166 79 2MB
German Pages 256 Year 2015
Jahrbuch für Europäische Geschichte
Jahrbuch für Europäische Geschichte Herausgegeben am Institut für Europäische Geschichte von Heinz Duchhardt in Verbindung mit Wáodzimierz Borodziej, Peter Burke, Ferenc Glatz, Georg Kreis, Pierangelo Schiera, Winfried Schulze
Band 8 2007
R. Oldenbourg Verlag München 2007
Redaktion: Maágorzata Morawiec
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
© 2007 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH, München Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Internet: oldenbourg.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Dieter Vollendorf Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier (chlorfrei gebleicht). Gesamtherstellung: buch bücher dd ag, 96158 Birkach ISBN 978-3-486-58205-5
Inhaltsverzeichnis Schwerpunktthema: Dynastizismus und dynastische Heiratspolitik als Faktoren europäischer Verflechtung Uwe Tresp, Leipzig: Eine „famose und grenzenlos mächtige Generation“. Dynastie und Heiratspolitik der Jagiellonen im 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts
3
Jan Paul Niederkorn, Wien: Die dynastische Politik der Habsburger im 16. und frühen 17. Jahrhundert
29
Matthias Schnettger, Mainz: Geschichte einer Dekadenz? Die italienischen Dynastien im Europa der Frühen Neuzeit
51
Christine Roll, Aachen: Dynastie und dynastische Politik im Zarenreich. Befunde und Überlegungen zur Heiratspolitik der Romanovs im 17. und 18. Jahrhundert
77
Thomas Nicklas, Erlangen: Von der Regionalität zum europäischen Konnubium. Sachsen-Coburgs Heiratspolitik zwischen Früher Neuzeit und 19. Jahrhundert
103
Martin Peters, Mainz: Können Ehen Frieden stiften? Europäische Friedens- und Heiratsverträge der Vormoderne
121
Silke Marburg, Mainz: Herrschaft und Heirat. Der europäische Hochadel in den Dynastischen Informationen des historischen Informationssystems HGIS Germany
135
VI
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Andere Beiträge Andreas Rödder, Mainz: Deutschland, Frankreich und Europa. Interessen und Integration 1945 bis 2005
151
Dagmar Hilpert, Berlin: Die Welt ist nicht genug! Zur Bedeutung von europäischer Geschichtsschreibung im „Zeitalter der Globalisierung“
161
Forschungsbericht Mirosława Czarnecka, Wrocław: Europaorientierte Geschlechterforschung als Wunsch und Herausforderung – eine vorläufige Bilanz aus der Perspektive einer Auslandsgermanistin
181
Europa-Institute und Europa-Projekte Atsuko Kawakita, Tokyo: Stand und Perspektiven der Europastudien (European Studies) in Japan. Das Zentrum für Deutschlandund Europastudien der Universität Tokyo, Komaba
201
Andreas Önnerfors, Lund: Das Zentrum für Europaforschung an der Universität Lund, Schweden
209
Werner Bergmann/Ulrich Wyrwa, Podstam: Antisemitismus in Europa (1879–1914). Nationale Kontexte, Kulturtransfer und europäischer Vergleich. Ein neues Forschungskolleg am Zentrum für Antisemitismusforschung
217
Auswahlbibliographie Małgorzata Morawiec, Mainz: Europa-Schrifttum 2006
223
Autorenverzeichnis
249
SCHWERPUNKTTHEMA Dynastizismus und dynastische Heiratspolitik als Faktoren europäischer Verflechtung Das Europa der Vormoderne war dynastisch geprägt und ist zu einem guten Teil vom Dynastizismus her zu denken. Selbst dort, wo diese Generalaussage nicht zutrifft – in den italienischen Stadtrepubliken, den deutschen Reichsstädten, den Vereinigten Provinzen der Niederlande –, war, wie wir inzwischen wissen, das Bemühen unübersehbar, Adelsgleichheit zu prätendieren und zu demonstrieren, dynastische Hofformen zu imitieren, in den Rang von Monarchien, u. U. gar mit Dynastien, aufzusteigen. Das Schwerpunktthema des diesjährigen Bandes des Jahrbuchs für Europäische Geschichte greift somit ein Thema auf, das einen eminent wichtigen Teil der Signatur des vormodernen Europa ausmachte und auch noch für das 19. Jahrhundert zu den europäischen Strukturmerkmalen gerechnet werden muss, die Europa von anderen Erdteilen deutlich abhoben. Die „transnationale“ Eheschließung, überhaupt das Mittel der Heirat innerhalb des Hochadels, hatten einen Stellenwert, der sich in seiner Bedeutung und seiner Funktionalität her kaum überschätzen lässt: Mit Eheschließungen wurden Friedensschlüsse abgestützt und Koalitionen besiegelt, das dynastische Netzwerk, das mit den aus aktuellen oder lange zurückliegenden Verwandtschaftsbeziehungen gespeisten Prätentionen über die Jahrhunderte hinweg entstand, provozierte und begründete in Krisensituationen einer Dynastie Kriege, die massiv auf die involvierten Gesellschaften zurückschlugen, interdynastische Eheschließungen wurden zu spektakulären Höhepunkten der vormodernen Festkultur und befruchteten die (literarischen und schönen) Künste und versetzten Gelehrte in Betriebsamkeit, nicht eingehaltene Eheversprechen oder gescheiterte Ehen konnten Staaten auf Dauer entfremden. Aber viele andere Fragen schließen sich an: Wie sehen die Heiratsstrategien bedeutender europäischer Dynastien aus, wie gelangen europäische Randstaaten in das internationale „Spiel“ um die Hände von Prinzen und Prinzessinnen, wie verhält sich die dynastische Welt Alteuropas gegenüber homines novi, warum geraten Dynastien fast wie aus dem Nichts in das Zentrum von Heiratsbemühungen und „versorgen“ den halben Kontinent mit ihren Sprösslingen? Oder, um nur noch eine Frage herauszugreifen, welchen Stellenwert hat die Konfession bei interdynastischen Heiraten und ab wann beginnt dieser Aspekt zurückzutreten? Auch wenn hier nur ein Strauß von Einzelstudien vorgelegt werden kann, ist die geschichtswissenschaftliche Relevanz der Thematik wohl un-
2
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
bestritten: Dynastizismus und „Heiratspolitik“ der Dynastien zielen ins Zentrum des europäischen Mit- und Nebeneinanders: in die internationale Politik in all ihren Ausdrucksformen, in die Kulturgeschichte des Politischen, in die Mentalitätsgeschichte, in die Konfessionalisierungsgeschichte.
Eine „famose und grenzenlos mächtige Generation“. Dynastie und Heiratspolitik der Jagiellonen im 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts Von
Uwe Tresp unter Mitarbeit von Agnieszka Gąsior Die zahlreiche Nachkommenschaft des Königs Kasimir IV. von Polen (1447– 1492) und seiner Gemahlin Elisabeth von Habsburg (um 1436–1505) weckte am polnischen Hof große Hoffnungen. Hier wuchs eine „famose und grenzenlos mächtige Generation“ heran, von der man erwartete, dass sie einmal über die Türken triumphieren und die heiligen Stätten der Christenheit befreien werde1. Offenbar ging man davon aus, dass der Kindersegen im Haus Jagiello eine stabilisierende Kontinuität der Herrschaft in Polen und Litauen anbahnte. Gleichzeitig stand somit ein erhebliches dynastisches Potenzial bereit, um der jagiellonischen Herrschaft weitere Länder und neue Verbündete anzugliedern. Auf diese Weise würde aus Polen und seinen Nachbarn eine ostmitteleuropäische Großmacht entstehen, der eine natürliche Führungsrolle bei der Abwehr der Osmanen zukäme. Die hier implizierte Freude über den durch zahlreiche Kinder gesicherten Bestand der jagiellonischen Dynastie wird im Vergleich mit der Situation der vorangegangenen Generation besonders verständlich. Wladislaw II. Jagiello (Władysław II Jagiełło, um 1351–1434), der Begründer des jagiellonischen Königshauses in Polen (ab 1386), hatte erst in vierter Ehe und bereits hohem Alter zwei männliche Nachkommen gezeugt. Dem älteren Wladislaw III. (Władysław III Warneńczyk, *1424), schien als König von Polen (ab 1434) und Ungarn (1440) eine glänzende Zukunft bevorzustehen, als er 1444 bei Warna im Kampf gegen die Türken getötet wurde. Also fiel die Verantwortung für den biologischen Fortbestand der Dynastie nun gänzlich auf den einzigen noch lebenden Jagiellonen der polnischen Linie, Prinz Kasimir (Ka1
Die Textzeile „Magnanima haec proles et sine fine potens“ ist einem hymnischen Gedicht des polnischen Erzbischofs und Dichters Grzegorz von Sanok aus den siebziger Jahren des 15. Jahrhunderts entnommen; hier zitiert nach der Übersetzung bei Krzysztof BACZKOWSKI, Der jagiellonische Versuch einer ostmitteleuropäischen Großreichsbildung um 1500 und die türkische Bedrohung, in: Europa 1500, hrsg. von Ferdinand Seibt und Winfried Eberhard, Stuttgart 1987, S. 433–444, hier S. 437; dieser nach: Juliusz NOWAKDŁUŻEWSKI, Okolicznościowa poezja polityczna w Polsce, Bd. 1: Średniowiecze, Warszawa 1963, S. 107 und 143.
4
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
zimierz IV Jagiellończyk, *1427), der gut zwei Jahre nach dem Tod seines Bruders zum König von Polen gekrönt wurde. Kasimir erfüllte die in ihn gesetzten Erwartungen. Als er im Juni 1492 starb, hinterließ er aus seiner Ehe mit Elisabeth von Habsburg elf noch lebende Nachkommen: fünf Söhne und sechs Töchter. Der zweitälteste Sohn Kasimir (Kazimierz, 1458–1484, kanonisiert 1602), auf dem zunächst große Hoffnungen lagen, war bereits verstorben. Der jüngste Sohn Friedrich (Fryderyk, 1468–1503) hatte eine geistliche Laufbahn eingeschlagen. Die anderen vier männlichen Nachkommen Kasimirs IV. jedoch sollten alle einmal eine Königskrone tragen: Der älteste Sohn Wladislaw (Władysław, 1456–1515) war bereits König von Böhmen (seit 1471) und Ungarn (seit 1490). Die Nachfolge Kasimirs teilten sich 1492 die Brüder Johann Albrecht (Jan Olbracht, 1459–1501) als König von Polen und Alexander (Aleksander Jagiellończyk, 1461–1506) als Großfürst von Litauen. Letzterer folgte 1501 seinem älteren Bruder auch in Polen. Ab 1506 übernahm dann Sigismund, gen. der Alte (Zygmunt I Stary, 1467–1548), der letzte überlebende Sohn Kasimirs IV. und bisheriger Herzog von Schlesien zu Glogau und Troppau, die Herrschaft sowohl im Großfürstentum Litauen als auch im Königreich Polen2. Tatsächlich schienen die Söhne König Kasimirs IV. den in sie gesetzten Hoffnungen als „grenzenlos mächtige Generation“ gerecht zu werden. Um 1500 herrschte die Dynastie der Jagiellonen über das weiträumige Gebiet zwischen Ostsee, Adria und Schwarzem Meer – allerdings in den einzelnen Reichen, ihren Nebenländern sowie über einige abhängige Länder in unterschiedlicher Qualität und Dichte. Die geographische und kulturelle Reichweite dieser Herrschaft wird – neben der Vielzahl der Völker und Sprachen – nicht zuletzt durch die religiöse Vielfalt verdeutlicht, die sich unter ihr versammelte: Lateinische Christen mitsamt den von Rom abgewandten böhmischen Utraquisten, byzantinisch-orthodox geprägte ostslawische Christen und Juden waren nur die größten Religionsgruppen unter weiteren. Mit der Herrschaft einer Dynastie über den gesamten ostmitteleuropäischen Raum wurden die gegenseitigen kulturellen Kontakte zwischen den dazugehörenden einzelnen Ländern erheblich gefördert3. 2 Einen kompakten biographischen Überblick zu den einzelnen Mitgliedern der Jagiellonen-Dynastie bietet Małgorzata DUCZMAL, Jagiellonowie. Leksykon biograficzny, Warszawa 1996; siehe dort die Beiträge zu Wladislaw II. Jagiello (S. 461–478), Wladislaw III. (S. 479–492), Kasimir IV. (S. 375–393), Elisabeth von Habsburg (S. 195–212), hl. Kasimir (S. 365–373), Kardinal Friedrich Jagiellończyk (S. 231–243), Wladislaw von Ungarn und Böhmen (S. 435–458), Johann Albrecht (S. 319–335), Alexander (S. 21–36) und Sigismund dem Alten (S. 543–563). 3 Diesem komplexen Thema widmete sich – vorrangig aus kunst- und kulturgeschichtlicher Perspektive – von 1999 bis 2005 das Projekt „Die Bedeutung der Jagiellonen für die Kunst und Kultur Mitteleuropas (ca. 1450–1550)“ am Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas in Leipzig. Bisher gingen daraus folgende größere Publikationen hervor: Die Jagiellonen. Kunst und Kultur einer europäischen Dynastie an
Tresp, Dynastie und Heiratspolitik der Jagiellonen
5
An seinen Rändern war dieses große Herrschaftsgebiet in verschiedenartige Konfliktfelder mit weiteren komplexen Zusammenhängen eingebunden. Im Osten dominierte die Konkurrenz zwischen dem ausgedehnten litauischen Großreich und dem aufstrebenden Großfürstentum Moskau. Im Südosten drohte eine Expansion des Osmanischen Reiches auf Kosten der Jagiellonenherrschaft und ihrer Verbündeten. Im Norden blieb der seit 1466 auf das östliche Preußen und Livland beschränkte Deutschordensstaat, der nach Lösung aus der polnischen Hegemonie strebte, ein ständiger Unruheherd. Und im Westen bzw. Südwesten standen die Jagiellonen in einer dynastischen Rivalität mit den Habsburgern im Kampf um die ungarische Krone, mithin um die künftige Vorherrschaft in Ostmitteleuropa. Die schiere Größe dieses „jagiellonischen Europa“ um 1500 war seine Stärke und Schwäche zugleich, da es als Machtfaktor nicht übergangen werden konnte, jedoch wegen seiner mangelnden inneren Kohärenz zu einheitlich machtvollem Handeln kaum in der Lage war. Angesichts dieser Situation, die hier nur in groben Zügen angedeutet werden kann, ist es offensichtlich, dass der jagiellonische Herrschaftsbereich tatsächlich kein „Großreich“, also kein homogenes Ganzes war, sondern ein heterogener Verband verschiedener territorialer Hoheiten, dessen Zusammenhalt nur durch eine Konstruktion gewährleistet werden konnte, die den einzelnen locker darin verbundenen Ländern ihre politischen und kulturellen Eigenarten beließ. Man wird es daher als die größte historische Leistung der Jagiellonen ansehen müssen, dass sie in der Lage waren, dieses riesige Gebilde über mehrere Generationen hinweg in den Händen zu behalten, allerdings nicht als Personalunion, die alle Herrschaftsrechte in einem Jagiellonen vereinigt hätte. Eine solche bestand nur einerseits – mit kurzzeitigen Unterbrechungen – zwischen Polen und Litauen sowie andererseits – für 36 Jahre – zwischen Ungarn und Böhmen, hier jedoch in klarer rechtlicher Abtrennung. Ansonsten war dieses Gebilde vor allem deshalb „jagiellonisch“, weil seine großen Kernländer gleichzeitig jeweils von einzelnen Mitgliedern derselben Dynastie beherrscht wurden.
der Wende zur Neuzeit, hrsg. von Dietmar Popp und Robert Suckale, Nürnberg 2002; Künstlerische Wechselwirkungen in Mitteleuropa, hrsg. von Jiří Fajt und Markus Hörsch, Ostfildern 2006; Die Länder der Böhmischen Krone und ihre Nachbarn zur Zeit der Jagiellonenkönige (1471–1526). Kunst – Kultur – Geschichte, hrsg. von Evelin Wetter, Ostfildern 2004; Die Kunst im Markgraftum Oberlausitz während der Jagiellonenherrschaft, hrsg. von Tomasz Torbus unter Mitarbeit von Markus Hörsch, Ostfildern 2006. Weitere Bände befinden sich in Vorbereitung; demnächst: Hofkultur der Jagiellonendynastie und verwandter Fürstenhäuser/The Culture of the Jagellonian and the Related Courts, hrsg. von Urszula Borkowska und Andrea Langer. Der vorherige Stand der Forschung dazu wird vor allem durch den Katalog zur Ausstellung in Schallaburg 1986, Polen im Zeitalter der Jagiellonen 1386–1572, Wien 1986, repräsentiert. Speziell zu den Ländern der Böhmischen Krone siehe auch: Pozdně gotické umění v Čechách 1471–1526, hrsg. von Jaromír Homolka [u. a.], Praha 21984.
6
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Der lockere Zusammenhalt dieser Länder und eine einigermaßen kontinuierliche Herrschaftswahrung war nur deshalb zu gewährleisten, weil es den Jagiellonen gelang, zwei Prinzipien zu verfolgen: Zum einen die Rücksichtnahme auf die Belange der jeweiligen politischen Gesellschaften, in der Regel repräsentiert durch die vom Adel dominierten Stände. Das hieß vor allem Kompromissbereitschaft in Fragen der ständischen Mitbestimmung und – besonders in Böhmen und Litauen – Toleranz gegenüber anderen Konfessionen, um den herrschaftstragenden Konsens nicht zu gefährden4. Zum anderen aber benötigten die Jagiellonen ein starkes dynastisches Bewusstsein, um sich zu einer weitgehend abgestimmt handelnden Interessengemeinschaft zusammenzufinden. Eigentlich waren dies Prinzipien, die sich gegenseitig behinderten. Schon die für dynastisches Handeln wichtigsten Fragen von Thronerwerb und Nachfolgeregelung mussten mit dem Anspruch der polnischen, böhmischen und ungarischen Stände auf das Recht zur Königswahl kollidieren. Allerdings bewiesen die Jagiellonen hier eine von übergeordneten dynastischen Interessen gelenkte Anpassungsfähigkeit zum geeigneten Zeitpunkt, indem sie sich häufig gegenüber den Ständen kompromissbereiter zeigten und entsprechend erfolgreicher waren als ihre Konkurrenten5. Möglicherweise ist ein solches Verhalten im Einzelfall dem persönlichen Charakter einiger Jagiellonen zuzuschreiben. Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass eine vergleichbare Anpassungsfähigkeit auch bei anderen langfristig wie weiträumig erfolgrei4
Jiří FAJT, Das Zeitalter der Jagiellonen in den Ländern der Böhmischen Krone und die tschechische Historiographie, in: Länder der Böhmischen Krone (Anm. 3), S. 15–29; Jaroslav PÁNEK, Der böhmische Adel zwischen Jagiellonen und Habsburgern, in: ebenda, S. 143–150; Paweł KRAS, Religious Tolerance in the Jagiellonian Policy during the Age of the Reformation (The Polish-Lithuanian Commonwealth), in: Die Jagiellonen (Anm. 3), S. 131–138. 5 Nicht zufällig fällt die Jagiellonenherrschaft mit der Blütezeit des staatlichen Dualismus von Königtum und Ständen in Ostmitteleuropa zusammen. Vgl. dazu u. a. Gottfried SCHRAMM, Polen – Böhmen – Ungarn: Übernationale Gemeinsamkeiten in der politischen Kultur des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit [1985], Wiederveröffentlichung in: Ständefreiheit und Staatsgestaltung in Ostmitteleuropa. Übernationale Gemeinsamkeiten in der politischen Kultur vom 16.–18. Jahrhundert, hrsg. von Joachim Bahlcke [u. a.], Leipzig 1996, S. 13–38; Winfried EBERHARD, Konfessionsbildung und Stände in Böhmen 1478– 1530, München/Wien 1981; DERS., Interessengegensätze und Landesgemeinde: Die böhmischen Stände im nachrevolutionären Stabilisierungskonflikt, in: Europa 1500: Integrationsprozesse im Widerstreit. Staaten – Regionen – Personenverbände – Christenheit, hrsg. von dems. und Ferdinand Seibt, Stuttgart 1987, S. 330–348; František ŠMAHEL, Obrysy českého stavovství od konce 14. století do počátku 16. století, in: Český časopis historický 90 (1992), S. 161–187; DERS., Das böhmische Ständewesen im hussitischen Zeitalter: Machtfrage, Glaubensspaltung und strukturelle Umwandlungen, in: Die Anfänge der ständischen Vertretungen in Preußen und seinen Nachbarländern, hrsg. von Hartmut Boockmann [u. a.], München 1992, S. 219–246; Henryk SAMSONOWICZ, Die Stände in Polen, in: ebenda, S. 159–167; János M. BAK, Königtum und Stände in Ungarn im 14.–15. Jahrhundert, Wiesbaden 1973; Sławomir GAWLAS, Polen – eine Ständegesellschaft an der Peripherie des lateinischen Europa, in: Europa im späten Mittelalter. Politik – Gesellschaft – Kultur, hrsg. von Rainer C. Schwinges [u. a.], München 2006, S. 237–261.
Tresp, Dynastie und Heiratspolitik der Jagiellonen
7
chen europäischen Dynastien anzutreffen ist – beispielsweise bei den Luxemburgern oder den Habsburgern. Im Folgenden soll zuerst versucht werden, das dynastische Handeln der Jagiellonen in der zweiten Hälfte des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts in seinen Rahmenbedingungen und übergeordneten Interessen deutlich zu machen. Auszugehen ist dabei von den Umständen ihrer Dynastiebildung sowie den Maßnahmen zur Sicherung und Legitimation der jagiellonischen Herrschaft in Polen6. Es liegt freilich auf der Hand, dass eine umfassende Erörterung der komplexen historischen Zusammenhänge in diesem Rahmen nicht möglich sein wird. Das Hauptaugenmerk soll daher auf die Ausformung der dynastischen Ambitionen gelegt werden, vor allem im Hinblick auf jene Faktoren, die wesentlich zur Entstehung des „jagiellonischen Europa“ beigetragen haben. In einem zweiten Abschnitt wird die Heiratspolitik der Jagiellonen als wichtigstes Instrument dynastischen Handelns untersucht7. Hierbei geht es nicht in erster Linie um die Darstellung der politischen Ereignisse, die in der Literatur bereits umfassende Würdigung erfahren haben8. Vielmehr interessiert hier, wie stark das Heiratsverhalten vom dynastischen Bewusstsein beeinflusst wurde und wie weit es sich dabei den zuvor herausgearbeiteten jagiellonischen Ambitionen unterzuordnen hatte. 1. Faktoren des dynastischen Handelns Dynastisches Handeln setzt dynastisches Bewusstsein voraus. Noch zu Beginn des 15. Jahrhunderts ließ sich jedoch eine Dynastiebildung der Jagiello6
Vgl. dazu die grundlegenden Überlegungen von Wolfgang E. J. WEBER, Dynastiesicherung und Staatsbildung. Die Entfaltung des modernen Fürstenstaates, in: Der Fürst. Ideen und Wirklichkeiten in der europäischen Geschichte, hrsg. von dems., Köln [u. a.] 1998, S. 91–136. 7 Karl-Heinz SPIESS, Europa heiratet. Kommunikation und Kulturtransfer im Kontext europäischer Königsheiraten des Spätmittelalters, in: Europa im späten Mittelalter (Anm. 5), S. 435–464; WEBER, Dynastiesicherung (Anm. 6), S. 94–107; Alfred KOHLER, „Tu Felix Austria Nube“. Vom Klischee zur Neubewertung dynastischer Politik in der neueren Geschichte Europas, in: Zeitschrift für Historische Forschung 21 (1994), S. 461– 482; Hermann WEBER, Die Bedeutung der Dynastien für die Geschichte in der Frühen Neuzeit, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 44 (1981), S. 5–32. 8 Henryk ŁOWMIAŃSKI, Polityka Jagiellonów, Poznań 1999; Marian BISKUP, Die dynastische Politik der Jagiellonen um das Jahr 1475 und ihre Ergebnisse, in: Österreichische Osthefte 18 (1976), 203–217; DERS., Die Rivalität zwischen Jagiellonen und Habsburgern um die böhmische und die ungarische Krone im 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts, in: Österreichische Osthefte 32 (1990), S. 268–285; DERS., Die polnische Diplomatie in der zweiten Hälfte des 15. und in den Anfängen des 16. Jahrhunderts, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 26 (1978), S 161–178; BACZKOWSKI, Versuch (Anm. 1); DERS., Wokół projektów mariaży dynastycznych Jagiellonów w końcu XV wieku, in: Studia historyczne 32 (1989), S. 347–367; DERS., Europäische Politik der Jagiellonen, in: Polen im Zeitalter der Jagiellonen (Anm. 3), S. 56–65.
8
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
nen in Polen kaum absehen, da die Voraussetzungen hierfür in verschiedener Hinsicht problematisch waren. Die Übergangszeit von den piastischen Königen bis zum Beginn der Jagiellonenherrschaft hatte zur faktischen Begründung einer Wahlmonarchie in Polen geführt, die der gewählten Königsdynastie nur noch eingeschränktes Erbrecht auf die Krone gewährte9. Fortan war das Mitspracherecht der Stände bei der für eine Herrscherdynastie grundlegenden Frage der Nachfolgeregelung zu beachten10. Auch Wladislaw II. Jagiello hatte seine Königsherrschaft in Polen – abgesehen von der Voraussetzung seiner Ehe mit der bereits gekrönten Thronerbin Hedwig (Jadwiga) von Anjou – nur unter großen Zugeständnissen an die polnischen Stände erreichen können. Diese mussten bei den Verhandlungen um Nachfolgeregelungen für seine Söhne noch erweitert werden11. Zwar behaupteten die Jagiellonen in Litauen noch ein dynastisches Erbrecht auf das Großfürstentum, jedoch war Polen nunmehr ihre wichtigste Machtbasis. Eine Koordination mit den Interessen der polnischen Stände musste also auch zur Grundvoraussetzung ihrer dynastischen Politik werden12. Dies zeigte sich bei der erstmalig 1438/40 auftretenden Frage des Ausgreifens der Dynastie nach Böhmen und Ungarn. Während die böhmische Thronkandidatur des Prinzen Kasimir 1438 nicht zuletzt an der Unentschlossenheit der polnischen Stände scheiterte, gelang es 1440, seinem älteren Bruder König Wladislaw III. von Polen auch die ungarische Krone zu verschaffen13. Eine dynastische Union Polens mit Ungarn schien der Mehrheit der polnischen Stände im Einklang mit dem einflussreichen Kanzler Erzbischof Zbigniew Oleśnicki erstrebenswert, um für Polen und seinen König die prestigeträchtige Führungsrolle im Kampf gegen die türkische Bedrohung Europas zu gewinnen. Ein weiteres Problem für die Dynastiebildung der Jagiellonen war die kaum mögliche historische Legitimation ihrer Herrschaft in Polen: Wladislaw 9
SCHRAMM, Polen – Böhmen – Ungarn (Anm. 5), S. 28 f.; Stanisław RUSSOCKI, Zwischen Monarchie, Oligarchie und Adelsdemokratie: das polnische Königtum im 15. Jahrhundert, in: Das spätmittelalterliche Königtum im europäischen Vergleich, hrsg. von Reinhard Schneider, Sigmaringen 1987, S. 385–404; GAWLAS, Polen (Anm. 5), S. 250 ff. 10 Vgl. zur Bedeutung von Nachfolgeregelungen für die Dynastiebildung: WEBER, Dynastiesicherung (Anm. 6), S. 95–101. Spezielle Beobachtungen und Überlegungen zu deutschen Fürstenhäusern: Jörg ROGGE, Herrschaftsweitergabe, Konfliktregelung und Familienorganisation im fürstlichen Hochadel. Das Beispiel der Wettiner von der Mitte des 13. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts, Stuttgart 2002; Cordula NOLTE, Familie, Hof und Herrschaft. Das verwandtschaftliche Beziehungs- und Kommunikationsnetz der Reichsfürsten am Beispiel der Markgrafen von Brandenburg-Ansbach (1440–1530), Ostfildern 2005, S. 78–94. 11 Die polnischen Stände akzeptierten ein „natürliches“ Recht der Angehörigen der gewählten Herrscherdynastie auf die Krone. Allerdings wirkten auch die langen Regierungszeiten von Wladislaw II. Jagiello (48 Jahre) und Kasimir IV. (45 Jahre) günstig für einen jagiellonischen Ausschließlichkeitsanspruch in Polen. 12 ŁOWMIAŃSKI, Polityka Jagiellonów (Anm. 8), S. 289. 13 Ebenda, S. 191–194, 198–201.
Tresp, Dynastie und Heiratspolitik der Jagiellonen
9
Jagiello stand als Neophyt unter besonderem Druck, seine Treue zum christlichen Glauben zu belegen. Somit verbot sich eine allzu deutliche Rückbesinnung auf die heidnischen Vorfahren – etwa um das Alter und den Rang seines litauischen Fürstengeschlechts zu betonen14. Möglicherweise auch besaß er zunächst noch keine christlich vermittelte Orientierung auf ein Loyalitäts- und Verantwortungsgefühl für die historische Konstanz der eigenen Familie15. Zur Konstruktion dynastischer Herrschaftslegitimation mussten die ersten polnischen Jagiellonenkönige also vorerst auf ein genealogisches Fundament verzichten. Wo sie stattdessen geeignete Anknüpfungspunkte suchten, wird besonders in ihrer Herrschaftsrepräsentation deutlich. Wladislaw Jagiello setzte gezielt auf die Darstellung einer Kontinuität mit der vorhergehenden polnischen Herrscherdynastie der Piasten sowie auf die deutliche Verbindung der Staatssymbolik mit der Person des Monarchen. Besonders anschaulich zeigt sich dies am Beispiel des Wappengebrauchs: Schon bald nach seinem Amtsantritt gelang es Jagiello, den weißen Adler, der bereits unter den Piasten vor allem als Wappen des Königs und des polnischen Königtums genutzt worden war, in das Zentrum sowohl der staatlichen als auch der dynastischen Repräsentation zu rücken16. Die Übernahme des piastisch-königlichen Wappens durch die Jagiellonen als ihr Hauptwappen betonte die rechtmäßige Nachfolge des neuen Geschlechts und brachte seine dynastischen Interessen gegenüber dem prinzipiell beanspruchten Königswahlrecht der Stände zum Ausdruck. Auch in seiner religiösen Stiftungstätigkeit stellte sich Jagiello bewusst in die piastische Tradition, indem er sich die Trinitäts-, Heiligkreuz- und Corpus-Christi-Verehrung zu Eigen machte. Den bevorzugten religiösen Zentren der Piasten erwies Jagiello mit zahlreichen Schenkungen Reverenz, verzichtete dabei jedoch nicht auf eigene Vorstellungen. So ließen er und seine vierte Ehefrau Sonka (Zofia) Holszańska verschiedene hochrangige Sakralbauten sowie die königlichen Gemächer in Krakau mit byzantinisch-ruthenischen Malereien ausstatten, die als Verweis auf die litauische Herkunft der Jagiellonen verstanden werden. Damit wurden zugleich Herrschaftsansprüche in Litauen wie – indirekt – auch in Polen demonstriert17. 14 15
RUSSOCKI, Königtum (Anm. 9), S. 389 f. Zur Historisierung von Familien- und Verwandtschaftsbeziehungen als kulturelle Voraussetzung der Dynastieformierung und Herrschaftslegitimierung: WEBER, Dynastiesicherung (Anm. 6), S. 96; Klaus SCHREINER, Religiöse, historische und rechtliche Legitimation spätmittelalterlicher Adelsherrschaft, in: Nobilitas. Funktion und Repräsentation des Adels in Alteuropa, hrsg. von Otto Gerhard Oexle und Werner Paravicini, Göttingen 1997, S. 376–430. 16 Zenon PIECH, Die Wappen der Jagiellonen als Kommunikationssystem, in: Hofkultur (Anm. 3); DERS, Herrschaftszeichen und Staatssymbolik in der Monarchie der letzten Piasten (1320–1370), in: Quaestiones Medii Aevi Novae 1 (1996), S. 43–76. 17 Adam S. LABUDA, Die architektonische Gestalt der Trinitäts- und der Heiligkreuzkapelle an der Krakauer Kathedrale im Kontext der königlichen Residenz auf dem Wawel, in:
10
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Im Zusammenhang der Repräsentation einer engen Verbindung von Staat und Dynastie spielte die Verehrung verschiedener Heiliger eine wichtige Rolle. Unter den Jagiellonen erhielt vor allem der Kult des hl. Stanislaus eine besondere Bedeutung, dem als Schutzheiligen Polens sowie gleichermaßen des Königtums und der Dynastie eine erweiterte Funktion und herausgehobene Stellung zukam. Das äußerte sich insbesondere in der von den Jagiellonen eingeführten repräsentativen Einbindung der Stanislaus-Verehrung in das polnische Krönungszeremoniell18. Zudem wurde auf zahlreichen bildlichen Darstellungen ein sinnfälliger Zusammenhang zwischen dem Landespatron und der Person des Monarchen hergestellt19. Beides gemeinsam gab der somit propagierten Einheit von polnischem Königtum und jagiellonischer Dynastie eine sakrale Dimension, aus der sich Herrschaftslegitimation schöpfen ließ. Auch die gezielte Förderung des Stanislaus-Kultes in Litauen, die sich an exponierter Stelle durch die Unterstellung des Wilnaer Domes unter sein Patrozinium manifestierte, ist in diesem Zusammenhang als spezieller Verweis auf dynastische Interessen zu sehen. Neue Anregungen gewann die dynastische Repräsentation der Jagiellonen durch die 1454 geschlossene Ehe König Kasimirs von Polen mit Elisabeth von Habsburg. Die Königin war eine Tochter des deutschen, ungarischen und böhmischen Königs Albrecht II. von Habsburg, mütterlicherseits eine Enkelin Kaiser Sigismunds. Damit brachte sie in ihre neue Familie nicht nur hohes Prestige, sondern auch ihr ausgeprägtes dynastisches Bewusstsein ein. Mehr noch als ihre Zugehörigkeit zum Haus Habsburg wirkte dabei der Stolz auf ihre kaiserliche Herkunft, den sie von ihrer Mutter Elisabeth von Luxemburg, der Tochter Kaiser Sigismunds, geerbt hatte. Das äußerte sich auch in ihren Einflüssen auf die jagiellonische Repräsentationskultur. Offenbar entwickelte die Königin dabei ein besonderes Empfinden für die Möglichkeiten einer Verbindung von polnisch-jagiellonischer Staatsrepräsentation mit den ausgeLänder der Böhmischen Krone (Anm. 3), S. 69–83, hier S. 78; Anna RÓŻYCKA-BRYZEK, Byzantinisch-slawische Malerei im Staate der Jagiellonen, in: Polen im Zeitalter der Jagiellonen (Anm. 3), S. 172–178. 18 Paul CROSSLEY, „Ara patriae“. Saint Stanislaus, the Jagiellonians and the Coronation Ordinal for Cracow Cathedral, in: Künstlerische Wechselwirkungen (Anm. 3), S. 103–121; Urszula BORKOWSKA, Królewskie modlitewniki. Studium z kultury religijnej epoki Jagiellonów (XV i początek XVI wieku), Lublin 1988, S. 213 f.; Michał JAGOSZ, Przedrozbiorowe procesje wawelskie ku czci św. Stanisława biskupa i męczennika, in: Studia Claromontana 17 (1997), S. 38–126. 19 Zenon PIECH, Darstellungen des heiligen Stanislaus als Schutzheiligen des Herrschers, des Staates und der Dynastie der Jagiellonen, in: Fonctions sociales et politiques du culte des saints dans les sociétés de rite grec et latin au Moyen Âge et à l’époque moderne, hrsg. von Marek Derwich und Michel Dmitriev, Wrocław 1999, S. 125–145; DERS., Herrscher und Staat in den ikonographischen Quellen im Zeitalter der Jagiellonen, in: Die Jagiellonen (Anm. 3), S. 35–47, hier S. 41 f.; Marek WALCZAK, „The Jagiellonian Saints“: Some Political, National and Ecclesiastical Aspects of Artistic Propaganda in Jagiellonian Poland, in: ebenda, S. 139–149.
Tresp, Dynastie und Heiratspolitik der Jagiellonen
11
prägten Traditionen ihrer eigenen Herkunft20. Ein herausragendes Beispiel dafür ist die Stiftung der Heiligkreuz-Kapelle am Dom zu Krakau durch König Kasimir und Elisabeth um 1470. Hier griff das ikonographische und heraldische Programm einerseits Elemente der jagiellonischen Frömmigkeit auf und stellte sie gleichsam in einen breiteren Kontext dynastischer Repräsentation durch deutliche Bezugnahme auf luxemburgisch-habsburgische Traditionen der Heiligkreuz-Verehrung21. Die Ehe Kasimirs mit Elisabeth von Habsburg veränderte in jeder Hinsicht die dynastische Situation der Jagiellonen. Es war damit nicht nur gelungen, eine Braut aus einem der vornehmsten Herrscherhäuser Europas zu holen. Der Kinderreichtum des Königspaares stellte die Jagiellonen erstmalig vor die Aufgabe, tatsächlich als Dynastie zu handeln. Eine ungeschmälerte Herrschaftskontinuität in Polen und Litauen allein reichte nicht mehr aus, um die Söhne standesgemäß zu versorgen, da eine Herrschaftsteilung ausgeschlossen war. Also musste die dynastisch orientierte Politik der Jagiellonen darauf zielen, für diese Söhne und ihre zu erwartenden Nachkommen weitere Königsherrschaften oder zumindest möglichst viele Thronanwartschaften zu erwerben. Angesichts der Vielzahl der männlichen Nachkommen König Kasimirs war dies ein höchst anspruchsvolles Vorhaben, zumal gleichzeitig weitgehend darauf verzichtet wurde, einzelne Familienmitglieder mit geistlichen Stellen zu versorgen. Lediglich Friedrich, der jüngste männliche Spross König Kasimirs, wurde für eine geistliche Laufbahn bestimmt und konnte immerhin 1488 als Bischof von Krakau sowie 1493 als Erzbischof von Gnesen (Gniezno) und Kardinal überaus erfolgreich im Sinn des familiären Interesses platziert werden. Geeignete Ansatzpunkte für ein dynastisches Ausgreifen boten vor allem die aus der luxemburgisch-habsburgischen Herkunft der Königin erwachsenen Ansprüche auf die Kronen von Ungarn und Böhmen. Dabei sollte jedoch nicht übersehen werden, dass diese Ansprüche zum Zeitpunkt ihrer Eheschließung mit König Kasimir von Polen lediglich theoretischen Wert besaßen, da Elisabeth in der Erbfolge nach ihrem jüngeren Bruder Ladislaus Postumus und ihrer älteren Schwester Anna (seit 1446 verheiratet mit Herzog Wilhelm III. von Sachsen) erst an dritter Position stand22. Allerdings bot 20 Andrea LANGER, „Ex longa stirpe Imperatorum“. Zum Einfluß Elisabeths von Habsburg (1436/37–1505) auf die Kunst- und Repräsentationstraditionen am jagiellonischen Hof, in: Metropolen und Kulturtransfer im 15./16. Jahrhundert. Prag – Krakau – Danzig – Wien, hrsg. von ders. und Georg Michels, Stuttgart 2001, S. 121–140. 21 LABUDA, Gestalt (Anm. 17), S. 77 f.; Urszula BORKOWSKA, Polskie pielgrzymki Jagiellonów, in: Peregrinationes. Pielgrzymki w kulturze dawnej Europy, hrsg. von Halina Manikowska und Hanna Zaremska, Warszawa 1995, S. 185–203, hier S. 188; DIES., Królewskie modlitewniki (Anm. 18), S. 197 f. 22 ŁOWMIAŃSKI, Polityka Jagiellonów (Anm. 8), S. 277.
12
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
gerade das in Böhmen und Ungarn gültige Prinzip der Wahlmonarchie, das eigentlich legitimistische Ansprüche erschwerte, ambitionierten Fürstenhäusern dennoch eine geeignete Möglichkeit, Mitglieder der eigenen Familie als Thronkandidaten ins Spiel zu bringen23. Bei Erfolg konnte der eigene Herrschaftsbereich auf Kosten dynastischer Rivalen erweitert werden. Königin Elisabeth selbst hatte eine solche Option stets im Blick. Sie nahm bereits bei der Erziehung der jungen polnischen Prinzen darauf Einfluss, dass diese nicht nur auf eine künftige Herrschaft in Polen oder Litauen, sondern auch in den benachbarten Königreichen Ungarn und Böhmen vorbereitet wurden24. Der hiermit deutlich werdende dynastische Ehrgeiz wurde zusätzlich davon begünstigt, dass er den hegemonialen Vorstellungen der polnischen Stände entgegenkam, die einem erneuten südwestlich gerichteten dynastischen Engagement der Jagiellonen nach der gescheiterten Thronkandidatur Kasimirs in Böhmen (1438) und dem kurzen Königtum seines Bruders Wladislaw III. in Ungarn (1440–1444) nicht abgeneigt waren25. Die erste Chance zur Realisierung der dynastischen Pläne der Jagiellonen ergab sich 1470 durch das Angebot des böhmischen Königs Georg von Podiebrad, der Nachfolge eines polnischen Prinzen auf dem böhmischen Thron den Weg zu bereiten. Der „Hussitenkönig“ Podiebrad versprach sich davon eine polnische Unterstützung gegen den ungarischen Herrscher Matthias Corvinus, der bereits 1469 von dem zur römischen Kirche neigenden Teil des Herrenstandes zum Gegenkönig in Böhmen erhoben worden war. Tatsächlich wurde 1471 mit Wladislaw der älteste Sohn König Kasimirs von Polen von einer Mehrheit des böhmischen Adels zum König gewählt26. Allerdings hielt 23
Das von Jagiellonen und Habsburgern gleichermaßen – und auf Grundlage gleicher Erbrechte – verfolgte Prinzip dynastischer Legitimität bewirkte in Böhmen und Ungarn bestenfalls nur die höhere Akzeptanz einer Thronkandidatur, vor allem gegenüber anderen Bewerbern mit geringerer Legitimität. Bessere Wahlchancen waren damit nicht automatisch verbunden. 24 Fryderyk PAPÉE, Jan Olbracht, Kraków 1936, S. 8; DUCZMAL, Jagiellonowie (Anm 2), S. 22. 25 Zu berücksichtigen wäre hier auch der nicht zu unterschätzende Einfluss politischer Berater auf die dynastische Politik. Auch diese verbanden oft persönliche Ambitionen mit dem Erfolg des Herrscherhauses, wie z. B. der einflussreiche italienische Rat Callimachus bei der ungarischen Thronkandidatur von Prinz Johann Albrecht in Ungarn 1490; dazu Krzysztof BACZKOWSKI, Walka o Węgry w latach 1490–1492. Z dziejów rywalizacji habsbursko-jagiellońskiej w basenie środkowego Dunaju, Kraków 1995; Maria REKETTYÉS, Stosunki polityczne i kulturalne polsko-węgierskie za Władysława Jagiellończyka, Wrocław 1999, S. 43–56, hier S. 48. 26 Zdeněk NEJEDLÝ, Volba krále Vladislava II. roku 1471, in: Český časopis historický 11 (1905), S. 38–54 und S. 160–173; Roman HECK, Elekcja Kutnohorska 1471 roku, in: Śląski kwartalnik historyczny, Sobótka 27/2 (1972), S. 193–235; Josef MACEK, Jagellonský věk v českých zemích, Praha 22001, S. 180 ff.; Krzysztof BACZKOWSKI, Walka Jagiellonów z Maciejem Korwinem o koronę czeską w latach 1471–1479, Kraków 1980; Jörg ROGGE, Herzog Albrecht von Sachsen und Böhmen – der Tag von Eger (1459) und
Tresp, Dynastie und Heiratspolitik der Jagiellonen
13
Matthias Corvinus weiterhin an seinem Gegenkönigtum fest und wurde somit zum gefährlichsten Rivalen der jagiellonischen Politik. Gleichzeitig musste die für die Anerkennung der böhmischen Thronansprüche maßgebliche Haltung Kaiser Friedrichs III. beachtet werden. Schließlich hatten die Habsburger ebenso wenig wie die Jagiellonen ihre aus den Prinzipien des dynastischen Legitimismus erwachsenen Ansprüche auf die Kronen von Böhmen und Ungarn aufgegeben. Unbeirrt von der Machtstellung der „nationalen“ Könige Matthias Corvinus in Ungarn und Georg von Podiebrad in Böhmen beharrten beide Dynastien weiterhin auf ihren aus dem Erbe der albertinischen Habsburger erwachsenen Thronrechten27. Ein ebenfalls 1471 unternommener polnischer Feldzug nach Oberungarn flankierte die dynastische Politik der Jagiellonen in Böhmen. Zugleich war er ein Versuch, König Kasimirs zweitältestem Sohn Kasimir mit militärischen Mitteln die ungarische Krone zu verschaffen. Dieses Unternehmen scheiterte zwar daran, dass die erhoffte Unterstützung des gegen Matthias Corvinus opponierenden ungarischen Adels ausblieb28. Aber erstmalig hatten hier die Jagiellonen ihre aus dem Erbe Elisabeths von Habsburg (und auch König Wladislaws III. von Polen und Ungarn) hergeleiteten Thronansprüche in Ungarn offensiv verfochten. In der Folgezeit behielten sie diese weiterhin im Visier, auch nach dem frühen Tod des Thronkandidaten Kasimir 1484. Eine neue Chance für die ungarischen Ambitionen der Jagiellonen ergab sich, als Matthias Corvinus im April 1490 starb. Dabei kam es zu der ungewöhnlichen Situation, dass unter den Thronkandidaten auch zwei jagiellonische Brüder miteinander konkurrierten: der böhmische König Wladislaw und Prinz Johann Albrecht, der zunächst von seinem Vater, König Kasimir, unterstützt wurde29. Während König Kasimir sich jedoch den durch die ungarische Wahl Wladislaws geschaffenen Tatsachen beugte und zwischen seinen Söhnen zu vermitteln suchte, beharrte Johann Albrecht auf seinen Ansprüchen und musste erst militärisch besiegt werden. Die Niederlage des ehrgeizigen Prinzen war für die dynastische Politik der Jagiellonen ein schmerzhafter Dämpfer zum Zeitpunkt ihres größten Erfolges. Sie standen auf der Höhe ihrer Macht und beherrschten jetzt mit den der Zug nach Prag (1471), in: Herzog Albrecht der Beherzte (1443–1500). Ein sächsischer Fürst im Reich und in Europa, hrsg. von André Thieme, Köln [u. a.] 2002, S. 27–51. 27 Karl NEHRING, Matthias Corvinus, Kaiser Friedrich III. und das Reich. Zum hunyadisch-habsburgischen Gegensatz im Donauraum, München 21989; DERS., Die ungarische Aussenpolitik in der Zeit der Landshuter Hochzeit, in: Österreichische Osthefte 18 (1976), S. 236–245; Jörg K. HOENSCH, Matthias Corvinus. Diplomat, Feldherr und Mäzen, Graz [u. a.] 1998, S. 119–159. 28 HOENSCH, Matthias Corvinus (Anm. 27), S. 124–128; BACZKOWSKI, Walka Jagiellonów (Anm. 26), S. 48–54; ŁOWMIAŃSKI, Polityka Jagiellonów (Anm. 8), S. 283–285. 29 ŁOWMIAŃSKI, Polityka Jagiellonów (Anm. 8), S. 287–290; BACZKOWSKI, Walka o Węgry (Anm. 25), S. 48 f.
14
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Königreichen Polen und Ungarn, dem Großfürstentum Litauen sowie den Ländern der Böhmischen Krone den gesamten ostmitteleuropäischen Raum. Damit hatten sie die aus dem luxemburgischen Erbe der Elisabeth von Habsburg erwachsenen Ansprüche eingelöst. Und auch die damit verbundenen Ambitionen auf königliche Kronen für die Söhne König Kasimirs schienen einer Erfüllung greifbar nahe, als Johann Albrecht 1492 in der Nachfolge seines Vaters den polnischen Thron bestieg und Alexander das Großfürstentum Litauen übernahm. Nun war nur noch Sigismund, der jüngste Sohn Kasimirs, standesgemäß zu versorgen. Allerdings hatte die ungarische Auseinandersetzung zwischen Wladislaw und Johann Albrecht 1490 kurzfristig die Einheit der Jagiellonen und den Erfolg ihrer dynastischen Politik gefährdet. Ein solcher Bruderkampf ist auffällig. Insbesondere scheint die anfängliche Unterstützung, die König Kasimir dem jüngeren Johann Albrecht gegen den ältesten Wladislaw zukommen ließ, den ursprünglichen Plänen des Vaters für seine Söhne zu entspringen. Mehr noch: Die ungarische Frage schien sich auch unmittelbar mit den Vorstellungen des Königs für seine eigene Nachfolge zu verbinden. Sie bietet sich somit als geeigneter Ausgangspunkt für weitere Überlegungen zu einem zentralen Thema dynastischer Politik an: den Kriterien für die Nachfolgeregelungen des Königs. Als mit Wladislaw 1471 der älteste Sohn König Kasimirs auf den böhmischen Thron gelangte, waren seine sechs Brüder bereits geboren. Die Frage ihrer künftigen Versorgung deutete sich zu diesem Zeitpunkt also bereits an. Offenbar war zunächst der begabte zweitälteste Sohn Kasimir für die ungarische Krone vorgesehen, scheiterte jedoch 1471 und starb vorzeitig. An seine Position als ungarischer Thronprätendent rückte dann der nächstfolgende Sohn Johann Albrecht, der sich 1490 zur Wahl stellte30. Gleichzeitig wurden sowohl Prinz Kasimir als auch Johann Albrecht und später Alexander von ihrem Vater auf eine Herrschaft in Polen und Litauen vorbereitet31. Dies jedoch musste bedeuten, dass nach den Vorstellungen des Vaters ausgerechnet der älteste Sohn Wladislaw auf Böhmen beschränkt und von einer Bewerbung um die Kronen von Ungarn und Polen ausgeschlossen werden sollte. In Ungarn gelang dieser Plan nicht. Um ihn in Polen durchzusetzen, gab Kasimir kurz vor seinem Tod mit einem letzten Erlass den polnischen Ständen eine Königswahlempfehlung für Johann Albrecht. Daneben bestimmte er Alexander zu seinem Nachfolger im erblichen Großfürstentum Litauen32. Die 30
BACZKOWSKI, Walka o Węgry (Anm. 25), S. 48, vermutet, dass Johann Albrecht bereits längere Zeit vor 1490 als Kandidat auf den ungarischen Thron vorgesehen war. 31 DUCZMAL, Jagiellonowie (Anm. 2), S. 320; PAPÉE, Jan Olbracht (Anm. 24), S. 5; ŁOWMIAŃSKI, Polityka Jagiellonów (Anm. 8), S. 325–328. 32 ŁOWMIAŃSKI, Polityka Jagiellonów (Anm. 8), S. 369. Auch Königin Elisabeth soll Wladislaw 1492 zum Verzicht auf eine polnische Thronkandidatur aufgefordert haben, um die Wahl Johann Albrechts nicht zu gefährden; DUCZMAL, Jagiellonowie (Anm. 2), S. 207.
Tresp, Dynastie und Heiratspolitik der Jagiellonen
15
mutmaßlich höhere Begabung wurde also eindeutig der Rangfolge des Alters vorgezogen. Es ist hier jedoch nicht endgültig zu entscheiden, ob diese offensichtliche Zurücksetzung Wladislaws gegenüber seinen jüngeren Brüdern allein seinem angeblich schwachen Charakter zuzuschreiben ist33. Im Interesse der standesgemäßen Versorgung möglichst aller Söhne König Kasimirs konnte die Bündelung aller Königskronen der Dynastie in einer Hand ohnehin kaum wünschenswert sein. Zudem präferierte man in Polen ähnlich wie bei den jagiellonischen Thronkandidaturen nach dem Tod Kaiser Sigismunds 1438 in Böhmen und dem König Albrechts II. von Habsburg 1440 in Ungarn offenbar eine Personalunion mit Ungarn gegenüber einer polnisch-böhmischen oder – wie 1490 – einer ungarisch-böhmischen, selbst dann, wenn diese ebenfalls den Jagiellonen zufiel34. Das zeigte sich deutlich am Verlauf der ungarischen Thronkandidatur Johann Albrechts und dürfte dann auch die Chancen Wladislaws in Polen geschwächt haben. Mit der 1490 erreichten Größe des jagiellonischen Herrschaftsbereiches wuchsen auch die äußeren Bedrohungen. Dies führte die Jagiellonen für einige Zeit wieder zu einem dynastisch-einheitlichen Handeln zusammen. Im Frühjahr 1494 lud König Wladislaw von Ungarn und Böhmen seine männlichen Familienangehörigen zu gemeinsamen Beratungen nach Leutschau (Levoča) in die Zips ein. Dem folgten seine Brüder König Johann Albrecht von Polen, Kardinal Friedrich und Prinz Sigismund sowie der gemeinsame Schwager Markgraf Friedrich von Brandenburg-Ansbach. Auf diesem jagiellonischen Gipfeltreffen ging es nicht nur um geeignete Abwehrmaßnahmen gegen Türken und Moskowiter sowie gegen habsburgische Ansprüche, sondern auch um damit einhergehende dynastische Fragen35. Drängend war vor allem die ungeklärte standesgemäße Versorgung von Sigismund, dem zweitjüngsten Sohn König Kasimirs. Er wurde offenbar für eine Herrschaft im Fürstentum Moldau vorgesehen, das es aus polnischer Sicht gegen türkische Hegemoniebestrebungen zu sichern galt36. Das Treffen zu Leutschau demonstrierte in einmaliger Art und Weise das dynastische Bewusstsein der Jagiellonen. Auch nach dem Tod des Vaters, der zuvor die gemeinsame Politik maßgeblich gelenkt hatte, fanden sich nun die Söhne zu einer familiären Gemeinschaft zusammen, die politische Gestaltungskraft entfalten konnte. Auch wenn diese Einheit letztlich nur eine Momentaufnahme blieb, symbolisiert sie in besonderer Weise das dynastische 33
Vgl. dazu die ausführliche Charakterstudie Wladislaws durch MACEK, Jagellonský věk (Anm. 26), S. 180–225. 34 DUCZMAL, Jagiellonowie (Anm. 2), S. 390. 35 Ludwik FINKEL, Zjazd Jagiellonów w Lewoczy r. 1494, in: Kwartalnik Historyczny 28 (1914), S. 317–350; PAPÉE, Jan Olbracht (Anm. 24), S. 64–77. 36 BISKUP, Diplomatie (Anm. 8), S. 174. 1497 scheiterte der Versuch König Johann Albrechts von Polen, für Sigismund die Herrschaft im Fürstentum Moldau militärisch zu erkämpfen; dazu PAPÉE, Jan Olbracht (Anm. 24), S. 132–155.
16
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Prinzip, von dem die einzelnen Teile des „jagiellonischen Europa“ um 1500 miteinander verbunden wurden. 2. Heiratspolitik im Dienst der dynastischen Ambitionen Die jagiellonische Heiratspolitik zerfiel – vor allem begründet durch den biologischen Zufall der Geburtsfrequenz – in zwei zeitlich voneinander getrennte Abschnitte, in die sich auch die bekannten nicht realisierten Heiratsprojekte einordnen lassen37. Beide Abschnitte waren jeweils durch unterschiedliche außenpolitische Interessenlagen der Jagiellonen als Dynastie insgesamt sowie der von ihnen beherrschten Länder im Einzelnen gekennzeichnet. Angesichts der deutlich überwiegenden West-/Südwestorientierung der jagiellonischen Ambitionen um 1500 genügt es, hier bevorzugt die in dieser Richtung liegenden Zusammenhänge der Heiraten des polnischen Königshauses zu behandeln38. Der erste Abschnitt der jagiellonischen Heiratspolitik umfasste die Eheschließungen der Prinzessinnen Hedwig (Jadwiga, 1457–1501) mit Herzog Georg von Bayern-Landshut (1475)39 und Sophia (Zofia, 1464–1512) mit Markgraf Friedrich von Brandenburg (1479)40, sowie die 1476 per procura37
Die 1465 und 1472 geborenen Prinzessinnen Elisabeth (I.) und Elisabeth (II.) verstarben frühzeitig. Zudem verfolgte König Kasimir das Prinzip, seine Töchter nicht vor Vollendung des 14. Lebensjahres zu verheiraten. Zur Aufteilung der dynastischen Politik der Jagiellonen in zwei „Etappen“ vgl. auch BISKUP, Politik (Anm. 8), S. 215. ŁOWMIAŃSKI, Polityka Jagiellonów (Anm. 8), S. 276–290, untergliedert die dynastische Politik der Jagiellonen zur Zeit König Kasimirs in drei Phasen: 1471–79, 1479–90 und 1490–92, allerdings in breiterer Perspektive. 38 Auf eine sicher wünschenswerte Berücksichtigung der nicht realisierten Heiratsprojekte muss hier aus Platzgründen – bis auf wenige Ausnahmen – weitgehend verzichtet werden, da sie eine Einzelanalyse ihrer jeweiligen Hintergründe, ihrer Ernsthaftigkeit und der Ursachen des Scheiterns erfordert hätten. 39 BISKUP, Politik (Anm. 8); Reinhard STAUBER, Herzog Georg von Bayern-Landshut und seine Reichspolitik. Möglichkeiten und Grenzen reichsfürstlicher Politik im wittelsbachisch-habsburgischen Spannungsfeld zwischen 1470 und 1505, Kallmünz 1993, S. 66–80; Johann DORNER, Herzogin Hedwig und ihr Hofstaat. Das Alltagsleben auf der Burg Burghausen nach Originalquellen des 15. Jahrhunderts, Burghausen 2002, S. 29–51; Sebastian HIERETH, Die Hochzeit zu Landshut 1475, Landshut 1975; Krystyna TURSKA, Wyprawy ślubne dwóch Jagiellonek: Jadwigi (1475) i Katarzyny (1562), in: Kwartalnik Historii Kultury Materialnej 40/1 (1992), S. 5–32; Fryderyk PAPÉE, Królewskie córy, in: Studia i szkice z czasów Kazimierza Jagiellończyka, Warszawa 1907, S. 285–317, hier S. 287–299; DUCZMAL, Jagiellonowie (Anm. 2), S. 281–303. 40 Reinhard SEYBOTH, Die Markgraftümer Ansbach und Kulmbach unter der Regierung Markgraf Friedrichs des Älteren (1486–1515), Göttingen 1985, S. 37–39. Siehe demnächst auch: DERS., „Hetten wir doinnen und hieaussen fruntschaft von Polan und Beheim“. Die Beziehungen der fränkischen Hohenzollern zu den Jagiellonen im 15. und frühen 16. Jahrhundert, in: Hofkultur (Anm. 3); Agnieszka GĄSIOR, Die Rolle der jagiellonischen Prinzessin Sophie (1464–1512) in der künstlerischen Repräsentation der Hohenzollern in
Tresp, Dynastie und Heiratspolitik der Jagiellonen
17
tionem geschlossene, jedoch nicht vollzogene Ehe König Wladislaws von Böhmen mit Barbara von Hohenzollern (1464–1515), einer Halbschwester Markgraf Friedrichs von Brandenburg und junger Witwe des schlesischen Herzogs Heinrich XI. von Glogau41. Zu dieser Zeit richtete sich das dynastische Interesse des polnischen Königshauses, das mit dem Ende des Dreizehnjährigen Krieges gegen den Deutschen Orden 1466 neue außenpolitische Handlungsspielräume gewonnen hatte, vor allem auf die Erlangung und Sicherung der böhmischen Krone für Kasimirs ältesten Sohn Wladislaw gegenüber dem Thronrivalen Matthias Corvinus von Ungarn und möglichen habsburgischen Ansprüchen42. Die nun einsetzende jagiellonische Heiratspolitik sollte dazu beitragen, wichtige Partner der Konkurrenten zu neutralisieren. So konnten durch die Landshuter Hochzeit von König Kasimirs ältester Tochter Hedwig mit Georg von Bayern-Landshut familiäre Beziehungen zu dessen Vater, dem vermögenden Herzog Ludwig IX. von Bayern-Landshut hergestellt werden, der ein wichtiger Verbündeter des Matthias Corvinus und zudem mit seinem Herzogtum unmittelbarer Nachbar Böhmens war. Die verhältnismäßig schnell abgewickelte Eheschließung hatte darüber hinaus den Vorteil, dass Prinzessin Hedwig den Heiratsbestrebungen des ungarischen Königs entzogen wurde, deren Realisierung ein Eindringen von Matthias Corvinus in die dynastischen Erbrechte der Jagiellonen bedeutet hätte. Ferner schufen sich die Jagiellonen durch eine solche Verbindung mit den hochrangigen Wittelsbachern alternative Möglichkeiten ihrer auf das Reich gerichteten Außenpolitik gegenüber einer einseitigen habsburgischen Orientierung43. Seit 1473 wurde durch Verlobung und 1475 per Heiratsvertrag die Ehe der zweitältesten Tochter Sophia mit Markgraf Friedrich angebahnt, einem Sohn des Kurfürsten Albrecht Achilles von Brandenburg, dem einflussreichsten Interessenvertreter Kaiser Friedrichs III. unter den deutschen Fürsten. Die Franken, in: ebenda; DIES., Friedrich d. Ä von Brandenburg-Ansbach und Sophie von Polen als Stifter. Ein Beitrag zur künstlerischen Repräsentation der Hohenzollern in Franken im ausgehenden 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts, erscheint voraussichtlich 2007; PAPÉE, Królewskie córy (Anm. 39), S. 299–304; DUCZMAL, Jagiellonowie (Anm. 2), S. 495–507. 41 Da sich kurz nach der Eheschließung die politischen Umstände grundlegend änderten, verlor Wladislaw das Interesse an dieser Verbindung und lehnte die Annahme seiner Ehefrau ab. Siehe dazu und zu den langwierigen Bemühungen von Hohenzollern und Jagiellonen, eine der jeweiligen Seite genehme Lösung dieser Frage herbeizuführen: SEYBOTH, Markgraftümer (Anm. 40), S. 77–95; MACEK, Jagellonský věk (Anm. 26), S. 207–211; DERS., Tři ženy krále Vladislava, Praha 1991, S. 5–38; Constantin HÖFLER, Barbara, Markgräfin zu Brandenburg, verwittwete Herzogin in Schlesien, vermählte Königin von Böhmen, Verlobte Konrads Herrn zu Haydeck. Ein deutsches Fürstenbild aus dem XV. Jahrhunderte, Prag 1867; DUCZMAL, Jagiellonowie (Anm. 2), S. 113–121. Zum weiteren Schicksal Barbaras: NOLTE, Familie (Anm. 10), S. 276–290. 42 ŁOWMIAŃSKI, Polityka Jagiellonów (Anm. 8), S. 283–287; BISKUP, Politik (Anm. 8). 43 BISKUP, Politik (Anm. 8), S. 213; DERS., Diplomatie (Anm. 8), S. 168–173; BACZKOWSKI, Versuch (Anm. 1); STAUBER, Herzog Georg (Anm. 39), S. 80–86.
18
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Eheschließung fand dann 1479 in Frankfurt/Oder statt und war zu diesem Zeitpunkt offiziell bereits die zweite Verbindung zwischen Jagiellonen und Hohenzollern. Die seit 1476 vertraglich bestehende Ehe zwischen Wladislaw und Barbara von Glogau wurde vom böhmischen König zwar nie vollzogen, jedoch banden die fortgesetzten Hoffnungen auf Annahme der Braut die Hohenzollern letztlich umso stärker an die dynastischen Interessen der Jagiellonen – zumal die harmonische Ehe Prinzessin Sophias mit Markgraf Friedrich sich stabilisierend auf die gegenseitigen Beziehungen auswirkte. In der Folgezeit waren es besonders häufig die Hohenzollern, die als Vermittler von Heiratsprojekten zwischen den Jagiellonen, deutschen Fürsten, dem dänischen Königshaus oder den Habsburgern auftraten. Der zweite Abschnitt der jagiellonischen Heiratspolitik begann 1491 mit der Hochzeit zwischen Prinzessin Anna (1472–1503) und Herzog Bogislaw X. von Pommern44. Abgesehen von dieser Ehe, die aktuellen nordwestlichen Interessen der polnischen Politik folgte, standen die weiteren Jagiellonenheiraten dieser Zeit vor allem im Zusammenhang der Rivalität mit den Habsburgern um die ungarische Krone45. Eindeutig ordnen sich hier die Ehen König Wladislaws von Böhmen mit der ungarischen Königswitwe Beatrix von Aragón (1457–1508) im Jahre 149046 und dann 1502 mit der französischen Gräfin Anna von Foix-Candale (um 1484–1506)47 sowie die 1512 geschlossene erste Ehe König Sigismunds von Polen mit der ungarischen Magnatentochter Barbara Zápolya (1495–1515) ein48. Aber auch die Hochzeit zwischen Großfürst Alexander von Litauen und Helena (1476–1513), der 44 Hans BRANIG, Geschichte Pommerns. Teil I: Vom Werden des neuzeitlichen Staates bis zum Verlust der staatlichen Selbständigkeit 1300–1648, Köln 1997, S. 71 ff.; Ingeburg JESCHKE, Eine bemerkenswerte Frau: Anna von Polen, Gemahlin Herzog Bogislaws X. (etwa von 1476–1503), in: Stettiner Hefte 9 (2003), S. 5–26; SEYBOTH, Markgraftümer (Anm. 40), S. 63; PAPÉE, Królewskie córy (Anm. 39), S. 307–313; DUCZMAL, Jagiellonowie (Anm. 2), S. 37–43; Robert KLEMPIN (Hrsg.), Diplomatische Beiträge zur Geschichte Pommerns aus der Zeit Bogislaws X., Berlin 1859, S. 515–525. 45 ŁOWMIAŃSKI, Polityka Jagiellonów (Anm. 8), S. 442–456; BACZKOWSKI, Wokół projektów (Anm. 8); BISKUP, Rivalität (Anm. 8); DERS., Diplomatie (Anm. 8); MACEK, Jagellonský věk (Anm. 26), S. 250 ff.; Hermann WIESFLECKER, Kaiser Maximilian I. Das Reich, Österreich und Europa an der Wende zur Neuzeit, Bd. 1, Wien 1971, S. 271–317. Siehe dazu auch die kritischen Anmerkungen aus polnischer Sicht von Krzysztof BACZKOWSKI, Ein neues Werk über Kaiser Maximilian I., in: Bohemia 28 (1987), S. 123–130. 46 MACEK, Jagellonský věk (Anm. 26), S. 211 f.; HOENSCH, Matthias Corvinus (Anm. 27), S. 231–235; DUCZMAL, Jagiellonowie (Anm. 2), S. 145–158. 47 MACEK, Jagellonský věk (Anm. 26), S. 213 f.; DERS., Tři ženy (Anm. 41), S. 132–157; DUCZMAL, Jagiellonowie (Anm. 2), S. 69–78. 48 DUCZMAL, Jagiellonowie (Anm. 2), S. 135–143. Sigismund, genannt der Alte (Stary), lebte zunächst längere Zeit (vermutlich seit 1498) in einer unstandesgemäßen Beziehung mit der bürgerlichen Anna Ochstat („de Thelnicz“), aus der drei Kinder hervorgingen. Nach seiner Thronbesteigung löste er diese Verbindung 1509 auf Druck der polnischen Stände; dazu ebenda, S. 546.
Tresp, Dynastie und Heiratspolitik der Jagiellonen
19
Tochter des Großfürsten Iwan III. von Moskau im Jahre 149549 sowie die 1496 vollzogene Ehe Prinzessin Barbaras (1478–1534) mit Herzog Georg dem Bärtigen von Sachsen sind in diesem Kontext zu sehen50. Die späteren Heiraten dieser Jagiellonen-Generation, also die Ehen von Elisabeth (Elżbieta, vermutlich 1483–1517), die erst 1515 im verhältnismäßig reifen Alter von ca. 32 Jahren den schlesischen Herzog Friedrich II. von Liegnitz heiratete51, und von König Sigismund, der nach dem Tod Barbaras von Zápolya 1518 Bona Sforza (1494–1557), die Tochter des Mailänder Herzogs Johann Galeazzo Sforza ehelichte52, gehören weitgehend in andere Zusammenhänge und werden hier deshalb nicht berücksichtigt. Durch seine Heirat mit Beatrix, der Witwe des ungarischen Königs Matthias Corvinus, verschaffte sich Wladislaw von Böhmen einen wichtigen Vorteil gegenüber seinen Konkurrenten um den ungarischen Thron, zu denen neben dem unehelichen Sohn des verstorbenen Königs und dem Habsburger Maximilian I. auch sein eigener jüngerer Bruder, Prinz Johann Albrecht von Polen, gehörte53. Allerdings war diese Ehe sowohl aus rechtlichen wie auch dynastischen Gesichtspunkten problematisch. In Anbetracht seiner immer noch bestehenden Ehe mit Barbara von Glogau konnte die Hochzeit mit Beatrix keinen offiziellen Charakter haben. Zudem war die Braut bereits 33 Jahre alt und erwiesenermaßen unfruchtbar, was diese Verbindung im Hinblick auf den Fortbestand der Dynastie nicht attraktiv erscheinen ließ – schließlich hatten bis zu diesem Zeitpunkt weder Wladislaw noch seine Brüder legitime Nachkommen gezeugt. Vor allem aber kollidierten die Ambitionen von Wla49
ŁOWMIAŃSKI, Polityka Jagiellonów (Anm. 8), S. 341; PAPÉE, Jan Olbracht (Anm. 24), S. 116 f.; DUCZMAL, Jagiellonowie (Anm. 2), S. 245–261. 50 Uwe SCHIRMER, Die Hochzeit Georgs des Bärtigen mit der polnischen Prinzessin Barbara von Sandomierz (1496), in: Strukturen und Figuren. Historische Essays für Hartmut Zwahr zum 65. Jubiläum, hrsg. von Manfred Hettling [u. a.], München 2002, S. 183–204; Uwe TRESP, „Wann ain vortancz gegeben wirdet“. Die Tisch- und Tanzordnung der Markgrafen von Brandenburg-Ansbach als Gäste der Leipziger Hochzeit 1496, in: Künstlerische Wechselwirkungen (Anm. 3), S. 275–287. Siehe demnächst auch: DERS., „geborene aus konigklichem stamme zu Polen“. Die Anbahnung der Leipziger Hochzeit zwischen Barbara von Polen und Herzog Georg von Sachsen 1496, in: Hofkultur (Anm. 3); Krzysztof BACZKOWSKI, Z polsko-saskich powiązań politycznych w XV wieku, in: Niemcy – Polska w średniowieczu. Materiały z konferencji naukowej zorganizowanej przez Instytut Historii UAM w dniach 14–16 XI 1983 roku, Poznań 1986, S. 303–312, hier S. 311; PAPÉE, Królewskie córy (Anm. 39), S. 313–317; DUCZMAl, Jagiellonowie (Anm. 1), S. 103–112. 51 PAPÉE, Królewskie córy (Anm. 39), S. 304–307; DUCZMAL, Jagiellonowie (Anm. 2), S. 185–191. Elisabeth war lange Zeit Spekulationsobjekt verschiedener Heiratsprojekte mit den Hohenzollern, Habsburgern oder dem dänischen Königshaus. Von 1505 bis 1508 war sie vertraglich an den moldauischen Fürsten Bogdan III. versprochen; dazu DUCZMAL, Jagiellonowie (Anm. 2), S. 185–191. 52 Maria BOGUCKA, Bona Sforza, Wrocław 22004, S. 45–72; DUCZMAL, Jagiellonowie (Anm. 2), S. 161–180. 53 HOENSCH, Matthias Corvinus (Anm. 27), S. 230–236; BACZKOWSKI, Walka o Węgry (Anm. 25); REKETTYÉS, Stosunki (Anm. 25), S. 43–56.
20
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
dislaw hier offenbar mit den dynastischen Plänen König Kasimirs von Polen, wie bereits dargelegt wurde. Im Zusammenhang mit dem Treffen zu Leutschau 1494, auf dem die dynastische Politik der Jagiellonen nach den ungarischen Thronstreitigkeiten und dem Tod König Kasimirs von Polen neu koordiniert wurde, entstanden auch neue Heiratsprojekte54. Geplant war eine durch Markgraf Friedrich vermittelte Werbung des neuen polnischen Königs Johann Albrecht um Margarethe, die Tochter des Römischen Königs Maximilian I. Gleichzeitig wollten sich die Hohenzollern durch eine Doppelhochzeit noch enger mit den Jagiellonen verbinden. Diese Pläne scheiterten am Desinteresse Maximilians, wodurch letztlich auch die Hohenzollern nicht zum Zug kamen. Nur die ebenfalls in diese Zeit fallende Ehe des Großfürsten Alexander von Litauen mit Helena von Moskau wurde 1495 realisiert. Bereits im November 1493 hatte König Johann Albrecht seinen jüngeren Bruder Alexander zu dieser Heirat aufgefordert. Die weiteren Umstände und Zielsetzungen, die sich daran knüpften, konnten von den Jagiellonen daher einige Monate später zu Leutschau ausführlich gemeinsam besprochen werden. Auf den ersten Blick scheint die Ehe eindeutig in eine andere Richtung – nach Osten – zu weisen. Allerdings besaß sie auch eine gegen Maximilian I. gerichtete Komponente: Nach den Vorstellungen Johann Albrechts, die er gegenüber seinem Bruder Alexander äußerte, sollte die familiäre Verbindung mit Moskau unter anderem das von Polen und Litauen als Bedrohung empfundene russisch-habsburgische Bündnis neutralisieren, um den Jagiellonen freie Hand für ihre Westpolitik zu verschaffen und damit zur Sicherung von Wladislaws Herrschaft in Ungarn beitragen55. Auch die folgenden Jagiellonenhochzeiten hingen mit den Bemühungen der Jagiellonen um Herrschaftswahrung in Ungarn zusammen – zum einen gegenüber den dynastisch rivalisierenden Habsburgern, zum anderen gegenüber dem opponierenden ungarischen Hochadel. Die 1496 in Leipzig vollzogene Ehe Prinzessin Barbaras mit Herzog Georg von Sachsen ließ erwarten, dass hiermit der Vater des Bräutigams, Herzog Albrecht der Beherzte von Sachsen, als wichtiger habsburgischer Parteigänger im Reich von den Jagiellonen dynastisch eingebunden werden konnte. Herzog Albrecht hatte bereits seit mehreren Jahren vergeblich die Bezahlung seiner Dienste bei König Maximilian I. eingefordert, was zu einer zeitweise erheblichen Distanzierung führte. Um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen, nahm er Kontakt mit den Gegnern der Habsburger auf, unter anderem mit Frankreich. Vermutlich aus diesen Zusammenhängen heraus entwickelte sich auch das 1496 relativ kurzfristig realisierte sächsisch-polnische Heiratsprojekt56. 54 Richard WOLFF, Die Politik des Hauses Brandenburg im ausgehenden fünfzehnten Jahrhundert (1486–1499), München/Leipzig 1919, S. 85–121; SEYBOTH, Markgraftümer (Anm. 40), S. 85 f. 55 BACZKOWSKI, Versuch (Anm. 1), S. 438; FINKEL, Zjazd (Anm. 35), S. 334 f. 56 TRESP, Anbahnung (Anm. 50). Über Herzog Albrecht den Beherzten und sein Verhältnis zu den Habsburgern: André THIEME, Herzog Albrecht der Beherzte im Dienste des Rei-
Tresp, Dynastie und Heiratspolitik der Jagiellonen
21
In noch größerem Maß als die Leipziger Hochzeit von 1496 war die 1502 geschlossene Ehe zwischen König Wladislaw von Ungarn und Böhmen mit der Gräfin Anna von Foix-Candale, einer entfernten Verwandten des französischen Königshauses, Bestandteil der jagiellonisch-habsburgischen Konkurrenz um Ungarn. Parallel dazu wurde noch ein weiteres französisches Heiratsprojekt für König Johann Albrecht verfolgt, aber nicht realisiert. Beide Verbindungen sollten den im Jahre 1500 geschlossenen Bündnisvertrag zwischen Polen, Ungarn und Frankreich untermauern. Dem Wortlaut des Vertrages nach diente er zwar zur Abwehr der türkischen Bedrohung Europas. Es ist jedoch offensichtlich, dass sich dieses Bündnis ebenso gegen den gemeinsamen Gegner Maximilian I. richtete57. Wladislaws Position in Ungarn war jedoch nicht nur durch die Ansprüche König Maximilians gefährdet. Auch innerhalb des ungarischen Adels formierte sich zu Beginn des 16. Jahrhunderts eine starke Opposition, die ein neues nationales Königtum anstrebte. Als erster Kandidat für eine solche Nachfolge König Wladislaws positionierte sich Johann Zápolya, der Sohn des 1499 gestorbenen ungarischen Palatins und Wojwoden von Siebenbürgen, Stefan Zápolya. Um die Herrschaft seines Bruders und dessen Nachkommen, mithin der jagiellonischen Dynastie, in Ungarn zu sichern, entschloss sich der seit 1506 regierende polnische König Sigismund, die Schwester Zápolyas zu heiraten. Zumindest sollten damit im Fall einer nicht auszuschließenden Thronfolge Johann Zápolyas gute familiäre Beziehungen zu Ungarn gewährleistet bleiben. Die 1512 geschlossene Ehe Sigismunds mit Barbara Zápolya fand jedoch bei König Wladislaw keine uneingeschränkte Zustimmung, bedeutete sie doch die Aufwertung eines Konkurrenten um die ungarische Krone, noch dazu eines einflussreichen ungarischen Magnaten58. Erst die Wiener Verträge von 1515, die unter Beteiligung König Sigismunds von Polen abgeschlossen wurden und eine gleichermaßen enge Verschränkung der Familien sowie der dynastischen Erbrechte der Nachkommen des Römischen Königs Maximilian und König Wladislaws von Ungarn anbahnten, lösten die habsburgisch-jagiellonische Rivalität um Ungarn auf59. Mit den 1521/22 vollzogenen Eheschließungen zwischen Wladislaws Kindern Anna und Ludwig mit Maximilians Sohn Ferdinand und Enkelin Maria orientierte sich die damals absehbar im Entstehen begriffene ungarische Linie ches. Zu fürstlichen Karrieremustern im 15. Jahrhundert, in: DERS. (Hrsg.), Herzog Albrecht der Beherzte (Anm. 26), S. 73–101; Paul BAKS, Albrecht der Beherzte als erblicher Gubernator und Potestat Frieslands. Beweggründe und Verlauf seines friesischen „Abenteuers“, in: ebenda, S. 103–141. 57 BISKUP, Rivalität (Anm. 8), S. 280; DERS., Diplomatie (Anm. 8), S. 174 f. 58 BISKUP, Rivalität (Anm. 8), S. 280 f.; REKETTYÉS, Stosunki (Anm. 25), S. 97–110; DUCZMAL, Jagiellonowie (Anm. 2), S. 135–143. 59 BISKUP, Rivalität (Anm. 8), S. 282 f.; ŁOWMIAŃSKI, Polityka Jagiellonów (Anm. 8), S. 451–456; WIESFLECKER, Kaiser Maximilian I. (Anm 45), S. 181–204.
22
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
der Jagiellonen deutlich in Richtung der Habsburger. Auf der anderen Seite bedeutete dies jedoch auch eine Schwächung der dynastisch begründeten Verbindung mit Polen. Weder die Brüder Wladislaws noch deren Nachkommen wurden bei den erbrechtlichen Regelungen mit den Habsburgern berücksichtigt. Gleichzeitig konzentrierte sich das Interesse der polnischen Stände zunehmend auf den Osten, wo weite Gebiete Litauens von der Expansion Moskaus bedroht waren. Beides führte in Polen zu einem zeitweiligen Desinteresse an der ungarischen Politik und einer beginnenden dynastischen Neuorientierung der Jagiellonen nach Norden, wo man neue Zuwachsmöglichkeiten suchte, etwa in einer erstmals zu Beginn des 16. Jahrhunderts sondierten Personalunion von Polen-Litauen mit Schweden60. Insgesamt kann festgestellt werden, dass sich die Heiratspolitik der Jagiellonen deutlich der von König Kasimir und Elisabeth von Habsburg aufgestellten Prämisse einer Erwerbung und Sicherung der in erster Linie beanspruchten Königskronen von Ungarn und Böhmen unterzuordnen hatte. Die Ambitionen des Königspaares, denen sich auch die Nachfolger anschlossen, zielten weiterhin darauf, möglichst jeden seiner Söhne mit einer eigenen – im besten Fall königlichen – Herrschaft zu versehen. Somit stellten die zahlreichen Töchter, soweit sie nicht vorzeitig verstorben waren, das wertvollste Kapital dieser dynastischen Politik dar. Die Tatsache, dass abgesehen von der in verschiedener Hinsicht aus dem Rahmen fallenden späten Heirat der jüngsten Prinzessin Elisabeth (III.) diese Töchter König Kasimirs sämtlich mit deutschen Reichsfürsten aus vier verschiedenen Dynastien verheiratet wurden, erfordert jedoch noch eine weitere Perspektive der Betrachtung. Zumindest hier dürfte auch das Interesse an einer jagiellonischen Verbindung seitens der Familien der Ehegatten eine große Rolle gespielt haben, auch wenn in drei von vier Fällen von einer anfänglichen Heiratsinitiative aus Polen auszugehen ist61. Es braucht hier nicht eigens behandelt zu werden, dass den Heiratsplänen deutscher Fürsten auch politisch-nachbarschaftliche Erwägungen zu Grunde lagen. Diese erschließen sich aus der Nähe ihrer Herrschaftsgebiete zu denen der Jagiellonen in Polen, Böhmen und Schlesien beinahe von selbst62. Allerdings trat bei ihren Ambitionen gelegentlich ein Aspekt zu Tage, der auch aus Sicht der Jagiellonen von Interesse gewesen sein dürfte. In ihrem eigenen Streben nach Prestige und Rangerhöhung waren die deutschen Fürstenhäuser um ein hochrangiges, 60 61
BACZKOWSKI, Versuch (Anm. 1), S. 441; BISKUP, Diplomatie (Anm. 8), S. 176–178. So bei den Ehen Hedwigs mit Georg von Bayern-Landshut, Sophias mit Friedrich von Brandenburg-Ansbach und Annas mit Bogislaw von Pommern: BISKUP, Politik (Anm. 8), S. 213 f.; SEYBOTH, Beziehungen (Anm. 40); BRANIG, Geschichte Pommerns (Anm. 44), S. 71 f. Von der Ehe Barbaras mit Georg von Sachsen ist nicht bekannt, welche Seite zuerst initiativ wurde. Das größere Interesse lag aber wahrscheinlich auf sächsischer Seite; dazu TRESP, Anbahnung (Anm. 50). 62 Dazu STAUBER, Herzog Georg (Anm. 39), S. 59–71; SEYBOTH, Beziehungen (Anm. 40); TRESP, Anbahnung (Anm. 50).
Tresp, Dynastie und Heiratspolitik der Jagiellonen
23
möglichst königliches, also internationales Konnubium bemüht. Eine Braut, die eine „Geborene aus königlichem Stamm zu Polen“ war, wurde daher auch als willkommener Schmuck des eigenen Stammbaumes gesehen. Dieses dynastische Interesse war offenbar so stark, dass es bisweilen die inzwischen bekannte polnische Säumigkeit bei den Mitgiftzahlungen vergessen ließ63. Bereits Zeitgenossen vermuteten hinter diesem auffälligen Zusammentreffen von Rangdenken einerseits und Zahlungsunwilligkeit andererseits aber auch eine Methode König Kasimirs, seine Töchter kostensparend zu versorgen64. Ebenso wie das dynastische Handeln der deutschen Fürsten wurde auch das der Jagiellonen deutlich von Rang- und Prestigedenken beeinflusst. So setzt etwa das Prinzip der dynastischen Legitimität, auf das sich die Jagiellonen bei ihren Ansprüchen auf die Kronen von Ungarn und Böhmen beriefen, ein erhebliches Bewusstsein für den eigenen Rang voraus. Das hatte auch Auswirkungen auf ihre Heiratspolitik: Eine Beteiligung möglicher Konkurrenten an den dynastischen Rechten musste vermieden werden. Insbesondere galt dies für den ungarischen König Matthias Corvinus, den die auf dynastischer Legitimität beharrenden Jagiellonen und Habsburger als nicht standesgemäßen Usurpator auf dem ungarischen Thron ansahen. Seine Bestrebungen, durch Einheiratung in diese Herrscherhäuser an deren Erbrechten zu partizipieren und somit eine eigene Dynastiebildung legitimistisch zu untermauern, wurden als Bedrohung und Anmaßung zugleich empfunden. Dem entspricht auch die der polnischen Königin Elisabeth von Habsburg zugeschriebene Aussage, Matthias sei ein „Bauer“ und unwürdig, eine Königstochter zu heiraten65. Ungeachtet seiner nicht gesicherten Authentizität spiegelt dieses 63
Zur Bedeutung der in den Eheverträgen geregelten finanziellen Fragen von Mitgiftzahlung und Widerlegung in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Heiratspolitik: KarlHeinz SPIESS, Witwenversorgung im Hochadel. Rechtlicher Rahmen und praktische Gestaltung im Spätmittelalter und zu Beginn der Frühen Neuzeit, in: Witwenschaft in der Frühen Neuzeit. Fürstliche und adlige Witwen zwischen Fremd- und Selbstbestimmung, hrsg. von Martina Schattkowsky, Leipzig 2003, S. 87–114; DERS., European Royal Marriages in the Late Middle Ages. Marriage Treaties, Questions of Income, Cultural Transfer, in: Majestas 13 (2005), S. 7–21. Speziell zu den jagiellonischen Heiratsverträgen: Urszula BORKOWSKA, Marital Contracts of the House of Jagiellon, in: ebenda, S. 75–93. 64 Mit deutlichen Worten in dieser Richtung kritisierte etwa Kurfürst Albrecht Achilles 1481 die Heiratspolitik König Kasimirs von Polen, der seiner Meinung nach nicht daran dachte, die fällige Mitgift der verheirateten Töchter zu zahlen, während andererseits die deutschen Fürsten bereitwillig ihre vertraglich zugesicherte Widerlegung der Mitgift leisteten. Auf diese Weise wurden Kasimirs Töchter standesgemäß versorgt, was den König „nicht einen Pfennig“, sondern „nur schöne Worte“ kostete. Zugleich äußerte der Kurfürst auch Verständnis für das Bestreben seiner Standesgenossen, Ehen mit polnischen Königstöchtern abzuschließen und somit das Prestige der eigenen Dynastie zu heben; Politische Correspondenz des Kurfürsten Albrecht Achilles, hrsg. von Felix Priebatsch, Bd. 2, Breslau 1897, Nr. 743. 65 BISKUP, Politik (Anm. 8), S. 212. Aus vergleichbaren Gründen lehnten zunächst Elisabeth und später auch ihre Söhne Alexander und Sigismund eine geplante Ehe der jüngsten
24
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Zitat in aller Deutlichkeit die vom Rang- und Herkunftsbewusstsein der Habsburger und Luxemburger geprägte Vorstellung der Königin von einem standesgemäßen Konnubium wider66. Ein solch klares Bewusstsein von Rang und Legitimität, wie es sich hier in der Ablehnung unstandesgemäßer Konkurrenten äußerte, lässt im Umkehrschluss erwarten, dass sich die jagiellonische Heiratspolitik dahingehend orientierte, die erblichen Ansprüche und das Prestige der Dynastie gezielt zu vergrößern oder zu untermauern – etwa durch ein Konnubium mit anderen Herrscherhäusern von europäischem Rang67. Tatsächlich waren die Heiraten der Jagiellonen international ausgerichtet und überwiegend westlich orientiert, was ihre seit der Mitte des 15. Jahrhunderts gewachsene europäische Bedeutung und ihre dynastischen Ambitionen unterstreicht68. Umso auffälliger ist daher ein wesentliches Charakteristikum ihres Konnubiums an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert: Es mangelte ihm an königlichem Glanz. Jedenfalls entsprach es kaum der beanspruchten dynastischen Ebenbürtigkeit mit anderen europäischen Königshäusern. So war es zum Beispiel trotz mehrfacher, von verschiedenen Seiten angeregter Heiratsprojekte nicht zu einer erneuten Verbindung der Jagiellonen mit den Habsburgern gekommen, obwohl sie auf Grund zahlreicher herrschaftlicher und dynastischer Berührungspunkte durchaus nahe liegend gewesen wäre. Doch diese Projekte scheiterten alle, entweder weil ihre Vermittler sie mit eigenen Ambitionen verbanden, die dem Erfolg hinderlich waren, oder weil die Habsburger anderweitige Interessen verfolgten69. Erst der folgenden Generation sollte es beschieden sein, hier wieder anzuknüpfen. Tochter König Kasimirs IV. (Elisabeth III.) mit Fürst Bogdan III. von Moldau ab, da dieser von den polnischen Königen als Vasall betrachtet wurde; dazu DUCZMAL, Jagiellonowie (Anm. 2), S. 187. In Polen stand man prinzipiell Ehen des Königshauses mit einheimischen Adeligen ablehnend gegenüber, zumindest dann, wenn es den König selbst betraf: János M. BAK, Queens as Scapegoats in Medieval Hungary, in: Queens and Queenship in Medieval Europe, hrsg. von Anne J. Duggan, Woodbridge 1997, S. 223–233, hier S. 228. 66 Der Einfluss Elisabeths auf die jagiellonische Heiratspolitik um 1500 wird als bedeutend eingeschätzt: vgl. etwa BISKUP, Diplomatie (Anm. 8), S. 171. DUCZMAL, Jagiellonowie (Anm. 2), S. 211 f., vermutet, dass nicht zuletzt auch die auffällig späten Heiraten ihrer Söhne auf das Wirken Elisabeths zurückzuführen sind, die sich davon eine Wahrung ihrer Autorität in dynastischen Fragen versprach. 67 Vgl. dazu die wegweisenden Überlegungen zum Konnubium deutscher Fürstenhäuser von Peter MORAW, Das Heiratsverhalten im hessischen Landgrafenhaus ca. 1300 bis ca. 1500 – auch vergleichend betrachtet, in: Hundert Jahre Historische Kommission für Hessen 1897–1997, hrsg. von Walter Heinemeyer, Marburg 1997, S. 115–140, sowie die von den Überlegungen Moraws ausgehenden Spezialuntersuchungen zu den Dynastien der Hohenzollern und Wettiner: NOLTE, Familie (Anm. 10), S. 95–114; Brigitte STREICH, Politik und Freundschaft. Die Wettiner, ihre Bündnisse und ihre Territorialpolitik in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, in: Kontinuität und Zäsur. Ernst von Wettin und Albrecht von Magdeburg, hrsg. von Andreas Tacke, Göttingen 2005, S. 11–33, hier S. 15 f. 68 Siehe dazu die kartographische Darstellung der Heiraten des polnischen Königshauses von 1300 bis 1500 bei SPIESS, Europa (Anm. 7), S. 459. 69 Einige dieser Heiratsprojekte sind erwähnt bei BISKUP, Rivalität (Anm. 8).
Tresp, Dynastie und Heiratspolitik der Jagiellonen
25
Von den elf Ehen der Kinder König Kasimirs IV. können daher lediglich zwei als „überfürstlich“ eingestuft werden, jedoch nicht ohne Einschränkung: Die Ehe König Wladislaws von Ungarn mit Beatrix von Aragón von 1490 verband ihn zwar theoretisch mit dem neapolitanischen Königshaus. Allerdings wurde sie nur heimlich geschlossen, von Wladislaw nie offiziell anerkannt und dann vorzeitig wieder aufgelöst. Die Ehe Großfürst Alexanders mit Helena von Moskau brachte immerhin die Verbindung mit einem Herrscherhaus, das auf Grund seiner Macht faktisch in einen königlichen Rang einzustufen war. Jedoch lag das Großfürstentum Moskau bereits jenseits der Peripherie des lateinischen Europa. Im Hinblick auf die westlich orientierten Ambitionen der Jagiellonen war ein dynastischer Mehrwert aus einem Zusammengehen mit Moskau demnach kaum zu erwarten. Weiterhin fällt auf, dass es gerade die Männer dieser Jagiellonen-Generation waren, die aus politischen Gründen sogar unterfürstliche Ehen eingingen, während die Frauen ein durchgängig fürstliches Konnubium hatten. Üblicherweise wird davon ausgegangen, dass das männliche Konnubium mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Herrscherhäuser im Durchschnitt ranghöher war als das weibliche, insbesondere dann, wenn es sich um die Familienoberhäupter und Könige selbst handelte70. Am Beispiel der unterfürstlichen Ehen Wladislaws von Ungarn mit der Gräfin Anna von Foix-Candale und Sigismunds von Polen mit Barbara Zápolya wird jedoch deutlich, wie stark sich die jagiellonische Heiratspolitik in den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts dem Erfordernis einer Herrschaftswahrung der Dynastie in Ungarn und Böhmen unterzuordnen hatte71. So stammte Wladislaws Braut Anna nur aus einer verarmten Linie des südfranzösischen Grafenhauses Foix72. Damit entsprach ihre Herkunft kaum dem für ein Königshaus als Selbstverständlichkeit erwartbaren Maß an Rang und Prestige. Immerhin aber war die erst 18 Jahre alte Waise eine entfernte Verwandte, Hofdame und Favoritin der französischen Königin Anna von Bretagne sowie Patenkind des 70 71
NOLTE, Familie (Anm. 10), S. 97 f.; MORAW, Heiratsverhalten (Anm. 67), S. 121. Zumindest im Hinblick auf die Familie Zápolya ist diese Feststellung teilweise zu relativieren. Aufgrund ihrer umfangreichen Besitzungen und einflussreichen Landesämter standen sie an der Spitze der ungarischen Magnaten und besaßen in den von ihnen beherrschten bzw. verwalteten Gebieten, vor allem in der Zips und in Siebenbürgen, eine nahezu autonome Stellung. Dies befähigte sie auch zu ihren um 1500 hartnäckig verfolgten Ambitionen auf den ungarischen Thron. In den Fürstenrang stiegen sie jedoch erst 1526 auf; weiterführend dazu: Jiří FAJT, Der Meister von Okoličné und die künstlerische Repräsentation der Familie Zápolya: Zum Begriff der Hofmalerei in Oberungarn unter den Jagiellonen, in: Länder der Böhmischen Krone (Anm. 3), S. 173–195, hier S. 191 f. Zu den politischen Umständen der Ehe König Sigismunds mit Barbara Zápolya siehe oben bei Anm. 58. 72 Wladislaw wählte Anna aus zwei Kandidatinnen aus, die ihm vom französischen Hof durch Porträtbilder präsentiert wurden. Die Eheschließung per procurationem fand am 6. Oktober 1502 in Blois statt. Dazu: MACEK, Jagellonský věk (Anm. 26), S. 213 f.; DERS., Tři ženy (Anm. 41), S. 132–157.
26
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
französischen Königspaares. Sie entsprach also vielmehr den politischen und dynastischen Anforderungen, einen guten Kontakt zum französischen Königshaus zu gewährleisten und für die immer noch fehlenden legitimen Nachkommen Wladislaws zu sorgen. Darüber hinaus stellte ihr König Ludwig XII. von Frankreich eine reiche Ausstattung und eine Mitgift von 40.000 Francs bereit. In der folgenden Generation stieg das jagiellonische Konnubium in Rang und Qualität. Ein wichtiger Schritt waren bereits die Wiener Verträge von 1515 und die daraus folgenden Hochzeiten von 1521/22, die das ungarischböhmische Königshaus mit dem kaiserlichen Haus Habsburg vereinten. Selbstverständlich verband sich die Heiratspolitik der Jagiellonen auch weiterhin mit politischen Interessen. Aber bei insgesamt zehn Eheschließungen von 1521 bis zum Ende der Herrschaft der Dynastie in Polen 1572 gelangen noch sechs Heiraten mit Königshäusern73, wobei die Habsburger mit vier Ehen an der Spitze standen. In dieser Hinsicht hatten die Jagiellonen klar an internationaler Bedeutung gewonnen. Seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert war die Rolle der dynastischen Politik der Jagiellonen als Faktor der europäischen Verflechtung stetig gewachsen. Sie führte nicht nur zu einer Intensivierung der politischen Beziehungen, sondern sie verband stärker als zuvor auch kulturell den östlichen Rand mit der Mitte und dem Westen des lateinischen Europa. Am deutlichsten war dies im Bereich der höfischen Kultur an den jagiellonischen Residenzen in Krakau und Buda zu spüren. Anspruchsvolle Gemahlinnen wie Anna von Foix oder Bona Sforza brachten neben ihrem von der französischen und italienischen Hofkultur geprägten Geschmack auch eigene Höflinge in die neue Heimat mit und begünstigten den weiteren personellen und kulturellen Austausch mit dem Westen74. 73
1521: Anna von Ungarn mit Ferdinand von Habsburg; 1522: Ludwig von Ungarn mit Maria von Habsburg; 1543: König Sigismund II. August von Polen mit Elisabeth von Habsburg; 1553: derselbe mit Katharina von Habsburg; 1562: Katharina von Polen mit König Johann III. Wasa von Schweden. Zu den königlichen Heiraten der Jagiellonen zählte diesmal auch eine erneute Verbindung mit dem inzwischen zum ungarischen Gegenkönig aufgestiegenen Johann Zápolya, der 1539 Isabella, die Tochter König Sigismunds I. von Polen, heiratete. 74 Anna von Foix umgab sich in Buda mit französischen Höflingen und förderte die Entsendung ungarischer Adelstöchter zur Ausbildung an den französischen Königshof. Auch Bona Sforza zog viele Italiener an den polnischen Hof und sorgte für die Ansiedlung italienischer Künstler und Händler in Krakau, was wiederum das Erblühen von Humanismus und Renaissance im Polen des 16. Jahrhunderts entscheidend begünstigte. Dazu: MACEK, Jagellonský věk (Anm. 26), S. 214; Janusz SMOŁUCHA, Die Ausländer am Hof Sigismunds I., in: Die Jagiellonen (Anm. 3), S. 347–351; Krzysztof BACZKOWSKI, Humanismus in Krakau und Wien um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert, in: Metropolen (Anm. 20), S. 53–64. Weiterführend zum Kulturtransfer durch jagiellonische Heiraten: Andrea LANGER, Frauen – Kunst – Kulturtransfer. Forschungsstand und Perspektiven zur
Tresp, Dynastie und Heiratspolitik der Jagiellonen
27
Von besonderer Bedeutung für die internationale Wahrnehmung der Dynastie waren die Heiraten der jagiellonischen Prinzessinnen mit deutschen Reichsfürsten am Ende des 15. Jahrhunderts. Bereits die erste dieser Eheschließungen, die Landshuter Hochzeit von Hedwig mit Georg von BayernLandshut, erregte großes Aufsehen. Man wird hierbei freilich nicht außer Acht lassen dürfen, dass dies die erste Heirat einer polnischen Prinzessin seit nahezu 90 Jahren war und die erste überhaupt, seitdem die Jagiellonen in Polen herrschten. Das erklärt sicher zum Teil auch den großen Aufwand, den Kasimir bei der Ausstattung seiner Tochter betrieb. Beim höfischen Publikum in Deutschland wiederum war neben der zur Schau gestellten eindrucksvoll prächtigen Ausstattung vor allem der Reiz einer gewissen Exotik spürbar, die an der Haartracht und den fremdartig reichen Kleidern „nach polnischer Sitte“ der Braut aus dem Osten ausgemacht wurde75. Obwohl Hedwigs Schwestern bei ihren Hochzeiten eine ähnliche Ausstattung erhielten, ist ein vergleichbares Echo in den deutschen Quellen später nicht mehr so eindeutig zu finden76. Das lag sicher an der besonderen öffentlichen Ausstrahlung der Landshuter Hochzeit, die in dieser Hinsicht damals im Reich unerreicht blieb. Aber auch ein Gewöhnungseffekt muss in Betracht gezogen werden, der nicht zuletzt den intensivierten Beziehungen der Jagiellonen mit dem Reich, ihrem dynastischen, politischen und kulturellen Näherrücken an die Mitte Europas geschuldet war.
Rolle der weiblichen Mitglieder der jagiellonischen Dynastie im 15. und 16. Jahrhundert, in: Die Jagiellonen (Anm. 3), S. 85–94. 75 Sebastian HIERETH (Hrsg.), Zeitgenössische Quellen zur Landshuter Fürstenhochzeit 1475, in: Verhandlungen des Historischen Vereins für Niederbayern 85/1 (1959), S. 1–64, bes. S. 30–87. Karl-Heinz SPIESS, Unterwegs zu einem fremden Ehemann. Brautfahrt und Ehe in europäischen Fürstenhäusern des Spätmittelalters, in: Fremdheit und Reisen im Mittelalter, hrsg. von dems. und Irene Erfen, Stuttgart 1997, 17–36, hier S. 27. Der Wechsel solcher fremdartiger zu einheimischer Kleidung wurde als Voraussetzung für eine rasche Integration der Braut am Hof ihres Ehegatten angesehen, so auch 1475 bei Hedwig; vgl. ebenda, S. 32. Daneben lässt sich im Zusammenhang mit jagiellonischen Prinzessinnen lediglich im Vorfeld der Leipziger Hochzeit 1496 ein vergleichbarer Wunsch nach Kleiderwechsel der Braut belegen; dazu TRESP, Anbahnung (Anm. 50). 76 Zur Heiratsausstattung Hedwigs und weiterer jagiellonischer Prinzessinnen: DORNER, Herzogin Hedwig (Anm. 39), S. 40–43; HIERETH, Hochzeit (Anm. 39), S. 97–100; TURSKA, Wyprawy (Anm. 39); KLEMPIN, Diplomatische Beiträge (Anm. 44), S. 515–525. Eine für das mitteleuropäische Publikum besondere „Exotik“ ergab sich auch aus der Beteiligung von Musikern aus dem Osten des jagiellonischen Herrschaftsbereichs (Moskowiter, Kosaken und Tataren) am höfischen Zeremoniell, etwa bei den Feierlichkeiten zum Abschluss der Wiener Heiratsverträge 1515: Leopold Nowak, Zur Geschichte der Musik am Hofe Kaiser Maximilians I., in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte der Stadt Wien 12 (1932), S. 71–91.
28
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Summary Around 1500 various members of the Polish-Lithuanian Dynasty of the Jagiellons simultaneously ruled the Kingdoms of Poland, Hungary, Bohemia, as well as the Grand Duchy of Lithuania. For this reason „Jagiellonian Europe“ virtually stretched across the entire politically and culturally very heterogeneous East Central Europe. The development of such a huge dominion and the temporarily – exceeding several decades – successful political coordination of its several components were a result of the Jagiellon’s dynastic behaviour. This paper tries to articulate, which role the dynastic idea plays in the implementation of „Jagiellonian Europe“. For this purpose, various factors are firstly determined, which influenced the creation of a dynastic consciousness among the Jagiellons and the objectives of their dynastic politics. While at the beginning of the Jagiellon monarchy in Poland a dynasty formation was still highly problematic, the marriage of King Kasimir IV of Poland and Elisabeth of Habsburg in particular provided an extended perspective for the Jagiellons, since along with this claims to the Bohemian and Hungarian thrones were acquired. These became the starting point for a policy that aimed at guaranteeing royal power to the sons of the royal couple. A further section of this paper analyses the Jagiellon’s marriage pattern, which is a field of special importance for the dynastic politics. In this way, it can be observed that marriages, especially those of the male Jagiellons, had to conform to the dynastic interests in Bohemia and Hungary. In contrast, the aspect that was typical for principal marriages during the Middle Ages and the early modern Age, namely thinking in status categories and enhancement of prestige through marriage, was considered rather unimportant.
Die dynastische Politik der Habsburger im 16. und frühen 17. Jahrhundert Von
Jan Paul Niederkorn Die gegen Ende des 12. Jahrhunderts niedergeschriebene Kölner Königschronik berichtet zum Jahr 1142, dass König Konrad III. das Pfingstfest in Frankfurt feierte, „wo er die würdigsten Fürsten von Baiern sowie von Sachsen um sich versammelte. Hier gab er, gestützt auf den Beistand einiger ihm vertrauten Fürsten, die angesehenste Matrone Sachsens, Frau Gertrud, die Tochter des Kaisers Lothar und Witwe des oft genannten Herzogs Heinrich, einem seiner Halbbrüder namens Heinrich zur Ehe, und befolgte den klugen und für das ganze Reich sehr nützlichen Rat, dass durch eine Frau alles befriedet werden könne. Dies geschah auch. Denn die Fürsten, welche bisher sich widersetzt hatten, söhnten sich nun mit dem König aus und versprachen ihm Treue in jeder Hinsicht; auch er, mit ihnen versöhnt, gab jedem, was seiner Würde gehörte, wieder“1.
Die von Konrad III. und den beteiligten Großen erhoffte dauerhafte Befriedung des Reichs mittels der geschilderten Heirat trat nicht ein, weil die damit verbundene Lösung wichtiger territorialer Streitfragen (die Übertragung des Herzogtums Bayern an den Bräutigam) nicht alle Fürsten zufrieden stellte und die Braut weniger als ein Jahr nach der Hochzeit im Kindbett verstarb2. Die vom Chronisten referierte Erwartung, dass „ durch eine Frau alles befriedet werden könne“, stellt bis zum Ende des Ancien Régime eine weitestgehend akzeptierte Maxime der Politik der europäischen Dynastien dar3. Die programmatische Aussage, dass die zu schließende Ehe Frieden und Freundschaft zwischen den Fürsten und ihren Ländern sichern solle, begegnet in vielen der überlieferten Heiratsverträge4. 1 Chronica regia Coloniensis, Rec. 1, hrsg. von Georg Waitz, Monumenta Germaniae Historica, Scriptores in usum scholarum 18, Hannover 1880, S. 78. Mit Ausnahme des Satzes „dass durch eine Frau alles befriedet werden könne“ folgt die Übersetzung der von Karl Platner/Wilhelm Wattenbach in der Reihe „Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit“ Bd. 69, Leipzig o. J., welcher noch eine ältere Edition der Königschronik zugrunde liegt, in der es an Stelle von posse una femina pacificare omnia hieß: posse una feria pacificare omnia. 2 Siehe Johann Friedrich BÖHMER, Regesta Imperii IV, 1. Abt.: Die Regesten des Kaiserreiches unter Lothar III. und Konrad III., 2. Teil: Konrad III. (1093/94–1152), neubearbeitet von Jan Paul NIEDERKORN unter Mitarbeit von Karel HRUZA (im Druck), hier: Nr. 240, 265, 271 f. 3 Zu dieser Thematik siehe den Beitrag von Martin PETERS unten S. 121–133. 4 So enthält der Heiratskontrakt zwischen Karl IX. von Frankreich und der Erzherzogin Elisabeth vom 14. Januar 1570 die Aussage, die Ehe werde geschlossen „pour la conserva-
30
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Dass dieser Effekt in der Regel nur eine begrenzte Zeit anhielt, dass die aus den dynastischen Heiraten resultierenden Erbfolgeansprüche vielmehr „ein außenpolitisches Konfliktpotential von eminenter Bedeutung“ darstellten5, darf als bekannt vorausgesetzt werden. Beachtung verdient in diesem Zusammenhang allerdings die Beobachtung Andrew Losskys, dass die engen verwandtschaftlichen Beziehungen der Herrscher untereinander dazu führten, dass diese, auch wenn sie nicht zögerten, einem anderen Besitzungen wegzunehmen, doch auf Pläne verzichteten, ihn und seinen Staat völlig zu ruinieren6. Kritik an der bei den europäischen Dynastien gebräuchlichen Heiratspolitik wurde von den Zeitgenossen nur vereinzelt geübt und fand in der Praxis keine Berücksichtigung, auch wenn sie von einem der bedeutendsten Denker der Epoche, Erasmus von Rotterdam, kam. Dieser hegte – unter anderem unter Hinweis auf die vor allem für die Betroffenen weiblichen Geschlechts damit verbundenen menschlichen Probleme7 – nicht nur grundsätzliche Vorbehalte gegen die Instrumentalisierung einer persönlichen Angelegenheit wie der Ehe für politische Zwecke, er bezweifelte auch, dass solche Ehen geeignet waren, den ihnen zugeschriebenen Zweck zu erfüllen, kriegerische Auseinandersetzungen zu vermeiden8. Den Traktat, in dem er seine Bedenken äußerte, widmete Erasmus seinem Landesherrn Karl, dem späteren Kaiser Karl V. Er und sein Bruder Ferdinand waren die Nutznießer der spektakulärsten Erfolge dynastischer Heiratspolitik, die der dem Ungarnkönig Matthias Corvinus zugeschriebene, aber erst im 17. Jahrhundert belegte Spruch „Bella gerant alii, tu felix Austria nube“ durchaus treffend ausdrückt9. Anhand der Schicksale ihrer Kinder und Enkelkinder soll tion & augmentation de la sainte foi & Religion Catholique, & pour L’ établissement de la Paix publique, & benefice de la chrétienté, à quoi s’ adresse & doit adresser l’ union, parentelle & lien, moiennant Mariage entre tels Princes“. In: Jean DUMONT, Corps universel diplomatique du droit des gens, Bd. V, Amsterdam 1728, S. 178. Im Entwurf des Heiratskontrakts für die geplante Ehe zwischen Elisabeth I. und dem Duc d’ Anjou vom 11. Juni 1581, ebd., S. 406 wird als Ziel angegeben: „pour corroborer l’ancienne Amitié & confoederation, & aussi pour la bonne conservation & asseurer & confirmer les accroissements des Honneurs, Estats, Royaumes E Seigneuries & Pays des Tres-Chrétien Roy de France & tres illustre Duc D’Anjou Frere unique du Roy Tres-Chrestien, & la Serenissime Reine d’ Angleterre d’ aultre part“. 5 Johannes KUNISCH, Staatsverfassung und Mächtepolitik. Zur Genese von Staatenkonflikten im Zeitalter des Absolutismus, Berlin 1978, S. 14. 6 Andrew LOSSKY, International Relations in Europe, in: The Rise of Great Britain and Russia, hrsg. von John Selwyn Bromley, Cambridge 1970, S. 168 f. 7 Siehe Beatrix BASTL, Habsburgische Heiratspolitik – 1000 Jahre Hochzeit?, in: L’Homme. Zeitschrift für feministische Geschichtswissenschaft 7 (1996) S. 75–89, die die Problematik anhand der meist nicht gerade glücklichen Lebensläufe der Schwestern Karls V. exemplifiziert. 8 Erasmus VON ROTTERDAM, Institutio principis christiani, in: DERS., Ausgewählte Schriften, hrsg. von Werner Welzig, Bd. 5, Darmstadt 1968, S. 323 ff. 9 Alfred KOHLER, „Tu felix Austria nube“. Vom Klischee zur Neubewertung dynastischer Politik in der neueren Geschichte Europas, in: Zeitschrift für historische Forschung 21 (1994) S. 461–482, hier: S. 462; DERS., Karl V. 1500–1558. Eine Biographie, München 1999, S. 47.
Niederkorn, Die dynastische Politik der Habsburger
31
im Folgenden die dynastische Politik des Hauses Österreich im 16. und frühen 17. Jahrhundert untersucht werden10. Einige grundsätzliche Überlegungen sind an dieser Stelle vorauszuschicken. Erstens ist festzuhalten, dass „dynastische Politik“ nicht unbedingt nur Heiratspolitik bedeutet. Wenn man mit Markgraf Albrecht Achilles von Brandenburg-Ansbach die „merung vnser herrschafft“ als Maxime dynastischer Politik ansieht11 und darunter in erster Linie den Einsatz der vorhandenen Humanressourcen der Familie für dieses Ziel versteht, muss neben dem Agieren auf dem Heiratsmarkt der europäischen Dynastien auch ein anderer möglicher Weg beachtet werden, den Einflussbereich des Hauses zu erweitern, nämlich die Einbeziehung reichskirchlicher Territorien durch die Wahl eines Mitglieds zum Oberhirten eines Reichsbistums oder einer bedeutenden Reichsabtei12. Zweitens kann sich die Analyse der Heiratspolitik nicht auf tatsächlich geschlossene Ehen beschränken. Ausgehend vom Beispiel Karls V., der vor seiner Heirat im Jahr 1526 insgesamt sieben Mal verlobt gewesen war, das erste Mal im Alter von einem Jahr, hat Hermann Weber nachdrücklich auf das Potential hingewiesen, das Heiratsprojekte bis zum Vollzug der Ehe als Mittel der Machtpolitik besaßen, da schon allein der Abschluss eines Vertrages die erwünschten politischen Konsequenzen mit sich bringen konnte, es aber auch möglich – und üblich – war, den Vertrag aufzulösen, wenn dies gerade opportun erschien13. Im Gegensatz zu den zustande gekommenen Ehen der hier ins Auge gefassten Habsburger-Generationen, die ohne Ausnahme behandelt werden, können nicht verwirklichte Heiratsprojekte nur in Ausnahmefällen berücksichtigt werden, da diese nicht selten eine beachtliche Anzahl erreichen: in einer neuere Studie zu den Habsburgern des Spätmittelalters wurden für Maximilian I. neben seinen beiden Ehen nicht weniger als 13, für seine Tochter Margarethe gar 17 Heiratsprojekte ermittelt14. Außer Betracht bleiben müssen in einer dynastischer Politik gewidmeten Arbeit Heiraten aus Liebe, für die das 16. Jahrhundert mit Ferdinand von Tirol und Philippine Welser immerhin ein sehr bekanntes Beispiel liefert. 10
Wenn andere Angaben fehlen, stützen sich die Ausführungen auf: Die Habsburger. Ein biographisches Lexikon, hrsg. von Brigitte Hamann, Wien 1988. 11 Zitiert bei Cordula NOLTE, Familie, Hof und Herrschaft. Das verwandtschaftliche Beziehungs- und Kommunikationsnetz der Reichsfürsten am Beispiel der Markgrafen von Brandenburg-Ansbach (1440–1530), Ostfildern 2005, S. 55. 12 Siehe Rudolf REINHARDT, Die hochadeligen Dynastien in der Reichskirche des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Römische Quartalsschrift 83 (1988), S. 213–235. 13 Hermann WEBER, Die Bedeutung der Dynastien für die europäische Geschichte, in: Das Haus Wittelsbach und die europäischen Dynastien (= Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 44 [1981]), S. 5–32, hier: S. 9 ff. 14 Cyrille DEBRIS, „Tu felix Austria, nube“. La dynastie de Habsbourg et sa politique matrimoniale à la fin du Moyen Age (XIIIe – XVIe siècles), Turnhout 2005, S. 575–589 bzw. S. 563–575.
32
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Während in ihrem Fall der Standesunterschied eine mit allen üblichen Rechtsfolgen verbundene Ehe verhinderte, konnten andererseits auch Neigungsheiraten zweier Fürstenkinder an politischen Vorbehalten scheitern, wie es beispielsweise bei der von Albrecht VI. von Bayern angestrebten Ehe mit der Grazer Erzherzogin Magdalena der Fall war, die trotz der Förderung durch Herzog Wilhelm V. und die Brautmutter Maria ebenso am Widerstand seines Bruders Herzog Maximilian I. scheiterte wie einige Jahre später die Verbindung von dessen Schwester Magdalena mit Erzherzog Leopold V.15. Immerhin, soviel muss doch gesagt werden, scheinen bei den Habsburgern auch die aus politischem Kalkül geschlossenen Ehen in überdurchschnittlichem Ausmaß recht glücklich verlaufen zu sein, etliche dürften, wie es Karl Vocelka und Lynne Heller für Maximilian I. und Maria von Burgund hervorgehoben haben, eine emotionale Ebene erreicht haben wie sonst nur solche, die aus Zuneigung geschlossen wurden16. Ehen, denen nicht ausschließlich Kombinationen politischer Natur zugrunde lagen, waren naturgemäß nur denen möglich, die über eine unabhängige Stellung innerhalb der Familie verfügten, also in der Regel nur den Familienoberhäuptern selbst. Eine Verbindung, die in erster Linie im Sinn des Eingehens einer neuen Partnerschaft im heutigen Verständnis geschlossen wurde, war vielleicht die Kaisers Ferdinands II. mit Eleonore von Mantua17. Die Ehe des dreifachen Witwers Philipp II. mit seiner Nichte Erzherzogin Anna, die zuvor seinem Sohn Carlos zugedacht gewesen war, dürfte hingegen primär vom Wunsch bestimmt gewesen sein, einen männlichen Erben zu erhalten, und von ähnlichen Hoffnungen war auch die Verbindung des Kaisers Matthias mit Anna von Tirol getragen, die sonst eher eine Verlegenheitswahl war18; 1605 wird als Grund für Matthias’ Absicht, sich zu vermählen, auch die Sorge genannt, durch das Zusammenleben mit einer Mätresse sein Seelenheil zu gefährden19. Auf biologische Reproduktion waren – fast20 – alle Ehen und Eheprojekte ausgerichtet. Die Zeugung erbfähiger Nachkommen erfüllte mit ihrer die 15 16
Dieter ALBRECHT, Maximilian I. von Bayern 1573–1651, München 1998, S. 150–156. Karl VOCELKA/Lynn HELLER, Die private Welt der Habsburger. Leben und Alltag einer Familie, Graz/Wien 1998, S. 105. 17 Zu dieser Ehe siehe Giovanni Battista INTRA, Le due Eleonore Gonzaga imperatrici, in: Archivio storico lombardo 18 (1891), S. 343–363, hier: S. 344–349. 18 Bernd RILL, Kaiser Matthias. Bruderzwist und Glaubenskampf, Graz [u. a.] 1999, S. 202 f. 19 Bericht des Nuntius Ferreri an Kardinal San Giorgio aus Prag vom 10. Jan. 1605: Nuntiaturberichte aus Deutschland, Abt. IV, Bd. 3: Die Prager Nuntiatur des Giovanni Stefano Ferreri und die Wiener Nuntiatur des Giacomo Serra, 1603–1606, bearb. von Arnold O. Meyer, Berlin 1913, S. 278, Nr. 356g. 20 Aufgrund des Alters der Braut eher unwahrscheinlich war Nachkommenschaft bei Anna Jagellonka, der Schwester Sigismund Augusts von Polen, für die anlässlich der Königswahlen von 1572 und 1575 die Eheschließung mit dem habsburgischen Thronkandidaten Erzherzog Ernst vorgesehen war, vgl. unten S. 39. Auch Sibylle von Jülich-Kleve war bei
Niederkorn, Die dynastische Politik der Habsburger
33
Kontinuität der Dynastie gewährleistenden und somit herrschaftsstabilisierenden Funktion allerdings ebenso eine staatspolitische Bestimmung wie das Hervorbringen weiterer Nachkommen, die mittels des Instruments der dynastischen Heiratspolitik für andere Ziele einsetzbar waren. Seitens der Mediävistik und der Frühneuzeitforschung wurde in jüngerer Zeit mehrfach versucht, eine Typologie der Zielsetzungen dynastischer Ehen zu erarbeiten21. Darauf aufbauend, scheint mir die Unterscheidung folgender Haupttypen am sinnvollsten: 1. Rekonziliationsheiraten im Zusammenhang mit der Beendigung eines Konflikts. 2. Heiraten zur Bekräftigung eines Vertragsabschlusses, besonders von Bündnissen. 3. Heiraten im Zusammenhang mit politischer Parteibildung bzw. mit einem Parteiwechsel. 4. Heiraten zum Erwerb von Territorien und Rechtsansprüchen. 5. Heiraten zur Aufrechterhaltung guter Beziehungen insbesondere zu den Herrschern benachbarter Territorien oder in Einflussgebieten. 6. Aus situationsbedingten Interessen eingegangene Ehen. Von den Heiratsprojekten für die Kinder Karls und Ferdinands, mit deren Hilfe Konflikte bereinigt werden sollten, verdient als erstes eines aus dem Jahr 1539 Erwähnung. Als der Kaiser damals auf dem Weg von Spanien in die Niederlande durch Frankreich reiste, entstand der Plan einer Heirat des Herzogs von Orléans, des jüngeren Sohns Franz’ I., mit Karls Tochter Maria, welche die Niederlande und die Franche Comté als Mitgift erhalten sollte. Dieser nicht realisierte Gedanke wurde einige Jahre später im Frieden von Crépy wieder aufgegriffen, allerdings dahingehend modifiziert, dass es Karl freistehen sollte, an Stelle Marias eine Tochter Ferdinands als Braut auszuwählen, welche dann das Herzogtum Mailand in die Ehe mitbringen sollte. Kurz nachdem Karl sich für die letztere Variante entschieden hatte, verstarb der Herzog von Orléans jedoch (September 1545)22. Die Ära der militärischen Auseinandersetzungen zwischen Frankreich und den Habsburgern ging erst 1559 zu Ende und wurde wiederum mit einer Ehe besiegelt, der von ihrer Heirat mit Karl von Burgau im Jahr 1601 wohl nicht mehr gebärfähig, wäre es am Beginn der Pläne zu dieser Verbindung Anfang der neunziger Jahre aber noch gewesen, siehe unten S. 37. 21 Walter HÖFLECHNER, Zur Heiratspolitik der Habsburger bis zum Jahre 1526, in: Festschrift Hermann Wiesflecker zum sechzigsten Geburtstag, Graz 1973, S. 115–121; WEBER, Die Bedeutung (Anm. 13), S. 11; Tobias WELLER, Die Heiratspolitik des deutschen Hochadels im 12. Jahrhundert , Köln [u. a.] 2004, S. 797–811. 22 Rainer BABEL, Deutschland und Frankreich im Zeichen der habsburgischen Universalmonarchie, Darmstadt 2005, S. 33–37.
34
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Karls Sohn Philipp mit Elisabeth von Valois, der Tochter Heinrichs II. Der damals geschlossene Friede hielt trotz aller Spannungen verhältnismäßig lange, was jedoch primär der innenpolitischen Krise zu verdanken gewesen sein dürfte, in die Frankreich nach Heinrichs Tod schlitterte. Die Besiegelung eines Friedensschlusses mit den traditionellen Gegnern der österreichischen Habsburger, den Osmanen, wurde nie ernsthaft erwogen. Hingegen hat es sehr wohl Bestrebungen gegeben, über eine Ehe mit Ferdinands I. Tochter Johanna den Ausgleich mit Johann Sigismund Zápolya von Siebenbürgen, dem Sohn von Ferdinands Rivalen in Ungarn Johann Zápolya, zu erreichen. Die auf einer Vereinbarung im Frieden von Weißenburg (Alba Julia) 1551 beruhenden und 1563/64, als die Brautleute heiratsfähig geworden waren, in ein konkretes Stadium getretenen Verhandlungen führten jedoch zu keinem Resultat, da Ferdinand und seine Räte wegen der lange ausbleibenden Antwort Johann Sigismunds zur Einsicht gelangten, dieser meine es nicht ernst; sie sprachen daraufhin Johanna einem anderen Kandidaten, Francesco de Medici, zu23. Im Interesse seines Bruders Karl vermählte Ferdinand seine Tochter Maria 1546 mit Herzog Wilhelm von Jülich-Kleve, der sich nach der Niederlage im Geldrischen Erbfolgekrieg bei seiner Unterwerfung im Venloer Vertrag 1543 dem Kaiser hatte verpflichten müssen, seine Ehe mit Jeanne d’Albret, einer Nichte Franz’ I., aufzulösen und eine Tochter Ferdinands zu ehelichen. Wenngleich die Gefahr, dass Frankreich in ihm einen für die benachbarten Niederlande gefährlichen Bundesgenossen finden würde, damit gebannt war, wurde Wilhelm, der selbst altgläubig blieb, dennoch in religionspolitischen Fragen nicht zu einer verlässlichen Stütze der Habsburger24. Das erhoffte Umschwenken auf einen eindeutig prohabsburgischen Kurs wurde auch durch eine Eheabrede mit einem anderen führenden Protagonisten der reichsfürstlichen Opposition nicht erreicht: Der Linzer Vertrag von 1534, der die Heirat einer Tochter Ferdinands mit dem bayerischen Erbprinzen vorsah, führte keineswegs zur Aufgabe der bayerischen Kontakte zu den bisherigen Verbündeten und Frankreich. Erst die Hochzeit der Erzherzogin Anna mit dem künftigen Herzog Albrecht V. im Jahr 1546 markiert auch eine Wende der bayerischen Politik zu einer von Loyalität und engen Kontakten zum Kaiserhof geprägten Haltung25. Nicht zu einem dauerhaften Bündnis führte der 1594 gegen heftige innere Widerstände vollzogene Übertritt des siebenbürgischen Fürsten (und osmani23 24
Alfred KOHLER, Ferdinand I. 1503–1564. Fürst, König und Kaiser, München 2003, S. 293. Ernst LAUBACH, Ferdinand I. als Kaiser. Politik und Herrschaftsauffassung des Nachfolgers Karls V., Münster 2001, S. 704. 25 Ebd., S. 703; siehe auch Edelgard METZGER, Leonhard von Eck (1480–1550), Wegbereiter und Begründer des frühabsolutistischen Bayern, München/Wien 1980, S. 206 ff. bzw. 292 ff.
Niederkorn, Die dynastische Politik der Habsburger
35
schen Vasallen) Sigismund Báthory zu einer antiosmanischen Koalition, der ihm die Hand der Erzherzogin Maria Christierna, einer Tochter Karls von Innerösterreich, einbrachte. Seine Parteinahme für die habsburgische Seite, die jene der Fürsten der Moldau und der Walachei nach sich zog, veränderte das Kräftegleichgewicht in der Anfangsphase des „Langen Türkenkriegs“ nicht unwesentlich zu deren Gunsten26. Die Ehe des psychisch instabilen jungen Fürsten wurde jedoch nie vollzogen und 1599 annulliert; 1607 zog sich Maria Christierna gemeinsam mit ihrer Schwester Eleonore (1582–1620) in das adelige Damenstift zu Hall in Tirol zurück27. Sigismund resignierte 1598 aus eigener Initiative sein Fürstentum dem Kaiser und führte in den folgenden Jahren ein unstetes Leben, das auch mehrere Rekuperationsversuche beinhaltete28. Ebenfalls einen eindeutigen bündnispolitischen Aspekt hatte die Heirat Philipps II. mit Maria Tudor, die allerdings auch in die Kategorie der Erwerbsheiraten einzuordnen ist. Die Hoffnung, dass aus dieser Verbindung ein männlicher Erbe hervorgehen würde, dem neben der Krone Englands auch die Niederlande zufallen sollten, erfüllte sich jedoch nicht29. Nach den enormen Gewinnen, die das Haus Österreich in den Jahrzehnten um 1500 mittels Heirat hatte realisieren können, gelangen keine weiteren Erwerbungen auf diesem Weg, den etliche frühneuzeitliche Theoretiker wie beispielsweise Giovanni Botero für den gerechtesten und ruhigsten und daher auch besonders sicheren und dauerhaften hielten30. An diesbezüglichen Projekten hat es freilich nicht gefehlt. Als besonders attraktive Braut erschien natürlich die neue Herrscherin Englands, Elisabeth I. Da sie auf Philipps sogleich einsetzende Avancen nicht einging und dieser sich einige Monate später zur Heirat mit Elisabeth von Valois entschloss, hatte nunmehr die deutsche Linie des Casa d’Austria, die bei Maria noch hatte zurückstehen müssen31, freie Hand. Nachdem Erzherzog Ferdinand seinem Vater die heimliche Eheschließung mit Philippine 26
Jan Paul NIEDERKORN, Die europäischen Mächte und der „Lange Türkenkrieg Kaiser Rudolfs II. (1593–1606), Wien 1993, S. 41 f. 27 Karl REISSENBERGER, Prinzessin Maria Christierna von Innerösterreich (1574–1621), in: Mittheilungen des historischen Vereins für Steiermark 30 (1882), S. 27–72. 28 Gabor BARTA, Die Anfänge des Fürstentums und erste Krisen (1526–1606), in: Kurze Geschichte Siebenbürgens, hrsg. von Béla Köpeczi, Budapest 1990, S. 294–298. 29 Mía J. RODRIGUEZ-SALGADO, Good brothers and perpetual allies: Charles V and Henry VIII, in: Karl V. 1500–1558. Neue Perspektiven seiner Herrschaft in Europa und Übersee, hrsg. von Alfred Kohler [u. a.], Wien 2002, S. 611–653, hier: S. 651 ff. 30 Giovanni BOTERO, Della ragione di stato, in: Scrittori politici dell’ età barocca, hrsg. von Rosario Villari, Roma 1995, S. 160. 31 Zu den Bemühungen Ferdinands I., Marias Hand für seinen Sohn Ferdinand zu gewinnen, siehe Elmore Harris HARRISON, Rival Ambassadors at the Court of Queen Mary, London 1940; Heinrich LUTZ, Christianitas afflicta. Europa, das Reich und die päpstliche Politik im Niedergang der Hegemonie Kaiser Karls V. (1552–1556), Göttingen 1964, S. 206 ff.
36
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Welser geoffenbart hatte, präsentierte man den jüngsten Kaisersohn Erzherzog Karl als Kandidaten für die Ehe mit Elisabeth. Bereits im Mai 1559 sandte Kaiser Ferdinand Baron Breuner zur Aufnahme von Verhandlungen nach England, die vorerst ergebnislos blieben; im folgenden Jahrzehnt wurde dieses Heiratsprojekt jedoch mehrfach wieder aufgegriffen, da eine sehr einflussreiche Gruppierung am englischen Hof, darunter der Herzog von Norfolk, der Earl of Sussex und Sir William Cecil, sie nunmehr befürwortete. Für ihre Haltung waren zum Teil die Rivalitäten in Elisabeths Umgebung verantwortlich, andererseits aber auch die Auffassung, durch die Heirat mit einem habsburgischen Prinzen könnten gute Beziehungen mit Spanien aufrechterhalten und die Bildung einer katholischen Liga, die viele englische Politiker damals befürchteten, vermieden werden. Eine im Sommer 1567 von Sussex angetretene Gesandtschaft nach Wien erzielte in monatelangen Verhandlungen mit Maximilian II. jedoch keine Einigung über wesentliche Streitfragen, vor allem nicht über das von Karl beanspruchte Recht, privat katholische Messen hören zu dürfen32. Parallel zu den Bemühungen um die Hand Elisabeths gab es am Wiener Hof auch Überlegungen, für Erzherzog Karl deren präsumptive Nachfolgerin, die seit Ende 1560 verwitwete Maria Stuart, zur Gattin zu gewinnen. Ferdinand I. ging die auch von Papst Pius IV. befürwortete Angelegenheit allerdings recht zögerlich an und führte mit Maria zu keiner Zeit Heiratsverhandlungen, sondern überließ es ihrem Onkel, dem Kardinal von Lothringen, ihr die Vorteile einer Heirat mit dem Erzherzog nahezubringen. Maria bevorzugte jedoch den spanischen Infanten Don Carlos als Bräutigam, eine Lösung, für die sich auch Philipp II. für einige Zeit erwärmen konnte. Ferdinand war dieses Mal nicht bereit, ohne weiteres zurückzustecken, und hoffte, nachdem Philipp sich entschieden hatte, zu verzichten, noch kurz vor seinem Tod auf das Zustandekommen der Verbindung33. Die Chance, mittels einer Heirat bedeutende Gebietserwerbungen im Reich zu realisieren, eröffnete den Habsburgern das gut zwei Jahrzehnte vor dem tatsächlichen Ableben des letzten Herzogs Johann Wilhelm absehbare Aussterben des Hauses Jülich-Kleve. Herzog Wilhelm der Reiche hatte zwar zwei Söhne, die das Erwachsenenalter erreichten, der Erbprinz Karl Friedrich starb aber 1575, und Ende der achtziger Jahre zeigte sich, dass dessen Bruder Johann Wilhelm an einer erblich bedingten Geisteskrankheit litt und Nachkommen voraussichtlich ausbleiben würden. Von seinen Schwestern hatten 32
Susan DORAN, Religion and Politics at the Court of Elizabeth I.: The Habsburg marriage negotiations of 1559–1567, in: English Historical Review 104 (1989), S. 908–926; Kurt DIEMER, Die Heiratsverhandlungen zwischen Königin Elisabeth I. von England und Erzherzog Karl von Innerösterreich 1558–1570, Biberach 1969; zur Frühphase der Gespräche LAUBACH, Ferdinand (Anm. 24), S. 710–721. 33 Ebd., S. 721–725.
Niederkorn, Die dynastische Politik der Habsburger
37
drei protestantische Fürsten geheiratet, nur die jüngste, Sibylle, war zu diesem Zeitpunkt noch unvermählt, und sie war katholisch34. Da die Rechtslage hinsichtlich der Sukzession in dem Konglomerat von Fürstentümern am Niederrhein reichlich unklar war, hätte ein mit ihr verheirateter Prinz, der die Autorität des Reichsoberhauptes hinter sich hatte, im Spiel um die Nachfolge vermutlich keine schlechten Karten gehabt. Durch Einwirken Bayerns verlobte Sibylle sich 1586 mit Philipp von Baden, der aber noch vor der Hochzeit starb35. Der Kölner Nuntius Frangipani, der in einer Heirat Sibylles mit einem katholischen Prinzen den einzigen Ausweg erblickte, der den Übergang der Fürstentümer an protestantische Landesherren verhindern konnte, betrieb seither mit Unterstützung der Nuntien am Kaiserhof, aber ohne dort auf sonderliches Interesse zu stoßen, unermüdlich deren Heirat mit einem der Brüder Rudolfs II.36. Erzherzog Ernst, an den sie vorerst dachten, stand allerdings in Verhandlungen mit Sigismund III. von Polen, welche neben dessen Verzicht auf die polnische Krone zu seinen Gunsten auch die Heirat Ernsts mit seiner Schwester Anna zum Inhalt hatten37. Um sich der Konkurrenz seines Bruders Maximilian, der seine Aspirationen auf den polnischen Thron nicht aufgegeben hatte, zu entledigen, schlug Ernst vor, dieser solle Sibylle zur Frau nehmen und durch sie das Erbe am Niederrhein antreten38. An Erzherzog Matthias scheint man erst später gedacht zu haben, obwohl er derjenige ist, von dem aufgrund seines Daseins ohne jede Regierungsfunktion39 vermutlich noch am ehesten zu erwarten gewesen wäre, dass er sich auf ein derartiges Vorhaben 34
Zu den diversen Erbanwärtern siehe Heinz ÖLLMANN-KÖSLING, Der Erbfolgestreit um Jülich-Kleve (1609–1614). Ein Vorspiel zum Dreißigjährigen Krieg, Regensburg 1996, S. 51–58. Siehe auch Alison D. ANDERSON, On the Verge of War: International Relations and the Jülich-Kleve Succession Crisis (1609–1614), Boston/Leiden 1999, S. 18–31. 35 Heike PREUSS, Politische Heiraten in Jülich-Kleve-Berg, in: Land im Mittelpunkt der Mächte: Die Herzogtümer Jülich, Kleve, Berg, red. Guido de Wird, Kleve 1984, S. 144. 36 Siehe beispielsweise die Schreiben Frangipanis an Montalto vom 9. März 1589, in: Nuntiaturberichte aus Deutschland nebst ergänzenden Aktenstücken. Die Kölner Nuntiatur, Nuntius Ottavio Mirto Frangipani 1587–1590, bearb. von Stephan Ehses, Paderborn 1899, Nr. 209; vom 3. Mai 1590; ebd., Nr. 363; an Innocenz IX. vom 28. Nov. 1591, in; Nuntiaturberichte aus Deutschland nebst ergänzenden Aktenstücken. Die Kölner Nuntiatur, Nuntius Ottavio Mirto Frangipani (1590 VI–1592 VI), bearb. von Burkhard Roberg, München [u. a.] 1969, Nr. 130. Frangipani dachte sogar daran, die nach Auffassung einiger als einzige Erbin in Frage kommende Tochter der ältesten, mit dem Herzog von Preußen verheirateten Schwester Johann Wilhelms mit einem Erzherzog zu verheiraten, siehe seinen Bericht an Montalto vom 28. Dez.. 1589, Ehses, Die Kölner Nuntiatur, S. 420. 37 Siehe unten S. 39 f. 38 Bericht des Nuntius Visconte an Kard. Montalto, Prag 26. März 1590, Nuntiaturberichte aus Deutschland II/3, bearb. von Joseph Schweizer, Paderborn 1919, Nr. 76. 39 Siehe Hans STURMBERGER, Die Anfänge des Bruderzwistes in Habsburg. Das Problem einer österreichischen Länderteilung nach dem Tode Maximilians II. und die Residenz des Erzherzogs Matthias in Linz, ND in: DERS., Land ob der Enns und Österreich. Aufsätze und Vorträge, Linz 1979, S. 32–75.
38
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
einließ. Als der Kaiser im Herbst 1593, als Ernst bereits zum Statthalter der Niederlande ernannt war und Matthias davor stand, dessen Nachfolge als Statthalter in Österreich anzutreten, bei seinem Bruder anfragte, ob er Sibylle heiraten wolle, erhielt er nur eine unentschlossene Antwort40, womit letztlich die Bahn frei wurde für Karl von Burgau, den Sohn Ferdinands von Tirol, der allerdings auch noch etliche Schwierigkeiten zu überwinden hatte, bis er 1601 die Hochzeit mit Sibylle feiern konnte41. Für die Durchsetzung einer katholischen Sukzession war es allerdings zu diesem Zeitpunkt zu spät, und der Markgraf wohl auch nicht der geeignete Mann dafür. Die Zurückhaltung Rudolfs II. im Wahrnehmen der sich hier bietenden Gelegenheit ist wohl auf des Kaisers grundsätzlichen Mangel an Entschlussfreudigkeit und die Sorge zurückzuführen, mit einer habsburgischen Machtausweitung im Nordwesten des Reichs Unruhe unter den Reichsfürsten hervorzurufen42. Frangipani erwähnt in einem seiner Schreiben die Möglichkeit, dass man in Spanien andere Projekte mit Erzherzog Ernst haben könnte43. Er spielte dabei wohl auf Pläne an, Ernst mit der Infantin Isabella Clara Eugenia zu vermählen. Diese war 1579 auf Initiative der Kaiserinwitwe Maria mit Rudolf II. verlobt worden, welcher den Abschluss des Heiratsvertrages allen Mahnungen seiner Mutter zum Trotz und ungeachtet der Tatsache, dass Isabella nach dem Infanten Philipp (III.) immerhin die nächstberechtigte Erbin des spanischen Imperiums war, immer wieder hinauszögerte und auch auf das Angebot des Königs, seiner Tochter die Niederlande mit in die Ehe zu geben, nur mit der Bitte um Aufschub seiner Entscheidung reagierte. Selbst als sein Gesandter Khevenhüller 1592 deswegen eigens nach Prag reiste, konnte der Kaiser sich zu keinem Entschluss durchringen44. Philipp wählte daraufhin Erzherzog Ernst als Ehemann für die nun auch schon 27 Jahre alte Tochter aus, welcher gerade zu dieser Zeit eine wesentliche Funktion in seinen politischen Plänen zukam: Als Tochter der Elisabeth von Valois galt sie den Spaniern nämlich als rechtmäßige Erbin des französischen Throns nach dem Aussterben des bisherigen Königshauses. Die Abhängigkeit von spanischer Hilfe zwang den Herzog von Mayenne, den Führer der katholischen Opposition gegen den Protestanten Heinrich IV., zuzustimmen, dass Philipps Ge40
Rudolf II. an Matthias, Prag 26. Nov. 1593, HHStA Wien, Familienakten 26; Matthias’ Antwort ist nicht erhalten, aus einem Konzept von Rudolfs Antwort an ihn (ebd.) geht hervor, dass der Erzherzog sich zu keiner Entscheidung durchringen konnte und den Kaiser seinerseits um Rat fragte. 41 Zu Karl von Burgau siehe Eduard WILDMOSER, Markgraf Karl von Burgau (1560– 1618), in: Lebensbilder aus dem Bayerischen Schwaben 3, München 1954, S. 269–284. 42 Burkhard ROBERG, Päpstliche Politik am Rhein. Die römische Kurie und der JülichKlevische Erbfolgestreit, in: Rheinische Vierteljahresblätter 41 (1977), S.63–87, sieht die Gefährdung des Verhältnisses zu Brandenburg und die mögliche Kompromittierung seiner Stellung als unparteiischer Lehensherr als Gründe Rudolfs, hier: S. 71 f. 43 Bericht von 9. März 1589 (Anm. 36). 44 Gertrude von SCHWARZENFELD, Rudolf II., der saturnische Kaiser, München 1961, S. 50–55.
Niederkorn, Die dynastische Politik der Habsburger
39
sandter, der Herzog von Feria, bei der Versammlung der Generalstände in Paris im Mai 1593 die Ansprüche Isabellas geltend machte; dabei schlug Feria vor, dass die Prinzessin Ernst heiratete, der zum König Frankreichs gewählt werden sollte, was von den Franzosen aber mit der Behauptung, dass die Gesetze des Landes die Wahl eines Ausländers nicht gestatten würden, abgelehnt wurde45. Heiraten sollten Ernst auch den Weg auf den Thron Polens ebnen. Dieses war zwar ein Wahlreich, nach dem Tod des letzten Jagiellonenkönigs Sigismund August 1572 spielte dessen Schwester Anna jedoch eine Schlüsselrolle in der Nachfolgefrage, auch wenn sie schon an die fünfzig Jahre zählte und damit mehr als doppelt so alt war wie Ernst und sein Gegenkandidat Heinrich von Valois. Maximilian II. wollte Ernst die Ehe mit ihr gern ersparen, hatte seinen Gesandten aber die Vollmacht erteilt, nötigenfalls darin einzuwilligen46. Da Heinrich, der die Heirat nach seiner Wahl zu vermeiden wusste, Polen heimlich verließ, als er in Frankreich die Nachfolge antrat, kam es zu einem zweiten Interregnum, in dem Ernst wieder als Kandidat für die polnische Krone auftrat, allerdings nur als einer von mehreren habsburgischen Kandidaten, unter ihnen Kaiser Maximilian II. selbst. Ernsts Heirat mit Anna war auch im Fall der Wahl seines Vaters vorgesehen, den eine Mehrheit des Senats im Dezember 1575 auch wählte, während sich eine Mehrheit der Schlachta für Stefan Báthory entschied, der sich verpflichtete, Anna zu ehelichen, und sich gegen den wenig entschlossenen Kaiser relativ rasch durchsetzte47. Anna überlebte ihren Gatten und war auch im 3. Interregnum politisch aktiv, bei dem es neuerlich zu einer Doppelwahl kam. Dank der militärischen Niederlage seines Gegenkandidaten Erzherzog Maximilian setzte sich dabei der von ihr favorisierte schwedische Prinz Sigismund, ein Sohn ihrer Schwester Katharina durch. Mit Sigismund kam seine ihm eng verbundene Schwester Anna Wasa mit nach Polen. Als Sigismund, der sich in Polen vor allem von Seiten des Großkanzlers und Kronhetmans Zamoyski mannigfaltigen Demütigungen ausgesetzt sah, sich wohl unter dem Einfluss seines daheim ebenfalls mit Schwierigkeiten kämpfenden Vaters Johanns III. entschloss, nach Schweden zurückzukehren, und mit Erzherzog Ernst geheime Verhandlungen mit dem Ziel aufnahm, zu dessen Gunsten auf die polnische Krone zu verzichten, war Ernsts Heirat mit dieser Schwester ein Bestandteil der Abmachungen. Da Maximilian, der im Vorfeld der Wahl ebenfalls versprochen hatte, Anna Wasa zur Frau zu nehmen, die Angelegenheit aus Eifersucht ver45 46
Jean Marie CONSTANT, La Ligue, Paris 1996, S. 419 f. Almut BUES, Die habsburgische Kandidatur für den polnischen Thron während des Ersten Interregnums in Polen 1572/73, Wien 1984, S. 71. 47 Christoph AUGUSTYNOWICZ, Die Kandidaten und Interessen des Hauses Habsburg in Polen-Litauen während des zweiten Interregnums 1574–1576, Wien 2001, S. 41, 93 und passim.
40
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
riet, wurde der Plan aber nicht verwirklicht und mit ihr auch die Heirat nicht. Hingegen gelang es Sigismunds Gegnern nicht, seine ebenfalls heftig bekämpfte Hochzeit mit der Grazer Erzherzogin Anna zu unterbinden48. Noch weiter nach Osten führt uns das letzte in der Kategorie „Erwerbsheiraten“ zu besprechende Projekt. Im Oktober 1599 erschien eine über Archangelsk zu Schiff nach Deutschland gekommene russische Gesandtschaft bei Kaiser Rudolf II., an deren Spitze der Leiter des russischen auswärtigen Amtes, Afanasij Vlasev, persönlich stand. Offizielles Thema seiner Gespräche war die Zusammenarbeit gegen die Osmanen, mit denen der Kaiser sich damals im Kriegszustand befand. Auch in diesem Fall sollte das geplante Bündnis durch eine Heirat bekräftigt werden: Zar Boris Godunov, der kurz davor das Erbe der erloschenen Rurikidendynastie angetreten hatte, hoffte, durch die familiäre Verbindung mit der mächtigsten Dynastie Europas der Herrschaft seines Geschlechts zusätzliche Stabilität verleihen zu können, vor allem auch gegenüber Polen, zu dem seine Beziehungen äußerst gespannt waren. Der Heiratsplan sah vor, dass Xenia, die Tochter des Zaren, mit einem Erzherzog vermählt werden sollte; nach den Moskauer Vorstellungen sollte das Maximilian der Deutschmeister sein, zu dem seit seinem polnischen Abenteuer Kontakte bestanden und den der Zar dabei unterstützen wollte, die polnische Krone doch noch zu erlangen. Dieser Aspekt des Angebots war für den Prager Hof allerdings indiskutabel; da Vlasev aber auch Andeutungen über mögliche Sukzessionsaussichten auf den Zarenthron gemacht hatte, wollte man das Heiratsprojekt nicht einfach abschreiben, fasste aber ein anderes Mitglied des Hauses als Bräutigam ins Auge, Erzherzog Maximilian Ernst, den zweitältesten und vorerst nicht für eine geistliche Laufbahn vorgesehenen Sohn Karls von Innerösterreich. In Graz stieß der Plan aber auf erhebliche Skepsis. Hinsichtlich der geforderten freien Religionsausübung für Max Ernst und sein Gefolge sowie der dem jungen Paar zugedachten Ausstattung (dem Fürstentum Twer) konnte Vlasev zwar beruhigende Zusicherungen abgeben. In dem habsburgischerseits als entscheidend angesehenen Punkt, der verbindlichen Zusicherung, dass dem Erzherzog im Fall des kinderlosen Todes des Zarewitsch die Nachfolge zustünde, war der Gesandte aber nicht zu einer entsprechenden Erklärung bereit, weshalb er vom Kaiser letztlich eine verklausulierte Absage erhielt49. Nachdem ein schon in Russland weilender dänischer Prinz vor der 48
Eine ausführliche Analyse der Ereignisse während des 3. Interregnums und der ersten Regierungsjahre Sigismunds III. bietet nunmehr Walter LEITSCH, Sigismund III. von Polen und Jan Zamoyski. Die Rolle Estlands in der Rivalität zwischen König und Hetman, Wien 2006, S. 42 f., 228 f. und passim 49 Hans ÜBERSBERGER, Österreich und Russland seit dem Ende des 15. Jahrhunderts. 1. Band: 1488–1605, Wien 1906, S. 567–572; Boris Nikolaevic FLORJA, Russko-pol’skie otnosenija i baltijskij vopros v konce XVI – nacale XVII v. (Die russisch-polnischen Be-
Niederkorn, Die dynastische Politik der Habsburger
41
Hochzeit mit Xenia verstorben war (1602), kam man 1604 in Moskau noch einmal auf die Idee zurück, die Prinzessin mit dem Deutschmeister Maximilian zu vermählen. Noch bevor Rudolf II. auf dieses – ihm auf sehr eigenartige Weise übermittelte – Angebot reagiert hatte50, verstarb Godunov, sein Sohn wurde kurz darauf gestürzt und Xenia wurde in ein Kloster verbannt. Der einzige Habsburger aus den hier behandelten zwei Generationen, der mittels einer Heirat zum Herrscher eines Territoriums aufstieg, war ein Sohn Maximilians II., Erzherzog Albrecht VII.; die südlichen Niederlande, deren Souverän er gemeinsam mit seiner Gemahlin Isabella Clara Eugenia wurde, waren allerdings Besitz des Hauses Österreich, ihr Übergang an die beiden stellte also keine Erweiterung von dessen Herrschaftsbereich dar51. Eine Möglichkeit, dies wenigstens für eine gewisse Zeit zu verwirklichen, bot, wie erwähnt, die Reichskirche52. Während Angehörige mittel- und norddeutscher Herrschergeschlechter wie der Wettiner, der Hohenzollern, der Welfen, Oldenburger und Sachsen-Lauenburger, aber auch der Pfälzer Linie der Wittelsbacher seit der zweiten Hälfte des 15. und noch verstärkt ab 1500 in großer Zahl auf Bischofsstühlen im Reich nachweisbar sind, wird man in den Bischofslisten die Namen von Erzherzögen bis in die letzten Jahre des
ziehungen und die baltische Frage am Ende des 16. und am Anfang des 17. Jahrhunderts), Moskwa 1973, S. 86 ff. 50 Walter LEITSCH, Moskau und die Politik des Kaiserhofes im 17. Jahrhundert, Graz/Köln 1960, S. 28 f.; Jan Paul NIEDERKORN, Gesandte – Vermittler – Schwindler. Von den Schwierigkeiten diplomatischer Kontakte mit orientalischen und osteuropäischen Mächten in der frühen Neuzeit, in: Österreichische Osthefte 37 (1995), S. 863–878, hier: S. 871 ff. 51 Nach Geoffrey PARKER, The Grand Strategy of Philip II, New Haven 1998, S. 279 erwartete Philipp, dass die teilweise Lockerung der Bindung der Niederlande an Spanien das Gleichgewicht in Europa wiederherstellen und den internationalen Druck auf sein Reich verminderte. 52 Unvermählt bleibenden weiblichen Familienmitgliedern standen keine den Erzherzögen vergleichbaren Karrieremöglichkeiten in der Kirche offen. Für ein Leben hinter Klostermauern entschieden sich aus den hier behandelten Generationen von Habsburgerinnen je eine Tochter Maximilians II. (Erzherzogin Margarethe, besser bekannt als Sor Margarita de la Cruz, 1567–1633), Karls von Innerösterreich (Erzherzogin Eleonore, 1582–1620) und Ferdinands von Tirol (Maria, 1584–1649) sowie nicht weniger als drei Töchter Kaiser Ferdinands I., die Erzherzoginnen Magdalena (1532–1590), Margarethe (1536–1566) und Helene (1543–1574). Auch verwitwete Fürstinnen verbrachten ihren Lebensabend oft in Klöstern, etliche traten auch als Gründerinnen solcher Institutionen hervor: das Kloster Descalzas Reales, in dem später die Kaiserin Maria und ihre Tochter Margarita lebten, war eine Gründung ihrer verwitweten Schwester Juana; Elisabeth, die Witwe Karls IX. von Frankreich, gründete das Königinkloster in Wien; Anna Caterina Gonzaga, die Witwe Ferdinands von Tirol, das Servitinnenkloster in Innsbruck, in dem später ihre Tochter Maria (1584–1649) lebte; die genannten drei Töchter Ferdinands I. schließlich das adelige Damenstift in Hall in Tirol. Mit ihrer von exemplarischer Frömmigkeit gekennzeichneten Lebensführung trugen diese Frauen zum Image der „Pietas Austriaca“ bei und dienten in dieser Weise der Dynastie.
42
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
16. Jahrhunderts vergeblich suchen53. Der dafür verantwortliche Mangel an für diese Aufgabe zur Verfügung stehenden Söhnen änderte sich allerdings im letzten Drittel des Jahrhunderts: Sowohl Kaiser Maximilian II. als auch Karl von Innerösterreich hatten eine Reihe jüngerer Söhne, die zudem unversorgt waren. Während mit Maximilians Schwager Herzog Albrecht V. die mit höchstem Einsatz vorangetriebene Reichskirchenpolitik der bayerischen Wittelsbacher einsetzte, die diesen bis ins 18. Jahrhundert ein aus einem halben Dutzend und mehr Stiften bestehendes „Bistumsreich“ verschaffte54, und auch Ferdinand von Tirol einem der beiden Söhne mit Philippine Welser, Andreas, schon frühzeitig Kardinalswürde, die Koadjutorswürde in Brixen und, in sehr langwierigen Verhandlungen, das Bistum Konstanz erwarb55, sind bei Maximilian in höchst auffälliger Weise keinerlei Bemühungen festzustellen, seinen jüngeren Söhnen derartige Zukunftsperspektiven zu eröffnen; inwieweit hiefür seine distanzierte Haltung zur katholischen Kirche verantwortlich ist, muss offen bleiben56. Für die beiden seit 1570 in Spanien lebenden Kaisersöhne hat dann Philipp II. genau diesen Weg beschritten: der allerdings schon 1578 17-jährig verstorbene Erzherzog Wenzel wurde Großprior der spanischen Johanniter, Albrecht 1577 zum Kardinal erhoben und 1594 mit dem Erzbistum Toledo, einer der reichsten Pfründen der Christenheit, ausgestattet. Unter den übrigen Söhnen Maximilians II. war Matthias derjenige, der jahrelang nach Möglichkeiten, ein Reichsbistum zu erhalten, Ausschau hielt, angesichts der passiven Haltung seines kaiserlichen Bruders aber stets erfolglos blieb57. Für seinen jüngeren Bruder Maximilian, für den ebenfalls die Versorgung mit einem Bistum ins Auge gefasst wurde, konnte (nicht ohne massiven Druck) 1585 wenigstens die Wahl zum Koadjutor des Deutschordensmeisters erreicht werden58. Der bei beiden Erzherzogen im Vordergrund stehende Versorgungsaspekt war fraglos auch in der Familie Erzherzog Karls II. virulent, der neben den 53
Siehe die Bischofslisten bei Erwin GATZ, Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reichs 1448 bis 1648. Ein biographisches Lexikon, Berlin 1996, S. 778–847. 54 Manfred WEITLAUFF, Die Reichskirchenpolitik des Hauses Bayern im Zeichen gegenreformatorischen Engagements und österreichisch-bayerischen Gegensatz, in: Um Glauben und Reich. Kurfürst Maximilian I. Beiträge zur Bayerischen Geschichte und Kunst 1573– 1657, hrsg. von Hubert Glaser, München 1980, S. 48–76, hier: 54 ff. 55 Von einem „Verkauf“ des Bistums Konstanz durch den bisherigen Bischof Kardinal Markus Sittikus von Hohenems (Altemps) spricht Simonetta SCHERLING, Markus Sittikus III. (1533– 1595). Vom deutschen Landsknecht zum römischen Kardinal, Konstanz 2000, S. 123 f. 56 Paula SUTTER FICHTNER, Emperor Maximilian II, New Haven [u. a.] 2001, S. 202 bezweifelt dies unter Hinweis darauf, dass Maximilian üblicherweise nicht zögerte, Leute mit kirchlichen Benefizien auszustatten, wenn dies nützlich erschien. S. 201 verweist sie darauf, dass Maximilian auch keine Anstalten traf, seine Söhne zu verheiraten. 57 RILL, Matthias (Anm. 18), S. 45–51. 58 Heinz NOFLATSCHER, Glaube, Reich und Dynastie. Maximilian der Deutschmeister (1558–1618), Marburg 1987, S. 67–106.
Niederkorn, Die dynastische Politik der Habsburger
43
erwähnten zahlreichen Töchtern auch vier Söhne hinterließ. Das in erbittertem Ringen mit Maximilian von Bayern 1598 durch eine Entscheidung Papst Clemens’ VIII. für den damals erst 12-jährigen Erzherzog Leopold erkämpfte Bistum Passau sicherte dem Erzhaus nicht nur das kleine, aber geopolitisch nicht unwichtige Hochstiftsterritorium, sondern auch eine Diözese, die weite Teile Ober- und Niederösterreichs umfasste. Ebenso wie die – gleichfalls gegen massive Widerstände durchgesetzte – Erhebung Leopolds zum Bischof von Straßburg, stärkte der Erwerb dieser Bistümer die Position des Hauses Österreich in für dieses bedeutsamen Regionen des Reichs, während die Bestellung des Erzherzogs Karl Ferdinand zum Bischof von Brixen und von Breslau in gleichem Sinn in Tirol bzw. Schlesien wirksam war59. Karls zweitältester und als potentieller Erbe im Laienstand verbliebener Sohn Maximilian Ernst, eine offenbar eher schwierige Persönlichkeit, war später als Nachfolger seines gleichnamigen Vetters, mit dem er sich gut verstand, als Deutschmeister vorgesehen, starb aber noch vor diesem im Jahr 161660; mit seinen Brüdern Karl und Leopold und den Erzherzögen Leopold Wilhelm und Karl Josef vermochten die Habsburger dieses Amt aber noch durch zwei weitere Generationen hindurch zu behaupten. Der Grundsatz, durch Heiratspolitik gute Beziehungen zu benachbarten Dynastien herzustellen, wurde von den Habsburgern sorgfältig beachtet. Besonders deutlich ist dies hinsichtlich Portugals: Karl V., dessen Frau Isabella dem portugiesischen Königshaus entstammte, verheiratete zwei seiner drei Kinder (Philipp in erster Ehe mit der nach kurzer Ehe verstorbenen Infantin Maria Manuela; Juana61 mit dem Thronfolger Johann) mit Angehörigen des Hauses Avis, und auch für den letzten ihm entstammenden König Sebastian wurde eine Habsburgerin als Gemahlin vorgesehen (Elisabeth, die dann Karl IX. von Frankreich heiratete)62. Bei den österreichischen Habsburgern fallen die zahlreichen Ehen mit polnischen Herrschern auf: Sigismund August nahm zwei Töchter Ferdinands I., zunächst dessen älteste Tochter 59
Zu Karl siehe Joachim KÖHLER, Zur Revision eines Bischofsbildes. Erzherzog Karl von Österreich, Bischof von Breslau (1608–1624) und Brixen (1613–1624), in: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 32 (1974), S. 103–126; zu Leopold Sabine WEISS, Erzherzog Leopold V. – Ritter des Ordens vom Goldenen Vlies. Biographische Notizen zu Karriere und Lebenswelt eines frühbarocken Tiroler Landesfürsten, in: Tiroler Heimat 66 (2002), S. 29–80. Eine ausführliche Biographie Leopolds, der durch seine Rolle im JülichKlevischen Erbfolgestreit, im Bruderzwist und später als Regent Tirols eine nicht unbedeutende historische Figur darstellt, ist ein Desiderat der Forschung. 60 NOFLATSCHER, Glaube (Anm. 58), S. 288 ff. 61 Zu Juana, die als Witwe während Philipps Abwesenheit einige Jahre lang die Regentschaft in Spanien führte, siehe José MARTINNEZ MILLAN, Familia real y grupos politicos: la princesa dona Juana de Austria, in: La Corte de Felipe II, hrsg. von dems., Madrid 1994, S. 73–105. 62 Maximilian LANZINNER, Friedenssicherung und politische Einheit des Reiches unter Kaiser Maximilian II. (1564–1576), Göttingen 1993, S. 217 f.
44
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Elisabeth und 1553 Katharina, damals schon Witwe nach Francesco II. von Mantua, zur Frau63. Sigismund III. vermählte sich ebenfalls mit zwei Schwestern aus dem Haus Österreich, den Erzherzoginnen Anna und Konstanze, Töchtern Karls von Innerösterreich. Die habsburgerfreundliche Politik, für die diese Verbindungen als Unterpfand dienen sollten, war in der Adelsrepublik aber keineswegs allen willkommen und Sigismund musste beide Ehen gegen größte Widerstände durchsetzen64. Längerfristig zu gutnachbarschaftlichen Beziehungen führte auch die schon besprochene Ehe der Erzherzogin Anna mit Albrecht V. von Bayern. Das gemeinsame Interesse an der Abwehr des Protestantismus förderte die Eheschließung Karls II. und seines Sohnes Ferdinand mit den bayerischen Prinzessinnen Maria und Maria Anna; das enge Verhältnis der steirischen Linie der Habsburger zu Bayern, das sich auch in der Ausbildung Ferdinands in Ingolstadt manifestierte, verstärkte die Vorbildwirkung der bayerischen Konfessionspolitik für die Durchführung der Gegenreformation in Innerösterreich65. Eheliche Verbindungen zu anderen deutschen Fürstenhäusern kamen mit Ausnahme der bereits angeführten Ehe Wilhelms von Jülich-Kleve mit einer Tochter Ferdinands I. nicht zustande, wofür in erster Linie konfessionelle Gründe verantwortlich waren, da protestantische Bewerber, selbst wenn es sich um Könige handelte wie Erich XIV. von Schweden oder Friedrich II. von Dänemark, nicht erhört wurden66. Auf die Schaffung einer habsburgischen Klientel unter den Reichsfürsten mittels Heiratspolitik, wie es derselbe Ferdinand 1524 erfolglos seinem Bruder Karl vorgeschlagen hatte67, musste das Erzhaus daher über einen relativ langen Zeitraum hinweg verzichten: Beinahe bis zum Ende des 17. Jahrhunderts waren die Wittelsbacher das einzige reichsfürstliche Geschlecht, das sich des Konnubiums mit dem Erzhaus erfreuen konnte. 63
Ferdinands älteste Tochter Elisabeth starb wenige Monate nach der Hochzeit mit Sigismund August. Zu Katharina siehe Anna SUCHENI-GRABOWSKA, Zu den Beziehungen zwischen den Jagellonen und den Habsburgern. Katharina von Österreich, die dritte Gemahlin des Königs Sigismund August. Ein Forschungsbeitrag, in: Historisches Jahrbuch der Stadt Linz 1979, S. 59–100. – Eine Analyse der Symptome von Katharinas Krankheit, die letztlich das Zusammenleben des Ehepaares unmöglich machte, versucht Paula SUTTER FICHTNER, A community of illness: Ferdinand I and his family, in: Kaiser Ferdinand I. Aspekte eines Herrscherlebens, hrsg. von Martina Fuchs und Alfred Kohler, Münster 2003, S. 203–215, hier: 211 ff. 64 Dazu in Zukunft die umfangreiche Monographie von Walter LEITSCH, Das Leben am Hofe König Sigismunds III. (im Druck). 65 Zur Vorgeschichte und zu den Hochzeitsfeierlichkeiten für Erzherzog Karl II. und Maria von Bayern in Wien und Graz siehe Karl VOCELKA, Habsburgische Hochzeiten 1550– 1600, Wien [u. a.] 1976, S. 47–98. Zum bayerischen Einfluss auf die Gegenreformation in der Steiermark siehe Regina PÖRTNER, The Counter-Reformation in Central Europe. Styria 1580–1630, Oxford 2001, S. 71–107. 66 LAUBACH, Ferdinand (Anm. 24), S. 708. 67 KOHLER, Ferdinand (Anm. 23), S. 290.
Niederkorn, Die dynastische Politik der Habsburger
45
Umso zahlreicher waren im 16. und 17. Jahrhundert Verbindungen der Habsburger mit italienischen Fürstenhäusern. Reichsitalien war eine Region, die Spanien zu seinem Einflussbereich zählte, während die Kaiser dort ihre Stellung als oberster Lehensherr zu behaupten trachteten, was gelegentlich durchaus zu Rivalitäten führte68. Auf dem Feld der Heiratspolitik kooperierten beide Linien in der Regel jedoch sehr gut. So wurde die erste italienische Eheschließung einer Tochter Ferdinands (1549), die der Erzherzogin Katharina mit dem allerdings nach wenigen Monaten verstorbenen Herzog Francesco II. von Mantua, von Räten der habsburgischen Brüder gemeinsam ausgehandelt69. Auch Ferdinands Plan, eine seiner Töchter mit Guglielmo von Mantua zu verheiraten, erfreute sich spanischer Unterstützung, schwieriger gestaltete sich die Aufgabe, eine Tochter zu dieser Verbindung zu überreden. Ging es bei diesem Eheprojekt unter anderem darum, eine Verbindung der Häuser Gonzaga und Este zu verhindern, so diente die Ehe der Erzherzogin Barbara mit Alfonso II. von Ferrara dazu, ihn von der traditionellen Bindung seines Hauses an Frankreich abzubringen. Die Verhandlungen mit Alfonso zogen sich allerdings drei Jahre lang hin, zum einen, weil auch Herzog Cosimo von Florenz für seinen Sohn und Erben Francesco eine Erzherzogin als Ehefrau wünschte und beide um die Erzherzogin Johanna anhielten, die acht Jahre jünger als die fünfundzwanzigjährige Barbara war und als die hübschere von beiden galt. Zum anderen war Johanna von ihrem Vater an sich als Braut Johann Sigismund Zápolyas vorgesehen, und erst, als diese Verbindung nicht zustandekam und mit Barbara und Johanna zwei Töchter zur Verfügung standen, wurden beide Eheverträge 1565, also schon nach Ferdinands Tod, abgeschlossen70. Dem Herrscher des geopolitisch wichtigsten Fürstentums der Halbinsel, Herzog Karl Emanuel von Savoyen, den er fest an Spanien zu binden trachtete, gab Philipp II. die eigene Tochter Caterina Micaela zur Frau. Als Schwestern der spanischen Königin Margarethe waren auch Töchter Karls von Innerösterreich71 begehrte Ehepartnerinnen italienischer Fürsten. 68 Cinzia CREMONINI, I feudi imperiali italiani tra Sacro Romano Impero e monarchia cattolica (seconda metà XVI – inizio XVII socolo), in: Das Reich und Italien in der Frühen Neuzeit, hrsg. von Matthias Schnettger und Marcello Verga, Bologna/Berlin 2005, S. 41–65. 69 LAUBACH, Ferdinand (Anm. 24), S. 707f 70 Zu diesen Ehen siehe neben LAUBACH, Ferdinand (Anm. 24), S. 708 ff. und KOHLER, Ferdinand (Anm. 23), S. 293 f. auch Brigitte GROHS, Italienische Hochzeiten. Die Vermählung der Erzherzoginnen Barbara und Johanna von Habsburg im Jahre 1565, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 96 (1988) S. 331–381; Elena TADDEI, Barbara von Österreich-Este. Ergänzungen zum Leben einer Habsburgerin in Ferrara, in: Tirol – Österreich – Italien. Festschrift für Josef Riedmann zum 65. Geburtstag, hrsg. von Klaus Brandstätter und Julia Hörmann, Innsbruck 2005, S. 629–640. 71 Zur Heirat Margarethes mit Philipp III. und zum Schicksal ihre Schwestern siehe Johann RAINER, Du glückliches Österreich heirate. Die Hochzeit der innerösterreichischen Prinzessin Margarethe mit König Philipp III. von Spanien 1598/99, Graz 1998, S. 8 ff.
46
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Da die finanziellen Verhältnisse des Grazer Hofes noch beschränkter waren als die des kaiserlichen und – mit Ausnahme Margarethes, die 100.000 Dukaten erhielt – die üblichen Mitgiften nur 50.000 Gulden betrugen, wurde zwecks Aufbesserung die spanische Linie des Hauses eingeschaltet, die bei der Heirat Cosimos II. von Toskana mit der Erzherzogin Maria Magdalena immerhin 200.000 Escudos beisteuerte, welche in Neapel angelegt und bei Vorversterben Cosimos an Magdalena fallen sollten72. Ohne überhaupt direkte Verhandlungen mit dem Grazer Hof aufgenommen zu haben, sondierte Herzog Ranuccio von Parma bei Philipp II. die Aussicht, bei Heirat mit einer der steirischen Erzherzoginnen einen Beitrag zur Mitgift zu erhalten; die Verhandlungen zogen sich aber hin und noch vor einem Abschluss starb die ins Auge gefasste Erzherzogin Katharina Renata73. Die Erzherzoginnen (wie auch französische oder spanische Prinzessinnen) brachten den italienischen Dynastien vor allem Prestige ein; insbesondere für die erst kürzlich zu Herzögen erhobenen Medici stellte, wie jüngst formuliert wurde, die Heirat Johannas einen echten „salto di qualità“ dar74. Dass die Kaisertöchter wenig Geld in die Ehe einbrachten und hohe Kosten verursachten, wurde in Kauf genommen75, desgleichen ihr oft hochmütiges Verhalten gegenüber Untertanen, Hofleuten und nicht selten den eigenen Ehemännern76. Aus der Sicht der Habsburger ist die Häufigkeit der Ehen mit Angehörigen italienischer Fürstenhäuser, aus denen ja auch Erzherzog Leopold von Tirol sowie (in jeweils 2. Ehe) Kaiser Ferdinand II. und Erzherzog Ferdinand von Tirol77 ihre Gemahlinnen wählten, wohl damit zu erklären, dass durch die Reformation die Partnerwahl für das katholische Erzhaus ziemlich einge72 Estella GALASSO CALDERARA, Un amazzone tedesca nella Firenze medicea del’ 600. La Granduchessa Maria Maddalena d’Austria, Genova 1985, S. 18 ff.; siehe auch Susanne Helene BETZ, Die innerösterreichische Erzherzogin Maria Magdalena (1587–1631) und ihre Heirat mit Cosimo II. de Medici im Jahre 1608, Diplomarbeit Wien 2000 (ungedruckt), S. 80; in einem Dokumentenanhang S. 124–133 sind die Eheverträge Maria Magdalenas und ihrer Schwestern Margarethe und Konstanze ediert. 73 Renato ZAPPERI, Der Neid und die Macht. Die Farnese und Aldobrandini im barocken Rom, München 1994, S. 31 und 162 Anm. 19. 74 Maria FUBINI LEUZZI, Straniere a corte. Dagli epistolari di Giovanna d’ Austria e Bianca Capello, in: Per lettera. La scrittura epistolare femminile tra archivio e storiografia. Secoli XV–XVII, a cura di G. Zarri, Roma 1999, S. 413–440, hier: S. 418. 75 Von Alfonso II. von Ferrara ist die Aussage überliefert: le nozze colle figliuole dell’ imperatore valevano poco e costavano molto, zitiert bei TADDEI, Barbara (Anm. 70), S. 631. 76 Angelantonio SPAGNOLETTI, Le dinastie italiane nella prima età moderna, Bologna 2003, S. 160 f. 77 Zur Ehe Ferdinands von Tirol mit Anna Caterina Gonzaga siehe Elena TADDEI, Anna Caterina Gonzaga und ihre Zeit: der italienische Einfluss am Innsbrucker Hof, in: Der Innsbrucker Hof. Residenz und höfische Gesellschaft in Tirol vom 15. bis 19. Jahrhundert, hrsg. von Heinz Noflatscher und Jan Paul Niederkorn, Wien 2005, S. 213–240, hier: 216 ff. Die Hochzeitsfeierlichkeiten wurden in einem prächtigen Bildkodex dokumentiert, siehe Veronika SANDBICHLER, Der Hochzeitskodex Erzherzog Ferdinands II., in: Jahrbuch des Kunsthistorischen Museums zu Wien 6/7 (2004/05), S. 47–90.
Niederkorn, Die dynastische Politik der Habsburger
47
schränkt war78. Auffällig ist die hohe Zahl an Verbindungen mit den Medici und den Gonzaga, während mit Savoyen und den Este nur je eine Verbindung bezeugt ist und für die Farnese überhaupt nur die Odoardos mit Margarethe, der außerehelichen Tochter Karls V. Auch bei diesen Dynastien ist aber zu bedenken, dass es weitere, nicht realisierte Eheprojekte gegeben hat wie das oben besprochene Ranuccio Farneses mit Katharina Renata oder jenes Kaiser Rudolfs II. mit Margherita von Savoyen, für die sich übrigens auch Erzherzog Matthias interessiert zu haben scheint79. Bei den Heiraten, unter deren Motiven gerade aktuelle Interessen dominierten, sind natürlich im Regelfall Überschneidungen mit anderen hier besprochenen Heiratstypen gegeben. Gerade unter den zuletzt besprochenen Ehen mit benachbarten Dynastien dienten manche auch dem Zweck, eine Krise im wechselseitigen Verhältnis zu entschärfen. So bestanden im Vorfeld der Ehe zwischen Sigismund August von Polen und der Erzherzogin Katharina beträchtliche Spannungen zwischen den beiden Familien, die mit Meinungsunterschieden betreffend das Herzogtum Preußen, den habsburgischerseits nicht akzeptierten Besitzansprüchen von Sigismunds Mutter Bona Sforza in Italien und mit dem Eintreten Polens für Johann Sigismund Zápolya, den Sohn seiner Schwester Isabella, zusammenhingen. Mit Hilfe des Ehebündnisses konnte ein Zusammenbruch der polnisch-habsburgischen Beziehungen verhindert werden; dass dieses nicht geeignet war, alle Streitpunkte beizulegen, kann durchaus als Regelfall angesehen werden80. Dies war mit Sicherheit auch bei der Heirat der Erzherzogin Elisabeth mit Karl IX. von Frankreich der Fall. Elisabeths Vater Maximilian II. strebte eine Verbindung zum Haus Valois an, weil er sich davon neben freundschaftlichen Beziehungen zu Frankreich auch eine Neutralisierung von dessen Bündnis mit den Osmanen und die Rückgabe von Metz, Toul und Verdun an das Reich erhoffte. Erst Veränderungen der aktuellen politischen Situation machten den Weg frei für diese Ehe, die der Kaiser schon seit 1556 wünschte und die auch Katharina von Medici befürwortete. Er wollte sie jedoch nicht ohne die Zustimmung Philipps II. abschließen, und dieser bevorzugte für seine Nichte eine Heirat nach Portugal. Wie Maximilian Lanzinner gezeigt hat, bewirkten der Tod von Philipps einzigem Sohn Carlos und der seiner Gemahlin Elisabeth im Jahr 1568 aber ein Umdenken, für das zwei Überlegungen ausschlaggebend waren: Es galt zu verhindern, dass die habsburgische Sukzession in Spanien, 78 79
VOCELKA, Habsburgische Hochzeiten (Anm. 65), S. 17. Zu den Heiratsplänen Rudolfs siehe unten S. 48 f. Margherita war mit Magdalena von Bayern und Anna von Tirol eine der drei Prinzessinnen, die 1605 als Braut für Matthias im Gespräch waren; siehe die Berichte des Nuntius Ferreri aus Prag an Kardinal San Giorgio vom 10. und 17. Januar 1605, Nuntiaturberichte IV/3, ed. Meyer, Nr. 356g und 361f. 80 Dies betont zu Recht Paula SUTTER FICHTNER, Dynastic Marriage in Sixteenth Century Habsburg Diplomacy and Statecraft: An Interdisciplinary Approach, in: American Historical Review 81 (1976), S. 243–265, hier: 257 f.
48
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
die ja nunmehr dem Erzherzog Rudolf zustand, durch die Gegnerschaft Frankreichs gefährdet wurde, und es erschien sinnvoll, für die mit dem Tod der Königin fehlende Brücke zwischen den Häusern Habsburg und Valois einen Ersatz zu schaffen. Mit Vollmacht Maximilians war es dann Philipp, der den Heiratskontrakt für diese Ehe aushandelte81. Als klassische Beispiele für Ehen, die aus momentanen Bedürfnissen heraus eingegangen wurde, könnte man jene ansehen, bei denen der Bräutigam durch eine hohe Mitgift seine finanzielle Situation zu verbessern trachtete. Unter den katholischen Familien, die für die Habsburger bei der Auswahl ihrer Partner in Frage kamen, konnten allein die Medici dies bieten, bei denen zudem die Erwartung bestand, dass ihre weniger vornehme Abstammung durch mehr Geld kompensiert würde82. Die einzige Ehe eines männlichen Familienangehörigen mit einer Medici ist die letzte des besprochenen Zeitraums, die des in den Laienstand übergetretenen Erzherzogs Leopold mit Claudia de Medici im Jahr 1626; sie erhielt die bei Prinzessinnen des Hauses Medici übliche Mitgift von 300.000 Scudi, eine Summe, die Leopolds Bruder Ferdinand, der sich nach dem Tod seiner ersten Frau Maria Anna ebenfalls für Claudia interessiert hatte, zu gering gewesen war83. In den 90er Jahren des 16. Jahrhunderts hatte es aber auch Verhandlungen über eine Heirat Rudolfs II. mit Maria de Medici, der späteren Königin von Frankreich, gegeben. Nach vorangehenden und zu keinem Resultat führenden Gesprächen über deren Verbindung mit Erzherzog Matthias schlug Rudolf dem Großherzog Ferdinando vor, Maria solle entweder ihn selbst oder doch Matthias heiraten, wobei im ersten Fall die Mitgift 600.000 Dukaten betragen sollte, im zweiten 400.000. Im Gegensatz zu Maria akzeptierte der Großherzog diese Bedingungen, als Rudolf den Abschluss hinauszögerte, erkannte er jedoch, dass Rudolf nur eine andere Heirat der Prinzessin verhindern wollte und wandte sich anderen möglichen Kandidaten zu84. Ein eher singuläres Motiv steckte hinter den Heiratsprojekten Rudolfs II. in den Jahren 1603 bis 1607. Der Kaiser sandte damals seinen Hofmaler Hans von Aachen zu diversen Fürstenhöfen, um potentielle Bräute zu malen. So entstanden Porträts der Innsbrucker Erzherzogin Anna, Tochter Ferdinands von Tirol, der Julia d’ Este und einer Tochter des Herzogs von Württemberg. Am ernst81
LANZINNER, Friedenssicherung (Anm. KOSCH, Materialien zu einer Biographie
62), S. 216–222; siehe auch Marianne STRAElisabeths von Österreich, Königin von Frank-
reich, Diss. Wien 1965. 82 Diese Meinung vertrat beispielsweise im Zusammenhang mit den im folgenden besprochenen florentinischen Eheplänen ihres Sohnes Rudolf die Kaiserin Maria: Bericht des kaiserlichen Gesandten Hans Khevenhüller aus Madrid vom 28. Dezember 1598, HHStA, Spanien Korrespondenz 12, Korrespondenz Hans Khevenhüllers, Bd. 5, fol. 391. 83 Sabine WEISS, Claudia de Medici. Eine italienische Prinzessin als Landesfürstin von Tirol (1604–1648), Innsbruck 2005, S. 58–63. 84 Michel CARMONA, Marie de Médicis, Paris 1981, S. 10 f.
Niederkorn, Die dynastische Politik der Habsburger
49
haftesten wurde offenbar mit Karl Emanuel von Savoyen verhandelt, von dessen Tochter Margarethe der Kaiser ein Porträt von Rubens besaß85; noch Anfang 1607 versuchte der Geheime Rat Hegenmüller, in Turin beim Herzog einen Aufschub der kaiserlichen Entscheidung um einige Monate zu erwirken86. 1603 stand Rudolf auch mit Vincenzo von Mantua wegen einer Heirat mit dessen Tochter Margherita in Kontakt87. Was des Kaisers Aktivitäten in Wirklichkeit bezweckten, blieb freilich kein Geheimnis: Es ging ihm darum, damit dem von der eigenen Familie, der Kurie und Spanien ausgehenden Drängen nach Regelung seiner Nachfolge im Kaisertum zu begegnen88. Zu den aus einer aktuellen Situation heraus zustande gekommenen Ehen ist schließlich die des späteren Kaisers Maximilian II. mit Maria, der Tochter Karls V., zu zählen, der diese Verbindung im Rahmen seiner Pläne, seinen Sohn Philipp zum Nachfolger Ferdinands I. im Reich zu machen, als Mittel zur Aufrechterhaltung der Einheit des habsburgischen Gesamtsystems ins Auge fasste89. Die Verbindung Maximilians mit Maria ist die erste der Ehen zwischen Angehörigen verschiedener Zweige des Hauses Österreich, die als eines der Charakteristika von dessen dynastischer Politik gelten. Tatsächlich haben zwei der drei Kinder Karls V. (Maria und Philipp) wie auch Philipps II. (Philipp III. und Isabella) sich mit Habsburgern aus dem deutschen Familienzweig vermählt, dazu noch Kaiser Matthias die Tiroler Erzherzogin Anna, und auch in den folgenden beiden Generationen hat es nicht an derartigen Heiraten innerhalb der Dynastie gefehlt. Eine „von langfristigen Konzeptionen bestimmte endogame Heiratsstrategie […], die sich einander überkreuzender Geschwisterheiraten, der Vergabe von Erbtöchtern an einen anderen Zweig des Geschlechts oder die [sic] Vermählung von Kindern aus früheren Ehen eines Paares bediente, um Mitgiften und eventuelle Erbansprüche nicht an Außenstehende gelangen zu lassen“, hat Karl-Heinz Spiess jedoch auch als hervorstechende Gewohnheit im deutschen Hochadel des Spätmittelalters festgestellt90, und mit der weitgehenden 85 86
Karl VOCELKA, Rudolf II. und seine Zeit, Wien [u. a.] 1985, S. 134 Hegenmüller an Rudolf II., Turin, 21. Jan. 1607, HHStA, Italien kleine Staaten 12, Konvolut Savoyen. Hegenmüller hatte bei einer Tanzveranstaltung Gelegenheit, die Prinzessin zu betrachten, und schreibt, er habe „die Infanta Margaritta mit schönheit, geradigkeit, auch allen anderen ann Ir genugsamb erscheinenden heroischen tugenten, über die massen wohl geziert, und volkommen befunden“. 87 Jürgen ZIMMER, Die Gonzaga und der Prager Hof Kaiser Rudolfs II. – Historischer Überblick, in: Rudolf II, Prague and the World, hrsg. von Lubomir Konecny, Praha 1998, S. 17. 88 Klar ausgesprochen ist dies beispielsweise in einer Weisung Philipps III. an den Herzog von Feria, der wegen der Regelung der Nachfolge eine Gesandtschaft an den Kaiserhof antreten sollte, vom 29. Nov. 1606: Archivo General Simancas, Estado 2452, Nr. 36. 89 KOHLER, Karl V. (Anm. 9), S. 327–337; DERS., Ferdinand ( Anm. 23), S. 286 ff. 90 Karl-Heinz SPIESS, Familie und Verwandtschaft im deutschen Hochadel des Spätmittelalters. 13. bis Anfang des 16. Jahrhunderts, Stuttgart 1993, S. 532.
50
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Beschränkung der Partnerwahl auf enge Verwandte aus einem fest umrissenen Kreis weniger auserwählter Geschlechter entspricht die habsburgische Heiratspolitik völlig den Prinzipien, die kennzeichnend sind für die von Lucien Bély konstatierte „famille des princes“ des frühneuzeitlichen Europa91. Nach den spektakulären, letztlich aber primär dem biologischen Zufall verdankten Erbfällen im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts war es somit in erster Linie die durch ebendiese Erbfälle verursachte europaweite Dimension, die außergewöhnlich war an der dynastischen Politik der Habsburger im 16. und 17. Jahrhundert; von den handlungsleitenden Konzeptionen dieser Politik und den dabei angewandten Methoden kann man das nicht wirklich sagen.
Summary Marriage, the main reason for the dominant position the Habsburgs acquired in the first decades of the 16th century, was one of the dynasty’s primary political instruments through the entire early modern period. Focussing on the children and grandchildren of Charles V and his brother Ferdinand I, the article discusses the purposes of their marriages and also of their unrealized matrimonial projects. These purposes ranged from the expectation of promoting peace between two belligerent powers to the strengthening of alliances; from the maintenance of influence in certain regions to the advancement and/or stabilization of friendly relations to other states, especially those nearby; and from the more narrow function of providing a solution to a specific problem to the hope of adding new territories to the dynasty’s conglomerate of possessions. None of the numerous projects in this period was successful in this respect, either because negotiations failed (e.g. Elizabeth I, Mary Stuart, Xenia Godunova) or because the contracted marriage did not provide the desired (lasting) result (e.g. Mary Tudor, Sybille of JülichKleve). All aims of the matrimonial practices of the house of Austria coincided perfectly with the traditions of Europe’s ruling dynasties, and not even the frequent marriages with other members of the family can really be considered a peculiarity. Thus, if Habsburg dynastic policy was unique by the geographic range of the discussed projects, its objectives and the methods applied to realize them were not.
91
Lucien BELY, La société des princes. XVIe – XVIIIe siècle, Paris 1999, S. 17.
Geschichte einer Dekadenz? Die italienischen Dynastien im Europa der Frühen Neuzeit Von
Matthias Schnettger Die Geschichte der italienischen Dynastien in der Frühen Neuzeit wurde lange Zeit in erster Linie als die eines Niedergangs wahrgenommen1. Und das auf den ersten Blick nicht ganz zu Unrecht: Schließlich starben im 18. Jahrhundert alle großen Fürstenhäuser Italiens – jedenfalls im Mannesstamm – aus. Insgesamt ist der Blick in den letzten Jahrzehnten jedoch differenzierter geworden. Das Lamento der von den Anschauungen des Risorgimento geprägten Historiographie über eine unaufhaltsame Dekadenz im Schatten der Fremdherrschaft, der sich nur das Haus Savoyen, für das ein „italienischer Beruf“ in die Frühe Neuzeit zurückprojiziert wurde, habe entziehen können2, ist verstummt. Stattdessen ist die jüngere Geschichtsschreibung um eine Sicht bemüht, die man einerseits als neohistoristisch charakterisieren könnte, da sie versucht, stärker als früher die Epoche aus sich selbst zu verstehen und nicht die Maßstäbe des Nationalstaats des 19. und 20. Jahrhunderts anzulegen. Andererseits kommen aktuelle historiographische Ansätze wie die Genderforschung zur Anwendung3. Für diese Neubewertung der italienischen Dynastien ist die Synthese Angelantonio Spagnolettis kenn1 So schon im Titel: Antonio ARCHI, Il tramonto dei principati in Italia, Bologna [u. a.] 1962. 2 Diese Sichtweise wird zusammengefasst im Titel einer populärwissenschaftlichen Monographie jüngeren Datums: Claudia BOCCA CENTINI, I Savoia. Le vicende di una casa regnante che, da un piccolo stato tra le montagne, ha saputo districarsi tra le grandi potenze europee, portando a compimento l’unificazione d’Italia, Roma 2002. Allerdings geht die Dekadenz-Interpretation unter anderen Vorzeichen schon auf die Zeit vor dem Risorgimento zurück, indem die Dynastien, die das Erbe der ausgestorbenen antraten, teilweise eine Historiographie förderten, die das Andenken ihrer Vorgänger schmälerte, um die eigenen Verdienste umso deutlicher herauszustellen. Vgl. für das Beispiel Guastalla Eugenio BARTOLI, „In soccorso dei vincitori“. Ireneo Affò e la „Istoria della Città e Ducato di Guastalla“, 1785–1787. Storiografia militante tra vecchie e nuove dinastie, in: Annali di storia moderna e contemporanea 8 (2002), S. 279–297; DERS., Ireneo Affò e la „Istoria della Città e Ducato di Guastalla“. Quale lettura oggi?, in: Ireneo Affò nel secondo centenario della morte, Parma 2000, S. 151–180. 3 Hier seien beispielhaft nur zwei Neuerscheinungen genannt: Natalie R. TOMAS, The Medici Women. Gender and Power in Renaissance Florence, Aldershot [u. a.] 2003; Gabrielle LANGDON, Medici Women. Portraits of Power, Love and Betrayal from the Court of Duke Cosimo I, Toronto [u. a.] 2006.
52
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
zeichnend, der zwar auch eine „crisi del sistema dinastico italiano“ im 18. Jahrhundert ausmacht, die sich durch einen fortschreitenden Verlust an politischen Möglichkeiten andeutete und in das Verschwinden der meisten Dynastien mündete, der aber zugleich den Aktionsradius und die Gestaltungsmöglichkeiten ihrer Akteure auslotet und so ein fassettenreiches Bild entwirft, das wesentlich komplexer ausfällt als eine unaufhaltsame Abwärtsbewegung4. Die folgenden Ausführungen knüpfen an die Ergebnisse der neueren Forschungen zu den italienischen Dynastien an und stellen sie in einen europäischen Kontext. Damit ist angestrebt, nachdem der Ort der fürstlichen Familien in der italienischen Geschichte, wie beschrieben, einer Neubewertung unterzogen worden ist, auch ihren Stellenwert in Alteuropa neu auszuloten. Dass dies im Rahmen einer vom Umfang her begrenzten Studie nur anhand einiger ausgewählter Aspekte geschehen kann, ist selbstverständlich. Der erste Teil gibt eine grobe Übersicht über das Heiratsverhalten der größeren italienischen Fürstenfamilien in europäischer Perspektive. Der zweite Abschnitt lotet anhand einiger Fallbeispiele die kultur- und mikropolitischen Folgen von italienisch-außeritalienischen dynastischen Verbindungen aus. Schließlich wird ein Blick auf das Aussterben der Gonzaga, Farnese, Medici und Este (im Mannesstamm) und die Folgen geworfen. I. Dynastische Beziehungen nach Außeritalien Ein gemeinsames Kennzeichen der italienischen Dynastien der Frühen Neuzeit ist, dass sie allesamt durchgängig katholisch waren5. Diese auf den ersten Blick reichlich banale Feststellung hatte wesentliche Auswirkungen auf die Geschichte dieser Familien und verlieh ihnen unter den europäischen Herrscherhäusern in verschiedener Hinsicht eine Sonderstellung. Zum einen durch die starke Ausrichtung auf die römische Kurie: Die Medici, Gonzaga, Este und Farnese (die beiden Letztgenannten waren für Ferrara bzw. Parma und Piacenza sowie Castro zugleich päpstliche Vasallen) pflegten über Generationen hinweg nachgeborene Prinzen als Familienkardinäle zu installieren6, eine Erscheinung, die nur mit den Bemühungen der deutschen Habsburger und der Wittelsbacher um die Versorgung ihrer Söhne in der Reichskirche vergleichbar ist7. Dadurch wuchsen den betreffenden Familien zwar Ehre und 4 Angelantonio SPAGNOLETTI, Le dinastie italiane nella prima età moderna, Bologna 2003, zur „crisi del sistema dinastico italiano“ in Kapitel I.3, S. 67–90. 5 Die Neigung einzelner Dynastieangehöriger wie der Gemahlin Herzog Ercoles II. von Ferrara Renata di Francia (Renée de France) zum Protestantismus blieben letztlich folgenlos. Zu Renata di Francia siehe auch unten S. 65 f. 6 Vgl. SPAGNOLETTI, Le dinastie (wie Anm. 4), S. 271–294. 7 Vgl. Manfred WEITLAUFF, Die bayerischen Wittelsbacher in der Reichskirche, in: Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 87 (1992), S. 306–326; Rudolf REINHARDT, Zur Reichskirchenpolitik der Pfalz-Neuburger Dynastie,
53
Schnettger, Geschichte einer Dekadenz?
Einfluss an der Kurie zu, die Folge war jedoch ein Verlust an biologischer Substanz, der mit für das Aussterben der betreffenden Familien im Mannesstamm verantwortlich sein dürfte, auch wenn man in Krisensituationen nicht davor zurückschreckte, auf die Familienkardinäle als biologische Reserve zurückzugreifen und sie im Interesse der Fortsetzung der Dynastie zu verheiraten, teils mit Erfolg, teils vergeblich8. Die andere Folge, die sich aus der katholischen Konfession der italienischen Dynastien ergab, bestand darin, dass ein Großteil der deutschen Fürstenhäuser, die bis dahin zumindest eine Nebenrolle auf dem italienischen Heiratsmarkt gespielt hatten9, vorläufig für ein Konnubium de facto ausfiel. Zugleich eröffnete die Reformation den italienischen Dynastien aber auch neue Chancen auf dem Heiratsmarkt: Die drastische Verringerung der Zahl der katholischen Dynastien in Europa erhöhte für die italienischen Familien die Wahrscheinlichkeit, in eine Verbindung mit den vornehmsten Herrscherhäusern Europas, den Habsburgern und den Valois bzw. den Bourbonen, eintreten zu können. Schon ein Blick auf die bloßen Zahlen enthüllt, dass die italienischen Dynastien der Frühen Neuzeit – in unterschiedlichem Maß – europäische Familien waren10. Dynastie Savoyen (Hauptlinie)11
Zahl der Ehen 34
außeritalienisch 22
Anteil in % 64,7 %
in: Historisches Jahrbuch 84 (1964), S. 118–128; Matthias SCHNETTGER, Der Kaiser und die Bischofswahlen, in: Reichsständische Libertät und habsburgisches Kaisertum, hrsg. von Heinz Duchhardt und Matthias Schnettger, Mainz 1999, S. 213–255. 8 Ehemalige Kardinäle unter den regierenden italienischen Fürsten waren: bei den Medici Ferdinando I., bei den Este Rinaldo III., bei den Gonzaga von Mantua die Brüder Ferdinando I. und Vincenzo II. Wahrend die beiden Erstgenannten mit ihrer Rückkehr in den Laienstand und Eheschließung die Fortsetzung der Dynastie vorläufig sichern konnten, gelang dies den beiden Gonzaga nicht. Ebenso scheiterte 1709 der Versuch, durch die Heirat des ehemaligen Kardinals Francesco Maria de’ Medici das toskanische Großherzogshaus vor dem Aussterben zu bewahren. 9 Beispielsweise war Markgraf Ludovico III. von Mantua (*1414, reg. 1444–1478) mit Barbara von Brandenburg-Kulmbach (1423–1481) verheiratet und sein Sohn und Nachfolger Federico I. (*1441, reg. 1478–1484) mit Margarethe von Bayern (1442–1479). 10 Die Grundlage für die folgende Tabelle wie auch für die Ausführungen zu den einzelnen dynastischen Verbindungen ist: Wilhelm Karl zu ISENBURG, Europäische Stammtafeln. Stammtafeln zur Geschichte der europäischen Staaten, Bd. 2: Die außerdeutschen Staaten, 2. Aufl. Frankfurt a. M. 1953, ND 1976. Für die Tabelle wie für den Beitrag insgesamt wurden ausgewertet die Tafeln 113–115 (Savoyen), 119 (Bourbon-Sizilien), 120 (Medici), 121 (Habsburg-Lothringen-Toskana), 124–125 (Este), 126 (Habsburg-Lothringen-Este), 127 (Farnese), 128 (Bourbon-Parma), 129–130 (Gonzaga), 132 (Sforza), 133 (Pico), 134 (Cybo-Malaspina), 137 (Paläologen von Monferrato) Im Folgenden wird auf Einzelverweise auf die Stammtafeln verzichtet. Vgl. auch SPAGNOLETTI, Le dinastie (wie Anm. 4), S. 159–176. 11 Von Herzog Filiberto II. (*1480, reg. 1497–1504) und seinen Geschwistern bis zum Ende der Frühen Neuzeit. Nicht berücksichtigt wurden die Nachkommen Filippos (1490– 1533; Linie Savoyen-Nemours) und Tommasos (1596–1656; Linie Savoyen-Carignano).
54
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Dynastie Medici12 Este13 Gonzaga (Hauptlinie)14 Gonzaga-Nevers15 Gonzaga-Guastalla16 Farnese17
Zahl der Ehen 28 47 16 8 14 18
außeritalienisch 15 10 6 6 2 6
Anteil in % 53,8 % 21,3 % 37,5 % 75,0 % 14,3 % 33,3 %
Diese nackten Zahlen, die sich, durch die unterschiedlichen Familiengeschichten bedingt, zudem auf deutlich von einander abweichende Untersuchungszeiträume beziehen, können natürlich nur einen ersten Anhaltspunkt bieten. Dies umso mehr, als (und dies gilt für alle folgenden strukturellen Überlegungen) zu bedenken ist, dass auch fürstliche Ehen in der Frühen Neuzeit nicht gleichsam auf dem Reißbrett entworfen werden konnten – neben zahlreichen anderen Faktoren, wie der nicht außer Acht zu lassenden Zu- und Abneigung der betroffenen Personen, war vor allem das Reservoir disponibler Ehepartner bzw. -partnerinnen ein limitierender Faktor für dynastische Planspiele. Gleichwohl machen die ermittelten Zahlen deutlich, dass die größeren italienischen Dynastien auf dem europäischen Heiratsmarkt durchaus präsent waren, dies allerdings in einem sehr unterschiedlichen Maß, das grosso modo ihrer politischen Bedeutung korrespondierte. Während in den Häusern Savoia und Medici über die Hälfte der Ehepartner aus außeritalienischen Familien stammten, waren dies bei den Gonzaga von Guastalla gerade einmal 14,3 %. Diesem Befund entspricht, dass die kleinen italienischen Dynastien der Cibo von Massa-Carrara und Pico von Mirandola keine bzw. nur eine einzige europäische Ehe aufzuweisen haben18. Aus dem Rahmen fallen allein die Gonzaga-Nevers, die allerdings insofern eine Sonderrolle spielen, als sie selbst einen französisierten Zweig des Hauses Gonzaga darstellten, ihre Etablierung in Mantua zwar in erster Linie der französischen Protektion verdankten, sich ihre Politik später jedoch durch eine enge Anlehnung an den Kaiserhof auszeichnete19. 12
Seit der Erhebung Alessandros zum Herzog von Florenz (1530) bis zum Aussterben der Medici im Mannesstamm (1737). 13 Ehen Ercoles I. (*1431, reg. 1471–1505) und seiner Nachkommen bis zur Begründung des Hauses Habsburg-Este durch die Eheschließung zwischen Maria Beatrice (1750–1829) und Erzherzog Ferdinand von Österreich (1754–1806) im Jahr 1771. 14 Von Federico II. (*1500, reg. 1530–1540) bis zum Aussterben im Mannessstamm 1627. 15 Nach dem Regierungsantritt in Mantua 1627/1630 bis zum Aussterben im Mannesstamm 1708. 16 Von Ferrante I. (*1507, reg. 1539–1557) bis zum Aussterben im Mannesstamm 1746. 17 Von Herzog Pietro (*1503, reg. 1545–1547) bis zum Aussterben im Mannesstamm 1731. 18 Der 1708 abgesetzte Herzog Francesco Maria von Mirandola (*1688, reg. 1691–1708, †1747) heiratete 1744 in zweiter Ehe Maria Fitz-James-Stuart. 19 Vgl. hierzu demnächst Giuliano ANNIBALETTI, Ein irreversibler Niedergang? Die Beziehungen zwischen Mantua und dem Reich nach 1627, in: Kaiserliches und päpstliches
Schnettger, Geschichte einer Dekadenz?
55
Nach diesen ersten Eindrücken ist es erforderlich, die einzelnen Familien und die von ihnen geschlossenen Ehen genauer zu betrachten: Wen heiratete man? Wer heiratete einen außeritalienischen Partner – das Familienoberhaupt oder „nur“ ein nachgeborener Prinz oder eine Prinzessin? Und wie waren die Ehen zeitlich verteilt? Mit den Habsburgern waren am Ende des 16. Jahrhunderts ausnahmslos alle bedeutenderen italienischen Fürstenfamilien verwandt: Nach Savoyen, dem strategisch wichtigen Grenzland im Nordwesten, war bereits 1501 Margarethe von Österreich, die Tochter Maximilians I. und spätere Statthalterin der Niederlande (1480–1530) verheiratet worden. Ihre Verbindung mit Herzog Filiberto II. (*1480, reg. 1497–1504) blieb, wie schon die ersten Ehen beider Partner20, allerdings kinderlos. Folgenreicher war die 1585 geschlossene Ehe Carlo Emanueles I. (*1562, reg. 1580–1630) mit Caterina (1567–1597), der Tochter Philipps II., eine umso prestigeträchtigere Verbindung, als die spanischen Infantinnen (von denen es überdies nur wenige gab) üblicherweise in der eigenen Familie oder mit anderen gekrönten Häuptern verheiratet wurden. Zwar blieb die vom Katholischen König intendierte langfristige politische Bindung Savoyens an Spanien aus, und auch die savoyische Hoffnung auf den baldigen Anfall des spanischen Erbes erfüllte sich nicht. Immerhin machten jedoch drei Kinder aus dieser Ehe Karriere in spanischen Diensten: Emanuele Filiberto starb 1624 als spanischer Vizekönig von Sizilien, seine Schwester Margherita war von 1635 bis zum Ausbruch des antispanischen Aufstands 1640 Vizekönigin von Portugal. Tommaso Francesco, der Begründer der Linie Carignano, wurde zwar 1634 Befehlshaber der spanischen Truppen in den Niederlanden; der Schwerpunkt dieses Familienzweiges (aus dem der berühmte Prinz Eugen hervorging) verlagerte sich aber nach Frankreich. – Schließlich zahlte sich die spanische Hochzeit für die Savoia mit einhundertjähriger Verspätung doch noch in realem Ländergewinn und der Königswürde aus, denn aus dem Spanischen Erbfolgekrieg (1701–1713/14) ging Vittorio Amedeo II. (*1666, reg. 1675–1730, †1732), der Urenkel der Infantin Caterina, als König von Sizilien hervor – er musste diese Insel zwar 1721 gegen Sardinien eintauschen, der Königstitel verblieb ihm jedoch21. Eng waren auch die dynastischen Verbindungen der Habsburger zu den Sforza als den Herren über das Herzogtum Mailand, dem zentralen Territorium Reichsitaliens. Kaiser Maximilian I. heiratete 1494 in zweiter Ehe Bianca Maria, die Schwester Gian Galeazzos II. (*1469, reg. 1476–1494), deren Lehnswesen in der Frühen Neuzeit, hrsg. von Matthias Schnettger = zeitenblicke 6 (2007), Nr. 1. 20 Margarethe war in erster Ehe mit dem spanischen Infanten Juan verheiratet gewesen und Filiberto mit Iolanda Ludovica von Savoyen (1487–1499). 21 Vgl. Geoffrey SYMCOX, L’età di Vittorio Amedeo II, in: Storia d’Italia. Bd. 8: Il Piemonte sabaudo. Stato e territori in età moderna, hrsg. von Pierpaolo Merlin [u. a.], Torino 1994, S. 271–438, hier: S. 355–394.
56
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Cousin Sforza Francesco II., der letzte Sforza-Herzog (*1495, reg. 1521– 1524, 1525, 1529–1535) wurde 1534 mit Christina von Oldenburg (1521– 1590) verheiratet, deren Mutter Isabella die Schwester Karls V. war. Zunächst mit einer natürlichen Tochter Karls V. begnügen musste sich dagegen die Aufsteigerfamilie der Medici: Am 18. Januar 1536 heiratete der erste Medici-Herzog von Florenz Alessandro (*1511, reg. 1530–1537) Margarethe (1522–1583), die Tochter des Kaisers und der Johanna van der Geynst. Nach Alessandros Ermordung bewarb sich sein Nachfolger Cosimo I. (*1519, reg. 1537–1574) um die Witwe, musste jedoch am Ende mit der aus einer der vornehmsten spanischen Familien, aber nicht aus einem regierenden Fürstenhaus stammenden Eleonora di Toledo (1522–1562) Vorlieb nehmen. Margarethe dagegen wurde 1538 mit Ottavio Farnese, Herzog von Parma und Piacenza (*1524, reg. 1547–1586), verheiratet und wurde damit die Stammmutter des Hauses Farnese, blieb aber die einzige Habsburgerin, die in diese Familie einheiratete22. Eine „echte“ Erzherzogin erhielt 1564 dagegen der älteste Sohn Cosimos I. de’ Medici, Großherzog Francesco I. (*1541, reg. 1574–1587). Er war damit einer der italienischen Fürsten, die vom Töchterreichtum Kaiser Ferdinands I. profitierten. Francescos Braut war die jüngste Erzherzogin, Johanna (1547– 1578), während Katharina (1533–1572) und Eleonore (1534–1594) bereits 1549 bzw. 1561 die nacheinander in Mantua regierenden Gonzaga-Brüder Francesco III. (*1533, reg. 1540–1550) und Guglielmo I. (*1538, reg. 1550– 1587) heirateten und eine weitere Schwester, Barbara (*1539–1572), 1565 mit Herzog Alfonso II. von Ferrara vermählt wurde. Diese habsburgisch-italienischen Ehen verstärkten den Einfluss der Casa di Austria auf der Apenninenhalbinsel und sicherten ihn ab. Dass hierfür fast ausschließlich österreichische Erzherzoginnen und keine spanischen Infantinnen eingesetzt wurden, lag zunächst einmal daran, dass die Madrider Linie der Habsburger nicht über die nötigen personellen Ressourcen verfügte. Aber wenn Ferdinand I. und Maximilian II. ihre Töchter bzw. Schwestern nach Italien verheirateten, verfolgten sie zugleich ihre eigenen Interessen, denn da sie über keine eigene Machtbasis auf der Halbinsel verfügten, war es für sie umso wichtiger, den eigenen, kaiserlichen Einfluss in Reichsitalien auf andere Art und Weise zur Geltung zu bringen und sich nicht ausschließlich auf die spanischen Verwandten verlassen zu müssen23. Umgekehrt war es auch für die italienischen 22
Die wichtige (re-)legitimierende Bedeutung der habsburgischen Heiraten (und sei es „nur“ mit einer natürlichen Kaisertochter) für die italienischen Fürstenhäuser hat herausgearbeitet Angelantonio SPAGNOLETTI, Matrimoni e politiche dinatiche in Italia tra gli anni Trenta e gli anni Cinquanta del Cinquecento, in: L’Italia di Carlo V. Guerra, religione e politica nel primo Cinquecento. Atti del Convegno internazionale di studi, Roma, 5–7 aprile 2001, hrsg. von Francesca Cantù und Maria Antonietta Visceglia, Roma 2003, S. 97–113. 23 Das Verhältnis der deutschen und der spanischen Habsburger war, gerade bezogen auf Italien, sowohl von Kooperation als auch von Konflikt geprägt, wobei die Verteilung dieser
Schnettger, Geschichte einer Dekadenz?
57
Fürsten vorteilhaft, die spanische Vormachtstellung durch die Kontaktpflege nach Wien bzw. Prag auszubalancieren, zumal der Kaiser für die Reichsvasallen der Oberlehnsherr und die wichtigste Quelle von Privilegien blieb. Neben dem Kaiser, der bei allen Differenzen in Einzelfragen grundsätzlich ein enger Verbündeter des Katholischen Königs blieb, kam vor allem Frankreich als Gegengewicht zu Spanien infrage. Diesem Umstand trugen die italienischen Fürsten auch in ihrer Heiratspolitik Rechnung. Die Medici stellten mit Katharina (1519–1589) und Maria (1573–1642) zwei der berühmtesten oder auch berüchtigtsten Königinnen und Regentinnen Frankreichs. Seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert spiegelte sich das gewachsene Gewicht des Hauses Savoyen darin, dass der Turiner Hof mehrere Prinzessinnen im Haus Bourbon unterzubringen vermochte: 1697, in der Folge des 1696 geschlossenen Sonderfriedens von Turin, heiratete Adelaide (1685–1712), die älteste Tochter Herzog Vittorio Amedeos II. (*1666, reg. 1675–1730, †1732), den Herzog Ludwig von Burgund, den Enkel Ludwigs XIV. und Vater des späteren Ludwig XV. Dessen Bruder Herzog Philipp von Anjou vermählte sich 1701, ein Jahr, nachdem er durch das Testament Karls II. König von Spanien geworden war, mit ihrer jüngeren Schwester Maria Luisa (1688–1714). Eine dreifache savoyisch-französische Heiratsallianz wurde in den 1770er Jahren geknüpft, als 1771 bzw. 1773 die beiden ältesten überlebenden Töchter König Vittorio Amedeos III. von Sardinien (*1726, reg. 1773–1796), Luisa (1753–1810) und Maria Theresia (1756–1805) die beiden französischen Prinzen Ludwig und Karl, die nachmaligen Könige Ludwig XVIII. und Karl X., heirateten und sich 1775 ihr Bruder, der spätere König Carlo Emanuele IV. (*1751, reg. 1796–1802, †1819), mit seiner Schwippschwägerin Klothilde vermählte. Die Zahl der französischen Prinzessinnen, die an italienische Fürsten verheiratet wurden, ist deutlich höher als die der Italienerinnen, die in den Rang einer französischen Königin oder Dauphine aufsteigen konnten, ein Indiz dafür, dass für den Allerchristlichsten König eine Verbindung mit einer italienischen Prinzessin weniger attraktiv war als für einen italienischen Fürsten eine Ehe mit einer Bourbonin. Der Eindruck einer gewissen Asymmetrie wird verstärkt, wenn man berücksichtigt, dass es häufig Abkömmlinge von Seitenlinien des Königshauses waren, die über die Alpen verheiratet wurden. Elemente in der Forschung durchaus kontrovers beurteilt wird. Die Konkurrenz stellt vor allem heraus Karl Otmar Freiherr von ARETIN, Reichsitalien von Karl V. bis zum Ende des Alten Reiches. Die Lehensordnungen in Italien und ihre Auswirkungen auf die europäische Politik, in: DERS., Das Reich. Friedensordnung und europäisches Gleichgewicht 1648– 1806, Stuttgart 1986, S. 76–163, bes. S. 106–117. Dagegen betont Cinzia CREMONINI, Das Reichslehenswesen in Italien zwischen Kaisertreue und spanischen Interessen: Einige Überlegungen, in: Kaiserliches und päpstliches Lehnswesen (wie Anm. 19), die Kooperation zwischen den beiden Höfen, ohne allerdings die Existenz von Phasen der Konfrontation in Abrede zu stellen.
58
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Französische Königstöchter wurden allein ins Haus Savoyen gegeben, darunter 1619 die spätere Regentin Christine de France (1606–1663), deren Bezeichnung „Madama Reale“ belegt, wie wichtig für die nach dem Königsrang strebende Casa di Savoia die Verbindung mit der Tochter eines der bedeutendsten christlichen Monarchen war24. Tatsächlich heirateten alle savoyischen Herzöge von Filiberto II. bis Vittorio Amedeo I. Königstöchter25. Dessen Sohn Carlo Emanuele II. (*1634, reg. 1637–1675) musste sich dagegen 1663 in erster Ehe mit Franziska von Orléans (1648–1663) und 1665 in zweiter Ehe mit Maria Johanna (1644–1724) aus der französischen Nebenlinie Savoyen-Nemours begnügen – was durchaus dem Bedeutungsverlust Savoyens auf europäischer Ebene korrespondiert, das in jenen Jahren in eine weitgehende außenpolitische Abhängigkeit von Frankreich geraten war. Selbst für eine Prinzessin aus einer bourbonischen Seitenlinie mochte es als Zumutung erscheinen, einen italienischen „Duodezfürsten“ heiraten zu sollen. Margarethe Luise von Orléans (1645–1721) ging so weit, 1675 ihren Gemahl Großherzog Cosimo III. zu verlassen und nach Paris zurückzukehren. Ihrer Verwandten Charlotte, die 1720 den späteren Herzog Francesco III. von Modena (*1698, reg. 1737–1780) heiraten musste, gab sie den Rat, ihrem Beispiel zu folgen: „Ayez un enfant ou deux, et revenez en France“26. Insgesamt hatten es die kleineren italienischen Dynastien viel schwerer, Verbindungen mit den europäischen Königshäusern anzuknüpfen, als die Savoia oder die Medici. Für das Haus Este war sicherlich das Aussterben der Hauptlinie mit Alfonso II. (*1533, reg. 1559–1597) ein Problem. Nicht nur, dass sein machtpolitisches Gewicht durch den Heimfall Ferraras an den Heiligen Stuhl (1597/98) deutlich reduziert wurde; die zumindest zweifelhafte Abstammung des nunmehrigen Herzogs Cesare von Modena (*1552, reg. 1597–1628)27 trug zu einer weiteren Herabsetzung der Attraktivität der Este auf dem europäischen Heiratsmarkt bei. Die erste königliche Heirat einer 24
Zum Streben der Savoia nach dem Königsrang vgl. Robert ORESKO, The House of Savoy in search for a royal crown in the seventeenth century, in: Royal and Republican Sovereignty in Early Modern Europe. Essays in memory of Ragnhild Hatton, hrsg. von Robert Oresko [u. a.], Cambridge 1997, S. 272–350. 25 Filiberto II. 1501 Margarethe von Österreich; Carlo III. 1521 Beatrix von Portugal; Emanuele Filiberto 1559 Margarethe von Frankreich; Carlo Emanuele I. 1585 die spanische Infantin Caterina. 26 Zitiert nach SPAGNOLETTI, Le dinastie (Anm. 4), S. 253. 27 Cesare war der Enkel Herzog Alfonsos I. (*1476, reg. 1505–1534) und seiner Konkubine Laura Dianti. In der Lesart der Este war diese Verbindung kurz vor dem Tod Alfonsos I. legalisiert und waren die aus ihr hervorgegangenen Kinder damit legitim geworden. Die römische Kurie setzte sich jedoch mit ihrer Auffassung von der illegitimen Abstammung Cesares durch und zwang diesen 1598 zum Verzicht auf das päpstliche Lehen Ferrara. Vgl. zum Heimfall Ferraras an die römische Kurie nun die monumentale Studie von Birgit EMICH, Territoriale Integration in der Frühen Neuzeit. Ferrara und der Kirchenstaat, Köln/Weimar/Wien 2005, bes. S. 53–102 (mit Verweisen auf die ältere Literatur).
Schnettger, Geschichte einer Dekadenz?
59
Este-Prinzessin in der Neuzeit fand nicht vor 1673 statt, sie erlangte dann aber europäische Bedeutung: Die Tatsache, dass aus der Ehe Maria Beatrices mit dem Stuart-Prinzen Jakob, dem späteren König Jakob II. von England, 1688 ein katholischer Thronfolger hervorging, trug bekanntlich entscheidend zum Ausbruch der Glorious Revolution bei. Ein reduziertes Gewicht auf dem hochadligen europäischen Heiratsmarkt hatten auch die Farnese mit ihrer als Abkömmlinge eines Kardinals und späteren Papstes (Paul III., *1468, reg. 1534–1549) zweifelhaften Herkunft. Der Kombination von dubioser Abstammung und realem politischen Gewicht entsprachen die Ehen des zweiten Herzogs und eigentlichen Begründers des parmesisch-piacentinischen Doppelherzogtums Ottavio (*1524, reg. 1547– 1586) und seines Bruders Orazio († 1553) mit der natürlichen Tochter Kaiser Karls V. Margarethe (1540) bzw. mit Diana, der ebenfalls außerehelich geborenen Tochter Heinrichs II. von Frankreich (1552). Maria (1538–1577), die Gemahlin des Thronfolgers Alessandro (*1545, reg. 1586–1592), stammte dagegen aus einer Nebenlinie des portugiesischen Königshauses. Auf die einzige Ehe einer Farnese-Prinzessin (Elisabetta Maria, 1692–1766) mit einem König (Philipp V. von Spanien), die ganz am Ende der Familiengeschichte stand und nicht unerheblich mit den potentiellen Erbansprüchen der Braut zusammenhing, ist unten ausführlicher einzugehen28. Präsenter auf dem europäischen Heiratsmarkt waren die Gonzaga. Außer den bereits erwähnten Ehen der habsburgischen Schwestern Katharina und Eleonora mit den Gonzaga-Brüdern Francesco III. und Guglielmo gab es noch eine Reihe weiterer dynastischer Verbindungen mit dem Kaiserhaus. Neben der Ehe Anna Caterinas (1566–1621), der Tochter Eleonoras und Guglielmos, mit ihrem Onkel Erzherzog Ferdinand von Tirol sind hier vor allem die beiden Kaiserinnen aus dem Haus Gonzaga bzw. Gonzaga-Nevers zu nennen: 1622 wurde Eleonora (1598–1655), die Schwester der letzten Herzöge der Hauptlinie, die zweite Gemahlin Ferdinands II., und 1651 heiratete Eleonora Gonzaga-Nevers (1630–1686) seinen Sohn Ferdinand III., als dessen dritte Gemahlin29. Der Hochzeit der zweiten Eleonora war bereits 1649 die Ehe ihres Bruders Herzog Carlo III. (*1629, reg. 1637–1665) mit Isabella Klara von Habsburg-Tirol vorausgegangen. Schon 1646 war Luisa Maria (1611–1667), die Tante Eleonoras und Carlos, eine königliche Ehe mit Wladislaw IV. von Polen (1595–1648) eingegangen, nach dessen frühem Tod sie seinen Bruder und letzten polnischen Wasa Johann II. Kasimir (1609– 1672) heiratete. Zumal im späten 17. und im 18. Jahrhundert gewannen für die italienischen Fürstenhäuser aber die dynastischen Verbindungen mit deutschen Familien 28 29
Siehe unten S. 71. Zum Einfluss der beiden Gonzaga-Kaiserinnen am Wiener Hof, der insbesondere im Fall der zweiten Eleonora auch während ihres Witwenstandes andauerte, siehe unten S. 110–112.
60
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
eine viel größere Bedeutung. Insbesondere die Este, die Farnese und die Gonzaga-Guastalla kehrten mit diesen Ehen in die außeritalienischen Heiratskreise zurück bzw. traten erstmals in diese ein. Möglich wurden diese Hochzeiten dadurch, dass im Verlauf des 17. Jahrhunderts eine ganze Reihe deutscher Fürstensprosse oder sogar ganze Familien zum Katholizismus zurückkehrten, womit sich den italienischen Dynastien der deutsche Heiratsmarkt überhaupt erst so recht eröffnete – mit den bayerischen Wittelsbachern, der neben den Habsburgern einzigen bedeutenden deutschen Dynastie, die durchgängig katholisch blieb, gingen die Savoia um die Jahrhundertmitte allerdings schon eine erste Verbindung ein30. Unter den veränderten Voraussetzungen lagen dynastische Verbindungen mit den den italienischen nach Status und Macht vergleichbaren deutschen Herrscherfamilien durchaus nahe und trugen zudem der politischen Großwetterlage Rechnung. Da seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert das Kaisertum als beherrschende Macht nach Italien zurückkehrte31, gewann die Verschwägerung mit einem deutschen Fürstenhaus, das in Wien über Einfluss verfügte, an Attraktivität und vermochte bis zu einem gewissen Grad die Ehe mit einer nicht zur Verfügung stehenden Erzherzogin zu substituieren. Für die Medici beispielsweise war die Ehe Anna Maria Luisas, der letzten Medici (1667–1743), mit Kurfürst Johann Wilhelm von der Pfalz von erheblicher Bedeutung, obwohl die Ehe, die vom Wiener Hof ausdrücklich gefördert wurde, kinderlos blieb32. Die von Anna Maria Luisa eingefädelte Heirat ihres jüngeren Bruders Gian Gastone (*1671, reg. 1723–1737) mit ihrer in Böhmen begüterten verwitweten Schwägerin Anna Maria Franziska von Sachsen-Lauenburg hätte die Verbindungen ins Reich noch verstärken sollen, doch diese Ehe war ein völliges Fiasko und mit der Rückkehr Gian Gastones nach Florenz 1708 (ohne seine Frau!) de facto aufgelöst. Auch der älteste Bruder Ferdinando (1663–1713) hatte mit Violante von Bayern eine deutsche Gemahlin – allerdings ist die Ehe mit der bayerischen Wittelsbacherin eher in den Kontext der französischen Verbindungen der Toskana einzuordnen33. 30
1652 heiratete Adelaide di Savoia (1636–1676) den bayerischen Kurfürstin Ferdinand Maria und wurde zur Stütze der französischen „Partei“ in München. 31 Vgl. Karl Otmar Freiherr von ARETIN, Das Alte Reich 1648–1806, Bd. 2: Kaisertradition und österreichische Großmachtpolitik (1684–1745), Stuttgart 1997, S. 128–134, 194– 215, 351–380; Dilatar l’Impero in Italia. Asburgo e Italia nel primo Settecento, hrsg. von Marcello Verga, Roma 1995; Cinzia CREMONINI, Großmacht o trompe l’oeil barocco? Considerazioni sull’Impero in Italia e i rapporti con il Papato all’epoca di padre Marco d’Aviano, in: Marco d’Aviano e il suo tempo. Un cappucino del Seicento, gli Ottomani e l’Impero. Atti del convegno storico internazionale, hrsg. von Ruggero Simonato, Pordenone 1993, S. 311–341. 32 Siehe unten S. 64 f. 33 Zu ihr vgl. Giuseppe PANSINI, Violante Beatrix von Bayern, Prinzessin der Toskana, in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 44 (1981), S. 291–302.
Schnettger, Geschichte einer Dekadenz?
61
Eine ähnliche Bedeutung wie die Verbindung mit den Pfalz-Neuburgern für die Medici erlangte für die Este die Hochzeit Herzog Rinaldos III. (*1655, reg. 1695–1737) mit der Welfin Charlotte, der Schwester der späteren Kaiserin Amalie Wilhelmine, deren Ehe mit Kaiser Joseph I. 1699 per procuratorem in Modena geschlossen wurde34. In den Kontext der deutsch-italienischen Ehen, die den kaiserlichen Einfluss auf der Halbinsel verstärkten, sind schließlich die Ehen einzuordnen, die Dorothea Sofia von Pfalz-Neuburg nacheinander mit Odoardo Farnese (1666–1693) und nach dessen frühem Tod mit seinem Bruder und nunmehrigem regierenden Herzog Francesco (*1678, reg. 1694–1748) einging35. Besonders deutlich wird die Erweiterung der Heiratskreise, die die deutschen Fürstenkonversionen den italienischen Dynastien eröffneten, am Beispiel der Gonzaga von Guastalla. Für diese – jedenfalls nach dem Umfang ihres Territoriums gemessen – Duodezfürsten, die sich im 16. und 17. Jahrhundert allein in den italienischen Heiratskreisen bewegt hatten, wäre eine Erzherzogin unerreichbar gewesen. Mit Theodora von Hessen-Darmstadt und Eleonore von Holstein-Wiesenburg heirateten aber die beiden letzten Abkömmlinge dieser Gonzaga-Linie, Antonio Ferdinando (*1687, reg. 1714– 1729) und Giuseppe (*1690, reg. 1729–1746) deutsche Frauen aus reichsfürstlichen Häusern36. Tatsächlich lässt sich neben der Mitte des 16. Jahrhunderts die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert als eine zweite Phase ausmachen, in der die italienischen Dynastien verstärkt auf dem europäischen, zumal deutschen Heiratsmarkt vertreten waren. Wie bereits angedeutet, spricht manches dafür, dies im Kontext des Wiederaufstiegs der kaiserlichen Macht in Reichsitalien zu sehen, doch griffe man meines Erachtens zu kurz, wollte man die deutschen Ehefrauen der italienischen Fürsten einseitig als „fünfte Kolonne“ des Kaisers auf dem Apennin betrachten oder als „Vorhut“ der Erzherzöge und Erzherzoginnen, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auf die italienischen Throne gelangten. Vielmehr konnten diese Verbindungen, wie besonders deutlich im Fall der Medici und der Este zu sehen, umgekehrt zugleich die Herrschaft der italienischen Fürsten abstützen, und dies selbst gegen die Intentionen des Wiener Hofes37. Jedenfalls rückte Reichsitalien auch in dy34 35
Siehe unten S. 66 f. Dorothea Sofia war die Schwester der Kaiserin Eleonore, der dritten Gemahlin Leopolds I. und Mutter Josephs I. und Karls VI. Vgl. Marzio DALL’ACQUA, Dorothea Sophia von Pfalz-Neuburg, Gemahlin des Prinzen Odoardo Farnese und des Herzogs Francesco Farnese, in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 44 (1981), S. 303–316. 36 Für Antonio Ferdinando war dies allerdings die zweite Ehe, nach einer Verbindung mit Margherita Cesarini. 37 In diesem Punkt geht mir die Revision des traditionellen Dekadenz-Paradigmas durch SPAGNOLETTI, Le dinastie (Anm. 4), S. 180, nicht weit genug, wenn er die französischen und deutschen Ehen der italienischen Fürsten primär als Seismograph des Bedeutungsver-
62
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
nastischer Hinsicht in diesen Jahren wieder näher an das Deutsche Reich heran. II. Politischer Einfluss, Kulturvermittlung, Migration und Mikropolitik – zu den Folgen dynastischer Verbindungen Es fällt schwer, generalisierende Aussagen über die Folgen der Verbindungen der italienischen Fürstenhäuser mit den europäischen Dynastien zu treffen. Es ist bekannt, dass viele dynastische Heiraten in der Frühen Neuzeit geschlossen wurden, um bestehende Allianzen abzustützen oder (zumeist als flankierende Maßnahme) bisherige Feinde miteinander zu versöhnen. Ebenso bekannt ist allerdings auch, dass derartige Bestrebungen keineswegs immer zum Erfolg führten38. Der Stellenwert einer dynastischen Heirat hing neben den Persönlichkeiten und dem Verhältnis der Eheleute und deren Verhältnis zueinander nämlich von einer ganzen Reihe anderer Umstände ab, von denen die politischen Rahmenbedingungen, die Dauer der Ehe und dem Faktum, ob aus ihr (vorzugsweise männliche) Nachkommen hervorgingen, nur zwei sind. Im Folgenden soll es daher nur darum gehen, die potentiellen Wirkungen dynastischer Verbindungen der italienischen Fürstenhäuser nach jenseits der Alpen anhand weniger Beispiele zu skizzieren. Eine Ehe, die für die Medien trotz ihrer Kinderlosigkeit erhebliche Bedeutung erlangte, war die der Tochter Cosimos III. Anna Maria Luisa mit Kurfürst Johann Wilhelm von der Pfalz. Die Kurfürstin gewann großen Einfluss auf ihren Mann, und dieser wiederum verfügte als Schwager bzw. Onkel der Kaiser Leopold I., Joseph I. und Karl VI. über einiges Ansehen am Wiener Hof, das er auch zugunsten der Familie seiner Gemahlin in die Waagschale warf. So erreichte er auf dem Wahltag von 1711 eine deutliche Reduktion der infolge des Spanischen Erbfolgekriegs auf dem Großherzogtum lastenden Kontributionsforderungen. Vergeblich war dagegen sein Bemühen, die kaiserliche Zustimmung zum Erbrecht seiner Frau auf die Toskana zu erwirken39. Ein sehr bekanntes Beispiel für eine Italienerin auf einem europäischen Thron mit einem beachtlichen Einfluss ist Kaiserin Eleonora (II.) Gonzaga lusts und der französischen bzw. kaiserlich-österreichischen Hegemonie einstuft: „Non è certamente un segno di forza la presenza, a partire dalla metà del Seicento, di tante donne francesi o tedesche nelle corti italiane“. 38 Wenig erfolgreich waren unter diesem Gesichtspunkt die Ehen zwischen den spanischen Habsburgern und den Bourbonen im 17. Jahrhundert. Ein positives Gegenbeispiel wäre die Ehe zwischen der österreichischen Erzherzogin Maria Antonia und dem späteren Ludwig XVI. von Frankreich im Kontext des Renversement des Alliances von 1756. 39 Vgl. Matthias SCHNETTGER, Dynastische Interessen, Lehnsrecht und Machtpolitik. Der Wiener Hof und die Anwartschaft der Kurfürstin Anna Maria Luisa von der Pfalz auf die toskanische Erbfolge (1711–1714), in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 108 (2000), S. 351–371.
Schnettger, Geschichte einer Dekadenz?
63
(-Nevers), die sich bei ihrem Mann Ferdinand III. und später ihrem Stiefsohn Kaiser Leopold I. nicht nur mit beachtlichem Erfolg für ihr Herkunftsland und ihre Herkunftsdynastie einsetzte40, sondern auch als Mäzenin wirkte und insbesondere die italienische Oper in Wien förderte (wobei sich ihre und die Interessen Leopolds durchaus trafen)41. Auch wenn der Großteil des aus Mantua mitgebrachten Hofstaats binnen einen Jahres in die Heimat zurückkehrte42, erhöhte sich bereits unter der ersten Gonzaga-Kaiserin namens Eleonora, der zweiten Gattin Ferdinands II., die Zahl der Italiener am Kaiserhof spürbar, wobei eine Reihe von Persönlichkeiten aus der GonzagaDynastie selbst nach Wien kamen. So findet sich in den 1620er Jahren mit der Marchesa Eleonora Maria Gonzaga-Luzzara, die 1625 Graf Johann Philipp von Thurn heiratete, eine Hofdame aus einer Nebenlinie der weit verzweigten Familie Gonzaga. Auch unter den Hofdamen Eleonoras d. J. gab es eine Gonzaga, Marchesa Maria Isabella von Gonzaga-Bozzolo, die in den erbländischen Adel einheiratete: 1656 wurde sie die Frau Claudios III. Collalto, und 1666 heiratete sie in zweiter Ehe Graf Siegmund Helfried von Dietrichstein43. Auch einige männliche Gonzaga siedelten dauerhaft nach nördlich der Alpen über. Am bekanntesten ist Annibale Gonzaga (1602–1669) aus der Linie Bozzolo, der langjährige Präsident des Hofkriegsrats, der 1636 mit Maria Franziska Hedwig von Sachsen-Lauenburg eine reichsfürstliche Braut heimführte und 1653 in zweiter Ehe mit Barbara Csaky dann in den ungarischen Adel einheiratete. Doch auch sein älterer Bruder Luigi machte Karriere als kaiserlicher General44. 40
So gelang es ihr 1657, ihrem Bruder Herzog Karl von Mantua den Titel eines kaiserlichen Generalvikars in Italien zu verschaffen, und 1672 ebnete sie dem Anfall Guastallas an Mantua die Wege. 41 Vgl. Maria GOLOUBEVA, The Glorification of Emperor Leopold I in Image, Spectacle and Text, Mainz 2000, S. 9, 47 f., 60, 78, 123, 171. Zu Eleonora Gonzaga d. J. und ihrem Einfluss vgl. auch Rotraud BECKER, Art. Eleonora Gonzaga Nevers, imperatrice, in: Dizionario Biografico degli Italiani, Bd. 42, Roma 1993, S. 428–434. 42 Almut BUES, Art. Eleonora Gonzaga, imperatrice, in: ebd., S. 425–428, hier: S. 426. 43 Siehe Patronage- und Klientelsysteme am Wiener Hof, http://www.univie.ac.at/Geschichte/wienerhof/wienerhof2/register3.htm (Zugriff am 19. 10. 2006); Genealogie delle famiglie nobili italiane, hrsg. von Davide Shamà, http://www.sardimpex.com/Gonzaga/GONZAGA6.htm; http://www.sardimpex.com/Gonzaga/Gonzaga8.htm; http://www.sardimpex.com/ Gonzaga/GONZAGA5.htm (Zugriff am 19. 10. 2006). Katrin KELLER, Hofdamen. Amtsträgerinnen im Wiener Hofstaat des 17. Jahrhunderts, Wien/Köln/Weimar 2005, deren Studie grundlegend für diese bislang viel zu wenig erforschte Gruppe von Hofmitgliedern ist, bietet Kurzbiographien für Eleonora Maria Gonzaga-Luzzara (S. 279) und für Maria Isabella Gonzaga-Bozzolo (S. 278 f.). Möglicherweise war auch Marchesa Thekla Lavinia GonzagaNovellara, die 1628 die Frau Graf Wratislaws I. von Fürstenberg wurde, im Gefolge der älteren Eleonora nach Wien gekommen. 44 Er stieg immerhin bis zum Kommandanten von Raab auf. Seine Frau war Isabeau Françoise de Ligne. Genealogie delle famiglie nobili italiane, http://www.sardimpex.com/ Gonzaga/GONZAGA5.htm (Zugriff am 19.10. 2006).
64
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Natürlich zogen nicht nur Verwandte der Bräute mit an den aufnehmenden Hof. So begleiteten Eleonora Gonzaga die Jüngere auch die Marchesa Maria Margaretha Aldegatti, die 1655 den Wiener Arsenalhauptmann Graf Franz Gilbert von Santhilier heiratete45, und die Marchesa Diana Maria Ippoliti di Gazoldo, die bereits 1652 die Frau Graf Humprecht Jan IV. Czernins wurde46. Diese Beispiele machen deutlich, dass eine fürstliche Heirat eine in absoluten Zahlen zwar moderate, doch in ihren Auswirkungen nicht zu vernachlässigende Migration nach sich ziehen konnte. Es war nicht zuletzt mit den beiden gonzagischen Kaiserinnen zu verdanken, dass nicht nur die italienischen Kultureinflüsse, sondern auch die Präsenz der Italiener am Kaiserhof in der Zeit Leopolds I. ihren Höhepunkt erreichten47. Die Folgen dynastischer Heiraten in ihren mikropolitischen Dimensionen48, jenseits der „großen“ Politik und des Kulturtransfers auf höchster Ebene, sind noch viel zu wenig erforscht. Dieser Aspekt sollte jedoch nicht unterschätzt werden, denn indem die Fürstinnen Klientelnetze in ihren Herkunftsländern und in ihren neuen Heimaten besaßen bzw. aufbauten, wurden sie gleichsam zu Scharnieren zwischen beiden. Recht gut nachvollziehen lässt sich diese Rolle bei der bereits mehrfach erwähnten Pfälzer Kurfürstin Anna Maria Luisa de’ Medici, die ihren deutschen Untertanen nicht nur in der Toskana, sondern, insbesondere über ihren Onkel Kardinal Francesco Maria de’ Medici, auch an der römischen Kurie ihre Protektion angedeihen ließ. Nur wenige Monate nach ihrer Übersiedlung nach Deutschland bat sie beispielsweise den Kardinal, die Bemühungen des Barons von Welsperg, des Neffen ihrer Hofmeisterin, der Gräfin Dorothea Fugger, um ein Kanonikat in Brixen zu unterstützen49. 1695 bemühte sie 45 46 47
KELLER, Hofdamen (wie Anm. 43), S. 261. Ebd., S. 285 f. Jean-Marie THIRIET, Les Italiens au service de Léopold Ier, in: Le Baroque autrichien au XVIIe siècle, hrsg. von Gertrude Stolwitzer, Rouen 1989, S. 43–52, hier: S. 45. 48 Zu Begriff und Inhalt der Mikropolitik vgl. v. a. die zahlreichen Äußerungen von Wolfgang REINHARD, etwa den zusammenfassenden Beitrag: Amici e creature. Politische Mikrogeschichte der römischen Kurie im 17. Jahrhundert, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 76 (1996), S. 308–334. Zu Modifikationen des ursprünglichen Konzepts vgl. Nicole REINHARDT, „Verflechtung“ – ein Blick zurück nach vorn, in: Historische Anstöße. Festschrift Wolfgang Reinhard, hrsg. von Peter Burschel [u. a.], Berlin 2002, S. 235–262. 49 Kurfürstin Anna Maria Luisa an Kardinal Francesco Maria de’ Medici, Neuburg 1691 VI 22, in: Hermine KÜHN-STEINHAUSEN, Der Briefwechsel der Kurfürstin Anna Maria Luise von der Pfalz, in: Düsseldorfer Jahrbuch 40 (1938), S. 15–256, hier: Nr. A 13, S. 25. Die Verwendung für Giesen war kein Einzelfall. So ersuchte die Kurfürstin1703 auf Bitten des kurfürstlichen Bediensteten Matthias Seurdt ihren Vater um einen Studienplatz in Pisa für einen von Seurdts Söhnen – und zwar erfolgreich. Matthias Seurdt an Kurfürstin Anna Maria Luisa, o. O. u. J. [1703], in: ebd., Nr. A. 245, S. 67; die Kurfürstin an Großherzog Cosimo III., Düsseldorf 1703 VI 19, in: ebd., Nr. A 257, S. 69; Großherzog Cosimo an die Kurfürstin, Florenz 1703 IX 4, in: ebd., Nr. A 268, S. 71.
Schnettger, Geschichte einer Dekadenz?
65
sich, Anton Giesen, dem Sohn des Düsseldorfer Hofarztes für die Dienerschaft, einen Freiplatz an der Universität Pisa zu verschaffen, damit er dort seine medizinischen Studien abschließen könne50. Und wenige Monate später ebnete sie dem Baron Johann Matthäus Vercken von Hemmersbach den Weg an die Florentiner Akademie, wo er seine Reitkunst vervollkommnen wollte51. Weniger erfolgreich war dagegen offensichtlich ihre Verwendung für den Grafen Leopold von Eyb, der sich um den Posten eines toskanischen Fahnenträgers bewarb52. Doch Anna Maria Luisa wirkte auch als Patronin für Italiener, die ihr Glück in den pfälzischen Ländern suchten – bzw. sie wurde Adressatin für entsprechende Patronagebemühungen. Beispielsweise versuchte im Jahr 1698 Erbprinz Ferdinando über die Kurfürstin Giovanni Paolo Bell’e Buono für den Posten eines Stallmeisters in Heidelberg ins Gespräch zu bringen53. Erfolgreich war 1710 die Verwendung Cosimos III. für Andrea Antinori, der zunächst Page am Düsseldorfer Hof wurde und 1717 als Haushofmeister Anna Maria Luisas mit ihr nach Florenz zurückkehrte54. Von besonderer Bedeutung dürfte das Feld der Kunstpatronage gewesen sein. So empfahl 1697 Erbprinz Ferdinando de’ Medici seiner Schwester den Virtuosen und Professor der Musik Bolonizzi55 und elf Jahre später die durch Talent und Tugend ausgezeichnete Sängerin Maria Landini56. Die kulturellen Folgewirkungen von Heiraten zwischen Angehörigen italienischer und nichtitalienischer Dynastien sind allerdings nicht als Einbahnstraßen zu betrachten. Wenngleich der Transfer von Italien nach jenseits der Alpen in aller Regel dominiert haben dürfte, so ist doch nicht von der Hand zu weisen, dass es auch Einflüsse in die Gegenrichtung gab. Beispielsweise hatte die Heirat Renées de France mit Ercole II. d’Este nicht nur zur Folge, dass der Hof von Ferrara vorübergehend zum wichtigsten reformatorischen Zentrum auf der Apenninenhalbinsel avancierte und Calvin selbst im Früh50
Kurfürstin Anna Maria Luisa an Großherzog Cosimo III., Bensberg 1695 XI 11, in: KÜHN-STEINHAUSEN, Nr. A 56, S. 33. 51 Kurfürstin Anna Maria Luisa an Großherzog III., Düsseldorf 1696 V, in: KÜHN-STEINHAUSEN, Nr. A 62, S. 34; Großherzog Cosimo III. an die Kurfürstin, Florenz 1696 VII 3, in: ebd., Nr. A 65, S. 35. 52 Kurfürstin Anna Maria Luisa an Großherzog Cosimo III., Düsseldorf 1702 III 4, in: KÜHN-STEINHAUSEN, Nr. A 222, S. 63; Großherzog Cosimo III. an die Kurfürstin, Florenz 1702 V 13, in: ebd., Nr. A 231, S. 65. 53 Erbprinz Ferdinando an Kurfürstin Anna Maria Luisa, Poggio a Caiano 1698 VI 14, in: ebd., A 105, S. 42. 54 Cosimo III. an Kurfürstin Anna Maria Luisa, Florenz 1710 III 31, in: ebd., A 480, S. 117 (mit Anm. 1). 55 Erbprinz Ferdinando an Kurfürstin Anna Maria Luisa, Florenz 1697 X 19, in: ebd., A 80, S. 37. 56 Erbprinz Ferdinando an Kurfürstin Anna Maria Luisa, Imperiale 1708 X 20, in: ebd., A 424, S. 104.
66
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
jahr 1536 dort weilte57, sondern es ist davon auszugehen, dass die Anwesenheit zahlreicher protestantischer Franzosen am Hof Auswirkungen beispielsweise auch auf das Ferrareser Musikleben hatte, und sei es vornehmlich in der Weise, dass sie harsche gegenreformatorische Reaktionen provozierten58. Es konnte aber auch auf katholischer Seite vorkommen, dass ausländische Prinzessinnen religiöse Entwicklungen in Italien beeinflussten. So brachte die spanische Infantin Caterina 1585 besondere spanische Formen der Marienverehrung mit nach Italien, die von ihren Söhnen weiter gepflegt wurden59. Komplex waren die Beziehungen zwischen den Höfen von Hannover und Modena in den Jahren um 1700. In engeren Kontakt kam man im Kontext der Forschungen Gottfried Wilhelm Leibniz’ zur welfischen Hausgeschichte, im Zuge deren er 1689 auch nach Modena reiste, wo seine Arbeit allerdings durch den ungeordneten Zustand des Archivs sehr behindert wurde. Nichtsdestoweniger erbrachten seine Recherchen die Bestätigung für die bereits zuvor angenommene Verwandtschaft zwischen den beiden Dynastien60. Die aus hausgeschichtlichen Interessen angesponnenen Beziehungen zwischen Hannover und Modena fanden 1695 in der Ehe Herzog Rinaldos III. mit der Welfin Charlotte Felizitas, der Schwester der Gemahlin des Römischen Königs Joseph, ihre dynastische Abstützung und Intensivierung. 1700 unternahm Friedrich August Hackman im Dienst der zu schreibenden Historia Domus eine erneute Forschungsreise nach Modena, gelangte aber aufgrund des nach wie vor ungeordneten Zustands des Archivs nicht wesentlich über die Ergebnisse Leibniz’ hinaus61. Interessanter bei der Italienreise Hackmans ist das Projekt einer Erbverbrüderung zwischen Welfen und Este, das die Modeneser Regierung an den hannoverschen Emissär herantrug. Dieser Gedanke war nicht ganz neu, sondern bereits von Leibniz selbst 1690/91 im 57 Vgl. Bartolomeo FONTANA, Renata di Francia, duchessa di Ferrara, 3 Bde., Roma 1889– 1899; Charmarie BLAISDELL, Royalty and Reform: The Predicament of Renée de France 1510–1575, 2 Bde., Ph. D. Diss. Tufts University 1969; komprimiert dies., Renée de France between Reform and Counter-Reform, in: Archiv für Reformationsgeschichte 63 (1972), S. 67–93. 58 George NUGENT, Anti-Protestant Music for Sixteenth-Century Ferrara, in: Journal of the American Musicological Society 43 (1990), S. 228–291. Es wurde sogar eine explizit antilutherische Fassung des Te Deum vertont, die mit den Worten begann: „Te Lutherum damnamus“. Freundlicher Hinweis von Dr. Sabine Meine, Deutsches Historisches Institut in Rom. 59 Vgl. Paolo COZZO, La geografia celeste dei duchi di Savoia. Religione, devozioni e sacralità in uno Stato di età moderna (secoli XVI–XVII), Bologna 2006, S. 174–181. 60 Entscheidend war hierfür neben den Forschungen in Modena auch der Besuch im Kloster Vangadizza, der Grablege der frühen Este. Höchst erfreulich war aus hannoverscher Sicht auch die in Modena gemachte Entdeckung, das deutsche Welfenhaus sei der ältere der beiden Zweige der alten Dynastie, der bis in die Zeit Heinrichs des Löwen die Este mit ihren Territorien belehnt habe. Vgl. Armin REESE, Die Rolle der Historie beim Aufstieg des Welfenhauses 1680–1714, Hildesheim 1967, S. 67 f. 61 Ebd., S. 168.
Schnettger, Geschichte einer Dekadenz?
67
Kontext seiner Arbeiten an der Hausgeschichte entwickelt worden. Dass er nun von Seiten der Este aufgegriffen wurde, hing mit deren Bestreben zusammen, durch ein engeres Band mit den entfernten deutschen Verwandten politischen Rückhalt am Kaiserhof und im Reich zu erlangen. Ebenso wie der estensische Vorstoß primär politisch motiviert war, war es auch die dilatorische Haltung der Höfe von Hannover und Celle, wo man in einer nüchternen Kosten-Nutzen-Rechnung die Belastungen aus einer solchen Erbverbrüderung höher einschätzte, als es die vagen Hoffnungen eines modenesischen Erbfalls zu rechtfertigen schienen62. Ihre für die Este größte politische Bedeutung gewannen die Beziehungen nach Hannover im Zuge der Bestrebungen zur Rückgewinnung des 1598 als Bestandteil des Herzogtums Ferrara von Clemens VIII. als heimgefallenes päpstliches Lehen annektierten Comacchio – allerdings scheiterten diese Pläne trotz der welfischen Unterstützung. Zwar waren die dynastiegeschichtlichen Beziehungen zwischen Welfen und Este politisch nicht fruchtbar zu machen, auf geistes- bzw. wissenschaftsgeschichtlicher Ebene erlangten sie dennoch eine erhebliche Bedeutung: Schließlich wurden sie zum Anlass der Kontakte zwischen Leibniz und Lodovico Antonio Muratori, der 1700 das Amt eines Archivars und Hofbibliothekars in Modena antrat und dessen Beziehungen zu Leibniz zwar nicht spannungsfrei waren, der gleichwohl aber die geschichtsphilosophische Methode des Deutschen für seine Arbeit übernahm63. III. Die dynastischen Krisen des 18. Jahrhunderts und ihre Regelung durch die europäischen Mächte Es war, wie bereits angedeutet, nicht zuletzt das Spezifikum der italienischen Dynastien, die Versorgung nachgeborener Prinzen durch ein Familienkardinalat zu sichern und so dem Gesamthaus zusätzlichen Glanz zu verleihen, das im 18. Jahrhundert zum Aussterben der Mehrzahl der italienischen Fürstenfamilien, der Gonzaga, der Medici, der Cibo-Malaspina und schließlich der Este, im Mannesstamm führte. Dynastische Krisen bzw. das Aussterben von Dynastien mit gravierenden politischen Folgen hatte es bereits im 16. und 17. Jahrhundert gegeben. Damals hatten neben den erbrechtlichen noch weitgehend die lehnsrechtlichen Mechanismen gegriffen: So hatte Karl V. nach dem Aussterben der Paläologen 1536 als oberster Lehnsherr die Markgrafschaft Monferrato den Mantuaner Gonzaga zugesprochen und 1535 nach dem Tod Francescos II. Sforza das Herzogtum Mailand als erledigtes Reichslehen an 62 63
Gleichwohl wurde der Plan gegenüber Hackman durchaus gelobt. Ebd., S. 160 f. Vgl. Fabio MARRI/Maria LIEBER unter Mitwirkung von Christian WEYERS, Lodovico Antonio Muratori und Deutschland. Studien zur Kultur- und Geistesgeschichte der Frühaufklärung, Frankfurt a. M. 1997, S. 13–24.
68
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
sein Haus gezogen64, ebenso wie 1597/1598 Clemens VIII. nach dem Aussterben der legitimen Hauptlinie der Este Ferrara und Urban VIII. 1631 nach dem Erlöschen der Della Rovere Urbino65. Zu einem Eingreifen der europäischen Mächte führte dagegen 1627 das Ende der Mantuaner Gonzaga, als Spanien und der Kaiser als oberster Lehnsherr zugunsten der ihnen eng verbundenen Gonzaga-Guastalla die als nächste Verwandte erbberechtigten, aber französisierten Gonzaga-Nevers zu übergehen beabsichtigten. Trotz einiger militärischer Erfolge musste Ferdinand II. jedoch schließlich 1630 im Regensburger Vertrag in die Anerkennung und Belehnung der GonzagaNevers als Herzöge von Mantua und Monferrato einwilligen, worauf die neuen Herzöge bemerkenswert rasch die politischen Positionen ihrer Vorgänger übernahmen, sich als treue Reichsvasallen gerierten und ihre neue Orientierung nach Wien, wie berichtet, auch dynastisch absicherten66. Von den größeren italienischen Fürstenhäusern starben im 18. Jahrhundert als erste die Gonzaga(-Nevers) 1708 im Mannesstamm aus. Der dynastischen war in ihrem Fall die politische Katastrophe vorausgegangen, denn Herzog Ferdinando Carlo (auch Carlo IV.), der Sohn einer österreichischen Erzherzogin, hatte im Spanischen Erbfolgekrieg auf das falsche Pferd gesetzt und sich den Bourbonen angeschlossen und war am 5. Juli 1708 in Padua im Exil gestorben. Nachdem der Wiener Hof bereits 1707 die Zustimmung von Kurfürsten und Reichstag eingeholt hatte, war kurz vor dem Ableben des Herzogs der Heimfall Mantuas wegen Felonie erklärt worden67. Bekanntlich geriet das Herzogtum nunmehr dauerhaft unter habsburgische Herrschaft, ungeachtet der Prätentionen Vincenzos von Gonzaga-Guastalla, der mit geringen territorialen Entschädigungen, dem Goldenen Vlies und dem Serenis64 Zum Reichslehnswesen in Italien zur Zeit Karls V. vgl. Cinzia CREMONINI, Considerazioni sulla feudalità imperiale italiana nell’età di Carlo V, in: L’Italia di Carlo V. Guerra, religione e politica nel primo Cinquecento. Atti del Convegno internazionale di Studi Roma, 5–7 aprile 2001, hrsg. von Francesca Cantù und Maria Antonietta Visceglia, Roma 2003, S. 259–276; zum Monferrato vgl. ausführlich Pietro MARCHISIO, L’arbitrato di Carlo V nella causa del Monferrato, in: Atti della Accademia delle Scienze di Torino 42 (1906– 1907), S. 1203–1227. 65 Vgl. dazu Ludwig VON PASTOR, Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters, Bd. 13,1, Freiburg i. Br. 1928, S. 268–271. 66 Vgl. hierzu demnächst Giuliano ANNIBALETTI, Ein unaufhaltsamer Niedergang? Die Beziehungen zwischen Mantua und dem Reich zwischen 1627 und 1708, in: Kaiserliches und päpstliches Lehnswesen (wie Anm. 19); zum Mantuanischen Erbfolgekrieg immer noch Romolo QUAZZA, La guerra per la successione di Mantova e del Monferrato (1628– 1631), 2 Bde., Mantova 1926. 67 Vgl. Daniela FRIGO, Impero, diritto feudale e „ragion di Stato“: la fine del ducato di Mantova (1701–1708), in: Dilatar l’Impero (wie Anm. 31), S. 55–84; Eugenio BARTOLI, La Guerra di Successione spagnola nell’Italia Settentrionale: il Ducato di Guastalla e Mantova tra conflitto e soppressioni, in: Famiglie, nazioni e Monarchia. Il sistema europeo durante la Guerra di Successione spagnola, hrsg. von Antonio Álvárez-Ossorio Alvariño, Roma 2004, S. 159–221.
Schnettger, Geschichte einer Dekadenz?
69
simus-Titel abgefunden wurde. Zwar trugen Vincenzo und seine Söhne Antonio Ferdinando und Giuseppe immer wieder auf europäischer Ebene, so auf den Friedenskongressen von Rastatt und Cambrai sowie auf den Wahltagen von 1742 und 1745 ihre Ansprüche vor, drangen damit jedoch nicht durch. Vielmehr wurde Guastalla nach dem Ableben Giuseppes (1746) selbst für heimgefallen erklärt, kraft des Aachener Friedens dann allerdings neben Parma und Piacenza dem spanischen Infanten Philipp zugesprochen – übrigens ohne der bislang unbestrittenen Reichslehnshoheit zu gedenken68. Griffen im Fall der Gonzaga von Mantua, begünstigt durch die machtpolitische Großwetterlage in der zweiten Hälfte des Spanischen Erbfolgekriegs, im Wesentlichen die lehnsrechtlichen Mechanismen zur Regelung der Sukzession, war dies bei den anderen beiden großen italienischen Erbfolgefragen, der toskanischen und der parmesisch-piacentinischen, nur noch sehr eingeschränkt der Fall. Zunächst einmal war fraglich, ob bzw. welche feudalrechtlichen Bestimmungen zur Anwendung zu bringen waren – die des Reichs oder die der römischen Kurie. Außerdem und vor allem beanspruchten die großen Mächte ein Mitspracherecht bei der Regelung dieses das italienische und damit das europäische Gleichgewicht nicht unwesentlich tangierenden Problems. Weitgehend unberücksichtigt blieben dagegen die Intentionen der betroffenen Dynastien selber69. Dies wird besonders deutlich im Fall der Medici. Als nach dem Tod des Gran Principe Ferdinando 1713 und dem offenkundigen Scheitern der Ehe seines jüngeren Bruders Gian Gastone (sowie der seines Onkels, des zur Rettung der Dynastie in den weltlichen Stand zurückgeholten ehemaligen Kardinals Francesco Maria), das Erlöschen der Medici im Mannesstamm absehbar wurde, betrieb Großherzog Cosimo III. die Einsetzung seiner geliebten Tochter Anna Maria Luisa, der Gemahlin des Kurfürsten von der Pfalz Johann Wilhelm, zur Erbin70. Obwohl sich dieser bei seinem kaiserlichen Neffen Karl VI. für das Projekt engagierte, wurde es in Wien entschieden abgelehnt. Dort setzte man unter Berufung auf die beanspruchte Oberlehnshoheit über die Toskana vielmehr auf den Heimfall des Großherzogtums ans Reich. Zwar hätte die Sukzession der kinderlosen, alternden Kurfürstin 68 Vgl. Eugenio BARTOLI, „Zu sein wie ein Freiburg Italiens“. Das Herzogtum Guastalla zwischen den beiden habsburgischen Seelen, in: Kaiserliches und päpstliches Lehnswesen (wie Anm. 19); DERS., La Guerra di Successione spagnola (wie Anm. 67). 69 Deutlich herausgearbeitet hat Heinhard STEIGER, Völkerrecht versus Lehnsrecht? Vertragliche Regelungen über reichsitalienische Lehen in der Frühen Neuzeit, in: L’Impero e l’Italia nella prima età moderna/Das Reich und Italien in der Frühen Neuzeit, hrsg. von Matthias Schnettger und Marcello Verga, Bologna/Berlin 2006, S. 115–152, den Bedeutungsverlust der haus- und lehnsrechtlichen Normen zugunsten der völkerrechtlichen. 70 Vgl. SCHNETTGER, Dynastische Interessen (wie Anm. 39); sowie, auch zum Folgenden, Emilio ROBIONY, Gli ultimi dei Medici e la successione del granducato di Toscana, Firenze 1905.
70
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
das Erlöschen der Medici-Dynastie mutmaßlich nur um wenige Jahre hinausgezögert. Gefährlich an diesem Projekt waren jedoch aus Wiener Perspektive seine mittelbaren Konsequenzen: Erkannte man die kognatische Erbfolge einmal an, wäre der Heimfall der Toskana möglicherweise ganz verhindert worden. Denn als nächstberechtigte Verwandte standen die Farnese als Nachkommen der Margarita de’ Medici (1612–1679), der Gemahlin Herzog Odoardos I. von Parma-Piacenza (*1612, reg. 1622–1646), als Nachfolger in Frage. Allerdings steckten die Farnese selbst in einer dynastischen Krise. Mit dem regierenden Francesco und seinem jüngeren Bruder Antonio Francesco (*1679, reg. 1727–1731), die beide kinderlos waren, stand das Fürstenhaus auf vier Augen. Präsumtive Erbin war Elisabetta (1692–1766), die Tochter der regierenden Herzogin Dorothea Sophia von Pfalz-Neuburg (1670–1748) aus ihrer ersten Ehe mit dem ältesten der Farnese-Brüder Odoardo. Besonders beunruhigend war aus Wiener Sicht, dass im Fall die Farnese ebenfalls aussterben sollten, die Bourbonen als Abkömmlinge der Maria de’ Medici als Prätendenten bereit standen – und unliebsamere Nachfolger konnte es aus kaiserlich-habsburgischer Perspektive nicht geben71! Endgültig zu einem europäischen Problem wurde die toskanische Erbfolge durch die im Dezember 1714 geschlossene Ehe Elisabetta Farneses mit dem Bourbonen Philipp V. von Spanien. Dieser wurde von Kaiser Karl VI., der sich ja selbst als legitimen Katholischen König betrachtete, auch nach den Verträgen von Utrecht, Rastatt und Baden noch immer als Usurpator angesehen. Mit dieser Ehe drohte über die Erbansprüche der Elisabetta Farnese das, was der Wiener Hof in jenen Jahren mit am meisten fürchtete: eine Rückkehr des nunmehr bourbonischen Spanien nach Italien. In dieser Situation ließ sich der Kaiser zwar vom Reichshofrat seinen rechtlichen Anspruch auf Heimfall der Toskana nach dem Aussterben der Medici im Mannesstamm bestätigen, zog jedoch zugleich eine mit Florenz einvernehmliche Regelung in Erwägung, wobei insbesondere der Gedanke einer Nachfolge der von Virginia de’ Medici abstammenden Este eine Rolle spielte72. Alle Projekte wurden jedoch von der machtpolitischen Realität überholt, die mit der spanischen Rückeroberung des österreichischen Sardinien 1717 71
Daher setzte man in Wien darauf, seine eigenen Vorstellungen durch einen kaiserlichen Machtspruch, flankiert durch ein Agreement mit dem Papst über die Abgrenzung der beiderseitigen Einflusssphären in Italien, durchzusetzen Vgl. ARETIN, Das Alte Reich, Bd. 2, S. 351–356. 72 Virginia de’ Medici, die 1568 geborene Tochter Cosimos I. aus seiner Verbindung mit Camilla Martelli war nach der 1570 geschlossenen Ehe ihrer Eltern legitimiert und als Principessa della Toscana anerkannt worden. 1586 hatte sie Cesare d’Este geheiratet, dessen Vater ein natürlicher Sohn Alfonsos I. von Ferrara war und dessen Erbansprüche auf Ferrara 1597 von Papst Clemens VIII. zurückgewiesen wurden. Diese Ehe stellt mithin die Verbindung zweier Fürstensprosse von zweifelhafter Legitimität dar. Zum Projekt der Sukzession der Este vgl. Leonardo BRUNI, La successione di Toscana e la corte di Modena, Firenze 1890.
Schnettger, Geschichte einer Dekadenz?
71
und des savoyischen Sizilien eine Revision der Bestimmungen von Utrecht, Rastatt und Baden einzuläuten schien. Abgewendet wurde ein erneuter Krieg auf italienischem Boden durch das Eingreifen der Großmächte im Londoner Vertrag vom 2. August 1718, der so genannten Quadrupelallianz, die den Kontrahenten in Wien und Madrid die Bedingungen für einen friedlichen Ausgleich diktierte73. Das Ergebnis für Spanien und den Kaiser war ambivalent: Madrid musste zwar seine Eroberungen aufgeben, erhielt aber die Aussicht, mit dem Infanten Don Carlos, dem ältesten Sohn Philipps V. und Elisabetta Farneses, in der Toskana und Parma-Piacenza eine Sekundogenitur zu begründen. Der Kaiser musste zwar diese Kröte schlucken, erhielt aber eine völkerrechtliche Anerkennung seiner bislang äußerst umstrittenen lehnsherrlichen Ansprüche auf diese beiden Staaten, die zumindest eine gewisse Sicherung gegenüber den Bourbonen auf italienischem Boden bieten mochte. Zudem konnte er für das an Savoyen fallende Sardinien das reichere und strategisch wertvollere Sizilien eintauschen. Eindeutig auf der Verliererseite befanden sich dagegen die italienischen Dynastien: Die Casa di Savoia verlor Sizilien, konnte mit Sardinien aber zumindest die Königskrone behaupten, die seit langer Zeit ein wichtiges Ziel des Hauses gewesen war. Besonders hart waren die Londoner Vereinbarungen aus der Sicht der Medici: Großherzog Cosimo III. wurde nicht nur der spanische Infant als Erbe aufgedrängt. Mit der kaiserlichen Lehnshoheit wurde der Anspruch auf volle Souveränität und Gleichberechtigung mit den königlichen Mächten, der schon eine Triebfeder bei der Großherzogserhebung gewesen war, konterkariert74. Deutlich wurde die geminderte Souveränität insbesondere durch die Verpflichtung, schon zu Lebzeiten der letzten Medici spanische Truppen in der Toskana zu dulden, die die Nachfolge des Don Carlos sicherstellen sollten. Aus der Sicht der letzten Herzöge von Parma-Piacenza stellte sich die Situation ähnlich dar: Auch über ihr Land verfügten für den Fall des Aussterbens der Farnese im Mannesstamm die Großmächte aus eigener Machtvollkommenheit, und die dekretierte kaiserliche Lehnshoheit erschien in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wesentlich bedrohlicher als die des Heiligen Stuhls. Allerdings war Elisabetta Farnese immerhin die Stieftochter und Nichte Herzog Francescos
73
Vgl. hierzu sowie zum Folgenden Paolo ALATRI, L’Europa dopo Luigi XIV (1715– 1731), Palermo 1986; sowie zusammenfassend Heinz DUCHHARDT, Balance of Power und Pentarchie. Internationale Beziehungen 1700–1785, Paderborn [u. a.] 1997, S. 265–283. 74 Vgl. Elisa PANICUCCI, La questione del titolo granducale: il carteggio diplomatico tra Firenze e Madrid, in: Toscana e Spagna nel secolo XVI. Miscellanea di studi storici, Pisa 1996, S. 7–58, besonders S. 12 f., 45–58; sowie Alessandra CONTINI, Dinastia, patriziato e politica estera: Ambasciatori e segretari medicei nel Cinquecento, in: Ambasciatori e nunzi. Figure della diplomazia in età moderna, hrsg. von Daniela Frigo, Roma 1999, S. 57–131, bes. S. 112–120.
72
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
(1694–1727) bzw. die Nichte Antonio Francescos (1727–1731) und unbestreitbar ihre nächste Verwandte75. Bekanntlich war die toskanisch-parmesische Erbfolgekrise mit den Verfügungen der Quadrupelallianz keineswegs endgültig beigelegt. Vielmehr belauerten sich die Höfe von Madrid und Wien die 1720er Jahre hindurch geradezu, um möglicherweise eine Veränderung der Regelungen in ihrem Sinne zu erreichen. Es ist hier nicht der Ort, die diplomatischen Verhandlungen und Winkelzüge nachzuzeichnen. Es reicht festzustellen, dass die Höfe von Florenz und Parma bei dem ganzen Tauziehen nur eine Statistenrolle spielten. Großherzog Gian Gastone wahrte seine Würde (und verärgerte gleichzeitig den Kaiser), indem er schließlich Don Carlos als Nachfolger anerkannte. Früher als das Aussterben der Medici kam allerdings 1731 mit dem Tod Herzog Antonio Francescos das Ende der Farnese. Als die Hoffnung auf einen posthum geborenen Thronerben sich endgültig zerschlagen hatte, wurde Don Carlos plangemäß als kaiserlicher Vasall zum Herzog eingesetzt, wobei die dynastische Kontinuität durch die Regentschaft seiner Großmutter Dorothea Sophie von Pfalz-Neuburg für den noch minderjährigen Infanten betont wurde76. Die Herrschaft des Don Carlos über Parma-Piacenza war aber nur ein Zwischenspiel, und die Regierung in Florenz trat er niemals an, da der Wiener Friede von 1735/38 diese beiden Territorien in einem spektakulären Ringtausch den Habsburgern bzw. dem Herzog von Lothringen übertrug, während der Bourbone König von Neapel und Sizilien wurde – tatsächlich war der Polnische Thronfolgekrieg somit zugleich ein toskanisch-parmesischer Erbfolgekrieg. Die beiden letzten Medici Gian Gastone und Anna Maria Luisa hatten die Entscheidungen der Großmächte hinzunehmen. Auch das kleine Guastalla wurde im Aachener Frieden von 1748 zur Dispositionsmasse der Mächte (und neben Parma und Piacenza zur Ausstattung des jüngeren spanischen Infanten Felipe verwendet), nachdem es beim Aussterben des Herzogshauses 1746 zunächst von Kaiser Franz I. als erledigtes Reichslehen eingezogen worden war. Der Überblick über das Ende der Gonzaga, Farnese und Medici scheint auf den ersten Blick die traditionelle Lesart einer Dekadenz der italienischen Dynastien zu bestätigen. Am Faktum ihres Aussterbens (im Mannesstamm) ist nicht zu rütteln. Dass sie nicht in der Lage waren, selbst über das Schicksal ihrer Fürstentümer zu entscheiden, sondern diese zum Objekt der Verfügungen Dritter wurden, hängt dagegen weniger mit der Unfähigkeit der letz75
Der große Verlierer in der farnesischen Erbangelegenheit war der Heilige Stuhl, dem die bis dahin mit Erfolg behauptete und auch von den Herzögen anerkannte Lehnshoheit über Parma-Piacenza verloren ging – von dem beanspruchten Heimfallrecht ganz zu schweigen. Vgl. Angelo TAMBORRA, La pace di Aquisgrana del 1748 e la politica della Santa Sede, in: Archivio Storico Italiano 117 (1959), S. 522–540. 76 Vgl. DALL’ACQUA, Dorothea Sophia von Pfalz-Neuburg (wie Anm. 35).
Schnettger, Geschichte einer Dekadenz?
73
ten Vertreter dieser Dynastien als mit strukturellen Veränderungen des europäischen Staatensystems zusammen. Der Wiederaufstieg der kaiserlichen Macht, zum ersten, hatte zur Folge, dass sich die italienischen Fürsten des frühen 18. Jahrhunderts viel weniger als ihre Vorgänger den lehnsrechtlichen Ansprüchen von Kaiser und Reich entziehen konnten. Auch nördlich der Alpen waren die habsburgischen Kaiser immer wieder bestrebt, dynastische Krisen ihrer Vasallen für sich nutzbar zu machen, wie etwa 1609 beim Aussterben der Herzöge von Kleve und 1777 beim Ende der bayerischen Wittelsbacher. Allerdings waren ihren Interventionsmöglichkeiten dort durch die Reichsverfassung und den Widerspruch der Reichsstände engere Grenzen gesetzt. Die Durchsetzung des Gleichgewichtsdenkens, zum zweiten, bewirkte, dass im 18. Jahrhundert Nachfolgefragen im Allgemeinen nicht durch die betroffenen Dynastien im Alleingang gelöst werden konnten, wie selbst die Habsburger erfahren mussten. Sicherlich spielten die italienischen Fürstenhäuser in dem Hin und Her um ihr Erbe keine glänzende Rolle; nach Lage der Dinge konnten sie dies aber auch nur schwerlich tun. Schließlich hätte das Ergebnis aus der Sicht der aussterbenden Dynastien, aber auch der Untertanen bzw. der einzelstaatlichen Eliten schlimmer ausfallen können: Immerhin blieb für die Toskana und Parma-Piacenza (für Letzteres nach einem österreichischen Zwischenspiel) die staatliche Kontinuität und territoriale Integrität gewahrt, und im zweiten Fall gelangte – dies sollte nicht übersehen werden – mit den spanischen Bourbonen die kognatische Linie der Farnese zur Regierung. Das Lamento über den Herrschaftsantritt „ausländischer“ Dynastien und das Verspielen „nationaler“ Lösungen ist eine anachronistische, den Gegebenheiten des 18. Jahrhunderts nicht gerecht werdende Sichtweise. Dies gilt auch für die Bewertung der friedlichen Invasion Italiens mit dynastischen Mitteln, die das Haus Österreich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entfaltete. Statt diese Heiratspolitik einseitig als Ausfluss der österreichischen „Fremdherrschaft“ zu beklagen, ist vielmehr auf ihren Beitrag dazu hinzuweisen, dass die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts zu einer der längsten Friedensperioden der neuzeitlichen Geschichte Italiens werden konnte und überdies den aufgeklärten Reformen in den italienischen Staaten Vorschub leistete. IV. Schluss Der Überblick über den europäischen Stellenwert der italienischen Dynastien in der Neuzeit hat gezeigt, dass die Sicht vom „bitteren Ende“ her nicht zu einer einseitigen Sicht der Geschichte der italienischen Fürstenhäuser verleiten sollte. Vielmehr gehörten die Medici ebenso wie die Savoia, aber auch die Gonzaga, Este und Farnese über lange Zeit zwar zumeist in bescheidenem
74
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Maßstab, aber zweifelsohne vergleichbar den deutschen Fürstenhäusern zu den Akteuren auf europäischer Ebene. Endgültig sollte man sich von einer Sichtweise verabschieden, die die außeritalienischen Ehen der Fürsten der Apenninenhalbinsel einseitig als Element der Fremdherrschaft interpretierte. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die italienischen Dynastien mitnichten in diese Heiraten gezwungen worden sind, sondern sie als erstrebenswert ansahen und aktiv verfolgten: In der Regel sahen beide Seiten ihren spezifischen Vorteil in der geschlossenen Verbindung. Weiterer Forschungsbedarf besteht vor allem bezüglich der im zweiten Teil lediglich angerissenen Aspekte der Kulturvermittlungs- und der mikropolitischen Folgen dynastischer Verbindungen. Das heißt nicht, dass diese Bereiche noch gänzlich unbearbeitet wären. Ihre flächendeckende, systematische und vergleichende Erforschung steht allerdings noch aus. Durch sie könnte die „klassische“ Dynastiegeschichtsschreibung um einen wichtigen Aspekt bereichert werden, der nicht zuletzt auch die Rolle der weiblichen sowie der nicht herrschenden männlichen Familienmitglieder in einem neuen Licht erscheinen ließe77. Zudem liegen vergleichende Studien mit den ganz ähnlichen Bedingungen unterliegenden deutschen Dynastien nahe. Vielleicht kann gerade der europäische Vergleich dazu beitragen, die Meistererzählung von der unaufhaltsamen Dekadenz der italienischen Fürstenhäuser endgültig in die Rumpelkammer der vom Risorgimento gepflegten nationalen Legenden zu verbannen.
Summary In the course of the master narrative characterised by the idea of Risorgimento, the history of royal dynasties has long been interpreted as decadance history. Seen from a purely biological perspective, there is some support for this viewpoint since, with the exception of Savoia, all major Italian royal houses died out by the end of the Ancien Régime. Recent research has sug-gested, however, that such an approach is not one-sided. This paper adopts this differentiated view of the dynasties by placing the history of the dy-nasties in European contexts in three ways. Firstly, through the analysis of marriage 77
Beispielhaft dafür, wie solchen Studien aussehen und welche Ergebnisse sie erbringen könnten, sei genannt Katrin KELLER, Kurfürstin Anna von Sachsen (1532–1585). Von Möglichkeiten und Grenzen einer „Landesmutter“, in: Das Frauenzimmer. Die Frau bei Hofe in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, hrsg. von Jan Hirschbiegel und Werner Paravicini, Stuttgart 2000, S. 263–285; DIES., Kommunikationsraum Altes Reich. Zur Funktionalität der Korrespondenznetze von Fürstinnen im 16. Jahrhundert, in: Zeitschrift für historische Forschung 31 (2004) 2, S. 205–230.
Schnettger, Geschichte einer Dekadenz?
75
behaviour, secondly, by addressing the imparting of culture, migra-tion and micro-politics in the wake of the non-Italian marriages and finally, through an analysis of the dynastic crises of the 18th century and their sett-lement by the Great Powers. It will become clear, that whilst the Italian royal houses had a limited potential for action on a European level, they neverthe-less understood how to use that potential in a similar way to their German counterparts. This paper thereby contributes to the deconstruction of the out-dated, but nevertheless widespread interpretation of Italian history in the period of ‚foreign rule‛.
Dynastie und dynastische Politik im Zarenreich. Befunde und Überlegungen zur Heiratspolitik der Romanovs im 17. und 18. Jahrhundert Von
Christine Roll Am Hof der Moskauer Zaren lassen sich etwa seit der Mitte des 17. Jahrhunderts deutliche Bestrebungen erkennen, auf die Politik der europäischen Regierungen Einfluss zu nehmen, die Errungenschaften des Westens in Technik, Militärwesen, Wissenschaft und Kunst zu nutzen und überhaupt die Kontakte des Zarenreichs zum Westen zu intensivieren. Dynastische Verbindungen zu entsprechenden Herrscherhäusern, die solchen Bestrebungen eine größere Stetigkeit hätten verleihen können, hat indessen erst Peter der Große, der Reformzar und „Europäisierer“ Russlands (1689–1725), geknüpft. Das aber tat er – wie er die Beziehungen zum Westen überhaupt forcierte – mit großer Entschiedenheit: Nahezu seine gesamte jüngere Verwandtschaft hat Peter mit ausländischen, vor allem deutschen Fürstensöhnen und -töchtern vermählt. Seither wurden solche Heiraten im russischen Herrscherhaus üblich, und die Intensivierung und Ausweitung der dynastischen Beziehungen zwischen den Romanovs und einer ganzen Reihe von Reichsfürstenfamilien führten dazu, dass im Jahre 1799 eine Zarentochter als Schwägerin des letzten Römischen Kaisers Franz II. nach Wien kam, dass die Fürsten Badens und Württembergs um 1803 noch ein klein wenig mehr aus der Konkursmasse des Alten Reichs herausholen konnten, als ihnen Napoleon ohnedies zubilligen wollte, und dass, natürlich, mit Sophie Auguste Friederike von AnhaltZerbst eine deutsche Prinzessin als Zarin Katharina II. „die Große“ über dreißig Jahre lang die europäische Politik entscheidend mitbestimmte. Die dynastischen Beziehungen zwischen den Romanovs und deutschen Reichsfürsten – ein Novum im 18. Jahrhundert und gleich ein Faktor der europäischen Politik? Solche und andere Überlegungen zur Bedeutung der Heiratspolitik der Romanovs stehen im Mittelpunkt dieses Beitrags. Allerdings liegen zu dem Thema nur wenige Untersuchungen vor, wie denn überhaupt systematisch angelegte Studien über dynastische Politik selten sind1. So hat auch die Hei1 Herausragend Hermann WEBER, Die Bedeutung der Dynastien für die europäische Geschichte in der frühen Neuzeit, in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 44 (1981), S. 5–52. Eine wichtige systematische Frage verfolgt der Band: Der dynastische Fürstenstaat. Zur Bedeutung von Sukzessionsordnungen für die Entstehung des frühmodernen
78
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
ratspolitik des russischen Herrscherhauses im 18. Jahrhundert in der Historiographie schon immer ein gewisses, aber nie ein überragendes Interesse gefunden. Die Beziehungen der Romanovs zu den Herzögen von HolsteinGottorf wie zu den Braunschweigern wurden zwar in deutsch-russischer Kooperation detailreich aufgearbeitet2, auch die Hintergründe der Heiratspolitik Peters I. sind im Einzelnen recht gut beleuchtet3, den dynastischen Verbindungen der Romanovs zu den deutschen Fürstenhäusern in der Zeit Katharinas II. hat jüngst Claus Scharf ein umfangreiches Kapitel gewidmet4, und zu einigen weiteren Teilaspekten des Themas liegen ebenfalls Untersuchungen vor5. Hingegen ist über allgemeine Züge der dynastischen Politik des russischen Herrscherhauses, überhaupt: über die Bedeutung und die Funktion des Dynastischen im Zarenreich nur wenig bekannt. Üblicherweise wird die Heiratspolitik der Romanovs recht kursorisch eingeordnet in die „Europäisierung“ Russlands, also in die an westeuropäischen Vorbildern orientierte Modernisierung Russlands und seine Integration in das europäische Staatensystem6. Die Regierungszeit Peters des Großen gilt dabei, wie ja überhaupt, als Staates, hrsg. von Johannes Kunisch, Berlin 1982; eine zeitgenössische Systematik der erbrechtlichen Ansprüche der europäischen Dynastien des 18. Jahrhunderts diskutiert Armin WOLF, Geographie und Jurisprudenz – Historia und Genealogie. Zum „Theatrum praetensionum […] in Europa“, in: Jus commune 14 (1987), S. 227–251. Instruktiv von der Sache wie vom Ansatz her auch der Band: Dynastie und Herrschaftssicherung in der Frühen Neuzeit. Geschlechter und Geschlecht, hrsg. von Heide Wunder, Berlin 2002; leider jedoch lässt der Band die Gelegenheit aus, die Zarinnen des 18. Jahrhunderts oder auch die Regentin Sof’ja Alekseevna zu thematisieren. 2 Michail LUKITSCHEW [u. a.] (Hrsg.), Die Gottorfer auf dem Weg zum Zarenthron. Russisch-gottorfische Verbindungen im 18. Jahrhundert, Schleswig 1997; Braunschweigische Fürsten in Rußland in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, hrsg. von Föderativen Archivdienst Russlands, der Archivverwaltung des Landes Niedersachsen und dem Russischen Staatlichen Archiv Alter Akten, Redaktion Manfred von Boetticher, Göttingen 1998. 3 Neuerdings durch Lindsey HUGHES, Russia in the Age of Peter the Great, New Haven/London 1998, in dem Kapitel „The Younger Generation Marries”, S. 411–415, trotzdem nach wie vor unentbehrlich Reinhard WITTRAM, Peter I. Czar und Kaiser, 2 Bde., Göttingen 1964. 4 Claus SCHARF, Katharina II., Deutschland und die Deutschen, Mainz 1995, S. 272–346. Dadurch überholt Martha LINDEMANN, Die Heiraten der Romanows und der deutschen Fürstenhäuser im 18. und 19. Jahrhundert und ihre Bedeutung in der Bündnispolitik der Großmächte, Neuburg a. d. Donau 1934, eine Arbeit, die ohnedies kaum brauchbar ist, da sie vor allem die „Entfaltung echten Frauentums“ darstellen möchte; S. 169. Die bislang ungedruckte Dissertation von Russel E. MARTIN, Dynastic Marriage in Muscovy, 1500– 1729, Harvard 1996, war mir nicht zugänglich. 5 Günther STÖKL, Das Problem der Thronfolgeordnung in Rußland, in: KUNISCH, Der dynastische Fürstenstaat (Anm. 1), S. 273–289; Robert STUPPERICH, Zur Heiratspolitik des russischen Herrscherhauses im 18. Jahrhundert. Die Frage des Glaubenswechsels deutscher Prinzessinnen, in: Kyrios 5 (1940/41), S. 214–239. 6 Die Problematik der Begriffe „Modernisierung“, „Europäisierung“ und „Integration“ oder „Eintritt in das europäische Staatensystem“ kann hier nicht erörtert werden. Zu betonen ist hier aber dennoch, dass „Europäisierung“ nicht einfach – womöglich verspätete – Anpassung heißen und „Eintritt“ nicht die Erweiterung der Glieder des Staatensystems um eines
Roll, Dynastie und dynastische Politik im Zarenreich
79
Epochengrenze: Hätten die russischen Herrscher vor Peter nur im eigenen Land geheiratet, so hätten sie sich im 18. Jahrhundert auch mit dem Instrument dynastischer Heiraten um europäisches Prestige bemüht und ihre Heiratspolitik nun auch, wie sonst in Europa längst üblich, mit ihren außenpolitischen Strategien verbunden7. Ein Blick auf die entsprechenden Stammtafeln legt eine solche Interpretation in der Tat nahe: Vor Peter finden sich als Ehepartner der Romanovs – sie herrschten in Russland von 1613 bis zur Oktoberrevolution – nur Namen wie Naryškin, Miloslavskij, Saltykov, Lopuchin, Strešnev und Apraksin, nach Peter fast nur noch Holstein, Kurland, Braunschweig-Wolfenbüttel, Mecklenburg, Hessen, Baden8. Schaut man genauer zu, ergibt sich jedoch ein facettenreicheres und damit auch anderes Bild. Dann werden am Umgang der Zaren mit dem Dynastischen – und zwar: „vor Peter“ wie „nach Peter“ – zahlreiche Übereinstimmungen mit dem sonst in Europa Üblichen sichtbar, zugleich aber auch einige besondere Züge. Wie es scheint, spielte nämlich in der Heiratspolitik der Romanovs der Haus-Gedanke eine geringere Rolle als in anderen Herrscherfamilien der Zeit. Diese Eigenart der dynastischen Politik der Romanovs genauer zu erfassen ist das Ziel des vorliegenden Beitrags. In einem ersten Abschnitt werden die Heiraten der Romanovs mit Angehörigen auswärtiger Fürstenhäuser im 18. Jahrhundert in ihrem jeweiligen Kontext vorgestellt. Der zweite Abschnitt ist dann einigen Merkmalen und Prinzipien der Heiratspolitik der Zaren unter Einbeziehung auch der vorpetrinischen Zeit gewidmet; insbesondere soll der Frage nachgegangen werden, ob zwischen der dynastischen Politik der Zaren und deren autokratischer Herrschaft ein Zusammenhang erkennbar wird, ein Zusammenhang, der möglicherweise auch Aufschluss gibt über die Gründe für die präsumtiv geringere Bedeutung des Haus-Gedankens bei den Romanovs. Zum besseren Verständnis der folgenden Ausführungen seien jedoch zunächst einige Ereignisse und Entwicklungen der russischen Geschichte des 18. Jahrhunderts in Erinnerung gerufen und mit wenigen Sätzen skizziert.
meinen kann: Stets sind der Wandel Europas überhaupt und der Beitrag Russlands zu diesem Wandel zu berücksichtigen. 7 Besonders deutlich STUPPERICH, Heiratspolitik (Anm. 5), S. 214 f., HUGHES, Russia (Anm. 3), S. 412 und Eckardt OPITZ, Zar Peter der Große in Norddeutschland, in: LUKITSCHEW (Anm. 2), S. 76 f.; weniger explizit Klaus ZERNACK, Der Große Nordische Krieg, in: Handbuch der Geschichte Russlands, Bd. 2: 1613–1856. Vom Randstaat zur Hegemonialmacht, hrsg. von Klaus Zernack, Stuttgart 1986, S. 246–296, hier S. 279. 8 Wilhelm Karl Prinz von ISENBURG, Europäische Stammtafeln, vor allem Bd. 1, Marburg 1965; gute Übersicht auch in den Beilagen bei SCHARF, Katharina II. (Anm. 4).
80
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Das russländische Imperium9 des 18. Jahrhunderts stand im Zeichen außenpolitischer Erfolge, neuer und neuartiger Konflikte, kulturellen Glanzes sowie, als Folge der expansiven Außenpolitik, enormer innerer Strapazen10. Der Friede von Nystad hatte nach dem Großen Nordischen Krieg (1700– 1721) den Gewinn der baltischen Küste gebracht, aber auch die Rivalität Großbritanniens. Nicht zuletzt deshalb wurde der Kaisertitel, den Peter 1722 annahm und damit aus dem Moskauer Zartum das „allrussische Imperium“ machte, erst allmählich, nämlich erst im Verlaufe der 1740er Jahre, anerkannt; im Grunde gilt das auch für den Status Russlands als einer Pentarchiemacht. Am Ende des Jahrhunderts freilich schob das russische Kaiserreich durch die Teilungen Polens seine Grenzen bis an die Habsburger Monarchie und Preußen vor. Im Süden war das Vordringen an das Schwarze Meer gelungen, 1783 die Krim erobert worden. Durch diese enorm schnelle Expansion aber wurde das Verhältnis Russlands zu den anderen Großmächten immer wieder neuen Belastungen ausgesetzt. Im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation hatte schon Peter Fuß zu fassen gesucht, im Frieden von Teschen 1779 schwang sich Katharina II. gar zur Garantiemacht des Westfälischen Friedens auf. Die wichtigste bündnispolitische Orientierung der russischen Regierung galt seit der Spätzeit Peters dem Wiener Hof. Aber auch mit dem allmählich zur zweiten deutschen Großmacht aufsteigenden Preußen suchte man gute Beziehungen, abgesehen von der temporären Verfeindung um die Jahrhundertmitte, während der Regierungszeit der Zarin Elisabeth (1741–1761). Auf der internationalen Bühne indessen hatte Russland mit der Ausdehnung über das nördliche Asien am Ende des Jahrhunderts schon Weltmachtstatus erreicht. Doch der imperiale Aufstieg des Landes verursachte gewaltige Kosten. Die katastrophale Finanzlage erforderte stets die Erschließung neuer fiskalischer Quellen, was in dem dünn besiedelten, städtearmen Land besonders schwierig war. Vor allem die unteren Bevölkerungsschichten hatten die Lasten von Krieg und Veränderung zu tragen, diejenigen also, denen der Bruch mit den Traditionen ohnedies längst viel zu weit ging. Sie machten ihrem Unmut vielfach in Aufständen Luft und wurden dabei mitunter von samozvancy 9 Vom „russländischen“ Imperium ist seit einiger Zeit in der neueren osteuropäischen Geschichte als Übersetzung von „rossijskij“ die Rede, um die supraethnische Bedeutung des Wortes „rossijskij“ bezeichnen zu können; vgl. etwa Andreas KAPPELER, Russische Geschichte, 4. Aufl. München 2005, S. 14. 10 Zum Folgenden vor allem: Heinz DUCHHARDT, Balance of Power und Pentarchie 1700– 1785, Paderborn [u. a.] 1997, S. 139–154; Handbuch der Geschichte Russlands, Bd. 2: 1613–1856. Vom Randstaat zur Hegemonialmacht, hrsg. von Klaus Zernack, 2 Teilbände, Stuttgart 1986 und 2001; Günther STÖKL, Russische Geschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, 3. Aufl. Stuttgart 1973; Aleksandr B. KAMENSKIJ, The Russian Empire in the Eighteenth Century. Searching for a Place in the World, New York/London 1997; der Untertitel des russischen Originals „Tradicii i modernizacija” [Tradition und Modernisierung] trifft das Anliegen des Buchs allerdings besser.
Roll, Dynastie und dynastische Politik im Zarenreich
81
angeführt, von „falschen Zaren“, deren Auftreten als ein untrügliches Krisensymptom zu deuten ist. Eine tiefe Kluft hatte sich aufgetan: auf der einen Seite der Glanz außenpolitischer Erfolge, die faszinierende Schönheit St. Petersburgs und seiner Schlösser, die Attraktivität der Akademie der Wissenschaften und der Universität Moskau auch für ausländische Wissenschaftler und ein maßlos privilegierter Adel, auf der anderen Seite die menschenunwürdige Leibeigenschaft. 1. Zur Heiratspolitik der Romanovs im 18. Jahrhundert: Politischer Kontext, Schicksal und Bedeutung der dynastischen Heiraten von Peter I. bis zu Alexander I. Im Zarenhaus kam es zwischen dem Tod Peters I. 1725 und dem Regierungsantritt seiner Tochter Elisabeth 1741 zu vier raschen Thronwechseln: 1725 folgte die zweite Frau Peters, Katharina I. (Martha Skawronska), 1727 sein Enkel Peter II., 1730 Anna Ivanovna und 1740/41 Ivan VI./Anna Leopol’dovna. Ausgelöst wurden diese häufigen Thronwechsel nicht selten durch Palastrevolten der Garden, in deren Hintergrund sich zumeist Machtkämpfe der Günstlinge abspielten; auch vor Morden an potentiellen Konkurrenten, ja selbst an regierenden Herrschern schreckte man nicht zurück. Noch Kaiserin Elisabeth, die Tochter Peters des Großen, kam 1741 als Ergebnis einer Palastrevolte auf den Thron, wie ja auch Katharina II. zwanzig Jahre später. Diese Palastrevolten, die das Ausland mit Befremden zur Kenntnis nahm, waren nicht zuletzt eine Folge der Thronfolgeregelung, die Peter I. 1719 verfügt hatte: Veranlasst durch das zerrüttete Verhältnis zu seinem einzigen Sohn Aleksej, hatte Peter die seit Jahrhunderten gewohnheitsrechtlich geübte Primogenitur aufgehoben und statt ihrer bestimmt, dass der regierende Zar selbst seinen Nachfolger zu benennen habe11. Was von Peter als höchster Ausfluss der Autokratie begriffen worden war, trug den Keim der Palastrevolte schon in sich, und das umso mehr, als es keine Regelung gab, auf die man zurückgreifen konnte, wenn der regierende Zar oder die Zarin starb, ohne einen Nachfolger benannt zu haben. In der Realität setzte sich denn auch zumeist derjenige – oder diejenige – durch, der die Garde auf seiner Seite hatte. Schon durch dieses Thronfolgegesetz – es wurde schließlich 1797 von Paul I. durch ein Primogeniturgesetz ersetzt – steht die zarische Heiratspolitik der Zeit mithin in einem besonderen Kontext. In den Blick zu nehmen sind ungefähr ein Dutzend dynastischer Heiraten. Vier von ihnen wurden von Peter dem Großen arrangiert, eine von seiner Nichte Anna, eine weitere von seiner Tochter Elisabeth, die übrigen von Katharina II. Die vier von Peter selbst arrangierten Ehen erscheinen wohl 11
Dazu STÖKL, Thronfolgeordnung (Anm. 5).
82
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
überlegt und abgestimmt auf seine Ziele und Strategien in der Ostseepolitik während des Nordischen Kriegs und auf seinen Wunsch nach Anerkennung Russlands als europäischer Macht. 1710 heiratete Anna Ivanovna, die Nichte Peters, den Herzog von Kurland, ein Jahr später wurde der Thronfolger Aleksej der Prinzessin Charlotte von Braunschweig-Wolfenbüttel vermählt. Zur gleichen Zeit begann Peter dynastische Projekte in Richtung Mecklenburg und Holstein zu erwägen, die 1716 durch die Heirat der Ekaterina Ivanovna, der Schwester Annas, mit dem Herzog Karl Leopold von Mecklenburg und 1725 durch die Heirat Annas, der Tochter Peters, mit Karl Friedrich von Holstein-Gottorf abgeschlossen wurden. In der Forschung gelten diese Heiraten zu Recht als „planvoll“12, „ambitioniert“13 und einer „fast generalstabsmäßig“ initiierten russischen Heiratsdiplomatie folgend14. Schon die Zeitgenossen erkannten sehr schnell, dass es Peter mit der Anknüpfung der dynastischen Beziehungen zu Kurland, Mecklenburg und Holstein um die Position Russlands an der Ostsee ging. Spätestens seit der Anbahnung der Verbindung mit Mecklenburg wurde zudem klar, dass Peter beabsichtigte, Schweden ganz von der Südküste der Ostsee zu verdrängen. Mit den Verbindungen zu Mecklenburg und Holstein zeichneten sich überdies weitreichende einfluss- und handelspolitische, ja „handelsimperiale“ Ziele (Klaus Zernack) ab, die mit Projekten zum Bau von Kanälen zur Nordsee verbunden waren. In den letzten Tagen des Spanischen Erbfolgekriegs hatte man an den europäischen Höfen also nicht nur das gewachsene Prestige des Zaren zur Kenntnis zu nehmen, sondern musste sich auch mit territorialen Gewinnen und einer offenbar gezielten Politik auseinandersetzen, die auf Hegemonie im Ostseeraum hinauslief und zunehmend als bedrohlich empfunden wurde15. Dass Russland eine derartige Machtposition an der Ostsee einnehmen würde, hatte zu Beginn des Nordischen Kriegs freilich kaum jemand ahnen können, zu übermächtig erschien das Schweden Karls XII. Die russische Niederlage bei Narva im November 1700 konnte denn auch ohne weiteres als Fortsetzung der erfolglosen Versuche der Zaren des 17. Jahrhunderts wahrgenommen werden, militärisch an die Ostsee vorzustoßen16. Doch dann, 12 13
ZERNACK, Der Große Nordische Krieg (Anm. 7), S. 279. STÖKL, Russische Geschichte (Anm. 10), S. 361; OPITZ, Zar Peter der Große (Anm. 7), S. 76 f. 14 DUCHHARDT, Balance of Power (Anm. 10), S. 249. 15 ZERNACK, Der Große Nordische Krieg (Anm. 7), S. 280; Janet HARTLEY, Changing Perspectives: British Views of Russia from the Grand Embassy to the Peace of Nystad, in: Peter the Great and the West: New Perspectives, hrsg. von Lindsey Hughes, London 2001, S. 53–70; David KIRBY, Peter the Great and the Baltic, in: ebd., S. 177–188, bes. S. 179 f. 16 Ursprünglich hätte Peter gerne den Krieg gegen die Osmanen im Rahmen der Heiligen Liga weitergeführt; seine große Europareise 1697/98 hat er ja nicht zuletzt deshalb unternommen, um die entsprechende Bereitschaft der übrigen Herrscher zu sondieren. Er musste indessen einsehen, dass im Westen der Krieg um das spanische Erbe das Denken bestimm-
Roll, Dynastie und dynastische Politik im Zarenreich
83
1709, besiegte das Heer Peters das zahlenmäßig weit überlegene schwedische Heer bei Poltava. Damit hatte der Zar nicht nur einen militärischen Sieg errungen, sondern auch den Mythos der Unbesiegbarkeit der Schweden und ihres Königs zerstört. Der Feldherr Peter und die Macht Russlands erfuhren eine enorme Aufwertung. „Selten ist ein Übergang von Macht und Ansehen so plötzlich erfolgt wie der von Karl XII. auf Peter den Großen“17. Und der Prut-Friede mit den Osmanen zwei Jahre später – so bitter der Verlust der seit 1696 an der Schwarzmeerküste gemachten Eroberungen auch war – sicherte immerhin die Wolga-Neva-Route und damit „das Handelsreich von Meer zu Meer“18 diplomatisch ab. Günstig wirkte sich ferner aus, dass Karl XII. in seinem Exil die vom Kaiser und den Königen von England und Preußen erzwungene Neutralität ganz Norddeutschlands ablehnte, denn nun neigte auch der König von Preußen zu Russland19. Schweden geriet immer tiefer in die Isolation. Der Zar konnte sogar an einen weiteren Ausbau der Ostseestellung Russlands denken. In dieser Phase intensivierter russischer Ostseepolitik setzte Zar Peter nun „fast generalstabsmäßig“, wie Heinz Duchhardt formuliert hat20, auch die Heiratsdiplomatie ein. Als erstes, noch vor der osmanischen Kriegserklärung und dem Prut-Feldzug, verheiratete der Zar 1710 seine 17-jährige Nichte Anna Ivanovna, die Tochter seines Halbbruders Ivan21, mit dem ein Jahr älteren kurländischen Herzog Friedrich Wilhelm, dem letzten Kettler. Allerdings spielten in diesem Heiratsprojekt die Interessen des jungen kurländischen Herzogs eine vergleichsweise geringe Rolle, gering nicht nur im Vergleich zu denen des Zaren, gering auch im Vergleich zu denen des Königs von Preußen. Auf Kurland – das letzte politisch selbständige Gebiet aus der Konkursmasse des Livländischen Zweigs des Deutschen Ordens, seit 1561 Herzogtum der Kettler unter polnischer Lehnshoheit, ein fruchtbares Land mit dem Ostseehafen Windau – hatten die Nachbarn schon lange ein Auge geworfen; te und den Krieg gegen die Osmanen verdrängt hatte. Peter stand also vor der Notwendigkeit, eine neue außenpolitische Konzeption erarbeiten zu müssen – und orientierte sich um: von der Schwarzmeer- auf die Ostseeküste und den Krieg gegen die Krone Schweden, und zwar im Bündnis mit den Königen von Polen und Dänemark. Doch mit diesen beiden Herrschern konnte Karl XII. Separatfrieden schließen, ehe die russischen Verbände überhaupt angegriffen hatten. Vor allem am Mangel der Koordination waren auch die Versuche im 17. Jahrhundert gescheitert, der Krone Schweden die 1617 im Frieden von Stolbovo erworbenen baltischen Gebiete wieder abzunehmen. 17 STÖKL, Russische Geschichte (Anm. 10), S. 356. 18 ZERNACK, Der Große Nordische Krieg (Anm. 7), S. 282–285. 19 Ebd., S. 278; DUCHHARDT, Balance of Power (Anm. 10), S. 249. 20 Siehe oben Anm. 14. 21 Ivan Alekseevič (1666–1696) war der zweite Sohn des Zaren Aleksej aus dessen erster Ehe mit Marja Miloslavskaja. Er war von 1682 bis zu seinem Tod Zar, unter der Regentschaft seiner Schwester Sof’ja und gemeinsam mit Peter.
84
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Zar Aleksej hätte es schon im Rahmen der Feldzüge 1658/59 gerne erobert. Die Herzöge von Preußen und Kurfürsten von Brandenburg versuchten es hingegen auf dynastischem Wege: Seit Beginn des 17. Jahrhunderts heirateten sie in jeder Generation in das Herzogshaus ein. Daher kam es auch, dass Friedrich Wilhelm, der beim Tod seines Vaters 1698 erst fünf Jahre alt gewesen war, als Neffe König Friedrichs I. im Blick der Hohenzollern in Berlin, Bayreuth und Erlangen aufwuchs22. Sein Land allerdings, in dem nominell sein Onkel Ferdinand die Regentschaft führte, litt erheblich unter den Verheerungen des Kriegs wie unter den wechselnden schwedischen und russischen Besatzungen. Um es aus der Interessensphäre der Schweden und Russen heraus zu nehmen, hatte es der preußische König schon 1705 für die Dauer des Kriegs unter Sequester stellen wollen, doch Peter erklärte sich mit dem Vorschlag nicht einverstanden. Nun, nach dem Sieg von Poltava, sollte Kurland dem Zaren als Aufmarschgebiet für die Eroberung Rigas dienen; er ließ es daher wieder von seinen Truppen besetzen. In diesem Zusammenhang hat Peter wohl auch erwogen, Kurland – zumindest zunächst – nicht dem Herzog zu restituieren, sondern es Livland zu inkorporieren. Damit aber hätte er nicht nur seinen eben erst wieder ins Boot geholten Bündnispartner, König August „den Starken“, und die Republik Polen verprellt – Kurland stand ja noch immer unter polnischer Lehnshoheit –, sondern auch die Interessen des Königs von Preußen verletzt, der ja seinerseits eine wenn schon nicht direkte, dann wenigstens eine indirekte Herrschaft über Kurland anstrebte und auf Gerüchte über die Inkorporationspläne Peters entsprechend ungehalten reagierte23. Ein Kompromiss in diesem Widerstreit der Interessen um Kurland konnte die Heirat zwischen dem jungen kurländischen Herzog und einer Nichte des Zaren sein. Im Herbst 1709 scheint der Herzog mit Billigung des Berliner Hofs, wenn nicht gar auf dessen Betreiben hin, den Entschluss gefasst zu haben, sich auf die Eheschließung mit einer russischen Prinzessin einzustellen24. Für Friedrich Wilhelm, so mag man diesem in Berlin verdeutlicht haben, bestand in der Ehe mit einer der Nichten des Zaren die einzige Möglichkeit, den Abzug der russischen Truppen aus Kurland und ein Ende der Durchmärsche, Einquartierungen und Kontributionen zu erreichen; zugleich vermochte er damit die Konkurrenz seines Onkels Ferdinand, des Regenten, abzuwehren25. Wenn also König Friedrich von Preußen seinen Neffen zu 22 23
WITTRAM, Peter I. (Anm. 3), Bd. 1, S. 355. Friedrich stellte fest, „dass der Tzaar alles an sich ziehen, die grenzen Seines Reichs bis an das Curische Haff fortrücken und so wenig Uns als Seine übrigen Alliierten dabey nicht die geringste avantage gönnen will, das ist ein sehr hartes, und wodurch der Tzaar sein gegenwärtiges Glück schlecht befestigen wird“. Zit. nach Erich HASSINGER, BrandenburgPreußen, Russland und Schweden 1700–1713, München 1953, S. 242 f. 24 WITTRAM, Peter I. (Anm. 3), Bd. 1, S. 356. 25 Ebd., S. 356 und 358.
Roll, Dynastie und dynastische Politik im Zarenreich
85
einer russischen Heirat drängte, dann deshalb, weil die Regierungsübernahme durch den Herzog in Verbindung mit dessen dynastischen Beziehungen zum Zaren eine Möglichkeit bot – vielleicht die einzige –, die Inkorporation Kurlands in das russische Reich zu verhindern und zugleich die recht guten Beziehungen zwischen Preußen und Russland zu stabilisieren26. Aus der Perspektive des Zaren wiederum war die vorgesehene Heirat „nicht der einzige, aber der ungefährlichste Weg zur Einbeziehung Kurlands in die russische Machtsphäre“27, eine Möglichkeit also, Einfluss in Kurland und Zugang zu den Ostseehäfen zu gewinnen, ohne damit seinerseits die antischwedische Allianz und das gute Verhältnis zum König von Preußen zu gefährden. Insofern war die Eheschließung ein Kompromiss – und zwar nicht nur zwischen den Interessen der drei beteiligten Parteien, sondern auch zwischen den jeweiligen politischen Zielkonflikten des Zaren und des Königs von Preußen. Die Verhandlungen über die Eheschließung im Juni 1710 in St. Petersburg zeigten dem Herzog allerdings überdeutlich, dass seine eigenen Anliegen nur eine nachgeordnete Rolle spielten; insbesondere wurden seine Vorschläge für einen international garantierten Neutralitätsvertrag über Kurland vom Zaren gleich vom Tisch gewischt, und auch über den Abzug der russischen Truppen wurde nichts Schriftliches gewährt. Zur Braut bestimmte der Zar Anna Ivanovna. Immerhin ließ sich Peter auf die recht hohen Geldforderungen des Kurländers ein: Anna wurden 200.000 Rubel Mitgift zugesagt. Umgekehrt – und das sollte bald Bedeutung erlangen – sagte der Herzog seiner Gattin für den Fall, dass er vor ihr stürbe, ein Jahreseinkommen von 40.000 Rubel zu28. Ergänzt wurde der Heiratsvertrag durch einen Handelsvertrag, der Peter die kurländischen Häfen öffnete29. Bald nach Abschluss des Vertrags fand im November in St. Petersburg die Hochzeitsfeier statt, vollzogen von einem orthodoxen Geistlichen. Zwei Tage später durfte der lutherische Hofprediger des Herzogs das Paar in deutscher Sprache einsegnen30. Der Herzog drängte nun zur Rückreise, doch schon zwei Monate nach der Heirat, im Januar 1711, starb er, nur wenige Meilen von St. Petersburg entfernt, entweder an den Folgen der Festivitäten oder einer akuten Infektion. Anna war mit 17 Jahren Witwe – und sie blieb es ihr Leben lang, trotz zahlreicher Anträge31. Die weitere Entwicklung hätte möglicherweise anders ausgesehen, wenn das Paar Zeit gehabt hätte, Kinder in die Welt zu setzen. So aber zeigte Anna ganz im Sinne ihres zarischen Halbbruders allein in der 26 27 28 29
Ebd., S. 356. Ebd., S. 357. Zu den Verhandlungen ebd., S. 357 f. LINDEMANN, Die Heiraten der Romanows (Anm. 4), nennt S. 23 einen entsprechenden Handelsvertrag. 30 Zur den Schwierigkeiten der Trauung der beiden Angehörigen unterschiedlicher Religionen und überhaupt zum Verlauf der Zeremonie HUGHES, Russia (Anm. 3), S. 412. 31 Ebd., S. 414.
86
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
kurländischen Residenz Mitau Präsenz, bis sie, knapp zwanzig Jahre später, durch eine Palastrevolution Kaiserin von Russland wurde; als solche starb sie 1739. In Kurland hatte sie noch 1737, nach dem Tod Ferdinands, ihren Günstling Biron als Herzog durchgesetzt. Dessen Sohn Peter dankte 1795 ab und machte damit den Weg frei für die russische Annexion des Landes: Der Besitz Kurlands wurde Katharina II. im Abkommen über die dritte Teilung Polens bestätigt32. Die Heirat des Jahres 1710 hat die vollständige Inkorporation Kurlands in das russländische Imperium also nur verzögert. Gehörte die kurländische Heirat in die Phase des Nordischen Kriegs nach dem russischen Sieg von Poltava, so leitete die nun vorzustellende mecklenburgische Heirat im Frühjahr 1716 ihrerseits eine neue Phase des Kriegs ein, die gekennzeichnet war durch die Entstehung eines russisch-englischen Gegensatzes33. Karl Leopold von Mecklenburg-Schwerin, frisch geschieden, als er im Winter 1713/14 seinen Heiratsplan an den Zaren herantrug, war eine der „unangenehmsten und unerfreulichsten Erscheinungen in der deutschen Fürstenschaft“34. Das gilt nicht nur für sein persönliches Verhältnis zu den Frauen35, sondern auch für die Wege, die er zur Lösung seiner politischen Probleme zu beschreiten suchte. Beispielsweise gedachte er anfangs, den Reichshofratsprozess seiner Stände, mit denen er im Streit lag, durch den Übertritt zum Katholizismus und das Werben um eine Erzherzogin in seinem Sinn zu beeinflussen. Als er schließlich die Erfolglosigkeit dieses Ansinnens einsah, ließ er die Verhandlungen mit dem Zaren zum Abschluss bringen36. Dass Zar Peter I. sich durch die persönlichen Schwächen und das negative Image des mecklenburgischen Freiers von einem Heiratsplan abhalten lassen würde, der ökonomische und militärische Vorteile versprach, war kaum zu erwarten. Und in der Tat schienen die Angebote des Herzogs vorzüglich zu den Konzeptionen zu passen, die Peter um die Jahreswende 1715/16 verfolgte. Seit 1711 hatte sich die Situation der Nordischen Liga gegen Schweden nämlich weiter verbessert37. Russische, sächsische und preußische Kontingente zwangen die Schweden Ende 1715 nach fast dreijähriger Belagerung zur Räumung der Festung Stralsund, neben Stettin und Wismar der letzte feste Platz der schwedischen Armee in Norddeutschland, so dass im Bündnis Pläne zu einer gemeinsamen Landung in Schweden selbst diskutiert wurden.
32 33 34 35
STÖKL, Russische Geschichte (Anm. 10), S. 419. ZERNACK, Der Große Nordische Krieg (Anm. 7), S. 284. WITTRAM, Peter I. (Anm. 3), Bd. 2, S. 274. Er hatte seine erste Frau verstoßen, danach eine morganatische Ehe mit einer Hofdame geschlossen und diese ebenfalls wieder gelöst. Ebd. 36 Ebd. 37 Zum Folgenden ebd., Bd. 2, S. 279–283.
Roll, Dynastie und dynastische Politik im Zarenreich
87
In diese Situation hinein erreichte den Zaren das Angebot des Mecklenburgers, sich mit der kurländischen Witwe Anna Ivanovna zu vermählen und ein Bündnis mit Peter abzuschließen. Der Heiratsvertrag kam Anfang Februar 1716 in St. Petersburg zum Abschluss38. Doch nicht Anna, sondern deren ältere Schwester Ekaterina Ivanovna wurde dem Herzog als Braut zugeführt. Als Mitgift versprach Peter dem Herzog unter anderem die Stadt Wismar, die er demnächst zu erobern hoffte39. Ferner wurde der baldige Abschluss eines Handelsvertrags und eines dauernden Bündnisses in Aussicht genommen. Dieser Allianzvertrag wurde am Tag der Hochzeit, dem 19./8. April 1716, in Danzig geschlossen. Der Zar sagte dem Herzog darin Unterstützung in dessen Konflikt mit den Ständen, diplomatischen Beistand gegen reichsrechtliche Verordnungen und militärischen Schutz gegen Reichsstände und andere Mächte zu; er versprach, ggf. mit neun bis zehn Infanterie-Regimentern Hilfe zu leisten und für sie – die der Herzog verpflegen musste – so lange die Soldzahlungen zu tragen, wie die russische Armee sich „in denen Reichs-Landen“ aufhalten würde; der Herzog sollte sogar eine beliebige Anzahl russischer Soldaten auf eigene Kosten zurückbehalten dürfen. Im Gegenzug gestand der Herzog dem Zaren die Nutzung seiner Häfen als Operations- und Nachschubbasis zu und versprach in einem gesonderten Handelsvertrag, russischen Kaufleuten freien Zugang zu den mecklenburgischen Häfen zu gewährleisten und für die rechtliche Gleichstellung der Untertanen des Zaren in seinen Landen Sorge tragen zu wollen. Die Reaktionen an den europäischen Höfen auf diese Verträge waren heftig, heftiger, als Peter sie wohl erwartet hatte. Schon die Vermählung der Zarennichte nach Mecklenburg, vor allem aber die geplante Abtretung Wismars an den Herzog „sind dem englischen Hof konträr“, berichtete im Februar, also nach Abschluss des Heirats-, jedoch vor Abschluss des Allianzvertrags der russische Gesandte Boris Ivanovič Kurakin aus den Niederlanden, und sie würden dazu führen, dass „wir alle Freunde verlieren“. Ähnliche Stimmungsberichte erhielt Peter auch aus Wien und London; König Georg I. bat Peter ausdrücklich, Wismar nicht dem Herzog von Mecklenburg zu überantworten40. Denn was Peter attraktiv erschien, löste in London Befürchtungen aus: War Wismar erst im Besitz des Herzogs von Mecklenburg, dann war es auch in der Hand seines Schwiegervaters, des Zaren. Dieser konnte dort, auf Reichsgebiet und in der Nähe der hannoverschen Stammlande König Georgs, Truppen stationieren, zu deren Verschiffung die mecklenburgischen
38 39 40
Hierzu und zum Folgenden die luzide Interpretation, ebd. S. 273–278. Sollte das nicht gelingen, wollte der Zar den Herzog mit 200.000 Rubeln entschädigen. Die Zitate bei WITTRAM, Peter I. (Anm. 3), Bd. 2, S. 275.
88
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Häfen nutzen, diese Truppen einem absolutistischen Fürsten gegen dessen Stände zu Hilfe senden41 und den russischen Handel weiter ausbauen. Warum sich Peter über alle Warnungen hinwegsetzte, seine Nichte unter den geschilderten Bedingungen verheiratete, vor allem an dem WismarArtikel festhielt42 und damit den Zerfall des Bündnisses, insbesondere den wachsenden Argwohn der Engländer riskierte, ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Möglicherweise hat er – anders als etwa Kurakin, die führende Diplomatengestalt der Allianz – nicht ermessen, dass nicht nur das Ende des Spanischen Erbfolgekriegs, sondern auch die fast gleichzeitige hannoversche Erbfolge in England die Möglichkeiten und Zwänge der Londoner Politik erheblich beeinflussten. Vermutlich jedoch wollte er im Frühjahr 1716 vor allem die ihm günstig erscheinenden Konjunkturen nutzen: „Für Peter bedeutete Wismar das Tor zum Weltmeer, dessen Besitz Rußland den Weg zur Entwicklung eines den Erdball umspannenden Handels öffnete“43. Fest steht indessen, dass er mit der mecklenburgischen Heirat weder seine militärischen noch seine handelspolitischen Ziele erreichte. Denn das Vorhaben einer Invasion Schwedens44 musste im September wegen der fortgeschrittenen Jahreszeit aufgegeben werden, nachdem zuvor die Dänen, die an der englischen Bereitschaft zur Mitwirkung berechtigterweise zweifelten, gezögert hatten. Und aus Mecklenburg zog Peter auf englischen Druck hin seine Truppen ebenfalls ab. Nach der Besetzung Mecklenburgs durch englische Truppen, die Georg I. zur Unterstützung des mecklenburgischen Adels geschickt hatte, musste der Zar 1719 auch seine weiträumigen Handelspläne begraben. Was aber blieb, war der Argwohn der Bündnispartner, zumal Peter nach wie vor Polen nicht räumte45. Die veränderte militärische Konstellation wirkte sich natürlich auch auf das russisch-mecklenburgische Paar aus: Zwar kam im Dezember 1718 eine Tochter zur Welt, die spätere Anna Leopol’dovna46, doch die englischen 41
Wittram teilt zudem mit, dass der einflussreiche hannoversche Minister Georgs I., Bernstorff, selbst der mecklenburgischen Ritterschaft angehörte, mit ihr seit Jahrzehnten eng verbunden war und auf seinen Gütern in Mecklenburg auch persönlich durch die russische Besatzung geschädigt wurde. Ebd., Bd. 2, S. 279. 42 Im Bündnisvertrag vom April 1716 findet sich das Versprechen des Zaren in Bezug auf Wismar allerdings nur noch in abgeschwächter Form, und auch von der im Falle des Misslingens zu leistenden Geldentschädigung ist keine Rede mehr. Ebd., S. 277. 43 Walter Mediger, zitiert nach ZERNACK, Der Große Nordische Krieg (Anm. 7), S. 284. 44 WITTRAM, Peter I. (Anm. 3), Bd. 2, S. 272–277, bezweifelt, dass sich der Zar über eine solche Intervention hinaus überhaupt dauerhaft militärisch in Norddeutschland festsetzen wollte. 45 Ebd., Bd. 2, S. 281; KIRBY, Peter the Great (Anm. 15), S. 184; HUGHES, Russia (Anm. 3), S. 413. 46 Das Schicksal der Anna Leopol’dovna (1718–1746), die 1739 mit Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel-Bevern vermählt wurde und einen Sohn, Ivan VI., zur Welt brachte, war noch sehr viel tragischer. Nach dem Tod der Kaiserin Anna führte sie 1740/41 für ihren Sohn Ivan VI. die Regentschaft, doch wurden sie durch eine Palastrevolte zuguns-
Roll, Dynastie und dynastische Politik im Zarenreich
89
Truppen vertrieben auch Karl Leopold. Das Paar flüchtete mit der Tochter nach Moskau und blieb dort die meiste Zeit seines weiteren Lebens. Etwa gleichzeitig mit den mecklenburgischen Heiratsverhandlungen fanden 1713 im Februar auch die ersten Gespräche über die Vermählung der ältesten Tochter Peters, Anna Petrovna, mit Karl Friedrich von Holstein-Gottorf statt. Der Herzog befand sich in einer politisch schwierigen Lage. Er entstammte der Gottorfer Linie des Hauses Holstein, der es gelungen war, im Nordischen Krieg des 17. Jahrhunderts (1655–1660) die Souveränität über die gottorfischen Anteile im Herzogtum Schleswig zu erlangen. Dadurch hatten sich die Gottorfer jedoch noch weiter mit ihren Holsteiner Vettern, die ja die Herzöge von Schleswig und zudem Könige von Dänemark waren, verfeindet. Die Krone Schweden dagegen sah sich als Schutzmacht der Gottorfer und unterstützte diese gegen die königliche Linie des Hauses Holstein; nur so hatte es überhaupt zu dieser Souveränität kommen können. Aber die gottorfische Souveränität konnte sich doch nur auf den schwedischen Beistand stützen. Und dieser wurde unzuverlässig, als Peter nach Poltava die Offensivbündnisse mit den Königen von Sachsen und Polen neu belebte und sich auch die Seemächte nach dem Ende des Spanischen Erbfolgekriegs wieder verstärkt den Machtverhältnissen in der Ostsee zuwandten. Mit diesem Rückhalt konnte der Dänenkönig 1713 die Güter der Gottorfer in Schleswig und Holstein besetzen und unter Sequester nehmen. Das war die Situation während der ersten Fühlungnahme der Gottorfer hinsichtlich einer Heirat. Doch Peter zeigte kein Interesse, war er doch mit dem Hauptgegner der Gottorfer, dem König von Dänemark, im Bündnis. Nachdem aber dieser 1717 mit Karl XII. einen Separatfrieden geschlossen hatte, war der Zar der Rücksichtnahme auf seinen dänischen Verbündeten enthoben; zudem konnte Karl Friedrich Ansprüche auf den schwedischen Thron geltend machen, die Peter nun als taktisches Mittel dienen sollten, um zu einem vorteilhaften Frieden mit Schweden zu gelangen47. Nach dem Frieden von Nystad verzögerten sich die Verhandlungen allerdings erneut, denn zum einen hatte Peter in Nystad ja zusagen müssen, die Förderung der Gottorfischen Thronfolgeansprüche aufzugeben48, zum anderen entschieden sich die schwedischen Stände 1718 dafür, nicht dem Gottorfer, sondern den deutschen Nachkommen der Schwester Karls XII. den Thron anzutragen. Dennoch dürfte es Peter nicht unattraktiv erschienen sein, einen Fürsten zum Schwiegersohn zu bekommen, der mit gut begründeten Ansprüchen auf den schwedischen Thron und dazu mit einem Territorium an Ost- und Nordsee aufwarten konnte. ten Elisabeths entmachtet und aus St. Petersburg entfernt; vgl. dazu Aleksandr V. LAVRENT’EV, Prinz Anton Ulrich in Rußland bis zum Sturz des Hauses Braunschweig, in: Braunschweigische Fürsten in Rußland (Anm. 2), S. 92–112. 47 OPITZ, Zar Peter der Große (Anm. 7), S. 74. 48 ZERNACK, Der Große Nordische Krieg (Anm. 7), S. 295.
90
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Indessen zogen sich die Heiratsangelegenheiten hin; der Herzog verbrachte drei Jahre in St. Petersburg, ohne dass sich etwas tat. Schließlich, 1724, war der Heiratsvertrag unterschriftsreif. Er enthielt – neben Bestimmungen über die Konfession der Ehepartner, die Mitgift Annas, Sicherheiten des Herzogs und über die Rechte der Zarentochter als Witwe – Geheimartikel. Darin sagte Peter dem Herzog Unterstützung bei der Erlangung der schwedischen Krone und der Rückgewinnung der gottorfischen Teile im Herzogtum Schleswig zu49. Die Hochzeit fand im Jahre 1725 statt, vier Monate nach dem Tod Peters50. Fast gleichzeitig bahnte sich eine weitere Verbindung zwischen dem Zarenhaus und den Gottorfern an: Der Vetter Karl Friedrichs, Fürstbischof Carl von Lübeck – dem einzigen evangelischen Fürstbistum im Reich –, wünschte die Schwester Annas zu ehelichen, die spätere Zarin Elisabeth; Carl starb jedoch kurz vor der Hochzeit. Indessen kehrte sich nach dem Tod der Zarin Katharina I. 1727 die Stimmung gegen die Gottorfer und machte deren hochfliegende Pläne zunichte: Karl Friedrich musste Russland mit seiner Gattin verlassen. Sie übersiedelten nach Kiel, wo 1728 ihr Sohn geboren wurde, Karl Peter Ulrich, der spätere Zar Peter III. Anna aber, die ihre Ehe zunehmend als unglücklich empfand, überlebte die Geburt ihres Sohnes nur kurze Zeit. Sie erkrankte an Fieber und starb, gerade 20 Jahre alt. Nach ihrem Tod gerieten die Angelegenheiten der Gottorfer in St. Petersburg für längere Zeit in Vergessenheit. Das begann sich zu ändern, als Elisabeth 1741 die Regierung antrat. Karl Peter Ulrich war nämlich noch von Katharina I. testamentarisch zum Nachfolger Peters II. bestimmt worden, so dass Elisabeth ihre Thronusurpation unter Umgehung ihres Neffen nur mit dem Argument legitimieren konnte, dass dem jungen Mann die orthodoxe Taufe fehlte. Sie ließ ihn folglich nach Russland kommen, auf den Namen Peter Petrovič orthodox taufen und ernannte ihn im Zusammenhang mit ihrer eigenen Krönung zum Thronfolger. Nahezu gleichzeitig, 1743, verzichtete der künftige Zar auf den ihm angetragenen schwedischen Thron. 1745 folgte, durch Vermittlung König Friedrichs II. von Preußen, die Heirat mit Sophie von Anhalt-Zerbst. Schon jetzt nahm die russische Regierung die politischen Bemühungen zur Durchsetzung der gottorfischen Ansprüche gegenüber Dänemark vorsichtig wieder auf und entschied sich vollends dazu, als der Gottorfer nach dem Tod Elisabeths 1761 selbst Zar wurde: Als eine seiner ersten Regierungshandlungen schloss Peter III. sofort Frieden mit Preußen und vereinbarte mit Friedrich ein Bündnis zur Rückgewinnung seiner Länder. Ein Krieg gegen Dänemark stand unmittelbar bevor. Der Staatsstreich vom Sommer 1762 und der Tod des Zaren 49 50
In Holstein waren die Gottorfer schon 1720 von Kaiser Karl VI. restituiert worden. Hierzu und zum Folgenden Svetlana DOLGOVA/Marina OSEKINA, Die Ehe der Zarentochter Anna Petrovna und des Herzogs Karl Friedrich von Holstein-Gottorf, in: LUKITSCHEW, Die Gottorfer (Anm. 2), S. 27–33, sowie die weiteren Aufsätze in dem Band.
Roll, Dynastie und dynastische Politik im Zarenreich
91
verhinderten indessen diesen Krieg – dessen Planung wohl auch einer der Gründe für den Sturz Peters war51 –, und Katharina beeilte sich, in Kopenhagen ihre friedlichen Absichten kundzutun. An dem guten Verhältnis zu Preußen allerdings hielt sie fest. Hatte man sich also, wie es scheint, um die Jahrhundertmitte in St. Petersburg schon an die vielen Deutschen gewöhnt, die als Herrscher, Höflinge und Minister den russischen Zarenhof bevölkerten, so war das in der Regierungszeit Peters des Großen doch noch anders gewesen. Zur Heirat des Thronfolgers Aleksej Petrovič (1690–1718) kehren wir in diese Jahre noch einmal zurück. Es war ein großes Fest in Torgau, als dort am 25./14. Oktober 1711, einige Wochen nach dem Prut-Frieden, die Hochzeit des Thronfolgers stattfand. Aleksej Petrovič wurde mit Charlotte von Braunschweig-Wolfenbüttel vermählt52. Pläne zu einer deutschen Heirat des Thronfolgers hatte es im Umkreis des Zaren schon länger gegeben, und ebenfalls schon länger hatte man die Braunschweiger dazu ausersehen. Auf keinen geringeren als Leibniz ging die Vermittlung zurück, der die Angelegenheit mit dem Erzieher Aleksejs, Baron von Huyssen, erörterte. Doch der Wolfenbüttler Hof stand zunächst einer solchen Heirat ablehnend gegenüber, was sich aber nach Poltava schlagartig änderte: Nun war der Carevič eine interessante Partie für die Braunschweigerin, nun erschien die Aussicht attraktiv, Zarin von Russland zu werden. Umgekehrt war es Leibniz, der Zar Peter gegenüber auf das Alter des Welfenhauses wie auf die kaiserliche Verwandtschaft der Braut hingewiesen hatte: Charlotte war die Schwester der Kaiserin, der Gattin Kaiser Karls VI. Der Heiratsvertrag kam 1711 zustande53. In ihm wurden Mitgift und Übersiedlung der Prinzessin nach Russland, Glaubensfragen, der Unterhalt des Hofstaats Charlottes und die Erziehung der Kinder geregelt. Charlotte durfte demnach bei ihrem lutherischen Glauben bleiben54, die Nachkommen indessen sollten der Religion des Vaters folgen. Einen Hofstaat durfte Charlotte mitnehmen, den zu finanzieren Peter sich bereit erklärte. Peter zeigte sich in einem Schreiben an den Senat sehr zufrieden und schloss: „Das Haus der Fürsten von Wolfenbüttel, das uns jetzt verschwägert ist, ist ein vortreffliches“55. 51 52
Vgl. etwa den Hinweis bei SCHARF, Katharina II. (Anm. 4), S. 309. Das Schicksal Aleksejs und seine Heirat mit Charlotte von Braunschweig-Wolfenbüttel finden in jeder Darstellung über Peter den Großen Berücksichtigung. Hier sei nur auf den gründlichen und mit einem umfangreichen Quellenanhang ausgestatteten Band „Braunschweigische Fürsten in Russland in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts“ (Anm. 2) hingewiesen. 53 Gedruckt ebd., S. 51–60. 54 Sie sollte sogar eine „Capelle für sich“ und einen „Kirchhoff zur Beerdigung“ für ihre Bediensteten erhalten. 55 Zitiert nach Svetlana Romanovna DOLGOVA, Einführung (Anm. 50), S. 35.
92
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Auch das junge Paar war zunächst glücklich, doch schon bald kam es zu Streitigkeiten. Einer der Gründe war gewiss die Zuspitzung des Konflikts zwischen Zar und Thronfolger. Immerhin kam Charlotte ihrer Hauptaufgabe nach: Im Juli 1714 wurde die Tochter Natal’ja geboren, im Oktober des folgenden Jahres der Sohn Peter, der von 1727 bis 1730 als Zar Peter II. über Russland herrschte. Doch von der zweiten Schwangerschaft erholte sich Charlotte nicht mehr und starb nur zehn Tage nach der Geburt ihres Sohnes. Der Konflikt zwischen Zar und Thronfolger verschärfte sich indessen noch weiter. Er war, wie Lindsey Hughes treffend formuliert hat, „a metaphor for the struggle within Russia itself“56. Nach der Flucht Aleksejs an den Kaiserhof im September 1716 war dann vollends nichts mehr zu retten. Peter ließ den Sohn zurückholen und klagte ihn sowie weitere Parteigänger des Hochverrats an, darunter auch seine Halbschwester Marija Alekseevna. Im Juni 1718 starb Aleksej an den Folgen der Folter. Schon einige Monate vorher hatte Peter in einem Manifest allen Untertanen bekannt gemacht, dass er „Kraft väterlicher Gewalt […] und als autokratischer Herrscher“ zum Nutzen des Staates seinem Sohn das Recht auf die Nachfolge genommen habe. Der Thronfolgeukaz vom 5. Februar 1722 verfügte, dass es dem Zaren zukomme, seinen Nachfolger nach freiem Ermessen zu bestimmen57. Bei alledem hat es Peter offenbar nicht erwogen, selbst durch eine dynastische Heirat zum Prestige Russlands oder zur Realisierung außenpolitischer Strategien beizutragen. Seine Tochter Elisabeth hingegen wurde immer wieder für zahlreiche Projekte ins Auge genommen: 1719 wurde eine Heirat mit Ludwig XV. erwogen und Manuel von Portugal ins Gespräch gebracht, doch alle Pläne wurden zugunsten des Lübecker Fürstbischofs Carl aus der jüngeren Gottorfer Linie geändert, der aber, wie bereits erwähnt, vor der Heirat 1726 starb58. So konnte sich Elisabeth schließlich 1750 für eine Ehe mit dem Ukrainer Aleksej G. Razumovskij entscheiden59. Im Vergleich zu den komplexen, teils militärischen, teils politischen, teils handelsimperialen Zielen, die mit diesen petrinischen Heiratsarrangements verbunden waren, im Vergleich auch zu den vielen persönlichen Tragödien, die sich dabei abspielten, erscheint die Heiratspolitik Katharinas II. geradezu unspektakulär. Der abschließende Blick auf einige der von Katharina arrangierten Heiraten kann hier vergleichsweise kursorisch ausfallen, denn mit dem Buch von Claus Scharf liegt eine einschlägige Darstellung vor60. Es geht vor allem um die Verheiratung ihres Sohnes Paul (1754–1801 ermordet) mit 56 57 58
HUGHES, Russia (Anm. 3), S. 415. STÖKL, Thronfolgeordnung (Anm. 5), S. 386 Dazu HUGHES, Russia (Anm. 3), S. 414, und Svetlana Romanovna DOLGOVA, Zarin Elisabeth Petrovna, in: LUKITSCHEW, Die Gottorfer (Anm. 2), S. 35–37, hier S. 35. 59 DOLGOVA, Zarin Elisabeth Petrovna (Anm. 58), S. 37. 60 SCHARF, Katharina II. (Anm. 4), S. 272–346.
Roll, Dynastie und dynastische Politik im Zarenreich
93
Wilhelmine von Hessen-Darmstadt (1755–1776) im Jahre 1773, die zweite Heirat Pauls 1776 mit Sophie (1759–1828), der Tochter des Herzogs Friedrich Eugen von Württemberg, und die Eheverbindung, die Katharina für ihren Enkel Alexander, Zar Alexander I. (1777–1825), mit Luise (1779–1826), der Tochter des Markgrafen Karl von Baden im Jahre 1793 arrangierte. Die Bräute hatten aus der Sicht Katharinas vor allem die Aufgabe, einen Thronfolger zu gebären und damit den Mangel der eigenen Legitimität durch Sicherung der Thronfolge auszugleichen. Als Heiratsvermittler wurde Friedrich der Große aktiv, der, ganz ähnlich wie sein Großvater im Jahre 1710, seine etwas entferntere Verwandtschaft nach Petersburg zu verheiraten trachtete, um auf diese Weise die russisch-preußischen Beziehungen zu verbessern, ohne selbst in direkte Verwandtschaft mit dem Zarenhause treten zu müssen. Der dänische Gesandte Asseburg erklärte sich bereit, in Übereinstimmung mit König Friedrich nach geeigneten Bräuten Ausschau zu halten. Im Frühjahr 1771 hatte er schon fünf junge Mädchen zur Auswahl, alle, wie von Katharina gewünscht, aus protestantischem Hause, gut erzogen, gesund und recht ansehnlich. Die junge Württembergerin wurde favorisiert, war aber als Neunjährige noch zu jung. Deshalb fiel die Wahl auf Wilhelmine, die Tochter des Landgrafen von Hessen-Darmstadt, die eben ihr 14. Lebensjahr vollendet hatte. Aber sie starb schon drei Jahre später während der Schwangerschaft, und wie sich zeigte, war sie wohl auch gar nicht in der Lage gewesen zu gebären – und hatte damit schon ihre wichtigste Aufgabe als Gattin des Thronfolgers verfehlt. So hielt sich am Zarenhof die Trauer in Grenzen und man konnte sich jetzt, 1776, der Württembergerin zuwenden. Auch diese Verbindung ging auf die Vermittlung Friedrichs des Großen zurück, der wiederum daran interessiert war, einem ihm verwandten Hause eine vorteilhafte Heirat zu verschaffen und zugleich die russisch-preußische Allianz zu festigen61. Für Katharina lag der „bündnispolitische Wert“ dieser Heirat ebenfalls in der Bestätigung der guten Beziehungen zu Preußen62. Orthodox getauft auf den Namen Marija Fedorovna, gebar sie 1777 den ersehnten Thronfolger, den Großfürsten Alexander, und in den folgenden Jahren drei weitere Söhne und fünf Töchter. Ihre Bedeutung für die deutschrussischen Kulturbeziehungen war erheblich. Zugleich förderte sie „als die Stammutter des russischen Kaiserhauses im 19. Jahrhundert“ den weiteren Ausbau der dynastischen Beziehungen zu den deutschen Höfen, namentlich zum württembergischen63. Katharina selbst verheiratete übrigens auch die Schwestern ihrer Schwiegertochter mit deutschen Reichsfürsten, wie sie überhaupt auch alle Söhne und Töchter Pauls im deutschen Reichsfürstenstand unterbrachte. 61 62 63
Ebd., S. 299–304. Ebd., S. 315 f. Ebd., S. 305 f.
94
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Nach dem Frieden von Teschen und der Annäherung Katharinas an das Kaiserhaus änderte sich allerdings die politische Großwetterlage. Damit verlor die württembergische Heirat ihren spezifischen bündnispolitischen Wert, und Katharina betrieb auch in dynastischer Hinsicht eine Annäherung an die Habsburger. So kam es, freilich gegen erhebliche Widerstände Pauls und seiner Gattin, zu Beginn der 1780er Jahre zu ersten ernsthaften Heiratsverhandlungen zwischen den beiden Kaiserhöfen in Wien und St. Petersburg. Nach der Verlobung 1782 heiratete Franz von Toskana, der spätere Kaiser Franz II./I., die Schwester der Großfürstin, Elisabeth von Württemberg, also auch hier zunächst eine indirekte dynastische Verbindung. Erst 1799 verbanden sich die beiden Häuser direkt, als nämlich Alexandra Pavlovna, die älteste Tochter Pauls, den Palatin von Ungarn, Joseph, den Bruder Franz’ I., heiratete. Sie wurden in Wien und Buda mit großen Festlichkeiten empfangen, doch starb Alexandra erst 17jährig schon nach zwei Jahren, acht Tage nach der Geburt ihrer auch gestorbenen Tochter64. Die letzte hier zu thematisierende Heirat fand im Jahre 1793 statt – Alexander I. ehelichte Luise von Baden – und fiel damit in eine Zeit, in der sich die Herrscher der deutschen Mittelstaaten von den Folgen der Französischen Revolution wie der Koalitionskriege bedroht fühlten. Für Katharina scheinen hier nicht bündnispolitische Überlegungen den Ausschlag gegeben zu haben, sondern ihre kulturellen Interessen, die sie mit Markgraf Karl Friedrich teilte65. Welche Rolle spielten nun diese Heiraten im Rahmen der Reichspolitik der russischen Kaiserin? Die öffentliche Meinung im Reich ließ sich gewiss gut über die vielen – aus russischer Sicht: kleinen – Residenzen beeinflussen, und eine Meisterin der „Öffentlichkeitsarbeit“ war Katharina ja zweifellos. Auch die bündnisbegleitende und bündnisstabilisierende Funktion der Heiratspolitik liegt auf der Hand66; damit wäre vor allem an die Verbesserung des politischen Klimas zu denken. Aber ob Katharina über den Anspruch des Teschener Friedens hinaus mit ihrer „neu forcierten Heiratsdiplomatie“67 zusätzlichen Einfluss in der Reichspolitik zu gewinnen vermochte, ob es also die dynastische Politik war, der sie ihre Schlüsselrolle im Reich verdankte – die sie dann zur Enttäuschung vieler im Reich gar nicht wahrnahm –, lässt sich nach dem derzeitigen Forschungsstand nicht eindeutig beantworten.
64 Brigitte HAMANN (Hrsg.), Die Habsburger. Ein biographisches Lexikon, Wien 1988, S. 48. 65 Vgl. dazu SCHARF, Katharina II. (Anm. 4), S. 328. 66 Ebd., S. 275 und 304. 67 DUCHHARDT, Balance of Power(Anm. 10), S. 154.
Roll, Dynastie und dynastische Politik im Zarenreich
95
2. Dynastische Politik des Hauses Romanov oder Heiratspolitik der russischen Zaren? Zu einigen Merkmalen und Prinzipien dynastischer Politik im Zarenreich Die vorstehende Darstellung dürfte deutlich gemacht haben, dass zwischen der Heiratspolitik der Romanovs im 18. Jahrhundert und dem dynastischen Handeln der anderen europäischen Herrscherhäuser zahlreiche Übereinstimmungen bestanden. So bedurfte man hier wie dort für den Thronfolger in erster Linie einer möglichst gesunden, ansehnlichen, wohl erzogenen, vielleicht auch klugen jungen Frau aus dem europäischen Hochadel, aus „vortrefflichem Hause“, wie Peter sich über seine braunschweigische Schwiegertochter selbst stolz äußerte. Alle hier diskutierten Eheverbindungen – außer der kurländischen natürlich – genügten übrigens dieser letztgenannten Maxime, denn auch die Häuser Württemberg, Hessen-Darmstadt, Holstein, Baden und Mecklenburg gehörten zu den alten Geschlechtern von Geblüt, die traditionell mit anderen europäischen Herrscherhäusern dynastisch eng verflochten waren. Die Romanovs haben sich mithin nicht für zweitrangige deutsche Fürstenhäuser als Heiratspartner entschieden; über deren Macht ist damit freilich noch gar nichts gesagt, darauf wird zurückzukommen sein. Auch hinsichtlich des komplizierten Geflechts aus Zielen, Motiven und Strategien, die mit den anderen Heiratsprojekten Peters verbunden waren, dürfte sich die Politik des Zaren von der anderer europäischer Herrscher nicht wesentlich unterschieden haben: In Kurland wollte sich Peter durch die Heiratsverbindung seiner Nichte einen wenigstens indirekten Einfluss sichern, weil eine Inkorporation des Landes zu dem betreffenden Zeitpunkt bündnispolitisch nicht opportun war; in Mecklenburg zielte Peter darauf, eine Aktionsbasis zu gewinnen und dem entsprechenden Bündnis durch die Heirat eine höhere Verbindlichkeit zu verleihen; und die Ansprüche der Gottorfer auf den schwedischen Thron suchte er mit der Option einer Heiratsverbindung zu ihnen als Druckmittel gegenüber der Krone Schweden einzusetzen. Diese Merkmale der zarischen Heiratspolitik entsprechen durchaus denjenigen, die Hermann Weber als kennzeichnend für die europäische Geschichte in der frühen Neuzeit herausgearbeitet hat68. Dass alle drei Heiraten dem großen, seit Ivan III. (1462–1505) nicht mehr vergessenen Ziel der Moskauer Zaren dienen sollten, an die Ostsee vorzustoßen, entspricht ebenfalls dynastischen Strategien europäischer Herrscherhäuser. Aber welche Rolle spielte eigentlich der Haus-Gedanke für die Romanovs? Dazu zwei Beobachtungen. Die erste betrifft die politische Funktion der Heiraten. Wenn in der Forschung formuliert worden ist, Peter sei es bei den Eheschließungen seiner Nichten und Töchter mit den Herzögen an der Ostsee um „Stützpunkte“ (Hughes) gegangen, um „Brückenköpfe“ (Opitz) und eine 68
WEBER, Dynastien (Anm. 1).
96
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
„Operationsbasis“ (Wittram) und wenn die Heiratsdiplomatie zudem einer „generalstabsmäßigen Planung“ (Duchhardt) gefolgt sei, dann trifft die militärische Ausdrucksweise – wiewohl vermutlich unbeabsichtigt – genau die besonderen Züge der petrinischen Heiratspolitik, nämlich den Primat des Militärischen, d.h. den sehr engen Bezug der Heiratsprojekte zu den Kriegserfordernissen, genauer: das Angewiesensein des Zaren auf die schnelle, im Grunde sofortige Wirkung der Bestimmungen der Heiratsverträge. Die in den Heiratsprojekten ebenfalls angelegten mittel- oder gar erst langfristig wirksamen Effekte dagegen waren Peter offensichtlich weniger wichtig; und weit zurück traten, wie es scheint, Erbabsichten. Dafür, dass Peter die Fürstentümer an der Ostseeküste mit der dynastischen Strategie des Erbens für das Haus Romanov erwerben wollte, finden sich keine Indizien, sondern er wollte die Ostseeküste für Russland erobern. Mit der Konzentration auf die kurzfristigen, militärischen Effekte aber wird die Heiratspolitik bei Peter zu einem bloß noch militärtaktischen Instrument – und damit wohl doch zu etwas anderem als sonst in Europa. Die andere Beobachtung betrifft das Bestreben der russischen Herrscher, sich selbst durch ihre Heiratspolitik nicht zu binden. So boten die Herzöge dem Zaren in allen drei Heiratsverträgen die Nutzung ihrer Häfen an der Ostseeküste und hofften, ihn durch die Heirat mit seinen Nichten oder Töchtern an ihre politischen Interessen binden zu können, denn zur Realisierung dieser Interessen bedurften sie einer starken Macht. Genau diese Macht aber war es, die es dem Zaren ermöglichte, die politischen Interessen der Herzöge zu ignorieren, wenn er es wollte; bei der Besetzung Mecklenburgs durch englische Truppen 1719 kam Peter dem Schwiegersohn eben nicht zur Hilfe. Diese Spielräume hat auch die Heiratspolitik Katharinas stets gewahrt; die Zarin war sorgfältig darauf bedacht, dass die familiären Bindungen nicht gegen die russischen Interessen ausgespielt werden konnten69. Überhaupt definierte sich aus der Sicht Katharinas „das Interesse des Russischen Reiches nicht familienpolitisch“70. Aber diese Sicht dürfte nicht bloß die Sicht Katharinas gewesen sein. Die Autokratie überhaupt, so wäre dieser Befund zu deuten, will sich nicht binden, eben auch nicht durch Mitglieder der eigenen Familie. Dieses Problem hat Zar Aleksej, der Vater Peters, dadurch gelöst, dass er seine Töchter gar nicht verheiratet hat71. Katharina wiederum hat Bräute und Bräutigame niemals aus solchen Häusern gesucht, deren Macht den außenpolitischen Spiel-
69 70 71
Vgl. auch SCHARF, Katharina II. (Anm. 4), S. 293. Ebd., S. 316. So hat zuletzt schon Lindsey Hughes diesen bislang mit allerlei obskuren Vorstellungen von der „orientalischen Abgeschlossenheit“ der russischen Zarin in Verbindung gebrachten Befund erklärt; HUGHES, Russia (Anm. 3), S. 411 f.
Roll, Dynastie und dynastische Politik im Zarenreich
97
raum Russlands hätten einschränken können72. Die Asymmetrie der Macht ist ja evident und war gewollt. Es finden sich also deutliche Indizien dafür, dass der Haus-Gedanke als Bezugsgröße zarischer Heiratspolitik im 18. Jahrhundert eine im Vergleich zu anderen Herrscherfamilien nachgeordnete Rolle gespielt hat. Überhaupt scheinen Vorstellungen vom Haus als rechtlicher, eben auch erbrechtlicher Einheit (Fideicommiss) wie auch als tragender Säule transpersonaler Herrschaft in Russland weniger ausgeprägt gewesen zu sein als in den anderen Herrscherhäusern, und über „das Haus“ wurde wohl auch theoretisch kaum reflektiert. Katharina spricht in ihrer Großen Instruktion von 1767 davon, dass Russland eine europäische Macht sei, aber dass die Romanovs eine europäische Dynastie seien, hört man von ihr nicht. Die Verheiratung der Söhne und Töchter sollte ja auch nicht zur Etablierung einer Linie RomanovHolstein oder Romanov-Baden führen; vielmehr ist es bezeichnend, dass die Romanovs gar keine Linien ausgebildet haben. Und in der Situation, in der sich die Entstehung von Linien andeutete, nämlich in der Generation nach Peter dem Großen, standen sich seine und die Nachkommen seines Halbbruders Ivan als Konkurrenten um die Nachfolge auf dem Zarenthron gegenüber, eine Konkurrenz, die angesichts des Fehlens verlässlicher Thronfolgeregelungen fatale Folgen hatte, nämlich die physische Liquidierung der unterlegenen „Linie“ durch den Mord an Ivan VI. im Jahre 1764. Die Prinzipien autokratischer Herrschaft und solche der Politik zum Wohle des eigenen Hauses waren offenbar nicht gut miteinander in Einklang zu bringen. Peter hatte, nachdem er im Kriegsreglement von 1716 klar das Prinzip ungeteilter, autokratischer Macht formuliert hatte, anlässlich seines Zerwürfnisses mit Aleksej ein vergleichsweise gut funktionierendes Thronfolgeprinzip außer Kraft gesetzt73 und mit dem Thronfolgegesetz von 1719 dafür gesorgt, dass der Autokrat auch bei der Bestimmung des Nachfolgers nicht mehr an das transpersonale Recht der Gewohnheit gebunden war. Dass ein Autokrat sich angesichts dieses Selbstverständnisses nicht an die Interessen der ihm bloß dynastisch verbundenen Fürstenhäuser band, freiwillig also, erscheint nur konsequent74. Welche Gefahren solche Bindungen bargen, konnte Katharina selbst mit ansehen, als die Haus-Interessen ihres Gottorfer 72
Dieses Prinzip betont Ulrike Eich für Alexander I. bereits als „Tradition geworden“; Ulrike EICH, Rußland und Europa. Studien zur russischen Deutschlandpolitik in der Zeit des Wiener Kongresses, Köln/Wien 1986, S. 43. 73 Die Reflexion darüber, dass Friedrich Wilhelm I. von Preußen und Kronprinz Friedrich ein vergleichbares Zerwürfnis durchgestanden haben, führt zu der Erkenntnis, dass bei aller Tiefe dieses Zerwürfnisses nicht der Weg Preußens Hauptgegenstand war; Zar Peter aber sah den von ihm für richtig erkannten Weg Russlands „nach Europa“ bei einer Regierungsübernahme durch Aleksej in Frage gestellt, und das wohl auch zu Recht. 74 Vgl. zur Autokratie die luziden Ausführungen von Christoph SCHMIDT, Russische Geschichte 1547–1917, München 2003, S. 129–135.
98
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Gatten beinahe zu einem Krieg wider jedes Interesse des russländischen Imperiums geführt hätten. Um diese Befunde in einen größeren Zusammenhang zu stellen, seien sie nun um einige Beobachtungen zur vorpetrinischen Zeit ergänzt. Warum ist es eigentlich bis 1710 nicht zu dynastischen Heiraten der Romanovs mit ausländischen Fürstenkindern gekommen? Zunächst einmal wird oft übersehen, dass es am Zarenhof manchen Heiratsplan gegeben hat75. Bekannt geworden ist vor allem das Vorhaben des Zaren Boris Godunov (1598–1605), der seine schwache dynastische Legitimation nach dem Aussterben der Rjurikiden durch die Heirat seine Tochter Ksenija mit einem Sohn des Königs von Dänemark auszugleichen suchte; der Bräutigam starb jedoch kurz nach der Ankunft in Moskau an einer Fieberkrankheit. Weniger bekannt ist, dass Zar Michail Fedorovič, der erste Romanov, 1622 eine Gesandtschaft nach Holstein abfertigte, die um die Tochter des Herzogs werben sollte, doch musste der Zar zur Kenntnis nehmen, dass Dorothea Augusta bereits verheiratet war – ein typisches Phänomen geringen Moskauer Kenntnisstands unmittelbar nach der „Zeit der Wirren“, der großen dynastischen, sozialen und nationalen Krise zwischen 1598 und 1613. Auch das Vorhaben Michails, seine Tochter Irina dem Dänenprinzen Waldemar zu vermählen, scheiterte: Waldemar verhandelte 1643/44 bereits in Moskau über den Wohnsitz des zukünftigen Paares, als deutlich wurde, dass von ihm der Übertritt zur Orthodoxie erwartet wurde, wozu er sich nicht entschließen konnte; so scheiterte auch dieses dritte Heiratsprojekt. An der Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Religionen sind im 18. Jahrhundert freilich kaum noch russische Heiratsprojekte gescheitert. Zar Peter I. löste dieses Problem in seiner pragmatischen Art und sah – im Gegensatz zu weiten Teilen des russischen Klerus – kein Problem darin, vier Mischehen zu veranstalten: In allen von Peter arrangierten Heiraten durften die Beteiligten bei ihrer jeweiligen kirchlichen Zugehörigkeit bleiben76. Nicht einmal die Gattin des Thronfolgers, Charlotte von Braunschweig-Wolfenbüttel, musste zur Orthodoxie übertreten. Auf diese Großzügigkeit hofften die späteren deutschen Bräute, beginnend mit Sophie von Anhalt-Zerbst, vergeblich, sehr zum Gram des pietistischen Vaters. Die Anhaltiner Prinzessin ließ sich indessen durch den Hofprediger und Archimandrit Simon Todorskij, einen gelehrten Kiever Mönch, rasch davon überzeugen, dass die Übereinstimmung in 75
Zum Folgenden demnächst meine in der Überarbeitung für den Druck befindliche Habilitationsschrift „Auswärtige Politik und politisches Weltbild. Zar und Kaiser in der europäischen Politik des 17. Jahrhunderts“, Konstanz 2003 (Manuskript). 76 Anna Ivanovna sollte in Kurland ihren orthodoxen Glauben behalten, die Töchter ihr in ihrer Religion folgen, die Söhne aber lutherisch erzogen werden. Anna sollte sogar eine Kirche gebaut werden (WITTRAM, Peter I. [Anm. 3], Bd. 1, S. 358): Entsprechend lauteten auch die Bestimmungen für ihre Schwester in Mecklenburg und für Anna Petrovna in Holstein.
Roll, Dynastie und dynastische Politik im Zarenreich
99
wichtigen Fundamentalartikeln erheblich und ihr ein Übertritt zur griechischen Religion daher möglich sei77. Die hessische Landgräfin gewann, wie auch ihre Mutter, einen ähnlichen Eindruck, aber auch hier musste noch der Vater überzeugt werden. Einmal mehr war der preußische Heiratsvermittler zu Stelle: Friedrich der Große schrieb an den Landgrafen, über das „filioque“ werde seine Tochter gewiss dahingehend unterwiesen worden sein, „dass der Heilige Geist nur vom Vater und nicht vom Sohne ausgeht, etwas sehr Wunderbares, wovon ich leider nie etwas begriffen habe und worüber auf Ehre jeder anständige Mensch auch ebenso gut in Unkenntnis bleiben kann“78. Weder auf die entschlossene Eigenständigkeit deutscher Fürstentöchter noch auf dergleichen spöttische Distanzierungen von den Dogmen der eigenen Konfession dürfte man schon im 17. Jahrhundert stoßen. So ist festzuhalten, dass weniger die Öffnung Russlands für europäische Ideen das Problem unterschiedlicher Religionszugehörigkeit entschärfte als vielmehr die aufgeklärte Säkularisierung Europas überhaupt. Wenn man also mit der Forschung feststellt, dass es zu dynastischen Heiraten der Romanovs im 17. Jahrhundert nicht gekommen ist, sollte man zugleich festhalten, dass die Pläne zum Teil schon sehr weit gediehen waren. Freilich: Statt in die europäischen Herrscherhäuser einzuheiraten, haben Zar Michail und sein Sohn Aleksej die Heiratspolitik als ein Instrument benutzt, um ihre noch junge Herrschaft zu stabilisieren und im Adel ausgleichend zu wirken. Dass sie dabei versucht hätten, nach der „Zeit der Wirren“ an die dynastischen Mythen ihrer Vorgänger, der Rjurikiden, anzuknüpfen, die sich ja im 16. Jahrhundert eine fiktive Genealogie bis zurück auf Augustus zurecht gelegt hatten79, ist nicht erkennbar. Schaut man noch weiter zurück, in die Zeit des Moskauer Großfürstentums, also die Zeit vom 14. bis ins 16. Jahrhundert, dann sieht man dort die Heiratspolitik der Großfürsten in der Funktion eines Seitenstücks der „Sammlung der Länder der Rus“, zunächst innerhalb der Rus, dann allmählich nach Westen, nach Litauen, über sie hinausgreifend. Die Heiraten folgten also dem Prinzip der territorialen Arrondierung, einem auch gleichzeitig im Westen, etwa in Burgund, verfolgten Prinzip. Dabei gelang es den Moskauer Großfürsten, die anderen Teilfürstentümer der Rus systematisch in das Moskauer Großfürstentum einzugliedern und die eigene Linie des Fürstenhauses durch Heiratsverbindungen mit den Töchtern und Söhnen dieser Teilfürsten abzusichern. Zugleich zielten die Moskauer Großfürsten auf die Überwindung des Seniorats durch gewohn77 78
STUPPERICH, Heiratspolitik (Anm. 5), S. 221–225. Ebd., S. 231. Bei Prinzessin Sophie Dorothea von Württemberg war die Konversion dann schon gar kein Problem mehr. 79 Dazu am besten Peter NITSCHE, Translatio imperii? Beobachtungen zum historischen Selbstverständnis im Moskauer Zartum um die Mitte des 16. Jahrhunderts, in: Jahrbuch für Geschichte Osteuropas, N. F. 35 (1987), S. 321–338.
100
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
heitsrechtliches Praktizieren der Primogenitur in ihrer, der Moskauer Linie80. Dabei aber, und das ist nun wieder ganz anders als im Westen, ist es offenbar nicht zur Entstehung eines Hausbewusstseins gekommen, einer transpersonalen Herrschaftsvorstellung also, die den Seniorats- mit dem Primogeniturgedanken hätte versöhnen können, sondern im Gegenteil: Die ehemals selbständigen Teilfürsten galten in der Phase der „Sammlung“ nur noch als Konkurrenten des Moskauer Großfürsten. Im 16. Jahrhundert kam es, wie erwähnt – und nicht zuletzt aufgrund westlicher, namentlich habsburgischer Vorbilder – dann zur Konstruktion eines Gründungsmythos der Rjurikiden, also immerhin zu Ansätzen eines positiv besetzten Dynastie-Bewusstseins, das aber durch das Aussterben der Rjurikiden abgeschnitten und von den Romanovs, nach allem, was man weiß, nicht aufgenommen und schon gar nicht ausgebaut wurde. Aufgenommen wurde stattdessen das autokratische Herrschaftsprinzip, und dieses, der Garant der Zarenherrschaft und der Macht Russlands, blieb die entscheidende Bezugsgröße zarischer Politik auch im 18. Jahrhundert. Das autokratische Prinzip der Zarenherrschaft hat sich, wie in diesem Beitrag gezeigt werden konnte, also erheblich auf die Heiratspolitik der Romanovs ausgewirkt. War die Heiratspolitik damit aber auch ein Faktor der europäischen Politik des 18. Jahrhunderts? Insgesamt dürfte ihr Stellenwert als Instrument der auswärtigen oder Machtpolitik geringer gewesen sein als für die meisten anderen Herrscherhäuser, und zwar schon deshalb, weil der Verflechtungsvorsprung der anderen Häuser ja nicht in wenigen Jahrzehnten aufgeholt werden konnte. Vor allem aber ist auf die allgemeinen Veränderungen der mächtepolitischen Strukturen Europas hinzuweisen. Denn dass die dynastische Politik der Romanovs nicht zu einem bedeutenden Faktor der europäischen Politik des 18. Jahrhunderts wurde, dürfte auch mit dem Zeitpunkt zusammenhängen, zu dem das Zarenhaus entschlossen zum Instrument dynastischer Heiraten griff. Die Romanovs erschienen auf dem europäischen Heiratsmarkt ja nicht einfach später als die anderen Häuser, sondern zu Beginn des 18. Jahrhunderts, als gerade der Spanische Erbfolgekrieg ausgetragen wurde. Der Krieg endete mit einem Bedeutungsverlust des dynastischen Erbrechts zugunsten der Vorstellung vom Gleichgewicht der Kräfte, und in den folgenden Jahrzehnten traten die Prinzipien des Gleichgewichts und der Konnivenz zu der mächtepolitischen Wirkung des dynastischen Erbrechts in scharfe Konkurrenz und verdrängten sie überhaupt sehr weitgehend. Auffallend ist doch, dass Peter III. 1743, schon als russischer Thronfolger, auf die Nachfolge in Schweden verzichtete, und zwar doch wohl deshalb, weil er genau wusste, dass er beide Reiche, wiewohl ihm rechtlich zukommend, nicht würde halten können. Der Bedeutungsverlust dynastischer Politik – 80
Dazu grundsätzlich Peter NITSCHE, Großfürst und Thronfolger. Die Nachfolgepolitik der Moskauer Herrscher bis zum Ende des Rjurikidenhauses, Köln/Wien 1972.
Roll, Dynastie und dynastische Politik im Zarenreich
101
oder vielleicht besser: die Verschiebung ihrer Bedeutung hin zu den vor allem kommunikativen Aspekten – beruhte außerdem darauf, dass um die Mitte des 18. Jahrhunderts die Verstaatlichung auswärtiger Politik wie auch die Verfestigung zwischenstaatlicher Beziehungen durch Verträge schon weit fortgeschritten waren, dynastische Verbindungen also kaum noch jene gestaltende Kraft entfalten konnten wie im 16. und 17. Jahrhundert. Ein Übriges zu dieser Bedeutungsverschiebung des Dynastischen dürfte die Aufklärung beigetragen haben, die einen Fortschritt von der Erziehung des Einzelnen und von staatlichen Reformen erwartete, aber gerade nicht vom Denken in dynastischen Kategorien. Die Zaren und Zarinnen des 17. und 18. Jahrhunderts scheinen nach alledem ihrer Unabhängigkeit von allen Bindungen, eben auch den dynastischen, den Vorrang vor weiterer Verflechtung mit den europäischen Herrscherhäusern eingeräumt zu haben. So sollte man denn auch eher von der „Heiratspolitik der Zaren“ sprechen als von „dynastischer Politik der Romanovs“.
Summary There are no matrimonial relations between the Romanovs and the European dynasties until the reign of Peter the Great (1689–1725). During the 17th century the Romanovs arranged marriages chiefly with the Russian nobility, whereas Peter tried to marry younger members of his family to foreign, mainly German princes and princesses. This practice was to become the rule throughout the 18th century. Thus it could happen that Sophie Auguste Friederike of Anhalt-Zerbst, a German princess, reigned over the Russian Empire as tsarina Catherine II, „the Great”, for more than thirty years. And she herself continued with the dynastic marriages by marrying her son Paul to a princess of Württemberg and her grandson to a princess of Baden. We are used to subsume this matrimonial practice under the catchword „Europeanization” of Russia, a new epoch supposed to begin with the reign of Peter the Great: Since then, the tsars are said to have used the instrument of dynastic marriages to enhance their reputation in Europe and to have connected matrimonial with foreign policy – a quite popular device in the Europe of that time. But by closer glance into matters we obtain a somewhat clearer picture. First of all concerning this special part of policy there is no significant difference between the period before and that after Peter. Secondly it is true that dynastic politics in Russian during the 17th and 18th centuries have much in common with those in the rest of Europe. But along with it there are thirdly to be found some specific characteristics of Russian dynastic politics. The idea of the „house” as unity of all branches of a family seems to have
102
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
been less important for the Romanovs than for other European dynasties. This may be due to the autocratic tsar’s tendency to avoid any commitment by his politics. The tsars and tsarinas of the 17th and 18th centuries therefore never chose brides or bridegrooms from dynasties mighty enough to limit the range of Russian foreign policy. Their top priority obviously was their independence from any obligations, even those that followed from matrimonial entanglement with the great European dynasties. Instead of speaking of the „dynastic policy of the Romanovs” we should rather call the phenomenon „matrimonial policy of the tsars”.
Von der Regionalität zum europäischen Konnubium. Sachsen-Coburgs Heiratspolitik zwischen Früher Neuzeit und 19. Jahrhundert Von
Thomas Nicklas Das Herzogtum Sachsen-Coburg-Saalfeld war im Jahre 1796, als sich sein singulärer Aufstieg durch dynastische Heiraten anbahnte, nichts anderes als ein territorialer Splitter, der nach dem Scheitern hochfliegender Pläne der ernestinischen Linie des Hauses Wettin übrig geblieben war. Die wiederholte Anwendung des privatrechtlichen Teilungsprinzips auf den Restbesitz der Ernestiner führte zum Abstieg in die machtpolitische Bedeutungslosigkeit. Stationen dieses Abstieges waren die Schlacht von Mühlberg 1547, der Erfurter Teilungsvertrag von 1572 und die Landesteilung unter den Söhnen Herzog Ernsts des Frommen von Sachsen-Gotha-Altenburg 1680/81. Nach 1547 sahen sich die Söhne des bei Mühlberg Kaiser Karl V. unterlegenen Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen auf den Besitz der Ernestiner in Thüringen um das Zentrum Weimar beschränkt. Nach einem letzten gewaltsamen Aufbegehren des ernestinischen Fürsten Johann Friedrich des Mittleren (1529–1595) gegen diese Umverteilung von Gütern und Geltung zugunsten der albertinischen Linie in Dresden brachte die von Kursachsen mit Unterstützung der Reichsorgane vorgenommene Gothaer Exekution 1567 die endgültige Bestätigung der innerhalb des wettinischen Hauses geltenden Machtverteilung. Um die potentiellen Widersacher weiter zu schwächen, setzte der Dresdner Hof mit dem Erfurter Teilungsrezess von 1572 das Prinzip dynastischer Parzellierung bei den Ernestinern durch, das in der Folge zu jener charakteristischen Buntheit der politischen Geographie führte, von der die Landkarte Thüringens bis 1920 geprägt war1. Ihren Höhepunkt erreichte diese Teilungspraxis nach dem Tod Herzog Ernsts I. des Frommen von Sachsen-Gotha-Altenburg im Jahre 1675. Dieser 1
Willy FLACH, Die staatliche Entwicklung Thüringens in der Neuzeit, in: Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte und Altertumskunde 43 (1941), S. 6–48; Ulrich HESS, Geschichte der Behördenorganisation der thüringischen Staaten und des Landes Thüringen von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zum Jahre 1952, Jena 1993; Kurt G.A. JESERICH [u. a.], Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 1: Vom Spätmittelalter bis zum Ende des Reiches, Stuttgart 1983, S. 808–857; allgemein: Hans PATZE/Walter SCHLESINGER (Hrsg.), Geschichte Thüringens, Bd. 1–6, Köln/Wien 1967–1985. Vgl. auch: Thomas NICKLAS, Das Haus Sachsen-Coburg. Europas späte Dynastie, Stuttgart 2003.
104
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Fürst hatte nochmals einen Großteil des ernestinischen Besitzes in seiner Hand vereinigt. Einige Jahre nach seinem Ableben schritten seine sieben Söhne und Nachfolger zu einer erneuten Landesteilung, die trotz einer fortdauernden Anbindung der nun entstehenden Teilterritorien (Gotha, Coburg, Meiningen, Römhild, Eisenberg, Hildburghausen, Saalfeld) an das politische Oberzentrum Gotha zu einer völligen Aufsplitterung und Selbstentmachtung des thüringischen Hauptzweiges der Wettiner führte. Aus dieser thüringischen Landesteilung von 1680/81 gingen unter anderem hervor das kurzlebige Fürstentum Sachsen-Coburg, das mit dem Tod seines kinderlosen Inhabers Herzog Albrecht (1648–1699) wieder erlosch, sowie Sachsen-Saalfeld unter dem jüngsten der Brüder, Johann Ernst (1658–1729), der aufgrund seiner erbrechtlich ungünstigen Position lediglich eine sehr beschränkte fürstliche Eigenherrschaft erhalten hatte2. Ihm unterstanden die in Südthüringen gelegenen Ämter Saalfeld, Gräfenthal, Probstzella und das Städtchen Lehesten, doch blieb er auch für dieses Fürstentum en miniature zwischen Thüringer Wald und Frankenwald von den gesamternestinischen Regierungsbehörden in Gotha und Altenburg abhängig3. 1. Aktionsradien der Hauspolitik in der Frühen Neuzeit Jenes um 1700 überaus unbedeutende „Herzogtum“ Sachsen-Saalfeld sollte ein Jahrhundert später zum Ausgangspunkt eines erstaunlichen dynastischen Wiederaufstieges werden. Der Landesherr Johann Ernst bemühte sich um die Erweiterung seiner so schmalen Machtbasis, indem er den Erwerb des seit 1699 vakanten Fürstentums Sachsen-Coburg betrieb. Die Durchsetzung dieser Erbansprüche gelang ihm in enger Anlehnung an den Wiener Hof. Nach mehreren Urteilssprüchen des Reichshofrats und kaiserlichen Interventionen gegen unwillige thüringische Fürsten kam es 1735 endgültig zum Anfall Coburgs an das Saalfelder Herzogshaus4. Dieses nunmehr von der Residenz2
Rainer HAMBRECHT, Der Hof Herzog Albrechts III. von Sachsen-Coburg (1680–1699) – eine Barockresidenz zwischen Franken und Thüringen, in: Kleinstaaten und Kultur in Thüringen vom 16. bis 20. Jahrhundert, Köln 1994, S. 161–185; Paul ARNOLD, Das Fürstentum Sachsen-Saalfeld und die Münzprägung unter Herzog Johann Ernst (1680–1729), in: Aspekte thüringisch-hessischer Geschichte, hrsg. von Michael Gockel, Marburg 1992, S. 147–166; DERS., Johann Ernst (VII.), Herzog von Sachsen-Saalfeld 1680–1729, in: Herrscher und Mäzene. Thüringer Fürsten von Hermenefred bis Georg II., hrsg. von Detlef Ignasiak, Jena 1994, S. 243–260. 3 Landesbeschreibungen des 18. Jahrhunderts in: Friedrich Gottlob LEONHARDI, Erdbeschreibung der Churfürstlich und Herzoglich-Sächsischen Lande, Bd. 4, Leipzig 1806, S. 855–928; Johann Gerhard GRUNER, Historisch-Statistische Beschreibung des Fürstenthums Coburg Sachsen-Saalfeldischen Antheils, 1. Band, Coburg 1793. 4 Siegrid WESTPHAL, Kaiserliche Rechtsprechung und herrschaftliche Stabilisierung. Reichsgerichtsbarkeit in den thüringischen Territorialstaaten 1648–1806, Köln [u. a.] 2002, S. 148–154, 180–248.
Nicklas, Von der Regionalität zum europäischen Konnubium
105
stadt Coburg aus regierte dynastische Konglomerat hatte noch um die Mitte des 18. Jahrhunderts einen erheblich eingeschränkten politischen Aktionsradius. Eingebunden in das politische System des Obersächsischen Reichskreises, in dem der Dresdner Hof zumindest bis zum Beginn des Siebenjährigen Krieges eine indirekte Kontrolle ausüben konnte5, sah sich Sachsen-CoburgSaalfeld einer fixierten Machtverteilung gegenüber, in der selbst der Aufstieg um eine Stufe der Macht, wie der endgültige Anfall Coburgs 1735 an das Saalfelder Herzogshaus, nur dank nachhaltiger externer Eingriffe erfolgen konnte, nämlich mit der massiven Unterstützung durch die Wiener Reichsorgane. Die Heiratsverbindungen Sachsen-Coburg-Saalfelds im Laufe des 18. Jahrhunderts bieten ein getreues Bild vom Rang der Familie6. Zwar gelang es den Nachkommen sächsischer Kurfürsten im Thüringer Kleinstterritorium, ihren reichsfürstlichen Rang durch ein entsprechendes Konnubium zu bekräftigen, doch mussten sie sich mit Heiratspartnern begnügen, deren Häuser ebenfalls am Ende der Skala fürstlicher Geltung und Machtentfaltung standen7. Der bereits erwähnte Begründer des Hauses Sachsen-Coburg-Saalfeld, Johann Ernst (1658–1729), war in erster Ehe mit Sophie Hedwig von SachsenMerseburg (1660–1686) aus einer albertinischen Sekundogeniturlinie vermählt, in zweiter Ehe mit Charlotta Johanna von Waldeck (1664–1699) aus reichsgräflichem, erst 1711 gefürstetem Hause. Die beiden Töchter Johann Ernsts heirateten in die Häuser Hanau (-Lichtenberg) und Schwarzburg (-Rudolstadt). 5 Thomas NICKLAS, Macht oder Recht. Frühneuzeitliche Politik im Obersächsischen Reichskreis, Stuttgart 2002, S. 315–330. 6 Untersuchungen zum adligen Heiratsverhalten in Mittelalter und Früher Neuzeit im Allgemeinen: Friedrich Wilhelm EULER, Wandel des Konnubiums im Adel des 15. und 16. Jahrhunderts, in: Deutscher Adel 1430–1555, hrsg. von Hellmuth Rössler, Darmstadt 1965, S. 58–94; Karl-Heinz SPIESS, Familie und Verwandtschaft im deutschen Hochadel des Spätmittelalters, Stuttgart 1993; Tobias WELLER, Die Heiratspolitik des deutschen Hochadels im 12. Jahrhundert, Köln [u.a.] 2004. Für frühneuzeitliche Dynastien: Karl VOCELKA, Habsburgische Hochzeiten 1550–1600, Wien [u. a.] 1976; Alfred KOHLER, „Tu Felix Austria Nube“. Vom Klischee zur Neubewertung dynastischer Politik in der neueren Geschichte Europas, in: Zeitschrift für Historische Forschung 21 (1994), S. 461–482; Peter MORAW, Das Heiratsverhalten im hessischen Landgrafenhaus ca. 1300 bis ca. 1500 – auch vergleichend betrachtet, in: Hundert Jahre Historische Kommission für Hessen 1897–1997, Erster Teil, Marburg 1997, S. 115–140. Ferner auch: Hermann WEBER, Die Bedeutung der Dynastien für die Geschichte in der Frühen Neuzeit, in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 44 (1981), S. 5–32. 7 Das Heiratsverhalten der Ernestiner in der Frühen Neuzeit bleibt systematisch aufzuarbeiten. Für die gräflichen Häuser Thüringens (Schwarzburg, Stolberg, Reuß, Schönburg) liegt nunmehr eine Untersuchung vor: Vinzenz CZECH, Legitimation und Repräsentation. Zum Selbstverständnis thüringisch-sächsischer Reichsgrafen in der Frühen Neuzeit, Berlin 2003, S. 128–211; vgl. auch: DERS., Herren – Grafen – Fürsten. Zum dynastischen Selbstverständnis des Hauses Reuß in der Frühen Neuzeit, in: Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte 57 (2003), S. 55–88. Einige Beobachtungen in: Thomas NICKLAS, Prosopographie eines Reichspolitikers: Johann Casimir von Sachsen-Coburg (1564–1633), in: Neues Archiv für Sächsische Geschichte 66 (1995), S. 127–145.
106
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
So wurden die Konturen einer regional geprägten fürstlichen Heiratslandschaft erkennbar. Gerade zu der 1710 gefürsteten und unmittelbar benachbarten Rudolstädter Linie der Schwarzburger gestalteten sich die Beziehungen besonders eng8. Auch Johann Ernsts seit 1729 in Coburg regierender Sohn Franz Josias (1697–1764) heiratete 1723 eine schwarzburgische Prinzessin aus Rudolstadt. Nach der definitiven Erwerbung Coburgs für das Haus 1735 schien sich um die Mitte des 18. Jahrhunderts dessen Aufstieg anzubahnen, der sich am steigenden Prestige der Heiratspartner seiner Angehörigen erkennen ließ. Franz Josias’ Tochter Friederika Carolina (1735–1791) heiratete 1754 den künftigen regierenden Markgrafen von Brandenburg-Ansbach aus der fränkischen Hohenzollernlinie, ihre Schwester Charlotte Sophie (1731–1810) vermählte sich 1755 mit Ludwig von Mecklenburg-Schwerin (1725–1778). Als Anzeichen des Aufstiegs mit den Mitteln der Heiratspolitik könnte schließlich auch die 1749 geschlossene Ehe des Coburger Erbprinzen Ernst Friedrich (1724–1800) mit Sophie Antoinette von Braunschweig-Wolfenbüttel (1724–1802) gewertet werden. Immerhin waren deren Schwestern wiederum durch Heirat an die königlichen Höfe von Dänemark und Preußen gelangt9. Glanzvolle dynastische Heiraten mussten jedoch nicht immer hauspolitisch von Vorteil sein. So heißt es von Sophie Antoinette, sie habe sich bemüht, mit ihren Schwestern in Kopenhagen und Berlin zu wetteifern. Ihre Repräsentationsansprüche überforderten bei weitem die Möglichkeiten des bescheidenen Coburger Hofes. Im Verein mit dem finanzpolitischen Ungeschick des ab 1764 die Regierung führenden Herzogs Ernst Friedrich bewirkten die überspannten Maßnahmen zur fürstlichen Selbstdarstellung ein Abgleiten in die Krise, die 1773 dem Herzogshaus einen Offenbarungseid abnötigte. Der Reichshofrat beschloss daraufhin die Einsetzung einer kaiserlichen Debitkommission, die zur Sanierung der fürstlichen Finanzen die Kontrolle über alle Verwaltungsgeschäfte in Coburg übernahm10. Dieser finanzielle und politische Absturz erzwang eine Anpassung der fürstlichen Heiratsstrategie, die nun wieder das engere thüringische Umfeld bevorzugte. Erbprinz Franz Friedrich Anton (1750–1806) verband sich in erster Ehe mit einer Prinzessin aus der benachbarten ernestinischen Linie Sachsen-Hildburghausen. Nach 8 Zum heiratspolitischen Kalkül bei den Schwarzburgern: CZECH, Legitimation und Repräsentation (Anm. 7), S. 163. 9 Sophie Antoinette war eine der Töchter des Herzogs Ferdinand Albrecht von Braunschweig-Bevern-Wolfenbüttel (1680–1735). Ihre Schwester Elisabeth Christine (1715–1797) war seit 1733 mit dem Kronprinzen Friedrich [II.] von Preußen verheiratet, die jüngere Juliane Marie (1729–1796) ehelichte im Jahre 1752 König Friedrich V. von Dänemark. 10 Johann Adolph von SCHULTES, Sachsen-Coburg-Saalfeldische Landesgeschichte, 3. Bd., Coburg 1822, S. 48–60; vgl. auch Christian KRUSE, Franz Friedrich Anton von SachsenCoburg-Saalfeld (1750–1806), in: Jahrbuch der Coburger Landesstiftung 40 (1995), S. 1–448, hier: S. 18–21.
Nicklas, Von der Regionalität zum europäischen Konnubium
107
dem frühen Tod seiner ersten Frau schloss er 1777 die Ehe mit Auguste von Reuß-Ebersdorf (1757–1831) aus der jüngeren Linie des reußischen Grafenhauses, welche erst 1790 in den Reichsfürstenstand erhoben werden sollte11. Die Nachkommen aus dieser Verbindung werden dann freilich nach den Verwerfungen der revolutionären und napoleonischen Zeit eine Schlüsselposition in den Konstellationen des europäischen Hochadels einnehmen. Dies ist die unmittelbare Folge der dynastischen Revolution von 1796, die zu einer radikalen Steigerung von Rang und Aktionsradius des Coburger Fürstenhauses und zum Übergang von der Regionalität zum europäischen Dynastizismus führte12. Am 26. Februar 1796 fand im Winterpalais zu St. Petersburg die Hochzeit zwischen Großfürst Konstantin von Russland (1779–1831) und Juliane von Sachsen-Coburg-Saalfeld (1781–1860) statt, die den von den Zeitgenossen viel beachteten Aufstieg des Hauses Coburg initiierte. Dieser dynastiepolitische Übergang zur Großräumigkeit war letztlich vom Kriegsdienst vorbereitet worden, den die nachgeborenen Söhne der Fürstenfamilie dem Kaiser leisteten. Bereits der Stammvater Johann Ernst hatte am Anfang des 18. Jahrhunderts diese Tradition begründet, indem er seine drei Söhne 1717 in Ungarn gegen die Türken und 1719 in Italien gegen die Spanier für Habsburg kämpfen ließ, nicht zuletzt um sich auf diese Weise die Unterstützung Wiens in den innerthüringischen Erbfolgestreitigkeiten zu sichern. Dieser dynastischen Vorgabe folgend, trat auch der coburgische Prinz Friedrich Josias (1737–1815) in die militärischen Dienste des Kaisers ein13. Dieser jüngere Bruder des regierenden Herzogs Ernst Friedrich verdankte es der Heirat seiner Schwester mit dem Markgrafen von Brandenburg-Ansbach, dass er bereits im Alter von 17 Jahren Rittmeister im kaiserlichen Kürassierregiment „Ansbach“ wurde. Nach erfolgreicher Teilnahme am Siebenjährigen Krieg und verschiedenen Kommandos in Ungarn, Böhmen und Galizien führte er als österreichischer Feldmarschall die Truppen Habsburgs im Krieg gegen die Türken 1788–1791, den Kaiser Joseph II. als Verbündeter Russlands begonnen hatte. Mit dem Namen des Coburgers verbanden sich die Siege der kaiserlichen Truppen in den Schlachten bei Focşani (1. August 1789) und bei Martineşti (22. September 1789), die den Ausgang des Feldzugs in der Walachei entschieden und den Österreichern die Besetzung Bukarests ermöglichten. Auf 11 12 13
KRUSE, Franz Friedrich Anton (Anm. 10), S. 82–133. Aus Coburger Sicht aufgearbeitet bei: KRUSE, Franz Friedrich Anton (Anm.10), S. 236–265. Helmut R. HAMMERICH, Reichs-General-Feldmarschall Prinz Friedrich Josias von Sachsen-Coburg-Saalfeld 1737–1815. Eine biografische Skizze, Sonnefeld 2001; zuvor bereits: DERS., ‚Vivat hoch, Prinz Coburg lebe...’ Prinz Friedrich Josias von SachsenCoburg-Saalfeld. K. k. und des Röm. Reichs-General-Feldmarschall 1737–1815, in: Jahrbuch der Coburger Landesstiftung 45 (2000), S. 121–166; daneben teils überholt: August von WITZLEBEN, Prinz Friedrich Josias von Coburg-Saalfeld, Herzog zu Sachsen, k. k. und des Heiligen Römischen Reiches Feldmarschall, 3 Bde., Berlin 1859.
108
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
die zeitliche Koinzidenz dieser in Wien mit erheblichem Aufwand gefeierten Schlachtensiege mit den entscheidenden Ereignissen der Französischen Revolution sei hier nur hingewiesen. Auch das Haus Sachsen-Coburg feierte den Prinzen bei dessen Besuch in der Heimat im Februar 1791, hatte er doch „Coburgs Namen in allen Theilen der Erde rühmlichst bekannt gemacht“14. Für die finanziell in größte Bedrängnis geratene Fürstenfamilie boten die militärischen Erfolge Friedrich Josias’ auf dem Balkan einen Anlass zur Identifikation und die Hoffnung auf einen Aufbruch des Hauses aus seiner misslichen Lage. In der Tat hatte der Prinz aus Coburg auch bei den russischen Verbündeten nachhaltiges Prestige geerntet. Russland verstand es dabei anders als Österreich, aus dem Türkenkrieg territorialpolitische Vorteile zu ziehen (Friede von Jassy 1792). Der Ruhm des Friedrich Josias, der ab 1792 die am Rhein stationierten kaiserlichen Truppen befehligte, hielt am Petersburger Hof in den folgenden Jahren weiterhin an. Hier muss freilich die Frage offen blieben, wer letztlich das dynastiepolitische Agieren des russischen Kaiserhauses in diesen Jahren gesteuert hat. Es spricht viel dafür, dass es nicht so sehr die alternde Zarin Katharina war, sondern vielmehr die Gemahlin des Thronfolgers und späteren Kaisers Paul, Prinzessin Sophie Dorothee von Württemberg (1759–1828), die sich seit ihrer Verheiratung in Russland 1776 Maria Fjodorowna nannte. Als Stammmutter des russischen Kaiserhauses im 19. Jahrhundert hat sie die dynastischen Beziehungen zu den deutschen Höfen ausgebaut. Neben Baden, Sachsen-Weimar und Württemberg geriet dabei auch das kleine Herzogtum Sachsen-Coburg-Saalfeld ins Visier der Petersburger Heiratspolitik15. Für die Romanows als europäische Randdynastie mag in diesem Zusammenhang auch die erstrebte Integration in die Großfamilie der Herrscherhäuser Europas eine Rolle gespielt haben. Die ernestinischen Wettiner trugen als einst kurfürstliches Haus hochwertiges genealogisches Gepäck mit sich, für die biologische Tüchtigkeit Sachsen-Coburgs standen die kriegerischen Erfolge Friedrich Josias’ ebenso wie die zahlreichen Nachkommen seines Neffen, des Erbprinzen Franz Friedrich Anton, aus dessen Ehe mit der Reußin Auguste sieben das Kindesalter überlebende Nachkommen hervorgingen, nämlich Sophie (geb. 1778), Antoinette (geb. 1779), Juliane (geb. 1781), Ernst (geb. 1784), Ferdinand (geb. 1785), Victoire (geb. 1786) und Leopold (geb. 1790). Auf die drei erstgeborenen Töchter richtete sich denn auch das Augenmerk von Emissären des Petersburger Hofes, die 1795 in Coburg erschienen waren, 14
So in: Beschreibung der Feierlichkeiten bey der hohen Ankunft und Aufenthalt Se. Durchlaucht des Prinzen Friedrich Josias, Coburg 1791, S. 26. Vgl. auch: Sammlung der deutschen Siegsgesänge, Oden und Lieder dem Helden Friedrich Josias Herzog zu Sachsen CoburgSaalfeld [...] gewidmet von dessen Verehrern im Aus- und Vaterlande, Coburg 1791. 15 Erich DONNERT, Katharina II. die Große (1729–1796). Kaiserin des Russischen Reiches, Regensburg 1998, S. 325f.
Nicklas, Von der Regionalität zum europäischen Konnubium
109
nicht nur um dem Feldmarschall Friedrich Josias ihre Aufwartung zu machen, der sich nach der Niederlage von Fleurus im Vorjahr von seinem Kommando gegen das revolutionäre Frankreich zurückgezogen hatte16. Dabei kennzeichnete die sich anbahnende Heiratsallianz zwischen den beiden so verschiedenen Höfen von Petersburg und Coburg von Beginn an ein enormes Machtgefälle. Dieses war an den eigentümlichen Modalitäten ablesbar, denen sich der schwächere Part zu fügen hatte. So reiste die coburgische Erbprinzessin Auguste mit ihren drei älteren Töchtern ins ferne Russland17, wo Großfürst Konstantin selbst eine Auswahl traf, indem er sich für Juliana als die jüngste der angereisten Prinzessinnen entschied. Diese blieb dann auch am russischen Hof zurück, verzichtete zugunsten des orthodoxen Bekenntnisses auf das in ihrem Haus angestammte Luthertum und hatte sich der neuen Umgebung völlig zu akkulturieren18. Dafür trafen Geldgeschenke der Zarin Katharina in Thüringen ein, die das Finanzwesen des Herzogtums SachsenCoburg-Saalfeld stabilisierten, so dass 1801/02 die kaiserliche Zwangsschuldenverwaltung über das Land aufgehoben werden konnte19. 2. Heiratspolitik als Praxis dynastischer Expansion Die Hochzeit zwischen Prinzessin Juliana und Großfürst Konstantin in St. Petersburg im Februar 1796 bedeutete für Coburg eine dynastische Revolution, also eine überragende Steigerung des symbolischen Ranges und des politischen Aktionsradius dieser Familie. Das Jahr 1796 markiert somit den Ausbruch einer ganzen Generation coburgischer Prinzen und Prinzessinnen aus der Enge des regionalen Konnubiums in eine europäische Heiratslandschaft und damit eben auch eine Mehrung individueller Lebenschancen. Dieser Übergang von der Regionalität zur europäischen Dynastizität brachte unmittelbar finanzielle Vorteile und mittelbar eine günstige strategische Positionierung der Familie, aus der in der Zukunft Gewinn zu ziehen war. Eine Be16 17
KRUSE, Franz Friedrich Anton (Anm. 10), S. 236–265. Dazu als wichtige Quelle: Werner Konstantin von ARNSWALDT, Petersburger Tagebuch der Frau Erbprinzessin Auguste Karoline Sophie von Sachsen-Coburg-Saalfeld, geborenen Gräfin Reuß jüngere Linie, Gräfin und Herrin zu Plauen, aus dem Hause Ebersdorff 1795, Darmstadt 1907. Ausgewertet bei: Gertraude BACHMANN, Die Reise der Coburger Erbprinzessin Auguste Caroline Sophie an den Hof der Zarin Katharina II. in St. Petersburg 1795, in: Jahrbuch der Coburger Landesstiftung 37 (1992), S. 13–60. 18 Nach ihrer Heirat mit Konstantin Pawlowitsch nahm sie den Namen Anna Feodorowna an. Sie verließ Russland im Jahre 1813 (Scheidung 1820), um sich in der Schweiz niederzulassen: ALVILLE (Alix von Wattenwyl), La vie en Suisse de S.A.I. La Grande-Duchesse Anna Feodorovna née Princesse de Saxe-Cobourg-Saalfeld, Lausanne 1942 [dt. 1947]; DIES., Elfenau. Die Geschichte eines bernischen Landsitzes und seiner Bewohner, Bern 1959. 19 Zu den Verwaltungsreformen unter Franz Friedrich Anton: Klaus von ANDRIANWERBURG, Der Minister von Kretschmann. Versuch einer Staatsorganisation in SachsenCoburg-Saalfeld, in: Jahrbuch der Coburger Landesstiftung 10 (1965), S. 27–88.
110
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
schreibung dieses Phänomens kommt an biographischen Einzeltatsachen und genealogischen Zusammenhängen nicht vorbei. Ob sich im Verlauf dieser Betrachtungen Signifikantes oder eher Triviales vorfinden lässt, muss am Ende des Parcours entschieden werden. Die Außergewöhnlichkeit des Phänomens jedenfalls wird niemand in Frage stellen. Die Ausdehnung des coburgischen Konnubiums um 1800 setzte die Spirale des Aufstiegs in Bewegung und mehrte den Rang des Geschlechtes. Der Übergang zur europäischen Heiratspolitik ermöglichte und begünstigte die persönlichen Karrieren einzelner Mitglieder der Dynastie in dieser Zeit der Neuformierung des Hochadels in Europa nach den Umwälzungen der Französischen Revolution. Die Ereignisse seit 1789 hatten zweifellos die dynastische Ordnung des Kontinents schwer erschüttert, doch vollzog sich gleichzeitig auch eine Erneuerung des Dynastizismus. Reichlich ein Jahrzehnt nach der Hinrichtung König Ludwigs XVI. von Frankreich 1793 begann Napoleon bereits wieder mit der politischen Bedeutung der Ehen von Prinzen und Prinzessinnen zu spielen. Durch Heiratsverbindungen mit regierenden Häusern sollte dem Clan der Bonapartes Legitimität und Kontinuität zugeführt werden, als es an beidem zuvörderst mangelte. Inmitten der vielfach in Bewegung geratenen europäischen Adelswelt des frühen 19. Jahrhunderts wussten die „Coburger“ die sich bietenden Gelegenheiten zu nutzen. In ihnen verband sich als Rezeptur eines singulären Erfolges das Legitimationspotential einer alten Dynastie mit der Adaptionsfähigkeit einer zum Aufstieg entschlossenen Familie. Auch für das Haus Sachsen-Coburg lässt sich folglich von einer Generation des Jahres 1806 sprechen. Es handelt sich dabei um die Söhne und Töchter des Herzogs Franz Friedrich Anton und der Auguste von Reuß, in deren Jugendjahren die Reichsordnung zerfiel und die alteuropäische Adelsherrschaft heftig erschüttert wurde. Man mag es gleichsam als symbolischen Vorgang werten, wenn sich die herzogliche Familie im Oktober 1806 im Schloss zu Saalfeld inmitten des Gefechts zwischen preußischen und französischen Truppen wiederfand, in dessen Verlauf auch Prinz Louis Ferdinand von Preußen ums Leben kam20. Franz Friedrich Anton von Sachsen-CoburgSaalfeld war den Aufregungen der Kriegszeit nicht gewachsen und starb bald darauf. Sein Erbe, Herzog Ernst I., war mit der von Napoleon geschlagenen preußischen Armee weit nach Osten ausgewichen und befand sich im Winter 1806/07 schwer erkrankt und handlungsunfähig im ostpreußischen Königsberg. Sein Fürstentum wurde von den französischen Truppen besetzt und kam unter napoleonische Verwaltung21. In diesen überaus schwierigen Verhältnissen hat das Haus nicht nur seine Selbstbehauptung organisiert, sondern 20 Die Einzelheiten bei: Eckart KLESSMANN, Prinz Louis Ferdinand von Preußen, 1772– 1806. Gestalt einer Zeitenwende, München 21978, S. 223–242. 21 Philipp Carl Gotthard KARCHE, Jahrbücher der Herzoglich Sächsischen Residenzstadt Coburg von 741–1822, Bd. 2, Coburg 1825, S. 137–139 und Bd. 3, Coburg 1853, S. 492–500.
Nicklas, Von der Regionalität zum europäischen Konnubium
111
auch den Aufstieg vorbereitet, wenngleich der Fortbestand des kleinen thüringischen Herzogtums nur dank der Fürsprache des russischen Verwandten Zar Alexander I. im Frieden von Tilsit gesichert werden konnte22. Zu dieser coburgischen Generation 1806, den Trägern des dynastischen Erfolgs, gehörten jene drei wettinischen Prinzessinnen, die 1795 die weite Reise nach St. Petersburg angetreten hatten, sowie Ernst I., der 1807 nach dem Tilsiter Frieden die Herrschaft in Coburg und Saalfeld übernehmen konnte. Das Augenmerk soll hier jedoch aus gutem Grund auf die drei jüngsten Angehörigen des Hauses gerichtet werden, die dem Erfolg Sachsen-Coburgs Dauer verliehen. Sie verkörperten das heiratspolitische Potential Coburgs, bei dem sich die Dynamisierung der dynastischen Verhältnisse auswirken konnte, wie sie jene erwähnte Petersburger Hochzeit von 1796 bewirkte. Dies gilt freilich nicht für den regierenden Herzog Ernst I. (1784–1844) selbst, der die Tradition des regionalen Konnubiums fortführte, indem er 1817 Dorothea Louise von Sachsen-Gotha-Altenburg (1800–1831) ehelichte. Hauspolitisch unbedeutsam war allerdings auch diese Eheschließung nicht, sicherte sie doch den Anfall des Gothaer Landesteils an Coburg ab, nachdem die dort regierende ernestinische Linie 1825 erloschen war. Bei der letzten thüringischen Landesteilung von 1826 verzichtete Ernst I. zugunsten Gothas auf die Saalfelder Stammlande des Herzogshauses. Da die beiden Gebietsteile jedoch weiterhin nicht nur geographisch, sondern auch administrativ gesondert blieben, nannten sich Herzogtum und Haus nun Sachsen-Coburg und Gotha23. Größte Aufmerksamkeit verdienen jedoch die jüngeren Geschwister Herzog Ernsts, auf denen der weitere dynastische Aufstieg beruhte. Da ist zum einen Prinz Ferdinand (1785–1851), der von der Familientradition darauf festgelegt war, als Offizier in die Dienste des Hauses Österreich einzutreten. Davon abgesehen, wird man aber in seiner 1816 geschlossenen Ehe mit Maria Antonia Gabriele Koháry (1797–1862) aus einer der reichsten ungarischen Magnatenfamilien einen eigenständigen Beitrag zur dynastischen Strategie sehen können. Damit wurde nämlich ein in der österreichischen Monarchie beheimateter katholischer Zweig des Hauses Sachsen-Coburg begründet, der den Aktionsradius der Hauspolitik in die romanischen und katholischen Länder West- wie Südeuropas erweiterte. Die Ergebnisse traten bereits bei Ferdinands gleichnamigem ältestem Sohn zu Tage. Jener Ferdinand von Sachsen-Coburg-Koháry (1816–1885) heiratete am 9. April 1836 in 22
Ernst KEERL, Herzog Ernst I. von Sachsen-Coburg zwischen Napoleon und Metternich. Ein deutscher Kleinstaat im politischen Kräftespiel der Großmächte 1800–1830, Diss. Erlangen 1973, S. 87–92. 23 Vgl. besonders: Harald BACHMANN, Ernst I., Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha, in: IGNASIAK, Herrscher und Mäzene (Anm. 2), S. 375–393; Detlef SANDERN, Parlamentarismus in Sachsen-Coburg-Gotha (sic, T.N.) 1821/26–1849/52. Coburger Konstitutionalismus – Parlament und Regierung in einem mitteldeutschen Kleinstaat, in: Schriften zur Geschichte des Parlamentarismus in Thüringen 7, Weimar/Jena 1996, S. 9–177.
112
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Lissabon die junge portugiesische Königin Maria II. da Glória (1819–1853). Der am 1. Dezember 1835 in Coburg geschlossene Ehevertrag enthielt die Bestimmung, dass der Prinz in Portugal eine jährliche Unterhaltssumme von 9000 Pfund Sterling erhalten sollte, die bei der Geburt eines Thronfolgers verdoppelt würde24. Dann sollte er auch den Königstitel erhalten. Diese Festsetzung sagt viel aus über die Erwartungen, die sich an den Prinzen aus dem ungarischen Zweig Sachsen-Coburgs richteten. Seit 1837 vertragsgemäß Titularkönig von Portugal und Mitregent (rei-consorte) der Monarchin, wurde der Prinz aus Ungarn zum Stammvater des Königshauses CoburgBragança, das sich bis zur Proklamierung der Republik 1910 auf dem portugiesischen Thron behaupten konnte. Ein weiterer Dynastiegründer ging zudem aus der Linie Sachsen-Coburg-Koháry hervor. Es war dies Ferdinand (1861–1948), der wiederum gleichnamige Neffe des Titularkönigs von Portugal. Er wurde 1887 Fürst von Bulgarien. Das Fürstentum in Südosteuropa war auf dem Berliner Kongress 1878 von den Großmächten ins Leben gerufen worden. Trotz politischer Instabilität und nationaler Irredentismen behauptete sich der katholische Coburger auf dem Thron in Sofia25. Seit 1893 mit Marie-Louise von Bourbon-Parma aus 1859 depossediertem italienischem Hause vermählt, wurde er zum Ursprung einer späten Dynastie auf dem Balkan. Seine freilich nicht dauerhaften politischen Erfolge krönte er 1908 mit der Erhebung Bulgariens zum Königreich. Schließlich ist auf Prinzessin Victoire (1786–1861) besonders zu verweisen. Sie hatte sich in erster Ehe 1803 mit dem Fürsten Emich Carl von Leiningen (1763–1814) verbunden. Nach dessen Ableben schloss sie auf Betreiben ihres Bruders Leopold 1818 eine zweite Ehe mit Herzog Edward von Kent (1767–1820), zu diesem Zeitpunkt einer der Anwärter auf den Thron von Großbritannien und Irland. Bekanntlich wurde sie somit zur Mutter der 1819 geborenen Victoria, seit 1837 Königin von England. Deren eheliche Verbindung mit dem Prinzen Albert von Sachsen-Coburg und Gotha (1819– 1861), dem jüngeren Sohn Herzog Ernsts I., knüpfte die Beziehungen zwischen dem britischen Königshaus und den Coburgern im 19. und frühen 20. Jahrhundert besonders eng26. Erst im Verlauf des Ersten Weltkriegs sollte 24 Eugène GOBLET D’ALVIELLA, L’Etablissement des Cobourg en Portugal. Etude sur les débuts d’une monarchie constitutionelle, Paris 1869, S. 105; Marion EHRHARDT, Dom Fernando II – um mecenas alemão Regente de Portugal, Porto 1985; José TEIXEIRA, D. Fernando II. Rei – Artista, Artista – Rei, Lisboa 1986. 25 Stephen CONSTANT, Foxy Ferdinand 1861–1948. Tsar of Bulgaria, London 1979; Joachim von KÖNIGSLÖW, Ferdinand von Bulgarien. Vom Beginn der Thronkandidatur bis zur Anerkennung durch die Großmächte 1886 bis 1896, München 1970; Helmut Wilhelm SCHALLER, Ferdinand I. von Bulgarien im Coburger Exil 1918–1948, in: Archiv für die Geschichte von Oberfranken 79 (1999), S. 333–366. 26 Der erste Biograph Prinz Alberts war dessen Sekretär Grey, dessen Darstellung immer noch erheblichen Wert besitzt: Charles GREY, The early years of His Royal Highness The Prince Consort, compiled under the direction of Her Majesty the Queen, London 1867
Nicklas, Von der Regionalität zum europäischen Konnubium
113
dann das Band zwischen London und Coburg/Gotha gelöst werden. Es war die symbolische Bekundung dieser dynastischen Sezession, wenn das Königshaus in England 1917 den Namen Windsor annahm27. Ausführlicher ist Prinz Leopold (1790–1865) zu erwähnen, der Jüngste aus der Coburger Fürstengeneration von 1806. Bekanntlich hat er in Belgien ein königliches Haus begründet, das seit 1831 trotz historischer Brüche und der Infragestellung der Monarchie nach dem Zweiten Weltkrieg fortbesteht28. Sein Lebensweg schien ihn zunächst auf eine herausgehobene Rolle in Großbritannien zu verweisen. Seit 1816 Ehemann der Tochter des Prinzen von Wales und präsumtiven englischen Thronfolgerin Charlotte (1796–1817), bedeutete deren früher Tod im folgenden Jahr auch einen schweren Rückschlag für seine persönlichen Hoffnungen und Erwartungen. Seinem diplomatischen Geschick und seiner Vertrautheit mit den Entscheidungswegen britischer Politik hatte es Leopold jedoch zuzuschreiben, wenn er den die Geschäfte Europas führenden Großmächten ab 1824 als geeigneter Anwärter für vakante Throne in neuen Staaten erschien, zunächst in Griechenland, dann zuletzt in Belgien. Im Juli 1831 in Brüssel zum König der Belgier proklamiert, wurde der konstitutionelle Monarch im liberalen Kleinstaat, der zudem unter der Kuratel der misstrauischen Großmächte stand, zum aktiven Dynastiepolitiker, der Defizite seiner königlichen Machtstellung innerhalb des politischen Systems der parlamentarischen Monarchie in Belgien durch eine europaweite Offensive mit den Mitteln des Dynastizismus kompensierte. Die hauspolitischen Erfolge, die sich an den dynastischen Hochzeiten in Lissabon 1836 und in London 1840 ablesen ließen, waren letztlich seiner persönlichen Initiative und seinem Einfluss bei den Kabinetten der Großstaaten zuzuschreiben. Nicht Coburg, sondern Brüssel diente ab 1831 als Mittelpunkt dynastischer Politik. Dort liefen die Fäden coburgischer Hauspolitik zusammen, so dass sogar die emphatische Redeweise vom „Weltgebäude Koburger Familienmacht“ aufkommen konnte, das sich an den Kern des kleinstaatlichen Königtums kristallisierte29. Leopold nahm im Jahre 1832 die [dt. 1868]. Von der seither erschienenen Literatur sei lediglich genannt: Hermione HOBPrince Albert: His Life and Work, London 1983; Hans-Joachim NETZER, Albert von Sachsen-Coburg und Gotha. Ein deutscher Prinz in England, München 21997. 27 Rainer HAMBRECHT, Eine Dynastie – zwei Namen: „Haus Sachsen-Coburg und Gotha“ und „Haus Windsor“. Ein Beitrag zur Nationalisierung der Monarchien in Europa, in: Gestaltungskraft des Politischen. Festschrift für Eberhard Kolb, hrsg. von Wolfram Pyta, Berlin 1998, S. 283–304. 28 Gilbert KIRSCHEN, Léopold avant Léopold Ier: la jeunesse romantique d’un prince ambitieux, Bruxelles 1998; Ernst Gerhart FÜRSTENHEIM, Die englischen Jahre des Prinzen Leopold, in: Jahrbuch der Coburger Landesstiftung 33 (1988), S. 55–172; Olivier DEFRANCE, Léopold Ier et le clan Cobourg, Bruxelles 2004; André MOLITOR, La fonction royale en Belgique, Bruxelles 21994; Jean STENGERS, L’action du roi en Belgique depuis 1831. Pouvoir et influence, Louvain-la-Neuve 1992. 29 Vgl. die insgesamt zuverlässige, gelegentlich aber doch übertreibende Darstellung von Egon Cäsar CORTI, Leopold I. von Belgien. Sein Weltgebäude Koburger Familienmacht. HOUSE,
114
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
französische Prinzessin Louise Marie von Orléans (1812–1850) zur Frau, die Tochter des Bürgerkönigs Louis Philippe, der durch die Julirevolution von 1830 auf den unsicheren Thron in Paris gelangt war. 3. Dynastische Erfolgsstrategie und europäisches Konnubium Eine systematische Betrachtung des Phänomens Sachsen-Coburg wird immer auf die Tatsache zurückführen, dass die Petersburger Hochzeit im Jahre 1796 das Initialereignis für die europäische und sogar globale Expansion des Hauses gewesen ist, die mit den herkömmlichen Methoden adliger Hauspolitik begründet wurde, beruhend auf den Kriegsdiensten nachgeborener Söhne und den Heiratschancen der Töchter. Eine wissenschaftliche Perspektivierung dynastischer Sachverhalte kann freilich nicht übersehen, dass über Erfolg oder Misserfolg aller Initiativen am Ende doch Zufälle entschieden. Wenn es aber in dem Haus einen rational kalkulierenden Strategen der Heiratspolitik gegeben hat, so war dies der zuletzt ausführlicher präsentierte Prinz Leopold, seit 1831 König der Belgier. Der Europäisierung seines Hauses nach Julianes Verheiratung in Russland hatte der 1790 geborene Junior der Familie prägende Erfahrungen und große Erwartungen zu verdanken. Bereits im Alter von 11 Jahren bekleidete er in der russischen Armee den Rang eines Obersten. Es kam hinzu, dass er gemeinsam mit dem Thronfolger Ernst nach dem frühen Tod des Vaters 1806 Verantwortung für das in seinem Bestand gefährdete Herzogtum zu übernehmen hatte. 1807 reisten Ernst und Leopold an den Hof Napoleons nach Paris, 1808 nahmen sie als Verwandte des Zaren einen besonderen Rang auf dem Erfurter Fürstentag ein. 1811 sah sich Leopold in der Lage, die Verhandlungen zwischen Sachsen-Coburg und dem Königreich Bayern über den Grenzverlauf zwischen den beiden Staaten selbständig zu leiten. Eine Option zwischen den beiden europäischen Flügelmächten Frankreich und Russland hat sich Leopold lange offen gehalten, ehe er sich 1813 mit dem Übergang ins russische Lager für die zuletzt siegreiche Seite entschied. Im Gefolge Alexanders I. erschien er im Frühjahr 1814 bei den Siegesfeiern in London. In der englischen Hauptstadt profilierte er sich mit glänzendem Auftreten und unentwegter gesellschaftlicher Präsenz als geeigneter Bewerber um die Hand der mutmaßlichen Thronfolgerin Großbritanniens30. Aus der Sicht der um eine Neuordnung des Kontinents bemühten Diplomaten empfahl sich der Coburger gerade wegen der Machtlosigkeit seines Hauses als Heiratskandidat in England, denn die Alternative wäre eine Verbindung Nach ungedruckten Geheimkorrespondenzen des Königs und sonstigen meist unveröffentlichten Quellen, Wien [u. a.] 1922. 30 Ernst Gerhart FÜRSTENHEIM, Prinz Leopolds Brautwerbung um die britische Thronerbin, in: Jahrbuch der Coburger Landesstiftung 27 (1982), S. 129–160.
Nicklas, Von der Regionalität zum europäischen Konnubium
115
des englischen Königshauses mit den Oraniern gewesen, die jene Matrimonialunion der beiden Seemächte England und Holland erneuert hätte, die nach der Glorious Revolution von 1688 entstanden war. Auch wenn seine Frau bereits 1817 verstarb, so blieben die Britischen Inseln doch die Basis für Leopolds weitere Unternehmungen. Er beobachtete von dort aus den ab 1820 wieder in Bewegung geratenden Kontinent. Nachdem die Griechen ihre Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich erkämpft hatten, war der in England lebende deutsche Prinz als Anwärter auf den hellenischen Thron im Gespräch. Er entschied sich dann aber nicht für Athen, sondern für Brüssel, weil dort eher die Voraussetzungen für die dauerhafte Begründung einer Dynastie gegeben waren. In den südlichen Provinzen der Niederlande war gleichsam als Nebenprodukt der Pariser Julirevolution von 1830 ein revolutionäres belgisches Staatswesen entstanden, das sich vom Königreich der Oranier abgespalten hatte, das sich jedoch um seiner Integration in die 1814/15 geschaffene europäische Nachkriegsordnung willen auf die Suche nach einer monarchischen Spitze begeben musste. Für die dynastische Positionierung Sachsen-Coburgs waren die Pariser Julirevolution und ihr Brüsseler Pendant in der Tat von zentraler Bedeutung31. Dieser Sachverhalt trat 1832 klar zu Tage, als der König der Belgier die französische Prinzessin Louise Marie heiratete, die Tochter des „Bürgerkönigs“ Louis Philippe. Diese Allianz zwischen Coburg und Orléans charakterisiert den um Leopolds belgisches Königtum auflebenden europäischen Spätdynastizismus. In dieser Konstellation zählte das lange geltende Prinzip monarchischer Legitimität nicht mehr. 1830 waren in Paris und Brüssel durch revolutionäre Aktionen die legitimen Herrscher aus den Häusern Bourbon und Oranien gestürzt worden. Doch kam andererseits auch das Prinzip der Volkssouveränität nicht zur vollen Entfaltung, dem die Einführung der republikanischen Staatsform in Frankreich und Belgien wohl am ehesten entsprochen hätte. Stattdessen nahmen in Paris und Brüssel parlamentarische Monarchien Gestalt an, die auf dem Zensuswahlrecht beruhten und einer schmalen besitzbürgerlichen Elite in beiden Ländern ein hohes Maß an politischer Partizipation ermöglichten. Folglich erscheint der dynastische Erfolg SachsenCoburgs als Übergangsphänomen, eingezwängt in die kurze Periode 1830– 1848, zwischen Juli- und Februarrevolution. Spätere Erfolge wie die Aufrichtung des bulgarischen Königtums 1908 sind zu sehr mit exzentrischen Persönlichkeiten wie derjenigen Ferdinands von Sachsen-Coburg-Koháry und den Verspätungen balkanischer Nationsbildung verbunden, als dass sie in einer systematischen Betrachtung nachhaltig ins Gewicht fallen könnten. 31
David H. PINKNEY, La Révolution de 1830 en France, Paris 1988; Pamela M. PILBEAM, The 1830 Revolution in France, New York 1991; Michel Bernard CARTRON, La deuxième Révolution française: juillet 1830, Paris 2005.
116
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Vom strengen monarchischen Standpunkt betrachtet, blieb die Legitimität des Königtums von Leopold und Louis Philippe fragwürdig32. Daher verbanden sich die beiden späten Aufsteigerdynastien, die einer Heiratsblockade von Seiten der älteren königlichen Häuser unterlagen, besonders eng miteinander. Leopold hat Heiratsverbindungen zwischen Orléans und dem katholischen Zweig seines Hauses in Ungarn nach Kräften gefördert. Besondere Bedeutung kommt dabei der Heirat der Orléans-Prinzessin Clémentine (1817–1907) mit August Ludwig Viktor von Sachsen-Coburg-Koháry (1818– 1881) im Jahre 1843 zu. Nicht nur ging aus dieser Ehe der erste neuzeitliche König (Zar) Bulgariens hervor, sie zeigt auch den besonderen Stellenwert der dynastischen Allianz Coburg – Orléans. In Paris griff man allerdings erst dann auf diese Variante zurück, nachdem ein französisch-bayerisches Heiratsprojekt gescheitert war. König Ludwig I. von Bayern lehnte nämlich eine Ehe des Thronfolgers Maximilian mit Clémentine ab, wie sie in Paris projektiert worden war33. Es kam damit nicht zur Anknüpfung an ältere bourbonisch-wittelsbachische Eheverbindungen, wie sie besonders im 17. Jahrhundert üblich gewesen waren. Diese Zurückweisung hatte bei der betroffenen Prinzessin ein ausgeprägtes monarchisches Selbstgefühl zur Folge, das sie ihrem jüngsten Sohn Ferdinand mit auf den Weg gab. Diesem Erbe stellte sich der Fürst Bulgariens, wenn er als Grabspruch für seine 1907 hochbetagt verstorbene Mutter formulierte: „Tochter eines Königs, zwar selbst nicht Königin, doch Mutter eines Königs“34. In dieser Sichtweise war die Aufrichtung des Königtums auf dem Balkan eine späte Kompensation für den tiefen Sturz des Hauses Orléans in der Pariser Februarrevolution 1848. Bekanntlich sollten sich alle auf eine monarchische Restauration gerichteten Wünsche und Absichten in Frankreich als illusionär erweisen. Nach dem Sturz Napoleons III. sollte sich ab 1875 die französische Dritte Republik trotz aller Anfechtungen stabilisieren. Das 1830 verfestigte Konzept eines liberal-konstitutionellen Bürgerkönigtums, für das die Häuser Orléans und Coburg standen, verlor nach der Februarrevolution jedenfalls ganz erheblich an Strahlkraft35. 32
Dies erklärt die mit den Mitteln der Kunst unternommenen Legitimierungsanstrengungen des französischen Julikönigtums, aber auch seine stetige Infragestellung. Vgl. dazu jeweils: Michael MARRINAN, Painting Politics for Louis-Philippe: Art and Ideology in Orléanist France 1830–1848, New Haven 1988; Werner GIESSELMANN, ‘Die Manie der Revolte’: Protest unter der Französischen Julimonarchie (1830–1848), München 1984. 33 Gerhard IMMLER, Politische Aspekte der Heiraten im Hause Wittelsbach in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Bayern vom Stamm zum Staat. Festschrift für Andreas Kraus zum 80. Geburtstag, hrsg. von Konrad Ackermann, Alois Schmid und Wilhelm Volkert, Bd. 2, München 2002, S. 243–272, hier: S. 248 f. 34 Paul LEHFELDT, Bau- und Kunstdenkmäler Thüringens XXXII: Herzogthum SachsenCoburg und Gotha, Jena 1906, S. 323; August HARTMANN, Die katholische Linie des Herzoglichen Hauses Sachsen-Coburg und Gotha. Genealogische Skizze nebst kurzer Beschreibung der Kirche und Gruft zu St. Augustin in Coburg, Coburg 1898. 35 Zum verfassungspolitischen Gehalt der Julimonarchie zuletzt: Luigi LACCHÈ, La libertà che guida il popolo: le tre gloriose giornate del luglio 1830 e le „Chartes“ nel constituziona-
Nicklas, Von der Regionalität zum europäischen Konnubium
117
In Frankreich wie auch in Deutschland schlug die Stunde des Bonapartismus. Das Revolutionsjahr 1848 entzog der dynastischen Expansionspolitik der Coburger weitgehend die Geschäftsgrundlage. Das Geschlecht blühte weiter, doch der Dynastizismus verlor an Signifikanz, weil es auch den Coburgern in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht mehr gelang, sich dauerhaft mit politischen Strömungen oder gar mit modernen Massenbewegungen zu verbinden, obwohl es an entsprechenden Versuchen nicht gefehlt hat36. Allerdings behauptete sich Leopold I., dessen Heiratspolitik 1836 in Lissabon und 1840 in London sichtbare Erfolge gefeiert hatte, auf dem belgischen Thron, den der stürmische ökonomische Aufschwung des kleinen Landes festigte. Nach 1848 änderte er seine Ziele, jedoch nicht die Methoden. Der Heiratspolitiker in Brüssel verschrieb sich nicht mehr der Sache dynastischer Expansion unter dem Vorzeichen eines liberalen Bürgerkönigtums, sondern widmete sich ganz der außenpolitischen Absicherung der Unabhängigkeit Belgiens, die vom Regime Napoleons III. in Frankreich bedroht schien. Daher vollzog sich ein Schwenk des belgischen Königshauses zu den Habsburgern, die als zuverlässige Garanten des Status quo in der Mitte Europas galten. Der spätere König Leopold II. (1835–1909) ehelichte 1854 die Erzherzogin Marie Henriette (1836–1902). Charlotte von Belgien (1840–1927) wurde 1857 die Frau des Erzherzogs Ferdinand Maximilian (1832–1867), des ephemeren Kaisers von Mexiko37. Der Höhepunkt von Sachsen-Coburgs fulminanter Haus- und Heiratspolitik liegt jedoch fraglos in den Jahren 1830–1848, die als Spätblüte des europäischen Dynastizismus in einem Zeitalter politischer und gesellschaftlicher Bewegung bezeichnet werden können. Ihren Durchbruch verdankte die Familismo francese, Bologna 2002. Die belgische Verfassung konnte in begrenztem Maße ihren Modellcharakter auch nach 1848 behaupten: John GILISSEN, Die belgische Verfassung von 1831 – ihr Ursprung und ihr Einfluß, in: Beiträge zur deutschen und belgischen Verfassungsgeschichte im 19. Jahrhundert, hrsg. von Werner Conze, Stuttgart 1967, S. 38–69. 36 Hier ist auf die Allianz des umtriebigen Herzogs Ernst II. (1818–1893), des seit 1844 in Coburg und Gotha regierenden Bruders des Prinzen Albert, mit dem bürgerlichen Liberalismus ebenso zu verweisen wie auf die unglückselige Rolle des bis 1918 regierenden Herzogs Carl Eduard (1884–1954) als früherer Förderer des Nationalsozialismus unter der Weimarer Republik: Elisabeth SCHEEBEN, Ernst II. Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha. Studien zu Biografie und Weltbild eines liberalen deutschen Bundesfürsten in der Reichsgründungszeit, Frankfurt a. M. 1987; Rolf BRÜTTING, Fürstlicher Liberalismus und deutscher Nationalstaat – Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha und der „Coburger Kreis“ im letzten Jahrzehnt des Deutschen Bundes 1857–1866, in: Jahrbuch der Coburger Landesstiftung 1991, S. 19–219; Rainer HAMBRECHT, Herzog Ernst II. und der Literarisch-politische Verein, in: Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha 1818– 1893 und seine Zeit. Jubiläumsschrift im Auftrag der Städte Coburg und Gotha, Coburg/Gotha 1993, S. 73–90; Nicholas F. HAYWARD/David S. MORRIS, The First Nazi Town, Aldershot 1988 [schöpft das Thema nicht wirklich aus]. 37 Mia KERCKVOORDE, Charlotte: la passion de la fatalité, Paris 1981; Emile MEURICE, Charlotte et Léopold II de Belgique: deux destins d’exception entre histoire et psychiatrie, Liège 2005 [problematischer Ansatz].
118
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
lie jener spezifischen Mischung von dynastischem Prestige und individueller Adaption, die bis zu völliger Anspruchslosigkeit reichen konnte. Beispielhaft sei an die drei Coburger Prinzessinnen erinnert, die 1796 nach St. Petersburg reisten und von denen nur eine die begehrte ehrenvolle Stellung am russischen Hof erlangen konnte. Coburger Prinzen zeigten sich bereit, die politisch unergiebige und menschlich unerquickliche Rolle des Prinzgemahls neben dem Thron zu übernehmen, was für Ferdinand in Portugal ebenso galt wie für Albert in England. Aufgrund der Umstände sind beide jedoch faktisch zu Mitregenten geworden. Dennoch glich selbst der aktive Albert, dem erst siebzehn Jahre nach seiner Heirat mit Victoria der Titel des Prinzgemahls (Prince Consort) verliehen wurde, eher jenem Georg von Dänemark, der sich diskret hinter dem Thron von Queen Anne verbarg, als Wilhelm III. von Oranien, von dem gesagt werden konnte, dass er England wirklich regiere38. Ein weiterer Faktor, der für Coburg sprach, war neben individueller Anpassungsfähigkeit und politischer Machtlosigkeit die konfessionelle Kompatibilität der Familie, die seit 1816 einen protestantischen deutschen und einen katholischen ungarischen Zweig aufweisen konnte. In Portugal und England setzten Coburger Prinzen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein katholisches und ein protestantisches Königshaus fort. Da weder Ferdinand noch Albert regierende Fürsten im Deutschen Bund waren, blieben Matrimonialunionen aus. Personalunionen zwischen deutschen Fürstentümern und auswärtigen Monarchien entsprachen schließlich im 19. Jahrhundert immer weniger den politischen Realitäten. Den liberalen Strömungen und den Bestrebungen bürgerlicher Kräfte stand Sachsen-Coburg zwar zumeist aufgeschlossen gegenüber, doch war das Haus letztlich apolitisch. Die Entpolitisierung der Monarchie schien im 19. Jahrhundert auch am ehesten das Überleben dieser Institution zu gewährleisten. So verstanden sich jedenfalls Leopold in Belgien, Ferdinand in Portugal und Albert in England als neutrale Sachwalter staatlicher Interessen über den Gegensätzen der Parteien. Hinter dieser politischen Vorsicht wird auch erkennbar, dass moderne Monarchien wie die englische oder belgische eher gesellschaftliche Leitbilder reproduzierten als Macht auszuüben. Dabei ist es sehr zu begrüßen, wenn die sich modernisierende Monarchie, die auf die Veränderungen in der europäischen Sattelzeit reagierte, verstärkt zum Gegenstand von Forschungen und Darstellungen gemacht wird39. Viel Arbeit 38
Dazu besonders der sehr ergiebige Aufsatz: Hans-Christof KRAUS, Prince Consort und Verfassung. Zum Problem der verfassungsrechtlichen Stellung Prinz Alberts, in: Prinz Albert. Ein Wettiner in Großbritannien, hrsg. von Franz Bosbach und John R. Davis, München 2004, S. 111–135. 39 Vgl. hierzu nur beispielhaft: David CANNADINE, Die Erfindung der britischen Monarchie 1820–1994, Berlin 1994; gleichsam in Erwiderung darauf: William M. KUHN, Democratic Royalism. The Transformation of the British Monarchy, London 1996; Johannes PAULMANN, Pomp und Politik. Monarchenbegegnungen in Europa zwischen Ancien
Nicklas, Von der Regionalität zum europäischen Konnubium
119
bleibt zu leisten. Dabei werden auch immer wieder die Coburger Prinzen und Prinzessinnen Aufmerksamkeit beanspruchen dürfen, die mit ihren individuellen Problemlösungsstrategien eine Anpassung der monarchischen Staatsform an neue Herausforderungen betrieben und die dem Konzept der Dynastie einen Platz in einer sich gründlich wandelnden Welt sichern wollten.
Summary The duchy of Sachsen-Coburg-Saalfeld was debris left after the shipwreck of ambitious politics pursued by the Ernestine branch of the House of Saxony since the Reformation era, when in 1796 a Russo-Saxon marriage unexpectedly paved the way for Coburg’s expansion by dynastic means in the first half of the 19th century. This singular advancement of one of Wettin’s less important collateral branches was not least based on the military merits of imperial Field Marshal Friedrich Josias (1737–1815) and the prospects of reigning duke Franz Friedrich Anton’s (1750–1806) numerous descendants, amongst them Prince Leopold, Belgium’s first constitutional sovereign after the independence of 1830/31, Princess Victoire who was to become Queen Victoria’s mother, and Prince Ferdinand who would found a catholic branch in the Habsburg lands that gave kings to Portugal and Bulgaria. The article is devoted to the study of the structural conditions and methods of Sachsen-Coburg’s late European dynasticism which culminated in the short period marked by the predominance of liberal parliamentary monarchy in Orléanist France and Belgium from 1830 to 1848, under the auspices of Leopold I, King of the Belgians, this discreet artificer of successful matrimonial policies. The Coburg phenomenon is to be understood as an epitome of the Holy Roman Empire’s dynasticism whose dynamism and range was significantly augmented by the circumstances of its downfall in 1806.
Régime und Erstem Weltkrieg, Paderborn [u. a.] 2000; David E. BARCLAY, Frederick William IV and the Prussian Monarchy 1840–1861, Oxford 1995 [dt. 1995]; Frank-Lothar KROLL, Monarchie und Gottesgnadentum in Preußen, in: Der verkannte Monarch, Friedrich Wilhelm IV. in seiner Zeit, hrsg. von Peter Krüger und Julius H. Schoeps, Potsdam 1997, S. 45–70.
Können Ehen Frieden stiften? Europäische Friedens- und Heiratsverträge der Vormoderne∗ Von
Martin Peters Frühneuzeitliche Heiratsverträge sind dynastische Instrumente der europäischen Sicherheitspolitik, grenzüberschreitenden Kooperation sowie Steuerung und Sicherung von Herrschaft – wenn auch im Endeffekt ohne den erwünschten Erfolg1. Die Vielzahl von Kriegen, vor allem die, die zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert geführt worden sind, belegt, dass Heiratsverträge zwischen zwei Dynastien den Frieden nicht nachhaltig stabilisiert haben. Im Folgenden soll insofern analysiert werden, welche Bedeutung Heiratsverträgen als durchaus üblicher Bestandteil europäischer Friedensschlüsse und -verhandlungen zukommt. Viele Vermählungen der Frühen Neuzeit sind eingewoben in Friedenverträge. Die Friedensverträge von Étaples (1492 XI 03), von Senlis (1493 V 23), von Cambrai (1529 VIII 05), von Crépy-enLaonnais (1544 IX 18) oder auch von Câteau-Cambrésis (1559 IV 03) gleichen sich darin, dass in ihnen dynastische Verlobungen bzw. Heiraten fixiert sind. Das wohl bekannteste Beispiel eines frühneuzeitlichen Friedensvertrages, der eine dynastische Ehe regelt und verkündet, ist der Pyrenäenfrieden (1659 XI 07), in dem die Heirat zwischen Ludwig XIV. und der spanischen Infantin Maria Theresia ausgehandelt wird, eine, wie es Ranke nennt, „welthistorische Vermählung“. Anlässlich der Friedensabkommen von Nimwegen und St. Germain-en-Laye (1678 VIII 10–1679 X 12) wird die Vermählung zu Fontainebleau zwischen Karl II. von Spanien und Marie-Louise d’Orléans (1679 VIII 30) geschlossen2. Friedensschlüsse und fürstliche Vermählungen stehen insofern in einem engen Zusammenhang. Eine interessante Frage wäre ∗
Leicht überarbeiteter Einführungsvortrag der interdisziplinären Tagung „Freud und Leid der Medici-Frauen – Ihre rites de passage im diachronen Vergleich“ (29./30.09.2006), organisiert vom DFG-geförderten MEFISTO Netzwerk. Für wichtige Hinweise bei der Ausarbeitung dieses Beitrags danke ich Frau Dr. Sabine Gieske. 1 Über dynastische Vermählungen als fragiles Instrument der Dynastiesicherung vgl. Wolfgang E. J. WEBER, Dynastiesicherung und Staatsbildung. Die Entfaltung des frühmodernen Fürstenstaats, in: Der Fürst. Ideen und Wirklichkeiten in der europäischen Geschichte, hrsg. von dems., Köln [u. a.] 1998, S. 91–136, hier: S. 123. 2 Archiv des französischen Außenministeriums, Paris: M.A.E. Traité. Espagne 16790010: Heiratsvertrag von Fontainebleau (1679 VIII 30); Heinz DUCHHARDT/Martin PETERS, www.ieg-mainz.de/friedensvertraege/ (eingesehen am 16.11.2006).
122
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
dabei allerdings auch, welche Bedeutung Heiratsverboten zukommt. Im Friedensvertrag von Barcelona (1493 I 19) verpflichten sich Ferdinand und Isabella, ihre Kinder nicht mit bestimmten Häusern, nämlich mit den Kindern Heinrichs II. und Maximilians, zu verheiraten. Auch andernorts finden sich in Friedensverträgen regelrechte Heiratsverbote3. Eine Studie über Nicht-Ehen und gescheiterte Eheprojekte wäre daher ebenso aufschlussreich wie eine über erfolgreich abgeschlossene Heiratsverträge. Obwohl nur mit äußerst begrenztem Erfolg, werden dynastische Eheverträge in der Frühen Neuzeit bewusst eingesetzt. Sie sind Bestandteil der Diplomatie und der völkerrechtlichen Verständigung. Doch Heiratsverträge können Konflikte auch hervorbringen und verfestigen; sie sind Mittel zur Durchsetzung politischer wie ökonomischer Interessen. Mit der Heirat zwischen Karl II. von England und Katharina von Portugal 1661 beispielsweise soll Spanien handelspolitisch isoliert werden4. Generell wird mit Heiratsverträgen die Hoffnung bzw. Idee verknüpft, den Frieden nicht nur des eigenen Hauses, sondern, wie noch gezeigt wird, auch Europas zu sichern. Die Hochzeit soll einen neuen Lebensabschnitt des fürstlichen Ehepaares markieren und steht mitunter auch am Beginn einer neuen Friedensordnung. Schon den Zeitgenossen ist bewusst, dass Heiratsverträge als Weichen der europäischen Geschichte fungieren. Interessanterweise wird die Frage, ob Ehen Frieden stiften, bereits Anfang des 16. Jahrhunderts diskutiert. Zu den Kritikern dynastischer Ehen gehört Erasmus von Rotterdam. Erasmus beklagt 1516, dass Fürstenehen keinen dauerhaften Frieden hervorbrächten. Er begründet seine Position damit, dass Ehen, anstatt persönliche Angelegenheiten, vielmehr als „Knotenpunkte der Geschichte“ zu bezeichnen sind5. Erasmus widerspricht in seinem Werk Institutio Principis Christiani („Die Erziehung eines christlichen Fürsten“) im Kapitel De principum affinitatibus der Vorstellung, dass durch dynastische Verbindungen nachhaltig Frieden gesichert werden könne. Er schreibt: „die Sache selbst lehrt, dass daraus die größten Verwirrungen der menschlichen Verhältnisse entstehen, indem hier einer Klage führt, weil irgendeine Bestimmung aus dem Ehevertrag nicht eingehalten sei, dort einer, durch irgendetwas beleidigt, die Braut entführt, ein anderer seinen bisheri3 Randall LESAFFER, The three peace treaties of 1492–1493, in: Kalkül – Transfer – Symbol. Europäische Friedensverträge der Vormoderne, hrsg. von Heinz Duchhardt und Martin Peters, Mainz 2006-11-02, Abschnitt 41—52, hier: Abschnitt 49. URL: . 4 Andrea WEINDL, Europäische Friedensordnung und Welthandel im 17. Jahrhundert, in: Kalkül – Transfer – Symbol (Anm. 3), Abschnitt 63–79, Abschnitt 74. URL: . 5 Zitiert nach Klaus MÜLLER, Eine fürstliche Heirat im Zeitalter Ludwig XIV. Johann Wilhelm von Pfalz-Neuburg und Anna Maria Luisa von Medici, in: Anna Maria Luisa Medici. Kurfürstin von der Pfalz. Stadtmuseum Düsseldorf 17. September – 20. November 1988, S. 35–47, S. 35.
Peters, Europäische Friedens- und Heiratsverträge der Vormoderne 123 gen Heiratsplan umstößt, schließlich wieder ein anderer einen völlig neuen Grund zur Klage hat. Doch was hat das alles mit dem Staat zu tun? Wenn verwandtschaftliche Verbindungen der Fürsten miteinander der Welt Friedensruhe verbürgen würde, möchte ich wünschen, sie wären alle sechshundertfach verwandtschaftlich miteinander verbunden. [...] Verwandtschaft mag den Frieden begünstigen, sie kann aber keinen beständigen Frieden gewährleisten“6.
Die Kritik daran, dass gerade bei der Ehe eigene Wünsche in Dienst genommen würden, zieht sich bis ins 18. Jahrhundert und kann auch in Bernhard von Rohrs 1728 veröffentlichter Ceremoniel-Wissenschaft nachvollzogen werden: „Es geschieht nicht selten, dass diejenigen, so sonst Länder und Unterthanen zu beherrschen pflegen, bey ihren Vermählungen ihren eigenen Willen beherrschen, und sich mit einem Ehegatten verbinden müssen, nicht, wie sie ihn sonst nach dem natürlichen und freyen Zug ihres Hertzens erwehlen würden, sondern, wie sie nach ihren besondern Staats-Absichten hierzu genöthiget werden“7.
Auch im Universal-Lexicon von Zedler findet sich das Lemma „Staatsvermählungen“. Es heißt: „Staats-Vermählungen, Staats-Mariage, oder Staats-Ehe, Matrimonia Politica, heissen vornehmlich bey grossen Fürsten und vornehmen StandesPersonen solche Ehe-Verbindungen, bey deren Schlüssung nicht so wohl auf derer contrahirenden und zu vermählenden Personen besonders Vergnügen, als auf desto bessere Beförderung der Glückseligkeit ihrer Länder und Unterthanen, gesehen wird“8.
Ebenfalls im Zedlerschen Lexikon werden unter dem Eintrag „Vermählung (Fürstliche)“ die Hintergründe und das Zustandekommen fürstlicher Ehen beschrieben9. Zu den Inhalten fürstlicher Heiratsvereinbarungen werden Ehestiftungen, Wittum, Verzichtsbriefe, Leibgeding, Wiederfall sowie Gewissensund Freiheitsversicherungen aufgeführt. Der neu geschlossene Frieden basiert somit auf einem komplexen güterrechtlichen Heiratsgabesystem10. Von ihren Ehen überzeugt sind in der Frühen Neuzeit auch die Ehepartner nicht. Wie wenig Heiraten noch im ausgehenden 18. Jahrhundert eine Ange6 Erasmus von ROTTERDAM, Fürstenerziehung – Institutio Principis Christiani – Die Erziehung eines christlichen Fürsten. Einführung, übersetzt und bearbeitet von Anton J. Gail, Paderborn 1968, S. 197. 7 Julius Bernhard von ROHR, Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft Der PrivatPersonen [...], Berlin 1728, S. 132. 8 ZEDLER, Universal-Lexicon, Bd. 39 (1744), S. 367. 9 Ebd., Bd. 47 (1746), S. 636. Hierzu ausführlich: Karl-Heinz SPIESS, Familie und Verwandtschaft im deutschen Hochadel des Spätmittelalters. 13. bis Anfang des 16. Jahrhunderts, Stuttgart 1993. 10 Anders als in philosophischen Diskursen wird in der Geschichtswissenschaft Frieden nicht in unterschiedliche Zustände ausdifferenziert. Über Friedenszustände vgl. Paul RICŒUR, Wege der Anerkennung. Erkennen, Wiedererkennen, Anerkanntsein. Aus dem Französischen von Ulrike Bokelmann und Barbara Heber-Schärer, Frankfurt a. M. 2006, S. 274 ff.
124
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
legenheit der Ehepartner sind und auch gar nicht sein können, da mit ihnen spezifische Ziele eingelöst werden sollen, zeigen sehr plastisch die Lebenserinnerungen Wilhelms von Hessen-Kassel, des späteren Kurfürsten Wilhelm I.11. Diese Vermählung steht nicht im Kontext der hessisch-dänischen, sondern, nachdem Wilhelms Vater Friedrich zum katholischen Glauben konvertiert war und den Einfluss auf die Erziehung seiner Kinder verloren hatte, der englisch-dänischen Beziehungen. Wilhelm erinnert sich, wie ihm im Alter von 13 Jahren seine Vermählung eröffnet wurde: „1756. In den ersten Januartagen erhielt ich den Befehl, mich alleine [von Göttingen nach Kassel] zu meinem Großvater [Georg II. von England] zu begeben. Beim Eintreten sagte er mir: ‚Wilhelm, ich habe Sie soeben vermählt. Sie sind der Prinzessin Karoline, der zweiten Tochter des Königs von Dänemark, versprochen‘. Diese völlig unerwartete Eröffnung und Gott weiß welche Vorahnungen übten eine eigenartige Wirkung auf mich aus. Ich brach in Tränen aus und konnte nur mit großer Mühe meiner Bestürzung Herr werden und die Ermahnungen meines Großvaters anhören, der mir versicherte, dass er bislang mit mir zufrieden gewesen sei, und dass ich mich des Glückes würdig erweisen solle, welches mir zugedacht sei. [...] Am 5. Januar sandte man aus der Kabinettskanzlei eine Vorlage des Briefes, den ich dem König von Dänemark schreiben sollte. Ich kopierte sie im Schreibkabinett meiner Mutter. Sie enthielt die förmliche Bitte um die Hand der Prinzessin“12.
Am 4. November 1763, inzwischen 20jährig, reist Wilhelm nach Dänemark in der Absicht, seine Hochzeit zu feiern. Doch Wilhelm wird von Karoline nur sehr kühl empfangen. Der Oberhofmarschall eröffnet ihm, dass die Hochzeit noch nicht stattfinden könne, weil man zunächst einen Wandel in der Verfassung der Prinzessin abwarten müsse. Schließlich wird die Hochzeit auf den 1. September 1764 festgelegt. Neben Äußerungen zu fürstlichen Heiraten, in denen kritisiert wird, dass die subjektiven Wünsche der Ehepartner – die der Frau wie auch die des Mannes – durch die Staatsräson verdrängt würden, stehen Argumente einer Reihe von Autoren, die fürstliche Ehen in ihr politisches System bewusst integrieren und Heiratsverträge bei der Festschreibung von Souveränität würdigen. Christoph Besold kommt in seinem 1637 veröffentlichten Werk Synopsis Politicae13 an mehreren Stellen auf fürstliche Ehen zu sprechen und entwickelt eine dreiteilige Systematik. Er benennt Heiraten, durch die Bündnisse als unverletzlich und bindend befestigt werden; durch die territoriale Zuwächse ermöglicht und mehrere Staaten miteinander verbunden werden 11 Wir Wilhelm von Gottes Gnaden. Die Lebenserinnerungen Kurfürst Wilhelms I. von Hessen 1743–1821, hrsg. von Rainer von Hessen, Frankfurt/New York 1996. 12 Wir Wilhelm von Gottes Gnaden (Anm. 11), S. 18. 13 Christoph BESOLD, Synopse der Politik, übers. von Cajetan Cosmann, hrsg. von Laetitia Boehm, Frankfurt a. M. 2000.
Peters, Europäische Friedens- und Heiratsverträge der Vormoderne 125 sowie solche, durch die Souveränitätsrechte der Ehepartner definiert und ggf. eingegrenzt werden14. Eine positive Beurteilung fürstlicher Ehen als Maßnahmen der Sicherheitspolitik findet sich zudem bei frühneuzeitlichen Diplomaten. In der Niederschrift des königlichen Beraters Sir William Cecil über die Vorteile einer Ehe der Königin von England und Erzherzog Karl aus dem Jahre 1566 sind zehn Gründe aufgelistet, die für die Ehe mit dem Haus Habsburg sprächen: z. B. besitze Erzherzog Karl die Würde, königliche Nachrichten anzunehmen; er würde sich ganz der Königin zuwenden; als Fremder ohne politischen Freundeskreis habe er keine Gelegenheit, nach der Krone zu streben; über die Heirat mit Karl würden die Beziehungen zum spanischen König Philipp und zum Papst verbessert oder die Ansprüche der Königin von Schottland auf den englischen Thron abgewehrt werden. Umgekehrt hoffte Habsburg, durch die Heirat, Einfluss auf die Kirche und Religion in England nehmen zu können15. Auch aus der Wissenschaft kommen optimistische Stimmen, wie die des Historikers Johann Gottfried Eichhorn (1752–1827), der in Heiratsprojekten funktionierende Instrumente der Friedenssicherung sieht. Er schreibt 1804 in seiner Europäischen Geschichte, dass die Ehepläne Maria Medicis militärische Konflikte zwischen Frankreich und Spanien verhindert und Frieden erhalten hätten: „Nach seinem Tod [Heinrichs IV.] buhlte die Königin Mutter, Maria von Medicis, um eine Wechselheirath ihres Sohnes, des jungen Königs, mit der spanischen Infantin Maria Anna, und ihrer Tochter mit dem Prinzen von Asturien, die auch 1615 zu Stande kam16. Hätte auch Frankreich bey seinen innern Unruhen gegen Spanien thätig sein können, so verboten es ihm gegenwärtig die Ehepläne des Hofes“17.
Inwieweit sind nun fürstliche Ehen und Heiratsverträge in der modernen Forschung verankert? Als Quelle sind Heiratsverträge für die Forschung relevant, weil sie Herrschaftsbereiche neu begrenzen und Möglichkeiten politischer Einflussnahmen und kutureller Transfers eröffnen. Sie enthalten Informationen über verwandtschaftliche Beziehungsnetzwerke, politische Allianzen, fixieren Titel, legen Erbregelungen fest und bewegen über die Grenzen nicht unbeträchtliche Summen an Kapitalien – sowohl von Manneswie auch Frauenseite. Dieser Zweck wird in der Forschung allgemein anerkannt. Doch stehen fürstliche Ehen in der modernen Forschung nicht sehr hoch im Kurs. Eine systematische Untersuchung europäischer Heiratsverträ14 BESOLD, Synopse (Anm. 13), S. 89 f., S. 270 f. 15 Kurt DIEMER, Die Heiratsverhandlungen zwischen
Königin Elisabeth I. von England und Erzherzog Karl von Innerösterreich 1558–1570, Tübingen 1970. 16 König Ludwig XIII. wurde am 25. November mit der spanischen Infantin Anna von Österreich (1601–1666) vermählt, und seine Schwester Elisabeth (1602–1644) mit dem ältesten Sohn des spanischen Königs. 17 Johann Gottfried EICHHORN, Geschichte der drey letzten Jahrhunderte, 1. Bd., Zweyte unveränderte Auflage, Göttingen 1806, S. 80.
126
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
ge im Kontext der historischen Friedensforschung steht noch aus18, möglicherweise auch deshalb, weil Heiratsverträge bis heute noch nicht vollständig erschlossen sind. Noch immer muss zurückgegriffen werden auf Editionen wie das Theatrum Europaeum, auf Leonard, Rymer, DuMont, Koch, Martens, Solar de la Marguerite, Vast oder Parry. In dem quellenreichen Standardwerk von Jörg Fisch Krieg und Frieden im Friedensvertrag19 finden sich auffälligerweise keine Aussagen zu Eheverträgen. Als Quelle interessant allerdings werden Eheverträge, gewissermaßen im Schlepptau der Erforschung von Sukzessionsordnungen oder im Rahmen von Studien zur Ausbildung des frühmodernen Staates20. Anschauliches Beispiel für die Bedeutung dynastischer Politik im Rahmen eines Staatsbildungsprozesses ist die Ehe zwischen Ferdinand von Aragon und Isabella von Kastilien 146921. Hinweise auf Eheverträge liefern auch Biographien sowie vor allem die jeweiligen Dynastie- und Hofgeschichten besonders dort, wo es um die Rekonstruktion von Beziehungs- und Kommunikationsnetzwerken geht22. Die mediävistischen Arbeiten über den deutschen Hochadel23, in denen Heiratsverträge differenziert und klassifiziert werden24, bieten der Frühneuzeitforschung, etwa hinsichtlich des reziproken Heiratsgabesystems, eine inspirative Folie. Heiratsverträge werden zudem gestreift in Studien zum frühneuzeitlichen Zeremoniell seit den 80er Jahren. Auch die Frauen- und heutige Genderforschung greift seit dieser Zeit im Kontext von Biographie-, Hof- und Dynastieforschung auf Heiratsverträge zurück25. Festzustellen ist, dass Heiratsverträge unter dem Blickwinkel des entstehenden Europa – oder besser gesagt: unter der Perspektive der Transformation Europas von einer Familie der Dynastien hin zu einem Europa der Staaten – an Interesse gewinnen. Zu guter Letzt dürfen die Studien aus dem Bereich der politischen Ideengeschichte und der Rechtsgeschichte nicht ver18 Ausnahme für Holstein-Gottorf: Marcus HILLENBRAND, Fürstliche Eheverträge. Gottorfer Hausrecht 1544 – 1773, Frankfurt a. M. [u. a.] 1996. 19 Jörg FISCH, Krieg und Frieden im Friedensvertrag. Eine universalgeschichtliche Studie über Grundlagen und Formelemente des Friedensschlusses, Stuttgart 1979. 20 Der dynastische Fürstenstaat. Zur Bedeutung von Sukzessionsordnungen für die Entstehung des frühmodernen Staates, hrsg. von Johannes Kunisch, Berlin 1982. 21 Horst PIETSCHMANN, Reichseinheit und Erbfolge in den spanischen Königreichen, in: Fürstenstaat (Anm. 20), S. 199–246, S. 224–226. 22 Claudia NOLTE, Familie, Hof und Herrschaft. Das verwandtschaftliche Beziehungs- und Kommunikationsnetzwerk der Reichsfürsten am Beispiel der Markgrafen von Brandenburg-Ansbach (1440–1530), Ostfildern 2005. 23 SPIESS, Familie (Anm. 9). 24 Tobias WELLER, Die Heiratspolitik des deutschen Hochadels im 12. Jahrhundert, Köln 2004. 25 Beatrix BASTL, Tugend, Liebe, Ehre. Die adelige Frau in der Frühen Neuzeit, Wien/ Köln 2000. Ute ESSEGERN, Kursächsische Eheverträge in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, in: Witwenschaft in der Frühen Neuzeit. Fürstliche und adlige Witwen zwischen Fremd- und Selbstbestimmung, hrsg. von Martina Schattkowsky, Leipzig 2003, S. 115–135.
Peters, Europäische Friedens- und Heiratsverträge der Vormoderne 127 gessen werden. Ius publicum, Staatsräson und Machtlehre sind die Schnittstellen, an denen sich Geschichte und Jurisprudenz immer wieder treffen26. Derzeit ist die Forschung bestrebt, die verschiedenen dynastischen Heiratsverträge verschiedenen Grundtypen zuzuordnen. Es werden bisher vier – primär politische – Kategorien von Eheverträgen unterschieden. Diese vier Kategorien sind 1. Zuwachs der Hausmacht; 2. Herstellung von Bündnissen; 3. Besiegelung von Friedensschlüssen; 4. Signal eines politischen Paradigmenwechsels27. Die erste Kategorie: Zuwachs und Festigung der Hausmacht28. Zu dieser Gruppe der Erwerbsheiraten gehört z. B. die Ehe zwischen Maximilian I. mit Maria von Burgund 1477 und auch Annas von Bretagne mit Ludwig XII. 1499. Burgund und die Bretagne werden in dieser Zeit neuen Herrschaftsbereichen zugewiesen, wodurch sich das politische Profil Europas verändert. In diesen Bereich gehören auch Heiratsprojekte und Heiratsverträge mit Fürsten und Fürstinnen aus Regionen, die um ihre Selbständigkeit fürchten müssen, weil sie im Interessenbereich mächtiger Nachbarn liegen. Der Heiratsplan Maria Medicis 1628, ihren Sohn Gaston mit Margarethe von Lothringen zu vermählen, eine Ehe, die später heimlich geschlossen wird, dient hier als Beispiel29. Auch lässt sich ein Heiratsprojekt zwischen Siebenbürgen und Habsburg 1625 anführen, das schließlich scheitert, weil sich Fürst Bethlen Brandenburg annähert30. Die zweite Kategorie: Sicherung und Herstellung von Bündnissen31. Vermählungen werden nicht selten vereinbart, um die traditionell guten Beziehungen zwischen zwei Häusern zu sichern und zu demonstrieren. Auf diese Weise entwickelt sich eine gewisse Präferenz für ein fürstliches Haus bei der Auswahl der Ehepartner. Als Beispiel dienen die Heiraten zwischen Dänemark und Hessen-Kassel. In diese Kategorie fällt auch die Heirat Philipps II. von Spanien mit Maria von England 1554, die, wie im Vorfeld erwartet und befürchtet, zu einer Neuformierung der europäischen Bündnissysteme hätte 26 Michael
STOLLEIS, Staatsheiraten im Zeitalter der europäischen Monarchien, in: Die Braut. Geliebt – verkauft – getauscht – geraubt. Zur Rolle der Frau im Kulturvergleich, hrsg. von Gisela Völger und Karin von Welck, Bd. 1, S. 274–279. 27 Zur Typologie von Heiratsverträgen und verschiedenen Sonderformen vgl. WELLER, Heiratspolitik (Anm. 24), S. 798 ff.; Hermann WEBER, Die Bedeutung der Dynastien für die europäischen Geschichte in der Frühen Neuzeit, in: Das Haus Wittelsbach und die europäischen Dynastien, in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 44/1 (1981), S. 5–32. 28 WELLER, Heiratspolitik (Anm. 24), S. 805. 29 Rainer BABEL, Zwischen Habsburg und Bourbon. Außenpolitik und europäische Stellung Herzog Karls IV. von Lothringen und Bar vom Regierungsantritt bis zum Exil (1624– 1634), Sigmaringen 1989, S. 101. 30 Andrea SCHMIDT-RÖSLER, Princeps Transilvaniae – Rex Hungariae. Gabriel Bethlens Außenpolitik zwischen Krieg und Frieden, in: Kalkül – Transfer – Symbol (Anm. 3), Abschnitt 80—98, hier: Abschnitt 95. URL: http://www.ieg-mainz.de/vieg-online-beihefte/ 01-2006.html. 31 Vgl. WELLER, Heiratspolitik (Anm. 24), S. 798 und 803.
128
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
führen können. Mit Elisabeth von England kann darüber hinaus eine Fürstin angesprochen werden, die sich dadurch von anderen Herrschenden abhebt, weil sie die Heirat ins politische Kalkül einbezog, ohne eine Ehe einzugehen. Sollte sie Frieden gesichert haben, gerade weil sie keine Ehe eingegangen ist? Die dritte Kategorie: Besiegelung von Friedensschlüssen32. Zu dieser Kategorie gehören Heiratsverträge, die einen Friedensschluss feierlich und zeremoniell begleiten. Als Beispiel soll der Friede von Madrid 1526 herangezogen werden, mit dem darin implantierten Heiratsvertrag zwischen dem französischen König und der Schwester Karls V., Eleonore. Die vierte Kategorie: Signal eines politischen Paradigmenwechsels. Zur letzten Kategorie gehören Heiratsverträge, die außenpolitische Neuorientierungen einleiten. Die dritte Ehe Leopolds I. mit Eleonore v. Pfalz-Neuburg führte zu einer Intensivisierung der habsburgischen Beziehungen zum Reich33. Auch die Ehe zwischen Luise Henriette von Oranien und Friedrich Wilhelm von Brandenburg 1646 eröffnet neue politische Optionen zwischen Den Haag und Berlin34. Die dynastischen Heiratsverträge der Medici sind diesen vier oben genannten Kategorien zuzuordnen, wobei der Schwerpunkt auf die Sicherung und den Zuwachs der Hausmacht sowie vor allem auf die Anerkennung ihres Status‘ und auf den Kapital- und Kulturtransfer fokussiert ist35. Dass sich auch der Papst in der Frühen Neuzeit dem Instrument der Heirat bedient36, zeigt die Vermählung Katharinas von Medici mit Heinrich 1532/33. Diese Vermählung steht in Zusammenhang mit dem Friedensvertrag von Cambrai (1529/30) und dem anschließend geformten französisch-päpstlichen Allianzplan, der auf einen neuen französischen Herrschaftsbereich in Italien (Mailand, Parma, Pisa, Montferrat) abzielt37. 32 Vgl.
WELLER, Heiratspolitik (Anm. 24), S. 801, der diese Kategorie als „Rekonziliationsheiraten“ bezeichnet. 33 Heinz DUCHHARDT, Die dynastische Heirat als politisches Signal, in: Hochzeit als ritus und casus. Zu interkulturellen und multimedialen Präsentationsformen im Barock, hrsg. von Mirosława Czarnecka und Jolanta Szafarz, Wrocław 2001, S. 67–70. 34 Ulrike HAMMER, Kurfürstin Luise Henriette. Eine Oranierin als Mittlerin zwischen den Niederlanden und Brandenburg-Preußen, München/Berlin 2001, S. 39. 35 Über die Medici-Heiraten (Auswahl): Sabine WEISS, Der Innsbrucker Hof unter Leopold V. und Claudia de’ Medici (1619–1632). Glanzvolles Leben nach Florentiner Art, in: Der Innsbrucker Hof. Residenz und höfische Gesellschaft in Tirol vom 15. bis zum 19. Jahrhundert, hrsg. von Heinz Noflatscher und Jan Paul Niederkorn, Wien 2005, S. 241– 348. MÜLLER, Eine fürstliche Heirat (Anm. 5); Bernd DREHER, Die florentiner Heirat, in: Anna Maria Luisa Medici. Kurfürstin von der Pfalz (Anm. 5), S. 157–167. Brigitte GROHS, Italienische Hochzeiten. Die Vermählung der Erzherzoginnen Barbara und Johanna von Habsburg im Jahre 1565, Mitteilungen des Instituts für österreichischen Geschichtsforschung 96/3–4 (1988), S. 331–381. 36 Beispiele aus dem Mittelalter bei WELLER, Heiratspolitik (Anm. 24), S. 801 f. 37 Rainer BABEL, Heinrich II. 1547–1559, in: Französische Könige und Kaiser der Neuzeit. Von Ludwig XII. bis Napoleon III. 1498–1870, hrsg. von Peter C. Hartmann, München 2006, S. 71–90, hier: S. 74.
Peters, Europäische Friedens- und Heiratsverträge der Vormoderne 129 Ausgehend von europäischen Friedens- und Heiratsverträgen stellt sich die Frage, ob es eine frühneuzeitliche europäische Heiratspolitik einzelner Häuser gibt und welche Merkmale daran geknüpft sind. Eine europaweite Heiratspolitik, gemessen an der Vielzahl unterschiedlicher Herkunftsländer der Ehepartner, hat Habsburg verfolgt38. Dabei ist festzustellen, dass sich Habsburg bis 1789 niemals mit den protestantischen Kronen Schweden und England verbunden hat sowie auch nicht mit den für die meisten Menschen der Frühen Neuzeit außerhalb Europas stehenden Imperien Russland und dem Osmanischen Reich. Immerhin zeigen die zwölf Jahre dauernden Verhandlungen zwischen Elisabeth I. und Erzherzog Karl, dass eine Verbindung zwischen beiden Häusern zumindest nicht unvorstellbar gewesen ist. Obwohl es intensive Friedens- und Handelsabkommen zwischen Habsburg und Russland und – man denke an Passarowitz 1718 – auch mit dem Osmanischen Reich gegeben hat, kamen keine Heiratsverträge mit diesen Reichen zustande. In diesem Zusammenhang erwähnenswert ist das gescheiterte – wenn man so will östlichste – europäische Heiratsprojekt Habsburgs, nämlich mit Siebenbürgen, genauer zwischen Sigmund Báthori und Maria Christierna 159439. Der erste habsburgisch-russische Heiratsvertrag wird 1799 geschlossen. Die Romanows sind auf dem vormodernen europäischen Heiratsmarkt zwar nicht isoliert, aber doch vor 1800 nur verbunden mit den deutschen Fürstenhäusern Mecklenburg, Holstein-Gottorf, Braunschweig-Wolfenbüttel, Hessen-Darmstadt und Württemberg. Ebenfalls auf die deutschen Fürstenhäuser konzentriert ist Schweden. Neben Polen und Dänemark finden sich vor allem verwandtschaftliche Beziehungen mit Baden, Pfalz, Brandenburg, HolsteinGottorf und Hessen. Ein europäisches Verwandtschaftsnetzwerk errichten nur noch Frankreich und England, Sayoyen sowie auch die Medici. Frankreich, Österreich, Sachsen, Bayern, Pfalz, Lothringen, Parma und Mantua gehören zu den Häusern, aus denen Ehepartner der Medici stammen. Unter den deutschen Fürstenhäusern bauen weiter verbreitete Heiratsbeziehungen mit europäischen Fürstenhäusern vor allem Bayern, Sachsen, Braunschweig und Pfalz auf. Ebenso wie Handels- und Schifffahrtsverträge, Offensiv- und Defensivallianzen, Neutralitätsverträge, Grenzrezesse, Subsidienverträge oder Familienpakte sollen auch frühneuzeitliche Heiratsverträge Frieden in Europa sichern. Dies wird eindrucksvoll belegt durch Artikel 33 des Pyrenäenfriedens 1659. Der Heiratsvertrag ist nicht nur Teil des Friedensvertrags, sondern soll dazu beitragen, dass der Friede, die Union, die Konföderation und die gute Verständigung eng, andauernd und unauflösbar werden. Friedens- und Heiratsvertrag sollen gleich sein an Kraft und Wert. Es heißt dort [Art. 33]: 38 Vgl.
u. a. Johann RAINER, Du glückliches Österreich heirate. Die Hochzeit der innerösterreichischen Prinzessin Margarethe mit König Philipp III. von Spanien 1598/99, Graz 1998. 39 Karl VOCELKA, Habsburgische Hochzeiten. 1550–1600. Kulturgeschichtliche Studien zum manieristischen Repräsentationsfest, Wien/Köln 1976.
130
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007) „Et afin que cette paix et union, confédération et bonne correspondance soit comme on le désire d’autant plus ferme, durable et indissoluble lesdits deux principaux Ministres Cardinal Duc et Marquis Comte Duc en vertu du pouvoir spécial qu’ilz ont eu à cet effect des deux Seigneurs Roys, ont accordé et arresté à leur nom le mariage du Roy trés Chrestien avec la Serénissime Infante Dame Marie Térése fille aisnée du Roy Catholique et ce mesme jour date des présentes ont fait et signé un traité particulier auquel on se remet touchant les conditions réciproques dudit mariage et le temps de sa célébration. Lequel traité à part et capitulation de mariage sont de la mesme force et vigueur que le présent traité comme en estant la partie principale et la plus digne aussy bien que le plus grand et le plus précieux gage de la seureté de sa durée“40.
In der deutschsprachigen Ratifikation des Ehevertrags zwischen der späteren russischen Zarin Anna Iwanowa, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des Ehevertrages sieben Jahre alt war, und dem zweijährigen, ein Jahr darauf schon verstorbenen Herzog Friedrich Wilhelm von Kurland aus dem Jahre 1710 heißt es, dass das Eheverbündnis geschlossen werde: „zu der allerhöchsten Ehren und zu etablierung gutten Verständnißes, und Vertrauens, zwischen beyderseits hohen Principalen, auch beförderung gedeylichen Aufnehmens, und Wohlfahrt zwischen beyderseits Reiche, und Länder“41.
Eine ähnliche Wendung findet sich auch in der Präambel des Ehevertrags des späteren Ludwig XVI. und Marie Antoinettes, in dem die Freundschaft (l’amitié) beschworen wird „en fin d’assurer de plus en plus la tranquillité et la prosperité des Royaumes des Provinces qui sont sous leurs domination“42. Dabei wird deutlich, dass viele Heiratsverträge sowohl auf die Dynastien bezogen bleiben als auch den gesamten Herrschaftsraum, einschließlich der Untertanen, umfassen. Nicht nur die Dynastie und ihr Herrschaftsgebiet stehen dabei im Mittelpunkt, sondern auch der Frieden in ganz Europa und in der christlichen Welt. In der Präambel des Heiratsvertrages zwischen Franz d’Este und Charlotte d’Orléans (1720 II 11) findet sich für das fürstliche Haus die Bezeichnung „principale Maison de l’Europe“43, womit eine Art soziale Ordnung Europas suggeriert wird. Europa ist hier eine Identifikationsund Bezugsgröße, eine Art Dach, unter dem sich verschiedene Häuser verei40 Archiv des französischen Außenministeriums, Paris: M.A.E. Traités. Espagne 16590001: Traité de paix, dit ‚traité des Pyrénées‘ (Ile des Faisans). http://www.smae.diplomatie. gouv.fr/choiseul/ (eingesehen 16.11.2006). 41 Heiratsvertrag von St. Petersburg (1710 VI 16/21), Russland und Kurland, DUCHHARDT/ PETERS, www.ieg-mainz.de/friedensvertraege/ (eingesehen am 24.11.2006). 42 Archiv des französischen Außenministeriums, Paris: M.A.E. Traités. Autriche 17700001: Heiratsvertrag von Wien (1770 IV 14); DUCHHARDT/PETERS, www.ieg-mainz.de/friedensvertraege/ (eingesehen am 16.11.2006). 43 Archiv des französischen Außenministeriums, Paris: M.A.E. Traités. M.A.E. Traités. Modène 17200003: Heiratsvertrag von Paris (1720 II 11); DUCHHARDT/PETERS, www.iegmainz.de/friedensvertraege/ (eingesehen am 16.11.2006).
Peters, Europäische Friedens- und Heiratsverträge der Vormoderne 131 nen. Der Bezug zu Europa wird auch im Heiratsvertrag zwischen Ludwig XV. und Maria Leszczyńska (1725 VIII 9) deutlich, in dem es um „le repos de son Royaume, et celuy de toute l’Europe“ geht44. Weit reichend sind die Ziele, die mit der Heirat zwischen Ludwig XIV. und Marie Theresia verbunden werden. Der Mainzer Frühneuzeithistoriker Hermann Weber hat sich besonders intensiv dem Konnex zwischen Friedensund Heiratsverträgen und dem Text dieses Heiratsvertrages gewidmet45. Hier geht es nicht nur um die Wohlfahrt zweier Reiche, sondern um die Sicherung „de la paix publique de la Chrestienté“: Es heißt in der Ausfertigung: „Que d’autant que leurs M[ajes]tez Tres Chrestienne et Catholiq[ue] sont venus et viennent a faire le Mariage afin de tant plus perpetuer et assurer par ce noeud et lien la paix publique de la Chrestienté Et entre leurs M[ajes]tez l’amour et La fraternité que chacun Espere Entr’elles et en contemplation aussy des Justes et Legitimes causes qui monstrent et persuadent l’Egalité et convenance dud[it] mariage, par le moyen du quel Et moyennant la faveur et grace de Dieu chacun en peut Esperer de tres heureux succez au grand bien et augmentation de la foy et Religion Chrestienne, au bien et benefice commun des Royaumes, sujetz et Vassaux des deux couronnes comme aussy pour ce qui touche et importe au bien de la Chose publique Et conservation desd[ites]. Couronnes qu’éstant si grandes et puissantes elles ne puissent etre reunies en une seule et que des a present on previenne les occasions d’une pareille Jonction“46.
Auch im Heiratsvertrag zwischen Bayern und Frankreich (1680 I 27) geht es um die Wiederherstellung der „tranquilité publique“47. Innerhalb der Friedensverträge wird Heiratsverträgen an der Seite von Recht und Diplomatie eine ganz besondere Funktion zugewiesen – und zwar als Steuerungselemente zur Erreichung der Nachhaltigkeit des Friedens. Gerade hieran macht Johannes Burkhardt die Instabilitäten frühmoderner Staatlichkeit, etwa in der unklaren Trennung zwischen öffentlicher und privater Sphäre, fest48. Schon Immanuel Kant sieht freilich hierin, dass sich „auch Staaten einander heuraten können“, eine Gefahr für Europa49. Es gibt ausreichend viele Beispiele, etwa der berühmte Ehevertrag zwischen Liselotte von der Pfalz und dem Herzog von Orléans, die die Ehe zur Friedenssicherung de 44 Archiv des französischen Außenministeriums, Paris: M.A.E. Traités. M.A.E. Traités. Pologne 17250004: Heiratsvertrag von Versailles (1725 VII. 09); DUCHHARDT/PETERS, www.ieg-mainz.de/friedensvertraege/ (eingesehen am 16.11.2006). 45 WEBER, Die Bedeutung der Dynastien (Anm. 27), S. 5–32. 46 Wie Anm. 40. 47 Archiv des französischen Außenministeriums, Paris: M.A.E. Traités. M.A.E. Traités. Bavière 16800002: Heiratsvertrag von München (1680 I 27); DUCHHARDT/PETERS, www.ieg-mainz.de/friedensvertraege/ (eingesehen am 16.11.2006). 48 Johannes BURKHARDT, Die Friedlosigkeit der Frühen Neuzeit. Grundlegung einer Theorie der Bellizität Europas, in: Zeitschrift für Historische Forschung 4 (1997), S. 509–574, hier: S. 539–541. 49 Zitiert nach BURKHARDT, Friedlosigkeit (Anm. 48), S. 541.
132
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
facto als unzureichend und kontraproduktiv aufdecken. Von Land zu Land unterschiedliche Rechtsgewohnheiten führen zu Unstimmigkeiten und Missverständnissen, wie sie bei den Verhandlungen der Ehe zwischen Johann Wilhelm von Pfalz-Neuburg und Anna Maria de’Medici belegt sind50. Dennoch steht hinter der Absicherung des Friedensvertrages durch eine fürstliche Ehe die Intention eines dauerhaften Friedens. In den Präambeln der Verträge ist genau dieser Funktionskonnex beschrieben. Im Heiratsvertrag zwischen Ludwig XIV. und Marie Theresia etwa wird die Hoffnung ausgesprochen, dass der Pyrenäenfriede die Lebenszeit der beteiligten Fürsten und Fürstinnen überdauern und die politische Allianz nachhaltig sichern möge. Dort heißt es, dass die Vertragspartner: „ont sort a coeur le bien de leurs Royaumes et d’affermir la paix qui s’établit aujourd’huy entre les deux Couronnnes, desirant que la durée de celle paix ne pas seulement a celle de la vie de leurs Maj[es]tez mais passe[nt]51 avec la meme fermeté a leurs successeurs et descendans et Jugeant que le plus efficace moyen pour parvenir a cette sainte fin est de renouer etroitement leurs alliances par le Lien d’un mariage leurs Maj[es]tez avec la grace de Dieu et a son Service ont Traité et accordé les Epousailles et mariage de s[a] Maj[es]té Le Roy tres Chrestien avec la ser[enissi]me Infante Dame Marie Therese Fille aisnée de sa Majesté Le Roy Cath[oli]que a fin de confirmer d’avantage par ce nouveau noeud, L’amour, L’amitié et L’union qui est et que l’on desire conserver entre Leurs dittes Majestez et pour est effet lesd[its] Seigneurs Plenipotentiaires aux noms Susd[its] ont Traité et accordé Les articles qui ensuivent“52.
Die Sicherheit eines Friedensvertrags durch Vermählung zu gewährleisten, ist ein häufig gewähltes Instrument in der Frühen Neuzeit. Im Friedensvertrag von Arras zwischen Frankreich und Habsburg aus dem Jahre 1482 soll dadurch z.B. die Burgundfrage geregelt werden. Im Vertragstext wird an mehreren Stellen auf die Ehe zwischen dem französischen Dauphin, dem späteren Karl VII., und Prinzessin Margarete von Österreich Bezug genommen, eine Ehe, die jedoch letztlich nicht realisiert worden ist. Dort heißt es: „Item, Pour plus grande seureté de ladite Paix, Traité & Alliance de mariage est fait“53. Um den adäquaten Ehepartner zu finden, werden soziale Grenzen abgesteckt. Daher sind auch Missheiraten in Jurisprudenz und Politik des 18. Jahrhunderts ein vieldiskutiertes Thema. Den Göttinger Reichsrechtler Johann Stephan Pütter veranlassen sie 1795 dazu, sich zunächst Über den Unter50 Vgl. Anna Maria Luisa Medici (Anm. 5). 51 Passe[nt]: [nt]: Durchgestrichen. Korrektur im Text. 52 Wie Anm. 40. 53 Archiv des französischen Außenministeriums, Paris:
M.A.E. Traité. Bourgogne 14820001: Friedensvertrag von Arras (1482 XII 23); DUCHHARDT/PETERS, www.iegmainz.de/friedensvertraege/ (eingesehen am 16. November 2006).
Peters, Europäische Friedens- und Heiratsverträge der Vormoderne 133 schied der Stände, besonders des hohen und niederen Adels in Teutschland54 im Klaren zu werden. Ein Jahr später veröffentlicht er seine Untersuchung Über Mißheiraten teutscher Fürsten und Grafen55, in der er sich deutlich gegen unstandesgemäße Ehen ausspricht, zu denen er nicht nur die zwischen Adligen und Bürgerlichen rechnet, sondern auch zwischen fürstlichem und nicht-fürstlichem, adligem Stand. Pütter zieht in seinem Werk interessanterweise die soziale Grenzlinie nicht zwischen Adeligen und Bürgern, sondern zwischen Hochadel auf der einen und niederem Adel und Nichtadligen auf der anderen Seite. Pütter fordert die gesetzliche Normierung fürstlicher Ehen durch grundsätzliche und grundgesetzliche Einschränkung der so genannten Missheiraten. Für ihn gehören Missheiraten in das Privat-Fürstenrecht, und er sieht darin ein den gesellschaftlichen Frieden der Staaten insgesamt destabilisierendes Signal. Er führt Ehen zwischen hohem und niederem Adel als eine Ursache an für Umsturz und Krise der dynastischen Ordnung im deutschen Reich und in Europa. Noch 1795 glaubt er, dass jedoch standesgemäße, gesetzlich normierte Ehen sehr wohl ein Instrument zur Erhaltung des europäischen Friedens sein können.
Summary Early modern marriage contracts certify claims on territories or abandon them, they cement the relationships between dynasties, are integrated in the ceremonies of peace agreements and open up new diplomatic and political options. Weddings, so it was often proclaimed, were supposed to secure or re-establish the calm of Europe and the Christian world. Marriage contracts should guarantee the viability of peace contracts. It is true that marriages between noble families also revealed the „instability” of emerging states and occasionally caused conflicts. Yet marriage contracts and plans were predestined to advance communication within Europe, in that they enhanced diplomatic and political exchange between the dynasties of the emerging European states as well as facilitating cross border transfers of capital. This article discusses the pros and cons of aristocratic marriage contracts and peacekeeping as it is reflected in the positions of selected personalities that lived between the 16th and the early 19th century. Theologians, constitutional experts, diplomats, historians – namely Erasmus, Besold, von Rohr, W. Cecil, Puetter – are cited, as are princes such as Wilhelm von Hessen-Kassel. 54 Johann Stephan PÜTTER, Über den Unterschied der Stände, besonders des hohen und niederen Adels in Teutschland. Zur Grundlage einer Abh. von Missheiraten teutscher Fürsten und Grafen, Göttingen 1795, ND Kronberg/Ts. 1979. 55 DERS., Über Missheirathen teutscher Fürsten und Grafen, Göttingen 1796.
Herrschaft und Heirat. Der europäische Hochadel in den Dynastischen Informationen des historischen Informationssystems HGIS Germany Von
Silke Marburg Herrschaft und Heirat – über diese Charakteristika des europäischen Hochadels erscheint uns die Staatenwelt auch des 19. Jahrhunderts auf den ersten Blick als miteinander verflochten. Näheres aber lässt sich über diese soziale Vernetzung bei dem gegenwärtigen Forschungsstand noch kaum angeben. Hier anzusetzen erscheint aus mehr als einer Perspektive sinnvoll. So verlangen Erkenntnisse über die politische und kulturelle Bedeutung einzelner dynastischer Verknüpfungen geradezu nach einem systematischen Rundblick über Europa. Andererseits gehört dieses Thema auch zur aktuellen Debatte über die Geschichte der europäischen Adelsformation(en), in deren Verlauf der interregionale Vergleich und die Konturierung einer europäischen „Grundtatsache“1 Adel eine weit größere Rolle gespielt haben als die europaübergreifenden Aspekte seiner prominentesten Teilformation2. Dieses räumlichen Bezugs auf die europäische Staatenwelt eingedenk, legen die Dynastischen Informationen des HGIS Germany Grundsteine für ein solches Panorama aus der Perspektive der deutschen Staaten. Die Struktur dieser Dynastischen Informationen bezieht sich deutlich auf das digitale Medium, in dem sie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Die GIS-Technologie gehört jedoch in den Geisteswissenschaften, zumal in der Geschichtswissenschaft, noch nicht zum hilfswissenschaftlichen Grundwissen3. Was also leistet ein GIS? Bei einem „Geographic Information 1 2
Monika WIENFORT, Der Adel in der Moderne, Göttingen 2006, S. 8. Für das 19. Jahrhundert vgl. etwa Hans-Ulrich WEHLER (Hrsg.), Europäischer Adel 1750–1950, Göttingen 1990; Dominic LIEVEN, The Aristocracy in Europe, 1815–1914, Houndmills 1992; Jean-Paul ALLARD (Hrsg.), Elite et noblesse en Europe, Lyon 1995. Eckart CONZE/Monika WIENFORT (Hrsg.), Adel und Moderne, Deutschland im europäischen Vergleich im 19. und 20. Jahrhundert, Köln [u. a.] 2004. Walter DEMEL, Der europäische Adel, Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, München 2005. 3 Zur derzeitigen Situation in den Sozialwissenschaften vgl. Steven J. STEINBERG/Sheila L. STEINBERG, GIS, Geographic Information Systems for the Social Sciences, Investigating Space and Place, Thousand Oaks, Calif. 2006. Einen Überblick über nationale GIS in den USA, Großbritannien, Irland, Belgien, in den Niederlanden, Deutschland, Russland, China, Südkorea, Kanada und über die Vernetzung durch die Electronic Cultural Atlas
136
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
System“ handelt sich um ein digitales System zur Erfassung und Verarbeitung von Informationen mit geografischer Referenz, die – je nach Aufbau des jeweiligen Systems – Flächen, Punkte oder Linien mit Informationen korrelieren. Das System selbst stellt auch die Analyseinstrumente zur Verfügung, mit Hilfe derer diese Informationen raumbezogen weiter verarbeitet werden können. Sobald ein GIS mit einer zeitlichen Dimension ausgestattet wird – (ein sog. TGIS) –, besteht auch die Chance ein, „Historical GIS“ (ein sog. HGIS) zu entwickeln. HGIS Germany basiert auf einem derartigen, mit einer Zeitkomponente aufbereiteten Geoinformationssystem und begreift sich als interaktives und multimediales historisches Handbuch über die deutsche Staatenwelt zwischen 1820 und 19144. Der vorliegende Beitrag stellt das den dynastischen Verbindungen gewidmete Dataset 1 des Moduls Dynastische Informationen vor. Die Dynastischen Informationen bieten Angaben zu den Herrscherhäusern der Einzelstaaten des Deutschen Bundes, des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reiches. Diese regierenden Häuser können als eine per se „georeferenzierte“ Teilgruppe des europäischen Hochadels bezeichnet werden. Die verfassungsgeschichtliche Referenz bestand zwischen einem monarchisch verfassten Staatsgebilde einerseits – im System repräsentiert durch ein Polygon, das dessen aktuelles Staatsterritorium als Landkarte abbildet – und einem regierenden Fürstenhaus andererseits über Verfassung und Hausgesetz5. Das Beobachtungsgebiet weist lediglich vier Staaten auf, die niemals Monarchien waren. Es handelt sich um die Städte Bremen, Hamburg, Lübeck und Frankfurt. Die Legitimation ihrer Bürgermeister beruhte nicht auf dem Erbprinzip innerhalb einer Abstammungsfamilie, sondern auf dem Verfahren der
Initiative ECAI bietet Reports on National Historical GIS Projects, in: Emerging Trends in Historical GIS, Historical Geography, Special issue 33 (2005), hrsg. von Anne Kelly Knowles, S. 134–158. 4 Vgl. hierzu die Internet-Version des Systems unter http://www.hgis-germany.de. Zum Gesamtprojekt und seinen weiteren Modulen vgl. Dorlis BLUME/Bettina JOHNEN/Andreas KUNZ/Silke MARBURG, HGIS Germany – ein raumbezogenes historisches Informationssystem der deutschen Staatenwelt im 19. Jahrhundert (1815/20–1914), in: Entwicklung auf dem Gebiet der Informations- und Messtechnik, Festschrift zur Verabschiedung von Wolfgang Böhler, hrsg. von Frank Boochs und Hartmut Müller, Aachen 2005, S. 168–179, sowie zur technischen Umsetzung Leonhard DIETZE/Christine WACHTENDORF/Alexander ZIPF, GIS-Funktionen und WebMapping im Historischen GIS Germany, ebd., S. 147–167. Andreas KUNZ, Exploring ‚Worlds of States’ through Time and Space – Some Notes on the Online Information System ‚HGIS Germany’, in: Historisches Forum, Themenhefte von Clio-online 8 (im Erscheinen). Das von Andreas Kunz, Wolfgang Böhler und Alexander Zipf geleitete Projekt wird von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung umfassend gefördert. 5 Im Gegensatz zu anderen Informationen des Systems, die sich auch auf kleinere Einheiten als die Einzelstaaten beziehen, z. B. deren Regierungsbezirke, sind die Informationen über das regierende Haus allein auf der Ebene des Gesamtstaats sinnvoll.
Marburg, Herrschaft und Heirat
137
Wahl. Für diese Ausnahmefälle lassen sich daher keine Dynastischen Informationen bereitstellen. Der zeitliche Rahmen der Dynastischen Informationen ist mit den Jahreszahlen 1815 und 1918 abgesteckt, wobei das System dem Benutzer bislang lediglich die Jahre 1820 bis 1914 präsentiert. Diese Entscheidung für das „kurze“ 19. Jahrhundert liegt in dem vergleichsweise stabilen Zustand begründet, der mit dem Ende des Wiener Kongresses für ca. ein Jahrhundert auf der politischen Landkarte eintrat. Deren vorangegangene tief greifende Neuordnung hatte auch eine Neuordnung der Fürstengesellschaft bedeutet, die durch die Beschlüsse des Kongresses gleichfalls zementiert worden war. Insofern liegt ein relativ geschlossener Beobachtungszeitraum vor, der seinen Schlusspunkt wiederum mit der Abdankungswelle findet, die im November 1918 die deutsche Staatenwelt durchlief. Hier endete jene verfassungsmäßige Referenz zwischen Regentenhaus und Staat, auf der die Modellierung beruht. Diese beiden historischen Zäsuren grenzen das Modul Dynastische Informationen auch der Logik seines Gegenstandes nach sinnvoll ein6. 1. Fragehorizont Die Modellierung reflektiert Charakteristika der Untersuchungsgruppe ebenso wie die Fragerichtungen, für die das System bei seinen Benutzern Interesse voraussetzen kann bzw. wecken soll. Der Hochadel war aus der Sicht des deutschen Fürstenrechts durch Abstammung von bestimmten europäischen Fürstenhäusern aus ebenbürtiger Ehe definiert. Während das Kriterium der Ebenbürtigkeit die Gruppe als prinzipiell endogam orientiert zeigt, reflektiert die Gesamtheit der in Frage kommenden Häuser gleichzeitig den europäischen Horizont des Gruppendesigns. Über die Heiratspraxis der in Frage stehenden Formation gibt es bislang jedoch keine empirischen Erkenntnisse. In zwei Fragerichtungen lassen sich von den Dynastischen Informationen Thesen erwarten. Erstens wird eine These über den europäischen Zuschnitt der Sozialgruppe erwartet. Kann man von einer europäisch übergreifenden Sozialstruktur sprechen oder handelte es sich um eine Anzahl segmentärer Verflechtungen, oder welches Licht wirft die Heiratspraxis sonst auf diese Frage?7 Wie stabil stellen sich Heiratskreise im Verlauf des 19. Jahrhunderts 6 Am jährlich fokussierten Stichtag, dem 31.12., lag diese Abdankungswelle 1918 bereits einen guten Monat zurück. Um auch für dieses Jahr noch Dynastische Informationen bereitstellen zu können, wird hier der letzte Tag der jeweiligen Monarchie abgebildet. Dieses Verfahren blendet also Informationen zusammen, die sich auf die kurze Zeitspanne weniger Novembertage beziehen. 7 Einer ähnlichen Fragestellung geht für die Frühe Neuzeit nach Walter DEMEL, „European Nobility“ oder „European Nobilities“? Betrachtungen anhand genealogischer Verflechtungen innerhalb des europäischen Hochadels (ca. 1650–1800), in: Region – Territorium – Nationalstaat – Europa. Beiträge zu einer europäischen Geschichtslandschaft, Festschrift
138
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
dar? Wie war das Vernetzungspotenzial unter den Häusern verteilt – ähnlich oder wechselnd oder gab es eine Gruppe der „big linker“? Schließlich anders gefragt: Welche Rolle kam der interdynastischen Verknüpfung durch Heirat für die Monarchien des deutschen ebenso wie des europäischen Raumes im 19. Jahrhundert eigentlich zu? Zweitens interessiert für den deutschen Hochadel, welche Rolle die Subkategorien in der Heiratspraxis spielten, in denen sich die Gruppe selbst im Gothaischen Genealogischen Handbuch, Fürstliches Taschenbuch (Hofkalender) präsentierte, welche Rolle spielten Partner, die nicht dem Hochadel angehörten?8 Dies scheint insbesondere für eine These einer etwaigen nationalen Homogenisierung des deutschen Adels im 19. Jahrhundert von Aussagewert9. 2. Verfahren HGIS Germany fokussiert pro Staat vier Angehörige des regierenden Hauses: den Monarchen selbst (DynInfo 1 und 2), seine Ehefrau (DynInfo 7 und 8), die Ehefrau des Thronfolgers (DynInfo 9 und 10) und den Ehemann der zuerst verheirateten Tochter des Monarchen (DynInfo 11 und 12) (vgl. Tab. 1). Mit den beiden erstgenannten Personen erscheint die aktuelle dynastische Verknüpfung an der Spitze jeder der Monarchien. Der Thronfolger ist nicht in jedem Fall mit dem tatsächlich folgenden Regenten identisch und gehört auch nicht notwendiger Weise der Folgegeneration des Monarchen an. Für die Dynastischen Informationen wird er entsprechend der je aktuellen Konstellation im Fürstenhaus und dem gültigen Hausgesetz ermittelt. Dagegen ist der generationelle Sprung zwischen dem Monarchen und seiner Tochter den für Ludwig Hammermeyer zum 70. Geburtstag am 7. Oktober 1998, hrsg. von Wolf Dieter Gruner und Markus Völkel, Rostock 1998, S. 81–104. 8 Dessen sog. I. Abteilung beinhaltete die – später „ehemals“ – regierenden Häuser, die II. Abteilung die Standesherren und die III. Abteilung die neufürstlichen Häuser. Die Kategorisierung kommentiert jedes Mal der Vorspann der Hofkalender, in dem es heißt: „Die Aufnahme in die I. Abt. des Taschenbuchs der Fürstlichen Häuser (Hofkalender) hängt von politischen Vorgängen ab; die II. Abt. ist abgeschlossen. Zur Aufnahme in die III. Abt. ist das Dokument (Diplom, Dekret, Handschreiben usw.) vorzulegen, wonach der fürstliche oder herzogliche Titel durch einen europäischen regierenden Fürsten oder seine Regierung (Ministerium, Heroldsamt, Adelsamt usw.) in den dort näher bezeichneten Staaten verliehen, bestätigt oder anerkannt worden ist“. 9 Solche Homogenisierungsthesen werden von der neueren deutschen Adelsforschung immer wieder bewegt und auch als Folge bzw. Pendant von Nationalisierungsprozessen gesehen. Gängig ist jedoch nicht ausschließlich eine zeitliche Verortung nach dem Ende des Kaiserreiches 1918, wie z. B. Eckart CONZE, Deutscher Adel im 20. Jahrhundert, Forschungsperspektiven eines zeithistorischen Feldes, in: Deutscher Adel im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. von Günther Schulz und Markus A. Denzel, St. Katharinen 2004, S. 17– 34, hier S. 23–25. Ebenso wird angenommen, eine solche Homogenisierung habe bereits en passant des 19. Jahrhunderts stattgefunden, so z. B. Heinz REIF, Adel im 19. und 20. Jahrhundert, München 1999, S. 2.
139
Marburg, Herrschaft und Heirat
DynInfos 11 und 12 bereits eingeschrieben. Hier wird die erste tatsächlich geschlossene Ehe einer der Töchter berücksichtigt, da die älteste Tochter des Monarchen u. U. im Kindesalter verstorben war oder unverheiratet blieb, während ihre jüngeren Schwestern heirateten. Die erste Heirat einer Fürstentochter konnte den Anspruch der Dynastie in der Wahl des Heiratskreises ausdrücken und beeinflusste die Heiratschancen weiterer Töchter. Insgesamt werden sowohl Heiratsverbindungen von männlichen als auch von weiblichen Dynasten präsentiert. Tab. 1: Übersicht über die DynInfos des Datatset 1 (Dynastische Zugehörigkeiten)
Dynastische Zugehörigkeit
zu einem Einzelhaus
zu einem Gesamthaus
des Monarchen
DynInfo 1
DynInfo 2
der Ehefrau des Monarchen
DynInfo 7
DynInfo 8
der Ehefrau des Thronfolgers
DynInfo 9
DynInfo 10
des Ehemannes der zuerst verheirateten Tochter des Monarchen
DynInfo 11
DynInfo 12
Um die Informationen über die dynastische Zugehörigkeit in das System zu implementieren, müssen sie mittels einer Codierung in numerische Informationen überführt werden. Da die in Frage kommenden Dynastien jedoch in sehr unterschiedlichem Maß substrukturiert waren, bieten sie selbst keine einheitliche, direkt übertragbare Kategorisierung. Die hier vorgeschlagene Lösung versucht, den Aufwand bei der Herstellung des Systems zu begrenzen und modelliert deshalb mit nur je zwei Informationen pro Fall. Die dafür eingeführten Bezeichnungen „Einzelhaus“ und „Gesamthaus“ versuchen den gesetzten Charakter des Modells zu vermitteln. Die Liste der sog. Gesamthäuser bietet Hilfstabelle 2. Sie unterstützt die DynInfos 1, 7, 9 und 11. Als Gesamthaus wird stets jene Bezeichnung ausgewählt, oberhalb derer die Dynastie keine weitere historisch-genetische
140
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Verbindung mit einer anderen Dynastie mehr aufwies. Dabei wird die oberste mögliche Gliederung angegeben, unabhängig davon, ob und wie sich die einzelne Dynastie weiter untergliederte. Eine nationale Zuordnung erfolgt auf dieser obersten Gliederungsebene nicht, da gerade Dynastien im Sinn von Gesamthäusern es waren, die national übergreifende Strukturen ausbildeten. Für den deutschen Raum ergeben sich so 17 namentlich genannte Dynastien (vgl. Tab. 2). Tab. 2: Hilfstabelle 2 Code 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 88 89 90 95 96 99
Gesamthaus noch ungeklärt Anhalt (Askanien) Baden (Zähringen) Bayern (Wittelsbach) Braunschweig-Lüneburg (Welfen) Hessen (Lothringen-Brabant) Hohenzollern Oldenburg Liechtenstein Lippe Nassau Mecklenburg Habsburg Reuß Sachsen (Wettin) Schwarzburg Waldeck Württemberg andere europäische Dynastie (Hochadel) nichtfürstliche Familie (niederer Adel, Bürgerliche) Position nicht zu klären Fürstenhäuser in Kondominat keine monarchische Herrschaft kein Gesamthaus
Alle hier nicht auftretenden Zugehörigkeiten werden unter Sammelcodes gefasst. Prinzipiell besteht die Möglichkeit, den Sammelcode „andere europäische Dynastie (Hochadel)“ bei einer möglichen Erweiterung des Systems auf die gesamte europäische Staatenwelt aufzulösen, indem man die Liste der namentlich genannten Dynastien um weitere Codes ergänzt. Für den Sam-
Marburg, Herrschaft und Heirat
141
melcode „nichtfürstliche Familie (niederer Adel, Bürgerliche)“ ist eine solche Aufgliederung ebenso wenig vorgesehen wie für die Option „kein Gesamthaus“. Diese wird immer dann vergeben, wenn aktuell keine in Frage kommende Heiratsverbindung bestand, weil das Hausmitglied (noch) keine Ehe eingegangen oder bereits wieder verwitwet oder geschieden war. Für die Stadtstaaten gilt stets die Information „keine monarchische Herrschaft“. Eine systembedingt notwendige Hilfskonstruktion im Bereich des Hauses Reuß jüngere Linie arbeitet mit der Information „Fürstenhäuser in Kondominat“. Und schließlich gilt in einigen Ausnahmefällen „Position nicht zu klären“. Ein solcher Ausnahmefall tritt beispielsweise ein, wenn keine Thronfolge mehr geltend gemacht werden konnte, so z. B. im Herzogtum SachsenGotha-Altenburg, dessen staatliche Existenz mit dem Tod Herzog Friedrich IV. (1774–1825) endete. Bereits während der Regierungszeit des kinderlosen Herzogs war die Frage unter den erbberechtigten Ernestinischen Agnaten kontrovers, ob hier künftig eine Lineal- oder eine Gradualerbfolge Beachtung finden würde, so dass die Thronfolge allenfalls als „unklar“ bezeichnet werden kann. Für diese Situation lässt sich selbstverständlich auch eine Ehepartnerin des in Frage stehenden Thronfolgers nicht benennen. Hilfstabelle 2 enthält auch Codes, die auf die Person des Monarchen (DynInfo 1) niemals zutreffen, sondern nur für Ehepartner – d. h. in den DynInfos 7 bis 12 – Verwendung finden, so z. B. der Code „nichtfürstliche Familie“. Und analog in Hilfstabelle 3 die Codes “standesherrliches Haus“ oder gleichfalls „nichtfürstliche Familie“. Diese Optionen werden mit dem Ziel eingeführt, eine einzige gemeinsame Hilfstabelle für die DynInfos 1, 7, 9 und 11 sowie eine zweite gemeinsame Hilfstabelle für die DynInfos 2, 8, 10, und 12 (Hilfstabelle 3) zu schaffen. Das eröffnet die Möglichkeit, Fragestellungen für alle Probanden auf einer einheitlichen kategorialen Basis durchzuführen. Tab. 3: Hilfstabelle 3 Code 0 1 2 3 5 6 7 8 9 10
Einzelhaus noch ungeklärt Anhalt-Bernburg Anhalt-Dessau, ab 1863 Anhalt Anhalt-Köthen Pfalz-Zweibrücken-Birkenfeld (Wittelsbach) Wettin Albertinischer Linie Sachsen-Gotha-Altenburg (Ernestiner) Hessen-Kassel Württemberg Baden-Durlach
142 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 29 30 31 32 33 34 36 37 38 39 40 41 70 81 83 90 95 96 97 98 99
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007) Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg Schaumburg-Lippe Mecklenburg-Schwerin Mecklenburg-Strelitz Königliches Haus Preußen (Hohenzollern) Reuß ältere Linie Sachsen-Meiningen (Ernestiner) Hessen-Darmstadt Sachsen-Coburg-Saalfeld, ab 1826 Sachsen-Coburg und Gotha (Ernestiner) Reuß-Ebersdorf, ab 1824 Reuß-Lobenstein u. Ebersdorf (Reuß jüngere Linie) Sachsen-Hildburghausen, ab 1826 Sachsen-Altenburg (Ernestiner) Reuß-Schleiz (Reuß jüngere Linie), ab 1853 Reuß jüngere Linie Sachsen-Weimar-Eisenach (Ernestiner) Habsburg-Lothringen Königliches Haus Hannover, ab 1913 Braunschweig-Lüneburg Reuß-Lobenstein (Reuß jüngere Linie) Neues Haus Braunschweig Schwarzburg-Sondershausen Schwarzburg-Rudolstadt Liechtenstein Hohenzollern-Hechingen Hohenzollern-Sigmaringen Waldeck Hessen-Homburg Lippe-Detmold Lippe-Biesterfeld Nassau-Weilburg, ab 1890 Luxemburg Nassau-Usingen Großherzogliche Linie Oldenburg Kondominat der Häuser Reuß jüngere Linie standesherrliches Haus nichtfürstliche Familie (niederer Adel, Bürgerliche) Position nicht zu klären Fürstenhäuser in Kondominat keine monarchische Herrschaft kein regierendes Einzelhaus außerdeutsches regierendes Einzelhaus kein Einzelhaus
Marburg, Herrschaft und Heirat
143
Die Liste der sog. Einzelhäuser, die die Hilfstabelle 3 bietet, unterstützt die DynInfos 2, 8, 10 und 12. Die Wahl der Gliederungsbegriffe beruht auf einer analytischen Reduktion von komplexen dynastischen Strukturen, da die in Hilfstabelle 2 angenommenen Gesamthäuser in vielen Fällen mehr als eine weitere dynastische Subgliederungsebene aufweisen. Die gewählte Ebene ist die Ebene der territorialen Herrschaft. So ist es möglich, im GIS immer dann eine kartografische Abbildung der Einzelhäuser zu erzeugen, wenn ein Dynast des in Frage stehenden Einzelhauses in einem Staat des Beobachtungsgebietes regierte. Der Zuschnitt der Kategorie Einzelhaus unterstützt damit die räumliche Darstellung und Analyse. Bei Häusern, die nicht in Linien untergliedert sind, kann hier derselbe Begriff auftreten wie in Hilfstabelle 2, wenn die regierende Linie keine genauere Bezeichnung hat, wie dies z. B. für das Haus Liechtenstein der Fall ist. Existiert jedoch eine genauere Bezeichnung für die Linie, so erscheint diese hier. Gegenüber Hilfstabelle 2 ist für denselben Begriff aber nicht derselbe Code erforderlich. Die Identifizierung als „Einzelhaus“ ist unabhängig davon, ob diese Bezeichnung zeitgenössisch als „Haus“, „Linie“ o. ä. firmierte. Eine mittlere dynastische Gliederungsebene – d. h. zwischen dem sog. Gesamthaus und dem sog. Einzelhaus – kann der Bezeichnung des Einzelhauses als Extension in Klammern hinzugefügt werden, so z. B. „Ernestiner“ (vs. Albertinische Linie) für fünf Einzelhäuser des Gesamthauses Sachsen (Wettin) oder „Reuß jüngere Linie“ (vs. Reuß ältere Linie) für drei Einzelhäuser des Gesamthauses Reuß. Die Bezeichnungen ermöglichen es dem Benutzer, Einzelhäuser selbst dem entsprechenden Gesamthaus zuzuordnen, denn das System selbst erlaubt es nicht, Kategorien der beiden Hilfstabellen untereinander zu fixieren. Außerhalb des Beobachtungsgebietes von HGIS Germany regierende Häuser werden als „außerdeutsche regierende Einzelhäuser“ in einem Sammelcode zusammengefasst. Damit ist eine nationale Zuordnung summarisch berücksichtigt und gleichzeitig auch hier eine spätere additive Spezifizierung dieser Häuser im europäischen Rahmen ermöglicht. Gleichfalls eine Sammelcodierung erhalten – ebenso wie in Hilfstabelle 2 – die Stadtstaaten, in denen „keine monarchische Herrschaft“ vorlag. Eine Heiratsverbindung wird nun stets so lange als gegeben angenommen, wie der beobachtete „ausheiratende“ Partner selbst am Leben und zudem Mitglied des auswärtigen Fürstenhauses war. Dies bedeutet eine ungleiche Behandlung von sog. agnatischen und kognatischen Verbindungen, denn die ausheiratende Frau blieb auch als Witwe Mitglied des Hauses ihres verstorbenen Ehemannes und verlor diesen Status erst durch eine neuerliche nichtmorganatische Eheschließung mit einem anderen Partner. Dagegen hörte die dynastische Verbindung aus der Sicht des Hauses des Ehemannes auf, sobald die Frau verstorben war. Alle Informationen beziehen sich stets auf den 31. Dezember des jeweiligen Jahres. D. h. dass alle im Laufe eines Jahres nur
144
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
vorübergehenden dynastischen Verbindungen, die nicht an einem 31. Dezember bestanden, dem System derzeit verloren gehen10. 3. Output Die Informationen, die auf diese Weise konstruiert und in das System eingefügt werden, sind für den Benutzer auf zweierlei Art verfügbar. Zum einen lässt sich eine verbale Information abrufen, zum anderen über das System eine Kartierung in Gang setzen. Das im Internet verfügbare WebGIS bietet eingangs die Möglichkeit, Anfragen entweder auf einen einzelnen Teilstaat zu richten oder unterschiedliche sog. „Staatenwelten“ – d. h. unterschiedliche Räume, die mehrere Einzelstaaten umfassten – zu beobachten. Entsprechend können auch die Dynastischen Informationen jahrweise sowohl als Informationen über einen Einzelstaat abgerufen bzw. visualisiert werden als auch eine Anfrage für den gesamten Beobachtungsraum unterstützen. Die Oberfläche des WebGIS ermöglicht dem Benutzer einige vorformulierte und damit aus Historikersicht sinnvolle Abfragen. Als Beispiel für die Verbindungen eines Einzelstaates dienen hier die Dynastischen Informationen über das Herzogtum Sachsen-Altenburg im Jahr 1847. Abbildung 1 zeigt zunächst das Fenster mit den verbalen Informationen. Abbildung 2 zeigt dann die Kartierung aller fokussierten dynastischen Verbindungen. Farblich unterschiedlich markiert finden sich neben dem ausgewählten Staat Sachsen-Altenburg (im Original rot) das Königreich Württemberg (im Original gelb für die Eheverbindung des Monarchen), das Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin (im Original grün für die Eheverbindung des Thronfolgers) und das Königreich Hannover (im Original blau für die Eheverbindung der zuerst verheirateten Tochter des Monarchen). Folgende Ehen sind auf diese Weise repräsentiert: Den Altenburger Thron hatte 1847 Herzog Joseph (1789–1868) inne. Er war mit Amalie (1799–1848) verheiratet, einer Tochter des Herzogs Ludwig von Württemberg (1756–1817) und seiner Frau Henriette Prinzessin von Nassau-Weilburg (1780–1857). Da der regierende Herzog selbst keinen Sohn hatte, lag die Thronfolge bei seinem Bruder Georg (1796–1853). Georg hatte 1825 Maria (1803–1862) geheiratet, eine Tochter des bereits verstorbenen Erbgroßherzogs Ludwig von Mecklenburg-Schwerin (1778–1819) aus dessen erster Ehe mit der russischen Großfürstin Elena Pawlowna (1784–1803). Schließlich war Prinzessin Marie (1818– 1907) die erste von Josephs fünf Töchtern gewesen, die eine Ehe einging. Sie hatte sich 1843 mit dem späteren König von Hannover Georg V. (1819–1878)
10
Da der Fall äußerst selten auftritt, wird die Abbildung der Dynastischen Informationen dadurch nicht nennenswert verzerrt.
Marburg, Herrschaft und Heirat
145
vermählt11. Weniger das einzelne Kartenbild als der Vergleich mehrerer solcher Karten bzw. Kartenreihen eignet sich als Ausgangspunkt, um die je unterschiedlichen Voraussetzungen und Konsequenzen solcher Verbindungen für die Kommunikation unter den beteiligten Fürstenhäusern zu beleuchten. Aus dem Bereich der sog. Staatenwelten sei als Beispiel für eine vom WebGIS unterstütze Abfrage hier die Frage „Welche Gesamthäuser waren im Jahr 1843 mit Regenten in Staaten des Deutschen Bundes vertreten und wo regierten sie?“ genannt (vgl. Abb. 3). Das Ergebnis ist eine Karte mit Farblegende (im Original) der Gesamthäuser. Besonders kleinräumige Verhältnisse, wie etwa in Thüringen, kann sich der Benutzer mit einem Zoom genauer erschließen. Die analoge Frage nach den Einzelhäusern beantwortet das System ebenfalls, indem es eine entsprechende Karte generiert. Darüber hinaus lässt das GIS auch Fragen danach zu, welche Einzel- bzw. welche Gesamthäuser die fokussierten Ehepartner in den regierenden Häusern der deutschen Staatenwelt stellten, aus welchen Einzelhäusern beispielsweise die Ehefrauen der Regenten kamen. 4. Perspektiven Wie einleitend erwähnt, zielt die vorgestellte Modelllösung auf Fragen nach der europäischen vs. nationalen Strukturierung sowie nach der internen Struktur des europäischen Hochadels. Als Gradmesser der internen Verflochtenheit dienen hier die Heiratskreise12. Trotz seines grundsätzlich „deutschen“ Blickwinkels richtet sich HGIS Germany auf Mitteleuropa aus. Allerdings lassen sich insbesondere die „Dynastischen Verbindungen“ der Einzelstaaten sowie die sog. „Staatenwelten“ nur im eigentlichen Beobachtungsgebiet, d. h. innerhalb des Deutschen Bundes/Deutschen Reiches, abfragen und kartografisch abbilden. Dies muss nicht nur bei einer näheren Auswertung der gesammelten Daten berücksichtigt werden, sondern er spielte bereits bei der Modellierung eine Rolle. So wurde den Dynastischen Informationen die Option eingeschrieben, das System nach demselben, hier vorgestelltem Modell in zweierlei Hinsicht zu erweitern – in räumlicher Hinsicht und in Hinsicht des erfassten Personenkreises. Zum einen nämlich kann das Beobachtungsgebiet sinnvoll auf Gesamteuropa ausgedehnt werden. Dieser Raum war – zumindest im 19. Jahrhundert – ebenso überwiegend monarchisch geprägt wie der Deutsche Bund und das Deutsche Reich bis 1918. Im Zuge einer solchen Erweiterung könnten
11
Diese Hintergrundinformationen zu den Dynastischen Informationen werden Teil des Kompendiums zu HGIS Germany sein. 12 Hierzu wird erst mit Hilfe des komplettierten Systems zu bilanzieren sein, das im Frühjahr 2007 zur Verfügung stehen wird.
146
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Abb. 1: Die Dynastischen Informationen für das Herzogtum Sachsen-Altenburg 1847
Marburg, Herrschaft und Heirat
147
Abb. 2: Karte „Dynastische Verbindungen“ für das Herzogtum SachsenAltenburg 1847
148
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Abb. 3: Dynastische Informationen über die Gesamthäuser der Regenten des Deutschen Bundes im Jahr 1843
Marburg, Herrschaft und Heirat
149
auch Adelskategorien hinzugefügt werden, die nur in anderen europäischen Adelslandschaften von Bedeutung waren (analog zu den „deutschen“ Standesherren). Zum anderen erscheint es interessant, weitere Angehörige der regierenden Fürstenhäuser und ihre Eheverbindungen zu fokussieren. Mit je zwei DynInfos pro Person ließe sich eine sukzessive Annäherung an ein Kartenbild erreichen, dessen Vollständigkeit mit der Abbildung aller dynastischen Verbindungen innerhalb der europäischen Staatenwelt erreicht wäre. Den Ehen der Töchter der Monarchen müssten dann nach gleichem Verfahren die Verbindungen aller heiratenden Söhne gegenübergestellt werden, weitere Hausmitglieder würden folgen. Über das Modell für diesen Datensatz hinausblickend, ermöglicht die GISTechnologie zudem die Integration von weiteren Informationen für jede fokussierte Person. Dies zeigt bereits das Dataset 2 der Dynastischen Informationen, in dem das Thema fürstlicher Herrschaft aus monarchischer Perspektive formuliert wird13. Zum Thema des Dataset 1 ließen sich allerdings auch Kriterien hinzufügen, die ebenfalls das Heiratskalkül der Dynastien beeinflussten, etwa deren Konfession oder ökonomische Aspekte, die in den Heiratsverträgen niedergelegt wurden. Mit raumbezogenen, auch multimedialen Informationen zur fürstlichen Alltagsgeschichte schließlich könnten die Dynastischen Informationen der Frage des Konnubiums andere Aspekte europäischer Verflochtenheit zur Seite stellen, deren primäre Akteure die Angehörigen der europäischen Regentenhäuser waren. So weist das Thema örtlicher Mobilität im Verlauf des 19. Jahrhunderts deutliche Referenz zur rapiden Infrastrukturentwicklung auf und ließe sich beispielsweise auf Lage und Frequentierung der Hoflager beziehen oder auch auf die fürstliche Reisetätigkeit. Ein HGIS erscheint hier einerseits als eine – prinzipiell aufwändige – Chance, historische Informationen einer breiten Öffentlichkeit digital zu vermitteln. Andererseits verdeutlicht HGIS Germany auch den technologischen Anstoß, den ein solches Informationssystem für eine vergleichende Forschung auf dem Gebiet des europäischen Hochadels bereithält.
Summary Most of the European states of the 19th century were monarchies, and as a result of this they were connected by two characteristics of its ruling families: rule and marriage. This was also the case within the then existing forty sovereign German states united loosely within the so-called German Confederation. Therefore, kinship bonds within Europe’s high aristocracy have become a 13
Vgl. hierzu meine Ausführungen in BLUME [u. a.] (Anm. 4), S. 175f.
150
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
major focus within HGIS Germany, a historical information system on the German states and territories since 1820. The first and most important dataset of HGIS Germany’s Dynastic Information Module contains encoded information on princely marriages. In order to achieve a direct link to the historical geographies stored in the information system, the dynastic affiliation of each person observed had to be encoded in relation to the territories ruled by the families. One problem in particular had to be resolved, namely how to encode rather simple dynastic structures jointly with highly complex and differentiated ones within a single encoding table based on only two units of observation. This paper describes the modelling of the table and offers examples relating four members of the ruling houses. Methods, problems and solutions suggested for the German case could be expanded to cover the whole of Europe.
ANDERE BEITRÄGE Deutschland, Frankreich und Europa. Interessen und Integration 1945 bis 2005* Von
Andreas Rödder Nach Jahrzehnten und Jahrhunderten der Konflikte, der Kriege und der Zerstörung begann im westlichen Europa um die Mitte des 20. Jahrhunderts eine historisch ganz ungewöhnliche Epoche: eine Epoche des Friedens, der Partnerschaft und des Wohlstandes, während sich überall auf dem Globus in kaum mehr zu überschauendem Maße Gewalt entlud und nach wie vor entlädt. Wie kam es zu dieser historischen Wende? So einfach diese Frage klingt, so grundlegend ist sie, und so unterschiedlich wird sie beantwortet. Da ist zum einen die idealistische Antwort: die „große Erzählung von der Selbstzivilisierung Europas“ nach 1945 und von der deutsch-französischen Aussöhnung – von Zivilgesellschaften und von Personen, die aus der Geschichte und aus den Schrecken der Weltkriege gelernt hatten und an ihre Stelle nun Versöhnung und Einigung setzten. Demgegenüber steht die hart realpolitische Lesart: nicht moralische Einsichten waren demzufolge die treibende Kraft, sondern klar geschnittene außen- und sicherheitspolitische Interessen im Europa des Kalten Krieges, zudem ökonomische Motive. Sie leiteten eine Politik, die vor allem von den politischen Eliten betrieben wurde. Hinzu kommt die Rolle der USA. Sie waren, wie kürzlich markant zugespitzt worden ist, nach dem Zweiten Weltkrieg „im Kreise der verblühten Diven Frankreich, England, Deutschland und Italien, die jahrzehntelang um den ersten Platz gekämpft hatten, der große Gleichmacher, damit aber zugleich der große Friedensstifter“. Die „Zivilisierung Westeuropas nach 1945“ war dieser Lesart zufolge „weniger das Ergebnis eines ‚Lernens’ aus der Katastrophengeschichte, als vielmehr die Folge der amerikanischen Übermacht“ (Ulrich Speck). Ideale einerseits und Interessen andererseits – dies sind zwei Ebenen, die sich historisch-politisch natürlich keineswegs ausschließen. Im Gegenteil: führen doch pure Interessen ohne richtungweisende Ideale in zynische Machtpolitik, während pure Ideale ohne interessenpolitisches Fundament in Ideologie, gar *
Vortrag auf dem Festakt 60 Jahre Johannes Gutenberg-Universität Mainz am 22. Mai 2006. Der Duktus des gesprochenen Worts wurde grundsätzlich beibehalten. Auf Belege wurde verzichtet.
152
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
kompromisslosem Furor zu enden drohen. So mischen sich in der Regel weltanschauliche und pragmatische Grundsätze, Interessen und Ideale in politicis. Im Einzelnen zu bestimmen ist das Mischungsverhältnis. Diese Verhältnisbestimmung von Idealen und Interessen soll im Folgenden vorgenommen werden, zunächst für die französische, dann für die deutsche Seite. Danach möchte ich einige Überlegungen zu politischen Ursachen und gesellschaftlichen Folgen der deutsch-französischen Partnerschaft und der europäischen Einigung anstellen und mit einigen allgemeinen historischpolitischen Schlussfolgerungen über Staatsräson zwischen Idealismus und Realpolitik schließen. I. Sécurité d’abord, so hat der französische Historiker Maurice Vaïsse seine Studie über die französische Rüstungskontrollpolitik in den frühen dreißiger Jahren programmatisch überschrieben. Dieser Primat der Sicherheit leitete, wie gerade französische Autoren mit aller Deutlichkeit hervorheben, die französische Außen-, Deutschland- und Europapolitik, und zwar nicht nur nach dem Ersten Weltkrieg, sondern auch nach dem Zweiten. Gerade der große französische Diplomatiehistoriker Georges-Henri Soutou hält sich nicht bei Freundschaft und Versöhnung auf, wenn er die harten nationalen Interessen betont, die der französischen Politik nach 1945 Richtung gaben. Es war dies ein zweifaches Sicherheitsstreben: Sicherheit gegenüber der sowjetischen Bedrohung im Ost-West-Konflikt zum einen und ebenso Sicherheit vor Deutschland zum anderen. Diesem zweifachen Sicherheitsstreben diente die gleich mehrfache Containment-Politik des westlichen Bündnisses: „NATO was invented“, wie Lord Ismay treffend gesagt haben soll, „to keep the Russians out, the Americans in, and the Germans down“. Für die französische Deutschlandpolitik hieß dies, und zwar im Gegensatz zur Politik nach dem Ersten Weltkrieg: Sicherheit durch Integration – durch bilaterale Zusammenarbeit und durch multilaterale Einbindung in die europäischen Institutionen. Grundlegendes Muster war dabei, und zwar in den 50er ebenso wie in den 70er Jahren, wie es Soutou formuliert hat, „mit der Bundesrepublik zu kooperieren, aber zur selben Zeit eine Überlegenheit über sie zu behalten“. Eben diese marge de supériorité wurde in den achtziger Jahren gefährdet: gefährdet zunächst durch die zunehmende ökonomische Dominanz der D-Mark als ultra-stabile Leitwährung in Europa, und dann erst recht durch die Wiedervereinigung Deutschlands. Kein Wunder, dass der Kollaps der DDR die französische classe politique Ende 1989 zunächst wie ein Schock traf.
Rödder, Deutschland, Frankreich und Europa
153
„Kohl reagiert deutlich verärgert und enttäuscht“, notierte sein außenpolitischer Berater Horst Teltschik in diesen Wochen. „Die Grenzen der Freundschaft werden für ihn sichtbar“. Wie tief indessen die französischen Ängste saßen, offenbart eine Äußerung François Mitterrands gegenüber Margaret Thatcher aus dem Dezember 1989, als die Frage einer deutschen Wiedervereinigung auf die internationale Tagesordnung kam: Man befinde sich in einer Situation, so wird Mitterrand überliefert, in der sich die Führer Frankreichs und Englands vor dem Krieg befanden und nicht reagierten. Es dürfe nicht passieren, dass man sich in einem zweiten München wiederfinde. Was zurzeit abläuft, so Mitterrand, sei genau wie 1913 und 1938. Als dann klar wurde, dass die deutsche Einheit kommen würde und dass sie überrollend schnell kommen würde, griff Mitterrand auf das klassische Muster zurück: die Einbindung durch Integration. Die vertiefte europäische Einbindung Gesamtdeutschlands sollte eine politische Hegemonie Bonns verhindern, und die europäische Wirtschafts- und Währungsunion – schon vor der Wiedervereinigung im Grundsatz beschlossen, aber noch längst nicht in trockenen Tüchern – würde die Dominanz der D-Mark brechen. Dies alles klingt nach Mißtönen in einem großen Versöhnungschor. In der Partitur einer europäischen Realpolitik aber klingt dieser obligate Tenor ganz harmonisch, als die Stimme einer klar kalkulierten Interessenpolitik. Ebendies war aus französischer Sicht, nach den Erfahrungen dreier Kriege und der Einsicht in die strukturelle Unterlegenheit gegenüber dem östlichen Nachbarn, vollständig rational. Auf deutscher Seite hingegen war nach der totalen Niederlage, militärisch und moralisch, Wiederaufbau das Gebot, und zwar in umfassendem Maß. Blicken wir auf die Bonner Politik im Gründungsjahrzehnt der Bundesrepublik, dann war es insbesondere Konrad Adenauer, der deutscherseits eine kühl kalkulierte Interessenpolitik betrieb. Er hatte erkannt, dass in einer konsequenten Westbindung die einzige Chance des westdeutschen Teilstaates lag, zu einem gleichberechtigten, souveränen Staatswesen innerhalb der westlichen Welt zu werden und dort zugleich Schutz vor der östlichen Bedrohung zu finden, die Adenauer in allen Knochen saß. Seit den fünfziger Jahren setzte die Bundesrepublik auf Multilateralismus und auf die Einbindung in integrative Zusammenschlüsse. Dies ist treffend als „Methode des Souveränitätsgewinns durch Souveränitätsverzicht“ (Helga Hafterdorn) beschrieben worden. Die Bonner Außenpolitik, und das war ihren realistischen Vertretern klar, konnte Handlungsfähigkeit immer nur dann entfalten, wenn sie sich in grundlegender Übereinstimmung mit ihren westlichen Verbündeten befand, nicht aber mehr im nationalen Alleingang. Dies waren zunächst politische, und im Grundsatz ebenfalls sicherheitspolitische Interessen. Sie verbanden sich aber auf deutscher Seite vor dem Erfahrungshintergrund der „deutschen Katastrophe“ (Friedrich Meinecke) in
154
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
besonderem Maß mit Idealen und moralischen Überzeugungen. Es waren die bitteren Erfahrungen der erlebten Abgründe, die sich zur bundesdeutschen Grundhaltung des „Nie wieder Krieg“ verdichteten – allerdings mit unterschiedlichen Konsequenzen: dem Pazifismus der gebrannten Kinder stand Adenauer mit dem alten Grundsatz gegenüber si vis pacem, para bellum (wenn du Frieden willst, rüste dich für den Krieg). Und damit reihte sich die Bonner Regierungspolitik, von der Wiederbewaffnung bis zum NATO-Doppelbeschluss, in die westliche Politik der Stärke im Ost-West-Konflikt ein. Zu keinem Zeitpunkt der Geschichte hatte dabei so viel auf dem Spiel gestanden wie im Zeitalter der nuklearen Abschreckung. Wie nie zuvor nämlich drohten sich die Kontrahenten gegenseitig die Vernichtung ihrer gesamten Zivilisation an. Sicherheitspolitisches Kalkül also auch in Bonn, aber das war, wie gesagt, nicht alles. Die klar interessengeleitete Politik der Westbindung und der Verbindung mit Frankreich ruhte nämlich auf grundlegenden Überzeugungen – und sie hatte zugleich auch eine gesellschaftliche Rückbindung. Je näher man hinschaut, desto mehr gibt es zu entdecken, wie dies mein Mainzer Kollege Michael Kißener sehr eindrucksvoll getan hat: Er führt uns zu einer Reihe von Persönlichkeiten, die oftmals aus Résistance und Widerstand kamen und sich alsbald nach Kriegsende in privaten Initiativen für deutsch-französische Verständigung engagierten, wie etwa den Kontakten zwischen deutschen und französischen Katholiken. Und auch auf institutioneller, staatlich-politischer Ebene findet sich, namentlich in der so tief ambivalenten französischen Besatzungspolitik und so ganz entsprechend der Idee der grande nation, die Verbindung von Sicherheitsstreben und von zivilgesellschaftlichen, kulturellen Zielsetzungen – konkret: Demokratisierung und Umerziehung. Was steht dafür prominenter als die Wiedergründung der Universität Mainz? Freilich: eine Massenbewegung, die den Prozess einer deutsch-französischen Verständigung vorangetrieben hätte, vermochten diese gesellschaftlichen Initiativen nicht zu entfachen. Meinungsumfragen aus den 50er Jahren zeigen, dass alte Feindbilder und große gegenseitige Vorbehalte fortbestanden – alles andere wäre nach dem Krieg und angesichts der konfliktreichen Tradition auch höchst sonderbar gewesen. Auf breiter gesellschaftlich-kultureller Ebene blieben sich Deutschland und Frankreich in der Nachkriegszeit zunächst recht fremd. So gesehen gilt auch für die deutsch-französische Verständigung und Annäherung das Diktum Napoleons: „Die Politik ist das Schicksal“. II. Schauen wir auf die Entstehung der deutsch-französischen Partnerschaft, so stoßen wir in der Tat immer wieder auf die Dominanz handfester politischer Interessen.
Rödder, Deutschland, Frankreich und Europa
155
Etwa im Fall der Montanunion: Als Robert Schuman im Mai 1950 seinen wegweisenden Vorschlag machte, die französische und die deutsche Bergbau- und Eisenindustrie zusammenzulegen, da geschah dies vor dem Hintergrund, dass die französische Politik ihr Ziel verfehlt hatte, den strukturell überlegenen Nachbarn im Osten nachhaltig zu schwächen. Vielmehr geriet Frankreich gegenüber Großbritannien und den USA zunehmend ins Abseits. Das sicherheitspolitische Interesse der Anglo-Amerikaner zielte in erster Linie darauf, die Bundesrepublik in das westliche Bündnis einzubeziehen – unter Einschluss auch des wirtschaftlichen Wiederaufstiegs, wie der amerikanische Präsident den französischen Außenminister schon bei der Gründung der NATO 1949 in aller Deutlichkeit hatte wissen lassen. Dann lieber Kontrolle durch Kooperation, das war die Pariser Schlussfolgerung, um die wirtschaftliche Vorrangstellung Frankreichs zu sichern und zugleich den deutschen Bestrebungen nach Souveränität durch eine solche Verflechtung einen Riegel vorzuschieben. Ganz anders, aber nicht weniger realpolitisch sahen Adenauers Motive aus: eine Montanunion eröffnete auch deutscherseits die Möglichkeit, Einfluss auf Frankreich zu nehmen und vor allem der politischen Gleichberechtigung in Europa näher zu kommen. Oder schauen wir auf den Elysée-Vertrag vom Januar 1963, dessen durch und durch real- und interessenpolitische Entstehung in der Forschung ganz unstrittig ist: am Rhein und an der Seine waren es in erster Linie außen- und sicherheitspolitische Motive, die Adenauer und de Gaulle leiteten. Adenauer suchte ein Gegengewicht zur Politik des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy und dessen Bemühen, zu einem Ausgleich mit Moskau zu kommen. Denn dies war Adenauer zutiefst suspekt. Kennedy weckte Adenauers Albtraum, dass über die Bonner Köpfe hinweg das Schicksal Deutschlands entschieden werden könne. Skepsis gegen die USA leitete auch de Gaulles Kalkül: was ihm vorschwebte, war die Emanzipation der grande nation von der amerikanischen Vorherrschaft in Europa – und dem sollte ein französisch-deutsches Gegengewicht dienen, das freilich so austariert sein sollte, dass die Bundesrepublik die Rolle des Juniorpartners spielen würde. Zugleich aber war solche Realpolitik nicht voraussetzungslos. Es war vielmehr Interessenpolitik auf der Grundlage dessen, was beide Seiten grundsätzlich für richtig hielten. Unabdingbar war eine allgemeine Bereitschaft zur Kooperation und zur Verständigung – und dies war eben anders als so oft vor 1945. Und etwas Wesentliches kommt hinzu: Absichten und Ursachen sind das eine, Folgen sind das andere, und oft entsprechen die Folgen keineswegs dem ursprünglich Geplanten. So auch hier: gerade der Elysée-Vertrag ist ein mustergültiges Beispiel dafür, wie sich Entwicklungen verselbständigen.
156
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Was war es, das der Elysée-Vertrag bewirkte? Weder die Emanzipation von der amerikanischen Vorherrschaft in Europa, noch verhinderte er die amerikanische Entspannungspolitik. Von besonderer, nachhaltiger Bedeutung waren vielmehr die praktischen gesellschaftlich-kulturellen Auswirkungen: die wachsende Zahl der Städtepartnerschaften und der menschlichen Begegnungen auf verschiedenen Ebenen, vor allem unter den Jugendlichen, für die das Jugendwerk gegründet wurde. Schüler- und Studenten-, Wissenschaftlerund Dozentenaustausch, Frankreich- und Deutschlandzentren im jeweils anderen Land ermöglichten vielfältige persönliche Begegnungen. Und das gegenseitige Kennenlernen baute Feindbilder ab. Das gilt schließlich auch auf der Ebene der Sprache: dort verselbständigte sich eine Rhetorik der „Freundschaft“ – und schließlich jene „große Erzählung von der Selbstzivilisierung Europas“ nach 1945, jener Europa-Mythos, der sich in den achtziger Jahren zu entfalten begann. Und eben dieser Mythos entwickelte seine eigene, verselbstständigte Antriebskraft, als sich die Regierungen in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre auf die riskante Fahrt durch die unabsehbaren Untiefen des europäischen Einigungsprozesses machten – bekräftigt durch die ebenso ritualisierte Selbstbeschwörung der „Unumkehrbarkeit“ des Prozesses. Solche Rhetorik mochte zuweilen Gegensätze kaschieren – zugleich aber schufen solche Sprachbilder ein verbreitetes und für die handelnden Politiker auch handlungsleitendes Bewusstsein. Dies alles waren nicht die Motive für den Abschluss des Elysée-Vertrages, aber es waren, und das ist historisch bedeutsamer, die wirkmächtigen Folgen. Das gilt in gewisser Weise auch für den kühlen Pragmatismus auf intergouvernementaler Ebene vor allem auf dem Feld der Wirtschafts- und Finanzpolitik, mit dem Giscard d’Estaing und Helmut Schmidt in der Krise der 70er Jahre kooperierten. Diese Jahre liegen heute in der allgemeinen Erinnerung im Schatten zwischen der unmittelbaren Nachkriegszeit und dem spektakulären Ende des OstWest-Konflikts. Und doch sind gerade die späten siebziger und die achtziger Jahre von weichenstellender Bedeutung für die Welt des 21. Jahrhunderts. Giscard und Schmidt hatten beide als Finanzminister ihrer Länder erlebt, wie 1973 der lang anhaltende Boom der Nachkriegszeit abrupt zu Ende gegangen war und in das „Zeitalter der langfristigen Schwierigkeiten“ überging. Nüchternes Krisenmanagement war, was Europa und dem Westen in den späteren 70er Jahren Not tat. Vor diesem Hintergrund starteten der französische Präsident und der bundesdeutsche Kanzler eine Initiative, mit der sie die Führer der sechs größten westlichen Industriestaaten zu einer informellen Konferenz zusammenbrachten. Das Treffen auf Schloss Rambouillet im
Rödder, Deutschland, Frankreich und Europa
157
November 1975 wurde zum Ausgangspunkt für die Tradition der Weltwirtschaftsgipfel. Noch weiter reichende Wirkungen entfaltete das Europäische Währungssystem von 1978. Es war aus der Not geboren, nachdem das Weltwährungssystem von Bretton Woods zu Beginn der siebziger Jahre zusammengebrochen war. Sieben europäische Staaten schlossen sich, auch dies unter deutsch-französischer Ägide, zu einem regionalen Währungsverbund zusammen. Auch das EWS geriet wiederholt in schwere Turbulenzen. À la longue aber stellte es die faktische Grundlage für die europäische Währungsunion dar, die seit den späten achtziger Jahren ins Auge gefasst und um die Jahrtausendwende realisiert wurde. Der Euro schafft dabei im selben Maß Selbstverständlichkeiten wie das Schengener Abkommen mit dem kontrollfreien Grenzverkehr: in einem ganz lebensweltlich-praktischen Sinne werden auf diese Weise Barrieren abgebaut und Verbindungen geschaffen – zivilgesellschaftliche Grundlagen der deutsch-französischen Kooperation und der europäischen Einigung, mehr Folgen denn Ursachen – Folgen aber, die ihre eigene Dynamik entfalten und die Entwicklung ihrerseits wiederum verstärkt und nunmehr selbst als Ursachen vorantreiben. Was sich auf diese Weise etabliert hat und etabliert, sind Selbstverständlichkeiten im Umgang miteinander – auf politischer Ebene vor allem ein gegenseitiges Grundverständnis als Partner, eine Normalität der friedlichen Konfliktbereinigung, die historisch keineswegs eine Selbstverständlichkeit darstellt. Auch die politischen Spannungen über die Wiedervereinigung offenbarten einerseits durchaus erhebliche – und auch fortwirkende – Interessengegensätze und Spannungspotentiale. Andererseits demonstrierte der gesamte Verlauf gerade aber auch die Belastbarkeit der deutschfranzösischen Partnerschaft, die daran eben nicht zerbrach. III. Das „wohlfahrtsstaatliche, kooperative und friedliche Europa“, so bringt es der amerikanische Historiker Tony Judt in seinem jüngst erschienen großen Buch mit dem Titel „Postwar“ auf den Punkt, „wurde nicht aus einem optimistischen, ambitionierten und zukunftsweisenden Projekt geboren, wie es sich Euro-Idealisten von heute in verklärter Rückschau vorstellen. Überschattet von der Geschichte, betrieben die politischen Führer soziale Reformen und den Aufbau neuer Institutionen als Prophylaktikum, um sich die Vergangenheit vom Leibe zu halten“ – und nicht nur um die Schatten der Vergangenheit fern zu halten, so ist zu ergänzen, sondern auch die höchst gegenwärtigen Bedrohungen für das politische und physische Überleben nach 1945 im alles überschattenden Ost-West-Konflikt.
158
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Was die Entstehungsgeschichte der deutsch-französischen Partnerschaft und ihre politische Umsetzung betrifft, so dominierten klar benennbare und kühl kalkulierte außen- und sicherheitspolitische, zunehmend auch wirtschaftliche Interessen. Im Grunde war es so, wie es Bismarck über Europa gesagt hatte: dass nämlich jeder, der Europa im Munde führe, letztlich seinen eigenen Vorteil im Sinn habe – und auch wieder nicht: Denn nach den Erfahrungen der Weltkriege lagen auch der konkret interessengeleiteten Politik grundlegende politische, ja zivilisatorische Überzeugungen zugrunde. Solche Ideen und gesellschaftlich-kulturellen Faktoren geraten einer streng realpolitischen Sicht leicht aus dem Blick. In der Tat waren die gesellschaftlichen Faktoren für die konkrete politische Entstehung der deutsch-französischen Annäherung und der europäischen Einigung von nachgeordneter Bedeutung. Bedeutung gewannen sie aber vor allem insofern, als diese gesellschaftlich-kulturelle Dimension sich im Lauf des Entwicklungsprozesses immer mehr verselbständigte. Auf diese Weise entstand ein Fundament von friedlich-kooperativen Selbstverständlichkeiten auf verschiedenen Ebenen, das ohne großes Aufhebens trägt, jedenfalls in „normalen“ Zeiten. Nur: was ist historisch normal? Westeuropa hat sich an Frieden und Wohlstand gewöhnt. Weder im Hinblick auf die Geschichte, noch im Hinblick auf den Globus der Gegenwart aber ist dies wirklich „normal“. Und ein weiteres kommt hinzu: Probleme der Zukunft sind meist gerade andere als diejenigen, die selbstgewisse Lehren aus der Vergangenheit zu vermeiden trachten. Und genau hier liegt ein Problem des politischen Mythos von der Selbstzivilisierung Europas, der von der Vergangenheit erzählt und auf Gegenwart und Zukunft zielt. Zumal in Deutschland verbindet sich diese „letzte verbliebene Utopie“, wie sie jüngst genannt worden ist, mit der These von der Postnationalität, vom Ende des Nationalstaats, und dem Postulat der „Friedensmacht Deutschland“. Gerade im Hinblick auf das Ausmaß globaler Gewaltentladungen und Gewaltpotentiale liegt dem allerdings weniger eine realpolitische Bestandsaufnahme zugrunde als vielmehr eine Mischung aus Wunschdenken, sprunghafter Emotionalisierung und einer verkürzten Moralisierung von Außenpolitik. Ohne interessenpolitisches Gegengewicht aber drohen sich selbstgewisse Ideale zur Ideologie zu übersteigern – zu ideologischer Selbstgewissheit, fixiert auf vermeintlich sichere Lehren aus der Geschichte, die sich selbst die Offenheit für das Unerwartete verschließt. Ebendies aber ist die eigentliche große Lehre der Geschichte: dass sich Zukunft eben nicht sicher prognostizieren lässt, sondern dass mit allem, und dass vor allem mit dem Unerwarteten zu rechnen ist: Wer hätte für möglich gehalten, dass Europäer fünfzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges tatenlos einem Massaker an einer ethnischen Minderheit auf ihrem Kontinent zusehen, wie es in Srebrenica geschehen ist?
Rödder, Deutschland, Frankreich und Europa
159
Wer hätte mit dem 11. September 2001 gerechnet? Und was ist, wenn die Krise des Wohlfahrtsstaates, an den sich Westeuropa so fundamental gewöhnt hat, zu gesellschaftlichen Spannungen führt, von denen die jüngsten Gewaltentladungen in Frankreich vielleicht nur einen Vorgeschmack liefern? Deutschland, Frankreich und Europa stehen vor neuen Aufgaben und umfassenden Veränderungen, deren Ende niemand wirklich absieht – auch und gerade diejenigen nicht, die meinen, es ganz genau zu wissen. Das in Europa Erreichte aber ist zu wichtig, um es durch Selbstgewissheit oder ideologische Horizontverengung aufs Spiel zu setzen. Frieden und Wohlstand in Europa wurden erreicht durch eine Verbindung von grundlegenden übergeordneten Idealen und wohlverstandener Staatsräson – nicht durch kurzsichtige Sprunghaftigkeit und volatile Moralisierung, sondern mit Kompass und Augenmaß: mit klaren Definitionen von grundlegenden Zielen und konkreten Interessen und ihrem realistischen Ausgleich. Dies waren der Kern und die Stärke der deutsch-französischen Partnerschaft und der europäischen Einigung nach 1945. Wenn wir auf Napoleon und sein Diktum von der Politik als dem Schicksal zurückkommen, dann ist dies in erster Linie eine Frage der Staatsklugheit und somit der Verantwortung vor allem der gewählten politischen Eliten. Und das ist es, was die Gesellschaften von ihnen verlangen sollten.
Summary This article provides a broad outline of Franco-German relations and European integration since the end of World War II. Reflecting mainly on the relationship of ideals and interests in the policy-making process, it also focusses on non-intended consequences of political actions. By examining different events of Franco-German relations and European integration, it maintains the dominance of political interests in this history, mainly for security and economic reasons, as well as the importance of unintended consequences becoming independent from motives eventually, making reconciliation an autonomous factor in the further development and creating a basis of cooperation standing even serious differences. In this way, refuting the master narrative of a European self-civilization after World War II as well as a merely powerpolitics driven interpretation, the article pleads, instead of an ideologized automatism of integration, for a clear-sighted and open-minded policy based on realistic interests as well as fundamental values.
Die Welt ist nicht genug! Zur Bedeutung von europäischer Geschichtsschreibung im „Zeitalter der Globalisierung“ Von
Dagmar Hilpert Ist Europa „out“? Die „Denkpause“, die dem europäischen Einigungsprozess nach der Diskussion über die Europäische Verfassung und den ablehnenden Referenden in Frankreich und den Niederlanden verordnet worden ist, scheint jedenfalls immer noch anzuhalten. So bestimmt das Thema „Europa“ kaum noch die öffentliche Auseinandersetzung in Deutschland, und die Debatte darüber, was das (alte) Europa ausmacht und „was die Europäer [eigentlich] verbindet“1, ist längst vergessen. Stattdessen geht es wieder vorrangig um die Bewältigung vermeintlich rein nationaler Probleme (Arbeitslosigkeit, Sozialsystem) einerseits, um die unverkennbaren Folgen und Auswirkungen einer scheinbar allgegenwärtigen Globalisierung andererseits. Ob die deutsche Ratspräsidentschaft in der ersten Jahreshälfte 2007 daran etwas ändern kann, ist fraglich. Somit stellt sich auch für den Europa-Historiker die Frage, ob europäische Geschichtsforschung eigentlich zeitgemäß ist. Nach dem Ende europäischer Weltbeherrschung, in einer Epoche schnell voranschreitender interkontinentaler Vernetzung und Kommunikation, weltweiter Prozesse der Interaktion, globaler sozialer, ökonomischer und ökologischer Probleme sowie kultureller Konflikte – wäre es da denkbar, dass der Schlüsselbegriff gar nicht „Europäisierung“ der Geschichtswissenschaft lautet, sondern es vielmehr darum gehen muss, die Probleme und Auswirkungen von Globalisierungsprozessen zu erfassen und geschichtlich aufzuarbeiten? Und spielt dann Europa überhaupt eine Rolle? Seit Mitte der 1990er Jahre lässt sich ein Anstieg von Publikationen zur Geschichte Europas beobachten, der sich in den letzten Jahren fast zu einem
1
Jürgen HABERMAS, Der 15. Februar – oder: Was die Europäer verbindet, in: Der gespaltene Westen, hrsg. von dems., Frankfurt 2004, S. 43–51. (Dieser von Jacques Derrida mit unterzeichnete Aufsatz wurde am 31. Mai 2003 in der FAZ veröffentlicht und war Teil einer Initiative europäischer Intellektueller gegen den Irakkrieg. Die Frage von Habermas, ob es historische Erfahrungen, Traditionen und Errungenschaften gebe, die für europäische Bürger das Bewusstsein eines gemeinsam erlittenen und gemeinsam zu gestaltenden Schicksals stiften, hatte dabei heftige Debatten ausgelöst.)
162
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Boom gesteigert hat2. Diese Euphorie scheint davon zu zeugen, dass sowohl ein Interesse als auch die Notwendigkeit bestehen, den voranschreitenden europäischen Integrationsprozess durch neue Perspektiven auf die gemeinsame Geschichte historiographisch zu begleiten. Darüber hinaus steht die europäische Geschichte mit ihrem Anliegen der „Erweiterung“ des nationalgeschichtlichen Grundschemas ganz im Trend der (post)modernen Theoriedebatte und der mit Nachdruck geforderten „Transnationalisierung“ der historischen Forschung. Allerdings haben in den letzten Jahren Befürworter einer neuen Welt- und Globalgeschichte zunehmend das Feld der „transnationalen Geschichtsschreibung“ besetzt. Diese betrachten es als vorrangig, weltweite Vernetzungen und Interaktionen, oder auch übergreifende Trends der Entstehung der globalen Moderne in den Mittelpunkt der Geschichtsschreibung zu rücken. Europäische Perspektiven hingegen, so wird argumentiert, reichten nicht aus, da die Europa-Historiographie zu häufig alten Leitbildern verhaftet bleibe und verengte Sichtweisen vermittele3. Seit einiger Zeit steht auch die Forderung nach Integration von Welt- und Globalgeschichte ins universitäre Curriculum immer deutlicher im Raum4 und droht damit, die gerade erst wiederentdeckten oder neu etablierten europäischen Perspektiven zu verdrängen. Damit befindet sich die Geschichtsschreibung über Europa insgesamt in einer paradoxen Situation: Einerseits ist der Bedarf an Vermittlung historischen Wissens auf europäischer Ebene groß – gerade auch aufgrund der Herausforderungen des voranschreitenden europäischen Integrationsprozesses –, und der Entwurf von neuen kohärenten und überzeugenden Konzepten für eine europäische Geschichtsschreibung erscheint notwendig. Auf der anderen Seite werden Ansätze und Bemühungen diesbezüglich von den Verfechtern der Welt- und Globalgeschichte gleich wieder in Frage gestellt und durch vermeintlich offenere, nicht „europazentrische“ Sichtweisen und Konzepte ersetzt. 2 Vgl. Jürgen ELVERT, Die Europäische Integration, Darmstadt 2006; Tony JUDT, Postwar. A History of Europe since 1945, London 2005; Elisabeth LICHTENBERGER, Europa. Geographie, Geschichte, Wissenschaft, Politik, Darmstadt 2005; Peter KRÜGER, Das unberechenbare Europa. Epochen des Integrationsprozesses vom späten 18. Jahrhundert bis zur Europäischen Union, Stuttgart 2005; Desmond DINAN, Europe Recast. A History of European Union, Basingstoke 2004; Harold JAMES, Europe Reborn: A History, 1914–2000, Harlow 2003; Wolfgang SCHMALE, Geschichte Europas, Wien 2000. 3 Vgl. Chris A. BAYLY, The Birth of the Modern World 1780–1914. Global Connections and Comparisons, Oxford 2004, S. 2. 4 Z. B. die Etablierung von Global Studies-Studiengängen mit historischer Ausrichtung im Rahmen der neuen BA/MA-Struktur, so etwa in Leipzig. Vgl. auch Katja NAUMANN, Globalgeschichte in der universitären Lehre: institutionelle Räume und geschichtspolitische Dimensionen, in: geschichte.transnational 12.05.2006, http://geschichte-transnational. clio-online.net/forum/id=730&type=artikel; Eckhardt FUCHS/Matthias MIDDELL (Hrsg.), Teaching World History, Comparativ 16 (2006), Heft 1; Hanna SCHISSLER [u. a.] (Hrsg.), The Nation, Europe and the world. Textbooks and Curricula in Transition, Oxford 2005.
Hilpert, Europäische Geschichtsschreibung
163
Im Folgenden wird gezeigt, dass die Europäisierung der Geschichtsschreibung ein wichtiger und lohnender Prozess in der modernen Geschichtswissenschaft ist, der allerdings thematisch, methodisch und institutionell noch in den Anfängen steckt. Von einer europäischen Geschichtsschreibung lässt sich daher noch kaum sprechen. Europäische Geschichtsschreibung stellt jedoch einen Weg und eine Chance dar, um transnationale historische Forschung zu realisieren und ein Geschichtsbewusstsein jenseits des Nationalstaats auszubilden. Dabei ist – entgegen der Voreinnahmen von Welt- und Globalhistorikern – die Europa-Historiographie den „universalen Denkstilen“ nicht unterlegen, sondern durch eine integrative Herangehensweise lässt sich europäische und welt- bzw. globalgeschichtliche Forschung verbinden. Im Mittelpunkt der nachfolgenden Analyse steht die Frage nach den aktuellen Herausforderungen und zukünftigen Perspektiven einer europäischen Geschichtsschreibung: Kann und soll man heute überhaupt (noch) europäische Geschichte schreiben? Wie lässt sich das Spannungsverhältnis zwischen europäischer und globaler Geschichtsschreibung auflösen? Entlang welcher Begriffe, Kategorien und analytischen Konzepte lässt sich europäische Geschichte im vermeintlichen „Zeitalter der Globalisierung“ schreiben? Zunächst werden die mit der „Europäisierung“ der Historiographie verbundenen Herausforderungen und Probleme behandelt. Sodann geht es um die Gegenüberstellung von Europa- und Weltgeschichtsschreibung. Dabei werden die Perspektiven, Themen und Methoden der welt- und globalgeschichtlichen Forschung erörtert. Im dritten Teilen schließlich werden verschiedene Möglichkeiten, wie heute europäische Geschichte geschrieben werden kann, aufgezeigt und diskutiert. I. „Europäisierung“ der Geschichtsschreibung: Probleme und Tendenzen der Forschung Die „Europäisierung“ Europas Trotz des immer lauter werdenden Rufs nach der Überwindung nationaler Perspektiven dominiert die Nationalgeschichte noch immer die Geschichtswissenschaft. Die Gründe liegen vor allem darin, dass die moderne Geschichtswissenschaft als Kind der nationalstaatlichen Ära angesehen werden kann. Im Zuge der Dogmatisierung und Institutionalisierung des Historismus als Methode der europäischen Nationalgeschichte im 19. Jahrhundert ging es in erster Linie darum, die Geschichte der Nation zu entwerfen und deren
164
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Entwicklung genetisch und individualisierend nachzuvollziehen5. Das hat zu der engen Verknüpfung von Nationalstaat, Nationalgeschichte und Nationalismus geführt, gegen die sich heute insbesondere die postmoderne und postkoloniale Kritik an der Geschichtsschreibung wendet6. Gerade die neuere Geschichte des 19. und 20. Jahrhundert ist gegenwärtig noch von einer nationalen, die jeweilige historische Einzigartigkeit betonenden Narration geprägt, im Unterschied zur Mediävistik oder zur Frühen Neuzeit, wo länderübergreifende Thematiken und Forschungsperspektiven eher anzutreffen sind. Auch europäische Geschichtsschreibung besteht noch häufig lediglich aus einer additiven Aneinanderreihung von Nationalgeschichten. In seiner 1946– 1949 konzipierten Geschichte Europas stellt Oskar Halecki bereits fest, dass die europäische Geschichte nichts anderes zu sein scheine „als die Gesamtsumme aus den nebeneinander gestellten Geschichten der verschiedenen Teile Europas“. Und dies, so fährt er fort, sei zweifellos keine zureichende Definition des Begriffes „Europäische Geschichte“7. Der Blick auf die Geschichtsschreibung über Europa in den letzten Jahrzehnten zeigt, „dass der sich beschleunigende europäische Einigungsprozess dem historiographischen Diskurs voraus[ge]eilt“8 ist, vor allem in Bezug auf dessen integrative Momente. Trotz einer wahren Flut von Büchern, wissenschaftlichen Reihen und Aufsatzbänden über Europa, sind viele Werke zu einer europäischen Sicht kaum vorgedrungen. Doch besteht das Problem auch darin, wie sich europäische Geschichte jenseits der Betrachtung der einzelnen nationalstaatlichen Entwicklungen thematisch und methodisch erfassen lässt9. Dabei wird seit einiger Zeit vermehrt versucht, politikge5
Vgl. Lutz RAPHAEL, Geschichtswissenschaft im Zeitalter der Extreme. Theorien, Methoden, Tendenzen von 1900 bis zur Gegenwart, München 2003, S. 247–251. 6 Vgl. dazu beispielsweise Prasenjit DUARA, Rescuing History from the Nation. Questioning narratives of modern China, Chicago 1995, S. 3 ff., 27 ff.; Dipesh CHAKRABARTY, Europa provinzialisieren. Postkolonialität und die Kritik der Geschichte, in: Jenseits der Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften, hrsg. von Sebastian Conrad und Shalini Randeria, Frankfurt 2002, S. 283–312, hier: S. 303. 7 Oskar HALECKI, Europa. Grenzen und Gliederung seiner Geschichte, Darmstadt 1964, S. 1. 8 Winfried SCHULZE, Europa in der frühen Neuzeit – Begriffsgeschichtliche Befunde, in: „Europäische Geschichte“ als historiographisches Problem, hrsg. von Heinz Duchhardt und Andreas Kunz, Mainz 1997, S. 35–65, hier: S. 36. 9 Vor allem Theodor Schieder sah sich bei der Konzeption seines „Handbuches der europäischen Geschichte“ vor das Problem gestellt, gemeineuropäische und nationale Elemente in der Geschichte Europas berücksichtigen zu müssen. Vgl. Theodor SCHIEDER, Vorwort zum Gesamtwerk, in: Handbuch der europäischen Geschichte Bd. 1, hrsg. von dems., Stuttgart 1976, S. 1–21, hier: S. 18: „Das schwierigste Problem ist mit der Verteilung der gemeineuropäischen und der nationalen Elemente in der Geschichte Europas gestellt“. Schieder entscheidet sich aber gerade für eine getrennte Darstellung der „gemeineuropäische Grundzüge und Strukturen“ und der „einzelnen nationalstaatlichen Entwicklungen“. Vgl. dazu Wolfgang SCHMALE, Die Komponenten der historischen Europäistik, in: Annäherung an
Hilpert, Europäische Geschichtsschreibung
165
schichtliche Ereignisse in eine staats- und nationsübergreifenden Perspektive einzubetten und gemeineuropäische Grundzüge und Strukturen herauszuarbeiten. Darüber hinaus dienen sozial- und kulturgeschichtliche Themen und vergleichend angelegte Analysen dazu, den europäischen Kontinent thematisch und methodisch neu zu durchdringen. Dennoch werden auch bei den neueren Europa-Geschichten die europäischen Gesamtentwicklungen vielfach nur in der Konkretion von Einzelstaaten deutlich. Benötigt werden somit weiterhin Konzepte und Darstellungsweisen, die dem Leser Europa als Ganzes vorstellen und ihm einen Eindruck von den den Kontinent prägenden Zusammenhängen, Vorstellungen und Erfahrungen vermitteln. Denn nur ein solches Geschichtsbild, das die eigene Geschichte zugleich als Teil und als Faktor der Geschichte Europas wahrnimmt und erinnert, kann dazu beitragen, ein gemeinsames europäisches Bewusstsein auszubilden. An der Zunahme von Aufsatzbänden und Tagungen, die sich explizit den Problemen der europäischen Geschichtsschreibung zuwenden, erkennt man, dass sich die Historiker dieser Schwierigkeit, europäische Geschichte wirklich „europäisch“ zu denken und zu schreiben, mittlerweile bewusst sind10. Eine „Europäisierung der Geschichtswissenschaft“ steckt allerdings trotz der großen Anzahl an Büchern, Aufsätzen oder auch Kongressen, die Europa in ihrem Titel tragen, methodisch und institutionell noch in den Anfängen. Zu Recht ließe sich in Zweifel ziehen, ob eine europäische Europa-Geschichte eigentlich überhaupt schon existiert. „Europäisierung“ vs. „Globalisierung“ In den letzten Jahren haben historische Forschungen, die sich einer globalen Perspektive verpflichtet sehen, kontinuierlich zugenommen11. Die Neubelebung weltgeschichtlicher Entwürfe und Konzepte hat bewirkt, dass sich europäische Geschichte zunehmend einem doppelten Rechtfertigungszwang ausgesetzt sieht: gegenüber der Nationalgeschichte, deren unangefochtene Stellung sie herausfordert, und gegenüber einer neuen Welt- oder Globalgeschichte, die eine europäische Geschichtsschreibung, hrsg. von Gerald Stourzh, Wien 2002, S. 119–139, hier: S. 123 ff. 10 Vgl. Konrad H. JARAUSCH/Christoph KLESSMANN (Hrsg.), Europäisierung der Zeitgeschichte, Zeithistorische Forschungen 1 (2004), Heft 3; Hannes SIEGRIST/Wolf PETRI (Hrsg.), Probleme und Perspektiven der Europa-Historiographie, Comparativ 14 (2004), Heft 3; Gerald STOURZH (Hrsg.), Annäherung an eine europäische Geschichtsschreibung, Wien 2002; Heinz DUCHHARDT/Andreas KUNZ, (Hrsg.), „Europäische Geschichte“ als historiographisches Problem, Mainz 1997; Europa schreiben. Methoden, Perspektiven, Themen einer europäischen Geschichtsschreibung, Sommerkurs des Berliner Kollegs für Vergleichende Geschichte Europas, 27.08.2006–1.09.2006. 11 Vgl. beispielsweise Sebastian CONRAD/Jürgen OSTERHAMMEL (Hrsg.), Das Kaiserreich transnational, Göttingen 2004; BAYLY, The Birth of the Modern World (Anm. 3).
166
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
in europäischer Geschichte wenig mehr sieht als die Fortsetzung nationaler Narrative und ihr vorwirft, in traditionellen Schemata verhaftet zu bleiben. Dabei ergibt sich ein grundlegendes Problem daraus, dass europäische Geschichte und Weltgeschichte in der Vergangenheit praktisch identisch waren. Was von der Aufklärung bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein unter Weltgeschichte verstanden wurde, war in der Regel die Zusammenfassung der europäischen Geschichte mit ihren antiken Vorläufern. Das, was außerhalb von Europa geschah, wurde gar nicht dargestellt, bzw. nur dann, wenn Europa mit der übrigen Welt in Kontakt kam. Diese Tradition einer auf Politik und Nationalgeschichte aufbauenden „eurozentrischen“ Weltgeschichte wurde auch nach der Abgliederung einer selbständigen Geschichte Europas und dem eigentlichen Beginn einer Europa-Historiographie im 18. Jahrhundert fortgesetzt, wie zum Beispiel bei Hans Freyers „Weltgeschichte Europas“12. Zweifellos herrscht heute eine weitaus kritischere Haltung gegenüber der Art und Weise, wie die Geschichte Europas noch bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein geschrieben wurde, und die Ablehnung hinsichtlich der Ableitung eines Überlegenheitsanspruches aus der Geschichte – Europa als Zentrum und Modell von Fortschritt und Entwicklung – unter den Europa-Historikern ist wohl einstimmig. Dennoch lastet auf der europäischen Geschichtsschreibung weiterhin der Vorwurf des „Eurozentrismus“13. Vielfach wird angezweifelt, dass die Europa-Historiographie überhaupt die Fähigkeit zur Innovation, d.h. zur thematischen wie methodischen Erneuerung und Abkehr von eurozentristischen Darstellungsweisen, besitzt14. So unterscheiden Befürworter welt- oder globalgeschichtlicher Entwürfe mittlerweile zwischen einer transnationalen Geschichte, die die methodischen Konse12
Freyer legt die These zugrunde, es gebe, jedenfalls bisher, keine Weltgeschichte außer der Weltgeschichte Europas, vgl. Hans FREYER, Weltgeschichte Europas, Stuttgart 31969, S. 8. 13 Vgl. Jürgen OSTERHAMMEL, Europamodelle und imperiale Kontexte, in: Journal of Modern European History 2 (2004), S. 157–181, hier: S. 158 ff.; Sebastian CONRAD/Shalini RANDERIA (Hrsg.), Einleitung. Geteilte Geschichten – Europa in einer postkolonialen Welt, in: Jenseits der Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften, hrsg. von ders., Frankfurt a. M. 2002, S. 9–49, hier: S. 12 ff. „Eurozentrismus“ lässt sich dem ursprünglichen Sinn der postkolonialen Kritik nach als Glaube an die Vorbildhaftigkeit der europäischen Entwicklung und an den autonomen Aufstieg Europas aus inneren Kräften definieren. Jedoch wird Eurozentrismus heute kaum mehr als Produkt eines historischen Prozesses verstanden, sondern ist mittlerweile ein Instrument der Kritik an jeglicher Art europäischer Denk- und Handlungsweisen geworden. 14 Vgl. James Morris BLAUT, The Colonizer’s model of the world. Geographical Diffusionism and Eurocentric History, New York 1993, S. 7 ff.; Vgl. Matthias MIDDELL, Europäische Geschichte oder global history – master narratives oder Fragmentarisierung? Fragen an die Leittexte der Zukunft, in: Die historische Meistererzählung. Deutungslinien der deutschen Nationalgeschichte nach 1945, hrsg. von Konrad H. Jarausch und Martin Sabrow, Göttingen 2002, S. 214–251, hier: S. 250.
Hilpert, Europäische Geschichtsschreibung
167
quenzen aus den Erfahrungen der Globalisierung gezogen habe, und der „kollektiven Selbstbescheidung“ auf eine National- oder Europageschichte, die eine gegen Globalismus abschottende Identitätsstiftung betreibe15. Europäische Geschichte wird so mit nationaler Geschichte gleichgesetzt und in einem Gegensatz zur Weltgeschichte gesehen. Der auf diese Weise entstehende Antagonismus zwischen europäischer und Weltgeschichtsschreibung erscheint unter Kenntnisnahme der neuesten Entwicklung in der Europa-Historiographie allerdings schwer nachvollziehbar. Denn bei den neuen europäischen Geschichten, die über die Aneinanderreihung von Nationalstaatsgeschichten hinausgehen wollen16, spielen gerade Transnationalität und die Erweiterung des nationalen Bewusstseins eine wichtige Rolle. Um das Verhältnis zwischen den unterschiedlichen historiographischen Vorstellungen und Interessen besser beurteilen zu können, soll im Folgenden ein kurzer Einblick in die Weltgeschichtsforschung gegeben werden. II. Weltgeschichte und Global History: Theorien einer Geschichte der modernen Welt Die Herausforderungen der modernen Welt Die intensive Debatte, die sich seit Beginn der 1990er Jahre um die Erneuerung der Weltgeschichtsschreibung entfaltet hat, nahm ihren Ausgang in den USA. Hier haben sich auf der Grundlage der historischen Soziologie bereits früh entsprechende methodische und thematische Ansätze herausgebildet. Die sogenannten Area Studies oder Cross-Cultural Studies, die im Verlauf der 50er Jahre an vielen großen Universitäten der USA eingerichtet wurden, widmeten sich der Erforschung vor allem außereuropäischer Regionen der Welt in vergleichend systematischer Weise. Mittlerweile ersetzt World History vielerorts den alten Grundkurs zur Western Civilization17. Die neue welt- und globalgeschichtliche Forschung lässt sich von der Frage leiten, wie Historiker angemessen auf Bedingungen der Globalisierung reagieren können, die nicht nur immer stärker die Kenntnis anderer Kulturen erfordern, sondern auch die Fähigkeit, weltweite Verflechtungen zu erfassen und angemessen beschreiben zu können. Da Historiker „die Welt nicht länger zu erfinden [brauchen], um Weltgeschichte zu schreiben“18, sei Weltgeschichte heute eine greifbare Realität geworden. Die Geschichtsschreibung 15 Vgl. MIDDELL, Europäische Geschichte (Anm. 14), S. 251. 16 Z. B. JUDT, Postwar (Anm.2). 17 Kritisch dazu Norman DAVIES, Europe. A History, New York 1996, S. 18 Charles BRIGHT/Michael GEYER, Globalgeschichte und die Einheit
Jahrhundert, in: Comparativ 4 (1994), Heft 5, S. 13–45, hier: S. 13.
29. der Welt im 20.
168
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
müsse daher bei dem Versuch helfen, sich in der globalisierten Welt zurechtzufinden und die Probleme der Gegenwart zu erfassen19. Darüber hinaus wird die Erarbeitung einer transkulturellen Perspektive eingefordert, die sich gleichermaßen den westlichen und nicht-westlichen historiographischen Traditionen verdankt. Betont wird die Notwendigkeit, die Entstehung der modernen Welt als dezentralen und zugleich zusammenhängenden Prozess zu begreifen. Insgesamt geht es der neuen Welt- und Gobalgeschichte dabei nicht nur um zeithistorische Analysen, sondern auch um neue Sichtweisen auf die Vergangenheit: scheinbare Einzelphänomene werden in einen globalen Kontext gerückt, Ereignisse und Entwicklungen vor einem globalen Problemhorizont betrachtet20. Methodisch lassen sich drei Grundrichtungen unterscheiden, wie eine Welt- oder Globalgeschichtsschreibung aussehen kann21. So besteht zunächst die Möglichkeit, anhand des klassischen Vergleichs Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen Zivilisationen und Nationen zu suchen. Denkbar wäre zum Beispiel ein Vergleich von Familien- oder Bevölkerungsstrukturen in unterschiedlichen Ländern. Eine zweite Option stellt die Weltgeschichte der globalen Verflechtungen, Transfers von Waren, Personen, Kapital, Ideen und der ganzen Vielfalt der Kulturbegegnungen dar. Hier gilt im Besonderen das Primat des Transnationalen bzw. Transkulturellen. Den Ausgangspunkt bildet die Vorstellung von Globalisierung im Sinn wachsender Vernetzung der Gesellschaften der Welt. Mögliche Themenfelder für eine Welt- oder Globalgeschichtsschreibung wären in diesem Zusammenhang beispielsweise Migrationen oder die Entstehung von hybriden globalen Milieus. Eine weitere Option, die sich ebenfalls stark an das Globalisierungsparadigma anlehnt, ist eine Geschichte der gemeinsamen globalen Entwicklungen, Epochen, Umbrüche, die nicht so sehr auf Unterschiede oder Verflechtungen zwischen Zivilisationen oder Nationen zielt, sondern auf globale historische Entwicklungen. Dabei handelt es sich um solche Entwicklungen, die in Form ökonomischer, politischer und ökologischer Zwänge fast alle Gesellschaften der 19 Vgl. William H. MCNEILL, The Changing Shape of World History, in: World History. Ideologies, Structures, and Identities, hrsg. von Philip Pomper [u. a.], Oxford 1998, S. 21– 40, hier: S. 37; Bruce MAZLISH, Crossing Boundaries, Ecumenical, World, and Global History, in: World History. Ideologies, Structures, and Identities, hrsg. von Philip Pomper [u. a.], Oxford 1998, S. 41–52, hier: S. 47. 20 Grundlegende Werke zur Einführung sind: Gunilla BUDDE [u. a.] (Hrsg.), Transnationale Geschichte, Themen, Tendenzen und Theorien, Göttingen 2006; Bruce MAZLISH/Akira IRIYE (Hrsg.), The Global History Reader, London 2005; Patrick MANNING, Navigating World History, New York 2003; Benedikt STUCHTEY/Eckhardt FUCHS, Writing World History 1800–2000, Oxford 2003; Anthony G. HOPKINS (Hrsg.), Globalization in World History, Cambridge 2002; BAYLY, The Birth (Anm. 3). 21 Vgl. Hartmut KAELBLE, Welche Chancen für eine Weltgeschichte, in: Zeithistorische Forschungen 1 (2004), Heft 3, S. 432–437, hier: S. 434.
Hilpert, Europäische Geschichtsschreibung
169
Welt gleichermaßen massiv treffen. Zum Gegenstand der Geschichtsschreibung würden damit globale Prozesse wie die Industrialisierung, aber auch globale Diskurse wie etwa weltweite Diskurse über Werte. Möchte man an dieser Stelle zwischen Weltgeschichte und Globalgeschichte unterscheiden, so stünde die erste Option dem nahe, was einige Autoren als Weltgeschichte im engeren Sinne bezeichnen würden. Die zweite und dritte Option entspräche hingegen dem, was häufig unter Global History verstanden wird22. Rückfragen an eine „Geschichte der modernen Welt“ Für eine Weltgeschichte, die vornehmlich an den Prozess der Globalisierung anknüpft, besteht die Herausforderung darin, die verschiedenen Prozesse, Phänomene und Strukturen sowie die Antagonismen und Spannungen, die sich hinter dem Begriff der Globalisierung verbergen, zu erfassen. Dabei ist allerdings eine allzu enge Anbindung der Geschichtsschreibung an die Voraussagen der Globalisierungstheorie23 – Ende des Nationalstaats, Entstehung einheitlicher globaler Strukturen und Entwicklungen, Bildung eines globalen Bewusstsein und einer globalen Zivilgesellschaft, die Welt als Bezugsmaßstab allen Handelns – problematisch, da die Gefahr besteht, dass dies zu weit von den tatsächlichen historischen Begebenheiten, Entwicklungen, aber auch Erfahrungen der Menschen weg führt. So begreifen sich heute wohl nur die wenigsten Menschen als Teil einer „Weltgesellschaft“ oder bilden eine „globale Identität“ aus. In gleicher Weise besitzt auch der Nationalstaat weiterhin als Form der Verräumlichung sozialer und kultureller Ordnung Bedeutung und bleibt zentraler Bezugspunkt menschlichen Handelns. Darüber hinaus lassen sich auch in anderer Hinsicht Vorbehalte in Bezug auf die neuen weltund globalgeschichtlichen Entwürfe formulieren. So scheinen vor allem Zweifel an den holistischen Ansprüchen der Weltund Globalgeschichte angebracht. Denn auch wenn die professionelle Fein22
Weltgeschichte steht häufig auch für das ältere Ideal, eine Geschichte aller Teile der Welt zu schreiben entsprechend der universalhistorischen Entwürfe des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (vgl. z. B. Oswald SPENGLER, Der Untergang der Abendlandes: Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte, München 131997; Arnold TOYNBEE, A Study of History, 12 Bde., London 1934–1961). Globalgeschichte wird hingegen vor dem Hintergrund der methodischen Erneuerungsbestrebungen als eine Ansammlung von Geschichten verstanden, die den Zusammenhang der Welt in den Blick nehmen. Eine Abgrenzung bzw. Kategorisierung findet jedoch nicht immer statt. Welt- und globalgeschichtliche Diskurse überschneiden sich häufig, so dass Globalgeschichte auch als fachinterne Variante der Weltgeschichte betrachtet wird. Vgl. auch Sebastian CONRAD, Sammelrezension: Bruce Mazlish u. a. (Hrsg.): The Global History Reader, nachzulesen unter: . 23 Vgl. Robert J. HOLTON, Making Globalisation, Hampshire 2005; Ulrich BECK (Hrsg.), Perspektiven der Weltgesellschaft, Frankfurt 1998; Anthony GIDDENS, The Consequences of Modernity, Stanford 1990.
170
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
spezialisierung der Fachhistoriker ein Trend ist, gegen den gerade aus europäischer Sicht durchaus berechtigte Einwände formuliert werden können, bleibt das Erfordernis einer genauen Kenntnis und eines direkten Arbeitens mit den Quellen bestehen. Dies ist bei der Erforschung weltweiter Zusammenhänge und Prozesse kaum zu leisten. Ein weiteres Problem besteht darin, dass die Programmatik weltgeschichtlicher Theorien in Bezug auf die Auswahl von Themen und Methoden weitgehend unbestimmt bleibt24. Es ist nicht zu erkennen, ob es sich weiterhin um Zyklenmodelle des Aufstiegs und Niedergangs von Zivilisationen und Kulturen25, um Stufenmodelle der Menschheitsgeschichte handeln kann, oder ob Studien, die räumlich-beziehungsgeschichtlichen Perspektiven folgen, den Vorrang haben. Dadurch, dass sich unterschiedliche Strömungen und Forschungsinteressen unter dem Dach der neuen Weltgeschichte vereinen, fehlt es an klaren Zielvorgaben für den Entwurf reflektierter und kohärenter Konzepte. So sehen die einen den neuen Ansatz als Feld, das neben den bestehenden seinen Platz finden soll, andere diskutieren die besondere Eignung einzelner Themen. Zusätzlich birgt diese Vielzahl von welt- und globalgeschichtlichen Ansätzen die Gefahr, neben den der Wissenschaft verpflichteten Forschungen auch Ideologien und machtpolitische Diskurse in die Weltgeschichtsschreibung zu integrieren. Diese Tendenz zeigt sich insbesondere in den USA, wo sich Welt- und Globalgeschichte als anschlussfähig auch an die geopolitischen Diskurse der strategischen Eliten erwiesen haben26. Damit eignet sich Weltgeschichte in vergleichbarer Weise zur ideologischen Aufladung wie zuvor die Geschichte der Western Civilization, die sie abzulösen beansprucht. Wenn beklagt wird, dass national- oder europageschichtlich orientierte Historiker unfähig seien, ihren Bereich in größerem Zusammenhang zu sehen und Beeinflussung von außen zuzugeben, so besteht bei globalgeschichtlichen Ansätzen die Gefahr, fern stehende Bereiche an dünnen Verbindungsli24
Auch wenn sich Welthistoriker zum Teil gegen die Annahme wehren, ihr Programm sei “the whole history of the whole world”, so weist die „Invitation to Membership“ der World History Association (WHA) genau in diese Richtung: “If you teach the whole history of the whole world in nine short months, you know the challenge of planning and organizing a meaningful course in world history”; vgl. dazu MAZLISH, Crossing Boundaries (Anm. 19), S. 44. 25 Z. B. Oswald SPENGLER, Der Untergang der Abendlandes (Anm. 22). 26 In den USA hat sich das globalgeschichtliche Angebot nicht nur mit den Bestrebungen verschiedener ethnischer und politischer Gruppen verbunden, ihre eigene Marginalität über eine counter narrative etwa der black history oder der Geschichte der Ureinwohnerschaft zu überwinden. Auch Diskurse wie Francis Fukuyamas „Ende der Geschichte“ und der „Kampf der Kulturen“ von Samuel P. Huntington lassen sich in das Feld der neuen Weltund Globalgeschichte integrieren. Vgl. auch Jürgen OSTERHAMMEL, Imperien, in: Transnationale Geschichte, Themen, Tendenzen und Theorien, hrsg. von Gunilla Budde [u. a.], Göttingen 2006, S. 56–67.
Hilpert, Europäische Geschichtsschreibung
171
nien in die Weltgeschichte hineinzuziehen bzw. allzu schnell einen globalen Problemhorizont aufzubauen. Dazu gehört zum Beispiel auch, Weltsysteme dort neu zu entdecken, wo in der Literatur unter anderen Schlagworten und Rubriken bereits die Bedeutung von Handelsnetzen und interkulturellen Beziehungen behandelt wurde27. Auch erfordert nicht jedes Phänomen unbedingt den Blick in weite Ferne. Dass sich transnationale und transkulturelle Forschung bereits auf europäischer Ebene verwirklichen lässt, zeigt beispielsweise Alessandra Venturinis Studie über „Postwar Migration in Southern Europe“ oder Wolfgang Kaschubas Untersuchung zum Wandel von Raum- und Zeitvorstellungen in der europäischen Moderne28. Ende oder Anfang einer europäischen Geschichtsschreibung? Die in der Einleitung angestellte Überlegung, ob im so genannten „Zeitalter der Globalisierung“ Geschichte grundsätzlich neu oder anders geschrieben werden muss und deshalb weltgeschichtlichen Ansätzen der Vorzug gegenüber europäischer Geschichtsschreibung zu geben ist, lässt sich durch die bisherigen Untersuchungen nicht bestätigen. Vielmehr verdeutlicht eine Analyse der welt- und globalgeschichtlichen Ansätze, dass auch diese einen reflektierten Umgang mit der Historie auf der einen, mit Konzepten und Methoden der Geschichtsschreibung auf der anderen Seite erfordern. Sie können mithin nicht als „überlegene Denkstile“29 gelten. Im Grunde stehen Welt- und Globalhistoriker vor ähnlichen Fragen und Problemen wie Europahistoriker: Wie ist Europa- bzw. Weltgeschichte möglich und wie kann man sich von überkommenen Traditionen der Geschichtsschreibung lösen? Wie lässt sich das nationalgeschichtliche Paradigma überwinden und welches sind die Themen, die es erlauben, eine künftige Europabzw. Weltgeschichtsschreibung zu strukturieren? Es spricht mithin auch nichts dafür, dass es sich bei einer europäischen Geschichtsschreibung und der Welt- und Globalhistoriographie um grundsätzlich entgegengesetzte Anliegen handeln muss. Vielmehr scheint es beiden Forschungsrichtungen vor allem darum zu gehen, einen Weg zu finden, transnationale und transkulturelle Perspektiven in die historische Forschung zu integrieren. Dazu werden neue Themen und Methoden benötigt, die es 27
Vgl. Vinay LAL, Provincializing the West. World History from the Perspectives of Indian History, in: Writing World History 1800–2000, hrsg. von Benedikt Stuchtey und Eckhardt Fuchs, Oxford 2003, S. 271–289, hier: S. 275 ff. 28 Alessandra VENTURINI, Postwar Migration in Southern Europe, Cambridge 2004; Wolfgang KASCHUBA, Die Überwindung der Distanz. Zeit und Raum in der europäischen Moderne, Frankfurt a. M. 2004. 29 Jürgen OSTERHAMMEL, „Höherer Wahnsinn“: Universalhistorische Denkstile im 20. Jahrhundert, in: Geschichtswissenschaft jenseits des Nationalstaats. Studien zu Beziehungsgeschichte und Zivilisationsvergleich, hrsg. von dems., Göttingen 2001, S. 170–182.
172
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
erlauben, die althergebrachten Grundschemata zu erweitern und über die nationale Grenzen hinwegzuschauen. Europa kann dabei nicht nur als analytische Kategorie fungieren, in der sich bestimmte Entwicklungen oberhalb der nationalen und unterhalb der globalen Ebene abgespielt haben, sondern auch als Ausgangspunkt für die Erklärung universaler Entwicklungen. Wenn sich damit festhalten lässt, dass europäische Geschichte einen berechtigten Platz zwischen nationaler und globaler Geschichte einnimmt, dass europäische Geschichte und Welt- und Globalgeschichte sogar ähnliche Aufgaben und Ziele verfolgen, so muss als nächstes die Frage beantwortet werden, wie eine moderne europäische Geschichtsschreibung – jenseits von „Eurozentrismus“ und in Übereinstimmung mit der welt- und globalhistorischen Forschung – konkret aussehen kann und soll. Was sind die bleibenden Herausforderungen und Problemfelder, welches die richtigen Kategorien und analytischen Konzepte für eine europäische „Europäische Geschichte“? III. Zukunftsperspektiven einer europäischen Geschichtsschreibung Thematische und methodische Herausforderungen Europäische Geschichtsschreibung steht heute vor allem vor drei großen Herausforderungen: So gilt es erstens, einen Weg zu finden, wie mit der wechselnden Konnotation des Begriffs „Europa“ und den vielfältigen und unterschiedlichen Entwicklungen und Merkmalen des europäischen Kontinents umgegangen werden kann. Daneben steht zweitens die Herausforderung, europäische Geschichte „in der Postmoderne zu schreiben“30, das heißt, sich mit eigenen Erkenntnisvoraussetzungen und der ästhetisch-formalen Dimension von Geschichtsschreibung auseinanderzusetzen. Zum dritten geht es darum, eine Antwort auf die Frage zu finden, wie eine europäische Geschichte geschrieben werden kann, die sich nicht auf das vermeintlich fixierbare kontinentale Europa beschränkt, sondern auch all jene Bezüge ernst nimmt, die Europa mit der globalen Welt, Europäer mit Nicht-Europäern verbinden. Der Europabegriff Die dominante Interpretation europäischer Geschichte ist eine Selbstbeschreibung Westeuropas. Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts galt Westeuropa als das „eigentliche“ Europa, Osteuropa wurde hingegen als rückständig betrachtet und als derjenige Teil des Kontinents, der an der Entwicklung zu Nationalstaat und Demokratie vermeintlich keinen Anteil hatte. Seit den Ereignissen von 1989/90, spätestens mit dem Beitritt der ost- und mitteleu30 Christoph CONRAD/Martina KESSEL (Hrsg.), Geschichte schreiben in der Postmoderne. Beiträge zur aktuellen Diskussion, Stuttgart 1994.
Hilpert, Europäische Geschichtsschreibung
173
ropäischen Staaten zur Europäischen Union im Mai 2004, ist der (durchaus berechtigte) Ruf nach einer stärkeren Berücksichtigung osteuropäischer Entwicklungen und Perspektiven immer lauter geworden. Die Frage, wo Europa anfängt und wo es aufhört, welches die Randzonen sind und wieweit der europäische Einfluss reicht, ist nicht allgemein beanwortbar, sondern immer von dem jeweiligen Ereignis und der jeweiligen Betrachtungsweise abhängig. Der Europa-Historiographie sollte daher ein weiter Europabegriff zugrunde gelegt werden. Insgesamt geht es darum, transnationale europäische Entwicklungen der Wirtschaft, der Gesellschaft, der Kultur und Politik herauszugreifen und neue transkulturelle Forschungsfelder innerhalb Europas zu erarbeiten. Dabei sollte auf den Anspruch verzichtet werden, jeweils ein vollständiges Bild des europäischen Kontinents oder der europäischen Zivilisation entwickeln zu wollen. Auf diese Weise wird die Einbeziehung des osteuropäischen Raumes erleichtert und auch regionale Sonderentwicklungen können Berücksichtigung finden31. Außerdem kann es so gelingen, europäische Geschichte jenseits einer Aneinanderreihung von Nationalstaatsgeschichten zu schreiben. Post-, Post! Post? Eine weitere Herausforderung für die europäische Geschichtsschreibung besteht in dem Wandel der historiographischen Interessen und der Infragestellung vormals bestehender Sicherheiten in der Geschichtswissenschaft im „Zeitalter der Postmoderne“. Dabei geht es vor allem um die Herausbildung eines neuen Umgangs mit den historischen Quellen und Darstellungsweisen von Geschichte, der von der literarischen, linguistischen und philosophischen Textanalyse geprägt worden ist. So lenken die Stichworte Narrativität und linguistic turn32, die keine Gattung der Geschichtsschreibung unberührt gelassen haben, den Blick auf die sprachliche, erzählerische Komponente der Europa-Historiographie und die Gefahr der Konstruktion von „Scheinwelten“ durch sog. „Meistererzählungen“33. Diesbezüglich ist für eine europäische Geschichte zu beachten, dass sie sowohl im universitären Raum als auch an ein breiteres Publikum vermittelt werden soll. Mithin muss sie „erzählbar“ 31 Vgl. dazu Michael G. MÜLLER, Wo und wann war Europa? Überlegungen zu einem Konzept von europäischer Geschichte, in: Comparativ 14 (2004), Heft 3, S. 72–82, hier: S. 74 ff. 32 Das Schlagwort linguistic turn geht auf den amerikanischen Philosophen und Wissenschaftstheoretiker Richard Rorty (1967) zurück und mahnt eine größere Sensibilität für den Sprachbezug historiographischer Erkenntnis an. 33 Wegweisend hier Jean-Francois Lyotard und seine Schrift „La condition postmoderne“ (dt. „Das postmoderne Wissen“), der mit dem Begriff des „méta récit“ operiert und in seinem radikalen Dekonstruktivismus das Ende der Meta-Erzählung postuliert. Vgl. dazu Konrad H. JARAUSCH/Martin SABROW, „Meistererzählung“ – Zur Karriere eines Begriffs, in: Die historische Meistererzählung. Deutungslinien der deutschen Nationalgeschichte nach 1945, hrsg. von dens., Göttingen 2002, S. 9–31 hier: S. 14 ff.
174
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
bleiben und benötigt daher auch allgemeine Regeln und stabilisierende PlotStrukturen für eine Geschichtserzählung34. Erforderlich ist allerdings eine stärkere Reflexion über methodische Vorgehensweisen und die Auswahlkriterien für Ereignisse, Prozesse oder Strukturen. Aus der Auseinandersetzung mit dem Postkolonialismus und dessen Kritik am westlichen Geschichtsmodell bzw. -diskurs folgt für eine europäische Geschichtsschreibung außerdem, dass sie sensibilisiert sein sollte für die Prinzipien und Überzeugungen, die den Wissenschaften seit der Spätaufklärung zugrunde liegen – Wahrheitsglaube, Fortschritts- und Entwicklungsdenken, Teleologie. Das gilt in gleicher Weise auch für die Verknüpfung von Wissen und Macht in der Geschichte der Geschichtsschreibung35. In diesem Sinn muss die Europa-Historiographie die repressiven Fundamente der Geschichte der Moderne mitdenken36, das heißt, jene Ausschließungen und Marginalisierungen thematisieren, die die europäische Moderne erst ermöglichten. Dies weist auf den dritten Komplex von Herausforderungen hin. Europa und „Außer-Europa“ Die Untersuchung der welt- und globalgeschichtlichen Forschung hat verdeutlicht, dass Europahistoriker eine offene Haltung gegenüber historischen Problemlagen in der „außer-europäischen Welt“ entwickeln müssen. So müssen sie stärker die Ergebnisse der Forschungen zu anderen Regionen dieser Welt zur Kenntnis nehmen und die historischen Ereignisse und Entwicklungen in Europa vor dem Hintergrund der Entwicklungen in Amerika, Afrika oder Asien spiegeln. Es gilt, die konstitutive Rolle der Verflechtungen zwischen Europa und der außereuropäischen Welt zu berücksichtigen und die vielfältigen Interaktionen Europas vor allem mit den früheren Kolonien zu thematisieren. Die von dem indischen Historiker Dipesh Chakrabarty geprägte Formel von der „Provinzialisierung Europas“37 bedeutet allerdings nicht, dass die Geschichte Europas plötzlich irrelevant würde. Aber sie ruft ins Bewusstsein, dass Europa vielleicht nicht immer einen zentralen Platz in der Weltgeschichte einnimmt, und wirkt der Tendenz entgegen, die Geschichte Europas gleichsam aus sich selbst heraus zu erklären.
34 35
Vgl. DAVIES, Europe (Anm. 17), S. 3 ff. Vgl. Marcus SANDL, Geschichte und Postmoderne, in: Joachim Eibach und Günther Lottes (Hrsg.), Kompass der Geschichtswissenschaft, Göttingen 2002, S. 329–341, hier: S. 337. Vgl. auch Michel FOUCAULT, Die Ordnung des Diskurses, Frankfurt a. M. 81991. 36 Forderungen, die sich am deutlichsten bei CHAKRABARTY, Europa provinzialisieren (Anm. 6), S. 108 f. und DUARA, Rescuing History (Anm. 6) S. 33, 233 f. wiederfinden. 37 Vgl. Anm. 6.
Hilpert, Europäische Geschichtsschreibung
175
Konzepte für eine europäische Geschichtsschreibung Nachfolgend sollen nun zwei Optionen aufgezeigt werden, wie europäische Geschichte konkret – jenseits deklamatorischer Absichtserklärungen – geschrieben werden kann und wie Europa-Geschichte sich dabei zugleich mit welt- und globalhistorischen Perspektiven verbinden lässt. Die Geschichte Europas als vergleichende Geschichtsschreibung Fragestellungen des historischen Vergleichs eignen sich im Besonderen, um die Geschichte des europäischen Kontinents zu schreiben38. So können erstens innereuropäische Vergleiche angestellt werden, womit sich die Suche nach europäischen Gemeinsamkeiten, Beziehungen und Abhängigkeiten erleichtern und systematisieren lässt. Dabei ist die vergleichende Methode keineswegs auf die Untersuchungseinheit des Nationalstaats beschränkt, sondern kann andere Untersuchungseinheiten wie beispielsweise Regionen, Klassen oder Diskursgemeinschaften wählen. Daneben lassen sich zum Beispiel auch die Konstruktion von Bildern Europas oder auch die Grenzziehungen Europas gewinnbringend vergleichend untersuchen. So ließe sich fragen, welcher Raum in bestimmten Epochen oder Konstellationen als Europa bezeichnet oder erfahren wird. Zum zweiten können Vergleiche mit außereuropäischen Regionen, Staaten und Gesellschaften durchgeführt werden, die nicht nur weitere Gemeinsamkeiten und europäische Eigenarten – zum Beispiel das Modell des europäischen Sozialstaats – hervortreten lassen, sondern auch dazu beitragen, die globale Dimension von historischen Entwicklungen wie beispielsweise Industrialisierung oder Migration aufzudecken. Vergleiche zwischen Europa und der außereuropäischen Welt können unterschiedlich angelegt werden. Geht es beispielsweise darum, die Merkmale und Besonderheiten Europas zu bestimmen39, so erfolgen diese Vergleiche meistens aus globaler Perspektive. Die europäische Zivilisation wird dann 38
Das wird auch daran deutlich, dass sich eine große Anzahl der jüngst erschienenen Geschichten Europas des Vergleichsverfahrens bedienen, so beispielsweise Michael MITTERAUER, Warum Europa? Mittelalterliche Grundlagen eines Sonderwegs, München 2003; Krzysztof POMIAN, Europa und seine Nationen, Berlin 1990; Hagen SCHULZE, Staat und Nation in der europäischen Geschichte, München 1994; Harmut KAELBLE, Europäer über Europa. Die Entstehung des europäischen Selbstverständnisses im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 2001. 39 Z. B. in der Nachfolge von Max Weber: „Welche Verkettung von Umständen hat dazu geführt, dass gerade auf dem Boden des Okzidents, und nur hier, Kulturerscheinungen auftraten, welche doch – wie wenigstens wir uns gerne vorstellen – in einer Entwicklungsrichtung von universeller Bedeutung und Gültigkeit lagen?“ Vgl. Max WEBER, Vorbemerkung zur Religionssoziologie, in: Universalgeschichte, hrsg. von Ernst Schulin, Köln 1974, S. 214–224, hier: S. 214.
176
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
anderen Kulturkreisen gegenüber gestellt. Von diesem Totalvergleich lassen sich Partialvergleiche unterscheiden, die meistens perspektivisch angelegt oder auf bestimmte Fragestellungen – zum Beispiel die Untersuchung von Familien- und Bevölkerungsstruktur – ausgerichtet sind und sich aufgrund ihrer Empirienähe besser kontrollieren lassen40. Neben solchen synchronen Vergleichen sind auch diachron angelegte Vergleiche denkbar. Während in der europäischen Geschichte der Vergleich chronologisch aufeinander folgender Konstellationen möglich ist41, führt der Wechsel von Epoche und Zivilisation zu einer Schwächung der analytischen Stringenz. Mithin ist ein diachroner Vergleich Europas mit der außereuropäischen Welt nicht erkenntnisreich42. Je höher die Intensität der Beziehung zwischen den Untersuchungseinheiten ist, desto eher erscheint es notwendig, den Vergleich „beziehungsgeschichtlich abzufedern“43 und durch eine Transferanalyse zu ergänzen. Der Begriff des Kulturtransfers umfasst sowohl inter- als auch intrakulturelle Wechselbeziehungen. Er schließt Reziprozität ein und lenkt den Blick auf die Prozessualität der zu untersuchenden Phänomene. So ist Kulturtransfer vor allem als dynamischer Prozess zu betrachten44. Über die innereuropäischen Beziehungen hinaus ist das Verfahren der Transferanalyse vor allem für die Untersuchung der Kontakte und Beziehungen zwischen Europa und den ehemaligen Kolonien relevant. Hier hat die postkolonialistische Forschung auf die vielfältigen Import- und Austauschbeziehungen zwischen den Kulturen hingewiesen45. Dabei spielen sowohl bewusste kulturelle Transfers als auch nicht-intendierte Akkulturationsprozesse eine Rolle. Für das richtige Verständnis der Zusammenhänge ist dabei die Kenntnis von europäischer wie außereuropäischer Geschichte erforderlich. 40
Zu der Unterscheidung von Total- und Partialvergleich siehe auch Jürgen OSTERHAMSozialgeschichte im Zivilisationsvergleich, in: Geschichtswissenschaft jenseits des Nationalstaats. Studien zu Beziehungsgeschichte und Zivilisationsvergleich, hrsg. von dems., Göttingen 2001, S. 46–68, hier: S. 58 ff. 41 So listet POMIAN, Europa (Anm. 38), unter den drei Konfigurationen, in denen Europa eine gewisse Kohäsion erfuhr, nicht nur die katholische Kirche des Mittelalters auf, sondern auch die République des lettres des 17. und 18. Jahrhundert und ansatzweise auch das politische Europa nach 1949. 42 Der Versuch, im Sinn einer prospektiven Zeitorientierung die nicht westliche Welt etwa der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Lichte der europäischen Frühen Neuzeit zu betrachten, ist mit Blick auf die postkolonialen Forschungen und aufgrund der Gefahr der Nachahmung eurozentrischer oder modernisierungstheoretischer Geschichtsbilder abzulehnen. Vgl. auch OSTERHAMMEL, Zivilisationsvergleich (Anm. 40), S. 54 ff. 43 OSTERHAMMEL, Zivilisationsvergleich (Anm. 40), S. 57. 44 Die Transfergeschichte hat das Galton-Problem aufgegriffen, mit dem in der Ethnologie bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts gefragt wird, ob die Untersuchungseinheiten unabhängig voneinander existierende Größen sind oder ob sie durch Beziehungen und Abhängigkeiten geprägt sind. 45 Vgl. CONRAD/RANDERIA (Hrsg.), Einleitung (Anm. 13), S. 25 ff. MEL,
Hilpert, Europäische Geschichtsschreibung
177
Europäische Geschichte als Geschichte transnationaler Kommunikation Eine weitere Möglichkeit, eine transnationale, über die herkömmlichen Begriffe und Kategorien hinausgehende europäische Geschichte zu schreiben, besteht darin, die Kooperationsbeziehungen zu untersuchen, die auf verschiedenen Ebenen und zwischen verschiedenen Akteursgruppen in Europa stattgefunden haben. Eine solche Erfahrungsgeschichte Europas lässt sich von der Frage leiten, welche Formen der kommunikativen Verflechtung sich seit der frühen Neuzeit zwischen den Europäern herausgebildet haben und welche sozialen Gruppen aufgrund ihrer Verkehrsformen oder ökonomischen Zwänge Europa als Einheit wahrgenommen haben46. Als soziale Gruppen, in denen auf internationale Zusammenhänge bezogene Vorstellungen, Projekte und Ideale verbreitet waren und auf die sich mithin eine solche europäische Geschichtsschreibung stützen kann, kommen zunächst vor allem Adlige und Intellektuelle, aber auch Kaufleute in Frage. Die Möglichkeit, transnationale Erfahrungen zu machen, blieb aber nicht auf die Oberschichten beschränkt. Auch Studenten, Handwerksgesellen und Arbeiter gehörten zu den geographisch mobilen Teilen der europäischen Bevölkerung, die sich mit den Institutionen, Lebensweisen und Ideen der europäischen Nachbarländer vertraut machen konnten. Insgesamt standen Reisen an erster Stelle der gesellschaftlichen Praktiken, die an der Ausbildung eines europäischen Erfahrungsraums mitwirkten47. Daneben sind aber auch die Einberufung europäischer Kongresse, die Bildung internationaler Organisationen und die Kooperation von Bildungsinstituten zu den Vorgängen zu rechnen, die das Beziehungsnetz zwischen den Europäern dichter werden ließen und somit im Rahmen einer Geschichte der europäischen transnationalen Kommunikation untersucht werden können. Des Weiteren kann die Aufmerksamkeit beispielsweise auch auf die topographischen Kontaktzonen gelenkt werden. Bestimmte Regionen oder Städte boten aufgrund ihrer Lage oder ihrer kosmopolitischen Atmosphäre bessere Chancen, übernational oder europäisch zu denken und europäische Erfahrungen zu machen48. 46 Vgl. Heinz-Gerhard HAUPT, Erfahrungen mit Europa. Ansätze zu einer Geschichte Europas im langen 19. Jahrhundert, in: „Europäische Geschichte“ als historiographisches Problem (Anm. 8), S. 87–103, hier: S. 94. 47 Damit stellen Reiseaufzeichnungen vorzügliche Quellen dar, um die Wahrnehmung des Fremden zu erfassen, stereotype Sichtweisen fremder Länder aufzudecken, Transfers aus der eigenen in fremde Kulturen zu analysieren und Aussagen über die imaginäre Geographie Europas und deren Grenzen für unterschiedliche Nationalitäten und soziale Gruppen zu machen. Vgl. dazu Hartmut KAELBLE, Europäer über Europa. Die Entstehung des europäischen Selbstverständnisses im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 2001, S. 20, der sich genau auf diese Quellengrundlage stützt. 48 Zu nennen wären hier Grenzregionen wie das Elsass, die oberitalienischen Städte oder das Wien der Kongresszeit, vgl. HAUPT, Erfahrungen mit Europa (Anm. 46), S. 100 f.
178
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Schließlich erlangt auch ein Ereignis wie der große Krieg von 1914/18 mit seinen furchtbaren Auswirkungen und seinem viele Jahrzehnte dauernden Gefolge von Veteranen- und Versöhnungstreffen Bedeutung für Europa als Kommunikationszusammenhang. Kriege als transnationale Erlebnisräume sind vielleicht das traurigste und zugleich das prägnanteste Beispiel dafür, dass Erfahrungen mit Europa nicht nur auf die soziale Elite und auf Versöhnung und Kooperationen bezogen waren, sondern dass auch Kampf und Konkurrenz Europa geschaffen und Europäer in Kontakt gebracht haben. Im doppelten Wortsinn von Teilung, von Teilhabe und Entzweiung, wird so deutlich, dass eine Erfahrungsgeschichte Europas nicht nur nach den Bedingungen, sondern auch nach den Grenzen von Kommunikation und deren Folgen für das Zusammenleben der Europäer fragen muss. Eine solche Erfahrungsgeschichte Europas entspricht den Vorstellungen von einer europäischen Geschichtsschreibung in besonderer Weise, da sie keine bloße Addition von Nationalgeschichten darstellt. Sie besitzt außerdem den Vorteil, dass sie sich nicht auf einen geographischen oder anders definierten Europabegriff festlegen muss, sondern dass sie unterschiedliche Europabegriffe thematisieren bzw. zur Disposition stellen kann. So steht sie auch nicht vor den Problemen, die sich daraus ergeben, Europa als ideelle Substanz zu definieren bzw. europäische Gemeinsamkeiten philosophischessentialistisch als gemeinsame Werte oder Normen zu bestimmen. Schließlich handelt es sich auch nicht um eine Geschichte der europäischen Integration, die sich auf die Suche nach den ideengeschichtlichen Wurzeln der europäischen Einigung begibt. Damit ist eine europäische Geschichte der transnationalen Kommunikation gegen den Vorwurf gefeit, lediglich die Legitimation für politisch gewollte Prozesse zu liefern49. Dennoch kann diese einen kritischen Beitrag zur Debatte um die europäische Identität liefern, indem sie untersucht, wie Europa „gelebt“ und praktiziert wurde50. Wie verhält es sich nun mit den globalen Bindungen einer solchen EuropaGeschichte? Es könnte der Eindruck entstehen, es handele sich um eine reine Innenansicht Europas. Dagegen lässt sich aber anführen, dass das vorgestellte Konzept die Möglichkeit offen lässt, außereuropäische Beziehungen – zum Beispiel anhand der Erfahrungen von Einwanderern oder Auswanderern oder der Verständigung von Europäern und „Nicht-Europäern“ auf internationaler Konferenzen – kontrastiv oder analog einzubeziehen. 49
Vgl. Michael MITTERAUER, Die Entwicklung Europas – ein Sonderweg? Legitimationsideologien und die Diskussion in der Wissenschaft, Wien 1999, S. 25, der vor einem neuen „Eurochauvinismus als Legitimationsideologie“ warnt. 50 Vgl. Hartmut KAELBLE, Europabewußtsein, Gesellschaft und Geschichte. Forschungsstand und Forschungschancen, in: Europa im Blick der Historiker, hrsg. von Rainer Hudemann [u. a.], München 1995, S. 1–30, hier: S. 4, 13 ff.; René GIRAULT, Das Europa der Historiker, in: ebd., und seine Gegenüberstellung von „Europe pensée“ und „Europe vécue“, S. 81 ff.
Hilpert, Europäische Geschichtsschreibung
179
Darüber hinaus kann die Geschichte der europäischen transnationalen Kommunikation dazu benutzt werden, eine Geschichte der globalen Vernetzung und Kommunikation zu schreiben. Denn wenn Welt- und vor allem Globalgeschichte auch als Feld betrachtet wird, in dem unterschiedliche Perspektiven und Geschichten aufeinander treffen51, könnte sich die Globalgeschichte mithin die entsprechende europäische Geschichte aneignen, um die Bedeutung von Vernetzung, Austausch und Kommunikation an einem Beispiel, der „Region Europa“, aufzuzeigen. Eine solche mögliche Einbettung europäischer Geschichte in die Globalgeschichte brächte nicht nur den Beweis, dass jene in der Lage ist, die berechtigten Anliegen einer Welt- oder Globalgeschichte methodisch umzusetzen. Es würde zudem der Nutzen deutlich, den eine Globalgeschichte aus einer europäischen Geschichtsschreibung ziehen könnte. IV. „Ja“ zu einer europäischen Geschichtsschreibung Die vorangegangene Argumentation hat die Frage erörtert, ob und wie man heute (überhaupt noch) europäische Geschichte schreiben kann. Dahinter stand die Überlegung, dass sich einerseits der Ruf nach historischer Sinnstiftung in Europa und damit auch nach einer europäischen Geschichtsschreibung verstärkt hat. Andererseits werden Sinn, Nutzen und Realisierbarkeit einer „Europäischen Geschichte“ jedoch durch die Forderungen nach globalen Perspektiven in der Historiographie sogleich wieder in Frage gestellt. Die hier in der notwendigen Kürze durchgeführte Analyse hat zu dem Ergebnis geführt, dass europäische Geschichte geschrieben werden kann und auch geschrieben werden soll, muss und darf. Dabei ist allerdings insgesamt ein höheres Maß an methodischer Reflexion einzufordern, neue Perspektiven auf die Geschichte Europas sind notwendig. Es wurde verdeutlicht, dass sich eine wahrhaft europäische Geschichte beispielsweise im Rahmen einer Vergleichsgeschichte oder auch einer Geschichte transnationaler Kommunikation verwirklichen lässt. Dabei findet auch der starke Einfluss von außen auf die europäische Geschichte Berücksichtigung und eurozentrischen Sichtweisen der Vergangenheit wird eine Absage erteilt. Insgesamt halten Weltgeschichte und Global History wichtige Impulse und Erkenntnisse für eine europäische Geschichtsschreibung bereit und erleichtern ihr die Berücksichtigung globaler Perspektiven und Entwicklungen. Gleichermaßen kann aber auch Welt- und Globalgeschichtsschreibung auf die Erkenntnisse der Europa-Historiographie aufbauen. Doch auch außerhalb globaler Denkstrukturen und Forschungseinheiten besitzt die europäische Geschichtsschreibung eine Daseinsberechtigung. Der 51
Vgl. Anm. 22.
180
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Gegenstand, die Geschichte Europas, ist vorhanden. Dementsprechend muss den historischen Prozessen, die dem Kontinent seine eigene Prägung verliehen haben, durch eine europäische Geschichtsschreibung auch Rechnung getragen werden. Die Herausforderung des Zusammenwachsens Europas zu einer politischen Einheit macht die Beschäftigung mit europäischer Geschichte besonders dringlich. Mit Hilfe einer europäischen Geschichtsschreibung, wie sie hier diskutiert wurde, kann es gelingen, zu einprägsamen und überzeugenden Aussagen über Europa und das Europäische zu gelangen.
Summary The article addresses the difficult relationship between European and World or Global history. It underscores the importance of European history writing and upholds its legitimate claim for a strong presence in modern historiography. Refuting the arguments and objections of global historians, the article expounds the creativity of European history writing and shows how and by which means European history could and should be written in the „Global Age”. European history writing, it is argued, is one of the best ways to convey transnational perspectives. In fact, what makes European historiography really European, is its capability to overcome the nation-based history writing and to broaden the national points of view. However, even if historians have begun to develop different approaches and concepts, European historiography is still forming and has to evolve thematically, methodologically and institutionally. In contrast to what some global historians assert, it is shown that European history writing is not automatically „eurocentric”, but often embraces perspectives from outside Europe. Furthermore, it is maintained that European history cannot be called „eurocentric” only because it deals with Europe. This is true all the more as today’s historians contradict any claim for European supremacy. By analysing themes and methods of both European and World history writing the article posits the similarity of their interests, concerns as well as their challenges. Therefore, it is argued that European and World or Global history should give up their antagonist positions and instead share their knowledge and competence. The article closes by emphasising the importance as well as the responsibility of European history writing given the current situation of the European integration process.
FORSCHUNGSBERICHT Europaorientierte Geschlechterforschung als Wunsch und Herausforderung – eine vorläufige Bilanz aus der Perspektive einer Auslandsgermanistin Von
Mirosława Czarnecka Man kann mit Bea Lundt das Thema ‚Frauen in Europa’ als eine doppelte Herausforderung für „die immer noch deutlich national- und ereignisorientierte Geschichtsschreibung bezeichnen, denn ungeachtet der ersten Gesamtdarstellungen zum Projekt der europaorientierten Historie“ bleibt die Frage nach dem Ort der Frauen in der Geschichte Europas akut1. Aus der Perspektive der germanistischen Forschung zur Frühen Neuzeit, die ich vertrete, erscheint diese Herausforderung genauso groß und aktuell wie für die Geschichtsschreibung. Ich werde im folgenden versuchen den Dialog der historischen und literaturhistorischen Geschlechterforschung zur Frühen Neuzeit zu reflektieren und dabei die Leistungen und Defizite der europaorientierten Forschungsposition aufzuzeigen. Als Auslandsgermanistin aus Polen gehöre ich diesem Teil Europas an, der in den aktuellen transdisziplinären Diskussionen immer noch vernachlässigt wird; deshalb versuche ich zugleich einige Lücken in der europaorientierten interdisziplinären Geschlechterforschung wenigstens ansatzweise oder als Desiderate zu schließen. Seit den 70er Jahren, als die ersten Ansätze einer feministischen Geschichts- und Literaturgeschichtsschreibung aus dem Radikalismus der Frauenbewegung heraus formuliert wurden, hat sich die interdisziplinäre Frauenforschung in Europa etabliert. Die anfängliche Zielsetzung war ein auf Quellenforschung insistierendes Bemühen um die Behebung der Absenz von Frauen in unserer Zivilisationsund Kulturgeschichte. Ein besonderes Augenmerk wurde auf die Situation der Frau in der Frühen Neuzeit gerichtet, die Barbara Becker-Cantarino 1980 als „Geschichts- und Gesichtslosigkeit der Frau“2 umschrieb. Es wurde viel positivistische Arbeit geleistet, die zunächst vor allem im – um hier Gerda 1 Frauen in Europa. Mythos und Realität, hrsg. von Bea Lundt [u. a.], Münster 2005, S. 14. 2 Die Frau von der Reformation zur Romantik. Die Situation der Frau vor dem Hintergrund
der Literatur- und Sozialgeschichte, hrsg. von Barbara Becker-Cantarino, Bonn 1980, S. 246.
182
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Lerners methodische Begriffe zu gebrauchen – kompensatorischen und kontributorischen Verfahren die Anwesenheit von Frauen in der Geschichte und die defizitäre historische Dokumentation ihres aktiven Anteils an der Geschichte, Wissenschaft und Kultur in der Frühen Neuzeit weitgehend beheben konnte. Diese methodischen Ansätze konnten jedoch nur für die notwendigen Vorarbeiten angewendet werden. Bereits in den 1980er Jahren wurde erkennbar, dass weder die Kategorie Betroffenheit noch Parteilichkeit, auch nicht die der Frau für die Frauengeschichtsforschung allgemein gültig sein kann. Selbst Lerner erkannte: „Wir sind einfach zu viele“3, damit wir mit dieser einen Kategorie der Frau definiert werden konnten. Deshalb wurde in den 1980er Jahren die an weißen, europäischen bzw. nordamerikanischen Frauen orientierte Perspektive stark kritisiert. Zugleich rückte die Kategorie des Geschlechts (gender) ins Zentrum der Diskussionen. Damit wurde die Frauenforschung zu Geschlechterforschung erweitert und die Frauengeschichte zur Geschlechtergeschichte4. Die internationale Genderforschung entwickelt seit den 1980er Jahren ein Netz von medialen Organen und institutionalisierten Arbeitsformen, die die WissenschaftlerInnen aus der ganzen Welt verbinden. Der 1989 gegründeten ersten Fachzeitschrift zur Frauengeschichte in Amerika, Journal of Women’s History, folgten weitere Zeitschriften zur Genderforschung auf dem europäischen Kontinent – in Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Österreich5. Im Jahre 1990 hat sich in Oberaurach eine Arbeitsgruppe „Historische Frauenforschung“ im Deutschen Historikerverband etabliert. In Polen wurde in den späten 90er Jahren die Historische Kommission der Frauen bei der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Warschau gegründet, die die interdisziplinäre geschichtliche Geschlechterforschung koordiniert. Die Vernetzung innerhalb der europäischen und außereuropäischen Geschlechterforschung setzte eine rege Kommunikation in Gang und ermöglichte bald eine erste systematische Erschließung der Schwerpunkte und Projekte6.
3 Gerda LERNER, Welchen Platz nehmen Frauen in der Geschichte ein? Alte Definitionen und neue Aufgaben, in: Denkverhältnisse, hrsg. von Elisabeth List und Herlinde Studer, Frankfurt a. M. 1989, S. 334–352, hier: S. 347. 4 Weiblichkeit in geschichtlicher Perspektive, hrsg. von Ursula Bader und Jörn Rüsen, Frankfurt a. M. 1988. 5 Vgl. dazu: Dagmar FREIST, Zeitschriften zur Historischen Frauenforschung. Ein internationaler Vergleich, in: Verleger und Wissenschaftler, hrsg. von Hartmut Zwahr, Göttingen 1996, S. 97–117; Margarete LANZINGER, Mediale und kommunikative Orte der Frauenund Geschlechtergeschichte. Zeitschriften, Websites, Tagungen, in: Frauen- und Geschlechtergeschichte. Positionen/Perspektiven, hrsg. von Johanna Gehmacher und Maria Mesner, Innsbruck [u. a.] 2003, S. 53–72. 6 Frauen im Frühmittelalter. Eine ausgewählte kommentierte Bibliographie, hrsg. von Werner Affeldt [u. a.], Frankfurt a. M.1990.
Czarnecka, Europaorientierte Geschlechterforschung
183
Zentrales Postulat der historischen Frauen- und Geschlechterforschung ist die Interdisziplinarität und Transdisziplinarität, die die Ergebnisse verschiedener Teildisziplinen zusammenführen und aufeinander beziehen. In der historischen Forschung zur Frühen Neuzeit wurde der Hauptakzent auf den Wandel der Geschlechterbeziehungen gelegt. Natalie Zemon Davis führte den Begriff Geschlecht (gender) als geschichtswissenschaftliche Kategorie, die nicht nur das biologische, sondern auch das soziale Geschlecht bedeutet, in die historische Forschung ein7. Sie forderte damit eine Geschichtsforschung, in der die veränderbaren Geschlechterrollen in ihrer Funktion und Bedeutung für die Macht- und Sozialstrukturen und in der Mentalitätsgeschichte befragt werden. Die amerikanische Kulturhistorikerin betonte, dass die Kategorien der Gegenwart nicht ohne weiteres auf die historische Vergangenheit angelegt werden dürfen, dass jeweils die historische Realität und Konditionen mitberücksichtigt werden müssen. Die einschlägigen Arbeiten der deutschen Geschichtswissenschaftler, wie vor allem der von Heide Wunder und Christina Vanja 1991 herausgegebene Band Wandel der Geschlechterbeziehungen zu Beginn der Neuzeit8 und die 1992 erschienene umfangreiche Studie Wunders Er ist die Sonn’, sie ist der Mond. Frauen in der Frühen Neuzeit9, präsentieren neben der dreibändigen Darstellung Kultur und Alltag in der Frühen Neuzeit von Richard van Dülmen10 und dem Band Lebensformen in der Frühen Neuzeit von Paul Münch11 diese neuorientierte historische Forschung, in der die Geschlechterbeziehungen nicht mehr als individuelle, private und deshalb historisch irrelevante Angelegenheit ausgespart, sondern als gesellschaftliche Beziehungen erforscht werden. Diesen sozialgeschichtlichen Monographien schließen sich Beiträge der historischen Regionalforschung an12. Eine besondere Aufmerksamkeit zog das Mittelalter auf sich, die Epoche, die in der historischen Geschlechterforschung bis heute viel besser erforscht ist als die nachfolgende Frühe Neuzeit13. Bereits 1985 las Claudia Opitz die 7 Nathalie ZEMON DAVIS, Frauen und Gesellschaft am Beginn der Neuzeit. Studien über Familie, Religion und die Wandlungsfähigkeit des sozialen Körpers, Frankfurt a. M. 1989. 8 Wandel der Geschlechterbeziehungen zu Beginn der Neuzeit, hrsg. von Heide Wunder und Christina Vanja, Frankfurt a. M. 1991. 9 Heide WUNDER, „Er ist die Sonn’, sie ist der Mond“. Frauen in der Frühen Neuzeit, München 1992. 10 Richard VAN DÜLMEN, Kultur und Alltag in der Frühen Neuzeit, 3 Bde., München 1991–1994. 11 Paul MÜNCH, Lebensformen in der Frühen Neuzeit 1500 bis 1800, Frankfurt a. M. 1992. 12 Vgl. Frauen in der Ständegesellschaft. Leben und Arbeiten in der Stadt vom späten Mittelalter bis zur Neuzeit, hrsg. von Barbara Vogel und Ulrike Weckel, Hamburg 1991; Sigrid LESEMANN, Arbeit, Ehre, Geschlechterbeziehungen, Hildesheim 1994. 13 Auf der Suche nach der Frau im Mittelalter. Fragen, Quellen, Antworten, hrsg. von Bea Lundt, München 1991.
184
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
bekannten Quellen zum Frauenalltag aus dem 13. und 14. Jahrhundert gegen den Strich14. Wie Bea Lundt hervorgehoben hat, wurde dieses Interesse am Mittelalter vor allem durch die Erforschung der Lebenswelten von Frauen und Männern angeregt, also jenem Bereich, in dem im alltäglichen Handeln der Menschen ihr kulturelles und soziales Geschlecht konstruiert wird (doing-gender). Der geforderte gendersensible Blick aufs Mittelalter konnte die interdisziplinären Diskussionen zur Verortung der Geschlechter15, zur Identitäts- und auch zur narrativen Konstruktionen der Geschlechter beanspruchen. Mit dem kulturwissenschaftlichen Ansatz der Narratologie, der jedes Erzählen als kulturelle Praxis versteht und nach seiner Bedeutung für die Konstitution der Geschlechter fragt16, zeigte Bea Lundt ganz neue Perspektive der Erforschung der Geschlechtergeschichte im Mittelalter auf. Nicht nur traditionelle Quellengattungen, sondern auch fiktionale Texte werden nach ihrer Aussagekraft zur gesellschaftlichen Realität befragt. Mit ihren Bänden Melusine und Merlin im Mittelalter. Entwürfe und Modelle weiblicher Existenz im Beziehungs-Diskurs der Geschlechter von 1991 und Weiser und Weib. Weisheit und Geschlecht am Beispiel der Erzähltradition von den Sieben Weisen Meistern aus dem Jahr 2002 etablierte Bea Lundt die historische Erzählforschung17. Eine neue Forschungsperspektive wurde auch in Hinsicht auf Frauenmystik und Visionsliteratur eröffnet. Durch interdisziplinäre Ansätze konnten neue Dimensionen und Kontexte der Frauenfrömmigkeit18, der Heiligenverehrung oder der organisierten Formen religiöser Existenz aufgedeckt und untersucht werden19. Für die Geschlechtergeschichte im Mittelalter liegt bereits eine kommentierte Arbeitsbibliographie vor20. Auch in diesem Kontext sind die Forschungen zur Frühen Neuzeit noch defizitär.
14 Claudia
OPITZ, Frauenalltag im Mittelalter. Biographien des 13. und 14. Jahrhunderts, Basel 1985. 15 Vgl. Das verortete Geschlecht. Literarische Räume sexueller und kultureller Differenz, hrsg. von Petra Leutner und Ulrike Erichsen, Tübingen 2003. 16 Vgl. Narration und Geschlecht. Texte – Medien – Episteme, hrsg. von Sigrid Nieberle und Elisabeth Strowick, Köln [u. a.] 2006. 17 Bea LUNDT, Melusine und Merlin im Mittelalter. Entwürfe und Modelle weiblicher Existenz im Beziehungs-Diskurs der Geschlechter. Ein Beitrag zur historischen Erzählforschung, München 1991; DIES., Weiser und Weib. Weisheit und Geschlecht am Beispiel der Erzähltradition von den Sieben Weisen Meistern (12.–15.Jh), München 2002. 18 Peter DINZELBACHER, Mittelalterliche Frauenmystik, Paderborn [u. a.] 1993; DERS., Heilige oder Hexen? Schicksale auffälliger Frauen in Mittelalter und Früher Neuzeit, München 1995; „In Christo ist weder man noch weyb“. Frauen in der Zeit der Reformation und der katholischen Reform, hrsg. von Anne Conrad, Münster 1999; Daniela MÜLLER, Ketzerinnen. Frauen gehen ihren eigenen Weg, Würzburg 2004. 19 Maria, Abbild oder Vorbild. Zur Sozialgeschichte mittelalterlicher Marienverehrung, hrsg. von Hedwig Röckelein [u. a.], Tübingen 1999. 20 Wie Anm. 6.
Czarnecka, Europaorientierte Geschlechterforschung
185
Das wachsende Interesse an Mittelalter regte die mediävistische und frühneuezitliche (Frauen)Literaturforschung an. Besonders ergiebig sind dabei archetypische Ansätze bei den Untersuchungen zum Tops der Frau Welt und des bösen Weibs, wie in den Arbeiten von Becker-Cantarino, Ulbricht, Bennewitz und immer noch von Britzmann sowie bei Elisabeth Lienert21, die die Geschichte der Frau Tugendreich aus dem Jahre 1521 als Streitgespräch der mittelalterlichen Querelle des femmes untersucht. II. Zur Diskussion steht bereits seit den 80er Jahren die Verortung der historischen Frauen- und Geschlechterforschung innerhalb der Geschichtswissenschaft. Dabei wurden zwei differenzierte Positionen deutlich. Einerseits plädierte Gerda Lerner, die in der „Erfahrung“ von Frauen das innovative Potential der Forschung sah, für eine besondere Stellung der Frauengeschichtsforschung und eine kritische Auseinandersetzung mit dem geschichtswissenschaftlichen Kanon. In ihrem universellen Modell des Patriarchats, welches „allen anderen Unterdrückungen vorausging“ und welches „alle ökonomischen und sozialen Veränderungen der Geschichte überdauert hat“, fasste sie die Frauengeschichte als Geschichte von Frauen über Frauen22. Dieser „separatistischen“ Position widersetze sich Karin Hausen, die für eine „Nicht-Einheit der Geschichte“ plädierte und im Bruch mit implizit oder explizit universalgeschichtlichen Zugängen die von der Geschlechtergeschichte ausgehende historiographische Herausforderung sah23. Auch Natalie Zemon Davis trat programmatisch für eine offene, alle Bereiche der Geschichtsschreibung einschließende Behandlung von Frauengeschichte ein: „es 21 Franz
BRIETZMANN, Die böse Frau in der deutschen Literatur des Mittelalters, Berlin 1912; „Der frauwen buoch“. Versuche zu einer feministischen Mediävistik, hrsg. von Ingrid Bennewitz, Göppingen 1989; Böse Frauen – gute Frauen. Darstellungskonventionen in Texten und Bildern des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, hrsg. von Ulrike Gaebel und Erika Kartschoke, Trier 2001; Barbara BECKER-CANTARINO, Die Böse Frau und das Züchtigungsrecht des Hausvaters in der Frühen Neuzeit, in: Der Widerspenstigen Zähmung. Studien zur bezwungenen Weiblichkeit in der Literatur vom Mittelalter bis zur Gegenwart, hrsg. von Sylvia Wallinger uund Monika Jonas, Innsbruck 1986, S.117–132; Barbara BECKER-CANTARINO, Frau Welt und femme fatale: die Geburt eines Frauenbildes aus dem Geiste des Mittelalters, in: Das Weiterleben des Mittelalters in der deutschen Literatur, hrsg. von James F. Poag und Gerhild Scholz-Williams, Königstein/Ts. 1983, S. 61–74; Elisabeth LIENERT, „Frau Tugendreich“. Eine Prosaerzählung aus der Zeit Kaiser Maximilians I. Edition und Untersuchungen, München 1988. 22 LERNER, Welchen Platz nehmen Frauen in der Geschichte ein? (Anm. 3), S. 339. 23 Karin HAUSEN Die Nicht-Einheit der Geschichte als historiographische Herausforderung. Zur historischen Relevanz und Anstößigkeit der Geschlechtergeschichte, in: Geschlechtergeschichte und Allgemeine Geschichte. Herausforderungen und Perspektiven, hrsg. von Hans Medick und Anne-Charlotte Trepp, Göttingen 1998, S. 15–55.
186
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
sollte zur zweiten Natur der Historiker – gleich was sein oder ihr Spezialgebiet ist – werden, die Konsequenzen des Geschlechts ebenso bereitwillig zu berücksichtigen wie etwa die der Klassenzugehörigkeit“24. Dieser methodischen Diskussion schloss sich 1983 Gisela Bock an, die einerseits Lerners Kategorie der weiblichen Erfahrung, andererseits aber die der Geschlechterbeziehungen für eine neuorientierte historische Geschlechterforschung beanspruchen wollte25. Man soll dabei die Differenzkategorien wie Klasse, Rasse, Ethnie, Alter, gesellschaftliche Schicht, Geschlecht „nicht gegeneinander ausspielen, sondern ihre jeweiligen Realitätsmacht [...] erforschen“26. Heute dominiert die Ansicht, dass Frauen- und Geschlechterforschung nicht eine neue Teildisziplin der Geschichtswissenschaft sein sollte. Die Frage nach den Frauen in der Geschichte soll in allen Bereichen der Gesellschaft und Geschichte aktualisiert werden. Auch in dieser Debatte um die fach- und institutionsbezogene Verortung der historischen Geschlechterforschung lässt sich eine auffällige Parallelität zur germanistischen Frauen- und Geschlechterforschung feststellen. Die ersten Definitionen der Frauenliteratur, die Mitte der 70er Jahre in Deutschland formuliert wurden, verorteten sie als Literatur von Frauen über Frauen und für Frauen. In der Debatte der Literaturwissenschaft hat man bereits Ende der 70er Jahre die These von der weiblichen Ästhetik als Differenzkategorie abgelehnt27, trotzdem mussten wir Ende der 80er Jahre eine selbstaufgezwungene Gettoisierung der Frauenliteratur und -forschung feststellen, deren Überwindung überfällig wurde. Diese Situation und die Diskussionen innerhalb der feministischen Literaturwissenschaft jener Jahre bilden eine interessante Parallele zur Debatte, die Gerda Lerner und Karin Hausen geführt hatten. Während Lerner auf der Position einer besonderen Positionierung von Frauengeschichtsschreibung bestand, trat Hausen gerade für die genderspezifische Offenheit der Perspektive in allen Bereichen der Geschichtsforschung ein. Ähnliches konnte Sigried Weigel in Hinsicht auf die Entwicklung der universitären Frauenforschung konkludieren: Statt sich als ein besonderes Gebiet vom ganzen Fach der Germanistik zu isolieren, sollte man „die Dimension der Geschlechterverhältnisse auf allen Ebenen von Literaturtheorie und -geschichte“ integrieren28 und den Tendenzen zur 24 ZEMON DAVIS, Frauen und Gesellschaft (Anm. 7), S. 27. 25 Gisela BOCK, Historische Frauenforschung. Fragestellungen
und Perspektiven, in: Frauen suchen ihre Geschichte, hrsg. von Karin Hausen, München 1983, S. 36. 26 Andrea GRISEBENER, Geschlecht als soziale und als analytische Kategorie, in: Frauenund Geschlechtergeschichte (Anm. 5), S. 41. 27 Silvia BOVENSCHEN, Über die Frage: Gibt es eine „weibliche“ Ästhetik?, in: Ästhetik und Kommunikation 25 (1979), S. 60–75. 28 Sigrid WEIGEL, Geschlechterdifferenz und Literaturwissenschaft, in: The graph of sex and the german text: gendered culture in early modern Germany 1500–1700, hrsg. von Lynne Tatlock, Chloe 19 (1994), S.7–27.
Czarnecka, Europaorientierte Geschlechterforschung
187
Abkapselung und Abgrenzung der Frauenliteraturforschung innerhalb des Faches entgegenwirken. III. Die berühmte Debatte über gender truble, die von Judith Butler in Amerika in den späten 80er Jahren initiiert wurde, ging in den ausgehenden 90er Jahre auch durch Europa und lenkte die Aufmerksamkeit der historischen Geschlechterforschung auf die Handlungsräume von Frauen und Männern, denn es wurde erkannt, dass gender nicht nur diskursiv, sondern auch performativ, im alltäglichen Tun hergestellt wird29. Die aktuellen Fragen richten sich „nach gesellschaftlichen Relationen, Macht- und Dominanzbeziehungen zwischen den Geschlechtern, nach Prozessen der Herstellung von ‚Männlichkeit’ und ‚Weiblichkeit’ sowie schließlich auch nach der kulturellen Konstruiertheit von Zweigeschlechtlichkeit“30. Ein wichtiger Effekt dieses Sex-gender-Unbehagens wurde die Thematisierung des Körpers, der nicht mehr als biologisches Zeichen wahrgenommen und gelesen werden konnte, sondern als kulturelles Konstrukt. Das Interesse der historischen Geschlechterforschung am Körper intensivierte sich aber bereits in den 80er Jahren. Catharine Fouquets Frage: „Führt der Weg der Frauengeschichte über die Geschichte des weiblichen Körpers?“31 deckte die Aporien der historischen Geschlechterforschung auf, in der die traditionellen Differenzen männlich/weiblich, Kultur/Natur und die Zuweisung der Weiblichkeit zur Biologie immer als normativ mitgedacht wären. Die französische Historikerin warnte vor einer vorschnellen, unreflektierten Körpergeschichte als Frauengeschichte und sah die Bedeutung der historischen Erforschung des Körpers in der Darstellung seiner Konstruierund Wandelbarkeit in der Geschichte: „Die Frauen auf ihren Körper zu reduzieren bedeutet, sie aus der Geschichte auszuschließen. Das ändert sich, wenn man nachweist, daß der weibliche Körper mitsamt seinen Funktionen eine eigene Geschichte besitzt“32.
Mit ihrem Buch Geschichte unter der Haut von 1987 wurde Barbara Duden zur Begründerin der Körpergeschichte in der historischen Frauen- und Ge29 Judith
BUTLER, Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt a. M. 1991; DIES., Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts. Aus dem Amerikanischen von Karin Wördemann, Frankfurt a. M. 1997; DIES., Haß spricht. Zur Politik des Performativen. Aus dem Englischen von Kathrina Menke und Markus Krist, Berlin 1998. Vgl. dazu Juliette WEDL, Konzepte des Feminismus: Gleichheit, Differenz und (De-) Konstruktion als Perspektive politischen Handels, in: Frauen in Europa (Anm. 1), S. 461–488. 30 Frauen- und Geschlechtergeschichte (Anm. 5), S. 9. 31 Geschlecht und Geschichte. Ist eine weibliche Geschichtsschreibung möglich?, hrsg. von Alain Corbin [u. a.], Frankfurt a. M. 1989, S. 47–63. 32 Ebd., S. 52.
188
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
schlechterforschung zur Frühen Neuzeit. Besonders wichtig waren hier die Erträge und Ergebnisse der „Forschung zum Wandel des Körperverständnisses und des Verhältnisses von Körper und Selbst“33 und vor allem die Verbindung von Körper- und Machdiskurs, in dem der Körper zum Ort der Machtausübung und Stabilisierung der Herrschaftsverhältnisse wurde34. Neue Schwerpunkte in der historischen Geschlechterforschung sind mit der Kategorie der Verortung von Geschlecht verbunden, die sowohl traditionelle Zuweisungen als auch deren Transgressionen umfasst. Den Mythos der friedfertigen Frau hatte in der Psychologie Margarethe Mitscherlich in den 80er Jahren als kulturelles Konstrukt dechiffriert, indem sie das Gewaltpotential von Frauen aufgedeckt und damit die tradierten Imaginationen von Mann als Täter und Frau als Opfer seiner Gewalt aufgehoben hatte35. Das Thema der Gewalt wird sowohl durch historische36 als auch literaturwissenschaftliche Frühneuzeitforschung aufgegriffen. Natalie Zemon Davis hatte bereits 1987 die Riten der Gewalt in der Gesellschaft der Frühen Neuzeit beschrieben37. Die Transgressionen der traditionellen Räume der Weiblichkeit im Zeichen der Gewalt untersuchen u. a. Ulinka Rublack und Otto Ulbricht38, der für eine profunde Geschichte der weiblichen Kriminalität in der Frühen Neuzeit plädiert, in der die Geschlechtergeschichte mit der Sozialgeschichte der Kriminalität verknüpft wird und dabei die traditionellen Bilder von Frau als Opfer und Mann als Täter hinterfragt werden. Als kriminell Handelnde kommen Frauen in den Blick, die entweder Frauendelikte wie Abtreibung, Kindsmord, Prostitution39, Kupplerei und Hexerei oder aber auch Männerdelikte betreiben und als Bandenführerinnen, Räuberinnen oder Soldaten auftreten. Der Thematik der Gewaltwahrnehmungen und -darstellungen in der Literatur des 17. Jahrhunderts widmen Dirk Niefanger und Markus Meumann ihren
33 Gisela
ENGEL/Heide WUNDER, Geschlechterperspektiven in der Frühen Neuzeit, in: Geschlechterperspektiven. Forschungen zur Frühen Neuzeit, hrsg. von dens., Helmer 1998, S. 11–13, hier: S. 11. Vgl. dazu Die Erfindung des Menschen. Schöpfungsträume und Körperbilder 1500–2000, hrsg. von Richard van Dülmen, Wien [u. a.] 1998. 34 Vgl. dazu u. a. Barbara DUDEN, Geschichte unter der Haut: ein Eisenacher Arzt und seine Patientinnen um 1730, Stutgart 1987; Lyndal ROPER, Ödypus und der Teufel. Körper und Psyche in der Frühen Neuzeit, Frankfurt a. M. 1995. 35 Margarete MITSCHERLICH, Die friedfertige Frau, Frankfurt a. M. 1987. 36 Richard VAN DÜLMEN, Das Theater des Schreckens, Gerichtspraxis und Strafrituale in der Frühen Neuzeit, Frankfurt a. M. 1995; Das Quälen des Körpers. Eine historische Anthropologie der Folter, hrsg. von Peter Burschel, Köln 2000. 37 Natalie ZEMON DAVIS, Humanismus, Narrenherrschaft und die Riten der Gewalt. Gesellschaft und Kultur in der Frühen Neuzeit, Frankfurt a. M. 1987. 38 Von Huren und Rabenmüttern. Weibliche Kriminalität in der Frühen Neuzeit, hrsg. von Otto Ulbricht, Köln [u. a.] 1995; Ulinka RUBLACK, Magd, Metz’ oder Mörderin. Frauen vor frühneuzeitlichen Gerichten, Frankfurt a. M. 1998. 39 Peter SCHUSTER, Das Frauenhaus. Städtische Bordelle in Deutschland 1350–1600, Paderborn 1992.
Czarnecka, Europaorientierte Geschlechterforschung
189
Sammelband Ein Schauplatz herber Angst aus dem Jahr 199740, in dem gezeigt wird, dass die in der Lebenswelt und im Denkhorizont der Menschen jener Zeit überall sichtbare Gewalt am Körper als deren Schauplatz erfahren, in den barocken Texten jedoch ambivalent aufgefasst wird: als „gut und böse, sinnvoll und sinnlos, begründet und unbegründet“41. Die Untersuchung verschiedener Räume der Frauenaktivitäten in der Frühen Neuzeit ist ein wichtiges Forschungsfeld der Sozialhistoriker. Hatten Barbara Vogel und Ulrike Weckel bereits 1991 einen Band zur Erwerbstätigkeit von Frauen in den Städten des 15. und 16. Jahrhunderts vorgelegt42, so gerät nun – v. a. in den Arbeiten von Heide Wunder und Christina Vanja – das ländliche Milieu ins Zentrum des Interesses43. Immer mehr Aufmerksamkeit wird auch in den letzten Jahren der Semantik des Adels geschenkt und darin der adligen Frau und den Indikatoren ihrer geschlechtlichen Identität, wie v. a. die Arbeiten von Heide Wunder und Beatrix Bastl belegen44. Intensiv entwickelt sich nach wie vor die interdisziplinäre Forschung zur frühneuzeitlichen Hexenverfolgung, die neuerdings, etwa bei Claudia Opitz45 oder Ingrid Ahrend-Sculte46, die Macht- und Ausgrenzungsmechanismen der vormodernen Gesellschaft mit den Transgressionen der traditionellen geschlechtlichen Verortungen verbindet. Die Geschichte der Emotionen gewinnt im letzten Dezennium immer größeres Interesse in der Geschichtswissenschaft, Psychologie, Kulturanthropologie und der kulturwissenschaftlich orientierten Germanistik47, denn – um hier mit Claudia Bethien zu sprechen: 40 Ein Schauplatz herber Angst. Wahrnehmungen und Darstellungen von Gewalt im 17. Jahrhundert, hrsg. von Markus Meumann und Dirk Niefanger, Göttingen 1997. 41 Ebd., S. 10. 42 Vgl. Anm. 12. 43 Weiber, Menschen, Frauenzimmer. Frauen in der ländlichen Gesellschaft 1500-1800, hrsg. von Heide Wunder und Christina Vanja, Göttingen 1996. 44 Beatrix BASTL, Tugend, Liebe, Ehre. Die adelige Frau der Frühen Neuzeit, Wien 2000; Dynastie und Herrschaftssicherung in der Frühen Neuzeit: Geschlechter und Geschlecht, hrsg. von Heide Wunder, Berlin 2002; vgl. auch: Witwenschaft in der Frühen Neuzeit. Fürstliche und adlige Witwen zwischen Fremd- und Selbstbestimmung, hrsg. von Martina Schattkowsky, Leipzig 2003. 45 Der Hexenstreit. Frauen in der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung, hrsg. von Claudia Opitz, Freiburg 1995. 46 Ingrid AHRENDT-SCULTE, Weise Frauen – böse Weiber. Die Geschichte der Hexen in der Frühen Neuzeit, Freiburg 1994. 47 Claudia BENTHIEN/Anne FLEIG/Ingrid KASTEN, Emotionalität. Zur Geschichte der Gefühle, Köln [u. a.] 2000; Kulturen der Gefühle in Mittelalter und Frühen Neuzeit, hrsg. von Ingrid Kasten [u. a.], Stuttgart [u. a.] 2002; Peter DINZELBACHER, Konzepte der Liebe im Mittelalter, Göttingen 1990; Elisabeth BADINTER, Die Mutterliebe. Geschichte eines Gefühls vom 17. Jahrhundert bis heute. Aus dem Französischen von Friedrich Griese Frankfurt a. M. [1984].
190
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007) „Die verstärkte Inblicknahme von Emotionen, im Sinne von individuellen Erfahrungen, Befindlichkeiten und Handlungen eröffnet [...] Perspektiven für eine differenziertere Wahrnehmung der Beziehung der Geschlechter wie auch für die historische Variabilität von Frau-Sein und Mann-Sein. [...] Gefühle sind gleichsam kulturell geprägt wie auch innerlich erlebt [...]. Bedeutung gewinnt die Konzentration auf Emotionen, auf individuelle Bewusstseinshorizonte und Handlungsweisen nur im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Wertvorstellungen, mit Normen und auch übergreifenden sozio-ökonomischen Prozessen“48.
Die Geschichte der Emotionen, vor allem der Liebesdiskurs, sorgt aber in der interdisziplinären Debatte nach wie vor für Verwirrung. Es geht um die auffällige Diskrepanz in der Festlegung des Zeitraums für die Annäherung des Liebes- und Ehediskurses. Die vielfältigen und profunden Ergebnisse der historischen Kulturforschung49 und der literaturhistorischen Forschung dazu, v. a. die Untersuchungen der Eheschriften aus dem Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit50, lassen den Wandel der Geschlechterbeziehungen, ähnlich wie aus der Sicht der Sozialgeschichte, im 15. und 16. Jahrhundert verorten, während die Mediävisten, wie Schnell, ihn bereits viel früher, im 12. und 13. Jahrhundert situieren wollen. Dabei werden Narrative wie Textbeispiele aus der Volksliteratur und aus der höfischen Dichtung des 12. und 13. Jahrhunderts auf ihren Bezug zur historischen Realität untersucht51. Auch im Kontext der Elternliebe herrschen Differenzen in der Sicht verschiedener Wissenschaftsdisziplinen. Gendersensible Untersuchungen von Verhaltensparadigmen angesichts des Entbindungstraumas, des Kindstods, des Verlustes der Ehegatten oder weiterer Verwandten lassen ganz neue Fragestellungen in der aktuellen Diskussion über emotionale Aspekte der barocken Lebenswelten, ganz besonders über die Elternliebe, zu52. Die reichlich 48 BENTHIEN/FLEIG/KASTEN (Anm. 47), S. 93. 49 Armut, Liebe, Ehre. Studien zur historischen
Kulturforschung, hrsg. von Richard van Dülmen, Frankfurt a. M. 1988. 50 Eheglück und Liebesjoch. Bilder von Liebe, Ehe und Familie in der Literatur des 15. und 16. Jahrhunderts, hrsg. von Maria E. Müller, Weinheim/Basel 1988; Ordnung und Lust. Bilder von Liebe, Ehe und Sexualität in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, hrsg. von HansJürgen Bachorski, Trier 1991; Rudolf LENZ, „Ehestand, Wehestand, Süßbitter Standt“? Betrachtungen zur Familie der Frühen Neuzeit, in: Archiv für Kulturgeschichte 68 (1986), S. 371–396; Anette VÖLKER-RASOR, Bildpaare – Paarbilder. Die Ehe in Autobiographien des 16. Jahrhunderts, Freiburg 1993; Geschlechterbeziehungen und Texfunktionen. Studien zu Eheschriften der Frühen Neuzeit, hrsg. von Rüdiger Schnell, Tübingen 1998; vgl. auch: Hochzeit als ritus und casus. Zu interkulturellen und multimedialen Präsentationsformen im Barock, hrsg. von Mirosława Czarnecka und Jolanta Szafarz, Wrocław 2001. 51 Vgl. Rüdiger SCHNELL, Liebesdiskurs und Ehediskurs im 15. und 16. Jahrhundert, in: The graph of sex, Chloe 19 (1994), S. 77–101. 52 Vgl. Mirosława CZARNECKA, Die Anthropologie der Angst: Andreas Gryphius und die weiblichen Lebenswelten, in: Memoria Silesiae. Leben und Tod, Kriegserlebnis und Friedenssehnsucht in der literarischen Kultur des Barock, hrsg. von ders., Wrocław 2003, S. 191–203; Kultura smutku. Paradygmaty postaw wobec śmierci w literaturze niemieckie-
Czarnecka, Europaorientierte Geschlechterforschung
191
dokumentierte These Elisabeth Badinters53 von der bis in die 60er Jahre des 18. Jahrhunderts herrschenden Gefühlskälte, ja Herzlosigkeit im Verhältnis zwischen Eltern und Kindern und die von ihr konstatierte verbreitete Gleichgültigkeit gegenüber dem Kindstod muss als allgemeinverbindliche Aussage hinterfragt werden. Die barocken Trauergedichte, die die Eltern auf den Tod ihrer Kinder verfasst haben, könnten als eine Ausnahme in der generell defizitären Literarisierung der Elternliebe betrachtet werden54. IV. Die neuen Ansätze und Ergebnisse der historischen Geschlechterforschung beeinflussen entscheidend die Frauen- und Geschlechterliteraturforschung. Ein wichtiges Indiz dafür ist der neueste Band zu gender Studies, den Inge Stephan und Christine von Brand herausgegeben haben, in dem die geschichtswissenschaftlichen Ansätze zentral diskutiert werden55. Ähnlich wie in der Frühphase der historischen Frauenforschung, wurde auch in der literaturwissenschaftlichen Barockforschung zunächst eine Erinnerungs- und Rekonstruktionsarbeit geleistet, die das Bild der Frau als Autorin in der Frühen Neuzeit vor dem Hintergrund ihrer realen Lebenssituation durch wiederentdeckte Texte und ihre Neuauflagen sowie durch die Aufarbeitung der Biographien von bislang meistens unbekannten oder verkannten Autorinnen gänzlich veränderte. Es wurden damit nicht nur die enzyklopädischen Lücken in der interdisziplinären Forschung zur Frühen Neuzeit geschlossen, sondern auch ganz neue Forschungsansätze formuliert. Wichtige Akzente wurden auf die Erforschung des weiblichen Sozialisationsprozesses, der Literarität von Frauen sowie der Vorformen der Frauenemanzipation in der Frühen Neuzeit gelegt. Einen ersten, wenn auch notwendigerweise noch skizzenhaften Überblick über die literarische Tätigkeit von Frauen in der Frühen Neuzeit legte 1978 Gisela Brinker-Gabler mit ihrem Band Deutsche Dichterinnen vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart vor56. Im Vorwort ging sie auf die Voraussetzungen des weiblichen Schreibens ein und stellte dann kurze Biographien von 60 go baroku (Trauerkultur. Verhaltensparadigmen beim Tod in der Literatur des deutschen Barock), hrsg. von Mirosława Czarnecka und Jolanta Szafarz, Wroclaw 2004; Mirosława CZARNECKA, Mutter- und Mutterschaftsdiskurs in den literarischen Zeugnissen des Barock, in: Mutterbilder und Mütterlichkeitskonzepte im ästhetischen Diskurs, hrsg. von ders., Wrocław 2001, S. 123–133. 53 BADINTER, Die Mutterliebe (Anm. 47). 54 CZARNECKA, Die Anthropologie der Angst (Anm. 52). 55 Gender-Studies. Eine Einführung, hrsg. von Christine von Braun und Inge Stephan, Stuttgart 2000. 56 Gisela BRINKER-GABLER, Deutsche Dichterinnen vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Gedichte und Lebensläufe, Frankfurt a. M. 1978.
192
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Autorinnen mit Beispielen ihrer Texte und Bibliographie vor, darunter 12 aus der Zeit von 1500 bis 1800. Barbara Becker-Cantarino gab 1980 den Band Die Frau von der Reformation zur Romantik heraus57, dem sie einen ersten gründlichen Forschungsbericht zur (Sozial)Geschichte der Frau in Deutschland im Zeitraum von 1500 bis 1800 anschloss. Becker-Cantarino verwendete die Kategorie des Geschlechts im historischen und literarischen Diskurs in ihrer Sozialgeschichte aus dem Jahre 1987 Der lange Weg zur Mündigkeit: Frau und Literatur (1500-1800)58. Es ist eine groß angelegte synthetisierende Studie über den Sozialisationsprozess und die Vorformen der Emanzipation der Frau in der Frühen Neuzeit. 1982 legte Helga Möbius eine kunsthistorische Dokumentation des Frauenlebens im Barock mit dem Band Die Frau im Barock vor59. Sie illustriert damit alle wichtigen Lebenswelten der Frau im 17. Jahrhundert. Mit dem Lexikon Schriftstellerinnen, Künstlerinnen und gelehrte Frauen des deutschen Barock60 haben die Literaturhistorikerinnen Jean Woods und Maria Fürstenwald 1984 eine enzyklopädische Lücke in der interdisziplinären Forschung zur Frühen Neuzeit geschlossen. Die Autorinnen konnten für den deutschsprachigen Raum zwischen 1600 und 1740 316 Dichterinnen, 79 Musikerinnen, 75 Künstlerinnen, 130 Frauen, die wegen der Beherrschung einer oder mehrerer Fremdsprachen bekannt wurden, und vereinzelte Beispiele von Frauen, die sich mit diversen Wissenschaften befassten, nachweisen. Dieses Nachschlagewerk gilt seitdem als erste Adresse für eine systematische Frauenforschung zur Zeit des Barock. Eine grundlegende Studie zur Literalität und Lektüre der Frau in der Frühen Neuzeit legte Cornelia Niekus-Moore mit dem Band The Maiden’s Mirror: Reading Material for German Girls in the Sixteenth and Seventeenth Centuries 1987 vor61. Anhand von ausführlichen Quellenrecherchen beschrieb sie die aus der restriktiven Erziehung resultierenden Steuerungsmechanismen im Umgang der Frau mit dem Buch und verwies zugleich auf die Versuche der Autoren und Verleger, diese zu umgehen. Mit der zweibändigen Dokumentation Deutsche Literatur von Frauen, die Gisela Brinker-Gabler 1988 herausgab62, wurde ein erster umfassender Überblick über das literarische Schaffen von Frauen, ihre Schreibprozesse, ihre Inhalte und Formen, sowie über die Rezeptions- und Wertungsperspektiven der Literatur von Frauen seit dem Mittelalter bis ins 57 Die Frau von der Reformation zur Romantik (Anm. 2). 58 Barbara BECKER-CANTARINO, Der lange Weg zur
Mündigkeit. Frau und Literatur (1500–1800), Stuttgart 1987. 59 Helga MÖBIUS, Die Frau im Barock, Stuttgart [u. a.] 1982. 60 Jean. M. WOODS/Marie FÜRSTENWALD, Schriftstellerinnen, Künstlerinnen und gelehrte Frauen des deutschen Barock, Stuttgart 1984. 61 Cornela NIEKUS-MOORE, The Maiden’s Mirror: Reading Material for German Girls in the Sixteenth and Seventeenth Centuries, Wiesbaden 1987. 62 Deutsche Literatur von Frauen, hrsg. von Gisela Brinker-Gabler, Bd. 1: Vom Mittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, Bd. 2: 19. und 20. Jahrhundert, München 1988.
Czarnecka, Europaorientierte Geschlechterforschung
193
20. Jahrhundert hinein publiziert. Mit der Reihe Archiv für philosophie- und theologiegeschichtliche Frauenforschung, die Elisabeth Gössmann seit 1984 herausgibt, ist die europäische Querelle des femmes, dieser seit der Antike zwischen Männern und auch zwischen Männern und Frauen kontinuierlich geführte anthropologische Diskurs über das Menschenbild der Frau und über die Frauengelehrsamkeit, durch Texte aus der Zeit von der Renaissance bis zum 18. Jahrhundert dokumentiert und reflektiert63. In Hinsicht auf die Frauen- und Geschlechterforschung zur Frühen Neuzeit war der Wolfenbütteler Kongress „Europäische Hofkultur im 16. und 17. Jahrhundert“ von 1979 ein Durchbruch. Eine Sektion wurde ausschließlich der Frau in der höfischen Kultur gewidmet. In diesem Rahmen konnten zum ersten Mal die neuesten Ergebnisse zur Frauenforschung im Zeitalter des Barock vorgelegt werden. Neben der Präsentation von adligen Autorinnen und ihren Texten wurden hier die Frauen in der Rolle von Mäzenen und Initiatorinnen des kulturellen Lebens, als Künstlerinnen, Übersetzerinnen, Komponistinnen gezeigt64. Der damaligen Dokumentation folgte 1987 der Kongressband Res Publica Litteraria, in dessen zweiten Teil die Beiträge von Frauen und Männern über die Definition, Grenzen und Möglichkeiten der weiblichen Gelehrsamkeit zusammengestellt wurden65. Neben den bereits in der Barockforschung bekannten großen einzelnen Autorinnen wie Catharina Regina von Greiffenberg oder Anna Maria von Schurmann werden andere schreibende Frauen durch Editionen und Analysen ihrer Werke sowie die Rekonstruktion ihrer Biographien der Vergessenheit entrissen66. Mit den Arbeiten von Ingrid Güntherodt zur schlesischen Astronomin Maria Cunitia (1610–1664)67 wurden die Leistungen dieser gelehrten Frau vor dem Hintergrund der Möglichkeiten und Grenzen der weiblichen Aktivitäten auf dem Gebiet der Naturwissenschaft und der Fachprosa ergründet. Die neuesten Publikationen der Literaturforschung zur Frau in der Frühen Neuzeit referier63
Archiv für philosophie- und theologiegeschichtliche Frauenforschung, hrsg. von Elisabeth Gössmann, 6 Bde., München 1984–1994. 64 Europäische Hofkultur im 16. und 17. Jahrhundert, Bd. 3, Hamburg 1981. 65 Res Publica Litteraria. Die Institution der Gelehrsamkeit in der Frühen Neuzeit, hrsg. von Sebastian Neumeister und Conrad Wiedemann, Tl. 2, Wiesbaden 1987. 66 Vgl. Joachim KRÖLL, Die Ehre des Gebirges und der hohen Wälder: Catharina Margaretha Dobenecker, geborene Schweser, in: Daphnis 7 (1978), S. 287–339; Birgit NEUGEBAUER, Agnes Heinold (1642–1711) – Ein Beitrag zur Literatur von Frauen im 17. Jahrhundert, in: Daphnis 21 (1991), S. 601–702; Elke HEDSTROM, Margarethe Susanne von Kuntsch (1651–1717) Eine unbekannte deutsche Dichterin aus der Barockzeit, in: Daphnis 19 (1990), S. 223–246. 67 Ingrid GÜNTHERODT, Urania Propitia, 1650 – in zweyerley Sprachen. Ein lateinischdeutschsprachiges Compendium der Mathematikerin und Astronomin Maria Cunitz, in: Res Publica Litteraria (Anm. 65), S. 619–643; DIES., „Dreyfache Veränderung” und „Wunderbare Verwandelung”. Zur Forschung und Sprache der Naturwissenschaftlerinnen Maria Cunitz (1610–1664) und Sibylla Merian (1647–1717), in: Deutsche Literatur von Frauen, Bd. 1 (Anm. 62), S. 197–221.
194
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
te Becker-Cantarino in ihrem Bericht ‚Dames de Lettres’ und ‚Die Ordnung der Geschlechter’68. Die neue Perspektive der literaturhistorischen Forschung zur Frühen Neuzeit wird dabei als gendersensibel statt frauenzentriert, dennoch herrschaftskritisch beschrieben69. Mit dem Chloe-Band The graph of sex and the german text: gendered culture in early modern Germany 1500–1700, den Lynne Tatlock 1994 herausgab70, wurde diese aktuelle engendering-Perspektive in der literarischen Barockforschung implemetiert. Diesen Arbeiten schloss ich mich 1997 mit der Studie Die verse-schwangere Elysie. Zum Anteil der Frauen an der literarischen Kultur Schlesiens im 17. Jahrhundert71 an. Damit rückte auch Schlesien, zwar die wichtigste geistige Region Deutschlands im 17. Jahrhundert, doch bis in die ausgehenden 90er Jahre eigentlich terra incognita in der historischen und literaturgeschichtlichen Frauen- und Geschlechterforschung, ins Zentrum der Interessen. Durch methodische Verbindung von sozial- und mentalitätsgeschichtlichen Aspekten mit den philologischen und literaturgeschichtlichen Ansätzen versuchte ich die literarische und kulturelle Tätigkeit der Frauen in Schlesien im 17. Jahrhundert im Zusammenhang mit ihrem Lebensraum darzustellen und sie dadurch in der Wirklichkeit der Frau des 17. Jahrhunderts zu situieren. Es ging mir darum, die realen Bedingungen, die Motivationen und die Grenzen der literarischen Praxis der Schlesierinnen zu erkunden. Diese Fragestellung ermöglichte es, die Texte von Frauen in eine literarische Tradition einzuordnen und auf deren intertextuelles Umfeld hin zu befragen, sie aber vor allem als Kommunikationsformen zu untersuchen, die in den historischen Zusammenhang der Geschlechterrelationen und -rollen gestellt werden sollten. Ähnlich wie für die historische Geschlechterforschung bildet die Querelle des femmes72 auch für die Literaturwissenschaft ein immer aktuelles Forschungsfeld. Cornelia Plume hat mit ihrer Studie Heroinen in der Geschlechterordnung von 1996 die Geschlechterdebatte eines Barockdichters, Daniel Casper von Lohensteins, analysiert und seine durchaus andronormative Haltung hervorgehoben, die ihn unter den namhaftesten Barockautoren aus-
68 Barbara
BECKER-CANTARINO, ‚Dames de Lettres’ und ‚Die Ordnung der Geschlechter’. Neue Forschung zu Frauen und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit, in: Daphnis 23 (1994), S. 469–481. 69 Barbara BECKER-CANTARINO, Feministische Germanistik in Deutschland: Rückblick und sechs Thesen, in: Women in german. Yearbook. feminist Studies in German Litterature and Culture 8 (1992), S. 219–233, hier: S. 228; vgl. auch: Geschlecht – Literatur – Geschichte, hrsg. von Gudrun Loster-Schneider, St. Ingbert 1999, S 9–33. 70 Chloe. Beihefte zu Daphnis 19 (1994). 71 Mirosława CZARNECKA, Die „verse=schwangere“ Elysie. Zum Anteil von Frauen an der literarischen Kultur Schlesiens im 17. Jahrhundert, Wrocław 1997. 72 Die europäische Querelle des femmes seit dem 15. Jahrhundert, hrsg. von Gisela Bock und Margarete Zimmermann, Stuttgart 1997.
Czarnecka, Europaorientierte Geschlechterforschung
195
zeichnet73. Wichtig ist dabei, dass sie die Geschlechterdiskussion in den Machtkampf innerhalb der höfischen Welt des 17. Jahrhunderts hineinprojiziert und von dieser Perspektive her reflektiert. Die europäische interdisziplinäre Barockforschung hat in den letzten Jahren viele Missverständnisse und Fehldeutungen wegräumen können, u. a. die Annahme, dass das 17. Jahrhundert generell wenig autobiographische Texte gebracht hätte. Vor allem Projekte der historischen Anthropologie, Mikrohistorie und Mentalitätsforschung haben in vielen Ländern Europas – Deutschland, Österreich, der Schweiz und genauso in Polen (!) – zu ganz neuen Ergebnissen der Autobiographik- und Selbstzeugnisforschung geführt und gezeigt, dass bereits viel früher als um 1800 das Massenphänomen der EgoDokumente in Europa einsetzt. So konzentriert sich Ewa Kormann in ihrem Buch Ich, Welt und Gott aus dem Jahre 2004 auf die autobiographischen Texte von Frauen im 17. Jahrhundert, die bislang in der Autobiographieforschung stark marginalisiert waren74. Man kann mit der Autorin nur übereinstimmen, wenn sie auch im Kontext der Familienschriften auf die erhebliche Lücke in der Autobiographieforschung verweist und die Notwendigkeit einer eingehenden Untersuchung dieses Quellenmaterials auch in komparatistischer Perspektive als Desiderat formuliert. Ich kann an dieser Stelle natürlich keine Reflexion über deutsche und polnische Autobiographik von Frauen im 17. Jahrhundert entwickeln, aber sehr wohl die Relevanz dieser komparatistischen Perspektive hervorheben. Die polnische Quellenlage ist insoweit günstig, als sich hier u. a. gewisse Rara befinden wie eine erste Autobiographie in Versen aus dem Jahre 1684, geschrieben von der adligen Dichterin Elżbieta Stanisławska, oder eine Familienchronik, die im Zeitraum von rund 140 Jahren von fünf Frauengenerationen verfasst worden ist: von 1589, als die adlige Witwe Elżbieta Orzelska aus Großpolen zu schreiben begann, bis zu den letzten Eintragungen aus dem Jahre 1732. Die Feder ging aus der Hand der Mutter in die ihrer Tochter oder auch ihrer (Ur)Enkelin oder Nichte. Diese Familienchronik lässt eine weibliche Genealogie rekonstruieren, die uns heute v. a als Genealogie der weiblichen Autorschaft faszinieren kann. Im Kontext der Geschichte weiblicher Historiographie würde ich auch auf den Aufsatz von Angelika Epple Von Berlepsch bis Woltmann. Historikerinnen um 1800 verweisen75, in dem sie sich mit dem deutschen Kulturphänomen des Ausschlusses von Frauen aus der professionellen Historiographie beschäftigt, das bis Ende des 19. Jahrhundert unhinterfragt galt. Richtig stellt sie das Gegenbild 73 Cornelias
PLUME, Heroinen der Geschlechterordnung. Weiblichkeitsprojektionen bei Daniel Casper von Lohenstein und die Querelle des femmes, Stuttgart 1996. 74 Ewa KORMANN, Ich, Welt und Gott. Autobiographik im 17. Jahrhundert, Köln [u. a.] 2004 75 Angelika EPPLE, Von Berlepsch bis Woltmann. Historikerinnen um 1800, in: Frauen in Europa (Anm. 1), S. 137–157.
196
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
jene europäischen Länder heraus, in denen „die Grenzen zwischen wissenschaftlichem und essayistischen Erzählen fließender gezogen wurden“76 und in denen deshalb auch Autorinnen von innenfamiliären Historiographien und auch Historikerinnen bekannt sind. Zu diesen europäischen Ländern zählt, was die Autorin nicht erwähnt, u. a. auch Polen mit dem singulären Beispiel der Familie von Orzelski. Mit anderen Formen frühneuzeitlicher Ego-Dokumente beschäftigte sich Helga Meisen in ihrer Studie Das archivierte Ich. Schreibkalender und höfische Repräsentanz in Hessen-Darmstadt 1624–1790 von 200377. Sie untersuchte den Schreibkalender als Kommunikations- und Narrationsmedium, in dem das Individuum durch seine Notizen als Selbstaussagen präsent wird. Gleichzeitig wird dieses Schreibmedium als Ort der höfischen Repräsentation analysiert, weil die Kalenderschreiberinnen und -schreiber drei Herrscherpaare von Hessen-Darmstadt bilden. Als ein weiteres – und durchaus singuläres – Beispiel frühneuzeitlicher Ego-Dokumente werde ich hier noch den Text der polnischen Orientreisenden Regina Salomea Pilsztyn, geb. Rusiecka (1718–1760?) Beschreibung meiner Reise und meines Lebens Abenteuer in die europäische interdisziplinäre Geschlechterforschung einführen, den sie in Konstantinopel niedergeschrieben und im Jahre 1760 abgeschlossen hat. Es ist ein autobiographischer Text, in dem die Erfahrung der Ortlosigkeit, des multiplizierten Fremd-Seins und des vielfachen Grenzgängertums dominiert und das Bild der Weiblichkeit bestimmt78. Wenn Lady Marie Montagu und Sidonia Zäunemann nach Annegret Pelz „zwei kulturelle Präsentationsformen einer Reisepraxis von Frauen signieren, die eine außerhalb und die andere innerhalb der europäischen Gesellschaft, beide aber mit dem Willen zur Erinnerung und in der Absicht der Überschreitung geschrieben sind“79,
dann repräsentiert Rusiecka ein drittes Modell. Denn sie eignet sich die Fremde nicht wie Montagu durch die Maßstäbe ihrer eigenen Kultur an, also durch die einer exzellent gebildeten englischen Lady, die literarisch ambitioniert ist und auf ihrer Reise in den Orient eigentlich die elitäre Hofgesellschaft Englands für einige Zeit gegen die elitäre Hofgesellschaft Osmanisches Reich wechselt. Lebensweltlich liegen die Erfahrungen der beiden fast zu gleicher Zeit im Orient Reisenden weit voneinander entfernt. Es gibt je76 Ebd., S. 140. 77 Helga MEISE,
Das archivierte Ich. Schreibkalender und höfische Repräsentanz in Hessen-Darmstadt 1624–1790, Darmstadt 2003. 78 Vgl. Winfried SCHULZE, Ego-Dokumente: Annäherung an den Menschen in der Geschichte, Berlin 1996. 79 Annegret PELZ, „Ob. Und wie Frauenzimmer reisen sollen?“ Das reisende Frauenzimmer als Entdeckung des 18. Jahrhunderts, Oldenburg 1993, S. 14.
Czarnecka, Europaorientierte Geschlechterforschung
197
doch auch Ähnlichkeiten in den frauenzentrierten Beobachtungen der beiden Autorinnen. Als Fremde im Orient genießen beide einen sonst nur für Männer reservierten Freiraum und finden Akzeptanz für ihre Mobilität. Beide beschreiben in ihren Texten auch die zwei genuinen Orte der Weiblichkeit in der Türkei: das Frauenbadehaus und den Harem80. Anders allerdings als Lady Montagu, die in einer verschlossenen Kutsche incognito ins Badehaus fährt, wo sie sich nicht entkleidet und damit eine Fremde bleibt, geht Rusiecka mit ihrer kleinen Tochter dorthin wie eine der Einheimischen und genießt das Bad. Ähnlich wie Montagu beschreibt sie das Badehaus als eine Art Kaffeehaus, wo die Frauen einige Stunden gemeinsam plaudern und sich austauschen dürfen, die ja sonst zurückgezogen leben und kaum ihre Häuser verlassen. Auch in der Beschreibung des Harems, den Rusiecka im Gegensatz zu Montagu nicht als Touristin und Vertreterin der Großmacht England betritt, sondern als eine von Sultan Mustafa ausgewählte Leibärztin, verweist Rusiecka – und darin ist sie Montagu wieder ähnlich – auf die Versklavung der Frauen in der türkischen Gesellschaft. Sucht man nach Vorläuferinnen für das Modell der Reisepraxis von Rusiecka, so kann man unter bestimmten Einschränkungen wohl auf die jüdische Kauffrau Glückl von Hameln (1646–1724) verweisen, die in ihren Denkwürdigkeiten als Ego-Dokument viele Reiseepisoden mit einschließt81. Die Gemeinsamkeit scheint für Glückl und Salomea in Reisemotivation und -zweck zu liegen. Wichtig sind ihnen das Geldverdienen und die Vermehrung des Kapitals. Beide Frauen sind die Haupternährerinnen ihrer Familien, beide haben auch offensichtlich Lust an der Bewegung, an der Dynamik der Reise. Die mehrfachen Transgressionen der weiblichen Topographie, jenes Grenzgängertums, das das Leben und Wirken von Regina Salomea Pilsztyn, geb. Rusiecka, bestimmte, resultiert in der Konstruktion eines dritten Raums im Sinn Bhabhas82, der zwischen der eigenen und fremden Kultur situiert ist, sie – die Frau – offensichtlich von den beiden profitieren ließ und ihr darüber hinaus eine Existenz über die kulturellen Differenzen hinaus ermöglichte. Rusiecka und ihre Autobiographie, die eine der frühesten literarischen Überlieferungen der Reisebeschreibungen von Europäerinnen über die Kontinentgrenzen hinaus ist, waren bis jetzt in der innen- und außereuropäischen Reiseliteraturforschung unbekannt. Es ist ein weiteres Indiz für den defizitä-
80 Vgl. Annegret PELZ, Europäerinnen und Orientalismus, in: Frauen Literatur Politik, hrsg. von ders. [u. a.], Hamburg 1988, S. 205–218. 81 Vgl. Nathalie ZEMON DAVIS, Drei Frauenleben. Glikl, Marie de l’Incarnation, Maria Sibylla Merian, Berlin 1995; Die Hamburger Kauffrau Glikl. Jüdische Existenz in der Frühen Neuzeit, hrsg. von Monika Richarz, Hamburg 2001. 82 Homi BHABHA, Die Verortung der Kultur, Tübingen 2000.
198
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
ren Stand dieser Forschung zu Literatur und Kultur der mitteleuropäischen Länder, die aus der wissenschaftlichen Reflexion exklusiviert werden83. V. Aus der Perspektive der germanistischen Geschlechterforschung muss ich feststellen, dass der europäische Blick, ähnlich wie in der historischen Geschlechterforschung, immer noch ausschließlich auf Westeuropa gerichtet wird. Es sind eher Bemühungen sichtbar, außereuropäische Räume und Kontexte einzubeziehen und zu erforschen, als dass sich die Aufmerksamkeit der Forschung auf das bislang vernachlässigte Ost- und Mitteleuropa richten würde. In einem geringeren Ausmaß betrifft das auch den Norden Europas84. Immer wieder wird das Argument der mangelnden Kooperation, der Sprachschwierigkeiten hervorgehoben. Während Olwen Hufton und auch Gisela Bock in ihren groß angelegten Studien zur Geschichte von Frauen in Europa nur den Okzident berücksichtigen und andere Teile des Kontinents stillschweigend übersehen85, verweist Bea Lundt im Vorwort zu ihrem neuesten Band darauf, dass: „Ohne dass wir am ‚Mythos Westeuropa’ festhalten wollten, fehlt uns leider Ost-Europa völlig in unserer Sammlung von Fallbeispielen – dafür konnten wir einen Schwerpunkt legen auf eine sonst ebenfalls vernachlässigte Region: den Norden“86.
Inzwischen liegen schon wichtige Arbeiten der ost-mitteleuropäischen Forschern und Forscherinnen auf Deutsch und Englisch87 vor, so dass man hoffen kann, dass sich dieser eingeschränkte Blick ändern wird. In der Germanistik versucht man diese Lücke selbst auf institutionellen Ebene zu schließen – der Verband Ost-Mitteleuropäischer Germanisten, gegründet 1999 in Dresden, ist ein Schritt in diese Richtung. 83 Vgl.
Marianne VOGt, Autobiographik bürgerlicher Frauen. Zur Geschichte weiblicher Selbstbewußtwerdung, Würzburg 1981. 84 Vgl. Frauen in Europa (Anm. 1). 85 Olwen HUFTON, Frauenleben. Eine europäische Geschichte 1500–1800, Frankfurt a. M. 2002; Gisela BOCK, Frauen in der europäischen Geschichte. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, München 2000. 86 Ebd., S 9. 87 Maria BOGUCKA, Women in Early Modern Polish Society Against the European Background, Aldershot 2003. Andere Arbeiten dieser Autorin in englischer Sprache: Women and Culture in Poland in early Modern Times, in: Acta Poloniae Historica 80 (2002), S. 61–97; Between ideal and reality. Polish Women in the 16th-18th Centuries, in: Acta Poloniae Historica 84 (2001), S. 67–78; Women and Credit Operations in Polish Towns in Early Modern Times (XVIth–XVIIth Centuries), in: The Journal of European Economic History 32 (2003), S.477–486. Auf Deutsch und Englisch erscheint auch der Band: Gender studies, Acta Poloniae Historica 74 (1996), Warszawa 1996.
Czarnecka, Europaorientierte Geschlechterforschung
199
Wenn Nathalie Zemon Davis in ihrer Perspektivierung der Geschlechterforschung in der Frühen Neuzeit die Erweiterung der Kategorie Geschlecht fordert und „die männliche Geschlechtsrolle gleichzeitig mit der weiblichen stärker einbeziehen und in jeden Fall Vergleiche anstellen“ will und postuliert: „Des weiteren sollen wir unsere Forschungsgebiete und vergleichende Untersuchungen über die Grenzen des christlichen Europa hinweg ausdehnen, nämlich sowohl auf nichtchristliche Bevölkerungsgruppen innerhalb Europas als auch auf Gebiete außerhalb Europas, mit denen Europäer in Kontakt standen, wie z. B. Türkei, Afrika, Amerika Indien und Asien“88,
so kann man sich damit nur identifizieren, unter der Voraussetzung jedoch, dass zunächst die Situation reflektiert und verändert wird, in der Westeuropa allein den Europagedanken und die europaorientierte (Geschlechter-) Forschung bestimmt. Erst dann, wie es mir scheint, können kontinentale und kontextuelle Grenzen erweitert werden. Das ist eine Herausforderung für ForscherInnen in allen Teilen Europas.
Summary As Bea Lundt has demonstrated, the topic ‚Women in Europe’ can be treated as a double challenge. Despite recent intensive interdisciplinary research into common European history and identity, the question about the place of women in the history of Europe still remains open. From the perspective of studies of German literature of the Early Modern period, the area that I represent here, this challenge is as important and up-to-date as that related to the historical discourse. In my article I present a dialogue of historical and literary gender studies in early modernism, indicating German scholarship from contributions and deficiencies of various Europe-oriented approaches. As a Pole, I belong to that part of Europe which is still ignored in current transdisciplinary discourses. Therefore, from this viewpoint, I attempt to fill the gap in the interdisciplinary research into gender in early modernism by formulating certain claims. It should be noted that both in historical gender studies and in German studies, the European perspective still embraces exclusively Western Europe. Before we expand our gender studies beyond the European Continent, it seems desirable to fill the gap inside Europe, that is, the gap concerning Central and Eastern Europe. This challenge is to be faced by scholars from all parts of Europe and should definitely constitute a new research agenda. 88 Nathalie ZEMON DAVIS, Neue Perspektiven für die Geschlechterforschung in der Frühen Neuzeit, in: Geschlechterperspektiven. Forschungen zur Frühen Neuzeit, hrsg. von Heide Wunder und Gisela Engel, Helmer 1998, S. 16–40, hier: S. 20.
EUROPA-INSTITUTE UND EUROPA-PROJEKTE Stand und Perspektiven der Europastudien (European Studies) in Japan. Das Zentrum für Deutschland- und Europastudien der Universität Tokyo, Komaba Von
Atsuko Kawakita 1. Europastudien (European Studies) in Japan – Tradition und Herausforderung Japan hat in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft seit langer Zeit enge Verbindungen mit Europa. Die Modernisierung Japans auf verschiedenen Gebieten, von der Kultur und der Wissenschaft über das Militärwesen bis zur staatlichen Verfassung, vollzog sich seit der Öffnung Japans (1854) unter starkem Einfluss Europas. Auch die Entwicklungen in den Natur- und Humanwissenschaften in Japan wären ohne den europäischen Einfluss in diesem Tempo und Umfang undenkbar gewesen. Der wohl nachhaltigste Einfluss kam dabei aus Deutschland. Hinzuweisen ist hier auf die historischen Beziehungen zwischen Deutschland und Japan seit dem Ende des 19. Jahrhunderts und die Bedeutung der deutschen Sprache für die intellektuelle, kulturelle und wissenschaftliche Entwicklung des modernen Japan. Deutsch galt in Japan als wichtigste Fremdsprache für die Wissenschaft. In Fächern wie Medizin, Jura und Philosophie sind noch heute zahlreiche deutsche Wörter als Fachtermini zu finden. Darüber hinaus sollte hervorgehoben werden, dass viele wissenschaftliche Begriffe, vor allem abstrakte Begriffe aus dem Bereich der Geisteswissenschaften, aus dem Deutschen ins Japanische übertragen wurden. Nur einige seien hier genannt: „bunka“ (Kultur), „shakai“ (Gesellschaft), „ninshiki“ (Erkenntnis) oder „gainen“ (Begriff). Wenn die meisten japanischen Wissenschaftler auch die ursprünglichen deutschen Vokabeln heute nicht mehr kennen, die mit den entsprechenden Ideen und Gedanken aus dem deutschen Sprachraum aufgeladenen gainen sind im Japanischen eingebürgert und garantieren unser intellektuelles Denken. Vor diesem historischen Hintergrund stellt die deutsche Sprache für japanische Studenten heute noch eine wichtige Fremdsprache dar. Im College of
202
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Arts and Sciences der Universität Tokyo wählen jährlich ca. 1000 und damit ein Drittel der Studierenden neben Englisch Deutsch als zweite Fremdsprache, und bei den Bachelor-, Magister- und Promotionsstudiengängen besuchen zahlreiche Studierende deutschland- und europabezogene Vorlesungen und Seminare. Was vielleicht widersprüchlich aussehen mag angesichts der Tatsache, dass Europa das Modell der japanischen Modernisierung war, jedoch sogar als selbstverständlich betrachtet werden kann, ist, dass die Universität Tokyo bis vor kurzem kein eigenes Institut für Europastudien hatte. Wissenschaft und Kultur in Europa gelten seit langem als unentbehrliche Grundlage sowie als Voraussetzung jeglicher wissenschaftlicher Tätigkeit in Japan und waren weit mehr als bloßer Gegenstand von Regionalforschung. Von Europastudien kann in Japan nicht die Rede sein in dem Sinn, wie in Europa von der Japanologie oder der Sinologie die Rede ist, denn das akademische und kulturelle Milieu in Japan steht heute noch unter einem starken historischen Einfluss Europas. In den letzten Jahren aber hat sich daran vieles verändert. Auf der einen Seite hat sich Europa – und damit auch die Welt – durch die Erweiterung und Vertiefung der europäischen Integration sowie durch die Globalisierung drastisch gewandelt. Das führt dazu, dass Europa angesichts der aktuellen Weltkonstellation seine Beziehungen mit der internationalen Gesellschaft wie auch mit Japan neu definiert. Auf der anderen Seite hat sich der Stellenwert Europas für Japan ebenfalls verändert. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat Japan die politischen, wirtschaftlichen und akademischen Verbindungen zu den USA im Vergleich mit denen zu Europa deutlich intensiviert. Darüber hinaus hat sich inzwischen in Japan, inspiriert von der regionalen Integration im europäischen Raum, das Interesse an Asien als möglichem Partner in der regionalen Gemeinschaftsbildung kontinuierlich verstärkt. Was vor diesem Hintergrund heute in Japan diskutiert wird, ist, wie Japan Europa nicht mehr als Gegenstand der einfachen Nachahmung sowie des Neides, sondern als Partner neu definieren und eine kooperierende und konstruktive Beziehung zu Europa gestalten kann. Unter diesen Umständen haben die japanischen Universitäten Forschung und Lehre mit dem Ziel zu betreiben, einen neuen Zugang zum gegenwärtigen Europa als Forschungsgegenstand zu finden und in der jungen Generation die Europa-Experten der Zukunft auszubilden. 2. Geschichte des Zentrums für Deutschland- und Europastudien der Universität Tokyo Um den aus der Veränderung der Rolle Europas in der Welt, des japanischen Europa-Bildes sowie der Beziehung zwischen Europa und Japan resultieren-
Kawakita, Europastudien (European Studies) in Japan
203
den neuen Forderungen im Bereich der Lehre und Forschung zu entsprechen, ist das Zentrum für Deutschland- und Europastudien, Universität Tokyo, Komaba (DESK) als erste Institution für European Studies der Universität Tokyo eingerichtet worden. Das Zentrum für Deutschland- und Europastudien ist eines der Exzellenz-Zentren für Deutschlandstudien, die vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) im Rahmen seines weltweit gespannten Programms zur Förderung der Deutschlandstudien unterstützt werden, eine Tatsache, aufgrund der unser Zentrum nicht den Namen „Zentrum für Europastudien“, sondern „Zentrum für Deutschland- und Europastudien“ trägt. Der DAAD hat im Jahr 1991 mit der Gründung der ersten Zentren für Deutschland- und Europastudien an renommierten Universitäten in den USA ein neues Förderungsprogramm für Forschung und Lehre etabliert. Mit der Unterstützung der Exzellenz-Zentren für Deutschland- und Europastudien wird vorrangig das Ziel verfolgt, der jungen Generation, die in den Partnerländern in Zukunft eine führende Rolle übernehmen wird, Deutschland- und Europaexpertise zu vermitteln. Heute gibt es insgesamt 14 DAAD-Zentren für Deutschland- und Europastudien weltweit. In Japan ist als Ergebnis der Übereinstimmung der Interessen beider Seiten – d. h. der Interessen der japanischen European Studies, die vor den neuen Herausforderungen der sich wandelnden Welt standen, und der Interessen des DAAD, der mit seinem Exzellenz-Zentren-Programm eine Intensivierung der interdisziplinären Zusammenarbeit mit ausländischen Partnern anstrebte – im Oktober 2000 an der Universität Tokyo eine DAAD-Stiftungsprofessur eingerichtet worden, und zugleich fand die Gründung des Lehr- und Forschungsprojektes „Deutschland- und Europastudien in Komaba“ statt. Im April 2005 wurde darüber hinaus als nächster Schritt in der Entwicklung der Deutschland- und Europastudien das „Zentrum für Deutschland- und Europastudien“ als Institution am College of Arts and Sciences und an der Graduate School of Arts and Sciences der Universität Tokyo eingerichtet, das nun als Exzellenz-Zentrum für Deutschland- und Europastudien in Japan fungiert. Das Zentrum für Deutschland- und Europastudien ist ein integraler Teil des weltweiten Netzwerks von DAAD-Zentren für Deutschland- und Europaforschung und spielt damit innerhalb der internationalen Forschungskooperation als Hochburg der European Studies im asiatisch-pazifischen Raum eine wichtige und aktive Rolle. Das Zentrum für Deutschland- und Europastudien fördert in enger Zusammenarbeit mit anderen Fakultäten und Instituten der Universität Tokyo die Lehre und Forschung über das gegenwärtige Deutschland sowie Europa. Hervorzuheben ist hier unter anderem, dass seit April 2006 an der Graduate School of Arts and Sciences der Universität Tokyo unter Koordinierung des Zentrums für Deutschland- und Europastudien ein neuer MA-Studiengang
204
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
European Studies Program (ESP) eingeführt worden ist. Das European Studies Program soll eine Elite der Gesellschaft ausbilden, die als Brücke zwischen Europa und Japan in vielen Bereichen der Gesellschaft tätig werden kann. Die Studenten erwerben Grundkenntnisse der European Studies in den Programmfächern, wozu Europäische Integrationsgeschichte, Europäische Politikanalyse, Europarecht, Europäische Zeitgeschichte und Europäische Kulturanalyse gehören. Der viersemestrige Studiengang ist der erste in Japan für European Studies mit einem entsprechenden akademischen Titel, dem „Master for European Studies“. 3. Forschungsprojekte des Zentrums für Deutschland- und Europastudien der Universität Tokyo In der Forschung hat das Zentrum für Deutschland- und Europastudien durch mehrere Symposien und durch verschiedene Formen der akademischen Zusammenarbeit zum aktiven internationalen Austausch beigetragen. Dabei wurden der Politik, Gesellschaft, Geschichte und Kultur des gegenwärtigen Europa sowie die nationalen und regionalen Identitäten in Deutschland bzw. in Europa im Zeitalter von Globalisierung und europäischer Integration interkulturell und interdisziplinär untersucht. Die Leitbegriffe der Analyse waren dabei Kultur und Tradition, Mythos und Geschichte, Migration und die „Anderen“ innerhalb Europas. Darüber hinaus werden beim Zentrum für Deutschland- und Europastudien zwei Forschungsprojekte über das gegenwärtige Europa aus sozial- bzw. geschichtswissenschaftlichem Blickwinkel betrieben. (1) Sozialwissenschaftliche Forschungsprojekte Seit der Gründung der European Studies als Lehr- und Forschungsprogramm an der Universität Tokyo im Jahre 2000 hat sich die sozialwissenschaftliche Richtung als eine der wichtigsten Säulen der Forschung profiliert. Hinzuweisen ist hier unter anderen auf das ostasiatische Forschungsnetzwerk über die Europäische Union. Im Oktober 2001 bildete sich unter Leitung von Prof. Yuichi Morii (Universität Tokyo/DESK) und Prof. Hoon Jaung (Chung-Ang Universität), dem Vorsitzenden des Europa-Forschungskreises in Seoul, die Forschungsgruppe Japan-Korea European Union Research Cooperation. Im Rahmen der Forschungsgruppe wurden seitdem ein Symposium („Cooperation History in Europe and East Asia“) und diverse andere wissenschaftliche Tagungen organisiert und ein wissenschaftlicher Meinungsaustausch zwischen japanischen und koreanischen Politikwissenschaftlern mit dem Ziel initiiert, unter Berücksichtigung der innen-, außen- und sicherheitspolitischen sowie der wirtschaftlichen Aspekte die Voraussetzungen und Entwicklungen der regionalen Integration und Zusammenarbeit in Europa und Asien vergleichend zu beleuchten.
Kawakita, Europastudien (European Studies) in Japan
205
Das Ergebnis dieser Forschungszusammenarbeit wurde unter dem Titel „Cooperation Experiences in Europe and Asia“ im Juni 2004 beim Verlag Shinzansha, Tokyo, von Prof. Jaung und Prof. Morii herausgegeben. Im sozialwissenschaftlichen Bereich wird nun aufgrund der bisherigen Forschungsergebnisse das Forschungsprojekt „Die EU und Global Governance“ vorangetrieben. Im Zeitalter fortschreitender Globalisierung wirken sich heute Vorgänge innerhalb eines Staates mehr als je zuvor über staatliche Grenzen hinweg auch auf das Alltagsleben von Menschen in anderen Staaten und Regionen aus. Zwar hat die internationale Staatengemeinschaft im Hinblick auf die Vereinten Nationen und die Einschränkung ihrer Tätigkeit durch das Prinzip der Souveränität der einzelnen Mitgliedstaaten noch keine allgemein anerkannte legislative Instanz. Die inzwischen 25 Staaten umfassende EU mit ihrer immensen Wirtschaftskraft und ihrer großen Bevölkerung entwickelt sich jedoch durch das Fortschreiten des regionalen Integrationsprozesses zu einem immer wichtiger werdenden transnationalen Akteur in der Arena der internationalen Beziehungen. Beim Forschungsprojekt „Die EU und Global Governance“ wird durch die Analyse der gemeinsamen Außenund Sicherheitspolitik der EU sowie der Politik der einzelnen Mitgliedstaaten untersucht, wie sich die EU und ihre Mitgliedstaaten die zukünftige globale Ordnung vorstellen, welche Beziehungen die EU zu den USA, Japan und den Vereinten Nationen anstrebt, und wie die EU und die europäischen Staaten in den einzelnen konkreten Politikbereichen handeln. [Symposien 2005–2006] Japan and Germany in Global Governance: Responsibility for Peace and Security (4. Juni 2005) New Perspectives of the Future of Europe (12. Oktober 2006) The Frontier of the European Integraion – a Dialogue with Turkey (10. November 2006) [Ausgewählte Publikationen] Hoon Jang, Yuichi Morii (Hrsg.), Cooperation Experiences in Europe and Asia, Tokyo 2004 Yuichi Morii (Hrsg.), Die Erweiterte Europäische Union im Globalen Kontext, Tokyo 2005 Yoichi Kibata (Hrsg.), Die Europäische Integration und Internationale Beziehungen, Tokyo 2005 Isao Hirota (Hrsg.), Sozial- und Wirtschaftspolitik im gegenwärtigen Europa, Tokyo 2006 (2) Geschichtswissenschaftliche Forschungsprojekte Die deutsche bzw. europäische Zeitgeschichte bildet neben dem sozialwissenschaftlichen Bereich den zweiten Schwerpunkt der Forschung am Zentrum für Deutschland- und Europastudien der Universität Tokyo. Um die Forschungszu-
206
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
sammenarbeit und den wissenschaftlichen Austausch im Bereich Zeitgeschichte national wie international zu stärken, wurde im Jahre 2001 unter der Leitung von Prof. Dr. Yuji Ishida (Universität Tokyo/DESK) das „Forum für Zeitgeschichte“ gegründet. Im Rahmen dieses Forums wird interdisziplinäre Forschung zur deutschen bzw. europäischen Zeitgeschichte betrieben und viele wertvolle Kontakte zu Zeithistorikern aus Europa, Nordamerika sowie Ostasien mit dem Ziel der fachwissenschaftlichen Zusammenarbeit gepflegt. Die Hauptanliegen der Forschung im Bereich Zeitgeschichte am Zentrum für Deutschland- und Europastudien liegen in den folgenden Themenbereichen: 1) Krieg und Gewalt im 20. Jahrhundert; 2) Erinnerung an die Kriege und Versöhnung der Nationen; 3) Deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts im europäischen Kontext; 4) Der Balkan in Geschichte und Gegenwart; 5) Geschichte der deutsch-japanischen Beziehungen. Heute ist ein Schwerpunkt der Forschung unter anderem das Thema „Versöhnung“, das seit 2005 im Rahmen des neuen Forschungsprojekts „Versöhnung in Europa – vom Gegensatz zur Zusammenarbeit“ intensiv behandelt wird. Deutschland hat sich nach 1945 aktiv dem Ziel der europäischen Integration gewidmet. Viele Nachbarländer Deutschlands waren von NS-Deutschland angegriffen und besetzt worden. Die europäische Integration nach dem Zweiten Weltkrieg war ein Prozess, im Rahmen dessen diese Länder sich zur Kooperation mit Deutschland zusammenfanden, um eine neue Gemeinschaft hervorzubringen. Deutschland musste dabei die Probleme, die sich auf die NS-Zeit zurückführen lassen, bewältigen und die Initiative zur Herausbildung stabiler und vertrauensvoller Beziehungen in Europa ergreifen. Ziel des Forschungsprojekts „Versöhnung in Europa“ ist es, aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive die zentralen Elemente des Versöhnungsprozesses in Europa nach 1945 zu analysieren. Durch die Analyse des Versöhnungsprozesses in Europa sollen auch neue Perspektiven für mögliche Lösungen der noch immer andauernden Spannungen in Ostasien gewonnen werden. [Symposien und Workshops 2005–2006] Auf der Suche nach der Versöhnung durch Geschichte: Europa und Ostasien im Vergleich (5. November 2005) In Search of a Common Regional History: The Balkans and East Asia in History Textbooks (12. November 2005) Geschichte, Erinnerung und Gesetz: Debatte über die koloniale Herrschaft in Frankreich (12. Mai 2006) [Ausgewählte Publikationen] Yuji Ishida, Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert, Tokyo 2005 Tadahisa Izeki, Die 68er Bewegung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Tokyo 2005 Ayaka Takei, Juden in Nachkriegsdeutschland, Tokyo 2005
Kawakita, Europastudien (European Studies) in Japan
207
Atsuko Kawakita, Geschichtsunterricht in der Bundesrepublik Deutschland, Tokyo 2005 4. Ausblick Die akademische Welt in Japan hat sich seit langem nach Europa hin orientiert. Angesichts der aktuellen Weltkonstellation sowie angesichts des sich verstärkenden Interesses an Asien in Japan und des sich im Vergleich dazu verringernden Interesses an Europa versuchen wir als japanische EuropaForscher einerseits die reiche Tradition der bisherigen Europastudien zu übernehmen, andererseits aber auch der neuen Situation in der Welt entsprechend die Europastudien neu zu formen und eine neue Beziehung mit Europa zu gestalten. In diesem Zusammenhang ist es kein Zufall, dass gerade in dieser Zeit die beiden Hauptforschungsprojekte beim Zentrum für Deutschland- und Europastudien die Integrations- und Versöhnungsprozesse im Europa des 20. Jahrhunderts thematisieren. Während die regionale Integration und Zusammenarbeit in Europa einen großen Beitrag zum Frieden, zur politischen Stabilität, zum Wirtschaftswachstum und zur Entstehung einer gemeinsamen Identität der Region geleistet haben, steht Asien aus verschiedenen Gründen immer noch in der ersten Phase der Institutionalisierung der regionalen Zusammenarbeit. Beim Nachdenken über das Thema „regionale Integration“ taucht deshalb unvermeidlich die Frage auf, ob die europäische Integration ein Modell der regionalen Gemeinschaftsbildung für Asien sein kann oder ob das Europa-Modell für Asien bloß ein Bezugsrahmen bietet und Asien seinen eigenen Weg finden muss. Kurz, was heißt es, heute über Europa zu lernen und von Europa zu lernen? Was ist die Rolle Europas in Asien? Dies sind die Fragen, die über das Thema „vergleichende regionale Integration“ hinaus sowohl für die Rekonstruierung der Europastudien in Japan als auch für die Neugestaltung der japanisch-europäischen sowie asiatischeuropäischen Zusammenarbeit in Zukunft von großer Bedeutung sein werden. In diesem Sinne spiegelt unser Interesse an der europäischen Integration das gesamtgesellschaftliche Problembewusstsein in Japan wider, das wir auch mit den anderen ostasiatischen Ländern teilen. In einer sich rapide wandelnden Welt sehen wir uns ständig vor neue Herausforderungen gestellt. In dieser Zeit interessieren wir uns sehr für die Internationalisierung der Lehre und der Forschung durch die Zusammenarbeit mit Institutionen für Europastudien in aller Welt und auch für ein ständiges Überdenken der Definition der Europastudien sowie die Erfüllung unserer Rolle in Japan, in Asien und in der Welt. Zur weiteren Information über das Zentrum für Deutschland- und Europastudien, Universität Tokyo, Komaba (DESK) siehe: http://www.desk.c.u-tokyo. ac.jp/d/index.html.
208
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Summary The Centre for German and European Studies at Tokyo University, initiated by the German Academic Exchange Council, was founded in 2000. In some respect it mirrors the great and lasting interest of the countries and societies in Far East in Europe and Germany which has not only historical roots, but is going to be intensified by reflections whether the processes of Europeanization could be a model for Asian forms of inter-state cooperation. The Centre works, as far as research is concerned, in two fields, the Social Sciences and Humanities, especially History; among others, it pursues projects on the processes of reconciliation in post-war-Europe and on the formation of regional identities.
Das Zentrum für Europaforschung an der Universität Lund, Schweden Von
Andreas Önnerfors 1. Begründung und Zielsetzung 1994 wurde Schweden nach einer knappen Volksabstimmung Mitglied der Europäischen Union. Zwar waren schon vorher Forschungen mit europäischen Perspektiven an schwedischen Universitäten und Hochschulen betrieben worden und interessierte Forscher hatten sich informell ausgetauscht. Jedoch wurde dieses Potential durch die EU-Mitgliedschaft verstärkt und Schweden geriet in eine Lernphase, Europakompetenz generell zu erhöhen, Volksbildungsmaßnahmen, Hochschulstudien und Forschungsprogramme zu initiieren. Dabei wurde vor allem der Nachholbedarf auf rechtlichem, wirtschaftlichem und politologischem Feld deutlich. Hier wurden mit der Gründung des Schwedischen Instituts für Europapolitische Forschung, SIEPS (sieps.se), und dem Zentrum für Europastudien an der Universität Göteborg (cergu.gu.se) Akzente gesetzt. In der Hauptstadt Stockholm ist SIEPS vor allem auf regierungs- und behördenberatende Projekte ausgerichtet. In Göteborg wird hauptsächlich Forschung im Bereich Politologie und Ökonomie betrieben. An der südschwedischen Universität Lund wählte man organisatorisch und inhaltlich einen anderen Weg. 1997 wurde auf Initiative der damaligen Rectrix magnifica Boel Flodgren das Centrum för Europaforskning (im Folgenden CFE) ins Leben gerufen und als dessen Leiter Professor Magnus Jerneck (Politologie) eingesetzt. Professor Jerneck leitete das Zentrum bis 2005, danach wurde Professor Barbara Törnquist-Plewa (Ost- und Zentraleuropastudien) als neue Leiterin installiert. Das Zentrum erhält einen jeweils dreijährigen Auftrag zur Erfüllung der unten näher beschriebenen Ziele. Dieser Auftrag wird je nach dem Ergebnis der Evaluierung verlängert, abgeändert oder beendet. Die Universitätsleitung hat für das Zentrum bei seiner Gründung Vorschriften verabschiedet, die die übergreifenden Tätigkeitsfelder vorgeben. Hier heißt es unter anderem, dass das Zentrum eine Organisation zur Kooperation zwischen Instituten und Forschern ist, die sich im Rahmen der Europaforschung engagieren. Das übergreifende Ziel ist, Forschung und Lehre über Europa zu befördern. Das Zentrum soll Informations- und Entwicklungsein-
210
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
sätze leisten sowie innerhalb und außerhalb Schwedens Kontakte mit ähnlich gelagerten Einrichtungen aufnehmen. Insbesondere fächerübergreifende Forschung soll vom Zentrum gefördert werden. Seine besonderen Aufgaben bestehen auch darin, zum Aufbau des Europaprofils der Universität beizutragen, langfristigen Kompetenzaufbau in diesem Bereich zu organisieren, externe Finanzierung zu sichern, Forschung mit Europaprofil zu dokumentieren, das Lehrangebot der Universität mit einem Europaprofil zu versehen sowie Gastforscher und -referenten zu betreuen. 2. Organisation An der Organisation des Zentrums beteiligen sich vier Fakultäten: die Gesellschaftswissenschaftliche, die Geisteswissenschaftlich-Theologische, die Juristische und die Ökonomische. Das Zentrum ist dem Rektorat der Universität unterstellt und verwaltet sich selbst (unter übergreifender Verantwortung der Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät) unter Aufsicht eines Vorstands, der aus vier Fakultätsvertretern, Vertretern der Studentenschaft (möglichst Doktoranden) und der Gewerkschaft, zwei externen Mitgliedern (Presse, Wirtschaft, Politik), dem Leiter des Zentrums sowie einem externen Vorstandsvorsitzenden zusammengesetzt ist. Das jährliche Budget aus staatlichen Universitätsmitteln des Zentrums beläuft sich auf ca. 250.000 €. Aus diesem Budget werden die Stellen des Leiters und Stellvertretenden Leiters finanziert, die mit einer Reduktion ihres Lehrdeputats für den Zeitraum der Ernennung beurlaubt sind. Eine halbe Stelle ist für administrative Aufgaben wie Sekretariat und Koordination vorgesehen. Diese Rahmenbedingungen sowie die in der Satzung des Zentrums erwähnten Aufgabenbereiche geben vor, dass die Aktivitäten des Zentrums von weiterer externer Finanzierung sowie dem Engagement des Vorstands und interessierter Forscher und Lehrer abhängig sind. So versteht sich das Zentrum eher als Netzwerkorganisation innerhalb der Universität, die Europaperspektiven der Forschung auffängt und katalysiert. Interessierte Lehrer, Forscher und Doktoranden können sich um eine Mitgliedschaft im Kollegium des Zentrums bewerben. Als Kollegiat erhält man die Möglichkeit, auf die Tätigkeit des Zentrums Einfluss zu nehmen, Veranstaltungen wie Gastvorträge und Seminare vorzuschlagen oder sich um Mittel für Publikationen oder Konferenzen zu bewerben. Das Zentrum erwartet jedoch die Bereitschaft zu Gegenleistungen wie Gutachteraufträge oder Teilnahme an Lehrveranstaltungen.
Önnerfors, Das Zentrum für Europaforschung Lund
211
3. Arbeitsformen Während der vergangenen neun Jahre haben sich bestimmte Arbeitsformen bewährt, die den Zielsetzungen des Zentrums förderlich sind. (1) Forschungsfördernde Maßnahmen Zwischen 1998 und 2002 wurden dem Zentrum erhebliche externe Mittel zugeführt, vor allen aus einer lokalen Stiftung Crafoordska Stiftelsen. Durch eine Jean-Monnet-Professur an der Juristischen Fakultät konnte sich das Zentrum des Weiteren für Jean-Monnet-actions qualifizieren. Dies ermöglichte die Ausschreibung von Projektmitteln für Lunder Europaforscher, zuerst mit individuellen Anträgen und zuletzt im Rahmen einer größer angelegten thematischen Vorgabe, „Die Grenzen Europas“. Dieses Projekt lief von 2001 bis 2005. Acht Teilprojekte wurden mit jeweils 500.000 Kronen finanziert (die Titel ins Deutsche übersetzt): 1. Archäologie des Mittelalters: „Das grenzüberschreitende Netzwerk. Die Stadtkultur des Mittelalters und der Europabegriff“ 2. Volkswirtschaft: „ European Integration and the Global Economy” 3. Ethnologie: „Grenzen des Kulturerbes“ 4 Politologie: „Borders of European Security” 5. Rechtswissenschaft: „Pragmatismus und Prinzipien. Begegnungen zwischen Rechtskulturen“ 6. Handelsrecht: „Steuern innerhalb und außerhalb der Grenzen Europas“ 7. Ideengeschichte: „Europäische Begriffsgeschichte“ 8. Ost- und Zentraleuropastudien: „Grenzen der Gewalt“ Diese Teilprojekte haben erhebliche Erträge generiert, da die Finanzierung durch das CFE oft als „seedmoney“ für Pilotprojekte angewendet wird, die dann zu einem oft erfolgreichen Antrag auf Drittmittelfinanzierung ausgebaut werden. Eine Zusammenstellung aus dem Jahr 2002 ergab, dass sich die investierten Forschungsgelder verfünffachten. Doch auch qualitativ ermöglichen die durch das CFE verteilten Mittel die Organisation von Konferenzen und die Finanzierung von Tagungsbänden oder Monographien. In Einzelfällen wurden auch Druckkosten für Dissertationen bewilligt. Post-doktorale Forschungsprojekte werden durch das CFE gesondert gefördert. Diese Förderung ermöglicht Post-docs, sich während drei bis sechs Monaten auf die Fertigstellung eines Manuskripts oder die Erstellung eines umfangreichen Antrags zu konzentrieren und wurde in allen Fakultäten bewilligt. So wurden 2002–2005 Projekte innerhalb der Wirtschaftswissenschaften, der Mittelalterarchäologie, der Ethnologie, der Sozialanthropologie und der Rechtswissenschaften gefördert.
212
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Mit der Serie Working Papers ermöglicht CFE die Publikation von Arbeitsbeiträgen jüngerer und ausgewiesener Europaforscher in einer großen Bandbreite von Themen. Die bisher 31 Titel sind als ISSN-registrierte elektronische Publikationen auf der Webpage des CFE erhältlich (siehe cfe.lu.se) und bilden einen Teil der digitalen Forschungsbibliothek der Universität Lund (siehe lub.lu.se). Für 2007 sind bereits zwei weitere Publikationen geplant. (2) Förderung europäischer Perspektiven in der universitären Lehre Diese Aufgabe hat sich als sehr schwer realisierbar erwiesen. Da die Planung einzelner Kurse und Module innerhalb der Kompetenzen der autonomen Fakultäten liegt, konnte das CFE auf diese Planung keinen direkten Einfluss gewinnen, sondern lediglich akademische Lehrer ermuntern, europäische Perspektiven aufzugreifen. Jedoch finanziert das CFE seit seiner Gründung eine halbe Lektoratsstelle innerhalb des Studiengangs Ost- und Zentraleuropastudien. Des Weiteren werden durch das Zentrum Sommerkurse zur Europathematik oder Seminare auf Doktorandenniveau angeboten. 2004 wurde zum Beispiel die Seminarserie „Europe: unity or diversity“ für Doktoranden angeboten und finanziert (und mündete in eine Sammlung von Essays in der Serie Working Papers No. 30, „Från Kadmos till CAP“). 2006 arrangierte CFE zusammen mit dem dänisch-schwedischen Universitätsverbund Öresundsuniversitetet den Sommerkurs „Old Europe, New Europe, Non Europe“ (Publikation „Negotiating Europe“ im Rahmen der Working Papers Anfang 2007). In der gemeinsamen summer school, die 2006 von der Universität Lund und der University of California angeboten wurde, war das CFE für die Entwicklung und Durchführung des Moduls „European Values and World Order“ verantwortlich. Des Weiteren werden auf Vorschlag des Kollegiums laufend Gastvorträge, thematische Seminare oder Abendveranstaltungen angeboten, die die bestehenden Unterrichtsangebote mit bedeutenden europäischen Perspektiven erweitern. Europastudien auf Basisniveau werden auch als Studiengang in der nahe gelegenen Hochschule Malmö in Zusammenarbeit mit dem CFE angeboten. Zur Stimulierung europäischer Perspektiven auf Bachelor- und Mastersniveau schreibt das CFE jährlich einen Wettbewerb unter den besten Bachelor- und Masterarbeiten mit einem Europathema aus. Außerdem können sich Studenten laufend um Mittel für Minor Field Studies im Rahmen relevanter Aufsatzprojekte bewerben. Aus einer Übersicht über die Preisträger der vergangenen fünf Jahre geht deutlich hervor, dass Rechts-, Staats- und Wirtschaftswissenschaften in diesem Bereich überrepräsentiert sind. Jedoch hat es in den vergangen Jahren auch Arbeiten aus dem Bereich der Sozialanthropologie, Ethnologie und Islamwissenschaften gegeben, die mit einem Preis ausgezeichnet wurden.
Önnerfors, Das Zentrum für Europaforschung Lund
213
Einzelne Fachbibliotheken der Fakultäten erhalten vom CFE Zuschüsse, um ihren Studenten über Campuslizenzen Zugang zu europarelevanten Datenbanken zu ermöglichen. (3) Informationsmaßnahmen Im Mittelpunkt der Bemühungen des CFE um Informationen zur Europathematik steht der jährlich durchgeführte „Tag der Europaforschung“. An diesem Tag präsentieren Europaforscher der Universität Lund und/oder speziell geladene Gäste ihre Forschungsergebnisse der interessierten Öffentlichkeit. Eine Auswahl von Themen zwischen 2001 und 2006: „Die europäische Stadt“, „Life Style und Gesundheit in Europa“, „Der Traum Europa“, „Arbeit und Markt in Europa“ ist ein Spiegel der thematischen Bandbreite. Die Resonanz dieser Informationstage ist nicht immer eindeutigen Konjunkturen unterworfen. So erschienen mehrere Dutzend schwarz gekleidete junge Studenten zu einer Vorlesung des Filmwissenschaftlers Erik Hedling über „Europa im Herrn der Ringe“. Zu einer Diskussion zwischen schwedischen und türkischen Intellektuellen über den in Schweden sehr begrüßten potentiellen EUBeitritt der Türkei wurden die Veranstalter von einer Hundertschaft an Besuchern überrascht. Neben diesen öffentlich ausgerichteten Veranstaltungen nimmt das Personal des CFE aktiv an den verschiedensten Informationseinsätzen teil, Schulbesuchen, Veranstaltungen von Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen. Ein wichtiger Bestandteil der Öffentlichkeitsarbeit ist selbstverständlich die Homepage des CFE und der Newsletter „Eye on Europe“. 4. Visionen für die Zukunft Da eine Erweiterung der Tätigkeit des Zentrums auf Drittmittelzuweisungen angewiesen ist, wird zurzeit (2006) eine neue thematische Plattform für Pilotprojekte und Antragstellungen erarbeitet, „ENSE: Energy and Security in Europe“. Dieses Thema wird wie bisher in der Geschichte des Zentrums multidisziplinär angegriffen, von rein ökonomischen, ökologischen bis hin zu existenziellen und begrifflichen Dimensionen. Im Lauf des Jahres 2007 werden eine Reihe von Anträgen zu diesem Rahmenthema erarbeitet werden. Ein weiteres Feld für die Zukunft des Zentrums ist die Entwicklung der internationalen Kooperation. Hierbei sind strategisch wichtig die Doktorandenausbildung, der Austausch von Lehrkompetenz und Gastforschern sowie Maßnahmen im Bereich der Post-doc-Förderung. Mit der Universität Greifswald sowie der Universität Tartu in Estland wird zum Beispiel über die Einrichtung eines gemeinsamen Internationalen Graduiertenkollegs verhandelt. Im Zug der Anpassung an den Bolognaprozess in der schwedischen universitären Lehre hat das Zentrum eine Initiative zu einem „Master of European
214
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Affairs – Culture“ ergriffen der die bestehenden Masterprogramme Politics und Business Law mit einer geisteswissenschaftlichen Komponente erweitern soll. Das Zentrum wird im Jahr 2007 evaluiert, im Anschluss daran wird über seine weitere Tätigkeit in der Periode 2008–2011 entschieden. 5. Verzeichnis der vom CFE herausgegebenen Working Papers [im Druck] 33 Petersson, Bologna Beyond Words 32 Dutceac/Önnerfors: Negotiating Europe: Foundations, Dynamics, Challenges [Publizierte] 31 Maximilian Conrad, Transnational Communication in the European Public Sphere? The debate on the Constitutional Treaty in Two Swedish Quality Newspapers 30 Andreas Önnerfors (Hrsg.), Från Kadmos till CAP - åtta uppsatser om europeiska nätverk, nationer och narrativ 29 Karin Sarsenov, Women's Migration in Contemporary Russian Literature 28 Paavo Lipponen, Inledningstal 19 April 2004: Finland och Sverige möts i Lund 27 Martin Hall, On the Morphology of International Systems: Political Space as Structure and Process in Early Medieval Europe 26 Jana Holsanova/David Wästerfors, Could You Be More Specific? Examples as Crucial Arguments in Discourse on „Others“ 25 Cécile Brokelind, Discussion of Some Legal Issues Raised by the Introduction of the Euro 24 Therese Nordén, Making Room for Elephants: An attempt to Re-explore Democracy in the European Union 23 Eva Meurling, Strategic Alliances in the Telecommunications Sector: An EC Competition Law Assessment 22 Kajsa Helmbring, Procedural Reforms of the EU Legislative Process: Increased Power for the European Parliament? 21 Matilda Rotkirch, The Principle of State Liability: The Creation of a General Principle of Law to Enhance Effective Judicial Protection of Individual EC Rights 20 Björn Arvidsson, EU Treaty Reform in Theoretical Perspective: An Empirical Exploration of Liberal Intergovernmentalism and Historical Institutionalism 19 Bo Petersson, Anders Hellström, Temporality in the Construction of EU Identity 18 Inger Enkvist, José Ortega y Gasset: The Spanish philosopher who saw life as an intellectual adventure
Önnerfors, Das Zentrum für Europaforschung Lund
215
17 Ulrika Jerre, Post-Communist Transformation and the Problem of Weak States: Reconceptualizing the Legacy of Communism 16 David Wästerfors, Tales of Ambivalence: Stories of Acceptance and Rejection among Swedish Expatriates in Poland 15 Alexandra Wengdahl, Indirect Discrimination and the European Court of Justice: A comparative analysis of European Court of Justice case-law relating to discrimination on the grounds of, respectively, sex and nationality 14 Edward Cattermole, The Development and Implications of ‘Collective Dominance’ in EC Competition Law 13 Anna Rédei Cabak, Russia in a Western Mirror: A Presentation of Denis Diderot, Mme de Staël and André Gide 12 Barbara Törnquist Plewa, Nationalism and Minority Questions in Central and Eastern Europe in the Context of Enlargement 11 Viktor Hjort/Nils-Erik Strömbom, Is a €-Block Emerging in Central and Eastern Europe? 10 Malena Rosén, Negotiating Reform in the European Union 09 Joakim Gullstrand, Demand Patterns and Vertical Intra-Industry Trade with Special Reference to North-South Trade 08 Inger Enkvist, Do Northern and Southern Europe Discuss the Same Issues? A comparison between the opinion-editorial pages in the Spanish daily ’El País’ and the Swedish ’Dagens Nyheter’ 07 Michael Tapper, Hollywood Horror: Europe As American Dystopia 06 Marcus Glader, Research and Development Cooperation in European Competition Law – A Legal and Economic Analysis 05 Maria Strömvik, Do Numbers Matter? The EU's Common Foreign and Security Policy and the Dynamic Effects of Enlargement 04 Isabella Petersson, The Convention on the Protection of the European Communities’ Financial Interests: A Case Study of Negotiations in Networks in the EU 03 Karl-Johan Lundquist/Lars-Olof Olander, Regional Economies: a Threat to the Nation-State? 02 Ola Jonsson, Globalisation, Europeanisation, Place Embeddedness: New Developments within Production Networks and Territorial Implications. 01 Bo Petersson, National Self-Images among Russian Regional Politicians: Comparing a Pilot Study on Perm and the Case of St. Petersburg
Summary The Centre for European Studies at Lund University/Sweden (CFE; URL: www.cfe.lu.se) was established in 1997, three years after Sweden’s accession to the EU, as a means of establishing European perspectives within research and higher education at one of the largest Scandinavian universities. The CFE works rather like a network organisation than a formal institution, uniting
216
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
scholars from all disciplines through joint seminar and lecture series, joint platforms for research or research applications and the development of underand postgraduate courses with an European dimension. The Staff consists of a head and a deputy head as well as administrative support and coordination. The Staff responds directly to a board that is made out of representatives of four faculties (economics, social sciences, law and humanities), business life or governmental bodies as well as the university teachers working union and a PhD-representative. Working papers on European issues are continuously published (32 at the moment) on the homepage of CFE. A permanent issue for the CFE is to find co-funding as funding through internal university sources is intended to secure application work and an ongoing development of the activities of the CFE. Hence, CFE recently has launched a new platform for research, „Energy and Security in Europe”, focussing upon the development of energy and energy supply as structuring topics for European economical and political but also social and cultural life. A challenge for the future remains to find a solid base for the establishment of a European dimension at Lund University, the development of international contacts as well as a Master course in European Studies.
Antisemitismus in Europa (1879–1914). Nationale Kontexte, Kulturtransfer und europäischer Vergleich. Ein neues Forschungskolleg am Zentrum für Antisemitismusforschung Von
Werner Bergmann und Ulrich Wyrwa Fragestellung Wie die aktuellen Kontroversen über den Antisemitismus in Europa zeigen, ist die Judenfeindschaft kein national begrenztes, sondern ein europäisches Phänomen. Am Zentrum für Antisemitismusforschung ist unter der Leitung von Prof. Dr. Werner Bergmann und PD Dr. Ulrich Wyrwa ein neues, in der ersten Stufe von der VolkswagenStiftung finanziertes Forschungskolleg eingerichtet worden, in dem es um die Frage geht, ob und inwiefern der Antisemitismus auch in der Zeit von der Erfindung des Begriffs um 1879 bis zum Ersten Weltkrieg, gleichsam in der Formierungsphase des Antisemitismus als einer neuen sozialen und politischen Bewegung, eine europäische Erscheinung war. Das die Forschungen leitende Interesse richtet sich auf die Frage, welche Rolle spezifische nationale Kontexte für die Ausprägung des Antisemitismus gespielt haben, welche unterschiedlichen Formen der Antisemitismus in den verschiedenen Ländern angenommen hat, inwiefern antisemitische Aktivisten in einem transnationalen Austausch standen und europäische anti-semitische Netzwerke entwickelt haben und welche Folgen die antisemitischen Bewegungen für die historische Entwicklung in den einzelnen Ländern hatten. Damit sollen die bisher nationalgeschichtlich begrenzten oder allenfalls Deutschland, Österreich und Frankreich berücksichtigenden Forschungen durch ein europäisch komparatives Vorgehen weiterentwickelt werden. Darüber hinaus geht das Kolleg der Frage nach, ob sich in dieser Epoche ein europäischer Antisemitismus herausgebildet hat oder ob es sich um verschiedene Antisemitismen in Europa handelte. Konzeption Aufgabe des Forschungskollegs ist es, die Entstehung und Entwicklung des Antisemitismus in einer möglichst breiten Auswahl von europäischen Ländern systematisch und nach einheitlichen Kriterien zu untersuchen und dar-
218
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
zustellen. Aufmerksame zeitgenössische Beobachter empfanden den Antisemitismus in Deutschland bisweilen weniger beunruhigend, vielen erschien die antisemitische Gesellschaftsstimmung in Frankreich oder in Österreich bedrohlicher, und zumeist sahen sie in Osteuropa die eigentliche Gefahr. Daher konzentriert sich das Forschungskolleg in der ersten Stufe auf den ostmittel- und südosteuropäischen Raum. Zeitlich konzentriert sich die Arbeit auf die Zeit von den späten 1870er Jahren, als der Terminus Antisemitismus erstmals auftauchte, bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs. Anfangs- wie auch Endpunkt der Forschungen sind insofern als europäische Daten anzusehen, als der Begriff Antisemitismus, wie eine Analyse der wesentlichen enzyklopädischen Einträge zeigt, unmittelbar nach seiner Erfindung in alle europäischen Sprachen eingegangen ist, und der Erste Weltkrieg für alle europäischen Gesellschaften einen tief greifenden Einschnitt, ja für Europa insgesamt als die ‚Urkatastrophe’ bezeichnet werden muss. Der Erste Weltkrieg löste eine Radikalisierung der Judenfeindschaft aus und markiert damit den Beginn einer neuen Phase in der Geschichte des Antisemitismus. Methodische und begriffliche Grundlagen Was die einzelnen Forschungsarbeiten verbindet, ist die Gemeinsamkeit der methodischen und konzeptionellen Anlage der jeweiligen Einzelstudien. Diese zeigt sich zunächst in einem gemeinsamen Begriff von Antisemitismus, demzufolge sich der Antisemitismus vor allem auf sechs Ebenen äußerte: Erstens kommt der Antisemitismus in einer spezifischen Sprache, einer eigenen Semantik zum Ausdruck. Die Feindseligkeit und Aggressivität gegenüber Juden wurde in einer spezifischen Rhetorik artikuliert, und Antisemiten haben ein eigenes normatives Vokabular entworfen. Zweitens artikulierte sich der Antisemitismus als politische Bewegung. Auf dieser Ebene handelt es sich um eine manifeste Form von Judenfeindschaft, die sich als politische Gesinnungsgemeinschaft formierte, eigene Organisationen gründete, politische Netzwerke ausbildete und mit den Medien politischer Öffentlichkeitsarbeit gegen Juden agitierte. Drittens zeigte sich der Antisemitismus auch als soziale Praxis. Auf dieser Ebene geht es um die konkreten sozialen Beziehungen von Juden und Christen in der Arbeitswelt, in der Zivilgesellschaft und in den Institutionen des Staates. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, inwiefern Juden im Wirtschaftsleben als gleichberechtigte Partner akzeptiert wurden, ob Juden in die Vereine und Verbände der Zivilgesellschaft aufgenommen wurden und welchen Zugang sie zu staatlichen Ämtern hatten. Viertens äußerte sich Antisemitismus als kulturelle Haltung, als Gesellschaftsstimmung. Auf dieser Ebene sind die antisemitischen Einstellungen
Bergmann/Wyrwa, Antisemitismus in Europa (1879–1914)
219
und Haltungen oft auch diffus, zwiespältig und widersprüchlich. Insbesondere in konservativen Kreisen fungierte der Antisemitismus auf dieser Ebene, wie Shulamit Volkov gezeigt hat, als kultureller Code für die Zugehörigkeit zu diesem soziokulturellen Milieu. Fünftens ist die Entstehung und Entwicklung des Antisemitismus ohne die Tradition der christlichen Judenfeindschaft nicht denkbar. Der Antisemitismus stand daher in einem ganz besonderen Verhältnis zu den christlichen Kirchen, die ihrerseits spezifische Symbiosen mit der neuen Sprache des Antisemitismus eingingen. Sechstens schließlich artikulierte sich der Antisemitismus als physische Gewalt. Auf dieser Ebene geht es um Akte von individueller und kollektiver Gewalt gegen Juden, Gewalttätigkeiten, die spontan oder organisiert verübt wurden und mitunter auch im Kontext von gewalttätigen sozialen Protesten hervortraten. Was die geschlechtergeschichtlichen Aspekte des Antisemitismus anbelangt, so ist die Gegenüberstellung von männlichen und weiblichen Zuschreibungen und das Verhältnis von Männern und Frauen auf allen sechs Ebenen wesentlich, Geschlechtergeschichte stellt also eine ebenso zentrale Kategorie dar wie die gesellschaftliche Aufspaltung in soziale Klassen und generationsspezifische Erfahrungen. Die Gemeinsamkeit der methodischen und konzeptionellen Anlage des Forschungskollegs zeigt sich neben dem gemeinsamen Begriff von Antisemitismus darin, dass die einzelnen Studien ihre jeweiligen Ergebnisse auch unter vergleichenden Perspektiven diskutieren sollen. Grundlage dafür ist die gemeinsame Erarbeitung der Entstehung und Entwicklung des Antisemitismus in Deutschland und Österreich aus der umfangreich vorliegenden Sekundärliteratur. So sind die einzelnen Arbeiten für sich zunächst national oder regional angelegt und auf einen spezifischen Sprach- und Kulturraum bezogen. Sie verbindet aber die gemeinsame Frage nach dem transnationalen, interkulturellen Austausch, dem Ideen- und Kulturtransfer im Antisemitismus. Aufbau und Ausbau Zunächst untersuchen Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler aus Polen, Litauen, Rumänien und Bulgarien sowie Griechenland, das historisch ebenfalls in diesen südosteuropäischen Raum gehört, die Entstehung und Entwicklung des Antisemitismus in den entsprechenden Ländern bzw. Sprachräumen. Diese fünf, von der VolkswagenStiftung finanzierten Dissertationsprojekte bilden jedoch nur den Anfang des anvisierten europäischen Forschungsprogramms. Es ist geplant, weitere Studien in Form von Dissertations- und Postdoc-Projekten in das Forschungskolleg zu integrieren. Da sich das Dissertati-
220
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
onsprojekt des polnischen Nachwuchswissenschaftlers auf Kongresspolen bezieht, sind zunächst für den polnischen Sprachraum weitere Studien über Galizien und Posen geplant. Darüber hinaus wird sich ein Post-docForschungsprojekt mit dem intellektuellen Transfer und dem kulturellen Austausch antisemitischer Ideen und Konzepte zwischen den böhmischen und slowenischen Teilen der Habsburgmonarchie befassen. Die Finanzierung für ein weiteres Post-doc-Projekt zum Antisemitismus im slowakischen Sprachraum ist bereits von der Gerda-Henkel-Stiftung bewilligt worden. Schließlich sollen auch jene westeuropäischen Staaten, für die bisher kaum Forschungen vorliegen, in das Programm des Kollegs einbezogen werden, wobei insbesondere an die skandinavischen Länder – dieses Projekt ist bereits im Stadium der Antragstellung – sowie an Spanien und Belgien gedacht ist. Für Frankreich wiederum, dem im europäischen Kontext ebenso wie Deutschland eine zentrale Bedeutung zukommt, ist eine deutsch-französisch vergleichende Arbeit geplant. Den Abschluss des gesamten Forschungskollegs bildet eine europäischintegrativ konzipierte Gesamtdarstellung des Antisemitismus für die Zeit von 1879 bis zum Ersten Weltkrieg, in der die transnationale Aspekte und die Fragen nach dem interkulturellen Austausch im Mittelpunkt stehen werden. Europäische Zusammenarbeit Um die fachliche Betreuung der Doktorandinnen und Doktoranden in den Archiven der verschiedenen Länder zu garantieren, hat das Zentrum für Antisemitismusforschung an den Hochschulen der jeweiligen Ländern Kooperationspartner, die ihrerseits in das Projekt einbezogen sind und auch bei der Auswahl der Kandidatinnen und Kandidaten beteiligt waren. Schriftenreihe ‚Studien zum Antisemitismus in Europa’ Die Ergebnisse des Forschungskollegs werden in einer neuen Schriftenreihe‚ Studien zum Antisemitismus in Europa’ veröffentlicht, die voraussichtlich im Metropol Verlag erscheinen wird. Eröffnet werden soll diese Reihe mit einer Studie des Co-Projektleiters Ulrich Wyrwa zum Antisemitismus in Deutschland und Italien von 1879 bis 1914. Es ist vorgesehen, in dieser Reihe auch neuere Dissertationen etwa zum Antisemitismus in Böhmen oder Portugal, die an den Universitäten Prag und Lissabon entstanden sind, in deutscher Übersetzung zu publizieren.
Bergmann/Wyrwa, Antisemitismus in Europa (1879–1914)
221
Ziele und Intentionen Die wesentlichen Ziele und Intentionen des Forschungskollegs liegen auf drei Ebenen: Erstens geht es darum, Antworten auf aktuelle Probleme und Defizite der Antisemitismusforschung zu geben. In dieser Hinsicht ist zunächst danach zu fragen, worin das Spezifische des deutschen, im Nationalsozialismus kulminierenden Antisemitismus lag. Was am deutschen Antisemitismus einzigartig war, kann jedoch nur durch eine vergleichende Analyse des Antisemitismus in anderen europäischen Ländern bestimmt werden. Ziel des Forschungskollegs ist es daher, die Entstehung und Entwicklung des Antisemitismus in möglichst vielen Teilen Europas systematisch und nach einheitlichen Kriterien zu untersuchen und darzustellen. Darüber hinaus besteht ein Manko der gegenwärtigen Antisemitismusforschung darin, dass der Antisemitismus in Deutschland allzu sehr als Vorgeschichte des Nationalsozialismus betrachtet wird. Um teleologische Kurzschlüsse zu vermeiden, sind wiederum komparative Perspektiven nötig, die die Entstehung und Entwicklung des Antisemitismus in den europäischen Kontext stellen. Schließlich ist es in der gegenwärtigen Antisemitismusforschung umstritten, ob der Antisemitismus eine mit innerer Notwendigkeit aufkommende, der Logik der gesellschaftlichen Entwicklung entspringende Begleiterscheinung der sozialen und kulturellen Umbrüche des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts darstellt, oder ob es jeweils spezifische Konstellationen waren, die dem antisemitischen Denken und Handeln zugrunde lagen. Auch diese Frage ist nur unter europäisch vergleichender Perspektive zu beantworten. Zweitens liegt dem Forschungskollegs auch eine wissenschaftspolitische Absicht zugrunde, denn es soll einen Beitrag für die Zusammenarbeit von Historikerinnen und Historikern in Europa leisten und die Integration von Nachwuchswissenschaftlern aus dem östlichen Teil Europas in die europäische Scientific Community fördern. Drittens versteht sich das Kolleg als ein europäisches Projekt, das nicht nur aus einer Addition unzusammenhängender, nationaler Einzelstudien besteht, sondern komparativ und europäisch angelegt ist. Das die Forschungen leitende Interesse richtet sich auf die Frage, welche Bedeutung dem Antisemitismus für die europäische Geschichte und die historische Selbstverständigung des sich vereinigenden Europa zukommt. Fragen an die europäische Geschichte Eine Geschichte Europas muss sich den Schattenseiten und Abgründen der europäischen Vergangenheit stellen. Dazu gehört die Geschichte des europäi-
222
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
schen Antisemitismus. Wenn der Holocaust zu einem „negativen Gründungsmythos“ des sich vereinigenden Europa wird, ist auch nach den historischen Wurzeln des Antisemitismus im europäischen Kontext zu fragen. Europa kann nur im Blick auf Vielfalt und Differenz gedacht werden. Vor allem aus diesem Grund muss eine Geschichte Europas, die die Einheit des Kontinents in den Blick nehmen möchte, die Widerstände, die der Anerkennung von Anderen entgegenstanden, historisch aufarbeiten. Daher ist es notwendig, auch die Entstehungsbedingungen und die geschichtliche Entwicklung des Antisemitismus in Europa unter systematisch vergleichenden Gesichtspunkten, wie es in diesem Forschungskolleg projektiert ist, zu untersuchen.
Summary A new research group at the Centre for Anti-Semitism Research in Berlin is to be presented. The group consists of different PhD and post-doc projects and plans to address three broad thematic fields: 1) was anti-Semitism in its formative phase as a new political movement up until the First World War a pan-European phenomenon, and if so to what extent?; 2) which role did the specific national contexts play in the formation and particular expressions of anti-Semitism?; and 3) which forms did the new anti-Jewish attitude ultimately assume in the various countries? The research projects will focus initially on Eastern Central and South-Eastern Europe (Lithuania, Poland, Romania, Bulgaria and Greece). Further studies will examine the intellectual transference and cultural exchange involving anti-Semitic ideas and conceptions in Eastern Central Europe, namely in the Slovakian, Czech and Slovenian language regions. Western Europe will also be included in the seminar’s scope, primarily the Scandinavian countries, Spain and Belgium, while a comparative study on anti-Semitism in France and Germany is also planned.
AUSWAHLBIBLIOGRAPHIE
1
Europa-Schrifttum 2006 Zusammengestellt von
Małgorzata Morawiec Allgemeines. S. 223 – Epochenübergreifend. S. 225 – Mittelalter (500–1500). S. 227 – Frühe Neuzeit (1500–1789). S. 230 – Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert (1789–1815). S. 231 – 19. Jahrhundert (1815–1918). S. 232 – 20. Jahrhundert I: Zwischenkriegszeit und Zweiter Weltkrieg (1918–1945). S. 232 – 20. Jahrhundert II: Zeit nach 1945. S. 233 – Beziehungen zu Außereuropa, Kolonialismus, Entkolonialisierung. S. 236 – Ideen-, Kultur-, Wissenschafts- und Mentalitätsgeschichte. S. 238 – Frauen- und Geschlechtergeschichte. S. 240 – Europäisches Judentum. S. 240 – Kirchengeschichte. S. 241 – Militärgeschichte. S. 242 – Rechts-, Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte. S. 242 – Sozialgeschichte. S. 243 – Wirtschaftsgeschichte. S. 243 – Mitteleuropa. S. 244 – Osteuropa. S. 244 – Skandinavien. S. 245 – Südeuropa. S. 246 – Südosteuropa. S. 246 – Westeuropa. S. 246. Allgemeines: Hartmut Böhme, Fetischismus und Kultur: eine andere Theorie der Moderne, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt-Taschenbuch, 2006 (Rowohlts Enzyklopädie) Felix Butschek, Industrialisierung: Ursachen, Verlauf, Konsequenzen, Wien [u. a.]: Böhlau 2006 The Cambridge history of Europe, Cambridge [u. a.]: Cambridge Univ. Press, 2006 Sebastian Conrad (Hrsg.), Beyond hegemony? „Europe“ and the politics of non-western elites. 1900–1930, München: Beck, 2006 (Journal of modern European history [4] 2006) Die Deutung der mittelalterlichen Gesellschaft in der Moderne/L’imaginaire et les conceptions modernes de la société médiévale/Modern conceptions of medieval society/ Wspòłczesna interpretacja średniowiecznego spoleczeństwa, hrsg. von Natalie Fryde, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2006 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 217) Discourses of collective identity in Central and Southeast Europe: (1770–1945), hrsg. von Balázs Trencsényi und Michal Kopecek, Bd. 1–4, Budapest/New York: Central European University Press, 2006 Franck Düvell, Europäische und internationale Migration: Einführung in historische, soziologische und politische Analysen, Hamburg [u. a.]: Lit, 2006 (Europäisierung 5) Enlarging European memory: migration movements in historical perspective, hrsg. von Mareike König und Rainer Ohliger, Ostfildern: Thorbecke, 2006 (Beihefte der Francia 62) 1 Die vorliegende Bibliographie versteht sich ausdrücklich als Auswahlbibliographie. Erfasst wurden ausschließlich Monographien und Sammelbände. Übersetzungen sind in der Regel nur dann berücksichtigt worden, wenn es sich um Übertragungen ins Deutsche handelt. Die Gliederung der Bibliographie kann unverändert diskutiert werden; der eine oder andere Titel hätte ohne weiteres auch in eine andere Rubrik eingeordnet werden können. Auf Querverweise wurde verzichtet. Dem Benutzer wird daher empfohlen, gegebenenfalls auch thematisch verwandte Rubriken einzusehen.
224
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Europa-Historiker: Ein biographisches Handbuch, Bd. 1, hrsg. von Heinz Duchhardt [u. a.], Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2006 Europas Grenzen hrsg. von Sabine Penth, St. Ingbert: Röhrig, 2006 (Limites 1) Helmut Fend, Geschichte des Bildungswesens: der Sonderweg im europäischen Kulturraum, Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, 2006 Figuren des Europäischen: kulturgeschichtliche Perspektiven, hrsg. von Daniel Weidner, Paderborn/München: Fink, 2006 (Trajekte) Germanistik in und für Europa: Faszination – Wissen, hrsg. von Konrad Ehlich, Bielefeld: Aisthesis, 2006 Roberto Giardina, Königliche Verschwörung: wie die Coburger Europa eroberten. Aus dem Italienischen von Michael Müller, München: Bertelsmann, 2006 Joachim Grzega, EuroLinguistischer Parcours: Kernwissen zur europäischen Sprachkultur, Frankfurt a. M./London: Verlag für Interkulturelle Kommunikation, 2006 Handbuch der transitorischen Systeme, Diktaturen und autoritären Regime der Gegenwart, hrsg. von Mario Petri, Berlin/Münster: Lit, 2006 (Politik 24) Ideen als gesellschaftliche Gestaltungskraft im Europa der Neuzeit: Beiträge für eine erneuerte Geistesgeschichte, hrsg. von Lutz Raphael und Heinz-Elmar Tenorth, München: Oldenbourg, 2006 (Ordnungssysteme 20) Wilhelm Kaltenstadler, Wie Europa wurde, was es ist: Beiträge zu den Wurzeln der europäischen Kultur, Groß-Gerau: Ancient-Mail-Verl. Betz, 2006 Markus C. Kerber, Europa ohne Frankreich? Deutsche Anmerkungen zur französischen Frage, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2006 (Edition Suhrkamp 2100) Gjermund Kolltveit, Jew’s harps in European archaeology, Oxford: Archaeopress, 2006 (BAR international series 1500) Jane McIntosh, Handbook to life in prehistoric Europe, New York: Facts on File, 2006 (Handbook to life) Minderheitenkonflikte in Europa: Fallbeispiele und Lösungsansätze, hrsg. von Samuel Salzborn, Innsbruck [u. a.]: Studien, 2006 George L. Mosse, Die Geschichte des Rassismus in Europa, Frankfurt a. M.: FischerTaschenbuch, 2006 (Die Zeit des Nationalsozialismus 16770) Wolfgang Reinhard, Lebensformen Europas: eine historische Kulturanthropologie, München: Beck, 2006 Peter J. A. N. Rietbergen, Europe: a cultural history, London [u. a.]: Routledge, 2006 Luise Schorn-Schütte, Historische Politikforschung: eine Einführung, München: Beck, 2006 Herbert Stoyan, WW-Person auf CD [Elektronische Ressource]: ein Informationssystem über den höheren Adel im Heiligen Römischen Reich mit Berücksichtigung des europäischen Adels mit rund 600000 Personeneinträgen, Neustadt: Degener, 2006 (Adel digital) The Times history of Europe, hrsg. von Mark Almond. Unter Mitarbeit von András Bereznay, Neue Auflage bearbeitet von Kate Epstein London: Times Books, 2006 Jürgen Trabant, Europäisches Sprachdenken: von Platon bis Wittgenstein, München: Beck, 2006
Morawiec, Europa-Schrifttum 2006
225
Urban mindscapes of Europe, hrsg. von Godela Weiss-Sussex, Amsterdam [u. a.]: Rodopi, 2006 (European studies 23) Helmut Zander, Abschied von der Nation? Historische Anregungen für die Aufräumarbeiten im Nationalstaat, Münster: Aschendorff, 2006 Zentralität und Raumgefüge der Großstädte im 20. Jahrhundert, hrsg. von Clemens Zimmermann, Stuttgart: Steiner, 2006 (Beiträge zur Stadtgeschichte und Urbanisierungsforschung 4) Zur Entstehung des modernen Minderheitenschutzes in Europa, hrsg. von Christoph Pan und Beate Sibylle Pfeil, Wien/New York: Springer, 2006 (Handbuch der europäischen Volksgruppen 3) Epochenübergreifend: Rüdiger Achenbach/Hartmut Kriege, Von Savonarola bis Robespierre: Religion und Aufklärung im Widerstreit, Düsseldorf: Artemis und Winkler, 2006 Andere Wege in die Moderne: Forschungsbeiträge zu Patockas Genealogie der Neuzeit, hrsg. von Ludger Hagedorn und Hans Rainer Sepp, Würzburg: Königshausen und Neumann, 2006 (Orbis phaenomenologicus: Quellen 1,2) Jürgen Bellers Die gescheiterte Restauration, der Zerfall Europas (EU) und die Entstehung des Faschismus seit 1900/1968, Metternich, Adenauer und Homers AbendlandMythos, Siegen: Scylda, 2006 (Schriftenreihe des Faches Politikwissenschaft) Volker R. Berghahn, Europe in the era of two world wars: from militarism and genocide to civil society, 1900–1950, Princeton/Oxford: Princeton Univ. Press, 2006 Gerhard Besier, Das Europa der Diktaturen: eine neue Geschichte des 20. Jahrhunderts, München: Dt. Verl.-Anstalt, 2006 Brill’s companions to the Christian tradition: a series of handbooks and reference works on the intellectual and religious life of Europe, 500–1700, Leiden [u. a.]: Brill, 2006 Centre et centrisme en Europe aux XIXe et XXe siècles: regards croisés, hrsg. von Sylvie Guillaume und Jean Garrigues, Bruxelles [u. a.]: PIE Lang, 2006 (Collection cité européenne 37) A companion to Europe, 1900–1945, hrsg. von Gordon Martel, Malden, Mass. [u. a.]: Blackwell, 2006 (Blackwell companions to European history) Europe since 1914: encyclopedia of the age of war and reconstruction, hrsg. von John Merriman, Detroit [u. a.]: Scribner [u. a.], 2006 (Scribner library of modern Europe) Die europäische Stadt im 20. Jahrhundert: Wahrnehmung, Entwicklung, Erosion, hrsg. von Friedrich Lenger und Klaus Tenfelde, Köln [u. a.]: Böhlau, 2006 (Industrielle Welt 67) The European city and green space: London, Stockholm, Helsinki and St. Petersburg, 1850–2000, hrsg. von Peter Clark, Aldershot [u. a.]: Ashgate, 2006 (Historical urban studies) Frontiers and the writing of history, 1500–1850, hrsg. von Steven G. Ellis und Raingard Eßer, Hannover-Laatzen: Wehrhahn, 2006 (The formation of Europe 1) Wilfried Hansmann, DuMont-Geschichte der Gartenkunst: von der Renaissance bis zum Landschaftsgarten, fot. von Florian Monheim, Köln: DuMont, 2006 Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 962 bis 1806. Altes Reich und neue Staaten 1495 bis 1806; 29. Ausstellung des Europarates in Berlin und Magdeburg [im Deutschen
226
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Historischen Museum, Berlin, 28. August bis 10. Dezember 2006], Gesamtleitung Hans Ottomeyer; erschienen: Katalog und Essays, Dresden: Sandstein, 2006 Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 962 bis 1806. Von Otto dem Großen bis zum Ausgang des Mittelalters; 29. Ausstellung des Europarates in Magdeburg und Berlin und Landesausstellung Sachsen-Anhalt [im Kulturhistorischen Museum Magdeburg, 28. August bis 10. Dezember 2006], hrsg. von Matthias Puhle und Claus-Peter Hasse, Dresden: Sandstein, 2006 Matthias von Hellfeld, Akte Europa: Geschichte eines Kontinents, München: Dt. Taschenbuch, 2006 Les historiographes en Europe: de la fin du Moyen Âge à la Révolution, hrsg. von Chantal Grell, Paris: Presses de l’Univ. Paris-Sorbonne, 2006 (Mythes, critique et histoire) Roland Alexander Issler, Metamorphosen des „Raubs der Europa“: der Mythos in der französischen Lyrik vom frühen 14. bis zum späten 19. Jahrhundert, Bonn: Romanist. Verl., 2006 (Abhandlungen zur Sprache und Literatur 163) Kollektive Freiheitsvorstellungen im frühneuzeitlichen Europa: (1400–1850), hrsg. von Georg Schmidt, Frankfurt a. M. [u. a.]: Lang, 2006 (Jenaer Beiträge zur Geschichte 8) Ronald Kowalski, European communism: 1848–1991, Basingstoke [u. a.]: Palgrave Macmillan, 2006 (European history in perspective) Peter Krüger, Das unberechenbare Europa: Epochen des Integrationsprozesses vom späten 18. Jahrhundert bis zur Europäischen Union, Stuttgart: Kohlhammer, 2006 Paul Letter, Geschichte und Kultur Europas: Anfänge und Entwicklungen eines historischen Kontinents, Berlin: Frieling, 2006 Naturrecht und Staat: politische Funktionen des europäischen Naturrechts (17.–19. Jahrhundert), hrsg. von Diethelm Klippel [u. a.], München: Oldenbourg, 2006 (Schriften des Historischen Kollegs: Kolloquien 57) Andrea Major, Pious flames: European encounters with sati, 1500–1830, New Delhi [u. a.]: Oxford Univ. Press, 2006 Christian Meier, Von Athen bis Auschwitz: Betrachtungen zur Lage der Geschichte, München: Dt. Taschenbuch, 2006 Moderne und Mythos, hrsg. von Silvio Vietta und Herbert Uerlings, Paderborn/ München: Fink, 2006 Ralf Molkenthin, Straßen aus Wasser: technische, wirtschaftliche und militärische Aspekte der Binnenschifffahrt im Westeuropa des frühen und hohen Mittelalters, Berlin: Lit, 2006 (Geschichte 68) Ulrich Muhlack, Staatensystem und Geschichtsschreibung: ausgewählte Aufsätze zu Humanismus und Historismus, Absolutismus und Aufklärung, hrsg. von Notker Hammerstein und Gerrit Walther, Berlin: Duncker & Humblot, 2006 (Historische Forschungen 83) Nationale Geschichtskulturen: Bilanz, Ausstrahlung, Europabezogenheit, hrsg. von Heinz Duchhardt, Stuttgart: Steiner, 2006 (Akademie der Wissenschaften und der Literatur/Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse 2006, 4) Traute Petersen, Europa – eine Kulturgeschichte in Bildern, Darmstadt: Primus, 2006 Pilgerreisen in Mittelalter und Renaissance, hrsg. von Barbara Haupt und Wilhelm G. Busse, Düsseldorf: Droste, 2006 (Studia humaniora 41)
Morawiec, Europa-Schrifttum 2006
227
Politische Parteien und europäische Integration: Entwicklung und Perspektiven transnationaler Parteienkooperation in Europa, hrsg. von Jürgen Mittag, Essen: Klartext, 2006 (Veröffentlichungen des Instituts für Soziale Bewegungen: Schriftenreihe A, Darstellungen 37) Religiöse Prägung und politische Ordnung in der Neuzeit, hrsg. von Bernhard Löffler und Karsten Ruppert, Köln [u. a.]: Böhlau, 2006 (Passauer historische Forschungen 15) Religion und Gewalt: Konflikte, Rituale, Deutungen (1500–1800), hrsg. von Kaspar von Greyerz und Kim Siebenhüner, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2006 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 215) Hamish M. Scott, The birth of a great power system, 1740–1815, Harlow [u. a.]: Pearson/Longman, 2006 Wolfgang Jean Stock, Europäischer Kirchenbau 1900–1950: Aufbruch zur Moderne/ European church architecture 1900–1950. Übersetzt von Elizabeth Schwaiger, München [u. a.]: Prestel 2006 Von Stadtstaaten und Imperien: Kleinterritorien und Großreiche im historischen Vergleich, hrsg. von Christoph Haidacher und Richard Schober, Innsbruck: Wagner, 2006 (Veröffentlichungen des Tiroler Landesarchivs 13) What is a nation? Europe 1789–1914, hrsg. von Timothy Baycroft, Oxford [u. a.]: Oxford Univ. Press, 2006 Wallfahrten in der europäischen Kultur, hrsg von. Daniel Dolezal und Hartmut Kühne. Unter Mitarbeit von Eva Dolezalová, Frankfurt a. M. [u. a.]: Lang, 2006 (Europäische Wallfahrtsstudien 1) Günter Wiegelmann, Alltags- und Festspeisen in Mitteleuropa: Innovationen, Strukturen und Regionen vom späten Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert, unter Mitarbeit von Barbara Krug-Richter, 2. erweiterte Auflage Münster [u. a.]: Waxmann, 2006 (Münsteraner Schriften zur Volkskunde/europäischen Ethnologie 11) Zeitalter der Revolutionen: Europa im Zeitalter des Absolutismus II (1648–1770); Europa im Zeitalter der Revolutionen (1770–1850); Amerika I (1770–1860), Mannheim/ Zürich: DudenVerl., 2006 (Die Zeit – Welt- und Kulturgeschichte: Epochen, Fakten, Hintergründe in 20 Bänden 10) Zeitalter des Nationalismus. Die Welt im Zeitalter des Nationalismus II (1850–1918). Der Erste Weltkrieg I, Hamburg: ZeitVerl. Gerd Bucerius, 2006 (Die Zeit – Welt- und Kulturgeschichte: Epochen, Fakten, Hintergründe in 20 Bänden 12) Die zivile Uniform als symbolische Kommunikation: Kleidung zwischen Repräsentation, Imagination und Konsumption in Europa vom 18. bis zum 21 Jahrhundert/Civilian uniforms as symbolic communication, hrsg. von Elisabeth Hackspiel-Mikosch, Stuttgart: Steiner, 2006 (Studien zur Geschichte des Alltags 24) Mittelalter (500–1500): Aufstieg des Islam, Vorderasien und Afrika II (850 v. Chr.–651 n. Chr.), Süd- und Ostasien (320 v. Chr.–550 n. Chr.), die arabische Welt (610–1492), Europa im Mittelalter I (550–1500), Hamburg: ZeitVerl. Gerd Bucerius, 2006 (Die Zeit – Welt- und Kulturgeschichte: Epochen, Fakten, Hintergründe in 20 Bänden 06) Bild und Körper im Spätmittelalter, hrsg. von Kristin Marek, Paderborn/München: Fink, 2006
228
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Michael Borgolte, Christen, Juden, Muselmanen: die Erben der Antike und der Aufstieg des Abendlandes 300 bis 1200 n. Chr., Berlin: Siedler, 2006 Sabine Buttinger, Das Mittelalter, Stuttgart: Theiss, 2006 (Wissen kompakt) Samuel Kline Cohn, Lust for liberty: the politics of social revolt in Medieval Europe, 1200–1425; Italy, France, and Flanders, Cambridge, Mass. [u. a.]: Harvard Univ. Press, 2006 The court as a stage: England and the Low Countries in the later Middle Ages, hrsg. von Steven Gunn und Antheun Janse, Woodbridge [u. a.]: Boydell Press, 2006 Decorating the lord’s table: on the dynamics between image and altar in the Middle Ages, hrsg. von Søren Kaspersen, Copenhagen: Museum Tusculanum Press, 2006 L’écrit et le manuscrit à la fin du Moyen Âge, hrsg. von Tania Van Hemelryck, Turnhout: Brepols, 2006 (Texte, codex & contexte 1) Joachim Ehlers, Die Ritter: Geschichte und Kultur, München: Beck, 2006 (C. H. Beck Wissen 2392) Evamaria Engel/Frank-Dietrich Jacob, Städtisches Leben im Mittelalter: Schriftquellen und Bildzeugnisse, Köln [u. a.]: Böhlau, 2006 Europa im späten Mittelalter: Politik – Gesellschaft – Kultur, hrsg. von Rainer C. Schwinges, München: Oldenbourg, 2006 (Historische Zeitschrift: Beiheft; N.F. 40) Karin Feuerstein-Praßer [u. a.], Glanzvolles Mittelalter 911–1154, Stuttgart [u. a.]: Reader’s Digest, 2006 (Reader’s Digest illustrierte Geschichte der Welt) Petrus F. M. Fontaine, Dualism and non-dualism in medieval theology and philosophy, Utrecht: Gopher Publ., [2006] (The light and the dark 21) Iris Hammelmann, Geschichte des Mittelalters, München: Compact, 2006 (Wissen leicht gemacht) Heilig – Römisch – Deutsch: das Reich im mittelalterlichen Europa, hrsg. von Bernd Schneidmüller und Stefan Weinfurter, Dresden: Sandstein, 2006 Heinz-Dieter Heimann, Einführung in die Geschichte des Mittelalters: Tabellen, 2. Auflage Stuttgart (Hohenheim): Ulmer, 2006 (UTB 1957) Leonhard Helten, Mittelalterliches Maßwerk: Entstehung – Syntax – Topologie, Berlin: Reimer, 2006 Heresy and the persecuting society in the Middle Ages: essays on the work of R. I. Moore, hrsg. von Michael Frassetto, Leiden [u. a.]: Brill, 2006 (Studies in the history of Christian traditions 129) Tobias Herrmann, Anfänge kommunaler Schriftlichkeit: Aachen im europäischen Kontext, Siegburg: Schmitt 2006 (Bonner historische Forschungen 62) Hexen, Mönche, Rittertum: das große Buch vom Mittelalter, hrsg. von Hans Dollinger, Erftstadt: Area, 2006 Die Hofgeschichtsschreibung im mittelalterlichen Europa: Projekte und Forschungsprobleme, hrsg. von Rudolf Schieffer und Jarosław Wenta, Toruń: Wydawnictwo Uniwersytetu Mikołaja Kopernika, 2006 (Subsidia historiographica 3) Herbert Illig, Wer hat an der Uhr gedreht? Wie 300 Jahre Mittelalter erfunden wurden, Berlin: Ullstein 2006 Ireland, England and the continent in the Middle Ages and beyond, hrsg. von Howard B. Clarke, Dublin: Univ. College Dublin Press [u. a.], 2006
Morawiec, Europa-Schrifttum 2006
229
Lajos Kakucs, Santiago de Compostela: Szent Jakab tisztelete Európában és Magyarországon, Budapest: METEM, 2006 (METEM könyvek 52) Ruth Mazo Karras, Sexualität im Mittelalter. Aus dem Amerikanischen von Wolfgang Hartung, Düsseldorf: Artemis und Winkler, 2006 Hermann Lange, Die Universitäten des Mittelalters und das Römische Recht, Stuttgart: Steiner, 2006 (Akademie der Wissenschaften und der Literatur/Abhandlungen der Geistesund Sozialwissenschaftlichen Klasse 2006, 2) Das leuchtende Mittelalter, hrsg. von Jacques Dalarun. Aus dem Französischen von Birgit Lamerz-Beckschäfer, Darmstadt: Primus, 2006 Claudia Märtl, Die 101 wichtigsten Fragen – Mittelalter, München: Beck, 2006 La méthode critique au Moyen Âge, hrsg. von Mireille Chazan, Turnhout: Brepols, 2006 (Bibliothèque d’histoire culturelle du moyen âge 3) Erich Meuthen, Das 15. Jahrhundert, überarbeitet von Claudia Märtl, München: Oldenbourg, 2006 (Oldenbourg Grundriss der Geschichte 9) Franz Neiske, Europa im frühen Mittelalter: 500–1050. Eine Kultur- und Mentalitätsgeschichte, Darmstadt: Primus, 2006 (Kultur und Mentalität) Florian Neumann, Mittelalter, Köln: DuMont, 2006 Lutz E. von Padberg, Christianisierung im Mittelalter, Stuttgart: Theiss, Lizenz der Wissenschaftliche Buchgesesellschaft Darmstadt, 2006 Alheydis Plassmann, Origo gentis: Identitäts- und Legitimitätsstiftung in früh- und hochmittelalterlichen Herkunftserzählungen, Berlin: Akademie-Verl., 2006 (Orbis mediaevalis 7) Reinhard Pohanka, Die Herrscher und Gestalten des Mittelalters, Wiesbaden: Marix., 2006 (Marix Wissen) Promissory notes on the treasury of merits: indulgences in late medieval Europe, hrsg. von Robert N. Swanson, Leiden [u. a.]: Brill, 2006 (Brill’s companions to the Christian tradition 5) Rechtsveränderung im politischen und sozialen Kontext mittelalterlicher Rechtsvielfalt, hrsg. von Stefan Esders und Christine Reinle, Münster: Lit, 2006 (Neue Aspekte der europäischen Mittelalterforschung 5) Arnd Reitemeier, Die christliche Legitimation von Herrschaft im Mittelalter. Mit Beiträgen von Martina Dibbern, Münster: MV-Wissenschaft, 2006 Schrift Stadt Region/Scrittura città territorio, hrsg. von Giuseppe Albertoni, Innsbruck [u. a.]: Studien, 2006 (Geschichte und Region 15) Manlio Simonetti, Romani e barbari: le lettere latine alle origini dell’Europa, Roma: Carocci, 2006 (Studi superiori 525: Lettere classiche) La vengeance, 400–1200, hrsg. von Dominique Barthélemy [u. a], Rome: École Française de Rome, 2006 (Collection de l’École Française de Rome 357) Maike Vogt-Lüerssen, Der Alltag im Mittelalter, Norderstedt: Books on Demand, 2006 Wappen als Zeichen: mittelalterliche Heraldik aus kommunikations- und zeichentheoretischer Perspektive, hrsg. von Wolfgang Achnitz, Berlin: Akademie-Verl., 2006 (Das Mittelalter 11 [2]) Wirtschaft – Gesellschaft – Mentalitäten im Mittelalter, hrsg. von Hans-Peter Baum, Stuttgart: Steiner, 2006 (Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte 107)
230
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Wissen über Grenzen: arabisches Wissen und lateinisches Mittelalter, hrsg. von Andreas Speer und Lydia Wegener, Berlin/New York: de Gruyter, 2006 (Miscellanea mediaevalia 33) „...wurfen hin in steine/grôze und niht kleine...“: Belagerungen und Belagerungsanlagen im Mittelalter, hrsg. von Olaf Wagener und Heiko Laß, Frankfurt a. M [u. a.]: Lang, 2006 (Beihefte zur Mediaevistik 7) Frühe Neuzeit (1500–1789): Die besetzte „res publica“: zum Verhältnis von ziviler Obrigkeit und militärischer Herrschaft in besetzten Gebieten vom Spätmittelalter bis zum 18. Jahrhundert, hrsg. von Markus Meumann, Berlin [u. a.]: Lit, 2006 (Herrschaft und soziale Systeme in der frühen Neuzeit 3) Matthew Binney, The cosmopolitan evolution: travel, travel narratives, and the revolution of the eighteenth century European consciousness, Lanham, Md. [u. a.]: Univ. Press of America, 2006 Timothy C. W. Blanning, Das alte Europa: 1660–1789. Kultur der Macht und Macht der Kultur. Aus dem Englischen von Monika Carbe, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2006 Peter Burke, Wörter machen Leute: Gesellschaft und Sprachen im Europa der frühen Neuzeit. Aus dem Englischen von Matthias Wolf, Berlin: Wagenbach, 2006 Hugh Cunningham, Die Geschichte des Kindes in der Neuzeit. Aus dem Englischen von Harald Ehrhardt, Düsseldorf: Artemis und Winkler, 2006 Debatten über die Legitimation von Herrschaft: politische Sprachen in der Frühen Neuzeit, hrsg. von Luise Schorn-Schütte und Sven Tode, Berlin: Akademie-Verl., 2006 (Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel 19) Dimensionen der Politik: Aufklärung – Utopie – Demokratie, hrsg. von Axel Rüdiger und Eva-Maria Seng, Berlin: Duncker & Humblot, 2006 (Beiträge zur politischen Wissenschaft 142) Experiencing the garden in the eighteenth century, hrsg. von Martin Calder, Oxford [u. a.]: Lang, 2006 Frühe Neuzeit und Altamerika, Europa in der frühen Neuzeit (1500–1648), Altamerika (13 000 v. Chr.–1492 n. Chr.), Hamburg: Zeitverl. Gerd Bucerius, 2006 (Die Zeit – Weltund Kulturgeschichte: Epochen, Fakten, Hintergründe in 20 Bänden 08) Growing old in early modern Europe: cultural representations, hrsg. von Erin Campbell, Aldershot [u. a.]: Ashgate, 2006 Die Habsburgermonarchie 1620 bis 1740: Leistungen und Grenzen des Absolutismusparadigmas, hrsg. von Petr Mat’a, Stuttgart: Steiner, 2006 (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 24) Frédéric Hulot, Les frères de Napoléon, Paris: Pygmalion, 2006 Humanism and creativity in the Renaissance, hrsg. von Christopher S. Celenza, Leiden [u. a.]: Brill, 2006 (Brill’s studies in intellectual history 136) Italy and the European powers: the impact of war, 1500–1530, hrsg. von Christine Shaw, Leiden [u. a.]: Brill, 2006 (History of warfare 38) Esther-Beate Körber, Die Zeit der Aufklärung: eine Geschichte des 18. Jahrhunderts, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2006
Morawiec, Europa-Schrifttum 2006
231
David Lederer, Madness, religion and the state in early modern Europe: a Bavarian beacon, Cambridge [u. a.]: Cambridge Univ. Press, 2006 (New studies in European history) Mapping markets for paintings in Europe 1450–1750, hrsg. von Neil De Marchi, Turnhout: Brepols, 2006 (Studies in European urban history 6) Peter Cornelius Mayer-Tasch, Mitte und Maß: Leitbild des Humanismus von den Ursprüngen bis zur Gegenwart, Baden-Baden: Nomos, 2006 The philosopher in early modern Europe: the nature of a contested identity, hrsg. von Conal Condren, Cambridge [u. a.]: Cambridge Univ. Press, 2006 (Ideas in context 77) Religion und Kultur im Europa des 17. und 18. Jahrhunderts, hrsg. von Peter Claus Hartmann, Frankfurt a. M. [u. a.]: Lang, 2006 (Mainzer Studien zur neueren Geschichte 12) Religione, conflittualità e cultura: il clero regolare nell’Europa d’antico regime, hrsg. von Massimo Carlo Giannini, Roma: Bulzoni, 2006 (Cheiron 43/44) Dem rechten Glauben auf der Spur: eine Bildungsreise durch das Elsass, die Niederlande, Böhmen und Deutschland. Das Reisetagebuch des Hieronymus Annoni 1736, hrsg. von Johannes Burkardt, Zürich: Theologischer Verl., 2006 Ulrich Rosseaux, Städte in der frühen Neuzeit, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2006 (Geschichte kompakt) Sophia Ruppel, Verbündete Rivalen: Geschwisterbeziehungen im Hochadel des 17. Jahrhunderts, Köln [u. a.]: Böhlau, 2006 Süß scheint der Krieg den Unerfahrenen: das Bild vom Krieg und die Utopie des Friedens in der Neuzeit, hrsg. von Hans Peterse, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht Unipress, 2006 Travel and translation in the early modern period, hrsg. von Carmine G. Di Biase, Amsterdam [u. a.]: Rodopi, 2006 (Approaches to translation studies 26) Vermessen, Zählen, Berechnen: die politische Ordnung des Raums im 18. Jahrhundert, hrsg. von Lars Behrisch, Frankfurt [u. a.]: Campus, 2006 (Historische Politikforschung 6) Merry E. Wiesner-Hanks, Early modern Europe, 1450–1789, Cambridge [u. a.]: Cambridge Univ. Press, 2006 (The Cambridge history of Europe 2) Christine Vogel, Der Untergang der Gesellschaft Jesu als europäisches Medienereignis: (1758–1773); publizistische Debatten im Spannungsfeld von Aufklärung und Gegenaufklärung, Mainz: von Zabern, 2006 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz 207) Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert (1789–1815): Amir D. Bernstein, Von der Balance of Power zur Hegemonie: ein Beitrag zur europäischen Diplomatiegeschichte zwischen Austerlitz und Jena/Auerstedt 1805–1806, Berlin: Duncker & Humblot, 2006 (Historische Forschungen 84) Die Ordnung der Kulturen: zur Konstruktion ethnischer, nationaler und zivilisatorischer Differenzen 1750–1850, hrsg. von Hansjörg Bay und Kai Merten, Würzburg: Königshausen und Neumann, 2006 (Stiftung für Romantikforschung 29) Rom – Europa: Treffpunkt der Kulturen: 1780–1820, hrsg. von Paolo Chiarini und Walter Hinderer, Würzburg: Königshausen & Neumann, 2006 (Stiftung für Romantikforschung 36)
232
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Siegfried Weichlein, Nationalbewegungen und Nationalismus in Europa, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2006 (Geschichte kompakt) 19. Jahrhundert (1815–1918): A companion to nineteenth-century Europe: 1789–1914, hrsg. von Stefan Berger, Oxford [u. a.]: Blackwell, 2006 (Blackwell companions to European history) Die Anfänge der ur- und frühgeschichtlichen Archäologie als akademisches Fach (1890– 1930) im europäischen Vergleich/The beginnings of academic pre- and protohistoric archaeology (1890–1930) in a European perspective, hrsg. von Johan Callmer, Rahden/Westf.: Leidorf. 2006 (Berliner archäologische Forschungen 2) Europe 1789 to 1914: encyclopedia of the age of industry and empire, hrsg. von John Merriman und Jay Winter, Detroit [u. a.]: Thomson Gale, 2006 (Scribner library of modern Europe) Europäische Karikaturen im Vor- und Nachmärz, hrsg. von Hubertus Fischer und Florian Vaßen, Bielefeld: Aisthesis, 2006 (Jahrbuch Forum Vormärz Forschung 11 [2005]) Kollegen – Kommilitonen – Kämpfer: Europäische Universitäten im Ersten Weltkrieg, hrsg. von Trude Maurer, Stuttgart: Steiner, 2006 (Pallas Athene 18) Kollektive Gespenster: die Masse, der Zeitgeist und andere unfassbare Körper, hrsg. von Michael Gamper und Peter Schnyder, Freiburg i. Br./Berlin: Rombach, 2006 (Rombach Wissenschaften: Litterae 148) Kriegsgefangene im Europa des Ersten Weltkriegs, hrsg. von Jochen Oltmer, Paderborn [u. a.]: Schöningh, 2006 (Krieg in der Geschichte 24) Europäische Kulturzeitschriften um 1900 als Medien transnationaler und transdisziplinärer Wahrnehmung, hrsg. von Ulrich Mölk [u. a.], Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2006 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Philologisch-Historische Klasse, Folge 3, 273) Macht & Pracht: Europas Glanz im 19. Jahrhundert, hrsg. von Meinrad Maria Grewenig, Annweiler: Plöger-Medien, 2006 (Edition Völklinger Hütte im Springpunkt-Verl.) Virgil Nemoianu, The triumph of imperfection: the silver age of sociocultural moderation in Europe, 1815–1848, Columbia, SC: Univ. of South Carolina Press, 2006 Otto von Bismarck im Spiegel Europas, hrsg. von Klaus Hildebrand und Eberhard Kolb, Paderborn [u. a.]: Schöningh, 2006 (Wissenschaftliche Reihe/Otto-von-Bismarck-Stiftung 8) Hagen Schulz-Forberg, London – Berlin: authenticity, modernity, and the metropolis in urban travel writing from 1851 to 1939, Bruxelles [u. a.]: Lang, 2006 (Multiple Europes 36) 20. Jahrhundert I: Zwischenkriegszeit und Zweiter Weltkrieg (1918–1945): Erster Weltkrieg und Zwischenkriegszeit: der Erste Weltkrieg II; die Welt im Zeitalter des Totalitismus, 2006 (Hamburg: Zeitverl. Gerd Bucerius, 2006 (Die Zeit – Welt- und Kulturgeschichte: Epochen, Fakten, Hintergründe in 20 Bänden 13) Europa. Stadt. Reisende: Blicke auf Reisetexte 1918–1945, hrsg. von Walter Fähnders, Bielefeld: Aisthesis, 2006 (Reisen, Texte, Metropolen 4) Der Faschismus in Europa: 1918–1945, hrsg. von Arnd Bauerkämper, Stuttgart: Reclam, 2006
Morawiec, Europa-Schrifttum 2006
233
Fascism, communism and the consolidation of democracy: a comparison of European dictatorships, hrsg. von Gerhard Besier, Berlin/Münster: Lit, 2006 (Mittel- und Ostmitteleuropastudien 2) Führer der extremen Rechten: das schwierige Verhältnis der Nachkriegsgeschichtsschreibung zu „grossen Männern“ der eigenen Vergangenheit, hrsg. von Georg Christoph Berger Waldenegg und Francisca Loetz, Zürich: Chronos, 2006 Robert Paxton, Anatomie des Faschismus. Aus dem Englischen von Dietmar Zimmer, München: Dt. Verl.-Anstalt, 2006 Stanley Payne, Geschichte des Faschismus: Ausstieg und Fall einer europäischen Bewegung, Wien: Tosa, 2006 David D. Roberts, The totalitarian experiment in twentieth-century Europe: understanding the poverty of great politics, New York [u. a.]: Routledge, 2006 Stefan Scheil, Fünf plus Zwei: die europäischen Nationalstaaten, die Weltmächte und die vereinte Entfesselung des Zweiten Weltkriegs, Berlin: Duncker & Humblot, 2006 (Zeitgeschichtliche Forschungen 18) Detlef Schmiechen-Ackermann, Diktaturen im Vergleich, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2006 (Kontroversen um die Geschichte) Von Grenzen und Ländern, Zentren und Rändern: der Erste Weltkrieg und die Verschiebungen in der musikalischen Geographie Europas, hrsg. von Christa Brüstle, Schliengen im Markgräflerland: Ed. Argus, 2006 20. Jahrhundert II: Zeit nach 1945: Ian Bache/Stephen George, Politics in the European Union, 2. Auflage Oxford [u. a.]: Oxford Univ. Press, 2006 The Bologna Process – harmonizing Europe’s higher education: including the essential original texts, hrsg. von Bob Reinalda [u. a.], 2. Auflage Opladen/Farmington Hills: Budrich, 2006 Tom Buchanan, Europe’s troubled peace, 1945–2000, Malden, Mass. [u. a.]: Blackwell, 2006 (Blackwell history of Europe) Stefan Drubel, Protestantisches Profil in der Europäischen Union: historische Tendenzen, strukturelle Perspektiven und religionspädagogische Konzepte, Regensburg: Roderer, 2006 (Evangelische Theologie in Regensburg 3) Jürgen Elvert, Die Europäische Integration, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2006 (Geschichte kompakt) Tino Erstling, Versuch über den europäischen Totalitarismus: mit einem Seitenblick auf die SED-Herrschaft in der Honecker-Ära, Göttingen: Cuvillier, 2006 L’Europa in Parlamento, 1948–1979, hrsg. von Vincenzo Guizzi, Roma [u. a.]: GLF Ed. Laterza, 2006 (Collana Fondazione della Camera dei Deputati: Serie I grandi dibattiti) L’Europe inachevée: 2004–2005, hrsg. von Michel Dumoulin und Geneviève Duchenne, Bruxelles: PIE Lang, 2006 Maurizio Ferrara, The boundaries of welfare: European integration and the new spatial politics of social protection, Reprintausgabe Oxford [u. a.]: Oxford Univ. Press, 2006 Formal institutions and informal politics in Central and Eastern Europe: Hungary, Poland, Russia and Ukraine, hrsg. von Gerd Meyer, Opladen/Farmington Hills: Budrich 2006
234
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Francja i Niemcy – siły napędowe europejskiej integracji, hrsg. von Leon Olszewski, Wrocław: Wydawnictwo Uniwersytetu Wrocławskiego 2006 (Acta Universatis Wratislaviensis 2772/Monografie Centrum Studiów Niemieckich i Europejskich Im. Willy Brandta 18) Curt Gasteyger, Europa zwischen Spaltung und Einigung: Darstellung und Dokumentation 1945–2005, [Baden-Baden]: Nomos, 2006 Frank Gaudlitz, Warten auf Europa: Begegnungen an der Donau/Waiting for Europe. Mit Essays von Karl Schlögel, Jule Reuter, Günter Schödl, Potsdam: Deutsches Kulturforum östliches Europa, 2006 (Potsdamer Bibliothek östliches Europa: Kunst) GegenErinnerung: Geschichte als politisches Argument im Transformationsprozeß Ost-, Ostmittel- und Südosteuropas, hrsg. von Helmut Altrichter, München: Oldenbourg, 2006 (Schriften des Historischen Kollegs: Kolloquien 61) Daniel Göler, Deliberation – ein Zukunftsmodell europäischer Entscheidungsfindung? Analyse der Beratungen des Verfassungskonvents 2002–2003, Baden-Baden: Nomos, 2006 (Europäische Schriften 84) Heather Grabbe, The EU’s transformative power: europeanization through conditionality in Central and Eastern Europe, Basingstoke, Hampshire [u. a.]: Palgrave Macmillan, 2006 (Palgrave studies in European Union politics) Katja Hölsch, Umverteilungseffekte in Europa: eine Analyse für ausgewählte Länder, Frankfurt a. M. [u. a.]: Lang, 2006 (Hohenheimer Volkswirtschaftliche Schriften 54) Thomas Hörber, The foundations of Europe: European integration ideas in France, Germany and Britain in the 1950s, Wiesbaden: Verl. für Sozialwissenschaften, 2006 (Forschungen zur europäischen Integration 19) Inside the European Community: actors and policies in the European integration 1957– 1972, hrsg. von Antonio Varsori, Baden-Baden: Nomos/Bruxelles: Bruylant 2006 Le jour se lève: l’héritage du totalitarisme en Europe, 1953–2005, hrsg. von Stéphane Courtois, Monaco: Rocher, 2006 (Démocratie ou totalitarisme) Tony Judt, Die Geschichte Europas seit dem Zweiten Weltkrieg, Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, 2006 Tony Judt, Geschichte Europas von 1945 bis zur Gegenwart, München: Hanser, 2006 Guido Knopp, Majestät! Die letzten grossen Monarchien. In Zusammenarbeit mit Friederike Dreykluft, München: Bertelsmann, 2006 Stephan Martini, Die sicherheitspolitische Funktion der KSZE im entspannungspolitischen Konzept der Bundesrepublik Deutschland 1975–1990, Berlin: Mensch-undBuch, 2006 (Politics) Attila Melegh, On the East-West slope: globalization, nationalism, racism and discourses on Central and Eastern Europe, Budapest [u. a.]: Central European University Press, 2006 Andrew A. Michta, The limits of alliance: the United States, NATO, and the EU in North and Central Europe, Lanham, Md. [u. a.]: Rowman & Littlefield, 2006 (The new international relations of Europe) Milieux économiques et intégration européenne au XXe siècle: la crise des années 1970, hrsg. von Éric Bussière, Bruxelles [u. a.]: PIE Lang, 2006 (Euroclio: Etudes et documents 35)
Morawiec, Europa-Schrifttum 2006
235
Mitteleuropäische Avantgarden: Intermedialität und Interregionalität im 20. Jahrhundert, hrsg. von Pál Deréky. Mit einer Einleitung von Béla Bacsó, Frankfurt a. M.: Lang, 2006 (Budapester Studien zur Literaturwissenschaft 9) Norman M. Naimark, Plameny nenávisti: etnické cistky v Evrope 20. století, Praha: Lidové Noviny, 2006 (Kniznice dejin a soucasnosti 30) Susanne Neumann, Leninbilder. Lenin in der westdeutschen Geschichtswissenschaft in den 1960er bis 1980er Jahren, Hamburg: Kovac, 2006 (Hamburger Beiträge zur Geschichte des östlichen Europa 15) Politische Parteien und europäische Integration: Entwicklung und Perspektiven transnationaler Parteienkooperation in Europa, hrsg. von Jürgen Mittag, Essen: Klartext, 2006 (Veröffentlichungen des Instituts für Soziale Bewegungen: Darstellungen 37) Quelle(s) Europe(s)? Nouvelles approches en histoire de l’intégration européenne/Which Europe(s)?, hrsg. von Katrin Rücker und Laurent Warlouzet, Bruxelles [u. a.]: PIE Lang, 2006 (Euroclio: Etudes et documents 36) Reflections on 30 years of EU environmental law: a high level of protection? hrsg. von Richard Macrory, Groningen: Europa Law Publishing, 2006 (The Avosetta series 7) Schwerpunkt: Gewinner und Verlierer in Europa: Schattenseiten der Integration, hrsg. von Renovabis, Solidaritätsaktion der Deutschen Katholiken mit den Menschen in Mittelund Osteuropa und Zentralkomitee der Deutschen Katholiken, Ostfildern: MatthiasGrünewald, 2006 (Ost-West, europäische Perspektiven 7 [2]) „Transformationen“ der Erinnerungskulturen in Europa nach 1989, hrsg. von Bernd Faulenbach und Franz-Josef Jelich, Essen: Klartext, 2006 (Geschichte und Erwachsenenbildung Bd. 21) Transnationale Vergangenheitspolitik: der Umgang mit deutschen Kriegsverbrechern in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg, hrsg. von Norbert Frei, Göttingen: Wallstein, 2006 (Beiträge zur Geschichte des 20. Jahrhunderts 4) Henning Türk, Die Europapolitik der Großen Koalition: 1966–1969, München: Oldenbourg, 2006 (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 93) Milada Anna Vachudova, Europe undivided: democracy, leverage and integration after Communism, Oxford [u. a.]: Oxford Univ. Press, 2006 Vertreibungsdiskurs und europäische Erinnerungskultur: deutsch-polnische Initiativen zur Institutionalisierung ; eine Dokumentation, hrsg. von Stefan Troebst, Osnabrück: fibre, 2006 (Veröffentlichungen der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Bundesverband e. V. 11) Werner Weidenfeld, Partners at odds: the future of transatlantic relations – options for a new beginning, Gütersloh: Verl. Bertelsmann-Stiftung, 2006 Howard J. Wiarda, Development on the periphery: democratic transitions in Southern and Eastern Europe. Unter Mitarbeit von Dale R. Herspring, Lanham [u. a.]: Rowman & Littlefield, 2006 Martin Zbinden, Der Assoziationsversuch der Schweiz mit der EWG 1961–1963: ein Lehrstück schweizerischer Europapolitik, Bern [u. a.]: Haupt, 2006 (Forschungen zur Geschichte der schweizerischen Europapolitik) Jan Zielonka, Europe as empire: the nature of the enlarged European Union, Oxford [u. a.]: Oxford Univ. Press, 2006 Zwangsmigration und Vertreibung: Europa im 20. Jahrhundert, hrsg. von Anja Kruke, Bonn: Dietz, 2006
236
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Beziehungen zu Außereuropa, Kolonialismus, Entkolonialisierung: Atlantic understandings: essays on European and American history in honor of Hermann Wellenreuther, hrsg. von Claudia Schnurmann und Hartmut Lehmann, Hamburg [u. a.]: Lit, 2006 (Atlantic cultural studies 1) Magnus Brechtken, Scharnierzeit 1895–1907: Persönlichkeitsnetze und internationale Politik in den deutsch-britisch-amerikanischen Beziehungen vor dem Ersten Weltkrieg, Mainz: von Zabern, 2006 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz/Abteilung für Universalgeschichte 195) Britain in Cyprus: colonialism and post-colonialism, 1878–2006, hrsg. von Hubert Faustmann, Mannheim [u. a.]: Bibliopolis, 2006 (Peleus 19) Colonial armies in Southeast Asia, hrsg. von Karl Hack und Tobias Rettig, London [u. a.]: Routledge, 2006 (Routledge studies in the modern history of Asia 33) Deutsches Kolonial-Handbuch, nach amtlichen Quellen bearb. von Rudolf Fitzner. Nachdr. der 2., erw. Aufl., Wolfenbüttel: Melchior, 2006, (Historische Bibliothek) Kathleen DuVal, The native ground: Indians and colonists in the heart of the continent, Philadelphia, Pa.: Univ. of Pennsylvania Press, 2006 (Early American studies) Andreas Eckert, Kolonialismus, Frankfurt a. M.: Fischer-Taschenbuch, 2006 Das Europa der Aufklärung und die außereuropäische koloniale Welt, hrsg. von HansJürgen Lüsebrink, Göttingen: Wallstein, 2006 (Das achtzehnte Jahrhundert: Supplementa 11) Jörg Femers, Deutsch-britische Optionen: Untersuchungen zur internationalen Politik in der späten Bismarck-Ära (1879–1890), Trier: Wissentschafts-Verl. 2006 (Europäische und internationale Studien 4) Ruth Ginio, French colonialism unmasked: the Vichy years in French West Africa, Lincoln [u. a.]: Univ. of Nebraska Press, 2006 (France overseas: Studies in empire and decolonization) Yusuf Halaçoglu, Die Armenierfrage, Klagenfurt: Wieser, 2006 Heiko Herold, Deutsche Kolonial- und Wirtschaftspolitik in China: 1840 bis 1914; unter besonderer Berücksichtigung der Marinekolonie Kiautschou, 2. Auflage Köln: Ozeanverl. Herold, 2006 Hemisphärische Konstruktionen der Amerikas, hrsg. von Peter Birle Frankfurt a. M.: Vervuert 2006 (Bibliotheca Ibero-Americana 109) John Huxtable Elliott, Empires of the Atlantic world: Britain and Spain in America, 1492–1830, New Haven, Conn. [u. a.]: Yale Univ. Press, 2006 International relations in Europe: traditions, perspectives and destinations, hrsg. von Knud Erik Jørgensen, London [u. a.]: Routledge, 2006 (Routledge advances in international relations and global politics 44) Europe and the Americas: state formation, capitalism and civilizations in Atlantic modernity, hrsg. von Jeremy Smith, Leiden [u. a.]: Brill, 2006 (International comparative social studies 12) European music and musicians in New York City, 1840–1900, hrsg. von John Graziano, Rochester, NY: Univ. of Rochester Press, 2006 (Eastman studies in music 36) Geliebtes Europa – Ostindische Welt: 300 Jahre interkultureller Dialog im Spiegel der Dänisch-Halleschen Mission, hrsg. von Heike Liebau, Halle: Verlag der Franckeschen Stiftungen, 2006 (Kataloge der Franckeschen Stiftungen 16)
Morawiec, Europa-Schrifttum 2006
237
Isaak de Graaf, Grote Atlas van de Verenigde Oostindische Compagnie, hrsg. von Günter Schilder, Voorburg [u. a.]: Atlas Maior, 2006 Martine Julia van Ittersum, Profit and principle: Hugo Grotius, natural rights theories and the rise of Dutch power in the East Indies, 1595–1615, Leiden [u. a.]: Brill, 2006 (Brill’s studies in intellectual history v 139) Industrie et politique en Europe occidentale et aux États-Unis (XIXe et XXe siècles), hrsg. von Dominique Barjot, Paris: Presses de l’Univ. Paris-Sorbonne, 2006 (Collection Roland Mousnier 26) Iranistik in Europa: gestern, heute, morgen, hrsg. von Heiner Eichner, Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 2006 (Veröffentlichungen zur Iranistik 34) Kolonialkriege: militärische Gewalt im Zeichen des Imperialismus, hrsg. von Thoralf Klein und Frank Schumacher, Hamburg: Hamburger Edition, 2006 Susann Lewerenz, Die Deutsche Afrika-Schau: (1935–1940). Rassismus, Kolonialrevisionismus und postkoloniale Auseinandersetzungen im nationalsozialistischen Deutschland, Frankfurt a. M. [u. a.]: Lang, 2006 (Afrika und Europa: koloniale und postkoloniale Begegnungen 3) Sandra Maß, Weiße Helden, schwarze Krieger: zur Geschichte kolonialer Männlichkeit in Deutschland 1918–1964, Köln [u. a.]: Böhlau, 2006 Joachim Meißner, Mythos Südsee: das Bild von der Südsee im Europa des 18. Jahrhunderts, Hildesheim [u. a.]: Olms, 2006 (Philosophische Texte und Studien 86) Donna Merwick, The shame and the sorrow: Dutch-Amerindian encounters in New Netherland, Philadelphia, Pa.: Univ. of Pennsylvania Press, 2006 (Early American studies) Mit Zauberwasser gegen Gewehrkugeln: der Maji-Maji-Aufstand im ehemaligen Deutsch-Ostafrika vor 100 Jahren, hrsg. von Hans-Martin Hinz, Frankfurt a. M.: Lembeck, 2006 (Beiheft der Zeitschrift für Mission 7) Guido Mühlemann, Chinas Experimente mit westlichen Staatsideen: eine rechtshistorische und zeitgeschichtliche Untersuchung zur chinesischen Rezeption europäischer Staatsideen, Zürich [u. a.]: Schulthess, 2006 (Zürcher Studien zur Rechtsgeschichte 56) Gregor Muller, Colonial Cambodia’s ‚bad Frenchmen’: the rise of French rule and the life of Thomas Caraman, 1840–1887, London [u. a.]: Routledge, 2006 (Routledge studies in the modern history of Asia 37) Jürgen Osterhammel, Kolonialismus: Geschichte – Formen – Folgen, 5. Auflage München: Beck, 2006 (C. H. Beck Wissen 2002) Carole Reynaud Paligot, La république raciale: paradigme racial et idéologie républicaine (1860–1930), Paris: PUF, 2006 (Sciences, histoire et société) The phenomenon of „foreign“ in oriental art, hrsg. von Annette Hagedorn, Wiesbaden: Reichert, 2006 Christopher Rudolph, National security and immigration: policy development in the United States and Western Europe since 1945, Stanford, Calif.: Stanford Univ. Press, 2006 Jos Schnurer, „Ohne Kolonien, Volk in Not. Mit Kolonien, Arbeit und Brot“: deutsche imperiale Politik und die Jugend im Kaiserreich: die Kinder- und Jugendzeitschrift „Jambo“, [Oldenburg]: Paulo-Freire-Verl. 2006 (Aspekte der Freire-Pädagogik 19)
238
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Jos Schnurer, Wie die Deutschen zu den Fremden kamen, [Oldenburg]: Paulo-FreireVerl. 2006 (Aspekte der Freire-Pädagogik 18) Bernhard Schmid, Das koloniale Algerien, Münster: Unrast, 2006 Peter J. Schröder, Gesetzgebung und „Arbeiterfrage“ in den Kolonien: das Arbeitsrecht in den Schutzgebieten des Deutschen Reiches, Berlin [u. a.]: Lit, 2006 (Europa – Übersee 18) Philippa Söldenwagner, Spaces of negotiation: European settlement and settlers in German East Africa 1900–1914, München: Meidenbauer, 2006 Sven Trakulhun, Siam und Europa: das Königreich Ayutthaya in westlichen Berichten (1500–1670), Hannover-Laatzen: Wehrhahn, 2006 (Schriftenreihe der Deutsch-Thailändischen Gesellschaft 24) Daniel K. W. Trepsdorf, Afrikanisches Alter Ego und europäischer Egoismus: eine komparative Studie zur Selbst- und Fremdenperzeption im Wilhelminischen Deutschland und Spätviktorianischen Großbritannien (1884–1914); ausgewählte Aspekte zur Wahrnehmungskultur des „wilden schwarzen Anderen“ sowie deren Konsequenzen für die indigene Bevölkerung der britischen und deutschen Kolonien im südlichen Afrika, Dresden: TUDpress, 2006 Hugo Van de Voorde, Het gouden Oosten: Europa in de schaduw van Azië (ca. 500heden), Kapellen: Pelckmans [u. a.], 2006 Michael Weiers, Zweitausend Jahre Krieg und Drangsal und Tschinggis Khans Vermächtnis, Wiesbaden: Harrassowitz, 2006 (Tunguso-Sibirica 21) Bernhard Zeller, Ex facto ius oritur: zur Bedeutung der ehemaligen deutschen Kolonialgrenzen in Afrika am Beispiel des Rechtsstreits zwischen Kamerun und Nigeria, Baden-Baden: Nomos, 2006 (Studien zur Geschichte des Völkerrechts 11) Ideen-, Kultur-, Wissenschafts- und Mentalitätsgeschichte: Marianne Beese, Poetische Welten und Wandlungen: Dichter Europas vom 18. bis zum 21. Jahrhundert, 2. Aufl., Rostock: Koch, 2006 Andrea Bisicchia, Teatro e scienza: da Eschilo a Brecht e Barrow, Torino: UTET Università, 2006 (Beiträge zur älteren Literaturgeschichte) Emmanuel Bouju, La transcription de l’histoire: essai sur le roman européen de la fin du XXe siècle, Rennes: PUR, 2006 (Collection Interférences) Collaboration in the arts from the Middle Ages to the present, hrsg. von Silvia Bigliazzi und Sharon Wood, Burlington, VT: Ashgate Publ., 2006 (Studies in European cultural transition 35) Conceptions of Europe in Renaissance France: essays in honour of Keith Cameron, hrsg. von David Cowling, Amsterdam [u. a.]: Rodopi, 2006 (Faux titre 281) Deutschsprachige Literatur des Mittelalters im östlichen Europa: Forschungsstand und Forschungsperspektiven, hrsg. von Ralf G. Päsler und Dietrich Schmidtke, Heidelberg: Winter, 2006 Hans-Otto Dill, Dante criollo: ensayos euro-latinoamericanos. Capítulos de recepción ibero-americana de literatura europea, Frankfurt a. M. [u. a.]: Lang, 2006 (Lenguas, sociedades y culturas en Latinoamérica 7) Philip Freund, Dramatis personae: the rise of medieval and renaissance theatre, London [u. a.]: Owen, 2006 (Stage by stage 3)
Morawiec, Europa-Schrifttum 2006
239
Gerald Ernest Paul Gillespie, Echoland: readings from humanism to postmodernism, Bruxelles [u. a.]: Lang, 2006 (New comparative poetics 19) Achim Geisenhanslüke, Masken des Selbst: Aufrichtigkeit und Verstellung in der europäischen Literatur, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2006 Anton Grabner-Haider, Die wichtigsten Philosophen, Wiesbaden: Marix, 2006 (Marix Wissen) Impressionist camera: pictorial photography in Europe, 1888–1918, hrsg. von Philip Prodger, London [u. a.]: Merrell, 2006 Ken Ireland, Cythera regained? The Rococo revival in European literature and the arts, 1830–1910, Madison, NJ [u. a.]: Fairleigh Dickinson Univ. Press, 2006 Kritické úvahy o západní literární teorii, hrsg. von Ales Haman [u. a], Praha: ARSCI, 2006 Heinz Krumpel, Philosophie und Literatur in Lateinamerika – 20. Jahrhundert: ein Beitrag zu Identität, Vergleich und Wechselwirkung zwischen lateinamerikanischem und europäischem Denken, Frankfurt a. M. [u. a.]: Lang, 2006 (Wiener Arbeiten zur Philosophie: Reihe B, Beiträge zur philosophischen Forschung 13) Kulturhermeneutik und kritische Rationalität, hrsg. von Friedemann Maurer, Lindenberg im Allgäu: Kunstverl. Fink, 2006 Last & lost: ein Atlas des verschwindenden Europas, hrsg. von Katharina Raabe und Monika Sznajderman, 2. Aufl. Frankfurt a. M. Suhrkamp, 2006 Gertrud Lehnert, Europäische Literatur, Köln: DuMont-Literatur-und-Kunst, 2006 Leinen los!: maritimes Kino in Deutschland und Europa 1912–1957; vom „Stapellauf des Imperator“ bis zum Untergang der „Pamir“, hrsg. von Jörg Schöning, München: Ed. Text und Kritik im Boorberg-Verl., 2006 Les lieux du spectacle dans l’Europe du XVIIe siècle, hrsg. von Charles Mazouer, Tübingen: Narr, 2006 (Biblio 17 [165]) Lyrik des 20. Jahrhunderts in Ost-Mittel-Europa, hrsg. von Alfrun Kliems, Berlin: Frank & Timme, 2006 (Literaturwissenschaft) Romano Luperini, L’autocoscienza del moderno, Napoli: Liguori, 2006 (Letterature 65) Mittelalter im Film, hrsg. von Christian Kiening, Berlin [u. a.]: de Gruyter, 2006 (Trends in medieval philology 6) Morgenland und Abendland: das orientalische Erbe in der europäischen Geistes- und Kulturgeschichte, hrsg. von Monika Kautenburger und Christian Timm, Hamburg: Kovac, 2006 (Ulmer Sprachstudien 15) Charles Garfield Nauert, Humanism and the culture of Renaissance Europe, Cambridge [u. a.]: Cambridge Univ. Press, 2006 (New approaches to European history 37) Die Ordnung der Kulturen: zur Konstruktion ethnischer, nationaler und zivilisatorischer Differenzen 1750–1850, hrsg. von Hansjörg Bay und Kai Merten, Würzburg: Königshausen & Neumann, 2006 (Stiftung für Romantikforschung 29) Daniel-Henri Pageaux, Rencontres, échanges, passages: essais et études de littérature générale et comparée, Paris [u. a.]: L’Harmattan, 2006 (Classiques pour demain) Louise Pelletier, Architecture in words: theatre, language and the sensuous space of architecture, London [u. a.]: Routledge, 2006
240
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Reformpädagogik und Lebensreform in Mitteleuropa: Ursprünge, Ausprägung und Richtungen, länderspezifische Entwicklungstendenzen, hrsg. von Ehrenhard Skiera, Budapest: Gondolat, 2006 (Neveléstudomány-történeti tanulmányok 7) Galka E. Scheyer & Die Blaue Vier: Briefwechsel 1924–1945, hrsg. und kommentiert von Isabel Wünsche, Wabern (Bern): Benteli, 2006 Século das Luzes: Portugal e Espanha, o Brasil e a Região do Rio da Prata, hrsg. von Werner Thielemann, Frankfurt a. M.: TFM, 2006 (Biblioteca luso-brasileira 24) Jean Weisgerber, La mort du prince: le régicide dans la tragédie européenne du XVIIe siècle, Bruxelles: Lang, 2006 (Nouvelle poétique comparatiste 20) Christoph Wilhelmi, Künstlergruppen in West- und Nordeuropa einschließlich Spanien und Portugal seit 1900: ein Handbuch, Stuttgart: Hauswedell, 2006 (3) Zwischen den Fronten: Positionskämpfe europäischer Intellektueller im 20. Jahrhundert, hrsg. von Ingrid Gilcher-Holtey, Berlin: Akademie-Verl., 2006 Frauen- und Geschlechtergeschichte: Patrizia Albanese, Mothers of the nation: women, families, and nationalism in twentiethcentury Europe, Toronto [u. a.]: Univ. of Toronto Press, 2006 (Studies in comparative political economy and public policy 23) Biographical dictionary of women’s movements and feminisms: Central, Eastern, and South Eastern Europe; 19th and 20th centuries, hrsg. von Francisca de Haan, Budapest [u. a.]: CEU Press, 2006 Frauen aktiv gegen Atomenergie: wenn aus Wut Visionen werden, hrsg. von Ulrike Röhr, Norderstedt: Books on Demand, 2006 Eleanor Herman, Leidenschaft im Dienste ihrer Majestät: Königinnen und ihre Liebhaber, Frankfurt a. M.: Krüger, 2006 Verhandlungen im Zwielicht: Momente der Prostitution in Geschichte und Gegenwart, hrsg. von Sabine Grenz und Martin Lücke, Bielefeld: Transcript, 2006 Women’s movement: networks and debates in post-communist countries in the 19th and 20th centuries, hrsg. von Edith Saurer, Köln [u. a]: Böhlau, 2006 (L’homme: Schriften 13) Europäisches Judentum: Antisemitismus und Erinnerungskulturen im postkommunistischen Europa, hrsg. von Bernd Kauffmann und Basil Kerski, Osnabrück: Fibre, 2006 (Veröffentlichungen der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Bundesverband 10) Les conseils juifs dans l’Europe allemande, hrsg. von Georges Bensoussan, Paris: Centre de Documentation Juive Contemporaine, 2006 (Revue d’histoire de la Shoah 185) Emanzipation durch Muskelkraft: Juden und Sport in Europa, hrsg. von Michael Brenner und Gideon Reuveni, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2006 (Jüdische Religion, Geschichte und Kultur 3) Johannes Heil, „Gottesfeinde“ – „Menschenfeinde“: die Vorstellung von jüdischer Weltverschwörung (13. bis 16. Jahrhundert), Essen: Klartext, 2006 (Antisemitismus 3) Die jüdische Presse im europäischen Kontext: 1686–1990, hrsg. von Susanne MartenFinnis, Bremen: Ed. Lumière, 2006 (Die jüdische Presse 1)
Morawiec, Europa-Schrifttum 2006
241
Judith Schäfer, Juden aus der Sovetunion/Russland in Deutschland von 1989 bis 2000: Rechtsgrundlage und allgemeine Situation, Regensburg: Selbstverlag, 2006 (Regensburger Hefte zur Geschichte und Kultur im östlichen Europa 5) Manfred Voigts, Die deutsch-jüdische Symbiose: zwischen deutschem Sonderweg und Idee Europa, Tübingen: Niemeyer, 2006 (Conditio Judaica 57) „Zerstörer des Schweigens“: Formen künstlerischer Erinnerung an die nationalsozialistische Rassen- und Vernichtungspolitik in Osteuropa, hrsg. von Frank Grüner [u. a.], Köln [u. a.]: Böhlau, 2006 Kirchengeschichte: Joachim Angerer [u. a.], Grenzenlos, zeitenlos: Klöster im Herzen Europas, Wien: Brandstätter 2006 Friedemann Bedürftig, Schätze aus Kirchen und Klöstern Europas, Köln: Komet 2006 „...denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus...“: Partnerschaften und Projekte aus der hannoverschen Landeskirche nach Mittel- und Osteuropa/Ostkirchen- und Aussiedlerarbeit, Haus Kirchlicher Dienste der Ev.-Luth. Landeskirche Hannovers. Red. Heiner Koch, Auflage 1000. Hannover: Haus Kirchlicher Dienste, 2006 (Hoffnung für Osteuropa) Martin Friedrich, Kirche im gesellschaftlichen Umbruch: das 19. Jahrhundert, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2006 (Zugänge zur Kirchengeschichte, hrsg. von Horst F. Rupp 8) Gesichter einer fremden Theologie: Sprechen von Gott jenseits von Europa, hrsg. von Norbert Kößmeier und Richard Brosse, Freiburg i. Br. [u. a.]: Herder, 2006 (Theologie der Dritten Welt 34) Die katholische Kirche in Mitteleuropa nach 1945 bis zur Gegenwart, hrsg. von Jan Mikrut, Wien: Dom, 2006 (Veröffentlichungen des Internationalen Forschungsinstituts [IFKM] 4) Kirche in einer säkularisierten Gesellschaft, hrsg. von Dieter A. Binder, Innsbruck [u. a.]: Studien, 2006 Kirchen- und Kulturgeschichtsschreibung in Nordost- und Ostmitteleuropa: Initiativen, Methoden, Theorien, hrsg. von Rainer Bendel, Berlin/Münster: Lit, 2006 (Religions- und Kulturgeschichte in Ostmittel- und Südosteuropa 2) Konfessionelle Pluralität als Herausforderung: Koexistenz und Konflikt in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, hrsg. von Joachim Bahlcke, Leipzig: Leipziger Univ.-Verl., 2006 Jozef Kuzár, Gespaltene Gewissenstheologie nach dem Konzil?: Ein Vergleich zwischen deutschsprachigen und osteuropäischen Autoren, Berlin: Lit, 2006 (Theologie Ost-West 7) Firouzeh Mostashari, On the religious frontier: Tsarist Russia and Islam in the Caucasus, London [u. a.]: I. B. Tauris, 2006 (International library of historical studies 32) Michael Müller-Wille, Slawenmission in Mitteleuropa, Stuttgart: Steiner, 2006 (Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse/Akademie der Wissenschaften und der Literatur 1) Palgrave advances in the European reformations, hrsg. von Alec Ryrie, Basingstoke [u. a.]: Palgrave Macmillan, 2006 (Palgrave advances) Religionskriege im Alten Reich und in Alteuropa, hrsg. von Franz Brendle und Anton Schindling, Münster: Aschendorff, 2006
242
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Gottfried Seebaß, Spätmittelalter – Reformation – Konfessionalisierung, Stuttgart: Kohlhammer, 2006 (Theologische Wissenschaft 7) Nina Clara Tiesler, Muslime in Europa: Religion und Identitätspolitiken unter veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen, Berlin/Münster: Lit, 2006 (Politik & Kultur 8) Uwe Topper, Kalender-Sprung: falsche Geschichtsschreibung bestimmt die Zukunft. Europas Religionswechsel um 1500, Tübingen: Grabert, 2006 (Veröffentlichungen aus Hochschule, Wissenschaft und Forschung 23) Transatlantische Religionsgeschichte: 18. bis 20. Jahrhundert, hrsg. von Hartmut Lehmann, Göttingen: Wallstein, 2006 (Bausteine zu einer europäischen Religionsgeschichte im Zeitalter der Säkularisierung 9) Thomas E. Woods jr., Sternstunden statt dunkles Mittelalter: die katholische Kirche und der Aufbau der abendländischen Zivilisation, übersetzt von Gabriele Stein, Aachen: MM, 2006 Militärgeschichte: Amphibious warfare 1000–1700: commerce, state formation and European expansion, hrsg. von David J. B. Trim, Leiden [u. a.]: Brill, 2006 (History of warfare 34) Alf W. Johansson, Europas krig: militärt tänkande, strategi och politik från Napoleontiden till andra världskrigets slut, Stockholm: Prisma, 2006 Rechts-, Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte: Karolina Adamová, Svetla a stíny stredovekého práva: príspevek k aplikaci „Principºu“ E. F. Smidaka, Luzern: Avenira Stiftung [u. a.], 2006 (Avenira edice) Common law und europäische Rechtsgeschichte/Common law and European legal history, hrsg. von Diethelm Klippel, Wien: Manz, 2006 (Zeitschrift für neuere Rechtsgeschichte 28) Essays zur Kultur- und Rechtsgeschichte Europas [Elektronische Ressource], hrsg. von Jörg Wolff, Mönchengladbach: Forum-Verl. Godesberg, 2006 (Studien zur Kultur- und Rechtsgeschichte 2) L’Europa in Parlamento, 1948–1979. Fondazione della Camera dei Deputati. [Elektronische Ressource, parallel als Buch-Ausgabe erschienen], Roma [u. a.]: GLF Ed. Laterza, 2006 (Collana Fondazione della Camera dei Deputati) Europa – Macht und Ohnmacht, hrsg. von Erhard Busek, Wien: Verlag Österreich, 2006 Hinc publica fides: il notaio e l’amministrazione della giustizia; atti del Convegno Internazionale di Studi Storici, hrsg. von Vito Piergiovanni, Milano: Giuffrè, 2006 (Per una storia del notariato nella civiltà europea 7) Juristische Zeitschriften in Europa, hrsg. von Michael Stolleis, Frankfurt a. M.: Klostermann, 2006 (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 214) Daniela Mercedes Kahn, Die Steuerung der Wirtschaft durch Recht im nationalsozialistischen Deutschland: das Beispiel der Reichsgruppe Industrie, Frankfurt a. M.: Klostermann, 2006 (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 212, Das Europa der Diktatur 12) Political rights under stress in 21st century Europe, hrsg. von Wojciech Sadurski, Oxford [u. a.]: Oxford Univ. Press, 2006 (The collected courses of the Academy of European Law 15)
Morawiec, Europa-Schrifttum 2006
243
Praxis der Gerichtsbarkeit in europäischen Städten des Spätmittelalters, hrsg. von FranzJosef Arlinghaus, Frankfurt a. M.: Klostermann, 2006 (Rechtsprechung 23) Richterliche Anwendung des Code civil in seinen europäischen Geltungsbereichen außerhalb Frankreichs, hrsg. von Barbara Dölemeyer, Frankfurt a. M.: Klostermann, 2006 (Rechtsprechung 21) Symbolische Kommunikation vor Gericht in der frühen Neuzeit, hrsg. von Reiner Schulze, Berlin: Duncker & Humblot, 2006 (Schriften zur europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte 51) Die Verfassungen in Europa 1789–1949: wissenschaftliche Textedition unter Einschluss sämtlicher Änderungen und Ergänzungen sowie mit Dokumenten aus der englischen und amerikanischen Verfassungsgeschichte, hrsg. von Dieter Gosewinkel und Johannes Masing, München: Beck, 2006 Hans-Jürgen Wagener [u. a.], Europäische Integration: Recht und Ökonomie, Geschichte und Politik, München: Vahlen, 2006 Zusammengesetzte Staatlichkeit in der europäischen Verfassungsgeschichte, hrsg. von Hans-Jürgen Becker, Berlin: Duncker & Humblot, 2006 (Der Staat: Beiheft 16) Sozialgeschichte: Being poor in modern Europe: historical perspectives 1800–1940, hrsg. von Andreas Gestrich, Oxford [u. a.]: Lang, 2006 Emil Walter-Busch, Faktor Mensch: Formen angewandter Sozialforschung der Wirtschaft in Europa und den USA, 1890–1950, Konstanz: UVK, 2006 (Analyse und Forschung: Sozialwissenschaften) Sozialstaat in Europa: Geschichte und Zukunft eines Erfolgsmodells, hrsg. von Bernd Faulenbach und Gunther Adler, Essen: Klartext, 2006 Tätigkeitsfelder und Erfahrungshorizonte des ländlichen Menschen in der frühmittelalterlichen Grundherrschaft: (bis ca. 1000), hrsg. von Brigitte Kasten, Stuttgart: Steiner, 2006 (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte: Beihefte 184) Wirtschaftsgeschichte: Alte Häfen – neue Aufgaben: Häfen der Küstenschifffahrt in Skandinavien und Westeuropa gestern und heute, hrsg. von Peter Danker-Carstensen, Bremen: Hauschild 2006 Georg Bauer, Faszination Landtechnik: 100 Jahre Landtechnik – Firmen und Fabrikate im Wandel, Augsburg: Weltbild, 2006 Rolf J. Daxhammer [u. a.], Der europäische Integrationsprozess: wirtschaftliche, politische und institutionelle Einigung Europas, Stuttgart: Ibidem., 2006 (Schriftenreihe des ESB Research Institute 38) Europe organisée, Europe du libre-échange? Hrsg. von Éric Bussière, Bruxelles [u. a.]: PIE Lang, 2006 (Euroclio: Etudes et documents 34) Europäische Finanzplätze im Wettbewerb, Stuttgart: Steiner 2006 (Bankhistorisches Archiv, Beiheft 45) Andrea Finkelstein, The grammar of profit: the Price Revolution in intellectual context, Leiden [u. a.]: Brill, 2006 (Brill's studies in intellectual history 138)
244
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Gamle havne – nye udfordringer: skandinaviske og vesteuropaeiske havne i fortid og nutid, hrsg. von Ole Mortensøn [u. a.], Bremen: Hauschild, 2006 Hubert Kiesewetter, Das einzigartige Europa: wie ein Kontinent reich wurde, Stuttgart: Steiner, 2006 M. L. Michelup, Europäischer Münz-Kalkulator, um die wechselseitige Vergleichung sämmtlicher Münzwerte und des Amerikanischen Dollars in allen Ländern schnell zu ersehen. Faks. der 2., verb. Aufl., Prag, um 1850/1851, digital restauriert und erneut hrsg. von Wolfgang Witiko Marko, Trier: Böhmische-Dörfer, 2006 (Zeugnisse aus Kultur, Wirtschaft und Politik) Schwerpunkt: Schienenwege in Europa: Geschichte und Geschichten, hrsg. von Renovabis, Solidaritätsaktion der Deutschen Katholiken mit den Menschen in Mittel- und Osteuropa und Zentralkomitee der Deutschen Katholiken, Ostfildern: Matthias-GrünewaldVerl., 2006 (Ost-West, europäische Perspektiven 7 [3]) Harald Wixforth, Die Expansion der Dresdner Bank in Europa, München: Oldenbourg, 2006 (Die Dresdner Bank im Dritten Reich 3) Mitteleuropa: Joan Blaeu, Atlas Maior of 1665: sämtliche 124 Karten von Germanien, Österreich und der Schweiz. Nach dem Original aus der Österreichischen Nationalbibliothek Wien. Einführung und Texte von Peter van der Krogt, [Nachdruck der Ausgabe Amsterdam 1665] Köln [u. a.]: Taschen, 2006 „Czernowitz bei Sadagora“: Identitäten und kulturelles Gedächtnis im mitteleuropäischen Raum, hrsg. von Andrei Corbea-Hoi¸sie und Alexander Rubel, Ia¸si: Ed. Univ. „Al. I. Cuza“/Konstanz: Hartung-Gorre, 2006 (Jassyer Beiträge zur Germanistik 10) Europäisches Geschichtsbild als Instrument zur Identitätsstiftung: Anspruch und Wirklichkeit einer Idee, hrsg. von Martin Teplý, Hamburg: Kovac, 2006 (Schriftenreihe Studien zur Zeitgeschichte 53) Michael Gehler, Vom Marshall-Plan bis zur EU: Österreich und die europäische Integration von 1945 bis zur Gegenwart, Innsbruck [u. a.]: Studien, 2006 Mitteleuropäische Grenzräume, hrsg. von Hendrik Thoß, Berlin: Duncker & Humblot, 2006 (Chemnitzer Europastudien 3) Osteuropa: Gianmaria Ajani, Law and economic reform in Eastern Europe: the transition from plan to market during the formative years of 1989–1994. International encyclopedia of comparative law, hrsg. von René David [u. a.], Bd. 17: State and economy, hrsg. von Richard M. Buxbaum, Teil 3, Tübingen: Mohr [u. a.], 2006 Beata Blehova, Der Fall des Kommunismus in der Tschechoslowakei, Wien: Lit, 2006 (Europa Orientalis 2) Cooperatives in ethnic conflicts: Eastern Europe in the 19th and early 20th century, hrsg. von Torsten Lorenz, Berlin: Wissenschafts-Verl., 2006 (Frankfurter Studien zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Ostmitteleuropas 15) Definitionsmacht, Utopie, Vergeltung: „ethnische Säuberungen“ im östlichen Europa des 20. Jahrhunderts, hrsg. von Ulf Brunnbauer, Berlin/Münster: Lit, 2006 (Geschichte: Forschung und Wissenschaft 9)
Morawiec, Europa-Schrifttum 2006
245
Die Deutschen und das östliche Europa: Aspekte einer vielfältigen Beziehungsgeschichte, hrsg. von Dietmar Neutatz und Volker Zimmermann, Essen: Klartext, 2006 Sabine Dumschat, Ausländische Mediziner im Moskauer Russland, Stuttgart: Steiner, 2006 (Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa 67) Helfer der Armen – Hüter der Öffentlichkeit: die Wohlfahrtsgeschichte Osteuropas 1900–1960, hrsg. von Sabine Hering [u a.], Leverkusen: Budrich, 2006 Musikinstrumentenbau im interkulturellen Diskurs, hrsg. von Erik Fischer, Stuttgart: Steiner, 2006 (Berichte des interkulturellen Forschungsprojekts „Deutsche Musikkultur im östlichen Europa“ 1) Nationalisierung der Religion und Sakralisierung der Nation im östlichen Europa, hrsg. von Martin Schulze Wessel, Stuttgart: Steiner 2006 (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 27) Rolf Peter, Russland im neuen Europa: nationale Identität und außenpolitische Präferenzen (1992–2004), Hamburg: Lit, 2006 (Studien zu Konflikt und Kooperation im Osten 15) Religion und Magie in Ostmitteleuropa: Spielräume theologischer Normierungsprozesse in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, hrsg. von Thomas Wünsch, Berlin/Münster: Lit, 2006 (Religions- und Kulturgeschichte in Ostmittel- und Südosteuropa 8) Schwerpunkt: Die baltischen Staaten: Aufbruch an der Ostsee, hrsg. von Renovabis, Solidaritätsaktion der Deutschen Katholiken mit den Menschen in Mittel- und Osteuropa und Zentralkomitee der Deutschen Katholiken, Ostfildern: Matthias-Grünewald-Verl., 2006 (Ost-West, europäische Perspektiven 7 [1]) Schwerpunkt: Die Slowakei: Land im Aufbruch, hrsg. von Renovabis, Solidaritätsaktion der Deutschen Katholiken mit den Menschen in Mittel- und Osteuropa und Zentralkomitee der Deutschen Katholiken, Ostfildern: Matthias-Grünewald-Verl., 2006 (Ost-West, europäische Perspektiven 7 [4]) Städte im östlichen Europa: zur Problematik von Modernisierung und Raum vom Spätmittelalter bis zum 20. Jahrhundert, hrsg. von Carsten Goehrke und Bianka PietrowEnnker, Zürich: Chronos, 2006 Milada Anna Vachudova, Europe undivided: democracy, leverage and integration after Communism, Repr. Ausgabe Oxford [u. a.]: Oxford Univ. Press, 2006 Überall ist der Ball rund: Geschichte und Gegenwart des Fußballs in Ost- und Südosteuropa, hrsg. von Dittmar Dahlmann, Essen: Klartext, 2006 Wohnen in der Großstadt: 1900–1939; Wohnsituation und Modernisierung im europäischen Vergleich, hrsg. von Alena Janatková und Hanna Kozińska-Witt, Stuttgart: Steiner, 2006 (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 26) „Zerstörer des Schweigens“: Formen künstlerischer Erinnerung an die nationalsozialistische Rassen- und Vernichtungspolitik in Osteuropa, hrsg. von Frank Grüner. Unter Mitarbeit von Felicitas Fischer van Weikersthal, Köln [u. a.]: Böhlau, 2006 1956: european and global perspectives, hrsg. von Carole Fink, Leipzig: Leipziger Univ.-Verl., 2006 (Global history and international studies 1) Skandinavien: „Kollaboration“ in Nordosteuropa: Erscheinungsformen und Deutungen im 20. Jahrhundert, hrsg. von Joachim Tauber, Wiesbaden: Harrassowitz, 2006 (Veröffentlichungen des Nordost-Instituts 1)
246
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Steve Murdoch, Network North: Scottish kin, commercial and covert associations in Northern Europe, 1603–1746, Leiden [u. a.]: Brill, 2006 (The Northern world 18) Élisabeth Mornet (Hrsg.), Sociétés nordiques en politique XIIe-XVe siècles, SaintDenis: PUV, 2006 (Médiévales 50) Skandinavier unterwegs in Europa (1000–1250): Untersuchungen zu Mobilität und Kulturtransfer auf prosopographischer Grundlage, hrsg. von Dominik Waßenhoven, Berlin: Akademie-Verl., 2006 (Europa im Mittelalter 8) Tod und Trauer: Todeswahrnehmung und Trauerriten in Nordeuropa, hrsg. von Torsten Fischer und Thomas Riis, Kiel: Ludwig, 2006 Tributes in honor of James H. Marrow: studies in painting and manuscript illumination of the Late Middle Ages and Northern Renaissance, hrsg. von Jeffrey F. Hamburger und Anne S. Korteweg, London [u. a.]: Miller, 2006 Südeuropa: Thomas Gees, Die Schweiz im Europäisierungsprozess: wirtschafts- und gesellschaftspolitische Konzeptionen am Beispiel der Arbeitsmigrations-, Agrar- und Wissenschaftspolitik, 1947–1974, Zürich: Chronos, 2006 (Schweizer Beiträge zur internationalen Geschichte 9) Hans Christian Lindau, España y Europa: Spaniens Selbstverständnis zwischen den Kulturen im Spiegel der Geschichte, Stuttgart: Schmetterling, 2006 Südosteuropa: Der Einfluss von Faschismus und Nationalsozialismus auf Minderheiten in Ostmittelund Südosteuropa, hrsg. von Mariana Hausleitner, München: IKGS-Verl., 2006 (Veröffentlichungen des Instituts für Deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München: Wissenschaftliche Reihe 107) Wolfgang Geier, Südosteuropa-Wahrnehmungen: Reiseberichte, Studien und biographische Skizzen vom 16. bis zum 20. Jahrhundert, Wiesbaden: Harrassowitz, 2006 (Studien der Forschungsstelle Ostmitteleuropa an der Universität Dortmund 39) Mitteleuropäische Avantgarden: Intermedialität und Interregionalität im 20. Jahrhundert, hrsg. von Pál Deréky, Frankfurt a. M. [u. a.]: Lang, 2006 (Budapester Studien zur Literaturwissenschaft 9) Andrei Pippidi, Byzantins, Ottomans, Roumains: le sud-est européen entre l’héritage impérial et les influences occidentals, Paris: Champion, 2006 (Bibliothèque d’histoire moderne et contemporaine 19) Sofioter Perspektiven auf Deutschland und Europa: Studien zu Wirtschaft, Politik, Geschichte, Medien und Kultur, hrsg. von Jürgen Plöhn, Münster: Lit, 2006 (Politikwissenschaft 133) Der Völkermord an den Armeniern, die Türkei und Europa/The Armenian Genocide, Turkey and Europe, hrsg. von Hans-Lukas Kieser und Elmar Plozza, Zürich: Chronos, 2006 Westeuropa: Joan Blaeu, Atlas Maior of 1665: Hispania, Portugallia, Africa & America. Nach dem Original aus der Österreichischen Nationalbibliothek Wien. Einführung und Texte von
Morawiec, Europa-Schrifttum 2006
247
Peter van der Krogt, [Nachdruck der Ausgabe Amsterdam 1665] Köln [u. a.]: Taschen, 2006 Martin Elff, Politische Ideologien, soziale Konflikte und Wahlverhalten: die Bedeutung politischer Angebote der Parteien für den Zusammenhang zwischen sozialen Merkmalen und Parteipräferenzen in zehn westeuropäischen Demokratien, Baden-Baden: Nomos, 2006 (Studien zur Wahl- und Einstellungsforschung 3) Grabkunst und Sepulkralkultur in Spanien und Portugal/Arte funerario y cultura sepulcral en España y Portugal, hrsg. von Barbara Borngässer, Frankfurt a. M.: Vervuert/ Madrid: Iberoamericana, 2006 (Ars Iberica et Americana 11) Markus C. Kerber, Europa ohne Frankreich? Deutsche Anmerkungen zur französischen Frage, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2006 Markus Stanat, Die französische Nationalversammlung und die Europäische Union: zwischen parlamentarischer Tradition und europäischer Integration, Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, 2006 (Forschungen zur europäischen Integration 13)
Autorenverzeichnis Professor Dr. Mirosława CZARNECKA, Uniwersytet Wrocławski, Instytut Filologii Germańskiej, pl. Nankiera 15, 50-140 Wrocław, Polen Dagmar HILPERT, M.A., Freie Universität Berlin, Fachbereich Geschichtsund Kulturwissenschaften, Koserstraße 20, 14195 Berlin Professor Dr. Werner BERGMANN, Technische Universität Berlin, Zentrum für Antisemitismusforschung, Ernst-Reuter-Platz 7, 10587 Berlin Dr. Atsuko KAWAKITA, Zentrum für Deutschland- und Europastudien der Universität Tokyo, Komaba (DESK), Meguro-ku, Komaba 3-8-1, 153-8902 Tokyo, Japan Dr. Silke MARBURG, Institut für Europäische Geschichte Mainz, Alte Universitätsstr. 19, 55116 Mainz Dr. Małgorzata MORAWIEC, Institut für Europäische Geschichte Mainz, Alte Universitätsstr. 19, 55116 Mainz Professor Dr. Thomas NICKLAS, Universität Erlangen-Nürnberg, Institut für Geschichte, Kochstr. 4, 91054 Erlangen Dr. Jan Paul NIEDERKORN, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Historische Kommission, Prinz-Eugen-Strasse 8–10, 1040 Wien, Österreich Dr. Andreas ÖNNERFORS, Lund University, Department of Cultural Studies, Biskopsgatan 7, 223 62 Lund, Schweden Dr. Martin PETERS, Institut für Europäische Geschichte Mainz, Alte Universitätsstr. 19, 55116 Mainz Professor Dr. Andreas RÖDDER, Johannes Historisches Seminar, Saarstr. 21, 55099 Mainz
Gutenberg-Universität,
Professor Dr. Christine ROLL, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen, Historisches Institut, Kopernikusstr. 16, 52056 Aachen Professor Dr. Matthias SCHNETTGER, Johannes Gutenberg-Universität, Historisches Seminar, Saarstr. 21, 55099 Mainz
250
Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007)
Dr. Uwe TRESP, Geisteswissenschaftliches Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas e. V., Luppenstr. 1 B, 04177 Leipzig PD Dr. Ulrich WYRWA, Technische Universität Berlin, Zentrum für Antisemitismusforschung, Ernst-Reuter-Platz 7, 10587 Berlin