, Hauptwerk: Gemeinschaft und Gesellschaft, 1887. 14 Deutscher Staatsrechtslehrer, 1851 – 1911, Hauptwerk: Allgemeine Staatslehre, 1900. 15 Georg Jellinek, Die sozialethische Bedeutung von Recht, Unrecht und Strafe, Berlin: Häring, 1908, S. 45.
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Damit meint man vor allem die Gedanken, die Radbruch in seinem berühmt gewordenen Aufsatz vom „gesetzlichen Unrecht“ niedergelegt hat. Er kommt hierbei zu dem Ergebnis, dass unter bestimmten Voraussetzungen bei einer Verletzung über-positiver Gerechtigkeitsprinzipien das formal gültige Gesetzesrecht nichtig werden kann. Ausschlaggebend dafür ist die Evidenz einer unerträglichen Verletzung von Gerechtigkeitsvorstellungen. Man hat allgemein die Frage diskutiert, ob Radbruchs rechtsvergleichende Arbeiten ihn automatisch zu diesem Bruch mit dem Positivismus geführt haben, also ob es sich in Wirklichkeit nicht um eine „Kehre“, sondern um eine konsequente Weiterentwicklung eines grundsätzlichen Ansatzes handelt. Hierbei muss man nun den Rechtsphilosophen Radbruch analysieren und untersuchen, ob bereits vor seinem Studienaufenthalt in Oxford 1936 Tendenzen erkennbar waren, seien sie naturrechtlicher Art oder aus einem bestimmten Gerechtigkeitsideal hergeleitet, die ihn zur Kritik am positiven Recht führten. Der Aufenthalt in England allein konnte ihn nicht veranlassen, eine so grundsätzlich kritische Einstellung gegenüber dem Gesetzgeber und dem von ihm gesetzten positiven Recht einzunehmen. Denn das englische Recht kennt nicht den Begriff der Supremacy of the Constitution, der dem amerikanischen Recht, das auf geschriebenem Verfassungsrecht beruht, selbstverständlich und geläufig ist. Das Fehlen einer geschriebenen Verfassung, die Interpretation des ungeschriebenen Verfassungsrechts als Constitutional Conventions, die Vorstellungen von der Gleichheit aller Rechtsquellen, mussten eigentlich Radbruch in Oxford davon überzeugen, dass das englische Richterrecht nur seiner Rechtsquelle nach ein Gegensatz zum kontinentalen Gesetzesrecht darstellen würde, dass es selbst aber als Rechtsquelle zu positivem Recht führt. Vielleicht kann man davon ausgehen, dass die Bindung an die Präjudizien im Common Law nicht so streng ist, wie die Bindung an das Gesetzesrecht nach kontinentaleuropäischer Vorstellung. Natürlich ist die Berücksichtigung ethischer Postulate in einem am Case Law orientierten Richterrecht immer leichter und unter Umständen auch häufiger erforderlich, um weit zurückliegende Entscheidungen zu „aktualisieren“. 5. Eine andere Möglichkeit der Interpretation liegt vielleicht darin, dass seine rechtsvergleichende Beschäftigung sowohl mit dem englischen als auch mit dem amerikanischen Recht ihm eine andere Blickrichtung verschaffte, von welcher er nun das kontinentale Recht zu beurteilen vermochte. Diese Idee der neuen Blickrichtung wird bestätigt durch den Titel des Aufsatzes, der in englischer und französischer Sprache erschien und der gerade diese Blickrichtung zum Gegenstand hat, weil es dort heißt: „Das angloamerikanische Recht mit kontinentalen Augen betrachtet.“ 17 16 Siehe auch die Ausführungen von Heinrich Scholler, Die Rechtsvergleichung bei Gustav Radbruch und seine Lehre vom überpositiven Recht, Berlin: Duncker & Humblot, 2002.
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Die amerikanische Verfassungsgerichtsbarkeit, die im Federal Supreme Court und in dem Supreme Court der Gliedstaaten verankert ist, musste zwangsläufig bei Radbruch die Vorstellung erwecken, dass es wohl nicht nur im höherrangigen Verfassungsrecht, sondern auch in höherrangigen Gerechtigkeitsprinzipien eine Schranke des positiven Gesetzgebers geben müsse. Betrachtet man aber den eben zitierten Artikel näher, so findet man darin weniger ein Rekurrieren auf einen Verfassungsstaat, also die Supremacy of the Constitution, sondern eher eine Beschäftigung mit dem Verhältnis von anglo-amerikanischem Richterrecht zu kontinentaleuropäischem Gesetzesrecht. Allerdings untersucht Radbruch hier auch die Bedeutung der Rechtsphilosophie von Dicey, der Recht auf die Pfeiler von Command, Sanction, Duty und Sovereignty stützt. In dieser Theorie sieht er die endgültige Trennung von Recht und Moral im Bereich des englischen Common Law. Durch diese Trennung entsteht dann die Frage, ob bei grundsätzlicher und prinzipieller oder unerträglicher Verletzung von Ethikgeboten das Gesetz so fehlerhaft sein kann, dass es als nichtig angesehen werden muss. War es eine „Kehre“ in Radbruchs Denken, wenn er sich der Erkenntnis von der Bedeutung des überpositiven Rechts hingab, oder war es ein Einfluss des Aufenthalts in Cambridge bzw. eine Einwirkung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und der mit ihr verbundenen „Schandgesetze“, die das Gerechtigkeitsziel der Legislative völlig außer Acht gelassen hatte? Immerhin war schon im Jahr 1932 diese Entwicklung zu einem humanistischen Gesetzesbegriff erkennbar, der den Relativismus zu einer „wertorientierten Wirklichkeit“ des Rechts bekannte. Kaufmann berichtete, dass Radbruch kurz vor seinem Tode die Absicht bekundet hatte, in der Neuauflage seiner Rechtsphilosophie dem Naturrecht mehr Raum einzuräumen, indem er die Teilelemente als konstituierende Faktoren des Rechts von Gleichheit, Rechtszweck und Rechtssicherheit stärker betonen wollte. Allerdings ließ er nicht erkennen, wie er dann die zentralen Probleme gegenüber dem rechtswidrigen Staatsakt behandeln oder lösen würde. 6. Nach Radbruchs Tod versuchten Rechtsphilosophen und Staatsrechtslehrer, der Gedankenentwicklung des berühmten Kollegen eine eigene Interpretation zu geben, indem sie entweder die Meinung äußerten, dass hier eine vollkommene „Kehre“ im Denken vorlag oder dass es sich gar nicht um eine wesentliche Inhaltsänderung seines Ansatzes gehandelt habe, vielmehr um eine Weiterentwicklung früh erkennbarer Teilaspekte. 7. Viel eher als man glaubt, wurde Radbruchs These auf den Prüfstand der obersten deutschen und europäischen Rechtsprechung gestellt, als die Mauerschützen der ehemaligen DDR plötzlich vor deutsche Strafgerichte gestellt wurden. Ein gesetzlicher Schießbefehl lag nicht vor, so dass nun das Problem auftauchte, ob hier 17 Gustav Radbruch, „Anglo-American Jurisprudence“, in: Law Quaterly Review, Vol. 52, S. 530 – 545, auch abgedruckt in: Arthur Kaufmann (Hrsg.), Gustav Radbruch Gesamtausgabe, Band 15, Heidelberg: C. F. Müller Verlag, 1999, S. 250 ff.
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eine Staatsapparatur, eine höchste Staatsverwaltung ohne demokratische Legitimation sich selbst genügend, also administrativ, Freiheit suchenden Bürgern das Leben nehmen durfte.18 Es war also ein Problem nicht des gesetzlichen Unrechts, sondern des einfachen Verwaltungsunrechts oder, um es anders auszudrücken, ein Problem der Konfrontation von Exekutive und Ethik. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes wurde in einer großen Anzahl von Artikeln deutscher Strafrechtler behandelt, ohne dabei immer auf den Ansatz von Radbruch einzugehen und ohne auch zu erkennen, dass es sich im Grunde um die Konfrontation von Verwaltung und Ethik handelt. Der Europäische Gerichtshof hat aber dann in seinem Urteil vom 21. März 2001 das Problem verhüllt, indem er sich zwischen Skylla und Charybdis bewegte. Dies gelang ihm dadurch, dass er darauf abstellte, dass auch die ehemalige DDR nicht nur in ihrer Verfassung das Grundrecht auf Leben anerkannte, sondern auch internationalen Verträgen zum Lebensschutz beigetreten war. Damit glaubte das Gericht, dass es doch ein gesetzlich unerlaubter Akt der Militärverwaltung oder Staatsverwaltung war, der gegen die DDR-Verwaltung höchsten Ranges verstoßen habe. In Wirklichkeit liegt aber in diesem Fall, wie in sehr vielen anderen Fällen der Grenzverletzung seit dem Fall der Mauer vor 20 Jahren und der Gegenwart, im Grunde genommen ein Konflikt zwischen Verwaltung und Ethik bzw. Moral vor. Diese Ethik ist mindestens im europäischen Raum der 27 EU-Mitglieder als traditionelles Gewohnheitsrecht anerkannt, soweit es z. B. das Grundrecht auf Leben betrifft. 8. Eine andere Lösung schlägt die Arbeit von Schmitt Glaeser19 vor, der in Recht und Ethik nicht zwei Gegenpole sieht, sondern der nur von der Situation der Ethik im freiheitlichen Verfassungsstaat ausgeht. Deshalb ist für ihn auch die Schule der erste Bereich, in dem der Einzelne als freiheitlich gedachtes Individuum dem staatlichen Zwang in der Gestalt des Schulzwanges gegenüber steht. Eine weitere Vertiefung dieses Ansatzpunktes kann hier nicht geleistet werden, obschon diese moderne verkürzte Konfrontation nicht ohne besondere Wirklichkeitsnähe ist.
IV. Das Problem der Patientenverfügung, der Sterbehilfe und die Errichtung eines Deutschen Ethikrates in der Bundesrepublik Aber auch die Gegenwart bietet genug Konfliktfälle zwischen Verwaltung und Ethik an, von welchen nachfolgend zwei Problemkreise unter Hinweis auf die Entwicklung des modernen Ethikrat-Systems behandelt werden sollen. 18 Knut Seidel, Rechtsphilosophische Aspekte der „Mauerschützen“-Prozesse, Schriften zur Rechtstheorie Heft 189, Berlin: Duncker & Humblot, 1999. 19 Walter Schmitt Glaeser, Ethik und Wirklichkeitsbezug des freiheitlichen Verfassungsstaates, Berlin: Duncker & Humblot, 1999.
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1. Die Patientenverfügung ist Mitte Juni 2009 vom Bundestag beschlossen worden. Dem Bundestag lagen drei verschiedene gesetzliche Formulierungen seit Jahren vor, nach eingehender Diskussion und freigestellter Entscheidung ohne Beeinflussung durch die Parteizugehörigkeit entschied sich der Bundestag für die liberalste, von einem SPD-Abgeordneten eingebrachte Lösung. Hiernach ist ohne Notwendigkeit einer vorhergehenden ärztlichen Konsultation durch schriftliche Verfügung des Patienten Art und Weise des Lebensendes festzulegen. Allerdings empfiehlt das Gesetz auch die Übertragung einer Bevollmächtigung auf eine Vertrauensperson für den Fall, dass der Patient nicht mehr entscheidungsfähig sein sollte. 2. Das Problem der gegenwärtigen Konfliktlage zwischen Verwaltung und Ethik stellt sich darüber hinaus in vielen Ländern, vor allem aber natürlich wiederum gerade in den Ländern der 27 Mitgliedsstaaten der EU dar, wenn es darum geht, dass von der Gesundheitsverwaltung, also einem Krankenhaus bzw. Ärzten oder leitenden Medizinern von Krankenhäusern Sterbehilfe verlangt wird. Seit sechs Jahren lag dem Deutschen Bundestag ein Entwurf zum Erlass eines Gesetzes zur Regelung der Fragen der Sterbehilfe vor, um den seit sechs Jahren unter Fachleuten, aber vor allem auch in der Öffentlichkeit, in der Welt der Medizin und der Politik genauso gestritten wurde wie in der Welt der Philosophie. Mitarbeiter der Zeitschrift „Spiegel“ führten ein Gespräch mit Prof. Taupitz, der einen Lehrstuhl für Rechtsmedizin innehat und Mitglied des Deutschen Ethikrates20 ist, in dem er für das Recht auf selbst bestimmtes Leben eintrat, einschließlich des Rechts auf den selbst bestimmten Tod. Auch in Italien ist erst unlängst dieses Problem anhand der gerichtlich angeordneten Einstellung der künstlichen Beatmung einer im Koma befindlichen Frau Gegenstand nationaler Diskussionen gewesen. Die beiden Journalisten Cornelia Schmidt und Alfred Weinzierl haben mit Prof. Taupitz auf einer breiten Palette von Fragen, die von praktischen Lebensproblemen bis hin zu wissenschaftlichen Grundsatzfragen reichen, das Gespräch geführt. 3. Meinungsäußerungen in der medizinischen und in der politischen Öffentlichkeit in Deutschland reichen von den Forderungen nach einer Erweiterung und Legalisierung des Rechts zur Selbstbestimmung des eigenen Lebens und damit auch des eigenen Ablebens (einschließlich der aktiven Sterbehilfe), wie sie von 20 Der nationale Ethikrat war durch den Deutschen Bundestag unter der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder 2001 eingeführt worden, um dann nach dem Regierungswechsel unter der großen Koalition der CDU / SPD-Regierung im August 2007 in den Deutschen Ethikrat umbenannt zu werden. Er besteht aus 26 Mitgliedern, die sich u. a. aus den medizinischen, naturwissenschaftlichen, theologischen und rechtswissenschaftlichen Disziplinen zusammensetzen (§ 4 des Ethikratgesetzes). Er hat die Aufgabe, sich mit lebenswissenschaftlichen Fragen zu beschäftigen, zu denen offenbar ungenannt die Fragen der Ethik des modernen Lebens gehören, und dazu Stellungnahmen abzugeben (§ 2 EthRG). Der Vorsitzende (Prof. Edzard Schmidt-Jortzig) ist Jurist, die Stellvertreter sind Repräsentanten der medizinischen bzw. theologischen Wissenschaften. Die Mitglieder werden vom Bundestag und von der Bundesregierung berufen und sind weisungsfrei, ihre Amtszeit beträgt vier Jahre. Ethikratgesetz: BGBl. I S. 1385, 2007.
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dem Rechtsphilosophen Reinhard Merkel (Universität Hamburg) und Hans Küng, dem bekannten Tübinger Theologen, erhoben werden, bis hin zu Forderungen nach Einschränkung dieses Rechts aus den Kreisen der CDU. Hier wird immer wieder in der Öffentlichkeit vor allem die Auffassung des Bundestagsabgeordneten der CDU, Bosbach, erwähnt, der ein Abschalten der medizinischen Apparatur nur dann für legalisierbar ansieht, wenn es sich um eine auf den Exitus zulaufende tödliche Erkrankung handelt. Das Problem wird deshalb als erschwert lösbar angesehen, weil der Bürger sich zu früh auf einen Suizid festlegen könnte, da er nicht voraussehen kann, dass die Fortschritte der Medizin ihm einen längeren schmerzfreien Lebensabend ermöglichen könnten. 4. Prof. Taupitz fasst seine Stellungnahme wie folgt zusammen: Besser, selbstbestimmt zu früh zu sterben als fremdbestimmt ewig leben zu müssen! Die hinter ihm stehende Gruppe der Ärzteschaft (möglicherweise 30 % der Ärzte) verlangte nur die gesetzliche Festlegung, dass die Patientenverfügung schriftlich sein muss und dass sie nach intensiver Beratung mit Ärzten erfolgte.21 Die Assistenz durch Ärzte oder nächste Angehörige sollte als zulässig angesehen werden. Die aktive Sterbehilfe, d. h. das Applizieren oder Spritzen durch den Arzt, lehnt er dagegen ab. Dies gilt selbstverständlich auch für den Tatbestand des Tötens auf Verlangen, der auch im deutschen Recht einen Straftatbestand darstellt. Eine solche Regelung wäre auch die „Kommerzialisierung“ des Sterbens, wobei man auf die Vorgänge in Hamburg verweist, wo der ehemalige Justizsenator Roger Kusch 8000 A für die Mitwirkung des Arztes akzeptieren wollte. 5. Weitere Themen, die 2009 Gegenstand der Diskussion im Deutschen Ethikrat waren, lauten Babyklappen (anonyme Geburt), Biobanken (Sammlungen von körperlichen Substanzen zu Forschungszwecken) und Chimären- und Hybridforschung. Es wurde erwartet, dass zu zwei dieser Themen im Laufe des Jahres 2009 eigene Stellungnahmen des Ethikrats veröffentlicht würden. Die Stellungnahme zur Babyklappe fiel jedoch insofern negativ aus, als der Ethikrat mit Entscheidung vom 26. November 2009 mit einer sehr knappen Mehrheit diese Einrichtung verwarf, da sie das Recht des Neugeborenen auf sichere Übermittlung der persönlichen Abstammung ausschließen würde. Diese Stellungnahme wurde vielfach kritisiert, weil, wie auch die bayerische Staatsministerin für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen, Christine Haderthauer, feststellte, genügend Möglichkeiten der Sicherung der Abstammung bzw. der persönlichen Beziehungen des Neugeborenen trotz der Einrichtung der Babyklappe gegeben 21 Die oben erwähnte Umfrage bezog sich auf eine Zahl von 483 Ärzten, unter denen eine entsprechende Umfrage durch die Medien veranstaltet wurde. Die Zahl der Befragten dürfte aber als zu gering angesehen werden müssen, um ein echtes Meinungsbild erhalten zu können. Meinungsführer bei der CDU ist der Abgeordnete Bosbach. – Vgl. in diesem Zusammenhang auch jüngst die Entscheidung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen vom 25. 06. 2010 zur Sterbehilfe und dazu Süddeutsche Zeitung vom 26. / 27. 06. 2010.
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seien22. Dabei wurde auch auf ein anderes Programm der Namens- und Abstammungssicherung hingewiesen, das die Bezeichnung „Moses-Projekt“ trägt und zum Teil auch als System der anonymen Geburt (donum vitae) bezeichnet wird. Eine höhere Bewertung des Namens- und Abstammungsrechtes als des Rechts auf Leben kann wohl kaum rechtlich oder ethisch als zutreffend angesehen werden. Der Stellungnahme des Ethikrates muss sicher auch entgegen gehalten werden, dass empirische Angaben nicht ermittelt wurden, die sich auf die Länder beziehen, die schon seit einiger Zeit oder seit kurzem über solche Einrichtungen verfügen. Wichtig für jede Stellungnahme eines Ethikrates ist insbesondere die empirische Erforschung der alternativen Ergebnisse von Einrichtungen wie Babyklappe, anonyme Geburt oder Adoption unter Wahrung des Adoptionsgeheimnisses. Zusätzliche Aspekte waren ethische Fragen nach der adäquaten Ernährung, der Verteilungsgerechtigkeit sowie der künstlichen Ernährung. An dieser Entwicklung sieht man die Notwendigkeit der Ergänzung der administrativen Regelung vieler Teilbereiche des Lebens, und auch der grenzüberschreitenden Einbeziehung bisher rein ethischer Fragen in die Diskussion. Die klare Trennungslinie zwischen zwei sich nur berührenden oder kaum schneidenden Kreisen, Verwaltungsrecht hier und Ethik dort, liegt in der Gegenwart nicht mehr vor, sondern beide Bereiche überlappen sich und entwickeln sich auch mit relativ hoher Geschwindigkeit bald in dem einen, und bald in dem anderen traditionellen und abgeschlossenen Bereich. Die Gegenrichtung versucht im Bundestag in Berlin eine Norm ins deutsche Strafrecht einzuführen, wonach die Mitwirkung von gewerblicher oder organisierter Sterbehilfe am Suizid mit einer Haftstrafe bis zu drei Jahren bestraft werden soll. Demgegenüber hatte der Ethikrat schon 2006 gewarnt, zu viele Ausnahmen und Durchbrechungen zuzulassen. Übrigens kennt das Bayerische Landesgesetz Gesundheitsdienst- und Verbraucherschutz (GDVG vom 24. Juli 2003) die Errichtung einer Ethikkommission in Bezug auf Arzneimittelprüfung, die im Gegensatz zum Deutschen Ethikrat nicht nur Gutachten erstellt, sondern verbindliche Entscheidungen trifft. 6. Ein weiteres Problem könnte die Grenzüberschreitung von der Meinungsvermittlung zur Gewalt sein, die sich allerdings weniger im administrativen Bereich der öffentlichen Gewalt als im weiten Feld der jugendlichen Betätigungen abspielt. Die Studie von Christian Pfeiffer, dem Leiter des niedersächsischen Instituts für kriminologische Forschung, unterscheidet zwischen der Untersuchung der Jugendgewalt und der Ausländerfeindlichkeit, wobei er bei der Jugendgewalt eine rückläufige Tendenz seit 1998 feststellt. Bei der Untersuchung zur Ausländerfeind22 Ablehnend auch die Stellungnahmen der meisten deutschen Zeitungen, so z. B. des „Spiegel“, der „Welt“, der Frankfurter Allgemeinen, der Süddeutschen und des „Focus“. Das angefügte Minderheitenvotum des Ethikrates hat die Schwierigkeiten wohl zutreffend beurteilt, die bei Abschaffung der Babyklappen eintreten müssten.
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lichkeit differenziert Pfeiffers Studie zwischen Schultypen, ohne dass allerdings feststeht, wie hoch jeweils die Zahl der Ausländer in dem betreffenden Schultyp ist. Die Studie gelangt zu dem Ergebnis, dass jeder siebte Jugendliche ausländerfeindlich sei, worin man eine allgemeine Gefahrenlage zu erkennen glaubt, die zur unmittelbaren Gewalt tendieren könnte. Für das Problem Verwaltung und Ethik würde es bedeuten, dass ein starkes Defizit der ethischen Begleitung junger Menschen vorliegt, bzw. dass es an der notwendigen ethischen Gegensteuerung fehlt. Die Publikation ethisch orientierter Werke ist im Wachsen begriffen.23 Die umfangreiche Studie, wohl die erste ihrer Art, wird allerdings in den Medien bestritten, weil sie auf ungesicherten Voraussetzungen beruhe und weil sie eine allgemeine konservative Neuordnung der Jugend mit Ausländerfeindlichkeit gleichsetze. Natürlich muss man in einer krisenhaften Wirtschaftsentwicklung die eigentliche Ursache für eine Klimaverschlechterung gegenüber Randgruppen annehmen, die eventuell auf dem Markt Arbeitsplätze okkupieren könnten. So stellt sich die Frage auch dahin, in welchem Zeitabschnitt die Befragungen durchgeführt wurden, die zur Grundlage der Studie gemacht wurden. Anders verhält es sich sicher bei einem anderen Randproblem des Konfliktes zwischen Verwaltung bzw. öffentlicher Kommunikation einerseits und Ethik andererseits mit Hinblick auf Kinderpornografie, die auf Grund einer Initiative des deutschen Familienministeriums im Internet gesperrt werden soll, wie das in anderen europäischen Ländern, wie Norwegen, Italien und der Schweiz, geschehen ist. 7. Zwei weitere Gebiete sollen noch kurz erwähnt werden, ohne dass hier dargestellt werden kann, auf welchem das Problem Verwaltung und Ethik erneut zu einem Konflikt geworden ist. Das ist einmal die sog. „Priorisierung“ in der Medizin, wonach nicht alle Erkrankungen gleich behandelt werden, sondern ein bestimmtes Ranking von Erkrankungen oder Verletzungen erfolgt, sodass gerade der Kassenpatient bei solchen Krankheiten, die am Ende dieser Ranking-Liste stehen, sich selbst zusätzlich versichern muss oder eben die entstehenden Kosten ganz oder überwiegend selbst zu tragen hat. Schließlich soll noch das Thema Konsum und Ethik erwähnt werden, wenn natürlich auch der Konsum keine Betätigung der Verwaltung, also keine hoheitliche, sondern eine rein private Betätigung im Rahmen der Lebensführung darstellt. Daran zeigt sich aber gerade, wenn auch hier Probleme mit der Ethik aufbrechen, dass es ein grundsätzliches Problem gibt, das das Handeln allgemein erfasst und nicht nur das hoheitliche Verwaltungshandeln der öffentlichen Gewalt. Das Postulat der Ethik im Konsum versucht gerade im Bereich des Privaten und vor allem 23 Hier sollen aus einem bekannten deutschen juristischen Verlag nur vier Beispiele neuester Veröffentlichung aufgeführt werden: Rolf Kramer (Hrsg.), In Verantwortung für das Leben, Sozialethische Perspektiven, besonders interessant sind die Abschnitte über Kultur und Politik; Jack Nasher, Die Moral des Glücks; V. Kapp / B. Jakobs (Hrsg.), Seelengespräche; Alexander Teubel, Geboren und Weggegeben, Rechtliche Analyse der Babyklappen und anonymen Geburt; alle Veröffentlichungen: Berlin: Duncker & Humblot, 2009.
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im Zwischenmenschlichen darzustellen, dass verfälschte Lebensmittel und die unrichtige Art des Verzehrens oder Trinkens negative Verfallsformen des modernen Lebens darstellen.24 Dass es sich hier nicht nur um reine ethische Fragen handelt, sondern dass die Verstöße so grob und gefährlich geworden sind, dass gesundheitliche Belastungen und Bedrohungen auftreten, sieht man an der gesetzgeberischen Tätigkeit, die auf diesem Gebiet das Verbraucherschutzrecht geschaffen hat, wonach der Verbraucher einen Anspruch auf möglichst umfangreiche Informationen über die Herstellung und Zubereitung von Lebensmitteln haben soll.
Summary The article mainly deals with the administration of health and medicine in conflict with ethical problems. It starts by setting out the historical development of education of rulers and persons who executed public power in order to achieve good governance. The development of the relationship between administrative power and ethical control is discussed by referring to four different philosophers, starting with Wundt and Jellinek and ending with Radbruch and Schmitt Glaeser. These authors showed the function of ethics in very different ways calling ethical rule either a minimum or a maximum of law in relation to the existing public order. More recently, ethical rule was identified as meta-law (Radbruch) or as necessary element of any modern liberal public order or even organization. In the last section, different recent problems which had been analyzed by the German Ethics Council established in 2008 are discussed. This council is composed of lawyers, theologians and psychologists. The council’s decisions have no binding force, but are still very influential. Main topics were or still are the living will, euthanasia and anonymous birth. The latter was just practiced, but recently condemned by the council by a long and extensive statement. Xenophobia is also discussed with regard to a recent, carefully done statement to show the changing of attitude, especially of young people towards foreigners.
24 Siehe Petra Steinberger, „Nicht Fisch! Nicht Fleisch!“, in: Süddeutsche Zeitung, 9. / 10. Januar 2010.
Differenziertes Anreizmanagement Behavioral Law und Wirtschaftsethik Michael Schramm
Das Leben ist „bunt“. Reale Menschen haben unterschiedliche Interessen und reagieren auf unterschiedliche Anreize. Die wohl wichtigste Erkenntnis der Behavioral Economics1 besteht genau in der Vergegenwärtigung dieser Vielfalt: Menschliches Verhalten funktioniert anders als es das standardisierte Anreiz-Reaktions-Muster des rationalen und vollständig eigeninteressierten Homo Oeconomicus vorsieht. Natürlich spielen ökonomische Eigeninteressen eine allgegenwärtige Rolle, doch daneben sind etwa auch moralische Interessen (Fairness-Interessen) aktiv. Zudem entscheiden Menschen nicht wie rein rationale Kalkulationsmaschinen, sondern lassen sich auch von Gefühlen leiten (was manchmal hilfreich, manchmal aber auch problematisch ist) und reagieren bisweilen auf die merkwürdigsten „Nudges“ (Schubse)2. Wenn es der Wirtschaftsethik darum geht, ein gesellschaftlich erwünschtes Verhalten der (individuellen und kollektiven) Akteure zu befördern, dann brauchen wir im Licht der Behavioral Ethics ein differenziertes Anreizmanagement. Einer der „Hebel“ wird selbstverständlich (wie schon immer) das positive Recht sein (und zwar an prominenter Stelle), aber es wäre unvernünftig, daneben nicht auch eine ganze Palette weiterer „Hebel“ zu nutzen, so etwa moralische Anreize, Vertrauensbindungen oder soziale Identifikationsmechanismen. 1 Zu nennen sind u. a. Ariely, Dan, Predictably Irrational. The Hidden Forces That Shape Our Decisions, Hammersmith, London: HarperCollins 2008; Bolton, Gary E. / Ockenfels, Axel, „ERC – A Theory of Equity, Reciprocity and Competition“, in: American Economic Review 90 (1 / 2000), pp. 166 – 193; Camerer, Colin / Loewenstein, George / Prelec, Drazen, „Neuroeconomics. How neuroscience can inform economics“, in: Journal of Economic Literature Vol. XLIII (March 2005), pp. 9 – 64; Fehr, Ernst / Falk, Armin, „Psychological Foundations of Incentives“, in: European Economic Review 46 (2002), pp. 687 – 724; Güth, Werner / Schmittberger, Rolf / Schwarze, Bernd, „An Experimental Analysis of Ultimatum Bargaining“, in: Journal of Economic Behavior and Organization 3 (1982), pp. 367 – 388; Kahneman, Daniel / Tversky, Amos, „Prospect Theory. An Analysis of Decision under Risk“, in: Econometrica Vol. 47 (1979) No. 2, pp. 263 – 291; Ockenfels, Axel, Fairneß, Reziprozität und Eigennutz. Ökonomische Theorie und experimentelle Evidenz (Die Einheit der Gesellschaftswissenschaften; Bd. 108), Tübingen: Mohr Siebeck 1999; Thaler, Richard H. / Sunstein, Cass R., Nudge. Wie man kluge Entscheidungen anstößt, Berlin: Econ 2009. 2 Zum Nudge-Konzept vgl. Thaler / Sunstein (2009).
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I. Behavioral Law & Economics Diese Erkenntnisse haben Konsequenzen, nicht zuletzt auch für die Ausgestaltung von Rechtsregeln im Hinblick auf das (erwünschte) menschliche Verhalten. Traditionell einschlägig ist hier das Law and Economics-Konzept, das vom neoklassischen Verhaltensmodell ausgeht und rationale sowie eigeninteressierte Nutzenmaximierer (Homines Oeconomici) unterstellt3. Rechtsnormen werden hier als Preise modelliert, deren Erhöhung die Nachfrage reduziert4, weil der Erwartungsnutzen sinkt5. Entgegen der Auskunft der Verfechter dieser Richtung, der Economic Approach von Law and Economics sei „so umfassend [ . . . ], dass er auf alles menschliche Verhalten anwendbar ist“6, zeigen die empirischen Ergebnisse der Behavioral Economics, dass das tatsächliche Verhalten mit diesen Prämissen nicht übereinstimmt: „Behavioral Economics is concerned with a wide range of factors [ . . . ] that influence human decision making. [ . . . ] Factors such as social norms, morals, perceptions of justice, various attitudes, and particular beliefs can influence the way people behave, even sometimes if their behavior is not in their own immediate self-interest“7. Neben „ökonomischen“ Eigeninteressen spielen zum einen auch genuine moralische (Fairness)Interessen ein Rolle. Und zum anderen können die Wahrnehmungen sowie das Verhalten realer Menschen durchaus irrational ausfallen. Im Hinblick auf das Problem der möglichen Irrationalität sind noch zwei Punkte zu ergänzen: Erstens mag es durchaus sein, dass die Akteure subjektiv versuchen, möglichst rational zu handeln, es objektiv aber nicht fertig bringen8. Und zweitens bedeutet eine Irrationalität des Verhaltnes nicht völlige Zufälligkeit oder Willkür; vielmehr ist das menschliche Verhalten aus Sicht der Behavioral Economics „predictably irrational“9. Angewandt auf die Frage rechtlicher Regeln entstand hieraus das Konzept Behavioral Law and Economics10. 3 Einschlägig etwa Posner, Richard A., Economic analysis of law, 5th Ed., Boston (Mass.): Little, Brown & Co 1998. 4 Friedman, David, Law and economics, in: Eatwell, John et al. (Ed.), The new Palgrave. A Dictionary of Economics, London / Basingstoke: Macmillian 1987, pp. 144 – 147. 5 Im Hintergrund steht hier die „Expected Utility Theory (EUT)“ („Erwartungsnutzentheorie“); vgl. Posner 1998, pp. 242 f. 6 Becker, Gary S., Der ökonomische Ansatz zur Erklärung menschlichen Verhaltens (Die Einheit der Gesellschaftswissenschaften, Bd. 32), 2. Aufl., Tübingen: Mohr (Siebeck) 1993, S. 7. 7 James, Simon, „Taxation and the Contribution of Behavioral Economics“, in: Altman, M. (Ed.), Handbook of Contemporary Behavioral Economics. Foundations and Developments, New York: M. E. Sharpe, pp. 589 – 598, p. 597 f. 8 Insofern könnte auch die Behavioral Economics eine Formulierung Gary S. Beckers bejahen: „[T]hey try as best as they can“ (Becker, Gary S., „Nobel Lecture: The Economic Way of Looking at Behavior“, in: Journal of Political Economy 101 (1993), pp. 385 – 409, p. 385 f.*). Das Problem: Their best is not always the best! 9 So der treffende Buchtitel bei Ariely (Fn. 1).
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II. Ein Illustrationsbeispiel: Kindertagesstätten in Haifa Die Regeln in einer Kindertagesstätte in Haifa besagten klar und eindeutig, dass die Kinder um vier Uhr nachmittags abzuholen sind. Aber wie das reale Leben so spielt: Nicht wenige Eltern kommen ständig zu spät. Sowohl die Kinder als auch die Erzieherinnen sind genervt. Im Lichte des traditionellen Law and EconomicsKonzepts erscheint es da nur logisch, die säumigen Eltern mit einer neuen „Rechts“-Regel zu konfrontieren, die die Opportunitätskosten des Zuspätkommens erhöht: „A natural option is to introduce a fine: every time a parent comes late, she will have to pay a fine“11. Dieses „rechtliche“ Vorgehen entspricht der (Situations)Logik des herkömmlichen Economic Approach: „When negative consequences are imposed on a behavior, they will produce a reduction of that particular response. When those negative consequences are removed, the behavior that has been discontinued will typically tend to reappear“12. Die beiden Ökonomen Uri Gneezy und Aldo Rustichini haben einen entsprechenden Test durchgeführt: Zunächst beobachteten die beiden vier Wochen lang lediglich, wie viele Eltern zu spät kamen (etwa acht Fälle pro Woche). Zu Beginn der fünften Woche aber wurde den Eltern erklärt, dass für jedes Kind, das zu spät (= 10 Minuten) abgeholt würde, nunmehr eine Strafe von (umgerechnet) 3 USD zu entrichten sei. Doch die Erwartung eines Absinkens der Verspätungen wurde nicht erfüllt – im Gegenteil: „After the introduction of the fine we observed a steady increase in the numher of parents coming late. At the end of an adjustment period that lasted 2 – 3 weeks, the number of latecoming parents remained stahle, at a rate higher than in the no-fine period. The fine was removed at the beginning of the seventeenth week. In the following 4 weeks the number of parents coming late remained at the same high level of the previous period, higher than in the initial 4 weeks“13. Die Zahl der säumigen Eltern hatte sich also (fast) verdoppelt. Das kleine Illustrationsbeispiel zeigt (mindestens) dreierlei: – Es gibt ganz offenbar inhaltlich (material) unterschiedliche Anreize (und unterschiedliche Interessen). In unsrem Fall war in der Zeit vor der Geldstrafe ein moralischer Anreiz aktiv: Das moralische Interesse der Eltern, sich anständig zu verhalten und von den Erzieherinnen nicht verachtet zu werden, hatte – mit Ausnahme der acht Verspätungen – bewirkt, nicht zu spät zu kommen. Dieser moralische Anreiz wurde über eine „Rechts“-Regel durch einen ökonomischen Anreiz (Geldstrafe) ersetzt.
10 Etwa Jolls, Christine / Sunstein, Cass S. / Thaler, Richard H., „A Behavioral Approach to Law and Economics“, in: Sunstein, Cass S. (Ed.), Behavioral Law and Economics, Cambridge (Mass.): Cambridge University Press 2000, pp. 13 – 58. 11 Gneezy, Uri / Rustichini, Aldo, „A Fine is a Price“, in: The Journal of Legal Studies 29 (2000), pp. 1 – 17, p. 1. 12 Ebd., p. 2. 13 Ebd., p. 3.
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– Unterschiedliche Anreize können im Prinzip durchaus funktionale Äquivalente sein. Im Fallbeispiel sollte der ökonomische Anreiz ein Ersatz für den vermeintlich (!) fehlenden moralischen Anreiz sein. – Unterschiedliche Anreize wirken unterschiedlich auf das faktische Verhalten der Leute. Faktisch war der moralische Anreiz vergleichsweise wirkungsvoller als der ökonomische Anreiz. Die Eltern waren angesichts der Geldstrafe nun offenbar der Meinung, dass sie das Recht (!) hätten, sich die Verspätungen zu kaufen. – Ein ökonomischer Anreiz (Rechtsregel bzw. Marktnorm) kann einen moralischen Anreiz (soziale Norm) durchaus zerstören. In den Kindertagesstätten war dies auch der Fall, denn Nachdem die Geldstrafe wieder abgeschafft worden war, blieb die Zahl der zu spät kommenden Eltern unverändert hoch.
III. Konzeptionelle Konsequenzen: Eine Theorie differenter Interessen und Anreize Da in unterschiedlichen Situationen offensichtlich unterschiedliche Interessen aktiv und unterschiedliche Anreize effektiv sein können, brauchen wir sowohl eine Theorie differenter Interessen14 als auch eine Theorie differenter Anreize. 1. Differente Interessen In einem ersten Schritt ist eine Theorie differenter Interessen zu entwickeln. Zum weiten Feld der Interessen gehören neben ökonomischen Interessen oder Machtinteressen auch moralische Interessen. In diesem Sinn hatte bereits der Ökonom und Nobelpreisträger (1994) John C. Harsanyi „ontologisch“ verschiedene Interessenstypen differenziert: zum einen personal preferences (= „ökonomische“ Eigennutzinteressen) und zum anderen moral preferences (moralische Interessen): „Thus, each individual has two sets of preferences. One consists of personal preferences, defined as his actual preferences, which will be typically based mainly on his own personal interests and on the interests of his closest associates. The other consists of his moral preferences, defined as his hypothetical preferences that he would entertain if he forced hirnself to judge the world from a moral, i.e., from an impersonal and impartial, point of view. Mathematically, an individual’s personal preferences are represented by his utility function, whereas his moral preferences are represented by his social welfare function“15. 14 Erste Überlegungen hierzu habe ich angestellt in Schramm, Michael, Ökonomische Moralkulturen. Die Ethik differenter Interessen und der plurale Kapitalismus (Ethik und Ökonomie; Bd. 5), Marburg: Metropolis 2008, vor allem S. 187 ff. 15 Harsanyi, John C., Essays on Ethics, Social Behavior, and Scientific Explanation (Theory and Decision Library, Vol. 12), Dordrecht / Boston: Reidel 1976, p. IX.
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Leider hat es sich gleichwohl nicht nur in der wirtschafts- und unternehmensethischen Diskussion eingebürgert, von einer Unvereinbarkeit zwischen Moral und Interesse auszugehen16. Diese begriffliche Trennung halte ich so nicht für zweckmäßig. Es ist daher von der Sache her nicht zufällig, dass bereits Immanuel Kant demgegenüber den Begriff eines „moralischen Interesses“ kennt: „Interesse wird das Wohlgefallen genannt, was wir mit der Vorstellung der Existenz eines Gegenstandes verbinden“17. Wenn die Vorstellung, reich zu sein, bei mir mit einem „Wohlgefallen“ verbunden ist, dann habe ich ein Interesse daran, reich zu sein oder zu werden. Hier geht es also um monetäre Interessen. Wenn sich hingegen die Vorstellung einer solidarischen oder gerecht ausgestalteten Gesellschaft bei mir mit einem „Wohlgefallen“ verbindet, habe ich moralische Interessen. Ein Interesse richtet sich auf eine – inhaltlich offene – Zielvorstellung, die für mich eine mehr oder minder große Attraktivität besitzt: Denn einen zieht Geld – ein „sinnliches“ Interesse, denn Geld macht eben sinnlich. Die andere hingegen treibt die Vorstellung der Gerechtigkeit – ein „sinnenfreies“ Interesse. Nach Kant ist daher „das moralische Interesse ein reines sinnenfreies Interesse der bloßen praktischen Vernunft“18. Das moralische Interesse ist ein „Interesse am [moralischen] Gesetz [ . . . ] oder die Achtung fürs moralische Gesetz selbst“19. Mit Immanuel Kant und mit Norbert Hoerster möchte ich also einen Interessenbegriff vertreten, der sich nicht auf „egoistische“ Eigennutzinteressen beschränkt. Hoerster schreibt, man müsse sich „von einer verbreiteten Vorstellung verabschieden, [ . . . ] der Vorstellung, dass die einzigen Interessen, die einem Individuum sinnvollerweise zugeschrieben werden können, egoistische Interessen, also Interessen am eigenen Wohlergehen bzw. an der Befriedigung künftiger eigener Interessen sind“20. Verfügt eine Person über eine moralische (moralkulturelle) „Musikalität“, d. h. über ein (mehr oder weniger) moralaisthetisches „Auge“ – neben weiteren möglichen „Augen“ (für die Dimensionen des Ästhetischen, des Politischen, 16 Üblicherweise wird in der Diskussion Moral entweder als Gegensatz zu den Interessen (= „ökonomischen“ Eigeninteressen) angesehen oder aber es wird Moral als in Wahrheit interessenbasierte Größe verstanden. 17 Kant, Immanuel, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, in: Weischedel, Wilhelm (Hrsg.), Immanuel Kant. Werkausgabe VII, Frankfurt (M.): Suhrkamp 1974a, S. 7 – 102, S. 42, Fußnote. „Die Abhängigkeit eines zufällig bestimmbaren Willens [ . . . ] von Prinzipien der Vernunft heißt ein Interesse“. 18 „Da das Gesetz selbst in einem moralisch-guten Willen die Triebfeder sein muß, so ist das moralische Interesse ein reines sinnenfreies Interesse der bloßen praktischen Vernunft. Auf dem Begriffe eines Interesses gründet sich auch der einer Maxime. Diese ist also nur alsdann moralisch echt, wenn sie auf dem bloßen Interesse, das man an der Befolgung des Gesetzes nimmt, beruht“ (Kant, Immanuel, Kritik der praktischen Vernunft, in: Weischedel, Wilhelm (Hrsg.): Immanuel Kant. Werkausgabe VII, Frankfurt (M.): Suhrkamp 1974b, S. 103 – 302, S. 200 f.). „Sinnenfrei“ bedeutet: Es handelt sich beim moralischen Interesse nicht um ein Interesse an einem bestimmten „Gegenstand“ (z. B. Geld, Macht, Ansehen), sondern um ein Interesse an der Moral als solcher. 19 Kant (Fn. 18), S. 202. 20 Hoerster, Norbert, Ethik und Interesse, Stuttgart: Reclam 2003, S. 175.
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des Ökonomischen, des Religiösen usw.) –, dann begründet diese Tatsache das Vorhandensein eines moralischen Interesses, d. h. eines Interesses daran, die Welt moralisch(er) zu gestalten. Dabei begründet die Intensität dieser moralaisthetischen Wahrnehmungskompetenz den Spielraum für die Intensität des moralischen Interesses. „Es ist eine nicht zu leugnende Tatsache, dass Menschen – ganz unabhängig von jeglicher Moral – neben egoistischen auch altruistische (ja oft auch ideelle) Interessen haben und dass die Realisierung dieser Interessen für sie nicht weniger rational ist. Ein realistischer Blick auf den Menschen und die menschliche Natur bestätigt immer wieder diese Annahme: Alle geistig gesunden Menschen haben – in einem mehr oder weniger großen Ausmaß – altruistische Interessen“21. Es handelt sich schlicht um einen inhaltlich anderen Typus von Interessen als er bei den „ökonomischen“ (moralisierend formuliert: „egoistischen“) Interessen vorliegt. An diesem inhaltlichen Unterschied ändert sich auch nichts, wenn man bei solchen Interessenten doch eigennützige Aspekte diagnostiziert: „Die gelegentlich vertretene These, alle altruistischen Interessen seien eigentlich egoistische Interessen, da ihr Ziel nichts anderes als die bei der Realisierung dieser Interessen erlebte innere Befriedigung sei, ist schon deshalb nicht haltbar, weil man bei manchen dieser Interessen davon ausgeht, dass sie zu eigenen Lebzeiten gar nicht mehr zu realisieren sind. (Beispiel: Ich spare Geld zu dem Zweck, dass sich die Familie meines Sohnes eines Tages, wenn ich längst tot bin, ein eigenes Haus bauen kann.) Und die ebenfalls gelegentlich vertretene These, alle altruistischen Interessen seien eigentlich egoistische Interessen, weil das Subjekt des Interesses bereits mit seiner Erfahrung des dem Interesse zugrunde liegenden Wunsches eine ihm selbst angenehme Vorstellung verbinde, insofern es die Verwirklichung dieses Wunsches gedanklich vorwegnehme, verfehlt vollkommen ihr Ziel: Alle Wünsche sind in einem gewissen Sinne mit einer derartigen angenehmen Vorstellung verbunden. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass einige Wünsche in ihrer inhaltlichen Ausrichtung eben nicht auf das eigene, sondern auf ein fremdes Wohl zielen und in genau diesem Sinn eben nicht egoistischer, sondern altruistischer Natur sind“22. Diese inhaltlichen Unterschiede gibt es einfach. Und es ist m. E. auch nicht zweckmäßig, diese inhaltlichen Unterschiede aus methodisch bedingten Gründen (Stichwort „ökonomische Theorie der Moral“) so zu dekonstruieren, dass sich am Ende alle inhaltlich moralischen Interessen in eigentlich ökonomische Interessen „transformiert“ haben. Moralische Interessen bleiben moralische Interessen. Und sie bleiben Interessen: Einer der Gründe für mich, auch in Sachen Moral den Begriff des Interesses zu verwenden, ist der, dass damit Moral nicht als bloße Restriktion des Möglichkeitenspielraums23, sondern als attraktive Größe konzipiert wird24. Wenn jeEbd., S. 176. Ebd., S. 177. 23 Dies ist die Konzeptualisierung von Moral im Economic Approach Gary S. Beckers. Hierzu auch: Schramm, Michael, Ist Gary S. Beckers ,ökonomischer Ansatz‘ ein Taschenspielertrick? Sozialethische Überlegungen zum ,ökonomischen Imperialismus‘, in: Nutzinger, Hans G. (Hrsg.), Wirtschaftsethische Perspektiven III (Schriften des Vereins für Socialpolitik NF 228 / III), Berlin: Duncker & Humblot 1996, S. 231 – 258, S. 240 f. 21 22
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mand moralisch „musikalisch“ ist, wenn er einen Sinn (Aisthetik) für Moral hat, dann hat er ein moralisches Interesse, und dann wirkt das moralische Interesse als „moralischer Anreiz“25.
2. Differente Anreize In Richtung dieser Überlegungen hat der Unternehmensethiker Josef Wieland einige Ideen zu einer „Theorie moralischer Anreize“ entwickelt, welche die Frage klären möchte, warum Menschen (bisweilen) moralisch handeln, worin also für sie die Anreize zu moralischem Handeln liegen (könnten). Analog zur Unterscheidung differenter Interessen (etwa ökonomischer, politischer, rechtlicher, moralischer, ästhetischer oder religiöser Art) hält es Wielands „Governanceethik [ . . . ] aus [ . . . ] gesellschaftstheoretischen Gründen für plausibel, dass [neben den ökonomischen Anreizen] zusätzlich auch psychologische, soziale, rechtliche oder eben moralische Anreize in Betracht gezogen werden müssen“26. Speziell die Differenzen zwischen ökonomischen und moralischen Anreizen stellt Wieland in folgender Matrix dar:
24 In diese Richtung argumentiert auch Priddat, Birger P., Moral: Restriktion, Metapräferenz: Adjustierung einer Ökonomie der Moral, in: Wieland, Josef (Hrsg.), Die moralische Verantwortung kollektiver Akteure (Ethische Ökonomie. Beiträge zur Wirtschaftsethik und Wirtschaftskultur, Bd. 6), Heidelberg: Physica 2001, S. 41 – 78. Die Attraktivität (= Anziehungskraft) von Moral dürfte dabei meist auf einer Mischung zweier Gründe beruhen: Zum einen gibt es genuin moralische Gründe, insofern es sich um eine Art „Geschmacksfrage“ handelt: Moralisch „musikalische“ Menschen möchten schlicht und ergreifend von einer Welt oder Gesellschaft umgeben sein, in der es gerecht und integer zugeht (auch wenn für sie selbst dabei beispielsweise kein unmittelbarer Vorteil im engeren Sinn damit verbunden ist). Zum anderen gibt es „ökonomische“ Gründe, denn auch moralisch „musikalische“ Menschen möchten nicht auf die Vorteile verzichten, die mit einer integren Umwelt verbunden sind (z. B. aufgrund eines moralisch zugesprochenen Rechts auf Schutz von Leib und Leben). An entsprechende Grenzen müsste sich ein konsequent bekennender Amoralist zwar nicht halten, aber er wäre logischerweise „auch gezwungen – und das ist wichtig –, dem moralischen Schutz dann zu entsagen, wenn es um seine eigenen Interessen geht“ (Hare, Richard M., Eine moderne Form der Goldenen Regel, in: Birnbacher, Dieter / Norbert Hoerster (Hrsg.), Texte zur Ethik, 6. Aufl., München: dtv 1987, S. 109 – 124, S. 117). 25 Bei individuellen Akteuren ist es das moralische Interesse, welches als Anreiz wirkt, bei kollektiven Akteuren sind es z. B. unternehmensethische Integritätsprogramme. Die Intensität des jeweiligen moralischen Interesses und daher auch die Anreizintensität von Moral tritt empirisch in äußerst unterschiedlichen Dosierungen auf, paktiert mit teilweise recht unterschiedlichen Inhalten, und ist insgesamt kontingent. 26 Wieland, Josef, Normativität und Governance. Gesellschaftstheoretische und philosophische Reflexionen der Governanceethik (Studien zur Governanceethik, Bd. 3), Marburg: metropolis 2005, S. 106.
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Michael Schramm Anreize
extrinsisch
intrinsisch
ökonomische
materielle (Einkommen, Güter, Preise, . . . )
immaterielle (Nutzen, Eigeninteresse, Identifikation, . . . )
moralische
immaterielle (Achtung, Missachtung, Anerkennung, . . . )
immaterielle (habitualisierte Pflichten, Normen, Tugenden, . . . )
Abb. 1: Matrix ökonomischer und moralischer Anreize (Wieland 2005, S. 122)
Ersichtlich geht es bei moralischen Anreizen immer um die moralische Identität. Diese kann im extrinsischen Fall von anderen missachtet oder anerkannt werden (Fremdachtung) oder im intrinsischen Fall von mir selbst beachtet oder vernachlässigt werden. „Letztlich ist es [ . . . ] die Befriedigung des Bedürfnisses nach Selbstachtung und Fremdachtung, die [ . . . ] das grundlegende Motiv zur Befolgung moralischer Anreize bildet“27. Illustrieren wir diese Matrix durch ein Experiment, von dem der Verhaltensökonom Dan Ariely berichtet. Dabei handelte es sich für die Teilnehmer um ein 5-Minuten-Experiment: „All they had to do [ . . . ] was solve 20 simple math problems (finding two numbers that added up to 10). And for this they would get 50 cents per correct answer“28. Eine erste Gruppe diente als Kontrollgruppe: „When the participants in the first group finished their tests, they took their worksheets up to the experimenter, who tallied their correct answers and paid them 50 cents for each“29. Der zweiten Gruppe jedoch wurde Gelegenheit zum Schummeln gegeben: The participants in the second group were told to tear up their worksheets, stuff the scraps into their pockets or backpacks, and simply tell the experimenter their score in exchange for payment“30. Das Ergebnis: Die erste Gruppe löste durchschnittlich 3,5 Matheprobleme korrekt, die zweite Gruppe jedoch 6,2 „richtig gelöste“ Aufgaben31. Dieses Resultat illustriert alle vier Quadranten der obigen Matrix: – Im Experiment wirkten zunächst einmal ein extrinsischer ökonomischer Anreiz: Für jede richtig gelöste Frage bekam man ja 50 Cent bar ausbezahlt. – Relevant waren daneben aber auch intrinsische ökonomische Anreize: Wenn man als Mitglied der zweiten Gruppe nicht nur drei, sondern sechs Aufgaben gelöst hat, ist damit insofern eine immaterielle „Auszahlung“ verbunden, als man sich dann eher das Prädikat „Mathegenie“ zuschreiben kann. Beide Typen Ebd., S. 131. Ariely (Fn. 1), p. 220. 29 Ebd., p. 220. 30 Ebd., p. 220. 31 „The first conclusion, is that when given the opportunity many honest people will cheat. [ . . . ] The second [ . . . ] result: [ . . . ] even when we have no chance of getting caught, we still don’t become wildly dishonest“ (ebd., p. 201). 27 28
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ökonomischer Anreize führten dazu, dass die Teilnehmer geschummelt haben, also mehr Aufgaben „gelöst“ haben als die Kontrollgruppe. – Aber auch moralische Anreize waren signifikant wirksam. Denn es stellt sich ja die Frage: Warum gaben die Teilnehmer aus der zweiten Gruppe „nur“ sechs richtig „gelöste“ Aufgaben an? Die traditionelle ökonomische Theorie der Kriminalität arbeitet ja bekanntlich vor allem mit zwei Größen: mit der Höhe der Strafe einerseits und mit der Aufdeckungswahrscheinlichkeit andererseits. Nun betrug die Aufdeckungswahrscheinlichkeit – zumindest die juristisch nachweisbare Aufdeckungswahrscheinlichkeit – in unserem Experiment Null. Ein Homo Oeconomicus hätte also eigentlich zwanzig „gelöste“ Matheaufgaben angeben können (oder: müssen), und er hätte den vollen Geldbetrag von 20 x 50 Cent ausbezahlt bekommen. Ein Anreiz, der die Teilnehmer dazu bewogen hat, nicht zwanzig, sondern „nur“ sechs „gelöste“ Matheprobleme anzugeben, war offenbar ein extrinsischer moralischer Anreiz: Da die Teilnehmer genau wussten, dass sie realiter nur drei Aufgaben gelöst hatten, hätten sie mit einer moralischen Verachtung (für die Schummelei) seitens des Experimentators oder seitens anderer Teilnehmer rechnen müssen. – Vor allem aber dürfte ein intrinsischer moralischer Anreiz ein exorbitant hohes Schummelniveau verhindert haben. Auf der einen Seite wirken zwar die „ökonomischen Anreize“, möglichst viel Geld (extrinsisch) und auch den Nutzen des inneren Gefühls, ein guter Mathematiker zu sein (intrinsisch), mit nach Hause nehmen zu können. Auf der anderen Seite aber war auch das Motiv der Selbstachtung effektiv: Ein bisschen schummeln – das kann man vor sich selber noch vertreten („Ich habe heute nacht schlecht geschlafen, aber ,eigentlich‘, ,normalerweise‘ hätte ich durchaus sechs Aufgaben gelöst“), aber bei einer Angabe von zwanzig „richtigen“ Matheproblemen hätte man sich nicht mehr ins Gesicht sehen können ohne das Gefühl, doch ein richtiger Lügner zu sein. Was sich hier zeigt, ist „the personal fudge factor“ (Ariely). Und dieser persönliche Schummelfaktor wird nach oben vor allem durch einen intrinsischen moralischen Anreiz begrenzt.
Entscheidend ist nun: Will man ein gesellschaftlich erwünschtes Verhalten befördern, dann ist es zweckmäßig, sich nicht auf rechtlich sanktionierte ökonomische Anreize zu stützen, sondern das gesamte Arsenal von Anreizen differenziert zu nutzen. Und hierzu gehören ganz wesentlich eben auch moralische Anreize. „Für anwendungsorientierte Ethiken ist die theoretische und empirische Erforschung der Beschaffenheit moralischer Anreize und die Mechanismen ihrer Aktivierung und Stabilisierung zentral“32. Und wie wir im Beispiel der Kindertagesstätten gesehen haben, kann die Nichtbeachtung moralischer Interessen und Anreize sogar kostenpflichtig sein. 32 Wieland (Fn. 26), S. 105. So ist es beispielsweise „für ein Unternehmen nicht möglich [ . . . ], sich auf das Management ökonomischer Anreize zu beschränken. Moral zählt in den Unternehmen der Wirtschaft, weil und insoweit sie eine Ressource oder Kompetenz der Organisation, ihrer Mitglieder und ihrer Governance ist“ (ebd., S. 115).
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IV. „Fairness Crowded Out by Law“ Ein Beispiel für die Tatsache, dass es zweckmäßig ist, zunächst mit unterschiedlichen Anreize zu rechnen und diese dann lokal differenziert einzusetzen, bietet ein Experiment, das der Jurist Georg Borges und der Ökonom Bernd Irlenbusch zum Bereich des Versandhandels durchgeführt haben33. Hintergrund der Studie ist die diesbezügliche rechtliche Situation in Deutschland: Nachdem 2001 ein kundenfreundliches Widerrufsrecht eingeführt worden war34, stieg in Deutschland die Zahl der Rücksendungen auf 35%, bei Frauenbekleidung sogar auf 53,1% (in 2004). Neben dem gesetzlich garantierten Widerrufsrecht gibt es jedoch noch die Möglichkeit, dass das Unternehmen dem Kunden (in bestimmten Fällen) anstelle des Widerrufsrechts ein uneingeschränktes Rückgaberecht einräumt35 (in letzterem Fall trägt das Unternehmen in jedem Fall die Rücksendungskosten). Borges und Irlenbusch „experimentally investigate scenarios in which sellers can voluntarily offer a withdrawal right. In a second treatment it is provided by law. We find indications that a voluntary provision is perceived as friendly, so that buyers reciprocate by not exploiting sellers too heavily“36. Von den untersuchten Szenarios greife ich hier nur das zweite heraus: Hier geht es darum, dass ein bestimmtes Gut (sagen wir: eine Regenjacke) in zwei verschiedenen Größen angeboten wird (Größe G1 und G2), und die Kundin sich nicht ganz sicher ist, welche Größe ihr passt, welche sie also bestellen sollte. Wenn nun ein Widerrufs- oder Rückgaberecht besteht, hat unsere Kundin bzw. unser Kunde drei Möglichkeiten: () no order (+)
order G1 (G1: q 0.5), and perhaps G2 sequentially
(–)
order both G1 and G2 simultaneously and return G1 or G2
Abb. 2: Scenarios (Type 2) (Borges / Irlenbusch 2007, p. 89 f.)
„(i) He can place no order. (ii) He can order sequentially. In that case, he first orders G1, which will be the valuable item with probability q 0.5. If it turns out that G1 has the value 0, he returns G1 and in a second try will order G2. Or the buyer can (iii) order both variants G1 and G2 simultaneously and return the item that turns out to be the one with less value, i.e., the one with the value of 0“37. 33 Borges, Georg / Irlenbusch, Bernd, „Fairness Crowded Out by Law. An Experimental Study on Withdrawal Rights“, in: Journal of Institutional and Theoretical Economics 163 (2007), pp. 84 – 101. 34 Fernabsatzgesetz, Bundesgesetzblatt BGBl. 2000 I 897; § 312 BGB. 35 „§ 356 [BGB] Rückgaberecht bei Verbraucherverträgen. (1) Das Widerrufsrecht nach § 355 kann, soweit dies ausdrücklich durch Gesetz zugelassen ist, beim Vertragsschluss auf Grund eines Verkaufsprospekts im Vertrag durch ein uneingeschränktes Rückgaberecht ersetzt werden.“ 36 Borges / Irlenbusch (Fn. 33), p. 84.
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Möglichkeit (i) wäre für beide Seiten neutral (), Möglichkeit (ii) wäre die aus Sicht des Unternehmens erwünschte (kostengünstigere) Variante, während in Möglichkeit (iii) das Unternehmen auf jeden Fall mit einer Rücksendung konfrontiert wird (und diese im Fall eines Rückgaberechts auch bezahlen müsste). Wie sahen nun die Ergebnisse des Vergleichs von gesetzlichem Widerrufs- (law) oder freiwilligem Rückgaberecht (vol) näherhin aus? vol
law
15
10
order G1, and perhaps G2 sequentially
161
131
order both G1 and G2 simultaneously and return G1 or G2
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no order
Abb. 3: Scenarios (Type 2) (Borges / Irlenbusch 2007, p. 89 f.)
Es zeigt sich, dass „the number of unfavourable choices for the seller [ . . . ] is higher in the law treatment [ . . . ] than in the vol treatment“ 38. Das freiwillige Rückgaberecht (vol) funktioniert offenbar als moralischer Anreiz: „[F]airness considerations are more pronounced in the vol treatment than in the law treatment“ 39, während das gesetzliche Widerrufsrecht (law) die moralischen Potenziale der Kundschaft offenbar nicht aktivieren kann: „the existence of a withdrawal right by law makes the buyers less fairness-oriented“40. Dies erweist die Zweckmäßigkeit eines ein differenzierten Anreizmanagements. In vielen Fällen sind gesetzliche Regelungen (juristische Anreize) unverzichtbar, in vielen anderen Fällen jedoch kann die Aktivierung moralischer Interessen durch moralische Anreize die besseren Ergebnisse hervorbringen.
V. Wirtschaftsethik, Recht und Moral. Zur Differenz von Dilemma- und Kontingenzsituationen Nach dem Zusammenbruch der realsozialistischen Riesenexperimente offenbart man der geneigten Öffentlichkeit kein Geheimnis, wenn man darauf hinweist, dass das globale Wirtschaftssystem das eines Marktwettbewerbs ist. Die Akteure in diesem Leistungswettbewerb, die Unternehmen also, haben daher unter der Bedingung einer Situationslogik zu operieren, die durch ein (Wettbewerbs)Dilemma strukturiert wird41. Die Analyse dieser Situationslogik erfolgt zweckmäßigerweise, Ebd., p. 84. Ebd., p. 96. 39 Ebd., p. 97. 40 Ebd., p. 94. 41 Dies eindringlich herausgearbeitet zu haben, ist in der wirtschafts- und unternehmensethischen Diskussion zweifelsohne vor allem das Verdienst von Karl Homann. 37 38
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so schon Karl Popper, unter Rückgriff auf die ökonomische Methode: „Die Analyse von Situationen, die Situationslogik [ . . . ] ist die Methode der ökonomischen Analyse“42. Als methodisches Analyseinstrument hierzu fungiert der Homo Oeconomicus, der in diesem Zusammenhang keine anthropologischen Eigenschaften, sondern Situationseigenschaften abbilden soll43. Kein Unternehmen kann es sich leisten, die mit dem Rahmencode des Wirtschaftssystems (Aufwand < Ertrag)44 verbundene Situationslogik zu ignorieren, ohne mit der zwangsweisen Realisierung der exit option rechnen zu müssen. Der Versuch, Unternehmensethik (nur) in den Schlupfwinkeln („Spielräumen“) dieser Situationslogik unterzubringen, bestätigt erstens die ,ausweglose‘ Situationslogik für den Bereich außerhalb der Schlupfwinkel und wird zweitens in einer sich globalisierenden Wirtschaft bei härter werdendem Wettbewerb prekär. Die Situationslogik von Dilemmastrukturen ist also ein außerordentlich relevanter Gesichtspunkt, an dem kein Unternehmen vorbeikommt. Führt dieses Wettbewerbsdilemma nun zu gesellschaftlich unerwünschten Ergebnissen, beispielsweise zu einer umweltschädigenden, aber eben kostengünstigeren Produktionsweise, dann kann der Heroismus eines einzelnen Unternehmens die Dinge nicht zum Besseren wenden, wenn die anderen Konkurrenten nicht mitziehen. In der Logik einer echten Dilemmasituation „ist es für eine einzelne Firma unmöglich, dieses von allen prinzipiell erwünschte Resultat allein, durch ihr vorbildhaftes Verhalten [ . . . ] herbeizuführen – sie wird dann durch die Defektion der anderen ausgebeutet“45. Also, so die Konsequenz, bedarf es einer ordnungspolitischen Lösung, die neue Spielregeln setzt, konkret also etwa mit dem sanktionsbewehrten (Unternehmens)Strafrecht arbeitet46. Wirtschaftsethisch dürfte es immer 42 Popper, Karl R., Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. I: Der Zauber Platons, Bd. II: Falsche Propheten. Hegel, Marx und die Folgen, 7. Aufl., Tübingen: Mohr Siebeck 1992, S. 123. 43 „Es sind nicht die wirklichen Eigenschaften der wirklichen Akteure, die im Kontext des homo oeconomicus abgebildet werden, sondern Eigenschaften von Handlungssituationen“ (Zintl, Reinhard, „Der Homo oeconomicus: Ausnahmeerscheinung in jeder Situation oder Jedermann in Ausnahmesituationen“, in: Analyse & Kritik 11 (1989), S. 52 – 69, S. 64). 44 „Für Wirtschaftsorganisationen ist diese Codierung eine verbindliche Leitdifferenz“ (Wieland, Josef, Ökonomische Organisation, Allokation und Status (Die Einheit der Gesellschaftswissenschaften, Bd. 92), Tübingen: Mohr Siebeck 1996, S. 76). 45 So Homann, Karl, „Unternehmensethik und Korruption“, in: Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung 49 (1997), S. 187 – 209, S. 195, der in Konsequenz seines methodischen Ansatzes diese Problemstruktur des Gefangenendilemmas auch im Blick auf die Korruption als das „wichtigste Argument“ (ebd., S. 195) einstuft. 46 In der deutschsprachigen Diskussion scheint sich diesbezüglich sowohl von juristischer wie von unternehmensethischer Seite eine Argumentationskonvergenz in Richtung eines Unternehmensstrafrechts abzuzeichnen. Näher hierzu: Schramm, Michael, Moral im Dilemma? Das Korruptionsproblem und die Relevanz moralischer Interessen im unternehmensethischen Integritätsmanagement, in: Aufderheide, Detlef / Dabrowski, Martin (Hg., in Verbindung mit Karl Homann / Christian Kirchner / Michael Schramm / Jochen Schumann / Viktor Vanberg / Josef Wieland): Corporate Governance und Korruption. Wirtschaftsethische und moralökonomische Perspektiven der Bestechung und ihrer Bekämpfung (Volkswirtschaftliche Schriften, Heft 544), Berlin: Duncker & Humblot 2005, S. 83 – 110.
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zweckmäßig sein, die Suche nach paretosuperioren Regeln methodisch mit der „Brille“ von Dilemmastrukturen anzugehen. Darin ist der ökonomischen „Ordnungsethik“47 oder „ökonomischen Ethik“48 oder „Ordonomik“49 völlig beizupflichten. Dilemmasituationen sind aber nur die halbe Wahrheit. Denn obwohl es ganz unmöglich ist, Dilemmastrukturen nicht ins Kalkül eines unternehmensethischen Entscheidungskonzepts einzubeziehen, hege ich gleichwohl Zweifel an der empirischen Allgegenwart von Dilemmastrukturen. In zahllosen Fällen sind die ökonomischen Effekte unternehmensethisch motivierter Entscheidungen kontingent50. Im Fall solcher Kontingenzsituationen scheint mir daher eine „Kontingenztheorie“ über die Relation von Ethik und Erfolg (situations)angemessen zu sein51. Beispielsweise hat Lynn Sharp Paine notiert: „The supposed alliance between ethics and economy is highly contingent. It depends both on how ethical behavior is defined and on the surrounding social and institutional context. [ . . . ] It is naïve to think that ethics pays any time and any place. It is also naïve to suppose that the two cannot brought into a closer alignment“52. Auf dem weiten Gebiet solcher Kontingenzsituationen kann und sollte nun eine Vielzahl unterschiedlicher Anreize differenziert eingesetzt werden, um gezielt inhaltlich differierende Interessen zu aktivieren. Summary Behavioral Economics has shown that human behavior does not fit into the traditional incentive-reaction-pattern of the completely rational and self-interested 47 Beispielsweise Homann, Karl, Die Relevanz der Ökonomik für die Implementation ethischer Zielsetzungen, in: Korff, Wilhelm u. a. (Hrsg.): Handbuch der Wirtschaftsethik, Bd. 1: Verhältnisbestimmung von Wirtschaft und Ethik, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 1999, S. 322 – 343. 48 Suchanek, Andreas, Ökonomische Ethik (UTB für Wissenschaft, Bd. 2195), 2. Aufl., Tübingen 2007. 49 Pies, Ingo, Moral als Heuristik. Ordonomische Schriften zur Wirtschaftsethik, Berlin: wvb 2009; Pies, Ingo, Moral als Produktionsfaktor. Ordonomische Schriften zur Unternehmensethik, Berlin: wvb 2009. 50 Einige Beispiele hierzu in: Schramm, Michael, Moralische Interessen in der Unternehmensethik, in: Ebert, Udo (Hg.), Wirtschaftsethische Perspektiven VIII. Grundsatzfragen, Unternehmensethik, Institutionen, Probleme internationaler Kooperation und nachhaltiger Entwicklung (Schriften des Vereins für Socialpolitik, Bd. 228 / VIII), Duncker & Humblot: Berlin 2006, S. 13 – 39. 51 Ein kurzer Überblick zu diesen kontingenztheoretischen Konzepten in der auch sonst äußerst lesenswerten Arbeit von Talaulicar, Till, Unternehmenskodizes. Typen und Normierungsstrategien zur Implementierung einer Unternehmensethik (Gabler Edition Wissenschaft), Wiesbaden: Deutscher Universitätsverlag DUV 2006, S. 100 – 102. 52 Paine, Lynn Sharp, „Does Ethics pay?“, in: Business Ethics Quarterly 10 (2000), pp. 319 – 330, p. 325 f.
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Homo Oeconomicus. There is a wide range of factors that influence human decisions: Besides economic self-interests, moral interests (fairness interests) are active too, and people frequently decide “predictably irrational” (Dan Ariely). Applied to the question of legal rules, the concept of Behavioral Law and Economics was generated, which is important for the task of Business Ethics: To support an ethically preferable behavior, we need a sophisticated management of economic and moral incentives, which are able to activate the different economic and moral interests of (individual or collective) actors.
Verantwortliches Management und die Principles of Responsible Management Education (PRME) Albrecht Söllner I. Einführung „Neun Cent Stundenlohn in der Handy-Fabrik“ betitelt die Berliner Zeitung einen Beitrag über allgemeinen Praktiken von Handyherstellern wie Motorola oder Nokia (Wendel 2006). Hungerlöhne, Vergiftungen, 13-Stunden-Schichten und 7-Tage-Woche – nach einer Studie der im Auftrag der EU-Kommission, niederländischer Ministerien und Gewerkschaften arbeitenden niederländischen Organisation Stichting Onderzoeg Multinationale Ondernemingen (Somo) sind die Arbeitsbedingungen bei den Zulieferern der weltgrößten Handy-Produzenten katastrophal. Nokia, Motorola, Samsung und Sony Ericsson kaufen in großem Stil bei Zulieferern ein, deren Angestellte unter aus europäischer Sicht unhaltbaren Bedingungen arbeiten müssen. Nach der Studie produziert beispielsweise der chinesische Zulieferer Hivac Startech in der Sonderwirtschaftszone Shenzhen bei Schanghai für Motorola AcrylLinsen für Handys. Für die Politur der Linsen mit einer Lösung, die auch das giftige n-Hexan enthält, werden keine ausreichenden Schutzmaßnahmen für die Beschäftigten getroffen. Neun Arbeiterinnen mussten deshalb mit akuten Vergiftungen in eine Klinik eingeliefert werden. Nach Joseph Wilde, einem der Co-Autoren der Somo-Studie, handelt es sich bei den aufgedeckten Missständen nicht um Einzelfälle: „Es handelt sich um ein strukturelles Problem der gesamten Mobilfunkindustrie“. Durch den Preisdruck in der Branche und die resultierenden „komplexen Lieferketten“ hätten selbst Großunternehmen wie Nokia und Motorola den Überblick bei ihren Zulieferern längst verloren (vgl. Wendel 2006, 13). Die massive Kritik am Verhalten von Managerinnen und Managern durch eine breite Öffentlichkeit aber auch in den Medien und durch die Politik belegen ein wachsendes Unbehagen in Bezug auf das Verhalten der Entscheidungsträger in der Wirtschaft. Es sind im Wesentlichen drei Aspekte, die den Ruf der bislang hoch angesehenen gesellschaftlichen Gruppe nachhaltig beschädigt haben: 1. Managementfehlentscheidungen, die zu milliardenschweren Verlusten, oft auch zur Vernichtung von Arbeitsplätzen, geführt haben (Bsp.: Fusionen und der Kauf von Unternehmen, die sich im Nachhinein als ein Fehler herausgestellt haben etc.).
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2. Managemententscheidungen, die gegen bestehende rechtliche Spielregeln verstoßen, mit dem Ziel, Vorteile für das Unternehmen und / oder persönliche Vorteile zu erwirken (Bsp. Korruption beim Erlangen von Aufträgen, Verstoß gegen Bauvorschriften, etwa beim Bau der Kölner U-Bahn etc.). 3. Die grundsätzliche und ausschließliche Orientierung der Entscheidungen von Managerinnen und Managern an den Interessen der Eigentümer („shareholder value“) und an ihrem eigenen Interesse (Bsp. Entlassungen und Standortverlagerung zur Gewinnsteigerung etc.). Während der erste Aspekt die Fähigkeiten von Managern in Frage stellt, richten sich der zweite und dritte Punkt gegen ein als unverantwortlich angesehenes Verhalten, und zwar sowohl gegen kriminelles als auch gegen legales Verhalten. Gesellschaftlich relevant ist die Debatte in hohem Maße, denn das Wohl vieler Menschen wird durch Managemententscheidungen unmittelbar beeinflusst. Relevant ist die Debatte aber auch für die Manager selbst. Zwar weisen die Reaktionen auf die Kritik ein weites Spektrum auf. So haben die Ausschüttungen von Boni in Banken, die in der Finanzkrise mit Steuermitteln künstlich am Leben gehalten wurden, den Vorwurf mangelnder Lernfähigkeit und Einsicht in die eigene Verantwortung der Krise herausgefordert. Im Ergebnis wurden die Boni-Regeln der Banken in den USA und England daraufhin durch Rechtsvorschriften reglementiert. Anderseits deutet die Zahl von Managern, die über wachsenden Druck klagen oder Therapien in Anspruch nehmen, auf eine zunehmende Verunsicherung bei den Betroffenen hin. Neben berechtigter Kritik erschweren eine Vielzahl von sich teilweise widersprechenden Anforderungen an Unternehmen und Manager eine Orientierung für die Entscheidungsträger. Eine Welt, in der der shareholder value das entscheidende Zielkriterium darstellt, ist weniger komplex als eine Welt, in der neben dem Ziel des shareholder value auch die Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen (z. B. durch Wachstum) oder der nachhaltige Umgang mit natürlichen Ressourcen (z. B. durch Verzicht auf Wachstum) zu Zielkriterien erhoben werden. Genau an dieser Stelle setzen die Principles of Responsible Management Education an. Schon in der Managementausbildung soll den zukünftigen Managern ein Bewertungsmaßstab für die eigenen Handlungen mitgegeben werden, der eine Orientierung bietet und im Ergebnis „unverantwortliches“ Verhalten weniger wahrscheinlich macht. Im folgenden werden die Principles kurz vorgestellt, bevor dann eine theoretische Einordnung der PRME vorgenommen wird. Abschließend wird begründet, was man von den PRME erhoffen kann und was nicht.
II. Die PRME Die PRME verknüpfen die Frage nach einem verantwortlichen Verhalten in der Managementpraxis mit den Inhalten der betriebswirtschaftlichen Hochschulausbil-
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dung (vgl. dazu auch Pies / Hielscher 2007). Die insgesamt sechs Prinzipien einer verantwortlichen Management-Ausbildung (vgl. Tabelle 1) wurden auf dem UN Global Compact Summit in Genf im Juli 2007 verabschiedet. Im Kern zielen sie darauf ab, das Thema Corporate Social Responsibility systematisch in die akademische Forschung und Ausbildung von Universitäten zu integrieren. Die Prinzipien wurden von einer internationalen Task Force – darunter sechzig Dekane, Universitätspräsidenten und Vertreter von führenden Business Schools – entworfen. Gesteuert wird die PRME-Initiative vom UN Global Compact Office und vom PRME Steering Committee. Mitglieder des Steering Committee sind die Association to Advance Collegiate Schools of Business (AACSB International), die European Foundation for Management Development (EFMD), das Aspen Institute’s Business and Society Program, die European Academy for Business in Society (EABIS), das Graduate Management Admission Council (GMAC), die Globally Responsible Leadership Initiative (GRLI) und Net Impact. Tabelle 1 Die Principles of Responsible Management Education Principles of Responsible Management Education Purpose: We will develop the capabilities of students to be future generators of sustainable value for business and society at large and to work for an inclusive and sustainable global economy. Values: We will incorporate into our academic activities and curricula the values of global social responsibility as portrayed in international initiatives such as the United Nations Global Compact. Method: We will create educational frameworks, materials, processes and environments that enable effective learning experiences for responsible leadership. Research: We will engage in conceptual and empirical research that advances our understanding about the role, dynamics, and impact of corporations in the creation of sustainable social, environmental and economic value. Partnership: We will interact with managers of business corporations to extend our knowledge of their challenges in meeting social and environmental responsibilities and to explore jointly effective approaches to meeting these challenges. Dialogue: We will facilitate and support dialogue and debate among educators, business, government, consumers, media, civil society organizations and other interested groups and stakeholders on critical issues related to global social responsibility and sustainability
Aktuell nehmen etwa 300 akademische Einrichtungen aus etwa 60 Ländern an der Initiative teil. Eine Großzahl der Organisationen kommt aus den USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland. Deutschland ist zur Zeit mit achtzehn Institutionen vertreten, die in unterschiedlicher Intensität im Programm engagiert sind. Darunter befinden sich die Humboldt-Viadrina School of Governance, die
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European Business School – EBS, Schloss Reichartshausen und die School of Economics and Management an der Martin Luther Universität in Halle-Wittenberg. Wenn auch die Motivation zur Teilnahme an der Initiative unterschiedlich sein mag – eine positive Außendarstellung mag durchaus eine Rolle spielen – so stellt der Wunsch und die Einsicht in der Notwendigkeit, das Mangerverhalten in Richtung auf Verantwortung zu beeinflussen, sicher den entscheidenden Kern dar. Die aktuelle CSR-Initiative der Bundesregierung wird in einem Arbeitsschwerpunkt das Thema CSR in Bildung, Wissenschaft und Forschung ebenfalls fördern.
III. Einordnung der PRME aus ökonomischer Sicht Die entscheidende Frage bei der Bewertung der PRME lautet: Können die „Principles“ eine Veränderung des Managerverhaltens zu mehr Verantwortungsbewusstsein herbei führen? Aus einer ökonomischen Perspektive heraus liegt es zunächst nahe, zu prüfen, inwiefern der Ansatz der PRME – nämlich Menschen „stark“ zu machen gegen ein „unverantwortliches“ Verhalten – kompatibel zu dem in der Ökonomie dominierenden Menschenbild ist. Eine zentrale Rolle spielt hier die Annahme der Eigennutzorientierung wirtschaftlicher Akteure. Danach verfolgen Individuen ihre eigenen Interessen und versuchen ihren Nutzen zu maximieren. Teilweise – etwa in der Transaktionskostentheorie oder generell in der Neuen Institutionenökonomik – erfährt die Vorstellung der Eigennutzorientierung mit der Annahme des Opportunismus sogar noch eine Steigerung (vgl. Williamson 1985, 47 ff.). Die Opportunismusannahme besagt, dass sich Menschen nicht nur an dem Ziel der eigenen Nutzenmaximierung orientieren, sondern dass sie den eigenen Vorteil auch durch Täuschung und zum Nachteil anderer herbeizuführen trachten („self-interest seeking with guile“). Nach Williamson ist zu befürchten, dass Menschen in Transaktionen wahre Präferenzen verbergen, Daten verfälschen, Lügen oder Verwirrung stiften werden, wenn ihnen daraus ein eigener Vorteil erwächst. Die Bedeutung des Opportunismus wird vor allem deutlich im Zusammenhang mit der Annahme einer beschränkten Rationalität der Menschen. Spätestens seit Herbert Simon ist die Annahme eines streng rational handelnden Homo Oeconomicus in der Wirtschaftswissenschaft durch die Annahme eines beschränkt rational handelnden ökonomischen Akteurs ersetzt worden. Nach Simon handeln Individuen „intendedly rational, but only limitedly so“ (Simon 1961, xxiv). Eingeschränkte Rationalität reduziert die Möglichkeit, opportunistisches Verhalten aufzudecken, da Informationsasymmetrien zwischen den Transaktionsparteien bestehen. Ein rein eigennutzorientiertes Verhalten oder gar ein opportunistisches Verhalten steht einem am Gemeinwohl orientierten Verhalten, wie es die PRME in ihrem ersten Prinzip propagieren, entgegen. Es wird an dieser Stelle offensichtlich, dass der Ansatz der PRME nur auf der Basis eines bestimmten Menschenbildes eine Relevanz haben kann. In einem theoretischen Paradigma, das Opportunismus als
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Verhaltensannahme setzt, ist kein Raum für einen Ansatz, der darauf baut, Menschen durch Bildungsprinzipien widerstandsfähig gegen Fehlverhalten zu machen. Es ist jedoch interessant, dass die Annahme des Opportunismus selbst in der Transaktionskostentheorie durchaus differenziert zu sehen ist. Noch 1975 ging Williamson explizit auf die Rolle von Normen ein und diskutierte im Zusammenhang mit Arbeitskollektiven („peer groups“) Eigennutzorientierungen, die sich deutlich vom Opportunismus unterscheiden (vgl. Williamson 1975, 42). Erst später ist diese differenzierte Betrachtung der einfachen Annahme opportunistischen Verhaltens gewichen. Diese Entscheidung wird nicht zuletzt damit begründet, dass bereits die Gefahr eines opportunistischen Verhaltens ausreichen kann, menschliches Interaktionsverhalten zu stören. Inzwischen ist diese Auffassung auch von Vertretern der Transaktionskostentheorie kritisiert worden (vgl. Dow 1987, Francis et al. 1983, Heide / John 1992). Verschiedene Autoren betonen, dass Eigennutzorientierungen nicht nur in der Wirklichkeit durchaus variieren können, wie auch Williamson einräumt, sondern, dass es auch aus theoretischen Gründen in die Irre leitet, grundsätzlich von einer opportunistischen Verhaltenseinstellung auszugehen (vgl. z. B. John 1984, Knapp 1989, Heide / John 1992, Söllner 1998). Macneil betont, dass Transaktionen immer von einer Fülle von Normen begleitet werden, die in vielen Fällen weit über den konkreten Austausch hinausgehen (vgl. Macneil 1978, 901). Wird die Opportunismusannahme Williamsons dahingehend modifiziert, dass der Opportunismus zwar eine mögliche Form der Eigennutzorientierung sein kann, aber keineswegs immer vorliegen muss, entsteht plötzlich auch aus theoretischer Sicht Raum für einen Ansatz wie die Principles of Responsible Management Education. Opportunismus hat dann eher den Charakter einer Variablen als einer strikten Verhaltensannahme. Dadurch erfährt auch der Analysegegenstand der Institutionenökonomik eine Modifizierung. Bislang standen vor allem die Merkmale der Transaktion im Mittelpunkt der Betrachtung. So konnte etwa mit Hilfe des „organizational failures framework“ von Williamson (1975) festgestellt werden, ob der Erfolg einer konkreten Transaktion z. B. durch spezifitätsbedingte Abhängigkeiten eines Transaktionspartners gefährdet wäre. Wird Opportunismus dagegen als eine Variable betrachtet, erweitert sich die Analyseaufgabe um die Frage nach der konkreten Opportunismusneigung des Transaktionspartners. Auch die Managementimplikationen wären vielfältiger. Neben die klassische Antwort der Institutionalisten – Absicherung der Transaktion durch entsprechende Spielregeln (Institutionen) – tritt nun gegebenenfalls die Aufgabe der Auswahl geeigneter Transaktionspartner oder sogar der Steuerung der Opportunismusneigung von Marktakteuren, z. B. durch die Anwendung der PRME. Auch wenn das „stark machen“ von Managerinnen und Managern gegen unverantwortliches Verhalten im Sinne der PRME aus einer derartigen ökonomisch theoretischen Perspektive möglich wird, stellt sich gleichwohl die Frage, inwiefern tatsächliches Verhalten unter den Bedingungen eines starken Wettbewerbsdrucks und
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den Anforderungen des Kapitalmarktes an Investitionen tatsächlich durch Ausbildungsprinzipien wie die PRME beeinflusst werden kann. Ein Konflikt zwischen ökonomischer Rationalität und moralischem Verhalten ist in vielen Fällen vorprogrammiert. Homann (1994, 116) beschreibt denkbare Situationen von Unternehmen in seinem Vier-Quadranten-Schema folgendermaßen (vgl. Abb. 1). Die beiden Achsen beschreiben die Auswirkung einer bestimmten Handlung von Managern in Bezug auf zwei Kategorien: die moralische Akzeptanz der Handlung und die Rentabilität des handelnden Unternehmens.
hohe moralische Akzeptanz III. ökonomischer Konfliktfall
I. positiver Kompatibilitätsfall Kompatibilit hohe Rentabilität
geringe Rentabilit Rentabilität IV. negativer Kompatibilitätsfall Kompatibilit
II. moralischer Konfliktfall
Geringe moralische Akzeptanz Abbildung 1: Das Vier-Quadranten-Schema nach Homann (1994, S. 116)
Quadrant I beschreibt den Fall einer komplementären Beziehung zwischen moralischem Verhalten und ökonomischem Erfolg. Das kann entweder daran liegen, dass die wirtschaftliche Rahmenordnung moralisches Verhalten von allen Wettbewerbern gleichermaßen fordert und durchsetzt, so dass bei Einhaltung der Spielregeln der ökonomische Schaden durch Sanktionen unterbleibt. Oder aber das moralische Verhalten lässt sich gewinnbringend „verkaufen“, indem es beispielsweise werbewirksam eingesetzt wird. Quadrant II beschreibt einen Fall, in dem unternehmerisches Verhalten – auch wenn es legal ist – nicht im Einklang mit den moralischen Vorstellungen in einer Gesellschaft steht. Das Unternehmen entscheidet sich in diesem Konfliktfall für das Gewinnziel und gegen die Moral. Diese Entscheidung wird – sofern sie überhaupt begründet wird – meist durch Hinweise auf den Wettbewerbsdruck gerechtfertigt. Der Satz „Wir haben zur Zeit wirklich andere Probleme“ als Antwort auf die Frage nach der moralischen Legitimität einer Handlung, ist symptomatisch für die Situation. Kritische Berichterstattung – wie im Fall Motorola – kann aber auch zu einem Umdenken bei den Unternehmen führen.
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Der Quadrant III beschreibt ebenso wie der Quadrant II eine konfliktäre Beziehung zwischen Rentabilität und moralischer Akzeptanz. Allerdings hat sich das Unternehmen in diesem Fall für die Moral und damit gegen die Rentabilität entschieden. Quadrant IV repräsentiert den Fall einer Handlung, die weder akzeptiert noch gewinnbringend ist. Marktaustritt kann in diesem Fall als eine wahrscheinliche Strategie erwartet werden (vgl. Homann 1994, 116 ff.). Das Schema von Homann macht deutlich, dass ein moralisches Verhalten unter den Bedingungen starken Wettbewerbsdrucks durchaus problematisch für ein Unternehmen sein kann. Nach Homann ist daher in der Realität vor allem dann mit moralisch akzeptiertem Verhalten von Unternehmen – und das heißt von Managerinnen und Managern – zu rechnen, wenn damit auch wirtschaftlich ein Erfolg für das jeweilige Unternehmen verbunden ist. „Niemand kann von einem Unternehmen verlangen, dass es schwere ökonomische Nachteile aufgrund moralischen Verhaltens hinnimmt, während die weniger moralischen Wettbewerber die Gewinne einstreichen“ (Homann 1991, 108). Es ist zumindest sehr fraglich, ob ein Ausbildungskonzept wie die PRME unter den Bedingungen eines starken Wettbewerbsdrucks ein vielleicht juristisch einwandfreies aber moralisch fragwürdiges Verhalten von Managern verhindern würde. Damit wären möglicherweise nicht nur der Verzicht auf Boni und Erfolg, sondern im Extremfall auch das Ausscheiden aus dem Markt verbunden. Die Vereinigten Staaten – ein Land, in dem das Fach Wirtschaftsethik eine lange Tradition hat – können ebenfalls kaum als ermutigendes Beispiel herangezogen werden. Viele prominente Beispiele für moralisches Fehlverhalten von Managerinnen und Managern haben sich gerade in den USA ereignet. Die Alternative zu einem Ansatz wie den PRME liegt nach Homann daher in einer verbindlichen Verankerung von Verhaltenskodizes in der Rahmenordnung von Unternehmen. Eine wirtschaftliche Rahmenordnung, die moralische Anforderungen konsequent integriert und durchsetzt, würde den Konflikt zwischen moralischem Verhalten und ökonomisch rationalem Verhalten im Wettbewerb aufheben. Moralische Erwartungen würden als Restriktion für alle Marktteilnehmer festgesetzt. Wettbewerb fände über die „Spielzüge“ innerhalb der Spielregeln statt und nicht über den Verstoß gegen moralische Normen. Der Homannsche Ansatz, der die Moral in der Wirtschaft auf die Ebene der Rahmenordnungen legt, hat unter anderem den Vorteil, dass Unternehmen nicht permanent unter einem Rechtfertigungsdruck für ihre Handlungen stehen. Ein der Rahmenordnung entsprechendes Verhalten kann als verantwortungsvoll angesehen werden, wenn die Rahmenordnung im Einklang mit den moralischen Vorstellungen einer Gesellschaft steht. Auf dieser Grundlage kann sich ein Unternehmen dann auf den rein ökonomischen Wettbewerb konzentrieren. Die klaren Handlungsrichtlinien, die aus den Spielregeln (Institutionen) und der Durchsetzung der Rahmenordnung folgen, lassen einen Ansatz, der – wie die
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PRME – auf die Vermittlung von Werten und im Ergebnis auf ein verantwortliches Verhalten von Managern aus einer inneren Überzeugung heraus hinwirken soll, fast überflüssig erscheinen. Wenn Wettbewerbsdruck zu einem Verhalten zwingt, das im moralischen Konfliktfall als unverantwortlich anzusehen wäre, andererseits aber eine funktionierende Rahmenordnung genau dieses Verhalten unterbinden würde, bestünde kein weiterer Handlungsbedarf. Fehlverhalten von Managerinnen und Managern würde aus Eigeninteresse unterbleiben. Die Hoffnung auf eine in diesem Sinne verhaltenssteuernde Rahmenordnung ist jedoch nur teilweise begründet. Ein rein gewinnorientiertes Verhalten ist moralisch nur dann gerechtfertigt, wenn die Rahmenbedingungen keine ethischen Defizite aufweisen. Davon ist aber kaum auszugehen. Der institutionelle Rahmen von Unternehmen weist immer Lücken auf. Auch ist es unmöglich, jeden potentiellen Sachverhalt ex ante zu regulieren. Darüber hinaus haben die Nationalstaaten gegenüber international operierenden Unternehmen kaum die Möglichkeit, eine wirtschaftliche Rahmenordnung wirksam durchzusetzen. Dieses Defizit wird von Spielregeln auf der Ebene regionaler Zusammenschlüsse, durch die Spielregeln der WTO oder durch die Kontrolle durch NGOs nur teilweise aufgefangen. Durch die Verlagerung von Unternehmensaktivitäten durch Out-sourcing und Off-shoring können Spielregeln somit leicht umgangen werden. Wenn die Rahmenordnung also als lückenhaft und nur bedingt wirksam angesehen werden kann, stellt sich erneut die Frage nach dem Potential des PRME Ansatzes. Der Gedanke, wirtschaftliche Akteure moralisch so „stark“ zu machen, dass unverantwortliche Verhaltensweisen gar nicht erst in Betracht gezogen werden, ist zwar attraktiv, aus den oben genannten Gründen aber vermutlich nicht sehr wirksam. Managerinnen und Manager unter Hinweis auf die Marktkräfte völlig von jeglicher moralischer Verantwortung zu entbinden, wäre gleichwohl falsch. Selbst wenn der Wettbewerbsdruck legale aber unverantwortliche Handlungen erfordert, so befreit das die Entscheidungsträger nicht davon, auf diesen Umstand explizit hinzuweisen und der Öffentlichkeit die Konsequenzen der aktuellen und lückenhaften Spielregeln der Rahmenordnung deutlich zu machen. Die Akteure des Wirtschaftslebens müssen den Prozess der kontinuierlichen Weiterentwicklung der Rahmenordnung selbst vorantreiben, um unverantwortlichem Verhalten entgegenzuwirken und auch, um für sich selbst den Druck durch die moralischen Dilemmata des Alltagsgeschäfts zu reduzieren. Ein solcher „Widerspruch“ ist für die Manager allerdings mit erheblichen Kosten verbunden. Er erfordert nicht nur Zeit, sondern kann die Außenwirkung des eigenen Unternehmens durchaus negativ beeinflussen. Was – abgesehen von dem Wunsch moralische Dilemmata zu vermeiden – sollte Manager somit dazu bewegen, Einfluss auf die institutionelle Rahmenordnung zu nehmen? Die Antwort liegt letztlich in der Bereitschaft, die Kosten des Widerspruchs zu tragen. Bei Akteuren, die darauf bedacht sind, die eigenen Kosten möglichst zu reduzieren, wird diese Bereitschaft nicht sehr stark ausgeprägt sein. Ist es den Individuen dagegen ein inneres Anliegen, unverantwortliches Verhalten
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zu vermeiden, so steht dem Widerspruch gegen eine unzureichende Rahmenordnung ein echter Nutzen gegenüber. Dieses „innere Anliegen“ kann aber nicht als gegeben angesehen werden. Es ist anzunehmen, dass es im Laufe der menschlichen Entwicklung erst geschaffen werden muss. Dabei spielt die Managementausbildung sicher nicht die einzige Rolle. Die PRME können aber darauf hinwirken, dass der Wunsch, sich verantwortlich zu verhalten und verantwortliche Entscheidungen zu treffen, in den Präferenzen von Entscheidungsträgern eine wichtige Rolle spielt. Dieser Effekt allein rechtfertigt bereits die Umsetzung der Prinzipien in der Managementausbildung. IV. Zusammenfassung Der Beitrag geht von der Annahme einer aktuell kritischen Reflektion des Verhaltens von Managerinnen und Managern in der Öffentlichkeit aus. Eine Veränderung des Verhaltens von Führungskräften der Wirtschaft hin zu mehr gesellschaftlicher Verantwortung ist daher in den letzten Monaten und Jahren, insbesondere aber seit der Finanzkrise des Jahres 2008, zu einem politischen Ziel in vielen Ländern, einschließlich der USA und Großbritanniens, geworden. Gerade diese beiden Länder scheinen erwähnenswert, weil staatliche Eingriffe in das Wirtschaftsleben dort immer besonders kritisch gesehen wurden und die aktuelle Diskussion einen echten Wandel darstellt. Um den gewünschten Verhaltenswandel von Entscheidungsträgern herbeizuführen, werden ganz unterschiedliche Maßnahmen diskutiert. Zwei alternative Ansätze wurden in diesem Beitrag gegenüber gestellt. Die Principles of Responsible Management Education setzen darauf, Menschen durch eine entsprechende Wertevermittlung in der Ausbildung – hier speziell in der Managementausbildung – eine verantwortungsbewusste Orientierung auf den Weg zu geben. Die Principles sollen Manager „stark“ machen gegenüber den sog. Zwängen des Alltagsgeschäfts und der Versuchung, Wettbewerbsvorteile durch moralisch nicht akzeptiertes Verhalten zu erlangen. In einer Welt, in der der Wettbewerbsdruck sich in zahlreichen Branchen deutlich erhöht hat, sind Zweifel an der Verhaltenswirksamkeit der PRME gleichwohl angebracht. Der Hinweis auf das Verhalten der Wettbewerber und die Notwendigkeit im Wettbewerbsprozess zu überleben werden häufig als Rechtfertigung für das eigene Verhalten verwendet. Als Alternative zur Vermittlung von moralischen Werten mit dem Ziel der Verhaltenssteuerung von Managern kann die institutionelle Umwelt von Unternehmen angesehen werden. Für Homann ist die Rahmenordnung der eigentliche Ort für Moral im Wirtschaftsleben. Wären die Spielregeln der Rahmenordnung vollständig und durchsetzbar, würde sich der Wettbewerb innerhalb von Spielregeln abspielen, die ein verantwortungsbewusstes Verhalten sicherstellen würden. Tatsächlich sind die Spielregeln der Rahmenordnung – gerade im internationalen Kontext – aber weder vollständig noch leicht durchsetzbar. Das Ausnutzen von Gesetzeslücken ist zu einem Wettbewerbsparameter für viele Firmen geworden.
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Vor diesem Hintergrund kommt den PRME eine entscheidende Rolle zu. Managerinnen und Manager, die im Wettbewerb gezwungen werden, fragwürdige Verhaltensweisen zu zeigen, sollen ihr Verantwortungsbewusstsein zeigen, indem sie auf Lücken in der Rahmenordnung hinweisen und auf Verbesserung der Spielregeln hinarbeiten. Damit wäre ein wesentlicher Schritt in Richtung auf eine höhere Akzeptanz des Verhaltens von Entscheidern in der Wirtschaft getan. Gleichzeitig würde Unternehmen eine neue Rolle als politische Akteure in der Gesellschaft zukommen.
Summary The behavior of managers has received severe criticism in recent years. The financial crisis of the year 2008 has additionally damaged the reputation of decision makers in firms, especially in multinational enterprises and banks. This contribution discusses two ways of ensuring responsible management behavior, namely the Principles of Responsible Management Education (PRME) and the implementation and enforcement of an institutional environment that sanctions misbehavior. Whereas the PRME try to restrict questionable behavior through an approach of management education that creates managers as responsible citizens, the implementation of a formal and informal institutional environment aims at setting incentives that render opportunistic and irresponsible behavior unattractive. However, the author argues that both the PRME and an institutional environment will not prevent managers from making morally questionable decisions. Conditions of extremely strong competition might force even responsible managers to use every option to survive on the market. This might include morally questionable or even illegal decisions. An institutional environment, on the other hand, also does not seem to prevent managers from acting irresponsible, because the framework will always be incomplete, especially in an international context. In spite of these assumptions, the author claims that the implementation of the PRME at business schools and universities is of foremost importance. An ethically oriented education will equip future managers with the ethical values that enable them to at least raise their voice in cases of moral dilemma and by doing so to help improve the incomplete institutional environment of firms.
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Heide, J. B. / John, G. (1992): „Do Norms Really Matter?“, in: Journal of Marketing, 56 (1992, April), S. 32 – 4 Homann, K. (1991): „Der Sinn der Unternehmensethik in der Marktwirtschaft, in: H. Corsten u. a. (Hrsg.), Die soziale Dimension der Unternehmung“, Berlin 1991, 97 – 118 – (1994): „Marktwirtschaft und Unternehmensethik“, in: Forum für Philosophie Bad Homburg (Hrsg.), Markt und Moral – Die Diskussion um die Unternehmensethik, Bern u. a. 1994, S. 109 – 130 John, G. (1984): „An Empirical Investigation of Some Antecedents of Opportunism in a Marketing Channel“, Journal of Marketing Research, 21 (August 1984), S. 278 – 289 Knapp, T. (1989): „Hierarchies and Control: A New Interpretation and Reevaluation of Oliver Williamson’s „Markets and Hierarchies“ Story“, in: Sociological Quarterly, 30(3), S. 425 – 440 Macneil, I. R. (1978): „Contracts: Adjustment of Long-Term Economic Relations Under Classical, Neoclassical, and Relational Contract Law“, in: Northwestern Law Review 72 (1978), S. 854 – 905 Pies, I. / Hielscher, S. (2007): „Nachhaltigkeit in Forschung und Lehre – Die „Principles for Responsible Management Education“ des UN Global Compact“, in: Diskussionspapier Nr. 2007 – 20 des Lehrstuhls für Wirtschaftsethik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Simon, H. A. (1961): „Administrative Behaviour“, 2. Aufl., New York 1961 (1. Aufl. 1947) Söllner, A. (1998): „Opportunistic Behavior in Asymmetrical Relationships“, in: H. G. Gemünden, T. Ritter, A. Walter (Hrsg.), Relationships and Networks in International Markets, Elsevier 1998 – (2008): „Einführung in das Internationale Management. Eine institutionenökonomische Perspektive“, Wiesbaden 2008 Wendel, T. H. (2006): „Neun Cent Stundenlohn in der Handy-Fabrik“, in: Berliner Zeitung, Nr. 281, 01. 12. 06, S. 13 Williamson, O. E. (1975): „Markets and Hierarchies: Analysis and Antitrust Implications“, New York 1975 – (1985): „The Economic Institutions of Capitalism: Firms, Markets, Relational Contracting“, New York 1985
Corporate Ethics and Business Practice* Reflections on the PUMA Case Horst Steinmann I. The PUMA Case The sportswear industry was and still is at the forefront in the ongoing debate about fundamental issues of corporate ethics. Areas of conflict, as summarized in the 10 principles of the well-known Global Compact, are: international labour standards, human rights, environmental protection, and fighting corruption. Well documented is the “ethical learning process” (stages of increasing ethical awareness and their managerial consequences) that Nike has undergone in the last years after severe conflicts with NGOs and the general public.1 The PUMA case is less well known. PUMA started to develop its so called S.A.F.E. concept (Social Accountability and Fundamental Environmental Standard) early after plans for the strategic turnaround of the company were developed in 1993. From then on, economic success and continuous improvement of social and environmental standards went hand in hand. Today PUMA has a comparatively well developed ethics management system (well documented on the Internet) which can fairly be regarded as an effective means to help strengthen the legitimation of the company’s worldwide economic activities. In a very general sense one can speak of this system as a platform for the peaceful resolution of conflicts with stakeholders, conflicts which arose from corporate strategy. Peaceful resolution of conflicts should be regarded as the very essence of the notion of corporate ethics.2 It is directed toward a “general and free * English version of a slightly modified paper published in French in: Kalika, M. (ed.): Les Hommes et le Management: des Réponses à la Crise, Mélanges en l’honneur de Sabine Urban, Paris: Economica, 2009, pp. 58 – 76. 1 Zadek, S., “The Path to Corporate Responsibility”, Harvard Business Review, Vol. 82 (2004), no. 12, pp. 2 – 10; Schipper, F. / Bojé, D. M., “Transparency, integrity and openness: the Nike example”, in: Scherer, A. G. / Palazzo, G. (eds.), Handbook of Research on Global Corporate Citizenship, Cheltenham, U.K. / Northampton, MA, USA: Edward Elgar, 2008, pp. 501 – 526. 2 Steinmann, H., “Towards a conceptual framework for corporate ethics: problems of justification and implementation”, in: Society and Business Review, Vol. 3 (2008), No. 2,
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consensus” of those concerned, through dialogical reasoning or argumentation, thereby reducing the likelihood of violence which may result if the use of power is regarded as the only and “last resort” for solving conflicts. One outstanding feature of PUMA’s system of ethics management is, therefore, a stakeholder dialogue. An important part of it is an annual meeting with stakeholder groups from all over the world, which has taken place since 2003. The Fair Labor Association, China Labor Watch, Better Factories Cambodia, Kind Management Vietnam, Phulke Bangladesh, Employment Relations Group Dong Guan, OXFAM Hong Kong, and the Global Reporting Initiative are some of the partners. In these meetings, fundamental economic, social and environmental problems of corporate strategy are raised and discussed, and possible solutions are envisaged. The aim is to propose appropriate remedial actions. It is then up to top management to decide which of these proposals can and should be integrated into the business plan. All these activities are based on a corporate culture which is characterized by five values: transparency, dialogue, social accountability, sustainability and evaluation. The company’s code of conduct is explicitly not to be understood as an ultimate list of commitments, but rather as a basis for a continuous learning process to improve the social and environmental standards of the company, moreover of its suppliers and of its outlets worldwide. It is for all these serious efforts to integrate corporate ethics into the management process that PUMA was awarded the “Preis für Unternehmensethik” in 2002 by the German Business Ethics Network, a national chapter of EBEN (European Business Ethics Network).
II. Some remarks on the epistemological basis of the PUMA case 1. Practice precedes theory To start this paper with a case study and to look at the PUMA case as a case in corporate ethics needs further justification. This requires outlining, at least briefly, the epistemological foundation and the presuppositions underlying our understanding of corporate ethics. This understanding3 owes much to the works of philosophers from the German school of “Methodological Constructivism” (Lorenzen, Mittelstraß, Kambartel), pp. 133 – 148; explicit reference to peace as the focal point of business ethics is made by Fort, T. L., Business, Integrity, and Peace, Beyond Geopolitical and Disciplinary Boundaries, Cambridge U.K.: Cambridge University Press, 2007, and recently by Wohlrapp, H., “Praxis, Wert, Friede. Einige Argumente zu den pragmatischen Grundlagen der Unternehmensethik”, in: Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik 10 (2009), p. 273 – 286. 3 Steinmann, H. / Löhr, A., “A Republican Concept of Corporate Ethics”, in: Urban, S. (ed.), Europe’s Challenges, Economic Efficiency and Social Solidarity, Wiesbaden: Gabler, 1996, pp. 21 – 60.
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further developed to what is called “Methodological Culturalism” (Janich, Gethmann, Schneider, Wohlrapp)4. These works stress the role of the life world and practice (“praxis”) as a starting point for all scientific work, including both empirical propositions and moral claims. The “theory of argumentation” published recently by Wohlrapp5 is an important next step in the development of this school. It starts from the practice of argumentation and presents the notion and preconditions of successful argumentation or reasoning. This is understood as “symbolic action performed to overcome a controversy and aiming at consensus”.6 Note that this definition implies an understanding of “reason” which has two characteristics: (1) it is not merely instrumental7 but is based on “communicative rationality” (Habermas) which allows for a justification of ends; and (2) it is not merely deductive, and is therefore not plagued with the well-known problem of the “regressus ad infinitum” (as is deductive reasoning in the field of ethics). It is our contention that corporate ethics, understood as a project of reason, should be grounded in this epistemological theory. It must start in (managerial) practice and those potential conflicts with stakeholders of the corporation arising out of business strategy. From this starting point fundamental distinctions and notions have to be reconstructed that can give orientation to theoretical research; and theories must, then, prove to be useful for practice. “From practice to theory and back to practice” is the desirable approach.8 Some basic distinctions relevant for a theory of corporate ethics are “action vs. behaviour”, “ends vs. means”, and “peaceful vs. power-based conflict resolutions”. Such distinctions on the pragmatic level are the necessary and sufficient “point of departure” to justify management theory as a “theory of action” (Handlungstheorie) and not as a “behavioural theory” grounded in positivism (Verhaltenstheorie). And these distinctions also help to justify why both, the choice of appropriate ends (as a manifestation of “practical reason”) and of effective means (as a manifestation of “theoretical reason”), should be the object of management theory. Results 4 For an overview see Steinmann, H. / Scherer, A. G., “Intercultural Management between Universalism and Relativism. Fundamental Problems in International Business Ethics and the Contribution of Recent German Philosophical Approaches”, in: Urban, S. (ed.): Europe in the Global Competition, Wiesbaden: Gabler, 1997, pp. 77 – 143. For a similar philosophical approach Nida-Rümelin, J., “Gründe und Lebenswelt”, Beitrag zum DFG-Rundgespräch “Lebenswelt in Wissenschaft, Ethik und Politik”, http: //www.nida-rümelin.de/docs/vortr_nida-r., und ders., Demokratie und Wahrheit, München: C. H. Beck, 2006. 5 Wohlrapp, H., Der Begriff des Arguments, Würzburg: Königshausen & Neumann, 2008. 6 Lueken, G.-L., Inkommensurabilität als Problem rationalen Argumentierens, Stuttgart / Bad-Cannstatt: Fromann / Holzboog, 1992, p. 246. 7 Such an epistemological position is defended e.g. by Simon, H. A., Reason in Human Affairs, Oxford: Blackwell 1983. 8 Lorenzen, P., Lehrbuch der konstruktiven Wissenschaftstheorie, Mannheim / Wien / Zürich: Wissenschaftsverlag, 1987, pp. 228 – 241.
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of the theory of corporate ethics should, then, be used for practical improvements of the management system, as shown by the PUMA case. Improvements of the management system can be measured against the standard of fostering peaceful resolutions of conflicts between the parties involved, thus contributing to the public good of making peace in and between societies more stable. It is only when management professors succeed in integrating both these tasks in teaching and research of management theory that our field will acquire full societal acceptance and sufficient justification.
2. Presuppositions For a deeper epistemological understanding of the PUMA case, it is important to note what Kersting9 called the process of “pragmatic justification”. This process rests on two suppositions that underline the non-arbitrary normative basis of corporate ethics and, at the same time, its contextual character.10 (1) First, the pragmatic presupposition holds that there is no need to “justify” actions, values or norms per se and in the abstract, by trying to “find” or “detect” values assumed to pre-exist in the “heaven of ideas.” Such “eternal” values are often regarded as a priori valid and as justified in an absolute (unconditional) sense.11 Instead, Kersting insists that the need for justification arises only within the context of a specific practical situation, and this only in the light of new problems. It is only in such a situation that a new theoretical orientation is needed to solve conflicts about the best means for given ends or about ends as such.12 If a person or group perceives the need for justification of an action, rule or norm, some significant descriptive elements of the given situation must have changed. Note that the description (reconstruction) of the situation must include, where necessary, the many moral opinions people hold, i.e. their ideas about norms and values that should govern human life. Human rights, child labour, and protection of the environment are some examples of values broadly discussed today in busi9 Kersting, W., Kritik der Gleichheit. Über die Grenzen der Gerechtigkeit und der Moral, Weilerswist: Velbrück 2002, pp. 278 – 283. 10 Ibid., pp. 279 ff., drawing on Kambartel’s argument that what is meant by “reason” cannot be defined but must be reconstructed from what exists already as a “culture” (practice) of reason. See Kambartel, F., “Vernunft: Kriterium oder Kultur? – Zur Definierbarkeit des Vernünftigen”, in: ders. (Hrsg.): Philosophie der humanen Welt, Frankfurt / M.: Suhrkamp, 1989, pp. 27 – 43. Wohlrapp, H. (Fn. 5, p. 187) slightly criticizes this idea and insists that there is always a transcendental element in a “culture of reason” understood as a practice of argumentation since “argumentation” presupposes that one trusts in the human insight (“menschliche Einsicht“) as the final authority. 11 So Küng, H.: „Ökonomie und Gottesfrage“, in: Wirtschaftswissenschaftliches Studium Vol. 16 (1987), no. 12, p. 492. 12 This epistemological perspective is unfolded in Wohlrapp, H. (Fn 5), especially pp. 107.
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ness and politics. As morals those ideas are relevant as part of the situation because they may motivate concrete modes of action. In a situation of conflict, former good reasons, the “old” theory, will have lost their justifying power. In the process of argumentation new good reasons are expected to evolve (the “new” theory); and if the people concerned are ready to accept them as a new basis for common action, then the justification process can be considered to be successful.13 Truth and justice thus depend, in the final analysis, on whether or not they prove to be useful for practical life. Whether this is the case or not cannot be judged from the “observer perspective” of a researcher but only from the “participator and actor perspective” of men in the world. “Truth” and “justice” are instrumental relative to successful problem solving.14 This situational approach takes into account that in justifying a specific action, it is neither possible nor necessary to surface the “wholeness” of our life world. Most assumptions remain hidden as an undetected or unquestioned background of our decisions and actions (“under uncertainty“). (2) Second, the grammatical presupposition holds that for the process of justification nothing else is available to the parties besides the well-known grammar of their rationality. This grammar is part of the culture in which we grow up; it is the moral basis of ethics.15 We are born into a world which is formed by a set of ideas and procedures of justification. We know the words “argumentation,” “consensus,” “peace,” and so forth only if we were brought up and learned to live in what one may call a “practice of reason.” It should be noted that this espistemological position leads neither to “relativism” nor to “contextualism.” Gethmann16 has convincingly argued that the idea of transcending the particularity of a historical situation is already part of a culture (praxis) of reason. “Reason” is directed toward universalization as an open-ended process; it is assumed that everybody can contribute an argument in the future which may prove to be a good reason. Thus, the traditional universalistic philosophy neglects – according to Gethmann – that its program is only plausible in view of the factual structures of the life world. Ethics, and therefore corporate ethics, does not operate in a vacuum. It rests 13 Wohlrapp, H. (Fn. 5, chapter 2 on research) uses the terms “epistemic” for the old theory and “thetic” for the new theory. The task of research is, then, to aim at a “thetic construction” (p. 127), i. e. to bring in good arguments which can construct (develop) the old theory further to the new theory and which has, then, the potential to give better orientation to practical life (than the old theory). 14 Janich, P., Logisch-pragmatische Propädeutik, Ein Grundkurs im philosophischen Reflektieren, Weilerswist: Velbrück, 2001, p. 110. 15 Nida-Rümelin, J., Angewandte Ethik, Die Bereichsethiken und ihre theoretische Fundierung, Stuttgart: Alfred Kröner Verlag, 1996, p. 60. Dazu auch oben Fn. 10. 16 Gethmann, C. F., „Das abendländische Vernunftprojekt und die Pluralität der Kulturen“, in: Pinkau, K. / Stahlberg, C. (Hrsg.), Zukunft der Aufklärung, Stuttgart / Leipzig: Hirzel, 2000, pp. 23 – 44.
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on a moral basis (the praxis or culture of reason) and is directed – as mentioned already – toward improving the status quo of cooperation of people through peaceful resolution of conflicts. Contextualists, on the other hand, overlook that it may be possible to transcend the limits of particularity, as is, in fact, the case in societies where a culture of reason has already developed. 3. Interpretation of the PUMA case With these epistemological reflections in mind, we can now understand PUMA’s activities of dialogical conflict resolution as an attempt at “pragmatic justification.” As such, PUMA’s ethics management is embedded in and part of the historical situation. This is true in two ways: First, PUMA’s ethics management draws on a societal resource which has grown over hundreds of years, starting with the “Age of Enlightenment.” This is the rule of reason. What is needed today is to spread and strengthen this resource worldwide; and corporate ethics, whenever and wherever seriously practiced by (private) companies, contributes to this process and is, thus, itself an important part of this resource. In societies where this resource is not sufficiently developed and continuously upheld as a normal part of life, no pragmatic justification (and thus no corporate ethics) is possible. Such societies may be regarded as pure “power societies,” as Russia sometimes appears to be today. Second, history plays a role for PUMA because what can eventually count as a valid argument is of an a posteriori quality and not a condition a priori. It is rooted in specific historical circumstances. To get a sufficiently clear picture of the (historical) situation is an indispensable part of the justification process, in order to avoid “utopian” solutions. If these epistemological considerations about the situational embeddedness of corporate ethics are meaningful, several consequences result for PUMA and the parties involved in the stakeholder dialogue: (1) The limits of corporate responsibility (the Global Compact speaks of the ‘Sphere of Influence’ of a company) cannot be determined independently of the specific incident in question; thus, no general and at the same time substantial definition of the ‘Sphere of Influence’ is possible. This is already intuitively accepted when we regard the size of a company: small and medium-sized companies have less influence than big multinational corporations. The relevant question is thus not about content (“What are our responsibilities in general?”) but about process (“How do we derive a consensus about what corporate responsibility can mean in a given situation?“).17 Gasser18 makes it quite clear that 17 A. Sen refers in his new book “The Idea of Justice”, Cambridge / Mass.: The Belknap Press of Harvard University Press, 2009, pp. 8, to this distinction and underlines (p. 9) its
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a “bottom up strategy” (instead of what he calls an authoritarian “top down approach“) is the adequate way to clarify the sphere of corporate social responsibility. As an example we draw on PUMA’s experience when some of its stakeholders (Christian Initiative Romero) expected PUMA to settle a conflict which arose between a supplier in Mexico and his workers. With the help of experts it became more and more obvious during the deliberations that what was at stake here was the national labour law of Mexico. In other words, PUMA’s sphere of influence did not reach into the legal arena of the host country; the actual problem was in this case not part of its responsibility. This was an individual case. It may, of course, turn out during such a deliberation that some answers relevant to construct the limits of corporate responsibility can be generalized because the situation shows typical patterns. This may be so for certain types of companies, for certain industries, for certain countries, etc. It may even be that such patterns are stable over time (e.g., certain values held by a group of people are regarded as unchangeable). They have, thus, simply to be reconstructed. In such cases social theories may be available to support the situational analysis. (2) Corporate ethics requires that all parties to a conflict recognize certain responsibilities which are inherent to the argumentation process itself. Those responsibilities include the restriction that the use of power and threats is not allowed during the discourse. This implies that the parties in the sportswear industry acknowledge the fundamental difference between a strategy of campaigning (which is a manifestation of power) and a strategy of deliberative cooperation (where everybody treats each other as equals). The problem with NGOs in the apparel industry is that this difference is not yet well recognized,19 and this makes it difficult to come to a consensus in stakeholder dialogues. relevance for a theory of justice: “This departure has the dual effect, first, of taking the comparative rather than the transcendental route, and second, of focusing on actual realizations in the societies involved, rather than only on institutions and rules.” He underlines the epistemological relevance of this procedural (comparative) point of departure with regard to the actual status quo of contemporary political philosophy which he sees to be dominated by transcendental reasoning: “Given the present balance of emphasis in contemporary political philosophy, this will require a radical change in the formulation of the theory of justice.” 18 Gasser, U., Responsibility for Human Rights Violations, Acts or Omissions, within the ‘Sphere of Influence’ of Companies, Bergman Center Research Publication No. 2007 – 122. Gasser refers to the actual discussion stimulated by Harvard-Professor John Ruggie, Special Representative of the UN Secretary-General on the Issue of Human Rights and Transnational Corporations and other Business Enterprises. See UN General Assembly, Human Rights Council A / HRC / 8 / 16, May 15, 2008, on “Clarifying the Concepts of ‘Sphere of influence’ and ‘complicity’”. 19 Löhr, A., „Zur Rolle der Nichtregierungsorganisationen in der Globalen Wirtschaft, Instrument, Gegner oder professioneller Partner?“, in: Aßländer, M. / Kaminski, R. (Hrsg.), Globalisierung, Risiko oder Chance für Osteuropa?, Frankfurt / M.: Peter Lang, 2005, pp. 179 – 207.
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(3) The situational analysis for ethical decision making in business cannot be understood if we look at it as a description of the situation. It is, instead, a construction, in the sense that all those circumstances are selected which are relevant for the decision to be made. The model is an outcome of the process itself, with “decision making under uncertainty” as its basic characteristic. Margolis and Walsh20 distinguish in this sense three broad features of the situation which “will interact with normative considerations to shape the framework for action”: – Features of the problem (i. e. “the societal ill to which the company is considering a response”); – Features of the firm, and – Boundaries, as, for example, resources available at a certain point in time, the nature of corporate strategy in the past, or the legal institutional background for action.
(4) The analysis of the actual situation for ethical decision-making has to take into account different potential levels of action and responsibility.21 Besides the firm, there are at least three other levels where the rules of the economic game are set, as a framework for corporate action: the industry level, the national economic level, and the level of the global economy. All these levels are interdependent. Therefore, deliberations have to go back and forth between these three levels to get a clear picture of the effects of alternate actions on the economic and ethical activities of corporations. Corporations can hardly refuse to take part in these deliberative processes, for it is in these processes that the overall rules of the game (economic and ethical) are developed and fixed.22 And in an age of globalization, corporations become more and more important partners in developing codes of ethics for an industry, a region, or even for the global society at large23. “Global Rules and Private Actors” – this is an important topic of research in all fields of social science, for example political philosophy, political science, economics, sociology, and business administration.24 It is therefore wrong to focus scientific research about corporate ethics only on the level of the national economic-political order.25 It is well accepted that corpo20 Margolis, J. D. / Walsh, J. P., ‘Misery Loves Companies: Rethinking Social Initiatives by Business’, in: Administrative Science Quarterly, Vol. 48 (2003), no. 2, p. 293. 21 Sethi, S. P., “Gaps in Research in the Formulation, Implementation, and Effectiveness Measurement of International Codes of Conduct”, in: Williams, O. F. (ed.), Global Codes of Conduct, An Idea Whose Time Has Come, Notre Dame, Indiana: Notre Dame Press, 2000, pp. 126 ff. 22 McBeth, A., International Economic Actors and Human Rights: Global Rules for Global Players, Routledge Research in International Law, New York: Routledge 2009. 23 Ruggie, J. G. (ed.), Embedding Global Markets, An Enduring Challenge, Aldershot / Burlington: Ashgate, 2008. 24 Scherer, A. G. / Palazzo, G. (Fn. 1).
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rate ethics has to play an important role in all those cases “where the law ends”26 or the market fails, cases which are no longer marginal phenomena in free market economies. For example, empirical research shows that no centralized measures on the economic-political level were effective enough to fight money laundering in the U.S., because this level was too far removed from the places of concrete action. “It was only with the decision to rely to a greater degree on public-private partnerships that KYC (Know Your Customer) policies suddenly re-emerged as a core element in the fight against money laundering”.27 Private banks were integrated into the process and developed the KYC program as part of their compliance policy directed toward ethical behaviour by all managers. PUMA very early recognized the need to participate on all the levels where rules for corporate ethics are developed. Important results were reached in Germany on the level of national retailers by the Round Table for Codes of Conduct (with retail companies, importers, NGOs, labour unions and the German government as members). This institution is now active on the European level as the BSCI (Business Social Compliance Initiative). Moreover, PUMA is a member of the important industry associations that are engaged in establishing rules for corporate ethics, to avoid what is called “prisoner’s dilemma” in economics; this was also one of the main reasons to establish the BSCI. (5) The fact that PUMA operates in many different countries complicates the situational analysis. It inevitably raises the question of which of the central values underlying PUMA’s corporate ethics policy can be considered universally applicable, and at what point potential conflicts arise between cultures.28 The difficulties in answering this question become clear when general statements about human rights, labour standards, or environmental standards must be transformed into plans for action. This requires a careful situational analysis, which necessarily has to take into account cultural differences as side conditions for action.29 To build up a distribution system for medical drugs in the bush of an 25 This position is defended in Homann, K. / Blome-Drees, F., Wirtschafts- und Unternehmensethik, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1992; for a critique see Scherer, A. G., Multinationale Unternehmen und Globalisierung, Heidelberg: Physica Verlag, 2003, pp. 382 – 392. 26 Stone, C. D., Where the law ends, New York: Harper and Row, 1975. 27 Reinicke, W. H., Global Public Policy, Governing without Government?, Washington D.C.: The Brookings Institution, 1998, p. 147. 28 Steinmann, H. / Scherer, A. G., “Managing the Multinational Enterprise in a World of Different Cultures: Some Fundamental Remarks on the Pluralism of Cultures and Its Managerial Consequences”, in: Ricciardelli, M. / Urban, S. / Nanopoulos, K (eds.), Globalization and Multicultural Societies, Some Views from Europe, Notre Dame: University of Notre Dame Press, 2003, pp. 75 – 101. 29 Blasco, M.,“Cultural Pragmatists? Student Perspectives on Learning Culture at a Business School”, in: Academy of Management Learning & Education, Vol. 8 (2009), no. 2, pp. 174 – 187.
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underdeveloped country somewhere in Africa with the aim of helping realize the “right to medical care” (Art. 25 of the Universal Declaration of Human Rights) requires not only local “hard” facts like the infrastructure of the country, but also “soft” facts, like the specific traditional values and norms in the minds of people (e.g. the morality of clans).
III. Some Consequences for Responsible Management Education The epistemological reflections developed here have fundamental consequences for management research and education. The actual practice of management education in public and private business schools has been under severe attack for many years. This is well known. Khurana30 from the Harvard Business School has recently published an analysis and critique of U.S. business schools (see also the review by Spender31). And the UN Global Compact (in cooperation with a number of international educational institutions) has taken the initiative and proposed six “Principles of Responsible Management Education – PRME”32 for reforms. To this point, more than two hundred business schools and universities all over the world have signed a contract to implement these principles, though unfortunately this group only includes a few from Germany. Nevertheless, it is the hope of the active members that this will become a world-wide movement, because there are good reasons for this initiative. We take up two of them. 1. Business Practice versus Economic Theory Building First, management education was formerly rooted in business practice, and this was regarded as the strategic strength of the curriculum. Business schools aimed to train and develop students for the profession of management with managers understood not only as trustees of the stockholders but also as having an obligation to society and the public at large. This was also the understanding of the Academy of Management.33 The Harvard Business School represented this kind of management education, and was regarded as a success model that was copied by many others (e.g. INSEAD). According to Khurana34 it was the professionalization project in Amer30 Khurana, R., From Higher Aims to Hired Hands, The Social Transformation of American Business Schools and the Unfulfilled Promise of Management as a Profession, Princeton / Oxford: Princeton University Press, 2007. 31 Spender, J.-C., “Review: From higher aims to hired hands, by Rakesh Khurana”, in: Academy of Management Review, Vol. 33 (2008), no. 4, pp. 1022 – 1026. 32 www.unprme.org (16. 12. 09). 33 Walsh, J. P. / Weber, K. / Margolis, J. D., “Social issues and management: our lost cause found”, in: Journal of Management, Vol. 29 (2003), no. 6, p. 859.
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ican business education that had legitimized management education since its beginning in 1881. Economics was, again according to Khurana,35 the discipline that not only contributed to decoupling business schools from their mission of professional education, but also contributed the ideology “that would fill the vacuum created by the discrediting and eventual abandonment of managerialism.” This was, as Khurana put it, the beginning of a de-legitimizing of management. It is now nearly twenty years since institutional economics (transaction-cost economics, agency theory, the efficient-market hypothesis, etc.) began to invade the traditional subjects of management education. Organization theory became “organizational economics,” human resources management changed to “personnel economics”,36 and the theory of corporate governance narrowed down to the agency relationship between shareholders and management (shareholder value doctrine). This latter doctrine left out other stakeholders of the firm and with it corporate ethics. This was theory building top-down, with economic rationality and profit maximization as the dominant ideologies. The result was that management theory and education often was confined to the art of economic modelling. Management education lost its practical relevance. This was what Rumelt et al.37 noticed already twenty years ago: “In the world of business, more and more large firms began to create their own management development programs, aimed at filling the gap between the increasingly theoretical MBA education and the needs of practice.” This critique is fully backed by our epistemological reflections sketched above: management education must be conceived of as a practical discipline with theory building starting at the bottom and working its way up. The second critical point is the belief by some, mentioned already, that positivism should be the dominant epistemological orientation for management theory building. This idea is especially prevalent in the U.S., and since most of the management journals regarded as “A-journals” are published in the U.S. today, the impact on academic research all over the world is tremendous. Nevertheless, the critique of positivism as an epistemological basis for social science is old, especially in Europe. In line with this critique Khurana38 in the final Khurana, R. (Fn. 30), pp. 23 – 194. Khurana, R., ibid., p. 333. 36 See the critique in Steinmann, H. / Hennemann, C., „Personalmanagementlehre zwischen Managementpraxis und mikro-ökonomischer Theorie, Versuch einer wissenschaftstheoretischen Standortbestimmung“, in: Weber, W. (Hrsg.), Grundlagen der Personalwirtschaft, Wiesbaden: Gabler, 1996, pp. 223 – 277. 37 Rumelt, R. P. / Schendel, D. / Teece, D. J., “Strategic Management and Economics”, in: Strategic Management Journal, Vol. 12 (Special Issue Winter 1991), p. 17. 38 Khurana, R. (Fn. 30), pp. 392 – 395. 34 35
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chapter of his book, draws our attention to Max Weber and the interpretive method. This reminds many Europeans of discussions we had forty years or so ago, in philosophy as well as in management theory. An example would be the discussions revolving around the seminal works of Habermas. We cannot summarize here this long enduring critique of positivism in management theory. What is important is that, given this positivistic orientation of management research, corporate ethics as a normative discipline is ruled out from the very beginning. This is so because the defenders of a positivistic methodology neglect what was already mentioned above, namely the fundamental distinction between “action” and “behaviour.” The attractiveness of natural sciences seems to be too great; following their methodological devices promises better “results” (“hard facts”), at least as perceived by the majority of the community of management scholars. Consequently, better promotion chances and higher recognition and status can be expected from a behavioural than form an action-based approach But the distinction between intended action on the one hand and stimulus-response behaviour on the other is fundamental for management theory. Management theory must be understood as an action-oriented cultural discipline, not as a behavioural (natural) science; otherwise it is of no use for (business) practice at all. To justify this position one has to point to the way how the distinction between action and behaviour is achieved, as outlined above, namely by reconstructing (on the level of language) what we experience as a useful orientation in our common practice. We deal here, as Kambartel 39 noted, with “explications” (“Erläuterungen”) of phenomena in the life world. Distinctions and explications of this kind, made from the participator perspective, derive their validity from the meaningful orientation they give to all scientific efforts to improve our common life.40 To sum up, management theory as a theory of human action and as a cultural field of knowledge is to be founded from the very beginning in (business) practice (and not in economic theory). Theoretical reasoning (within and outside academia) is, then, oriented towards two goals: What means are best suited to reach given ends (technical rationality), and what ends should be followed (practical rationality). It is here, in this second field of knowledge, that corporate ethics comes in as a legitimate and non-ideological part of management theory.
2. How to teach corporate ethics – some ideas from the PUMA case It should be clear by now that when it comes to developing and upholding a critical moral climate in the whole society, business schools alone cannot shoulder the burden. Goodpaster41 points out that there should be three forums to success39 40
Kambartel, F. (Fn. 10). Lorenzen, P. (Fn. 8).
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fully solve this task: the first located in modern business and professional schools, the second located in corporate management and leadership development programs, and the third in an association of business leaders to reinforce corporate ethical values. Without going into a critical analysis of this proposal42 it follows from our epistemological reflections that we need all such educational endeavours, and not only on the level of national states, but also in industry and corporations. Only then can we hope to develop and uphold, step by step, a broadly accepted “culture of reason” on a global level. And only then will there be a good chance to give the global capitalist system a human face. Unfortunately, this insight is not yet broadly accepted among business leaders and those institutions charged with the public duty of management education, like business schools and universities. In Germany, for instance, there is still resistance to change at the university level, though there are signs of a slight turnaround.43 The reasons for the resistance are complex. One is, of course, the inroads of institutional economics in nearly all curricula of business administration. This makes a broad paradigm shift extremely difficult. Given this situation it is especially difficult to develop a common policy of the faculty, a precondition which Goodpaster44 rightly regards as indispensable for successfully integrating corporate ethics into the MBA curriculum. Another reason for the resistance to change is that it is, up to now, still unclear what the best way would be to teach corporate ethics.45 This problem requires experience and learning to solve. This is true, of course, for all aspects of teaching: content, methods, qualification of teachers, and so forth. We can indicate here only a few consequences that follow from our epistemological position. In doing so, we propose a four-step sequence for integrating corporate ethics into the MBA curriculum (at bachelor and master level): (1) If it is appropriate to develop corporate ethics from the bottom up, beginning with concrete problems of business practice (like the PUMA case), then it is also appropriate to embed corporate ethics into the MBA curriculum from the start. This should be done as part of the different subjects of business administration 41 Goodpaster, K. E., Conscience and Corporate Culture, 2nd ed., Malden, M. A. / Oxford, U. K. / Carlton, Victoria, Aus.: Blackwell, 2008, pp. 216. 42 See Price, T. L., “Conscience and Corporate culture by Kenneth Goodpaster”, in: Business Ethics Quarterly, Vol. 19 (2009), no. 1, pp. 131 – 141. 43 See Schwalbach, J. / Schwerk, A., Corporate Responsibility in der akademischen Lehre, Systematische Bestandsaufnahme und Handlungsempfehlungen für ein Curriculum, Berlin: Centrum für Corporate Citizenship Deutschland, data, 2009. 44 Goodpaster, K. E. (Fn. 41), p. 220. 45 An attempt to overcome this problem is made in Swanson, D. L / Fisher, D. G. (eds.), Advancing Business Ethics Education, Charlotte, N. C.: Information Age Publishing Inc., 2008.
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(e.g., marketing, finance, production, accounting, corporate communication, corporate strategy, and corporate governance). Corporate ethics must be taught by experts in these fields and not primarily by professors of philosophy (as is sometimes the case today). Only then can students be convincingly confronted “from within” with dilemmas, i.e., cases where economic rationality and requirements of corporate ethics (communicative rationality) come into conflict and concrete actions have to be taken. Students can learn that it is necessary to look at a concrete problem from different perspectives. It is for this reason that the “case method” should also play a prominent role in teaching corporate ethics. In that way, the individual student can get the chance to develop her capacity for ethical judgement and her understanding of the virtues underlying it. Of course, teachers must be trained to successfully handle this difficult task. (2) Consistent with our bottom-up perspective, the next step in the learning process would be to focus on those moral rules and values that can fairly be said to have gone successfully through the historical process of universalization (and which are not taken to be valid a priori). One can think here, for example, of the “Declaration of Human Rights” or the “Labour Standards of the ILO” or of environmental standards. It is well known that all these norms and rules are of a rather general character, and must be contextualized for practical purposes and concrete actions. Therefore, besides teaching these general norms, it is necessary to demonstrate to students how the process of concretization proceeds. Dealing with extensive case studies may help to show how a “model of the situation” can be constructed by bringing to light more and more of the relevant context. For example, reconstructing in the classroom the work of the World Commission on Dams46 can show how the commission came to its important moral recommendations for the stakeholders of dam-builders. Other cases are published by international institutions as the UN Global Compact and the Office of the UN High Commissioner for Human Rights47 and the Castan Centre for Human Rights Law.48 (3) At this stage of the curriculum, it is necessary to demonstrate to students again the need to look out for norms which are already generally considered as universalized, and which have, thus, the power to justify the ends and means for actions to be taken. At this point in the learning process, it is likely that the students will be more prepared to search for general theories about corporate ethics; so the door is open for general philosophical considerations about the problem of universal values. AdSee http: //www.international rivers.org/en/way-forward/world-commission-dams (16.12.09). United Nations Global Compact / Office of the UN High Commissioner for Human Rights, Embedding Human Rights in Business Practice I and II, Washington: United Nations Global Compact Office, 2006 / 2007. 48 Castan Centre for Human Rights Law at MONASH University, Human Rights translated, A Business Reference Guide, Washington: Office of the High Commissioner for Human Rights, 2008. 46 47
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vanced textbooks on corporate ethics therefore can deal with Kantian, Utilitarian, Pragmatist and Methodological Constructivist approaches, to name a few. It is at this interface between business administration and philosophy that philosophy faculty members may be helpful, especially if they are already sufficiently familiar with the field of business administration. (4) The fourth part of the curriculum would be focused on ideas about how the traditional management process (planning, organizing, staffing, directing, and controlling), as well as the corporate governance structure, must be redesigned to integrate corporate ethics systematically. In this way ethical considerations (about means for making profits) would dominate the profit motive where necessary, i.e. in cases of conflict with stakeholders. To regard corporate ethics instead as a means (instrument) for profit making misses its fundamental societal purpose of enhancing peaceful cooperation. This does, of course, not rule out that corporate ethics may pay off here and there, as an unintentional side effect; and this may even reinforce the motivation for ethical behaviour in such cases. But to presuppose ex ante that corporate ethics always pays off, has always done so and will always do so – this would simply imply that there is no need for teaching corporate ethics because “what is efficient will occur.” This assertion runs counter to the practical necessity experienced again and again of resolving conflicts about the means to be used on the level of the corporation. So, it is in this fourth and very important part of the curriculum that the overall perspective of management theory and its managerial functions surfaces again, but now with the goal of integrating the complex aspects of corporate ethics into the unifying process of steering the corporation. New management models adequate to solve this problem are being discussed already in an attempt to reconcile the requirements of economic efficiency and effectiveness with requirements of discourse ethics. “Compliance” and “integrity” have been major topics in publications about corporate ethics at least since the appearance of Lynn Paine’s49 by now well known paper. It seems to us that these concepts can be integrated into a modern theory of management. 50 This fourth part of the curriculum on corporate ethics can, thus, end with a positive outlook. It seems apparent now that corporate ethics can be realized even under the competitive conditions of a market economy. Thereby, corporate ethics can contribute to give the capitalist system a human face.
49 Paine, L., Organizing with Integrity, Harvard Business Review, Vol. 72 (1994), no. March / April, pp. 106 – 117. 50 Steinmann, H. / Scherer, A. G., “Corporate Ethics and Management Theory”, in: Koslowski, P. (ed.): Contemporary Economic Ethics and Business Ethics, Studies in Economic Ethics and Philosophy, Berlin / Heidelberg / New York: Springer, 2000, pp. 148 – 192.
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Zusammenfassung Der Beitrag knüpft am Beispiel der Firma PUMA an aktuelle Entwicklungen in der Sportartikelindustrie an, die durch eine Einbindung von Bezugsgruppen des Unternehmens (Stakeholder) in dialogische Prozesse gekennzeichnet sind und das Ziel haben, anstehende strategiebedingte Konflikte friedlich zu lösen. Erkenntnisund wissenschaftstheoretische Überlegungen, basierend auf dem „Methodischem Konstruktivismus und Kulturalismus“, schließen sich an, um diese Entwicklungen in der Unternehmenspraxis auf ihre unternehmensethische Qualität hin zu beurteilen und zu konkretisieren. Einige Konsequenzen daraus für die Einbindung der Wirtschafts- und Unternehmensethik in die betriebswirtschaftliche Hochschulausbildung werden abschließend diskutiert.
IV. Abhandlungen / Articles
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I. Introduction The constitutions adopted by eighteenth-century pirates created radically democratic work environments. Peter Leeson has argued that the democratic character of these work environments was a function of the criminal character of the enterprise in which pirates were engaged, that it was entirely understandable that contemporary merchant vessels were managed by captains by autocratic powers, and that no conclusions about the desirability of workplace democracy in general follow from the structure of these constitutions.1 I argue that Leeson is mistaken: he treats existing structure of ownership and control – in the Golden Age of piracy and in the present – as givens when they are better seen as products of violence and privilege.2 My goal here is to contextualize the facts to which Leeson alludes in his discussion of pirates’ governance structures and of contemporary workplaces and to highlight the possibilities of a recognizably political approach to fostering workplace justice that does not depend on positive legislative or regulatory enforcement of moral norms related to the organization of work life. In Part II, I offer an overview of Leeson’s discussion of pirate democracy and of the authoritarian merchant ship culture to which it was an alternative, noting his conclusion that pirates were able to implement democratic constitutions because of their vessels’ ownership structure and his view that pirates’ governance models are not generally emulable in today’s workplaces. In Part III, I suggest that pirates needed to steal vessels in order to organize democratically only because of the process of “primitive accumulation” that shaped the economic circumstances of those likely to become sailors during the Golden Age of piracy and that, absent prior injustices on a large scale, sailors might well have been able to achieve democratic workplaces peacefully. I suggest in Part IV that the same injustices, and others of more recent vintage, lie behind the persistence of undemocratic structures in today’s workplaces, and that remedying these injustices is the best way for people acting as citizens to foster the creation of democratic workplaces. I recap briefly in Part V. 1 Peter Leeson, The Invisible Hook: The Hidden Economics of Pirates (2009) [hereinafter Leeson, Hook]. 2 Thanks to Kevin Carson for underscoring the need to make this point explicitly here.
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II. The Limited Significance of Piratical Democracy Leeson argues that pirates operated with relatively flat and highly democratic organizational structures because their were criminal enterprises. By contrast, contemporary merchant ships were hierarchical and, often enough, abusive, in virtue of their structures. Leeson suggests that these structures were unavoidable given the ownership of merchant vessels by absentee owners (Section 1.). Because they had stolen their vessels rather than needing to secure capital from absentee investors in order to purchase them, pirates were free to organize democratically (Section 2.). Given his explanation of the material preconditions of pirate vessels’ ownership structures, Leeson maintains that they offer few lessons for contemporary workplaces – largely owned, like seventeenth- and eighteenth-century merchant vessels, by absentee investors (Section 3.). 1. Absentee Owners and Authoritarian Captains Standard merchant ships were hierarchically organized, headed by captains with enormous authority to set the terms of sailors’ employment and to subject them to great, even lethal, force.3 Very much on the side of captains, the law consistently gave them the benefit of the doubt: remedies were available at law, but they were often hard to secure, and opposing a captain on-board ship could lead to being marooned or executed.4 This structure, Leeson maintains, reflected “[m]erchant vessels’ ownership structure.”5 The absentee owners of merchant vessels faced an obvious principal-agent problem: not only were their interests and those of their ships’ crews divergent, but there was no meaningful way for them to monitor crewmembers’ behavior. They found it efficient, therefore, Leeson argues, to employ autocratic captains who could represent them effectively. They could incentivize the captains more easily than they could incentivize entire crews, and they sometimes did so by making captains part-owners of their vessels. The captains of merchant ships had largely absolute power, and the law tended to support them even when they meted out harsh discipline, at least when they argued that doing so was necessary to maintain shipboard order or even to ensure survival. Predictably enough, captains frequently used their power in tyrannical ways. “[M]erchant vessels’ ownership structure dictated an unconstrained, or autocratic, leader.”6 Merchant vessels were the property of absentee owners who not only 3 4 5 6
Leeson, Hook, at 15. Leeson, Hook, at 16. Leeson, Hook, at 19. Leeson, Hook, at 41.
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bore the cost of acquiring the ships and the associated risks of loss but also maintained and supplied them, compensated sailors, acquired cargoes, and “solicited customers and negotiated terms of delivery and freight.”7 Facing a predictable principal-agent problem – merchants rarely captained their own ships, and would have been dependent on sailors even when they did – they employed captains to represent them.8 It was more efficient for ship-owners to deal with captains – often known to them, sometimes investors themselves or provided with opportunities to become investors, and frequently repeat players or family members – than with individual sailors.9 Captains’ power over sailors may in part have been specified in formal or informal agreements, but admiralty law played a key role in empowering captains, authorizing them to use physical violence against recalcitrant crew members, to imprison them, and to take some (or all) of their wages.10 Absentee owners needed captains with absolute power because otherwise, says Leeson, they couldn’t make sailors serve their own interests. Obviously, in turn, this meant that captains needed to be removable by the owners and not by their own sailors.11 Thus, “[m]erchant ship autocracy worked well in this respect”; typically, at least, “merchant sailors, under the authority of autocratic captains, served their absentee owners’ interests.”12 Of course, as Leeson notes, hierarchical organizational structures created obvious opportunities for abuse by captains, many of whom “were simply responding to the incentives merchant ship organization created for them.”13 Violence by captains was all too common, and those who were sadists must have relished the authority afforded them by law and custom.
2. Common Ownership and Pirate Democracy The risk that pirate captains would behave abusively like their merchant-ship counterparts played a key role in prompting pirates to adopt radically democratic constitutions, in which power was typically divided between captains, primarily responsible for overseeing battles, and quartermasters, tasked with managing and distributing shared property and administering discipline. The officers of a pirate ship could typically be recalled by those sailing on the ship at will. And the rules for a ship’s operation were ordinarily decided in advance of a voyage by unanimous consent. Leeson, Hook, at 37. Leeson, Hook, at 37 – 8. 9 Leeson, Hook, at 38 – 9. 10 Leeson, Hook, at 39. 11 Leeson, Hook, at 39 – 40. 12 Leeson, Hook, at 40. 13 Leeson, Hook, at 40. 7 8
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Pirates’ ownership structures were different from those of merchant-owned vessels, says Leeson. Because they “stole their ships,” pirates “had a very different ownership structure for their vessels.” According to Leeson: This important difference – driven by pirates’ criminality – allowed pirates to create a system of democratic checks and balances that held captains accountable and reduced captains’ control over important aspects of life on pirate ships. By constraining captains’ ability to benefit themselves at crew members’ expense, democratic checks and balances facilitated piratical cooperation, and with it, pirates’ criminal enterprise.14
Leeson elegantly outlines how pirates structured constitutions designed to avoid the abuses many of them had experienced on merchant vessels while also ensuring the coordination they needed in order to engage effectively in battle. Captains enjoyed considerable power in specific areas of ship operations, but knew they could lose their positions whenever their crews chose.15 Pirates’ constitutional structures enabled them to cooperate effectively – benefiting from centralized coordination without significant fear of abuse.16 Captains enjoyed few special privileges when compared with other pirates: while the captain might be entitled to slightly more booty after a raid, captains’ “lodging, provisions, and even pay were similar to that of ordinary crew members.”17 According to Leeson, “the source of pirates’ ability to use this system [of checks and balances] . . . [was]: their criminality.”18 Pirates, Lesson emphasizes, didn’t face the same principal-agent problem as merchants. Captains and quartermasters were, of course, crews’ agents. But the crewmembers themselves were no one’s. Leeson explains this again, puzzlingly, with reference to pirates’ criminality: the absence of the principal-agent problem reflected the fact that “pirates didn’t acquire their ships legitimately. They stole them. Pirate ships therefore had no absentee owners.”19 Rather, pirates “jointly owned and operated their ship[s] themselves, with each ship functioning ‘like a ‘‘sea-going stock company.‘”20 Pirates “were both the principals and the agents.”21 Privateers, Leeson notes, depended, unlike pirates, on outside financing: not surprisingly, he maintains, investors, not crews, appointed privateer captains.22 “Unlike merchant ships, which couldn’t afford a separation of power since this would have diminished the ability of the absentee owners’ acting agent (the capLeeson, Hook, at 20. Leeson, Hook, at 27 – 9. 16 Leeson, Hook, at 30. 17 Leeson, Hook, at 33. 18 Leeson, Hook, at 37. 19 Leeson, Hook, at 41; my italics. 20 Leeson, Hook, at 41; the internal quotation is taken from Patrick Pringle, Jolly Roger: The Story of the Great Age of Piracy 106 (2001). 21 Leeson, Hook, at 41. 22 Leeson, Hook, at 184. 14 15
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tain) to make the crew act in the owners’ interests, pirate ships could and did adopt a system of democratically divided power.”23 “In short, because pirates stole their ships they could organize their polity democratically. If, like legitimate sailors, pirates had merely been the agents of absentee shipowner principals, they would have had to organize their ships autocratically like merchant ships.”24 And, Leeson adds, in this case, predation by captains, subject to no legal checks, would likely have made piracy unprofitable.25 Democratic pirate constitutions reflected pirates’ attempts to avoid predation problems they had encountered on merchant ships.26 “On merchant ships,” Leeson maintains, “a principal-agent problem between shipowners and crew members necessitated an irrevocable autocratic captain to generate profits for their owners. Democracy would have destroyed this. On pirate ships the illicit nature of the enterprise prevented this principal-agent problem from coming into existence, making an autocratic captain unnecessary. Pirate ships were stolen and so had no remotely located owners.”27 “[P]irates’ self-interested criminality facilitated democratic checks and balances on their ships. The very outlawry pirates’ contemporaries despised them for is responsible for pirates’ reliance on the democratic mode of governance the modern world embraces as one of its highest and most-cherished values.”28 Leeson puzzles over pirates’ tendency to opt for very flat pay scales.29 He plausibly suggest multiple rationales: minimal differences in pay would lead to fewer conflicts and would make it more likely that pirates would agree on whether it made sense to engage in further expeditions or not. But he fails to note what seems like two fairly obvious additional factors. Captains of merchant ships were, as Leeson emphasizes, compensated by absentee owners and were constantly in conflict with sailors, whom they had to use force to subdue. This meant both that merchant captains were likely to confront stresses and risks associated with crew conflict that pirate captains and merchant sailors alike were not and that they would likely benefit from their close relationships with merchant owners. Also, the pay differential doubtless suggests that the crews of pirate ships simply did not believe, on average, that the overall performance of their criminal organizations was dramatically enhanced by captains’ talents; the pay scales suggest that most pirates believed that, while a captain might have made a marginal contribution to their collective take, the contribution wasn’t dramatic (and, likely, that other members of a pirate crew were probably capable of taking over the captain’s duties). The captain wasn’t indispensable – certainly not a cele23 24 25 26 27 28 29
Leeson, Hook, at 42. Leeson, Hook, at 42. Leeson, Hook, at 42. Leeson, Hook, at 43. Leeson, Hook, at 43 – 4. Leeson, Hook, at 44. Leeson, Hook, at 68 – 9.
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brity CEO. Ordinary pirates seems not to have believed that captains were stars who needed to be retained at all costs or that their skills vastly outstripped those of the people they led.
3. Leeson’s Lessons The behavior of pirates offers lessons for contemporary firms, Leeson maintains. But the value of copying pirates’ organizational structures is not, he insists, among them. Leeson urges firms to align incentives in order to facilitate the achievement of the same goals pirate ships and the owners of merchant vessels shared: ensuring efficiency and profitability.30 Pirates made captains accountable to their crews to prevent abuses, and pirate crews shared relatively equally in the spoils generated by their raids because equality promoted cooperation.31 But, while there’s something for profit-sharing and other mechanisms designed to align workers’ and shareholders’ incentives in modern firms, workplace democracy is not a panacea for the problems that beset workplaces.32 Leeson argues that “the decision-making costs of workers’ democracy are simply too large to be cost-effective” in “very large firms.”33 This is perhaps because he caricatures support for workplace democracy as reflective of the conviction that “all firms should be managed by a show of employee hands. Workers should elect managers and CEOs. They should participate in hiring and firing decisions related to other employees. Workers should vote on their company’s production activities . . . [and] employee and CEO wages, among other things.”34 Leeson suggests that, “for enterprises that require large sums of externally raised capital, it makes sense that external financiers should have a say in the firm’s activities, and in particular its leadership, in proportion to the amount of capital they have at stake.”35 Workplace democracy in modern firms would depend on workers’ ability to finance the firms themselves. But workers might not want to bear the risks associated with doing so and may, in any case, lack the needed resources.36 If workers want to “attract [outside investors, they] . . . can’t expect to have an equal say in the firm’s decision making. The alternative is for firms to go without externally raised equity capital, which may permit more democratic management, but Leeson, Hook, at 181. Leeson, Hook, at 181. 32 Leeson, Hook, at 181. 33 Leeson, Hook, at 183. 34 Leeson, Hook, at 182. I say “caricatures” because democratic firm governance obviously need not mean firm-wide votes on all matters. 35 Leeson, Hook, at 183. 36 Leeson, Hook, at 184. 30 31
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will also dramatically reduce the firm’s profitability by artificially curtailing production and reduce workers’ wages by limiting the amount of capital they have to work with.37 A very small business with limited capital needs, by contrast, may be able to organize as a partnership or a cooperative with an egalitarian decision-making structure.38 “Those who make blanket assertions about the superiority of workers’ democracy over all other firm organizational forms,” Leeson says, “propose a one-size-fits all approach where it doesn’t belong and where the particular size they advocate actually fits very few.”
III. Primitive Accumulation and Vessel Ownership Structures Recognizing the reality of “primitive accumulation” – massive land theft and engrossment – helps to clarify the economic circumstances in which pirate crews were able to implement democratic constitutions only because they had stolen their vessels and remove the aura of inevitability that might seem to surround those circumstances.39 Leeson makes two claims about pirate’s democratic constitutions: the first is that theft made possible pirates’ governance structures; the other is that pirates’ governance structures do not, in general, provide useful models for contemporary firms. There is an obvious sense in which Leeson’s first point is correct. People with limited resources would not have been able to purchase pirate ships – theft was arguably the most realistic way for poor sailors to acquire vessels.40 Leeson, Hook, at 184. Leeson, Hook, at 184 – 5. 39 On primitive accumulation and subsequent instances of systemic theft in Europe, North America, and elsewhere, see Michael Perelman, The Invention of Capitalism: Classical Political Economy and the Secret History of Primitive Accumulation (2000); William Blum, Killing Hope: U.S. Military and CIA Interventions Since World War II (1995); Chakravarthi Raghavan, Recolonization: GATT, the Uruguay Round and the Third World (1990); Martin Sklar, The Corporate Reconstruction of American Capitalism, 1890 – 1916: The Market, the Law, and Politics (1988); Gabriel Kolko, Confronting the Third World: United States Foreign Policy 1945 – 1980 (1988); Michael Perelman, Classical Political Economy: Primitive Accumulation and the Social Division of Labour (1984); Cheryl Payer, The Debt Trap: The International Monetary Fund and the Third World (1974); 1 Immanuel Wallerstein, The Modern World System (1974); George Beckford, Persistent Poverty: Development in Plantation Economies of the Third World (1972); Eric Hobsbawm & George Rudé, Captain Swing (1968); Paul Baran & Paul Sweezy, Monopoly Capitalism: An Essay in the American Economic and Social Order (1966); E. P. Thompson, The Making of the English Working Class (1963); Maurice Dobb, Studies in the Development of Capitalism (1963); William Appleman Williams, The Tragedy of American Diplomacy (1959); Franz Oppenheimer, The State (1914). Thanks to Kevin Carson for identifying most of these sources. 40 Of course, it might also be argued that, if sailors had been able to purchase ships, differential investments might well have led to a replication of the ownership structures of existing vessels. 37 38
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But it is important to emphasize that it is not an immutable law of nature that sailors are poor and unable to purchase ships. While no one may have been responsible for wrongly preventing a given sailor from acquiring the resources need to purchase a given ship, what is clear is that serious wrongdoing lay behind the general lack of the resources needed to purchase sailing vessels. In seventeenth- and eighteenth-century England, sailors would likely have been drawn primarily from among members of the peasant class. Members of this class were subjected to a series of dispossessions that constrained their access to resources.41 Consider the imposition of feudal land tenure. Peasants in undisputed possession of land were converted by force from independent smallholders to tenants. As a result, their incomes were reduced and their independence constrained. The dissolution of the monasteries further increased the economic insecurity of peasants: many of the monasteries’ tenants were evicted from their land, and income the monasteries had previously used to provide poor relief was no longer available, since the monasteries no longer operated and new owners had no great interest in aiding the poor. Those who continued as tenants when formerly monastery-owned land was distributed to the wealthy and well connected enjoyed reduced security and less favorable terms. Subsequently, successive waves of enclosures denied peasants access to grazing land. The land rights of peasants – whose ancestors had, recall, been deprived of ownership rights by conquest and fait – were increasingly reduced in ways that made it easier for wealthy landlords to evict them. Their few remaining legal rights were relentlessly pruned away, as feudal landlords came increasingly to be treated as fee simple owners and peasants as mere renters. And where feudal aristocrats had been expected to pay land-specific dues to the king, by the seventeenth century these dues had been abolished and replaced with taxes on the general population. Laws against hunting limited the capacity of most people to exist without paid employment. By the eighteenth century, the second great wave of enclosures had begun, with the wealthy and well connected seizing cottagers’ land and, significantly, ensuring – quite deliberately – that many ordinary people would have few options other than paid employment. Not surprisingly, such employment was often provided by the same people who had enthusiastically promoted the enclosures that eliminated other means of subsistence. And an internal passport system effectively limited 41 I draw here on the work of Kevin Carson, who has identified a range of useful sources and articulated a narrative and a theoretical context within which I have sought to place the activities and experiences of Leeson’s pirates. See Kevin A. Carson, Studies in Mutualist Political Economy (2007). Cf. J. L. & Barbara Hammond, The Village Labourer, 1760 – 1832: A Study in the Government of England before the Reform Bill (1913); Christopher Hill, The Century of Revolution: 1603 – 1714 (1961); Christopher Hill, Reformation to the Industrial Revolution, 1603 – 1714 (1967). Thanks to Carson for these sources.
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people’s ability to seek employment outside their home parishes and required them to accept work on whatever terms were locally available: they were denied the benefits competition might otherwise have afforded them. There is no reason to doubt that the merchants who imposed harsh terms of employment on sailors were drawn from the same class – and were doubtless often the same people – as the industrialists who not only benefited from but also actively promoted workers’ reduced options. The people likely to become sailors during the Golden Age of Piracy would typically have been members of the peasant class or their descendants. It was, indeed, the case that members of this group would generally have been quite unable to purchase ships suitable for trade or piracy. But it is important to emphasize that there was nothing inherent in the nature of either trade or piracy that called for the existence of a class of potential sailors unable to purchase their own ships. The ownership structures of the merchant vessels often stolen by those who became pirates evolved because wealth was distributed in a particular way in England during the relevant period. Had their economic circumstances not reflected the effects of seven centuries of dispossession, smallholders might well have been able to pool resources and enter the booming merchant shipping trade. Even as non-owners, had they chosen to become sailors, they would enjoyed a degree of economic security that would have made it easier for them to negotiate terms with those who owned vessels, ensuring that they were not subjected to the abusive treatment meted out by the merchant captains Leeson describes. Absentee ownership of merchant vessels was hardly inevitable: it was much more likely because wealth was distributed as it was – as a result of political choices carried out over many centuries. Undesirable working conditions on such vessels, featuring minimal opportunities for participation in decision-making, personal dignity, and personal safety, weren’t inevitable either: they reflected a bargaining situation over which workers had limited influence because of the dispossession they and their ancestors had suffered. The ongoing support of the British legal system for absentee owners over sailors was surely also relevant. Leeson notes that the British government could have taken steps to improve the conditions obtaining on British merchant vessels – stationing British officials on merchant ships and instructing naval vessels to inspect such ships to assess the conditions of sailors’ lives. He suggests that the British authorities did not do this because of the associated costs and the burdens such measures would have placed on commerce, with resultant slowdowns. But surely there is another, obvious, reason, namely that the British government was beholden to the absentee owners of merchant vessels but likely had far less concern over the welfare of ordinary sailors.42 In short, it is not the case that the only reason pirate vessels were democratically organized was that they had been stolen. Absent serious past injustices perpetrated 42
Leeson, Hook, at 127.
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by or at the best of the owning classes, it would have been easier for would-be sailors to organize cooperatives to purchase and operate ships, cooperatives that could easily have been structured democratically. And, absent such injustices, workers employed by absentee owners could have had the bargaining power to obtain democratic governance rights and opportunities to participate in profits. Theft was not a necessary prerequisite for the existence of humane working conditions on ships during the Golden Age of Piracy; rather, theft was a prerequisite for the prevalence of the inhumane working conditions many pirates sought to escape. Leeson offers what is on one level a perfectly good explanation for the governance structures of merchant vessels and pirate ships. Seen in the broader context of centuries of injustice, however, the explanation takes on a different appearance. The governance structures of merchant vessels may appear probable – hardly inevitable, of course, since the legal system was not required to tolerate violence by captains and merchant owners could have been more responsive to moral considerations than they evidently were – given their antecedents. However, the economic conditions from which they emerged must be seen as products of injustice and as subject to vigorous critique.
IV. Piratical Democracy and the Contemporary Workplace The role of historical antecedents in explaining abusive working conditions on seventeenth- and eighteenth-century merchant vessels helps to make clear why Leeson’s gentle skepticism about democracy in contemporary workplaces is perhaps misguided. The same past injustices responsible for increasing the bargaining power of investors and decreasing the bargaining power of sailors in the seventeenth and eighteenth centuries still affect the bargaining positions of people in today’s workplaces. And others, including slavery and a whole host of newly minted privileges for the well connected, further misshape the contemporary bargaining situation (Section 1.). Past injustice and contemporary unjust privilege both make it more likely that firms will be large and hierarchical (Section 2.). Eliminating current injustices and remedying past ones will make it possible for those who want to craft participatory and democratic workplaces (Section 3.).
1. Privilege and Contemporary Ownership Structures Leeson’s comments about current work environments assume the same kind of separation between owners and workers that obtained on merchant vessels in the Golden Age of Piracy.43 When he suggests that cooperatives and partnerships may 43 Perhaps it would have been more helpful for Leeson to have focused on a tripartite division among owners, managers, and workers rather than simply on the distinction between workers and absentee owners. It can be argued that absentee ownership often serves primarily
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be appropriate in small, uncommon market niches, he assumes that the existing economic structure of our society should be left relatively undisturbed. What is clear, however, is the distribution of wealth and bargaining power in our society reflects massive past injustices and ongoing structural inequities that make the existence of the extant structure of corporate ownership and control much more likely than it would otherwise be. If past injustices are named and prevailing economic conditions are called into question, the structure of ownership and governance in today’s workplace can and should be critiqued as well.
a) Past Injustice: Land Theft, Land Engrossment, Conquest, and Slavery Easy to ignore in the contemporary West is the persistent effect of land theft and the arbitrary engrossment of unowned land by the state for the benefit of the wealthy and well connected. Feudal dispossession, enclosure, and other sorts of dispossession still profoundly affect the distribution of wealth and social influence. This would be true even in an economic environment unfettered by privilege: people’s starting points can and do affect their abilities to take risks and survive downturns. Land is still the foundation of much wealth, and those who hold unjustly acquired land titles are as able to use their property to buffer them against the effects of ineptitude and ill-fortune as are those with justly gained titles. The consequences of past land theft reverberate across successive generations. The use of political privilege to acquire land did not stop with the enclosures nor was it limited to Europe. It has been a central aspect of the colonial experience as well. In North America, for instance, colonial aristocrats received enormous land grants from the British Crown: land was simply claimed by the British government and then gifted to the politically favored. The same practice continued after independence, as politicians enriched themselves and their cronies by engrossing unowned land and creating title to it out of thin air.44 Land engrossment simultaneously decreased the options available to already economically vulnerable people and increased the relative power of the politically privileged elites who benefited from it. Full-blown land theft along feudal lines contributed to the impoverishment of many people and the enrichment of a few in Latin America. And conquest and enslavement helped dramatically to reduce the economic prospects of racialized groups in the Americas and the South Pacific. Land theft, land engrossment, conquest, and slavery can be seen as legally sanctioned in two senses. First, when they occurred, they characteristically took place as a source of legitimation of what is in fact simply control by managers. Thanks to Kevin Carson for helping me to see this point. 44 See Joseph Stromberg, “The American Land Question,” 59.6 The Freeman: Ideas on Liberty 33 (July-Aug. 2009).
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with the authority or tolerance of the state. Second, systematic legal remedies have not been provided to their victims. b) Ongoing Injustice: Legal Privileges for the Wealthy and Well Connected In modern societies, the distribution of wealth is a function not only of past acts of injustice on a grand scale but also of politically secured privileges built into the legal system and the standard practices of governments.45 Land-use regulations and building codes redistribute wealth to landowners by reducing the alternatives available to those who wish to rent or purchase land and so raising the cost of rental or purchase. Currency monopolies allow states to create money that is disproportionately bestowed on privileged interests before its value is decreased by inflationary pressures. The initial recipients – as of bailout funds in the United States – benefit while subsequent recipients often suffer because of inflation. Controls on banking tend to benefit established industry players and to limit the availability of capital – in particular, by preventing people from pooling their resources to create low-capital alternatives to conventional banking arrangements. Subsidies to transportation – as, for instance, investments in roads the costs of which are not fully internalized by users – boost the profits of large firms with business models dependent on long-distance movement of goods at the expense of other firms with different business models and of the members of the public taxed to support the subsidies. Rules allowing for compulsory purchase are used to acquire property at belowmarket rates and transfer it to private developers – a practice that spares the developers the expense of buying the property on terms satisfactory to the owners. Professional licensing and accreditation rules help to create oligopolistic markets and so to shift wealth to politically well connected groups at the expense of consumers. Zoning and similar regulations increase the costs associated with starting small businesses and thus force many people who would prefer to be self-employed into paid employment. Regulations sold to the public as designed to benefit consumers or small producers are much more likely, in general, to solidify the market positions of large, established businesses and to enable them to profit at consumers’ expense by insulating them from competition.46 45 Cf. Kevin A. Carson, Organization Theory 381 – 426 (2008) [hereinafter Carson Theory], for a discussion of many of these privileges.
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Patents and copyrights amount to arbitrary grants of artificial property rights that foster inefficient litigation, allow their holders to infringe on the legitimate property of others, and fail to spur the productivity their defenders adduce in support of their continued availability.47 Tariffs help to maintain and enhance the wealth of well connected firms at the expense of the public.
Together, these privileges tend to increase the resources available to the wealthy and well connected – especially those with the most wealth – while limiting the economic opportunities available to poor and working-class and many middle class people, and frequently depriving them of resources.
2. Privilege and Injustice: Backdrops to Firm Governance Structures The overall level of economic productivity in modern Western economies is immeasurably greater than that in eighteenth-century England, so the effects of past and ongoing injustice are less obvious. Nonetheless, such injustices clearly help to constrain the shapes of contemporary workplaces. One way in which they tend to do so is by encouraging the emergence and continued existence of what would otherwise be inefficiently large firms. There is good reason to believe that, on balance, small firms are frequently more efficient than larger ones. But legally secured privilege can help to keep inefficient firms in operations.48 State central planners lack information about opportunities, supplies, and consumer preferences that is dispersed widely throughout an entire economy.49 They lack the information about priorities and preference strengths provided by market prices.50 It is only be accident, if at all, that their decisions are able to effect the internalization of costs or benefits, with the result that actors in the economies over which they preside often lack incentives to behave responsibly and productively. Thus, they consistently mandate inappropriate production levels and distribution patterns. 46 Cf. Gabriel Kolko, The Triumph of Conservatism: A Reinterpretation of American History, 1900 – 1916 (1963); Butler Shaffer, In Restraint of Trade: The Business Campaign against Competition, 1918 – 38 (1998). 47 Cf. Stephan Kinsella, Against Intellectual Property (2008); Michele Boldrin & David K. Levine, Against Intellectual Monopoly (2008). 48 See Carson, Theory, at 29 – 344. 49 Friedrich A. Hayek, “The Use of Knowledge in Society,” 35 Am. Econ. Rev. 519 (1945). 50 Ludwig von Mises, “Economic Calculation in the Socialist Commonwealth,” Collectivist Economic Planning 87 (F. A. Hayek ed., 1935).
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Large firms confront the same sorts of problems as do state central planners.51 Corporate planners lack the information about divisional or departmental needs often possessed by those on the ground. It is often difficult for them to take advantage of the local knowledge of front-line workers. Budget allocations need not reflect market discipline because internal subsidies can keep inefficiencies from becoming apparent. The alignment between productivity and performance is often tenuous. Like state central planners, corporate planners may frequently budget inappropriately. Small firms, related by contract, could perform the same tasks as corporate divisions or departments more efficiently in virtue of market discipline. But firm size protects the positions, the salaries, and the perquisites of employment enjoyed by senior (and often mid-level) managers, who thus have little reason to favor or encourage change. And the privileges enjoyed by the wealthy and well connected accrue disproportionately to large firms, reducing the pressure such firms might otherwise experience to adopt more nimble, flexible, decentralized, flat organizational structures. In small firms, the skills of expert front-line workers would tend to be more valuable than those of generalist managers. And it would be easier for workers to manage themselves. Arguments for the value of trained managers tend to presuppose the existence of large, complex hierarchical businesses. But such businesses themselves are not, in principle, especially efficient. The kinds of businesses more likely to exist in the absence of privileges that protect and encourage corporate size would be ones in which managers were considerably less necessary. Thus, the effects of massive past injustice – land theft, land engrossment, conquest, and slavery – combine with those of ongoing privilege to affect firm size and organization in multiple ways. They insulate large firms against the effects of market forces that would tend to force the replacement of corporate divisions and departments by small, nimble firms related by contract. At the same time, and in much the same way, they enhance the resources and economic security, and so the bargaining power of wealthy firms and to ensure that most people are able to exert little influence over the terms of their employment. Most people, it is safe to assume, would prefer workplaces in which they can participate in the formulation of decisions that affect their work-lives and can use their expertise to perform their jobs efficiently and effectively. But such workplaces would be ones in which senior managers might not be needed at all and in which those who were still needed would enjoy reduced status, influence, and wealth. If people had multiple options – if it was easy to survive a period of unemployment, easy to work for oneself, easy to acquire the start-up capital needed to begin a small business alone or with others – they might be inclined to bargain aggressively (individually or collectively) for greater involvement in decision-making. In a buyer’s market for labor, by contrast, people are characteristically likely to accede readily to managers’ demands in order to secure employ51
See Carson, Theory, at 153 – 224.
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ment. However, it is not unavoidable, morally neutral market forces that bring about the existence of a buyer’s market for labor, but rather the occurrence of large-scale past injustice and the continued existence of legal privileges for the wealthy and well connected. Past injustice and ongoing privilege misshape the market in three interlocking ways directly related to the governance patterns of firms: (i) by minimizing pressures to reduce corporate size and replace divisions and departments within large organizations with small firms related by contract in which it would be easier for workers to manage themselves, (ii) by dramatically limiting the bargaining power of ordinary workers and thus their ability to demand opportunities to participate in workplace governance, and (iii) by increasing the costs of self-employment and of creating partnerships and cooperatives offering workers the opportunities to govern themselves. The viability of worker self-management is a function of the background economic environment. That environment is systematically distorted by past injustice and ongoing privilege. Thus, while it might be argued that firm governance structures were reasonable given the economic environment, this would not alter the fact that the environment itself reflected the effects of massive, persistent injustices. The seeming appropriateness of hierarchical governance structures is a function of the existence of large firms and of the relative economic powerlessness of most people. These phenomena are not themselves neutral or inevitable results of peaceful, voluntary market interactions: they are products of massive injustice. They can reasonably be treated as appropriate only if their roots in contingent, remediable wrongs are ignored.
3. On the Way to Workplace Democracy There are excellent moral and prudential reasons for firms, even in the contemporary economic environment, to operate democratically. They include the equal dignity of all workers; the character of the firm as a community; the absence of a natural right to govern on the part of investors or executives; the unfairness of subordination imposed by those who wish not to be subordinated themselves; the capacity of democratic governance structures to protect workers’ well being; the potential of such structures to enhance firm efficiency and productivity; and the principle of subsidiarity.52 There are excellent prudential reasons for worker ownership, notably its capacity to overcome the principal-agent problem that besets firms managed by investor-appointed executives. In addition, we can reasonably judge that the relative scarcity of worker self-management and worker ownership is a product of injustice. 52 See Gary Chartier, Economic Justice and Natural Law 89 – 107 (2009) [hereinafter Chartier, Justice].
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Even under current economic conditions, decision-makers in investor-owned firms should put democratic governance structures in place in their own firms on moral grounds. But it is doubtful that many will do so. It might be argued that the law should forcibly compel the creation of such structures. There are, however, reasons to be doubtful about the merits of such an approach. Legislators and bureaucrats are unlikely to craft standards that are both genuinely beneficial to workers; indeed, they are far more likely to opt for rules that advantage senior executives and investors, whose political influence is obviously much greater than that of workers. Legislators and bureaucrats lack the ground-level knowledge needed to enable them to understand and responsive to the complexity of firms’ particular circumstances, and are far too likely to enact inefficient, one-size-fits all regulations. The creation and maintenance of a state apparatus with the power to oversee the operations of the governance structures of individual firms is dangerous: the errors made by a state with such power are likely to have catastrophic consequences even when well-intentioned, and the odds are considerable that, because state actors frequently either seek their own welfare and that of their cronies or pursue agendas set by the wealthy and well-connected, many will not be well-intentioned at all. Further, while the demands of reasonableness are compatible with multiple systems of property rights, the simplicity, reliability, and concerns for autonomy, efficiency, stewardship, peacemaking, identity, and the coordination of social interaction that appropriately constrain any just system of property rights militate against permitting the kind of interference with the internal operations of firms that would be required were the moral requirement of democratic firm governance to be mandated by law.53 This does not mean, however, that the creation of democratic workplaces can or should be left solely to the discretion of individual boards and managers. Such workplaces can be fostered, however, without dangerously conferring power on legislators and bureaucrats, fostering inefficiency, or interfering with property rights. The relative infrequency of such workplaces can reasonably be understood as a product of systematic injustices that encourage the persistence of inefficiently large firms while increasing the bargaining power of investors and executives and decreasing the bargaining power of ordinary workers. Participatory and democratic workplaces can be rendered much more common without positive legislative or regulatory mandates provided that current injustices are ended and past injustices remedied. Those in a position to stop engaging in ongoing injustices have an obligation to do so; similarly, those who have benefited directly and significantly from past in53 On these mutually reinforcing rationales, see Chartier, Justice, at 33 – 43; Gary Chartier, “Natural Law and Non – Aggression”, 51.2 Acta Juridica Hungarica 79 (2010); Richard Epstein, Simple Rules for a Complex World (1995); Butler Shaffer, Boundaries of Order (2009); David D. Friedman, “A Positive Account of Property Rights,” 11 Soc. Phil. & Pol’y 1 (1994); John Hasnas, “Toward a Theory of Empirical Natural Rights,” 22 Soc. Phil. & Pol’y 111 (2005).
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justices and are in a position to remedy them are responsible for doing so. Those in a position to prevent victims of injustice from engaging in self-help or to protect capital assets acquired through injustice should decline to do so. This is relatively simple and straightforward where ongoing legal privileges and liabilities are concerned: tariffs, subsidies, patents, artificial barriers to market entry, copyrights, licensing, zoning, currency creation, and eminent domain must be ended. It is obviously more complicated as regards the results of past acts of injustice that have led to the concentration of wealth and power. Where victims and perpetrators of injustice (or their successors in interest) can be reliably identified, the perpetrators obviously should be expected to compensate their victims, where possible by the return of stolen assets themselves.54 And assets that are obviously held in consequence of unjust privileges but which cannot reasonably be shown to belong to particular victims of dispossession should be treated as unowned and subject to homesteading.55 Other context-sensitive mechanisms will obviously be needed to provide appropriate remedies for long-lasting injustices. It is common to address issues in business ethics as if they concerned either what individual actors within firms ought to do voluntarily or with what legislators or regulators ought to make them do by mandating particular actions or outcomes. It is clear, however, that another approach is possible, one that involves altering the large-scale economic environment within which individual actors make choices, and thus altering the incentives to which they are in a position to respond and the resources they are in a position to deploy. This need not be a matter of ad hoc meddling with the goal of bringing about some desired end-state or other. Instead, it can be a way of attempting to resolve specific injustices, of eliminating unjust legal privileges, while welcoming the predictable effects of doing so – including, as I have suggested here, an increase in the options available to workers, the growth of participatory and managed firms, and the replacement of corporate behemoths with small, flexible, nimble firms related by contract rather than fiat.
V. Conclusion Golden Age pirates were in one sense able to opt for democratic constitutions because their vessels were stolen. But theft is not a prerequisite for workplace democracy. Sailors – whether peaceful or aggressive – would have been free to opt for shipboard democracy had they possessed greater bargaining power. And they would have had greater bargaining power were it not for the legal privileges enjoyed by shipowners – most importantly, the privileges resulting from the fact that the laboring classes from whose ranks most sailors would have been drawn had 54 Cf. Roy A. Childs, Jr., “Land Reform and the Entitlement Theory of Justice,” Liberty against Power: Essays by Roy A. Childs, Jr. 185 (Joan Kennedy Taylor, ed. 1994). 55 See Murray N. Rothbard, “Confiscation and the Homestead Principle,” 1.6 Libertarian Forum 3 (1969).
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been subjected to deliberate, large-scale, systematic impoverishment. Had they had access to the resources that had been taken from them by violence, many ordinary people could and doubtless would have opted for much better working conditions than those available on investor-owned ships in the seventeenth and eighteenth centuries. In large part, sailors needed to steal ships in order to create democratic workplaces precisely because so much had already been stolen from them and their ancestors – and, often enough, by the very investors who funded the operation of merchant ships, or by their ancestors, their patrons, or their patrons’ ancestors. Similarly, if the distribution of privilege in contemporary society is treated as given, the existence of large, hierarchical firms and their dominance by investors will seem inevitable. But the same theft and violence that provided the backdrop for many sailors’ limited choices during the Golden Age of piracy still lie behind the range of choices available to many people today. In addition, many additional privileges of more recent vintage further concentrate wealth in the hands of investors and subsidize corporate size. There may be good reasons, both prudential and moral, to opt against the use force to control the details of firm governance. But that does not mean that the law cannot be used to foster workplace democracy: individual firm actors have good reason to work to make firm governance structures participatory and democratic. And there are good reasons for people in their capacities as citizens to support changes in economic conditions that would, in fact, make it likely that the ratio of self-employed persons, cooperatives, and partnerships to hierarchically organized firms would increase dramatically. Contra Leeson, today’s firms ought to look more like pirate ships. But the way to make them do so is not to enforce a one-size-fits-all model using state regulation but rather to eliminate unjust privileges, both those that result from past injustice and those that reflect continuing injustice. Ending unjust privileges will help to create human-scale firms and an economic environment in which ordinary people will have the bargaining power to create participatory, democratic workplaces.
Zusammenfassung Die von den Piraten des 18. Jahrhunderts angenommenen (internen) Verfassungen haben radikal-demokratische Arbeitsbedingungen geschaffen. Peter Leeson hat dazu die Auffassung vertreten, der demokratische Charakter dieser Arbeitsbedingungen sei eine Funktion der kriminellen Tätigkeit gewesen, der die Piraten nachgingen, und infolgedessen könne aus der Struktur dieser Verfassungen nicht allgemein geschlossen werden, dass Demokratie am Arbeitsplatz erstrebenswert ist. Der vorliegende Beitrag vertritt die These, dass Leeson sich hier irrt: Leeson sieht die vorhandenen Strukturen von Eigentum und Kontrolle – sowohl im Goldenen Zeitalter der Piraterie, als auch heute – als feststehende Gegebenheiten an, während sie besser als Ergebnis von Gewalt und Begünstigung zu beschreiben sind. Denn die Piraten mussten nur wegen des Prozesses der ursprünglichen Akku-
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mulation, die die wirtschaftliche Situation potentieller Seeleute während des Goldenen Zeitalters der Piraterie bestimmt hat, Schiffe stehlen, um sich demokratisch zu organisieren. Ohne die früheren erheblichen Ungerechtigkeiten hätten Seeleute durchaus auch auf friedlichem Wege Demokratie am Arbeitsplatz erreichen können. Die gleichen Ungerechtigkeiten, und einige weitere aus jüngerer Zeit, bilden den Hintergrund für undemokratische Strukturen an heutigen Arbeitsplätzen. Diese Ungerechtigkeiten zu beseitigen, ist der beste Weg für den Bürger, um die Schaffung demokratischer Arbeitsbedingungen voranzutreiben.
Wohltätigkeit oder Menschenrechte? Eine menschenrechtssoziologische und -philosophische Reflexion der neuen UN-Behindertenrechtskonvention Sigrid Graumann
I. Von einer Politik der Wohltätigkeit zu einer Politik der Menschenrechte Im Dezember 2006 wurde die UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderungen von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet. Schon im Mai 2008 hatten genügend Staaten ratifiziert, so dass sie international in Kraft treten könnte. Die Garantie gleicher Rechte für behinderte Menschen war in der Vergangenheit keineswegs selbstverständlich. Behinderte Menschen wurden bis vor wenigen Jahren primär als abhängige, ,selbstversorgungsunfähige‘ Empfänger von karitativen Hilfen angesehen, für deren Gewährung sie auf individuelle Freiheiten verzichten mussten. Entscheidungen, was ihrem Wohlergehen dient und was nicht, wurde an pädagogische, psychologische und medizinische Experten delegiert. Fürsorge und Wohltätigkeit gingen einher mit Fremdbestimmung und paternalistischer Bevormundung. Die Konvention will nun die traditionelle Politik der Wohltätigkeit und Fürsorge durch eine Politik der Menschenrechte ersetzen. Dabei bezieht sie explizit alle behinderten Menschen ein, auch diejenigen mit einem hohen Unterstützungsbedarf. Sie formuliert den Anspruch auf ein selbstbestimmtes und unabhängige Leben sowie volle und gleichberechtigte gesellschaftlicher Inklusion für wirklich alle behinderten Menschen. Das aber heißt, dass die solidarischen Verpflichtungen gegenüber behinderten Menschen gesellschaftspolitisch neu verhandelt werden müssen. Darüber hinaus weist die UN-Behindertenrechtskonvention ein erweitertes Verständnis von Diskriminierung auf. Nicht nur das Vorenthalten formal gleicher Rechte, sondern auch fehlende Unterstützung, Barrieren, Ausgrenzung und Stigmatisierung, die behinderte Menschen direkt oder indirekt an der Wahrnehmung gleicher Rechte hindern, werden in der Konvention als Diskriminierung bezeichnet. Die Konvention ist ausgesprochen problemlos und rasch von sehr vielen Staaten unterzeichnet und ratifiziert worden; ihre konsequente Umsetzung aber dürfte die
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Unterzeichnerstaaten vor große Herausforderungen stellen. Die umfangreichen staatlichen Garantien der Rechte behinderter Menschen dürften nämlich sowohl politisch als auch theoretisch nicht unumstritten sein. Zum einen wird vermutlich eingewandt, die erforderlichen Ressourcen würden die öffentlichen Kassen überfordern. Zum anderen berühren einige Forderungen der Konvention Punkte, die menschenrechtsphilosophisch notorisch strittig sind. Ich werde im folgenden beide Einwände aufgreifen und dabei die menschenrechtssoziologische Frage nach den Bedingungen für die soziale Geltung des Menschenrechtsschutzes für behinderte Menschen von der menschenrechtsphilosophischen Frage, ob die moralische Gültigkeit der UN-Behindertenrechtskonvention schlüssig verteidigt werden kann, unterscheiden. Die Frage nach der sozialen Geltung von Menschenrechten werde ich als gesellschaftstheoretische Frage auffassen und vor dem Hintergrund von Überlegungen zur gesellschaftlichen Funktion der Menschenrechte behandeln. Die Frage nach der moralischen Gültigkeit der Menschenrechte werde ich vor dem Hintergrund normativer Überlegungen zum Gehalt von Begriff und Idee der Menschenrechte diskutieren.
II. Die Frage nach der sozialen Geltung von Behindertenrechten Aus der soziologischen Sicht von Niklas Luhmanns stellen die Grund- bzw. Menschenrechte eine Institution dar, die eine wesentliche Funktion für moderne funktional-differenzierte Gesellschaften erfüllt (Luhmann 1965 / 1999: 12). Luhmann geht davon aus, dass im Gegensatz zu traditionellen einfach-strukturierten Gesellschaften, in denen die Individuen starre und einheitliche Rollen verkörperten, sich moderne funktional-differenzierte Gesellschaften dadurch auszeichnen, dass die einzelnen Individuen unterschiedliche Rollen etwa als Berufstätige, Nachbarn, politische Bürger, Konsumenten, etc., die getrennt von einander sind, ausfüllen müssen. Dieses Phänomen bezeichnet Luhmann als „Individualisierung der Selbstdarstellung“ (Luhmann 1965 / 1999: 33). Die damit von den Individuen verlangte Flexibilität stellt allerdings hohe Anforderungen an deren Persönlichkeit. Die Aufgabe des Staates ist es, die Voraussetzung für diese Flexibilität sicherzustellen und dabei mögliche Überforderungen der Individuen abzuwenden. Dabei ist die Funktion der Menschenrechte vor allem, die Gewaltfreiheit sozialer Beziehungen als Vorraussetzung für die Möglichkeit der Individualisierung der Selbstdarstellung zu sichern. Dazu dienen der Schutz von Freiheit und Würde der Individuen. Dabei versteht Luhmann „Würde“ als Wahrung der Selbstachtung, die permanent durch das Misslingen der Selbstdarstellung gefährdet sein kann. „Freiheit“ ist für Luhmann die Bereitschaft und die Möglichkeit Rollen zu übernehmen und zu erfüllen. Der Schutz von Würde und Freiheit – im Luhmann’schen Sinn – wird in differenzierten Sozialordnungen zur Notwendigkeit (Luhmann 1965 / 1999: 35 – 36).
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Für Luhmann gehört die Garantie von Gewaltfreiheit im Privat- und Familienleben zu den grundlegenden Bedingungen der Entwicklungsmöglichkeiten funktional differenzierter Gesellschaften. Gelingende individuelle Selbstdarstellung sei nur dort möglich, wo der Staat Gewaltfreiheit garantiert (Luhmann 1965 / 1999: 71). Luhmann zufolge hat die Familie ihre traditionelle Funktion als „prominente oder gar einzige Rollenordnung der Gesellschaft“ in modernen Gesellschaften eingebüßt. Ihr Schutz sei heute deshalb notwendig, weil die Familie unter den Bedingungen funktional differenzierter Gesellschaften zwei miteinander verbundene Leistungen erbringen müsse, „die Fundierung einer sozialisierungsfähigen Persönlichkeit im Kleinkind“ und „die Entspannung der Familienmitglieder durch ganz persönliche Selbstdarstellung im Familienkreis“ (Luhmann 1965 / 1999: 104). Das bedeutet, dass der gewaltfreie Schutzraum im Privat- und Familienleben eine grundlegende Voraussetzung dafür ist, dass die persönliche Selbstdarstellung und die flexible Rollenübernahme individuell gelingen kann. Damit lässt sich zunächst einmal der Schutz vor staatlichen Eingriffen begründen. Die Frage ist aber, ob sich die staatlichen Schutzaufgaben darauf beschränken können. Eine Gemeinsamkeit von Frauen, Kindern und behinderten Menschen ist, dass sie in traditionellen asymmetrischen Familienbeziehungen als abhängig und selbstversorgungsunfähig angesehen werden. Diese Abhängigkeit setzt sie besonderen Gefährdungen durch Missbrauch und Vernachlässigung aus. Die Gleichstellungspolitiken für Frauen, aber auch für behinderte Menschen, zeigen, dass heute zunehmend auch von diesen Personengruppen die Herausforderungen der individuellen Selbstdarstellung und flexiblen Rollenübernahme gefordert wird. Das aber setzt voraus, dass der Staat Gewaltfreiheit auch in asymmetrischen privaten Beziehungen garantiert, indem er innerfamiliäre Abhängigkeiten reduziert und abhängige Familienmitglieder vor Missbrauch und Vernachlässigung schützt. Dazu gehört auch, dass er die Belastungen insbesondere von Frauen durch die Sorge für abhängige Familienangehörige reduziert, damit auch sie sich den Anforderungen flexibler Rollenübernahme stellen können. Das heißt also, der Schutz der Würde und Freiheit – im Luhmann’schen Sinn – im Privat- und Familienleben kann sich nicht auf das Unterlassen staatlicher Eingriffe beschränken, sondern muss auch die Institutionalisierung von sozialen Diensten und Leistungen umfassen, die Familien in Stand setzen, eine gute Sorge, Hilfe und Unterstützung für bedürftige Familienmitglieder zu leisten, aber auch dazu geeignet sind, möglichst alle Familienmitglieder für die Anforderungen der flexiblen Rollenübernahme und der individuellen Selbstdarstellung zu befähigen. Hierfür ist auch die Entlastung von Frauen von Sorgearbeit und generell die Reduzierung familiärer Abhängigkeiten notwendig. In seinen Ausführungen zum menschenrechtlichen Grundsatz der Gleichheit vor dem Recht argumentiert Luhmann außerdem, dass das Gleichbehandlungsprinzip ein Generalisierungsprinzip ist, das Spezifikationen erfordert, um nicht bedeutungslos zu bleiben (Luhmann 1965 / 1999: 167). Das heißt: Die menschenrechtliche allgemeine Gleichbehandlung erfordert spezifische Ungleichbehandlungen in
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Abhängigkeit von der individuellen Bedürftigkeit und Lebenssituation. Damit lässt sich zeigen, dass die spezifischen Rechtsansprüche für behinderte Menschen in der Konvention für moderne Gesellschaften durchaus funktional sind: Ein selbstbestimmtes und unabhängiges Leben sowie volle und gleichberechtigte Teilhabe für alle behinderten Menschen ist eine Notwendigkeit moderner funktional-differenzierter Gesellschaften und lässt sich ohne die Gewährung von umfangreichen bedürfnis- und situationsspezifischen sozialen Diensten und Leistungen und ohne die damit einhergehenden Solidarpflichten nicht verwirklichen.
III. Die Frage nach der moralischen Gültigkeit von Behindertenrechten Die zweite Frage war, ob die Erweiterung des Menschenrechtsverständnisses als moralisch berechtigt gelten kann, das heißt, ob die normative Orientierung der UNBehindertenrechtskonvention dem allgemeinen Verständnis des Begriffs und der Idee der Menschenrechte entspricht oder dieses „überzieht“. Nun ist mit dem Begriff der Menschenrechte zuallererst die Vorstellung verbunden, dass es sich um Rechte aller Menschen handelt, die alle Menschen schlicht deshalb haben, weil sie Menschen sind. Der Anspruch der Universalität der Menschenrechte und seine gesellschaftliche Verwirklichung stehen aber von jeher in einem gewissen Spannungsverhältnis zueinander: Darauf ist die Erweiterungsdynamik hinsichtlich des Einbezugs von immer mehr gesellschaftlichen Gruppen in den Menschenrechtsschutz zurückzuführen, die den emanzipatorischen Gehalt der Menschenrechtsidee ausmacht (Riedel 1999: 295 – 319). Ein besonders prägnantes Beispiel dafür war die Forderung der Behindertenbewegung zur Aufnahme des Verbots der Benachteiligung von behinderten Menschen in das deutsche Grundgesetz. Am 15. November 1994 wurde nach einer mehr als vierjährigen Kampagne des „Netzwerks Artikel 3“ der Satz „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“ in Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes aufgenommen. Diese Kampagne konnte sich auf den Anspruch der Universalität der Menschenrechte berufen, um den expliziten Einbezug behinderter Menschen in das Diskriminierungsverbot des Grundgesetzes zu fordern. Als ein weiterer Grundsatz der Menschenrechtsidee wird oft die Unteilbarkeit der Menschenrechte genannt (Lohmann 2005: 5). Darunter ist zu verstehen, dass der Menschenrechtsschutz die Achtung, den Schutz und die Verwirklichung aller Menschenrechte erfordert und dabei nicht der Schutz mancher Menschenrechte unter den Schutz anderer Menschenrechte gestellt oder gar dafür „geopfert“ werden darf. Die Berechtigung der Erweiterung des Verständnisses der Menschenrechte in der UN-Behindertenrechtskonvention kann daher geprüft werden, indem nach der Möglichkeit einer konsistenten und kohärenten Auslegung der genannten Grundsätze gefragt wird.
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Im Gegensatz zur gesellschaftstheoretischen Einsicht in die gesellschaftliche Funktion der menschenrechtlichen Garantie der Gewaltfreiheit persönlicher und familiärer Beziehungen, besteht auf praktisch-philosophischer Seite eine grundsätzliche Skepsis hinsichtlich des Menschenrechtsschutzes im Privat- und Familienleben. In der praktischen Philosophie ist es üblich, zwischen der Sphäre der Öffentlichkeit, wo das Prinzip gleicher Achtung von Rechten in symmetrischen, reziproken Beziehungen gilt, und der Sphäre des Privaten, die durch nicht reziproke, asymmetrische Beziehungen und emotionale Verbundenheiten gekennzeichnet ist, zu unterscheiden. Weil Achtung aber erfordere, von besonderen Bindungen abzusehen, fallen beispielsweise für Axel Honneth „affektgeladenen“ Fürsorge und Wohltätigkeit nicht in das Feld universalisierbarer Normen (Honneth 1994: 195 – 220). Honneth zufolge müsste sich der Regelungsbereich der Menschenrechte mit deren Forderung nach gleicher Achtung auf die Sphäre der Öffentlichkeit beschränken. In dieser Position kommt ein politisches Verständnis der Menschenrechte zum Ausdruck, wie es auch von Jürgen Habermas vertreten wird. Habermas zufolge stellen Menschenrechte die berechtigten Ansprüche jedes Menschen an eine politische Ordnung dar, in der er als Gleicher geachtet wird (Habermas 1999: 216). Nach Habermas steckt die Substanz der Menschenrechte in den formalen Bedingungen für die demokratische autonome Selbstgesetzgebung der Bürger. Die private Autonomie (Moral) und die öffentliche Autonomie (Politik) sind für Habermas „gleichursprünglich“ (Habermas 1998: 135). Die Trägerschaft der Rechte wäre diesem politischen Verständnis der Menschenrechte folgend allerdings an die Mitgliedschaft in der Gemeinschaft der Staatsbürger geknüpft (Wildt 1998: 125 – 129). Menschenrechte als politische Rechte wären dann diejenigen grundlegenden Rechte, die sich die politischen Bürger innerhalb der Staatsbürgergemeinschaft gegenseitig verleihen (Habermas 1999: 223). Mit dieser Position aber sind zwei Schwierigkeiten verbunden. Zum einen wären die Menschenrechte auf das öffentliche Leben beschränkt. Menschenrechtsverletzungen im Privat- und Familienleben, wo die sozialen Beziehungen nicht notwendigerweise auf freier Assoziation beruhen, wären nicht thematisierbar. Und zum anderen kann der Anspruch der universellen Achtung der Menschenrechte innerhalb einer Theorie der Menschenrechte als rein politische Rechte nicht unabhängig von ihrer faktischen Anerkennung formuliert werden (Wildt 1998: 137). Das aber würde der emanzipatorischen Ausweitungsdynamik der Menschenrechte widersprechen. Behinderte Menschen haben die politische Anerkennung ihrer Rechte in den vergangenen Jahren erst mühsam errungen. Dabei haben sie sich unabhängig vom politischen Akt des Verleihens der Menschenrechte, was ja politisch erst erreicht werden sollte, auf die vorpolitische moralische Universalität der Menschenrechte gestützt. Sie haben sich damit auf die Annahme bezogen, die mit der Idee der Menschenrechte verbunden ist, dass die Menschenrechte auch unabhängig von ihrer politischen Anerkennung und unabhängig von ihrer juridischen Institutionalisierung gelten.
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Eine Gegenposition zu Jürgen Habermas und Axel Honneth nehmen Ernst Tugendhat, Karl-Otto Apel und Andreas Wildt ein. Nach Tugendhat handelt es sich bei dem Begriff der Menschenrechte um einen Begriff politischer Moral (Tugendhat 1995: 337). Die universelle Achtung der Menschenrechte ist Tugendhat zu Folge der moralische Anspruch, an dem politisches Handeln gemessen wird. Das bedeutet Apel zufolge, dass dem Begriff der Menschenrechte in unserem üblichen Verständnis ein vorpolitischer moralischer Gehalt unterstellt werden muss (Apel 2007: 49 – 70). Und genau dieser moralische Gehalt der Menschenrechte ist mit dem Grundsatz der Universalität der Menschenrechte gemeint. Der Zusammenhang zwischen legalen und moralischen Rechten besteht hier darin, dass die effektive Realisierung der Menschenrechte ihre politische Anerkennung und ihre wirkungsvolle Institutionalisierung als legale Rechte erfordert (vgl. Wildt 1998: 142). Aus menschenrechtsphilosophischer Sicht könnte aber weiter eingewandt werden, dass die Trennung des Öffentlichen und des Privaten aus gutem Grund zum Grundkonsens moderner Gesellschaften gehört (Rawls 1971: 147 – 148) und sich der Staat aus dem Privat- und Familienleben seiner Bürger heraushalten sollte. Der Schutz der Privatsphäre und insbesondere von Ehe und Familie solle gerade garantieren, dass der Staat ein paternalistisches Hineinregieren in die Privat- und Familiensphäre unterlässt, das mit dem Recht auf Selbstbestimmung nicht vereinbar sei. Dieser Einwand ist allerdings nicht notwendigerweise stichhaltig. Die allgemeinen Rechte von „versorgungsabhängigen“ Menschen auf Leben, auf körperliche und psychische Integrität, auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit u.s.w. sind nicht nur durch Eingriffe des Staates oder Dritter in das Privat- und Familienleben, sondern ebenso durch Missbrauch und Vernachlässigung in Folge ihrer Abhängigkeit gefährdet. Um Missbrauch und Vernachlässigung zu verhindern, sind daher unter Umständen Eingriffe in das Privat- und Familienleben notwendig. Diese Einsicht wurde in der UN-Behindertenrechtskonvention konsequent umgesetzt: Die Konvention verpflichtet die Unterzeichnerstaaten dazu, behinderten Menschen und ihren Familien die Hilfen und Unterstützungen anzubieten, die sie als Voraussetzung für ein gelingendes Familienleben und die Reduzierung von innerfamiliären Abhängigkeiten brauchen. Damit schafft der Staat die Voraussetzungen dafür, dass behinderte Menschen vor Missbrauch und Vernachlässigung in der Familie geschützt werden. Das wird außerdem konsequent verbunden mit Verboten paternalistischer Bevormundung. Mit Blick auf die Bedürfnisse und Lebensumstände vieler behinderter Menschen spielen gerade die Regelungen der UN-Behindertenrechtskonvention, die sich auf nicht reziproke, asymmetrisch verteilte Rechte und Pflichten in persönlichen und professionellen Hilfs-, Unterstützungs- und Sorgebeziehungen beziehen, eine besonders wichtige Rolle. Wenn aber Reziprozität für deren universelle Gültigkeit vorausgesetzt werden müsste, was Honneth und Habermas unterstellen, könnten derartige Verpflichtungen nicht ausgewiesen werden.
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Gegen die Bedingung der Reziprozität von Rechten und Pflichten als Voraussetzung für die Universalität von Normen argumentiert Tugendhat, dass es offensichtlich universelle Rechte gibt, die alle Menschen haben, auch wenn sich die damit verbundenen Pflichten nicht unbedingt an alle richten. So hätten Kleinkinder Rechte aber keine Pflichten (Tugendhat 1998: 349). Für Tugendhat bedeutet die Universalität von moralischen Rechten, dass wir diese gegenüber allen geltend machen, wenn wir dabei aber keinen direkten Adressaten finden, den wir verpflichten können, müssen wir unsere Rechte „aushilfsweise“ gegenüber dem Staat geltend machen. Das bedeutet, dass Achtung, Schutz und Verwirklichung der Menschenrechte in nicht reziproken, asymmetrischen Beziehungen nicht auf Nichtinterventionsrechte beschränkt sein können, sondern die institutionelle Gewährleistung von geeigneten Hilfs-, Unterstützungs- und Sorgeleistungen umfassen müssen, die gegenüber dem Staat geltend gemacht werden können. Dabei handelt es sich um spezifische Anrechte, die ganz offensichtlich von Individuen nur dann geltend gemacht werden können, wenn diese auf Grund innerer oder äußerer Bedingungen darauf angewiesen sind. Nun könnte dagegen eingewandt werden, es handele sich bei der Nichtgewährung spezifischer Ansprüche von stark beeinträchtigten Menschen gar nicht um die Verletzung von Menschenrechten (vgl. Cranston 2001: 167). Die Vorraussetzung dafür, dass ein Recht als allgemeines Menschenrecht gelten könne, sei schließlich seine Universalisierbarkeit. Und genau das sei in Bezug auf spezifische Ansprüche auf soziale Dienste und Leistungen, die von der konkreten Bedürftigkeit und Lebenssituation abhängen, nicht möglich. Allerdings lässt sich diese Schwierigkeit umgehen, wenn klargestellt wird, „daß als Menschenrechte nur solche Rechte gelten können, die aus Rechten ableitbar sind, die strikt alle Menschen haben.“ (Wildt 1998: 138) Der Anspruch von „Gruppenrechtskonventionen“, wie beispielsweise der Frauenrechts-, der Kinderrechts- und der Behindertenrechtskonvention, ist explizit nicht, Sonderrechte im Sinne von neuen allgemeinen Menschenrechten zu etablieren, die es vorher nicht gab, sondern lediglich den allgemeinen Menschenrechtsschutz für bestimmte gesellschaftliche Gruppen zu präzisieren und zu konkretisieren. Das bedeutet, die Regelungen in der UN-Behindertenrechtskonvention sind als Konkretisierung und Präzisierung der allgemeinen Menschenrechte hinsichtlich der besonderen Gefährdungen, denen behinderte Menschen als solche ausgesetzt sind, zu verstehen (Weiß 2007: 293 – 300; Kayees / French 2008: 32 – 33). Anrechte auf soziale Dienste und Leistungen werden im menschenrechtlichen Denken oft einseitig mit den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten assoziiert und kritisch diskutiert. In der Behindertenrechtskonvention kommt nun hinzu, dass alle drei Menschenrechtsgruppen mit sozialen Leistungsrechten verbunden sind. Man kann das wie Frédéric Mégret auch so ausdrücken, dass sich in der Konvention eine „ganzheitliche Konzeption“ der Menschenrechte spiegelt (Mégret 2008: 274).
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Oft wird gegen den Geltungsanspruch von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten eingewandt, dass bürgerliche Freiheitsrechte und politische Rechte Nichteingriffsrechte darstellen würden, die klare Anforderungen an den Staat stellen, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte aber positive Rechte oder individuelle Leistungsrechte, die uneindeutige solidarische Leistungen von unbestimmten Dritten fordern. Deshalb, so argumentiert beispielsweise Maurice Cranston, sollten die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte nicht zu den Menschenrechten gezählt werden. Sie würden nicht in einer klaren Relation zu Pflichten stehen, damit würden sie die Menschenrechtsidee überfrachten und den effektiven Schutz der bürgerlichen Freiheitsrechte und der politischen Rechte behindern (Cranston 2001: 168 – 173). Die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte werden oft auch als „programmatische Rechte“ bezeichnet, die nur mit vagen politischen Orientierungsvorgaben verbunden seien (Koch 2006: 405 – 430). Damit wird unterstellt, ihre Umsetzung sei unrealistisch, weil unklar bliebe, was dafür genau erforderlich sei. Aber ist das wirklich ein spezifischer Einwand gegen die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte? Ist es wirklich immer so klar, welche Maßnahmen die Umsetzung der bürgerlichen Freiheitsrechte und der politischen Rechte erfordert? Traditionell wird das Recht auf Sicherheit vor Schädigung von Leib und Leben als negatives Freiheitsrecht aufgefasst und von positiven sozialen Rechten, wie beispielsweise dem Recht auf Gesundheitsversorgung, das sich ebenfalls auf den Schutz von Leib und Leben bezieht, unterschieden. Dem genannten Einwand zufolge, müsste das Recht auf Sicherheit als negatives Recht mit eindeutigen Forderungen an den Staat verbunden sein, das Recht auf Gesundheitsversorgung als positives Recht dagegen mit uneindeutigen Forderungen. Die menschenrechtlichen Aufgaben des Staates im Kontext des Rechts auf Sicherheit beschränken sich nicht auf Unterlassungspflichten. Der Schutz von Leib und Leben erfordert vom Staat eine effektive Gewaltprävention und Strafverfolgung, was ohne den Unterhalt von Institutionen wie Polizei, Gerichtsbarkeit und Strafvollzug und damit ohne einen umfangreichen organisatorischen Aufwand und ohne den Einsatz von erheblichen Steuermitteln nicht möglich ist. Der Schutz von Leib und Leben pflegebedürftiger Menschen erfordert eine gute Pflege, mit der pflegende Angehörige entlastet oder ersetzt werden können. Dabei handelt es sich um das soziale Recht auf Gesundheitsversorgung. Auch hierfür sind der Unterhalt von Institutionen wie Pflegeheimen und ambulanten Pflegediensten und dadurch ein erheblicher Einsatz von Steuern und Abgaben notwendig. Aus dieser Sicht besteht kein qualitativer Unterschied zwischen dem Anspruch auf Sicherheit und dem Anspruch auf Pflege. In beiden Fällen ist eine institutionelle Absicherung mit einem erheblichen Bedarf an Ressourcen notwendig. Wenn nun bei begrenzten verfügbaren Steuergeldern entschieden werden muss, ob die Personalmittel für die Polizei aufgestockt werden sollen, um die Bürger besser vor Gewalttaten schützen zu können, oder ob die Mittel zur Vergütung von Pflegekräften erhöht werden, um Missstände in der Pflege zu beheben, muss politisch entschieden werden, welcher
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Bereich mit welchen Ressourcen ausgestattet werden soll. Mit Blick auf die Funktion des Schutzes des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit ergibt sich keine Priorität dafür, dass erst Polizei und Strafvollzug gut ausgestattet werden, und dann geschaut wird, was für die Pflege übrig bleibt. In keinem der Fälle handelt es sich um die Befriedigung von Sonderbedürfnissen Einzelner. Jede und jeder kann genauso Opfer eines Verbrechens werden, wie er oder sie durch Krankheit oder Alter pflegebedürftig werden kann. Unsere unhintergehbare Verletzlichkeit als Menschen bedingt, dass alle genannten Institutionen – Polizei, Strafvollzug und Pflegedienste – für den Schutz des allgemeinen Menschenrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit notwendig sind (vgl. Pogge 2001: 199 – 202). Umgekehrt gilt aber auch, dass wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte nicht nur positive sondern auch negative Rechte enthalten, insofern sie Diskriminierungsverbote enthalten. Das gilt beispielsweise für die Vergabe von Arbeitsplätzen und für die Aufnahme in Kranken-, Arbeitslosen- und Rentenprogramme. Behinderte Menschen dürfen hier nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligt werden. Das ist ein negatives Recht. Sie haben aber keinen Rechtsanspruch auf einen bestimmten Arbeitsplatz. Derart umfassende positive Rechte wurden in der Konvention nicht formuliert. Das Recht auf Arbeit von behinderten Menschen verpflichtet den Staat jedoch dazu, die Rahmenbedingungen zu schaffen und die Unterstützungsleistungen und Assistenzdienste zu gewährleisten, die es behinderten Menschen ermöglicht, im ersten Arbeitsmarkt tätig zu sein. Festhalten möchte ich an dieser Stelle, dass eine klare Zuordnung der bürgerlichen Freiheitsrechte und der politischen Rechte zu Nichtinterventionsrechten und der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu Leistungsrechten nicht möglich ist (vgl. Feinberg 2001: 179 – 185). Damit ist aber noch nicht die Frage beantwortet, ob die Menschenrechte auch gleich zu gewichten sind. Wenn man den ganzen Katalog der Menschenrechte betrachtet, scheint es geradezu offensichtlich zu sein, dass einigen Rechten – etwa dem Recht auf Schutz vor Folter – ein fundamentalerer Charakter zukommt als anderen Rechten – etwa dem Recht auf bezahlten Urlaub. So argumentiert auch Henry Shue: Es gibt offenbar einige Rechte, die als „basic rights“ bezeichnet werden können, weil ihnen ein fundamentaler Charakter in dem Sinne zukommt, dass sie die Bedingung dafür sind, überhaupt irgendwelche Rechte ausüben zu können. Allerdings gehören zu diesen fundamentalen Rechten keineswegs nur bürgerliche Freiheitsrechte und politische Rechte. Gerade die sozialen Rechte auf Nahrung, Kleidung, Wohnung und Gesundheitsversorgung müssten zu den „basic rights“ gezählt werden (Shue 1980: 19). Sie beziehen sich auf existenzielle Grundbedürfnisse, was die Voraussetzung für die Wahrnehmung anderer Rechte darstellt. Die Situation behinderter Menschen aber zeigt besonders deutlich, dass die konkreten Hierarchien von Rechten, die man dabei aufstellen kann, in Abhängigkeit von der individuellen Bedürftigkeit und den individuellen Lebensumständen
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höchst unterschiedlich sein können. Es ist keinesfalls so, dass für jeden behinderten Menschen immer wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte die größere Bedeutung haben und für jeden nicht behinderten Menschen die bürgerlichen Freiheitsrechte und die politischen Rechte. Die Problematik von psychiatrischer Zwangsbehandlung und -unterbringung zeigt dies besonders deutlich (Degener 2006: 108). In den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion ist die dauerhafte unfreiwillige Unterbringung von Menschen mit geistigen und psychisch-sozialen Beeinträchtigungen in geschlossenen Anstalten nach wie vor die übliche Praxis. In diesen „Internaten“ sind die behinderten Menschen meist völlig der Willkür des Personals ausgesetzt; Selbstbestimmung ist unter diesen Bedingungen ein Fremdwort. Es besteht so gut wie keine Möglichkeit für die Betroffenen dagegen vorzugehen.1 In den USA sind ungefähr ein Viertel aller Gefängnisinsassen Menschen mit psychisch-sozialen und geistigen Beeinträchtigungen. Das wird auf die Politik der „Deinstitutionalisierung“ zurückgeführt, die in vielen Bundesstaaten in den USA sehr konsequent verfolgt wird, ohne dass parallel dazu ein angemessenes ambulantes Unterstützungssystem aufgebaut worden wäre. Menschen mit psychischsozialen Störungen und leichteren geistigen Beeinträchtigungen geraten daher oftmals in die Mühlen der Justiz, weil niedrigschwellige soziale Hilfen und Unterstützungen bei sozial auffälligem Verhalten fehlen.2 Die beiden Beispiele zeigen, dass die Achtung und der Schutz der bürgerlichen Freiheitsrechte für behinderte Menschen genauso notwendig ist, wie die sozialen Leistungsrechte. Dabei liegt die individuelle Priorität stets dort, wo Missachtung erfahren wird. Die UN-Behindertenrechtskonvention führt einen weiteren verbindlichen Anspruch ein, der möglicherweise nicht ohne weiteres aus den allgemeinen Menschenrechten abgeleitet werden kann: Das Verständnis von Diskriminierung wird nicht auf die Vorenthaltung formal gleicher Rechte beschränkt, sondern schließt Diskriminierungen durch Barrieren, fehlende Hilfe, Unterstützung und Sorge sowie durch Vorurteile und abwertende Stereotypen explizit ein. Die Konvention enthält diesbezüglich auch konkrete Vorschriften, mit denen die gesellschaftliche Anerkennung und Wertschätzung behinderter Menschen gefördert werden soll. Nun ist es allerdings ausgesprochen umstritten, ob es verbindliche Ansprüche, mit der bestimmte Einstellungen und Haltungen von anderen gefordert werden können, überhaupt geben kann. 1 Menschenrechtsverletzungen im Kontext der Praxis und der rechtliche Hintergründe der Russischen Psychiatrie sind ausführlich in dem Bericht „Human Rights and Guardianship in Russia“ vom Mental Disability Advocacy Center auf deren Homepage http: // www.mdac. info/en/reports dokumentiert. Abgerufen am 25. 03. 2008. 2 Die Verhältnisangabe entstammt einem ausführlichen Bericht von Human Rights Watch über Menschen mit psychisch-sozialen und mit geistigen Beeinträchtigungen in den USGefängnissen, der unter dem Titel „Ill-Equipped: U.S. Prisons and Offenders with Mental Illness“ auf deren Homepage veröffentlicht ist: www.hrw.org/reports/2003/usa1003/abgerufen am 25. 03. 2008.
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Mit den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen über Sexismus, Rassismus, Homophobie und Behindertenfeindlichkeit ist allerdings die Einsicht gewachsen, dass jeder Mensch auf die Erfahrung sozialer Wertschätzung angewiesen ist, um eine intakte und stabile Persönlichkeit entwickeln und bewahren zu können. Charles Taylor hat in seinem wegweisenden Artikel zum Multikulturalismus der Menschenrechtspolitik vorgeworfen, mit dem Grundsatz der gleichen Achtung die individuellen Besonderheiten von Menschen zu negieren und damit ihre personale Identität zu gefährden. Eine angeblich faire, „differenz-blinde“ Politik sei nicht nur unmenschlich, weil sie Identitäten unterdrücke, sondern auch auf subtile, ihr selbst nicht bewusste Weise in hohem Grade diskriminierend (Taylor 1992: 44). Diese Kritik wurde in der Konvention konsequent aufgenommen: So wird z. B. auf eine abschließende Definition von Behinderung verzichtet, die als abwertend empfunden werden könnte. Das traditionelle medizinische Modell von Behinderung, das sich auf individuelle Funktionsbeeinträchtigungen stützt, wird durch das soziale Modell ersetzt, das die behindernden sozialen Bedingungen als eigentliches Problem betrachtet. Als behinderte Menschen im Sinne der Konvention gelten folglich alle diejenigen, die auf Grund von Wechselwirkungen zwischen individuellen Schädigungen und „verschiedenen Barrieren“ an der vollen und gleichberechtigen gesellschaftlichen Teilhabe gehindert werden. Das bedeutet, dass in der Konvention auf jeden Sprachgebrauch verzichtet wird, der dazu geeignet wäre, diskriminierende Vorurteile zu bedienen (von Bernstorff 2007: 1047). Außerdem werden Maßnahmen zur Förderung eines Bewusstseinswandels (awareness raising) vorgeschrieben. In Einzelregelungen werden die Unterzeichnerstaaten verpflichtet, Schulungen zur Sensibilisierung von Beschäftigten in Berufsgruppen, von deren Haltung gegenüber behinderten Menschen der wirksame Schutz der Menschenrechte entscheidend abhängt, durchzuführen. Dazu gehören die Beschäftigten im Bildungssystem, im Justizwesen und in der Gesundheitsversorgung. Die staatlichen Verpflichtungen, die mit dem menschenrechtlichen Anspruch auf gesellschaftliche Wertschätzung verbunden sind, sind damit erstens, Respekt für die individuellen Besonderheiten eines jeden Menschen im politischen und staatlichen Handeln zu zeigen, zweitens wirkungsvolle Regelungen zum Schutz vor Diskriminierung durch Dritte zu erlassen und drittens geeignete Maßnahmen zur Bekämpfung von Vorurteilen und abwertenden Einstellungen in der Gesellschaft zu ergreifen sowie die strukturellen und institutionellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sich nicht diskriminierende Einstellungen gegenüber behinderten Menschen kulturell durchsetzen können.
IV. Wird das Menschenrechtsverständnis mit der Behindertenrechtskonvention „überzogen“? Aus menschenrechtssoziologischer Sicht ist die Garantie der Gewaltfreiheit in privaten und familiären Beziehungen die Voraussetzung für die Möglichkeit indivi-
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dualisierter Selbstdarstellung und flexibler Rollenübernahme, und damit Bedingung für moderne funktional differenzierte Gesellschaften. Wenn dabei behinderte Menschen einbezogen werden sollen, umfasst die Garantie der Gewaltfreiheit auch ihren Schutz vor Missbrauch und Vernachlässigung durch geeignete soziale Hilfen und Assistenz. Dasselbe gilt für menschenrechtliche Ansprüche auf gesellschaftliche Wertschätzung. Aus menschenrechtsphilosophischer Sicht ist festzuhalten, dass Gesellschaft, Staat und Politik entsprechend der „menschenrechtlichen Pflichtentrias“ (Koch 2005) dazu verpflichtet sind, die Menschenrechte selbst zu achten (respect), sie vor Missachtung durch Dritte schützen (protect) und wirksame Maßnahmen zu ihrer vollen Verwirklichung zu ergreifen (fulfill). Die Erweiterung des Schutzbereichs der Menschenrechte auf behinderte Menschen bringt dabei notwendigerweise eine Erweiterung ihres Anwendungsbereichs mit sich. Das gilt für Ansprüche auf Hilfe, Unterstützung und Sorge in asymmetrischen persönlichen Beziehungen mit einer nicht reziproken Verteilung von Rechten und Pflichten genauso wie für Ansprüche auf gesellschaftliche Wertschätzung in gesellschaftlich-kulturellen Beziehungen. Wenn wir hier von Rechten sprechen können, müssen diese offenbar unter Umständen „ersatzweise“ gegenüber Gesellschaft, Staat und Politik geltend gemacht werden, weil direkte, unmittelbar ansprechbare Adressaten fehlen können. Dabei lässt sich überzeugend zeigen, dass die in der Konvention formulierten Menschenrechtsansprüche nicht mehr und nicht weniger umfassen, als die konsequente Präzisierung und Konkretisierung der allgemeinen Menschenrechte für die besonderen Lebenssituationen behinderter Menschen.
Summary In December 2006 the General Assembly of the United Nations adopted the Convention on the Rights of Persons with Disabilities, which subsequently came into effect in May 2008. The Convention grants equal rights for all disabled persons. It emphasises binding claims to a self-determined and independent life, to barrier-free access to all public spaces, and to full and equal social inclusion, as well as to help, support and care, based on a spirit of solidarity. Thus, the Convention takes a major step from a policy of charity and welfare for disabled persons to a policy based on rights. However, its implementation into national law will pose a great challenge for the signatory states. In this context I discuss whether the Convention can be understood as a consistent and continuing development of the concept or human rights, or if it is asking too much. Therefore, I differentiate between a sociological understanding of human rights, which focuses on its social worth, and a philosophical understanding that questions its moral validity. From a sociological viewpoint, protection from violence, abuse and neglect is required in private and family life to accommodate the high requirements for the individual’s self-expression and his or her ability to assume roles within modern
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society. But from a philosophical viewpoint, deviation from the traditional separation of private and public life and suggesting the equal relevance of economic, social and cultural rights, including civil and political rights, are often countered with scepticism. I argue against popular philosophical positions that both statements are necessary requirements for the principle of universal respect of human rights with regard to the special needs and living conditions of disabled persons.
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Logical Relations Between Kant’s Categorical Imperative and the Two Golden Rules Hans-Ulrich Hoche and Michael Knoop
I. Takahashi on a close relationship between the Categorical Imperative and the Universalised Golden Rule 1. Some years ago, Fumihiko Takahashi, a distinguished expert in the history and theory of the Golden Rule in the Eastern as well as the Western world,1 was so kind as to call one of the authors’ attention to ‘a very close relationship’ between Kant’s Categorical Imperative and the Universalised Golden Rule – a variant of the Golden Rule which seems to have prevailed in Greek antiquity, and in a sense only there. Although, he said, both of these ethical principles doubtless display quite different logical structures, a trivial attenuation of the one wholly coincides with a similarly trivial attenuation of the other.2 2. We can easily convince ourselves of the truth of this claim if we interpret (the ‘first formula’ of)3 the Categorial Imperative and the Universalised Golden Rule as (C)
If and only if I can want [intend] everybody to do F I morally may do F.4
and (U)
If I want [intend] everybody to do F, then I morally ought to do F.5,
See esp. Takahashi 1996; 1997; 2000. Takahashi 1998. 3 In what follows, we will confine ourselves to discussing the so-called ‘first formula’ – the universalisation formula or law(-of-nature) formula – of Kant’s Categorical Imperative (see, e.g., Kant 1785: A 17, 20, 52, 62, 70, 75 / 6, 80 – 82; Schönecker / Wood 2002: 3.4.1, 3.4.2.1). How this ‘formula’ is related to the other ones Kant has discerned, and how it is embedded in the whole of Kant’s ‘metaphysics of morals’ and his transcendental philosophy at large, is a problem which lies outside the scope of this paper. 4 Takahashi 1998; cf. von Kutschera 1982: 5.1, p. 196 (and subsect. IX.3, fn. 63, below). For the time being, and as long as possible, we will follow these two authors in shaping (C) and its diverse logical symbolisations (see esp. sects. V–VI, below, passim) without accounting for the role of Kant’s ‘maxims’, which we will only introduce in sect. VII, below. 5 See Hoche 1992: 4.6, esp. p. 284, proposition (4.6.8a). 1 2
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respectively. In symbolising (C), for the time being we will follow Takahashi in adopting Franz von Kutschera’s suggestion to formalise (C) as (C} )
}(We)(x)Fx $ P(Fe),
where ‘P’ is to stand for ‘it is morally permissible that’ [‘morally may’], ‘F’ for ‘perform(s) the (course of) action F’ [‘do(es) F’], ‘e’ for the indicator ‘I, the present speaker (or first-person subject of intention and belief)’ [‘ego’],6 the equivalentor ‘$’ for ‘if and only if ’, the diamond ‘}’ for ‘it is possible that’,7 ‘(We)’ for the theletic operator ‘I will [want; intend]’,8 and ‘(x)’ for the universal quantifier, which here is to say: ‘for every person x’. Correspondingly, we may formalise (U) as (U’)
(We)(x)Fx ! O(Fe),
where ‘O’ is to stand, of course, for ‘it is morally obligatory’ [‘morally ought’], and the implicator ‘!’ for ‘if [ . . . ], then’. 3. Because of ‘(p $ q) ! (p ! q)’, which is a trivial law of the propositional calculus, we may weaken, or water down, (C}) to (Cw)
}(We)(x)Fx ! P(Fe);
and because of ‘Op ! Pp’ – ‘What is obligatory is also [a fortiori] permissible.’, or in short: ‘“ought” implies “may”’ –, which is a generally accepted law of deontic logic,9 and the transitivity of implication, which is a law of the propositional calculus, we may weaken, or water down, (U’) so as to yield (Uw)
(We)(x)Fx ! P(Fe).
6 For details concerning the admissibility of such context-dependent (deictic; indexical) expressions or, as Russell called them, ‘egocentric particulars’ in formal languages, see Barnett 1974. 7 For our present purposes, we need not and hence will not engage in the question what kind of modalities Kant, in devising his Categorical Imperative, was thinking of. Suffice it to keep in mind that the possibility operator formalised by the diamond ‘}’ and the corresponding necessity operator formalised by the box ‘&’, which we will use later on, are supposed to refer to one and the same sort of modality. 8 As a rule, in ordinary-language readings and exemplary sentences we will distinguish between the uses of round and square brackets in the following way. What is put in round brackets could as well be omitted but may be useful in that it hints at nuances of meaning or disambiguates a reading. What is put in square brackets, however, is to be understood as an alternative to the preceding expression(s). – In this paper we will follow the customary usage and mostly treat ‘I will’, ‘I want’, and ‘I intend’ as meaning more or less the same. Though the verbal form ‘I intend’ probably conveys what we mean to say by them most unambiguously, in symbolising, and thereby regimenting the use of, these three expressions we rather think of ‘willing’ or ‘wanting’ and write ‘(We’). 9 For a problematisation and a remarkable consequence of this law, see Hoche 2001: sects. VII – IX, XIII –XIV.
Logical Relations
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Finally, because of ‘p ! }p’ – ‘What is in fact the case is also [a fortiori] possible.’ –, which is a generally accepted law of modal logic, and, once again, the transitivity of implication, (Uw) follows also from (Cw). So (Uw) is an attenuation of (U’) as well as of (C}), and in this sense we may say that (Uw) represents, as it were, the ‘least common denominator’ or the minimal position advocates of the Categorical Imperative and advocates of the Universalised Golden Rule can agree upon: ‘If I want everybody to do F, then I morally may do F.’.
II. Aims, methods, and relevance of the present paper 1. Though this relation between the Categorical Imperative and the Universalised Golden Rule is perhaps none too interesting, it is surely the only one that can be laid open by means of conventional deontic logic. But if, instead, we make use of an integrated logic of believing and intending (‘doxastico-theletic logic’), which allows us to prise open the customary deontic operators and thus to reveal their internal structures,10 we are in a position to unearth a much more spectacular if more concealed logical relation between the two ethical principles. In what follows, on this basis we will endeavour to show, first, that (Kant’s ‘first formula’ of) the Categorical Imperative is entailed by the Universalised Golden Rule; second, that the latter, and hence indirectly also the former, is entailed by the much better known Singular Golden Rule; and, third, that the first two ethical principles admit of an optimal justification in that they turn out to be analytic truths, whereas for the Singular Golden Rule no logically cogent justification is in sight. These results are rather surprising indeed; for on the face of it no less than two of them squarely contradict explicit assessments of Kant’s own. 2. Expectedly, these results cannot be achieved on the basis of a doxastico-theletic logic alone. Rather, the formal approach has got to be added on an underlying informal analysis of ordinary-language ‘ought’-propositions. Furthermore, if such an analysis of our genuine language of morals is expected to yield more than few trite results, it can only be based on the analyst’s personal idiolect – or rather on his or her combined ‘imaginative and idiolectal competence’ (or, for short: ‘sprachgefühl’), which we generally take to be the indispensable basis for effectively doing philosophy in a linguistic key.11 But if all of these provisos are allowed 10 One of the present authors took pains to develop the elements of a serviceable doxastico-theletic logic in some former publications, esp. in Hoche 1992; 1995 a, b; 2001; 2004. 11 See, for instance, Hoche 2008: Index of Subjects, entry ‘competence, imaginative and linguistic [idiolectal]’. – The idiolectal and hence ‘personal’, ‘private’, or ‘subjective’ basis of linguistic philosophy is often considered a serious drawback of this kind of philosophising. However, any attempt at striving for strictly subject-independent philosophical results, which could in principle command the assent of whomsoever, seems to us to be doomed to failure. So in our view it would be unwise to look for such a chimaera in the first place. Hence we think that regarding each one’s individual imaginative and idiolectal competence as the final arbiter for distinguishing between what is, and what is not, philosophically acceptable to her
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for, according to the authors’ personal imaginative and idiolectal competence – which our readers, after careful consideration, may of course share or not – the three results just mentioned seem to us to be warranted: The Categorical Imperative (in its so-called ‘first formula’) is entailed by the Universalised Golden Rule; the Universalised Golden Rule is entailed by the Singular Golden Rule; and the Categorical Imperative and the Universalised Golden Rule are both analytically true, that is, true in virtue of the meanings of the ordinary-language expressions used in their wordings alone. 3. As the Singular Golden Rule, the Universalised Golden Rule, and Kant’s Categorical Imperative exhaust, to the best of our knowledge, the set of ethical principles elaborated so far which draw on the will of the acting subject alone and hence can on principle be used as bases for a transcultural moral education, taking pains to work out these results is certainly worth one’s while. III. The analysis of ‘ought’-statements in terms of a doxastico-theletic logic 1. On the basis of his personal imaginative and idiolectal competence, one of the authors elsewhere endeavoured to show at great length that an ordinary-language analysandum of the surface-grammatical form (1)
According to my personal normative standards, I am morally obligated to do a0 [or, in precisely this sense: I morally ought to do a0]
may and should be analysed, on a ‘shallow’ level of analysis12 which is perfectly sufficient for our present purposes, and in a first step that still uses a ‘semi-ordinary-language’ notation, as or him is the only solid foundation for pursuing intellectual enquiries which, after all, lack a ‘matter of fact’ base other than the factual way we speak about ourselves and the rest of the world. It should be noted, however, that our personal idiolects differ only in marginal and less vital respects; for unless our idiolects had largely adjusted themselves to each other, man, as a ‘social animal’ (‘zoon politikon’), couldn’t have survived. But philosophical subtleties are certainly less essential for social or biological survival, and so philosophising tends to be linguistically located at, or very near, the ‘fuzzy edges’ of our otherwise largely congruent idiolects. – In particular, it should be added that it would surely be wrong to suspect that an idiolectal approach to our common ‘language of morals’ is likely to result in a ‘relativistic’ morals, and the more so as what philosophers are primarily, if not solely, concerned with in their ‘office hours’ isn’t morals but ethics (in the sense of the contemporary term ‘metaethics’). At best, during their working hours they deal with morals (or: normative ethics) in default of any other generally accepted moral experts (besides, perhaps, priests, judges, politicians, agony aunts, and others of that ilk), or simply as experienced substitutes for, or deputies of, the man in the street. 12 Quine 1960: § 33, p. 160, rightly commends a ‘maxim of shallow analysis’: ‘expose no more logical structure than seems useful for the deduction or other inquiry at hand’ (Quine’s italics).
Logical Relations
(1’)
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I want [intend] any person z to do any action a if z believes that he (himself) [or: she (herself)] stands to a in relation R0; and I believe that I stand to action a0 in relation R0.13
2. For logical purposes such as the ones pursued in the present paper, the analysans (1’) needs to be replaced with a more thoroughgoing formalisation that can serve as an abbreviation as well as a regimentation of the terms used. In his former relevant publications, Hoche contented himself with choosing something like (1”)
(We) : (z,a) . (Bz) R0za ! Dza : & (Be) R0ea0.14
By now, however, the authors have convinced themselves that it is imperative to decide in favour of a somewhat less simple formalisation, namely, one that makes use of what Hector-Neri Castañeda called a ‘quasi-indicator’.15 For certainly it is most natural to verbalise the questionable constituent of (1”), to wit, ‘(Bz) R0za’, not as ‘z believes that he (himself) [or: she (herself)] stands to a in relation R0’, but as ‘z believes that z stands to a in relation R0’, and the two readings do not always amount to one and the same thing. Rather, there exist some none too unfamiliar situations in which a statement made by using the first sentence may be true and a statement made by using the second false, and vice versa. For instance, a scientist who has applied for an academic position may neither know nor believe that she herself is in fact the move-up candidate. In this case, in view of the rather poor qualification of the person whom she (rightly or wrongly) believes to be the Number One of the list, the Number Two of the list may well believe that the Number Two of the list has good chances to get the job without believing – in the ‘de-se’mode, as sometimes it has been aptly put in the pertinent literature – that she herself has good chances to get it. Conversely, she may well believe that she is pre13 See esp. Hoche 2001: sect. VII, and the multifarious preparatory considerations in Hoche 1992 or, in a much more concise form, 1995a. – For some details of the structure of the relation R0, see also subsect. VII.1, below. 14 With the exception of formulae belonging to the established deontic logics or the propositional calculus (where we will stick to the usual bracket notation), in this paper we will use one, two, or more dots instead of round, square, curly, or still other shapes of brackets (or nesting a number of round brackets, which is now customary but, in our view, confusing and likely to strain the eye). In so doing, we will loosely follow Lewis / Langford 1932: Appendix I, and also retain their convention that the scope of a group of n dots is to be understood as being closed by the next group of n or more dots or else as extending up to the very end of the formula. In order to avoid an excessive use of dots, mostly (but not slavishly) we will follow, furthermore, the customary conventions for saving brackets (or dots, for that matter). In the most common bracket notation, (1”) would have to be replaced with ‘(We) ((z,a) ((Bz) R0za ! Dza)) & (Be) R0ea0’, which, despite its still comparatively simple form, already requires some cumbersome bracket counting. 15 The locus classicus is sometimes said to be Castañeda 1967b, a paper which the author few years later found himself ‘very unreadable’ (Castañeda 1968: p. 439); at least as illuminative are Castañeda 1966; 1967a; 1968.
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sently suffering from a hypertensive urgency without believing that the Number Two of the list is presently suffering from a hypertensive urgency.16 For such reasons, the second occurrence of ‘z’ in ‘(Bz) R0za’ – that is, the occurrence of ‘z’ within the scope of the belief operator ‘(Bz)’ – needs to be replaced with the quasi-indicator17 which in the ‘that’-clause depending on a belief operator (and likewise in any other cases of oratio obliqua) represents the use of the indicator ‘I’ which the belief subject would choose himself or herself if he or she were to verbalise his or her own belief.18 In ordinary English, this is ‘he (himself)’ or ‘she (herself)’, as we can see, for instance, from (1’). But as ‘he’ and ‘she’ are also frequently used as ordinary indicators (indexicals) or else as anaphoric pronouns, Castañeda suggested to disambiguate the notation and write down the quasi-indicator ‘he’ as ‘he*’.19 In addition, he suggested a slightly more elaborate alternative to the symbol ‘he*’, which, in the exemplary case of our intended improvement of (1”), he would note as either ‘(z)1’ or ‘*(z)1’.20 However, as in the present paper subindices >1 would nowhere occur, for the sake of convenience as well as perspicuity here we will decide on the simplest possible notation, to wit, ‘z*’, the substitution of which for the non-starred letter ‘z’ in the crucial constituent of (1”) yields ‘(Bz) R0z*a’. Correspondingly, instead of (1”) we will choose the formalisation (1’”)
(We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! Dza : & (Be) R0ea0.21
16 Cf. Castañeda 1966: pp. 38 f.; 1967a: pp. 11 – 13, 16 – 18; 1968: I.2, esp. pp. 441 f. This is the reason why ‘quasi-indicators [ . . . ] are not replaceable by their antecedents’ (Castañeda 1967b: p. 93; cf. 1966: p. 42), and why they are ‘the only linguistic expressions that preserve the full force’ of ‘a person’s uses of indicators’ (ibid.: p. 94), or ‘the only tools which allow us to capture the cognitive impact conveyed by the essential indexicals’, where the ‘cognitive impact’ triggers, or is at the bottom of, any ‘self-centered behaviour’ (Corazza 2004: p. 342). 17 The fact that both occurrences of ‘z’ in ‘(Bz) R za’ are likewise occurring within the 0 scope of the universal quantifier ‘(z)’ does not get in the way of this replacement. Castañeda expressly states of ‘the “he” of self-knowledge’ that ‘sometimes it is a constant, and sometimes it is [a] variable of quantification. It is a variable in “A thinking being who knows that he exists is a person.”’ (1967a: p. 12; cf. 1967b: pp. 93, 96, and 1966: p. 38: “Someone thinks that he* is a genius.”). For a problematisation of this claim, see fn. 21, below. 18 See Castañeda 1967b: esp. pp. 85, 92. 19 See ibid.: esp. pp. 93, 95. 20 See Castañeda 1967a: p. 14; 1968: I.3 – 4; and 1967b: sects. 7 – 8, respectively. In both equivalent notations, ‘z’ indicates what Castañeda (1967a: p. 14; 1968: p. 444) calls the ‘remote antecedent’ – which in this simple case coincides with the ‘immediate antecedent’ – of the occurrence of ‘z’ within the scope of the belief operator ‘(Bz)’, and the subindex is to indicate the ‘degree’ of the quasi-indicator. For our present purposes, we need not care about these details; but in more complicated cases – such as ‘The Editor of Soul knows that Gaskon knows that he* [Gaskon] knows that he* [the Editor] is a millionaire.’ (1968: p. 445) or ‘John told Paul that he* had been made a full professor.’ (1967b: p. 100) – the indication of the precise antecedent as well as the indication of the degree serve the important purpose of disambiguating certain types of ambiguous ordinary-language readings.
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3. The characteristic and most striking feature of this way of analysing (the form of) an ordinary-language ‘ought’-proposition is the fact that the analysans (1’”) entirely does without a deontic operator such as ‘O’ (‘it is morally obligatory that’). Instead, it contains the theletic operator ‘(We)’ (‘I will [want; intend] that’) and the doxastic operators ‘(Bz)’ (‘the person z believes [is convinced] that’) and ‘(Be)’ (‘I believe [am convinced] that)’. This is why the analysis here suggested may be rightly called a ‘doxastico-theletic’ one. 4. Our suggestion to analyse (1) in just this way has been prompted, inter alia, by the deontic law ‘“ought” implies “may”’22 and by the metaethical theory of ‘Universal Prescriptivism’. As moral philosophers had occasion to learn from Richard M. Hare, an ordinary-language ‘ought’-judgement only expresses a normative attitude which the speaker is prepared to personally advocate and defend if it is ‘prescriptive’ as well as ‘universalisable’.23 In Hoche’s attempt to improve Hare’s Universal Prescriptivism,24 he adopted the latter’s definition of universalisability.25 However, he thought it useful to define the prescriptivity of a moral ‘ought’-statement, not as the ‘entailment’ of the corresponding imperative (as Hare would have it), but rather as what he suggests to call the ‘semantic implication’26 21 At the latest the incorporation of the symbol ‘z*’ in a logical formula such as (1’”) makes unmistakably felt the need of a semantical interpretation of this symbol which does fully justice to the requirements of its syntax. As far as we can see, the only interpretation of ‘z*’ which meets these requirements is its interpretation, not as being itself a constant or a variable (as Castañeda seems to insinuate: see fn. 17, above), but as a function term which is composed of the function sign ‘*’ and the argument sign ‘z’, only the latter of which can be properly called a constant or a variable (as the case may be) in the present-day usage of these technical terms of logic and mathematics. Whenever we insert any arbitrary expression referring to the person who is the subject of the propositional attitude in question into ‘*’ – or ‘ *’, ‘. . .*’, or ‘*’, to be quite explicit –, what we get is the (third-person perspective counterpart of) the specific expression by means of which said subject would immediately refer to himself or herself. Hence ‘z*’ may be read, in ordinary language, as, say, ‘the (believing, intending, etc.) subject z in the way [or: (Fregean) mode of presentation in which] he or she is immediately given to himself or herself ’. But a thorough discussion of this topic lies, of course, far beyond the scope of the present paper. 22 See subsect. I.3, above. 23 See esp. Hare 1952: passim; 1963: passim; 1981: passim. 24 See esp. Hoche 1992; 1995a; 2001. 25 Hare 1963: sect. 8.2: ‘by calling a judgement universalizable I mean only that it logically commits the speaker to making a similar judgement about anything which is either exactly like the subject of the original judgement or like it in the relevant respects. The relevant respects are those which formed the grounds of the original judgement’; cf. ibid.: sect. 2.2. 26 For details, see Hoche 2008: Essays I and II. – In Hoche’s pertinent publications preceding 2001, he found it more plausible to consider this implication to be but a ‘pragmatic’ one. So at that time he favoured a much simpler analysans for proposition (1), which had the – arguably only apparent – advantage of making the analysis of second- and third-person ‘ought’statements easier (if not possible in the first place), but at the same time the great disadvantage of making the implication of moral ‘may’-propositions in moral ‘ought’-propositions a pragmatic one, too, which is certainly counterintuitive (see Hoche 2001: sects. VII –X).
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of the corresponding ‘I intend’-proposition. Now according to our personal imaginative and idiolectal competence – as the only evidence a philosopher can safely draw upon in doing linguistic analysis –, an ordinary-language proposition of the form (1) semantically implies, inter alia, propositions of the following surfacegrammatical forms: (2) (3) (4)
According to my personal normative standards, I morally may do a0; Everybody in a situation which, in all morally relevant respects, is like mine morally ought to do a0; I intend to do a0.
Correspondingly, from the analysans (1’”) we can derive the formal counterparts or analysantia of (2), (3), and (4) by means of the rules of a doxastico-theletic calculus.27 5. Let us add a brief remark concerning the use of the relation-constant ‘R0’, which shows up in the analysans (1”’) but not in the analysandum (1). This divergence might seem to violate a basic rule of linguistic analysis – the rule, to wit, that the analysans must not contain any non-logical constants absent from the analysandum. But note that if a speaker is uttering (1) in a speech-act theoretically correct way, he needs to be in a position to offer some reason for what he is saying, that is, to complete, in one way or another, the sentential fragment ‘I morally ought to do a0; for [ . . . ].’. Now we take it that in any case what belongs in the parenthesis has to contain some relation-constant ‘R’ – say, ‘R0’; and so we may treat ‘R0z*a’ and ‘R0ea0’ as being silently understood in the analysans (1”’).28 This is the reason why we believe that we need not replace ‘R0’ with the relation-variable ‘R’ and bind the latter by an existential quantifier ‘(9R)’ installed at the very beginning of the analysans. Nonetheless we think that we could as well replace it so. It is true that this would involve us in a second-order predicate calculus; but this would only render the formal apparatus more complicated without having other, detrimental effects.29 Furthermore, it would throw up the question whether the ensuing case of 27 According to our personal imaginative and idiolectal competence, an analysis failing to allow derivations of this sort would be methodologically inadequate. For details, see Hoche 1992: sects. 4.1 – 4.2; 1995a: sect. 4; 2001: sects. V–VIII. It should be noted, however, that Hoche’s position has undergone some minor changes and is still in flux; today, his proofs would look a bit different. The classic of German humour, Wilhelm Busch (1832 – 1908), was certainly right when he once stated that ‘the philosopher, just as the house owner, is always concerned with repairs’. But this is not the proper place for detailed (self-)criticism in general and for carrying out improved derivations, from (1’”), of the formal analysantia of (2), (3), and (4) in particular. – Let us add, however, that in terms of present day standard systems of deontic logic not even the ethically momentous entailment of an analysans of (3) – let alone the entailment of an analysans of (4) – in an analysans of (1) can be proved (see Nortmann 2007: 265 f., 271 f.) – a fact which, in our view, should be considered an additional asset of a doxastico-theletic logic. 28 See Hoche 1992: 173 – 176, 231; cf. Oldenquist 1967: 98 / 99. 29 See Boolos 1975.
Logical Relations
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a ‘quantifying into’ would be illegitimate; but in our view there are two independent reasons for answering this question in the negative.30
IV. Universal ‘ought’-statements and the Universalised Golden Rule 1. Obviously, the first conjunct of (1’”), that is, (5’)
(We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! Dza
– ‘I want [intend] every person z to do every action a if z believes that he or she stands to a in relation R0’ –, may be characterised as a universal principle of willing which I, the respective speaker of the sentence, personally subscribe to. By uttering (5’) I state or assert that I universally – once for all, and for every acting person – opt for, or prescribe, a certain course or type of action. By this universality, a principle of willing of form (5’) differs from a Kantian ‘maxim’ of acting, which, we take it, may only be considered a general expression of what I intend to do myself – or what I have chosen, once and for all, to do myself – in all situations of a given type.31 In other words: A Kantian maxim of action is intended to be, not a prescription for everybody, but a resolution for my personal ‘domestic use’ only. But note that a universal principle of willing of form (5’) may be regarded as a universalised maxim of action, that is, a maxim I intend – and hence, a fortiori, can intend – to become a ‘universal law’. This should be kept in mind in section VII, below. 2. There is an effective and time-honoured method by means of which each of us can easily find out whether or not he or she subscribes to a given principle of willing. The details of this method of justification are not relevant to the present purposes,32 but let us say at least that much: The core of the procedure is an ‘emotional evidence’, namely, a strong indignation aroused by an anonymised (and often alienated or simile-like) presentation of a fictional situation in which what is willed according to (5’) is not the case: ‘: (z,a) . (Bz) R0 z*a ! Dza’, or, logically equivalent: ‘(9z,9a) . (Bz) R0 z*a & : Dza’. Hence, it is often useful to replace (5’) with the logically equivalent version (5”)
(We) : : (9z,9a) . (Bz) R0 z*a & : Dza.
30 For details, see Hoche 1992: 2.10; 3.8, Comment (4), esp. p. 231 with fn. 308; Hoche 2009; Hoche / Knoop 2009. 31 Cf. Paton 1947: Ch. IV § 2: ‘My maxim, as it were, generalises my action, including my motive’; § 3: ‘the maxim of an action is, as it were, a generalisation of the action and its motive’. See subsect. VII.1, below. 32 The method – the catchword is ‘Nathan-David-Verfahren’ or ‘Nathan-David procedure’ (cf. Old Testament: Sam. II: 12:1 – 7) – has been discussed at great length in Hoche 1992: sects. 3.10, 4.4; 1995a: sect. 5; 2001: sects. XI –XII.
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3. As we can gather from (1’”), the formalisation of a first-person singular or particular ‘ought’-statement requires not only a universal principle of willing of one of the logically equivalent forms (5’) or (5”) but also an, as it were, singular ‘marginal condition’, to wit, the second conjunct of (1’”), which is a statement of a morally relevant fact. However, the formalisation of a first-person universal ‘ought’-statement of the surface-grammatical form (6)
If I believe I stand to any action in relation R0, then I morally ought do to ,
namely, (6’)
() :. (Be) R0e ! (We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! Dza : & (Be) R0e,
can be logically derived from a principle of willing of one of the forms (5’) or (5”) alone.33 So our principles of willing make up the ultimate base of our moral ‘ought’-judgements. 4. By ‘conditionalising’ (6’) with (5’), we get (UGR’)
(We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! Dza : ! () :. (Be) R0e ! (We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! Dza : & (Be) R0e.
As we just stated in IV.3, (6’) can be logically derived from (5’). Hence, (UGR’) is a logically true proposition.34 At the same time it is the doxastico-theletic analysans for the Universalised Golden Rule, which, in I.2, above, we gave the surfacegrammatical form (U)
If I want [intend] everybody to do F, then I morally ought to do F.
Arguably, this ordinary-language reading may be appropriate if we content ourselves with a formalisation in terms of deontic logic. But in view of (UGR’), in a first step we may rather give the Universalised Golden Rule the literal, if perhaps unbearably clumsy, semi-ordinary-language reading: (UGR1)
If I want [intend] any person z to do any action a if z believes that he or she stands to a in relation R0, then for every action : If I believe I stand to in relation R0 then I morally ought do to .
33 The proof, which requires only the rules of the classical first-order predicate calculus, has been carried out in Hoche 1992: sect. 4.5; 1995a: 5.2, and 2001: XVI.2. – Some readers, especially those conversant with Quine, are likely to find it illegitimate that, in (6’), the universal quantifier ‘()’, which is outside the scopes of the belief-operator ‘(Be)’, binds a variable inside these scopes. But it should be noted that in the present context only belief ascriptions de re come into question; that is, the actions ‘’ are supposed to be inhabitants of both a subjective belief-world and the objective ‘real world’ – and in this sense to have, as it were, a ‘dual citizenship’ –, which allows a ‘quantifying into’. For details, see Hoche 2009; Hoche / Knoop 2009. 34 For a detailed proof, see Hoche 2001: sects. XVI –XVII; for the procedure (and derivation rule) of so-called ‘conditionalising’, see subsect. IX.2 with fn. 57, below.
Logical Relations
493
If we remember how, in ordinary language as well as in logic, the universal and the existential quantifiers can be converted into each other – or in view of the logical equivalence of (5’) and (5”) –, in a second step we may replace (UGR1) with the much less clumsy (UGR2)
If I want that in such and such a situation nobody acts in such and such a way, then in such and such a situation I morally ought not to act in such and such a way.
In everyday life, of course, we would rather be inclined to say instead some such thing as ‘If I disapprove of someone’s behaviour, I morally ought not to behave like this.’, or, still simpler: ‘What I hate being done I must not do (myself).’. This, however, is nothing but a deontic reconstruction of a version of the Golden Rule which has been handed down to us from Greek antiquity: ‘How can we lead the best and most righteous life? By not ourselves doing that which we criticise in others.’35 So by applying an integrated logic of believing and intending, we can show this ancient ethical principle to be a logical, or rather an ‘analytical’, truth.36
V. Some first steps in analysing Kant’s Categorical Imperative. The exclusion of morally indifferent actions 1. Let us now try and make use of the results achieved in the preceding sections II and III for doxastico-theletically paraphrasing the Categorical Imperative, which, following Fumihiko Takahashi, in subsection I.2, above, we gave the ordinarylanguage (or surface-grammatical) form (C)
If and only if I can want [intend] everybody to do F I morally may do F.
In terms of classical deontic and modal logics, (C) can be, and has been, given the symbolic form (C})
}(We)(x)Fx $ P(Fe).
35 Thales (translated from Diogenes Laertius I.36). For more records, see Hoche 1978 tr. 1982: sect. X with fns. 18 – 20. 36 It ought to be noted that the Universalised Golden Rule is only a conditional ‘ought’judgement; hence, this principle – as is required for a metaethical principle – is morally neutral and can breed unconditional ‘ought’-judgements only in combination with an antecedent principle of willing which I, the speaker, do in fact advocate; cf. Hoche 1992: sect. 4.8. – Let us add in passing that, unfortunately, some of the receptions that Hoche’s metaethical studies have found so far tend to mistake the Universalised Golden Rule for but a version of the principle of universalisability (generalisation; fairness; justice; etc.) – which, as notably Hare time and again insisted upon, is in fact a ‘logical thesis’, too. But it should go without saying that such a mix-up can only be the result of utter carelessness and ‘diagonal reading’.
494
Hans-Ulrich Hoche and Michael Knoop
But we think it would be highly implausible to accept these two forms at face value. For we can replace (C}) with its logical equivalents (C}’)
:}(We)(x)Fx $ :P(Fe);
(C}”)
:}(We)(x)Fx $ O(:Fe);
(C&)
&:(We)(x)Fx $ O(:Fe),
which make it increasingly clear that (C) expects us to found a specific moral obligation, not on willing something, but on (necessarily) not-willing something, or a (necessary) absence of willing that something should be done. Now at first sight this might seem unacceptable; for certainly most of us would be inclined to assent to the thesis that merely failing to will that something should be done cannot possibly function as a basis for morals. Note, however, that (C) and its formalisations claim to base our criterion for moral obligation on our necessarily not willing, or being unable to will, something; and such an inability of willing that something should be done seems to us to allow of only two reasons: either by nature we lack the potential or faculty of willing at all, or our inability of willing that something specific should be done is but a logical consequence of our (necessarily or factually) willing that something incompatible with it, that is, something including the contradictory or the contrary thereof, should be done. Now of course human beings (or Kant’s ‘rational beings’ at large) are subjects endowed with the faculty of willing, preferring, wanting, or intending; and anyway Kant’s formula (C) and its formalisations relate moral permissibility to our being able to will that something should be done. So only the second reason can come into consideration, and therefore we are certainly well advised if we base the formula (C) of Kant’s Categorical Imperative, not, indirectly, on our being unable to will that something should be done, but, directly, on our willing that (something including) the contradictory or the contrary thereof should be done, of which that inability is but a logical consequence. Furthermore, it would be certainly incompatible with the basics of Kant’s approach to ethics to base moral obligation on our merely factually willing that something should be done; rather, what Kant must have in mind is our necessarily willing that it should be done. 2. These conclusions are corroborated by the following linguistic fact. In everyday English (as well as in German and the other languages we are acquainted with), the difference between sentences of the forms ‘I don’t want [you] to do a’ and ‘I want [you] not to do a’, and similarly the difference between sentences of the forms ‘I don’t believe that p’ and ‘I believe that not p’, is largely ignored: more often than not, the first proposition-form of each pair is understood to mean the same as the second.37 Accordingly, the proverbial man in the street would be in37 This may be due to the fact that in practical life, outside the humanities and sciences, most people, even in the rare cases in which they are in fact indecisive or viewless, are loath to show signs thereof – an attitude which, as a rule, is certainly helpful in the ‘struggle for life’. Purely logically, however, the distinction is highly relevant.
Logical Relations
495
clined to interpret the left sides of the equivalences (C}’), (C}”), and (C&), or, more generally speaking, any such formulation as ‘I cannot intend everyone to do such and such a thing.’, as meaning as much as either ‘I must intend everyone not to do such and such a thing.’, or else as ‘I must intend not everyone to do such and such a thing.’. Now little or nothing seems to us to get in the way of conjecturing that Kant, who by and large adopted the prevailing language use of literary 18th century German and, furthermore, is not known for having been addicted to doing linguistic analysis, in this respect behaved exactly like the man in the street. If so, the question remains what, in the case under discussion, he had in mind: ‘I must intend everyone not to do such and such a thing’, or rather: ‘I must intend not everyone to do such and such a thing’. Now the latter wording, if it is to differ from the former at all, conveys the thought that I must intend some but not (necessarily) all agents in a supposed morally relevant situation (which includes the ‘situation’ of the agents themselves) to behave in a given way, and this indicates that the situation in question is not really morally relevant, or that behaving that way in such a situation is morally indifferent. However, there is a remark of Kant’s that seems to us to show that he thinks that morally indifferent actions – the adiáphora of the Stoics and some other philosophers – should never give rise to moral considerations: ‘But ethics is generally much interested in not admitting, as long as possible, moral mediums, neither in actions (adiaphora) nor in human characters; because in case of such an ambiguity all maxims run the risk of losing their definiteness and firmness’.38 Hence we take it that Kant’s intended meaning of ‘I cannot intend everyone to do such and such a thing.’ is ‘I must intend everyone not to do such and such a thing.’.39 38 Translated from Kant 1793: A 9: “Es liegt aber der Sittenlehre überhaupt viel daran, keine moralische Mitteldinge, weder in Handlungen (adiaphora) noch in menschlichen Charakteren, so lange es möglich ist, einzuräumen: weil bei einer solchen Doppelsinnigkeit alle Maximen Gefahr laufen, ihre Bestimmtheit und Festigkeit einzubüßen.” Cf. Kant 1798: A 18 – 22. – Let us note in passing that the exclusion of morally indifferent actions is likewise highly momentous in the metaethical theory of one of the most keen-witted and fertile moral philosophers of our time: Hare’s well-known, if perhaps only insufficiently understood, ‘Golden-Rule arguments’ seem to properly work only on this very same condition; see Hoche 1983: sect. 9; Knoop 2010. Cf. Hare 1963: sects. 6.6; 7.1 – 7.4, passim; 1981: sect. 12.6, p. 219: ‘in rejecting amoralism [ . . . ] we stipulate that some universal prescription or prohibition shall be adopted for the case under consideration’; 1981: sect. 11.1, p. 189: ‘our method [ . . . ] shows how, given certain claims about the logical properties of the moral and other concepts, and given certain factual premisses about people’s preferences, we shall reach certain conclusions if we do our moral thinking correctly, and have ruled out “It doesn’t matter” as an answer to our questions’ (authors’ italics). 39 Going on from ‘I must intend not everyone to do such and such a thing’ to ‘I must intend everyone not to do such and such a thing’ has to do with what is sometimes called the ‘argument of generalization’ (see, e.g., Singer 1961: esp. ch. 4), in which the exclusion of moral indifference certainly must also be expressly stipulated: If I believe that a given sort of action would have undesirable consequences if it were done by everybody, and hence will that not everybody should do it – why on earth should I then will that nobody should do it? For the simple reason that this transition can be proved if we introduce the exclusion of morally
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Hans-Ulrich Hoche and Michael Knoop
3. Now the (as far as we can see, rather lonely) remark of Kant’s just quoted might seem to be an all-too small base for this interpretation. Therefore it is certainly worthwhile to convince ourselves that the admission of morally indifferent actions is especially undesirable when it comes to applying the Categorical Imperative in concrete situations, that is, that Kant had a very good issue-related or ‘systematic’ reason indeed for banning such actions once and for all from his metaethical considerations. To expound this reason, let us start by briefly clarifying the concept of a morally indifferent action. According to the predominant use of the term in the history of ethics, the moral indifference of an action can be paralleled to the ontological contingency of a state of affairs or to the logical contingency of a proposition. A state of affairs has often been said to be contingent if and only if it is neither necessary nor impossible, and a proposition has often been said to be contingent if it is neither necessarily true nor necessarily false. Similarly, an action has often been said to be morally indifferent if and only if it is neither obligatory nor forbidden, that is, if I neither ought to do it nor ought not to do it.40 Hence, in terms of a doxastico-theletic analysis of moral obligation the moral indifference of an action a0 may take, for instance, the form (7)
: :. (We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! Dza : & (Be) R0ea0 :. & : :. (We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! :Dza : & (Be) R0ea0,
which is to say that I neither ought to do a0 nor ought not to do a0. Correspondingly, the fact that a0 is not morally indifferent, i.e., that I either ought to do a0 or ought not to do a0, can be formally expressed by the sentential negation of (7): (:7)
(We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! Dza : & (Be) R0ea0 :. v :. (We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! :Dza : & (Be) R0ea0.
4. Next, let us remember that, if (C}”)
:}(We)(x)Fx $ O(:Fe)
is an expression of the Categorical Imperative, then (C}’”)
:}(We)(x):Fx $ O(Fe)
is an expression of it, too – and on a precisely equal footing, at that; for it is, as it were, but (C}”) renamed: ‘:F’ is being replaced by ‘F’, and vice versa, which, indifferent actions as an additional premise for our reasoning. – Remarkably enough, Nortmann 2007, 267 f., likewise makes use of this premise in the first one of his two tentative attempts (see subsect. IX.3, fn. 63, below) to show that Kant’s Categorical Imperative may be taken to be an analytic truth. (Adopting a technical term introduced by Rainer StuhlmannLaeisz [‘deontisch definit’], Nortmann, instead of speaking of an exclusion of morally indifferent actions, speaks of a confinement to ‘deontically definite’ cases.) 40 For a wealth of details, see, for instance, Ritter / Gründer 1971 – 2007: Vol. 1, 83 – 85; Vol. 4, 282 and 1027 – 1038.
Logical Relations
497
in view of the arbitrariness of our denotations, we are always free to do. According to the sentential calculus, the conjunction of (C}”) and (C}’”), that is, (8)
(:}(We)(x)Fx $ O(:Fe)) & (:}(We)(x):Fx $ O(Fe)),
entails (9)
:}(We)(x)Fx & :}(We)(x):Fx $ O(:Fe) & O(Fe).
Now suppose there arises a case in which (10)
:}(We)(x)Fx & :}(We)(x):Fx
holds true. If so, by virtue of (9) also (11)
O(:Fe) & O(Fe)
holds true, which constitutes a moral impasse; for of course we are at a loss if we ought to do and at the same time ought not to do one and the same (type of) action. And certainly such cases are in fact ubiquitous. In all economic and social systems which are based on a division of labour or function, we can neither will that everybody should assume the role(s) of a given necessary kind, nor will that nobody should assume these role(s). For instance, a modern village could never thrive and prosper if all people working there were, say, farmers and no one fulfilled, say, the functions of a veterinary surgeon, a butcher, a dairy van driver, an agricultural mechanic, and so on; and a symphonic orchestra could not even come about if all of its members insisted on playing, say, the violin. But of course from this we may not (and as a rule will not) conclude that it would be immoral to work as a farmer, a veterinary surgeon, etc., or to apply for the part of a violinist, a cellist, etc.41 However, to be on the safe side we are certainly well advised if we stipulate that, in applying the Categorical Imperative, we must always convince ourselves that we would not accept a conjunction of the form (10), that is, that we consider the corresponding negation (:10)
}(We)(x)Fx v }(We)(x):Fx
– or, in terms of a doxastico-theletic formalisation,
(:10’)
} (We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! Dza : v } (We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! :Dza
– to be true. Now, according to rules of the standard systems of modal logic and of the propositional calculus, (:10’) is entailed by 41 This problem has often been discussed; see, e.g., Singer 1961: esp. ch. IV; Nortmann 2007: 253 with fn. 4.
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(:12)
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(We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! Dza : v (We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! :Dza,
which, on its part, is entailed by (:7)
(We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! Dza : & (Be) R0ea0 :. v :. (We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! :Dza : & (Be) R0ea0.
Thus the exclusion, once and for all, of ‘adiaphora’ from metaethical considerations done in a Kantian style proves to be a sufficient – and at the same time effective as well as easily implementable – means42 for doing away with a great many seeming counter-examples which could possibly discredit the Categorical Imperative, and which at the very least have to be taken care of.43
VI. Problems with the result reached so far. A plausible way out 1. So the foregoing considerations strongly suggest to interpret what is commonly called the ‘First Formula’ of Kant’s Categorical Imperative, to wit, the equivalence (C&)
&:(We)(x)Fx $ O(:Fe),
as basically meaning no more or less than the equivalence (C&’)
&(We)(x):Fx $ O(:Fe),
which purely logically differs, of course, from the former. For the time being, (C&’) may be read as: ‘I morally ought not to do F if and only if I must intend everyone not to do F.’. But in view of the twofold occurrence of the verbal phrase ‘not to do F’ there is no reason left for using any more this negated form. Hence in 42 Note that this means is sufficient but not necessary for the purpose at hand; for the latter could also be achieved by scrutinising the metaethical question whether, say, intending to become a farmer or to apply on such and such conditions for such and such a position would really fulfil the criteria of being a Kantian ‘maxim’ in the first place (cf. subsect. VII.1, below). However, doing metaethics in general and studying the structure of a Kantian ‘maxim’ in particular are tasks for the professional philosopher and would certainly overstrain the average user of the Categorical Imperative, who is supposed to simply apply this ethical principle. 43 Obviously, this means would not be at our disposal unless we made use, not of a deontic, but of a doxastico-theletic logic – a fact which once again should be considered to be an important asset of a doxastico-theletic logic. – Let us add that, in the case of (UGR’), the exclusion of morally indifferent actions need not be postulated; for the truth of (:12) is already guaranteed by the implicans of (UGR’), namely, ‘(We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! Dza’, and hence requires no further stipulation such as (:7).
Logical Relations
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what follows we may consider the simpler equivalence ‘I morally ought to do F if and only if I must intend everyone to do F.’, or, in symbols: (C&”)
&(We)(x)Fx $ O(Fe).
2. However, the latter interpretation of Kant’s ‘First Formula’ is still very far from being convincing, or even plausible. For the first half-sentence of (C&”) expresses an unconditional necessary and universal intention of mine, and not the slightest bit more, whereas the second half-sentence expresses a moral obligation of mine of which it is still unclear whether it is to bind me in every situation whatsoever (‘universal obligation’) or just in a given individual situation (‘particular [concrete] obligation’). So far, neither interpretation is plausible; for there is no hint at either a particular situation or a specific (type of) situation. So (C&”) calls for being somehow supplemented by a ‘marginal condition’. For the time being, let us simply express the latter with the help of the function sign ‘S0’, which is to indicate the specific type of situation S0 in which a potential subject of actions and / or obligations may find himself.44 At first sight, it seems as if the marginal condition could be displayed in two different ways, depending on which of the two above-mentioned readings we have in mind. On the face of it, in the first reading – which only makes sense if we take the universal obligation of mine to be a conditional one (that is, an obligation obtaining if and only if the agent believes himself to be in a situation of a given type) – the following extension of (C&”) might appear to be plausible: (13)
&(We)(x)(S0x!Fx) $ (S0e!O(Fe)),45
or, in a rather detailed ordinary-language wording: ‘If I necessarily intend everyone in a situation of type S0 to perform an action of type F, then, and only in this case, I morally ought to perform an action of type F if I am (myself) in a situation of type S0.’. In the second reading, in which we think of a particular or concrete obligation of mine, the following extension of (C&”) is likely to commend itself: (14)
&(We)(x)(S0x!Fx) & S0e $ O(Fe).
In a less detailed and more down to earth wording, this may be read as follows: ‘I morally ought to do F if and only if I must intend everyone in situation S0 to do F and am (myself) in situation S0.’. 3. However, both (13) and (14) seem to us to be open to doubts and even objections. For as (13) does not isolate ‘O(Fe)’ on one side of the equivalence, in our 44 In its full-blown shape, this marginal condition is to indicate a number of morally relevant facts; for details, see section VII, below . 45 The alternative ‘&(We)(x)(S x!Fx) $ O(S e!Fe)’, which purely formally seems to 0 0 be equally possible, may, we think, be left out of consideration; for it may be open to paradoxes (see von Kutschera 1973: 1.3).
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forthcoming transition from an analysis in terms of traditional deontic logic to an analysis in terms of a doxastico-theletic logic it cannot give us any hint whatsoever at the way how Kant (if at all) would analyse the concept of unconditional (particular, concrete) moral obligation himself. But let us treat the question whether a doxastico-theletic analysis of Kant’s Categorical Imperative should throughout be based on Kant’s own metaethical conceptions (or preconceptions) as being still open;46 so this objection might be of minor importance. However, there is a second and much graver objection against (13): On the ‘shallowest’ level of logical analysis, this proposition has the sentential form ‘p $ (q ! r)’, and any proposition of the form ‘(p $ (q ! r)) ! (:q ! p)’ can be easily shown to be a logical truth of the propositional calculus (a tautology). So if we accept (13) as a premise, we can derive ‘&(We)(x)(S0x!Fx)’, that is, a statement to the effect that I must have a certain universal intention, from ‘:S0e’, that is, from a statement to the effect that I happen not to be in a given situation. This, however, seems to us to be utterly counterintuitive.47 4. As for (14), the two shortcomings just mentioned are avoided; but then it seems to present itself not so much as a basic ethical principle than as the basis for a definition (explication) of the concept of moral obligation which parallels our doxastico-theletic explication of (1)
According to my personal normative standards, I am morally obligated to do a0 [or, in precisely this sense: I morally ought to do a0]
(1’”)
(We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! Dza : & (Be) R0ea0.48
as
If we want to indicate the fact that we suggest to paraphrase, analyse, or explicate (‘analytically define’) the ‘ought’-statement (1) as meaning the same as (1’”), this may be achieved by means of (15)
I morally ought to do a0 $def (We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! Dza : & (Be) R0ea0
or, in terms of the simpler notation of deontic logic, by means of (16)
O(Fe) $def (We)(x)(S0x!Fx) & S0e.
If, furthermore, for our convenience we omit the subindex ‘def ’, added to the equivalentor in (15) and (16) for no other reason than making it more palpable that 46 47 48
See subsect. VIII.2, below. Cf. the more detailed considerations in subsects. VII.3 – 4, below. See subsect. III.2, above.
Logical Relations
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here we have to do with an (analytic or explicative) definition, and exchange the two sides of the equivalence for one another, instead of (16) we get (We)(x)(S0x!Fx) & S0e $ O(Fe),
(16’)
which is, as it were, simply (14) minus the necessity operator. Now this parallel suggests the suspicion that (C&”) and all its predecessor and successor forms are but confusions which resemble the confusion which would inevitably arise if we were unwise enough to mix up the equivalences (15), (16), or (16’) with the unilateral implication (UGR’)
(We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! Dza : ! () :. (Be) R0e ! (We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! Dza : & (Be) R0e.
VII. In search of an analysis of Kant’s Categorical Imperative in terms of a doxastico-theletic logic 1. Before further pursuing this line of thought, and in order to prepare the way for it, let us free the deontic forms used so far from their inherent simplifications. In fact, it’s high time to do so. For these oversimplified forms are apt to conceal the fact that what Kant is concerned with is the universalisation, not of actions, but of ‘maxims’ of acting, and this camouflage may well have promoted the conjectured confusion just now considered. In view of a great many passages to be found in Kant’s own writings and in the pertinent literature on Kant,49 a Kantian ‘maxim’ can be given, we think, the form (17)
I will [want; intend] for every action a: I do a if I believe that I stand to a in relation R0.
Such a relation R0 can be, for instance, the relation that my doing a is a means for enhancing my personal happiness-unhappiness balance – say, by committing suicide if the rest of my life is likely to offer me more hardship and pain than wellbeing; by neglecting the cumbersome toil of developing my natural talents; by refusing to give aid to others provided that this would cause inconvenience to me; or by increasing my wealth without involving any noteworthy risks for myself. Leaving aside Kant’s own examples, focussing our view not only on selfish and nonuniversalisable maxims, and speaking more generally: R0 can be the relation that my doing the action a – which is always understood to be within my competence – suites my (or someone else’s) preferences, or promotes my (or someone else’s) physical or mental well-being, or conduces to what is in my (or someone else’s) ‘wellconsidered’ interest – and all that either without, or else irrespective of, infringing 49 See, e.g., Kant 1785: A 13 f., 15 fn., 19, 51 fn., 53, 55 f.; 1788: A 36, 49; Paton 1947: ch. IV.§§ 2 – 3; Singer 1961: IX.1; Ebert 1976; Höffe 1977.
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upon anybody’s preferences or interests.50 Let us finally add that, as far as we can see, the doxastic element in (17), to wit, the doxastic operator ‘I believe’, is nowhere explicitly used in Kant’s formulations of particular maxims. But we think it is advisable to expressly insert it; for, strictly speaking, my wanting to do something specific depends, not on the facts of my situation, but on what I believe these facts to be. 2. Now according to Kant an action a is permissible if and only if I can will that a corresponding maxim of mine should become a universal law, or a law of nature.51 In view of our form (17) this it to say that a is permissible if and only if I am able to universalise such a maxim so as to yield a statement of the form (18)
I will [want; intend] for every person z and every action a: z does a if z believes that he or she stands to a in relation R0.
On the basis of (18) and (C)
If and only if I can want [intend] everybody to do F I morally may do F
or its successor variants up to (13), all of which, however, had to be called into question in sections V and VI, above, we can construct the following equivalence, in which again, of course, an indication of a given morally relevant situation needs to be inserted because otherwise the equivalence would be utterly implausible (my being able to prescribe something universally does not of course suffice by itself to found a concrete moral permission): (19)
I can intend any person z to do any action a if z believes that he or she stands to a in relation R0 $ For every action a: If I believe that I stand to a in relation R0 then I morally may do a.52
In view of (C}”), this is equivalent to (20)
I cannot intend any person z to do any action a if z believes that he or she stands to a in relation R0 $ For every action a: If I believe that I stand to a in relation R0 then I morally ought not to do a,
which, in view of what we tried to drive home in section V, above, for its part should be replaced by (21)
I must intend any person z to do any action a if z believes that he or she stands to a in relation R0 $ For every action a: If I believe that I stand to a in relation R0 then I morally ought to do a.
Cf. Kant 1785: A 53 – 57; 1788: A 49; Hoche 1992: sects. 3.2 – 3.4, 3.7 – 3.8. See, e.g., Kant 1785: A 57; 1788: 54, 75 f. 52 Instead of the words ‘if and only if ’ we are using the symbolic equivalentor ‘$’ in order to disambiguate the sentence and to make its structure more palpable. 50 51
Logical Relations
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3. Although (21) certainly qualifies as an enlarged and improved version of (13)
&(We)(x)(S0x!Fx) $ (S0e!O(Fe)),
it shares with latter the equivalentor ‘$’, which seems to us to be at the heart of the confusion surmised in subsection VI.4, above. To show that this confusion is in point of fact due to the equivalentor, in a first step, which still abides by the deontic operator ‘O’, let us formalise (21) as (21’)
&(We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! Dza : $ (a) . (Be) R0ea ! O (Dea).
In a second step, which is necessary because the deontic operator ‘O’ is a foreign matter to the doxastico-theletic approach of ours and hence needs to be replaced with a symbolisation befitting the latter, let us resort to the analysis of a universal obligation suggested in IV.3, above: (6’)
() :. (Be) R0e ! (We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! Dza : & (Be) R0e.
In this manner we reach the following candidate for a formalisation of Kant’s Categorical Imperative: (22)
&(We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! Dza : $ () :. (Be) R0e ! (We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! Dza : & (Be) R0e.
But electing this candidate would involve us in a paradox. For if we did so, we would be able to derive a formalised statement of willing from a formalised statement of believing (for a proof, see the following subsection VII.4), which would show that the latter logically implies (entails) the former; and this is unacceptable because, according to our imaginative and idiolectal competence, the ordinary-language counterpart of the latter does not semantically imply the ordinary-language counterpart of the former.53 However, it is one of the most basic conditions for the adequacy of a logical analysis that the logical relations between the ordinary-language analysanda are precisely mirrored by the corresponding logical relations between the formalised analysantia; and in the present case it is certainly (22) that qualifies as the ‘weakest link of the chain’ and hence should be given up. 4. Let us now show within the framework of a first-order predicate calculus of natural deduction that we could indeed derive a formalised statement of willing from a formalised statement of believing if we accepted (22) as a premise:54 53 Cf. subsect. VI.3 with fn. 47, above. – By making use of a procedure touched upon in subsect. III.4 with fn. 26, above, each of our readers may test himself or herself whether or not, on the basis of his or her personal imaginative and idiolectal competence, he or she can subscribe to this result of ours. (Note that logical analysis can be philosophically fertile only on the basis of one’s own quite personal idiolect.)
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[1] &(We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! Dza : $ () :. (Be) R0e ! (We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! Dza : & (Be) R0e
P
{2}
[2] () : (Be) R0e
P
{2}
[3] : (Be) R0e0
{2}
[4] (Be) R0e0 ! (We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! Dza : & (Be) R0e0
{2}
[5] () :. (Be) R0e ! (We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! Dza : & (Be) R0e 4G
{1}
{1,2} [6] &(We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! Dza
2UI 3T 1,5Tn
In the first column of this derivation, the premise number of each proposition is indicated in curly braces. The second column contains the consecutive line or proposition numbers, which are put in square brackets. In the last column, ‘P’stands for the rule ‘Introduction of a Premise’; ‘2UI’ indicates that the rule ‘Universal Instantiation’ (or ‘Universal Specification’) is applied to proposition [2]; ‘3T’ and ‘1,5T’ indicate that [4] follows from [3], and [6] follows from both [1] and [5], ‘tautologically’, that is to say, by virtue of rules (or laws) of the propositional calculus; and ‘4G’ is to indicate that the rule of ‘Generalisation’ is applied to proposition [4].
VIII. The analysis of Kant’s Categorical Imperative in terms of a doxastico-theletic logic: Two plausible alternatives 1. As we have seen so far (especially in subsections VII.3 – 4, above), the candidate, appearing plausible at first sight, (22)
&(We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! Dza : $ () :. (Be) R0e ! (We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! Dza : & (Be) R0e
cannot actually be accepted as a sound paraphrase for Kant’s Categorical Imperative. But in view of our very similar-looking paraphrase for the Universalised Golden Rule, namely, (UGR’)
(We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! Dza : ! () :. (Be) R0e ! (We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! Dza : & (Be) R0e,
it might seem promising to settle on the following attenuation of (22): (CI’1)
&(We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! Dza : ! () :. (Be) R0e ! (We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! Dza : & (Be) R0e.
But no sooner have we put this down than the question comes up why the consequent of this unilateral implication, which is supposed to replace the equivalence 54 Let us add that a variant of this derivation can already be objected against (21’). So this objection is independent of the internal structure of the formalised obligation statement contained in premise [1] and depends solely on the equivalentor.
Logical Relations
505
or bidirectional implication (22), makes use of the authors’ conception of a universal (and thus eo ipso conditional) moral obligation instead of what appears to be Kant’s own conception of it. The latter can be gathered from what may arguably be taken to be his explication of the concept of a particular or concrete moral obligation, to wit, (14)
&(We)(x)(S0x!Fx) & S0e $ O(Fe).
On the basis of this presumable explication, instead of (CI’1) the following proposition would commend itself as a coequal candidate: (CI’2)
&(We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! Dza : ! () :. (Be) R0e ! &(We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! Dza : & (Be) R0e.
2. Certainly, it is not easy to decide which of the two candidates, which seem to us to be the only plausible ones, to finally elect; for both of them have their merits and demerits. Whereas (CI’2) is exclusively based on genuine Kantian conceptions (or misconceptions) but contradicts the (as we do hope) better insight of the authors, (CI’1) conforms to what we believe to be a sound analysis of the concept of moral obligation, at the cost, however, of conforming to Kant’s own (if solely conjectured) moral conceptions to the core. It is true that in subsection IX.3, below, we will come across a couple of further points of view that may be of some relevance to a decision; nonetheless, we cannot convince ourselves that they will really contribute to finally choosing between (CI’1) and (CI’2). Presumably, this is a dilemma of a kind familiar to all those who undertake the unthankful business of neither confining themselves to purely issue-driven (problem-oriented or ‘systematic’) philosophy nor confining themselves to research in the history of philosophy but of trying to combine the one with the other, that is, to apply up-to-date methods of logical analysis to aged (or simply: to foreign) philosophical concepts, allegations, and arguments.
IX. Kant’s Categorical Imperative compared with the Universalised Golden Rule. The analyticity of the Categorical Imperative 1. To prove the analyticity of the Categorical Imperative, let us first compare (CI’1)
&(We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! Dza : ! () :. (Be) R0e ! (We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! Dza : & (Be) R0e
with (UGR’)
(We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! Dza : ! () :. (Be) R0e ! (We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! Dza : & (Be) R0e.
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Then we can easily convince ourselves that (UGR’) logically implies or entails (CI’1). For modal logicians agree that what is necessarily the case is also, and a fortiori, in fact the case, and so the antecedent of (CI’1) modally implies the antecedent of (UGR’). Hence, by virtue of the transitivity of logical implication, (UGR’) can serve us a vehicle to carry us over from the antecedent of (CI’1) to its consequent. Now we have seen that (UGR’) is a logical truth;55 hence (CI’1), which logically follows from it, is itself a logical truth. Note, however, that it would be improper to say that, for this reason, (CI’1) depends on (UGR’); only, the former can be logically derived from the empty set of premises56 via the latter. 2. Second, let us convince ourselves that (CI’2) is a logical truth, too. This may be done by means of the following short derivation: {1} [1] &(We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! Dza
P
{1} [2] (Be) R0e0 ! &(We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! Dza : & (Be) R0e0
1T
{1} [3] () :. (Be) R0e ! &(We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! Dza : & (Be) R0e
2G
{0} [4] &(We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! Dza : ! () :. (Be) R0e ! &(We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! Dza : & (Be) R0e 1,3Cn Here, only ‘1,3C’ is still in need of explanation. This symbol is to say that proposition [3] is conditionalised by proposition [1]. In the present case, making use of the procedure of conditionalising allows us to give [4] the premise number {0},57 which is to indicate that [4] follows from, or may be derived from, the empty set of premises, i.e., that it is logically true. 3. So both serious candidates for a logical paraphrase of Kant’s Categorical Imperative have been shown to be logically true, which is to say that the latter in both of its plausible interpretations is analytically true, or true solely by virtue of the meanings of the expressions used in its ordinary-language wording. Now this result of ours gravely conflicts with Kant’s well-known claim that the Categorical Imperative is a synthetic truth a priori.58 This discrepancy might perhaps be taken to indicate that Kant either was unaware that (14) could serve him as a basis for an explication of the concept of moral obligation, or that he did not think of accepting (14) in the first place. On the other hand, the tightly interconnected facts that Kant time and again stressed the ‘autonomy of the will’;59 that, in this spirit, what he called the ‘third formula’ of the Categorical Imperative focuses on the ‘idea of the will of any and every rational being as a universally legislative will’;60 and that he See subsect. IV.4 with fn. 34, above. Cf. the following subsect. IX.2. 57 In conditionalising one proposition by another we are permitted to leave out, in the premise number(s) of the consequent, the line number (proposition number) of the antecedent. 58 See esp. Kant 1785: A 50, 87 f., 95; 1788: A 55 f. (§ 7, Annotation), 80. 59 See esp. Kant 1785: A 70 – 74, 87 f.; 1788: A 58 f. (§ 8), 72 – 75. 55 56
Logical Relations
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expressly stated that a man’s, or any other finite rational being’s, moral obligation may be considered ‘a necessary willing of his own’61 – all these facts seem to vigorously hint in the opposite direction. So the fact that Kant described the Categorical Imperative as a synthetic truth a priori does hardly suffice to tip the scales in favour of (CI’1). Nonetheless we must doubtless accept that Kant was far from subjecting the concept of moral obligation to what, more than a century later, Frege called a ‘logical analysis’ or ‘logical decomposition’ (‘logische Zerlegung’) – and without such an ‘analytic definition’ (‘zerlegende Definition’)62 or explication the proofs given in the preceding subsections IX.1 – 2 would not have been possible. Anyway: In the light of a logical analysis in terms of a doxasticotheletic logic,63 the Categorical Imperative qualifies as a well-founded ethical principle even without our sharing Kant’s own recondite considerations64 to the effect that this ethical principle is a synthetic truth a priori. Nonetheless the Universalised Golden Rule remains a competitor of both (CI’1) and (CI’2) which deserves to be taken very seriously; for although the Categorical Imperative in both of its plausible interpretations shares with the Universalised Golden Rule the character of being analytically true, it is certainly obvious that the set (or extension) of moral obligations prescribed by the Categorical Imperative and the set of moral obligations which a given person, on the basis of his or her personal princi60 See esp. Kant 1785: A 70 f.: ‘Idee des Willens jedes vernünftigen Wesens als eines allgemein gesetzgebenden Willens’ (A 70), ‘Idee des Willens eines jeden vernünftigen Wesens, als allgemein-gesetzgebenden Willens’ (A 71); Kant’s italics. 61 More precisely speaking, ‘a necessary willing of his own in his capacity of being a member of an intelligible world’: ‘Das moralische Sollen ist [ . . . ] eigenes notwendiges Wollen als Gliedes einer intelligibelen Welt und wird nur so fern von ihm als Sollen gedacht, als er sich zugleich wie ein Glied der Sinnenwelt betrachtet’: Kant 1785: 113. 62 See esp. Frege 1914: pp. 225 – 227; in contradistinction, see, for instance, Kant 1785: A 87 f. The interpretation of suchlike Kantian formulations we have to leave to Kant scholars. 63 Nortmann 2007, 266 – 268 and 269 – 272, respectively, tries to show that there might be two ways of proving the analyticity of the Categorical Imperative by means of (some possible variants of what is presently the standard in) deontic logic. But in both cases Nortmann has got to make use of a formula of the Categorical Imperative in which the concept of willing does not occur at all, to wit, ‘PFy M8xFx’ (p. 267) – which, by drawing on a doxasticotheletic logic, can be shown to be but a twofold attenuation of ‘}(We)(x)Fx $ P(Fe)’, that is, the formalisation (C}) given to the Categorical Imperative in subsect. I.2, above. However, it could perhaps be argued that Nortmann’s ‘PFy M8xFx’ – and likewise the related formula which von Kutschera 1982: 5.1, p. 196, introduced as an alternative to (C}) – does not even suffice to convey the thought that my maxims must suit a universal law, or legislation (cf. Kant 1785: A 53 – 55, 80 – 82; 1788: A 54, 75 f.). For by definition a Kantian maxim seems to us to include an element of willing which in the course of generalisation or universalisation does not simply drop out. But we prefer to leave the discussion of this problem to more historically-minded Kant scholars. 64 Let us add that, to the best of our knowledge, nobody so far succeeded in presenting a really convincing and / or generally accepted interpretation of Kant’s strategy. For some recent attempts, which, however, we found none too helpful, see Schönecker / Wood 2002: pp. 108 f. with fn. 18; Nortmann 2007: sect. 3 (assessment of B. Grünewald’s strategy).
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ples of willing, considers to be prescribed by the Universalised Golden Rule, and hence the concepts of moral obligation connected with the one and the other, greatly differ from one another.65
X. The Universalised Golden Rule is entailed by the Singular Golden Rule 1. Let us now show that the Universalised Golden Rule is entailed by the Singular Golden Rule. In the Western world, this ancient ethical principle is perhaps best known from the Sermon on the Mount;66 but it can be found in nearly all human cultures and ages. If we replace its prevailing imperative wording with a deontic one, the Singular Golden Rule can be given, inter alia, the following form: (SGR)
If I want that in such and such a situation nobody treats me in such and such a way, then in such and such a situation I morally ought not to treat anyone in such and such a way.
Let us compare (SGR) with the Universalised Golden Rule in the version67 (UGR2)
If I want that in such and such a situation nobody acts in such and such a way, then in such and such a situation I morally ought not to act in such and such a way.
Then the first remarkable difference we can see is the fact that in the latter we speak only of ways of acting whereas in the former we speak of ways of treating someone. In other words: In (UGR2) only acting persons are spoken of, whereas in (SGR) also persons [to be] acted upon are taken into consideration. Hence, if we want to logically compare the two ethical principles with each other, we need to first enrich (UGR2) so as to allow not only for persons acting but in addition also for persons [to be] acted upon [treated]:68 65 66
For details, see subsect. XI.4 – 6, below. ‘Whatever you wish that men would do to you, do so to them’: Matthew 7:12; cf. Luke
6:31. See subsect. IV.4, above. In this paper, we abstain from discussing the questions whether, directly or indirectly, a morally relevant action is always and without any exception a matter of treating, or acting upon, one or more persons, and whether the concept of a person includes not only humans but also (higher) animals. Suffice it to say that, as a rule at least, an action which we use to morally assess at all ipso facto seems to be the immediate or mediated treating of one or more human beings or higher animals. (Cf. Hoche 1992: sect. 3.4, pp. 201 f.) – For reasons not relevant to our present, more restricted purposes, we tend to characterise the person(s) [to be] acted upon as the (primary) subject(s) of (‘well-considered’) interests. In most cases, the primary subject of an interest, that is, the subject [to be] acted upon, is at the same time the subject of a moral entitlement, by which we understand a right, not to do something, but to expect that a given action be done by someone. However, in rare cases the primary subject 67 68
Logical Relations
(UGR3)
509
If I want that in such and such a situation nobody treats anyone in such and such a way, then in such and such a situation I morally ought not to treat anyone in such and such a way.
2. This enrichment is not ad hoc. For, according to our personal imaginative and idiolectal competence, an ‘ought’-statement of form (1) entails not only propositions of forms (2), (3), and (4)69 but also propositions of a number of other forms, not all of which can do without the concept of persons [to be] acted upon, or persons [to be] treated.70 So on a somewhat less ‘shallow’ level of analysis,71 the formal analysans of (UGR2), that is, (UGR’)
(We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! Dza : ! () :. (Be) R0e ! (We) : (z,a) . (Bz) R0z*a ! Dza : & (Be) R0e,
has got to be expanded so as to yield the formal analysans of (UGR3), which is, we think,72 best symbolised as (UGR”)
(We) : (z,y,a) . (Bz) R1z*ya ! Dzya : ! (,) :. (Be) R1e ! (We) : (z,y,a) . (Bz) R1z*ya ! Dzya : & (Be) R1e.
Here the consequent – which (UGR”) must, of course, have in common with the formal analysans of (SGR) to be developed right now – may, for instance, be given the semi-literal reading: ‘For every person [to be] acted upon (or every subject of an interest) and every action : If I think I stand to and in relation R1 then I morally ought to do to .’. Correspondingly, the formal analysans of (SGR) has to be put like this: of an interest, or person [to be] acted upon, is not identical with the subject of a moral entitlement which results, for instance, from a contract or promise. For details, see ibid.: ch. 3, esp. sect. 3.8, Comment (2); cf. pp. 318 f. 69 See subsect. III.4, above. 70 See Hoche 1992: ch. 3; 1995a: sect. 3; 2001: sects. XI –XII. 71 See subsect. III.1 with fn. 12, above. In order to do justice to all of the propositions which, as far as we can see, are entailed by ‘ought’-statements of form (1) and its analysans (1’), we have to work with a still less ‘shallow’ level of analysis; for details, see the passages indicated in the preceding fn. 70. 72 According to our personal imaginative and idiolectal competence, the sentence ‘I want that in such and such a situation nobody treats anyone in such and such a way.’ is semantically equivalent to, or means the same as, the more perspicuous if clumsier sentence ‘I want, for every person z and every person y, that z refrains from treating y that way’. Correspondingly, the sentence ‘I want that in such and such a situation nobody treats me in such and such a way.’ is semantically equivalent to the more perspicuous if clumsier sentence ‘I want, for every person z, that z refrains from treating me that way’. Now ordinary-language expressions such as ‘that way’ or ‘in such and such a way’ merely are, as it were, empty linguistic receptacles which we are free to fill in different and even contradictory ways. Hence, on behalf of a better mutual comparability of (UGR’) and (UGR”) as well as a slightly enhanced simplicity of the formalism, from now on the symbols ‘Dzya’ and ‘Dzea’ are to stand for ‘z refrains from treating y that way’ and ‘z refrains from treating me that way’, respectively.
Logical Relations
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the case, or be done, then in a ‘rational’ sense I likewise will that the pertinent logical consequences should be the case, or be done.74 XI. The Categorical Imperative and the two Golden Rules: A Synopsis 1. Let us look back on what we have reached so far. First, we have seen (or can gather from what he have seen) that the different acceptable ordinary-language formulations of the Categorical Imperative, the Universalised Golden Rule, and the Singular Golden Rule, respectively, include the following three: (CI)
If I must want that in such and such a situation nobody treats anyone in such and such a way, then in such and such a situation I morally ought not to treat anyone in such and such a way.
(UGR3)
If I want that in such and such a situation nobody treats anyone in such and such a way, then in such and such a situation I morally ought not to treat anyone in such and such a way.
(SGR)
If I want that in such and such a situation nobody treats me in such and such a way, then in such and such a situation I morally ought not to treat anyone in such and such a way.
2. Second, it is obvious – and can be shown in detail by means of the method of assenting tests – that the implicans of (CI) logically (or, more precisely speaking: semantically) implies the implicans of (UGR3), that is, that the following implication holds necessarily true:75 (25)
If I must want that in such and such a situation nobody treats anyone in such and such a way, then I want [do in fact want] that in such and such a situation nobody treats anyone in such and such a way.
Likewise, the implicans of (UGR3) logically (or, again more precisely speaking: semantically) implies the implicans of (SGR); that is, the following implication holds necessarily true: (26)
If I want that in such and such a situation nobody treats anyone in such and such a way, then I want that in such and such a situation nobody treats me in such and such a way.
Though (26) is surely plausible, it doesn’t go without saying. Rather, it is based on (the intuitive foundations of) one of the indispensable rules of any workable doxas74 An integrated logic of conviction and intention has to focus exclusively on the non-spontaneous, well-considered, and possibly maieutically enlightened modes of believing and intending, and thus is free to totally disregard those all-to well-known everyday variants of these mental states which fall short of this ideal standard of rationality; see Hoche 2004: sects. VIII– IX. 75 See also subsect. IX.1, above.
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tico-theletic logic, to wit, the doxastic closedness rule RB1: If I believe – in the non-spontaneous or ‘rational’ way, which is the only one that can possibly matter in such a logic – that something is the case, then I likewise believe that whatever logically follows from it is the case.76 Due to the law of the transitivity of implication, from (25) and (26) follows the necessary truth (27)
If I must want that in such and such a situation nobody treats anyone in such and such a way, then I want that in such and such a situation nobody treats me in such and such a way.
Furthermore, and once again by virtue of the law of the transitivity of implication, the logical truth (26) and (SGR) semantically imply and hence non-trivially77 entail (UGR3); the logical truth (25) and (UGR3) semantically imply and hence non-trivially entail (CI); and, as a corollary, the logical truth (27) and (SGR) semantically imply and hence non-trivially entail (CI). So that much can also be shown without resorting to any logical symbolisations. 3. Speaking in terms not of entailment but of logical derivation, and making use of the fact that a logically true premise need not be expressly listed among the premises of a logical derivation, we may especially say that the Categorical Imperative can be logically derived from the Singular Golden Rule. On the face of it, this result of ours squarely contradicts a well-known remark of Kant’s, to wit, that ‘the trivial quod tibi non vis fieri etc.’ –, if with a number of reservations, is only ‘derived’ (‘abgeleitet’) from the Categorical Imperative.78 Rather, in our considered opinion the contrary is the case. But we will have to leave it to the expert knowledge of historically minded Kant scholars to research into the precise meaning of Kant’s quoted dictum and into the reasons why his opinion seems to deviate from ours. 4. Let us finally enquire into some ethical consequences of the facts that (CI) can be logically derived from (UGR3) and that the latter (as well as, indirectly, the former) can be logically derived from (SGR). Suppose I must want that in such and such a situation nobody treats anyone in way w1. Then, as we stated in subsections IX.1 and XI.2, above, I do want that in such and such a situation nobody treats anyone in way w1. And if I (do) want that in such and such a situation nobody treats anyone in way w1, then I (do) want that in such and such a situation nobody treats me in way w1. Hence, if in such and such a situation I morally ought not to treat anyone in way w1 under the ethical principle (CI), then in such and such a situation Cf. X.4 with fn. 74, above. By adding ‘non-trivially’ we allude, of course, to the fact that all true propositions – and hence also the logical (analytic) truths (UGR3) and (CI) – are ‘trivially’ entailed by any proposition whatsoever, which is a theorem of the propositional calculus (‘p ! T[rue]’). Obviously, nowhere in our preceding formal proofs or in the present informal proof we have made use of this theorem. 78 Kant 1785: A 68, footnote. 76 77
Logical Relations
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I morally ought not to treat anyone in way w1 under the ethical principles (UGR3) and (SGR) as well. And as ‘w1’ has been chosen arbitrarily, this holds good, of course, for any way w. So what I take to be a moral obligation in virtue of the Categorical Imperative I must also take to be a moral obligation in virtue of the Universalised Golden Rule, and what I take to be a moral obligation in virtue of the latter I must also take to be a moral obligation in virtue of the Singular Golden Rule. Obviously, the reverse is not true. Therefore, in spite of the fact – nay: because of the fact – that the ethical principle (SGR) entails the ethical principle (UGR3) and the ethical principle (UGR3) entails the ethical principle (CI), whereas the reverse is not true, being (in my view) a moral obligation according to (CI) entails being (in my view) a moral obligation according to (UGR3), and being (in my view) a moral obligation according to (UGR3) entails being (in my view) a moral obligation according to (SGR), whereas the reverse is not true. So we cannot exclude the possibility that the set of what I, for one, consider a moral obligation under (SGR) is richer (or has more members) than the set of what I consider a moral obligation under (UGR3), and that the set of what I, for one, consider a moral obligation under (UGR3) is richer (or has more members) than the set of what I consider a moral obligation under (CI). And the other side of the coin is, of course, that the concept of being what I, for one, consider a moral obligation under (SGR) may well be poorer (or have a smaller number of characteristic traits) than the concept of being what I consider a moral obligation under (UGR3), and that the concept of being what I, for one, consider a moral obligation under (UGR3) may well be poorer (or have a smaller number of characteristic traits) than the concept of being what I consider a moral obligation under (CI). 5. As a corollary we may state that these three concepts of being what I, for one, consider a moral obligation may well differ from each other; and this fact might seem amazing in view of the fact that in this paper we made use of one and only one explication of the form of a (first-person) singular moral ‘ought’-proposition, namely, the one sketched in subsection III.1, above. Note, however, that the three ethical principles under discussion do not yield moral propositions all by themselves. Rather, they are sort of slot machines ejecting some such output only on condition they are fed with a fitting input. The appropriate input for the Universalised Golden Rule is the set of statements as to what the acting person does in fact want [not] to be done universally, and the suited input for the Singular Golden Rule is the set of statements as to how the acting person does in fact want himself or herself [not] to be treated universally – and certainly the latter two sets cannot be determined by anyone but the given acting person alone: they depend on what this person does in fact want. In contrast, the input which suits the Categorical Imperative may reasonably be taken to be something the moral philosopher has to elaborate once and for all79 – namely, the person-independent set of statements as to 79 This, however, seems not to have been Kant’s own position; for once he stated that ‘the commonest mind can discern without education which form in the maxim does, and which form does not, suit a general legislation’ (translated from Kant 1788: A 49 [§ 4, Annotation]:
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what every rational being must want [not] to be done universally. But admittedly this issue cannot be adequately discussed as long as we leave it an open question what kind of modality Kant had in mind.80 With this caveat, we may perhaps state yet another difference between the three principles: Whereas the two Golden Rules are ethical – or, more precisely speaking: metaethical – principles which are ‘morally neutral’, Kant’s Categorical Imperative may lack this ‘moral neutrality’ and thus make up, as it were, a ‘hybrid’ or a metaethical and a moral principle in ‘personal union’.81 6. If this is a drawback, it is perhaps compensated by what might seem to be a great advantage, namely, by the fact that the Categorical Imperative makes the discovery of what I morally ought to do in a situation of a given sort quite independent of the vicissitudes of my factual personal intentions and wishes, which are at least partly conditioned by my individual history and cultural environment. However, as we can surely gather from the few types of examples which Kant has discussed himself, another price for this might be an all too narrow scope of justifiable moral obligations. Furthermore, the allegation that there exists a tool for metaethically finding out what any human being (or, as Kant would say: any ‘rational being’) is morally bound to do in what situations is likely to provoke fundamental doubts as to the feasibility of a justification of morals at all, and thus to prevent us from doing whatever little in fact we can do. In this respect, the Universalised Golden Rule fares much better: In the shape of a ‘Nathan-David procedure’,82 each of us has an effective means for finding out once and for all what he or she, for one, universally wants to be done. As far as the Singular Golden Rule is concerned, however, things do not look quite that favourable; for here I can only rely on my imagination of possible situations in which I might find myself in the role of the person treated, whereas the ‘Nathan-David procedure’ confronts me with situations which need not be real but which, in the application of such a procedure, I take to be real.83 ‘Welche Form in der Maxime sich zur allgemeinen Gesetzgebung schicke, welche nicht, das kann der gemeinste Verstand ohne Unterweisung unterscheiden.’). 80 See subsect. I.2, fn. 7, above. 81 In a different sense, however, even the Categorical Imperative would still remain morally neutral. For being, as we have seen, itself a logically true proposition, it trivially entails only logical truths. Hence the Categorical Imperative can neither entail nor contradict any contingent proposition in general and any contingent singular ‘ought’-proposition in particular; and certainly it would be idle to allow for alleged non-contingent singular ‘ought’-propositions such as ‘I morally ought to either finish or not finish [neither finish nor not finish; finish as well as not finish] the washing up right now.’. 82 See subsect. IV.2, fn. 32, above. 83 A predecessor version of this paper was discussed in the ‘Logisch-sprachanalytisches Kolloquium’ [Logico-Linguistic Colloquy], Institute of Philosophy, Ruhr-Universität Bochum, on October 23, 2009. We are greatly indebted to the participants of this discussion circle, namely (in alphabetical order): Ilke Aydin, Privatdozent Dr. Friedrich Dudda, Privatdozentin Dr. Tania Eden, Benedikt Fait, Professor Dr. Ulrich Pardey, Christina Ruta, M. A., and Daniela Zumpf.
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Zusammenfassung Die wichtigsten Ergebnisse dieses Aufsatzes dürften die beiden folgenden sein: Inhaltlich zeigt sich, dass Kants Kategorischer Imperativ, nicht anders als die Universalisierte (oder: Universelle) Goldene Regel, in den beiden einzigen überhaupt plausiblen Interpretationen seiner ,Ersten Formel‘ keine synthetische Wahrheit a priori, sondern analytisch wahr ist. Methodologisch wird an ganz unterschiedlichen Stellen unserer Untersuchungen deutlich, dass eine integrierte Glaubens- und Wollenslogik in der Metaethik viel leistungsfähiger ist als die herkömmliche deontische Logik. – Im Einzelnen: Mit Hilfe der deontischen Logik hat Takahashi zeigen können, dass es ein (wenn auch ziemlich abgeschwächtes) Moralprinzip gibt, auf das sich Anhänger des Kategorischen Imperativs und Anhänger der Universalisierten Goldenen Regel gleichermaßen verständigen könnten (I). Indem wir von einer integrierten Glaubens- und Wollenslogik (‚doxastisch-theletischen Logik‘) Gebrauch machen, die insofern fruchtbarer als die deontische Logik ist, als sie es erlaubt, auch die logische Binnenstruktur moralischer Verpflichtungsurteile aufzudecken (II – IV), versuchen wir zu zeigen, dass es eine noch engere und bedeutsamere logische Beziehung zwischen dem Kategorischen Imperativ und der Universalisierten Goldenen Regel gibt: In einer seiner beiden plausiblen logischen Analysen – und zwar derjenigen, die unter systematischen Gesichtspunkten sicher den Vorzug verdient – ist der Kategorische Imperativ in der Universalisierten Goldenen Regel logisch impliziert (V – IX). Die Universalisierte Goldene Regel folgt ihrerseits aus der – viel weiter verbreiteten, aber nicht streng begründbaren – Singulären Goldenen Regel (X). Daher kann der Kategorische Imperativ in der sachlich vorzuziehenden logischen Analyse nicht nur aus der Universalisierten, sondern auch aus der Singulären Goldenen Regel logisch abgeleitet werden, was allerdings einer bekannten Bemerkung Kants zuwiderzulaufen scheint. Abschließend vergleichen wir die drei Moralprinzipien noch unter einigen weiteren Gesichtspunkten miteinander (XI). Literature Barnett, Dene (1974): “A New Semantical Theory of Egocentric Particulars”, in: Synthese 28 (1974), 533 – 547. Boolos, George S. (1975): “On Second-Order Logic”, in: Journal of Philosophy 72 (1975), 509 – 527. Castañeda, Hector-Neri (1966): “‘He’: A Study in the Logic of Self-Consciousness”, in: Ratio 8 (1966), 130 – 157; reprinted in: Castañeda, The Phenomeno-Logic of the I. Essays on Self-Consciousness, ed. by James G. Hart & Tomis Kapitan, Bloomington: Indiana University Press, 1999, 35 – 60. – (1967a): “On the Logic of Self-Knowledge”, in: Noûs 1 (1967), 9 – 21. – (1967b): “Indicators and Quasi-Indicators”, in: American Philosophical Quarterly 4 (1967), 85 – 100.
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Eine Anmerkung zur logischen Struktur von „Goldene-Regel“-Argumenten im Sinne Hares Michael Knoop
In den zwei bis drei Jahrzehnten nach Erscheinen von Richard Mervyn Hares Werk Freedom and Reason (1963) fand eine rege Diskussion über die Struktur von „Goldene-Regel“-Argumenten statt, wie sie in diesem Buch entwickelt werden. Dabei hat sich ein Problem herausgestellt, von dessen Lösung das Gelingen solcher Argumente abhängt. Dieses Problem ist meines Erachtens in der bisherigen Literatur über Hare noch nicht befriedigend gelöst worden. Ich werde es hier kurz darstellen und zu zeigen versuchen, daß sich jedoch bei Hare selbst, nämlich in Freedom and Reason, eine Lösung schon findet.
I. Das „Goldene-Regel“-Argument des Gläubigers in Abschnitt 6.3 von Freedom and Reason Es wird für das Folgende genügen, an die Grundzüge der Hareschen Theorie des moralischen Argumentierens zu erinnern. Hare hat seine Theorie des moralischen Argumentierens in Parallele zu Poppers wissenschaftstheoretischem (oder methodologischem) Falsifikationismus konzipiert. Dies bedeutet nach Hare, daß das moralische Argumentieren „ebenfalls eine Art von Forschungsprozeß“ ist und die einzigen dabei vorkommenden Schlußfolgerungen deduktiv sind.1 Das deduktive Schließen diene aber – in Analogie zu seiner Rolle bei der Prüfung von Naturgesetz-Hypothesen nach Popper – nicht dazu, ein moralisches Verpflichtungsurteil zu verifizieren, sondern vielmehr zu dem Versuch, ein hypothetisch angenommenes Verpflichtungsurteil zu falsifizieren. „Was wir beim moralischen Argumentieren tun, ist: nach Moralurteilen und moralischen Grundsätzen Ausschau halten, die wir auch dann noch akzeptieren können, wenn wir uns angesehen haben, welche logischen Konsequenzen sie haben und wie es im vorliegenden Fall mit den Tatsachen steht.“2 Für das moralische Argumentieren sind nach Hare zunächst zwei Eigenschaften von echten Verpflichtungsurteilen belangvoll, nämlich ihre Universalisierbarkeit 1 2
Hare 1983b, S. 107. Ibid., S. 107.
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und ihre Präskriptivität. Daß ein Urteil universalisierbar ist, besagt dabei für Hare nicht mehr und nicht weniger, als „daß man mit ihm aus logischen Gründen darauf festgelegt ist, ähnliche Urteile über etwas zu fällen, was dem Gegenstand des ursprünglichen Urteils entweder genau gleich oder in den relevanten Gesichtspunkten ähnlich ist. Die relevanten Gesichtspunkte sind diejenigen, die dem ursprünglichen Urteil als Begründung dienten.“3 Aus gutem Grund spricht Hare in diesem Zusammenhang nicht nur von Verpflichtungsurteilen, denn deren Universalisierbarkeit ist ihm zufolge eine rein logische Eigenschaft, die sie z. B. mit ästhetischen Werturteilen und rein deskriptiven Urteilen gemeinsam haben. Daß ein echtes Verpflichtungsurteil – d. h. ein Verpflichtungsurteil, das auf der Grundlage der eigenen moralischen Maßstäbe gefällt wird und nicht etwa nur die „herrschende Meinung“ innerhalb einer bestimmten Gruppe wiedergibt – präskriptiv (vorschreibend oder handlungsleitend) im Sinne Hares ist, bedeutet, daß aus einem solchen Urteil ein Imperativ logisch folgt.4 An notwendigen Bedingungen für das moralische Argumentieren nennt Hare außer der Logik, insbesondere der Universalisierbarkeit und Präskriptivität von Verpflichtungsurteilen: Kenntnis (und Berücksichtigung) der Tatsachen; Neigungen oder Interessen, die uns veranlassen, einem Imperativ zuzustimmen oder aber ihn abzulehnen;5 schließlich Vorstellungskraft oder Phantasie, die uns befähigt, uns in die Lage eines von der in Aussicht genommenen Handlung Betroffenen zu versetzen. Diese Fähigkeit ist unabdingbar für die Anwendung der „Goldenen Regel“, die, auf eine knappe Formel gebracht, besagt, man solle andere immer so behandeln, wie man will, daß andere einen selber in einer entsprechenden Situation behandeln.6 3
Ibid., S. 160; zur Universalisierbarkeit vgl. dort 2.2, 2.3, 3.1, 3.2, 3.3 sowie Hoche 1992,
3.5. 4 Hare 1983a, 11.1. – 11.3. Gerade weil es auch einen Gebrauch von Verpflichtungssätzen „in Anführungsstrichen“ gibt, macht es Hare zu einer „Sache der Definition“, daß in echten Verpflichtungsurteilen Imperative logisch impliziert sind (Hare 1983a, 11.2; Hare 1983b, 2.8). – Hare kann hier natürlich nicht die seit Tarski gebräuchliche modelltheoretische Folgerungsbeziehung verwenden; er definiert die Folgerungsbeziehung („entailment“) daher auf eine seinen Zwecken angepaßte Weise. Man könnte seine Definition „pragmatisch“ nennen: „A sentence P entails a sentence Q if and only if the fact that a person assents to P but dissents from Q is a sufficient criterion for saying that he has misunderstood one or other of the sentences“ (Hare 1952, S. 25). Zu einer Kritik an Hares Definition der Folgerungsbeziehung vergl. Hoche 2008, Kap. I. – Aus echten Verpflichtungsurteilen folgen Imperative, aber echte Verpflichtungssätze sind nach Hare keine Imperative (Hare 1983a, 11.5). Mitunter wird Hare in dieser Hinsicht falsch dargestellt, etwa in Kutschera 1982, S. 101 f. 5 Hare unterscheidet zwischen Neigungen und Interessen (vgl. 1963, S. 122, zum Begriff des Interesses auch S. 157; 1983b, S. 142, 177 mit Anm. 25). Für die folgenden Überlegungen kann dieser Unterschied aber vernachlässigt werden. – Einem an ihn adressierten Imperativ stimmt jemand genau dann aufrichtig zu, wenn er ihn befolgt oder die Absicht hat, ihn zu gegebener Zeit zu befolgen (vgl. Hare 1952, S. 19 f., 1983a, S. 40 f.). 6 In der „Goldenen Regel“ geht es nicht darum, was man mutmaßlich wollen würde, wenn man in der Lage des von der Handlung Betroffenen wäre, sondern darum, wie man hier und
Anmerkung zur logischen Struktur von „Goldene-Regel“-Argumenten im Sinne Hares 521
In Abschnitt 6.3 von Freedom and Reason erläutert Hare die Grundzüge seiner Theorie des moralischen Argumentierens anhand eines einfachen, einer biblischen Parabel nachempfundenen Beispiels.7 A schuldet B Geld, und B schuldet C Geld; A ist bei B und B bei C in Zahlungsverzug. Das Gesetz erlaubt es Gläubigern, ihre säumigen Schuldner ins Gefängnis sperren zu lassen (in einer zeitgemäßeren Formulierung: gegen ihre säumigen Schuldner die Zwangsvollstreckung zu veranlassen). B fragt sich, ob er moralisch verpflichtet sei, gegen A zu vollstrecken. Ohne Zweifel hat B den Wunsch, gegen A wegen dessen Zahlungsunwilligkeit vorzugehen.8 B nimmt nun den Verpflichtungssatz (1) Ich bin moralisch verpflichtet, gegen meinen säumigen Schuldner zu vollstrecken. hypothetisch an und prüft, ob er den logischen Implikaten dieser Hypothese zustimmen kann. Wegen der Universalisierbarkeit von Verpflichtungssätzen ist B durch (1) auf ein moralisches Prinzip festgelegt: Jeder Gläubiger, der zu seinem Schuldner in einer Beziehung steht, die der Beziehung von B zu A in den relevanten Hinsichten gleicht, ist moralisch verpflichtet, gegen seinen Schuldner zu vollstrecken. Da wir festsetzen können, daß die Beziehung von C zu B derjenigen von B zu A in den relevanten Hinsichten gleicht, folgt aus diesem Prinzip, daß auch C moralisch verpflichtet ist, gegen B zu vollstrecken. Dieses Urteil ist genau wie (1) präskriptiv im Verständnis Hares: Es impliziert logisch einen Imperativ, nämlich den Imperativ, daß C gegen B vollstrecke („Laß C gegen mich vollstrecken!“). B ist aber, so setzt Hare voraus, aufgrund seiner Neigungen oder Interessen nicht bereit, diesem Imperativ zuzustimmen. Somit muß B insbesondere die Hypothese (1) verwerfen, aus der der Imperativ deduziert worden ist.9
II. Warum das Gläubiger-Argument sein Ziel nicht erreicht Der Gläubiger B geht in Hares Beispiel also von der Verpflichtungssatz-Hypothese (1) aus. Da B diese Hypothese auf dem Weg über ihre logischen Konsequenzen an seinen Neigungen oder Interessen scheitern läßt, gelangt er zu ihrem kontradiktorischen Gegensatz: „Ich bin nicht moralisch verpflichtet, gegen meinen säujetzt will, daß man an dessen Stelle behandelt wird (vgl. Hare 1963, 6.9, 7.2, 1981, 5.3). Für das richtige Verständnis der „Goldenen Regel“ ist dieser Unterschied sehr wichtig. Kant scheint ihn in seiner Kritik an der „Goldenen Regel“ vernachlässigt zu haben; zu einer Verteidigung der „Goldenen Regel“ nicht nur gegen die Kritik Kants, sondern auch gegen eine Reihe anderer Einwände vgl. Hoche 1978. 7 Matthäus 18, 23. 8 „He is no doubt inclined to do this, or wants to do it“ (Hare 1963, S. 91). 9 In diesem Beispiel wird B nur wenig Phantasie abverlangt. Anders verhält es sich, wenn B nicht, wie in dem Beispiel angenommen wird, selber säumiger Schuldner ist, sondern sich nur eine kontrafaktische Situation vorstellt, in der er selber säumiger Schuldner wäre (vgl. Hare 1963, 6.4).
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migen Schuldner zu vollstrecken.“, was sich gleichwertig auch so ausdrücken läßt: „Ich bin moralisch berechtigt, gegen meinen säumigen Schuldner nicht zu vollstrecken.“ Aber ist es das, was B wissen möchte? Eine Reihe von Kritikern Hares haben diese Frage – wie ich meine: zu Recht – verneint.10 Was B interessiere, sei doch, ob er „Ich bin moralisch berechtigt, gegen meinen säumigen Schuldner zu vollstrecken.“ akzeptieren kann oder nicht. Mit anderen Worten, B suche eine Entscheidung zwischen „Ich bin nicht moralisch verpflichtet, gegen meinen säumigen Schuldner nicht zu vollstrecken.“ und dem konträren Gegensatz von (1): „Ich bin moralisch verpflichtet, gegen meinen säumigen Schuldner nicht zu vollstrecken.“ Daher habe das „Goldene-Regel“-Argument des Gläubigers (kurz: das Gläubiger-Argument) in Abschnitt 6.3 von Freedom and Reason sein Ziel nicht erreicht. Um es so einfach wie möglich zu sagen: Das in diesem Abschnitt entfaltete Argument zeige, daß B nicht gegen seinen säumigen Schuldner zu vollstrecken braucht; was B wissen möchte, sei aber, ob er gegen seinen säumigen Schuldner vollstrekken darf oder nicht.11
III. Rettungsversuche des Gläubiger-Arguments 1. Auf die richtige Beobachtung, daß das Ergebnis des Gläubiger-Arguments in Abschnitt 6.3 von Freedom and Reason unbefriedigend ist, folgte bei einigen Kritikern Hares – namentlich Thornton, Hoerster und Ricken – ein Rettungsversuch dieses Arguments, der im Kern darin bestand, die Verpflichtungssatz-Hypothese (1) durch die entsprechende Berechtigungssatz-Hypothese zu ersetzen und die letztere einem ähnlichen Testverfahren auszusetzen, wie es Hare für die Verpflichtungssatz-Hypothese vorschlägt. So schreibt etwa Hoerster: „Aus dem allgemeinen Urteil, das B sich zu eigen machen muß, um seinem Wunsch entsprechend A ins Gefängnis bringen zu dürfen (,Jeder darf seinen Schuldner, der nicht zahlt, ins Gefängnis bringen‘), folgt in der Tat, daß B zu dem Urteil bereit sein muß: ,C darf mich ins Gefängnis bringen‘. Aus diesem Urteil folgt nun zwar nicht die von Hare abgeleitete imperative Aufforderung ,C möge mich ins Gefängnis bringen (Laß C mich ins Gefängnis bringen)‘; aus einer bloßen Gestattung, etwas zu tun, läßt sich nicht die Anweisung, etwas zu tun, gewinnen. Es folgt jedoch die Negation einer Anweisung, und zwar jener Aufforderung, die den kontradiktorischen Inhalt des 10 Gauthier 1968, S. 400 f.; Thornton 1971, S. 617; Hoerster 1974, S. 189; Ricken 1976, S. 350. 11 In der mir bekannten Literatur begnügen sich die Darstellungen des Hareschen Gläubiger-Arguments oftmals damit, Hares Argumentation bis zu dem Punkt wiederzugeben, an dem die Verpflichtungssatz-Hypothese (1) zurückgewiesen wird; dabei bleibt unberücksichtigt, daß dieses Ergebnis aus dem oben angegebenen Grund noch unbefriedigend ist. Dies gilt für Wolf 1983, 4. Kap. (S. 89 ff.), Berlich 1985, Abschnitt 4.3 (S. 207 ff.) sowie Schroth 2001 (S. 150 ff.). Nur Rønnow-Rasmussen (1993, S. 156 f.) hat die Diskussion in Hoche 1983 und Kese 1990 zur Kenntnis genommen und weist in diesem Zusammenhang schon auf die unten zitierte Stelle aus Hare 1963, S. 100, hin.
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Gestattungsurteils hat – also ,Es gilt nicht: C möge mich nicht ins Gefängnis bringen‘. Auch dieser Satz ist aber mit B’s eigenen Wünschen nicht vereinbar“.12 Bei der Beurteilung dieses Rettungsversuchs kann ich mich kurz fassen; wie Hans-Ulrich Hoche detailliert und völlig überzeugend dargelegt hat, ist dieser Versuch unhaltbar.13 Bei Hoersters Übergang von „C darf mich ins Gefängnis bringen.“ zu „Es gilt nicht: C bringe mich nicht ins Gefängnis.“ handelt es sich um ein non-sequitur.14 Denn nach Hares Definition der Folgerungsbeziehung15 folgt „Es gilt nicht: C bringe mich nicht ins Gefängnis.“ aus „C darf mich ins Gefängnis bringen.“ dann und nur dann, wenn jeder, der sowohl „C darf mich ins Gefängnis bringen.“ als auch „C bringe mich nicht ins Gefängnis.“ zustimmt, mindestens einen dieser beiden Sätze mißverstanden haben muß. Ich unterstelle, daß der Leser bei der Prüfung, ob diese hinreichnende und notwendige Bedingung für die von Hoerster behauptete Folgerungsbeziehung erfüllt ist, zum gleichen Ergebnis wie ich kommt: Mir erscheint es sprachlich völlig unanstößig, beide Sätze „in einem Atemzug“ zu äußern, beispielsweise in der Verbindung „C darf mich ins Gefängnis bringen, aber er bringe mich (bitte) nicht ins Gefängnis.“. 2. Einen anderen Versuch, das Gläubiger-Argument Hares schlüssig zu machen, hat Hoche unternommen. Hares Theorie der „Goldenen-Regel“-Argumente bedürfe gar keiner Korrektur, wie sie von Thornton, Hoerster und Ricken versucht werde, sondern bloß einer „Exhaustion“.16 Hoche schlägt vor, das Gläubiger-Argument in der von Hare exponierten Form nur als einen ersten Schritt in einem Gedankengang anzusehen, der durch einen zweiten, aber vollständig analogen komplettiert werden müsse.17 In jenem ersten Schritt lasse der Gläubiger die Verpflichtungssatz-Hypothese (1) an seinen Neigungen oder Interessen scheitern und gelange so zu ihrem kontradiktorischen Gegensatz, der mit dem Berechtigungsurteil „Ich bin moralisch berechtigt, gegen meinen säumigen Schuldner nicht zu vollstrecken.“ gleichwertig ist; das sei für ihn aber noch nicht bedeutsam. „Nun könnte der Gläubiger“, so Hoche, „dieses Resultat aber festhalten (,speichern‘) und einen zweiten Durchgang versuchen, dieses Mal allerdings auf der Basis der – bezüglich der ersten – konträren Verpflichtungssatz-Hypothese ,Ich bin moralisch verpflichtet, bei meinem Schuldner nicht pfänden zu lassen‘ oder, äquivalent, ,Ich bin nicht moralisch berechtigt, bei meinem Schuldner pfänden zu lassen‘. Falls nun diese Hypothese seinen Neigungen oder Interessen standzuhalten vermag, dann hat er Hoester 1974, S. 189. Hoche 1983, Abschnitte 5 und 6, S. 462 – 66. 14 Um des Argumentes willen sei einmal angenommen, daß es, wie Hoerster offenbar meint, überhaupt eine Weise gibt, den Imperativ „C bringe mich nicht ins Gefängnis.“ zu verneinen, die nicht mit „C bringe mich ins Gefängnis.“ gleichwertig ist. In der Sache dürfte sich auch diese Meinung nicht aufrechterhalten lassen; vgl. Hoche 1983, Abschnitt 3, S. 458 – 61, 1990, 8.4, 1995. 15 Siehe Anm. 4 oben. 16 Hoche 1983, S. 453. 17 Ibid., S. 470. 12 13
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einen für ihn sehr wohl relevanten Moralsatz gewonnen, dem er mit Gründen – und das heißt: ,rational‘ – seine Zustimmung nicht versagen kann. Falls hingegen die konträre Alternativ-Hypothese an seinen Neigungen oder Interessen genauso zerbricht wie die erste, dann gelangt er zu ihrem kontradiktorischen Gegensatz ,Ich bin nicht moralisch verpflichtet, bei meinem Schuldner nicht pfänden zu lassen‘ oder, äquivalent, ,Ich bin moralisch berechtigt, bei meinem Schuldner pfänden zu lassen‘, und auch dieses Ergebnis ist für ihn ein durchaus zur Sache gehöriger Moralsatz.“18 Ich stimme Hoche darin voll zu, daß das von Hare in Abschnitt 6.3 von Freedom and Reason exponierte Gläubiger-Argument komplettiert werden muß. Allerdings meine ich, daß sich bei Hare bereits eine Vervollständigung dieses Argumentes findet, und zwar eine andere als die von Hoche vorgeschlagene. Hare hat nirgends, soweit ich sehe, eine Wiederholung des ,Goldene-Regel‘-Arguments im Ausgang von der zu (1) konträren Verpflichtungssatz-Hypothese in Betracht gezogen. Der Grund dafür, daß Hare offenbar auf eine solche Iteration des ,Goldene-Regel‘-Arguments verzichten zu können glaubt, scheint mir darin zu bestehen, daß unter einer methodologischen Prämisse, die er macht, die Ablehnung der Verpflichtungssatz-Hypothese (1) schon einen für den Gläubiger relevanten Moralsatz liefert.
IV. Hares Lösung. Erster Schritt Ich meine nun, daß in der gesamten bisherigen Diskussion um das GläubigerArgument Hares der folgende Absatz in Abschnitt 6.6 von Freedom and Reason nicht genügend Beachtung gefunden hat: “B may either say that it is indifferent, morally, whether he imprisons A or not; or he may refuse to make any moral judgement at all, even one of indifference, about the case. It will be obvious that if he adopts either of these moves, he can evade the argument as so far set out. For that argument only forced him to reject the moral judgement ‘I ought to imprison A for debt’. It did not force him to assent to any moral judgement; in particular, he remained free to assent, either to the judgement that he ought not to imprison A for debt (which is the one that we want him to accept) or to the judgement that it is neither the case that he ought, nor the case that he ought not (that it is, in short, indifferent); and he remained free, also, to say ‘I am just not making any moral judgements at all about this case’” (S. 100).19
Zweierlei erscheint mir daran bemerkenswert: Erstens: Hare läßt in dieser Passage keinen Zweifel daran, daß er das GläubigerArgument, soweit er es in Abschnitt 6.3 entwickelt hat, noch nicht für abgeschlosIbid., S. 470. Vgl. Hare 1981, S. 112. – Die oben zitierte Passage ist in der Übersetzung Georg Meggles (Hare 1983b, S. 119 f.) derart entstellt, daß der Gedankengang Hares nicht mehr zu erkennen ist. 18 19
Anmerkung zur logischen Struktur von „Goldene-Regel“-Argumenten im Sinne Hares 525
sen hält. Denn sein Fazit des Gläubiger-Arguments in 6.3 lautet: „For that argument only forced him [B] to reject the moral judgement ‘I ought to imprison A for debt’. It did not force him to assent to any moral judgement“; aber gleich darauf sagt er in Parenthese, daß wir B zur Annahme des Moralurteils „He ought not to imprison A for debt“ bringen wollen.20 Zweitens: In diesem Absatz läßt sich auch eine Strategie erkennen, wie das Gläubiger-Argument vervollständigt werden kann. Dieser Strategie sind meine Überlegungen in diesem und dem nächsten Abschnitt V gewidmet. Um diese Überlegungen in übersichtlicher Form präsentieren zu können, kürze ich den Satz „B bringt seinen säumigen Schuldner A ins Gefängnis.“ durch den Buchstaben „p“ und den Operator „es ist moralisch geboten, daß“ durch den Buchstaben „O“ ab, wie es in der deontischen Logik üblich ist.21 Der kontradiktorische Gegensatz der Verpflichtungssatz-Hypothese (1), von der B ausgegangen war, läßt sich dann durch (:1) :O(p) wiedergeben. Gilt (:1), so gilt aus rein logischen Gründen auch :O(p) ^ (O(:p) _ :O(:p)), was mit (2)
(:O(p) ^ O(:p)) _ (:O(p) ^ :O(:p))
äquivalent ist.22 Betrachten wir zunächst die beiden Glieder dieser Adjunktion. Wegen (3)
O(:p) ! :O(p)
sind „:O(p) ^ O(:p)“ und „O(:p)“ deontisch-logisch gleichwertig. „:O(p) ^ :O(:p)“ besagt, daß es weder geboten ist, daß B seinen Schuldner A ins Gefängnis bringt, noch geboten ist, daß B seinen Schuldner A nicht ins Gefängnis bringt, oder auch, in einer gleichwertigen und kürzeren Formulierung, daß es weder geboten noch verboten ist, daß B seinen Schuldner A ins Gefängnis bringt. In der deonti20 Beachte: „ought not“ ist nicht die Negation oder der kontradiktorische Gegensatz zu „ought“, sondern vielmehr sein konträrer Gegensatz (vgl. Hare 1967, S. 35, 1981, S. 112). Das Moralurteil, dem B zustimmen soll, ist also der konträre Gegensatz von (1), d. h. „B ist moralisch verpflichtet, A nicht ins Gefängnis zu bringen“. 21 Vgl. von Kutschera 1973. 22 Sämtliche formallogischen Implikationen, von denen ich hier und im folgenden Gebrauch mache, sind auch durch Hares Definition der Folgerungsbeziehung „gedeckt“ (vgl. Anm. 4). Den Nachweis im einzelnen kann ich mir ersparen.
526
Michael Knoop
schen Logik ist für die so verstandene moralische „Indifferenz“ ein eigener Operator gebräuchlich: I(p) ,def :O(p) ^ :O(:p). Nun können wir (2) in der kürzeren Form (2’)
O(:p) _ I(p)
notieren. Damit haben wir genau die Alternative erreicht, vor die B Hare zufolge gestellt ist, wenn er (1) nach dem zuvor geschilderten Verfahren „falsifiziert“ hat. Tatsächlich gibt es sogar einen noch einfacheren Weg, um zu (2’) zu gelangen; dabei ist das deontisch-logische Gesetz (3) entbehrlich. Denn da es sich bei :O(p) ! (O(:p) _ (:O(p) ^ :O(:p))) um einen aussagenlogisch wahren Satz handelt, können wir aus (:1) gleich auf O(:p) _ (:O(p) ^ :O(:p)) schließen, d. h. per definitionem auf (2’).
V. Hares Lösung. Zweiter Schritt Mit der Position, die er „Amoralismus“ nennt, setzt sich Hare bereits in Freedom and Reason auseinander, und zwar in Abschnitt 6.6 gleich im Anschluß an die oben zitierte Textstelle, und noch ausführlicher in Moral Thinking.23 Die Position des Amoralismus nimmt Hare zufolge derjenige ein, der in moralischen Fragen grundsätzlich Stillschweigen bewahrt oder aber ausschließlich Moralurteile der Indifferenz zu fällen bereit ist.24 Gegen diese Position könne nun, so meint Hare zu Recht, kein moralisches Argumentieren mehr etwas ausrichten, was uns aber auch nicht zu stören brauche. „Gerade wie man kein Schachspiel gegen einen Gegner gewinnen kann, der keinen einzigen Zug machen will ( . . . ), gerade so ist auch keine moralische Debatte mit jemandem möglich, der überhaupt kein moralisches Urteil fällen will, oder – was für die praktischen Zwecke auf dasselbe hinausläuft – der eben nur solche Urteile fällt, die besagen, daß etwas moralisch belanglos ist. So jemand tritt nicht in die Arena des moralischen Disputierens ein, und infolgedessen ist es auch nicht möglich, mit ihm zu streiten. Er ist aber auch gezwungen – und das ist wichtig –, dem moralischen Schutz dann zu entsagen, wenn es um seine eigenen Interessen geht.“25 23 24
Hare 1981, 10.7 – 10.8, 11.3 – 11.5, 12.6. Hare 1963, S. 101, 1981, S. 183.
Anmerkung zur logischen Struktur von „Goldene-Regel“-Argumenten im Sinne Hares 527
Gewiß kann sich jemand, der kein konsequenter oder „universeller“ Amoralist ist, vorbehalten, eine bestimmte Klasse von Handlungen – etwa die, als Gläubiger seinen säumigen Schuldner ins Gefängnis werfen zu lassen – als moralisch belanglos zu beurteilen. Nähme B diesen Standpunkt ein, so würde er damit insbesondere C erlauben, ihn ins Gefängnis zu bringen.26 Daß B diese Konsequenz zu ziehen bereit ist, hält Hare für unwahrscheinlich.27 Aber ganz gleich, ob wir diese Einschätzung teilen, für das moralische Argumentieren hätte B’s „Indifferenzstandpunkt“ in der Frage, ob Gläubiger moralisch verpflichtet sind, ihre säumigen Schuldner ins Gefängnis zu bringen, die gleichen Konsequenzen wie ein „universeller“ Amoralismus: Über diese Klasse von Handlungen ließe sich mit B kein moralischer Disput mehr führen. Daher schließt Hare von vornherein die Möglichkeit aus, daß die in Rede stehende Handlung moralisch indifferent ist, d. h. er setzt fest, daß es ein universelles moralisches Gebot oder universelles moralisches Verbot gibt, unter das diese Handlung fällt.28 Hare macht ganz deutlich, daß der „Indifferenzausschluß“ eine notwendige Bedingung darstellt, um mit dem von ihm konzipierten Verfahren des moralischen Argumentierens zu Antworten auf einschlägige Fragen zu gelangen: “Our method ( . . . ) shows how, given certain claims about the logical properties of the moral and other concepts, and given certain factual premisses about people’s preferences, we shall reach certain conclusions if we do our moral thinking correctly, and have ruled out ‘It doesn’t matter’ as an answer to our questions”.29
Mit diesem methodologischen Postulat – angewandt auf das Gläubiger-Beispiel: :I(p) – läßt sich nun offenbar aus (2’) O(:p) _ I(p) auf das „gewünschte“ Ergebnis (4)
O(:p)
schließen. Die hauptsächlichen Argumentationsschritte, die zu diesem Ergebnis führen, sind: (i) Die Verpflichtungssatz-Hypothese (1) scheitert an den B unter25 Hare 1983b, 120 f. Der im letzten Satz dieses Zitats angedeutete Gesichtspunkt der Klugheit tritt in Hare 1981 noch deutlicher hervor; vergl. dort 11.3 – 11.5, 12.6. 26 „I(p)“ impliziert insbesondere „:O(:p)“, d. h. „es ist erlaubt, daß p“. 27 „It is as unlikely that he will permit C to put him (B) into prison as that he will prescribe it“ (Hare 1963, S. 102). 28 „In rejecting amoralism ( . . . ) we stipulate that some universal prescription or prohibition shall be adopted for the case under consideration (Hare 1981, S. 219). 29 Hare 1981, S. 189 (Hervorhebung von mir). – Es ist bemerkenswert, daß der Ausschluß indifferenter Handlungen auch für Kants Kategorischen Imperativ von großer Bedeutung ist; vgl. Hoche / Knoop 2010, insbesondere Abschnitt V.
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Michael Knoop
stellten Neigungen oder Interessen. (ii) Unter der weiteren Voraussetzung, daß es hier nicht um eine moralisch belanglose Handlung geht, muß sich B konsequenterweise für (4) entscheiden.
VI. Falsifikationismus, Indifferenz-Ausschluß und Interessen-Abwägung Es gibt allerdings einen gewichtigen Grund, dieses Ergebnis noch einmal zu überprüfen. Wie Hare selbst sagt, hat B den Wunsch, gegen A wegen dessen Zahlungsunwilligkeit vorzugehen; deswegen stellt A seine gesamte moralische Überlegung ja erst an. Aus dem Verpflichtungssatz (4) folgt nun aber, ohne eine Universalisierung vorzunehmen, allein aufgrund des präskriptiven Charakters dieses Moralurteils, der Imperativ „Laß mich gegen A nicht vollstrecken!“. Wegen seines Wunsches, gegen A vorzugehen, kann B diesen Imperativ nicht akzeptieren, also auch nicht den Satz (4), der diesen Imperativ impliziert.30 Zwei der methodologischen Forderungen, die Hare für das ernsthafte moralische Argumentieren aufstellt – erstens sein metaethischer Falsifikationismus, dem gemäß aus Verpflichtungssatz-Hypothesen Imperative deduziert werden, die wir möglicherweise aufgrund unserer Neigungen oder Interessen ablehnen müssen, und zweitens sein Postulat, daß die in Aussicht genommene Handlung nicht moralisch indifferent sei – scheinen also zusammen in eine Aporie zu führen: B kann (1) nicht akzeptieren, weil er nicht möchte, daß C gegen ihn vollstreckt; B kann (4) nicht akzeptieren, weil er gegen A vollstrecken möchte; B kann aber auch nicht beide Verpflichtungssätze, (1) und (4), zugleich verwerfen, denn dies bedeutete nichts anderes als die Beurteilung der fraglichen Handlung als moralisch indifferent. Nach Hares metaethischem Ansatz können wir eine Verpflichtungssatz-Hypothese nur deshalb akzeptieren, weil wir vergeblich versucht haben, sie zu falsifizieren. Wie aber das Gläubiger-Beispiel zeigt, ist ein Falsifikationismus für das moralische Argumentieren untauglich, der dem „Alles-oder-Nichts“-Prinzip gehorcht, der also immer dann zur Verwerfung eines hypothetisch angenommenen Verpflichtungssatzes nötigt, wenn er mit mindestens einer der Neigungen oder der Interessen des Handelnden oder der von der Handlung Betroffenen kollidiert. Eine Alternative hierzu zeichnet sich schon in Freedom and Reason und noch deutlicher in Moral Thinking ab: Um zu entscheiden, welche Verpflichtungssatz-Hypothesen wir akzeptieren können, kommt es darauf an, die Intensität der Neigungen oder Interessen der Beteiligten zu berücksichtigen.31 Auf das Gläubiger-Beispiel angewandt heißt dies, daß B konsequenterweise diejenige der beiden konträren Verpflichtungssatz-Hypothesen (1) und (4) ablehnen muß, gegen deren logische Kon30 Dies macht auch Hoche geltend (1983, S. 471 f.). Zu einer anderen Sicht vgl. Kese 1990, S. 92 f. 31 Hare 1963, 7.1 – 7.4, 1981, 5.3 – 5.4, 6.2, Kap. 7, passim. Zum Stichwort „InteressenAbwägung“ bei Hare vgl. Hoche 1983, Abschnitt 9, S. 472 – 478.
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(SGR’)
Hans-Ulrich Hoche and Michael Knoop
(We) : (z,a) . (Bz) R1z*ea ! Dzea : ! (,) :. (Be) R1e ! (We) : (z,y,a) . (Bz) R1z*ya ! Dzya : & (Be) R1e.
3. If we compare (UGR3) with (SGR), we can see, first, that the two formulations differ only with respect to their antecedents and, second, that the antecedent of (UGR3), namely, (23)
I want that in such and such a situation nobody treats anyone in such and such a way. [I want, for every person z and every person y, that z does not treat y that way.],
semantically implies the antecedent of (SGR), namely, (24)
I want that in such and such a situation nobody treats me in such and such a way. [I want, for every person z, that z does not treat me that way.]
4. This semantical relation between the ordinary-language analysanda is precisely mirrored by the corresponding logical relation between their formal analysantia (UGR”) and (SGR’): The antecedent of (UGR”), namely, (23’)
(We) : (z,y,a) . (Bz) R1z*ya ! Dzya,
logically implies or entails the antecedent of (SGR’), namely, (24’)
(We) : (z,a) . (Bz) R1z*ea ! Dzea.
Let us show this by means of a short derivation in a doxastico-theletically extended first-order predicate calculus of natural deduction:73 {1} [1]
(We) : (z,y,a) . (Bz) R1z*ya ! Dzya
P
{2} [2]
(z,y,a) . (Bz) R1z*ya ! Dzya
P
{2} [3]
(z,a) . (Bz) R1z*ea ! Dzea
{0} [4]
(z,y,a) . (Bz) R1z*ya ! Dzya . ! (z,a) . (Bz) R1z*ea ! Dzea
{1} [5]
(We) : (z,a) . (Bz) R1z*ea ! Dzea
2UI 2,3C
1,4RW1n
The classical rules ‘P’, ‘UI’, and ‘C’ have already been explained in subsections VII.4 and IX.2, above. The symbol ‘1,4RW1’ showing up in the last line is foreign to a classical or unextended first-order predicate calculus of natural deduction. It is to indicate that the theletic deductive closedness rule ‘RW1’ – without which a workable logic of believing and intending could, as it were, hardly leave the starting block – is applied to propositions [1] and [4]: If I will that something should be 73 The following proof is to be substituted for the proof given in Hoche 2001: subsect. XVIII.2, from which the author of that paper now has to decidedly distance himself, his main reason being that, due to the negligence of the semantical facts expressly stated in the preceding fn. 72, the formalisation of (UGR3) was defective.
Anmerkung zur logischen Struktur von „Goldene-Regel“-Argumenten im Sinne Hares 529
sequenzen seine Abneigung stärker ist.32 Damit gelangt B entweder zu dem kontradiktorischen Gegensatz von (1) oder zu dem kontradiktorischen Gegensatz von (4), was für ihn aber noch nicht relevant ist. Wie jedoch oben detailliert gezeigt wurde, folgt aus (:1) zusammen mit dem Ausschluß moralisch indifferenter Handlungen der Satz (4); ganz analog erhält man aus (:4) :O(:p) zusammen mit dem Ausschluß moralisch indifferenter Handlungen den Satz (1).
Summary In chapter 6 of his book Freedom and Reason Richard Mervyn Hare exemplifies a simple form of his so-called ‘golden-rule’-arguments by means of his wellknown ‘debtor-example’ (section I). Critics objected that these arguments as developed by Hare do not reach their aim (section II), and hence devised some strategies for making them conclusive (section III). I shall argue that these rescue efforts are defective or at least unnecessary; for Hare himself did in fact give a perfectly satisfactory solution in Freedom and Reason (sections IV, V). The key to his solution is the exclusion of morally indifferent actions. The exclusion of morally indifferent actions, however, demands a weighing of interests (section VI).
32 Die hier geforderte Interessen-Abwägung ist also eine intrapersonale. Bei „Goldene-Regel“-Argumenten wird eine interpersonale Interessen-Abwägung stets in eine intrapersonale transformiert (vgl. Hare 1981, 6.2). In dem Gläubiger-Beispiel ist die Situation dadurch vereinfacht, daß angenommen wird, B stehe tatsächlich zu einer dritten Person in einer Beziehung, die derjenigen in allen relevanten Hinsichten gleicht, in der A zu ihm steht. Es wird also angenommen, daß eine von B’s auf die „wirkliche Welt“ bezogenen Interessen von der gleichen Art wie A’s Interesse ist (nämlich der Zwangsvollstreckung zu entgehen). Die Abwägung zwischen A’s Interesse und dem ebenfalls auf die „wirkliche Welt“ bezogenen Interesse B’s, gegen A zu vollstrecken, kann somit dargestellt werden als Abwägung zwischen zwei auf die „wirkliche Welt“ bezogenen, einander widerstreitenden Interessen B’s. Nehmen wir nun an, daß es tatsächlich gar keine dritte Person gibt, zu der B in einer in allen relevanten Hinsichten gleichen Beziehung steht wie A zu ihm. Dann ist B durch die „Goldene Regel“ aufgefordert, sich in einem Gedankenexperiment in die Lage eines von seiner in Aussicht genommenen Handlung Betroffenen hineinzuversetzen. Dabei kommt es darauf an, daß sich B nicht mit seinen eigenen Interessen in die „mögliche Welt“ des Gedankenexperiments versetzt, sondern mit denjenigen, die er nach bestem Wissen meint A zuschreiben zu können. B muß dann also sein auf die „wirkliche Welt“ bezogenes Interesse (gegen A zu vollstrecken) gegen sein auf die hypothetische Situation des Gedankenexperiments bezogenes Interesse (der Zwangsvollstreckung zu entgehen) abwägen.
530
Michael Knoop
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Kantian Provisional Duties Heather M. Roff
From Kant’s critical works to his ethical works he never viewed the world in simplistic terms. He continually sought to find new, more complicated, ways of answering fundamental philosophical questions. Instead of taking sides in a debate, he often sought out a third option: an option between the dichotomy of empiricism and rationalism, a position for human beings between the noumenal and phenomenal realms, an understanding of moral action for beings subject to both freedom and nature. Kant uses dichotomies in his thinking quite often, but he does so to show that, while they are helpful, they are often incomplete and not the end of the story. Inevitably, though, like all great theories, his are not immune from criticism. Despite these criticisms, like “empty formalism” or an inability to take into account particular cases or cultural practices, Kantian moral and political theory still provide one of the major approaches in contemporary moral and political philosophy. However, his moral theory still continues to puzzle scholars when it comes to the relationship between right and virtue and his resulting taxonomy of duties. As Marcus Willaschek charges, the Doctrine of Right does not belong in Kant’s moral theory, and that, due to its inclusion, “Kant’s system of moral duties is neither consistent nor complete.”1 Others, like Nelson Potter and Otfried Höffe, find no problem with Kant’s derivation of right from the moral law, and therefore find no problems with the duties derived from it.2 While some, like Katrin Flikschuh, explain the relationship as separate yet complementary.3 Yet, these scholars point to a fundamental tension in Kant’s moral theory, a tension which then gives rise to ques1 Willaschek claims that because juridical laws can be obeyed for heterogeneous reasons, juridical laws cannot be derived from a categorical imperative that demands obedience for the sake of the law and nothing else. Marcus Willaschek, “Why the Doctrine of Right does not belong in the Metaphysics of Morals”, Annual Review for Law and Ethics Vol. 5, 1997, p. 208. 2 Cf. Nelson Potter, “Applying the Categorical Imperative in Kant’s Rechtslehre” Annual Review of Law and Ethics Vol. 11, 2003, pp. 37 – 51. Otfried Höffe, Categorical Principles of Law, Mark Migotti trns., University Park: Penn State Press, 2002. 3 Katrin Flikschuh, “Justice without Virtue,” in Lara Denis ed.: Kant’s Metaphysics of Morals: A Critical Guide, Cambridge: Cambridge University Press, forthcoming. Flikschuh argues that one can be just without being virtuous, and that Willaschek’s worry that heteronomous, and therefore nonautonomous, lawgiving robs justice of is moral status is unfounded because justice does not depend so much on individual subjective, traditionally autonomous, willing as it does on a public objective unified will.
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Heather M. Roff
tions of moral guidance in situations where we know what duty requires, and we may be physically capable of acting, but remain highly doubtful or even certain that our actions will fail to bring about their goal. The result being that acting to fulfill our duty may end up violating a tenet of the categorical imperative: respecting humanity in oneself and others. A timely and often discussed example is that of humanitarian military intervention. Do states that have a capacity to do something, but not a capacity to fully alleviate the suffering or stop genocidal killings, have a duty to intervene militarily? Do states have a duty to intervene if they know their actions will fail or make the situation worse? If we consult Kant’s moral theory for guidance in this kind of situation, we may be puzzled by what it tells us to do. This puzzlement arises from the fact that Kant seems to place moral duties in various cross-cutting categories (right or virtue), which permit or require different sorts of things. Moreover, these categories seem to yield different conclusions with respect to the kind of problem I have just described, where we can act, but where our action seems bound to fail or worse. What is required, then, is to understand the relationship between right and virtue and to ask ourselves, in the spirit of Kant: Is there a third option? I will argue, appearances to the contrary notwithstanding, Kant’s moral theory (and thus his taxonomy of duties) is not inconsistent, and that it does provide more guidance than I have just suggested. To show this, I must do two things. First, I must say more about the Kantian distinctions between justice and virtue, perfect and imperfect duties and negative and positive duties. In other words, it is necessary to lay out in more detail that taxonomy of duties that seems to create the problem or the confusion I have just outlined above. Second, I will then show that interpreters have missed a third kind of duty in Kant, which I call provisional duty. Provisional duty resolves the suspected tension between right and virtue, and it helps us determine what is required in these especially problematic situations. As I believe Kantian theory is still a fruitful approach in contemporary moral and political philosophy, I think the results of this essay will also help us think about some urgent practical problems we currently face, particularly, as I have motioned toward, in cases of duties of justice in the international realm. I believe that Kant’s concept of provisionality is the key to understanding how right and virtue fit together in his moral system. Unfortunately, this concept has been ignored in the literature, save by one scholar: Elisabeth Ellis. Ellis argues that all of Kant’s political works have a “provisional” feature to them. Further, she posits that a regulative ideal is always explicit or implicit in his political works, and that in his political theory this ideal is a republican government regulated by a judging public. Ellis’ focus on Kant’s idea of provisional acquisition of property, allows her to build a Kantian theory of “provisional right,” where one’s maxim is: “act in such a way that one does not render the eventual realization of the ideal state impossible.”4 4 Elisabeth Ellis, Kant’s Politics: A Provisional Theory for an Uncertain World, New Haven: Yale University Press, 2006, p. 114.
Kantian Provisional Duties
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My interpretation differs from Ellis in that I look specifically to Kant’s taxonomy of duties and not to the role of a regulative ideal of republican government and its relationship to provisional right. My argument proceeds at a fundamental level, rather than assuming it, and thus it provides Ellis’ argument for a maxim of provisional right with a stronger and clearer deontic framework. Second, and more importantly, my argument explains the relationship between duties of right and virtue and provides action guiding principles for agents who find themselves in situations of moral ambiguity, due to juridical problems like states of nature or breakdowns of civil society.
I. Kant’s Taxonomy of Duties 1. Right & Virtue In the Metaphysics of Morals, Kant divides his moral system into two categories: Recht (translated in different contexts as “right,” “justice,” and “law”) and Tugend (virtue). Recht pertains to all actions having to do with the right of another person. For Kant, only one “innate” right exists: a right to freedom.5 Tugend, or virtue, on the other hand, pertains to acts having to do with moral perfection. Kant insists that virtue is “the strength of a human being’s maxims in fulfilling his duty.”6 Virtuous actions express a person’s internal freedom, and internal freedom is manifested by an agent acting autonomously, that is, choosing to act in accordance with the moral law.7
5 Immanuel Kant, Doctrine of Right (1797) in: Mary Gregor, trans. and ed.: The Metaphysics of Morals, Cambridge: Cambridge University Press, 1996, pp. 29 – 31. When citing this translation, I hereafter refer to the Metaphysics of Morals, the Doctrine of Right or the Doctrine of Virtue with the use of the abbreviations “MM,” “DR,” or “DV,” respectively. When referring to Kant’s essays: “Idea for a Universal History with a Cosmopolitan Purpose” (1784), “An Answer to the Question: What is Enlightenment” (1784), “On the Proverb: That May be True in Theory, But is of No Practical Use” (1793) and “Towards Perpetual Peace” (1795), unless otherwise noted, I use Ted Humphrey, trns.: Perpetual Peace and Other Writings, Indianapolis: Hackett Publishing Co., Inc., 1983 / 1985. I will use the abbreviations, “UH,” “WE,” “TP,” and “TPP,” respectively. Furthermore, for all Kant’s works cited here, unless otherwise noted, I will follow with the Gesammelte Schriften, ed. Preussische Akademie der Wissenschaften citation format. 6 Kant, DV, 6:394. 7 “Hence autonomy is the ground of the dignity of human nature and of every rational nature,” and dignity for Kant is “unconditional and incomparable worth [i.e. respect]” that is attributed to legislation, “which [itself] determines all worth.” More clearly, autonomy is selflegislation, and the manner in which one legislates; thus an act receives more or less worth depending upon how one wills it. Immanuel Kant, Grounding for the Metaphysics of Morals (1785), James Ellington, trans., Indianapolis: Hackett Publishing Co, Inc., 1993, p. 41. Hereafter, I will abbreviate the Grounding as “G” and follow Kant’s Gesammelte Schriften, ed. Preussische Akademie der Wissenschaften citation format.
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For Kant, Recht and Tugend are different mainly in terms of lawgiving. In other words, if an action is self-imposed, then that action is for the sake of one’s inner freedom. If an action is externally imposed, through positive law, then it is for the sake of her external freedom.8 A person is internally free, and autonomous, when she has given herself a law to follow without any influence from outside forces (i.e., inclinations, desires, fears). A person is externally free when she can go about her life, make projects and plans, unrestrained from the unjust physical hindrances of others. This rule-governed external freedom allows agents to coordinate their actions with a high degree of certainty because there is a system of law that dictates what actions are licit and illicit, a neutral judicial institution to adjudicate disputes, and a system of punishment to enforce these laws. External freedom must be limited to allow for the full exercise of internal freedom, as a person’s internal freedom is affected by her physical security and ability to self-legislate. Recht paves the way for Tugend.9 Using lawgiving as the primary explanation for the difference between Recht and Tugend is useful, and internal versus external lawgiving is one of the clearest distinctions Kant makes. However, the distinction between Recht and Tugend cannot be wholly reduced to different kinds of lawgiving, and Kant employs other ways of explaining the Recht / Tugend distinction. A second, and related, way of understanding the difference between the two is by incentive. Kant claims that “all lawgiving can therefore be distinguished with respect to the incentive [ . . . ].”10 In other words, the motivating reason for acting (the action’s incentive) plays a deciding role in how the act is categorized. If an agent takes her motivating reason to be the moral law, for the sake of the moral law, then her act is virtuous. If, on the other hand, an agent takes fear of punishment as her motivating reason for acting, then her action is merely right. If, however, an act is in accordance with the dictates of Recht, and is done from the motive of duty, then it is deemed “moral.” Kant states that “mere conformity or nonconformity of an action with law [ . . . ] is called its legality (lawfulness); but that conformity [what law requires] in which the idea of duty arising from the law is also the incentive to the action is called its morality.”11 Actions are judged as “moral” if an agent freely, that is autonomously, acts; however, if one acts in conformity with a moral or legal rule (say not stealing) but does so from some external cause (like the fear of being caught and punished), then it is not a “free” action. That action is “just” or “legal” but not “moral.” Virtuous actions are Kant, DR, 6:220; 6:383. I disagree with Flikschuh here, that “Right is not ‘prior to’ Virtue, nor is Virtue ‘prior to’ Right, [and that] Right is not a condition of Virtue” Flikschuh, op. cit., fn 3, forthcoming. Kant’s works on the progress of humanity and the necessity of the state as a fundamental vehicle for all of man’s progress incline me to believe that right is prior to virtue – at least if both are to be universal. I take right and virtue to be symbiotic, one needs the other, but for the entire human race to progress towards moralization, then the state is necessary first. 10 Kant, DR, 6:218-6:219. 11 Ibid, 6:219 (emphasis in original). 8 9
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all moral actions by definition. It is, perhaps, easier to think of right and virtue as subsets of morality, where all legal duties can be externally motivated or coerced and are the subject of juridical legislation. All ethical or virtuous duties are, by virtue of their lawgiving, “moral.” A third way to distinguish right and virtue is through the doctrine of obligatory ends. Here, Kant argues that the moral law prescribes actions such that “one can think of the relation of end to duty in two ways: one can begin with the end and seek out the maxim of actions in conformity with duty or, on the other hand, one can begin with the maxim of actions in conformity with duty and seek out the end that is also a duty.”12 Acting in accordance with the moral law requires, Kant thinks, that all men adopt certain ends. If one takes the concept of duty to be the primary incentive for all action, then one “will have to establish maxims with respect to ends we ought to set ourselves,” and these ends are our moral perfection and the happiness of others.13 The moral law requires that we treat “humanity in ourselves and others always as an end and never as a means,” and if we truly hold this conviction, then we must seek to perfect our own humanity and to help others perfect theirs. Examples of virtuous actions are giving to charity, not being insulting, and showing courage in trying times. Actions in accordance with Recht, though, do not necessarily set particular ends for an agent. Recht permits an agent to “set [ends] for himself and in accordance with them prescribe the maxims he is to adopt [ . . . ].”14 These juridical maxims are also adopted “on empirical grounds” and are based in “self-seeking” motives.15 Finally, Recht and Tugend can be divided on the basis of coercion. Kant claims: To every duty there corresponds a right in the sense of an authorization to do something (facultas moralis generatim); but it is not the case that to every duty there correspond rights of another to coerce someone (facultas iuridica). Instead, such duties are called, specifically, duties of right. [ . . . ] What essentially distinguishes a duty of virtue from a duty of right is that external constraint to the latter kind of duty is morally possible, whereas the former is based on free self-constraint.16
Some actions, those that deal with a person’s external freedom, are subject to the reciprocal right to coerce. Any act an agent performs that hinders another agent’s external freedom is wrong, and any act that is opposed to this wrong is right. This is why Kant claims that “if a certain use of freedom is itself a hindrance to freedom in accordance with universal laws (i.e. wrong), coercion that is opposed to this (as a hindering of a hindrance to freedom) is consistent with free12 Kant, DV, 6:382. Kant identifies the first of these as in accordance with the Doctrine of Right, and the second, the Doctrine of Virtue. 13 Ibid, 6:386-6:388. 14 Ibid, 6:382. 15 Ibid, 6:382. 16 Ibid, 6:383 (emphasis in original).
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dom [ . . . ], it is right.”17 But, an agent’s decision to adopt an end for herself, cannot be coerced. One cannot force another to adopt an end or a maxim of action, as this is an exercise of someone’s internal, as opposed to external, freedom. Thus right can coerce actions, but it cannot coerce maxims of actions (i.e. it cannot coerce virtue). As we can see, Recht and Tugend’s differences are mainly concerned with law, lawgiving, incentives for following law, and coercion. All of these distinctions are important to note because all of these meanings are bound up in the definition of Recht. Recht covers right, rights, being “in the right,” equal rights and responsibilities, being under law (civil, common, and canon), claims, titles (to something), what is due, privilege, being or what is justified and justice.18 Kant also seems to employ most, if not all, of these same meanings throughout his works. His is a specifically legal understanding, where justice and law are codependent. Virtue, though, is concerned with the realm of action that is freely chosen by an agent. Freely, here, means a rational exercise of choice, where an agent is not determined by any “pathological” determinant (inclination, desire, fear). Virtue is the realm where one, in theory, has no need of claims, titles and guarantees because an agent is always capable of acting freely if an agent is rational (and thus recognizes the moral law) and employs his will (Wille). However, this is not to say that all people are virtuous or that virtuous action does not require empirical factors. Quite the contrary, because human beings possess rational capacity, we can become virtuous, but we must also accept that we are subject to and affected by the empirical world and “pathological forces.” Kant’s more developed views on virtue are more tempered than his famous, earlier, view that moral action can only be judged by a “good will” that “like a jewel, still shine[s] by its own light.”19 As David Heyd notes, “virtue is an intermediary concept between the rational motive and psychological set up of action in the world. Its inculcation is partly the outcome of moral reasoning, but partly the product of exercise, habit, education, or Bildung.”20 The “purely good will” of the Groundwork is a “holy, or absolutely good will,” something that human beings cannot actually achieve, but only approximate through its status as a regulative ideal.21 As Heyd argues, this is why Kant, in his later work the Metaphysics of Morals, does not focus on the necessary presence of an absolutely good will for virtuous action.22 In Kant’s later work, “such constraint [the categorical imperative], therefore, Kant, DR, 6:231. http: //dict.tuchemnitz.de/dings.cgi?lang=en&service=deen&opterrors=0&optpro=0&query =Recht&iservice=&comment= 19 Kant, G, 4:394. 20 David Heyd, “Moral and Legal Luck: Kant’s Reconciliation with Practical Contingency,” Annual Review of Law and Ethics, Vol. 5, 1997, p. 36. 21 Kant, G, 4:439. 22 Heyd, op. cit., fn 20, p. 14. 17 18
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does not apply to rational beings as such (there could also be holy ones) but rather to human beings, rational natural beings, who are unholy enough that pleasure can induce them to break the moral law, even though they recognize its authority.”23 Human beings require character formation and education, and these things require law, society, teaching, parenting, norms and various opportunities for virtuous action. Virtue, then, requires a protected sphere of action for it to emerge and flourish: it requires external freedom (guaranteed through laws of Recht). The relationship between right and virtue, then, is symbiotic. Recht supplies external protection necessary for all agents to exercise their rational capacities in relative freedom. It provides the formal public framework of laws that ensures agents’ actions “can coexist with the freedom of everyone.”24 Virtue, however, provides agents with opportunities to become moral beings. Kant argues that “[h]uman morality in its highest stage can still be nothing more than virtue, even if it be entirely pure (quite free from the influence of any incentive other than that of duty)” because human beings are not “finite holy beings (who could never be tempted to violate duty).”25 This is so because human beings lie “between the animal and the holy: purely animal operation is not agency, and purely holy action is not human.”26 Thus to make up for our tendencies towards unholiness, or rational egoism, we must provide external guarantees for our freedom; we must provide law. Both Recht and Tugend are ruled by the moral law. Recht must follow the moral imperative in form, while Tugend must provide the moral imperative with content. Both are necessary for one another, for as Kant famously states “Like the wooden head in Phaedrus’s fable, a merely empirical doctrine of right is a head that may be beautiful but unfortunately it has no brain.”27 Right must be ruled by morality, and virtue is morality employed in the empirical world.
2. Further Subcategories of Duties & Willaschek’s Charge Kant further subcategorizes Recht and Tugend into perfect and imperfect duties. He distinguishes these kinds of duties in a wide and at times somewhat bewildering variety of ways. According to Kant, perfect duties are: coercible; subject to external legislation; juridical; directly contradictory to the categorical imperative; concerned solely with actions (as opposed to motives); pass the “contradiction in conception” formulation of the categorical imperative; identify a specific agent; have a specified content for fulfillment; fully dischargeable; and demanded by right. In 23 24 25 26 27
Kant, DV, 6:379 (emphasis in original). Kant, DR, 6:231. Kant, DV, 6:383. Heyd, op. cit., fn 20, p. 32. Kant, DR, 6:230.
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contrast, imperfect duties are: uncoercible; subject to internal legislation; ethical; solely concerned with “ends;” judged by an agent’s internal motivations; unable to produce a “contradiction in willing;” specify no particular agent; specify no particular content; not fully dischargeable; not demanded by Recht.28 Duties can also be characterized as positive or negative. Positive duties require a specific action, while negative duties require an agent to refrain from acting. Kant’s work on right indicates that he views duties of right as mainly negative: to forbear from interfering with the freedom of another person. Examples of negative duties include: not wronging another person and refraining from actions that disrespect another person, say by mocking or “exalting oneself ” above another.29 Duties of virtue are typically positive, in that they require an agent to do something for someone else or oneself. Examples of positive duties include: giving to charity, coming to the aid of someone in distress, establishing institutions or mechanisms that allow agents to live a moral life. However, there are negative duties of virtue, and, as I must assume for now, positive duties of right.30 At some points in Kant’s work, he also suggests that perfect duties are “strict” and “narrow,” while imperfect duties are “wide.”31 These last two distinctions are meant to highlight how much leeway an agent has in fulfilling her duty. For example, a perfect duty will inform an agent that she must repay a debt of five dollars to her friend. Agent, recipient, scope, possible coercion (if there is a contract involved), and the ability to know when the duty is discharged are all present here. An imperfect duty, of charity, say, will only stipulate that agents ought to be charitable and take other’s happiness as their own. For an imperfect duty the agent is identified, but recipient is left up to the agent, scope is left up to the agent (should she donate money or time), coercion impermissible, and the duty is never in a sense fully or once and for all “discharged.” For the most part, Kant takes all duties of right to be perfect duties and duties of virtue to be imperfect duties.32 As Marcus Willaschek notes: 28 The first five distinctions between Kantian perfect and imperfect duties are noted by Robert Pippin, Idealism as Modernism: Hegelian Variations, Cambridge: Cambridge University Press, 1997, pp. 56 – 91; the next three by Terry Nardin, “Introduction,” in: Terry Nardin / Melissa S. Williams eds.: Humanitarian Intervention: NOMOS XLVII, New York / London: New York University Press, 2005, pp. 1 – 28; and the remaining two by Jeffrie Murphy, Kant and the Philosophy of Right, Macon: Mercer University Press, 1994, pp. 34 – 37. 29 Duties of respect are perfect duties of virtue that require an agent to forbear from acts of lying, suicide, “defiling by lust”, “stupefying oneself by excessive food or drink”, and not defaming or ridiculing others (Kant, DV, 6:421-6:427; 6:449; 6:462-6:468). 30 Some might object that all duties are Recht are negative and derived from a “do no harm” principle. However, while it is not within the scope of this essay to argue for positive duties of right, I believe there to be such positive duties in Kant’s Doctrine of Right. A good example is the state’s duty to have a basic minimum welfare system. Kant claims that wealthy citizens may be taxed, and the monies received distributed to attend to the basic needs of the poor (Kant, DR, 6:325-326). 31 Kant, DV, 6:390.
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Duties of right are all and only those duties which concern external actions, are based on external lawgiving and which one can be externally coerced to observe; these duties Kant identifies with narrow duties, which in turn are implicitly equated with perfect duties. Correspondingly, duties of virtue primarily concern inner maxims and ends, are based on internal legislation, and allow only of internal coercion; they are wide or imperfect duties.33
Duties of right, since they only concern external actions, are therefore only concerned with others. Duties of virtue, contrarily, concern ends and can apply to oneself and to others. Unfortunately, Kant’s discussion of these distinctions is not always consistent. However, Kant also argues that human beings have perfect duties of virtue – to themselves and others. Perfect duties of virtue to oneself fall under the precept: “respect the end of humanity in our own person.”34 These actions include: abstaining from suicide35, defiling oneself by lust36, stupefying oneself with food or drink37, lying to others38, avarice39 and servility.40 A perfect duty of virtue to others includes the duty of respect. Here, Kant does not use the term “perfect” duty, but only “narrow,” because the action owed permits no leeway for an agent, and is “strictly speaking, only a negative one (of not exalting oneself above others).”41 Acts of respect include: recognizing the dignity in others42, forbearing from contemptuous action43, refraining from scandal44, abstaining from arrogance45, foregoing from defamation46, refraining from ridiculing others47. Thus it appears that there is not a one to one ratio (Recht: perfect duties and Tugend: imperfect duties). At one point in the Doctrine of Right, Kant provides a table to elucidate how the perfect / imperfect and right / virtue distinctions are to be made.48 However, this Kant, DV, 6:390. Willaschek, op. cit., fn 1, p. 206. 34 Kant, DR, 6:240. 35 Kant, DV, 6:422. 36 Ibid, 6:424-425. 37 Ibid, 6:427. 38 Ibid, 6:429-430. It is not immediately clear that lying to others is a perfect duty to oneself. For a good discussion of this see Kristine Korsgaard, “The Right to Lie: on Dealing with Evil,” Philosophy and Public Affairs Vol. 15, 1986, pp. 325 – 349. 39 Kant, DV, 6:432-433. 40 Ibid, 6:434-436. 41 Ibid, 6:450. 42 Ibid, 6:432. 43 Ibid, 6:463. 44 Ibid, 6:464. 45 Ibid, 6:465. 46 Ibid, 6:466. 47 Ibid, 6:467. 32 33
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table is quite unhelpful, as it does not take into account any of the perfect duties of virtue noted in the previous paragraph. Furthermore, Kant’s attempt to schematize his system of duties with his division of right and virtue is rather unsatisfactory and leaves him open to Willaschek’s charge that his “system of moral duties is neither consistent nor complete. [And that] there are moral duties which are neither duties of right nor duties of virtue.”49 While Willaschek does not give us any hint as to what these other duties may be, or why they do not fit in the imperfect / perfect and right / virtue distinctions, he has identified (albeit from a different and in my opinion incorrect perspective) a serious problem in Kant’s theory: the need for an expansion of Kant’s taxonomy of duties.50 This problem arises because of Kant’s reliance on a particularly legal understanding of Recht. Recht, again, encompasses law, right, being in the right, having rights, and justice. This conceptualization forces Kant to require the establishment of a civil condition to guarantee universal justice because only public law (not private or natural) can guarantee the rights and freedoms of everyone, regardless of their physical capacities. Individuals in a state of nature, where law is not public and not backed by a legitimate coercive force, can only secure their rights by their own strength. Furthermore, if we recall my previous claim that virtue and right are codependent, then it is apparent that for both types of duty a state is required. Absent a state, or a condition of what Kant calls “public right,” his taxonomy of duties is problematic at best. Kant, DR, 6:240. Willaschek, op. cit., fn 1, p. 208. 50 I believe Willaschek to be incorrect because his argument is that the entire Doctrine of Right does not belong in the Metaphysics of Morals, as Recht cannot be derived from the categorical imperative. He claims that “Kant nowhere really says that the principle of right can be derived from, or is based on, the categorical imperative. The moral law and the categorical imperative are not even mentioned in §§ A-E of the ‘Introduction to the Doctrine of Right’, where Kant introduces the principles of right” (Willaschek, op. cit., fn 1 p. 220). In response, I want to make several points. First, the “Introduction” is hardly the entirety of the DR. Second, Kant does claim in § B that without the moral law, i.e. something to guide “sources of judgment in reason alone”, an empirical doctrine of right is empty – like “Phaedrus’ head.” Third, Kant specifically mentions the categorical imperative in three places in the DR. In the first instance Kant is referring to the possibility of “intelligible ” possession – i.e. the ability to own a piece of property without having to have physical control over it. He says that possession of property is necessary for freedom, and that freedom “can only be inferred from the practical law of reason (the categorical imperative) as a fact of reason” (Kant, DR, 6:252). In the second instance, Kant is attempting to square unjust or dishonorable punishments and honor with a civil constitution. He states “The knot [of violating the CI and maintaining the CI] can be undone in the following way: the categorical imperative of penal justice remains (unlawful killing of another must be punished by death); but the legislation itself (and consequently also the civil constitution), as long as it remains barbarous and undeveloped, is responsible for the discrepancy between the incentives of honor in the people (subjectively) and the measures that are (objectively) suitable for its purpose” (Kant, DR, 6:337). Third, Kant states “the law of punishment is a categorical imperative” (Kant, DR, 6:331). Thus, I refute Willaschek, Q.E.D. 48 49
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3. Public & Private Right To better understand this problem, we must look at how Kant attempted to solve it himself. Kant’s argument runs roughly as follows. There is only one natural right51, the right to freedom, and there are natural (moral) laws. For people to be free and to pursue their projects, people must secure property to actualize their freedom. However, in a state of nature there is no guaranteed way to secure property beyond what one can physically possess because there is no neutral judge to adjudicate disputes and no public and agreed upon laws backed by a coercive force to protect individuals. In a state of nature, each person is judge in his own cause and “might makes right.” Property and Recht can only be deemed “provisional.” Yet, the natural law requires us to i) maintain our freedom and ii) establish a condition to secure acquired rights to property. The only way to do both of these is to join a civil society ruled by law, arbitrated by a neutral judge and backed by a coercive force to enforce laws and punish offenders.52 Kant’s method is to divide his Doctrine of Right into two parts: private right and public right. Private right is the condition of right in a state of nature, where only natural and private law rule. Natural law for Kant is roughly “law determined by reason which concerns the interrelation of persons in so far as one person’s exercise of freedom can have an influence on the possible exercise of freedom of some or all others.”53 Private law regulates relationships outside of civil society (like the family), and includes one’s innate rights, the right to acquisition of provisional property, and the right to compel others into a civil condition. In this condition: [T]here are no public law courts. . .no public means of enforcing decisions made by law courts, [ . . . and] natural assumptions about a person’s intentions are based on what is not explicit and certain. As a result there can be irresolvable disagreement concerning what a person truly had in mind when he / she made an agreement or performed a certain action.”54
Here, one can have justice, but it is subjective (one’s interpretation of the natural law) and limited to only those who can secure it through their strength.55
51 This is not the same “natural right” of Natural Law Theory. The innate right to freedom, for Kant, is a moral right, and so is required by reason. Humans by nature have reason, and thus it is a “natural right.” 52 Kant, DR, 6:312. 53 Leslie Arthur Mulholland, “The Difference Between Private and Public Law,” Annual Review of Law and Ethics Vol. 1, 1993, p. 131. 54 Ibid, p. 140. 55 I am employing the common usage of “objective” and “subjective” when it comes to individual judgment in relation to a principle or law. Kant, on the other hand, typically uses these terms differently, namely he uses “subjective” to refer to what a court decides is “right” and “objective” for what an individual with his reason decides is “right” (Kant, DR, 6:297). I thank B. Sharon Byrd for this point.
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Public right, contrarily, is the condition of civil society, where laws are promulgated publically and rights are rendered peremptory. As Leslie Arthur Mulholland notes, Kant employs three different kinds of justice to explain public justice (or public right): commutative, distributive and protective. “Commutative justice only provides rights against a determinate person,” while “distributive justice . . . [requires] a judicial decision . . . because only a court of law by whose judgments everyone is bound can provide the peremptory resolution of claims to property and thereby bind an entire society.”56 Further, he writes “protective justice is the enforcement of a judicial distribution of rights through coercion, including punishment,” 57 and “protective justice makes rights possible.” Public right, and thus civil society, must have legal procedures, courts, judges and coercive mechanisms for enforcement and punishment. These procedures must be public, and courts must render decisions through “legally determined principles of judgment.”58 Furthermore, there must be rules for determining and identifying who has “the requisite features as empowered to exercise authority within a court.”59 Since the role of judgment in the state of nature (private law) is a major source of contention, public judgment (and judges) must resolve this tension by rendering certain, final and impartial judgments.60 Due to the subjectivity and uncertainty of a state of nature, public law must render decisions with “certainty in the acquisition of rights, and finality in the resolution of conflicts.”61 In other words, in a state of nature people’s judgments proceed from implicit assumptions and subjective interpretations of the natural law.62 Because of this fact, judgments are not seen as impartial or disinterested, and individuals in this condition will continually appeal to their own senses of justice and claim that they need not submit to any authority but their own. Only a public (öffentlich) condition, where judgments are based on a set of publically determined criteria, can resolve this problem. Furthermore, these judgments must be seen as final. There must be an objective resolution of a conflict, and this is done through a public and authoritative court.63 Kant’s public law solution seems to tidy up many problems witnessed in a condition of private right, but it does not resolve problems of justice completely. We are still left with a nagging question in Kant’s theory: If there is no state to secure Mulholland, op. cit., fn 33, p. 134. Ibid, p. 134. 58 Ibid, p. 136. 59 Ibid, p. 137. 60 Ibid, p. 139. 61 Ibid, p. 139 (emphasis in original). 62 Kant’s understanding is similar to, but distinct from, Locke. Law in the state of nature, i.e. natural law, is that law we can know through our reason, and what we use our private judgment to determine. Natural law here is not “god’s law,” like it is for Locke. 63 Mulholland, op. cit., fn 33, p. 140. 56 57
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justice for all, then what happens to duties of justice outside of a civil condition? Willaschek’s charge that Kant’s system of duties is incomplete begins to have more and more of a footing when we take into consideration duties of justice at the international level, in failed or collapsed states, or even perhaps during times of civil war. Moreover, Kant’s answer in Chapter II of the Doctrine of Right that states ought to form: A league of nations [ . . . ] not in order to meddle in one another’s internal dimensions but to protect against attacks from without. [And] [t]his alliance need not, however, involve a sovereign authority (as in a civil constitution), but only an association (federation); the alliance can be renounced at any time and so must be renewed from time to time.64
is rather unhelpful. Problems of justice will remain even with a league of nations, and it does not answer questions about duties of justice in failed states, collapsed states, civil wars, or states witnessing mass atrocities due to civil war, genocide, or crimes against humanity. In the next section, I will answer Willaschek’s charge that Kant’s taxonomy of duties is incomplete by providing a third kind of duty for Kant’s taxonomy: a provisional duty. A provisional duty is entirely in keeping with Kant’s intentions and assumptions and refines our understanding of the moral law and its requirements. Furthermore, a provisional duty will also help us make sense of duties of justice when we are faced with violations of justice outside a civil condition.
II. Kantian Provisional Duties 1. The Necessity of Civil Society A perfunctory reading of Kant yields the conclusion that justice only exists in the realm of Recht, and that Recht, or a condition of right, only exists in a civil society. This is because “right” is determined in accordance with external laws, and these laws determine what is “just.” Consequently, one’s judgment of what is just or unjust can only be made when an external law is transgressed.65 However, a closer reading of the DR yields a subtler conclusion: justice is, at least partially, everywhere because in every condition a form of Recht inheres.66 This is so be64 Kant, DR, 6:345. I deviate from Gregor’s translation here. The original German reads “das die Verbindung doch keine souveräne Gewalt (wie in einer bürgerlichen Verfassung), sondern nur eine Genossenschaft (Föderalität) enthalten müsse; eine Verbündung, die zu aller Zeit aufgekündigt werden kann, mithin von Zeit zu Zeit erneuert werden muß.” Gregor translates the first declination of müssen as “must” and not “need not,” which Kant was known to commonly use. Moreover, she smuggles in a “must not” in the second clause about a sovereign authority that is not present in the original. I thank B. Sharon Byrd for pointing this out. 65 Ibid, 6:224.
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cause a form of Recht subsists either outside of civil society or where “there are cases in which a right is in question but for which no judge can be appointed to render a decision,”67 and for this reason there are problematic cases excluded from the Doctrine of Right. These problematic cases arise in situations outside of civil society (private right) and in instances of uncertainty, situations of what Kant calls “ambiguous right.” Under private right, the existence of Recht for an agent is guaranteed only by physical capability. Kant claims that in this condition, objects of one’s choice (property, security, life) “[are] that which I have the physical capacity to use as I please, whose use lies within my power (potentia).”68 Anything “external as one’s own[,] in a state of nature[,] is physical possession which has in its favor the rightful presumption that it will be made into rightful possession [in civil society].”69 Thus even though Kant only argues that a presumption, or a rule that one assumes, is valid until a time when evidence disproves it, it is still a rule of rightful presumption, and so it has a modicum of Recht. Furthermore, ambiguous right is “right in a wider sense (ius latium), in which there is no law by which an authorization to use coercion can be determined.”70 Here, Kant acknowledges areas of life (what he calls cases of equity and necessity) where agents have “such true or alleged rights,” but the lack of institutional mechanisms of civil society relegate agents’ claims to “the court of conscience.”71 In these instances duties of justice are provisional. I term these duties “provisional” (provisorisch) because they arise from Kant’s discussion of provisional rights. For Kant, provisional rights exist when there is no 66 Kant acknowledges this mistake by claiming, “It is a common fault (vitium subreptionis) of experts on right to misrepresent, as if it were also the objective principle of what is right in itself, that rightful principle which a court is authorized and indeed bound to adopt for its own use . . . in order to pronounce and judge what belongs to each as his right, although the latter is very different from the former. – It is therefore of no slight importance to recognize this specific distinction and to draw attention to it. . . . So the question here is not merely what is right in itself, that is how every human being has to judge about it on his own, but what is right before a court, that is what is laid down as right.” (Kant, DR 6:297, emphasis in original). Thus “right in itself ” is different than cases of juridical right, even though “right” must take both the former and the latter into account. 67 Ibid, 6:234. 68 Ibid, 6:246. Gregor translates vermögen as capacity. However, I translate it as ability. Vermögen can mean ability, power, capability, faculty, to be in a position to do something, or to have assets (to do something with). Thus I translate vermögen as a can-do, learned or otherwise, and not as something innate or only generated by something psychological. Moreover, Kant discusses vermögen as more of a physical concept (the ability to use or control something) further in: DR 6:237; 6:246; 6:257; 6:258; 6:265; 6:267; 6:269; 6:271; 6:274; 6:356-357. The DV supports this translation at 6:383 and 6:404. 69 Kant, DR, 6:257 (emphasis in original). 70 Ibid, 6:234. 71 Ibid, 6:235. Kant also claims “ambiguity really arises from the fact that there are cases in which a right is in question but for which no judge can be appointed to render a decision” (Kant, DR, 6:234). There can be cases of equity in civil society, but the courts cannot resolve them in accordance with Right because of certain contractual stipulations.
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system of law to guarantee noninterference, no common judge to adjudicate disputes, and one’s security depends on one’s own strength. One’s right here is provisional and not “conclusive” or peremptory because agents do not have the ability to make legitimate claims on others.72 Only a civil society is capable of legitimizing these claims and establishing full (or absolute) Recht. Kant notes: It [civil society] is the final end of all public right, the only condition in which each can be assigned conclusively what is his; on the other hand, so long as those other forms of state are supposed to represent literally just so many different moral persons invested with supreme authority, no absolutely rightful condition of civil society can be acknowledged, but only provisional right within it.73
Here is the rub: (i) morality is made up of right and virtue; (ii) morality requires that we fulfill our duties of right; (iii) a duty is unconditional; but (iv), sometimes, due to empirical conditions, our duties are in fact conditional. Accordingly, I must make a distinction between two different meanings of “conditional.” Famously, Kant declares that all duties are ipso facto necessitations to act. Under this definition, it would be incoherent to claim that one can have a merely conditional or contingent necessitation. That is not what I am claiming here. Instead, “conditional” or “provisional” duties are conditioned by structural requirements, i.e., they have enabling conditions. As long as people are enabled, then they are under a strict necessitation to act. But if some people are disabled or disempowered, then there is (or at least might be) no duty for those agents. If it is determined that an agent has a duty, then that duty still stands as a necessitation to act. Thus provisional here means limited by some special nullifying hindrance of a temporary nature, e.g. the hindrances of a state of nature, civil war, civil breakdown during a natural disaster, or anything which makes some incapable of fulfilling duties of justice. In the absence of an authoritative neutral judge and the rule of law backed by a coercive force, duties of justice are provisional. Some examples might be helpful here. Looking solely at Kant’s works, four provisional duties are easily identifiable: initial acquisition of property, initial institution of civil society, autocrats governing in accordance with republican principles, and sovereigns delaying the institution of preliminary articles 2, 3, and 4 of Perpetual Peace.74 72 “I am therefore not under obligation to leave external objects belonging to others untouched unless everyone else provides me with assurance that he will behave in accordance with the same principle with regard to what is mine . . . [I]t is only a will putting everyone under obligation, hence only a collective general (common) and powerful will, that can provide everyone this assurance. . . . So only in a civil condition can something external be mine or yours.” Anything but a general will would “infringe upon freedom in accordance with universal laws.” (Kant, DR, 6:256 emphasis added). 73 This quote is drawn from Kant’s later discussion of international society, but it shows two things of importance. First, Kant believed that the international society is one ruled by provisional right. Second, the terminology “absolutely rightful condition” alludes to conditions that are not “absolutely” rightful but may have elements or gradations of Recht. (Kant, DR, 6:341 emphasis added). 74 Kant discusses the acquisition of private property in a state of nature is noted at DR 6:267; institution of civil society at DR 6:312-313. The argument for autocrats acting as
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A provisional duty, then, is a duty that permits an exception on the basis of ability. In the Groundwork, Kant asserts in a footnote that “I understand here by a perfect duty one which permits no exception in the interest of inclination.”75 Yet, he does not give what one would think is the logical converse, that imperfect duties permit exception on the basis of inclination. Duties, as I have noted, cannot make room for inclination in the sense that if one does not feel like fulfilling a duty, then one does not have a duty. I take Kant to mean, instead, that perfect duties “permit no exception in the interest of inclination” on how or when to fulfill them. Perfect duties stipulate who, when, what, where and how. Imperfect duties, on the other hand, do allow for an agent’s inclination – on how, when and to whom – to fulfill them. Therefore, if Kant’s puzzling footnote about perfect duties permitting no exception for inclination is to actually work, then we have to add a clause that reflects Kant’s later use of the terms “wide” and “narrow.”76 Provisional duties, on the other hand, have nothing to do with the question of inclination and everything to do with the ability to act. If one has the ability to act in a condition outside of civil society or highly degenerated civil society, one has an unconditional “provisional” duty of justice. Not all agents have duties of justice in these conditions, only those that have the ability to fulfill them do; the duty of justice is provisional because justice itself is provisional and not peremptory. However, if my argument that a provisional duty is a duty that permits exception on the basis of ability is to state anything further than the obvious “ought implies can,” I must show that provisional duties have something unique about them that warrants our attention. First, from an exegetical standpoint, I argue that Kant is aware of the “ought implies can” distinction, but that this assumption works its way into a question about physical and material means and not one solely concerned with rational capacities. Second, empirical and contingent material factors play a role Kant’s theory of morality because: i)
Morality must be universal in scope,
ii)
Justice is a part of morality, so
iii) Justice must be universal. republicans appears in the Conflict of the Faculties. Immanuel Kant, The Conflict of the Faculties, trns. Mary Gregor, Lincoln / London: University of Nebraska Press, p. 122. Hereafter abbreviated as “CF.” TPP’s preliminary article 2 states that “no independent nation, be it large or small, may be acquired by another nation by inheritance, exchange, purchase, or gift; preliminary article 3 states “standing armies (miles perpetuus) shall be gradually abolished, and preliminary article 4 states “no national debt shall be contracted in connection with the foreign affairs of the nation” (Kant, TPP, 8:344-346). Kant notes that there is a permission to delay in implementing such articles “depending on circumstances” (Kant, TPP, 8:347). 75 Kant, G, 4:422 Footnote 12. 76 It also could be argued that because Kant explicitly claims in footnote 12 that he “reserve[s] the division of duties for a future Metaphysics of Morals. The division presented here stands as merely an arbitrary one (in order to arrange my examples)” (Ibid, 4:422). He had not yet employed the sharper linguistic distinction of “narrow” and “wide” as he does in his later MM.
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iv) If justice is to be universal, then human beings must have a universalizing and equalizing mechanism that protects their rights equally (i.e. civil society), but v)
Absent civil society duties of justice apply only to those people that have the physical capacity to fulfill them. 2. Capacity & Material Considerations
To understand why provisional duties are an important addition to Kant’s taxonomy, we must look to his discussion of duties. His clearest case of the differentiation between duties is in the Grounding.77 Kant uses the famous four examples to highlight the different kinds of duties: perfect duties to oneself, perfect duties to others, imperfect duties to oneself and imperfect duties to others. Importantly though, the relevant section in the Grounding is concerned solely with duties of virtue, not justice. One might object that his concern with duties of virtue is not helpful for our discussion of provisional duties, but this is mistaken.78 His discussion of the distinctions between perfect and imperfect duties shows why a third category of duty is required. I will not go into much detail of Kant’s examples, as they are thoroughly rehearsed, and I assume some familiarity with them. However, I will briefly remind the reader about the four cases: Suicide, Borrower, Loafer and Miser. Suicide is about a man so “reduced to despair” that he desires to exit this world and relieve his sufferings by committing suicide; Borrower desires to obtain a loan he knows he cannot repay; Loafer wants to wallow in laziness and gluttony and neglect perfecting his talents; Miser desires to horde his money and refuse to help those in need. In the cases of Suicide and Borrower Kant assumes the empirical condition of one having rationality. Both men are capable of recognizing the moral law, and they are not hindered by any sort of physical pathological hindrance. In the cases of Loafer and Miser, Kant assumes the same empirical but adds further material capabilities (time and money) to the equation. The point I wish to make is that in each example, Kant assumes the agent’s ability to act. From Suicide to Miser, each person has the means (rational and material) to will his maxim. The man contemplating suicide can rise above his sufferings and abstain. The borrower, while in need, is able to understand the ramifications of his decisions and to choose not to undertake a debt he cannot repay. The loafer, while completely content to indulge 77 Kant also discusses the same examples in the DV; however, the examples are much clearer and succinct in the G. 78 I am focusing primarily on provisional duties of justice in this essay. However, there may be some provisional duties of virtue too. Not all duties of virtue in a state of nature are provisional though, as not all require some type of institutionalization of the state. It is perfectly possible to have charity in a state of nature, and because agents are authorized to choose when, where, how and to whom to fulfill such a duty, no special institution is required. Duties of justice in a state of nature are the largest thorn though.
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in his hedonistic lifestyle, understands that as a human being he possesses certain faculties that ought to be developed, and so employs his material wealth to do so. Finally, the miser recognizes that the world may be able to go on consistently with his maxim of stinginess, but he could not will this stingy maxim universally. He may, in his own time of need, want others to help him, so he too must use his material wealth to help those less fortunate. The Grounding is, of course, a first attempt to ground a universal system of morality. Kant attempts to do this by invoking the concept of “humanity,” or the ability to set ends for oneself, which requires rationality. Rationality, or the ability that allows us to know the moral law, is a human (and thus universal) trait. If human beings are to have morality, Kant argues, then they must be free. Free in the psychological (or noumenal) sense. We are not determined beings, like animals that cannot choose different courses of action.79 Humans are influenced by their surroundings, but they are also aware that this influence does not wholly determine their actions. Human beings can choose to be moral or debased beings, even if they have a difficult time acting morally.80 Kant’s arguments in the Grounding and the Metaphysics of Morals posit that it is the pursuit of projects and ends that produces moral awareness. The four examples highlight this fact. One must act or do something with and around others to become aware of others’ influence and one’s own desire to freely pursue a project. It is the awareness of others’ influence on us that gives rise to a deeper self-awareness, which in turn forces us to recognize the worth of others and their projects. This self-realization and self-love drives humans to exercise our reason to ensure our freedom; it drives us to understand morality.81 Kant’s entire system then, is first built upon the rational capacity to know the moral law and to recognize one’s (and thus other’s) moral worth, but implicitly his system also relies on empirical, contingent factors (such as strength, wealth or intelligence) that enable human beings to fulfill all of the dictates of morality. 79 I disagree with MacIntyre that some animals are rational. While some animals do have the capacity to communicate with one another, it is not what we would call language, nor do these animals set out life plans to improve their abilities. Cf. Alasdair MacIntyre, Dependent Rational Animals, Peru: Carus Publishing Company, 1999 / 2001. 80 Kant is well aware that human beings are animalistic, but we have a “predisposition to humanity” where through self-realization and interaction with other human beings we can become moral. He discusses this at length in Religion within the Boundaries of Mere Reason, especially 6:26-6:53. Immanuel Kant, Religion within the Boundaries of Mere Reason (1793), in: Allen Wood / George di Giovanni eds.: Religion and the Boundaries of Mere Reason and Other Writings, Cambridge: Cambridge University Press, 1998. Hereafter abbreviated as “RB.” Kant also has a clear and succinct discussion in his lectures on pedagogy. Cf. Immanuel Kant, On Education (1803) in: Annette Churton trans.: Kant on Education, Boston: D.C. Heath & Co. Publishers, 1906, p. 108. I will hereafter refer to On Education as “OE.”. 81 This does not only take place on an individual level for Kant. As he claims in Idea for a Universal History with a Cosmopolitan Purpose man’s “unsocial sociability” moves him to form civil societies and these civil societies are ultimately forced to form a cosmopolitan state (Kant, UH, 8:20).
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It is no surprise, then, that Kant’s employment of the four examples in the Grounding is to show the nobleness in rising above inclination and that the moral law applies to us all because we have the ability to know it. He attempts to get away from conditioning morality on anything contingent. Yet, the fact that he makes his entire discussion about virtue, and ignores the question of justice, leaves us with a problem. The problem is that in each of Kant’s examples, he assumes an agent’s ability to act, but as we have seen, for most agents to be able to fulfill their juridical duties, the legal, juridical and enforcement institutions must be in place. This may not seem an important observation, as again obviously “ought implies can.” However, it begins to assume greater importance when we reflect that there is nothing in his discussion about what to do if one does not have the means to fulfill a duty, and the means here are not rational but material. Justice requires a civil condition, and without it we are uncertain about what our duties of justice are, or if, we have any. Thus, Kant, at least in this work, ignores one of the most important questions of practical life.82, 83 Or at least he does not come to consider material capacities more explicitly until his later political writings, where they come to the fore. One may object here that my concern about the practical and empirical underpinnings of some Kantian duties is overstated, as he has an entire work directed at moral education. Indeed, Kant does give very explicit guidance in regards to the upbringing of children in On Education. He discusses issues ranging from swaddling to sex, but this work is not addressed to agents with limited material capacities.84 All of the action guiding principles in this work are directed towards moral educators, people who possess full rational and material capacities for educating children. Moreover, this work is concerned with the moral education of children in a civil society. For Kant, one can only follow the dictates of morality through proper education, and proper education requires “discipline and culture.”85 Culture, of course, is only found in society, but he goes even further: It is difficult to conceive a [moral] development from a state of rudeness (hence it is so difficult to understand what the first man was like), and we see that in a development of such a condition man has invariably fallen back again into that condition, and raised him82 Kant also acknowledges elsewhere that one’s ability plays a role in the determination of a duty. He writes “to be beneficent where one can is a duty;” again, he acknowledges capacity but with the intent to show moral worth (Kant, G, 4:398). 83 I am not going to go too deeply into the question of when rational capacity is limited by the natural development of our mental capacities, but consider Kant’s remarks about what it takes to will as well as his remarks about education in the following paragraph. The absence of these conditions may make it difficult to act on our duty, and even when we can act, there is a further question about whether our action will prove futile and whether this kind of futility excuses us from even having a duty of justice. 84 Indeed, a child is an agent with limited capacities, but OE is not directed at children, it is a guide for adults to follow in the education of children. The child has no discretion, choice or even ability to choose her way of life, duties or projects. 85 Kant, OE, pp. 1 – 8; pp. 47 – 48; pp. 58 – 59; pp. 66 – 70; pp. 83 – 94.
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self out of it. In the earliest records of even very civilized nations we still find a distinct taint of barbarism, and yet how much culture is presupposed for mere writing to be possible! So much so that, with regard to civilized people, the beginning of the art of writing might be called the beginning of the world.86
Kant was aware that writing began in civilized (i.e. ruled by law) society, and whether he is referring to the Sumerians or the Egyptians is irrelevant.87 His educators and their pupils have sufficient degrees of protection and reciprocity via a legal system88, even if that system is run by an autocrat. Kant is not concerned with man’s moral development in states of nature, civil wars, or any circumstances that undermine agents’ capacities to fulfill their duties. Of course he speculates about man’s moral development in later essays, such as a Universal History with a Cosmopolitan Purpose, What is Enlightenment, Theory and Practice and Perpetual Peace. However, each of these essays postulates, implicitly or explicitly, two things: the influence of Nature and the inevitability of civil society. Nature, he claims, has implanted the seed of man’s “unsocial sociability,”89 which gives man through his trials and tribulations, the impetus to enter into civil society, and then into foreign relations and eventually pacific international federations.90 While man’s progress is noted in each of these essays, the driving force is not practical guidance about what to do, or how to do it; rather, Kant leaves all responsibility to Nature. Man is left not with an understanding of his duties of justice, but only with the advice that “Nature should thus be thanked for fostering social incompatibility, enviously competitive vanity, and insatiable desires for possession or even power. [For] without these desires, all man’s excellent natural capacities would never be roused to develop.”91 Man seemingly has no agency in fostering the conditions of his progress or enlightenment, and it seems too that he has little to go by to understand what justice requires, especially when “the highest purpose of nature – i.e. the development of all natural capacities – can be fulfilled for mankind only in society, and nature intends that man should accomplish this.”92 Ibid, pp. 12 – 13 (emphasis added). A civil condition, for Kant, is one characterized by “a system of laws . . . under a will uniting them [the people], [under] a constitution.” (Kant, DR, 6:311). 88 Kate Moran argues that not only is Kant concerned with “public” education systems, but that ultimately Kant’s theory of education is more than “an individual question for moral perfection, [as] agents on this account have a duty to work individually and collectively to bring about the ethical community [the kingdom of ends]. These individuals will be concerned, for example, with what kinds of institutions can help realize this goal.” Education is thus tied to civic structures and institutions. Kate Moran, “Can Kant Have an Account of Moral Education,” Journal of Philosophy of Education Society of Great Britain Vol. 43, no. 4, forthcoming. 89 Kant, UH, 8:20. 90 Kant, TPP, 8:354, 8:360-368; TP, 8:307-313; WE, 8:39-40; UH, 8:24. 91 Kant, UH, 8:21. (This particular quote is from H. B. Nisbet’s translation in: H. S. Reiss, ed.: Kant Political Writings, Cambridge: Cambridge University Press, 1970 / 1991, p. 45. 86 87
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Unfortunately, this line of reasoning is disappointing because states of nature, such as civil wars, or any circumstances that undermine agents’ capacities to fulfill positive duties of justice are all too familiar in the real world. Civil wars still occur, breakdowns in civil society still plague many states across the globe, and as Kant declares, the international system is a state of nature. We cannot be content to just let Nature watch humans’ progress “be interrupted” with such conditions, and hope that we will emerge from such “interruptions” wiser and more just than before. We must discover a way for a person in a state of nature to understand when or if she has a duty of justice. States of nature condition one’s ability to fulfill positive duties because agents in this circumstance lack a power-equalizing mechanism, such as the state. In a state of nature, man is a judge in his own cause, and because of this, dispute and conflict is highly probable. Furthermore, dispute will only be settled by strength, and strength or power is tantamount to ability. The more strength one has, in physical force, numbers, persuasion, or whatever means available, the more one is capable of fulfilling positive duties of justice. In a state of nature all persons have provisional duties of justice, but these duties only become unconditional for those who also have the material resources and power to act upon them. Even in this case, though, such duties remain provisional in another sense: their exact content remains dependent on an actor’s private judgment and exercise of power. This means that everyone is still not subject to exactly the same rules and in exactly the same way. However, subordination to the same rules is regarded by Kant as a conceptually necessary feature of complete public justice. Only justice in civil society is peremptory, or what Kant calls “conclusive,” as I now explain in greater detail. 3. Might Makes Right? If we follow Kant in thinking that man’s highest goal is to become a fully autonomous agent, then we must also posit that full autonomy requires full freedom. In other words, an agent must be both internally and externally free. External freedom is freedom from physical compulsion. Internal freedom is an agent rising above his inclinations and choosing to act according to the moral law. Internal freedom is made up of both the choice to act (positively) and the choice to refrain from acting (negatively) in accordance with the moral law. What is at issue here is that if one’s external freedom is limited, say by imprisonment, then the positive expression of one’s internal freedom is also limited. For example, I may have a degree of internal freedom insofar as I can rise above some inclinations, say by getting up out of my cell and doing some level of exercise. Yet, because my external freedom is limited, my ability to fulfill some of my moral duties is also limited. I cannot fulfill many duties of justice, especially positive ones, if I am in solitary confinement my entire life. I can, of course have some autonomy, I have the capacity to choose (Willkür), 92
Ibid, p. 45 (emphasis added).
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but my ability to fulfill duties of justice or live, in a sense, a “complete” life is hindered. Full autonomy requires both external and internal freedom. The problem, then, is that in a state of nature, some people may not be able to pursue their own projects due to the violence of others or their own lack of strength, while others may not be able to fulfill their positive duties of justice for similar reasons. However, since Kant posits that justice should be realized everywhere, we are required to take steps to make sure that all people become capable of fulfilling all the dictates of morality.93 To do this, people must devise a way to ensure that everyone’s freedom is secured. This is the enabling task of civil society. Might, for Kant, does not equal Right, but, as I argue below, it paradoxically helps to make it. Civil society is supposed to enact equal laws for all people, equally protect all people, and equally hold all people accountable for their actions. The state is to provide the degree of protection and reciprocity necessary for people to perform not merely their negative but their positive duties as well. The state provides law, a “rightful form of association” where “everyone is able to enjoy his rights, and the formal condition under which it is possible in accordance with the idea of a will giving laws for everyone . . . [it is a place of] public justice.”94 The state, therefore, allows the possibility for all to follow the dictates of morality. In a civil society, all are now equally protected and can act because their external freedom is secure. Moreover, the meaning of “justice” is defined in the same way and by the same authority, and therefore the specificity problem is also remedied. If one is wronged in a civil condition, then the necessary legal frameworks are present to adjudicate disputes and restore rights. In one sense, then, the state’s monopoly on the use of force (might) makes Recht possible for everyone. Because all people must be able to fulfill duties of justice, the moral law requires people to remove the structural hindrance of the state of nature and institute a condition of civil equality. As Kant notes of a person in the state of nature: The first thing [he] has to resolve upon is the principle that it [he] must leave the state of nature, in which each follows its [his] own judgment, unite [himself] with all others (with which it cannot avoid interacting), subject [himself] to a public lawful external coercion, and so enter into a condition in which what is to be recognized as belonging to [him] is determined by law and is allotted to [him] by adequate power (not [his] own but an external power); that is, [he] ought above all else enter into a civil condition.95
Recht requires a priori a civil condition. Justice applies to everyone equally, and some sort of equalizing mechanism (the state) is required.96 However, who is sup93 I am of course referring to all people with “normal” rational capacities. I follow Kant here by not taking into consideration agents with mental disabilities or impairments. 94 Kant, DR, 6:306. 95 Ibid, 6:312. 96 It is not within the scope of this essay to discuss how to legitimately enter a civil society. I will, however, briefly flag that the puzzling “permissive law” may be of some help here.
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posed to institute this society? Kant’s student Vigilantius claims that in a state of nature, men “erase the possibility” of entering into a civil condition if they remain ex leges and might replaces right.97 Civil society must come into being, but that “civil” probably took the form of a progression of sheer power, like the fable of King Romulus, to law-ordered society, like the tale of King Numa.98 What is evident though, is that Romulus was the most able, and so used his power to institute Rome. Therefore, justice requires an exit from the state of nature. Justice must move beyond its provisionality, and so provisional duties must do so too.
4. Provisional to Perfect It is important to note Kant’s use of the term vorläufig, which implies the temporariness of a provisional duty. Recall, provisional means: limited by some special nullifying hindrances of a temporary nature, which prevents us from developing our ability to fulfill duties of justice. If justice requires the institutionalization of the state, then provisional duties require the institutionalization of whatever mechanisms (a state, institution, agency, procedure, etc.) necessary to turn them from provisional to “conclusive.” Conclusive right in Kant is when a system of law, arbitrated by a neutral judge and backed by a legitimate coercive force exists. Recht loses its provisional status because individual subjective judgment and the private use of force are removed. In an analogus shift then, provisional duties of justice become perfect duties of justice in a civil condition because all people are able to fulfill them. Arbitrary and subjective characteristics that allow agents in a state of nature to fulfill duties of justice are supplanted with purposive and objective standards of law and order in a civil society that protects all agents, permits them to pursue projects, and fulfill their duties of justice. “Provisional” duties become “perfect” because the state dictates who, what, when, where and how to fulfill them, and there is no room for “inclination” or subjective judgment on how to fulfill them. Depending upon whose interpretation one goes by, i.e. Brandt, Flikschuh or Hruschka, one may be able to use coercive force to establish a civil condition. This of course becomes more problematic if one attempts to use a “domestic analogy” at the international level and use the coercive measures to establish a world state or something of that nature. Transition from the state of nature to civil society is a priori necessary, but the way in which it is brought about is open to much dispute. Cf. Reinhard Brandt, “Das Erlaubnisgesetz, oder: Vernunft und Geschichte ins Kants Rechtslehre,” in: Reinhard Brandt ed.: Rechtsphilosophie der Aufklärung, Berlin / New York: Walter de Gruyter Press, 1982, pp. 233 – 285; Katrin Flikschuh, Kant and Modern Political Philosophy, Cambridge: Cambridge University Press, 2000; Joachim Hruschka, “The Permissive Law of Practical Reason in Kant’s Metaphysics of Morals,” Law and Philosophy Vol. 23, 2004, pp 45 – 72. 97 Johann Friedrich Vigilantius, “Lectures on Kant’s Metaphysics of Morals” (1793), in: J. B. Schneewind ed. and Peter Heath trns.: Lectures on Ethics, Cambridge: Cambridge University Press, p. 278. 98 Ibid, p. 278.
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Including provisional duties in Kant’s framework is novel yet supported by textual evidence both in Kant and by contemporary Kantian scholarship. First, we find two of Kant’s works, the Doctrine of Right (DR) and the Conflict of the Faculties (CF), which provide not merely hermeneutical support, but explicit textual evidence. The DR repeatedly draws to attention the idea of a “provisional right.”99 Provisional right, for Kant, is a provisionally rightful condition. In this condition – one that is compatible with some forms of natural right, but is not a “fully” rightful condition ruled by law – one can have “possessions,” but they are not conclusively property. Only a system of protected private property can render such possessions “conclusive.” Without such a system, “possession” is not much more than “holding,” and thus ownership of objects is only temporary or tentative until formal mechanisms make such ownership “conclusive.” Kant writes, “[b]ut in the former condition, that is, before the establishment of the civil condition but with a view to it, that is, provisionally, it is a duty to proceed in accordance with the principle of external acquisition.”100 Kant, it seems, acknowledges a provisional duty of property acquisition! Unfortunately, he does little to explain it. Nevertheless, if my interpretation and construction is correct, provisional duties are like provisional right in that both concepts require the institutionalization of legislation, judgment and enforcement to realize justice. The second text, CF, also places the words “provisional” and “duty” together. It is worth quoting Kant in full here: Consequently, it is a duty to enter into such a system of government, but it is provisionally the duty of the monarchs, if they rule as autocrats, to govern in a republican (not democratic) way, that is to treat the people according to principles which are commensurate with the spirit of libertarian laws . . . 101
This passage is important because it shows that Kant believed that certain duties were tentative and required: i) certain n structural features to be present for duties of justice to be fully conclusive; and ii) an agent’s ability to fulfill a duty. In the first instance, monarchs have a provisional duty because they are limited by international structural hindrances to the realization of Recht, namely, that the international system does not have all the necessary requirements for a civil society. In the second instance, only domestic rulers–not the people or outside rulers–have this duty. It is only the domestic monarch who has the ability to rule according to republican ideals.102 Kant, DR, 6:255-257; 6:264-267; 6:307-308; 6:312; 6:350-351. Ibid, 6:267 (emphasis in original). 101 Kant, CF, p. 165 (emphasis added). 102 This of course is a tenuous point. One could say that foreign rulers have the capacity to force domestic sovereigns to rule according to republican principles, say by overthrowing the government or instituting a puppet regime, or that the people could revolt and force the institutionalization of a republican government. However both of these positions undermine the idea and function of the state. The state’s function is to insure Recht by providing positive 99
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As I noted in the beginning of this paper, contemporary scholarship on Kant’s idea of provisionality is very limited. Only Elisabeth Ellis writes on this topic. Ellis argues that Kant’s entire political theory is “provisional” where justice is always in a state of “becoming,” and all societies are in a continual condition of provisional right. Each state attempts to achieve the ideal of Recht (a republican constitution with enlightened citizens), but because it is only a regulative ideal, a state can only approximate it, and thus it remains in a provisional condition. Progress towards the ideal of Recht, Ellis argues, can only happen when states’ justness is judged in the public sphere by a “judging public.” She writes that: What is at stake here is nothing less than the causality of freedom. If the ideals expressed by the judging public have the power to promote concrete progress in human affairs, then freedom is not merely an internal experience but a force in the world. [ . . . ] [T]he free interplay of ideas in the public sphere leads to gradual enlightenment; that is, the principles of political reason, such as the necessity of republican rule, the evils of war, and the sanctity of human rights.103
Though I disagree with Ellis’ assertion that all societies are in a condition of provisional right, especially as most states satisfy the Kantian requirements of separation of powers and rights of free speech, her interpretation of Kantian provisionality compliments my discussion of provisional duties.104 Provisional duties are temporary (vorläufig)105, and they require one to act in such a manner that “does not render the ideal . . . impossible.”106 More specifically, at a minimum Recht requires one to abide by negative morality, but for those with the ability, it requires the establishment of a condition in which all people can begin to fulfill positive duties of justice. Nevertheless, when a civil condition is absent, and there still exists a “provisionally rightful condition,” and duties of justice can only be considered provisional. An additional benefit of my interpretation of Kant is that it also makes sense of the areas where Kant explicitly refers to “conditional” duties.107 Recall that I make the distinction that “conditional” in this sense means “requiring further enabling features” rather than “contingent upon having an inclination to act.” Provisional duties are not contingent upon the structural hindrances of a state of nature, civil war, or civil / social breakdown; rather they are unconditional duties an agent has if the agent possesses the ability to fulfill the duty while residing in a hindered condipolitical goods and increasing its citizens’ freedom, but for a foreign ruler to interfere or force change undercuts Recht. Moreover, a domestic insurrection or revolution would abolish the state itself and thus undermine Recht entirely, Cf. Kant, DR 6:320 & 6:372. 103 Ellis, op. cit., fn 4, pp. 176 – 177. 104 Ellis agrees with me that this point of her argument is too strong. Private correspondence with Elisabeth Ellis. 105 Kant uses the term provisorisch in the DR, though in CF he changes his usage to vorläufig. Both terms are comparable, yet vorläufig carries with it a more temporal connotation. 106 Ellis, op. cit., fn 4, p. 114. 107 Kant, DV, 6:456; 6:457; 6:468.
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tion. A duty is still a necessitation to act, and a person who has the ability to act must do so. The imperatives that dictate action here are not hypothetical, e.g. if I want justice, then I set up this institution. Imperatives here are moral, i.e. categorical; one must do what the moral law requires: institute a state in which justice can be realized.108 To summarize, I have argued that in situations where one’s ability is undermined, absent, or disabled it is foolish to debate whether a duty is perfect or imperfect, for not all people may have a duty. Second, labeling some duties as “perfect” or “imperfect” is not correct, for a duty may be of a different kind. It may be provisional. Moreover, Kant’s discussion in the Grounding and arguments in the Metaphysics of Morals assume a condition where one has an ability to act morally, i.e. a civil condition where one has an ability to fulfill positive and negative duties of justice. It is not merely in keeping with Kant’s writings to include a provisional duty in his taxonomy of duties; it is a logical requirement.
III. Objections The critic may object to my argument for provisional duties on two fronts. First, she may claim that material capacities should to play no role in Kant’s moral framework. This is a perversion of Hegel’s famous “empty formalism” objection. In other words, I am admitting too much in way of empiricism. However, I believe this objection to be mistaken. As Robert Louden persuasively argues, Kant’s ethics must admit of empirical and contingent facts about agents, otherwise there is no practical applicability.109 Louden’s argument for including, what he terms “the second part” of Kant’s ethics, applies to the case of provisional duties as well. To see this more clearly, we must admit that Kant’s moral system is made up of two parts: justice and ethics. Justice, as I have argued, requires legal, judicial and coercive institutions. If we follow Louden, Kant’s ethical project also requires “political, cultural, religious, and educational institutions”110 because “by nature man is not a moral being at all,”111 and he requires such institutions for his eventual moraliza108 This is opposite the view of Kersting who posits that “the postulate of public right (öffentliches Recht) is under the premises of their justification theory only a hypothetical imperative of prudence.” Wolfgang Kersting, “Kant’s Concept of the State,” in: Howard Lloyd Williams, ed,: Essays on Kant’s Political Philosophy, Chicago: Chicago University Press, 1992, p. 145. 109 Robert Louden, Kant’s Impure Ethics, New York / Oxford: Oxford University Press, 2000. 110 Ibid, pp. 20 – 21. 111 Immanuel Kant, “On Education” as cited in Robert Louden, Kant’s Impure Ethics, New York / Oxford: Oxford University Press, 2000, p. 21. I also follow Louden’s conclusion that even if man has all of these things he is not guaranteed to be a moral person. Therefore we should say that these material factors are necessary but not sufficient conditions for justice and morality.
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tion. It seems, then, at every step of the way, whether on the path of justice or ethics, material and empirical factors play a decisive role for Kant. The critic may reply that, material considerations notwithstanding, for Kant all human beings, as rational beings, are bound by morality, and all human beings have a set of moral duties – regardless of their ability fulfill them – and must, therefore, at least attempt to fulfill them. This objection is a variant of the fiat justitia ruat caelum belief, and has become, for better or worse, synonymous with Kant. Indeed, she might cite as evidence the second Critique: It is always in everyone’s power to satisfy the categorical command of morality; whereas it is but seldom possible, and by no means so to everyone, to satisfy the empirically conditioned precept of happiness . . . [for] in the latter case there is a question also of one’s capacity and physical power to realize a desired object.112
Two items must be noted here. First, the categorical command for morality, or the categorical imperative, has several formulations, but foremost among them is the formula of the universal law. One must will her maxim as if it were a universal law; if her maxim remains consistent, then she moves on to the next one. Kant’s point here is that anyone with the ability to reason can do this. The human faculty of reason allows us to know the moral law113 and to understand which acts accord with it. So, yes, all agents are capable of knowing morality, and insofar as we can know the moral law, all agents with the rational ability can satisfy the categorical imperative. In other words, we know how to satisfy it. Yet, what is at stake for Kant in the above passage is to argue against using a principle of obtaining happiness as a determining ground for moral action. His ultimate purpose is to show that happiness, or any attempted outcome which maximizes a nonmoral good, “bases morality upon incentives that undermine it rather than establish it and that totally destroy its sublimity, inasmuch as motives to virtue are put in the same class as motives to vice and inasmuch as incentives merely to teach one to become better at calculation [ . . . ].”114 The critic must concede that just because I am aware of the moral law does not necessarily mean that I am obligated to fulfill every possible duty that can be derived from it. Moreover, I may know how to satisfy its imperatives, like instituting a civil society, but I might not be a Romulus to actually do so. This moves us on to my second point: Kant claims “people are always preaching about what ought to be done, and nobody thinks about whether it can be done.”115 The context of this statement is in regards to Kant’s work on moral anthropology, but it has direct bearing here. Kant understood that human beings exist between two worlds (noumenal and phenomenal), and that they are subject to both nature 112 Immanuel Kant, Critique of Practical Reason, T.K. Abbott trns., Amherst: Promethus Books, 1996, p. 54 (emphasis added). 113 This is Kant’s “fact of reason,” which allows human beings to know the moral law. The fact of reason though, is not a guarantee that human beings will be moral. 114 Kant, G, 4:442. 115 Kant, op. cit., fn 110, p. 8 (emphasis added).
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and freedom. The study of morality, must take this fact into consideration. Moreover, if we again follow Louden’s conclusions, then “can” here is not just about rational capacity. The “can” is concerned with so many more material and institutional factors, and these factors (including rational, institutional, and even physical capacities) are crucial components of Kant’s system. Furthermore, we can now understand how the argument for provisional duties dovetails with Kant’s concept of “willing.” Kant famously makes a distinction between “willing” and “wishing.” “Willing” is special, and one cannot “will” any maxim. One must have the means (and thus the ability) to carry out her maxim for the agent to actually “will” anything. For example, I might try “willing” to fly. I could even go up to the roof of my house and jump off while screaming, “I will to fly; it is my maxim to fly!” Unfortunately, this does not pass Kant’s test. The only “will” I have here is the fact that I will find myself sorely disappointed. As I plummet to the earth, I realize I do not have the ability to fly – unless I am on board an airplane. “Willing” in such a manner is not, for Kant, even considered willing; it is wishing. Wishing can occurs when “one’s consciousness of [his] ability to bring about [his desired] object by [his] action” is not present,116 or when one does not possess a faculty that is necessary for the idea of “choice.”117 Choice, therefore, directly relates to action,118 and one cannot will a maxim one does not have the ability to fulfill. The second objection to my argument for provisional duties does not come from the idea of a provisional duty itself; rather it comes from what follows from the way I have categorized it. The objection is: ought implies can, so what? I can only attempt to meet this objection in two ways. First, by claiming that the “can” here is dependent upon something contingent; it is dependent upon physical attributes that are, ultimately, morally arbitrary. It is a matter of moral luck who is born strong and who is not. This, I believe is something most Kantians would be reluctant to endorse; however, I believe it is not at all at odds with Kant’s writings and moral system. As I argued here, it seems that Kant was aware of the fact that each cannot equally protect her rights. That is why civil society is a priori necessary for justice, and why he claims that: Unless [one] wants to renounce any concepts of right, the first thing [one] has to resolve upon is the principle that [one] must leave the state of nature, in which each follows [his] own judgment, unite [oneself] with all others (with which [one] cannot avoid interacting), 116 Kant, MM, 6:213. The German here is vermögen, meaning power, ability, capability or faculty (emphasis added). 117 For Kant, “choice” consists of one having: i.) the faculty of desire; ii) consciousness of one’s ability to act; iii) actually trying to act. (Kant, MM, 6:213). 118 Indeed B. Sharon Byrd and Joachim Hruschka claim as well that an agent’s choice, and thus the ability to freely follow, the moral law is concerned with ability. They claim that Kant’s DR is explicit in that “an object of choice is something one has the physical capacity to use.” B. Sharon Byrd and Joachim Hruschka, “Kant on “Why Must I Keep My Promise?,” Chicago-Kent Law Review Vol. 81, 2006, p. 57.
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subject [oneself] to a public lawful external coercion, [ . . . ] that is, [one] ought above all else enter a civil condition.119
This is a result of an inherent tension that exists between what the moral law (in either its juridical or ethical form) demands I do, and what the natural world allows me to do. I am a “dual citizen” of both the noumenal and phenomenal worlds. Provisional duties are necessary, therefore, for Kant’s taxonomy because they recognize this tension, and they exist in this sort-of purgatory. They exist at the intersection of freedom and nature, and they make a necessary allowance so freedom does not undermine its own purpose. Provisional duties relax the tension between freedom and nature because they give those without the capacity to fulfill their duties an exemption from performance, while they hold those with the capacity to fulfill them at a strict necessitation to act. Ought does imply can, but this is really at a meta-level. One can think of it like this: all agents have a duty to , but in order for all agents to , rules, procedures, judges and enforcement mechanisms must be put in place, call these . Absent , all agents cannot , even though reason requires it. We can then say, - , all agents have a provisional duty to , call it '. However, not all agents can ' due to a lack of ability, so these agents are exempted, temporarily; they are -'. Those agents that can, must, and they remain bound to '. The necessary feature to make this determination, though, is an agent’s physical ability. My second response to the “so what” objection is really rather simple: there is debate amongst Kantians about whether “ought” really does imply “can.” It is out of the scope of this paper to rehearse the debate, but we have encountered one scholar, Louden, who adamantly believes that agent’s abilities are extremely important to Kant’s writings. Others too, like Jens Timmerman also believe that “can” is important for Kantian obligation, but the “can” involved is a necessary and not sufficient condition for one to actually be obligated.120 On the other side of the debate, scholars, like Wayne Martin, argue that one may have an obligation where one has no ability, in other words, an “ought when one cannot.”121 My point is not to embroil myself in this debate, but to at least open up a space for my argument. If ability as a ground of obligation is open to dispute, then there is at least theoretical room for provisional duties.
IV. Conclusion In most of Kant’s moral theory, his traditional dichotomized moral framework will suffice. However, this is not always the case, especially when one looks to Kant, DR, 6:312. Jens Timmerman, personal correspondence. 121 Wayne Martin, “Ought but Cannot,” Proceedings of the Aristotelian Society Vol. 109, 2009, pp. 102 – 128. 119 120
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harder cases. These harder cases pose questions like: What are our positive duties of justice in states of nature? Can we hold agents responsible for failing to fulfill their duties of justice when there is no system of law to guarantee safety and reciprocity? The rather unhelpful distinction between perfect and imperfect duties fails us here. I have argued that Kant’s system supports a third kind of duty, one that makes sense of these harder cases. This duty, a provisional duty, is the first step to understanding how Kant’s political theory is linked to his ethical writings. Moreover, by identifying and analyzing the concept of a provisional duty, we can now move discussions of moral responsibility forward. If agents, individuals or states, find themselves in a condition that does not meet the Kantian requirements for absolute Recht, we have, at least, a mechanism to identify duty bears and assign the duty to them. Ultimately, now that the concept of a provisional duty is on the table, we can begin to use Kant’s writings on provisional right to guide us in understanding what types of mechanisms will transform a provisional duty of justice into a conclusive – or perfect – duty of justice. The challenges ahead, though, are many and not easy. If one claims that an agent provisionally has a duty, then one must also provide a measurement of ability and an analysis of what will count as enabling or disabling in that context. For assigning a duty to an agent is dependent upon that agent meeting some sort of ability threshold. However, providing such a metric and a threshold that is not arbitrary or useless is quite difficult and a task for another day. Nevertheless, assigning duties to agents based solely on their abilities, in relation to their enabling conditions, as a first order principle, is promising.
Zusammenfassung Im vorliegenden Aufsatz wird die These aufgestellt, dass Kants traditionell dichotomisches Pflichtensystem nicht vollständig ist. Die ethische Landschaft erschöpft sich nicht in vollkommenen und unvollkommenen Pflichten. Der Grund dafür liegt darin, dass Kant von einer Gesellschaft ausgeht, in der alle Akteure die Fähigkeit haben, die positiven rechtlichen und ethischen Pflichten zu erfüllen, da alle über ausreichende Garantien der Gegenseitigkeit verfügen. Doch es gibt bestimmte normative oder empirische Situationen, in denen die Zivilgesellschaft stark verfallen ist oder vollständig fehlt und daher diese Garantien nicht gegeben sind. In diesen Fällen, so die These des Aufsatzes, können nur provisorische Pflichten bestehen. Eine provisorische Pflicht ist dabei eine solche, die Ausnahmen aufgrund fehlender Handlungsfähigkeit zulässt.
Der intelligible Besitz – und nicht Eigentum – als rechtsmetaphysischer Fundamentalbegriff in Kants ,Privatrecht‘ Ulli F. H. Rühl
Einleitung und These: Intelligibler Besitz ist nicht Eigentum Die meisten Autoren, die sich mit Kants Rechtslehre und seinem ,Privatrecht‘ befasst haben, sind der Auffassung, dass Kant in den §§ 1 – 9 des Privatrechts die Institution des Eigentums begründe und rechtfertige. Es ist durchaus repräsentativ, wenn Manfred Kühn in seiner Kant-Biografie mit Blick auf das erste Hauptstück des ,Privatrechts‘ schreibt: „Im ersten Kapitel versucht Kant, den juristischen Begriff des Eigentums zu klären und zu rechtfertigen.“1 In Kerstings grundlegender Schrift zu Kants Rechtsphilosophie lautet der Gliederungspunkt zum Privatrecht „I. Das Eigentum“ und es wird eingangs berichtet, dass schon die Zeitgenossen von Kant eine Ableitung des Eigentums erwarteten.2 Höffe schreibt: „Kant beginnt mit dem äußeren Mein und Dein, also mit der Institution des Eigentums.“3 Es entspricht fast allgemeiner Meinung in der Kant-Rezeption, dass Kant mit den Begriffen Besitz, intelligibler Besitz und äußeres Mein und Dein eigentlich das Eigentum meint oder ,in Wirklichkeit‘ die Frage nach der Berechtigung des Eigentums stellt: In der Monografie von Kühl steckt diese These schon im Titel.4 Bedenken gegen die These ,Intelligibler Besitz, also Eigentum‘ sind (soweit ersichtlich) bisher nur von Kenneth R. Westphal vorgetragen worden.5 Westphals M. Kühn, Kant – Eine Biografie, München 2003, S. 460. Wolfgang Kersting, Wohlgeordnete Freiheit , Frankfurt / M. 1993, S. 255. 3 Otfried Höffe, Kategorische Rechtsprinzipien: Ein Kontrapunkt der Moderne, Frankfurt / M. 1990, S. 107. 4 Kristian Kühl, Eigentumsordnung als Freiheitsordnung: Zur Aktualität der Kantischen Rechts- und Eigentumslehre, Freiburg / München 1984, S. 133. Vgl. auch: Rainer Friedrich, Eigentum und Staatsbegründung in Kants Metaphysik der Sitten, Berlin / New York 2004, S. 88 – 95; Peter Unruh, Die vernunftrechtliche Eigentumsbegründung bei Kant, in: A. Eckl / B. Ludwig (Hrsg.), Was ist Eigentum? – Philosophische Eigentumsbegründungen von Platon bis Habermas, München 2005, S. 133 – 147; B. Kühnemund, Eigentum und Freiheit – Ein kritischer Abgleich von Kants Rechtslehre mit den Prinzipien seiner Moralphilosophie, Kassel 2008, S. 61 ff. 5 Kenneth R. Westphal, Do Kant’s Principles Justify Property or Usufruct?, Jahrbuch für Recht und Ethik, Bd. 5 (1997), S. 141 – 194, S. 146 f.; ders., A Kantian Justification of Pos1 2
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Argument, dass der Begriff des Eigentums viel zu komplex ist, als dass er vernunftrechtlich ableitbar sei, ist m. E. zutreffend. Aber nicht darauf soll hier abgestellt werden. Es ist ein einfacher und fundamentaler Gesichtspunkt, der Anlass geben sollte, die These ,Intelligibler Besitz (und: äußeres Mein und Dein), also Eigentum‘ in Zweifel zu ziehen: Die Kantsche Rechtslehre ist nicht Kritik der Metaphysik, sondern sie ist selbst Metaphysik. Unter Metaphysik versteht Kant ein „System der Erkenntnis a priori aus bloßen Begriffen“ (216, 28).6 Dementsprechend beansprucht Kant für seine metaphysische Rechtslehre Erkenntnis a priori aus bloßen Begriffen zu sein; was Recht und Unrecht ist, das kann sich nur aus Begriffen a priori erschließen. Wenn das so ist, dann kann es nicht beliebig sein, bei welchem Begriff die rechtsphilosophische Konstruktion ansetzt. Es ist ein wenig trivial, aber das Faktum ist unabweisbar: In den §§ 1 – 9 des Kantschen ,Privatrechts‘7 (Erstes Hauptstück zum ,Haben‘) kommt das Wort Eigentum überhaupt nicht vor. Kant begründet in den §§ 1 – 9 den Begriff des intelligiblen Besitzes; man wird dort das Wort Eigentum nicht finden. Das Wort Eigentum taucht erstmals im folgenden Abschnitt zum ,Erwerben‘ in einer beiläufigen Anmerkung zu § 17 (270, 11) auf. Man wird als Erklärung für diesen Umstand in Betracht ziehen müssen, dass Kant den Begriff Eigentum in den §§ 1 – 9 deshalb nicht verwendet, weil es ihm nicht darauf ankommt, die Institution des Eigentums zu begründen oder zu rechtfertigen. Kant sucht nach einem Rechtsbegriff der fundamentaler ist als der für die bürgerliche Eigentümergesellschaft spezifische Begriff des Privateigentums. Was Kant für ein System des Vernunftrechts benötigt, ist ein Begriff der grundlegend ist für eine jede Rechtsordnung überhaupt, und insofern universelle Gültigkeit beanspruchen kann. Diesen Anspruch erfüllt nur der Begriff des intelligiblen Besitzes. Was jedoch zum Eigentum gehört, ist historisch und regional kontingent und variiert von Rechtsordnung zu Rechtsordnung.8
II. Mein / Dein – Haben – Besitz als Vernunftbegriffe 1. Weil eine metaphysische Rechtslehre Erkenntnis a priori aus bloßen Begriffen ist, sollte man das Augenmerk darauf richten, bei welchen Begriffen genau Kant ansetzt. Es sind dies ganz elementare Begriffe, die allen Menschen aus der Alltagssession, in: Timmons (ed.), Kant’s Metaphysics of Morals: Interpretative Essays, Oxford 2004, S. 89 – 109, S. 90 f. 6 Die Nachweise im Text beziehen sich auf: Die Metaphysik der Sitten, AA VI, Seite und ggf. Zeile. 7 Kant versteht, abweichend von der üblichen juristischen Terminologie, unter ,Privatrecht‘ das Recht im Naturzustand (RL 242, Z. 12 – 19). 8 Vgl. Stichwort ,Eigentum‘ (D. Schwab) in: Brunner / Conze / Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe – Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Band 2, Stuttgart 1975.
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sprache und aus der Alltagspraxis vertraut sind: Mein / Dein – Haben – Besitz. Die Erkenntnis a priori aus bloßen Begriffen beginnt in den Überschriften vor und in § 1 mit der alltäglichen und vertrauten Unterscheidung durch die Begriffe Mein und Dein. Mein und Dein sind Vernunftbegriffe. Es ist allerdings schon der philosophisch-distanzierte und scharfe Blick eines David Hume erforderlich, um sich über etwas so alltägliches wundern zu können: „why this must be mine and that yours; since uninstructed nature surely never made any such distinction?“9 Wenn man sich wie Hume von den Selbstverständlichkeiten der Alltagspraxis distanziert, wird deutlich, dass in unserer sinnlichen Wahrnehmung kein Mein und Dein enthalten ist. Für den nüchternen, naturwissenschaftlichen Blick gibt es in der sinnlichen Wahrnehmung nur äußere Gegenstände, die in Raum und Zeit so oder so bzw. näher oder ferner voneinander lokalisiert sind; es gibt räumliche (und zeitliche) Nähe und Ferne, aber kein Mein und Dein. Der ,ungelehrten Natur‘ (Hume) ist diese Unterscheidung unbekannt. Die Zuordnung nach mein und dein ist eine Zutat unseres Denkens. Mein und Dein sind Vernunftbegriffe, sie ,existieren‘ nur in der intelligiblen Welt, haben aber gleichwohl für uns praktische Realität. Genauso fundamental wie die Mein / Dein-Unterscheidung sind die Begriffe ,Haben‘ und ,Besitz‘. Bevor im zweiten Hauptstück das Erwerben behandelt wird, klärt Kant die Frage, was es überhaupt bedeutet, etwas Äußeres, d. h. einen Gegenstand10 zu haben. Kants Begründungsverfahren beginnt in § 1 und verläuft stufenweise nach den drei Fundamentalbegriffen zu den Fragen: (1) Was bedeutet es, dass ein äußerer Gegenstand mein (oder dein) ist? Es bedeutet, dass ich den Gegenstand habe. (2) Was bedeutet es, dass ich einen äußeren Gegenstand habe? Es bedeutet, dass ich ihn besitze. „Die subjektive Bedingung der Möglichkeit des Gebrauchs überhaupt ist der Besitz“ (245, 12). (3) Was bedeutet es, dass ich einen äußeren Gegenstand besitze? Die wichtige Erkenntnis am Ende von § 1 besteht darin, dass der Begriff Besitz zwei Bedeutungen hat: physischer Besitz und intelligibler Besitz. 2. Für den ganzen Begründungsgang der §§ 1 – 9 des Kantschen Privatrechts, und damit für das Kantsche Vernunftrecht überhaupt, ist die Unterscheidung zwischen (1) physischem (empirischem) Besitz und (2) bloß rechtlichem (intelligiblen) Besitz grundlegend.11 Unter physischem Besitz versteht Kant die tatsächliche Gewalt über eine Sache. Die tatsächliche Gewalt über eine Sache hat man nur dann, wenn man sie in der Hand hält, auf ihr sitzt oder in anderer Weise mit physischer Gewalt gegen Übergriffe verteidigen kann. Kant bezeichnet den physischen Besitz auch mit dem Ausdruck empirischer Besitz: ,empirisch‘ deshalb, weil es 9 D. Hume, Enquiries concerning Human Understanding and Concerning the Principles of Morals. Reprinted from the 1777 edition with Introduction and Analytical Index by L. A. Selby-Bigge. Third Edition with text revised and notes by P. H. Nidditch, Oxford 1975, p. 195. 10 Wie sich in der Exposition in § 4 zeigt, ist der Begriff Gegenstand im weitesten Sinn zu verstehen, nämlich Sachen, persönliche Leistungen und Personen (Weib, Kind, Gesinde). 11 In den Vorarbeiten, AA XXIII, S. 211 f. verwendet Kant auch die Begriffspaare ,idealer / realer‘ und ,virtueller / aktueller‘ Besitz.
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sinnlich wahrnehmbar ist, dass eine Person eine Sache in der Hand hält oder sich auf einem Stück Land befindet. Im Gegensatz dazu ist der bloß rechtliche Besitz nicht sinnlich wahrnehmbar, so dass man vermuten kann, dass dem gewöhnlichen Alltagsbewusstsein dieser nicht wahrnehmbare, intelligible Besitz prima facie als ziemlich abgehoben, spekulativ und deshalb provozierend erscheinen muss. Kants Grundgedanke ist, dass – entgegen dem ersten Anschein – nicht der physische Besitz, sondern der bloß rechtliche Besitz selbst für das Alltagsverständnis fundamental ist. Genauer müsste man sagen: für die Praxis des moralisch-rechtlichen Urteilens fundamental ist. Zeigen lässt sich das am folgenden Beispiel: Im Naturzustand lässt ein Bauer seinen Holzpflug auf dem Feld zurück, geht zu seiner mehrere Kilometer entfernten Behausung und legt sich schlafen. Jemand kommt am Feld vorbei und nimmt den Pflug mit. Frage: Wird der Bauer dadurch geschädigt, oder wie Kant sagt ,lädiert‘?12
Vorausgesetzt wird in dem Beispiel, dass es keine positive, staatliche Rechtsordnung gibt und dass Akteure und Beobachter über praktische Vernunft und Urteilskraft verfügen. In diesem Beispielsfall ist so viel klar: Zweifelsohne hat der Bauer keine tatsächliche, physische Gewalt über seinen Pflug. Das ganze Kantsche Unternehmen der Begründung und Rechtfertigung des bloß rechtlichen Besitzes hängt nun an der Voraussetzung, dass man in dem Beispielsfall als Betrachter das moralisch-rechtliche Urteil fällt: Der Bauer wurde durch die Wegnahme des Pfluges geschädigt, und ihm ist ein Unrecht angetan worden. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass konsequente Anhänger von Spinozas Machttheorie des Rechts (das natürliche Recht ist identisch mit der Macht verstanden als physisch-gewaltsamer Fähigkeit zur Überwältigung13) dieses moralischrechtliche Urteil nicht teilen würden. Denn wenn man immer nur so viel (natürliches) Recht hat wie man tatsächliche physische Macht hat, dann hatte der schlafende Bauer im konkreten Fall keine Macht über die Sache und folglich auch kein Recht – und deshalb konnte ihm auch kein Unrecht geschehen. Man kann dies auch so erklären: Wenn die tatsächliche, physische Gewalt über eine Sache wegfällt, dann wird sie herrenlos mit der Folge, dass andere sich der Sache bemächtigen können. Und auch dann gilt: Wenn der Pflug mit dem Wegfall der physischen Gewalt herrenlos geworden ist, dann ist dem schlafenden Bauern kein Unrecht geschehen. Wer demgegenüber das Urteil fällt, dass der Bauer geschädigt worden und dass ihm ein Unrecht geschehen ist, muss voraussetzen, dass es außer der tatsächlichen, physischen Gewalt noch eine andere, abstraktere Art des Besitzes gibt. Vgl. AA XXIII, S. 281 Z. 28 – 30. Vgl. Spinoza, Politischer Traktat, Hamburg 1994, Kap. II §§ 2 – 4 S. 15 f. und ders., Theologisch-politischer Traktat, Hamburg 1994, 16. Kap. S. 232. Zum Hinweis auf Spinoza vgl. Fulda, Kants Begriff eines intelligiblen Besitzes und seine Deduktion („Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre“, § 6), Jahrbuch für Recht und Ethik, Bd. 5 (1997), S. 103 – 119, S. 106; ders., Erkenntnis der Art, etwas Äußeres als das Seine zu haben (Erster Teil. Erstes Hauptstück, in: I. Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (Klassiker auslegen), hrsg. von O. Höffe, Berlin 1999, S. 87 – 115, S. 102. 12 13
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Er muss annehmen, dass es zwischen dem Pflug und dem Bauern gleichsam ein unsichtbares rechtliches Band (Verknüpfung / synthesis) gibt, eben so etwas wie einen bloß rechtlichen, intelligiblen oder auch intellektuellen Besitz. Nur dann wird eine Sache bei Wegfall der tatsächlichen physischen Gewalt nicht herrenlos, und nur dann kann man sagen, dass eine Sache wirklich das ,rechtlich Meine‘ ist. Der Begriff eines bloß rechtlichen Besitzes hat allerdings in den modernen Rechtsordnungen überhaupt nichts Spekulatives an sich, er ist vielmehr eine Selbstverständlichkeit: Niemand verliert sein Besitzrecht dadurch, dass er seinen Pkw in seiner Urlaubsabwesenheit auf einem Parkplatz abstellt. Der Gedanke, dass eine Sache allein dadurch herrenlos wird, dass man keine tatsächliche Gewalt über sie hat, ist innerhalb einer Rechtsordnung absurd. Besitz ist ein sog. absolutes Recht, das dem rechtmäßigen Besitzer gegenüber allen anderen einen Unterlassungsanspruch verleiht. Innerhalb einer staatlichen Rechtsordnung sind Herausgabe- und Unterlassungsansprüche des Besitzers eine Wirkung des Gesetzes.14 Allerdings kann sich eine vernunftrechtliche Argumentation nicht auf einen autoritativen Akt des Gesetzgebers berufen. Denn für Kant und das Vernunftrecht kommt es darauf an, Rechtsinstitute aufzufinden, die den positiven Rechtsordnungen als Grund und Maßstab voraus liegen. Für das Vernunftrecht kann der bloß rechtliche Besitz kein Effekt der positiven Rechtsordnung sein. Für das Kantsche Vernunftrecht ist der intelligible Besitz vielmehr eine Triebkraft, welche die Menschen dazu motiviert, eine positive Rechtsordnung zu schaffen – bei Kant: den bloß rechtlichen Besitz, der im Naturzustand nur provisorisch existiert, in einen gesicherten, dauerhaften (peremtorischen) Besitz zu überführen (RL 256 [§ 9]). Man wird auch ohne umfangreiche rechtsvergleichende Untersuchungen die These wagen dürfen, dass es keine Rechtsordnung gibt, die nicht das Rechtsinstitut des Besitzrechts ohne physische Gewalt enthält. Das gilt mit Sicherheit für den umfangreichen Kreis der Rechtsordnungen, die auf dem römischen Recht basieren, und es gilt auch für den Common-Law-Rechtskreis. Selbst in primitiven Rechtsordnungen werden Hütten nicht dadurch herrenlos, dass der Vorbesitzer sich räumlich und zeitlich von seiner Hütte entfernt. Es spricht viel dafür, dass es Kant gelungen ist, mit dem bloß rechtlichen Besitz ein universelles Rechtsinstitut herauszupräparieren, das jeder Rechtsordnung zugrunde liegt und notwendigerweise zugrunde liegen muss.
3. Kants systematischer Begründungsansatz in § 1 des Privatrechts besteht darin, dass er den Begriff der Verletzung (laesio) einführt und mit dem Begriff des rechtlich Meinen verknüpft. „Das r e c h t l i c h M e i n e (meum iuris) ist dasjenige, womit ich so verbunden bin, dass der Gebrauch, den ein Anderer ohne meine Einwilligung von ihm machen möchte, mich lädiren würde.“ (RL 245 Z. 9 – 11)
Im Begriff der Verletzung steckt aber ein moralisch-rechtliches Urteil. Im gegebenen Kontext kann die Feststellung einer Verletzung keine Feststellung einer sinnlich wahrnehmbaren Tatsache sein: Eine Körperverletzung (z. B. eine Wunde) wäre sinnlich wahrnehmbar. Wenn aber eine Person Yeinen Gegenstand gebraucht, so ist in der sinnlichen Wahrnehmung nichts vorhanden, was die Feststellung recht14
§§ 854 ff., 856 Abs. 2, 858 Abs. 1, 861, 862, 868, 1004 BGB.
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fertigen könnte, dass Person X dadurch verletzt wird. Auf die sinnliche Wahrnehmung kann sich das moralisch-rechtliche Urteil, dass dies eine Verletzung von X ist, nicht stützen. Daraus ergibt sich die Frage: Was muss ich voraussetzen, wenn das moralisch-rechtliche Urteil ,X wird durch den eigenmächtigen Gebrauch der Sache durch Y verletzt‘ begründet sein soll? Die Antwort lautet: Man muss voraussetzen, dass der Begriff Besitz mehr bedeutet als physischer Besitz im Sinn von tatsächlicher Gewalt, dass man vielmehr eine Sache auch bloß rechtlich besitzen kann: „Etwas Ä u ß e r e s aber würde nur dann das Meine sein, wenn ich annehmen darf, es sei möglich, dass ich durch den Gebrauch, den ein anderer von einer Sache macht, i n d e r e n B e s i t z i c h d o c h n i c h t b i n , gleichwohl doch lädirt werden könne. – Also widerspricht es sich selbst, etwas Äußeres als das Seine zu haben, wenn der Begriff des Besitzes nicht einer verschiedenen Bedeutung, nämlich des s i n n l i c h e n und des i n t e l l i g i b l e n Besitzes, fähig wäre, und unter dem einen der p hy s i s c h e , unter dem andern aber ein bl o ß r e c h t l i c h e r Besitz ebendesselben Gegenstandes verstanden werden könnte.“ (RL 245 Z. 13 – 21)
Kann man durch den eigenmächtigen Fremdgebrauch einer Sache lädiert werden, wenn man die Sache gar nicht (physisch) besitzt? Es ist m. E. deutlich, dass Kant diese Frage bejaht. Kant setzt voraus, dass auch derjenige ,lädiert‘ werden kann, der die Sache nicht physisch besitzt. Wer diese Frage aber wie im Pflug-Beispiel bejaht, wird zu der Schlussfolgerung gezwungen, dass der Begriff des Besitzes zwei Bedeutungen hat. Das moralisch-rechtliche Urteil, das der eigenmächtige Fremdgebrauch eine Schädigung darstellt, setzt voraus, dass es so etwas wie Besitz ohne tatsächliche Gewalt gibt. Kant gelangt so zu der Unterscheidung zwischen sinnlichem bzw. physischem Besitz einerseits und intelligiblem bzw. bloß rechtlichen Besitz andererseits. Der physische Besitz ist sinnlich wahrnehmbar: Man kann sehen, dass jemand die Sache in der Hand hält. Demgegenüber ist der bloß rechtliche Besitz ein bloßes Gedankending: Dass der Bauer den Pflug rechtlich besitzt, obwohl er doch in weiter Entfernung von dem Pflug schläft, ist bloß denkbar (intelligibel) und gehört ins Reich der gedanklichen Konstruktionen. Wenn es so etwas wie Vernunftbesitz gibt, dann kommt es nicht auf die räumlich-zeitliche Lokalisierung des Gegenstandes in Relation zum Besitzer in der Welt der Erscheinungen an (die physische, tatsächliche Sachherrschaft); es genügt die gedankliche Unterscheidung zwischen einem Subjekt und dem Gegenstand sowie der Gedanke, dass beide rechtlich verbunden sind. Ersteres nennt Kant den empirischen, das zweite den intelligiblen Besitz. Damit ist allerdings zunächst nicht mehr geleistet als die Erläuterung der zweifachen Bedeutung des Besitzbegriffes. Ob so etwas wie intelligibler Besitz möglich ist, lässt Kant am Ende des § 1 („wenn ein solcher [Begriff] möglich ist“ [RL 246 Z. 1]) ausdrücklich offen.
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III. Postulat und Erlaubnisgesetz (§ 2) 1. Die für die gesamte Rechtslehre und für das Kantsche Vernunftrecht entscheidende Frage ist, ob und ggf. wie die Möglichkeit oder gar Notwendigkeit des intelligiblen Besitzes bewiesen, begründet oder gerechtfertigt werden kann. Dass es physischen Besitz gibt, kann durch sinnliche Wahrnehmung, d. h. Erfahrung, bewiesen werden, denn man kann es sehen, dass eine Person einen Gegenstand in der Hand hält. Was soll es aber bedeuten, dass es intelligiblen Besitz ,gibt‘? Kant selbst führt den Leser in die falsche Richtung, wenn es so scheint, als werde zwischen der Person des Besitzers und der Sache ein intellektuelles Band geknüpft, das Person und Sache unsichtbar miteinander verbindet.15 Erst in § 11 wird klargestellt, dass es Rechtsverhältnisse nur zwischen Personen geben kann, dass also das, was oberflächlich als unmittelbare Beziehung zwischen einer Person und einer Sache erscheint, in Wirklichkeit vermittelt ist durch das Verhältnis von Personen. Das ist zu bedenken, wenn man die Frage stellt, ob es den intelligiblen Besitz ,gibt‘. Die für die praktische Philosophie fundamentalen ,Entitäten‘ sind Gründe bzw. Handlungsgründe. In der praktischen Philosophie Kants wird unterschieden zwischen subjektiven und objektiven Handlungsgründen. Objektive Handlungsgründe bezeichnet Kant als Pflichten. Dass es intelligiblen Besitz unter diesen Voraussetzungen ,gibt‘, ist zu übersetzen in die Frage, ob es eine Pflicht gibt, Übergriffe auf die Habe anderer zu unterlassen. Umfassend gesichert wäre der Besitz dann, wenn diese Unterlassungspflicht generell gilt und von allen beachtet wird. So transformiert lautet die Frage, ob und wie eine Pflicht, Übergriffe auf den Besitz anderer zu unterlassen, vernunftrechtlich begründet werden kann. Kant vertritt in § 2 die These, dass eine solche Pflicht begründbar ist und gerechtfertigt werden kann. 2. Reduziert man die Argumentation in § 2 auf ihre wesentlichen Elemente, dann besteht Kants Begründungsstrategie darin, dass er zwei Maximen als These und Antithese gegenüberstellt. Beide Maximen werden am Rechtsprinzip (§ C) als Geltungskriterium überprüft. Aus dem Umstand, dass die Antithese den Test am Rechtsprinzip nicht besteht, wird die Schlussfolgerung gezogen, dass die These Geltung beanspruchen kann. Die These lautet: Intelligibler Besitz ist möglich. Die Antithese lautet: Intelligibler Besitz ist unmöglich, d. h. es gibt nur physischen Besitz. Das Kriterium für die Beurteilung der beiden Maximen ist das allgemeine Rechtsprinzip: Nur die Maxime kann Geltung beanspruchen, wonach „die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann“ (MdS 230). Es ist also zu prüfen, ob die Koexistenz von Menschen auf der Grundlage der jeweiligen Maxime möglich ist, und das erfordert eine Folgen15 Zum Beispiel: „intellectuelles Verhältnis zum Gegenstande“ (RL 253 Z. 23); „Die Art also, etwas außer mir als das Meine zu haben, ist die bloß rechtliche Verbindung des Willens des Subjects mit jenem Gegenstande . . .“ (RL 253 f.).
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abschätzung: Was hat die Maxime für Folgen und wie wirken sich diese Folgen auf die Möglichkeit einer friedlichen Koexistenz aus? Die Konsequenz, welche die Antinomie zuungunsten der Antithese entscheidet, und auf die Kant zentral abstellt, ist die Folge der Herrenlosigkeit: „eine Maxime, nach welcher, wenn sie Gesetz würde, ein Gegenstand der Willkür a n s i c h (objectiv) h e r r e n l o s (res nullius) werden müßte, ist rechtswidrig.“ (RL 246 Z. 6)
Beide Maximen unterscheiden sich in dem einen Punkt fundamental voneinander: nämlich welchen Rechtsstatus Sachen dann haben, wenn sie sich nicht unter der physischen Kontrolle des Besitzers befinden. Nach der besitzrealistischen 16 Maxime werden Sachen in dem Moment herrenlos, wo der Besitzer die physische Gewalt über sie verliert. Wendet man das besitzrealistische Rechtsprinzip auf Fälle der Erfahrung an, dann bedeutet das, dass dem Holzhüttenbesitzer im Naturzustand kein Unrecht geschieht, wenn andere seine Holzhütte in seiner Abwesenheit zu Brennmaterial verarbeiten. Obwohl Kant anthropologische Begründungen gerade im Kontext der Rechtslehre verschmäht, kann die Absurdität der besitzrealistischen Maxime anhand ihrer Konsequenzen für fundamentale Lebensinteressen anschaulich dargestellt werden. Wenn rechtlicher Besitz nur in physischem Besitz bestehen kann, dann geschieht den Menschen kein Unrecht, deren Behausungen und Äcker in ihrer Abwesenheit zerstört werden. Denn herrenlose Sachen kann jeder nach freier Willkür gebrauchen, u.d.h. in letzter Konsequenz ist man auch berechtigt, sie zu zerstören. Kant erwägt ein solches anschauliches Beispiel lediglich einmal in den ,Vorarbeiten‘ und meint, dass man dies „unmöglich wollen kann“.17 [Wer meint, Kants besitzidealistisches Prinzip sei ein der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Eigentumsordnung angepasstes besitzindividualistisches Prinzip, sei darauf hingewiesen, dass das Prinzip des intelligiblen Besitzes nicht auf individuellen Besitz festgelegt ist. Es gilt auch im Verhältnis von Kollektivbesitz eines indigenen Volkes im Verhältnis zu Kolonisatoren; auch der Kollektivbesitz an Land wird auf der Grundlage der besitzrealistischen Auffassung herrenlos, wenn sich der Stamm auf der Jagd befindet.]
Im Prinzip bewegt sich die Begründung des Postulats in schon aus GMS und KpV bekannten Bahnen: Wie bei Lüge und Depositum wird aus der Unmöglichkeit der Antithese auf die kategorische Geltung ihres Gegenteils geschlossen.18 Im hiesigen Kontext wird die Vernunft als Vermögen der Prinzipien19 durch die zweifache Bedeutung des Besitzbegriffs in eine Antinomie20 getrieben. Vernunft führt zu zwei Prinzipien, die sich widersprechen, und die Vernunft muss diese Antinomie auflösen; menschliche Vernunft muss die Antinomie auflösen, weil Menschen aus 16 Zu den Begriffen Besitzrealist und Besitzidealist vgl. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, a. a. O., S. 233. 17 AA XXIII, 281 Z. 30. 18 GMS AA IV, 421 f.; KpV AA V, 27. 19 KpV AA IV 119. 20 Vgl. RL 254 Z. 34 § 7.
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Gründen handeln und urteilen müssen. Die Auflösung der Antinomie ist dadurch möglich, dass die Absurdität und Unannehmbarkeit der besitzrealistischen Antithese mehr als gut begründet, u. d. h., dass die Antithese widerlegt ist. In einem solchen Fall kann man so etwas wie einen apagogischen Beweis21 annehmen, wo die Richtigkeit der These aus der Widerlegung der Antithese abgeleitet wird. Das verschafft uns keine moralisch-rechtliche Erkenntnis von apodiktischer Gewissheit, liefert aber, da andere Prinzipien nicht ersichtlich sind, doch einen soweit irgend möglich gerechtfertigten objektiven Handlungsgrund. Zusammengefasst: Was anfangs nur reine Vernunfterkenntnis aus einem Begriff a priori ist, nämlich die Erkenntnis von der zweifachen Bedeutung des Besitzbegriffs, wird im zweiten Schritt in Maximen, also subjektive Handlungsregeln,22 transformiert. Die zwei Handlungsregeln werden am Rechtsprinzip geprüft, wobei sich zeigt, dass die Antithese als (vernunft-)rechtswidrig verworfen werden muss. Kant ist der Auffassung, dass die besitzrealistische Antithese in Widerspruch steht zu Rechtsbegriff, Rechtsprinzip und angeborenem Freiheitsrecht. Daraus wird der Schluss gezogen, dass die These mangels Alternativmaxime eine objektiv gültige Handlungsregel ist. Objektive Handlungsregeln, die für alle vernünftigen Wesen gelten, bezeichnet Kant als Gesetze.23 Ergebnis der ganzen Prozedur ist, dass das, was anfangs (in § 1) reine Bedeutung war, nun in Geltung transformiert ist: ,Es ist möglich, einen jeden äußeren Gegenstand bloß rechtlich zu besitzen‘ ist nun eine objektiv gültige Handlungsregel. Als Ergebnis der Prozedur ist die praktische Vernunft berechtigt, die Geltung dieser Handlungsregel zu postulieren. Vor der Prüfprozedur war man dazu nicht berechtigt, weil sich die zwei widersprechenden Handlungsmaximen wechselseitig blockierten, und deshalb der Schritt von der reinen Bedeutung zur Geltung nicht getan werden konnte. Das Postulat stellt gegenüber dem reinen Begriff vom rechtlich Meinen (= intelligibler Besitz) in mehrfacher Hinsicht eine Erweiterung dar: (1) Es erweitert die reine Bedeutung um die Dimension der Geltung und es ermöglicht (2), dass sich die berechtigten Personen um brauchbare, äußere Gegenstände erweitern, d. h. diese rechtlich besitzen können. 3. [Das Erlaubnisgesetz] Der nächste Begründungsschritt wäre der vom Postulat (,intelligibler Besitz ist möglich‘) zum Erlaubnisgesetz. Kants Übergang ist eher unpräzis und vage, wenn er sagt: „Man kann dieses Postulat ein Erlaubnisgesetz . . . nennen“ (RL 247 Z. 1). Kant überspringt hier einige Vermittlungsschritte, die nachgeliefert werden müssen, wenn der Übergang verständlich und plausibel sein 21 Vgl. Kersting, a. a. O., S. 242; Fulda, Erkenntnis, a. a. O., S. 94. Vgl. auch G. Mohr, Kants Grundlegung der kritischen Philosophie – Werkkommentar und Stellenkommentar zur Kritik der reinen Vernunft, zu den Prolegomena und zu den Fortschritten der Metaphysik, in: I. Kant, Theoretische Philosophie – Texte und Kommentar, Band 3, Frankfurt / M. 2004, S. 294: „Ein apagogischer Beweis leitet die Wahrheit der These aus der Widerlegung der Antithese ab, nach dem Grundsatz: Dasjenige, dessen Negation falsch ist, ist wahr.“ 22 Vgl. KpV AA IV 19. 23 Ebenda.
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soll. Die erste Frage ist, was das Erlaubnisgesetz eigentlich erlaubt?24 Der Text gibt auf diese Frage eine (relativ) eindeutige Antwort; das Erlaubnisgesetz gibt uns eine „Befugniß“, „nämlich allen andern eine Verbindlichkeit aufzuerlegen, die sie sonst nicht hätten, sich des Gebrauchs gewisser Gegenstände unserer Willkür zu enthalten, weil wir zuerst sie in unseren Besitz genommen haben.“ (RL 247 Z. 4)
Das Erlaubnisgesetz verleiht uns die Befugnis, andere zu verpflichten. Das ist der Schritt von der ethischen Selbstverpflichtung aus GMS und KpV zur rechtlichen Fremdverpflichtung – also das, was das theoretische Herzstück der Rechtslehre gegenüber der Tugendlehre (Ethik) ausmacht. Das Erlaubnisgesetz erlaubt uns, anderen (einseitig) eine Unterlassungspflicht aufzuerlegen. Kant nennt zudem den Grund für das Entstehen der Unterlassungspflicht, sich des Gebrauchs gewisser Gegenstände zu enthalten: „weil [!] wir zuerst sie in unseren Besitz genommen haben“ (l.c.). Damit ist die Handlung bzw. der Akt bezeichnet, durch den die Unterlassungspflicht entsteht, nämlich die Erstbesitznahme. Kants These lautet also, dass durch den Akt der Erstbesitznahme einer Sache für andere eine Unterlassungspflicht erzeugt wird, und dass das Erlaubnisgesetz uns die Befugnis zu diesem Akt der Fremdbestimmung bzw. Fremdverpflichtung gibt. IV. Exposition, Definition, Deduktion (§§ 4 – 6)25 1. [Exposition] Unter einer Exposition (Erörterung) versteht Kant „die (wenn gleich nicht ausführliche) Vorstellung dessen, was zu einem Begriffe gehört; metaphysisch aber ist die Erörterung, wenn sie dasjenige enthält, was den Begriff, als a priori gegeben, darstellt“.26 Die Exposition in § 4 enthält wichtige Präzisierungen: Erstens wird klargestellt, was alles unter den Begriff des intelligiblen Besitzes fällt bzw. was man alles intelligibel besitzen kann. Nach dieser Präzisierung ist dann klar, dass und warum die Gleichsetzung ,Intelligibler Besitz, also Eigentum‘ nicht richtig ist. Zweitens enthält § 4 die Präzisierung, dass der physische Besitz nicht unter den Begriff des äußeren Mein und Dein fällt, so dass sich die prima facie zweifache Bedeutung des Begriffs Besitz reduziert auf den intelligiblen Besitz. Eines der Hindernisse, die dem adäquaten Verständnis des Kantschen Privatrechts entgegenstehen, ist die Neigung des Lesers, das Konzept des vernunftrecht24 R. Brandt, Das Erlaubnisgesetz, oder: Vernunft und Geschichte in Kants Rechtslehre, in: ders. (Hrg.) Rechtsphilosophie der Aufklärung, Berlin / New York 1982, S. 233 – 285, S. 255 setzt anders an: Er geht davon aus, dass das Erlaubnisgesetz sich auf etwas beziehen muss, was an sich verboten ist. Ausgehend von dieser Prämisse wird gefragt, „wo das Verbot liegen kann, gegen das sich das Postulat richtet“. 25 Exposition und Definition beziehen sich auf das äußere Mein und Dein, während sich die Deduktion auf den bloß rechtlichen Besitz bezieht; diese Differenzierung fehlt in der Überschrift, wird aber im Text erläutert. 26 Kant, KrV A 23 / B 38.
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lichen Besitzes nur auf Sachen (körperliche Gegenstände) zu beziehen. Das ist einerseits deshalb naheliegend, weil das Zivilrecht nur Besitz an Sachen kennt; es ist andererseits aber auch deshalb verständlich, weil Kant in den ersten drei Paragrafen des Privatrechts diesen Eindruck erweckt: In § 1 und in § 3 ist vom Gebrauch einer „Sache“ die Rede27 und die prima occupatio, die beim Erlaubnisgesetz in § 2 eine Rolle spielt, ist auch nur bei Sachen möglich. Dass die Voraussetzung, der Besitz beziehe sich nur auf Sachen, falsch ist, wird erst in § 4 deutlich. In § 4 wird aufgelistet, was man alles rechtlich als das Seine haben kann, nämlich (1) Sachen, (2) Leistungen und (3) Weib, Kind und Gesinde (RL 247 f.). Dadurch wird nun auch deutlich, warum Kants Begrifflichkeit so hochabstrakt ist; der Begriff von den äußeren Gegenständen umfasst mehr als nur Sachen. Schließlich erklärt der weite Anwendungsbereich des Begriffs auch, warum die Gleichung ,Das äußere Mein und Dein, also Eigentum‘ nicht aufgeht.28 Nur in Bezug auf körperliche Sachen wäre der Begriff Eigentum unproblematisch. Eigentum an Forderungen war schon zu Kants Zeit rechtlich nicht möglich. Und Eigentum an Personen ist für Kant kategorisch ausgeschlossen (RL 270 Z. 10 – 23). Innerhalb von Kants Terminologie ist es aber möglich, Personen – nämlich z. B. Weib und Kind – zu ,besitzen‘; Kant geht davon aus, dass sie zur ,Habe‘ gehören können. Kant geht außerdem davon aus, dass man auch vertraglich vereinbarte Leistungen ,besitzen‘ kann. Das ist gegenüber der traditionellen Rechtsterminologie eine eigentümliche Verwendungsweise des Besitzbegriffs, die ihre Erklärung darin findet, dass Kant letztlich darauf abzielt, dass ,ein Recht haben‘ ganz allgemein identisch ist mit der Aussage ,etwas intelligibel besitzen‘: „denn das Recht ist [ . . . ] ein intellectueller Besitz eines Gegenstandes“ (RL 249 Z. 25). a) Das wichtige Ergebnis in der Exposition in Bezug auf Sachen ist, dass der physische Besitz nicht zum Anwendungsbereich des äußeren Mein und Dein gehört, sondern dem inneren Mein und Dein zuzuordnen ist: „Denn der, welcher | mir [ . . . ] den Apfel aus der Hand winden [ . . . ] wollte, würde mich zwar freilich in Ansehung des inneren Meinen (der Freiheit), aber nicht des äußeren Meinen lädieren, wenn ich auch nicht ohne Inhabung mich im Besitz des Gegenstandes zu sein behaupten könnte (247 / 248).29
Der physische Besitz gehört nicht zum Anwendungsbereich des äußeren Meinen. Die zweifache Bedeutung des Begriffs Besitz, die in § 1 vorläufig angenommen worden war, hat sich damit reduziert auf den Begriffsinhalt intelligibler Besitz. RL 245 Z. 15; 247 Z. 10. Vgl. Kühl, Eigentumsordnung, S. 146: Die Interpretation der Kantschen Lehre vom intelligiblen Besitz als einer Eigentumsbegründung ist nur dadurch möglich, dass die Elemente aus § 4 der Rechtslehre, die sich dieser These nicht fügen, nämlich die vertraglichen Leistungen und die Rechtsbeziehungen zu Weib, Kind und Gesinde, ausdrücklich ausgeklammert werden. 29 Vgl. auch RL 249 Z. 35 – 250 Z. 8. 27 28
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b) Kant wendet seinen Grundgedanken auch auf Leistungen an (RL 248 Z. 8 – 20). Dafür, ob ich eine Leistung zum rechtlich Meinen (meiner Habe, meinem Vermögen) rechnen kann, sind die Vorgänge in der intelligiblen Welt und nicht die in der phänomenalen Welt entscheidend. So wie es für den rechtlichen Besitz einer Sache nicht auf die räumliche Relation zwischen Besitzer und Sache in der phänomenalen Welt ankommt, so ist für das rechtliche ,Haben‘ einer vertraglichen Leistung die zeitliche Dimension in der phänomenalen Welt irrelevant: „Ich kann die Leistung von etwas durch die Willkür eines Andern nicht mein nennen, wenn ich bloß sagen kann, sie sei mit seinem Versprechen zugleich (pactum re initum)30 in meinen Besitz gekommen, sondern nur, wenn ich behaupten darf, ich bin im Besitz der Willkür des Andern, (diesen zur Leistung zu bestimmen), obgleich die Zeit der Leistung noch erst kommen soll; . . .“ (RL 248 Z. 8 – 13)
Diese Textstelle ist hochgradig erläuterungsbedürftig, weil sie beim modernen Leser aus mehreren Gründen Missverständnisse provozieren kann. Gegenstand der vorliegenden Erörterungen Kants sind ganz generell vertraglich vereinbarte Leistungen; das kann die Lieferung einer Ware, die Herstellung eines Werkes oder die Erbringung einer Dienstleistung etc. sein. Wenn Kant nun die Auffassung vertritt, dass eine vertraglich vereinbarte Leistung mit dem Vertragsabschluss in das Vermögen übergeht, so rennt er damit bei juristisch vorgebildeten Lesern offene Türen ein, so dass diese vielleicht gar nicht verstehen, worin Kants Problem besteht. Im modernen Rechtsverständnis ist es selbstverständlich, dass vertraglich vereinbarte Leistungen zum Vermögen gehören, denn eine Forderung kann abgetreten und verkauft werden, und Forderungen gehen auf der Habenseite in eine Bilanz ein. Dass (bloße) Forderungen schon vor dem Zeitpunkt der Erfüllung zum Vermögen gehören – nach Kant: zum rechtlich Meinen und zum intelligiblen Besitz gehören – ist in den modernen Rechtsordnungen eine Selbstverständlichkeit. Kant wendet sich im Rahmen seines schon bekannten Ansatzes gegen die Position eines Besitzrealisten, der vorbringen wird: Mit dem Vertragsabschluss hat man noch nichts Reales in der Hand; man hat schließlich nur ein Versprechen – aber das versprochene Brot kann man im Unterschied zum realen Brot nicht essen. Gemäß der besitzrealistischen Auffassung gehört das Brot erst dann zu meiner Habe, wenn der Vertrag erfüllt und das Brot abgeliefert ist. Und das gilt dann für vertraglich versprochene Leistungen ganz allgemein; dafür, ob etwas zu meiner Habe gehört, kommt es auf die Erfüllung des Vertrages an, die Ware und das Werkstück müssen geliefert und die Dienstleistung muss erbracht sein. Kant macht das aber nicht an der einfachen Position eines Besitzrealisten fest, sondern an der eher speziellen Rechtsfigur vom pactum re initum, wonach bestimmte Verträge nur dann verbindlich sind, wenn sie sofort erfüllt werden.31 Deshalb kommt „Der Vertrag, auf den unmittelbar die Übergabe folgt (pactum re initum)“ (RL 275 Z. 7). Vgl. G. Lübbe-Wolff, Begründungsmethoden in Kants Rechtslehre untersucht am Beispiel des Vertragsrechts, in: R. Brandt (Hrsg.), Rechtsphilosophie der Aufklärung, 1982, 30 31
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es in der obigen Textstelle (248, 8 – 13) entscheidend auf das Wörtchen „zugleich“ an, das im Originaltext deshalb auch durch Sperrung hervorgehoben ist. Die Rechtsauffassung, die Kant kritisiert, besteht darauf, dass es letztlich auf die Erfüllung und nicht auf das Versprechen ankommt. Auch bei Leistungen ist jedoch für Kant das, was zum rechtlich Meinen gehört, davon unabhängig, ob die Leistung zu einem bestimmten Zeitpunkt in sinnlich wahrnehmbarer Weise in der phänomenalen Welt erbracht worden ist: Ich muss „mich, als von dem auf Zeitbedingungen eingeschränkten, mithin vom empirischen Besitze unabhängig, doch im Besitz des Gegenstandes denken können“. (RL 248 Z. 18 – 20) Was man durch den Vertrag erwirbt, ist nicht die Erfüllung, sondern ein Verfügungsrecht über die Handlungsfreiheit („Willkür“) des anderen, so dass man u.U. schon lange bevor die Zeit für die tatsächliche Erbringung der Leistung gekommen ist, etwas rechtlich besitzt. c) Zu den Gegenständen, die zum äußeren Mein und Dein gehören und die man rechtlich besitzen kann, gehören nach Kant auch Weib, Kind und Gesinde (249, Z. 21 – 29). Das klingt heute sehr anachronistisch. Hier soll es nur darauf ankommen, dass Kant seinen Grundgedanken auf die familienrechtliche Relation zu Personen anwendet. Eine Person gehört nur dann zum (familien-) rechtlich Meinen, wenn ich sie auch dann (rechtlich) besitze, wenn ich keine physische Gewalt über die Person habe, es also nicht auf die räumliche Konstellation in der phänomenalen Welt ankommt. Weib und Gesinde als anachronistische Fälle beiseite gesetzt, kann das für Kinder durchaus plausibel gemacht werden. Eltern verlieren gegenüber ihren minderjährigen Kindern ihre elterliche Gewalt32 (z. B. in Form von Unterlassungs- und Herausgabeansprüchen gegenüber Dritten33) nicht dadurch, dass sie aus irgendwelchen Gründen die physische Gewalt über das Kind verlieren. Wenn man annimmt, dass das auch im Vernunftrecht so ist – und das Vernunftrecht insoweit Grund und Maßstab des positiven Rechts ist34 –, so wird man Kants These teilen müssen, dass es zwischen Eltern und Kind ein intellektuelles Band gibt und dass die Eltern intelligiblen Besitz an dem Kind haben. Soweit es das familienrechtliche Verhältnis von Eltern zu ihren unmündigen Kindern betrifft, hat das sachenrechtsanaloge, dinglich-persönliche Recht (RL § 22), das Kants rechtsphilosophische Spezialität ist, noch in der heutigen Rechtsordnung eine gewisse rationale Grundlage. S. 286 – 310, S. 293 f., wo gezeigt wird, dass die Rechtsauffassung, nach Vernunftrecht seien die formlosen Verträge (sog. pacta nuda) nur bei sofortiger Erfüllung verbindlich, schon zu Kants Zeit überholt war. 32 Wobei schon im Zeitalter der Aufklärung klar war (vgl. Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung, II. § 64), dass es sich bei der elterlichen Gewalt um ein bis zur Volljährigkeit des Kindes zeitlich befristetes Sorgerecht handelt, das gegenüber dem Kind primär eine treuhänderische Sorgepflicht im Interesse des Kindeswohls darstellt. 33 Vgl. Herausgabeanspruch und Rückholrecht aus §§ 1631, 1632 BGB. 34 Art. 6 Abs. 2 GG (1949) spricht von einem „natürlichen Recht der Eltern“ und setzt damit eine vernunftrechtliche Tradition voraus.
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2. [Definition] Auf die Exposition folgt die Definition des Begriffs vom äußeren Mein und Dein in § 5 der Rechtslehre. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass Kant die Auffassung vertritt, dass man Vernunftbegriffe (und die Unterscheidung von Mein und Dein ist ein Vernunftbegriff) gar nicht definieren kann und deshalb sagt: „Anstatt des Ausdrucks: Definition, würde ich lieber den der Exposition brauchen . . .“ (KrV B 757 / A 729). Kants Bedenken gegenüber dem Begriff der Definition beruhen – kurz zusammengefasst – auf den folgenden Überlegungen: Einen Gegenstand definieren bedeutet letztlich, ihn durch eine vollständige Liste seiner Merkmale darzustellen und von anderen Gegenständen präzise abzugrenzen. Absolute Ausführlichkeit und Vollständigkeit der Merkmalsliste ist nach Kant aber überhaupt nur dann möglich, wenn eine Wissenschaft ihren Gegenstand selbst hervorbringt, d. h. wenn die Merkmalsliste eigentlich eine Konstruktionsanweisung ist. Bei empirischen Begriffen (Kants Beispiele sind Gold und Wasser) kann man sich nie sicher sein, wirklich alle Eigenschaften zu kennen; empirische Begriffe können „gar nicht definiert, sondern nur expliziert werden“ (KrV B 755 / A 727). Für die empirischen Wissenschaften ist die absolute Vollständigkeit der Merkmalsliste lediglich eine regulative Idee.35 Und das gilt auch für die Philosophie, soweit deren Gegenstände Vernunftbegriffe sind: „genau zu reden [kann] kein a priori gegebener Begriff definiert werden, z. B. Substanz, Ursache, Recht, Billigkeit etc. Denn ich kann nie sicher sein, daß die deutliche Vorstellung eines (noch verworren) gegebenen Begriffs ausführlich entwickelt worden, als wenn ich weiß, daß dieselbe dem Gegenstand adäquat ist“ (KrV B 756 / A 728). Da die Vollständigkeit und Ausführlichkeit der Zergliederung eines Vernunftbegriffs „immer zweifelhaft“ (l.c.) ist, möchte Kant hier lieber den Ausdruck Exposition verwenden. In der Philosophie schreitet man bei der Zergliederung von Vernunftbegriffen von den unvollständigen zu den vollständigen Expositionen voran, so dass für Kant eine Definition in der Philosophie eigentlich eine komparativ vollständigere Exposition ist. Nominaldefinition (Namenserklärung) und Sacherklärung (Realdefinition)36 des äußeren Mein und Dein lauten: (1) „Das äußere Meine ist dasjenige außer mir, an dessen mir beliebigen Gebrauch mich zu hindern Läsion (Abbruch an meiner Freiheit, die mit der Freiheit von Jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann) sein würde.“ (248 f.) (2) „Das äußere Meine ist dasjenige, in dessen Gebrauch mich zu stören Läsion sein würde, ob i c h g l e i c h n i c h t i m B e s i t z d e s s e l b e n (nicht Inhaber des Gegenstandes) b i n .“ (249)
Nominal- und Realdefinition unterscheiden sich dadurch, dass die Realdefinition den Zusatz enthält „ob ich gleich nicht im Besitz desselben (nicht Inhaber des Gegenstandes) bin“. D. h. die Nominaldefinition ist offener und weiter, weil sie 35 Vgl. O. Höffe, Kants Kritik der reinen Vernunft – Die Grundlegung der modernen Philosophie, München 2003, S. 289 36 Zu den Begriffen Nominaldefinition / Realdefinition vgl. KrV A 241 Anm.
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den Begriff Besitz noch in seiner zweifachen Bedeutung als physischen und als intelligiblen Besitz umfasst. Kants Begründungsschritt besteht darin, dass der physische Besitz in der Realdefinition aus dem Begriff des äußeren Mein und Dein ausgegrenzt wird. In der Realdefinition wird der Begriff des äußeren Mein und Dein nur durch den intelligiblen Besitz ausgefüllt. Dazu bemerkt Kant, dass die Realdefinition des äußeren Mein und Dein „auch zur Deduction desselben (der Erkenntnis der Möglichkeit des Gegenstandes) zureicht“ (249 Z. 4) und beruft sich außerdem auf das Resultat aus § 4: Danach betrifft eine Verletzung des physischen Besitzes (der Apfel wird jemand gewaltsam aus der Hand gewunden) das innere Mein und Dein. Damit ist die Frage, die Kant am Ende von § 1 offen gelassen hatte, entschieden. Bisher war offen, ob das äußere Meine durch den physischen Besitz oder den intelligiblen Besitz oder beide zusammen konstituiert wird. Nach der Zuordnung des physischen Besitzes zum inneren Meinen ist diese Frage nicht mehr offen; es steht nun fest, dass der physische Besitz nicht zum äußeren Mein gehört. Und dann ergibt sich logisch zwingend die Schlussfolgerung, dass der Begriff des äußeren Meinen leer ist und dass ihm kein Gegenstand entspricht, wenn es keinen intelligiblen Besitz gibt. Von einer Verletzung (laesio) kann man aber nur sprechen, wenn es zwischen der Person und dem Gegenstand irgendeine Verbindung gibt; und wenn diese Verbindung nicht die physische ist (weil diese zum inneren Meinen gehört), dann muss es sich um die intelligible handeln. Im Wortlaut: „In irgend einem Besitz des äußeren Gegenstandes muß ich sein, wenn der Gegenstand mein heißen soll; denn sonst würde der, welcher diesen Gegenstand wider meinen Willen afficirte, mich nicht zugleich afficiren, mithin auch nicht lädieren. Also muß zu Folge des § 4 ein intelligibler Besitz (possessio noumenon) als möglich vorausgesetzt werden, wenn es ein äußeres Mein oder Dein geben soll; . . .“ (RL 249 Z. 11 – 13)
Kurz zusammengefasst: Der physische Besitz gehört nicht zum äußeren Mein und Dein, er gehört zum angeborenen Freiheitsrecht (dem inneren Meinen). Der Vernunftbegriff des äußeren Meinen wird nur durch den Begriff des intelligiblen Besitzes ausgefüllt. Wenn es intelligiblen Besitz gar nicht gibt bzw. intelligibler Besitz nicht möglich ist, dann ist der Begriff des äußeren Mein und Dein leer. Es wird nun auch klar, warum sich Exposition und Definition auf den Begriff des äußeren Mein und Dein beziehen, aber nur der Begriff des bloß rechtlichen Besitzes der Deduktion (Rechtfertigung) in § 6 bedarf. 3. [Deduction] Nachdem der Vernunftbegriff des äußeren Meinen erläutert worden ist durch den Begriff Besitz und sodann die zweifache Bedeutung des Besitzbegriffs reduziert worden ist auf den intelligiblen Besitz stellt sich die Frage der Deduktion bzw. Rechtfertigung in § 6 wie folgt: „Die Frage: wie ist ein ä u ß e r e s M e i n u n d D e i n möglich? löst sich nun in diejenige auf: wie ist ein bl o ß r e c h t l i c h e r (intelligibler) B e s i t z möglich? und diese wiederum in die dritte: wie ist ein synthetischer Rechtssatz möglich?“ (RL 249 Z. 30 – 33)
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Kant macht zunächst deutlich, dass der empirische Besitz zum inneren Meinen, d. h. zum angeborenen Freiheitsrecht, gehört und dass der ihm entsprechende Rechtssatz (eine Unterlassungspflicht gegenüber der persönlichen Freiheit anderer Personen) ein analytischer Rechtssatz a priori ist; dies ist nicht Gegenstand der Deduktion in § 6.37 Dem intelligiblen Besitz entspricht ein synthetischer Rechtssatz a priori, der eine (Rechts-) Pflicht statuiert, Übergriffe auf äußere Gegenstände zu unterlassen, die zur Habe anderer Personen gehören, obwohl diese Gegenstände nicht physisch mit dieser Person verbunden sind. Die Frage nach der Möglichkeit des intelligiblen Besitzes ist für Kant identisch mit der Frage, wie eine Unterlassungspflicht als synthetischer Rechtssatz a priori möglich ist. Die erste Antwort auf diese Frage lautet: Intelligibler Besitz ist dadurch möglich, dass von allen räumlichen und zeitlichen Bedingungen abgesehen wird. Die Möglichkeiten der rechtlichen Verbindung zwischen einer Person und einem äußern Gegenstand werden dadurch erweitert, dass die räumliche und die zeitliche Verbindung in der sinnlichen Anschauung keine Rolle spielen. Von ihnen muss abgesehen werden, sie müssen „weggeschafft“ werden (252 Z. 5). Kant führt das in § 7 weiter aus: Es muss ausreichen, „daß der Gegenstand als in meiner Gewalt . . ., gedacht werde“ (253 Z. 10). Der zweite Teil der Antwort auf die Ausgangsfrage verweist zurück auf § 2 und § 4; danach hat der intelligible Besitz gleichsam zwei Fundamente: Er „gründet sich“ (252 Z. 12) einerseits auf das Postulat aus § 2 und „zugleich“ auf die Exposition des Begriffs vom äußeren Mein und Dein in § 4, aus der sich ergeben hat, dass dieser Begriff „nur [d. h. ausschließlich; d.V.] auf einen nicht-physischen Besitz gründet“ (l.c. Z. 17). Nachdem der physische Besitz aus dem Anwendungsbereich des Vernunftbegriffs vom äußeren Mein und Dein ausgeschlossen worden ist, kann sich das Postulat nur noch auf intelligiblen Besitz beziehen. Das Postulat – es ist Rechtspflicht, „gegen Andere so zu handeln, daß das Äußere (Brauchbare) auch das Seine von irgend jemand werden könne“ (l.c., Z. 13 – 15) – würde nach der Zuordnung des empirischen Besitzes zum inneren Meinen ins Leere gehen. Und deshalb kann Kant sagen, dass der intelligible Besitz „eine unmittelbare Folge aus dem gedachten Postulat [ist]. Denn wenn es nothwendig ist, nach jenem Rechtsgrundsatz zu handeln, so muß auch die intelligibele Bedingung (eines bloß rechtlichen Besitzes) möglich sein.“ (l.c., Z. 20 – 24)
Kant weist ausdrücklich darauf hin, dass die Möglichkeit des intelligiblen Besitzes „keineswegs für sich selbst bewiesen oder eingesehen werden“ (l.c., Z. 18 – 19) kann, sondern als dessen „unmittelbare Folge“ vollkommen vom Postulat abhängig ist. Kants Argument lautet letztlich: Es muss intelligibler Besitz vorausgesetzt werden, weil ansonsten das Postulat, d. h. der Rechtsgrundsatz, ins Leere ginge. So wie in der KpV vom Sittengesetz auf die Idee der Freiheit als der Bedingung seiner Möglichkeit geschlossen wird38, so schließt Kant im ,Privatrecht‘ der 37
Fulda, Kants Begriff eines intelligiblen Besitzes, a. a. O., S. 111 f.
Der intelligible Besitz
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Rechtslehre vom Postulat auf die Möglichkeit des intelligiblen Besitzes als dessen Bedingung der Möglichkeit. Und schließlich weist Kant darauf hin, dass das Postulat vollständig vom Begriff der Freiheit abhängig ist, der wiederum „nur aus dem praktischen Gesetze der Vernunft (dem kategorischen Imperativ), als einem Factum derselben, geschlossen werden kann.“ (RL 252 Z. 28 – 30) Das Postulat (§ 2) beruht insofern auf dem Begriff der Freiheit als Kant dort von einem bestimmten Telos der Freiheit der Willkür ausgeht: Freiheit, die „brauchbare Gegenstände außer aller Möglichkeit des Gebrauchs setzte“ (RL 246 Z. 15 – 16) würde „sich selbst des Gebrauchs ihrer Willkür“ berauben bzw. dies würde „ein Widerspruch der äußeren Freiheit mit sich selbst sein“ (l.c. Z. 24 – 25). Es wird in diesen Passagen deutlich, dass Kant von einem bestimmten Telos der äußeren Freiheit ausgeht. Dem Menschen ist die äußere Freiheit zu dem Zweck gegeben, dass er sich aus seiner Umwelt die Gegenstände aneignet, die er braucht. Wenn es nicht möglich sein sollte, dass der Mensch sich brauchbare Gegenstände aneignet, dann verfehlt die äußere Freiheit ihren Zweck. Deshalb setzt sich praktische Vernunft, die eine solche Maxime anerkennen würde, in Widerspruch zu sich selbst. Kurz: Der archimedische Punkt der Kantschen Konstruktion ist eine Vorstellung vom Zweck der Freiheit der Willkür bzw. der äußeren Freiheit.
V. Zusammenfassung 1. Kants Rechtslehre beansprucht als Metaphysik ein System der Erkenntnis a priori aus bloßen Begriffen zu sein. Die Begriffe, bei denen Kant ansetzt, sind Mein / Dein, Haben und Besitz. Mein und Dein sind Vernunftbegriffe, wie der wichtige Hinweis von Hume zeigt. Kant untersucht die Bedingung der Möglichkeit, dass eine Person einen äußeren Gegenstand (genau genommen: drei Klassen von äußeren Gegenständen) als das rechtlich Seine behaupten kann. Die Annahme eines intelligiblen, bloß rechtlichen Besitzes erweist sich danach als genauso fundamental wie die elementarsten Alltagsbegriffe Mein und Dein. 2. Kants Begründung und Rechtfertigung des intelligiblen Besitzes lässt sich beschreiben als Verfahren, in dem von der Analyse der Bedeutung fortgeschritten wird zur Rechtfertigung der Geltung. Kant beginnt mit der zweifachen Bedeutung des Besitzbegriffs, die dann in den folgenden Begründungsschritten reduziert wird auf eine einzige Bedeutung: Gemäß der Exposition in § 4 gehört die Bedeutungskomponente ,physischer Besitz‘ bereits zum angeborenen Freiheitsrecht, d. h. dem inneren Meinen. Und deshalb bedarf der Deduktion (Rechtfertigung) nur der intelligible Besitz. 3. In der Exposition (§ 4) wird deutlich, dass und warum die Gleichsetzung von intelligiblem Besitz und Eigentum nicht richtig ist. Denn die äußeren Gegenstände, die man als das rechtlich Seine haben und rechtlich besitzen kann, sind nicht nur 38
Vgl. nur KpV AA V, S. 4 Anm.
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Sachen, sondern (künftige) Leistungen und sogar Personen. Das Sachenrecht ist nur ein Unterfall des intelligiblen Besitzes und das Eigentum ist wiederum nur ein Unterfall des Sachenrechts, weil es ein Sachenrecht neben anderen ist. Kant ist kein Begründer des bürgerlichen Privateigentums im Gegensatz zu anderen Eigentumsformen. Seine Begründung und Rechtfertigung des bloß rechtlichen Besitzes ist für einen rechtlichen Kollektivbesitz (Unser / Euer) genauso fundamental wie für die individuelle Variante (Mein / Dein). 4. Das zentrale Problem der Kantschen Sittenlehre verstanden als das die Teile Recht und Ethik überwölbende System besteht im Übergang von der Selbstbestimmung (Selbstverpflichtung) zur Fremdverpflichtung im Recht (Recht als das moralische „Vermögen Andere zu verpflichten“ [237, 18]). Dieser Übergang findet im § 2 des Privatrechts durch das Postulat und das Erlaubnisgesetz statt; das Erlaubnisgesetz gestattet es, anderen eine Unterlassungspflicht aufzuerlegen. 5. Man kann Kants Rechtsphilosophie auch so zusammenfassen: Wenn und weil Menschen über die Vernunftbegriffe Mein und Dein und über praktische Vernunft und Urteilskraft verfügen, gibt es schon im Naturzustand (Privatrecht) wirkliches, wenn auch nur provisorisches Recht (§ 9 [256]). Im philosophischen Streit über den Primat von Recht oder Staat vertritt Kant dezidiert die Position vom Vorrang des Rechts. Es ist das Recht, das die Schaffung von Institutionen notwendig macht, aber auch den Maßstab bildet für die Vernünftigkeit dieser Institutionen.
Summary The essay sets out to argue two main topics. Firstly it critically questions the general opinion of Kant establishing the concept of property. It shows that Kant’s concept of intelligible possession is not identical with property. The ‘rational right’ [Vernunftrecht] needs to have a term which defines what it means ›to have a right‹ in general. This key term does not only refer to property and physical objects. Secondly the essay explains how Kant derives his understanding of ‘right’ as intelligible possession from the double meaning of the word ›possession‹ (physical / intelligible). He does this by using basic terms like ›mine and yours‹ and ›to have‹. Metaphysics is an ‘a priori cognition by concepts alone’. These rational concepts [Vernunftbegriffe] are ›mine / yours‹, ›to have‹ and ›possession‹ – and not property.
V. Diskussionsforum / Discussion Forum
Making the ‘Smartness’ Brand Accessible: Fortifying the Merit Quotient in Indian Higher Education System Shreya Atrey* I. Introduction This paper critically analyses the understanding of individual merit which is the basis of allocating opportunities in higher education. The purpose is to explore how fairly the conception of merit includes within its ambit different sections of the society or if, at the very definitional level we exclude certain individuals and groups from participating effectively in higher education. I examine the concept of merit from two operative levels-first, the conceptualization of individual merit by the privileged classes precludes the consideration of group identities in admission processes of higher education institutions and secondly, the standardization of merit excludes from its purview the ‘multiple intelligences’ 1 which are as ‘meritorious’ as the traditional notions of merit. By establishing a link between these two factors I make a case for equality of opportunity by redefining the contours of merit which in turn enables us to diversify the student body which enters the institutions of higher education. At the outset, I introduce a caveat as to the scope of the paper. The paper mainly considers the application of meritorian principle in higher education and does not pertain to primary and secondary education in India. Part two carves out the relation between educational opportunities and deprivation. In an endeavour to re-conceptualize the understanding of individual merit, the third part of the paper focuses on the processes through which certain standardized qualities came to be called “meritorious”. Following this trajectory of notions surrounding traditional intellects, the third part proceeds to emphasize the cause of multiple definitions of intelligences drawing from the approach of Howard Gardner. The fourth segment explores the judicial understanding of individual merit and the increasing disinclination of justices to adopt variable merit quotients. The fifth part makes a case for * B.A., L.L.B. (Hons.), NALSAR University of Law, Hyderabad, India, 2011. This paper is dedicated to the student population of India, basically all of us, but especially those who have been unable to beat the elitism in the higher education system. 1 See Howard Gardner, Frames of Mind: The Theory of Multiple Intelligences, New York: Basic Books, 1983.
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diversity in higher education in India by using legal education as an illustration. The last part concludes the paper by iterating the need to redefine the vistas of individual merit for creating an inclusive higher education regime in India. II. Redistribution Strategies and Opportunities in Higher Education Any theory focused on redistribution of resources and opportunity could hardly overlook the strong correlation between poverty and educational attainments.2 Access to education is by far considered to be an unswerving means to economic empowerment and opportunity to enjoy a life of culture, which enables the development of human personality.3 Educational achievement is thus essential for emergence from poverty.4 Of late, this relation is increasingly appreciated with regard to higher education, and its vital link with socio-economic growth and national developmental policies.5 Drawing from the capability approach of Amartya Sen6 and Martha Nussbaum7 in the poverty discourse, education can be regarded as a substantive freedom which the people have a reason to value. The range of options a person has in deciding what kind of a life to lead is inarguably determined by the access to real opportunity in higher education.8 The diminishing representation of various groups and communities in higher education institutions can be viewed as a “systemic” deprivation (rather than one merely based on preference or lack of aptitude).9 It is also clear that the crisis in achieving more equitable distribution of educational opportunity will be beset by the insurmountable employment barriers that the vulnerable sectors of society will be unable to transcend.10 2 See William H. Clune, Accelerated Education as a Remedy for High-Poverty Schools, 28 U. Mich. J. L. Reform 655 (1995). 3 Bandhua Mukti Morcha v. Union of India, 3 SCC 161 (1984), para 5. 4 See John T. Dailey, Education and Emergence from Poverty, 26(4) J. Marriage Fam. 430 (1964). Also see observations in Islamic Academy of Education v. State of Karnataka, 6 SCC 697 (2003). 5 M. Anandakrishnan, ‘For Wider Access to Higher Education’, The Hindu, 15 August 2007. accessed 12 April 2010. 6 Amartya Sen, Development as Freedom, New Delhi: Oxford University Press, 1999, p. 88. 7 Martha Nussbaum, Frontiers of Justices, Cambridge: Harvard University Press, 2006, p. 76. 8 Satyabrata Rai Chowduri, ‘Dwindling Quality of Higher Learning’, The Hindu, 24 September 2002. accessed 12 April 2010. 9 Amartya Sen / Martha C. Nussbaum, eds., The Quality of Life, Oxford: Clarendon Press, 1993, p. 79. 10 Sanat Kaul, Indian Council for Research on International Economic Relations, Working Paper No. 179 on ‘Higher Education in India: Seizing the Opportunity’, 2006; Prime Minister
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Throughout this paper, I discuss the lack of practical opportunities in higher education due to the standardization of merit, giving rise to what commentators have termed “savage inequalities” 11 that separate vast sectors of the population from the rest. The matter is of considerable public interest since academic merit is a core value in institutions of higher education.12
III. The Misplaced Ethos of ‘Individual Merit’ This part examines the two operative levels in the understanding of merit. First, I examine how the conception of merit has been perceived and developed by the privileged class which obviates the possibility of consideration of group identities in individual performance and outcomes. Secondly, due to such a priori notions, we standardize merit to ascribe only those abilities as “meritorious” which are exclusively held by the privileged classes without taking into account variable, multiple intelligences.
1. Individual Merit and Group Identities Much of the popular rhetoric that surrounds our political and educational system reflects a model of individual rights to grant autonomy and protection to persons rather than groups.13 The ethos of individualism thwarts any deeper understanding of the ways in which group membership affects individual treatment and outcomes.14 In the present context, it is argued that the identification of group-based disadvantages enables a more nuanced understanding in the distribution of educational opportunities in higher education. It is important to observe that the existing distributions of power among the dominant social groups and the vulnerable sectors are a determinative factor in conceiving notions of merit.15 Also, the imperfections of the merit-based system of Dr. Manmohan Singh’s Address to the Nation on Independence Day (2007), Extracts Relating to Education. accessed 27 March 2009. 11 See Jonathan Kozol, Savage Inequalities: Children in America’s Schools, New York: Harper Collins, 1991. 12 Article 26(1) of the Universal Declaration of Human Rights, 1948 states that: “Everyone has the right to education. Education shall be free, at least in the elementary and fundamental stages. Elementary education shall be compulsory. Technical and professional education shall be made generally available and higher education shall be equally accessible to all on the basis of merit.” (emphasis supplied). 13 See Craig Haney, The Triumph of Psychological Individualism in the “Formative Era”, 6 Law & Hum. Behav. 191 (1982). 14 James R. P. Ogloff et al., Annual Nebraska Survey & Survey of Legal Education: More than ‘Learning to Think like a Lawyer’: the Empirical Research on Legal Education, 34 Creighton L. Rev. 73 (2000).
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allocating opportunity are masked by the operation of several interrelated, commonly-held beliefs. First of all, the ideology of implicit social Darwinism16 minimizes the significance of past history and existing power arrangements in explaining individual achievement. Those who have historically risen to the top are presumed to be superior (biologically, socially, or culturally) to others. Instead of serving as a clear demonstration of the deficiency and unfairness in the system and therefore something to be critically analyzed, challenged, and corrected, their position in the society is taken as de facto evidence of merit and intellect. Secondly, under the rubric of prevailing individualism, advantaged sections are simply not perceived as a group but “merely” as individuals. They become the a priori norm from which everybody else is measured. Everyone else’s position in this hierarchy is characterized as deviation from the norm and, therefore, the object of explanation. Unlike the privileged classes in monarchical societies, the educationally privileged in India are at least supposed to abide by and receive benefits based on the same performance standards that are applied to everyone else. It is this widespread belief in the fair application of seemingly neutral procedures that supports our self-image of affording equal opportunity to all individuals and groups.17 Therefore, what emerges is that merit in present day society is not something inherent in individuals but is the consequence of environmental privileges enjoyed by the members of certain classes.18 Indeed, this is because the exclusive focus on individuals conveniently bypasses group-based discrimination and, perhaps more importantly, group-based privileges. What is also problematic is that whenever we afford consideration to group characteristics while determining merit (for example, in affirmative action programs) we establish a paradigm of benevolent majorities bestowing token protection upon minorities.19 It must however be borne in mind 15 See Jorge Klor de Alva, Is Affirmative Action a Christian Heresy?, 55 Representations 59 (1996). 16 David M. Buss / Doublas T. Kenrick, ‘Evolutionary Social Psychology’ in: Daniel T. Gilbert / Susan T. Fiske, eds., The Handbook of Social Psychology, New York: McGraw-Hill, 1998, p. 982. 17 See Richard H. Fallon, To Each According to his Ability from None According to His Race: The Concept of Merit in the Law of Antidiscrimination, 60 B.U.L. Rev. 815 (1980). 18 The Kaka Kalelkar Commission Report explains this by way of an interesting example: “consider two boys – Lallu and Mohan. Lallu, a village boy belongs to a backward class occupying a low social position in the village caste hierarchy. He comes from a poor illiterate family and studies at a village school. On the other hand, Mohan comes from a fairly well-off middle class and educated family, attends one of the good public schools in the city, and has assistance at home besides the means of acquiring knowledge through television, radio, magazines and so on. Even though both Lallu and Mohan possess the same level of intelligence, Lallu, because of the several environmental disadvantages suffered by him cannot compete with Mohan in an open competition.” Chapter-VI-Social Justice, Merit and Privilege, Kaka Kalelkar Commission Report, referred in Indra Sawhney v. Union of India, Supp (3) SCC 217 (1992).
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that group characteristics like economic deprivation, gender, caste, etc. may be among the many possible individual characteristics that make up an applicant’s overall profile.20 Thus, giving due weight to group factors21 will make the notion of merit seem consistent with the venerable, cherished beliefs enshrined in the preamble to the Indian Constitution and the gamut of constitutional rights and directive principles22 which ensure social justice, equality of opportunity and individual dignity.23 2. Standardization of Merit In this part, I analyze how the privileged groups’ understanding of merit has lead to the standardization of merit which reduces the guarantee of equal opportunity in selection processes to a mirage. I critique the present system(s) employed to determine the merit of a candidate since they do not incorporate multiple dimensions of ability and acumen. 19 “Tokens” in this context help maintain the appearance of equal access to resources and privileges if subordinate group members comply with the rules of merit. In actuality, the resources available are unequally distributed by group memberships and a priori limit the number of subordinate group members who can join the circles of privilege. See Erika Apfelbaum, ‘Relations of Domination and Movements for Liberation: An Analysis of Power between Groups’ in: William G. Austin / Stephen Worchel, eds., The Social Psychology of Intergroup Relations, Monterey: Cole Publishing Company, 1979, p. 188; Thomas Pettigrew & Joanne Martin, Shaping the Organizational Context for Black American Inclusion, 43 J. Soc. Issues 41 (1987). 20 This is to say that the enthusiasm for applying and enforcing individual definitions of merit to all groups is simply at odds with the daily life experience of many belonging to the vulnerable groups who have hitherto been treated as a category rather than as individuals. See observations in K. C. Vasanth Kumar v. State of Karnataka, Supp. SCC 714 (1985). 21 It must however be clarified that it is not my attempt to replace individual merit to group-level comparisone. All that is endeavored is a nuanced understanding of individual merit which takes into consideration a fair amount of group characteristics which fundamentally determine the individual’s standing for admission to institutions of higher education. For example: disability or gender may not be determinative factors, however, they can be factors which determine the individual’s application in a large way, and hence could be a factor in the overall candidature. 22 Besides the right to equality before law (Article 14), prohibition of discrimination (Article 15) and freedom of speech and expression [Article 19(1)(a)], the Constitutional provisions specifically relating to the issue at hand would include Article 41 of the Constitution of India, which states that: “Right to work, to education and to public assistance in certain cases-the State shall, within the limits of its economic capacity and development, make effective provision for securing the right to work, to education and to public assistance in cases of unemployment, old age, sickness and disablement, and in other cases of undeserved want.” Also Article 46 of the Constitution states that: “Promotion of educational and economic interests of Scheduled Castes, Scheduled Tribes and other weaker sections – the State shall promote with special care the educational and economic interests of the weaker sections of the people, and in particular, of the Scheduled Castes and the Scheduled Tribes, and shall protect them from social injustice and all forms of exploitation.” 23 Miss. Mohini Jain v. State of Karnataka, (3) SCC 666 (1992) (Kuldip Singh J.).
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The selection processes for determining if one is sufficiently “meritorious” to attend higher education institutions are based on a series of largely individualistic measures of accomplishments – 10+2 scores (equivalent to British O level) and / or scores of standardized tests.24 The scores of these examinations are based on the traditional ideas of intelligence and a singular criterion of merit. This great enthusiasm for standardized testing began in the first half of the twentieth century in the American context and travelled abroad, championing the cause of individual merit.25 This assumption of a single, superordinate intelligence remains the received wisdom till today.26 The deficiency in virtually all broad-based measures of merit – used by the gatekeepers of real power and influence in any society – is that they have been devised to favour a particular kind of knowledge that is held disproportionately by one group.27 In such a situation, all those who make it to the higher education institutions are doomed to replicate the status quo instead of bringing diversity and fair representation of all groups into the colleges.28 In effect, we reinforce a system of standardized merit in selection processes which tests only a pre-defined set of acquired academic skills.29 According to Laurence Thomas, test scores in entrance exams, even though are “very powerful indicators”, cannot be considered as “the sole indicators of a person’s intellectual wherewithal.”30 Instead, Thomas suggests that “the ways of excellence are boundless, notwithstanding some common and useful indicators.”31 Cognitive scientists have critiqued this single-component model of measuring intelligence or ‘IQ’32 and have called for definitions of intelligence that are multiple, context specific, and sensitive to creative, alternative approaches to problem solving.33 It was this ethos that Howard Gardner brought to light in his 1983 work 24 See Susan Welch / John Gruhl, Affirmative Action and Minority Enrollments in Medical and Law Schools, Ann Arbor: University of Michigan Press, 1998. 25 See Kirsten A. Dauphinais, Valuing and Nurturing Multiple Intelligences in Legal Education: A Paradigm Shift, 11 Wash. & Lee Race & Ethnic Anc. L. J. 1 (2005). 26 Ian Weinstein, Testing Multiple Intelligences: Comparing Evaluation by Simulation and Written Exam, 8 Clinical L. Rev. 247, 250 – 51 (2001). 27 Craig Haney & Aida Hurtado, The Jurisprudence of Race and Meritocracy: Standardized Testing and “Race-Neutral” Racism in the Workplace, 18 Law & Hum. Behav. 223 (1994). 28 The question of diversity in higher education institutions is specifically studied in part V of the paper. 29 See Linda Wightman, The Threat to Diversity in Legal Education: An Empirical Analysis of the Consequences of Abandoning Race as a Factor in Law School Admission, 72 N.Y.U. L. Rev. 1 (1997). 30 Laurence Thomas, Equality and the Mantra of Diversity, 72 U. Cin. L. Rev. 931, 938 (2004). 31 Ibid, p. 954. 32 Commonly referred to as the ‘g factor’.
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Frames of Mind: The Theory of Multiple Intelligences. Gardner conceived the work as a new theory of human intellectual competences to challenge the classical view of intelligence 34 as embodied in the traditional “Binet IQ Test” which argues that “intelligence is a single faculty and that one is either ‘smart’ or ‘stupid’ across the board.”35 The Multiple Intelligencies movement was taken further by the Swiss psychologist Jean Piaget who critiqued Binet’s work by asserting that “it is not the accuracy of a child’s response on an IQ test that is important, but rather the lines of reasoning the child invokes.”36 Take for example the case of law schools which emphasize only the logicalmathematical and linguistic type intelligences in entrance examinations.37 In such a multiple-choice format we end up penalizing creative or unorthodox thinking, not necessarily traits to be discouraged in aspiring lawyers.38 These may include intelligences, like musical, spiritualist, naturalist or existential.39 Dauphinais ex33 See Robert J. Sternberg, Successful Intelligence: How Practical and Creative Intelligence Determine Success in Life, New York: Plume, 1996; Robert J. Sternberg / Richard K. Wagner, Practical Intelligence: Nature and Origins of Competence in the Everyday World, New York: Cambridge University Press, 1986; Robert J. Sternberg / Richard K. Wagner, Mind in Context: Interactionist Perspectives on Human Intelligence, Cambridge: Cambridge University Press, 1994. 34 Howard Gardner, op. cit. fn. 1‚ p. 5. 35 Howard Gardner articulates his view against traditional understanding of merit as: “I believe that in our society we suffer from three biases, which I have nicknamed “Westist,” “Testist,” and “Bestist.” “Westist” involves putting certain Western cultural values, which date back to Socrates, on a pedestal. Logical thinking, for example, is important; rationality is important; but they are not the only virtues. “Testist” suggests a bias toward focusing upon those human abilities or approaches that are readily testable. If it can’t be tested, it sometimes seems, it is not worth paying attention to. My feeling is that assessment can be much broader, much more humane than it is now, and that psychologists should spend less time ranking people and more time trying to help them. “Bestist” is a not very veiled reference to a book by David Halberstam called The Best and The Brightest. Halberstam referred ironically to figures such as Harvard faculty members who were brought to Washington to help President John F. Kennedy and in the process launched the Vietnam War. I think that any belief that all the answers to a given problem lie in one certain approach, such as logical-mathematical thinking, can be very dangerous. Current views of intellect need to be leavened with other more comprehensive points of view.” Howard Gardner, Multiple Intelligences: The Theory in Practice, New York: Basic Books, 1993, p. 12. 36 Howard Gardner, Intelligence Reframed: Multiple Intelligences for the 21st Century, New York: Basic Books, 1999, p. 34. 37 Abiel Wong, “Boalting” Opportunity?: Deconstructing Elite Norms in Law School Admissions, 6 Geo. J. on Poverty Law & Pol’y 199, 208 (1999) (quoting from Susan Sturm & Lani Guinier, The Future of Affirmative Action: Reclaiming the Innovative Ideal, 84 Cal. L. Rev. 953, 976 (1996)). 38 Richard Delgado, Official Elitism or Institutional Self Interest? 10 Reasons Why UCDavis Should Abandon the LSAT (and Why Other Good Law Schools Should Follow Suit), 34 U.C. Davis L. Rev. 593, 599 (2001); Paula Lustbader, Principle 7: Good Practice Respects Diverse Talents and Ways of Learning, 49 J. Legal Educ. 448, 455 (1999). 39 Howard Gardner, Using Multiple Intelligences to Improve Negotiation Theory and Practice, 16 NEG. J. 321 (2000).
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plains this approach as creation of an artificial hierarchy of intelligences in law school that “unfairly rewards those traditional students who think with logical intelligence at the expense of those nontraditional students who think with other intelligences.”40 Besides the quotient of multiple intelligences, the contribution of group factors to an individual’s history of accomplishments plays little or no role in this kind of standardized tests.41 Success of candidates in standardized examinations which test developed skills does not necessarily reflect the performance of the candidate based on her past history and socio-economic background.42 Thus, Sawant J., in Indra Sawhney v. Union of India43, explains that conditions of inhuman habitations, limited and crippling social intercourse, low-grade educational institutions and degrading occupations perpetuate the inequities in myriad ways which must be factored in the college admission equation. The need for devising a fair and inclusive mechanism to test merit is effectively captured by Prof. John Rawls in these words: [U]ndeserved inequalities call for redress; and since inequalities of birth and natural and environmental endowment are undeserved, these inequalities must be compensated for . . . to provide genuine equality of opportunity, society must give more attention to those with fewer native assets and to those born into the less favourable social positions.44
Therefore, since we have understood and defined merit in a certain rigid way, we stifle the possibility of developing and implementing policy initiatives designed to redistribute educational opportunity intelligently and equitably. The focus of incorporating multiple intelligences is to devise a distribution strategy which is more inclusive.45 One of the commonest solutions for extending equal opportunities in higher education is by reserving seats for certain sections of the society. However, the rationale behind this quota system is to help “equalisation of unequals”46 without addressing the root of inequality which might lie in failing to recognise certain intelligences as meritorious. A more equitable option is by revamping the methods of selection to institutions of higher education. It is imperative to incorporate testing methods or questions in entrance exams which test a broader array of intelligences, for e.g., the Common Law Admission Test (CLAT) for law schools in India which 40 Andrea Kayne Kaufman, The Logician Versus the Linguist – An Empirical Tale of Functional Discrimination in the Legal Academy, 8 Mich. J. Gender & L. 247, 262 (2002). 41 See Aida Hurtado et al., Becoming the Mainstream: Merit, Changing Demographics, and Higher Education in California, 10 La Raza L.J. 645 (1999). 42 Ian Weinstein, op. cit. fn. 26‚ p. 254. 43 Supp (3) SCC 212 (1992). 44 John Rawls, A Theory of Justice, Cambridge: Harvard University Press, 1971, p. 100. 45 Howard Gardner, op. cit. fn. 1‚ p. 5. 46 Ashoka Kumar Thakur v. Union of India, 6 SCC 1 129 (2008) (Arijit Pasayat J.), para 46.
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is usually confined to testing of logical / mathematical and verbal / linguistic intelligence, can test other intelligences like bodily-kinesthetic intelligence by organising pre-moots or stand-up presentations during interviews, to test skills which will undeniably be relevant in performing lawyering tasks. At the same time, the entrance examinations could narrow down their emphasis on questions which test acquired knowledge but include open-ended questions which test the thinking patterns of the students and compare those to the approaches needed in the profession. Whilst there maybe risk due to subjectivity in following more open methods, it will be an initiative towards more appropriate selection of candidates rather than clinging to incorrect methods of selection due to their logistical ease.
IV. Judicial Exposition of Merit – A Progression from Learning to Unlearning In this part of the paper, I trace the trajectory of the evolving judicial opinion in India through time, and the kind of learning and unlearning process undergone by the justices. As a good starting point, we may consider the opinion of Krishna Iyer J., whose judgments explored the dimensions of merit for the first time, and remain most vocal on the subject. In Dr. Jagadish Saran v. Union of India47 speaking on merit, he asked the question: “what is merit or excellence” and answered it thus: Excellence is composite and the heart and its sensitivity are as precious in the scale of educational values as the head and its creativity.
He further explained that marks evaluating such standards enable us in adopting a holistic manner of estimating the worth of the candidate based on his / her background, and like considerations that have some meaning in the making of the candidate. However, Krishna Iyer J. was aware of the difficulties in assessing true merit and remarked: We are aware that measurement of merit is difficult and the methods now in vogue leave so much to be desired, that swearing by marks as measure of merit may even be stark superstition. But for want of surer techniques, we have to make-do with entrance tests.
The argument gives us a useful insight into the expanse of merit for admission into higher education institutions and also the deficiency of systems in vogue. H. M. Seervai however, disapproves of Krishna Iyer J., asserting that, even though subjective elements may be relevant to assess the candidate’s potential, because there is no technique to measure such qualities, there is no benefit in furthering such claims.48 2 SCR 831 (1980). H. M. Seervai, Constitutional Law of India, Mumbai: N.M Tripathi Pvt. Ltd., 2002, p. 577. 47 48
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The discussion on merit was taken further by Bhagwati J. in Pradeep Jain v. Union of India.49 On the question of “what is merit which must govern the process of selection?” he observed: A high degree of intelligence coupled with a keen and incisive mind, sound knowledge of the basic subjects and infinite capacity for hard work. . .it also calls for a sense of social commitment and dedication to the cause of the poor.
Seeravi has again critiqued this observation emphasizing that, since there is no method for ascertaining the candidate’s dedication to the poor or “social commitment”, we must employ the best of the only method namely, written and / or oral examination.50 He suggests that it is not just the ideal method for evaluation of merit, but the only method adopted by great universities in other countries for an even longer period.51 Seervai’s criticism is true to the extent that written tests are largely the means of evaluating merit hitherto. However, the datedness of a process cannot be the validation for its efficiency. As it has been discussed earlier in the paper, while the standardized tests are valid indicators of a certain kind of merit, they do not include within its fold others kinds of merit which might be equally important.52 There is an urgent need to incorporate multiple approaches to questions in entrance examinations that may best capture elements which in Seervai’s opinion are “subjective”. Of late, the judicial trend has been skewed towards reinforcing the single-parameter mechanism for testing merit. S.B. Sinha J. in Islamic Academy of Education v. State of Karnataka53 iterated that merit for the purpose of admission in colleges should be judged on the basis of same or similar examination. Indeed, applying the same norm or standard is consistent with the rule of equality but in the event that we do not recognize the diversity of the merit quotient, if we do not bring enough creativity in judging the students, in formulating examination papers, or if we do not consider group factors relevant in determining the merit of an individual, perhaps the sameness of the process will decry equitableness in the system.54 3 SCR 942 (1984). Even so, recently, certain cases have contended at length the validity of the systems in place which determine merit of a candidate. In Kranth Sangram Parishath v. Sri N. Janardhan Reddy, (3) ALT 99 1992, the petitioners challenged the system of entrance examinations since it does not objectively reflect the merit of a candidate. The Court in response conceded that the existing system of examinations and selections was not infallible, but maintained that no better method less fallible has so far been evolved. This view was also accepted in Chitralekha v. State of Mysore, 6 S.C.R. 368 (1964) (Mitter J.). 51 H. M. Seervai, op. cit. fn. 48, p. 580. 52 Lisa C. Anthony / Vincent E. Harris / Peter J. Pashley, ‘Predictive Validity of the LSAT: A National Summary of the 1995 – 1996 Correlation Studies’, Law School Admissions Council LSAT Technical Report 97 – 0, 1999, p. 1. 53 6 SCC 697 (2003). 49 50
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Furthermore, the yawning gap between the rich and the poor imports disabilities and injustices, from which the poor suffer as a class when they cannot avail themselves of the opportunities which may in law be open to them. They do not have the social and material resources to avail these opportunities which are recognized by law but non-existent in fact.55 In such a situation one is often left wondering if the opportunity provided is real or illusory?56 On that note, an interesting remark by Krishna Iyer J. may be relevant: “Our examination system makes memory the master of merit and banishes creativity into exile”.57 Perhaps, this is the true picture of the entrance strategies devised for admission to institutions of higher education.
V. The Cause for Diversity in Higher Education Institutions In the previous parts I analyzed the role of group identities and multiple intelligences in conceptualizing merit. I take on from that point to appraise how evaluation of multiple intelligences can provide a new, non-arbitrary rubric for creating a talented and diverse class. In the last segment I make a case for creating and valuing diversity in higher educational institutions which is an “educational good” itself.58 It is important to note that, selection in higher education institutions is an opportunity to be strategically provided to a certain class an institution looks for in the candidates. Ronald Dworkin describes this as: Places in selective universities are not merit badges or prizes for some innate talent or for past performance or industry: they are opportunities that are properly offered to those who show the most promise of future contribution to goals the university rightfully seeks to advance.59
Besides this interest of the institutions, there is a compelling state interest of having diversity in the student body to enable persons from various backgrounds to find representation in that field.60 Understanding this relationship between provid54 William C. Kidder, The Rise of the Testocracy: An Essay on the LSAT, Conventional Wisdom, and the Dismantling of Diversity, 19 Tex. J. Women & L. 167, 187, 206 (2000). 55 Pradeep Jain v. Union of India, AIR SC 1420 (1984) (Bhagwati J.), pp. 1438 – 1439. 56 In this paper, I examine the content of the strategy which assesses merit for admission into institutions of higher education, not the access to higher education as such (even though the latter is relevant). 57 Akhil Bharatiya Soshit Karamchari Sangh (Railway) v. Union of India, 1 SSC 246 (1981). 58 Regents of University of California v. Allan Bakke, 438 US 265 (Powell J.). 59 Ronald Dworkin, The Court and the University, 72 U. Cin. L. Rev. 883, 887 (2004). 60 See John H. Bunzel, Special Issue: Education Law and Policy: The Diversity Dialogues In Higher Education, 29 Fordham Urb. L.J. 489 (1998).
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ing opportunity to individuals and therefore achieving diversity in the student body will enable us to devise a strong higher educational system which is both creditable by itself and also for the people of the country. One of the fundamental aims of colleges and universities is to provide an environment for teaching and learning. It is argued that they can best achieve this goal with a diverse student body, whose mix of values and experiences creates the fertile friction for learning and scholarship.61 Since the consideration of diversity not only recognizes differences in ethnicity, race, gender, age, sexual orientation, cultural and socio-economic background, but also diverse learning styles, forms of intelligence, previous experiences, levels of preparation for learning, external environments, values, and goals62; it provides us with an invaluable basis for human interaction and learning. The argument that diversity of experience and values is an “educational good” often begins by emphasizing the importance of the interactions students have both in and outside of the classroom. Patricia Gurin, who extensively studied the conditions of diversifying student body, showed that students educated in diverse classrooms learn to think in deeper and more complex ways, and are better prepared to become active participants in a pluralistic, democratic society.63 The effects of creating a diverse student body are far more pronounced in a residential college where the interactions are constant and intense.64 Furthermore, the strength of the argument in favour of diversity is dependent on the kind of discipline or profession in question.65 Researchers are increasingly highlighting the role of diversity in institutions imparting legal education.66 This is due to the growing concern over the range of intellectual capacities – generally tested and valued through entrance examinations – which are constantly growing narrower than the range needed to do the work of lawyers.67 61 See Anna L. Green et al., The Use of Multiple Intelligences to Enhance Team Productivity, 43 Mgmt. Decision 349 (2005). 62 See Paula Lustbader, op. cit. fn. 38. 63 Patricia Gurin et al., Diversity and Higher Education: Theory and Impact on Educational Outcomes, Harv. Educ. Rev. 72, 3, 332 – 366 (2002). 64 The opportunity to eat, speak and live with others from different backgrounds can be an educational experience in its own right, quite apart from what students learn in the classroom. See Anthony T. Kronman, Is Diversity a Value in American Higher Education?, 52 Fla. L. Rev. 861 (2000). 65 Diversity quotient is most relevant in the so-called “human sciences” disciplines like history, anthropology, sociology, literature and law, which are closely associated with aspects of the human world we inhabit; while in “natural sciences” the interest in diversity is less evident. 66 See Expert Report: The Compelling Need for Diversity in Higher Education, 5 Mich. J. Race & L. 241 (1999). 67 Peggy Cooper Davis, Working Paper on Multiple Intelligences. accessed 9 January 2009.
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In the realm of law school education, a diversified student body helps fulfil two goals. First goal is the deepening and refinement of each student’s capacity for intellectual, moral and aesthetic engagement as a lawyer (personal goal). Second goal is the preparation for responsible participation in the public life of his or her community and the country (political goal). It is reasonable to think that diversity of experience and values promotes both.68 While the first goal is personal and inward looking, the second goal is more outward looking and communitarian. The second political goal is more important in poverty discourse as it would initiate in preparing well-qualified men and women responsible for participation in the lives of their communities and at the same time devoted to the principles of democratic life. Also, since law school is a ground for legal learning and practice, “it cannot be effective in isolation from the individuals and institutions with which the law interacts.”69 What is important for students of all disciplines and law students in particular is to come closer to the realities of different kinds of groups in India which face discrimination and threat to their daily existence. The reality of the impoverished is one such area which needs to be observed more closely especially in educational institutions to concentrate on issues of poverty with more commitment.70 Moreover, students whose concerns, interests, and practiced ways of life have been hitherto neglected will feel less alienated, perform better across the range of cognitive activities, and develop a positive sense of their professional role.71 The law school thus becomes a learning experience for students from all backgrounds to understand the reality of group identities in India. Lastly, we must realize that respecting diversity in its myriad forms does not require lowering of standards or compromising quality of profession; it requires us to expand our definition of excellence to include a more comprehensive range of skills and abilities.72
68 Ronald Dworkin, The Bakke Decision: Did it Decide Anything?, N.Y. Rev. Books, 17 August 1978, p. 20. 69 Sweatt v. Painter, 339 U.S. 629 (1950). 70 See Anthony T. Kronman, Is Diversity A Value In American Higher Education?, 52 Fla. L. Rev. 861 (2000). 71 See Kirsten A. Dauphinais, op. cit. fn. 25. 72 The ever-so-emotive reservation debate is often addressed from this standpoint to eliminate much of the problem in viewing broader selection criteria not as “affirmative action” but, instead, as a way to recognize the limitations of the traditional indicators and recognizing another set intelligences and abilities. See Linda F. Wightman, The Threat to Diversity in Legal Education: An Empirical Analysis of the Consequences of Abandoning Race as a Factor in Law School Admission Decisions, 72 N.Y.U. L. Rev. 1, 53 (1997).
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VI. Conclusion The significance of revisiting the contours of merit is to find out the limitations in the present understanding of merit which doesn’t incorporate the variety of human intelligences within its scope. The standardized admission tests which are based on such a restrictive meritorian principle, fail to afford practical choices to individuals and groups to participate in higher education. We thereby create an environment of intellectual bigotry and limit the diversity in student body entering the higher education institutions. While our higher education policy was destined “to endeavour to relate to the life, needs and aspirations of the people . . . and to achieve social and national integration”73, the notion of individual merit as understood in the present context deceives all such promises. The policy in principle echoed the goals of higher education as promoting greater and equal access.74 It is difficult to affirm that a constrained conceptualization of merit and intelligence captures the value in such goals. Even though in India higher education is considered to be more available and subsidized by the government than primary and secondary education,75 there is persistent educational inequity due to the shrinking opportunities in all sectors.76 If we aim at enabling a fifth of the students to go to colleges as compared to one-tenth now,77 we must consider the alternative paradigms of individual merit in terms of “multiple intelligences,” recognising the relationship between group identities and individual achievements and the inadequacies in standardized testing. We need a higher education system which reflects upon such indicators of merit and thus, responds effectively to the challenges of guaranteeing equality and fair opportunity.78 73 University Education Commission of 1948 – 49 (popularly known as Radhakrishnan Commission). 74 Sukhadeo Thorat, Nehru Memorial Lecture on ‘Higher Education in India Emerging Issues Related to Access, Inclusiveness and Quality’ at University of Mumbai, 24 November 2006. 75 Jean Dreze / Amartya Sen, India: Economic Development and Social Opportunity, Delhi: Oxford University Press, 1995. Also see Department of Higher Education-Ministry of Human Resource Development Website which declares that “India has one of the largest Higher Education System in the world”. accessed April 2009. 76 Satyabrata Rai Chowduri, op. cit. fn. 8. 77 India has more than 100 million people in the 18 – 24 yrs age group. Only 10% of these have access to higher education according to the Department of Higher Education-Ministry of Human Resource Development. accessed 19 June 2009. 78 V. C. Kulandaiswamy, ‘Reconstruction of Higher Education in India’, The Hindu, 18 May 2005. accessed 12 April 2010.
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Zusammenfassung Der Aufsatz untersucht den Zugang zu höherer Bildung in Indien, indem die Konturen der „individuellen Eignung [individual merit]“ hinterfragt werden. Das wesentliche Argument dabei ist, dass durch den Ausschluss bestimmter Arten von Intelligenz aus dem Kreis dessen, was als „lobenswert“ angesehen wird, Individuen und Gruppen davon ausgeschlossen werden, effektiv an höherer Bildung teilzuhaben. Es wird zudem untersucht, ob das konzeptuelle Paradigma der „Eignung“ innerhalb seiner Reichweite auch bestimmte Gruppencharakterista beinhaltet, die im Profil eines Bewerbers an einer höheren Bildungseinrichtung besonders relevant werden. Indem der Gedanke der „Eignung“ standardisiert wird, wird die verfassungsmäßige Gewährleistung, die Chancengleichheit aller Bürger auszubauen und zu verstärken, faktisch, wenn nicht gar rechtlich, ausgehöhlt. Es ist daher sinnvoll, das Konzept von „Eignung“ neu zu definieren, um so Vielfalt unter den Studenten zu unterstützen, was für sich genommen schon ein Bildungsgut ist. Zwingend ist dabei, „multiple Intelligenzen“ als relevant anzusehen, wenn es um Zugangs- und Auswahlmethoden an höheren Bildungseinrichtungen geht.
Zur Verwendbarkeit der Modallogik im Bürgerlichen Recht – Überlegungen am Beispiel der Auslegung von § 118 BGB Krzysztof Mularski I. Gegenstand und Ziel der Untersuchung Der vorliegende Beitrag untersucht die Möglichkeit, die Modallogik für die Analyse eines dogmatischen Problems im Bürgerlichen Recht fruchtbar zu machen. In Anlehnung an Descartes wird dabei davon ausgegangen, dass es besser ist, ein einzelnes Problem intensiv zu untersuchen als mehrere oberflächlich und hierbei gegebenenfalls etwas zu übersehen.1 Mehr noch, die Untersuchung einzelner Thesen in Rechtsprechung und Rechtslehre zu verschiedenen, miteinander nicht verbundenen Problemen könnte bestenfalls etwas über diese Einzelheiten besagen, nicht jedoch allgemeingültige Aussagen treffen. Gegenstand der vorliegenden Arbeit sind daher lediglich ausgewählte Auffassungen von Rechtslehre und Rechtsprechung zu den sogenannten Scherzerklärungen i. S. d. § 118 BGB. Die Vorschrift des § 118 BGB findet (mit der Rechtsfolge der Nichtigkeit der Erklärung) nur dann Anwendung, wenn „eine nicht ernstlich gemeinte Willenserklärung“ „in der Erwartung abgegeben wird, der Mangel der Ernstlichkeit werde nicht verkannt werden“. Rechtslehre und Rechtsprechung beschreiben deshalb die Situation nicht nur aus der Perspektive des Erklärenden, sondern auch aus der des Empfängers einer solchen Willenserklärung. Daher befassen sich die unterschiedlichen Rechtsansichten vor allem auch mit dem Erkennen durch den Erklärungsempfänger, dass es der anderen Partei an der Absicht mangelt, Rechtswirkungen hervorzurufen. Diese Ansichten kann man nun mit Hilfe der sogenannten Modaloperatoren systematisch aufbereiten. So wird etwa formuliert, dass der Erklärungsempfänger einen solchen Mangel erkennen „muss“ oder erkennen „kann“; und da die Modallogik sich unter anderem gerade mit solchen Operatoren befasst, liefern § 118 BGB und seine Interpretationen in der Rechtswissenschaft ein geeignetes Analysematerial für den hier verfolgten Ansatz. Dies wird noch dadurch verstärkt, dass die zu § 118 BGB vertretenen Rechtsansichten, die sich auf die Modalcharakteristik des Erkennens durch den Erklärungsempfänger im Hinblick auf den Man1
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gel an Absicht des Erklärenden, Rechtswirkungen herbeizuführen (im Folgenden kurz: „Rechtswirkungsabsicht“), erheblich voneinander abweichen. Mehr noch, sie widersprechen sich sogar in einigen Fällen, aus Gründen, die jedoch in Rechtsprechung und Lehre selten explizit gemacht werden. Solche „modalen“ Unstimmigkeiten scheinen aber eine Quelle auch für viele andere Unstimmigkeiten zu sein, die auch weitergehende Probleme des § 118 BGB betreffen. So hängt z. B. die Antwort auf die Frage, ob „spöttische Erklärungen“ immer oder nur unter bestimmten Umständen unter § 118 BGB fallen, davon ab, ob der Erklärungsempfänger die fehlende Absicht des Erklärenden erkennen kann oder erkennen muss, oder ob er die fehlende Absicht des Erklärenden, Rechtswirkungen herbeizuführen, nicht erkennen kann oder zumindest einen solchen Mangel der Absicht nicht erkennen muss.2 Darüber hinaus wird auch die Beantwortung weitergehender Fragen zu § 118 BGB erschwert oder sogar unmöglich gemacht, zum Beispiel ob § 118 BGB eine gegen den Gedanken des Verkehrsschutzes verstoßende systemwidrige Ausnahmevorschrift ist3 oder eine keineswegs systemwidrige Kompromisslösung.4 Die Anwendung der Modallogik verspricht hier mehr Klarheit zu schaffen. Aus der Menge aller in Bezug auf Scherzerklärungen i. S. d. § 118 BGB aufgestellten Thesen werden im Folgenden nur diejenigen näher untersucht, die: a) das Erkennen einer Scherzerklärung der anderen Partei modal beschreiben und zugleich b) ein Auslegungsergebnis zu § 118 BGB liefern. Offenkundig beschränkt die Voraussetzung a) die Analyse auf Thesen, die Modalaussagen verwenden. Die Voraussetzung b) ist in philosophischen Prinzipien begründet, die eine Differenz zwischen einer Handlung und dem Ergebnis dieser Handlung annehmen. Dies bedeutet hier, dass zwischen einer pragmatischen Auslegung des Rechts (hier von § 118 BGB) als eines Prozesses (vereinfacht formuliert: als eines Prozesses des Verstehens des Gesetzestextes) einerseits und einer nicht pragmatischen Auslegung des Rechts als Ergebnis eines Prozesses, also als eines Ergebnisses der Auslegung eines Gesetzestextes, andererseits unterschieden wird.5 Die Voraussetzung b) schließt damit bereits solche Thesen aus, die sich z. B. 2 Für ersteres Kohlhammer-Kommentar / Hefermehl, 12. Auflage (1987), S. 710, für letzteres Erman / Palm BGB, 12. Auflage (2008), S. 279; Medicus, BGB AT 9. Auflage (2006), S. 235. Es kommt sogar vor, dass sich einander widersprechende Meinungen auf einer und derselben Seite eines Kommentars oder Aufsatzes finden, siehe Prütting / Ahrens BGB 3. Auflage (2008) S. 109 („Neben Scherzen und Lehrbeispielen wird auch das misslungene Scheingeschäft von § 118 erfasst [ . . . ]“ und „Der objektive Erklärungstatbestand [der erfüllt sein muss, um einen Sachverhalt unter § 118 zu subsumieren] fehlt, wenn zu Ausbildungszwecken ein Beispiel gegeben wird“). 3 So Palandt / Ellenberger, BGB 68. Auflage (2009), S. 89; ähnlich MüKo / Kramer BGB 4. Auflage (2004), S. 1323; Weiler, NJW 1995, S. 2608; Larenz / Wolf, AT des deutschen Bürgerlichen Rechts, 9. Auflage (2004), S. 645. 4 Singer / Staudinger BGB 13. Auflage (2004), S. 489.
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methodologisch auf die Reihenfolge oder den Kontext der Gesetzesinterpretation beziehen oder die Schlussfolgerungen de lege ferenda präsentieren usw.
II. Zur Methode der Untersuchung Um die Methode der Untersuchung näher darzustellen, ist zunächst zu klären, was Modallogik an sich ist. Danach wird zu erläutern sein, in welchem Bereich und auf welche Art und Weise die Modallogik hier angewendet wird. Die Modallogik beschäftigt sich (vereinfacht formuliert) mit der Analyse bestimmter Aussagen. Diese Aussagen haben ein Schema, das man durch Zeichen wie „MOp“ darstellen kann. In diesem Schema symbolisiert „MO“ den sogenannten Modaloperator. Es gibt zwei Arten von Modaloperatoren, zum einen den Möglichkeitsoperator („möglich, dass. . .“) und zum anderen den Notwendigkeitsoperator („notwendig, dass. . .“); „p“ ist dabei ein beliebiger Satz im logischen Sinne.6 Die Modallogik umfasst verschiedene, oft höchst komplizierte Systeme, die auf unterschiedlichen Axiomen basieren und häufig von verschiedenen Beweisregeln und Junktoren ausgehen. Vereinfacht kann man jedoch sagen, dass die Grundlage der Modallogik das sogenannte modallogische Quadrat ist. Dieses modallogische Quadrat beschreibt die Relationen zwischen dem, was unbedingt sein muss, dem was nicht unbedingt sein muss, dem was unbedingt nicht sein muss, und dem, was nicht unbedingt nicht sein muss. Diese Sätze kann man auch mit Hilfe nur eines einzigen Modaloperators und der Negation formulieren. So ist zum Beispiel „[es ist] notwendig, dass p“ äquivalent mit „[es ist] nicht möglich, dass nicht p“.7 Dies führt zu der nachfolgend wiedergegebenen Abbildung eines modallogischen Quadrats:
5 Vgl. K. Twardowski, Actions and products [in:] On actions, products and other topics in philosophy, Amsterdam 1999, S. 103 ff.; J. Wolen´ski, Logic and Philosophy in the Lvov-Warsaw School, Dordrecht-Boston-Lancaster, 1989, passim. 6 Vgl G. E Hughes / M. J. Cresswell, Einführung in die Modallogik, De Gruyter 1978, passim. 7 G. W. Leibniz, Elementa iuris naturalis [in:] Sämtliche Schriften und Briefe, Bd 1, Darmstadt 1930, S. 465 ff. (Dazu vgl. M.-T. Liske, Leibniz’ Freiheitslehre. Die logisch-metaphysischen Voraussetzungen von Leibniz’ Freiheitstheorie, Hamburg 1993, S. 137 ff.); aus der neueren Literatur vgl. Z. Ziembin´ski, Practical logic, Boston-Dordrecht-Warsaw 1976, S. 153; Seiffert / Radnitzky, Handlexikon zur Wissenschaftstheorie, München, S. 216 ff.; J. C. Joer-
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In diesem Schema bedeutet „◊“„es ist möglich, dass . . .“; „&“ bedeutet „es ist notwendig dass . . .“; „¬” bedeutet eine Negation (also „nicht“).8 Wichtig ist, dass zwischen (1) und (4) und zwischen (2) und (3) jeweils ein kontradiktorischer Gegensatz besteht. Das bedeutet: Wenn (1) wahr ist, ist (4) falsch, und umgekehrt. Dasselbe gilt für das Verhältnis zwischen (2) und (3). Die im vorliegenden Beitrag durchgeführten Analysen beruhen nahezu alle auf diesen grundsätzlich unstrittigen Thesen zum modallogischen Quadrat. Auf kompliziertere Formalisierungen wird hier nicht zurückgegriffen.9 Da es, vereinfacht gesagt, die Aufgabe der Rechtsdogmatik ist, einen Rechtstext verständlich zu machen, könnten kompliziertere Formalisierungen dieser Verständlichkeit eher entgegenstehen. Vor der Anwendung eines bestimmten formalen Systems sollte daher stets zunächst untersucht werden, inwieweit es der diesem System zugrundeliegenden Thesen überhaupt bedarf. Oben wurden als Gegenstand der Untersuchung diejenigen Auslegungsergebnisse zu § 118 BGB bezeichnet, die das Erkennen einer Scherzerklärung durch die andere Partei modal beschreiben. Diese Aussagen können nun entsprechend der Ausdrucksweise in der Modallogik durch das Symbol „MOp“ gekennzeichnet werden. „MO“ steht dabei für irgendeine Modalität (z. B. „kann sein“ oder „muss sein“). Demgegenüber repräsentiert „p“ einen Aussagesatz über das Erkennen des Erklärungsempfängers, dass eine Scherzerklärung abgegeben wurde. Diese Aussagesätze bilden ihrerseits eine Menge, die durch die Zeichenfolge {MOp1, . . . , MOpn} gekennzeichnet werden kann. Um diese Menge zu analysieren, wird sie zunächst in vier Teilmengen unterteilt. Grundlage dieser Unterteilung ist die jeweilige Modalinterpretation des Satzes p. Eine zulässige „Modalinterpretation“ des Satzes p ist dabei jede der im Rahmen des modallogischen Quadrats vorkommenden Aussagen. Im Anschluss an die Bildung der Teilmengen werden die hier relevanten Thesen in Rechtsprechung und Lehre zu § 118 BGB diesen Teilmengen zugeordnet. Die Zuordnung richtet sich danach, ob die jeweilige These für die Anwendbarkeit des § 118 BGB fordert, dass: a) die andere Partei unbedingt verkennen musste, dass die Erklärung ohne Rechtswirkungsabsicht abgegeben wurde („&¬p“); b) die andere Partei nicht unbedingt erkennen musste, dass die Willenserklärung ohne Rechtswirkungsabsicht abgegeben wurde („¬& p“); c) die andere Partei unbedingt erkennen musste, dass die Erklärung ohne Rechtswirkungsabsicht abgegeben wurde („& p“); oder ob den, Logik im Recht. Grundlagen und Anwendungsbeispiele, 2. Aufl., Heidelberg 2010, S. 199 ff. 8 Weiterführend z. B. U. Meixner, Modalität. Möglichkeit, Notwendigkeit, Essenzialismus, Frankfurt a. M. 2008, S. 12 ff. 9 Zu solchen Systemen vgl. z. B. G. E. Hughes / M. J. Cresswell, Einführung in die Modallogik, De Gruyter 1978, passim.
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d) die andere Partei nicht unbedingt verkennen musste, dass die Erklärung ohne Rechtswirkungsabsicht abgegeben wurde („¬&¬p“). Die Teilmengen wurden mit Hilfe des Notwendigkeitsoperators und der Negation gebildet. Den Teilmengen werden dabei sowohl solche Aussagen zugerechnet, die lediglich den Notwendigkeitsoperator verwenden, als auch solche Aussagen, die korrespondierende Möglichkeitsoperatoren enthalten. Denn diese Formen der Aussagen sind, wie oben im Kontext der Darstellung des modallogischen Quadrats hervorgehoben wurde, bei entsprechender Verwendung der Negation in einander überführbar. Die obigen Sätze a) bis d) werden daher durch eine [semantische] Definition der Modaloperatoren „möglich p“ und „notwendig p“ präzisiert. Diese Operatoren sind jedoch ihrerseits mehrdeutig. Fehlte eine genaue Definition, hätte dies auch die Mehrdeutigkeit der Thesen zu § 118 BGB und deren weiterer Analyse zur Folge. Für die vorliegende Arbeit soll daher die sogenannte dynamische (kinetische) Interpretation der Modaloperatoren verwendet werden. Bei ihr werden die Operatoren zu den Naturgesetzen in Beziehung gesetzt. Demzufolge bedeutet die Aussage „möglich p“, dass die bekannten Naturgesetze es nicht ausschließen, dass p eintreten könnte. So ist es zum Beispiel möglich, dass es im Mai schneit. Zwar ist dies in Mitteleuropa recht unwahrscheinlich, doch gibt es kein Naturgesetz, das diese Möglichkeit ausschließt. Ebenso ist es in diesem Sinne möglich, dass ein Student, der während seines Studiums sehr gute Noten bekommen hat, seine Diplomarbeit nicht erfolgreich verteidigt. Dies ist zwar ebenfalls wenig wahrscheinlich, es ist aber nicht ausgeschlossen. Demgegenüber bedeutet „notwendig p“, dass es aufgrund der bekannten Naturgesetze ausgeschlossen ist, dass p nicht eintritt. So ist nach dem Archimedischen Prinzip die Auftriebskraft eines Körpers in einem Medium notwendigerweise genauso groß wie das Gewicht des von dem Körper verdrängten Mediums.10 Schließlich muss noch präzisiert werden, was genau mit „p“ gemeint ist. Im vorliegenden Beitrag soll „p“ wie folgt verstanden werden: „Das Rechtssubjekt R2, dem gegenüber das Rechtssubjekt R1 eine von ihm nicht ernst gemeinte Willenserklärung in der Erwartung abgegeben hat, dass der Mangel an Ernsthaftigkeit erkannt wird, hat erkannt, dass die Willenserklärung in der Erwartung abgegeben wurde, dass der Mangel an Ernsthaftigkeit erkannt wird“. Oder kürzer gefasst: „R2 hat erkannt, dass die an ihn gerichtete Willenserklärung nicht mit der Absicht abgegeben wurde, Rechtswirkungen hervorzurufen“. Eine Grundannahme der vorliegenden Untersuchung ist dabei die These, dass das Auslegungsergebnis einer bestimmten Gesetzesvorschrift nicht zu den oben genannten Definitionen der Operatoren „möglich, dass . . .“ und „notwendig, 10 Zu den verschiedenen Bedeutungen der Modaloperatoren vgl. insbesondere: Z. Ziembin ´ski, Practical logic, Boston-Dordrecht-Warsaw 1976, S. 146 ff.; ausführlicher U. Wolff, Möglichkeit und Notwendigkeit bei Aristoteles und heute, München 1979, insb. S. 393 ff.; siehe auch U. Meixner, Modalität . . . , op. cit., S. 14 ff.; 41 ff. („naturgesetzliche Notwendigkeit“).
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dass . . .“ in Widerspruch stehen darf. Denn ein solcher Widerspruch würde das Auslegungsergebnis disqualifizieren. Die Erfüllung dieser Voraussetzung schließt allerdings nicht die Notwendigkeit einer weiteren Analyse des Auslegungsergebnisses aus; denn dieses kann zu anderen Widersprüchen innerhalb des Rechtssystems führen, insbesondere zu Widersprüchen mit anderen Rechtsnormen (als § 118 BGB). So muss man davon ausgehen, dass die Gesamtheit der Rechtsnormen nicht in sich widersprüchlich ist; nur dann kann überhaupt von einem Rechts-“System“ die Rede sein.11
III. In Literatur und Rechtsprechung vorgeschlagene Auslegungsergebnisse zu § 118 BGB Nachfolgend werden die derzeit zur Auslegung von § 118 BGB vorgeschlagenen Thesen dargestellt. Dabei werden diese Thesen den unter II. festgelegten Teilmengen zugeordnet. 1. Die starke subjektivistische These („& ¬p“) Nach einer der am häufigsten in Literatur und Rechtsprechung zu § 118 BGB vertretenen Ansichten ist es eine Anwendungsvoraussetzung der Norm, dass der Erklärungsempfänger nicht erkennen konnte, dass die Willenserklärung ohne Rechtswirkungsabsicht abgegeben wurde.12 Das kann man als „¬◊p“ darstellen; „¬◊p“ ist mit „& ¬p“ äquivalent. Bestünde also für den Erklärungsempfänger irgendeine Möglichkeit, von der inneren Einstellung des Erklärenden Kenntnis zu erlangen, wäre die Anwendbarkeit dieser Vorschrift nach dieser Ansicht ausgeschlossen. Eine solche Interpretation der Vorschrift des § 118 BGB kann als „starke subjektivistische These“ bezeichnet werden. „Subjektivistisch“ ist die These, da die Anwendbarkeit des § 118 BGB von dem Kenntnisstand des Erklärenden abhängt. Entsprechend der kinetischen Interpretation der Modaloperatoren hat der Erklärungsempfänger nur dann keine Möglichkeit, die mangelnde Rechtswirkungsabsicht zu erkennen, wenn diese Absicht in keiner Weise nach außen erklärt wurde. Nur in einem solchen Fall ist es durch die Naturgesetze ausgeschlossen, die Absicht des Erklärenden zu erkennen.13 „Stark“ ist die These, da man aus ihr eine schwächere These (dazu gleich unter 2.) logisch ableiten kann – allerdings nicht umgekehrt. 11 Vgl. z. B. H. Kelsen, Reine Rechtslehre. Einleitung in die Rechtswissenschaftliche Problematik, Leipzig-Wien 1934, S. 135 ff. 12 Sowohl Singer / Staudinger, BGB (2004), S. 487, 491; Preuß, JA 2002, S. 818; Bork, BGB AT 2. Auflage (2006) S. 306; Larenz / Wolf, BGB AT 9. Auflage (2004), S. 646. 13 Hier sei von der zurzeit nur theoretischen Möglichkeit abgesehen, die Gedanken eines anderen (etwa mit technischen Geräten) zu lesen.
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Zunächst ist festzuhalten, dass die starke subjektivistische These in sich kohärent ist. Ein Widerspruch zu den Definitionen der Modaloperatoren liegt nicht vor. Doch führt sie zu Widersprüchen mit anderen Rechtsnormen. Konflikte entstehen insbesondere mit den Vorschriften des Beweisverfahrens.14 Denn die These setzt voraus, dass die Absicht des Erklärenden, keine Rechtswirkungen hervorzurufen, in keiner Weise nach außen erklärt wurde. Daraus ergibt sich, dass das Erkennen mangelnder Rechtswirkungsabsicht nicht nur für den Erklärungsempfänger, sondern auch für jedes andere Rechtssubjekt unmöglich sein muss. Die Rechtsnormen des Beweisverfahrens verpflichten jedoch allgemein (und damit auch im Kontext des § 118 BGB) denjenigen zum Beweis bestimmter Tatsachen, der aus dem Vorliegen dieser Tatsachen einen (rechtlichen) Vorteil ziehen will.15 Dabei kann nur eine Tatsache bewiesen werden, die auch sinnlich wahrnehmbar ist.16 Folgt man jedoch konsequent den Vorgaben der starken subjektivistischen These, würde § 118 BGB nur dann zur Anwendung gelangen können, wenn keine sinnlich wahrnehmbaren Tatsachen vorliegen. Damit § 118 BGB aber im Prozess überhaupt erst zur Geltung gebracht werden kann, müsste zunächst das Vorliegen einer solchen sinnlich nicht wahrnehmbaren Tatsache nach den Vorschriften des Beweisverfahrens bewiesen werden. Damit verlangen die Vertreter der starken subjektivistischen These, etwas zu beweisen, was gar nicht bewiesen werden kann. Dies aber bedeutet in der Konsequenz zumindest einen praxeologischen Widerspruch. § 118 BGB müsste bei Zugrundelegung einer solchen Auslegung als „Sisyphos-Norm“17 bezeichnet werden. Abgesehen von diesen Beweisschwierigkeiten führt die starke subjektivistische These auch zu Widersprüchen mit § 242 BGB, insbesondere hinsichtlich der aus § 242 BGB abzuleitenden Regel „protestatio contra facta propria non valet“18. Nach dieser Regel darf man sich nicht in Widerspruch zu seinem eigenen vorherigen Handeln setzen. Für die hier interessante Konstellation darf man sich also nicht auf einen inneren Vorgang berufen, wenn dieser mit dem zuvor nach außen gezeigten Tun nicht übereinstimmt. Will man sich jedoch entsprechend der starken subjektivistischen These auf § 118 BGB berufen, so muss man auf innere Vorgänge verweisen, die im Widerspruch zu dem nach außen Gezeigten stehen. Dies aber ist gerade nach der „protestatio contra facta propria“-Regel nicht zulässig. Da beide 14 Die das Beweisverfahren betreffenden Normen müssen streng von den Vorschriften des materiellen Rechts unterschieden werden. Gleichwohl stellen sie ebenfalls Elemente der Menge aller Rechtsnormen dar, die – damit sie als ein „System“ bezeichnet werden kann – widerspruchsfrei sein muss. 15 So etwa Prütting / Ahrens 3. Auflage (2008) S. 109; Erman / Palm 12. Auflage (2008), S. 279 Fn 5; Staudinger / Singer (2004), S. 487. Ähnlich auch schon Mugdan, Materialien Bd 1 (1979), S. 459 ff. 16 Vgl. etwa Tscherwinka, NJW 1995, S. 309. 17 Vgl. G. H. von Wright, Norm and Action, London 1963, S. 147. 18 In Bezug auf § 118 BGB dazu Kohlhammer-Kommentar / Hefermehl, 12. Auflage (1987), S. 711; Hefermehl, NJW 2000, S. 3128.
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Normen durch ein und denselben Rechtsakt erlassen wurden, ist auch nicht anzunehmen, dass § 118 BGB von § 242 BGB verdrängt wird; ein lex superior-lex inferior-Verhältnis zwischen diesen Normen liegt nicht vor. Die starke subjektivistische These führt somit im Ergebnis zu formalen Widersprüchen mit anderen Rechtsnormen. Hervorzuheben ist, dass diese Widersprüche auch nicht etwa mit dem Verhältnis von § 138 I BGB zu anderen Rechtsvorschriften vergleichbar ist. Nach § 138 BGB sind solche Rechtsgeschäfte nichtig, die gegen die guten Sitten verstoßen. Damit kann es vorkommen, dass § 138 BGB es verbietet, bestimmte Rechte auszuüben, deren Ausübung jemandem durch andere Rechtsnormen erlaubt wird. § 138 BGB tritt somit durchaus in diesem Sinne in einen Widerspruch zu anderen Rechtsnormen. Nach dieser Norm können jedoch zum einen subjektive Rechte aus allen möglichen Rechtsnormen zunichte gemacht werden (und nicht nur die Willenserklärung, wie sie von § 118 BGB im Sinne der starken subjektivistischen These für nichtig erklärt wird). Zum anderen verbietet § 138 I BGB die Wahrnehmung dieser Rechte nur unter der Voraussetzung eines Verstoßes gegen die guten Sitten – und nicht stets, wie im Fall des § 118 BGB. Schließlich würde die starke subjektivistische These dazu führen, dass der Vorbehalt nach § 118 BGB nicht mehr von dem des § 116 BGB zu unterscheiden wäre.19 In den Fällen des § 116 BGB geht es um den insgeheimen Vorbehalt, dass eine abgegebene Willenserklärung keine Rechtswirkungen hervorrufen soll. Bei § 118 BGB hingegen will eine Person nach der starken subjektivistischen These (möglicherweise auch insgeheim) nicht, dass ihre Willlenserklärung Rechtswirkungen hervorruft, da sie nicht ernst gemeint ist. Der Inhalt einer solchen Erklärung ließe sich daher an sich auch unter § 116 BGB fassen. Dies könnte zwei alternative Folgen haben. So könnte es dazu führen, dass § 118 BGB im Verhältnis zu § 116 BGB ein gesetzliches superfluum wird. Alternativ kommt es zu Problemen bei der Feststellung der Anwendbarkeit dieser Normen. Bestimmen nämlich zwei Normen unterschiedliche Rechtsfolgen, liegen aber nicht voneinander unterscheidbare Tatbestandsvoraussetzungen vor, so ist es den Gerichten überlassen, über die jeweiligen Anwendbarkeitsvoraussetzungen zu entscheiden – ohne dass sie jedoch dafür Anhaltspunkte hätten. Dies würde schließlich zu einer willkürlichen Rechtsprechung führen. Es wäre jedoch weder akzeptabel, § 118 BGB zu einer Leerstelle werden zu lassen, noch wäre es akzeptabel, der Rechtsprechung die Entscheidung zwischen § 116 BGB und § 118 BGB mit der Gefahr willkürlicher Anwendung zu überlassen. 19 Zutreffend Schmidt / Staudinger 13. Auflage (1995), § 242 Rn 364; ablehnend Singer / Staudinger BGB 13. Auflage (2004), S. 488. Die Ähnlichkeit zwischen den Vorbehalten aus § 118 und § 116 BGB wird allgemein erkannt; vgl. Giesen, BGB AT 2. Auflage 1995, S. 98; Kohlhammer-Kommentar / Hefermehl, 12. Auflage (1987), S. 710; Bork, BGB AT 2. Auflage (2006), S. 306; Medicus, BGB AT 9. Auflage 2006, S. 236; Erman / Palm BGB 12. Auflage 2008, S. 279; Grziwotz, MDR 2000, S. 1310; Preuß, JA 2002, S. 818; Flume, AT des Bürgerlichen Rechts, 4. Auflage 1992, S. 413.
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Schließlich steht die starke subjektivistische These mit einigen verbreitet geteilten Rechtsansichten im Widerspruch. So wird beispielsweise angenommen, dass dem Erklärenden, sobald er feststellt, dass der Erklärungsempfänger die mangelnde Rechtswirkungsabsicht nicht erkannt hat, die Pflicht auferlegt ist, den Erklärungsempfänger umgehend über diesen Mangel in Kenntnis zu setzen.20 Hier wird es also zumindest für möglich gehalten, dass der Erklärungsempfänger die mangelnde Rechtswirkungsabsicht des Erklärenden erkennt. Dies wird jedenfalls deshalb für möglich gehalten, weil aus der Annahme einer solchen Informationspflicht und deren tatsächlichen Voraussetzungen geschlossen werden kann, dass zumindest hier der Erklärungsempfänger die Scherzerklärung als solche erkannt hat. Man geht demnach davon aus, dass zumindest die Möglichkeit besteht, dass der Mangel an Ernstlichkeit durch den Erklärungsempfänger erkannt wird. Dies aber steht im Widerspruch zu der starken subjektivistischen These. Schließlich scheint es so zu sein, dass der Erklärende nach der starken subjektivistischen These die Bedeutung seines Handelns gar nicht einzuschätzen weiß. Der Erklärende soll annehmen, dass der Erklärungsempfänger den Mangel der Rechtswirkungsabsicht erkennt.21 Diese Annahme ist aber nur dann begründet, wenn der Erklärungsempfänger irgendeinen Grund zu der Annahme hat, dass der Mangel der Absicht, Rechtswirkungen herbeizuführen, erkannt wird. Dabei nimmt die starke subjektivistische These jedoch an, dass es gerade keine Grundlage für das Erkennen des Absichtsmangels gibt. Angesichts dieser Überlegungen, muss die starke subjektivistische These im Ergebnis abgelehnt werden. 2. Die schwache subjektivistische These („¬ & p“) Nach der schwachen subjektivistischen These ist es nicht notwendig, dass der Erklärungsempfänger die fehlende Rechtswirkungsabsicht erkennt. Mit anderen Worten ist es möglich, dass der Erklärende die fehlende Rechtswirkungsabsicht nicht erkennt („◊¬p“)22. Die schwache subjektivistische These ist eine logische Ableitung aus der starken subjektivistischen These (weil „& ¬p ! ¬ & p“), wird jedoch als selbstständiger, unabhängiger Vorschlag zur Auslegung von § 118 BGB vertreten.23 20 Palandt / Ellenberger BGB 68. Auflage (2009), S. 89 ff., Prütting / Ahrens, BGB 3. Auflage (2008), S. 109; MüKo / Kramer BGB 4. Auflage (2004), S. 1325; Brox / Walker, BGB AT 32. Auflage (2008), S. 158; Grziwotz, MDR 2000 S. 1310. 21 Manchmal wird sogar unterstrichen, dass der Erklärende will, dass der Mangel der Absicht, Rechtswirkungen hervorzurufen, durch den Erklärungsempfänger erkannt wird; Mugdan, Materialien Bd 1 (1979), S. 459 ff.; Erman / Palm 12. Auflage (2008), S. 279; Preuß, JA 2002, S. 818. 22 Da: „¬&p $ ◊¬p“. – Vgl. L. Enneccerus, H. C. Nipperdey, AT Bürgerlichen Rechts, 15. Auflage 1960, S. 1025. 23 Vgl. Prütting / Ahrens BGB 3. Auflage (2008), S. 109; Flume, AT des Bürgerlichen Rechts. 4. Auflage (1992), S. 413; Erman / Palm 12. Auflage (2008), S. 279; Medicus, BGB AT 9. Auflage (2006), S. 233.
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Im Grunde besagt die schwache subjektivistische These nur das, was ohnehin schon den Definitionen der Modaloperatoren entnommen werden kann. Wenn der Eintritt eines Ereignisses keine Konsequenz eines Naturgesetzes ist, tritt dieses Ereignis nicht notwendigerweise ein. Da die These damit lediglich feststellt: „Wenn etwas nicht geschehen muss, dann muss es auch nicht geschehen“, beruht sie im Grunde auf einer Tautologie. Das Erkennen durch eine Person, dass eine andere Person eine Willenserklärung ohne Rechtswirkungsabsicht abgegeben hat, folgt keinem bekannten Naturgesetz. Es kann daher immer geschehen, dass der Erklärungsempfänger nicht erkennt, dass die Erklärung ohne Rechtswirkungsabsicht abgegeben wurde; auch wenn dies in manchen Situationen kaum wahrscheinlich ist. Zum Beispiel: Der Fan F der Mannschaft M1 macht sich in einer Kneipe über eine andere Person P lustig, da er sie für einen Fan der Mannschaft M2 hält. Kurz vor Ende des Spiels steht es 5:0 für M1. F verspricht P nun 1.000 Kisten Bier, wenn M2 gewinnt. Selbst in einer solchen Situation kann es vorkommen, dass der fussballunkundige P nicht erkennt, dass F keine Absicht hatte, Rechtswirkungen hervorzurufen. Gewinnt M2 nun unerwartet 6:5, mag P die Erfüllung des Versprechens verlangen. Die schwache subjektivistische These ist somit trivial und kann daher im Grunde als „Scheinauslegung“ bezeichnet werden. Jedenfalls ist das Auslegungsergebnis, aufgrund dessen ein bestimmtes Ereignis nicht eintreten muss, keine befriedigende Lösung zu § 118 BGB. Man weiß schon von vornherein, und zwar aufgrund der Bedeutung des Operators „nicht notwendig“, dass dieses Ereignis nicht eintreten muss. Ein trivialer Satz bleibt jedoch auch weiterhin ein wahrer Satz. Daher schließt auch die Annahme der Wahrheit der schwachen subjektivistischen These von Anfang an die Möglichkeit aus, dass eine in Widerspruch zu ihr stehende These wahr ist. 3. Die starke objektivistische These („&p“). Die Auslegungsergebnisse anderer Auffassungen zur Interpretation von § 118 BGB können mit der Bezeichnung „starke objektivistische These“ erfasst werden. „Stark“ ist diese These in dem Sinne, dass man aus ihr, wie auch aus der starken subjektivistischen These, eine andere, schwächere These logisch ableiten kann (dazu noch unter 4.). Umgekehrt jedoch kann der Rückschluss von der schwächeren auf die starke objektivistische These nicht gezogen werden. Für die Anwendbarkeit des § 118 BGB verlangen die Vertreter dieser These, dass der Erklärungsempfänger die mangelnde Rechtswirkungsabsicht erkennen muss („&p“).24 Mit anderen Worten darf es für die Anwendbarkeit des § 118 BGB daher nicht möglich sein, dass der Erklärungsempfänger den Mangel der Absicht, Rechtswirkungen herbeizuführen, nicht erkennt („¬◊¬p“)25. Voraussetzung für die Anwendbarkeit 24 Medicus, BGB AT 9. Auflage (2006), S. 236. Dagegen jedoch MüKo / Kramer BGB 4. Auflage, S. 1324.
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des § 118 BGB ist damit, dass der Erklärende mindestens ein für den Erklärungsempfänger erkennbares und damit „objektives“ Zeichen setzt. „Objektiv“ ist dieses Zeichen deshalb, weil es in die Außenwelt getreten ist. Zunächst ist allerdings festzuhalten, dass die starke objektivistische These im Widerspruch zur oben angenommenen Bedeutung des Notwendigkeitsoperators steht. Denn aus keinem Naturgesetz ergibt sich, dass ein Erklärungsempfänger den Absichtsmangel erkennen muss. Wie das oben genannte Beispiel der Fußballfans in einer Kneipe zeigt, kann es immer geschehen, dass der Erklärungsempfänger den Mangel der Rechtswirkungsabsicht nicht erkennt. Allein schon aufgrund dieser Feststellung erscheint die starke objektivistische These als nicht stichhaltig. Wie schon die starke subjektivistische These, führt auch die starke objektivistische These zudem zu einigen Widersprüchen und Unstimmigkeiten mit den übrigen Rechtsnormen des BGB. Dies wurde zum großen Teil auch schon in der einschlägigen Literatur angemerkt. So steht die starke objektivistische These im Widerspruch zu § 122 I BGB.26 Diese Vorschrift schreibt vor, unter anderem den Schaden zu ersetzen, den der Erklärungsempfänger dadurch erlitten hat, dass er die Scherzerklärung nicht als solche erkannt hat. In der Konsequenz würde eine Norm im System (§ 118 BGB) dann Anwendung finden, wenn der Mangel der Absicht erkannt wurde, und eine andere Norm (§ 122 I BGB) dann Anwendung finden, wenn dieser Mangel nicht erkannt wurde. Daraus folgt, dass eine der zueinander im Widerspruch stehenden Normen nie zur Anwendung käme. – Weiterhin entkräftet die Annahme der starken objektivistischen These die Bedeutung von § 118 BGB.27 Nach § 116 S. 2 BGB ist eine Willenserklärung nichtig, wenn der Erklärungsempfänger die mangelnde Rechtswirkungsabsicht erkannt hat. Auch nach der starken objektivistischen These muss der Erklärungsempfänger den Mangel der Rechtswirkungsabsicht erkannt haben. Nach der starken objektivistischen These hat § 118 BGB also die gleichen Tatbestandsvoraussetzungen wie § 116 S. 2 BGB. Wie bereits im Rahmen der starken subjektivistischen These festgestellt, wäre § 118 BGB somit auch bei Zugrundelegung der zuvor genannten Auslegung ein gesetzliches superfluum. Schließlich führt die Zugrundelegung der starken objektivistischen These auch dazu, dass alle Normen, die sich auf das Beweisverfahren beziehen,28 ihre Anwendbarkeit verlieren würden. Denn nach einem weiteren modallogischen Axiom ist alles das wirklich, das gegeben sein muss („& p ! p“). Es wäre also sinnlos, das Vorliegen einer Tatsache im Rahmen des § 118 BGB zu beweisen. Was sein muss, also ist, braucht nicht bewiesen zu werden. Weil gilt: „& p $ ¬◊¬p“. Vgl. MüKo / Kramer BGB 4. Auflage (2004), S. 1324 m. w. N. 27 So wohl Kohlhammer-Kommentar / Hefermehl, 12. Auflage (1987), S. 710. 28 Der Ausdruck „[die] Normen, die sich auf das Beweisverfahren beziehen“ ist zwar sehr vage, scheint aber für die Erfordernisse der hiesigen Analyse auszureichen. 25 26
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Im Ergebnis führt somit die modallogische Analyse der „starken objektivistischen These“ dazu, dass diese These als unschlüssig abzulehnen ist. 4. Die schwache objektivistische These („¬&¬p“). Zuletzt gibt es noch einen Auslegungsansatz zu § 118 BGB, der als „schwache objektivistische These“ bezeichnet werden kann. Nach dieser These muss die andere Partei nicht unbedingt erkennen, dass die Erklärung ohne Rechtswirkungsabsicht abgegeben wurde. Mit anderen Worten, der Erklärungsempfänger kann die Scherzerklärung als solche erkennen („◊p“)29. Anders als bei der schwachen subjektivistischen These kann man dieser These keine Trivialität unterstellen. Aus der Möglichkeit, dass der Erklärungsempfänger den wahren Inhalt der Erklärung erkennt, folgt eine positive Voraussetzung: In der jeweiligen Situation darf es nicht notwendigerweise ausgeschlossen sein, dass der Erklärungsempfänger den Rechtswirkungsmangel erkennt. Anknüpfend an die Feststellungen zur Analyse der starken subjektivistischen These konnte der Erklärungsempfänger den Mangel der Absicht nur dann erkennen, wenn dieser nach außen in Erscheinung getreten ist. IV. Schlussfolgerungen Aus den vorangehenden Überlegungen können zwei verschiedene Folgerungen gezogen werden. Zum einen kann eine Aussage darüber getroffen werden, inwieweit die grundlegenden Thesen der Modallogik für die Analyse einer mit § 118 BGB zusammenhängenden Problematik genutzt werden können und ob die so gewonnenen Erkenntnisse verwertbar sind. Sodann können aus diesen Ergebnissen weitere Folgerungen gezogen werden. Auch diese sollen im Folgenden noch einmal zusammengefasst werden. Von den in Rechtsprechung und Lehre vertretenen Auffassungen zur Auslegung des § 118 BGB haben sich zwei von vier denkbaren Ansätzen als unschlüssig herausgestellt. Aus formaler Sicht erfordert § 118 BGB nämlich sowohl die Möglichkeit, dass der Erklärungsempfänger den Mangel der Absicht des Erklärenden, Rechtswirkungen herbeizuführen, erkennt, als auch die Möglichkeit, dass er sie nicht erkennt („◊¬p ^ ◊p“)30. Mit anderen Worten ist sog. Kontingenz erforder29 So Grziwotz, MDR 2000, S. 1310; Medicus, BGB AT 9. Auflage (2006), S. 233; Pawlowski, BGB AT, 5. Auflage 1998, S. 215. Vgl. auch schon Danz, Auslegung der Rechtsgeschäfte, Jena 1897, S. 16 ff.; Mugdan, Materialien Bd 1 (1979), S. 459; Schmidt / Staudinger 13. Auflage (1995), § 242 Rn 364; Thiessen, NJW 2001, S. 3027. 30 Kontingenz als Auslegungsergebnis des § 118 BGB scheint in der Rechtslehre durchaus vertreten zu werden; so wohl Erman / Palm 12. Auflage (2008), S. 279 („Die Erwartung, die fehlende Ernstlichkeit werde erkannt (nicht verkannt) werden, muss nicht erkennbar geworden sein; der unerkannte Wille reicht aus“); Kohlhammer-Kommentar / Hefermehl, 12. Auflage (1987), S. 710.
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lich. Das erste Argument der Konjunktion („◊¬p ^ ◊p“) wurde oben als trivial angesehen. Das zweite Argument gibt den Rahmen der weiteren Auslegung des § 118 BGB vor, ohne aber das genaue Ergebnis dieser Auslegung vorwegzunehmen. Ziel des vorliegenden Beitrags war es, formale Grenzen für die Auslegung des § 118 BGB herauszuarbeiten. Dabei kann man feststellen, dass die Modallogik eine Möglichkeit eröffnet, strittige Probleme auf eine überprüfbare Weise zu lösen. Diese Lösung kann zugleich eine Grundlage für weitere Untersuchungen in der Zivilrechtslehre bilden. Im Verlaufe solcher Untersuchungen müsste festgestellt werden, was es genau bedeutet, dass „der Erklärungsempfänger erkennen kann, dass die Willenserklärung ohne Rechtswirkungsabsicht abgegeben wurde“. Es ist also zu fragen, was es heißen soll, dass der Erklärende den Mangel der Absicht, Rechtswirkungen herbeizuführen, „irgendwie geäußert“ hat. Wie dargestellt, ist die diesbezügliche Erkenntnismöglichkeit eine notwendige Bedingung für die Anwendbarkeit des § 118 BGB. Ob jedoch die abstrakte Erkenntnismöglichkeit auch hinreichende Bedingung für die Anwendbarkeit des § 118 BGB ist, oder ob es weiterer Elemente bedarf, bleibt der Zivilrechtslehre überlassen. Denkbar sind zum Beispiel als zusätzliche Elemente der Grad der Erkenntniswahrscheinlichkeit oder besondere Handlungen des Erklärenden. Schließlich kann man vermuten, dass die hier verwendete Methode grundsätzlich auf alle dogmatischen Probleme angewendet werden kann, bei deren Analyse Möglichkeits- und Notwendigkeitsoperatoren eingesetzt werden können. In der Zivilrechtslehre sind solche Operatoren durchaus nicht selten anzutreffen; mehr noch, der Gesetzgeber selbst nutzt Modaloperatoren in seinen Vorschriften. Jedenfalls können aller Wahrscheinlichkeit nach die grundlegenden Annahmen der Modallogik zur Aufdeckung oft übersehener Unterschiede in den Ansichten der Vertreter der Zivilrechtslehre verwendet werden. Die modallogische Analyse sollte es auch ermöglichen, widerstreitende Ansichten daraufhin zu untersuchen, ob sie nicht in sich widersprüchlich und daher von vornherein unzutreffend sind.
Summary This article analyzes § 118 of the German Civil Code (Bürgerliches Gesetzbuch – BGB) using the instruments held available by modal logic. With the aid of this analysis, the most important legal views on the interpretation of this rule are displayed systematically, and their ability of leading to a correct understanding of § 118 BGB are discussed. § 118 BGB reads as follows (translation by the editors): “A declaration of will that is not meant seriously [and] was given with the expectation that this lack of seriousness would not be misjudged is void.”
Rezension – Review
Vasileios Syros, Die Rezeption der aristotelischen politischen Philosophie bei Marsilius von Padua. Eine Untersuchung zur ersten Diktion des „Defensor pacis“, Brill (Studies in Medieval and Reformation Traditions vol 134), Leiden / Boston 2007, 364 S. Betrachtet man die Philosophie des europäischen Mittelalters oberflächlich oder folgt einigen leider immer noch gelegentlich üblichen Stereotypen über sie, erhält man leicht den Eindruck eines eher eintönigen Stroms weitgehend aristotelischen Denkens, dessen Vertreter sich bis auf wenige bekannte Ausnahmen wie Thomas, Scotus oder Ockham nur marginal unterscheiden. Die ebenfalls nachgerade sprichwörtliche Subtilität mittelalterlicher Philosophen wird damit auf eine Art zwar scharfsinnigen, aber letztendlich doch wenig ertragreichen und kleinlichen Streit zwischen Aristoteles-Kommentatoren um die rechte Interpretation des Philosophen reduziert. Dies ist weder ganz falsch noch ganz richtig: Denn freilich waren die aristotelischen Schriften seit dem Hochmittelalter der selbstverständliche und auch autoritative Bezugspunkt wissenschaftlicher Diskussion und ebenso wurden unterschiedliche Positionen zu Sachproblemen normalerweise anhand von Aristoteles-Auslegungen entwickelt. Diese konnten sich allerdings auch in systematischer Hinsicht erheblich unterscheiden und außerordentlich selektiv in der Über- oder auch Annahme aristotelischer Prinzipien und Lehrstücke oder deren Ablehnung sein, die allerdings häufig nicht explizit geäußert wurde bzw. werden durfte. Aus dieser differenzierteren Perspektive erscheint das corpus Aristotelicum eher als Vorgabe eines technischen und epistemischen, aber auch inhaltlichen Argumentationsniveaus, das einen tunlichst nicht zu unterschreitenden Diskussionsstandard setzte. Dies hat für die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Philosophie des Mittelalters die durchaus unbequeme Konsequenz, daß sie einerseits hinreichende Kenntnis jener aristotelischen Vorgaben und möglichst ihrer lateinischen Übersetzungen voraussetzt und andererseits die Bereitschaft, die jeweils einschlägigen aristotelischen Schriften als Ausgangspunkt häufig durchaus eigenständiger Überlegungen, die überdies von bestimmten historischen Kontexten motiviert sein können, zu begreifen. Letzteres trifft naturgemäß insbesondere auf die Disziplinen der praktischen Philosophie zu, und das zwar vor allem dann, wenn es sich um dissidente, d. h. von den Auffassungen der Kirche, etwa bezüglich ihres weltlichen Einflusses, abweichende, Positionen handelt. Ohne Zweifel vertrat Marsilius von Padua (zw. 1270 / 90 – 1343), der auf der Seite Ludwig des Bayern gegen das Papsttum die Vorherrschaft des Staats vor der Kirche in weltlichen Angelegenheiten vertrat, eine solche Position. Eine Studie über die politische Philosophie des Marsilius, die überdies noch deren Verhältnis zum aristotelischen Denken klären will, wie die vorliegende Arbeit, steht daher vor besonderen methodischen Hürden. Ihr Verfasser ist sich ihrer bewußt (S. 7 – 11) und bewältigt sie überzeugend. Dabei spricht nicht gegen die angewandte Methode, daß einzelne Aspekte ihres zentralen methodologischen Resultats Anlaß zu weiterer Nachfrage und Diskussion geben können. Syros verfolgt ein doppeltes philosophiehistorisches Ziel: Zum einen geht es ihm um die Widerlegung von Dolf Sternbergers These von der – auch inhaltlich verstandenen – autoritativen Vorbildlichkeit der aristotelischen Politik für Marsilius’ Lehre (S. 7). Dies gelingt Syros zweifelsfrei, und in der präzisen Herausarbeitung der zahleichen und durchaus fundamentalen Differenzen zwischen beiden staatsphilosophischen Modellen liegt wohl das größte und bleibende Verdienst der Arbeit.
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Zum anderen versucht Syros im Blick auf Marsilius’ Vorgehensweise eine Art methodologischen Paradigmenwechsel zu erweisen, der nichts weniger als eine „Abrechnung mit der aristotelischen Teleologie“ (S. 55) darstelle. Hier scheint mir zwar der Befund einer zunehmenden Konzentration der marsilianischen Untersuchung auf die Entstehungsursachen politischer Gemeinschaften völlig zutreffend. Jedoch scheinen weder in der konzeptuellen Struktur der von Marsilius ganz orthodox in Anschlag gebrachten Vier-Ursachen-Lehre noch in ihrem Gebrauch als Analyseinstrument derartig tiefe methodologische Differenzen zu liegen, welche die zitierte Bemerkung in ihrer Schärfe rechtfertigen könnten: Es ist zwar richtig, daß Marsilius den genetischen Aspekten staatlicher Organisation ein ungleich höheres Gewicht einräumt als Aristoteles, er tut dies aber gleichwohl, ohne den durch die Vier-Ursachen-Lehre gesteckten Rahmen zu verlassen oder zu verändern, wie Syros im übrigen selbst darlegt (S. 47). Eine Aufgabe der teleologischen Betrachtungsweise als allgemeiner Methode zur Erforschung gegebener Phänomene in Natur und Kunst würde überdies die Identifikation von Wirkursachen selbst unmöglich machen, da diese überhaupt nur von ihren Wirkungen her in den Blick kommen können. Allerdings scheint Syros sich auch dieses zentralen Punktes bewußt zu sein, weist er doch zurecht sowohl darauf hin, daß Marsilius „die teleologische Methode in abgeschwächter Form (übernimmt)“, als auch darauf, daß er keineswegs „Finalität im aristotelischen Sinne negiert“ (S. 55). Eine Klärung dieser latenten Ambivalenz, die allerdings die einzige nennenswerte Schwäche der Arbeit bleibt, hätte indes eine eingehende Analyse von Bedeutung und Gebrauch der Vier-Ursachen-Lehre in der aristotelischen Politik selbst gefordert, die schon dadurch erheblich schwert wird, daß jenes methodische Instrument zum Zwecke der Naturforschung entwickelt wurde und daher in praktischen Disziplinen wohl nur analog oder irgendwie modifiziert angewendet werden dürfte. Eine solche Analyse unterbleibt allerdings aus verständlichen Gründen. Denn zum einen genügt es für das Argumentationsziel des Verfassers völlig, die genannte Akzentverschiebung überhaupt aufzuweisen, und zum anderen genügt wiederum bereits diese Akzentverschiebung, um die tiefgreifenden formalen und inhaltlichen Differenzen zu erklären, die Marsilius’ politische Theorie von der aristotelischen unterscheiden. Die Erörterung dieser Differenzen beansprucht den Löwenanteil der Arbeit (S. 61 – 279), der durchweg als gelungen bezeichnet werden kann. Seine Ergebnisse, die in umfassender Weise nicht-aristotelische Quellen thematisieren und erschließen, können bei einer weiteren Beschäftigung mit Marsilius kaum ignoriert werden. Dieser Haupteil umfaßt fünf größere Abschnitte, die gemäß des methodischen Programms der genetischen Betrachtungsweise angeordnet sind. Hinsichtlich der Entstehung von politischen Gemeinschaften im allgemeinen (1) zeigt Syros, daß Marsilius sowohl deren anthropologische Begründung als auch ihren Vollzug anders als Aristoteles begreift: Es ist nicht die natürliche Ausrichtung auf die Erfüllung des menschlichen Wesens, sondern dessen Mängelcharakter, welche zum politischen Zusammenschluß führt (S. 64 f.). Dieser geschieht auch nicht durch eine individuelle Gründerfigur, wie Aristoteles griechischer Tradition folgend annimmt, sondern im von prudentes angeregten Konsens der ersten patresfamilias (S. 67 ff.). Diese, an die zeitgenössische Verfassung italienischer Stadtstaaten erinnernde, konsensualistische Auffassung billigt der Rhetorik im Sinne Ciceros eine entscheidende Rolle schon bei der Staatsgründung zu (S. 74 ff.). Der Artifizialität der politischen Gebilde entsprechend wechselt damit auch ihr Zweck: Es ist nicht mehr die Ermöglichung der vita contemplativa einzelner, sondern die für das gute Leben aller nötige „Beschaffung materieller Güter und Arbeitsteilung“ (S. 83), die den Staatszweck bildet. Der Bestand politischer Gemeinschaften und die Aufrechterhaltung des inneren Friedens, die klare Verhältnisse zwischen weltlicher und kirchlicher Macht fordert, ist damit rein funktional begründet. Die ständische Organisation der politischen Ge-
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meinschaft (2) gründet Marsilius im Rückgriff auf Maimonides (S. 107 ff.) auf die fundamentale Unterscheidung zwischen externen (actus transeuntes) und internen (actus immanentes) Handlungen (S. 101 ff.). Aufgrund ihrer Beurteilbarkeit sind dabei in thomistischer Tradition erstere Gegenstand des menschlichen und zweitere Gegenstand des göttlichen Gesetzes, wobei zweiteres als Negativkriterium für ersteres fungiert. Findet sich die Abtrennung innerer, insbesondere Volitionen, von äußeren Handlungen bei Aristoteles noch gar nicht, entfernt sich Marsilius in zwei zentralen Punkten der ständischen Organisation deutlich von der aristotelischen Politik: Zum einen betont er ausdrücklich die volle Bürgerschaft der vulgi, d. h. der Bauern und Handwerker, wobei er gleichzeitig die Definition von Bürgerschaft vermittels des Rechts auf politischen Teilhabe von Aristoteles übernimmt, diese aber – wiederum anders als Aristoteles – unabhängig von einer bestimmten Verfassungsform begreift (S. 133 ff.). Zum anderen lehnt er die aristotelische Lehre vom natürlichen Sklaventum ab, sondern erklärt dies im Gegenteil als Folge eines widernatürlichen Defekts (S. 137 f.). Hinsichtlich der Einteilung der Verfassungsformen und ihrer Beurteilung (3) orientiert sich Marsilius zwar an der klassischen aristotelischen Typologie, universalisiert aber deren Legitimitätskriterium, indem sein Konsensmodell prinzipiell für jede Staatsform Gültigkeit beansprucht. Es ist stets der legislator humanus, d. h. die Gesamtheit der Bürger oder ihr wichtigerer Teil, der die Regierung (pars principans) und damit ebenfalls deren Form erzeugt und auch kontrolliert. Ob also eine Regierungsform „wohl gemäßigt“ (bene temperatus) oder „entartet“ (viciatus) ist, entscheidet sich „am Grad der Zustimmung der Bürger“ (S. 150). Dies gilt für alle Arten staatlicher Organisation, die folglich nicht mehr nur gemäß der numerischen Differenz der Regierenden (einer, einige, alle) klassifiziert wird, da sie nunmehr stets aus dem Konsens aller resultiert bzw. in ihrem legitimen Bestand davon abhängt. Im Interesse der Beständigkeit und des inneren wie äußeren Friedens politischer Gemeinschaft plädiert Marsilius allerdings für eine „Wahlmonarchie und die Beschränkung der Gewalt des Fürsten“ (S. 170), wenngleich gemäß historischer Umstände auch andere legitime Herrschaftsformen möglich sind, deren Typologie Syros gemäß des Kriteriums des Einsetzungsverfahrens differenziert erörtert (S. 147 ff.). Erstaunlich modern wirkt Marsilius’ formalistische und nachgerade positivistische Behandlung des Gesetzesbegriffs (4). Ausgehend von Aristoteles’ Begriff kommutativer Gerechtigkeit (S. 179 f.) gelangt Marsilius zu einem Begriff des Gesetzes, den Syros wie folgt zusammenfaßt: „Das Gesetz ist ( . . . ) ein Text, der aus einer Einsicht und aus der Vernunft hervorgeht, eine Anordnung über Gerechtes und Nützliches und deren Gegenteil. Es hat zwingende Kraft, und über dessen Befolgung wird ein Befehl gegeben.“ (S. 173) Dabei ist entscheidend zu sehen, daß zum einen nicht jede wahre Auffassung über das Gerechte und Nützliche schon per se Gesetz ist, sondern vielmehr erst durch eine mit Zwangsgewalt erlassene, schriftliche Norm ein solches wird (S. 174). Weil aber die gesetzgebende Macht der Regierung vom Konsens der Bürger als legislator humanus bzw. als Souverän abhängt, ist nicht die Wahrheit der Einsicht, die ein Gesetz repräsentiert, Grund seiner Geltung, sondern „seine Akzeptanz durch die Bürgerschaft“ (S. 175). In diesem fundamentalen Recht zur Mitwirkung am Gesetzgebungsprozeß besteht zugleich die Freiheit der Bürger (S. 212). Im Interesse der Aufrechterhaltung eines friedlichen Zusammenlebens und der Einheit einer politischen Gemeinschaft müssen also auch unvollkommene Normen in Kauf genommen werden, da allein das positive Recht den Einheitsgrund der Gesellschaft bildet und mangelnde Zustimmung diese zerstören würde. Allerdings können – und werden in der Regel – untaugliche Normen im Laufe der historischen Entwicklung revidiert und vervollkommnet werden, da zum einen die Mehrzahl der Menschen sowohl gutwillig als auch mit gesundem Menschenverstand begabt ist und zum anderen das Gesetz keiner einmaligen Setzung entspringt, sondern sich aus „der summierten Erfahrung und Einsicht mehrerer Generationen“ (S. 206) ent-
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wickelt. Auf einen idealen Gesetzgeber kann also zur Regelung der äußeren Handlungen innerhalb einer politischen Gemeinschaft ohne weiteres verzichtet werden, während hinsichtlich der inneren Handlungen ohnehin kein öffentlicher Regelungsbedarf besteht. Auf dieser Basis entwirft Marsilius der Tradition entsprechend und wiederum im Blick auf die Podestàliteratur der italienischen Stadtstaaten (S. 221 ff.) auch ein Bild des idealen Herrschers (5.), bei dessen Tugenden er sich zwar an Aristoteles orientiert, diese aber gemäß des Funktionalismus und Formalismus seiner politischen Philosophie durchaus anders gewichtet. Die Haupteigenschaften des Herrschers sind Klugheit, Gerechtigkeit und equitas, d. h. die Bereitschaft zur „wohlwollende(n) Auslegung“ der Gesetze (S. 238), nicht jedoch ihre Modifikation oder okkasionelle Außerkraftsetzung, auch dann nicht, wenn diese ungerecht sind (S. 232 ff.). Daran zeigt sich, daß die Gerechtigkeit des Herrschers zuallererst in seiner Gesetzestreue und der Anerkennung der Souveränität des legislator humanus besteht, während seine Klugheit nötig ist, um durch seine richterliche Gewalt Fälle unklarer Gesetzeslage zu entscheiden oder Gesetzeslücken, gleichsam provisorisch, zu füllen. Des weiteren sollte der Herrscher von Liebe zu dem Gemeinwesen, dem er vorsteht, nicht aber zu dessen besonderer Verfassungsform erfüllt sein (S. 246 ff.) und genau über so viel Gewaltmittel verfügen, die nötig sind, um richterliche Entscheidungen durchsetzen und etwaige Aufstände von Minderheiten niederzuschlagen, woraus weiterhin die Kontrollierbarkeit der bewaffneten Macht durch die Bürgerschaft folgt (S. 242 ff.). Seinem organischem Modell entsprechend, daß die Entstehung einer politischen Gemeinschaft in Analogie zu der eines Lebewesens betrachtet, ohne dies freilich metaphysisch zu hypostasieren, beansprucht Marsilius Universalität des entsprechenden Verfahrens für alle legitimen Regierungsformen. (S. 260), bei dem die prima causa des Staats und seiner Gesetze die Gemeinschaft der Bürger, der Herrscher aber causa secunda ist. Zusammenfassend ist zu sagen, daß Syros’ Arbeit sowohl in ihrem zentralen Anliegen der häufig durchaus kontrastiven Differenzierung zwischen Aristoteles’ und Marsilius’ politischer Philosophie als auch in der Erschließung bislang weniger beachteter Quellen des Defensor pacis eine Fülle neuer Erkenntnisse an den Tag fördert. Nicht nur die Diskussion über Form und Bedeutung des Aristotelismus in der mittelalterlichen Philosophie, sondern auch die Erforschung möglicher Einflüsse der politischen Philosophie, aber auch der Rechtsphilosophie des Hochmittelalters auf die frühe Neuzeit und die Moderne sollte aus Syros’ Untersuchung willkommene Anstöße gewinnen. Auch ist es nicht ihr geringster Verdienst, was abschließend gesagt werden kann, nämlich daß sie ebenso Nicht-Spezialisten als fundierte Einführung in das politische Denken des Marsilius wie des Hochmittelalters empfohlen werden kann. Alexander Aichele
Autoren- und Herausgeberverzeichnis / Index of Contributors and Editors Aichele, Alexander, PD Dr., Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Seminar für Philosophie, Schleiermacherstraße 1, D-06114 Halle (Saale) E-Mail: [email protected] Albrecht, Reyk, Dr., Friedrich-Schiller-Universität Jena, Ethikzentrum Jena, Lehrstuhl für angewandte Ethik, Zwätzengasse 3, D-07743 Jena E-Mail: [email protected] Aßländer, Michael S., Prof. Dr. Dr. habil., Lehrstuhl für Wirtschafts- und Unternehmensethik, Nora-Platiel-Straße 5, D-34109 Kassel E-Mail: [email protected] Atrey, Shreya, B.A., L.L.B. (Hons.), NALSAR University of Law, Hyderabad E-mail: [email protected] Brink, Alexander, Prof. Dr. Dr., Universität Bayreuth, Institut für Philosophie (Philosophy and Economics), D-95440 Bayreuth E-Mail: [email protected] Byrd, B. Sharon, Prof. Dr., Law & Language Center, Rechtswissenschaftliche Fakultät, Friedrich-Schiller-Universität Jena, Carl-Zeiss-Straße. 3, D-07743 Jena Email: [email protected] Chartier, Gary, Associate Professor, School of Business, La Sierra University Riverside, 4500 Riverwalk, Riverside, USA-CA 92515 – 8247 E-Mail: [email protected] Dietzfelbinger, Daniel, Dr., Preysingplatz 1, D-81667 München E-Mail: [email protected] Graumann, Sigrid, Dr. Dr., Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Bildungs- und Sozialwissenschaften, Ammerländer Heerstraße 114 – 118, D-26111 Oldenburg E-Mail: [email protected] Heuser, Stefan, PD Dr., Obergasse 7, D-64823 Groß-Umstadt E-Mail: [email protected] Hoche, Hans-Ulrich, Prof. Dr. em., Institute of Philosophy, Ruhr-Universität Bochum, D-44780 Bochum; privat: Kiefernstraße 29, D-45525 Hattingen E-mail: [email protected] Hollstein, Bettina, Dr., Max-Weber-Kolleg für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien, Universität Erfurt, Am Hügel 1, D-99084 Erfurt E-Mail: [email protected]
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Autoren- und Herausgeberverzeichnis / Index of Contributors and Editors
Hruschka, Joachim, Prof. Dr., Universität Erlangen, Institut für Strafrecht und Rechtsphilosophie, Schillerstraße 1, D-91054 Erlangen E-mail: [email protected] Hübscher, Marc C., Dr., Eupener Straße 6, 22049 Hamburg E-Mail: [email protected] Joerden, Jan C., Prof. Dr., Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder), Lehrstuhl für Strafrecht, insbesondere Internationales Strafrecht und Strafrechtsvergleichung, Rechtsphilosophie, Große Scharrnstraße 59, D-15230 Frankfurt (Oder) E-Mail: [email protected] Karmasin, Matthias, Prof. Mag. DDr., Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft, Universität Klagenfurt, Universitätsstraße 65 – 67, A-9020 Klagenfurt E-Mail: [email protected] Knoepffler, Nikolaus, Prof. Dr. mult., Friedrich-Schiller-Universität Jena, Ethikzentrum Jena, Lehrstuhl für angewandte Ethik, Zwätzengasse 3, D-07743 Jena E-Mail: [email protected] Knoop, Michael, Kohlenstraße 13a, D-58452 Witten E-Mail: [email protected] Lenk, Hans, Prof. Dr. Dr. h.c. mult., Karlsruher Institut für Technologie, Institut für Philosophie, Campus Süd, Kaiserstraße 12, D-76133 Karlsruhe E-Mail: [email protected] Litschka, Michael, Leiter des Kompetenzzentrums für Humanvermögen in Klosterneuburg, Kierlingerstraße 87, A-3400 Klosterneuburg E-Mail: [email protected] Lütge, Christoph, Prof. Dr., Technische Universität München, Peter Löscher-Stiftungslehrstuhl für Wirtschaftsethik, Arcisstraße 21, D-80333 München E-Mail: [email protected] Mack, Elke, Prof. Dr., Universität Erfurt, Katholisch-Theologische Fakultät, Lehrstuhl für Christliche Sozialwissenschaft und Sozialethik, Nordhäuser Straße 63, D-99089 Erfurt E-Mail: [email protected] Maring, Matthias, Prof. Dr. Dipl. rer. pol., Karlsruher Institut für Technologie, Institut für Philosophie, Campus Süd, Kaiserstraße 12, D-76133 Karlsruhe E-Mail: [email protected] Morner, Michèle, Prof. Dr., Geschäftsführende Direktorin des Reinhard-Mohn-Instituts für Unternehmensführung und Corporate Governance, Universität Witten / Herdecke, AlfredHerrhausen-Straße 50, D-58448 Witten E-Mail: [email protected] Mularski, Krzysztof, Doktorand am Lehrstuhl für Zivil-, Handels- und Versicherungsrecht, Institut für Recht und Verwaltung, Adam Mickiewicz-Universität zu Posen E-Mail: [email protected]
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Nethöfel, Wolfgang, Prof. Dr., Phillips-Universität Marburg, Institut für Wirtschafts- und Sozialethik (IWS), Lahntor 3, D-35037 Marburg E-Mail: [email protected] Neuhäuser, Christian, Dr., M.A., Philosophische Fakultät, Universität Potsdam, Komplex I, Am Neuen Palais 10, Haus 11, D-14469 Potsdam E-Mail: [email protected] Ortmann, Günther, Prof. Dr., Helmut-Schmidt-Universität, Professur für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Holstenhofweg 85, D-22043 Hamburg E-Mail: [email protected] Pies, Ingo, Prof. Dr., Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Lehrstuhl für Wirtschaftsethik, D-06099 Halle (Saale) E-Mail: [email protected] Priddat, Birger, Universität Witten / Herdecke, Lehrstuhl für Politische Ökonomie, AlfredHerrhausen-Straße 50, D-58488 Witten E-Mail: [email protected] Roff, Heather M., Prof. Dr., Department of Political Science, University of Colorado at Boulder, 333 UCB, Boulder, USA-CO 80309-0333 E-Mail: [email protected] Rühl, Ulli F. H., Prof. Dr., Universität Bremen, Lehrstuhl für Öffentliches Recht mit dem Schwerpunkt Verfassungsrecht, Staatstheorie, Rechtsphilosophie, D-28353 Bremen E-Mail: [email protected] Sass, Peter, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Lehrstuhl für Wirtschaftsethik, D-06099 Halle (Saale) E-Mail: [email protected] Sauter, Justin, Dr., Rotdornallee 29, 42897 Remscheid E-Mail: [email protected] Scholler, Heinrich, Prof. Dr. Dr. h.c., Zwengauerweg 5, D-81479 München E-Mail: [email protected] Schramm, Michael, Prof. Dr., University of Hohenheim, Faculty of Business, Economics and Social Sciences, Chair of Catholic Theology and Business Ethics (570 C), D-70593 Stuttgart E-Mail: [email protected] Söllner, Albrecht, Prof. Dr., Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder), Lehrstuhl für Internationales Management, Große Scharrnstraße 59, D-15230 Frankfurt (Oder) E-Mail: [email protected] Spieker, Manfred, Prof. Dr. Universität Osnabrück, Institut für Katholische Theologie, Schloßstraße 4, D-49069 Osnabrück E-Mail: [email protected] Steinmann, Horst, Prof. (em.) Dr. Dr. h.c. mult., Friedrich-Alexander-Universität ErlangenNürnberg, Fakultät für Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, Lange Gasse 20, D-90403 Nürnberg E-Mail: [email protected]
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Autoren- und Herausgeberverzeichnis / Index of Contributors and Editors
Stübinger, Ewald, Prof. Dr., Helmut-Schmidt-Universität, Lehrstuhl für Evangelische Theologie unter besondere Berücksichtigung der Sozialethik und der Theologiegeschichte, Holstenhofweg 85, D-22043 Hamburg E-Mail: [email protected] Wiemeyer, Joachim, Prof. Dr., Ruhr-Universität Bochum, Lehrstuhl für Christliche Gesellschaftslehre, Universitätsstraße 150, D-44780 Bochum E-Mail: [email protected]
Personenverzeichnis / Index of Names Achenbach, Hans 379 Ackermann, Josef 185 f. Adenauer, Konrad 167 f. Adorno, Theodor W. 381 Albert, Hans 61, 63 Alchian, Armen A. 301 Altvater, Elmar 259 Annan, Kofi 193 Apel, Karl-Otto 149, 153, 245, 253, 297, 474 Ariely, Dan 405, 412 f. Aristoteles 67, 122, 141 f., 176, 615 ff. Aßländer, Michael S. 3 ff., 10, 12, 14, 192 Axelrod, Robert 337 Bachmann, Gregor 195 Backhaus-Maul, Holger 15 Baecker, Dirk 381 Bakan, Joel 376 Banerjee, Subhabrata Bobby 10 Baumann, Dorotheé 342 Beccaria, Cesare 23 Bechtel, Heinrich 25 Bechterew, Wladimir Michailowitsch 394 Beck, Kurt 211 Beck, Ulrich 248 Becker, Gary S. 120, 297, 406, 410 Beckstein, Günther 213 Bellah, Robert N. 69 Benedikt XVI. 170, 173, 176, 179, 288 Bentham, Jeremy 62, 189 Bhagwati, J. 592 Binet, Alfred 589 Binmore, Kenneth 150 f. Birnbacher, Dieter 103 Blanke, Bernhard 72 Blome-Drees, Franz 188 f., 335, 341 Blumberg, Alex 371 Boas, Franz 394 Böckenförde, Ernst-Wolfgang 72
Böhm, Franz 167, 207 Borges, Georg 414 Börner, Anton 207 Bosbach, Wolfgang 400 Bowie, Norman 197 Brandt, Reinhard 555, 572 Bratman, Michael E. 353 Braun, Ludwig Georg 207 Braun, Sebastian 16 Brunsson, Nils 384 Buchanan, James M. 142, 153 Bühl, Walter L. 375, 385 Burke, Edmund 169 Busch, Wilhelm 490 Bush, George 279 Byrd, B. Sharon 545, 560 Cabrera, Ángel 345 Cabrera, Elizabeth F. 345 Calvin, Johannes 177 Cardinal, Laura B. 339 Carroll, Archie B. 4, 6, 9, 11 Carson, Kevin 449 Castan˜eda, Hector-Neri 487 ff. Chammah, Albert M. 337 Cicero, Marcus Tullius 67, 616 Clemm, Hermann 301 Clinton, William Jefferson „Bill‘‘ 279 Coase, Ronald Harry 142, 297 Coleman, James S. 375 f. Cornfield, Bernie 280 Crane, Andrew 17, 99 f. Cranston, Maurice 476 Curbach, Janina 10 Cyert, Richard M. 373 Dannecker, Gerhard 379, 384 Dannenbring, Jan 7, 16 Darwin, Charles 586 Dauphinais, Kirsten A. 589
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Personenverzeichnis / Index of Names
Davidson, Donald 354 Deiseroth, Dieter 199 Demsetz, Harold 301 Dennett, Daniel 355 Derrida, Jacques 381 Descartes, René 599 Dicey, Albert Venn 397 DiMaggio, Paul J. 383 Douglas, Mary 373, 383 Durkheim, Émile 394 Dworkin, Ronald 593 Easterlin, Richard 64 Ebert, Theodor 501 Eisenhardt, Kathleen Marie 339 Ellis, Elisabeth 534 f., 557 Enderle, Georges 190, 192 Erhard, Ludwig 167 f., 170 Etzioni, Amitai 70 Eucken, Walter 23, 167 Evan, William M. 301 Fischer, Johannes 40 Flikschuh, Katrin 533, 536, 555 Franck, Georg 98 Freeman, R. Edward 301 Frege, Gottlob 507 French, Peter 102, 350, 356, 374 Frese, Erich 337 Frey, Bruno S. 64, 345 Friedman, Milton 81, 107, 286 Friedrich II. 390 Friedrich, Peter 11 Friedrich, Rainer 563 Frost, Jetta 337 ff., 340, 345, 347 Fulda, Hans Friedrich 566, 571, 578 Galbraith, Jay R. 337 Gardner, Howard 583, 588 f. Garriga, Elisabet 13 Gasser, Urs 436 f. Gates, William „Bill“ Henry 277 Gerlach, Jochen 256 f. Gerum, Elmar 337 Geser, Hans 375, 380, 383 Gethmann, Carl Friedrich 433, 435 Giddens, Anthony 372, 377 Gloß, Michael 211
Gneezy, Uri 407 Goodpaster, Kenneth E. 442 f. Grandori, Anna 337 Granovetter, Mark S. 59 Gurin, Patricia 594 Haas, Robert D. 54 Habermas, Jürgen 96 f., 149, 153, 245, 253, 297, 433, 442, 473 f. Habisch, André 9, 15 Hadasch, Heiko 11 Haderthauer, Christine 400 Hainer, Herbert 212 Hardin, Garrett 191 Hardt, Michael 45, 48 Hare, Richard Mervyn 489, 495, 519 ff. Harsanyi, John Charles 408 Hasse, Rolf 168 Hayek, Friedrich August von 231, 286 Heine, Günter 379, 384 Hengsbach, Friedhelm 257, 259 Hennecke, Hans Jörg 176 Henze, Birthe 12, 14, 19 Heyd, David 538 f. Hitler, Adolf 167 f. Hoche, Hans-Ulrich 487, 520 f., 523, 528 Hoerster, Norbert 409, 522 f. Höffe, Otfried 4, 12, 14, 501, 533, 563, 576 Homann, Karl 45, 47, 60, 80, 96 f., 105 ff., 141 ff., 154, 158, 188 f., 191, 240 ff., 308, 335, 338, 341, 345, 415 ff., 424 f. Honneth, Axel 473 f. Hruschka, Joachim 555, 560 Hume, David 565 Husserl, Edmund 395 Hutter, Michael 157 Irlenbusch, Bernd 414 Janich, Peter 433 Janis, Irving 346 Jellinek, Georg 394 f. Jensen, Michael C. 220, 301 Jepperson, Roland L. 373 Joas, Hans 61, 65 f. Johannes XXIII. 173 Johannes Paul II. 170, 173 ff., 179 f., 288
Personenverzeichnis / Index of Names Kagermann, Henning 212 Kahneman, Daniel 405 Kambartel, Friedrich 253, 432, 434, 442 Kant, Immanuel 68, 138, 245, 257, 264, 297, 337, 376, 394, 409, 483, 485 f., 491, 493 ff., 511 ff., 533 ff., 563 ff. Kersting, Wolfgang 434, 558, 563, 571 Kerviel, Jerome 280 Kettner, Matthias 374 f. Keynes, John M. 175 Khandwalla, Pradip N. 337 Khurana, Rakesh 440 f. Kieser, Alfred 339 Kirchgässner, Gebhardt 302 Kleinfeld, Annette 12, 14, 19 Kohlberg, Lawrence 308 Korsgaard, Kristine 541 Koslowski, Peter 45, 49, 188, 191, 258 Krishna Iver J. 591, 593 Krogh, Georg von 344 Kubicek, Herbert 339 Kühl, Kristian 563, 573 Kühn, Manfred 563 Kühnemund, Burkhard 563 Küng, Hans 400 Kusch, Roger 400 Kutschera, Franz von 484 La Fontaine, Jean de 384 Lange, Ludwig 395 Lanzara, Giovan Francesco 344 Lawrence, Paul R. 339 Lechner, Christoph 185 Leeson, Nick 280 Leeson, Peter T. 449 ff. Lenk, Hans 189 f., 191, 194, 196, 198 Leo XIII. 173, 179 List, Christian 102 Locke, John 575 Löhr, Albert 4 f., 10, 14 f., 82, 91, 188, 251 ff., 335, 341 343, 345 Long, Chris P. 339 Lorenzen, Paul 253, 432 Lorsch, Jay W. 339 Louden, Robert 558, 560 f. Lübbe, Hermann 384 Lübbe-Wolff, Gertrude 574 Ludwig der Bayer 615
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Ludwig XIV. 390 Luhmann, Niklas 126, 160, 189, 192, 239, 249, 252, 258, 373, 383 f., 470 f. Lütge, Christoph 96 f., 99, 338, 341, 345 Luther, Martin 38 f., 138, 167 f., 177 Lyotard, Jean-François 68 Machiavelli, Niccolò 390 MacIntyre, Alasdair 550 Madhoff, Bernard 280 Maimonides, Moses 617 Malinowski, Bronisław 395 Mandeville, Bernard 189 March, James G. 339, 373 Margolis, Joshua D. 438 Maring, Matthias 189 f., 192, 194, 196 ff., 201 Marsilius von Padua 615 ff. Martin, Wayne 561 Marx, Karl 122, 131 Matten, Dirk 12, 17, 100 Mayer, Otto 391 Mead, George Herbert 395 Meckenstock, Günter 255 f. Meckling, William H. 220, 301 Mégret, Frédéric 475 Melé, Domènec 13 Merkel, Angela 211 f. Merkel, Reinhard 400 Meyer, John W. 373 Mill, John Stuart 66 Miller, Gary J. 338 Mintzberg, Henry 340, 343 Mises, Ludwig von 207 Mittelstraß, Jürgen 432 Mohr, Georg 571 Möllemann, Jürgen W. 376 Morner, Michéle 337 ff., 344 ff., 347 Mulholland, Leslie Arthur 543 f. Müller, Peter 211 Müller-Armack, Alfred 27 ff., 167, 171 f. Müntefering, Franz 211 Murphy, Kevin J. 220 Nader, George 123 Narveson, Jan 101 Negri, Antonio 45, 48 Nell-Breuning, Oswald von 256, 258
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Personenverzeichnis / Index of Names
Neuberger, Oswald 326 Neugebauer, Udo 337 Noll, Bernd 81 Nooteboom, Bart 342 Nortmann, Ulrich 496 f., 507 Nussbaum, Martha 65, 584 Obama, Barack 294 Obermann, René 212 Ockenfels, Axel 405 Ockenfels, Wolfgang 174 Ondracek, Dieter 369 Ortmann, Günther 342, 373, 379, 383 f. Osterloh, Margit 337, 345 Ostrom, Elinor 113, 151, 346 Ouchi, William G. 336, 339, 342 Paine, Lynn Sharp 417, 445 Palazzo, Guido 12, 342 Paton, Herbert James 491, 501 Paul VI. 288 Peterson, Kent D. 339 Pettit, Philip 102 Pfeiffer, Christian 401 f. Piaget, Jean 589 Pies, Ingo 96, 100, 109, 141, 189, 375 Pius XI. 173, 179 Pius XII. 176 Plessner, Helmuth 28 ff. Pogge, Thomas 365, 477 Polanyi, Michael 377 Popper, Karl R. 416 f., 519 Posner, Richard A. 297, 406 Potter, Nelson 533 Powell, Walter W. 383 Prantl, Heribert 369 f. Quine, Willard Van Orman 487, 492 Radbruch, Gustav 389, 394 ff. Ransiek, Andreas 379 Rapoport, Anatol 337 Rawls, John 96, 132 f., 152 f., 474, 590 Reagan, Ronald 286 Reid, Thomas 67 Rendtorff, Trutz 39 f. Renger, Eva-Maria 345 f. Rich, Arthur 256, 258
Ricken, Friedo 522 f. Rifkin, Jeremy 98 Rodenstock, Randolf 212 Rokeach, Milton 321 Röpke, Wilhelm 167 ff. Ropohl, Günter 188 Rorty, Richard 69, 153 Rousseau, Denise M. 309 f. Rousseau, Jean-Jacques 131 Rumelt, Richard P. 441 Rustichini, Aldo 407 Rüstow, Alexander 167 S.B. Sinha J. 592 Sadowski, Dieter 382 Sapir, Edward 395 Sawant J. 590 Scherer, Andrea Georg 342 Schmidt, Cornelia 399 Schmitt Glaeser, Walter 398 Schneider 433 Schramm, Michael 408, 410 Schreyögg, Georg 340 Schumann, Olaf J. 59 Schumpeter, Joseph 200, 273 Schünemann, Bernd 371, 379, 384 Schwab, Dieter 564 Scitovsky, Tibor 64 Scotus, Johannes Duns 615 Searle, John R. 309, 353, 379 Seervai, H. M. 591 f. Sen, Amartya Kumar 45, 50, 65, 436 f., 584 Senge, Konstanze 3, 12 Shue, Henry 477 Simmel, Georg 23 Simon, Herbert Alexander 142, 336, 373, 422, 433 Singer, Marcus George 495, 497, 501 Sinn, Hans-Werner 186 Sitkin, Sim B. 339 Smith, Adam 47, 60, 62, 122, 189, 103, 339, 146 Snell, Scott A. 339 Sombart, Werner 23 ff. Spender, John-Christopher 440 Spiethoff, Arthur 26 Spindler, Gerald 384 Spinoza, Baruch 566
Personenverzeichnis / Index of Names Städtler, Thomas 185 Starbatty, Joachim 168 Steinbrück, Peer 211 Steinmann, Horst 82, 91, 188, 241, 251 ff., 335, 341 343, 345 Stern, Nicholas 262 Sternberger, Dolf 615 Stone, Christopher D. 341 Stutzer, Alois 64 Suchanek, Andreas 141 Surányi-Unger, Theo 189 Sverdlik, Stephen 102 Syros, Vasileios 615 ff. Takahashi, Fumihiko 483 f., 493 Talaulicar, Till 196 Taupitz, Jochen 399 f. Taylor, Charles 479 Taylor, Richard 375 Teubner, Gunther 374 Thales 493 Thatcher, Margaret 286 Thomä, Dieter 63, 65 Thomas, William Isaac 395 Thomas von Aquin 615 Thompson, James D. 337 Thornton, M. T. 522 f. Timmerman, Jens 561 Tocqueville, Alexis de 70, 169, 175 Tönnies, Ferdinand 395 Tugendhat, Ernst 474 f.
Valle-Thiele, Reynaldo 345 f. Walsh, James P. 438 Walzer, Michael 131 Weber, Max 23 ff., 31 f., 101, 122, 258, 373 f., 379, 383, 442 Weinzierl, Alfred 399 Weiß, Gerald 211 Weizsäcker, Ernst Ulrich von 200 Wennemer, Manfred 212 Westphal, Kenneth R. 563 f. Whorf, Benjamin 395 Wicksell, Knut 152 f. Wiedeking, Wendelin 212, 214 Wieland, Josef 54, 125 f., 142, 241, 248 ff., 310, 335, 341, 343, 357, 359 f., 411 ff., 416 Wiesenthal, Helmut 382 Wilde, Joseph 419 Wildt, Andreas 474 Wilhelm von Ockham 615 Willaschek, Markus 533, 539 ff., 545 Willgerodt, Hans 170 Williamson, Oliver E. 142, 249, 302, 359, 362 Wohlrapp, Harald 433 Wolf, Susan 66 Wulff, Christian 212 Wundt, Wilhelm 394 f. Wünsch, Georg 258 Wygotski, Lew Semjonowitsch 395 Young, Iris M. 367
Ulrich, Hans G. 45, 51 Ulrich, Peter 45, 47 f., 61, 65, 84, 142 f., 188 f., 240 f., 245 ff., 308 Unruh, Peter 563
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Zimmerli, Walter C. 192 Zudeick, Peter 186 f. Zwingli, Ulrich 177
Sachverzeichnis / Index of Subjects Accumulation, primitive 449, 455 ff. Action 508 f. Action vs. Behaviour 433, 442 Actors, rational 141, 146, 150 Actus immanentes 617 Actus transeuntes 617 Akteur, korporativer 352 ff., 369 ff. Akteur, moralischer 356 ff. Amoralismus 536 Analyse des Rechts, ökonomische 297 Analysis, Logico-Linguistic 485 ff., 503, 507 Analysis, situational 436 ff. Analyticity 486, 492, 505 ff. Anreize, moralische 405, 408, 411 ff. Anthropologie 28 ff., 41, 176, 271, 616 Arbeit 55 f. Auslegung, pragmatische und unpragmatische 600 ff. Äußeres Mein / Dein 564 f. Autonomie 96, 473 Begriff des Handelns 372 Behavioral Economics 406 Behavioral Ethics 405 Behavioral Law 406 Behinderung 469, 477, 479 Besitz, empirischer (physischer) 565 Besitz, intelligibler (rechtlicher) 563 ff. Bevormundung, paternalistische 469, 474 Bilanzierungsvorschriften 283 f. Boni 279 ff., 292 Branchenkodizes 190, 195 f., 198 Bürgerschaft 617 f. Calculus of Nature Deduction 503 f., 510 Categorical Imperative 483 ff., 493 ff., 511 ff. Cause Related Marketing 100 Chancengleichheit 51 f. Christentum 177 Christliche Soziallehre 167 ff.
Competence, imaginative and idiolectal 485 f., 503 Compliance 88 ff., 124, 445 Corporate governance 143 Corporate Governance Kodex 194 f. Corporate power 381 Corporation’s Internal Decision Structure 374 Corpus Aristotelicum 615 CSR (Corporate Social Responsibility) 3 ff., 79 ff., 99 f., 103, 125, 143 f., 149, 157, 190, 200, 376 CSR – Abgrenzungsprobleme 9 ff., 15 f. CSR – Definition 6, 9 ff. CSR – normative Grundlagen 11 ff. CSR-Forum (BMAS) 7 f. Darwinism 586 Deduction, Calculus of Nature 503 f., 510 Deduktion 572, 577 ff. Definition 572, 576 ff. Democracy 449 ff. Deontic Logic 485, 492 f., 498 Dilemmasituationen 102, 415 ff. Diskriminierung 469, 472, 477 ff. Diskurs als Selbstabstimmung 343 ff. Disposition, kognitive 346 f. Disposition, motivationale 345 ff. Diversity 583, 593 ff. Doxastico-Theletic Logic 485 f., 489, 492, 498, 500 ff., 507, 510 ff. Duties, imperfect 539 ff. Duties, perfect 539 ff. Duties, provisional 534, 545 ff. Duty 533 ff. Economics, behavioral 406 Education, higher 583 ff. Ehrbarer Kaufmann 103 f. Eigentum (Kant) 563 f., 573
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Sachverzeichnis / Index of Subjects
Eigenverantwortung 192 f., 196, 198, 200 f., 284 Einkommensverteilung 277 f., 286, 288 Embeddedness 59 Emergenz 373, 375 ff. Empirischer (physischer) Besitz 565 Entailment 520 Ergebnisorientierte Steuerung 339 Erlaubnisgesetz 569 ff. Ethics, behavioral 405 Ethik 179 Ethik, ökonomische 105 ff., 241 Ethik und Verwaltung 389 Ethikrat 398 Ethische Praxis 46, 51 EU-Kommission 273, 292 Exposition 572 ff. Fairness 414 f. Falsifikationismus 519 Familie 471, 473 f. Fehlhaltungen 331 Finanz- und Steueroasen 276, 288 Finanzinnovationen 269, 285, 289 Finanzkrise 185 ff., 201, 371, 349 f., 358, 367 Freiheit 50 f., 56 f., 115, 470 f. Freiheitsrechte 476 ff. Freiwillige Selbstverpflichtung 298, 307 ff. Freiwilligkeit 95 f. Frieden 731 Führungshandeln 319, 327 Führungsverantwortung 319 ff., 323 f. Funktion 342 ff. Funktionalismus 618 Funktionsbedingungen für Regeln 342 Funktionsbedingungen für Selbstabstimmung 344 ff. Fürsorge 469, 473 Gemeinschaften 70 Gemeinsinn 67 ff. Gemeinwohl 52, 274 f., 285, 287 f. Gerechtigkeit 151 ff., 172, 189, 192 f., 241, 261 f., 286, 617 f. Gerechtigkeitstheorie 115 f. Gesetz 617 f. Gesetzgeber 618
Gesetzliches Superfluum 606, 609 Gesundheitsversorgung 476, 479 Gewalt, Gewaltfreiheit 470 f., 473, 479 Gewinnprinzip 82 f. Gleichheit 471 Globalisierung 229 Glück 61 ff. Golden Parachutes 223 Golden Rule, Singular 485 f., 508 ff. Golden Rule, Universalised 483 ff., 491 ff., 507 ff. Goldene Regel 519 ff. Governance, corporate 143 Governance, good 350, 358 ff. Governanceethik 248 ff. Grammatical presupposition 435 Grenznutzenschule 23 f. Grundgesetz 472 Gute Werke 45 Güter 45 ff. Habgier 146 Haftung 272, 284, 292 f. Handeln, kollektives 338 Handeln, Begriff des 372 Higher education 583 ff. Historische Schule 23 f. Homo oeconomicus 302 Idealtypus 24 Idiolect 485 f. Idiolectal Competence 485 f., 503 Imaginative Competence 485 f., 503 Imperativ, sozioökonomischer 37 Imperfect duties 539 ff. Implication, Logical vs. Semantical 503, 510 Impliziter Vertrag 309 India 583 ff. Indifference, moral 493 ff. Indifferenz, moralische 526 f. Individualismus, methodologischer 351 ff., 373 Industrielle Revolution 227, 229 f., 234 Informationsasymmetrien 298, 302 ff., 308, 312 Inklusion 469 Institutionelle Praxis 46 Institutionenethik 105 ff., 308
Sachverzeichnis / Index of Subjects Institutionenökonomie 147 Integrative Wirtschaftsethik 245 Integrity 445 Intelligences, multiple 583, 589 f. Intelligibler (rechtlicher) Besitz 563 ff. Intentionalität 372, 374 Interdependenzen 337 Interessen, moralische 407 ff. Interessen-Abwägung 528 f. Internet 97 ff. ISO 26000 5, 18 ff. Juristische Person 374, 378 Justification, pragmatic 434, 436 Kapitalismus 176 Kategorischer Imperativ 375 f. Katholische Kirche 168, 177, 271 Kaufmann, ehrbarer 103 f. Klimawandel 262 ff. Kognitive Disposition 346 f. Kognitive Kompatibilität 346 f. Kollektives Handeln 338 Kommunikationswerte 322 f., 330 Kommunismus 167 f., 176 Kompatibilität, kognitive 346 f. Kompetenzen 201 f. Konsens 96 f., 113 f. Kontingenzsituationen 417 Kooperation 46 f., 53 ff., 112, 150 f., 288 Kooperationsbereitschaft, konditionale 345 ff. Kooperationswerte 322 f., 330 Korporativer Akteur 352 ff., 369 ff. Korruption 371, 376, 382 f. Law, behavioral 406 Lawyers’ Professional Code of Ethics 298, 312 Legal Services 297 ff. Legitimation durch Verfahren 384 Legitimationsfabrikation 382 ff. Leistungsbilanzdefizite 275 f., 282, 289 Leistungsgerechtigkeit 206, 210 f., 213, 217, 218 f., 221 ff. Leistungsrechte, soziale 475 ff. Leistungsturniere 224 f. Leistungswerte 322 f., 329 f. Liberalismus 171, 177, 189
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Liberalismus, politischer 106, 115 f. Logic, deontic 485, 492 f., 498 Logic, doxastico-theletic 485 f., 489, 492, 498, 500 ff., 507, 510 ff. Loyalität 353 Managervergütung 209 f., 213 ff. Marketing, Cause Related 100 Markt 169 ff. Marktliberalismus 292 Marktliche Steuerung 339 Marktversagen 273, 283, 341 Marktwirtschaft, soziale 5 f., 16 f., 35 ff., 60, 167 ff., 196, 211, 274 Maxim of Action (Kant) 491, 500 f., 507, 513 MBA Curriculum 443 f. Mein / Dein, äußeres 564 f. Menschenrechte 363 ff., 470, 472 ff., 477 ff. Menschenrechtsidee 470 Menschenrechtsschutz 470 Merit 583 ff. Metaethics vs. Morals 486, 513 f. Metaphysische Rechtslehre (Kant) 564 Methodologischer Individualismus 351 ff., 373 Modallogik 599 ff., 610 f. Modallogisches Quadrat 601 ff. Modaloperator(en) 599, 601, 603 ff., 608 f., 611 Moral 142 ff. Moral education, transcultural 486 Moral Indifference 493 ff. Moral pays 382 Moralische Anreize 405, 408, 411 ff. Moralische Indifferenz 526 f. Moralische Interessen 407 ff. Moralische Verantwortung 351, 354, 356 ff. Moralische Werte 322, 330 Moralischer Akteur 356 ff. Moralverdrängung durch Organisationen 382 ff. Motivationale Disposition 345 ff. Multiple intelligences 583, 589 f. Nachhaltigkeit 6 ff., 52, 134 ff., 196, 200, 271, 281 Nanotechnologie 119, 126 ff.
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Sachverzeichnis / Index of Subjects
Nathan-David-Procedure 491, 514 Nationalokönomie 25 f. Nationalsozialismus 167 f. Neue Institutionenökonomik 297 Norms, social 150 f. Ökonomische Analyse des Rechts 297 Ökonomische Ethik 105 ff., 241 Opportunismus 422 f. Ordnung 73 Ordnungsethik 96 Ordnungspolitik zweiter Ordnung 231 f., 234 Ordnungsverantwortung 232 Ordonomik 205 f., 218 f. Organisationskultur 377, 381 Organisationsmoral 369 ff. Organisationsverschulden 378 f. Organisatorische Regeln 377 Ought implies may 484, 487 Ought-statements 486 ff., 491 f., 500 Paternalistische Bevormundung 469, 474 Patientenverfügung 398 Pay without performance 215 f. Peace 731 Perfect duties 539 ff. Personenfolgeneinschätzung 324, 326 ff., 331 f. Pirate constitutions 449 ff. Pirates 449 ff. Podestá 618 Politische Rahmenordnung 287 Politische Rechte 473, 476 ff. Politischer Liberalismus 106, 115 f. Postulat 569 ff. Poverty 584, 592 f., 595 Power, corporate 381 Pragmatic justification 434, 436 Pragmatic presupposition 434 Pragmatische Auslegung 600 ff. Präskriptivität 520 f. Pratice (praxis) 432 ff., 440 ff. Praxeologischer Widerspruch 605 Praxis, ethische 46, 51 Praxis, institutionelle 46 Predicate Calculus, Second-Order 490, 503 Prescriptivism, Universal 489 f. Prescriptivity 489 f.
Presupposition, grammatical 435 Presupposition, pragmatic 434 Primitive accumulation 449, 455 ff. Principal-agent-problem 450 ff. Principle of Willing 491 f. Principles of Responsible Management Education (PRME) 419 ff. Prinzipal-Agenten Theorie 301 Prinzipial-Agent-Problem 218 ff., 226 Privatrecht (Kant) 563 ff. Protestantismus 30 ff. Provisional duties 534, 545 ff. Psychologischer Vertrag 307, 309 Quadrat, modallogisches 601 ff. Quasi-Indicators 487 ff. Rahmenordnung, politische 287 Rahmenordnung, wirtschaftliche 424 ff. Ratingagenturen 284 f. Rational actors 141, 146, 150 Realwirtschaft 273, 280 f., 282 f., 289 f. Recht 533 ff. Recht, überpositives 394 Rechte, politische 473, 476 ff. Rechte, soziale 475 ff. Rechtsethik 105 ff. Rechtslehre (Kant), metaphysische 564 Rechtsstaatlichkeit 390 Rechtssystem 299, 604 Regeln 341 ff. Regeln, Funktionsbedingungen für 342 Regeln, organisatorische 377 Regelversagen 341 Regierung 617 Regulierung 119 ff., 130 ff., 277, 286 f., 290 f., 293 f. Religion 176, 179 Republikanische Unternehmensethik 251 f. Revolution, industrielle 227, 229 f., 234 Rhetorik 616 Right 533 ff. Risikoallokation 221 ff. Risikofaktoren 326, 328 ff. Round Table for Codes of Conduct 439 Scheinauslegung 608 Scherzerklärung(en) 599 f., 602, 607, 609 f. Schlüsselqualifikation 201
Sachverzeichnis / Index of Subjects Second-Order predicate Calculus 490, 503 Selbstabstimmung, Funktionsbedingungen für 344 ff. Selbstbestimmung 63, 474, 478 Selbsterhaltung 63 Selbstverpflichtung, freiwillige 298, 307 ff. Selbstverpflichtungen 193, 196 ff., 201 Semantik 205 f., 210, 213, 217 f., 221, 226 f., 230, 233 Singular Golden Rule 485 f., 508 ff. Sinn 66 Situational analysis 436 ff. Social norms 150 f. Solidarpflichten 472 Sorge 54, 55, 57 Soziale Leistungsrechte 475 ff. Soziale Marktwirtschaft 5 f., 16 f., 35 ff., 60, 167 ff., 196, 211, 274 Soziale Rechte 475 ff. Sozialenzykliken 180 Sozialer Zusammenhalt 274, 287 Sozialkontrakt 113 f. Soziallehre, Christliche 167 ff. Sozialstaat 173, 175 Sozialstruktur 205 f., 217 f., 227, 230, 233 Sozioökonomischer Imperativ 37 Sphäre der Öffentlichkeit 473 f. Sphäre der Privatheit / des Privaten 473 f. Sphere of Influence 436 Staat 171 f. Staatsgründung 616 Staatsversagen 269 f. Staatszweck 616 Stakeholder 79 f., 90 f., 105, 112, 114 Stakeholder-Agency Theorie 301 Stakeholder dialogue 432 Stakeholder management 144 Sterbehilfe 398 Steuerhinterziehung 369 f. Steueroasen 276, 288 Steuerung, ergebnisorientierte 339 Steuerungsformen, -mechanismen 336 ff. Steuerungsmix 347 Strukturwandel 206, 228 f., 231, 234, 273 Subsidiarität 51 Subsidiaritätsprinzip 192 f., 198, 200 f., 274 f., 288 Systemverantwortung 384 f.
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Technikfolgenabschätzung 123 ff. Theologische Wirtschaftsethik 254 ff. Transaktionskostentheorie 422 f. Transcultural moral education 486 Überpositives Recht 394 Umweltethik 262 UN-Behindertenrechtskonvention 469 f., 472, 475, 478 UN Global Compact 444 Universal prescriptivism 489 f. Universalisability 487 f. Universalised Golden Rule 483 ff., 491 ff., 507 ff. Universalität / Universalisierbarkeit 473 ff., 519 ff. Unternehmensethik 79 ff., 188, 190 Unternehmensethik, republikanische 251 f. Unternehmenskodizes 195 ff. Unternehmensstrafrecht 378 f. Verantwortlichkeit von Organisationen 369 ff. Verantwortung 14 ff., 101 ff. Verantwortung, moralische 351, 354, 356 ff. Verantwortungsdimensionen 319 ff. Verbandskriminalität 378 f. Vereinte Nationen 469 Verfahrensgerechtigkeit 232 Verfahrenssteuerung 340 Verhaltenskodizes 193 f. Vernunftbegriff 564 f. Versorgung 51 Vertrag, impliziter 309 Vertrag, psychologischer 307, 309 Vertragstheorie 106 Vertrauen 154 ff., 280 f., 290, 297 ff., 305 ff., 312 f. Verwaltung und Ethik 389 Vier-Ursachen-Lehre 616 Virtue 534 ff. Vorstandsbezüge 213 ff. Wachstum 52 Web 2.0 97 f. Werke, gute 45 Werte 320 ff., 326 ff. Werte, moralische 322, 330
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Sachverzeichnis / Index of Subjects
Wertemanagement(-system) 248, 250 Werteverantwortung 320 Werteviereck 322 f. Wertvorstellungen 61 Wettbewerb 169 ff. Widerspruch, praxeologischer 605 Willenserklärung 599, 603, 606, 608 f., 611 Wirkursache 616 Wirtschaftliche Rahmenordnung 424 ff. Wirtschaftsbürgerethik 245 Wirtschaftsethik 37, 39 ff., 45 ff., 60, 80 f., 86, 102, 105 ff., 119, 123, 136, 138, 142 f.,
146, 148, 151, 159, 161, 188 ff., 201 f., 207, 209 f., 213, 218 f., 230, 269 ff. Wirtschaftsethik, integrative 245 Wirtschaftsethik, theologische 254 ff. Wirtschaftsstil 23 ff. Wohlfahrtsstaat 168, 175 Wohltätigkeit 469 World Commission on Dams 444 Würde 470 f. Zurechnung 372 ff., 378 Zurechnungsexpansion 384 Zusammenhalt, sozialer 274, 287
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Hinweise fu¨r Autoren
Beispiele: Name, Buchtitel, Ort / Ort: Verlag, Jahr, Seitenzahl. bzw.
Name, „Titel des Artikels“, in: Name / Name (Hrsg.), Buchtitel, Ort: Verlag, Jahr, Seitenzahl. Sofern ein Werk zum zweiten oder wiederholten Male zitiert wird, sollte die Abkürzung „Ebd.“ oder „Ibid.“ verwendet werden, wenn der Nachweis sich auf eine unmittelbar vorausgehende Zitierung bezieht, und nach einem Komma die Seitenangabe folgen. Wenn auf eine weiter zurückliegende Zitierung Bezug genommen werden soll, sollte der Name des Autors (kursiv gesetzt) wiederholt und in Klammern auf die Fußnote, die die erste Zitierung des Werkes aufweist, hingewiesen werden: Name (Fn. *), Seitenzahl. Seitenhinweise auf die eigene Arbeit sind aus Kostengründen zu vermeiden und durch Gliederungshinweise zu ersetzen. Von dem gesetzten Manuskript erhält der Autor nur einen Korrekturabzug. Korrekturen müssen dabei auf das Notwendige beschränkt bleiben; Kosten für nachträgliche Änderungen gehen zu Lasten des Autors. Autoren erhalten ein Belegexemplar des betreffenden Bandes des Jahrbuchs und jeweils 15 Sonderdrucke ihres Beitrages kostenlos. Die Autoren können weitere Exemplare mit einem Nachlaß von 25% vom Ladenpreis und weitere Sonderdrucke zu einem Seitenpreis von 0,15 A beim Verlag beziehen. Das Manuskript bitte an folgende Anschrift einsenden: Jahrbuch für Recht und Ethik Institut für Strafrecht und Rechtsphilosophie Schillerstr. 1 D-91054 Erlangen Tel.: 0 91 31 / 8 52 69 33 email: [email protected] oder:
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