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German Pages [769] Year 2022
JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 258
Jan Peter Schmidt
Itinera hereditatis Strukturen der Nachlassabwicklung in historischvergleichender Perspektive
Mohr Siebeck
Jan Peter Schmidt, geboren 1976; Studium der Rechtswissenschaft in Konstanz und Madrid; Referendariat am Kammergericht mit Station u.a. an der Deutschen Botschaft in Costa Rica; seit 2004 Wissenschaftlicher Referent, 2004–11 Leiter des Lateinamerikareferats am MaxPlanck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg; 2009 Promotion (Regensburg); 2012–13 „Max-Planck-Fellow“ an der Universität Oxford; 2020 Habilitation (Regensburg); seit 2020 Leiter des Kompetenzzentrums für die Anwendung ausländischen Rechts am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg. orcid.org/0000-0002-7727-7775
ISBN 978-3-16-160979-4 / eISBN 978-3-16-160980-0 DOI 10.1628/978-3-16-160980-0 ISSN 0940-9610 / eISSN 2568-8472 (Jus Privatum) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen aus der Garamond gesetzt, auf alterungs beständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.
Was du ererbt von deinen Vätern hast, Erwirb es, um es zu besitzen. (Goethe, Faust I, Verse 682–683)
Vorwort Das vorliegende Buch ist die geringfügig überarbeitete Fassung meiner Habilitationsschrift, die im Sommersemester 2020 von der Universität Regensburg angenommen wurde. Literatur ist bis zum Frühjahr 2021 berücksichtigt worden. Der Entstehungsprozess der Arbeit war ähnlich gewunden wie es die titelgebenden „Wege des Nachlasses“ mitunter sind. Nahm die Untersuchung in Anknüpfung an frühere Studien ihren Ausgangspunkt zunächst beim „Erwerb der Erbschaft“, wurde bald deutlich, dass sich das Geschehen zwischen Eröffnung und Abschluss des Erbfalls hierdurch immer nur in Ausschnitten erfassen lässt, die im Rechtsvergleich zudem oftmals gar nicht kongruent sind. Die Methode zur Überwindung dieses Problems reifte gleichwohl nur langsam heran. Sie verlangte, sich von der Systematik des BGB konsequent zu lösen und statt des Erben den Nachlass in den Fokus zu rücken. Erst hierdurch wurde es möglich, die Themen Erbschaftserwerb und Erbenhaftung als Teilelemente eines im BGB nicht explizit gemachten Gesamtgefüges – der Nachlassabwicklung – zu begreifen und dessen Strukturen zum Referenzpunkt eines fruchtbaren Vergleichs zu machen. Gegenüber dem ursprünglichen Ansatz bedeutete diese Herangehensweise nicht nur eine Verschiebung des Schwerpunkts, sondern auch eine erhebliche Ausweitung des Untersuchungsgegenstandes. Hätte ich mir auch gewünscht, deutlich schneller und gradliniger zum Ziel zu gelangen, schätze ich mich dennoch glücklich, für meine „Entdeckungsreise“ die nötige Zeit und Freiheit erhalten zu haben. Großen Dank hierfür, aber noch für vieles mehr, schulde ich meinem akademischen Lehrer Professor Dr. Dr. h. c. mult. Reinhard Zimmermann. Er hat meine Begeisterung für die historisch-vergleichende Untersuchung des Erbrechts überhaupt erst geweckt, mir in großen wie in kleinen Fragen jederzeit mit klugem und freundschaftlichem Rat zur Seite gestanden und mir ein ebenso angenehmes wie anregendes Arbeitsumfeld geboten. Insbesondere die Diskussionen in der „Aktuellen Stunde“ halfen mir immer wieder, meine Ideen zu klären und zu schärfen, und auch die von Reinhard Zimmermann, Kenneth Reid und dem leider viel zu früh verstorbenen Marius de Waal gegründete „Comparative Succession Law Group“ war für mich ein überaus wertvolles Forum des Gedankenaustauschs. Herzlich danken möchte ich sodann auch Professor Dr. Anatol Dutta. Er hat nicht nur sehr zügig das Zweitgutachten erstellt, sondern das Thema auch ursprünglich mit angeregt und mich über Jahre hinweg immer wieder ermutigt und auch in anderer Hinsicht gefördert.
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Vorwort
Professor Dr. Carsten Herresthal und Professor Dr. Martin Löhnig danke ich dafür, dass sie meine Arbeit im Fachmentorat begleitet und dabei ebenso genau wie unkompliziert auf die Einhaltung des vorgeschriebenen Verfahrens geachtet haben. Herrn Herresthal und seinem Lehrstuhl-Team danke ich überdies für die stets sehr freundliche Aufnahme und Unterstützung während meiner Lehraufenthalte in Regensburg. Den übrigen Mitgliedern der Regensburger Fakultät bin ich sehr verbunden für die Offenheit und das Wohlwollen, das sie mir als „Externem“ entgegenbrachten. Die weiteren Personen, die zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben, sind zu zahlreich, um ihnen hier einzeln zu danken. Alexandra Braun, Walter Doralt, Eike Hosemann, Jens Kleinschmidt und Johannes Liebrecht seien stellvertretend genannt für die vielen tollen Menschen, die ich vor allem am „Lehrstuhl Zimmermann“, aber auch jenseits davon kennengelernt habe und deren Freundschaft, Kollegialität und fachliche Kompetenz mich ungemein bereichert haben. Das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht war für mich nicht nur jahrelang ein großartiger Begegnungs- und Arbeitsort, es hat auch die Publikation dieses Buches finanziell und personell unterstützt. Herzlich danken hierfür möchte ich den Direktoren, den Kolleginnen und Kollegen aus Bibliothek und Verwaltung, ebenso Dr. Christian Eckl und Janina Jentz. Wertvolle Hilfe beim Korrekturlesen erhielt ich insbesondere von Felix Bassier, Leandra Kottke, Frauke Schünemann-Killian und Luca Wimmer. Meine Familie hat an meinem Habilitationsvorhaben größeren Anteil genommen als ihr bisweilen lieb war. Meine 2015 und 2016 geborenen Kinder Ava und Levin mussten früh lernen, dass ihr Vater noch irgendeine wichtige Arbeit fertigschreiben muss, die ihn oft später als gewünscht nach Hause kommen ließ und seine Gedanken auch dort noch in Beschlag nahm. Noch mehr Geduld und Gleichmut musste meine Frau Nele aufbringen, trotzdem konnte ich mir ihres liebevollen Rückhalts immer gewiss sein. Allen drei ist diese Arbeit gewidmet. Hamburg, im Februar 2022
Jan Peter Schmidt
Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXV
§ 1 Einführung: Gegenstand, Ziele und Methoden der Arbeit . . . . . . 1 A. Ausgangspunkt und Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 B. Nachlassabwicklung als die Vollzugsdimension des Erbrechts . . . 5 C. Die Missstände der deutschen Nachlassabwicklung . . . . . . . . . 15 D. Die Nachlassabwicklung als Wimmelplatz der Erbrechtsvergleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 E. Die Defizite der herkömmlichen Erbrechtsvergleichung . . . . . . 26 F. Der Begriff der Nachlassabwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 G. Die Taxonomie der Nachlassabwicklung . . . . . . . . . . . . . . . 85 H. Die gewählte Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 I. Schwerpunktsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 J. Das weitere Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
1. Teil: Historische Ursprünge § 2 Nachlassabwicklung als Regelungsproblem . . . . . . . . . . . . . . 119 A. Die Ursprünge des Erbrechts und seine anfänglichen Regelungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 B. Der Schutz der Erblassergläubiger als erste Herausforderung für die Vollzugsdimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 C. Die Zulassung der Testierfreiheit als zweite Herausforderung für die Vollzugsdimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 D. Fazit: Die Notwendigkeit einer Abwicklungsinstanz . . . . . . . . 160 E. Umsetzungs- und Folgefragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
§ 3 Die Schaffung einer Abwicklungsinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . 165 A. Römisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 B. Englisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 C. Römisches und englisches Recht im Vergleich . . . . . . . . . . . . 197
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Inhaltsübersicht
§ 4 Die Ausdifferenzierung der Nachlassabwicklung . . . . . . . . . . . 243 A. Römisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 B. Englisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 C. Römisches und englisches Recht im Vergleich . . . . . . . . . . . . 299
2. Teil: Moderne Entwicklungen § 5 Strukturelle Kontinuitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 A. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 B. Das BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 C. Der Code civil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365
§ 6 Die Vervollkommnung der gesonderten Abwicklung . . . . . . . . . 367 A. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 B. Das englische Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 C. Das französische Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 D. Das preußische Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 E. Das deutsche Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 F. Rechtsvergleichendes Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562
§ 7 Die Neubewertung der integrierten Abwicklung . . . . . . . . . . . 571 A. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 571 B. Die Stellung der integrierten Abwicklung im französischen Recht . 576 C. Die Stellung der integrierten Abwicklung im deutschen Recht . . . 610 D. Rechtsvergleichendes Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 632
§ 8 Die Konzentration der Nachlassabwicklung . . . . . . . . . . . . . . 637 A. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 637 B. Die Zentralisierung der Nachlassabwicklung durch Überwindung der Bruchteilsgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 650
§ 9 Bilanz und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 685 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 695 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 729
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXV
§ 1 Einführung: Gegenstand, Ziele und Methoden der Arbeit . . . . . . 1 A. Ausgangspunkt und Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 B. Nachlassabwicklung als die Vollzugsdimension des Erbrechts . . . . . 5 I. Zuweisungs- und Vollzugsdimension . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 II. Die Konturen der Zuweisungsdimension . . . . . . . . . . . . . . 6 1. Wirtschaftliche Nachfolger im engeren Sinn . . . . . . . . . . . 6 2. Wirtschaftliche Nachfolger im weiteren Sinn . . . . . . . . . . 8 III. Die Konturen der Vollzugsdimension . . . . . . . . . . . . . . . . 9 IV. Das Zusammenspiel von Zuweisungs- und Vollzugsdimension . . 12 V. Der rechtspolitische Gehalt von Zuweisungs- und Vollzugsdimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 C. Die Missstände der deutschen Nachlassabwicklung . . . . . . . . . . . 15 D. Die Nachlassabwicklung als Wimmelplatz der Erbrechtsvergleichung . 19 E. Die Defizite der herkömmlichen Erbrechtsvergleichung . . . . . . . . . 26 I. Defizite auf der deskriptiven Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 1. Unzutreffende Darstellung des englischen Rechts . . . . . . . . 26 a) Die vermeintliche Unzulässigkeit der Eigenabwicklung . . 27 b) Das vermeintliche Erfordernis der gerichtlichen Einweisung 32 2. Mangelnde Differenziertheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 a) Die Rolle staatlicher Stellen bei der Nachlassabwicklung . . 34 (1) Staatsferne vs. staatsnahe Nachlassabwicklung . . . . . 34 (2) Der staatsferne Charakter der heutigen englischen Nachlassabwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 (3) Der staatsnahe Charakter der Nachlassabwicklung in den USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 (4) Die Rolle staatlicher Organe im österreichischen Recht . 41 (5) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 b) Der Modus des Nachlasserwerbs . . . . . . . . . . . . . . . 44 II. Methodische Defizite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
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Inhaltsverzeichnis
1. Formalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 2. Unvollständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 3. Inkohärenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 a) Der doppelte Begriff des „Nachlasses“ . . . . . . . . . . . . 51 b) Der doppelte Begriff des „Erben“ . . . . . . . . . . . . . . . 53 4. Asymmetrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 5. „Sprachlosigkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 a) Der sektorielle Ansatz der kontinentalen Erbrechtsregime . 56 b) Die Überdehnung des Begriffs des „Übergangs“ . . . . . . . 58 6. Verzerrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 a) Die Verkennung der Abwicklerrolle des kontinentalen Erben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 b) Die Verkennung des Unterschieds zwischen Einheitsund Optionsmodell der Abwicklung . . . . . . . . . . . . . 62 III. Lehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 F. Der Begriff der Nachlassabwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 I. Nachlassabwicklung als Reintegration des Erblasservermögens . . 64 II. Terminologische Vorbilder und Alternativen . . . . . . . . . . . . 68 1. Das deutsche Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 a) Der Begriff der „Nachlassabwicklung“ . . . . . . . . . . . . 68 b) Terminologische Äquivalente . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 (1) „Rechtliche Stellung des Erben“ . . . . . . . . . . . . . . 70 (2) „Nachlassverwaltung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 2. Das Erbkollisionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 a) Die Europäische Erbrechtsverordnung . . . . . . . . . . . . 71 b) Das erbkollisionsrechtliche Schrifttum . . . . . . . . . . . . 73 (1) „Nachlassabwicklung“ und „administration of estates“ . 73 (2) Ferids Begriff des „Erbgangs“ . . . . . . . . . . . . . . . 76 3. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 4. Die Bevorzugung der „Nachlassabwicklung“ gegenüber terminologischen Alternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 III. Mögliche Einwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 1. Die verfehlte Gegeneinandersetzung von „Abwicklung“ und „Fortsetzung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 2. Die verfehlte Gegeneinandersetzung von „organisierter“ und „unorganisierter“ Abwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 IV. Erbrecht als „Nachlassrecht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 G. Die Taxonomie der Nachlassabwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 I. Das Spektrum der Formalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 II. Binnendifferenzierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 1. Eigenabwicklung vs. Fremdabwicklung . . . . . . . . . . . . . 86 a) Die maßgebliche Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
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b) Die „Fremdverwaltung“ im deutschen Schrifttum . . . . . . 87 c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 2. Integrierte vs. gesonderte Abwicklung . . . . . . . . . . . . . . 89 a) Die grundsätzliche Unterscheidung . . . . . . . . . . . . . . 89 b) Die verschiedenen Intensitätsgrade der gesonderten Abwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 3. Kombinationsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 H. Die gewählte Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 I. Funktionaler statt begrifflicher Vergleich . . . . . . . . . . . . . . 92 II. Die Notwendigkeit begrifflicher Klärungen . . . . . . . . . . . . 94 III. Die rechtshistorische Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 IV. Die rechtsvergleichende Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 I. Schwerpunktsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 I. Struktur und Ingangsetzung der Nachlassabwicklung . . . . . . . 98 II. Die Probleme der Ingangsetzung der Nachlassabwicklung . . . . 99 1. Substanzielle Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 a) Ex-ante- vs. Ex-post-Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 b) Gewährung und Ausgestaltung der Erwerbsoption . . . . . 101 2. Rechtskonstruktive Fragen: Das Schreckgespenst des „ruhenden Nachlasses“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 a) Die konstruktive Bewältigung des Schwebezustands . . . . 106 b) Die Verwaltung des ruhenden Nachlasses . . . . . . . . . . 112 III. Alternative Mechanismen des Vermögenstransfers von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 J. Das weitere Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
1. Teil: Historische Ursprünge § 2 Nachlassabwicklung als Regelungsproblem . . . . . . . . . . . . . . . 119 A. Die Ursprünge des Erbrechts und seine anfänglichen Regelungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 I. Vom Nebeneinander zum Nacheinander . . . . . . . . . . . . . . . 119 II. Charakteristika des frühen Erbrechts . . . . . . . . . . . . . . . . 124 III. Regelungsaufgaben des frühen Erbrechts . . . . . . . . . . . . . . 125 IV. Elemente des frühen Erbrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 B. Der Schutz der Erblassergläubiger als erste Herausforderung für die Vollzugsdimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 I. Die Stabilisierungsfunktion des Erbrechts . . . . . . . . . . . . . . 128 II. Die Vererblichkeit von Verbindlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . 129
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1. Die anfängliche Unvererblichkeit von Obligationen . . . . . . 130 2. Die Kautelarpraxis als Treiber der Rechtsentwicklung . . . . . 131 3. Die Vererblichkeit von Obligationen als universale Gebote der Wirtschaftlichkeit und der Moral . . . . . . . . . . . . . . . 132 4. Von der Ausnahme zum allgemeinen Grundsatz . . . . . . . . 133 III. Folgen für die Nachlassabwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 1. Die Notwendigkeit zur Bestimmung eines Erfüllungszuständigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 2. Das Erfordernis der Bündelung von Aktiva und Passiva oder: „Wer das Erbe nimmt, der soll die Schuld gelten“ . . . . . . . . 136 3. Die Zielkonflikte bei einer Mehrzahl von Begünstigten . . . . 137 a) Mehrheit von Rechtsnachfolgern . . . . . . . . . . . . . . . . 137 b) Begünstigte ohne Schuldenverantwortlichkeit oder: „Der Gläubiger ist der erste Erbe“ . . . . . . . . . . . . . . . 139 4. Das Erfordernis der Abschirmung des Nachlasses . . . . . . . 141 5. Gläubiger mit vergleichbaren Interessen . . . . . . . . . . . . . 142 6. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 C. Die Zulassung der Testierfreiheit als zweite Herausforderung für die Vollzugsdimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 I. Die Herausbildung der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . 143 1. Die Anerkennung der Verfügungsbefugnis . . . . . . . . . . . 144 a) Die römische Tradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 b) Die germanische Tradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 2. Die Instrumente letztwilliger Verfügung . . . . . . . . . . . . . 149 a) Verfügungen unter Lebenden auf den Todesfall . . . . . . . 149 b) Die Einschaltung und Überwindung des Mittelsmanns im römischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 c) Die Einschaltung und Beibehaltung des Mittelsmanns im mittelalterlichen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 II. Die durch die Anerkennung der Testierfreiheit hervorgerufenen Regelungsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 1. Das Bündelungs- und Zerstreuungspotential letztwilliger Anordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 2. Die Notwendigkeit der Bestimmung eines Erfüllungszuständigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 3. Unterschiede zur Lage der Erblassergläubiger . . . . . . . . . . 157 4. Praktischer Bedarf für die Zuständigkeitskonzentration . . . . 158 5. Gesetzlich angeordnete Zuwendungen und Rangfragen . . . . 159 D. Fazit: Die Notwendigkeit einer Abwicklungsinstanz . . . . . . . . . . 160 E. Umsetzungs- und Folgefragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
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§ 3 Die Schaffung einer Abwicklungsinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . 165 A. Römisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 I. Die Bündelung von Vorteilen und Lasten . . . . . . . . . . . . . . 165 1. Erblasserschulden und Kultverantwortung . . . . . . . . . . . 165 2. Die Erfüllung der Legate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 3. Die Zuständigkeit für andere erbfallbedingte Lasten . . . . . . 168 II. Ausnahme von der Gesamtnachfolge des heres . . . . . . . . . . . 169 III. Der Funktionswandel des heres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 IV. Dezentrale Abwicklung bei Erbenmehrheit . . . . . . . . . . . . . 174 V. Die Veranschaulichung der Erbenstellung . . . . . . . . . . . . . . 176 B. Englisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 I. Die rechtlichen Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . 179 II. Das Bedürfnis nach Schaffung eines „representative“ . . . . . . . 183 III. Die anfängliche Zuständigkeit des heir . . . . . . . . . . . . . . . 184 IV. Der Aufstieg des executor zum personal representative . . . . . . 185 1. Einleitung und schottischer Exkurs . . . . . . . . . . . . . . . . 185 2. Der Vorzug der freien Bestimmbarkeit . . . . . . . . . . . . . . 186 3. Das Interesse der Kirche an einem starken executor . . . . . . . 187 4. Die Öffnung des weltlichen Forums für den executor . . . . . 188 5. Die Gleichsetzung des executor mit dem römischen heres . . . 189 6. Der lange Weg zur Einbeziehung der realty in die Haftungsmasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 7. Mehrzahl von executors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 V. Die Nachbildung der Stellung des administrator . . . . . . . . . . 195 C. Römisches und englisches Recht im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . 197 I. Die funktionale Äquivalenz von heres und personal representative 197 II. Weitere Gemeinsamkeiten von heres und personal representative . 203 1. Die freie Bestimmbarkeit des Abwicklers . . . . . . . . . . . . 203 2. Koppelung und Entkoppelung von Abwickler- und Begünstigtenrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 3. Heres und personal representative als Rechtsnachfolger . . . . 207 a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 b) Der personal representative als Inhaber der Nachlassaktiva 208 c) Der personal representative als Schuldner der Erblasserverbindlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 4. Heres und personal representative als Gesamtnachfolger? . . . 212 a) Widerstreitende Begriffsverständnisse . . . . . . . . . . . . 212 b) Allgemein-zivilrechtliches Verständnis der Universalsukzession . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 (1) Universalsukzession vs. Singularsukzession . . . . . . . 214 (2) Totaler oder partieller Vermögensübergang? . . . . . . . 216
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c) Spezifisch erbrechtliches Verständnis der Universalsukzession . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 (1) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 (2) Grundsatz der Vererblichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 219 (3) Einheit des Erblasservermögens . . . . . . . . . . . . . . 220 (4) Grundsatz der Vermögensverschmelzung . . . . . . . . 221 d) Erbrechtsvergleichendes Verständnis . . . . . . . . . . . . . 221 e) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 f) Die Probleme des spezifisch erbrechtlichen Verständnisses der Universalsukzession . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 (1) Nationaler und vergleichender Kontext . . . . . . . . . . 223 (2) Die Folgen der begrifflichen Überfrachtung . . . . . . . 224 (3) Überdehnung und Reduktion . . . . . . . . . . . . . . . 226 g) Die Probleme des allgemein-zivilrechtlichen Verständnisses der Universalsukzession . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 h) Universalsukzession als Grundsatz des geschlossenen Nachlassübergangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 i) Universalsukzession und Generalsukzession . . . . . . . . . 231 (1) Die Möglichkeit der Unterscheidung . . . . . . . . . . . 231 (2) Erblasserische Einzelzuwendungen als Ausnahmen von der Generalsukzession? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 j) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 III. Unterschiede zwischen heres und personal representative . . . . . 238 1. Implizite vs. explizite Abwicklerstellung . . . . . . . . . . . . . 238 2. Ernennung bei Fehlen letztwilliger Bestimmung . . . . . . . . 239 3. Dezentrale vs. zentrale Nachlassabwicklung . . . . . . . . . . . 240
§ 4 Die Ausdifferenzierung der Nachlassabwicklung . . . . . . . . . . . 243 A. Römisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 II. Die confusio bonorum als historischer Ausgangspunkt . . . . . . 243 1. Die Rechtsfolgen der successio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 2. Der Grund für die unbeschränkte Haftung des heres . . . . . . 247 III. Vermeidung des Nachlasserwerbs und Folgefragen . . . . . . . . 251 1. Die Überwindung des Zwangserbrechts der Hauserben . . . . 251 2. Die Unwiderruflichkeit des Erbschaftserwerbs . . . . . . . . . 252 3. Gewährung und Begrenzung einer Überlegungsfrist . . . . . . 253 4. Keine gesonderte Befreiung von der Abwicklerrolle . . . . . . 254 5. Der Nachlassverkauf als Auffangregelung . . . . . . . . . . . . 255 IV. Das Absonderungsrecht des eingesetzten Sklaven . . . . . . . . . 256 V. Das Absonderungsrecht der Erblassergläubiger . . . . . . . . . . 257 1. Sicherheitsleistung und Nachlassverkauf . . . . . . . . . . . . . 257
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2. Die Reichweite der Absonderung . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 3. Kein Absonderungsrecht der Erbengläubiger . . . . . . . . . . 259 4. Die Auswirkungen auf dingliche Vermächtnisse . . . . . . . . 260 VI. Der Schutz der Legatare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 VII. Die Einführung einer generellen Möglichkeit der Haftungsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 2. Der Grund für das lange Festhalten an der unbeschränkten Haftung des heres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 3. Die mangelnde Praktikabilität des herkömmlichen Modells . . 264 4. Die Regelungsprobleme im Überblick . . . . . . . . . . . . . . 265 5. „Papierene Separation“ durch Inventarisierung des Nachlasses 266 6. Maßnahmen zur Missbrauchsbekämpfung . . . . . . . . . . . . 267 7. Die Frist zur Ausübung der Haftungsoption . . . . . . . . . . 268 8. Haftungsoption und Erwerbsoption . . . . . . . . . . . . . . . 269 9. Die haftungsrechtliche Wirkung der Inventarerrichtung . . . . 270 a) Die Auffassungen im Wandel der Zeiten . . . . . . . . . . . 270 b) Argumente pro und contra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 10. Einfachheit vor Verteilungsgerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . 277 11. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 VIII. Gesamtfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 B. Englisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 I. Die Nachlassabwicklung durch den heir . . . . . . . . . . . . . . . 284 II. Die Nachlassabwicklung durch den personal representative . . . . 285 1. Der estate als Sondervermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 2. Das Pflichtenprogramm des personal representative . . . . . . 286 a) Der Zwang zur Inventarerrichtung . . . . . . . . . . . . . . 287 b) Die vorgegebene Befriedigungsreihenfolge . . . . . . . . . . 288 c) Die Haftung für Fehlverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 d) Die kirchliche Aufsicht über die Nachlassabwicklung . . . 290 e) Die Ratio der strengen Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . 291 f) Härtefälle und Missbräuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 g) Das Bedürfnis für ein Gläubigeraufgebot . . . . . . . . . . . 297 III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 C. Römisches und englisches Recht im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . 299 I. Multimodale vs. unimodale Abwicklung . . . . . . . . . . . . . . 299 II. Integrierte vs. gesonderte Abwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . 300 1. Terminologische Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 b) „Persönlichkeitsfortsetzung“ vs. „Vermögensnachfolge“? . . 302 (1) Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 (2) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303
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(3) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 2. Konzeptionelle Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 a) „Eigentümer-Abwickler“ vs. „Treuhänder-Abwickler“ . . . 308 b) Die sachliche Reichweite der Abwicklung . . . . . . . . . . 309 3. Stärken und Schwächen von integrierter und gesonderter Nachlassabwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 b) Die Perspektive des Abwicklers . . . . . . . . . . . . . . . . 311 c) Die Perspektive des abwicklungszuständigen Begünstigten 312 d) Die Perspektive der Erblassergläubiger . . . . . . . . . . . . 312 e) Die Perspektive der nicht abwicklungszuständigen Begünstigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 f) Die Perspektive des Rechtsverkehrs im Allgemeinen . . . . 314 g) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 III. Die Modi der gesonderten Abwicklung im Vergleich . . . . . . . 315 IV. Gemeinsame Interessenwertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316
2. Teil: Moderne Entwicklungen § 5 Strukturelle Kontinuitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 A. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 B. Das BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 II. Integrierte Nachlassabwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 III. Gesonderte Abwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 C. Der Code civil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 I. Das römische Erbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 II. Das gewohnheitsrechtliche Erbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 1. Gesetzliche und gewillkürte Rechtsnachfolger . . . . . . . . . 325 2. Das Institut der saisine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 a) Bedeutung und Funktion in der französischen Rechtsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 (1) Historische Ursprünge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 (2) Die saisine im Lehnsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 (3) Weitere Anwendungsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 b) Bedeutung und Funktion im Code civil . . . . . . . . . . . . 335 (1) Gleichsetzung von saisine und Eigentum? . . . . . . . . 335 (2) Saisine als Rechtsausübungsbefugnis . . . . . . . . . . . 337 (3) Gestattungs- und Abwehrfunktionen der saisine . . . . 338 (4) Die saisine des Universallegatars . . . . . . . . . . . . . . 342 (5) Das Einweisungserfordernis der successeurs irréguliers . 344
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c) Saisine und Legitimation im Rechtsverkehr . . . . . . . . . 345 d) Angriffe auf das Institut der saisine . . . . . . . . . . . . . . 346 (1) Schutz von Fiskalinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 (2) Das Institut der Testamentsvollstreckung . . . . . . . . . 347 (3) Die Einführung der postmortalen Vollmacht (mandat à effet posthume) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 e) Das Institut der saisine im Rechtsvergleich . . . . . . . . . . 352 (1) Die Gestattungsfunktion der saisine . . . . . . . . . . . . 352 (2) Die Abwehrfunktion der saisine . . . . . . . . . . . . . . 354 (3) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 f) Saisine und Nachlassabwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . 358 (1) Saisine und Schuldenverantwortlichkeit . . . . . . . . . 358 (2) Saisine und Einzelnachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . 360 (3) Saisine und Haftungsumfang . . . . . . . . . . . . . . . . 361 D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365
§ 6 Die Vervollkommnung der gesonderten Abwicklung . . . . . . . . . 367 A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 I. Das Festhalten an der gesonderten Nachlassabwicklung . . . . . . 367 II. Die Defizite der überlieferten historischen Modelle . . . . . . . . 369 III. Das weitere Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 B. Das englische Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 I. Deformalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 1. Der Weg zur gerichtsfernen Abwicklung . . . . . . . . . . . . . 372 2. Die Beseitigung der Pflicht zur Kautionsleistung . . . . . . . . 373 3. Früchte der Deformalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 4. Die gegenläufige Entwicklung in ehemaligen Kolonien und Schottland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 a) USA und Südafrika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 b) Schottland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 (1) Das Erfordernis von „confirmation“ und Inventarerrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 (2) Das fortbestehende Erfordernis der Sicherheitsleistung . 378 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 II. Die Vervollkommung des Nachlassinsolvenzverfahrens . . . . . . 380 1. Die Angleichung an das Verfahren bei lebzeitiger Insolvenz . . 380 2. Die Vervollständigung des Gebots der Gläubigergleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 C. Das französische Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 II. Gesonderte Abwicklung auf Initiative des Gesamtnachfolgers . . 386
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1. Die „acceptation sous bénéfice d’inventaire“ unter dem Code civil von 1804 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 a) Die gesetzliche Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 (1) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 (2) Mangelnder Gläubigerschutz . . . . . . . . . . . . . . . . 386 (3) Der Benefizialerbe zwischen Eigentümer- und Treuhänderstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 (4) Übertriebener Formalismus . . . . . . . . . . . . . . . . 391 (5) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 b) Die Fortbildung durch die Gerichte . . . . . . . . . . . . . . 392 c) Das praktische Schattendasein der „acceptation sous bénéfice d’inventaire“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 2. Die Annahme unter Haftungsbeschränkung nach der Reform von 2006 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 a) Terminologische Änderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 b) Inhaltliche Änderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 (1) Allgemeine Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 (2) Stärkung der Verfahrenseffizienz und der Befugnisse des héritier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 (3) Gläubigerschutz durch Transparenz . . . . . . . . . . . . 401 (4) Ausbau zu einem vereinfachten Insolvenzverfahren . . . 402 c) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 3. Sonderfall: Die Haftung für Vermächtnisse . . . . . . . . . . . 410 a) Die ursprüngliche Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 b) Die Reform von 2006: anfänglich beschränkte Haftung . . . 411 c) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 III. Gesonderte Abwicklung auf Initiative der Nachlassgläubiger . . . 413 1. Die Struktur der séparation des patrimoines . . . . . . . . . . . 413 a) Individuelle statt kollektiver Natur . . . . . . . . . . . . . . 414 b) Befriedigungsprivileg statt kollektiver Nachlassverwertung 415 c) Verfügungsschutz statt Fremdabwicklung . . . . . . . . . . 417 d) Einseitigkeit und Doppelseitigkeit des Vorzugsrechts . . . . 420 (1) Die Regelung von 1804 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 (2) Die Bilateralisierung der séparation des patrimoines durch den Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 e) Detailprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 (1) Fristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 (2) Das Verhältnis zwischen Separatisten und NichtSeparatisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 2. Das Verhältnis der séparation des patrimoines zu anderen Schutzinstrumenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 3. Der doppelte Schutz des Einzelvermächtnisnehmers . . . . . . 428 4. Grundlegende Kritik und Reformvorschläge . . . . . . . . . . 431
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IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 D. Das preußische Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 I. Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 II. Reformen und Reformversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 III. Parallelen zwischen preußischer und englischer Nachlassabwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 E. Das deutsche Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 II. Die gesonderte Nachlassabwicklung im Überblick . . . . . . . . . 445 1. „Amtliche“ und „private“ Abwicklung . . . . . . . . . . . . . . 445 a) Die zwei Modi der amtlichen Abwicklung . . . . . . . . . . 445 b) Die private Abwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 c) Zusammenschau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 2. Nachlasspflegschaft und Testamentsvollstreckung als weitere Modi der gesonderten Abwicklung? . . . . . . . . . . . . . . . 450 3. Die Rolle von Gläubigeraufgebot und Inventar . . . . . . . . . 453 4. Besonderheiten bei Erbenmehrheit . . . . . . . . . . . . . . . . 455 a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 b) Die Rechtslage vor der Teilung . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 c) Die Rechtslage nach der Teilung . . . . . . . . . . . . . . . . 457 III. Der historische Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 1. Die gesonderte Nachlassabwicklung im Entwurf Gottfried von Schmitts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 a) Integrierte Abwicklung als Ausgangspunkt . . . . . . . . . 459 b) Die Optionen des „Inventarerben“ . . . . . . . . . . . . . . 462 c) Die Absage an das gemeinrechtliche Prioritätsprinzip . . . . 463 d) Das Festhalten an der Eigenabwicklung . . . . . . . . . . . . 464 e) Die Entscheidung für die Haftung pro viribus hereditatis . 466 f) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467 2. Die gesonderte Nachlassabwicklung im Ersten Entwurf . . . . 468 3. Die gesonderte Nachlassabwicklung im Zweiten Entwurf . . . 472 a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 b) Die Beschränkung und Modifizierung der Abzugseinrede . 472 c) Die Einführung der Nachlassverwaltung . . . . . . . . . . . 475 d) Der Mythos vom Misstrauen gegen das Inventar . . . . . . 477 IV. Die Einzelheiten der BGB-Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 1. Die Schwierigkeit der Erfassung und Darstellung . . . . . . . . 480 a) Anfangs beschränkte oder unbeschränkte Haftung des Alleinerben? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 b) Die verfehlte Postulierung eines einheitlichen Prinzips . . . 482 c) Die verfehlte Fokussierung auf die Haftungsfrage . . . . . . 485 2. Die amtliche Abwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486
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V.
a) Gemeinsamkeiten von Nachlassverwaltung und Nachlassinsolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486 (1) Absonderung des Nachlasses . . . . . . . . . . . . . . . . 486 (2) Verselbständigung der Abwicklerrolle . . . . . . . . . . 487 (3) Auswahl des Abwicklers . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 (4) Beschränkung der Schuldinhalte . . . . . . . . . . . . . . 490 b) Unterschiede zwischen Nachlassverwaltung und Nachlassinsolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 c) Praktische Probleme der Koexistenz beider Verfahren und Forderungen nach ihrer Fusionierung . . . . . . . . . . 494 3. Die private Abwicklung des dürftigen oder überbeschwerten Nachlasses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 b) Der dürftige Nachlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497 (1) Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . 497 (2) Dürftigkeitseinrede, Unzulänglichkeitseinrede, Erschöpfungseinrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 498 (3) Die Umsetzung der Haftungsbeschränkung . . . . . . . 500 (4) Vorwärts und rückwärts gerichtete Abwicklerhaftung . 501 (5) Die Reihenfolge der Gläubigerbefriedigung . . . . . . . 502 (6) Doppelseitige Haftungssonderung? . . . . . . . . . . . . 503 (7) Aktivierung des Regimes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 c) Der überbeschwerte Nachlass . . . . . . . . . . . . . . . . . 508 4. Die Abwicklung im Fall des Gläubigerausschlusses . . . . . . . 510 a) Ausschluss durch Aufgebotsverfahren . . . . . . . . . . . . 510 b) Ausschluss durch Zeitablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514 5. Haftungsrechtliche Sonderkonstellationen . . . . . . . . . . . . 516 a) Handels- und gesellschaftsrechtliche Verbindlichkeiten . . . 516 b) Besonderer Schutz für Minderjährige . . . . . . . . . . . . . 518 c) Fälle anfänglicher Haftung pro viribus hereditatis . . . . . . 519 (1) Ausbildungsanspruch aus § 1371 Abs. 4 BGB . . . . . . . 519 (2) Nachehelicher Unterhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519 (3) Ersatzansprüche des Fiskus . . . . . . . . . . . . . . . . . 520 (4) Bewertung und Verhältnis zu den allgemeinen Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 520 d) Fall der anfänglichen Haftung cum viribus hereditatis . . . 521 Die Kritik an der BGB-Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522 2. Fallstricke und Schikanen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523 3. Der hohe Preis der Haftungsbeschränkung . . . . . . . . . . . 526 4. Unzureichender Gläubigerschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . 529 5. Mangelnde Kohärenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 530 6. Stellungnahme: Das Fehlen einer „Abwicklungskultur“ . . . . 532
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XXI
VI. Verbesserungsvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535 1. Die Vorschläge Boehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535 a) „Erbfolge und Erbenhaftung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 535 b) Die „Staudinger“-Kommentierung . . . . . . . . . . . . . . 537 2. Die Reformdiskussion in der „Akademie für Deutsches Recht“ 538 a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538 b) Der Entwurf Sibers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539 (1) Gesonderte Abwicklung als Ausgangspunkt . . . . . . . 539 (2) Die verkannte Nähe zum englischen Recht . . . . . . . . 542 (3) Die Möglichkeit der Individualabsonderung . . . . . . . 544 (4) Der Schutz gegen unerkannte Verbindlichkeiten . . . . . 544 c) Der Entwurf Karpes („Breslauer Entwurf“) . . . . . . . . . 545 d) Die Diskussion der Entwürfe im Erbrechtsausschuss der „Akademie für Deutsches Recht“ . . . . . . . . . . . . . . . 546 3. Reaktionen im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550 a) Die Kritik Binders . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550 b) Das Schrifttum nach dem Zweiten Weltkrieg . . . . . . . . . 552 4. Neuere Reformvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553 a) Der Vorschlag Ehrenkönigs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553 b) Der Vorschlag Ostholds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 554 (1) Das Regelungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555 (2) Die theoretische Fundierung . . . . . . . . . . . . . . . . 557 VII. Abschließende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 559 F. Rechtsvergleichendes Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562 I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562 II. Die Verschärfung des Pflichtenprogramms des Abwicklers . . . . 563 1. Der Grundsatz der geordneten Nachlassverteilung . . . . . . . 563 2. Überreste des Prioritätsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . 564 3. Begründung und Verschärfung der Abwicklerhaftung . . . . . 565 III. Die Zurückschneidung der vorbeugenden Kontrolle . . . . . . . . 566 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 566 2. Der Bedeutungsverlust des Inventars . . . . . . . . . . . . . . . 566 3. Der Abbau von Genehmigungsvorbehalten . . . . . . . . . . . 568 4. Auswahl und Abberufung des Abwicklers . . . . . . . . . . . . 569
§ 7 Die Neubewertung der integrierten Abwicklung . . . . . . . . . . . 571 A. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 571 I. Die Zulassung der integrierten Abwicklung als gesetzgeberische Option . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 571 II. Die aus der Zulassung der integrierten Abwicklung resultierenden Regelungsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575
XXII
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B. Die Stellung der integrierten Abwicklung im französischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 576 I. Verknüpfung von Erwerbs- und Abwicklungsoption . . . . . . . . 576 II. Grundsatz der Unwiderruflichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 578 III. Einzelheiten der Wahlentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . 579 1. Fristen, Auffangregel und Provokationsrecht . . . . . . . . . . 579 a) Die gesetzliche Frist zur Ausübung der Option . . . . . . . 579 b) Indirektes und direktes Provokationsrecht . . . . . . . . . . 580 2. Voraussetzungen der Ausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583 a) Formerfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583 b) Die vorbehaltlose Annahme als Haftungsfalle . . . . . . . . 584 c) Die Gefährdung des Nachlasses . . . . . . . . . . . . . . . . 588 IV. Das Problem verborgener Erblasserverbindlichkeiten . . . . . . . 589 1. Die Schutzlücke im ursprünglichen Regime . . . . . . . . . . . 589 2. Die 2006 geschaffene Billigkeitslösung . . . . . . . . . . . . . . 591 3. Rechtsfolgen des Art. 786 Abs. 2 Code civil . . . . . . . . . . . 594 4. Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 786 Abs. 2 Code civil . . 595 5. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597 V. Vorbehaltlose Annahme als Sanktion . . . . . . . . . . . . . . . . 599 VI. Die integrierte Abwicklung als gesetzliches Leitbild . . . . . . . . 602 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 602 2. Das Regime von 1804 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 602 3. Die Reform von 2006 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605 4. Kritik und Rechtfertigung des Leitbilds der integrierten Abwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 606 a) Die Kontroverse zu Beginn des 20. Jahrhunderts . . . . . . 606 b) Nachfolgende Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 609 C. Die Stellung der integrierten Abwicklung im deutschen Recht . . . . . 610 I. Existenz und Ausgestaltung des Abwicklungswahlrechts . . . . . 610 1. Selbstbestimmte Wahl des Abwicklungsmodus . . . . . . . . . 610 2. Selbständigkeit und „Ewigkeit“ des Abwicklungswahlrechts . 611 3. Ratio 1: Die Entlastung der Erwerbsoption . . . . . . . . . . . 613 4. Ratio 2: Das Leitbild der gesonderten Abwicklung . . . . . . . 616 5. Innere Widersprüche der BGB-Konzeption . . . . . . . . . . . 618 II. Folgeprobleme: Auftreten und Bewältigung der Schwebelage . . . 619 1. Integrierte Abwicklung als Auffangregel . . . . . . . . . . . . . 619 2. Die Rekonstruktion des Nachlasses . . . . . . . . . . . . . . . . 620 3. Die prozessuale Bewältigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 628 III. Der Schutz der Entscheidungsfreiheit des Erben . . . . . . . . . . 629 D. Rechtsvergleichendes Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 632
Inhaltsverzeichnis
XXIII
§ 8 Die Konzentration der Nachlassabwicklung . . . . . . . . . . . . . . 637 A. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 637 I. Die verschiedenen Dimensionen der Abwicklungskonzentration . 637 II. Die personale Konzentration der Abwicklung . . . . . . . . . . . 638 1. Vorhandensein einer letztwilligen Verfügung . . . . . . . . . . 639 2. Fehlen einer letztwilligen Verfügung . . . . . . . . . . . . . . . 640 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 641 III. Der Ausbau der Gesamtnachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . 641 1. Die Zurückdrängung der Sondernachfolgen . . . . . . . . . . . 641 2. Die Zurückdrängung der gewillkürten Einzelnachfolge . . . . 643 a) Der Legitimitätsverlust des Vindikationslegats . . . . . . . . 643 b) Die Schwäche der Außenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . 644 c) Die Schwäche der Innenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . 645 3. Konzessionen an gesellschaftsrechtliche Interessen . . . . . . . 646 IV. Die Aushöhlung der Abwicklungskonzentration durch „will-substitutes“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 647 B. Die Zentralisierung der Nachlassabwicklung durch Überwindung der Bruchteilsgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 650 I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 650 II. Der ungeteilte Fortbestand des Nachlasses im preußischen ALR . 652 1. Die Schuldenregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 653 a) Gemeinschaftliche Haftung der Benefizialerben bis zur Teilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 653 b) Die Rechtslage nach Teilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 655 c) Die Rechtslage bei unbeschränkter Haftung . . . . . . . . . 656 2. Die Behandlung der Nachlassaktiva . . . . . . . . . . . . . . . 656 III. Die Gesamthandslösung des BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . 657 1. Die Entscheidung für die Bruchteilsgemeinschaft im Entwurf von Schmitts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 657 2. Die Fortsetzung der Schmittschen Konzeption im Ersten Entwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 660 3. Die Entscheidung der Zweiten Kommission für die Gesamthandslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 661 4. Der unvollendete Charakter der BGB-Lösung . . . . . . . . . 663 a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 663 b) Gesamthands- und Gesamtschuldklage . . . . . . . . . . . . 664 c) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 666 d) Die Erbengemeinschaft als Anspruchsgegnerin . . . . . . . 668 IV. Die Überwindung der Bruchteilslösung in Frankreich . . . . . . 669 1. Die rechtliche Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 669 a) Automatische Schuldenteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . 669 b) Die indivision hinsichtlich des körperlichen Aktivnachlasses 672
XXIV
V.
Inhaltsverzeichnis
2. Die Wende zur zentralisierten Abwicklung: der „Arrêt Frécon“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 675 3. Die Vervollkommnung der Zentralisierung in der Rechtspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 678 4. Gesetzgeberische Festschreibung und Erweiterung im Jahr 1976 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 680 Rechtsvergleichendes Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 681
§ 9 Bilanz und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 685 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 695 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 729
Abkürzungsverzeichnis A.C. A.Dir.Comp. AEA AGO AHDO
Appeal Cases (UK) Annuario di Diritto Comparato e di Studi Legislativi (englischer) Administration of Estates Act 1925 Allgemeine Gerichtsordnung für die Preußischen Staaten (1795) Archives d’histoire du droit oriental (1952 vereinigt mit: Revue international des droits de l’antiquité (RIDA)) AJCL American Journal of Comparative Law All ER All England Law Reports ALR Allgemeines Landrecht (für die Preußischen Staaten) Am. J. Legal Hist. American Journal of Legal History AUPA Annali del Seminario Giuridico dell’Università di Palermo AußerStrG (österreichisches) Außerstreitgesetz BeckOGK beck-online.Grosskommentar Begr. Begründer BSHG Bundessozialhilfegesetz BT-Drucks. Drucksache des Deutschen Bundestags Bull.Soc.e.leg. Bulletin de la Société d’études législatives C. Codex Iustinianus D. Digesten D.P. Recueil périodique de jurisprudence de Dalloz DfG Deutsche freiwillige Gerichtsbarkeit DR Deutsches Recht (Zentralorgan des NS.-Rechtswahrerbundes) E I-BGB Erster Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs E II-BGB Zweiter Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs EPLJ European Property Law Journal ErbR Zeitschrift für die gesamte erbrechtliche Praxis ErbStG Erbschaftsteuergesetz ERPL European Review of Private Law ETPJ Estates, Trusts and Pensions Journal Flor. Florentinus fol. folium FS Festschrift Gai. Gaius Institutiones GrünhutsZ Zeitschrift für das Privat- und Öffentliche Recht der Gegenwart (Grünhuts Zeitschrift) HRG Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte HWBEuP Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts ICLQ International and Comparative Law Quarterly IECL International Encyclopedia of Comparative Law Inst. Institutiones Iustiniani
XXVI
Abkürzungsverzeichnis
InsVV Insolvenzrechtsvergütungsverordnung I(PFD) (englischer) Inheritance (Provision for Family and Dependents) Act 1975 IPRG (österreichisches bzw. schweizerisches) Gesetz über das internationale Privatrecht JCP Juris-classeur Périodique – La semaine juridique JCP N Juris-classeur Périodique – La semaine juridique notariale et immobilière KritV Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft KritZRWissGdA Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des Auslandes KV Kostenverzeichnis LQR Law Quarterly Review LR Law Review MüKoBGB Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch MüKoInsO Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung NCPR (englische) Non-Contentious Probate Rules 1987 Notar Monatsschrift für die gesamte notarielle Praxis NZ Österreichische Notariatszeitung NZG Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht öBGBl Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich OHEL The Oxford History of the Laws of England Paul. Iulius Paulus Pomp. Sextus Pomponius r. rule RabelsZ Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Rev.crit.dr.int.pr. Revue critique de droit international privé RGRK Das Bürgerliche Gesetzbuch mit besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofes, Kommentar, hg. von Mitgliedern des Bundesgerichtshofes RIDA Revue international des droits de l’antiquité Riv.dir.int. Rivista di Diritto Internazionale Riv.Tr.Dir.Pr.Civ. Rivista Trimestrale di Diritto e Procedura Civile RIW Recht der Internationalen Wirtschaft RTDCiv. Revue trimestrielle de droit civil SCA (englischer) Senior Courts Act 1981 SDHI Studia et Documenta Historiae et Iuris sec. section Sir. Recueil de jurisprudence de Sirey StAZ Das Standesamt – Zeitschrift für Standesamtswesen, Familienrecht, Staatsangehörigkeitsrecht, Personenstandsrecht, internationales Privatrecht des In- und Auslands StuW Steuer und Wirtschaft: Zeitschrift für die gesamte Steuerwissenschaft successio successio – Zeitschrift für Erbrecht Teil-E BGB Teilentwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs (Entwurf eines Rechts der Erbfolge für das Deutsche Reich nebst dem Entwurfe eines Einführungsgesetzes) Ulp. Domitius Ulpianus
Abkürzungsverzeichnis
UPC VglO W.N. ZEuP ZEV ZRG (GA) ZRG (RA)
XXVII
Uniform Probate Code (USA) Vergleichsordnung v. 26.2.1935 Weekly Notes Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte: Germanistische Abteilung Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte: Romanistische Abteilung
§ 1 Einführung: Gegenstand, Ziele und Methoden der Arbeit A. Ausgangspunkt und Zielsetzung Erbrecht bedeutet Kontinuität. Ein Mensch ist gestorben, aber seine vermögenswerten Rechte und Pflichten leben fort. Nur ausnahmsweise teilen sie das Schicksal ihres Rechtsträgers und gehen mit diesem zusammen unter.1 Doch was genau geschieht zwischen Eröffnung und Abschluss eines Erbfalls? Wie vollzieht sich das Erbrecht? Welcher Mechanismen bedient es sich, um die hinterlassenen Rechtsbeziehungen aus den Händen des Toten in die der Lebenden zu überführen? Welches sind, um an den Titel der Arbeit anzuknüpfen, die Wege, auf denen die Nachlassgegenstände und -werte an die vorgesehenen Ziele gelangen? Sucht man Antworten auf diese Fragen im BGB, so findet sich ein komplexer, der Gestaltungsfreiheit grundsätzlich entzogener Regelungsapparat. Danach geht der Nachlass des Verstorbenen, also die Gesamtheit seiner vererblichen Beziehungen, im Moment des Todes und ohne weiteres Zutun „als Ganzes“ auf den oder die „Erben“ über.2 Diese „Gesamtnachfolge“3 oder „Universalsukzession“4 ist wegen der Möglichkeit einer rückwirkenden „Ausschlagung“ zunächst nur vorläufig. Sie wird endgültig durch die „Annahme der Erbschaft“, die nach Ablauf von sechs Wochen ab Kenntnis von der Berufung zur Erbfolge fingiert wird.5 Ist der Erbfall mit Annahme der Erbschaft abgeschlossen? Dies wird, wie noch zu zeigen ist, insbesondere im rechtsvergleichenden Schrifttum oftmals suggeriert. Doch erweist sich eine solche Sichtweise als zu eng. So kann es sein, dass einzelne im Nachlass vorhandene Rechte oder in ihm verkörperte wirtschaftliche Werte vom Erben an Vermächtnisnehmer oder Pflichtteilsberechtigte weiterzureichen sind. 6 Zwar sind die entsprechenden Erfüllungshandlungen formal nicht im Erb1
Ein Beispiel im deutschen Recht ist der Nießbrauch (§ 1061 BGB). Siehe §§ 1922, 1942 Abs. 1 BGB. 3 Die amtliche Bezeichnung von § 1922 BGB lautet „Gesamtrechtsnachfolge“, die sich auch vielfach im Schrifttum findet. Der Begriff der „Gesamtnachfolge“ wird hier allein wegen seiner Knappheit bevorzugt und soll keine inhaltliche Abweichung ausdrücken. Näher zu den im deutschen Schrifttum gebrauchten Begrifflichkeiten Claussen, Gesamtnachfolge und Teilnachfolge, 23 f. 4 Beide Begriffe werden im Folgenden synonym verwendet. Eingehend zur Bedeutung unten § 3 C.II.4 (212 ff.). 5 §§ 1943, 1944 BGB. 6 Siehe die Anspruchsgrundlagen in §§ 2174, 2303 Abs. 1 BGB. 2
2
§ 1 Einführung: Gegenstand, Ziele und Methoden der Arbeit
recht, sondern im lebzeitigen Vermögensrecht angesiedelt, also etwa in den §§ 929 ff. BGB. Doch ändert die Tatsache, dass das Erbrecht sich dieser Mechanismen bedient, anstatt sie selbst vorzuhalten, nichts daran, dass die Herbeiführung der gesetzlich oder letztwillig anvisierten Nachlassverteilung noch zu seinen Zielen gehört. Der Erbe fungiert im Hinblick auf Vermächtnisnehmer und Pflichtteilsberechtigte mit anderen Worten nur als Zwischenstation. Darüber hinaus – und dieser Aspekt verdient, da weniger offenkundig, noch mehr Aufmerksamkeit – kann der Erbfall mit dem endgültigen Übergang auf den oder die Erben auch bei Fehlen von Vermächtnisnehmern und Pflichtteilsberechtigten nicht als abgeschlossen betrachtet werden, und zwar deshalb, weil das rechtliche Schicksal des Nachlasses in anderer Hinsicht noch undefiniert ist. So ist der gesetzessystematische Ausgangspunkt des BGB zwar die vollständige Verschmelzung des Nachlasses mit dem Vermögen des Alleinerben, so dass die vom Erblasser herrührenden Rechte und Pflichten keinerlei erbfallbedingte Sonderbehandlung mehr erfahren (und daher beispielsweise Gläubiger des Verstorbenen auch in das Alt- oder Eigenvermögen des Erben vollstrecken können, also diejenigen Güter, die er schon vor dem Erbfall besaß).7 Doch findet zum einen dieser Vorgang der Vermögensverschmelzung im empirischen Normalfall, dem einer Mehrheit von Erben, gerade nicht statt, weil Miterben den Nachlass als Gesamthänder halten8 und dieser in verwaltungs- und haftungsrechtlicher Sicht ein Sondervermögen bildet, das seiner Auseinandersetzung harrt.9 Wenn hier und im Folgenden der Nachlass eines Verstorbenen als „Sondervermögen“ bezeichnet wird, so soll damit nicht mehr zum Ausdruck gebracht werden, als dass die darin enthaltenen Rechte und Pflichten unter ihrem neuem Träger in irgendeiner Weise eine erbfallbedingte Sonderbehandlung erfahren, d. h. nicht in jeder Hinsicht das Schicksal der übrigen Rechtsbeziehungen dieses Trägers teilen. Der Begriff „Sondervermögen“ wird somit als Ordnungsbegriff verwendet, als Kürzel für die Zusammenfassung bestimmter Rechtsfolgen, etwa der fehlenden Möglichkeit, aus Forderungen, die vom Erblasser begründet wurden, in das Eigenvermögen des Erben zu vollstrecken.10 Wie noch zu sehen sein wird, kann der Sondervermögenscharakter des Nachlasses ganz unterschiedliche Intensitätsgrade aufweisen.11 7 Dazu unten F.I. (64 ff.). Staudinger/Marotzke (2008), § 1922 Rn. 72 (= Staudinger/Kunz (2017), § 1922 Rn. 120), betont zu Recht, dass es sich um eine Verschmelzung im rechtlichen Sinne handelt, die auch bei faktischer Separation von Nachlass und Eigenvermögen des Erben eintritt. 8 § 2032 Abs. 1 BGB. 9 Siehe nur etwa Staudinger/Marotzke (2008), § 1922 Rn. 78; Staudinger/Kunz (2017), § 1922 Rn. 129; Röthel, Erbrecht, § 32 Rn. 6 –8. Näher unten § 6 E.II.4. (455 ff.). 10 Für eine ausführliche Erörterung des Begriffs „Sondervermögen“ und den Versuch, ihm zu normativen Zwecken klare Konturen zu verleihen, Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 37–64; Jacoby, Das private Amt, 16–50. Für das Erbrecht bezweifelt Staudinger/Marotzke (2008), § 1922 Rn. 88–95, zu Recht die Relevanz einer klaren Begriffsbildung. Der Begriff des „(special) patrimony“ zur Zusammenfassung schuld- und haftungsrechtlicher Sonderbehandlungen findet sich auch im rechtsvergleichenden Schrifttum, siehe Gretton, ICLQ 49 (2000), 608–615; L. Smith, ETPJ 28 (2009), 333–354; ders., Edinburgh LR 17 (2013), 283–313. 11 Unten G.II.2b) (90 ff.). Vgl. für das deutsche Recht auch Staudinger/Marotzke (2008), § 1922 Rn. 78–80.
A. Ausgangspunkt und Zielsetzung
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Zum anderen ist die Vermögensverschmelzung im Fall des Alleinerben nur provisorischer Natur. Denn es gibt gleich drei Situationen, in denen es zu einer Absonderung des Nachlasses vom Erbenvermögen kommt, was sich u. a. darin äußert, dass Erblassergläubiger keinen Zugriff mehr auf das Eigenvermögen des Erben haben: in dem Fall, dass eine Nachlassverwaltung angeordnet wird, in dem Fall, dass ein Nachlassinsolvenzverfahren eröffnet wird, und schließlich in dem Fall, dass der Nachlass so geringwertig ist, dass er die Kosten für eine Nachlassverwaltung oder ein Nachlassinsolvenzverfahren nicht decken würde.12 Da die Absonderung des Nachlasses in allen Fällen auf den Erbfall zurückbezogen wird, existiert dieser also ungeachtet der provisorischen Verschmelzung als latentes Sondervermögen fort. Und solange dieser Schwebezustand anhält, kann – jedenfalls aus rechtlicher Sicht – der Erbfall noch nicht als beendet betrachtet werden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das BGB das erbrechtliche Geschehen in zwei Phasen unterteilt. In der ersten, in §§ 1922, 1942–1959 BGB behandelten Phase geht es darum, die vererblichen Beziehungen des Verstorbenen definitiv auf einen oder mehrere Gesamtnachfolger überzuleiten. In der zweiten Phase, die im Wesentlichen Gegenstand der §§ 1967–2017 BGB ist, wird die weitere Behandlung des Nachlasses geregelt. Gemeinsam ist beiden Phasen, was man den Grundsatz der Staatsferne nennen kann.13 So kommt es zur Einschaltung von Gerichten grundsätzlich nur auf Antrag der Erben oder anderer Beteiligter (vor allem der Nachlassgläubiger), etwa wenn ein Erbschein ausgestellt,14 eine Nachlassverwaltung angeordnet15 oder ein Nachlassinventar errichtet werden soll.16 Lediglich in Ausnahmefällen wird das Nachlassgericht von Amts wegen tätig.17 Hierzu zählt insbesondere die Sicherung des Nachlasses18 und die Eröffnung letztwilliger Verfügungen, die mit einer Pflicht zur Benachrichtigung der betroffenen Personen einhergeht.19 Im Fall, dass das Fiskuserbrecht festgestellt werden soll 20 oder die Erbschaft ausgeschlagen wurde,21 ist eine nachlassgerichtliche Erbenermittlung vorgesehen.22 Eine allgemeine Amtspflicht zur Erbenermittlung hingegen besteht heute nur noch in Bayern 23 (was rechtspolitisch in jüngerer Zeit verstärkt auf Kritik stößt 24). 12
§§ 1975, 1990 BGB. Ausführlich dazu unten § 6 E.II. (445 ff.). allgemein Muscheler, Erbrecht I, Rn. 568–610 (zur Staatsferne der Nachlassabwicklung Rn. 583–608). 14 § 2353 BGB. 15 § 1981 BGB. 16 § 1994 BGB. 17 Für einen Überblick Lange/Kuchinke, Erbrecht, 975 f.; Mayer, Referat, L 114. 18 § 1960 BGB, dazu Beck, Erbenermittlung in Deutschland, 5 f. 19 §§ 348–351 FamFG. 20 § 1964 Abs. 1 BGB. 21 § 1953 Abs. 3. S. 1 BGB. 22 Dazu unter Hinweis auf § 26 FamFG K. W. Lange, AcP 220 (2020), 187 f., 196. 23 Art. 37 bayerisches Gerichtsverfassungs-Ausführungsgesetz, dazu Schippel, in: FS Wirner, 983; K. W. Lange, AcP 220 (2020), 187. 24 K. W. Lange, AcP 220 (2020), 189, 209. Für die Einführung einer allgemeinen Erbenermittlungspflicht Beck, Erbenermittlung in Deutschland, 146–148. 13 Dazu
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§ 1 Einführung: Gegenstand, Ziele und Methoden der Arbeit
Was ist nun der Anlass, den Strukturen des erbrechtlichen Geschehens, das hier unter dem noch zu erläuternden Begriff der „Nachlassabwicklung“ zusammengefasst wird, 25 eine breite historische und vergleichende Untersuchung zu widmen? Drei Beobachtungen sind zu nennen: erstens, dass das skizzierte Regime des BGB schon seit langer Zeit in der Praxis nicht zufriedenstellend funktioniert; zweitens, dass schon ein kursorischer rechtsvergleichender Blick genügt, um festzustellen, dass das deutsche Recht sich nicht nur in sachlicher, sondern mitunter auch in begrifflicher und systematischer Hinsicht deutlich von ausländischen Regelungen unterscheidet; drittens, dass es der bisherigen Erbrechtsvergleichung allenfalls in Ansätzen gelungen ist, die verschiedenen nationalen Regelungen auf erkenntnisfördernde Weise zueinander in Bezug zu setzen und ausländische Erfahrungen für die inländische Debatte fruchtbar zu machen. Aus diesen Beobachtungen erklärt sich sodann die Zielsetzung dieser Arbeit. Sie will das Thema der Nachlassabwicklung aus einer Perspektive beschreiben und analysieren, die zwar auf die nationalen Rechtsordnungen bezogen, zugleich aber von ihnen losgelöst ist. Der von nationalen Begrifflichkeiten und Vorverständnissen möglichst weitgehend gereinigte Blick soll einerseits die gemeinsamen Regelungsprobleme, Sachstrukturen und Lösungen freilegen, andererseits aber auch die „lokalen Variationen eines einheitlichen Themas“ herausstellen.26 Die Arbeit versteht sich damit als Beitrag zum gemeineuropäischen Erbrechtsdiskurs, der bislang nur in Ansätzen entwickelt ist und z. B. hinter dem im Schuldrecht erreichten Stand noch deutlich zurückbleibt, gerade auch in methodischer Hinsicht. Ausländische Erbrechtsliteratur wird dementsprechend nicht nur zur Erfassung und Erläuterung der jeweiligen Sachrechte herangezogen, sondern auch zum Auffinden und zur Bestätigung zeit- und rechtsordnungsübergreifender Konstanten. Führt der Blick also einerseits von den nationalen Rechtsordnungen weg, kehrt er andererseits von einem externen Standpunkt aus auch wieder zu ihnen zurück. Eine solche Betrachtung „outside-in“27 soll nicht zuletzt die Besonderheiten der deutschen Nachlassabwicklung hervortreten lassen, ihre Stärken ebenso verdeutlichen wie ihre Schwächen, und Reformüberlegungen neue Impulse verleihen. Insbesondere wird sich zeigen, dass das Erkenntnispotential von Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung für das hier untersuchte Thema bislang nicht annähernd ausgeschöpft wurde. Einerseits wird Rechtsordnungen und -traditionen, die wertvolle Lehren bereithalten, der Vorbildcharakter bisweilen von vornherein abgesprochen, andererseits wird manch problematische Lösung unkritisch für nachahmenswert gehalten. Obgleich die Darstellung früherer und heutiger Rechtsordnungen stets auch kritisch-wertend sein wird, gehört eine Kür des „besten Rechts“ nicht zu den verfolg25
Ausführlich unten F. (64 ff.). Kötz, Europäisches Vertragsrecht, V. Ist die vorliegende Arbeit in ihrer Herangehensweise auch durch Kötz’ Buch inspiriert, erhebt sie weder in geographischer noch in sachlicher Hinsicht den Anspruch, ein „europäisches Erbrecht“ abzubilden. 27 Zu den Vorzügen einer solchen Sichtweise generell L. Smith, ETPJ 28 (2009), 333. 26 Vgl.
B. Nachlassabwicklung als die Vollzugsdimension des Erbrechts
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ten Zielen. Denn abgesehen davon, dass die nationalen Erbrechtsregime stets Ausdruck komplexer Interessenabwägungen sind, die sich einer pauschalen Bewertung entziehen, läge der genannten Zielsetzung die verfehlte Annahme zugrunde, dass nationale Lösungen immer nur als Gesamtpaket verfügbar seien und ihre einzelnen Elemente sich nicht mit denen anderer Rechtsordnungen kombinieren ließen. Ebenso wenig bezweckt wird die Formulierung von Regelungen für eine mögliche europäische Einheitslösung.28 Stattdessen soll der Boden dafür bereitet werden, dass eine Rechtsharmonisierung sich überhaupt sinnvoll diskutieren lässt und Einzelfragen noch tiefer erschlossen werden können; wie später zu sehen sein wird, hat die bisherige Erbrechtsvergleichung noch nicht einmal rechtsordnungsneutrale Grundbegriffe entwickelt. Allgemein gesprochen, geht es also darum, Aufschluss über Vergangenheit und Gegenwart der Nachlassabwicklung zu geben, um auf dieser Grundlage künftige Entwicklungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Die genannten Beobachtungen, Zielsetzungen und die zugrunde gelegte Methode werden in den folgenden Abschnitten noch näher ausgeführt. Zunächst sind dem Thema der Nachlassabwicklung schärfere Konturen dadurch zu verleihen, dass es von anderen Teilaspekten des Erbrechts abgegrenzt wird.
B. Nachlassabwicklung als die Vollzugsdimension des Erbrechts I. Zuweisungs- und Vollzugsdimension Die Nachlassabwicklung lässt sich als die Vollzugsdimension des Erbrechts begreifen und dessen Zuweisungsdimension gegenüberstellen.29 Die Unterscheidung ist auf den ersten Blick einfach, und es ist verlockend, die Vollzugsdimension schlagwortartig als das „Wie“ des Erbrechts und die Zuweisungsdimension als das „Wer bekommt was“ zu bezeichnen.30 Doch wenngleich diese Sichtweise eine Annäherung ermöglicht, ist sie nicht leistungsfähig genug, die Komplexität moderner Erbrechte abzubilden. Denn wie sich anhand des deutschen Rechts illustrieren lässt, hat das „Wer bekommt was“ eine zweifache Bedeutung, durch die es in beiden Dimensionen angesiedelt ist. 28 Konkrete Vorschläge zu einer europäischen Harmonisierung der Nachlassabwicklung unterbreitet Leleu, ERPL 6 (1998), 159–194, der aber vielfach von falschen oder jedenfalls unpräzisen Vorstellungen über die nationalen Rechte ausgeht (siehe dazu die Nachweise in dieser Arbeit). 29 Im Grundsatz entspricht dies der in MPI-Stellungnahme Nr. 189 getroffenen Unterscheidung zwischen der „devolution“ auf der einen und der „transmission“ bzw. „implementation“ auf deren anderen Seite, die allerdings nicht voll herausgearbeitet wird. Rein äußerlich ist hingegen die Nähe zur Unterscheidung zwischen der „Verteilungsfunktion“ und der „Transportfunktion“ des Erbrechts bei K. W. Lange, Erbrecht, § 4 Rn. 1; ders., AcP 220 (2020), 184. 30 In diesem Sinne Gretton/Steven, Property, Trusts and Succession, [26.43]: „The law of succession must deal not only with the question ‚Who gets what?‘, but also with that of ‚How do they get it?‘“. Ähnlich Gschnitzer/Faistenberger, Österreichisches Erbrecht, 1: „Was wird vererbt? Wer wird Erbe? Wie kommt der Erbe ins Erbe?“. Allein das „Was“ und das „Wer“, nicht aber das „Wie“ thematisiert Papantoniou, AcP 173 (1973), 386.
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§ 1 Einführung: Gegenstand, Ziele und Methoden der Arbeit
So ist der Erbe („wer?“) zwar rechtlicher Empfänger des Nachlasses („was?“) und tritt ipso iure („wie?“) in diesen ein. Doch ist das erbrechtliche Geschehen damit nicht umfassend beschrieben. Denn dort, wo es Vermächtnisnehmer oder Pflichtteilsberechtigte gibt, denen der Erbe entsprechende Vermögensvorteile31 weiterreichen muss, wird nicht nur der Kreis des „Wer“ erweitert. Auch zeigt sich, dass die Rechtsnachfolge des Erben sich aus Sicht der Vermächtnisnehmer und Pflichtteilsberechtigten als Zwischenschritt auf dem Weg zu ihrer Begünstigung darstellt und somit der Vollzugsdimension angehört. Ist der Nachlass unzureichend und werden die vorhandenen Werte von einem Insolvenzverwalter unter den Nachlassgläubigern nach einer bestimmten Ordnung verteilt,32 erfüllt die Rechtsnachfolge des Erben sogar nur noch den Zweck, den Nachlassgegenständen auf dem Weg zu ihrer endgültigen Destination einen Träger zu stellen. Sollen Zuweisungs- und Vollzugsdimension des Erbrechts sinnvoll voneinander abgegrenzt werden, müssen beide also genauer definiert werden.
II. Die Konturen der Zuweisungsdimension Mit der Zuweisungsdimension des Erbrechts ist hier nicht die rechtliche Nachfolge des Verstorbenen gemeint, sondern dessen wirtschaftliche Nachfolge, also die Frage, wem eine Teilhabe am Erblasservermögen zukommt. Die Kategorie der wirtschaftlichen Nachfolger des Verstorbenen lässt sich in einem weiteren und in einem engeren Sinne verstehen. 1. Wirtschaftliche Nachfolger im engeren Sinn Zu den wirtschaftlichen Nachfolgern des Verstorbenen im engeren Sinne sind die Begünstigten des Erbfalls zu zählen, also diejenigen, denen das Erbrecht als Folge des Todes des Erblassers einen unentgeltlichen Vermögensvorteil zuweist.33 Das BGB kennt drei Arten von Begünstigten: den Erben als letztwillig oder gesetzlich bestimmten Gesamtnachfolger; den Vermächtnisnehmer als Empfänger einer testamentarischen oder gesetzlichen Einzelzuwendung;34 und schließlich den Pflichtteilsberechtigten als nahen Familienangehörigen, dem eine am Intestaterbrecht aus-
31 Von einem „Vermögensvorteil“ spricht das BGB zwar nur im Hinblick auf ein Vermächtnis (§ 1939), doch ist der dem Pflichtteilsberechtigten zustehende Teil des Nachlasswertes (vgl. §§ 2303 Abs. 1, 2311 BGB) der Sache nach nichts anderes. 32 §§ 315–331 InsO. 33 In der um die Bildung und Verwendung autonomer Begriffe bemühten EuErbVO findet sich in der deutschen Sprachfassung der Begriff der „Berechtigten“ (siehe etwa Art. 23 Abs. 2 lit. e), der als Oberbegriff insbesondere für Erben, Vermächtnisnehmer und Pflichtteilsberechtigte fungiert (ErwG 47). Dafür, dass es sich bei den „Berechtigten“ der EuErbVO um die „Begünstigten“ im hier genannten Sinne handelt, sprechen auch die englische und die französische Sprachfassung, wo von den „beneficiaries“ bzw. den „bénéficiaires“ die Rede ist. Näher Baldus, GPR 2012, 312–315. Der Oberbegriff der „Nachlassberechtigten“ findet sich bei K. W. Lange, Erbrecht, Teil C. 34 Beispiele im zweitgenannten Sinne sind § 1932 BGB (Voraus) und § 1969 BGB (Dreißigster).
B. Nachlassabwicklung als die Vollzugsdimension des Erbrechts
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gerichtete Mindestteilhabe am Nachlasswert garantiert wird.35 Blickt man über das Privatrecht hinaus, zählt aber auch der Staat zu den Begünstigten des Erbfalls,36 jedenfalls in all den Fällen, in denen er die von Erben, Vermächtnisnehmern und Pflichtteilsberechtigten erlangten Vorteile besteuert37 und sich dadurch – mittelbar – ebenfalls ein Stück vom Nachlasskuchen abschneidet. Die Begünstigung des Erben weist die strukturelle Besonderheit auf, dass sie im Unterschied zur Begünstigung von Vermächtnisnehmern, Pflichtteilsberechtigten und dem Staat keine spezifische, sondern lediglich eine residuale ist. Damit ist gemeint, dass die Begünstigung des Erben nicht explizit angeordnet wird, sondern nur Ausfluss seiner Gesamtnachfolge ist: Was er nicht anderen Nachlassteilhabern geben muss, darf der Erbe behalten, aber auch nur das. Selbst bei werthaltigem Nachlass garantiert das BGB dem Erben also keine Mindestteilhabe,38 im Gegensatz etwa zur römischen lex Falcidia, die dem heres ein Viertel des Nachlasswertes reservierte.39 Ein deutscher Testator kann dem Erben daher aufgeben, den gesamten Nachlass unter Vermächtnisnehmern zu verteilen, so dass er selbst mit leeren Händen zurückbleibt.40 Gleichwohl ist der empirische Normalfall natürlich der, dass die Residualbegünstigung des Erben de facto eine Hauptbegünstigung ist. Vermächtnisnehmer, Pflichtteilsberechtige und der Staat erhalten im Unterschied zum Erben eine spezifische Begünstigung,41 sind aber als solche keine Rechtsnachfolger.42 Denn das deutsche Recht kennt weder ein dinglich wirkendes Legat noch ein Noterbenrecht (beides im Unterschied zu anderen Rechtsordnungen).43 Dies unterstreicht abermals, dass Rechtsnachfolge und Nachlassteilhabe nicht notwendig Hand in Hand gehen44 und somit stets unterschieden werden müssen. 35
Weitgehend identisch gebraucht den Begriff des „Begünstigten“ Dörner, in: FS Ferid, 67. So auch Windel, Modi der Nachfolge, 5. 37 Vgl. §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. 38 Ist der Nachlass werthaltig und gehört der Erbe zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten, kann er zwar auf die ihm garantierte wirtschaftliche Partizipation pochen. Er muss dazu seine mit Vermächtnissen belastete Erbenstellung aber gerade ausschlagen, § 2306 BGB. Nur im Fall des § 2305 BGB kann er seine (Mit-)Erbenstellung behalten und zugleich die Wahrung seines Pflichtteils verlangen. 39 Dazu unten § 3 A.III. (170 ff.). 40 Ein Erblasser kann sogar noch weiter gehen und Vermächtnisse aussetzen, die von den Nachlassaktiva gar nicht gedeckt sind. Dazu unten § 6 E.IV.3c) (508 ff.). 41 Der Pflichtteil wird zwar in Form einer abstrakten Quote gewährt und setzt voraus, dass der Nachlass überhaupt einen positiven Saldo aufweist. Liegen die Entstehungsvoraussetzungen eines Anspruchs aus § 2303 BGB vor, genießt dieser aber sogar Vorrang vor anderen Begünstigungen (§ 327 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Entsprechendes gilt für die vom Staat erhobene Erbschaftssteuer. 42 Ein Vorausvermächtnisnehmer ist auch Rechtsnachfolger, aber allein kraft seiner Erbenstellung. Ein Pflichtteilsanspruch besteht mit Ausnahme des in § 2305 BGB geregelten Falls immer nur dort, wo der Berechtigte von der Erbfolge ausgeschlossen wurde oder seinen Erbteil ausgeschlagen hat (§§ 2303 Abs. 1 S. 1, 2306 Abs. 1 BGB). Der Fiskus schließlich kann zwar Erbe und damit Residualbegünstigter sein (§ 1936 BGB), seine Steuerforderung ist davon aber unabhängig. 43 Der Vermächtnisnehmer ist allenfalls mittelbarer Rechtsnachfolger des Verstorbenen, nämlich dort, wo ihm ein im Erblasservermögen vorhandenes Recht zugewandt wird, etwa das Eigentum an einer Taschenuhr. 44 Dies betont auch Windel, Modi der Nachfolge, 5, der allerdings zu Unrecht annimmt, dass 36
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§ 1 Einführung: Gegenstand, Ziele und Methoden der Arbeit
2. Wirtschaftliche Nachfolger im weiteren Sinn Zur Kategorie der wirtschaftlichen Nachfolger im weiteren Sinne zählen allen voran die Gläubiger des Verstorbenen (es sei denn, ihr Anspruch ist ausnahmsweise mit dessen Tod untergegangen). Sie unterscheiden sich von den Begünstigten des Erbfalls dadurch, dass ihr Anspruch auf wirtschaftliche Teilhabe an den Nachlass aktiva dem Erbfall vorausliegt; er wird vom Erbrecht nicht begründet, sondern nur erhalten. Und dennoch liegt in dieser Erhaltung ebenfalls eine Zuweisungsentscheidung, insbesondere in Verbindung mit dem noch zu erörternden Vorrang der Erblassergläubiger vor den Begünstigten. Der Unterschied zur Auswahl der wirtschaftlichen Nachfolger im engeren Sinne besteht allein darin, dass das Erbrecht die Auswahl der wirtschaftlichen Nachfolger im weiteren Sinne nicht selbst trifft, sondern sich durch das lebzeitige Vermögensrecht vorgeben lässt. Anders gesagt, sind die Erblassergläubiger als wirtschaftliche Nachfolger von vornherein „gesetzt“. Das zwischen ihnen und dem Erblasser bestehende Schuldverhältnis ist bei dieser Sichtweise also kein eigenständiges Übergangsobjekt, sondern lediglich Mittel zur Zuweisung von Nachlasswerten. Gegen die Einordnung der Erblassergläubiger als wirtschaftliche Nachfolger könnte man einwenden, dass das deutsche Recht ihnen außerhalb formaler Liquidationsverfahren wie Nachlassverwaltung und Nachlassinsolvenz keine Nachlasswerte zuspricht, sondern sich damit begnügt, ihnen mittels der Gesamtnachfolge des Erben einen neuen Schuldner zu geben und das Haftungssubstrat zu erhalten. Doch wie noch eingehend zu zeigen sein wird,45 ist diese Lösung nur als Vereinfachung für diejenigen Fälle gedacht, in denen der Nachlass zulänglich ist und somit keine Verteilungskonflikte drohen. Wertungsmäßig steht daher der Satz „der Gläubiger ist der erste Erbe“46 immer im Hintergrund.
Wie bereits angedeutet, bilden die Erblassergläubiger die wichtigste, aber nicht die einzige Gruppe innerhalb der wirtschaftlichen Nachfolger im weiteren Sinn. Ebenso gehören hierher solche Gläubiger, deren entgeltlicher Anspruch zwar erst nach Eröffnung des Erbfalls entsteht, denen das Recht aus Wertungsgründen aber die vorrangige Befriedigung aus Nachlassmitteln garantiert. Paradigma für solche „Nachlasskostenschulden“47 sind die Aufwendungen für das Begräbnis, die im Fall „in einem vollständig durchgebildeten Abwicklungssystem“ Rechtsinhaberschaft und wirtschaftliche Teilhabe immer parallel laufen. Gerade das Gegenteil ist der Fall, weil vor Auskehr der wirtschaftlichen Teilhabe die Rechtsinhaberschaft zunächst bei der Abwicklungsinstanz liegen muss. 45 Siehe unten F.III.2. (80 ff.), § 7 A.I. (569 ff.). 46 Dazu unten § 2 B.III.3b) (139 ff.). 47 Diese Kategorie entspricht im Wesentlichen den „Nachlasskosten- und Nachlassverwaltungsschulden“ der deutschen Erbrechtsdogmatik, dazu Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1202 f.; Muscheler, Erbrecht I, Rn. 3396. Die Nachlasskostenschulden werden oftmals als Unterfall der „Erbfallschulden“ behandelt (siehe z. B. Muscheler, Erbrecht I, Rn. 3394–3396; Röthel, Erbrecht § 31 Rn. 16 f.), zu denen vor allem die Verbindlichkeiten des Erben gegenüber Vermächtnisnehmern und Pflichtteilsberechtigten gehören. Auch Rheinstein, Iowa LR 20 (1935), 432, unterscheidet nur zwischen den „debts of the deceased“ und den „debts which originate in the succession“ (dazu auch Murga Fernández, ZEuP 2018, 361). Zwar besteht zwischen den Ansprüchen von Begünstigten einerseits und den Ansprüchen von Nachlasskostengläubigern andererseits die Gemeinsam-
B. Nachlassabwicklung als die Vollzugsdimension des Erbrechts
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der Unzulänglichkeit des Nachlasses sogar zu den (Vorrang genießenden) Masseverbindlichkeiten gehören.48 Zum Zwecke der besseren Lesbarkeit werden die „Nachlasskostengläubiger“ im Folgenden nicht eigens genannt, es sei denn, es kommt besonders auf sie an. Was über Erblassergläubiger gesagt wird, gilt somit grundsätzlich entsprechend. Vor dem Hintergrund, dass das BGB die Erblassergläubiger, Nachlasskostengläubiger, Vermächtnisnehmer und Pflichtteilsberechtigte in der Kategorie der „Nachlassgläubiger“49 zusammenfasst, die das Gegenstück zu den in § 1967 Abs. 2 BGB definierten „Nachlassverbindlichkeiten“ bildet, könnte man fragen, warum hier zusätzlich die Kategorie der „wirtschaftlichen Nachfolger“ eingeführt wird. Die Antwort lautet, dass beide Kategorien sich zwar weitgehend überschneiden, aber eben nicht vollständig decken. Denn der Erbe ist als Residualbegünstigter wirtschaftlicher Nachfolger des Verstorbenen, nicht aber Nachlassgläubiger.50
III. Die Konturen der Vollzugsdimension Kehrt man zur Nachlassabwicklung als der Vollzugsdimension des Erbrechts zurück, liegt ihre Aufgabe also darin, die angeordneten Zuweisungs- oder Verteilungsergebnisse dadurch herbeizuführen, dass jedem Nachfolger im wirtschaftlichen Sinne das gegeben wird, was ihm zusteht: den Erblasser- und Nachlasskostengläubigern die Erfüllung ihrer Ansprüche, den Legataren und Pflichtteilsberechtigten die Übertragung der ihnen zugesprochenen Rechte oder Werte, dem Staat die erhobene Steuer, dem Residualbegünstigten der Überschuss. Reichen die vorhandenen Aktiva zur vollständigen Erfüllung der Vorgaben nicht aus, müssen die von der Zuweisungsdimension vorgegebenen Vorrangverhältnisse umgesetzt werden (einzig die Residualbegünstigung des Erben ist, da sie von vornherein in Abhängigkeit vom verbleibenden Rest bestimmt wird, automatisch nachrangig). keit der Entstehung erst mit oder nach dem Erbfall, doch ist die Zusammenfassung zu den „Erbfallschulden“ insofern problematisch, als hierdurch die gänzlich unterschiedlichen Fundamente überspielt werden. Eine Dreiteilung sieht IECL/Schwind, Liability for Obligations of the Inheritance, Nr. 3, vor, die allerdings zu eng ist. Denn die Ansprüche von deutschen Pflichtteilsberechtigten oder von Ehegatten aus § 1932 BGB sind weder „liabilities incurred by the deceased“, noch „liabilities incurred by reason of death and the administration of the inheritance“ noch „obligations created by will“. Schief ist zudem die Vorstellung eines Übergehens der Erblasserverbindlichkeiten auf den Nachlass („transmitted to the inheritance“, siehe IECL/Schwind, Liability for Obligations of the Inheritance, Nr. 4). Rechtsvergleichend entsprechen die „Nachlasskostenschulden“ im Wesentlichen den „charges de la succession“ des französischen Rechts (dazu Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 9 00 (803–805)) und den „expenses“ des englischen Rechts (dazu Kerridge, Law of Succession, [21-09]– [21-11]). 48 § 324 Abs. 1 Nr. 2 InsO. 49 Siehe etwa §§ 1970, 1981 Abs. 2 , 1994 Abs. 1 BGB. 50 Damit ist nicht gesagt, dass der Erbe niemals Nachlassgläubiger sein kann. Hatte er beispielsweise einen Anspruch gegen den Erblasser oder hat der Testator ihm ein Vorausvermächtnis zugewandt, fällt der Erbe auch unter die Definition des § 1967 Abs. 2 BGB. Seine Stellung als Nachlassgläubiger ist dann aber unabhängig von seiner Stellung als Erbe.
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Weil die von Gesetz oder Erblasser angestrebten Verteilungsergebnisse in aller Regel zu komplex sind, als dass die Rechtsordnung sie selbst vollständig umsetzen könnte, braucht die Vollzugsdimension Handlungsorgane. Zu diesen zählen im deutschen Recht: der Nachlassverwalter, der Nachlassinsolvenzverwalter, in bestimmten Fällen der Testamentsvollstrecker und der Nachlasspfleger, ebenso und vor allem aber der Erbe. Ihm kommt als Inhaber aller Nachlassaktiva und „Ansprechpartner“ für sämtliche Nachlassverbindlichkeiten sogar die Erstzuständigkeit für die Verteilung des Nachlasses unter Erblassergläubigern und Begünstigten zu.51 Zu betonen ist, dass die Zuständigkeit für sämtliche Nachlassverbindlichkeiten nicht schon aus dem Vorgang der Gesamtnachfolge resultiert, sondern einer gesonderten Regelungsanordnung bedarf, die der deutsche Gesetzgeber in § 1967 BGB getroffen hat. Denn die Ansprüche der Begünstigten (Vermächtnisnehmer, Pflichtteilsberechtigte) und der Nachlasskostengläubiger (etwa aus Bestattung) bestehen zu Lebzeiten des Verstorbenen noch gar nicht und können somit auch nicht von diesem auf den Erben übergehen.52 Die Zuweisung dieser originären Pflichten bringt die Abwicklerrolle des Erben deshalb noch klarer zum Ausdruck als sein Eintreten in die Verbindlichkeiten des Erblassers. Belanglos ist demgegenüber der alte Streit über die Frage, ob sich die derivative Verantwortlichkeit des Erben, d. h. die für die Erblasserverbindlichkeiten, bereits aus § 1922 BGB oder erst aus § 1967 Abs. 1 BGB ergibt.53 Denn es besteht Einigkeit darüber, dass die Schulden des Verstorbenen nicht lediglich das Aktivvermögen belasten, sondern als Folge der (provisorischen) Vermögensverschmelzung zu Schulden des Alleinerben werden.54 Macht man sich die unterschiedliche Verantwortungsgrundlage für die Erblasserschulden auf der einen und die Begünstigungen und Nachlasskostenschulden auf der anderen Seite klar, lassen sich auch die Begriffe „Erbschaft“ und „Nachlass“, die vom BGB scheinbar unterschiedslos verwendet und im Schrifttum weitgehend synonym verstanden werden,55 klar 51 Einen Sonderfall bildet die Erbschaftssteuer: Da sie im Unterschied zu anderen Rechtsordnungen nicht am Nachlass, sondern bei den Begünstigten erhoben wird, ist die Zahlung der Erbschaftssteuer an sich nicht Teil der Abwicklungstätigkeit des Erben. Dennoch wird vielfach die Ansicht vertreten, dass die Erbschaftssteuerschulden Erbschaftsschulden im Sinne des § 1967 Abs. 2 Var. 2 BGB seien. Ausführlich zum Meinungsstand Staudinger/Kunz (2020), § 1967 Rn. 111–120. Siehe ferner BFH ZEV 2019, 603. 52 Der unnötige Versuch von Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3391, auch diese Verantwortlichkeit des Erben auf § 1922 BGB zurückzuführen, tut der Vorschrift Gewalt an, weshalb auch Muschelers Kritik an § 1967 Abs. 2 BGB verfehlt ist. Vor der Gefahr, § 1922 BGB zu überfordern, warnen zu Recht Lange/Kuchinke, Erbrecht, 87. Boehmer, in: RG-FG III, 251, betont sogar, dass § 1922 BGB weder allein noch zusammen mit den §§ 1967, 2058 BGB die Pflichtenstellung des Erben erschöpfend zum Ausdruck bringt (siehe auch schon ders., Erbfolge und Erbenhaftung, 26). 53 Dazu ausführlich Kipp/Coing, Erbrecht, 501 f.; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 86 f.; Windel, Modi der Nachfolge, 207–209; Muscheler, Erbrecht I, Rn. 753–758; Donner, Vererblichkeit, 25–50; siehe auch Röthel, Erbrecht, § 6 Rn. 14, § 31 Rn. 1. 54 Entgegen Muscheler, Erbrecht I, Rn. 756, lässt sich dieses Ergebnis auch auf der Grundlage von § 1967 Abs. 1 BGB erklären. Siber, Erbrecht, 129 f., misst der letztgenannten Regelung sogar noch weiter reichende Bedeutung bei; zustimmend Lange/Kuchinke, Erbrecht, 87 (Fn. 24). Windel, Modi der Nachfolge, 212, argumentiert, dass Erblasserverbindlichkeiten selbst dann keine automatische Begrenzung erfahren müssten, wenn man sie (nur) als negative Vermögensbestandteile auffasste. 55 Lange/Kuchinke, Erbrecht, 84; Muscheler, Erbrecht I, Rn. 114 f. („zwei Seiten einer Medaille“); Röthel, Erbrecht, § 6 Rn. 5; Staudinger/Kunz (2017), § 1922 Rn. 93 („vollkommen identisch“).
B. Nachlassabwicklung als die Vollzugsdimension des Erbrechts
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voneinander unterscheiden. „Erbschaft“ bezeichnet dann die Erbenstellung im Ganzen, der „Nachlass“ hingegen nur das vererbliche Vermögen.56 Zwar gehört zur „Erbschaft“ die Innehabung des „Nachlasses“. Doch bilden die darin enthaltenen Erblasserverbindlichkeiten eben nur einen Ausschnitt aus der Pflichtenstellung des Erben. Und selbst bei Hinzurechnung der Verantwortlichkeit für Begünstigungen und Nachlasskostenschulden ist die „Erbschaft“ noch nicht erschöpfend beschrieben. Denn insbesondere mit den dem Erben eingeräumten Optionsrechten – einmal im Hinblick auf Annahme und Ausschlagung, sodann auch hinsichtlich des Abwicklungsmodus57 – gibt es auch noch weitere Elemente der Erbenstellung, die sich nicht vom Erblasser ableiten, sondern originär sind.58 Konsequent ist es vor diesem Hintergrund, dass etwa § 1943 BGB von der Annahme und Ausschlagung der „Erbschaft“ spricht, und nicht (nur) von der Annahme oder Ausschlagung des „Nachlasses“.
Es zeigt sich damit ein oben bereits angedeuteter Umstand, der für das Thema dieser Arbeit von zentraler Bedeutung ist, im deutschen Schrifttum jedoch selten in seiner ganzen Tragweite erfasst wird: In der Figur des Erben und seiner Gesamtnachfolge fließen die Zuweisungs- und die Vollzugsdimension zusammen. Der Erbe ist Residualbegünstigter und Nachlassabwickler zugleich, hat bei funktionaler Betrachtung also zwei Hüte auf59 (wobei er den „Abwicklerhut“ freiwillig ablegen, dieser ihm aber auch gegen seinen Willen genommen werden kann60). Dementsprechend haben auch Testierfreiheit und Intestaterbfolge eine Doppelnatur, indem über sie sowohl die Residualbegünstigten als auch die Abwickler bestimmt werden. Das Pflichtteilsrecht begrenzt die Testierfreiheit in der Zuweisungsdimension, nicht aber in der Vollzugsdimension. Denn in der Bestimmung des Erben als Nachlassabwickler ist ein deutscher Testator stets frei. Die enge Verwobenheit von Zuweisungs- und Vollzugsdimension ist charakteristisch für die kontinentaleuropäischen Erbrechte generell und erklärt, warum diesen die hier getroffene Differenzierung weitgehend unbekannt ist.61 So kennzeichnet zwar die französische Lehrbuchliteratur seit Langem die Zweiteilung von „dévolution successorale“ und „transmission successorale“,62 was sich mit „Erb berufung“ und „Erbübergang“ übersetzen lässt. Doch ist diese Dichotomie mit der 56 Siehe auch schon Windscheid/Kipp, Pandektenrecht III, § 606 (478) (Bezeichnung der rechtlichen Stellung des Erben als „Erbschaft“ möglich, wenngleich aufgrund der Mehrdeutigkeit dieses Ausdrucks nicht ratsam). 57 Siehe insbesondere unten § 5 B. (322 ff.), § 7 C.I. (610 ff.). 58 Vgl. auch Windel, Modi der Nachfolge, 213. Näher zu den originären Elementen der Erbenstellung Dörner, in: FS Ferid, 61–64; mit besonderer Bezugnahme zum Gegenstand der Ausschlagung Metzler, Ausschlagung und Erbverzicht, 25, 52–60. Ob man die originären Elemente der Erbenstellung unter dem Begriff des „subjektiven Erbrechts“ zusammenfassen möchte (so mit beachtlichen Argumenten Dörner, in: FS Ferid, 67), ist für das vorliegende Thema ohne Belang. 59 Zum Ausdruck gebracht wird diese Doppelrolle im Untertitel von Klook, Die überschuldete Erbschaft („Der Erbe als Berechtigter und als Treuhänder der Nachlaßgläubiger“). Auf die Inhaberschaft zweier Vermögen (Privatvermögen und Nachlass) stellt demgegenüber Wacke, JZ 2001, 384, ab. 60 Näher unten § 7 C.I. (610 ff.). 61 Siehe auch MPI-Stellungnahme Nr. 190. 62 Siehe etwa Planiol/Ripert, Successions IV; Grimaldi, Successions; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions (die anstelle der „transmission successorale“ allerdings vom „règlement successorale“ sprechen); Malaurie/Brenner, Successions et Liberalités (die genannte Zweiteilung wird
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§ 1 Einführung: Gegenstand, Ziele und Methoden der Arbeit
hier vorgestellten nicht deckungsgleich. Denn weil der héritier genau wie der deutsche Erbe nicht nur Begünstigter, sondern zugleich Organ der Nachlassabwicklung ist, gehören die Regeln zur „dévolution“, also zur Bestimmung des héritier, auch der Vollzugsdimension an.
IV. Das Zusammenspiel von Zuweisungs- und Vollzugsdimension Lassen sich Zuweisungs- und Vollzugsdimension auch klar voneinander abgrenzen, kann dennoch die eine ohne die andere nicht sinnvoll existieren. So wird zwar oftmals suggeriert, dass entscheidendes Moment für einen Vermögensübergang von Todes wegen die Bestimmung eines Nachfolgers durch Testament oder Intestaterbrecht sei. 63 Doch hängt eine solche Designation für sich allein in der Luft. Sie entfaltet erst dort Wirkung, wo sie in einen Vollzugsmechanismus eingespeist wird, wie das deutsche Recht ihn in den §§ 1922, 1942–1959, 1967–2017 BGB bereitstellt. Umgekehrt läuft dieser Mechanismus so lange leer, wie ihm keine Zielkoordinaten eingegeben werden. Bildlich gesprochen, ist die Zuweisungsdimension ohne Vollzugsdimension wie ein Kapitän, der die malerischsten Reiserouten im Kopf hat, aber kein Schiff, mit dem er sie befahren kann. Vollzugsdimension ohne Zuweisungsdimension ist wie ein Schiff, das technisch einwandfrei funktioniert, aber keinen Kapitän hat, der ihm einen Kurs vorgibt. Erst beide Dimensionen zusammen bilden ein funktionsfähiges Ganzes. 64
V. Der rechtspolitische Gehalt von Zuweisungs- und Vollzugsdimension Fragt man, in welcher der beiden Dimensionen sich die gesellschaftspolitische Relevanz des Erbrechts, wenn nicht gar seine Sprengkraft entfaltet, so ist unschwer zu erkennen, dass dies die Zuweisungsdimension ist. 65 So trug das Erbrecht im feudalen Zeitalter dadurch zur Aufrechterhaltung bestimmter Macht- und Wirtschaftsstrukturen bei, dass es die ungeteilte Weitergabe von Grund und Boden an den älhier allerdings nur innerhalb des Intestaterbrechts gebraucht). Eine Dreiteilung („dévolution“, „transmission“, „règlement“) findet sich bei Pérès/Vernières, Droit des successions. 63 Siehe stellvertretend Braun/Röthel, in: Passing Wealth on Death, 1, die „wills or intestacy rules“ als die traditionellen Mechanismen für einen „transfer of wealth on death“ bezeichnen. 64 Dieses Ganze wird manchmal mit einer „Maschine“ verglichen, vermutlich zuerst von Alexis de Tocqueville (dazu Dutta, Warum Erbrecht?, 1). Im englischsprachigen Schrifttum findet sich dieselbe Metapher bei Rheinstein/Glendon, Decedents’ Estates, XV: „The law of decedents’ estates ought to be understood as the machinery for the orderly transfer of wealth upon death of the owner.“ Vgl. auch den Titel des Buches von Miller, The Machinery of Succession, der allerdings ausdrücken soll, dass das traditionelle Erbrecht nicht das einzige Mittel der Vermögensübertragung von Todes wegen ist (vgl. 1 f.). 65 Guter Überblick bei Röthel, Erbrecht, § 1 Rn. 2–6; dies., Ist unser Erbrecht noch zeitgemäß?, A 26 f. Siehe auch Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 3–9, der zwischen dem „sozialpolitischen“ und dem „rechtlichen Problem“ des Erbrechts unterscheidet; ferner Papantoniou, AcP 173 (1973), 385–401.
B. Nachlassabwicklung als die Vollzugsdimension des Erbrechts
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testen Sohn sicherstellte.66 Umgekehrt war es ein zentrales Anliegen der Französischen Revolution, die feudalen Machtstrukturen aufzubrechen. Zu diesem Zweck wurden Sondererbfolgen für Adelsgüter67 abgeschafft und die Möglichkeiten zur testamentarischen Ungleichbehandlung von Kindern stark eingeschränkt. 68 Rheinstein und Glendon illustrieren die fundamentale gesellschaftspolitische Rolle erbrechtlicher Zuweisungsregeln durch zwei Briefe, die Napoleon im Jahr 1806 seinem Bruder schrieb, nachdem er ihn zum König von Neapel eingesetzt hatte: Im ersten Brief riet er ihm, seine Macht dadurch zu festigen, dass er durch die Vergabe von gebundenen Landgütern (Majoraten) eine neue Aristokratie schuf. 69 Im zweiten Brief empfahl Napoleon seinem Bruder die Einführung des Code civil, da dessen erbrechtliche Regelungen die bestehenden Strukturen aufbrechen würden.70 Vor allem seit dem 19. Jahrhundert wird sodann diskutiert, inwieweit das Erbrecht als Mittel zur Umverteilung von Vermögen eingesetzt werden sollte, sei es über eine rechtliche Nachfolge des Staates in das Vermögen einer verstorbenen Person, sei es durch eine wirtschaftliche Nachfolge in Gestalt einer Steuer.71 In heutiger Zeit schließlich wird die Zuweisungsdimension des Erbrechts in erster Linie im Hinblick auf Individualinteressen erörtert.72 So kann etwa die Ermöglichung letztwilliger Selbstbestimmung Anreize zu Sparsamkeit und Vermögensbildung setzen,73 während sich durch eine zwingende Nachlassteilhabe naher Angehöriger die familiäre Solidarität stärken lässt.74 Im Gegensatz dazu ist die Vollzugsdimension auf den ersten Blick gänzlich apolitischer Natur. Denn für die ihr gestellte Aufgabe spielt die Destination der Nachlasswerte grundsätzlich keine Rolle. Ob diese etwa in privater Hand bleiben oder auf den Staat übergehen,75 ob die Begünstigten vom Gesetz oder durch den Erb lasser benannt werden, stets bedarf es derselben rechtlichen Umsetzungsmecha nismen. Und dennoch wäre es ein Irrtum zu glauben, dass die Vollzugsdimen66 Zu solchen auch auf Wahrung des splendor familiae gerichteten Maßnahmen etwa Rheinstein/Glendon, Decedents’ Estates, 26–33; Beckert, Unverdientes Vermögen, 139–142; Lequette, in: Melanges Simler, 173; Descamps, in: Succession Law, Practice and Society, 592. 67 Das sog. „droit d’aînesse“, siehe Terré/Lequette/Gaudemet, Les successions, Rn. 14, 77. Zum Verbot fideikommissarischer Substitutionen Beckert, Unverdientes Vermögen, 146–149. Zu dem in Abkehr von Sondererbfolgen in Art. 732 Code civil niedergelegten Grundsatz der „unité de la succession“ unten § 3 C.II.4i)(1) (232 ff.). 68 Dazu eingehend Beckert, Unverdientes Vermögen, 37–55; siehe auch schon Wieacker, in: FS Siber, 3. 69 Napoleon setzte diese Maßnahme auch in seinem unmittelbaren Herrschaftsbereich um, siehe Beckert, Unverdientes Vermögen, 149–151. 70 Rheinstein/Glendon, Decedents’ Estates, 29 f. 71 Eingehend Dutta, Warum Erbrecht?, 185–302; siehe auch Beckert, Unverdientes Vermögen, 199–203. 72 Röthel, Erbrecht, § 1 Rn. 2. 73 Dazu eingehend Dutta, Warum Erbrecht?, 151–184. 74 Dazu etwa Röthel, Solidaritätskonzept und Statusorientierung des Erbrechts, 85–120; Dutta, Warum Erbrecht?, 385–475. 75 Dass auch der zweitgenannte Fall vom Begriff des Erbrechts umfasst ist, dieser also nicht gleichbedeutend mit „Privaterbfolge“ ist, betont zu Recht Papantoniou, AcP 173 (1973), 386.
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§ 1 Einführung: Gegenstand, Ziele und Methoden der Arbeit
sion gänzlich wertneutral sei, sie nur rechtstechnischen, aber keinen materialen Gehalt habe.76 Ein erster Grund hierfür besteht in dem bereits erwähnten Umstand, dass die Vollzugsdimension sich aufgrund der Komplexität der Verteilungsvorgaben nicht auf eine mechanische Rechtsübertragung beschränken kann. Soll etwa gewährleistet sein, dass die Gläubiger des Erblassers mit Vorrang vor Begünstigten am Nachlass partizipieren, muss die Vollzugsdimension eine Abwicklungsinstanz installieren, dieser ein ausgefeiltes Pflichtenprogramm auferlegen und für den Erhalt des Haftungssubstrats sorgen.77 Im deutschen Schrifttum ist denn auch seit Langem anerkannt, dass der zwingende Charakter der Gesamtnachfolge gläubigerschützende Wirkung hat, weil hierdurch die Einheit von Nachlassaktiva und -passiva erhalten wird.78 Noch klarer kommt der materiale Gehalt der Nachlassabwicklung in Vorschriften wie §§ 322, 327 InsO zum Ausdruck: Zwar sind die hier etablierten Rangfolgen der Nachlassteilhabe noch der Zuweisungsdimension zuzurechnen. Doch nimmt die Vollzugsdimension deren Wertungen dadurch in sich auf, dass sie ihnen aktiv zur Durchsetzung verhilft. Negativ zeigt sich der materiale Gehalt der Vollzugsdimension dort, wo sie aufgrund unzureichender Ausgestaltung die Verteilungsziele unterläuft.79 Ein zweiter Grund für die fehlende rechtspolitische Neutralität der Vollzugsdimension liegt in dem Erfordernis, die Vielzahl der sich auftuenden Regelungsspielräume auszufüllen und dabei eine Gewichtung der betroffenen Interessen vorzunehmen. So kann, um ein Beispiel zu nennen, die Auswahl des Nachlassabwicklers dem Erblasser überlassen, zwingend gesetzlich angeordnet oder von einem Gericht getroffen werden. Dem Erblasser wird oft daran liegen, eine Person seines Vertrauens einzusetzen. Die Begünstigten sind in der Regel daran interessiert, die Abwicklung selbst vorzunehmen, um Zeit und Kosten zu sparen und die ihnen zugewiesenen Vorteile sofort nutzen zu können. Die Erblassergläubiger hingegen mögen Grund haben, den Begünstigten zu misstrauen und einen professionellen Abwickler ohne Eigeninteresse am Nachlass zu bevorzugen. Schließlich möchte der be76 Diese Sichtweise wird durch eine im deutschen Schrifttum verbreitete Dichotomie gefördert, nämlich die Unterscheidung zwischen den „materialen“ und den „rechtstechnischen Prinzipien“ des Erbrechts, wobei den erstgenannten vor allem die Testierfreiheit und die Familienerbfolge zugerechnet wird und den zweitgenannten die Universalsukzession und der Vonselbsterwerb. Siehe Kipp/Coing, Erbrecht, 4–7; Coing, Europäisches Privatrecht II, 596; Staudinger/MeyerPritzl, Eckpfeiler, W 13, W 101; ähnlich Muscheler, Erbrecht, Rn. 731–733 (Unterscheidung zwischen „materialen“ und „eher rechtstechnischen“ Prinzipien). Auch nach Staudinger/Otte (2016), Einl zum ErbR, Rn. 59, haben die Grundsätze der Universalsukzession und des Vonselbsterwerbs „[n]ur rechtstechnische Bedeutung“. Hingegen betont HWBEuP/Kroppenberg, Universalsukzession, 1560, dass die Nachlassabwicklung auch der Verwirklichung materialer Interessen diene. 77 Ausführlich unten §§ 2–4. 78 Siehe etwa Kipp/Coing, Erbrecht, 6; Meincke, Auswirkungen der Rechtsnachfolge, 30 f.; MüKoBGB/Leipold, § 1922 Rn. 181; Windel, Modi der Nachfolge, 12 f.; Röthel, Ist unser Erbrecht noch zeitgemäß?, A 31; dies., Erbrecht, § 6 Rn. 32; Staudinger/Meyer-Pritzl, Eckpfeiler, Rn. W 103. Aus vergleichender Sicht J. P. Schmidt, in: FS Gretton, 327–337. 79 Für Beispiele in diesem Sinne siehe unten § 4 A.VII.9b) (271 ff.); § 6 E.V.4. (529 ff.).
C. Die Missstände der deutschen Nachlassabwicklung
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nannte Abwickler nicht gegen seinen Willen zu dieser Aufgabe herangezogen und dem Risiko einer Haftung mit dem eigenen Vermögen ausgesetzt werden. Wird sich ein kluger Gesetzgeber auch stets darum bemühen, alle betroffenen Interessen gleichermaßen zu berücksichtigen, wird er an einem bestimmten Punkt doch dazu gezwungen, sich beispielsweise zwischen einer gläubiger- und einer begünstigtenorientierten Lösung zu entscheiden. Konflikte treten aber sogar zwischen Zuweisungs- und Vollzugszielen auf. So wird die Abwicklung umso komplizierter, je detaillierter die Verteilungsvorgaben sind, insbesondere im Hinblick auf zu beachtende Rangverhältnisse.80 Mehr als einmal in der Rechtsgeschichte ist es deshalb zu einem Zurückwirken der Vollzugsdimension auf die Zuweisungsdimension in dem Sinne gekommen, dass das Ziel der gerechten Verteilung dem der einfachen Abwicklung geopfert wurde. 81 In ähnlicher Gestalt tritt dieses Spannungsverhältnis aber auch schon innerhalb der Vollzugsdimension auf: So sind die wirtschaftlichen Nachfolger des Verstorbenen nicht nur an einer möglichst schnellen, einfachen und kostengünstigen Abwicklung interessiert, sondern auch an der Richtigkeit ihrer Ergebnisse. Ähnlich wie ein Elfmeterschütze beim Fußball muss die Nachlassabwicklung also das richtige Maß zwischen Geschwindigkeit und Präzision finden.
C. Die Missstände der deutschen Nachlassabwicklung Die deutschen Regelungen zur Nachlassabwicklung sind, von ganz punktuellen Reformen abgesehen,82 seit Inkrafttreten des BGB unverändert geblieben. 83 Diese Langlebigkeit könnte als Indiz dafür gewertet werden, dass sich die – in ihrer Entstehung durchaus umstrittenen84 – Entscheidungen des BGB-Gesetzgebers im Großen und Ganzen bewährt haben. Doch erweist sich dieser Schluss aus mehreren Gründen als voreilig. So besteht seit Inkrafttreten des BGB Einigkeit darüber, dass die §§ 1967–2017 BGB über die „Erbenhaftung“, die wie gesehen einen zentralen Baustein der Nachlassabwicklung bilden, zu den misslungensten Teilen nicht nur des (im Allgemeinen sehr gelobten85) fünften Buches, sondern gar des gesamten BGB gehören, und dies, obwohl seine Verfasser dem Thema mehr Aufmerksamkeit widmeten als jeder Gesetzgeber vor und nach ihnen.86 Nicht nur gilt die Regelung als viel zu komplex, 80 Dieses Spannungsverhältnis arbeitet auch IECL/Schwind, Liability for Obligations of the Inheritance, Nr. 29, heraus; siehe ferner Gomes da Silva, Herança, 143. 81 Siehe für das römische Recht unten § 4 A.VII.10. (277 ff.), für das französisches Recht unten § 6 C.II. (386 ff.). 82 Etwa die 1998 erfolgte Einführung des § 1629a BGB, dazu unten § 6 E.IV.5b) (518 ff.). 83 Diese Stabilität teilt die Nachlassabwicklung mit dem Rest des fünften Buches des BGB, siehe Röthel, Ist unser Erbrecht noch zeitgemäß?, A 9. 84 Dazu unten § 6 E.III. (459 ff.). 85 Röthel, Ist unser Erbrecht noch zeitgemäß?, A 10 m. w. N. 86 Dazu eingehend unten § 6 E.III. (459 ff.).
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§ 1 Einführung: Gegenstand, Ziele und Methoden der Arbeit
auch wird ihre Sachgerechtigkeit infrage gestellt. Der wesentliche Schwachpunkt wird darin gesehen, dass der Erbe zumindest im Ausgangspunkt für Nachlassverbindlichkeiten auch mit seinem eigenen Vermögen einstehen muss und der Weg zur Vermeidung dieser Eigenhaftung mit Hindernissen und Fallstricken gepflastert ist. In der Praxis sind die §§ 1967–2017 BGB daher weitgehend totes Recht geblieben. Steht eine Überschuldung des Nachlasses im Raum und ist der Erbe nicht bereit, einen eventuellen Fehlbetrag aus eigener Tasche zu zahlen,87 raten Anwälte fast durchgehend zur Ausschlagung der Erbschaft bzw. zur Anfechtung der Annahme.88 Die Gerichte unterstützen diesen Kurs durch eine sehr großzügige Handhabung der Anfechtungsgründe.89 Mag diese „Flucht in die Erbausschlagung“90 auf den ersten Blick wie ein elegantes und schlagkräftiges Verteidigungsmittel aussehen, bedeutet sie nicht nur eine Missachtung der gesetzgeberischen Konzeption, sondern auch eine Beeinträchtigung verschiedener Individual- und Allgemeininteressen.91 So begibt sich der ausschlagende Erbe eines eventuellen Nachlassüberschusses und muss dafür obendrein eine Gebühr entrichten.92 Aus Sicht des Erblassers mag zu beklagen sein, dass seine sorgsam geplante Nachfolgeregelung allein deshalb ins Leere geht, weil das BGB dem eingesetzten Erben nicht die Sorge vor Haftungsrisiken zu nehmen wusste. Die Nachlassgläubiger erhalten keinen definitiven Schuldner und müssen zur Geltendmachung ihrer Ansprüche die Bestellung eines Nachlasspflegers beantragen.93 Schließlich entstehen auch volkswirtschaftliche Kosten. Denn wird der Nachlass wie ein faules Ei von einem Berufenen zum nächsten weitergereicht, bis er schließlich beim Staat als Letzt- und Zwangsberufenem landet,94 kann es Jahre dauern, bis die im Nachlass enthaltenen Werte wieder dem Rechts- und Wirtschaftskreislauf zugeführt werden.95 Ist das Problem der Nachlassabwicklung somit im deutschen Recht bis heute nicht befriedigend gelöst, wird es noch dadurch verschärft, dass infolge bestimmter gesellschaftlicher Entwicklungen die Themen Erbschaftsausschlagung und Erbenhaftung heute viel relevanter sind als noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts.96 So 87 Dass nahe Angehörige des Verstorbenen sich in einer entsprechenden moralischen Pflicht sehen, ist zwar ein epochen- und rechtsordnungsübergreifendes Phänomen (dazu unten § 2 Fn. 263), doch dürfte es sich angesichts gelockerter Familienbindungen (dazu unten Fn. 102) auf dem Rückzug befinden. 88 Näher unten § 6 E.V.1. und 3. (519 ff., 526 ff.). 89 Näher unten § 7 C.I.3. (613 ff.). 90 Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3490. 91 Dazu auch unten § 6 A.I. (367 ff.). 92 Zu dieser Gebühr unten Fn. 106. 93 § 1961 BGB. 94 §§ 1936, 1942 Abs. 2 BGB. 95 Mitunter dauert es sogar Jahrzehnte bis zur Feststellung des Fiskuserbrechts, siehe Beck, Erbenermittlung in Deutschland, 98. 96 Siehe etwa den Klappentext zu Herzog, Die Erbenhaftung, wo es heißt, dass das Thema des Buches „in der Rechtsprechung einen unerwarteten Boom erfährt“. Auch die Wissenschaft hat sich dem Thema in den letzten Jahren verstärkt zugewandt, siehe stellvertretend die Dissertatio-
C. Die Missstände der deutschen Nachlassabwicklung
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gerät leicht aus dem Blick, dass die gegenwärtige Praxis keineswegs nur durch die Vererbung großer, in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg akkumulierter Vermögen gekennzeichnet ist.97 Vielmehr ist, bedingt u. a. durch die gestiegene Lebenserwartung und damit verbundene Vermögensaufzehrung (insbesondere durch Gesundheits- und Pflegekosten),98 auch die Zahl wertloser oder gar überschuldeter Nachlässe kontinuierlich gestiegen.99 Wesentlich größer als noch vor 100 Jahren sind zudem die Gefahren, die heute von öffentlich-rechtlicher Seite auf den Erben lauern: Hat der Erblasser beispielsweise eine schädliche Bodenveränderung verursacht, trifft die Sanierungspflicht auch seinen Gesamtnachfolger.100 Schließlich hinterlassen aber auch die gelockerten Familienbindungen ihre Spuren in der Nach lassabwicklung: So werden selbst werthaltige Nachlässe immer häufiger von sämtlichen zur Erbschaft berufenen Personen ausgeschlagen101 und deshalb am Ende vom Staat abgewickelt.102 Parallel dazu gewinnt das Institut der Nachlasspflegschaft immer mehr an Bedeutung.103 Umso bemerkenswerter ist angesichts dieser Zustände, dass die BGB-Regelung der ersten Phase der Nachlassabwicklung, also des Nachlassübergangs, eine überaus positive Würdigung im deutschen Schrifttum erfährt und ihr oftmals eine klare Überlegenheit gegenüber ausländischen Lösungen attestiert wird. Stellvertrenen von Kaltwasser, Der überschuldete Nachlass; Gramlich, Das rückwirkend fingierte Verschulden; Osthold, Erben und Haftung; und Schumann, Rechtsprobleme der Nachlassinsolvenz. 97 Dazu etwa Nave-Herz, in: Reformfragen des Pflichtteilsrechts, 23–36; Röthel, Ist unser Erbrecht noch zeitgemäß?, A 13 m. w. N.; Beckert, Referat, L 10–12; Braun/Pfeiffer/Thomschke, Erben in Deutschland, 1, 5; Titz, Vindikationslegat, 3 f. 98 Dazu Beckert, Referat, L 18. Dass Gesundheits- und Pflegekosten den Umfang von Erbschaften künftig reduzieren werden, entspricht gemäß der Studie der Deutschen Bank, Erben und Vererben, 9 f., auch den Erwartungen der Bevölkerung. 99 Dass längst nicht jeder im erbrechtlichen Geldregen steht, betonen auch Braun/Pfeiffer/ Thomschke, Erben in Deutschland, 1. Umfassende statistische Erhebungen sind, soweit ersichtlich, nicht vorhanden, siehe für Erhebungen zu Nachlasswerten aber unten § 6 E.IV.1b) (482 ff.). Zum genannten Befund auch Röthel, Ist unser Erbrecht noch zeitgemäß?, A 14 (Fn. 11); Herzog, Erbenhaftung, V; Kaltwasser, Der überschuldete Nachlass, 19 f.; Titz, Vindikationslegat, 87 f. Selbst die Tagespresse berichtet in regelmäßigen Abständen über das Phänomen, siehe z. B.: „Die Zahlungsmoral vieler Senioren sinkt“, Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 29.4.2015; „Immer mehr Deutsche sind überschuldet“, Zeit Online v. 9.11.2017. Dass in einer 2015 durchgeführten Befragung von Erben zwei Drittel angaben, dass ihre Erbschaft „nicht mit Schulden verbunden“ gewesen sei (Studie der Deutschen Bank, Erben und Vererben, 19 f.), steht zu dem genannten Befund nicht notwendig im Widerspruch. 100 § 4 Abs. 3 S. 1 BBodSchG (anders allerdings OLG München ErbR 2021, 983). Gehört ein Grundstück zum Nachlass, kann sich die Sanierungspflicht bereits aus der Eigentümerstellung des Erben ergeben. Für weitere Fälle einer Nachfolge in verwaltungsrechtliche Pflichten Frye, Gesamtrechtsnachfolge, § 2 Rn. 9 –24. Zum Fall des § 45 Abs. 1 S. 1 AO ebd., § 5. 101 Baumann, ErbR 2020, 303 (Fn. 2 2), berichtet von keineswegs seltenen Fällen, in denen sich der ausschlagende Berufene und der Erblasser überhaupt nicht kannten. 102 Für umfangreiches statistisches Material siehe Beck, Erbenermittlung in Deutschland, 116– 133. Siehe ferner Mayer, ZEV 2010, 446; Wilsch, ZErb 2019, 57; Osthold, Erben und Haftung, 5 f., und erneut die Tagespresse, z. B.: „Was vom Leben übrig bleibt“, Süddeutsche Zeitung v. 26.8.2013; „10.000 Häuser, die keiner will“, Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 31.10.2016. 103 Dazu unten § 6 E.II.2. (450 ff.).
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tend kann hier die Auffassung Röthels genannt werden, die dem deutschen Gesetzgeber bescheinigt, eine „vergleichsweise modern[e]“ und „zukunftsweisende Konzeption“ vorgelegt zu haben, die „einfach, kostensparend und bürokratievermeidend“ sei.104 Indessen ist aus mehreren Gründen Skepsis gegenüber solchen Lobpreisungen angebracht. So wird sich erstens zeigen, dass die für das deutsche Recht reklamierten Vorzüge alternativen Modellen oft genauso eigen sind.105 Zweitens weckt die bereits genannte Anfechtungsfreundlichkeit der Rechtsprechung den Verdacht, dass die §§ 1942 ff. BGB, die den Erben wegen der Kürze der Ausschlagungsfrist und der Form- und Kostenpflichtigkeit106 einer Lossagung von der Erbschaft regelrecht in die „Annahmefalle“ locken,107 seiner Selbstbestimmung nicht hinreichend Rechnung tragen108 und daher längst nicht so gut sind wie ihr 104 Röthel, Erbrecht, § 27 Rn. 5; ähnlich schon dies., Ist unser Erbrecht noch zeitgemäß?, A 47. Siehe auch die eingehende und ausnahmslos positive Würdigung bei Muscheler, Erbrecht I, § 19; Metzler, Ausschlagung und Erbverzicht, 28–33; knapper, aber mit derselben Tendenz Lange/Kuchinke, Erbrecht, 193 f.; K. W. Lange, AcP 220 (2020), 185. Sehr kritisch zum Vonselbsterwerb jetzt allerdings Baumann, ErbR 2020, 301–303 („[…] kann nicht zu den Glanzstücken des deutschen Erbrechts gezählt werden“ (303)). 105 Dies gilt insbesondere für Systeme des privaten Antrittserwerbs, siehe F. Mommsen, Gutachten. 13-21; Kirchhofer, Erbschaftserwerb, 7, aber auch das in seiner Funktionsweise oftmals verkannte englische Recht, siehe unten E.I.1. (27 ff.). Repräsentativ ist die haltlose Aussage von Lange/Kuchinke, Erbrecht, 193, dass „nur der Vonselbsterwerb den Übergang der Erbschaft auf den Erben ohne Einschaltung einer Behörde“ gestatte, sich „[n]ur unter ihm […] der regelmäßige Erbfall in der Familie“ abwickele (ähnlich Staudinger/Meyer-Pritzl, Eckpfeiler, Rn. W 110). Ähnlich irreführend die Behauptung von Wolf, ZSR 125 (2006) II, 234, dass der Antrittserwerb „zumindest in der Regel“ nach Einschaltung der Behörden verlange und daher der Ipso-iure-Erwerb „privatrechtskompatibler“ sei. 106 Zur Form siehe § 1945 BGB. Monographisch dazu Möller, Einschränkung, der die Autonomie des Berufenen im Ergebnis nicht in unzulässiger Weise begrenzt sieht. Wer hingegen die Kosten der Ausschlagungserklärung trägt, „hat der [BGB-]Gesetzgeber wohlweislich verschwiegen – eine echte Vogelstraußpolitik!“ (Cosack, Lehrbuch II/2, 378). Die Kostentragungslast des Erklärenden ergibt sich erst aus Sondervorschriften (§ 103 Abs. 1 GNotKG i. V. m. Nr. 21201 Nr. 7 KV), näher Möller, Einschränkung, 127. Diese Regelung widerspricht dem Grundsatz, dass durch den Tod bzw. den Erbfall entstehende Kosten dem Nachlass zur Last fallen. Allenfalls nahen Angehörigen des Verstorbenen ist es zumutbar, die Kosten der Ausschlagung zu tragen. Dass für den familienfremden Erben Härten entstehen können, räumt auch Reif, in: 4. Denkschrift, 40, ein, doch verweist er darauf, dass solchen Personen in der Praxis nur selten ein überschuldeter Nachlass zugwiesen wird (dem folgend Muscheler, Erbrecht I, Rn. 1220). Die Ansicht Cosacks, Lehrbuch II/2, 378, wonach der Ausschlagende einen Erstattungsanspruch gegen den Nachlass hat, scheint keine Gefolgschaft gefunden zu haben. 107 Muscheler, Erbrecht I, Rn. 1081, der dies freilich ebenso wenig als Kritik meint wie den „gesetzlichen Sog in die Annahme“ (Rn. 1081 f.). 108 Welch geringen Stellenwert dem Interesse des Berufenen an einer informierten Entscheidung eingeräumt wird, zeigt sich im Übrigen auch daran, dass die Beantragung eines Erbscheins als schlüssige Annahmehandlung gewertet wird (BGH NJW 2006, 3064), obwohl der Berufene ohne Vorlage eines Erbscheins oftmals gar nicht die notwendigen Auskünfte von Banken, Versicherungen und anderen relevanten Stellen erhält. Siehe dazu die Kritik und den Vorschlag zur Stärkung des Auskunftsrechts von Mayer, Referat, L 122 f.; für die Schaffung eines „Vorbehaltserbscheins“ Osthold, ZErb 2020, 311–313. Nach Moser, in: Sitzungsbericht, L 238 f., wird Betroffenen in der Praxis oft geraten, dem Dilemma dadurch zu entkommen, dass sie die Erbschaft annehmen und ggf. später wegen Irrtums ausschlagen. Auf dem 68. Deutschen Juristentag 2010 in Berlin wurde die Empfehlung, die Auskunftsrechte des vorläufigen Erben zu stärken, mit deutli-
D. Die Nachlassabwicklung als Wimmelplatz der Erbrechtsvergleichung
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Ruf.109 Drittens schließlich stellt sich die Frage, ob ein Teilkomplex der Nachlass abwicklung als gelungen betrachtet werden kann, solange der Gesamtkomplex dysfunktional ist. Trost mag die deutsche Rechtsgemeinschaft immerhin darin finden, dass sie mit ihrer Erfahrung bei rechtsvergleichender Betrachtung keineswegs allein dasteht. So war die im französischen Code civil von 1804 enthaltene Regelung der Nachlassabwicklung beinah von Anfang an starken Angriffen ausgesetzt, und ob die im Jahr 2006 nach mehreren Anläufen endlich erfolgte Novellierung als Erfolg betrachtet werden kann, ist keineswegs ausgemacht.110 Als defizitär wird die Rechtslage auch in Spanien empfunden,111 wo deshalb 2019 ein offizielles Reformvorhaben angestoßen wurde, in dessen Begründung u. a. auf die seit der Finanzkrise 2008 gestiegene Zahl überschuldeter Nachlässe und Erbausschlagungen hingewiesen wird.112
D. Die Nachlassabwicklung als Wimmelplatz der Erbrechtsvergleichung Juristen jedweder Provenienz unterliegen leicht der Versuchung, die Regelungen und Strukturen des eigenen Rechts für sachlogisch vorgegeben und damit universell zu halten. Diese Vorstellung erfährt vielleicht bei keinem anderen Thema des Privatrechts eine so gründliche Widerlegung wie bei dem der Nachlassabwicklung. Denn wer hier eine vergleichende Perspektive einnimmt, der wird schon innerhalb der kontinentaleuropäischen Tradition nicht nur hinsichtlich der Lösungen, sondern auch hinsichtlich der Rechtsfiguren und Begrifflichkeiten mit einer babylonisch anmutenden Vielgestaltigkeit konfrontiert.113 So erwirbt beispielsweise nach cher Mehrheit angenommen (Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hg.), Verhandlungen des 68. Deutschen Juristentages. Berlin 2010, Bd. II/1, L 153 (Beschluss Nr. 18)). 109 Siehe auch Mayer, Referat, L 122; Baumann, ErbR 2020, 301. Röthel, Ist unser Erbrecht noch zeitgemäß?, A 47 f., konzediert immerhin, dass der „faktische Annahmedruck“ sich als kontraproduktiv erweisen und die Legitimation der Rechtsnachfolge schwächen kann, und plädiert für die Möglichkeit einer gerichtlichen Fristverlängerung nach dem Vorbild des § 1995 Abs. 3 BGB für die Inventarfrist (zustimmend Teetzmann, in: Sitzungsbericht, L 252 f.; in der Sache auch Ivo, ErbR 2018, 675; Mayer, Referat, L 122, gibt zu bedenken, dass sich hierdurch häufig nicht alle bestehenden Informationsdefizite werden beseitigen lassen). Als zu kurz kritisiert die Frist des § 1944 Abs. 1 BGB auch schon Strätz, DNotZ 2001, 453. Auf dem 68. Deutschen Juristentag 2010 in Berlin wurde die Empfehlung zur Verlängerung der Frist des § 1944 Abs. 1 BGB mit deutlicher Mehrheit angenommen (Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hg.), Verhandlungen des 68. Deutschen Juristentages. Berlin 2010, Bd. II/1, L 153 (Beschluss Nr. 17)). Sympathie für eine längere Hemmung der Frist äußert Plett, in: Sitzungsbericht, L 258. 110 Ausführlich unten § 6 C. (384 ff.), § 7 B. (576 ff.). 111 Dazu Murga Fernández, Los sistemas europeos, 25 f. 112 Ministerio de Justicia, Orden de 4 de febrero de 2019, 3; dazu Murga Fernández, Los sistemas europeos, 25 f. 113 Siehe z. B. auch Geimer, Erbrechtsverordnung, 10 („[…] wimmelt es nur so von Rechtsfiguren […]“). Mit Röthel, Ist unser Erbrecht noch zeitgemäß?, A 24, lassen sich zwar auch in anderen Bereichen des Erbrechts „grundlegende konzeptionelle und konstruktive Unterschiede“ ausma-
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§ 1 Einführung: Gegenstand, Ziele und Methoden der Arbeit
italienischem und portugiesischem Recht der erede bzw. herdeiro den Nachlass nicht ipso iure, sondern erst nach einer ausdrücklichen oder konkludenten An trittserklärung.114 Im österreichischen Recht bedarf es für den Erwerb des Erben darüber hinaus sogar noch einer konstitutiv wirkenden „gerichtlichen Einantwortung“ in den Nachlass,115 so dass materielles Erbrecht und Nachlassverfahrensrecht unmittelbar miteinander verwoben sind.116 Gestaltungen, die den Übergang des Nachlasses von bestimmten Voraussetzungen abhängig machen, werfen für einen deutschen Juristen nicht zuletzt die Frage auf, wie der „ruhende Nachlass“ in der Zwischenzeit seine Existenz bewahrt und verwaltet wird.117 Weitere Abweichungen vom deutschen Recht zeigen sich bei einem Blick auf das Schicksal des Nachlasses in der Hand des Rechtsnachfolgers. So erlauben beispielsweise das französische und das italienische Recht dem héritier bzw. dem erede stets, den Nachlass als Sondervermögen und damit bei beschränkter Haftung abzuwickeln, vorausgesetzt, der Nachlass wird innerhalb einer bestimmten Frist inventarisiert.118 Ein portugiesischer herdeiro haftet sogar immer nur mit den Gütern der Erbschaft bzw. bis zur Höhe ihres Wertes, das Inventar erfüllt hier lediglich Beweiszwecke.119 Im Fall, dass der Nachlass auf mehrere Nachfolger übergeht, erweist sich auch die deutsche Gesamthandsgemeinschaft der Miterben nicht als alternativ los. So lässt beispielsweise das italienische Recht eine Bruchteilsgemeinschaft der coeredi entstehen, die u. a. in der quotalen Teilung der Erblasserverbindlichkeiten zum Ausdruck kommt.120 Gleich eine Reihe von Überraschungen, und zwar nicht nur für deutsche, sondern für nahezu sämtliche ausländischen Betrachter, hält sodann das französische Recht bereit. So wird der „Erbe“ (héritier) hier zwingend vom Gesetz bestimmt, dafür kann der Erblasser gleich drei Arten von Vermächtnisnehmern (légataires)
chen, doch dürften die Abweichungen nirgendwo so fundamental sein wie beim Thema der Nachlassabwicklung. 114 Art. 459 Codice civile; Art. 2050 Código civil. 115 § 797 ABGB. Interessanterweise waren die Voraussetzungen des Erbschaftserwerbs lange Zeit umstritten. Der herrschenden „austriazistischen Theorie“, nach der der Erwerb erst mit der Einantwortung eintritt, standen die „germanistische“ und die „romanistische“ Theorie gegenüber. Nach der ersten sollte der Nachlasserwerb bereits mit dem Tod des Erblassers erfolgen, nach der zweiten immerhin schon mit der „Erbserklärung“. Näher Gschnitzer/Faistenberger, Erbrecht, 67 f.; Schippel, in: FS Wirner, 982 (Fn. 3); Schäuble, Einweisung der Erben, 31 (Fn. 43). Eingehend Bielefeld, Entwicklung des Erbschaftserwerbs, 23–52. Der Streit kann heute als erledigt zugunsten der austriazistischen Theorie betrachtet werden. 116 Mayer, Referat, L 127. 117 Analytisch nicht überzeugend ist es, das Gegenmodell zum Vonselbsterwerb im „Prinzip der hereditas iacens“ zu sehen (so etwa Schippel, in: FS Wirner, 982; Lübcke, Nachlassverfahrensrecht, 55), weil hierbei die Bezugspunkte vermischt werden. Das Ruhen des Nachlasses ist nur Folge des Umstands, dass sein Erwerb an bestimmte Voraussetzungen geknüpft wird. 118 Art 787–803 Code civil; Art. 484–511 Codice civile. Eingehend zum Thema unten § 6 C.II. (386 ff.), § 7 B. (576 ff.) 119 Art. 2068, 2071 Código civil; dazu Gomes da Silva, Herança, 143. 120 Art. 752, 754 Codice civile. Eingehend zum Thema unten § 8 B.IV. (669 ff.).
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einsetzen, nämlich Universal-, Quoten- und Einzellegatare.121 Alle drei erlangen im Unterschied zum Vermächtnisnehmer des deutschen Rechts nicht lediglich schuldrechtliche Ansprüche, sondern im Grundsatz eine dingliche Rechtsstellung, so dass sie unmittelbare Rechtsnachfolger des Verstorbenen sind.122 Allerdings fehlt den Vermächtnisnehmern im Regelfall die sog. saisine. Dieses in der germanischen Tradition wurzelnde Rechtsinstitut, das „eine der grössten Merkwürdigkeiten des an altem Rechtsgut so reichen französischen Zivilrechts“ darstellt,123 bezeichnet die für bestimmte Rechtsnachfolger des Verstorbenen reservierte Befugnis, den Nachlass in Besitz zu nehmen und zu verwalten.124 Zusätzlich für Verwirrung sorgt, dass außerhalb Frankreichs unter dem „Prinzip der saisine“ heute oft etwas anderes verstanden wird, nämlich der automatische Nachlasserwerb im Moment des Todes.125 Begegnet dem deutschen Juristen bei seinem Rundblick innerhalb Kontinentaleuropas wenigstens die bekannte Grundstruktur von Erbe und Vermächtnisnehmer sowie das Nebeneinander von beschränkter und unbeschränkter Haftung, werden bei einer geographischen Erweiterung seiner rechtsvergleichenden Exkursion sogar diese scheinbaren Selbstverständlichkeiten erschüttert. So geht im englischen Recht126 der Nachlass niemals auf einen heir oder legatee über, sondern stets auf einen personal representative, der zumindest begrifflich kein Pendant in den kontinentalen Rechtsordnungen hat. Der personal representative, der in Ermangelung seiner testamentarischen Bestimmung gerichtlich ernannt wird, hat sich aller Nachlassaktiva zu bemächtigen, die auf ihnen lastenden Verbindlichkeiten zu begleichen (neben den Erblasserschulden gehören hierzu z. B. auch Begräbniskosten und Steuerforderungen) und erst abschließend den Überschuss, soweit vorhanden, an die beneficiaries auszukehren, also an die Begünstigten des Erbfalls, die folglich mit der Schuldenverantwortlichkeit nichts mehr zu tun haben.127 Das englische Recht lässt also in jedem Erbfall ein förmliches Liquidationsverfahren stattfinden, das als „administration“ oder „winding up of the estate“ bezeichnet128 und von englischen Juristen mit der Abwicklung einer Gesellschaft verglichen wird.129 Kon121 Für das Universalvermächtnis (legs universel) siehe Art. 1003 Code civil, für das Quotenvermächtnis (legs à titre particulier) Art. 1010 Code civil und für das Einzelvermächtnis (legs particulier) Art. 1014 Code civil. 122 Näher unten § 5 C.II.1. (325 ff.). 123 Neumayer, in: Mélanges Piotet, 498. Siehe auch ebd., 497: „Eine ganze Fundgrube altertümlicher Einrichtungen […]“. 124 Ausführlich unten § 5 C.II.2. (329 ff.). 125 Siehe unten § 5 C.II.2a)(1) (329 ff.). 126 Diese Kurzformel meint hier und im Folgenden das Recht von England und Wales. 127 Guter Überblick in deutscher Sprache bei Häcker, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 191–219. Detaillierte Aufschlüsselung der Handlungen des personal representative bei Margrave-Jones, Succession, [21.1]. Ausführlich zur historischen Entwicklung des englischen Erbrechts unten § 3 B. (179 ff.), § 4 B. (283 ff.). 128 Siehe etwa Brown, Tulane LR 33 (1959), 631; Kerridge, Testamentary Formalities, 317 f.; Matthews, Square Peg, Round Hole?, 71. 129 Siehe etwa Matthews, Square Peg, Round Hole?, 71; für weitere Nachweise L. Smith, Edinburgh LR 17 (2013), 294; siehe ferner IECL/Schwind, Liability for Obligations of the Inheritance,
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tinentale Juristen empfinden diese Lösung oft als ein von ihren eigenen Regimen „völlig abweichendes Sukzessionssystem“,130 und Otto Kahn-Freund konstatierte gar einen kaum zu überwindenden epistemologischen Graben: „Ein kontinentaler und ein englischer Jurist, die sich über das Recht der Erbfolge im Todesfall unterhalten, werden es sehr schwer haben, die ‚Denkprozesse‘ des Gesprächspartners zu verstehen.“131 In einem Punkt immerhin gleicht das englische Recht dem deutschen: Der personal representative tritt in alle vererblichen Rechtsbeziehungen ein, so dass es wie beim Erben zu einer Gesamtnachfolge kommt.132 Dem schwedischen Recht ist demgegenüber sogar dieser Vorgang fremd. Stattdessen lässt es den Nachlass (dödsbo) mit Wegfall seines bisherigen Trägers zur juristischen Person werden, die schrittweise auseinandergesetzt wird.133 Schaut man in das rechtsvergleichende und das nationale erbrechtliche Schrifttum, wird die Unübersichtlichkeit nicht etwa gelichtet, sondern noch verstärkt. Denn es finden sich mindestens sechs verschiedene Klassifizierungen der nationalen Regime: (1) Vor allem französischsprachige Autoren treffen eine grundlegende Unterscheidung zwischen Systemen, in denen eine „Fortsetzung der Person des Verstorbenen“ (continuation de la personne) stattfindet, und solchen, die durch eine „Nachfolge in die Güter (des Verstorbenen)“ (succession aux biens) gekennzeichnet sind.134 (2) Andere Autoren hingegen stellen das Modell der „Fortsetzung“ dem der „Abwicklung“ gegenüber.135 (3) Wieder anderen Autoren zufolge unterscheiden sich die nationalen Regime nicht danach, ob eine „Abwicklung“ stattfindet, son-
Nr. 18. Die inhaltliche Parallele spiegelt sich auf der begrifflichen Ebene wider („winding up of an estate“/„winding up of a corporation“). Aus kontinentaleuropäischer Sicht ebenso Gomes da Silva, Herança, 80, der zudem die Parallele zu einem Insolvenzverfahren zieht. Im letztgenannten Sinne auch Petitjean, Fondements et mécanisme, Nr. 70; Zoppini, Le successioni, 33. Ähnlich vergleicht Ferid, Recueil des Cours 142 (1974-II), 106, den personal representative mit einem Insolvenzverwalter. 130 So MüKoBGB/Grziwotz, Vor § 2353 Rn. 2. 131 Kahn-Freund, Einleitung, 16. 132 Dazu unten § 3 C.II.4. (212 ff.). 133 Siehe Ärvdabalk (Erbgesetz) Kapitel 18–24; Süß/A. Firsching, Schweden, Rn. 128; Dörner/ Hausmann/Carsten, Schweden, Rn. 52–61 (unter dem Oberbegriff der „Nachlassabwicklung“). 134 Für Nachweise und Kritik siehe unten § 4 C.II.1b) (302 ff.). 135 Siehe beispielsweise aus dem spanischen Schrifttum Gómez-Salvago Sánchez, La partición judicial: Problemas, 165 f., die zwischen Systemen der „liquidación“ und solchen der „continuación“ unterscheidet; ebenso Zoppini, Le successioni, 32 f. („continuazione“/„liquidazione“). Siehe auch Egger, Le transfert de la propriété, 2, die den französischen Begriff der „liquidation“ als Begriff zur Erfassung der von ihr untersuchten Thematik aus dem Grund verwirft, dass er nicht auf solche Rechtsordnungen passe, in denen die Rechtsstellung des Verstorbenen fortgeführt wird. In der Substanz genauso, aber in der Terminologie leicht abweichend Windel, Über die Modi, 3, der dem „Liquidationsmodell“ das „Sukzessionsmodell“ gegenüberstellt (dem folgend Osthold, Erben und Haftung, 90 f., 160). Schließlich sprechen Häcker, Testamentsformen in England, 105, und Lein, in: Die Europäische Erbrechtsverordnung, Rn. 12, zwar im Kontext des deutschen Rechts nicht von einem „Fortsetzungsmodell“, sehen im Vorgang der „Nachlassabwicklung“ aber das Charakteristikum des englischen Rechts.
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dern danach, ob diese „organisiert“ oder „unorganisiert“ ist.136 (4) Verwandt damit ist die Unterscheidung zwischen „privater“ und „hoheitlicher“, d. h. von einem Gericht oder einer anderen staatlichen Behörde durchgeführter oder jedenfalls eng beaufsichtigter Nachlassabwicklung.137 (5) Auf einer gänzlich anderen sprachlichen Ebene angesiedelt ist die Gegenüberstellung von Systemen mit und ohne „Universalsukzession“,138 ebenso (6) die Gegenüberstellung von Rechtsordnungen des „unmittelbaren“ (oder direkten) und solchen des „mittelbaren“ Nachlasserwerbs.139 Schließlich finden sich auch Kombinationen der genannten Zweiteilungen.140 Bei den genannten Klassifizierungen ist zumindest für den uneingeweihten Leser oft schon gar nicht klar, was sie eigentlich genau bedeuten sollen. Dies gilt insbesondere für die Unterscheidung zwischen einer „Fortsetzung der Person“ und einer „Nachfolge in die Güter“, aber auch für den Begriff der „Universalsukzession“. Unklar bleibt ferner, in welchem Verhältnis die verschiedenen Dichotomien zueinander stehen. Denn die jeweils verwendete wird stets als allgemein anerkannt vorausgesetzt, und eine Erörterung alternativer Modelle unterbleibt. Es liegt natürlich die Vermutung nahe, dass sämtliche Klassifizierungen sich letztlich nur in der Terminologie, nicht aber in der Sache voneinander unterscheiden, und identische Phänomene nur aus unterschiedlichen Perspektiven beschrieben werden. Gestützt wird diese Annahme durch den Umstand, dass viele Autoren die von ihnen verwendete Dichotomie grosso modo mit der Unterscheidung zwischen Common Law und Civil Law gleichsetzen.141 Doch abgesehen davon, dass eine solche Fülle parallel existierender Begrifflichkeiten eine erhebliche Diskursfragmentierung offen136 Siehe stellvertretend für diese Ansicht die „Introductory Note“ von Nadelmann zur „Draft Convention Concerning the International Administration of Estates of Deceased Persons“, AJCL 21 (1973), 140: „A bridge had to be established between the organized and non-organized systems of estate administration“. Ferner ebd., 139: „Because of the civil law world’s lack of a counterpart to ‚organized‘ administration […] Our courts, on the other hand, find it difficult to respond to claims coming from ‚non-organized‘ administrations“. Auf dem europäischen Kontinent findet sich diese Gegenüberstellung von „organisierter“ und „unorganisierter“ Nachlassabwicklung vor allem bei französischen Autoren, siehe etwa Droz, Rev.crit.dr.int.pr. 1970, 185, 223; Revillard, Rev.crit.dr.int.pr. 1978, 303 („système de l’administration organisée/inorganisée“); Loussouarn, Clunet 1970, 262 f.; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 902 f. („[…] liquidation anarchique ou organisée, telles sont donc les possibilités offertes au législateur“); Gasnier, Liquidation, Nr. 2–6. Aus dem schweizerischen Schrifttum Berther, Die internationale Erbschaftsverwaltung, 4. 137 Rheinstein, in: Rapports Généraux, 229–231 („private liquidation“/„governmental liquidation“); siehe auch Rheinstein/Glendon, Decedents’ Estates, 13 f.; Zoppini, Le successioni, 24; Rodríguez Benot, La administración de la herencia, 17–23 („administración bajo control judicial/sin control judicial“). 138 Für Nachweise und Erörterung siehe unten § 3 C.II.4. (212 ff.). 139 Dazu ausführlich unten E.II. (47 ff.). 140 So unterscheidet Ferid, Recueil des Cours 142 (1974-II), 106, 120, das kontinentale Modell einer „succession universelle“, die durch eine „continuation de la personne du défunt“ gekennzeichnet sei, von dem „système anglo-américain […] d’une administration sous contrôle judiciaire“. 141 Siehe etwa Nadelmann, AJCL 21 (1973), 139; Ferid, Recueil des Cours 142 (1974-II), 106, 120; Goré, L’administration des successions, 13; IECL/Schwind, Liability for Obligations of the Inheritance, Nr. 12; Zoppini, Le successioni, 24, der die Unterscheidung zwischen privater und
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bart, die für eine Erbrechtsvergleichung mit universellem Anspruch kein befriedigender Zustand sein kann, zeigt sich, dass häufig noch nicht einmal über die genaue Bedeutung der einzelnen Klassifizierungsmerkmale Einigkeit besteht. So ist z. B. das Prinzip der „Universalsukzession“ nach manchen Darstellungen keineswegs nur den kontinentalen Rechtsordnungen eigen, sondern genauso dem englischen Recht.142 Umgekehrt sind Stellungnahmen zu finden, wonach das Modell einer „succession aux biens“ nicht nur das englische Recht kennzeichnet, sondern auch auf dem Kontinent anzutreffen ist, und zwar insbesondere im deutschen Recht.143 Schließlich fällt auf, dass die Klassifizierung (2) („Fortsetzung“ vs. „Abwicklung“) teilweise inkompatibel mit den Klassifizierungen (3) und (4) ist („organisierte“ vs. „unorganisierte Abwicklung“ bzw. „private“ vs. „hoheitliche Abwicklung“). Folge dieser verwirrenden Vielfalt sowohl auf der materiellrechtlichen als auch auf der taxonomischen Ebene ist, dass Juristen unterschiedlicher Herkunft einander zwar erklären können, was in ihren Rechtsordnungen im Erbfall konkret passiert. Wollen sie jedoch einen Vergleich vornehmen, gelangen sie über den Befund, dass es im Ausland „irgendwie anders“ zugeht als zu Hause, nur schwer hinaus. Denn oftmals ist schon gar nicht offenkundig, worin der gemeinsame Bezugspunkt, das tertium comparationis, bestehen soll. Die methodologischen Schwierigkeiten, das Erbgeschehen einzufangen, stehen in einem auffallenden Kontrast zur Situation bei der Zuweisungsdimension. In welchem Umfang etwa ein Erblasser die Begünstigten eines Erbfalls selbst bestimmen kann, welcher Formen er sich hierbei bedienen muss und wie die Verteilung bei Fehlen einer solchen Verfügung aussieht, all dies sind Fragen, die sich ohne Probleme isoliert betrachten und sinnvoll miteinander vergleichen lassen.144 Selbst dort, wo die nationalen Regime sich unterschiedlicher rechtlicher Gestaltungen bedienen – indem etwa eine zwingende Nachlassteilhabe naher Familienangehöriger in einem ersten Fall in Form einer wertmäßigen Quotenteilhabe gewährt wird, in einem zweiten Fall in Gestalt einer gegenständlichen Quotenteilhabe und in einem dritten Fall mittels einer am konkreten Bedarf festzumachenden Unterhaltsforderung145 –, hoheitlicher Abwicklung zudem gleichbedeutend mit der Unterscheidung zwischen direktem und indirektem Erwerb und der zwischen „Fortsetzung“ und „Abwicklung“ verwendet (32 f.). 142 Dazu J. P. Schmidt, in: FS Gretton, 324 f. Ausführlich zum Begriff der Universalsukzession unten § 3 C.II.4. (212 ff.). 143 Dazu unten Fn. 555. 144 Bestätigt wird dies durch zahlreiche jüngere Studien zu den genannten Problemkreisen, siehe etwa: Henrich/Schwab (Hg.), Familienerbrecht und Testierfreiheit im europäischen Vergleich; Trulsen, Pflichtteilsrecht und englische family provision im Vergleich; Anderson/Arroyo i Amayuelas (Hg.), The Law of Succession: Testamentary Freedom – European Perspectives; Castelein/Foqué/Verbeke (Hg.), Imperative Inheritance Law in a Late-Modern Society; Reid/De Waal/Zimmermann (Hg.), Comparative Succession Law, Bd. I: Testamentary Formalities; Dutta, FamRZ 2011, 1829–1840; Schmoeckel/Otte (Hg.), Europäische Testamentsformen; Zimmermann (Hg.), Freedom of Testation – Testierfreiheit; Reid/De Waal/Zimmermann (Hg.), Comparative Succession Law, Bd. II: Intestate Succession; Reid/De Waal/Zimmermann (Hg.), Comparative Succession Law, Bd. III: Mandatory Family Protection. Weitere Nachweise bei Röthel, Ist unser Erbrecht noch zeitgemäß?, A 23 (Fn. 72). 145 Näher dazu J. P. Schmidt, in: Hereditare 10, 1–26.
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bereitet dies dem ausländischen Betrachter in der Regel keine Verständnisschwierigkeiten. Schließlich sind auch die betroffenen Interessen sowie die den nationalen Lösungen zugrunde liegenden policy choices meist ohne Schwierigkeiten erkennbar. Dass etwa die Testierfreiheit in einem Spannungsverhältnis zu den Interessen naher Familienangehöriger steht oder es bei Fehlen einer letztwilligen Verfügung vor allem gilt, die Rechte des überlebenden Ehegatten mit denen der Kinder des Erblassers angemessen in Einklang zu bringen, ist für Juristen unterschiedlicher Herkunft ohne Weiteres einsichtig und einer zielführenden Diskussion zugänglich. Pointiert gesagt, sind der Rechtsvergleichung die Ergebnisse der Nachlassverteilung klar, während ihr die Wege dorthin arbiträr und verworren erscheinen. Die Nachlassabwicklung ist zwar äußerlich kartographiert, in substanzieller Hinsicht jedoch immer noch eine terra incognita. Auffallend ist zugleich, dass die nationalen Regelungen insgesamt von großer Stabilität gewesen sind; soweit Reformen überhaupt stattfanden, brachten sie keinen Neuanfang, sondern nur Verfeinerungen des Bestehenden. Jedes der verschiedenen Modelle hat also offenbar die praktischen Anforderungen einigermaßen zufriedenstellend erfüllt. Praktisch relevant wird die Erfassung ausländischer Modelle der Nachlassabwicklung in grenzüberschreitenden Erbfällen. Wie wenig Klarheit dabei oftmals über die Grundstrukturen herrscht, zeigten in jüngerer Zeit eindrücklich die intensiven Diskussionen über den Umgang mit dinglich wirkenden Vermächtnissen (Vindikationslegaten) unter der Europäischen Erbrechtsverordnung (EuErbVO).146 Denn wenngleich die Frage, ob sich die Vermächtniswirkung nach dem Erbstatut oder dem Recht des Belegenheitsortes der vermachten Sache bestimmt, in erster Linie anhand der einzelnen Vorschriften und Erwägungsgründe der EuErbVO zu entscheiden ist, ist für die generelle Orientierung die Einsicht vonnöten, dass die Vermächtniswirkung keine rein sachenrechtliche Frage ist, sondern bei funktionaler Betrachtung der Nachlassabwicklung angehört, die nach der EuErbVO grundsätzlich dem Erbstatut zugewiesen ist.147 Gestattet also das anwendbare ausländische Erbrecht den unmittelbaren Erwerb im Wege einer letztwilligen Einzelzuwendung und ist deren Gegenstand eine in Deutschland belegene bewegliche oder unbewegliche Sache, dann muss das deutsche Recht die ausländische Abwicklungsentscheidung hinnehmen und darf nicht seine eigene Lösung, die dem Vermächtnisnehmer nur den indirekten, d. h. durch den Erben vermittelten Erwerb ermöglicht, an deren Stelle setzen. Der EuGH hat dies im ersten Vorlageverfahren zur EuErbVO zutreffend erkannt,148 wenngleich seine Begründung nicht in allen Punkten überzeugend war.149
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VO (EU) Nr. 650/2012. Dazu auch unten F.II.2a) (71 f.). 148 EuGH, 12.10.2017, C-218/16 (Kubicka). 149 Eingehend m. w. N. J. P. Schmidt, EPLJ 7 (2018), 4–31. 147
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E. Die Defizite der herkömmlichen Erbrechtsvergleichung Das Thema der Nachlassabwicklung ist nicht nur in Einzelaspekten wie der „Annahme und Ausschlagung der Erbschaft“,150 der „Erbenhaftung“151 bzw. der „Haftung für Nachlassverbindlichkeiten“,152 der „Testamentsvollstreckung“153 oder der „Universalsukzession“154 immer wieder vergleichend untersucht worden, sondern auch als Gesamtkomplex.155 Was rechtfertigt also seine erneute und ausführliche Untersuchung an dieser Stelle? Die vielleicht etwas kühn klingende Antwort lautet, dass jedenfalls die Gesamtstudien, ungeachtet ihres unbestreitbaren Informationsgehalts, den vorliegenden Gegenstand bislang nicht annähernd auf zufriedenstellende Weise bearbeitet haben. Die Defizite liegen zum einen auf der deskriptiven Ebene. So werden die nationalen Regime zwar nur selten fehlerhaft beschrieben, häufig aber zu oberflächlich erfasst und dadurch auch zu oberflächlich klassifiziert. Die entsprechenden Vergleiche leiden dann darunter, dass sie je nach Fall entweder die Gemeinsamkeiten oder die Unterschiede überzeichnen. Zum anderen leiden die herkömmlichen Vergleiche aber auch an schwerwiegenden methodischen Mängeln. Dies bedeutet, dass sie selbst bei zutreffender Erfassung der nationalen Regime daran scheitern müssen, diese auf erkenntnisfördernde Weise zueinander in Bezug zu setzen. Auch die mangelnde Differenziertheit auf der deskriptiven Ebene ist letztlich Symptom einer unzureichenden Methodik, nämlich des Anlegens eines viel zu grobkörnigen Vergleichsrasters.
I. Defizite auf der deskriptiven Ebene 1. Unzutreffende Darstellung des englischen Rechts Während Fehler oder Ungenauigkeiten in der Darstellung kontinentaler Rechtsordnungen vereinzelter Natur sind,156 halten sich zum englischen Recht bis heute 150 RvglHWB/Hallstein, Annahme und Ausschlagung der Erbschaft, 221; HWBEuP/Wenck stern, Erbschaftsannahme/-ausschlagung, 425. 151 RvglHWB/Hallstein, Schuldenhaftung des Erben, 233–250; HWBEuP/Helms, Erbenhaftung. 152 Siber, Geschichtliches und Rechtsvergleichendes; Rheinstein, Iowa LR 20 (1935), 431–474; IECL/Schwind, Liability for Obligations of the Inheritance; Murga Fernández, ZEuP 2018, 359– 381. 153 Siehe etwa Lang, Testamentsvollstrecker; Offergeld, Rechtsstellung, 194–213; HWBEuP/ Dutta, Testamentsvollstreckung, 1477–1481; Kunz, Postmortale Privatautonomie; Löhnig/Dutta et al. (Hg.), Testamentsvollstreckung in Europa. 154 Siehe HWBEuP/Kroppenberg, Universalsukzession, 1560; J. P. Schmidt, in: FS Gretton, 323–337. 155 Dazu unten E.II. (47 ff.). 156 Ein Beispiel ist die Aussage von HWBEuP/Kroppenberg, Universalsukzession, 1562, dass in Systemen des Antrittserwerbs während der Zwischenphase eine Regulierung der Nachlassverbindlichkeiten stattfinde, was in dieser Pauschalität keinesfalls zutrifft. Vielmehr geht beispielsweise in Italien und Österreich die gesetzliche Regelung davon aus, dass die Schuldentilgung dem
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hartnäckig zwei Fehlvorstellungen, die zwar Details betreffen, aber je für sich – und erst recht in ihrer Kombination – zu einer erheblichen Verzerrung der Wahrnehmung und Bewertung der englischen Nachlassabwicklung führen. a) Die vermeintliche Unzulässigkeit der Eigenabwicklung Die erste Fehlvorstellung über das englische Recht besteht in der Annahme, dass personal representative und beneficiary notwendig personenverschieden seien und somit aus Sicht des Begünstigten stets ein Fall der Fremdabwicklung vorliege.157 Selbst wo dies nicht ausdrücklich gesagt wird, suggeriert jedenfalls die Bezeichnung des personal representative als „Zwischenberechtigter“,158 „Mittelsperson“,159 „intermédiaire“,160 „third person“161 oder „(zwischengeschalteter) Treuhänder“,162 dass es sich aus Sicht des beneficiary stets um eine andere, vom Testator oder dem Gericht ernannte Person handele, die selbst am Nachlass „in keiner Weise beteiligt ist“.163 Zur Verteidigung kontinentaleuropäischer Autoren ist immerhin zu sagen, dass selbst aus England stammende Texte häufig diesen Eindruck erwecken.164 Indessen hat das englische Recht nicht nur zu keiner Zeit verboten, die Rolle des personal representative mit der des beneficiary in einer Person zu vereinen;165 im Gegenteil hat es eine solche Koppelung sogar schon früh gefördert, indem es bei Erwerb nachgeschaltet ist, was sich nicht zuletzt daran erkennen lässt, dass der Berufene sich zwischen Annahme mit beschränkter und Annahme mit unbeschränkter Haftung entscheiden muss. Ähnlich nimmt Röthel, Erbrecht, § 32 Rn. 5 an, dass der Nachlass im österreichischen und italienischen Recht bis zum Erwerb durch den Berufenen immer unter gerichtlicher Verwaltung stehe, was aber jedenfalls für Italien nicht zutrifft. 157 So aus Deutschland z. B. Kahn-Freund, Einleitung, 16; Muscheler, Erbrecht I, Rn. 1217; ders., Erbrecht II, Rn. 3487; HWBEuP/Dutta, Testamentsvollstreckung, 1477; Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 2, 115. Aus dem französischsprachigen Schrifttum etwa Loussouarn, Clunet 1970, 252 f., 260, 262, die in der Eigenabwicklung das Merkmal der kontinentalen Tradition sieht. Zum konkretisierungsbedürftigen Begriff der „Fremdverwaltung“ bzw. „Fremdabwicklung“ näher unten G.II.1. (86 ff.). 158 Siehe etwa Hausmann, in: FS Heldrich, 653; Muscheler, Testamentsvollstreckung, 18 („Zwischenschaltung eines Vollstreckers“); Pintens, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 59 („Zwischenperson“); Scoles, Missouri LR 48 (1983), 372 („interposed“). 159 v. Schmitt, Begründung, 951, ebenso HWBEuP/Kroppenberg, Universalsukzession, 1561; von einem „middleman“ spricht Rheinstein, in: Rapports Généraux, 232, von einem „intermediary“ sprechen etwa Verbeke/Leleu, Harmonization of the Law of Succession in Europe, 463; De Waal, Comparative Succession Law, 1083 f. 160 Goré, L’administration des successions, 21; ähnlich Leleu, Transmission, Nr. 333 („interposition de personne“); Zoppini, Le successioni, 32. 161 MPI-Stellungnahme Nr. 193 (Personenverschiedenheit zwischen „heir“ und „personal representative“ suggeriert auch das Beispiel bei Nr. 194); Leleu, Transmission, Nr. 33, 885 („tiers“); Gomes da Silva, Herança, 13, 44 („terceiro“). 162 Lange/Kuchinke, Erbrecht, 191, 193; Staudinger/Otte (2017), § 1942 Rn. 2 ; Röthel, Ist unser Erbrecht noch zeitgemäß?, A 47; Wolf, ZSR 125 (2006) II, 218. 163 So Kahn-Freund, Einleitung, 16. 164 Siehe etwa Government of the United Kingdom, Response, 2 f., wo vom personal representative als einer „third party“ gesprochen wird. 165 Zutreffend gewürdigt wird dies z. B. von Siber, Geschichtliches und Rechtsvergleichendes, 1012, 1024 („zufällige Personalunion“ von personal representative und „Erbe“); HWBEuP/Wen-
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Fehlen eines Testaments den administrator aus dem Kreis der nahen Angehörigen und damit der gesetzlichen beneficiaries auswählte.166 In der heutigen Praxis ist es denn auch keineswegs selten, dass der personal representative einer der Begünstigten ist, oder sogar der einzige (typisches Beispiel ist der überlebende Partner einer kinderlosen Ehe).167 Mit Herman Melvilles Roman „Moby Dick“ hat die Möglichkeit einer Verknüpfung von Abwickler- und Begünstigtenrolle sogar Eingang in die Weltliteratur gefunden. So bittet der Protagonist Ismael, nachdem er knapp dem Tod entronnen ist, seinen Freund Quiqueg mit den Worten „you shall be my lawyer, executor, and legatee“, ihm bei der Testamentserrichtung zu helfen.168 Melville ging ganz zu Recht von der Zulässigkeit einer solchen Gestaltung aus, und dass er als US-Amerikaner vermutlich auf sein Heimatrecht Bezug nahm, macht angesichts der Verwurzelung der amerikanischen Nachlassabwicklung in der englischen Tradition169 keinen Unterschied.
Natürlich ist es mindestens ebenso häufig der Fall, dass der personal representative Vermögensvorteile an (andere) beneficiaries weiterreichen muss, und dann jedenfalls aus deren Sicht eine Fremdabwicklung vorliegt. Doch ist den kontinentalen Regimen ein solches Auseinanderfallen von Abwickler- und Begünstigtenrolle keineswegs fremd; im deutschen Recht tritt es immer dort auf, wo es einen Vermächtnisnehmer, Pflichtteilsberechtigten, Testamentsvollstrecker, Nachlassverwalter oder Nachlassinsolvenzverwalter gibt.170 Und wenn französische Juristen das Merkmal des englischen Rechts oftmals darin sehen, dass es die Nachlassabwicklung tendenziell aus den Händen der Familie nimmt und in die eines Außenstehenden legt, und hierin einen grundsätzlichen Unterschied zum eigenen Recht erbli-
ckstern, Erbschaftsannahme/-ausschlagung, 427; Loussouarn, Clunet 1970, 253; Revillard, Rev. crit.dr.int.pr. 1978, 279. 166 Einen „offenbar erwünschten Zusammenhang von materieller Begünstigung und formeller Verwaltungsbefugnis“ stellt auch Häcker, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 192, fest. Näher unten § 3 B.V. (195 ff.). 167 Siehe bereits v. Caemmerer, DfG 1936, 122; aus heutiger Zeit Häcker, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 192, die folgerichtig darauf hinweist, dass „der englische personal representative vom deutschen Erben praktisch weniger weit entfernt ist, als dies auf den ersten Blick den Anschein haben mag“. Siehe ferner Leleu, ERPL 6 (1998), 165. Auch Muscheler, Testamentsvollstreckung, 19, erkennt, dass der „Alleinbedachte üblicher- und erlaubterweise zum executor ernannt wird“, zieht daraus aber nicht die Konsequenzen für die Klassifizierung und Bewertung des englischen Rechts. Für das schottische Recht findet sich sogar die Aussage, dass der executor „almost always“ zu den beneficiaries gehöre, siehe Scottish Law Commission, Report on Succession (1990), [8.33]; ähnlich Gretton/Steven, Property, Trusts and Succession, [26.48]: „In practice, however, the executor may be and usually is, one of the beneficiaries, and sometimes the sole beneficiary.“ Unbelegt bleibt die Behauptung von Héron, Morcellement, 7, dass die Abwicklung „meistens“ von einem Dritten durchgeführt werde, und sie dürfte auch nicht zutreffen. 168 Melville, Moby-Dick, 217. In der deutschen Übersetzung von Fritz Güttinger heißt es „du sollst mein Anwalt, Vollstrecker und Erbe sein“ (387). 169 Dazu unten Fn. 245. 170 Zur Entkoppelung von rechtlicher Nachfolge und wirtschaftlicher Begünstigung im deutschen Recht schon oben B.II.1. (6 ff.).
E. Die Defizite der herkömmlichen Erbrechtsvergleichung
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cken,171 dann verkennen sie den eigentlichen Grund für das beobachtete Phänomen. Dieser liegt nicht in der Struktur des englischen Erbrechts, sondern in der Freiheit, die dem Erblasser bei der Auswahl des Abwicklers eingeräumt wird. Eine solche Freiheit ist keineswegs ein Alleinstellungsmerkmal des englischen Rechts, sondern ebenso prägend für das deutsche Erbrecht. Denn auch dieses gestattet es einem Erblasser, seine nahen Familienangehörigen dadurch von der Nachlassabwicklung fernzuhalten, dass er eine familienfremde Person zum Erben oder Testamentsvollstrecker einsetzt. Somit ist nicht die Möglichkeit der familienfremden Abwicklung eine Besonderheit des englischen Rechts, sondern die starke Betonung der Familieninteressen ein besonderes Merkmal des französischen Rechts.172 Bei einem deutsch-englischen Vergleich ist es zudem wichtig, die rechtliche Ebene stets klar von der faktischen zu unterscheiden. So mag es sein, dass Fälle der Fremdabwicklung in der deutschen Praxis seltener auftreten als in der englischen (statistisch nachgewiesen ist dies nicht). Doch liegt die Ursache dann in einem unterschiedlichen Testierverhalten, d. h. in einer stärkeren Neigung englischer Testatoren, Abwicklung und Begünstigung in unterschiedliche Hände zu legen. Dafür, dass zumindest die Abwicklung durch gewerbliche Rechtsdienstleister in England viel häufiger ist als in Deutschland, gibt es in der Tat jede Menge anekdotische Evidenz173 und auch plausible Erklärungen. So leistete das enge Pflichtenkorsett, in das sich der personal representative über viele Jahrhunderte hindurch eingeschnürt sah,174 einer Professionalisierung der Nachlassabwicklung und dem Entstehen einer entsprechenden Abwicklungskultur Vorschub. Mittlerweile genießt der personal representative zwar weitgehende Freiheit,175 doch ist sein Pflichtenprogramm zumindest im Ausgangspunkt weiterhin anspruchsvoller als das eines deutschen Erben, insbesondere was steuerrechtliche Vorgaben betrifft.176 Des Weiteren wird die Tendenz zur professionellen Fremdabwicklung gefördert durch die häufige Mitwirkung von Rechtsdienstleistern an der Testamentserrichtung, da hierbei auch Einfluss auf die Auswahl des executor genommen wird. Dass die Hinzuziehung
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Dazu unten § 5 C.II.2d)(3) (349 ff.). Siehe neben dem Verweis in der vorigen Fn. auch unten § 6 C.II.2c) (405 ff.). 173 So wird häufig eine „trust corporation“ als executor eingesetzt, wofür sich in sec. 115 SCA 1981 eine ausdrückliche Rechtsgrundlage findet; siehe auch Kerridge, Law of Succession, [17-20]. Zu unterscheiden von der Einsetzung eines professionellen Dienstleisters als executor ist die Situation, in der formal ein nichtprofessioneller personal representative agiert, dieser zur Erfüllung seiner Aufgabe aber professionelle „probate services“ in Anspruch nimmt. Nach einer vor einigen Jahren erfolgten Liberalisierung darf nun eine ganze Reihe von Berufsgruppen derartige Dienstleistungen erbringen. 174 Dazu unten § 4 B.II.2. (286 ff.). 175 Siehe unten E.I.2a)(2) (35 ff.). 176 Näher dazu J. P. Schmidt, in: FS Gretton, 335; Häcker, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 206–208. Die Pflicht des personal representative zur Zahlung der „Inheritance Tax“ hebt auch House of Lords, Report, Nr. 20, 73, hervor. 172
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§ 1 Einführung: Gegenstand, Ziele und Methoden der Arbeit
professioneller Dienstleister zur Abwicklung im englischen Recht unumgänglich sei,177 ist trotzdem eine Übertreibung.178 Was die rechtliche Ebene betrifft, lässt sich die Unterscheidung zwischen einem kontinentalen Grundsatz der Eigenabwicklung und einem englischen Grundsatz der Fremdabwicklung am ehesten bei Fehlen einer letztwilligen Verfügung durchhalten, weil Rechtsnachfolge und Begünstigung in den kontinentalen Rechtsordnungen dann üblicherweise Hand in Hand gehen, während es im englischen Recht häufig zu einer partiellen Entkoppelung kommt. Hinterlässt der Erblasser beispielsweise eine Ehefrau und drei Kinder, aber kein Testament, so sind nach deutschem Recht alle vier Personen als Miterben Gesamtnachfolger und als solche für die Verwaltung und Abwicklung des Nachlasses zuständig.179 Eine punktuelle Entkoppelung von Rechtsnachfolge und Begünstigung findet allein beim Voraus des Ehegatten statt: Da dieser als gesetzliches Vermächtnis ausgestaltet ist,180 werden zunächst alle Miterben Inhaber der Haushaltsgegenstände, obwohl sie letztlich allein dem Ehegatten zukommen sollen. Unterliegt derselbe Fall dem englischen Recht, so sind zwar die Ehefrau und die drei Kinder ebenfalls Begünstigte nach Intestaterbrecht.181 Doch knüpft sich hieran aus zwei Gründen nicht automatisch eine Nachlassinhaberschaft: Erstens hat zwar das Gericht grundsätzlich einen der Begünstigten auf Antrag zum administrator zu ernennen,182 doch ist seine Entscheidung konstitutiver Natur.183 Und zweitens kann zwar auch mehr als eine Person die Rolle des administrator übernehmen,184 doch werden typischerweise nicht alle beneficiaries hierzu ernannt. Dem überlebenden Ehegatten z. B. kommt bei Beantragung eines grant of administration Vorrang vor den Kindern des Erblassers zu.185 Aus deren Sicht liegt dann eine Fremdabwicklung vor.
177 So Leleu, ERPL 6 (1998), 165 („[…] le recours à l’assistance d’un professionell s’impose […]“). 178 Zu empirischen Erkenntnissen siehe unten § 6 B.I.3. (374 ff.); ferner Braun, Will-Substitutes in England and Wales, 70. Schon v. Caemmerer, DfG 1936, 122, berichtet von entsprechenden Informationsblättern für Rechtsunkundige. 179 §§ 1922, 2032 BGB. 180 § 1932 BGB. 181 Zu beachten ist allerdings, dass dem mit Abkömmlingen des Erblassers konkurrierenden Ehegatten im Wege eines statutory legacy die ersten 250.000 Pfund des Nachlasses zukommen, so dass die Abkömmlinge erst ab einem höheren Nachlasswert partizipieren: Siehe sec. 46(1) AEA und Kerridge, Intestate Succession, 332–340. Röthel, RabelsZ 76 (2012), 148, weist darauf hin, dass der überlebende Ehegatte damit in den allermeisten Fällen der alleinige Begünstigte ist. 182 Zu unterscheiden ist hier zwischen dem Fall, dass der Verstorbene ein Testament hinterlassen hat, ohne darin aber (in wirksamer Weise) einen executor eingesetzt zu haben (sog. administration with will annexed), und dem Fall des gänzlichen Fehlens eines Testaments (einfache administration). Dort, wo der Testator die Begünstigten letztwillig benannt hat, steht zuerst dem Residualvermächtnisnehmer (residuary legatee bzw. devisee) das Recht zur administration zu, wobei einem zum trustee eingesetzten Residualvermächtnisnehmer der Vorrang gebührt: r. 20(b) und (c) NPCR und näher Kerridge, Law of Succession, [17-36]. Hinterließ der Verstorbene gar kein Testament, kommt die Rolle des administrator den nach Intestaterbfolge begünstigten Personen zu, wobei der überlebende Ehegatte oder civil partner Vorrang vor den Abkömmlingen hat: r. 22 NCPR und näher Kerridge, Law of Succession, [17-39] f. 183 Siehe unten E.I.1b) (32 ff.). 184 Sec. 114(1) SCA gestattet die Ernennung von bis zu vier administrators für einen bestimmten Nachlassteil. 185 Siehe r. 22(1)(a) NCPR.
E. Die Defizite der herkömmlichen Erbrechtsvergleichung
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Fragt man, wieso ausländische Juristen so häufig annehmen, dass das englische Recht zwingend eine Fremdverwaltung vorschreibe, so dürfte jedenfalls bei deutschen Autoren die bewusste oder unbewusste Parallele zur Nachlassverwaltung und Nachlassinsolvenz des BGB eine Rolle spielen. Denn bei diesen Verfahren wird die Abwicklung tatsächlich aus den Händen des Erben als Residualbegünstigem genommen und in die eines professionellen Dritten gelegt. Die noch wichtigere Ursache der genannten Fehlvorstellung dürfte indessen in der von den kontinentalen Erbrechten abweichenden Begriffsstruktur liegen. So „denkt“ das englische Recht stets rollenbezogen und unterscheidet selbst dann begrifflich zwischen dem Nachlassabwickler (personal representative) und dem Begünstigten (beneficiary), wenn es sich um dieselbe Person handelt. Der personal representative erhält also seine Begünstigung niemals in dieser Position, sondern immer nur in seiner Eigenschaft als beneficiary, und dementsprechend muss ein Testator die beiden Rollen auch dann gesondert vergeben, wenn er sie derselben Person zuweist. Der mit dieser Struktur nicht vertraute Betrachter gerät dadurch leicht in Versuchung, die begriffliche Trennung mit einer personalen gleichzusetzen. Doch sind per se keine materiellrechtlichen Konsequenzen mit ihr verbunden, so dass es beispielsweise kein Problem wäre, die deutsche Abwicklungsstruktur in englische Begrifflichkeiten zu „übersetzen“ und den Erben als personal representative aufzufassen, der zugleich Residualbegünstigter ist.186 Bei näherem Hinsehen zeigt sich überdies, dass rollenbezogenes „Denken“ den kontinentaleuropäischen Erbrechten keineswegs fremd, sondern in ihnen lediglich weniger stark ausgeprägt ist.187 So bereitet etwa einem deutschen Juristen die Vorstellung, dass ein „Miterbe“ oder „Vermächtnisnehmer“ zugleich als „Testamentsvollstrecker“ agiert, bildlich gesprochen also zwei Hüte aufhat, keinerlei Schwierigkeiten. Systematischer Fremdkörper ist aus dieser Perspektive allein der Begriff des „Erben“, der zwei Rollen zusammenbündelt, die des Abwicklers und die des Residualbegünstigten, und dadurch die Erbenbenennung automatisch zu einer „Doppelbesetzung“ macht (die freilich durch zusätzliche Anordnungen modifizierbar ist, z. B. durch Anordnung einer Abwicklungsvollstreckung). „Erbe“ zu sein ist dementsprechend weniger eine Rolle als vielmehr ein Status.188
Als Folge des gezeigten Irrtums erscheint das englische Recht einmischend, bevormundend und teuer,189 während es in Wirklichkeit sogar freiheitlicher ist als das 186
Näher unten Fn. 371. „Mehr Rollendenken in der Jurisprudenz“ hält generell für angezeigt Wacke, JZ 2001, 384. 188 Kahn-Freund, Anm. 263 zu Renner, Die Rechtsinstitute des Privatrechts. 189 Siehe insbesondere Muscheler, Erbrecht I, Rn. 1217, der dem englischen Recht vorwirft, durch die Erzwingung der Fremdabwicklung die Testierfreiheit einzuschränken, eine Stör- und Streitquelle zwischen personal representative und Hauptbedachtem zu schaffen, die Kosten in die Höhe zu treiben und von einem generellen Misstrauen gegen den Erben geprägt zu sein. Sämtliche Vorwürfe erweisen sich in dem Moment als haltlos, in dem man erkennt, dass personal representative und beneficiary personenidentisch sein dürfen und es oftmals sind. Und wenn Muschler betont, dass „der Erbe unter normalen Umständen den Nachlass ohne Schwierigkeit selbst abwickeln“ könne (so auch schon Reif, in: 4. Denkschrift, 44), lautet die Entgegnung, dass das englische Recht genau dies erlaubt. Ebenso irrig, da auf derselben Fehlvorstellung beruhend, der Vorwurf von Leleu, ERPL 6 187
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§ 1 Einführung: Gegenstand, Ziele und Methoden der Arbeit
deutsche Recht. Denn es erlaubt einem zum personal representative bestellten Begünstigten stets die Abwicklung bei beschränkter Haftung, sogar im Fall einer Überschuldung des Nachlasses. Das BGB hingegen gestattet dem Erben nur im Fall des geringwertigen Nachlasses die Abwicklung bei beschränkter Haftung; in den übrigen Fällen muss er entweder Nachlassverwaltung oder Nachlassinsolvenz beantragen (und damit die Abwicklung aus der Hand geben) oder die unbeschränkte Haftung in Kauf nehmen.190 Nach allem zeigt sich, dass die Vorstellung des personal representative als „Mittelsmann“, „Zwischenberechtigtem“ o.Ä. ein verunglückter Versuch ist, die wahre Besonderheit des englischen Erbrechts zu erfassen, die darin besteht, dass der Nachlass nicht nur ausnahmsweise, sondern stets als Sondervermögen liquidiert wird. Die Stufung der Nachlassabwicklung ist also eine verfahrensmäßige, keine personale,191 und nur wenn man statt der beteiligten Personen auf das Schicksal des Nachlasses schaut, lässt sich von einem vermittelten Erwerb sprechen. Denn selbst dort, wo der personal representative der einzige beneficiary ist, besteht der Nachlass im Vermögen des personal representative/beneficiary zunächst als Sondermasse fort.192 Freilich ist sogleich wieder darauf hinzuweisen, dass auch eine solche Fortsetzung des Nachlasses als Zuordnungsverband dem deutschen Recht durchaus bekannt ist, und zwar nicht nur bei Nachlassverwaltung und Nachlassinsolvenz. So bildet der Nachlass sowohl in der Hand von Miterben ein Sondervermögen als auch in der Hand des Alleinerben im Fall der Geringwertigkeit.193 Bei konsequenter Handhabung der für das englische Recht gebrauchten Terminologie müssten die Erben in diesen Situationen folglich ebenso als „Mittelsmänner“ bezeichnet werden. b) Das vermeintliche Erfordernis der gerichtlichen Einweisung Die zweite verbreitete Fehlvorstellung über das englische Recht lautet, dass der personal representative immer einer gerichtlichen Einweisung in den Nachlass bedürfe.194 Hierbei wird nicht hinreichend differenziert zwischen dem Übergang des Nachlasses vom Erblasser auf den testamentarisch ernannten executor und dem (1998), 165, das englische Recht halte „les héritiers dans une situation d’inferiorité juridique, intolérable selon les conceptions continentales“. 190 Eingehend dazu unten § 6 E.V. (522 ff.). 191 Treffend insoweit Matthews, Memorandum, Nr. 14, der von einer „interposition of administration“ spricht. 192 Näher zum Sondervermögenscharakter des estate unten § 4 B.II.1. (285 ff.). 193 Siehe schon oben A. (1 ff.). 194 So etwa Loussouarn, Clunet 1970, 253, 260; Goré, L’administration des successions, 22, 30; Boulanger, Droit International des Successions, Nr. 135; HWBEuP/Kroppenberg, Universalsukzession, 1561 f.; Lein, in: Die Europäische Erbrechtsverordnung, Rn. 31. Auch Fratcher, in: Death, Taxes and Family Property, 160, missversteht das englische Recht in diesem Punkt, trotz seiner ansonsten intimen Kenntnis von diesem. Schließlich erweckt Leleu, ERPL 6 (1998), 165, gar den Eindruck, als werde der personal representative stets vom Richter bestimmt, während Neumayer, in: Mélanges Piotet, 486, die Bedeutung des assent verkennt (dieser bezeichnet die Übertragung vom personal representative auf den beneficiary, siehe unten Fn. 386).
E. Die Defizite der herkömmlichen Erbrechtsvergleichung
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Übergang auf den in Ermangelung einer letztwilligen Anordnung gerichtlich zu ernennenden administrator. Da Letzterer seine Autorität allein aus den letters of administration ableitet, ist deren Ausstellung durch das Gericht in der Tat konstitutiv für den Nachlassübergang.195 Der executor hingegen leitet seine Autorität unmittelbar vom Erblasser ab, weshalb er genau wie ein deutscher Erbe ipso iure in den Nachlass eintritt196 und diesen Erwerb nur durch Ausschlagung rückgängig machen kann.197 Der auf Antrag ausgestellte grant of probate ist folglich nicht konstitutiv, sondern lediglich deklaratorisch. Er dient dem executor zur Legitimation im Rechtsverkehr,198 vergleichbar einem deutschen Erbschein oder einem Europäischen Nachlasszeugnis. Hat der executor hierfür keinen Bedarf, etwa weil er keine Prozesse zu führen braucht199 und seine Rechtsstellung auch nicht anderweitig beweisen muss, kann er von der Beantragung eines grant absehen, ohne dass er dadurch gehindert wäre, den Nachlass in Besitz zu nehmen, zu verwalten und ggf. über einzelne Nachlassgegenstände zu verfügen.200 195 Kerridge, Law of Succession, [18-15]. Genau genommen findet allerdings sogar in diesem Fall ein Vonselbsterwerb statt, nämlich durch den Public Trustee, der als Rechtsträger den Zeitraum zwischen dem Tod des Erblassers und der Ernennung eines administrator überbrückt, siehe sec. 9(1) AEA und unten I.II.2a) (106 ff.). Zum mehrfach gestuften Erwerbsvorgang in einem solchen Fall auch Gretton, EPLJ 3 (2014), 115. 196 Zum lebzeitigen Treuhandgeschäft als dem vermuteten historischen Ursprung dieser Regel unten § 3 B.IV.5. (Fn. 212). Auf den ersten Blick überrascht, dass sec. 1(1) AEA nur den automatischen Übergang des unbeweglichen Vermögens („real estate“) auf den personal representative erwähnt, und nicht auch den Übergang des beweglichen Vermögens („personal property“). Der Grund für diese Unterscheidung liegt darin, dass sec. 1(1) AEA bei seiner Einführung im Jahr 1925 gar nicht dem Zweck diente, den Modus des Nachlassübergangs zu regeln, sondern nur klarstellen sollte, dass auch der unbewegliche Nachlass auf den personal representative überging (dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass bis 1897 die realty, also das Immobiliarvermögen, direkt auf den heir bzw. den devisee übergegangen war, näher dazu unten § 3 B.IV.6. (191 ff.)). Siehe auch F. Odersky, Abwicklung, 5 (Fn. 3). 197 Dazu Kerridge, Law of Succession, [17-22]–[17-33]; Williams, Mortimer & Sunnucks [632]–[6-62]. Verfehlt ist somit die pauschale Klassifizierung des englischen Rechts als Unterfall des Antrittserwerbs bei Wacke, JA 1982, 242; Staudinger/Otte (2017), § 1942 Rn. 2; Menzel, Entschließungsfreiheiten, 29 f. (Fn. 8). 198 Margrave-Jones, Mellows: Law of Succession, [25.10]; Kerridge, Law of Succession, [18-16]. Im vergleichenden Schrifttum wird dies zutreffend erkannt von v. Caemmerer, DfG 1936, 121; Gomes da Silva, Herança, 45; Häcker, Testamentsformen in England, 107; Gretton, EPLJ 3 (2014), 115; Lübcke, Nachlassverfahrensrecht, 53. 199 Ein executor kann einen Prozess vor Erlangung eines grant of probate zwar einleiten, muss im Verfahren einen solchen zum Nachweis seiner Rechtsinhaberschaft aber selbst dann vorlegen, wenn diese unbestritten ist oder auch anders bewiesen werden könnte: Kerridge, Law of Succession, [18-15], [18-18]. 200 Margrave-Jones, Mellows: Law of Succession, [25.10]; Fratcher, New York University LR 40 (1965), 43; Berther, Die internationale Erbschaftsverwaltung, 134. Nach persönlicher Auskunft von Roger Kerridge nehmen allerdings sogar englische Praktiker oft zu Unrecht an, dass der executor erst ab Ausstellung eines grant of probate zum Handeln befugt sei. Ungenau daher auch Muscheler, Testamentsvollstreckung, 18. Interessierte Personen können die Beantragung eines grant of probate allerdings erzwingen, siehe sec. 47 NCPR; Kerridge, Law of Succession, [17-26]. Die Beantragung eines grant of probate
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2. Mangelnde Differenziertheit Das zweite genannte Defizit auf der deskriptiven Ebene, die mangelnde Differenziertheit bestehender Vergleiche der Nachlassabwicklung, wird im Laufe der Arbeit noch an vielen Stellen deutlich werden. Hier soll das Problem anhand zweier Beispiele illustriert werden. Das erste davon betrifft die Unterscheidung von Rechtsordnungen nach dem Ausmaß, in dem Gerichte oder andere staatliche Stellen in die Nachlassabwicklung einbezogen sind. Das zweite Beispiel ist die Klassifizierung von Rechtsordnungen danach, ob sie den Nachlass des Verstorbenen ohne weiteres Zutun auf den Rechtsnachfolger übergehen lassen oder erst nach einer Antrittserklärung. a) Die Rolle staatlicher Stellen bei der Nachlassabwicklung (1) Staatsferne vs. staatsnahe Nachlassabwicklung Nach häufiger Darstellung liegt ein besonderes Merkmal der englischen Nachlass abwicklung darin, dass sie im Unterschied zu den kontinentaleuropäischen Regimen unter enger gerichtlicher Aufsicht steht.201 In der Regel wird diese Sichtweise nicht näher spezifiziert, so dass unklar bleibt, welche Aufgaben englische Gerichte bei der Nachlassabwicklung genau übernehmen. Ebenso vage bleibt der häufige Hinweis auf Ähnlichkeiten zum österreichischen Recht.202 Offenbar liegt der genannten Taxonomie die Vorstellung zugrunde, dass der personal representative vom Eintritt in den Nachlass bis zu dessen vollständiger Liquidation auf Schritt und Tritt vom Nachlassgericht überwacht wird und gewissermaßen nur dessen verlängerter Arm ist. Dies würde in der Tat einen fundamentalen Unterschied zu einer Rechtsordnung wie der deutschen markieren, wo Gerichte grundsätzlich nur zur Unterstützung oder zur Streitschlichtung in die Nachlassabwicklung eingreifen.203 Max Rheinstein klassifizierte ein Regime wie das gerade beschriebene als eines der „private“ oder jedenfalls „basically private liquidation“ und stellte es einem System der „governmental“ oder jedenfalls „basically governwird zudem dadurch gefördert, dass die ohne ihn durchgeführte Nachlassabwicklung ab einem bestimmten Moment ein Bußgeld auslöst, siehe sec. 37 „Stamp Act 1815“ und Winegarten/D’Costa/ Synak, Tristram and Coote’s Probate Practice, Nr. 1.48. 201 Siehe beispielsweise Castán Tobeñas, in: Mélanges Maury, 61; Droz, Rev.crit.dr.int.pr. 1970, 185, 209; Ferid, Recueil des Cours 142 (1974-II), 120; Revillard, Rev.crit.dr.int.pr. 1978, 279; Goré, L’administration des successions, 21 f. („étroite dépendance de la Cour […] contrôle rigoureux de l’autorité judiciaire […]“); Leleu, Transmission, Nr. 335 („contrôle judiciaire omniprésent“); Neumayer, in: Mélanges Piotet, 485 f. („das umständliche Probate-Verfahren des Common Law“); Bilotti, Separazione, 5; Röthel, Erbrecht, § 27 Rn. 5; Zoppini, Le successioni, 24, 33. Selbst in Government of the United Kingdom, Response, 2, wird die Eigenschaft des englischen Rechts allerdings damit beschrieben, dass es mit einem „court based system“ operiere. 202 In einer Mittelstellung zwischen England und dem (übrigen) Kontinent sehen das österreichische Recht etwa Zoppini, Le successioni, 24; Koziol/Koziol, Austrian Private Law, Rn. 212. Von einer nicht näher spezifizierten Ähnlichkeit zwischen englischem und österreichischem Recht spricht Röthel, Erbrecht, § 6 Rn. 30. 203 Siehe oben A. (1 ff.).
E. Die Defizite der herkömmlichen Erbrechtsvergleichung
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mental liquidation“ gegenüber.204 Um deutlich zu machen, dass ein Erbrechtsregime ohne jegliche Mitwirkung staatlicher Stellen nicht denkbar ist 205 und es deshalb darauf ankommt, ob diese Mitwirkung zwingender oder fakultativer Natur ist, wird im Folgenden von „staatsferner“ und „staatsnaher“ Nachlassabwicklung gesprochen. Wie aber lautet nun die korrekte Zuordnung der einzelnen Rechtsordnungen zu diesen Kategorien? Wie im Folgenden zu zeigen ist, entspricht das in der Erbrechtsvergleichung etablierte Bild vom englischen Erbrecht nicht der Realität, weshalb zum einen ein fundamentaler Unterschied zum Recht der USA verkannt wird und zum anderen die oft gezogene Parallele zwischen dem englischen und dem österreichischen Recht in die Irre führt. (2) Der staatsferne Charakter der heutigen englischen Nachlassabwicklung Dass der Übergang des Nachlasses auf den personal representative keineswegs immer von einer gerichtlichen Entscheidung abhängt, wurde oben bereits gezeigt.206 An dieser Stelle ist zu konstatieren, dass die Vorstellung von der großen Gerichtsnähe der englischen Nachlassabwicklung auch im Übrigen unzutreffend ist. Keineswegs ist es so, dass englische Gerichte die Nachlassabwicklung überwachen, vielmehr halten sie sich grundsätzlich gerade aus ihr heraus, mit der Folge, dass der personal representative ähnlich frei agieren kann wie ein Erbe nach deutschem Recht: „In England, the personal representative, once he has received his grant from the court, is left to his own devices. If the administration takes its normal course, the court will have nothing to do with it.“207
So ist der personal representative zur Inventarerrichtung und zur Rechenschaftslegung nur bei gerichtlicher Anordnung auf Antrag einer interessierten Partei verpflichtet.208 Und solange der personal representative nicht einer „general order for administration“ unterworfen wurde,209 bedarf er beispielsweise zur Schuldentilgung oder zur Auskehr von Überschüssen keiner richterlichen Genehmigung.210 Zur freien Natur der Rolle des personal representative passt, dass sie auch von einem Laien übernommen werden kann und kein professioneller Rechtsdienstleister hinzugezogen werden muss.211
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Rheinstein, in: Rapports Généraux, 231. Hierauf weist auch Rheinstein, in: Rapports Généraux, 230, hin. 206 Siehe oben E.I.1b) (32 ff.). 207 Rheinstein, in: Rapports Généraux, 233; siehe auch ders./Glendon, Decedents’ Estates, 484; ferner auch schon v. Caemmerer, DfG 1936, 122 („völlig freie Stellung“). 208 Sec. 25(b) AEA; Kerridge, Law of Succession, [20-16]. 209 Dazu Kerridge, Law of Succession, [20-61], [24-25]. 210 Zu undifferenziert daher Zoppini, Le successioni, 33. 211 Dazu schon oben E.I.1a) (27 ff.). 205
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§ 1 Einführung: Gegenstand, Ziele und Methoden der Arbeit
Traditionell kam dem personal representative auch nicht per se eine Vergütung für seine Tätigkeit zu, so dass es an dem Testator lag, ihm die Übernahme dieser Aufgabe beispielsweise durch Belohnung mit einem Vermächtnis schmackhaft zu machen. 212 Erst mit dem „Trustee Act 2000“ wurde personal representatives, die dieses Amt in Ausübung ihres Berufs wahrnehmen, Anspruch auf eine „reasonable remuneration“ gewährt, 213 der Vorrang vor den Ansprüchen der Begünstigungen genießt. 214
Sieht man von den Fällen ab, in denen ein administrator bestellt werden muss, spielen Gerichte bei der Nachlassabwicklung in England also keine größere Rolle als auf dem Kontinent.215 Wie ist es dann aber zu erklären, dass sich in der Erbrechtsvergleichung so hartnäckig die gegenteilige Vorstellung hält? Ein Grund hierfür dürfte darin liegen, dass sie für frühere Epochen des englischen Rechts Gültigkeit hat. Über viele Jahrhunderte hinweg war der personal representative in der Tat einer engen Aufsicht zunächst der kirchlichen und später der weltlichen Gerichte unterworfen, was sich beispielsweise in der Pflicht zur Inventarerrichtung und der Rechenschaftslegung äußerte.216 Aufgrund ihrer starken finanziellen Eigeninteressen an der Abwicklung von Nachlässen bemühte sich die Kirche zudem aktiv um deren Aufspürung.217 Ein schrittweiser Prozess der Deformalisierung mündete schließlich aber in das soeben skizzierte System einer gerichtsfernen Nachlassabwicklung, das im „Administration of Estates Act“ von 1925 festgeschrieben wurde.218 Der zweite Grund, warum die gerichtliche Aufsicht über die Nachlassabwicklung auch für das heutige englische Recht noch als prägend erachtet wird, hängt mit dem ersten zusammen und dürfte noch wichtiger sein: In den US-amerikanischen Bundesstaaten, die mit Ausnahme Louisianas219 allesamt das englische Modell fortführten, verlief die Entwicklung genau in die entgegengesetzte Richtung, indem die Aufsichtsfunktion der Gerichte sogar noch ausgebaut wurde und ein weltweit beispielloses Niveau erreichte.220 212 Dazu Kerridge, Law of Succession, [20-69]; siehe auch schon v. Caemmerer, DfG 1936, 122. Zur historischen Entwicklung unten § 3 B.IV.5. (189 ff.). 213 Siehe sec. 35, 28, 29 Trustee Act 2000; Kerridge, Law of Succession, [20-74]; Häcker, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 202 f., dort auch zu den sog. „charging clauses“, mit denen sich professionelle Abwickler früher eine Vergütung im Testament versprechen ließen, die aber als Vermächtnis konstruiert wurde und damit den für dieses geltenden Schranken unterlag. 214 Murga Fernández, Los sistemas europeos, 59 f. 215 So schon das Fazit von Rheinstein, in: Rapports Généraux, 231, 233. Aus US-amerikanischer Sicht auch Fratcher, in: Death, Taxes and Family Property, 153: „England resembles the civil law countries in that the requirement of judicial proceedings is minimal in the absence of controversy or failure to perform legal duties“. Siehe auch Miller, Machinery of Succession, 111, der dem englischen Recht ein „minimum of court interference“ bescheinigt; ebenso Braun, Will-Substitutes in England and Wales, 70. 216 Ausführlich dazu unten § 4 B.II.2. (286 ff.). 217 Dazu unten § 4 B.II.2e) (291 ff.). 218 Näher unten § 6 B.I. (372 ff.). 219 Genau wie das übrige Privatrecht Louisianas hat seine Nachlassabwicklung kontinentaleuropäische und insbesondere französische Wurzeln, siehe Sarpy, Louisiana LR 34 (1974), 523; Sneddon, South Texas LR 50 (2009), 456 f., 465 f. 220 Siehe Friedman, Wisconsin LR 1966, 366: „The probate process in American law is formal and bureaucratic to a degree almost unique among the world’s legal systems.“
E. Die Defizite der herkömmlichen Erbrechtsvergleichung
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(3) Der staatsnahe Charakter der Nachlassabwicklung in den USA Die extreme Formalisierung der Nachlassabwicklung im Recht der meisten Bundesstaaten der USA äußert sich zunächst darin, dass nicht nur der administrator, sondern auch der testamentarisch ernannte executor als „officer of the court“ betrachtet wird, der sich erst nach gerichtlicher Entscheidung sowie Stellung einer Kaution (bond) des Nachlasses annehmen darf.221 Sodann darf der amerikanische personal representative im Unterschied zu seinem englischen Pendant auch danach nicht eigenständig agieren, sondern muss etwa für den Verkauf von Nachlassgegenständen, die Begleichung von Schulden oder die Auskehr von Nachlasswerten an Begünstigte grundsätzlich jeweils eine gerichtliche Genehmigung einholen. Den Abschluss des Verfahrens bildet die formelle Entlassung des personal representative aus seinem Amt, die erst nach Genehmigung des detaillierten Rechenschaftsberichts erfolgt.222 Dass dieses – sprachlich ungenau – als „probate“ bezeichnete System 223 die Nachlassabwicklung teuer224 und schwerfällig225 macht und deshalb seit Jahrzehnten scharfe Kritik auf sich zieht, 226 ist keine Überraschung. Zwar hatte der „public 221 In rechtskonstruktiver Hinsicht findet diese Lösung ihren Ausdruck darin, dass im Unterschied zu England die formelle Nachlassinhaberschaft in der Regel nicht beim personal representative liegt, sondern bei den testamentarisch oder gesetzlich Begünstigten (siehe stellvertretend § 3-101 UPC). Die Abwicklungsbefugnis des personal representative lässt sich damit nicht aus der materiellen Rechtslage ableiten, sondern hängt von der gerichtlichen Verleihung ab (siehe stellvertretend § 3-701 UPC). 222 Siehe etwa Sitkoff/Dukeminier, Wills, Trusts, and Estates, 44–48; Sneddon, South Texas LR 50 (2009), 459. Seit der Darstellung von Rheinstein, in: Rapports Généraux, 234; Rheinstein/ Glendon, Decedents’ Estates, 20, scheint sich somit nichts Grundlegendes geändert zu haben. 223 Ursprünglich beschränkte sich das im lateinischen probare wurzelnde probate auf die Feststellung der Gültigkeit des Testaments. Im juristischen Sprachgebrauch der USA werden die Begriffe probate und administration seit Langem aber gleichbedeutend verwendet, siehe Rheinstein/ Glendon, Decedents’ Estates, 478; Sneddon, South Texas LR 50 (2009), 454 f.; Dukeminier/Sitkoff/Lindgren, Wills, Trusts, and Estates, 40; Gallanis, Will-Substitutes: A US Perspective, 10. 224 Neben Gerichtsgebühren fallen auch Honorare für den personal representative und seinen Anwalt an, die häufig in Bezug zum Nachlasswert berechnet werden, siehe Dukeminier/Sitkoff/ Lindgren, Wills, Trusts, and Estates, 45 f.; Horton, Georgetown LJ 103 (2015), 609. Das grundsätzliche Erfordernis einer Bewertung der Nachlassgegenstände lässt zudem Sachverständigenkosten anfallen, siehe Sneddon, South Texas LR 50 (2009), 460. Nach Sarpy, Louisiana LR 34 (1974), 523, machen die genannten Kosten sogar bei Abwesenheit von Streit fast 10% des Nachlasswertes aus. Die hohen Kosten des probate-Verfahrens zeigen sich indirekt daran, dass die Nachlassabwicklung Schätzungen zufolge nirgendwo in den USA so günstig ist wie im Bundesstaat Louisiana, wo sie nach kontinentaleuropäischem Muster erfolgt und somit staatsfernen Charakter hat; siehe McGovern/Kurtz/English/Gallanis, Wills, Trusts and Estates, 539. 225 Nach McGovern/Kurtz/English/Gallanis, Wills, Trusts and Estates, 538, dauert das probate-Verfahren im eigentlichen Sinn, also die Bestätigung des Testaments, in der Regel nicht lange, wohingegen die Phase der administration im engeren Sinne typischerweise Monate oder sogar Jahre dauert; Sarpy, Louisiana LR 34 (1974), 523, bezeichnet eine Dauer von zwei Jahren als üblich. Siehe auch Sneddon, South Texas LR 50 (2009), 460 f., die auf das weitere Problem der Öffentlichkeit des Verfahrens hinweist: „Probate records are public records.“ 226 Siehe etwa Wellman, Indiana LJ 44 (1969), 192: „The assumption that administration of an estate requires a judicial proceeding is as doubtful as it is costly.“; Langbein, Harvard LR 97
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§ 1 Einführung: Gegenstand, Ziele und Methoden der Arbeit
outcry“ über die Missstände schon um die Mitte des 20. Jahrhunderts herum ein wahres Reformfieber ausgelöst 227 und insbesondere im Jahr 1969 zur Verabschiedung des heute in 17 Bundesstaaten geltenden 228 Uniform Probate Code geführt.229 Doch obgleich dieser nach einzelstaatlichen Vorbildern 230 flexible und kostensparende Alternativen in Form einer „informal“, „independent“ oder „unsupervized administration“ schuf,231 etwa für geringwertige Nachlässe,232 hielt er letztlich doch am bestehenden Paradigma fest, wie auch bereits sein Name – Uniform Probate Code – deutlich macht.233 Wenn die Praxis diese Zustände nun schon so lange Zeit toleriert, dann liegt – neben handfesten finanziellen Interessen beteiligter Berufskreise und Industrien 234 – ein wesentlicher Grund darin, dass sie schon vor langer Zeit wirksame Ausweichstrategien entwickelt hat.235 Zu nennen sind zunächst die offenbar sehr zahlreichen Fälle, 236 in denen die Betroffenen den Nachlass einfach informell abwickeln, indem sie ihn einvernehmlich unter sich aufteilen und das Nachlassgericht allenfalls zu dem Zweck einschalten, eine Legitimationsgrundlage für
(1984), 1116: „The probate System has earned a lamentable reputation for expense, delay, clumsiness, makework, and worse.“ Nach Horton, Georgetown LJ 103 (2015), 605–664, bedarf diese fest im Bewusstsein der Bevölkerung verankerte Vorstellung allerdings einer teilweisen Revision. 227 Sneddon, South Texas LR 50 (2009), 451. 228 Gallanis, in: Passing Wealth on Death, 11. 229 Sneddon, South Texas LR 50 (2009), 469–473, dort auch zum gescheiterten Vorgänger des UPC, dem „Model Probate Code“ aus dem Jahr 1946. Diesen hatte auch schon Rheinstein als immer noch zu gerichtslastig kritisiert (Columbia LR 48 (1948), 534–545). Siehe auch Rinck, Max Rheinstein, 108 f. 230 Siehe „Chief Reporter“ Wellman, Indiana LJ 44 (1969), 200: „In a sense, nothing is new because each procedure has its tested counterpart somewhere among the states now.“ 231 Siehe die verschiedenen Begrifflichkeiten bei Sneddon, South Texas LR 50 (2009), 453, 462, 466, 474, 482; Sitkoff/Dukeminier, Wills, Trusts, and Estates, 45–47. Von „informal probate“ sprechen die §§ 3-301 ff. UPC. Zur 1982 eingeführten „Succession without Administration“ siehe unten § 7 A.I. (571 ff.). 232 Siehe Sneddon, South Texas LR 50 (2009), 462 f., 476 f.; Dukeminier/Sitkoff/Lindgren, Wills, Trusts, and Estates, 44, 46 f.; McGovern/Kurtz/English/Gallanis, Wills, Trusts and Estates, 540–542. 233 Langbein, Harvard LR 97 (1984), 1139: „Even the enlightened Uniform Probate Code is, as its name indicates, a probate code, not a succession code.“ Sneddon, South Texas LR 50 (2009), 483. Obwohl der Uniform Probate Code sich grundsätzlich mit allen Materien des Erbrechts befasst, war sein „system of probate administration“ das Herzstück (so der „Chief Reporter“ Wellman, Indiana LJ 44 (1969), 198). 234 In diesen sah schon Rheinstein ein unüberwindbares Hindernis für grundlegende Reformen, siehe Rinck, Max Rheinstein, 111. Nach Sneddon, South Texas LR 50 (2009), 488, gehören zu den „lobbies“ mit einem „vested interest in probate matters“ auch die „surety bond industry“, die „insurance industry“ und die „newspapers“ (letztgenannte wegen der Öffentlichkeit des probateVerfahrens). 235 Prägnant Rheinstein, Columbia LR 48 (1948), 539: „This system has been tolerable solely because it is not being followed in a large number of cases.“ Siehe auch McGovern/Kurtz/English/ Gallanis, Wills, Trusts and Estates, 539: „Much more energy has been expended on developing alternatives to probate than on further simplifying the probate system.“ 236 Siehe dazu die empirische Untersuchung von Dunham, University of Chicago LR 30 (1963), 244.
E. Die Defizite der herkömmlichen Erbrechtsvergleichung
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Verfügungen oder Registeränderungen zu erhalten.237 Vor allem aber ist auf die von der Kautelarpraxis mit großem Erfolg betriebene Nachlassplanung mittels sog. „will-substitutes“ (oder „nonprobate devices“238) hinzuweisen, 239 also rechtsgeschäftlicher Gestaltungen, die kein Testament im formalen Sinne und deshalb nicht dem probate-Verfahren unterworfen sind, in ihren rechtlichen und wirtschaftlichen Wirkungen einer letztwilligen Verfügung aber sehr nahe kommen. 240 In seinem wegweisenden Aufsatz aus dem Jahr 1984 hat John Langbein den daraus resultierenden grundlegenden Wandel beim Vermögensübergang von Todes wegen als „nonprobate revolution“ beschrieben.241 Hieraus darf allerdings nicht der Schluss gezogen werden, dass das probate-Verfahren in der Praxis obsolet sei. Denn zum einen lohnt sich seine Vermeidung nur bei Vorhandensein nennenswerten Vermögens, zum anderen unterliegen die „nonprobate devices“ intrinsischen Grenzen. Abgesehen davon ist deren Gebrauch gar nicht in jedem Fall die beste Strategie, da die mit ihnen verbundenen Kosten und Verzögerungen diejenigen des probate-Verfahrens auch übersteigen können. 242
Zumindest wenn man das skizzierte gesetzliche Modell zugrunde legt, zeigt sich also, dass die Grenze zwischen Systemen gerichtsferner und solchen gerichtsnaher Nachlassabwicklung gar nicht entlang der Rechtskreise Civil Law/Common Law verläuft, sondern durch den Atlantischen Ozean gebildet wird.243 Wie Rheinstein mehrfach hervorhob, steht dieser Zustand in einem kuriosen Kontrast zur jeweils vorherrschenden politischen Kultur: „The countries of the continent of Europe are usually regarded as being fond of paternalistic governmental interference with private affairs, while in this country [USA] the traditional hostility to governmental meddling has tended to keep state supervision of private matters at a minimum. Yet, with respect to the transfer of property upon death, the roles are curiously reversed. While in Europe judicial or judicially supervised administration of decedents’ 237 Rheinstein, Columbia LR 48 (1948), 539; ders., in: Rapports Généraux; Langbein, Harvard LR 97 (1984), 1118. 238 Wellman, Indiana LJ 44 (1969), 195; Sneddon, South Texas LR 50 (2009), 451. 239 Dazu etwa Langbein, Harvard LR 97 (1984), 1108–1117; Gallanis, Will-Substitutes: A US Perspective, 11 f. Eine wichtige Rolle in diesem Prozess wird dem erstmals 1965 erschienenen Ratgeber „How to Avoid Probate“ des juristischen Laien Norman F. Dacey zugeschrieben, der eine Millionenauflage erreichte (siehe etwa Wellman, Indiana LJ 44 (1969), 192; Langbein, Harvard LR 97 (1984), 1116; Horton, Georgetown LJ 103 (2015), 608). Auch andere Laienautoren richteten in den 1960er Jahren „caustic attacks“ gegen das probate-Verfahren, siehe Sarpy, Louisiana LR 34 (1974), 523. Wie Wellman, Indiana LJ 44 (1969), 198, und Sneddon, South Texas LR 50 (2009), 469 f., betonen, hatte sich der Reformfunke aber schon vor Daceys Buch entzündet. 240 Dazu auch unten I.III. (114 ff.). Zu den wichtigsten „will-substitutes“ in der heutigen US-amerikanischen Rechtspraxis siehe Gallanis, Will-Substitutes: A US Perspective, 12–18. McGovern/Kurtz/English/Gallanis, Wills, Trusts and Estates, 395, weisen darauf hin, dass die Gründe für die Vermeidung des probate-Verfahrens nicht in allen Bundesstaaten dieselben sind und dass hinsichtlich mancher Güter eine solche Vermeidung auch nicht sinnvoll ist. 241 Langbein, Harvard LR 97 (1984), 1108. 30 Jahre später konstatieren Leslie/Sterk, Boston College LR 56 (2015), 61–119, nicht nur, dass die praktische Bedeutung von „nonprobate transfers“ weiter zugenommen hat, sondern auch, dass viele der durch das Ausscheren aus dem formalen Erbrecht verursachten Probleme weiterhin ungelöst sind. 242 Siehe Sneddon, South Texas LR 50 (2009), 461 f., 492, die in der Konsequenz darauf hinweist, dass „will-substitutes“ in ihrem Wert als Gestaltungsmittel nicht überschätzt werden dürfen und das probate-Verfahren auch im 21. Jahrhundert noch eine „vital role in the transfer of assets“ spiele. 243 Dies betont auch Rheinstein, in: Rapports Généraux, 231.
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§ 1 Einführung: Gegenstand, Ziele und Methoden der Arbeit
estates constitutes a comparatively rare exception, it is in this country [USA], at least theoretically, required in every case.“244
Worin genau die Ursachen der US-amerikanischen Entwicklung liegen, insbesondere ihrer Entkoppelung vom englischen Recht,245 ist nicht bekannt.246 Sie haben vermutlich mit Besonderheiten der US-amerikanischen Gerichtsbarkeit und Prozesskultur zu tun,247 ebenso mit dem zu Kolonialzeiten oftmals aufgekommenen Wunsch, die Nachlassabwicklung durch lokale Stellen und Personen durchzuführen anstatt durch weit entfernt lebende Verwandte.248 Freilich ist auch zu beachten, dass die hohe Formalisierung der Nachlassabwicklung offenbar erst vergleichsweise spät erfolgte; noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts sollen mehr als 90% aller Nachlässe ohne gerichtliche Aufsicht abgewickelt worden sein, 249 und die zumindest im Westen der USA oftmals sehr große Distanz zum nächsten „court house“250 lässt das Prinzip einer gerichtsfernen Abwicklung auch natürlich erscheinen.251 In der europäischen Erbrechtsvergleichung jedenfalls haben Rheinsteins Erkenntnisse kaum Spuren hinterlassen, was insbesondere für sein Herkunftsland Deutschland betrüben muss.252 Stattdessen wird die Common-Law-Tradition der Nachlassabwicklung immer noch als eine einheitliche wahrgenommen, worin in 244 Rheinstein, Columbia LR 48 (1948), 538. Ähnlich ders., in: Rapports Généraux, 231: Während im „land of liberty, in which government is traditionally regarded as a necessary evil to be kept within narrow bounds“, kein Schritt der Nachlassabwicklung ohne gerichtliche Zustimmung erfolgen soll, ist die staatliche Beteiligung bei der Nachlassabwicklung in Ländern, die im Allgemeinen als „bulwarks of bureaucracy“ bekannt sind, auf ein Minimum beschränkt. Schließlich auch Rheinstein/Glendon, Decedents’ Estates, 14: „In Anglo-American law we should expect to find a system which relies primarily upon the initiative and action of the parties concerned. But, strangely enough, in those countries which have generally been so averse to govermental ‚meddling‘ with private affairs, the system of official administration prevails.“ 245 Diese Darstellung ist insofern etwas vereinfachend, als, bedingt durch verschiedene Einflüsse, das Bild der Nachlassabwicklung in den USA lange Zeit sehr uneinheitlich war und das englische Modell erst vergleichsweise spät als „Sieger“ aus dem Konkurrenzkampf hervorging (Sneddon, South Texas LR 50 (2009), 456). Unzutreffend ist es dennoch, wenn Rinck, Max Rheinstein, 106, sagt, in den USA sei „zunächst“ das „europäisch[e] System“ übernommen worden. 246 Die von Rheinstein, in: Rapports Généraux, 234, geäußerte Hoffnung auf eine baldige historische Untersuchung hat sich, soweit ersichtlich, bis heute nicht erfüllt. 247 Im persönlichen Gespräch mit dem Verfasser vermutete John Langbein den Grund darin, dass die probate courts traditionell mit Laienrichtern besetzt waren, die klare Regeln brauchten. Siehe ferner den vermuteten Zusammenhang mit der Prozesskultur bei Langbein, Harvard LR 97 (1984), 1116: „[…] the Anglo-American procedural tradition is preoccupied with adversarial and litigational values […]“. 248 Wellman, Indiana LJ 44 (1969), 192 deutet an, dass hierbei auch lokale Verteilungsinteressen geschützt werden sollten. 249 Friedman, History, 232; Sneddon, South Texas LR 50 (2009), 457 f. Nach Friedman, Wisconsin LR 1966, 366 f., lag der Grund allerdings auch darin, dass ein Großteil der Bevölkerung ohnehin nicht über nennenswertes Vermögen verfügte. 250 Scoles, Missouri LR 48 (1983), 373. 251 Sneddon, South Texas LR 50 (2009), 456, weist zudem auf den „cowboy sense of freedom from governmental procedures“ hin und erklärt den in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erfolgten Wandel u. a. mit dem Prozess der Urbanisierung und einer Schwächung der Familienbande (458). 252 Besonders verdienstvoll vor diesem Hintergrund die Arbeit von Rinck, Max Rheinstein.
E. Die Defizite der herkömmlichen Erbrechtsvergleichung
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gewisser Weise ein Gegenstück zur undifferenzierten Sicht auf die kontinentaleuropäische Tradition liegt.253 US-amerikanische Juristen hingegen sind sich des eigenen Sonderwegs vollauf bewusst und haben insbesondere den englischen Weg zur Deformalisierung häufig als Vorbild gepriesen.254 (4) Die Rolle staatlicher Organe im österreichischen Recht Setzt man die vorstehenden Ausführungen in Bezug zum österreichischen Recht, so zeigt sich, dass noch weitergehende Differenzierungen erforderlich sind als bislang. Was zunächst den Übergang des Nachlasses angeht, ist festzustellen, dass die Rolle der Gerichte im österreichischen Recht einerseits größer ist als im englischen Recht, andererseits aber auch kleiner. Größer ist ihre Rolle insoweit, als der Nachlassübergang in Österreich stets einer Gerichtsentscheidung bedarf, während ein englischer executor wie gesehen von Rechts wegen in den Nachlass eintritt. Dort allerdings, wo ein englisches Gericht auf Antrag einen administrator zu ernennen hat, reichen seine Befugnisse weiter als die eines österreichischen Gerichts bei der Einantwortung. Denn wenngleich das Gesetz zur Einsetzung des administrator eine konkrete Rangfolge von Antragsberechtigten statuiert, die grundsätzlich den Vorschriften über die Intestatbegünstigung folgt, kann das Gericht von ihr abweichen, wenn es ihm aufgrund besonderer Umstände „necessary or expedient“ erscheint.255 Folge dieses Auswahlermessens ist, dass der administrator seine Legitimation allein aus dem Gerichtsurteil bezieht. Demgegenüber ergeht die Einantwortung nach österreichischem Recht als gebundene Entscheidung: Wer Erbe ist, wird allein durch Testament oder Gesetz bestimmt, so dass die Einantwortung, was den titulus angeht, lediglich deklaratorischer Natur ist. Hieraus folgt, dass im österreichischen Recht der wahre Erbe seine Stellung nicht dadurch verliert, dass das Gericht den Nachlass einem Scheinerben zuweist.256 Was sodann die Tilgung der Erblasserverbindlichkeiten sowie die Erfüllung der Vermächtnis- und Pflichtteilsansprüche angeht, so findet sich oft die Vorstellung, dass nach österreichischem Recht auch dieser Vorgang dem Gericht zugewiesen sei oder jedenfalls seiner Aufsicht unterliege.257 Doch ist es ähnlich wie im Fall des 253
Siehe dazu unten H.IV. (97 ff.). Siehe unten § 6 B.I.4. (376 ff.). 255 Sec. 116 SCA. Dazu auch Scottish Law Commission, Discussion Paper on Succession (2007), [4.131–134], wo die Aufnahme einer entsprechenden Regelung für das schottische Recht befürwortet wird (so auch der Vorschlag in Scottish Law Commission, Report on Succession (2009), [1.31]). Zu den von den Gerichten angewandten Auswahlkriterien bei konkurrierenden Antragstellern Margrave-Jones, Mellows: Law of Succession, [17-53]. 256 Siehe nur Eccher/Umlauft, Erbrecht, § 6 Rn. 1; unzutreffend hingegen Leleu, ERPL 6 (1998), 164. 257 Siehe etwa Rheinstein/Glendon, Decedents’ Estates, 14: „[…] the winding up of a decedents’ estate [under Austrian law] is regarded as the task of a paternalistic government which acts for the heirs by collecting and distributing the assets among them.“ Goré, L’administration des successions, 24: „Cet acte juridique [d. h. die Einantwortung] achève la procédure de règlement […]“; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 193. Ferner oben Fn. 202. 254
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englischen Rechts erforderlich, zwischen verschiedenen historischen Phasen zu unterscheiden: Herrschte in den österreichischen Partikularrechten etwa bis Mitte des 17. Jahrhunderts ein System der staatsfernen Nachlassabwicklung vor, 258 wurde dieses in der Folge schrittweise durch ein obrigkeitliches Nachlassverfahren verdrängt, 259 das den „Höhepunct seiner Ausbildung“ im Patent vom 9. September 1785 für die Justizstellen der deutsch-slawischen Erbländer fand.260 Das entsprechende Verfahren war dadurch gekennzeichnet, dass das zuständige Gericht den Nachlass einer verstorbenen Person von Amts wegen in Beschlag nahm (und ihn notfalls versiegelte), um anschließend Sorge dafür zu tragen, dass jeder die ihm gebührende Teilhabe erhielt. Dies bedeutete insbesondere, dass die Person des Erben nicht lediglich in einem summarischen, sondern in einem vollwertigen petitorischen Verfahren zu ermitteln war und dass Gläubiger und Legatare befriedigt sein mussten, bevor dem Erben der Überschuss ausgefolgt werden durfte.261 In diesem Vorgang einer konkursähnlichen Liquidation,262 die der Erbe „unter der ängstlich bevormundenden Dazwischenkunft der Abhandlungsbehörde“ vorzunehmen hatte,263 ähnelte das ehemalige österreichische Recht also dem mittelalterlichen englischen und dem heutigen US-amerikanischen Recht, und das Gericht wurde denn auch als „gesetzlicher Testamentsexecutor“ aufgefasst.264 Treiber der skizzierten Entwicklung war zum einen der paternalistische Gedanke, dass der Staat die Interessen aller am Erbfall beteiligten Personen zu schützen habe.265 Zum anderen spielten aber auch fiskalische Interessen eine gewichtige Rolle: Nicht nur erleichterte die obrigkeitliche Abwicklung die Eintreibung von Steuern und anderen Abgaben,266 auch war sie als solche eine lukrative Einnahmequelle der Gerichte.267 Das Recht der Gerichte zur Abhandlung von Erbfällen wurde mit anderen Worten ein „nutzbares Regal“.268 Eine Trendwende wurde indessen durch das ABGB von 1811 eingeläutet (und zuvor bereits durch das Westgalizische Gesetzbuch). Zwar hielt das ABGB an der zwingenden Durchführung eines Verlassenschaftsverfahrens fest, doch hatte die258 Dazu
Unger, Verlassenschaftsabhandlung, 45–60. Unger, Verlassenschaftsabhandlung, 61–91; Bielefeld, Entwicklung des Erbschaftserwerbs, 10–13. 260 Unger, Verlassenschaftsabhandlung, 92. 261 Eingehend Unger, Verlassenschaftsabhandlung, 92–103; zusammenfassend Floßmann, Österreichische Privatrechtsgeschichte, 368–370. 262 Vgl. Unger, Verlassenschaftsabhandlung, 89. 263 Unger, Verlassenschaftsabhandlung, 96. 264 Siehe die Nachweise bei Unger, Verlassenschaftsabhandlung, 84; siehe auch ebd., 88. 265 Unger, Verlassenschaftsabhandlung, 8, 70; Floßmann, Österreichische Privatrechtsgeschichte, 369. Rätselhaft ist, wieso Neumayer, in: Mélanges Piotet, 486, die österreichische Regelung der römischen Tradition zurechnet. 266 Unger, Verlassenschaftsabhandlung, 8, 87, der u. a . auf die 1759 aus Anlass des Siebenjährigen Krieges eingeführte Erbsteuer hinweist; Klang/Weiß, 961 f. 267 Unger, Verlassenschaftsabhandlung, 72; Floßmann, Österreichische Privatrechtsgeschichte, 369. 268 Unger, Verlassenschaftsabhandlung, 79. 259 Dazu
E. Die Defizite der herkömmlichen Erbrechtsvergleichung
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ses „wesentliche Modificationen und erhebliche Abschwächungen zu erleiden“.269 So stellte § 811 ABGB1811 ausdrücklich klar: „Für die Sicherstellung oder Befriedigung der Gläubiger des Erblassers wird vom Gerichte nicht weiter gesorgt, als sie es selbst verlangen. […].“ Doch abgesehen davon, dass die bestehende Form des Verlassenschaftsverfahrens in der Praxis ein erhebliches Beharrungsvermögen zeigte,270 gab auch das ABGB das Prinzip, dass der Erbe nur den bereinigten Nachlass erhalten sollte, nicht gänzlich auf.271 Denn nach §§ 817, 819 ABGB1811 und den einschlägigen Regelungen des Verfahrensrechts wurde die Einantwortung in den Nachlass u. a. daran geknüpft, dass der Erbe mittels der sog. „Testamentsausweisung“ gegenüber dem Gericht die Erfüllung der Legate oder zumindest ihre Sicherstellung nachwies, sofern nicht ein Fall vorlag, in dem die Benachrichtigung der Legatare genügte.272 Im Hinblick auf die Vermächtnisse hatte das Gericht damit immer noch die Stellung eines „supremus executor testamenti“ inne, 273 und hieran hat sich bis heute im Grundsatz nichts geändert.274 Ihren paternalistischen Charakter bewahrt hat die österreichische Nachlassabwicklung auch in einem anderen Punkt, nämlich bei der Ermittlung aller Umstände des Erbfalls.275 Der sog. „Gerichtskommissär“276 hat als Beauftragter des Gerichts im Anschluss an die amtswegige Einleitung des „Verlassenschaftsverfahrens“277 die „Todesfallaufnahme“ zu errichten und dazu „alle Umstände zu erheben, die für die Verlassenschaftsabhandlung und allfällige pflegschaftsgerichtliche Maßnahmen erforderlich sind“.278 Hierzu gehört insbesondere die Ermittlung des hinterlassenen Vermögens samt Rechten und Verbindlichkeiten sowie die Feststellung der gesetzlichen oder gewillkürten Erben.279 Schreibt das Gesetz die Errichtung eines Inventars vor, wie etwa bei Vorhandensein minderjähriger Pflichtteilsberechtigter,280 so erledigt der Gerichtskommissär auch diese Aufgabe.281 Was also die Einleitung und 269
Unger, Verlassenschaftsabhandlung, 104. Unger, Verlassenschaftsabhandlung, 135, 146–148. 271 Näher Unger, Verlassenschaftsabhandlung, 135–145. 272 Stets zu erfüllen oder zu sichern waren Vermächtnisse zu frommen Zwecken sowie zugunsten von Minderjährigen oder Pflegebefohlenen, siehe Unger, Verlassenschaftsabhandlung, 137; Klang/Weiß, § 688 (619 f.). 273 Unger, Verlassenschaftsabhandlung, 140. 274 Siehe heute § 817 ABGB und § 176 AußStrG. Dazu Eccher/Umlauft, Erbrecht, § 6 Rn. 17; Ferrari, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 97. Die Privilegierung gemeinnütziger Vermächtnisse gilt allerdings nicht mehr, siehe Rummel/Lukas/Welser, ABGB, § 817 Rn. 3. 275 Immerhin führte das Außerstreitgesetz von 2003, das den Vorgänger von 1854 ablöste (dazu Bielefeld, Entwicklung des Erbschaftserwerbs, 18 f.), eine Reihe von Verfahrenserleichterungen herbei. Siehe im Einzelnen Rechberger/Bittner, AußStrG, Vor § 143; Gruber/Kalss/Müller/ Schauer/Bittner/Hawel, § 11 Rn. 4. 276 Dieses Amt üben nach § 1 Gerichtskommissärsgesetz die Notare aus. 277 § 143 Abs. 1 AußerStrG. 278 § 145 Abs. 1 AußerStrG. Näher zur Tätigkeit des Gerichtskommissärs Höllwerth, NZ 2014, 73–77; Ferrari, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 96; Mayer, Referat, L 128. 279 § 145 Abs. 2 Nr. 2 , 5 AußerStrG. 280 § 165 Abs. 1 Nr. 2 AußerStrG. 281 Rechberger/Grün, AußerStrG, § 166, Rn. 2. 270
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Vorbereitung der Nachlassabwicklung betrifft, geht das österreichische Recht auch heute in seiner Staatsnähe sogar noch über das US-amerikanische Recht hinaus, wo die Gerichte nicht auf eigene Initiative hin tätig werden.282 Zu betonen ist, dass der Gerichtskommissär, ungeachtet der durch die Reform von 2003 herbeigeführten Ausweitung seiner Befugnisse, den Nachlass nicht abwickelt. 283 Eine entsprechende Einräumung von Entscheidungsbefugnissen war zwar diskutiert, letztlich aber verworfen worden. 284 Die Rolle des Gerichtskommissärs liegt damit in der Verfahrensführung, aber auch in der Vermittlung zwischen den Parteien. 285 Wenn in der Praxis dennoch häufig der Nachlass bereits vor Einantwortung bereinigt und zwischen Miterben geteilt wird, geschieht dies nicht durch Handeln des Gerichtskommissärs, sondern des gerichtlich eingesetzten Verlassenschaftskurators. 286
(5) Fazit Der Überblick hat gezeigt, dass die Kategorie einer „staatsnahen Nachlassabwicklung“ nur eine sehr grobe Orientierung zu bieten vermag, weil die zwingende Mitwirkung staatlicher Stellen ganz unterschiedliche Phasen und Aspekte der Nachlassabwicklung betreffen kann: Sie kann sich auf die Ermittlung der Umstände des Erbfalls, den Schutz des Nachlasses vor unbefugten Eingriffen, die Überprüfung des Titels der zur Rechtsnachfolge berufenen Person, auf die Tilgung von Erblasserverbindlichkeiten und auf die Auskehr von Vermächtnissen beziehen. Wie der Vergleich zwischen dem englischen, dem US-amerikanischen und dem österreichischen Recht deutlich gemacht hat, sind die einzelnen Elemente grundsätzlich unabhängig voneinander, so dass beispielsweise die zwingende Überprüfung des Rechtstitels nicht notwendig mit der amtswegigen Ermittlung des Erbfalls oder der Beaufsichtigung der Schuldentilgung einhergehen muss. b) Der Modus des Nachlasserwerbs Weit verbreitet in der Erbrechtsvergleichung ist die Klassifizierung von Rechtsordnungen danach, ob sie den Nachlass des Verstorbenen sofort und ohne weiteres Zutun auf den Rechtsnachfolger übergehen lassen oder es hierzu einer Antrittserklärung bedarf (der Erwerb durch gerichtliche Einweisung bleibt an dieser Stelle außer Betracht). Zur ersten Gruppe, der des „Vonselbsterwerbs“287, „Ipso-iure-Er-
282
Dies betont Rheinstein, in: Rapports Généraux, 237. suggeriert Hertel, in: Die Europäische Erbrechtsverordnung, Rn. 55–59, durch den Vergleich mit dem englischen personal representative. 284 Siehe Rechberger/Bittner, AußStrG, Vor § 143 Rn. 27. 285 Siehe Gruber/Kalss/Müller/Schauer/Bittner/Hawel, § 11 Rn. 28. Diesem Aspekt kommt in der Praxis große Bedeutung zu, siehe unten I.II.1a) (100 ff.). 286 § 811 ABGB; dazu Ferrari, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 96 f. 287 Dies scheint heute die gebräuchlichste Terminologie zu sein, siehe etwa Muscheler, Erbrecht I, Rn. 1028; HWBEuP/Wenckstern, Erbschaftsannahme/-ausschlagung, 425. Als „etwas lieblos“ empfindet den Begriff Schippel, in: FS Wirner, 983. 283 Dies
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werbs“288 oder „Anfallprinzips“289, wird neben Deutschland z. B. auch Frankreich gerechnet.290 Zur zweiten Gruppe, der des Antrittsprinzips, 291 gehört etwa Italien.292 Schaut man indessen nicht nur auf die Vorgänge im Moment des Todes, sondern auch auf die Voraussetzungen des endgültigen Nachlasserwerbs, ist das Bild viel differenzierter. Denn zum einen zeigt sich dann ein wichtiger Unterschied zwischen dem deutschen Recht und dem französischen, zum anderen eine wichtige Gemeinsamkeit zwischen dem deutschen Recht und dem italienischen. So lässt das BGB den endgültigen Erwerb nicht nur ebenfalls von selbst eintreten,293 sondern sogar bereits nach Ablauf von sechs Wochen ab Kenntnis von der Berufung.294 Im französischen Recht hingegen ist nicht nur die Überlegungsfrist mit zehn Jahren ungleich länger; vor allem hat die Passivität des héritier die – aus deutscher Sicht überraschende – Folge, dass die Ausschlagung fingiert wird,295 der anfängliche Erwerb also „desavouiert“296 und der héritier so behandelt wird, als sei er niemals Erbe gewesen.297 Das bedeutet, dass nach dem französischen Recht ein endgültiger Erwerb der Erbschaft nur dann eintritt, wenn der héritier zu irgendeinem Zeitpunkt ausdrücklich oder konkludent die Annahme erklärt. Führt somit das französische Recht den Vonselbsterwerb bei näherem Hinsehen gar nicht konsequent durch, gilt dasselbe mit umgekehrten Vorzeichen für den Antrittserwerb des italienischen Rechts. Denn in dem praktisch bedeutsamen Fall, dass der Berufene bereits im Besitz von Nachlassgegenständen ist (z. B. weil er im selben Haus wie der Erblasser wohnte) und nicht innerhalb von drei Monaten ein Inventar errichtet, kommt es ausnahmsweise zu einem endgültigen Vonselbsterwerb.298 288 Diese Terminologie scheint infolge der Formulierung des Art. 560 Abs. 1 ZGB („Die Erben erwerben die Erbschaft […] kraft Gesetzes“) besonders in der Schweiz gebräuchlich zu sein, siehe etwa Kirchhofer, Erbschaftserwerb, 1; Druey, Grundriss, § 4 Rn. 4; Wolf, ZSR 125 (2006) II, 217– 219. 289 So etwa die Terminologie bei Wacke, JA 1982, 242; Brenne, Erbanfall- und Erbantrittsprinzip, 1; Schmoeckel, Erbrecht, § 4 Rn. 13 (der auch von „Soforterbfolge“ spricht). Der Begriff „Anfallprinzip“ ist angelehnt an § 1942 Abs. 1 BGB (dazu Muscheler, Erbrecht I, Rn. 1028 (Fn. 2)). Für eine Differenzierung zwischen Anfallprinzip und Vonselbsterwerb Metzler, Ausschlagung und Erbverzicht, 37 f. (Anfallprinzip als Zuammensetzung aus Vonselbsterwerb und Ausschlagungsrecht). 290 Siehe aus dem deutschsprachigen Schrifttum etwa RVglHWB/Hallstein, Anfall der Erbschaft, 196; Brenne, Erbanfall- und Erbantrittsprinzip, 91; Muscheler, Erbrecht I, Rn. 1082 (Fn. 75); HWBEuP/Wenckstern, Erbschaftsannahme/-ausschlagung, 425. 291 Siehe etwa HWBEuP/Wenckstern, Erbschaftsannahme/-ausschlagung, 426. 292 HWBEuP/Wenckstern, Erbschaftsannahme/-ausschlagung, 426. 293 Dies stimmt freilich nur bei funktionaler Betrachtung. Denn in formaler Hinsicht konstruiert § 1943 BGB den endgültigen Erwerb als Antrittserwerb, indem der Fristablauf zur Fiktion der Annahme führt. 294 § 1944 Abs. 1, 2 BGB. In grenzüberschreitenden Fällen verlängert sich die Frist zwar auf sechs Monate (§ 1944 Abs. 3 BGB), doch steht der Berufene dafür in der Praxis vor anderen Hürden. Näher J. P. Schmidt/Kottke, ErbR 2021, 10–18. 295 Art. 780 Abs. 2 Code civil. 296 Vgl. Muscheler, Erbrecht I, Rn. 1079. 297 Art. 7 76 Code civil. Dazu auch unten § 7 B.III. (579 ff.). 298 Art. 485 Codice civile, der den Erwerb überdies mit einer endgültig unbeschränkten Haf-
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Es soll an dieser Stelle nicht interessieren, welche der genannten Lösungen überzeugender ist. Stattdessen geht es um die Einsicht, dass beim Erwerb der Erbschaft zwei Momente unterschieden werden müssen und dies auch bei der rechtsvergleichenden Klassifikation zu beachten ist. Zwar ist diese Differenzierung für das deutsche Recht letztlich ohne Relevanz, weil sich hier sowohl der vorläufige als auch der endgültige Erwerb ipso iure vollzieht. Doch zeigen das französische und das italienische Recht, dass ein solcher Gleichlauf keineswegs zwingend ist, sondern beide Erwerbsmodi miteinander kombiniert werden können. So kann im ersten Moment ein Erwerb ohne, im zweiten Moment dagegen ein Erwerb nur mit Zutun des Nachfolgers stattfinden, und umgekehrt. Damit wird zugleich deutlich, dass die bestehenden Klassifizierungskriterien präzisiert bzw. ergänzt werden müssen, wenn sie die nötige Trennschärfe haben sollen. Denn der scheinbar eindeutige Begriff des Vonselbsterwerbs könnte bei näherem Hinsehen gleich drei verschiedene Bedeutungen haben: Er könnte erstens meinen, dass sich sowohl der vorläufige als auch der endgültige Erwerb ipso iure vollziehen; bei diesem Verständnis würde der Vonselbsterwerb in Deutschland, nicht aber in Frankreich gelten. Zweitens könnte der Begriff sich allein auf den vorläufigen Erwerb beziehen, was zur einheitlichen Klassifizierung von Deutschland und Frankreich führen würde. Drittens schließlich könnte Vonselbsterwerb auch nur bedeuten, dass es nach Ablauf einer bestimmten Zeit zur Fiktion der Annahme kommt, unabhängig davon, ob der Berufene bereits Nachlassinhaber war. Dann würde der Vonselbsterwerb im deutschen Recht und im genannten Sonderfall auch im italienischen Recht gelten. Indem die bestehenden Studien deutsches und französisches Recht demselben Modell zuordnen, verstehen sie den Begriff des Vonselbsterwerbs also unausgesprochen im zweitgenannten Sinn. Gegen dieses Begriffsverständnis ist natürlich per se nichts einzuwenden. Allerdings bedarf es dann einer weiteren Kategorie, mit der sich der genannte Unterschied zwischen beiden Rechtsordnungen erfassen lässt. Eine solche bietet die bestehende Rechtsvergleichung jedoch nicht an,299 weil sie den Unterschied gar nicht thematisiert.300 Gerade die Voraussetzungen des endgültigen Erwerbs sind wegen ihrer weitreichenden Folgen aber besonders bedeutsam, wohingegen der vorläufige Erwerb in seinen Wirkungen viel beschränkter ist, tung verknüpft. Der Erbe muss allerdings Kenntnis sowohl von seiner Erbenstellung haben als auch von der Zugehörigkeit der betreffenden Gegenstände zum Nachlass. 299 Soweit ersichtlich, ist die einzige Ausnahme Muscheler, Erbrecht I, Rn. 1082 (Fn. 76), der zwischen dem „reinen“ und dem „modifizierten“ Vonselbsterwerb unterscheidet und den erstgenannten im BGB, den zweitgenannten im Code civil verwirklicht sieht. Schmoeckel, Erbrecht, § 4 Rn. 16, spricht zwar davon, dass der französische Erbe durch „Antritt“ erwirbt, macht aber nicht klar, dass dies nur für den endgültigen Erwerb gilt. 300 So wird bei RVglHWB/Hallstein, Anfall der Erbschaft, 196–199, allein der vorläufige, nicht aber der endgültige Erwerb dargestellt; Letzterer wird stattdessen in einem anderen Zusammenhang erörtert (RVglHWB/Hallstein, Annahme und Ausschlagung der Erbschaft, 221–233). Bei HWBEuP/Wenckstern, Erbschaftsannahme/-ausschlagung, 425 f., werden die unterschiedlichen Folgen des Fristablaufs gar nicht erwähnt. Schließlich verkennt Brenne, Erbanfall- und Erbantrittsprinzip, 40, bereits die Funktionsweise des französischen Rechts.
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als dies oftmals angenommen wird. Denn hier geht es allein um die Überbrückung der aus der Einräumung der Entscheidungsfreiheit resultierenden Schwebelage.301
II. Methodische Defizite Lägen die Defizite der herkömmlichen Versuche zur vergleichenden Betrachtung der Nachlassabwicklung nur auf der beschreibenden Ebene, wären sie mittels der entsprechenden Richtigstellungen und Ergänzungen leicht zu beheben. Doch liegt das eigentliche Problem viel tiefer, nämlich in einer Methodik, die sich bestenfalls als naiv bezeichnen lässt. Zum einen nähern sich die Untersuchungen den verschiedenen nationalen Rechten ausschließlich über Begriffe und formale Strukturen statt über Regelungsprobleme oder rechtliche Wertungen. Zum anderen kommt den gewählten Bezugspunkten noch nicht einmal rechtsordnungsneutrale Bedeutung zu. Herkömmliche Vergleiche setzen m. a.W. die Existenz einer universalen „Grammatik des Erbrechts“ voraus, die aber zumindest in dieser Form gar nicht existiert. Folge dieser von Grund auf verfehlten Herangehensweise ist nicht nur, dass die angestellten Vergleiche von sehr begrenztem Erkenntniswert sind. Noch viel gravierender ist, dass die Tür zu fruchtbaren Vergleichen versperrt und ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit gezeichnet wird. Bisherige Studien zur Nachlassabwicklung sind damit geradzu ein Lehrstück für die methodischen Fallstricke der Rechtsvergleichung im Allgemeinen. 1. Formalismus Wo die Nachlassabwicklung in ihrer Gesamtstruktur erfasst und verglichen wird, geschieht dies in aller Regel über den Begriff des „Erwerbs/Übergangs der Erbschaft“302 bzw. seinen Äquivalenten in anderen Sprachen („transfer of the estate“,303 „transmission de la succession“304). Dabei wird das in den kontinentalen Erbrech301
Dazu unten I.II.2. (106 ff.). So z. B. Lange/Kuchinke, Erbrecht, 191–193; Heuser, Der Erbschaftserwerb im Spätmittelalter; HWBEuP/Wenckstern, Erbschaftsannahme/-ausschlagung, 425–428. Ähnlich verwendet Röthel, Ist unser Erbrecht noch zeitgemäß?, A 24, den „erbrechtlichen Übergangsmodus“ als Oberbegriff für die Fragen „Vonselbsterwerb oder Antrittserwerb, Erbenhaftung oder hoheitliche Schuldenverwaltung, Erbengemeinschaft als Bruchteils- oder Gesamthandsgemeinschaft“. Ähnlich dies., Erbrecht, § 5 Rn. 2, wo der Oberbegriff allerdings „Organisation des erbrechtlichen Erwerbs“ lautet. 303 Siehe etwa Verbeke/Leleu, Harmonization of the Law of Succession in Europe, 463; De Waal, Comparative Succession Law, 1082 f. Eine leichte terminologische Variation findet sich bei Koziol/Koziol, Austrian Private Law, Rn. 210–212, die statt von „transfer“ auch von „acquisition“ sprechen und statt von „estate“ auch von „inheritance“. Aus dem französischsprachigen Schrifttum Egger, Le transfert de la propriété, 2. 304 Siehe vor allem das umfangreiche Werk von Leleu, Transmission, der in seiner Terminologie an frühere Arbeiten anknüpft (siehe z. B. Petitjean, Fondements et mécanisme („transmission successorale“); Revillard, Rev.crit.dr.int.pr. 1978, 274); ebenso Leleu, ERPL 6 (1998), 161. Zu beachten ist, dass der Begriff der „succession“ im französischen Recht eine doppelte Bedeutung hat: 302
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ten gefundene Modell des „direkten Erwerbs/Übergangs“ dem englischen Modell eines „indirekten Erwerbs/Übergangs“ gegenübergestellt.305 Innerhalb der Gruppe des direkten Erwerbs wird sodann eine Untergliederung nach den jeweiligen Voraussetzungen vorgenommen, so dass die Modelle Vonselbsterwerb, Antrittserwerb und Erwerb mittels gerichtlicher Einantwortung unterschieden werden.306 Mit unter wird das englische Recht diesen drei Modellen auch als viertes an die Seite gestellt.307 Abgesehen von den noch zu erörternden substanziellen Mängeln dieser Taxonomie fällt sofort auf, dass sie rein äußerlicher Natur ist und überhaupt keine Aussagen zu rechtspolitischen Wertentscheidungen trifft. Suggeriert wird damit, dass die skizzierten Unterschiede letztlich allein rechtskonstruktiver Natur sind und die jeweiligen Lösungen damit austauschbar.308 Doch abgesehen davon, dass sich dann Er bezeichnet zum einen den Vorgang der Rechtsnachfolge (wie in „droit des successions“), zum anderen aber auch den Nachlass selbst. Ist von der „transmission de la succession“ die Rede, wird „succession“ also in der zweiten Bedeutung verwendet. Vom Übergang der „hérédité“ anstelle der „succession“ spricht Villela, Transmission. Wiederum andere Autoren spechen vom Übergang der „propriété“, siehe etwa Verdié, Transmission; Egger, Le transfert de la propriété. Im italienischen Schrifttum wird von der „transmissione dei beni ereditari“ gesprochen, siehe z. B. Ballarino, Riv.Dir.Int. 96 (2013), 1118. 305 Siehe etwa Revillard, Rev.crit.dr.int.pr. 1978, 279; Leleu, Transmission, Nr. 32–38; Verbeke/Leleu, Harmonization of the Law of Succession in Europe, 463; De Waal, Comparative Succession Law, 1083 f.; Zoppini, Le successioni, 24; HWBEuP/Kroppenberg, Universalsukzession, 1561; MPI-Stellungnahme Nr. 190–193; Gretton/Steven, Property, Trusts and Succession, [26.43]; Government of the United Kingdom, Response, 2; Harris, Trust Law International, 22 (2008), 192; Matthews, Memorandum, Nr. 14; Murga Fernández, Los sistemas europeos, 23 f. 306 Siehe etwa HWBEuP/Wenckstern, Erbschaftsannahme/-ausschlagung, 425–427; Fenyves/ Kerschner/Vonkilch/Schauer, Vor § 531 ABGB, Rn. 30. Etwas anders ist die Klassifizierung bei Leleu, Transmission, der auf den Zeitpunkt des Übergangs abstellt und daher innerhalb der Systeme der „transmission directe“ eine (z. B. im deutschen und französischen Recht identifizierte) „transmission immédiate“ von einer „transmission différée“ unterscheidet (Nr. 38), wie sie etwa im österreichischen und im italienischen Recht stattfindet (Nr. 208, 221); dem folgend MPI-Stellungnahme Nr. 191 f. Da hierbei allerdings die erheblichen Unterschiede zwischen beiden Rechtsordnungen ausgeblendet werden (Erwerb durch hoheitlichen Akt in Österreich im Gegensatz zu rein privatem Handeln in Italien), scheint die Kategorie der „transmission différée“ wenig erkenntnisstiftend (misslich ist überdies, dass das Kapitel zum österreichischen Recht irrtümlich mit „Transmission indirecte et différée“ betitelt ist (139, Hervorhebung hinzugefügt)). Fragwürdig erscheint schließlich die Wahl des österreichischen Rechts als repräsentatives Modell innerhalb der Gruppe „transmission différée“ (Nr. 208), denn mit seinem Erfordernis der gerichtlichen Einantwortung steht es rechtsvergleichend doch heute weitgehend allein da. Die Klassifizierung von Leleu findet sich auch bei Verbeke/Leleu, Harmonization of the Law of Succession, 463–465. Umgekehrt sieht Wacke, JA 1982, 242, im österreichischen Recht einen Unterfall des Antrittserwerbs, und Gleiches soll sogar für das englische Recht gelten. 307 Siehe z. B. Lange/Kuchinke, Erbrecht, 191–193; Heuser, Der Erbschaftserwerb im Mittelalter, 34–37; Muscheler, Erbrecht I, Rn. 1030; Röthel, Ist unser Erbrecht noch zeitgemäß?, A 47. Ähnlich Koziol/Koziol, Austrian Private Law, Rn. 210–212, die allerdings den Antrittserwerb nicht erwähnen und damit nur drei Modelle voneinander unterscheiden. Das österreichische Recht nimmt ihrer Ansicht nach eine Mittelstellung ein zwischen der Tradition des Common Law und der des unmittelbaren Nachlassübergangs auf den oder die Erben nach dem Modell des deutschen oder französischen Rechts. 308 So für die Modi zum Erwerb der Erbschaft in der Tat Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 240 (Fn. 51).
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immer noch die Frage stellen würde, wieso die nationalen Lösungen in formaler Hinsicht so sehr voneinander abweichen und welche Rolle die historische Entwicklung dabei gespielt hat, ist mit den Händen zu greifen, dass stets bestimmte Interessen im Spiel sind, die der gewählte Mechanismus bald mehr, bald weniger berücksichtigt. So ist der Nachlasserwerb durch gerichtliche Einweisung offenkundig schwerfälliger und teurer als derjenige, der sich allein durch private Erklärung oder gar von selbst vollzieht. Aber bringt das Einweisungserfordernis nicht immerhin größere Rechtssicherheit mit sich? Ein strikter Vorrang der Schuldentilgung, wie ihn das englische Recht anordnet, kommt offensichtlich den Nachlassgläubigern entgegen.309 Aber bedeutet dies, dass die kontinentalen Rechte ein geringeres Maß an Gläubigerschutz gewähren?310 Fragen dieser Art wurden von der bisherigen Erbrechtsvergleichung allenfalls ansatzweise gestellt und selbst dann zumeist nicht befriedigend beantwortet. Dies zeigt, dass die Rechtsvergleichung im Erbrecht der auf anderen Gebieten des Privatrechts betriebenen methodisch hinterherhinkt. So würde es heutzutage niemand mehr für ausreichend halten, wenn ein Vergleich der Wege zur rechtsgeschäftlichen Übertragung von Eigentum an Sachen sich darauf beschränkte, die verschiedenen in Europa anzutreffenden Grundmodelle, also das Konsensualprinzip, das Traditionsprinzip sowie das Trennungs- und Abstraktionsprinzips,311 zu beschreiben und einander formal gegenüberzustellen. Stattdessen wird der entscheidende Aspekt zu Recht in den materiellrechtlichen Implikationen der unterschiedlichen Konstruktionen gesehen, etwa was die Gestaltungsmöglichkeiten der Parteien, den Gefahrübergang, den Verkehrsschutz oder die Behandlung im Insolvenz- und Zwangsvollstreckungsrecht angeht.312 Die Erbrechtsvergleichung ist zumindest beim Thema der Nachlassabwicklung diesen zweiten Schritt bislang nicht gegangen,313 und nicht selten erweckt sie den Eindruck, als sei sie an einem tieferen Eindringen in die Thematik, einer echten 309 Dies betonen etwa Brown, Tulane LR 33 (1959), 646; Gomes da Silva, Herança, 47; Zoppini, Le successioni, 39; Lein, in: Die Europäische Erbrechtsverordnung, Rn. 12. 310 Dies wird für das deutsche Recht mitunter behauptet, siehe die Diskussion bei J. P. Schmidt, in: FS Gretton, 331–336. 311 Siehe etwa den Überblick bei Ferrari, ZEuP 1993, 54–63; van Vliet, Transfer of property inter vivos, 150–170. Eine noch feinere Differenzierung findet sich bei Pietrek, Konsens über Tradition?, 40–47. Als zu holzschnittartig kritisiert v. Bar, AcP 219 (2019), 360–362, die Gegenüberstellung von Konsensualprinzip und Traditionsprinzip. 312 Siehe dazu etwa Stadler, Gestaltungsfreiheit und Verkehrsschutz durch Abstraktion; Drobnig, Transfer of Property, 1005–1019; Ferrari, ZEuP 1993, 65–78; Pietrek, Konsens über Tradition?, 197–213; v. Bar, AcP 219 (2019), 352–365. Wie freilich Kieninger, in: Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung, 164–166, zeigt, gibt es beim Thema der Übereignung beweglicher Sachen durchaus noch weiteren rechtsvergleichenden Forschungsbedarf, insbesondere im Hinblick auf die „Verortung der einzelnen Rechtsfiguren und -sätze im Gesamtgefüge der jeweiligen Rechtsordnungen“ (163). 313 Positiver fällt der Befund für die Zuweisungsdimension des Erbrechts aus (dazu oben Fn. 144), wo beispielsweise klar erkannt wird, dass eine zwingende Nachlassteilhabe naher Familienangehöriger mittels ganz unterschiedlicher Konstruktionen verwirklicht werden kann.
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Mikrovergleichung, auch gar nicht interessiert. Statt die formalen und begrifflichen Strukturen aufzubrechen, verharren Rechtsvergleicher in Faszination vor ihren äußeren Unterschieden 314 und suggerieren damit, dass die nationalen Regime letztlich inkommensurabel seien und jenseits der allgemeinen Strukturen gar nicht auf sinnvolle Art miteinander verglichen werden könnten.315 2. Unvollständigkeit Bereits oben wurde dargelegt, dass die Charakterisierung des englischen Nachlass erwerbs als „indirekt“ nicht nur irreführend ist, sondern dass überdies der Gegensatz zum „direkten Erwerb“ jedenfalls für das deutsche Recht auch gar nicht trägt.316 Denn ganz gleich, ob man die Indirektheit des Übergangs personal oder verfahrensmäßig versteht, ist sie dem deutschen Recht jeweils auch bekannt, so dass in ihm beide Übergangsarten nebeneinanderstehen. Erweist sich die Redeweise vom „direkten Erwerb“ aber vielleicht für andere kontinentale Rechtsordnungen als zutreffend, ist m. a.W. das deutsche Recht ein Sonderfall? Auf diese Idee kann man dadurch kommen, dass jedenfalls die romanischen Rechtsordnungen sich traditionell in wichtigen Punkten vom deutschen Recht unterscheiden, wie sich am Beispiel des französischen Rechts in seiner im Code civil von 1804 enthaltenen und gut zwei Jahrhunderte lang geltenden Fassung illustrieren lässt. So räumte es grundsätzlich allen Begünstigten des Erbfalls, ganz gleich, ob gesetzlich oder testamentarisch berufen, eine dingliche Berechtigung am Nachlass ein. Vermächtnisnehmer und nahe Angehörige mit unentziehbarer Nachlassteilhabe erwarben im Unterschied zum deutschen Recht also nicht lediglich schuldrechtliche Ansprüche, die im Nachgang zu erfüllen waren, sondern waren unmittelbare Rechtsnachfolger des Verstorbenen.317 Vor diesem Hintergrund lässt sich nachvollziehen, warum gerade französische Autoren im eigenen Recht eine „transmission directe“ erkennen, gegenüber der das englische Recht mit seinem zweistufigen Abwicklungsmechanismus als etwas grundlegend anderes erscheint. Und doch wäre auch das französische Recht unvollständig dargestellt, wenn man behauptete, dass es einen „indirekten Erwerb“ gar nicht kenne. So bedurfte das in der Praxis durchaus nicht unbedeutende Geldvermächtnis (legs de sommes d’argent)318 zu seiner Erfüllung naturgemäß immer schon einer Vollzugshandlung un314 Formulierung angelehnt an Hoffmann, Prioritätsgrundsatz und Gläubigergleichbehandlung, 161. Ein besonders anschauliches Beispiel ist die Zusammenstellung von „Eigenartige[m] und Altertümliche[m] aus dem vergleichenden Erbrecht“ bei Neumayer, in: Mélanges Piotet, 485–489, die nicht ansatzweise den Versuch unternimmt, über die deskriptive Ebene hinaus zu gelangen. 315 Für das Thema der Haftung für Nachlassverbindlichkeiten sagt Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 17, dies sogar ausdrücklich: „Doch hat die angelsächsische Entwicklung einen ganz eigenen Weg genommen, der eine Vergleichung mit kontinentalen Rechten ausschließt.“ 316 Siehe oben E.I.1a) (27 ff.). 317 Im Hinblick auf die Noterben hat sich dies inzwischen geändert, siehe unten § 5 C.II.1. (325 ff.). 318 Dazu auch unten § 5 C II.1. (325 ff.); § 6 C.III.3. (429 ff.).
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ter Lebenden, so dass aus Sicht des Begünstigten ein gestufter Erwerb vorliegt. Abgesehen davon führt auch das bereits erwähnte Institut der saisine eine Konzentration bestimmter Abwicklungsbefugnisse herbei.319 Und schließlich ist darauf hinzuweisen, dass dem französischen Recht auch die Situation, dass der Nachlass ein Sondervermögen in der Hand des héritier bildet, zu keiner Zeit fremd war, weil es hierzu u. a. im Fall einer Annahme der Erbschaft unter dem Vorbehalt der Inventarerrichtung kam und kommt.320 Es zeigt sich damit, dass die Gegeneinandersetzung von „direktem“ und „indirektem Übergang“ nicht nur für das englische Recht fragwürdig ist, sondern auch, und sogar noch mehr, die kontinentalen Regime in ein falsches Licht rückt. Bezeichnend ist denn auch, dass die einschlägigen Studien andere Begünstigte als die Erben entweder gar nicht in die Betrachtung mit einbeziehen 321 oder sich der Schlussfolgerung, dass die Kategorie der „transmission directe“ nicht bruchlos durchgehalten werden kann, einfach verweigern.322 Mitunter wird der grundlegende Unterschied zwischen Erben und Vermächtnisnehmern im deutschen Recht auch schlichtweg verkannt.323 3. Inkohärenz Wie ist es zu erklären, dass die fehlende Tragfähigkeit der Gegenüberstellung von „direktem“ und „indirektem Übergang“ unbemerkt bleibt? Die Antwort liegt in einer stillschweigenden Verschiebung der Bezugspunkte, die mittels einer inkohärenten Begriffsverwendung kaschiert wird. a) Der doppelte Begriff des „Nachlasses“ Wird verglichen, auf welche Weise der Nachlass im deutschen, italienischen und österreichischen Recht auf den berufenen Gesamtnachfolger übergeht, und als Ergebnis zwischen Ipso-iure-Erwerb, Antrittserwerb und Erwerb durch gerichtliche Einantwortung unterschieden, ist der Vergleich methodisch konsistent. Denn mit „Nachlass“ und „Gesamtnachfolger“ werden stabile Bezugspunkte gewählt. 319
Siehe unten § 5 C.II.2. (329 ff.). Dazu ausführlich unten § 6 C.II. (386 ff.). 321 Diese Kritik müssen sich z. B. Loussouarn, Clunet 1970, 260; Revillard, Rev.crit.dr.int.pr. 1978, 279; HWBEuP/Wenckstern, Erbschaftsannahme/-ausschlagung, 425–428; HWBEuP/ Kroppenberg, Universalsukzession, 1560–1564; Scoles, Missouri LR 48 (1983), 373; De Waal, Comparative Succession Law, 1083; Gretton/Steven, Property, Trusts and Succession, [26.43], gefallen lassen. 322 So etwa Leleu, Transmission, 83–85, der das deutsche Damnationslegat erwähnt und seine Funktionsweise korrekt erläutert, daraus aber nicht die Konsequenz für seine Systematisierung zieht. Die Stellung der Pflichtteilsberechtigten im deutschen Recht wiederum wird auch von Leleu ignoriert. 323 So differenzieren Leleu/Verbeke, Harmonization of the Law of Succession, 464, im Kontext des deutschen, schweizerischen und österreichischen Rechts überhaupt nicht zwischen dem Erwerb von „heirs“ und dem von „legatees“ und erwecken damit den Eindruck, dass auch Vermächtnisnehmer unmittelbar in den Nachlass eintreten. 320
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Wird hingegen den kontinentalen Erwerbsmodi der „indirekte Erwerb“ des englischen Rechts gegenübergestellt, erleidet der Vergleich einen inneren Bruch. Denn anstatt vom Nachlass als der Gesamtheit der vererblichen Rechtsbeziehungen ist nun vom bereinigten Nachlass die Rede, also von demjenigen, was nach Tilgung der Erblasserverbindlichkeiten und anderer Lasten übrig bleibt. Haben unbereinigter und bereinigter Nachlass, oder Bruttonachlass und Nettonachlass, zwar auch denselben wirtschaftlichen Wert, sind sie in rechtlicher Hinsicht keineswegs identisch. Nicht nur ist der bereinigte Nachlass unbelastet von Passiva, auch sind seine Aktiva gegenüber denen des unbereinigten Nachlasses typischerweise zahlenmäßig geringer und – z. B. infolge einer Umsetzung von Nachlassgegenständen in Geld – von anderer Zusammensetzung. Ist die Rede davon, dass der Nachlass in den kontinentalen Rechten direkt erworben werde, im englischen Recht dagegen indirekt, wird folglich mitten im Satz die Bedeutung des Wortes „Nachlass“ gewechselt,324 wodurch der beabsichtigte Vergleich mangels eines gemeinsamen Bezugspunkts ins Leere geht.325 Ein Satz wie „In England trinken die Leute am Nachmittag Tee und in Deutschland am Abend Bier“ sagt etwas über die Lebensgewohnheiten in beiden Ländern aus, lässt aber Rückschlüsse auf Gemeinsamkeiten oder Unterschiede allenfalls erahnen. Bemerkenswert ist, dass auch das BGB mitunter ein solches „doppeltes Spiel“ treibt. So sprechen § 1985 Abs. 1 und § 1986 Abs. 1 BGB beide vom „Nachlass“, obwohl im ersten Fall der Gesamtnachlass, im zweiten Fall hingegen nur noch der Überschuss gemeint ist.
Die sich aufdrängende Frage lautet natürlich: Wieso wird im Kontext des englischen Rechts nicht ebenfalls auf den Übergang des unbereinigten Nachlasses abgestellt, der in der Person des personal representative stattfindet? Dann wäre ein einheitlicher Vergleichsgegenstand gegeben, und es ließe sich z. B. feststellen, dass ein testamentarisch ernannter executor den Nachlass nach demselben Modus erwirbt wie ein deutscher Erbe.326 Indessen kommt es den betreffenden Untersuchungen 324 Siehe beispielsweise Koziol/Koziol, Austrian Private Law, Rn. 211, die ausführen, dass in der Tradition des Common Law der „estate“ zunächst auf einen „representative“ übergehe und anschließend von diesem auf den „heir“. Der „estate“, den der „representative“ erhält, ist aber nicht identisch mit demjenigen, den der „heir“ erlangt. Auffallend auch der Widerspruch bei IECL/Schwind, Liability for Obligations of the Inheritance, der eingangs die „inheritance“ definiert als „the totality of assets and liabilities of the decedent“ (Nr. 2), später aber im Kontext des Common Law schreibt, dass nach Zahlung der Verbindlichkeiten die „inheritance“ auf die „heirs“ übergehe (Nr. 18). Lässt die im konkreten Fall gewählte Formulierung einen Bedeutungswechsel der gezeigten Art nicht zu, wird die Aussage unzutreffend, so wie bei HWBEuP/Kroppenberg, Universalsukzession, 1561: „Der alte Rechtsträger kann sich darauf verlassen, dass sein Vermögen en bloc einem neuen zugeordnet wird – sei es nun unmittelbar oder indirekt über eine Mittelsperson“ (Hervorhebung im Original). Selbst ein alleiniger beneficiary des englischen Rechts erhält gerade nicht „en bloc“ das ursprüngliche Erblasservermögen, sondern nur dessen bereinigte Fassung. 325 Selbst wenn man nur auf die aktiven Vermögenswerte schaut und die Verbindlichkeiten ausblendet, ist der „Nachlass“ in beiden Fällen nicht identisch, weil zur Herstellung des bereinigen Nachlasses Aktivwerte des unbereinigten Nachlasses aufgewendet werden müssen. 326 Siehe oben E.I.1b) (32 ff.).
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allein auf die Perspektive der Begünstigten des Erbfalls an, weshalb der Erwerb durch den mit der Abwicklung betrauten personal representative nicht als relevant erachtet wird. Die eigentlich untersuchte, aber nicht präzise formulierte Frage lautet somit: Auf welchem Wege erhalten die vom Erbfall begünstigten Personen die ihnen zugewiesenen Nachlasswerte?327 Ob diese Werte mit Verbindlichkeiten belastet oder davon befreit sind, ist bei dieser Betrachtungsweise ebenso unbeachtlich wie die Frage, ob die Werte in der ursprünglichen, d. h. zu Lebzeiten des Erblassers bestehenden, oder in einer gewandelten Form, etwa Geld, erworben werden. Es scheint damit, dass das Problem nur in einer unsauberen Verquickung unterschiedlicher Nachlassbegriffe besteht und sich leicht beheben lässt. Doch zeigt sich dieselbe Inkohärenz bei der Erfassung der vom Erbfall begünstigten Personen. b) Der doppelte Begriff des „Erben“ Die vom Erbfall begünstigten Personen, deren Erwerb, wie soeben gesehen, das eigentliche tertium comparationis bei herkömmlichen Vergleichen bildet, werden je nach Sprache als „Erbe“328 , „heir“329, „héritier“330 oder „erede“331 bezeichnet, und je nach Rechtsordnung wird ihr Erwerb als direkter oder indirekter beschrieben. Außer Betracht bleiben kann an dieser Stelle, dass der Begriff des heir zwar sowohl in der englischen Alltagssprache als auch in der englischen Testierpraxis nach wie vor sehr gebräuchlich ist, er in rechtlicher Hinsicht aber nur noch historische Bedeutung hat (weshalb man den Begriff des heir in modernen Lehrbüchern zum englischen Erbrecht meist auch vergeblich sucht).332 Denn entscheidend ist, dass der 327 Verbeke/Leleu, Harmonization of the Law of Succession, 463, und ihnen folgend De Waal, Comparative Succession Law, 1083, machen zwar immerhin deutlich, dass sie mit dem „transfer of the estate“ zunächst nur den „transfer of the desceased’s assets“ meinen (getrennt davon untersucht wird die „liability for the debts“). Auch diese Ausdrucksweise ist jedoch doppeldeutig, da im Kontext der kontinentalen Rechte die „assets“ (Aktiva) des ursprünglichen und im Kontext des englischen Rechts die „assets“ des bereinigten Nachlasses gemeint sind. 328 Siehe z. B. RVglHWB/Hallstein, Anfall der Erbschaft, 196 f.; v. Caemmerer, DfG 1936, 121; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 191–193; Neumayer, in: Mélanges Piotet, 486; Brenne, Erbanfall- und Erbantrittsprinzip, 1 f.; Heuser, Der Erbschaftserwerb im Mittelalter, 34–37; HWBEuP/Helms, Erbenhaftung, 405; Röthel, Erbrecht, § 6 Rn. 30, § 27 Rn. 5, § 35 Rn. 4. Bemerkenswert ist, dass HWBEuP/Wenckstern, Erbschaftsannahme/-ausschlagung, 427, im Kontext des englischen Rechts den Begriff des „Erben“ vermeidet und stattdessen vom beneficiary spricht. In diesem Sinne auch Lübcke, Nachlassverfahrensrecht, 53, der allerdings die beneficiaries in wenig treffender Weise auch als die „zur Rechtsnachfolge berufenen Personen“ bezeichnet. Von den „Erbinter essenten“ spricht Muscheler, Erbrecht I, Rn. 1217. Schließlich vermeidet Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 13, den Begriff „testamentarischer Erbe“, weil eine solche Figur dem englischen Erbrecht unbekannt sei, bezeichnet inkonsequenterweise aber die bei Fehlen eines Testaments zum Zuge kommenden beneficiaries als „gesetzliche Erben“. Ebenso Pringsheim, Succession, 646. 329 Siehe etwa De Waal, Comparative Succession Law, 1083; Koziol/Koziol, Austrian Private Law, Rn. 210–212. 330 Siehe etwa Loussouarn, Clunet 1970, 253; Ferid, Recueil des Cours 142 (1974-II), 108, 121; Revillard, Rev.crit.dr.int.pr. 1978, 279; Leleu, Transmission, Nr. 32–34. 331 Zoppini, Le successioni, 32 f. 332 Dazu unten § 3 B.I. (179 ff.).
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§ 1 Einführung: Gegenstand, Ziele und Methoden der Arbeit
Begriff des „Erben“ (und seiner anderssprachlichen Äquivalente) gar nicht in einheitlicher Weise verwendet wird. Ist im Kontext der kontinentalen Rechtsordnungen vom „Erben“ die Rede, wird dieser Begriff im juristisch-technischen Sinne gebraucht. Denn gemeint sind nur die Gesamtnachfolger des Erblassers, nicht hingegen andere Begünstigte wie Vermächtnisnehmer und Pflichtteilsberechtigte. Ist hingegen im Kontext des englischen Rechts vom „Erben“ oder „heir“ die Rede, wird ein materielles333 oder wirtschaftliches Verständnis dieses Begriffs zugrunde gelegt. Denn anstelle des personal representative als rechtlicher Gesamtnachfolger des Verstorbenen sind nun die beneficiaries gemeint,334 also alle diejenigen Personen, die am bereinigten Nachlass partizipieren und damit Nachfolger im wirtschaftlichen Sinne sind. In der Tat werden Begünstigte des Erbfalls im Schrifttum auch häufig als „successors“335 bzw. „successeurs“336 bezeichnet (was infolge des Fehlens einer Qualifizierung den Unterschied zum Nachfolger im rechtlichen Sinne zu verwischen droht337). Mit einer kohärenten Methodik ist ein solcher Wechsel der Bezugspunkte erneut nicht vereinbar. Doch legt man sich auf eines der beiden Erbenverständnisse fest, wird sofort wieder die fehlende Tragfähigkeit der Unterscheidung zwischen einem direkten und einem indirekten Erwerb sichtbar. Denn entweder müsste man sagen, dass der Erbe im Sinne des Gesamtnachfolgers in beiden Systemen direkt erwirbt. Oder man müsste bei Zugrundelegung eines wirtschaftlichen Erbenbegriffs auch den Erwerb der Vermächtnisnehmer und Pflichtteilsberechtigten berücksichtigen, was für das deutsche Recht zu der Feststellung führen würde, dass hier direkter und indirekter Erwerb nebeneinander existieren (genauso wie ja letztlich im englischen Recht aufgrund der möglichen Personalunion von personal representative und beneficiary). 4. Asymmetrie Als Folge der gezeigten Inkohärenz leidet die Unterscheidung zwischen einem direkten und einem indirekten Erwerb an einer fundamentalen Asymmetrie. Denn die in den Vergleich einbezogenen Rechtsbereiche sind gar nicht kongruent. Während für das englische Recht alle Vorgänge zwischen Eröffnung und Abschluss des 333 So ist bei Schlüter/Röthel, Erbrecht, § 35 Rn. 4, noch die Rede davon, dass der personal representative den Überschuss an „die materiellen Erben“ aushändige. Die Folgeauflage (Röthel, Erbrecht, § 35 Rn. 4) spricht dann aber nur noch vom „Erben“, wodurch der Unterschied zwischen rechtlichem und wirtschaftlichem Erbenbegriff wieder verwischt wird. 334 Siehe etwa RVglHWB/Hallstein, Anfall der Erbschaft, 197; Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 17; Mitteis/Lieberich, Deutsches Privatrecht, 171; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 191; Häcker, Testamentsformen in England, 105; Röthel, Erbrecht, § 27 Rn. 5. 335 Siehe etwa Wellman, Indiana LJ 44 (1969), 199; Scholes, Missouri LR 48 (1983), 386 („successors“ als Oberbegriff für „heirs and devisees“); Sneddon, South Texas LR 50 (2009), 477. 336 Siehe etwa Goré, L’administration des successions, Nr. 20, 44; Leleu, Transmission, Nr. 499 (überwiegend spricht der Autor allerdings von den „héritiers“, siehe etwa Nr. 333 f.). 337 So bezeichnet Leleu, Transmission, Nr. 898, den personal representative als „successeur“, obwohl er diesen Begriff zuvor für die beneficiaries gebraucht hat (siehe vorige Fn.).
E. Die Defizite der herkömmlichen Erbrechtsvergleichung
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Erbfalls in den Blick genommen werden, also vom Übergang des Nachlasses auf den personal representative bis zur Auskehr des Überschusses an die Begünstigten, wird für die kontinentalen Regime nur ein Teilbereich der Nachlassabwicklung berücksichtigt, nämlich der Übergang des (Brutto-)Nachlasses auf den Gesamtnachfolger. Ausgeblendet bleibt hingegen das weitere Schicksal des Nachlasses, also der gesamte Themenkomplex, der im deutschen Recht unter dem Begriff der „Erbenhaftung“ in den §§ 1967–2017 BGB geregelt ist. Zum Ausdruck kommt diese Asymmetrie auch in der Bedeutung, die deutsche Autoren dem Begriff des „Vonselbsterwerbs“ häufig beilegen. Denn sie meinen damit nicht nur, wie der Wortsinn es nahelegen würde, eine Lösung, nach der der berufene Gesamtnachfolger ohne weiteres Zutun in den Nachlass eintritt (wie gesehen, wäre dann auch der englische executor ein „Vonselbsterwerber“). Vielmehr wird auch noch die Abwesenheit einer gesonderten Nachlassabwicklung in den Begriff hineingelesen 338 und damit suggeriert, dass der entsprechende Vorgang des englischen Rechts im deutschen Recht ohne jedes Pendant sei. Komplettiert wird die Asymmetrie dadurch, dass für das englische Recht gerade dem ersten Schritt der Nachlassabwicklung kaum Beachtung geschenkt wird. Denn indem allein die Perspektive des beneficiary als maßgeblich erachtet wird, bleibt die Rechtsstellung des personal representative, dessen Eintritt in den Nachlass sich nicht einmal mehr mit dem unnötig aufgeladenen Begriff des „Vonselbsterwerbs“ beschreiben lässt, im toten Winkel. Besonders deutlich zeigt sich dies anhand der häufig anzutreffenden Auffassung, dass sich bestimmte Probleme des deutschen Erbrechts im englischen Recht aufgrund dessen Struktur gar nicht stellen würden. So heißt es etwa, dass die englische Gestaltung „zu einer Eliminierung des Problems der Erbenhaftung“ führe339 oder dass im englischen Recht „die Frage einer Ausschlagung der Erbschaft jede Bedeutung“ verliere und daher besondere Regeln für dieses Thema nicht ausgebildet worden seien.340 Nicht nur zeigt sich in der zweitgenannten Aussage wieder die doppeldeutige Verwendung des Begriffs der „Erbschaft“, die in Bezug auf das deutsche Recht den Gesamtnachlass, in Bezug auf das englische Recht den bereinigten Nachlass bezeichnet. Überdies wird jeweils 338 Siehe etwa Reif, in: 4. Denkschrift, 43 f.; Muscheler, Erbrecht I, Rn. 1030; HWBEuP/Kroppenberg, Universalsukzession, 1560; Röthel, Erbrecht, § 6 Rn. 30, § 27 Rn. 5; Titz, Vindikationslegat, 18. 339 Gottheiner, RabelsZ 21 (1956), 37. Ähnlich meint Burandt/Rojahn/Solomon, England und Wales, Rn. 171, dass sich das „Problem einer Erbenhaftung für Nachlassverbindlichkeiten“ im englischen Recht nicht stelle. In diesem Sinne auch Flick/Piltz/Cornelius, Großbritannien, Rn. 583: „Die Frage nach der Erbenhaftung stellt sich nach englischem Recht grundsätzlich nicht, da die Nachlassverbindlichkeiten vor Auskehrung des Überschusses durch den personal representative beglichen werden müssen.“ Schließlich suggerieren auch HWBEuP/Kroppenberg, Universalsukzession, 1564, und Ferid, Recueil des Cours 142 (1974-II), 108, dass das englische Recht die Haftungsproblematik vermeide. 340 Gottheiner, RabelsZ 21 (1956), 37 f., 58; ähnlich Ferid, Recueil des Cours 142 (1974-II), 108. Siehe auch schon RvglHWB/Hallstein, Annahme und Ausschlagung der Erbschaft, 221, der durch diese verengte Sichtweise daran gehindert ist, das englische Recht in seine Untersuchung mit einzubeziehen.
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§ 1 Einführung: Gegenstand, Ziele und Methoden der Arbeit
verkannt, dass die Themen „Haftung“ und „Selbstbestimmung“ natürlich auch im englischen Recht geregelt werden müssen und lediglich in einem anderen Kontext angesiedelt sind (eben beim personal representative und nicht beim beneficiary). Pointiert gesagt, werden bei einem deutsch-englischen Vergleich also in einer kuriosen Überkreuzung die §§ 1922, 1942–1959 BGB zum englischen Pendant der §§ 1967–2017 BGB in Bezug gesetzt. Dies hat beispielsweise auch zur Folge, dass der deutsche Vermächtnisnehmer aus dem Vergleichsschema herausfällt, obwohl gerade er (und nicht der deutsche Erbe) sinnvoll mit dem (nicht abwicklungszuständigen) beneficiary verglichen werden könnte, etwa im Hinblick auf einen Schutz gegen die Vereitelung seines Rechts. 5. „Sprachlosigkeit“ a) Der sektorielle Ansatz der kontinentalen Erbrechtsregime Der Grund für die gezeigte Asymmetrie der Vergleiche ist nicht schwer zu finden: Es fehlt das begriffliche Instrumentarium, um die Nachlassabwicklung im Ganzen zu erfassen. Der Vergleichstopos „Erwerb der Erbschaft“ ist wie ein Fernglas, dessen Sichtfeld zu begrenzt ist, um die gesamte Landschaft einzufangen, und das für einen Panoramablick deshalb geschwenkt werden muss. Wird dann das Betrachtungsobjekt, d. h. die Rechtsordnung, gewechselt, kommt es zu einem Verrutschen der Bezugspunkte. Illustriert wird das Fehlen eines hinreichend leistungsfähigen Begriffs, in dem sich eine unzureichende gedankliche Erfassung der Nachlassabwicklung manifestiert, beispielsweise durch die Behandlung des Themas im „Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts“.341 Die darin zu findenden Einträge erörtern die Nachlassabwicklung immer nur in Ausschnitten, die nicht nur in der Zusammenschau kein Ganzes ergeben, sondern sich zum Teil sogar überlappen. So wird der Übergang des Nachlasses sowohl im Eintrag „Erbschaftsannahme/-ausschlagung“342 als auch bei der „Universalsukzession“343 behandelt. Der „Erbenhaftung“344 ist ein eigener Beitrag gewidmet, sie taucht aber ebenso im Eintrag „Erbschaftsannahme/-ausschlagung“ auf,345 was sich dadurch erklärt, dass z. B. im französischen Recht der héritier, anders als der Erbe des deutschen Rechts, sich schon bei Entscheidung über den Erwerb der Erbschaft über den Umfang seiner Haftung erklären muss.346 Aus demselben Grund ist umgekehrt von der Annahme der Erbschaft aber auch bei der „Erbenhaftung“ die Rede,347 ebenso wie von der Ausschlagung als dem radikalen Weg zur Vermeidung einer Haftung. All dies zeigt, dass die Themen 341
Basedow/Hopt/Zimmermann (Hg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts. Erbschaftsannahme/-ausschlagung, 425–428. 343 HWBEuP/Kroppenberg, Universalsukzession, 1560–1564 (1561 f.). 344 HWBEuP/Helms, Erbenhaftung, 404–409. 345 HWBEuP/Wenckstern, Erbschaftsannahme/-ausschlagung, 426. 346 Dazu ausführlich unten § 7 B.I. (576 ff.). 347 HWBEuP/Helms, Erbenhaftung, 406 f. 342 HWBEuP/Wenckstern,
E. Die Defizite der herkömmlichen Erbrechtsvergleichung
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„Erbschaftserwerb“, „Erbenhaftung“ und „Universalsukzession“ Teile eines Ganzen bilden und als solche begriffen werden müssen, wenn sie Gegenstand eines sinnvollen Vergleichs werden sollen. Sucht man nach der Ursache dieses Fehlens einer Gesamtperspektive, findet sie sich in der Konzeptualisierung der kontinentalen Erbrechte. Denn auch sie erfassen die Nachlassabwicklung nicht holistisch, sondern immer nur in Teilkomplexen. So regelt etwa das BGB den Übergang des Nachlasses als Ganzes auf den Erben (einschließlich Annahme und Ausschlagung), die Haftung des Erben, die Ansprüche der Vermächtnisnehmer und Pflichtteilsberechtigten gegen den Erben, etc. Obgleich diese Einzelteile in der Anwendung ein sinnvolles Ganzes ergeben, wird dieses Ganze vom Gesetz an keiner Stelle explizit gemacht. Die Nachlassabwicklung des BGB gleicht damit einer Maschine, deren Funktionsweise sich immer nur ausschnittsweise beobachten lässt. Schon im internen Kontext ist diese sektorielle Sichtweise auf die Nachlassabwicklung problematisch, weil sie das Verständnis der Materie erheblich erschwert. Zu kritisieren ist insbesondere, dass das BGB die gesamte Struktur der Nachlassabwicklung vom Standpunkt der Frage aufzieht, ob der Erbe beschränkt oder unbeschränkt für Nachlassverbindlichkeiten haftet. Denn zum einen wird hierdurch suggeriert, dass der Erbe „Endstation“ des Nachlasses sei: Die übrigen Begünstigten des Erbfalls, also Vermächtnisnehmer und Pflichtteilsberechtigte, erscheinen nur noch als Gläubiger von Nachlassverbindlichkeiten und nicht mehr als Destinatäre von Nachlasswerten, für die der Erbe als Mittelsmann agiert. Zum anderen ist der Begriff der Erbenhaftung ungeeignet, die Abwicklungsmodi in ihren Einzelheiten zu erfassen, insbesondere was die Fragen angeht, wer den Nachlass überhaupt abwickelt (der Erbe selbst oder ein gerichtlich bestellter Abwickler?) und welches das maßgebliche Pflichtenprogramm ist (insolvenzmäßige Befriedigung oder vereinfachte Anforderungen?). Ist die Systematik des BGB zwar insofern konsequent, als der Erbe und seine Rechtsstellung generell den Dreh- und Angelpunkt bilden, stellt sie die inneren Verhältnisse hierdurch auf den Kopf. Denn wie später noch näher zu erläutern ist, ist es die Abwicklungsstruktur, welche die Haftung determiniert, und nicht umgekehrt.348 Doch selbst wenn man die Gewohnheit der kontinentalen Regime, die Nach lassabwicklung von den Themen „Erbschaftserwerb“ und „Erbenhaftung“ her zu denken, für den internen Kontext für berechtigt hält, stößt dieser Ansatz auf der vergleichenden Ebene spätestens dort an seine Grenzen, wo Rechtsordnungen ins Spiel kommen, die, wie insbesondere das englische Recht, die Nachlassabwicklung aus einer anderen Perspektive erfassen, nämlich vom Nachlass und den Mechanismen zu seiner Verteilung her. Ein englischer Jurist würde kaum auf die Idee kommen, die Themen „Erbenhaftung“349 bzw. „Haftung für Nachlassverbindlichkei348
Siehe unten § 6 E.IV.1c) (485 ff.). Begriff „Erbenhaftung“ ist überdies nur dann ein tauglicher Bezugspunkt für einen Vergleich, wenn „Erbe“ im Sinne von Gesamtnachfolger verstanden wird, weil sich nur dann beispielsweise auch der personal representative erfassen lässt. HWBEuP/Helms, Erbenhaftung, 349 Der
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§ 1 Einführung: Gegenstand, Ziele und Methoden der Arbeit
ten“350 isoliert zu untersuchen, weil es ihm widersinnig erscheinen müsste, diese Aspekte aus dem strukturellen Gesamtkontext herauszulösen. Kontinentale Rechtsvergleicher hingegen halten wie selbstverständlich die eigene Sichtweise für universell und heben die „Erbenhaftung“ unbesehen auf die vergleichende Bühne, anstatt zu versuchen, die ganzheitliche Perspektive des englischen Rechts auf ihre eigenen Rechtsordnungen zu übertragen. Nicht nur können sie in der Folge englisches und kontinentales Recht nicht mehr sinnvoll zueinander in Bezug setzen. Auch entsteht dadurch, dass die Struktur der kontinentalen Nachlassabwicklung in den Begriff der „Erbenhaftung“ gepresst wird, der Eindruck einer Dichotomie von „direktem – indirektem Übergang“. b) Die Überdehnung des Begriffs des „Übergangs“ Nicht unterschlagen werden darf, dass sich auch vergleichende Studien finden, die einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen, d. h. die Behandlung des Nachlasses in der Hand des Gesamtnachfolgers auch für die kontinentalen Regime mit in die Untersuchung einbeziehen. Doch bleibt das Problem einer unzureichenden begrifflichen Erfassung der Nachlassabwicklung auch hier bestehen, wie sich anhand der von dem Belgier Yves-Henri Leleu verfassten Studie illustrieren lässt, die zahlreiche nachfolgende Autoren beeinflusst hat und trotz grundlegender methodischer Mängel in mancherlei Hinsicht wertvoll ist. Leleu untersucht die Nachlassabwicklung unter dem Begriff der „transmission de la succession“ und gliedert das Thema in zwei Teile, indem er, wie andere französischsprachige Autoren vor ihm,351 zwischen der „transmission de l’actif successoral“352 und der „transmission du passif successorale“353 unterscheidet.354 Schnell zeigt sich, dass Leleu den Begriff der „transmission“ zum einen hoffnungslos überdehnt355 und zum anderen auch wieder mehrdeutig verwendet. Folge ist, dass der
404 f., meint mit den „Erben“ des englischen Rechts aber gerade die Begünstigten (was ihn freilich nicht daran hindert, trotzdem auf den personal representative als Schuldenverantwortlichen einzugehen). 350 Siehe die Nachweise oben Fn. 151. 351 Siehe z. B. Revillard, Rev.crit.dr.int.pr. 1978, 279. Hingegen stehen bei Planiol/Ripert, Successions IV, die „transmission de la succession“ und die „liquidation de la succession“ als Themenkomplexe nebeneinander (ähnlich Pérès/Vernières, Droit des successions). 352 Leleu, Transmission, 25 ff. 353 Leleu, Transmission, 283 ff. 354 Übernommen wird diese Unterscheidung z. B. von De Waal, Comparative Succession Law, 1083, der sogar von einer „central distinction“ spricht. 355 Ohne konkreten Bezug zum Werk Leleus bezeichnet auch Egger, Le transfert de la propriété, 2 f., den Begriff der „transmission successorale“ als zu eng. Rätselhaft bleibt allerdings, warum Egger den aus ihrer Sicht vorzugswürdigen Begriff des „règlement successoral“ (3), der sich mit der „Nachlassabwicklung“ im hier verstandenen Sinne im Wesentlichen deckt, nicht in den Titel ihres Buches aufgenommen hat, sondern dieser vom „transfert de la propriété“ spricht und damit derselben Kritik ausgesetzt ist wie der Begriff der „transmission successorale“.
E. Die Defizite der herkömmlichen Erbrechtsvergleichung
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Buchtitel eine systematische Geschlossenheit vortäuscht, die die Untersuchung gar nicht hat.356 Während nämlich „transmission“ im ersten Teil dem Wortsinn entsprechend den Übergang der Nachlassaktiva auf die Begünstigten meint, behandelt der Autor im zweiten Teil keineswegs den Übergang der Passiva (der Modus wäre bei einer Rechtsordnung wie der deutschen auch gar nicht anders als im ersten Teil, weil Aktiva und Passiva nach § 1922 BGB bzw. § 1967 BGB geschlossen übergehen). Stattdessen untersucht und vergleicht der Autor vor allem die Art, wie für die Verbindlichkeiten gehaftet wird, also ob die Haftung auf den Nachlass beschränkt ist oder der Schuldner notfalls auch eigenes Vermögen einsetzen muss, welche Möglichkeiten die Gläubiger im Fall der Überschuldung des Nachlasses haben etc. Wie sehr der Autor dabei dem Begriff der „transmission“ Gewalt antut, verdeutlicht seine Unterscheidung zwischen den Modellen einer „transmission à tendance intra vires“, einer „transmission à tendance ultra vires“ sowie einer „transmission intra vires“.357 Denn die Unterscheidung ultra vires/intra vires bezieht sich dabei nicht auf die „transmission“ der Verbindlichkeiten als solche, die in allen drei Fällen stattfindet, sondern allein auf die Frage des Haftungsumfangs, der vom Begriff der „transmission“ aber gar nicht abgebildet wird. Seine unzureichende Differenzierung zwischen Schuldübergang und Haftungsumfang führt Leleu z. B. zu der abwegigen Aussage, dass im deutschen Recht Aktiva und Passiva nicht gleichzeitig übergingen 358 und selbst die Annahme der Erbschaft nicht zu einer „transmission du passif“ führe.359 Natürlich gehen im deutschen Recht Verbindlichkeiten jedoch bereits im Zeitpunkt des Todes auf den Erben über, und die Annahme der Erbschaft macht diesen provisorischen Übergang zu einem definitiven. Was Leleu meint, aber mit dem Begriff der „transmission“ nicht klar ausdrücken kann, ist der Umstand, dass im deutschen Recht selbst die Annahme der Erbschaft noch keine endgültige Klärung der Haftungsfrage herbeiführt, weil der Erbe z. B. noch eine Nachlassverwaltung beantragen und so seine Haftung auf den Nachlass beschränken kann. Man könnte versuchen, Leleus Ansatz durch eine begriffliche Klärung zu retten, etwa indem im zweiten Teil statt von „transmission“ von „liquidation“ gesprochen wird. Doch würde damit gerade das Fehlen einer „Superstruktur“ offenkundig, die die Vereinigung beider Themenkomplexe ermöglicht. Und dass die „transmission“ und die „liquidation“ sich nicht einfach zur Nachlassabwicklung addieren lassen, verdeutlicht am klarsten der Fall des deutschen Vermächtnisnehmers, der in beiden 356 Leleu, Transmission, Nr. 12, räumt immerhin ein, dass der von ihm unter dem Titel der „transmission du passif successorale“ untersuchte Themenkomplex auch die „organisation de la liquidation“ umfasst. Noch ehrlicher wäre indessen das Eingeständnis gewesen, dass es im zweiten Hauptteil seines Buches fast ausschließlich um den letztgenannten Aspekt geht, während die „transmission“ der Verbindlichkeiten im eigentlichen Sinn, also ihr Übergang auf den Rechtsnachfolger, so gut wie keine Rolle spielt. 357 Leleu, Transmission, Nr. 500. 358 Leleu, Transmission, Nr. 932. 359 Leleu, Transmission, Nr. 929.
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§ 1 Einführung: Gegenstand, Ziele und Methoden der Arbeit
Themenkreisen anzusiedeln wäre: Er gehört als Begünstigter zu den Empfängern von Nachlassaktiva (und als solchen behandelt ihn auch Leleu360), hat aber zugleich die Stellung eines Nachlassgläubigers inne. 6. Verzerrung Folge der vorgestellten methodischen Mängel ist nicht allein, dass ein sinnvoller Vergleich der nationalen Regime der Nachlassabwicklung misslingt, sondern dass es überdies zu schwerwiegenden Verzerrungen bei deren Wahrnehmung kommt. Leidtragende sind dabei, wie oben bereits angedeutet, in erster Linie die kontinentalen Rechtsordnungen, deren Strukturen durch die Einzwängung in das Prokrustesbett des „direkten Übergangs“ grundlegend entstellt und selbst von einheimischen Juristen häufig nicht zutreffend erfasst werden. a) Die Verkennung der Abwicklerrolle des kontinentalen Erben Die erste grundlegende Verzerrung besteht in der Vorstellung, dass das englische Recht mit dem personal representative ein Element aufweise, das in den kontinentalen Regimen lediglich optionales „add on“ sei361 und somit nur dort eine Entsprechung finde, wo ausnahmsweise ein Testamentsvollstrecker, Nachlasspfleger, Nachlassverwalter oder Insolvenzverwalter agiert.362 Die gleiche Vorstellung äußert sich in der Auffassung, dass die Existenz des personal representative im Vergleich zum deutschen Erbrecht den Nachlassgläubigern ein „extra layer of protection“ gewähre.363 Es wird also kategorisch verneint, dass der kontinentale Erbe in irgendeiner Weise der Figur des personal representative entsprechen könne.364 Stattdessen wird sein Gegenpart allein im beneficiary des englischen Rechts gesehen.365 Zumindest implizit wird damit suggeriert, dass die kontinentalen Regime im Normalfall überhaupt nichts vorsehen, was funktional der englischen Nachlass abwicklung entspricht. 360 Leleu, Transmission, Nr. 126–129, womit er freilich seine eigene Klassifikation wiederlegt, da der Erwerb des deutschen Vermächtnisnehmers gerade keine „transmission directe et immédiate“ ist (dazu schon oben Fn. 322). Begrifflich stringenter insofern De Waal, Comparative Succession Law, 1083, der allerdings den kontinentalen Vermächtnisnehmer einfach ausblendet und dadurch den Begriff des „heir“ doppeldeutig verwendet, siehe oben Fn. 321. 361 So für die Figur des executor L. Smith, Edinburgh LR 17 (2013), 298; Häcker, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 191 f. („optionales Plus“); ähnlich De Waal, Comparative Succession Law, 1084. Siehe auch schon Kahn-Freund, Anm. 263 zu Renner, Die Rechtsinstitute des Privatrechts. 362 Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 17; Pecher, Erbschaftsverwaltung, 49, und Häcker, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 193, erwähnen sogar nur den Testamentsvollstrecker. 363 Bork, in: Passing Wealth on Death, 269. 364 Siehe etwa Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 17: „Der representative duldet hiernach eine Vergleichung nicht mit dem Erben, sondern nur mit den Testamentsvollstreckern und Nachlaßpflegern der kontinentalen Rechte“ (Hervorhebung im Original). 365 Siehe etwa Hausmann, in: FS Heldrich, 653: „Sie [d. h. die beneficiaries] allein sind […] materiell dem deutschen Erben vergleichbar.“ Ferid/Firsching/Dörner/Hausmann/Henrich, Großbritannien, Rn. 8; Muscheler, Erbrecht I, Rn. 1216.
E. Die Defizite der herkömmlichen Erbrechtsvergleichung
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Indessen wird bei dieser Sichtweise die Rolle des kontinentalen Erben grund legend verkannt. Denn dieser ist zwar, wie gesehen, Residualbegünstigter, aber er ist längst nicht nur das. Zugleich ist er Abwickler des Nachlasses, also derjenige, der zumindest im Ausgangspunkt dafür zu sorgen hat, dass die Nachlassgegenstände und -werte in die richtigen Hände gelangen.366 Beide Rollen sind Ausfluss der Gesamtnachfolge,367 dem einzigen Merkmal, das den kontinentalen Erben formal charakterisiert: „Essential to heirship are duties and title, not advantages and emoluments.“368 Indem das Merkmal der Gesamtnachfolge ebenso den personal representative kennzeichnet,369 wird der Rechtsvergleicher auf dessen funktionale Äquivalenz mit dem kontinentalen Erben eigentlich mit der Nase gestoßen. Stattdessen ist immer wieder zu lesen, dass dem englischen Recht eine Universalsukzession fremd sei.370 In englische Begriffe übersetzt, ist der kontinentale Erbe folglich ein personal representative mit Residualbegünstigung,371 und ihn allein zum englischen beneficiary in Bezug zu setzen, bedeutet, seine komplexe Rechtsstellung unsachgemäß zu reduzieren und nachgerade zu verstümmeln. Der kontinentale Erbe ist nicht bloß passiver Empfänger, sondern in erster Linie aktives Vollzugsorgan der Nachlassabwicklung. Dass er so oft auf das Element der Begünstigung reduziert wird, mutet nicht zuletzt auch deshalb erstaunlich an, weil im nationalen Kontext der grundlegende Unterschied zwischen einem Erben und einem Vermächtnisnehmer stets besonders betont wird und deutsch-englische Vergleiche oft zutreffend darauf hinweisen, dass der beneficiary strukturell dem deutschen Vermächtnisnehmer ähnele.372 366 Zutreffend erkannt wird die Abwicklerrolle des kontinentalen Erben etwa von Rheinstein, Iowa LR 20 (1935), 433; Castán Tobeñas, in: Mélanges Maury, 61; Berther, Die internationale Erbschaftsverwaltung, 3, 27, 50; Häcker, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 191 f.; Murga Fernández, Los sistemas europeos, 24, 81, 272 („liquidador natural de la herencia“). Siehe auch schon J. P. Schmidt, in: FS Gretton, 332. Im Kontext des deutschen Rechts bringt Muscheler, Erbrecht I, Rn. 959, denselben Gedanken zum Ausdruck, wenn er die Erben als „Repräsentanten“ des Erblassers und als „Zentrum der Nachlassabwicklung“ bezeichnet. Ähnlich sieht Dörner, in: FS Ferid, 68 f., die „einheitliche Zweckrichtung“ der originären Befugnisse des Erben (dazu oben Fn. 58) in der „Abwicklung einer Rechtsnachfolge von Todes wegen“. 367 Wie oben gesehen (B.III. (9 ff.)), wird die Abwicklerrolle des Erben zusätzlich betont durch seine Zuständigkeit für die erst mit dem Erbfall entstehenden Nachlassverbindlichkeiten. 368 Rheinstein, Iowa LR 20 (1935), 434. Von einem „Gemisch von Rechten, Befugnissen, insbesondere Verwaltungsbefugnissen, und Verpflichtungen“ spricht Kahn-Freund, Anm. 263 zu Renner, Die Rechtsinstitute des Privatrechts. 369 Dazu näher unten § 3 C.II.4. (212 ff.). 370 Siehe unten § 3 C.II.4a) (212 ff.). 371 Dies erkennt auch Rabel, Conflict of Laws IV, 425 f. („[…] such heirs – as I would put it – unite in their persons the functions of beneficiaries and managers of the estate“). Ebenso KahnFreund, Anm. 263 zu Renner, Die Rechtsinstitute des Privatrechts, der allerdings zu Unrecht annimmt, dass das englische Recht eine solche Verknüpfung nicht gestatte (siehe oben E.I.1a) (27 ff.)); ferner Murga Fernández, Los sistemas europeos, 24. 372 Siehe z. B. Sünner, Drittbestimmung, 2 (Fn. 1) („reines Legatsrecht“); Muscheler, Testamentsvollstreckung, 18: Offergeld, Rechtsstellung, 205; Pecher, Erbschaftsverwaltung, 49 f.; Burandt/Rojahn/Solomon, England und Wales, Rn. 27; Süß/F. Odersky, Großbritannien: Eng-
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§ 1 Einführung: Gegenstand, Ziele und Methoden der Arbeit
Gleichwohl ist es bezeichnend, dass Rechtsprechung und Lehre genau wie das BGB in § 2087 die Abgrenzung von Erbe und Vermächtnisnehmer fast ausschließlich anhand formaler vermögensrechtlicher Positionen vorzunehmen suchen und kaum jemals im Sinne einer funktionalen Betrachtung danach fragen, wem die Aufgabe der Nachlassabwicklung zufallen soll.373
Die Ursache der gezeigten Verzerrung liegt einmal mehr in der verfehlten Methodik: Kontinentale Juristen suchen, wenn sie an das englische Recht herantreten, darin ein Pendant für ihren „Erben“, den Nachfahren des römischen heres. Vor die Wahl zwischen personal representative und beneficiary gestellt, optieren sie aufgrund der Gemeinsamkeit der Begünstigung für den Zweitgenannten.374 Dadurch erscheint der personal representative nur noch als Äquivalent von Testamentsvollstrecker und Nachlassverwalter, während der kontinentale Erbe in eine Kategorie gepresst wird, für die er viel zu groß ist. Der genannten Herangehensweise liegt die unausgesprochene Vorstellung zugrunde, dass Begriffe wie „Erbe“ oder „Testamentsvollstrecker“ den nationalen Regimen vorgeordnete Kategorien seien, gewissermaßen Fixsterne am internationalen Erbrechtshimmel. Doch wird diese Annahme spätestens durch die Begegnung mit dem englischen Recht widerlegt, da es auf einer anderen begrifflichen Ebene angesiedelt ist als die kontinentalen Rechte. Weil englische Juristen dank der begrifflichen Trennung von personal representative und beneficiary über das feinere Werkzeug verfügen, fällt ihnen diese Erkenntnis leichter als ihren Kollegen vom Kontinent, die ihren „klobigen“ Erbenbegriff nicht sinnvoll in das englische Recht einordnen können. Überdies wird englischen Juristen die funktionale Äquivalenz von personal representative und römischem heres nachdrücklich durch ihre eigene Rechtsgeschichte verdeutlicht.375 b) Die Verkennung des Unterschieds zwischen Einheits- und Optionsmodell der Abwicklung Ein weiterer Aspekt, in dem die kontinentalen Regime so unvollständig dargestellt werden, dass es zu einer schwerwiegenden Verzerrung kommt, ist die Rolle der geordneten Liquidation des Nachlasses als Sondervermögen. Wie schon erwähnt,376 ist eine solche keineswegs ein Alleinstellungsmerkmal des englischen Rechts, weshalb es auch erstaunt, dass dieses oftmals als so fremdartig empfunden wird. Aber wenn es nicht sein Abwicklungsmodus ist, der das englische Recht besonders macht, was ist es dann? Es ist der Umstand, dass das englische Recht überhaupt nur land und Wales, Rn. 38, dessen Aussage, dass der Begriff „Erbe“ die in Deutschland geläufige Bezeichnung für die erbrechtlich Begünstigten sei, allerdings nur für die Laiensphäre Gültigkeit beanspruchen kann. 373 Anders die Beobachtung von Windel, Modi der Nachfolge, 194. 374 Einige Autoren erkennen immerhin, dass der Erbe nur Residualbegünstigter ist und sehen deshalb eine Ähnlichkeit zum residuary legatee (siehe etwa Ferid/Firsching/Dörner/Hausmann/ Henrich, Großbritannien, Rn. 205; Gomes da Silva, Herança, 45). An der Ausblendung der Abwicklerrolle ändert dies jedoch nichts. 375 Dazu unten § 3 B.IV.5. (189 ff.). 376 Siehe oben E.I.1a) (27 ff.).
E. Die Defizite der herkömmlichen Erbrechtsvergleichung
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diese eine Vorgehensweise kennt, dass die geordnete Liquidation nicht wie in den kontinentalen Regimen nur fakultativ, sondern zwingend ist. Indem die Gegeneinandersetzung von „direktem“ und „indirektem“ Übergang die kontinentalen Liquidationsverfahren schlichtweg ausblendet, simuliert sie einen nichtexistenten und dissimuliert sie zugleich einen bestehenden Unterschied zwischen kontinentaler und englischer Tradition. Dieser Unterschied ist nicht bei der Struktur des Abwicklungsmodus, sondern auf einer Stufe darüber angesiedelt: Er betrifft die Entscheidung der kontinentaleuropäischen Gesetzgeber, nicht eine Einheitslösung vorzusehen („one size fits all“), sondern ein zwei- oder gar mehrspuriges System, das es erlaubt, auf die besonderen Umstände des Falls Rücksicht zu nehmen und beispielsweise einen offenkundig werthaltigen Nachlass anders abzuwickeln als einen offenkundig überschuldeten. Selbst Autoren, die die kontinentalen Regime in ihrer Gesamtheit erfassen, gelangen nicht zu dieser entscheidenden Einsicht, weil sie ebenfalls der Versuchung einer Reduktion erliegen: Die Vermögensverschmelzung wird als Regelfall betrachtet, der durch die Möglichkeit der Haftungsbeschränkung lediglich eine Abschwächung erfährt.377 Der Unterschied zwischen einem Einheits- und einem Optionsmodell ist aber kein gradueller, sondern ein kategorialer.378 Indem die herkömmliche Rechtsvergleichung diesen Unterschied verkennt, „verschenkt“ sie gleich zwei Möglichkeiten eines fruchtbaren Vergleichs. So kann zum einen gefragt werden, ob das Einheits- oder das Optionsmodell den Vorzug verdient, und wovon dies abhängt. Zum anderen können Teilelemente des Optionsmodells auch isoliert mit der Abwicklung beim Einheitsmodell verglichen werden, so dass sich etwa die deutsche Nachlassverwaltung oder die Abwicklung im Fall des geringwertigen Nachlasses zur englischen (Standard-)Abwicklung in Bezug setzen lassen.379
III. Lehren Aus den gezeigten Defiziten der herkömmlichen Versuche zur vergleichenden Untersuchung der Nachlassabwicklung lassen sich eine Reihe von Lehren ziehen. So darf der Vergleich erstens nicht von den Begriffen und Strukturen der nationalen Erbrechte ausgehen, weil diese keine übernationale Geltung beanspruchen können. Insbesondere die Figur des kontinentalen Erben findet im englischen Recht kein exaktes Pendant, weil dieses rollenbezogen „denkt“ und die Figur des Abwicklers (personal representative) selbst dann von der des Begünstigten (beneficiary) unterscheidet, wenn im konkreten Fall beide in einer Person vereinigt werden. 377 Siehe etwa Castán Tobeñas, in: Mélanges Maury, 57–59 m. w. N.; IECL/Schwind, Liability for Obligations of the Inheritance, Nr. 12 f., 29; Gomes da Silva, Herança, 83; Terré/Lequette/ Gaudemet, Successions, Rn. 9 05; HWBEuP/Helms, Erbenhaftung, 405, 409; Murga Fernández, Los sistemas europeos, 270–272. 378 Dazu auch unten § 6 E.VI.4b)(2) (557 ff.). 379 Dazu ausführlich unten § 6 (367 ff.).
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Zweitens hat es sich als verfehlt erwiesen, die Nachlassabwicklung nur aus der Perspektive der Begünstigten zu beschreiben. Denn selbst wenn dieser Begriff konsistent gehandhabt wird (was, wie gesehen, typischerweise nicht der Fall ist), führt die entsprechende Fokussierung dazu, dass andere Elemente der Nachlassabwicklung ausgeblendet werden. So hindert die Begünstigtenperspektive beispielsweise daran, dem englischen personal representative die gebotene Aufmerksamkeit zu schenken, und auch einen Vorgang wie das Nachlassinsolvenzverfahren vermag sie nicht zu erfassen. Drittens schließlich hat sich das Problem gezeigt, dass es schon an einem Begriff fehlt, um das erbrechtliche Geschehen umfassend und zutreffend einzufangen. Als ungeeignet haben sich insbesondere Begriffe wie „Erwerb der Erbschaft“ oder „transmission de la succession“ erwiesen, weil sie entweder das Geschehen nur teilweise abbilden oder in sinnentstellender Weise überdehnt werden müssen. Verständlich wird damit, warum das erbrechtliche Geschehen hier unter dem Begriff der „Nachlassabwicklung“ untersucht wird, der eine terminologische Entsprechung in dem englischen „winding up of estates“ findet.380 Denn mit ihm lassen sich alle drei genannten Probleme vermeiden. So ermöglicht der Begriff der „Nachlassabwicklung“ erstens, den Vergleich auf „neutralem Grund“ zu beginnen, indem an den gemeinsamen Ausgangspunkt aller nationalen Erbrechte angeknüpft wird: die Tatsache nämlich, dass der Tod eines Menschen einen „verwaisten Rechtskreis“381 zurücklässt, dessen Schicksal es zum Schutz des Rechtsfriedens zu regeln gilt.382 Diese Fokussierung auf den Nachlass vermeidet zweitens die Enge der Begünstigtenperspektive, da jede Person, die in irgendeiner Weise mit dem Nachlass in Berührung kommt, in das Blickfeld gerät. Drittens schließlich vermeidet der Begriff der „Nachlassabwicklung“ die Enge, die einen Begriff wie den „Erwerb der Erbschaft“ charakterisiert, und ermöglicht dadurch zugleich, diesen auf seine wörtliche Bedeutung zurückzuführen und als Teilelement der Nachlassabwicklung zu begreifen. Noch nicht geklärt ist damit allerdings, was unter „Nachlassabwicklung“ genau zu verstehen ist, ob es Vorbilder für dieses Begriffsverständnis gibt und ob es sich Einwänden ausgesetzt sieht. Diese und andere Fragen sind Gegenstand des folgenden Abschnitts.
F. Der Begriff der Nachlassabwicklung I. Nachlassabwicklung als Reintegration des Erblasservermögens Die Aufgabe der Nachlassabwicklung wurde oben damit beschrieben, den wirtschaftlichen Nachfolgern des Verstorbenen, zu denen vor allem die Begünstigten 380
Dazu oben Fn. 128. Windel, Modi der Nachfolge, 204 f. 382 Zur friedenstiftenden Funktion des Erbrechts unten § 2 A.I. (119 ff.). 381
F. Der Begriff der Nachlassabwicklung
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und die Erblassergläubiger gehören, die ihnen gebührenden Rechte oder Werte aus dem Nachlass zukommen zu lassen.383 Wechselt man die Perspektive von den Destinatären zum Nachlass als Ausgangspunkt, dann ergibt sich eine Nuancierung. Nachlassabwicklung meint dann die Gesamtheit der materiellrechtlichen Vorgänge zur Beseitigung des „vermögensrechtlichen Rückstands“ einer verstorbenen Person. „Beseitigung“ ist dabei weniger im Sinne einer „Entsorgung“, sondern vielmehr im Sinne eines „Aufräumens“ zu verstehen. Denn mit der möglichen Ausnahme von Verbindlichkeiten des Erblassers geht es nicht darum, die vermögenswerten Rechte und Pflichten des Verstorbenen durch Herbeiführung des Erlöschens aus der Welt zu schaffen, sondern darum, sie überlebenden Personen so zuzuweisen, dass sie keine erbfallbedingte Sonderbehandlung mehr erfahren. Von entscheidender Bedeutung ist die Einsicht, dass eine solche Zuweisung mehr verlangt als den bloßen Übergang auf einen neuen Rechtsträger, nämlich auch die umfassende Eingliederung in dessen Vermögen.384 Vergleicht man die vererblichen Rechtsbeziehungen mit verwaisten Kindern, geht es der Nachlassabwicklung also nicht nur um deren Unterbringung in einer Pflegefamilie. Vielmehr ist ihr Schicksal erst dann als geregelt zu betrachten, wenn sie von neuen Eltern adoptiert und so die rechtlichen Bande mit den leiblichen Eltern restlos gekappt wurden. Englischen Juristen bereitet die skizzierte Unterscheidung zwischen Nachlassübergang und Nachlassintegration keine Schwierigkeiten. So ist für sie klar, dass selbst dort, wo der personal representative der einzige beneficiary ist, der Erbfall nicht mit dessen Eintritt in den Nachlass abgeschlossen ist. Denn indem die vom Verstorbenen herrührenden Rechtsbeziehungen einstweilen noch anders behandelt werden als diejenigen, in denen der personal representative schon vorher stand, ist der Nachlass als rechtlicher Zuordnungsverband nicht aus der Welt. So dürfen etwa Eigengläubiger des personal representative nicht in Nachlassgegenstände vollstrecken und Gläubiger des Verstorbenen umgekehrt nicht in das Eigenvermögen, und zwischen Erblasser und personal representative bestehende Schuldverhältnisse bleiben grundsätzlich bestehen. Ist also der Nachlass zwar keine juristische Person, bildet er immerhin ein Sondervermögen.385 Dessen Existenz ist erst dann beendet, wenn die Erblasserverbindlichkeiten und die aus dem Erbfall herrührenden Lasten (etwa die Beerdigungskosten) bereinigt und die verbleibenden Nachlassaktiva dadurch aus ihrer haftungsrechtlichen Verstrickung befreit worden sind. Dogmatisch gesehen findet eine Überführung in das Eigenvermögen des personal representative statt, der den Überschuss fortan als beneficiary innehat.386 Die Auflösung der Ver383
Siehe oben B.III. (9 ff.). bringen auch Gretton/Steven, Property, Trusts and Succession, [26.43], zum Ausdruck, wenn sie sagen: „Assets have to move from the patrimony of the person who has died into the patrimonies of the living“ (Hervorhebung hinzugefügt). Siehe auch Windel, Modi der Nachfolge, 202 f., der die Integration des Erblasservermögens in das Erbenvermögen allerdings unnötigerweise mit dem Begriff der Universalsukzession assoziiert. 385 Näher zum Sondervermögenscharakter des estate unten § 4 B.II.1. (285 ff.). 386 Wie jede Auskehr von Überschüssen bedarf auch diejenige, die der personal representative gegenüber sich selbst vornimmt, eines sog. assent, also einer Art Freigabeerklärung, die grund384 Dies
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strickung manifestiert sich insbesondere daran, dass die Überschüsse auch dem Vollstreckungszugriff der Eigengläubiger unterliegen. Wenn deutsche Juristen demgegenüber mehr Schwierigkeiten haben, zwischen Nachlassübergang und Nachlassintegration zu unterscheiden, liegt dies daran, dass der gesetzessystematische Ausgangspunkt des BGB in einer Koinzidenz beider Akte besteht. Zwar ist dieser Moment noch nicht der vorläufige Erwerb des Erben, weil insbesondere § 1958 BGB dazu führt, dass der Nachlass während der Überlegungsfrist des Erben eine Sonderstellung behält.387 Doch hat die erklärte oder fingierte Annahme der Erbschaft für den Alleinerben eine Doppelwirkung, indem sie zum einen den Eintritt in den Nachlass endgültig macht, zum anderen aber auch eine Verschmelzung von Nachlass und Eigenvermögen herbeiführt. Damit ist gemeint, dass die Nachlassgegenstände dem Erben genauso zugeordnet werden wie sein bisheriges Vermögen, also dessen Schicksal teilen und keinerlei erbfallbedingter Verstrickung unterliegen.388 Der Nachlass ist als gedankliche Zuordnungseinheit nicht mehr vorhanden, sondern „bis zur Unkenntlichkeit“ im Vermögen des Erben aufgegangen.389 Dies zeigt sich insbesondere darin, dass der Alleinerbe für Verbindlichkeiten des Erblassers so einstehen muss, als habe er sie selbst begründet, und für die Erfüllung mit seinem gesamten gegenwärtigen und künftigen Vermögen haftet. Ebenso verdeutlicht das Erlöschen von schuldrechtlichen Beziehungen zwischen Erbe und Erblasser durch Konfusion, dass der Verstorbene von der Bildfläche verschwunden ist.390 Anders als der Erwerb ist freilich die Verschmelzung nicht endgültig. Denn wegen der Möglichkeit von Nachlassverwaltung und Nachlassinsolvenz, die jeweils auf den Erbfall zurückwirken, bleibt der Nachlass latent als rechtlicher Zuordnungsverband in der Welt.391 Jedoch ist die Situation, dass Erbschaftserwerb und Nachlassintegration wie im englischen Recht von vornherein entkoppelt sind, dem deutschen Recht keineswegs fremd. So behält der geringwertige Nachlass auch in der Hand eines Alleinerben eine gewisse rechtliche Selbständigkeit,392 und im empirischen Normalfall einer Mehrheit von Erben erreicht diese Selbständigkeit sogar ein solches Ausmaß, dass eine wachsende Zahl von Autoren der Erbengemeinschaft Rechtsfähigkeit zuspresätzlich formlos und auch implizit erfolgen kann. Zu den Einzelheiten Williams, Mortimer & Sunnucks [76-01] ff., insbesondere [76-05]; Kerridge, Law of Succession, [23-31]–[23-46]. 387 Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 19–25; wenn Staudinger/Marotzke (2008), § 1922 Rn. 72, demgegenüber schon mit Erbanfall eine Vermögensverschmelzung annimmt, scheint er sich damit in Widerspruch zu seinen eigenen Ausführungen zu setzen. 388 Siehe etwa Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 31 f. (Nachlass wird „freies Vermögen“); Staudinger/Marotzke (2008), § 1922 Rn. 73–77 (= Staudinger/Kunz (2017), § 1922 Rn. 122–127); Dauner-Lieb, in: FS Gaul, 95; Klook, Die überschuldete Erbschaft, 92. 389 Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 5. 390 Die Konfusion ergibt sich ebenso wie eine mögliche Konsolidation aus dem Gegenschluss von § 1976 BGB. Verwandt damit ist die in § 185 Abs. 2 S. 1 BGB geregelte Frage einer Konvaleszenz für den Fall, dass der Berechtigte den Verfügenden beerbt. Eingehend Wacke, JZ 2001, 385 f.; Finkenauer, in: FS Picker, 210–225. 391 Dazu unten § 7 C.II.2. (620 ff.). 392 Dazu unten § 6 E.II.1b) (448 ff.), IV.3b) (497 ff.).
F. Der Begriff der Nachlassabwicklung
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chen will.393 Die Sonderstellung des Nachlasses endet erst durch vollständige Auseinandersetzung unter den Miterben, etwa indem sämtliche Nachlassverbindlichkeiten getilgt werden und der Überschuss mittels entsprechender Verfügungen in die Eigenvermögen der Miterben überführt wird. Es zeigt sich somit, dass der Begriff der „Nachlassabwicklung“ hier durchaus wörtlich verstanden wird, nämlich als „Abwicklung“ des „Nachlasses“, also der Auflösung des durch die vererblichen Rechtsbeziehungen gebildeten Zuordnungsverbandes. Für die darin enthaltenen Gegenstände, oder zumindest die Nachlass aktiva, gilt dies natürlich nicht. Denn der grundlegenden Idee des Erbrechts entsprechend werden sie nicht aufgelöst, sondern fortgeführt. Als Nachlassabwicklung im engeren Sinne lassen sich diejenigen Handlungen unter Lebenden bezeichnen, mittels derer die Nachlassauflösung vollendet wird, sei es unter der Ägide eines Erben, Testamentsvollstreckers, Nachlassverwalters oder Insolvenzverwalters. Hierzu gehört insbesondere die Tilgung der Nachlassverbindlichkeiten, die sich auch mit dem Begriff der „Nachlassbereinigung“ bezeichnen lässt, ebenso mit dem der „Nachlassregulierung“, der bei früheren Autoren 394 noch deutlich beliebter war als bei heutigen.395 Das enge und weite Verständnis von „Nachlassabwicklung“ findet eine Entsprechung im englischen Recht, wo mit der „administration of an estate“ nicht nur die Nachlassabwicklung im Ganzen bezeichnet wird,396 sondern auch das Handeln des personal representa tive.397
Deutlich wird damit, warum für das deutsche Recht die §§ 1942–1959 BGB auf der einen und die §§ 1967–2017 BGB auf der anderen Seite die essentiellen Bestandteile der Nachlassabwicklung im hier gemeinten Sinne sind. Denn es sind diese beiden Regelungskomplexe, die in ihrer Kombination den materiellrechtlichen Transfer aus der Hand des Toten in die Vermögen der Lebenden bewerkstelligen. Zu Modifizierungen kommt es im Fall einer Mehrheit von Erben durch die §§ 2032–2062 BGB und bei Ernennung eines Testamentsvollstreckers durch die §§ 2197–2228 BGB, die deshalb zum erweiterten Kern der Nachlassabwicklung gerechnet werden können. Andere Materien haben hingegen nur Ergänzungs- oder Hilfscharakter, wie die Regelungen zur Nachlasspflegschaft (§§ 1960–1962 BGB), zum Erbschaftsanspruch (§§ 2018–2031 BGB) und zum Erbschein (§§ 2353–2370 BGB).
393
Dazu unten § 8 B.III.4c) (666 ff., Fn. 216). Siehe etwa v. Schmitt, Begründung 913, 1014; Bernhöft, Zur Reform des Erbrechts, 45, 50, 108, 114–116; Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 9, 53; ferner bereits AGO I 24, § 18 („Regulirung der Verlassenschaft“). 395 Siehe aber etwa Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 33.03; Muscheler, Erbrecht I, Rn. 584, 590. 396 Siehe oben Fn. 128. 397 Siehe etwa Kerridge, Succession, [20-01]; Margrave-Jones, Mellows: Law of Succession, [21.2]. 394
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II. Terminologische Vorbilder und Alternativen Dass die Rechtsvergleichung bislang nicht mit dem Begriff der „Nachlassabwicklung“ operiert, wurde oben bereits deutlich gemacht. Es findet sich zwar der französische bzw. englische Begriff der „liquidation“, doch wird dieser meist eng verstanden und nur auf die Bereinigung der Nachlassverbindlichkeiten bezogen.398 Ob sich immerhin an terminologische Vorbilder im deutschen Erbrecht oder im Erbkollisionsrecht anknüpfen lässt, bedarf indessen noch der Untersuchung. 1. Das deutsche Erbrecht a) Der Begriff der „Nachlassabwicklung“ Anders als z. B. die „letztwillige Verfügung“, das „Vermächtnis“ oder die „gesetzliche Erbfolge“ ist der Begriff der „Nachlassabwicklung“ in der deutschen Rechtsterminologie nicht etabliert. Das BGB kennt ihn nicht, und auch die Lehrbücher zum deutschen Erbrecht nennen ihn, von seltenen Ausnahmen abgesehen, weder im Inhalts- noch im Stichwortverzeichnis.399 In der „4. Denkschrift“ des Erbrechtsausschusses der „Akademie für Deutsches Recht“ schaffte es die „Abwicklung der Erbschaft“ zwar in den Titel,400 doch fungierte sie letztlich als konturlose Auffangkategorie.401 Zumindest vereinzelt wird die „Nachlassabwicklung“ aber zur Ordnungskategorie erhoben und dann ganz ähnlich wie hier verstanden. Denn behandelt werden unter dem Begriff insbesondere die Themen Annahme und Ausschlagung der Erbschaft, Haftung für Nachlassverbindlichkeiten, Nachlassverwaltung und -insolvenz.402 Und bei näherem Hinsehen sprechen auch andere Autoren gelegentlich von der „Nachlassabwicklung“, wenn sie das erbrechtliche Geschehen im Ganzen 398 Siehe insbesondere Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 811; Rheinstein, Iowa LR 20 (1935), 431; Leleu, Transmission, Nr. 12; Gasnier, Liquidation; Murga Fernández, Los sistemas europeos. Es finden sich aber auch Beispiele für den Gebrauch der „liquidation“ im umfassenden Sinn, siehe Rheinstein (oben Fn. 204); Villela, Transmission, 8, 62 („liquidation des succession/liquidation successorale“); Leleu, ERPL 6 (1998), 159 („liquidation d’une succession internationale“, was in der deutschen Version der Zusammenfassung mit „Abwicklung eines internationalen Erbfalls übersetzt wird“). Pintens, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 58, bezeichnet die Erben des belgischen Rechts als „Liquidatoren der Erbschaft“. 399 Muscheler, Erbrecht, führt den Begriff der „Nachlassabwicklung“ im Sachregister auf, ohne ihm in den betreffenden Textstellen aber eine konkrete Bedeutung zu geben. 400 Lange (Hg.), Erwerb, Sicherung und Abwicklung der Erbschaft. 401 So taucht die „Abwicklung“ als eigener Gliederungspunkt gar nicht mehr auf. Die Frage einer gesonderten Liquidation des Nachlasses oder einer gerichtlichen Mitwirkung hieran wird innerhalb des Abschnitts über den Erwerb der Erbschaft behandelt, siehe Reif, in: 4. Denkschrift, 43 f., 45 f. 402 Siehe Scherer (Hg.), Münchener Anwaltshandbuch Erbrecht, Teil B, 3. Abschnitt, §§ 2 2–28; ähnlich Süß/Tersteegen, Deutschland, Punkt F. Auch Coing, Europäisches Privatrecht II, behandelt im 32. Kapitel unter dem Titel „Abwicklung der Erbschaft“ die Themen „Erwerb und Ausschlagung der Erbschaft“ (§ 135), „Rechtsstellung des Erben“ (§ 136), „Erbenmehrheit“ (§ 137) und „Amtliche Nachlaßfürsorge“ (§ 138). Einzig das Thema „Erbfähigkeit und Erbwürdigkeit“ (§ 134) gehört nicht in den vorliegenden Zusammenhang und scheint auch bei Coing deplatziert.
F. Der Begriff der Nachlassabwicklung
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meinen,403 wobei sie den Begriff eher beiläufig nutzen und nicht näher konturieren. Bisweilen ist mit „Nachlassabwicklung“ auch nur die Begleichung der Nachlassverbindlichkeiten gemeint,404 also das, was oben405 „Nachlassregulierung“ genannt wurde. Zu erwähnen ist ferner, dass die „Nachlassabwicklung“ zumindest in einer bestimmten Spielart terminologisch seit Langem etabliert ist, nämlich in Gestalt der „Abwicklungsvollstreckung“. Mit dieser im BGB nicht ausdrücklich genannten, implizit aber in den §§ 2203–2205 definierten Figur werden in Abgrenzung von der Dauervollstreckung (§ 2209 BGB)406 diejenigen Fälle bezeichnet, in denen der Testamentsvollstrecker die Nachlassverbindlichkeiten zu tilgen,407 die letztwilligen Verfügungen zur Ausführung zu bringen und ggf. die Auseinandersetzung unter Miterben herbeizuführen hat. Der „Abwicklungsvollstrecker“ als praktischer Regelfall des Testamentsvollstreckers408 sorgt mit anderen Worten für die Verteilung der Nachlasswerte und die Auflösung des Nachlasses als Zuordnungsverband,409 ganz im Sinne des hier zugrunde gelegten Verständnisses der „Nachlass abwicklung“.410 Bezieht man schließlich die „Liquidation“ als lateinischstämmige Variante der „Abwicklung“ mit in die Betrachtung ein, findet sich insbesondere die „amtliche Nachlassliquidation“ als Oberbegriff für Nachlassverwaltung und Nachlassinsolvenzverfahren,411 ferner die „Privatliquidation“ zur Bezeichnung des in §§ 1990, 403 Siehe beispielsweise Höver, DJ 1935, 1697; Suchier, DfG 1936, 32; Lange, DR 1942, 1713; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1203 (das Verb „abwickeln“ findet sich ebd., 1187, 1268); Muscheler, Testamentsvollstreckung, 26; ders., Erbrecht I, Rn. 583 („Erbabwicklung“), 959 (Erben als „Zentrum der Nachlassabwicklung“) 1217 („Abwicklung der Erbschaft“), 1225; ders., Erbrecht II, Rn. 3487; Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 18, § 32 Rn. 1, 4; K. W. Lange, Erbrecht, § 8 Rn. 24; ders., AcP 220 (2020), 191 („ordnungsgemäße Nachlassabwicklung“); Titz, Vindikationslegat, 198; Staudinger/Kunz (2020), Vorbem zu §§ 1967 ff Rn. 19, 212; Häcker, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 191 f., deren Untersuchung zwar dem englischen Recht gewidmet ist, die im Kontext der kontinentalen Rechte aber wie selbstverständlich von „der üblichen Nachlassabwicklung durch den oder die Erben“ spricht. Ferner bereits Denkschrift BGB, 853 („Abwickelung des Nachlasses“); aus dem schweizerischen Schrifttum Steck, in: FS Breitschmid, 505–518. 404 So z. B. Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 53; RVglHWB/Hallstein, Schuldenhaftung des Erben, 243; Ehrenkönig, Erbenhaftung, 119. 405 Siehe F.I. (64 ff.). 406 Zur Unterscheidung zwischen „Abwicklungsvollstreckung“ und „Dauer-“ oder „Verwaltungsvollstreckung“ etwa Leipold, Erbrecht, Rn. 793 f.; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 2698; Röthel, Erbrecht, § 35 Rn. 3; Weber, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 32–34. Der Dauervollstreckung kann eine Abwicklungsvollstreckung vorgeschaltet sein, siehe § 2209 S. 1 Hs. 2; MüKoBGB/W. Zimmermann, § 2209 Rn. 2. 407 Die Schuldentilgung wird als Teil der in § 2 205 BGB genannten Nachlassverwaltung betrachtet, siehe nur MüKoBGB/W. Zimmermann, § 2203 Rn. 5, § 2205 Rn. 11. 408 Offergeld, Rechtsstellung, 87. 409 Zimmermann, Heres fiduciarius?, 298 f. Ausführlich Offergeld, Rechtsstellung, 87–164. Für die erste Zeit nach dem Tod des Erblassers fungiert oftmals die postmortale Vollmacht als Substitut für die Abwicklungsvollstreckung, siehe Dutta, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 223. 410 Aus rechtsvergleichender Sicht Dutta, Testamentsvollstreckung in Europa, 222. 411 Siehe etwa Staudinger/Boehmer 10 , § 1922 Rn. 249; Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 67, 76.
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1991 BGB geregelten Verfahrens.412 Das preußische Recht kannte den „erbschaftlichen Liquidationsprozeß“, an dessen Stelle später das „erbschaftliche Liquidationsverfahren“ trat.413 b) Terminologische Äquivalente (1) „Rechtliche Stellung des Erben“ Ein Blick auf die Systematik des BGB zeigt schnell, dass die Nachlassabwicklung darin zu einem großen Teil ebenfalls als geschlossener Themenkomplex in Erscheinung tritt. Denn die §§ 1942–2017 BGB sind in einem Abschnitt zusammengefasst, der mit „Rechtliche Stellung des Erben“ betitelt ist. Zu den Vorschriften, die davon nicht erfasst sind, nach dem vorliegenden Verständnis aber auch noch zum Kernbereich der Nachlassabwicklung zählen, gehört insbesondere § 1922 BGB. Die frühere Literatur ist der Systematik des BGB oft gefolgt,414 in heutigen Lehrbüchern ist allerdings häufiger der Oberbegriff der „Rechtsfolgen nach dem Erbfall“ zu finden.415 Dieser ist weiter, dadurch aber auch weniger klar umrissen als die „Rechtsstellung des Erben“.416 (2) „Nachlassverwaltung“ Kommt es auf Antrag eines Erben oder Nachlassgläubigers zur Anordnung einer „Nachlassverwaltung“, liegt die Aufgabe des gerichtlich ernannten „Nachlassverwalters“ keineswegs nur darin, den Nachlass in Besitz zu nehmen und zu erhalten. Vielmehr hat er auch die Nachlassverbindlichkeiten zu berichtigen (§ 1985 Abs. 1 BGB) und dem Erben den Überschuss auszuantworten (§ 1986 Abs. 2 BGB). Die „Nachlassverwaltung“ ist somit nicht ein Verfahren zur Bewahrung, sondern gerade zur Liquidation des Nachlasses, und seine Bezeichnung wird zu Recht als irreführend kritisiert.417 Tatsächlich sah das 1942 von Heinrich Lange im Auftrag der „Akademie für Deutsches Recht“ entworfene Erbgesetz418 vor, die Nachlassverwaltung in „Nachlassabwicklung“ und den Nachlassverwalter in „Nachlassabwickler“ umzubenennen.419 Diese Lösung wäre freilich insofern problematisch gewesen, als sich mit dem Begriff des Nachlassabwicklers ebenso der Erbe und der 412
Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 170. Dazu unten § 6 D. (435 ff.). 414 Siehe vor allem die dreibändige Darstellung von Binder, Rechtsstellung des Erben; ferner z. B. Kipp/Coing, Erbrecht, Dritter Teil („Rechtliche Stellung des Erben“). 415 Siehe z. B. Leipold, Erbrecht, 4. Teil; Muscheler, Erbrecht, Teil 6. Ähnlich Röthel, Erbrecht, 5. Kapitel („Erbrechtliche Wirkungen nach dem Erbfall“). 416 So behandelt etwa Leipold, Erbrecht, hierunter auch das Vermächtnis- und Pflichtteilsrecht, die in erster Linie der Zuweisungsdimension angehören. 417 Siehe Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3595, der an anderer Stelle (Rn. 3543) überdies kritisiert, dass der Begriff der „Nachlassverwaltung“ nicht den amtlichen Charakter des Verfahrens verdeutlicht. 418 Der Entwurf ist bis heute verschollen, siehe unten § 6 E.VI.2 (Fn. 1391). 419 Lange, DR 1942, 1718 (Fn. 12), 1719. 413
F. Der Begriff der Nachlassabwicklung
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Nachlassinsolvenzverwalter charakterisieren lassen. Vermutlich zur Vermeidung genau solcher Überlappungen hatte der das Erbgesetz vorbereitende „Breslauer Entwurf“ zur Reform der Erbenhaftung420 vorgeschlagen, die „amtliche Nachlass abwicklung“ als Oberbegriff für die Nachlassverwaltung, den Nachlasskonkurs und das Nachlassvergleichsverfahren einzuführen.421 2. Das Erbkollisionsrecht Schaut man in deutschsprachige Quellen zum Kollisionsrecht, das der Ausbildung autonomer Systembegriffe bedarf, ist das Bild zunächst ähnlich wie im deutschen Erbrecht. So tritt der Begriff der „Nachlassabwicklung“ zwar mit einiger Regelmäßigkeit in Erscheinung, doch fehlt ihm eine klar umrissene und allgemein anerkannte Bedeutung. Bezieht man allerdings anderssprachige Quellen in die Betrachtung mit ein, so zeigt sich, dass die Nachlassabwicklung schon seit Langem als geschlossener Regelungskomplex wahrgenommen wird. a) Die Europäische Erbrechtsverordnung In den Vorschriften der EuErbVO, die seit 2012 zentrale Quelle des Erbkollisionsrechts ist, findet sich der Begriff der „Nachlassabwicklung“ nicht. Erwähnt wird er insbesondere auch nicht in der „Qualifikationsnorm“ des Art. 23 Abs. 2, die versucht, die Teilaspekte des Erbrechts erschöpfend aufzuzählen, um sie in Verwirklichung des Grundsatzes der Nachlasseinheit geschlossen dem Erbstatut zu unterwerfen.422 Doch liefert der Grundsatz der Nachlasseinheit zugleich die Erklärung für die fehlende Nennung der Nachlassabwicklung. Denn nachdem sich die Verfasser der EuErbVO bewusst gegen deren gesonderte Anknüpfung entschieden hatten, in Abweichung von bestimmten nationalen Traditionen,423 war es folgerichtig, die Reichweite des Erbstatuts so konkret wie möglich zu illustrieren und die Kernlemente der Nachlassabwicklung direkt zu benennen, wie dies in Art. 23 Abs. 2 lit. e), f), g) und j) EuErbVO geschehen ist.424 Zusätzlich dazu auch noch das auf 420
Dazu unten § 6 E.VI.2c) (545 ff.). Siehe die Legaldefinition in § 1968 Abs. 1 BGB-Breslauer Entwurf. 422 Dazu Dutta/Weber/J. P. Schmidt, Internationales Erbrecht, Art. 23 EuErbVO Rn. 1, 10 f. 423 Dazu unten F.II.2.b)(1) (73 ff.). 424 Art. 23 Abs. 2 EuErbVO: „Diesem Recht [d. h. dem nach Art. 21, 22 ermittelten Erbstatut] unterliegen insbesondere: […] e) der Übergang der zum Nachlass gehörenden Vermögenswerte, Rechte und Pflichten auf die Erben und gegebenenfalls die Vermächtnisnehmer, einschließlich der Bedingungen für die Annahme oder die Ausschlagung der Erbschaft oder eines Vermächtnisses und deren Wirkungen; f) die Rechte der Erben, Testamentsvollstrecker und anderer Nachlassverwalter, insbesondere im Hinblick auf die Veräußerung von Vermögen und die Befriedigung der Gläubiger, unbeschadet der Befugnisse nach Artikel 29 Absätze 2 und 3; g) die Haftung für die Nachlassverbindlichkeiten; […] j) die Teilung des Nachlasses.“ 421
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§ 1 Einführung: Gegenstand, Ziele und Methoden der Arbeit
einer mittleren Abstraktionsebene liegende Thema der Nachlassabwicklung zu nennen, ganz gleich unter welcher Bezeichnung, hätte eher Verwirrung als Klarheit gestiftet. An einer Stelle allerdings erfährt die Nachlassabwicklung eine punktuelle Sonderbehandlung, wenngleich nicht unter diesem Namen. Die äußerst komplizierte Vorschrift des Art. 29 EuErbVO nämlich erlaubt es einem Gericht, nach dessen Recht „die Bestellung eines Verwalters […] verpflichtend oder auf Antrag verpflichtend“ ist, dieses Regime dem Erbstatut gewissermaßen „aufzupfropfen“ und somit die lex fori neben dem Erbstatut zur Anwendung zu bringen.425 Die Schaffung des Art. 29 EuErbVO war ein klares Zugeständnis an die englische Kollisionsrechtstradition426 und die auf der Insel geäußerte Sorge, dass die Nachlass abwicklung nach einem ausländischen Erbstatut die Interessen von Register- und Steuerbehörden, von Gläubigern sowie (wegen des Risikos einer persönlichen Haftung) die Interessen der beneficiaries ernsthaft beeinträchtigen würde.427 Die Konzession verfehlte allerdings ihr Ziel, das Vereinigte Königreich zu einer Teilnahme an der EuErbVO zu bewegen.428
In den Erwägungsgründen zur EuErbVO taucht der Ausdruck der „Abwicklung der Erbsache/des Nachlasses“ immerhin mehrfach auf.429 Er hat dann aber nicht eine spezifisch technische Bedeutung, sondern bezeichnet in eher alltagssprachlicher Art die umfassende Erledigung eines Erbfalls in der Praxis. Die „Abwicklung der Erbsache“ erfasst mithin anders als hier nicht nur die materiellrechtliche, sondern auch die prozessuale Seite des Erbgeschehens und schließt sogar rein faktische Vorgänge mit ein. Die tatsächliche Feststellung der Erben zählt bei diesem Verständnis also ebenso zur „Nachlassabwicklung“ wie z. B. die Ermittlung der Nachlassgegenstände, die Berechnung eines Pflichtteilsanspruchs oder die Vornahme einer Registeränderung.430 Derselbe Gebrauch der „Nachlassabwicklung“ findet sich im Schrifttum zur EuErbVO.431 425
6 ff.
426
Näher zu Zielsetzung und Inhalt von Art. 29 EuErbVO Dutta/Weber/R. Magnus, Rn. 3 f.,
Zu dieser noch unten F.II.2.b)(1) (73 ff.). Harris, Trust Law International 22 (2008), 192. Das House of Lords hatte die Ausklammerung der „administration“ schon früh zu einer „roten Linie“ erklärt (Report, Nr. 6; siehe auch ebd., Nr. 70–76). 428 Der Hauptgrund hierfür lag allerdings auf dem Gebiet des Pflichtteilsrechts, siehe Lein, in: Die Europäische Erbrechtsverordnung, Rn. 13 f. 429 Siehe etwa ErwG 67 EuErbVO, der die „zügige, unkomplizierte und effiziente Abwicklung einer Erbsache mit grenzüberschreitendem Bezug“ als Ziel formuliert (Hervorhebung hinzugefügt). Vgl. auch ErwG 23 und 32 EuErbVO, wo die Rede ist von dem Mitgliedstaat, in dem die Erbsache bzw. der Nachlass „abgewickelt wird“. 430 Ein solches Verständnis der „Nachlassabwicklung“ findet sich im Kontext des österreichischen Rechts auch bei Giesinger, Österreichisches Erbrecht, 186–199, der unter dem genannten Begriff z. B. auch die „Todesfallaufnahme“ und die „Kundmachung letztwilliger Anordnungen“ behandelt. Ähnlich weit versteht im französischen Schrifttum Revillard, Rev.crit.dr.int.pr. 1978, 251, den Begriff der „liquidation d’une succession“. 431 Siehe etwa Hess, in: Die Europäische Erbrechtsverordnung, Rn. 1 („koordinierte Abwicklung“, „Abwicklung des gesamten Nachlasses“), Rn. 10 („Abwicklung von Nachlässen“). Solomon, in: Die Europäische Erbrechtsverordnung, Rn. 51 („Rechtsanwender, der mit der Nachlass abwicklung befasst ist“). Früher in diesem Sinne schon Ferid, in: FS Cohn, 31. 427 Siehe
F. Der Begriff der Nachlassabwicklung
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b) Das erbkollisionsrechtliche Schrifttum (1) „Nachlassabwicklung“ und „administration of estates“ In etwas älteren deutschsprachigen Arbeiten zum Erbkollisionsrecht erhält der Begriff der „Nachlassabwicklung“ nicht nur klarere Konturen, sondern auch eine Bedeutung, die mit der hier gebrauchten weitgehend übereinstimmt. So definiert etwa Tiedemann die „Nachlaßabwicklung“ als „Form und Verfahren der Verteilung des Nachlasses“ und fasst hierunter Themen wie Annahme und Ausschlagung, Inventarerrichtung und besondere Verteilungsverfahren.432 Andere Autoren sind weniger explizit, behandeln die „Nachlaßabwicklung“ aber als Gegenstück zur „Nachlaßverteilung“,433 was unmittelbar die Gegenüberstellung von Vollzugs- und Zuweisungsdimension evoziert.434 Fragt man, woher deutsche Autoren die international-privatrechtliche Dichotomie von „Nachlaßabwicklung“ und „Nachlaßverteilung“ genommen haben, stellt sich schnell heraus, dass sie im Erbkollisionsrecht der Common-Law-Tradition wurzelt, das in Anlehnung an die materiellrechtlichen Strukturen klar zwischen der „administration“ auf der einen und der „distribution“ bzw. „succession“ auf der anderen Seite unterschieden hat. Auf die „administration“ des Nachlasses wird stets die lex fori angewendet, auf die „succession/distribution“ hingegen je nach Nachlassgegenstand (beweglich/unbeweglich) das Recht des letzten „domicile“ des Verstorbenen oder der Belegenheitsort der Nachlassgegenstände.435 Die unterschiedlichen Anknüpfungen führen also zu einer sog. „funktionalen Nachlass spaltung“ und machen schon aus praktischen Gründen eine klare Zuweisung der erbrechtlichen Regelungen zu den genannten Kategorien erforderlich. Vereinfacht 432
Tiedemann, Internationales Erbrecht, 74. Berenbrok, Internationale Nachlaßabwicklung, 152–176; Brandi, Haager Abkommen, 4. Kapitel. 434 Zu dieser Dichotomie oben B.I. (6 ff.). 435 Siehe allgemein Ferid, in: FS Cohn, 38; ders., Recueil des Cours 142 (1974-II), 108–111. Für das englische Recht Dicey, Morris & Collins, Rules 143, 149, 150. Für einen vergleichenden Überblick Dutta, RabelsZ 73 (2009), 600; Lübcke, Nachlassverfahrensrecht, 52–61. Vor Ankunft der EuErbVO sah auch das österreichische Recht eine funktionale Nachlassspaltung im genannten Sinne vor: Nach § 28 Abs. 2 IPRG waren bei Durchführung einer Verlassenschaftsabhandlung in Österreich „der Erbschaftserwerb und die Haftung für Nachlaßschulden nach österreichischem Recht zu beurteilen“ (dazu Schippel, in: FS Wirner, 983–985). Das österreichische Schrifttum bezeichnete den der Sonderanknüpfung unterliegenden Gegenstand noch kürzer mit „Erwerb des Nachlasses“ (siehe z. B. Koziol/Bydlinski/Bollenberger2/Neumayr, § 28 IPRG, Rn. 4; Posch, Internationales Privatrecht, Rn. 12/4 („Nachlasserwerb“)). Einen anderen Inhalt hat die Unterscheidung zwischen dem „Erbstatut“ und dem „Eröffnungsstatut“ im Schweizer Erbkollisionsrecht (Art. 92 IPRG), die vereinfacht gesagt der Unterscheidung zwischen materiellem Recht und verfahrensrechtlichen Handlungen wie der Eröffnung von Testamenten oder der Inventarisierung von Nachlässen entspricht (näher Breitschmid/Künzle, Länderbericht Schweiz, 68–70; Süß/Wolf/Dorjee-Good, Schweiz, Rn. 15–20). Die verfahrensrechtlichen Handlungen werden vom Gesetz unter dem Begriff der „Nachlassabwicklung“ zusammengefasst (siehe die amtliche Überschrift zu Art. 92 IPRG). Dieser hat damit eine engere Bedeutung als hier, da er z. B. das Thema des Erbschaftserwerbs nicht erfasst, das stattdessen dem Erbstatut unterliegt. 433
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§ 1 Einführung: Gegenstand, Ziele und Methoden der Arbeit
gesagt, entscheidet das die „distribution“ regelnde Statut die Frage, wer vom Erbfall begünstigt wird, während das Statut der „administration“ entscheidet, wer den Nachlass in Besitz nehmen und verwalten darf, für die Zahlung der Verbindlichkeiten zuständig ist sowie für die Auskehr des Überschusses an die Begünstigungen.436 Dank des großen Einflusses Englands und der USA war der „administration of estates“ beschieden, was der „Nachlassabwicklung“ bislang versagt blieb, dass sie sich nämlich als Begriff im internationalen Diskurs festsetzen konnte. Zeugnis davon gibt neben der englischsprachigen Formulierung des oben erwähnten Art. 29 EuErbVO437 insbesondere die Selbstverständlichkeit, mit der die „administration of estates“ im Schrifttum als Systemkategorie gebraucht wird.438 Ihr Einfluss strahlte sogar weit in die französische Kollisionsrechtswissenschaft hinein, wo, ganz im Gegensatz zur Rechtsvergleichung, die traditionellen Kategorien der „transmission de la succession“ bzw. der „transmission successorale“ schon vor Jahrzehnten zugunsten der „administration des successions“ aufgegeben wurden.439 Ganz im Sinne der oben definierten Vollzugsdimension des Erbrechts verstand der namhafte französische Kollisionsrechtler Georges Droz darunter „ce qui se passe entre le moment du décès et le moment où les héritier, les légataires ou les creanciers successoraux obtiennent définitivement leur dû, et cela recouvre pour les droits continentaux la question de transmission héréditaire“.440 Wie gesehen, hat die französischsprachige Rechtsvergleichung am letztgenannten Begriff festgehalten.441 Im Schrifttum zum materiellen französischen Erbrecht findet sich sogar noch ein weiterer Begriff, nämlich der des „règlement des successions“. Dieser wird mal weit im Sinne der gesamten Nachlassabwicklung verstanden,442 mal eng im Sinne von Nachlassregulierung.443 436 Dicey, Morris & Collins, [26-032]–[26-034]. Cheshire, North & Fawcett, 1325, unterscheidet zwischen „debt-administration“ und „beneficial distribution“. 437 Dieser spricht zwar nicht von der „administration“, aber von dem „administrator of the estate“. 438 Stellvertretend Dutta, RabelsZ 73 (2009), 600–604; siehe auch die Überschrift der „Comments“ zu Art. 21 in MPI-Stellungnahme (637). 439 Siehe etwa Loussouarn, Clunet 1970, 251 f., die auch auf den anglo-amerikanischen Einfluss hinweist und dem Begriff der „administration“ eine gewisse Fremdartigkeit für die französische Rechtsterminologie bescheinigt; Goré, L’administration des successions; Godechot-Patris, L’administration des successions, 87. Im kollisionsrechtlichen Schrifttum Spaniens wird der Begriff der „administración de la herencia“ wie selbstverständlich benutzt von Rodríguez Benot, La administración de la herencia, 9 f. und passim. 440 Droz, Codification du droit international privé des successions, 329; fast identisch die Definition bei Goré, L’administration des successions, 3. 441 Leleu, Transmission, diskutiert terminologische Alternativen noch nicht einmal. 442 Siehe neben der schon diskutierten Terminologie von Egger (oben Fn. 355) etwa Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 748, die den Gegenstand des „règlement successorale“ darin sehen, die erbrechtlichen Anordnungen, die sie im „livre 1“ unter dem Begriff der „dévolution successorale“ untersuchen, zur Ausführung zu bringen. Das „livre 2“ zum „règlement“ behandelt dementsprechend die „option successorale“, die „administration de la succession“ sowie die „distribution de la succession“. 443 So zählt Brown, Tulane LR 33 (1959), 631, zum „règlement des successions“ die Sammlung des Aktivvermögens, die Zahlung von Nachlassverbindlichkeiten sowie die Verteilung des Über-
F. Der Begriff der Nachlassabwicklung
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Mit zum Durchbruch der „administration of estates/administration des successions“ beigetragen haben dürfte die Tatsache, dass diese Begriffe titelgebend für das Haager Übereinkommen von 1973 zur Schaffung eines internationalen Legitimationszeugnisses wurden.444 Denn ungeachtet des engen Anwendungsbereichs445 und bescheidenen Erfolgs dieses Staatsvertrages bot er dem kollisionsrechtlichen Diskurs fortan einen festen Referenzpunkt. Der Siegeszug der „administration of estates“ bzw. „administration des successions“ ist dabei durchaus überraschend. Denn der Begriff vermeidet zwar die Enge des „transfer of the estate“ bzw. der „transmission de la succession“, ist seinerseits jedoch auch nicht treffend. Denn genau wie seine wörtliche deutsche Übersetzung, die „Nachlassverwaltung“, weist er eher auf eine Erhaltung denn auf eine Abwicklung des Nachlasses hin.446 Verständlich wird somit, warum deutsche Autoren nach Alternativen zur „Nachlassverwaltung“ suchten und sich auch nicht davon beirren ließen, dass dieser Begriff titelgebend für die (ohnehin nicht offizielle) deutsche Fassung der Haager Konvention von 1973 wurde.447 Wie oben gesehen, übersetzten eine Reihe von deutschen Autoren die „administration of estates“ frei als „Nachlassabwicklung“, und dieser Begriff hätte auch beinahe Eingang in die Vorschriften der EuErbVO gefunden. Denn Art. 21 des Vorschlags für die EuErbVO,448 der Vorgängerregelung zu Art. 29 EuErbVO, sprach in der deutschen Variante von der „Verwaltung und Abwicklung des Nachlasses“. Hauptgrund für diese Wortwahl dürfte allerdings gewesen sein, dass auch die englische Fassung des Art. 21 Vorschlag-EuErbVO expressiver war, indem sie von der „administration and liquidation of the succession“ (Hervorhebung hinzugefügt) sprach und damit implizit anerkannte, dass der Begriff der „administration“ für die Erfassung der Vollzugsdimension zu eng ist. Dass die „liquidation“ keinen Eingang in die finale Version der EuErbVO fand, lag vermutlich daran, dass deren Art. 29 nicht auf den Vorgang der „administration“ abstellt, sondern auf die Person des „administrator“, schusses und betrachtet den Begriff als das französische Gegenstück zum englischen „winding up of the estate“ (das er somit ebenfalls eng versteht). Siehe ferner etwa Planiol/Ripert, Successions IV, 544 („Règlement définitif du passif“). Pérès/Vernières, Droit des successions, behandeln das „règlement de la succession“ als eigenes Kapitel neben der „dévolution de la succession“ und der „transmission de la succession“. 444 „Convention Concerning the International Administration of the Estates of Deceased Persons“ bzw. „Convention sur l’administration internationale des successions“ v. 2.10.1973 (Text und Ratifikationsstand einsehbar auf der Seite der Haager Konferenz ). 445 Art. 3 des Abkommens sieht immerhin vor, dass die lex fori den Inhaber des Zeugnisses und seine Befugnisse bestimmt, siehe Dutta, RabelsZ 73 (2009), 601. 446 Aus Sicht des französischen Rechts Loussouarn, Clunet 1970, 251 f. Eher im wörtlichen und damit im engeren Sinne wird der Begriff der „administration de la succession“ von Revillard, Rev. crit.dr.int.pr. 1978, 282, verwendet. 447 „Übereinkommen vom 2. Oktober 1973 über die internationale Nachlassverwaltung“, abrufbar unter: . Berther, Die internationale Erbschaftsverwaltung, verwendet denn auch diesen Begriff, versteht ihn aber ausdrücklich gleichbedeutend mit „Nachlassabwicklung“ (3). 448 Verordnungsvorschlag vom 14.10.2009, KOM(2009) 154 endgültig.
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§ 1 Einführung: Gegenstand, Ziele und Methoden der Arbeit
und die Bezeichnung „administrator and liquidator“ den Gesetzesverfassern als zu umständlich erschien. (2) Ferids Begriff des „Erbgangs“ Eine beachtenswerte terminologische Alternative zur „Nachlassabwicklung“ war bereits 1975 von Murad Ferid vorgeschlagen worden, und zwar im Kontext seiner Forderung, de lege ferenda nicht mehr sämtliche erbrechtlichen Fragen einem einheitlichen Statut zu unterwerfen, sondern zwischen der „Erbschaftsverteilung“ und dem „Erbgang“ zu unterscheiden. Letzterer sollte zwecks Vermeidung von Friktionen mit dem Prozessrecht stets der lex fori unterliegen und „alle Vorgänge zwischen dem Erbfall und der Ausschüttung des Nachlasses an die Berechtigten“ erfassen.449 Zum „Erbgang“ in diesem Sinne rechnete Ferid insbesondere den Erbschaftserwerb, die Verhältnisse der Miterben, die Schuldenhaftung und die Testamentsvollstreckung.450 Die Frage hingegen, wer durch den Erbfall begünstigt wird (sei es als Erbe, Vermächtnisnehmer oder Pflichtteilsberechtigter), betrachtete Ferid als Gegenstand der „Erbschaftsverteilung“, die vom Recht der Staatsangehörigkeit oder des letzten Wohnsitzes geregelt werden sollte. Ferids Vorschlag war nach eigener Aussage inspiriert vom 1951 entworfenen, letztlich nie in Kraft getretenen einheitlichen Gesetz über das IPR in den Beneluxstaaten.451 Daneben wies er aber natürlich auch offenkundige Parallelen zur Common-Law-Tradition und ihrer Unterscheidung zwischen „administration“ und „distribution“ bzw. „succession“ auf, und in der Tat betrachtete Ferid die „administration (of estates)“ als das englischsprachige Pendant zum „Erbgang“.452 Das französischsprachige Äquivalent zum „Erbgang“ sah er in der (im Kollisionsrecht wie gesehen mittlerweile überwundenen) „transmission successorale“,453 die auch titelgebend für seinen ein Jahr zuvor gehaltenen Kurs an der Haager Akademie gewesen war.454 3. Zwischenfazit Der Überblick hat nicht nur gezeigt, dass im materiellen deutschen Erbrecht, vor allem aber im Erbkollisionsrecht immer wieder das Bedürfnis hervorgetreten ist, die Vollzugsdimension des Erbrechts als Themenkomplex begrifflich zu erfassen. Auch wurde deutlich, dass die „Nachlassabwicklung“ seit Langem ein Kandidat ist, um diese Lücke zu füllen. Wenn dieser Begriff hier zum Dreh- und Angelpunkt 449
Ferid, in: FS Cohn, 31 f. Ferid, in: FS Cohn, 36. 451 Für Erläuterung und Text siehe Ferid, StAZ 1969, 241–252. Die Sonderanknüpfung des „Erbgangs“ (dieser Begriff wird von der Konvention selbst nicht verwendet) findet sich in Art. 9 Abs. 4. Dazu Ferid, StAZ 1969, 249; ders., Recueil des Cours 142 (1974-II), 165 f.; Berenbrok, Internationale Nachlaßabwicklung, 158 f. 452 Ferid, in: FS Cohn, 31. 453 Ferid, in: FS Cohn, 31. 454 Ferid, Recueil des Cours 142 (1974-II), 71. 450
F. Der Begriff der Nachlassabwicklung
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gemacht wird, wird folglich nicht eine neue Terminologie eingeführt, sondern eine bestehende gefestigt und klarer konturiert. 4. Die Bevorzugung der „Nachlassabwicklung“ gegenüber terminologischen Alternativen Abschließend zu diskutieren sind mögliche terminologische Alternativen zur „Nachlassabwicklung“. Offenkundig unbrauchbar für vergleichende Zwecke ist die BGB-Kategorie der „Rechtsstellung des Erben“, weil sie einen Systembegriff des deutschen Rechts in den Mittelpunkt rückt, der beispielsweise im englischen Recht in dieser Form gar nicht vorhanden ist. Gute Gründe sprachen hingegen dafür, den Begriff des „Erbgangs“ zu wählen, in dem das „Erbgeschehen“ anklingt. Zwar wurde er im deutschen Schrifttum nur von sehr wenigen Autoren übernommen,455 doch hat der Begriff dafür einen prominenten Platz im Schweizer ZGB, wo er der „Zweiten Abteilung“ des Erbrechts den Namen gibt456 und die Titel „Die Eröffnung des Erbganges“, „Die Wirkung des Erbganges“ und „Die Teilung der Erbschaft“ zusammenfasst. Wenn für diese Arbeit dennoch nicht der Begriff des „Erbgangs“ gewählt wurde und auch nicht eine Bezeichnung wie „Die Rechtsfolgen nach dem Erbfall“, dann liegt der Grund darin, dass diese Kategorien ihren Gegenstand letztlich nicht in aussagekräftiger Weise zu charakterisieren vermögen und mithin zu unspezifisch sind.457 Demgegenüber leistet der Begriff der „Nachlassabwicklung“ mehr, als nur 455 Siehe aus dem kollisionsrechtlichen Schrifttum z. B. Deixler-Hübner/Schauer/Mankowski, Art. 23 EuErbVO Rn. 59, der „Erbgang“ und „Nachlassabwicklung“ gleichbedeutend versteht; Zillmann, Die Haftung der Erben, führt den Begriff „Erbgang“ immerhin im Sachregister auf. Hingegen übernimmt Berenbrok, Internationale Nachlaßabwicklung, 152 f., Ferids Begriff des „Erbgangs“ ausdrücklich nicht, sondern spricht stattdessen wie hier von „Nachlaßabwicklung“. Lübcke, Nachlassverfahrensrecht, 52, gebraucht den Begriff „Übergang der Rechte und Pflichten des Erblassers auf die Erben“, der aber wie gesehen zu eng ist. Im Schrifttum zum materiellen deutschen Erbrecht findet sich der Begriff des „Erbgangs“ bisweilen in nicht näher spezifizierter Bedeutung, siehe z. B. Osthold, Erben und Haftung, 88 („[…] die Vorstellungen über den Erbgang […]“); Kunz, ErbR 2020, 320 („Das deutsche Recht unterscheidet […] nicht zwischen Anfall der Erbschaft, deren Antritt und Erbgang […]“). Bei Staudinger/Kunz (2020), Vorbem zu §§ 1967 ff Rn. 201, wird „Erbgang“ offenbar im Sinne von Modus des Nachlasserwerbs verstanden. Auch im österreichischen Erbrecht spielt der Begriff des „Erbgangs“ nur eine untergeordnete Rolle. Er tritt allein in Gestalt der „Erbgangsschulden“ in Erscheinung, womit diejenigen Verbindlichkeiten bezeichnet werden, die im Rahmen des Verlassenschaftsverfahrens entstehen, also etwa die Kosten der Inventarerrichtung oder des Gerichtskommissärs; siehe Eccher/Umlauft, Erbrecht, § 8 Rn. 3. Im schweizerischen Recht bezeichnen die „Erbgangsschulden“ hingegen in einem weiteren Sinne alle Verbindlichkeiten, die durch den Tod des Erblassers entstehen (Breitschmid/Eitel/Fankhauser/Geiser/Rumo-Jungo, Erbrecht, Rn. 5/42), also die „Erbfallschulden“ im Sinne der deutschen Dogmatik (siehe oben Fn. 47). 456 Möglicherweise hatte Ferid den Begriff auch von hier übernommen. In einem weiten Sinne gebraucht ihn auch Fenyves/Kerschner/Vonkilch/Schauer, Vor § 531 ABGB, Rn. 31. 457 Wo die Schweizer Rechtslehre den „Erbgang“ definiert als „jene[n] Vorgang, mit dem die Rechte und Pflichten des Verstorbenen auf die Erben übergehen“ (Breitschmid/Eitel/Fankhauser/ Geiser/Rumo-Jungo, Erbrecht, Rn. 5/1; ähnlich Wolf/Hrubesch-Millauer, Grundriss, Rn. 1216 f.;
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§ 1 Einführung: Gegenstand, Ziele und Methoden der Arbeit
Sammelkategorie für eine Vielzahl von rechtlichen Vorgängen zu sein, indem er zugleich die Zielrichtung dieser Vorgänge zum Ausdruck bringt, nämlich die Auflösung des Nachlasses als Zuordnungsverband.
III. Mögliche Einwände Ungeachtet der vorgenannten Gründe für die Wahl des Begriffs der Nachlassabwicklung wird seine Geeignetheit für die vorliegenden Zwecke durch zwei verbreitete rechtsvergleichende Dichotomien grundlegend in Zweifel gezogen. Denn diesen Klassifizierungen zufolge wäre der Begriff der Nachlassabwicklung von vornherein gar nicht weit genug, um sämtliche existierenden Erbrechte zu erfassen. Indessen wird sich erweisen, dass es die etablierten Zweiteilungen sind, die aufgegeben werden müssen. 1. Die verfehlte Gegeneinandersetzung von „Abwicklung“ und „Fortsetzung“ Nach der ersten Dichotomie charakterisiert der Vorgang einer „Abwicklung“ allein die englische Rechtstradition, während die kontinentalen Rechtsordnungen durch die Idee der „Fortsetzung“ gekennzeichnet sind.458 Wie jedoch leicht zu zeigen ist, handelt es sich hierbei um einen falschen Gegensatz, weil beide Rechtstraditionen sowohl dem Gedanken der Fortsetzung als auch dem der Abwicklung verpflichtet sind. Ursache des Irrtums ist eine unzureichende Differenzierung zwischen dem Schicksal der Rechtsbeziehungen und dem Schicksal des Nachlasses als Zuordnungsverband. Was die Rechtsbeziehungen angeht, sind englische und kontinentale Tradition gleichermaßen durch den Gedanken der Fortsetzung geprägt, in dem auch nichts weniger als die Essenz des Erbrechts liegt. Selbst die Tatsache, dass die englische Nachlassabwicklung besonderes Augenmerk darauf legt, die Erblasserschulden durch Tilgung zum Erlöschen zu bringen, ändert hieran nichts. Denn eine solche Tilgung setzt ja gerade voraus, dass diese Rechtsverhältnisse die Existenz ihres bisherigen Trägers überdauern. Zudem dürfen die oft gezogenen Parallelen zum Gesellschafts- und Insolvenzrecht459 nicht zu der Fehlvorstellung verleiten, dass ein personal representative zwingend die gesamten Aktiva in Geld umzusetzen habe und das englische Erbrecht daher keine wertvollen Vermögenseinheiten wie z. B. Unternehmen erhalten könne.460 Vielmehr findet eine Versilberung immer nur insoweit statt, als es der Schaffung von Liquidität bedarf.461 Wolf/Genna, SPR IV/2, 3), verleiht sie ihm zwar klare Umrisse, verengt ihn aber auch deutlich und wird damit der Terminologie des ZGB nicht mehr gerecht. Denn der „Erwerb der Erbschaft“ bildet nur einen Unterabschnitt im Titel über die „Wirkung des Erbgangs“. 458 Siehe oben D. (19 ff.). 459 Siehe oben Fn. 129. 460 Eine derartige Pflicht zur vollständigen Versilberung insinuieren etwa Pringsheim, Succession, 672; Reif, in: 4. Denkschrift, 43; Windel, Modi der Nachfolge, 3. 461 Dies stellt auch Pringsheim, Succession, 707, klar.
F. Der Begriff der Nachlassabwicklung
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Was sodann den Nachlass als Zuordnungsverband angeht, ist es natürlich zutreffend, dass das englische Recht auf dessen Abwicklung ausgerichtet ist (wobei es auch dazu wieder im ersten Schritt einer Fortsetzung bedarf!). Aber dasselbe Ziel kennzeichnet die kontinentalen Regime, und zwar auch dort, wo kein gesondertes Verfahren zu diesem Zweck stattfindet.462 Denn dass beispielsweise der deutsche Alleinerbe in den gesamten unbereinigten Nachlass eintritt, ändert nichts daran, dass dieser als Zuordnungsverband zu existieren aufhört.463 Die sofortige Verschmelzung des Nachlasses mit dem Erbenvermögen bedeutet nicht das Fehlen einer Abwicklung,464 sondern ist gerade die radikale Form ihrer Umsetzung. Und wird der Nachlass als Zuordnungsverband durch eine Nachlassverwaltung oder ein Nachlassinsolvenzverfahren rückwirkend wieder „zum Leben erweckt“, dann allein zu dem Ziel, ihn nun schrittweise aufzulösen. Schließlich bedeutet auch der Umstand, dass das deutsche Erbrecht Situationen kennt, in denen der Nachlass über sehr lange Zeiträume als „spezifisches Zweckvermögen“ fortbesteht,465 nicht, dass das BGB in diesem Sinne dem Gedanken der Fortsetzung verpflichtet wäre. Denn im Fall, dass eine solche Nachlassperpetuierung auf der letztwilligen Anordnung einer Dauertestamentsvollstreckung466 oder Vor- und Nacherbschaft467 beruht, hat der Gesetzgeber durch Setzung zeitlicher Grenzen (die freilich sehr großzügig bemessen sind468) bewusst dafür gesorgt, dass die Auflösung des Nachlasses als Zuordnungsverband nur aufgeschoben wird. Und wenngleich im Fall der Erbengemeinschaft eine solche zeitliche Schranke fehlt469 und die Miterben daher theoretisch für unbegrenzte Zeit von einer Auseinandersetzung absehen können, sei es aus Trägheit, wegen fehlenden Einigungswillens oder weil sie sich hiervon Vorteile versprechen (wie z. B. im Fall der unternehmenstragenden Erbengemeinschaft470), handelt es sich um Abweichungen vom gesetzli-
462 Dies erkennt aus US-amerikanischer Sicht zutreffend Scoles, Missouri LR 48 (1983), 373: „In both systems, the process is one of liquidation […]“. 463 Der Erbe tritt deshalb genau genommen nicht in „den Nachlass“ ein, sondern in die in ihm enthaltenen Rechte und Pflichten. 464 So aber z. B. Osthold, Erben und Haftung, 160. 465 Dazu Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 18 f., 36–46. 466 § 2 209 BGB. Zum Charakter des Nachlasses als Sondervermögen bei Testamentsvollstreckung Staudinger/Marotzke (2008), § 1922 Rn. 80; Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 228 f.; Röthel, Erbrecht, § 35 Rn. 2; Löhnig, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 26. 467 Zur „Verfangenheit des Nachlasses“ in diesem Fall Muscheler, Erbrecht II, Rn. 2484 ff.; ferner Staudinger/Marotzke (2008), § 1922 Rn. 79. 468 §§ 2109, 2210 BGB (jeweils 30 Jahre seit dem Erbfall). 469 Während der Ausschluss der Auseinandersetzung durch den Erblasser immerhin der zeitlichen Grenze von 30 Jahren unterliegt (§ 2044 Abs. 1 S. 1 BGB) und nur schuldrechtliche Wirkungen entfaltet (Röthel, Erbrecht, § 32 Rn. 67), können die Miterben für unbegrenzte Dauer einen dinglich wirkenden Teilungsausschluss vereinbaren; die Aufhebung aus wichtigem Grund bleibt davon freilich unberührt (§§ 2042 Abs. 2, 749 Abs. 2 BGB). Schließlich können die Miterben dort, wo kein Verbot der Auseinandersetzung besteht, auch freiwillig von ihr absehen. 470 Dazu etwa K. Schmidt, NJW 1985, 2785–2793; eingehend Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 330–519.
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chen Leitbild der Erbengemeinschaft als Liquidationsgemeinschaft.471 Der Dauerfortführung der Erbengemeinschaft kommt daher keine systemprägende Kraft zu, und nicht zufällig wird ihre Zulässigkeit rechtspolitisch seit Langem infrage gestellt. Pointiert lässt sich daher sagen, dass die Fortsetzung des Nachlasses als Sondervermögen nach der Konzeption des BGB letzten Endes immer eine „Fortsetzung zur Abwicklung“ ist, genau wie im englischen Recht. Und dass die werbende Fortführung von Nachlässen solche praktischen und dogmatischen Schwierigkeiten bereitet, hat seinen Grund eben genau darin, dass das Erbrecht des BGB hierauf nicht ausgerichtet ist.472 Nach allem ist der Unterschied zwischen englischer und kontinentaler Tradition nicht in einem Gegensatz zwischen „Fortsetzung“ und „Abwicklung“ zu sehen, sondern in der jeweiligen Ausgestaltung der Nachlassabwicklung. Dies führt freilich zu dem zweiten denkbaren Einwand gegen die Tauglichkeit des Begriffs der Nachlassabwicklung, nämlich dass er einen gewissen Organisationsgrad impliziert, der zumindest dem „chaotischen“ Vorgang der Vermögensverschmelzung auf den ersten Blick nicht bescheinigt werden kann. 2. Die verfehlte Gegeneinandersetzung von „organisierter“ und „unorganisierter“ Abwicklung Wie oben gesehen, besteht eine andere in der Erbrechtsvergleichung häufig anzutreffende Dichotomie im Gegensatz von „organisierter“ und „unorganisierter Abwicklung“.473 Ob letztgenannter Begriff ein Oxymoron ist, kann hier dahinstehen. Denn entscheidend ist die Frage, ob die Art und Weise, wie etwa das deutsche Recht im Fall des Alleinerben die Existenz des Nachlasses beendet, sich noch unter den Begriff der „Abwicklung“ fassen lässt. Wäre dies zu verneinen, wäre die „Nachlassabwicklung“ für einen fruchtbaren Rechtsvergleich zu eng und somit zu verwerfen. Indessen ist aus zwei Gründen auch der beim deutschen Alleinerben eintretenden Vermögensverschmelzung ein organisierter Charakter zu bescheinigen. Zum Ersten werden dadurch, dass nach § 1922 BGB der Nachlass zwingend „als Ganzes“ übergeht und somit sämtlich Aktiva und Passiva in einer Hand vereinigt bleiben, die Voraussetzungen für eine geordnete Verteilung unter den Nachlassgläubigern geschaffen und zwar insbesondere für eine Wahrung des Vorrangs von Erblassergläubigern vor Begünstigten. So lässt das BGB den Erwerb aufgrund letztwilliger 471 Siehe nur etwa BGH NJW 2002, 3389 (3390); Eberl-Borges, Erbauseinandersetzung, 36; Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 338 f., 408–410; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3853. Mit der Charakterisierung der Erbengemeinschaft als Liquidationsgemeinschaft ist hier keine Stellungnahme zur Frage beabsichtigt, ob die Erbengemeinschaft rechts- und parteifähig sein kann. Dazu unten § 8 B.III.4c) (666 ff., Fn. 216). 472 Monographisch Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen. Zu den bei Fortführung eines einzelkaufmännischen Unternehmens entstehenden Problemen unten § 6 E.II.2. (450 ff.), IV.5a) (516 ff.). 473 Siehe oben D. (19 ff.).
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Einzelzuwendung auch dort nur über den Umweg des Erben eintreten,474 wo ein Direktübergang auf den Vermächtnisnehmer technisch ohne Weiteres möglich wäre, nämlich bei Zuwendung einer dem Erblasser gehörenden Sache oder einer ihm zustehenden Forderung. Ist die Gesamtnachfolge somit zwar Mittel zur Nachlassverteilung, bremst sie diese zugleich ab. Zum Zweiten ist die im Fall des Alleinerben eintretende Vermögensverschmelzung nicht isoliert zu betrachten, sondern als Teil eines Gesamtkonzepts zu verstehen. Denn das BGB kann sich diese Art der Nachlassabwicklung nur dadurch erlauben, dass es ihr andere Verfahren an die Seite stellt, mittels derer der Erbe oder die Nachlassgläubiger die Rechtsfolgen der Vermögensverschmelzung bei Bedarf abwenden können. Deren organisierter Charakter zeigt sich mit anderen Worten in ihrer fakultativen Natur, in der Existenz eines „Notausgangs“. Was schließlich die Nachlassabwicklung im Fall der deutschen Erbengemeinschaft angeht, so könnte man versuchen, ihr den organisierten Charakter mit dem Argument abzusprechen, dass den Miterben keine Vorgaben zur Auseinandersetzung gemacht sind und sie daher beispielsweise den Nachlass auch teilen können, ohne ihn zuvor von Verbindlichkeiten befreit zu haben. Doch abgesehen davon, dass auch hier die Nachlassverwaltung und Nachlassinsolvenz als Ausweichoptionen im Hintergrund stehen, wird der Abwicklung durch mehrere Erben genau wie im Fall des Alleinerben mittels bestimmter materiellrechtlicher Strukturen geordneter Charakter verliehen. So hat der BGB-Gesetzgeber erstens dadurch, dass er die Erbengemeinschaft in Abweichung von der gemeinrechtlichen Tradition nicht als Bruchteils-, sondern als Gesamthandsgemeinschaft ausgestaltet hat, dem Interesse der Erblassergläubiger an dem Erhalt des Haftungsfonds Rechnung getragen.475 Zweitens hat der Gesetzgeber zumindest indirekt auf den Vorrang der Nachlassbereinigung hingewirkt und diesem damit Leitbildcharakter verliehen.476 Denn nicht nur können sich die einzelnen Miterben im Innenverhältnis auf ihn berufen und damit einer verfrühten Teilung widersprechen.477 Auch setzt der mit der Teilung verbundene Verlust der durch § 2059 Abs. 1 S. 1 BGB gewährten Haftungsbeschränkung den Anreiz, keine Verbindlichkeiten stehen zu lassen.478 Festzuhalten ist damit, dass jedenfalls in einem deutsch-englischen Vergleich die Dichotomie von „organisierter“ und „unorganisierter“ Abwicklung versagt und stattdessen zwischen verschiedenen Formen und Intensitätsgraden der Organisation zu unterscheiden ist. Bei näherem Hinsehen fällt denn auch auf, dass es nicht 474 § 2174 BGB. Zu haftungsrechtlichen Implikationen eines in vielen heutigen Rechtsordnungen noch vorgesehenen Vindikationslegats unten § 8 A.III.2. (643 ff.). 475 Dazu unten § 8 B.III. (657 ff.). 476 Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 342, 414. 477 Siehe §§ 2046, 2047 BGB. 478 Nach vollzogener Teilung findet eine Haftungsbeschränkung nur noch unter den Voraussetzungen des § 2060 BGB statt, und die Beantragung der Nachlassverwaltung ist ausgeschlossen (§ 2062 BGB). Diesen Regelungen wird oft Strafcharakter zugeschrieben, siehe etwa Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1288 f.; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3812; aus französischer Sicht Percerou, RTD Civ. 4 (1905), 858, 860. Kritisch zu dieser Sichtweise Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 114 f.
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deutsche Autoren sind, die sich der Zweiteilung von „organisierter“ und „unorganisierter“ Abwicklung bedienen, sondern in erster Linie französische, denen ihr eigenes Recht vor Augen steht. Und in der Tat erweckt die französische Nachlass abwicklung einen vergleichsweise „chaotischen“ Eindruck, vor allem in ihrer im Code civil von 1804 niedergelegten Fassung. So tendierte sie sehr stark in Richtung einer unwiderruflichen Vermögensverschmelzung, die sich im Fall einer Mehrheit von héritiers im Entstehen einer Bruchteilsgemeinschaft mit automatischer Teilung der Verbindlichkeiten äußerte.479 Indem der Testator dinglich wirkende Einzelzuwendungen anordnen konnte, war zudem nicht einmal der gebündelte Übergang von Aktiva und Passiva sichergestellt.480 Vor allem die Erblassergläubiger, aber auch die Rechtsnachfolger, mussten folglich eine erhebliche Beeinträchtigung ihrer Interessen befürchten. Und doch ist nicht zu verkennen, dass schon die ursprüngliche Version des Code civil jedenfalls Bruchstücke einer geordneten Nachlassabwicklung enthielt, insbesondere indem sie sowohl den héritiers als auch den Nachlassgläubigern Mittel zur Verfügung stellte, um die Vermögensverschmelzung abzuwenden.481 Und dank der tatkräftigen Bemühungen der französischen Gerichte und des Gesetzgebers haben diese Ansätze während der letzten 200 Jahre einen erheblichen Ausbau erfahren. So wurden etwa Lösungen entwickelt, um Nachlassgläubigern die Vollstreckung in den ungeteilten Nachlass zu ermöglichen und die per Einzelzuwendung übergegangenen Gegenstände zur Schuldentilgung heranzuziehen.482 Zwar kann keine Rede davon sein, dass das heutige Recht denselben Organisationsgrad erreicht hätte wie sein deutsches Pendant, weil insbesondere Kollektivverfahren wie die Nachlassverwaltung und das Nachlassinsolvenzverfahren jenseits des Rheins bis heute nicht voll ausgebildet wurden. Doch entbehrt der Vorwurf einer gänzlich „unorganisierten“ Abwicklung der Grundlage.
IV. Erbrecht als „Nachlassrecht“ Die Erfassung des erbrechtlichen Geschehens unter dem Begriff der Nachlassabwicklung impliziert einen Wechsel der nicht nur deutschen Laien, sondern auch deutschen Juristen gewohnten Perspektive auf das Erbrecht: weg von den Begünstigten und hin zum Nachlass. Nach der ersten Sichtweise ist die Nachlassabwicklung bloßes Mittel zur Begünstigung; nach der zweiten ist die Begünstigung Mittel zur Erreichung des Ziels, den Nachlass als Rechtsproblem zu beseitigen. Wenig überraschend ist die zweitgenannte Perspektive als Folge der materiellrechtlichen Strukturen in der englischen Rechtstradition schon lange etabliert. Nicht die heirs oder beneficiaries stehen bei rechtlicher Betrachtung im Fokus, sondern der estate, den es abzuwickeln gilt. Deutlichen Ausdruck findet diese Sicht479
Eingehend zu diesen Themen unten § 7 B.VI. (602 ff.); § 8 B.IV.1. (669 ff.). Näher dazu unten § 5 C.II.1. (325 ff.). 481 Dazu eingehend unten § 6 C. (384 ff.). 482 Dazu unten § 5 C.II.2f)(2) (360 ff., Fn. 286). 480
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weise in dem Namen und in der Systematik des umfangreichsten Gesetzgebungsaktes auf dem Gebiet des englischen Erbrechts483, dem „Administration of Estates Act“ aus dem Jahr 1925.484 Dieser regelt zwar auch die Verteilung des Überschusses bei Fehlen eines Testaments, in deutscher Diktion also das Intestaterbrecht. Jedoch stehen die betreffenden Vorschriften weder an sonderlich prominenter Stelle,485 noch hat ihr Gegenstand Niederschlag im Titel des Rechtsakts gefunden. Dies unterstreicht, dass die Verteilung des bereinigten Nachlasses, die „distribution“, eben nur die letzte und abschließende Phase der „administration“ ist.486 Während allerdings in England immerhin das Erbrecht als Materie weiterhin mit dem Vorgang der Nachfolge, also der „succession“, bezeichnet wird,487 hat sich in den USA die Nachlassperspektive vollständig durchgesetzt: Das Erbrecht wird hier als das Rechtsgebiet bezeichnet, das es mit „estates“ zu tun hat.488 Auch in Österreich liefern die materiellrechtlichen Strukturen die Erklärung dafür, dass im ABGB seit jeher nicht der „Erbe“, sondern die „Verlassenschaft“ an der Spitze des Erbrechts steht.489 Denn weil der Nachlass erst mit der gerichtlichen Einantwortung auf den oder die Erben übergeht, besteht die Notwendigkeit, ihn in der Zwischenzeit als eigenständige Vermögensmasse zu behandeln. Daneben war die Entscheidung der Verfasser des ABGB, den Nachlass zum Angelpunkt des Erb rechts zu machen, aber auch dem Einfluss der deutschrechtlichen Tradition geschuldet.490 In dieser bildete nach den prägnanten Worten von Heinrich Mitteis 483 Das englische Erbrecht ist heute zwar in weiten Teilen gesetzlich geregelt, aber nicht umfassend kodifiziert (siehe auch Pringsheim, Succession, 680; F. Odersky, Abwicklung, 5 (Fn. 1)). Der neben dem seit 1925 mehrfach reformierten „Administration of Estates Act“ wichtigste andere Gesetzesakt auf dem Gebiet des Erbrechts ist der von 1837 stammende und seither ebenfalls mehrfach reformierte „Wills Act“, dazu Kerridge, Testamentary Formalities, 312–316. Vorschriften zum Erbverfahrensrecht finden sich in verstreuter Form im „Senior Courts Act“ von 1981 (sec. 105–128) und in den „Non-Contentious Probate Rules“ von 1987. Das Recht bedürftiger Angehöriger auf Unterhaltsleistung in Form einer „family provision“ ist im „Inheritance (Provision for Family and Dependents Act) 1975“ geregelt. Ungeachtet des inzwischen breiten Stamms an Gesetzesrecht haben zahlreiche wichtige Regelungen des Erbrechts ihre Grundlage nach wie vor im Richterrecht, das oftmals Jahrhunderte zurückreicht. 484 Siehe auch Pringsheim, Succession, 680, mit einem Überblick über die Systematik. 485 Siehe sec. 45–52 AEA. Ausführlich dazu Kerridge, Intestate Succession, 323–348. 486 Nach Kerridge, Law of Succession, [23-01], ist der „process of administration“ im engeren Sinne mit Bereinigung des Nachlasses abgeschlossen und die Auskehr des Überschusses nicht mehr erfasst. Siehe auch Häcker, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 214. 487 Siehe etwa Margrave-Jones, Mellows: Law of Succession; Miller, Machinery of Succession; Kerridge, Law of Succession. 488 Heutzutage wird von „estates“ allerdings typischerweise in Verbindung mit „wills“ und „trusts“ gesprochen, siehe etwa: Sitkoff/Dukeminier, Wills, Trusts, and Estates; McGovern/ Kurtz/English/Gallanis, Wills, Trusts and Estates. Insbesondere mit dem Buch von Rheinstein (dazu unten am Ende von F.IV. (84 f.)) finden sich jedoch auch Werke, in denen der „estate“ allein titelgebend ist. 489 § 531 ABGB: „Die Rechte und Verbindlichkeiten eines Verstorbenen bilden, soweit sie nicht höchstpersönlicher Art sind, dessen Verlassenschaft.“ (Durch die Reform von 2015 wurde die Redaktion gegenüber der ursprünglichen Fassung leicht geändert.) 490 Näher zu diesem Einfluss Fenyves, Erbenhaftung und Dauerschuldverhältnis, 23–25.
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nicht „der Erbe, sondern das Erbe“ den Ausgangspunkt,491 was seinen Grund zum einen in der Spaltung des Nachlasses in verschiedene Teilmassen492 und dem daraus resultierenden Fehlen eines Gesamtnachfolgers hatte, zum anderen auch in dem Umstand, dass eine Haftung für Verbindlichkeiten nur über die Nachlassgegenstände vermittelt wurde.493 Wenn hingegen das heutige deutsche Erbrecht in erster Linie von der Figur des „Erben“ her gedacht wird (was schon die Gliederung des 5. Buches zum BGB deutlich macht), dann entspricht dies ebenfalls den zugrunde liegenden materiellrechtlichen Strukturen. Denn indem das vererbliche Vermögen im deutschen Recht stets „als Ganzes“ und ohne weiteres Zutun auf den oder die Erben übergeht, können Nachlass und Erbe gar nicht auseinanderfallen.494 Zudem kommt es, wie oben gesehen, im Fall des Alleinerben zu einem sofortigen (wenngleich nur provisorischen) „Verschwinden“ des Nachlasses als Vermögensverband. Schließlich liegt die Erbenperspektive natürlich auch aus einem wirtschaftlich-sozialen Blickwinkel nahe, tritt doch in all jenen Fällen, in denen die Nachlassaktiva die -passiva deutlich übersteigen, die Relevanz der Vollzugsdimension stark in den Hintergrund. Und dennoch ist nicht zu bestreiten, dass die Erbenperspektive auch in einem rein deutschen Kontext der Erkenntnis mitunter im Wege steht. So verstellt sie beispielsweise den Blick darauf, dass der Nachlass bei Vorhandensein mehrerer Erben ein Sondervermögen bildet, das nach der Vorstellung des Gesetzgebers geordnet auseinandergesetzt werden soll. Auch ist offenkundig, dass die Erbenperspektive schlecht auf Fälle passt, in denen der Nachlass überschuldet ist und es deshalb zu einem Insolvenzverfahren kommt. Denn weder ist der Erbe dann der zentrale Akteur, noch gibt es Überschüsse zu verteilen. Ein Blick in das deutsche Erbverfahrensrecht zeigt denn auch, dass hier die Nachlassperspektive schon lange maßgeblich ist. Als „Nachlasssachen“ werden alle dem „Nachlassgericht“ zugewiesenen Aufgaben bezeichnet.495 Ob ein solcher Perspektivwechsel auch für das materielle deutsche Erbrecht angezeigt ist, kann an dieser Stelle dahinstehen. Denn klar ist in jedem Fall, dass die Erbenperspektive für vergleichende Zwecke von vornherein ungeeignet ist, weil sie erstens zu eng ist und zweitens mit der Figur des „Erben“ einen Referenzpunkt wählt, der zu stark durch nationale Vorverständnisse geprägt ist. Nur spekulieren lässt sich darüber, ob die genannten Gründe auch den Ausschlag für Max Rheinstein gaben, sein Erbrechtslehrbuch, das sich zwar an US-amerikanische Studenten richtet, aber durchgehende Bezugnahmen auf andere Rechtsordnungen der Vergangenheit 491
Mitteis/Lieberich, Deutsches Privatrecht, 161. Siehe auch unten § 3 A.V. (176 ff.). Dazu unten § 3 B.I. (179 ff.). 493 Dazu unten § 4 A.II.2. (247 ff.). 494 Zumindest wenn man die Ausnahmefälle der §§ 84, 1923 Abs. 2 BGB außer Betracht lässt, bei denen der Nachlass zwischenzeitlich ohne Träger ist, dazu unten I.II.2a) (106 ff.). 495 Siehe heute §§ 345–362 FamFG. An die verfahrensrechtliche Terminologie knüpft auch der (nicht näher erläuterte) Titel des von Firsching begründeten und von Graf fortgeführten Werks „Nachlassrecht“ an, das allerdings in neueren Auflagen auch Fragen des materiellen Rechts behandelt. 492
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und Gegenwart enthält, „The Law of Decedents’ Estates“ zu nennen.496 Denn leider erläuterte Rheinstein die Wahl dieses Titels nicht näher, sondern wies nur darauf hin, dass er gleichbedeutend mit „The Law of Succession“ oder „The Law of Inheritance“ zu verstehen sei.497 Zwar stellte die Anknüpfung an den „estate“ keinesfalls ein Novum in der amerikanischen Erbrechtsliteratur dar.498 Doch passte dieser Ansatz vortrefflich zu dem von Rheinstein verfolgten Konzept.499
G. Die Taxonomie der Nachlassabwicklung I. Das Spektrum der Formalisierung Nach der bisherigen Darstellung lassen sich die in den nationalen Erbrechten anzutreffenden Modi der Nachlassabwicklung auf einem Spektrum der Formalisierung ansiedeln. An das obere Ende wären Regelungen wie die des US-amerikanischen Rechts oder des früheren österreichischen Rechts zu platzieren, die nicht nur den Nachlass als Sondervermögen behandeln, sondern die gesamte Abwicklung einer engmaschigen staatlichen Aufsicht unterwerfen. Etwas darunter würde sich beispielsweise das deutsche Nachlassinsolvenzverfahren finden, das zwar ebenfalls einen starken gerichtlichen Einschlag hat, dem Insolvenzverwalter aber mehr Freiheit in der Durchführung der Abwicklung lässt. Noch weiter darunter wäre das heutige englische Recht zu setzen, das zwar niemals eine sofortige Vermögensverschmelzung eintreten lässt und den personal representative als Nachlassabwickler begrifflich verselbständigt, ihn aber weitgehend ohne gerichtliche Intervention agieren lässt. Das untere Ende des Spektrums würde durch Regelungen gebildet, die eine Abwicklung mittels sofortiger Vermögensverschmelzung herbeiführen, wobei sich aber auch hier noch Differenzierungen vornehmen lassen. So weist die deutsche Regelung dadurch, dass sie im Unterschied etwa zur französischen keine dinglich wirkenden Einzelzuwendungen zulässt und somit immerhin alle Nach lassaktiva in die Verschmelzung „hineinzieht“, einen höheren Organisationsgrad auf als ihr französisches Gegenstück. Ein offenkundiger Vorzug einer solchen gleitenden Skala der Nachlassabwicklung liegt darin, dass sie es ermöglicht, auch solche Regime der Nachlassabwicklung zueinander in Bezug zu setzen, die sich inhaltlich sehr stark voneinander un496 Die erste Auflage aus dem Jahr 1949 trug noch den Titel „Cases and Other Materials on the Law of Decendents’ Estates“. 497 Siehe Rheinstein/Glendon, Decendents’ Estates, 2 (Fn. 1). Im Vorwort zu Rheinstein, Cases and Other Materials, iii, wird gesagt, dass der Gegenstand des Buches in vielen law schools unter dem Titel „Wills“ gelehrt werde. 498 Siehe etwa schon das 1825 erschienene Werk von Gordon „A treatise on the law of Pennsylvania, relating to the estates of decedents“. 499 Vgl. auch Rheinsteins ausdrücklichen Hinweis im Vorwort zur 1. Auflage (iv) auf die von ihm durchgehend befolgte „functional method“, wobei er damit nicht allein die rechtsvergleichende Dimension seines Buches meinte. Zur ausgeprägt gesetzgeberischen Perspektive des Werks Rinck, Max Rheinstein, 105.
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terscheiden. Überwunden wird insbesondere die in der herkömmlichen Rechtsvergleichung oftmals für unüberwindbar gehaltene Unterscheidung zwischen Civil Law und Common Law. Doch ist die Weite der „Abwicklungsskala“ zugleich ein Problem, weil sie es erschwert, einem Vergleich klare Konturen zu verleihen. Aus diesem Grund empfiehlt es sich, die Skala durch verschiedene Binnendichotomien zu ergänzen. Eine davon, nämlich die Unterscheidung zwischen staatsnaher und staatsferner Abwicklung, wurde oben bereits vorgestellt. Weitere sind im Folgenden darzulegen, insbesondere die für diese Arbeit zentrale Unterscheidung zwischen gesonderter und integrierter Abwicklung.
II. Binnendifferenzierungen 1. Eigenabwicklung vs. Fremdabwicklung Die Unterscheidung zwischen Eigenabwicklung und Fremdabwicklung spielte bereits bei Erörterung des englischen Rechts eine Rolle und wurde dort im Sinne einer personellen Verknüpfung bzw. Entkoppelung von Abwicklungszuständigkeit und Begünstigung verstanden. Dies bedarf in mehrfacher Hinsicht einer Klarstellung. a) Die maßgebliche Perspektive Wenn die Unterscheidung zwischen Eigenabwicklung und Fremdabwicklung die notwendige Stabilität erhalten soll, ist zu entscheiden, auf welche(n) Begünstigten es ankommt. Denn würde man die Perspektive eines jeden von ihnen für maßgeblich erklären, käme man häufig zu einer Gleichzeitigkeit von Eigenabwicklung und Fremdabwicklung. Ist beispielsweise ein deutscher Erbe einem Vermächtnis- und einem Pflichtteilsanspruch ausgesetzt, würde aus seiner eigenen Sicht als Residualbegünstigter eine Eigenabwicklung vorliegen, aus Sicht des Legatars und des Pflichtteilsberechtigten hingegen eine Fremdabwicklung. In dieser Arbeit wird grundsätzlich allein die Sichtweise des Residualbegünstigten als maßgeblich erachtet, nicht nur, weil er typischerweise der Hauptbegünstigte ist, sondern auch, weil die Verknüpfung von Residualbegünstigung und Abwicklerrolle jedenfalls in den kontinentalen Rechtsordnungen den Regelfall bildet. Eine abweichende Sichtweise ist dort geboten, wo im konkreten Fall die Hauptbegünstigung ausnahmsweise einer anderen Person zufällt. Wird etwa einem deutschen Erben ein Universalvermächtnis auferlegt,500 wird er zum reinen Abwickler degradiert, während dem Vermächtnisnehmer funktional die Rolle des Residualbegünstigten zufällt. Seine Perspektive sollte deshalb maßgeblich sein, so dass eine Fremdabwicklung vorläge.
500 Dazu Lange/Kuchinke, Erbrecht, 624; Muscheler, Erbrecht I, Rn. 7 79; ders., Erbrecht II, Rn. 2577.
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b) Die „Fremdverwaltung“ im deutschen Schrifttum Der zwar nicht im BGB, aber im deutschen Schrifttum häufig verwendete Begriff der „Fremdverwaltung“501 bildet auf den ersten Blick das terminologische Äquivalent zur Fremdabwicklung im hier verstandenen Sinne. Bei genauerem Hinsehen ist die – niemals erläuterte, sondern stets als selbstverständlich vorausgesetzte – Unterscheidung zwischen „Eigenverwaltung“ und „Fremdverwaltung“ in ihrer Bedeutung allerdings unscharf und damit eine Quelle von Missverständnissen. So ist von Fremdverwaltung zwar vor allem im Kontext von Nachlassverwaltung, Nachlassinsolvenz und Testamentsvollstreckung die Rede, also in Situationen, in denen die Abwicklung praktisch ausnahmslos oder zumindest im Regelfall einer Person übertragen wird, die nicht zu den Begünstigen gehört.502 Doch könnte mit Fremdverwaltung auch das Auseinanderfallen von Rechtsträgerschaft und Abwicklungszuständigkeit gemeint sein, denn Erstere bleibt beim Erben, während Letztere auf den Nachlass(insolvenz)verwalter bzw. Abwicklungsvollstrecker übergeht.503 Dass der Begriff der Fremdverwaltung hierauf abzielt, legt insbesondere der Vergleich zum Insolvenzrecht nahe, wo die Unterscheidung zwischen Eigenverwaltung und Fremdverwaltung vermutlich ihren Ursprung hat. Denn Eigenverwaltung meint hier die Verwaltung durch den Schuldner selbst.504 Nicht zu einem solchen Verständnis passt freilich die Charakterisierung der englischen Nachlassabwicklung als Fremdverwaltung,505 weil hier gerade keine Aufspaltung von Rechtsträgerschaft und Abwicklungszuständigkeit stattfindet.506 Anders ist dies zwar beim personal representative vieler US-amerikanischer Bundesstaaten.507 Doch unterstreicht dieser Unterschied zwischen England und den USA gerade, dass die Frage der Rechtsträgerschaft häufig eine rechtskonstruktive Zufälligkeit ist, der im Rechtsvergleich allenfalls beschränkte Aussagekraft zukommt.508 Schließlich wird der Begriff der Fremdverwaltung aber auch in einer Weise verwendet, die suggeriert, dass weder die fehlende Begünstigung noch die fehlende Rechtsträgerschaft das entscheidende Kriterium ist, sondern vielmehr eine treuhänderische Pflichtenstellung des Abwicklers. So ist im Fall, dass die Nachlassverwaltung angeordnet oder ein Nachlassinsolvenzverfahren eröffnet wird und der 501 Siehe etwa Karpe, in: 3. Denkschrift, 60; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1189; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3614; Röthel, Erbrecht, § 35 Rn. 1; Staudinger/Kunz (2020), Vorbem zu §§ 1967 ff Rn. 55. 502 Näher unten § 6 E.IV.2a)(3) (488 ff.). 503 Siehe etwa den von Muscheler, Testamentsvollstreckung, 26, aufgestellten Gegensatz zwischen „Fremdverwalter“ und „Treuhanderbe“. 504 Siehe für das heutige deutsche Recht §§ 270 ff. InsO, dazu etwa Jacoby, Das private Amt, 98. 505 Siehe oben E.I.1a) (27 ff.). 506 Von Muscheler, Testamentsvollstreckung, 17–20, und Röthel, Erbrecht, § 35 Rn. 4, wird dies auch zutreffend erkannt. 507 Siehe oben Fn. 2 21. 508 Überbetont wird der Aspekt der Rechtsträgerschaft daher von Muscheler, Testamentsvollstreckung, 2, 17. Zum analogen Befund für das Recht der Familienfideikommisse und Stiftungen Dutta, Warum Erbrecht?, 73–78.
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Erbe über § 1978 Abs. 1 S. 1 BGB rückwirkend den Pflichten eines Beauftragten unterliegt, oft die Rede davon, dass der Erbe, der weiterhin Rechtsträger und Residualbegünstigter ist, sich als Fremdverwalter behandeln lassen müsse.509 Das Abstellen auf das Bestehen einer treuhänderischen Pflicht wäre nicht nur mit der Charakterisierung von Nachlassverwaltung/-insolvenz als Fremdverwaltung vereinbar, sondern würde auch die Bezeichnung der englischen Nachlassabwicklung als Fremdverwaltung erklären. Denn obgleich der personal representative entgegen häufiger Darstellung kein trustee im technischen Sinne ist, muss er den Nachlass fremdnützig verwalten und abwickeln.510 Schließlich passt zum genannten Begriffsverständnis der bisweilen anzutreffende Gegensatz von staatlicher und privater Fremdverwaltung,511 ferner die Verneinung einer Fremdabwicklung bei Erbenmehrheit.512 Denn die Miterben unterliegen trotz anfänglicher rechtlicher Absonderung des Nachlasses nicht den Pflichten aus § 1978 Abs. 1 BGB. Und doch zeigen sich auch hier wieder begriffliche Inkonsistenzen. So müsste, wenn Fremdverwaltung im Sinne von fremdnütziger Verwaltung gemeint wäre, konsequenterweise auch die Abwicklung eines geringwertigen Nachlasses durch den Erben nach § 1990 BGB hierunter fallen, weil dieser dann über § 1991 Abs. 1 BGB sogar ex nunc der Pflicht des § 1978 Abs. 1 S. 1 BGB unterliegt.513 Soweit ersichtlich, wird diese Situation im deutschen Schrifttum jedoch nicht als Fall der Fremdverwaltung charakterisiert.514 c) Fazit Schon der Blick auf das deutsche Recht zeigt, dass die Unterscheidung zwischen Eigenabwicklung und Fremdabwicklung (bzw. Eigenverwaltung und Fremdverwaltung) in unterschiedlicher Weise verstanden werden kann. Richtet die unreflektierte Verwendung des Begriffs der „Fremdverwaltung“ in der deutschen Dogmatik letztlich wenig Schaden an, weil der Inhalt der BGB-Regelungen hierdurch nicht in Zweifel gezogen wird, legt es beredtes Zeugnis von einem unzureichenden Methodenbewusstein ab, wenn deutsche Juristen den unscharfen Begriff der 509 Siehe etwa Denkschrift BGB, 853; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1186 f., 1242 f., 1257 (im Kontext der Nachlassinsolvenz); Klook, Die überschuldete Erbschaft, 184 („fiktive Fremdverwaltung“), 226; Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 96 f.; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3491. 510 Dazu unten § 4 B.II.2f) (293 ff.). 511 So jedenfalls implizit Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 115, die offenbar ein Regime wie das römische beneficium inventarii als Fall der privaten Fremdverwaltung betrachtet. 512 Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1189. Unklar hingegen Röthel, Erbrecht, § 32 Rn. 4, wonach „für eine Mehrheit von Erben die private gemeinschaftliche Verwaltung einer gerichtlichen Fremdverwaltung gleichsteht“. 513 Dazu unten § 6 IV.3b)(4) (501 f.). 514 Siehe etwa die Aussage bei Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 115, dass das BGB die Fremdverwaltung „ausnahmslos als staatliche Fremdverwaltung“ konzipiert habe (Hervorhebung im Original); ähnlich ebd., § 32 Rn. 4; schließlich setzt Röthel bei § 35 Rn. 1 die Fremdverwaltung in Gegensatz zur Verwaltung durch den Erben. Auch Staudinger/Kunz (2020), Vorbem zu §§ 1967 ff. Rn. 54 f., betrachtet den Erben im Fall des § 1978 BGB als „Eigenverwalter“.
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Fremdverwaltung mit leichter Hand zur Klassifizierung ausländischer Rechte verwenden. In der vorliegenden Arbeit zielt die Unterscheidung zwischen Eigenabwicklung und Fremdabwicklung allein auf die personelle Verknüpfung bzw. Entkoppelung von Abwicklungszuständigkeit und Begünstigung. Maßgebliche Perspektive ist die des Hauptbegünstigten, also üblicherweise des Residualbegünstigten. Folglich ist für das deutsche Recht in aller Regel dort von einer Eigenabwicklung zu sprechen, wo die Abwicklung durch den Erben erfolgt, und zwar unabhängig davon, ob der Erbe den Pflichten aus § 1978 Abs. 1 BGB unterliegt. Eine Ausnahme liegt etwa dort vor, wo der Testator ein Universalvermächtnis ausgesetzt hat, da dann die Perspektive des Legatars maßgeblich ist, nach der eine Fremdverwaltung vorliegt. Anders ist dies wiederum, wenn der Universallegatar zugleich zum Testamentsvollstrecker eingesetzt wurde. 2. Integrierte vs. gesonderte Abwicklung a) Die grundsätzliche Unterscheidung Während die bisher erörterten Differenzierungen die Auswahl der Abwicklungsinstanz bzw. ihr Pflichtenprogramm zum Gegenstand haben, knüpft die nun vorgestellte an das Schicksal des Nachlasses auf materiellrechtlicher Ebene an: Wird er auf einen Schlag mit dem Vermögen eines Rechtsnachfolgers verschmolzen oder zunächst als Sondervermögen fortgesetzt? Die Bezeichnung des zweiten Modus als „gesonderte Nachlassabwicklung“ leuchtet ohne Weiteres ein und findet auch Vorbilder im Schrifttum.515 Doch wie lautet der Gegenbegriff? Die bisherige Rechtsvergleichung hat ihn nicht entwickelt, weil sie das kontinentale Gegenstück zur „(gesonderten) Nachlassabwicklung“ zu Unrecht immer in der Abwesenheit einer Abwicklung gesehen hat.516 Der hier vorgeschlagene und im Weiteren verwendete Begriff lautet „integrierte Abwicklung“.517 Diese Wahl erklärt sich zum einen daraus, dass der Nachlass en bloc in das Vermögen des Rechtsnachfolgers eingefügt wird und dadurch seine Selbständigkeit verliert. Zum anderen soll das Adjektiv „integriert“ zum Ausdruck bringen, dass die weitere Verteilung von Nachlassgegenständen oder -werten, etwa an Erblassergläubiger und Legatare, nicht aus einem Sondervermögen heraus erfolgt, sondern aus dem Allgemeinvermögen des Gesamtnachfolgers.518 Deutlich wird damit, dass bei der integrierten Abwicklung die „Beseitigung“ des Nachlasses als Zuordnungsverband mit der Herbeiführung des vorgegebenen Verteilungsplans typischerweise nicht koinzidiert. Erklärt beispielsweise ein deutscher Alleinerbe, 515 Siehe etwa Süß/F. Odersky, Großbritannien: England und Wales, Rn. 38; Wolf, ZSR 125 (2006) II, 228 f.; Serozan, successio 2014, 22; D. Paulus, notar 2016, 12. 516 Siehe oben F.III.1. (78 ff.). 517 Übernommen wird er (auf Grundlage einer Vorversion dieser Arbeit) von Murga Fernández, Los sistemas europeos, 270. 518 Dazu auch unten § 4 C.II.2b) (309 ff.).
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dem ein Vermächtnis auferlegt wurde, die Annahme der Erbschaft, so dass es zur Verschmelzung von Nachlass und Eigenvermögen kommt, ist der Erbfall bei formaler Betrachtung abgeschlossen. Das angestrebte Verteilungsergebnis ist hingegen erst dann erreicht, wenn auch der Vermächtnisnehmer das ihm Zugedachte erhalten hat.519 Illustriert man die Unterscheidung zwischen gesonderter und integrierter Abwicklung anhand des deutschen Rechts, ist ein Nebeneinander beider Abwicklungsmodi festzustellen. So bildet bei Erbenmehrheit die gesonderte Abwicklung den Ausgangspunkt, beim Alleinerben hingegen die integrierte Abwicklung. Doch wird Letztere im Fall von Nachlassverwaltung, Nachlassinsolvenz oder geringwertigem Nachlass durch die gesonderte Abwicklung ersetzt, weil der Nachlass seine Eigenständigkeit jeweils wiedererlangt (zumindest in einem gewissen Ausmaß).520 Die Koexistenz von integrierter und gesonderter Abwicklung ist generell kennzeichnend für die kontinentale Rechtstradition. So führt beispielsweise im französischen Recht die vorbehaltlose Annahme der Erbschaft zur integrierten Abwicklung, die Annahme unter Haftungsbeschränkung hingegen zur gesonderten. Die bereits erwähnte Besonderheit des englischen Rechts besteht demgegenüber darin, dass es keine integrierte Abwicklung kennt und somit stets eine gesonderte Abwicklung stattfindet.521 b) Die verschiedenen Intensitätsgrade der gesonderten Abwicklung Während die integrierte Abwicklung ihrer Definition nach stets vollkommener Natur ist, kann die Sonderbehandlung des Nachlasses von unterschiedlicher Intensität sein. Die stärkste Form der Verselbständigung tritt dort ein, wo dem Nachlass sogar die Qualität eines Rechtssubjekts zugesprochen wird, wie es im schwedischen Erbrecht während der gesamten Abwicklung der Fall ist522 und im österreichischen Recht bis zur Einantwortung.523 Die nächstniedrigere Intensitätsstufe ist die Behandlung des Nachlasses als ein vom Allgemeinvermögen des Trägers vollständig abgeschottetes Sondervermögen. Diese Situation tritt beispielsweise im englischen Recht oder bei der deutschen Nachlassverwaltung auf und äußert sich u. a. in dem Verbot, aus Erblasserschulden in das Eigenvermögen zu vollstrecken, sowie in der Möglichkeit von Schuldbeziehungen zwischen „Nachlass“ und „Rechtsträger“.524 Die niedrigste Stufe einer rechtlichen Selbständigkeit des Nachlasses liegt dort vor, wo dieser nur noch in rechnerischer, nicht mehr jedoch in gegenständlicher Hinsicht fortbesteht. Ein Beispiel ist die sog. Haftung pro viribus 519 Dass die Vermögensverschmelzung nicht das Fehlen von Abwicklungshandlungen bedeutet, betont für das französische Recht auch Lequette, Communication, 168. 520 Zu den verschiedenen Abstufungen der Selbständigkeit siehe den folgenden Abschnitt. 521 Siehe bereits oben E.II.6b) (62 f.). Ausführlich unten § 4 C.I. (299 f.), § 7 A.I. (571 ff.). 522 Siehe oben Fn. 133. 523 § 5 46 ABGB in der seit 2016 geltenden Fassung; dazu auch unten Fn. 606. 524 Siehe etwa § 1978 Abs. 2 BGB.
G. Die Taxonomie der Nachlassabwicklung
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hereditatis, wie sie phasenweise etwa dem Inventarerben des gemeinen Rechts zugeschrieben wurde. Die Nachlassverbindlichkeiten werden dabei in ihrer Höhe auf den Wert der vorhandenen Nachlassaktiva reduziert, im Übrigen verliert der Nachlass seine Selbständigkeit.525 Die Haftung pro viribus hereditatis lässt sich somit auch als Mischung aus gesonderter und integrierter Abwicklung begreifen. Nicht in einem begrifflichen, aber in einem engen funktionalen Zusammenhang mit der gesonderten Abwicklung steht das Pflichtenprogramm der damit betrauten Person, beispielsweise was das Vorgehen zur Auflösung des Nachlasses betrifft. So macht das deutsche Recht einem Nachlassinsolvenzverwalter bei der Reihenfolge der Gläubigerbefriedigung strenge Vorgaben,526 während es einem Erben (und auch einem Nachlassverwalter) völlige Freiheit lässt, solange er die Zulänglichkeit des Nachlasses annehmen darf.527 Wickelt der Erbe einen geringwertigen unzulänglichen Nachlass ab, muss er zwar die Nachrangigkeit der Begünstigten beachten, nicht hingegen die weiteren Vorgaben des Nachlassinsolvenzverfahrens.528 Zwischen den Extremen einer „anarchischen“ und einer strikt regulierten Gläubigerbefriedigung sind mithin ebenfalls Abstufungen möglich. 3. Kombinationsmöglichkeiten Die erörterten Binnendifferenzierungen sind nicht nur per se bedeutsam, sondern auch wegen der vielfältigen Möglichkeiten ihrer Kombination. So zeigt bereits das Erbrecht des BGB, dass die gesonderte Nachlassabwicklung sowohl in der Variante der Eigenabwicklung stattfinden kann (Erbenmehrheit, geringwertiger Nachlass) als auch in der Variante der Fremdabwicklung (Nachlassverwaltung, Nachlass insolvenzverfahren). Läuft die Unterscheidung zwischen Eigenabwicklung und Fremdabwicklung in diesem Fall parallel zu der zwischen staatsferner und staatsnaher Abwicklung, zeigt ein Blick auf das englische und das US-amerikanische Recht, dass auch insoweit noch eine Differenzierung erfolgen kann. So ist beispielsweise die Abwicklung durch einen englischen personal representative, der nicht zugleich Hauptbegünstigter ist, grundsätzlich ein Fall der gesonderten staatsfernen Fremdabwicklung, während dieselbe Konstellation in vielen US-Bundesstaaten ein Fall der gesonderten staatsnahen Fremdabwicklung wäre. Ist der personal representative Hauptbegünstigter, kann es in letztgenannten Rechtsordnungen sogar zum Fall der gesonderten staatsnahen Eigenabwicklung kommen. Die integrierte Abwicklung lässt sich theoretisch zwar ebenfalls beliebig mit allen anderen Elementen kombinieren, doch wird sie in aller Regel eine staatsferne Eigenabwicklung sein. Da ihre ganze Idee darin besteht, den Nachlass möglichst unbürokratisch abzuwickeln, wäre die Einbeziehung staatlicher Stellen offenkun525
Näher unten § 4 A.VII.4. (265 ff.). Siehe u. a. § 327 InsO. 527 § 1979 BGB, dazu unten § 7 C.II.2. (620 ff.). Der Nachlassverwalter hat allein die Residualbegünstigung des Erben zu beachten, § 1986 Abs. 1 BGB. Zu den Unterschieden zwischen Nachlassverwaltung und Nachlassinsolvenzverfahren eingehend unten § 6 E.IV.2. (486 ff.). 528 §§ 1990, 1991 BGB, dazu unten § 6 E.IV.3b)(5) (502 ff.). 526
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dig kontraproduktiv.529 Eher denkbar ist eine integrierte Fremdabwicklung, wie das oben genannte Beispiel eines Universalvermächtnisses zeigt, das einem deutschen Alleinerben auferlegt wird.
H. Die gewählte Methode I. Funktionaler statt begrifflicher Vergleich Die Defizite der herkömmlichen Versuche zur rechtsvergleichenden Untersuchung der Nachlassabwicklung haben die Aussichtslosigkeit einer an den Begriffen und Strukturen der nationalen Erbrechte ausgerichteten Methode nachdrücklich vor Augen geführt. Die vorliegende Arbeit nimmt ihren Ausgangspunkt deshalb in den Regelungsproblemen und versucht, die entwickelten Lösungen in einer Terminologie zu beschreiben, die entweder rechtsordnungsneutral ist oder von vornherein nur Gültigkeit für eine bestimmte Rechtsordnung beansprucht. Dementsprechend wird z. B. nicht vom „Erben“ gesprochen, sondern vom (römischen) „heres“, vom (französischen) „héritier“, vom „deutschen Erben“ oder, rechtsordnungsneutral, vom „Abwickler“ oder vom „(Residual-)Begünstigten“. Es geht mit anderen Worten darum, die nationalen Begrifflichkeiten so weit wie möglich „zu verlernen“, sie also nicht mehr bewusst oder unbewusst vorauszusetzen.530 Bedingung für das Gelingen eines solchen funktionalen Vergleichs531 ist natürlich, dass sich tertia comparationis in Form gleichartiger Problemstellungen und darauf bezogener Rechtsinstitute überhaupt identifizieren lassen. Hieran könnte man insbesondere im Hinblick auf die These von der „kulturellen Prägung“ des Erbrechts zweifeln,532 die zwar in ihrer Pauschalität zurückzuweisen ist,533 aber zumindest für bestimmte Aspekte, etwa das Verhältnis von Testierfreiheit und Familienerbrecht, nach wie vor einen heuristischen Wert hat. Verhielte es sich z. B. so, dass die englische Tradition die Nachlassabwicklung als rein vermögensrechtlichen Vorgang betrachtet, während nach der kontinentalen Tradition die vermögensrechtlichen Wirkungen nur akzessorische Folge eines personalen Vorgangs sind, so wäre fraglich, inwieweit sich die jeweiligen Lösungen noch als funktionale Äquivalente betrachten lassen. Gegner der funktionalen Methode bestreiten sogar kategorisch die Möglichkeit, rechtliche Institutionen aus ihrem jeweiligen gesellschaftli529
Dazu unten § 7 A.I. (571 ff.). Die Bedeutung der Verwendung neutraler Begriffe erkennt auch IECL/Schwind, Liability for Obligations of the Inheritance, Nr. 2, doch bleibt er den nationalen Rechtsordnungen zu stark verhaftet (was sich insbesondere anhand der Definitionen von „heir“ und „personal representa tive“ zeigt). 531 Allgemein zur funktionalen Methode der Rechtsvergleichung Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, 33–35; Michaels, The Functional Method of Comparative Law, 345–389; Coendet, Rechtsvergleichende Argumentation, 158–160. 532 Siehe den Überblick bei Zimmermann, AJCL 57 (2009), 504–10; De Waal, Comparative Succession Law, 1061–1063. 533 Eingehend Zimmermann, JZ 2016, 322–332. 530
H. Die gewählte Methode
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chen Kontext herauszulösen und sie zusammen mit dem betreffenden Regelungsproblem zu einem universellen Anknüpfungspunkt für den Vergleich zu machen.534 Indessen wird hier die These aufgestellt und im weiteren Fortgang der Arbeit substantiiert, dass das Thema der Nachlassabwicklung für einen funktionalen Vergleich geradezu prädestiniert ist, weil die ihm zugrunde liegenden Regelungsprobleme über Zeiten und Grenzen hinweg im Wesentlichen immer dieselben geblieben sind. Dies bedeutet natürlich nicht, dass außerrechtliche Faktoren, insbesondere religiöser, kultureller oder politischer Art, gänzlich ausgeblendet werden können. Im Gegenteil: Die Entwicklung des englischen Rechts der Nachlassabwicklung im Hochmittelalter beispielsweise lässt sich nur vor dem Hintergrund der Feudalordnung, der Religion und der Rolle der Kirche verstehen,535 und Ähnliches lässt sich für das römische Erbrecht in Bezug auf die Verfassung der Hausgemeinschaft und die Rolle des Familienkults sagen.536 Doch gilt es zu beachten, dass solche zeit- und ortsgebundenen außerrechtlichen Faktoren in erster Linie in den entwickelten Lösungen zum Ausdruck kamen, die Regelungsprobleme hingegen grundsätzlich unberührt ließen. Deren „ewiger“ Charakter wird durch die sich wandelnden sozialen, politischen und kulturellen Kontexte also gerade akzentuiert. Zu betonen ist ferner, dass ein anderer oft kritisierter Aspekt der funktionalen Methode, nämlich die Vermutung der Gleichartigkeit oder Ähnlichkeit der verglichenen Lösungen,537 dieser Untersuchung bewusst nicht zugrunde gelegt wird. Es wird also nicht ohne Weiteres davon ausgegangen, dass konstruktiv oder strukturell unterschiedliche Lösungen in der Substanz einander gleich sind. Dies wird zwar in einigen Fällen so sein. Vor allem jedoch wird die Untersuchung deutlich machen, wie die nationalen Rechte identische Probleme häufig auf unterschiedliche Weise lösen, und zwar vor allem deshalb, weil sie die auftretenden Zielkonflikte anders aufzulösen suchen. Während beispielsweise eine Rechtsordnung sich eher dem Ziel der Einfachheit und Schnelligkeit der Abwicklung verpflichtet sieht, legt eine andere besonderen Wert auf die Herstellung von Verteilungsgerechtigkeit. Hervorzuheben ist schließlich, dass die hier gewählte Vergleichsmethodik nicht den Anspruch erhebt, die einzig zulässige oder sinnvolle zu sein.538 Dass die funktionale Methode zu einer Verengung, mitunter gar zu einer Verzerrung der Sicht 534 Einen guten Überblick über die Kritik an der funktionalen Methode bieten de Coninck, RabelsZ 74 (2010), 322–334; Coendet, Rechtsvergleichende Argumentation, 160 f. Im erbrechtlichen Kontext weist Kunz, Postmortale Privatautonomie, 45–49, auf die Schwächen der funktionalen Methode hin, doch dürfte die von ihr bevorzugte Wahl einer „typisierten Interessenlage“ als tertium comparationis sich von der gewöhnlichen Handhabung der funktionalen Methode nicht grundlegend unterscheiden. 535 Dazu eingehend unten § 3 B. (179 ff.). 536 Dazu näher unten § 3 A.I.1. (165 ff.). 537 Zu dieser „praesumtio similitudinis“ siehe Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, 39. Zur Kritik daran de Coninck, RabelsZ 74 (2010), 331 f. 538 Zustimmungswürdig ist die Forderung von Coendet, Rechtsvergleichende Argumentation, 163, „die Suche nach einer Methode der Rechtsvergleichung aufzugeben“ (Hervorhebung im Original). Zum Methodenpluralismus in der Rechtsvergleichung auch de Coninck, RabelsZ 74 (2010), 340. Ausführlich Oderkerk, RabelsZ 79 (2015), 589–623.
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auf gegenwärtige oder vergangene Rechtsordnungen führt, ist ebenso unbestreitbar wie unvermeidbar. Will man jedoch über den schon oben referierten Befund, dass es in Rechtsordnung A „irgendwie anders“ zugeht als in Rechtsordnung B, hinausgelangen, kommt man um die Einnahme eines bestimmten Beobachtungspunktes, von dem aus manches dann im Verborgenen bleibt, nicht herum.539 Und dass die funktionale Methode grundsätzlich geeignet ist, verschiedene Rechtsordnungen auf erkenntnisfördernde Weise zueinander in Bezug zu setzen, lässt sich nicht ernsthaft bestreiten.
II. Die Notwendigkeit begrifflicher Klärungen Wenn Begriffe auch nicht den Ausgangspunkt der Untersuchung bilden, können sie dennoch nicht gänzlich ignoriert werden. Denn eine historische und vergleichende Betrachtung des Themas der Nachlassabwicklung stößt immer wieder auf bestimmte Lehren oder Denkfiguren, die seit Jahrhunderten Konstanten im rechtlichen Diskurs sind, sich aufgrund ihres schillernden Charakters aber zugleich als erhebliche Störfaktoren erweisen. Besonders prominente Beispiele sind die „Universalsukzession“ sowie die Dichotomie von „Persönlichkeitsfortsetzung“ und „Vermögensnachfolge“, die der Erbrechtsvergleichung, wie oben gesehen, seit Langem als zentrale Klassifzierungsmerkmale dienen.540 Weiteres Beispiel ist der Begriff der hereditas iacens, der, wie noch zu sehen sein wird, auf verschiedene Weise verstanden werden kann und auch verstanden wird.541
III. Die rechtshistorische Dimension Mit der historischen Betrachtung der Nachlassabwicklung sind verschiedene Ziele verbunden. Zunächst soll sie dabei helfen, den Blick für die Regelungsprobleme und die möglichen Lösungswege zu schärfen. Denn während diese beiden Elemente hinter den fertigen Systementwürfen der heutigen Rechtsordnungen oft gar nicht mehr klar zu erkennen sind, haben sie sich in früheren Rechtsordnungen Schritt für Schritt entfaltet und sind dadurch viel deutlicher sichtbar. Indem bestimmte Veränderungen, etwa die Entscheidung, Verbindlichkeiten vererblich zu stellen, ein neues Regelungsproblem schufen, dessen Lösung dann ihrerseits wieder ein neues Problem aufwarf usw., lässt sich die Geschichte der Nachlassabwicklung als eine Geschichte der zunehmenden Komplexität und Ausdifferenzierung erzählen.542 539 Abgesehen davon ist festzustellen, dass die Kritik an der funktionalen Methode in erster Linie negativer Art ist und bislang keine überzeugende Alternative aufzeigen konnte, siehe Michaels, RabelsZ 74 (2010), 351. Vage geblieben sind insbesondere die sich aus dem Postulat eines „rechtskulturellen“ Zugangs ergebenden methodischen Anforderungen, siehe dazu Coendet, Rechtsvergleichende Argumentation, 161 f.; de Coninck, RabelsZ 74 (2010), 328 f. 540 Siehe oben D. (19 ff.) und unten § 4 C.II.1b) (302 ff.). 541 Siehe unten I.II.2a) (106 ff.). 542 Ähnlich Gomes da Silva, Herança, 159.
H. Die gewählte Methode
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Vortrefflich illustrieren lässt sich diese kaskadenartige Entwicklung wie so häufig anhand des römischen und des englischen Rechts, die sich beide über lange Zeiträume organisch fortentwickelt haben.543 Das englische Recht, dessen Kontinuität sogar bis heute ungebrochen ist, kann dabei zugleich als Ausdruck dessen betrachtet werden, was man vorsichtig als die germanische oder mittelalterliche Erbrechtstradition bezeichnen kann. Vorsicht ist deshalb geboten, weil heute weitgehend Einigkeit darüber herrscht, dass es das germanische Recht niemals gegeben hat, sondern es sich hierbei um ein Konstrukt der Forschung des 19. Jahrhunderts handelt.544 Doch können bestimmte, in einem Kontrast zur römischen Tradition stehende Gemeinsamkeiten der mittelalterlichen Erbrechte, darunter auch der deutschen, als gesichert gelten.545 Ein Beispiel ist die Aufspaltung des Nachlasses in verschiedene Gütermassen, im Gegensatz zur Generalsukzession des römischen Rechts,546 ein anderes die Vorstellung, dass die Schulden des Verstorbenen seinen Nachfolger niemals persönlich trafen, sondern immer nur die Nachlassgegenstände belasteten.547 In den französischen Code civil fand die mittelalterliche Erbrechts tradition Eingang über das droit coutumier,548 in Deutschland war ihr wichtigster Vermittler das preußische ALR.549 Nicht nur nützlich, sondern geradezu essentiell ist eine historische Betrachtung der Nachlassabwicklung sodann für das Verständnis der heutigen Erbrechte Europas (aber auch darüber hinaus). Denn wenngleich die modernen Regime bei formaler Betrachtung auf dem Reißbrett entstanden und bisweilen gezielt von der geschichtlichen Tradition abwichen, sind sie von den überlieferten Begriffen, Strukturen und Lösungsmöglichkeiten dennoch tief durchdrungen. Max Rheinstein ging sogar so weit zu sagen, dass keines der heutigen Systeme der Nachlassabwicklung Ergebnis eines „conscious and deliberate choice“ gewesen sei, sondern „end product of historical developments in which conscious deliberation seems to have
543 Für das römische Erbrecht gilt generell, dass es deutlicher noch als andere Gebiete den organischen Charakter des Rechts illustriert, siehe Schulz, Classical Roman Law, Rn. 359. 544 Dazu Kannowski, Germanisches Erbrecht und Religion, 120 f.; ders., JZ 2012, 321 f. Zu den methodischen Schwierigkeiten, germanische Rechtsgeschichte zu schreiben, Kroeschell, in: FS Thieme, 3–19; Schmidt-Recla, Kalte oder warme Hand?, 4–16, 53–74, sowie die zugehörige Rezension von Oestmann, ZRG (GA) 130 (2013), 655–660. Beispielhaft für die frühere Auffassung Brunner in seiner Rezension von Pollock and Maitland, The History of English Law: ZRG (GA) 17 (1896), 125, wo er die Verwandtschaft des englischen Rechts „mit dem deutschen Mutterrecht“ betont. 545 Auch Kannowski, Germanisches Erbrecht und Religion, 120, unterstreicht, dass ältere Arbeiten über germanische Rechtsgeschichte keineswegs wertlos sind. Wie allerdings Ebel, ZRG (RA) 84 (1967), 245, am Beispiel der Erbenhaftung betont, sind, was Detailfragen angeht, die bestehenden Werke zum deutschen oder germanischen Erbrecht vielfach zu undifferenziert. 546 Dazu näher unten § 3 B.I. (179 ff.), C.II.4 (212 ff.). 547 Dazu unten § 4 A.II.2. (247 ff.). 548 Dessen Einfluss zeigte sich zwar nicht bei den beiden eben genannten Beispielen, dafür aber um so deutlich bei dem enigmatischen Institut der saisine: dazu ausführlich unten § 5 C.II.2. (329 ff.). 549 Dazu unten § 6 D. (435 ff.).
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played some role in the elaboration of details rather than in that of the basic structures.“550 Mitunter war die Suggestionskraft der Tradition sogar so stark, dass überkommene Regelungsentscheidungen gar nicht als solche erkannt und somit unbewusst perpetuiert wurden. So ist beispielsweise die im römischen heres wurzelnde Figur des kontinentalen „Erben“, in der bei funktionaler Betrachtung die Abwicklungszuständigkeit und Residualbegünstigung zusammenfließen, einer Rechtsordnung keineswegs vorgegeben, wie nicht zuletzt das englische Recht zeigt. Und dennoch kam es den kontinentalen Gesetzgebern nicht in den Sinn, über eine Abschaffung des römischen „Erben“ auch nur nachzudenken. Folge ist, dass es kontinentalen Juristen im Gegensatz zu ihren englischen Kollegen bis heute schwerfällt, die Abwicklerrolle „ihres“ Erben zu erkennen. Die überkommenen erbrechtlichen Kategorien erweisen sich somit zwar nicht als „Gefängniszelle“, aber doch als „Fesseln der Vergangenheit“, die das Verständnis des gegenwärtigen Rechts vielfach erschweren und einengen.551 Ein dritter Grund für die Einnahme eines historischen Blickwinkels besteht schließlich darin, dass diese Perspektive sich auch im Hinblick auf die Entwicklung bestimmter nationaler Rechtsordnungen während der letzten zwei bis drei Jahrhunderte als sehr aufschlussreich erweist. So wurde für das österreichische Recht bereits oben der Prozess einer starken Formalisierung im 18. Jahrhundert und einer teilweisen Deformalisierung seit Mitte des 19. Jahrhunderts skizziert. In Frankreich setzte schon bald nach Inkrafttreten des stark der gemeinrechtlichen Tradition verhafteten Code civil ein – nicht zuletzt durch die Gerichte vorangetriebener – schrittweiser Reformprozess ein, der 2006 seinen Höhepunkt in einer weitreichenden Novellierung fand. Im deutschen Recht schließlich sind nicht nur die Materialien zur Entstehung des BGB ein reichhaltiger Fundus von Einsichten, sondern auch die zu den Reformbestrebungen der „Akademie für Deutsches Recht“ in den 1930er Jahren. Die erste Erkenntnisquelle ist für das vorliegende Thema in der deutschen Literatur bislang nur teilweise, die zweite sogar nur ansatzweise ausgewertet worden. Aus der geschilderten Methode folgt, dass der Zugriff auf die geschichtlichen Rechtsordnungen stets problemorientiert ist und deshalb nicht eine lückenlose und geschlossene Darstellung z. B. des römischen Rechts der Nachlassabwicklung angestrebt wird (wobei natürlich die Gefahr einer Verzerrung der Sichtweise durch eine allzu selektive Darstellung nicht aus den Augen verloren werden darf). Auch besteht das Ziel nicht darin, den historischen Kenntnisstand über frühere Rechtsordnungen zu erweitern. Die in der Romanistik bis heute umstrittene Frage etwa, ob das von Justinian geschaffene beneficium inventarii dem heres eine gegenständliche oder eine rechnerische Beschränkung seiner Haftung ermöglichte, bedarf für die vorliegenden Zwecke keiner Beantwortung. Denn hier interessiert das römische 550 551
Rheinstein, in: Rapports Généraux, 22. Dazu allgemein Jansen, AcP 216 (2016), 113 f.
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Rechtsinstitut zum einen als Veranschaulichungsobjekt, zum anderen wegen seiner einflussreichen, wenn nicht gar verhängnisvollen Rolle in der weiteren historischen Entwicklung.552 Mittelbar trägt diese Arbeit immerhin dadurch zum besseren Verständnis vergangener Rechtsordnungen bei, dass der problemorientierte Zugriff frische Sichtweisen auf diese ermöglicht.
IV. Die rechtsvergleichende Dimension Ebenso wie die historische findet auch die vergleichende Betrachtung auf mehreren Ebenen statt. So illustriert eine Gegenüberstellung von römischem und englischem Recht sehr klar die verschiedenen Abwicklungsmodelle, insbesondere den Unterschied zwischen integrierter und gesonderter Abwicklung sowie den Unterschied zwischen einem Optionsmodell und einem Einheitsmodell.553 Ein Vergleich der modernen Regime zeigt sodann, dass sie trotz weitgehend übereinstimmender Zielsetzungen mitunter zu erheblich voneinander abweichenden Lösungen gelangen, weil sie auftretende Interessenkonflikte unterschiedlich entscheiden oder im Bann bestimmter Traditionen stehen. Besonders bemerkenswert sind angesichts der gemeinsamen historischen Wurzeln die vielfältigen und zum Teil grundlegenden Unterschiede zwischen dem französischen und dem deutschen Recht. So hat zwar insbesondere die Reform des Code civil von 2006 eine Annäherung gebracht, doch ist das französische Recht nach wie vor in erster Linie an den Interessen der Familienangehörigen als den typischen Begünstigten ausgerichtet, während das BGB von Beginn an die Interessen der Erblassergläubiger in den Vordergrund stellte. Nicht zuletzt aus diesem Grund weist die deutsche Nachlassabwicklung wie gesehen einen deutlich höheren Organisationsgrad als die französische auf,554 was zu der spontan vielleicht überraschenden und den herkömmlichen Taxonomien klar widersprechenden Einsicht führt, dass die deutsche Nachlassabwicklung der englischen in vielen Punkten näher steht als der französischen.555 Das Ausgehen von den Sachproblemen bedeutet wie schon bei der historischen Dimension, dass das Ziel nicht in der Erstellung in sich abgeschlossener Länderberichte liegt,556 sondern darin, jeweils bestimmte Regelungskomplexe zueinander in 552
Dazu unten § 4 A.VII. (262 ff.). Dazu unten § 4 C. (299 ff.). 554 Siehe oben F.III.2. (80 ff.) 555 Dies wurde in Frankreich auch schon bald nach Inkrafttreten des BGB sehr klar erkannt, siehe Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 811, der deutsches und englisches Recht als „assez voisins“ bezeichnete und zugleich die „différence profonde“ zwischen dem deutschem und dem französischen Recht betonte (812). Jüngere Studien aus dem französischen Erbkollisionsrecht weisen darauf hin, dass die „systèmes germaniques“, mit denen neben Deutschland auch Österreich und die Schweiz gemeint sind, eine Mittelstellung zwischen der französischen und der englischen Tradition einnehmen (siehe etwa Goré, L’administration des successions, 13; Boulanger, Droit International des Successions, Nr. 134, 136; dem folgend Godechot-Patris, L’administration des successions, 88). Worin die Unterschiede genau bestehen, wird freilich nicht herausgearbeitet. 556 So insbesondere der Ansatz bei Leleu, Transmission; Murga Fernández, Los sistemas europeos. 553
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Bezug zu setzen. Bei dieser Vorgehensweise bestünde an sich keine Notwendigkeit, einen von vornherein klar umrissenen Kreis der in den Vergleich einbezogenen Rechtsordnungen zu definieren. Vielmehr könnte grundsätzlich jede nationale Regelung, die einen bestimmten Gedanken oder auch nur eine mögliche Alternative illustriert, mit in die Betrachtung eingestellt werden. Gleichwohl sind eine gewisse Vorauswahl und Schwerpunktsetzung aus praktischen Gründen unverzichtbar. Dass neben dem römischen, dem englischen und dem deutschen vor allem das französische Recht im Fokus steht, erklärt sich nicht nur durch die schon genannten Unterschiede zum deutschen Recht, sondern auch durch seine dynamische Entwicklung während der letzten zwei Jahrhunderte, die stets durch lebhafte und nicht zuletzt vom deutschen Recht inspirierte Diskussionen im Schrifttum begleitet wurde. Punktuelle Verweise erfolgen beispielsweise auf das Recht der Schweiz und Italiens, in denen sich interessante Variationen des französischen Rechts finden, ferner zum Recht der USA und Schottlands, für die Gleiches in Bezug auf das englische Recht gilt. Keineswegs soll diese Auswahl suggerieren, dass andere europäische Rechtsordnungen bloße Ableger bestimmter Hauptmodelle seien, deren vergleichende Untersuchung nicht lohne. Im Gegenteil: Schon ein kursorischer Blick zeigt, dass beispielsweise das belgische, das niederländische und das polnische Recht weitere interessante Variationen aufweisen, und in Spanien finden sich zum Teil ganz unterschiedliche Modelle sogar innerhalb einer Rechtsordnung verwirklicht. Künftigen Untersuchungen zum Thema bleibt folglich noch viel Raum.
I. Schwerpunktsetzung I. Struktur und Ingangsetzung der Nachlassabwicklung Das Thema der Nachlassabwicklung ist so komplex, und seine Erscheinungsformen in Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung sind so vielgestaltig, dass eine umfassende Behandlung nach der hier angewandten Methode den Umfang dieser Arbeit endgültig sprengen würde. Ihr Schwerpunkt liegt deshalb auf dem, was man die Struktur oder bildlich gesprochen die Bauart der Nachlassabwicklung nennen kann. Grundsätzlich ausgeklammert wird hingegen das, was man als das Ingangsetzen der Maschine bezeichnen kann, also der Modus zur Ausstattung des Nachlassabwicklers mit den entsprechenden Befugnissen. Vereinfacht gesagt, widmet sich die Untersuchung also nicht der Frage, wie der Nachlass zum Abwickler kommt, sondern der Frage, was mit dem Nachlass beim Abwickler geschieht. Bezogen auf das deutsche Recht stehen mithin nicht die §§ 1942–1959 BGB im Fokus, sondern die §§ 1967–2017 BGB. Allerdings bedeutet diese Unterscheidung lediglich eine Annäherung. Denn die in § 1922 BGB vorausgesetzte Tatsache, dass es in Person des „Erben“ einen Gesamtnachfolger und damit bei funktionaler Betrachtung einen Abwickler gibt, ist auch zur Struktur der
I. Schwerpunktsetzung
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Nachlassabwicklung zu rechnen, und sogar zu ihrem Kern. Zugleich sind die Struktur der Nachlassabwicklung und die Regelungen zu deren Ingangsetzung so eng miteinander verwoben, dass zumindest inzident immer wieder auch auf Letztere einzugehen sein wird. Klarstes Beispiel für diesen Zusammenhang ist die Tatsache, dass die Ausschlagung einer Erbschaft die radikalste Möglichkeit zur Vermeidung von Haftungsrisiken ist und im römischen Recht lange Zeit auch das einzige Schutzinstrument des heres war. Die genannte Schwerpunktsetzung könnte zunächst überraschend scheinen, insbesondere vor dem Hintergrund der großen Bedeutung, die dem „Erwerb der Erbschaft“ nicht nur im deutschen Recht zukommt, sondern auch in der bisherigen Erbrechtsvergleichung. Diese Bedeutung soll hier auch keineswegs in Abrede gestellt werden; wie eingangs bereits gesagt, ist eine Nachlassabwicklung ohne einen Übergang von Rechtsbefugnissen des Verstorbenen auf einen Nachfolger nicht denkbar.557 Und doch spielt die „rechtsvergleichende Musik“ der Nachlassabwicklung nicht hier, sondern in der Struktur der Nachlassabwicklung. Denn nicht nur sind deren Probleme zahlreicher, verwickelter und weniger erforscht. Auch sind bestehende Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen oftmals Ausdruck unterschiedlicher Interessenabwägungen. Dem Regelungskomplex der Ingangsetzung soll damit die rechtspolitische Dimension keineswegs abgesprochen werden. Doch entpuppt sich mancher vermeintliche Unterschied in der Substanz bei näherem Hinsehen als bloßer Unterschied in der rechtlichen Konstruktion. Um dies zu verdeutlichen und zugleich die Abgrenzung von der Struktur der Nachlassabwicklung zu schärfen, werden im Folgenden die wichtigsten Probleme der Ingangsetzung der Nachlassabwicklung skizziert.
II. Die Probleme der Ingangsetzung der Nachlassabwicklung 1. Substanzielle Fragen In substanzieller Hinsicht geht es bei der Ingangsetzung der Nachlassabwicklung um zwei Fragen. Die erste lautet: Soll der Eintritt des berufenen Abwicklers in seine Befugnisse einer präventiven Kontrolle unterworfen werden, um zu verhindern, dass der Nachlass in falsche Hände gerät, oder genügt eine nachgelagerte Prüfung für unklare oder streitige Fälle? Die zweite Frage lautet: Soll die Aufgabe der Abwicklung zwingend zugewiesen werden, oder soll der Selbstbestimmung des berufenen Abwicklers Rechnung getragen werden? Wird diese Frage bejaht, ist als Folgeproblem die Ausübung der Entscheidungsfreiheit rechtlich zu konstruieren.
557 Wie das Beispiel des schwedischen und des US-amerikanischen Rechts zeigt (siehe oben Fn. 133, 221), ist es allerdings nicht erforderlich, dass der Abwickler auch Vollrechtsinhaber wird.
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a) Ex-ante- vs. Ex-post-Kontrolle Eine präventive hoheitliche Kontrolle des Nachlasserwerbs sieht von den kontinentaleuropäischen Rechten, soweit ersichtlich, heute nur noch das österreichische Recht vor.558 Die übrigen Rechtsordnungen, darunter Deutschland, gestatten den privaten Vollzug des Übergangs und nehmen eine richterliche Überprüfung nur ex post vor, sei es zu Zwecken der Unterstützung (Ausstellung eines Legitimationszeugnisses) oder zur Streitentscheidung. Der vergleichende Befund stützt die plausible Annahme, dass der „paternalistic approach“559 der vorbeugenden Kontrolle, der bei Juristen außerhalb Österreichs „vielfach Erstaunen und Verwunderung hervorruft“,560 unverhältnismäßige Kosten verursacht.561 Doch bedarf diese Sichtweise gleich in mehrfacher Hinsicht einer Qualifizierung. So übersehen oder verschweigen Kritiker des österreichischen Rechts gern die versteckten Kosten, die die Systeme des privaten Erwerbs durch die erhöhte Gefahr aufwändiger Rückabwicklungen verursachen.562 Salopp formuliert ist der private Erwerb also so lange billig, bis er richtig teuer wird. Darüber hinaus kann die österreichische Lösung noch weitere Kostenvorteile für sich verbuchen. Denn die zwingende Intervention staatlicher Stellen macht nicht nur häufig die Einschaltung von Rechtsanwälten entbehrlich, sondern erhöht auch die Bereitschaft der Beteiligten zu einer einvernehmlichen Auseinandersetzung des Nachlasses.563 Schließlich 558 Fenyves/Kerschner/Vonkilch/Schauer, Vor § 531 ABGB, Rn. 30, bezeichnet die österreichische Lösung als rechtsvergleichendes „Unikat“, erwähnt allerdings die aufgrund der Rezeption des österreichischen Rechts identische Lösung Liechtensteins. 559 Koziol/Koziol, Austrian Private Law, Rn. 216. 560 Fenyves/Kerschner/Vonkilch/Schauer, Vor § 531 ABGB, Rn. 31. 561 Siehe etwa die scharfe Kritik bei Muscheler, Erbrecht I, Rn. 1215 f.; kürzer, aber mit gleicher Stoßrichtung, Röthel, Erbrecht, § 27 Rn. 5. Konkrete Zahlengaben bei Mayer, Referat, L 128; Süß/ Haunschmidt, Österreich, Rn. 183–191. Aus österreichischer Sicht wird diese Kritik grundsätzlich anerkannt von Fenyves/Kerschner/Vonkilch/Schauer, Vor § 531 ABGB, Rn. 31, der aber zugleich die Vorzüge herausstellt, siehe die folgenden Fußnoten. Für Nachweise zu älteren Verteidigern des geltenden Rechts v. Caemmerer, DfG 1936, 120. 562 Hierauf weisen zu Recht Koziol/Koziol, Austrian Private Law, Rn. 216, hin, deren weiteres Argument, dass der deutsche Gesetzgeber sich aufgrund des privaten Erwerbs zur Anordnung einer sehr kurzen Überlegungsfrist gezwungen gesehen habe, allerdings fehlgeht. Denn die Fristlänge hat mit der Frage einer Ex-ante- oder Ex-post-Kontrolle nichts zu tun; dies zeigen etwa das italienische und das französische Recht, die einen privaten Erwerb mit sehr langen Überlegungsfristen verbinden (siehe Art. 480 Abs. 1 Codice civile (zehn Jahre); zum französischen Recht unten § 7 B.III. (579 ff.)). Der Irrtum der genannten Autoren beruht auf der Verkennung der Tatsache, dass die Behandlung des Nachlasses als eigenes Vermögen grundsätzlich eine konkludente Annahme bedeutet, so dass der Fall, in dem der Erbe sich jahrelang als Eigentümer geriert, dann aber mit Rückwirkung ausschlägt, nicht eintreten kann. 563 Nachdrücklich Fenyves/Kerschner/Vonkilch/Schauer, Vor § 531 ABGB, Rn. 31 („erheblicher Vorteil der Rechtsfriedensfunktion“), der dem Gerichtskommissär eine „kaum zu überschätzende Rolle“ bescheinigt (Rn. 30) und ihn auch mit einem Mediator vergleicht (Rn. 31); ähnlich Koziol/Koziol, Austrian Private Law, Rn. 217. Der Vorwurf von Muscheler, Erbrecht I, Rn. 1216, dass die Einweisungslösung den Streit erst fördere, wird also durch die Erfahrung widerlegt. Ebenso überholt sein dürfte der Vorwurf der parteilichen Einflussnahme durch den Staat (Rn. 1214, 1216), zumal die Erbschaftssteuer in Österreich inzwischen abgeschafft ist (Mayer, Referat, L 128 kommentiert dies mit den Worten „Tu, felix Austria […]“).
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besteht ein willkommener Nebeneffekt der präventiven Überprüfung der Berechtigung in dem, was das US-amerikanische Schrifttum „title clearing“ nennt,564 d. h. in der Wiederherstellung der Verkehrsfähigkeit der Nachlasswerte. Denn wenngleich die gerichtliche Einantwortung hinsichtlich der Berechtigung nicht konstitutiv ist, stattet sie den Adressaten dennoch mit besonderer Legitimation im Rechtsverkehr aus. Dem privaten Nachlasserwerb ist demgegenüber ein faktisches Legitimationsdefizit inhärent, weshalb er die gerichtliche Überprüfung der Berufung häufig nur aufschieben, nicht aber entbehrlich machen kann.565 Seine Überlegenheit ist in der Gesamtbetrachtung daher keineswegs so eindeutig, wie gern Glauben gemacht wird.566 b) Gewährung und Ausgestaltung der Erwerbsoption Anders als das frühe römische Recht, das die Hausangehörigen des Verstorbenen zu Zwangserben stempelte,567 räumen heutige Rechtsordnungen der zur Abwicklung berufenen Person ein Wahlrecht ein, entsprechend der Maxime des ancien droit: „Nul n’est héritier qui ne veut“.568 Angesichts der Belastungen und Haftungsrisiken, die die Abwicklerrolle mit sich bringt, und der Tatsache, dass ein unwilliger Abwickler ein wenig tatkräftiger und zuverlässiger wäre, überrascht diese – strukturell eine Nähe zum Vertragsschluss herstellende569 – Rücksichtnahme auf die Selbstbestimmung nicht.570 Nur solchen Berufenen, denen die Rechtsordnung 564 Siehe etwa Langbein, Harvard LR 97 (1984), 1117; Sneddon, South Texas LR 50 (2009), 459, 480; Dukeminier/Sitkoff/Lindgren, Wills, Trusts, and Estates, 39 („clears title and makes property marketable again“). Von der „identification function“ sprach hingegen Rheinstein, Columbia LR 48 (1948), 537. 565 Siehe auch Baumann, ErbR 2020, 302, dessen Folgerung, dass das deutsche Recht „letztlich doch eine Annahme der Erbschaft verlangt“, freilich zu weit geht und nicht hinreichend zwischen der Konstruktions- und der Legitimationsebene unterscheidet. 566 Siehe auch Fenyves/Kerschner/Vonkilch/Schauer, Vor § 531 ABGB, Rn. 31, der die österreichische Lösung für „durchaus vertretbar“ hält und eine mögliche Optimierung darin sieht, der behördlichen Intervention nur noch fakultativen Charakter zu verleihen. Koziol/Koziol, Austrian Private Law, Rn. 217, betonen den weiten Ermessensspielraum des Gerichtskommissärs, der es ihm ermögliche, für den Einzelfall die passende Balance zwischen Intervention und Freiheit zu finden. Vorsichtig auch Mayer, Referat, L 129 („letztlich wohl zu teuer“). 567 Dazu unten § 2 A.III. (125 ff.). 568 Bis 2006 war sie in Art. 7 75 Code civil1804 kodifiziert, siehe Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 756. Muscheler, Erbrecht I, Rn. 1076, erwähnt daneben auch den Grundsatz des „invito non datur“, der aber besser auf Begünstigungen passt. 569 Siehe Dutta, Warum Erbrecht?, 323 f. 570 Ein freiwilliges Fernhalten vom Erbfall kann natürlich auch durch weitere Gründe motiviert sein (prägnanter Überblick bei Metzler, Ausschlagung und Erbverzicht, 17; ausführlicher Menzel, Entschließungsfreiheiten, 33–43). Der praktisch bedeutsamste Fall dürfte die gezielte Begünstigung einer nachberufenen Person sein (zu dieser „lenkenden Ausschlagung“ z. B. Muscheler, Erbrecht I, Rn. 1098–1103; Keim, ZEV 2020, 393). Zur Frage einer Sittenwidrigkeit drittbelastender Ausschlagungen Menzel, Entschließungsfreiheiten, 43–62. Ein außerrechtliches Motiv für eine Erbausschlagung begegnet in dem Roman „Vor dem Sturm“ von Theodor Fontane (1878): Als Generalmajor von Bamme, den man in seinem Heimatort Groß-Quirlsdorf für einen „Tückebold, auch noch für Schlimmeres“ hält, am Ende der Erzäh-
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ganz bewusst die Rolle des „Lückenbüßers“ zuweist, in Deutschland also dem Staat,571 wird es konsequenterweise verwehrt, sich der Nachfolge zu entziehen.572 Abgelehnt wird es folglich auch, die Pflicht zur Nachlassabwicklung als negatives Korrelat einer unentziehbaren Nachlassteilhabe zu statuieren und sie den nahen Angehörigen des Verstorbenen aufzuerlegen.573
Das Optionsrecht der Berufenen kann auf zwei Arten konstruiert werden: Entweder muss der Berufene etwas tun, um in die Abwicklerstellung einzutreten, oder er muss etwas tun, um diesen Eintritt zu vermeiden.574 Die erste Variante kann man in Anlehnung an die Redeweise aus anderen Rechtsbereichen als „opt in“ oder „Zustimmungslösung“ bezeichnen, die zweite als „opt out“ oder „Widerspruchslösung“.575 Berücksichtigt man, dass das Optionsrecht notwendig befristet werden muss, weil anderenfalls ein unbegrenzter Schwebezustand drohen würde, kann man auch danach unterscheiden, was die „default rule“ oder Auffangregel im Fall des Fristablaufs ist. Dies verdeutlicht auch den schon oben herausgestellten Punkt, dass entscheidend nicht die Rechtsfolge im Moment des Todes ist, sondern die Rechtsfolge bei Ablauf der Überlegungsfrist.576 Die rechtsvergleichende Besonderheit des BGB besteht also nicht darin, dass es im Zeitpunkt des Erbfalls eine vorläufige, sondern dass es nach Ablauf der kurzen Überlegungsfrist eine definitive Gesamtnachfolge anordnet. Der materiale Gehalt der Entscheidung zwischen der „opt in“- und der „opt out“-Lösung ist deutlich geringer als häufig angenommen,577 und auch die Verfaslung sein gesamtes Vermögen überraschend Marie Kniehase vermacht, drängt Tante Schorlemmer, Herrnhuterin und Haushälterin auf Schloss Hohen-Vietz, auf Zurückweisung des Zugewandten: Es sei „kein Segen daran“. Marie, die künftige Hausherrin, entgegnet indessen zur allgemeinen Erheiterung, „dazu sei sie doch nicht fromm genug“ (Bd. I V, 28). Im Roman „Bel-Ami“ von Guy de Maupassant (1885) ist es die Sorge vor einem sittlichen Makel, die die Hauptfigur daran denken lässt, seiner Ehefrau die nach damaligem französischem Ehegüterrecht (Art. 776 Code civil1804) erforderliche Zustimmung zur Annahme einer letztwilligen Zuwendung zu verweigern: Die überraschende Alleineinsetzung von Madeleine Du Roy im Testament des Grafen Vaudrec könne nur als Anerkennung für eine frühere Liebesbeziehung gedeutet werden. Genau wie in „Vor dem Sturm“ wird auch hier die Zuwendung am Ende behalten, wobei die Ehegatten mittels einer Schenkung den wahren Inhalt des Testaments zu verschleiern suchen (Teil II/6). 571 § 1936 BGB. 572 § 1942 Abs. 2 BGB. 573 Zu dieser Überlegung Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 821, der eine Zwangsnachfolge aber klar ablehnt („évidemment inadmissible!“). 574 Siehe auch Wolf, ZSR 125 (2006) II, 218. 575 Die Unterscheidung zwischen einer „opt in“- und einer „opt out“-Lösung findet sich etwa im Kontext völkerrechtlicher Vereinbarungen, siehe für das UN-Kaufrecht Schwenzer/Schwenzer/Hachem, Art. 6 Rn. 2. Die Unterscheidung zwischen der „Zustimmungslösung“ und der „Widerspruchslösung“ findet sich insbesondere im Recht der Organspende, siehe etwa McColgan, JZ 2018, 1139. 576 Siehe oben E.I.2b) (44 ff.). 577 Dies betont zu Recht Kirchhofer, Erbschaftserwerb, 7, unter Bezugnahme u. a. auf F. Mommsen, Gutachten, 13-21. Zu weit geht indessen die im deutschen Schrifttum sehr verbreitete Annahme, dass die Entscheidung zwischen Antritts- und Vonselbsterwerb allein konstruktiver
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ser des BGB sahen darin vorrangig eine „Konstruktionsfrage“.578 So sind beide Lösungen im Hinblick auf die Rechtsfolgen einer ausgeübten Option trotz unterschiedlicher Ausgangspunkte äquivalent, indem beispielsweise ein deutscher Erbe, der ausschlägt, behandelt wird, als sei er niemals Gesamtnachfolger gewesen (er kann den Erwerb also rückstandslos beseitigen),579 wohingegen ein italienischer erede, der die Erbschaft annimmt, behandelt wird, als sei er stets Nachlassinhaber gewesen.580 Ebenso vermögen beide Modelle sicherzustellen, dass eine noch nicht ausgeübte Option des verstorbenen Nachfolgers auf dessen Nachfolger übergeht.581 Für das deutsche Recht findet sich der genannte Gedanke prägnant in den Materialien zum BGB formuliert, allerdings nicht im Kontext des Erbrechts, sondern des Ehegüterrechts. So begründete der zuständige Redaktor Gottlieb Planck die Regel, dass ein Ehegatte zur Ausschlagung einer Erbschaft nicht der Zustimmung des anderen bedurfte, wie folgt: „Vom Standpunkte des formellen Rechts aus erscheint die Entsagung einer Erbschaft, wenn dieselbe, wie dies für den Entwurf von der Kommission beschlossen ist, ipso iure erworben wird, als Aufgeben eines bereits erworbenen zum Ehegut gehörenden Rechts und würde hiernach weder von dem Manne noch von der Frau allein erfolgen können. Sieht man indessen auf das Wesen der Sache, so dürfte die Auffassung des römischen Rechts den Vorzug verdienen. […] Wer die Erbschaft ausschlägt, hört nicht auf Erbe zu sein, sondern ist es niemals gewesen, giebt nicht die erworbene Erbschaft auf, sondern hat sie niemals erworben. […] Auch wenn die Erbschaft kraft Rechtens erworben wird, hat dieser Erwerb doch, so lange das Entsagungsrecht nicht weggefallen ist, nur eine formelle Bedeutung; […]“.582
Anhand verschiedener Beispiele lässt sich sodann zeigen, dass der gewählte Erwerbsmodus andere Regelungen nicht präjudiziert, obwohl dies bei formaler Betrachtung den Anschein hat. So ist etwa der Umstand, dass das BGB bei einem minderjährigen Berufenen für die Ausschlagung, nicht aber für die Annahme eine familiengerichtliche Genehmigung verlangt,583 nicht der Tatsache geschuldet, dass die erklärte oder fingierte Annahme keiner Kontrolle zugänglich wäre,584 sondern Ausdruck der (fragwürdigen) Auffassung, dass die Annahme weniger kontrollbedürftig sei.585 Ein weiteres Beispiel ist die Frage, ob Gläubiger eines insolventen Natur sei, siehe mit zahlreichen Nachweisen Menzel, Entschließungsfreiheiten, 31 f., 50–55. Zum materialen Gehalt der Entscheidung siehe die Ausführungen im Text. 578 Motive V, 487 = Mugdan V, 259. 579 § 1953 Abs. 1 BGB. 580 Art. 459 Codice civile. 581 Sog. Transmissionsrecht, siehe etwa § 1952 BGB, Art. 479 Codice civile; Kirchhofer, Erbschaftserwerb, 7. Wohl nichts hat der Popularität des Antrittserwerbs historisch so geschadet wie der Umstand, dass die Römer das Transmissionsrecht erst schrittweise herausbildeten und die Quellen infolgedessen unübersichtlich waren (dazu Brenne, Erbanfall- und Erbantrittsprinzip, 8, 13). 582 Planck, Begründung, 531 f.; ganz ähnlich die Formulierung in Motive IV, 243 = Mugdan IV, 134 f. 583 §§ 1643 Abs. 2 , 1822 Nr. 2 BGB. 584 Hinsichtlich der fingierten Annahme bedürfte es allerdings einer Ausnahme von § 1943 Hs. 2 BGB, was auf eine Suspendierung des Vonselbsterwerbs hinauslaufen würde. 585 Röthel, Erbrecht, § 27 Rn. 31, die darin den Ausdruck einer „Grundvermutung für die Erbenstellung“ sehen will, zu Recht aber auch darauf hinweist, dass die Erfahrung die gesetzgeberi-
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Berufenen sich gegen dessen Ausschlagung bzw. Nichtannahme der Erbschaft zur Wehr setzen können. Obwohl sich die Ausschlagung einer bereits erlangten Rechtsträgerschaft formal als Vermögensverlust darstellt, die Nichtausübung einer Eintrittsoption hingegen als Verzicht auf einen Vermögenszuwachs, sind die Lösungen des deutschen und des italienischen Rechts genau entgegengesetzt: Das deutsche Recht gestattet auch dem insolventen Erben die Ausschlagung,586 das italienische hingegen erlaubt den Gläubigern des insolventen Erben, in dessen Namen die Erbschaft anzunehmen.587 Schließlich hat die Entscheidung zwischen Widerspruchs- und Zustimmungslösung auch keinen grundlegenden Einfluss auf die Darlegungs- und Beweislast.588 So genügt es im deutschen Recht nicht, dass ein Nachlassgläubiger das Fehlen einer Ausschlagungserklärung vorträgt; denn aufgrund der Vorschrift des § 1958 BGB muss er auch darlegen und beweisen, dass eine Annahme erfolgt ist.589 Und obgleich diese durch bloßen Ablauf der Ausschlagungsfrist eintritt, hängt der Fristbeginn von der Kenntnis des Berufenen ab,590 die deshalb gemäß den allgemeinen Grundsätzen von demjenigen zu beweisen ist, der sich auf sie beruft.591 Immerhin bleibt als materialer Gesichtspunkt eine Beweiserleichterung592 im Vergleich zu einem Modell, in dem die ausdrückliche oder konkludente Annahmehandlung dargelegt werden muss und deshalb insbesondere Streitigkeiten über das Vorliegen einer konkludenten Annahme programmiert sind.593 Das zweite und bedeutendste materiale Argument zugunsten einer „opt out“-Lösung ist die Tatsache, dass sie im Interesse der Nachlassgläubiger und des Rechtsverkehrs im Allgemeinen eine schnelle Stabilisierung der Verhältnisse ermöglicht. Zwar ist zu betonen, dass sich die Dauer des Schwebezustands nicht aus dem Erwerbsmodus ergibt, sondern aus der Länge der Überlegungsfrist, und die Auffangregel des Erwerbs nicht zwingend mit einer kurzen Überlegungsfrist einhergehen muss.594 Doch macht die „opt out“-Lösung die Ansetzung einer kurzen Frist eher sche Auffassung in Zweifel gezogen hat, wie nicht zuletzt die Einführung des § 1629a BGB bestätigt (dazu unten § 6 E.IV.5b) (518 ff.)). 586 § 83 Abs. 1 S. 1 InsO. Zur hierin zum Ausdruck kommenden personalen Dimension der Erbenstellung Röthel, Erbrecht, § 27 Rn. 10. 587 Art. 524 Codice civile. Auch andere Rechtsordnungen kennen eine solche Regelung, eingehend Christandl, ZEuP 2011, 779–804; ferner Dutta, Warum Erbrecht?, 20. 588 Hierauf weist zu Recht Kirchhofer, Erbschaftserwerb, 62 f., hin. 589 MüKoBGB/Leipold, § 1958 Rn. 12. Zu undifferenziert hingegen Denkschrift BGB, 851; Endemann, Erbrecht III/2, 761; Wacke, JA 1982, 243; Ouart, in: Große-Wilde/Ouart, § 1942 Rn. 7; Schmoeckel, Erbrecht, § 4 Rn. 17. Widersprüchlich Muscheler, Erbrecht I, Rn. 1214 mit Fn. 286. 590 § 1944 Abs. 2 BGB. 591 Siehe BGH ZEV 2000, 401 (402); BGH ZEV 2012, 559 (560); MüKoBGB/Leipold, § 1944 Rn. 32; Soergel/Stein, § 1944 BGB Rn. 22; Ouart, in: Große-Wilde/Ouart, § 1944 Rn. 31. 592 Kirchhofer, Erbschaftserwerb, 63 f. Zu undifferenziert hingegen Baumann, ErbR 2020, 302. 593 Dies bestätigt jedenfalls die französische Erfahrung, siehe Leleu, Transmission, Nr. 88–90. Allgemein zum genannten Argument Reif, in: 4. Denkschrift, 41 f.; Muscheler, Erbrecht I, Rn. 1218, 1221. Darauf, dass bei kurzer Ausschlagungsfrist kein Bedarf für ein großzügiges Verständnis der Annahme besteht, weist Röthel, Erbrecht, § 27 Rn. 33, hin. 594 Dies suggerieren aber etwa Reif, in: 4. Denkschrift, 40 (Fn. 2); Ouart, in: Große-Wilde/
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zumutbar. Denn abgesehen davon, dass in der überwiegenden Zahl der Fälle der Erwerb dem Betroffenen willkommen sein wird, ist selbst eine unliebsame Aufdrängung als Folge der Fristversäumung zumindest so lange hinnehmbar, wie eine persönliche Haftung ausgeschlossen werden kann. Demgegenüber stellt sich der ungewollte Verlust einer erbrechtlichen Erwerbschance als wesentlich einschneidendere Auffanglösung dar, was erklärt, wieso die „opt in“-Lösung nur schlecht mit einer kurzen Überlegungsfrist kombiniert werden kann. Für sich allein genommen vermag das statistische Regelverhalten den automatischen Erwerb hingegen nicht zu rechtfertigen,595 auch wenn dies immer wieder behauptet wird.596 Denn zum einen fragt sich, warum die „Widerspruchslösung“ dann nicht auch für Schenkungen gilt, mit denen im Gegensatz zu einer Erbschaft noch nicht einmal Belastungen verbunden sind. Zum anderen mutet es merkwürdig an, die Befreiung vom Erfordernis einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Annahmeerklärung als Wohltat gegenüber dem Berufenen „zu verkaufen“, wenn eine solche Erklärung doch zu den am leichtesten zu vollziehenden Handlungen des gesamten Privatrechts gehört. Viel überzeugender ist daher das u. a. schon von Friedrich Mommsen vorgebrachte Argument, dass ein Erwerb, der in die Macht des Berufenen gestellt ist, auch nur aufgrund einer entsprechenden Erklärung eintreten sollte,597 so wie es den allgemeinen Grundsätzen des Privatrechts entspricht und im Übrigen auch der Laienerwartung.598
Eine ausführliche Stellungnahme zu diesen Fragen ist hier nicht das Ziel. Stattdessen soll nur deutlich gemacht werden, dass eine „Widerspruchslösung“ entgegen häufiger Darstellung gerade nicht den Interessen des Berufenen dient, sondern denen der Nachlassgläubiger und der Allgemeinheit,599 während umgekehrt die „Zustimmungslösung“ dazu neigt, die Interessen des Berufenen in den Vordergrund zu stellen. So räumen etwa das französische und das italienische Recht dem Berufenen Ouart, § 1942, Rn. 7. Reif, in: 4. Denkschrift, 41, und Muscheler, Erbrecht I, Rn. 1218, weisen wenigstens darauf hin, dass die Länge der Ausschlagungsfrist entscheidend ist. 595 Kritisch auch Baumann, ErbR 2020, 301, der zudem die angebliche Seltenheit von Ausschlagungen infrage stellt. 596 Siehe etwa Endemann, Erbrecht III/2, 762; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 193; Wacke, JA 1982, 242; Muscheler, Erbrecht I, Rn. 1214; Wolf, ZSR 125 (2006) II, 233. 597 F. Mommsen, Entwurf, 284 (Erläuterung zu § 219), dazu Andres, Erbrechtsentwurf Mommsen, 141 f., die von einem „Musterbeispiel für die Verwirklichung liberaler Ideale“ spricht. Sympathie für den Antrittserwerb äußert auch Rabel, Grundzüge, 226. Siehe ferner etwa v. Lübtow, Probleme des Erbrechts, 12 (Antrittssystem berücksichtigt Erbenwillen „viel ungezwungener und natürlicher“); Baumann, ErbR 2020, 303 (Vonselbsterwerb „systemwidrig“, vor allem in einer Gesellschaft aufgelöster Familienbande). Auch Muscheler, Erbrecht I, Rn. 1219, erkennt die Berechtigung des genannten Arguments an. 598 Sehr klar Schippel, in: FS Wirner, 982 f.: „Aus der täglichen Erfahrung im Umgang mit der landläufigen Volksmeinung weiß jedenfalls der bayerische Notar, wie verwundert und fast misstrauisch die Bevölkerung reagiert, wenn man den ‚Vonselbsterwerb‘ des deutschen Erbrechts erläutert. Erbe geworden zu sein, ohne es zunächst gewußt oder gewollt zu haben, erscheint doch vielen als das, was es ist, nämlich als juristische Fiktion.“ Als Wunschdenken entpuppt sich somit die Aussage von Reif, in: 4. Denkschrift, 40 f., dass es „heute in das Rechtsbewußtsein des Volkes eingegangen [ist], daß der Erbe sich entweder um die Erbschaft bekümmern oder diese ausschlagen muß“. 599 Lange/Kuchinke, Erbrecht, 194.
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die sehr lange Überlegungsfrist von zehn Jahren ein und fördern damit das Ziel einer informierten Entscheidung. Wenn Nachlassgläubiger oder Nachberufene im Fall der Untätigkeit früher Klarheit haben wollen, sind sie es, die tätig werden und mittels „Provokation“ eine Entscheidung forcieren müssen. 600 Was schließlich die rechtliche Behandlung des Nachlasses während des Laufs der Überlegungsfrist betrifft, erweist sich, wie im folgenden Abschnitt darzulegen ist, das gewählte Erwerbsmodell erneut nicht als entscheidend, auch wenn anderes oft suggeriert wird. 2. Rechtskonstruktive Fragen: Das Schreckgespenst des „ruhenden Nachlasses“ Wie auch immer das Optionsrecht gestaltet wird, führt die Rücksichtnahme auf die Entscheidungsfreiheit unweigerlich zu einer Schwebelage, während derer das endgültige Schicksal des Nachlasses noch unbestimmt ist. 601 Hieraus ergeben sich wiederum zwei Folgefragen: Zum einen muss der Schwebezustand konstruktiv bewältigt, d. h. die Kontinuität der Rechtsverhältnisse sichergestellt werden. Zum anderen muss gewährleistet sein, dass der Nachlass während des Schwebezustands den gebotenen Schutz erfährt, etwa in Gestalt notwendiger Verwaltungsmaßnahmen. a) Die konstruktive Bewältigung des Schwebezustands Auf den ersten Blick besteht zwischen dem deutschen und dem französischen Recht auf der einen Seite und dem italienischen und dem österreichischen Recht auf der anderen Seite ein gewichtiger Unterschied: Während der Nachlass in den erstgenannten Rechtsordnungen zu jeder Zeit einen Träger hat,602 kommt es in den zweitgenannten bis zum Erwerb durch den erede bzw. Erben zu einer hereditas iacens bzw. einem „ruhenden Nachlass“. 603 In der Tat lassen deutsche Juristen kaum eine Gelegenheit aus, die lückenlose Zuordnung des Nachlasses durch das BGB herauszustellen und damit der hereditas iacens zumindest implizit Problemcharakter zu bescheinigen. 604 Der belgische Autor Leleu geht sogar so weit, die ruhende Erb600 Siehe zu diesem Provokationsrecht unten § 7 B.III.1b) (580 ff.). Als haltlos erweist sich damit die Aussage von Reif, in: 4. Denkschrift, 41, dass beim Antrittserwerb der Schwebezustand „unbegrenzt“ sei. 601 Für das deutsche Recht wird dies etwa anerkannt von Denkschrift BGB, 851; v. Lübtow, Probleme des Erbrechts, 11; Staudinger/Otte (2017), § 1942 Rn. 10; Baumann, ErbR 2020, 302. Rabel, Grundzüge, 226, meint sogar: „Um den Schwebezustand kommt keine Rechtsordnung herum.“ Aber dies ist nur zutreffend unter der Voraussetzung eines Optionsrechts. Geleugnet wird das Auftreten eines Schwebezustands im deutschen Erbrecht dagegen z. B. von Staudinger/ Meyer-Pritzl, Eckpfeiler, Rn. W 110. 602 Diese Gemeinsamkeit besteht unabhängig davon, wie das deutsche und das französische Recht den endgültigen Erwerb konstruieren (dazu oben E.I.2b) (44 ff.)). 603 Entgegen Baumann, ErbR 2020, 302, wird dieser rechtskonstruktive Unterschied durch eine Rückwirkung des (endgültigen) Erwerbs keineswegs eingeebnet. 604 Siehe aus dem deutschen Schrifttum etwa Muscheler, Erbrecht I, Rn. 1031, 1214; Röthel, Erbrecht, § 27 Rn. 5; Leipold, Erbrecht, Rn. 601; Metzler, Ausschlagung und Erbverzicht, 29; K. W. Lange, AcP 220 (2020), 185. Zu optimistisch scheint vor diesem Hintergrund die Auffassung von Schulz, Classical Roman Law, Rn. 511, dass einem „modern continental lawyer“ die Vorstellung eines trägerlosen Nachlasses keine Schwierigkeiten bereite.
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schaft als „monstre juridique“ zu brandmarken.605 Verkannt wird bei dieser Kritik allerdings nicht nur, dass sich die konstruktiven Defizite der „ruhenden Erbschaft“ durch flankierende Maßnahmen recht einfach lösen lassen, sondern auch, dass das deutsche und das französische Recht ebenfalls Anpassungsbedarf haben, nur in spiegelverkehrter Weise. So wahrt das österreichische Recht die Kontinuität der Rechtsbeziehungen dadurch, dass es den Nachlass schlicht zur juristischen Person erklärt606 und damit an eine Lehre anknüpft, die im gemeinen Recht über viele Jahrhunderte hindurch bestimmend war. 607 Im italienischen Recht, wo eine ausdrückliche Regelung fehlt, wird die Erklärung bevorzugt, dass der noch nicht angetretene Nachlass ein subjektloses Zweckvermögen sei. 608 Auch diese Ansicht hat einen respektablen Stammbaum: Sie wurde u. a. von Windscheid und Jhering vertreten,609 stieg gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland zur herrschenden auf610 und wird von der Romanistik des 20. Jahrhunderts als diejenige Erklärung betrachtet, die der Auffassung der Römer am ehesten gerecht wird. 611 In jedem Fall entschärft das italienische
605 Leleu, Transmission, Nr. 891; siehe auch die Kritik am österreichischen Recht bei Nr. 258; etwas milder ders., ERPL 6 (1998), 164 („un effet secondaire regrettable“). 606 § 5 46 ABGB in der seit 2016 geltenden Fassung. Die Vorschrift bildet den Schlusspunkt eines langjährigen Meinungsstreits über die Rechtsnatur des ruhenden Nachlasses, siehe unten Fn. 635. 607 Glück/Mühlenbruch, Pandecten, Bd. 43, 41; Savigny, System II, 363, spricht von der „gewöhnlichen Lehre unsrer Rechtslehrer“; Coing, Europäisches Privatrecht I, 562, 621 f. Siehe auch Dovere, SDHI LXX (2004), 13. Die Ansicht vom ruhenden Nachlass als juristischer Person genoss über Jahrhunderte hinweg eine „friedliche Stille“ (Windscheid, Ruhende Erbschaft, 182), bis diese 1840 von Savigny gestört wurde, der im Kontext seiner Behandlung der juristischen Personen der Rechtsnatur der hereditas iacens in Band 2 des „Systems“ einen Abschnitt widmete. Savigny sah hierbei vermutlich nicht voraus, dass er die vielleicht größte erbrechtliche Diskussion des gesamten 19. Jahrhunderts lostrat, die zeitweise „bis zum Überdruß“ geführt werden sollte ( Jhering, Passive Wirkungen der Rechte, 413) und an der sich u. a. Puchta, Jhering und Windscheid intensiv beteiligten. Einen guten Überblick bieten Brenne, Erbanfall- und Erbantrittsprinzip, 46–58; Hohner, Subjektlose Rechte, 56–63; Falk, Rechtshistorisches Journal 9 (1990), 221–240. 608 Siehe Natoli, L’amministrazione dei beni ereditari, 88 f. Diese Erklärung wird auch im portugiesischen Schrifttum favorisiert, siehe etwa Oliveira Ascensão, Sucessões, 399; Duarte Pinheiro, Direito das Sucessões, 406. 609 Windscheid, Ruhende Erbschaft, 181–207; ders./Kipp, Pandektenrecht I, 220–222; ders./ Kipp, Pandektenrecht III, § 531 (wo allerdings auch der Eindruck entsteht, dass Windscheid die hereditas iacens als juristische Person auffasst); Jhering, Passive Wirkungen der Rechte, 389 f., 395 (vgl. auch 413 f.). Zu Jherings früherer Auffassung von der fortwirkenden Erblasserpersönlichkeit unten Fn. 636. Betont gelassen allerdings Bernhöft, Zur Reform des Erbrechts, 45: „Ob man [in Fällen der noch nicht angetretenen Erbschaft] von einem subjektlosen Vermögen oder von einer juristischen Person sprechen will, ist ein Wortstreit ohne praktische Bedeutung.“ 610 Siehe etwa Steinlechner, Das schwebende Erbrecht II, 2; Schwarz, Archiv für bürgerliches Recht 35 (1910), 68; Regelsberger, Pandekten, 294 f. 611 Siehe etwa Schulz, Classical Roman Law, Rn. 512; Kaser, Römisches Privatrecht I, 720; v. Lübtow, in: FS Lehmann, 374 (Fn. 187). Die Vorstellung von der Erbschaft als einer juristischen Person und damit dem Subjekt ihrer selbst sei den Römern „völlig fremd“ gewesen, Rabel, Grundzüge, 229; ähnlich Schulz, Classical Roman Law, Rn. 513: „preposterous“.
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Recht das rechtskonstruktive Problem dadurch, dass es der Antretung durch den erede Rückwirkung zuspricht612 und auch hierin historischen Vorbildern folgt. 613 Man mag nun die genannten Konstruktionen gekünstelt oder unästhetisch finden;614 der Nachweis, dass sie zu substanziellen Schwierigkeiten führen, gelingt nicht, und bezeichnenderweise werden diesbezüglich auch gar keine konkreten Vorwürfe erhoben. 615 Unbewusst räumen deutsche Autoren die Harmlosigkeit eines ruhenden Nachlasses dort ein, wo sie die Fälle erörtern, in denen ein solcher Zustand ausnahmsweise auch im deutschen Recht auftritt. Gemeint sind die Konstellationen, in denen eine im Zeitpunkt des Erbfalls noch nicht als rechtsfähig anerkannte Stiftung oder ein nasciturus, d. h. eine bereits gezeugte, aber noch nicht geborene Person, zur Erbfolge berufen ist. Die in den §§ 84, 1923 Abs. 2 BGB enthaltene Rückwirkungsfiktion sorgt in dieser Situation dafür, dass die Berufung durch eine Ausnahme von § 1923 Abs. 1 BGB gewissermaßen „warmgehalten“ wird, kann aber nichts daran ändern, dass es bei Eröffnung des Erbfalls an einem zur Rechtsnachfolge berufenen Subjekt fehlt und die weitere Entwicklung ungewiss ist (weil eben im Zeitpunkt des Erbfalls niemand weiß, ob es zur Anerkennung der Stiftung bzw. der Geburt der Person kommt). 616 Die Regel, dass der Nachlass immer vom Berufenen getragen wird, stößt mithin an ihre Grenzen, auch weil das BGB in dieser Situation keinen „Zwischenberufenen“ benennt, wie es dies im Fall der Erbeinsetzung unter einer aufschiebenden Bedingung oder Befristung tut (konstruktive Vorerbschaft, § 2105 BGB).617 Bezeichnend ist nun die Nonchalance, mit der etwa Muscheler oder Röthel sich zum Fall des nasciturus äußern: „Ob man mit Rücksicht auf dieses ‚tempus vacuum‘ auch heute noch von einem (vorübergehend) ‚herrenlosen Nachlass‘ sprechen muss bzw. kann, ist praktisch ohne Belang und theoretisch zu verneinen.“618 „Selbst für den Fall, dass der Erbe im Erbfall zwar schon gezeugt, aber noch nicht geboren ist, vermeidet das BGB einen herrenlosen, ‚ruhenden‘ Nachlass: Der bereits gezeugte Erbe gilt als vor dem Erbfall geboren […], so dass auch in diesem Fall der Nachlass rückwirkend lückenlos zugeordnet ist und vom Erblasser direkt auf den Erben übergeht.“619 Ist diesen Äußerungen auch insofern beizupflichten, als 612
Art. 459 Codice civile. etwa Flor. D. 29, 2, 54: „Heres quandoque adeundo hereditatem iam tunc a morte successisse defuncto intellegitur“; Gaius D. 45, 3, 28, 4: „[…] quia qui postea heres extiterit, videretur ex mortis tempore defuncto successisse“. 614 Von einem „zivilistische[n] Münchhausen, der sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zieht“, spricht v. Lübtow, in: FS Lehmann, 375, von einer „serpent qui se mord la queue“ Leleu, Transmission, Nr. 257. 615 Repräsentativ Muscheler, Erbrecht I, Rn. 1088, der von der „hereditas iacens nebst all den mit ihr verbundenen Problemen“ spricht, ohne diese zu spezifizieren. Auch die Behauptung von Leleu, Transmission, Nr. 259, dass das österreichische Recht die Konsequenz der „jacence successorale“ unterschätze, bleibt unbelegt. Mayer, Referat, L 129, sieht im Entstehen einer hereditas iacens ein Hindernis für die Übertragung des österreichischen Nachlassverfahrens auf das deutsche Recht. Als „unglücklich[e] Rechtsfigur […] die die Verfasser des Gesetzbuches doch bekanntlich ausgemerzt wissen wollten“, bezeichnet Oertmann, Rechtsbedingung, 126, die ruhende Erbschaft. 616 Wacke, JZ 2001, 384, weist darauf hin, dass das Gesetz statt dieser fiktiven Vorverlegung der Geburt auch zur Fiktion eines Fortlebens des Erblassers bis zur Geburt hätte greifen können. Allgemein zu dieser beliebten Denkfigur unten Text bei Fn. 633. 617 Dazu Muscheler, Erbrecht I, Rn. 1032. 618 Muscheler, Erbrecht I, Rn. 1034. 619 Röthel, Erbrecht, § 27 Rn. 5. 613 Siehe
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das vorübergehende Fehlen eines Berufenen in der Tat kein schwerwiegendes Problem darstellt, ist den zitierten Autoren dennoch der Vorwurf zu machen, dass sie mit zweierlei Maß messen. Denn zum einen haben sie genau den Rechtszustand, den sie für das deutsche Recht nun als unproblematisch bezeichnen, kurz vorher im Kontext ausländischer Rechtsordnungen noch als äußerst bedenklich charakterisiert. Zum anderen verleugnen sie schlichtweg das Entstehen eines Nachlasses, der zeitweilig, d. h. bis zur Klärung des Schicksals des nasciturus, ohne Rechtsträger ist.620 Demgegenüber hatte beispielsweise Gottfried von Schmitt, der Erbrechtsredaktor für das BGB, für die Vorgängerregelung des § 1923 Abs. 2 BGB noch ganz offen vom Entstehen einer „ruhenden Erbschaft“ gesprochen.621 Soweit Muscheler und Röthel schließlich darauf abstellen, dass nach Klärung der Ungewissheit eine lückenlose Zuordnung besteht,622 müssten sie konsequenterweise auch für Rechtsordnungen wie Österreich oder Italien das Entstehen einer hereditas iacens verneinen. Im Gegensatz zu heutigen Autoren zeigten die Mitglieder des Erbrechtsausschusses der „Akademie für Deutsches Recht“ eine erfreulich gelassene Einstellung gegenüber der hereditas iacens. So führte Heinrich Siber treffend aus: „Als Errungenschaft des BGB gilt es, daß es die ruhende Erbschaft beseitigt hat. Die Errungenschaft ist gering, denn das Verhältnis des vorläufigen Erben ist genauso kompliziert wie das der ruhenden Erbschaft.“623 Ähnlich heißt es in der 4. Denkschrift, das Problem der hereditas iacens dürfe „nicht zu hoch eingeschätzt werden. Denn es bestehen keine grundsätzlichen Bedenken, eine Erbschaft als selbständiges Rechtssubjekt anzuerkennen.“624
In zweierlei Hinsicht sind das österreichische und das italienische Recht dem deutschen und dem französischen sogar überlegen. Zum einen können sie sich nämlich im Fall einer Ausschlagung damit begnügen, den Nachlasserwerb dem Nächstberufenen anzutragen, während der Code civil und das BGB sich zu dem Eingeständnis gezwungen sehen, dass sie auf das „falsche Pferd“ gesetzt haben, und den Erwerb des Erstberufenen durch eine Rückwirkungsfiktion aus der Welt schaffen müssen. 625 Zum anderen können sich das österreichische und das italienische Recht zu Gute halten, dass sie die Existenz eines Schwebezeitraums transparent machen,626 wohingegen BGB und Code civil dazu neigen, ihn zu verdecken. 627 Die Tatsache, dass das österreichische und das italienische Recht die hereditas iacens unterschiedlich konstruieren, führt zu einer weiteren wichtigen Einsicht, 620 Derselbe Vorwurf trifft Ludwig, ZEV 2013, 151 f.; Thorn/Lasthaus, IPRax 2019, 29. Deren Hinweis auf das in § 2043 Abs. 1 BGB enthaltene zeitweilige Auseinandersetzungsverbot geht an der Sache vorbei, da sich die Frage der Rechtsträgerschaft gerade dort stellt, wo der nasciturus der alleinige Berufene ist. Vermeiden lässt sich das Problem der Rechtsträgerschaft nur dadurch, dass man sie von Anfang an dem nasciturus zuweist, was sich freilich schwer mit § 1 BGB in Einklang bringen lässt. Für Nachweise siehe Oertmann, Rechtsbedingung, 126, 161–167, 222, der die soeben genannte Ansicht ablehnt, aber dessen eigene Lösung, nämlich die Zuerkennung von „Rechtsanwartschaften“ der Leibesfrucht (126, 164), das Problem nur überspielt. 621 Siehe § 295 Abs. 1 Teil-E BGB. 622 So auch Ludwig, ZEV 2013, 151 f.; Thorn/Lasthaus, IPRax 2019, 29. 623 Siber, Referat, 762. 624 Reif, in: 4. Denkschrift, 41 (Fn. 5). 625 § 1953 BGB; Art. 8 05 Abs. 1 Code civil. 626 Für das römische Recht stellt auch Schulz, Classical Roman Law, Rn. 511, den Vorzug einer „clear and realistic analysis“ heraus. 627 Siehe auch Kirchhofer, Erbschaftserwerb, 7; v. Lübtow, Probleme des Erbrechts, 11.
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dass es nämlich zu undifferenziert ist, in diesem Fällen von einem „subjektlosen Vermögenskomplex“ oder einem „herrenlosen Nachlass“ zu sprechen. 628 Denn das österreichische Recht schafft dem Nachlass mittels einer Fiktion ja gerade gezielt einen Interimsträger. Und schaut man in weitere Rechtsordnungen, in denen der Nachlass nicht sofort mit dem Tode auf den berufenen Nachfolger übergeht, finden sich sogar noch weitere Lösungsmodelle. So weist das englische Recht im Fall, dass kein executor im Testament bestimmt wurde, den Nachlass bis zur Ernennung eines administrator dem Public Trustee zu629, der eine staatliche Behörde630 in Form einer corporation sole ist, also über Rechtspersönlichkeit verfügt. 631 Anstatt wie das österreichische Recht ad hoc einen Rechtsträger zu schaffen, nimmt das englische Recht also ein bereits vorhandenes Rechtssubjekt in den Dienst. 632 Schließlich ist noch eine Lehre zu nennen, die auf Grundlage bestimmter Digestenstellen633 von den Glossatoren entwickelt wurde,634 später Eingang in das ABGB fand635 und in Deutschland insbesondere von Puchta mit Nachdruck vertreten 628 So aber z. B. Wacke, JA 1982, 242; Muscheler, Erbrecht I, Rn. 1031; Ivo, ErbR 2018, 674; Wolf, ZSR 125 (2006) II, 232. In der Sache auch Neumayer, in: Mélanges Piotet, 486; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 193; Ludwig, ZEV 2013, 152; Staudinger/Otte (2017), § 1942 Rn. 1. 629 Sec. 9(1) AEA; Kerridge, Law of Succession, [18-27]. In seiner ursprünglichen Fassung benannte sec. 9 AEA den „Probate Judge“ als Interimsrechtsträger. „Probate Judge“ war der Vorsitzende der „Family Division“ des High Court of Justice, die bis 1971 „Probate, Divorce and Admiralty Division“ hieß. Da Schwierigkeiten für den Fall eines Personalwechsels im Amt des „Probate Judge“ befürchtet wurden (auch wenn diese in der Praxis offenbar niemals aufgetreten waren), wurde sec. 9 AEA im Jahr 1994 dahingehend geändert, dass der Nachlass während der Schwebezeit nun dem unpersönlichen Public Trustee zugewiesen ist. Zum Ganzen Kerridge, Law of Succession, [18-27]. 630 Der 1906 geschaffene Public Trustee kann in Sonderfällen, insbesondere bei sehr geringen Nachlasswerten, mit der Nachlassabwicklung betraut werden (Halsbury’s Laws of England, [1166] f.; siehe auch unten § 6 Fn. 53), doch besteht seine Funktion in dem hier untersuchten Kontext einzig darin, als Rechtsträger des Nachlasses zu fungieren (siehe etwa die Aussage von Matthews, in: House of Lords, Report (Minutes of Evidence), 14: „simply a holding operation“). Einem grundlegenden Missverständnis unterlag daher Reif, in: 4. Denkschrift, 44, wenn er meinte, dass es bei Fehlen eines Testaments stets zur Abwicklung durch eine „öffentliche Treuhandstelle“ komme. 631 Sec. 1(2) Public Trustee Act 1906; Kerridge, Law of Succession, [18-27]. 632 Die pauschale Aussage von Neumayer, in: Mélanges Piotet, 486, dass es im Common Law zu einer subjektlosen Erbschaft komme, ist also in jeder Hinsicht unzutreffend. 633 Siehe z. B. Ulp. D. 43, 24, 13, 5 („hereditas defuncti locum optinet“); Flor. D. 30, 116, 3 („hereditas personae defuncti vice fungitur“). 634 Ermini, Rivista di Storia del Diritto Italiano 12 (1939), 57 ff.; ungenau dagegen Coing, Europäisches Privatrecht I, 622 (Fn. 13). 635 Siehe § 5 47 S. 3 ABGB in seiner ursprünglichen Fassung: „Vor der Annahme des Erben wird die Verlassenschaft so betrachtet, als wenn sie noch von dem Verstorbenen besessen würde.“ Dieser Satz war auf Anregung des innerösterreichischen Appellationsgerichts hin in den Entwurf aufgenommen worden. Sowohl das Appellationsgericht als auch Franz v. Zeiller maßen ihm nützliche klarstellende Funktion bei für den Fall, dass während der Schwebezeit Prozesse für oder gegen den Nachlass zu führen waren (Ofner, Ur-Entwurf, Bd. 1, 324 (zu § 326); v. Zeiller, Commentar, Bd. II/2, § 547 (406)). Dem noch folgend etwa Klang/Weiß, § 547 (123 f.); OGH 7.3.1979, 6 Ob 509/79, NZ 1980, 97: „Der Schuldner [scil. der Erblasser] ist […] bis zur Einantwortung seines Nachlasses an die Erben in vermögensrechtlicher Hinsicht als fortlebend zu betrachten“.
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wurde: die Vorstellung, dass der noch nicht angetretene Nachlass von der fortwirkenden Erblasserpersönlichkeit getragen werde. 636 Diese Erklärung verliert viel von ihrer Fremdartigkeit, wenn man sich vergegenwärtigt, dass sie im Gesellschaftsrecht vieler Länder, darunter Deutschland, gebraucht wird, um den „Tod“ einer juristischen Person zu bewältigen: Obwohl an sich schon erloschen, wird ihre Existenz bis zur Abwicklung verlängert. 637 Der Überblick macht deutlich, dass „ruhend“ nicht gleichbedeutend mit „subjektlos“ ist, und man den Begriff der hereditas iacens auf zwei, und sogar auf drei verschiedene Arten verstehen kann: Er kann erstens einen Nachlass meinen, der zwischenzeitlich ohne Rechtsträger ist. Er kann zweitens einen Nachlass meinen, der zwar einen Träger hat, dieser aber nicht identisch mit der zur Nachfolge berufenen Person ist. Drittens schließlich kann man jeden Nachlass als ruhend betrachten, der noch nicht seinen endgültigen Herrn gefunden hat, sich also insofern in einem Schwebezustand befindet. Folgt man diesem letztgenannten Begriffsverständnis, kommt es auch im deutschen Erbrecht stets zu einer hereditas iacens, weil zwar der aktuell Berufene immer auch Träger des Nachlasses ist, dieser Zustand aber nicht definitiv ist, solange die Möglichkeit zur – rückwirkenden (!) – Ausschlagung besteht. 638 Im Laufe der Zeit lösten sich die Gerichte und die Mehrheit der Autoren allerdings von dieser Vorstellung und betrachteten den Nachlass als juristische Person und damit als Träger seiner selbst. Siehe etwa Ehrenzweig/Kralik, Erbrecht, 26; Rummel/Lukas4/Welser, § 547 Rn. 2 f. m. w. N.; Schwimann/Kodek4/Eccher, § 547 Rn. 1; Eccher, Erbrecht 2, Rn. 1/5. Aus der Rechtsprechung siehe z. B. OGH Rechtssatz vom 27.7.1978 (RS0012206): „Der Nachlass existiert als Rechtssubjekt vom Zeitpunkt des Todes des Erblassers bis zum Eigentumserwerb durch den Erben.“ OGH 20.9.2012, 2 Ob 166/12v, NZ 2013, 155: „Der ruhende Nachlass ist als juristische Person Rechtsträger und Besitzer, er ist parteifähig und nur er und nicht der Erbe bis zur Einantwortung aktiv und passiv klagslegitimiert. Erst danach existiert er nicht mehr“ (unter II.1. der rechtlichen Beurteilung). Nachgezeichnet wird die Debatte von Leleu, Transmission, Nr. 253–259; Bielefeld, Entwicklung des Erbschaftserwerbs, 52–69. 636 Nach Puchta beruhte sogar das Erbrecht als solches notwendig auf der Fiktion, dass der Erblasser als fortlebend gedacht wird, weil nur so sein Vermögen fortbestehen und auf den Erben übergehen könne. Siehe Puchta, Kritische Jahrbücher für deutsche Rechtswissenschaft 4 (1840), 714; Puchta/Rudorff, Lehrbuch der Pandekten, 644 f. Puchtas Lehre von der fortwirkenden Erblasserpersönlichkeit wurde schon bald von einer Reihe von Autoren aufgegriffen und weiterentwickelt: „Dieser Gedanke Puchta’s hat gezündet; wir finden ihn in allen oben genannten Darstellungen als herrschenden und leitenden wieder“ (Windscheid, Ruhende Erbschaft, 183). Zu den anfänglichen Anhängern gehörte auch Jhering (Die Lehre von der hereditas jacens, 149–262), der Puchtas Lehre später allerdings mit beißendem Spott überzog (Jhering, Scherz und Ernst, 10 f.). Ausführlich zum Ganzen Mecke, Begriff und System, 739–747. 637 Siehe für das deutsche Recht etwa die Unterscheidung zwischen „Auflösung“ und „Beendigung“ einer Aktiengesellschaft oder GmbH Grunewald, Gesellschaftsrecht, Rn. 226 f., 207–210; aus vergleichender Sicht Leleu, Transmission, Nr. 254. 638 Dies betonen insbesondere Endemann, Erbrecht III/2, 771, und ihm folgend v. Lübtow, Erbrecht II, 652 f. Letzterer geht allerdings zu weit, wenn er für das deutsche Recht von einem „zeitweise subjektlosen Vermögen“ spricht (653). Denn die jederzeitige Existenz eines Rechtsträgers stellt das BGB über die „Zickzack-Fiktionen“ (Endemann, Erbrecht III/2, 768) der § 1953 Abs. 1 und 2 gerade sicher. Kritisch zu Endemanns Theorie vom „Wartrecht“ des Berufenen Muscheler, Erbrecht I, Rn. 1091–1097; Metzler, Ausschlagung und Erbverzicht, 41–52.
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Der Vorteil dieses weiten Verständnisses der hereditas iacens liegt darin, dass es möglich wird, die Regelung des BGB zu den vorgenannten Rechtsordnungen in Bezug zu setzen und als eine von mehreren Wegen zur Bewältigung des Schwebezustands zu begreifen, der sich aus der Rücksichtnahme auf die Selbstbestimmung des Erben ergibt. 639 Anstatt beispielsweise wie das österreichische Recht ad hoc einen Rechtsträger zu fingieren, schließt das BGB die Lücke mit Hilfe des aktuell Berufenen. Dass dieser somit vorerst nur eine Art Platzhalter ist, wird auch durch die weitere Regelung des Schwebezustands verdeutlicht. b) Die Verwaltung des ruhenden Nachlasses Im deutschen und im französischen Recht bringt die Nachlassinhaberschaft des Berufenen automatisch eine Verwaltungsbefugnis mit sich. 640 Doch darf aus dem Umstand, dass dem Berufenen nach österreichischem und italienischem Recht die Nachlassinhaberschaft einstweilen fehlt, nicht vorschnell auf eine Lücke geschlossen werden.641 Denn die Verwaltungsbefugnis wird dem Berufenen einfach gesondert zugesprochen, so dass er im Ergebnis genauso wie ein deutscher Erbe oder ein französischer héritier den Nachlass gegen Verschlechterungen und unbefugte Eingriffe schützen kann.642 Und wenngleich man in der Notwendigkeit, die Rechtsstellung des Berufenen punktuell zu erweitern, einen regelungstechnischen Nachteil des Auseinanderfallens von Rechtsträgerschaft und Berufung sehen kann, erweist diese Regelungstechnik sich in anderer Hinsicht wieder als konstruktiv überlegen. Denn es zeigt sich, dass das deutsche und französische Recht dem Berufenen mit der vollen Rechtsinhaberschaft zu viel geben, weil diese ihn sofort den Ansprüchen der Nachlassgläubiger aussetzt und damit mittelbar in seiner Freiheit zur Ausübung der Option einschränkt. Beide Rechtsordnungen sehen sich dementsprechend gezwungen, „Abstriche“ von der „Vollgültigkeit“ des Erwerbs zu machen,643 diesen 639 Schon deshalb wirkt es gekünstelt, wenn nicht gar irreführend, den Vonselbsterwerb des BGB in der Idee eines gesamthänderischen Familieneigentums verwurzelt zu sehen und nur so für erklärlich zu halten (so aber Auer, AcP 216 (2016), 273 f.). 640 Im französischen Recht erfährt dies allerdings eine bedeutende Modifizierung durch das Institut der saisine, dazu eingehend § 5 C.II.2. (329 ff.). 641 So aber der explizite Vorwurf bei Schmoeckel, Erbrecht, § 4 Rn. 14; Leleu, ERPL 6 (1998), 164; implizit z. B. K. W. Lange, AcP 220 (2020), 185 f. 642 § 810 ABGB, der seit seiner Reform im Jahr 2004 dem Berufenen ex lege die Verwaltungsbefugnis zuweist und somit keinen gerichtlichen Übertragungsbeschluss verlangt: Siehe Spitzer, NZ 2006, 33 f., und auch Mondel, NZ 2006, 225–234; Ferrari, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 96. Schon zum alten Recht heißt es bei Klang/Weiß § 810 (1012): „Unter normalen Verhältnissen übernimmt der Erbe den Besitz des Nachlaßvermögens ohne jede behördliche Mitwirkung […]“. Überholt und ohnehin zu undifferenziert die Kritik bei Leleu, ERPL 6 (1998), 164 f. Für das italienische Recht siehe § 460 Codice civile. 643 Muscheler, Erbrecht I, Rn. 1080; Staudinger/Marotzke (2008), § 1959 Rn. 21 (= Staudinger/ Mešina (2017), § 1959 Rn. 21), spricht von der „Tendenz des Gesetzes, den Erwerb der angefallenen Erbschaft bis zur Annahme als vermögensmäßig irrelevant zu behandeln“. Planck sprach wie oben gesehen (Fn. 582) davon, dass der Erwerb bei fortbestehendem Ausschlagungsrecht „nur eine formelle Bedeutung habe“.
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also in materialer Einsicht zurückzuschneiden. 644 Das österreichische und das italienische Recht haben für die Gewährung entsprechender Einreden keinen Bedarf, weil der Berufene angesichts seiner fehlenden Rechtsträgerschaft von vornherein nicht passivlegimitiert ist. Es zeigt sich somit, dass die beiden Regelungsmodelle von entgegengesetzten Punkten starten, sich aber in der Mitte treffen, indem sie der zur Gesamtnachfolge berufenen Person während der Überlegungsfrist die Verwaltung des Nachlasses gestatten und zugleich gegenüber Klagen in Schutz nehmen. Dass der Berufene im einen Fall formaler Rechtsträger ist und im anderen nicht, hat damit nur noch theo retische Bedeutung. Bei funktionaler Betrachtung kommt ihm in beiden Fällen das Recht (aber nicht die Pflicht) zur Verwaltung eines Nachlasses zu, der unabhängig vom Vorhandensein eines Rechtsträgers oder dessen Identität als „ruhend“ bezeichnet werden kann. 645 Die erheblichen Unterschiede zwischen der Rechtslage vor und nach der Annahme zeigen, warum es jedenfalls für das deutsche Recht unzutreffend ist, die einzige Wirkung der Annahme in dem Verlust des Ausschlagungsrechts zu sehen. 646 Denn obgleich sich an der formalen Zuweisung des Nachlasses in der Tat nichts ändert, ist der Unterschied in materiellrechtlicher Hinsicht himmelweit: Vom Platzhalter mit Verwaltungsbefugnis steigt der Gesamtnachfolger auf zum endgültig und umfassend berechtigten und verpflichteten Abwickler. Indem das BGB stets vom „Erben“ spricht, verschleiert es diesen Wechsel der Rollen. Das deutsche Schrifttum unterscheidet zwar immerhin zwischen dem „vorläufigen“ und dem „endgültigen Erben“ und erkennt damit die Notwendigkeit einer Differenzierung an.647 Doch ist der Begriff „vorläufiger Erbe“ immer noch irreführend. Denn er suggeriert, dass der einzige Unterschied zum „endgültigen Erben“ in der Vernichtbarkeit der Rechtsstellung liege, 648 obwohl diese wie gesehen ihrem Inhalt nach keineswegs identisch ist. 644 Siehe für das deutsche Recht insbesondere § 1958 BGB und § 7 78 ZPO, dazu und zu weiteren Ausprägungen des genannten Ziels Muscheler, Erbrecht I, Rn. 1080. Zur Ratio des § 1958 BGB zutreffend Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3072. Dass die Vorschrift von einem gegen „den Nachlass“ gerichteten Anspruch spricht, unterstreicht die Platzhalterrolle des (vorläufigen) Erben. Wenn Metzler, Ausschlagung und Erbverzicht, 30 f., auf die Möglichkeit zur Beantragung einer Nachlasspflegschaft hinweist (§ 1961 BGB), so lässt sich erwidern, dass eine solche ebenso gut mit dem Antrittserwerb kombiniert werden kann. Gleiches gilt für die Zulassung der Aufrechnung. Für das französische Recht siehe Art. 771 Code civil sowie unten § 7 B.III.1. (579 ff.). 645 v. Lübtow, Erbrecht II, 658. 646 So aber etwa Muscheler, Erbrecht I, Rn. 1078, 1095 f., dessen eigene Ausführungen in Rn. 1080 diese Ansicht widerlegen; immerhin nur von der „Hauptwirkung“ der Annahme spricht Metzler, Ausschlagung und Erbverzicht, 36 f., der den anderen Rechtsfolgen (insbesondere dem Wegfall des § 1958 BGB) dabei aber nicht die gebührende Bedeutung zuerkennt. Generell wird die Behauptung, dass in Systemen des Ipso-iure-Erwerbs die einzige Wirkung der Annahme in dem Verlust des Ausschlagungsrechts liege, von Leleu, ERPL 6 (1998), 163, und Pérès/Vernières, Droit des successions, 436, aufgestellt. 647 Siehe etwa Ouart, in: Große-Wilde/Ouart, § 1942 Rn. 8 –11; Muscheler, Erbrecht I, Rn. 1080; ders., Erbrecht II, 3072; Röthel, Erbrecht, § 27 Rn. 47. Für umfangreiche Nachweise aus dem älteren Schrifttum v. Lübtow, Erbrecht II, 656 (Fn. 51). 648 Selbst insoweit hält Endemann, Erbrecht III/2, 766, den Begriff „vorläufiger Erbe“ für eine contradictio in adiecto, weil „Erbe“ nach richtigem Verständnis nur der endgültige Nachfolger sei. Zustimmend v. Lübtow, Erbrecht II, 656 f.
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Den richtigen Weg weisen Rechtsordnungen wie Frankreich und Italien, die stets zwischen dem endgültigen Gesamtnachfolger (héritier/successeur, erede) und dem zur Gesamtnachfolge Berufenen (successible, chiamato) unterscheiden.649 Erbe ist folglich immer nur der endgültige Erbe. Und während diese Betrachtungsweise für das italienische Recht aufgrund des Antrittsprinzips naheliegt, zeigt das französische Recht, dass sie auch für ein System geboten ist, dass den Berufenen sofort zum Rechtsträger macht. Denn solange die Möglichkeit einer rückwirkenden Beseitigung besteht, ist die Gesamtnachfolge lediglich angetragen.
Kein Unterschied zwischen beiden Modellen besteht schließlich in dem Fall, dass der Nachlass in faktischer Hinsicht ohne Herrn ist, etwa weil der Berufene unbekannt ist, nichts von seiner Berufung weiß oder diese umstritten ist.650 Denn die jederzeitige rechtliche Zuordnung des Nachlasses zu einem Träger vermag eine solche tatsächliche Lücke nicht zu schließen. 651 Ganz gleich, wie sie die Nachlassabwicklung in Gang setzt, bedarf daher jede Erbrechtsordnung des Instituts der Nachlasspflegschaft652 (mit Ausnahme einer solchen, die ohnehin jeden Nachlass in amtliche Obhut nimmt).
III. Alternative Mechanismen des Vermögenstransfers von Todes wegen Das im Kontext der USA erwähnte Phänomen der „will-substitutes“, also privatrechtlicher Instrumente, die ihrer formalen Gestalt nach lebzeitiger Art sind, funktional aber (zumindest auch) zur Vermögensplanung für den Todesfall eingesetzt werden, ist keineswegs eine amerikanische Besonderheit, sondern nahezu weltweit anzutreffen (wenn auch meist in geringerer Intensität). 653 So spielen auch im deutschen Recht die „Zuwendungen unter Lebenden auf den Todesfall“654 längst eine überragende Rolle in der Praxis, insbesondere in Form von Schenkungen und Le-
649 Siehe für das französische Recht etwa Art. 780 des Code civil. Das Gesetzbuch hält die Differenzierung zwischen „successible“ und „successeur“ bzw. „héritier“ allerdings nicht konsequent durch, sondern spricht in den meisten Fällen schlicht vom „héritier“, siehe etwa Art. 768, 771 Code civil. Im Schrifttum ist die Unterscheidung aber fest etabliert, siehe etwa Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 749 (Fn. 1); Kaiser, Rückwirkender Vermögensübergang?, 110. Für das italienische Recht siehe Art. 460, 461 Codice civile. Der Codice civile von 1865 war diesbezüglich noch weniger präzise formuliert, was mit ein Grund dafür war, dass über die Geltung des Antrittsprinzips gestritten wurde: Siehe Betti, Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie 16 (1922/23), 486. 650 Reif, in: 4. Denkschrift, 41 (Fn. 5), sprach sogar davon, dass immer dann, wenn die Erben nicht Hausangehörige des Erblassers sind, „praktisch eine hereditas jacens“ vorliege; der Sache nach auch K. W. Lange, AcP 220 (2020), 190 f.; Baumann, ErbR 2020, 302. 651 Lange/Kuchinke, Erbrecht, 193; Wolf, ZSR 125 (2006) II, 233; K. W. Lange, AcP 220 (2020), 186, spricht sogar von einem „blinden Fleck“, nachdem er eine Seite zuvor dem Vonselbsterwerb noch bescheinigt hat, „Zwischenphasen“ zu vermeiden (185). 652 Siehe §§ 1960–1962 BGB; Art. 813-1 Code civil; § 811 ABGB; Art. 528–531 Codice civile. 653 Für eine umfassende vergleichende Bestandsaufnahme und Analyse Braun/Röthel (Hg.), Passing Wealth on Death (besprochen von J. P. Schmidt, RabelsZ 82 (2018), 1067–1073); ferner Braun, in: FS Gretton, 298 f. Für das österreichische Recht Cohen, Drittbegünstigung auf den Todesfall; für das portugiesische Recht Lobo Xavier, Planeamento Sucessório. 654 Für Nachweise und Bedenken zur Terminologie Braun, in: FS Gretton, 300–302.
J. Das weitere Vorgehen
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bensversicherungsverträgen. 655 Die betreffenden Gestaltungen verzichten nicht nur auf das Testament als Mittel zur Bestimmung der Begünstigten, sie haben auch keinen Bedarf für die Vollzugsmechanismen des Erbrechts. Denn die beabsichtigten Rechtsfolgen werden bereits mit den Mitteln des lebzeitigten Vermögensrechts herbeigeführt, etwa dem Vertragsrecht oder dem Sachenrecht. Wie gesehen, war zumindest in den USA der Wunsch, die schwerfällige und kostspielige Nachlassabwicklung durch leichtfüßigere und billigere Transfermechanismen zu ersetzen, auch gerade ein wesentlicher Grund für das Aufkommen und den großen Erfolg der „will-substitutes“. Dass die Thematik hier ungeachtet ihrer großen praktischen Relevanz ausgeklammert wird, hat zunächst den einfachen Grund, dass die Vollzugsdimension des Erbrechts im Mittelpunkt steht, also derjenigen Materie, der originär die Aufgabe zukommt, das Schicksal des Vermögens eines verstorbenen Menschen zu regeln. 656 Daneben gibt es aber noch einen tiefer liegenden Grund: Indem sie oftmals Ergebnisse ermöglichen, die das Erbrecht gezielt verhindert, drohen die privat und ungeplant entstandenen „will-substitutes“ die erbrechtlichen Grundsätze zu konterkarieren und langfristig auszuhöhlen. 657 Die Herausarbeitung der Wertungen, die der Nachlassabwicklung zugrunde liegen, leistet daher mittelbar auch einen Beitrag zum kohärenten Umgang mit „will-substitutes“.
J. Das weitere Vorgehen Die folgenden sieben Kapitel gliedern sich in zwei Teile, die „Historischen Ursprünge“ (§§ 2–4) und die „Modernen Entwicklungen“ (§§ 5 –8). Im ersten Teil geht es darum, das zeitliche Rad zu den Anfängen der Nachlassabwicklung zurückzudrehen, um so das schier undurchdringliche Regelungsknäuel moderner Rechtsordnungen zu entwirren. Zunächst wird die Nachlassabwicklung abstrakt als Regelungsproblem erörtert und gezeigt, wie vor allem die Vererblichstellung von Verbindlichkeiten und die Zulassung der Testierfreiheit die Verteilungsvorgaben so komplex werden ließen, dass sie durch eine schlichte Rechtsnachfolge nicht mehr verwirklicht werden konnten (§ 2). Anschließend wird gezeigt, wie in Reaktion auf die neuen Herausforderungen das römische und das mittelalterliche englische Recht in Person des heres bzw. des personal representative jeweils eine Abwicklungsinstanz schufen (§ 3). Was die Ausdifferenzierung der Nachlassabwicklung betrifft, nahmen beide Rechtsordnungen infolge bestimmter rechtlicher, politi655
Näher unten § 8 A.IV. (647 ff.). Gemeint ist das Erbrecht im formellen Sinn. Versteht man Erbrecht in einem funktionalen Sinn, lassen sich auch „will-substitutes“ hierzu zählen, siehe etwa Fenyves/Kerschner/Vonkilch/ Schauer, Vor § 531 ABGB, Rn. 4 f. (Unterscheidung zwischen Erbrecht im engeren Sinn/Erbrecht im weiteren Sinn); J. P. Schmidt, RabelsZ 82 (2018), 1072. 657 Fenyves/Kerschner/Vonkilch/Schauer, Vor § 531 ABGB, Rn. 6; näher unten § 8 A.IV. (647 ff.). 656
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§ 1 Einführung: Gegenstand, Ziele und Methoden der Arbeit
scher und religiöser Rahmenbedingungen allerdings zunächst ganz unterschiedliche Entwicklungen (§ 4). So bildete im römischen Recht die integrierte Nachlassabwicklung den Ausgangspunkt, deren besonderes Kennzeichen die unbeschränkte Haftung des heres war. Modi der gesonderten Abwicklung traten ihr erst schrittweise an die Seite. Die englische Nachlassabwicklung nahm hingegen beinahe schon zu Beginn den Charakter einer gesonderten an und zeichnete sich aufgrund des Einflusses der Kirche zudem durch einen hohen Grad der Formalisierung aus. Im zweiten Teil geht es nach Skizzierung der strukturellen Kontinuitäten (§ 5) um drei große Themenfelder, auf denen die heutigen Rechtsordnungen eine Abkehr vom historischen Erbe vollzogen oder jedenfalls bedeutende Anstrengungen zu dessen Fortentwicklung unternommen haben. Dazu gehören erstens die Versuche, die überlieferten Verfahren der gesonderten Nachlassabwicklung von rechtsethischen Defiziten und unnötigen Formalismen zu befreien (§ 6). Zweitens wird die geänderte Rolle der integrierten Nachlassabwicklung untersucht, insbesondere die Frage, ob ihr oder der gesonderten Abwicklung Grundsatz- bzw. Leitbildcharakter zukommt (§ 7). Drittens wird schließlich der Trend zur Konzentration der Nachlassabwicklung thematisiert und dabei insbesondere die umkämpfte Überwindung der römischen Bruchteilsgemeinschaft im deutschen und im französischen Recht (§ 8). Wie der letzte Punkt andeutet, steht angesichts der Zahl und der Komplexität ihrer Weiterentwicklungen im zweiten Teil dieser Arbeit überwiegend die römische Tradition im Fokus.
1. Teil
Historische Ursprünge
§ 2 Nachlassabwicklung als Regelungsproblem Das Thema „Nachlassabwicklung“ ist einer Erbrechtsordnung ebenso wenig vorgegeben wie beispielsweise das des Pflichtteilsrechts. Denn genauso wie sich die Frage einer zwingenden Nachlassbeteiligung naher Angehöriger erst ab dem Moment stellt, wo einem Erblasser überhaupt Testierfreiheit gewährt wird, entsteht ein Bedürfnis für komplexe Mechanismen zur geordneten Verteilung der Nachlasswerte erst ab dem Moment, in dem die Vorgaben einen einstufigen Übertragungsvorgang überfordern. Ziel des vorliegenden Kapitels ist es, zu einer Art Urzustand des Erbrechts zurückzukehren und das schrittweise Entstehen der Nachlassabwicklung als Regelungsproblem nachzuzeichnen. Im Mittelpunkt stehen dabei zwei Aspekte, die der Zuweisungsdimension angehören oder dieser sogar noch vorgelagert sind, mittelbar aber die Fortentwicklung und Ausdifferenzierung der Vollzugsdimension vorangetrieben haben: zum einen die Entscheidung, Schulden des Erblassers über seinen Tod hinaus fortbestehen zu lassen, zum anderen die Anerkennung der Testierfreiheit und insbesondere der Möglichkeit, vollzugsbedürftige Einzelzuwendungen zu machen. Die Bedeutung beider Faktoren für die Nachlassabwicklung lag nicht allein darin, dass die Vorgaben der Zuweisungsdimension in quantitativer Hinsicht stark anstiegen, indem es fortan eine große Zahl von Personen mit Ansprüchen auf eine Nachlasspartizipation geben konnte. Und auch die Tatsache, dass bei einem Erbfall neben Vorteilen nunmehr auch Lasten zu verteilen waren und somit die Rücksichtnahme auf die Selbstbestimmung der Empfänger ein anderes Gewicht bekam, führte für sich genommen noch keine strukturelle Änderung der Vollzugsdimension herbei. Entscheidend war vielmehr, dass die Vorgaben der Zuweisungsdimension auch eine qualitative Steigerung erfuhren und vielfach nicht mehr mittels eines einaktigen Vorgangs bewältigt werden konnten.
A. Die Ursprünge des Erbrechts und seine anfänglichen Regelungsaufgaben I. Vom Nebeneinander zum Nacheinander Der Kern des Erbrechts liegt nach heutiger Vorstellung im Vorgang einer „Rechtsnachfolge“, die der Materie in vielen Rechtsordnungen denn auch den Namen gibt („law of succession“, „droit des successions“ etc.). Auch im deutschen Recht werden
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§ 2 Nachlassabwicklung als Regelungsproblem
die Begriffe „Erbrecht“ und „Rechtsnachfolge von Todes wegen“ häufig synonym gebraucht.1 Wo der Gegenstand des Erbrechts im „Übergang der privaten Rechte und Pflichten beim Tod eines Menschen“2 oder im „transfer of property on death“3 (Hervorhebung jeweils hinzugefügt) gesehen wird, wird derselbe Vorgang lediglich aus anderer Perspektive beschrieben. Das Bedürfnis für die Regelung eines Rechtsübergangs oder einer Rechtsnachfolge von Todes wegen entwickelte sich geschichtlich erst dort, wo Sachen überhaupt individuell zugeordnet waren.4 Denn solange z. B. Grund und Boden sowie Hausratsgegenstände noch im Eigentum eines sozialen Verbandes wie der Hausgemeinschaft oder der Sippe standen, führte das Versterben eines der Mitglieder nur zu einem Wechsel der Verbandszusammensetzung und ggf. der Verbandsführung.5 Anstelle eines Wechsels der Rechtsträgerschaft kam es zu einer Art Anwachsung,6 anstelle eines „Nacheinander“ gab es ein „Nebeneinander“.7 Ein solches, noch ganz im Familienrecht verankertes „urzeitliches Erbrecht“8 ist vermutlich für alle archaischen Gesellschaften charakteristisch9 und insbesondere für das 1 Siehe z. B. v. Lübtow, Erbrecht I, 1: Erbrecht als die „Gesamtheit der Normen, welche die Rechtsnachfolge in den Nachlaß eines Verstorbenen regeln.“ Auch das deutsche und europäische Erbkollisionsrecht knüpft an die „Rechtsnachfolge von Todes wegen“ an, siehe die alte und neue Fassung des Art. 25 EGBGB sowie Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 lit. a) EuErbVO. 2 Siehe die Definition von Röthel, Erbrecht, § 1 Rn. 1, die sich in ganz ähnlicher Form z. B. bei Planck/Flad, Vorbemerkungen vor § 1922 Anm. 1, oder Leipold, Erbrecht, Rn. 1, findet. 3 Siehe z. B. Kerridge, Law of Succession, [1-01]; Sneddon, South Texas LR 50 (2009), 451; ähnlich Miller, The Machinery of Succession, 1 („transmission of property vested in a person at his death to some other person or persons“). 4 Siehe etwa Friedman, Wisconsin LR 1966, 343; Miller, The Machinery of Succession, 2; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 6; Kannowski, Germanisches Erbrecht und Religion, 126 f. m. w. N.; v. Lübtow, Erbrecht I, 2–4; Muscheler, Erbrecht, Rn. 3; Dutta, Warum Erbrecht?, 24; Röthel, Erbrecht, § 2 Rn. 1. 5 Wird allerdings die gesamte Gruppe ausgelöscht, stellt sich auch hier die Frage einer Rechtsnachfolge, siehe Rheinstein/Glendon, Decendents’ Estates, 2. 6 Ausführlich dazu, dass in einem System der „Anwachsung“ nicht von einer „Nachfolge“ gesprochen werden kann, Schmidt-Recla, Kalte oder warme Hand?, 41–44. 7 Siehe auch Avenarius, Römisches Erbrecht und Religion, 55 (Fn. 2 25). 8 Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 986. 9 Siehe etwa Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 278; Maine, Ancient Law, 197 ff., der die archaische Familie mit einer „Corporation“ vergleicht. Von der südslawischen „Zadruga“ wird gesagt, dass in ihr die Idee der Hausgemeinschaft als „Trägerin eines erbrechtslosen Vermögens“ sogar bis in das 20. Jahrhundert fortgelebt hat, siehe Dutta, Warum Erbrecht?, 28. Auch in der Rechtsphilosophie Hegels fußt das Erbrecht auf der Idee eines gesamthänderischen Familieneigentums, siehe Auer, AcP 216 (2016), 273. Für eine differenziertere Ansicht Pollock/Maitland, History II, 240–255, wonach die Existenz von „Geburtsrechten“ (birth rights) den genannten Vorgang möglicherweise besser erklärt als die Idee eines Familieneigentums (248). Gemeinschaftliches Eigentum von Familienangehörigen könnte dann nicht Ursprung, sondern umgekehrt die Folge des Intestaterbrechts gewesen sein (249). In der Rechtsethnologie schließt der Begriff der Vererbung heute noch lebzeitige Austauschbeziehungen mit ein, siehe Egli, Erben, Erbrecht und Erbschaftssteuer im Kulturvergleich, Rn. 16 f. Schließlich zeigt etwa der Werbeslogan eines Schweizer Uhrenherstellers, dass die Idee eines familiengebundenen Eigentums in der Laiensphäre auch heute noch präsent ist und sogar positiv
A. Die Ursprünge des Erbrechts und seine anfänglichen Regelungsaufgaben
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frühe römische Recht gut dokumentiert. So sprachen Paulus und Gaius noch Jahrhunderte später davon, dass die heredes sui oder domestici, also die der Gewalt des pater familias unterworfenen „hausangehörigen Erben“ oder „Hauserben“,10 bereits zu dessen Lebzeiten als Mitberechtigte am Hausvermögen, der familia,11 zu betrachten seien, und der Hausvater nur als vorübergehender Inhaber der Verwaltungszuständigkeit.12 Die Fortführung der Hausgemeinschaft durch das consortium der Hauserben13 war dementsprechend aus heutiger Perspektive kein erbrechtlicher, sondern ein gesellschafts- oder familienrechtlicher Vorgang.14 Und obgleich die Konzeption einer solchen continuatio dominii,15 also der bloßen Fortsetzung des latent schon zu Lebzeiten bestehenden Eigentumsrechts der sui heredes, in der klassischen Periode längst durch das Individualeigentum des pater familias verdrängt worden war,16 lebte sie, wie die Zitate von Paulus und Gaius zeigen, im Rechtsdenken der Römer fort17 und wurde u. a. dazu genutzt, den automatischen Eintritt der Hauserben in den Nachlass zu erklären.18 Zusätzlich zur Anerkennung von Individualeigentum setzte die Herausbildung eines Erbrechts voraus, dass die dem Erblasser gehörenden Gegenstände überhaupt an die Lebenden weitergegeben werden sollten.19 Hieran fehlte es z. B. bei der Sitte besetzt sein kann: „You never actually own a [Produktname]. You merely look after it for the next generation.“ 10 Gai. 2, 156; Avenarius, Continuatio dominii, 231. Sui heredes waren vor allem die ehelichen Kinder des Hausvaters, ebenso die Kinder seiner Söhne. Die Ehefrau gehörte dann zu den Haus erben, wenn sie sich in der Manus-Gewalt des Hausvaters befand (uxor in manu), da sie in diesem Fall wie eine Haustochter zu behandeln war. Siehe Kaser, Römisches Privatrecht I, 95. 11 Dazu Kaser, Römisches Privatrecht I, 97; Avenarius, Römisches Erbrecht und Religion, 44 f.; Babusiaux, Römisches Erbrecht, 47 f. 12 Paul. D. 28, 2, 11; Gai. 2, 157. Dazu etwa Wieacker, in: FS Siber, 6 ff.; Rabel, Römisches Privatrecht, 205 f.; Kaser, Römisches Privatrecht I, 92, 96, 714. Eingehend Wacke, ZRG (RA) 123 (2006), 210–215; Avenarius, Continuatio dominii, 231–252. 13 Dazu Kaser, Römisches Privatrecht I, 99 f.; Hoffmann, Jura 1995, 125; Kaiser, Rückwirkender Vermögensübergang?, 8. 14 Avenarius, Römisches Erbrecht und Religion, 44 f. 15 Der im Paulus-Zitat (oben Fn. 12) verwendete Ausdruck. Weitere Quellennachweise bei Wacke, ZRG (RA) 123 (2006), 212 (Fn. 65). 16 Avenarius, Continuatio dominii, 230, 245, 249; Kaser, Römisches Privatrecht I, 343. 17 Entgegen Neumayer, in: Mélanges Piotet, 493, war daher „die Erinnerung an die Herkunft des Erbrechts aus der Ordnung der Hausgemeinschaft“ keineswegs nur in den germanischen Volksrechten „noch lange […] lebendig“. 18 Avenarius, Continuatio dominii, 248–251, der dies auch anhand der beiden Bedeutungsvarianten des Begriffs der continuatio verdeutlicht: Meinte diese ursprünglich das unverändert fortdauernde Eigentumsrecht der Hauserben, bezeichnete sie im klassischen Recht deren bruchlosen Eintritt in die (jetzt individuellen) Rechte des Verstorbenen (236 f., 250 f.). Des Weiteren wurde mit der Idee der continuatio dominii die „ethisch-soziale“ Vorstellung verbunden, dass die Hauskinder die natürlichen Empfänger des Hausvermögens waren (245–247, 251 f.). Auch Wacke, ZRG (RA) 123 (2006), 210, sieht den Hauptzweck der Ausführungen von Paulus (oben Fn. 12) in der Rechtfertigung des formellen Noterbenrechts der Hauserben. 19 Die hier vorgenommene Unterscheidung zwischen der Anerkennung von Individualeigentum und der Frage seiner Vererblichkeit darf natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in der Rechtsentwicklung zwischen beiden Aspekten oftmals eine Wechselwirkung gegeben haben wird. So haben manche die Grundlage der Entstehung von Individualeigentum gerade in dem
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§ 2 Nachlassabwicklung als Regelungsproblem
der germanischen Völker, dem verstorbenen Krieger Ross und Waffen mit ins Grab zu geben, um ihn so für die Reise ins Jenseits auszurüsten, 20 oder die persönlichen Gegenstände zusammen mit dem Leichnam auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen, um den Verstorbenen mit reichem Besitz nach Valhall kommen zu lassen.21 Ab dem Moment allerdings, wo ein Verstorbener zumindest einen Teil seiner persönlichen Habe der Nachwelt hinterließ,22 verlangte schon der Schutz des Rechtsfriedens eine Regelung dazu, wer sich diese Habe einverleiben durfte.23 Denn würden die Sachen des Erblassers mit seinem Tode herrenlos, wäre ein – womöglich gewaltsamer – Wettlauf um die Aneignung die Folge. „If there is to be peace, a scramble for the dead man’s goods can not be suffered; law must have some rule for them.“24 Aspiranten wären gut beraten, sich noch zu Lebzeiten des Erblassers eine aussichtsreiche Startposition zu sichern, möglichst nahe an der erhofften Beute. Der Anreiz zur Ermordung eines Menschen zwecks anschließender Aneignung seiner Sachen 25 ließe sich immerhin durch Unwürdigkeitsregeln mindern.
Wunsch nach Vererbung gesehen, siehe Egli, Erben, Erbrecht und Erbschaftssteuer im Kulturvergleich, Rn. 8 , unter Berufung auf Friedrich Engels und sein Werk „Der Ursprung der Familie, des Privateigenthums und des Staats“. Für das römische Recht argumentiert Harke, Der Staat 59 (2020), 401–403, unter Berufung auf die Genese des testamentum per aes et libram (dazu unten C.I.2b) (150 ff.)), dass erst die Anerkennung der Testierfreiheit es ermöglicht habe, das Eigentum als absolutes Recht zu konzipieren (im Gegensatz zu einem bloß relativen Vorrang gegenüber dem konkreten Prozessgegner). Doch fragt sich, ob dieser Schritt nicht bereits durch die Anerkennung von Verfügungen unter Lebenden getan worden war. 20 Siehe dazu Brunner, ZRG 19 (1898), 115–120; ders., Das rechtliche Fortleben des Toten bei den Germanen, 349; Rietschel, ZRG (GA) 32 (1911), 300. 21 Zu der in altisländischer Sprache verfassten Ynglinga-Saga und ihrem fragwürdigen Wert als Rechtsquelle Kannowski, Germanisches Erbrecht und Religion, 122–124. 22 In den germanischen Rechten waren vermutlich die ehemaligen Grabbeigaben die ersten Gegenstände, die von den Nachkommen ererbt werden konnten, siehe Brunner, ZRG 19 (1898), 133; Rietschel, ZRG (GA) 32 (1911), 298 f.; Bruck, GrünhutsZ 40 (1914), 546. 23 Siehe etwa Blackstone, Commentaries II, 489; Pollock/Maitland, History II, 257; Endemann, Erbrecht III/1, 8; Rheinstein, in: Rapports Généraux, 229; Friedman, Wisconsin LR 1966, 351; Giger, Schicksal des Rechts I, 4; Miller, The Machinery of Succession, 2; Windel, Modi der Nachfolge, 2. Siehe auch Rheinstein/Glendon, Decedents’ Estates, 1–3, die zur Illustration auf die „Northwest Ordinance“ von 1787 hinweisen, durch die der „Continental Congress“ die politische und rechtliche Verfassung des unerschlossenen Territoriums zwischen der Allegheny Gebirgskette und den Flüssen Mississippi und Ohio regelte. Der einzige Aspekt des Privatrechts, der darin eine ausführliche Regelung erfuhr und somit offenbar als unerlässlich für ein friedvolles Zusammenleben erachtet wurde, war die Rechtsnachfolge unter Lebenden und von Todes wegen. Ähnlich meinte später auch Alexis de Tocqueville, dass der Gesetzgeber seine Arbeit für Jahrhunderte ruhen lassen könne, wenn er nur erst das Erbrecht geregelt habe (siehe Beckert, Unverdientes Vermögen, 11). 24 Pollock/Maitland, History II, 257. Auf die Gefahren einer „infinite variety of strife and confusion“ wies auch schon Blackstone, Commentaries II, 490 hin. Siehe ferner Rheinstein/Glendon, Decedents’ Estates, 6: „Theoretically, it is possible to conceive of a system of reassignment to the first taker, whoever he might be, but this would be productive of strife and disorder, the very things which all systems of the inheritance are designed to avoid.“ 25 Auf diese Gefahr weist auch Meincke, Auswirkungen der Rechtsnachfolge, 30, hin.
A. Die Ursprünge des Erbrechts und seine anfänglichen Regelungsaufgaben
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Ein naheliegender und dennoch leicht zu übersehender Weg, um die Herrenlosigkeit der Nachlassgegenstände zu vermeiden, bestünde nun darin, den Verstorbenen im rechtlichen Sinne fortleben zu lassen, seinen Tod also in privatrechtlicher Hinsicht einfach zu ignorieren. Dieser auch bei Gottfried von Schmitt zu findende Gedanke26 mag auf den ersten Blick gekünstelt erscheinen, hat aber, wie weiter oben gesehen, in vergangenen Epochen eine wichtige Rolle gespielt und auch in heutiger Zeit seine Relevanz nicht gänzlich verloren.27 Freilich ist eine wichtige Differenzierung erforderlich: Der Gedanke des Fortlebens des Erblassers eignet sich allenfalls zur Überbrückung bestimmter Schwebezeiträume, nicht aber als Dauerlösung. Denn „[d]en Nachlaß dauernd erhalten, hieße einen anomalen Zustand verewigen, im großen Maßstabe Vermögen todter Hand zu schaffen, und solches der lebendigen Theilnahme an der allgemeinen Güterzirkulation entziehen.“28 Zudem müsste, damit der „Erblasser“ sein Eigentum zwecks Erhaltung verwalten, sich „beutelustiger Occupanten“29 erwehren, seine Forderungen einziehen und seine Verbindlichkeiten begleichen könnte, zumindest ein Verwalter oder Pfleger für ihn bestellt werden.30 Dies erklärt, warum das Erbrecht seit jeher einen anderen Weg nimmt, um den Tod eines Menschen rechtlich aufzufangen und zu verhindern, dass der Nachlass „Beute des Nächstzugreifenden“ wird.31 Die entstandene Lücke in der Rechtsträgerschaft wird dadurch geschlossen, dass eine oder mehrere überlebende Personen den Platz des Verstorbenen einnehmen.32 Hierdurch wird nicht nur Rechten an unvergänglichen Sachen wie Grund und Boden potentiell ewiges Leben verlie26 Siehe v. Schmitt, Begründung, 33. Die Ausführungen v. Schmitts weisen auf den ersten Blick eine große Nähe zu Savigny auf, der davon sprach, dass „durch eine Art Fiction der Verstorbene als über seinen Tod hinaus fortwirkend gesehen wird“ (Savigny, System I, § 57 (381)). Doch ist zu beachten, dass Savigny mit seiner Aussage keineswegs eine Personifizierung des Nachlasses im Blick hatte, sondern die Voraussetzung der privaten Erbfolge meinte. Dies ergibt sich deutlich aus dem weiteren Kontext, wo Savigny die gewillkürte und die gesetzliche Erbfolge als die zwei Arten nennt, um das Vermögen des Erblassers mittels der genannten Fiktion fortdauern zu lassen, und das Gegenstück dazu in der Verwandlung des Nachlasses in „Staatsvermögen“ sieht (Savigny, System I, § 57 (381)). Näher zur Konzeption Savignys und des genannten Unterschieds zur Aussage v. Schmitts Schröder, Abschaffung, 58–60, 414 f. Dessen Vorwurf, v. Schmitt habe den Ansatzpunkt Savignys unterschlagen und ein Scheinproblem aufgestellt, entbehrt allerdings der Grundlage. Denn wie gesehen, verstand v. Schmitt den Gedanken der Vermögensperpetuierung in anderer Weise als Savigny (und überdies in einer Weise, die unserem heutigem Verständnis viel näher ist) und berief sich in diesem Zusammenhang auch gar nicht auf diesen (der Verweis auf Savigny bei v. Schmitt, Begründung, 33, bezieht sich auf einen anderen Gedanken). 27 Siehe oben § 1 I.II.2a) (106 ff.). 28 v. Schmitt, Begründung, 33. 29 Unger, Verlassenschaftsabhandlung, 8. 30 Man könnte einwenden, dass es etwa im Fall, dass der Erblasser sein Vermögen einer Stiftung überträgt, genau zu einer solchen Perpetuierung kommt, verbunden mit der Bereitstellung von Organen. Doch findet in diesem Fall eben kein Fortleben des Erblassers statt, sondern eine rechtliche Neuorganisation seines Vermögens. Rechtsträger ist nicht mehr der Verstorbene, sondern die Stiftung. 31 v. Schmitt, Begründung, 33. 32 v. Schmitt, Begründung, 33.
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§ 2 Nachlassabwicklung als Regelungsproblem
hen,33 auf zwanglose Weise das Problem der Rechtsträgerschaft gelöst und die Verkehrsfähigkeit des vererblichen Vermögens wieder hergestellt. Vor allem lassen sich auf diesem Weg auch die durch den Tod des Erblassers frei gewordenen rechtlichen und wirtschaftlichen Vorteile neu zuweisen und sich damit neben den genannten defensiven Zielen des Erbrechts auch gestalterische Zwecke verwirklichen. Wie in der Einführung erwähnt,34 entfaltet sich hier in besonderem Maße die gesellschaftspolitische Dimension des Erbrechts.35
II. Charakteristika des frühen Erbrechts Wenn es schwierig ist, den oben beschriebenen Wechsel vom „Nebeneinander“ zum „Nacheinander“ zeitlich festzumachen, dann liegt dies nicht zuletzt daran, dass die sich herausbildenden Erbrechtsordnungen anfangs noch klar den Stempel der Familiengebundenheit des Vermögens tragen. So gelten als Merkmale sowohl des frühen römischen als auch der frühen germanischen Erbrechte36 das Fehlen von Testierfreiheit,37 die Berufung der nahen Angehörigen zur Nachfolge38 und ihr unmittelbarer Eintritt in die vererblichen Gegenstände (letztgenannter Vorgang findet im Mittelalter Ausdruck in den Rechtssprichwörtern „der Tote erbt den Lebendigen“ und „le mort saisit le vif“, die allerdings eine andere Zielrichtung haben 39). Suggeriert diese Darstellung das Bestehen einer Intestatordnung und einen Vonselbsterwerb der Berufenen, lässt sich der Vorgang in Wahrheit von einem bloßen Wechsel der Leitungsgewalt innerhalb des Familienverbunds noch gar nicht unterscheiden. Dies ist erst ab dem Zeitpunkt sicher möglich, wo dem künftigen Erblasser die Befugnis zur letztwilligen Verfügung zumindest über einzelne Gegenstände zukommt und sich darin die Anerkennung seines Individualeigentums manifestiert. Ein weiteres Merkmal des frühen römischen Erbrechts besteht in seiner engen Verknüpfung von Nachlassberechtigung und Sachherrschaft. Lenel ging sogar so 33 Siehe Schack, JZ 1989, 611. Es besteht allerdings die Möglichkeit eines Erlöschens des Rechts durch Dereliktion. 34 Siehe oben § 1 A.V. (12 ff.). 35 Auch die Befürworter einer „Abschaffung des Erbrechts“ (dazu der Überblick bei Röthel, AcP 220 (2020), 19–25) bewegen sich innerhalb der etablierten Strukturen und wollen ihre Ziele gerade mit den Mitteln des Erbrechts erreichen. Denn es geht ihnen nicht um die ungeregelte Preisgabe von Vermögenswerten, sondern um deren geordnete Überleitung aus privater in die öffentliche Hand. 36 Dazu etwa Mitteis/Lieberich, Deutsches Privatrecht, 160. 37 Außer beispielsweise Lassalle, System II, 25–28 (Fn. 2), hat insbesondere der italienische Romanist Pietro Bonfante die These vertreten, dass nicht die gesetzliche, sondern die testamentarische Erbfolge am Beginn des römischen Rechts gestanden habe, siehe Kaser, Römisches Privatrecht I, 92. Deutsche Autoren haben dem klar widersprochen, siehe vor allem Rabel, ZRG (RA) 50 (1930), 295–332. Zur Entwicklung der Testierfreiheit im römischen Recht ausführlich unten C.I. (143 ff.). 38 Näher zu den Ursprüngen des römischen Intestaterbrechts und der in Tafel V, 4–5 enthaltenen Regelung Rüfner, in: Intestate Succession, 5–7. 39 Näher dazu unten § 5 C.II.2a)(1) (329 ff.).
A. Die Ursprünge des Erbrechts und seine anfänglichen Regelungsaufgaben
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weit zu sagen, dass den Römern noch zu Zeiten der Zwölf Tafeln der Erwerb der Erbschaft ohne Erlangung des physischen Besitzes gar nicht denkbar erschienen sei.40 So hatten die Hausangehörigen mit dem Tod des Hausvaters jedenfalls Grund und Boden in aller Regel automatisch im Besitz,41 und der bei Fehlen von sui heredes berufene adgnatus proximus, also der nächste Verwandte in der männlichen Linie,42 erwarb den Nachlass erst mit dessen tatsächlicher Ergreifung.43 Seine Stellung ging immerhin insoweit über ein bloßes Aneignungsrecht hinaus, als er gegenüber Dritten, die ihm zuvorgekommen waren, sein besseres Recht durchsetzen konnte. Er musste dies allerdings binnen Jahresfrist tun, um den Nachlasserwerb des Dritten mittels der usucapio pro herede, also der Erbschaftsersitzung, zu verhindern.44 Dieselbe Rechtslage galt vermutlich hinsichtlich der bei Fehlen von adgnati proximi zur Erbschaft berufenen sonstigen Sippenangehörigen (gentiles).45 Festzuhalten ist damit, dass sich das römische Erbrecht auf seiner frühen Entwicklungsstufe äußerlich nicht unterscheidet von einer Rechtsordnung, bei der noch gar kein lückenloser Rechtsübergang stattfindet, sondern nur eine Rangordnung von Aneignungsberechtigten vorgesehen ist.46 Schließlich liegt ein Merkmal früher Erbrechtsordnungen auch darin, dass sie nicht auf Gläubigerinteressen Rücksicht zu nehmen brauchen, da sämtliche Verbindlichkeiten des Erblassers aufgrund der strengen Bindung an seine Person mit dem Tod erlöschen.47 Folge ist, dass in einem Erbfall nur Vorteile, aber keine Lasten zu verteilen sind, was, wie im folgenden Abschnitt zu zeigen ist, den Regelungsbedarf erheblich vereinfacht.
III. Regelungsaufgaben des frühen Erbrechts Die Regelungsaufgaben früher Erbrechtsordnungen erschöpfen sich in drei Elementen: der Bestimmung der vererblichen Gegenstände, der Bestimmung der zur Rechtsnachfolge berufenen Person(en) sowie der Bestimmung eines Modus, nach dem sich die Nachfolge vollzieht. Dieser Übergangsmodus kann seinerseits denkbar einfach gestaltet sein. So besteht, da die Rechtsnachfolge gleichbedeutend mit wirtschaftlicher Begünstigung ist, keine Notwendigkeit, auf die Selbstbestimmung des Berufenen Rücksicht zu nehmen; ist der Erwerb ausnahmsweise unerwünscht, 40 Lenel, Geschichte der heredis institutio, 123 f.; ders., ZRG (RA) 37 (1916), 129 ff. Zustimmend Korošec, Erbenhaftung, 21 f.; Kaser, Die altrömische Erbenhaftung, 525 f. 41 Avenarius, Continuatio dominii, 249 (Fn. 65) weist darauf hin, dass die sui heredes in tatsächlicher Hinsicht nicht notwendig im selben Haus wie der pater familias wohnten. 42 Kaser, Römisches Privatrecht I, 102; Rüfner, Intestate Succession, 9. 43 Kaser, Römisches Privatrecht I, 103; Rüfner, Intestate Succession, 10. 44 Näher Kaser, Römisches Privatrecht I, 103 f., der die Ansicht verwirft, dass auch der Außenerbe den Nachlass nur mittels usucapio pro herede erlangt habe. 45 Rüfner, Intestate Succession, 11. 46 Mit Muscheler, Erbrecht, Rn. 5, ließe sich in einem solchen Fall immerhin schon von Ansätzen zu einer Erbrechtsordnung spechen. Vgl. auch Giger, Schicksal des Rechts I, 11, 18, 36; Windel, Modi der Nachfolge, 2 (Fn. 7). 47 Dazu näher unten B.II.1. (130 ff.).
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§ 2 Nachlassabwicklung als Regelungsproblem
steht es dem Rechtsnachfolger frei, sich durch Schenkung oder Dereliktion der erlangten Gegenstände wieder zu entäußern. Ferner gibt es, solange die Rechtsnachfolger allein unter den nahen Familienangehörigen ausgewählt werden, die typischerweise in derselben Hausgemeinschaft leben, keinen Bedarf dafür, die Rechtsnachfolge mit Publizität auszustatten oder einer präventiven Kontrolle zu unterwerfen (für Letzteres fehlt es frühen Gesellschaften auch schon an den notwendigen Institutionen). Schließlich tritt dort, wo das Erblasservermögen von den Hausangehörigen übernommen wird, auch nicht das Problem auf, dass der Nachlass in faktischer Hinsicht herrenlos und dadurch schädigenden Handlungen oder Ereignissen ausgeliefert ist. Im römischen Recht war denn auch der Erwerbsmodus der Hauserben lange Zeit gar nicht Gegenstand eigener Regelung, sondern schlichte Nachbildung des Anwachsungsvorgangs aus Zeiten der Familiengebundenheit des Vermögens (die, wie gesehen, sogar Jahrhunderte später noch zur Erklärung herangezogen wurde48). Die sui heredes traten dementsprechend nicht nur sofort und unmittelbar in den Nachlass ein, ohne dass es auf ihre Geschäftsfähigkeit ankam (weshalb auch der infans und der furiosus Inhaber des Nachlasses wurden).49 Auch war der Erwerb mangels Ausschlagungsrechts endgültig. Die hausangehörigen Personen waren folglich nicht nur heredes sui, sondern auch heredes necessarii, Zwangserben.50 Schien die Einfachheit dieses Erwerbsmodus auf den ersten Blick natürlich, war sie bei näherem Hinsehen keineswegs unproblematisch. Denn die Fortführung der Hausgemeinschaft umfasste nicht nur vermögensrechtliche, sondern auch personale und ideelle Elemente, die die Rechtsnachfolge auch in Abwesenheit von vermögensrechtlichen Verbindlichkeiten zu einer erheblichen Belastung machen konnten. So traf den heres insbesondere die Zuständigkeit für die sacra familiaria (oder sacra pro familiis), also die Pflege des Hausgötter- und Ahnenkults,51 die sich oftmals als so aufwändig und kostspielig erwies, dass die ausnahmsweise Erlangung einer Erbschaft ohne einen solchen „Pferdefuß“ als veritabler Glücksfall empfunden wurde und die hereditas sine sacris in republikanischer Zeit gar zum Sprichwort avancierte.52 In der großen Bedeutung der sacra wird denn allerdings auch gerade der Grund dafür gesehen, dass der Eintritt in Erbschaft lange Zeit nicht zur Disposition der Hauserben stand,53 und diese Zwangsnachfolge wiederum bietet sich als Erklärung dafür an, dass der Vonselbsterwerb der sui heredes auch dann noch bestand, als seine historische Grundlage, nämlich die genossenschaftliche Mitberech48
Siehe oben Fn. 12. Schulz, Classical Roman Law, Rn. 489; Longchamps de Bérier, Law of Succession, 133. 50 Gai. 2, 152, 156 f.; Avenarius, Römisches Erbrecht und Religion, 45 (Fn. 170). 51 Siehe etwa Kaser, Römisches Privatrecht I, 94, 151; Wacke, ZRG (RA) 123 (2006), 208; Zimmermann, Heres fiduciarius?, 270. Zu den Einzelheiten Avenarius, Römisches Erbrecht und Religion, 17–21. 52 Watson, Law of Succession, 4–7, der auch von geschickten Gestaltungen zur Vermeidung der Sakralpflicht berichtet. 53 Siehe Schulz, Classical Roman Law, Rn. 489, der in der Unterordnung der Erbeninteressen ein Fortwirken der patria potestas sieht. 49
A. Die Ursprünge des Erbrechts und seine anfänglichen Regelungsaufgaben
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tigung, längst entfallen war.54 Denn wenn die sui heredes ohnehin kein Wahlrecht hatten, hätte es keinen Sinn ergeben, von ihnen noch irgendeine Antrittserklärung oder -handlung zu verlangen. Und da der Erwerb auch nicht von äußeren Faktoren abhing, wie etwa einer Einweisung durch den Prätor, gab es keinen Grund, noch einen Zwischenzeitraum zwischen Anfall und Erwerb der Erbschaft zu etablieren. Die Frage nach dem inneren Grund des Vonselbsterwerbs der Hauserben stellt sich gerade auch vor dem Hintergrund, dass der Zweitberufene nach Intestaterbrecht, der adgnatus proximus, den Nachlass wie gezeigt erst mit Ergreifung erwarb, und dass beim testamentarisch ernannten Außenerben (heres extraneus) der Eintritt in den Nachlass, wie noch zu sehen sein wird, von einer Annahmeerklärung abhing.55 Eine andere Erklärung für den Vonselbsterwerb der Hauserben lautet denn auch, dass die ehemals gewaltunterworfenen Hausangehörigen unmittelbaren Zugriff auf den Nachlass hatten und diesen somit anders als die hausfremden Erben nicht eigens ergreifen mussten.56 Streng genommen müsste man dann sagen, dass auch der Erwerb der Hauserben ein Antrittserwerb war, nur dass sich der Antritt in derselben juristischen Sekunde wie der Anfall der Erbschaft vollzog. Doch begegnet diese Erklärung dem Einwand, dass die sui heredes zwar in rechtlicher, nicht aber unbedingt auch in faktischer Hinsicht Teil der Hausgemeinschaft waren.57
Festzuhalten ist abschließend, dass in einer Erbrechtsordnung mit den bezeichneten Charakteristika das erbrechtliche Geschehen einstufig ist, indem es sich auf den Übergang der im Nachlass enthaltenen Rechte vom Verstorbenen auf einen neuen Rechtsträger erschöpft.58 Weder besteht die Notwendigkeit, den Nachlassgütern aus Rücksicht auf Interessen von Erblassergläubigern einstweilen eine haftungsrechtliche Sonderstellung einzuräumen. Noch kann es vorkommen, dass Nachlasswerte an andere Begünstigte weiterzureichen sind. Eröffnung und Abschluss des Erbfalls fallen folglich zeitlich zusammen, von einer Nachlassabwicklung, also einer schrittweisen Auflösung des Nachlasses, kann gar nicht gesprochen werden. Eher gleicht das Erbgeschehen einem sachenrechtlichen Vorgang.59 Zwar stellen sich dort, wo der Nachlass auf eine Mehrheit von Personen übergeht, noch Auseinandersetzungsfragen, denen das römische Recht auch schon früh mit Gewährung einer Teilungsklage, der actio familiae erciscundae, Rechnung trägt. 60 Doch braucht sich das Erbrecht für einen solchen nachgelagerten Vorgang genauso wenig zu interessieren wie für das weitere Schicksal von Gegenständen, die einem Rechtsnachfolger allein zugewiesen werden. Denn das vom Erbrecht vorgesehene Verteilungsergebnis ist bereits erreicht, der Erbfall mithin abgeschlossen.
54
Schulz, Classical Roman Law, Rn. 491. Siehe unten § 3 A.I.1. (165 ff.). 56 Lenel, Geschichte der heredis institutio, 123; ders., ZRG (RA) 37 (1916), 129; dem folgend Kaser, Römisches Privatrecht I, 714. 57 Hierauf weist zu Recht Avenarius, Continuatio dominii, 249 (Fn. 65), hin. 58 Siehe auch Gomes da Silva, Herança, 139. 59 Gomes da Silva, Herança, 83. 60 Näher Kaser, Römisches Privatrecht I, 100 f.; Manthe, Geschichte, 49 f.; Kaiser, Rückwirkender Vermögensübergang?, 8; Ann, Erbengemeinschaft, 387 f. 55
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§ 2 Nachlassabwicklung als Regelungsproblem
IV. Elemente des frühen Erbrechts Der Blick auf die Regelungsaufgaben des frühen Erbrechts zeigt, dass dessen Elemente sich anders als bei den heutigen Rechtsordnungen61 noch vollständig durch die Unterscheidung zwischen dem „Was“, dem „Wer“ und dem „Wie“ abbilden lassen. Dem „Was“ kommt bei genauer Betrachtung eine Doppelrolle zu, indem es zunächst diejenigen Rechtsbeziehungen bezeichnet, die überhaupt vererblich, also von Todes wegen übertragbar sind, und sodann auch dasjenige, was einem bestimmten Rechtsnachfolger zugewiesen ist (also z. B. „eine Quote von 1/4“ oder „die Haushaltsgegenstände“). Ob man die Frage der Vererblichkeit dem Erbrecht zurechnet oder als dem Erbrecht vorgelagert betrachtet, so dass sie z. B. von Schuldrecht, Sachenrecht oder Gesellschaftsrecht beantwortet wird, spielt im vorliegenden Zusammenhang keine Rolle. 62 Bedeutsam ist hingegen, dass die Unterscheidung der drei genannten Elemente auch heute noch die Vorstellung der Juristen vom Erbrecht maßgeblich prägt und von einer Vorschrift wie § 1922 Abs. 1 BGB auch bekräftigt zu werden scheint. Denn sie ordnet an, dass „die Erbschaft“ (was?) auf den oder die „Erben“ (wen?) übergeht, und zwar „mit dem Tode“, also ohne weitere Voraussetzungen (wie?); der letztgenannte Aspekt erfährt eine Bestätigung und Präzisierung durch § 1942 Abs. 1 BGB. Und doch haben die Ausführungen in der Einführung bereits deutlich gemacht, dass ein modernes Erbrecht deutlich mehr leisten muss, als einen Rechtsnachfolger zu bestimmen und den Übergang der Rechte zu bewirken. Die Gründe hierfür sind im Folgenden darzulegen.
B. Der Schutz der Erblassergläubiger als erste Herausforderung für die Vollzugsdimension I. Die Stabilisierungsfunktion des Erbrechts Während das Fehlen einer Regel zur Vererbung der körperlichen Habe eines Verstorbenen den Rechtsfrieden bedrohen würde, besteht diese Gefahr bei anderen Arten von vermögensrechtlichen Beziehungen nicht. Denn diese können „rückstandslos“ untergehen und sind damit einer „Ergreifung“ durch Dritte nicht zugänglich. Dies erklärt etwa, wieso das geltende deutsche Recht kein Problem darin sieht, einen Nießbrauch oder eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit mit
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Siehe oben § 1 B.I. (6 ff.). Muscheler, Erbrecht I, Rn. 46 f., rechnet Vorschriften, die die Vererblichkeit oder Unvererblichkeit von Rechten anordnen (wie z. B. § 1061 S. 1 BGB oder § 1586b BGB), nicht dem Erbrecht zu. Im Kollisionsrecht findet diese Auffassung ihre Entsprechung darin, dass die Frage der Vererblichkeit nach ganz h.A. nicht dem Erbstatut, sondern dem entsprechenden Einzelstatut unterworfen ist; siehe speziell für Schadensersatzansprüche Art. 15 lit. e Rom II-VO und allgemein Dutta/Weber/J. P. Schmidt, Internationales Erbrecht, Art. 1 EuErbVO, Rn. 155 f. 62
B. Schutz der Erblassergläubiger als erste Herausforderung für die Vollzugsdimension 129
dem Tod des Inhabers erlöschen zu lassen. 63 Wenn heutige Rechtsordnungen dennoch insbesondere Forderungen und Verbindlichkeiten eines Verstorbenen grundsätzlich über dessen Tod hinaus fortbestehen lassen, so kommt hierin ein weiteres Ziel des Erbrechts zum Ausdruck: Die durch den Tod eines Menschen hervorgerufenen Verwerfungen im Rechtsverkehr sollen so gering wie möglich ausfallen. 64 „Death is to make as little difference as may be to those who have had dealings with him who has died, to those who have wronged him, to those whom he has wrong ed.“65 Die Befriedungsfunktion des Erbrechts wird also ergänzt durch eine Stabilisierungsfunktion. 66 Ihren klarsten Ausdruck findet die Stabilisierungsfunktion im Schutz der Gläubiger des Erblassers, deren Rechtsstellung durch den Tod ihres Schuldners nicht beeinträchtigt werden soll. Diese scheinbar einfache Zielsetzung hat nun allerdings mannigfache Auswirkungen auf die Ausgestaltung der Vollzugsdimension. Denn aus noch darzulegenden Gründen ist es nicht damit getan, die Verbindlichkeiten einfach einer neuen Person zuzuweisen.
II. Die Vererblichkeit von Verbindlichkeiten Das Fortleben der Verbindlichkeiten eines Verstorbenen ist, anders als mitunter behauptet,67 keine epochenübergreifende Selbstverständlichkeit. Vielmehr liegt eine Gemeinsamkeit vermutlich aller frühen Rechtsordnungen gerade darin, dass Schulden ursprünglich zusammen mit dem Schuldner untergingen und sich ihr Übergang auf einen Nachfolger erst Schritt für Schritt durchsetzte. 68 Rechtsord63
§§ 1061, 1090 Abs. 2 BGB. etwa Oliveira Ascensão, Sucessões, 11. Ähnlich sprechen Bilotti, Separazione, 2 von der „esigenza sociale di continuità“, und Breitschmid, successio Sonderheft 2014, 10, von der Notwendigkeit der „Kontinuität verbindlicher Rechtszuständigkeit“. Auf „unannehmbare Folgen für die Fortführung des Wirtschaftslebens“ bei Fehlen eines Erbrechts weist Papantoniou, AcP 173 (1973), 389, hin, und folgert daraus zutreffend, dass das Erbrecht „nicht als die Summe der Rechtsregeln betrachtet werden [darf], welche gesetzt wurden, um die mühelose Bereicherung des Erben zu ermöglichen […]“ (391). 65 Pollock/Maitland, History II, 257. 66 Papantoniou, AcP 173 (1973), 391. Es ließe sich argumentieren, dass die Befriedungsfunktion auch das Element der Stabilisierung enthält und umgekehrt. Dennoch gebietet nicht nur die historische Entwicklung des Erbrechts, sondern auch die analytische Klarheit, die genannten Funktionen voneinander zu unterscheiden. Bei der Befriedungsfunktion geht es um den Schutz der Gesellschaft im Allgemeinen, während die Stabilisierungsfunktion nur die Beteiligten eines bestimmten Rechtsverhältnisses betrifft. 67 Siehe etwa RVglHWB/Hallstein, Schuldenhaftung des Erben, 233, und HWBEuP/Helms, Erbenhaftung, 404; Wacke, ZRG (RA) 123 (2006), 230 („Die passive Vererblichkeit [von Verbindlichkeiten] stand […] seit jeher außer Frage“). 68 Die Vererblichkeit von Forderungen des Erblassers ist natürlich ebenso betroffen, und häufig liefen die Entwicklungen auch parallel. Dennoch wird die Vererblichkeit von Forderungen in der Folge nicht näher behandelt, weil sie für die generelle Entwicklung des Erbrechts längst nicht so bedeutend war wie die Entscheidung, die Schulden eines Menschen dessen Tod überdauern zu lassen. Dieses unterschiedliche historische Gewicht von aktiver und passiver Vererblichkeit der Obligationen ist dadurch zu erklären, dass die Vererblichkeit einer Erblasserforderung nur die 64 Siehe
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§ 2 Nachlassabwicklung als Regelungsproblem
nungsübergreifend zeigen sich dabei zahlreiche (wenngleich zeitversetzte) Parallelen. 69 1. Die anfängliche Unvererblichkeit von Obligationen Grund für die anfängliche Unvererblichkeit von Verbindlichkeiten ist der streng persönliche Charakter der Haftung.70 Hinsichtlich deliktischer Strafklagen bleibt dies durch alle Phasen des römischen Recht hindurch unverändert,71 und auch im englischen Recht wird für Klagen aus tort die Maxime „actio personalis moritur cum persona“ erst 1934 vollständig überwunden.72 Bemerkenswert ist demgegenüber, dass in einigen frühen germanischen Volksrechten der Erbe offenbar auch für die vom Erblasser begangenen Delikte einstehen musste.73 In späteren deutschen Rechten war der Übergang solcher Verbindlichkeiten dann aber ausgeschlossen.74 Was sodann die Vererblichkeit von Kontraktobligationen betrifft, besteht hierfür in einer weitgehend geschlossenen Haus- und Familienwirtschaft, in der Austauschgeschäfte selten sind und jedenfalls in bar abgewickelt werden, kaum ein praktisches Bedürfnis.75 Dies ändert sich, sobald die Bedeutung von längerfristi-
Aktivmasse erhöht, wohingegen die Vererblichkeit von Verbindlichkeiten ein Spannungsverhältnis begründet: Es geht nicht mehr allein um die Zuweisung von Nutzen, sondern auch um die Zuweisung von Lasten. 69 Siehe auch Korošec, Erbenhaftung, 61 f. 70 Siehe für das deutsche Privatrecht Planitz, Deutsches Privatrecht, 248; Mitteis/Lieberich, Deutsches Privatrecht, 173. Für das römische Recht Kaser, Die altrömische Erbenhaftung, 508, 517 f., 542; Zimmermann, Law of Obligations, 915 f.; Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 544, der allerdings zu Unrecht meint, dass die Unvererblichkeit nur durch die Fiktion der Forsetzung der Erblasserpersönlichkeit überwunden werden konnte. Siehe auch die Nachweise bei Peña Bernaldo de Quiros, Herencia y deudas, 10. 71 Kaser, Die altrömische Erbenhaftung, 508–510; ders., Römisches Privatrecht I, 151. Siehe auch Gai. 4, 112. Zur Diskussion der Thematik im ius commune siehe Dondorp, in: Succession Law, Practice and Society, 77–104. 72 Sec. 1 Law Reform (Miscellaneous Provisions) Act 1934, dazu Kahn-Freund, Anm. 264 zu Renner, Die Rechtsinstitute des Privatrechts; Hedley, Death and Tort, 242. Bereits früher war die Regel eingeführt worden, dass eine im Nachlass vorhandene Bereicherung aus dem Delikt herauszugeben ist, siehe Goffin, Executor, 49 f. Zur historischen Entwicklung der Maxime „actio personalis moritur cum persona“ ausführlich Holdsworth, History III, 576–579; Simpson, Contract Law, 562–565. 73 Siehe zum langobardischen, westgotischen, rheinfränkischen und salischen Recht Stobbe, Eintreten des Erben, 296–301. 74 Siehe etwa Sachsenspiegel Landrecht I, 6 § 2 ; II, 17 § 1. Dazu Stobbe, Eintreten des Erben, 326 f. 75 Zur Entwicklung der römischen Gesellschaft in dieser Hinsicht Korošec, Erbenhaftung, 29–38, 47–50, auch mit vergleichenden Hinweisen zu anderen frühen Rechtsordnungen. Kritisch dazu Kaser, Die altrömische Erbenhaftung, 526 f., der meint, dass Kreditgeschäfte bei den Römern schon viel früher eine Rolle gespielt haben und die Erbenhaftung daher auch viel älter sei als von Korošec angenommen. Die These, dass die Erbenhaftung jüngeren Datums ist als das Erbrecht selbst und sich vor allem aus Bedürfnissen des Wirtschaftsverkehrs entwickelt hat, wird hierdurch aber nicht infrage gestellt. Siehe auch Kaser, ebd., 543 f.; Finkenauer, Vererblichkeit der Stipulation, 33.
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gen vertraglichen Bindungen und Kreditgeschäften zunimmt.76 Die Unvererblichkeit von Obligationen stellt sich jetzt als Hemmschuh für den Wirtschaftsverkehr dar, weil sie die Kreditvergabe mit dem Risiko des Zahlungsausfalls durch den Tod des Schuldners belastet77 und das Stellen von Sicherheiten (etwa in Form eines Sach- oder Menschenpfands oder eines Bürgen- oder Mitschuldnerversprechens)78 die Transaktionskosten erhöht. 2. Die Kautelarpraxis als Treiber der Rechtsentwicklung Wie so häufig wird die Entwicklung des Rechts zunächst von der Praxis vorangetrieben, die sich dadurch behilft, dass die Rechtsnachfolger des Schuldners durch privatautonome Gestaltung mit in die Haftung genommen werden. So wird z. B. im römischen Recht mittels der mentio heredis erreicht, dass eine stipulatio auch Wirkung für und gegen die Erben der Parteien entfaltet.79 Die Wirkmächtigkeit dieses Kniffs zeigt sich darin, dass sich zwei Jahrtausende später sogar die Verfasser des französischen Code civil noch seiner bedienen, obwohl sie ihn angesichts des längst anerkannten Grundsatzes der Vererblichkeit von Kontraktsobligationen an sich gar mehr benötigen: „On est censée avoir stipulé pour soi et pour ses héritiers […]“.80 In deutschen Schuldurkunden aus dem Mittelalter findet sich vielfach die sog. „Erbenklausel“, bei der das betreffende Geschäft für „mich und meine Erben“ abgeschlossen wird,81 und auch im mittelalterlichen England ist diese Praxis verbreitet.82 Sodann kommt es aber auch vor, dass der auf sein Seelenheil bedachte Erblasser letztwillig die Begleichung seiner Schulden anordnet und damit nach heutigem 76
Siehe auch Pollock/Maitland, History II, 257. auch Saleilles, in: FS Gierke, 1022 f.; IECL/Schwind, Liability for Obligations of the Inheritance, Nr. 1. 78 Siehe Rheinstein/Glendon, Decedents’ Estates, 12. 79 Dazu Finkenauer, Vererblichkeit der Stipulation, 33, 208 f., 411. Wacke, ZRG (RA) 123 (2006), 230, hingegen nimmt an, dass die Erben eines Stipulationsschuldners immer schon unmittelbar hafteten. 80 Art. 1222 Code civil1804. Kritisch zur (bloß deklaratorischen) Abschaffung der Vorschrift im Rahmen der Vertragsrechtsreform von 2006 Grimaldi, Successions, Nr. 79. Hingegen sieht Wacke, ZRG (RA) 123 (2006), 236, im Einklang mit seiner soeben genannten Auffassung (oben Fn. 79), die französische Vorschrift als Ausdruck der Regel, dass Schuldverhältnisse aus Stipulation seit jeher vererblich waren. 81 Ausführlich zum Auftreten und der rechtlichen Bedeutung dieser Formel Ebel, ZRG (RA) 84 (1967), 236 ff. 82 Pollock/Maitland, History II, 258, 343 f. Auch nachdem die Vererblichkeit von Verbindlichkeiten sich grundsätzlich durchgesetzt hatte, blieben die genannten Klauseln bedeutsam, nämlich für die Frage, ob der heir oder der executor der richtige Anspruchsgegner war. Siehe Holdsworth, History III, 574; McGovern, Iowa LR 54 (1968), 41 f. Ein ähnliches Phänomen zeigt sich bei der römischen mentio heredis, die, nachdem sie infolge der Vererblichkeit der stipulatio ihre ursprüngliche Bestimmung verloren hatte, von der Kautelarpraxis ebenfalls zu anderen Zwecken eingesetzt wurde, etwa um eine Forderung oder Verbindlichkeit einem bestimmten Erben zuzuweisen oder die Vererblichkeit von an sich unvererblichen Rechten, wie dem Nießbrauch, zu begründen. Siehe Finkenauer, Vererblichkeit der Stipulation, 209 f., 411. 77 Siehe
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Verständnis die Forderung seiner Gläubiger durch ein Vermächtnis substituiert.83 Schließlich erfüllen die Familienangehörigen des Verstorbenen die ausstehenden Verbindlichkeiten aus Gründen der Pietät häufig freiwillig.84 Das römische Recht gab den Gläubigern durch die Möglichkeit, den Leichnam des zur Buße verpflichteten Schuldners in Besitz zu nehmen, hierzu aber auch ein besonderes Druckmittel in der Hand.85 3. Die Vererblichkeit von Obligationen als universale Gebote der Wirtschaftlichkeit und der Moral Wie gesehen, hinkt das Erbrecht in der Übergangszeit nicht nur den Anforderungen der Wirtschaft, sondern auch den allgemeinen Moralvorstellungen hinterher. 86 Schließlich übernimmt es jedoch selbst die Aufgabe, den Gläubiger gegen den Tod seines Schuldners zu versichern, indem es die Verbindlichkeit fortbestehen lässt. Hiervon profitiert gerade auch der Schuldner, da sein Zugang zu Kredit erleichtert und verbilligt wird.87 Angesichts der Universalität dieser wirtschaftlichen Logik ist die schon eingangs genannte Parallelität der Entwicklungen nicht überraschend. Rheinstein und Glendon gehen sogar so weit zu sagen, dass „[c]apitalism, ancient or modern, could never have arisen until it became settled that debts would survive the debtor’s death“. 88 83 Pollock/Maitland, History II, 258; Holdsworth, History III, 582 f. Nach Sheehan, Will in Medieval England, 156, bezeugen englische Testamentsurkunden aus dem frühen 13. Jahrhundert „that […] testators were willing to go considerably beyond their purely legal obligations.“ Siehe auch ebd., 261. Zu unterscheiden von einer solchen freiwilligen Schulderfüllung durch den Testator war die ausdrückliche Beauftragung des executor mit der Schuldentilgung. Deren Bedeutung lag nicht darin, den Anspruch des Gläubigers überhaupt zu erhalten, sondern dem executor anstelle des heir die Aufgabe der Erfüllung zuzuweisen. In prozessualer Hinsicht hatte dies die wichtige Konsequenz, dass der Gläubiger die Erfüllung auch vor den kirchlichen Gerichten einklagen konnte, weil die ausdrückliche Anordnung der Erfüllung einer Schuld wie die Anordnung eines Vermächtnisses behandelt wurde und damit eine Testamentssache war. Siehe Helmholtz, Am. J. Legal Hist. 23 (1979), 75; McGovern, Iowa LR 54 (1968), 39; Pollock/Maitland, History II, 345 f. 84 Für das römische Recht siehe Korošec, Erbenhaftung, 51; für das Mittelalter siehe Pollock/ Maitland, History II, 258. 85 Korošec, Erbenhaftung, 52, 89–94; Kaser, Römisches Privatrecht I, 164 (Fn. 9). 86 Ähnlich Pollock/Maitland, History II, 258. 87 Dies gilt gerade für ältere Menschen, siehe Kaser, Die altrömische Erbenhaftung, 527, 543; Wacke, ZRG (RA) 123 (2006), 230, der auch auf ein entsprechendes Zitat von Kreittmayr verweist; Ann, Erbengemeinschaft, 399; Muscheler, Erbrecht, Rn. 7 a. E . 88 Rheinstein/Glendon, The Law of Decedents’ Estates, 12. Ähnlich schon Rheinstein, Iowa LR 20 (1935), 433: „Modern economic life, based essentially upon credit, would be impossible if a person’s debts abated with his death.“ Noch früher Pollock/Maitland, History II, 257: „[…] he [the dead man] has gone out of the world a creditor and a debtor, and we find it desirable that his departure should make as little difference as may be to his debtors and creditors. Upon this system we build our elaborate system of credit.“ Siehe auch v. Schmitt, Begründung, 32: „Kredit, die Achse des Verkehrs, ist unmöglich, wenn das Besitzrecht des Einzelnen auf zwei Augen steht.“ Ähnlich Dernburg, Pandekten III, § 55 (98); Papantoniou, AcP 173 (1973), 391. Im französischen Schrifttum sprach Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 545, 573, sogar von einem Zivilisationsmerkmal:
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Ebenso universal dürfte aber auch der zweite Faktor sein, der bei der Anerkennung der passiven Vererblichkeit von Obligationen eine Rolle gespielt hat, nämlich die rechtsethische Überzeugung, dass es unbillig wäre, die Gläubiger eines Verstorbenen leer ausgehen zu lassen, während zugleich Dritte unentgeltliche Vorteile aus dem Nachlass erhalten.89 Besonders augenfällig ist dies dort, wo ein Gläubiger das Erblasservermögen durch Vorleistung schon konkret bereichert hat, seine eigene Forderung aber noch nicht erfüllt wurde. Der Sachsenspiegel ließ den Erben denn auch nur in dem Fall für Erblasserschulden haften, wo eine konkrete Gegenleistung („wederstadunge“) im Nachlass vorhanden war.90 Diese Regel scheint historisch jedoch vereinzelt geblieben zu sein.91 4. Von der Ausnahme zum allgemeinen Grundsatz Zu beachten ist bei allem, dass die Vererblichkeit von Obligationen sich nicht schlagartig als Grundsatz durchsetzte, sondern gewissermaßen für jedes einzelne Schuldverhältnis bzw. jede einzelne Klageart erkämpft werden musste. So wird etwa für das römische Recht vermutet, dass die Vererblichkeit der stipulatio in dando früher anerkannt wurde als die der stipulatio in faciendo.92 Die mittels sponsio oder fidepromissio begründete Verpflichtung eines Bürgen hingegen blieb stets unvererblich, anders als die gegen Ende der Republik aufkommende Haftung des Bürgen aus fideiussio,93 die vermutlich auch deshalb die beiden früheren Arten der Bürgschaft bald verdrängte.94 Mindestens ebenso instruktiv ist die gut dokumentierte Entwicklung des englischen Rechts in der Frage, wann welche vertraglich begründeten Verpflichtungen des Erblassers vererblich wurden. Zwar heißt es schon bei Glanville, dem gegen Ende des 12. Jahrhunderts schreibenden königlichen Justiziar, lapidar, dass der heres bzw. heir 95 für die Schulden des Verstorbenen aufkommen müsse.96 Doch erfuhr diese allgemeine Regelung, sofern sie das geltende Recht überhaupt getreu wiedergab, in der Folgezeit eine wichtige Einschränkung. Denn der executor, auf den die ursprüngliche Verpflichtung des heir zur Schuldentilgung bald überging,97 haftete etwa ab der Mitte des 14. Jahrhunderts nur noch bei Vorliegen einer special-
„La société vit de crédit. […] [O]n ne conçoit plus une société civilisée où les dettes s’eteindraient de plano par la mort du debiteur“ (Hervohebung im Original). 89 Siehe zu diesem Argument im Kontext des römischen Rechts Kaser, Die altrömische Erbenhaftung, 521 f., und im Kontext des englischen Rechts Goffin, Testamentary Executor, 62. 90 Sachsenspiegel Landrecht I, 6 § 2. 91 Näher Stobbe, Eintreten des Erben, 323–325. 92 Siehe Finkenauer, Vererblichkeit der Stipulation, 208 f., 411. 93 Gai. 3, 120. 94 Siehe Kaser, Römisches Privatrecht I, 660–663. 95 Zu diesem Begriff unten § 3 B.I. (179 ff.). 96 Glanville, Tractatus, VII, 5, 8. 97 Ausführlich zur Rolle des executor unten § 3 B. (179 ff.).
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ty, also einer förmlichen Urkunde,98 nicht hingegen bei formlosen Vertragsversprechen des Erblassers,99 die zu dessen Lebzeiten unter bestimmten Voraussetzungen einklagbar waren.100 Der Grund für die strengen Anforderungen an eine Haftung des executor war prozessualer Natur und hing mit dem Verteidigungsmittel des wager of law zusammen. Dieses ermöglichte einer aufgrund eines formlosen Vertragsversprechens beklagten Person, die Klage dadurch zu Fall bringen, dass sie zusammen mit sieben Eideshelfern das Nichtbestehen der Verpflichtung beschwor.101 Wegen des Grundsatzes der privity kam der wager of law allerdings nur den Vertragsparteien selbst zu, nicht hingegen einem Dritten wie dem executor, der ja vom Bestehen oder Nichtbestehen einer Schuld typischerweise auch gar keine Kenntnis haben konnte und deshalb einen Meineid hätte riskieren müssen.102 Hieraus wurde nun der – keineswegs zwingende103 – Schluss gezogen, dass Klagen aus formlosen Verträgen gegen den executor nicht zulässig waren, da dieser sich hinsichtlich seiner Verteidigungsmöglichkeiten nicht in einer schlechteren Lage befinden sollte als der Erblasser zu Lebzeiten.104 Die hieraus resultierende Einschränkung der Gläubigerrechte wurde in späterer Zeit oftmals harsch kritisiert.105 Dass die unbefriedigende Rechtslage dennoch lange Zeit toleriert wurde, lag vermutlich daran, dass den Gläubigern vor den kirchlichen Gerichten106 ein alternatives Forum zur Verfügung stand, wo die Klage nicht der genannten Einschränkung unterlag.107 Zudem ordneten Testatoren die Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten häufig im Testa-
98 Es bedurfte eines deed oder eines writing under seal, d. h. die schriftliche Urkunde musste bezeugt oder gesiegelt sein. Siehe McGovern, Iowa LR 54 (1968), 19. 99 Goffin, Executor, 48 f., 57; McGovern, Iowa LR 54 (1968), 41–44. 100 McGovern, Iowa LR 54 (1968), 19. 101 Ausführlich zu Funktionsweise und historischem Hintergrund des – wegen seiner Missbrauchsanfälligkeit überaus problematischen – wager of law McGovern Iowa LR 54 (1968), 19–38. 102 Helmholz, Am. J. Legal Hist. 68 (1979), 75; Simpson, Contract Law, 558 f. 103 Siehe Simpson, Contract Law, 559; McGovern, Iowa LR 54 (1968), 42 f., der darauf hinweist, dass die Befreiung des executor nicht ausnahmslos durchgeführt wurde. Interessanterweise wurde auch in den mittelalterlichen deutschen Rechten aus dem Umstand, dass der Eid des Beklagten kein geeignetes Mittel ist, nicht der Schluss gezogen, dass der Erbe gar nicht haftete, sondern stattdessen eine Anpassung der Beweisregeln vorgenommen: Stobbe, Eintreten des Erben, 339– 349. 104 McGovern, Iowa LR 54 (1968), 30, 42. 105 Siehe etwa Goffin, Executor, 49, 58 („purely mischievous relic of antiquity“, „grievance“); Helmholz, Am. J. Legal Hist. 68 (1979), 75 („Should the man with a valid debt but no specialty be cheated of a legitimate claim by the accident of death?“). Siehe aber auch Simpson, Contract Law, 558 f. („[A] creditor who could have insisted on a bond before extending credit but failed to do so was not entitled to much sympathy“). 106 Zu deren Rolle unten § 3 B.I. (179 ff.). 107 So die Erklärung von Helmholz, Am. J. Legal Hist. 68 (1979), 75, der zuvor gezeigt hat (68–77), dass entgegen der lange herrschenden Auffassung die Zuständigkeit für Klagen aus Nachlassschulden und Nachlassforderungen nicht schon ab dem Ende des 13. Jahrhunderts ausschließlich von den weltlichen Gerichten beansprucht wurde, sondern diese Klagen noch etwa bis Anfang des 16. Jahrhunderts oftmals vor den kirchliche Gerichten verhandelt wurden, ohne dass diese Prozesse durch einen writ of prohibition gestoppt worden wären.
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ment an,108 während bei Fehlen einer letztwilligen Verfügung oftmals der zu frommen Zwecken zu verwendende Freiteil109 zur Schuldentilgung eingesetzt wurde.110 Weitgehend überwunden wurde die Einschränkung, dass der executor nur bei Vorliegen einer specialty haftete, schließlich durch die action of assumpsit, die sich im 16. Jahrhundert als allgemeine Vertragsbruchklage etablierte111 und die Klagbarkeit formloser Verträge vor allem dadurch erleichterte, dass sie das Verteidigungsmittel des wager of law nicht mehr zuließ.112 Noch bis in das 17. Jahrhundert hinein dauerte freilich der Streit darüber an, ob die assumpsit-Klage auch gegen den executor zur Verfügung stand.113 Ein erster hiergegen erhobener Einwand betraf den deliktischen Ursprung der action of assumpsit und stützte sich damit auf den Grundsatz „actio personalis moritur cum persona“. Sodann musste sich auch die Erkenntnis durchsetzen, dass der ursprüngliche Grund für die fehlende Haftung des executor aus einfachen Vertragsversprechen inzwischen nicht mehr gegeben war, weil bei der action of assumpsit das Verteidigungsmittel des wager of law auch dem Erblasser nicht zur Verfügung gestanden hätte.114 Nach Zulassung der assumpsit-Klage gegen den executor hätte das Gebot systematischer Kohärenz an sich verlangt, das Erfordernis einer specialty auch bei anderen Klagearten fallen zu lassen, insbesondere bei der auf Geldschulden gerichteten action of debt. Dass die genannte Restriktion hier dennoch bis in das 19. Jahrhundert fortdauerte, illustriert zum einen den Respekt englischer Juristen vor der Tradition,115 ist zum anderen aber auch ein Indiz dafür, dass den Anforderungen der Praxis bereits mit Zulassung der assumpsit-Klage hinreichend Genüge getan war.
III. Folgen für die Nachlassabwicklung 1. Die Notwendigkeit zur Bestimmung eines Erfüllungszuständigen Gehen beim Tod eines Menschen nicht nur Rechte, sondern auch Verbindlichkeiten über, ließe sich daran denken, den Gläubigern mit dem Erbfall einfach unmittelbar dasjenige zuzusprechen, was ihnen kraft Forderungsrechts gebührt. Schuldete also der Erblasser z. B. aus Kaufvertrag die Übereignung einer bestimmten Kuh, so könnte das Eigentum an dieser unmittelbar mit dem Erbfall auf den Gläubiger
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Siehe oben Fn. 83. Dazu unten § 3 B.I. (179 ff.). 110 Siehe Holdsworth, History III, 582 f., der freilich auch auf Missbrauchsfälle hinweist. 111 Dazu Zimmermann, ZEuP 1993, 25 f. m. w. N. 112 Näher McGovern, Iowa LR 54 (1968), 48–52, auch zu den vermuteten Gründen dieses Ausschlusses. 113 Ausführlich zur Entwicklung McGovern, Iowa LR 54 (1968), 52–56; Goffin, Executor, 57–63; Simpson; Law of Contract, 558–573. 114 Voraussetzung für eine erfolgreiche assumpsit-Klage gegen den executor war zudem natürlich auch, dass eine Schuld aus simple contract überhaupt vererblich war, Simpson, Contract Law, 562, 567–569. 115 Siehe für die action of debt McGovern, Iowa LR 54 (1968), 44, 59. 109
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§ 2 Nachlassabwicklung als Regelungsproblem
übergehen, der damit gewissermaßen ein dinglich wirkendes Vermächtnis erhielte und letztlich nur einer von mehreren Begünstigten des Erbfalls wäre. Doch würde ein solches Modell offenkundig sehr rasch an seine Grenzen stoßen. Denn sobald eine Geld- oder allgemeine Gattungsschuld vorliegt, wie es der praktische Regelfall ist, kann die Erfüllung der Erblasserverbindlichkeit schon aus technischen Gründen nicht mehr ipso iure erfolgen, weil es mindestens einer Konkretisierungshandlung bedarf.116 Überdies wäre die unmittelbare Befriedigung des Gläubigers mit dem Erbfall häufig gar nicht sachgerecht, weil sie dem Gläubiger mehr zusprechen würde als er zu Lebzeiten des Erblassers hatte. Dies wird etwa in dem Fall deutlich, in dem die Verbindlichkeit noch gar nicht fällig war oder von einer Gegenleistung abhing. Aus demselben Grund wäre es auch unbefriedigend, dem Gläubiger eine dem Wert seiner Forderung entsprechende Quote am Nachlass zuzusprechen und ihn sozusagen zum Miterben zu machen. Als Lösung kommt daher nur in Betracht, die betreffende Verbindlichkeit neu zuzuweisen, dem Gläubiger also einen Ersatzschuldner zu geben. Einstweilen offen bleiben kann dabei, wie die Rechtsstellung dieser Person genau definiert ist, also ob sie z. B. persönlich und umfassend für die Verbindlichkeit einstehen muss oder eher als Sachwalter fremder Vermögensinteressen auftritt. Ebenso wenig braucht hier schon geklärt zu werden, wem die Zuständigkeit für die Verbindlichkeiten zugewiesen wird – ob z. B. einem nahen Angehörigen des Erblassers, einer von ihm ernannten Person oder einer staatlichen Stelle. Bedeutsam ist hingegen, dass eine Erbrechtsordnung, die Ernst machen will mit ihrem Ziel, Gläubiger gegen den Tod ihres Schuldners zu versichern, sich nicht damit begnügen kann, die Verbindlichkeiten des Erblassers neu zuzuweisen. Stattdessen muss sie, ganz im Einklang mit der genannten Stabilisierungsfunktion, die Rechtsstellung der Gläubiger auch in anderer Hinsicht erhalten. 2. Das Erfordernis der Bündelung von Aktiva und Passiva oder: „Wer das Erbe nimmt, der soll die Schuld gelten“ Forderungen haben nur dann einen wirtschaftlichen Wert für den Gläubiger, wenn der Schuldner über genügend Vermögen verfügt, in das notfalls vollstreckt werden kann. Für den vorliegenden Kontext bedeutet dies, dass ein Erblassergläubiger nach dem Erbfall dieselbe Chance auf Realisierung seines Anspruchs haben muss wie vor dem Erbfall. Folglich muss nicht nur die gegen den Erblasser gerichtete Forderung, sondern auch die zugehörige Haftungsunterlage konserviert werden. Der einfachste Weg, dieses Ergebnis zu erreichen, besteht darin, Vorteile und Lasten einer Erbschaft stets gebündelt zuzuweisen, im Sinne des mittelalterlichen Rechtssprichworts „wer das Erbe nimmt, der soll die Schuld gelten“,117 das sich als 116 Ein gesonderter Übereignungsakt wäre dagegen nicht zwingend erforderlich, denn nichts würde daran hindern, den Gläubiger schon ab dem Moment, in dem z. B. die Geldscheine zur Erfüllung der Schuld ausgesondert wurden, als ihren Eigentümer zu behandeln. 117 In Sachsenspiegel Landrecht I, 6 § 2 ist der Satz sogar als Rechtsregel niedergelegt. Für wei-
B. Schutz der Erblassergläubiger als erste Herausforderung für die Vollzugsdimension 137
erbrechtliche Ausprägung der Maxime „qui habet commoda, ferre debet onera“ verstehen lässt118 (mit „Erbe“ bzw. „commoda“ sind dann offensichtlich nur die aktiven Vermögenswerte gemeint). Kehrt man die Richtung des Satzes um – „wer die Schuld gelten muss, der nimmt das Erbe“119 –, vermag er zugleich der Zuweisung von Verbindlichkeiten eine Rechtfertigung zu geben: Wer die Verbindlichkeiten des Verstorbenen erfüllen soll, bekommt immerhin die verfügbaren Mittel in die Hand. E contrario enthält die Bündelung von Aktiva und Passiva schließlich auch den Satz: „Wer keine Schuld gelten muss, der nimmt auch kein Erbe“. Auf den ersten Blick sieht es damit so aus, als zwinge die Vererblichkeit von Verbindlichkeiten nicht dazu, dass Modell eines einstufigen Erbgeschehens aufzugeben. Denn der gebündelte Übergang von Nachlassaktiva und -passiva, den man mit dem (häufig freilich auch anders verstandenen) Begriff einer Gesamtnachfolge oder Universalsukzession bezeichnen kann,120 führt allein zu Einschränkungen bei der Frage des „Wer“, die für Aktiva und Passiva jeweils gleich beantwortet werden muss. Indessen ist der genannte Schluss voreilig, da die Vollzugsdimension noch weitere Aufgaben bewältigen muss. 3. Die Zielkonflikte bei einer Mehrzahl von Begünstigten Bislang war nur von dem Fall eines Begünstigten die Rede, der alle Nachlassaktive erhält, aus den genannten Gründen aber auch sämtliche Verbindlichkeiten des Verstorbenen schultern muss. Wie aber ist in dem Fall zu verfahren, dass mehrere Personen begünstigt werden sollen, etwa indem das erste Kind des Verstorbenen sein Grundstück, das zweite Kind seine Waffen und das dritte die Haushaltsgegenstände erhalten soll? Wie im Folgenden zu zeigen ist, gibt es zwar verschiedene Möglichkeiten zur Bewältigung dieser Situation, jedoch gelingt es keiner Lösung, die Bewahrung der Gläubigerinteressen mit dem Ziel eines einstufigen Vollzugsvorgangs zu verbinden. a) Mehrheit von Rechtsnachfolgern Soll durch den Erbfall mehr als eine Person begünstigt werden, führt die unbefangene Anwendung der Maxime „wer das Erbe nimmt, der soll die Schuld gelten“ tere Nachweise siehe Schmidt-Wiegand (Hg.), Deutsche Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, 93. Verbreitet war nach Endemann, Erbrecht III/2, 858, auch die Kurzform „Wer erbt, der zahlt“. 118 Dazu Liebs, Lateinische Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, Q 46, gestützt auf Paul. D. 50, 17, 10: „Secundum naturam est commoda cuiusque rei eum sequi, quem sequentur incommoda.“ Stair, Institutions III, 5, 13, gebraucht die sprachliche Variation „Quem sequuntur commoda, eundem debent sequi incommoda“ unmittelbar zur Erklärung der erbrechtlichen Schuldenverantwortlichkeit. Zur Ausprägung im Kaufrecht Zimmermann, Law of Obligations, 290 f. (Fn. 118). Zur Ausprägung im Sachenrecht Knütel, in: FS Seiler, 561. 119 Auch dieser Satz lässt sich als erbrechtliche Ausprägung von Paul. D. 50, 17, 10 deuten. Siehe auch Liebs, Lateinische Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, Q 78: „Qui sentit onus, sentire debet commodum, et contra“. 120 Eingehend zu diesem Begriff unten § 3 C.II.4 (212 ff.).
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§ 2 Nachlassabwicklung als Regelungsproblem
dazu, dass jeder Empfänger von Nachlassgegenständen die Erblasserverbindlichkeiten in Höhe seines Anteils am Nachlasswert zu tragen hat. Würde in dem genannten Beispiel also der Wert des Grundstücks 80% des Gesamtwerts der Aktiva ausmachen und der Wert der Waffen und Haushaltsgegenstände jeweils 10%, würden 80% der Erblasserverbindlichkeiten auf das erste Kind entfallen und jeweils 10% auf die übrigen beiden Kinder. Wahrt diese Lösung zwar das Ziel des einstufigen Erbgeschehens, besteht ihr Problem darin, dass sie die Interessen der Nachlassgläubiger auf andere Weise beeinträchtigt. Denn es kommt zu einer Schuldenteilung, so dass die Gläubiger zwar die dem Verstorbenen gehörenden Werte bei ihren neuen Schuldnern vorfinden, sie sich zur vollständigen Forderungsdurchsetzung jedoch an drei Personen wenden müssen anstatt wie bisher an eine. Ein solcher Zustand wäre nur dann unproblematisch, wenn es dem Schuldner auch zu Lebzeiten gestattet gewesen wäre, das Schuldverhältnis ohne Einwilligung des Gläubigers auf mehrere neue Schuldner zu verteilen.121 Zwar ließe sich daran denken, die Schuldenteilung dadurch zu vermeiden, dass jeweils vollständige Forderungen einem bestimmten Rechtsnachfolger zugewiesen werden. Doch ist diese Möglichkeit rein theoretischer Natur, weil sie voraussetzt, dass die Erblassverbindlichkeiten zufällig exakt die Verhältnisse der Rechtsnachfolge spiegeln, also gleich an Zahl und Verhältnis zum Gesamtwert sind. Im Ergebnis steht das Erbrecht vor einem Dilemma: Entweder hält es am Grundsatz der einstufigen Rechtsnachfolge fest und opfert dafür das Interesse der Erblassergläubiger, in ihrer Rechtsstellung nicht beeinträchtigt zu werden. Oder das Erbrecht weist die aktiven Nachlasswerte noch nicht unmittelbar den vorgesehenen Empfängern zu, sondern lässt den Nachlass auch unter den neuen Rechtsträgern als Einheit fortbestehen. Die erste Möglichkeit entspricht, vereinfacht gesagt, dem Modell einer Bruchteilsgemeinschaft, das sich im römischen Recht entwickelt, im gemeinen Recht bewahrt wird und von dort aus u. a. Eingang in den Code civil findet.122 Wie schwer eine solche Schuldenteilung einen Erblassergläubiger trifft, hängt von den Umständen ab. Wohnen etwa alle Verpflichteten am selben Ort, oder ist einer von ihnen aus Gründen der Familiensolidarität bereit, die Gesamtsumme vorzustrecken, muss den Gläubiger die Schuldenteilung nicht weiter beunruhigen. Ganz anders ist dies, wenn die Nachfolger jeweils nur ihren Anteil zahlen wollen, an verschiedenen Orten wohnen oder teilweise zahlungsunfähig sind. Die zweite Möglichkeit entspricht, wiederum vereinfacht, dem Modell der Gesamthandsgemeinschaft, wie es sich im Mittelalter herausbildet und später Eingang in das preußische ALR und das BGB findet.123 Den Preis zahlen in diesem Fall die Begünstigten, die sich bis zur Erlangung der Alleinverfügungsbefugnis über die ihnen zugedachten Gegenstände noch gedulden müssen. In struktureller 121
Diese oft geäußerte Überlegung findet sich beispielsweise in Protokolle V, 871. Näher unten § 3 A.IV. (174 f.); § 8 B.IV. (669 ff.). 123 Dazu unten § 8 B.II. (652 ff.) und III. (657 ff.). 122
B. Schutz der Erblassergläubiger als erste Herausforderung für die Vollzugsdimension 139
Hinsicht kommt es zu einem zweistufigen Erbgeschehen, weil die Herbeiführung des anvisierten Verteilungsergebnisses noch der Vollzugshandlungen unter Lebenden bedarf. Eine Rechtsordnung, die mehr als eine Person die Rechtsnachfolge antreten lässt, muss sich folglich entscheiden, welches Maß an Gläubigerschutz sie gewähren möchte. Die Bewahrung der vor dem Erbfall bestehenden Lage bildet zwar den Referenzpunkt, ist aber kein unverrückbares Dogma und ohnehin niemals vollständig zu erreichen.124 Denn keine Rechtsordnung kann Gläubiger davor bewahren, dass mit dem Tod ihres Schuldners dessen Erwerbspotential wegfällt125 und der Wechsel der Erfüllungszuständigkeit per se Transaktionskosten verursacht (etwa durch die Notwendigkeit der Informationsbeschaffung). Überdies wird sich zeigen, dass es insbesondere mit den Bestattungskosten Lasten gibt, denen aus Wertungsgründen sogar noch Vorrang vor den Ansprüchen der Erblassergläubiger einzuräumen ist.126 b) Begünstigte ohne Schuldenverantwortlichkeit oder: „Der Gläubiger ist der erste Erbe“ Vor dem Hintergrund der geschilderten Probleme liegt die Idee nahe, die Schuldenverantwortlichkeit selbst bei einer Mehrheit von Begünstigten stets in einer Hand zu konzentrieren. Die praktischen Vorteile dieser Lösung würden sich insbesondere dort zeigen, wo die Zahl der Begünstigten sehr groß ist oder sich solche Personen darunter befinden, denen beispielsweise wegen Minderjährigkeit keine Verbindlichkeiten auferlegt werden sollen. Was aber bedeutet die Befreiung von der Schuldenverantwortlichkeit für den Erhalt der zugewiesenen Begünstigung? Gestattet man doch einen lastenfreien Erwerb und damit eine Ausnahme von der Maxime „wer das Erbe nimmt, der soll die Schuld gelten“? Dies ist so lange unproblematisch, wie noch genügend Aktivwerte zur Schuldentilgung in der Hand des Verpflichteten verbleiben. Wo dies allerdings nicht der Fall, oder jedenfalls nicht sicher, bedarf es anderer Vorkehrungen zum Gläubigerschutz, die ebenfalls Ausdruck in einem mittelalterlichen Rechtssprichwort gefunden haben: „Der Gläubiger ist der erste Erbe“. Dieser meist in der lateinischen Variante – „creditores sunt propinquissimi heredes“ – zitierte Satz127 drückt zweierlei aus: zum einen, dass die Erblassergläubiger sich genau wie Erben oder Vermächtnisnehmer als Empfänger von Nachlasswerten 124
Siehe auch Gomes da Silva, Herança, 141. Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3461, 3482; Friedrich, Haftung, 24. 126 Dazu unten B.III.5. (142 ff.). 127 Siehe etwa Mitteis/Lieberich, Deutsches Privatrecht, 173. Im Brünner Schöffenbuch aus der Mitte des 14. Jahrhunderts wird der Satz als commune proverbium bezeichnet, siehe Ebel, ZRG (GA) 84 (1967), 251. Eine geringfügige Abwandlung erfährt der Gedanke in dem Sprichwort „Schulden sind der nächste Erbe“, siehe Schmidt-Wiegand (Hg.), Deutsche Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, 95. Wacke, in: FS Seiler, 361, weist auch auf die spanische Entsprechung „primero pagar y después heredar“ hin. 125
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§ 2 Nachlassabwicklung als Regelungsproblem
begreifen lassen, eben als Nachfolger im wirtschaftlichen Sinn;128 zum anderen, dass zwischen den wirtschaftlichen Nachfolgern im engeren und den wirtschaftlichen Nachfolgern im weiteren Sinne keine Gleichrangigkeit herrscht, sondern die Erblassergläubiger zuerst zum Zuge kommen müssen. Anders gesagt, kann eine lastenfreie Begünstigung aus dem Nachlass nur um den Preis einer Zurückstufung erworben werden, eines der vollständigen Schuldentilgung nachgeordneten Erwerbs. Der Satz „wer das Erbe nimmt, der soll die Schuld gelten“ verschafft sich auf diese Weise doch uneingeschränkte Geltung, da Nachlasswerte im ersten Schritt Hand in Hand mit den Passiva gehen und allenfalls in einem zweiten Schritt, nach Auflösung ihrer erbfallbedingten Verstrickung, an den Begünstigten weitergereicht werden. Aus der Perspektive des Erblassers formuliert denselben Gedanken die Parömie „nemo liberalis nisi liberatus“, „freigebig nur, wenn schuldenfrei“,129 die im französischen Recht bis heute den Rang einer ungeschriebenen allgemeinen Rechtsregel genießt.130 Das Vermögen des Verstorbenen gehört bei wirtschaftlicher Betrachtung in Höhe der bestehenden Verbindlichkeiten bereits seinen Gläubigern, so dass nur der Überschuss Gegenstand der freien Verteilung sein kann.131 Oder wie Blackstone formulierte: „[A] man must be just before he is permitted to be generous“.132 Ob die Großzügigkeit vom Verstorbenen herrührt oder von der Rechtsordnung, spielt im vorliegenden Kontext keine Rolle. Fragt man nach der inneren Begründung der Sätze „der Gläubiger ist der erste Erbe“ oder „nemo liberalis nisi liberatus“, ist die Verlockung groß, mit anderen Autoren hierin schlicht ein elementares Erfordernis der Billigkeit, der Gerechtigkeit oder des common sense zu sehen.133 Doch sollte zumindest der Versuch unternommen werden, die maßgebliche Wertung noch klarer zu fassen. Nicht befriedigend ist der alleinige Hinweis auf die geringere Schutzwürdigkeit des unentgeltlichen Erwerbs, auch wenn das parallel gelagerte Institut der Schenkungsanfechtung134 oftmals damit begründet wird.135 Denn unter den Erblassergläubigern mögen sich ebenfalls solche befinden, die ihre Forderung unentgeltlich erworben haben.
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Zu dieser und der nachfolgenden Unterscheidung schon § 1 B.II. (6 ff.). So die treffende Übersetzung von Liebs, Lateinische Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, N 60. Dazu auch Wacke, in: FS Seiler, 361. 130 Dazu unten § 6 Fn. 483. 131 Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 852, spricht von einem „principe élémentaire de bon sens et d’équité“. Ebel, ZRG (RA) 84 (1967), 254 zitiert den mittelalterlichen Satz: „Was eyn man schuldig ist, das en ist nicht sin.“ 132 Blackstone, Commentaries II, 512. 133 Siehe etwa Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 852: „principe élémentaire de bon sens et d’équité“; Blackstone, Commentaries II, 512: „rule of equity“; Bilotti, Separazione, 4, 85: „elementare esigenza di giustizia sostanziale“, „esigenza di buon senso“. 134 Siehe für das deutsche Recht §§ 4 AnfG, 134 InsO. 135 Siehe etwa Bork, Insolvenzrecht, Rn. 255; Heim, Schenkungsanfechtung, 36 m. w. N. Für einen stärker vertragsrechtlichen Ansatz Thole, Gläubigerschutz, 297–305; dazu auch Heim, Schenkungsanfechtung, 37–40. 129
B. Schutz der Erblassergläubiger als erste Herausforderung für die Vollzugsdimension 141
Ein anderer, vor allem im ausländischen Schrifttum136 häufig anzutreffender Erklärungsversuch, der mit dem soeben genannten verwandt ist, besteht in einer weiteren Parömie: „Potior est qui certat de damno evitando quam qui de lucro captando“137 – stärker ist, wer streitet, um Schaden abzuwenden, als wer Gewinn erzielen will.138 Die Erblassergläubiger werden dabei also zur ersten Kategorie gezählt, die Begünstigten des Erbfalls zur zweiten. Zu beachten ist allerdings, dass die getroffene Differenzierung nur bei der Wahl des richtigen Referenzpunkts Sinn ergibt. Stellt man nämlich auf die Erfüllung der Ansprüche ab, ließe sich der Erhalt der geforderten Leistung auch für die Erblassergläubiger als Gewinn begreifen und deren Versagung auch für die Begünstigten als Verlust. Richtigerweise ist deshalb der Tod des Erblassers als maßgeblicher Zeitpunkt zu betrachten. Für seine Gläubiger geht es dann darum, den geltenden Rechtszustand zu bewahren, wohingegen die Begünstigten des Erbfalls eine Verbesserung ihrer Stellung erstreben. Wenn das Recht in dieser Situation den Interessen der Erblassergläubiger den Vorrang einräumt, bringt es damit zum Ausdruck, dass es keine Rechtfertigung für eine Veränderung des status quo sieht. 4. Das Erfordernis der Abschirmung des Nachlasses Vor dem Hintergrund der genannten Ausführungen scheint ein einstufiges Modell der Nachlassabwicklung immerhin in zwei Fällen möglich zu bleiben: einmal dort, wo durch den Erbfall nur eine Person begünstigt werden soll, ferner dort, wo bei Vorhandensein mehrerer Begünstigter keine bestimmte Verteilungsanordnung vorgesehen ist. Denn treten in der zweiten Situation alle Begünstigten die Rechtsnachfolge an und werden sie gemeinschaftlich berechtigt und verpflichtet, kann anders als in der vorhin erörtertern Konstellation der Abschluss des Erbfalls nicht mit dem Argument verneint werden, dass das anvisierte Verteilungsergebnis noch nicht erreicht sei.139 Und dennoch bestünde weiterhin ein Problem. Denn den übergegangenen Aktiva und Passiva keinerlei erbfallbedingte Sonderbehandlung mehr zukommen zu lassen (wie es erforderlich wäre, um den Erbfall als abgeschlossen betrachten zu können), hieße insbesondere, dass die Erblassergläubiger auch auf das Eigenvermögen eines Rechtsnachfolgers zugreifen könnten und dessen Eigengläubiger sich umgekehrt aus Nachlasswerten befriedigen dürften. Bedeutet eine solche Vermögensvermischung so lange keine Beeinträchtigung, wie sowohl der Erblasser als auch 136 Siehe aus dem französischen Schrifttum etwa Vialleton, Rapport, 143; Héron, Morcellement, Nr. 42; Gasnier, Liquidation, Nr. 243. Aus Italien Bilotti, Separazione, 4, 85. Aus Spanien Peña Bernaldo de Quiros, Herencia y deudas, 27. 137 Liebs, Lateinische Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, P 80. 138 Siehe Wacke, in: FS Seiler, 359, der auch auf § 96 der Einleitung zum ALR hinweist: „In Ermangelung besondrer gesetzlicher Vorschriften muß der, welcher durch Ausübung seines Rechts einen Vorteil sucht, dem nachstehen, der nur einen Schaden abzuwenden bedacht ist.“ 139 Die eventuelle Auseinandersetzung des Nachlasses wäre als Aufgabe des lebzeitigen Vermögensrechts anzusehen, siehe schon oben A.III. (125 ff.).
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der Rechtsnachfolger solvent war bzw. ist, kommt es bei Fehlen dieser Voraussetzung zu einem Verteilungskonflikt: War der Erblasser überschuldet, haben sowohl seine Rechtsnachfolger als auch dessen Gläubiger ein Interesse daran, den Erblassergläubigern den Zugriff auf das Eigenvermögen zu verwehren. Denn anderenfalls würde die Insolvenz des Erblassers auf den Rechtsnachfolger abgewälzt und sich der Tod ihres Schuldners für die Erblassergläubiger als unverhoffter Glücksfall erweisen. Ist hingegen der Rechtsnachfolger überschuldet, besteht aus Sicht der Erb lassergläubiger die Sorge, dass dessen Insolvenz auf sie abgewälzt wird, indem sich die Eigengläubiger nun ebenfalls aus dem Nachlass befriedigen und dieser nicht mehr zur Erfüllung sämtlicher Forderungen reicht. Selbst wenn man bereit ist, dem Rechtsnachfolger und seinen Eigengläubigern die Überwälzung der Erblasserinsolvenz zuzumuten, steht eine Rechtsordnung im Hinblick auf die hier interessierenden Erblassergläubiger erneut vor einem Dilemma: Entweder nimmt sie in Kauf, dass die Gesamtnachfolge zu einer zufälligen Verlagerung von Haftungsrisiken führt. Oder sie gibt das Ziel eines einstufigen Erbgeschehens auf, indem sie den Erblassergläubigern den vorrangigen Zugriff auf die Nachlassaktiva garantiert und diese damit eine Sonderbehandlung unterwirft. Denn der Erbfall könnte erst dann als abgeschlossen betrachtet werden, wenn für diese Sonderbehandlung kein Bedarf mehr besteht, etwa weil alle Erblassergläubiger befriedigt wurden und ein eventuell vorhandener Rest für die übrigen Gläubiger freigegeben werden kann. 5. Gläubiger mit vergleichbaren Interessen Bislang war nur von Gläubigern die Rede, denen bereits zu Lebzeiten des Erblassers eine Forderung zustand und deshalb der vorrangige Zugriff auf den Nachlass garantiert wird. Doch kann es auch andere Gründe geben, die Nachlasswerte bevorzugt zur Erfüllung bestimmter Verbindlichkeiten zu verwenden. Klarstes Beispiel sind die Aufwendungen für die Bestattung des Verstorbenen: Zwar ist durchaus denkbar, diese genau wie die Totensorge ganz unabhängig vom Nachlass zuzuweisen, etwa mit dem Argument, dass die Bestattung und ihre Kosten stets Familienangelegenheit seien. Doch drängt sich eine andere Wertung geradezu auf, dass nämlich für die durch den Tod des Verstorbenen ausgelösten Kosten jedenfalls mittelbar die dadurch freigesetzten Vermögenswerte aufzukommen haben (was sich auch so formulieren lässt, dass jede Person die Kosten ihrer eigenen Bestattung zu tragen hat). Trifft eine Erbrechtsordnung eine entsprechende Entscheidung, muss sie konsequenterweise dafür sorgen, dass die Nachlassgegenstände nicht von den Gläubigern des Rechtsnachfolgers in Anspruch genommen werden können. Überdies liegt es nahe, die Bestattungskosten sogar noch vor den Erblasserverbindlichkeiten zu erfüllen, was auf den Satz „Der Gläubiger der Bestattungskosten ist der erste Erbe“ hinausläuft. In beiden Fällen ist die Rechtsordnung gezwungen, den Nachlassaktiva auch nach Übergang auf den Rechtsnachfolger noch eine Sonderstellung einzuräumen.
C. Zulassung der Testierfreiheit als zweite Herausforderung für die Vollzugsdimension 143
6. Fazit Die rechtsethisch wie rechtsökonomisch fundierte Entscheidung, Verbindlichkeiten einer Person über ihren Tod hinaus fortzuführen, bedeutet das Hinzutreten der Erblassergläubiger zum erbrechtlichen Geschehen und markiert damit einen entscheidenden Wendepunkt.140 Denn das Erbrecht gerät in einem Konflikt zwischen Veränderung und Bewahrung: Es will einerseits die vom Erblasser zurückgelassenen Vermögenswerte neu zuweisen, andererseits den zu Lebzeiten des Erblassers bestehenden Rechtszustand im Interesse seiner Gläubiger erhalten. Diese werden somit in den Worten Heinrich Mitteis’ zur neuen „Großmacht des Erbrechts“.141 Auf den ersten Blick liegt die Lösung darin, die Nachlassaktiva immer nur im Verbund mit den Passiva übergehen zu lassen. Doch lässt sich hierdurch allein den genannten Zielen nicht gerecht werden. Denn wenn mehr als eine Person durch den Erbfall begünstigt werden soll, muss entweder die endgültige Verteilung der Vorteile aufgeschoben oder den Erblassergläubigern eine Fragmentierung ihrer Ansprüche zugemutet werden. Und selbst da, wo es nur einen Begünstigten gibt, kann der geschlossene Übergang des Nachlasses die Erblassergläubiger nicht in jedem Fall vor einer Beeinträchtigung ihrer Rechtsstellung bewahren. Denn sie konkurrieren fortan mit den Eigengläubigern des Rechtsnachfolgers um die Nachlasswerte, was zumindest im Fall von dessen Überschuldung ihre Ansprüche zu entwerten droht. Das Ziel, Gläubiger möglichst umfassend gegen den Tod ihres Schuldners zu versichern, läuft somit auf die Statuierung einer Rangordnung in der Zuweisungsdimension hinaus: Erblassergläubiger müssen mit Priorität vor Begünstigten und Eigengläubigern des Rechtsnachfolgers an den Nachlasswerten partizipieren. Eine einstufige Vollzugsdimension kann dieser Vorgabe nicht mehr gerecht werden. Stattdessen kommt es zu einer Verstrickung der Nachlassaktiva, für deren schrittweise Auflösung die Rechtsordnung ein Verfahren bereithalten muss.
C. Die Zulassung der Testierfreiheit als zweite Herausforderung für die Vollzugsdimension I. Die Herausbildung der Testierfreiheit Wohl keine Erbrechtsordnung hat von Anfang an die Testierfreiheit gekannt; vielmehr dürfte sie sich überall erst schrittweise aus der starren Familienerbfolge he rausgebildet haben.142 Und auch die Frühformen der erbrechtlichen Gestaltung 140 Dies betont auch Gomes da Silva, Herança, 83 f.: „É pois esta entrada de terceiros no mundo da sucessões, que justifica a necessidade de uma regulamentação mais elaborada“ (Hervorhebung im Original). 141 So Mitteis/Lieberich, Deutsches Privatrecht, 173, für die mittelalterliche Rechtsentwicklung. 142 Siehe etwa Kaser, Römisches Privatrecht I, 105; Zimmermann, Heres fiduciarius?, 268. Zu Gegenansichten oben Fn. 37.
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waren typischerweise noch familien- und nicht vermögensrechtlicher Art.143 So ermöglichte die älteste Testamentsform des römischen Rechts, das testamentum calatis comitiis, das vor der zwei Mal jährlich tagenden Volksversammlung errichtet werden konnte,144 demjenigen, der keinen Hauserben hatte und deshalb das Erlöschen der Familie und den Untergang des Familien- und Ahnenkults befürchten musste, die künstliche Schaffung eines suus heres im Wege einer Adoption auf den Todesfall.145 Eine Vermögensverfügung im eigentlichen Sinne fand damit noch nicht statt,146 stattdessen wurde ein Erbe „zum geborenen gekoren“.147 Es wird vermutet, dass andere frühe Rechtsordnungen dem testamentum calatis comitiis in Form und Inhalt vergleichbare Institute vorsahen.148 Ein Beispiel ist die salfränkische Affatomie, die allerdings in vielen Punkten umstritten ist149 und von der man nicht einmal weiß, ob sie in der Praxis überhaupt vorkam oder „nur Gedankenspiel eines merowingischen Kanzlisten“ war.150 Was die Anerkennung echter, die Familiengebundenheit des Eigentums überwindender erblasserischer Vermögensverfügungen angeht, müssen zwei Elemente voneinander getrennt werden, auch wenn sie geschichtlich häufig nebeneinander herliefen und sich wechselseitig bedingten. Zum einen musste der künftige Erblasser die materielle Verfügungsbefugnis erlangen, zum anderen eine Form zur Verwirklichung seiner letztwilligen Anordnungen gefunden werden.151 1. Die Anerkennung der Verfügungsbefugnis a) Die römische Tradition Zu den prägenden Kennzeichen des römischen Rechts gehört, dass es letztwillige Verfügungen nicht nur sehr früh zuließ, sondern schon bald auch in nahezu unbegrenzter Weise gestattete.152 Vermutlich schon ab der zweiten Hälfte des 4. Jahr143
Siehe auch Zimmermann, Heres fiduciarius?, 268. Siehe Gai. 2, 101; Kaser, Römisches Privatrecht I, 105 f.; Rüfer, Testamentary Formalities, 3. 145 Zimmermann, Heres fiduciarius?, 268; ders., in: FS Meincke, 443; Kaser, Römisches Privatrecht I, 94, 105 f. Das Ziel der Kultperpetuierung betont Avenarius, Römisches Erbrecht und Religion, 67 f. 146 Gleiches galt für das dem Komitialtestament nachgebildete testamentum in procintu, das Soldaten, die im Feld standen und somit nicht auf die nächste Volksversammlung warten konnten, einen entsprechenden Akt vor dem kampfbereit aufgestellten Heer (oder jedenfalls Teilen davon) ermöglichte und somit den Charakter eines Nottestaments hatte. Dazu Gai. 2, 101; Kaser, Römisches Privatrecht I, 106 f.; Rüfer, Testamentary Formalities, 3 f.; Longchamps de Bérier, Law of Succession, 152 f. 147 So die treffende Formulierung von Mitteis/Lieberich, Deutsches Privatrecht, 167. 148 Siehe Bruck, GrünhutsZ 40 (1914), 546 f.; Mitteis/Lieberich, Deutsches Privatrecht, 167; HRG/Hagemann, Erbrecht, 1376; Egli, Erben, Erbrecht und Erbschaftssteuer im Kulturvergleich, Rn. 15. 149 Kritisch zur „Familienrechtsthese“, nach der die Affatomie einer Adoption gleichkam, Schmidt-Recla, Mancipatio familiae und Affatomie, 477–479. 150 Vgl. Schmidt-Recla, Mancipatio familiae und Affatomie, 481, 483. 151 Sehr klar zu dieser Unterscheidung Bruck, GrünhutsZ 40 (1914), 545 f. 152 Siehe etwa Johnston, Succession, 199 („remarkably precocious“); Paulus, Auf der Suche nach Unsterblichkeit, 40–42. 144
C. Zulassung der Testierfreiheit als zweite Herausforderung für die Vollzugsdimension 145
hunderts v. Chr.153 konnte ein pater familias nicht nur per Einzelzuwendung über persönliche Gegenstände, sondern mittels Bestimmung eines heres auch über das gesamte Hausvermögen verfügen und dabei sogar die Hauserben vollständig von der Erbfolge ausschließen.154 Als treibende Faktoren dieser Entwicklung werden wirtschaftliche und gesellschaftliche Belange angesehen. Die ungeteilte Fortsetzung des Hausverbandes in dem consortium der Hauserben mit gleichberechtigten Entscheidungsbefugnissen155 erschwerte zunehmend die auskömmliche Bodenbewirtschaftung. Zwar war schon in den Zwölf Tafeln die Möglichkeit der Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft vorgesehen,156 doch führt diese zur unwirtschaftlichen Zersplitterung der Grundstücke. Der hiermit einhergehenden Verarmung des Bauernstandes wird eine wesentliche Rolle bei den Ständekämpfen im 5. Jahrhundert v. Chr. zugeschrieben.157 Ein Ausweg aus dieser Entwicklung lag darin, das Familiengut in einer Hand zu konzentrieren158 und die übrigen Hauserben aus der Erbfolge auszuscheiden.159 Eine bereits zu Lebzeiten des pater familias Wirkung entfaltende Maßnahme in diesem Sinne bestand darin, Hauskinder anderweitig zu versorgen oder „abzuschichten“,160 durch emancipatio, Freigabe zur Adoption, oder – bei Töchtern – durch Verheiratung. Den entscheidenden Durchbruch brachte jedoch erst die Einräumung der Möglichkeit, letztwillig einen Hof- oder Anerben zu bestimmen, der die Hausgemeinschaft ungeteilt fortführte. Der Testator hatte hierbei lediglich eine gewisse Form zu beachten, indem Hauserben (und später alle Abkömmlinge) ausdrücklich von der Erbfolge ausgeschlossen werden mussten.161 Eine materielle Beschränkung der Testierfreiheit durch zwingende Nachlassbeteiligung der nächsten Angehörigen des Verstorbenen wurde hingegen erst gegen Ende der Republik ein153 Dazu Wieacker, in: FS Siber, 25 ff.; Kaser, Römisches Privatrecht I, 94; Harke, Der Staat 59 (2020), 399 f. Auf Schwächen der geläufigen Erklärungsversuche weist Meincke, Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis 46 (1978), 42, hin. 154 Es wird freilich nicht nur für die republikanische, sondern auch die nachfolgende Zeit angenommen, dass die durch Liebe oder Versorgungszwecke motivierte Einsetzung eines Abkömmlings dem gesellschaftlichen Ideal entsprach und den praktischen Regelfall bildete, siehe Paulus, Idee der postmortalen Persönlichkeit, 54–58, 77; ders., Auf der Suche nach Unsterblichkeit, 50–54; Hennig, lex Falcidida, 25. 155 Dazu Kaser, Römisches Privatrecht I, 99 f. 156 Näher Kaser, Römisches Privatrecht I, 100 f. 157 Kaser, Römisches Privatrecht I, 93; Wieacker, in: FS Siber, 21. 158 Wieacker, in: FS Siber, 3, 25 f. meint, dass dies nicht nur dem Bauernstand nützte, sondern auch den Patriziergeschlechtern half, ihre Vermögen zu sichern. 159 Kaser, Römisches Privatrecht I, 93 f., 668 f.; Wieacker, in: FS Siber, 3 ff.; Zimmermann, Compulsory Heirship in Roman Law, 29 f.; Johnston, Succession, 201 f. 160 Vgl. Wieacker, in: FS Siber, 3. 161 Näher zu diesem „formellen Noterb(en)recht“ Kaser, Römisches Privatrecht I, 703 f.; Zimmermann, Compulsory Heirship in Roman Law, 30–33. Die etablierte Unterscheidung zwischen dem „formellen“ und dem „materiellen Noterb(en)recht“ (zu diesem die folgende Fn.) der Abkömmlinge findet bei beiden Autoren zutreffende terminologische Kritik: Kaser, Römisches Privatrecht I, 705 (Fn. 8); Zimmermann, Compulsory Heirship in Roman Law, 31 f. (Fn. 29).
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geführt,162 also bezeichnenderweise zu einem Zeitpunkt, in dem die bäuerliche der Kapitalwirtschaft gewichen war und die Hausteilung ihre sozio-ökonomische Brisanz verloren hatte.163 Diente die Möglichkeit der Erbeinsetzung somit in erster Linie den Interessen der Familie und der Gesellschaft, standen bei den praktisch ebenfalls sehr bedeutenden Einzelzuwendungen individuelle Interessen im Vordergrund. Mittels Aussetzung eines Legats konnte der Erblasser enterbte Hausangehörige versorgen164 oder sich für erfahrene Freundschaft oder geleistete Dienste erkenntlich zeigen.165 Von besonderer Bedeutung für den vorliegenden Zusammenhang ist, dass das römische Vermächtnisrecht einem Testator denkbar weitreichende Gestaltungsfreiheit einräumte.166 Nicht nur konnte er über die in seinem Vermögen konkret vorhandenen Rechte verfügen, also etwa sein Eigentum an Waffen oder Kleidung, sondern auch umsetzungs- und konkretisierungsbedürftige Anordnungen treffen, um so einem Begünstigten einen in seinem Vermögen vorhandenen wirtschaftlichen Wert zukommen zu lassen (z. B. 500 Silberdenare). Die Zulassung eines solchen legatum per damnationem bedeutete im Vergleich zu Verfügungen unter Lebenden also eine Erweiterung des Handlungsspielraums.167 Vor dem Hintergrund der genannten Zwecke wird verständlich, warum die Errichtung eines Testaments jedenfalls in den höheren Schichten der römischen Gesellschaft geradezu als sittliches Gebot empfunden wurde, drohte ein pater familias angesichts der Starrheit der Intestaterbfolge seine Verhältnisse doch anderenfalls ungeordnet zu hinterlassen und Familienangehörige wie Freunde zu enttäuschen.168 Die große Zahl von Quellen des römischen Rechts, die sich mit der Wirksamkeit und dem Inhalt von Einzelzuwendungen befassen, legt beredtes Zeugnis von ihrer enormen praktischen Bedeutung ab. 162 Näher zur Einführung dieses „materiellen Noterb(en)rechts“ in Höhe von einem Viertel des gesetzlichen Erbteils Kaser, Römisches Privatrecht I, 704 f., 709–713; Zimmermann, Compulsory Heirship in Roman Law, 34–37; Johnston, Succession, 209 f. 163 Kaser, Römisches Privatrecht I, 704 f.; Zimmermann, Compulsory Heirship in Roman Law, 34. 164 Siehe Kaser, Römisches Privatrecht I, 109; Rüfner, Testamentary Formalities, 2. 165 Eingehend zu diesen äußerst bedeutenden Motiven in der römischen Testamentspraxis Paulus, Idee der postmortalen Persönlichkeit, 58–74, 77; ders., Auf der Suche nach Unsterblichkeit, 48–74. Siehe auch Meincke, StuW 1978, 353 f. Als unhistorisch erweist sich somit die Erklärung des Vermächtnisses allein mit ökonomischen Beweggründen, so Renner, Die Rechtsinstitute des Privatrechts, 167. 166 Kaser, Römisches Privatrecht I, 743, 749–751; Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, 486 f. 167 Das legatum per damnationem wurde vermutlich erst mit dem Erbeinsetzungstestament zugelassen, so dass vorher allein das unmittelbar rechtsübertragende legatum per vindicationem möglich war, siehe Kaser, Römisches Privatrecht I, 111. 168 Schulz, Classical Roman Law, Rn. 361; Paulus, Idee der postmortalen Persönlichkeit, 13 ff.; Kaser, Römisches Privatrecht I, 669; Rüfner, Testamentary Formalities, 2; Strobel, Römische Testamentsurkunden, 15. Die verbreitete Vorstellung, dass die Römer gar Abscheu gegenüber der Intestaterbfolge gehegt hätten, ist hingegen wohl übertrieben, siehe dazu Daube, Tulane LR 39 (1965), 253–262; Johnston, Succession, 201.
C. Zulassung der Testierfreiheit als zweite Herausforderung für die Vollzugsdimension 147
Besonders nachdrücklich hat dies Fritz Schulz zum Ausdruck gebracht: „The classical lawyers have studied the law of legacies […] with unconcealed predilection. The classical writings […] are full of subtle and detailed inquiries concerning legacies. […] What we have said above […]: ‚the law of succession is the focus of the Roman will to law‘, is in particular true of the law of legacies, and whoever wishes to obtain a vivid and impressive picture of classical jurisprudence must needs study this domain of Roman law.“169
Für den heres hatte die Zulassung von Einzelzuwendungen seine Herabstufung vom Allein- zum Residualbegünstigten zur Folge. Denn aus dem Erbfall resultierende Vorteile standen ihm fortan nur noch in dem Maße zu, wie der Testator sie nicht anderen Personen zugewiesen hatte. Naheliegend und dennoch ungenau wäre es, hierin die Etablierung einer Rangordnung unter den Begünstigten zu sehen. Denn die Begünstigung des heres wurde nicht etwa gekürzt, sondern von vornherein in Abhängigkeit von der verbleibenden Vermögensmasse definiert. Wies beispielsweise der Erblasser sein gesamtes Nettovermögen einem Legatar zu, dann betrug die Begünstigung des Erben von vornherein Null, weshalb sich die Frage der Priorität gar nicht stellte. Später noch zu thematisierende Beschränkungen der letztwilligen Verfügungsfreiheit sollten dem heres ab einem bestimmten Zeitpunkt dann allerdings eine Mindestbegünstigung sichern.170 b) Die germanische Tradition In den mittelalterlichen Rechtsordnungen entwickelte sich die letztwillige Verfügungsbefugnis nicht nur viel später als im römischen Recht. Auch erreichte sie nicht dasselbe Ausmaß,171 weil der wohl deutlich überwiegende Teil des Vermögens stets familienrechtlich gebunden blieb.172 Rechtstechnisch lässt sich der Unterschied zwischen der römischen und der germanischen Tradition so ausdrücken, dass die zweite lediglich Einzelzuwendungen gestattete, während die erste auch eine heredis institutio erlaubte, also die Einsetzung eines Gesamtnachfolgers. Für die Nachlass abwicklung sollte dieser Unterschied fundamentale Bedeutung entfalten.173 Ein weiterer grundlegender Unterschied zeigt sich bei der treibenden Kraft für die Ausbildung der Testierfreiheit in den germanischen Rechtsordnungen. Denn es war die sich ab dem 7. Jahrhundert rasch ausbreitende christliche Kirche, die die Anerkennung eines „Freiteils“174 durchsetzte, indem sie die Gläubigen aufforderte, 169 Schulz, Classical Roman Law, Rn. 551. Ähnlich betonen Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, 484, die große soziale Bedeutung der Vermächtnisse und ihre „material- und nuancenreiche Darstellung in den Digesten“. Siehe auch Johnston, Succession, 205 f.; Kaser/Knütel/ Lohsse, Römisches Privatrecht, § 87 Rn. 2. 170 Dazu unten § 3 A.III. (170 ff.). 171 Dazu Kannowski, Germanisches Erbrecht und Religion, 131. 172 Immerhin war im Laufe des Mittelalters aber ein stetiger Zuwachs der Verfügungsbefugnis zu verzeichnen, HRG/Ogris, Freiteil, 1784. Die latente Vermögensteilhabe der nahen Familienangehörigen wird häufig mit „Wartrecht“ bezeichnet, siehe Mitteis/Lieberich, Deutsches Privatrecht, 168. 173 Dazu unten § 3 B.II. (183 ff.), C.I. (197 ff.). 174 Dazu HRG/Ogris, Freiteil, 1782–1784.
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zum Schutz ihres Seelenheils eine ideelle Quote des Hausguts (daher auch „Seelteil“ genannt) ad pias causas zu stiften,175 also zugunsten der Kirche, der Armen oder zu anderen karitativen Zwecken.176 Die letztwillige Verfügung wurde damit zu einem „religiösen Geschäft“177, einem „Seelgerät“;178 der intestatus galt als inconfessus,179 dem das kirchliche Begräbnis verweigert werden konnte.180 Testamentarische Zuwendungen zu frommen Zwecken spielten zwar auch in der Spätphase des Römischen Reiches eine wichtige Rolle,181 doch waren die Fundamente des römischen Testamentsrechts zu diesem Zeitpunkt längst gelegt.182 Dass die Forderung der Kirche nach der Stiftung eines Seelteils sich in der mittelalterlichen Praxis so rasch durchsetzte, lag vermutlich auch daran, dass sie an die heidnische Tradition der Grabbeigaben anknüpfen konnte,183 die ja ebenfalls auf das Wohlergehen des Erblassers im Jenseits gerichtet gewesen waren.184 Vereinfacht gesagt, veränderte der Einfluss der christlichen Religion also nicht die Nachlassverteilung zulasten der Familie des Verstorbenen, sondern nur die Art der Mittelverwendung. Diese Sichtweise darf freilich nicht dazu verleiten, Grabbeigabe und Freiteil nach Art und Höhe als identisch und nur als unterschiedliche Erscheinungsformen eines einheitlichen „Totenteils“ zu betrachten.185
175 Rietschel, ZRG (GA) 32 (1911), 298, 311; Mitteis/Lieberich, Deutsches Privatrecht, 168; Bader/Dilcher, Deutsche Rechtsgeschichte, 99; Zimmermann, Heres fiduciarius?, 279; HRG/Hagemann, Erbrecht, 1371, 1376; Kannowski, Germanisches Erbrecht und Religion, 130 f., 133 f. Siehe für die angelsächsische Periode Sheehan, The Will in Medieval England, 5–18, und generell Tollerton, Wills- and Will-Making. Die Ausbreitung der Idee der caritas im Christentum hatte eine bemerkenswerte Parallele in der muslimischen Welt, siehe Caillemer, Executor, 748 176 Hallebeek, Dispositions ad pias causas, 79 f.; Zimmermann, JZ 2012, 321. Eingehend Bruck, Kirchenväter und soziales Erbrecht. 177 Kannowski, 130 f.; siehe auch Pollock/Maitland, History II, 338; Coing, Europäisches Privatrecht I, 564. 178 Zimmermann, Heres fiduciarius?, 280. 179 Brunner, ZRG 19 (1898), 281; Mitteis/Lieberich, Deutsches Privatrecht, 168. Siehe auch auch Caillemer, Executor, 746 f.; Pollock/Maitland, History II, 314, 322; Häcker, Testamentsformen in England, 109 (Fn. 33), 113 (Fn. 57). 180 HRG/Ogris, Freiteil, 1783; Coing, Europäisches Privatrecht I, 564. 181 Dazu Zimmermann, in: FG Kaser, 402 f., der auch auf die Wurzeln dieser Entwicklung im vorchristlichen Totenkult hinweist; ders., Heres fiduciarius?, 273; Avenarius, Römisches Erbrecht und Religion, 74 f.; Humfress, in: Donations, Inheritance and Property, 9–27. 182 Dazu Bruck, Kirchenväter und soziales Erbrecht, 241 f. 183 Dazu oben A.I. (119 ff.). 184 Brunner, ZRG 19 (1898), 120; insoweit zustimmend Rietschel, ZRG (GA) 32 (1911), 310. Siehe auch Sheehan, The Will in Medieval England, 7. 185 So noch Brunner, ZRG 19 (1898), 107–139; dagegen bereits Rietschel, ZRG (GA) 32 (1911), 297–312 (insbes. 310 f., dort auch zur Aufgabe des irreführenden Begriffs „Totenteil“). Siehe auch HRG/Ogris, Freiteil, 1782; Kannowski, Germanisches Erbrecht und Religion, 133.
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2. Die Instrumente letztwilliger Verfügung a) Verfügungen unter Lebenden auf den Todesfall Neben der schrittweisen Entwicklung der letztwilligen Verfügungsbefugnis dürfte eine weitere universelle Gemeinsamkeit vergangener Rechtsordnungen darin liegen, dass auch das Testament im Sinne eines einseitigen und widerruflichen Akts, der erst im Todesfall Wirkung entfaltet, sich nur stufenweise herausbildete. Sein Ursprung liegt in zwei- oder mehrseitigen Verfügungsgeschäften unter Lebenden186 , die aus Sicht der heutigen Dogmatik zwischen Erb- und Sachenrecht stehen.187 Ein erstes Instrument in diesem Sinne war die Schenkung auf dem Sterbebett.188 Sie hatte den Vorteil, dass der Erblasser sich erst im letzten Moment der Sache begeben musste, aber auch den offenkundigen Nachteil, nur für Fälle eines vorhersehbaren Todes zur Verfügung zu stehen.189 Umfassender und sicherer ließ sich die Nachlassverteilung mittels einer noch bei voller Gesundheit vorgenommenen Schenkung steuern, doch war dem Verfügenden natürlich daran gelegen, seine Habe erst mit dem Tod endgültig aus der Hand zu geben. Dies konnte er mittels einer aufschiebenden Bedingung190 oder dem Rückbehalt der lebzeitigen Nutzungsbefugnis erreichen.191 Freilich bestand im Vergleich mit dem modernen Tes-
186 Windel, Modi der Nachfolge, 4 (Fn. 15), weist zutreffend darauf hin, dass der etablierten Kategorie der „Verfügung unter Lebenden auf den Todesfall“ die Unterscheidungskraft fehlt, weil Testament und Erbvertrag (im modernen Sinn) genauso zu Lebzeiten der verfügenden Person errichtet werden und ihre Wirkungen ebenfalls erst im Todesfall erzeugen. Zu den terminologischen Schwierigkeiten auch Braun, in: FS Gretton, 301 f. Der eigentliche Unterschied zwischen beiden Verfügungsarten besteht darin, dass die erste ihrem Grundtatbestand nach sofort Wirkungen erzeugt und diese nur durch gesonderte Abrede der Parteien hinausgeschoben wird, während bei der zweiten Verfügungsart die Wirkungen stets erst im Todesfall eintreten und nicht vorverlagert werden können. 187 Windel, Modi der Nachfolge, 334; HRG/Hagemann, Erbrecht, 1377; Kannowski, Germanisches Erbrecht und Religion, 132 f. 188 Zu dieser Variante der donatio mortis causa im römischen Recht Kaser, Römisches Privatrecht I, 764. Zum death-bed gift in der Praxis des angelsächsischen Rechts Sheehan, The Will in Medieval England, 31–38. Zur römischen donatio mortis causa und ihrer Rezeption in England nach der normannischen Eroberung Borkowski, Deathbed Gifts, 5–9. Zur schrittweisen Erstreckung der Regelungen über Vermächtnisse auf die donatio mortis causa siehe Braun, in: FS Gretton, 296 f. 189 Dazu Sheehan, The Will in Medieval England, 38; zu Beispielen plötzlicher Todesfälle mittelalterlicher englischer Juristen Musson, in: Planning for Death, 121 f. 190 Zu dieser Variante der donatio mortis causa im römischen Recht Kaser, Römisches Privatrecht I, 764. Zur donatio post obitum in der germanischen Tradition Hübner, Grundzüge, 786 f.; zur Praxis des angelsächsischen Rechts Sheehan, The Will in Medieval England, 24–31. 191 Bruck, GrünhutsZ 40 (1914), 550 f.; Mitteis/Lieberich, Deutsches Privatrecht, 167 f. Zu beiden genannten Verfügungsformen auch Zimmermann, Heres fiduciarius?, 277 f.; HRG/Ogris, Freiteil, 1783.
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tament auch dann noch das Problem, dass der Verfügende sich bereits band192 und er seine Zuwendung öffentlich bekannt machen musste.193 Ein drittes, wohl ebenfalls in allen Rechtsordnungen zu irgendeiner Zeit entwickeltes Instrument zur Nachlassplanung194 war die Einschaltung eines Mittelsmanns. Diesen beauftragte der künftige Erblasser mit der Verteilung von Nachlassgegenständen nach seinem Tod und verschaffte ihm dazu eine Art treuhänderisches Eigentum oder zumindest Besitz. Eine solche Gestaltung bot gegenüber den oben erwähnten Schenkungsarten zwei praktische Vorteile: Erstens konnten mehrere Zuwendungen zusammengefasst werden, zweitens brauchten die Begünstigten nicht anwesend zu sein,195 was insbesondere im Fall von Zeitmangel von Bedeutung war.196 Der Mittelsmann fungierte also gewissermaßen als Vertreter der Zuwendungsempfänger. Es ist besonders diese letzte Form der Verfügung auf den Todesfall, die die geschichtliche Entwicklung des Erbrechts stark geprägt hat, allerdings auf unterschiedliche Weise. Denn während im römischen Recht der Mittelsmann den Weg zur Entwicklung des Testaments im modernen Sinne ebnete und sich dadurch letztlich überflüssig machte, sollte er in den mittelalterlichen Rechtsordnungen Kontinentaleuropas auch nach Anerkennung der (beschränkten) Testierfreiheit in der Figur des Testamentsvollstreckers (executor) weiterleben. b) Die Einschaltung und Überwindung des Mittelsmanns im römischen Recht Die wichtigste Testamentsform des römischen Rechts, das testamentum per aes et libram, wurzelte in der sog. mancipatio familiae. Bei diesem Geschäft übertrug der Hausvater sein Vermögen vor Zeugen einem Dritten, dem familiae emptor, und beauftragte ihn mittels nuncupatio, also einer förmlichen mündlichen Erklärung,197 die Gegenstände nach dem Tod den bedachten Personen auszuhändigen.198 Dieser
192 Die Unwiderruflichkeit der donatio post obitum war zumindest die klare Regel, siehe Sheehan, The Will in Medieval England, 28 f., 114 (siehe auch 37 f., 118 zur Frage der Widerruflichkeit eines death-bed gift). 193 Zum Öffentlichkeitserfordernis auch Caillemer, Executor, 749. Zu beachten ist allerdings, dass der Inhalt eines Testaments im modernen Sinne in dem Fall, dass eine öffentliche Form vorgeschrieben ist, auch nicht geheim bleibt. Zudem zogen Erblasser im Mittelalter oft freiwillig eine große Zahl von Zeugen bei der Testamentserrichtung hinzu. Hierin wirkten nicht nur die früheren Vergabungsformen nach, sondern kam auch der Wunsch zum Vorschein, über die Existenz und den Inhalt des Testaments keine Zweifel aufkommen zu lassen, siehe Sheehan, The Will in Medieval England, 178 f. 194 Vgl. Bruck, GrünhutsZ 40 (1914), 551. 195 Siehe im Kontext des römischen Rechts Kaser, Römisches Privatrecht I, 110. 196 Vgl. Sheehan, The Will in Medieval England, 150. 197 Näher Gai. 2, 104. 198 Gai. 2, 102 f.; Manthe, Geschichte, 52 f. Zu den Einzelheiten und der praktischen Handhabung Strobel, Römische Testamentsurkunden, 18–53; ferner Kunz, Postmortale Privatautonomie, 239 f.
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„Trick“ ermöglichte es, die Intestaterbfolge formal unangetastet zu lassen,199 der Wirkung nach jedoch eine Gesamtverfügung mortis causa zu treffen.200 Es gilt als wahrscheinlich, dass die mancipatio familiae zumindest dort, wo sui heredes vorhanden waren, dem Hausvater mangels umfassender Befugnis zunächst nur die Verfügung über persönliche Gegenstände (sua res) gestattete. Die mancipatio familiae war somit, in heutiger Diktion, noch kein Erbeinsetzungs-, sondern nur ein Legatentestatment.201 Die Manzipation einzelner Gegenstände an den familiae emptor bildete den Ursprung des legatum per vindicationem, also des dinglich wirkenden Vermächtnisses. Der Bedachte erlangte mit dem Tod des Erblassers unmittelbar das Eigentum an dem betreffenden Gegenstand, ohne dass es noch einer Verfügung durch den Mittelsmann bedurfte.202 Hatte der Erblasser keine Haus erben, konnte er mittels Vermächtnisanordnung(en) über den gesamten Nachlass verfügen und so die Intestaterbfolge ausschließen.203 Wurden Verfügungen der vorgenannten Art anfangs vermutlich nur in Erwartung eines baldigen Todes vorgenommen, 204 konnte diese besondere Form der mancipatio aus Gründen der Praktikabilität später auch aufschiebend bedingt auf den Tod erklärt werden, so dass der Erblasser die Kontrolle über sein Vermögen behielt, während der familiae emptor nur eine Art ruhendes Eigentum erlangte.205 Unklar ist, inwieweit die Manzipation schon zu Lebzeiten des Erblassers bindend war, er sie also widerrufen oder abändern konnte.206
199 Harke, Der Staat 59 (2020), 402; dass die Einschaltung eines Mittlers sich aus Sicht der Familienangehörigen als Umgehungsgeschäft darstellt, bemerken allgemein auch Bader/Dilcher, Deutsche Rechtsgeschichte, 99 f. 200 Schmidt-Recla, Mancipatio familiae und Affatomie, 483, bezeichnet die mancipatio familiae als einaktigen Vorgang, was insofern richtig ist, als der Begünstigte wie bei einem Vertrag zugunsten Dritter (ebd., 467) sein Recht ohne Weiteres mit dem Tode des Erblassers erlangte. Dennoch fand in der Regel wohl zumindest noch eine physische Übergabe durch den familiae emptor statt. Zur Frage, ob der familiae emptor mit einem heres oder einem Vollstrecker zu vergleichen ist, Offergeld, Rechtsstellung, 21 f., deren Ansatz allerdings zu formalistisch anmutet. 201 Lenel, Geschichte der heredis institutio, 121 ff., der allerdings auch das Komitialtestament für ein Legatentestament hielt; Wieacker, in: FS Siber, 30 f.; Kaser, Römisches Privatrecht I, 94, 107 f.; Manthe, Geschichte, 53. Skeptisch hingegen Siber, Geschichtliches und Rechtsvergleichendes, 990; Schulz, Classical Roman Law, Rn. 427. 202 Kaser, Römisches Privatrecht I, 108, 110. 203 Kaser, Römisches Privatrecht I, 89, 94. 204 Siehe Gai. 2, 102; Strobel, Römische Testamentsurkunden, 19. Zimmermann, Heres fiduciarius?, 269, weist darauf hin, dass im Falle des erwarteten nahen Todes nicht mehr bis zur nächsten Volksversammlung gewartet werden konnte, um dann dort ein Testaments zu errichten (siehe oben C.I. (144)), doch passt diese Erklärung nicht für den Fall, dass der Erblasser gar keinen heres bestimmen, sondern Einzelgegenstände zuwenden wollte. 205 Vgl. Gai. 2, 104. Siehe auch Zimmermann, Heres fiduciarius?, 269; Kaser, Römisches Privatrecht I, 108. Von treuhänderischem Eigentum spricht Schulz, Classical Roman Law, Rn. 432. Näher zur Rechtsstellung von familiae emptor und Begünstigtem Schmidt-Recla, Mancipatio familiae und Affatomie, 467 f. 206 Bejaht wird die Widerruflichkeit von Schulz, Classical Roman Law, Rn. 432, verneint hingegen von Kaser, Römisches Privatrecht I, 108.
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Bemerkenswert ist in jedem Fall, dass sich das zweiseitige Verfügungsgeschäft im Laufe der Zeit zu einem einseitigen wandelte,207 indem die Manzipation zu einem „bloßen Scheinakt“ degradiert wurde208 und der familiae emptor ebenso wie der Waagehalter zu einem Statisten bei der Testamentserrichtung herabsank.209 Noch stärker forciert wurde diese Entwicklung im prätorischen Recht, wo nicht einmal die symbolische Vornahme der mancipatio mehr verlangt wurde, sondern Käufer und Waagehalter nur noch als zwei von insgesamt sieben Zeugen bei der dann in der Regel schriftlichen Testamentserrichtung fungierten.210 Ergebnis dieser Entwicklung war die Anerkennung einseitiger Anordnungen eines Verstorbenen auf den Tod und damit die „Anerkennung der Persönlichkeit über das Grab hinaus“.211 c) Die Einschaltung und Beibehaltung des Mittelsmanns im mittelalterlichen Recht Eine frühmittelalterliche Parallele zur römischen mancipatio familiae ist häufig in der bereits genannten salfränkischen Affatomie gesehen worden, 212 bei der ebenfalls ein Mittler zwischen Verfügendem und Begünstigtem auftrat.213 Die Einschaltung eines Treuhänders oder „Salmannes“214 war als Mittel der postmortalen Vermögensgestaltung aber wohl generell weit verbreitet, 215 wenngleich die heutige Forschung davon abgekommen ist, diese Figuren als überzeitliche Rechtsinstitute mit klaren und einheitlichen Strukturen zu betrachten.216 Für das vorliegende Thema ist von besonderem Interesse, dass die Figur des Mittlers zwischen Verfügendem und Begünstigtem auch schon in der angelsächsischen Periode des englischen Rechts auftrat, und zwar in Gestalt des sog. cwide, einer Art Sammelverfügung auf den Todesfall zugunsten einer Vielzahl von Begünstigten.217 Der Mittler hatte die letztwillige Verfügung entweder auszuführen
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Siehe Gai. 2, 103 f.; Schmidt-Recla, Mancipatio familiae und Affatomie, 467 f. Lenel, Geschichte der heredis institutio, 136. 209 Schulz, Classical Roman Law, Rn. 433 f.; Rüfner, Testamentary Formalities, 5 f.; Longchamps de Bérier, Law of Succession, 155; Kunz, Postmortale Privatautonomie, 242 f., die deshalb zu Recht eine Vergleichbarkeit mit der heutigen Willensvollstreckung verneint. 210 Schulz, Classical Roman Law, Rn. 436; Rüfner, Testamentary Formalities, 6–8. 211 Bruck, GrünhutsZ 40 (1914), 551. 212 Siehe dazu die Nachweise bei Schmidt-Recla, Mancipatio familiae und Affatomie, 462, der auch der Frage nachgeht, ob das Institut der Affatomie sogar unmittelbar auf römischen Einfluss zurückgeht (462 f., 483–485). 213 Ausführlich zum Verfahren Schmidt-Recla, Mancipatio familiae und Affatomie, 473–477. 214 Nach Wallach, ZRG (RA) 54 (1934), 240, tritt der salmannus ab dem 12. Jahrhundert als Rechtsperson in den Quellen auf. 215 Siehe etwa HRG/Hagemann, Erbrecht, 1377. 216 Näher dazu Zimmermann, Heres fiduciarius?, 275–277; Kunz, Postmortale Privatautonomie, 270–277. 217 Näher Caillemer, Executor, 751; Pollock and Maitland, History II, 319–321; Sheehan, The Will in Medieval England, 39; Häcker, Testamentsformen in England, 109 f.; Tollerton, Wills and Will-Making, 28, 48. 208
C. Zulassung der Testierfreiheit als zweite Herausforderung für die Vollzugsdimension 153
oder die Ausführung zu überwachen;218 in der zweitgenannten Figur, dem sog. mund, wird eine Wurzel des späteren executor vermutet.219 Gab es somit zahlreiche Parallelen zwischen der römischen und der germanischen Rechtsentwicklung, blieb ein zentraler Unterschied gleichwohl bestehen: Die frühmittelalterlichen Rechtsordnungen erreichten nicht die „höhere Kulturstufe“220 der einseitigen Verfügungsmacht über den Tod hinaus.221 Stattdessen ging das Testament als das im Vergleich zu den bestehenden Gestaltungen deutlich praktikablere Instrument der letztwilligen Vermögensgestaltung erst mit der Rezeption des römischen Rechts im Hochmittelalter in die germanischen Rechte ein.222 Diese Rezeption vollzog sich auf direktem, vor allem aber auf indirektem Wege über das kanonische Recht.223 Die Kirche nutzte dabei die Gelegenheit, das römische Testament ihren Zwecken gemäß abzuwandeln, indem sie zur Förderung und Erleichterung letztwilliger Verfügungen ad pias causas 224 etwa die Formerfordernisse deutlich herabsenkte.225 Einher ging hiermit in vielen Teilen Europas die Erlangung einer umfassenden Gerichtsbarkeit der Kirche in Testamentsangelegenheiten.226 Aufgrund der beschränkten Verfügungsfreiheit eines Erblassers war das kanonische Testament im Unterschied zum römischen zudem kein Erbeinsetzungs-, sondern ein Legatentestament, das oftmals nur einen kleinen Teil des Erblasservermögens umfasste.227 Nach England gelangte dieses „römische Testament im kanonischen Gewand“228 etwa Mitte des 12. Jahrhunderts, also nicht schon mit der normannischen Eroberung, sondern erst ca. 100 Jahre nach ihr.229 218
Sheehan, The Will in Medieval England, 42–44. Siehe unten Fn. 242. 220 Bruck, GrünhutsZ 40 (1914), 551. 221 So jedenfalls der herkömmliche Forschungsstand, siehe Kannowski, Germanisches Erbrecht und Religion, 132; Schmidt-Recla, Kalte oder warme Hand?, 17–20. Für eine Neubewertung ders., ebd., 639–646. Insoweit zustimmend Oestmann, ZRG GA 130 (2013), 659. 222 Nach Coing, Europäisches Privatrecht I, 560 f., 564, vollzog sich die Wiederbelebung des römischen Testaments, das lediglich in Italien und Südfrankreich nie ganz verschwunden war, ab dem Beginn des 12. Jahrhunderts. 223 Ausführlich Sheehan, The Will in Medieval England, 119–135; Coing, Europäisches Privatrecht I, 561. 224 Coing, Europäisches Privatrecht I, 564; Zimmermann, Heres fiduciarius?, 279; ders., JZ 2016, 321. 225 Näher Sheehan, The Will in Medieval England, 128 f.; Zimmermann, Heres fiduciarius?, 280; ders., RabelsZ 76 (2012), 482; ders., JZ 2016, 321; Helmholz, OHEL I, 390. Für das englische Mittelalter berichtet ders., in: Planning for Death, 243–245, 257, von einer bedenklichen Konsequenz der stark gelockerten Formerfordernisse, dass nämlich die auf dem Sterbebett Liegenden mit Fragen, Bitten und Forderungen hinsichtlich der Verteilung ihres Vermögens bedrängt wurden. 226 Sheehan, The Will in Medieval England, 163 f.; Coing, Europäisches Privatrecht I, 561, 565; Zimmermann, Heres fiduciarius?, 281. 227 Sheehan, The Will in Medieval England, 135. 228 Zimmermann, Heres fiduciarius?, 302 (im Kontext der Rezeption des kanonischen Testaments in England). 229 Sheehan, The Will in Medieval England, 3, 138–140, dem zufolge in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts schriftliche Testamente in erheblicher Zahl auftraten (144). 219
154
§ 2 Nachlassabwicklung als Regelungsproblem
Neben der Wiederentdeckung und Umgestaltung des römischen Testaments beeinflusste die Kirche die erbrechtliche Entwicklung aber noch in einem weiteren zentralen Punkt, nämlich durch die Etablierung desjenigen Instituts, das heute mit Testamentsvollstreckung bezeichnet wird.230 Die in den lateinischen Quellen als executor bezeichnete Person 231 hatte die Aufgabe, die Erfüllung der letztwilligen Anordnungen des Verstorbenen sicherzustellen, 232 wobei ihr oft ein weiter Ermessensspielraum zukam.233 Die Kirche wiederum betrachtete es als ihre Aufgabe, den executor als „Wächter über die Seele des Verstorbenen“234 einer strengen Aufsicht zu unterwerfen.235 Über die Figur des executor erlangte die Kirche somit großen Einfluss auf die Nachlassabwicklung. „He [the executor] is a favourite with them [the canonists]; he is their instrument, for a heres is but too plainly the creature of temporal law, and the church can not claim as her own the whole province of inheritance [d. h. des unbeweglichen Vermögens].“236
Die Parallele zum Mittelsmann bei den lebzeitigen Verfügungen auf den Todesfall ist offenkundig, und tatsächlich wird der germanische Salmann traditionell als der Ursprung des executor betrachtet;237 man könnte auch sagen, dass ihm der Zugang zum kanonischen Testament eröffnet wurde.238 Selbst wenn ein direkter Zusammenhang schwer zu belegen ist, dürfte die lange Tradition des Mittelsmanns die Etablierung des executor zumindest mit inspiriert und seine Akzeptanz begünstigt haben.239 In der genannten Verbindung kanonischer und germanischer Elemente wird jedenfalls auch der Ursprung des englischen executor gesehen, 240 dessen Auftreten ab der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts (und damit etwas später als auf dem Kontinent) gesichert ist.241 Neben einer fertigen Übernahme des Instituts wird aber 230 Eingehend Kunz, Postmortale Privatautonomie, 308–395, die auch die funktionalen Unterschiede zur heutigen Willensvollstreckung herausstellt. Zu anderen mittelalterlichen Wurzeln der Testamentsvollstreckung Muscheler, Testamentsvollstreckung, 28–30; Offergeld, Rechtsstellung, 25–33. 231 Ebenso finden sich die Begriffe commissarius und distributor, siehe Schwab, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 2. 232 Coing, Europäisches Privatrecht I, 561; Zimmermann, Heres fiduciarius?, 280–282; HRG/ Hagemann, Erbrecht, 1377; Helmholz, OHEL I, 391; Schwab, in: Testamentsvollstreckung in Europa 1. 233 Caillemer, Executor, 747. 234 Vgl. Caillemer, Executor, 747 („an almoner to watch over his soul“). 235 Caillemer, Executor, 749; Zimmermann, Heres fiduciarius?, 280 f., 284 f.; HRG/Hagemann, Erbrecht, 1377. 236 Pollock/Maitland, History II, 336 (die Aussage ist nicht auf das englische Recht beschränkt). 237 Siehe etwa Bruck, GrünhutsZ 40 (1914), 533 f.; Zimmermann, Heres fiduciarius?, 279. 238 Caillemer, Executor, 749. 239 Sheehan, The Will in Medieval England, 149. 240 Siehe etwa Holmes, LQR 1 (1885), 163 f.; Holdsworth, History III, 563 f. 241 Sheehan, The Will in Medieval England, 148. Wenn Caillemer, Executor, 749, in Bezug auf das 8. Jahrhundert schreibt: „executorship is found everywhere on the continent“, dann ist damit noch nicht die Testamentsvollstreckung im Sinne des kanonischen Rechts gemeint, die sich erst im 11./12. Jahrhundert herausbildet.
C. Zulassung der Testierfreiheit als zweite Herausforderung für die Vollzugsdimension 155
auch ein Einfluss der angelsächsischen Tradition diskutiert und insbesondere der erwähnten Figur des mund.242 Dass der Mittelsmann somit im mittelalterlichen Testamentsrecht in Form des executor fortlebte, während er im römischen Recht obsolet wurde, wird im Schrifttum häufig herausgestellt243 und mag auf den ersten Blick in der Tat erstaunen. Doch werden die folgenden Abschnitte nicht nur zeigen, dass diese unterschied liche Entwicklung Pfadabhängigkeiten geschuldet war. Auch wird sich die Sichtweise, dass der Mittelsmann im römischen Recht ersatzlos weggefallen sei und dieses folglich das Institut der Testamentsvollstreckung nicht entwickelt habe, 244 als zu formalistisch erweisen.
II. Die durch die Anerkennung der Testierfreiheit hervorgerufenen Regelungsprobleme 1. Das Bündelungs- und Zerstreuungspotential letztwilliger Anordnungen Dass die Zulassung der Testierfreiheit die Nachlassabwicklung vor zusätzliche Aufgaben stellt, mag zunächst überraschend klingen. Denn eine Zuweisung von Nachlasswerten fand ja immer schon statt, nur dass die Entscheidung statt vom Testator eben von der Rechtsordnung getroffen wurde. Es muss denn auch zwischen verschiedenen Arten von letztwilligen Anordnungen unterschieden werden. Verfügt ein Testator über konkrete, in seinem Vermögen vorhandene Gegenstände, etwa seine Waffen oder seine Kleidung, kann mit dem Erbfall einfach das betreffende Eigentumsrecht auf den oder die Empfänger übergehen, und der Fall liegt im Ergebnis nicht anders als dort, wo eine solche Zuteilung von Rechts wegen vorgenommen wird.245 Letztwillige Verfügungen der genannten Art stellen die Nach lassabwicklung nicht vor neue Herausforderungen, sondern verschärfen allenfalls die bestehenden, indem sie einer Zerstreuung der Nachlassgüter Vorschub leisten, die dem Interesse der Gläubiger an der Zusammenhaltung des Nachlasses zuwiderläuft.246 Selbst eine Rechtsordnung, die von sich aus bei der Zuweisung der Nachlassgegenstände nicht differenziert (z. B. zwischen beweglichem und unbeweglichem Nachlass), ermöglicht durch die Zulassung der Testierfreiheit eine privatautonome Nachbildung solcher Sondererbfolgen, die entweder zu einer Beeinträchtigung der Erblassergläubiger führen oder eine zweistufige Nachlassabwicklung erfordern. 242 Siehe Goffin, Executor, 36 f.; Pollock/Maitland, History II, 335 f.; Sheehan, The Will in Medieval England, 149 f.; Plucknett, History, 738 f.; Zimmermann, Heres fiduciarius?, 302; Tollerton, Wills and Will-Making, 51. 243 Siehe z. B. Bruck, GrünhutsZ 40 (1914), 565; Schulz, Classical Roman Law, Rn. 433; Kaser, Römisches Privatrecht I, 108; Zimmermann, Heres fiduciarius?, 279. 244 Siehe etwa Schulz, Classical Roman Law, Rn. 576, der sogar von einer „fateful omission“ spricht; Kaser, Römisches Privatrecht I, 693; Zimmermann, Heres fiduciarius?, 273; Kunz, Postmortale Privatautonomie, 231, 265. 245 Zu den mittelalterlichen Sondererbfolgen unten § 3 B.I. (179 ff.). 246 Dazu oben B.III.3. (137 ff.).
156
§ 2 Nachlassabwicklung als Regelungsproblem
Zu betonen ist allerdings die Ambivalenz dieses Aspekts der Testierfreiheit. Denn sie kann die Nachlassabwicklung gerade auch erleichtern, indem sie die Konzentration des Erblasservermögens ermöglicht. Beruft beispielsweise das Gesetz sämtliche Kinder des Erblassers zu Rechtsnachfolgern, so vermeidet die letztwillige Einsetzung nur eines von ihnen das oben geschilderte Problem, dass Gläubiger interessen und Nachlassverteilung miteinander in Konflikt geraten. Die Möglichkeit der Einsetzung eines Anerben im römischen Recht veranschaulicht dies besonders deutlich, auch wenn die Möglichkeit der ungeteilten Fortführung des Hauses in erster Linie sozio-ökonomische Ziele verfolgte und nicht solche des Gläubigerschutzes.247 Es zeigt sich an dieser Stelle wieder die schon in der Einführung betonte Doppelnatur der Testierfreiheit, 248 die, soweit sie die Bestimmung eines Gesamtnachfolgers betrifft, nicht nur in der Zuweisungs-, sondern auch in der Vollzugsdimension angesiedelt ist.
Für den Rechtsverkehr im Allgemeinen schließlich hat die Zulassung der Testierfreiheit zur Folge, dass sie die Rechtsnachfolge mit erheblichen praktischen Unsicherheiten belastet. Denn indem die Rechtsnachfolge personell nun nicht mehr auf den engen Familienkreis beschränkt ist und ihre causa zudem in einer privaten und überdies vielleicht nicht einmal eindeutig formulierten Urkunde haben kann, lässt sich die mit Tod des Erblassers geltende Rechtslage vielfach nicht mehr einfach feststellen. Es entsteht damit die Frage nach besonderen Verfahren zum „title clear ing“.249 2. Die Notwendigkeit der Bestimmung eines Erfüllungszuständigen Einen definitiven Wendepunkt für die Vollzugsdimension markierte hingegen die Zulassung solcher letztwilligen Verfügungen, die nicht ein konkretes im Erblasservermögen vorhandenes Recht zum Gegenstand haben, sondern einen im Erblasservermögen vorhandenen wirtschaftlichen Wert. Denn indem sie stets noch eines Umsetzungsaktes bedürfen, überfordern Zuweisungen dieser Art das Modell einer einstufigen Rechtsnachfolge von Todes wegen schon aus technischen Gründen. Ordnet der Erblasser z. B. an, dass A eine Zahlung von 20 Silbertalern oder fünf Eseln aus dem Nachlass erhalten soll, so wird er sich damit in aller Regel nicht auf im Nachlass vorhandene, klar identifizierbare Objekte beziehen. Folge ist, dass die Erfüllung der Anordnung nach dem Tod mindestens einer weiteren Handlung bedarf, etwa der Aussonderung von Geldstücken oder Tieren. Möglichweise sind sogar noch Vorbereitungshandlungen nötig, wie der Verkauf eines anderen Nachlassgegenstandes zwecks Schaffung der erforderlichen Liquidität. Besonders deutlich zeigt sich das Erfordernis einer Umsetzungshandlung dort, wo die Erblasseranordnung selbst noch der Konkretisierung bedarf, wie etwa im Fall, dass sie „zugunsten 247
Siehe oben C.I.1a) (144 ff.). Siehe oben § 1 B.III. (9 ff.). 249 Dazu oben § 1 Fn. 564. 248
C. Zulassung der Testierfreiheit als zweite Herausforderung für die Vollzugsdimension 157
der Armen in meiner Gemeinde“ erfolgt oder „zugunsten einer von X zu bestimmenden karitativen Einrichtung“. Wie gesehen, gestatteten schon das römische und das mittelalterliche Erbrecht solche unbestimmten Anordnungen in sehr weitgehendem Maße.250 Es tritt somit das gleiche Regelungsbedürfnis wie bei vererblichen Verbindlichkeiten auf, d. h. es bedarf der Bestimmung einer oder mehrerer Personen, der oder denen die Zuständigkeit für die Erfüllung der letztwilligen Anordnungen zugewiesen wird, zusammen mit den dazu erforderlichen Mitteln aus dem Nachlass. Die Zulassung von dem, was die römischen Juristen mit legatum per damnationem bezeichneten, ließ also das Bedürfnis für einen Mittelsmann wieder aufleben. Denn das Testament befreite allein von der Notwendigkeit, diesen Mittelsmann schon zu Lebzeiten zu beauftragen und mittels zweiseitigen Geschäfts mit den nötigen Kompetenzen auszustatten. Es zeigt sich damit eine strukturelle Parallele zwischen Erblassergläubigern und den Empfängern von umsetzungsbedürftigen Einzelzuwendungen: Beide erheben Anspruch auf im Nachlass verkörperte Werte, und genauso, wie es möglich ist, die Erblassergläubiger in eine weit verstandene Kategorie der wirtschaftlichen Nachfolger einzuordnen, 251 lassen sich die Empfänger einer Einzelzuwendung der genannten Art mit den Erblassergläubigern zur Gruppe der Nachlassgläubiger zusammenfassen. Gleichzeitig ist auch ein wichtiger Unterschied zwischen diesen beiden Arten von Nachlassgläubigern zu konstatieren. Denn das Stabilitätsinteresse der Erblassergläubiger verlangt vom Erbrecht wie gesehen nur die Aufrechterhaltung von Forderung und Haftungsmasse, nicht hingegen die sofortige Erfüllung. Ein solches Ergebnis lässt sich problemlos mittels eines einstufigen Vorgangs der Rechtsnachfolge erreichen, wenn auch nur um den Preis anderer Gefahren für die Erblassergläubiger.252 Hingegen kann das Erbrecht sich im Fall einer erblasserischen Zuwendung nicht damit begnügen, dem Begünstigten ein Forderungsrecht gegen den Rechtsnachfolger zu gewähren und ihn damit einem Gläubiger gleichzustellen. Denn der Erblasser wollte dem Begünstigten nicht lediglich einen Anspruch auf Nachlassteilhabe einräumen, sondern diese Teilhabe auch verwirklichen. Die Einräumung einer Forderung ist also nur das notwendige Zwischenziel, nicht aber Endziel seiner Anordnung. Dies bedeutet, dass erblasserische Anordnungen, die einer Umsetzungshandlung bedürfen, das Erbgeschehen notgedrungen zu einem zweiaktigen Vorgang machen. 3. Unterschiede zur Lage der Erblassergläubiger In anderer Hinsicht stellt die Möglichkeit, umsetzungsbedürftige Einzelzuwendungen anzuordnen, das Erbrecht allerdings vor geringere Herausforderungen als 250
Siehe oben C.I.1. (144 ff.). Siehe oben § 1 B.II.2. (8 ff.). 252 Siehe oben B.III.3. (137 ff.). 251
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§ 2 Nachlassabwicklung als Regelungsproblem
die Vererblichkeit von Erblasserschulden. Denn die Forderung eines Begünstigten wird mit dem Erbfall überhaupt erst begründet, so dass es anders als im Fall der Erblassergläubiger keine Notwendigkeit gibt, bestehende Vermögensverhältnisse zu konservieren. So ist es aus rechtsethischer Sicht unbedenklich, die Zuständigkeit für die Vermächtniserfüllung auf mehrere Personen zu verteilen, indem z. B. der Begünstigte Zuwendung 1 aus den Händen von A und Zuwendung 2 aus den Händen von B erhält, oder seine einzige Zuwendung je zur Hälfte aus den Händen von A und B. Denn die Notwendigkeit, die Begünstigung verschiedenen Personen gegenüber geltend zu machen, bedeutet keine Verschlechterung einer bestehenden Rechtslage, sondern immer noch eine Verbesserung. Aus denselben Gründen kann der Begünstigte auch nicht mit derselben Berechtigung wie ein Erblassergläubiger verlangen, dass seine Forderung durch Zuweisung entsprechender Nachlasswerte an den Erfüllungszuständigen „unterfüttert“ wird. Denn wo zu Lebzeiten des Erblassers noch gar keine Forderung des Begünstigten bestand, gibt es auch keinen Bedarf für den Schutz ihrer Werthaltigkeit. Freilich wäre es nicht nur eine unbillige Belastung des Erfüllungszuständigen, ihm die Pflicht, aber nicht auch die entsprechenden Nachlassmittel zu übertragen; auch hat der Erblasser selbst ein Interesse an einer solchen Koppelung, weil sie die Chance auf Durchsetzung seines letzten Willens erhöht. Findet deshalb eine gekoppelte Zuweisung von Erfüllungszuständigkeit und Nachlasswerten zumindest im entsprechenden Anteil statt, wirkt sich der Unterschied zwischen letztwillig Begünstigten und Erblassergläubigern immer noch in einem weiteren Punkt aus. Denn indem es für die Begünstigten nicht um die Aufrechterhaltung des status quo geht, sondern um die Erlangung von Vorteilen, stellt es keine unzumutbare Beeinträchtigung für sie dar, wenn sie um die Nachlasswerte mit den Gläubigern des Erfüllungszuständigen konkurrieren müssen. Dies schließt, wie noch zu sehen ist,253 natürlich nicht aus, dass eine Erbrechtsordnung die Begünstigten trotzdem den Erblassergläubigern gleichstellt und ihnen hinsichtlich des Zugriffs auf die Nachlasswerte ebenfalls Vorrang gegenüber den Gläubigern des Erfüllungszuständigen einräumt. Doch erfordert diese Maßnahme eine andere Begründung. 4. Praktischer Bedarf für die Zuständigkeitskonzentration Besteht wie gesehen kein rechtsethisches Bedürfnis, die Zuständigkeit für die Erfüllung der letztwilligen Anordnungen in einer Hand zu bündeln, kann es gleichwohl starke praktische Gründe für eine solche Konzentration geben. Denn insbesondere dort, wo der Testator eine Vielzahl von umsetzungsbedürftigen Zuwendungen vorgenommen hat und sein Nachlass nicht die nötige Liquidität aufweist, erleichtert eine Gesamtkoordination erheblich die Beschaffung der erforderlichen Mittel durch Versilberung von Nachlasswerten (wie noch zu sehen sein wird, spielte dieser Aspekt insbesondere im englischen Recht eine große Rolle). Eine fragmen253
Siehe unten § 4 A.VI. (260 ff.).
C. Zulassung der Testierfreiheit als zweite Herausforderung für die Vollzugsdimension 159
tierte Zuständigkeit drohte überdies dort zu Schwierigkeiten zu führen, wo der Erblasser seinen Nachlass durch exzessive Anordnungen überbeschwert hat und sich damit die Frage einer Rangstufung oder anteiligen Kürzung stellt. 5. Gesetzlich angeordnete Zuwendungen und Rangfragen Letztwillige Anordnungen des Erblassers sind nicht die einzige Quelle der hier beschriebenen Regelungsprobleme, denn sie können ebenso aus gesetzlichen Anordnungen resultieren.254 Soll z. B. wie im modernen deutschen Recht nahen Familienangehörigen eine zwingende Nachlassteilhabe in Form eines Geldanspruchs zukommen, oder reklamiert wie z. B. im heutigen englischen Recht der Fiskus einen bestimmten Prozentsatz des aktiven Nachlasswertes für sich, so müssen nach dem Tod des Erblassers nicht nur wieder Erfüllungshandlungen unter Lebenden vorgenommen werden, für die es der Benennung eines Zuständigen bedarf. Auch muss sichergestellt sein, dass die nötige Haftungsmasse vorliegt.255 Darüber hinaus kann die Zuwendung von Nachlasswerten durch den Gesetzgeber aber auch besondere Rangfragen aufwerfen. Zwar sind Zuwendungen dieser Art im Gegensatz zu Erblasseranordnungen nicht für sich allein in der Lage, den Nachlass zu überfordern. Denn ein Gesetzgeber wird, wenn er nicht bereits konkrete Nachlassgüter zuspricht wie z.B das Grundvermögen oder die Haushaltsgegenstände, stets nur abstrakte Beteiligungsquoten festsetzen, etwa in Höhe von einem Viertel des Nachlasswertes. Eine gesetzliche Anordnung dergestalt, dass z. B. der Ehegatte des Verstorbenen ungeachtet der konkreten Verhältnisse stets 10.000 EUR aus dem Nachlass zu bekommen hat, wäre zwar technisch möglich, in ihrer Pauschalität aber offenkundig verfehlt.256 Doch kann die Überforderung des Nachlasses leicht die Folge eines Zusammentreffens von gesetzlich und letztwillig angeordneten Zuwendungen sein. Hinterlässt der Erblasser z. B. einen Nachlass im Wert von 100.000 EUR, über den er vollständig zugunsten einer Stiftung verfügt hat, weist aber zugleich das Gesetz einem Angehörigen einen zwingenden Geldanspruch in Höhe von einem Viertel des Nachlasswertes zu, so können nicht beide Anordnungen vollständig erfüllt werden. Der Gesetzgeber wird typischerweise den von ihm zugesprochenen Begünstigungen eine Vorrangstellung einräumen, so dass im genannten Beispiel die Begünstigung der Stiftung um 25.000 EUR gekürzt werden müsste. Wird auf den vorhandenen Aktivnachlass überdies eine Steuer erhoben, so wäre eine weitere Herabsetzung notwendig. 254 Die Gründe dafür, dass der Gesetzgeber diesen Weg der Begünstigung wählt, anstatt eine Nachfolge in die Nachlassgegenstände anzuordnen, können unterschiedlicher Art sein und brauchen hier nicht zu interessieren. 255 Vgl. Rheinstein/Glendon, Decedents’ Estates, 12. 256 Zu unterscheiden von einer Regelung der genannten Art ist die gesetzliche Anordnung einer vorrangigen Beteiligung am Restnachlass bis zu einer bestimmten Grenze, wie sie etwa mit dem statutory legacy zugunsten des überlebenden Ehegatten nach heutigem englischen Recht zu finden ist, siehe oben § 1 Fn. 181.
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§ 2 Nachlassabwicklung als Regelungsproblem
D. Fazit: Die Notwendigkeit einer Abwicklungsinstanz Die Vererblichkeit von Verbindlichkeiten und die Möglichkeit letztwilliger Verfügungen haben nicht nur jeweils zur Folge, dass das Erbrecht sich neben der Verteilung von Vorteilen fortan auch mit der Zuweisung von Lasten befassen muss. Auch stößt das ursprüngliche Modell einer einstufigen Bewältigung des Erbfalls an seine Grenzen. Im Fall umsetzungsbedürftiger Einzelzuwendungen folgt dies bereits aus zwingenden Sachgesetzlichkeiten, im Fall von fortbestehenden Erblasserverbindlichkeiten jedenfalls aus Anforderungen der Rechtsethik. Denn soll den Erblassergläubigern durch den Tod ihres Schuldners kein Nachteil entstehen, müssen die Nachlasswerte bis zur vollständigen Schuldentilgung eine Sonderstellung behalten. Dasselbe Bedürfnis kann hinsichtlich solcher Aufwendungen bestehen, die durch den Erbfall verursacht werden, insbesondere derjenigen zur Bestattung des Verstorbenen. Die genannten Faktoren wirken grundsätzlich unabhängig voneinander, so dass z. B. auch eine Erbrechtsordnung, die keine Verbindlichkeiten übergehen lässt, jedoch die Aussetzung umsetzungsbedürftiger Zuwendungen gestattet, nicht mehr an einem einstufigen Vorgang der Rechtsnachfolge festhalten kann. Doch wo sämtliche genannten Faktoren vorhanden sind, wie es in allen modernen Rechtsordnungen der Fall ist, verstärken sie einander. So erhöht das Zusammentreffen von Erblassergläubigern und Empfängern von Einzelzuwendungen nicht nur das Bedürfnis für eine Gesamtkoordination im Allgemeinen, sondern auch für eine Wahrung der Maxime „der Gläubiger ist der erste Erbe“ im Besonderen. Der Umstand freilich, dass die genannten Faktoren im Grundsatz denselben Regelungsbedarf hervorrufen, bedeutet zugleich, dass sie jedenfalls im Grundsatz auch einer einheitlichen Lösung zugänglich sind. Diese Lösung besteht in der Schaffung einer Abwicklungsinstanz, d. h. einer Person oder Stelle, in deren Händen die Zuständigkeit für Erblasserschulden und umsetzungsbedürftige Einzelzuweisungen gebündelt wird, ebenso wie der Zugriff auf die Nachlassaktiva als Erfüllungsmasse. Der Vollzugsdimension wird hierdurch ein neues Element hinzugefügt, das sie aktiv unterstützt. Wie bereits dargelegt,257 hat die Rechtswissenschaft Kontinentaleuropas diesen entscheidenden Entwicklungsschritt bis heute nicht vollständig verinnerlicht. Stattdessen hängt sie über weite Strecken immer noch der Vorstellung vom Erbrecht als einer „Rechtsnachfolge“ oder einem „Rechtsübergang von Todes wegen“258 an, was einen einstufigen Vollzugsvorgang suggeriert, der in der Gesamtnachfolge des oder der Erben ihren Anfangs- und Endpunkt findet.259 Man könnte zwar versuchen, die Begriffe „Nachfolge“ und „Übergang“ weit zu verstehen, um so auch mittelbare Vorgänge zu erfassen. Doch würde diese Konzeption schnell 257
Siehe oben § 1 E.II.2. (47 ff.). Siehe oben A.I. (119 ff.). 259 Siehe beispielsweise Schack, JZ 1989, 610, der die „vermögensrechtliche Abwicklung des Erbfalls“ im „Übergang des Vermögens auf einen anderen Rechtsträger“ erschöpft sieht. 258
E. Umsetzungs- und Folgefragen
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wieder an ihre Grenzen stoßen. So lässt sich zwar z. B. ein Vermächtnisnehmer im Sinne des deutschen Rechts, der die im Nachlass befindliche Taschenuhr vom Erben nach § 929 BGB übereignet bekommt, als „mittelbarer Rechtsnachfolger“ des Erblassers bezeichnen. Diese Bezeichnung passt jedoch z. B. schon dort nicht mehr, wo der Erbe z. B. Bücher aus dem Nachlass versilbert, um mit dem Erlös ein Geldvermächtnis zu erfüllen. Der Vermächtnisnehmer kann hier nur noch in wirtschaftlicher Hinsicht, d. h. bezogen auf den betreffenden Vermögenswert, als Nachfolger des Erblassers betrachtet werden. Vor allem aber sind die Begriffe der „Nachfolge“ oder des „Übergangs“ blind für die haftungsmäßige Verstrickung der vom Verstorbenen hinterlassenen Werte und die daraus resultierenden Vorgaben für ihre geordnete Zuweisung an neue Inhaber. Zahlreiche deutsche, gerade aber ausländische Autoren vermeiden denn auch die Verengung auf den Begriff der „Rechtsnachfolge“ und sehen den Gegenstand des Erbrechts darin, das Schicksal des Nachlasses einer verstorbenen Person zu regeln.260 Diese Auffassung von den Aufgaben des Erbrechts hat den Vorzug, dass sie weit genug ist, um mehr als einen bloßen Rechtsübergang von Todes wegen zu erfassen. Worin dieses „Mehr“ besteht, bleibt freilich undeutlich.
E. Umsetzungs- und Folgefragen Vermag die Schaffung einer Abwicklungsinstanz zwar die genannten Probleme zu lösen, wirft sie zugleich eine Vielzahl von Umsetzungs- und Folgefragen auf. So muss zunächst geregelt werden, wem die Aufgabe der Nachlassabwicklung zukommt. Soll dies zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Vorgehens und zur Vermeidung von Streit eine staatliche Behörde sein? Oder soll die Abwicklung aus Zeit- und Kostengründen lieber durch ein Individuum besorgt werden? Und wer soll bejahendenfalls dieses Individuum sein, ein naher Familienangehöriger des Verstorbenen oder eine von ihm bestimmte Person? Und soll es zulässig sein, dass diese Person zugleich zu den Begünstigten des Erbfalls zählt? Der rechtspolitische Gehalt dieser Fragen ist offenkundig, sind mit der Abwicklerrolle doch nicht nur 260 Siehe aus dem deutschen Schrifttum etwa Mitteis/Lieberich, Deutsches Privatrecht, 159; HRG/Hagemann, Erbrecht, 1370; MüKoBGB/Leipold, Einleitung vor § 1922 BGB, Rn. 1; Meincke, Römisches Privatrecht 2, 81 (anders die 4. Aufl.). Ähnlich Muscheler, Erbrecht I, Rn. 50: Das Erbrecht regele „im weitesten Sinne vermögensrechtliche und nachlassbezogene Folgen des Todes eines Menschen“ (Hervorhebung im Original). Vgl. auch ebd., Rn. 46: es gehe nicht nur um Übergang des Erblasservermögens als solchen, „sondern auch um dessen weiteres Schicksal (z. B. Nachlassinsolvenz, Erbschaftskauf).“ Ähnlich heißt es bei Lange/Kuchinke, Erbrecht, 10, dass das Erbrecht „die vermögensrechtlichen Verhältnisse eines Menschen nach seinem Tod“ regele. In diesem Sinne auch K. W. Lange, Erbrecht, § 4 Rn. 1. Aus dem ausländischen Schrifttum etwa Duarte Pinheiro 235: „O Direito das Sucessões tem um propósito claro: determinar o destino da património do falecido“. Ähnlich Leleu, Transmis sion, 1: „Le droit successoral est né du besoin social d’organiser les conséquences du décès d’un individu.“ Gretton/Steven, Property, Trusts and Succession, [26.1]: „The law of succession regulates what happens to a person’s assets and liabilities on death.“
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§ 2 Nachlassabwicklung als Regelungsproblem
Pflichten, sondern auch Machtbefugnisse verbunden.261 Insbesondere erhält der Nachlassabwickler sofortigen Zugriff auf die Nachlassgegenstände, ferner kann er darüber entscheiden, welche ggf. zur Schuldentilgung versilbert und welche konserviert werden. Diese Aspekte haben insbesondere dort Gewicht, wo den Nachlassgegenständen nicht nur wirtschaftlicher, sondern auch ideeller oder emotionaler Wert beigemessen wird, wie es typischerweise bei Erbschaften innerhalb der Familie der Fall ist. Insbesondere Kinder und der Ehegatte des Verstorbenen werden einen Ausschluss von der Nachlassabwicklung, sei es zu Gunsten anderer Familienangehöriger oder familienfremder Personen, daher in der Regel als Zurücksetzung empfinden. Nach der Auswahl des Abwicklers ist sodann seine Rechtsstellung näher zu definieren. Soll die Übernahme dieser Aufgabe in sein Belieben gestellt oder ihm aufgezwungen werden? Und falls dem Abwickler ein Wahlrecht gewährt wird, wie soll dieses genau ausgestaltet sein, vor allem im Hinblick auf die Länge der Überlegungsfrist und die Folgen ihres fruchtlosen Verstreichens?262 Verhindert werden muss sodann aber auch, dass die Einräumung eines Optionsrechts das Ziel der Nachlassabwicklung unterminiert. Denn es ist denkbar, und bei Nachlässen, die besonders unübersichtlich sind oder deren Überschuldung feststeht oder zu erwarten ist, sogar wahrscheinlich, dass niemand die Abwicklerrolle übernehmen möchte, sie also sukzessive von allen auserkorenen Personen ausgeschlagen bzw. nicht angetreten wird. Ist aber niemand für den Nachlass verantwortlich, droht neben den Interessen von Nachlassgläubigern sogar das elementare Ziel des Erbrechts vereitelt zu werden, nämlich den Rechtsfrieden zu schützen. Folglich muss an irgendeiner Stelle eine Auffangmechanismus einsetzen. Schließlich muss auch das Tun des Abwicklers geregelt werden: Ist es nötig, ihn durch eine unabhängige Stelle überwachen zu lassen? Und welchen Ansprüchen der Erblassergläubiger und Begünstigten ist er ausgesetzt? Besondere Bedeutung erlangt in diesem Kontext die Frage nach der Reichweite der Haftung des Abwicklers. Solange er genug Aktiva zur Tilgung der Passiva in die Hände bekommt, wird es ihm in der Regel gleichgültig sein, ob Nachlassgläubigern auch eine Vollstreckung in sein Eigenvermögen möglich ist. Doch was geschieht, wenn die Aktiva nicht ausreichen, etwa weil der Erblasser bereits zu Lebzeiten überschuldet war oder den Nachlass durch Einzelzuwendungen überbeschwert hat? Es mag sein, dass die nahen Angehörigen des Verstorbenen sich moralisch verpflichtet fühlen, 261 Anschaulich dazu Margrave-Jones, Mellows: Law of Succession, [17.62], der in dem Wunsch zur Ausübung von Macht und Kontrolle einen wesentlichen Grund für die in England offenbar häufigen Streitigkeiten um die Ausübung der Abwicklerrolle sieht: „But the major reason is usually non-legal – it is the power lust which leads to the desire to gain control; or the opportunity which this gives to enable the personal representative to poke into other people’s affairs; or the desire to be seen as the distributor of largesse – other people’s. There need be little surprise, therefore, that there are a large number of reported decisions arising from contestst to become personal representative.“ 262 Zu diesem Problem bereits oben § 1 I.II.1b) (101 ff.).
E. Umsetzungs- und Folgefragen
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den Fehlbetrag aus eigener Tasche zu zahlen.263 Aber soll ein Abwickler auch rechtlich verpflichtet sein, eigenes Geld für fremde Schuld aufzuwenden? Abgesehen von der schwierigen Rechtfertigung eines solchen Sonderopfers würde die Nachlassabwicklung über ihr ursprüngliches Ziel hinausschießen. Denn wird den Gläubigern anstelle ihres insolventen Schuldners nun plötzlich ein solventer Schuldner gegeben, wird ihre Rechtsstellung nicht nur bewahrt, sondern sogar verbessert.264 Und was exzessive letztwillige Zuwendungen angeht, wäre schwer zu erklären, warum ein Erblasser das Vermögen anderer Personen durch eigene Freigebigkeit belasten können sollte. Spricht somit alles dafür, dass der Abwickler für die Erfüllung von Erblasserverbindlichkeiten und Einzelzuwendungen nur mit dem Nachlass haften sollte, wird sich zeigen, dass diese Entscheidung ihrerseits auch wieder Folgeprobleme aufwirft. Die folgenden zwei Kapitel (§§ 3 und 4) erörtern die Behandlung der skizzierten Strukturfragen durch das römische und das mittelalterliche englische Recht. Wie sich zeigen wird, setzte keine der beiden Rechtsordnungen ein vollständiges Regime der Nachlassabwicklung in die Welt, vielmehr wurde es jeweils in verschiedenen Teilschritten aufgebaut.
263 Für Rom und das Mittelalter siehe oben Fn. 84. Für die heutige Zeit siehe z. B. Langbein, Harvard LR 97 (1984), 1121 f.; Gretton/Steven, Property, Trusts and Succession, [26.53]. Nach Vialleton, A.Dir.Comp. 13 (1938), 307, würden manche Gläubiger des Erblassers sogar mit einer solchen freiwilligen Schuldübernahme durch die Familie rechnen, was den Vorzug einer erhöhten Kreditwürdigkeit des Erblassers habe. Speziell für das deutsche Recht siehe unten § 6 Fn. 1255. Entgegen dem generellen Meinungsbild vermutet IECL/Schwind, Liability for Obligations of the Inheritance, Nr. 29, dass aufgrund der unterschiedlichen Haftungsregeln die freiwillige Tilgung von Nachlassverbindlichkeiten mit eigenen Mitteln in Ländern der Common-Law-Tradi tion viel seltener vorkomme als in Ländern der Civil-Law-Tradition. 264 Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 53 f., der auch darauf hinweist, dass eine eventuelle Spekulation auf den Tod des finanzschwachen Schuldners und seine Beerbung durch eine zahlungsfähige Person keinen Schutz verdient (54); dem folgend Osthold, Erben und Haftung, 14.
§ 3 Die Schaffung einer Abwicklungsinstanz A. Römisches Recht I. Die Bündelung von Vorteilen und Lasten 1. Erblasserschulden und Kultverantwortung Der Ausgangspunkt des römischen Erbrechts lag wie gesehen in einem geschlossenen Übergang des Hausvermögens, der familia, auf die Hauserben. Vor diesem Hintergrund musste es natürlich erscheinen, die Hausgenossen parallel zu den sacra pro familiis auch für die vererblichen Verbindlichkeiten des pater familias einstehen zu lassen. Offen bleiben kann hierbei, ob die Schulden des Erblassers bereits Teil der familia waren oder die Schuldenhaftung aus Gründen der Zweckmäßigkeit und der Rechtsethik mit dem Erwerb der Aktiva gekoppelt wurde.1 Ergebnis war in jedem Fall eine vermögensrechtliche Gesamtnachfolge, die von den römischen Juristen wie üblich begrifflich nicht näher herausgearbeitet, sondern lediglich veranschaulicht wurde.2 Fortgeführt und zusätzlich betont wurde das „Prinzip der verbundenen Zuständigkeiten“3 beim letztwillig bestimmten Außenerben (heres extraneus). Denn diesem wurde nicht nur die Erfüllung der vererblichen Verbindlichkeiten auferlegt, sondern ungeachtet seiner fehlenden Familienzugehörigkeit auch die sakrale Kultverantwortung (vermutlich auf Betreiben der pontifices).4 Die Pflicht zur Fortsetzung des Hausgötter- und Ahnenkults an die Erbenstellung zu koppeln, hatte offenkundige praktische Vorzüge: Nicht nur war der Erwerber des Nachlasses am ehesten bereit und materiell in der Lage, die sacra fortzusetzen; auch hatte er den nötigen Zugriff auf das Haus des Verstorbenen als Kultstätte.5 In einer Hinsicht war der Außenerbe freilich in einer günstigeren Lage als ein Hauserbe: Sein Eintritt in den Nachlass vollzog sich nicht ohne oder sogar gegen 1 Die Entscheidung, den heres (und nicht eine andere Person) zur Schuldentilgung heranzuziehen, muss unterschieden werden von der Entscheidung, Verbindlichkeiten überhaupt vererblich zu stellen. Die Frage des „Wer“ stellte sich somit erst, nachdem die des „Ob“ schon beantwortet war. Ungenau deshalb Kroppenberg, Insolvenz, 172. 2 Dazu unten A.V. (176 ff.). 3 Avenarius, Römisches Erbrecht und Religion, 32. 4 Zu dieser „Engführung von zivilem Erbrecht und Sakralrecht“ ausführlich Avenarius, Römisches Erbrecht und Religion, 26 ff. (57); siehe auch Kaser, Die altrömische Erbenhaftung, 523– 526. 5 Avenarius, Römisches Erbrecht und Religion, 15, 30.
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§ 3 Die Schaffung einer Abwicklungsinstanz
seinen Willen,6 sondern bedurfte eines Antritts (aditio). Dieser konnte durch formgebundene Erklärung (sog. cretio) oder schlüssiges Handeln (sog. pro herede gestio7) vollzogen,8 ebenso gut aber vom Berufenen auch einfach unterlassen werden. Die Rücksichtnahme auf die Selbstbestimmung des hausfremden Erben fand Ausdruck in seiner Bezeichnung als heres voluntarius.9 Die Wurzel des Antrittserfordernisses des heres extraneus liegt vermutlich in dem Umstand, dass hausfremde Intestaterben den Nachlass nur durch physische Inbesitznahme erwarben.10 Die Ausweitung der civitas, die eine größere geographische Streuung der Personen und Nachlasswerte zur Folge hatte, sowie die Verknüpfung von Erbschaftserwerb und Haftung ließen dann das praktische Bedürfnis nach einer Erleichterung und genaueren Erfassung des Nachlasserwerbs durch hausfremde Erben entstehen.11 Zugleich wurde es notwendig, die zum Erwerb führenden Handlungen von solchen abzugrenzen, die noch keine aditio bedeuteten, etwa bloßen Sichtungs- und Verwaltungsmaßnahmen. Als entscheidendes Abgrenzungskriterium kristallisierte sich im Laufe der Zeit der animus heredis heraus.12 Ganz andere Wurzeln als die Annahme mittels schlüssigen Verhaltens hatte die Möglichkeit der aditio durch mündliche, wenn auch formgebundene und üblicherweise vor Zeugen erfolgende Erklärung (cretio). Sie diente ursprünglich nicht den Interessen der Berufenen oder der Allgemeinheit, sondern denen des Testators. Indem dieser nämlich per testamentarischer Anordnung den Erwerb von einer Erklärung abhängig machte und dem Berufenen dafür auch eine Frist setzte (gewöhnlich 100 Tage),13 konnte er ihn zu einer schnellen Entscheidung über die Annahme drängen.14 Für den Fall, dass der Berufene untätig blieb, konnte der Testator mit Hilfe einer zusätzlichen Klausel einen Ersatzerben bestimmen und somit verhindern, dass seine Nachfolge allzu lange ungeklärt blieb.15 Raum für einen Antritt mittels pro herede gestio blieb in diesen Fällen allerdings nicht.16
Welche Bedeutung die römischen Juristen jedenfalls in vorklassischer Zeit dem Ziel beimaßen, möglichst in jedem Erbfall einen Verantwortlichen für Schulden und sacra zu bestimmen, zeigt besonders der Umstand, dass sogar ein bösgläubiger Dritter ohne jede Erbberechtigung den Nachlass mittels Ersitzung (usucapio pro herede) schon nach Ablauf eines Jahres erwerben konnte, damit aber auch in die 6
Zum ursprünglichen Zwangserwerb der Hauserben oben § 2 A.III. (125 ff.). Zu Zweifeln an der Echtheit dieses Ausdrucks Kaser, Römisches Privatrecht I, 717 (Fn. 39). 8 Gai. 2, 164–167; Watson, Law of Succession, 188 f.; Kaser, Römisches Privatrecht I, 716–718; Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, 469–472; Longchamps de Bérier, Law of Succession, 135–137. Zur umstrittenen Frage, ob Gai. 2, 167, neben der formgebundenen Erklärung (cretio) und dem schlüssigen Handeln (pro herede gestio) als dritten Antrittstatbestand die einfache Willenserklärung nennt, Avenarius, AUPA 55 (2012), 12–15. 9 Kaser, Römisches Privatrecht I, 715. 10 Siehe oben § 2 A.II. (124 ff.). 11 Apathy, ZRG (RA) 95 (1978), 505 f. 12 Kaser, Römisches Privatrecht I, 717 f.; Longchamps de Bérier, Law of Succession, 135 f.; Apathy, ZRG (RA) 95 (1978), 508–512; eingehend Avenarius, AUPA 55 (2012), 9–40. 13 Dazu Gai. 2, 170–173. 14 Schulz, Classical Roman Law, Rn. 506; Kaser, Römisches Privatrecht I, 717; Honsell/MayerMaly/Selb, Römisches Recht, 470. 15 Apathy, ZRG (RA) 95 (1978), 506 f. 16 Gai. 2, 168. 7
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genannten Pflichten eintrat.17 Fungierte das Institut somit als „mechanism to find an heir of last resort“,18 wurde die usucapio pro herede in klassischer Zeit dann allerdings deutlich zurückgeschnitten: Sie war nun ausgeschlossen bei Bösgläubigkeit und ermöglichte nur noch die Ersitzung einzelner Nachlassgegenstände, nicht mehr hingegen der Erbenstellung im Ganzen.19 Ab der Kaiserzeit übernahm dafür der Staat die genannte Auffangfunktion.20 Er konnte zunächst in Gestalt der Staatskasse (aerarium), dann in Gestalt des fiscus 21 einen erbenlosen Nachlass an sich ziehen 22 und ihn als „erbenähnlicher Gesamtnachfolger“ fortführen.23 Diese faktische Erweiterung der Intestaterbfolge war auch deshalb bedeutsam, weil das Erbrecht der weiteren Sippenangehörigen (gentiles)24 etwa zur selben Zeit außer Übung geriet.25 Erwähnung verdient im vorliegenden Zusammenhang schließlich, dass der Prätor bereits auf einer Stufe davor Lücken in der Intestaterbfolge durch das Institut der bonorum possessio geschlossen hatte, also der auf einer ungeschriebenen Parallel- und Ergänzungserbfolge gründenden Einweisung in den Nachlass.26 Indem danach die Erbschaft z. B. dem bereits emanzipierten Sohn des Verstorbenen zugewiesen werden konnte, der nach den Zwölf Tafeln nicht erbberechtigt war, wurde die Zahl der Nachlässe ohne einen Abwicklungszuständigen verringert.27 17 Gai. 2, 54 f. Dazu auch Avenarius, Römisches Erbrecht und Religion, 26, 46–48. Neben der genannten Auffangwirkung verfolgte die usucapio pro herede auch den Zweck, die zur Erbschaft berufene Person zu raschem Handeln zu bewegen, dazu unten § 4 Fn. 83. Dagegen argumentiert Jhering, Scherz und Ernst, 137–171, auf humorvolle Art und Weise, dass die usucapio pro herede im Sinne einer „Mausefalle“ unbefugte Eingriffe in den Nachlass dadurch zu unterbinden suchte, dass sie diese mit drastischen Haftungsfolgen verband. Eine neue, deutlich restriktivere Deutung der usucapio pro herede ist in jüngerer Zeit von Pool, ZRG (RA) 129 (2012), 113–160, vertreten worden. Ablehnend Domisch, Zur Frage eines Besitz übergangs, 72 f. Zur Diskussion auch die Nachweise bei Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 83 Rn. 3. 18 Rüfner, Intestate Succession, 21; siehe auch Finkenauer, Freilassung durch Nachlaßübernahme, 49; Domisch, Zur Frage eines Besitzübergangs, 73. 19 Gai. 2, 57; Kaser, Römisches Privatrecht I, 721 f.; ders., Römisches Privatrecht II, 556; Rüfner, Intestate Succession, 21; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 83 Rn. 4. 20 Finkenauer, Freilassung durch Nachlaßübernahme, 49; Rüfner, Intestate Succession, 21. 21 Kaser, Römisches Privatrecht I, 702 f.; Finkenauer, Freilassung durch Nachlaßübernahme, 39–41; Rüfner, Intestate Succession, 21 f. 22 Mitunter wird auch ein Ipso-iure-Erwerb des Staates angenommen, der dann einem Zwangserbrecht gleichgekommen wäre. Dagegen Finkenauer, Freilassung durch Nachlaßübernahme, 40 f. m. w. N.; siehe auch schon Siber, Geschichtliches und Rechtsvergleichendes, 1000; ders., Römisches Recht II, 398. 23 Kaser, Römisches Privatrecht I, 702. 24 Dazu oben § 2 Fn. 45. 25 Zur Zeit des Gaius war die Regelung nicht mehr in Gebrauch: Gai. 3, 27; Kaser, Römisches Privatrecht I, 696. Im ersten Jahrhundert v. Chr. wurde sie hingegen noch angewandt, siehe Rüfner, Intestate Succession, 11. 26 Zu den verschiedenen Funktionen der bonorum possessio siehe Kaser, Römisches Privatrecht I, 675 f. Zur Ergänzung und Korrektur der Intestaterbfolge Rüfner, Intestate Succession, 13–18. 27 Der in den Nachlass Eingewiesene wurde zwar nicht heres im formellen Sinn, stand aber heredis loco, siehe Kaser, Römisches Privatrecht I, 675.
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§ 3 Die Schaffung einer Abwicklungsinstanz
Auf den ersten Blick gehört auch die durch das senatus consultum Trebellianum (55 oder 56 n. Chr. 28) herbeigeführte Belastung eines Erbschaftsfideikommissars mit den Nachlassverbindlichkeiten, die später durch einen Aktionentransfer ergänzt wurde, 29 in den vorliegenden Kontext. Doch zielte die Koppelung von Begünstigung und Schuldenhaftung weniger auf die Sicherstellung der Nachlassabwicklung, die im Ausgangspunkt weiterhin beim heres als Gesamtnachfolger lag, als vielmehr auf einen gerechten Interessenausgleich zwischen heres und Fideikommissar.30
2. Die Erfüllung der Legate Was die Erfüllung solcher letztwilliger Anordnungen betrifft, die, wie z. B. die Auszahlung eines Geldvermächtnisses, stets einer Umsetzungshandlung bedurften, ergab sich die Zuständigkeit des heres bereits unmittelbar aus dem Testament.31 Daneben war er aber natürlich auch aufgrund seiner Inhaberschaft der aktiven Vermögenswerte – und damit der vom Erblasser hinterlassenen „Erfüllungsmasse“ – der natürliche Verpflichtete. 3. Die Zuständigkeit für andere erbfallbedingte Lasten Es lag nahe, die Zuständigkeit des heres auch auf weitere Verpflichtungen auszudehnen, die durch den Tod des Erblassers entstanden. Dies betraf vor allem die Bestattung, die der heres in Ermangelung einer anderweitigen Anordnung des Erb lassers zu besorgen oder deren Kosten er auf Grundlage der actio funeraria zu ersetzen hatte.32 Anders lag die Situation hinsichtlich der im Jahr 6 nach Chr. durch die lex Iulia de vicesima hereditatium eingeführten Erbschaftssteuer in Höhe von 5% des Nachlasswertes.33 Denn sie traf den heres nicht als Abwickler, sondern als Begüns28
Näher zur Datierung Manthe, Das senatus consultum Pegasianum, 35 (Fn. 1). Manthe, Das senatus consultum Pegasianum, 19, 35–41; Meincke, Römisches Privatrecht, 95–97. 30 Zur späteren Verstärkung der Stellung des heres durch das senatus consultum Pegasianum, das sich gegen die Überbeschwerung durch Einzelfideikommisse richtete, unten Fn. 52. 31 Ob auch schon der familiae emptor mit einem legatum per damnationem belastet werden konnte, scheint zweifelhaft, siehe Kaser, Römisches Privatrecht I, 111. 32 Voci, Diritto Ereditario Romano I, 666; Kaser, Römisches Privatrecht I, 734; ausführlich O. Unger, Actio Funeraria, 104–168. Konsequenterweise wurden die Bestattungskosten vor Festsetzung der Erbschaftssteuer in Abzug gebracht, siehe Bachofen, Erbschaftssteuer, 341 f.; Meincke, StuW 1978, 357 f. 33 Ausführlich dazu Günther, „Vectigalia nervos esse rei publicae“, 23–94; ferner Kaser, Römisches Privatrecht I, 692 m. w. N.; Meincke, StuW 1978, 353 f., der die erhebliche wirtschaftliche Bedeutung betont. Siehe auch schon Bachofen, Erbschaftssteuer, 322–395, dort insbesondere auch zum Verfahren der förmlichen Testamentseröffnung, das nach verbreiteter Ansicht zur Sicherung der Ansprüche des Staates eingeführt wurde. Den Zusammenhang zwischen Erbschaftssteuer und Testamentseröffnung im römischen Recht betont auch Unger, Verlassenschaftsabhandlung, 16. Nach Meincke, StuW 1978, 355, stand hingegen der Wunsch nach Verfahrensbeschleunigung und damit Offenlegung der Erhebungsgrundlage im Vordergrund. Hierfür spricht, dass die formlose Testamentseröffnung verbreitet blieb. Ausführlich zur Testamentseröffnung Strobel, Römische Testamentsurkunden, 54–64. 29
A. Römisches Recht
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tigten, und war deshalb ebenso von den Legataren zu entrichten.34 Die Steuer war in heutiger Terminologie also keine Nachlass-, sondern eine Erbanfallsteuer, so dass es nicht zu einer gebündelten Erfüllungszuständigkeit kam.
II. Ausnahme von der Gesamtnachfolge des heres Die Gesamtnachfolge des heres war insoweit zwingend, als ein römischer Testator nicht in einer Art negativem Vermächtnis seine Verbindlichkeiten gesondert einer bestimmten Person zuweisen konnte. Diese gingen also notwendig als Teil des Gesamtpakets auf den heres über. Hinsichtlich der Nachlassaktiva war die Gesamtnachfolge demgegenüber dispositiv, denn eine bestimmte, im Vermögen des Testators vorhandene Sache konnte im Wege eines legatum per vindicationem35 unmittelbar einem Einzelrechtsnachfolger zugewiesen werden.36 Da an den Rechtserwerb des Legatars keine anteilige Verantwortlichkeit für die Erblasserschulden geknüpft war,37 wurde der (natürlich unrömische) Satz „wer das Erbe nimmt, der soll die Schuld gelten“ also in das Belieben des Testators gestellt. Den Erblassergläubigern konnte diese Entkoppelung so lange gleichgültig sein, wie genügend Werte in die Hand des heres gelangten oder dessen Eigenvermögen, das ebenfalls ihrem Zugriff unterlag,38 ausreichte, um einen eventuellen Fehlbetrag zu kompensieren. Doch wie konnte sich der heres dagegen wehren, dass ihm mehr Verbindlichkeiten als Tilgungsmittel zugewiesen wurden und damit sein Eigenvermögen in Gefahr geriet? Erstaunlicherweise ist es keineswegs einfach, im romanistischen Schrifttum klare Antworten auf diese Frage zu finden. Eine Erklärung lautet, dass ein Testator Vermächtnisse ohnehin nur bis zur Höhe seines Nettovermögens aussetzen konnte, wobei allerdings umstritten ist, ob diese innere Schranke erst Konsequenz der im Jahr 41 v. Chr.39 eingeführten, im folgenden Abschnitt zu erörternden lex Falcidia war oder bereits im altrömischen Recht bestand.40 Unabhängig davon konnte sich der heres auch den Umstand zu34 Bachofen, Erbschaftssteuer, 332 f.; Meincke, StuW 1978, 354. Auch der Erblasser konnte an der Verpflichtung jedes einzelnen Begünstigten nichts ändern, sondern allenfalls einen Regressanspruch z. B. des Legatars gegen den heres anordnen, siehe Bachofen, ebd., 352. Vermutet wird allerdings, dass der heres das Recht hatte, „die gesamte Erbschaftssteuer zu bezahlen und den verauslagten Betrag durch Kürzung der Vermächtnisse auf die Vermächtnisnehmer umzulegen“, Meincke, StuW 1978, 356 f. 35 Dazu oben § 2 C.I.2b) (150). 36 Diese Ausnahme von der successio in universitatem hebt auch Staudinger/Boehmer 11, § 1922 Rn. 105 hervor. 37 Jedenfalls ist eine solche Haftung nicht überliefert, siehe m. w. N. Gärtner, Vindikationslegate, 6 f. Der Auffassung von Lenel, Geschichte der heredis institutio, 132 f., dass der Legatar in der Frühphase der Testierfreiheit für Erblasserschulden einstehen musste, seine Haftung aber durch Preisgabe des Vermächtnisgegenstandes abwenden konnte, blieb die Gefolgschaft versagt. 38 Eingehend zur persönlichen Haftung des heres unten § 4 A.II. (243 ff.). 39 Häufig wird auch 40 v. Chr. als Datum angegeben, was aber auf einem Missverständnis zu beruhen scheint: näher Manthe, Das senatus consultum Pegasianum, 16 (Fn. 11). 40 Für die Geltung schon vor der lex Falcidia und einer Erfassung auch der Vindikationslegate, Schanbacher, Ratio legis Falcidiae, 23 f., unter Berufung auf den Zwölf-Tafel-Satz V, 3; ebenso
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§ 3 Die Schaffung einer Abwicklungsinstanz
nutze machen, dass die Wirksamkeit eines Vindikationslegats (wie die Wirksamkeit von Vermächtnissen generell) vom Antritt der testamentarischen Erbfolge abhing.41 Denn die Möglichkeit, die Erbschaft nicht anzutreten bzw. sich ihr zu enthalten,42 gab ihm ein Druckmittel in die Hand, um vom Empfänger des Legats eine Ausgleichszahlung oder Freistellung zu erwirken. Zumindest mittelbar waren damit also doch alle Nachlasswerte der Kontrolle des heres unterworfen.
III. Der Funktionswandel des heres Es zeigt sich, dass der Übergang von Erblasserverbindlichkeiten und die Zulassung letztwilliger Anordnungen zu einer grundlegenden Wandlung der Rolle des heres führten. War sein Eintritt in das Hausvermögen zumindest bei Außerachtlassung der Kultverantwortung ursprünglich gleichbedeutend mit einer wirtschaftlichen Begünstigung gewesen, trat seine Aufgabe der umfassenden Nachlassabwicklung im Laufe der Zeit immer stärker in den Vorder- und seine Stellung als (nur noch) Residualbegünstigter des Erbfalls immer mehr in den Hintergrund.43 Die Möglichkeit letztwilliger Anordnungen erforderte einen zweiaktigen Erbvorgang, bei dem es zu einer vollständigen Entkoppelung von Rechtsnachfolge und Begünstigung kommen konnte: Nicht nur wurde es möglich, am Nachlass zu partizipieren, ohne Rechtsnachfolger zu sein, auch konnte der heres qua Testament zur Auskehr sämtlichen Vermögens an Dritte verpflichtet und damit jeder Begünstigung beraubt werden.44 Die Möglichkeit dinglich wirkender Einzelzuwendungen verstärkte diese Asymmetrie noch. Die Tatsache, dass mit der Stellung des heres nicht notwendig eine Begünstigung verbunden war, bildete ein zentrales Argument in dem Versuch Ferdinand Lassalles, das Wesen der römischen Erbfolge nicht als Vermögensübergang, sondern als Perpetuierung des Erblasserwillens zu deuten. „Der Erbe, der nichts bekommt und dennoch Erbe ist und nach dem Kroppenberg, Insolvenz, 178–180, 190 f., 216–220, dort auch eingehend zu den Rechtsfolgen. Gegen eine solche intrinsische Beschränkung der Verfügungsfreiheit etwa Bonfante, Corso VI, 347– 349, der die oft als Grundlage zitierte Stelle Ulp. D. 35, 2, 66, 1 in den Kontext der lex Falcidia verweist; Manthe, Das senatus consultum Pegasianum, 139–141; Wacke, ZRG (RA) 123 (2006), 232. Ohne konkrete zeitliche Einordnung der beschränkten Haftung für Legate Voci, Diritto Ereditario Romano II, 229; Kaser, Römisches Privatrecht I, 734; ders., Römisches Privatrecht II, 541 (Fn. 2) m. w. N. Zur Diskussion auch Peña Bernaldo de Quiros, Herencia y deudas, 25 (Fn. 50). Dass Belastungen mit Fideikommissen seit jeher auf den Betrag des Erhaltenen beschränkt waren, ist hingegen unbestritten, siehe Manthe, Das senatus consultum Pegasianum, 18, 139. 41 Kaser, Römisches Privatrecht I, 752 f.; Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, 490. 42 Zum Antrittserfordernis des Außenerben oben § 3 A.I.1. (165 ff.), zur Enthaltungsmöglichkeit des Hauserben unten § 4 A.III.1. (251 ff.). Da eine Koexistenz von Hauserbe und Vermächtnisanordnung nur dort möglich war, wo der Hauserbe testamentarisch eingesetzt worden war, kam auch in Betracht, dass sein Erbschaftserwerb von der Wollensbedingung abhing (dazu unten § 4 A.III.1. (251 ff.)). 43 Dies betont auch Beinart, Acta Juridica 1960, 224, der davon spricht, dass die Position des heres beinahe eine „public duty“ gewesen sei. 44 Siehe auch Schulz, Classical Roman Law, Rn. 373. Bestehen blieb die Koppelung von Rechtsnachfolge und Begünstigung beim Vindikationslegatar.
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Willen des Erblassers handelt [Fn.: nämlich die Legate vertheilt], – der enterbte Erbe, ist der unerschütterliche Beweis, daß es der erblasserische Wille ist, der in ihm fortexistirt.“45 Unabhängig vom allgemeinen Wert der überwiegend scharf abgelehnten, mitunter sogar verhöhnten Theorie Lassalles46 liegt in der Möglichkeit eines „enterbten Erben“, also eines Abwicklers ohne Begünstigung, kein sonderlich starkes Argument für sie. Denn das heutige deutsche und das englische Recht beispielsweise lassen genau dieselbe Lösung zu, ohne dass deshalb jemand die Notwendigkeit verspürt, zur Vorstellung einer Willensfortsetzung Zuflucht zu nehmen. Wenn Lassalle die von einem Vermögenszuwachs entkoppelte Erbenstellung als „ungeheure Paradoxie“ empfand,47 offenbarte er dasselbe naive Erbenverständnis, wie es auch heute noch oft anzutreffen ist, d. h. ein Verständnis, das die Abwicklerrolle des Erben verkennt und die Residualbegünstigung mit einer Mindest- oder Hauptbegünstigung verwechselt.
Dass der Fall des mit leeren Händen zurückbleibenden heres keineswegs theoretischer Natur war, sondern durch die herrschende Testierkultur gefördert48 und zunehmend als praktischer Missstand empfunden wurde, wird durch verschiedene gesetzliche Legatsbeschränkungen belegt, die im Laufe der Zeit ergingen.49 Von besonderer Bedeutung, gerade für den vorliegenden Kontext, war die bereits genannte lex Falcidia (41 v. Chr.).50 Sie verbot dem Erblasser, über mehr als drei Viertel seines Nettovermögens51 im Wege von Legaten zu verfügen, so dass dem heres mindestens ein Viertel des Nachlasswertes verbleiben musste.52 Soweit diese Quote
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Lassalle, System II, 71 f. Siehe die Nachweise bei Meincke, Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis 46 (1978), 33–44, dessen eigene Einschätzung deutlich differenzierter ist; ferner Wegmann, Begründung des Erbrechts, 77–83; freundlichere Würdigung auch bei Giger, Schicksal des Rechts I, 123–141, und Windel, Modi der Nachfolge, 196. 47 Lassalle, System II, 68. 48 Dazu Paulus, Idee der postmortalen Persönlichkeit, 83, und auch schon oben § 2 C.I.1a) (144 ff.). 49 Neben der im Text näher zu erläuternden lex Falcidia gehörten hierzu die lex Furia testamentaria und die lex Voconia. Dazu Gai. 2, 224–226; Wacke, Rechtswirkungen, 209 f.; Kaser, Römisches Privatrecht I, 756 f.; Manthe, Das senatus consultum Pegasianum, 15; Schanbacher, Ratio legis Falcidiae, 25–28. 50 Überliefert bei Paul. D. 35, 2, 1 pr.; Gai. 2, 227. Zu den historischen Hintergründen auch Hennig, lex Falcidia, 20. 51 Die „net inheritance“ nennen auch Schulz, Classical Roman Law, Rn. 567, und Salomon, Roman Legal Tradition 3 (2006), 66, als Bezugspunkt. Im Schrifttum ist demgegenüber oft nur unspezifisch vom „Nachlass“ oder der „Erbschaft“ die Rede, siehe etwa Kaser, Römisches Privatrecht I, 756; Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, 496; Hennig, lex Falcidia, 21. Doch waren zur Berechnung der genannten Quoten zunächst die Schulden abzuziehen, siehe Honsell/ Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, 496 (Fn. 11); Santos Justo, Direito Privado Romano V, 252. Vom „Aktivvermögen“ als Referenzpunkt zu sprechen (so etwa Wacke, Rechtswirkungen, 210, oder Kaiser, Rückwirkender Vermögensübergang?, 6), ist deshalb nur dann präzise, wenn damit die bona deducto aere alieno gemeint sind, die Verbindlichkeiten also als unmittelbare Belastung der vorhandenen Güter gedacht werden. Zu diesem in den Quellen zu findenden Vermögensverständnis Kroppenberg, Insolvenz, 118–120, 170. 52 Bei einer Mehrheit von Erbteilen musste jeder von diesen im Wert von einem Viertel unbeschwert bleiben, Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, 496. Zur späteren Erstreckung der falzidischen Quart auf Fideikommisse eingehend Manthe, Das senatus consultum Pegasianum. 46
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§ 3 Die Schaffung einer Abwicklungsinstanz
überschritten war, wurden die Legate, und zwar auch die dinglich wirkenden, anteilig auf den zulässigen Anteil herabgesetzt, und dies sogar ex lege.53 Mit Ankunft der lex Falcidia verliert der oben erwähnte Streit über die Frage, ob ein Testator Vermächtnisse nach ius civile stets nur in dem Maße aussetzen konnte, wie sein Vermögen überhaupt einen Überschuss aufwies,54 weitgehend seine praktische Bedeutung.55 Denn falls es eine solche Beschränkung nicht gegeben haben sollte, hinderte nun jedenfalls die lex Falcidia einen Testator daran, mittels Aussetzung von Damnations- oder Vindikationslegaten seinen solventen Nachlass überzubeschweren oder sein bereits überschuldetes Vermögen noch zusätzlich zu belasten.56 Wenn das neue Gesetz sogar die Verfügungsfreiheit hinsichtlich des Vermögensüberschusses beschränkte, machte es natürlich erst recht die Aussetzung „ungedeckter“ Vermächtnisse unwirksam.
Die lex Falcidia hatte zur Folge, dass der heres vom Residual- zu einem Mindestbegünstigten erhoben wurde und damit einem Noterben glich,57 ohne dass es dafür aber auf eine verwandtschaftliche Beziehung zum Erblasser ankam.58 Bei funktionaler Betrachtung wurde dem heres eine Mindestvergütung für die Mühen und Risiken der Nachlassabwicklung gewährt,59 und diese Mindestteilhabe lag nicht zuletzt im Interesse der Legatare selbst. Denn ein heres, der ohne jede „Belohnung“ für seine belastende Abwicklungstätigkeit verblieb, hatte wenig Anreiz, die Erb-
53 Siehe Gaius D. 35, 2, 73, 5. Näher Schanbacher, Ratio legis Falcidiae, 34–36; Hennig, lex Falcidia, 21 f. (Fn. 12); Santos Justo, Direito Privado Romano V, 253 f. Eingehend Wacke, Rechtswirkungen, 210–251. 54 Siehe oben Fn. 40. 55 Manthe, Das senatus consultum Pegasianum, 140. Die praktische Bedeutung bestand dort fort, wo die lex Falcidia nicht galt, wie bei Soldatentestamenten, siehe Manthe, Das senatus consultum Pegasianum, 141; Kroppenberg, Insolvenz, 212. 56 Autoren, die Legate von Anfang an nur im Rahmen eines Vermögensüberschusses für zulässig halten, nehmen konsequenterweise an, dass die lex Falcidia auch nur dort Anwendung fand, wo der Testator über einen Vermögensüberschuss verfügt hatte: Siehe Schanbacher, Ratio legis Falcidiae, 23, 31 f.; ausführlich Kroppenberg, Insolvenz, 201–210. 57 Unterstrichen wird diese Verbindung zwischen lex Falcidia und Noterbenrecht dadurch, dass ein testamentarisch zum heres eingesetzter naher Angehöriger des Erblassers nicht mehr die querela inofficiosi testamenti geltend machen konnte, weil ihm mittels der lex Falcidia in rechnerischer Sicht ohnehin bereits ein Viertel des Intestaterbteils unbeschwert zustand. Dieser Zusammenhang führte in der Folgezeit zu einer Begriffsverschiebung, indem die quarta Falcidia mit dem Noterbteil naher Angehöriger gleichgesetzt wurde (so auch im mittelalterlichen englischen Recht, siehe unten Fn. 205). Näher Hennig, lex Falcidia, 26 f., 29. 58 Die quarta Falcidia mit einem Noterbteil zu vergleichen, ist freilich insofern unpräzise, als die Entwicklung im römischen Recht genau umgekehrt verlief, indem es gerade die quarta Falcidia war, die den Maßstab für das bildete, was ein Erblasser seinen nahen Angehörigen mindestens hinterlassen musste. Siehe Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, 466; Hennig, lex Falcidia, 25 f. 59 Ob sich hingegen auch das Wesen der Erbfolge änderte, wie Meincke, Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis 46 (1978), 41 f., andeutet, scheint zweifelhaft. Denn es war nicht so, dass dem heres bis dahin der Erhalt von Vermögensvorteilen verboten gewesen wäre, und praktisch dürfte eine reelle Residualbegünstigung sogar die Regel gewesen sein.
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schaft überhaupt anzutreten,60 und im Fall der Intestaterbfolge61 hätten sämtliche testamentarischen Anordnungen ihre Wirksamkeit verloren. 62 Selbst wenn ihr eigentlicher Anlass die geplante Einführung einer Erbschaftssteuer gewesen sein sollte,63 förderte die lex Falcidia also die Aufrechterhaltung der testamentarischen Erbfolge und die Nachlassabwicklung durch die letztwillig auserkorene Person. 64 Zum Zweck der lex Falcidia hätte es gepasst, dass Vindikationslegatare sich fortan nicht mehr eigenmächtig in den Besitz von Nachlassgegenständen setzen durften. Denn ob das Vermächtnis überhaupt umfänglich wirksam war, ließ sich ja erst durch eine Ermittlung aller Nachlassverhältnisse bestimmen. Dennoch wurde das dem bonorum possessor gewährte interdictum quod legatorum erst von Justinian auch dem heres zur Verfügung gestellt.65
Besonderen Ausdruck fanden die Abwicklerrolle des heres und das Interesse an einer ordnungsgemäßen Erfüllung der Legate sodann auch in der Regel, dass mit Anerkennung der letztwilligen Erbeinsetzung zugleich das reine Legatentestament nicht mehr zugelassen wurde. Denn fortan galt die Regel „heredis institutio caput et fundamentum totius testamenti est“.66 Diese Maxime lässt sich so deuten, dass ein Erblasser keine Begünstigungen anordnen sollte, ohne zugleich ausdrücklich einen Verpflichteten zu benennen, und dies konnte sinnvollerweise nur der heres sein. 67 Denkbar wäre natürlich gewesen, in Ermangelung eines testamentarisch benannten Erben auf die Intestaterbfolge zurückzugreifen. Doch nicht nur hätte diese wegen des beschränkten Kreises oft versagt, 68 auch war ein testamentarisch ein60 Sehr klar zu dieser Zielsetzung Bernhöft, Zur Reform des Erbrechts, 37, 121. Siehe ferner Helmholz, University of Illinois LR (1984), 660 (Fn. 6); ders., OHEL I, 430; Johnston, Succession, 205. 61 Deren Eintritt konnte der Erblasser durch Einsetzung eines oder mehrerer Ersatzerben zwar aufschieben (Kaser, Römisches Privatrecht I, 688 f.; Johnston, Succession, 202 f.), im Falle einer unattraktiven Erbschaft aber letztlich nicht verhindern. 62 Kaser, Römisches Privatrecht I, 757. Eine Ausnahme galt allerdings dort, wo Intestaterbe der die Erbschaft nicht antretende Testamentserbe war, siehe Kaser, Römisches Privatrecht I, 757; Santos Justo, Direito Privado Romano V, 257, der auf die weitere Ausnahme im Fall der Unwirksamkeit des Testaments wegen pflichtwidriger Übergehung der nahen Familienangehörigen hinweist. 63 Zu dieser im Anschluss an den römischen Historiker Appian vertretenen Auffassung Watson, Law of Succession, 171 f., und Meincke, StuW 1978, 358. Der genannten Theorie zufolge plante das damals herrschende zweite Triumvirat die Besteuerung der testamentarischen Erbfolge zur Finanzierung des Krieges gegen Sextus Pompeius, so dass ein entsprechendes fiskalisches Interesse bestand, die Ausschlagung der testamentarischen Erbfolge zu verhindern. Siehe auch Hennig, lex Falcidia, 20. 64 Nicht näher einzugehen ist dabei auf den Streit, ob die dem heres gewährte Mindestbeteiligung wirklich nur Mittel zum Zweck war oder nicht vielmehr Selbstzweck, anders gesagt, ob die lex Falcidia den Erblasser oder den Erben schützen sollte. Eingehend dazu im Kontext der Schaffung des BGB Hennig, lex Falcidia, 85–108. 65 Kaser, Römisches Privatrecht I, 754; ders., Römisches Privatrecht II, 60; Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, 492. Demgegenüber meint Salomon, Roman Legal Tradition 3 (2006), 66, dass das interdictum quod legatorum wegen der lex Falcidia eingeführt worden sei. 66 Gai. 2, 229. Dazu Rüfner, Testamentary Formalities, 9. 67 Siehe auch Longchamps de Bérier, Law of Succession, 177. 68 Lenel, Geschichte der heredis institutio, 140.
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gesetzter Erbe moralisch unter größerem Erfüllungsdruck. Förderlich für die Klarheit und Konzentration der Zuständigkeiten war schließlich auch das „gro[ß]e Rätsel des römischen Erbrechts“,69 der Grundsatz „nemo pro parte testatus pro parte intestatus decedere potest“.70 Denn er verbot das Nebeneinander von Testatund Intestaterbe und führte, verbunden mit der Testamentsauslegung, in der Regel zur alleinigen Nachfolge des oder der gewillkürten Erben.71
IV. Dezentrale Abwicklung bei Erbenmehrheit Wurden mehrere heredes zur Rechtsnachfolge berufen, bestand hinsichtlich der Abwicklungszuständigkeit ursprünglich kein grundlegender Unterschied zum Fall des Alleinerben (heres ex asse). Denn das nach altrömischem Recht mit dem Tod des Erblassers begründete consortium war nach allgemeiner Ansicht neben einer gemeinschaftlichen Berechtigung an den Nachlassgegenständen72 auch durch eine gemeinschaftliche Verantwortlichkeit der Miterben für die Verbindlichkeiten charakterisiert und damit der Natur nach eine Gesamthand.73 Zwar findet sich bereits in den Zwölf Tafeln der Satz „nomina ipso iure divisa“.74 Doch hat insbesondere Kaser die Ansicht vertreten, dass die Teilung der Forderungen und Verbindlichkeiten nicht schon mit dem Erbfall erfolgt sei, sondern erst bei Auseinandersetzung des consortium der Miterben (dann aber ipso iure).75 Erblassergläubiger konnten sich folglich bis zur Teilung an das consortium als Abwicklungszuständigen wenden. Dieser Rechtszustand wurde indessen aufgrund seiner Schwerfälligkeit bald als unbefriedigend empfunden und dadurch überwunden, dass an die Stelle des kollektiv geprägten consortium die individualistisch geformte communio der Miterben trat. Deren Kennzeichen war, dass die im Nachlass befindlichen Rechte und Pflichten keine fortgesetzte Einheit bildeten, sondern entsprechend der Beteiligungsquoten in ideelle und reelle Bruchteile zerfielen (soweit das betreffende Rechtsverhält69
Lenel, Geschichte der heredis institutio, 127. dem neueren Schrifttum dazu Coppola, Teoría e Storia del Diritto Privato 5 (2012), 1–172; Gómez Ródenas, Revista de Derecho UNED Nr. 17 (2015), 833–868; Borysiak, in: Scritti Romanistici per Maria Zabłocka, 63–83. 71 Siehe Schulz, Classical Roman Law, Rn. 447; Rüfner, Testamentary Formalities, 9 f. Die wirtschaftliche Bedeutung der dadurch herbeigeführten Nachlasskonzentration betont Wieacker, in: FS Siber, 5. Ähnlich vermutet Wacke, ZRG (RA) 123 (2006), 234 das ursprüngliche Ziel des genannten Satzes darin, „die Zahl der Erben klein zu halten“. Hingegen erklärt Staudinger/Boehmer 11, § 1922 Rn. 104 den Satz „nemo pro parte …“ mit dem Zweck, Sondernachfolgen in bestimmte Güter zu vermeiden, was aber insofern nicht überzeugt, als das Vindikationslegat diese Möglichkeit gerade zuließ. 72 Dies schloss aufgrund des gegenseitigen Vertrauens allerdings nicht aus, dass jeder Miterbe mit Wirkung für und gegen die anderen verfügen konnte, siehe Hoffmann, Jura 1995, 125; Kaiser, Rückwirkender Vermögensübergang?, 8. 73 Kaser, Römisches Privatrecht I, 99 f. 74 Satz V, 9. Zur dessen Echtheit Kaser, Die altrömische Erbenhaftung, 532 f. 75 Siehe Kaser, Die altrömische Erbenhaftung, 540–542; davor bereits Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 104 f. 70 Aus
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nis dies zuließ).76 An den im Nachlass befindlichen Sachen entstand folglich Miteigentum, Forderungen und Verbindlichkeiten wurden automatisch geteilt, so dass der Satz „nomina ipso iure divisa“ spätestens jetzt wörtlich zu verstehen war.77 Nimmt man hinzu, dass mehrere mit einem Vermächtnis beschwerte heredes bei Teilbarkeit der Leistung per capita hafteten78 und jeder Miterbe über seine Anteile an den Gegenständen frei verfügen konnte, stellte sich der Vorgang als Zerfall des Nachlasses in verschiedene, isoliert abzuwickelnde Teilnachlässe dar.79 Für die Erblassergläubiger hatte dieser Übergang von einer zentralen zur dezentralen Abwicklung den oben schon beschriebenen Nachteil, dass sie ihre Forderung nun ggf. in mehreren Klage- und Vollstreckungsverfahren realisieren mussten80 und dabei das Risiko der Insolvenz eines Miterben trugen.81 Dass die Römer diese Beeinträchtigung in Kauf nahmen, ist vermutlich vor allem durch die allgemeinen Strukturen der Nachlassabwicklung zu erklären, die noch eingehend zu erörtern sind. 82 In historischer Sicht entfaltete die Lösung in jedem Fall große Wirkkraft, indem sie das ius commune prägte und u. a. Eingang in den Code civil fand. 83 In rechtstatsächlicher Hinsicht ist abschließend hervorzuheben, dass entgegen ihrer Darstellung als Sonderfall in der romanistischen Literatur die Situation der Erbenmehrheit die meiste Zeit den praktischen Regelfall gebildet haben dürfte. Denn solange eine testamentarische Erbeinsetzung noch nicht gestattet war, traten notwendig alle Hausangehörigen in die familia ein, und für die Zeit ab der späten Republik wird angenommen, dass infolge der geänderten Wirtschaftsstrukturen auch bei der testamentarischen Erbfolge die Einsetzung eines Alleinerben nicht mehr die Regel war. 84 Da freilich bei Vorhandensein mehrerer heredes die Abwicklung letztlich trotzdem nach dem Muster der Alleinerbschaft erfolgte, bildete deren Regelung den normativen Kern.
76 Siehe etwa Santos Justo, Direito Privado Romano V, 97; Hoffmann, Jura 1995, 125; Kaiser, Rückwirkender Vermögensübergang?, 9–13. Zum Sonderfall der unteilbaren Leistungen Meier, Gesamtschulden, 109 f., 128 f. 77 War die Verbindlichkeit unteilbar, hafteten die coheredes solidarisch, siehe Kaser, Römisches Privatrecht I, 733. 78 Kaser, Römisches Privatrecht I, 746. 79 Die große praktische Bedeutung der genauen Erbquote macht die Auffassung plausibel, dass ein Irrtum über sie zur Unwirksamkeit des Erbschaftsantritts führte: näher Rüfner, ZRG (RA) 127 (2010), 289, 294 f. 80 Darauf, dass Erbeinsetzungen auf winzige Bruchteile keine Seltenheit waren, weist Bernhöft, Zur Reform des Erbrechts, 92, hin. 81 Peña Bernaldo de Quiros, Herencia y deudas, 16 f. 82 Dazu unten § 4 A. (243 ff.). 83 Dazu unten § 8 B.III.1. (657 ff.), IV. (669 ff.). 84 Zimmermann, Compulsory Heirship in Roman Law, 34.
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V. Die Veranschaulichung der Erbenstellung Von erheblicher Bedeutung für das Verständnis des römischen Rechts in späteren Epochen und der zum Teil bis heute gültigen Begrifflichkeiten ist ein kurzes Eingehen darauf, wie die römischen Juristen sich den Erbvorgang vorstellten. Das beschriebene Eintreten des heres in alle vererblichen Rechte und Pflichten des Erblassers wurde wie üblich nicht begrifflich näher herausgearbeitet, sondern nur veranschaulicht, 85 vor allem mittels der Idee eines „succedere in locum defuncti“86 oder einer „successio in universum ius quod defunctus habuerit“.87 Gaius sprach auch davon, dass im Erbfall ein Erwerb „per universitatem“ stattfinde,88 also durch einen Gesamtvorgang; Gegenbegriff war der Erwerb von Einzelgegenständen (singulae res), etwa durch mancipatio oder traditio auf der Grundlage eines Kaufs, einer Schenkung oder eines Vermächtnisses.89 Die genannten Quellen bilden den Ursprung des (bis heute nicht einheitlich verstandenen) Begriffs der „Universalsukzession“.90 Dass die Römer sich den Erbvorgang somit in erster Linie als einen Austausch des Rechtssubjekts vorstellten und nicht als eine Übertragung der betreffenden Rechte und Pflichten vom Erblasser auf den Erben,91 trug entscheidend zum Aufkommen einer anderen, äußerst langlebigen und wirkmächtigen Vorstellung vom römischen Erbrecht bei: der Vorstellung, dass der heres die Persönlichkeit des Erblassers fortsetzte oder mit diesem gar identisch war.92 Niederschlag fand diese Lehre beispielsweise in § 547 ABGB a. F.: „Der Erbe stellt, sobald er die Erbschaft angenommen hat, in Rücksicht auf dieselbe den Erblasser vor. Beide werden in Beziehung auf ei-
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Kaser, Römisches Privatrecht I, 223, 673; Zimmermann, in: FS Meincke, 445. Siehe z. B. Gai. 4, 34. 87 Iul. D. 50, 17, 62; ähnlich Gaius D. 50, 16, 24. 88 Gai. 2, 97–99, 191. 89 Siehe zu den Tatbeständen des Einzelerwerbs Gai. 2, 18–96. Den Erwerb per Vermächtnis behandelt Gaius zwar innerhalb des Abschnitts über den Gesamterwerb (Gai. 2, 192–289), doch weist er selbst darauf hin, dass dies nur aufgrund der Sachnähe zur Erbeinsetzung geschieht (Gai. 2, 191). 90 Näher unten § 3 C.4b) und c) (214 ff.). 91 v. Lübtow, Erbrecht II, 663 f. Diese Konzeption steht auch damit im Einklang, dass das römische Recht einen echten derivativen Erwerb erst spät und auch dann nur zögerlich anerkannte. So war die mancipatio ursprünglich wohl kein einverständlicher Übertragungsakt, sondern nur ein nachgeformter Eigentumsprozess, bei dem der „Veräußerer“ der Behauptung des „Erwerbers“, Eigentümer zu sein, nicht widersprach (Kaser, Römisches Privatrecht I, 45; Harke, Der Staat 59 (2020), 400 f.). Ähnlich war die Struktur bei der Übertragung eines Rechts durch in iure cessio (Kaser, Römisches Recht I, 48 f.). Die Möglichkeit der Abtretung von Forderungen konnte sich wegen deren strenger persönlicher Gebundenheit dagegen niemals vollständig durchsetzen (Kaser, Römisches Privatrecht I, 632 ff.; zu den geschaffenen Ersatzinstrumenten Harke, Der Staat 59 (2020), 403 f.), was auch im Zusammenhang mit dem Grundsatz der Personalvollstreckung zu sehen ist, der einen Gläubigerwechsel aus Schuldnersicht zu einer erheblichen Gefahr gemacht hätte: Jansen/Zimmermann/Jansen, Introduction before Art. 11:101, [6] m. w. N. 92 Überblick bei Staudinger/Boehmer 11, § 1922, Rn. 100–102; Wesener, in: FS Waldstein, 402– 405. Für eine eingehende Untersuchung Wacke, ZRG (RA) 123 (2006), 200–241. 86
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nen Dritten für eine Person gehalten. […].“93 Im französischen Recht fehlt zwar eine solche Positivierung, doch spielt der Gedanke einer „continuation de la personalité du défunt“ bis heute eine zentrale Rolle.94 Für die vorliegende Thematik ist schließlich von besonderer Bedeutung, dass die Vorstellung einer „Persönlichkeitsfortsetzung“ seit Langem auch systemprägende Wirkung in der Erbrechtsvergleichung entfaltet, indem diese vermeintlich römische Tradition dem germanischen Modell einer „Vermögensnachfolge“ entgegengesetzt wird:95 „Nach germanischem Recht stirbt der Mensch, nach römischem ist er unsterblich. Der Angelpunkt des römischen Erbrechts ist der Erbe, der des germanischen das Erbe.“96 Inwieweit die Vorstellung einer Fortsetzung der Erblasserpersönlichkeit heutigen Erbrechtsordnungen gerecht wird und einen sinnvollen Beitrag zur Erbrechtsvergleichung leistet, bleibt der späteren Erörterung vorbehalten.97 An dieser Stelle soll lediglich gefragt werden, ob das römische Recht durch die genannte Idee zutreffend charakterisiert wird. Dies wird von der modernen Romanistik klar verneint,98 und zwar sowohl hinsichtlich der Idee einer Fortsetzung im transzendentalen, metaphysischen Sinne (wie sie auch anderen frühen Rechtsordnungen zugeschrieben wird99) als auch hinsichtlich einer lediglich bildhaften Vorstellung zu Zwecken der Rechtstechnik. Die erstgenannte Variante, nach der also die Römer der Auffassung gewesen sein sollen, dass der Erblasser buchstäblich in seinen Nachkommen fortlebe, erlebte einen Höhepunkt in der Pandektistik des 19. Jahrhunderts100 und wurde in Deutschland zuletzt von Ludwig Mitteis prominent vertreten:101 „Die transzendentale Vorstellung der Unsterblichkeit des Individuums in seinem Samen ist der Ausgangspunkt des römischen Erbrechts.“102 Mitteis begründete seine Ansicht mit 93
Die Redaktion der Norm wurde mit Wirkung zum 1.1.2017 geändert. Eingehend dazu unten § 5 C.I. (324 ff.), § 7 B.VI. (602 ff.). 95 Siehe schon oben § 1 D. (19 ff.) und ausführlich unten § 4 C.II.1b) (302 ff.). 96 Ebel, ZRG (RA) 84 (1967), 254; siehe auch schon oben § 1 Fn. 491. 97 Siehe ausführlich unten § 4 C.II.1b) (302 ff.). 98 Siehe bereits Bernhöft, Zur Reform des Erbrechts, 32 („unrömisch und überhaupt unjuristisch“) und die ausführliche Kritik bei Hölder, ZRG (RA) 30 (1909), 87–95. Munk, Gutachten, 31, vergleicht die „Vorstellung von der Fortdauer eines Theils der Persönlichkeit des Erblassers in dem Erben“ gar mit dem „Wahne des Kannibalen, welcher die Leiche seines erschlagenen Feindes verzehrt, um dessen Kräfte sich anzueignen“. Ferner etwa Schulz, Classical Roman Law, Rn. 374 („absurd“); Staudinger/Boehmer 11, § 1922, Rn. 102; Voci, Diritto Ereditario Romano I, 173; Giger, Schicksal des Rechts I, 28–30 (anders aber wohl ders., Schicksal des Rechts III, 45 f.); Zimmermann, in: FS Meincke, 445 f. 99 Schulz, Classical Roman Law, Rn. 374; Zimmermann, in: FS Meincke, 445. 100 Ausführlicher Überblick bei Giger, Schicksal des Rechts I, 54 ff.; für eine Zusammenfassung Windel, Modi der Nachfolge, 196–199. Ein (schädlicher) Einfluss auf die genannte Lehre wird der Philosophie Hegels zugeschrieben, siehe etwa Schulz, Classical Roman Law, Rn. 374; Staudinger/Boehmer 11, § 1922, Rn. 100. Zu der extremen Spielart der Identitätslehre, der maßgeblich von Ferdinand Lassalle begründeten Theorie der Willensunsterblichkeit, siehe bereits oben A.III. (170 ff.). 101 Zu beachten ist dabei, dass Mitteis seiner Lehre ein anderes Fundament gab als seine Vorgänger, siehe die Nachweise bei Windel, Modi der Nachfolge, 196 (Fn. 23). 102 L. Mitteis, Römisches Privatrecht, 93. 94
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den Charakteristika der römischen Hausverfassung, der großen Bedeutung der nicht-vermögensrechtlichen Elemente sowie der Unmöglichkeit, „die für eine mehr materialistische Denkart rätselhaften Sätze des römischen Erbrechts“ auf andere Weise zu erklären.103 Der römische Erbvorgang war nach Auffassung Mitteis’ also personalistischer Art und zog vermögensrechtliche Folgen lediglich mittelbar nach sich.104 Zumindest was das vorklassische und das klassische Recht angeht, gilt eine solche Auffassung heute jedoch als verfehlte Projektion.105 Die Römer hätten „viel zu vernünftige Beziehungen zur Realität“ gehabt, „als daß sie ihr Erbrecht auf einer irrealen oder transzendentalen Basis aufgebaut hätten“.106 Verworfen wird die Vorstellung von der Persönlichkeitsfortsetzung für das römische Recht sodann aber auch in ihrer abgeschwächten Variante, bei der nicht in einem natürlichen, sondern nur in einem rechtlichen Sinne vom Fortleben des Erb lassers gesprochen wird. Diese Fiktion beherrschte das französische Schrifttum mindestens bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts107 und hat auch in heutiger Zeit ihre Bedeutung nicht gänzlich verloren.108 Im Deutschland des 19. Jahrhunderts hatte sie ihren bedeutsamsten Anhänger in Georg Friedrich Puchta, der das gesamte Erbrecht auf der Idee der Persönlichkeitsfortsetzung aufbaute,109 und im 20. Jahrhundert fand sie sich z. B. noch bei Gustav Boehmer.110 Ein prominenter Vertreter außerhalb Deutschlands war Henry Sumner Maine.111 Doch abgesehen davon, dass die Metapher einer Fortsetzung der Rechtspersönlichkeit weder das Erlöschen bestimmter vermögensrechtlicher Beziehungen noch den Übergang einzelner Gegenstände auf Legatare zu erfassen vermag, war sie den römischen Juristen 103 Eingehend L. Mitteis, Römisches Privatrecht, 93–105 (Zitat 96). In Österreich folgte dieser Auffassung noch Klang/Weiß, 4. 104 „[Dieser] bis in die späteste Zeit unverrückbar geblieben[e] Grundgedank[e], daß nicht das Vermögen als solches, sondern die Persönlichkeit ererbt wird […]“ (L. Mitteis, Römisches Privatrecht, 96). 105 Zimmermann, in: FS Meincke, 445. 106 v. Lübtow, Erbrecht I, 665. Ähnlich schon Staudinger/Boehmer 11, § 1922, Rn. 102: „[…] dem nüchternen und materialistischen römischen Geiste durchaus fremd […]“. 107 Siehe etwa Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 538 f. mit weiteren Nachweisen. Saleilles, in: FS Gierke, 1014–1034, kritisierte zwar die Reichweite, die der Fiktion der Persönlichkeitsfortsetzung zugeschrieben wurde, sprach ihr aber jedenfalls für die Spätphase des römischen Rechts eine Rolle zu (siehe dazu unten § 4 Fn. 30). 108 Siehe unten § 5 C.I. (324 ff.), II.2f)(3) (361 ff.), § 7 C.VI. (602 ff.). 109 Dazu oben § 1 Fn. 635. 110 Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 10: „Das [d. h. der Erbvorgang] erschien den Römern als ein Fortleben der rechtlichen Persönlichkeit. Der Tod beendet nur das natürliche, nicht das rechtliche Leben.“ (Hervorhebung im Original). Diese Ausführungen überraschen insofern, als Boehmer später scharfe Kritik an der Idee der Persönlichkeitsfortsetzung äußerte (Staudinger/ Boehmer 11, § 1922, Rn. 100–102), damit allerdings wohl allein die Fortsetzung im metaphysischen Sinne meinte. 111 Maine, Ancient Law, 203, 209: „The notion was that, though the physical person of the deceased had perished, his legal personality survived and descended unimpaired in his Heir [sic] or Co-heirs [sic], in whom his identity (so far as the law was concerned) was continued. […] The testator lived on in his heir or in the group of his co-heirs. He was in law the same person with them“ (Hervorhebung jeweils hinzugefügt).
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jedenfalls fremd.112 Wie gesehen, sprachen sie stattdessen lediglich von einem Eintreten in die Rechtsstellung des Verstorbenen, und auch dies geschah nur zu dem Zweck, „eine Reihe juristischer Erscheinungen unter einem Gesichtspunkt zusammenzufassen“.113 Erst bei Justinian findet sich, vermutlich unter dem Einfluss der christlichen Theologie,114 die Vorstellung einer Identität von Erblasser und Erbe, konkret in der Vorrede zur Novelle 48 aus dem Jahr 537.115 Selbst dort betraf sie aber keine erbrechtliche Grundsatzfrage, sondern einen entlegenen Sonderfall.116 Indem Justinians Rede von der Einheit von Erblasser und Erbe später jedoch aus ihrem Kontext gelöst und zur (unechten) Leitmaxime erhoben wurde, sollte diese „empty rhetorical phrase“117 im weiteren Verlauf der Rechtsgeschichte ein erstaunliches Eigenleben entwickeln118 und eine „ungeahnte Suggestionskraft“ ausüben.119
B. Englisches Recht I. Die rechtlichen Rahmenbedingungen Will man die Entwicklung der Nachlassabwicklung im englischen Hochmittelalter verstehen, gilt es, sich zunächst einen zentralen Unterschied zum römischen Recht zu vergegenwärtigen, der oft mit dem Gegensatz von Generalität und Spezialität der Sukzession beschrieben wird.120 Während schon das altrömische Erbrecht alle Nachlassgegenstände unterschiedslos behandelte und damit ein einheitliches Sukzessionsregime vorsah,121 war das englische Recht zur fraglichen Zeit durch eine strikte Zweiteilung gekennzeichnet: Personal property (oder personalty), vereinfacht gesagt das Mobiliarvermögen des Verstorbenen,122 zerfiel in drei Teile: den wife’s part, also den Anteil der Witwe, den bairns’ part, also den Anteil der Kinder, 112 Für eine ausführliche Analyse verschiedener Zeugnisse aus dem klassischen Recht Wacke, ZRG (RA) 123 (2006), 208-216. 113 Bernhöft, Zur Reform des Erbrechts, 33. 114 Nach dieser galt jeder amtierende Papst als dieselbe Person wie Petrus: „Papa Petrus ipse“. Die Ursprünge der Lehre von der Personeneinheit lassen sich aber noch weiter in die griechische Antike zurückverfolgen. Näher Wesener, in: FS Waldstein, 403 m. w. N.; Wacke, ZRG (RA) 123 (2006), 225 f. 115 „[…] nostris videtur legibus una quodammodo persona heredis et illius qui hereditatem in eum transmittit […]“. 116 Für eine ausführliche Analyse, auch von verwandten Aussagen Justinians, Wacke, ZRG (RA) 123 (2006), 216–222. 117 Schulz, Classical Roman Law, Rn. 374. 118 Hierzu Saleilles, in: FS Gierke, 1015, 1033 f., dem zufolge die Fiktion der Fortsetzung der Rechtspersönlichkeit für das französische Erbrecht zu einem „Schlussstein“ (clé de voûte) wurde. 119 Wacke, ZRG (RA) 123 (2006), 221. 120 Wie die „Universalsukzession“ werden diese Begriffe allerdings nicht einheitlich gebraucht, siehe unten C.II.4i) (232 ff.). 121 Lange/Kuchinke, Erbrecht, 6, halten es für möglich, dass das römische Recht ursprünglich auch zwischen gebundenem Landgut und ungebundener Fahrnis unterschied. 122 Näher zur Unterscheidung von der realty unten Fn. 124.
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sowie den dead’s part, also den Anteil, über den der Verstorbene frei verfügen konnte.123 Real property (oder realty), vereinfacht gesagt das Immobiliarvermögen des Verstorbenen,124 ging hingegen ungeteilt auf den heir über.125 Dieser wurde etwa seit dem 12. Jahrhundert nach dem Grundsatz der Primogenitur bestimmt, so dass der erstgeborene Sohn des Erblassers die Rangordnung anführte.126 Die Sonderbehandlung der realty war Ausprägung der Feudalordnung und zielte vor allem auf die Zusammenhaltung großer Ländereien und die Sicherstellung militärischer Dienste.127 Als der „Administration of Estates Act“ von 1925 die Unterscheidung zwischen realty und personalty endgültig überwand, verlor auch der Begriff des heir in England seine rechtliche Bedeutung.128 Oberbegriff für alle vom Erbfall begünstigten Personen ist seither der des beneficiary, auch wenn der Terminus heir in der Umgangssprache und der Testierpraxis weiterhin anzutreffen ist. Im Recht vieler US-amerikanischer Bundesstaaten ist er hingegen nach wie vor Fachbegriff und bezeichnet in der Regel die bei Fehlen einer letztwilligen Verfügung vom Erbfall begünstigte Person,129 nach deutscher Diktion also den Intestaterben. Im schottischen Recht, wo die gesonderte Vererbung von Liegenschaften nach dem Grundsatz der Primogenitur sogar bis 1964 fortdauerte, kommt die historische Rolle des heir noch heute darin zum Vorschein, dass unbewegliches Vermögen als heritage oder heritable property bezeichnet wird.130 Damit ist also nicht, wie man bei unbefangener Lesart 123 Dazu und zur Verteilungsquote in anderen Konstellationen Helmholz, OHEL I, 425; Pollock/Maitland, History II, 348. Siehe auch Glanville, Tractatus, VII, 5, der allerdings nur den „heres“ erwähnt, nicht alle Kinder des Erblassers; so aber Bracton, De legibus, fol. 60b–61. 124 Die auch in englischen Werken häufig zu findende Gleichsetzung von land und real property auf der einen und chattels und personal property auf der anderen Seite ist deshalb nicht ganz präzise, weil zur real property alles gehörte, was mit einer real action, also einer dinglichen Klage, herausverlangt werden konnte. Hierzu konnten auch bewegliche Gegenstände zählen, die in einer bestimmten Beziehung zu einem Grundstück standen, während es umgekehrt auch Rechte an Grundstücken gab, für die eine real action nicht zur Verfügung stand und die daher zur personalty zählten. Näher Baker, Introduction, 241, 317, 404; Kerridge, Intestate Succession, 324; Häcker, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 196 f. 125 Buckland/McNair/Lawson, Roman Law & Common Law, 147; McGovern, Iowa LR 54 (1968), 38; Häcker, Testamentsformen in England, 106. Verfügte ein Testator anderweitig über seine realty, was er seit 1540 konnte, so wurde der Empfänger des unbeweglichen Nachlasses devisee genannt, siehe Kerridge, Testamentary Formalities, 308. 126 Der heir wurde im Wege eines abgewandelten Parentelsystems mit Eintrittsrecht bestimmt, so dass z. B. der Sohn des vorverstorbenen ältesten Sohnes dessen jüngere Brüder verdrängte. Bei Fehlen von Abkömmlingen wurde der nächste männliche Verwandte unter den Abkömmlingen der Eltern berufen. Der Vorzug männlicher Abkömmlinge vor weiblichen Abkömmlingen galt nicht absolut, sondern nur innerhalb desselben Grades, so dass die älteste Tochter eines Erblassers, der keine Söhne hinterließ, vor den männlichen Enkeln berufen wurde. Zu beachten ist bei allem, dass es zum Teil bis in das 20. Jahrhundert hinein auf Gewohnheitsrecht beruhende regionale und lokale Ausnahmeregelungen gab. Ausführlich zum Ganzen Baker, Introduction, 285– 288. 127 Ausführlich Pollock/Maitland, History II, 260–282, die die „beautiful simplicity“ des ungeteilten Übergangs auf einen Nachfolger hervorheben (274). Zum schottischen Recht, das sich weitgehend parallel zum englischen entwickelte, Reid, Intestate Succession, 377. 128 Siehe auch Giger, Schicksal des Rechts II, 168 (seit 1925 „ein historischer Begriff“). 129 Siehe z. B. § 1-201(21) UPC. 130 Siehe Sellar, Succession Law in Scotland, 51; Reid, Testamentary Formalities in Scotland, 405.
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glauben könnte, das vererbliche Vermögen gemeint, sondern das unbewegliche Vermögen als dasjenige, was einstmals auf den heir überging.
Flankiert und vertieft wurde die erst im 20. Jahrhundert endgültig überwundene131 Spaltung der Nachfolge in realty und personalty durch getrennte Gerichtsbarkeiten: Für die Vererbung der unbeweglichen Habe waren die weltlichen Gerichte zuständig, für die Vererbung der beweglichen Habe hingegen ab dem 13. Jahrhundert die ecclesiastical courts.132 Worin diese – später harsch kritisierte133 – jurisdiktionelle Trennung ihren genauen Ursprung hatte, ist bis heute unklar,134 und die genauen Konturen der kirchengerichtlichen Zuständigkeit sollten sich auch erst schrittweise herausbilden.135 Die Einteilung des Nachlasses in verschiedene Gütermassen war keineswegs eine englische Besonderheit, sondern generelles Merkmal der mittelalterlichen Erbrechte Europas, die neben der Unterscheidung zwischen Liegenschaften und Fahrnis noch zahlreiche weitere Sondererbfolgen kannten.136 So wurde z. B. das die Waffen und sonstige Kriegsausrüstung eines Mannes umfassende „Heergerät“ oftmals nach eigenen Regeln vererbt, und Gleiches galt für die „Gerade“ der Frau, d. h. persönliche Gegenstände wie Kleider und Schmuck. Ebenso fand sich die Unterscheidung zwischen ererbtem und erworbenem Vermögen, und innerhalb des ererbten Vermögens die Differenzierung nach der väterlichen oder mütterlichen Herkunft, entsprechend der Maxime „paterna paternis, materna maternis“.137 Im Lehnswesen des Hochmittelalters erlangte schließlich die Unterscheidung zwischen Leihgut und Eigengut (Allodialgut) zentrale Bedeutung, während die Vererbung von Adelsgütern oft einer dynastischen Ordnung folgte (z. B. in Form von Familienfideikom131
Dazu unten C.II.4i)(1) (232 ff.). Helmholz, OHEL I, 387 f.; Baker, Introduction, 411 f. Allgemein zur Rolle der Kirchengerichte in England Zimmermann, ZEuP 1993, 21–27. Obgleich die Zuständigkeit der kirchlichen Gerichte für den beweglichen Nachlass formal erst 1858 endete (Anderson, OHEL XII, 5), entwickelte sich bereits ab dem 15. Jahrhundert in zunehmendem Maße eine Parallelzuständigkeit des Court of Chancery in Fragen der Nachlassabwicklung, so dass den kirchlichen Gerichten nur die Alleinzuständigkeit für die Bestätigung von Testamenten und Ernennung von administrators verblieb. Näher zu diesem Prozess und seinen Ursachen unten § 4 B.II.2f) (293 ff.). 133 So schreiben Pollock/Maitland, History II, 363: „It is in the province of inheritance that our medieval law made its worst mistakes. […] the consequences have been evil.“ Kritisch zur jurisdiktionellen Trennung auch Helmholz, OHEL I, 388 („hard to defend“), der aber zugleich die im Regelfall einfache und schnelle Nachlassabwicklung durch die Kirchengerichte lobt (433). 134 Helmholz, OHEL I, 387 f. 135 Dazu unten B.IV. (185 ff.). 136 Dazu Kannowski, Germanisches Erbrecht und Religion, 126; Gottschalk, Erbe und Recht, 93–97; Krenz, Modelle der Nachlaßteilung, 55–86; Planitz, Deutsches Privatrecht, 226 f.; Mitteis/ Lieberich, Deutsches Privatrecht, 61, 160; Coing, Europäisches Privatrecht I, 559. Siehe auch Pollock/Maitland, History II, 259 f. 137 Dazu m. w. N. Reid/De Waal/Zimmermann, Intestate Succession, 455 f. Siehe auch Pollock/ Maitland, History II, 256, die einen Fall konstruieren, in denen allein der Grundbesitz eines Verstorbenen in zwölf Teilmassen zerfiel. Zum Schwabenspiegel in diesem Kontext Kannowski, Germanisches Erbrecht und Religion, 135; zu Parallelen zwischen dem römischen und dem mittelalterlichen Recht Wesener, in: FS Knütel, 1402–1414. 132 Siehe
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missen).138 Einen besonders anschaulichen kodifikatorischen Ausdruck sollte die Tradition der Sondererbfolgen im preußischen ALR finden, das für sechs Klassen von Gütern eigene Vererbungsregeln vorsah: Lehen, Fideikommiss, Heergerät, Gerade, Niftel139 und Erbschatz.140 Vor diesem Hintergrund stellt sich die unterschiedslose Behandlung aller Nachlassgegenstände im römischen Recht, in der sich mittelbar auch die grundsätzliche Gleichbehandlung aller Kinder des Erblassers manifestierte,141 als äußerst moderne Lösung dar.142 Zu beachten ist allerdings auch, dass die gezeigten Unterschiede nicht genuin erbrechtlicher Natur waren, sondern lediglich Ausfluss der allgemeinen vermögensrechtlichen Strukturen: Während die römische Hausgemeinschaft schon zu Lebzeiten des pater familias eine diesem absolut zugeordnete rechtliche Einheit bildete, machten die Rechtsordnungen des Mittelalters „die Verschiedenheiten in der wirtschaftlichen und kulturellen Zweckbestimmung der Güter auch zur Grundlage rechtlicher Gruppenbildung“.143 Der Tod eines Menschen führte deshalb nicht zum Aufbrechen einer Vermögenseinheit (weshalb die häufige Rede von einem „Zerfall“ des Nachlasses ungenau ist), sondern beseitigte nur das Band, durch das für die Dauer des Erblasserlebens verschiedene Sondermassen – man könnte sagen: zufällig – zusammengehalten worden waren.144 Der Erwerb solcher Sondergüter war bei genauer Betrachtung folglich kein derivativer, sondern ein originärer, weil er sich nicht aus der Beziehung des Erwerbers zum Erblasser ableitete, sondern aus seiner Beziehung zur Sache.145 Der Erblasser gab nicht eine Rechtsposition an den Nachfolger weiter, sondern räumte lediglich für diesen das Feld. Die Situation lässt sich strukturell vergleichen mit der rechtlichen Stellung des Vorerben im heutigen deutschen Recht: Ist diesem der Nachlass formal auch genauso zugeordnet wie sein übriges Vermögen, bildet er dennoch eine Sondermasse, die
138 Näher Gottschalk, Erbe und Recht, 92–96; Coing, Europäisches Privatrecht II, 596; Dutta, Warum Erbrecht?, 53–66. 139 Hierzu gehörten die ausschließlich zum weiblichen Gebrauch bestimmten Geräte, Kleidungsstücke, Kostbarkeiten usw. Dazu und zur Abgrenzung von der Gerade Muscheler, Erbrecht I, Rn. 768. 140 Siehe ALR II, 2 §§ 501–542; dazu Muscheler, Erbrecht I, Rn. 768. 141 So wurden insbesondere Töchter nicht anders als Söhne behandelt, und Letzt- oder Nachgeborene nicht anders als Erstgeborene: Johnston, Succession, 201. 142 Siehe auch Schulz, Classical Roman Law, Rn. 364 („amazingly progressive“); Staudinger/ Boehmer 11, § 1922 Rn. 104; Wesener, in: FS Waldstein, 401; Zimmermann, RabelsZ 79 (2015) 771. Interessanterweise wird nur selten nach den Gründen für diesen fundamentalen Unterschied zwischen römischer und germanischer Tradition gefragt. Sie liegen vermutlich in der Bedeutung des römischen Familien- und Totenkults, so Plucknett, History, 726; Zimmermann, Heres fiduciarius?, 270. L. Mitteis, Römisches Privatrecht, 96 f., sah als einzige Erklärung das Fortleben des Erb lassers im heres an, dazu oben Fn. 102. 143 Staudinger/Boehmer 11, § 1922 Rn. 108. Siehe auch schon Saleilles, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 298. 144 Staudinger/Boehmer 11, § 1922 Rn. 108 f. 145 Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 14; Staudinger/Boehmer 11, § 1922 Rn. 112; ähnlich für den Familienfideikommiss Dutta, Warum Erbrecht?, 74 (Ableitung vom Stifter).
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nach dem Tod des Vorerben einen eigenen, vorbestimmten Weg geht.146 Der Nach erbe erwirbt den Nachlass deshalb auch nicht als Rechtsnachfolger des Vorerben, sondern nimmt ihn nach dessen Wegfall nur als Nächster auf. Hinsichtlich des Erb lassers liegt aber natürlich in beiden Fällen ein abgeleiteter Erwerb vor. Welche Schwierigkeiten das Nebeneinander von Teilsukzessionen für die Nachlassabwicklung bringt, zeigt exemplarisch das englische Recht, dessen Entwicklung zwischen dem 12. und dem 19. Jahrhundert ganz von dem Streben nach ihrer Überwindung gekennzeichnet war.
II. Das Bedürfnis nach Schaffung eines „representative“ Es ist offenkundig, dass in einer Situation wie der geschilderten, wo nicht einmal die bewegliche Habe gebündelt zugewandt wurde, die schlichte Koppelung von Aktiva und Passiva nach Art des römischen Rechts keine befriedigende Lösung darstellte, weil die Zuständigkeit für die Verbindlichkeiten und Vermächtnisse dann unter verschiedenen Personen hätte aufgeteilt werden müssen. Aus der damaligen Perspektive dürfte dabei weniger die Sorge um die ordnungsgemäße Erfüllung der Erblasserschulden eine Rolle gespielt haben147 als vielmehr der Wunsch nach ordnungsgemäßer Erfüllung der letztwillig angeordneten Zuwendungen. Denn diese wurden in allererster Linie zu frommen Zwecken getätigt148 und dienten somit dem Seelenheil des Verstorbenen.149 Zwar waren nicht alle diese Zuwendungen so gestaltet, dass sie zwingend einer Umsetzungshandlung bedurft hätten; vermachte der Erblasser z. B. der Kirche oder dem örtlichen Waisenhaus einen Ochsen aus seinem Stall, so hätte sich nach Art des römischen legatum per vindicationem auch ein direkter Eigentumserwerb des Empfängers konstruieren lassen. Doch machten Erblasser zum einen oft nur sehr allgemeine und daher konkretisierungsbedürftige Angaben zur Verwendung ihres Freiteils.150 Zum anderen bedurfte die Erfüllung letztwilliger Zuwendungen häufig vorbereitender Maßnahmen,151 wie beispielsweise in dem Fall, dass eine Vielzahl von Per-
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Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 36 f. der wenig entwickelten Verkehrsverhältnisse und der Restriktionen bzgl. ihrer Vererblichkeit werden Erblasserschulden anfangs nur eine geringe praktische Rolle gespielt haben, siehe auch Pollock/Maitland, History II, 343 f.; Caillemer, Executor, 762. 148 Siehe Sheehan, The Will in Medieval England, 166: „[…] the bequest in alms tended to be the most evident quality of the will.“ Für eine Vielzahl von Beispielen aus der Testierpraxis siehe ebd., 261–263, ferner Holdsworth, History III, 545 f. 149 Helmholz, Religion and Succession, 110. Zu diesem allgemeinen Merkmal des frühmittelalterlichen Erbrechts schon oben § 2 C.I.1b) (147 ff.). 150 Siehe Caillemer, Executor, 746 f.; Sheehan, The Will in Medieval England, 215 f.; Helmholz, OHEL I, 416, 418; ders., Religion and Succession, 113. Von einer identischen Testierpraxis in Schottland berichtet Anton, Juridical Review 67 (1955), 135. Fehlte ein Testament, stand die Verteilung des Freiteils sogar gänzlich im Ermessen des administrator, siehe unten B.V. (195 ff.). 151 Siehe Sheehan, The Will in Medieval England, 217, 265. 147 Aufgrund
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sonen Geldzuwendungen erhalten152 oder Essen und Kleidung für die Armen gekauft werden sollte.153 Der Ausweg lag in der Schaffung einer Figur, die englische Juristen jedenfalls seit dem Ende des 19. Jahrhunderts als „representative“ des Verstorbenen bezeichnen. Gemeint ist damit eine Person, in deren Hand die aktiven und passiven Vermögenswerte des Verstorbenen zwecks Vereinfachung der Nachlassabwicklung möglichst in genau demselben Umfang gebündelt werden, wie es zu seinen Lebzeiten der Fall war.154 Was in der Struktur des römischen Erbrechts bereits angelegt war, nämlich die Existenz eines Gesamtnachfolgers in Person des heres, musste das englische Recht also im Wege künstlicher Nachbildung erreichen. Dies geschah wie üblich nicht in einem Schritt, sondern in verschiedenen Teilschritten.
III. Die anfängliche Zuständigkeit des heir Bemerkenswert ist zunächst, dass offenbar schon zu Zeiten Glanvilles, also im späten 12. Jahrhundert, weitreichende Ansätze zur Schaffung eines representative vorlagen.155 Es war nämlich der heir, der die umfassende Verantwortung für die Schulden des Verstorbenen trug und bei unzureichendem Nachlass sogar mit dem eigenen Vermögen einstehen musste.156 Da den heir überdies auch die Pflicht zur Erfüllung der letztwillig angeordneten Vermächtnisse traf,157 wies seine Stellung somit viele Parallelen zur der eines römischen heres auf. Denn wenngleich die wirtschaftliche Begünstigung des heir sich hinsichtlich der beweglichen Habe (personalty) auf den ihm zustehenden Anteil am bairns’ part beschränkte,158 muss er doch die volle Verfügungsmacht über den beweglichen Nachlass innegehabt haben, weil er sonst Verbindlichkeiten und Vermächtnisse nicht hätte erfüllen können.159
152 Sheehan, The Will in Medieval England, 283 f., 287. Überhaupt bedachten Testatoren häufig eine erstaunlich große Zahl an Begünstigten, so dass es zu einer erheblichen Zerstreuung des beweglichen Nachlasses kam. Siehe ebd., 261–265, 282–284, ferner auch Holdsworth, History III, 546 f. („perhaps the most striking feature“ des mittelalterlichen Testaments). 153 Siehe das Beispiel bei Sheehan, The Will in Medieval England, 259. 154 Siehe etwa Pollock/Maitland, History II, 256 f.; Goffin, Executor, 44 f. Der Verfasser konnte nicht ermitteln, wann der Rechtsbegriff des „representative“ zuerst aufkam. 155 Plucknett, History, 723, macht römischen Einfluss hierfür verantwortlich. 156 Glanville, Tractatus, VII, 8. Siehe auch Giger, Schicksal des Rechts II, 159 f. 157 Glanville, Tractatus, VII, 5. Siehe auch Holdsworth, History III, 573; Goffin, Executor, 37. 158 In späterer Zeit fiel allerdings jegliche Beteiligung des heir am beweglichen Nachlass weg, siehe Pollock/Maitland, History II, 362, die an anderer Stelle andeuten, dass dies den heir ungeeignet zur Nachlassabwicklung machte (344). 159 Siehe auch Pollock/Maitland, History 344 f. Nicht verständlich ist daher, warum Goffin, Executor, 45, dem heir in dieser Frühphase die Stellung eines representative abspricht, zumal er nicht bezweifelt, dass dem heir die Zuständigkeit für die Einziehung der Forderungen zukam.
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IV. Der Aufstieg des executor zum personal representative 1. Einleitung und schottischer Exkurs Im 13. Jahrhundert setzte nun allerdings eine Entwicklung ein, durch die der heir als „natural representative“160 in seiner Rolle als Nachlassabwickler allmählich vom executor 161 verdrängt wurde.162 Dieser hatte bis dahin nur eine untergeordnete Rolle gespielt, indem er die Erfüllung der testamentarischen Anordnungen durch den heir überwachen sollte.163 In seiner neuen Aufgabe trat der executor umfassend164 und mit sämtlichen Befugnissen ausgestattet in das bewegliche Vermögen des Erblassers ein, wurde also zum alleinigen Repräsentanten für den personal estate – daher die Bezeichnung personal representative.165 Die Ursachen dieses graduell vollzogenen166 Rollenwechsels von heir und executor waren verschiedener Art und sind im Folgenden näher auszuführen. Vorher ist jedoch zunächst kurz auf einen bemerkenswerten Unterschied zur Rechtsentwicklung in Schottland hinzuweisen. Denn obgleich das schottische Erbrecht insgesamt stark vom englischen beeinflusst wurde – und zwar gerade im 12. und 13. Jahrhundert,167 also der für die vorliegende Thematik besonders prägenden Periode – und sich dementsprechend unter der Ägide der kirchlichen Gerichte auch hier das Institut der executry herausbildete168 (das bis heute fortbesteht169), nahm das Schicksal des heir einen gänzlich anderen Verlauf. Denn dieser wurde nicht vollständig aus der Nachlassabwicklung verdrängt, sondern behielt neben dem executor eine Zuständigkeit für die Erblasserschulden. Stairs einflussreichen 160
So die Charakterisierung von Pollock/Maitland, History II, 344. Zum Ursprung dieser Figur im englischen Recht siehe oben § 2 C.I.2c) (152 ff.). 162 Zu den verschiedenen Schritten Goffin, Executor, 37–57, dem zufolge der executor den heir in der Mitte des 14. Jahrhunderts weitgehend verdrängt hatte. Eine wichtige Zwischenetappe war die Zuerkennung der Zuständigkeit des executor für solche Forderungen und Verbindlichkeiten, die ausdrücklich im Testament erwähnt waren (ebd., 43). Siehe auch Pollock/Maitland, History 344–348; Caillemer, Executor, 753–760; Holdsworth, History III, 572–576; Plucknett, History, 738; Sheehan, The Will in Medieval England, 148–162; Giger, Schicksal des Rechts II, 160–162. 163 Siehe Glanville, Tractatus, VII, 6–8. Siehe auch Goffin, Executor, 38, 43; Holmes, LQR 1 (1885), 165. 164 Anders als beim römischen legatum per vindicationem führten also auch Vermächtnisse über bereits im Erblasservermögen vorhandene Sachen nicht zu einem direkten Eigentumserwerb des Begünstigten, Holdsworth, History III, 583. 165 Siehe etwa Pollock/Maitland, History II, 336, 347. 166 Phasenweise bestand eine Konkurrenz von heir und executor, die aber offenkundig unpraktikabel war, siehe Holdsworth, History III, 574 f. 167 Siehe Sellar, Succession Law in Scotland, 49–51, 63; Reid, Intestate Succession, 371. Den Einfluss der Kirche auf die schottische Nachlassabwicklung betonen Sellar, Succession Law in Scotland, 58 f.; Macdonald, Succession, [13.03]. Eingehend Kotlyar, in: Succession Law, Practice and Society, 167–181. 168 Dazu eingehend Anton, Juridical Review 67 (1955), 130 f., 152 f.; Sellar, Succession Law in Scotland, 58 f.; Macdonald, Succession, [13.03]. 169 Die Tatsache, dass die Abschaffung der kirchlichen Gerichtsbarkeit in Schottland schon deutlich früher erfolgte als in England, nämlich 1560, konnte der bestehenden Struktur der Nachlassabwicklung nichts anhaben, siehe Anton, Juridical Review 67 (1955), 129, 153 f. 161
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„Institutions of the Law of Scotland“ aus dem späten 17. Jahrhundert zufolge hafteten executor und heir im Außenverhältnis als Gesamtschulder, während im Innenverhältnis der executor für die moveable debts und der heir für die heritable debts, also die allein das unbewegliche Vermögen belastenden Verbindlichkeiten zuständig war.170 In früheren Jahrhunderten scheint die Haftung des heir für die moveable debts dagegen nur eine subsidiäre gewesen zu sein,171 was auch sach gerecht erscheint, da die moveable property als das für die Schuldentilgung prädestinierte Vermögen in den Händen des executor war. Zu einer Konzentration der Abwicklungszuständigkeit in dessen Händen kam es jedenfalls erst 1964, als die gesonderte Vererbung der heritable property172 nach einer Geltungsdauer von etwa 800 Jahren beseitigt wurde.173 Die Gründe für die frühe Auseinanderentwicklung von englischem und schottischem Recht in der Frage der Schuldenhaftung sind, soweit ersichtlich, bislang nicht erforscht worden. Eine wichtige Rolle könnte ein weiterer bedeutsamer Unterschied zwischen beiden Rechtsordnungen gespielt haben, nämlich das nahezu entgegengesetzte Schicksal der zwingenden Nachlassteilhabe naher Angehöriger. Während dieses legitim etwa bis Ende des 14. Jahrhunderts noch in beiden Rechtsordnungen bestand und bei Vorhandensein von Kindern und einer Witwe zwei Drittel des beweglichen Nachlasses umfasste,174 erlebte das englische legitim in der Folge einen schleichenden Niedergang, der regional nicht einheitlich verlief und über dessen genaue Ursachen bislang nur spekuliert wird.175 In Schottland dagegen konnte sich das legitim behaupten, und in Form der legal rights lebt es bis heute fort.176 Folge war, dass einem schottischen Erblasser für letztwillige Zuwendungen nur der dead’s part zur Verfügung stand, also ein Drittel seiner beweglichen Habe, was für die Nachlassabwicklung wiederum zur Konsequenz hatte, dass die Erfüllung von Vermächtnissen eine geringe praktische Rolle spielte.177 Dies könnte mit erklären, warum der executor in Schottland anders als in England keine Alleinzuständigkeit erlangte. 2. Der Vorzug der freien Bestimmbarkeit Könnte man bei abstrakter Betrachtung annehmen, dass heir und executor für die Aufgabe der Nachlassabwicklung gleich gut geeignet waren, wies der executor aus Sicht sowohl des Erblassers als auch der Gläubiger und Begünstigten einen zentra170 Siehe
Stair, Institutions III, 5, 13; 8, 64. Anton, Juridical Review 67 (1955), 142 f. 172 Zu diesem Begriff oben Fn. 130. 173 Sellar, Succession Law in Scotland, 61 f.; Bartos, Succession (Scotland) Act 1964, [S14-01] f. 174 Zum bairns’ part und zum wife’s part oben B.I. (179 ff.). 175 Näher zum Ganzen Helmholz, University of Illinois LR (1984), 659 f., 665–674; ders., OHEL I, 425 f.; Holdsworth, History III, 550–556. 176 Siehe Sellar, Succession Law in Scotland, 59 f.; Reid, Intestate Succession, 374; ausführlich ders., Legal Rights, 417–449. Zum historischen Urspung Bruck, Kirchenväter und soziales Erbrecht, 201–203; Kotlyar, in: Succession Law, Practice and Society, 176–181. 177 Anton, Juridical Review 67 (1955), 146 f.; Sellar, Succession Law in Scotland, 60 f. 171
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len praktischen Vorzug auf: Er konnte vom Testator frei bestimmt werden und wurde angesichts der Bedeutung seiner Aufgabe meist auch sehr sorgfältig ausgewählt.178 Im Gegensatz dazu stand der letztwilligen Bestimmung des heir der Grundsatz „solus Deus heredem facere potest, non homo“179 entgegen, der somit einen weiteren grundlegenden Unterschied zum römischen Recht markierte. Der Nachteil dieser Einschränkung wurde dort besonders offenkundig, wo der heir für die Abwicklung des Nachlasses nicht geeignet war, z. B. aufgrund von Minderjährigkeit oder eines verschwenderischen Lebenswandels.180 Ein weiterer Umstand, der den heir zumindest auf den ersten Blick zu einem weniger attraktiven Abwickler als den executor machte, bestand in seinem wirtschaftlichen Eigeninteresse am Nachlass.181 Denn dieses bot dem heir einen Anreiz, letztwillige Anordnungen gerichtlich zu Fall zu bringen oder faktisch zu vereiteln, um so den ihm zustehenden Anteil zu vergrößern. Abgesehen davon allerdings, dass auch der executor meist ein Begünstigter des Erbfalls war,182 sollte die Vorstellung, dass er als neutraler Dritter handelte und per se zuverlässig war, durch die weitere Entwicklung gründlich erschüttert werden.183 3. Das Interesse der Kirche an einem starken executor Entscheidend für die beschriebene Entwicklung dürfte aber letztlich ein anderer Umstand gewesen sein, nämlich das starke Eigeninteresse der ecclesiastical courts an einer Ausweitung der Befugnisse des executor.184 Dieses Eigeninteresse der Kirche war zunächst jurisdiktioneller Art: Kam ihren Gerichten ursprünglich nur die Zuständigkeit für Testamentsangelegenheiten zu,185 öffnete die Kompetenzerweiterung des ihrer Aufsicht unterliegenden executor den kirchlichen Gerichten die Tür zur gesamten Abwicklung des beweglichen Nachlasses. Insbesondere konnte, obwohl es sich eigentlich um dem Erbrecht vorgelagerte Fragen handelte, nun auch das Bestehen von Forderungen und Verbindlichkeiten des Erblassers vor dem geistlichen Forum verhandelt werden. Eine Nachlassabwicklung durch den heir hätte den kirchlichen Gerichten niemals ein vergleichbares Maß an Einfluss verschaffen können. Denn nicht nur leitete der heir seine Stellung anstelle des Testaments un178
Sheehan, The Will in Medieval England, 184; Musson, in: Planning for Death, 150. Glanville, Tractatus, VII, 1. Dieser Satz kennzeichnete viele mittelalterliche Rechte (Coing, Europäisches Privatrecht I, 559 f.) und wurde im französischen Recht (jedenfalls in formeller Hinsicht) sogar bis heute beibehalten („institution d’héritier n’a lieu“), dazu eingehend unten § 5 C. II.1. (325 ff.). 180 Vgl. auch Sheehan, The Will in Medieval England, 151. 181 Diesen Umstand erwähnt Plucknett, History, 738. 182 Dazu unten B.IV.5. (189 ff.). 183 Dazu unten § 4 B.II.2f) (293 ff.). 184 Dieses Eigeninteresse prägte die Rechtsentwicklung wie gesehen auch auf dem Kontinent, siehe oben § 2 C.I.2c) (152 ff.). 185 Die Sicherung der Durchsetzung von letztwilligen Zuwendungen zu karitativen Zwecken bildete nach kanonischem Recht den Ausgangspunkt der kirchengerichtlichen Zuständigkeit für Testamentsangelegenheiten, siehe Helmholz, OHEL I, 396, 417. 179
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mittelbar vom Recht oder strenggenommen sogar von Gott ab; auch war diese Stellung eng mit der Nachfolge in die unbewegliche Habe verbunden, für die die ausschließliche Zuständigkeit bei den weltlichen Gerichten lag.186 Dass diese die kirchlichen Gerichte bei der Ausweitung ihrer Kompetenzen überhaupt so lange gewähren ließen, ist mit Sheehan187 vermutlich auch nur dadurch zu erklären, dass ab dem 13. Jahrhundert über Grundeigentum nicht mehr testamentarisch verfügt werden konnte.188 Denn damit waren die Fronten zwischen weltlicher und kirchlicher Gerichtsbarkeit klar abgesteckt. Der Ausbau der Stellung des executor zum personal representative des Verstorbenen brachte der Kirche aber nicht nur einen allgemeinen Machtzuwachs und eine willkommene Möglichkeit, Gebühren zu generieren, sondern lag auch noch aus weiteren Gründen in ihrem Interesse. So begünstigten die erblasserischen Verfügungen über den Freiteil, deren Erfüllung die Kirche sicherstellte, ja in erster Linie sie selbst.189 Darüber hinaus konnte sie Einfluss auf die Ausübung des oft sehr weitreichenden Ermessens nehmen, das Erblasser dem executor bei der Mittelverwendung einräumten.190 Schließlich ist zu beachten, dass die ecclesiastical courts über ein sehr wirkungsvolles Mittel zur Unterstützung des executor bei seiner Tätigkeit verfügten, indem sie z. B. zahlungs- oder herausgabeunwilligen Schuldnern des Erblassers wegen Vereitelung von dessen letztem Willen mit Exkommunikation drohen konnten.191 Sheehans Charakterisierung des executor als „creature and darling“ der Kirchengerichte bringt die skizzierte Entwicklung auf den Punkt.192 4. Die Öffnung des weltlichen Forums für den executor In jurisdiktioneller Hinsicht wurde gegen Ende des 13. Jahrhunderts ein weiterer wichtiger Entwicklungsschritt dadurch markiert, dass auch die weltlichen Gerichte dem executor „die Türen aufrissen“,193 ihm also ermöglichten, Erblasserforderungen einzuklagen und für Erblasserschulden verklagt zu werden. Der Grund für diesen Schritt lag vermutlich in dem Bestreben der weltlichen Gerichte, die inzwischen als ungebührlich weit empfundene Jurisdiktion der kirchlichen Gerichte dadurch zurückzudrängen, dass man dem executor im eigenen Forum dieselben 186
Siehe dazu schon oben § 2 Fn. 236. Sheehan, The Will in Medieval England, 137 f. 188 Dazu m. w. N. Häcker, Testamentsformen in England, 110 f. 189 Sheehan, The Will in Medieval England, 261; Helmholz, Religion and Succession, 113. 190 Siehe oben Fn. 150. 191 Sheehan, The Will in Medieval England, 222, der auch das Beispiel der „false creditors“ nennt, die unbegründete Klagen gegen den executor erhoben. Siehe auch Caillemer, Executor, 761; Goffin, Executor, 73, Helmholz, OHEL I, 393. 192 Sheehan, The Will in Medieval England, 230. Grundlegend verkannt wird der genannte Zusammenhang dort, wo die Ursprünge der englischen Nachlassabwicklung stattdessen im Feudalrecht gesucht werden, siehe die Kritik von Lawson, ICLQ 11 (1962), 905 f., an Petitjean, Fondements et mécanisme. 193 Siehe Pollock/Maitland, History II, 348: „Still in the early years of Edward I. the king’s justices had taken the great step; they had thrown open the door of their court to the executor.“ 187
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Kompetenzen gewährte.194 Gegen die seitens des Klerus vorgebrachte Beschwerde brachten die Berater des Königs allerdings auch ein prozessuales Argument vor, das in verwandter Form bereits im Zusammenhang der Vererblichkeit von Verbindlichkeit genannt wurde:195 Der executor sollte nicht besser stehen als der Erblasser zu Lebzeiten, was den versteckten Vorwurf enthielt, dass die kirchlichen Gerichte an den Nachweis einer Forderung vor dem kirchlichen Forum zu geringe Anforderungen stellten.196 In der Praxis hatte die Eröffnung des weltlichen Forums für den executor allerdings lange Zeit gar keine entsprechende Einschränkung der kirchengerichtlichen Jurisdiktion zur Folge,197 so dass de facto alternative Gerichtsstände zur Verfügung standen. Bemerkenswert und für das vorliegende Thema besonders bedeutsam war der Umstand, dass die weltlichen Gerichte zwar die Zuständigkeit der kirchlichen Gerichte zurückzudrängen suchten, deren Fortentwicklung des materiellen Rechts jedoch nicht rückgängig machten. Die Rolle des executor als Abwickler des Nachlasses wurde also bewahrt und weiter gestärkt. 5. Die Gleichsetzung des executor mit dem römischen heres Um die Rechtstellung des executor näher zu definieren, nahmen die kanonischen Juristen Englands umfangreiche Anleihen beim römischen Recht,198 und gegen Ende des Mittelalters war es zur Selbstverständlichkeit geworden, den executor als englische Version des römischen heres zu betrachten.199 Sogar die Regel „heredis institutio caput et fundamentum totius testamenti est“200 wurde auf den executor gemünzt,201 obwohl dessen Einsetzung eindeutig keine Voraussetzung für die Wirksamkeit eines Testaments war.202 Des Weiteren äußerte sich die Gleichsetzung mit dem heres darin, dass dem executor eine Residualbegünstigung zugestanden wurde, d. h. er durfte einen nach Zahlung aller Verbindlichkeiten und Erfül194 Goffin, Executor, 45–47. Zur „jealousy“ der weltlichen Richter auch Pollock/Maitland, History II, 346. 195 Siehe oben § 2 B.II.4 (133 ff.). 196 Goffin, Executor, 45 f.; Caillemer, Executor, 760 f.; Pollock/Maitland, History II, 346 f. 197 Entgegen der lange Zeit herrschenden Auffassung, siehe oben Fn. 107. 198 Die große Bedeutung dieses Schrittes wird von Helmholz, OHEL I, 395, betont; siehe auch Zimmermann, Heres fiduciarius?, 303; Whittaker, The Journal of Legal History 4 (1983), 23; Holdsworth, History III, 563. Zur parallelen Entwicklung in Schottland siehe Sellar, Succession Law in Scotland, 58 f., 61. 199 Einflussreiche Werke, in denen sich die genannte Gleichsetzung fand, waren William Lyndwood, Provinciale (erste Ausgabe ca. 1440), 172 („Executores universales, qui loco haeredis sunt“; zitiert nach Holdsworth, History III, 563) und St. Germain, Doctor and Student (erste Ausgabe 1528–1531), Part I, Chapter 19 („the heir which in the Laws of England is called an executor“). Im Kontext des schottischen Rechts bezeichnete Stair die executors als „heirs in the moveables“ (In stitutions III, 5, 13; 8, 30). 200 Dazu oben A.III. (170 ff.). 201 Holdsworth, History III, 537; Häcker, Testamentsformen in England, 105; dies., in: Testamentsvollstreckung in Europa, 193, 197 f. 202 Sheehan, The Will in Medieval England, 183 f.; Häcker, Testamentsformen in England, 107 (Fn. 13).
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lung aller Vermächtnisse verbleibenden Restnachlass für sich behalten 203 und brauchte ihn somit nicht an die nach Intestaterbrecht begünstigten Personen auszukehren 204 (die mittels der lex Falcidia gewährte Mindestbeteiligung des heres fand ihren Weg nach England hingegen nicht 205). Dies ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass der executor nicht per se eine Vergütung erhielt, die Nachlassabwicklung also grundsätzlich „Ehrenamt“ war.206 Ebenso ist freilich zu beachten, dass Erblasser dem executor als Lohn für seine Tätigkeit oftmals ein Vermächtnis zuwiesen 207 oder die Aufgabe dem Ehepartner oder einem Kind anvertrauten 208 – und damit jemandem, der ohnehin am Nachlass partizipierte. Eine andere Parallele zwischen heres und executor war dagegen wohl nur zufälliger Natur: Genau wie der römische Hauserbe209 trat auch der executor im Moment des Todes des Erblassers und ohne weiteres Zutun, insbesondere auch ohne einen Publizitätsakt, in den Nachlass ein (wenn auch bis 1897 nur in den beweglichen).210 Der Grund für diesen unmittelbaren Erwerb muss allerdings ein anderer als beim (römischen) heres suus und (englischen) heir gewesen sein,211 konnte doch jedenfalls bei einem familienfremden executor keine Rede von einer latenten Mitberechtigung am Erblasservermögen sein. Oliver Wendell Holmes vermutete in dem unmittelbaren Erwerb des executor eine Nachwirkung der ursprünglichen lebzeitigen Übertragung auf den Mittelsmann.212 In jedem Fall war der Nachlassübergang auf den executor nicht endgültig, denn im Unterschied zum Hauserben des altrömischen Rechts hatte der executor die Möglichkeit, die ihm per Testament zugewiesene Abwicklerrolle zurückzuwei203 Siber, Geschichtliches und Rechtsvergleichendes, 1011 (Annäherung an die Stellung eines „Universalerben“); Holdsworth, History III, 583 f.; Zimmermann, Heres fiduciarius?, 303. Siehe auch die Präambel des „Executors Act“ von 1830, der diese Rechtslage änderte und die Residualbegünstigung des executor auf Fälle beschränkte, in denen ein entsprechender Wille des Testators vorlag oder es keinerlei nach Intestaterbrecht berufene Personen gab. Anderenfalls hatte er den Überschuss als trustee für diese Personen zu verwalten. Dazu auch L. Smith, Edinburgh LR 17 (2013), 299. Zuvor hatte schon der Court of Chancery die Residualbegünstigung des executor an den Erblasserwillen geknüpft, siehe Holdsworth, History V, 317; Blackstone, Commentaries II, 514 f. 204 Zum Vorschein kam in der Residualbegünstigung des executor auch der schleichende Abbau einer zwingenden Nachlassteilhabe naher Familienangehöriger, dazu schon oben Fn. 175. 205 Whittaker, The Journal of Legal History 4 (1983), 27; Helmholz, OHEL I, 430, dem zufolge die kanonischen Juristen den Begriff der quarta Falcidia zwar verwendeten, ihn aber untechnisch im Sinne einer Beschränkung der Testierfreiheit verstanden und darunter u. a. das legitim, also den Pflichtteil naher Angehöriger fassten. 206 Häcker, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 202. 207 Holdsworth, History III, 547; Sheehan, The Will in Medieval England, 195. Siehe auch Häcker, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 202. Nach Goffin, Executor, 77, verboten die kirchlichen Konstitutionen dem executor zwar häufig, einen Profit zu machen, aber damit dürfte gemeint gewesen sein, dass dem executor nicht per se eine Entlohnung zustand. 208 Sheehan, The Will in Medieval England, 185. 209 Zum Ipso-iure-Erwerb des römischen Hauserben oben § 2 A.III. (125 ff.). 210 Siehe etwa Blackstone, Commentaries II, 507; Caillemer, Executor, 755; Holdsworth, History III, 566, 583. 211 Zum Ipso-iure-Erwerb des englischen heir unten § 4 B.I. (284 f.). 212 Holmes, LQR 1 (1885), 167. Zu den Vorformen des modernen Testaments oben § 2 (149 ff.).
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sen,213 was in der Praxis auch keineswegs selten war.214 Erst sobald der executor seine Tätigkeit aufgenommen hatte, durfte er sein Amt nicht mehr eigenmächtig niederlegen.215 Gegen seinen Willen konnte er es allerdings noch verlieren, nämlich durch Abberufung wegen Fehlverhaltens.216 Die Rücksichtnahme auf die Selbstbestimmung des executor überrascht nicht, konnte von einem Zwangsabwickler doch kaum eine schnelle und zuverlässige Ausführung seiner Aufgabe erwartet werden. Wie später noch zu zeigen sein wird, war die Rolle des executor zudem mit erheblichen Risiken verbunden, deren verpflichtende Auferlegung einem Sonderopfer gleichgekommen wäre und daher allenfalls einem nahen Familienangehörigen hätte zugemutet werden können.217 Auffällig ist, dass im englischen Recht, anders als in Rom,218 offenbar nie ein Bedürfnis dafür entstand, das Optionsrecht des personal representative einer ausgefeilten Fristenregelung zu unterwerfen; zumindest erwähnen die verfügbaren Quellen die Thematik nicht. In der Praxis war es durchaus üblich, dass die zum executor ernannte Person vor der Übernahme der Aufgabe den Nachlass zunächst inspizierte, was angesichts der bestehenden Haftungsrisiken auch ratsam war. Doch gestattete vermutlich der Umstand, dass die kirchlichen Stellen sich des Nachlasses einer verstorbenen Person ohnehin annahmen und somit anders als der römische Prätor nicht erst eingeschaltet werden mussten, eine Lösung der Fristenproblematik auf informellem Wege.219 6. Der lange Weg zur Einbeziehung der realty in die Haftungsmasse Über einen zentralen Unterschied darf die grundsätzliche Gleichstellung von heres und executor nicht hinwegtäuschen: Der executor folgte gerade nicht in das gesamte Vermögen des Verstorbenen nach, sondern nur in die personalty (insoweit aber umfassend, d. h. auch hinsichtlich vermachter Einzelgegenstände220). Die Verdrän213
Zu einem Beispiel aus der Praxis siehe Pollock/Maitland, History II, 343. Dazu unten § 4 B.II.2f) (293 ff.). Nach Sheehan, The Will in Medieval England, 212, trafen Testatoren häufig dadurch Vorsorge, dass sie mehrere Personen zum executor ernannten. Zudem ist mit Sheehan, ebd., 182 f. anzunehmen, dass ein Testator typischerweise das Einverständnis der Person einholte, die er zum executor ernennen wollte. Plausibel ist ferner die Vermutung, dass die aus rechtlicher Sicht nicht notwendige, aber in der Praxis dennoch häufig vorgenommene Besiegelung der letztwilligen Verfügung durch den executor dem Zweck diente, diesen moralisch zur Übernahme des Amtes zu verpflichten. 215 Goffin, Executor, 108; Sheehan, The Will in Medieval England, 212; Helmholz, OHEL I, 411 f. 216 Dazu unten § 4 B.II.2d) (290). 217 Wie unten im Kontext des administrator zu zeigen ist (B.V. (195 ff.)), wurden aber auch nahe Angehörige des Verstorbenen nicht zur Nachlassabwicklung gezwungen. 218 Siehe dazu unten § 4 A.III.3. (253 f.). 219 Auf die informellen Kontakte zwischen dem personal representative und den kirchlichen Gerichten weist generell Arkell, The Probate Process, 11, hin. 220 Das englische Recht kannte also kein dinglich wirkendes Vermächtnis, stattdessen war der legatee stets auf einen Übertragungsakt durch den personal representative angewiesen: Holdsworth, History III, 583 (zur Bestätigung dieser Regel durch den Court of Chancery ders., Histo214
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gung des heir aus der Zuständigkeit für die Verbindlichkeiten hatte mithin einen erheblichen Preis dergestalt, dass das unbewegliche Vermögen nicht mehr zur Schuldentilgung zur Verfügung stand.221 Es mussten einige Jahrhunderte vergehen, bis der „Land Transfer Act“ von 1897222 auch die realty auf den personal representative übergehen ließ und diesen damit zum representative hinsichtlich des gesamten Vermögens machte.223 In Schottland fand diese Zusammenführung sogar erst 1964 statt.224 Allerdings war dadurch, dass der schottische heir ebenfalls für Erblasserverbindlichkeiten einstehen musste, der durch Gläubigerinteressen ausgeübte Druck auf die historische Scheidung von beweglichem und unbeweglichem Nachlass auch deutlich niedriger gewesen als in England. 225
Dies wirft die Frage auf, warum diese zumindest aus heutiger Perspektive für die Gläubiger des Erblassers so nachteilige Rechtslage so lange toleriert wurde, umso mehr, als im Hinblick auf die bewegliche Habe eine Konzentration der Zuständigkeit so nachdrücklich verfolgt worden war. Die Beschränkung der Schuldenhaftung auf die Fahrnis ist oftmals als generelles Charakteristikum der germanischen Erbrechtstradition bezeichnet worden, 226 wobei allerdings schon früh die Frage aufkam, inwieweit der in diesem Kontext meist als „Kronzeugin“ angeführten Regelung des Sachsenspiegels227 wirklich repräsentativer Charakter zukommt. 228 Und selbst bei Annahme einer normativen Parallele bliebe zu beachten, dass die ry V, 316 f.). Siehe auch Blackstone, Commentaries II, 512, der in etwas unbeholfener Weise von einer „inchoate property“ des Vermächtnisnehmers spricht. 221 Holdsworth, History III, 575 f. Eine Vertauschung von Ursache und Wirkung liegt hingegen vor, wenn Rheinstein/Glendon, Decedents’ Estates, 17, meinen, dass der direkte Übergang von real property auf den heir oder devisee in der fehlenden Einbeziehung in die Haftungsmasse begründet lag. Diese erklärt allenfalls, warum die gesonderte Vererbung so lange beibehalten wurde. 222 Unter kontinentalen Autoren findet sich manchmal die Ansicht, erst der „Administration of Estates Act“ von 1925 habe die genannte Reform herbeigeführt (siehe etwa Gomes da Silva, Herança, 44; HWBEuP/Kroppenberg, Universalsukzession, 1561). Doch beruht dies auf einer Verwechslung mit der Abschaffung der Primogenitur auf der Ebene der Begünstigung (dazu unten C.II.4i)(1) (232 ff.)). 223 Dass der personal representative dennoch bis heute denselben Namen trägt, obwohl er längst auch real representative ist, wird von Kerridge, Intestate Succession, 327, als „one of the many oddities of English law“ bezeichnet. Siehe auch Margrave-Jones, Mellows: Law of Succes sion, [23.2]. Irreführend Heymann, Überblick, 341 f., der den Eindruck erweckt, als habe der personal representative mit dem „Land Transfer Act“ von 1897 nur die Verfügungsbefugnis über das Grundeigentum erlangt, während der heir bzw. devisee weiterhin Rechtsinhaber geworden sei. Sec. 1 Land Transfer Act 1897 regelte aber unmissverständlich, dass die „real estate“ des Verstorbenen „shall […] devolve to and become vested in his personal representatives“. Musste der personal representative allerdings erst noch gerichtlich ernannt werden, ging das unbewegliche Vermögen zwischenzeitlich auf den heir über, siehe Williams, Mortimer & Sunnucks [35-06]. 224 Siehe oben B.IV.1. (185 ff.). 225 Siehe bereits oben B.IV.1. (185 ff.). 226 Siehe etwa Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 16; Rheinstein, Iowa LR 20 (1935), 437; Mitteis/Lieberich, Deutsches Privatrecht, 173; Kipp/Coing, Erbrecht, 520. 227 Sachsenspiegel I 6, § 2. 228 Siehe Stobbe, Eintreten des Erben, 294; Ebel, ZRG (RA) 84 (1967), 246 f.
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Ausnahme des Grundeigentums von der Nachlassabwicklung in England die gesehenen, sehr spezifischen Gründe hatte, wohingegen sie auf dem Kontinent mit der familienrechtlichen Gebundenheit des unbeweglichen Vermögens erklärt wird. 229
Ein erster Grund, warum der Ausschluss der realty aus der Nachlassabwicklung so lange anhielt, liegt vermutlich darin, dass freehold land ab dem späten Mittelalter ohnehin privilegiert war, indem es auch schon zu Lebzeiten des Erblassers nicht mehr für gewöhnliche Forderungen haftete.230 Sodann trugen Erblasser in der Praxis offenbar häufig selbst Sorge dafür, dass die realty dem Zugriff der Gläubiger unterlag, indem sie entweder den heir bei Eingehung der Schuld mittels einer specialty mitverpflichteten 231 oder das unbewegliche Vermögen testamentarisch dem executor übertrugen;232 Letzteres war möglich seit dem „Wills Act“ von 1540.233 Allerdings wurde die freie Verfügbarkeit über die realty gerade auch zum Missbrauch eingesetzt, indem Testatoren sich zu Lebzeiten Geld im Austausch gegen eine gesiegelte Mitverpflichtung ihres heir liehen, dann aber im Testament das Land einer anderen Person zuwandten und den Gläubigern somit die Haftungsmasse entzogen. Denn der devisee als letztwillig bestimmter Empfänger des Grundstücks haftete den Gläubigern nicht. Ende des 17. Jahrhunderts führte diese Praxis zur Verabschiedung des „Statute of Fraudulent Devises“.234 Im Laufe des 19. Jahrhunderts ergingen schließlich weitere Regelungen, die den Nachlassgläubigern Zugriff auf die realty ermöglichen sollten. Auch danach blieb ihre Stellung aber insofern noch unbefriedigend, als sie ihre Ansprüche u. U. gegen verschiedene Personen in verschiedenen Verfahrensarten durchsetzen mussten.235 Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum ein zeitgenössischer Autor die
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Siehe etwa Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 16; Rheinstein, Iowa LR 20 (1935), 437. Pollock/Maitland, History 336; Tyssen, The Real Representative Law, 2. Die haftungsrechtliche Privilegierung von unbeweglichem Vermögen ist auch der Grund, warum es in vielen bundesstaatlichen Rechten der USA bis in die heutige Zeit hinein von der formalen Nachlassabwicklung ausgenommen oder bei der Haftung zumindest privilegiert ist, siehe Rheinstein/Glendon, Decedents’ Estates, 18 f., 501; Scoles, Missouri LR 48 (1983), 373. 231 Siehe oben § 2 B.II.2 (131); Tyssen, The Real Representative Law, 2. 232 Tyssen, The Real Representative Law, 2 f. Funktional vergleichbar damit war die Praxis, dem executor bereits zu Lebzeiten treuhänderisches Eigentum (feoffment to uses) zu verschaffen, verbunden mit Anordnungen für den Todesfall, siehe Helmholz, OHEL I, 421 f.; Häcker, Testamentsformen in England, 114 f. Noch älter war die Praxis, dem executor Erträge aus dem unbeweglichen Nachlass zukommen zu lassen, um diese für Schulden und Vermächtnisse zu verwenden. Siehe Sheehan, The Will in Medieval England, 285 f., 288; ferner Holdsworth, History III, 576. Eine solche Gestaltung unterlief natürlich das Verbot, letztwillig über die realty zu verfügen, und warf auch Jurisdiktionskonflikte auf; dazu Helmholz, OHEL I, 423. 233 Dazu Kerridge, Testamentary Formalities, 309. In Schottland wurde eine letztwillige Verfügung über die heritable property, also das Grundeigentum, sogar erst 1868 zugelassen, siehe Reid, Intestate Succession in Scotland, 378. Genau wie in England hatte die Praxis freilich schon lange vorher Umgehungsmechanismen entwickelt, siehe ebd., Fn. 85; Reid, Testamentary Formalities in Scotland, 406–409; Sellar, Succession Law in Scotland, 51 f. 234 Tyssen, The Real Representative Law, 3. 235 Tyssen, The Real Representative Law, 3 f. 230
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Reform von 1897 als „an amendment which has long been called for, and will be universally welcomed“ bezeichete.236 7. Mehrzahl von executors Darstellungen zum englischen Erbrecht erwecken – genauso wie die vorliegende bis zu diesem Punkt – häufig den Eindruck, dass stets nur eine Person zum executor ernannt wurde. Doch weder gab es eine solche Beschränkung in rechtlicher Hinsicht, noch entsprach sie der Praxis. Stattdessen betraute ein Testator in aller Regel mehrere Personen mit der Nachlassabwicklung.237 Auf diesem Wege konnte er Vorsorge treffen für den Fall, dass einer der Vollstrecker vor Antritt oder Beendigung seiner Aufgabe verstarb238 oder seine Ernennung nach Eröffnung des Erbfalls zurückwies.239 Manchmal wurde auch ein executor mit speziellen Zuständigkeiten ernannt, etwa für den in einem bestimmten Landesteil belegenen Nachlass oder die Erfüllung bestimmter Vermächtnisse.240 Soweit im Testament nicht anders angeordnet, konnte jeder executor mit Wirkung für die anderen handeln 241 (worin bis heute ein wichtiger Unterschied zur Lage bei einer Mehrheit von trustees besteht 242). In ein Gerichtsverfahren mussten allerdings alle executors einbezogen werden, unabhängig davon, ob sie als Käger oder als Beklagte auftraten.243 Die Erfüllungs- und Haftungszuständigkeit blieb also in jedem Fall gebündelt, so dass Gläubigern und Vermächtnisnehmern aus einer Mehrheit von executors keine Nachteile erwuchsen.
236 Tyssen, The Real Representative Law, 1. Von einer großen Erleichterung für die Schuldenzahlung spricht auch Plucknett, History, 724. So bedeutsam die genannte Änderung auch für das Erbrecht war, so „karg“ (meagre) war sie dennoch im Verhältnis zu dem Aufwand, der für eine Reform des Liegenschaftsrechts betrieben worden war, und so sehr blieb sie hinter den ursprünglichen Zielen, zu denen u. a. die vollständige Abschaffung der Primogenitur gezählt hatte, zurück: Anderson, OHEL XII, 218, 213–218, der auch Horaz’ Ausspruch vom kreißenden Berg zitiert. 237 Holdsworth, History III, 565 f.; Sheehan, The Will in Medieval England, 184. Beide Autoren weisen auch auf die Praxis hin, bestimmte distinguierte Personen zum Ratgeber des Vollstreckers zu ernennen. 238 In diesem Fall wuchs die Stellung des verstorbenen executor den übrigen an, Holdsworth, History III, 566. Manchmal wurde im Testament auch eine Ersatzernennung angeordnet, siehe Sheehan, The Will in Medieval England, 184. 239 Zum Optionsrecht des executor oben B.IV.5. (189 ff.). 240 Holdsworth, History III, 565; Sheehan, The Will in Medieval England, 184. 241 Holdsworth, History III, 585, 592 f.; wohl missverständlich Sheehan, The Will in Medieval England, 184, der den Eindruck erweckt, dass die Gesamtvertretung die Regel gewesen sei. Der Court of Chancery schränkte das Alleinvertretungsrecht freilich punktuell ein, siehe Holdsworth, History V, 317. 242 Diese müssen grundsätzlich gemeinschaftlich handeln, siehe Fratcher, New York University LR 40 (1965), 62. 243 Holdsworth, History III, 585.
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V. Die Nachbildung der Stellung des administrator Die Rechtsstellung des executor strahlte schließlich auch auf die Regelung derjenigen Fälle aus, in denen eine Person ohne Testament oder jedenfalls ohne Ernennung eines executor verstorben war. Zwar war früh klar, dass die Abwicklung des beweglichen Nachlasses auch in diesem Fall der Kirche oblag, deren zuständiger Amtsträger (ordinary) die Güter in Besitz nahm und verwaltete und zu diesem Zweck auch als ihr Rechtsträger angesehen wurde.244 Doch mangelte es dem ordinary genau wie den von ihm mit der Abwicklung des Nachlasses beauftragten Personen zunächst an einer aktiven und passiven Klagebefugnis, was in der Praxis offenbar häufig zu einer Verteilung der Vermögenswerte ohne vorherige Schuldentilgung führte.245 Eine Behebung dieses Missstands erfolgte in zwei gesetzgeberischen Schritten: Ein Statut aus dem Jahr 1285 ordnete zunächst an, dass der ordinary genauso wie ein executor haftete, und Gleiches galt fortan auch für die von ihm mit der Nach lassabwicklung beauftragten Personen.246 Ein Gesetz aus dem Jahr 1357 schließlich verpflichtete den kirchlichen Amtsträger, die Nachlassabwicklung – und damit auch die Verteilung des Überschusses247 – vollständig aus den Händen zu geben und sie einem oder mehreren der „next and most lawful friends“ zu übertragen.248 Der so ernannte administrator 249 stand fortan dem executor vollständig gleich, also auch hinsichtlich der aktiven Klagebefugnis, 250 und war somit ebenfalls personal representative. Mittels Vorlage der Ernennungsentscheidung, den letters of administration, konnte er sich im Rechtsverkehr legitimieren.251 Die praktische Bedeutung der skizzierten Entwicklung ist nicht zu unterschätzen, denn nach neueren Erkenntnissen war in den ersten Jahrhunderten der normannischen Herrschaft der „horror of intestacy“ – und damit die testamentarische Ernennung eines executor – keineswegs so verbreitet, wie Pollock und Maitland es noch eindringlich beschrieben hatten.252 Zugleich verdeutlichte die Verteilung des 244
Blackstone, Commentaries II, 495; Holdsworth, History III, 568. Blackstone, Commentaries II, 495. 246 Siehe McGovern, Iowa LR 54 (1968), 40 f., dem zufolge das Gesetz von 1285 die Rechtslage änderte und nicht lediglich bestätigte; Holdsworth, History III, 568. 247 Nach Blackstone, Commentaries II, 495 war es hierbei zu „flagrant abuses“ gekommen. 248 Siehe Plucknett, History, 729. 249 Der Begriff wurde durch das Gesetz von 1357 als Fachterminus eingeführt; in den kanonischen Quellen wurde stattdessen der Begriff „executor dative“ verwendet, siehe Pollock/Maitland, History II, 361 (Fn. 2). Im schottischen Recht hat sich dieser Begriff bis heute erhalten, siehe etwa Gretton/Steven, Property, Trusts and Succession, [26.45] („executor-dative“, vom sheriff zu ernennen); zu den historischen Ursprüngen Anton, Juridical Review 67 (1955), 136. 250 Holdsworth, History III, 569; McGovern, Iowa LR 54 (1968), 41; Baker, Introduction, 411 f. 251 Im Unterschied zu dem dem executor gewährten grant of probate waren die letters of administration nicht lediglich deklaratorischer Natur, sondern für den Rechtserwerb des administrator konstitutiv, siehe Blackstone, Commentaries II, 507. Für das heutige Recht gilt dies noch genauso, siehe oben § 1 E.I.1b) (32 ff.). 252 Pollock/Maitland, History II, 356–360. Siehe auch Plucknett, History, 727: „[I]ntestacy became a very grave sin, and there were some to say that it was also a crime“. Skeptisch zu dieser 245 Siehe
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beweglichen Nachlasses bei Fehlen eines Testaments einmal mehr die Bedeutung der Religion. Denn entgegen dem, was man aus heutiger Sicht spontan vermuten würde, stand der nach Tilgung der Nachlassverbindlichkeiten verbleibende Rest keineswegs vollständig den Familienangehörigen zu. Stattdessen wurde die Dreiteilung der beweglichen Habe253 auch hier beachtet, so dass der administrator den dead’s part nach eigenem Ermessen zu frommen Zwecken verteilte.254 Was die zur Übernahme der administration befugten Personen angeht, setzte ein 1529 unter Heinrich VIII. erlassenes Statut die Witwe, den nächsten Verwandten („next-of-kin“) oder ggf. beide zusammen an die Stelle der „next and most lawful friends“.255 Dies markierte die allmähliche Herausbildung des auch heute noch maßgeblichen Grundsatzes, 256 „that the grant ought to follow the interest“, d. h. dass sich die Reihenfolge zur Vergabe der administration an die Begünstigung nach Intesterbrecht anlehnt.257 Waren nahe Familienangehörige des Erblassers nicht vorhanden oder zur Übernahme des Amtes nicht bereit,258 wurde in der Praxis oftmals ein größerer Gläubiger des Verstorbenen oder ein gut beleumundeter Nachbar zum administrator eingesetzt.259
Sichtweise Helmholz, OHEL I, 405 f., der an anderer Stelle auf die verbreitete Furcht vor der Testamentserrichtung hinweist: „It was commonly believed among ‚the ruder and more ignorant‘ people that making a will hastened one’s death“ (397 f.; der zitierte Einschub stammt von Swinburne, Treatise, part I § 12/5). Nach Sheehan, The Will in Medieval England, 195, wurden deshalb Testamente typischerweise erst kurz vor dem Tod errichtet, so dass man vermuten kann, dass längst nicht alle Erblasser hierfür noch die Zeit fanden. Siehe auch Outhwaite, Rise and Fall, 36 f., der jedenalls für das 16. und 17. Jahrhundert davon ausgeht, dass die deutliche Mehrheit der Personen intestat starb, und auch weitere Ursachen hierfür diskutiert. Zu verfügbaren empirischen Daten zur Häufigkeit der Testamentserrichtung Cox/Cox, Wills as an Historical Source, 38–47. 253 Dazu oben B.I. (179 ff.). 254 Holdsworth, History III, 556. 255 Siehe Plucknett, History, 729. Outhwaite, Rise and Fall, 34, berichtet, dass die Einsetzung eines administrator manchmal gerichtlich mit dem Argument angefochten wurde, dass die betreffende Person nicht zu den „next-of-kin“ des Verstorbenen zähle. In rechtlicher Hinsicht waren von diesem Begriff nicht umfasst die Witwe, die Mutter sowie die mütterlichen Verwandten des Verstorbenen, siehe Scottish Law Commission, Report on Succession (1990), [8.34]. 256 Dazu schon oben § 1 E.I.1a) (27 ff.). 257 Williams/Williams, Executors and Administrators, 329 f. Siehe auch ebd., 319 f. zur offenbar unabhängig davon entwickelten Regel, dass im Falle einer verstorbenen Ehefrau dem Ehemann der erste Zugriff auf das Amt des administrator zukam. Giger, Schicksal des Rechts II, 174, meint, dass die Regeln über die Auswahl des administrator auf dem mutmaßlichem Willen des Erblassers gründeten. 258 Vgl. Blackstone, Commentaries II, 505 („If none of the kindred will take out administration […]“). Die heutige Rechtslage, dass den Kandidaten das Amt des administrator nicht aufgezwungen, sondern nur angetragen wird (Kerridge, Succession, [17-39] f., [17-50]), galt vermutlich von Beginn an, wobei auch anzunehmen ist, dass ein Angehöriger des Verstorbenen sich dem Auftrag des ordinary nicht leichthin entzog. 259 Blackstone, Commentaries II, 505; Arkell, The Probate Process, 9.
C. Römisches und englisches Recht im Vergleich
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C. Römisches und englisches Recht im Vergleich I. Die funktionale Äquivalenz von heres und personal representative Ungeachtet zahlreicher Unterschiede, die an späterer Stelle noch eingehend zu würdigen sind, weist die Entwicklung des römischen und des englischen Rechts eine zentrale Gemeinsamkeit auf: Um einerseits Gläubiger gegen den Tod ihres Schuldners zu versichern und andererseits die geordnete Erfüllung der erblasserischen Einzelzuwendungen zu ermöglichen, vor allem derjenigen, die zwingend einer Umsetzungshandlung bedurften, war es beiden Rechtsordnungen ein fundamentales Anliegen, eine Abwicklungszuständigkeit zu schaffen, in deren Hand Nachlassaktiva und -passiva möglichst umfassend gebündelt wurden. Unterschiedlich war nur der jeweilige Weg dorthin: Während die gebündelte Abwicklungszuständigkeit im römischen Recht aufgrund des geschlossenen Übergangs des Hausvermögens auf den oder die Hauserben schon fertig vorgefunden und durch Zulassung der letztwilligen Erbeinsetzung noch gestärkt wurde, mangelte es dem englischen Recht aufgrund der getrennten Vererbung von realty und personalty an einem offenkundigen „Kandidaten“ für die Rolle des Abwicklers. Dass entgegen der anfänglichen Tendenz nicht der heir, sondern die im kanonischen Recht wurzelnde Figur des executor schließlich die Rolle des Abwicklers übernahm, ist durch zwei Besonderheiten des englischen Rechts zu erklären: erstens das System der Primogenitur bei der Vererbung von Grundeigentum, das lange Zeit die freie Bestimmung des heir verhinderte, und zweitens die weite Zuständigkeit der kirchlichen Gerichte, in der sich die überragende Bedeutung der Religion für die Testierpraxis manifestierte. Pollock und Maitland haben die plausible Vermutung geäußert, dass sich das englische Recht ohne diese Faktoren unter dem Einfluss des römischen Rechts letztlich genauso entwickelt hätte wie die kontinentalen Rechte.260 Umgekehrt lässt sich ebenso vermuten, dass die kontinentalen Rechte heute im Grundsatz wie das englische Recht aussähen, wenn es in ihnen nicht zu einer umfassenden Rezeption des römischen Rechts gekommen wäre. Denn die Figur des executor und die kirchengerichtliche Zuständigkeit waren, wie gesehen, keineswegs Erfindungen der mittelalterlichen englischen Juristen, sondern Ergebnis kontinentaler Einflüsse.261 Ein Unterschied bestand somit nicht in der Ausgangslage, sondern allein in der weiteren Entwicklung. Während das – vereinfacht gesagt – kanonische Modell der Nachlassabwicklung jenseits des Kanals aufblühte262 und durch das römische „Konkurrenzmodell“ lediglich verfeinert wurde,263 wurde es auf dem 260
Pollock/Maitland, History II, 344; siehe auch Sheehan, The Will in Medieval England, 151. Dazu oben § 2 C.I.2c) (152 ff.). 262 Dass das Amt des executor nirgendwo so langlebig und mächtig war wie in England, betonen etwa Sheehan, The Will in Medieval England, 152, und Helmholz, OHEL I, 391. Dementsprechend bestand auch nirgendwo auf dem Kontinent eine so weite Zuständigkeit der kirchlichen Gerichte, siehe Zimmermann, Heres fiduciarius?, 302. 263 Siehe oben B.IV.5. (189 ff.). 261
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Kontinent von diesem bald in den Schatten gestellt.264 Damit soll nicht geleugnet werden, dass beide Modelle sich in Form und Substanz zum Teil erheblich voneinander unterscheiden. Doch benötigt eine Rechtsordnung eben nur einen Abwickler, und wo die Figur des – vom Testator frei bestimmbaren – römischen heres Einzug hielt, war es nur folgerichtig, dass der kanonische executor, der nun gewissermaßen seine Schuldigkeit getan hatte, wieder zurückgedrängt wurde. Wie freilich insbesondere die französische Rechtsentwicklung zeigt, konnte der „Kampf“ zwischen heres und executor um die Vormachtstellung bei der Nachlassabwicklung auch Ausdruck widerstreitender Auffassungen über die Reichweite der Testierfreiheit sein. Denn eine Rechtsordnung, die den nahen Angehörigen des Verstorbenen den ungehinderten Zugang zum Nachlass reservieren wollte und hierzu die Möglichkeit der letztwilligen Erbenbestimmung stark einschränkte, konnte auch die letztwillige Ernennung eines executor nur in engen Grenzen tolerieren.265
Verfehlt, oder jedenfalls zu undifferenziert, ist angesichts dieser funktionalen Äquivalenz von heres und personal representative der im Schrifttum häufig festgestellte oder gar als Versäumnis bedauerte Umstand, dass das römische Recht das Institut der Testamentsvollstreckung nicht herausgebildet habe, obwohl die Figur des familiae emptor hierfür genauso einen trefflichen Anknüpfungspunkt geboten hätte wie der germanische Salmann.266 Denn nicht nur wird bei dieser Sichtweise verkannt, dass der Mittelsmann im römischen Recht gar nicht vollständig wegfiel, sondern hinsichtlich der Erfüllung der Legate lediglich eine Verschiebung vom familiae emptor zum heres stattfand. Auch bleibt unklar, welche Aufgaben ein römischer executor hätte wahrnehmen sollen, die nicht ebenso gut vom frei bestimmbaren heres erfüllt werden konnten.267 Das Bedürfnis der mittelalterlichen Erbrechte für eine Figur wie den kanonischen Testamentsvollstrecker erklärte sich ja gerade durch die fehlende Möglichkeit einer heredis institutio.268 Wie so häufig in der Rechtsvergleichung offenbart sich also die Unergiebigkeit einer rein formalen Betrachtungsweise. Denn die für sich genommen zutreffende Aussage, dass das römische Recht die Testamentsvollstreckung nicht als eigenständiges Institut entwickelt habe, führt in die Irre, wenn sie nicht durch eine funktionale Sichtweise ergänzt wird.269 Dass für englische Juristen im Gegensatz zu ihren 264 Ausführlich zu dieser regional keineswegs einheitlich verlaufenen Entwicklung Zimmermann, Heres fiduciarius?, 286–301; mit besonderer Berücksichtigung der niederländischen Rechtsentwicklung Beinart, Acta Juridica 1960, 226–230; ders., Acta Juridica 1981, 19. 265 Dazu unten § 5 C.II.2d)(2) (347 ff.). 266 Siehe oben Fn. 244. 267 Siehe etwa Bruck, GrünhutsZ 40 (1914), 566, der zunächst feststellt, dass der heres wie ein „wirklicher Testamentsvollstrecker“ handelte, im Anschluss daran aber behauptet, dass die Stellung des römischen heres „das direkte Gegenteil unserer modernen Testamentsvollstreckung“ gewesen sei. Offergeld, Rechtsstellung, 20, erwähnt das potentielle Bedürfnis, „bestimmte Angelegenheiten nach dem Tod des Erblassers von einer besonderen Vertrauensperson ausführen“ zu lassen, was auf eine Aufspaltung der Abwicklungszuständigkeit hinauslaufen würde. Doch wird der Gedanke nicht näher ausgeführt. 268 Vgl. Offergeld, Rechtsstellung, 32. 269 Kaser, Römisches Privatrecht I, 693, und Zimmermann, Heres fiduciarius?, 273, nennen
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Kollegen vom Kontinent die funktionale Äquivalenz von heres und executor bei der Abwicklung des Nachlasses immer eine Selbstverständlichkeit war,270 ist nur auf den ersten Blick überraschend. Denn sie sind es eben schon seit dem Mittelalter gewohnt, den personal representative als anglisierte Version des römischen heres zu betrachten. Kontinentale Juristen hingegen tendieren dazu, den heres (und seine historischen Nachfolger) in erster Linie als Begünstigten des Erbfalls anzusehen und darüber seine Abwicklerrolle in den Hintergrund treten zu lassen oder sogar ganz aus dem Blick zu verlieren.271 Zum Ausdruck kommt diese Sichtweise etwa dort, wo ein römischer heres, der den gesamten Nachlass (mit Ausnahme der quarta Falcidia) an Gläubiger und Vermächtnisnehmer auskehren muss, als „pseudoheir“272 und „de facto executor“ charakterisiert wird.273 Denn hierbei wird zu Unrecht suggeriert, dass ein „echter“ heres Hauptbegünstigter sei und keine Abwicklungsaufgaben wahrnehme.274 Infrage gestellt wird die funktionale Äquivalenz von heres und personal representative auch nicht durch den Umstand, dass beispielsweise das BGB die geschichtlichen „Nachkommen“ dieser Figuren nebeneinander stellt, indem es zusätzlich zum „Erben“ auch den „Testamentsvollstrecker“, den „Nachlassverwalter“ und den „Nachlassinsolvenzverwalter“ regelt (die beiden letztgenannten finden aufgrund ihrer gerichtlichen Ernennung eine Parallele im administrator). Denn wo ein Testamentsvollstrecker oder ein Nachlass(insolvenz)vewalter den Nachlass abwickelt, wird der Erbe ungeachtet seiner fortbestehenden Rechtsträgerschaft aus dieser Rolle gerade verdrängt und zu einem „König ohne Regierungsbefugnisse“ gemacht.275 Und auch in umgekehrter Richtung lässt sich die funktionale Austauschbarkeit von Erbe und Testamentsvollstrecker zeigen, indem sich nämlich über die freie Bestimmbarkeit des Erben und das flexible Vermächtnisrecht strukturell dasselbe Ergebnis wie bei der Testamentsvollstreckung erzielen lässt, also die
immerhin einige Instrumente des römischen Rechts, mit denen sich Zwecke der Testamentsvollstreckung erreichen ließen (etwa die Beauftragung), versäumen aber eben den Hinweis auf die Rolle des heres. 270 Siehe etwa Buckland/McNair/Lawson, Roman Law & Common Law, 148; Whittaker, The Journal of Legal History 4 (1983), 23, 32; Miller, Machinery of Succession, 98; Kerridge, Testamentary Formalities, 318. Aus südafrikanischer Perspektive Beinart, Acta Juridica 1960, 224 („From the very nature of his position the heir was thus the counterpart of the modern executor […]“); ders., Acta Juridica 7 (1981), 19. Aus US-amerikanischer Sicht Scalise Jr., Testamentary Formalities, 359. 271 Siehe bereits oben § 1 E.II.6a) (60 ff.). Ausrücklich betont wird die Rolle des heres als „Liquidator“ der Erbschaft hingegen von Bernhöft, Zur Reform des Erbrechts, 32, 37, 39. 272 Andere Autoren sprechen mit derselben Zielrichtung vom „künstlichen Erben“, siehe Muscheler, Testamentsvollstreckung, 25 (Fn. 30) m. w. N. 273 So Zimmermann, Heres fiduciarius?, 271. 274 Erfreulich demgegenüber die Klarheit, mit der Bernhöft, Zur Reform des Erbrechts, 37, 121, den heres als „Testamentsvollstrecker“ bezeichnet. 275 So die plastische Formulierung von Weber, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 30, für den Fall der Testamentsvollstreckung; ähnlich Muscheler, Testamentsvollstreckung, 3 („nudum ius“).
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Aufspaltung von rechtlicher Befugnis und wirtschaftlicher Begünstigung.276 Ist etwa die Person, die der Erblasser letztwillig begünstigen möchte, zu jung, um den Nachlass abzuwickeln, oder möchte der Erblasser sie aus anderen Gründen von dieser Aufgabe befreien,277 so muss er keineswegs auf das Institut der Testamentsvollstreckung zurückgreifen. Stattdessen kann er die zum Abwickler auserkorene Person auch zum Erben einsetzen und die Begünstigung per Vermächtnis gewähren.278 Sicherlich hätte diese Lösung den Nachteil, dass insbesondere die Pflichten zur Rechnungslegung und zur Abberufung wegen Fehlverhaltens weniger deutlich geregelt wären als im Fall der §§ 2218, 2227 BGB. Doch wie vor allem die §§ 1981 Abs. 2, 1978 Abs. 1 BGB zeigen, sind solche treuhänderischen Elemente mit der Erbenstellung keineswegs unvereinbar. Der Hauptgrund dafür, dass eine Lösung der genannten Art in der deutschen Praxis kaum jemals in Erwägung gezogen wird, dürfte denn auch eher rechtskultureller Natur sein und darin liegen, dass der Erbe hierzulande nicht als Abwickler des Nachlasses wahrgenommen wird, sondern als Begünstigter, der zudem in einer besonderen personalen Beziehung zum Erblasser steht.279 Die funktionale Austauschbarkeit der Rechtsinstitute findet eine Bestätigung in der unter dem Code civil entwickelten Praxis, in Ermangelung eines „starken“ Testamentsvollstreckers dem Universallegatar eine entsprechende Rolle testamentarisch „auf den Leib zu schreiben“. 280
Zu verneinen ist die funktionale Äquivalenz von heres und executor lediglich dort, wo sie komplementäre Aufgaben wahrnehmen. Dies war in der Frühphase des englischen Recht der Fall, als der executor, ähnlich wie vorher der angelsächsische mund, die erblasserischen Anordnungen noch nicht selbst auszuführen, sondern ihre Ausführungen durch den heir zu überwachen hatte.281 Auf dem Kontinent findet sich eine solche, auch als „schwach“ bezeichnete Rolle des Testaments- oder Willensvollstreckers vielerorts sogar heute noch.282 In England hingegen hatte der 276 Dies erkennt auch Bruck, GrünhutsZ 40 (1914), 567. Kunz, Postmortale Privatautonomie, 63–90, deutet den genannten Punkt an, arbeitet ihn aber nicht konsequent heraus. 277 Siehe die Beispiele bei Zimmermann, Heres fiduciarius?, 267. 278 Muscheler, Testamentsvollstreckung, 27. Dass der Erbe nicht frei bestimmt werden kann, oder jedenfalls nicht hinsichtlich des gesamten Nachlasses, ist deshalb die unausgesprochene Prämisse bei den von Zimmermann, Heres fiduciarius?, 267, gebildeten Beispielen (dasselbe gilt für die Ausführungen von Pintens und Christandl zum heutigen belgischen bzw. italienischen Recht, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 58, 148 f.). Aus den genannten Gründen fragt sich auch, warum die in D. 36, 1, 80, 1 genannte Testatorin, die den Nachlass langfristig ihren Enkeln zukommen lassen wollte und zu diesem Zweck gern zwei Freunde als curatores eingesetzt hätte (dazu Zimmermann, Heres fiduciarius?, 271; eingehende Analyse bei Kunz, Postmortale Privatautonomie, 244–258), nicht einfach diese Freunde als heredes einsetzte, anstelle der offenbar missliebigen Söhne. Möglichweise ging es ihr um die Möglichkeit der Kontrolle und Abberufung, also um die konkrete Ausgestaltung der Abwicklerrolle. 279 Dazu bereits oben § 1 E.II.6a) (60 ff.). 280 Unten § 5 C.II.2.d)(2) (347 ff.). 281 Dazu oben § 2 C.I.2c) (152 ff.). 282 So etwa im österreichischen Recht, was angesichts des staatsnahen Charakters der Abwicklung (dazu oben § 1 E.I.2a)(4) (41 ff.)) nicht überrascht: Siehe Muscheler, Testamentsvollstre-
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Aufstieg des executor zum personal representative zwangsläufig die Verdrängung des heir aus der Abwicklerstellung zur Folge. Und wenngleich die Arbeitsteilung von executor und heir in veränderter Gestalt fortbestand, indem die Aufsicht über die Nachlassabwicklung fortan von der Kirche besorgt wurde,283 hatte der executor eben doch einen entscheidenden Rollenwechsel vollzogen. Will man daher das Recht des mittelalterlichen Englands zu einer modernen Rechtsordnung mit „schwachem“ Testamentsvollstrecker in Bezug setzen, so ist dessen funktionales Gegenstück gerade nicht im executor, sondern in der Kirche zu sehen. Spätestens damit wird deutlich, dass das Institut der Testamentsvollstreckung entgegen dem, was oftmals suggeriert wird, keine zeit- und rechtsordnungsübergreifende Kon stante ist, sondern unterschiedliche Funktionen erfüllen kann.284 Dies wird noch klarer, wenn man auch das – rechtsvergleichend nur wenige Parallelen findende285 – Institut der deutschen Dauertestamentsvollstreckung in die Betrachtung einbezieht.286 Denn diese hat überhaupt nicht mehr die Abwicklung des Nachlasses zum Ziel, sondern dessen trustähnliche287 Dauerfremdverwaltung, so dass ihr Name in die Irre führt.288 Im portugiesischen Recht findet sich sogar noch eine weitere Spielart einer mit besonderen Befugnissen zum Umgang mit dem Nachlass ausgestatteten Figur. So ist der vor Jahrhunderten aus der Regelung der ehelichen Gütergemeinschaft hervorgegangene cabeça-de-casal (wörtlich „Familienhaupt“289), 290 der für jeden Erbfall vom Gesetz nach einer bestimmten Ordnung ernannt wird 291 und vom portugiesischen Testamentsvollstrecker (testamenteiro)
ckung, 21 f.; Zimmermann, Heres fiduciarius?, 290 f.; Ferrari, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 95, 107 f. Ein weiteres Beispiel ist das französische Recht, auch wenn die Reform von 2006 zu einer erheblichen Aufwertung des Instituts der Testamentsvollstreckung geführt hat (dazu unten § 5 C.II.2d)(2) (347 ff.)). Genereller Überblick bei Offergeld, Rechtsstellung, 194–213; Dutta, Testamentsvollstreckung, 1477–1481, der allerdings die Fälle zwingend angeordneter Fremdverwaltung oder -abwicklung ausklammert; ders., in: Testamentsvollstreckung in Europa, 222 f. 283 Dazu unten § 4 B.II.2d) (290). 284 Siehe auch Dutta, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 221 f., der zu Recht von einer „schillernde[n] Figur“ spricht (vgl. auch ebd., 230). 285 Muscheler, Testamentsvollstreckung, 20 f.; Zimmermann, Heres fiduciarius?, 300; Röthel, Ist unser Erbrecht noch zeitgemäß?, A 26, 87 f.; Dutta, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 222 f. 286 Zur Unterscheidung zwischen Abwicklungs- und Dauervollstreckung oben § 1 F.II.1a) (68 ff.). 287 Vgl. Muscheler, Testamentsvollstreckung, 3. 288 Terminologische Zweifel werden auch angemeldet von Muscheler, Testamentsvollstreckung, 28; Zimmermann, Heres fiduciarius?, 299; Dutta, Warum Erbrecht?, 100; ders., in: Testamentsvollstreckung in Europa, 222. 289 So auch Neumayer, in: FS Piotet, 494; vom „chef de maison“ spricht Villela, Transmission, 17. 290 Zu den historischen Hintergründen eingehend Villela, Transmission, 8–24. 291 Siehe Art. 2080 port. Código civil, wonach der überlebende Ehegatte die Rangordnung anführt, gefolgt von dem Testamentsvollstrecker (testamenteiro), den gesetzlichen Erben und den testamentarischen Erben. Näher Oliveira Ascensão, Successões, 479–481. Durch Zustimmung aller Beteiligten kann auch eine andere Person zum cabeça-de-casal ernannt werden (Art. 2084 port. Código civil).
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unterschieden werden muss, 292 weder Abwickler noch dauerhafter Fremdverwalter, sondern in einer Mittelstellung: Er verwaltet den Nachlass bis zu dessen Abwicklung, 293 die als solche Aufgabe der – auch die Rechtsträgerschaft innehabenden – Erben (herdeiros) ist. 294 Rechtshandlungen, die für und gegen den Nachlass wirken, darf der cabeça-de-casal daher nur in engen Grenzen vornehmen. 295 Über das portugiesische Recht gelangte die Figur des cabeça-de-casal nach Brasilien, wo er unter der Bezeichnung inventariante („Inventarführer“) fortlebt. 296
Wenn die Versuche, heres und executor als Rechtsfiguren zu unterscheiden, so oft misslingen, liegt eine weitere Ursache in der Verkennung des Umstands, dass beide Begriffe auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelt sind. Der Begriff des executor ist ein funktionaler; er charakterisiert eine Aufgabe, ein Amt („office“).297 Der Begriff des heres hingegen charakterisiert nicht die Aufgabe einer Person, sondern ihre formal-rechtliche Stellung. Heres ist derjenige, auf den das Hausvermögen einschließlich der Verbindlichkeiten übergeht. Sowohl die Aufgabe der Nachlassabwicklung als auch die Residualbegünstigung sind Konsequenzen dieser Rechtsstellung, werden aber nicht explizit gemacht.298 Der Umstand, dass die Begriffe des heres und des executor auf unterschiedlichen Ebenen liegen, erklärt, warum sich durch einen Wechsel der Perspektive der eine durch den jeweils anderen darstellen lässt. So konnten mittelalterliche englische Juristen den executor ohne Schwierigkeiten als heres bezeichnen (und ähnlich einem solchen behandeln) und umgekehrt den heres als executor auffassen. 292 Art. 2320–2334 port. Código civil. Die Aufgabe des portugiesischen Testamentsvollstreckers beschränkt sich im Wesentlichen darauf, die Erfüllung des Testaments zu überwachen. Eingehend und auch mit Vergleich von testamenteiro und cabeça-de-casal Baldus, in: Portugiesisch – Weltsprache des Rechts, 2004, 61–87. 293 Art. 2079 port. Código civil. 294 Müller-Bromley, Portugiesisches Zivilrecht 2, 104, übersetzt den cabeça-de-casal denn auch mit „Nachlassverwalter“. 295 Siehe Art. 2087–2091 port. Código civil. Näher Oliveira Ascensão, Successões, 483–486; Duarte Pinheiro, Direito das Sucessões, 439–442; Müller-Bromley, Portugiesisches Zivilrecht 2, 106 f. 296 Art. 1991 brasil. Código civil. Siehe Villela, Transmission, 58; Neumayer, in: FS Piotet, 489 f.; Corrêa de Oliveira, in: Erbfolge, Güterrecht und Steuer in deutsch-brasilianischen Fällen, 51 f. Den Gebrauch des Begriffs inventariante begründete Clovis Bevilaqua, der Verfasser des Entwurfs für das erste brasilianische Zivilgesetzbuch von 1916, damit, dass der Ausdruck cabeça-de-casal seiner Wortbedeutung nach nur für den überlebenden Ehegatten passt. In dieser engen Bedeutung behielt das Gesetzbuch von 1916 den cabeça-de-casal denn auch bei (siehe Bevilaqua, Código Civil, Anm. 1 zu Art. 1579, Anm. 2 zu Art. 1778), im Gegensatz zum Zivilgesetzbuch von 2002. Bevilaqua, Sucessões, 426 f., spricht noch in der herkömmlichen, d. h. weiten Art vom cabeça-de-casal. 297 Vom „office“ der Nachlassabwicklung sprechen wie selbstverständlich etwa Blackstone, Commentaries II, 507; Holdsworth, History III, 566, 575 (in Bezug auf den administrator), 585; Helmholz, in: OHEL I, 430. Siehe auch Häcker, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 192 („Träger eines privaten Amtes“). Im Kontext des schottischen Rechts Stair, Institutions III, 8, 30 („[…] the nomination of executors […] doth resemble the institution of heirs […] yet it is not properly a succession, but rather an office“). 298 Ähnlich Bernhöft, Zur Reform des Erbrechts, 32.
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II. Weitere Gemeinsamkeiten von heres und personal representative Dass heres und personal representative die Aufgabe der Nachlassabwicklung verbindet, bedeutet nicht, dass sie auch identischen Regelungen unterlagen. Doch haben die bisherigen Erörterungen noch weitere Gemeinsamkeiten zwischen beiden Figuren aufgedeckt. 1. Die freie Bestimmbarkeit des Abwicklers Jedenfalls ab einer bestimmten Phase ihrer jeweiligen Entwicklung gestatteten römisches und englisches Recht es einem künftigen Erblasser gleichermaßen, den Abwickler seines Nachlasses selbst zu bestimmen, durch testamentarische Einsetzung eines heres bzw. executor. Eine solche Lösung war keineswegs selbstverständlich, sondern erforderte in beiden Rechtsordnungen die Überwindung der familiengebundenen Abwicklung. Im England des Hochmittelalters wäre zudem denkbar erschienen, dass die Kirche nicht nur bei Fehlen eines Testaments, sondern in allen Fällen die Kompetenz zur Auswahl des Abwicklers für sich reklamierte. Auch als im römischen Recht das Pendel zurückschlug und nahen Angehörigen eine zwingende Nachlassbeteiligung garantiert wurde, blieb die Kompetenz des Testators zur Auswahl des Abwicklers zunächst unangetastet. 299 Denn die Begünstigung musste anfangs nicht zwingend als Erbteil gewährt, sondern konnte auch durch Vermächtnis oder donatio mortis causa abgegolten werden.300 Eine Wende zur Dezentralisierung der Nachlassabwicklung vollzog dann allerdings Justinian mit der Regel, dass die nahen Angehörigen zu Erben einzusetzen waren und damit „Noterben“ im Sinne „notwendiger Erben“ wurden.301 In technischer Hinsicht bedeutete dies, dass die Testierfreiheit auch formal nicht länger unbeschränkt war, in wertungsmäßiger Hinsicht einen Vorrang von Familieninteressen gegenüber Abwicklungsinteressen.
Die Möglichkeit einer Auswahl des Abwicklers durch den Testator hatte insbesondere gegenüber einer abstrakten Bestimmung auf der Grundlage der Familienverhältnisse den großen Vorteil, dass sie am ehesten die Geeignetheit und Zuverlässigkeit des Abwicklers gewährleistete,302 und wie gesehen war im englischen Recht die freie Bestimmbarkeit des executor ein wesentlicher Grund dafür, dass dieser den
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Dazu oben § 2 C.I.1a) (144 ff.). Kaser, Römisches Privatrecht I, 711; Zimmermann, Compulsory Heirship in Roman Law,
Zimmermann, Compulsory Heirship in Roman Law, 42 f. Dies betont für das römische Recht auch Sheehan, The Will in Medieval England, 152: „[…] the main guarantee of fulfilment of the desires of the Roman testator was his freedom to choose as heir one who would accomplish what was desired, and to exclude the person who would not“. Siehe auch Beinart, Acta Juridica 1960, 224. Eine interessante Parallele findet sich bei der Überlassung eines Sonderguts (peculium) an eine gewaltunterworfene Person: Geschah dies zu dem Zweck, ein Wirtschaften mit beschränktem Risiko zu ermöglichen (dazu unten § 4 Fn. 149), hatte der Einsatz eines Sklaven gegenüber dem Einsatz eines Haussohnes den Vorteil, dass der Sklave nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten ausgewählt werden konnte. Siehe Fleckner, Antike Kapitalvereinigungen, 228. 302
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„von Gott bestimmten“ heir schon früh aus der Abwicklerrolle verdrängte.303 Da aus Sicht des Abwicklers seine letztwillige Ernennung zudem ein besonderer Vertrauensbeweis war, erhöhten sich die Chancen, dass er sich zur ordnungsgemäßen Abwicklung moralisch besonders verpflichtet fühlte.304 Ausdruck fand die Vermutung der besonderen Vertrauenswürdigkeit des executor schließlich auch darin, dass von ihm im Gegensatz zum administrator schon bald nicht mehr die Stellung einer Sicherheit verlangt wurde.305 Das gemeinsame Merkmal der freien Bestimmbarkeit bedeutet, dass ein oftmals zumindest implizit konstruierter Gegensatz von römischem heres und englischem executor sich als haltlos erweist. So wird, wenn der Testamentsvollstrecker als „unparteiischer Dritter“ charakterisiert wird, „auf den der Erblasser sich verlassen kann“,306 suggeriert, dass der römische heres nicht im gleichen Maße vertrauenswürdig gewesen sei. Doch ist diese Unterscheidung arbiträr. Denn ein römischer Testator konnte seinen heres genauso sorgfältig auswählen wie ein englischer Testator seinen executor, und angesichts der großen Bedeutung des Testierens in der römischen Kultur darf man annehmen, dass dies auch der Praxis entsprach. Natürlich ließ sich nie ausschließen, dass ein römischer Erblasser in seiner Erwartung enttäuscht wurde, aber dieses Risiko bestand – wie die englische Rechtspraxis nur allzu eindrücklich illustrieren sollte307 – bei einem executor nicht minder. Abschließend ist auf eine nützliche Nebenwirkung der letztwilligen Bestimmbarkeit der Nachlassabwickler hinzuweisen, dass nämlich hierdurch der zahlenmäßigen Begrenzung und damit einer personellen Konzentration der Abwicklung Vorschub geleistet wurde.308 Denn obgleich es keine Obergrenze für die Zahl der ernannten heredes bzw. executors gab,309 war Testatoren typischerweise an einer niedrigen Zahl oder sogar an einem Alleinabwickler gelegen. Im römischen Recht wurde diese Konzentrationswirkung flankiert durch die Regel „nemo pro parte testatus pro parte intestatus decedere potest“, die verhinderte, dass neben testamentarisch eingesetzten Erben noch Intestaterben berufen wurden.310
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Siehe oben B.IV.2. (186 f.). Zu diesem im Kontext des römischen Rechts genannten Argument oben A.III. (170 ff.). 305 Dazu unten § 4 Fn. 344. Erst 1971 sollte die Kautionspflicht auch für den administrator wegfallen, siehe unten § 6 B.I.2. (373 f.) 306 So Bruck, GrünhutsZ 40 (1914), 566. Ähnlich definiert Zimmermann, Heres fiduciarius?, 267, den „testamentary executor“ als „independent person“; auch Offergeld, Rechtsstellung, 20, attestiert einem Testamentsvollstrecker implizit größere Vertrauenswürdigkeit als einem heres. 307 Dazu unten § 4 B.II.2f) (293 ff.). 308 Hierzu auch unten § 8 A. (637 ff.). 309 Das heutige englische Recht sieht allerdings die Regel vor, dass maximal vier executors ein grant of probate für denselben Nachlassteil ausgestellt werden soll, siehe sec. 114(1) SCA; Ker ridge, Law of Succession, [17-15]. 310 Näher zu dieser vieldiskutierten Regel oben A.III. (170). 304
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2. Koppelung und Entkoppelung von Abwickler- und Begünstigtenrolle Römisches und englisches Recht waren gleichermaßen dadurch gekennzeichnet, dass sie eine Verknüpfung von Abwicklerrolle und Begünstigtenstellung weder erzwangen noch verboten, sie aber förderten. Offenkundig ist das Fehlen einer starren Verknüpfung beider Elemente: So waren Vermächtnisnehmer jeweils von der Nachlassabwicklung ausgeschlossen,311 es sei denn, der Testator wies ihnen eine entsprechende Kompetenz gesondert zu. Die Möglichkeit einer solchen Entkoppelung von Abwickler- und Begünstigtenrolle förderte zusätzlich die erwähnte personelle Konzentration der Abwicklungszuständigkeit, da ein Testator, der sein Vermögen breit streuen wollte, anderenfalls vor dem Dilemma gestanden hätte, entweder die Zahl der Abwickler erheblich aufzublähen oder entgegen seiner Absicht die Zahl der Begünstigten deutlich zu reduzieren. Die behauptete Förderung einer Verknüpfung beider Rollen mag demgegenüber zunächst überraschend klingen. Denn die genannte Vorstellung, dass der personal representative im Gegensatz zum heres ein „unparteiischer“ oder „unabhängiger“ Nachlassabwickler gewesen sei,312 suggeriert, dass Ersterer im Gegensatz zu Letzterem kein wirtschaftliches Eigeninteresse am Nachlass gehabt habe. Zwar ist es richtig, dass der heres nicht nur in jedem Fall Residualbegünstigter war, d. h. einen nach Schuldentilgung und Vermächtnisauskehr verbleibenden Überschuss auch ohne besondere Anordnung behalten konnte, sondern ihm die lex Falcidia sogar eine Mindestbeteiligung am Nachlass in Höhe von einem Viertel seines Wertes sicherte. Doch war im englischen Recht eine wirtschaftliche Partizipation des personal representative am Nachlass nicht nur zu keinem Zeitpunkt verboten,313 sondern in der Praxis auch in Abwesenheit einer der lex Falcidia vergleichbaren Anordnung die Regel.314 So war der bei Fehlen einer letztwilligen Verfügung zu ernennende administrator schon von früher Zeit an unter den nächsten Familienangehörigen und damit unter den Beteiligten am Nachlassüberschuss auszuwählen.315 Noch deutlicher war die Verbindung zwischen Begünstigung und Abwicklung in den Fällen, wo der Verstorbene zwar ein Testament errichtet, darin aber keinen executor ernannt hatte (oder jedenfalls nicht in wirksamer Weise). Denn die kirchlichen Gerichte trugen die Rolle des administrator zuerst dem residuary legatee als derjenigen Person an, die typischerweise das stärkste Interesse am Nachlass hatte.316 In anderer Gestalt trafen Eigeninteresse am Nachlass und Abwicklerrolle dort zusammen, wo in Ermangelung näherstehender Personen ein Gläubiger des Verstorbenen zum administrator ernannt wurde.317 Was schließlich den vom Erb 311 Dies galt im römischen Recht sogar für den mit einer dinglichen Rechtsstellung ausgestatteten Empfänger eines legatum per vindicationem. 312 Siehe oben Fn. 306. 313 Siehe Sheehan, The Will in Medieval England, 220. 314 Siehe auch Siber, Geschichtliches und Rechtsvergleichendes, 1012. 315 Siehe oben B.V. (195 ff.). 316 Williams/Williams, Executors and Administrators, 377. 317 Siehe oben B.V. (195 ff.).
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lasser ernannten executor angeht, so war es üblich, ihm für seine Tätigkeit ein Vermächtnis zuzuweisen oder ihn aus dem Kreis der letztwillig Begünstigten auszuwählen.318 Schließlich ist daran zu erinnern, dass dem executor zumindest phasenweise auch ohne entsprechende Anordnung gestattet wurde, den Restnachlass zu behalten, sofern der Erblasser nicht anderweitig über ihn verfügt hatte.319 Im römischen Recht war die Tendenz zur Eigenabwicklung keine bewusste Entscheidung, sondern in der historischen Entwicklung angelegt. Denn indem der heres als Gesamtnachfolger in die Rolle des Nachlassabwicklers gewissermaßen organisch hineinwuchs, brachte er die Residualbegünstigung bereits mit. Der englische personal representative war demgegenüber vom Element der Begünstigung begrifflich wie funktional losgelöst, so dass die Gewährung der Residualpartizipation (im Fall des executor) bzw. die Auswahl unter den Begünstigten (im Fall des admini strator) einer bewussten Entscheidung bedurfte.320 Vor allem in Verbindung mit der später noch zu erörternden Treuhänderstellung des personal representative erklärt dies, warum es manchmal als systemfremd empfunden wird, seine Rolle mit einer Begünstigung zu verknüpfen 321 und dadurch Interessenkonflikte heraufzubeschwören.322 Doch ist nicht nur zu beachten, dass einem solchen Interessenkonflikt auch der römische heres ausgesetzt war, indem er insbesondere in die Versuchung geführt wurde, Legate zu Fall zu bringen, um so den ihm zustehenden Nachlassüberschuss zu vergrößern. Auch darf nicht verkannt werden, dass die Koppelung von Abwicklerrolle und Begünstigung eine Reihe praktischer Vorteile mit sich bringt. So erhält der abwicklungszuständige Begünstigte erstens Einfluss darauf, welche Gegenstände er zur Schuldentilgung und Vermächtniserfüllung verwendet und welche er sich bewahrt. Zweitens bietet insbesondere die Residualbegünstigung einen starken Anreiz zum sorgfältigen Umgang mit dem Nachlass.323 Denn je besser der Abwickler diesen gegen Verfall, unbefugte Eingriffe, unberechtigte Anspruchssteller etc. verteidigt, desto höher fällt der Überschuss und damit seine „Belohnung“ aus. Drittens werden Transaktionskosten reduziert und Interessenkonflikte vermieden, wenn ein Restnachlass beim Abwickler verbleiben kann, anstatt weitergereicht werden zu müssen. Viertens schließlich stellt die Auswahl des Abwicklers aus dem Kreis der am Nachlass interessierten Personen ein subtiles Mittel zur Be318
Siehe oben B.IV.5. (189 ff.). Siehe oben B.IV.5. (189 ff.). 320 Diese war im ersten Fall freilich vom römischen Recht inspiriert, siehe oben B.IV.5. (189 ff.). 321 Siehe L. Smith, Edinburgh LR 17 (2013), 299: „This [d. h. eine Residualbegünstigung] makes perfect sense when the executor is seen as a civilian heir, but not when he has evolved into a fiduciary administrator; that is, a kind of trustee.“ 322 Eine Trennung von Abwickler- und und Begünstigtenrolle hält deshalb grundsätzlich für ratsam Beinart, Acta Juridica 1960, 235; ders., Acta Juridica, 1981, 20. Ähnlich sieht Gomes da Silva, Herança, 47, in der Auswahl des administrator aus dem Kreis der Intestatbegünstigten ein destabilisierendes und mit der Idee der Unparteilichkeit der Abwicklung unvereinbares Element. 323 Dass „nun einmal jeder seine eigenen Angelegenheiten am besten zu besorgen pflegt“, betont im Kontext des römischen Rechts Bernhöft, Zur Reform des Erbrechts, 38. 319
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wahrung des „ehrenamtlichen Charakters“ dieses Amtes dar. Denn Personen mit einem Eigeninteresse an der Abwicklung werden typischerweise bereit sein, diese mit Mühen und (noch eingehend zu erörternden) Haftungsrisiken verbundene Aufgabe auch ohne gesondertes Honorar zu übernehmen.324 So scheint in der englischen Rechtspraxis vor allem bei überschuldeten Nachlässen die Ernennung eines Erblassergläubigers zum administrator häufig die einzige Möglichkeit gewesen zu sein, eine abwicklungswillige Person zu finden.325 Bestünde man demgegenüber auf der Einsetzung eines neutralen Abwicklers, der weder ein Honorar erhält noch zur Übernahme der Aufgabe gezwungen wird, bliebe meist nur der Weg, eine hoheitliche Stelle einzuschalten, deren Finanzierung von der Allgemeinheit getragen wird.326 Ungeachtet der vielfachen Mitwirkung offizieller Stellen sind aber weder das römische noch das englische Recht diesen Weg gegangen, sondern haben die Nachlassabwicklung stattdessen in die Hände einer natürlichen Person gelegt. Schließlich ist abschließend darauf hinzuweisen, dass die Gefahr von Veruntreuungen durch den Abwickler unabhängig davon besteht, ob dieser Anspruch auf eine wirtschaftliche Beteiligung am Nachlass hat. Steckt dieser sich den teuren Goldschmuck des Verstorbenen in die Tasche, ist das Problem nicht rechtlicher, sondern tatsächlicher Art, wenn niemand sonst von der Existenz des Schmucks wusste.327 Der wirksamste Schutz gegen derlei Fehlverhalten besteht deshalb nicht in der Entkoppelung von Abwicklung und Begünstigung, sondern, wie schon erörtert, in der sorgfältigen Auswahl des Abwicklers. 3. Heres und personal representative als Rechtsnachfolger a) Überblick Eine grundlegende Gemeinsamkeit wiesen heres und personal representative auch hinsichtlich ihrer formal-rechtlichen Stellung auf. Beide traten in die ihnen zugewiesenen Rechte und Pflichten des Verstorbenen ein und waren somit dessen Rechtsnachfolger328 (die Frage, ob sie auch Gesamtnachfolger waren, ist gesondert davon zu behandeln 329). Für den römischen Erben bedarf der Vorgang der successio keiner näheren Erläuterung; wie gesehen, war es ja gerade seine Stellung als (Ge324 So auch Gomes da Silva, Herança, 81, der allerdings verkennt, dass auch das englische Recht eine solche Verknüpfung der Rollen gestattet. 325 Getrennt davon zu beurteilen ist die Angemessenheit eines Rechts zur bevorzugten Befriedigung der eigenen Forderungen (right of retainer), dazu unten § 4 B.II.2b) (288 ff.). 326 Sobald für die Abwicklertätigkeit Gebühren berechnet werden, die dem Nachlass zur Last fallen, wäre schon wieder ein Eigeninteresse an diesem vorhanden. 327 Siehe zu diesem Problem auch unten § 6 Fn. 869, 1304. 328 Englische Juristen drücken diese Rechtsinhaberschaft häufig durch den Begriff des „vest ing“ aus, siehe etwa Blackstone, Commentaries II, 512; Williams, Mortimer & Sunnucks [35-02]; Holdsworth, History III, 583, 585, der aber auch davon spricht, dass der personal representative dritten Parteien gegenüber als „owner“ angesehen wurde (586). Von „ownership“ des executor spricht auch L. Smith, Edinburgh LR 17 (2013), 295. Aus deutscher Sicht Häcker, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 192 („formelle[r] Vermögensträger“, „Vollrechtsinhaber“). 329 Dazu unten C.II.4 (212 ff.).
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samt)Rechtsnachfolger, die ihn zum Abwickler prädestinierte.330 Dass auch der personal representative Vollrechtsinhaber der Aktiva des Verstorbenen wurde, war hingegen nicht selbstverständlich, und erst recht nicht, dass er auch Schuldner von dessen Verbindlichkeiten wurde. b) Der personal representative als Inhaber der Nachlassaktiva Angesichts seines Ursprungs und seiner Funktion hätte es zumindest aus heutiger Perspektive nahegelegen, den personal representative nicht als Träger, sondern lediglich als Verwalter und Abwickler des Erblasservermögens zu behandeln, vergleichbar einem deutschen Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter. Eine solche Gestaltung hätte von vornherein z. B. die Diskussion darüber vermieden, ob Eigengläubiger des personal representative in den Nachlass vollstrecken können und ob Rechtsbeziehungen zwischen Erblasser und personal representative fortbestehen. Andererseits wäre natürlich die Frage aufgetreten, wer stattdessen Träger des Nachlasses war. Den Nachlass als Subjekt seiner selbst zu behandeln, hätte den damaligen Juristen wohl zu viel Phantasie abverlangt. Konzeptionell noch verworrener hätte es ihnen erscheinen müssen, nach Art der heutigen deutschen Testamentsvollstreckung die Rechtsträgerschaft z. B. den Familienangehörigen des Verstorbenen zu übertragen, gleichzeitig aber ihre Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auszuschließen und sie stattdessen dem personal representative zuzuweisen. So gesehen war dessen Rechtsträgerschaft ungeachtet der daraus resultierenden Folgeprobleme die natürliche Lösung. c) Der personal representative als Schuldner der Erblasserverbindlichkeiten Wie später noch eingehend zu erörtern ist, war das Eigenvermögen des personal representative schon ab einem frühen Zeitpunkt der Rechtsentwicklung von einem Vollstreckungszugriff der Erblassergläubiger und Begünstigten ausgenommen, so dass er anders als der römische heres schon im Ausgangspunkt (nur) cum viribus hereditatis haftete.331 Zumindest aus heutiger Perspektive stellt sich damit die Frage, wie die Stellung des personal representative im Hinblick auf die Erblasserverbindlichkeiten genau ausgestaltet war: Wurde er trotz seiner beschränkten Haftung persönlicher Schuldner der Erblassergläubiger, so dass ihm entsprechende Leistungspflichten oblagen?332 Oder unterlag der personal representative nur einer Sachhaftung in dem Sinne, dass er allein zur Preisgabe der Nachlassgegenstände oder zur Duldung der Zwangsvollstreckung in diese verpflichtet war?333 Schließ330 Siehe auch Giger, Schicksal des Rechts II, 172: nicht Ausgangspunkt, sondern Endpunkt der Entwicklung. 331 Siehe unten § 4 B.II.1. (285 ff.). 332 Allgemein zur Unterscheidung zwischen Schuld und Haftung Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 65–78; Muscheler, Erbrecht I, Rn. 3378–3386 („Schuld appelliert, Haftung executiert […] Schuld ist personal, Haftung real“ (Rn. 3378)); Mayer, Haftung und Paarbeziehung, 7–42; zahlreiche ältere Nachweise bei Zimmermann, Law of Obligations, 5 (Fn. 18). 333 Zur Unterscheidung zwischen persönlicher Schuld mit beschränkter Haftung auf der einen
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lich ließe sich noch daran denken, dass dem personal representative wie einem Nachlassverwalter oder Testamentsvollstrecker im Sinne des BGB lediglich die passive Prozessführungsbefugnis für eine fremde Schuld zukam.334 Der Versuch, das mittelalterliche englische Recht mit modernen und überdies deutschen dogmatischen Kategorien zu beschreiben, ist auf den ersten Blick natürlich hoffnungslos anachronistisch. In dem noch ganz durch writs bzw. forms of actions geprägten Rechtssystem 335 lautete die einzig relevante Frage, ob eine Klage gegen den personal representative erhoben werden konnte; dogmatische Überlegungen zum Unterschied zwischen Schuld und Haftung, geschweige denn zur Frage einer Prozessführungsbefugnis, wurden gar nicht angestellt. Dementsprechend begnügen sich auch rechtshistorische Abhandlungen zur englischen Nachlassabwicklung häufig mit der Aussage, dass der personal representative wegen der Erb lasserschulden verklagt werden konnte („could be sued“).336 Und doch tragen die oben aufgeworfenen Fragen nicht nur dazu bei, das englische Recht besser zu verstehen, auch ermöglichen sie wieder einen Abgleich mit dem tradierten Bild der mittelalterlichen Rechtsentwicklung im Allgemeinen. Eindeutig ist zunächst der Befund, dass dem personal representative nicht lediglich die Befugnis zukam, Prozesse über fremde Verbindlichkeiten zu führen, sondern er selbst der unmittelbare und einzige Verpflichtete war. Denn es ist nicht zu erkennen, wer sonst außer ihm diese Stellung eingenommen haben sollte. Während der kurzen Phase, in der der heir dem executor die Abwicklerrolle noch streitig machte, kam immerhin in Betracht, Letzteren nur als Prozessstandschafter für Ersteren anzusehen. Doch nachdem der heir bald darauf vollständig aus der Nachlass abwicklung herausgedrängt worden war, gab es niemanden außer dem personal representative, der die Schuldnerstellung eingenommen haben könnte. Gänzlich ausgeschlossen ist, dass Vermächtnisnehmer und andere beneficiaries, die im Unterschied zum Erben des heutigen deutschen Rechts schon gar nicht Träger des Nachlasses waren, in irgendeiner Weise mit den Nachlassverbindlichkeiten zu tun hatten. Ebenso wenig gibt es aber Anzeichen dafür, dass die Gläubigerforderungen den Nachlass oder den Verstorbenen noch selbst trafen, so wie dies nach Ansicht mancher Autoren ursprünglich in der germanischen Tradition der Fall gewesen sein soll.337 Zwar ist bei englischen Autoren mitunter die Rede davon, dass Klagen und Sachhaftung auf der anderen Seite Siber, Geschichtliches und Rechtsvergleichendes, 1000 f.; eingehend Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 85–89. Ein Eingehen auf die umstrittene Frage, ob es eine „Haftung ohne Schuld“ geben kann, ist hier nicht erforderlich (bejahend etwa Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3381; ablehnend etwa Mayer, Haftung und Paarbeziehung, 27–29). Denn eine „Sachhaftung“, von der hier und an anderen Stellen die Rede ist, lässt sich, wenn das Bestehen einer „Schuld“ für unverzichtbar gehalten wird, immer als eine Pflicht zur Duldung der Zwangsvollstreckung konzeptualisieren. 334 Siehe dazu nur MüKoBGB/Küpper, § 1984 Rn. 6; MüKoBGB/W. Zimmermann, § 2213 Rn. 1. 335 Siehe allgemein Baker, Introduction, 60–77; Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, 181 f. 336 Siehe etwa Pollock/Maitland, History II, 347 f.; Holdsworth, History III, 573 f., 585; Helmholz, Am. J. Legal Hist. 68 (1979), 68. 337 Kritisch zur Ansicht, dass nicht „der Erbe“, sondern „das Erbe“ beklagt wurde und der
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gegen den estate des Verstorbenen gerichtet wurden 338 oder dass die bewegliche Habe (personal property) bzw. die Aktiva (assets) haftbar (liable) gewesen seien.339 Doch soll damit nicht eine Personifizierung des Nachlasses ausgedrückt, sondern nur das Haftungssubstrat bezeichnet werden (so wie auch das BGB mitunter von Ansprüchen „gegen den Nachlass“ spricht340). War der personal representative somit formell wie materiell zuständig für die Erfüllung der Erblasserforderungen, stellt sich die Frage nach dem genauen Inhalt seiner Verpflichtung. Trat er als Schuldner in die Rechtsbeziehungen des Verstorbenen ein oder trafen ihn dessen Verbindlichkeiten lediglich als pfandartige Belastung der erlangten assets? Klar ist zunächst, dass die Beschränkung der Haftung auf den Nachlass die Annahme eines Schuldenübergangs nicht ausschließt.341 Denn zwischen der Schuld im Sinne einer „Haftung wofür?“ und der Haftung im Sinne einer „Haftung womit?“ lässt sich klar unterscheiden.342 Schuldete der Erblasser einem Gläubiger beispielsweise 100 Pfund, hinterließ er aber nur Nachlassgegenstände im Wert von 80 Pfund, war es kein Widerspruch, wenn der personal representative auf Zahlung von 100 Pfund verurteilt wurde, der Gläubiger am Ende aber trotzdem nur in Höhe von 80 Pfund Befriedigung erlangte. Eine solche persönliche, in der Haftung auf den Nachlass beschränkte Schuld des Erben wurde von Stobbe für die deutsche Rechtstradition des Mittelalters angenommen.343 Ferner spricht gegen die Annahme eines Eintritts in die Erblasserverbindlichkeiten auch nicht der Umstand, dass englische Juristen den Gegenstand des Erbrechts seit jeher im Übergang der property oder des estate eines Verstorbenen sehen 344 und damit nur die assets als aktive Vermögenswerte meinen,345 nicht aber die Nachlassverbindlichkeiten.346 Denn genau dieselbe Konzeption findet sich im Erbe nur in seiner Eigenschaft als Besitzer in Betracht kam, Stobbe, Eintreten des Erben, 314 f.; hingegen hält Ebel, ZRG (RA) 84 (1967), 253 f., die genannte Auffassung grundsätzlich für zutreffend, sieht allerdings den Verstorbenen selbst noch als Verpflichteten und den Erben als seinen Vormund an. 338 Siehe etwa Helmholz, Am. J. Legal Hist. 68 (1979), 68. 339 Siehe etwa Goffin, Executor, 63; Holdsworth, History VI, 656. Williams/Williams, Executors and Administrators, 1077. 340 Siehe z. B. §§ 1958, 1984 Abs. 1 S. 3 BGB. 341 Zu undifferenziert daher Matthews, Square Peg, Round Hole?, 66 f., 70, der eine „transmission of the debts“ für das englische Recht mit dem Argument ablehnt, dass keine Haftung mit dem Eigenvermögen eintrete. 342 Siehe die Nachweise oben Fn. 332. 343 Stobbe, Eintreten des Erben, 313–316; ders., Erbrecht V, § 285 (52). Dagegen allerdings Ebel, ZRG (RA) 84 (1967), 254 f., 259, der den von Stobbe beschriebenen Rechtszustand als Folge der Rezeption betrachtet und somit erst ab dem Spätmittelalter als gegeben ansieht. Siehe auch schon oben § 1 H.III (95). 344 Siehe etwa Margrave-Jones, Mellows: Law of Succession, [1.1]; Kerridge, Law of Succes sion, [1-01]. 345 Erfasst sind dabei auch die verschiedenen Arten vererblicher Ansprüche, siehe MargraveJones, Mellows: Law of Succession, [23.35]–[23.44]; Kerridge, Succession, [20-07]–[20-10]. 346 Dies wird in aller Regel nicht klar ausgesprochen, ergibt sich aber daraus, dass die Verbindlichkeiten aus dem estate bzw. der property gezahlt werden sollen, siehe etwa sec. 32(1) AEA; Holdsworth, History III, 585 f.; Margrave-Jones, Mellows: Law of Succession, [26.1] f.
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klassischen römischen Recht, wo die hereditas ebenfalls nur das Aktivvermögen des Erblassers umfasste, dies aber nichts daran änderte, dass der heres persönlicher Schuldner von dessen Verbindlichkeiten wurde.347 Verschiedene Umstände sprechen denn auch dafür, dass der personal representative ebenfalls in die Schulden des Verstorbenen eintrat. So wäre erstens seine unbeschränkte Haftung bei Unterlassung der Inventarerrichtung348 mit einer reinen Sachhaftung nicht recht in Einklang zu bringen gewesen.349 Zweitens waren Klagen gegen den personal representative auf Vornahme der geschuldeten Leistung gerichtet350 und nicht lediglich auf Duldung der Zwangsvollstreckung. Eine entsprechende Benennung der Nachlassgegenstände wäre den Gläubigern und Vermächtnisnehmern auch kaum möglich gewesen. Immerhin gibt es auch ein gewichtiges Argument für die Annahme einer Sachhaftung: Hielt nämlich der personal representative nach ordnungsgemäßer Abwicklung keinerlei Nachlassgegenstände mehr in den Händen, stand ihm der Einwand des „plene administravit“ zu, der zur Abweisung der Klage eines zu spät gekommenen Gläubigers führte.351 Bei Annahme einer persönlichen Schuld hätte die Erschöpfung des Nachlasses für die Frage der Verurteilung jedoch an sich keine Rolle spielen dürfen. Bemerkenswerterweise sieht das heutige englische Recht denn auch eine andere Lösung vor, indem der Einwand des „plene administravit“ den Gläubiger nicht daran hindert, einen Vollstreckungstitel hinsichtlich solcher Gegenstände zu erstreiten, die künftig noch in die Hände des personal representative gelangen.352 Diese Konzeption spricht eindeutig für das Bestehen einer von der verfügbaren Haftungsmasse unabhängigen Schuld.353 Ob sie letztlich auch schon dem mittelalterlichen Recht zugrunde lag oder sich erst im Laufe der Zeit herausbildete, ist nicht klar. Nimmt man Letzteres an, so hätte das mittelalterliche englische Recht zwischen einer Sachhaftung des Nachlasses und einer persönlichen, auf die Kräfte des Nachlasses beschränkten Haftung des personal representative gestanden.354
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Kaser, Römisches Privatrecht I, 733; Kroppenberg, Insolvenz, 171 f. Dazu unten § 4 B.II.2a) (287 ff.). 349 Sie könnte höchstens als besondere Strafsanktion für vermuteten Betrug gedeutet werden. 350 Dementsprechend ist bei englischen Autoren häufig die Rede davon, dass der personal representative „zur Zahlung verpflichtet“ war, siehe etwa Holdsworth, History III, 583 („[…] the representative must pay the debts of the deceased; but he is only liable to pay out of the property of the deceased“ (Hervorhebung hinzugefügt)); Goffin, Executor, 43 („[…] duty to pay the legacies […]“). 351 Goffin, Executor, 52–54; Holdsworth, History III, 586 f. 352 Kerridge, Law of Succession, [24-32]; Häcker, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 215. 353 Für das heutige Recht ergibt sich das Vorliegen einer persönlichen Verpflichtung des personal representative ferner auch daraus, dass vertragliche Pflichten des Erblassers zur Vornahme bestimmter Handlungen grundsätzlich fortbestehen, siehe unten Fn. 356. Zu erbfallbezogenen Verbindlichkeiten, die den personal representative von vornherein persönlich treffen, Murga Fernández, Los sistemas europeos, 48 f. 354 Ähnlich Siber, Geschichtliches und Rechtsvergleichendes, 1013. 348
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Zu bedenken ist bei allem freilich auch, dass der Frage der genauen Haftungsart aus zwei Gründen so gut wie keine praktische Bedeutung zukam (was mit erklären dürfte, warum englische Juristen nie das Bedürfnis für eine genauere Herausarbeitung verspürten). So änderte zum einen auch eine persönliche Schuldnerstellung des personal representative nichts daran, dass seine Pflicht in aller Regel auf die Zahlung von Geld oder die Herausgabe von Nachlassgegenständen 355 hinauslief und nicht auf die Vornahme anderer Handlungen.356 Der Unterschied zu einer reinen Sachhaftung war damit weitgehend auf prozessuale Fragen reduziert. Zum anderen hieße es, die Rechtsstellung des personal representative grundlegend zu verkennen, wenn man ihn lediglich als Schuldner oder „Hafter“ gegenüber Erblassergläubigern und Vermächtnisnehmern betrachtete. Denn wie noch eingehend zu erörtern sein wird, war er diesen Personen gegenüber kraft seines Amtes einer originären und umfassenden Pflicht zur ordnungsgemäßen Nachlassabwicklung unterworfen, deren Einhaltung von den kirchlichen Gerichten überwacht wurde und deren Verletzung eine unbeschränkte persönlichen Haftung nach sich zog. Der personal representative durfte somit ohnehin nicht warten, bis die Erblassergläubiger an seine Tür klopften, sondern musste – auch zum Schutz des Seelenheils des Verstorbenen – den Nachlass aus eigener Initiative abwickeln. 4. Heres und personal representative als Gesamtnachfolger? a) Widerstreitende Begriffsverständnisse Ist es berechtigt, eine weitere Gemeinsamkeit von heres und personal representative darin zu sehen, dass sie nicht bloß Rechtsnachfolger waren, sondern sogar Gesamt(rechts)nachfolger? Dass die Antwort auf diese einfache Frage überraschend schwerfällt, liegt daran, dass die Begriffe „Gesamt(rechts)nachfolge“ bzw. „Universalsukzession“ (universal succession) in einer Vielzahl unterschiedlicher Bedeutungen gebraucht werden. Am deutlichsten manifestieren sich diese Divergenzen anhand der Klassifizierung des englischen Erbrechts: Während der rechtsvergleichende Mainstream dessen Merkmal und zentralen Unterschied zur römischen Tradition in der Abwesenheit einer Universalsukzession sieht,357 betrachten ande355 Zum darauf gerichteten writ of detinue, der auch früh schon gegen einen executor gerichtet werden konnte (siehe Holdsworth, History, 579–582), Baker, Introduction, 416–420. 356 Ausgeschlossen war dies aber wohl nicht. Denn zumindest eine action of covenant konnte schon früh auch auf Naturalerfüllung (specific performance) gerichtet sein (siehe Baker, Introduction, 339), so dass den personal representative dann grundsätzlich dieselbe Pflicht getroffen hätte (zum passiven Übergang der action of covenant auf diesen Goffin, Executor, 49). Da allerdings nur solche Obligationen den Tod des Erblassers überdauerten, die nicht in besonderem Maße an seine Person geknüpft waren (dazu Williams/Williams, Executors and Administrators, 1335–1338; Pringsheim, Succession, 710), genügte es, wenn der personal representative die Leistung durch Dritte vornehmen ließ. Dies ist jedenfalls die Lösung des heutigen englischen Rechts, siehe Margrave-Jones, Mellows: Law of Succession, [26.20]; Kerridge, Law of Succession, [20-08]. 357 Siehe aus dem internationalen Schrifttum etwa De Waal, Comparative Succession Law, 1095; Miller, Machinery of Succession, 97 f.; Sonnekus, ZEuP 2005, 73; Ferid, Recueil des Cours, 106; Dukeminier/Sitkoff/Lindgren, Wills, Trusts, and Estates, 48; Osajda, Private Client Business
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re Autoren wie selbstverständlich die Universalsukzession als Teil auch des englischen Rechts.358 Unterstellt werden kann, dass die beiden entgegengesetzten Strömungen sich nicht in der Wahrnehmung der jeweiligen rechtlichen Strukturen unterscheiden, sondern allein in der Bedeutung, die sie mit dem Begriff der Universalsukzession verbinden. Würden solche unterschiedlichen Begriffsverständnisse, die sich auch schon innerhalb der deutschen Rechtsliteratur finden,359 jeweils offengelegt, wären sie kein größeres Problem, da dann jeweils klar wäre, worum es in der Sache geht. Doch ist stattdessen zu beobachten, dass die verwendete Begrifflichkeit jeweils für allgemein akzeptiert und daher nicht weiter erläuterungsbedürftig gehalten wird.360 Folge ist, dass der Begriff der Universalsukzession seit jeher Quelle grund legender Missverständnisse ist und Hindernis für einen fruchtbaren rechtsvergleichenden Diskurs. Nur vereinzelt ist bislang der Bedarf erkannt worden, den Begriff der Universalsukzession institutionengeschichtlich,361 rechtsvergleichend362 oder auch nur innerhalb der deutschen Rechtsdogmatik 363 näher zu erforschen. Im Folgenden ist zu erörtern, welche Bedeutungen dem Begriff der Universal sukzession zugeschrieben werden und was dies jeweils für die Einordnung von römischer und englischer Tradition der Nachlassabwicklung bedeutet. Es zeigt sich, dass ein allgemein zivilrechtliches Verständnis der Universalsukzession – das auch den Rechtsübergang von Todes wegen erfasst, aber nicht darauf beschränkt ist – traditionell mit einem spezifisch erbrechtlichen Verständnis der Universalsukzes sion koexistiert.364 Aus Letzterem wiederum ist (vermutlich im Laufe des 20. Jahrhunderts) ein erbrechtsvergleichendes Verständnis von Universalsukzession her2018, 69. Aus dem deutschen Schrifttum etwa Kipp/Coing, Erbrecht, 5 f.; Reimann, ZEV 2015, 512; Pecher, Erbschaftsverwaltung, 48; F. Odersky, Abwicklung, 5, 39; Frank/Helms, Erbrecht, § 18 Rn. 3; HWBEuP/Helms, Erbenhaftung, 405; Osthold, Erben und Haftung, 160; zumindest implizit Staudinger/Kunz (2020), Vorbem zu §§ 1967 ff Rn. 201. Als Merkmal der germanischen Rechtstradition generell betrachten die Abwesenheit einer Universalsukzession etwa Stobbe, Deutsches Privatrecht V, 5 und insbesondere Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 13 f.; Staudinger/Boehmer 11, § 1922 Rn. 108 f. 358 In diesem Sinne etwa Siber, Geschichtliches und Rechtsvergleichendes, 1024; Giger, Schicksal des Rechts II, 174 f.; Gretton, EPLJ 3 (2014) 119 f.; HWBEuP/Kroppenberg, Universalsukzes sion, 1561 (die allerdings für das englische Recht vom Vorliegen einer Universalsukzession zu Unrecht erst ab 1925 spricht); L. Smith, ETPJ 28 (2009), 346; Häcker, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 192. 359 Claussen, Gesamtnachfolge und Teilnachfolge, 23–25. 360 Charakteristisch etwa Strauß, Der notleidende Nachlass, der das Vorliegen einer Universalsukzession für das deutsche (5), das französische (39) und das österreichische Recht (94) bejaht, es dagegen für das englische Recht verneint (76), ohne die Gründe für diese Klassifizierung auch nur mit einem Wort zu erläutern. 361 HRG/Sedatis, Universalsukzession, 490. 362 Gretton, RabelsZ 71 (2007), 832 („another topic of private law requiring modern comparative study“); siehe auch J. P. Schmidt, in: FS Gretton, 323 f. 363 Claussen, Gesamtnachfolge und Teilnachfolge, 25. 364 In der Sache, wenn auch nicht in der Terminologie ähnlich der Befund von Claussen, Gesamtnachfolge und Teilnachfolge, 27–35; verkannt wird das jeweils kontextabhängige Verständnis hingegen etwa bei Windel, Modi der Nachfolge, 7–9.
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vorgegangen, so dass sich heute mindestens drei Begriffsvarianten der Universalsukzession unterscheiden lassen. Zusätzliche Verwirrung wird durch deren partielle Überlappung gestiftet. b) Allgemein-zivilrechtliches Verständnis der Universalsukzession (1) Universalsukzession vs. Singularsukzession Der Ursprung des allgemein zivilrechtlichen Verständnisses der Universalsukzession liegt im römischen Recht, und zwar in Gaius’ Unterscheidung zwischen dem Erwerb von Gegenständen durch Einzelakt (also etwa durch mancipatio oder usucapio) und ihrem Erwerb „per universitatem“, also in einem Gesamtvorgang;365 im zweiten Fall sprach Gaius auch von einer „successio“.366 Der Erwerb eines Nachlasses kraft Erbenstellung oder durch Beantragung der bonorum possessio war die bedeutendste, aber nicht die einzige Fallgruppe einer „successio per universitatem“. Ebenso kam es nach Gaius zu einer solchen im Fall des Vermögensverkaufs (venditio bonorum), der Annahme eines Gewaltfreien als Kind (adrogatio) oder der Aufnahme der Ehefrau in den Hausverband des Mannes (conventio in manum).367 Für Gaius war der Vorgang der „successio per universitatem“ somit nicht auf den Rechtserwerb von Todes wegen beschränkt. Ebenso wenig war es erforderlich, dass die Rechtsbeziehungen einer Person vollständig auf eine andere Person übergingen. So kam es etwa bei der adrogatio im Unterschied zur Erbfolge nur zu einem Übergang der aktiven Vermögenswerte, während die Schulden der adoptierten Person erloschen.368 Die von Gaius vorgenommene Klassifikation wurde in späteren Jahrhunderten begrifflich verfeinert, u. a. durch die Unterscheidung zwischen Singular- und Universalsukzession,369 in der Substanz wird sie aber bis heute unverändert fortgeführt. Einflussreich war eine Schrift von Hasse aus dem Jahr 1822, der „Universal-Succession (successio per universitatem)“ definierte als Übergang eines „Aggregat[s] von Rechten als ein juristisches Ganzes auf eine andere Person“ und „Singular-Succession (successio in rem)“ als Übertragung von „Rechte[n] als Einzelheiten, sey es eines, seyen es viele auf einmal“.370 Savigny, der sich ausdrücklich auf Hasse bezog,371 räumte beiden Arten der „Succession“ einen prominenten Platz innerhalb der Kategorie der „Juristischen Thatsachen“ ein372 und verband die 365
Gai. 2, 97, 191. Dazu schon oben A.V. (176 ff.). Gai. 2, 157; 3, 77; 3, 82. Dazu Schulz, Classical Roman Law, Rn. 368. 367 Gai. 2, 98. 368 Gai. 3, 82. Dazu sowie zum Fall des Vermögensverkaufs auch Siber, Geschichtliches und Rechtsvergleichendes, 997 f. 369 Schulz, Classical Roman Law, Rn. 368 weist darauf hin, dass die Bezeichnung des Rechtsübergangs per Einzelakt als „successio“ nachklassischen Ursprungs ist. 370 Hasse, AcP 5 (1822), 19. 371 Savigny, System III, § 105 (13). 372 Savigny, System III, § 104 (8). Zur Unterscheidung der beiden Sukzessionsarten ebd., § 105 (12 f.). 366
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Thematik mit dem Begriff des Vermögens. Hierunter verstand Savigny die Gesamtheit der Verhältnisse, „welche […] die Macht eines Einzelnen erweitern“, also Schuldverhältnisse und Sachenrechte.373 Im Übergang dieses Vermögens als „ideales Ganzes, ohne Rücksicht auf seinen besonderen Inhalt“, sah Savigny den Gegenstand der Universalsukzession.374 Dabei betonte er zugleich, dass das Erlöschen bestimmter Rechte, etwa des Nießbrauchs im Fall des Erbrechts oder der Schulden im Fall der adrogatio, mit dem Begriff der Universalsukzession nicht unvereinbar sei.375 Ferner konnte eine Universalsukzession nach Savigny sogar beim Übergang lediglich einer bestimmten Vermögensquote vorliegen,376 wobei ihm ohne Zweifel die römische Regelung bei Erbenmehrheit vor Augen stand. In Fortsetzung dieser Linie definiert auch die heutige deutsche Zivilrechtswissenschaft die Universalsukzession als Vermögensübergang uno actu,377 d. h. aufgrund eines einheitlichen Transfertatbestands, bei dem auf die jeweiligen Voraussetzungen der rechtsgeschäftlichen Singularsukzession (also etwa der §§ 929, 873, 925, 414, 415 BGB) verzichtet wird.378 Mitunter wird dieser Vorgang noch feiner untergliedert und zwischen der Einheitlichkeit des Übergangsmodus, der Einheitlichkeit des Übergangszeitpunkts und der Einheitlichkeit der Übergangscausa unterschieden.379 Aus dem Blick geraten darf dabei freilich nicht das weitere konstitutive Element der Universalsukzession, dass nämlich die betroffenen Gegenstände auch insofern als Ganzes übertragen werden, als alle dieselbe Destination haben, d. h. denselben Empfänger.380 Denn würden sie zwar uno actu übertragen, aber jeweils auf unterschiedliche Personen, läge eine Vielzahl von Einzelnachfolgen vor. Nicht als Erfordernis der Universalsukzession gilt hingegen, dass die übergehen373
Savigny, System III, § 105 (13). Savigny, System I, § 53 (339 f.). Näher zum Begriff des Vermögens und der Universalsukzession bei Savigny Wegmann, Begründung des Erbrechts, 26–44. 375 Savigny, System III, § 105 (14). 376 Savigny, System III, § 105 (13 f.). 377 Claussen, Gesamtnachfolge und Teilnachfolge, 34, spricht deshalb auch von der „uno actuTheorie“ der Universalsukzession. 378 Siehe etwa K. Schmidt, AcP 191 (1991), 501 f.; J. W. Flume, Vermögenstransfer und Haftung, 1, 5; Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 36, 717; Neuner, Allgemeiner Teil, § 19 Rn. 39. Ungenau Kipp/Coing, Erbrecht, 5, die von einem Übergang „ipso iure“ sprechen, damit aber nicht den Erwerb ohne weiteres Zutun, sondern uno actu meinen. Zu den ökonomischen Vorteilen einer Universalsukzession, insbesondere der signifikanten Einsparung von Transaktionskosten, Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 719–721. 379 Siehe vor allem Muscheler, Erbrecht, I, Rn. 8 00, 814, 819; HWBEuP/Kroppenberg, Universalsukzession, 1560 f. Fraglich scheint allerdings, ob nicht die Einheitlichkeit des Übergangsmodus immer auch die Einheitlichkeit des Erwerbszeitpunkts impliziert. Zwar ist Muscheler, Erbrecht I, Rn. 802, darin Recht zu geben, dass die Einheitlichkeit des Erwerbsmodus nicht den Modus als solchen (also etwa Übergang ipso iure oder durch Antritt) präjudiziert, sondern der Modus lediglich für alle betroffenen Gegenstände derselbe sein muss. Doch ist dann eben nicht zu sehen, wie der Übergang zu unterschiedlichen Zeitpunkten stattfinden kann. In dem bei Muscheler, Erbrecht I, Rn. 815 genannten Beispiel liegt denn auch gerade kein einheitlicher Übergangsmodus vor, weshalb die Stelle im Widerspruch zu Rn. 802 steht. 380 Muscheler, Erbrecht I, Rn. 764 diskutiert diesen Aspekt unter der „Einheit des Erwerbssubjekts“. 374
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den Rechtsbeziehungen eine universitas, also ein selbständiges Rechtsobjekt bilden.381 Wo allerdings die Rechtsbeziehungen des Verstorbenen bereits zu Lebzeiten als Einheit aufgefasst werden, so wie es ursprünglich bei der römischen Hausgemeinschaft der Fall war, ist eine Universalsukzession präjudiziert.382 Als prominentestes Beispiel383 oder gar als Paradigma einer Universalsukzessi384 on gilt der Vermögensübergang nach § 1922 BGB, aber er ist längst nicht der einzige Fall.385 So kommt es im deutschen Recht zu einem geschlossenen Vermögensübergang beispielsweise auch beim Anfall von Vereins- oder Stiftungsvermögen an den Fiskus,386 bei Vereinbarung einer ehelichen Gütergemeinschaft387 oder bei der Verschmelzung oder Spaltung von Gesellschaften.388 Das Verständnis von Universalsukzession als geschlossenem Übergang eines Vermögens („transfer of a patrimony“), sei es von Todes wegen oder unter Lebenden, findet sich auch im rechtsvergleichenden Schrifttum.389 Als Beispiel für eine Universalsukzession unter Lebenden nennt Gretton den Austausch eines trustee und die damit verbundene Nachfolge in das trust-Vermögen.390 Zu betonen ist abschließend, dass Singularsukzessionen zwar typischerweise Rechtsübertragungen unter Lebenden sind, ebenso aber von Todes wegen eintreten können. So erlaubte das römische Recht die direkte Übertragung eines Einzelgegenstandes mittels legatum per vindicationem, während nach englischem Recht bis 1897 ein erblasserisches Grundstück im Wege der Einzelnachfolge auf den heir oder devisee überging.391 Nachgebildet werden kann eine erbrechtliche Singularsukzession durch Rechtsgeschäfte unter Lebenden auf den Todesfall („will-substitutes“392), etwa durch eine aufschiebend befristete Schenkung. (2) Totaler oder partieller Vermögensübergang? Möchte man nun das genannte Verständnis von Universalsukzession auf den römischen heres und den englischen personal representative anwenden, zeigt sich die Notwendigkeit einer weiteren Differenzierung. Denn es fand zwar in beiden Fällen 381 Muscheler, Erbrecht I, 835; HWBEuP/Kroppenberg, Gesamtrechtsnachfolge, 1560; Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 716 f. 382 Siehe auch Kipp/Coing, Erbrecht, 5; Muscheler, Erbrecht I, Rn. 737. 383 Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 36. 384 K. Schmidt, AcP 191 (1991), 497; Frye, Gesamtrechtsnachfolge, § 2 Rn. 39. 385 Siehe die Überblicke bei Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 37, und Neuner, Allgemeiner Teil, § 19 Rn. 40. 386 §§ 46, 88 BGB. 387 § 1416 BGB. 388 §§ 20 Abs. 1 Nr. 1, 131 Abs. 1 Nr. 1 UmwG. 389 Gretton, RabelsZ 71 (2007), 832; L. Smith, EPTJ 28 (2009), 346. 390 Gretton, ICLQ 49 (2000), 617. 391 Für den Fall der Hinterlassung mehrerer Grundstücke nimmt Holmes, The Common Law, 269, an, dass „[e]ach and every parcel of land descends as a separate and specific thing“. Näher liegt es allerdings, auch insoweit das Vorliegen einer (gegenständlich beschränkten) successio per universitatem zu bejahen. 392 Dazu oben § 1 I.III. (114 ff.).
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„mit einem Streich“ eine gebündelte Übertragung von Rechtsverhältnissen statt;393 doch traten heres und personal representative nicht notwendig in sämtliche vererbliche Beziehungen des Verstorbenen ein. Dass das Erlöschen mancher Rechte mit dem Tod des Erblassers das Vorliegen einer Universalsukzession nicht ausschließt, wurde bereits gesagt.394 Doch wie steht es damit, dass bestimmte vererbliche Rechte deshalb vom geschlossenen Übergang auf den heres oder den personal representative ausgenommen waren, weil sie einen eigenen Weg gingen? Im römischen Recht kam es hierzu zum einen bei Anordnung eines Vindikationslegats, zum anderen aber auch bei einer Mehrheit von heredes (jedenfalls seit Geltung der Regel „nomina ipso iure divisa“395). Im englischen Recht war bis 1897 das Grundeigentum (realty) vom Übergang auf den personal representative ausgenommen.396 Nimmt man den Begriff der Universalsukzession wörtlich, so verlangt er mehr als eine Pluralsukzession, nämlich den geschlossenen Übergang des gesamten vererblichen Vermögens. Folgt man diesem Verständnis, so kann für das englische Recht von Universalsukzession erst (aber immerhin) seit 1897 gesprochen werden, weil der personal representative ab diesem Zeitpunkt auch in die realty eintrat. Im römischen Recht wäre es hingegen nur im Fall eines Alleinerben und bei Fehlen von Vindikationslegaten zu einer Universalsukzession gekommen. Im Hinblick auf die Zulassung solcher letztwillig angeordneten Einzelnachfolgen ließe sich auch davon sprechen, dass der Grundsatz der Universalsukzession im römischen Recht nicht zwingend war. Indessen wird der Vorgang der Universalsukzession in aller Regel in einem weiteren Sinne verstanden, so dass der Vermögensübergang nicht totaler Natur sein muss, sondern auch nur bestimmte Teile eines Vermögens betreffen und damit beschränkter oder partieller Natur sein kann.397 So bezeichnete etwa Oliver Wendell Holmes „[e]xecutors and administrators“ als „the chief, if not the only, example of
393 Dies verkennt etwa Ferid, Recueil des Cours 142 (1974-II), 120, der für die englische Rechtstradition von einem Übergang ut singuli spricht und damit den typischen Fehler begeht, allein auf den Erwerb des beneficiary zu blicken und den Erwerb des personal representative auszublenden. 394 Siehe oben C.II.4.b)(1) (214 ff.). 395 Dazu oben A.IV. (174 f.). 396 Siehe oben B.IV.6. (191 ff.). 397 Siehe etwa K. Schmidt, AcP 191 (1991), 501 f. (die Ausführungen von Hasse, AcP 5 (1822) 19, 22 f. dürften die vorgebrachte Ansicht allerdings nicht stützen, auch wenn dort von einem „Aggre gat von Rechten“ die Rede ist; kritisch auch Claussen, Gesamtnachfolge und Einzelnachfolge, 31); Neuner, Allgemeiner Teil, § 19 Rn. 39, wonach eine Universalsukzession zwar „vornehmlich das Vermögen als Ganzes“ betrifft, aber an sich nur verlangt, dass „einzelne Rechte […] zusammen mit anderen Rechten“ übergehen. Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 718 f., der das „Paradigma der partiellen Universalsukzession“ in der umwandlungsrechtlichen Spaltung sieht. Nicht selten wird die hier diskutierte Differenzierung aber auch gar nicht angesprochen, siehe etwa J. W. Flume, Vermögenstransfer und Haftung, 1, 5, der nur von einem „Vermögensübergang uno actu“ spricht. Der Gegenauffassung, wonach Universalsukzession also den Übergang des gesamten Vermögens meint, folgen naturgemäß die Anhänger des erbrechtlich geprägten Begriffsverständnisses, siehe etwa v. Tuhr, Allgemeiner Teil, II/1, 86 f. und die in Fn. 403 zitierten Autoren.
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universal succession in English law“,398 obwohl zur damaligen Zeit (vor 1897) die Rechtsnachfolge des personal representative nur das bewegliche Vermögen betraf. Zu ähnlicher Zeit betonte in Deutschland Andreas Heusler, dass eine Universal sukzession keineswegs das gesamte Vermögen erfassen müsse, sondern auch auf bestimmte Vermögensbestandteile beschränkt sein könne.399 Heusler lag entscheidend daran, die Vereinbarkeit des Grundsatzes der Universalsukzession mit dem für die germanische Tradition charakteristischen Zerfall des Erblasservermögens in verschiedene Teilmassen darzulegen.400 Diese Fragmentierung bedeutete demnach nicht den Ausschluss einer Universalsukzession, sondern das Nebeneinander mehrerer „specieller Universalsuccessionen“.401 c) Spezifisch erbrechtliches Verständnis der Universalsukzession (1) Einführung Im Vergleich zu dem soeben erörterten allgemein-zivilrechtlichen Verständnis, das die Universalsukzession im Wesentlichen als eine Übertragungstechnik betrachtet, ist das spezifisch erbrechtliche Verständnis dieses Begriffes normativ stärker aufgeladen und vorwiegend auf das Objekt des Rechtsübergangs fokussiert.402 Universalsukzession soll danach bedeuten, dass die vermögensrechtliche Stellung des Verstorbenen grundsätzlich umfassend und unverändert fortgeführt wird,403 das fortgefallene Rechtssubjekt also gewissermaßen durch ein anderes ersetzt wird.404 Boehmer sprach in diesem Zusammenhang anschaulich von der „Fortsetzung des Rechtslebens“ des Erblassers.405
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Holmes, The Common Law, 269. Heusler, Institutionen II, § 175 (533), § 177 (555, 557); weniger klar hingegen ders. bei § 175 (535 f.), da er nicht deutlich genug differenziert zwischen der Frage, welche Rechtsverhältnisse überhaupt übergehen, und der Frage, ob innerhalb der vererblichen Beziehungen eine Unterscheidung erfolgt. 400 Heusler, Institutionen II, § 175 (533), mit Kritik an dem „unfruchtbaren Streit“. 401 Stobbe, Deutsches Privatrecht V, 9; siehe auch HRG/Sedatis, Universalsukzession, 490; Claussen, Gesamtnachfolge und Teilnachfolge, 40, der in den beschränkten Sondererbfolgen des mittelalterlichen Rechts allerdings zu Unrecht die historische Wurzel des weiten Verständnisses der Universalsukzession sieht (wie oben gesehen (Fn. 367), ist der Ursprung vielmehr bei Gaius zu suchen). 402 Gut herausgearbeitet wird der grundsätzliche Unterschied zwischen beiden Begriffsverständnissen von Claussen, Gesamtnachfolge und Einzelnachfolge, 34 f., der allerdings die spezifisch erbrechtliche Kolorierung der, wie er sie nennt, „Nachfolgetheorie“ nicht voll erfasst. 403 Siehe etwa Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 10; Kipp/Coing, Erbrecht, 4–6; Kaser, Römisches Privatrecht I, 672 f.; HRG/Sedatis, Universalsukzession, 490; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 85 f. Mit Abstand am detailliertesten ist die (am deutschen Recht ausgerichtete) Darstellung von Muscheler, Erbrecht I, Rn. 740, der fünf Aspekte der Universalsukzession unterscheidet: Gesamtheit des Übergangsobjekts, Einheit des Erwerbssubjekts, Einheitlichkeit des Übergangsmodus, Einheitlichkeit des Übergangszeitpunkts und Einheitlichkeit der Übergangscausa. Diese Aspekte werden sodann weiter in verschiedene Teilaspekte gegliedert. 404 Dazu auch Claussen, Gesamtnachfolge und Einzelnachfolge, 35–37. 405 Boehmer, Übergang des Pflichtenlebens, 216. 399
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Seinen terminologischen Ursprung hat dieses Verständnis von Universalsukzession ebenfalls im römischen Recht, allerdings in anderen Quellenstellen: Es geht zurück auf die Vorstellung einer „successio in universum ius defuncti“,406 mit der die Römer die Rechtsstellung des heres veranschaulichten.407 Dementsprechend reicht das spezifisch erbrechtliche Verständnis der Universalsukzession seinem Gegenstand nach deutlich über das allgemein zivilrechtliche Begriffsverständnis hinaus: Es bezeichnet nicht nur einen Aspekt des erbrechtlichen Erwerbs, sondern dient als Klammer für eine Reihe verschiedener Teilaspekte. Der Vorgang einer successio per universitatem gehört dazu, steht aber neben anderen. Die Bezeichnung dieser übrigen Teilelemente ist nicht einheitlich, variiert in der Schwerpunktsetzung und ist mitunter auch etwas diffus. Doch lassen sich jedenfalls drei der Universalsukzession zugeschriebene Kernaspekte identifizieren: der Grundsatz der Vererblichkeit, der Grundsatz der Vermögenseinheit und der Grundsatz der Vermögensverschmelzung.408 Diese Kernaspekte sind im Folgenden näher zu erörtern. (2) Grundsatz der Vererblichkeit Der Grundsatz der Vererblichkeit als Teilaspekt der Universalsukzession meint, dass die vermögensrechtliche Stellung des Erblassers nicht nur hinsichtlich bestimmter Teile, sondern grundsätzlich umfassend über seinen Tod hinaus fortgeführt wird.409 Die Universalsukzession soll also „Gesamtübergang des Vermögens“ ebenso wie „Übergang des gesamten Vermögens“ sein,410 successio per universitatem genauso wie successio in universitatem.411 In heutiger Zeit äußert sich dieses Verständnis in den Versuchen, den Übergang des „digitalen Nachlasses“ auf den oder die Erben aus § 1922 BGB herzuleiten.412 Diese Begründung überzeugt deshalb nicht, weil die Frage der Vererblichkeit von Rechtsverhältnissen dem § 1922 BGB vorgelagert ist.413
Folge des genannten Begriffsverständnisses wäre etwa, dass für eine Rechtsordnung, die die Schulden des Verstorbenen erlöschen lässt, nicht von Universalsuk406 Siehe etwa Rabel, Römisches Recht, 202; Zimmermann, Heres fiduciarius?, 270; Wacke, ZRG (RA) 123 (2006), 198. Inkonsequent Kipp/Coing, Erbrecht, 5, die den begrifflichen Ursprung der Universalsukzession in der successio per universitatem sehen, aber zugleich dem spezifisch erbrechtlichen Verständnis folgen. 407 Siehe oben § 3 A.V. (176 ff.). 408 Unvollständig die Darstellung bei Windel, Modi der Nachfolge, 8. 409 Kipp/Coing, Erbrecht, 4; Meincke, Auswirkungen der Rechtsnachfolge, 29 f.; Muscheler, Erbrecht I, Rn. 741, spricht von der „Allheit bzw. Gesamtheit des Übergangsobjekts“, was insofern nicht überzeugend erscheint, als damit auch der Grundsatz der Vermögenseinheit bezeichnet sein könnte. 410 Lange/Kuchinke, Erbrecht, 86 (Hervorhebung im Original). 411 Staudinger/Boehmer 11, § 1922 Rn. 104, der mit diesem Begriff allerdings zugleich den unter (3) diskutierten Aspekt bezeichnet. 412 Siehe insbesondere BGH NJW 2018, 3178 = ZEuP 2020, 168 (mit Anmerkung Traschler). 413 Dazu schon oben § 2 A.IV. (128 f.) und unten Fn. 436.
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zession gesprochen werden könnte, selbst wenn sich der Übergang der aktiven Vermögenswerte per universitatem vollzöge.414 Der spezifisch erbrechtliche Begriff der Universalsukzession steht in diesem Punkt also im Widerspruch zu dessen allgemein-zivilrechtlichem Verständnis, weil dieser weder voraussetzt, dass Rechtsbeziehungen grundsätzlich vererblich sind, noch, dass es zu einem Übergang auch der Verbindlichkeiten kommt. Zu beachten ist freilich, dass auch im römischen Recht die vermögensrechtlichen Positionen nicht absolut fortgeführt wurden.415 So war etwa der Besitz des Verstorbenen ebenso wenig vererblich wie ein usufructus oder ein mandatum.416 Wenn Savigny die Übertragung der zum Vermögen gehörenden Forderungen und Schulden als das „eigentliche Kennzeichen der Universalsukzession“ beschrieb,417 so erhob auf den ersten Blick auch er den Grundsatz der Vererblichkeit zum Bestandteil der Universalsukzession und wandte sich damit von dem allgemein-zivilrechtlichen Verständnis des Begriffs, das er maßgeblich mitgeprägt hatte, ab. Doch ist Savignys Aussage vor dem Hintergrund des auch von ihm noch zugrunde gelegten Unübertragbarkeitsdogmas zu sehen, dem zufolge Forderungen und Verbindlichkeiten nur durch Erbfall auf einen neuen Rechtsträger übergehen konnten, nicht aber durch Geschäft unter Lebenden.418 Savigny meinte also nicht, dass eine Universalsukzession den Übergang von Forderungen und Verbindlichkeiten verlangt, sondern dass umgekehrt ein Übergang von Forderungen und Verbindlichkeiten nur durch Universalsukzession bewerkstelligt werden kann.
(3) Einheit des Erblasservermögens Ein zweiter Teilaspekt der Universalsukzession wird darin gesehen, dass das Vermögen des Verstorbenen nicht nur in seiner Gesamtheit „überlebt“, sondern unabhängig von der Zahl der Nachfolger auch in seiner Gesamtheit fortgeführt wird und damit insbesondere nicht aufgrund von Sondererbfolgen in verschiedene Teilmassen zerfällt (die dann typischerweise jeweils von einem Alleinnachfolger fortgesetzt werden).419 Dieser Aspekt, der häufig mit dem Begriff der „Generalsukzes-
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Siehe etwa Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 14. Dies wird betont von Bernhöft, Zur Reform des Erbrechts, 32 f., und Meincke, Auswirkungen der Rechtsnachfolge, 29. Demgegenüber suggeriert Heusler, Institutionen I, § 175 (535 f.) § 176 (540), dass der heres stets in sämtliche vermögensrechtlichen Beziehungen der Verstorbenen eingetreten sei. 416 Hierzu und zu weiteren Beispielen Kaser, Römisches Privatrecht I, 674. 417 Savigny, System III, § 105 (15). 418 Savigny, System III, § 105 (15). Näher J. W. Flume, Vermögenstransfer und Haftung, 17 f. 419 Siehe etwa Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 10; Kipp/Coing, Erbrecht, 5; v. Lübtow, Erbrecht II, 665; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 6; Wacke, ZRG (RA) 123 (2006), 198; Muscheler, Erbrecht I, Rn. 765–767. Auch Röthel, Ist unser Erbrecht noch zeitgemäß?, A 26 f. (Fn. 93), benutzt den Begriff der „Universalsukzession“ implizit im Sinne eines Fehlens von Sondererbfolgen zugunsten einzelner Kinder. 415
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sion“420 oder „Generalität des Erbrechts“421 charakterisiert wird, markierte einen Unterschied des römischen Rechts zur englischen Tradition, solange dieses noch zwischen personalty und realty unterschied, letztlich natürlich aber zu allen Erb rechtsregimen feudaler Prägung.422 Erneut ist freilich daran zu erinnern, dass auch das römische Recht die Einheit des Vermögens nicht uneingeschränkt gewährleistete, indem es erstens die Möglichkeiten eines Vindikationslegats vorsah423 und zweitens den Nachlass im Fall einer Mehrheit von heredes in reelle und ideelle Bruchteile zerfallen ließ. (4) Grundsatz der Vermögensverschmelzung Schließlich wird als weitere zentrale Komponente einer successio in universum ius defuncti ein Umstand gesehen, der an späterer Stelle noch eingehend zu würdigen ist: Der heres trat nicht nur grundsätzlich umfassend in die Rechtsstellung des Verstorbenen ein, sondern führte diese auch in unveränderter Form als eigene fort, was insbesondere bedeutete, dass er persönlicher Schuldner wurde und mit seinem gesamtem gegenwärtigen und künftigen Vermögen haftete.424 Einer solchen confusio bonorum wird ein Modell gegenübergestellt, das den Nachlass als gesonderte Vermögensmasse behandelt425 – wie es eben schon sehr früh für das englische Recht charakteristisch war.426 d) Erbrechtsvergleichendes Verständnis Wenn die heutige Erbrechtsvergleichung von „Universalsukzession“ oder „universal succession“ spricht, hat sie oftmals ausschließlich den soeben genannten Vorgang der Vermögensverschmelzung im Blick und erhebt ihn somit von einem Teil420 Gleichbedeutend wird von „Generalerbfolge“ gesprochen, siehe etwa Heusler, Institutionen II, § 175 (533), der die Begriffsbildung und insbesondere die (unten bei C.II.4i) (232 ff.) noch zu untersuchende) Unterscheidung von der „Universalsukzession“ maßgeblich geprägt zu haben scheint. Ihm folgend z. B. Wesener, in: FS Waldstein, 401; Muscheler, Erbrecht I, Rn. 769 (der die Bedeutung der Unterscheidung allerdings stark herunterspielt). Siehe daneben etwa v. Lübtow, Erbrecht II, 665; Bielefeld, Entwicklung des Erbschaftserwerbs, 6 f., 9. 421 Röthel, Erbrecht, § 1 Rn. 17–22. 422 Siehe oben B.I. (179 ff.). 423 Staudinger/Boehmer 11, § 1922 Rn. 105, nennt als einzige Durchbrechung das Vindikationslegat (siehe auch Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 10). 424 Diesen Aspekt betonen insbesondere Förster, Theorie und Praxis IV, § 270 (278); ders./Eccius, Preußisches Privatrecht IV, § 270 (547) (die jeweilige Berufung auf Savigny, System III, 13 f. ist dabei freilich irreführend, weil Savigny die Vermögensverschmelzung dem Begriff der Universalsukzession gar nicht beilegt); Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 10; Weiss, Institutionen 554 (gegen Binder, Rechtsstellung II, 50). Auch Muscheler, Erbrecht I, Rn. 756, 841; ders., Erbrecht II, Rn. 3487, betrachtet die confusio bonorum als Teilelement der Universalsukzession. Kipp/ Coing, Erbrecht, 517 f. sehen keine zwingende Verbindung, halten die unbeschränkte Haftung aber immerhin für die „logische Konsequenz“ der Universalsukzession. 425 Siehe insbesondere Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 16, 18, 31; Staudinger/Boehmer 11, § 1922 Rn. 107. 426 Dazu unten § 4 B.II.1. (285 ff.).
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§ 3 Die Schaffung einer Abwicklungsinstanz
aspekt zum eigentlichen Kern der Universalsukzession. Besonders deutlich zeigt sich dies zum einen dort, wo das Gegenmodell in einem System des „executorship“ gesehen wird,427 zum anderen aber auch dort, wo der Begriff der Universalsukzession vorwiegend negativ, d. h. durch Abwesenheit eines formalisierten Liquidationsverfahrens bestimmt wird.428 Anschauliches Beispiel ist der US-amerikanische Uniform Probate Code, der seit 1982 eine Option zur Nachlassabwicklung mittels „universal succession“ vorsieht und diese unter dem Titel einer „Succession with out Administration“ behandelt, also Rechtsnachfolge ohne formales Abwicklungsverfahren.429 Was den Vorgang der „Universalsukzession“ hingegen positiv charakterisieren soll, wird in der Regel nicht klar herausgearbeitet. Wird die Bedeutung der „universal succession“ etwa im „direct transfer of the estate to the heirs“430 gesehen oder im Umstand, „that the beneficiaries are in principle stepping into the shoes of the de cuius not merely with regard to his assets, but also as far as all outstanding liabilities of the estate of the de cuius are concerned“,431 gelingt die Abgrenzung von der gesonderten Abwicklung gerade nicht. Denn abgesehen davon, dass nach römischer Tradition keineswegs jeder Begünstigte unmittelbar in den Nachlass eintrat, kennt das englische Recht durchaus den Fall, dass ein Begünstigter unmittelbar in den Nachlass eintritt und für die Bezahlung der Schulden verantwortlich ist: nämlich dann, wenn der beneficiary zugleich personal representative ist. Was die betreffenden Autoren meinen, aber nicht klar sagen, ist die Verschmelzung des Nachlasses mit dem Vermögen des kontinentalen „heir“. e) Zwischenfazit Der Begriff der Universalsukzession erweist sich als äußerst schillernd und tritt im nationalen und rechtsvergleichenden Schrifttum in mindestens drei Bedeutungsvarianten auf: einer allgemein-zivilrechtlichen, einer spezifisch erbrechtlichen und einer erbrechtsvergleichenden Variante. Deutlichster Ausdruck dieser Vielfalt sind widerstreitende Ansichten darüber, ob der Grundsatz der Universalsukzession nur die römische Erbrechtstradition kennzeichnet oder auch die englische. 427 Siehe etwa Sonnekus, ZEuP 2005, 73; Reimann, ZEV 2015, 512. Eine ähnliche (wenn auch im Einzelnen unklar bleibende) Unterscheidung findet sich bei Pringsheim, Succession, 680, mit der Gegenüberstellung von „wirkliche[n] Universalsukzessoren“ und „bloße[n] Treuhänder[n]“; siehe auch Heymann, Überblick, 341 f. IECL/Schwind, Liability for Obligations of the Inheritance, Nr. 13, 18, unterscheidet zwischen „Systems of Universal Succession and Limitation by Option“ und „Systems of Liability Limited by Law“ und versteht „universal succession“ damit ebenfalls im Sinne einer Vermögensverschmelzung. Dukeminier/Sitkoff/Lindgren, Wills, Trusts, and Estates, 48, sehen den Besonderheiten des US-amerikanischen Rechts entsprechend das Gegenmodell zur „universal succession“ in einer „court-supervised administration of estates“. 428 In diesem Sinne etwa Rauscher, AcP 199 (1999), 248. 429 Näher dazu unten § 7 A.I. (571 ff.). 430 De Waal, Comparative Succession Law, 1095. 431 Sonnekus, ZEuP 2005, 73; ähnlich Dukeminier/Sitkoff/Lindgren, Wills, Trusts, and Estates, 48.
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Auf den ersten Blick folgt aus dieser Divergenz allein die Forderung nach einer reflektierten und transparenten Begriffsverwendung. Doch muss eine methodisch anspruchsvolle Rechtsvergleichung noch weiter gehen und nach der Leistungsfähigkeit der jeweiligen Begriffsverständnisse fragen. Denn es kommt auch der Schluss in Betracht, dass am Ende alle drei zu verwerfen sind oder jedenfalls zur fortgesetzten Verwendung einer Verfeinerung bedürfen. Zu beginnen ist mit dem spezifisch erbrechtlichen Verständnis der Universalsukzession, weil seine Probleme nicht nur erheblich gravierender, sondern auch augenfälliger sind. Zudem erweist sich das erbrechtsvergleichende Verständnis gewissermaßen als ein Produkt dieser Probleme. f) Die Probleme des spezifisch erbrechtlichen Verständnisses der Universalsukzession (1) Nationaler und vergleichender Kontext Der Wert des spezifisch erbrechtlichen Verständnisses der Universalsukzession ist bereits dort fraglich, wo er gar nicht zu Zwecken des Vergleichs, sondern nur zu Zwecken der Beschreibung und Systematisierung einer bestimmten nationalen Rechtsordnung gebraucht wird, etwa der römischen oder der heutigen deutschen. Denn die Bündelung verschiedener, isoliert behandelbarer Teilelemente zu einem Oberbegriff droht den Unterschied zwischen diesen zu verwischen. So ist denn auch zu beobachten, dass zwischen dem Grundsatz, dass alle vermögenswerten Rechte und Pflichten vererblich sind, und dem Grundsatz, dass das Vererbte als Einheit übergeht, nicht immer sauber unterschieden432 und dadurch eine notwendige Verbindung zwischen beiden Aspekten suggeriert wird.433 Ein Übergang des vererblichen Nachlasses als Ganzes ist aber natürlich auch dort denkbar, wo dieser Nachlass nur einen Ausschnitt aus dem lebzeitigen Rechts- und Pflichtenleben des Erblassers darstellt, weil dieses im Übrigen mit dem Tod erloschen ist. Dies führt zum anschließenden, für die Zwecke dieser Arbeit entscheidenden Punkt: Der Vergleich verschiedener Erbrechtsregime auf Grundlage eines Begriffs, der anhand einer bestimmten nationalen Rechtsordnung, in diesem Fall der römischen, entwickelt wurde, setzt sich nicht nur dem Vorwurf einer fehlenden Neutralität des Standpunkts aus;434 auch erweist sich ein solches Vorgehen als Hemmnis für eine differenzierte Betrachtungsweise. Denn indem verschiedene rechtliche Aspekte ohne Not zu einem Begriff gebündelt werden, büßt dieser erheblich an Un432 Siehe etwa Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 10, der beide genannten Aspekte unter dem Begriff der successio in universitatem zusammenfasst (ebenso Staudinger/Boehmer 11, § 1922 Rn. 104); ähnlich Meincke, Auswirkungen der Rechtsnachfolge, 29 f. Muscheler, Erbrecht I, Rn. 741, 764, unterscheidet beide Aspekte klar voneinander, diskutiert den ersten allerdings unter einem Begriff („Gesamtheit des Übergangsobjekts“), der viel besser zur Bezeichnung des zweiten Aspekts passen würde. 433 Dass die rechtstheoretische Begründung des Grundsatzes der Vererblichkeit sich problemlos isoliert untersuchen lässt, zeigt Giger, Schicksal des Rechts III. 434 Ähnlich schon die Kritik bei Heusler, Institutionen II, § 176 (540).
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§ 3 Die Schaffung einer Abwicklungsinstanz
terscheidungskraft ein und versperrt den Weg zur präzisen Benennung der Gemeinsamkeiten und Unterscheide der verglichenen Rechtsordnungen. (2) Die Folgen der begrifflichen Überfrachtung Das erstgenannte Problem zeigt sich darin, dass die Aussage, einer bestimmten Rechtsordnung sei der Grundsatz der Universalsukzession fremd, ganz verschiedene Bedeutungen haben kann. Sie kann sich erstens auf die Frage der Vererblichkeit beziehen und beispielsweise meinen, dass die betreffende Rechtsordnung Schulden mit dem Tod des Erblassers erlöschen lässt, dass sie nur entwickelte, aber keine schwebenden Rechts- und Haftungsbeziehungen des Erblassers fortführt435 oder keine Zweifelsregel einer Vererblichkeit kennt.436 Mit der Abwesenheit einer Universalsukzession könnte zweitens das Bestehen von Sondererbfolgen gemeint sein, also etwa die getrennte Vererbung von Grundeigentum und Fahrnis. Schließlich könnte mit dem Fehlen einer Gesamtnachfolge aber auch gemeint sein, dass eine gesonderte Nachlassliquidation anstelle einer Vermögensverschmelzung stattfindet. Schließlich könnten natürlich auch mehrere Punkte gleichzeitig gemeint sein, womit sich die Frage stellt, ob erst ihr kumulatives Vorliegen zum Ausschluss der Universalsukzession führt.437 Wird immerhin klargemacht, aus welchem Grund das Vorliegen einer Universalsukzession verneint wird, zeigt sich das zweite o.g. Problem, dass nämlich durch die Feststellung des Unterschieds in Bezug auf einen Teilaspekt des weit verstandenen Begriffs der Universalsukzession mögliche Gemeinsamkeiten hinsichtlich der übrigen Teilaspekte aus dem Blickfeld geraten. So bleibt etwa Autoren, die aufgrund der gesonderten Abwicklung des Nachlasses den Vorgang einer Universalsukzession für die englische Rechtstradition verneinen, häufig die Einsicht verschlossen, dass es in ihr trotzdem zu einer successio per universitatem kommt, und seit 1897 sogar hinsichtlich des gesamten vererblichen Vermögens. Wo diese Gemeinsamkeiten immerhin erkannt werden, tritt das Problem auf, dass ein Begriff 435 Dies betrachten als Aspekt der Universalsukzession etwa Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 28–30; Muscheler, Erbrecht I, Rn. 750; Eidenmüller, Fälle zum Erbrecht, Fall 3; Schmoeckel, Erbrecht, § 4 Rn. 9 –12. 436 Eine solche will dem Begriff der Universalsukzession Muscheler, Erbrecht I, Rn. 744 entnehmen; unter Hinweis auf den in § 1922 Abs. 1 BGB genannten Begriff des „Vermögens“ auch Staudinger/Kunz (2017), § 1922 Rn. 16, 63. Zu Recht sieht dagegen Windel, Modi der Nachfolge, 6 f., 200, die Frage der Vererblichkeit als dem § 1922 BGB vorgeordnet an. Auch Budzikiewicz, AcP 218 (2018), 589, will dem § 1922 BGB in der Frage der Vererblichkeit „kaum Leitbildcharakter“ zuerkennen. Auf den Kopf gestellt wird das Verhältnis von gesetzlicher Wertung und Begriffsbildung bei Donner, Vererblichkeit, 27, die mit „einem richtigen Verständnis der Gesamtrechtsnachfolge“ darauf schließen will, „welche Rechtsverhältnisse durch sie übertragen werden und welche nicht.“ 437 So begründen Kipp/Coing, Erbrecht, 5 f., das Fehlen einer Universalsukzession im englischen Recht zum einen damit, dass bis 1925 Grundeigentum nach besonderen Regeln vererbt wurde, zum anderen mit der Existenz einer gesonderten Nachlassliquidation. Unausgesprochen bleibt dabei, ob der zweitgenannte Aspekt genügt, um auch für die Zeit nach 1925 das Vorliegen von Universalsukzession zu verneinen.
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zu ihrer Beschreibung fehlt, weil derjenige der Universalsukzession bereits verbraucht ist. Den Ausweg suchen manche Autoren bezeichnenderweise darin, dass sie ihr Verständnis der Universalsukzession bei Bedarf kurzerhand modifizieren und damit die Ungeeignetheit ihres ursprünglichen Verständnisses implizit einräumen. So stellt etwa Boehmer, nachdem er zunächst die unbeschränkte Haftung des Erben als Merkmal der Universalsukzession bezeichnet hat,438 an späterer Stelle einer solchen „vollen Universalsukzession“ die „schlichte Gesamtnachfolge“ gegenüber, bei der die Schulden nur den Aktivnachlass belasten (und es damit also gerade nicht zu einer confusio bonorum kommt).439 Dieselbe begriffliche Inkonsequenz zeigt sich dort, wo Boehmer den englischen personal representative als „Universalsukzessor“ bezeichnet.440 Schließlich müsste, wer die Vermögensverschmelzung zum Merkmal der Universalsukzession erhebt,441 deren Vorliegen im Kontext des deutschen Rechts folgerichtig immer dort verneinen, wo der Erbe nur beschränkt haftet, also bei der Erbenmehrheit, bei Anordnung der Nachlassverwaltung, bei einem dürftigen Nachlass usw. Soweit ersichtlich, zieht diese Konsequenz aber niemand, womit die Verwendung des Begriffs der Universalsukzession sich als inkonsistent erweist.442
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Siehe oben Fn. 424. Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 100 f. Siehe auch ebd., 105: „schlichte“ vs. „echte“ Gesamtnachfolge. Ähnlich Muscheler, in: FS Kroeschell, 741, 749, der im Kontext der unbeschränkten Haftung des römischen heres von „strikter“ bzw. „radikal und vollständig“ durchgeführter Universalsukzession spricht und dadurch implizit anerkennt, dass ein Fortbestand des Nachlasses als Sondervermögen das Vorliegen einer Universalsukzession nicht ausschließt. Osthold, Erben und Haftung, will die unbeschränkte Haftung zunächst nicht mit der Universalsukzession verknüpfen (10–16), betrachtet im weiteren Verlauf die Vermögensmischung dann aber doch als deren Konsequenz: siehe 94 (Verschmelzung „infolge der Universalsukzession“), 96 (Absonderung des Nachlasses als Aufweichung „der stringenten Universalsukzession“, 111 f. („reine Universalsukzession“), 140 („[…] Universalsukzession gemeinrechtlicher Prägung, d. h. mit dem Erbfall eintretender Konfusion von Erbenvermögen und Nachlass […]“). Die unbeschränkte Verfügungsmacht betrachtet als Merkmal der Universalsukzession Kunz, ErbR 2020, 320. 440 Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 13 (keine Rolle spielt dabei, dass Boehmer irrtümlich noch die vor 1925 geltende Rechtslage zugrunde legt). Siehe ferner Muscheler, Erbrecht I, Rn. 798, dessen Bezeichnung des englischen executor als „Universalsukzessor auf Zeit“ (ähnlich ders., Testamentsvollstreckung, 2: „vorläufig“) nicht nur inkonsequent ist, sondern überdies auch unzutreffend: Denn der executor behält seine Stellung als Gesamtnachfolger auch nach der (vermeintlichen) Beendigung der Abwicklung, was sich nicht zuletzt daran zeigt, dass später noch entdeckte Nachlassgegenstände ihm zugewiesen sind. Und selbst wenn man nicht auf das Merkmal der Rechtsnachfolge abstellt, sondern auf die Ausübung eines Amtes, ändert sich nichts an der lebzeitigen Dauer (Kerridge, Law of Succession, [23-47]). 441 Siehe zusätzlich zu den bereits genannten Stimmen auch die bei Osthold, Erben und Haftung, 11 (Fn. 46), zitierten. Von einer „konsequenten Folge der Universalsukzession“ spricht auch K. W. Lange, Erbrecht, § 69 Rn. 5 (Fn. 5). 442 Siehe etwa Muscheler, Erbrecht I, Rn. 841, der die Vermögensvermischung als Merkmal der Universalsukzession ansieht, sich aber nicht dazu äußert, warum eine solche auch dort vorliegen soll, wo der Nachlass (wie etwa bei der Erbengemeinschaft) ein Sondervermögen bildet. 439
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§ 3 Die Schaffung einer Abwicklungsinstanz
(3) Überdehnung und Reduktion Aus allgemein-begriffsanalytischer Sicht ist schließlich zu bemängeln, dass das spezifisch erbrechtliche Verständnis der Universalsukzession Ausdruck einer unzureichenden Unterscheidung zwischen essentiellen und akzidentellen Begriffsmerkmalen ist: Aus dem Umstand, dass bei der Rechtsstellung des römischen heres bestimmte Elemente miteinander einhergingen, wird gefolgert, dass zwischen ihnen eine notendige Verbindung besteht. Folge dieser unzureichend reflektierten Methodik ist zum einen die Gefahr einer Überdehnung des Begriffs der Universalsukzession, zum anderen aber auch die Gefahr einer Bedeutungsverschiebung infolge einer unsachgemäßen Reduktion. Die erstgenannte Gefahr zeigt sich dort, wo beispielsweise auch der Modus, nach dem sich der Nachlassübergang vollzieht, als Merkmal der Universalsukzession betrachtet wird, im Kontext des deutschen Rechts dann also der Übergang ipso iure.443 An sich ist diese Begriffserstreckung nur konsequent. Denn wenn mit Universalsukzession der gesamte Vorgang des Eintretens in die Rechtsstellung des Verstorbenen bezeichnet werden soll, dann gehört der Übergangsmodus genauso dazu wie die anderen Elemente. Der Umstand, dass etwa im deutschen Recht der Grundsatz der Universalsukzession – man möchte sagen: zufällig – mit dem Erwerb ipso iure einhergeht, heißt aber natürlich nicht, dass Letzterer als Bestandteil des Ersteren angesehen werden muss.444 Wer dies dennoch tut, müsste beispielsweise für eine Rechtsordnung wie Österreich das Vorliegen einer Universalsukzession aufgrund des Erfordernisses einer gerichtlichen Einantwortung verneinen (und wegen des Erfordernisses einer aditio übrigens auch schon für den römischen Außenerben). Die Tür zu einem differenzierten Vergleich der übrigen Teilelemente der Universalsukzession wäre damit wieder versperrt. Die zweitgenannte Gefahr hat sich in dem Verständnis von Universalsukzession realisiert, das hier als erbrechtsvergleichendes bezeichnet wird, also der Auffassung, dass der Wesenskern der Universalsukzession im Vorgang der Vermögensverschmelzung bestehe und Gegenbegriff die gesonderte Nachlassliquidation sei. Dabei sind die Verbindungen zum Wortsinn und den historischen Hintergründen als Resultat des folgenden terminologischen Fehlschlusses weitgehend gekappt worden: (1) Der römische heres war Universalsukzessor; (2) der Nachlass verschmolz 443 Siehe etwa Kipp/Coing, Erbrecht, 503; Meincke, Rechtsnachfolge im Steuerrecht, 30; Rö thel, Erbrecht, § 31 Rn. 2 (entgegen der Differenzierung in § 6 Rn. 30 f.); K. W. Lange, Erbrecht, § 8 Rn. 21–24. Auch Häcker, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 192 f. (Fn. 6) zieht im Kontext des englischen Rechts den Erwerbsmodus in den Begriff der Universalsukzession hinein, wenn sie meint, dass diese dadurch „gewisse Einschränkungen“ erfahre, dass ein administrator nur durch gerichtliche Ernennung in den Nachlass eintritt. Bucher, in: FS Hausheer, 37, identifiziert Universalsukzession sogar unmittelbar mit einem Vonselbsterwerb des Nachlasses und sieht das Gegenstück in einem System, das zunächst eine hereditas iacens entstehen lässt. Ebenso wohl Geimer, Erbrechtsverordnung, 9 f. 444 So zu Recht auch Muscheler, Erbrecht I, Rn. 734, der sich allerdings fragen lassen muss, ob er nicht konsequenterweise etwa auch den Grundsatz der Vererblichkeit vom Begriff der Universalsukzession lösen müsste.
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mit dem Eigenvermögen des heres, wurde also nicht gesondert abgewickelt; (3) ergo: Universalsukzession ist gleichbedeutend mit Abwesenheit einer gesonderten Nachlassabwicklung. Das erbrechtsvergleichende Verständnis der Universalsukzession vermeidet damit zwar das Problem der begrifflichen Überfrachtung, behandelt den als solchen zutreffend identifizierten Aspekt der Nachlassabwicklung – den Unterschied zwischen integrierter und gesonderter Abwicklung – aber unter einer unpassenden und überdies irreführenden Bezeichnung. g) Die Probleme des allgemein-zivilrechtlichen Verständnisses der Universalsukzession Während das spezifisch erbrechtliche Verständnis der Universalsukzession wie gesehen daran krankt, dass es infolge einer unnötigen Bündelung von Voraussetzungen zu sperrig ist, leidet das allgemein-zivilrechtliche Verständnis gewissermaßen an dem entgegengesetzten Übel: Aufgrund zu geringer Anforderungen droht es seine Unterscheidungskraft und damit seine Brauchbarkeit für die Erbrechtsvergleichung einzubüßen.445 Zwar ist, entgegen einer mitunter geäußerten Ansicht,446 der Vermögensübergang uno actu einer Erbrechtsordnung, die eine durchgehende Zuordnung zu einem Rechtsträger anstrebt, keineswegs notwendig vorgegeben, weil es denkbar wäre, dass qua Gesetz oder letztwilliger Verfügung für jeden einzelnen Nachlassgegenstand eine gesonderte Übertragungsanordnung vorgesehen wird.447 Doch ließe sich eine solche Lösung allenfalls dort realisieren, wo nur einzelne, für den Gesetzgeber oder den Testator leicht identifizierbare Rechte überhaupt vererblich wären, wie z. B. das Eigentum am Wohngrundstück. Wo hingegen im Grundsatz alle vermögenswerten Rechtsbeziehungen vererblich sind, wäre es auch dem gewissenhaftesten Erblasser (vom Gesetzgeber ganz zu schweigen) praktisch unmöglich, für jeden einzelnen davon eine Übergangsverfügung zu treffen. Eine Rechtsordnung, die den Grundsatz der Vererblichkeit nicht leerlaufen lassen will, kommt deshalb nicht umhin, Auffangregelungen zu erlassen, indem sie sich bestimmter Gattungs- und Sammelbegriffe wie „Verbindlichkeiten“, „bewegliche Sachen“ oder eben „das (übrige) Vermögen“ bedient und insoweit eine Universalsukzession im Sinne einer Residualsukzession eintreten lässt (was für Gesetzgeber und Erblasser zugleich den Vorzug einer erheblichen Verminderung des Rege-
445 Ähnlich die Kritik bei Claussen, Gesamtnachfolge und Teilnachfolge, 35 f., im Kontext der deutschen Dogmatik. 446 Siehe etwa K. Schmidt, AcP 191 (1991), 497 („keine andere Wahl“); dem folgend Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 718; Frye, Gesamtrechtsnachfolge, § 2 Rn. 42. 447 Hierauf weist zu Recht Savigny, System III, § 105 (16) hin. Die in Fn. 4 46 zitierten Autoren dürften hingegen unbewusst von der (durch ihre eigene Rechtsordnung geprägten) Vorstellung ausgegangen sein, dass eine erbrechtliche Einzelrechtsnachfolge nicht stattfindet.
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§ 3 Die Schaffung einer Abwicklungsinstanz
lungsaufwands mit sich bringt448).449 Es dürfte denn auch zu keiner Zeit eine Erbrechtsordnung gegeben haben, in der die Universalsukzession nicht zumindest eine solche Auffangfunktion erfüllt hat, und in diesem Sinne hat der Satz Heuslers, dass „der Begriff der Universalsukzession von dem der Erbfolge so untrennbar [ist] wie das Licht von dem Sonnenstrahle“,450 seine Berechtigung. Eine Universalsukzession im genannten Sinne muss von einer Erbrechtsordnung m. a.W. nicht erst erfunden werden, sondern ist die natürliche (wenngleich nicht zwingende) Lösung bei einer Rechtsnachfolge aufgrund des Wegfalls eines Rechtsträgers. Für die Rechtsvergleichung birgt ein solches Verständnis von Universalsukzession nun im Unterschied zu dem vorher diskutierten zwar keine Gefahren, seine Leistungsfähigkeit bleibt aber auf die deskriptive Ebene beschränkt. h) Universalsukzession als Grundsatz des geschlossenen Nachlassübergangs Die vorangehenden Erörterungen haben gezeigt, dass keines der etablierten Verständnisse des Begriffs der Universalsukzession für Zwecke der Erbrechtsvergleichung zu gebrauchen ist. Der logische Schluss hieraus wäre an sich, den Begriff jedenfalls für das Thema der vorliegenden Arbeit gänzlich zu verwerfen und damit auch eine zentrale Quelle von Missverständnissen zu beseitigen. Wenn dieser radikale Schritt hier dennoch nicht gegangen wird, so liegt der Grund darin, dass beide Begriffsverständnisse einen gesunden und insoweit auch weitgehend übereinstimmenden Kern aufweisen, der sich im Wege einer Synthese für rechtsvergleichende Zwecke fruchtbar machen lässt. Das allgemein-zivilrechtliche Verständnis der Universalsukzession wird dabei zum Ausgangspunkt genommen, jedoch dadurch material stärker aufgeladen, dass es mit dem Aspekt der Vermögenseinheit kombiniert wird. Dies bedeutet, dass es für das Vorliegen einer Universalsukzession im hier verstandenen Sinne nicht ausreicht, dass irgendein „Komplex von Rechten“ aufgrund eines einheitlichen Erwerbstatbestands übergeht,451 die Universalsukzession also lediglich eine Residualfunktion erfüllt. Stattdessen muss, wenn der Begriff der 448 Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 717. Muscheler, Erbrecht I, Rn. 738 sieht hierin einen Zuwachs an Testierfreiheit, aber dies gilt nur in formaler, nicht auch in materialer Sicht. Denn die Ausübung der letztwilligen Verfügungsbefugnis wird nur praktisch erleichtert, nicht aber auch inhaltlich erweitert. 449 Siehe auch Meincke, Auswirkungen der Rechtsnachfolge, 30; HWBEuP/Kroppenberg, Universalsukzession, 1561; Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 718. Ausführlicher Muscheler, Erbrecht I, der den Punkt allerdings an zwei unterschiedlichen Stellen diskutiert, nämlich einmal beim Übergangsobjekt (Rn. 742) und einmal beim Übergangsmodus (Rn. 801), und damit die Unterscheidung zwischen beiden Aspekten verwischt. Nach zutreffender Ansicht geht es beim hier erörterten Problem nicht um die Frage, ob eine bestimmte Rechtsbeziehung überhaupt vererblich war, denn dies ließe sich notfalls ex post für jeden Einzelfall ermitteln. Stattdessen geht es allein um die nachgelagerte Stufe, d. h. die Überleitung auf den designierten Nachfolger. Wird diese nicht sichergestellt, droht die Vererblichkeit „durch die Hintertür“ vereitelt zu werden. 450 Heusler, Institutionen II, § 175 (536). 451 K. Schmidt, AcP 191 (1991), 501. Näher zur allgemein angenommenen Zulässigkeit einer partiellen Universalsukzession oben C.II.4b)(2) (216 f.).
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Universalsukzession eine Rechtsordnung in aussagekräftiger Weise charakterisieren soll, die geschlossene Fortführung der gesamten vererblichen Rechtsstellung des Verstorbenen ein systemprägendes Prinzip sein, so dass Ausnahmen – sei es durch Einzelnachfolgen, sei es durch partielle Universalsukzessionen – zwar möglich sind, aber punktueller Gestalt sein und eine Art numerus clausus bilden müssen. Von dem spezifisch erbrechtlichen Verständnis der Universalsukzession unterscheidet sich das hier propagierte damit in zweierlei Hinsicht: Erstens ist davon nicht die Frage umfasst, welche Rechtspositionen überhaupt vererblich sind; zweitens spielt es auch keine Rolle, ob der Nachlass mit dem Vermögen seines neuen Trägers sofort verschmilzt oder als Sondervermögen fortbesteht.452 Das hier befürwortete Verständnis von Universalsukzession lässt sich also einerseits als erweitertes allgemein-zivilrechtliches, andererseits aber auch als zurückgestutztes spezifisch erbrechtliches Verständnis der Universalsukzession verstehen.453 Wird wie hier der Vorgang einer Vermögensverschmelzung nicht als Teilelement der Universalsukzession betrachtet, muss der Begriff konsequenterweise auch in umgekehrter Richtung indifferent sein, d. h. in Bezug auf den Fortbestand des Nachlasses als Sondervermögen. Der Vorgang der Universalsukzession ist also mit einer solchen Vermögensfortsetzung vereinbar, verlangt sie aber genauso wenig wie eine Vermögensverschmelzung.454 Universalsuk zession bedeutet m. a.W. nur, dass sich der gesamte Nachlass am selben rechtlichen Ort befindet, nicht jedoch auch, dass der Nachlass einen eigenen Zuordnungsverband bildet (anderenfalls müsste für das römische Recht aufgrund des Grundsatzes der confusio bonorum das Vorliegen einer Universalsukzession abgelehnt werden!). Immerhin besteht insoweit ein zwingender Zusammenhang zwischen beiden Elementen, als dass eine Fortsetzung des Nachlasses als Sondervermögen eine Universalsukzession voraussetzt455 – zumindest wenn man die Gestaltung außer Betracht lässt, dass der Nachlass mit dem Tod seines bisherigen Trägers zur juristischen Person wird und es somit gar nicht zu einer echten Rechtsnachfolge kommt.
Legt man den skizzierten Maßstab an das römische und das englische Recht an, so lässt sich, entgegen dem, was das hergebrachte Bild erwarten ließe, das Vorliegen einer Universalsukzession im zweiten Fall leichter begründen als im ersten, und 452 Für ein solches Verständnis von Universalsukzession im deutschen Recht etwa auch MüKoBGB/Leipold, § 1922 Rn. 180–191, der die Frage einer Vermögensverschmelzung oder Vermögenssonderung durch den Begriff nicht determiniert sieht (Rn. 187–191) und die Frage der Vererblichkeit gesondert diskutiert (Rn. 19–176). Gegen eine zwingende Verknüpfung von Universalsukzession und Vermögensverschmelzung (bzw. unbeschränkter Haftung) auch schon Munk, Gutachten, 32 f., 36 f.; Endemann, Erbrecht III/2, 854; aus heutiger Zeit Staudinger/Kunz (2017), § 1922 Rn. 119, und Röthel, Erbrecht, § 6 Rn. 14, 32, § 31 Rn. 2. Inkonsequent ist dies. allerdings insoweit, als sie auch den gerichtsfernen Charakter der Abwicklung und den Vonselbsterwerb des Erben als Ausprägungen der Universalsukzession betrachtet (§ 31 Rn. 2). 453 Während eine successio per universitatem wie gesehen nicht notwendig den gesamten Nachlass erfassen muss, impliziert umgekehrt der Übergang des Nachlasses als Einheit eine successio per universitatem, siehe auch Windel, Modi der Nachfolge, 9. 454 Anders noch J. P. Schmidt, in: FS Gretton, 331 (Separierbarkeit des Nachlasses als Ausdruck der Universalsukzession). 455 Ähnlich MüKoBGB/Leipold, § 1922 Rn. 181: Vermögenssonderung wird durch Gesamtnachfolge erleichtert.
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zwar auch für die Zeit vor 1897. Denn erstens kam es bereits im englischen Hochmittelalter zu einer ausnahmslosen Bündelung aller Verbindlichkeiten in Person des personal representative; und zweitens war die Universalsukzession hinsichtlich der aktiven Vermögenswerte zwar auf die personalty beschränkt, insoweit aber bruchlos: Denn anders als das römische gestattete das englische Recht einem Testator keine Einzelzuwendung mit dinglicher Wirkung.456 Zu betonen ist schließlich, dass es auch bei einer Mehrheit von personal representatives nicht zu verschiedenen partiellen Universalsukzessionen kam, vielmehr die personal representatives gemeinschaftlich in die Rechtsbeziehungen eintraten.457 Als mit dem „Land Transfer Act“ von 1897 auch die realty auf den personal representative überging, erfasste die Universalsukzession dann sogar zwingend das gesamte erblasserische Vermögen und wurde eine totale. Für das römische Recht wird das Vorliegen einer Universalsukzession im genannten Sinne hingegen nicht nur durch die Möglichkeit eines Vindikationslegats, sondern vor allem auch durch die Situation bei Erbenmehrheit infrage gestellt. Denn der Zerfall des Nachlasses in verschiedene Bruchteile bedeutete das Nebeneinander verschiedener partieller Universalsukzessionen. Und dennoch lässt sich auch für das römische Recht der Universalsukzession systemprägende Bedeutung zuerkennen.458 So ist zunächst zu beachten, dass der Ausnahme von der Gesamtnachfolge durch testamentarische Verfügungen rechtlich wie faktisch enge Grenzen gesetzt waren. Denn weder konnte ein Erblasser Verbindlichkeiten einzeln zuweisen, noch bestimmte Teilkomplexe seines Vermögens. Auch die Einsetzung eines Erben auf einzelne Gegenstände (heres ex re certa) war ihm nicht möglich.459 Das Vindikationslegat bot sodann zwar theoretisch die Möglichkeit, sämtliche aktiven Vermögenswerte einzeln zuzuweisen und dem heres vorbehaltlich der quarta Falcidia nur die Schulden zurückzulassen. Doch wären die Chancen, dass der heres eine derart unattraktive Erbschaft antrat, in der Praxis gering gewesen. Und wies er den Nachlasserwerb zurück, fielen auch die Vermächtnisse dahin, so dass der Erwerb der Legatare mittelbar eben doch der Kontrolle des heres unterlag.460 Ein starkes Argument für den systemprägenden Charakter der Universalsukzession im römischen Recht ist schließlich auch, dass im Fall des Nachlassverkaufs, der funktional die Rolle eines Nachlassinsolvenzverfahrens spielte, die Einheit des Nachlasses wiederhergestellt wurde.461 Universalsukzession im hier verstandenen Sinne bildet damit die materiellrechtliche Grundlage der Nachlassabwicklung, und zwar der integrierten wie der gesonderten. Der englische executor oder administrator konnte die ihm zugewiesene 456 457
174 f.
Siehe oben B.IV.6. (191 ff.). Als Ausdruck der Universalsukzession betrachtet dies auch Giger, Schicksal des Rechts II,
458 Keinen Widerspruch zwischen Universalsukzession und Zulassung von Vindikationslegaten sieht auch Muscheler, Erbrecht I, Rn. 777 f. 459 Näher Staudinger/Boehmer 11, § 1922 Rn. 104. 460 Dazu schon oben A.II. (169 f.). 461 Dazu unten § 4 A.V.4. (260).
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Aufgabe nur deshalb erfüllen, weil ihm auch die entsprechenden rechtlichen Befugnisse zugewiesen waren, und die Idee einer representation des Verstorbenen lässt sich gerade auch als englisches Substitut für den Begriff der Universalsukzession sehen,462 der sich jenseits des Kanals nie etablieren konnte.463 Die Abwicklerrolle des römischen heres war demgegenüber Konsequenz seiner Stellung als Gesamtnachfolger.464 Universalsukzession ist somit kein Selbstzweck, sondern Mittel zur geordneten Nachlassabwicklung, indem sie die in der Hand des Verstorbenen bestehende Verbindung von Aktiva und Passiva nicht auseinanderreißt, sondern möglichst weitgehend aufrechterhält. Historisch besteht ein Bedürfnis hierfür erst ab dem Moment, in dem Verbindlichkeiten vererblich sind.465 Die gläubigerschützende Funktion der Universalsukzession466 wird am klarsten durch die Probleme illustriert, mit denen römisches und englisches Recht bei den Ausnahmen von diesem Grundsatz konfrontiert waren. So war ein Gegenstand, den ein römischer Testator im Wege eines legatum per vindicationem vermacht hatte, dem Zugriff der Nachlassgläubiger entzogen und nur über Umwege „rückholbar“. Im Fall einer Mehrheit von heredes musste der Gläubiger anstelle seiner zu Lebzeiten des Erblassers bestehenden Gesamtforderung nun verschiedene Teilforderungen durchsetzen. In England schließlich war Erblassergläubigern bis 1897 der Zugriff auf das unbewegliche Vermögen zumindest deutlich erschwert. Obgleich Ausnahmen wie diese nach dem hier befürworteten Verständnis nur als Einschränkung, nicht aber als Negierung der Universalsukzession aufzufassen sind, lassen sie deren Konturen zugleich klarer hervortreten. i) Universalsukzession und Generalsukzession (1) Die Möglichkeit der Unterscheidung Abzugrenzen ist der Begriff der Universalsukzession nach dem hier zugrunde gelegten Verständnis schließlich noch vom Grundsatz der „Generalsukzession“, mit 462
Deutlich wird dies etwa anhand des Gebrauchs bei Pollock/Maitland, History II, 257, 259. Dazu auch J. P. Schmidt, in: FS Gretton, 325. 464 Siehe oben C.I. (197 ff.). 465 Siehe Pollock/Maitland, History II, 259: „If there is to be no representation of the dead man for the purpose of keeping obligations alive, then there is not great reason why the things that he leaves behind him should all go one way, and early Germanic law shows a tendency to allow them to go different ways. It sees no cause why some one person or some set of conjoint persons should succeed in universum ius defuncti.“ Ähnlich schon ebd., 257. Siehe auch Giger, Schicksal des Rechts II, 169 f. 466 Siehe bereits oben § 1 B.V. (12 ff.). Nicht überzeugend ist es hingegen, mit Windel, Modi der Nachfolge, 13 f., dem Grundsatz der Universalsukzession aufgrund der Separierbarkeit des Nachlasses auch erbenschützende Funktion beizumessen. Denn das Bedürfnis für einen solchen Schutz ergibt sich überhaupt erst aus der Stellung des Erben als Universalsukzessor, zudem ist die Möglichkeit der Absonderung nicht als Element der Gesamtnachfolge zu betrachten (siehe oben Text bei Fn. 454). Im französischen Recht wird die gläubigerschützende Funktion der Vermögenserhaltung von Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 76 (82), betont. 463
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dem, wie oben gesehen467, der Umstand bezeichnet wird, dass eine Erbrechtsordnung keine Differenzierung nach Art oder Herkunft von Nachlassgegenständen vornimmt, sondern diese grundsätzlich einem einheitlichen Regime unterwirft. In Anlehnung an die kollisionsrechtliche468 und die französische Terminologie469 ließe sich auch von der „Einheit der Erbfolge“ sprechen. Während Ausnahmen von der Generalsukzession durch Sondererbfolgen, etwa für Grundeigentum oder das Vermögen aus der mütterlichen Linie (materna maternis), dem römischen Recht bemerkenswerterweise immer fremd blieben (oder jedenfalls schon sehr früh überwunden wurden), waren sie charakteristisches Merkmal der mittelalterlichen Ständegesellschaften.470 In Frankreich sollte die Überwindung der zahlreichen Sondererbfolgen des Ancien Régime,471 die nicht nur verworren und konfliktträchtig waren,472 sondern zudem Ausdruck einer eklatanten Ungleichbehandlung der Kinder eines Erblassers,473 sogar zu einer zentralen Errungenschaft der Revolution werden, die in dem – auch als „texte fondateur“ bezeichneten474 – Art. 732 Code civil475 ihren triumphalen Ausdruck fand: „La loi ne considère ni la nature ni l’origine des biens pour régler la succession.“476 Dementsprechend genießt die „Einheit der Erbfolge“ (unité de la succession) im
467
Siehe oben C.II.4c)(3) (220 ff.). Mit dem Grundsatz der „Nachlasseinheit“ (unity of succession) ist gemeint, dass die gesamte Erbfolge einer einzigen Rechtsordnung unterworfen wird (so auch die in Art. 23 Abs. 1 EuErbVO niedergelegte Lösung) und z. B. nicht zwischen beweglichem und unbeweglichem Vermögen differenziert wird. Näher zum Ganzen Dutta/Weber/J. P. Schmidt, Internationales Erbrecht, Art. 23 Rn. 1–9. Zum Zusammenhang von Universalsukzession und kollisionsrechtlicher Nachlasseinheit auch Muscheler, Erbrecht I, Rn. 739. 469 Dazu sogleich im Text. 470 Dazu schon oben B.I. (179 ff.). 471 Zu diesen Lequette, in: Melanges Simler, 167, 172 f.; Grimaldi, Succession, Nr. 59. 472 Lequette, in: Melanges Simler, 167 f. 473 Lequette, in: Melanges Simler, 176; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 77 (84). Siehe auch schon oben § 1 B.V. (12 ff.). 474 Lequette, in: Melanges Simler, 168. 475 Durch die Erbrechtsreform von 2001 wurde die in Art. 732 Code civil enthaltene Regelung ersatzlos aufgehoben, was aber lediglich Folge gesetzgeberischer Unachtsamkeit war (näher Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 81) und nach überwiegender Ansicht am Fortbestand des Grundsatzes der „unité de la succession“ nichts geändert hat: eingehend Lequette, in: Melanges Simler, 167–184; siehe auch Grimaldi, Succession, Nr. 115. In der Tat bedarf die einheitliche Behandlung des Nachlasses keiner expliziten Anordnung, da sie sich mittelbar schon daraus ergibt, dass der französische Gesetzgeber bei Regelung der gesetzlichen Erbfolge nur nach verschiedenen Gruppen von Berufenen unterschieden hat und nicht nach verschiedenen Gegenständen. Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 77 (84), 81 (89), bezeichnen die „unité de la succession“ in einem System des gleichmäßigen Verwandtenerbrechts deshalb auch als „nécessité structurelle“. Wie schon bei der Universalsukzession (siehe oben) gilt also, dass der Grundsatz der Nachlasseinheit in einer jeden Rechtsordnung zumindest als Auffangregel angelegt ist und nicht eigens „erfunden“ werden muss. 476 Zur Herkunft der Vorschrift Lequette, in: Melanges Simler, 167. 468
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französischen Schrifttum seit jeher besondere Prominenz477 und gilt ungeachtet punktueller Ausnahmen478 als „Eckpfeiler“ (pierre angulaire) des Erbrechts.479 Was nun das Verhältnis von Universalsukzession und Generalsukzession angeht, so ist leicht zu sehen, dass beide jedenfalls dann sinnvoll nebeneinander existieren können, wenn der Begriff der Universalsukzession im allgemein-zivilrechtlichen Sinne verstanden wird und damit auch eine partielle, also auf bestimmte Vermögenskomplexe (etwa die bewegliche Habe) beschränkte Universalsukzession möglich ist. Dies war genau das Argument, mit dem Heusler die Zugehörigkeit der Universalsukzession auch zur deutschen Rechtstradition bejahte und die Notwendigkeit der Unterscheidung von der Generalsukzession begründete.480 Verlangt man hingegen wie hier, dass die Universalsukzession grundsätzlich totaler Natur sein muss, so besteht daneben auf den ersten Blick kein Bedarf für einen zusätzlichen Begriff wie den der „Generalsukzession“ oder der „Einheit der Sukzession“. Denn der Vorgang der Universalsukzession impliziert dann bereits die Gleichbehandlung aller vererblichen Nachlassgegenstände hinsichtlich Übergangsmodus und Übergangsziel.481 Umgekehrt scheint es dort, wo das Erbrecht ein Sonderregime z. B. für die Vererbung von Grundstücken vorsieht, automatisch zu einer Ausnahme von der unbeschränkten successio per universitatem zu kommen.482 Somit wird verständlich, warum im deutschen Schrifttum die Generalsukzession oft nur als ein Teilaspekt der Universalsukzession begriffen483 oder (in terminologisch fragwürdiger Weise484) mit einer das gesamte Vermögen erfassenden Universalsukzession sogar unmittelbar gleichgesetzt wird485 und warum umgekehrt das
477 Siehe etwa die eingehende Behandlung bei Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 76– 83; ferner Grimaldi, Successions, Nr. 115; Pérès, Will-Substitutes in France, 160. 478 Diese werden als „anomale Erbfolgen“ (successions anomales) bezeichnet, näher Grimaldi, Succession, Nr. 115; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 78, 206. Knüpfen die Sonderregeln an die Art des Gegenstands an (und nicht an seine Herkunft), wird auch von „successions particulières“ gesprochen, siehe Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 82. 479 Lequette, in: Melanges Simler, 167. 480 Siehe oben C.II.4b)(2) (216 f.). 481 Röthel, Erbrecht, § 6 Rn. 32. 482 Entgegen Windel, Modi der Nachfolge, 9 (Fn. 55), sind Sondererbfolgen aber nicht notwendig gleichbedeutend mit partieller Universalsukzession, da sie nicht nur Vermögenskomplexe, sondern auch Einzelgegenstände betreffen können und dann notwendig einen Fall der Singularsukzession darstellen. 483 Siehe oben C.II.4c)(3) (220 ff.). 484 Selbst wenn Universalsukzession und Generalsukzession stets auf dieselben Ergebnisse hinauslaufen sollten, bezeichnen sie unterschiedliche Aspekte, nämlich im ersten Fall die Gesamtheit der Nachlassgegenstände und im zweiten Fall deren Gleichbehandlung. 485 So etwa HRG/Sedatis, Universalsukzession, 490 („Generalsukzession“ als eine „Universalsukzession im weitesten Sinne“, d. h. bezogen auf das gesamte Vermögen); Giger, Schicksal des Rechts I, 48; ders., Schicksal des Rechts II, 195 (Generalsukzession als Universalsukzession, die sich auf das gesamte Vermögen erstreckt). Ohne nähere Erläuterung werden Generalsukzession und Universalsukzession gleichgesetzt bei Wacke, ZRG (RA) 123 (2006).
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französische Schrifttum neben dem Begriff der „unité de la succession“ offenbar nie einen Bedarf für den Begriff der „succession universelle“ verspürt hat.486 Indessen zeigt gerade das englische Recht, dass die Existenz von Sondervorschriften für bestimmte Gegenstände den Vorgang einer vollständigen Universalsukzession nicht ausschließt. So bedeutete zwar das für realty geltende Erbregime ursprünglich eine Ausnahme vom Grundsatz sowohl der Generalsukzession als auch der Universalsukzession. Doch endete dieser Gleichlauf mit dem „Land Transfer Act“ von 1897, weil fortan zwar das Grundeigentum ebenfalls auf den personal representative übergeleitet wurde, hingegen die Frage, wem das Grundstück als Begünstigtem zustand, weiterhin nach dem Grundsatz der Primogenitur beantwortet wurde. Zu einer vollständigen Generalsukzession und damit der Wiederherstellung der Parallele kam es erst, als mit dem „Administration of Estates Act“ von 1925 die Intestaterbfolge neu geregelt wurde und die letzten Sonderregeln für die Übertragung der realty wegfielen.487 Und sogar anhand des heutigen deutschen Rechts lässt sich der genannte Unterschied illustrieren, indem nämlich die in den meisten Bundesländern vorhandenen Sonderregime über die Vererbung von Bauernhöfen in zwei verschiedenen Varianten auftreten: Nach der ersten Lösung, die sich etwa in § 4 S. 1 HöfeO findet, kommt es zu einem unmittelbaren Übergang auf den Hof- bzw. Anerben und damit zu einer Ausnahme von der Universalsukzession. Nach der zweiten Lösung hingegen erfolgt die Zuweisung des Hofes erst im Rahmen der Auseinandersetzung der Miterbengemeinschaft, so dass hier die Universalsukzession keine Durchbrechung erfährt.488 Die erste Lösung lässt sich strukturell mit dem englischen Recht vor 1897 vergleichen, die zweite mit dem englischen Recht zwischen 1897 und 1925. Es zeigt sich somit die Möglichkeit, aber auch die Notwendigkeit, danach zu differenzieren, ob Sonderregeln für bestimmte Nachlassgegenstände die Zuweisungsdimension und die Vollzugsdimension des Erbrechts489 gleichermaßen betreffen oder nur eine davon.490 Historische Regelungen, die nach Art oder Herkunft eines Nachlassgegenstandes differenzierten, betrafen typischerweise beide Ebenen zugleich,491 konnten aber eben, wie das Beispiel des englischen Rechts in 486 Ein weiterer und vermutlich noch wichtigerer Grund hierfür liegt allerdings in der Lehre von der „Persönlichkeitsfortsetzung“, dazu oben A.V. (176 ff.). 487 Ungenau nach dem hier zugrunde gelegten Verständnis deshalb HWBEuP/Kroppenberg, 1561, die die uneingeschränkte Geltung der Universalsukzession in England auf 1925 und nicht schon auf 1897 datiert. 488 Näher Kipp/Coing, Erbrecht, 717; Staudinger/Mayer (2013), Art. 6 4 EGBGB, Rn. 21. 489 Zu dieser Unterscheidung oben § 1 B.I. (6 f.). 490 Keine Differenzierung zwischen beiden Ebenen nehmen hingegen Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 80 (86 f.) vor, was sie zu der Ansicht führt, dass eine „unité de la succession“ notwendig die Einheit des Erblasservermögens impliziere und umgekehrt eine Differenzierung nach Art oder Herkunft der Güter bei der Frage der Berufung (dévolution) notwendig die Einheit des Nachlasses beende. 491 Wobei auch je nach Gegenstand weitere Differenzierungen denkbar waren, etwa in der Frage der Schuldenhaftung. Siehe zum preußischen ALR in diesem Punkt Muscheler, Erbrecht I, Rn. 768.
C. Römisches und englisches Recht im Vergleich
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der Periode zwischen 1897 und 1925 zeigt, auch auf die Zuweisungsdimension beschränkt sein. Und auch der umgekehrte Fall, dass also eine Differenzierung allein in der Vollzugsdimension stattfindet, ist keineswegs nur theoretischer Natur, wie die Rechtsentwicklung in den USA zeigt. Denn hier kam es in vielen Bundesstaaten dazu, dass Grundvermögen zwar nicht auf der Ebene der Begünstigung, jedoch auf der Ebene der Nachlassabwicklung weiterhin gesondert behandelt wurde, indem es nicht oder nur nachrangig zur Schuldentilgung herangezogen werden konnte.492 Schließlich lässt sich aber auch schon anhand des römischen Rechts zeigen, dass eine Gleichbehandlung der Nachlassgegenstände auf der Zuweisungsebene nicht notwendig mit einem geschlossenen Übergang des Nachlasses einhergehen muss. Denn wo bei Fehlen eines Testaments eine Mehrheit von heredes in den Nachlass eintrat, erhielten zwar alle dieselbe quotale Beteiligung, der Nachlass bestand aber nicht als Einheit fort. Will man ein Überlappen der Begriffe Generalsukzession und Universalsukzession vermeiden, bietet es sich an, den ersten auf die Zuweisungsdimension zu beschränken und das Feld der Vollzugsdimension der Universalsukzession zu überlassen. Generalsukzession bedeutet dann also, dass die Rechtsordnung in der Frage der Begünstigung nicht nach Art oder Herkunft der Nachlassgegenstände differenziert,493 während Universalsukzession bedeutet, dass eine solche Differenzierung bei der Frage der Nachlassabwicklung unterbleibt. Folgt man diesem Verständnis, dann kommt es beispielsweise im heutigen deutschen Recht im Hinblick auf Bauernhöfe in allen Bundesländern mit entsprechenden Sonderregeln zu einer Ausnahme von der Generalsukzession, aber nur in manchen davon zu einer Ausnahme von der Universalsukzession. Ein weiteres Beispiel sind die Haushaltsgegenstände eines verheirateten Erblassers, für die es aufgrund der in § 1932 BGB vorgesehenen, im mittelalterlichen Recht wurzelnden Sonderzuweisung an den überlebenden Ehegatten (Voraus)494 zu einer Ausnahme vom Grundsatz der Generalsukzession kommt, wegen des rein schuldrechtlichen Charakters dieser Regelung aber nicht zu einer Ausnahme von der Universalsukzession. (2) Erblasserische Einzelzuwendungen als Ausnahmen von der Generalsukzession? Abschließend stellt sich die Frage, ob auch dort von Ausnahmen vom Grundsatz der Generalsukzession gesprochen werden sollte, wo zwar die Erbrechtsordnung nicht von sich aus zwischen verschiedenen Nachlassgegenständen differenziert, sie aber dem Erblasser eine solche Differenzierung per letztwilliger Verfügung gestattet. Auf den ersten Blick erschiene es inkonsequent, zwischen gesetzlichen und 492
Siehe oben Fn. 230. Zuzugeben ist, dass die hier vorgeschlagene Differenzierung sich mit Begriffen wie Generalsukzession oder Generalerbfolge nicht recht verträgt, weil diese ihrem Wortsinn nach gerade auch die Vollzugsdimension betreffen. Vorzugswürdig erscheint daher der flexiblere Begriff der „Generalität des Erbrechts“ (so etwa Röthel, Erbrecht, § 1 Rn. 17). 494 Siehe Lange/Kuchinke, Erbrecht, 265. 493
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§ 3 Die Schaffung einer Abwicklungsinstanz
letztwilligen Anordnungen zu differenzieren, da Erstere zwar abstrakt-genereller („Grundstücke“) und Letztere konkret-individueller („mein Haus“) oder jedenfalls konkret-genereller Natur sind („meine Grundstücke“), beide aber dieselben rechtlichen Wirkungen herbeiführen. Ferner lässt sich auch bei letztwilligen Einzelzuwendungen danach differenzieren, ob sie die Zuweisungs- und Vollzugsdimension gleichermaßen betreffen oder nur eine davon. Das römische legatum per vindicationem z. B. bedeutete nach dem hier zugrunde gelegten Verständnis sowohl eine Ausnahme von der Generalsukzession als auch eine Ausnahme von der Universalsukzession. Traf hingegen ein englischer Testator eine Einzelverfügung über einen ihm gehörenden beweglichen Nachlassgegenstand, so kam es allein zu einer Ausnahme vom Grundsatz der Generalsukzession, weil die personalty ungeachtet der Einzelverfügungen geschlossen auf den personal representative überging. Aus zwei Gründen wird der Begriff der Generalsukzession hier dennoch auf die Verteilungsanordnungen der Rechtsordnung beschränkt, so dass erblasserische Verfügungen nicht als Ausnahmen davon anzusehen sind. Erstens darf die formale Gleichheit ihrer Ergebnisse nicht darüber hinwegtäuschen, dass gesetzlich und letztwillig angeordnete „Sondererbfolgen“ rechtspolitisch ganz unterschiedliche Zielrichtungen verfolgen. Denn während eine letztwillige Einzelverfügung Ausdruck der erblasserischen Selbstbestimmung ist, erfüllten zumindest die historischen Sondererbfolgen grundlegende gesellschaftliche Ordnungsaufgaben.495 Zweitens ist zu beachten, dass der Begriff der Generalsukzession seine Unterscheidungskraft weitgehend verliert, wenn auch die letztwilligen Verfügungen über einzelne Gegenstände oder Gegenstandsklassen zu seinen Ausnahmen gerechnet werden. Denn solche Ausnahmen können in jeder Erbrechtsordnung auftreten, die ein Mindestmaß an Testierfreiheit gewährt.496 Das genaue Verständnis des Begriffs der Generalsukzession ist letztlich aber auch nicht entscheidend, da die vorliegenden Erörterungen vorrangig zum Ziel haben, dem Begriff der Universalsukzession dadurch schärfere Konturen zu verleihen, dass seine Unabhängigkeit von der Zuweisungsdimension betont wird. Erst dort, wo Universalsukzession mit einer differenzierten Begünstigungszuweisung einhergeht, tritt ihr normativer Gehalt vollumfänglich ins Bewusstsein. Zudem ging es darum zu zeigen, dass beim Thema Generalsukzession und Universalsukzession für das englische Recht nicht zwischen zwei, sondern zwischen drei Phasen unterschieden werden muss: der Phase bis 1897, der Phase von 1897 bis 1925 und der Phase seit 1925. Schließlich wird aber auch deutlich, dass die Besonderheit des römischen Erbrechts gegenüber den mittelalterlichen Rechtsordnungen weniger im 495 Siehe dazu oben § 1 B.V. (12 ff.). Wie allerdings die seit 1540 bestehende Möglichkeit, letztw illig über Grundvermögen zu verfügen, zeigte, schließen Sondererbfolge und Testierfreiheit einander nicht zwingend aus. 496 Denkbar wäre natürlich, dass eine Erbrechtsordnung nur letztwillige Gesamt-, hingegen keine Einzelverfügungen gestattet, so dass die Generalität der Erbfolge dann stets gewahrt bliebe. Doch dürfte es eine solche Rechtsordnung zu keiner Zeit gegeben haben, vielmehr ging, wie der historische Überblick zeigte (siehe oben § 2 C. (143 ff.)), die letztwillige Einzelverfügung der letztwilligen Gesamtverfügung typischerweise gerade voraus.
C. Römisches und englisches Recht im Vergleich
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Grundsatz der Universalsukzession bestand, den es gar nicht streng durchführte, als vielmehr in seiner Generalität, also der fehlenden Unterscheidung nach Art oder Herkunft der Güter. j) Zusammenfassung Nach dem hier befürworteten Verständnis von Universalsukzession gehört zu diesem Begriff weder die Frage, welche Rechtsbeziehungen überhaupt vererblich sind, noch die Frage, ob ein Nachlass als Sondervermögen fortbesteht oder mit dem Vermögen des Rechtsnachfolgers unmittelbar verschmilzt. Stattdessen ist unter dem Begriff der Universalsukzession allein der geschlossene Übergang des Nachlasses zu verstehen, also der Übergang aller vererblichen Rechte und Pflichten aufgrund eines einheitlichen Vorgangs auf einen einheitlichen neuen Träger. Zu Ausnahmen von der Universalsukzession kommt es, wenn einzelne Gegenstände oder Komplexe ein vom übrigen Nachlass unabhängiges rechtliches Schicksal haben. Der Grundsatzcharakter der Universalsukzession wird durch solche Ausnahmen so lange nicht infrage gestellt, wie sie die fortgesetzte Einheit des Vermögens nur punktuell durchbrechen. Eine bloße Residualnachfolge erfüllt diese Voraussetzungen aber nicht mehr. Der englische personal representative lässt sich nach diesem Verständnis nicht nur für die Zeit nach 1897 als Universalsukzessor des Erblassers bezeichnen, sondern auch schon für die Jahrhunderte davor, weil allein der unbewegliche Nachlass vom Übergang auf ihn ausgeschlossen war und der geschlossene Übergang der personalty auch nicht zur Disposition des Erblassers stand. Weiterreichend waren die Ausnahmen von der Universalsukzession im römischen Recht, einmal in Gestalt des legatum per vindicationem, sodann auch in Gestalt des quotenmäßigen Nachlasszerfalls im Fall einer Mehrheit von heredes. Bei einer Gesamtbetrachtung, die insbesondere die beschränkten Dispositionsmöglichkeiten des Erblassers sowie die Rekonstituierung des Nachlasses in bestimmten Konstellationen berücksichtigt, ist es dennoch gerechtfertigt, der Universalsukzession im hier verstandenen Sinne auch für das römische Recht prinzipiellen Charakter zuzusprechen. Der Grundsatz der Universalsukzession ist materiellrechtliche Grundlage der zentralen Nachlassabwicklung, der integrierten ebenso wie der gesonderten.497 Seine Ratio besteht im Schutz der Nachlassgläubiger, was gerade durch die im römischen und im englischen Recht bestehenden Ausnahmen und die Bemühungen zu ihrer Überwindung verdeutlicht wird. Von dem oft synonym verstandenen Begriff der „Generalsukzession“, der die Gleichbehandlung aller Nachlassgegenstände meint und im französischen Recht einen prominenten Status in Gestalt der „unité de la succession“ genießt, lässt sich der hier zugrunde gelegte Begriff der Universalsukzession dadurch abgrenzen, dass man diesen der Vollzugsdimension und jenen der Zuweisungsdimension des Erbrechts zuordnet. Sonderregeln für bestimmte Arten von Gegenständen betrafen in 497
Dazu auch unten § 8 A.III. (641 ff.).
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§ 3 Die Schaffung einer Abwicklungsinstanz
der Rechtsgeschichte typischerweise beide Ebenen zugleich, konnten aber auch auf eine davon beschränkt sein. So kannte das englische Erbrecht in der Phase zwischen 1897 und 1925 zwar immer noch Sonderregeln für realty, sie bedeuteten aber nicht länger eine Ausnahme von der Universalsukzession des personal representative.
III. Unterschiede zwischen heres und personal representative Auch wenn die wichtigsten Unterschiede zwischen heres und personal representative erst in § 4 deutlich werden, haben sich grundlegende Divergenzen bereits in der bisherigen Darstellung offenbart. 1. Implizite vs. explizite Abwicklerstellung Ein für sich gesehen nur formaler Unterschied zwischen römischem und englischem Recht besteht darin, dass Ersteres im Gegensatz zu Letzterem die Rolle des Abwicklers weder begrifflich noch rechtlich verselbständigte. Weder wurde der heres als Abwickler bezeichnet, noch wurde ihm die Tilgung der Schulden und Auskehr der Vermächtnisse als eigenständige Pflicht auferlegt. Stattdessen wurde der römische Erbe schlicht zum Schuldner der entsprechenden Forderungen gemacht, deren Durchsetzung gemäß den allgemeinen Grundsätzen des Privatrechts der Initiative der Gläubiger überlassen blieb und notfalls mit den üblichen Zwangsmitteln durchgesetzt werden musste. Schließlich zeigte sich die fehlende Verselbständigung der Abwicklerrolle des heres auch darin, dass er sie weder gesondert von seiner Residualbegünstigung ausschlagen498 noch wegen Ungeeignetheit oder Pflichtverletzung von ihr abberufen werden konnte.499 Einzig die (drohende) Insolvenz des heres konnte zur Folge haben, dass die Nachlassgläubiger ihm mittels des Instruments der separatio bonorum die Abwicklungszuständigkeit entzogen.500 Im Fall seiner Unwürdigkeit wurde dem heres der Nachlass zwar nachträglich zugunsten des Fiskus entrissen,501 aber der Zweck dieses Vorgangs lag nicht in der Sicherstellung der ordnungsgemäßen Abwicklung, sondern vermutlich darin, eine als unmoralisch empfundene Bereicherung des heres zu verhindern und zugleich der Staatskasse neue Geldquellen zu erschließen.502
498
Dazu unten § 4 A.III.4. (254). war dies in erster Linie eine Konsequenz der Regel „semel heres semper heres“, die vermutlich einst die Stabilität der wirtschaftlichen Verhältnisse gewährleisten sollte (Kaser, Römisches Privatrecht I, 688) und die neben einer auflösend bedingten Erbeinsetzung auch die freiwillige Aufgabe der Stellung des heres verbot (Beinart, Acta Juridica 1960, 224 f.). Doch spricht alles dafür, dass es die Möglichkeit einer Abberufung des ungeeigneten Erben auch ohne die Regel „semel heres semper heres“ nicht gegeben hätte. 500 Näher unten § 4 A.V.1. (257 f.). 501 Formal blieb die Erbenstellung dabei unangetastet, siehe Kaser, Römisches Privarecht I, 726 f.; Zimmermann, in: FS Knütel, 1471. 502 Zimmermann, in: FS Knütel, 1475 f. 499 Zwar
C. Römisches und englisches Recht im Vergleich
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Für den personal representative hingegen war die Aufgabe der Abwicklung nicht nur schlechthin konstituierend, sie kam in seiner Bezeichnung als executor oder administrator auch unmittelbar sprachlich zum Ausdruck. Die zur Nachlassabwicklung erforderlichen Handlungen, also insbesondere die Zahlung der Erblasserschulden und die Auskehr der Überschüsse, aber auch die Inbesitznahme und Verwaltung des Nachlasses, waren als eigenständige Pflichten konzipiert,503 deren Einhaltung, wie noch zu sehen sein wird, von der Kirche streng überwacht wurde. Die den Gläubigern und Begünstigten eingeräumte Möglichkeit, ihre Ansprüche notfalls gerichtlich durchzusetzen, begründete die Abwicklungspflicht somit nicht erst, sondern sicherte ihre Erfüllung nur zusätzlich ab. Der personal representative durfte folglich nicht warten, bis Gläubiger und Begünstigte auf ihn zukamen, sondern musste selbst die Initiative ergreifen. Die unberechtigte Verweigerung einer Schuld- oder Vermächtniserfüllung stellte im doppelten Sinne eine Pflichtverletzung des personal representative dar, die nicht nur zu einer persönlichen Haftung,504 sondern auch zu seiner Abberufung von der Abwicklerrolle führen konnte.505 Im Gegensatz zum römischen Recht trug die englische Nachlassabwicklung also klar paternalistische Züge:506 Anstatt dass Erblassergläubiger und Begünstigte sich das ihnen Gebührende holen mussten, wurde es ihnen vom personal representative gebracht. Begrifflich und rechtlich verselbständigt war die Abwicklerrolle im Unterschied zum römischen Recht schließlich auch gegenüber einer eventuellen Begünstigung des personal representative.507 Dies zeigte sich am deutlichsten dort, wo es kein Testament gab und die nach den Intestatregeln begünstigte Person die ihr von der Rechtsordnung angetragene Rolle des administrator ablehnen konnte, ohne dadurch ihren Anspruch auf den Nachlassüberschuss zu verlieren. Die in einer bestimmten Phase des englischen Rechts angenommene Residualbegünstigung des executor hingegen ging naturgemäß mit der Ablehnung dieses Amtes verloren. 2. Ernennung bei Fehlen letztwilliger Bestimmung Ein wichtiger verfahrensrechtlicher Unterschied zwischen römischem und englischem Recht betraf die Bestimmung des Abwicklers bei Fehlen einer Ernennung durch den Erblasser. Zwar trugen beide Rechtsordnungen die Abwicklerrolle in diesem Fall den Begünstigten und damit den Familienangehörigen des Verstorbenen an. Doch erfolgte die Auswahl im römischen Recht automatisch, im englischen Recht hingegen diskretionär, und zwar jeweils in zweierlei Hinsicht.
503 Siehe etwa Helmholz, OHEL I, 415: „[…] paying and collecting debts, dealing with mortuaries, satisfying legacies […]“. 504 Dazu unten § 4 B.II.2c) (290). 505 Siehe unten § 4 B.II.2d) (290 f.). 506 Siehe auch Brown, Tulane LR 33 (1959), 646, der darin ein generelles Merkmal des englischen Rechts sehen will, neben dem des „empiricism“. 507 Siehe auch L. Smith, Edinburgh LR 17 (2013), 298.
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§ 3 Die Schaffung einer Abwicklungsinstanz
So ergab sich im römischen Recht die Berufung zur Abwicklung nicht nur aus einer abstrakten Regel, sondern Begünstigung und Abwicklung waren auch strikt aneinandergekoppelt, d. h. jede nach Intestaterbrecht begünstigte Person wurde in die Abwicklung einbezogen. Im englischen Recht hingegen waren dem kirchlichen Ordinarius zwar Vorgaben für die Auswahl des administrator gemacht, doch traf er eine eigene, konstitutiv wirkende Entscheidung. Dies bedeutete auch, dass der ordinary nicht alle beneficiaries zum Abwickler ernennen musste. Eine Parallele zum englischen Recht weist immerhin die sog. prätorische Erbfolge auf, die sich durch Zuweisung der bonorum possessio, also des Nachlassbesitzes und damit ebenfalls mittels amtlicher Entscheidung verwirklichte.508 Doch handelte der römische Prätor im Unterschied zum kirchlichen ordinary nicht in Anwendung einer Gesetzesnorm, sondern gerade in Abweichung von dieser und damit in eigener Machtvollkommenheit. Wies die englische Regelung zwar den Nachteil auf, dass die Nachlassabwicklung bei Fehlen eines Testaments zwingend der Mitwirkung einer quasistaatlichen Stelle bedurfte, konnte sie zugleich bedeutende praktische Vorteile für sich verbuchen. So war sie erstens viel flexibler als die römische Lösung, die aufgrund ihrer Blindheit gegenüber dem Einzelfall etwa zur Folge haben konnte, dass geschäftsunfähige oder weit entfernt lebende Personen zur Abwicklung berufen wurden. Zweitens ermöglichte die englische Lösung durch das Fehlen einer starren Verknüpfung von Abwicklung und Begünstigung, die Nachlassabwicklung in personaler Hinsicht zu konzentrieren.509 Drittens schließlich brachte der hoheitliche Ernennungsakt handfeste praktische Vorteile mit sich: Der administrator konnte sich auf seiner Grundlage im Rechtsverkehr legitimieren, während die vom Erbfall betroffenen Personen, insbesondere Erblassergläubiger und Legatare, keine Schwierigkeiten hatten, den Nachlassabwickler zu identifizieren. 3. Dezentrale vs. zentrale Nachlassabwicklung Ein vor allem für die Belange der Erblassergläubiger wichtiger Unterschied zwischen römischem und englischem Recht bestand schließlich darin, dass das römische ab einer bestimmten Entwicklungsstufe bei einer Mehrheit von Abwicklern ein dezentrales Vorgehen vorsah, indem jeder der coheredes für eine bestimmte Quote zuständig war und Gläubiger ihre Bemühungen entsprechend aufteilen mussten.510 In England hingegen wurde der Nachlass auch bei Ernennung mehrerer personal representatives zentral abgewickelt, von punktuellen Ausnahmen abgesehen.511 Ein Erblassergläubiger konnte dementsprechend seinen Anspruch gebündelt geltend machen und sah damit seine zu Lebzeiten des Erblassers bestehen508
Dazu oben A.I.1. (165 ff.). Diese Frage betrifft die Zahl der Abwickler und ist zu unterscheiden von der Frage, ob eine Mehrheit von Abwicklern den Nachlass zentral oder dezentral abwickelt (dazu unten § 8 A. (637 ff.)). 510 Siehe oben A.IV. (174 f.). 511 Siehe oben B.IV.7. (194). 509
C. Römisches und englisches Recht im Vergleich
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de Rechtsstellung konserviert. Wie in § 8 eingehend darzulegen ist, zählte die Etablierung einer ähnlichen Lösung – oder, in anderen Worten, die Überwindung des römischen Erbes – zu den bestimmenden Themen der kontinentaleuropäischen Rechtsentwicklung im 19. und 20. Jahrhundert.
§ 4 Die Ausdifferenzierung der Nachlassabwicklung A. Römisches Recht I. Überblick Kennzeichen des römischen Rechts der Nachlassabwicklung ist ein kontinuierlicher, sich über Jahrhunderte erstreckender Verfeinerungsprozess. Am Beginn steht ein nicht bewusst geplantes, sondern durch die rechtlichen Rahmenbedingungen determiniertes Regime, das, wie zu sehen sein wird, den großen Vorzug der Einfachheit hat, diesen aber mit schwerwiegenden rechtsethischen Defiziten bezahlt. Deren Überwindung erfolgt nicht auf einen Streich, sondern Schritt für Schritt durch Ad-hoc-Lösungen, die zum Teil den Nachlasserwerb, zum Teil den Abwicklungsmodus betreffen. Aus einer übergeordneten Perspektive zeigt sich deutlich, wie das Ziel des Gläubigerschutzes nicht nur in unmittelbarer, sondern auch in mittelbarer Weise als Motor der römischen Rechtsentwicklung gewirkt hat. Denn in dem Maße, wie auf Gläubigerinteressen Rücksicht genommen wurde, erforderten Belange der Gerechtigkeit, aber auch der Praktikabilität die Einführung von Schutzmaßnahmen zugunsten des heres.
II. Die confusio bonorum als historischer Ausgangspunkt 1. Die Rechtsfolgen der successio Historischer Ausgangspunkt der Nachlassabwicklung durch den heres war ein Vorgang, der im romanistischen Schrifttum (wohl aber nicht unmittelbar in den Digesten) mit dem Begriff der confusio bonorum beschrieben wird,1 also der Vereinigung oder Verschmelzung der Vermögensmassen. Dies ist nicht in einem tatsächlichen Sinne gemeint, so als ließen sich die Vermögenswerte von Erblasser und heres infolge des Erbfalls nicht mehr voneinander unterscheiden; dies konnte so sein, musste es aber nicht. Stattdessen meint die Redeweise von der confusio bonorum den Umstand, dass die vererblichen Rechtsbeziehungen des Erblassers als 1 Siehe etwa Binder, Erbrecht, 6; Staudinger/Boehmer 11, § 1922 Rn. 107; Kroppenberg, Insolvenz, 18 (Fn. 32), 220. Von einer „confusione ereditaria“ spricht Voci, Diritto Ereditario Romano I, 659, von einer „confusión de patrimonios“ Peña Bernaldo de Quiros, Herencia y deudas, 15. Von einer „confusão patrimonial“ sprechen Gomes da Silva, Herança, 54, und Santos Justo, Direito Privado Romano V, 93; ähnlich Bevilaqua, Direito das Sucessões, 81 („confusão do patrimonio“).
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§ 4 Die Ausdifferenzierung der Nachlassabwicklung
Konsequenz der successio dem heres genauso zugeordnet waren wie dessen eigene Beziehungen und somit der Nachlass als Zuordungsverband mit einem Schlag verschwand.2 Anders gesagt, gingen die Aktiva und Passiva des Verstorbenen vollständig im Vermögen des heres auf, erfuhren also keine erbfallbedingte Sonderbehandlung mehr.3 Für den Fall einer Mehrheit von heredes erklärte dies den Übergang vom consortium zur communio der Miterben.4 Denn sollte der Nachlass in den Vermögen der Miterben aufgehen, kamen nur zwei Lösungen in Betracht: Entweder wurde der Nachlass in selbständige Bruchteile zerlegt oder die Vermögen der coheredes wurden zusammen mit dem Nachlass zu einer Gesamtmasse verschmolzen. Die zweitgenannte Lösung war offenkundig nicht gewollt, hätte sie doch die Miterben ihrer vermögensrechtlichen Individualität beraubt. Ihren konkreten Ausdruck fand die confusio bonorum in einer Reihe von Rechtsfolgen: Erstens erloschen Schuldverhältnisse, die zwischen heres und Erblasser bestanden, durch Konfusion und dingliche Rechtsverhältnisse durch Konsolidation.5 Zweitens konnte der heres über die Nachlassgegenstände vollumfänglich verfügen; sie standen genauso in seinem Eigentum wie die Güter, die er vor dem Erbfall besessen hatte oder anschließend erwarb. Drittens trat der heres aber auch in die Erblasserverbindlichkeiten so ein, als hätte er sie selbst begründet, was vor allem bedeutete, dass er für die Erfüllung ultra vires hereditatis haftete, also nicht nur mit dem Nachlass, sondern mit seinem gesamten gegenwärtigen und künftigen Vermögen. 6 Viertens haftete der heres aber auch seinen bisherigen Gläubigern gegenüber mit seinem gesamten Vermögen, also einschließlich der Nachlassgegenstände.7 Fünftens schließlich war dem heres keinerlei Reihenfolge zur Befriedigung seiner neuen und alten Gläubiger vorgegeben; so konnte er etwa auch Legatare vor Erblassergläubigern bedienen.8 In dogmatischer Hinsicht hatte die confusio bonorum zur Folge, dass die Unterscheidung zwischen Erblassergläubigern und Erbengläubigern, zwischen Nachlass und Erbenvermögen strenggenommen nur noch von „historischem“ Wert war.9 Denn mangels inhaltlicher Differenzierung waren nun alle Gläubiger Erbengläubiger und war alles Vermögen Erben2 Voci, Diritto Ereditario Romano I, 659, weist zutreffend darauf hin, dass der suus heres vor dem Erbfall noch gar kein Vermögen im rechtlichen Sinne hatte; ebenso Gomes da Silva, Herança, 55 (Fn. 131); Wacke, ZRG (RA) 123 (2006), 213 (Fn. 66), 232 (Fn. 138). 3 Siehe etwa Windscheid/Kipp, Pandekten III, § 605 (477); Beinart, Acta Juridica 1960, 223; Santos Justo, Direito Privado Romano V, 93; Murga Fernández, ZEuP 2018, 360, 362. 4 Dazu oben § 3 A.IV. (174 f.). 5 Voci, Diritto Ereditario Romano I, 659–663, auch zu den Ausnahmen; Kaser, Römisches Privatrecht I, 643; Zelger, Separatio Bonorum, 5; Bilotti, Separazione, 4; Wacke, ZRG (RA) 123 (2006), 242 (Fn. 184); Santos Justo, Direito Privado Romano V, 93; Murga Fernández, ZEuP 2018, 362. 6 Siehe etwa Ulp. D. 29, 2, 8 pr.: „[…] hereditas autem quin obliget nos aeri alieno, etiam si non sit solvendo, plus quam manifestum est. […]“; aus dem Schrifttum Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 10; Schulz, Classical Roman Law, Rn. 371 f.; Voci, Diritto Ereditario Romano I, 663; Kaser, Römisches Privatrecht I, 733; Kroppenberg, Insolvenz, 170 f. 7 Voci, Diritto Ereditario Romano I, 667. 8 Bilotti, Separazione, 4. 9 Bonfante, Corso VI, 381; Bilotti, Separazione, 3.
A. Römisches Recht
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vermögen. Allein in zeitlicher Hinsicht ließ sich noch eine Unterscheidung vornehmen, nämlich zwischen Alt- und Neugläubigern bzw. Alt- und Neuvermögen. Im Folgenden werden dennoch die Begriffe „Erblassergläubiger“, „Erbengläubiger“, „Nachlass“ und „Eigenvermögen“ verwendet, weil sie seit Langem gebräuchlich sind und ihre Ungenauigkeit das Verständnis nicht stört.
Nimmt man hinzu, dass es keine Einmischung in die Nachlassabwicklung seitens des Staates gab,10 war die Nachlassabwicklung mittels confusio bonorum in höchstem Maße verfahrensökonomisch. Denn wenngleich der Erbfall insofern noch nicht abgeschlossen war, als die Vermächtnisse noch erfüllt werden mussten, wurde doch jede Art von Formalität vermieden und eine sofortige und vollständige Reintegration der Nachlasswerte in den Rechts- und Wirtschaftskreislauf ermöglicht. Indem der Nachlass nicht als Sondervermögen, sondern aus dem Erbenvermögen heraus abgewickelt wurde, stellte sich die confusio bonorum als Gegenstück zur impliziten Abwicklerrolle des heres dar. Nach der hier verwendeten Terminologie war die Abwicklung also eine integrierte.11 In rechtsethischer Hinsicht forderte diese Einfachheit indessen einen erheblichen Preis dergestalt, dass dem heres, seinen bisherigen Gläubigern sowie den Erblassergläubigern das Risiko einer empfindlichen Verschlechterung ihrer Rechtsstellung zugemutet wurde. Für den heres war das Hauptproblem dabei gar nicht, dass im Fall eines überschuldeten Nachlasses, einer hereditas damnosa12 , sein Eigenvermögen in Gefahr geriet. Denn jedenfalls ein Hauserbe besaß bis zum Erbfall eine solches ja gar nicht,13 und auch ein etwaiges Sondergut (peculium)14 blieb rechtlich und wirtschaftlich dem Vermögen des Hausvaters zugeordnet, so dass das Hauskind es ererben musste.15 Entscheidend war daher ein anderer Umstand, nämlich dass der heres sich im Fall, dass er die Erblassergläubiger nicht befriedigen konnte, der Personalhaftung und dem Ehrverlust (infamia) ausgesetzt sah.16 Für die Haus 10 Nachdrücklich betonte dies Unger, Verlassenschaftsabhandlung, 12, um den Gegensatz zur österreichischen Tradition der amtlichen Abwicklung zu verdeutlichen: „Dem römischen Recht ist eine Regelung der Verlassenschaft durch die Obrigkeit vollständig fremd. Nach dem Tode eines vermögensfähigen Menschen findet in keinem Falle ein amtliches Einschreiten statt […]“ (Hervorhebung im Original). Siehe auch Beinart, Acta Juridica 1960, 224. 11 Siehe oben § 1 G.II.2. (89 ff.). 12 Aus den römischen Quellen etwa Pomp. D. 50, 16, 119; Gai. 2, 163. Aus dem romanistischen Schrifttum etwa Voci, Diritto Ereditario Romano I, 665; Wacke, ZRG (RA) 123 (2006), 230 f. (Fn. 133). 13 Siehe oben Fn. 2. 14 Zu dessen sozialen und wirtschaftlichen Zwecken eingehend Fleckner, Antike Kapitalvereinigungen, 217–237. 15 Oft geschah dies im Wege eines Prälegats. Näher Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, 413; Wesener, in: FG Kaser, 334. Erst ab der Kaiserzeit erlangten Hauskinder eine beschränkte Vermögensfähigkeit, zuerst im Hinblick auf das Sondergut von Haussöhnen, die im Militärdienst standen (peculium castrense), später auch hinsichtlich des mütterlichen Erbguts (bona materna). Näher Wesener, ebd., 335 ff.; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 71 Rn. 17–21. 16 Schulz, Classical Roman Law, Rn. 489; Longchamps de Bérier, Law of Succession, 134. Zur Rechtsfolge der Infamie näher Forster, Konkurs als Verfahren, 88. Sabinus vertrat die Auffassung, dass den suus heres mangels eigenen Fehlverhaltens kein Ehr-
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§ 4 Die Ausdifferenzierung der Nachlassabwicklung
erben war diese Rechtsfolge nicht nur dadurch besonders harsch, dass sie über kein eigenes Vermögen verfügten, durch dessen Opferung sie die katastrophalen Folgen hätten abwenden können.17 Auch war es ihnen aufgrund ihrer Zwangserbenstellung anfangs nicht einmal möglich, den Eintritt in den Nachlass zu verhindern. Das Risiko der Eigengläubiger war akzessorisch zu dem des heres, freilich nicht existenzieller, sondern nur vermögensrechtlicher Natur. Sie mussten befürchten, dass ihr zahlungsfähiger Schuldner infolge des Eintritts in zusätzliche Verbindlichkeiten insolvent wurde.18 Für die Erblassergläubiger schließlich waren die Konsequenzen der confusio bonorum dadurch problematisch, dass sie die ihnen zu Lebzeiten des Verstorbenen allein zustehende Haftungsmasse nun nicht nur mit den Eigengläubigern teilen mussten, sondern überdies auch mit den Vermächtnisnehmern. Mangels Bestehens einer Befriedigungsreihenfolge konnte es sogar dazu kommen, dass Vermächtnisnehmer bedient wurden, während Erblassergläubiger ausfielen, und es somit zur Verletzung der (unrömischen) Maxime „nemo liberalis nisi liberatus“ kam.19 Die Vorgänge der Konfusion und der Konsolidation hingegen bedeuteten nicht per se eine Gefährdung von Gläubigerinteressen. 20 Denn es konnte zwar passieren, dass beispielsweise eine Forderung, die der Erblasser gegen den Erben hatte, nun nicht mehr verwertbar war. Doch stand den Erblassergläubigern ja ohnehin der Weg zum Vermögen des heres offen, und sogar ohne den Umweg einer Forderungspfändung.
Zu beachten ist freilich auch, dass die confusio bonorum für alle drei Personengruppen ambivalent war, da den genannten Risiken jeweils auch die Chance auf Erlangung von Vorteilen gegenüberstand. So kam der heres durch Eintritt in einen werthaltigen Nachlass in den Genuss eines Vermögenszuwachses, der auch seinen bisherigen Gläubigern zu Gute kam. Umgekehrt konnten die Gläubiger eines überschuldeten Erblassers darauf hoffen, dass dieser einen zahlungskräftigen Rechtsnachfolger hatte, der sie vor einem Forderungsausfall bewahrte. So gesehen könnte man versuchen, die confusio bonorum damit zu verteidigen, dass sie zwar im Einzelfall zu willkürlich anmutenden Härten führte, dass ihr aber auf einer übergeordneten Ebene insofern ein Gerechtigkeitswert innewohnte, als im „Spiel des Erbrechts“ jeder potentielle „Gewinner“ auch ein potentieller „Verlierer“ war. verlust für die Zahlungsfähigkeit des Erblassers treffe, doch setzte sich diese Ansicht nicht durch: Gai. 2, 154; Santos Justo, Direito Privado Romano V, 63. Anders als die vorgenannten Autoren hält Wacke, ZRG (RA) 123 (2006), 233, es für unbewiesen, dass der Erbe für die Schulden des Erblassers der strengen Personalhaftung unterworfen war. Die von ihm selbst (ebd., 232 (Fn. 138)) angebotene Erklärung der unbeschränkten Erbenhaftung lautet, dass diese eine Kompensation für die nur proratarische Haftung von Miterben (dazu oben § 3 A.IV. (174 f.)) gewesen sein könnte. Wäre die Ansicht Wackes zutreffend, wäre die Einführung des beneficium abstinendi (dazu unten A.III.1. (251 ff.)) nur damit zu erklären, dass die Hauserben sich der Sakralpflichten entziehen können sollten. 17 Möglich war natürlich, dass ihm Freunde oder Familienangehörige zu Hilfe kamen. 18 Voci, Diritto Ereditario Romano I, 667. 19 Bilotti, Separazione, 4. 20 So aber Bilotti, Separazione, 4; Murga Fernández, ZEuP 2018, 362.
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Wie indessen die Entwicklung ab dem vorklassischen Recht eindrucksvoll zeigt, war dies nicht die Auffassung der Römer. Denn der Prätor schuf nach und nach eine Reihe von Instrumenten, um die confusio bonorum entweder von vornherein zu vermeiden oder ihre Konsequenzen jedenfalls teilweise rückgängig zu machen. Bevor näher auf diese Entwicklung eingegangen wird, ist zunächst darzulegen, warum die confusio bonorum und ihre markanteste Ausprägung, die persönliche Haftung des heres, überhaupt den historischen Ausgangspunkt bildeten. 2. Der Grund für die unbeschränkte Haftung des heres Für das altrömische Recht erklärt sich die unbeschränkte Haftung wohl noch mit der genossenschaftlichen Struktur der Hausgemeinschaft: Eine Trennung zwischen Erblasservermögen und Erbenvermögen war hier gar nicht denkbar.21 Warum aber wurde die unbeschränkte Haftung des heres auch dann noch beibehalten, als sich längst die Idee eines Individualeigentums herausgebildet hatte? Nicht überzeugend ist der vor allem bei französischsprachigen Autoren zu findende Erklärungsansatz, dass die Römer die unbeschränkte Haftung des heres aus Gründen der Religion oder Sozialmoral als sachgerecht empfunden hätten (entsprechende Vorstellungen hingegen in heutiger Zeit eben keine Geltung mehr beanspruchen könnten).22 Denn dann lässt sich nicht erklären, wieso die Römer es alsbald für geboten hielten, die Zwangsnachfolge der Hauserben abzuschaffen 23 und Kindern damit die Möglichkeit zu gewähren, sich der Pflicht zur Zahlung der Schulden ihres Vaters zu entziehen. Zu kurz greift sodann auch der Verweis auf die Vorstellung vom Erbfall als einer „successio in universum ius defuncti“.24 Denn abgesehen davon, dass diese Formel nur der nachträglichen Veranschaulichung, nicht aber der originären Begründung von Rechtsfolgen diente, 25 lässt sich aus ihr lediglich ableiten, dass der heres persönlicher Schuldner wurde. Nicht hingegen folgt aus ihr auch eine Haftung mit dem eigenen Vermögen. Denn abgesehen davon, dass mit dem Begriff der successio auch Vorgänge beschrieben wurden, bei denen es nur zu einem Übergang des Aktivvermögens kam,26 könnte die Bezugnahme auf die Rechtsstellung des Verstorbenen ebenso gut bedeuten, dass den Gläubigern exakt dieselbe Haftungsmasse wie zu Lebzeiten des Verstorbenen zur Verfügung stehen sollte, nicht aber eine größere. Aus demselben Grund vermag auch die Vorstellung einer Fortsetzung der Erblasserpersönlichkeit bzw. einer (idealen oder realen) Einheit von Erblasser und Erbe27 21 In diesem Sinne Siber, Geschichtliches und Rechtsvergleichendes, 999; ihm folgend Wesener in: FS Waldstein, 402. Siehe auch schon Bernhöft, Zur Reform des Erbrechts, 84. 22 Siehe etwa Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 539 f.; ders., RTDCiv. 4 (1905), 818 f. 23 Zur Einführung des beneficium abstinendi unten A.III.1. (251 ff.). 24 So z. B. HRG/Hagemann, Erbrecht, 1382; Santos Justo, Direito Privado Romano V, 95. Für das heutige deutsche Recht auch Muscheler, Erbrecht I, Rn. 535. 25 Dazu oben § 3 A.V. (176 ff.). 26 Siber, Geschichtliches und Rechtsvergleichendes, 998 f. Näher zu den bei Gaius erörterten Tatbeständen einer successio per universitatem § 3 C.II.4b)(1) (214 ff.). 27 Dazu oben § 3 A.V. (176 ff.).
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die unbeschränkte Haftung nicht zu erklären.28 Abgesehen davon taucht die genannte Fiktion auch erst bei Justinian auf, 29 der gerade die Möglichkeit der Haftungsbeschränkung einführte.30 Überzeugender ist es daher, in der unbeschränkten Haftung des heres nicht eine bewusste Regelungsentscheidung zu sehen, sondern nur eine Konsequenz der rechtlichen Rahmenbedingungen, insbesondere der Besonderheiten des römischen Vollstreckungsrechts.31 Denn wie oben schon erwähnt, ging die Haftung eines jeden Schuldners, und damit auch schon des Erblassers, insoweit über sein vorhandenes Vermögen hinaus, als er vom Gläubiger im Fall der Nichtleistung in Gewahrsam genommen werden konnte.32 Abgesehen davon, dass eine Haftung des heres nur mit dem Nachlass damit eine Verschlechterung der Gläubigerstellung bedeutet hätte,33 bestand auch die Schwierigkeit, dieses Ergebnis mit den vorhan28 Wacke, ZRG (RA) 123 (2006), 232 f., meint sogar, dass gerade die beschränkte Haftung zum Bild der Persönlichkeitsfortsetzung passe. Bestätigung findet diese Auffassung in dem Umstand, dass die Naturrechtler eine beschränkte Haftung annahmen, obwohl sie von einer Identität von Erblasser und heres ausgingen, siehe Wesener, in: FS Waldstein, 404. Hingegen halten Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 813, und Siber, Geschichtliches und Rechtsvergleichendes, 1001 f., die Idee einer Persönlichkeitsfortsetzung mit einer Haftung intra vires begrifflich für unvereinbar. 29 Siehe oben § 3 A.V. (176 ff.). Wacke, ZRG (RA) 123 (2006), 232, bezeichnet die „Verbindung zwischen Schuldenhaftung und Persönlichkeitsfortsetzung“ deshalb als eine „nachträgliche Kontamination, eine oberflächliche Geschichtsklitterung“. Überraschenderweise findet sich diese Vorstellung vom römischen Recht noch heute bei Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3466, und auch Murga Fernández, ZEuP 2018, 360 nimmt an, dass sie weiterhin allgemein akzeptiert sei. 30 Hölder, ZRG (RA) 16 (1895), 225 f., sieht in der Einführung des beneficium inventarii denn auch gerade eine Verneinung der Vorstellung, dass Erbe und Erblasser identisch seien. Auf denselben Widerspruch weisen Buckland/McNair/Lawson, Roman Law & Common Law, 153, und Gomes da Silva, Herança, 75, hin. Als unhistorisch erweist sich in jedem Fall auch der im ius commune verbreitete Versuch, bereits den Übergang der Erblasserverbindlichkeiten auf den heres (also unabhängig von der Frage des Haftungsumfangs) mit der Fiktion der Persönlichkeitsfortsetzung zu erklären (dazu bereits oben § 3 A.V. (176 ff.); ebenso noch Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 544–546), siehe die Kritik bei Wacke, ZRG (RA) 123 (2006), 230 f., und auch schon Saleilles, in: FS Gierke, 1018, 1032 f., der allerdings meint, dass der Übergang der Erblasserverbindlichkeiten auf den heres immerhin in der Spätphase des römischen Rechts, also nachträglich, in der genannten Weise begründet worden sei. Diese Ansicht scheint heute aber keine Anhänger mehr zu haben. 31 Eingehend Schulz, Classical Roman Law, Rn. 372, unter Zurückweisung der Theorie Bonfantes, die den Grund für die unbeschränkte Haftung mit dem Einrücken des Erben in die Familiensouveränität zu prähistorischen Zeiten begründete, das auch den Übergang der patria potestas eingeschlossen habe (zur genannten Lehre und den Gegenargumenten eingehend Korošec, Erbenhaftung, 14 ff.; Gomes da Silva, Herança, 15–17). Der von Schulz angebotenen Erklärung, die sich auch schon bei Saleilles, in: FS Gierke, 1022 f., 1032, Rheinstein, Iowa LR 20 (1935), 434 f., und Korošec, Erbenhaftung, 22 f., findet, folgten später u. a. Kaser, Die altrömische Erbenhaftung, 522 f.; ders., Römisches Privatrecht I, 733; Kroppenberg, Insolvenz, 174 f. Entgegen Wacke, ZRG (RA) 123 (2006), 233, bedarf die Erklärung von Schulz keineswegs der Annahme einer personalen Identität von Erblasser und Erbe, denn es genügte, dass die Verbindlichkeit auf den Erben überging und die dazugehörige Personalhaftung in seiner Person neu entstand. 32 Allgemein zur römischen Personalexekution Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, 383, 387 f. 33 Schulz, Classical Roman Law, Rn. 372.
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denen Instrumenten rechtlich zu konstruieren. Dies galt selbst dann noch, als im Formularverfahren die Personalvollstreckung zunehmend von der Vermögensvollstreckung abgelöst wurde. Denn diese Vermögensvollstreckung war keine Einzel-, sondern eine Gesamtvollstreckung und behielt somit den Charakter einer umfassenden „Verstrickung“ des Schuldners, die zum Ziel hatte, ihn zur Erfüllung anzuhalten.34 Die Erkenntnis, dass eine Beschränkung oder Beschränkbarkeit der Haftung auf die Kräfte des Nachlasses keine Selbstverständlichkeit ist, sondern ein entwickeltes Vollstreckungsrecht voraussetzt, wurde treffend von Pollock und Maitland formuliert: „If ancient law finds great difficulty in holding that one man is bound to pay the debt incurred by another, it finds an equal difficulty in setting any bounds to such a liability when it exists.“35
Diese Aussage steht auf den ersten Blick in einem merklichen Widerspruch zu der oft beschriebenen Tatsache, dass nach der germanischen Erbrechtstradition die Verbindlichkeiten des Verstorbenen stets nur „Realobligationen“36 waren, d. h. Lasten des erworbenen Aktivvermögens, die den Empfänger des Erbguts niemals persönlich und daher auch nicht mit seinem eigenen Vermögen trafen.37 Eine persönliche unbeschränkte Haftung des Erben sei den mittelalterlichen Juristen dementsprechend als undeutsche „Römerey“ erschienen.38 In Deutschland fand sich diese Konzeption einer notwendig auf die Kräfte des Nachlasses beschränkten Haftung noch im sächsischen BGB von 1863,39 und im portugiesischen Recht40 sowie im Anschluss daran im brasilianischen Recht41 hat sie sogar bis heute überlebt,42 34
Dazu m. w. N. Hoffmann, Prioritätsgrundsatz und Gläubigergleichbehandlung, 438 f. Pollock/Maitland, History II, 345; hingegen bezeichnet Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 538, die unbeschränkte Haftung des heres als eine „singularité“, die in anderen primitiven Rechten nicht anzutreffen sei. 36 Stobbe, Erbrecht V, § 285 (52). Im Kontext der Grundpfandrechte kennt auch das heutige deutsche Recht noch die Figur der „Realobligation“, auch wenn die h. L . diesen Begriff nicht verwendet, weil sie der Theorie vom dinglichen Verwertungsrecht folgt. Siehe aber z. B. Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 1418, 1434 f., 1731 f.; Staudinger/Wolfsteiner (2015), Einleitung zu §§ 1113 ff., Rn. 37–39. 37 Dazu etwa Saleilles, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 297–300 (in Anlehnung an Heusler, Institutionen 2, 550–554); Dernburg, Preußisches Privatrecht III, § 221 (646), § 223 (652); Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 14; Staudinger/Boehmer 11, § 1922 Rn. 110; Fenyves, Erbenhaftung und Dauerschuldverhältnis, 24–26 (auch zum Einfluss dieser Ideen auf das österreichische Recht). Es kann an dieser Stelle dahinstehen, ob das beschriebene Bild der germanischen Erbrechtstradition historisch zutreffend ist. Denn in jedem Fall hat es die Erbrechtsvergleichung nachhaltig geprägt. 38 Näher Stobbe, Eintreten des Erben, 309 (Fn. 17); Ebel, ZRG (RA) 84 (1967), 255. 39 Dazu v. Schmitt, Begründung, 980 f.; Munk, Gutachten, 48 f. 40 Siehe oben § 1 D. (19 ff.). 41 Art. 1792 Código civil. Das Inventar hat wie im portugiesischen Recht nur Beweisfunktion. 42 Die Kontinuität ist allerdings insofern nicht bruchlos, als in der Zeit vor dem ersten portugiesischen Código civil von 1867 mehrheitlich die Geltung der römischen Tradition vertreten wurde, der herdeiro in Ermangelung einer Inventarerrichtung also unbeschränkt haftete. Einge35
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ebenso in einigen spanischen Foralrechten.43 Doch abgesehen von der nach dem heutigen Forschungsstand fraglichen Zuverlässigkeit der historischen Studien44 ist anzunehmen, dass sie einen bereits entwickelten Zustand beschreiben, dem genau wie im römischen Recht eine unbeschränkte Personalvollstreckung vorausgegangen war.45 So gesehen war es kein Zufall, dass Justinian die allgemeine Möglichkeit einer Haftungsbeschränkung46 zu einer Zeit einführen sollte, in der nicht nur die Personalvollstreckung bereits stark zurückgedrängt war,47 sondern auch die Gesamtvollstreckung.48 Die genannte Erklärung für die unbeschränkte Haftung des heres stellt schließlich auch die Ansicht infrage, dass dieser für Vermächtnisse stets nur intra vires hereditatis gehaftet habe.49 Zwar ist zu betonen, dass eine solche Lösung nicht die Möglichkeit einer Vermögenssonderung erfordert hätte, weil der genannten Ansicht zufolge das exzessive Vermächtnis (teilweise) unwirksam war und somit an der Wurzel getroffen wurde50 (ein Umstand, der durch die Redeweise von der „beschränkten Haftung“ für Vermächtnisse verdunkelt wird). Doch ist die Idee einer Vermögenssaldierung im Moment des Todes kaum vereinbar mit der Idee einer confusio bonorum, die dem Erblasservermögen ja gerade seine rechtliche Selbständigkeit nimmt.51 Denn man mag zwar sagen, dass die Vermächtnisse ihrer Idee nach durch den Aktiv- oder Bruttonachlass des Erblassers gedeckt sein mussten. Doch inwieweit dieser Aktivnachlass durch Verbindlichkeiten aufgezehrt wurde, konnte nicht allein auf Grundlage des Erblasservermögens beurteilt werden, da dessen Verbindlichkeiten ja mit dem Erbfall zu solchen des heres wurden. Abgesehen davon scheint es schwer vorstellbar, dass die Römer schon zu Zeiten der Zwölf Tafeln insbesondere die Wirksamkeit eines Vindikationslegats von komplexen Rechenoperationen abhängig gemacht und eine entsprechende Rechtsunsicherheit in Kauf genommen hätten.
hend Gomes da Silva, Herança, 150–157. Dementsprechend verstand auch der Verfasser des brasilianischen Código civil von 1916, Clovis Bevilaqua, die Etablierung einer anfänglich beschränkten Haftung als Abweichung von der „unbilligen Rohheit“ (rudeza iníqua) der überlieferten Rechtslage (Bevilaqua, Código Civil, Anm. zu Art. 1587 und Art. 1796; ders., Direito das Sucessões, 82 f. (Fn. 3)). 43 Aragon, Navarra und Baskenland, siehe Ministerio de Justicia, Orden de 4 de febrero de 2019, 3. 44 Dazu oben § 1 H.III. (94 f.). 45 Dazu m. w. N. Hoffmann, Prioritätsgrundsatz und Gläubigergleichbehandlung, 443. 46 Eingehend zum beneficium inventarii unten A.VII. (262 ff.). 47 Dies wird hervorgehoben von Schulz, Classical Roman Law, Rn. 372 (214 f.). 48 Dazu Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 13 Rn. 18. Näher zu dem sich etwa im 3. Jahrhundert nach Chr. herausbildenden Nebeneinander von Einzelvollstreckung und Gesamtvollstreckung Hoffmann, Prioritätsgrundsatz und Gläubigergleichbehandlung, 95 f., 441 f. 49 Dazu oben § 3 A.II. (169 f.). 50 Kroppenberg, Insolvenz, 216–220. 51 So wohl auch Bonfante, Corso VI, 349.
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III. Vermeidung des Nachlasserwerbs und Folgefragen 1. Die Überwindung des Zwangserbrechts der Hauserben Stand dem heres aus den genannten Gründen nicht die Möglichkeit zu, seine Haftung auf den Nachlass zu beschränken, war für ihn das Interesse umso größer, den Eintritt in den Nachlass und damit auch die confusio bonorum im Fall einer hereditas damnosa von vornherein zu vermeiden. Keine Schwierigkeiten bereitete dies dem testamentarisch eingesetzten Außenerben, der schlicht den Antritt (aditio) unterlassen konnte.52 Die Hauserben standen demgegenüber vor dem Problem, dass die Rechtsnachfolge nicht zu ihrer Disposition stand.53 Diese vermutlich im Schutz der Sakralpflichten begründete Regelung54 erreichte spätestens dort ihren Bruchpunkt, wo auch die vermögensrechtlichen Verpflichtungen des Erblassers übergingen und die Hauserben dadurch, wie oben gesehen,55 der Gefahr der Personalvollstreckung und der infamia ausgesetzt waren.56 Wurde diese Konsequenz einige Zeit hingenommen, kam es in der späten Republik zu einer bedeutenden prätorischen Rechtsfortbildung: Einem Hauserben, der sich noch nicht in den Nachlass eingemischt hatte,57 wurde fortan das beneficium abstinendi zugestanden, also die Möglichkeit, sich des Nachlasses zu enthalten und damit auch für die Erblasserverbindlichkeiten nicht einstehen zu müssen.58 Auch wenn sie die Stellung des heres formal unangetastet ließ, hatte die Wahrnehmung des beneficium abstinendi funktional die Wirkung einer Erbausschlagung, da der Nachlass entweder unter dem Namen des Verstorbenen verkauft59 oder auf Antrag einem bonorum possessor, also einem prätorischen Erben, zugewiesen wurde.60 Im Ergebnis stand dem heres suus wie dem heres extraneus ein Wahlrecht zu, und weil vermutlich erst seine Einmischung in den Nachlass die Schuldenverantwortlichkeit aktivierte,61 ließ sie sich als funktionales Äquivalent der aditio begreifen. Vermutlich schon davor hatte die Testamentsgestaltung eine Ausnahme von der Zwangs erbenstellung ermöglicht. Denn wenngleich der automatische Nachlasserwerb durch einen suus heres sich grundsätzlich unabhängig davon vollzog, ob er aufgrund von Testament oder 52
Siehe oben § 3 A.I.1. (165 ff.). Siehe oben § 2 A.III. (125 ff.). 54 Siehe oben § 2 A.III. (125 ff.). 55 Siehe oben A.II.1. (243 ff.). 56 Nach Santos Justo, Direito Privado Romano V, 63, kam es insbesondere in der Zeit nach den Punischen Kriegen zu Fällen erheblicher Überschuldung, als Folge der starken Zunahme von Prunk und Luxus. 57 Lediglich Unmündigen stand die Rechtswohltat auch nach der Einmischung noch zu, dazu Willems, RIDA 60 (2013), 347. 58 Gai. 2, 158. 59 Dazu unten A.III.5. (255 f.). 60 Die Einzelheiten der zeitlichen Entwicklung sind umstritten, siehe Schulz, Classical Roman Law, Rn. 490; Kaser, Römisches Privatrecht I, 715; Longchamps de Bérier, Law of Succession, 134. 61 So jedenfalls lässt sich Ulp. D. 29, 2, 12 verstehen. Im genannten Sinne auch Bernhöft, Zur Reform des Erbrechts, 85, 88, 90 (Fn.*); Cerutti/Monnier, successio 9 (2015), 70. 53
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Intestaterbrecht berufen war, erkannten die römischen Juristen eine Ausnahme hiervon wohl in dem Fall an, dass der Testator die Erbeinsetzung des suus unter die Bedingung seines Wollens gestellt hatte („si volet“).62 Im Ergebnis stand der Hauserbe dann wie ein Außen erbe, d. h. er konnte den Eintritt in den Nachlass verhindern. Freilich blieb der hierdurch gewährte Schutz insofern unvollkommen, als er vom Erblasser angeordnet worden sein musste.
Auf einem anderen Blatt steht die Frage, wie groß der soziale Druck einer zur Erbschaft berufenen Person war, diese auch im Falle einer erkannten Überschuldung anzunehmen. Auch wenn die Annahme plausibel scheint, dass die Zurückweisung grundsätzlich missbilligt war,63 spricht die rechtliche Entwicklung deutlich gegen eine allgemein erwartete Bereitschaft des heres, sich zur Wahrung des Erblasserandenkens notfalls zu ruinieren. 2. Die Unwiderruflichkeit des Erbschaftserwerbs Durch die Möglichkeit, über den Erwerb der Erbschaft frei disponieren zu können, waren die mit der Gesamtnachfolge verbundenen Gefahren keineswegs gebannt. Denn es war denkbar, dass die berufene Person ihre Entscheidung auf fehlerhafter Grundlage bildete, also beispielsweise in Unkenntnis einer erheblichen Erblasserverbindlichkeit oder unter irrtümlicher Hinzurechnung eines besonders wertvollen Gegenstands zum Aktivnachlass. Indessen bot das römische Recht dem heres gegen derartige Fehlvorstellungen grundsätzlich keinen Schutz;64 vielmehr band es ihn in Verwirklichung der Maxime „semel heres semper heres“ an die einmal getroffene Entscheidung und legte ihm somit das Risiko von Fehleinschätzungen auf. 65 Steht diese Strenge einerseits im Einklang mit dem allgemeinen Geist des römischen Privatrechts, lässt sich andererseits ein gewisses Spannungsverhältnis darin sehen, dass Fehlvorstellungen über andere mit dem Erbfall zusammenhängende Tatsachen – etwa hinsichtlich der Gültigkeit des Testaments oder des Berufungsgrundes – durchaus großzügig Rechnung getragen wurde. 66 Eine Ausnahme machte der Prätor immerhin für minores, also Personen unter 25 Jahren. Sie erhielten in Parallele zum rechtsgeschäftlichen Übervorteilungsschutz67 die Möglichkeit, sich von einer unüberlegt angetretenen bzw. behaltenen Erbschaft mittels restitutio in integrum wieder loszusagen. 68 Interessanterweise zielte die Schutzmaßnahme keineswegs nur auf unerkannte Verbindlichkeiten, sondern auch auf Fälle des plötzlichen Verlusts wertvoller Nachlassaktiva – so wie beim Tod eines Sklaven oder Einsturz eines Hauses. 69 62 Kaser, Römisches Recht I, 714; Santos Justo, Direito Privado Romano V, 63 f. Näher zur Diskussion Heuser, Erbschaftserwerb, 50 f. 63 Dazu Laquerrière-Lacroix, Honneur de l’héritier, déshonneur du renconçant, 365 f. 64 Rohlfs, Rechtsfolgen der beschränkten Erbenhaftung, 6. 65 Casso, Haftung des Benefizialerben, 8; Munk, Gutachten, 35. 66 Siehe Kaser, Römisches Privatrecht I, 716; Rüfner, ZRG (RA) 127 (2010), 288 f., 294 f. 67 Dazu Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 24 Rn. 8 . 68 Gai. 2, 163. 69 Ulp. D. 4, 4, 11, 5.
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Wie Gaius berichtet, gewährte Kaiser Hadrian „diese Gnade“ in einem Fall sogar einem volljährigen Berufenen im Wege eines speciale beneficium, als nach dem Erbschaftsantritt eine sehr große Nachlassschuld zum Vorschein gekommen war.70 Zur allgemeinen Regel erstarkte die Maßnahme jedoch nie,71 und dass Justinian die restitutio in integrum später mit der von Kaiser Gordian zunächst nur Soldaten und von Justinian selbst schließlich generell gewährten Rechtswohltat der Haftungsbeschränkung in Zusammenhang brachte,72 darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die restitutio in integrum den Erbschaftserwerb als solchen beseitigte73 und sich damit aus heutiger Sicht als Anfechtung wegen eines Motivirrtums verstehen lässt. 3. Gewährung und Begrenzung einer Überlegungsfrist Angesichts der potentiell schwerwiegenden Konsequenzen des Nachlasserwerbs musste dem Hauserben ebenso wie dem Außenerben daran gelegen sein, vor Treffen einer Entscheidung die Vermögenslage des Verstorbenen möglichst gründlich zu ermitteln.74 Dies droht nun allerdings zu einem Konflikt mit den Interessen von Erblassergläubigern und Legataren zu führen, die naturgemäß schnell Klarheit über die ihnen gegenüber verantwortliche Person haben wollten. Es bedurfte folglich eines Kompromisses in Form einer angemessenen Befristung des Wahlrechts. Hinsicht der Einzelheiten ist wieder zu unterscheiden zwischen dem Außenerben und dem Hauserben. Dem Erstgenannten wurde typischerweise schon im Testament eine Annahmefrist gesetzt.75 Wo dies nicht der Fall war, gab der Prätor den Gläubigern die Möglichkeit zu einer Befragung des heres extraneus, woraufhin dieser eine Überlegungsfrist (tempus ad deliberandum) erbitten konnte.76 Gab der Außenerbe innerhalb der Frist keine Erklärung ab, galt dies als Ausschlagung, und die Gläubiger mussten sich an den Nächstberufenen wenden.77 Während der Frist durfte der Berufene sich Zutritt zum Nachlass verschaffen und bestimmte Verwaltungshandlungen vornehmen, ohne dass darin schon eine stillschweigende Annah70
Gai. 2, 163. Wesener, in: FS Waldstein, 406, der allerdings zugleich suggeriert, dass Hadrian das Sonderrecht allen maiores gewährt habe. Rohlfs, Rechtsfolgen der beschränkten Erbenhaftung, 9 (Fn. 20), meint sogar, dass auch andere Kaiser Volljährigen die restitutio in integrum bewilligt hätten (was an deren Ausnahmecharakter aber nichts ändere). Von einem Einzelfall geht Casso, Haftung des Benefizialerben, 8, aus. 72 Inst. 2, 19, 6. Näher unten A.VII. (262 ff.). 73 Wesener, in: FS Waldstein, 406; Rohlfs, Rechtsfolgen der beschränkten Erbenhaftung, 11 f., 19, hebt hervor, dass dem zur Erbschaft Berufenen neben einer Haftung für die Verbindlichkeiten auch eine etwaige Infamie erspart wurde. Casso, Haftung des Benefizialerben, 8, kritisiert Cujas für dessen Gleichsetzung der restitutio in integrum mit einer Haftungsbeschränkung, 74 Siehe auch Longchamps de Bérier, Law of Succession, 140. 75 Zur cretio siehe oben § 3 A.I.1. (165 ff.). 76 Gaius D. 11, 1, 5. 77 Kaser, Römisches Privatrecht I, 718; Longchamps de Bérier, Law of Succession, 144; Kaser/ Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 82 Rn. 7; Cerutti/Monnier, successio 9 (2015), 71. 71
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me lag. Der Prätor konnte den Berufenen während der Überlegungszeit auch ausdrücklich zur Vornahme entsprechender Handlungen ermächtigen.78 Der Hauserbe hingegen, der ja formal bereits Nachlassinhaber war, musste selbst die Initiative ergreifen, wenn ihm der Prätor eine Überlegungsfrist zur Ausübung des beneficium abstinendi gewähren sollte.79 Das fruchtlose Verstreichen der Frist führte vermutlich zum Verlust des Enthaltungsrechts. 80 Neben der Befristung des Optionsrechts ist zumindest für die vorklassische Zeit aber auch ein weiteres wichtiges Instrument zu beachten, mit dem die zur Erbschaft berufene Person unter Handlungsdruck gesetzt wurde: die usucapio pro herede, die es sogar einem bösgläubigen Besitzer ermöglichte, den Nachlass binnen eines Jahres zu ersitzen und damit alle Rechte des Berufenen auszuschließen.81 Neben dem bereits genannten Zweck, den Nachlass möglichst nicht ohne Verantwortlichen für die Schulden und die sacra zu lassen, 82 verfolgte die usucapio pro herede also auch das Ziel einer schnellen Klärung des Erbfalls. 83 4. Keine gesonderte Befreiung von der Abwicklerrolle Setzte sich zwar bei funktionaler Betrachtung die Stellung des heres aus zwei Elementen zusammen, nämlich dem der Abwicklung und dem der Begünstigung (die seit der lex Falcidia nicht mehr nur eine Residual-, sondern eine Mindestbegünstigung war), führte die fehlende rechtliche Verselbständigung dieser Elemente dazu, dass der heres seine Stellung nur vollständig, nicht aber teilweise zurückweisen konnte. 84 Er konnte sich somit nicht dem Eintritt in die Abwicklerrolle entziehen und zugleich die Begünstigung, die ihm kraft seiner Stellung als heres zugefallen wäre, behalten.85 Misslich war dies für den heres insbesondere dort, wo die Abwicklung sich voraussichtlich aufwändig und zeitraubend gestalten würde. Zugleich ist allerdings klar, dass die fehlende Möglichkeit einer gesonderten Ausschlagung der Abwicklerrolle nicht allein Folge der rechtlichen Strukturen war, sondern einen inneren Grund hatte. Denn zum einen ließ sich, wie schon im Zusammenhang mit der lex Falcidia gesehen, die Begünstigung des heres als Belohnung für seine Abwicklungstätigkeit verstehen, die er sich deshalb entsprechend 78
Kaser, Römisches Privatrecht I, 718. Ulp. D. 28, 8, 8. 80 Kaser, Römisches Privatrecht I, 715; ders., Römisches Privatrecht II, 529; Kaser/Knütel/ Lohsse, Römisches Privatrecht, § 82 Rn. 3. 81 In der klassischen Zeit wurde die usucapio pro herede allerdings deutlich zurückgeschnitten, siehe oben § 3 Fn. 19. 82 Siehe oben § 3 A.I.1. (165 ff.). 83 So ausdrücklich Gai. 2, 55. Siehe auch Longchamps de Bérier, Law of Succession, 138; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 83 Rn. 3. 84 Dazu bereits oben § 3 C.III.1. (238). 85 Siehe hinsichtlich des sich der Erbschaft enthaltenden Hauserben auch Bernhöft, Zur Reform des Erbrechts, 89; Wacke, ZRG (RA) 123 (2006), 213 (Fn. 66). Behalten konnte der ausschlagende Erbe dagegen ein Prälegat, mit dem der Erblasser andere Erben beschwert hatte: Kaser, Römisches Privatrecht I, 748; Santos Justo, Direito Privado Romano V, 249. Kritisch zur Nichtigkeit des Prälegats im Fall des Eintretens in die Erbenstellung Wacke, JZ 2001, 381. 79
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verdienen musste. Zum anderen konnte den römischen Juristen auch aus praktischen Gründen nicht daran gelegen sein, dem heres die Zurückweisung der Abwicklerrolle allzu leicht zu machen, weil dies den Bedarf nach einer Auffangregelung zusätzlich erhöht hätte. 5. Der Nachlassverkauf als Auffangregelung War der Nachlass überschuldet oder jedenfalls der Überschuldung verdächtig, fand sich typischerweise keine nachfolgewillige Person, und auch der römische Staat war, anders als z. B. der heutige deutsche nach § 1936 BGB, in diesem Fall zu einer Nachlassübernahme berechtigt, aber nicht verpflichtet. 86 Das Absehen von einer Zwangsnachfolge forderte nun also ihren Preis und drohte die Gläubigerinteressen und den Rechtsfrieden im Allgemeinen zu beeinträchtigen. Eine Auffanglösung stand jedoch in Form der venditio bonorum bereit, 87 des allgemeinen Mechanismus der Vermögensvollstreckung. Hierbei wurden unter Einschaltung des Prätors und öffentlichem Aufruf der Gläubiger die Güter des Erblassers unter Leitung eines aus der Mitte der Gläubiger ausgewählten Geschäftsführers (magister bonorum) gesammelt an denjenigen versteigert, der die höchste Erfüllungsquote versprach.88 Indem es ggf. zu einer anteiligen Kürzung kam, Forderungen aus Bestattungskosten privilegiert und auch andere Vorzugsrechte berücksichtigt wurden, 89 hatte der Nachlassverkauf den Charakter eines Insolvenzverfahrens.90 Der Vermögenskäufer (bonorum emptor) wurde in Analogie zum heres als Gesamtnachfolger des Schuldners (Erblassers) behandelt,91 für sein 86 Siehe oben Fn. 2 2. Nicht ausgeschlossen ist, dass der Staat in Einzelfällen auch insolvente Nachlässe an sich zog, etwa um an einen bestimmten Nachlassgegenstand zu gelangen; siehe Finkenauer, Freilassung durch Nachlaßübernahme, 41 f. 87 Gai. 3, 78. 88 Die erste Phase des Verfahrens bestand in der Beschlagnahme des Schuldnervermögens und in der Einweisung des beantragenden Gläubigers in den Besitz (missio in bona). Zur Verwaltung des Vermögens in der Zwischenzeit wurde regelmäßig ein curator bonorum bestellt. Näher zum Ganzen Gai. 3, 79; Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, 388–401; Zelger, Separatio Bonorum, 49–51; Knütel, in: FS Kreft, 11 f.; Forster, Konkurs als Verfahren, 87–89, 108–120; Hoffmann, Prioritätsgrundsatz und Gläubigergleichbehandlung, 440 f. 89 Siber, Römisches Recht II, 396 (Fn. 26); Kaser, Römisches Privatrecht I, 734; Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, 402 f. Zu anderen Privilegierungen Hoffmann, Prioritätsgrundsatz und Gläubigergleichbehandlung, 95 (Fn. 5). Missverständlich ist die von diesen Autoren erwähnte Privilegierung der Erbschaftssteuerforderung des Staates. Denn diese fiel natürlich nur an, soweit der Nachlass überhaupt werthaltig war, was impliziert, dass zunächst die Erblassergläubiger bedient wurden. Privilegiert war die Erbschaftssteuerforderung nur dort, wo sie gegen einen Erben oder Legatar angefallen war (dazu oben § 3 A.I.3. (168 f.)) und es anschließend zum Verkauf von dessen Vermögen kam. 90 So spricht das romanistische Schrifttum denn auch häufig vom „Nachlaßkonkurs“, siehe etwa Kaser, Römisches Privatrecht I, 703; Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, 388. 91 Gai. 2, 98; Forster, Konkurs als Verfahren, 119; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 10 Rn. 7. Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, 396, weisen auf eine weitere Gemeinsamkeit zwischen heres und bonorum emptor hin, nämlich die, dass beide daran interessiert sein mussten, die Vermögensverhältnisse des Erblassers möglichst präzise einzuschätzen.
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freiwilliges Eintreten in die gemeldeten92 Verbindlichkeiten aber eben damit belohnt, dass er nur in Höhe der von ihm gebotenen Erfüllungsquote einstehen musste und somit bei geschickter Verwertung des Aktivnachlasses auf einen Gewinn spekulieren konnte.93 Dieser Mechanismus war insofern elegant, als die wirtschaftlichen Anreize für den Nachlasskäufer die künstliche Schaffung eines Abwicklers ermöglichten94 und so die Anordnung einer Zwangsnachfolge entbehrlich machten.
IV. Das Absonderungsrecht des eingesetzten Sklaven In einem Fall bestand auch nach Einführung des beneficium abstinendi ein Zwangserbrecht fort, nämlich dort, wo der Erblasser im Testament die Freilassung eines Sklaven angeordnet und ihn zugleich zum Erben eingesetzt hatte. Ein solcher servus cum libertate heres institutus kam nicht in den Genuss des Enthaltungsrechts, vermutlich weil es seiner Freilassung die Grundlage entzogen hätte; er war somit Zwangserbe, heres necessarius.95 Nach Angaben von Gaius wählten Erblasser diese Gestaltung dann, wenn sie ihren Nachlass für überschuldet hielten, da auf diese Weise die aus dem Nachlassverkauf resultierende infamia nicht sie, sondern den Freigelassenen traf.96 Bemerkenswert ist nun, dass die Römer in dieser Situation eine andere Möglichkeit schufen, um dem Freigelassenen wenigstens die persönliche Haftung zu ersparen.97 Mittels des Instruments der separatio bonorum konnte er, solange er sich nicht in den Nachlass eingemischt hatte, erreichen, dass das nach dem Tod seines ehemaligen Herrn erworbene Vermögen vom Nachlass abgesondert und dieser ge92 Dass der bonorum emptor nur die gemeldeten Gläubiger zu befriedigen hatte, ergibt sich zwar nicht ausdrücklich aus den Quellen, liegt aber im Hinblick darauf nahe, dass anderenfalls eine informierte Entscheidung über die zu versprechende Erfüllungsquote nicht möglich gewesen wäre: näher Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, 396 f. 93 Nach Forster, Konkurs als Verfahren, 119, waren solche Spekulationen in der Praxis keineswegs selten. Die Gläubiger konnten sich für den Fehlbetrag zwar weiterhin an den Vollstreckungsschuldner halten, so dass die venditio bonorum nicht zu einer Restschuldbefreiung führte (Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, 398; Forster, Konkurs als Verfahren, 119 f.). Dies nützte den Gläubigern im Fall des erbenlosen Nachlasses allerdings nichts, da hier keine Hoffnung auf einen Neuerwerb bestand. 94 Vgl. Bernhöft, Zur Reform des Erbrechts, 36. 95 Gai. 2, 153, ebenso noch Inst. 2, 19, 1. Zu unterscheiden von der Einsetzung des Freigelassenen als Erben ist der Fall, in dem der letztwillig Freigelassene den überschuldeten Nachlass übernimmt, um die Wirksamkeit der testamentarischen Anordnungen zu sichern. Zu dieser addictio bonorum libertatis causa Kaser, Römisches Privatrecht I, 703; eingehend Finkenauer, Freilassung durch Nachlaßübernahme, 19–57. 96 Gai. 2, 154. Zur dort referierten Ansicht des Sabinus, dass denjenigen kein Ehrverlust treffe, der die Zahlungsunfähigkeit nicht verschuldet hat, bereits oben Fn. 16. 97 Der Infamie entging der Freigelassene hingegen nach allgemeiner Ansicht nicht, siehe Siber, Geschichtliches und Rechtsvergleichendes, 1000; Longchamps de Bérier, Law of Succession, 135; Wesener, in: FS Waldstein, 409. Anders Babusiaux, Römisches Erbrecht, 105.
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trennt verkauft wurde.98 Einher ging damit eine – bei der venditio bonorum sonst nicht vorgesehene99 – vollständige Schuldbefreiung,100 ebenso offenbar ein Ausschluss der Personalvollstreckung, die der Absonderung sonst jede praktische Wirkung genommen hätte.101 Siber bezeichnete die vom Freigelassenen beantragte separatio bonorum als „früheste[n] Fall des Konkurses über ein Sondervermögen des Gemeinschuldners“,102 und in der Tat markierte sie einen erheblichen Entwicklungsfortschritt gegenüber der „anarchischen“ confusio bonorum. Dadurch, dass dem servus cum libertate gestattet wurde, sich der Nachlassabwicklung zu entledigen (sie wurde lediglich noch in seinem Namen betrieben), lässt sich überdies eine Parallele zum beneficium abstinendi ziehen.103
V. Das Absonderungsrecht der Erblassergläubiger 1. Sicherheitsleistung und Nachlassverkauf Wie eingangs gesehen, drohte Erblassergläubigern auch bei Bündelung des Nachlasses in der Hand des heres dort Gefahr, wo der heres selbst überschuldet war und somit dessen frühere Gläubiger darauf lauerten, ebenfalls auf den Nachlass zuzugreifen. Gegen einen solchen „unberechenbaren Zufall“104 schützte der Prätor die Erblassergläubiger dadurch, dass er ihnen gestattete, vom heres suspectus Sicherheitsleistung zu verlangen und im Fall seiner Weigerung den Nachlass mittels venditio bonorum zu verwerten.105 Nicht nur wurde dann die confusio bonorum rückgängig gemacht, sondern auch dem heres die Abwicklungszuständigkeit entzogen.106 War über das Vermögen des heres bereits die Zwangsvollstreckung und damit das Verfahren der venditio bonorum eröffnet, konnten die Nachlassgläubiger mittels der separatio bonorum die Trennung der Vermögensmassen erreichen,107 ohne
98 Gai. 2, 155; Ulp. D. 42, 6, 1, 18. Dazu Siber, Geschichtliches und Rechtsvergleichendes, 999 f.; Voci, Diritto Ereditario Romano I, 676; Kaser, Römisches Privatrecht I, 714 f., 733; Wesener, in: FS Waldstein, 409; Longchamps de Bérier, Law of Succession, 135; Babusiaux, Römisches Erbrecht, 104 f. Näher zur Herkunft des Instituts sowie der Frage, ob der Freigelassene auch etwaige Forderungen gegen den Erblasser separieren konnte, Zelger, Separatio Bonorum, 91 f. 99 Siehe oben Fn. 93. 100 Rohlfs, Rechtsfolgen der beschränkten Erbenhaftung, 17. 101 Schulz, Classical Roman Law, Rn. 529. 102 Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 13. 103 In dessen Nachbildung lag nach Ansicht mancher Autoren auch der ursprüngliche Zweck der separatio bonorum des eingesetzten Sklaven, siehe Zelger, Separatio Bonorum, 91 f. 104 Endemann, Erbrecht III/2, 856. 105 Ulp. D. 42, 5, 31 pr., und Ulp. D. 42, 5, 31, 3. Näher Voci, Diritto Ereditario Romano I, 674–676; Babusiaux, Römisches Erbrecht, 101 f.; Kaser, Römisches Privatrecht I, 734. 106 Ähnlich Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 11. 107 Ulp. D. 42, 6, 1, 1. Dazu Voci, Diritto Ereditario Romano I, 669–671; Wesener, in: FS Waldstein, 406 f.; Kroppenberg, Insolvenz, 173. Zum Verhältnis zwischen venditio bonorum und separatio bonorum ausführlich Zelger, Separatio Bonorum, 44–53.
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hierbei an eine starre Frist gebunden zu sein.108 Je nach Vermögenslage wurde der Nachlass dann entweder zur Befriedigung der Erblasser- und Erbfallgläubiger verwendet oder in einem gesonderten Verfahren verkauft,109 wobei im ersten Fall nicht klar ist, ob die Abwicklung noch durch den heres oder ebenfalls durch einen amtlich bestellten magister oder curator erfolgte. Indem die separatio bonorum vermutlich allen Erblassergläubigern zu Gute kam und nicht bloß denjenigen, die sie begehrt hatten,110 hatte sie sowohl in personaler als auch in gegenständlicher Hinsicht kollektiven Charakter. Dass den Erblassergläubigern damit dasselbe Schutzinstrument wie dem servus cum libertate eingeräumt wurde,111 war angesichts der vergleichbaren Interessenlage keineswegs überraschend. Denn wenngleich die jeweilige Zielrichtung unterschiedlich war, indem der Freigelassene den Nachlass von sich fernhalten wollte und die Erblassergläubiger ihn gerade an sich ziehen wollten, ging es in beiden Fällen darum, den Vorgang der confusio bonorum umzukehren. In der romanistischen Literatur findet sich die Theorie, dass das beneficium separationis der Erblassergläubiger als Folge des beneficium separationis des zum Erben eingesetzten Sklaven entstand.112 Dies ist insofern plausibel, als das Bedürfnis der Erblassergläubiger nach Abschirmung des Nachlasses in dem Moment besonders fühlbar wurde, wo sie vom Zugriff auf das Erbenvermögen abgeschnitten wurden, in Bezug auf den Nachlass aber weiterhin die Konkurrenz der Erbengläubiger fürchten mussten. Um die Symmetrie wiederherzustellen, musste folglich der Satz „den Nachlassgläubigern haftet nur der Nachlass“ ergänzt werden um den Satz „der Nachlass haftet nur (oder zumindest vorrangig) den Nachlassgläubigern“.113 Der erwähnten Theorie nach emanzipierte sich das beneficium separationis der Erblassergläubiger im weiteren Verlauf dann zu einem selbständigen Rechtsbehelf.
2. Die Reichweite der Absonderung Die auf Verlangen der Erblassergläubiger herbeigeführte Trennung von Nachlass und Eigenvermögen des heres war vermutlich unvollkommener Art. So wird nicht nur angenommen, dass durch Konfusion erloschene Rechtsbeziehungen nicht wieder auflebten;114 auch finden sich in den römischen Quellen unterschiedliche Ansichten zur Frage, ob die Erblassergläubiger infolge der Absonderung endgültig vom Vermögen des heres abgeschnitten wurden oder sich bei unzureichendem Nachlass auch noch aus dessen Eigenvermögen bedienen durften, wenngleich nur 108 Erst das justinianische Recht brachte eine Fünf-Jahres-Frist (siehe Santos Justo, Direito Privado Romano V, 108; Peña Bernaldo de Quiros, Herencia y deudas, 26), die dann im gemeinen Recht als maßgeblich erachtet wurde (Windscheid/Kipp, Pandektenrecht III, § 607 (485)). 109 Kaser, Römisches Privatrecht I, 734; Wesener, in: FS Waldstein, 406 f. 110 Dazu Voci, Diritto Ereditario Romano I, 671; Zelger, Separatio Bonorum, 53. 111 Voci, Diritto Ereditario Romano I, 676. 112 Bilotti, Separazione, 21 f. m. w. N. Die bei Zelger, Separatio Bonorum, 91 f., referierten Ansichten zur Herkunft der separatio bonorum des eingesetzten Sklaven scheinen damit jedenfalls nicht unvereinbar zu sein. 113 Angelehnt an Mitteis/Lieberich, Deutsches Privatrecht, 173. Zur „doppelseitigen Haftbeschränkung“ auch Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 11. 114 Eingehend zur Diskussion Zelger, Separatio Bonorum, 53–57.
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nachrangig zu den Eigengläubigern.115 Verneint wurde die Frage von Paulus116 und Ulpian117, bejaht hingegen in einer Papinian zugeschriebenen Aussage.118 Nach der erstgenannten Ansicht hatte die separatio bonorum für den heres also die angenehme Begleiterscheinung einer Beschränkung seiner Haftung auf die Gegenstände des Nachlasses.119 Nach der zweiten Auffassung hingegen, der sich später insbesondere auch Windscheid anschloss,120 kam den Erbengläubigern hinsichtlich des Eigenvermögens nur ein Vorzugsrecht zu, nicht aber der ausschließliche Zugriff (wie noch zu sehen sein wird, sollte diese Kontroverse deutliche Spuren im französischen Recht hinterlassen121). In der umgekehrten Richtung waren die Rechtsfolgen der separatio bonorum dagegen klar: Blieb nach Befriedigung der Nachlassgläubiger ein Überschuss, dann ging dieser Restnachlass in das Vermögen des heres über und stand dessen Gläubigern zur Verfügung.122 Die Erbengläubiger wurden m. a.W. vom Nachlass nicht abgeschnitten, sondern lediglich nachrangig zu den Erblassergläubigern bedient. 3. Kein Absonderungsrecht der Erbengläubiger Kamen die Rechtswirkungen der separatio bonorum, wie gesehen, in jedem Fall auch den Erbengläubigern zu Gute, indem diese mindestens in den Genuss einer bevorzugten Befriedigung aus dem Eigenvermögen kamen, ist zugleich zu betonen, dass den Erbengläubigern zu keiner Zeit ein eigenständiges Absonderungsrecht gewährt wurde.123 Dies bedeutete, dass die Erbengläubiger tatenlos zusehen mussten, wenn ihr Schuldner in einen insolventen Nachlass eintrat und damit die Realisierung ihrer Forderungen gefährdete.124 Allein dort, wo der heres die Erbschaft in betrügerischer Absicht angetreten hatte (in fraudem ipsorum), konnten die Erbengläubiger den Prätor um die Gewährung eines außerordentlichen Rechtsmittels ersuchen125 (das man aus heutiger Sicht als Gläubigeranfechtung qualifizieren kann). Die Rechtfertigung dafür, den Erbengläubigern die Absonderung grundsätzlich zu verwehren, findet sich in dem auch im Kontext heutiger Rechte noch zitierten126 115 Dazu Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 13 f.; Voci, Diritto Ereditario Romano I, 673 f.; Wesener, in: FS Waldstein, 407 f. Eingehend Zelger, Separatio Bonorum, 57–63; Bilotti, Separazione, 9–11. Zu undifferenziert Muscheler, Testamentsvollstreckung, 105, 107. 116 D. 42, 6, 5. 117 D. 42, 6, 1, 17. 118 Ulp. D. 42, 6, 3, 2. 119 Wesener, in: FS Waldstein, 408. 120 So etwa Windscheid/Kipp, Pandektenrecht III, § 607 (485). 121 Dazu unten § 6 C.III.1d) (420 ff.). 122 Voci, Diritto Ereditario Romano I, 672 f.; Zelger, Separatio Bonorum, 57. 123 Ulp. D. 42, 6, 1, 2; Wesener, in: FS Waldstein, 408; Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, 482; Santos Justo, Direito Privado Romano V, 107; Bilotti, Separazione, 186. Zweifelnd Kaser, Römisches Privatrecht I, 735; ders., Römisches Privatrecht II, 542. 124 Ulp. D. 42, 6, 1, 5. 125 Ulp. D. 42, 6, 1, 5. Dazu Voci, Diritto Ereditario Romano I, 677; Wesener, in: FS Waldstein, 408. 126 Siehe unten § 6 Fn. 423, 626.
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Ausspruch Ulpians, dass es jedem Schuldner freistehe, seine Vermögenslage durch Eingehen weiterer Verbindlichkeiten zu verschlechtern.127 Diese Begründung leuchtet spontan ein, wirft bei näherem Hinsehen allerdings die Frage auf, warum dann nicht ebenso den Erblassergläubigern das Separationsrecht verwehrt wurde. Denn aus deren Sicht stellte sich die successio im Ergebnis ebenfalls so dar, als habe ihr Schuldner, der Erblasser, die Schulden eines anderen, des heres, übernommen. Dennoch lässt sich ein Unterschied ausmachen: Anders als aus der Perspektive der Erbengläubiger stellte sich die confusio bonorum aus Sicht der Erblassergläubiger nicht als Folge des Schuldnerhandelns dar (dem man im Guten wie im Schlechten ausgeliefert war), sondern als willkürlicher Akt der Rechtsordnung. 4. Die Auswirkungen auf dingliche Vermächtnisse Hatte die Geltendmachung der Nachlassabsonderung für die Erblassergläubiger den Ausschluss oder jedenfalls die Einschränkung des Zugriffs auf das Erbenvermögen zur Folge, mussten sie daran interessiert sein, den Nachlass wenigstens ungeschmälert zur Verfügung zu haben. Denn soweit der Erblasser Gegenstände im Wege eines Vindikationslegats übertragen hatte, fehlte es nun am Ausgleich in Gestalt des Zugriffs auf das Eigenvermögen des heres. Vermutlich trug die separatio bonorum diesem Anliegen der Erblassergläubiger dadurch Rechnung, dass sie die im Wege eines Vindikationslegats vermachten Gegenstände wieder in den Nachlass „zurückholte“, so dass Objekt der Separation das gesamte Erblasservermögen war, so wie es im Moment des Todes bestanden hatte.128
VI. Der Schutz der Legatare Auch die Damnationslegatare hatten ein Interesse daran, den Nachlass nicht mit den Erbengläubigern teilen zu müssen, sondern sich mit Vorrang aus ihm befriedigen zu können. Nach überwiegender Ansicht wurde ihnen denn auch schon zu klassischer Zeit (und nicht erst unter Justinian) dieselben Rechte wie den Erblassergläubigern gewährt, also das Recht, vom heres suspectus Sicherheitsleistung zu fordern und ggf. den gesonderten Verkauf des Nachlasses herbeizuführen.129 Im letztgenannten Fall wurden die Legatare allerdings nur nachrangig zu den Erblassergläubigern befriedigt,130 worin zum einen die Wertung „nemo liberalis nisi liberatus“ zum Vorschein kam und sich zum anderen erneut die Nähe der venditio bonorum zu einem modernen Insolvenzverfahren zeigte. 127 „[…] nam licet alicui adiciendo sibi creditorem creditoris sui facere deteriorem condicionem […]“ (Ulp. D. 42, 6, 1, 2). 128 So jedenfalls Bonfante, Corso VI, 367; Zelger, Separatio Bonorum, 54. 129 Näher Zelger, Separatio Bonorum, 28–33, 80–84; zum Recht, die separatio bonorum zu verlangen, Voci, Diritto Ereditario Romano I, 671; Santos Justo, Direito Privado Romano V, 107; Wesener, in: FS Waldstein, 406 f.; Bilotti, Separazione, 79. 130 Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, 403; Wesener, in: FS Waldstein, 407; Bilotti, Separazione, 86.
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Noch nicht erklärt ist damit freilich, warum die Römer es überhaupt als „billig“ erachteten, Legataren das Absonderungsrecht zu gewähren.131 Denn obgleich diese mit den Erblassergläubigern die Partizipation an den Nachlasswerten gemein hatten, darf ein zentraler Unterschied nicht übersehen werden: Da die Ansprüche der Legatare zu Lebzeiten des Verstorbenen noch gar nicht bestanden hatten, bedeutete der Erbfall keinen zufälligen Schuldnerwechsel für sie, sondern allein die Erlangung eines rechtlichen Vorteils.132 Wieso aber wurden die Legatare dann gegenüber den Erbengläubigern privilegiert, für die sich eine Partizipation am Nachlass ebenso als Geschenk darstellte? Mangels eindeutiger Aussagen in den Quellen muss über die Antwort spekuliert werden, aber es liegt nahe, den Legataren aus dem Grund eine größere Nähe zu den Gütern des Verstorbenen zu bescheinigen, dass sie ihre Zuwendung aus seinen Händen erhielten.133 Gleichzeitig sicherte diese Lösung die möglichst weitgehende Umsetzung des Erblasserwillens,134 was, wie schon an anderen Stellen gesehen, den Römern generell ein zentrales Anliegen war. Schließlich lässt sich das Absonderungsrecht der Damnationslegatare auch mit dem Ziel ihrer wirtschaftlichen Gleichstellung mit den Vindikationslegataren erklären. Denn diese waren dank ihres Direkterwerbs vor einem Zugriff der Erbengläubiger geschützt und damit auf ein Absonderungsrecht nicht angewiesen.135 Justinian gewährte den Vermächtnisnehmern dann ein zusätzliches Sicherungsinstrument in Form einer gesetzlichen Hypothek an allem, was dem Beschwerten hinterlassen wurde.136 Ziel der Maßnahme war, dem Legatar, dem herkömmlicherweise in Gestalt der actio ex testamento nur eine actio in personam gegen den Beschwerten zukam,137 die zwangsweise Rechtsdurchsetzung zu erleichtern, sei es gegen den Beschwerten oder einen dritten Besitzer.138 Ob überdies die Abwehr der Eigengläubiger des Beschwerten ermöglicht werden sollte, ist nicht klar; in jedem Fall stand dem Legatar hierzu das Mittel der separatio bonorum zur Verfügung.139 Aus historischer Sicht ist justinianische Legalhypothek des Legatars auch aus dem Grund interessant, dass sie in modifizierter Form Eingang in den französischen Code civil fand und dort bis heute fortbesteht.140
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Siehe Iulian D. 42, 6, 6 pr. („[…] impetrare bonorum separationem aequum est“). Sehr klar Zelger, Separatio Bonorum, 83; auch Santos Justo, Direito Privado Romano V, 107, betont den Unterschied zu den Erblassergläubigern, ohne freilich eine Begründung für das Absonderungsrecht der Legatare zu liefern. 133 Zelger, Separatio Bonorum, 83. 134 Bilotti, Separazione, 82 f. m. w. N. 135 Zelger, Separatio Bonorum, 84; Bilotti, Separazione, 82. 136 C. 6, 43, 1 (529 n. Chr.); Kaser, Römisches Privatrecht II, 560; Bilotti, Separazione, 81. 137 Schulz, Classical Roman Law, Rn. 564 (325). 138 C. 6, 43, 1 pr., 1; vgl. auch Kaser, Römisches Privatrecht II, 560 (Fn. 6 4). 139 Siehe oben Fn. 129. Widersprüchlich Zelger, Separatio Bonorum, 81, 95, der einerseits meint, dass der pfandrechtliche Schutz gegenüber den Erbengläubigern zurücktrat, andererseits aber sagt, dass der hypothekarisch gesicherte Legatar der separatio bonorum nicht bedurfte. 140 Siehe unten § 6 C.III.3. (429 ff.). 132
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VII. Die Einführung einer generellen Möglichkeit der Haftungsbeschränkung 1. Überblick Die frühzeitige Bereitschaft des Prätors, dem servus cum libertate und den Nachlassgläubigern eine Möglichkeit zur Vermeidung der confusio bonorum an die Hand zu geben, lässt es als natürliche Entwicklung erscheinen, dass schließlich jedem Erben die Möglichkeit gewährt wurde, seine Haftung einseitig141 auf den Nachlass zu beschränken. Doch darf bei dieser Betrachtungsweise nicht die Tatsache aus dem Blick geraten, dass zwischen den verschiedenen Entwicklungsstufen mehrere Jahrhunderte lagen. Denn erst im Jahr 531 räumte Kaiser Justinian dem Erben das beneficium inventarii142 ein und ergänzte damit die römische Nachlassabwicklung um ihren letzten Baustein. Bevor diese Möglichkeit der Haftungsbeschränkung, die ungeachtet ihrer späten Ankunft und ihrer inhaltlichen Defizite in der weiteren geschichtlichen Entwicklung eine überaus große Rolle spielen sollte,143 näher untersucht wird, ist daher zunächst nach den Gründen für das „lange Warten“ zu fragen. 2. Der Grund für das lange Festhalten an der unbeschränkten Haftung des heres Dass die confusio bonorum den historischen Ausgangspunkt der römischen Nachlassabwicklung bildete, wird am überzeugendsten mit den Besonderheiten des Vollstreckungsrechts erklärt.144 Den Grund für das überaus lange Festhalten an der unbeschränkten Haftung des heres können diese indessen nicht liefern. Denn nicht nur belegen vor allem die Fälle der separatio bonorum, dass die Römer kreativ und flexibel genug waren, um die konzeptionelle Schwierigkeit einer Haftungsbeschränkung schon früh zu überwinden.145 Auch war die Behandlung des Nachlasses als vom Erbenvermögen gesonderte Rechengröße spätestens seit der lex Falcidia erbrechtliches Alltagsgeschäft.146 Schließlich wurde dem heres immerhin hinsichtlich der Bestattungskosten eine Haftungsbeschränkung zugestanden,147 und beim Eintritt des Staates in den Nachlass galt eine solche wohl generell.148 Außerhalb 141 Unbenommen blieb dem heres die Möglichkeit, einen Vergleich mit den Gläubigern zu suchen, dazu unten A.VII.2. (262 ff.). 142 Die Konstitution ist überliefert in C. 6, 30, 22. Siehe auch Inst. 2, 19, 6. 143 Dies betonen zu Recht etwa Bernhöft, Zur Reform des Erbrechts, 93; Seiler, ZRG (RA) 85 (1968), 545 f.; Wesener, in: FS Waldstein, 416. 144 Siehe oben A.II.2. (247 ff.). 145 Siehe auch Bernhöft, Zur Reform des Erbrechts, 38. 146 Vgl. auch Wacke, ZRG (RA) 123 (2006), 244 (Fn. 191). 147 Siehe Kaser, Römisches Privatrecht I, 734; Kroppenberg, Insolvenz, 179 (Fn. 39), 220 (Fn. 211). Auch was Vermächtnisse angeht, wird oft von einer Haftung intra vires gesprochen, doch war bei genauer Betrachtung schon die Forderung als solche betroffen (siehe oben § 3 A.III. (170 ff.)). 148 Siehe Finkenauer, Freilassung durch Nachlaßübernahme, 42. Dieses Ergebnis lässt sich dadurch erklären, dass der Staat nicht als heres in den Nachlass eintrat, sondern diesen eher einem Nachlasskäufer vergleichbar an sich zog. Nach Siber, Geschichtliches und Rechtsvergleichendes, 1000; ders., Römisches Recht II, 398, lag ein Fall reiner Sachhaftung vor, so dass der Staat überhaupt nicht Schuldner wurde.
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des Erbrechts zeigt insbesondere die Ausgestaltung des peculium, dass die Vorstellung einer Sondervermögensmasse den Römern keineswegs Schwierigkeiten bereitete.149 Zwar hätte der Nachlassverkauf, solange er die Infamie entweder des Erben oder des Erblassers nach sich zog, als allgemeines Mittel der Haftungsbeschränkung vermutlich nie die nötige Attraktivität erlangt.150 Doch hätte dem Erben genau wie einem gewöhnlichen Schuldner das durch die lex Iulia151 geschaffene In strument der cessio bonorum zur Verfügung gestellt werden können.152 Indem der Schuldner hierbei sein gesamtes Aktivvermögen freiwillig den Gläubigern überließ, konnte er die Personalexekution bzw. die mit der Vermögensexekution verbundene Infamie abwenden.153 Plausibel ist vor diesem Hintergrund die Annahme, dass den römischen Juristen, ihrer konservativen Gesinnung entsprechend, das historisch gewachsene System als sachgerechter Interessenausgleich erschien. Gemäß dem Grundsatz „ius vigilantibus scriptum est“154 hatte der heres eben Vorsorge zu treffen und den Erwerb der Erbschaft notfalls zu verhindern.155 Ein gewiefter Erbe konnte die Drohung mit dieser Möglichkeit überdies dazu nutzen, den Gläubigern einen Gesamtvergleich oder die Verpflichtung zur Freistellung von der persönlichen Haftung abzutrotzen.156 Im Fall der Erbenmehrheit schließlich brachte die automatische Teilung der Erblasserschulden („nomina ipso iure divisa“)157 Erleichterung,158 und je nach Perspektive konnte man entweder die unbeschränkte Haftung als Kompensation für die Schuldenteilung159 oder die Schuldenteilung als Kompensation für die unbeschränkte Haftung ansehen.160 149 Der Gewalthaber haftete für die vom Gewaltunterworfenen eingegangenen Schulden immer nur mit den im Sondergut befindlichen Gegenständen, so dass das peculium ein Wirtschaften mit beschränktem Risiko ermöglichte: näher Fleckner, Antike Kapitalvereinigungen, 227 f. Siehe auch unten Fn. 225. 150 So Bernhöft, Zur Reform des Erbrechts, 93 f.; siehe auch Rohlfs, Rechtsfolgen der beschränkten Erbenhaftung, 182. Ein Mittel, „den Gläubigern die Unversehrtheit des Nachlasses zu sichern“, wäre die venditio bonorum entgegen Bähr, Gegenentwurf, 420 (Fn.*), hingegen durchaus gewesen. 151 Sie erging entweder unter Caesar oder unter Augustus, siehe Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, 405. 152 Darauf, dass dies nicht geschah, weist Schulz, Classical Roman Law, Rn. 372, hin. 153 Dazu Kaser, Römisches Privatrecht I, 482; Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, 405–407. Eingehend Forster, Konkurs als Verfahren, 89–108. 154 Zu den Quellen und einer differenzierten Analyse der Bedeutung des Satzes Willems, RIDA 60 (2013), 341–368. 155 Siber, Geschichtliches und Rechtsvergleichendes, 999; Bilotti, Separazione, 7 f. Siehe auch Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 55 („Pflicht gegen sich selbst“). Die Ansicht von Bernhöft, Zur Reform des Erbrechts, 36, dass die klassischen Juristen die unbeschränkte Haftung des Erben „für einen großen Uebelstand ansahen“, steht dazu nicht im Widerspruch. 156 Voci, Diritto Ereditario Romano I, 683 f.; Kaser, Römisches Privatrecht I, 642, 734; zu Einzelheiten Endemann, Erbrecht III/2, 854 f.; Santos Justo, Direito Privado Romano V, 98 f.; Forster, Konkurs als Verfahren, 125; Rohlfs, Rechtsfolgen der beschränkten Erbenhaftung, 6–8. 157 Dazu oben § 3 A.IV. (174 f.). 158 Bilotti, Separazione, 7. 159 Vgl. Wacke, ZRG (RA) 123 (2006), 232 (Fn. 138 a. E .). 160 Vgl. Bonfante, Corso VI, 84.
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3. Die mangelnde Praktikabilität des herkömmlichen Modells Ungeachtet der inneren Stimmigkeit des herkömmlichen Modells war nicht zu verkennen, dass der allgemeine Schutz gegen Erwerb eines überschuldeten Nachlasses von wenig flexibler Art war. Denn der heres musste sich zwischen zwei Extremlösungen entscheiden, der Ausschlagung und der Annahme bei unbeschränkter Haftung.161 Im Fall vollständiger Information über die Nachlassverhältnisse war dies kein Problem: Der heres würde einen werthaltigen Nachlass annehmen und einen überschuldeten ausschlagen, oder er würde sich jeweils umgekehrt verhalten und damit ein bewusstes Vermögensopfer erbringen. Doch war der heres über die Sachlage eben oftmals nur unvollständig informiert, so dass beide Handlungsoptionen einem „Aufbruch zu einem ungewissen Ziel bei mondscheinloser Nacht“ glichen.162 Der Annahme wohnte das Risiko inne, in eine unbeschränkte persönliche Haftung zu fallen. Der Ausschlagung wohnte das Risiko inne, sich eines vorhandenen und auch erwünschten Vermögensvorteils zu begeben (auch weil das isolierte Behalten der Begünstigung nicht möglich war163). Natürlich konnte der heres versuchen, den Nachlass vor dem Treffen einer Entscheidung so gründlich wie möglich zu sichten, und wie gezeigt, wurde ihm hierfür auch eine entsprechende Überlegungsfrist eingeräumt.164 Doch konnte der heres die Gefahr, dass ihm nennenswerte Aktiva oder Passiva verborgen blieben und er deshalb auf einer falschen Tatsachengrundlage entschied, niemals gänzlich ausschließen.165 Und die Möglichkeit, den Stand der Passiva im Wege eines Gläubigeraufgebots verbindlich festzuschreiben, sah das römische Recht im Gegensatz zu heutigen Regimen nicht vor. Der römische heres war immerhin insofern in einer besseren Lage als beispielsweise ein Erbe unter dem BGB, als aufgrund mangelnder Vererblichkeit von Deliktsobligationen zumindest aus dieser Richtung keine Gefahr drohte.166
Dass Römer in diesem Dilemma keine unzumutbare Belastung des heres sahen, wurde bereits gesagt. Doch änderte dies nichts an der mangelnden Praktikabilität der Alles-oder-nichts-Lösung. Denn es erhöhte sich zum Leidwesen der Erblassergläubiger und Legatare, aber auch des Rechtsverkehrs im Allgemeinen die Zahl der Fälle, in denen der heres die Aufgabe der Nachlassabwicklung erst nach ausgiebiger Untersuchung übernahm oder sich ihr gänzlich entzog. Es waren denn auch vor allem diese praktischen Erwägungen, die im Jahr 531 nach Chr. endlich zur Schaffung einer dritten, mittleren Option führten,167 näm161
Voci, Diritto Ereditario Romano I, 663; Longchamps de Bérier, Law of Succession, 142. So die Metapher von Bevilaqua, Direito das Sucessões, 81. 163 Siehe oben A.III.4. (254). 164 Siehe oben A.III.3. (253 f.). 165 Siehe oben A.III.2. (252 ff.). 166 Bernhöft, Zur Reform des Erbrechts, 33, spekuliert, dass es genau diese von vererblichen Deliktsobligationen ausgehende Gefahr war, die die Römer dazu brachte, am Grundsatz der Unvererblichkeit festzuhalten. 167 Ähnlich Voci, Diritto Ereditario Romano I, 663 („terza soluzione“). 162
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lich der von Justinian auf der Grundlage verschiedener Vorläufer168 eingeführten Haftungsbeschränkung durch Inventarerrichtung. Insbesondere Jhering sollte später den seiner Ansicht nach system- und traditionsfremden Charakter dieser Abschwächung der confusio bonorum geißeln: Die Haftungsbeschränkung des Erben, die „zur Zeit der klassischen Jurisprudenz“ kein Kaiser vorgenommen haben würde, spreche „dem Grundgedanken des Erbrechts Hohn“.169 Auch Dernburg unterstellte der Reform unrömischen Charakter, wenn er davon sprach, dass mit der Einführung des beneficium inventarii „das jüngste römische Erbrecht [sich] in merkwürdiger Weise dem älteren deutschen Rechte“ genähert habe.170 Doch scheint eine solche Sichtweise allzu dogmatisch vor dem Hintergrund, dass die Maßnahme der Sicherung und Beschleunigung der Nachlassabwicklung diente und damit einem Anliegen, dem die Römer auch früher schon große Bedeutung beigemessen hatten (etwa im Kontext der lex Falcidia).171 Justinian allerdings scheint für Effizienzerwägungen in besonderem Maße empfänglich gewesen zu sein.172 4. Die Regelungsprobleme im Überblick Wollte Justinian die Haftung des heres beschränken, stand er bei isolierter Betrachtung zunächst nur vor einem einzigen Regelungsproblem: Er musste entscheiden, ob ein heres, der von der angebotenen Rechtswohltat Gebrauch machte, gegenständlich haften sollte (cum viribus hereditatis) oder wertmäßig (pro viribus hereditatis).173 Im ersten Fall hätten die Gläubiger nur Befriedigung aus den Nachlassgütern suchen dürfen und nicht auch aus dem Eigenvermögen des heres. Im zweiten Fall hingegen wäre der Vollstreckungszugriff gegenständlich unbeschränkt, in der Höhe aber auf den Nachlasswert beschränkt gewesen.174 Genau genommen hätte es sich nicht um eine Haftungs-, sondern um eine Schuldbeschränkung gehan-
168 Die Einzelheiten sind umstritten, siehe Wesener, in: FS Waldstein, 411 f.; Seiler, ZRG (RA) 85 (1968), 540 f. Siehe auch Santos Justo, Direito Privado Romano V, 100, der im beneficium inventarii lediglich eine Verallgemeinerung bereits bestehender Mechanismen sieht. 169 Jhering, Abhandlungen aus dem römischen Recht, 153 f. (Fn. 1); zustimmend Gruchot, Preussisches Erbrecht in Glossen I, Nr. 90 (178 Fn. 4)). Von einem „gewaltigen Bruch mit der Überlieferung“ spricht Weiss, Institutionen, 554. 170 Dernburg, Pandekten III, § 171 (347). 171 Pointiert Casso, Haftung des Benefizialerben, 12: Was praktisch unentbehrlich ist, könne nie unjuristisch sein (unter Berufung auf Bruns); auch Munk, Gutachten, 36 f., und Binder, Erbrecht, 66, betrachten die justinianische Reform als Fortschritt. 172 Monographisch Willems, Justinian als Ökonom. 173 Die Unterscheidung zwischen einer Haftung cum und pro viribus hereditatis ist nicht römisch-rechtlichen Ursprungs. Dass sie sich zum ersten Mal bei Unger, Verlassenschaftsabhandlung, 163, finden soll (so Wesener, in: FS v. Lübtow, 114), scheint allerdings kaum vorstellbar. 174 Ausführlich zur Unterscheidung zwischen beiden Haftungsarten Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 62–92, der zutreffend darauf hinweist, dass der Begriff der „Haftung“ dabei jeweils in einem unterschiedlichen Sinne gebraucht wird, indem im einen Fall der Kreis der Vollstreckungsobjekte beschränkt wird, im anderen Fall der Umfang der Leistungspflicht (78). Siehe auch Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 9 f.; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3383 f.
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delt.175 Wie noch eingehend zu erörtern ist, ließ Justinian eine klare Stellungnahme zu dieser Grundfrage kurioserweise gerade vermissen.176 Zum Teil sehr detailliert widmete sich seine constitutio dafür anderen, aus der Einführung einer Haftungsbeschränkung resultierenden Folgeproblemen. Dies galt zunächst für die Frage, ob die Haftungsbeschränkung automatisch gelten sollte oder der heres sie sich in irgendeiner Weise verdienen musste. Verbunden war damit auch eine Entscheidung über die Frage, ob fortan ein einziges Regime der Nachlassabwicklung gelten oder der heres die Wahl zwischen zwei Modellen haben sollte. Schließlich traf Justinian auch eine Regelung für den Fall, dass der Nachlass nicht ausreichte, um alle Erblasserverbindlichkeiten und Legate zu erfüllen. 5. „Papierene Separation“ durch Inventarisierung des Nachlasses Ganz gleich, ob die auf den Nachlass beschränkte Haftung gegenständlicher oder wertmäßiger Natur ist, Voraussetzung ist in jedem Fall, dass die Nachlassgegenstände identifizierbar sind.177 Denn im Fall der Haftung cum viribus hereditatis muss bestimmbar sein, in welche Gegenstände die Nachlassgläubiger vollstrecken können, während im Fall der Haftung pro viribus hereditatis die Berechnungsgrundlage zur Bestimmung der maximalen Forderungshöhe feststehen muss. Eine Identifikation der Nachlassgegenstände ist dort unproblematisch gewährleistet, wo der Nachlass im Zeitpunkt des Todes des Erblassers räumlich separiert ist, etwa weil dieser allein lebte. Weiter ist denkbar, dass die Nachlassgegenstände sich durch bestimmte unauslöschliche Markierungen dem Verstorbenen zuordnen lassen. Für die Zeit Justinians lässt sich an einen in einen Silberteller eingravierten Namenszug oder an das Brandzeichen einer Kuh denken, für die heutige Zeit an die Eintragung eines Rechts in einem öffentlichen Register. Schließlich kann die Nachlasszugehörigkeit bestimmter Gegenstände auch eine notorische Tatsache sein, etwa im Fall von Grundstücken oder (in römischer Zeit) von Sklaven. Klar ist indessen, dass die genannten Beispiele den Ausnahme- und nicht den Regelfall bilden und deshalb die problemlose Identifikation sämtlicher Nachlassgegenstände nicht automatisch gegeben ist. Die Rechtsordnung kann auf zwei verschiedene Arten mit dieser Unsicherheit umgehen: Sie kann sie entweder einstweilen ertragen und die Klärung dem konkreten Streitverfahren überlassen, oder sie kann Maßnahmen zu einer gesammelten Identifikation des Nachlasses vornehmen. Die erste Variante ist offenkundig mit erheblichen praktischen Nachteilen verbunden. So wäre im Fall einer rechnerisch beschränkten Haftung für die Nachlassgläubiger gar nicht erkennbar, ob sie ihren Anspruch in voller Höhe geltend machen können. Im Fall der Haftung cum viribus hereditatis stünden sie vor der „nicht 175 Mit Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3382 f., lässt sich eine solche Schuldbegrenzung in Abhängigkeit vom Wert des Nachlasses unterscheiden von einer starren Schuldbegrenzung durch Gesetz, wie sie etwa bei einzelnen Arten der Gefährdungshaftung stattfindet. 176 Dazu ausführlich unten A.VII.9. (270 ff.). 177 Dies betont zu Recht etwa Gomes da Silva, Herança, 158.
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lösbar[en] und […] schlechterdings nicht zumutbar[en]“ Aufgabe, Nachlassgegenstände, die mit dem Vermögen des neuen Rechtsinhabers oder anderer Personen vermischt wurden, aufzuspüren.178 Schließlich würde die Zuordnung umso schwieriger, je länger der Erbfall zurückliegt. Beweislastregeln könnten die Not der Nachlassgläubiger zwar lindern, doch müssten diese auch dann noch riskieren, Zeit und Geld mit fruchtlosen Vollstreckungsbemühungen zu vergeuden. Zumindest in einer Rechtsordnung, die keine generellen Ansprüche auf Auskunft und Rechnungslegung kennt, liegt es deshalb nahe, die zweite Maßnahme zu ergreifen und den Nachlass so bald wie möglich nach dem Tod des Erblassers zu ermitteln und das Ergebnis zu fixieren. Eine Möglichkeit hierzu bestünde darin, den Nachlass räumlich vom Vermögen anderer Personen zu trennen oder eine anfänglich bestehende Trennung aufrechtzuerhalten. Ob eine derartige faktische Nachlasssonderung typisch für die germanische Rechtstradition war, wie behauptet worden ist,179 kann hier dahinstehen, denn entscheidend ist, dass sie erhebliche praktische Nachteile mit sich bringt: Zum einen wird der Gebrauch der Nachlassgegenstände jedenfalls vorübergehend entzogen oder zumindest eingeschränkt, zum anderen muss die Aufrechterhaltung der Separation von irgendeiner unabhängigen Stelle überwacht werden. Nicht überraschend ist deshalb, dass Justinian sich für eine einfachere und zugleich schonendere Methode der Nachlassidentifikation entschied, nämlich für das, was Gustav Boehmer später die „papierene Separation“ nennen sollte:180 Wollte er seine Haftung beschränken, musste der heres die Nachlassgegenstände181 lediglich inventarisieren und brauchte die Sachherrschaft über sie nicht aufzugeben. Der heres erlangte die Haftungsbeschränkung somit zwar nicht ohne Preis,182 aber doch zu einem sehr geringen. 6. Maßnahmen zur Missbrauchsbekämpfung Für die Nachlassgläubiger barg die für den heres so einfache Möglichkeit der Haftungsbeschränkung erhebliche Gefahren. Denn sie mussten befürchten, dass der heres wertvolle Nachlassgegenstände bewusst nicht in das Inventar aufnehmen und sich so auf ihre Kosten bereichern würde.183 Justinian hatte dieses Problem indessen erkannt und zwei Maßnahmen getroffen, um die Richtigkeit des Inventars zu gewährleisten: 178
Karpe, in: 3. Denkschrift, 25. So etwa Saleilles, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 297 f., mit dem Argument, dass in primitiven Gesellschaften die bedeutendsten beweglichen Vermögensgegenstände die Nutztiere gewesen seien und diese „la marque de leur proprietaire“ getragen hätten; siehe auch Rheinstein, Iowa LR 20 (1935), 441. 180 Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 11, 16. 181 C. 6, 30, 22, 2b) wird ganz überwiegend so verstanden, dass, anders als in vielen heutigen Rechtsordnungen, nur die Nachlassaktiva aufzunehmen waren, nicht auch die Erblasserverbindlichkeiten. Siehe etwa Weiss, Institutionen, 553; Cerutti/Monnier, successio 9 (2015), 72. 182 So aber Muscheler, in: FS Kroeschell, 748; ders., Erbrecht II, Rn. 3466. 183 Auf das Anliegen der Gläubiger, die „Konsistenz“ des Nachlasses zu schützen, weist Voci, Diritto Ereditario Romano I, 685, hin. 179
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Erstens musste der heres bei Aufzeichnung der Erbschaftsgegenstände einen tabularius184 und weitere Personen hinzuziehen, so dass das Inventar quasiamtlichen Charakter erhielt.185 Wen Justinian mit der Formel „ceterorumque, qui ad huiusmodi confectionem necessarii sunt“186 genau meinte, ist allerdings nicht klar.187 Plausibel ist die Annahme, dass den Gläubigern Gelegenheit gegeben werden musste, der Inventarerrichtung beizuwohnen.188 Eine baldige Änderung brachte in jedem Fall die Novelle 1 aus dem Jahr 535, der zufolge die Inventarerrichtung vor den Vermächtnisnehmern oder drei zuverlässigen Zeugen zu erfolgen hatte.189 Die Hinzuziehung der Vermächtnisnehmer erklärte sich durch die Bedeutung der Inventarerrichtung für den Erhalt der falzidischen Quart.190 Zweitens wurde der Missbrauchsgefahr durch Abschreckung begegnet: Gelang es einem leer ausgegangenen Gläubiger oder Vermächtnisnehmer, die Unvollständigkeit des Inventars zu beweisen (wobei ihm jedes Mittel zur Verfügung stand, etwa auch die Folterung von Sklaven), so haftete der heres mit dem doppelten Wert der hinterzogenen Gegenstände.191 Die Sanktion des gänzlichen Verlusts der Haftungsbeschränkung sah Justinian im Gegensatz zu zahlreichen späteren Rechtsordnungen192 hingegen nicht vor. 7. Die Frist zur Ausübung der Haftungsoption Die Haftungsbeschränkung durch Inventarerrichtung war dem heres wie gesehen nicht zwingend vorgeschrieben, sondern nur eine ihm eingeräumte Option. Damit bedurfte es genau wie bei dem schon bestehenden Wahlrecht des heres, also des den Nachlasserwerb betreffenden, einer Regelung zu der Frist, innerhalb derer der heres die Entscheidung über seine Haftung treffen musste. Nach der Regelung Justinians war diese Frist eine zweistufige: Innerhalb von 30 Tagen nach Eröffnung des Testaments oder Kenntniserlangung von seiner Berufung hatte der heres mit der 184 C. 6, 30, 22, 2a verwendet zwar den Plural („tabulariorum“), allerdings wird überwiegend angenommen, dass die Mitwirkung eines Notars ausreichend war: Siehe etwa Windscheid/Kipp, Pandektenrecht III, 481; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 85 Rn. 7. 185 Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3466. Von einem „weitestgehend deregulierten Verfahren ohne jede obrigkeitliche Beteiligung“ spricht hingegen Rohlfs, Rechtsfolgen der beschränkten Erbenhaftung, 44. 186 C. 6, 30, 22, 2a. 187 Siehe Santos Justo, Direito Privado Romano V, 100. Seiler, ZRG (RA) 85 (1968), 542, erwägt, dass Justinian auf die seinerzeit geläufige Praxis der Erstellung von Vermögensverzeichnissen anspielte, etwa im Falle der Vormundschaft oder Pflegschaft. 188 So etwa Rheinstein, Iowa LR 20 (1935), 435; skeptisch dagegen Rohlfs, Rechtsfolgen der beschränkten Erbenhaftung, 24, angesichts der Schwierigkeiten der Ermittlung. 189 Kaser, Römisches Privatrecht II, 543 (Fn. 20); Santos Justo, Direito Privado Romano V, 101. 190 Siehe unten Fn. 279. 191 C. 6, 30, 22, 10; Kaser, Römisches Privatrecht II, 544 (Fn. 26). Eingehend Rohlfs, Rechtsfolgen der beschränkten Erbenhaftung, 39–44. 192 Dazu unten § 6 C.II.1a)(4) (388 ff.), E.II.3 (453 ff.), § 7 B.V. (599 ff.), C.I.5. (618 f.). Die Anfänge dieser Lehre liegen bei den Konsiliatoren, siehe Rohlfs, Rechtsfolgen der beschränkten Erbenhaftung, 170–180.
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Erstellung des Inventars zu beginnen, und innerhalb von weiteren 60 Tagen hatte er dieses fertigzustellen.193 War der heres vom Belegenheitsort des Nachlasses abwesend, verlängerte sich die Fertigstellungsfrist auf ein Jahr a morte testatoris.194 Diese Fristen erfüllten einerseits den Zweck, einer Verdunkelung durch Zeitablauf vorzubeugen, sollten andererseits aber dem Erben genügend Zeit für die notwendigen Ermittlungen lassen. Damit der heres die gewährten Fristen ungestört ausschöpfen konnte, durfte er während dieser Zeit von den Nachlassgläubigern nicht belangt werden.195 8. Haftungsoption und Erwerbsoption Anders als in der späteren Praxis des ius commune und zahlreichen modernen Rechtsordnungen war die Entscheidung des heres über seine Haftung nicht gekoppelt an seine Entscheidung über den Erwerb des Nachlasses. Er brauchte sich die Möglichkeit der Inventarerrichtung deshalb bei Antritt der Erbschaft bzw. Einmischung in diese196 nicht vorzubehalten,197 sondern konnte die Haftungsbeschränkung auch später noch geltend machen. Auf die Ausgestaltung der Option über den Erwerb des Nachlasses hatte die Schaffung des beneficium inventarii dennoch bedeutende Auswirkungen. Denn Justinian zielte mit der Möglichkeit der Haftungsbeschränkung keineswegs nur auf den Schutz des heres ab,198 sondern wollte im Interesse aller Nachlassbeteiligten die schnelle Schaffung klarer Verhältnisse befördern. Er ging davon aus, dass der heres den Nachlasserwerb fortan nicht mehr zu fürchten brauchte, und hielt deshalb – „etwas voreilig“199 – die Gewährung einer Überlegungsfrist für überflüssig200 oder gar für ein Mittel zur Verschleppung oder Verdunkelung.201 Zwar 193
C. 6, 30, 22, 2a. C. 6, 30, 22, 3. Siehe dazu Seiler, ZRG (RA) 85 (1968), 541 f. 195 Kaser, Römisches Privatrecht II, 543. 196 Die Variante der Einmischung (vgl. etwa C. 6, 30, 22, 2) zielte auf den Hauserben, der zwar schon im Moment des Todes in den Nachlass eintrat, aber so lange nicht für die Verbindlichkeiten in Anspruch genommen werden konnte, wie er das beneficium abstinendi noch nicht verloren hatte (siehe oben A.III.1. (251 ff.)). 197 Siehe etwa Unger, Verlassenschaftsabhandlung, 13; Peña Bernaldo de Quiros, Herencia y deudas, 24. Missverständlich Longchamps de Bérier, Law of Succession, 143. Auch im gemeinen Recht bestand das genannte Erfordernis nicht, wenngleich in der Praxis die Annahmeerklärung unter Inventarvorbehalt verbreitet war, siehe Windscheid/Kipp, Pandektenrecht III, § 606 (480 f. Fn. 6); Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 18 f., 21. War der Vorbehalt der Inventarerrichtung bei Antritt also nicht erforderlich, war er zugleich auch wirkungslos in dem Sinn, dass die einmal angetretene Erbschaft bei nachträglich festgestellter Überschuldung nicht mehr ausgeschlagen werden konnte, siehe Kaser, Römisches Privatrecht II, 544 (Fn. 27). 198 So aber z. B. Dernburg, Preußisches Privatrecht III, § 2 23 (652); Muscheler, in: FS Kroeschell, 748; Voci, Diritto Ereditario Romano I, 686. 199 Kaser, Römisches Privatrecht II, 529 (ähnlich 544). 200 So schon C. 6, 30, 22, 1, 2. 201 C. 6, 30, 22, 13; Inst. 2, 19, 6. Siehe auch Kaser, Römisches Privatrecht II, 544; Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 14. Verkannt wird Justinians Konzeption deshalb dort, wo Inventarerrichtung und Überlegungs194
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schaffte Justinian das tempus ad deliberandum aus Respekt vor der Tradition nicht ab und gewährte bei Antrag vor dem Prätor eine Überlegungsfrist von neun, bei Antrag vor dem Kaiser gar von zwölf Monaten.202 Im Einklang mit seiner generellen Zielsetzung, die Nachlassabwicklung zu beschleunigen und die Annahme unter Inventarerrichtung zum neuen Leitbild zu erheben,203 bemühte sich Justinian jedoch, das Erbitten einer Überlegungsfrist möglichst unattraktiv zu machen, um denjenigen, der sich durch die Rechtswohltat des Inventars immer noch nicht hinreichend geschützt glaubte, gewissermaßen zu bestrafen: Das ungenutzte Verstreichenlassen der Frist führte nun sowohl für den Außenerben als auch für den Hauserben zum endgültigen Nachlasserwerb, während die Inventarerrichtung keine Haftungsbeschränkung mehr bewirkte, sondern lediglich den Erhalt der falzidischen Quart sicherstellte.204 Schlug der Berufene innerhalb der Frist aus, musste er die Erbschaft den Gläubigern oder Nächstberufenen herausgeben, die den Wert eidlich schätzen durften.205 9. Die haftungsrechtliche Wirkung der Inventarerrichtung Bis heute ist umstritten, ob die durch Errichtung des Inventars herbeigeführte Haftungsbeschränkung gegenständlicher oder rechnerischer Natur war.206 Die nähere Befassung mit der Frage erfolgt hier nicht aus historischem Interesse, sondern weil sich an ihrem Beispiel zentrale Einsichten in die Probleme der Nachlassabwicklung gewinnen lassen, die im weiteren historischen Verlauf immer wieder sichtbar werden sollten. a) Die Auffassungen im Wandel der Zeiten Die gemeinrechtliche Lehre nahm etwa bis etwa Mitte des 19. Jahrhunderts ausnahmslos und wie selbstverständlich eine Haftung cum viribus hereditatis an, also mit den Gegenständen des Nachlasses und nicht mit ihrem Wert.207 Die Vermutung liegt nahe, dass dieses Verständnis des beneficium inventarii auch von der frist als komplementäre Rechtsinstitute betrachtet werden (so Cerutti/Monnier, successio 9 (2015), 73). Justinian kam es gerade nicht darauf an, dem heres eine informierte Entscheidung über Annahme und Ausschlagung zu ermöglichen, vielmeher wollte er ihm die Sorge vor den Folgen der Annahme nehmen. Zweifelhaft ist daher auch die von den genannten Autoren gezogene Parallele zum Inventar des schweizerischen Rechts (Cerutti/Monnier, successio 9 (2015), 77), weil dieses Aufgebotscharakter hat (siehe unten § 7 Fn. 145) und damit ebenfalls eine informierte Entscheidung ermöglichen soll (hingegen nicht vorrangig auf eine Haftungsbeschränkung zielt). 202 C. 6, 30, 22, 13a. 203 Dazu unten A.VII.11 (280 ff.). 204 Santos Justo, Direito Privado Romano V, 104. 205 C. 6, 30, 22, 13–14; Voci, Diritto Ereditario Romano I, 687; Wesener, in: FS Waldstein, 413, 415; Longchamps de Bérier, Law of Succession, 144 f. 206 Eingehend zur Diskussion mit zahlreichen Nachweisen Casso, Haftung des Benefizialerben, 14–35; Wesener, in: FS v. Lübtow, 113–116; Rohlfs, Rechtsfolgen der beschränkten Erbenhaftung, 28–34. Zur Unterscheidung der beiden Haftungsarten siehe oben A.VII.4. (265 f.). 207 Für Nachweise Wesener, in: FS v. Lübtow, 113.
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deutschrechtlichen Vorstellung beeinflusst wurde, dass die Verbindlichkeiten des Verstorbenen ohnehin nur auf dem Nachlass lasteten und den Erben niemals mit seinem eigenen Vermögen trafen.208 Jedenfalls ermöglichte die Annahme einer gegenständlich beschränkten Haftung die friedliche Koexistenz beider Traditionen, wobei das beneficium inventarii gewissermaßen als „Brücke“ zwischen ihnen fungierte.209 In der Hochphase der Pandektistik gewann dann allerdings die Gegenauffassung an Boden, die Fürsprecher u. a. in Brinz210 , Dernburg211 und Windscheid 212 213 fand. Zwar wurde die gemeinrechtliche Praxis hiervon nicht mehr beeinflusst, 214 doch entwickelte sich die Ansicht, dass das beneficium inventarii eine rechnerisch beschränkte Haftung herbeigeführt habe, in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zumindest in Deutschland zur klar herrschenden 215 (natürlich ohne dass dies länger von praktischer Relevanz war). Seither ist die romanistische Wissenschaft aber ganz überwiegend zur Annahme einer gegenständlich beschränkten Haftung zurückgekehrt.216 b) Argumente pro und contra Dass sich in der Frage der Haftungsart bis heute keine einhellige Meinung herausgebildet hat, liegt daran, dass sich für und gegen beide Lösungen jeweils gewichtige Argumente anführen lassen. Zu den Gegenargumenten gehören insbesondere die 208 Siehe etwa Dernburg, Preußisches Privatrecht III, § 2 23 (652 f.); Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 18; Staudinger/Boehmer 11, § 1922 Rn. 107; Ebel, ZRG (RA) 84 (1967), 255. Zur Konzeption der Haftung für Erblasserverbindlichkeiten in der germanischen Tradition oben § 4 A.II.2. (247 ff.). 209 Casso, Haftung des Benefizialerben, 41 f. 210 Siehe Wesener, in: FS v. Lübtow, 113 f. 211 Dernburg, Preußisches Privatrecht III, § 2 23 (Fn. 3); ders., Pandekten III, § 171 (348). 212 Windscheid/Kipp, Pandektenrecht III, § 606 (Fn. 9). 213 Ebenfalls aus dieser Phase Casso, Haftung des Benefizialerben, 25–27; für eine Haftung cum viribus hereditatis dagegen Munk, Gutachten, 36; Bernhöft, Zur Reform des Erbrechts, 95 f. 214 Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 18; Wesener, in: FS v. Lübtow, 114. 215 Ohne nähere Diskussion gehen aus von einer rechnerisch beschränkten Haftung etwa Binder, Rechtsstellung II, 54; ders., Erbrecht, 7; Endemann, Erbrecht III/2, 855 (Fn. 14); Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 11; Siber, Geschichtliches und Rechtsvergleichendes, 1000; ders., Römisches Recht II, 399 (allerdings schon zweifelnd, siehe Fn. 32); RVglHWB/Hallstein, Schuldenhaftung des Erben, 235 (allerdings schon auf eine Trendwende hinweisend); Karpe, in: 3. Denkschrift, 44; Staudinger/Boehmer 11, § 1922 Rn. 107. Außerhalb Deutschlands auch Weiss, Institutionen, 554, unter Verweis auf das Obligationenrecht. 216 Siehe etwa schon Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 15 (entgegen seiner früheren Ansicht, siehe oben Fn. 215), und Bonfante, Corso VI, 398. Ferner Kaser, Römisches Privatrecht II, 543 (Fn. 25); Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, 483 (Fn. 17); Wesener, in: FS v. Lübtow, 115, 127; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 86 Rn. 8. Aus dem ausländischen Schrifttum m. w. N. Peña Bernaldo de Quiros, Herencia y deudas, 22 f. Für eine rechnerisch beschränkte Haftung dagegen heute noch etwa Longchamps de Bérier, Law of Succession, 142, 144 f. (freilich ohne die Frage zu diskutieren und in gewissem Widerspruch zu seiner Aussage, dass das beneficium inventarii die Verschmelzung von Nachlass und Erbenvermögen verhindert habe); Murga Fernández, ZEuP 2018, 363, ebenfalls ohne Eingehen auf die Diskussion.
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erheblichen Defizite, die die Regelung Justinians im einen wie im anderen Fall aufgewiesen hätte. Dass Justinian eine ausdrückliche Regelung der Frage unterließ, dürfte dadurch zu erklären sein, dass ihm selbst, genau wie den zeitgenössischen Adressaten seiner Reform, die Wirkung der Inventarerrichtung völlig klar war.217 Das zentrale Argument für eine Haftung pro viribus hereditatis ist die Formulierung „[…] ut in tantum hereditariis creditoribus teneantur, in quantum res substantiae ad eos devolutae valeant […]“.218 Doch streiten für eine Haftung cum viribus hereditatis nicht nur andere Textstellen, 219 sondern insbesondere auch historische und systematische Argumente: So hatte das von Kaiser Gordian geschaffene Soldatenprivileg, 220 das Justinian ausdrücklich als Vorläufer seiner Regelung anführte und dessen Verallgemeinerung er bezweckte, 221 unstreitig eine gegenständlich beschränkte Haftung vorgesehen, und Gleiches gilt für die dem servus cum libertate gewährte separatio bonorum.222 Sodann hatte Justinian ausdrücklich angeordnet, dass es hinsichtlich der Rechte des heres gegen den Verstorbenen nicht zu einem Erlöschen durch confusio kam,223 was das Fortbestehen des Nachlasses in dinglicher und nicht bloß in rechnerischer Hinsicht implizierte,224 ähnlich der Situation bei der separatio bonorum.225 Weiter lässt sich für eine Haftung cum viribus anführen, dass eine Haftung pro viribus neben einer Identifikation der Nachlassgegenstände auch deren Bewertung erfordert hätte. Zwar verlangte eine solche auch schon die lex Falcidia, so dass die Römer mit entsprechenden Schätzungen seit Jahrhunderten vertraut waren. Doch fällt auf, dass Justinians Regelung zu einigen schwierigen Fragen, die das Thema aufwirft, gänzlich schweigt.226 So hätte etwa geklärt werden müssen, welches der 217
Rohlfs, Rechtsfolgen der beschränkten Erbenhaftung, 30. 6, 30, 22, 4. Zu diesem Argument etwa Dernburg, Preußisches Privatrecht III, § 223 (Fn. 3); Windscheid/Kipp, Pandektenrecht III, § 606 (Fn. 9); Voci, Diritto Ereditario Romano I, 686 (Fn. 4). 219 Siehe Kaser, Römisches Privatrecht II, 543 (Fn. 25); Wesener, in: FS v. Lübtow, 115. 220 Dieses nicht unmittelbar überlieferte Reskript gewährte Soldaten, die eine schadenbringende Erbschaft per ignorantiam angetreten hatten, die separatio bonorum, siehe Wesener, in: FS Waldstein, 406. 221 C. 6, 30, 22 pr. 222 Zu diesem historisch-systematischen Argument etwa Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 15; Wesener, in: FS v. Lübtow, 115; Rohlfs, Rechtsfolgen der beschränkten Erbenhaftung, 32. 223 C. 6, 30, 22, 9. 224 Zu diesem Argument etwa Seiler, ZRG (RA) 85 (1968), 543; Kaser, Römisches Privatrecht II, 544 (Fn. 36); Wesener, in: FS v. Lübtow, 115; Peña Bernaldo de Quiros, Herencia y deudas, 23. 225 Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 15, der freilich auch darauf hinweist, dass eine rechnerisch beschränkte Haftung dem römischen Recht ebenfalls schon bekannt war, nämlich bei der Haftung des Hausvaters für Schulden des Sohnes (Haftung bis zum Wert des dem Sohn überlassenen Sondergutes (peculium)); dazu auch schon oben Fn. 149. 226 Wesener, in: FS v. Lübtow, 115. Auch Dernburg, Preußisches Privatrecht III, § 2 23 (652), räumt ein, dass die Regelung in dieser Hinsicht dunkel ist. Windscheid/Kipp, Pandektenrecht III, § 606 (Fn. 8), meint lapidar, dass der Erbe bei Unterzeichnung des Inventars den „Betrag des Vermögens“ anzugeben habe, aber in dem von ihm zitierten C. 6, 30, 22, 2 ist hiervon nicht die Rede. Casso, Haftung des Benefizialerben, 24 f., räumt eine „bedauerliche Lücke“ ein, hält die Möglichkeit einer nachträglichen Schätzung aber für ausreichend. 218 C.
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Stichtag für die Wertberechnung ist,227 ferner auch, wie Streitigkeiten über die Wertbestimmung gelöst werden. Letztere wären die große Achillesferse einer Haftung pro viribus hereditatis gewesen, 228 weil für den heres ein Anreiz bestanden hätte, den Wert der Nachlassgegenstände möglichst niedrig anzusetzen, um so die Höhe der Nachlassverbindlichen zu drücken.229 Diese erheblichen praktischen Probleme einer rechnerisch beschränkten Haftung230 lassen sich auch unabhängig von ihrer unzureichenden Regelung als Argument gegen die Vermutung anführen, dass Justinian eine solche Lösung habe einführen wollen. Nun hätte sich die Regelung des beneficium inventarii bei Annahme einer Haftung cum viribus hereditatis freilich aus anderen, vor allem rechtsethischen Gründen als defizitär erwiesen. Zwar entspricht eine Beschränkung der Haftung auf die Gegenstände des Nachlasses sowohl dem erbrechtlichen Kontinuitätsdenken als auch allgemeinen Gerechtigkeitserwägungen, 231 weil die Gläubiger des Verstorbenen dieselbe Haftungsmasse wie zu Lebzeiten des Verstorbenen vorfinden. Doch bringt diese Situation für die Erblassergläubiger zwei erhebliche Gefahren mit sich, die sich jeweils als Folge eines gestörten Gleichgewichts begreifen lassen. Die erste Gefahr ist die schon im Zusammenhang mit der separatio bonorum untersuchte: Wird der Nachlass einem neuen Rechtsträger zugewiesen, erhalten auch dessen Gläubiger Zugriff auf ihn. Dies ist für die Erblassergläubiger so lange nicht problematisch, wie sie im Gegenzug Zugriff auf das Eigenvermögen des neuen Rechtsträgers erhalten und dieses ausreichend ist. Eine Haftung cum viribus hereditatis stört nun jedoch diese „Waffengleichheit“ zwischen beiden Gläubigergruppen, wenn allein die Nachlassgläubiger im Haftungszugriff beschränkt werden. Wirtschaftlich stellt sich der Fall für sie dann wie eine confusio bonorum dar, bei der der Rechtsnachfolger nur Schulden, aber kein Aktivvermögen hat. Zur Wiederherstellung des Gleichgewichts ist es deshalb erforderlich, den Nachlass gegenüber dem Zugriff der Erbengläubiger abzuschirmen, so dass gilt: Den Erblassergläubigern und Legataren haftet nur der Nachlass, immerhin aber der gesamte 227
Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 15. zu diesem praktischen Nachteil einer rechnerisch beschränkten Haftung Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3490. 229 Buchstäblich ausgezahlt hätte sich dies allerdings nur dort, wo der angegebene Wert der Nachlassgegenstände die Ausgangshöhe der Nachlassverbindlichkeiten unterschritten hätte. 230 Diese fallen dort weniger ins Gewicht, wo der Nachlasswert ohnehin von Amts wegen ermittelt wird, so dass es angesichts der Rolle des „Gerichtskommissärs“ (siehe oben § 1 E.I.2a)(4) (41 ff.)), nicht überrascht, dass das österreichische Recht sich (im Fall des bedingten Erbschaftsantritts) für die rechnerische Haftungsbeschränkung entschieden hat: Siehe § 802 ABGB und aus dem Schrifttum Eccher/Umlauft, Erbrecht, § 8 Rn. 5; Koziol/Bydlinski/Bollenberger/Sailer, § 802 Rn. 1. Lange Zeit war, genau wie im gemeinen Recht, die Natur der Haftungsbeschränkung allerdings umstritten, siehe aus dem 19. Jahrhundert die Darstellung bei Casso, Haftung des Benefizialerben, 66–69. 231 Dies ist allgemein anerkannt, siehe etwa Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 11; Karpe, in: 3. Denkschrift, 24 f.; Staudinger/Marotzke (2010), Vorbem zu §§ 1967–2017, Rn. 46 (= Staudinger/ Kunz, Vorbem zu §§ 1967 ff Rn. 213); Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3462; Osthold, Erben und Haftung, 15; K. W. Lange, Erbrecht, § 69 Rn. 12; Gomes da Silva, Herança, 141 f. 228 Allgemein
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Nachlass.232 Dass die justinianische Regelung eine solche doppelseitige Separation nach allgemeiner Ansicht nicht vorsah,233 ist nun allerdings kein zwingendes Argument gegen eine Haftung cum viribus hereditatis. Denn den Nachlassgläubigern stand zur Abwehr der Erbengläubiger im Fall der Überschuldung des heres immer noch das beneficium separationis zur Verfügung234 (das Justinian allerdings einer Frist von fünf Jahren ab Eintritt in den Nachlass unterwarf235). Die zweite Gefahr, die eine Haftung cum viribus hereditatis für die Gläubiger mit sich bringt, besteht in der gesteigerten Verwundbarkeit des Nachlasses gegenüber Handlungen oder Ereignissen, die seine Substanz oder seinen Wert beeinträchtigen. Denn wenngleich die jederzeitige Verschlechterung ihrer „Kreditunterlage“236 allgemeines Risiko der Gläubiger ist, gehen ihnen im Fall einer rechtlichen Absonderung des Nachlasses zwei natürliche Gegengewichte verloren: Erstens gibt es mit Ausnahme von Sach- und Rechtsfrüchten sowie zufälligen Wertsteigerungen 237 keine Aussicht mehr auf einen Zuwachs der Haftungsmasse, etwa durch Arbeitsleistung oder Geschäftstüchtigkeit des Inhabers; das Vermögen ist m. a.W. von einem „werbenden“ zu einem „sterbenden“ geworden.238 Zweitens ist bei einer gegenständlich beschränkten Haftung auch der Anreiz des neuen Rechtsinhabers zu einem sorgfältigen Umgang mit den Nachlassgegenständen deutlich gemindert.239 Denn deren Weggabe, Verbrauch, Abhandenkommen, Zerstörung oder Beschädigung trifft ihn nur noch nur insoweit, als der Nachlass einen Überschuss 232 Siehe schon oben Fn. 113. Auf den ersten Blick bedeutete auch die Möglichkeit dinglich wirkender Vermächtnisse eine Störung des genannten Gleichgewichts: Denn war der unmittelbare „Abfluss“ einzelner Gegenstände aus dem Nachlass bislang durch den Zugriff auf das Eigenvermögen des heres kompensiert worden, mussten die Nachlassgläubiger sich fortan mit dem geschmälerten Erblasservermögen begnügen. Doch ist daran zu erinnern, dass die lex Falcidia dem Erblasser letztwillige Einzelzuwendungen von vornherein nur im Rahmen des Nettovermögens gestattete (siehe oben § 3 A.III. (170 ff.)). Freilich machte Justinian durch Novelle 1 aus dem Jahr 535 die lex Falcidia zur dispositiven, d. h. im Belieben des Testators stehenden Regel (Hennig, lex Falcidia, 24 f.), so dass das genannte Problem ab dann auftreten konnte. Zur haftungsrechtlichen Problematik des Vindikationslegats in den modernen Rechten unten § 8 A.III.2. (643 ff.). 233 Windscheid/Kipp, Pandektenrecht III, § 607 (484 Fn. 3); Voci, Diritto Ereditario Romano I, 687 (Fn. 6). 234 Casso, Haftung des Benefizialerben, 17; Bonfante, Corso VI, 400; Peña Bernaldo de Quiros, Herencia y deudas, 26; Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 585, hält es sogar für wahrscheinlich, dass venditio bonorum und beneficium inventarii in der Praxis häufig zusammentrafen. Voci, Diritto Ereditario Romano I, 687, meint, dass eine Möglichkeit der Gesamtvollstreckung zu dieser Zeit nicht mehr bestand, doch wird überwiegend angenommen, dass die Einzelvollstreckung lediglich daneben getreten war: näher Hoffmann, Prioritätsgrundsatz und Gläubigergleichbehandlung, 96, 442 f. 235 Siehe oben Fn. 108. 236 Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3465. 237 Ein plastisches Beispiel aus späteren Jahrhunderten ist das im Nachlass befindliche Lotterielos, auf das nach dem Erbfall der Gewinn fällt: Siehe Eck, Stellung des Erben, 30. 238 Vgl. auch Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3461. 239 Dieser Aspekt wird selten klar herausgearbeitet, siehe etwa Windel, Modi der Nachfolge, 467 f., der nur das Absicherungsinteresse des Haftungsbegünstigten erwähnt, das aber kein Spezifikum des Erbrechts ist; zu knapp auch Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3461. Allgemein zur „other people’s money“-Problematik Fleckner, Antike Kapitalvereinigungen, 80 f.
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aufweist, während im Übrigen die Erblassergläubiger das Verlustrisiko zu tragen haben. Bei einem gewöhnlichen Schuldner ist die Situation zwar auf den ersten Blick genau dieselbe, weil auch seine aktiven Vermögenswerte in Höhe der auf ihnen lastenden Verbindlichkeiten seinen Gläubigern „gehören“. Doch ist der gewöhnliche Schuldner nicht lediglich in einem ihm zugeordneten, weitgehend statischen Sondervermögen betroffen, sondern in seinem dynamischen Hauptvermögen. Dies bedeutet zum einen, dass er für einen Verlust vorhandener Gegenstände unter Umständen mit künftigen Einkünften „bezahlen“ muss,240 zum anderen, dass eine Zahlungsunfähigkeit viel einschneidendere Rechtsfolgen für ihn hat.241 Zusammenfassend lässt sich daher sagen, dass die Haftung cum viribus hereditatis das Gleichgewicht von Rechtsmacht und Verantwortlichkeit stört. Soll dieses Gleichgewicht wieder hergestellt werden, muss parallel zur Verantwortlichkeit deshalb auch die Verfügungsmacht des Nachlassinhabers eingeschränkt werden, indem ihm eine treuhänderische Pflicht zur ordnungsgemäßen Verwaltung und Abwicklung des Nachlasses auferlegt wird, deren Verletzung zu einer Haftung mit dem eigenen Vermögen führt. Eine solche Pflicht des beschränkt haftenden heres wurde in der Tat später von den Konsiliatoren angenommen, 242 bildete sich im mittelalterlichen deutschen Recht vielerorts heraus243 und wurde u. a. im preußischen ALR und im französischen Code civil kodifiziert.244 In England wurde die devastavit-Haftung des executor sogar zu einem bestimmenden Thema der Rechtsentwicklung.245 Justinian sagte indessen von einer Verwalterund Abwicklerhaftung „kein Wort“, 246 so dass eine gegenständlich beschränkte Haftung eine klaffende Lücke im Gläubigerschutz hinterlassen hätte.247 Die Verfügungsfreiheit des heres war selbst hinsichtlich solcher Nachlassgegenstände nicht eingeschränkt, an denen ein besitzloses Pfandrecht bestand, 248 und es ist nicht ein240
Bernhöft, Zur Reform des Erbrechts, 95. könnte einen weiteren Unterschied darin sehen, dass ein gewöhnlicher Schuldner nicht die Möglichkeit hat, Gegenstände von einer Vermögensmasse in eine andere zu schieben, wie es etwa der Fall ist, wenn ein beschränkt haftender Abwickler Nachlassmittel zur Tilgung einer eigenen Schuld verwendet. Doch sollte es keine Probleme bereiten, in Fällen dieser Art die allgemeinen Regelungen über die Gläubigeranfechtung zur Anwendung zu bringen. 242 Casso, Haftung des Benefizialerben, 37; Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 16; Rohlfs, Rechtsfolgen der beschränkten Erbenhaftung, 133 f. In der späteren gemeinrechtlichen Literatur wurde der sich auf das beneficium inventarii berufende Erbe als administrator des Nachlasses angesehen, siehe die Nachweise bei Coing, Europäisches Privatrecht II, 624. Zu dieser Entwicklung auch Casso, Haftung des Benefizialerben, 37–51. 243 Dernburg, Preußisches Privatrecht III, § 2 23 (653); Rheinstein, Iowa LR 20 (1935), 438. Zur gemeinrechtlichen Literatur des 19. Jahrhunderts Osthold, Erben und Haftung, 99. 244 Dazu unten § 6 C (384 ff.), D. (435 ff.). 245 Siehe unten § 4 B.II.2c) (290 f.). 246 Casso, Haftung des Benefizialerben, 20 (siehe auch 26). 247 Rohlfs, Rechtsfolgen der beschränkten Erbenhaftung, 183 f., sieht demgegenüber die Hauptgefahrenquelle für die Gläubiger darin, dass der heres selbst die Abwicklung vornahm und darin nicht hoheitlich überwacht wurde. Doch hätte eine Abwicklerhaftung grundsätzlich ein hinreichendes Gegengewicht gebildet. 248 Rohlfs, Rechtsfolgen der beschränkten Erbenhaftung, 27. 241 Man
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mal klar, ob im Wege einer dinglichen Surrogation der erzielte Erlös in den Nachlass fiel.249 Die genannten Probleme einer Haftung cum viribus hereditatis sind nun vor allem deshalb ein beachtliches Argument für die Annahme einer rechnerisch beschränkten Haftung,250 weil sie bei einer solchen gerade vermieden worden wären. Denn bei der Haftung pro viribus hereditatis entsteht keine „schutzlose“ Sondermasse, sondern gibt es immer nur ein Gesamtvermögen. Hierdurch ist zum einen automatisch die „Waffengleichheit“ der Gläubigergruppen sichergestellt, zum anderen findet auch kein Auseinanderfallen von Verfügungsmacht und Verantwortlichkeit statt. Denn indem der Abwickler für die einmal ermittelte Forderungshöhe stets umfassend einstehen muss, trägt er das Risiko späterer Verluste oder Beschädigungen von Nachlassgegenständen,251 so dass ihm an einem sorgfältigen Umgang gelegen sein muss.252 Die Anordnung einer entsprechenden Pflicht wäre damit bei einer Haftung pro viribus hereditatis nicht nur unnötig, sondern sogar gänzlich sinnlos, weil die Gläubiger ohnehin schon auf das gesamte Vermögen zugreifen könnten.253 Dass die heute h. M. dennoch eine Haftung cum viribus hereditatis annimmt, ist bei Gesamtabwägung aller Argument zumindest nachvollziehbar. Die aufgezeigten Defizite sind dann schlicht als „Unfertigkeiten des neuen Rechts“ zu betrachten, 254 für dessen Bewertung man nicht „den perfektionistischen Gesetzgeber der Gegenwart“ zum Maßstab nehmen sollte.255 Zusätzlich gestützt wird diese Auffassung dadurch, dass Justinian auch bei einem anderen Thema, nämlich dem der Verteilung eines unzureichenden Nachlasses, vorrangig die Interessen des heres im Blick hatte und die Gläubigerinteressen vernachlässigte.
249 In Abweichung vom sachenrechtlichen Grundsatz schloss C. 6, 30, 22, 7 einen Regress gegen den Käufer des belasteten Nachlassgegenstandes ausdrücklich aus, dazu Rohlfs, Rechtsfolgen der beschränkten Erbenhaftung, 37. 250 So im Hinblick auf die fehlende Verwalterhaftung Dernburg, Preußisches Privatrecht III, 652; Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 15; Rheinstein, Iowa LR 20 (1935), 435 f. 251 So war es in der Tat für die lex Falcidia anerkannt, d. h. nach Antritt der Erbschaft eintretende Nachlassminderungen (z. B. durch Brände, Schiffbrüche oder den Tod von Sklaven) ließen die Ansprüche der Vermächtnisnehmer unberührt und waren somit alleiniges Risiko des Erben (solange kein Verschulden der Vermächtnisnehmer vorlag): Maecenatus D. 35, 2, 30 pr. Dazu auch Rohlfs, Rechtsfolgen der beschränkten Erbenhaftung, 131. 252 Dies gilt jedenfalls so lange, wie der Rechtsnachfolger insgesamt solvent ist. 253 Siber, Historisches und Rechtsvergleichendes, 1032; ders., Haftung für Nachlaßschulden, 57; siehe auch Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 58 f. 254 Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 15. Ähnlich erinnerte schon Casso, Haftung des Benefizialerben, 12, daran, „dass Justinian zu einer Zeit lebte, wo der juristische Scharfsinn im Abnehmen war, wo die wissenschaftliche Construction eines Rechtsinstituts den Juristen kaum noch geläufig war.“ 255 So zwar nicht zum selben Problem, aber auch im Kontext des beneficium inventarii, Seiler, ZRG (RA) 85 (1968), 541.
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10. Einfachheit vor Verteilungsgerechtigkeit Solange der Nachlass mit dem Eigenvermögen des heres verschmolz, hatte die Frage, ob er zur Bedienung aller Nachlassgläubiger ausreichte, keine Relevanz. Denn es gab ja rechtlich gesehen nur noch das Gesamtvermögen des heres, auf das die Erblassergläubiger und Legatare ebenso zugreifen konnten wie die Eigengläubiger. Dementsprechend wurden dem heres auch keine Vorgaben zur Verwendung der Nachlassgegenstände bei der Schuldentilgung gemacht. Erst dann, wenn das Gesamtvermögen nicht mehr zur Befriedigung aller Gläubiger ausreichte, stellte sich die Frage einer geordneten Verteilung.256 Ab dem Moment allerdings, wo die Erblassergläubiger und Legatare Befriedigung nur noch aus dem Nachlass suchen konnten, sei es aus seinen Gegenständen oder deren Wert, wurde der Fall des unzulänglichen Nachlasses zum Regelungsproblem. Denn da auch keine Hoffnung mehr auf Zuwächse bestand (mit Ausnahme von Sach- und Rechtsfrüchten), bedurfte es einer Entscheidung der Frage, wen die zu erwartenden Ausfälle treffen sollten. Die Einführung einer Haftungsbeschränkung ließ m. a.W. das Thema „Nachlassinsolvenz“ auf den Plan treten. Die von Justinian vorgesehene Lösung war außerordentlich erben- und damit abwicklerfreundlich.257 Nicht nur durfte der heres vorab die Begräbniskosten sowie die Kosten für die Testamentseröffnung und die Inventarerrichtung abziehen.258 Auch war ihm hinsichtlich der Verteilung der übrigen Werte ein Vorgehen nach dem Prioritätsprinzip gestattet, also eine Bedienung der Ansprüche in der Reihenfolge der Geltendmachung.259 Eine solche „tumultuarische“ Befriedigung260 konnte beispielsweise dazu führen, dass ein Vermächtnisnehmer voll befriedigt wurde, ein Erblassergläubiger hingegen leer ausging. Justinian ermöglichte immerhin den Ausgleich im Innenverhältnis: Nicht oder nicht voll befriedigte Gläubiger konnten befriedigte Vermächtnisnehmer in Regress nehmen und dadurch die Wertung „nemo liberalis nisi liberatus“ wahren; Gläubiger, die durch eine hypoteca, also ein besitzloses Pfandrecht, gesichert waren, konnten Rückgriff bei ungesicherten Gläubigern nehmen sowie bei Gläubigern, deren Pfandrecht jün-
256 Wie oben gesehen (A.V.–VI. (257 ff.)), konnten die Erblassergläubiger und Legatare in diesem Fall eine Separation des Nachlasses erwirken. 257 Nach Bernhöft, Zur Reform des Erbrechts, 95, wurde die Stellung des Erben im Schrifttum auch als „paschamäßig“ bezeichnet. 258 C. 6, 30, 22, 9; Voci, Diritto Ereditario Romano I, 686 (ders., ebd., 666, scheint aus der zitierten Quelle sogar eine Pflicht des heres abzuleiten, die Begräbniskosten anlässlich der Inventarerrichtung zu zahlen); Kaser, Römisches Privatrecht II, 544 (Fn. 36). 259 C. 6, 30, 22, 4; Kaser, Römisches Privatrecht II, 543 f. Nicht durchgesetzt hat sich die u. a . von Koeppen, Lehrbuch des heutigen römischen Erbrechts, 213, vertretene Ansicht, wonach das Recht zur ungeordneten Befriedigung nur so lange bestand, wie der heres den Nachlass für ausreichend halten durfte. Für das gemeine Recht suggeriert Osthold, Erben und Haftung, 101, das Bestehen einer solchen Regelung durch die Bezugnahme auf § 1979 BGB. 260 Endemann, Erbrecht III/2, 856 (Fn. 18).
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geren Datums war.261 Unter gleichrangigen Gläubigern fand hingegen kein Ausgleich statt, so dass hier der Prioritätsgrundsatz voll durchschlug.262 Um die erhebliche praktische Bedeutung von Justinians Regelungsentscheidung zu ermessen, gilt es sich klarzumachen, dass ihr wichtigster Anwendungsfall gar nicht die seltene Konstellation der erkannten Nachlassüberschuldung war, in welcher der heres typischerweise ausgeschlagen haben wird. Stattdessen ging es um die vielen Fälle, in denen der heres sich gar nicht sicher sein konnte, über das Ausmaß der Erblasserverbindlichkeiten vollständig im Bilde zu sein.263 Hier bedeutete die Erlaubnis zur „tumultuarischen“ Befriedigung, dass der Erbe sich von einem eventuellen Informationsdefizit nicht beirren zu lassen brauchte, wie der Vergleich mit der gegenteiligen Regel verdeutlicht: Wäre dem heres eine bestimmte Befriedigungsreihenfolge vorgegeben gewesen, gekoppelt mit einer persönlichen Schadensersatzhaftung für den Fall der Verletzung, hätte diese Vorgabe auf sämtliche unklaren Sachverhalte ihre Schatten geworfen. Denn jedenfalls der umsichtig agierende heres hätte, solange die Gefahr der Überschuldung noch nicht ausgeräumt war, sein Handeln entsprechend ausrichten müssen. Indem Justinian somit dem heres das Risiko eines Irrtums über die Sachlage abnahm und stattdessen den Nachlassgläubigern aufbürdete, enthielt das beneficium inventarii aus heutiger Sicht nur Ansätze zu einem geregelten Konkursverfahren 264 (was sich auch bereits in der fehlenden Inventarisierung der Passiva äußerte265). Die rechtsethische Brisanz einer fehlenden Gleichbehandlung der nicht privilegierten Gläubiger manifestierte sich am deutlichsten darin, dass der heres seine eigene Forderung gegen den Erblasser zuerst erfüllen durfte. Und wenngleich Rangverhältnisse immerhin im Innenregress durchgesetzt werden konnten, wurde den Gläubigern damit nicht nur die Initiativlast aufgebürdet, sondern auch das Risiko einer Insolvenz des Regressschuldners.266 Dieser Zustand ließ sich auch nicht mit dem Argument rechtfertigen, dass die Erblassergläubiger sich letztlich nicht in einer schlechteren Lage befanden als zu Lebzeiten ihres Schuldners. Denn erstens hätte ihnen zu dieser Zeit das auch im nachklassischen Recht noch zur Verfügung ste-
261 C. 6, 30, 22, 5; Kaser, Römisches Privatrecht II, 544; Wesener, in: FS Waldstein, 414; Santos Justo, Direito Privado Romano V, 102 f.; Rohlfs, Rechtsfolgen der beschränkten Erbenhaftung, 35 f. 262 Voci, Diritto Ereditario Romano I, 686. Dass anderen im Konkursfall bevorrechtigten Gläubigern dieselben Rückgriffsrechte zukamen wie den hypothekarisch gesicherten, lässt sich dem Normtext nicht entnehmen, näher Rohlfs, Rechtsfolgen der beschränkten Erbenhaftung, 36. 263 Auf dieses Problem von überzeitlicher Relevanz weist auch IECL/Schwind, Liability for Obligations of the Inheritance, 20, hin. 264 Kritisch Wesener, in: FS Waldstein, 416, der auf die Herausbildung eines Liquidationsverfahrens unter Gläubigeraufgebot in der deutschrechtlichen Praxis des Mittelalters hinweist. 265 Siehe oben Fn. 181. 266 Seiler, ZRG (RA) 85 (1968), 542; Kaser, Römisches Privatrecht II, 544 (Fn. 35); Santos Justo, Direito Privado Romano V, 102 f. Ein Regress gegen den heres oder die Käufer von Nachlassgegenständen war ausdrücklich ausgeschlossen, C. 6, 30, 22, 7.
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hende Gesamtvollstreckungsverfahren 267 je nach Situation eine rang- oder gleichmäßige Befriedigung gesichert. Und zweitens hätten die Erblassergläubiger nicht die Konkurrenz der Legatare dulden müssen.268 Das Recht des heres zur ungeordneten Erfüllung von Erblasserschulden und Vermächtnissen mag auch insofern erstaunen, als mit der Gesamtvollstreckung im Wege der venditio bonorum269 ein Vorbild für ein geordnetes Liquidationsverfahren durchaus vorhanden war, das gerade auch in Erbfällen zur Anwendung kam.270 Doch hätte die sachliche Erweiterung dieses Instruments271 eben auch bedeutet, dem heres die Abwicklung des Nachlasses zu entziehen und sie einem magister bonorum zu übertragen; die Einführung der Haftungsbeschränkung wäre damit in eine radikale Abkehr vom bestehenden Modell der Eigenabwicklung gemündet. Sofern Justinian die rechtlichen Implikationen seiner Einführung der Haftungsbeschränkung überhaupt voll vor Augen standen, ist nicht überraschend, dass er davor zurückschreckte, die herausgehobene Stellung des heres derartig zu erschüttern.272 Denkbar wäre schließlich noch gewesen, dem heres die Abwicklung des Nachlasses zu belassen, ihn aber zur konkursmäßigen Befriedigung aller Ansprüche zu verpflichten und damit zu einer Art Insolvenzverwalter zu machen. Doch abgesehen von dem erheblichen Regelungsaufwand, den dies erfordert hätte, etwa im Hinblick auf die Durchführung eines Aufgebotsverfahrens273 und den Ausschluss oder die Zurücksetzung nicht gemeldeter Forderungen, hätte eine solche Maßnahme ganz dem Ziel Justinians widersprochen, die Option der Haftungsbeschränkung für den heres möglichst attraktiv zu gestalten und damit die Nachlassabwicklung zu beschleunigen.274 Pointiert gesagt, wurden rechtsethische Belange der Zuweisungsdimension also praktischen Belangen der Vollzugsdimension geopfert.275
267 Zur Frage, ob die Insolvenz des Schuldners Voraussetzung für die Gesamtvollstreckung war, Hoffmann, Prioritätsgrundsatz und Gläubigergleichbehandlung, 96, 442 f. 268 Seiler, ZRG (RA) 85 (1968), 542, erachtet nur diesen zweiten Punkt als maßgeblich. An sich müsste man zwar annehmen, dass eine Konkurrenz zwischen Erblassergläubigern und Legataren von vornherein durch die lex Falcidia verhindert wurde, weil Einzelzuwendungen danach nur im Rahmen von drei Vierteln des Nettonachlasses möglich waren (siehe oben § 3 A.III. (170 ff.)). Doch stellte Justinian diese Regel zum einen in das Belieben des Erblassers (siehe oben Fn. 232), zum anderen hätte sie dort nichts geändert, wo nach dem Erbfall erhebliche Nachlasswerte verloren gingen. 269 Siehe oben § 4 A.III.5. (255 f.). 270 Irreführend daher Wesener, in: FS Waldstein, 416, wenn er sagt, dass ein „Nachlaßverfahren […] dem römischen Recht grundsätzlich fremd“ gewesen sei. 271 Die unmittelbare Anwendung scheiterte daran, dass die Erbschaft angetreten und der heres selbst nicht überschuldet war: Siehe Casso, Haftung des Benefizialerben, 33 f. 272 Ähnlich Muscheler, in: FS Kroeschell, 749. 273 Bernhöft, Zur Reform des Erbrechts, 95, vermutet zudem, dass ein Aufgebotsverfahren den Namen des Verstorbenen infamiert hätte. 274 Ähnlich Bernhöft, Zur Reform des Erbrechts, 94 f.; Seiler, ZRG (RA) 85 (1968), 542. 275 Zu dieser grundlegenden Unterscheidung oben § 1 B.I. (6 f.).
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11. Fazit Die von Justinian eingeführte Haftungsbeschränkung durch Inventarerrichtung markierte aus einer Reihe von Gründen eine tiefe Zäsur in der Entwicklung des römischen Erbrechts. So bedeutete die Reform erstens sowohl einen Zuwachs als auch einen Verlust an materialer Gerechtigkeit: Dem heres wurde der Schutz seines Eigenvermögens ermöglicht, das Interesse der Erblassergläubiger an der Bewahrung ihrer Rechtsstellung dagegen beeinträchtigt. Zweitens führte die justinianische Neuerung zu einer Erweiterung des Handlungsspielraums des heres, dem neben dem herkömmlichen Modus der integrierten Abwicklung nun auch ein Modus der gesonderten Abwicklung zur Wahl stand. Drittens erhielt die unbeschränkte Haftung des heres ein neues Fundament, indem sie fortan als Preis für die Unterlassung der Inventarerrichtung zu begreifen war.276 Nimmt man allerdings hinzu, dass Justinian in „eifersüchtigem Stolz“ auf seine Schöpfung277 alles tat, um dem Unterlassen der Inventarerrichtung den Charakter des irregulären Verhaltens beizulegen, wird überdies deutlich, dass Justinian an der Etablierung eines neuen Leitbilds der Nachlassabwicklung gelegen war.278 So hatte das fehlende Inventar neben der unbeschränkten Haftung auch den Verlust der falzidischen Quart zur Folge, 279 darüber hinaus musste der heres in Abkehr von der jahrhundertealten Regel 280 sogar für Vermächtnisse ultra vires haften.281 Aus der Perspektive des englischen Rechts ist der justinianischen Reform überdies aus einem weiteren Grund revolutionärer Charakter beigemessen worden: Durch sie sei die Rolle des heres in die eines executor mit Residualbegünstigung verwandelt worden.282 Doch ist diese Sichtweise weder in funktionaler noch in formaler Hinsicht zutreffend. Denn bei funktionaler Betrachtung war der heres schon seit Jahrhunderten ein Abwickler mit Residual- bzw. Mindestbegünsti276 Bernhöft, Zur Reform des Erbrechts, 39; Peña Bernaldo de Quiros, Herencia y deudas, 23. Allgemein formuliert diesen Gedanken Rheinstein, Columbia LR 48 (1948), 538. 277 Bonfante, Corso VI, 399: „[…] Giustiniano guarda al suo istituto con simpatia e con orgoglio; forse di nessuna riforma egli si mostrò così geloso e superbo.“ Justinians Stolz auf seine Reform kommt deutlich in Inst. 2, 19, 6 zum Ausdruck („[…] constitutionem tam aequissimam quam nobilem scripsit […]“). Über die legislatorische „Prunk- und Redseligkeit“ Justinians mokierte sich auch Arndts von Arnesberg, Gesammelte civilistische Schriften 2, 232 f. 278 Bonfante, Corso VI, 396 f.; Rheinstein, Iowa LR 20 (1935), 449; Peña Bernaldo de Quiros, Herencia y deudas, 23–25. Auf der persönlichen Ebene lässt sich auch von einer Strafe für die Verschmähung der kaiserlichen Fürsorge sprechen, siehe Casso, Haftung des Benefizialerben, 12, der selbst eine solche Charakterisierung allerdings für überzogen hält. 279 C. 6, 30, 22, 4, bekräftigt durch Novelle 1 aus dem Jahr 535. Siehe Voci, Diritto Ereditario Romano I, 686 (Fn. 4); Kaser, Römisches Privatrecht II, 543, 562; Wesener, in: FS Waldstein, 414; Hennig, lex Falcidia, 24 f. 280 Dazu oben § 3 A.III. (170 ff.). 281 Dies ergab sich aus der Novelle 1 aus dem Jahr 535, siehe Voci, Diritto Ereditario Romano I, 229 (Fn. 29); Wesener, in: FS Waldstein, 414 f. 282 Siehe Lee, Elements of Roman Law, 225, und Buckland/McNair/Lawson, Roman Law & Common Law, 150. Auch aus schottischer Sicht Gordon, in: A Companion to Justinian’s Institutes, 82.
A. Römisches Recht
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gung.283 Und begrifflich schlug sich die Berufung auf die Rechtswohltat des Inventars gerade nicht in der Bezeichnung des heres nieder (anders als dies später etwa im preußischen Recht und seinem Begriff des „Benefizialerben“ der Fall sein sollte284).285 Schließlich wurden dem heres jenseits der Inventarerrichtung auch keine Vorgaben zum Umgang mit den Nachlassgegenständen gemacht, er war m. a.W. kein treuhänderischer Abwickler. Ungeachtet dessen veranschaulicht Justinians Reform, dass die Einführung einer wie auch immer gearteten Möglichkeit der Haftungsbeschränkung eine Fülle von rechtlichen Nah- und Fernwirkungen hat und erhebliche Gefahren für die Interessen von Erblassergläubigern und Vermächtnisnehmern schafft. Justinian hatte die Notwendigkeit, die Haftungsbeschränkung des heres mit „checks and balances“ zu versehen, zwar im Grundsatz erkannt, ging aus heutiger Sicht allerdings nicht weit genug. Hatte bislang die confusio bonorum die Erbeninteressen gefährdet, schlug mit Einführung einer Haftung cum viribus hereditatis das Pendel in die andere Richtung aus. Freilich ist auch das grundlegende Dilemma zu Tage getreten, in dem Justinian sich befand. Denn fast jede Maßnahme zur weiteren Stärkung des Gläubigerschutzes wäre unausweichlich mit einer Belastung für den heres verbunden gewesen, welche die Option der Inventarerrichtung potentiell unattraktiv gemacht und damit das Ziel einer beschleunigten Abwicklung unterminiert hätte. Die Frage, wie die Haftung des Nachlassabwicklers beschränkt werden kann, ohne den Preis dafür zu sehr in die Höhe zu schrauben, sollte im weiteren geschichtlichen Verlauf und bis in die Gegenwart hinein denn auch das bestimmende Thema der Nachlass abwicklung sein. Im Vorgriff darauf kann die historische Rolle des beneficium inventarii als durchaus verhängnisvoll bezeichnet werden. Während nämlich einerseits gestiegene Anforderungen an den Gläubigerschutz das Rechtsinstitut zumindest teilweise obsolet machen sollten und die modernen Kodifikatoren sich dementsprechend vom römischen Recht „im Stich gelassen“ sahen, stand das justinianische Modell andererseits der Entwicklung einer sachgerechten Lösung im Wege. Denn seine einseitige Fokussierung auf die Person des heres und seine Interessen hatte sich tief in das Denken der kontinentaleuropäischen Juristen eingegraben und erschwerte es ihnen, eine umfassende, insbesondere auch die Gläubigerinteressen angemessen berücksichtigende Sichtweise einzunehmen. Zu bedauern ist insofern, dass das beneficium inventarii zu spät kam, um eine praktische Erprobung und wissenschaftliche Bearbeitung durch die klassischen Juristen zu erfahren. Denn möglicherweise hätte das Rechtsinstitut hierdurch rasch eine sachgerechte Fortentwicklung erfah-
283 Dazu oben § 3 A.III. (170 ff.). Siehe auch Beinart, Acta Juridica 1960, 226 („The heir had really always been the executor […]“). 284 Siehe unten § 6 D.I. (435 ff.). 285 Dass auch der unter Rechtswohltat antretende Erbe „wirklicher Erbe“ sei, betont Casso, Haftung des Benefizialerben, 14, wobei die Essenz des Erbenbegriffs allerdings unklar bleibt.
282
§ 4 Die Ausdifferenzierung der Nachlassabwicklung
ren. So aber waren es erst die Glossatoren, die vorsichtige Schritte in diese Richtung unternahmen.286
VIII. Gesamtfazit Die Entwicklung des römischen Rechts ist durch ein wachsendes Nebeneinander verschiedener Abwicklungsmodi gekennzeichnet, die in Summe ein komplexes Gesamtsystem bilden.287 Die am historischen Beginn stehende, aber auch durch alle nachfolgenden Epochen hindurch das Grundmodell bildende confusio bonorum integriert den Nachlass mit einem Streich in das Vermögen des heres und beendet dadurch seine Existenz als Zuordnungsverband. Daneben treten im Laufe der Zeit verschiedene Fälle, in denen der Nachlass trotz endgültigen Übergangs auf einen neuen Träger seine Eigenständigkeit zumindest in gewissem Umfang behält und erst ein gesondertes Verfahren zu seiner Auflösung führt.288 Dies sind zum einen die Fälle der separatio bonorum, zum anderen ist es der Fall des beneficium inventarii. Innerhalb der Gruppe der Modi der gesonderten Abwicklung finden sich erhebliche Unterschiede. So erfolgt in den Fällen der separatio bonorum zumindest dann, wenn diese von einer venditio bonorum gefolgt wird, die Abwicklung zum einen nicht mehr durch den heres, sondern durch eine amtlich ernannte Person (den magister bonorum); zum anderen vollzieht sich die Abwicklung nicht mehr in einem ungeordneten Individualverfahren, sondern in einem formalisierten Kollektivverfahren unter Einschaltung staatlicher Stellen. Im Fall des beneficium inventarii ist es hingegen immer noch der heres, der die Verteilung der Nachlasswerte vornimmt, und abgesehen von der Mitwirkung eines tabularius an der Inventarerrichtung, erfolgt die Verteilung der Nachlasswerte ohne Einschaltung öffentlicher Stellen und ohne bestimmte Vorgaben. Eine Gemeinsamkeit der gesonderten Abwicklungsmodi besteht immerhin darin, dass sie niemals von Amts wegen, sondern stets auf Initiative der betroffenen Personen zum Einsatz kommen.289 Aus diesem Grund bildet die confusio bonorum selbst nach der Einführung der Rechtswohltat des Inventars noch den gesetzlichen Regelfall.290 Davon unterscheiden lässt sich die Frage, was die Rechtsordnung als das sachgerechte Vorgehen und damit als das Leitbild der Nachlassabwicklung erachtet.291 Hier markiert die Reform Justinians einen Wendepunkt, indem sie der 286 Eingehend zur nachjustinianischen Entwicklung bis hin zu den Konsiliatoren Rohlfs, Rechtsfolgen der beschränkten Erbenhaftung, 47–180. 287 Vgl. Voci, Diritto Ereditario Romano I, 667. 288 Dies auch der systematische Zugang bei Peña Bernaldo de Quiros, Herencia y deudas, 18– 20. 289 Vgl. Voci, Diritto Ereditario Romano I, 667. 290 Dementsprechend ist oft die Rede davon, dass die Haftung des heres unbeschränkt, aber beschränkbar gewesen sei, siehe etwa Binder, Rechtsstellung II, 51, der meint, dass Justinian an sich die (anfänglich) unbeschränkte Haftung habe einführen wollen, dieses Ziel aber verfehlt habe (vorsichtiger ders., Erbrecht, 66). Siehe ferner Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 14. 291 Dazu noch unten § 7 (569 ff.).
B. Englisches Recht
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integrierten Abwicklung den Charakter des Irregulären beilegt und die unbeschränkte Haftung des heres als Sanktion für nachlässiges Verhalten erscheinen lässt. Erstaunlicherweise unklar, da in der einschlägigen Literatur, soweit ersichtlich, nie behandelt, ist die Frage nach dem Verhältnis zwischen der dezentralen Abwicklung durch mehrere Erben und den Modi der gesonderten Abwicklung. Aus theoretischer Sicht kommen zwei Lösungen in Betracht. Nach der ersten wird die dezentrale von der gesonderten Abwicklung gewissermaßen übertrumpft, indem sie den Zerfall des Nachlasses in verschiedene „Töpfe“ rückgängig macht. Die zweite Lösung besteht darin, dezentrale und gesonderte Abwicklung zu kombinieren, so dass für jeden heres die ihm zustehende Nachlassmasse getrennt von seinem Eigenvermögen abgewickelt wird. Dieses Vorgehen würde dann sogar eine differenzierte Behandlung ermöglichen, indem beispielsweise ein Miterbe sich für die gesonderte, ein anderer sich für die integrierte Abwicklung entscheiden kann, genauso wie jeder von ihnen eigenständig über den Erwerb disponiert. Streitet die Logik der Bruchteilsgemeinschaft auch für die zweite Lösung, dürften die Argumente für die erste Lösung, also die Gesamtwirkung von separatio bonorum und beneficium inventarii, insgesamt überwiegen. So lässt sich aus Wertungsgesichtspunkten anführen, dass mit der Beschränkung der Haftung auf den Nachlass (die sowohl mit dem beneficium inventarii als auch mit der separatio bonorum einhergeht292) das Korrektiv für die Schuldenteilung wegfällt; Erblassergläubigern, die ohnehin nur noch in Nachlasswerte vollstrecken können, ist es m. a.W. nicht zumutbar, ihre Bemühungen auch noch quotenmäßig aufzuspalten. Im Kontext der separatio bonorum lässt sich zusätzlich das Argument anführen, dass deren Zweck gewissermaßen darin besteht, den Zustand vor Eintritt des Erbfalls wiederherzustellen. Schließlich sprechen für den Vorrang der gesonderten vor der dezentralen Abwicklung auch Erwägungen der Praktikabilität. So ist es nicht nur wesentlich effizienter, ein Inventar für den Gesamtnachlass als mehrere Inventare für die jeweiligen Teilnachlässe zu erstellen. Auch ist die Verteilung der Nachlassgegenstände unter den Nachlassgläubigern viel einfacher zu bewerkstelligen, wenn sie aus einer Hand erfolgt.
B. Englisches Recht Kennzeichnet das englische Recht zwar ebenfalls ein schrittweiser Entwicklungsprozess, der überdies vom römischen Recht beeinflusst wird, kommt es schon früh zu einer entscheidenden Abweichung: Es ist nicht die integrierte Abwicklung mittels confusio bonorum, sondern die gesonderte Abwicklung, die sich als Grundsatz
292
Für Letztere zumindest nach überwiegender Auffassung, siehe oben A.V. (257 ff.).
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etabliert und aus dieser Stellung auch in den folgenden Jahrhunderten nicht mehr verdrängt wird.
I. Die Nachlassabwicklung durch den heir Über die Rechtsstellung des englischen heir, der in der ersten Zeit nach der normannischen Eroberung die Verpflichtung zur Zahlung der Erblasserschulden und Erfüllung der Legate trug, 293 ist nur wenig bekannt. Sie scheint aber der Stellung des Hauserben im altrömischen Recht darin sehr ähnlich gewesen zu sein, dass der heir unmittelbar mit dem Tod in die realty eintrat, den Erwerb nicht rückgängig machen konnte und für Schulden, jedenfalls in der ersten Zeit, auch mit dem eigenen Vermögen haftete.294 Der unmittelbare Zwangserwerb des heir lässt sich unproblematisch aus den allgemeinen Strukturen des Familien- und Erbrechts heraus erklären. Konnte der Erblasser seinen heir nicht selbst bestimmen, musste es natürlich erscheinen, dass dessen Rechtsstellung auch in der anderen Richtung zwingend ausgestaltet war. Abgesehen davon dürfte sich die Frage einer Zurückweisung des unbeweglichen Nachlasses, der zentralen Quelle wirtschaftlichen Wohlstands und gesellschaftlichen Einflusses, in der Praxis gar nicht gestellt haben. Nicht selbstverständlich war dagegen die anfangs unbeschränkte persönliche Haftung des heir, vor allem, weil sie nicht mit dem überlieferten Bild der deutschrechtlichen Tradition des Mittelalters zusammenpasst, wonach Verbindlichkeiten des Verstorbenen stets nur Lasten des erworbenen Aktivvermögens waren.295 Doch wie oben bereits gesagt wurde, ist es wahrscheinlich, dass die betreffenden Darstellungen, soweit sie überhaupt zuverlässig sind, einen bereits entwickelten Rechtszustand beschreiben, dem wie im römischen Recht eine unbeschränkte Haftung vorausgegangen war. Denn nach Anerkennung des Übergangs zumindest bestimmter Obligationen musste eine Beschränkung der Haftung auf den Nachlass als Regelungsproblem erst erkannt und in einem weiteren Entwicklungsschritt konstruktiv bewältigt werden.296 Diesen Schritt ging das englische Recht im Unterschied zum römischen offenbar allerdings sehr schnell. Denn schon zu Zeiten Bractons, also etwa Mitte des 13. Jahrhunderts, haftete der heir nur noch mit dem Nachlass, 297 auch wenn ihm immerhin eine moralische Pflicht zum Ausgleich eines Fehlbetrags auferlegt wurde, wenn er sonstiges Vermögen hatte.298 Für Verbindlichkeiten gegenüber dem König dauerte die unbeschränkte Haftung des heir noch etwa ein Jahrhundert länger.299 293
Siehe oben § 3 B.III. (184 ff.). Glanville, Tractatus, VII, 8, galt dies zumindest für den volljährigen heir. Siehe auch Holmes, Harvard LR 9 (1895), 42; Pollock/Maitland, History II, 344 f. 295 Siehe oben § 4 A.II.2. (247 ff.). 296 Siehe den Text oben bei Fn. 35. 297 Pollock/Maitland, History II, 345, und Holdsworth, History III, 573, vermuten, dass auch das unbewegliche Vermögen von der Haftung umfasst war, wenngleich nachrangig. 298 Bracton, De Legibus, fol. 61; Pollock/Maitland, History II, 344 f.; Goffin, Executor, 39. 299 Holmes, Harvard LR 9 (1895), 42. 294 Nach
B. Englisches Recht
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Oliver Wendell Holmes erklärte die Haftungsbeschränkung mit dem Einfluss des römischen Rechts und der Übernahme des beneficium inventarii,300 womit das englischen Recht gewissermaßen in den Vorteil des Spätentwicklers gekommen wäre. Doch findet sich zumindest bei Bracton kein Hinweis darauf, dass die Haftungsbeschränkung an eine Inventarerrichtung geknüpft war. Mindestens ebenso plausibel scheint deshalb die Annahme, dass die beschränkte Haftung des heir schlicht als die sachgerechte Lösung betrachtet wurde.
II. Die Nachlassabwicklung durch den personal representative301 1. Der estate als Sondervermögen Kennzeichnendes Merkmal der Nachlassabwicklung durch den personal representative war, dass diese in Fortschreibung der zum heir entwickelten Grundsätze nicht wie das römische Recht die Vermögensvermischung zum Ausgangspunkt nahm, sondern die Behandlung des beweglichen Nachlasses als gesondert abzuwickelnde Masse.302 Zwar wäre es eine Übertreibung zu sagen, dass diese Struktur schon ab dem Moment, in dem der executor die Aufgabe der Schuldentilgung vom heir übernahm,303 vollständig definiert war. Doch stellt sich die Rechtsentwicklung nicht wie ein Suchen, sondern wie die Ausformung einer bereits angelegten Grundentscheidung dar. Insbesondere drei Umstände waren es, die einen schroffen Gegensatz zur römischen confusio bonorum markierten. So musste der executor erstens für die Verbindlichkeiten nicht mit seinem eigenen Vermögen einstehen, sondern nur mit den vom Verstorbenen hinterlassenen chattels, also dem beweglichen Nachlass304 (der unbewegliche Nachlass war ihm, wie gesehen, lange Zeit gar nicht zugeordnet 305). War diese Haftungsbeschränkung anfangs wie beim heir 306 möglicherweise noch 300 Siehe Holmes, Harvard LR 9 (1895), 42 f. („borrowing“), der vermutet, dass anfangs nur eine wertmäßige Beschränkung im Urteil ausgesprochen wurde und erst später eine Beschränkung der Haftung auf die Nachlassgüter erfolgte und mithin eine Vermögenstrennung angenommen wurde (43 Fn. 1 a. E .). Holmes’ Wunsch „that Mr. Maitland would give the world the benefit of his knowledge of the sources on the matter“, wurde bald erhört, und Pollock/Maitland, History II, 345 (Fn. 2) teilten seine Ansicht. Goffin, Executor, 55, geht hingegen davon aus, dass zu jeder Zeit zwischen den beiden Vermögensmassen unterschieden wurde. 301 Die folgende Darstellung nimmt überwiegend auf den executor Bezug, für den die betreffenden Regelungen zuerst entwickelt wurden und klarer belegt sind. Für den administrator gilt das Gesagte aber grundsätzlich analog. 302 Ausführlich zum Sondervermögenscharakter des estate L. Smith, Edinburgh LR 17 (2013), 284–299. Nicht überzeugend die Einwände von Matthews, Square Peg, Round Hole?, 68–75. Als „Vermögen“ wird der Begriff des estate auch übersetzt von Kahn-Freund, Anm. 264 zu Renner, Die Rechtsinstitute des Privatrechts. Unklar ist, wieso Gomes da Silva, Herança, 84, meint, das englische Recht habe bis heute keinen abstrakten Begriff für den „Nachlass“ (herança) entwickelt. 303 Siehe oben § 3 B.IV. (185 ff.). 304 Holdsworth, History III, 574, 586. 305 Siehe oben § 3 B.IV.6. (191 ff.). 306 Siehe oben Fn. 300.
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rechnerischer Natur, wurde sie jedenfalls bald zu einer Haftung mit den beweglichen Nachlassgütern selbst, also cum viribus hereditatis.307 Zweitens kam es nicht zu einem Erlöschen durch Konfusion von Rechtsbeziehungen zwischen Erblasser und executor, so dass Letzterer einen Anspruch gegen Ersteren behielt und zu seinen Gunsten erfüllen durfte308 (und gemäß dem right of retainer sogar vor anderen Forderungen derselben Rangstufe309). Drittens schließlich konnten Erblassergläubiger und Vermächtnisnehmer den Eigengläubigern des executor den Zugriff auf die Nachlassgüter verwehren, ungeachtet ihrer rechtlichen Zuordnung zum Nachlassabwickler. Zugegebenermaßen ist eine Entscheidung der Common Law-Gerichte zu dieser Frage erst aus dem Jahr 1792 überliefert; in ihr wurde das genannte Ergebnis u. a. damit gestützt, dass der executor die Güter nicht als eigene innehabe („they are not his goods“).310 Es ist aber kaum vorstellbar, dass die kirchlichen Gerichte oder der Court of Chancery eine entsprechende Lösung nicht schon vorher entwickelt hatten.311 2. Das Pflichtenprogramm des personal representative Im Kontext des römischen beneficium inventarii wurde gezeigt, dass eine Beschränkung der Haftung auf die Gegenstände des Nachlasses erhebliche Gerechtigkeitslücken zu lassen droht, wenn nicht dem Abwickler des Nachlasses im Gegenzug bestimmte Pflichten zum Umgang mit dem Nachlass auferlegt werden.312 Im mittelalterlichen englischen Recht findet sich nun genau dieser Gedanken nicht nur schon sehr früh, sondern auch mit einer Intensität verwirklicht, die der Stellung des personal representative ein gänzlich anderes Gepräge gab als der des römischen heres. Wie allerdings die folgende Erörterung deutlich macht, war auch dieses Regime keineswegs frei von Unzulänglichkeiten und überdies zu einem erheblichen Teil durch sachfremde Interessen beeinflusst. 307
Holmes, Harvard LR 9 (1895), 43–45. diese Lösung vor den kirchlichen Gerichten offenbar von Beginn an galt, setzte sie sich im Common Law erst später durch. Näher Caillemer, Executor, 763; Holdsworth, History III, 588 f., dem zufolge eine Minderheitsansicht argumentierte, dass der executor sein Amt zurückweisen müsse, wenn er seinen Anspruch behalten wolle. Etwas mehr Schwierigkeiten bereitete die umgekehrte Situation, d. h. wenn der executor Schuldner des Verstorbenen war (hierzu auch L. Smith, Edinburgh LR 17 (2013), 299). Es bildete sich schließlich die Regel heraus, dass die betreffende Klagemöglichkeit zwar erlosch (wer hätte die Klage auch erheben sollen?), dass aber der executor das Geschuldete zur Zahlung von Verbindlichkeiten und – bei Vorliegen einer entsprechenden Erblasseranordnung – zur Erfüllung von Vermächtnissen zu verwenden hatte: Holdsworth, History III, 589. Über den Umweg der Abwicklungspflicht blieb die Schuld des personal representative damit also doch bestehen. Der Court of Chancery ging später einen Schritt weiter und verneinte auch das Erlöschen der Erblasserforderung gegen den executor, siehe Holdsworth, History V, 317; ders., History VI, 654. 309 Siehe unten B.II.2b) (288 ff.). 310 Farr v Newman (1792) 4 TR 620, 100 ER 1209. Siehe dazu L. Smith, Edinburgh LR 17 (2013) 295 f. Hingegen meinte Siber, Geschichtliches und Rechtsvergleichendes, 1025, die genannte Rechtsfolge aus den Grundsätzen des Trustrechts herleiten zu können. 311 Dies deutet auch L. Smith, Edinburgh LR 17 (2013), 295 an. 312 Siehe oben A.VII.9b) (271 ff.). 308 Während
B. Englisches Recht
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a) Der Zwang zur Inventarerrichtung Haftete der executor wie gesehen nur beschränkt, sorgten die kirchlichen Stellen schon früh dafür, dass er sich den Erhalt dieses Privilegs durch Inventarisierung der aktiven Nachlasswerte (assets)313 verdienen musste.314 Ein Unterlassen führte nicht nur zur unbeschränkten Haftung des executor,315 sondern konnte vom zuständigen Ordinarius auch mit einer gesonderten Strafe belegt werden. Schließlich wurde die Erstellung eines Inventars auch dadurch forciert, dass die Ausstellung des grant of probate an sie geknüpft wurde, also die Bestätigung des Testaments,316 ohne die der executor im Rechtsverkehr de facto nicht auftreten und seine Aufgabe somit nicht erfüllen konnte.317 Nur die Kosten für die Beerdigung des Verstorbenen durfte der executor vorab dem Nachlass entnehmen.318 Auf den ersten Blick stellt das Einfordern der Inventarerrichtung den oben behaupteten strukturellen Unterschied zum römischen Recht infrage, weil die Rechtslage im Ergebnis wie unter dem beneficium inventarii zu sein schien. Doch gilt es den konzeptionellen Unterschied zu beachten: Für den executor ging es, anders als für den römischen heres, nicht darum, die Haftungsbeschränkung zu erlangen, sondern sie zu bewahren. Noch viel deutlicher als nach der Konzeption Justinians hatte die unbeschränkte Haftung also Sanktionscharakter. Überdies kam dem executor im Unterschied zum heres nicht die freie Wahl zwischen einer Abwicklung mit Inventarerrichtung (und beschränkter Haftung) und einer Abwicklung ohne Inventarerrichtung (und unbeschränkter Haftung) zu.319 Zwar war ein Unterlassen des Inventars natürlich faktisch möglich, und im Fall eines werthaltigen Nachlasses hätte die daraus resultierende unbeschränkte Haftung den personal representative nicht weiter kümmern müssen. Doch stellte dies aus Sicht der Kirche kein reguläres Vorgehen dar. In das tradierte Bild der germanischen Erbrechtstradition 320 fügt sich das Erfordernis der Inventarerrichtung ebenso wenig ein wie die anfänglich unbeschränkte 313 Verbindlichkeiten wurden also wie im römischen Recht nicht aufgenommen, Cox/Cox, Probate 1500–1800, 31. Anders allerdings Helmholz, OHEL I, 415 („including what was owed to and by the deceased“). 314 Sheehan, The Will in Medieval England, 212, deutet an, dass römisches Recht hier als Vorbild gedient hatte, weist daneben aber auch auf zum Teil sehr alte kanonische Quellen hin (die natürlich ihrerseits vom römischen Recht beinflusst gewesen sein konnten). 315 Dazu Whittaker, The Journal of Legal History 4 (1983), 24; Cox/Cox, Probate 1500–1800, 28. Entgegen dem, was z. B. v. Caemmerer, DfG 1936, 121 suggeriert, war die beschränkte Haftung also keineswegs automatische Folge der englischen Struktur der Nachlassabwicklung. 316 Zu den Einzelheiten Sheehan, The Will in Medieval England, 205. Cox/Cox, Probate 1500– 1800, 25, betonen die Überwachungsfunktion des Inventars. 317 Siehe zu den genannten Punkten Goffin, Executor, 70 f., der auf eine Reihe kirchlicher Konstitutionen aus dem 13. und 14. Jahrhundert verweist; ferner Sheehan, The Will in Medieval England, 212–214. 318 Goffin, Executor, 70. 319 Nach Holdsworth, History III, 593 konnten allerdings der Erblasser und der Ordinarius den personal representative von der Inventarerrichtung freistellen. 320 Siehe oben A.II.2. (247 ff.).
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persönliche Haftung des heir. Denn wo Verbindlichkeiten von vornherein nur Lasten des Aktivvermögens waren, konnte das Inventar für eine Beschränkung der Haftung keine Rolle spielen, und es wurde dementsprechend von den deutschrechtlichen Quellen des Früh- und Hochmittelalters auch nicht erwähnt. Anders als bei der Frage der Haftungsbeschränkung als solcher dürfte sich der Widerspruch in diesem Fall dadurch auflösen lassen, dass sich in Sachen Inventarerrichtung der römische Einfluss in England früher bemerkbar machte als auf dem Kontinent.321 b) Die vorgegebene Befriedigungsreihenfolge Ungeachtet der Bedeutung der Vermächtniserfüllung für das Seelenheil des Verstorbenen stand sowohl nach Common Law als auch nach Canon Law außer Zweifel, dass der personal representative die Erblassergläubiger vorrangig zu befriedigen hatte.322 Dieser Aspekt der Nachlassabwicklung war auch keineswegs nur vermögensrechtlicher Natur, denn der Ausgleich aller bestehenden Schulden und allen begangenen Unrechts galt als zentrale Voraussetzung für das friedliche Hinausscheiden aus dieser Welt.323 Viele Testatoren ordneten die Schuldenbegleichung deshalb sogar ausdrücklich im Testament an,324 und zwar häufig noch bevor sie zur Aussetzung der Legate kamen.325 Ebenso wurde zusammen mit Anweisungen zum Begräbnis häufig das vom executor an die Kirche zu entrichtende Mortuarium festgesetzt.326 Die Bestattungskosten genossen Priorität gegenüber den Erblasserschulden, gleiches galt für die durch die Abwicklung – etwa den Beweis des Testaments – verursachten Kosten.327 Zusätzlich zu diesem allgemeinen, leicht zu erfüllenden Rangverhältnis waren dem personal representative aber auch noch eine Reihe komplexer Detailvorgaben 321 Ebel, ZRG (RA) 84 (1967), 246 vermutet, dass das römische Prinzip der persönlichen unbeschränkten Haftung, die nur durch Inventarerrichtung abgewendet werden konnte, auf dem Kontinent erstmals in das „Kleine Kaiserrecht“ (14. Jahrhundert) Eingang fand, von dort aus um sich griff und schließlich „den Sieg“ davontrug. Siehe auch Casso, Haftung des Benefizialerben, 41. 322 Sheehan, The Will in Medieval England, 155 f., 216, 228, 259 f. 323 Sheehan, The Will in Medieval England, 156; Helmholz, Missouri LR 48 (1983), 416 f. („In medieval England, a man’s death bed was often a place for reckoning up what he owed and what he was owed. Anxiety about one’s fate in the next world often led men to want their debts clearly set down and to ensure that payment was made as fairly as their assets permitted.“). 324 Plucknett, History, 739. Dies hatte Konsequenzen für die gerichtliche Zuständigkeit, siehe oben § 2 Fn. 83. 325 Sheehan, The Will in Medieval England, 194, 258–261. Siehe auch schon den ersten Satz des Vorwortes: „Testators of the thirteenth century were sometimes pleased to begin their wills with a statement of their debts“. 326 Pollock/Maitland, History II, 338; Sheehan, The Will in Medieval England, 194, 258. Das Mortuarium war aber unabhängig von einer letztwilligen Anordnung zu zahlen und hatte damit den Charakter einer Nachlassabgabe; ausführlich zur Entwicklung Sheehan, ebd., 296–302. Allgemein zur Rolle des Mortuariums im kanonischen Recht Helmholz, in: The ius commune in England: 135–186; v. Mayenburg, in: Der Einfluss der Kanonistik auf die europäische Rechtskultur, 337–387. 327 Sheehan, The Will in Medieval England, 216; Blackstone, Commentaries II, 508, 511; Williams/Williams, Executors and Administrators, 762.
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zur Verwendung der Nachlasswerte auferlegt. So hatte er die Vermächtnisse anteilig zu kürzen (sog. abatement), wenn der Nachlassüberschuss erkennbar nicht zu ihrer vollständigen Erfüllung ausreichte.328 Ferner durften auch die Erblasserverbindlichkeiten nicht in der Reihenfolge der Anmeldung befriedigt werden, sondern nur unter Beachtung einer im Laufe der Zeit zunehmend komplexer werdenden Rangfolge.329 Die letztgenannte Pflicht wurde immerhin in mehrfacher Hinsicht abgemildert: So haftete der personal representative erstens nur bei Kenntnis von der höherrangigen Forderung330 , war also anders als im Fall der unberechtigten Vermächtniserfüllung bei Gutgläubigkeit geschützt.331 Zweitens erlaubte das sog. right of preference dem personal representative, gleichrangige Forderungen in der Reihenfolge ihrer Geltendmachung zu bedienen. Drittens durfte er aufgrund seines „Zurückbehaltungsrechts“332 (right of retainer) der Erfüllung eigener Forderungen den Vorzug einräumen.333 Zwischen den beiden letztgenannten Punkten bestand ein innerer Zusammenhang: Da ein den Nachlass abwickelnder Gläubiger des Verstorbenen keine Möglichkeit hatte, sich selbst zu verklagen, hätte er ohne das right of retainer tatenlos mit ansehen müssen, wie andere Gläubiger seiner Klasse sich einen Vollstreckungstitel besorgen und dadurch vorrangige Befriedigung erlangen.334 Interessanterweise sollte erst 1971 der Grundsatz der anteilig gleichmäßigen Befriedigung von Gläubigern derselben Rangstufe eingeführt werden und dadurch das right of retainer seine Berechtigung verlieren.335 Bildeten die beiden letztgenannten Punkte immerhin ansatzweise Parallelen zur Situation des römischen heres im Fall der Inventarerrichtung, unterschied sich des328 Siehe Whittaker, The Journal of Legal History 4 (1983), 7–11, 23 unter Berufung auf Swinburne, Treatise, part III § 17. Gattungsvermächtnisse (general legacies) waren vor Stückvermächtnissen (specific legacies) herabzusetzen, siehe Blackstone, Commentaries II, 512 f.; Williams/Williams, Executors and Administrators, 1086–1099. Es ist zu vermuten, dass diese Regelung durch das (für das englische Vermächtnisrecht generell sehr einflussreiche) römische Recht inspiriert war, das eine derartige Herabsetzung bei Verletzung der quarta Falcidia vorsah, dazu oben § 3 A.III. (170 ff.). Die kirchlichen Gerichte räumten allerdings der Erfüllung von Vermächtnissen zu karitativen Zwecken offenbar Vorrang ein, Whittaker, The Journal of Legal History 4 (1983), 14. 329 Holdsworth, History III, 586 f.; ders., History VI, 653 (Bestätigung durch den Court of Chancery); Blackstone, Commentaries II, 511; Williams/Williams, Executors and Administrators, 764–788. 330 Dies war spätestens seit der Entscheidung Harman v Harman (1686) anerkannt, siehe m. w. N. Kerridge, Law of Succession, [21-85] (Fn. 202); Williams/Williams, Executors and Administrators, 791–793. Es ist allerdings anzunehmen, dass der personal representative eine gewisse Frist abwarten musste, da er anderenfalls durch zügiges Handeln den Vorrang bestimmter Gläubiger hätte ausschalten können, siehe auch Williams, Mortimer & Sunnucks [46-71] (Fn. 336). 331 Auf den unterschiedlichen Sorgfaltsmaßstab weist auch Kerridge, Law of Succession, [2185] (Fn. 202) hin. 332 Pringsheim, Succession, 709. 333 Blackstone, Commentaries II, 511 f.; Williams/Williams, Executors and Administrators, 793 f., 797–800. Bei der Vermächtniserfüllung kam ihm dieses Recht nicht zu, Blackstone, Commentaries II, 512; Williams/Williams, Executors and Administrators, 1087. 334 Williams/Williams, Executors and Administrators, 797; Law Commission, Report 31, Nr. 8. 335 Siehe unten § 6 B.II.2. (381 ff.).
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sen Rechtsstellung in der Gesamtbetrachtung fundamental von der des personal representative. Denn der heres durfte eben sämtliche Anspruchssteller, also Erblassergläubiger wie Legatare, in der Reihenfolge ihres Auftretens befriedigen und unterlag auch sonst keiner Haftung für die Beschädigung oder den Verlust von Nachlasswerten.336 Das englische Recht war demgegenüber nur in dem gezeigten, sehr beschränkten Maße bereit, zum Zweck einer Vereinfachung der Abwicklung Konzessionen bei der Verteilungsgerechtigkeit zu machen. Als Ausdruck dessen hatte der personal representative eine mehrfach gestaffelte Rangfolge zu beachten, womit seine Aufgabe der eines Insolvenzverwalters gleichkam und „frequently one of great difficulty“ war.337 Dass sachgerechte Verteilungsergebnisse hierdurch allerdings keineswegs garantiert waren, wird sich im Folgenden zeigen. c) Die Haftung für Fehlverhalten Wie bereits angedeutet, waren die detaillierten Vorgaben zur Verteilung der Nachlasswerte keineswegs nur ein Appell an den executor, sondern genauso wie andere Beeinträchtigungen des Nachlasses mit einer persönlichen Schadensersatzpflicht bewehrt.338 Kehrte also z. B. der personal representative die Legate aus und präsentierte sich anschließend noch ein Erblassergläubiger, so hatte der personal representative, wenn der Nachlass bereits erschöpft war, den Fehlbetrag selbst im Fall gutgläubigen Handelns aus eigener Tasche zu zahlen.339 Entgegen dem, was die Bezeichnung dieser Haftung als „devastavit“ suggeriert, ging sie also über „krasse Fälle der Verwüstung“ deutlich hinaus.340 Da eine entsprechende Schadensersatzpflicht nicht vom Erbfall herrührte, sondern vom Verhalten des personal representative, war seine Haftung nicht auf den Nachlass beschränkt. d) Die kirchliche Aufsicht über die Nachlassabwicklung Ein weiterer deutlicher Unterschied zwischen dem römischen und dem mittelalterlichen englischen Recht lag in der strengen Aufsicht, der die Nachlassabwicklung seitens der Kirche unterworfen wurde.341 Diese Aufsicht ging weit über die Prüfung und Bestätigung des Testaments (probate)342 und die Einforderung der Inventarerrichtung hinaus. So musste der executor einen Eid auf die ordnungsgemäße 336
Siehe oben A.VII.9b) und 10 (271 ff.). Williams/Williams, Executors and Administrators, 793. 338 Goffin, Executor, 52–55; Holdsworth, History III, 586 f., 589 f. 339 Nach Williams/Williams, Executors and Administrators, 1077, 1081 f., konnte ein Erblassergläubiger seinen Vorrang allenfalls durch eine Art Verwirkung (laches) infolge allzu langen Zuwartens verlieren. 340 Siehe Siber, Referat, 763, der die Terminologie daher zu Recht als missverständlich kritisiert. 341 Dazu Goffin, Executor, 76–78; Holdsworth, History III, 591–594. 342 Dazu Goffin, Executor, 68–70. Nach Sheehan, The Will in Medieval England, 196 f., fand die Überprüfung des Testaments anfangs nur im Streitfall statt, wurde aber bald zur Standardprozedur, die den kirchlichen Gerichten u. a. ermöglichte, vom Inhalt des Testaments Kenntnis zu nehmen und den executor entsprechend zu überwachen. Zur Unterscheidung zwischen dem 337
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Abwicklung des Nachlasses ablegen,343 auf Anforderung Sicherheit leisten 344 und zum Abschluss der Abwicklung Rechnung legen.345 Schließlich konnte der executor wegen Fehlverhaltens jederzeit abberufen werden,346 abgesehen von der Möglichkeit der Exkommunikation.347 e) Die Ratio der strengen Kontrolle Fragt man nach den Gründen für das strenge Pflichtenprogramm des executor und die enge Beaufsichtung seines Tuns, sind verschiedene Ebenen voneinander zu unterscheiden. Blickt man auf die Interessenlage von Gläubigern und Begünstigten, so lassen sich die zahlreichen Pflichten des personal representative als Preis für seine beschränkte Haftung auffassen. Denn wenn die zur Verfügung stehenden Güter limitiert sind, besteht ein Bedürfnis für ihre sorgsame Behandlung und geordnete Verteilung. Wo der Abwickler hingegen ohnehin mit seinem eigenen Vermögen haftet, bedarf es derartiger Vorkehrungen nicht.348 Die vorrangige Motivation der Kirche, den executor so eng an die Leine zu legen, dürfte indessen nicht darin bestanden haben, die Interessen der Erblassergläubiger zu schützen. Stattdessen lag der Kirche vermutlich vor allem an der ordnungsgemäßen Erfüllung der letztwilligen Zuwendungen, die nicht nur den Kernbereich ihrer Jurisdiktion bildete,349 sondern von denen sie auch selbst unmittelbar profitierte.350 Ein weiteres Indiz für diese vermutete Zielrichtung lässt sich in dem Umstand sehen, dass die kirchlichen Gerichte nur den legatees, nicht aber den creditors das Recht einräumten, bei der abschließenden Rechnungslegung (account) des executor nichtstreitigen Beweis des Testaments „in common form“ und dem streitgen Beweis „in solemn form“ Helmholz, OHEL I, 414 f. 343 Helmholz, Missouri LR 48 (1983), 418 f.; ders., Religion and Succession, 111, betont die aus der damaligen Perspektive schwerwiegenden Folgen eines Verstoßes. 344 Holdsworth, History III, 591 f.; nach Helmholz, OHEL I, 415, gewann dieses Mittel insbesondere ab dem Zeitpunkt an Bedeutung, als die kirchlichen Gerichte die Möglichkeit verloren hatten, einen Eidbruch unmittelbar zu ahnden. 1529 wurde unter Heinrich VIII. die Pflicht zur Sicherheitsleistung des administrator gesetzlich festgeschrieben, siehe dazu und zur nachfolgenden Entwicklung Williams/Williams, Executors and Administrators, 428–432. Eine Pflicht des executor zur Sicherheitsleistung scheint hingegen im Laufe der Zeit gänzlich aus der Übung geraten zu sein (nach Law Commission, Report 31, Nr. 13, hat sie sogar niemals bestanden). Zum mutmaßlichen Grund für diese Differenzierung, nämlich der höheren Vertrauenswürdigkeit des vom Testator ausgewählten executor, oben § 3 C.II.1. (203 ff.). 345 Sheehan, The Will in Medieval England, 218; Helmholz, OHEL I, 415. Weder der Erblasser noch der kirchliche ordinary konnten den executor von diesem Erfordernis suspendieren, Goffin, Executor, 76; Holdsworth, History III, 593. 346 Pollock/Maitland, History II, 343. Nach Helmholz, OHEL I, 416, ordneten manche kirchlichen Statuten an, dass ein executor abzuberufen war, wenn er den Nachlass nicht innerhalb eines Jahres abgewickelt hatte. 347 Sheehan, The Will in Medieval England, 222, 228. 348 Dazu oben Fn. 253. 349 Plucknett, History, 740; Helmholz, OHEL I, 417. 350 Zur Kirche als Hauptempfänger der Zuwendungen ad pias causas oben § 3 B.IV.3. (187 f.).
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§ 4 Die Ausdifferenzierung der Nachlassabwicklung
anwesend zu sein 351 (möglicherweise war diese Regelung aber auch durch die justinianische Ausgestaltung der Inventarerrichtung inspiriert 352). Schließlich war die detaillierte Unterstützung und Überwachung der Nach lassabwicklung auch per se eine lukrative Einnahmequelle.353 Kein anderer Aspekt der kirchengerichtlichen Nachlasszuständigkeit sollte so starke und anhaltende Kritik erfahren wie die hohen probate fees,354 und um seinen Nachkommen diese Gebühren zu ersparen, übertrug mancher Erblasser seine Habe schon zu Lebzeiten.355 Das moderne Phänomen der „will-substitutes“ findet hier also einen historischen Vorläufer.356 Ebenso kam es vor, dass die Nachkommen entschieden, zwecks Kostenersparnis den Nachlass ohne Einschaltung der kirchlichen Gerichte abzuwickeln.357 Diese wiederum bemühten sich aktiv darum, Nachlässe aufzuspüren, und forderten ggf. die Durchführung eines ordnungsgemäßen Verfahrens ein.358 Besonders der letztgenannte Aspekt unterstreicht, dass der Gang zu den kirchlichen Gerichten für den executor nicht bloß Option, sondern Pflicht war.359 Die Gerichte boten ihm m. a.W. nicht bloß Unterstützung an, indem sie seine Rechtsstellung formal bestätigten und ihm die Eintreibung der Erblasserforderungen ermöglichten, sondern pochten darauf, dass der executor vollständig unter ihrer Ägide handelte. Der unmittelbare Nachlasserwerb des executor war damit letztlich nur formaler Natur, denn er verlieh ihm noch nicht die Kompetenz zum Tätigwerden.360 Es passt in das skizzierte 351 Goffin, Executor, 76 f., dem zufolge sich die Gläubiger aber ein entsprechendes Recht vor dem Court of Chancery erstritten. Zur Pflicht der Rechnungslegung auch Cox/Cox, Probate 1500–1800, 35 f. Zu vorhandenen empirischen Daten und „probate accounts“ als geschichtlicher Erkenntnisquelle Erickson, Using Probate Accounts, 103–119; für „court records“ in Erbsachen generell Helmholz, in: Planning for Death, 239–257; speziell für Testamente, die von englischen „lawyers“ verfasst wurden, Musson, in: Planning for Death, 121–152. 352 Siehe oben Fn. 189. 353 Whittaker, Journal of Legal History 4 (1983), 22; Arkell, The Probate Process, 8 f.; Outh waite, Rise and Fall, 34. Zur weiteren Einnahmequelle des Mortuariums siehe oben Fn. 326. 354 Helmholz, OHEL I, 409, 416; Plucknett, History, 742; Arkell, The Probate Process, 8, 12, auch zu gesetzgeberischen Versuchen einer Eindämmung. Nach Sheehan, The Will in Medieval England, 206, begannen die Klagen über die hohen probate fees bereits im 13. Jahrhundert. Im Fall der Überschuldung des Nachlasses waren die Gebühren mit Vorrang vor den Gläubigerforderungen zu begleichen, Helmholz, Missouri LR 48 (1983), 424. 355 Helmholz, Missouri LR 48 (1983), 422; ders., OHEL I, 413. 356 Im 20. Jahrhundert bildete der Wunsch, das teure und schwerfällige probate-Verfahren zu vermeiden, einen wesentlichen Grund für den Siegeszug der „will-substitutes“ in den USA, dazu oben § 1 E.I.2a)(3) (37 ff.). 357 Helmholz, OHEL I, 406, 410. 358 Helmholz, OHEL I, 409–411; Addy, Death, Money and the Vultures, 14 f. Zum Schutz des Rechtsverkehrs wurden allerdings bestimmte Handlungen einer Person, die den Nachlass abwickelte, ohne hierzu berechtigt zu sein, als wirksam behandelt, woraus sich im Laufe der Zeit die Lehre vom „executor de son tort“ entwickelte. Dazu Holdsworth, History III, 571 f. 359 Der executor hatte in aller Regel auch Kenntnis von der Existenz und dem Inhalt des Testaments, da der Erblasser seine Ernennung typischerweise mit ihm absprach (oben Fn. 214) und der executor zudem oft als Zeuge an der Testamentserrichtung mitwirkte, siehe Sheehan, The Will in Medieval England, 181 f. 360 Siehe auch Holdsworth, History III, 566.
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Bild, dass eine spürbare Deformalisierung der Nachlassabwicklung zu einer Zeit einsetzen sollte, als die Kirche einen Großteil ihrer Kontrolle über das Nachlassverfahren verloren hatte.361 Diese Entwicklung unterstreicht, dass das mittelalterliche englische Erbrecht mit dem heutigen nicht ohne Weiteres gleichgesetzt werden darf. f) Härtefälle und Missbräuche Wie gesehen, fiel Kontrolle des executor aufgrund der kirchlichen Eigeninteressen deutlich engmaschiger aus, als dies bei einer rein privatrechtlichen Interessenabwägung nötig gewesen wäre. In der Konsequenz war das Amt des executor eine „schwere Bürde“,362 die im Verbund mit einem starren und formalistischen Prozessrecht363 in der Praxis oftmals zu Härten führte.364 Bei Nachlässen, deren Überschuldung bekannt war oder zumindest befürchtet wurde, kam es deshalb häufig vor, dass der designierte executor sich der Abwicklung durch Ausschlagung entzog.365 Zugleich erwies sich das Regime als anfällig für Missbräuche zulasten der Erb lassergläubiger,366 vor allem aber zulasten der Vermächtnisnehmer. So nutzte der executor die Gefahr einer persönlichen Haftung häufig als Vorwand, um die Auszahlung von Vermächtnissen unter Hinweis auf die Möglichkeit unerkannter Verbindlichkeiten auf unbestimmte Zeit und damit letztlich bis zum „day of doom“ hinauszuschieben.367 Manch ein executor ließ zur Vereitelung der Vermächtnisse sogar Scheinklagen seitens Dritter gegen sich anstrengen.368 Praktiken wie diese oder die Aufnahme von Scheinverbindlichkeiten in das Inventar369 erklären, warum der treulose executor „a stock figure of satire and complaint in medieval English literature“ war,370 und warum ein Autor des 16. Jahrhunderts empfahl, Vermö361
Dazu unten § 6 B.I. (372 ff.). Plucknett, History, 742 („heavy burden“). Siehe auch Williams/Williams, Executors and Administrators, 793: „The situation of an executor or administrator is frequently one of great difficulty.“ 363 „[…] that gave many opportunities to the unscrupulous“: Holdsworth, History III, 590. 364 Für ein Beispiel siehe Holdsworth, History III, 590. 365 Helmholz, Missouri LR 48 (1983), 417 f.; ders., OHEL I, 411 f. 366 Für ein Beispiel siehe Holdsworth, History III, 590. 367 Siehe die Nachweise bei Whittaker, Journal of Legal History 4 (1983), 16 f., 34; Holdsworth, History III, 556 f., 583 (Fn. 2); Outhwaite, Rise and Fall, 34. Entgegen Whittaker, ebd., 16, dürfte das Recht des executor, den Überschuss zu behalten (dazu oben § 3 B.IV.5. (189 f.)), für diese Praxis keine entscheidende Rolle gespielt haben. Denn auch ohne Residualbegünstigung hatte der executor eine Motivation, Nachlasswerte nicht auszukehren und stattdessen für sich zu nutzen. 368 Siehe das ausführliche Zitat bei Holdsworth, History III, 556 f. 369 Hiervon berichtet Swinburne, siehe Holdsworth, History III, 583 (Fn. 2); siehe auch Outhwaite, Rise and Fall, 34. Generell zum Inventar als eine der Schwachstellen der Nachlassabwicklung Addy, Death, Money and the Vultures, 74–84. Zu der aufgrund des Fehlens klarer Vorgaben erheblichen praktischen Schwierigkeit (und Streitanfälligkeit) der Inventarerrichtung Cox/ Cox, Probate 1500–1800, 29–34. 370 Helmholz, OHEL I, 416, auch unter Hinweis auf die Redewendung, dass „drei Vollstrecker drei Diebe machen“. Sheehan, The Will in Medieval England, 219, berichtet schon für das 13. Jahrhundert von Missbräuchen durch den „sticky-fingered executor“. Als besondere Gefahren362
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gen nicht im Wege testamentarischer Zuwendung, sondern mittels lebzeitiger Schenkung zu übertragen.371 Die mitunter bei kontinentaleuropäischen Juristen anzutreffende Vorstellung vom executor als einem „unparteiischen Dritten, auf den der Testator sich verlassen kann“372 , entpuppt sich angesichts derartiger Zustände als naiv.373 Noch einfacher war der Betrug bei Fehlen eines Testaments, weil die Ansprüche der von der Intestaterbfolge begünstigten Person gegen den administrator dann noch nicht einmal beziffert waren. In der Praxis führte dies dazu, dass der administrator den Nachlassüberschuss einfach für sich behielt und de facto zum (alleinigen)374 Begünstigten nach Intestaterbrecht wurde.375 Im Jahr 1666 schließlich brachte ein besonders skandalöser Fall diese „anarchische Situation“ dem König zur Kenntnis, was 1670 zum Erlass einer klaren Intestaterbfolge im „Statute of Distribution“ führte.376 Das Regime der englischen Nachlassabwicklung erwies sich somit in doppelter Hinsicht als unbefriedigend, indem die dem personal representative auferlegten Pflichten – „if he was an honest man“ – einerseits übermäßig belastend waren, andererseits aber auch sehr einfach zu umgehen waren – „if he was inclined to play the part of the unjust steward.“377 Der Grund für diese Defizite lag vor allem in der Struktur der Gerichtsbarkeiten. Die weltlichen Gerichte behandelten die Nachlass abwicklung nicht umfassend, sondern immer nur ausschnittsweise;378 sie waren zuständig für Klagen, die auf Erblasserforderungen oder -verbindlichkeiten gründeten, konnten aber insbesondere nicht die ordnungsgemäße Erfüllung von Vermächtnissen sicherstellen.379 Den kirchlichen Gerichten hingegen, die ein detailliertes Abwicklungsverfahren entwickelt hatten, fehlte in zunehmendem Maße die quelle galt der Verkauf von Nachlassgegenständen durch den executor an sich selbst oder einen Komplizen, weshalb verschiedene Statuten solche Transaktionen ausdrücklich verboten, siehe Sheehan, The Will in Medieval England, 220; Outhwaite, Rise and Fall, 34. Eine Reihe von Betrugsfällen aus dem 17. und 18. Jahrhundert schildert Addy, Death, Money and the Vultures, 55– 73. 371 Siehe das ausführliche Zitat bei Holdsworth, History III, 557. 372 So Bruck, GrünhutsZ 40 (1914), 566. 373 Missbräuche des executor waren keineswegs nur ein englisches, sondern auch ein kontinentales Phänomen, siehe Zimmermann, Heres fiduciarius?, 285. 374 Im Normalfall war der administrator einer der Begünstigten, so dass sein Missbrauch die übrigen betraf. In dem bei Holdsworth, History III, 357 f., geschilderten Fall etwa enthielt der zum administrator bestellte Sohn des Erblassers seiner Schwester ihren Anteil vor. 375 Blackstone, Commentaries II, 515; Holdsworth, History III, 557 f.; Plucknett, History, 730; Baker, Introduction, 412. Die Unzuverlässigkeit der administrators war offenbar auch der Grund, warum Erblasser von der Kirche schon früh ermuntert wurden, über ihr gesamtes bewegliches Vermögen zu testieren, und nicht nur über den Freiteil, siehe Baker, Introduction, 411; auch Arkell, The Probate Process, 7, weist auf das Ziel der Streitvermeidung hin, dazu ferner Outhwaite, Rise and Fall, 35 f. 376 Holdsworth, History III, 558–560; Plucknett, History, 730; Baker, Introduction, 412. 377 Holdsworth, History III, 591. 378 Siehe Cox/Cox, Probate 1500–1800, 18: „The adversarial approach of the common law rendered the court unfit to dispense justice where testamentary disputes involved many parties.“ 379 Dieses Defizit wurde in der rechtspolitischen Diskussion als Argument für die Beibehal-
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Macht, es durchzusetzen.380 Dies galt insbesondere nachdem die weltlichen Gerichte die kirchliche Aufsicht über die Nachlassabwicklung im 16. und 17. Jahrhundert durch Unterlassungsanordnungen (writs of prohibition) gezielt „verkrüppelt“ hatten, ohne gleichzeitig Ersatzinstrumente bereitzustellen.381 Folge war u. a., dass keine effektive Kontrolle des personal representative mehr gewährleistet war, die die genannten Missbräuche hätte verhindern können.382 Abhilfe wurde schließlich durch den Court of Chancery geschaffen, der ab dem 16. Jahrhundert zahlreiche mit der Nachlassabwicklung verbundene Kompetenzen an sich zog und die verschiedenen Interessen mittels einer Gesamtbetrachtung zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen suchte.383 So wurde die Stellung der Gläubiger und Vermächtnisnehmer insbesondere dadurch gestärkt, dass der personal representative wieder einer wirksamen Aufsicht sowie zahlreichen der für trustees entwickelten Grundsätzen unterworfen wurde.384 Diese (erst nachträglich erfolgte!) Anlehnung der Nachlassabwicklung an das Trustrecht ist vermutlich der Grund für die jedenfalls bei deutschen Autoren seit Langem verbreitete Fehlvorstellung, dass der personal representative einem trustee in jeder Hinsicht gleichstehe.385 Entschuldbar ist diese Sichtweise freilich insofern, als auch das Gesetz davon spricht, dass bei Fehlen eines Testaments ein „trust for sale“ in den Händen des administrator entstehe,386 und Rechtsprechung und Rechtswissenschaft in England erst im 20. Jahrhundert die Unterschiede zwischen beiden Rechtsinstituten klar herausgearbeitet haben.387 Niederschlag hat diese Entwicklung etwa im Trustee Act 2000 gefunden, dem zufolge die Vortung der Kirchengerichtsbarkeit angeführt, siehe Helmholz, Religion and Succession, 108 f., unter Angabe eines Beispiels. 380 Holdsworth, History III, 591, 594, ders., History VI, 652 f. 381 Plucknett, History, 731, 742 f. Siehe auch Holdsworth, History III, 557 f., 594. Beispielsweise wurden die kirchlichen Gerichte daran gehindert, die Wahrhaftigkeit des Inventars und der Rechnungslegung zu überprüfen sowie die geleistete Sicherheit geltend zu machen, die praktisch das einzige wirksame Druckmittel gegen den personal representative war. 382 Plucknett, History, 730; Holdsworth, History III, 594. Selbst hinsichtlich des ihm an sich zustehenden Restnachlasses tat der executor ursprünglich gut daran, vor Einverleibung zunächst den Rat des ordinary einzuholen, siehe Goffin, Executor, 78; Holdsworth, History III, 592. 383 Ausführlich Holdsworth, Holdsworth, History V, 315–320; ders., History VI, 652–657; siehe auch Plucknett, History, 742 f.; Whittaker, The Journal of Legal History 4 (1983), 5, 12 f.; Helmholz, OHEL I, 431. 384 Goffin, Executor, 74; Holdsworth, History III, 594; ders., History V, 317; ders., History VI, 653–655, 657; Plucknett, History, 731; L. Smith, Edinburgh LR 17 (2013), 298, 300. 385 Siehe etwa Siber, Geschichtliches und Rechtsvergleichendes, 1024 f.; Pringsheim, Succession, 646, 680; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 191 f. (Fn. 6), 666; Ferid/Firsching/Dörner/Hausmann/ Henrich, Großbritannien, Rn. 97; Muscheler, Testamentsvollstreckung, 18; Hausmann, in: FS Heldrich, 653; HWBEuP/Dutta, Testamentsvollstreckung, 1479; Schmoeckel, Erbrecht, § 4 Rn. 14; Strauß, Der notleidende Nachlass, 78. Aus dem schweizerischen Schrifttum Giger, Schicksal des Rechts II, 173–176. 386 Sec. 33(1) AEA. 387 In Re Yerburgh [1928] W.N. 208 entschied der High Court of Justice, dass ein echter trust zugunsten der Intestatbegünstigten erst mit Abschluss der Nachlassbereinigung ensteht. Dementsprechend wird die in sec. 33(1) AEA verwendete Terminologie heute als unpräzise betrachtet, siehe L. Smith, Edinburgh LR 17 (2013), 300 f.; Williams on Wills [27.15]. Eine untechnische Verwendung des Begriffs „trustee“ fand sich zeitweise auch im englischen Gesellschaftsrecht, siehe Dubovitskaya, NZG 2015, 986.
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schriften über den trustee zwar auch auf den personal representative Anwendung finden, aber nur mit den „appropriate modifications“.388 Neben Aspekten wie der Vertretungsbefugnis bei Personenmehrheit oder den Rechtsfolgen im Todesfall389 zeigen sich die Unterschiede zwischen trustee und personal representative vor allem bei der jeweiligen Stellung der Begünstigten:390 Während die Position eines sog. trust beneficiary gewisse dingliche Elemente aufweist und deshalb mit dem (notorisch unklaren) Begriff des „equitable ownership“ charakterisiert wird (im Gegensatz zum „legal ownership“ des trustee), steht dem erbrechtlich Begünstigten nur ein schuldrechtlicher Anspruch auf ordnungsgemäße Abwicklung gegen den personal representative zu.391 Verfehlt ist es daher, auch für den erbrechtlichen beneficiary von „Eigentum nach equity“392 zu sprechen oder seine Rechtsposition als „anwartschaftsähnlich“ zu beschreiben.393 Festzuhalten ist damit, dass der personal representative zwar stets ein Treuhänder im funktionalen Sinne war, da er im Interesse des Erblassers, der Erblassergläubiger sowie der Begünstigten zu handeln hatte, er aber zu keiner Zeit ein trustee im technischen Sinne war.394 Zu einem solchen wird der personal representative vielmehr nur dann, wenn er einen nach Abschluss der Nachlassabwicklung verbleibenden Überschuss aufgrund gesetzlicher oder letztwilliger Anordnung weiterhin im Interesse der Begünstigten zu verwalten hat.395
Zugleich milderte der Court of Chancery auch die Haftung des personal representative ab, indem er ein klareres und differenziertes Regime zur Zahlung von Schulden und Auskehr von Legaten entwickelte.396 Für die Fortbildung des Vermächtnisrechts nahm der Court of Chancery in Nachfolge der kirchlichen Gerichte umfangreiche Anleihen beim römischen Recht.397
388 Sec. 35 Trustee Act 2000. Zu indifferenziert daher Strauß, Der notleidende Nachlass, 76 (Fn. 481). 389 Siehe den Überblick bei Kerridge, Law of Succession, [23-48]–[23-54]; Williams on Wills [27.15]; Häcker, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 204 f. 390 Instruktiv L. Smith, Edinburgh LR 17 (2013), 287–293; siehe auch Häcker, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 203 f. 391 Commissioner of Stamp Duties (Queensland) v. Livingston [1965] AC 694, dazu eingehend Mitchell, in: Landmark Cases, 265–282; Eastbourne Mutual Building Society v. Hastings Coprn [1965] 1 All ER 779; L. Smith, Edinburgh LR 17 (2013), 289–292; Kerridge, Law of Succession, [23-31]–[21-33]; Williams on Wills [1.8]; Williams, Mortimer & Sunnucks [35-05]. 392 So Lange/Kuchinke, Erbrecht, 666; ähnlich Bartholomeyczik, in: 4. Denkschrift, 130 f.; Giger, Schicksal des Rechts II, 176; Offergeld, Rechtsstellung, 205. 393 So Muscheler, Testamentsvollstreckung, 18; Hausmann, in: FS Heldrich, 655; Strauß, Der notleidende Nachlass, 78. 394 Siehe auch Leleu, Transmission, Nr. 459; ders., ERPL 6 (1998), 174. 395 Problematisch kann dann die Feststellung des genauen Zeitpunkts sein, in dem der personal representative in die Rolle des trustee hinüberwechselt: näher Kerridge, Law of Succession, [2357]. 396 Holdsworth, History V, 317–320; ders., History VI, 653–657. Ausführlich zur Überwindung des ineffizienten Systems der Sicherheitsleistung mittels Gewährung eines Rückgriffanspruches gegen denjenigen Vermächtnisnehmer, der mehr erhalten hatte, als ihm nach Bekanntwerden des endgültigen Nachlasswertes zustand, Whittaker, The Journal of Legal History 4 (1983), 5 ff.; Williams/Williams, Executors and Administrators, 1081. 397 Plucknett, History, 743; Whittaker, The Journal of Legal History 4 (1983), 3.
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g) Das Bedürfnis für ein Gläubigeraufgebot Die im vorangegangenen Absatz geschilderten Schwierigkeiten illustrieren ein grundsätzliches Regelungsproblem: Sollen die Nachlasswerte nach einer bestimmten Rangfolge verteilt werden, indem etwa Vermächtnisnehmer erst zum Zuge kommen sollen, nachdem alle Erblasserschulden befriedigt wurden, bedarf es eines Instruments, das die gesicherte Feststellung dieser Voraussetzung erlaubt.398 Denn anderenfalls muss immer noch mit dem Auftreten weiterer (höherrangiger) Gläubiger gerechnet werden, so dass entweder die Abwicklung für einen unbefristeten Zeitraum in der Schwebe bleibt (und die nachrangigen Anspruchsteller faktisch um ihre Rechte gebracht werden) oder der Abwickler eine persönliche Haftung riskiert. Geschah die erwähnte Verweigerung des personal representative, die Vermächtnisse auszukehren, zwar wie gesehen oftmals in betrügerischer Absicht, war dieses Verhalten im Ausgangspunkt dennoch Konsequenz eines Regelungsdefizits. Das Mittel zur Lösung des Problems bietet der Aufruf an alle Erblassergläubiger, sich zu melden, gekoppelt mit einer Frist, nach der die Ansprüche ausgeschlossen sind oder nur noch nachrangig erfüllt werden. Tatsächlich entwickelten die kirchlichen Gerichte ein solches Gläubigeraufgebot auch schon früh, und zwar als Teil eines geregelten Verfahrens für überschuldete Nachlässe. Hierbei wurde zunächst die Beschlagnahme des Nachlasses angeordnet, dann das erwähnte Gläubigeraufgebot unter Androhung der Anspruchspräklusion durchgeführt399 und schließlich die Befriedigung der Gläubiger nach einer bestimmten Ordnung vorgenommen.400 Die Entwicklung dieses Verfahrens ist nicht zuletzt deshalb bemerkenswert, weil das englische Recht ein allgemeines Konkursrecht zu dieser Zeit noch gar nicht kannte.401 Der Verlust an rechtlichen Errungenschaften durch Zurückdrängung der kirchlichen Gerichtsbarkeit wird hier einmal mehr deutlich.402 Das Instrument des Gläubigeraufgebots wurde gelegentlich auch in normalen Verfahren angewendet,403 entwickelte sich aber offenbar nie zu einem festen Bestandteil der Nachlassabwicklung. Angesichts des großen Beitrags zur Konfliktvermeidung, den das Gläubigeraufgebot hätte leisten können, scheint seine Vernachlässigung erstaunlich. Verständlich wird vor diesem Hintergrund jedenfalls die häufige Praxis, dass eine Person bei befürchteter Nachlassüberschuldung das ihr angetragene Amt des executor aufgrund von Haftungsrisiken ausschlug, gleichzei398 Auf diesen Zusammenhang weist (in anderem rechtlichen Kontext) auch Osthold, Erben und Haftung, 133, hin. 399 Inwieweit allerdings die Präklusion vor den weltlichen Gerichten Bestand hatte, ist nach Helmholz, Missouri LR 48 (1983), 420, nicht klar. 400 Ausführlich Helmholz, Missouri LR 48 (1983), 418–426. Zur Entwicklung der Gläubigeranfechtung in diesem Zusammenhang Willems, Actio Pauliana, 55–65. 401 Helmholz, OHEL I, 411; ders., Missouri LR 48 (1983), 416. Siehe ebd., 427 f. zur Frage, ob das kirchengerichtliche Nachlasskonkursverfahren für die weltliche Konkursgesetzgebung von 1571 als Modell gedient hatte. 402 Siehe auch Plucknett, History, 743. 403 Siehe Helmholz, Missouri LR 48 (1983), 419 f., und auch schon Pollock/Maitland, History II, 343.
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§ 4 Die Ausdifferenzierung der Nachlassabwicklung
tig aber bereit war, das Amt des administrator zu übernehmen.404 Das Risiko einer persönlichen Haftung war in diesem Fall offenbar deutlich geringer.405 Eine gesetzliche Verankerung des Aufgebotsverfahrens erfolgte schließlich im Jahr 1859. Gläubiger, die sich nicht rechtzeitig meldeten, waren danach von der Inanspruchnahme des personal representative ausgeschlossen, konnten aber noch Rückgriff bei befriedigten beneficiaries suchen.406 Für den personal representative bedeutete diese Maßnahme eine erhebliche Abmilderung der früheren Härten,407 durch die Beschleunigung der Überschussauskehr profitierten aber auch die Begünstigten von ihr.
III. Fazit Vor allem zwei Merkmale sind es, die die historische englische Nachlassabwicklung kennzeichnen. In materieller Hinsicht ist dies das schon früh zu erkennende, in erheblichem Maße religiös motivierte Streben nach sachgerechten Verteilungsergebnissen, das sich insbesondere im Vorrang der Gläubigerbefriedigung manifestiert sowie in der beschränkten Haftung des personal representative (die freilich labil ist, indem sie durch Unterlassung der Inventarerrichtung verwirkt wird). In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist die englische Nachlassabwicklung durch eine starke Gerichtsnähe charakterisiert, in der ihre strenge Beaufsichtigung durch die Kirche zum Ausdruck kommt. Insbesondere vor dem Hintergrund der Lücken, die das römische beneficium inventarii beim Gläubigerschutz ließ,408 zeigt sich der innere Zusammenhang zwischen beiden Merkmalen der englischen Nachlassabwicklung: Die enge Aufsicht über das Handeln des personal representative, gekoppelt mit dessen persönlicher Haftung für Fehlverhalten, bildet das Gegengewicht zu seiner beschränkten Haftung für Nachlassverbindlichkeiten. Anders gewendet, sind engmaschige Pflichten zum Umgang mit dem Nachlass mit einer unbeschränkten Haftung rechtssystematisch unvereinbar, weil diese, abgesehen von Sanktionszielen, ihre Rechtfertigung allein in der Freiheit im Umgang mit den Nachlassgegenständen finden kann. Das Handeln der englischen Kirche ist freilich zu einem erheblichen Teil auch durch das Ziel motiviert, Einkünfte zu generieren, und mithin durch sachfremde Erwägungen. 404
Helmholz, Missouri LR 48 (1983), 418; ders., OHEL I, 412. Helmholz, Missouri LR 48 (1983), 418 f. gibt an, dass der vom administrator zu schwörende Eid bereits einen Vorbehalt der Haftungsbeschränkung enthielt, doch scheint dies als Erklärung nicht ausreichend, weil der executor ebenfalls eine Haftungsbeschränkung geltend machen konnte. Zudem bestand die Hauptgefahrenquelle für den executor wie gesehen in dem Vorwurf einer Pflichtverletzung. 406 Holdsworth, History III, 590; Strahan, The Law of Wills, 104 f. Williams/Williams, Executors and Administrators, 1082 f. Der Regressanspruch gegen die zu Unrecht ausbezahlten Vermächtnisnehmer war bereits vom Court of Chancery eingeführt worden, siehe oben Fn. 396. Der personal representative hatte aber eben selbst auch noch gehaftet. 407 Williams/Williams, Executors and Administrators, 1082. 408 Siehe oben A.VII.9–11 (270 ff.). 405
C. Römisches und englisches Recht im Vergleich
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Das Streben nach sachgerechten Verteilungsergebnissen bedeutet nicht die Abwesenheit von rechtsethischen Defiziten. So sehen personal representatives sich übermäßgen Haftungsrisiken ausgesetzt und Legatare der Gefahr einer Vereitelung ihrer Rechte. Den Interessen der Erblassergläubiger wird zwar grundsätzlich ein hoher Stellenwert eingeräumt, doch dauert es sehr lange, bis auch das unbewegliche Vermögen vollständig in die Abwicklung einbezogen wird.409 Im Fall des insolventen Nachlasses ist ihnen für den bis hierher untersuchten Zeitraum keine Gleichbehandlung garantiert.
C. Römisches und englisches Recht im Vergleich Ein Vergleich zwischen römischem und englischem Recht lässt sich auf drei verschiedenen Ebenen vornehmen. So kann erstens die römische Nachlassabwicklung in ihrer Gesamtheit dem englischen Recht gegenübergestellt und dabei insbesondere das Nebeneinander mehrerer Abwicklungsmodi mit der Existenz eines Singularmodus kontrastiert werden. Zweitens lassen sich einzelne römische Abwicklungsmodi, insbesondere die confusio bonorum und das Verfahren bei Inventarerrichtung, mit der englischen Abwicklung vergleichen. Drittens schließlich lassen sich die den Regelungen zugrunde liegenden Wertungen zueinander in Bezug setzen, etwa was den Rang des Gläubigerschutzes angeht.
I. Multimodale vs. unimodale Abwicklung Die traditionelle Rechtsvergleichung sieht im römischen und im englischen Recht zwei unterschiedliche Modi der Nachlassabwicklung verwirklicht und differiert lediglich in deren Bezeichnung. Ungeachtet dieser terminologischen Probleme410 verkennt diese dualistische Sichtweise, dass der bedeutendste Unterschied zwischen römischer und englischer Tradition der Nachlassabwicklung schon auf der Stufe davor liegt.411 Denn während das englische Recht einen einheitlichen Modus der Nachlassabwicklung vorsah, der in allen Fällen zur Anwendung kam, existierten im römischen Recht verschiedene Modi der Nachlassabwicklung nebeneinander. Die integrierte Abwicklung in Gestalt der confusio bonorum bildete zwar den historischen und rechtssystematischen Ausgangspunkt, konnte je nach Situation aber durch ein Verfahren abgelöst werden, bei dem der Nachlass seine Selbständigkeit als Zuordnungsverband bewahrte. Zu einer weiteren Variation kam es im Fall der Erbenmehrheit. Das englische Recht hingegen räumte dem designierten personal representative zwar die Wahl ein, ob er die Abwicklung übernehmen wollte oder nicht. Das Ver409
Siehe oben § 3 B.IV.6. (191 ff.). Dazu ausführlich unten C.II.1. (300 ff.). 411 Dazu auch schon oben § 1 E.II.6b) (62 f.). 410
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§ 4 Die Ausdifferenzierung der Nachlassabwicklung
fahren selbst war dann aber vorgezeichnet, d. h. der executor oder administrator hatte keine Möglichkeit, sich beispielsweise zwischen einem formalen Verfahren mit beschränkter Haftung und einem vereinfachten Verfahren mit unbeschränkter Haftung zu entscheiden. Will man die Nachlassabwicklung à l’anglaise sinnvoll mit der römischen vergleichen, muss folglich immer genau danach differenziert werden, ob das römische Recht in seiner Gesamtheit oder nur im Hinblick auf eine bestimmte Abwicklungsvariante untersucht werden soll.
II. Integrierte vs. gesonderte Abwicklung 1. Terminologische Fragen a) Allgemeines Der zentrale Unterschied zwischen dem römischen Grundmodell der Abwicklung und seinem englischen Gegenstück wird hier mit dem Unterschied zwischen integrierter und gesonderter Nachlassabwicklung bezeichnet:412 Während der Nachlass im Fall der confusio bonorum seine rechtliche Selbständigkeit verlor und seine Verteilung deshalb aus dem Gesamtvermögen des heres erfolgte, bestand er im englischen Recht als Sondervermögen fort. Verstärkt wurde die jeweilige Konzeption dadurch, dass die Abwicklerrolle des heres eine implizite war, die des personal representative dagegen eine explizite.413 Wie oben bereits erwähnt, charakterisieren große Teile des erbrechtsvergleichenden Schrifttums die integrierte Abwicklung des römischen Rechts mit einem anderen Begriff, nämlich dem der Universalsukzession. Die gesonderte Abwicklung des englischen Rechts wird entweder negativ mit dem Fehlen einer Universalsukzession oder positiv als Modell des „executorship“ charakterisiert.414 Die Herkunft dieses Verständnisses von Universalsukzession und die Gründe für ihre Ablehnung wurden ebenfalls dargelegt.415 Der Klärung bedarf hingegen noch eine Terminologie, wie sie sich vor allem in der Erbrechtsliteratur Frankreichs und anderer romanisch-sprachiger Ländern findet. Hier sucht man die Unterscheidung zwischen Systemen mit und ohne Universalsukzession in aller Regel vergeblich,416 stattdessen begegnet man auf Schritt und Tritt einer anderen „dualité célèbre“,417 nämlich der Unterscheidung zwischen der römischen Tradition der „Persönlichkeitsfortsetzung“ (continuation de la person412
Zu dieser Terminologie oben § 1 G.II.2. (89 ff.). Dazu oben § 3 C.III.1. (238 ff.). 414 Ausführlich oben § 3 C.II.4d) (221 ff.). 415 Siehe oben § 3 C.II.4f)(3) (224 ff.). 416 Dort wo ausnahmsweise die Begriffe „succession universelle“ oder „succession à titre universel“ verwendet werden, sind die Verfasser bezeichnenderweise in Rechtsordnungen beheimatet, wo der Begriff der Universalsukzession gebräuchlich ist. Siehe etwa Ferid, Recueil des Cours 142 (1974-II), 106, 120. 417 Leleu, Transmission, Nr. 490. 413
C. Römisches und englisches Recht im Vergleich
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ne)418 und der germanischen bzw. englischen Tradition der „Vermögensnachfolge“ (succession aux biens).419 Dem deutsch- und englischsprachigen Schrifttum wiederum ist diese Klassifizierung weitgehend fremd.420 In der heutigen deutschen Erb rechtsliteratur findet sich zwar bisweilen die Idee, dass die Person des Erblassers durch die Erben fortgesetzt oder repräsentiert werde,421 doch geschieht dies nicht in Abgrenzung von Systemen der „Vermögensnachfolge“, sondern zur Veranschaulichung bestimmter Rechtsfolgen.422
418 Gleichbedeutend wird auch von einer „succession à la personne“ gesprochen, siehe etwa Grimaldi, Successions, Nr. 598. 419 Siehe etwa Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 812 f. und passim; Vialleton, A.Dir.Comp. 13 (1938), 305 („Succession aux biens ou continuation de la personne, voilà le problème“); Lequette, Communication, 166 f.; Leleu, Transmission, Nr. 490 und passim; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 785; Grimaldi, Successions, Nr. 598–600; Pérès/Vernières, Droit des successions, 559– 561; Héron, Morcellement, 7; Goré, L’administration des successions, 7, 13. Billarant, Le caractère substantiel, Rn. 31; Godechot-Patris, L’administration des successions, 88 (die drei letztgenannten Schriften sind schwerpunktmäßig dem Kollisionsrecht gewidmet, doch geht es bei den zitierten Stellen um die Beschreibung nationaler Sachrechte); in englischer Sprache zum französischen Recht Pérès, Will-Substitutes in France, 159 („succession to the person/succession to property“). Unkritische Übernahme der Dichtotomie bei Lawson, ICLQ 11 (1962) 904–906 (Rezension zu Petitjean, Fondements et mécanisme). Aus dem italienischen Schrifftum siehe z. B. Zoppini, Le successioni, 40 („successione nella persona“/„successione nei beni“), der diese Unterscheidung freilich zu Recht als zu undifferenziert kritisiert, dazu unten Fn. 454; Ballarino, Riv.Dir.Int. 96 (2013), 1118. Aus dem vom französischen Recht stark beinflussten chilenischen Schrifttum siehe die eingehende und zahlreiche rechtsvergleichende Hinweise enthaltende Erörterung von Domínguez Benavente/Domínguez Águila, Derecho Sucesorio I, Nr. 12–20 („continuación de la personalidad jurídica del difunto“/ „sucesión en los bienes“). Von einer „sucesión en los bienes“ spricht in Bezug auf das englische Recht auch Murga Fernández, Los sistemas europeos, 74, 270. 420 Eine (mutmaßlich vom französischen Recht inspirierte) Ausnahme in der englischsprachigen Rechtsvergleichung ist IECL/Schwind, Liability for Obligations of the Inheritance, Nr. 12 („succession-to-the-person theory“/„succession-to-property theory“). Die fehlende Ausgereiftheit von Schwinds Taxonomie zeigt sich insbesondere daran, dass er eine Rechtsordnung wie Brasilien, die eine anfängliche Haftung intra vires vorsieht (dazu oben Fn. 41), den „Intermediate systems“ zuordnet (Nr. 17), die ebenfalls dem „system of succession to the person“ folgen sollen. Bleibt aber die Vermögensverschmelzung aus, ist unklar, welches andere Element eine „succession to the person“ begründen soll und worin Schwind noch den Unterschied zu den Rechtsordnungen der englischen Tradition sehen will (abgesehen von den abweichenden Begrifflichkeiten). Im Kontext des deutschen Rechts widmet sich der Unterscheidung zwischen „personalistischer“ und „vermögensrechtlicher“ Nachfolgekonzeption Windel, Über die Modi, 194–205. Für Nachweise zu älteren Autoren siehe unten Fn. 450. Im schweizerischen Schrifttum wird die Unterscheidung zwischen der „dem römischen Rechtsdenken entstammende[n] persönlichkeitsbezogene[n] Vorstellung von der Nachfolge“ und der „im germanischen Rechtsdenken beheimatete[n] sachbezogene[n] Vorstellung von der Nachfolge“ prominent von Giger, Schicksal des Rechts II, 2, 7 ff., 91 ff., behandelt. 421 Siehe etwa Röthel, Erbrecht, § 1 Rn. 10 („[…] so als würde das Vermögen des Erblassers nunmehr für dessen Person stehen, die durch die Erben gemeinschaftlich fortgesetzt wurde“, unter Berufung auf Savigny); Frank/Helms, Erbrecht, § 1 Rn. 9 (Erbe als „Repräsentant“ des Erblassers). 422 Dazu unten Fn. 458.
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§ 4 Die Ausdifferenzierung der Nachlassabwicklung
b) „Persönlichkeitsfortsetzung“ vs. „Vermögensnachfolge“? (1) Bedeutung Schnell zeigt sich, dass der Graben zwischen den verschiedenen Erbrechtsdiskursen nicht grundlegend systematischer, sondern vorwiegend terminologischer Natur ist. Denn die Vorstellung einer „continuation de la personne“ dient im Ausgangspunkt genauso als Klammer für verschiedene Aspekte der rechtlichen Stellung des römischen heres bzw. seiner kontinentalen „Nachkommen“ wie das zuvor erörterte spezifisch erbrechtliche Verständnis der Universalsukzession,423 dessen Essenz ja gerade in der umfassenden Fortsetzung der Rechtsstellung des Verstorbenen gesehen wird.424 Daraus ergibt sich eine weitere Erklärung des Umstands, dass ein solcher Begriff der Universalsukzession von den französischen Juristen nicht vermisst wird.425 Freilich zeigen sich neben dieser grundsätzlichen Gemeinsamkeit auch Unterschiede. So diskutiert das französische Schrifttum die Frage, inwieweit der Nachlass eine fortgesetzte Einheit bildet oder durch Sondererbfolgen aufgebrochen wird, nicht als Aspekt der Persönlichkeitsfortsetzung, sondern, wie gesehen, unter einem eigenständigen Begriff, nämlich dem der „unité de la succession“.426 Da freilich die Behandlung des Nachlasses als Einheit, oder auch als „universalité“,427 in der Vorstellung einer Fortsetzung der Erblasserpersönlichkeit enthalten ist, bleibt ein Überlappen beider Begriffe nicht aus.428 Der Grundsatz der Vererblichkeit und der Vorgang einer successio per universitatem werden, soweit ersichtlich, nicht als Aspekte der „continuation de la personne“ betrachtet oder zumindest nicht als solche herausgearbeitet. Stattdessen wird jedenfalls im heutigen Schrifttum deren Essenz und Unterschied zum System der „succession aux biens“ im Vorgang der Vermögensvermischung gesehen: Wer die Erblasserpersönlichkeit fortsetze, erhalte unbeschränkten Zugriff auf die aktiven Nachlasswerte, müsse dafür aber auch persönlich und unbeschränkt für die Verbindlichkeiten des Erblassers einstehen. Wer hingegen in das Vermögen nachfolge, erwerbe den Nachlasses zu treuhänderischen Zwecken, hafte dafür aber auch nur mit diesem.429 Bei dieser Lesart entspricht die Dichotomie von 423
Siehe oben § 3 C.II.4c) (218 ff.). deutlich wird diese Verbindung etwa bei Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 10: „Der Erbe repräsentiert den Verstorbenen, er ist rechtlich mit ihm identisch: Universalsukzession in die Rechtspersönlichkeit.“ (Hervorhebung im Original). Siehe auch Ferid, Recueil des Cours 142 (1974-II), 120: „[…] dans les pays continentaux, sous influence du droit romain, nous constatons la succession universelle qui est caractérisée par la continuation de la personne du defunt.“ (Hervorhebung im Original). 425 Die andere Erklärung war das Prinzip der „unité de la succession“, siehe oben § 3 C.II.4i)(1) (232 ff.). 426 Siehe oben § 3 C.II.4i)(1) (232 ff.). 427 Siehe Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 76 (82), 80 (87). 428 Vage sind diesbezüglich etwa die Ausführungen von Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 76. 429 In diesem Sinne z. B. Lequette, Communication, 166; Goré, L’administration des successi424 Sehr
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„Persönlichkeitsfortsetzung“ und „Vermögensnachfolge“ in der Substanz also der Gegenüberstellung von integrierter und gesonderter Nachlassabwicklung und damit zugleich auch der (hier aus terminologischen Gründen verworfenen) Gegenüberstellung von „universal succession“ und „executorship“.430 Mit Letzterer teilt die Dichotomie von „Persönlichkeitsfortsetzung“ und „Vermögensnachfolge“ zugleich die im Laufe der Zeit eingetretene Bedeutungsverschiebung. Denn insbesondere im 19. Jahrhundert wurde die Theorie der „continuation de la personne“ zur Erklärung auch noch einer Reihe anderer Rechtswirkungen herangezogen431 und diente somit als veritabler „Schlussstein“ des französischen Erbrechts.432 Zu beachten ist freilich auch, dass über die genaue Bedeutung der Lehre von der Persönlichkeitsfortsetzung niemals Einigkeit herrschte, insbesondere nicht über den realen oder nur fiktiven Gehalt einer solche „continuation“, und sie spätestens seit Ende des 19. Jahrhunderts heftiger Kritik ausgesetzt war.433 (2) Kritik Die Dichotomie einer römisch geprägten „Fortsetzung der Erblasserpersönlichkeit“ und einer englisch-germanischen „Nachfolge in das Vermögen“ erweckt bereits dadurch Argwohn, dass sie Frucht eines längst überholten historischen Verständnisses ist. Denn wie oben gezeigt, fassten die römischen Juristen entgegen der in Deutschland noch bis ins frühe 20. Jahrhundert verbreiteten Auffassung den Erbvorgang weder im realen noch im übertragenen Sinne als Persönlichkeitsfortsetzung auf, sondern nahmen stattdessen einen „schlichten“ Eintritt des heres in die erblasserische Rechtsstellung an.434 Auch der Umstand, dass dieser Erwerb mit der Übernahme durchaus belastender Sakralpflichten verknüpft war, bedeutete nach heutiger Auffassung nicht, dass der Rechtserwerb nur Reflex der Personennachfolge gewesen wäre. Die moderne Erbrechtsvergleichung ist nun natürlich nicht gehindert, trotzdem mit dem genannten Dualismus zu operieren, wenn sie sich von ihm einen Erkenntnisgewinn verspricht und zugleich klarstellt, dass die Idee einer Persönlichkeitsons, 7, 13; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 785 (702); Pérès, Will-Substitutes in France, 159; Grimaldi, Successions, Nr. 598. Außerhalb Frankreichs findet sich dieses Verständnis etwa bei IECL/Schwind, Liability for Obligations of the Inheritance Nr. 12; Ferid, Recueil des Cours 142 (1974-II), 120. 430 Dazu oben § 3 C.II.4d) (221 ff.). 431 Etwa zur Erklärung, dass Verbindlichkeiten überhaupt übergingen, dass eine vom Erblasser begonnene Ersitzungsfrist angerechnet werden konnte, dass Verbindlichkeiten unter Miterben ipso iure geteilt wurden oder zur Erklärung der Rechtsfolgen einer Inventarerrichtung; dazu mit weiteren Beispielen Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 573–582, 589–606. 432 So der Ausdruck von Saleilles, siehe oben § 1 Fn. 118. Der Grund dafür, dass die Lehre von der Persönlichkeitsfortsetzung eine derart bestimmende Rolle im französischen Recht des 19. Jahrhunderts einnahm, lag nach Giger, Schicksal des Rechts II, 15–44, im Dogma der absoluten Subjektsgebundenheit von Rechten, worin eine Parallele zur deutschen Pandektistik läge (dazu oben § 1 Fn. 636). 433 Eingehend Giger, Schicksal des Rechts II, 52–70. 434 Siehe oben § 3 A.V. (176 ff.).
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§ 4 Die Ausdifferenzierung der Nachlassabwicklung
fortsetzung keine historische Autorität für sich in Anspruch nehmen kann. Doch zeigt sich schnell, dass die Unterscheidung zwischen „Persönlichkeitsfortsetzung“ und „Vermögensnachfolge“ auch in ihrer „aufgeklärten“ Façon in die Irre führt, weil sie die Unterschiede zwischen römischer und englischer Tradition nicht annähernd treffend zu bezeichnen vermag435 (und zwar selbst bei Ausblendung der Tatsache, dass die kontinentalen Regime sich gar nicht auf einen Abwicklungsmodus reduzieren lassen436). So gibt es weder irgendein Element des römischen Erbrechts, das mit der Vorstellung einer „Vermögensnachfolge“ unvereinbar wäre, noch hinderte etwas daran, das englische Recht mit der Idee einer „Persönlichkeitsfortsetzung“ zu beschreiben. Denn wie oben bereits dargelegt, ist diese mit einer beschränkten Haftung für Verbindlichkeiten keineswegs unverträglich.437 Bezeichnend ist denn auch, dass englische Juristen sich durch den Vorgang einer gesonderten Nachlass abwicklung niemals daran gehindert sahen, den Abwickler als „Repräsentanten“, eben als (personal) representative des Erblassers zu bezeichnen, und ihn dem römischen heres gleichzusetzen.438 Hiergegen lässt sich auch nicht geltend machen, dass die Vorstellung einer „Repräsentation“ des Verstorbenen als Ausdruck germanischen Rechtsdenkens gilt439 und gerade das Fehlen einer Personenidentität impliziert.440 Denn es ist unstreitig, dass englische Juristen den Gedanken der Repräsentation lediglich in metaphorischer Weise verwendeten, um auszudrücken, dass die vermögensrechtliche Position des Erblassers in den Händen des Rechtsnachfolgers grundsätzlich unverändert fortbestand.441 Ebenso gut hätten sie sich hierzu der Vorstellung bedienen können, dass der executor „eadem persona cum defuncto“ sei, so wie sie es zumindest vereinzelt auch getan haben442 und wie schottische Juristen es sogar bis heute tun.443 Dass „Fortsetzung“ und „Repräsentation“ als Mittel der Veranschaulichung letztlich austauschbar sind, zeigt sich schließlich auch
435 Überzeugende Kritik auch bei Gomes da Silva, Herança, 77, der darauf hinweist, dass es immer nur um das Vermögen des Verstorbenen geht, und nicht um dessen Persönlichkeit. 436 Dazu schon oben § 1 E.II.6b) (62 f.), § 4 C.I. (299 f.); siehe auch Gomes da Silva, Herança, 78. 437 Siehe oben § 3 A.V. (176 ff.). 438 Siehe oben § 3 B.IV.5. (189 ff.). 439 Siehe Ebel, ZRG (RA) 84 (1967), 253 f. (Erbe als Vormund des Verstorbenen); Giger, Schicksal des Rechts I, 46 f.; ders., Schicksal des Rechts II, 56. 440 Zutreffend Wacke, ZRG (RA) 123 (2006), 239. 441 Siehe auch Giger, Schicksal des Rechts II, 170 f. (missverständlich hingegen die Aussage, die Aufgabe des personal representative sei „frei von irrationalen und emotionalen Momenten“ gewesen (174)). 442 So bezeichnet Sheehan, The Will in Medieval England, 215, den executor als „continuation of the person of the deceased“ und als „a projection after death of the legal personality of the deceased“. In der Sache auch Pecher, Erbschaftsverwaltung, 48, die sich vermutlich implizit auf konsultierte englische Literatur stützt. Dasselbe dürfte für Muscheler, Testamentsvollstreckung, 18, gelten, wenn er den personal representative als „eadem persona cum defuncto“ beschreibt. 443 Siehe Gretton/Steven, Property, Trusts and Succession, [26.48]; Sellar, Succession Law in Scotland, 61.
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daran, dass sie auf dem Kontinent häufig in einem Atemzug genannt wurden.444 So hieß es in § 547 ABGB a. F.: „Der Erbe stellt, sobald er die Erbschaft angenommen hat, in Rücksicht auf dieselbe den Erblasser vor. Beide werden in Beziehung auf einen Dritten für eine Person gehalten. […].“445 Auch Savigny kümmerte sich nicht um eine Unterscheidung, sondern führte schlicht aus, dass „die Erben mit dem Verstorbenen Eine [sic] Person ausmachen, also denselben fortsetzen oder repräsentieren.“446 Dieselbe Gleichsetzung findet sich schließlich auch bei Dernburg, einem der letzten prominenten Anhänger der Lehre von der Persönlichkeitsfortsetzung in Deutschland. Wüsste man nicht, dass er in der folgenden Passage vom römischen heres sprach, könnte man meinen, er beschreibe den englischen personal representative: „Die Person des Verstorbenen wirft eben noch ihren Schatten. Der Erbe repräsentirt den Erblasser, d. h. er hat dessen Angelegenheiten so abzuwickeln, wie dieser es hätte thun müssen. Er setzt dessen Person fort, d. h. Rechte und Verbindlichkeiten sind auch die seinen, und ihm liegt es ob, die Anordnungen des Erblassers zu verwirklichen.“447
Zuzugeben ist immerhin, dass die Idee der Fortsetzung der Erblasserpersönlichkeit für solche Rechtsordnungen nicht passt, die den Nachlass des Verstorbenen nicht als Einheit auffassen, sondern in verschiedene Teilkomplexe zerfallen lassen. Denn hier kann eine Rechtsnachfolge nicht allein über die Verknüpfung zum Verstorbenen zum Ausdruck gebracht werden, sondern bedarf auch der Verknüpfung zu dem konkreten Gegenstand. So war für das englische Recht bis 1897 die Repräsentation des Erblassers auf die personalty beschränkt und schloss die realty aus, während die mittelalterlichen deutschen Rechtsordnungen sogar noch weitere Sondererbfolgen vorsahen.448 In einer solchen Situation ergibt die Vorstellung einer „Vermögensnachfolge“ als Gegensatz zu einer „Persönlichkeitsfortsetzung“ noch am ehesten einen Sinn, umso mehr unter der Annahme, dass der betreffende Erwerb kein derivativer, sondern ein originärer gewesen sei.449 Im seltenen Fall, dass sich deutsche Autoren im frühen 20. Jahrhundert der genannten Dichotomie bedienten, zielten sie denn auch vor allem auf das Fehlen bzw. Vorhandensein von Sondererbfolgen ab.450 444 Näher zur Entwicklung Wacke, ZRG (RA) 123 (2006), 237–239; Munk, Gutachten, 31, weist zu zutreffend darauf hin, dass die Vorstellung der Repräsentation des Erblassers dessen Fortexistenz voraussetzt. 445 Die Redaktion der Norm wurde mit Wirkung zum 1.1.2017 geändert. 446 Savigny, System I, § 56 (384). Gleichbedeutend verwendet werden beide Vorstellungen z. B. auch bei Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 582 f. („continuation de la personne du defunt du de cujus“/ „représentation du défunt par ses héritiers“); Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 10 („Der Erbe repräsentiert den Verstorbenen, er ist rechtlich mit ihm identisch […]“). 447 Dernburg, Pandekten III, § 55 (99). 448 Siehe oben § 3 B.I. (179 ff.), IV.6. (191 ff.). 449 Siehe oben § 3 B.I. (179 ff.). 450 Siehe etwa Siber, Geschichtliches und Rechtsvergleichendes, 1010: „Den Gegenpol zu dem Gedanken einer Nachfolge in die gesamte Persönlichkeit bildet die germanische Scheidung zwischen unbeweglichem und beweglichem Nachlass.“ Ähnlich Staudinger/Boehmer 11, § 1922, Rn. 108 (bei Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 12 f. steht hingegen eher die Unterscheidung
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Wenn hingegen die französischsprachige Erbrechtsvergleichung heute von „Persönlichkeitsfortsetzung“ und „Vermögensnachfolge“ spricht, dann stellt sie wie gesehen auf etwas anderes ab, nämlich den Unterschied zwischen integrierter und gesonderter Nachlassabwicklung. Dass sich dieser Sprachgebrauch trotz seiner fehlenden Treffsicherheit bis heute halten konnte, hat seinen Grund vermutlich darin, dass sich mit etwas Phantasie wenigstens dem Begriff der „succession aux biens“ die damit gemeinten Rechtsfolgen entnehmen lassen. So erhalten nicht abwicklungszuständige Begünstigte des Erbfalls in einem System der gesonderten Nachlassabwicklung eben nur aktive Vermögenswerte („biens“), treten also nicht in die gesamte Rechtsstellung des Verstorbenen ein und damit auch nicht in Verbindlichkeiten. Ein zweiter Erklärungsansatz liegt darin, dass gemäß tradierter Auffassung in der germanischen Erbrechtstradition die Erblasserverbindlichkeiten nicht selbständig übergingen, sondern immer nur als Belastungen der aktiven Vermögenswerte, die damit alleiniger Gegenstand der Rechtsnachfolge waren.451 Die hieraus zwangsläufig resultierende Haftung cum viribus hereditatis im Gegensatz zur grundsätzlich unbeschränkten Haftung nach römischem Erbrecht wird denn häufig auch als der eigentliche Kern der Unterscheidung zwischen einer „Fortsetzung der Erblasserpersönlichkeit“ und einer „Nachfolge in die Güter“ betrachtet.452 Lässt man außer Betracht, dass sich für das englische Recht durchaus von einem eigenständigen Übergang der Erblasserverbindlichkeiten sprechen lässt,453 wird das genannte Begriffsverständnis damit immerhin teilweise nachvollziehbar. (3) Fazit Die vor allem bei französischsprachigen Autoren zu findende Klassifizierung des römischen Erbrechts als „continuation de la personne“, die der englisch-germanischen „succession aux biens“ entgegengesetzt wird, weist im Ausgangspunkt Parallelen zum spezifisch erbrechtlichen Verständnis der Universalsukzession auf, wird heute aber vor allem mit dem Gedanken der Vermögensverschmelzung und einer daraus resultierenden persönlichen unbeschränkten Haftung assoziiert. Ungeachtet dessen ist die genannte Dichotomie nicht nur für ihre überholte historische Grundlage zu kritisieren, sondern auch für ihre Ungeeignetheit, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von römischer und englischer Tradition in präziser und unmissverständlicher Weise zu benennen.454 Die Erbrechtsvergleichung sollte die Dichotomie von „Persönlichkeitsfortsetzung“ und „Vermögensnachfolge“ daher
zwischen Individualeigentum und überindividuell gebundenem Familieneigentum im Vordergrund). 451 Siehe oben § 4 A.II.2. (247 ff.). 452 In diesem Sinne etwa Leleu, Transmission, Nr. 490 f.; Grimaldi, Successions, Nr. 598; Domínguez Benavente/Domínguez Águila, Derecho Sucesorio I, Nr. 12, 15. Siehe auch Giger, Schicksal des Rechts II, 60 f., 64–66. 453 Siehe oben § 3 C.II.3c) (208 ff.). 454 Für zu schematisch hält die Unterscheidung auch Zoppini, Le successioni, 40.
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restlos aufgeben und sich damit zugleich des in ihr verkörperten metaphysischen Ballasts entledigen.455 Nicht gebrochen ist damit der Stab über eine Verwendung der Idee der Erblasser fortsetzung oder -repräsentation zur Veranschaulichung456 bestimmter Rechtsfolgen. Doch zeigt die länder- und epochenübergreifende Beliebtheit dieser Metapher sogleich die große Beliebigkeit, mit der sie sich einsetzen lässt.457 Im deutschen Recht beispielsweise wird sie in manchen Kontexten dazu gebraucht, um den Grundsatz der Vererblichkeit aller vermögenswerten Rechtsbeziehungen zum Ausdruck zu bringen (oder gar zu begründen),458 in anderen, um den geschlossenen Übergang dieses „Rechtslebens“ des Verstorbenen deutlich zu machen,459 in wieder anderen, um den Sondervermögenscharakter des Nachlasses anschaulich zu machen.460 Ein ähnlicher Befund ergibt sich für andere Rechtsordnungen.461 Man mag nun zwar argumentieren, dass die Figur der Persönlichkeitsfortsetzung oder -repräsentation manche Rechtsfolgen besser zu erklären vermag als andere, und dass beispielsweise die Versuche der französischen Rechtslehre, sogar die automatische Teilung von Verbindlichkeiten unter Miterben auf die Idee der „continuation de la personne“ zurückzuführen,462 eine völlige Abkehr vom Wortsinn bedeuten. Doch ändert dies nichts daran, dass die Metapher weder im buchstäblichen noch im 455 Unberührt davon bleibt die Einsicht, dass persönlichkeits- und vermögensbezogene Nachfolge die beiden denkbaren Grundformen sind, siehe Giger, Schicksal des Rechts II, 2. 456 Klar ist, dass aus der Idee der Persönlichkeitsfortsetzung niemals Rechtsfolgen abgeleitet werden dürfen. 457 Siehe auch Meincke, Auswirkungen der Rechtsnachfolge, 39: „[…] wie die meisten Schlagworte bei näherem Betrachten unergiebig“; Giger, Schicksal des Rechts II, 60, spricht gar von einem „Blankobegriff“. Kritisch auch Windel, Modi der Nachfolge, 204, dem zufolge es anstelle einer Persönlichkeitsfortsetzung um eine Persönlichkeitsersetzung geht. Dies passt aber nur für Fälle, in denen der Nachlass dauerhaft als Sondervermögen fortbesteht. 458 So wird insbesondere in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung die Idee einer Fortsetzung der „Person“ oder der „Persönlichkeit“ dazu benutzt, den Übergang der Steuerrechtsverhältnisse des Verstorbenen auf den Erben zu erklären. Die Rechtsfigur läuft damit aber auf eine petitio principii hinaus, kritisch zu Recht Meincke, Auswirkungen der Rechtsnachfolge, 32 f., 37–39; Windel, Modi der Nachfolge, 199 f. Staudinger/Marotzke (2010), Vorbem zu §§ 1967–2017, Rn. 7, bezeichnet die Vorstellung, dass der Erbe an die Stelle der durch Tod „erloschenen“ Rechtsperson des Erblassers trete, als „durchaus hilfreich“ zur Erklärung der persönlichen Schuldnerstellung des Erben. Am ehesten brauchbar ist die Vorstellung einer Identität von Erblasser und Rechtsnachfolger dort, wo es darum geht, vor und nach dem Erbfall eingetretene Vorgänge zu einem Gesamttatbestand „zu addieren“. Ein Beispiel ist die deliktische Haftung des Erben für einen Schaden, der nach dem Tod des Erblassers eingetreten ist, aber durch eine noch von diesem begangene Handlung verursacht wurde, siehe Donner, Vererblichkeit, 17 f. Weiteres Beispiel bei Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 13. 459 So etwa Frank/Helms, Erbrecht, § 1 Rn. 9; Röthel, Erbrecht, § 1 Rn. 10. 460 So Windel, Modi der Nachfolge, 204: Person des Erblassers als „Erinnerungstatsache“, um die Identifikation des Nachlasses im Erbenvermögen zu ermöglichen; in der Sache auch Wacke, ZRG (RA) 123 (2006), 207, 243 f.; Röthel, Erbrecht, § 6 Rn. 32 (Erblasser als „gedankliche Klammer“, die sein Vermögen über den Tod hinaus zusammenhält). 461 Für das französische Recht siehe bereits oben Fn. 431. Auch die spanische Rechtsprechung verwendet nach Wacke, ZRG (RA) 123 (2006), 201, die Figur der continuidad de la personalidad del causante als „Aushilfsmittel zu verschiedenen Zwecken“. 462 Dazu (mit vernichtender Kritik) Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 575, 593.
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übertragenen Sinne jemals exakt ist,463 weil die Rechtstellung des Verstorbenen eben immer nur in modifizierter Form fortbesteht. Sollte daher schon im nationalen Kontext die Hoffnung aufgegeben werden, dass der Gedanke der Persönlichkeitsfortsetzung etwas zum Verständnis des Erbrechts beitragen kann, muss dies umso mehr für die Ebene der Rechtsvergleichung gelten. Hinzuweisen ist abschließend darauf, dass die Erkenntnis von der vermögensrechtlichen (und nicht personalistischen) Natur der erbrechtlichen Nachfolge natürlich nicht ausschließt, diese durch nicht-vermögensrechtliche Elemente ergänzt oder geprägt zu sehen. Die Rolle der Sakralpflichten für das römische Recht wurde bereits genannt, und ähnlich war auch die Nachlassabwicklung im mittelalterlichen England ein stark religiös konnotierter Vorgang.464 In den heutigen Erbrechtsordnungen spielt das Seelenheil des Verstorbenen zwar kaum noch eine Rolle, doch sind dafür verstärkt moralische, soziale, ideelle, symbolische und psychologische Elemente auf den Plan getreten. Während dieses „Mehr“ gegenüber einer rein vermögensrechtlichen Erbrechtsauffassung im deutschen Schrifttum vor allem unter dem Stichwort der „Personalität des Erbrechts“ diskutiert wird,465 gab es in der französischen Literatur Versuche, die Idee der Persönlichkeitsfortsetzung auch hierfür in den Dienst zu nehmen,466 um so beispielsweise die unbeschränkte Haftung des héritier rechtspolitisch zu legitmieren.467 2. Konzeptionelle Unterschiede a) „Eigentümer-Abwickler“ vs. „Treuhänder-Abwickler“ Wie oben gesehen, einte heres und personal representative die rechtliche Trägerschaft des Nachlasses.468 In der Ausgestaltung dieser Rechtsinhaberschaft bestand indessen ein fundamentaler Unterschied, der sich mit dem Gegensatz zwischen Eigentümer- und Treuhänderstellung bezeichnen lässt. Gemeint ist damit, dass der heres die Gegenstände als eigene besaß und dementsprechend nach Belieben mit ihnen verfahren konnte; insbesondere durfte er sie frei veräußern oder für sich nut463
Meincke, Auswirkungen der Rechtsnachfolge, 39. Siehe oben § 3 B.II. (183 f.). 465 Siehe vor allem Röthel, Ist unser Erbrecht noch zeitgemäß?, A 27–29; dies., Erbrecht, § 1 Rn. 7–13. Zu beachten ist, dass der Begriff der „Personalität des Erbrechts“ nicht immer im strikten Gegensatz zur vermögensrechtlichen Dimension des Erbrechts gebraucht wird, sondern mitunter jegliches Abstellen auf persönliche Elemente im Erbrecht zusammenfasst. Siehe insbesondere Muscheler, Erbrecht I, Rn. 517–567, der beispielsweise auch die unbeschränkte Haftung des Alleinerben als Ausprägung des „Personalitätsprinzips“ betrachtet (Rn. 535) und dieses dadurch konturlos werden lässt. Auch Windel, Modi der Nachfolge, 194 f., 204 f., meint mit den „personalen Komponenten der Universalsukzession“ nicht Kompenenten nicht-vermögensrechtlicher Art, sondern solche, die anstelle des Nachlasses aus der Person des Erben erklärt werden müssen, etwa die Zuständigkeit für die Schuldentragung (194). 466 Siehe die Nachweise bei Giger, Schicksal des Rechts II, 62–66; ders., Schicksal des Rechts III, 45. 467 Dazu ausführlich unten § 5 C.II.2f)(3) (361 ff.), § 7 B.VI.4a) (606 ff.). 468 Siehe oben § 3 C.II.3. (207 ff.). 464
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zen. Zwar waren die Nachlassgegenstände einem eventuellen Vollstreckungszugriff der Nachlassgläubiger unterworfen, doch war dies nur Ausdruck der allgemeinen, auch seine sonstigen Güter betreffenden Vermögenshaftung des heres. Der personal representative hingegen, obgleich er, wie gesehen, kein trustee im technischen Sinne war,469 erhielt die rechtliche Trägerschaft des Nachlass nicht im eigenen Interesse, sondern vorrangig zur Wahrung fremder Interessen.470 Seinen Ausdruck fand dies insbesondere in den detaillierten Vorgaben zu Inventarisierung und Rechnungslegung, in der devastavit-Haftung sowie in bestimmten Verfügungsbeschränkungen,471 schließlich auch darin, dass die Eigengläubiger des personal representative nicht in Nachlassgegenstände vollstrecken konnten.472 Englische Autoren sprechen zur Kenntlichmachung dieser Sonderstellung des Nachlasses auch davon, dass der executor oder administrator ihn nur „in a representative capacity“473 oder „in auter droit“474 innehabe. Im rechtsvergleichenden Schrifttum wird in Anlehnung an die gelehrte Literatur des Mittelalters die unterschiedliche Ausgestaltung der Abwicklerrolle im römischen und englischen Recht gelegentlich mit der Bezeichnung des personal representative als „Treuhand-Erbe“475 oder „heres fiduciarius“ zum Ausdruck gebracht.476 Diese Bezeichnung ist insofern glücklich, als sie heres und personal representative zutreffend zueinander in Beziehung setzt und die selbständige treuhänderische Abwicklungspflicht als das sie unterscheidende Element benennt. Zugleich wohnt dem Terminus heres fiduciarius allerdings auch eine doppelte Gefahr inne, indem er nämlich einerseits die Abwicklerrolle des römischen heres verdeckt und diesen auf seine Stellung als Begünstigten des Erbfalls reduziert, und er andererseits suggeriert, dass der personal representative niemals ein Eigeninteresse am Nachlass hatte. b) Die sachliche Reichweite der Abwicklung Der Unterschied zwischen integrierter und gesonderter Nachlassabwicklung lässt sich in konzeptioneller Hinsicht sodann auch an einer unterschiedlichen sachlichen Reichweite festmachen. Das römische Erbrecht begnügt sich in seinem Grundmo469
Siehe oben § 4 B.II.2f) (293 ff.). Zur allgemeinen Definition der Treuhand als Wahrnehmung fremder Interessen kraft eigener Rechtszuständigkeit, die auch für den vorliegenden Kontext brauchbar ist, etwa Löhnig, Treuhand, 1, 6, 117; ders., in: Testamentsvollstreckung in Europa, 7 f.; Dubovitskaya, NZG 2015, 984 f. 471 Dazu oben Fn. 370. 472 Siehe oben B.II.1. (285 ff.). 473 Holdsworth, History III, 575, 583. 474 Williams, Mortimer & Sunnucks [35-09]; Häcker, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 204. Ähnlich die Begründung in der Entscheidung Farr v Newman („they are not his goods“), siehe oben Fn. 310. 475 Muscheler, Testamentsvollstreckung, 17; ders., Erbrecht I, Rn. 798. 476 So Zimmermann, Heres fiduciarius?, 304. Ähnlich L. Smith, Edinburgh LR 17 (2013), 298 („fiduciary heir“); Gretton/Steven, Property, Trusts and Succession, Rn. 26.50 („fideicommissary heir“). Ähnlich spricht Siber, Geschichtliches und Rechtsvergleichendes, 1011, davon, dass die Rechte des executor am Nachlass mit Wegfall der Residualbegünstigung „rein altruistisch“ geworden seien. 470
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dell der confusio bonorum damit, Erblassergläubigern und Vermächtnisnehmern entsprechende Ansprüche gegen den heres zu gewähren. Die Erfüllung wird dem lebzeitigen Vermögensrecht und der Initiative der Parteien überlassen, weshalb auch keine bestimmte Reihenfolge der Anspruchserfüllung vorgeschrieben ist. Das englische Erbrecht ist dagegen nicht nur auf Anspruchserhaltung bzw. -gewährung gerichtet, sondern umfasst, vergleichbar einem Insolvenzverfahren, auch die Phase der Anspruchsrealisierung, die bestimmten Vorgaben folgt.477 Betonung verdient, dass der konzeptionelle Unterschied zwischen römischem und englischem Recht nicht notwendig auch praktisch sichtbar wurde. Denn bei normalem Verlauf der Dinge verrichtete der heres dieselben Handlungen wie ein personal representative, d. h. er nahm den Nachlass in Besitz, zog Forderungen des Erblassers ein und verlangte Sachen von unberechtigten Besitzern heraus, beglich die Verbindlichkeiten des Verstorbenen und erfüllte die Vermächtnisse.478 Dass diese Handlungen nicht in einem spezifisch erbrechtlichen, sondern in einem allgemein-zivilrechtlichen Rahmen stattfanden, begründet nur einen formalen Unterschied zum englischen Recht. War genug Vermögensmasse vorhanden, kam zudem der genauen Reihenfolge, in der Gläubiger und Vermächtnisnehmer das ihnen Gebührende erhielten, keine Bedeutung zu. Genauso wie ein heres sich freiwillig dafür entscheiden konnte, die Erblassergläubiger vor den Vermächtnisnehmern zu befriedigen, blieb es einem personal representative de facto unbenommen, zuerst die Vermächtnisse auszukehren. Lässt man die Einflussnahme der kirchlichen Stellen auf das Handeln des personal representative außer Betracht, war sein Handeln aus der Warte eines objektiven Beobachters von dem eines römischen heres also in der Regel nicht zu unterscheiden. Der Umstand, dass nach dem englischen Modell eine Art „Kassensturz“ des Verstorbenen stattfand,479 darf zudem nicht zu der Auffassung verleiten, dass der Nachlass für den Zeitraum der Abwicklung vollständig eingefroren wurde und nicht mehr entwicklungsfähig war.480 Gebar etwa die zum Nachlass gehörende Kuh unter der Ägide des personal representative ein Kalb, trug der auf dem Grundstück des Erblassers stehende Apfelbaum Früchte oder brachten seine Ländereien Pachterträge ein, so wurde die Nachlassmasse entsprechend vergrößert.481 Umge477 Siehe etwa § 1 S. 1 InsO: „Das Insolvenzverfahren dient dazu, die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen, indem das Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös verteilt […] wird“. Eingehend Thole, Gläubigerschutz, 51–65. Siehe auch Heese, Funktion des Insolvenzrechts, 16 f. 478 Siehe auch Brown, Tulane LR 33 (1959), 631, dem zufolge „[t]he collection and realisation of the assets“, „[t]he payment of the debts and duties“, und „[t]he distribution of the remaining assets“ in jeder Erbrechtsordnung den Gegenstand der Nachlassabwicklung bilden. 479 Windel, Über die Modi, 3. 480 Diesen Eindruck erweckt aber (vermutlich ungewollt) Matthews, Square Peg, Round Hole?, 70, wenn er, in Parallele zum Insolvenzrecht, von einem „snapshot“ der vermögensrechtlichen Lage des Verstorbenen spricht sowie davon, dass künftige „assets“ keine Berücksichtigung finden. 481 Dass diese Rechtsfolge in Texten zum historischen englischen Recht so gut wie nie ausgesprochen wird, dürfte daran liegen, dass sie für selbstverständlich gehalten wurde. Helmholz, OHEL I, 423, nennt, wenngleich in einem anderen Kontext, immerhin das Beispiel des „income
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kehrt konnte sie durch das Entstehen neuer Verbindlichkeiten natürlich auch geschmälert werden, wie schon das Beispiel der (sogar vorrangig zu tilgenden) Begräbnis- und Abwicklungskosten zeigt. Ein weiteres Beispiel bildeten unter bestimmten Umständen entstehende Zinsverpflichtungen.482 3. Stärken und Schwächen von integrierter und gesonderter Nachlassabwicklung a) Überblick Stärken und Schwächen von integrierter und gesonderter Nachlassabwicklung nach römischer bzw. mittelalterlicher englischer Art sind auf den ersten Blick einfach zu benennen: Die confusio bonorum sparte Zeit und Kosten, wies dafür aber rechtsethische Defizite auf, insbesondere in Gestalt der unbeschränkten Haftung des heres. Die englische Nachlassabwicklung vermied solche unsachgemäßen Ergebnisse, war dafür aber langsamer und teurer. Naheliegend ist überdies die Annahme, dass die römische Nachlassabwicklung in erster Linie an den Interessen der Begünstigten des Erbfalls ausgerichtet gewesen sei, die englische hingegen an den Interessen der Erblassergläubiger. Ist diese Einschätzung auch nicht grundsätzlich falsch, erweist sich die Situation bei näherer Betrachtung als verwickelter. Für eine differenzierte Analyse empfiehlt es sich, zwischen den verschiedenen betroffenen Perspektiven zu unterscheiden. b) Die Perspektive des Abwicklers Aus Sicht des heres bestand ein erheblicher Vorteil der integrierten Nachlassabwicklung darin, dass er in der Bewältigung seiner Aufgabe vollkommen frei agieren konnte, weil er weder Pflichten zur Inventarisierung, Rechenschaftslegung usw. unterlag noch einer hoheitlichen Aufsicht (etwa hinsichtlich der Verfügung über Nachlassgegenstände). Seine einzige Pflicht bestand in der Erfüllung der Nachlassverbindlichkeiten. Nicht ausgeschlossen war natürlich, dass die Nachlassabwicklung in bestimmten Fällen dennoch einen erheblichen Aufwand bedeutete. So konnte es etwa sein, dass die aktiven Nachlasswerte schwierig zu ermitteln und zu realisieren waren oder der heres mit Forderungen konfrontiert wurde, deren Echtheit in Zweifel stand. Doch sind Unwägbarkeiten dieser Art einerseits ein allgemeines Problem des Privatrechts, andererseits Folge des durch den Tod des Erblassers verursachten Informationsdefizits und damit jedem Modell der Nachlassabwicklung inhärent. Anders gesagt, fallen die Kosten der Ermittlung der Nachlassverhältnisse unabhängig vom Modus der Nachlassabwicklung an.
from land“. Im heutigen englischen Recht ist die Frage unstreitig, siehe Kerridge, Law of Succession, [21-04] f. 482 Blackstone, Commentaries II, 513 f.
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Für seine Freiheit bei der Abwicklung musste der heres in jedem Fall einen erheblichen Preis bezahlen, nämlich seine unbeschränkte Einstandspflicht für Erblasserverbindlichkeiten. Dem englischen personal representative wurde diese unbeschränkte Haftung erspart, aber eben nur im Gegenzug für engmaschige Vorgaben im Umgang mit dem Nachlass. c) Die Perspektive des abwicklungszuständigen Begünstigten Auch was seine Stellung als (Mindest-)Begünstigter des Erbfalls betraf, bot die confusio bonorum dem heres Vorteile. So konnte er erstens über die ihm zukommenden Werte sofort und unbeschränkt verfügen, also beispielsweise Nachlassgegenstände als eigene nutzen oder sie verkaufen, um den Erlös anderweitig zu verwenden. Zweitens konnte der heres innerhalb der gesetzlichen oder erblasserischen Vorgaben frei darüber disponieren, welche Mittel er zur Schuldentilgung und Vermächtniserfüllung verwendete und welche er für sich behielt. Bestand beispielsweise der einzige wertvolle Nachlassgegenstand in über Generationen weitergegebenem Goldschmuck, dessen Wert Erblasserverbindlichkeiten in etwa gleicher Höhe gegenüberstand, so war der römische Erbe nicht gezwungen, den Schmuck zu verkaufen, um mit dem Erlös die Schulden zu zahlen, sondern konnte hierzu auch sein Altvermögen verwenden, um die Familienandenken zu behalten. Ein englischer personal representative, der zugleich Nachlassbegünstigter war, bekam die ihm zugedachten Werte zwar ebenfalls sofort in die Hand. Er durfte sie aber trotz seiner formalen Rechtsinhaberschaft nicht sofort als eigene behandeln, was sich am deutlichsten an seinen beschränkten Verfügungsmöglichkeiten zeigte. Was die Nutzung betraf, war der personal representative de facto natürlich nicht gehindert, eine ihm vom Testator vermachte Kuh sofort in seinen Stall zu führen und von da an jeden Morgen ihre Milch zu trinken. Doch verstieß er hierbei gegen seine Pflicht, die Kuh zunächst für die Schuldentilgung bereitzuhalten und als fremde Sache zu behandeln. Zwar stellte die mögliche Haftung aus Pflichtverletzung im Vergleich zur Stellung des römischen heres keinen Nachteil dar, weil dieser stets unbeschränkt mit seinem eigenen Vermögen haftete. Doch hätte ein executor, der in der beschriebenen Weise handelte, seine Abberufung durch die kirchlichen Gerichte befürchten müssen, ggf. in Verbindung mit weiteren Sanktionen. d) Die Perspektive der Erblassergläubiger Entgegen der o.g. spontanen Vermutung bot die integrierte Nachlassabwicklung des römischen Rechts auch den Erblassergläubigern Vorteile. Denn die Abwesenheit eines bürokratischen Verfahrens bedeutete zum einen, dass die vorhandene Nachlassmasse nicht durch Verfahrenskosten geschmälert wurde, zum anderen, dass die Begleichung der Verbindlichkeiten keine längeren Verzögerungen erfuhr. War der römische heres endgültig in den Nachlass eingetreten, konnten die Erblassergläubiger ohne Weiteres gegen ihn vorgehen (erst Justinian führte eine neuntägige Trauerfrist ein, während derer die Gläubiger den Erben nicht durch Ladung,
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Klage o. Ä. belästigen durften483). Wollte der heres den Nachlass in Ruhe ermitteln, so musste er dies vor Antritt bzw. Verzicht auf das Enthaltungsrecht tun. Wenn im Gegensatz dazu die Erblassergläubiger nach englischem Recht häufig einige Zeit auf die Erfüllung ihrer Ansprüche warten mussten, so war dies in aller Regel nicht die Konsequenz schlampiger Abwicklung oder langsamer Gerichtsverfahren, sondern zwangsläufige Folge der gesonderten Abwicklung. Denn zum einen war der personal representative eben nur zur Erfüllung durch Nachlassmittel verpflichtet, die er somit zunächst in die Hände bekommen und ggf. versilbern musste. Zum anderen musste der personal representative auch sichergehen, dass die vorhandenen Nachlasswerte zur Erfüllung der Verbindlichkeiten überhaupt ausreichten, da er anderenfalls eine bestimmte Rangfolge zu beachten oder Kürzungen vorzunehmen hatte.484 Dies bedeutete, dass vor Erfüllung von Erblasserverbindlichkeiten diese zunächst umfassend ermittelt werden mussten. Bildete sich zwar niemals eine starre Frist heraus, während derer die Erblassergläubiger an der Geltendmachung ihrer Forderungen gehindert waren485 (im Gegensatz zu dem für die Ausfolgung von Legaten geltenden „executor’s year“486), dürfte genau wie unter der heute anerkannten Regel, dass der personal representative „with due diligence“ zu zahlen hat,487 eine gewisse Wartezeit unumgänglich gewesen sein. Auch in einem weiteren Punkt kam die römische confusio bonorum den Interessen der Erblassergläubiger entgegen: War der Erblasser überschuldet, eröffnete ihnen die successio des heres die Chance, dass ihre Forderungen plötzlich wieder werthaltig wurden. Unter englischem Recht hatten die Erblassergläubiger demgegenüber keine Hoffnung auf ein solches Zufallsgeschenk, es sei denn, der personal representative machte sich einer Inventarverfehlung schuldig. Freilich waren die Folgen der confusio bonorum für die Erblassergläubiger zweischneidiger Natur: War nicht der Erblasser, sondern der heres überschuldet, mussten die Erblassergläubiger eine Entwertung ihrer Forderung befürchten (wobei der Prätor ihnen als Gegenmittel das beneficium separationis gewährte488). e) Die Perspektive der nicht abwicklungszuständigen Begünstigten Die integrierte Nachlassabwicklung des römischen Rechts bedeutete nicht, dass sämtliche Begünstigte das ihnen Zugedachte sofort in die Hand bekamen. Vielmehr waren die Empfänger eines legatum per damnationem darauf angewiesen, dass der heres ihnen den entsprechenden Gegenstand oder Wert ausfolgte. Die confusio bo483 Novelle 115 (542 n. Chr.) c. 5 § 1, dazu m. w. N. Kaser, Römisches Privatrecht II, 330 (Fn. 9), 543 (Fn. 23). Als Anstoß für diese Regelung nannte Justinian einen Fall, in dem ein Gläubiger einem Vater aufgelauert hatte, der vom Begräbnis seines Sohnes zurückkam. 484 Siehe oben B.II.2b) (288 ff.). 485 Williams/Williams, Executors and Administrators, 1592. 486 Dazu sogleich unten e). 487 Kerridge, Law of Succession, [21-13]; siehe Williams, Mortimer & Sunnucks [60-02], [6401]. 488 Siehe oben A.V. (257 ff.).
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norum bot den Legataren in dieser Situation denselben Vorteil wie den Erblassergläubigern, nämlich die Ersparnis von Zeit und Kosten. Insbesondere mussten die Vermächtnisnehmer mit der Geltendmachung ihres Anspruchs nicht warten, bis sämtliche Erblassergläubiger befriedigt waren. Demgegenüber bedeutete die gesonderte Abwicklung des englischen Rechts für die nicht mit ihr betrauten beneficiaries eine erhebliche Zurücksetzung. Denn sie mussten sich in der Schlange hinter den Erblassergläubigern einreihen und damit noch länger auf die Erlangung des ihnen Zustehenden warten als diese. Als Frist für die Auskehrung der Vermächtnisse bildete sich im Laufe der Zeit das „executor’s year“ heraus, d. h. der personal representative durfte grundsätzlich bis zum Ablauf eines Jahres nach dem Tod des Erblassers mit der Erfüllung warten.489 Historisch knüpfte diese Frist vermutlich an die im Kirchenrecht zu findende Vorgabe an, dass der executor die Nachlassabwicklung innerhalb eines Jahres erledigen sollte, bei Strafe der Abberufung.490 Der ursprüngliche Zweck der Beschleunigung verkehrte sich beim „executor’s year“ aus Sicht der Begünstigten allerdings beinahe in sein Gegenteil. f) Die Perspektive des Rechtsverkehrs im Allgemeinen Schließlich bietet die integrierte Nachlassabwicklung auch Vorteile, die neben den unmittelbaren Nachlassbeteiligten auch dem Rechtsverkehr im Allgemeinen zu Gute kommen. Der erste besteht darin, dass die Nachlassgüter sofort wieder umfänglich verkehrsfähig werden, also keinerlei erbfallbedingtem Sonderregime unterliegen.491 Dies manifestiert sich zum einen in der unbeschränkten Verfügungsbefugnis des neuen Rechtsinhabers, zum anderen in dem unbeschränkten Vollstreckungszugriff aller Gläubiger. Im Gegensatz dazu werden die Nachlassgegenstände bei der gesonderten Abwicklung für die Dauer dieses Vorgangs jedenfalls teilweise in ihrer Zirkulationsfähigkeit beschränkt. Der zweite Vorteil der integrierten Nachlassabwicklung besteht in der stärkeren Gewährleistung der rechtlichen Kontinuität. So ändert zwar der Umstand, dass die Erfüllung von Erblasserforderungen und -verbindlichkeiten formal außerhalb des Erbrechts steht, im Regelfall nichts daran, dass diese Rechtsbeziehungen nicht allzu lange nach dem Erbfall durch Erfüllung zum Erlöschen gebracht werden. Doch kann insbesondere bei Dauerschuldverhältnissen wie Miet- oder Darlehensverträgen auch ein beiderseitiges Interesse daran bestehen, sie nach dem Tod des Erblas489 Eingehend Williams/Williams, Executors and Administrators, 1113–1135. Auch das „Statute of Distribution“ von 1670, dessen Hauptzweck darin lag, die Intestaterbfolge auf eine klare Grundlage zu stellen (siehe oben Fn. 376), sah vor, dass die „distribution“ nicht vor Ablauf eines Jahres erfolgen sollte (V). 490 Siehe oben Fn. 346. 491 Kipp/Coing, Erbrecht, 518; Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 3, die diesen Aspekt sogar als das Hauptziel einer Vermögensverschmelzung ansieht. Zu unterscheiden hiervon ist die Frage des „title clearing“, also die Notwendigkeit, die neue Rechtsinhaberschaft im Rechtsverkehr nachzuweisen. Dazu oben § 1 Fn. 564.
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sers unverändert fortzuführen.492 Während eine integrierte Nachlassabwicklung hiermit keinerlei Schwierigkeiten hat, tritt bei der gesonderten Nachlassabwicklung eine solche unbefristete Fortsetzung des Schuldverhältnisses mit dem Ziel in Konflikt, den Nachlass von sämtlichen Passiva zu befreien (was in diesem Fall durch Kündigung verbunden mit der Erfüllung offenstehender Restforderungen zu geschehen hätte). Soll das Dauerschuldverhältnis gerettet werden, muss also eine Ausnahme von dem Grundsatz gemacht werden, dass Begünstigte des Erbfalls keinerlei Verbindlichkeiten übernehmen. g) Fazit Vergleicht man die integrierte Abwicklung des römischen mit der gesonderten Abwicklung des englischen Rechts, kann Erstere eine Fülle von praktischen Vorteilen für sich verbuchen, und zwar aus Sicht aller beteiligten Personenkreise. Dass die römische Lösung dennoch nicht pauschal als überlegen betrachtet werden kann, liegt an ihrem einzigen, aber gravierenden Schwachpunkt: Sie führte in Fällen, in denen Erblasser oder heres überschuldet waren, zu einer lotterieähnlichen Verlagerung von Haftungsrisiken. Schon die römischen Juristen gelangten denn auch früh zu der Einsicht, dass eine integrierte Nachlassabwicklung nicht isoliert bestehen kann, sondern für besondere Fälle der Ergänzung durch Verfahren der gesonderten Abwicklung bedarf. Auch das englische Recht war, wie gesehen, nicht frei von rechtsethischen Defiziten, etwa im Hinblick auf die schwache Stellung der beneficiaries oder das generelle Missbrauchspotential. Doch jedenfalls in struktureller Hinsicht vermochte es, in jeder Konstellation sachgerechte Verteilungsergebnisse herbeizuführen. Hierin liegt eine Erklärung dafür, warum das englische Recht sich nicht aus der umgekehrten Richtung an das römische Recht annäherte, indem es neben die gesonderte Abwicklung ein Modell der integrierten Abwicklung stellte. Denn für einen solchen Schritt sprachen allein praktische Gründe, keine grundlegenden Gerechtigkeitsforderungen.493 Ein weiterer, noch wichtigerer Grund dürfte darin liegen, dass die Kirche an einer freien, ihrer Aufsicht entzogenen Abwicklung kein Interesse hatte (wie ja auch ihr Bemühen um das Aufspüren von Erbfällen zeigte494).
III. Die Modi der gesonderten Abwicklung im Vergleich Will man die gesonderte Abwicklung des englischen Rechts zur gesonderten Abwicklung des römischen Rechts in Bezug setzen, so ist zunächst zu fragen: zu welchem römischen Modus der gesonderten Abwicklung? Denn mit der venditio bonorum und der Abwicklung unter Inventarerrichtung stehen zwei Verfahren zur 492 Voraussetzung hierfür ist natürlich, dass das Dauerschuldverhältnis nicht mit dem Tod erlischt. 493 Dazu unten § 7 A.I. (571 ff.). 494 Dazu oben B.II.2e) (291 ff.).
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Auswahl, von denen jedes für sich einen möglichen und geeigneten Vergleichsgegenstand bildet. Wenn hier allein auf die Abwicklung unter Inventarerrichtung abgestellt wird, hat dies seinen Grund darin, dass sie eine größere Nähe zur englischen Abwicklung aufweist als die venditio bonorum. Denn zum einen blieb bei Inanspruchnahme des beneficium inventarii die Abwicklung in der Hand des heres als der vom Erblasser bestimmten oder von der Rechtsordnung unter seinen Verwandten ausgewählten Person; zum anderen bildete dieser Abwicklungsmodus zwar nicht die Grundregel, doch nach der Vorstellung Justinians das neue gesetzliche Leitbild.495 Umso frappierender sind die Unterschiede zwischen dem römischen und dem englischen Verfahren, die in den entsprechenden Sachkontexten auch bereits angesprochen wurden. So wurde bei der Abwicklung unter Inventarerrichtung weder die Abwicklerrolle des heres begrifflich verselbständigt, noch wurden diesem, abgesehen von der Bestandsaufnahme, treuhänderische Pflichten zum Umgang mit den Nachlassgütern auferlegt, deren Einhaltung hoheitlich überwacht wurde. Schließlich war dem beschränkt haftenden heres, ganz anders als dem personal representative, auch keinerlei Rangfolge vorgegeben, in der die Nachlasswerte zu verteilen waren. Das justinianische Regime stellt sich mithin als abwicklerfreundlich, aber gläubigerfeindlich dar, das englische Recht hingegen als gläubigerfreundlich, aber abwicklerfeindlich.
IV. Gemeinsame Interessenwertungen Die zahlreichen Unterschiede in der Ausgestaltung der Nachlassabwicklung könnten leicht zu der Vorstellung verleiten, dass römisches und englisches Recht auf unterschiedlichen Interessenwertungen fußten. Doch waren diese auf einer grundsätzlichen Ebene in Wahrheit identisch. So gestanden erstens beide Rechtsordnungen der zur Abwicklung auserkorenen Person das Recht zu, sich der Aufgabe angesichts der mit ihr verbundenen Belastungen und Risiken zu entziehen, und trugen somit dem Wunsch nach Selbstbestimmung Rechnung. Bemerkenswert war diese Entscheidung vor allem im Hinblick auf den römischen Hauserben, weil sie eine Überwindung der traditionellen Sakralbindungen erforderte.496 Zweitens einte römisches und englisches Recht die Wertung, dass den Gläubigern des Verstorbenen durch dessen Tod kein Nachteil entstehen soll. Zu diesem Zweck erkannten beide Rechtsordnungen nicht nur schrittweise das Fortleben von Verbindlichkeiten über den Tod hinaus an,497 sondern sorgten auch für den Erhalt der Haftungsmasse. Im englischen Recht manifestierte sich diese Zielsetzung insbesondere an der streng nachrangigen Befriedigung der Legatare,498 ebenso an der 495
Siehe oben A.VII.11. (280 ff.). Siehe oben A.III.1. (251 ff.). 497 Dazu oben § 2 B.II. (129 ff.). 498 Siehe oben B.II.2b) (288 ff.). 496
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zwar spät, aber ganz bewusst zu Zwecken des Gläubigerschutzes erfolgten Einbeziehung der realty in die Abwicklung.499 Im römischen Recht war es vor allem das zur Abwehr der Eigengläubiger des heres gewährte beneficium separationis, das die genannte Wertung zur Geltung brachte.500 Justinian mutete den Erblassergläubigern dann allerdings eine empfindliche Beeinträchtigung ihrer Rechtsstellung zu, u. a. indem er die Maxime „nemo liberalis nisi liberatus“ nur noch indirekt verwirklichte.501 Eine dritte Gemeinsamkeit findet sich in der Überzeugung, dass es nicht nur unbillig, sondern auch unpraktisch ist, dem Nachlassabwickler ein Einstehen für Nachlassverbindlichkeiten mit seinem eigenen Vermögen aufzuzwingen. Zwar brachte im römischen Recht erst die Einführung des beneficium inventarii im 6. Jahrhundert n. Chr. die allgemeine Möglichkeit der Haftungsbeschränkung. Doch wäre es verfehlt, hieraus den Schluss zu ziehen, dass die Römer die unbeschränkte Haftung bis zu diesem Zeitpunkt als sachgerecht erachtet hätten. Denn nicht nur gab es etwa mit der separatio bonorum des unter Freilassung zum Erben eingesetzten Sklaven auch vorher schon Tatbestände einer Haftungsbeschränkung;502 vor allem war die Härte der unbeschränkten Haftung wesentlicher Treiber für die Herausbildung des Enthaltungsrechts des Hauserben und die generelle Möglichkeit eines jeden heres, zwecks Sichtung des Nachlasses eine Überlegungsfrist zu beantragen.503 Die verschiedenen Teilwertungen lassen sich zusammenfassen zu dem Grundprinzip, dass losgelöst von der Frage, wer von einem Erbfall profitieren soll, jedenfalls niemand gegen seinen Willen durch ihn in seinen Interessen beeinträchtigt werden soll. Römisches und englisches Erbrecht unterschieden sich somit nicht in dem Ziel voneinander, sondern lediglich in den Wegen dorthin. Deren Wahl war nur zu einem geringen Anteil das Ergebnis bewusster Entscheidungen und hauptsächlich durch die rechtlichen und außerrechtlichen Rahmenbedingungen bestimmt, was auch eine Erklärung für die jeweiligen Unvollkommenheiten liefert (etwa die „tumultuarische“ Befriedigung der Nachlassgläubiger bei der römischen Abwicklung unter Inventarerrichtung oder die übermäßige Belastung der englischen Abwicklung mit Formalismen).
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Siehe oben § 3 B.IV.6. (191 ff.). Siehe oben A.V. (257 ff.). 501 Siehe oben A.VII.10. (277 ff.). 502 Siehe oben A.IV. (256 ff.). 503 Siehe oben A.III.3. (253 f.). 500
2. Teil
Moderne Entwicklungen
§ 5 Strukturelle Kontinuitäten A. Überblick Angesichts der Tatsache, dass das englische Recht seit nunmehr etwa einem Jahrtausend ohne grundlegende Brüche fortbesteht, ist es keine Überraschung, dass auch die im Hoch- und Spätmittelalter entwickelte Struktur der Nachlassabwicklung in der Gegenwart weiterlebt und lediglich Verfeinerungen erfahren hat. Demgegenüber war dem römischen Recht keine fortdauernde Existenz als Rechtsordnung beschieden; mit dem Untergang des oströmischen Reiches fand es sein formelles Ende. Und doch hat das, was man die römische Tradition der Nachlassabwicklung nennen kann, ebenfalls bis in die heutige Zeit überlebt. Denn sie ist das Fundament, auf dem die heutigen Erbrechte Kontinentaleuropas errichtet wurden. Zwar wurden insbesondere das BGB und der französische Code civil in bedeutendem Maße auch durch das beeinflusst, was man vereinfacht die germanische Erbrechtstradition nennen kann.1 Doch waren es die Begriffe und Strukturen des römischen Rechts, die für die Verfasser der modernen Gesetzbücher den maßgeblichen Bezugsrahmen bildeten. Die Betonung der historischen Kontinuitäten soll keineswegs den Eindruck erwecken, als seien die modernen Fortentwicklungen von englischer und römischer Tradition nur unbedeutendes historisches Nachspiel. Im Gegenteil wird ihnen in diesem zweiten Teil der Arbeit breite Aufmerksamkeit geschenkt. Zur Vorbereitung ist dennoch zunächst die Kontinuitätsdimension darzulegen. Dies geschieht im Folgenden anhand des französischen Code civil und des BGB, die zwar nicht generell, aber zumindest hinsichtlich ihrer Fortführung der römischen Grundstrukturen der Nachlassabwicklung als stellvertretend für die Regime Kontinentaleuropas und beispielsweise auch für diejenigen Lateinamerikas angesehen werden können.
1 Pointiert Neumayer, in: Mélanges Piotet, 485: „Es gibt schwerlich eine Materie des Privatrechts, in der sich die beiden Wurzeln unserer abendländischen Rechtskultur, das nachklassische römische Recht auf der einen und die germanischen Volksrechte auf der anderen Seite, inniger durchdrungen haben, als dies im Erbrecht geschehen ist.“ Von einer „feinsinnige[n] Weiterführung römisch-rechtlicher Institutionen und ihre[r] Vermengung mit deutschrechtlichem Gedankengut“ spricht Röthel, Ist unser Erbrecht noch zeitgemäß?, A 9. Zur problematischen Vorstellung einer germanischen Rechtstradition schon oben § 1 H.III. (95).
322
§ 5 Strukturelle Kontinuitäten
B. Das BGB I. Überblick Das strukturelle Fortwirken der römischen Tradition im BGB zeigt sich zum einen darin, dass das deutsche Erbrecht eine integrierte Nachlassabwicklung kennt und sie sogar zum gesetzessystematischen Ausgangspunkt macht, ihr aber verschiedene optionale Verfahren der gesonderten Abwicklung an die Seite stellt, so dass sich ein mehrspuriges Gesamtsystem ergibt. Zum anderen steht das Erbrecht des BGB auch in konzeptioneller Sicht ganz in der römischen Tradition, indem es die Figur des „Erben“, also des Gesamtnachfolgers des Verstorbenen, zu seinem systematischen Dreh- und Angelpunkt macht. Fundament dieser nur scheinbar selbstverständlichen Regelungsentscheidung ist eine personale und begünstigtenorientierte Sicht auf das Erbrecht, bei der der Nachlass und der Vorgang seiner Abwicklung nicht eigenständig in Erscheinung treten. Die Konsequenz ist u. a., dass es deutschen Juristen bis heute schwerfällt, eine funktionale Perspektive einzunehmen und zu erkennen, dass die Figur des Erben sich aus zwei Elementen zusammensetzt: der Rolle des Abwicklers und der Rolle des Residualbegünstigten.2 Stabil ist allerdings nur das zweitgenannte Element, da eine Reihe von Tatbeständen zu einem Wechsel der Abwicklungszuständigkeit führen (etwa die Anordnung einer Testamentsvollstreckung oder einer Nachlassverwaltung).3
II. Integrierte Nachlassabwicklung Die integrierte Abwicklung liegt in den Händen des Erben. Sie findet in § 1967 BGB einen gesetzlichen Anknüpfungspunkt, lässt sich dem BGB aber letztlich nur indirekt entnehmen.4 Kennzeichnendes Merkmal der integrierten Abwicklung ist, dass der Nachlass genau wie bei der römischen confusio bonorum schlagartig seine rechtliche Selbständigkeit verliert, indem er mit dem Vermögen des Erben verschmilzt.5 Passend zur fehlenden Sonderstellung des Nachlasses erfährt auch die Abwicklerrolle des Erben keine begriffliche Verselbständigung, sondern ist in Analogie zum römischen heres implizite Folge der in § 1922 BGB angeordneten Gesamtnachfolge und der in § 1967 BGB angeordneten Zuständigkeit für die (weiteren) 2
Siehe bereits oben § 1 B.III. (9 ff.). im Laufe der geschichtlichen Entwicklung die Residualbegünstigung zum letzten essentiellen Merkmal des Erbenbegriffs geworden war, hatte im Kontext der Schaffung des BGB schon Bernhöft, Zur Reform des Erbrechts, 39–50, betont. Folgerichtig hielt er es nicht einmal für notwendig, eine allgemeine Vorschrift nach Art des § 1922 BGB aufzustellen. 4 Kunz, ErbR 2020, 318, will die Eigenabwicklung durch den Erben mit einem Umkehrschluss aus den §§ 2197 ff. BGB begründen. Viel näher läge allerdings der Umkehrschluss aus den §§ 1975 ff. BGB. 5 Siehe oben § 1 F.I. (64 ff.). 3 Dass
B. Das BGB
323
Nachlassverbindlichkeiten. Ebenso ist Ausfluss der Gesamtnachfolge eine Begünstigung des Erben, die im Unterschied zum entwickelten römischen Recht allerdings keine Mindest-, sondern nur eine Residualbegünstigung ist. 6 Denn indem die Verfasser des BGB sich gegen eine Fortführung der lex Falcidia entschieden,7 die dem heres ein Viertel des Nachlasswertes reservierte,8 gestatteten sie einem Testator, den Nachlass durch Vermächtnisse vollständig zu erschöpfen oder gar überzubeschweren. Indirekt kommt die umfängliche Wirksamkeit der letztwilligen Einzelzuwendungen darin zum Vorschein, dass § 1992 BGB dem Erben allein die Möglichkeit gibt, seine Haftung für die entsprechenden Verpflichtungen auf den Nachlass zu beschränken. Der Erbe – und somit die zur integrierten Abwicklung berufene Person – kann genau wie im klassischen römischen Recht vom Testator frei bestimmt werden, und zwar selbst bei Vorhandensein naher Angehöriger. Denn die testamentarisch von der Erbenstellung ausgeschlossenen Personen erhalten allenfalls einen Pflichtteilsanspruch und sind damit an der Nachlassabwicklung nicht beteiligt.9 Bei Fehlen einer testamentarischen Bestimmung des Erben erfolgt seine Auswahl durch Gesetz, ohne Notwendigkeit einer gerichtlichen Konkretisierung oder Bestätigung. Auch wenn das dem BGB zugrunde liegende Parentelsystem in vielerlei Hinsicht vom römischen Intestaterbrecht der Zwölf Tafeln und der nachfolgenden Entwicklungsstufen abweicht,10 liegt eine entscheidende strukturelle Gemeinsamkeit darin, dass alle Personen, die durch den Erbfall begünstigt werden sollen, auch zur Nachlassabwicklung berufen sind, beide Elemente also auch hier miteinander verknüpft werden.
III. Gesonderte Abwicklung In der Regelung der gesonderten Abwicklung ist das BGB, wie noch eingehend zu zeigen ist, deutlich über die römische Tradition hinausgegangen.11 Gleichwohl ist diese immer noch darin erkennbar, dass das BGB mit der Nachlassverwaltung und dem Nachlassinsolvenzverfahren zwei Abwicklungsmodi bereitstellt, die amtlicher und kollektiver Natur sind und damit starke Parallelen zur römischen Kombination von separatio bonorum und venditio bonorum aufweisen. Das den Nachlassgläubigern für den Fall, dass die Befriedigung ihrer Ansprüche durch das Verhalten oder die Vermögenslage des Erben gefährdet wird,12 gewährte Recht auf Anord6
Siehe oben § 1 B.II.1. (6 ff.). Ausführlich zu dieser gesetzgeberischen Entscheidung Hennig, lex Falcidia, 42 ff. 8 Dazu oben § 3 A.III. (170 ff.). 9 Dies war für die Verfasser des BGB auch gerade einer der Beweggründe, anstelle einer dinglichen Rechtsstellung nur einen schuldrechtlichen Anspruch zu gewähren. Näher unten § 8 A. III.2. (643 ff.). 10 Für eine eingehende historisch-vergleichende Untersuchung des Verwandtenerbrechts Zimmermann, RabelsZ 79 (2015), 768 ff. 11 Siehe unten § 6 E. (443 ff.). 12 § 1981 Abs. 2 S. 1 BGB. 7
324
§ 5 Strukturelle Kontinuitäten
nung der Nachlassverwaltung (§ 1981 Abs. 2 BGB) lässt sich sogar unmittelbar auf das beneficium separationis zurückführen.
C. Der Code civil I. Das römische Erbe Im Code civil ist das Fortleben der römischen Tradition der Nachlassabwicklung noch offenkundiger als im BGB. So hat der héritier, in dem auch schon begrifflich die Nähe zum römischen heres anklingt, als gesetzlich bestimmter Gesamtnachfolger13 die Wahl zwischen einer integrierten und einer an die Errichtung eines Inventars geknüpften, aber ebenfalls in seinen Händen liegenden gesonderten Abwicklung.14 Die integrierte Abwicklung wird in der französischen Lehre bis heute mit der – längst als unrömisch erwiesenen – Idee der „Persönlichkeitsfortsetzung“ (continuation de la personne) charakterisiert15 und als ihr prägendes Merkmal die sofortige Vermögensvermischung hervorgehoben.16 Die gesonderte Abwicklung wird unter dem Begriff der „Vermögensnachfolge“ (succession aux biens) behandelt.17 Wollen Erblassergläubiger die Eigengläubiger des héritier vom Zugriff auf Nachlasswerte abhalten, müssen sie sich eines Instruments bedienen, das traditionell als séparation des patrimoines bezeichnet wird und dessen Nähe zur römischen separatio bonorum damit schon begrifflich erkennbar ist. Erheblich kompliziert werden Funktionsweise und Verständnis der französischen Nachlassabwicklung nun allerdings durch zwei Elemente, die dem droit coutumier entstammen, also der germanisch geprägten gewohnheitsrechtlichen Tradition des französischen Rechts.18 Das erste ist die terminologische Zweispurigkeit bei der Bezeichnung der gesetzlich und letztwillig bestimmten Gesamtnachfolger, das zweite das enigmatische Institut der saisine, das eine von der Rechtsnachfolge unabhängige Befugnis zur Inbesitznahme und Verwaltung des Nachlasses zum Gegenstand hat.
13 Zu den Besonderheiten der letztwillig angeordneten Gesamtnachfolge siehe unten C.II.1. (325 ff.). 14 Eingehend dazu unten § 6 C.II. (386 ff.). 15 Dazu ausführlich oben § 4 C.II.1b) (302 ff.). 16 Siehe etwa Grimaldi, Successions, Nr. 657 („confusion immediate de patrimoines“); Goré, L’administration des successions, 24; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 922. 17 Dazu ausführlich oben § 4 C.II.1b) (302 ff.). 18 Näher zu der erst durch den Code civil von 1804 überwundenen Zweiteilung des französischen Rechts in das römisch geprägte droit écrit der südlichen Städte und Provinzen und die germanisch-fränkisch geprägten Gewohnheitsrechte Nord- und Zentralfrankreichs Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, 74–80; Trockels, Erbengemeinschaft, 180 f.; Kaiser, Rückwirkender Vermögensübergang?, 159 f.; eingehend zum Rechtspluralismus auf dem Gebiet des Erbrechts Descamps, in: Succession Law, Practice and Society, 589–609.
C. Der Code civil
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II. Das gewohnheitsrechtliche Erbe 1. Gesetzliche und gewillkürte Rechtsnachfolger Lässt sich die Figur des héritier zwar einerseits als Pendant des römischen heres oder auch des deutschen Erben begreifen, besteht andererseits ein wichtiger Unterschied zum römischen und deutschen Recht darin, dass der héritier stets vom Gesetz, niemals hingegen vom Erblasser bestimmt wird: „Institution d’héritier n’a lieu“.19 Jedenfalls in formaler Hinsicht folgt das französische Recht damit bis heute der – auch für die englische Rechtsentwicklung sehr bedeutsamen 20 – Maxime „solus Deus heredem facere potest, non homo“.21 (Dass diese bei funktionaler Betrachtung freilich weitreichende Aufweichungen erfahren hat, ist weiter unten zu zeigen.) Die Rangordnung zur Bestimmung der héritiers wird seit jeher von den Abkömmlingen des Verstorbenen angeführt, gefolgt von Eltern und Geschwistern.22 Der überlebende Ehegatte hingegen zählte zu den „großen Verlierern der Revolution“23 und wurde unter dem Code civil von 1804 sogar noch von Seitenverwandten des 12. Grades verdrängt. In der Folgezeit wurde seine Stellung aber schrittweise aufgewertet, und seit 2001 konkurriert der überlebende Ehegatte mit den Abkömmlingen.24 Die zwingende gesetzliche Bestimmung des oder der héritier(s) ist nun allerdings weder gleichbedeutend mit einer vollständigen Versagung der Testierfreiheit noch mit der fehlenden Möglichkeit zur letztwilligen Bestimmung der Gesamtnachfolger25 des Erblassers. Denn erstens kann dieser über das Instrument des Vermächtnisses (legs) nicht nur über einzelne Rechte oder Vermögensvorteile verfügen (als sog. legs particulier oder legs à titre particulier),26 sondern auch über die Gesamtheit des Nachlasses (als legs universel27) oder einzelne Anteile daran (als sog. legs
19 Als Urheber des Ausspruchs gilt Antoine Loisel, siehe Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht III, Rn. 5 A 61; Zimmermann, Heres fiduciarius?, 292; umfangreiche Nachweise zu gewohnheitsrechtlichen Quellen bei Renaud, KritZRWissGdA 19 (1847); vgl. auch Pérès, Intestate Succession, 35; dies., Compulsory Portion in France, 82. 20 Siehe oben § 3 B.IV.2. (186 f.). 21 Zu diesem Zusammenhang auch Zimmermann, Heres fiduciarius?, 292. 22 Siehe Art. 731 ff. Code civil. Ausführlich zum französischen Intestaterbrecht, das auf der sog. Justinianischen Erbfolgeordnung basiert (siehe Zimmermann, RabelsZ 79 (2015), 785), Péres, Intestate Succession, 33–51. 23 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 123 („un des grands vaincus“). 24 Zimmermann, RabelsZ 80 (2016), 60–65. 25 Mit diesem Begriff soll hier noch nicht die Frage vorweggenommen werden, ob der Nachlass auch bei einer Mehrheit von Nachfolgern eine Einheit bildet, insbesondere im Hinblick auf die Verbindlichkeiten. 26 Siehe Art. 1014–1024 Code civil. In die Kategorie der legs particuliers fallen u. a . auch Gattungs- und Geldvermächtnisse (legs de chose de genre/legs de sommes de argent), die in Art. 1017 und 1022 implizit vorausgesetzt werden. 27 Art. 1003 Code civil. Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht III, Rn. 5 C 103, weisen zutreffend darauf hin, dass die Einsetzung auf den gesamten Nachlass eventualer Natur ist, da es zu Abzügen durch Pflichtteile und Einzelvermächtnisse kommen kann.
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§ 5 Strukturelle Kontinuitäten
à titre universel28). Zweitens erwerben französische légataires entgegen der Erwartung eines deutschen Juristen keineswegs nur schuldrechtliche Ansprüche gegen den héritier, sondern treten unmittelbar mit dem Tod des Erblassers in die ihnen zugewiesenen Rechtspositionen ein (vorbehaltlich einer späteren Ausschlagung). Dieser in der Sache gänzlich unstreitige Vorgang29 kommt im Gesetz interessanterweise bis heute nicht klar zum Ausdruck. So spricht der Code civil in Art. 711 lediglich davon, dass das Eigentum u. a. mittels Testaments übertragen wird, und in Art. 1014 Abs. 1, der im Abschnitt über das Einzelvermächtnis steht, spricht er dem légataire ein „droit à la chose léguée“ zu. Nach dem Wortlaut ist hierbei schon unklar, ob das gewährte Recht dinglicher oder schuldrechtlicher Natur ist,30 während die systematische Stellung des Art. 1014 Code civil Zweifel weckt, ob er alle Arten von Legataren meint.31 Schließlich könnte auch die Tatsache, dass Legataren im Regelfall nicht von Rechts wegen die saisine zukommt,32 Zweifel an einem unmittelbaren Vollrechtserwerb aufkommen lassen.
Universal- und Anteilsvermächtnisnehmer, nicht hingegen der Einzelvermächtnisnehmer,33 müssen überdies im gleichen Ausmaß wie ein héritier für die Nachlass28 Art. 1010 Code civil. Der Anteil kann sich nicht nur auf den Gesamtnachlass beziehen, sondern beispielsweise auch in der Summe aller beweglichen oder unbeweglichen Nachlassgegenstände bestehen. Das legs à titre particulier wurde erst mit dem Code civil eingeführt, die praktische Notwendigkeit dieser Kategorie wird bestritten, siehe Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht III, Rn. 5 C 112. 29 Siehe, bezeichnenderweise jeweils ohne Nennung einer Rechtsgrundlage, etwa Leleu, Transmission, Nr. 120–122, 200; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 815; Jurisclasseur, Droit Civil (-Vigneau), Art. 1003 à 1013 (Lieferung 20, 22.1.2017) Nr. 18–21. Unter Berufung auf Art. 771 und 1014 Code civil etwa Zachariä, Handbuch IV8, § 726 (456 f.); Verdié, Transmission, 134, 139 f., der selbst allerdings wie schon beim Erwerb der héritiers die Ansicht vertritt, dass der Erwerb der Legatare von einer Annahmeerklärung abhängt. Eine Ausnahme vom unmittelbaren Erwerb gilt notgedrungen beim Gattungs- und Geldvermächtnisnehmer, da der zugewandte Gegenstand in diesem Fall noch gar nicht konkretisiert ist; siehe auch Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht III, Rn. 5 C 120; Titz, Vindikationslegat, 141–143. 30 Zur Verteidigung der Wahl des Begriffs „droit à la chose léguée“ Vérdie, Transmission, 135. 31 Für die weite Auslegung des Art. 1014 Abs. 1 Code civil lässt sich immerhin anführen, dass Abs. 2 sich ausdrücklich auf den légataire particulier beschränkt, siehe Vérdie, Transmission, 134, 140. 32 Dazu eingehend unten C.II.2c) (345 ff.). 33 Die deutschsprachige Bezeichnung der verschiedenen Vermächtnisarten des französischen Rechts ist uneinheitlich. So sprach Zachariä in seinem „Handbuch des französischen Civilrechts“ in Anlehnung an die Übersetzung des Badischen Landrechts von „Erbvermächtnis“, „Erbtheilsvermächtnis“ und „Erbstücksvermächtnis“, siehe etwa Zachariä/Dreyer, Handbuch IV7, § 711 (415), wo Dreyer als Herausgeber der 7. Auflage diese Terminologie wegen ihrer Nähe zum Begriff des „Erbes“ allerdings kritisiert (siehe Fn.*). Illch, in: Heinsheimer (Begr.), Zivilgesetze der Gegenwart I, und Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht III, Rn. 5 C 103, 5 C 111 und 5 C 115, weichen nur insoweit von Zachariä ab, als sie das legs particulier als „Stückvermächtnis“ bzw. „Einzelvermächtnis“ übersetzen. Nahe an der Terminologie Zachariäs wiederum Süß/Döbereiner, Frankreich, Rn. 100–104 („Universal- bzw. Erbvermächtnis“, „Erbteilvermächtnis“, „Erbstückvermächtnis“). Die hier gebrauchte Unterscheidung zwischen dem „Universalvermächtnis“, dem „Anteilsvermächtnis“ und dem „Einzelvermächtnis“ folgt Ferid/Firsching/Dörner/Hausmann/Limbach, Frankreich. Sie ist nicht nur näher am Original, sondern geht auch der zutreffenden Kritik Dreyers aus dem Wege.
C. Der Code civil
327
verbindlichkeiten des Verstorbenen einstehen,34 nur der Einzelvermächtnisnehmer ist hiervon grundsätzlich befreit.35 Eine solche Gesamtnachfolge der légataires universels/à titre universel findet selbst bei Vorhandensein sog. Vorbehaltserben (héritiers réservataires) statt, also gesetzlicher Erben mit unentziehbarer Nachlassbeteiligung.36 Diese können sich allenfalls mittels Erhebung der Herabsetzungsklage (action en réduction) eine Nachlassbeteiligung verschaffen.37 Keine Rolle spielt in diesem Zusammenhang, dass die Nachlassbeteiligung der héritiers réservataires bis 2006 im Grundsatz dinglicher Natur war38 und seitdem im Grundsatz wertmäßiger Natur ist.39 Denn erstens verbleibt den Vermächtnisnehmern in jedem Fall eine direkte Nachlassbeteiligung, und sei es nur eine anteilig reduzierte, zweitens kommt den héritiers réservataires selbst im Fall einer nur wertmäßigen Beteiligung von Rechts wegen die saisine zu.40
Die Maxime „institution d’héritier n’a lieu“ ist damit kaum mehr als ein Lippenbekenntnis zur historischen Tradition. Denn die Stellung des héritier wird nur in der Form, nicht aber in der Substanz den Familienangehörigen des Verstorbenen reserviert.41 Das römische Recht hatte demgegenüber den Begriff des heres schon früh für den letztwillig bestimmten Gesamtnachfolger geöffnet, und dementsprechend kannten die Territorien des droit écrit neben dem héritier ab intestat auch den héritier institué par testament42 (ebenso wie das BGB den Begriff des „Erben“ in einem 34 Art. 871, 1009, 1012 Code civil, deren historischer Vorläufer der Art. 334 der Coutume de Paris von 1580 war; dazu Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 558, dem zufolge die Regelung eine Gegenreaktion auf die unbeschränkte Haftung des héritier infolge des Eindringens des römischen Rechts war; Saleilles, Bull.Soc.e.leg. 10 (1911), 72. Zur lange Zeit umstrittenen Frage des Haftungsumfangs siehe unten C.II.2f) (358 ff.). 35 Art. 871, 1024 Code civil; dazu etwa Leleu, Transmission, Nr. 538; Gärtner, Vindikations legate, 24 f. 36 Zu diesen gehören heute grundsätzlich nur noch die Abkömmlinge des Verstorbenen (Art. 913 Code civil). Dem überlebenden Ehegatten kommt nur bei deren Fehlen die Stellung eines héritier réservataire zu (Art. 914-1 Code civil). 37 Art. 921 Code civil. 38 Eingehend zur historischen Entwicklung Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 1209–1212; Catala, Droit de la famille 2006, étude 43, Nr. 7 f.; Pérès, Compulsory Portion in France, 81–85; Zimmermann, RabelsZ 84 (2020), 475–480. Siehe auch Süß/Döbereiner, Frankreich, Rn. 116, 124. 39 Art. 924 Code civil; dazu Zimmermann, RabelsZ 84 (2020), 510–513; Pérès, Compulsory Portion in France, 84 f., 98 f. Da allerdings Art. 924-4 Code civil dem héritier réservataire auch Rechte gegen einen dritten (rechtsgeschäftlichen) Erwerber einräumt, ist die dingliche Rechtslage nicht eindeutig, weshalb die Praxis bei Veräußerung vermachter Gegenstände auch die Zustimmung des héritier réservataire einholt, siehe Gresser, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 132, dessen Aussage, dass das französische Noterbrecht stets „einen echten Eigentumsanteil am Nachlass“ gewähre, dennoch zu undifferenziert scheint. 40 Dies verwechselt Titz, Vindikationslegat, 155, wenn sie ausführt, dass die saisine (zu diesem Institut ausführlich unten C.II.2. (329 ff.)) den héritiers erst nach erfolgreicher Herabsetzungsklage zukomme. 41 Siehe auch Illch, in: Heinsheimer (Begr.), Zivilgesetze der Gegenwart I, Anm. zu Art. 1002 („Unterscheidung […] vorwiegend theoretischer Art“); Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht III, Rn. 5 A 62 (nicht „heres“, aber „loco heredis“), 5 C 106. 42 Saleilles, Bull.Soc.e.leg. 10 (1911), 59; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 912.
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§ 5 Strukturelle Kontinuitäten
umfassenden Sinne gebraucht). In den Beratungen zum Code civil wurde denn auch zumindest ein légataire universel, neben dem keine héritiers réservataires vorhanden sind, als „héritier institué“ bezeichnet,43 und in verstreuten Regelungen fand dieser Begriff auch Eingang in das Gesetz.44 In den Kernvorschriften über die letztwillige Nachfolge setzte sich die gewohnheitsrechtliche Terminologie aber vollständig durch, mit der kuriosen Ausnahme des Abschnittstitels, der von der „institution d’héritier“ spricht.45 Die Dichotomie héritier – légataire wurde auch bei späteren Reformen nicht aufgegeben, doch kommt die weitreichende substanzielle Gleichstellung mittlerweile deutlicher zum Vorschein. So formuliert das Gesetz zwar weiterhin zahlreiche seiner Bestimmungen ausschließlich für den héritier; doch erklärt es diese Vorschriften nun ausdrücklich für entsprechend anwendbar auf Universal- und Anteilsvermächtnisnehmer, soweit nicht etwas anderes angeordnet ist.46 In Anlehnung daran gebraucht das Schrifttum den Begriff des héritier oftmals ohne nähere Erläuterung in einem umfassenden, also über seine technische Bedeutung hinausgehenden Sinn.47 Vorzugswürdig scheint es demgegenüber allerdings, héritiers, légataires universel und légataires à titre universel in der Kategorie der „successeurs universels“ zusammenzufassen,48 wie es bereits die Juristen des Gewohnheitsrechts taten49 und es zwischenzeitlich an zentraler Stelle auch der Code civil vorsah.50 Denn dieser Sprachgebrauch ermöglicht es, den Begriff des héritier weiter in seiner technischen, also engeren Bedeutung zu verwenden. Aus Rücksicht auf diese terminologischen Besonderheiten sollte auch der Versuchung widerstanden werden, den Begriff des héritier mit „gesetzlicher Erbe“ und den des légataire universel/à titre universel mit „testamentarischer Erbe“ ins Deutsche zu übersetzen, auch wenn dies aus rein funktionaler Sicht durchaus seine Berechtigung hätte (genauso wie sich aus französischer Sicht die Erbeinsetzung des deutschen Rechts als Einsetzung eines Universal- oder Anteilsvermächtnisnehmers begreifen lässt51). 43
Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 568, 572; siehe auch Saleilles, Bull.Soc.e.leg. 10 (1911), 90 f. Siehe Art. 898, 1037, 1040, 1041, 1043 Code civil. 45 Siehe die Überschrift vor Art. 1002 Code civil. 46 Siehe den 2001 geschaffenen Art. 724-1 Code civil, der insbesondere die Regelungen über das Optionsrecht, die Erbengemeinschaft (indivision) und die Teilung nennt. 47 Siehe etwa Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 751 (670); Héron, Morcellement, Nr. 88, unterscheidet sogar zwischen „héritiers légaux ou testamentaires“. 48 Häufig ist auch die Rede von den „successeurs universels ou à titre universel“, siehe etwa den Sprachgebrauch bei Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 571; Héron, Morcellement, Nr. 88; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 9 01, 967; Grimaldi, Successions, Nr. 595; siehe auch Trockels, Erbengemeinschaft, 198. Die „successeurs universels“ bilden zusammen mit den „successeurs à titre particulier“, also den Einzelrechtsnachfolgern, die Oberkategorie der „sucesseurs“, also der Rechtsnachfolger. 49 Trockels, Erbengemeinschaft, 188 f. 50 So lautete der 2001 eingeführte, 2006 aber bereits wieder abgeschaffte Art. 723 Code civil: „Les successeurs universels ou à titre universel sont tenus d’une obligation indéfinie aux dettes de la succession.“ 51 Leleu, Transmission, Nr. 118; allgemein für ausländische (d. h. nicht französische) Erbrechte Droz, Rev.crit.dr.int.pr. 1970, 188. 44
C. Der Code civil
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Zu betonen ist abschließend, dass die weitgehende Angleichung von gesetzlich und letztwillig bestimmten Rechtsnachfolgern in Substanz und Sprache nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass in einem zentralen Punkt bis heute ein wichtiger Unterschied zwischen beiden besteht, indem nämlich die héritiers grundsätzlich, die légataires hingegen nur ausnahmsweise Inhaber der saisine sind.52 Bedeutung und Funktion dieses zweiten „Vermächtnisses“ des Gewohnheitsrechts sind im folgenden Abschnitt zu erläutern. 2. Das Institut der saisine Das Institut der saisine ist in seinem historischen Ursprung mit der deutschrechtlichen „Gewere“ und der seisin des mittelalterlichen englischen Rechts53 identisch.54 Im Laufe der Jahrhunderte hat sich seine Bedeutung und Funktion dann aber erheblich gewandelt. a) Bedeutung und Funktion in der französischen Rechtsgeschichte (1) Historische Ursprünge Auch wenn das Institut der saisine55 heute nur noch im Erbrecht von Bedeutung ist,56 ist es genauso wie sein deutsches Pendant, die „Gewere“, im Ursprung ein Institut des mittelalterlichen Sachenrechts, und sogar dessen „Zentralbegriff“.57 Ein näheres Eingehen auf die Einzelheiten, die insbesondere in der germanistischen Forschung des 19. Jahrhunderts äußerst umstritten waren58 und auch heute noch in vielen Punkten ungeklärt sind,59 ist hier nicht möglich, aber auch nicht nötig. Denn für den vorliegenden Zusammenhang kommt es nur auf den weitgehend unstreitigen Kern der saisine/Gewere und seine Bedeutung für das Erbrecht an. 52 Hieraus darf nicht der Schluss gezogen werden, dass der Maxime „institution d’héritier n’a lieu“ entgegen den oben gemachten Ausführungen doch normative Bedeutung zukommt. Denn die Regelung der saisine hätte ebenso gut zwischen gesetzlichen und eingesetzten héritiers unterscheiden können. 53 Dazu Maitland, LQR 2 (1886), 481–496. 54 Siehe zu diesen Parallelen die Nachweise bei v. Gierke, Deutsches Privatrecht II, § 113 (188); Zimmermann, Heres fiduciarius?, 293. Ferner Neumayer, in: Mélanges Piotet, 497. 55 Der Begriff stammt vom althochdeutschen „sazjan“, lateinisch „sacire“ ab, was u. a . „(in Besitz) setzen“ bedeutete, siehe HRG/Ogris, Gewere, 348. 56 Kaiser, Rückwirkender Vermögensübergang?, 112. 57 So für die Gewere Mitteis/Lieberich, Deutsches Privatrecht, 86; Dorn, ZJS 4/2012, 493. 58 Siehe stellvertretend Cosack, Besitz des Erben, 27: „Denn wo wir auch der Gewere begegnen, da weist uns bunte Verwirrung der Ansichten das Walten jenes ‚Kobolds, der im deutschen Sachenrechte sein Wesen treibt‘ [Quelle des Zitats nicht angegeben]. Um so überhaupt zu verstehen, was denn eigentlich die gemeine Meinung und was ihre neueste Befehdung besagt, ist es unumgänglich, den unzähligen Uebersichten der erheblichen Geweretheorien hier eine neue folgen zu lassen.“ Auch Laband, KritV 15 (1873), 379, spricht von einem Zustand „außerordentlicher Unsicherheit und Verworrenheit“. 59 Für eine zusammenfassende Darstellung der im Wesentlichen von Albrecht, Heusler und Huber begründeten herrschenden Lehre HRG/Ogris, Gewere, 347–352, der zugleich wegen methodischer Fragen „erhebliche Bedenken“ anmeldet. Siehe auch Dorn, ZJS 4/2012, 493 f.
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§ 5 Strukturelle Kontinuitäten
Die saisine/Gewere bezeichnete das „äußere Erscheinungsbild eines dinglichen Rechts“, eine „nach außen sichtbare, ausgeübte Sachherrschaft, die den Schluss auf die dahinterstehende materielle Berechtigung zulässt“. 60 Vom heutigen Standpunkt aus betrachtet ist das Institut der saisine/Gewere damit kennzeichnend für eine Rechtsordnung, die Faktum und Recht, Besitz und Eigentum noch nicht klar voneinander trennt.61 Dies muss auch vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Verhältnisse gesehen werden, in denen eine abstrakte Ermittlung der dinglichen Rechtslage oft nur unter großen Schwierigkeiten möglich war und deshalb der tatsächlichen Sachherrschaft eine starke Vermutungswirkung zukam. 62 Dennoch konnten beide Elemente natürlich auch auseinanderfallen, etwa infolge einer gewaltsamen Durchbrechung der saisine/Gewere. 63 „[D]ann gebührt dem inneren Recht der Vorrang; das wahre Recht hat die Macht, die Form des Rechtes zu zerbrechen, wenn diese sich als leer erweist.“64 Im vorliegenden Zusammenhang interessiert vor allem die Bedeutung der saisine/Gewere für die Übertragung dinglicher Rechte. Hier folgte aus der genannten Rechtsvorstellung das Erfordernis eines Publizitätsakts als einer „Einkleidung in den Besitz“. 65 Für das Erbrecht hätte dies entsprechend der Maxime „nulla sasina nulla terra“66 an sich nun das Scheitern einer lückenlosen Rechtsnachfolge nach sich gezogen, weil der Verstorbene die physische Übergabe des Nachlasses nicht vorgenommen hatte und auch nicht mehr vornehmen konnte.67 Zwar wäre es natürlich denkbar gewesen, die Besitzeinweisung oder Investitur68 auf anderem Wege zu vollziehen, etwa durch einen gerichtlichen Akt oder eine feierliche Erklärung. Doch hätte sich dann nicht nur das rechtskonstruktive Problem der Überbrückung des Zwischenzeitraums gestellt; auch begründeten mit der Innehabung des Nachlasses verbundene Pflichten das Interesse an einem sofortigen Einrücken des Rechtsnachfolgers. 69 60 So für die Gewere Dorn, ZJS 4/2012, 493; ähnlich v. Gierke, Deutsches Privatrecht II, § 113 („Kleid des Sachenrechts“ (189)); Mitteis/Lieberich, Deutsches Privatrecht, HRG/Ogris, Gewere, 348. Entsprechend für die saisine etwa Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 551; Saleilles, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 308. Zum Verhältnis zwischen germanischer Gewere und römischer possessio siehe Choi, Besitzerwerb, 61–63, 72 f. 61 Siehe etwa Saleilles, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 310; Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 550 f. Ferner Zimmermann, Heres fiduciarius?, 293, der von einem „extremely elusive concept“ spricht, „elusive, at least, for a modern observer accostumed to drawing a clear-cut distinction between a right to possess and possession itself“. 62 Mitteis/Lieberich, Deutsches Privatrecht, 86; HRG/Ogris, Gewere, 348. 63 Dorn, ZJS 4/2012, 494. 64 v. Gierke, Deutsches Privatrecht II, § 113 (189). 65 HRG/Ogris, Gewere, 348 (vermutlich angelehnt an v. Gierke, Deutsches Privatrecht II, § 113 (187 f.)); Dorn, ZJS 4/2012, 494. 66 Dazu Sellar, Succession Law in Scotland, 54. 67 Saleilles, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 309; Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 551. 68 Zur „vestitura“ oder „investitura“ als lateinischer Bezeichnung der Besitzeinweisung v. Gierke, Deutsches Privatrecht II, § 113 (187 f.)); siehe auch Dorn, ZJS 4/2012, 493. 69 Renaud, KritZRWissGdA 19 (1847), 104, 114, 134 f., dem zufolge das Fehlen der genannten Kontinuität den öffentlichen Frieden gefährdet hätte; Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 551.
C. Der Code civil
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Genau dies leistete nun der Satz „le mort saisit le vif“70 bzw. „der Tote erbt den Lebendigen“,71 indem er die Besitzeinweisung 72 fingierte bzw. zu einer ideellen machte73 und somit den Rechtsübergang bereits im Moment des Todes vollendete.74 Diese nur im spezifischen sachenrechtlichen Kontext zu verstehende Zielrichtung gerät leicht dadurch aus dem Blick, dass dem Satz „le mort saisit le vif“ seit Langem in erster Linie die Wirkung des automatischen Nachlassübergangs zugeschrieben wird, bei dem es nicht zum Zwischenstadium einer herrenlosen Erbschaft kommt;75 in der heutigen Rechtslehre vieler Länder wird ein automatischer Nachlassübergang im Moment des Todes sogar als „Prinzip/Doktrin der saisine“ bezeichet.76 Doch wenngleich die fingierte Besitzeinweisung aus den genannten Gründen notwendiger Bestandteil des Übertragungsvorgangs war, bildete sie bei genauer Betrachtung eben nur dessen äußere Seite ab. Die innere Seite, also der Rechtsübergang als solcher, wurde stillschweigend vorausgesetzt. „Der Tote erbt den Lebendingen“ bedeutet nach diesem Verständnis also nicht „der Tote setzt den Erben in sein Vermögen ein“, sondern nur „der Tote setzt den Erben in die Gewere, d. h. die Sachherrschaft ein“. Sucht man ein Pendant zum Satz „le mort saisit le vif“ im heutigen deutschen Recht, ist dieses daher nicht in den §§ 1922, 1942 BGB zu finden, die gerade einen Rechtsübergang ohne jegliche Publiziät anordnen und so70 Nach Smyth, McGill LJ 3 (1957), 171, und Fischer, Saisine, 9, ist der Ausdruck „mortuus debeat vivum saisire“ in Frankreich erstmals in einem Urteil des Parlaments von Paris aus dem Jahr 1259 schriftlich belegt. 71 Zur inhaltlichen Entsprechung beider Sätze etwa Dusi, La eredità giacente, Nr. 18 (37); Sa leilles, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 310; Wacke, JA 1982, 242; Mitteis/Lieberich, Deutsches Privatrecht, 160. Das Verb „erben“ wird im genannten Sprichwort transitiv gebraucht, so dass es im Sinne von „Der Tote vererbt seine Gewere auf den Lebenden“ zu verstehen ist und nicht etwa bedeutet, dass der Verstorbene als Erbe des Überlebenden anzusehen sei und mit diesem eine Person bilde; siehe Renaud, KritZRWissGdA 19 (1847), 109–111. Gomes da Silva, Herança, 62, verweist auf das verwandte Sprichwort mortuus aperit oculus viventis und seine portugiesische Entsprechung „Os mortos, aos vivos abrem os olhos“. 72 Das Verb „saisir“ kann sowohl die Ergreifung des Besitzes als auch die Einweisung in diesen bezeichnen, siehe Wacke, JA 1982, 242. 73 HRG/Ogris, Gewere, 349 f. („ideelle Gewere“); Saleilles, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 309 f.; Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 551 f.; Fischer, Saisine, 12 f. 74 Saleilles, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 310; ders., Bull.Soc.e.leg. 10 (1911), 78 f. („parfaire la transmission“). Zwar ließen sich bei genauer Betrachtung zwei Vorgänge voneinander unterscheiden: der Übergang des Rechts und der Übergang der saisine/Gewere (siehe auch Dorn, ZJS 4/2012, 493, allerdings im Kontext des Lehnrechts). Doch bildeten beide Vorgänge eben ähnlich § 929 oder §§ 873, 925 BGB einen einheitlichen Übertragungstatbestand. 75 Siehe etwa Renaud, KritZRWissGdA 19 (1847), 115, 129; Wacke, JA 1982, 242 f.; Mitteis/ Lieberich, Deutsches Privatrecht, 160; Krynen, Journal des savants 1984, 191; im rechtsvergleichenden Kontext Verbeke/Leleu, Harmonization, 464. 76 So beispielsweise im italienischen Schrifttum (siehe z. B. Natoli, L’amministrazione dei beni ereditari, 7 f.; Cicu, Successioni: Parte generale, Nr. 41 (122)), im niederländischen Schrifttum (siehe etwa Huijgen/Kasdorp/Reinhartz/Zwemmer, Compendium Erfrecht, Rn. 28; Verstappen, in: Kolkman/Reinhartz/Verstappen/van Vijfeijken (Hg.), Erfrecht Relatievermogensrecht, Art. 4:182 Nr. 2 f.) oder im brasilianischen Schrifttum (siehe etwa Dias, Manual das Sucessões, 114 („princípio de saisine“)).
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§ 5 Strukturelle Kontinuitäten
mit die Überwindung der mittelalterlichen Rechtsvorstellung zum Ausdruck bringen. Vielmehr lebt die Maxime allein in § 857 BGB fort, der den Erben so behandelt, als habe der Erblasser ihm die tatsächliche Sachherrschaft übertragen.77 Im Unterschied zum mittelalterlichen Sachenrecht erfüllt diese „ideelle Gewere“ allerdings nicht mehr den Zweck, den Rechtsübergang von Todes wegen überhaupt erst möglich zu machen; stattdessen hat die in § 857 BGB niedergelegte Fiktion78 nur die Funktion, dem Erben auch possessorischen Besitzschutz zu gewähren und einen gutgläubigen Erwerb durch Dritte zu erschweren.79 Wie in der weiteren Darstellung zu zeigen ist, führte die schillernde Bedeutung der saisine zu erheblichen Schwierigkeiten bei der Auslegung des Code civil und ist bis heute ein Störfaktor für die Rechtsvergleichung. (2) Die saisine im Lehnsrecht Eine geänderte Funktion erhielt die saisine im Lehnsrecht. Hier wurde der Satz „le mort saisit le vif“ zur Begründung dafür herangezogen, dass der Sohn80 des Vasallen keiner erneuten Einweisung in das geerbte Lehen durch den Herrn bedurfte.81 Der Sachsenspiegel legte diese Regel sogar ausdrücklich nieder. 82 Die erbrechtliche saisine erfüllte hier also nicht mehr nur Zwecke der Rechtstechnik, sondern diente als Waffe im Kampf um handfeste Macht- und Wirtschaftsinteressen.83 Denn durch die Beseitigung des Erfordernisses der Investitur wurde der neue Vasall nicht nur von der Sorge befreit, dass der Herr sein Lehen zurück77 Zutreffend Dorn, ZJS 4/2012, 497; siehe auch Wacke, JA 1982, 242 f., der allerdings nicht immer klar zwischen Rechts- und Besitzübergang unterscheidet. 78 Zum Fiktionscharakter des § 857 BGB und anderen, nicht überzeugenden Erklärungsversuchen eingehend Choi, Besitzerwerb, 127–143, 224; Wieling, Sachenrecht I, 168. Siehe auch v. Bar, AcP 219 (2019), 348 f. Der erste Entwurf zum BGB hatte noch bewusst davon abgesehen, eine Vererblichkeit des Besitzes anzuordnen, gewährte dem Erben aber possessorischen Besitzschutz qua ausdrücklicher Anordnung. Die Zweite Kommission hielt es dann für einfacher, den Besitzschutz mittels der Vererblichkeit des Besitzes zu gewährleisten. Eingehend zur Entstehung des § 857 BGB Choi, Besitzerwerb, 75–126; siehe auch Wieling, Sachenrecht I, 167 f.; Dorn, ZJS 4/2012, 497. 79 Siehe etwa Wacke, JA 1982, 243; Finkenauer, NJW 1998, 961; Muscheler, Erbrecht I, Rn. 8 05; Dorn, ZJS 4/2012, 497; Wieling, Sachenrecht I, 169, der allerdings zutreffend auch darauf hinweist, dass das Vorliegen eines Abhandenkommens i. S . d. § 935 BGB nicht aus § 857 BGB hergeleitet werden kann, da dieser nur den Besitzschutz regelt. Leleu, Transmission, Nr. 162 (106 Fn. 5) geht irrtümlich davon aus, dass § 935 BGB den Fall der Ersitzung (usucapion) regele. 80 Für andere blutsverwandte Rechtsnachfolger galt die im Text genannte Regel nicht, doch wurden mittels der Maxime „le mort saisit le vif“ auch für sie bestimmte Rechtsvorteile erstritten, siehe Saleilles, Bull.Soc.e.leg. 10 (1911), 83 f. 81 Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 559; Saleilles, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 309; Vialleton, in: Mélanges Roubier, 283. Voraussetzung war natürlich, dass das Lehen überhaupt vererblich war, dazu Mitteis/Lieberich, Deutsche Rechtsgeschichte, 89 f.; Fischer, Saisine, 19 f. 82 Lehnrecht 6 § 1, dazu Dorn, ZJS 4/2012, 491, 493 f. 83 Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 562 („arme de lutte“); Saleilles, Bull.Soc.e.leg. 10 (1911), 84 („arme de guere dirigée contre la féodalité“); Vialleton, in: Mélanges Roubier, 283.
C. Der Code civil
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halten würde; auch entging er den für die Einweisung erhobenen Abgaben.84 Zusätzlich erhielt der neue Vasall Besitzschutzansprüche gegen Dritte. 85 Für die vorliegende Thematik von besonderer Bedeutung ist nun, dass diese lehensrechtliche saisine auch das allgemeine französische Erbrecht in zweierlei Hinsicht nachhaltig beeinflussen sollte. Zum Ersten führte nämlich der verständliche Widerstand der Lehnsherren dazu, dass die französischen Juristen bei der Suche nach einer theoretischen Begründung der automatischen Einweisung Anleihen bei den römischen Quellen nahmen und neben der (vermeintlich römischen) Idee der Personenidentität von Erblasser und Rechtsnachfolger86 auch auf den automatischen Rechtserwerb der römischen Hauserben verwiesen. 87 Dieses „seltsame Amalgam“ von germanischen und römischen Rechtsgedanken88 förderte nicht nur die Fehlvorstellung, dass die Maxime „le mort saisit le vif“ ihren Ursprung im Lehnsrecht habe89 und Ergebnis einer verfehlten Interpretation römischer Quellen sei90 (dieser Vorwurf findet sich insbesondere bei Cujas91 und Savigny92); auch führte es dazu, dass das Institut der saisine mit der Idee der Persönlichkeitsfortsetzung und damit der unbeschränkten Haftung des héritier assoziiert wurde.93 Mit den Nachwirkungen dieser Verbindung sollte das französische Recht noch bis weit in das 20. Jahrhundert hinein zu kämpfen haben.94 84 Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 559; Fischer, Saisine, 20 f.; Krynen, Journal des savants 1984, 191. Nach Saleilles, Bull.Soc.e.leg. 10 (1911), 80 f., war das durch die automatische Besitzeinweisung umgangene „droit de relief ou de rachat“ des Lehnsherrn eine Kompensation für die Vererblichkeit des Lehens gewesen, die eine teilweise Enteignung bedeutet hatte. Bestritten wird die herkömmliche Darstellung von Smyth, McGill LJ 3 (1957), 174, dem zufolge erstens nicht vorstellbar ist, dass die Lehnsherren ihren Anspruch auf die Abgabe für die Einweisung so leicht aufgegeben hätten, und zweitens die Pflicht zur Zahlung durch den Erben auch lange nach Einführung der gesetzlichen Einweisung fortbestand. 85 Hierin sieht Smyth, McGill LJ 3 (1957), 174, der die herkömmlich angenommene Funktion der lehnsrechtlichen saisine ablehnt (siehe vorige Fn.), ihre eigentliche Bedeutung. 86 Dazu bereits oben § 3 A.V. (176 ff.). 87 Näher Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 561 f.; Saleilles, Bull.Soc.e.leg. 10 (1911), 81–83. Siehe auch Krynen, Journal des savants 1984, 190 f. 88 Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 562. 89 So z. B. auch noch Smyth, McGill LJ 3 (1957), 173. Weitere Nachweise und Kritik bei Dusi, La eredità giacente, Nr. 18 (37 f. Fn. 1); Saleilles, Bull.Soc.e.leg. 10 (1911), 80–82; siehe auch Fischer, Saisine, 9 f. 90 Gemeint ist Paul. D. 4, 6, 30, und dort die Passage „quia possessio defuncti quasi iniuncta descendit ad heredem“, siehe Dusi, La eredità giacente, Nr. 18 (37 Fn. 1). Ließ die Passage sich bei isolierter Betrachtung als allgemeine Regel zum Besitzübergang verstehen, bezog sie sich im konkreten Kontext allein auf den Ersitzungsbesitz, der vom Erben somit fortgesetzt werden konnte: Polacco, Delle successioni II, 41; Choi, Besitzerwerb, 20–22. Gegen den Ursprung der saisine im römischen Recht auch Smyth, McGill LJ 3 (1957), 172. Zum Thema auch unten Fn. 246. 91 Für Nachweise und Kritik siehe Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 559 f. („[…] le romaniste intransigeant qu’etait Cujas“). 92 Siehe Savigny, Das Recht des Besitzes, § 28 (324 Fn. 3 und 4); bekräftigt wird der wohl unberechtigte Vorwurf Savignys von Choi, Besitzerwerb, 72 f., 222. 93 Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 562; Saleilles, Bull.Soc.e.leg. 10 (1911), 84–86, 94. 94 Siehe zur langen Zeit umstrittenen Frage, ob Gesamtnachfolger ohne saisine beschränkt oder unbeschränkt haften, eingehend unten C.II.2f)(3) (361 ff.).
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§ 5 Strukturelle Kontinuitäten
Zum Zweiten liegt vermutlich im Feudalrecht die Ursache dafür, dass die Rechtsordnungen des droit coutumier das Institut der saisine im Laufe der Zeit strikt an die Blutsverwandtschaft koppelten und gewillkürten Rechtsnachfolgern die Befugnis zur sofortigen Inbesitznahme des Nachlasses damit verwehrten.95 Ausdruck fand diese Regel etwa in dem berühmten Art. 318 der Coutume de Paris: „Le mort saisit le vif son hoir plus proche et habile à lui succeder“.96 Der Begriff hoir war gleichbedeutend mit héritier und umfasste somit nicht die letztwillig bestimmten Rechtsnachfolger 97 (in den Ländern des droit écrit hingegen konnten auch diese Inhaber der saisine sein).98 Diese Verknüpfung der saisine mit der Blutsverwandtschaft sollte schließlich ein wesentlicher Grund für den Niedergang der Testamentsvollstreckung sein,99 auf den später noch einzugehen ist.100 (3) Weitere Anwendungsfälle Das Lehnsrecht war nicht das einzige Gebiet, auf dem der Satz „le mort saisit le vif“ über seine ursprüngliche Bedeutung hinaus für neue Zwecke in Dienst genommen wurde. So erfüllte er im römisch-rechtlich geprägten droit écrit die Funktion, den Außenerben, der an sich den Nachlass erst durch Antritt erwarb, weitgehend mit dem Hauserben gleichzustellen und ihm insbesondere zu ermöglichen, den Nachlass auch dann an seine Nachkommen weiterzugeben, wenn er vor Antritt verstorben war.101 Über die Maxime „le mort saisit le vif“ wurde mit anderen Worten die Vererblichkeit des Antrittsrechts begründet,102 die im römischen Recht erst unter Justinian als Grundsatz etabliert worden war.103 Schließlich wurde die Maxime „le mort saisit de vif“ gar dazu genutzt, die Bruchlosigkeit der französischen Thronfolge zu begründen.104 Starb der alte König, bedurfte sein Nachfolger keiner Einweisung in Form einer Krönungszeremonie oder anderer Formalitäten, sondern übernahm der genannten Vorstellung entsprechend das Zepter unmittelbar aus der Hand seines toten Vorgängers. Verwandt mit dieser staatsrechtlichen Dimension des Satzes „le mort saisit de vif“ sind die Aussprüche „le roi est mort, vive le roi“ und „le roi ne meurt jamais“.105 95
Saleilles, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 324 f.; dazu auch Smyth, McGill LJ 3 (1957), 180. Siehe etwa Pothier, Traité VIII, 111. 97 Pothier, Traité VIII, 111; Renaud, KritZRWissGdA 19 (1847), 124, 379. 98 Renaud, KritZRWissGdA 19 (1847), 379. 99 Saleilles, Bull.Soc.e.leg. 10 (1911), 87. Ausführlich zur saisine des Testamentsvollstreckers im droit coutumier Renaud, KritZRWissGdA 19 (1847), 381–391, dem zufolge die Vorstellung des Vollstreckers als des Repräsentaten des Verstorbenen eine wichtige Rolle bei der Erklärung spielte; siehe auch Fischer, Saisine, 33 f. 100 Siehe unten C.II.2d)(2) (347 ff.). 101 Renaud, KritZRWissGdA 19 (1847), 115 f.; Saleilles, Bull.Soc.e.leg. 10 (1911), 57 f., 79. 102 Smyth, McGill LJ 3 (1957), 177 f., weist zu Recht darauf hin, dass diese Rechtsfolge sich nicht mit einer Besitz-, sondern nur mit einer Rechtsübertragung erklären lässt. 103 Dazu Brenne, Erbanfall- und Erbantrittsprinzip, 8, 13. 104 Ausführlich dazu Krynen, Journal des savants 1984, 187–221. 105 Krynen, Journal des savants 1984, 188; Wacke, JA 1982, 243 f., der auch auf die deutsche Parallele „der Kaiser kann sterben, aber nicht das Reich“ hinweist. 96
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b) Bedeutung und Funktion im Code civil Obwohl das Institut der saisine bis heute einen Grundpfeiler des französischen Erbrechts bildet, ist es im Code civil nur bruchstückhaft geregelt.106 Dies ist einer der Gründe dafür, dass die saisine den französischen Juristen in vielen Punkten immer noch Kopfzerbrechen bereitet.107 Schlüsselvorschrift ist Art. 724 Code civil, der zwar seit 1804 mehrfach geändert wurde, dessen entscheidende Passage aber weiterhin lautet: „Les héritiers […] sont saisis de plein droit des biens, droits et actions du défunt“ (Hervorhebung hinzugefügt). Heutige Autoren betonen oft, dass die Frage nach der genauen Bedeutung dieser unscharfen Regelung108 weitgehend losgelöst vom historischen Ballast der saisine beantwortet werden müsse,109 und in der Tat wird sich zeigen, dass das Rechtsinstitut im Code civil weitgehend andere Aufgaben erfüllt als in den früheren Epochen. Zugleich lassen sich erwartungsgemäß aber auch historische Kontinuitäten feststellen. (1) Gleichsetzung von saisine und Eigentum? Bis weit in das 19. Jahrhundert hinein wurde Art. 724 Code civil vielfach als rechtliche Grundlage des automatischen Nachlassübergangs angesehen,110 und noch bei der von Heinsheimer herausgegebenen deutschen Übersetzung des Code civil aus dem Jahr 1932 wird die entscheidende Passage in diesem Sinne übersetzt.111 Diese Lesart des Art. 724 konnte sich neben anderen Autoren des 18. Jahrhunderts insbesondere auf Pothier stützen, der die Maxime „le mort saisit le vif“ im genannten Sinne verstanden und ihr Geltung im gesamten Königreich bescheinigt hatte.112 Konsequenz dieser Ansicht wäre allerdings auch, dass diejenigen Rechtsnachfolger, 106 Leleu, Transmission, Nr. 153; Meyer, in: Congrès des Notaires de France, La transmission, XXXVI, XXXIX („laconisme“); Libchaber, RTDCiv. 2016, Nr. 12. Nach Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 787, ist die Bedeutung der saisine vorrangig in der Rechtsprechung zu suchen. 107 Siehe etwa Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 550 („pleine d’obscurités“); Vialleton, in: Mélanges Roubier, 283 („[…] ce mécanisme difficile à pénétrer dans la transmission héréditaire […] une in stitution mal définissable“); Libchaber, RTDCiv. 2016, Nr. 12 („concept incertain“); wortspielerisch Leleu, Transmission, Nr. 160: „On n’imagine guère de concept juridique plus insaissisable.“ 108 Kritik an den Gesetzesverfassern üben wegen der unzureichenden Unterscheidung zwischen Eigentum und Besitz etwa Vialleton, in: Mélanges Roubier, 283, und Leleu, Transmission, Nr. 153, 163. 109 Siehe etwa Planiol/Ripert, Traité IV, Nr. 194 (317); Vialleton, in: Mélanges Roubier, 283 („Tout cela est intéressant, mais tout cela est mort“); Leleu, Transmission, Nr. 152. 110 Ausführlich Renaud, KritZRWissGdA 19 (1847), 404–412; siehe auch Coviello/Coviello, Delle successioni: Parte generale, 93. Eingehend zum Streitstand bis Ende des 19. Jahrhunderts Verdié, Transmission, 23–105. 111 „[…] treten von Rechts wegen ohne Weiteres in das Vermögen […] ein […]“ (Illch, in: Heinsheimer (Begr.), Zivilgesetze der Gegenwart I), Übersetzung Art. 924). 112 Pothier, Traité VIII, 111–114; dazu auch Verdié, Transmission, 24–26. Kritisch zur extensiven Handhabung der saisine im französischen Schrifttum des 18. Jahrhunderts Vialleton, in: Mélanges Roubier, 283.
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denen das Gesetz nicht von Rechts wegen die saisine zuspricht, nämlich die sog. successeurs irréguliers sowie grundsätzlich die Vermächtnisnehmer,113 dann noch nicht mit Eröffnung des Erbfalls in den Nachlass eintreten.114 Dies könnte in bestimmten Konstellationen zum Auftreten einer hereditas iacens führen, die der Code civil nach Ansicht vieler Autoren aber gerade vermeiden will und für die er auch gar keine allgemeinen Regelungen vorsieht.115 Wohl u. a. zur Vermeidung dieser Situation setzte sich schon vor langer Zeit die Ansicht durch, dass Art. 724 Code civil den automatischen Nachlassübergang nicht regele, sondern voraussetze, Erwerb der saisine und Erwerb des Eigentums mithin nicht gleichzusetzen seien.116 Hierdurch kam es zu einer endgültigen Entkoppelung von der historischen Bedeutung der saisine, wie sie im erbrechtlichen Schrifttum anderer Länder oftmals fortlebt (freilich ohne dass der Unterschied zum heutigen französischen Verständnis erkannt würde).117 Der Meinungsumschwung hinsichtlich der Bedeutung von Art. 724 Code civil lässt sich auch anhand der verschiedenen Auflagen von Zachariäs berühmtem „Handbuch des französischen Civilrechts“ nachvollziehen. So wird bis einschließlich zur 7. Auflage aus dem Jahr 1886 dem Art. 724 Code civil die Regelung des Eigentumsübergangs zugesprochen.118 Die 8., von Crome herausgegebene Auflage aus dem Jahr 1895 spricht an der betreffenden Stelle hingegen nicht mehr vom Übergang des Eigentums, sondern nur noch vom Übergang der saisine, ohne den Begriff an dieser Stelle zu erläutern.119
Als alternative Rechtsgrundlage für den automatischen Nachlassübergang wurde oftmals Art. 711 Code civil propagiert, die Einführungsvorschrift des dritten Buches über die „différentes manières dont on acquiert la propriété“.120 Doch wird 113
Dazu ausführlich unten C.II.2b)(3)–(4) (338 ff.). in der Tat etwa Renaud, KritZRWissGdA 20 (1848), 67–69, 78–81; Zachariä von Lingenthal, Handbuch IV7, § 609 (73), der sich allerdings an späterer Stelle zum Teil selbst widerspricht, wenn er alle Vermächtnisnehmer auf der Grundlage von Art. 1014 Code civil sofort das Eigentum erwerben sieht: § 716 (436). 115 Zu diesem Argument schon Verdié, Transmission, 32 f., 99; siehe auch Planiol/Ripert, Traité IV, Nr. 184. 116 Siehe bereits die Anmerkung von Bugnet zu Pothier, Traité VIII, 111 (Fn. 1); ferner etwa Verdié, Transmission, 133; Vialleton, in: Mélanges Roubier, 283, 286; Leleu, Transmission, Nr. 155; Meyer, in: Congrès des Notaires de France, La transmission, XXXVI, XL. Im Kontext des Rechts von Québec, das das Institut der saisine aus Frankreich übernommen hat, betont Smyth, McGill LJ 3 (1957), 175, 177, die Notwendigkeit, zwischen saisine und dem „transfer of ownership“ zu unterscheiden. Aus dem deutschsprachigen Schrifttum etwa Ferid/Firsching/Dörner/Hausmann/Ferid, Frankreich, Rn. 234; Neumayer, in: Mélanges Piotet, 497 f. Hingegen erblickt etwa Choi, Besitzerwerb, 51–53, in Art. 724 Code civil immer noch die rechtliche Grundlage des Anfallprinzips (wobei er die saisine dann allerdings widersprüchlicher- und zugleich irrigerweise mit „Besitz“ übersetzt, dazu auch unten C.II.2b)(2) (337 ff.). 117 Zur Gleichsetzung von saisine und Vonselbsterwerb oben Fn. 76. 118 Siehe etwa § 342 (164) (Bd. II) der 1. Auflage von 1808 und § 609 (70) (Bd. I V) der 7. Auflage von 1886 (herausgegeben von Dreyer). 119 Siehe § 619 (71 f.) (Bd. I V). 120 Von dieser Ansicht berichten etwa Verdié, Transmission, 30; Coviello/Coviello, Delle successioni: Parte generale, 93. Selbst im deutschen Schrifttum des 20. Jahrhunderts findet sich die 114 So
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darin die „succession“ lediglich als eine Möglichkeit des Eigentumserwerbs genannt, ohne nähere Regelung der Voraussetzungen.121 Aus diesem Grund nimmt die Mehrheit der Autoren heute an, dass der Ipso-iure-Erwerb des Nachlasses durch den Gesamtnachfolger eine ungeschriebene Regel des französischen Rechts ist.122 Zu unterscheiden von der hier diskutierten Frage, was der genaue Regelungsgehalt des Art. 724 Code civil ist, ist die vor allem im 19. Jahrhundert lebhaft geführte Kontroverse darüber, ob das französische Erbrecht überhaupt einen Nachlassübergang ipso iure vorsieht oder der Nachlass nicht vielmehr immer erst durch seine Annahme erworben wird. Hauptargument für die zweitgenannte, gewissermaßen „römische“ Auslegung des Code civil waren Art. 777 Code civil1804 und Art. 789 Code civil1804. Der erstgenannte sah vor, dass die Annahme der Erbschaft auf den Zeitpunkt ihrer Eröffnung zurückwirkt, der zweitgenannte, dass das Annahmerecht nach 30 Jahren verjährt. Beide Vorschriften fügen sich harmonisch in ein System des Antrittserwerbs ein, liegen jedoch quer zu einem System des Ipso-iure-Erwerbs.123 Doch obwohl beide Regelungen in ihrem Kern bis heute unverändert fortbestehen,124 wird die im 19. Jahrhundert von manchen gar als „Häresie“ empfundene These vom Antrittserwerb125 mittlerweile offenbar nicht mehr vertreten.126
(2) Saisine als Rechtsausübungsbefugnis Nach inzwischen wohl einhelliger Ansicht ist mit der durch Art. 724 Code civil zugewiesenen saisine die Befugnis gemeint, die Nachlassgegenstände ohne jegliche Formalität oder Genehmigung in Besitz zu nehmen (soweit sie nicht der Sachherrschaft einer anderen Person unterliegen127) und die im Nachlass vorhandenen Rechte im Verkehr geltend zu machen.128 Französische Autoren sprechen auch von einem „jus possidendi“129 oder einer Einweisung in die Rechtsausübungsbefugnis.130 Auffassung noch, siehe etwa Fischer, Saisine, 60 (Fn. 2); Kaiser, Rückwirkender Vermögensübergang?, 110. 121 Siehe auch Dusi, La eredità giacente, Nr. 25 (52); Leleu, Transmission, Nr. 47. 122 Dazu Leleu, Transmission, Nr. 46; ders., ERPL 6 (1998), 163 (Fn. 5); implizit auch Terré/ Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 749. 123 Eingehend Verdié, Transmission, 52–108, der selbst der These vom Antrittserwerb folgte; weitere Nachweise bei Leleu, Transmission, Nr. 52 (Fn. 2), dem zufolge diese Auffassung in Belgien prominente Befürworter in Person von De Page und Dekkers hatte. 124 Siehe Art. 7 76, 780 Code civil. 125 Verdié, Transmission, 36. 126 Eingehend zur Verteidigung des Ipso-iure-Erwerbs Leleu, Transmission, Nr. 52–106. 127 Die saisine ermächtigt also nicht zur Selbstjustiz. 128 So etwa schon Bugnet in seiner Anmerkung zu Pothier, Traité VIII, 111 (Fn. 3); ferner etwa Brown, ICLQ 3 (1954), 631: „La saisine is the right of the heirs to take immediate possession of the deceased’s estate without any previous formalities“; Meyer, in: Congrès des Notaires de France, La transmission, XXXVI, XL („[…] ni la propriété, ni la possession“); Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 798. Eingehend Leleu, Transmission, Nr. 152–174. Zwischen saisine im engeren und saisine im weiteren Sinne unterscheidet Héron, Morcellement, Nr. 91. Im Recht von Québec wird die saisine ebenfalls im genannten Sinne verstanden, siehe Smyth, McGill LJ 3 (1957), 171, 175. 129 Catala, Droit de la famille 2006, étude 43, Nr. 2. 130 Siehe Leleu, Transmission, Nr. 154 („investiture de la maîtrise effective des biens héréditaire […]“). Von einem „pouvoir (plutôt que droit)“ spricht Catala, Droit de la famille 2006, étude 43, Nr. 2
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§ 5 Strukturelle Kontinuitäten
Irreführend ist es deshalb, die Wirkung der saisine mit dem „Übergang des Besitzes“ zu bezeichnen,131 wie dies in deutschsprachigen Texten zum französischen Recht oftmals geschieht. Denn hierbei wird nicht klar genug unterschieden zwischen der tatsächlichen Sachherrschaft, die naturgemäß unvererblich ist, und der Befugnis zu ihrer Begründung.132 Freilich unternehmen auch französischsprachige Autoren oftmals den wenig hilfreichen Versuch, die saisine als Einweisung in den Besitz133 oder als besondere Art der possession zu erklären.134 Schließlich ist aber auch die Gleichsetzung von saisine und „Erbenbesitz“135 missverständlich, jedenfalls wenn man diesen im Sinne von § 857 BGB versteht. Denn obgleich mit der Inhaberschaft der saisine auch possessorischer Besitzschutz verbunden ist,136 reicht, wie im Folgenden zu sehen ist, die Funktion des Instituts deutlich darüber hinaus. (3) Gestattungs- und Abwehrfunktionen der saisine Weist die saisine i. S. d. Art. 724 Code civil als eine Art äußeres Pendant des Rechtsübergangs zwar Parallelen zum historischen Ursprung der Maxime „le mort saisit le vif“ auf, liegt ihr Zweck dennoch nicht etwa darin, dem Nachlassübergang ideelle Publizität zu verleihen und dadurch überhaupt erst zu ermöglichen; von einem solchen Erfordernis hat sich das französische Recht natürlich längst frei gemacht. Stattdessen erfüllt das Institut der saisine im Erbrecht des Code civil im doppelten Sinne eine Schutzfunktion: Positiv ermächtigt es die auserkorenen Personen dazu, sich des Nachlasses anzunehmen und die erforderlichen Verwaltungsmaßnahmen vorzunehmen; negativ wird über das Institut der saisine allen anderen Personen der eigenmächtige Zugriff auf den Nachlass verweigert.137 131 So etwa Trockels, Erbengemeinschaft, 188; Döbereiner, ZEuP 2010, 379 f.; Süß/Döbereiner, Frankreich, Rn. 89; Gresser, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 129, 142 (zutreffend hingegen ebd., 141: „Recht, Nachlass in Besitz zu nehmen“); Choi, Besitzerwerb, 51 f.; irreführende Gleichsetzung von saisine und possession auch bei Kaiser, Rückwirkender Vermögensübergang?, 111 f. Entgegen Schmoeckel, Erbrecht, § 4 Rn. 16, meint saisine unter dem Code civil auch keine „Besitz ergreifung“, erst recht keine „feierliche“. Nicht nur verfehlt, sondern überdies widersprüchlich Le Guen, Absicherung des überlebenden Ehegatten, die saisine erst mit dem Anfall der Erbschaft gleichsetzt (9 Fn. 26) und dann mit dem „Besitzübergang kraft Gesetzes“ (83). Zutreffend dagegen etwa Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht III, Rn. 5 D 2 f. (Titel zur Rechtsausübung); Ferid/Firsching/Dörner/Hausmann/Ferid, Frankreich, Rn. 234; Fischer, Saisine, 89 (Möglichkeit der Inbesitznahme, ohne Notwendigkeit der Ermächtigung). Auch Ferid/Firsching/Dörner/Hausmann/Limbach, Frankreich, vermeidet es in seiner deutschen Übersetzung des Art. 724 Code civil zu Recht, vom Übergang des Besitzes zu sprechen, und gebraucht stattdessen die Formulierung „[…] werden von Rechts wegen […] eingewiesen“. 132 Dass saisine nicht im Sinne tatsächlicher Sachherrschaft zu verstehen ist, betonen Terré/ Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 798 (716). 133 So etwa Vialleton, in: Mélanges Roubier, 286 („investiture de possession“). 134 So ist etwa die Rede von einer „anticipation légale de la possession de fait“ und „une possession sui generis“, siehe Leleu, Transmission, Nr. 156. Ähnlich spricht Smyth, McGill LJ 3 (1957), 175, von der „legal possession as distinguished from possession in fact“. 135 So Trockels, Erbengemeinschaft, 7. 136 Dazu unten Fn. 139. 137 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 788; Grimaldi, Successions, Nr. 406.
C. Der Code civil
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Während durchaus fraglich ist, ob das Institut der saisine in seiner gestattenden Funktion, die eine historische Parallele zum Lehnsrecht aufweist, überhaupt erforderlich ist,138 ist seine verneinende Wirkung von erheblicher praktischer Bedeutung. Denn sie zielt keineswegs nur auf Dritte, die sich unbefugten Zugang zum Nachlass verschaffen, auch wenn über das Institut den Berechtigten in diesen Fällen ein possessorischer Besitzschutz gewährt wird.139 Stattdessen sind in erster Linie bestimmte Arten von Rechtsnachfolgern betroffen, denen das Gesetz mit Misstrauen begegnet und deren Inbesitznahme des Nachlasses es deshalb einer vorbeugenden Kontrolle unterwirft. Die saisine wird nämlich keineswegs strikt an die rechtliche Trägerschaft des Nachlasses gekoppelt, sondern grundsätzlich in den Händen der héritiers (im technischen Sinne) konzentriert – und damit der Familienangehörigen des Verstorbenen. Nicht zur Familie gehörenden légataires hingegen fehlt die saisine in der Regel.140 Hinterlässt der Erblasser beispielsweise Kinder, setzt er aber seine Lebensgefährtin zur Universalvermächtnisnehmerin ein, so sind die Kinder als héritiers mit Eröffnung des Erbfalls Inhaber der saisine, während die Lebensgefährtin „nur“ Trägerin des Nachlasses ist. Die Unabhängigkeit der saisine von der Rechtsinhaberschaft zeigt sich nicht nur darin, dass sie stets den ganzen Nachlass umfasst, selbst wenn ihrem Inhaber bei wirtschaftlicher Betrachtung nur eine Quote davon zusteht. Auch kann bei einer Mehrheit von héritiers jeder davon die saisine für den gesamten Nachlass ausüben, zumindest wenn hierfür eine praktische Notwendigkeit besteht.141 Das Schrifttum diskutiert dies unter dem Stichwort der „indivisibilité de la saisine“.142
Folge ihrer fehlenden saisine ist, dass die Lebensgefährtin sich nicht eigenmächtig in den Besitz der Nachlassgegenstände setzen darf und auch im Übrigen ihre Rechtsstellung nicht nach außen geltend machen kann, etwa durch Herausgabeverlangen gegenüber einem Dritten.143 Stattdessen muss sie, unabhängig von einer eventuellen Reduktion des Vermächtnisses wegen Verletzung der frei verfügbaren Quote, die Kinder zunächst um Auslieferung (délivrance) ersuchen.144 Diese Aus138 Dieser Punkt ist näher im rechtsvergleichenden Kontext zu erörtern, dazu unten C.II.2e)(1) (352 ff.). 139 Leleu, Transmission, Nr. 162; Fischer, Saisine, 91. 140 Art. 724 Abs. 1 und Abs. 2 Code civil. 141 In der Praxis kann der agierende Miterbe freilich auf Widerstand stoßen, Leleu, Transmission, Nr. 168, 886, 906–908. 142 Leleu, Transmission, Nr. 164 f.; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 795, die zum einen auch auf die seit 2006 gesetzlich vorgesehene Möglichkeit hinweisen, im Falle der Uneinigkeit zwischen Miterben die gerichtliche Einsetzung eines „administrateur provisoire“ zu beantragen (Art. 813-1 Code civil), zum anderen auch betonen, dass bei der délivrance keine Gesamtausübung der saisine stattfindet. 143 Möglich ist allein die Vornahme von Handlungen zum Schutz oder zur Erhaltung der betreffenden Nachlassgegenstände, siehe Planiol/Ripert, Traité V, Nr. 6 42; Jurisclasseur, Droit Civil (-Vigneau), Art. 1003 à 1013 (Lieferung 20, 22.1.2017) Nr. 60. Nach Verdié, Transmission, 136 f., soll allerdings vor der délivrance auch schon eine Veräußerung der betreffenden Nachlassgegenstände möglich sein. 144 Art. 1004, 1011 Code civil.
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§ 5 Strukturelle Kontinuitäten
lieferung erfüllt nicht den Zweck einer Rechtsübertragung, da der Vermächtnisnehmer das Eigentum ja bereits innehat.145 Vielmehr stellt die délivrance eine Art Freigabeerteilung dar, die grundsätzlich an keinerlei Form geknüpft146 und notfalls gerichtlich zu erzwingen ist.147 Kann der Legatar ohne saisine bis zur Auslieferung des Nachlasses sein Eigentum nicht nach außen geltend machen und unter Umständen auch nicht gegenüber dem héritier die Nutzungen für diesen Zeitraum beanspruchen,148 fragt sich natürlich, ob die Rede der französischen Lehre von der Eigentümerstellung des Legatars149 wirklich zutreffend ist. Ein im 19. Jahrhundert entwickelter Erklärungsansatz ist die Unterscheidung zwischen dem mit dem Erbfall begründeten relativen, d. h. nur gegenüber dem héritier wirkenden Eigentum und dem erst mit der délivrance erlangten absoluten, d. h. auch Dritten gegenüber wirkenden Eigentum.150 Andere wollen den Rechtsnachfolgern ohne saisine bis zur délivrance nur ein Anwartschaftsrecht als „wesensgleiches Minus“ zum Volleigentum zugestehen.151 Wie immer 145
Leleu, Transmission, Nr. 78. Gegenstand des Vermächtnisses ein Grundstück, bedarf die délivrance der notariellen Form, siehe Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 814 (733). 147 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 814 (733). Die Entscheidung erfolgt nach summarischer Prüfung und entbehrt der materiellen Rechtskraft, siehe Leleu, Transmission, Nr. 200, 205 f. Zu unterscheiden ist die délivrance als Anerkenntnis der Berechtigung von der Erfüllung (paiement) des Vermächtnisses, etwa durch Besitzübertragung. Letztere muss der Vermächtnisnehmer ggf. gesondert einklagen, siehe Leleu, Transmission, Nr. 205 (137); Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 815 (735). 148 Hier ist zwischen den einzelnen Vermächtnisarten zu differenzieren: Der Einzelvermächtnisnehmer hat nach Art. 1014 Abs. 2, 1015 Code civil grundsätzlich erst ab dem Zeitpunkt der délivrance ein Recht auf die „fruits ou intérêts“. Dem Universalvermächtnisnehmer stehen nach Art. 1005 Code civil dagegen die Nutzungen schon ab dem Moment des Todes zu, sofern er die délivrance innerhalb eines Jahres verlangt. Interessant ist die Frage nach der Ratio der Regel, dass die Nutzungen anderenfalls dem héritier zustehen. Leleu, Transmission, Nr. 122, sieht hierdurch nicht den sofortigen Eigentumserwerb des Legatars infrage gestellt, sondern betrachtet die etwaige Zuweisung der Nutzungen als Kompensation für den Verwaltungsaufwand des héritier. Juris classeur, Droit Civil (-Vigneau), Art. 1003 à 1013 (Lieferung 20, 22.1.2017) Nr. 6 4, will demgegenüber den héritier vor übermäßig belastenden Erhaltungspflichten schützen. Rechtspolitische Kritik an der eingeschränkten Nutzungsberechtigung der Legatare äußert Grimaldi, Successions, Nr. 438. Für den Anteilsvermächtnisnehmer ist keine Regelung über die Nutzungen getroffen, die Rechtsprechung stellt ihn aber dem Universalvermächtnisnehmer gleich: Grimaldi, Successions, Nr. 438; Jurisclasseur, Droit Civil (-Vigneau), Art. 1003 à 1013 (Lieferung 20, 22.1.2017) Nr. 81. 149 Siehe etwa die klare Aussage bei Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 815: „La délivrance ne rend pas le légataire propriétaire; il l’est depuis le décès.“ Ähnlich Jurisclasseur, Civil Code (-Vigneau), Art. 1014 à 1024 (Lieferung 70, 13.8.2018) Nr. 34. Siehe auch schon oben C.II.2b) (1) (335 f.). 150 Dazu Verdié, Transmission, 174–178; siehe auch Zachariä/Crome, Handbuch IV8 , § 729 (464), wo Crome zwischen „Eigentum“ und „gegen Dritte verfolgbare[m] Eigentum“ unterscheidet und die in den Vorauflagen von Zachariä getroffene Differenzierung zwischen dem „Eigenthum an dem Legat“ und dem „Eigenthum an den darin enthaltenen Gegenständen“ kritisiert (Fn. 1). Im neueren deutschen Schrifttum findet sich die Erklärung vom „relativen Eigentum“ bei Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht III, Rn. 5 C 121; Gärtner, Vindikationslegate, 25; Titz, Vindikationslegat, 141 f. Zum Thema auch J. P. Schmidt, RabelsZ 77 (2013), 20. 151 Fischer, Saisine, 97 f., 113, der die entsprechenden Personen deshalb auch nur als „Erbanwärter“ bezeichnen möchte; dem folgend Kaiser, Rückwirkender Vermögensübergang?, 113. Ähnlich 146 Ist
C. Der Code civil
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man die Situation auch erklärt, zeigt sich jedenfalls, dass das Institut der saisine trotz seiner Unterscheidung vom Begriff des Eigentums zu einer sachenrechtlichen Gemengelage führt.
Über das Institut der saisine wird den Familienangehörigen des Verstorbenen somit implizit die Kompetenz zur Ex-ante-Kontrolle des erbrechtlichen Erwerbs letztwillig bestimmter Rechtsnachfolger zugewiesen, womit sich seine Funktion als „police juridique“152 und sogar als „police privée“153 offenbart.154 Schlossen die Schöpfer des Code civil letztwillige Zuwendungen an familienfremde Dritte zwar nicht aus, räumten sie dennoch zwecks vorbeugender Abwehr von „Eindringlingen“155 denjenigen Nachlassbeteiligten, deren Berechtigung leichter feststellbar und weniger fehleranfällig ist156 – und die oftmals ohnehin die faktische Herrschaft über den Nachlass innehaben157 –, quasirichterliche Befugnisse zur Überprüfung des Testaments ein.158 Sollen hierdurch in erster Linie irreversible oder jedenfalls nur unter großem Aufwand rückgängig zu machende rechtsgrundlose Vermögensverschiebungen verhindert werden,159 liegt es nahe, in den Regeln über die Zuweisung der saisine zugleich einen Ausdruck für die in den Augen des Gesetzgebers geringere Dignität der testamentarischen Berufung zu sehen.160 Konsequenterweise steht die Zuweisung der saisine auch nicht zur Disposition des Verstorbenen,161 wobei weiter unten zu sehen sein wird, dass mit der 2006 erfolgten Einführung der postmortalen Vollmacht (mandat à effet posthume) eine erhebliche Bresche in diesen Grundsatz geschlagen wurde.162 Pointiert gesagt, verwirklichen sich im Institut der saisine somit zwei Grundprinzipien des französischen Erbrechts: seine Staatsferne und seine starke Orientierung an den Familieninteressen. Wie freilich in den folgenden beiden Abschnitten zu zeigen ist, erfährt das Prinzip der Staatsferne mitunter auch empfindliche Einhatte die Cour de cassation in einer Entscheidung von 1939 dem légataire particulier vor Auslieferung nicht das Eigentum, sondern nur ein nicht näher bestimmtes „droit réel“ zugesprochen, siehe die Kritik bei Verdié, Transmission, 136, 139. 152 Vialleton, in: Mélanges Roubier, 286; Grimaldi, Successions, Nr. 409. 153 Leleu, Transmission, Nr. 159, 902; siehe auch ebd., Nr. 883 („police interne“), Nr. 894 („police héréditaire“). 154 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 791. 155 Vgl. Héron, Morcellement, Nr. 92 („intrus“). 156 Vialleton, in: Mélanges Roubier, 286 f.; Héron, Morcellement, Nr. 92; Goré, L’administration des successions, 35. 157 Leleu, Transmission, Nr. 165. 158 Leleu, Transmission, Nr. 201 spricht von einer „magistrature domestique“ zur Überprüfung der „régularité apparente du testament“ sowie von einer „compétence partagée entre les héritiers et le juge“. Siehe auch ebd., Nr. 9 02. Die Funktion, die „vraisemblance du titre successoral“ zu gewährleisten, betont auch Grimaldi, Successions, Nr. 409, dem zufolge dieser Zweck auch im Zentrum der gesetzgeberischen Debatten stand (ebd., Fn. 9). 159 Leleu, Transmission, Nr. 158, 164, 187, 191, der auch auf den Fall der Herabsetzung eines exzessiven Vermächtnisses hinweist. 160 Vgl. Vialleton, in: Mélanges Roubier, 287 („une certaine infériorité naturelle“); ungenau hingegen Fischer, Saisine, 37 f., der von einer „Ablehnung“ der testamentarischen Nachfolge spricht, die aber gerade nicht Merkmal des Code civil ist. 161 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 793. 162 Näher unten C.II.2d)(3) (349 ff.).
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§ 5 Strukturelle Kontinuitäten
schränkungen, indem in bestimmten Fällen die Einweisung in den Nachlass gerichtlich erfolgen muss. (4) Die saisine des Universallegatars In einem Fall erhält auch der Universalvermächtnisnehmer ungehinderten Zugang zum Nachlass,163 nämlich wenn keine héritiers réservataires vorhanden sind und er durch notarielles Testament (und nicht bloß durch eigenhändiges oder mystisches164) eingesetzt wurde.165 Auf den ersten Blick ist diese Regelung logische Folge der dargestellten Ziele der saisine: Denn zum einen haben die entfernteren Verwandten des Verstorbenen neben dem Universallegatar keine Berechtigung mehr am Nachlass,166 zum anderen verbürgt die genannte Form in besonderem Maße die Echtheit und Gültigkeit der Verfügung.167 Und dennoch erweist sich die Konzeption des französischen Gesetzgebers bei näherer Betrachtung als inkonsistent. Denn wenn die Prämisse lautet, dass letztwilligen Verfügungen grundsätzlich mit Misstrauen zu begegnen ist, dann müsste den entfernteren héritiers genau dieselbe Kontrollbefugnis eingeräumt werden wie den näheren. Auch wenn ihr gesetzliches Erbrecht nämlich keinen Schutz gegenüber wirksamen letztwilligen Verfügungen genießt, ist es dem Risiko einer nur scheinbar wirksamen, da z. B. gefälschten letztwilligen Verfügung dennoch genauso ausgesetzt. Stellt man sich hingegen auf den Standpunkt, dass die notarielle Form hinreichende Garantie für die Authentizität der letztwilligen Verfügung bietet, dann ist zu fragen, warum dies nicht auch dem Kontrollrecht der héritiers réservataires den Boden entzieht. Es offenbart sich somit der Kompromisscharakter der gezeigten Regelung. Zudem wird deutlich, dass die saisine den Familienangehörigen des Verstorbenen die Kompetenz zur Überprüfung letztwilliger Verfügungen entgegen dem im französischen Schrifttum oftmals erweckten Eindrucks nicht pauschal verleiht, sondern immer nur insoweit, als sie auch im Fall einer wirksamen Verfügung noch in bestimmtem Umfang am Nachlass partizipieren. Anstatt in dieser Situation beiden Arten von Nachfolgern zugleich den Zugriff auf den Nachlass zu gestatten oder dem Nachfolger mit gesetzlichem Berufungsgrund zuzumuten, vom letztwillig ernannten Nachfolger das ihm Gebührende herauszuverlangen, optierte der französische Gesetzgeber für die Zurücksetzung des letztwillig berufenen Nachfolgers, 163
Formulierung von Catala, Droit de la famille 2006, étude 43, Nr. 1 f. („libre accès“). Eingehend zu den Testamentsformen des französischen Rechts Pintens, Testamentary Formalities, 51–70. Beim „testament mystique“ wird das vom Testator niedergeschriebene Testament dem Notar in einem verschlossenen Umschlag übergeben, näher Art. 976 Code civil. 165 Art. 1006, 1008 Code civil. Zum Fall, dass eine Person die Rollen von héritier und légataire auf sich vereinigt, Leleu, Transmission, Nr. 194–196, 203; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 792. 166 Zu dieser Erwägung etwa Leleu, Transmission, Nr. 185 f.; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 791. 167 Zu dieser Erwägung etwa Leleu, Transmission, Nr. 191, 193; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 812. 164
C. Der Code civil
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um auf diese Weise sicherzustellen, dass er sich nicht mehr vom Nachlass nimmt, als ihm zusteht. Betrachtet man den Vorgang aus Sicht des héritier réservataire, gewährt ihm die saisine also ein Mittel zur Durchsetzung seiner zwingenden Nachlassbeteiligung. Nicht klar ist allerdings, wie sich der Auslieferungsanspruch des Universalvermächtnisnehmers und die Herabsetzungsklage des héritier réservataire in der Praxis zueinander verhalten. Die in Art. 924 Code civil geregelten Zahlungsansprüche des Vorbehaltserben scheinen dafür zu sprechen, dass der Universallegatar zunächst den gesamten Nachlass erhält und dann den entsprechenden Anteil zurückgibt, sei es in Natur oder in Geld. Konsequenter im Sinne der oben geschilderten Konzeption erschiene es hingegen, wenn der légataire den Nachlass erst erhält, nachdem er den Vorbehaltserben ausbezahlt oder zumindest Sicherheit geleistet hat.
Kommt es wie gesehen darauf an, ob den gesetzlichen Erben neben den testamentarisch bedachten Personen eine Nachlassbeteiligung bleibt, erklärt sich auch, warum dem Anteilsvermächtnisnehmer und dem Einzelvermächtnisnehmer im Gegensatz zum Universalvermächtnisnehmer niemals die saisine zukommt. Denn indem ihnen definitionsgemäß nicht der gesamte Nachlass zugewiesen ist, konkurrieren sie stets mit Rechtsnachfolgern, die nach der gesetzlichen Wertung dem Nachlass näher stehen. Aus diesem Grund müssen Anteils- und Einzelvermächtnisnehmer entweder von den héritiers réservataires, vom Universalvermächtnisnehmer oder von den übrigen gesetzlichen Erben die Einweisung verlangen.168 Dass Anteils- und Einzelvermächtnisnehmer dann, wenn keine der genannten Personen vorhanden ist, die Einsetzung eines Nachlasspflegers (curateur à succession vacante) beantragen müssen, der daraufhin die Auslieferung vornimmt,169 findet die Rechtfertigung erneut darin, dass Anteils- und Einzelvermächtnisnehmer immer nur Anspruch auf einen Teil des Nachlasses haben. Konsequent im Sinne der genannten Konzeption war schließlich, dass bis zu einer 2016 erfolgten Reform der nicht mit Vorbehaltserben konkurrierende, aber nur durch eigenhändiges oder mystisches Testament170 eingesetzte – und damit aus Sicht des Gesetzgebers unzureichend legitimierte – Universallegatar nicht die entfernteren Verwandten des Erblassers um Einweisung in den Nachlasses ersuchen musste, sondern ein Gericht. Stellte dieses die Echtheit des Erwerbstitels fest, gewährte es dem Universallegatar die envoi en possession,171 die somit das behördliche Gegenstück zur délivrance war. An sich läge es nahe, den eigentlichen Grund für diese Regelung darin zu sehen, dass ein Gericht die Wirksamkeit einer letztwil168 Art. 1011 Code civil, der auf die Regelung zum Einzelvermächtnisnehmer in Art. 1014 Abs. 2 Code civil verweist. 169 Leleu, Transmission, Nr. 200; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 814 (733). 170 Dazu oben Fn. 164. 171 Art. 1008 Code civil, aufgehoben durch Gesetz 2016-1547 vom 18. November 2016. Näher zu den praktischen Einzelheiten Brown, ICLQ 3 (1954), 634. Die Entscheidung des Gerichts erfolgte nach summarischer Prüfung und erwuchs nicht in materieller Rechtskraft, siehe Leleu, Transmission, Nr. 192; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 812, denen zufolge dem Universallegatar überdies schon vor der Einweisung eine beschränkte Form der saisine zukam.
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§ 5 Strukturelle Kontinuitäten
ligen Verfügung viel sachkundiger beurteilen kann als eine Privatperson. Doch stellte sich auch dann wieder die Frage, wieso das Gesetz in den anderen Fällen diese Aufgabe den héritiers durchaus zutraut. Dass der französische Gesetzgeber im Jahr 2016 die Zeit für eine Aufhebung der betreffenden Regelung (Art. 1008 Code civil) gekommen sah, bedeutet nur auf den ersten Blick eine Aufgabe des traditionellen Kontrollerfordernisses. Denn durch die zeitgleich erfolgte Änderung des Art. 1007 Code civil werden eigenhändiges und mystisches Testament nun einer verstärkten notariellen Prüfung bei ihrer Eröffnung unterzogen.172 Im Ergebnis ist damit die vorbeugende Legitimationskontrolle nur vorverlagert worden.
(5) Das Einweisungserfordernis der successeurs irréguliers Neben den Vermächtnisnehmern versagte der Code civil lange Zeit auch einer Gruppe gesetzlich bestimmter Rechtsnachfolger die saisine und damit die eigenmächtige Ergreifung des Nachlasses, nämlich den sog. successeurs irréguliers.173 Hierzu zählten nach der Regelung von 1804 neben dem Staat zum einen die unehelichen Kinder (enfants naturels), zum anderen der überlebende Ehegatte.174 Während die 1896 abgeschaffte Zurücksetzung der unehelichen Kinder nicht in Zweifeln an der Berechtigung gründete, sondern ein moralisches Unwerturteil ausdrückte,175 war die Versagung der saisine im Fall des Ehegatten (der typischerweise die Sachherrschaft über den Nachlass ausübte!) mit der großen Unsicherheit seiner Berechtigung zu erklären.176 Denn wie eingangs bereits erwähnt, kamen Witwen und Witwer nur unter der Voraussetzung zum Zuge, dass kein einziger Verwandter des Verstorbenen bis einschließlich zum 12. Grad vorhanden war. Da es dann freilich auch keinen héritier gab, der dem überlebenden Ehegatten den Nachlass hätte ausliefern können, trat an die Stelle der privaten délivrance wie in der oben genannten Konstellation eine richterliche Besitzeinweisung (envoi en possession).177 Für den Fall, dass nach dieser doch noch vorrangig berufene Personen auftauchten, wurden dem eingewiesenen überlebenden Ehegatten überdies strenge Vorgaben zur Inventarisierung und Verwaltung des Nachlasses gemacht.178 War diese Opferung des Prinzips der Staatsferne auch konsequent im Sinne des oben genannten Ziels, die wahren Erbberechtigten vor „Usurpatoren“179 zu schützen, lässt sich dennoch nicht der Eindruck einer zusätzlichen Demütigung des durch den historischen Gesetzgeber ohnehin schon stark zurückgesetzten überlebenden Ehegatten vermei172
Piédelièvre, Successions et liberalités, 207 f. Siehe die Kapitelüberschrift vor Art. 766 Code civil1804. 174 Zu beachten ist, dass, obgleich das Gesetz hier genauso vom envoi en possession sprach wie im Fall des (inzwischen aufgehobenen) Art. 1008 Code civil, in verfahrensrechtlicher Hinsicht bedeutende Unterschiede bestanden: Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 810–812. 175 Vialleton, in: Mélanges Roubier, 287 („objet de suspicion et desfaveur“); Leleu, Transmission, Nr. 180; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 790. 176 Vialleton, in: Mélanges Roubier, 287; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 790. 177 Art. 724 Abs. 2 Code civil1804. 178 Näher Brown, ICLQ 3 (1954), 633 f. 179 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 788. 173
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den. Denn die Erbberechtigung von weit entfernten Verwandten des Verstorbenen, beispielsweise solche des 11. oder 12. Grades, war kaum weniger prekär als die des Ehegatten. Und dennoch wurde diesen Personen die saisine zugestanden. Erst nachdem die Stellung des überlebenden Ehegatten eine schrittweise Aufwertung erfahren hatte, wurde ihm 1958 konsequenterweise180 auch von Rechts wegen die saisine gewährt.181 Heute gibt es daher nur noch einen auf die gerichtliche Einweisung angewiesenen successeur irrégulier, nämlich den Staat als letztberufenen und deshalb in seiner Legitimation besonders fragilen182 Rechtsnachfolger.183 Im Übrigen beschränken sich die „forces sélectives de la saisine“ auf die testamentarische Erbfolge.184 c) Saisine und Legitimation im Rechtsverkehr Wenn der Code civil ursprünglich kein Zeugnis zur Legitimation der erbrechtlichen Nachfolger im Verkehr mit Dritten vorsah, etwa nach Art eines deutschen Erbscheins oder eines englischen grant of probate, so lässt sich ein Grund hierfür darin sehen, dass der gerichtliche envoi en possession eine solche Legitimierung auto matisch mit sich bringt185 und dies in vermindertem Umfang auch noch für die dé livrance durch den aufgrund seiner Blutsverwandtschaft legitmierten héritier gilt. Den Zweck der saisine im Nachweis der Berechtigung zu sehen und sie somit als funktionales Äquivalent zum deutschen Erbschein zu betrachten,186 ist dennoch verfehlt. Denn erstens wird hierbei übersehen, dass die vorrangige Funktion von délivrance und envoi en possession nicht in der Unterstützung des Nachfolgers liegt, sondern in der vorbeugenden Kontrolle seiner Berechtigung.187 Zweitens helfen délivrance und envoi en possession denjenigen nicht bei der Legitimation im Rechtsverkehr, die aufgrund automatischer Innehabung der saisine gar nicht auf sie angewiesen sind, also den héritiers. Wird es zwar nahen Angehörigen wie Kindern und Ehegatten jedenfalls in kleinen Gemeinden oftmals gelingen, ihre Rechtsstel180
Siehe auch Leleu, Transmission, Nr. 179. Zimmermann, RabelsZ 80 (2016), 62 f. 182 Vialleton, in: Mélanges Roubier, 287. Die bei einem sofortigen Zugriffsrecht bestehende Gefahr staatlicher Missbräuche betont Meyer, in: Congrès des Notaires de France, La transmission, XXXIX. Wenn Leleu, Transmission, Nr. 197, meint, dass es bei der Einweisung des Staates nicht um eine Kontrolle des Erwerbstitels gehe, sondern nur um die Feststellung, dass keine vorrangig berufenen Personen vorhanden sind, dann verkennt er, dass das eine die Kehrseite des anderen ist. 183 Art. 724 Abs. 3 Code civil. Keine Rolle spielt in diesem Zusammenhang, dass der Staat heute nicht als héritier im technischen Sinne betrachtet wird, siehe Pérès, Intestate Succession, 45 (anders demgegenüber etwa noch Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 541 Fn. 2 („un véritable droit de succession“)). Die Ausnahmestellung des Staates betont auch Vialleton, in: Mélanges Roubier, 288. 184 Vialleton, in: Mélanges Roubier, 288. 185 Brown, Tulane LR 33 (1959), 635. 186 So Leleu, Transmission, Nr. 157 (Fn. 1), Nr. 182 f., 190; ders., ERPL 6 (1998), 164; Kaiser, Rückwirkender Vermögensübergang?, 112. 187 Siehe oben C.II.2b)(3) (338 ff.). 181 Näher
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lung auch ohne Legitimationszeugnis nachzuweisen, dürfte die Person des héritier in der deutlichen Mehrzahl der Fälle für Außenstehende keineswegs ohne Weiteres erkennbar sein.188 Dies erklärt, warum das Institut der saisine nichts am Bedürfnis eines Legitimationsnachweises ändert189 und die Praxis von einem solchen in Gestalt des notariellen acte de notoriété seit Langem auch massiv Gebrauch macht.190 Zugleich widerlegt die unterschiedliche Funktion beider Institute die Ansicht, dass die Verfügbarkeit eines Legitimationszeugnisses die saisine als Rechtsinstitut entbehrlich gemacht habe.191 Nicht nur wird hierbei die durch die saisine bewirkte Kompetenzzuweisung im Verhältnis zwischen Familienangehörigen und Außenstehenden verkannt, auch wird übersehen, dass der acte de notoriété älter ist als der Code civil und somit gar keine nachträgliche Schöpfung darstellt.192 d) Angriffe auf das Institut der saisine Betrachtet man das Institut der saisine aus dem Blickwinkel der nahen Familienangehörigen des Verstorbenen, garantiert es, wie gesehen, deren ungehinderten Zugang zum Nachlass. Es überrascht nicht, dass diese Garantie im Laufe der Zeit von verschiedener Seite Attacken erfuhr.193 Wie der folgende Überblick zeigt, konnte sich die saisine gegen diese Angriffe lange Zeit erstaunlich gut behaupten, musste in jüngerer Zeit aber eine empfindliche Niederlage einstecken, die manchem französischen Gelehrten gar als Erschütterung der über 200 Jahre alten Grundfesten erschien. (1) Schutz von Fiskalinteressen In den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Recht der héritiers auf Inbesitznahme des Nachlasses in mehrfacher Hinsicht eingeschränkt, um den Anspruch des Staates auf die Zahlung der Erbschaftssteuer zu sichern.194 So bedurften z. B. für im Ausland belegene Nachlasswerte auch Personen mit saisine einer gerichtlichen Einweisung, und Bankschließfächer des Verstorbenen durften 188 Nicht überzeugend daher Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 788, die bei bestimmten Rechtsnachfolgern die Berechtigung für „unbestreitbar“ (indiscutable) und einer „vérification officielle“ nicht bedürftig halten (siehe auch Rn. 790 (708)). 189 Dies räumen denn auch Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 798 (717), ein. 190 Für einen Vergleich mit dem englischen grant of probate Brown, Tulane LR 33 (1959), 636– 638. Die große praktische Bedeutung des acte de notoriété betont ders., ICLQ 3 (1954), 628 („[…] usually the most important of the instruments which the notary will prepare in any succession“). 191 So Kaiser, Rückwirkender Vermögensübergang?, 115. 192 Allerdings war der acte de notoriété ursprünglich nur in notarrechtlichen Sondergesetzen normiert; im Code civil findet er sich erst seit 2001 (Art. 730-1). Näher, auch zu den im Laufe der Zeit stark gestiegenen Nachforschungspflichten des Notars, Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 800. 193 Von „atteintes à la saisine“ sprechen z. B. Pérès/Vernières, Droit des successions, 468. 194 Brown, ICLQ 3 (1954), 632 f.; Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht III, Rn. 5 D 2.
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nur im Beisein eines Notars geöffnet werden, der den Inhalt aufzuzeichnen und den Steuerbehörden mitzuteilen hatte. Mittlerweile wurden Regelungen dieser Art, die in ähnlicher Form auch in anderen Ländern der französischen Tradition ergingen,195 aber wieder aufgehoben,196 so dass die héritiers wieder ihre ursprüngliche Freiheit genießen. (2) Das Institut der Testamentsvollstreckung Spielte das Institut exécution testamentaire zwischen dem 13. und dem 18. Jahrhundert eine bedeutende Rolle in der französischen Rechtspraxis,197 markierte der Code civil von 1804 den Abschluss und Höhepunkt eines schleichenden Prozesses der Zurückdrängung.198 Verantwortlich hierfür war, neben der wachsenden Besinnung auf das römische Recht, genau das Institut der saisine und die in ihm zum Vorschein kommende Betonung der Familieninteressen. Denn die Möglichkeit des Erblassers, einem familienfremden Dritten letztwillig die umfassende Befugnis zur Verwaltung des Nachlasses einzuräumen, war mit der oben geschilderten Kompetenzverteilung zwischen gesetzlichen und gewillkürten Rechtsnachfolgern kaum kompatibel. Zudem wäre schlecht zu erklären gewesen, wieso der Testamentsvollstrecker freieren Zugang zum Nachlass erhalten soll als ein Legatar, wenn beide ihre Legitimation aus einer letztwilligen Verfügung ziehen. Die Regelungen zur exécution testamentaire im Code civil von 1804199 waren dementsprechend nicht nur ungenau und unvollständig,200 sondern gewährten dem exécuteur auch nur sehr beschränkte Befugnisse.201 Allein am beweglichen Nachlass und nur für ein Jahr konnte der Erblasser ihm die saisine zuweisen, 202 und sie konnte ihm vom héritier jederzeit durch Zahlung des zur Erfüllung der Vermächtnisse erforderlichen Geldbetrags wieder entzogen werden.203 Ein Verkauf von Nachlassgegenständen zwecks Schaffung von Liquidität war dem Vollstrecker 195 Leleu, Transmission, Nr. 181 (119 Fn. 2). Für das Recht von Québec Smyth, McGill LJ 3 (1957), 185–194. 196 Leleu, Transmission, Nr. 181. 197 Näher Zimmermann, Heres fiduciarius?, 293; siehe auch Saleilles, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 315–318. 198 Caillemer, Executor, 750; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 467. 199 Art. 1025–1034 Code civil1804. 200 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 467. 201 Überblick bei Muscheler, Testamentsvollstreckung, 24 f. Im belgischen Recht findet sich die ursprüngliche Konzeption des Code civil noch heute, sie hat sogar die große Erbrechtsreform von 2018 überdauert, siehe Pintens, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 58. Auch das italienische Recht war dem französischen Konzept der Testamentsvollstreckung zunächst eng verhaftet, nahm mit dem Codice civile von 1942 dann aber eine Kehrtwende vor, siehe Christandl, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 146. 202 Art. 1026 Code civil1804 (Illch, in: Heinsheimer (Begr.), Zivilgesetze der Gegenwart I, übersetzt die saisine hier wieder ungenau mit „Besitz“). Die Zuweisung musste ausdrücklich erfolgt sein, anderenfalls hatte der exécuteur nur Aufsichtsbefugnisse, siehe Zimmermann, Heres fiduciarius?, 295; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 470. Eingehend Fischer, Saisine, 46–56. 203 Art. 1027 Code civil1804.
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nur mit Zustimmung des héritier möglich, es sei denn, der Erblasser hatte ihn ausdrücklich dazu ermächtigt.204 Infolge ihrer mangelnden Attraktivität führte die exécution testamentaire ein Schattendasein in der Praxis, 205 die sich auf instruktive Weise ein leistungsfähigeres Modell dadurch schuf, dass sie die Figur des Universalvermächtnisnehmers zweckentfremdete: Diesem wurde vom Testator aufgegeben, den Nachlass vollständig oder jedenfalls zum größten Teil an andere Vermächtnisnehmer auszukehren, so dass er zu einem légataire sans émolument wurde.206 Der Vorteil dieser Lösung bestand darin, dass die saisine des Universallegatars bei Fehlen von Vorbehaltserben weiter reichte als die eines exécuteur.207 Der Wunsch nach einer Stärkung der exécution testamentaire blieb dennoch weiterhin bestehen, und 2006 wurden die insbesondere vonseiten der Notare eingebrachten Reformvorschläge schließlich umgesetzt. Unter dem neuen Regime kann der Erblasser in Abwesenheit von héritiers réservataires dem exécuteur die gesamte Nachlassabwicklung zuweisen,208 ihn also neben der Vermächtniserfüllung auch mit Bereinigung der Verbindlichkeiten und der Teilung des Nachlasses betrauen, einschließlich der Befugnis zur Verfügung über dessen Gegenstände.209 Bei Vorhandensein von nahen Angehörigen ist die Zuweisung allerdings weiterhin auf den beweglichen Nachlass beschränkt.210 Bemerkenswerterweise hat der Reformgesetzgeber davon abgesehen, weiterhin den Begriff der saisine zu verwenden. Stattdessen heißt es in Art. 1030 Code civil nun viel deutlicher: „Le testateur peut habiliter l’exécuteur testamentaire à prendre possession […]“ (Hervorhebung hinzugefügt). 211
Erfolgte die Ernennung in einem notariellen Testament, bedarf der exécuteur auch keines envoi en possession.212 Sein Amt ist allerdings auf zwei Jahre ab Testamentseröffnung befristet und kann richterlich nur um ein weiteres Jahr verlängert werden.213 Das Institut erlaubt mithin nicht die Anordnung einer Dauervollstreckung.214 204
Zimmermann, Heres fiduciarius?, 295. Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 467; Muscheler, Testamentsvollstreckung, 25 206 Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht III, Rn. 5 C 103 (Fn. 17), 5 C 150. 207 Zimmermann, Heres fiduciarius?, 295 f. Dieselbe Praxis findet sich (offenbar bis heute) im belgischen Recht, siehe Pintens, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 72, der für den Fall, dass keine Vorbehaltserben vorhanden sind, sogar von einer „idealen Lösung“ spricht. 208 Vgl. Catala, Droit de la famille 2006, étude 43, Nr. 3 („un véritable liquidateur de la succession“; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 818 („une sorte de liquidateur“); Gresser, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 141 („Abwicklungsvollstreckung“). 209 Art. 1030, 1030-1 Code civil. 210 Art. 1030 Code civil. 211 Der Schritt hin zu mehr terminologischer Klarheit wird auch von Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 470, gelobt. 212 Art. 1030-2 Code civil. 213 Art. 1031 Code civil. 214 Gresser, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 140 f., 143, der dies allerdings zu Unrecht mit dem Charakter der exécution als autnomomem Rechtsinstitut erklärt. 205
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Kann dem exécteur wie gesehen zwar die Rolle des Nachlassabwicklers zugewiesen werden, wird er nach Ansicht der französischen Lehre nicht im Interesse der héritiers oder der Nachlassgläubiger tätig, sondern im Interesse des Testators, 215 dessen letzten Willen er zur Ausführung bringen soll. Hierin besteht eine Parallele zum deutschen Abwicklungsvollstrecker.216 (3) Die Einführung der postmortalen Vollmacht (mandat à effet posthume) Die Stärkung der Befugnisse eines exécuteur war, wie gezeigt, nicht mit zusätzlichen Einschränkungen der saisine der héritiers réservataires verbunden. Ein „schwerer Schlag“ wurde dem Recht der nahen Angehörigen auf ungehinderten Zugang zum Nachlass – und damit der „Grundidee, dass die Erbfolge eine Angelegenheit der Familie ist, die in der Familie geregelt wird“ – hingegen durch das 2006 neu geschaffene mandat à effet posthume versetzt.217 Denn diese postmortale Bevollmächtigung ermöglicht es einem Erblasser in jeder Situation, die Befugnis zur Verwaltung des Nachlasses oder eines Teils davon der von ihm bestimmten natürlichen oder juristischen Person zu übertragen.218 Der mandataire kann auch einer der héritiers sein 219 (nicht hingegen der mit der Abwicklung betraute Notar220), so dass sich das Instrument auch dazu nutzen lässt, nicht alle, sondern nur bestimmte héritiers von der Verwaltung auszuschließen. Dem Gesetzgeber standen bei Einführung des mandat à effet posthume Fälle vor Augen, in denen das traditionelle Regime dadurch zu Problemen führt, dass es bei Vorhandensein von Vorbehaltserben keine freie Bestimmung des Inhabers der saisine zulässt und somit keine Gewähr für die Geeignetheit des Verwaltungsberechtigten bietet.221 In der französischen Praxis wurde dieses Problem insbesondere dort offenbar, wo sich ein Unternehmen im Nachlass befand und den héritiers, oder 215
Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 468. Dazu oben § 1 F.II.1a) (68 ff.), unten § 6 E.II.2. (450 ff.). 217 Catala, Droit de la famille 2006, étude 43, Nr. 3 („[…] il y a un coup sévère porté a la saisine, c’est-à-dire au libre accès des ayants droit à l’héritage, c’est-à dire a l’idée-force que la succession est une affaire de famille qui se règle en famille“). Ähnlich spricht ders., ebd., Nr. 1, auch von der im französischen Recht bislang fest verwurzelten Vorstellung, dass „[…] la succession est, par essence, un drame familial que seuls les héritiers assument“. In gleichem Sinne äußerte sich bereits Vialleton, A.Dir.Comp. 13 (1938), 310 („[…] et la dévolution demeure une affaire de famille“ (Hervorhebung im Original)); ders., JCP 1942, I, 247 (Sp. 2) („[…] ce caractère d’affaire de famille auquel le tempérament national est fortement attaché“). Siehe auch Leleu, Transmission, Nr. 201, 902; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 787. Zu betonen ist freilich, dass die Universalund Anteilslegatare durch Einweisung in den Nachlass eine Mitverantwortung für die Verbindlichkeiten erhalten und somit an der Nachlassabwicklung durchaus beteiligt sind. 218 Art. 812 Code civil. 219 Art. 812 Abs. 2 , Abs. 4 Code civil. 220 Art. 812 Abs. 4 Code civil. Zur zentralen Rolle, die die französischen Notare in der Rechtspraxis in diesem Punkt spielen, siehe unten § 8 B.IV.3. (678 ff.). 221 Die Situation lässt sich mit der im hochmittelalterlichen englischen Recht vergleichen, wo ebenfalls das Problem auftrat, dass der gesetzlich bestimmte heir oftmals zur Abwicklung nicht geeignet war (dazu oben § 3 B.IV.2. (187)). 216
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jedenfalls einigen von ihnen, aufgrund ihres Alters oder ihrer Persönlichkeit die erforderliche Kompetenz für eine ordnungsgemäße „gestion“ mangelte.222 Entgegen dem, was seine Bezeichnung als mandat suggeriert, haben die héritiers keine Möglichkeit zum Widerruf der letztwillig eingeräumten Verwaltungsbefugnis (worin ein wichtiger Unterschied zur postmortalen Vollmacht des deutschen Rechts liegt).223 Nicht überzeugend ist daher die Ansicht französischer Autoren, dass der mandataire à effet posthume im Unterschied zum exécuteur im Interesse der héritiers tätig werde224 (und auch seine Rechenschaftspflicht diesen gegenüber ändert daran nichts225). Die Differenzierung dürfte eher dem Wunsch geschuldet sein, das Nebeneinander zweier Rechtsinstitute zu erklären, die aus gesetzgebungstechnischer Sicht besser in einem vereinigt worden wären. Die rechtspolitische Brisanz des „Frontalangriffs“ auf das Institut der saisine 226 kommt in der emotionalen Reaktion von Pierre Catala zum Ausdruck, der die „Säulen des Tempels“ (des französischen Erbrechts) erschüttert sah 227 und implizit von einem Verrat an der französischen Rechtstradition sprach: „[…] eine Bresche ist in unsere schöne Erbrechtsordnung geschlagen worden, durch die eine schmerzhafte und belastende Entsetzung der gesetzlichen Erben zugunsten einer Nachlass abwicklung nach englischem Muster Einzug gehalten hat. Welcher Liebreiz hat dem Gesetzgeber seinen gesunden Verstand geraubt?“228
Abgesehen davon allerdings, dass Catalas Vergleich zum englischen Recht in doppelter Weise hinkt, da erstens das mandat à effet posthume der vorübergehenden Verwaltung des Nachlasses dient, nicht hingegen seiner Abwicklung,229 und zweitens die Übertragung der Verwaltungsbefugnis an familienfremde Personen keineswegs ein Alleinstellungsmerkmal des englischen Rechts ist,230 sondern ebenso z. B. in Deutschland zulässig ist, 231 scheint die Kritik auch in der Sache überzogen. 222
Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 819. Gresser, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 138. 224 So etwa Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 468; Gresser, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 143. 225 Art. 812-17 Code civil. 226 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 819 („Le mandat à effet posthume heurte de front la saisine“). 227 Vgl. Catala, Droit de la famille 2006, étude 43, Nr. 12: „L’essentiel est la cohérence d’un modèle juridique qui fait partie d’un patrimoine dont nous avons hérité et que nous devons léguer à nos successeurs. On aimerait à penser que le législateur partage cette conviction. Il a pourtant, consciemment ou inconsciemment, ébranlé les colonnes du temple.“ Zwar bezieht sich die Passage auf die Reform von 2006 im Ganzen, doch betrachtete Catala (ebd., Nr. 3) die Einführung des mandat à effet posthume als die „hervorstechendste Neuerung“ („l’innovation la plus saillante“). 228 Catala, Droit de la famille 2006, étude 43, Nr. 3 („[…] une brèche est ouverte dans notre bel ordre successoral, par laquelle s’infiltre un dessaisissement douloureux et onéreux des héritiers légitimes au bénéfice d’une administration à l’anglaise. Quel charme a donc ravi le bon sens du législateur?“). 229 Eher zutreffend daher Gresser, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 138, der das Vorbild im englischen trust sieht. 230 Dies verkennen auch Pérès/Vernières, Droit des successions, 469. 231 Dazu schon oben § 1 Text bei Fn. 172. 223
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Denn der französische Gesetzgeber versah die Einräumung eines mandat à effet posthume aus Respekt vor der historischen Tradition und im Interesse der nahen Familienangehörigen mit einer Reihe von Kautelen. So darf die Einsetzung eines mandataire insbesondere nicht willkürlich erfolgen, sondern muss durch ein „interêt sérieux et légitime“ in Bezug auf die Person des héritier oder den Nachlass gerechtfertigt werden.232 Sodann ist das posthume Mandat grundsätzlich auf zwei Jahre beschränkt, in Ausnahmefällen auf fünf Jahre, wobei allerdings jeweils auch die Möglichkeit einer gerichtlichen Verlängerung besteht.233 Schließlich kann die Ernennung des mandataire nur durch notarielles Testament erfolgen,234 so dass der Testator eine solche Entscheidung nicht unberaten trifft. Im Lichte dieser Vorsichtsmaßnahmen wird deutlich, wie ungemein freiheitlich – aus Sicht des Erblassers – demgegenüber der deutsche Gesetzgeber das Institut der Testamentsvollstreckung ausgestaltet hat.235 Schwächen weist das mandat à effet posthume zudem insoweit auf, als der Gesetzgeber den héritiers ein verstecktes Mittel zur Verfügung gestellt hat, um sich des Bevollmächtigten zu entledigen.236 Sehen sie nämlich davon ab, ihre Option zum Nachlasserwerb auszuüben, darf der mandataire nur Maßnahmen zur Erhaltung des Nachlasses vornehmen.237 Ist der mandataire ein Dritter, steht ihm auch nicht das Provokationsrecht des Art. 771 Abs. 2 Code civil 238 zur Verfügung.239 Die héritiers können dann zur Veräußerung der vom Mandat betroffenen Güter schreiten und dieses damit zum Erlöschen bringen.240 Abgesehen davon freilich, dass den héritiers beispielsweise der Verkauf eines Unternehmens weder in psychologischer noch in praktischer Hinsicht leicht fallen wird, stellt sich auch die Frage, ob in der Einleitung der Verkaufsmaßnahmen nicht eine stillschweigende Annahme der Erbschaft liegt.
232 Art. 812-1-1 Abs. 1 Code civil; Gresser, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 138. Catala, Droit de la famille 2006, étude 43, Nr. 3, sieht allerdings das Problem, dass die héritiers die Frage der Rechtfertigung nur im Prozess klären können, der sich möglicherweise lange hinzieht und während dessen Dauer sie vom Zugriff auf den Nachlass ausgeschlossen sind. Die Anordnung einer Nachlasspflegschaft gebe demgegenüber weniger Grund zur Sorge, da sie von einer richterlichen Anordnung abhänge und ihre Voraussetzungen klarer definiert seien (in Art. 813-1 Code civil). 233 Art. 812-1-1 Abs. 2 Code civil. 234 Art. 812-1-1 Abs. 3 Code civil. 235 Zu Überlegungen, das französische Recht in diesem Sinne weiterzuentwickeln, Pérès/Vernières, Droit des successions, 518 f. 236 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 819 (738) („porte de sortie“). 237 Art. 812-1-3 Code civil, der auf Art. 784 Code civil verweist. 238 Dazu näher unten § 7 B.III.1b) (580 ff.). 239 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 819 (738). 240 Art. 812-4 Nr. 5 Code civil; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 819 (738); Gresser, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 138.
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e) Das Institut der saisine im Rechtsvergleich Die gezeigten Schwierigkeiten vieler deutscher Autoren, eine passende Übersetzung für den Begriff der saisine zu finden, illustrieren die Fremdartigkeit dieses Instituts für den ausländischen Betrachter. Und dennoch ist die Annahme, dass die saisine etwa dem deutschen Recht völlig unbekannt sei, 241 nur auf einer rein formalen Ebene zutreffend und hält einer funktionalen Betrachtungsweise nicht stand. Denn es zeigt sich, dass andere heutige Rechtsordnungen sich oftmals nur anderer Begriffe oder Regelungsinstrumente bedienen, um zumindest manche mit der saisine verbundenen Ziele zu erreichen.242 Richtig ist zugleich, dass über das Institut der saisine spezifische Wertentscheidungen des französischen Rechts verwirklicht werden, die die allermeisten anderen Rechtsordnungen nicht teilen.243 Der folgende Vergleich trägt dazu bei, die Konturen dieser Unterschiede schärfer hervortreten oder überhaupt erst bewusst werden zu lassen. (1) Die Gestattungsfunktion der saisine Soweit die saisine die Befugnis bezeichnet, den Nachlass in Besitz zu nehmen und zu verwalten, erweist sich ihre gesonderte Zuweisung dort als überflüssig, wo diese Befugnis ohnehin beim Rechtsnachfolger und damit neuen Rechtsinhaber liegen soll. Denn in einer postfeudalen Privatrechtsordnung ist es selbstverständlich, dass dem Inhaber eines Rechts auch die Befugnis zu seiner Ausübung zukommt. Allein die Ausnahme hiervon bedürfte der Regelung. Ein deutscher Erbe darf deshalb auch ohne gesonderte Erlaubnis eine im Nachlass befindliche Forderung geltend machen oder das im Nachlass befindliche Kfz in seine Garage überführen (vorausgesetzt, er verletzt hierbei nicht den Besitz eines anderen). Befinden sich Nachlassgegenstände im Besitz eines unberechtigten Dritten, kann der Erbe sie nach § 985 BGB herausverlangen. Betonung verdient insbesondere, dass der Erbe zur Geltendmachung seiner Rechte nicht auf den § 857 BGB angewiesen ist, 244 dessen Funktion allein darin besteht, dem Erben zusätzlich zum petitorischen auch possessorischen Besitzschutz zu gewähren und einen gutgläubigen Erwerb durch Dritte zu erschweren.245 Dass der fingierte Übergang der be241
So z. B. Fischer, Saisine, 1. Droz, Rev.crit.dr.int.pr. 1970, 183, die „saisine héréditaire“ zum Gegenstand einer internationalprivatrechtlichen und rechtsvergleichenden Untersuchung macht, ist deshalb aus französischer Sicht keinesfalls abwegig. 243 Kurios erscheint insofern, dass Leleu, ERPL 6 (1998), 177 f., das französische Recht in diesem Punkt als Vorbild für eine mögliche europäische Rechtsvereinheitlichung betrachtet. Zwar beruft er sich nicht ausdrücklich auf das Institut der saisine. Doch kann, wenn hinsichtlich des Erwerbsmodus französisches und belgisches Recht Modell sein sollen, nicht aber deutsches Recht, der Ipso-iure-Erwerb allein nicht gemeint sein. 244 Dies suggeriert Leleu, Transmission, Nr. 182, 184 (Fn. 4); ders., ERPL 6 (1998), 164. Dem folgend Pérès/Vernières, Droit des successions, 481. 245 Siehe oben C.II.2a)(1) (329 ff.). 242 Dass
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sitzrechtlichen Stellung des Verstorbenen auf den Rechtsnachfolger kein Erfordernis für die Befugnis zur Ergreifung des Nachlasses ist, wird im Übrigen auch durch das römische Recht verdeutlicht, das eine Vererblichkeit des Besitzes vermutlich in keiner Phase kannte.246 Ein Bedarf für eine positive Anordnung der Befugnis zur Inbesitznahme und Verwaltung des Nachlasses besteht deshalb immer nur dort, wo sie Personen zugewiesen werden soll, die gerade (noch) nicht Rechtsnachfolger sind. Dies ist etwa in solchen Rechtsordnungen der Fall, die, wie z. B. Italien und Österreich, den Eintritt in den Nachlass noch von der Voraussetzung der Annahme bzw. der gerichtlichen Einantwortung abhängig machen und somit eine Zwischenphase fehlender Rechts inhaberschaft auftreten lassen. Um den Schutz des Nachlasses sicherzustellen und seine Sichtung zu ermöglichen, gestatten beide Rechtsordnungen dem zur Rechtsnachfolge berufenen erede bzw. Erben, sich des Nachlasses schon vor Vollendung des Rechtserwerbs zu bemächtigen.247 Ließe sich hierin aus französischer Perspektive zwar eine Zuweisung der saisine sehen, ist es dennoch irreführend, wenn französische Juristen für ihre eigene Rechtsordnung die saisine als notwendige Komplementierung des automatischen Nachlassübergangs bezeichnen und damit suggerieren, dass die Abwesenheit dieses Instituts unweigerlich Chaos zur Folge hätte.248 Denn anders als in den gezeigten Beispielen hat im französischen Recht der Nachlass zu jeder Zeit einen Rechtsträger und damit eine besitz- und verwaltungsbefugte Person. Erst der Wunsch, die Zuordnung dieser Befugnis von der Rechtsinhaberschaft in bestimmten Fällen abzukoppeln,249 verleiht der saisine ihre Existenzberechtigung. Im Übrigen kann das Institut der saisine die ordnungsgemäße Nachlasspflege keineswegs garantieren, 250 weil die héritiers genauso wie letztwillig zur Nachfolge berufene Personen uninformiert, unbekannt oder an der Nachlassverwaltung uninteressiert sein können. Es ist 246 Eingehend Choi, Besitzerwerb, 10–28; monographisch Domisch, Zur Frage eines Besitzübergangs (dazu Babusiaux, ZRG (RA) 133 (2016), 509–517); hingegen vermuteten Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, § 20 Rn. 10, noch einen Besitzübergang auf die sui heredes; anders jetzt Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 30 Rn. 10. 247 Siehe Art. 460 Codice civile und § 810 ABGB. 248 Siehe etwa Vialleton, in: Mélanges Roubier, 286; Héron, Morcellement, Nr. 92; Leleu, Transmission, Nr. 9 02; Meyer, in: Congrès des Notaires de France, La transmission, XL; Terré/ Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 788; Libchaber, RTDCiv. 2016, Nr. 6 , 12 f. Im Kontext des Rechts von Québec Smyth, McGill LJ 3 (1957), 177. 249 Ein solcher Fall kann auch dort vorliegen, wo der berufene Nachfolger sich um den Nachlass nicht kümmert und die nachberufene, aber noch nicht in den Nachlass eingetretene Person zwecks Wahrung ihrer künftigen Rechte diese Lücken füllen möchte. Die französische Lehre spricht in diesem Zusammenhang u. a. von der „saisine virtuelle“, siehe Leleu, Transmission, Nr. 170–173, 887; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 796, die seit der 2006 eingeführten Möglichkeit, den Erstberufenen zu einer Entscheidung über Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft zu provozieren (Art. 771 Abs. 2 Code civil), keinen Bedarf mehr für diese Figur sehen (so im Entwurfsstadium auch schon Leleu, Transmission, Nr. 895). Zum Thema auch Fischer, Saisine, 79–81 (unter dem Stichwort der „kollektiven saisine“). 250 Gerade dies wird aber häufig suggeriert, siehe etwa Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 788.
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§ 5 Strukturelle Kontinuitäten
daher kein Zufall, dass die französischen Gerichte schon früh die Möglichkeit zur Einsetzung eines Nachlasspflegers (administrateur) schufen und dieses Institut seit 2006 auch im Gesetz verankert ist. 251
In Ausnahmefällen immerhin findet auch im deutschen Recht eine der saisine jedenfalls in der Struktur vergleichbare, von der Rechtsinhaberschaft unabhängige Zuweisung von Besitz- und Verwaltungsbefugnissen statt. So erlaubt § 2038 BGB einem Miterben, die zur Erhaltung des Nachlasses notwendigen Maßnahmen allein zu treffen, so dass seine Verwaltungsbefugnis den Umfang seiner Rechtsinhaberschaft punktuell überschreitet.252 Noch viel ausgeprägter ist diese Aufspaltung bei Einsetzung bzw. Ernennung eines Testamentsvollstreckers, Nachlasspflegers, Nachlassverwalters oder Nachlassinsolvenzverwalters. Zu beachten ist jedoch die im Vergleich zur saisine unterschiedliche Funktion: Mit Ausnahme der Nachlasspflegschaft geht es nicht um die Sicherung des Nachlasses, sondern um den Transfer der Abwicklungszuständigkeit vom Erben auf eine eigens dafür ernannte Person. (2) Die Abwehrfunktion der saisine Was die Funktion der saisine angeht, „Eindringlinge“ durch präventive Titelkon trolle vom Nachlass fernzuhalten, findet sich ein strukturelles Gegenstück in der gerichtlichen Einantwortung des österreichischen Rechts, das sich freilich in zwei Punkten vom französischen Recht unterscheidet: So werden erstens alle Rechtsnachfolger kontrolliert, nicht nur die testamentarischen; zweitens ist die Kontrolle stets eine gerichtliche, und nicht wie im Verhältnis héritier – légataire eine private. Deutlich wird damit, dass der in beiden Rechtsordnungen verwirklichte „rechtspolizeiliche Standpunkt“253 jeweils unterschiedliche Ziele verfolgt: Während die Ein antwortung des österreichischen Rechts in der Tradition der obrigkeitsstaatlichen Fürsorge wurzelt, geht es dem französischen Recht vorrangig um den Schutz der Familieninteressen und überdies gerade um die Ermöglichung einer privaten (im Gegensatz zur behördlichen) Nachlassabwicklung. Eine rechtstechnische Gemeinsamkeit zwischen beiden Rechtsordnungen liegt auf den ersten Blick darin, dass sie den der präventiven Kontrolle unterworfenen Personen jeweils mit dem Tod des Erblassers schon die Rechtsinhaberschaft zuweisen und nur die Besitzberechtigung noch zurückhalten. Denn nach Art. 797 ABGB bedeutet die Einantwortung nicht die Übertragung des Eigentums, sondern nur „die Übergabe [der Verlassenschaft] in den rechtlichen Besitz“ der Erben. 254 Der seit Langem herrschenden „austriazistischen Theorie“ zufolge ist freilich die Einantwortung auch konstitutiv für den Rechtsübergang, 255 so dass österreichisches und französisches Recht bei näherem Hinsehen die Kontrolle mit unterschiedlichen Konstruktionen bewältigen. 251 Art. 813-1 Code civil, dazu Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 820; Gresser, Testamentsvollstreckung, 139 f. 252 Treffend insoweit der Vergleich Leleus, Transmission, Nr. 166, 886, mit der „indivisibilité de la saisine“ (zu dieser oben Fn. 142). 253 Mitteis/Lieberich, Deutsches Privatrecht, 171, für das österreichische Recht. 254 Die Vorschrift ist insoweit seit Inkrafttreten des ABGB unverändert. 255 Dazu oben § 1 Fn. 115.
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Das deutsche Recht sieht demgegenüber nicht nur vom Erfordernis einer staatlichen Einweisung in den Nachlass ab (mit einer sogleich zu erörternden Ausnahme), sondern etabliert vor allem auch keine „Zwei-Klassen-Gesellschaft“ von gesetzlichen und eingesetzten Erben.256 Es betrachtet Letztere nicht als Rechtsnachfolger von geringerer Dignität oder schwächerer Legitimation. Natürlich kann auch das deutsche Recht nicht gleichgültig gegenüber der Sorge sein, dass der Nachlass aufgrund gefälschter, ungültiger oder unklar formulierter letztwilliger Verfügungen auf Kosten der gesetzlichen Erben in falsche Hände gerät. Doch verlässt es sich darauf, etwaige Streitigkeiten über die Erbberechtigung in einem gerichtlichen Verfahren zu klären, auf Initiative der Beteiligten. Das Gericht besitzt für die „polizeiliche Aufgabe“ der Titelkontrolle ohnehin mehr Sachkunde als die gesetzlichen Erben.257 Für die Dauer des Streits kann es zur Sicherung des Nachlasses eine Pflegschaft anordnen (§ 1960 BGB), was aus französischer Perspektive dann zu einem Entzug der saisine führt. Instruktiv, aber dennoch verfehlt ist der Versuch, in der „Herabstufung“ des deutschen Vermächtnisnehmers zu einem nur schuldrechtlich Berechtigten ein Pendant zur Versagung der saisine zu sehen, und in der Erfüllung des Vermächtnisanspruchs durch Übereignung ein Pendant zur délivrance.258 Denn bei dieser Sichtweise wird verkannt, dass der deutsche Gesetzgeber nicht dem Erben eine Titelkontrolle ermöglichen, sondern den Nachlass im Interesse der Gläubiger als Haftungsmasse erhalten wollte.259 Genauso allerdings, wie das Institut der saisine den Gläubigerschutz als Nebenwirkung hat,260 verleiht die Gesamtnachfolge des deutschen Erben diesem de facto die Befugnis, die Berechtigung des Vermächtnisnehmers zumindest summarisch zu überprüfen. Instruktiv ist es sodann auch, die saisine zum deutschen Pflichtteilsrecht in Bezug zu setzen. Auf den ersten Blick kann einem deutschen Pflichtteilsberechtigten schon deshalb nicht das Erstzugriffsrecht eines französischen Vorbehaltserben zukommen, weil das BGB die zwingende Nachlassbeteiligung naher Familienangehöriger nur in Form eines Geldanspruchs gewährt, der im konkreten Fall erst errechnet werden muss. Doch wäre dies ein Fehlschluss. Denn die fehlende Nachlassinhaberschaft der deutschen Pflichtteilsberechtigten würde den Gesetzgeber keineswegs daran hindern, ihnen die vorrangige Inbesitznahme zu gestatten, verbunden mit der Pflicht der Auslieferung an die testamentarischen Erben. Für die Pflichtteilsberechtigten hätte dies nicht nur den Vorteil, dass sie sich selbst ein Bild 256 Dies scheint auch Leleu, Transmission, Nr. 177 (Fn. 1), herausstellen zu wollen, allerdings fragt sich dann, warum er von der „transmission de la possession“ spricht, die ja gerade vom Erwerb der saisine unterschieden werden muss. 257 Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht III, Rn. 5 D 2, weisen zutreffend darauf hin, dass das Institut der saisine auch im historischen Kontext einer noch nicht voll ausgebildeten Gerichtsgewalt gesehen werden muss, erfassen damit aber nicht alle seine Funktionen. 258 So Leleu, Transmission, Nr. 200, 884, 904. 259 Dies erkennt immerhin auch Leleu, Transmission, Nr. 129. Näher dazu unten § 8 A.III.2. (643 ff.). 260 Dazu unten C.II.2f)(2) (360 ff.).
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vom Nachlasswert machen könnten und nicht länger auf den beschwerlichen Weg des Auskunftsanspruchs gegen den Erben 261 angewiesen wären. Auch hätten sie in Form einer Zurückhaltung der Nachlassauslieferung ein vortreffliches Druckmittel in der Hand, um die zügige Begleichung ihres Anspruchs durchzusetzen. Dass der BGB-Gesetzgeber diese Lösung nicht gewählt hat, ist somit nicht rechtstechnischen Zwängen geschuldet, sondern Ausdruck der bewussten Entscheidung, die Pflichtteilsberechtigten aus der Nachlassabwicklung herauszuhalten.262 Indem das französische Recht stattdessen den testamentarisch eingesetzten Rechtsnachfolger zum Bittsteller macht, ist die Rechtslage beinahe spiegelverkehrt zur deutschen (hieran hat auch die Aufweichung der dinglichen Nachlassbeteiligung der héritiers réservataires 263 nichts geändert). Was die gesetzliche Erbfolge betrifft, wird selbst eine behauptete Berechtigung von noch so weit entfernten Verwandten (und das deutsche Recht zieht hier im Unterschied zum französischen überhaupt keine Grenze!264) vom deutschen Erbrecht nicht mit Argwohn betrachtet und dementsprechend keiner präventiven Kontrolle unterworfen (anders als ursprünglich im Code civil die Erbberechtigung des überlebenden Ehegatten 265). Doch besteht dafür im Hinblick auf den Staat als letztberufenen Erben (§ 1936 BGB) eine bemerkenswerte Parallele: Denn obgleich dieser genauso unmittelbar in den Nachlass eintritt wie jeder andere Erbe (und sei es nur über die Rückwirkungsfiktion des § 1953 Abs. 2 BGB), darf er seine daraus resultierenden Rechte erst nach gerichtlicher Feststellung der Tatsache geltend machen, dass andere Erben nicht vorhanden sind.266 Diese Voraussetzung lässt sich unschwer als funktionales Äquivalent zum envoi en possession des französischen Staates als successeur irrégulier betrachten.267 Eine partielle Parallele findet sich schließlich auch im Hinblick auf § 857 BGB, der dem Erben – genauso wie die saisine dem héritier – possessorischen Besitzschutz gegenüber unbefugten Eingriffen in den Nachlass verleiht.268 Doch ist § 857 BGB in seiner praktischen Bedeutung sehr beschränkt, weil neben den possessorischen Ansprüchen des Erben in aller Regel auch petitorische Herausgabeansprüche bestehen werden. Demgegenüber entfaltet im französischen Recht der durch die saisine gewährte possessorische Besitzschutz des héritier gerade auch dort Bedeutung, wo sich ein Rechtsnachfolger mit dinglicher Berechtigung, aber eben ohne 261
§ 2314 BGB. Dazu unten § 8 A.II.1. (639 f.). 263 Siehe oben Fn. 39. 264 Dazu Zimmermann, Intestate Succession, 191–194. 265 Siehe oben C.II.2b)(5) (344 f.). 266 Der Feststellung hat ein Aufgebot vorauszugehen, §§ 1964–1966 BGB. Näher Mayer, ZEV 2010, 449–453, der zutreffend darauf hinweist, dass das Erbrecht des Fiskus angesichts der unbegrenzten Verwandtenerbfolge selten mehr als ein vermutetes ist; K. W. Lange, AcP 220 (2020), 191–193. 267 Abgelehnt wird die Vergleichbarkeit der Fälle von Fischer, Saisine, 58, dessen Argument, dass das deutsche Recht keine Besitzeinweisung des Staates verlangt, aber zu formalistisch ist. 268 Leleu, Transmission, Nr. 161 f. Zur saisine als Grundlage des possessorischen Besitzschutzes im französischen Recht oben Fn. 139. 262
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saisine eigenmächtig die tatsächliche Sachherrschaft an den ihm zugewiesenen Nachlassgegenständen verschafft. Immerhin kann im deutschen Recht § 857 BGB eine vergleichbare Rolle im Hinblick auf den Vermächtnisnehmer spielen. Denn nimmt dieser die ihm vermachte Sache eigenmächtig an sich, stünde dem petitorischen Herausgabeanspruch des Erben grundsätzlich ein durch § 2174 BGB gewährtes Recht zum Besitz entgegen.269 (3) Fazit Der Vergleich hat gezeigt, dass entgegen seines auf den ersten Blick gänzlich fremdartigen Charakters sich im deutschen Recht ebenso wie in anderen Rechten zahlreiche funktionale Äquivalente zum Institut der saisine finden lassen. Die Parallelen werden sofort erkennbar, wenn man saisine im Sinne der Befugnis zur Verwaltung betrachtet, die grundsätzlich in der Stellung als Rechtsnachfolger enthalten ist, in vielen Situationen aber auch unabhängig davon zugewiesen wird. Allerdings besteht ein Unterschied dieser Rechtsordnungen zu Frankreich nicht nur darin, dass sie kein unmittelbares terminologisches Gegenstück zur saisine kennen; auch verzichten sie darauf, die verschiedenen Konstellationen, in denen die Befugnis zur Nachlassverwaltung gesondert zugewiesen wird, systematisch zu erfassen. Immerhin ist auch der französische Gesetzgeber 2006 einen Schritt hin zur Entmystifizierung der saisine gegangen, indem er die mit dem Begriff verbundenen Befugnisse jedenfalls im Kontext der Testamentsvollstreckung „ausformuliert“ hat.270 Was die Abwehrfunktion der saisine angeht, finden sich jedenfalls teilweise Parallelen in der gerichtlichen Einantwortung des österreichischen Rechts und dem durch § 857 BGB gewährten possessorischen Besitzschutz. Allerdings verfolgen diese Regelungsinstrumente im Unterschied zur saisine keine familienspezifischen Wertungen, sondern allgemeine Ziele der Nachlassabwicklung. Die Technik des französischen Rechts, eine Ex-ante-Überprüfung letztwillig zugewiesener Begünstigungen zumindest für den Normalfall nicht auf hoheitlichem, sondern auf privatem Wege zu vollziehen und damit ein Modell des „contrôle semi-privé du titre successoral“271 zu etablieren, hat zwar auf den ersten Blick etwas Bestechendes, weil die praktischen Vorteile einer solchen Kontrolle nicht zum Preis schwerfälliger gerichtlicher Verfahren erkauft werden müssen. Doch muss einem solchen Modell eben zwangsläufig die Gleichberechtigung der testamentarischen gegenüber der letztwilligen Rechtsnachfolge geopfert werden, weil als „private Polizisten“ notwendig nur die in ihrer Berechtigung leichter ermittelbaren gesetzlichen Erben in Betracht kommen. Wer freilich der Abwicklung im Kreis der Familie besonderen Wert beimisst, dem kann die vom Institut der saisine erbrachte Leistung als „Heldentat“ (prouesse) erscheinen.272 269 Dazu, dass der Erbe nach § 2174 BGB grundsätzlich verpflichtet ist, dem Vermächtnisnehmer auch den Besitz zu verschaffen, etwa MüKoBGB/Rudy, § 2174 Rn. 16. 270 Siehe oben Fn. 211. 271 Leleu, Transmission, Nr. 9 01. 272 So Leleu, Transmission, Nr. 9 02.
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f) Saisine und Nachlassabwicklung Der französische Gesetzgeber hatte bei Regelung der saisine wie gesehen lediglich das Schicksal der aktiven Nachlassgegenstände im Blick und wollte im Interesse der Begünstigten sicherstellen, dass sie nicht in falsche Hände geraten.273 Reflexartig traf er hiermit jedoch auch eine Regelung über die Nachlassabwicklung im Ganzen. Denn wie leicht ersichtlich ist, ist die Zuweisung der Befugnis zur Ergreifung der Aktiva notgedrungen auch von Relevanz für deren Verwertbarkeit zum Zwecke der Schuldentilgung. Interessanterweise erweist sich der Einfluss der saisine auf die Nachlassabwicklung als zweischneidig: Das Institut ist einerseits Störfaktor, indem es in bestimmten Fällen ein Auseinanderlaufen der Zuständigkeiten für Aktiva und Passiva herbeiführt. Andererseits trägt es aber auch gerade zur Koordination bei, indem es einem solchen Auseinanderlaufen entgegenwirkt. (1) Saisine und Schuldenverantwortlichkeit Zu Komplikationen bei der Nachlassabwicklung führt das Institut der saisine dadurch, dass der Code civil seine Zuweisung nicht immer parallel zur Verantwortlichkeit für die Nachlassverbindlichkeiten vornimmt. So trifft zwar jede Person, der von Rechts wegen die saisine zukommt, auch die Schuldenverantwortlichkeit.274 Wie jedoch der Fall des Universal- und des Anteilsvermächtnisnehmers zeigen, besteht diese automatische Verknüpfung nicht auch in umgekehrter Richtung. Denn während das Gesetz dem légataire universel/à titre universel ohne weitere Voraussetzungen die Zuständigkeit für die Nachlassverbindlichkeiten zuweist, 275 liegt die saisine bei den Vorbehaltserben oder sogar den weiter entfernten héritiers.276 Dieser Zustand droht zu unsachgemäßen Ergebnissen zu führen. Denn wenn Nachlassgläubiger auch einen Universal- oder Anteilsvermächtnisnehmer in Anspruch nehmen könnten, dem der Nachlass noch gar nicht ausgehändigt wurde, müsste dieser die zur Begleichung der Forderungen notwendigen Mittel aus dem eigenen Vermögen vorschießen und befürchten, dass der Rückgriff beim héritier scheitert, etwa weil dieser den Nachlass inzwischen verschleudert oder beiseitegeschafft hat. Zudem könnte sich ein Universal- oder Anteilsvermächtnisnehmer ohne saisine gar keinen Überblick über die Nachlassverhältnisse verschaffen und müsste die Erbschaft sicherheitshalber ausschlagen.
273 Darauf, dass die saisine nicht Zwecken des Gläubigerschutzes dient, weisen auch Héron, Morcellement, Nr. 94 (79), und Grimaldi, Successions, Nr. 605 (Fn. 22), hin. 274 In der ursprünglichen Fassung des Art. 724 Code civil wurde diese Verknüpfung noch unmittelbar für die héritiers hergestellt, wobei die Vorschrift nur die „charges“ nannte, was bei engem Verständnis allein die Nachlasskostenschulden meinen würde (dazu oben § 1 Fn. 47). 275 Siehe oben Fn. 34. 276 Siehe oben C.II.2b)(3) (338 ff.).
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Vermieden wird das Problem, indem das Konzept der saisine auf die Passivseite des Nachlasses erstreckt und dadurch sichergestellt wird, dass Zugriffsbefugnis und Schuldenverantwortlichkeit stets parallel laufen. Dies hat zur Folge, dass die Zuständigkeit für die „dettes et charges“ zunächst allein bei den gesetzlichen Inhabern der saisine liegt, bei Vorhandensein von héritiers réservataires also bei diesen.277 Erst mit privater oder gerichtlicher Einweisung des Universal- oder Anteilsvermächtnisnehmers in den Nachlass wird auch dessen Stellung als Nachlassabwickler aktiviert, die er sich dann ggf. mit den héritiers oder anderen légataires teilt.278 Dass die Schöpfer des Code civil diese Auswirkungen der saisine nicht im Blick hatten, wird daran erkennbar, dass sie die Einzelheiten dieser gestuften Abwicklungszuständigkeit nicht näher geregelt haben. Lange Zeit umstritten war deshalb beispielsweise, ob ein héritier nach der délivrance im Außenverhältnis auch weiterhin für den vollen Betrag einstehen muss oder ob dann der allgemeine Grundsatz der verhältnismäßigen Schuldenteilung unter mehreren Rechtsnachfolgern eingreift. Gegen die erstgenannte, im Gewohnheitsrecht des ancien droit wurzelnde, 279 mittlerweile aber nicht mehr vertretene Lösung280 spricht insbesondere, dass sie es dem héritier zur Obliegenheit machen würde, vor der délivrance den Nachlass möglichst umfassend zu bereinigen (da er anderenfalls das Insolvenzrisiko des Legatars tragen würde), ohne ihm jedoch die dafür nötige umfassende Verfügungsbefugnis einzuräumen. Führt demgegenüber die Auslieferung des Nachlasses oder betreffenden Nachlassteils zur entsprechenden Reduktion der Einstandspflicht des héritier, ist dieser gut beraten, den légataire möglichst rasch mit ins „Abwicklungsboot“ zu holen. Auch dann stellen sich aber noch verschiedene Fragen: Darf etwa ein légataire universel im Fall, dass die Nachlassverhältnisse unübersichtlich sind und somit eine mühevolle Abwicklung erwarten lassen, die Einweisung in den Nachlass einstweilen „dankend“ ablehnen, um so den héritier réservataire mit der unliebsamen Aufgabe allein zu lassen? Und können Nachlassgläubiger die Aufspaltung der Abwicklungszuständigkeit verhindern, wenn der Universal- oder Anteilsvermächtnisnehmer insolvent ist und somit die Erfüllung des auf ihn entfallenden Anteils an den Nachlassverbindlichkeiten gefährdet? Die Rechtsprechung hat den Gläubigern in diesem Fall die Möglichkeit einer Kürzung des Vermächtnisses eingeräumt, so dass sie sich im Ergebnis allein an den héritier halten können.281
277 Héron, Morcellement, Nr. 93 f.; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 914 (816), 966; Grimaldi, Successions, Nr. 428, 644. 278 Zur Frage, inwieweit diese Abwicklung eine zentrale ist, unten § 8 B.IV. (669 ff.). Im Gewohnheitsrecht ergab sich die Regel, dass Universal- und Anteilslegatare erst mit Einweisung in den Nachlass haften, vermutlich schon daraus, dass die Haftung ohnehin keine persönliche war, sondern nur in Form einer dinglichen Belastung der erlangten Güter bestand. Dazu Saleilles, Bull. Soc.e.leg. 10 (1911), 87 f. 279 Siehe Saleilles, Bull.Soc.e.leg. 10 (1911), 88 f. 280 Näher Grimaldi, Successions, Nr. 6 44 (Fn. 160). 281 Näher Planiol/Ripert, Droit Civil 5, Nr. 664; zur Kürzung von Einzelvermächtnissen bei unzureichendem Nachlass unten § 6 C.II.1b) (392 ff.).
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Aus deutscher Sicht mag es verwundern, dass ein so zentrales Problem wie die Abwicklungszuständigkeit bei einem Nebeneinander von Rechtsnachfolgern mit und ohne saisine bis heute keine klare und umfassende Regelung erfahren hat. Doch wirkt sich dieses Regelungsdefizit in der Praxis offenbar kaum aus, wofür sich auch ein eindeutiger Grund benennen lässt. Denn in den allermeisten Fällen legen die beteiligten héritiers und légataires die gesamte Nachlassabwicklung in die Hände eines Notars, 282 wodurch die durch die saisine herbeigeführte Fragmentierung überbrückt wird. (2) Saisine und Einzelnachfolge Der heilsame Einfluss der saisine auf die Nachlassabwicklung zeigt sich im Fall des legs particulier, also des Einzelvermächtnisses. Dieses verschafft dem Begünstigten in Nachfolge der römischen Tradition unmittelbar das Eigentum an dem vermachten Gegenstand, knüpft daran im Regelfall aber ausdrücklich keine Einstandspflicht für Nachlassverbindlichkeiten.283 Für Nachlassgläubiger ist diese Situation so lange unproblematisch, wie genügend andere Werte im Nachlass vorhanden sind oder der für die Nachlassabwicklung zuständige Rechtsnachfolger auch mit dem eigenen Vermögen haftet und dieses zur Befriedigung aller seiner Gläubiger ausreicht. Wo diese Voraussetzungen hingegen nicht gegeben sind, droht das legs particulier durch die mit ihm verbundene Fragmentierung des Nachlasses den Grundsatz „nemo liberalis nisi liberatus“ zu vereiteln und so Gläubigerinteressen zu beeinträchtigen. Das Institut der saisine mildert diese Folgen nun dadurch ab, dass es den Rechtserwerb des Einzelvermächtnisnehmers zumindest teilweise neutralisiert und dem zuständigen Nachlassabwickler dabei hilft, den Gegenstand für die Schuldentilgung heranzuziehen.284 Allerdings kann die saisine dies nicht im Alleingang bewältigen: Denn zum einen ist ihre Innehabung nicht mit einer Befugnis zur Verfügung über den Gegenstand verbunden, 285 und zum anderen unterliegt dieser mangels Zugehörigkeit zum Nachlass bzw. dem Vermögen des Abwicklers auch nicht dem Vollstreckungszugriff der Nachlassgläubiger. Zur Wahrung von deren Interessen bedarf es deshalb eines weiteren Instruments, das im Code civil nur angedeutet ist und deshalb im Wesentlichen ein Werk der Rechtsprechung des 19. Jahrhunderts ist.286 Dies ist die Herabsetzung (réduction) des Legats im erforderlichen Umfang durch analoge Anwendung der Vorschriften über letztwillige Verfügungen, die 282
Dazu unten § 8 B.IV.3. (678 ff.). Siehe oben Fn. 35. 284 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 9 00 (806). 285 Leveneur/Leveneur, Leçons IV/2, Nr. 1157; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 798. Unzutreffend Fischer, Saisine, 40. 286 Siehe etwa Cour de cassation 25.11.1861, Sir. 62, 1, 49; Cour de cassation 18.6.1862, Sir. 62, 1, 913; Cour d’Appel Nancy, 28.11.1908, D.P. 1912, 2, 305 mit Anm. Ripert; Cour de cassation 23.4.1925, D.P. 1925, 1, 201 mit Anm. Savatier. Aus dem Schrifttum dazu Planiol/Ripert, Droit Civil V, Nr. 664 (834); Leleu, Transmission, Nr. 539; Leveneur/Leveneur, Leçons IV/2, Nr. 1223. Siehe auch Gärtner, Vindikationslegate, 25. 283
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über die verfügbare Quote hinausgehen und somit die Rechte der héritiers réservataires verletzen.287 (3) Saisine und Haftungsumfang Zumindest mittelbar war das Institut der saisine schließlich Auslöser einer anderen klassischen Kontroverse des französischen Rechts, nämlich der Frage, ob alle Gesamtnachfolger anfänglich unbeschränkt für die Nachlassverbindlichkeiten haften oder die Haftung der légataires stets oder jedenfalls bei fehlender saisine von Anfang an auf den Nachlass beschränkt ist.288 Die Frage ist heute nur noch von historischem Interesse, da sich die Rechtsprechung schon vor langer Zeit für die Gleichstellung aller Gesamtnachfolger entschied 289 und diese Lösung mittlerweile auch kodifiziert ist.290 Dennoch lohnt sich eine nähere Befassung mit der Thematik, weil sie zum einen deutlich macht, wie französische Juristen über die Ratio der unbeschränkten Haftung denken, und sie zum anderen die langen Schatten der französischen Rechtsgeschichte offenbart. Der Code civil in seiner Fassung von 1804 hatte in der Frage des Haftungsumfangs ein „unentrinnbares Chaos“291 dadurch geschaffen, dass seine dürren Vorschriften eine klare Stellungnahme vermissen ließen und mit jeder im vorkodifizierten Recht zu findenden Lösung vereinbar waren.292 Die (schließlich siegreiche) extensive Auslegung entsprach der Tradition des römisch geprägten droit écrit, das in der Frage der Haftung keine Unterscheidung zwischen gesetzlich und letztwillig bestimmten Rechtsnachfolgern getroffen hatte. Dem stand eine restriktive Auffassung gegenüber, die im Anschluss an die Spätphase des droit coutumier nur die héritiers, also die Blutsverwandten, als „Fortsetzer der Erblasserpersönlichkeit“ (con tinuateurs de la personne) 293 behandelte und damit unbeschränkt haften ließ, die légataires als Außenstehende hingegen nur einer Haftung intra vires unterwarf.294 287
Näher dazu unten § 6 C.II.1b) (392 ff.). Guter Überblick bei Trockels, Erbengemeinschaft, 204–207. 289 Dazu sogleich im Text. 290 Kurioserweise war allerdings dem 2001 neu eingeführten Art. 723 Code civil, der ohne Bezugnahme auf die saisine ausdrücklich allen „successeurs universels ou à titre universel“ die unbeschränkte Haftung auferlegte, ein äußerst kurzes Dasein beschieden, indem der Gesetzgeber ihn im Zuge der Reform 2006 schon wieder wegfallen ließ. Legte diese Maßnahme bei isolierter Betrachtung zwar an sich eine Abkehr von der bisherigen Rechtslage nahe, hat sich in der Substanz nichts geändert. Denn die Gleichbehandlung von héritiers und anderen Gesamtnachfolgern in der Frage der Haftung ergibt sich aus der Verweisungsnorm des Art. 724-1 Code civil. Siehe Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 914; Leroyer, Successions, Rn. 463 (344), die sich eine erneute gesetzgeberische Klarstellung wünscht. 291 Siehe den Nachweis bei Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 912 („chaos inextric able“). 292 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 912. 293 Ausführlich zu dieser schillernden und in der Rechtsgeschichte überaus einflussreichen Konzeption oben § 4 C.II.1b) (302 ff.). 294 Eingehend zur historischen Entwicklung Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 549–573; siehe auch Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 912; Grimaldi, Successions, Nr. 409. 288
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Mutet es vom römisch-rechtlichen Standpunkt aus willkürlich an, nur die blutsverwandten Rechtsnachfolger ultra vires haften zu lassen, gilt es sich zu vergegenwärtigen, dass das droit coutumier damit bereits einen erheblichen Schritt auf das römische Recht zu gemacht hatte. Denn sein Ausgangspunkt war die Konzeption gewesen, dass die Erblasserverbindlichkeiten stets nur die Nachlassgegenstände belasten und niemals den Rechtsnachfolger persönlich treffen. 295 Die Haftung ultra vires wurde in einem ersten Schritt dann für die Kinder des Verstorbenen eingeführt und in einem zweiten Schritt auf die übrigen Blutsverwandten ausgedehnt. 296 Die Qualifizierung eines Rechtsnachfolgers als „Fortsetzers der Erblasserpersönlichkeit“ diente in diesem Kontext also nicht wie insbesondere im 19. Jahrhundert nur der Erklärung oder Veranschaulichung der unbeschränkten Haftung, sondern lieferte überhaupt erst ihre Grundlage und hatte damit eine eigenständige normative Bedeutung.297 Ein Rechtsnachfolger wurde folglich nicht als Fortsetzer der Erblasserpersönlichkeit bezeichnet, weil er ultra vires haftete, sondern er haftete ultra vires, weil er im realen Sinne als Fortsetzer der Erblasserpersönlichkeit galt.
Gemäß einer dritten, vermittelnden Ansicht war schließlich danach zu differenzieren, ob dem Rechtsnachfolger von Rechts wegen die saisine zukam, und diese Lösung wurzelte ebenfalls in der Tradition des droit coutumier. Denn indem dieses im Laufe der Zeit dazu gelangt war, Blutsverwandtschaft, saisine und unbeschränkte Haftung stets parallel laufen zu lassen, hatte es den Eindruck entstehen lassen, dass die Innehabung der saisine nicht nur zufällige Nebenerscheinung der unbeschränkten Haftung war, sondern ihr innerer Grund.298 Während diese Deutung, die Folge einer eigentümlichen Verquickung von germanischem und römischem Gedankengut war, im droit coutumier aufgrund der gezeigten Verknüpfung ohne praktische Bedeutung blieb, änderte sich dies mit Inkrafttreten des Code civil. Denn indem dieser dem légataire universel in bestimmten Fällen, nämlich bei Fehlen von héritiers réservataires, 299 die saisine von Rechts wegen zukommen ließ, enstand die Frage, ob hiermit dann auch eine unbeschränkte Haftung verbunden war. Die Cour de cassation schloss sich 1851 im „Arrêt Toussaint“,300 der zu den „plus célèbres“ des Erbrechts gezählt wird,301 der weiten Auffassung an und belegte ab dem Moment, in dem sie die saisine innehatten, alle „successeurs à titre universel“ 295 Saleilles, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 311–315; ders., Bull.Soc.e.leg. 10 (1911), 67. Siehe auch bereits oben § 4 A.II.2. (247 ff.). 296 Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 556 f. 297 Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 554, 556, spricht von einer „idée réaliste de continuation de la personne physique“ im Gegensatz zu einer bloßen Fiktion zu Zwecken der Rechtstechnik. Ausführlich Saleilles, Bull.Soc.e.leg. 10 (1911), 76–78, dem zufolge diese Vorstellung in der (vergleichsweise kurzen) Epoche zwischen den Aufzeichnungen der Gewohnheitsrechte und der Revolution dominierte und mit der Idee der „Nachfolge in das Haus“ verbunden war. 298 Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 564 f.; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 912. Ausführlich zur verschlungenen Entwicklung des Gewohnheitsrechts Saleilles, Bull.Soc.e.leg. 10 (1911), 56–102. 299 Zur unmittelbaren saisine des Universalvermächtnisnehmers in diesem Fall oben C.II.2b) (4) (342 f.). 300 Cour de cassation 13.8.1851, D.P. 1851, 1, 281. 301 Grimaldi, Successions, Nr. 609 (485).
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mit einer (zumindest anfänglichen) Haftung ultra vires hereditatis 302 (bis endgültige Klarheit herrschte, sollten allerdings noch weitere 100 Jahre vergehen 303). Wem die Haftung ultra vires rechtspolitisch ohnehin verfehlt erschien, der musste diese extensive Handhabung natürlich kritisieren.304 Zugleich ließ sich die Lösung der Rechtsprechung aber auch als Vollendung des historischen Entwicklungsprozesses begreifen, in dessen Verlauf die unbeschränkte Haftung nach und nach auf alle Arten von Gesamtnachfolgern erstreckt wurde305 und die römische Tradition schließlich ganz die Oberhand über die gewohnheitsrechtliche gewann.306 Die französische Lehre sah sich durch die Entscheidung vor die Aufgabe gestellt, die Ratio der unbeschränkten Haftung zu entwickeln. Längst ausgedient als normatives Zurechnungskriterium hatte der Gedanke der Persönlichkeitsfortsetzung, der in der Entscheidung von 1851 bezeichnenderweise auch gar nicht genannt wurde; er konnte allenfalls noch deskriptive Zwecke erfüllen.307 Ebenso den Todesstoß versetzt bekommen hatte an sich die Auffassung, die die Grundlage der Haftung ultra vires in einer moralischen Pflicht zur vollständigen Tilgung der Erblasserschulden suchte und damit Erblasser und Rechtsnachfolger zu einer generationenübergreifenden Solidargemeinschaft zusammengeschweißt sah.308 Denn abgesehen davon, dass diese Ansicht nie recht erklären konnte, warum letztlich die Gläubiger die Profiteure einer solchen Pietätspflicht sein sollen und sich der betroffene Rechtsnachfolger von ihr einfach durch Ausschlagung oder Inventarerrichtung befreien kann,309 stellte sich mit der Generalisierung der unbeschränkten Haftung 302 Dazu etwa Héron, Morcellement, Nr. 94; Leleu, Transmission, Nr. 531; Grimaldi, Successions, Nr. 609; eingehend Fischer, Saisine, 63–71. 303 Die Cour de cassation deutete mehrfach eine Abkehr von der genannten Linie an, bis sie diese im Jahr 1955 schließlich bestätigte. Näher Grimaldi, Successions, Nr. 609 (Fn. 48); Terré/ Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 913. Nicht zutreffend die Darstellung bei Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht III, Rn. 5 C 110, der zufolge das Ausmaß der Haftung immer noch von der saisine abhängt. 304 Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 566, 571, der selbst für die vermittelnde Aufassung eintrat. Zu den „vives protestations“ gegen die Entscheidung auch Saleilles, Bull.Soc.e.leg. 10 (1911), 90, 100 f., der die Lösung der Cour de cassation zwar auch als Verstoß gegen Vernunft und Billigkeit betrachtete, sie aber für eine unausweichliche Folge der verfehlten Grundkonzeption hielt. Siehe auch ders. in seinem Schreiben an die „Société d’études législatives“: Protokoll der Sitzung vom 19.1.1911, Bull.Soc.e.leg. 10 (1911), 26: „En raison et en équité, ce [d. h. die unbeschränkte Haftung aller Gesamtnachfolger] n’est pas soutenable. Mais lorsqu’on est mal parti, il faut aller jusqu’au bout.“ 305 Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 572, der diese Sichtweise gleichwohl kritisiert. 306 Saleilles, Bull.Soc.e.leg. 10 (1911), 64 f., 100. 307 Grimaldi, Successions, Nr. 602, bezeichnet die Erklärung der unbeschränkten Haftung mit der Fortsetzung der Erblasserpersönlichkeit deshalb zu Recht als Tautologie. 308 Siehe etwa Grimaldi, Successions, Nr. 603. Die Auffassung findet eine Parallele in der im kanonischen Recht vertretenen Lehre von der Bestrafung der Kinder für die Sünden ihrer Eltern, siehe Saleilles, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 322 f. 309 Siehe die beißende Kritik bei Héron, Morcellement, Nr. 37–41, der von einer „caricature macabre de la piété filiale“ spricht und darauf hinweist, dass die unbeschränkte Haftung in der Realität meist nur die Folge von Unachtsamkeit oder fehlender Rechtskenntnis sei (Fn. 71). Siehe zu Saleilles’ Kritik im Rahmen der Reformdiskussionen der „Société d’études législatives“ auch unten § 7 B.VI.4a) (606 ff.).
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§ 5 Strukturelle Kontinuitäten
auch die Frage, wieso selbst Personen, mit denen der Verstorbene gar nicht verwandt war, die moralische Pflicht haben sollten, zur Wahrung seines Andenkens persönliche Opfer zu erbringen.310 Ein Ausweg gelingt nur über die Fiktion, dass die Einsetzung eines légataire ähnlich der Adoption zur Begründung eines familienrechtlichen Bandes führt.311 Findet diese Sichtweise zwar auch ein Vorbild im römischen Recht312 und vermutlich ebenso im Recht anderer früher Gesellschaften,313 mutet sie in einer Zeit, in der das Familienerbrecht längst zugunsten der Testierfreiheit zurückgedrängt wurde, äußerst gekünstelt an.314 Ganz überwiegend anerkannt ist denn auch mittlerweile, dass das Fundament der unbeschränkten Haftung in dem schon im Kontext des römischen Rechts erörterten 315 und auch im deutschen Schrifttum herausgearbeiteten 316 Gedanken des Gleichgewichts von Befugnis und Verantwortlichkeit zu sehen ist: „à des pouvoirs illimités doit correspondre une responsabilité illimitée“.317 Da der Code civil den Legataren keinerlei Vorgaben zum Umgang mit den Nachlassgegenständen macht, ihnen – in Abweichung von der gewohnheitsrechtlichen Tradition 318 – insbesondere keine Inventar-, Rechenschafts- oder Verwaltungspflicht auferlegt, wären Gläubiger einer Verschleuderung oder Schlechtverwaltung der Aktiva schutzlos ausgeliefert, wenn die Haftung von Anfang an beschränkt wäre.319 Legatare müssen sich deshalb die Haftungsbeschränkung genauso „verdienen“ wie die héritiers, d. h. durch Inventarerrichtung und die damit verbundenen Sicherungsmittel. Zumindest ansatzweise findet sich dieses Argument auch in der Begründung des „Arrêt Toussaint“. Zwar konnte die darin neben dem gesetzgeberischen Willen einer Gleichbehandlung aller Gesamtnachfolger (mit Ausnahme der saisine) angeführte Erwägung, dass Vorteile und Lasten Hand in Hand gehen müssen, nur erklären, warum Legatare überhaupt haften, nicht hingegen, warum sie unbeschränkt
310
Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 913. in der Tat Colin im Sitzungsprotokoll der „Société d’études législatives“ v. 19.1.1911, Bull.Soc.e.leg. 10 (1911), 31. Siehe auch Grimaldi, Successions, Nr. 610, der zur Begründung auch auf die Bezeichnung des légataire universel als héritier institué verweist (dazu auch schon oben Fn. 43). 312 Zum römischen testamentum calatis comitiis siehe oben § 2 C.I. (143 f.). 313 Zur salfränkischen Affatomie siehe oben § 2 Fn. 149 f. 314 So auch Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 913 („manifestement factice“). 315 Siehe oben § 4 A.VII.9b) (271 ff.). 316 Im Kontext der Entstehung des BGB sehr klar z. B. Bähr, KritV XXX (1888), 561; aus dem späteren Schrifttum Osthold, Erben und Haftung, 20–22 m. w. N. 317 Grimaldi, Successions, Nr. 605 (der gleichwohl auch weiterhin den Solidargedanken betont, Nr. 606, 610); früher schon Héron, Morcellement, Nr. 4 4; Lequette, Communication, 166 f.; Goré, L’administration des successions, 29 f.; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 903, 913 (815); Leroyer, Successions, Rn. 461. Siehe auch schon oben § 4 Fn. 429. 318 Hier wurde vom stets nur intra vires haftenden Legatar die Errichtung eines Inventars verlangt, um die faktische Vermischung von Nachlass und Eigenvermögen zu verhindern, Saleilles, Bull.Soc.e.leg. 10 (1911), 74, 97 f. Unklar sind allerdings die Folgen eines Verstoßes gegen dieses Erfordernis. 319 Siehe auch Saleilles, Bull.Soc.e.leg. 10 (1911), 101. 311 So
D. Fazit
365
haften.320 Doch verwies die Cour de cassation daneben auch auf den Vorgang einer Vermögensvermischung, die beim Legatar genauso eintrete wie beim héritier und deshalb in gleichem Maße zur Haftungsbeschränkung eine Inventarerrichtung erfordere. Die Begründung des Gerichts ist zwar insofern ungenau, als erstens nicht klar zwischen rechtlicher und faktischer Vermischung unterschieden wird und sich zweitens die Haftung cum viribus hereditatis auch ohne Inventar verwirklichen lässt, solange die Nachlassgegenstände sich nur irgendwie identifizieren lassen.321 Doch wird zumindest implizit der entscheidende Gesichtspunkt benannt, dass nämlich der Legatar spätestens mit der Einweisung die volle Gewalt über den Nachlass erlangt.322 Schließlich spricht aus Sicht des héritier für die (anfänglich) unbeschränkte Haftung des légataire natürlich, dass hierdurch eine gleichmäßige Lastenverteilung gefördert wird. Denn müsste der Universal- oder Anteilsvermächtnisnehmer stets nur mit den ihm zugewiesenen Nachlasswerten einstehen, liefe der héritier Gefahr, allein auf einem etwaigen Nachlassminus sitzen zu bleiben. Während das Gewohnheitsrecht diese problematische Rechtsfolge hinnahm, opferte die Cour de cassation anstelle der Interessen des héritier die des légataire323 (dem aber natürlich die Möglichkeit der Haftungsbeschränkung unbenommen bleibt). Ein gesetzlicher Anhaltspunkt für die Lösung der Cour de cassation lässt sich in Art. 1220 Code civil1804 (jetzt Art. 1309) finden, auch wenn die Vorschrift in der Entscheidungsbegründung nicht angeführt wird. Denn sie ordnet die Teilung der Forderungen und Verbindlichkeiten zwischen sämtlichen héritiers an, sowohl zwischen denjenigen mit saisine als auch zwischen denjenigen, die „Vertreter“ (représentants) des Verstorbenen sind. Nicht nur verwendet Art. 1220 Code civil1804 somit den Begriff des héritier in einem weiten, alle Gesamtnachfolger umfassenden Sinn, auch lässt sich ihm die Aussage entnehmen, dass die gesetzliche Innehabung der saisine für die Schuldenverantwortlichkeit keine Rolle spielt.324 Schließlich lässt sich für die unbeschränkte Haftung der Legatare auch anführen, dass die Art. 1009 und 1012 von ihrer persönlicher Verantwortlichkeit sprechen („sera tenu […] personellement […]“).325
D. Fazit Die Strukturen und Begriffe der römischen und der englischen Nachlassabwicklung leben in den heutigen Erbrechten Deutschlands, Frankreichs und Englands nahezu ungebrochen fort. Dies ist besonders für das römische Modell bemerkenswert, weil es seine Überlieferung nicht der ungebrochenen Geltung verdankt, sondern allein seinem geistesgeschichtlichen Wirken. 320
So der berechtige Einwand von Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 571. Dazu schon oben § 4 A.VII.5. (266 f.). 322 Mit dieser Betonung Héron, Morcellement, Nr. 94. 323 Saleilles, Bull.Soc.e.leg. 10 (1911), 90–93, der das Grundübel in der unbeschränkten Haftung des héritier sah. 324 Näher zu dieser Argumentation Saleilles, Bull.Soc.e.leg. 10 (1911), 91–93. 325 Saleilles, Bull.Soc.e.leg. 10 (1911), 99; Fischer, Saisine, 64. 321
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§ 5 Strukturelle Kontinuitäten
Im französischen Recht wird das römische Gerüst in erheblichem Maße durch den Einfluss des germanisch geprägten droit coutumier verdeckt, der u. a. zur Folge hatte, dass der Begriff des héritier bis heute den Blutsverwandten des Erblassers vorbehalten ist. Doch hatte das römische Recht in substanzieller Hinsicht nicht nur schon bei Abfassung des Code civil in vielen Punkten den Sieg davongetragen. Auch erfuhr die französische Nachlassabwicklung in den folgenden Jahrzehnten eine zusätzliche „Romanisierung“ durch die Gerichte, indem diese den Universalund den Quotenlegatar grundsätzlich unbeschränkt haften ließen, gewillkürte und gesetzliche Gesamtnachfolger damit gleichstellten und der germanischen Idee einer anfänglichen Haftungsbeschränkung eine Absage erteilten. Bis heute behaupten konnte sich die Tradition des droit coutumier immerhin in Form des Rechtsinstituts der saisine, das den nahen Familienangehörigen des Verstorbenen unabhängig von der vom Testator vorgesehenen Verteilung das Recht auf ungehinderten Zugang zum Nachlass gewährt und damit auch der Nachlassabwicklung einen stark familiären Anstrich verleiht. Und doch wurde auch in die Tradition der saisine in jüngerer Zeit eine erhebliche Bresche geschlagen, indem in der dogmatischen Gestalt einer „postmortalen Vollmacht“ nunmehr die Möglichkeit besteht, einer familienfremden Person die Nachlassverwaltung (allerdings nicht die Abwicklung) zuzuweisen und den nahen Angehörigen damit den Zugang zum Nachlass zu verwehren. Verbunden mit einer (Wieder-)Annäherung des französischen Rechts an die römische Tradition war auch eine Annäherung an die Nachlassabwicklung des BGB. Freilich bestehen zwischen beiden Rechtsordnungen in vielen Fragen auch weiterhin bedeutsame Unterschiede, wie die folgenden Kapitel zeigen.
§ 6 Die Vervollkommnung der gesonderten Abwicklung A. Überblick I. Das Festhalten an der gesonderten Nachlassabwicklung Den Gläubigern des Erblassers sowie den Vermächtnisnehmern gewährte bereits das vorjustianische Recht die Option, mittels der separatio bonorum eine gesonderte Nachlassabwicklung herbeizuführen und sich so den vorrangigen Zugriff auf die Nachlasswerte zu sichern.1 Dem heres wurde hingegen zu dieser Zeit nur die Wahl eingeräumt, die Erbschaft entweder auszuschlagen oder sie integriert abzuwickeln, also unter Inkaufnahme der unbeschränkten Haftung. Allein der servus cum libertate konnte mittels des beneficium separationis die gesonderte Liquidation des Nachlasses erreichen, und der Grund für dieses Privileg lag eben darin, dass ihm die Ausschlagung verwehrt war. Eine allgemeine Option für die gesonderte Nachlassabwicklung brachte erst das von Justinian geschaffene beneficium inventarii.2 Die modernen Erbrechtsordnungen gingen nicht mehr hinter diese Entwicklungsstufe zurück. Die letzte prominente Ausnahme war das Privatrechtliche Gesetzbuch für den Kanton Zürich aus dem Jahr 1853, das wie das vorjustinianische Recht dem Erben nur die Wahl zwischen Ausschlagung und Annahme bei unbeschränkter Haftung gab.3 Mit Gottfried von Schmitt lässt sich der Einfachheit und Klarheit einer solchen Alles-oder-nichts-Lösung bescheinigen, „viel Bestechendes“ zu haben.4 Einwenden lässt sich gegen sie insbesondere nicht die – für sich gesehen zutreffende – Überlegung, dass der Auferlegung einer unbeschränkten Haftung die sachliche Rechtfertigung fehlt.5 Hängt nämlich das Eintreten in die Abwicklerrolle vom Willen des Berufenen ab, erfährt die unbeschränkte Haftung eine privatautonome Legitimation. 6 Damit zeigt sich: Die unbeschränkte Haf1
Siehe oben § 4 A.V. (257 ff.). Näher zum Ganzen oben § 4 A.IV. (256 f.), VII. (262 ff.). 3 Siehe v. Schmitt, Begründung, 981 f. 4 Näher v. Schmitt, Begründung, 983; Huber, System und Geschichte 2, 503 f. 5 Dazu oben § 2 E. (161 ff.), § 4 Fn. 231. 6 Hiermit ist natürlich nicht gesagt, dass eine Erbrechtsordnung die Annahme einer Erbschaft zwingend mit einer unbeschränkten Einstandspflicht verknüpfen müsse, vgl. Osthold, Erben und Haftung, 13. Ferner ist zuzugeben, dass die privatautonome Legitimation der unbeschränkten Haftung dort besonders schwach ist, wo sich der endgültige Erbschaftserwerb ohne Zutun des Berufenen und nach kurzer Überlegungsfrist vollzieht; dazu auch unten Fn. 736 und § 7 Fn. 306. 2
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§ 6 Die Vervollkommnung der gesonderten Abwicklung
tung wird erst in dem Moment untragbar, wo sie mit einer Zwangsnachfolge einhergeht.7 Ein entsprechendes Sonderopfer ist selbst solchen Personen nicht zumutbar, denen von Rechts wegen eine Teilhabe am Nachlassüberschuss garantiert wird. Zwar ist der Gedanke einer Koppelung von „Wohl und Wehe“ auf den ersten Blick attraktiv: Wer die unentziehbare Aussicht auf „unverdientes Vermögen“ hat, muss auch mit der Gefahr „unverdienter Einbußen“ leben. Doch ist die mit einer notwendig unbeschränkten Haftung einhergehende Freiheitsbeschränkung des Zwangsabwicklers viel einschneidender als die aus seiner unentziehbaren Nachlassbeteiligung resultierende Freiheitsbeschränkung des künftigen Erblassers. Denn dieser ist nicht gehindert, zu Lebzeiten frei über sein Vermögen zu verfügen und es ggf. sogar zu verschleudern.8 Anders gesagt, wäre der Abwickler auf Gedeih und Verderb dem Handeln des künftigen Erblassers ausgeliefert, dieser aber nicht in vergleichbarem Maße von den Rechten des Abwicklers betroffen. Aus diesem Grund lässt sich allenfalls in moralischer Sicht von einer Pflicht der nahen Familienangehörigen des Verstorbenen sprechen, dessen Schulden umfänglich zu tilgen,9 und eine entsprechende Überzeugung ist auch über Zeit- und Ländergrenzen hinweg anzutreffen.10
Bestehen gegen eine Lösung, die dem Abwickler nur die Wahl zwischen unbeschränkter Annahme und Ausschlagung lässt, somit keine durchgreifenden rechtsethischen Bedenken,11 ist es dennoch kein Zufall, dass Eugen Huber bei seinem Entwurf des schweizerischen ZGB in diesem Punkt ausnahmsweise nicht dem Zürcher Vorbild folgte,12 sondern dem Erben auch die Möglichkeit gab, die amtliche Liquidation zu beantragen.13 Denn bereits die Römer hatten vor den praktischen Schwächen einer Lösung, die nur die Entscheidung zwischen den Extremen zuließ, auf Dauer nicht die Augen verschließen können.14 Nicht nur führt die Ausschlagung lediglich zur Verschiebung des Problems,15 da an irgendeiner Stelle ein Zwangsabwickler gefunden werden muss, dem eine unbeschränkte Haftung, wie soeben gesehen, nicht zugemutet werden kann. Auch gebieten verschiedene Interessen, die Zahl der Ausschlagungen möglichst gering zu halten.16 So begibt sich der ausschlagende Erbe eines eventuellen Nachlassüber7 Zu kurz greift daher, auch im Hinblick auf die praktischen Vorteile der integrierten Abwicklung (dazu unten § 7 A.I. (571 ff.)), die Ansicht von Osthold, Erben und Haftung, 7–24, 155, dass die beschränkte Haftung der „gebotene Normalzustand“ sei. 8 Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 822. 9 Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 823. 10 Siehe oben § 2 Fn. 263. 11 Anders Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 51 („[…] würde heute als schwere Unbilligkeit empfunden“). 12 Zu dessen Einfluss auf das ZGB Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, 167. 13 Art. 593 ZGB. 14 Dazu oben § 4 A.VII.3. (264 f.). Für unzureichend hält die Fokussierung auf praktische Belange hingegen Osthold, Erben und Haftung, 156. 15 Endemann, Lehrbuch III/2, 862; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3486; Osthold, Erben und Haftung, 5. 16 v. Schmitt, Begründung, 984, und Motive V, 607 = Mugdan V, 326, hielten es nicht einmal für notwendig, die allgemeine Unerwünschtheit von Ausschlagungen näher zu begründen. Ebenso F. Mommsen, Entwurf, 303 (Erläuterung zu § 256). Die Zürcher Lösung hielt v. Schmitt, Begründung, 983 f. im Übrigen auch wegen ihrer u. U. harschen Folgen für die Gläubiger für untragbar.
A. Überblick
369
schusses und muss obendrein womöglich noch Ausschlagungsgebühren entrichten.17 Aus Sicht des Erblassers mag zu beklagen sein, dass seine vielleicht akribisch vorbereitete Nachlassplanung zunichte gemacht wird.18 Besteht dieses Risiko in Abwesenheit eines Zwangserbrechts natürlich immer, ist es dennoch misslich, wenn der Wunsch zur Ausschlagung erst durch ein missglücktes Regime der Erbenhaftung entsteht. Schließlich verursacht die Ausschlagung aber auch volkswirtschaftliche Kosten, indem sie die Nachlassabwicklung verzögert, insbesondere dort, wo es zu Kettenausschlagungen kommt. Nicht nur müssen Gläubiger weiter auf ihr Geld warten, auch bleiben die aktiven Nachlasswerte einstweilen totes Kapital. Die Gesamtbewertung ändert sich auch dadurch nicht, dass das Zürcher Privatrechtsgesetzbuch immerhin eine Schwäche des vorjustinianischen Rechts beseitigt hatte. Denn indem es dem Erben die Möglichkeit eines Gläubigeraufgebots gewährte, das die nicht angemeldeten Forderungen zum Erlöschen brachte,19 konnte dieser sich gegen die böse Überraschung einer erst nach Annahme entdeckten Verbindlichkeit schützen. Demgegenüber musste der römische heres auf Grundlage seiner eigenen Ermittlungen den „Sprung ins Dunkel“ wagen.20 Doch zahlte die Zürcher Lösung eben auch einen empfindlichen Preis in der Form, dass es den nicht angemeldeten Erblassergläubigern nicht einmal mehr gestattete, auf einen beim Erben noch vorhandenen Überschuss zuzugreifen.21 Diese harsche Rechtsfolge war logische Konsequenz der Entscheidung gegen jede Form der Behandlung des Nachlasses als Sondervermögen. Die geschichtliche Entwicklung unterstreicht mithin die Einsicht, dass eine Erb rechtsordnung ohne einen Modus der gesonderten Abwicklung nicht auskommt. Das Aufzwingen einer integrierten Abwicklung ist rechtsethisch nicht tolerabel, eine Lösung, die nur Wahl zwischen Ausschlagung und integrierter Abwicklung lässt, nicht praktikabel. Abgesehen davon funktioniert die Rechtfertigung der Vermögensverschmelzung über die Privatautomonie auch nur für den Abwickler, nicht aber für die Nachlassgläubiger, die der Auswechslung des Schuldners nicht widersprechen können. Muss aber den Nachlassgläubigern ohnehin die Option der gesonderten Abwicklung eingeräumt werden, wäre es töricht, diesen Mechanismus nicht auch dem Abwickler zur Verfügung zu stellen.
II. Die Defizite der überlieferten historischen Modelle Modelle zur Regelung der gesonderten Nachlassabwicklung fanden moderne Gesetzgeber sowohl im justinianischen als auch im mittelalterlichen englischen Recht. 17
So jedenfalls die deutsche Regelung, siehe oben § 1 Fn. 106. Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3460, dessen Annahme eines Einflusses der Erbenhaftungsregelung auf das Erblasserverhalten freilich spekulativ scheint. 19 v. Schmitt, Begründung, 981 f. 20 Dazu oben § 4 A.VII.3. (264 f.). 21 Siehe die scharfe Kritik bei v. Schmitt, Begründung, 893 (Fn. 1) („ungeheuerliche[s] Präjudiz“), 984 f., der die Zürcher Lösung mit ihrem engen lokalen Anwendungsbereich erklärte. 18 Dazu
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§ 6 Die Vervollkommnung der gesonderten Abwicklung
Doch konnte keines von beiden unbesehen übernommen werden, da sie an erheblichen, wenngleich unterschiedlichen Defiziten litten. Das Defizit der justinianischen Lösung war vor allem rechtsethischer Natur. Sie war einseitig auf die Interessen des heres ausgerichtet und vernachlässigte dadurch die Interessen der Erblassergläubiger. Am deutlichsten zeigte sich dieses Ungleichgewicht in der Befugnis des heres, die Nachlassgläubiger nach dem Prioritätsprinzip zu bedienen und für die Geltendmachung von Vorrangverhältnissen auf den Innenregress zu verweisen.22 Das mittelalterliche englische Recht war demgegenüber beinahe von Beginn an durch das Bemühen um einen angemessenen Ausgleich der verschiedenen materiellrechtlichen Interessen gekennzeichnet. Indem es jedoch die Nachlassabwicklung durch zahlreiche Formalismen schwerfällig und teuer machte, trug es, zum Leidwesen vor allem der beneficiaries, Belangen der Praktibilität und Wirtschaftlichkeit nicht hinreichend Rechnung.23 Im Vergleich dazu zeichnete sich das justinianische beneficium inventarii durch Einfachheit und Begünstigtenfreundlichkeit aus. Waren bei Stärken und Schwächen der verfügbaren historischen Modelle somit jeweils die Vorzeichen vertauscht, lag die Herausforderung für die modernen Gesetzgeber darin, die Stärken zu bewahren und die Schwächen auszumerzen. Für das englische Recht lautete das Programm demzufolge, all diejenigen Formalismen abzubauen, die keine sachdienlichen Zwecke erfüllten. Für die Rechtsordnungen, die der römischen Tradition folgten, lautete die wichtigste Forderung demgegenüber, den Gläubigerschutz zu verstärken. Der folgende Satz Gustav Boehmers war zwar vom Standpunkt des geltenden deutschen Rechts und in einem spezifischen zeithistorischen Kontext formuliert, doch kann er als Zielvorgabe zeit- und rechtsordnungsübergreifende Gültigkeit für sich in Anspruch nehmen. Boehmer zufolge geht es darum, „die entgegengesetzten Aufgaben des Schutzes der Nachlaßgläubiger und der Erben in einer Form miteinander [zu vereinigen], die den Gläubigern die genügende Sicherheit ihrer Befriedigung bietet, die Erben aber vor den Fallstricken eines unnötig komplizierten technischen Apparats, vor überflüssiger Bevormundung und unwirtschaftlichem Verschleiß der Nachlaßmittel bewahrt“.24 Von einem solchen gemeinsamen Ausgangspunkt her wäre an sich zu erwarten gewesen, dass der römische und der englische Entwicklungsstrang sich irgendwann in der „goldenen Mitte“ trafen. Doch klingt zum einen in dem Zitat Boehmers bereits an, dass die verfolgten Ziele vielfach in einem gegenläufigen Abhängigkeitsverhältnis stehen, das Abwägungsentscheidungen erforderlich macht. Zum anderen lehrt schon die allgemeine rechtshistorische Erfahrung, dass Rechtsentwicklungen sich niemals unter „Laborbedingungen“ vollziehen, sondern immer von zahlreichen Faktoren beeinflusst werden und nicht zuletzt im Bann bestimmter Traditionen stehen. Die folgende Untersuchung wird insbesondere die Bedeutung des 22
Siehe oben § 4 A.VII.10. (277 ff.). Siehe oben § 4 B.III. (298). 24 Staudinger/Boehmer 10 , § 1922 Rn. 250. 23
A. Überblick
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zweitgenannten Punktes deutlich machen, abgesehen davon aber auch die große Komplexität und Vielschichtigkeit des Themas. Dass das vorliegende Kapitel das mit Abstand längste dieses Buches ist, kommt somit nicht von ungefähr.
III. Das weitere Vorgehen Im Folgenden wird zunächst das englische Recht untersucht (B.), das vergleichsweise geringe Mühe hatte, das historische Regime zu verbessern. Überlieferte rechtsethische Defizite, soweit überhaupt noch vorhanden, waren punktueller Art, so wie die fehlende Gläubigergleichbehandlung im Fall der Insolvenz, und damit leicht zu beseitigen. Was das Hauptpetitum betraf, also die Deformalisierung der Nachlassabwicklung, musste der schon bald nach Ende des Mittelalters eingeschlagene Weg lediglich weitergegangen werden. Während dies in England auch geschah, fand in den ehemaligen Kolonien USA und Südafrika interessanterweise ein gegenläufiger Prozess statt, indem die Nachlassabwicklung englischer Prägung hier einen neuerlichen Formalisierungsschub erfuhr. Anschließend folgt die Darstellung der französischen Rechtsentwicklung (C.), beginnend mit dem noch stark an das justinianische Vorbild angelehnten Code civil von 1804 und hinleitend zur weitreichenden Reform der gesonderten Abwicklung im Jahr 2006. Dabei wird sich zeigen, dass französische Juristen während der zwei vergangenen Jahrhunderte fast durchgehend um die angemessene Ausgestaltung der Nachlassabwicklung gerungen haben. Obgleich die Situation der Erblassergläubiger Schritt für Schritt verbessert wurde, konnten die Interessen der Familienangehörigen als den typischen Begünstigten des Erbfalls bis heute die Oberhand behalten. Wenn danach noch nicht sofort vom heutigen deutschen Recht die Rede ist, sondern zunächst vom preußischen ALR (D.), dann liegt der Grund zum einen in dessen großem Einfluss auf die Arbeiten zum BGB, zum anderen in seiner aus heutiger Sicht erstaunlich großen strukturellen Nähe zum englischen Recht. Wie zu sehen sein wird, ist dies allerdings nicht auf eine direkte Beeinflussung zurückzuführen, sondern auf Gedankengut der mittelalterlichen Rechtstradition. Der letzte und ausführlichste Länderbericht dieses Kapitels ist der Regelung der gesonderten Nachlassabwicklung im BGB gewidmet (E.). Kennzeichen des deutschen Regimes ist seine unübertroffene Komplexität und Ausdifferenzierung, die Frucht der nie dagewesenen Intensität war, mit der die Thematik im Zuge der Gesetzgebungsarbeiten behandelt wurde. Konnten die §§ 1967–2017 BGB zwar die Mängel des justinianischen Rechts überwinden, indem sie ein hohes Maß an Gläubigerschutz sicherstellen, gelten sie in der Gesamtbetrachtung seit jeher als misslungen. Beachtliche Reformvorschläge wurden insbesondere im Erbrechtsausschuss der „Akademie für Deutsches Recht“ vorgelegt. Das Kapitel schließt mit einem rechtsvergleichenden Fazit (F.).
372
§ 6 Die Vervollkommnung der gesonderten Abwicklung
B. Das englische Recht I. Deformalisierung 1. Der Weg zur gerichtsfernen Abwicklung Etwa ab dem 17. Jahrhundert war die englische Nachlassabwicklung von einem kontinuierlichen Prozess der Deformalisierung gekennzeichnet, der sich durch die schleichende Zurückdrängung der kirchlichen Macht erklären lässt.25 So wurde durch ein Gesetz von 1685 das zwingende Erfordernis einer Rechnungslegung aufgehoben,26 und auch die Inventarerrichtung verlor im Laufe der Zeit ihren verpflichtenen Charakter.27 Ihren kodifikatorischen Ausdruck fand diese Entwicklung im „Administration of Estates Act“ von 1925, der eine Pflicht zu Inventarerrichtung und Rechnungslegung nur noch im Fall einer gerichtlichen Anordnung aufgrund des Antrags einer interessierten Partei vorsieht.28 Zu beachten ist allerdings, dass de facto auch heute noch in weitreichendem Maße eine Inventarpflicht besteht, weil der personal representative einen grant of probate bzw. letters of administration erst erhält, nachdem er eine Erklärung zur Erbschaftssteuer abgegeben und, soweit erforderlich, eine entsprechende Zahlung geleistet hat. 29 Nur dort, wo die Nachlassverhältnisse so gestaltet sind, dass ein testamentarisch ernannter executor ohne den deklaratorischen grant of probate auskommt, kommt er also um die detaillierte Erfassung des Nachlasses herum. Wie an anderen Stellen gilt es allerdings, den Fehler zu vermeiden, die faktische und die rechtliche Ebene zu vermischen.30 Soweit für das heutige englische Recht von einer Pflicht zur Inventarerrichtung gesprochen werden kann, ist diese Pflicht eine administrative, keine zivilrechtliche.
Die staatlichen Gerichte spielen heute somit eine grundsätzlich andere Rolle in der Nachlassabwicklung als die bis 1858 dafür zuständigen kirchlichen Gerichte: Sie überwachen diesen Vorgang nicht im eigenen Interesse, sondern im Interesse der betroffenen Parteien, und fordern Maßnahmen wie Inventarerrichtung und Rechnungslegung deshalb nicht präventiv ein, sondern nur bei konkretem Anlass zur Besorgnis. Im Ergebnis sieht das englische Recht ein zweispuriges System innerhalb der gesonderten Abwicklung vor, indem es die staatsferne Abwicklung in Ausnahmefällen durch eine staatsnahe Abwicklung ersetzt. 25
Dazu schon oben § 4 B.II.2e) (291 ff.). Arkell, The Probate Process, 10. 27 Wann dies genau geschah, ist nicht klar. Siehe den Überblick bei Williams/Williams, Executors and Administrators, 733 f., die für die liberale Handhabung nur auf die „modern practice“ verweisen. 28 Siehe sec. 25 AEA 1925; die Vorschrift wurde 1971 geändert, findet sich aber sachlich weitgehend unverändert in sec. 25(b) AEA. 29 Näher dazu J. P. Schmidt, in: FS Gretton, 335; Häcker, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 206–208, dort auch zu dem praktischen Problem, dass der personal representative mangels Legitimationsurkunde den zur Zahlung der Erbschaftssteuer erforderlichen Betrag oftmals nicht dem Nachlass entnehmen kann und somit vorstrecken muss. 30 Siehe bereits oben § 1 E.I.1a) (27 ff.). 26 Siehe
B. Das englische Recht
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2. Die Beseitigung der Pflicht zur Kautionsleistung Ein weiterer Schritt zur Vereinfachung und Verbilligung der Nachlassabwicklung erfolgte 1971 mit der weitgehenden Einschränkung der (seit 1529 gesetzlich verankerten 31) Pflicht des administrator zur Stellung einer Kaution (bond).32 In der weiteren Folge wurde dieses Erfordernis sogar ganz abgeschafft.33 Wesentlicher Grund für die Reform von 1971 war das erhebliche Missverhältnis zwischen Kosten und Nutzen der Kautionsleistung in der Praxis. Dieses beruhte zum einen auf der stolzen Höhe der zu leistenden Kaution (der doppelte Wert des Aktivnachlasses),34 zum anderen darauf, dass die Kaution äußerst selten in Anspruch genommen wurde.35 Wurde die angeforderte Sicherheit wie häufig durch Abschluss einer Versicherung geleistet,36 verteuerte sich die Nachlassabwicklung also um die gezahlten Prämien sowie den administrativen Aufwand, ohne dass dem ein spürbarer Vorteil gegenüber gestanden hätte.37 Die dem Rechtsverkehr durch das Kautionserfordernis jährlich entstehenden Gesamtkosten wurden von der Law Commission als „truly formidable“ erachtet.38 Als unsachgemäß wurde ferner die Differenzierung zwischen dem der Kautionspflicht unterliegenden administrator und dem von dieser Pflicht befreiten executor empfunden 39 (eine Differenzierung, die nach Ansicht mancher sogar zur Steigerung der Testierquote beitrug40). Denn obgleich die Auswahl des executor durch den Erblasser eine erhöhte Gewähr für dessen Ehrlichkeit und Kompetenz bot,41 war er vor haftungsauslösenden Fehlern bei der Nachlassabwicklung natürlich keineswegs gefeit. Indem die betroffenen Gläubiger und Begünstigten in diesem Fall nicht durch eine Kaution abgesichert waren, standen sie schlechter als im Fall eines Fehlverhaltens durch den administrator. Schließlich hielt die Law Commission aber auch das Erfordernis, Kaution in der Höhe des doppelten Wertes des Aktivnachlasses zu stellen, für deutlich überzogen, da der personal representative einen Schaden
31
Siehe oben § 4 Fn. 344. Fratcher, in: Death, Taxes and Family Property, 159 f. Zu den Einzelheiten der von 1925 bis 1971 geltenden Rechtslage Fratcher, New York University LR 40 (1965), 50. 33 Zwar räumt sec. 120 SCA dem Gericht nach wie vor die Möglichkeit ein, unter bestimmten Voraussetzungen vom administrator die Stellung von Sicherheiten zu verlangen, doch wurden die Vorschriften, die diese Voraussetzungen regelten, inzwischen abgeschafft: Siehe Winegarten/ D’Costa/Synak, Tristram and Coote’s Probate Practice, Nr. 6.391 f. 34 Zudem wurde die Stellung zweier Personalsicherheiten verlangt, Law Commission, Report 31, Nr. 3. 35 Law Commission, Report 31, Nr. 4, 13. 36 Law Commission, Report 31, Nr. 3. 37 Law Commission, Report 31, Nr. 1, 13. 38 Law Commission, Report 31, Nr. 13. Von einer „starken Belastung“ sprach auch v. Caemmerer, DfG 1936, 122. 39 Law Commission, Report 31, Nr. 13. 40 Siehe den Nachweis bei v. Caemmerer, DfG 1936, 122. 41 Dazu schon oben § 3 C.II.1. (203 ff.). 32 Näher
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§ 6 Die Vervollkommnung der gesonderten Abwicklung
in dieser Höhe nur dann verursachen konnte, wenn Nachlass während der Abwicklung erheblich an Wert gewann.42 Aus den genannten Gründen wurde mit der Reform von 1971 zum einen der Kreis der Personen, die bei Beantragung eines grant of representation eine Kaution stellen müssen, stark reduziert, zum anderen wurde die Höhe der Kaution auf den einfachen Wert des Aktivnachlasses beschränkt.43 Bemerkenswert ist, dass fortan insbesondere Nachlassbegünstigte, die die Rolle des administrator übernahmen, von der Pflicht zur Kautionsleistung ausgenommen waren. Denn dies unterstreicht einmal mehr, dass das englische Recht die Verbindung von Abwickler- und Begünstigtenrolle gerade nicht argwöhnisch, sondern wohlwollend betrachtet.44 3. Früchte der Deformalisierung Die gezeigten Schritte zur Vereinfachung der Nachlassabwicklung haben zahlreiche positive Wirkungen in der Rechtspraxis gezeitigt. So sind im Vergleich zu früheren Jahrhunderten die anfallenden Gerichtsgebühren heute sehr niedrig.45 Zudem gelingt es bei unkomplizierten Nachlässen den Angehörigen des Verstorbenen oftmals, den Nachlass ohne Hinzuziehung professioneller Dienstleister abzuwickeln (Hilfestellung wird hierbei durch eine reichhaltige Ratgeberliteratur gegeben).46 Als wichtigster „complicating factor“ wird bezeichnenderweise die Zahlung der Nachlasssteuer empfunden.47 Weiter manifestiert sich die Vereinfachung der Nachlassabwicklung darin, dass statistischen Erhebungen zufolge etwa 60% aller Nachlässe innerhalb von sechs Monaten abgewickelt werden,48 das „executor’s year“49 also keineswegs immer ausgeschöpft wird. Und wo es zu Verzögerungen kommt, kann die Ursache auch in einem Rechtsinstitut liegen, das nicht der Nachlassabwicklung zuzurechnen ist, sondern auf der Ebene der Begünstigung angesiedelt ist. Gemeint ist die Regelung zur „family provision“, die Kindern und anderen dem Erblasser nahe stehenden Personen ermöglicht, vor Gericht die Gewährung unterhaltsähnlicher Leistungen aus dem Nachlass zu beantragen, wenn das Testament oder die gesetzliche Erbfolge 42
Law Commission, Report 31, Nr. 13. den Einzelheiten Law Commission, Report 31, Nr. 14. Zum später erfolgten gänzlichen Wegfall der Kautionspflicht oben Fn. 33. 44 Dazu schon oben § 1 E.I.1a) (27 ff.); § 3 C.II.2. (205 ff.). 45 So fällt für die Beantragung eines grant of probate oder grant of letters of administration eine Einheitsgebühr von 155 Pfund an, wenn der Nachlasswert 5.000 Pfund übersteigt, siehe Non-Contentious Probate Fees (Amendment) Order 2014; Kerridge, Law of Succession, [19-20] (Fn. 47). Zur Klage über die hohen probate fees in früherer Zeit oben § 4 Fn. 354. 46 Siehe die Ergebnisse der statistischen Erhebung von YouGov, The use of probate and estate administration services, 2, 5, 6, 26, 31. Wo professionelle Hilfe in Anspruch genommen wird, fallen durchschnittlich Kosten zwischen 1.200 und 2.500 Pfund an, siehe ebd., 5. 47 YouGov, The use of probate and estate administration services, 12 f., 28. Im Zusammenhang damit dürfte die Klage über die Schwierigkeiten der Bewertung des Nachlasses stehen, siehe ebd., 6, 31. 48 YouGov, The use of probate and estate administration services, 52. 49 Dazu oben § 4 Fn. 489. 43 Zu
B. Das englische Recht
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für sie keine „reasonable financial provision“ vorsieht.50 Da ein entsprechender Antrag innerhalb von sechs Monaten ab formeller Übernahme der Nachlassabwicklung gestellt werden muss,51 ist der personal representative dort, wo mit der Geltendmachung solcher Ansprüche zu rechnen ist, gut beraten, den Nachlassüberschuss nicht vor Ablauf der Frist auszukehren.52 In institutioneller Hinsicht äußern sich die Einfachheit und die geringen Kosten der Nachlassabwicklung schließlich darin, dass kein praktischer Bedarf für Sonderregeln über die Abwicklung geringwertiger Nachlässe besteht.53 Indem das vereinfachte Verfahren gewissermaßen zum Hauptverfahren erhoben wurde, trat nicht mehr das Problem auf, dass der Verfahrensaufwand bei kleineren Nachlässen außer Verhältnis zu deren Wert steht. Dies erklärt zugleich, weshalb bei englischen Erblassern der Wunsch nach Umgehung des probate-Verfahrens viel schwächer ausgeprägt ist als bei amerikanischen.54 Infrage gestellt wird diese Einschätzung auf den ersten Blick freilich durch statistische Erhebungen, nach denen es nur etwa in der Hälfte aller Todesfälle pro Jahr zu einer gerichtlichen Bestätigung des executor oder Ernennung eines administrator kommt,55 so dass die Nachlassabwicklung sich in der anderen Hälfte der Fälle ohne jegliche Einschaltung der Gerichte vollzieht. Roger Kerridge vermutet, dass dies größtenteils Nachlässe betrifft, die von sehr geringem Wert sind oder deren wichtigste Bestandteile auf anderem Wege auf einen Nachfolger zugewiesen werden, etwa über die Anwachsung im Rahmen einer joint tenancy (also des häufig zwischen Ehegatten bestehenden Gemeinschaftseigentums).56 Folgt man dieser Annahme, wird in den nicht in den Gerichtsstatistiken auftauchenden Fällen das rechtliche System der Nachlassabwicklung nicht bewusst umgangen,57 stattdessen wird seine genaue Befolgung nicht für notwendig erachtet. Dies impliziert, dass es um den Nachlass keinen Streit gibt und die Beteiligten hinsichtlich der vorhandenen Werte auch ohne gerichtliche Legitimation im Rechtsverkehr als neue Inhaber akzeptiert werden. Kurios ist diese Situation insofern, als den beneficiaries gar 50
Siehe sec. 1(1), 2 I(PFD). Siehe sec. 4 I(PFD). Gemeint ist, dass ein grant of probate oder grant of letters of administration ausgestellt wird. 52 Siehe schon Fratcher, in: Death, Taxes and Family Property, 161; Braun, Will-Substitutes in England and Wales, 71. 53 Zwar wurde 1906 die Möglichkeit eingeführt, geringwertige Nachlässe durch den Public Trustee (zu diesem oben § 1 Fn. 629) abwickeln zu lassen (dazu schon v. Caemmerer, DfG 1936, 122). Doch hat, da der Schwellenwert von 1.000 GBP seitdem niemals angehoben wurde, die Inflation diese Option praktisch bedeutungslos werden lassen (Halsbury’s Laws of England, [1166]), ohne dass dies offenbar als Problem empfunden wird. 54 Siehe Braun, in: Passing Wealth on Death, 53–56, 70–73, der zufolge in England allerdings die steuerlichen Anreize für „will-substitutes“, etwa in Gestalt privater „pension schemes“, größer sind als in den USA. Zu undifferenziert Leleu, ERPL 6 (1998), 165. 55 Siehe die Daten bei Kerridge, Testamentary Formalisties, 316 f.; ders., Intestate Succession, 331. 56 Kerridge, Testamentary Formalisties, 317; ders., Intestate Succession, 332. 57 Wo dies ausnahmsweise doch der Fall ist, dürfte Steuerhinterziehung das Motiv sein, siehe Kerridge, Intestate Succession, 332. 51
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§ 6 Die Vervollkommnung der gesonderten Abwicklung
nicht die Rechtsinhaberschaft zukommt, da sie sich hierzu gerichtlich zum administrator ernennen lassen müssten58 (ein executor würde zwar automatisch in den Nachlass eintreten, doch fehlt es in Situationen wie den genannten typischerweise an einer entsprechenden testamentarischen Ernennung). Wenn dieses Erfordernis in vielen Fällen offenbar folgenlos ignoriert wird, ist es verlockend, in ihm ein letztes Überbleibsel des an sich überwundenen Formalismus zu sehen. Doch wie an anderer Stelle noch zu zeigen ist, bringt die gerichtliche Ernennung des Intestatabwicklers auch gewichtige praktische Vorteile mit sich.59 Und die erforderliche Ausnahme für geringwertige Nachlässe wird zwar vom Gesetz nicht angeboten, von der Praxis aber schlichtweg gelebt. 4. Die gegenläufige Entwicklung in ehemaligen Kolonien und Schottland a) USA und Südafrika Bereits in der Einführung zu dieser Arbeit wurde auf den bemerkenswerten Umstand hingewiesen, dass die englische Tradition der Nachlassabwicklung außerhalb des Mutterlandes oftmals eine gänzlich andere Entwicklung nahm, indem der Grad der Formalisierung dort nicht nur beibehalten, sondern mitunter sogar noch erhöht wurde. Besonders gut dokumentiert ist dies für das US-amerikanische probate-Verfahren, das sich zu einer Art Schreckgespenst der Erbrechtsvergleichung entwickelte und dadurch bedauerlicherweise auch den Ruf des englischen Rechts nachhaltig in Mitleidenschaft zog. Zwar schafften viele US-Bundesstaaten insoweit Abhilfe, als sie vereinfachte Verfahren für geringwertige Nachlässe einführten, doch manifestierte sich darin zugleich auch der hohe Aufwand des allgemeinen Regimes. Eine vorsichtige Wende zur Deformalisierung war erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu verzeichnen. 60 Eine weitere Rechtsordnung, in der das englische Modell der Nachlassabwicklung fortlebt, aber einen erheblichen Formalisierungsschub erfuhr, ist die südafrikanische. 61 Hier unterliegt der executor auch heute noch einer strengen Aufsicht durch den „Master“62 , der beinahe jeden seiner Schritte absegnen muss,63 dem 58 Nach sec. 9 AEA liegt die Rechtsinhaberschaft beim Public Trustee, dazu schon oben § 1 Fn. 629. 59 Siehe unten § 8 A.II. (638 ff.), B.V. (681 ff.). 60 Zum Ganzen oben § 1 E.I.2a)(3) (37 ff.). 61 Die in der Kapkolonie ursprünglich geltende, römisch-holländische Tradition der Nachlass abwicklung wurde 1833 mittels der „Cape Ordinance 104“ durch das englische Modell ersetzt, siehe Beinart, Acta Juridica 1960, 232 f.; Corbett/Hofmeyer/Kahn, The Law of Succession in South Africa, 8; De Waal, in: Introduction, 169. 62 Vollständige Bezeichnung „Master of the High Court“, ein vom Justizminister ernannter Amtsträger, der mit weitreichenden administrativen Befugnissen in bestimmten Rechtsmaterien ausgestattet ist, darunter die Nachlassabwicklung (administration of estates). Siehe De Waal/ Schoeman-Malan, Law of Succession, 238 f. 63 Siehe die kritische Würdigung bei Beinart, Acta Juridica 1981, 20: „But the South African legislation on deceased estates has in what seems to be excessive bureaucratic zeal […] gone much further in the control and surveillance of the executor (or personal reprsentative) than has English
B. Das englische Recht
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executor für seine – von einem Laien kaum zu erbringenden – Dienste aber immerhin auch eine großzügige Entlohnung zuspricht.64 b) Schottland Interessante Unterschiede lassen sich schließlich auch zur englischen Nachbarrechtsordnung Schottland feststellen, die sich in der Frage der Nachlassabwicklung, genauso wie im Erbrecht generell, zwar grundsätzlich eigenständig entwickelte, aufgrund des englischen Einflusses aber schon etwa im 13. Jahrhundert eine große strukturelle Nähe zu diesem aufwies und in der Folge beibehielt. 65 (1) Das Erfordernis von „confirmation“ und Inventarerrichtung Schon früh war die schottische Nachlassabwicklung insofern formalistischer als die englische, als auch der testamentarisch ernannte executor die rechtliche Gewalt über den Nachlass stets erst durch die „confirmation“ seitens der zuständigen kirchlichen Autorität erlangte und eine vorherige Einmischung in den Nachlass deshalb unzulässig war (der „unconfirmed intromitter“ konnte sogar mit Exkommunizierung bestraft werden). Zwingende Voraussetzung für die Erteilung einer „confirmation“, die sich strukturell mit der gerichtlichen Einantwortung nach österreichischem Recht vergleichen lässt, war wiederum die Errichtung eines Inventars, die der schottische executor somit im Unterschied zum englischen executor nicht auf einen späteren Zeitpunkt verschieben konnte. 66 In der Praxis waren die vom executor zum Nachlassbestand gemachten Angaben freilich oft vage oder sogar bewusst unvollständig oder falsch. 67 In Reaktion auf diese Missstände wurde die Inventarpflicht durch ein Gesetz von 1808 erheblich verschärft, 68 und die dadurch geschaffene Rechtslage gilt in der Substanz bis heute fort. Dies bedeutet nicht nur, dass ein schottischer executor stets zur Errichtung eines vollständigen Inventars verpflichtet ist. Auch ist die Inventarisierung der Nachlassgegenstände zusammen mit der vom sheriff vorzunehmenden „confirmation“ sogar konstitutiv für den Rechtsübergang. 69 Wird bei der Erfassung des Nachlasses ein Gegenstand vor-
law. Nearly every act and every decision of the executor, his inventories, his general administra tion, the accounts and the distribution of the bequests are subject to constant and continuous close scrutiny and approval by the Master’s office.“ Zu den Aufgaben des „Master“ auch Meyerowitz, The Law and Practice of Administration of Estates, [1.7]. Zu den Einzelheiten des Verfahrens Jamneck/Rautenbach (Hg.), The Law of Succession in South Africa, 255 f., 263–278. 64 Beinart, Acta Juridica 1981, 20 f. 65 Dazu, einschließlich der bemerkenswerten Unterschiede in Details, oben § 3 B.IV.1. (185 ff.). 66 Anton, Juridical Review 67 (1955), 137 f. 67 Anton, Juridical Review 67 (1955), 139. 68 Siehe Macdonald, Succession, [13.31]–[13.33]. 69 Sec. 14 Succession (Scotland) Act 1964. Näher zum Erfordernis und den Wirkungen der „confirmation“ Bartos, Succession (Scotland) Act 1964, [S14-17]–[S14-23].
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§ 6 Die Vervollkommnung der gesonderten Abwicklung
sätzlich oder versehentlich vergessen, unterliegt dieser bis zur Vornahme einer entsprechenden Ergänzung deshalb auch nicht der Rechtsmacht des executor.70 Für gewisse Einlastung sorgt immerhin ähnlich wie in den USA ein Sonderregime für „small estates“. Danach gilt für Nachlässe bis zu einem Bruttowert von (derzeit) 36.000 Pfund ein vereinfachtes Verfahren der „confirmation“.71 Bei diesem wird die Inventarerrichtung vom sheriff übernommen, und es fällt weder eine Kaution noch eine Gerichtsgebühr an.72 Auch diese Erleichterungen ändern freilich nichts daran, dass in Fällen geringwertiger Nachlässe die Beteiligten von einer „confirmation“ oftmals gänzlich absehen und den Nachlass außerhalb der rechtlichen Strukturen abwickeln.73 Schätzungen zufolge betrifft dies sogar die Hälfte aller Nachlässe.74 Genau wie in England ist dieser Zustand insofern kurios, als der Nachlass in diesen Fällen rechtlich gesehen in der Luft hängt, weil, wie gezeigt, selbst ein testamentarisch ernannter executor erst mit der „confirmation“ in ihn eintritt. Trotzdem sind Banken offenbar bereit, Summen von bis zu 50.000 Pfund auch ohne „confirmation“ auszuzahlen,75 wobei ihnen vermutlich die Vorlage eines Testaments oder eine Darlegung der Familienverhältnisse als Nachweis der Berechtigung genügt. (2) Das fortbestehende Erfordernis der Sicherheitsleistung Während für den testamentarisch ernannten executor das Erfordernis der Sicherheitsleistung zwar später als in England,76 aber immerhin auch schon 1823 wegfiel,77 vollzog das schottische Recht im Hinblick auf den behördlich zu bestimmenden Abwickler – in Schottland nicht administrator, sondern executor-dative genannt78 – die englische Entwicklung bislang nicht nach. In einem Bericht von 1990 erörterte die schottische Law Commission zwar einen entsprechenden Schritt und wies insbesondere auf die durch den Abschluss von Versicherungen entstehenden Kosten hin.79 Auch in Reaktion auf entsprechende Umfragen entschied sie 70 Gretton/Stevens, Property, Trusts and Succession, [26.46]–[26.47]; Bartos, Succession (Scotland) Act 1964, [S14-20]. 71 Siehe den Confirmation to Small Estates (Scotland) Act 1979 und die Confirmation to Small Estates (Scotland) Order 2011. 72 Macdonald, Succession, [13.68] f.; Scottish Government, Consultation on the Law of Succession (February 2019) [4.5.1]. 73 Siehe Reid, Intestate Succession in Scotland, 388: „[S]small estates […] are usually transferred informally and leave no mark in official records.“ 74 Scottish Law Commission, Report on Succession (2009), [2.1]. 75 Law Society of Scotland, Consultation Response, Nr. 15. 76 Dazu oben B.I.2. (373 f.) 77 Dies geschah im Confirmation of Executors (Scotland) Act 1823, siehe Scottish Law Commission, Report on Succession (1990), [8.35]. 78 Siehe oben § 3 Fn. 249. 79 Scottish Law Commission, Report on Succession (1990), [8.33], wo sich auch der interessante Hinweis findet, dass zusätzliche Kosten dadurch entstehen können, dass die Versicherungen mit Ausnahme von einfachen Fällen auf die Hinzuziehung eines professionellen Rechtsdienstleisters bestehen.
B. Das englische Recht
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sich letztlich aber doch dafür, am Kautionserfordernis festzuhalten, weil dieses nach wie vor sinnvolle Zwecke erfülle und in der Praxis gelegentlich auch relevant werde.80 Immerhin sah die Law Commission keinen Grund, die Kautionspflicht für den testamentarisch ernannten Abwickler, den executor-nominate, wieder einzuführen, weil sie in der Auswahl durch den Testator eine hinreichende Gewähr für seine Zuverlässigkeit sah. 81 In einem Bericht aus dem Jahr 2009 vertrat die Law Commission dann allerdings einen anderen Standpunkt. Sie schlug vor, das Kautionserfordernis aufzugeben, dafür aber dem sheriff die Befugnis einzuräumen, einem ungeeigneten Antragsteller die Ernennug zum executor-dative zu verweigern.82 Auch hier findet sich also der Gedanke, dass eine sorgfältige Auswahl des Abwicklers die beste Versicherung ist. 5. Fazit Während im schottischen Recht, soweit ersichtlich, die im Vergleich zu England stärkere Formalisierung der Nachlassabwicklung bislang nicht thematisiert wurde und damit offenbar auch nicht als drückendes Problem empfunden wird, ist der englische Weg in Südafrika83 und insbesondere in den USA als vorbildhaft gepriesen worden.84 So schloss ein amerikanischer Autor im Jahr 1977 seinen vergleichenden Überblick über die englische Nachlassabwicklung mit den Worten: „[…] it is difficult to conceive of a scheme of administration of decedents’ estates which would be simpler, faster or less expensive than that in use in England since 1926. Lawyers who practise in states where a decedent’s cow must appraised three times, once for federal estate tax purposes, a second time for state inheritance tax purposes and a third time for inventory purposes; where a cow may not be sold to pay funeral expenses without a court hearing and order; and where a funeral bill of a thousand dollars may not be paid without a court hearing and order, will understand that the English system is simpler.“85
In Stellungnahmen wie dieser kommt sehr klar die Einschätzung zum Ausdruck, dass den Kosten und Verzögerungen, die ein hoher Formalisierungsgrad verursacht, keine spürbaren Vorteile gegenüberstehen, dass m. a.W. die Deformalisierung der Nachlassabwicklung in England nicht mit einem Verlust an Qualität bezahlt werden musste. In der Tat scheint das englische Recht in der Praxis keinen Anlass zur Klage zu geben. Für die Rechtsentwicklung in Südafrika und den USA ist hingegen das Fazit zu ziehen, dass die Nachlassabwicklung in bedeutendem Maße von sachfremden Zwe80 Scottish Law Commission, Report on Succession (1990), [8.34]; siehe auch noch Scottish Law Commission, Discussion Paper on Succession (2007), [4.107–118]. 81 Scottish Law Commission, Report on Succession (1990), [8.35]. 82 Scottish Law Commission, Report on Succession (2009), [1.31]. 83 Siehe Beinart, Acta Juridica 1981, 20 (Fn. 81). 84 Siehe aus Sicht des US-amerikanischen Rechts Fratcher, in: Death, Taxes and Family Property, 160, der im englischen Recht ein Modell der „independent administration“ verwirklicht sieht, wie es seinerzeit auch schon in einigen US-Bundesstaaten existierte. 85 Fratcher, in: Death, Taxes and Family Property, 164.
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§ 6 Die Vervollkommnung der gesonderten Abwicklung
cken gekapert wurde, worin sich eine Parallele zur englischen Nachlassabwicklung des Mittelalters und seiner Prägung durch kirchliche Eigeninteressen zeigt. 86 Wie in der Einführung zum Recht der USA gesagt wurde, 87 sind die Gründe für diese Entwicklung bislang nicht genau erforscht. In Südafrika hat offenbar das Streben nach effektiver Eintreibung der Nachlasssteuer eine Rolle gespielt. 88
II. Die Vervollkommung des Nachlassinsolvenzverfahrens 1. Die Angleichung an das Verfahren bei lebzeitiger Insolvenz Regelungen über insolvente Nachlässe entstanden in England nicht nur früher als Regelungen über die Insolvenz lebender Personen, 89 sie behielten auch lange Zeit nach deren Einführung ihre verfahrensmäßige und materiellrechtliche Eigenständigkeit. Hauptursache dieses ungestörten Nebeneinanders war einmal mehr die Trennung der Gerichtsbarkeiten: Während die „bankruptcy“ lebender Personen in den Zuständigkeitsbereich der Common Law-Gerichte fiel, hatten mit insolventen Nachlässen die kirchlichen Gerichte und später der Court of Chancery zu tun. Eine Kehrtwende brachte folgerichtig erst die Zusammenlegung der Gerichtsbarkeiten durch die große Justizreform von 1873: Ausgehend von der Überlegung, dass es keinen guten Grund gab, das Vermögen eines insolventen Schuldners nach seinem Tod anders zu behandeln als zu seinen Lebzeiten, unterwarf der „Supreme Court Judicature Act“ des genannten Jahres insolvente Nachlässe den Vorschriften des „Bankruptcy Act“ von 1869.90 Das Ziel dieser nie in Kraft getretenen, durch den „Supreme Court Judicature Act“ von 1875 aber bestätigten Anordnung bestand darin, die überaus komplexen Rangverhältnisse, die im Laufe der Jahrhunderte für insolvente Nachlässe entwickelt worden waren,91 durch die einfachere Regelung des „bankruptcy law“ zu ersetzen.92 Die Reichweite dieser Angleichung blieb allerdings umstritten.93 Klärung und Konsolidierung brachte erst der „Administration of Estates Act“ von 1925,94 der der historischen Tradition allerdings eine bemerkenswerte Konzession machte: Gleichrangige Gläubiger durfte der personal representative weiterhin in der Reihenfolge ihrer Anmeldung befriedigen und
86
Siehe oben § 4 B.II.2d) (290). Siehe oben § 1 E.I.2a)(3) (37 ff.). 88 Beinart, Acta Juridica 1981, 20 (Fn. 81). 89 Dazu oben § 4 B.II.2b) und g) (288 ff., 297 ff.). 90 Nadelmann, Michigan LR 49 (1951), 1134. 91 Dazu oben § 4 B.II.2b) (288 ff.). 92 Zu einigen Unterschieden Williams/Williams, Executors and Administrators, 770. 93 Die verschiedenen Deutungsmöglichkeiten wurden erörtert in einer Entscheidung der „Chancery Division“ des High Court aus dem Jahr 1900: Re Whitaker [1900] 2 Ch 676. Siehe auch Williams/Williams, Executors and Administrators, 771 f. 94 Siehe AEA 1925, First Schedule, Part I. Zur heute gültigen „order of priority of debts“ ausführlich Williams, Mortimer & Sunnucks [46-60]–[46-70]; Kerridge, Succession, [21-77]–[21-84]. 87
B. Das englische Recht
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eigene Forderungen dieser Rangstufe vorab erfüllen.95 Die (weiter unten zu behandelnde) Abschaffung dieses „right to prefer creditors“ erfolgte erst 1971.96 In verfahrensrechtlicher Hinsicht leitete der „Bankruptcy Act“ von 1883 eine Zusammenführung ein, indem er das allgemeine Insolvenzverfahren für die Abwicklung insolventer Nachlässe öffnete.97 Über den Weg des „Bankruptcy Act“ von 191498 führte dies zu dem bis heute geltenden Nebeneinander dreier möglicher Vorgehensweisen: So kann erstens auf Antrag der Erblassergläubiger, aber auch des personal representative, die Abwicklung dem allgemeinen Insolvenzgericht überwiesen werden, der dann einen trustee in bankruptcy ernennt. Eine zweite Möglichkeit besteht darin, dem personal representative die Zuständigkeit für die Nachlassabwicklung zur belassen, ihn jedoch unter eine administration order, also enge gerichtliche Aufsicht zu stellen. Drittens schließlich kann der personal representative, solange kein anderslautender Gläubigerantrag vorliegt, den insolventen Nachlass auch „out of court“ abwickeln, d. h. ohne spezielle gerichtliche Intervention.99 Im letztgenannten Fall, der praktisch die Regel ist100 und die einfachste und kostengünstigste Abwicklungsvariante darstellt,101 kommt also das allgemeine Verfahren der Nachlassabwicklung zur Anwendung, so dass sich die Insolvenz des Nachlasses nur hinsichtlich der vom personal representative zu beachtenden Reihenfolge bei Verteilung der Nachlasswerte auswirkt. Zumindest aus deutscher Sicht ist dieses Konzept bemerkenswert für seinen freiheitlichen Charakter. Denn der testamentarisch oder gerichtlich bestimmte personal representative, der wie gesehen häufig auch zu den Begünstigten gehört, wird anders als ein Erbe unter dem BGB nicht gezwungen, die Abwicklung eines insolventen Nachlasses in professionelle Hände zu legen. 2. Die Vervollständigung des Gebots der Gläubigergleichbehandlung Im Verbund mit der vorstehend geschilderten, 1971 erfolgten Einschränkung des Kautionserfordernisses wurde eine bedeutende Änderung auf dem Gebiet der Nachlassinsolvenz herbeigeführt, nämlich die Abschaffung der „rights of retainer and preference“. Diese Rechte hatten es dem personal representative seit Jahrhunderten gestattet, gleichrangige Gläubiger in der Reihenfolge ihrer Anmeldung zu befriedigen und eigene Forderungen dieses Ranges vorab zu erfüllen.102 95 Sec. 34(2) AEA 1925; Pringsheim, Succession, 708 f. Zum historischen Ursprung dieser Regeln oben § 4 Fn. 333. 96 Siehe unten § 6 B.II.2. (381 ff.). 97 Sec. 125 Bankruptcy Act 1883; Nadelmann, Michigan LR 49 (1951), 1135. 98 Siehe sec. 130 Bankruptcy Act 1914. 99 Kerridge, Law of Succession, [21-68]–[21-70]; Williams, Mortimer & Sunnucks [46-43]–[4647]. Siehe auch schon Pringsheim, Succession, 708. Die rechtlichen Grundlagen finden sich heute im „Insolvency Act“ von 1986 und in der „Administration of Insolvent Estates of Deceased Persons Order“ von 1986. 100 Kerridge, Law of Succession, [21-70]. 101 Williams, Mortimer & Sunnucks [46-44]. 102 Siehe oben § 4 Fn. 333.
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§ 6 Die Vervollkommnung der gesonderten Abwicklung
Die Behandlung dieses Themas im Verbund mit dem der Kautionsleistung war nur auf den ersten Blick zufällig. Schon 1899 hatten nämlich die englischen Gerichte in dem, was die Law Commission später als ein „courageous piece of judicial legislation“ bezeichnen sollte103, die Verfahrensregel aufgestellt, dass Gläubiger, die die Rolle des administrator übernehmen wollten, im Zuge der Kautionsleistung auf die Rechte des „retainer and preference“ verzichten mussten. Mittelbar wurde somit eine Pflicht des administrator zur gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubigerforderungen auf einer Rangstufe etabliert, inklusive der Forderung des abwickelnden Gläubigers. Waren die „rights of retainer and preference“ damit für die praktisch wichtigste Fallgruppe abgeschafft, bestanden sie in all denjenigen Fällen fort, in denen ein Gläubiger aus anderen Gründen zur Abwicklung des Nachlasses befugt war, etwa weil er vom Verstorbenen als executor eingesetzt worden war oder als Familienmitglied die Befugnis zur Beantragung eines grant of administration hatte.104 Verständlicherweise sah die Law Commission diesen Überrest einer ungeordneten Schuldenbegleichung als unzeitgemäß an. Das Recht des personal representative zur eigenen Vorabbefriedigung sei „highly anomalous for a person in a fiduciary position“.105 Zudem sei die Gläubigergleichbehandlung inzwischen das allgemeine Prinzip des Insolvenzrechts und gestatte sogar die Anfechtung von vor der Insolvenz getroffenen Verfügungen.106 Die Law Commission wies ferner darauf hin, dass der historische Grund für die Erlaubnis des personal representative, mit den genannten Grundsätzen zu brechen, nicht länger bestand.107 Denn da anders als früher die Erlangung eines Vollstreckungstitels („judgment debt“) keine Priorität der Forderung mehr begründete,108 musste der abwickelnde Gläubiger nicht länger befürchten, von anderen Gläubigern seiner Stufe auf diesem ihm selbst verschlossenen Weg überholt zu werden.109 Das Argument, dass das Vorzugsrecht erforderlich war, um Gläubigern einen Anreiz für die Übernahme der Abwicklung zu setzen, sah die Law Commission durch die seit der richterlichen Teilabschaffung im Jahr 1899 gemachten Erfahrungen widerlegt; zudem liege die sachgerechte Lösung in der angemessenen Entlohnung des Abwicklers.110 Schließlich vermochte die Law Commission auch keinen Grund zu erkennen, die „rights of retainer and preference“ nur für den administrator abzuschaffen, für den executor hingegen beizubehalten. Denn selbst unter der fernliegenden Annahme, dass ein Erblasser den 103
Law Commission, Report 31, Nr. 5. Law Commission, Report 31, Nr. 5. 105 Law Commission, Report 31, Nr. 5, wo es ferner heißt: „Normally a fiduciary must sub ordinate his own interests to the interests of those towards whom he is in a fiduciary position. The personal representative, however, is allowed to prefer himself to them.“ 106 Law Commission, Report 31, Nr. 5, unter Verweis auf den „Bankruptcy Act“ von 1914. 107 Law Commission, Report 31, Nr. 5. 108 Der Vorrang titulierter Forderungen galt, soweit ersichtlich, bereits unter dem „Admini stration of Estates Act 1925“ nicht mehr. 109 Law Commission, Report 31, Nr. 8 . 110 Law Commission, Report 31, Nr. 8 . 104
B. Das englische Recht
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executor gerade zu dem Zweck ausgewählt haben sollte, ihm die bevorzugte Befriedigung zu ermöglichen, sei diese Zielsetzung nicht schützenswert, da es auf eine Disposition des Erblassers über Gläubigerinteressen hinauslaufe, die ihm zu Lebzeiten auch nicht möglich sei.111 Ergebnis dieser Überlegungen der Law Commission war die Abschaffung der „rights of retainer und preference“ im „Administration of Estates Act 1971“,112 der damit die anteilige Befriedigung gleichrangiger Gläubiger zur Regel machte.113 Die Law Commission hatte bei allem nicht verkannt, dass das Recht des personal representative zur Befriedigung der gleichrangigen Gläubiger nach dem Prioritätsprinzip ungeachtet dessen rechtsethischer Fragwürdigkeit den erheblichen praktischen Vorteil einer Beschleunigung der Nachlassabwicklung bot. Denn brauchte der personal representative nicht zu befürchten, sich im Fall der Nachlassinsolvenz gegenüber den leer ausgegangenen Gläubigern der betreffenden Rangstufe schadensersatzpflichtig zu machen, konnte er auch von entsprechende Vorsorgemaßnahmen absehen. Da sich personal representatives in der Praxis allerdings gegen dieses Risiko ohnehin durch das Mittel des Gläubigeraufgebots zu schützen pflegten, konnte das „right of preference“ nach Auffassung der Law Commission nur noch in einer Hinsicht eine sinnvolle Funktion erfüllen: Es ermöglichte die Begleichung der Forderungen von Gewerbetreibenden (tradesmen’s bills) noch vor Ablauf der Anmeldefrist und vermied dadurch Härten insbesondere für Kleingewerbetreibende, aber auch für die Witwe und Kinder des Verstorbenen, die auf das Wohlwollen der tradesmen angewiesen sein konnten114 (die Law Commission dachte vermutlich vor allem an dringend benötigte Handwerkerleistungen). Um diesem Gesichtspunkt Rechnung zu tragen, wurde das „right of preference“ in modifizierter Form beibehalten: Nach der heute noch geltenden Regel macht sich ein personal representative, der in nicht vorwerfbarer Weise die Solvenz des Nachlasses annimmt und deshalb bestimmte Forderungen sofort erfüllt, gegenüber leer ausgegangenen Gläubigern derselben Rangstufe nicht haftbar.115 Die Regelung kommt auch einem Gläubiger zu Gute, der allein aufgrund dieser Eigenschaft zum administrator eingesetzt wurde, doch gestattet sie ihm nicht die vorzugsweise Befriedigung eigener Forderungen.116 Keine Lockerung hat hingegen die Pflicht zur Beachtung von Vorrangverhältnissen erfahren,117 was auch zur Folge hat, dass der personal representative sich für eine im Nachhinein als ungerechtfertigt erweisende Auskehr von Begünstigungen immer haftbar macht.118 Will er ein entsprechendes 111
Law Commission, Report 31, Nr. 9. Siehe sec. 10(1). 113 Margrave-Jones, Mellows: Law of Succession, [26.40]; Kerridge, Law of Succession, [21-85]. 114 Law Commission, Report 31, Nr. 8 . 115 Sec. 10(2) AEA 1971. Näher dazu Law Commission, Report 31, Nr. 8; Kerridge, Law of Succession, [21-86]. 116 Sec. 10(2)(b) AEA 1971. Siehe auch Law Commission, Report 31, Nr. 8 . 117 Law Commission, Report 31, Nr. 8 (Fn. 16). 118 Murga Fernández, Los sistemas europeos, 51. 112
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§ 6 Die Vervollkommnung der gesonderten Abwicklung
Risiko ausschließen, muss er ein Gläubigeraufgebot durchführen119 oder sich gerichtlich zur Umsetzung eines bestimmten Verteilungsplans ermächtigen lassen.120 Für den Fall, dass Unklarheit über das Vorhandensein anderer Begünstigter besteht, gibt es zudem die Möglichkeit, eine „missing beneficiary (indemnity) insurance“ abzuschließen.121
C. Das französische Recht I. Einführung Die französische Regelung der gesonderten Nachlassabwicklung hat im Laufe der vergangenen gut 200 Jahre eine aus rechtsvergleichender Sicht höchst instruktive Entwicklung durchlaufen. Am Beginn steht im Code civil von 1804 ein Regime, das in terminologischer und struktureller Hinsicht nahtlos an das römische Erbe anknüpft, zugleich aber von dem Bemühen um dessen Verfeinerung geprägt ist. So stellte das Gesetzbuch den durch eine Vermischung der Vermögensmassen potentiell gefährdeten Personenkreisen jeweils ein Instrument zur Wahrung ihrer Interessen bereit. Während der héritier und die übrigen zur Gesamtnachfolge berufenen Personen122 in Gestalt der „acceptation sous bénéfice d’inventaire“, also der Annahme der Erbschaft unter Rechtswohltat des Inventars, ein Mittel erhielten, um die Haftung mit dem eigenen Vermögen zu vermeiden,123 konnten die Erblassergläubigern über das Institut der séparation des patrimoines (wörtlich: Trennung der Vermögensmassen) erreichen, dass sie den Nachlass nicht mit den Gläubigern des héritier teilen mussten. Die sprachlichen und teleologischen Parallelen zum beneficium inventarii und der separatio bonorum liegen auf der Hand und werden auch nicht dadurch infrage gestellt, dass die séparation des patrimoines, wie noch eingehend zu zeigen sein wird, in ihrer Funktionsweise grundlegend von seinem historischen Vorläufer abwich und seine Bezeichnung sich als irreführend erweist. In der Praxis zeigte sich indessen schnell, dass die gesetzgeberischen Bemühungen zur Vervollkommnung der jahrhundertealten Rechtsinstitute nicht von besonderem Erfolg gekrönt waren. Nicht nur wurde das Ziel, die Interessen der Gesamtnachfolger und der Nachlassgläubiger zu schützen und zu einem angemessenen 119 Dieses ist heute in sec. 27 Trustee Act 1925 geregelt, dazu Kerridge, Law of Succession, [2305] f.; Häcker, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 211 f. Zum historischen Vorläufer oben § 4 B.II.2g) (297 ff.). 120 Zu dieser sog. „Benjamin Order“ Kerridge, Law of Succession, [23-07] f.; Häcker, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 212, 215. 121 Dazu Kerridge, Law of Succession, [23-09]; Häcker, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 215. 122 Zu dieser Differenzierung oben § 5 C.I.1. (325 ff.). Im Folgenden ist in Anlehnung an die gesetzlichen Vorschriften allein vom héritier die Rede, das Gesagte gilt aber grundsätzlich auch für den Universal- und den Quotenlegatar. 123 Die Praxis des (auf dem Code civil basierenden) Badischen Landrechts von 1810 sprach deshalb von der „vorsichtigen Erbantretung“, siehe Trockels, Erbengemeinschaft, 5 (Fn. 2).
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Ausgleich zu bringen, in vielen Fällen verfehlt; auch erwies sich das im Fall der Erbschaftsannahme unter Inventarerrichtung zur Anwendung kommende Verfahren als unnötig schwerfällig. Taten die französischen Gerichte in der Folgezeit auch ihr Bestes, um mittels beherzter Rechtsfortbildung die dringendsten Probleme zu lösen, stießen sie spätestens bei den strukturellen Defiziten an ihre Grenzen. Dies erklärt, warum die Rufe nach einem gesetzgeberischen Eingriff in das französische Regime der gesonderten Nachlassabwicklung fast ebenso so alt sind wie der Code civil. Die im Laufe der Zeit unterbreiteten Vorschläge reichten von punktuellen Änderungen bis hin zu umfassenden Neukonzeptionen. Letztere waren insbesondere von dem 1896 verabschiedeten BGB inspiriert, dessen Regelung der Nachlassabwicklung vielen zeitgenössischen französischen Juristen klar überlegen schien.124 Ungeachtet des großen Reformdrucks gelang eine umfangreiche Novellierung der Materie erst im Jahr 2006, und auch bei dieser schreckte der Gesetzgeber letztlich davor zurück, die Grundpfeiler des bestehenden Systems anzutasten. Diese Grundpfeiler sind die vorrangig individualistische Natur der gesonderten Nachlassabwicklung und ihre starke Ausrichtung an den Interessen des héritier. Dieser soll als rechtlicher Inhaber des Nachlasses und typischerweise naher Familienangehöriger des Verstorbenen nicht mit aufwändigen Kollektivverfahren belastet oder in seinen Befugnissen zum Umgang mit dem Nachlass übermäßig beschränkt werden (geschweige denn einen gänzlichen Entzug der Abwicklungszuständigkeit hinnehmen müssen). Dass der Preis für eine solche Konzeption ein verminderter Gläubigerschutz ist, wird zwar grundsätzlich erkannt und in Kauf genommen. Und dennoch waren die Reformdiskussionen immer auch von der Hoffnung getragen, dass die „Quadratur des Kreises“ letztlich doch gelingen könne, sprich, ein wirksamer Gläubigerschutz ohne allzu schmerzhafte Einschnitte für den héritier möglich sei. Eingeführt wurde durch die Reform von 2006 schließlich eine Sonderbehandlung für Verbindlichkeiten, die aus Gattungs- oder Geldvermächtnissen resultieren.125 Während der héritier ursprünglich auch insoweit seine Haftung nur durch Annahme unter Inventarerrichtung beschränken konnte, kommt er nunmehr in den Genuss einer anfänglich beschränkten Haftung. Ausgangspunkt des franzö sischen Rechts ist damit nicht mehr die integrierte Abwicklung allein, sondern eine Mischung aus integrierter und gesonderter Abwicklung. Eine Würdigung dieser Neuerung wird zeigen, dass sie zwar von billigenswerten Zielen getragen ist, letztlich aber nicht hinreichend durchdacht wurde und zu systematischen Spannungen führt.
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Brenner, Préface, VII („véritable fascination“). Näher unten C.II.3. (410 ff.).
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II. Gesonderte Abwicklung auf Initiative des Gesamtnachfolgers 1. Die „acceptation sous bénéfice d’inventaire“ unter dem Code civil von 1804 a) Die gesetzliche Ausgangslage (1) Allgemeines Wie eingangs bereits angedeutet, war das in der Ursprungsfassung des Code civil von 1804 enthaltene Regime zur „Annahme unter Rechtswohltat des Inventars“, dessen zentrales Element die gegenständliche Beschränkung der Haftung war126 , durch das Bestreben gekennzeichnet, in Fortentwicklung des römischen Rechts einerseits den Gläubigerschutz zu stärken, andererseits aber auch den héritier nicht übermäßig zu gängeln. Das Ergebnis war eine Regelung, die auf dem halben Weg zu einer geordneten Nachlassliquidation stecken blieb und dadurch immer noch klaffende Lücken beim Gläubigerschutz ließ, zugleich aber den héritier bénéficiaire, d. h. den sich auf die Rechtswohltat des Inventars berufenden Erben, mit schwerfälligen und ineffizienten Formalismen belastete. Die französische Lehre erkannte diese Defekte früh und mahnte dringenden Reformbedarf an.127 Dennoch sollte das ursprüngliche Regime bis zum Jahr 2006 fortbestehen und damit zumindest der äußeren Form nach über 200 Jahre in Kraft bleiben. (2) Mangelnder Gläubigerschutz Genau wie sein justinianischer Vorgänger war das Regime der „acceptation sous bénéfice d’inventaire“ vorrangig von dem Wunsch geprägt, dem héritier eine Möglichkeit der Haftungsbeschränkung zu geben. Diese einseitige Perspektive führte dazu, dass die Gläubigerinteressen nur unvollständig in das Blickfeld des Gesetzgebers gerieten und die strukturellen Defizite des beneficium inventarii nicht überwunden wurden. So stellte das Gesetz den Schutz des persönlichen Vermögens des héritier ausdrücklich als „avantage“ einer Annahme unter Haftungsbeschränkung heraus,128 126 Ungeachtet des zweideutigen Wortlauts des Art. 8 02 Ziff. 1 Code civil1804 („[…] jusqu’à concurrence de la valeur des biens qu’il a recueillis“) bestand Einigkeit darüber, dass es sich um eine gegenständlich beschränkte Haftung handelte und es zu einer Haftung pro viribus hereditatis nur im Fall des Art. 803 Abs. 3 Code civil1804 kam; siehe Percerou RTDCiv. 4 (1905), 590; Planiol/Ripert, Successions, Nr. 404; Leleu, Transmission, Nr. 609 f. m. w. N. Im Code civil hatte damit die in den Gebieten des droit coutumier herrschende Rechtsauffassung durchgesetzt, denn in den Gebieten des droit écrit war eine Haftung pro viribus hereditatis angenommen worden: Siehe Casso, Haftung des Benefizialerben, 60 f. 127 Siehe etwa die vernichtende Kritik bei Percerou RTDCiv. 4 (1905), 589–606 („absolument rudimentaire et insuffisante“ (598)); Planiol/Ripert, Successions, Nr. 402 („nettement défectueux“); siehe ferner Rheinstein, Iowa LR 20 (1935), 441 f.; Leleu, Transmission, Nr. 616, 623; Brenner, Recueil Dalloz 2002, Nr. 1 („dangereusement déséquilibrée“); Brémond, JCP N 2006, 1331, Nr. 1; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 972; Rapport Assemblée Nationale 98 („formalisme excessif“), 102 („insuffisances gênantes“). 128 Siehe Art. 8 02 Code civil1804.
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versäumte es aber, auch in umgekehrter Richtung eine Haftungssonderung anzuordnen.129 Den Nachlassgläubigern wurde also der Zugriff auf das Eigenvermögen genommen, ohne dass damit auch die Eigengläubiger am Zugriff auf den Nachlass gehindert waren. Um diesen für sich zu reservieren, mussten die Nachlassgläubiger sich nach der Logik des Code civil eines anderen Instruments bedienen, der séparation des patrimoines.130 Eine weitere die Nachlassgläubiger benachteiligende Asymmetrie lag darin, dass der Aktivnachlass des Verstorbenen zwar die obere, nicht aber zugleich die untere Grenze ihres Haftungssubstrats bildete. Waren nämlich Rechte im Wege der Einzelnachfolge auf einen Stücklegatar übergegangen, blieben diese dem Zugriff der Nachlassgläuiger entzogen. Wurde dies bei der vorbehaltlosen Annahme grundsätzlich dadurch kompensiert, dass die Nachlassgläubiger Zugriff auf das Eigenvermögen des héritier erhielten, fiel dieses Gegengewicht bei Annahme unter Haftungsbeschränkung ersatzlos weg.131 Immerhin war das Problem dadurch von geringer praktischer Relevanz, dass bei Vorhandensein von Vorbehaltserben sämtliche letztwilligen Anordnungen – und damit auch dinglich wirkende Vermächtnisse – der Herabsetzung unterlagen, soweit sie den Freiteil überschritten.132 Machten die Vorbehaltserben dieses Recht geltend, war folglich ausgeschlossen, dass ein solventer Erblasser durch letztwillige Anordnungen die Überschuldung des Nachlasses herbeiführte. Einen allgemeinen Schutz gegen Überbeschwerungen nach Art der römischen lex Falcidia133 sah das französische Recht hingegen nicht vor. Deutlich zeigte sich das justinianische Erbe des Code civil schließlich auch im Fehlen eines geordneten Verfahrens zur Tilgung der Nachlassverbindlichkeiten.134 So war der héritier bénéficiaire genau wie der römische heres zur Nachlassregulierung nur implizit kraft seiner Schuldnerstellung verpflichtet und hatte keine Vorgaben bei Verteilung der Nachlassgegenstände zu beachten. Er durfte also warten, bis die – durch keinerlei Publizitätsakt zu unterrichtenden135 – Gläubiger sich bei ihm meldeten, und sie dann in dieser Reihenfolge befriedigen.136 Nichts hinderte den héritier hierbei, eigene Forderungen gegen den Erblasser zuerst zu erfüllen.137 Die Nachlassgläubiger waren umgekehrt nicht an der Einzelvollstreckung gehindert. 129
Art. 802 Ziff. 2 Code civil1804 deutete dies zumindest an. Dazu unten C.III. (413 ff.). 131 Dazu oben § 4 A.VII.9b) (271 ff.). 132 Dazu unten C.II.1b) (392 ff.). 133 Dazu oben § 3 A.III. (170 ff.). 134 Siehe etwa Percerou im Protokoll der Sitzung vom 8.12.1910, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 285; Rheinstein, Iowa LR 20 (1935), 441 f.; Leleu, Transmission, Nr. 626; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 981 (866). 135 Demgegenüber wird im gemeinspanischen Recht die Inventarerrichtung schon seit Langem mit einem Gläubigeraufgebot verbunden, siehe Art. 1014 Código civil und Murga Fernández, ZEuP 2018, 368. 136 Art. 8 08 Abs. 2 Code civil1804. Sehr kritisch etwa Percerou RTDCiv. 4 (1905), 597–599; Leleu, Transmission, Nr. 624. 137 Planiol/Ripert, Successions, Nr. 402 (586 f.); Grimaldi, Successions5, Nr. 650. 130
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Das Verfahren zur Verteilung des Nachlasses war mithin nicht kollektiver, sondern individueller Natur, und es beruhte nicht auf dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung, sondern auf dem „anarchischen“138 Prioritätsprinzip, das die französische Rechtslehre gern mit dem Bild eines Wettlaufs umschreibt: „Le paiement est le prix de la course“.139 Erfüllte das bei Annahme unter Haftungsbeschränkung zur Anwendung kommende Verfahren folglich nicht die Merkmale eines modernen Konkurs- oder Insolvenzverfahrens, ist klarzustellen, dass das französische Recht ein Verfahren zur Abwicklung überschuldeter Nachlässe auch nicht an anderer Stelle regelte.140 Vielmehr war das bei Annahme unter Haftungsbeschränkung anzuwendende Verfahren das funktionale Äquivalent eines Nachlasskonkursverfahrens,141 und an diesem Zustand hat sich bis heute nichts geändert. Eine Durchsetzung von Vorrangverhältnissen im Regresswege war zwar nicht ausgeschlossen, aber noch engeren Voraussetzungen unterworfen als bei Justinian. Denn auch dinglich gesicherten Erblassergläubigern stand der Rückgriff einzig gegen befriedigte Einzelvermächtnisnehmer zu, nicht aber gegen ausbezahlte ungesicherte Erblassergläubiger.142 Beachtung fand also allein – wenn auch immerhin – die Maxime „nemo liberalis nisi liberatus“, und offenbar wurde sie nicht nur auf Gattungs- und Geldvermächtnisnehmer angewendet, sondern auch auf den Empfänger einer Stücksache. Eine solche Gleichbehandlung war deshalb nicht selbstverständlich, weil der Stückvermächtnisnehmer nach dem ganz herrschenden Verständnis ja bereits unmittelbar mit dem Tod des Erblassers das Eigentum erwarb und, wenngleich auf Auslieferung des Vermächtnisses angewiesen,143 somit streng genommen gar nicht zu den Nachlassgläubigern gehörte.144 Und doch muss aus dem Umstand, dass Art. 809 Code civil1804 nur allgemein von den „légataires“ sprach und das Schrifttum keine Differenzierung zwischen den verschiedenen Arten von Einzelvermächtnisnehmern vornahm,145 geschlossen werden, dass der 138
Vgl. etwa Gasnier, Liquidation, Nr. 194 (Fn. 1). Siehe etwa Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 987 (870). Umgekehrt wird die Situation der leer ausgegangenen Gläubiger von französisch-sprachigen Autoren häufig mit der lateinischen Wendung „tarde venientibus ossa“ umschrieben, siehe etwa Grimaldi, Successions5, Nr. 650; Leleu, Transmission, Nr. 634 (373). 140 Siehe etwa die Kritik bei Percerou RTDCiv. 4 (1905), 597–599; Rheinstein, Iowa LR 20 (1935), 443, 445 („serious deficiency“). Im Fall, dass der überschuldete Erblasser Kaufmann (comerçant) gewesen war, standen seit einer Reform von 1838 immerhin die allgemeinen Regeln über die faillite zur Verfügung, die dann allerdings zu schwerwiegenden Widersprüchen mit den Regeln des Erbrechts führten, siehe Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 841 f. („un véritable contre-sens“). 141 Ähnlich Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht III, Rn. 5 D 328. 142 Art. 8 09 Abs. 1 Code civil1804. Näher Planiol/Ripert, Successions IV, Nr. 4 46 (631); Grimaldi, Successions5, Nr. 651, der auf das Risiko der Insolvenz des Geldvermächtnisnehmers hinweist. Hypothekarisch gesicherte Gläubiger waren immerhin besonders über die Vorschrift des Art. 806 Code civil1804 geschützt, die ihnen unmittelbar Anspruch auf Aushändigung des Verkaufserlöses gab: Planiol/Ripert, Successions, Nr. 438; Grimaldi, Successions5, Nr. 6 46 (597); Rapport Assemblée Nationale 100 („procédure relativement organisée“). 143 Zum Erfordernis der délivrance oben § 5 Fn. 144. 144 Zu diesem Unterschied etwa Gasnier, Liquidation, Nr. 2 (Fn. 9). 145 Siehe etwa Planiol/Ripert, Successions IV, Nr. 4 46; Grimaldi, Successions5, Nr. 651; Leve139
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Stückvermächtnisnehmer keine Privilegierung genoss. Dies ändert nichts daran, dass aus deutscher Sicht die Lakonie der französischen Lehre in dieser Frage überrascht, zumal auch der italienische Gesetzgeber sich im Jahr 1942 zu einer Klarstellung des im französischen Recht wurzelnden Regimes veranlasst sah: Nach Art. 495 Abs. 2 Codice civile sind ausdrücklich auch die Empfänger eines Stücklegats dem Rückgriff ausgesetzt.146 Hatten die Verfasser des Code civil den Schutz der Nachlassgläubiger gegenüber der justinianischen Regelung also letztlich überhaupt nicht verbessert? In mancherlei Hinsicht war dies immerhin der Fall. So galt das genannte Recht des Benefizialerben zur ungeordneten Schuldentilgung nur so lange, bis ein Nachlassgläubiger „Einspruch“ (opposition) einlegte.147 Hiernach hatte die Gläubigerbefriedigung in der von den Gerichten bestimmten Weise zu erfolgen, wobei diese in Ermangelung jeglicher gesetzlicher Anhaltspunkte gezwungen waren, die Einzelheiten selbst zu entwickeln.148 Des Weiteren legte der Code civil dem héritier bénéficiaire die ausdrückliche Pflicht auf, den Nachlass zu verwalten und Gläubigern und Vermächtnisnehmern Rechenschaft darüber abzulegen.149 Auch konnten die Gläubiger die Versiegelung des Nachlasses beantragen150 und vom Benefizialerben die Stellung von Sicherheiten verlangen.151 Die Möglichkeit, diesen von seiner Abwicklerrolle abzuberufen, war freilich nicht vorgesehen. Für die Nachlassgläubiger bedeutete dies insbesondere dort eine Gefahr, wo der héritier insolvent war, weil er dann nichts mehr zu verlieren hatte und haftungsrechtliche Sanktionen für Fehlverhalten damit stumpf wurden.152 (3) Der Benefizialerbe zwischen Eigentümer- und Treuhänderstellung Nahm der héritier bénéficiaire angesichts seiner Verantwortlichkeit für die Erfüllung der Schulden und Vermächtnisse und seiner Verwaltungs- und Rechenschafts-
neur/Leveneur, Leçons IV/2, Nr. 1309. Während diese Autoren von den „légataires payés“ sprechen, was an sich nur für Geld- und Gattungsvermächtnisnehmer passt, ist bei Juris-Classeur, Civil1931, Art. 802 à 810, Divisions I à O (3e partie), Nr. 125 von den „légataires qui auraient déjà obtenu délivrance de leur legs“ die Rede, was genau auf den Stückvermächtnisnehmer passt. 146 Unter dem Vorgängergesetzbuch von 1865, das wie der Code civil die Frage nicht ausdrücklich geregelt hatte, war dies umstritten gewesen, siehe Bilotti, Separazione, 96. 147 Art. 8 08 Abs. 1 Code civil1804. 148 Näher unten C.II.1b) (392 ff.). 149 Art. 8 03 Code civil1804. 150 Art. 820 f. Code civil1804. 151 Art. 8 07 Code civil1804; Rheinstein, Iowa LR 20 (1935), 442; nach Planiol/Ripert, Successions, Nr. 427, hatte das vorrevolutionäre Recht den Gläubigern noch eine Legalhypothek eingeräumt. Nach Brenner, Recueil Dalloz 2002, Nr. 16, bot die Sicherheitsleistung den Gläubigern zufriedenstellenden Schutz. 152 Siehe Percerou, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 253 f., dem zufolge die Insolvenz des Benefizialerben oftmals der Anlass für den freiwilligen Verzicht auf die Haftungsbeschränkung war oder ein Verhalten, das mit Verlust der Haftungsbeschränkung sanktioniert wurde.
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pflichten zwar auch eine „Doppelstellung als Erbe und Liquidator“ ein,153 war er nach der Konzeption des Code civil dennoch kein voll ausgebildeter Treuhänder, der in erster Linie fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen hatte. Stattdessen war die formale Eigentümerstellung des Benefizialerben in weitgehendem Sinne auch eine materiale. So war er im Umgang mit den Nachlassgegenständen frei, solange das Gesetz nicht ausdrücklich Einschränkungen vorsah,154 und durfte sie daher beispielsweise auch für sich nutzen.155 Des Weiteren kam die genannte Konzeption darin zum Vorschein, dass der Benefizialerbe für Pflichtverletzungen nur im Fall grober Fahrlässigkeit („fautes graves“) einzustehen hatte,156 er keine Vergütung für seine Abwicklungstätigkeit erhielt157 und das Gesetz keine Möglichkeit seiner Abberufung im Fall pflichtwidrigen Handelns vorsah.158 Umgekehrt hatte aber der héritier sehr wohl die Möglichkeit, sich einer lästig gewordenen Abwicklung dadurch zu entziehen, dass er Gläubigern und Vermächtnisnehmern den Nachlass überließ (abandon),159 wobei der Gesetzgeber jegliche Konkretisierung der Rechtsfolgen versäumt hatte.160 In sozialphilosophischer Hinsicht ließ sich das beschriebene Regime als Ausprägung des seinerzeit herrschenden Liberalismus und Individualismus deuten:161 Die Gläubiger hatten selbst für die Wahrung ihrer Interessen zu sorgen, die Rechte des héritier als Eigentümer des Nachlasses sollten keine unangemessene Einschränkung erfahren. In dogmengeschichtlicher Hinsicht ließen sich die Regelungen als Einfluss des (vermeintlich) römisch-rechtlichen Gedankens der „Persönlichkeitsfortsetzung“162 begreifen, der der konsequenten Behandlung des Nachlasses als Sondervermögen im Wege stand.163 Bemerkenswert ist, dass im germanisch gepräg153
Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht III, Rn. 5 D 32. Planiol/Ripert, Successions, Nr. 401 (585 f.), Nr. 423, 428; Grimaldi, Successions5, Nr. 567, 570; Leleu, Transmission, Nr. 634, der den französischen Benefizialerben deshalb auch als „héritier-propriétaire“ bezeichnet und ihn von einem „héritier-administrateur“, also einem umfassenden Verwaltungspflichten unterliegenden Nachlassabwickler unterscheidet, wie er sich in anderen Rechtsordnungen findet (Nr. 629–632). 155 Grimaldi, Successions5, Nr. 570. Der Benefizialerbe musste freilich damit rechnen, dass bestimmte Handlungen, wie eine erhebliche Schenkung oder eine Nießbrauchsbestellung, als stillschweigender Verzicht auf die Haftungsbeschränkung gedeutet wurden, siehe Planiol/Ripert, Successions, Nr. 4 48; Leleu, Transmission, Nr. 642; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 981 (866). Kritisch Casso, Haftung des Benefizialerben, 63. 156 Art. 8 04 Code civil1804. Dies wurde allerdings im Sinne einer culpa levis in concreto verstanden, so dass der héritier die diligentia quam in suis schuldete: Siehe Planiol/Ripert, Successions, Nr. 433. 157 Planiol/Ripert, Successions, Nr. 431 (615). 158 Leleu, Transmission, Nr. 627. 159 Art 802 Ziff. 1 Code civil1804. Nach Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 981 (866) führte dies in der Praxis oft zu weiteren Verzögerungen bei der Nachlassabwicklung. 160 Percerou, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 255. Die nähere Ausgestaltung des Instituts wurde später von den Gerichten besorgt, siehe unten C.II.1b) (392 ff.). 161 Percerou RTDCiv. 4 (1905), 605; Rheinstein, Iowa LR 20 (1935), 441. 162 Dazu ausführlich oben § 4 C.II.1b) (302 ff.). 163 Eingehend Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 509–606; siehe auch Planiol/Ripert, Successions, Nr. 401, 423. 154
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ten droit coutumier Verfahren der geordneten Nachlassliquidation durchaus schon existiert hatten, diese bei Entstehung des Code civil durch den Einfluss des römischen Rechts dann aber nahezu vollständig in den Hintergrund gedrängt worden waren.164 (4) Übertriebener Formalismus Hatte der Gesetzgeber bei Regelung der „acceptation sous bénéfice d’inventaire“, wie gesehen, vorwiegend die Interessen des héritier im Blick gehabt, wies das Regime für diesen gleichwohl auch eine Reihe von Nachteilen und Gefahren auf. So waren seine Befugnisse in einem Punkt empfindlich eingeschränkt, nämlich beim Verkauf von Nachlassgegenständen, der streng überwacht wurde: Bewegliche Sachen konnte der héritier nur im Wege öffentlicher Versteigerung veräußern, der Verkauf unbeweglicher Sachen bedurfte darüber hinaus der richterlichen Genehmigung165 (was es dem héritier auch stark erschwerte, unbewegliche Nachlassgegenstände abzulösen, um sie zu behalten166). Ein Verstoß gegen diese Vorgaben zog nicht lediglich eine Schadensersatzpflicht nach sich,167 sondern wurde – genau wie im Fall der arglistigen Falscherrichtung des Inventars168 – mit dem Verlust der Haftungsbeschränkung bestraft.169 So unverhältnismäßig diese Sanktion auch erschien,170 so folgerichtig war sie in einem Regime, das die treuhänderische Stellung des Abwicklers nur unvollkommen entwickelt hatte171 und das die beschränkte Haftung des héritier generell wie einen unwillkommenen Ausnahmefall behan delte.172 164 Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 605 f. nennt als Beispiele die „coutumes“ der Stadt Lille und der Bretagne. 165 Art. 8 05 f. Code civil1804 . Näher Planiol/Ripert, Successions, Nr. 424–426; Grimaldi, Successions5, Nr. 569; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 981 (866) („conditions fort lourdes“); Levillain, JCP N 2009, 1006, Nr. 16. Nach Rapport Sénat 76 f., 89 f. bedurfte nach den Regeln des Zivilprozessrechts auch der Verkauf beweglicher Sachen der richterlichen Genehmigung. Höchst unklar war die Rechtslage beim Verkauf unkörperlicher beweglicher Güter („meubles incorporels“), wie Forderungen oder Markenrechten (dazu Grimaldi, Successions5, Nr. 569 (536)). In der Praxis wurde empfohlen, auch hier den Weg der Versteigerung zu wählen, um das Risiko eines Verlusts der Haftungsbeschränkung auszuschließen: Siehe Rapport Assemblée Nationale 102 (Fn. 1); Rapport Sénat 90 (Fn. 1). 166 Rapport Assemblée Nationale 99, 118; Brémond, JCP N 2006, 1331, Nr. 12. Die Ablösung beweglicher Nachlassgegenstände wurde immerhin durch die Regel des Art. 807 Code civil1804 erleichtert. 167 So nach Leleu, ERPL 6 (1998), 166, das belgische und das niederländische Recht. 168 Art. 8 01 Code civil1804, näher Leleu, Transmission, Nr. 6 43. 169 Dies ergab sich nicht aus den Regelungen des Code civil, sondern den Vorschriften des Zivilprozessrechts, siehe Rheinstein, Iowa LR 20 (1935), 442; Planiol/Ripert, Successions, Nr. 4 49 (634); Leleu, Transmission, Nr. 625, 644. 170 Leleu, Transmission, Nr. 625 (365), bezeichnet sie als „brutale et disproportionée“. Instabil war die Haftungsbeschränkung daneben auch durch die Möglichkeit eines stillschweigenden Verzichts, siehe oben Fn. 155. 171 Leleu, Transmission, Nr. 625 (365). 172 Zu diesem Punkt auch unten § 7 B.VI. (602 ff.).
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Ungeachtet der Fragwürdigkeit der Sanktion hatte die strenge Kontrolle des Verkaufs von Nachlassgegenständen zum Zwecke der Missbrauchsbekämpfung aber auch den erheblichen Nachteil, dass sie die Nachlassabwicklung nicht nur schwerfällig machte, sondern gleich in zweifacher Hinsicht mit Kosten belastete: zum einen in Form der anfallenden Gebühren,173 zum anderen in Form oftmals niedriger Verkaufserlöse.174 Diese Nachteile trafen keineswegs nur den Benefizialerben, sondern gerade auch die Gläubiger und Vermächtnisnehmer, da sie u. U. länger auf die Zahlung warten und eine Schmälerung der zur Verfügung stehenden Verteilungsmasse hinnehmen mussten. (5) Fazit Die Regelung der „acceptation sous bénéfice d’inventaire“ im Code civil von 1804 bot gewissermaßen das Schlechteste beider Welten, indem sie auf eigentümliche Weise rechtsethische Defizite mit verfahrensrechtlicher Ineffizienz kombinierte. Die einerseits sehr nachsichtige, andererseits sehr misstrauische Behandlung des Benefizialerben durch den Gesetzgeber erweckte den Eindruck, als habe dieser seine Versäumnisse an einer Stelle durch übertriebene Härte an anderer Stelle wettmachen wollen. b) Die Fortbildung durch die Gerichte Die französische Rechtsprechung nahm die gesetzliche Ausgangslage keineswegs passiv hin, sondern zeigte eine „remarquable détermination“, der gesonderten Nachlassabwicklung zumindest in Grundzügen geordneten Charakter zu verleihen und die größten Lücken im Gläubigerschutz zu schließen.175 So stattete sie schon bald nach dem Inkrafttreten des Code civil die Annahme unter Haftungsbeschränkung mit der Wirkung der „hermetischen Abriegelung“ des Nachlassvermögens vom Zugriff der Eigengläubiger aus176 und befreite die Nachlassgläubiger damit von der Notwendigkeit, das (ohnehin weniger effektive) Instrument der séparation des patrimoines geltend zu machen.177
173 Diese waren so erheblich, dass sie bei geringwerigen Grundstücken nicht selten den größten Teil des Verkaufserlöses aufzehrten, siehe Percerou, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 251; zur Klage über die hohen Kosten auch ebd., 246 f., 252. Den Kostenaspekt betont auch Rheinstein, Iowa LR 20 (1935), 442. 174 Rapport Assemblée National 111; Rapport Sénat 89. 175 Brenner, Recueil Dalloz 2002, Nr. 2 ; Gasnier, Liquidation, Nr. 196; Planiol/Ripert, Successions, Nr. 402 (587). 176 So die oft zitierte Ausdrucksweise von Vialleton, JCP 1942, I, 247 (Sp. 1); ders., Rapport, 146, eine gesetzgeberische Klarstellung anregend. Siehe auch Planiol/Ripert, Successions IV, Nr. 403 (589); Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 980. Zur frühen Rechtsprechung Percerou RTDCiv. 4 (1905), 591 Fn. 3. 177 Dazu unten C.III. (413 ff.).
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Sodann verhalf die Rechtsprechung auch der im Code civil nur bruchstückhaft verwirklichten178 Maxime „nemo liberalis nisi liberatus“ zu größerer Wirksamkeit, indem sie dafür sorgte, dass Einzelvermächtnisnehmer nicht auf Kosten der Erblassergläubiger aus dem Nachlass bereichert wurden. Hierzu nahmen die Gerichte bei erkannter Unzulänglichkeit des Nachlasses eine entsprechende Herabsetzung (réduction) der Einzelvermächtnisse vor,179 in Analogie zur Herabsetzung letztwilliger Verfügungen, die über die verfügbare Quote hinausgehen und somit die Rechte der héritiers réservataires verletzen.180 Die Analogie wurde zum einen mit dem überzeugenden Gedanken begründet, dass die réserve, also der unentziehbare Nachlassanteil der nahen Angehörigen, auch eine Art Nachlassverbindlichkeit darstelle, weshalb die speziell geregelte Möglichkeit der Herabsetzung exzessiver Anordnungen des Testators nur Ausdruck eines allgemeinen Prinzips sei.181 Zum anderen wurde die vorrangige Bedienung der Erblassergläubiger darauf gestützt, dass die Einzelvermächtnisnehmer nach Art. 809 Code civil ohnehin dem Rückgriff ausgesetzt waren.182 Die wichtige Konsequenz dieser Herabsetzung bestand darin, dass die betreffenden Vermögensrechte wieder in die Haftungsmasse „hineingezogen“ wurden und damit vom Benefizialerben oder den Erblassergläubigern verwertet werden konnten183 – wobei das Institut der saisine zugleich dafür sorgte, dass sich der Legatar nicht eigenmächtig in den Besitz setzen durfte.184 Für Einzelvermächtnisse generell, also Stück- ebenso wie Gattungsvermächtnisse, wurde nicht nur angenommen, dass der héritier bénéficiaire sie im Fall eines erkennbar überschuldeten Nachlasses nicht mehr zu erfüllen brauchte; überdies wurde ange-
178 Vgl. auch Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 9 00 (806 Fn. 2), die auf den niedrigen Organisationsgrad der französischen Nachlassabwicklung generell hinweisen. 179 Siehe etwa Cour de cassation 25.11.1861, Sir. 62, 1, 49; Cour de cassation 18.6.1862, Sir. 62, 1, 913; Cour d’Appel Nancy, 28.11.1908, D.P. 1912, 2, 305 mit Anm. Ripert; Cour de cassation 23.4.1925, D.P. 1925, 1, 201 mit Anm. Savatier. Aus dem Schrifttum dazu Planiol/Ripert, Droit Civil V, Nr. 664 (834); Leleu, Transmission, Nr. 539; Leveneur/Leveneur, Leçons IV/2, Nr. 1223. Siehe auch Gärtner, Vindikationslegate, 25. 180 Art. 926 Code civil1804. Die genannte Lösung wird zudem auf Art. 1024 Code civil gestützt, wo die Möglichkeit zur Minderung des Einzelvermächtnisses erwähnt, aber nicht näher spezifiziert wird, siehe Leveneur/Leveneur, Leçons IV/2, Nr. 1223; Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht III, Rn. 5 C 126. Titz, Vindikationslegat, 162, scheint der Ansicht zu sein, dass mit der 2006 erfolgten Reform der Herabsetzungsklage auch die Grundlage für die genannte Lösung entfallen sei. Dabei würde jedoch verkannt, dass die Änderung der Rechtsstellung der héritiers réservataires (dazu oben § 5 Fn. 39) nicht zur Aufgabe der durch analoge Anwendung der alten Regelung entwickelten Grundsätze zur Herabsetzung exzessiver Vermächtnisanordnungen zwingt. 181 Cour de cassation 25.11.1861, Sir. 62, 1, 49 (Anm. 2); Cour de cassation 18.6.1862, Sir. 62, 1, 914 (Anm. 1–2). 182 Cour de cassation 25.11.1861, Sir. 62, 1, 49 (Anm. 1); Planiol/Ripert, Successions IV, Nr. 444. 183 In Art. 499 Abs. 3 Codice civile 1942 wurde eine solche Einbeziehung der Stückvermächtnisse ausdrücklich kodifiziert. 184 Siehe oben § 5 C.II.2b)(3) (338 ff.), f)(2) (360).
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nommen, dass er die Legate auch nicht mehr erfüllen durfte und sich bei Zuwiderhandeln schadensersatzpflichtig machte.185 Ist der Einzelvermächtnisnehmer, wie Art. 871 und 1024 Code civil ausdrücklich klarstellen, zwar grundsätzlich nicht Schuldner der Nachlassverbindlichkeiten,186 ist er über die Möglichkeit der Kürzung seiner Rechte also doch immerhin indirekt von diesen betroffen. Im deutschen Schrifttum ist in Anlehnung an französische Autoren187 deshalb auch von einer „indirekten Haftung“ des Einzelvermächtnisnehmers die Rede.188 Die schwache Stellung des Einzelvermächtnisnehmers weckt Zweifel, ob es vor der délivrance überhaupt berechtigt ist, ihn als Eigentümer zu bezeichnen, und genau wie im preußischen Recht war diese Frage in der Tat schon im 19. Jahrhundert umstritten.189 Das Eigentum des Einzelvermächtnisnehmers vor der Auslieferung als „relatives“ zu bezeichen,190 deutet die Problematik an, trägt aber nicht zur Klärung bei. Aus deutscher Sicht verwundert in jedem Fall einmal mehr, wie wenig Aufmerksamkeit die französische Lehre der Problematik insgesamt schenkt und wie unklar in der Konsequenz die Einzelheiten sind.191 So fragt es sich etwa, ob die Herabsetzung automatisch geschieht oder vom Benefizialerben bzw. den Erblassergläubigern besonders geltend gemacht werden muss.192 Ihren Grund dürfte diese fehlende Feinkonturierung darin haben, dass sie praktisch nur selten relevant wird. So führt erstens die Aussetzung von Vermächtnissen nur dort zu einem Haftungsproblem, wo der Nachlass hierdurch überschuldet wird und überdies keine Vorbehaltserben vorhanden sind, die die Legate schon unter Hinweis auf die Verletzung ihrer réserve kürzen. Zweitens stellt der in der Praxis in aller Regel mit der Nachlass abwicklung betraute Notar193 die Auslieferung bzw. Erfüllung der Vermächtnisse so lange zurück, bis alle Schulden bereinigt sind. Freilich ist auch zu beachten, dass der Notar zur umfassenden Verwertung der Nachlassgegenstände eben auch des Mittels der Herabsetzung der Vermächtnisse bedarf.
Was die Nachlassaufgabe (abandon)194 durch den héritier betraf, „erfanden“ die Gerichte nicht nur ein Verfahren zu dessen Ausgestaltung,195 auch führten sie prae185 Planiol/Ripert, Successions IV, Nr. 4 44; Leleu, Transmission, Nr. 634 (373 Fn. 2); Grimaldi, Successions5, Nr. 650 (Fn. 4); Leveneur/Leveneur, Leçons IV/2, Nr. 1309. 186 Zu den Ausnahmen zählt der Fall, dass eine Haftung des Einzelvermächtnisnehmers vom Testator angeordnet wurde, näher Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht III, Rn. 5 C 126; Gärtner, Vindikationslegate, 24. 187 Siehe etwa Leveneur/Leveneur, Leçons IV/2, Nr. 1223; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 9 00 (806). 188 Die französische Lehre spricht von einer indirekten Inanspruchnahme des Legatars. In Anlehnung daran gebrauchen Gärtner, Vindikationslegate, 25 f., und Titz, Vindikationslegat, 157 f., den Begriff der „indirekten Haftung“. 189 Näher dazu J. P. Schmidt, RabelsZ 77 (2013), 20. 190 So in Anlehnung an das Schrifttum des 19. Jahrhunderts Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht III, Rn. 5 C 121; ähnlich Titz, Vindikationslegat, 141 f. 191 Siehe auch Titz, Vindikationslegat, 159–161, die allerdings der in der Rechtsprechung entwickelten Herabsetzung exzessiver Vermächtnisse nicht genügend Beachtung schenkt. 192 Klar war immerhin, dass, anders als im Fall einer Verletzung der réserve, sich auch die Nachlassgläubiger auf die Herabsetzung exzessiver Vermächtnisse berufen dürfen, siehe Cour de cassation 25.11.1861, Sir. 62, 1, 49 (Anm. 2); Planiol/Ripert, Droit Civil V, Nr. 664 (834). 193 Dazu unten § 8 B.IV.3. (678 ff.). 194 Vgl. oben Fn. 159. 195 Rheinstein, Iowa LR 20 (1935), 444 („Thus, again, the Courts had to invent the procedure“). Die Abwicklerrolle ging auf die Gläubiger und Vermächtnisnehmer über und wurde vom Gericht
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ter legem die Möglichkeit ein, einen Benefizialerben, der durch nachlässige Verwaltung die Gläubigerrechte gefährdete, von seiner Stellung abzuberufen und die Abwicklung einem gerichtlich bestellten administrateur zu übertragen.196 Einige Untergerichte, inspiriert durch die Regelungen über den Kaufmannskonkurs, nahmen eine solche Maßnahme bei Überschuldung des Nachlasses sogar ganz unabhängig von einem Verschulden des héritier an, doch sah die Cour de cassation ein solches Vorgehen nicht mehr als vom Gesetz gedeckt an.197 Dafür gelang es den Gerichten auf anderem Wege, die „anarchische“ Gläubigerbefriedigung in der Praxis zur Ausnahme und eine geordnete Befriedigung zur Regel zu machen.198 Dies war die sehr großzügige Handhabung des Tatbestandsmerkmals des Gläubigereinspruchs (opposition),199 der den Benefizialerben zur Schuldenberichtigung in der vom Gericht bestimmten Reihenfolge verpflichtete.200 Dinglich gesicherte Gläubiger waren danach zuerst zu bedienen, anschließend die übrigen Gläubiger und schließlich die Geldvermächtnisnehmer. Bei unzureichendem Nachlass fand überdies innerhalb der betreffenden Gruppe eine proratarische Befriedigung statt 201 (in der französischen Diktion: „au marc le franc“ oder zeitgemäßer „au marc l’euro“202). Missachtete der héritier diese Vorgaben, konnten die opponierenden Gläubiger ihn entweder in Haftung nehmen oder den Regress bei Gläubigern oder Vermächtnisnehmern suchen, die zu viel erhalten hatten.203 Allerdings wies dieser „Embryo einer kollektiven Liquidation“204 immer noch eine Reihe von Schwächen auf.205 So war die Wirkung des Verfahrens keine absoim Falle fehlender Einigkeit einem administrateur übertragen. Der héritier blieb formal Inhaber der Nachlassgegenstände und bekam einen etwaigen Nachlassüberschuss ausgekehrt. Näher Grimaldi, Successions5, Nr. 577–580. 196 Percerou RTDCiv. 4 (1905), 602 f.; Planiol/Ripert, Successions, Nr. 434 (618 f.); Grimaldi, Successions5, Nr. 575 (540); Rheinstein, Iowa LR 20 (1935), 442 f.; Leleu, Transmission, Nr. 625. Die Gefährdung der Gläubigerinteressen durch Insolvenz des Benefizialerben war aber kein Grund für dessen Abberufung, siehe Percerou, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 254 (Fn. 1). 197 Percerou RTDCiv. 4 (1905), 599–602; Rheinstein, Iowa LR 20 (1935), 443. Siehe zu den gerichtlichen Bemühungen um die Schaffung eines Privatinsolvenzverfahrens auch Hoffmann, Prioritätsgrundsatz und Gläubigergleichbehandlung, 456. 198 Rheinstein, Iowa LR 20 (1935), 443 f.; Leleu, Transmission, Nr. 635 f.; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 987 (870), 993 (875); Rapport Assemblée Nationale 101. Zu den Wirkungen der opposition im Einzelnen Planiol/Ripert, Successions, Nr. 4 41–443. 199 Die Gerichte ließen es genügen, dass der héritier vom Bestehen einer fälligen Schuld wusste, siehe Leleu, Transmission, Nr. 636. Kritisch zu dieser weiten Auslegung Planiol/Ripert, Successions, Nr. 4 40, 625 f., die zu Recht darauf hinweisen, dass die in Art. 808 Code civil1804 getroffene Differenzierung damit weitgehend ihren Sinn verlor. Ähnlich Grimaldi, Successions5, Nr. 6 47; Brenner, Recueil Dalloz 2002, Nr. 2, 6 („déformation de la notion d’opposition“). 200 Art. 8 08 Abs. 1 Code civil1804. 201 Grimaldi, Successions5, Nr. 6 48 (597 f.). 202 Näher zu beiden Begrifflichkeiten Hoffmann, Prioritätsgrundsatz und Gläubigergleichbehandlung, 5. 203 Planiol/Ripert, Successions, Nr. 4 42; Grimaldi, Successions5, Nr. 6 49. 204 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 987 (870). Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht III, Rn. 5 D 328, sprechen von einem „ähnlichen Ergebnis wie bei einem Nachlaßkonkurs“. 205 Zum Folgenden Leleu, Transmission, Nr. 637, der neben den im Text genannten Schwächen
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lute, sondern nur eine relative, d. h. allein die opponierenden Gläubiger waren erfasst.206 Zudem fehlte es an einer Rückwirkung, so dass vor der opposition geleistete Zahlungen unangetastet blieben. Dies ermöglichte dem flinken Erben, eigene Forderungen noch rechtzeitig zu erfüllen oder gegen eine Erblasserforderung aufzurechnen.207 Schließlich wurde auch die Einzelvollstreckung in den Nachlass durch einen Gläubigereinspruch nicht suspendiert.208 Fazit ist somit, dass die richterliche Fortbildung des Regimes der „acceptation sous bénéfice d’inventaire“ dessen wichtigste Gerechtigkeitsdefizite zwar beseitigte, das Verfahren dadurch aber noch schwerfälliger wurde.209 Denn die Gerichte beaufsichtigten nun nicht mehr lediglich die Versilberung von Nachlassgegenständen, sondern potentiell das gesamte Handeln des héritier. c) Das praktische Schattendasein der „acceptation sous bénéfice d’inventaire“ Die Bemühungen der Gerichte änderten nichts daran, dass die Annahme unter Haftungsbeschränkung in Praxis immer ein Schattendasein fristete.210 Ist angesichts ihrer mangelnden Attraktivität aus Sicht des héritier dieser Befund nicht überraschend, ist dennoch nicht klar, inwieweit dies der entscheidende Grund war. So genoss die Abwicklung unter Inventarerrichtung in der Öffentlichkeit offenbar auch deshalb einen schlechten Ruf, weil sie mit dem Konkurs des Verstorbenen assoziiert wurde sowie dem Versuch des héritier, sich der Pietätspflicht der vollständigen Schuldenbegleichung zu entziehen.211 Zudem wurde der seltene Gebrauch eine weitere darin sieht, dass der héritier für die Nichtbeachtung der Rangfolge nicht mit einem Verlust der beschränkten Haftung sanktioniert wurde, sondern nur mit einer persönlichen Haftung auf der Grundlage von Art. 808 Code civil1804. 206 Planiol/Ripert, Successions, Nr. 4 43. 207 Planiol/Ripert, Successions, Nr. 4 45. Mancher Autor bemerkte hierzu süffisant, dass der Erbe, der eine Forderung gegen den Erblasser hatte, sicher sein konnte, das Rennen um die Nachlassgüter zu gewinnen, weil er vor allen anderen startete: Siehe Leleu, Transmission, Nr. 637 (375 Fn. 4). Grimaldi, Successions5, Nr. 6 48, weist darauf hin, dass der héritier de facto sogar warten konnte, bis er von der opposition erfuhr, um dann zu behaupten, dass er sich selbst bereits ausgezahlt habe. 208 Planiol/Ripert, Successions IV, Nr. 4 43; Leleu, Transmission, Nr. 637 (374); Rapport Assemblée Nationale 101. Zusätzlich verschärft wurde die Problematik durch eine Reform des Zwangsvollstreckungsrechts im Jahr 1991, eingehend Brenner, Recueil Dalloz 2002, 1769–1773. 209 Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht III, Rn. 5 D 328, halten das Verfahren immerhin für deutlich elastischer und weniger kostspielig als die deutsche Nachlassverwaltung. 210 Brémond, JCP N 2006, 1331, Nr. 1; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 972 (857); Mazeaud-Leveneur, JCP N 2008, Nr. 19. Siehe auch Rapport Assemblée Nationale 28, 49, 102, Rapport Sénat 26, 76 f., wonach Praktiker zur Annahme unter Vorbehalt der Inventarerrichtung nur im Falle einer hohen Wahrscheinlichkeit verborgener Passiva und unbekannter Aktivitäten des Verstorbenen rieten. Interessanterweise berichtet Munk, Gutachten, 31, für die gemeinrechtliche Praxis im Deutschland des späten 19. Jahrhunderts, dass der „Antritt mit der Rechtswohlthat […] die thatsächliche Regel“ bilde. 211 Siehe insbesondere die Stellungnahme Colins im Sitzungsprotokoll der „Société d’études législatives“ v. 24.11.1909, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 71; hingegen betrachtete Massigli (ebd.) den schlechten Ruf des Inventarvorbehalts zumindest teilweise als ein durch die Praxis gefördertes
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des Inventarvorbehalts mit schlichter Rechtsunkenntnis erklärt.212 Wie schließlich weiter unten zu erörtern sein wird, begünstigte der Code civil die vorbehaltlose Annahme in verschiedener Hinsicht, so dass die Annahme unter Haftungsbeschränkung nur in formaler Hinsicht gleichrangig war.213 2. Die Annahme unter Haftungsbeschränkung nach der Reform von 2006 Nach verschiedenen gescheiterten Anläufen gelang es dem französischen Gesetzgeber schließlich im Jahr 2006, das Institut der Annahme der Erbschaft unter Beschränkung der Haftung zu reformieren.214 Das neue Regime215 weicht vom alten nicht nur in inhaltlicher, sondern auch in sprachlicher Hinsicht ab. a) Terminologische Änderung Die augenfälligste Maßnahme der Reform bestand darin, das Rechtsinstitut der „acceptation sous bénéfice d’inventaire“ (Annahme unter Rechtswohltat des Inventars) umzutaufen in „acceptation à concurrence de l’actif net“ (Annahme unter Beschränkung auf den Reinnachlass216). Hierdurch sollte der erneuerte Charakter des Rechtsinstituts unterstrichen werden, 217 ebenso wurde die jetzige Bezeichnung für präziser und verständlicher gehalten (und wohl auch für zeitgemäßer).218 Ob Letzteres zutrifft, ist freilich zweifelhaft. Denn die zentrale Rechtsfolge, nämlich die Beschränkung der Haftung auf den vorhandenen Aktivnachlass, allerdings den gesamten (!), wird gerade nicht deutlich gemacht.219 Irreführend ist die geänderte Terminologie zudem insoweit, als sie zwei inhaltliche Abweichungen vom früheren Recht suggeriert: zum einen, dass die Inventarerrichtung nicht mehr Voraussetzung für die Haftungsbeschränkung sei, zum anderen, dass die HaftungsbeVorurteil (zusammenfassende Darstellung der Diskussion bei Rheinstein, Iowa LR 20 (1935), 446 Fn. 19). Nach Percerou, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 248, waren Gesamtnachfolger, die unter Haftungsbeschränkung annahmen, darauf bedacht, dass dieser Umstand nicht publik wurde. 212 Siehe die Stellungnahme Percerous im Sitzungsprotokoll der „Société d’études législatives“ v. 24.11.1909, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 71. 213 Siehe unten § 7 B.VI. (602 ff.). 214 Loi n°2006-728 du 23 juin 2006. 215 Art. 787–803 Code civil. Für einen Überblick in deutscher Sprache Strauß, Der notleidende Nachlass, 60–66. 216 Ferid/Firsching/Dörner/Hausmann/Limbach, Internationales Erbrecht, Frankreich (Lfg. XCIII), übersetzt „actif net“ mit „Reinvermögen“. In der Sache zutreffend, aber sprachlich ungenau die Übersetzung bei Klima ZEV 2006, 411 („Nachlassaktiva“) und Süß/Döbereiner, Frankreich, Rn. 181 („Aktivnachlass“). 217 Siehe Rapport Sénat 77. 218 Rapport Assemblée National 102 („plus précise et plus compréhensible“); Brémond, JCP N 2006, 1331, Nr. 1 („plus éclairante et précise“); nach Piedelièvre, Droit & Patrimoine 2007, 63, bringt die Neubezeichnung zutreffend zum Ausdruck, dass es in der Sache um eine „Nachfolge in die Güter“ („succession aux biens“) geht, nach der hier verwendeten Terminologie also um eine gesonderte Abwicklung. 219 Die Formel „acceptation à concurrence de l’actif net“ ist letztlich Resultat einer unsachgemäßen Verkürzung und wurde schon im Gesetzgebungsverfahren als unklar kritisiert, siehe Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 772 (Fn. 2), Rn. 973 (859 Fn. 1).
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schränkung nun eine rechnerische und nicht mehr eine gegenständliche sei. In diesen beiden Grundfragen hat die Reform indessen keine Änderung gebracht.220 Schließlich bedeutet die Neuregelung auch nicht, dass der héritier 221 den Reinnachlass immer nur seinem Wert nach erhalte und nicht auch bestimmte Gegenstände behalten könne.222 In der französischen Lehre erntete die neue Terminologie auch aus anderen Gründen zum Teil scharfe Kritik: Die Ersetzung juristischer Begriffe durch solche aus der Welt des Rechnungswesens sei ein „weiteres Beispiel für eine vollkommen dem Geld verpflichtete Gesellschaft“.223 Zudem mache sie den Sprachgebrauch unnötig schwerfällig, weil bequeme und etablierte Begrifflichkeiten wie „acceptation bénéficiare“, „héritier bénéficiaire“ und „bénéfice d’inventaire“ mit der neuen Gesetzesterminologie nicht mehr im Einklang stehen.224 b) Inhaltliche Änderungen (1) Allgemeine Ziele Die Entwicklung der vorangegangen 200 Jahre hätte an sich erwarten lassen, dass der französische Gesetzgeber die von den französischen Gerichten betriebene Rechtsfortbildung konsolidieren und die verbliebenen Schutzlücken schließen würde. Ein vorangegangener Reformentwurf aus dem Jahr 1995 hatte – ähnlich wie schon ein Entwurf der „Société d’études législatives“ aus dem Jahr 1910 225 – in der 220 Catala, Droit de la famille 2006, 43, Nr. 6 . Zu weitgehend daher Osthold, Erben und Haftung, 143 (Fn. 848), dem zufolge „die Grundkonzeption des Inventarrechts […] abgeschafft“ wurde. Zum Erfordernis und den Einzelheiten der Inventarerrichtung siehe Art. 789 f. Code civil. Dass die Haftung eine gegenständlich beschränkte ist, ergibt sich indirekt aus Art. 798 Abs. 1 Code civil. Beim Verkauf oder der Ablösung von Nachlassgegenständen kommt es allerdings teilweise auch zu einer rechnerisch beschränkten Haftung des héritier, siehe Brémond, JCP N 2006, 1331, Nr. 4 f., dort auch zu berechtigter Kritik an der Formulierung des Art. 791 Ziff. 3 Code civil. Zu den Rechtsbehelfen bei unberechtigter Vollstreckung in das Vermögen des héritier Strauß, Der notleidende Nachlass, 62. 221 Wenngleich die betreffenden Vorschriften des Code civil weiterhin nur für diesen formuliert sind, ergibt sich ihre Anwendung auf einen légataire universel und einen légataire à titre universel nun ausdrücklich aus der Verweisungsvorschrift des Art. 724-1 Code civil (siehe Terré/ Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 749 (670); Grimaldi, Successions, Nr. 473). Aus Art. 786 Code civil allein ergibt sich die Erstreckung hingegen nicht (so aber z. B. Rapport Assemblée National 104). 222 Dies betont Rapport Assemblée National 102 f. Zum Ablösungsrecht des héritier siehe unten Fn. 246. 223 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 7 72 (Fn. 2) („nouvel exemple d’une société entièrement assujettie à l’argent“). Siehe auch die sarkastische Bemerkung ebd., Rn. 973 (859): „Le passage du langage juridique au langage comptable a néanmois un mérite, nous rappeler où sont aujourd’hui les vraies valeurs.“ 224 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 7 72, 973 (859) 225 Dazu eingehend Percerou, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 236–238, 244–256. Der Entwurf sah u. a . vor, die Annahme unter Haftungsbeschränkung publik zu machen und mit einem Gläubigeraufgebot zu verbinden, die Einzelvollstreckung zu suspendieren, die Nachlassgläubiger gleichmäßig zu befriedigen und die Möglichkeit der Ersetzung eines ungeeigneten héritier bénéficiare durch
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Tat den Ausbau zu einem kollektiven, dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung verpflichteten Liquidationsverfahrens vorgesehen. Dieses hätte sich gut in die gesetzgeberische Entwicklung auf dem Gebiet des Insolvenzrechts eingefügt226 und den unter Haftungsbeschränkung annehmenden héritier umfassenden treuhänderischen Pflichten und einer gerichtlichen Aufsicht unterworfen.227 Doch war dieses Vorhaben wegen seiner Komplexität und der aus ihm resultierenden Belastungen für den héritier auf den Widerstand nicht zuletzt der Notare gestoßen,228 in deren Händen die Nachlassabwicklung in der Praxis liegt 229 und die vor allem an einem einfachen und schnellen Verfahren interessiert waren.230 Von dieser Zielsetzung vermochten die Notare denn auch den Reformgesetzgeber von 2006 zu überzeugen, dem es vorrangig darum ging, das bestehende Regime einfacher, kostengünstiger und damit aus Sicht des héritier attraktiver zu gestalten.231 Die „acceptation à concurrence de l’actif net“ sollte zum praktischen Regelfall werden,232 und dementsprechend preist das Gesetz die Vorzüge dieses Regimes für den héritier noch deutlicher an als vorher.233 Die Interessen der Nachlassgläubiger verlor der Reformgesetzgeber dabei zwar nicht aus dem Blick,234 sie standen für ihn aber erneut nicht an erster Stelle.235 Die französische Lehre hob unterdessen hervor, dass der Reformgesetzgeber von 2006 zugleich das praktische Bedürfnis des héritier für eine Haftungsbeschränkung gesenkt hat.236 So haftet zum einen der héritier für die Erfüllung von Geldvermächtnissen nun von vornherein nur noch mit dem Nachlass.237 Zum anderen kann er im Fall der vorbehaltlosen Annahme von der Haftung für solche Verbindeinen gerichtlich ernannten administrateur zu erleichtern. Blieb die Anlehnung an das Konkursverfahren (procédure de faillite) auch bewusst unvollkommen, wurde dieses ausdrücklich als unmittelbare Inspirationsquelle genannt (siehe Percerou im Protokoll der Sitzung vom 8.12.1910, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 286). 226 Siehe Gasnier, Liquidation, Nr. 194. 227 Rapport Assemblée Nationale 102; Brémond, JCP N 2006, 1331, Nr. 12; Terré/Lequette/ Gaudemet, Successions, Rn. 972 (857 f.), 993 (875); Gasnier, Liquidation, Nr. 228 (Fn. 56), 241. 228 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 972 (858). Für gelungen hielt den Entwurf Brenner, Recueil Dalloz 2002, Nr. 21. 229 Siehe unten § 8 B.IV.3. (678 ff.). 230 Gasnier, Liquidation, Nr. 10 f. 231 Rapport Assemblée Nationale 28, 53; Rapport Sénat 78; Brémond, JCP N 2006, 1331, Nr. 1, 10; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 981 (866 f.). 232 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 972 f. 233 Siehe Art. 791 Code civil, der als Vorteile das Ausbleiben einer Vermögensvermischung, die Bewahrung eigener Forderungen gegen den Verstorbenen und die Beschränkung der Haftung auf den Wert der Nachlassgegenstände nennt. Die Vorschrift ist größtenteils Art. 802 Code civil1804 nachgebildet und hat daher auch die unklare Passage „[…] jusqu’à concurrence de la valeur des biens qu’il a recueillis“ beibehalten, die das Vorliegen einer rechnerisch und nicht einer gegenständlich beschränkten Haftung suggeriert (dazu oben Fn. 126). 234 Siehe etwa Rapport Assemblée Nationale 17, 27. 235 Brémond, JCP N 2006, 1331, Nr. 3; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 973 (858); Gasnier, Liquidation, Nr. 236. 236 Brémond, JCP N 2006, 1331, Nr. 16; Grimaldi, Successions, Nr. 619 (492). 237 Art. 785 Abs. 2 Code civil, ausführlich unten C.II.3. (410 ff.).
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lichkeiten befreit werden, von denen er im fraglichen Zeitpunkt in entschuldbarer Weise keine Kenntnis hatte.238 Schon weil die letztgenannte Rechtsfolge im Ermessen des Richters steht, ist das Interesse des héritier an einer beschränkten Haftung aber nicht gänzlich entfallen.239 (2) Stärkung der Verfahrenseffizienz und der Befugnisse des héritier Während der héritier nach altem Recht wie gesehen in wichtigen Fragen unter gerichtlicher Aufsicht agierte, nämlich beim Verkauf von Nachlassgegenständen und der Schuldenberichtigung im Fall einer opposition, ging der Reformgesetzgeber vom Leitbild eines „héritier responsable“ aus, der grundsätzlich Vertrauen verdient.240 Unter dem neuen Regime ist der héritier dementsprechend „seul maître à bord“241 und handelt weitgehend frei. Einen Verkauf von Nachlassgegenständen muss er lediglich innerhalb einer bestimmten Frist dem Gericht gegenüber anzeigen, das ihn dann publik macht.242 Ein Verstoß gegen diese Vorgaben führt nicht mehr zum Verlust der Haftungsbeschränkung, sondern nur noch zu einer Haftung mit dem eigenen Vermögen in Höhe des Verkaufspreises.243 Für den Fall, dass der héritier den Nachlassgläubigern den Erlös vorenthält, trifft ihn allerdings die harte Sanktion der unbeschränkten Haftung.244 Gestärkt wurde zugleich auch die Freiheit des héritier, über die zur Schuldentilgung eingesetzten Mittel zu disponieren. Will er bestimmte Nachlassgegenstände behalten und damit aus dem Nachlass gewissermaßen herauskaufen, muss er dies nicht mehr unter den erschwerten Voraussetzungen des früheren Rechts tun, 245 sondern dem Gericht die Übernahme lediglich anzeigen, das die Erklärung wiederum öffentlich macht.246 Dem neuen Regime ist nach Ansicht französischer Autoren damit eine „heureuse conciliation“ der beiden zentralen Interessen des héritier
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Art. 786 Abs. 2 Code civil, ausführlich unten § 7 B.IV. (589 ff.). Grimaldi, Successions, Nr. 619 (492). 240 Brémond, JCP N 2006, 1331, Nr. 1, 12. 241 Brémond, JCP N 2006, 1331, Nr. 7; siehe auch Rapport Assemblée National 49; Rapport Sénat 26 f., 78; Piedelièvre, Droit & Patrimoine 2007, 64. 242 Art. 793 Abs. 2, 794 Abs. 1 Code civil; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 981 (866); Levillain, JCP N 2009, 1006, Nr. 16. Gegen einen Verkauf unter Wert können die Gläubiger sich zur Wehr zu setzen (Art. 794 Abs. 2 Code civil), ebenso steht ihnen die actio Pauliana (Art. 1341-2 Code civil) zur Verfügung: Rapport Sénat 92; Grimaldi, Successions, Nr. 619 (492). Zur Pflicht der fristgerechten Aushändigung des Verkaufserlöses an die Gläubiger siehe unten Fn. 249. 243 Art. 795 Abs. 2 Code civil. Was Verfügungen angeht, die vor der Annahme unter Haftungsbeschränkung getätigt wurden, weist Strauß, Der notleidende Nachlass, 63 f. zutreffend darauf hin, dass diese in aller Regel als vorbehaltlose Annahme zu deuten sein werden, womit der Weg zur „acceptation à concurrence de l’actif net“ versperrt ist. 244 Art. 800 Abs. 4 Code civil. Siehe Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 996; Brémond, JCP N 2006, 1331, Nr. 8 (Fn. 22, 23), kritisiert die Unschärfe des gesetzlichen Tatbestands. 245 Siehe oben Fn. 166. 246 Art. 793 Abs. 1, 794 Abs. 1 Code civil; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 983 f. 239
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gelungen, nämlich einerseits bestimmte Gegenstände in der Familie zu halten, 247 andererseits aber eine unbeschränkte Schuldenhaftung zu vermeiden.248 Wie im Fall des Verkaufserlöses zieht die Vorenthaltung des Gegenwerts für die Ablösung allerdings den Verlust der Haftungsbeschränkung nach sich.249 Zu betonen ist, dass die Steigerung der Verfahrenseffizienz auch den Interessen der Gläubiger zu Gute kommt, da der héritier einfacher und mit geringeren Reibungsverlusten als früher finanzielle Liquidität schaffen kann. So war das unter dem alten Recht einzuhaltende Verkaufsverfahren nicht nur schwerfällig, auch führte es häufig zu einem Verkauf unter Wert.250 (3) Gläubigerschutz durch Transparenz Bestand unter dem alten Regime ein zentrales Problem der Gläubiger in dem schwierigen Zugang zu den relevanten Informationen, sucht die jetzige Regelung umfassende Transparenz zu gewährleisten.251 Dies beginnt mit der landesweiten Publikation der (gegenüber dem zuständigen „tribunal de grande instance“ oder einem Notar abzugebenden 252) Erklärung der „acceptation à concurrence de l’actif net“,253 geht weiter über die landesweite Publikation der Einreichung des Inventars254 hin zum Recht der Gläubiger auf Einsichtnahme sowie auf fortlaufende Information über etwaige weitere Veröffentlichungen.255 Von der Anzeige der Verfügungen des héritier über Nachlassgegenstände war bereits die Rede.256 Weiterer Baustein des genannten Konzepts ist, dass mit dem neuen Regime Aussagekraft und Zuverlässigkeit des Inventars deutlich gestärkt wurden.257 Denn 247 Rapport Assemblée National 118 sieht dieses Interesse als besonders legitim im Falle einer „maison de famille“ an. 248 Grimaldi, Successions, Nr. 621, dort auch zum möglichen Vorwurf einer Rosinenpickerei. 249 Art. 8 00 Abs. 4 Code civil. Siehe dazu auch die Nachweise oben Fn. 244. 250 Siehe oben C.II.1a)(4) (388 ff.). 251 Rapport Assemblée Nationale 17, 49; Rapport Sénat 26, 78; Brémond, JCP N 2006, 1331, Nr. 11. 252 Zuständig ist das Gericht des Bezirks, in dem der Erbfall eröffnet wurde (Art. 788 Abs. 1 Code civil). 2016 wurde die Möglichkeit eingeführt, die Erklärung vor einem Notar abzugeben (loi n° 2016-1547). 253 Art. 788 Code civil. Die Veröffentlichung erfolgt in der elektronischen sowie in der Papierform des „Bulletin officiel des annonces civiles et commerciales“ (BODACC): Brémond, JCP N 2006, 1331, Nr. 11; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 773 (691). Art. 1335 Code de procédure civile sieht zudem vor, dass der héritier einen Monat nach seiner Erklärung für eine weitere Veröffentlichung in einem im betreffenden Gerichtsbezirk zirkulierenden Zeitungsmedium zu sorgen hat. Die 15-monatige Anmeldefrist der Gläubiger (unten Fn. 267) beginnt mit der ersten Veröffentlichung zu laufen, Levillain, JCP N 2009, 1006, Nr. 24. Unter dem alten Recht wurde die „acceptation sous bénéfice d’inventaire“ zwar bei Gericht registriert (Art. 793 Code civil1804), aber nicht allgemein bekannt gemacht. 254 Art. 790 Abs. 3 Code civil; Levillain, JCP N 2008, 1058, Nr. 34. 255 Art. 790 Abs. 5 Code civil. Es ist bezeichnend für die Defizite des früheren Rechts, dass den Gläubigern kein Zugang zum Inventar gestattet wurde: Siehe Rapport Sénat 84; Brémond, JCP N 2006, 1331, Nr. 11. 256 Siehe oben C.II.2b)(2) (400 ff.). 257 Rapport Assemblée National 49, 103; Levillain, JCP N 2008, 1058, Nr. 2 2, 28.
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nicht nur sind neben den aktiven Vermögenswerten nun auch die auf dem Nachlass lastenden Verbindlichkeiten aufzunehmen (soweit bereits bekannt) und jeweils zu bewerten.258 Auch wird das Inventar nicht mehr vom héritier selbst angefertigt, 259 sondern durch einen Angehörigen der Gerichtsverwaltung oder des Notariats260 und mithin durch eine unabhängige, professionelle Stelle. Arglistige Falschangaben des héritier bei der Inventarerstellung führen wie bisher zum Verlust der Haftungsbeschränkung.261 (4) Ausbau zu einem vereinfachten Insolvenzverfahren Beim Thema der Schuldenregulierung hat die Reform zwar ebenfalls die Rolle der Gerichte stark zurückgeschnitten, sie ist jedoch gleichzeitig einen deutlichen Schritt in Richtung eines kollektiven Liquidationsverfahrens gegangen.262 So zählt die Begleichung der Nachlassverbindlichkeiten nun ausdrücklich zu den Aufgaben des héritier 263 und hat nach einer bestimmten Reihenfolge zu geschehen: Zunächst sind die dinglich gesicherten Gläubiger ihrem Rangverhältnis entsprechend zu befriedigen, anschließend die übrigen Gläubiger und zuletzt die Geldvermächtnisnehmer.264 Komplementiert wird diese Vorgabe mit einem Verfahren zur Forderungsanmeldung, das gewissermaßen die Rolle der opposition unter dem früheren Recht übernommen hat.265 Alle nicht dinglich gesicherten Gläubiger (nicht aber die Legatare266) müssen ihre Forderungen innerhalb von 15 Monaten anmelden, anderenfalls erlöschen diese vollständig!267 Während der Anmeldefrist ist die Voll258 Art. 789 Abs. 1 Code civil. Nach Art. 794 Code civil1804 waren hingegen nur die Aktiva („biens“) aufzunehmen. 259 Allerdings verlangte das frühere Recht die Errichtung in notarieller Urkunde, Grimaldi, Successions5, Nr. 459; Levillain, JCP N 2009, 1006, Nr. 22. 260 Siehe Art. 789 Abs. 2 Code civil: „commissaire-priseur judiciaire“ (gerichtlicher Versteigerer), „huissuir“ (Gerichtsvollzieher) oder „notaire“. 261 Art. 8 00 Abs. 4 Code civil. 262 Levillain, JCP N 2009, 1006, Nr. 21; Grimaldi, Successions, Nr. 707. Piedelièvre Droit & Patrimoine 2007, 60, spricht von einer „Variante des Privatinsolvenzverfahrens“ („une variante de la faillite civile“). Das Verfahren der „faillite civile“ findet sich als lokales Sonderrecht in Elsass-Lothringen, als Fortwirkung der Zugehörigkeit zum Deutschen Reich zwischen 1871 und 1918. Näher Strauß, Der notleidende Nachlass, 48. 263 Diesen Unterschied zum früheren Recht betont Gasnier, Liquidation, Nr. 207. 264 Art. 796 Code civil. 265 Brémond, JCP N 2006, 1331, Nr. 13 bezeichnet das Anneldeverfahren als „Schlusstein“ des neuen Regimes („clef de voûte du système“). 266 Der Grund für die fehlende Anmeldepflicht ist nicht in der Nachrangigkeit der Vermächtnisforderungen zu sehen (so aber Gasnier, Liquidation, Nr. 202), sondern darin, dass sie dem héritier ohnehin bekannt sind: Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 989 (871 Fn. 4). 267 Art. 792 Code civil. Die Anmeldung ist an den bei der Annahme unter Haftungsbeschränkung anzugebenden, notwendig in Frankreich belegenen Wohnsitz (siehe Art. 788 Abs. 1 Code civil) zu übermitteln, näher dazu Levillain, JCP N 2008, 1058, Nr. 16. Zum Erlöschen auch der persönlich gesicherten Forderungen Grimaldi, Successions, Nr. 708 (552); Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 989 (871). Mit dem Erfordernis der fristgerechten Forderungsanmeldung hatte sich sogar schon der französische Verfassungsrat (Conseil constitutionnel) zu befassen (Cons. const. 5.10.2016, RTD civ.
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streckung in den Nachlass und die Eintragung neuer Sicherheiten unterbunden,268 so dass der héritier bei der Abwicklung nicht gestört wird.269 Mit Ablauf der Anmeldefrist endet die „mission liquidative“ des héritier,270 und gemeldeten, aber noch unbefriedigten Nachlassgläubigern steht die Einzelvollstreckung in verbleibende Nachlassgegenstände zu.271 Kennzeichen für den geordneten Charakter des neuen Regimes ist schließlich auch, dass die Abberufung eines untätigen, ungeeigneten oder nachlässigen héritier von der Abwicklerrolle und seine Ersetzung durch einen gerichtlich ernannten mandataire successoral nun ausdrücklich geregelt ist.272 Ferner kann der héritier sich der Abwicklung nicht mehr einfach durch Nachlassaufgabe entziehen, sondern muss das Gericht um Ernennung eines mandataire successoral ersuchen.273 Lassen sich die geschilderten Regelungen vielfach als Kodifizierungen der unter dem alten Recht betriebenen richterlichen Rechtsfortbildung begreifen, ist der Gesetzgeber in einem zentralen Punkt von dem für den Fall der opposition entwickelten Verfahren 274 bewusst abgewichen: Der héritier muss die ungesicherten Gläubiger nicht mehr anteilig, sondern nur noch in der Reihenfolge ihrer Anmeldung befriedigen, so dass insoweit also doch wieder der Satz „le paiement est le prix de la course“ gilt.275 Geht ein nicht dinglich gesicherter Gläubiger trotz fristgerechter Forderungsanmeldung leer aus, kann er nur noch den Rückgriff bei einem befriedigten Vermächtnisnehmer suchen,276 wobei wie unter früherem Recht 277 auch der Empfänger einer einzelnen Sache dem Rückgriff ausgesetzt ist.278 2016, 908), der zum einen entschied, dass das Erlöschen im Falle der Fristversäumnis nicht gegen die Menschenrechte verstößt (dazu Grimaldi, Successions, Nr. 708 (552 Fn. 87), und zum anderen, dass gesicherte Gläubiger von dem Erfordernis der Forderungsanmeldung befreit sind (kritisch dazu Grimaldi, Successions, Nr. 708 (551 Fn. 85)). Die Cour de cassation bestätigte das Erlöschen nicht angemeldeter Forderungen in einer Entscheidung v. 16.1.2019 (Nr. 18-11.916), dazu Stade, ZEV 2019, 336. 268 Art. 792-1 Abs. 1 Code civil. Mittels Eintragung einer Sicherheit könnte ein Gläubiger sich anderenfalls „vordrängeln“, siehe Rapport Assemblée National 117 („coupe la file“); Rapport Sénat 88. 269 Levillain, JCP N 2009, 1006, Nr. 16; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 990; Grimaldi, Successions, Nr. 708 (552); Gasnier, Liquidation, Nr. 204. 270 Gasnier, Liquidation, Nr. 231. 271 Art. 798 Abs. 1 Code civil. Kritisch wegen der Möglichkeit, dass ein später angemeldeter Gläubiger einen früheren überholt, Gasnier, Liquidation, Nr. 231. 272 Art. 813-1 Code civil; dazu Levillain, JCP N 2009, 1006, Nr. 5 f. Grimaldi, Successions, Nr. 625 (498), 457; Gasnier, Liquidation, Nr. 215. Strauß, Der notleidende Nachlass, 63 spricht von einem „Gegenpol“ zur starken Stellung des héritier. 273 Art. 814-1 Code civil; Levillain, JCP N 2009, 1006, Nr. 4 f.; Grimaldi, Successions, Nr. 626. 274 Siehe oben C.II.1b) (392 ff.). 275 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 987 (870), Rn. 989 (872), Rn. 993 (874); Catala, Droit de la famille 2006, 43, Nr. 6. 276 Art. 799 Code civil. Rapport Assemblée National 129 und Rapport Sénat 96 verweisen ausdrücklich auf den Grundsatz „nemo liberalis nisi liberatus“, ebenso Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 994. Zu den umstrittenen Implikationen des Art. 799 Code civil für den Zeitpunkt der Vermächtniserfüllung siehe unten Fn. 311. 277 Siehe oben Text nach Fn. 145 278 Siehe Gasnier, Liquidation, Nr. 232, 235; Levillain, JCP N 2009, 1006, Nr. 28. Rapport As-
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Die fehlende Pflicht zur proratarischen Befriedigung der ungesicherten Gläubiger bedeutet zugleich, dass der héritier das Ende der 15-monatigen Anmeldefrist nicht abwarten muss und wohl auch nicht abwarten darf.279 So ist für den Fall, dass er einen Nachlassgegenstand verkauft oder ablöst, ausdrücklich vorgesehen, dass der héritier die Gläubiger innerhalb von zwei Monaten nach Erhalt des Kaufpreises bzw. nach der Entscheidung zum Behalten des Gegenstandes zu bezahlen hat.280 Ein Verstoß führt zur unbeschränkten Haftung.281 Doch auch außerhalb dieser Fälle sind die ungesicherten Gläubiger grundsätzlich mit ihrer Anmeldung zu befriedigen,282 jedenfalls soweit dies nicht den Vorrang der gesicherten Gläubiger beeinträchtigt. Wurde die Pflicht der héritier zu einer „liquidation diligente“283 somit deutlich gestärkt, ist abschließend dennoch festzuhalten, dass die materiellrechtlichen Grundkonstanten des bestehenden Regimes nicht verschoben wurden. So nimmt der héritier nach wie vor eine Zwitterstellung zwischen einem eigennützig handelnden Eigentümer und einem fremdnützig handelnden Treuhänder ein.284 Dies zeigt sich am klarsten daran, dass er für eine Verletzung seiner Pflicht zur Verwaltung und Rechnungslegung285 auch weiterhin nur im Fall von „fautes graves“ haftet.286 Nicht überzeugend ist es, diese Privilegierung mit dem unentgeltlichen und nicht-professionellen Charakter der Abwicklung zu begründen.287 Stattdessen sind beide Regelungen als Folge der gesetzgeberischen Entscheidung zu betrachten, dem héritier keine umfassende Pflicht zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen aufzuerlegen, um seine Stellung nicht zu sehr zu belasten und damit das Regime der Annahme unter Haftungsbeschränkung unattraktiv zu machen.288
semblée National 130 und Rapport Sénat 97 gehen sogar davon aus, dass Art. 799 Code civil, der allgemein von „légataire“ spricht, für die Geldvermächtnisse („legs de sommes d’argent“) gar nicht von Bedeutung ist, weil diese ohnehin nachrangig zu erfüllen sind (siehe oben Fn. 264). 279 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 993 (874); Grimaldi, Successions, Nr. 710 (553). 280 Art. 797 Abs. 1 Code civil. 281 Art. 8 00 Abs. 4 Code civil; Brémond, JCP N 2006, 1331, Nr. 15; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 996 (877); Grimaldi, Successions, Nr. 710 (553). 282 Rapport Assemblée Nationale 125. Anders wohl Grimaldi, Successions, Nr. 710 (553): nur ein Recht zur Befriedigung vor Fristablauf, aber keine Pflicht. 283 Gasnier, Liquidation, Nr. 197; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 981 (867). 284 Brémond, JCP N 2006, 1331, Nr. 3, 7 f.; Grimaldi, Successions, Nr. 617 (491), 622 f. Gasnier, Liquidation, Nr. 210 betont, dass der héritier, anders als ein Insolvenzverwalter, nicht im gemeinsamen Interesse der Gläubiger handelt. Siehe zu den grundlegenden Parallelen zwischen dem alten und dem neuen Regime auch Grimaldi, Successions, Nr. 627. 285 Art. 8 00 Abs. 1 Code civil. 286 Art. 8 00 Abs. 2 Code civil. Dazu Gasnier, Liquidation, Nr. 211. 287 So aber Rapport Assemblée National 131; Rapport Sénat 97; Brémond, JCP N 2006, 1331, Nr. 8; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 996 (877); Grimaldi, Successions, Nr. 623 (496) (unter dem früheren Recht auch schon ders., Successions5, Nr. 574). 288 Den letztgenannten Punkt erwähnt auch Brémond, JCP N 2006, 1331, Nr. 8 .
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c) Würdigung Der Überblick zeigt, dass der französische Gesetzgeber sich zwar um eine Verfeinerung des bestehenden Regimes der Annahme unter Haftungsbeschränkung bemühte, zugleich aber bewusst davon absah, den Schritt zu einem vollwertigen Nachlassinsolvenzverfahren zu gehen.289 Der Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung290 wurde der Vermeidung eines „formalisme trop coûteux“ und einer „judiciarisation systématique“291 geopfert und damit dem Interesse des héritier an einer möglichst einfachen Abwicklung, die ohne Hinzuziehung professioneller Hilfe zu bewältigen ist.292 Anderenfalls fürchtete der Gesetzgeber, dass das Institut der Erbschaftsannahme unter Haftungsbeschränkung in der Praxis weiterhin nicht genutzt würde.293 Unausgesprochen liegt der gewählten Konzeption aber auch die schon in anderem Kontext erwähnte, ungeachtet von Aufweichungen auch heute noch starke Überzeugung französischer Juristen zugrunde, dass die Nachlassabwicklung Familienangelegenheit sei.294 Die Entscheidung des Reformgesetzgebers gegen eine proratarische Befriedigung der ungesicherten Gläubiger, unter Abkehr von der früheren Rechtslage, war indessen schon im Entstehungsprozess nicht unumstritten 295 und stieß auch in dem zum neuen Recht ergangenen Schrifttum auf Kritik. Zumindest im Fall eines erkennbar überschuldeten Nachlasses erscheine es „kurios“, wenn nicht gar „schockierend“, wenn von zwei angemeldeten Gläubigern einer voll befriedigt wird, während der andere gänzlich leer ausgeht.296 Hingewiesen wurde zudem darauf, dass die anteilige Befriedigung viel besser zu der gestärkten Rolle des Inventars passen würde, 297 das, wie gesehen, eine umfassende Vermögensübersicht bietet.298 Das geltende System bevorzugt de facto die besser informierten Gläubiger, d. h. einerseits die professionellen gegenüber den nichtprofessionellen,299 andererseits die 289 Das Ergebnis lässt sich als „hybrides Regime“ bezeichnen, siehe Strauß, Der notleidende Nachlass, 64. 290 Dieser wird häufig auch mit der Wendnung par conditio creditorum bezeichnet, kritisch dazu allerdings Hoffmann, Prioritätsgrundsatz und Gläubigergleichbehandlung, 5. 291 Rapport Assemblée National 55, 102. 292 Rapport Assemblée National 126 f. Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die andere Zielrichtung des Entwurfs von 1995 Rapport Sénat 93–95. Siehe auch Gasnier, Liquidation, Nr. 231, 240. 293 Rapport Assemblée National 127 weist sogar auf die Praxis hin, eine überschuldete Erbschaft auszuschlagen, Nachlassgegenstände von besonderem wirtschaftlichem oder sentimentalem Wert aber zu unterschlagen. 294 Siehe oben § 5 C.II.2d)(3) (349 ff.). 295 Rapport Assemblée National 54, 126. 296 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 993 (875); kritisch auch Catala, Droit de la famille 2006, 43, Nr. 6; Pérès/Vernières, Droit des successions, 579. 297 So schon die Kritik im Gesetzgebungsverfahren, siehe Brémond, JCP N 2006, 1331, Nr. 13; siehe auch Rapport Assemblée National 54. 298 Siehe oben C.II.2b(3) (401 f.). 299 Piedelièvre, Droit & Patrimoine 2007, 64 f.; dieses Problems war sich der Gesetzgeber allerdings durchaus bewusst, siehe Rapport Sénat 94 f.
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dem Verstorbenen nahestehenden gegenüber den ihm fernstehenden Gläubiger.300 Zu Letzteren gehört gerade auch der héritier selbst; er muss seine eigenen Ansprüche gegen den Verstorbenen lediglich ordnungsgemäß anmelden.301 Die Einfachheit und Schnelligkeit der Abwicklung, die mit den beschriebenen Nachteilen erkauft wird, kommt immerhin auch den Gläubigern selbst zu Gute, weil eine anteilige Befriedigung zwangsläufig mit einer Auszahlungssperre während der Anmeldefrist verbunden sein müsste.302 Zudem wird die Entscheidung des Gesetzgebers damit verteidigt, dass die Befriedigungschancen der ungesicherten Gläubiger nicht geringer seien als zu Lebzeiten ihres Schuldners.303 Denn entweder stand ihnen, weil der Verstorbene weder Kaufmann noch Handwerker, Landwirt oder Freiberufler war,304 auch damals kein Verfahren zur proraratischen Befriedigung zur Verfügung;305 oder ein solches kann auch post mortem noch eröffnet werden.306 Das Argument, dass der Tod des Schuldners die Rechtslage seiner Gläubiger nicht verändern soll, wird hier also ausnahmsweise gegen diese in Stellung gebracht.307 300 Brémond, JCP N 2006, 1331, Nr. 13; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 993 (874 Fn. 1); Gasnier, Liquidation, Nr. 232. 301 Levillain, JCP N 2009, 1006, Nr. 2 2 f. 302 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 993 (875). 303 Brémond, JCP N 2006, 1331, Nr. 13; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 993 (875); Grimaldi, Successions, Nr. 709 (553). Rapport Assemblée National 127 weist auf den allgemeinen Grundsatz hin, dass der eifrigste Gläubiger („le plus diligent“) als erstes befriedigt wird. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang, dass das französische Einzelzwangsvollstreckungsrecht zwar im Ausgangspunkt nicht vom Prioritätsprinzip, sondern vom Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung geprägt und daher geeignet ist, das Fehlen eines allgemeinen Insolvenzverfahrens zu kompensieren (näher Hoffmann, Prioritätsgrundsatz und Gläubigergleichbehandlung, 159–192). In der Gesamtbetrachtung erweist sich aber dennoch das Prioriätsprinzip als tonangebend, entgegen der weit verbreiteten Wahrnehmung im rechtsvergleichenden Schrifttum. Eingehend Hoffmann, Prioritätsgrundsatz und Gläubigergleichbehandlung, 99 f., 455–465. 304 Zur schrittweisen Ausdehnung des ursprünglichen Kaufmannskonkurses Hoffmann, Prioritätsgrundsatz und Gläubigergleichbehandlung, 455 f. 305 Zwar kennt das französische Recht inzwischen auch ein Privatinsolvenzverfahren („surendettment des particuliers“, Art. L. 771-1 ff. Code de la consommation), doch verfolgt dieses vorrangig das Ziel der Restschuldbefreiung, weshalb eine Eröffnung auch nur auf Antrag des Schuldners erfolgt. Zur bis 2016 geltenden Rechtslage Strauß, Der notleidende Nachlass, 48; Hoffmann, Prioritätsgrundsatz und Gläubigergleichbehandlung, 456). 306 Art. L. 631-3 Abs. 2 und Art. L. 640-3 Abs. 2 Code de commerce. Siehe Terré/Lequette/ Gaudemet, Successions, Rn. 974; Grimaldi, Successions, Nr. 600, 709 (553); Strauß, Der notleidende Nachlass, 66 f. (dort auch zur Weiterführung bereits zu Lebzeiten des Erblassers eröffneter Verfahren). Kurios ist, dass die schon im 19. Jahrhundert bemängelten Friktionen zwischen der insolvenzrechtlichen und der erbrechtlichen Abwicklung bis heute nicht beseitigt wurden, und dies, obwohl beinahe zeitgleich mit der Reform der Erbschaftsannahme unter Haftungsbeschränkung auch das Insolvenzrecht reformiert wurde: näher Strauß, Der notleidende Nachlass, 67–76. 307 Siehe Brémond, JCP N 2006, 1331, Nr. 13. Piedelièvre, Droit & Patrimoine 2007, 65, sieht in dem „Wettlauf um die Anmeldung“ („course à la déclaration“) hingegen einen Verstoß gegen Art. 2285 Code civil (ehemals Art. 2093), nach dem das Vermögen des Schuldners das gemeinschaftliche Pfand („gage“) seiner Gläubiger und der Erlös gleichmäßig zu verteilen ist, soweit kein gesetzlicher Vorrang besteht. Die Bezahlung in der Reihenfolge der Anmeldung führe zur Schaf-
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Fragwürdig erscheint in jedem Fall die Ausgestaltung der Forderungsanmeldung. So ist die Frist aus Sicht der nachrangig zu befriedigenden Geldvermächtnisnehmer unangemessen lang,308 weil ein umsichtiger héritier sie mindestens 15 Monate warten lassen wird, bis er sie in den Genuss des ihnen vom Erblasser zugedachten Vermögensvorteils kommen lässt.309 Denn ein héritier, der die Vermächtnisse früher erfüllt, riskiert, sich schadensersatzpflichtig gegenüber einem Gläubiger zu machen, der sich noch innerhalb der Frist meldet, aber aus dem Nachlass nicht mehr bedient werden kann.310 Zudem müsste der Vermächtnisnehmer in diesem Fall damit rechnen, in Regress genommen zu werden.311 Der héritier selbst ist als Residualbegünstigter von der langen Frist natürlich auch betroffen, denn erst mit ihren Ablauf steht fest, ob ihm wirklich ein Überschuss bleibt.312 Doch kann der héritier die Nachlassgegenstände in dieser Zeit immerhin als eigene nutzen.313 Die Länge der Frist zur Forderungsanmeldung ist im Wesentlichen mit ihrer drastischen Konsequenz für die Gläubiger zu erklären, nämlich dem vollständigen Verlust ihres Anspruchs. Indessen erscheint diese Rechtsfolge, die in ihrer Wirkung einer Abkürzung der Verjährungsfrist gleichkommt314 und auch im französischen
fung neuer Privilegien zulasten der später angemeldeten Gläubiger, die sich nicht notwendigerweise nachlässig verhalten haben. 308 Der Reformentwurf sah ursprünglich sogar eine Frist von zwei Jahren vor, dazu Rapport Assemblée National 53, 55. Siehe auch Rapport Sénat 78, 86. Im Gesetzgebungsverfahren scheint allerdings eher das Interesse des héritier im Fokus gestanden zu haben, siehe unten Fn. 312. 309 Das Gesetz regelt nicht, wie der héritier die Vermächtnisse bei unzureichendem Nachlass zu erfüllen hat, und mangels einer Pflicht zur Anmeldung kommt eine Befriedigung in der betreffenden Reihenfolge nicht in Betracht. Kritisch zu dieser Regelungslücke und dem damit verfehlten Ziel der Einfachheit und Klarheit Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 994 (876). 310 Nicht klar ist allerdings, ob der Gläubiger in diesem Fall zunächst den Regress bei Vermächtnisnehmer suchen muss, so wohl Grimaldi, Successions, Nr. 711. Von einer unmittelbaren Verantwortlichkeit scheinen dagegen Rapport Assemblée National 130 und Levillain, JCP N 2009, 1006, Nr. 26, 28 auszugehen. 311 Art. 799 Code civil. Catala, Droit de la famille 2006, 43, Nr. 6 leitet aus dieser Regel ab, dass der héritier die Geldvermächtnisse auch schon vor Ablauf der Anmeldefrist erfüllen dürfe und bemerkt spöttisch, dass man von dieser Regel „nebenbei“ (au passage) erfahre. Doch scheint es überzeugender, in der verfrühten Erfüllung einen zum Schadensersatz führenden Pflichtverstoß des héritiers (siehe oben Fn. 310) zu sehen und in der Regressmöglichkeit nur ein zusätzliches Mittel des Gläubigerschutzes. Rapport Assemblée National 130 und Rapport Sénat 97 gehen davon aus, dass Art. 799 Code civil für die Geldvermächtnisse („legs de sommes d’argent“) gar nicht von Bedeutung ist, weil diese ohnehin nachrangig erfüllt werden (offener hingegen Rapport Assemblée Nationale 125). In diesem Sinne auch Levillain, JCP N 2009, 1006, Nr. 28. Dies wird man allerdings nicht so verstehen dürfen, dass den vorrangigen Nachlassgläubigern Art. 799 Code civil gegen Geldvermächtnisnehmer gar nicht zur Verfügung steht. 312 Vor allem dieser Aspekt scheint die Reduzierung der Anmeldefrist von 24 auf 15 Monate motiviert zu haben, siehe Rapport Assemblée National 113; Rapport Sénat 86. 313 Zur Eigentümerstellung des héritier siehe oben Fn. 284. 314 Dies war im Gesetzgebungsverfahren kritisiert worden, siehe Brémond, JCP N 2006, 1331, Nr. 13; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 989 (872).
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Insolvenzrecht keine Parallele findet,315 unnötig harsch.316 Angemessener wäre es gewesen, dem nicht angemeldeten Gläubiger in Parallele etwa zu § 1973 BGB317 Befriedigung aus einem eventuellen Restnachlass zu gewähren,318 und in diesem Fall wäre auch eine deutlich kürzere Anmeldefrist tragbar gewesen.319 Gläubigern wird durch das vom Gesetzgeber gewählte „einfachere und modernere Konzept“320 immerhin ein starker Anreiz zum Tätigwerden gesetzt,321 zugleich wird sichergestellt, dass die Abwicklung nach einer bestimmten Zeit endgültig abgeschlossen ist.322 In struktureller Hinsicht ist schließlich die einerseits zurückgeschnittene, andererseits ausgebaute Rolle staatlicher Stellen bemerkenswert. Beim Handeln des héritier hat wie gesehen eine „déjudiciarisation“323 stattgefunden, indem Gerichte anstelle einer präventiven Kontrolle der Abwicklung nun vorrangig Transparenz gewährleisten sollen und pflichtwidriges Verhalten nur nachträglich sanktionieren.324 Zugleich wurde jedoch am Beginn des Verfahrens, nämlich bei der Inventarerrichtung, die hoheitliche Kontrolle gestärkt. Die Errichtung des Inventars ist damit nicht mehr nur eine formale Voraussetzung der Haftungbeschränkung, sondern soll durch seinen Informationsgehalt einen zentralen Beitrag zu einer gerechten und effizienten Nachlassabwicklung leisten.325 Freilich verursacht die Erstellung des Inventars damit auch höhere Kosten als vorher.326 315 Dort führt das Unterbleiben der Forderungsanmeldung nur zum Ausschluss bei der Verteilung der Masse, nicht aber zu einem vollständigen Erlöschen: Rapport Assemblée National 114 f.; Rapport Sénat 86; Piedelièvre, Droit & Patrimoine 2007, 65 (Fn. 22); Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 989. 316 Siehe auch Brémond, JCP N 2006, 1331, Nr. 13 („disproportionée“); Catala, Droit de la famille 2006, 43, Nr. 6 („mesure radicale“); Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 989 (871) („sévère“); Grimaldi, Successions, Nr. 708 (552) („sévère“); Stade, ZEV 2019, 336 („Gläubigerfalle“). Kritisch auch Murga Fernández, Los sistemas europeos, 274 („claramente excesiva“). 317 Siehe dazu unten E.IV.4a) (510 ff.). 318 So auch Brémond, JCP N 2006, 1331, Nr. 13. 319 So beträgt die Frist zur Forderungsanmeldung im Insolvenzverfahren, wo das Versäumnis, wie gesehen, nur eine Präklusion, aber kein Erlöschen nach sich zieht (siehe oben Fn. 315), nur zwei Monate, siehe Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 989 (872). Eine derart kurze Frist war vom Gesetzgeber indessen als unzumutbar für die nicht-professionellen Gläubiger betrachtet worden, weil sie die einschlägigen Publikationsorgane nicht lesen: Rapport Assemblée National 126. 320 Rapport Assemblée National 127. Originalität bescheint der neuen Regelung auch Gasnier, Liquidation, Nr. 229 („pour le moins original“), ungeachtet ihrer grundsätzlichen Kritik. 321 Rapport Assemblée National 127. Auf die gegenüber dem früheren Recht erhöhte Pflicht zur Wachsamkeit der Gläubiger weist Levillain, JCP N 2009, 1006, Nr. 1 hin. 322 Brémond, JCP N 2006, 1331, Nr. 13; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 989 (872). 323 Brémond, JCP N 2006, 1331, Nr. 12; Gasnier, Liquidation, Nr. 214. Die Verminderung der Fälle gerichtlicher Mitwirkung war ein generelles Anliegen der Reform von 2006, siehe Rapport Assemblée Nationale 29, 52. 324 Siehe auch Grimaldi, Successions, Nr. 627. 325 Brémond, JCP N 2006, 1331, Nr. 12, bezeichnet das Inventar als den „wahren Schlussstein“ („la véritable clé de voûte“) des reformierten Regimes. 326 Nach Art. 8 03 Code civil fallen diese Kosten ebenso wie die für Versiegelung des Nachlasses und Buchführung dem Nachlass und nicht dem héritier zur Last. Auch diese Regel verfolgte
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Der Erfolg der Reform der Erbschaftsannahme unter Haftungsbeschränkung muss sich letztlich an dem gesetzgeberischen Ziel messen lassen, die Attraktivität dieses Regimes aus Sicht eines héritier deutlich zu steigern. Empirische Untersuchungen dazu, wie oft in der Praxis für die „acceptation à concurrence de l’actif net“ optiert wird, sind nicht bekannt. Man kann vermuten, dass von diesem Instrument zwar häufiger Gebrauch gemacht wird als vom früheren „bénéfice d’inventaire“, dass diese Fälle aber weiterhin die deutliche Ausnahme gegenüber den beiden Alternativen bilden, der vorbehaltlosen Annahme der Erbschaft und ihrer Ausschlagung.327 Denn die – zumindest aus Sicht des héritier – unbestreitbaren Vorzüge des neuen Regimes gegenüber dem alten ändern nichts daran, dass der héritier nach wie vor einen erheblichen Preis für seine Haftungsbeschränkung zahlen muss: Er muss sich an ein Gericht oder einen Notar wenden, ist Verwaltungsund Rechenschaftspflichten unterworfen, muss bei der Verfügung über Nachlassgegenstände bestimmte Vorgaben beachten und darf schließlich Verbindlichkeiten und Vermächtnisse nicht in ungeordneter Weise erfüllen.328 Bei allem schwebt, ungeachtet einer leichten Zurückdrängung dieses scharfen Schwerts,329 weiterhin die Sanktion einer unbeschränkten Haftung für bestimmte Formen des Fehlverhaltens über dem héritier.330 Die psychologische Schwelle, in ein solches Regime hineinzuoptieren, ist nach allem immer noch sehr hoch. Sollte die „acceptation à concurrence de l’actif net“ wirklich zum praktischen Regelfall werden, wie der Gesetzgeber es sich wünschte, hätte er dieses Regime konsequenterweise zum gesetzlichen Regelfall machen müssen, indem seine Aktivierung von keinerlei Handlungen des Berufenen abhängt.331 Abgesehen davon ist im Schrifttum zu Recht darauf hingewiesen worden, dass eine „acceptation à concurrence de l’actif net“ selbst in der gewählten erbenfreunddas Ziel, mögliche Bedenken des héritier gegen die „acceptation à concurrence de l’actif net“ auszuräumen: Rapport Assemblée National 134; Rapport Sénat 100. 327 Nach Aupetit/Rejano, ErbR 2020, 86, wird von der Annahme unter Haftungsbeschränkung in der Praxis kaum Gebrauch gemacht und bei befürchteter Überschuldung stattdessen die Ausschlagung gewählt (generell zur praktischen Bedeutung der Ausschlagung Pérès (Hg.), Renonciations et successions: quelles pratiques?). Ähnlich ist der Befund für das gemeinspanische Recht bei Murga Fernández, ZEuP 2018, 371; siehe auch Ministerio de Justicia, Orden de 4 de febrero de 2019, 3. Allerdings haben spanische Praktiker gegenüber dem Verfasser auch berichtet, dass sich die Inventarerrichtung seit 2015, als die Zuständigkeit den Notaren übertragen worden, größerer Beliebtheit erfreut. 328 Ob das neue Regime für den héritier wirklich spürbare Erleichterungen gebracht hat, wird denn auch im Schrifttum bezweifelt: Siehe Piedelièvre, Droit & Patrimoine 2007, 60; Mazeaud-Leveneur, JCP N 2008, 1247, Nr. 20. Von einem aus Sicht des héritier sehr attraktiven Regime spricht hingegen Gasnier, Liquidation, Nr. 231, die dabei aber in erster Linie das aus ihrer Sicht unzureichende Niveau des Gläubigerschutzes im Blick hat. 329 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 996. 330 Zudem ist nun auch ausdrücklich die frühere Rechtsprechung (siehe oben Fn. 155) zum ausdrücklichen oder stillschweigenden Verzicht auf die Haftungsbeschränkung kodifiziert, siehe Art. 801 Abs. 1 Code civil. Dazu Rapport Assemblée Nationale 98, 132 f.; Rapport Sénat 99; Terré/ Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 774. 331 Dazu näher unten § 7 B.VI.4. (606 ff.), D. (632 ff.).
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lichen Ausgestaltung in der überwiegenden Zahl der Fälle gar nicht im Interesse des héritier liegt und damit die gesetzgeberische Intention, die Annahme unter Haftungsbeschränkung zum praktischen Regelfall zu machen, schon im Ausgangspunkt verfehlt war. Sind nämlich sowohl das Erblasservermögen als auch das Erbenvermögen offenkundig solvent, führt die Annahme unter Haftungsbeschränkung nur zu unnötigen Komplikationen, so dass dem héritier zur vorbehaltlosen Annahme zu raten ist.332 Ist aber schon das Ziel zweifelhaft, die Annahme unter Haftungsbeschränkung für den héritier möglichst attraktiv zu machen, wird die hierfür in Kauf genommene Beschneidung der Gläubigerinteressen umso nachdrücklicher infrage gestellt.333 3. Sonderfall: Die Haftung für Vermächtnisse a) Die ursprüngliche Lösung Die Frage, ob der héritier im Fall vorbehaltloser Erbschaftsannahme auch für die Erfüllung von Geldvermächtnissen unbeschränkt haftet, war in der ursprünglichen Fassung des Code civil nicht ausdrücklich geregelt. Wortlaut und Systematik verschiedener Regelungen sprachen für eine anfänglich beschränkte Haftung, die auch eine Fortsetzung der historischen Tradition bedeutet hätte.334 In einer Entscheidung von 1904 sprach sich die Cour de cassation dennoch für die unbeschränkte Haftung aus und hielt auch in der Folge daran fest.335 Das Schrifttum kritisierte nicht nur, dass die vom Gericht angeführten Rechtsgrundlagen das Ergebnis nicht stützten,336 sondern betrachtete dieses überdies als wertungswiderprüchlich. Hingewiesen wurde zum einen darauf, dass den Vorbehaltserben stets nur eine beschränkte Haftung traf, weil er Vermächtnisse, die über die verfügbare Quote des Testators hinausgehen, einfach herabsetzen konnte,337 und niemand je die Auffassung vertreten hatte, dass er für die Differenz persönlich einstehen müsse.338 Wie aber sollte dann zu erklären sein, dass ein Rechtsnachfolger, der nicht zugleich Vor332
Gasnier, Liquidation, Nr. 239, 243. Siehe die Kritik von Gasnier, Liquidation, Nr. 236, 245. Auch Brenner, Préface, X, sieht in dem „unvernünftigen Willen des Gesetzgebers“ („volonté déraisonable du législateur“), die Annahme unter Haftungsbeschränkung zur praktischen Regel zu machen, die Wurzel für die Defizite des Regimes. 334 Die in Art. 724 Code civil1804 erwähnten „Lasten“ der Erbschaft (charges de la succession) erfassten nach herkömmlichem Verständnis nicht die aus Vermächtnissen resultierenden Verbindlichkeiten. Zugunsten einer von vornherein beschränkten Haftung für Vermächtnisse sprach indirekt ferner Art. 802 Code civil1804, dem zufolge die Inventarerrichtung zur Beschränkung der Haftung für die „Schulden“ (dettes) führte und somit den Gegenschluss zuließ, dass die Haftung für Vermächtnisse bereits beschränkt war. Zu diesen Argumenten Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 917 (818); Grimaldi, Successions, Nr. 613 (488). 335 Nachweise bei Grimaldi, Successions, Nr. 613 (Fn. 63). 336 Siehe Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 917 (818); Grimaldi, Successions, Nr. 613 (Fn. 63), bescheint den exegetischen Argumenten gar eine „fragilité extrême“. 337 Dazu oben C.II.1b) (392 ff.). Auf die Frage, ob dem Vorbehaltserben eine dingliche oder nur eine wertmäßige Nachlassbeteiligung zusteht, kommt es dabei nicht an. 338 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 917 (817), zitieren in diesem Zusammenhang 333
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behaltserbe war, für die Vermächtniserfüllung persönlich haftete, obwohl die familiäre Solidarität als Grundlage der unbeschränkten Haftung bei ihm schwächer ausgebildet war als beim Vorbehaltserben?339 Zum anderen wurde angeführt, dass eine unbeschränkte Haftung gegenüber den Vermächtnisnehmern dem Testator im Ergebnis erlauben würde, unentgeltlich über das Vermögen seiner Rechtsnachfolger zu verfügen 340 – worin nicht nur eine „himmelschreiende Ungerechtigkeit“341, sondern auch ein Verstoß gegen die gesetzliche Definition des Testaments gesehen wurde, nach der der Erblasser nur über seine Güter („ses biens“) verfügen kann.342 Schließlich musste auch die (ohnehin fragwürdige343) Vorstellung vom héritier als Fortsetzer der Erblasserpersönlichkeit als Rechtfertigung versagen, da der Erblasser selbst ja zu seinen Lebzeiten der Pflicht zur Vermächtniserfüllung gar nicht ausgesetzt war.344 b) Die Reform von 2006: anfänglich beschränkte Haftung Im Jahr 2006 zeigte sich der Gesetzgeber von der genannten Kritik beindruckt und kehrte in Anknüpfung an einen Reformvorschlag von 1910345 die bisherige Lösung um: Nach dem neuen Art. 785 Abs. 2 Code civil ist die Haftung für Geldvermächtnisse von vornherein gegenständlich auf den Aktivnachlass beschränkt, ohne dass der héritier ein Inventar errichten oder andere Voraussetzungen erfüllen muss.346 Erwartungsgemäß stieß diese „innovation substantielle“347 auf große Zustimmung im Schrifttum, das die jetzige Regelung für billig und vernünftig hält.348
die treffende Beobachtung von Flour, dass anderenfalls der Herabsetzungsklage eine Annahme unter Inventarvorbehalt vorangehen müsste. 339 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 917 (817). 340 Zu diesem Argument schon Percerou, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 244; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 917 (817), auch unter Hinweis auf das Komplementärargument, dass der Testator genauso wenig über das Vermögen seiner Gläubiger verfügen kann, indem er unentgeltliche Zuwendungen macht (dazu schon oben § 2 B.III.3b) (139 ff.)). 341 Binet, Droit de la famille 2006, étude 55, Nr. 33 („injustice criante“). 342 Art 895 Code civil1804 (in leicht geänderter Fassung heute noch in Kraft). 343 Siehe oben § 4 C.II.1b) (302 ff.), § 5 C.II.2f) (358 ff.). 344 Gasnier, Liquidation, Nr. 56; Piedelièvre, Droit & Patrimoine 2007, 61. 345 Siehe Percerou, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 243 f. 346 Die Art der Haftungsbeschränkung ergibt sich wie bei Inventarerrichtung (dazu oben Fn. 233) nicht eindeutig aus dem Wortlaut, doch scheint die Haftung cum viribus hereditatis unbestritten. Da Art. 785 Abs. 2 Code civil vom Aktivnachlass „abzüglich der Schulden“ spricht (net des dettes), entnimmt Grimaldi, Succession, Nr. 613 (Fn. 61), der Vorschrift auch den Vorrang der Erblassergläubiger. 347 Rapport Assemblée Nationale 92. 348 Siehe etwa Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 917 (818) („fort opportunément“); Piedelièvre, Droit & Patrimoine 2007, 61; Binet, Droit de la famille 2006, étude 55, Nr. 33; Gasnier, Liquidation, Nr. 56 („très attendue“).
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c) Würdigung Aus externer Sicht indessen zeugt das Lob der Reform davon, dass zumindest große Teile der französischen Rechtslehre immer noch im Bann von längst überholten Theorien zur Erklärung der Haftung für Nachlassverbindlichkeiten stehen. Natürlich trifft es zu, dass die Legatare zumindest im Ausgangspunkt kein anerkennenswertes Interesse daran haben, auch auf das Eigenvermögen des héritier zugreifen zu können. Doch haben die Erblassergläubiger genauso wenig einen Anspruch darauf, und indem das französische Recht dem héritier die Möglichkeit der Haftungsbeschränkung gewährt, erkennt es diese Wertung auch an. Wenn das Gesetz dennoch die unbeschränkte Haftung zum Ausgangspunkt macht, liegt der Grund nicht in der Familiensolidarität oder moralischen Erwägungen, sondern nach überzeugender Auffassung allein in der unbeschränkten Herrschaft des héritier über den Nachlass. Die Rechte der Erblassergläubiger würden unzumutbar beeinträchtigt, wenn der héritier nur mit dem Nachlass haftete, sich für den Umgang mit diesem aber nicht verantworten müsste.349 Stehen Vermächtnisnehmer zwar im Rang hinter den Erblassergläubigern, sind sie gegenüber dem Abwickler denselben Gefahren ausgesetzt. Auch sie müssen befürchten, dass der héritier Nachlassgegenstände verschleudert oder veruntreut und sich dann auf seine beschränkte Haftung beruft. Vor diesem Hintergrund ist eine im Ausgangspunkt unbeschränkte Haftung gegenüber den Legataren keineswegs eine Absurdität, sondern genauso gerechtfertigt wie im Fall der Erblassergläubiger.350 Aus dieser Argumentation folgt nicht, dass die Einführung einer anfänglich beschränkten Haftung gegenüber den Legataren ein Fehler gewesen wäre. Doch abgesehen von der Frage, warum Legatare und Erblassergläubiger nun unterschiedlich behandelt werden, ist dem französischen Gesetzgeber der Vorwurf zu machen, dass er die Haftungsbeschränkung hinsichtlich Einzelzuwendungen mit keinerlei Gegengewichten ausgestattet hat. So ist der héritier nicht nur von der Notwendigkeit befreit, die Nachlassgegenstände zu inventarisieren. Es sind auch keinerlei Pflichten über seinen Umgang mit diesen vorgesehen. Einmal mehr hat somit der französische Gesetzgeber die Interessen von Nachlassgläubigern dem Interesse des héritier an einem freien Umgang mit dem Nachlass geopfert. Der sachgemäße Weg zur Schließung der hierdurch aufgerissen Schutzlücken dürfte in einer Teilanalogie zur Annahme unter Haftungsbeschränkung liegen. So müssen den Vermächtnisnehmern zumindest Ansprüche auf Rechnungslegung und Schadensersatz für fehlerhafte Verwaltung gewährt werden.
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Zu dieser Argumentation bereits oben § 4 A.VII.9b) (271 ff.); § 5 C.II.2f)(3) (361 ff.). wurde im Gesetzgebungsverfahren keineswegs verkannt, siehe Rapport Assemblée Nationale 92; Rapport Sénat 73. Aus der Lehre Grimaldi, Successions, Nr. 613, und Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 917 (818). 350 Dies
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Folgerichtiger war in diesem Punkt der Reformentwurf der „Société d’études législatives“ aus dem Jahr 1910, der den die Haftungsbeschränkung geltend machenden héritier verpflichtete, den Legataren Rechenschaft über Bestand und Wert des Nachlasses zu geben.351
Der französischen Lehre ist abschließend einmal mehr der Vorwurf zu machen, sich zu sehr auf die Extremlösungen zu fokussieren und dabei den Mittelweg aus dem Blick zu verlieren. So stellt beispielsweise Grimaldi zwar die instruktive Erwägung an, dass die Rechtsordnung im Hinblick auf die Haftung für die Vermächtnisse nur die Wahl zwischen zwei Risiken habe: auf der einen Seite dem Risiko des „denaturierten“, da ggf. durch Vollstreckung in das Eigenvermögen des héritier erlangten Vermächtnisses; auf der anderen Seite dem Risiko des durch Verfehlungen des héritier „paralysierten“ Vermächtnisses.352 Doch wenn Grimaldi den Gesetzgeber dafür lobt, sich für die zweite Variante entschieden zu haben, weil die Redlichkeit des héritier zu vermuten sei,353 übersieht er die Möglichkeit und Notwendigkeit eines Kompromisses: Die beschränkte Haftung wird gewährt, aber mit bestimmten Kautelen versehen.
III. Gesonderte Abwicklung auf Initiative der Nachlassgläubiger Die Annahme unter Haftungsbeschränkung hat, wie gesehen, zwar zur Folge, dass die Eigengläubiger des héritier nicht mehr auf den Nachlass zugreifen können. Doch steht die Wahrnehmung dieser Option nicht den Erblassergläubigern zu, sondern allein dem héritier. Da dieser im Fall, dass der Nachlass zureichend ist, sein eigenes Vermögen hingegen überschuldet, gar keinen Anreiz zur Annahme unter Haftungsbeschränkung hat, bedürfen die Erblassergläubiger eines eigenen Mittels, um die ihnen unliebsame Konsequenz der Vermögensvermischung abzuwenden. Der Code civil gewährt ihnen, und ebenso den Vermächtnisnehmern,354 zu diesem Zweck ein Absonderungsrecht.355 Dieses noch heute mit dem Begriff der séparation des patrimoines bezeichnete Schutzinstrument wurde insbesondere durch die Reform von 2006 in verschiedener Hinsicht erweitert, besteht trotz früh erkannter Regelungsdefizite in seinem Kern aber seit 1804 unverändert fort. 1. Die Struktur der séparation des patrimoines In Zweck und Bezeichnung geht die séparation des patrimoines, wie eingangs erwähnt, auf die römische separatio bonorum zurück. Doch zeigt sich schnell, dass die séparation des patrimoines in grundlegenden Punkten von ihrem historischen 351
Percerou, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 244. Grimaldi, Successions, Nr. 613. 353 Grimaldi, Successions, Nr. 613 a. E . 354 Dazu unten C.III.3. (429 ff.). Umstritten ist, ob die séparation des patrimoines auch den Nachlasskostengläubigern (créanciers des charges de la succession) zusteht, dazu Terré/Lequette/ Gaudemet, Successions, Rn. 926; Grimaldi, Successions, Nr 686 (Fn. 29). 355 Die Kernvorschrift ist nach wie vor Art. 878 Code civil. 352
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Vorbild abweicht und sich ihr Name als irreführend erweist.356 Die Abweichungen sind sowohl verfahrensrechtlicher als auch materiellrechtlicher Natur. a) Individuelle statt kollektiver Natur Im Gegensatz zur römischen separatio bonorum ist die französische séparation des patrimoines nicht kollektiver, sondern, im Einklang mit der allgemeinen Konzeption der französischen Nachlassabwicklung,357 individueller Natur.358 Dies gilt zunächst in sächlicher Hinsicht: Die séparation des patrimoines wird nicht gegen den Nachlass im Ganzen gerichtet, sondern gegen die einzelnen darin enthaltenen Gegenstände.359 Dies äußert sich u. a. darin, dass für bewegliche und unbewegliche Nachlassgegenstände zum Teil eigene Regelungen gelten.360 Selbst wenn es für mehrere oder ausnahmsweise sogar alle Nachlassgegenstände zur Geltendmachung der séparation des patrimoines kommt, werden die verschiedenen Einzelvorgänge nicht zu einem Gesamtvorgang zusammengefasst. Verdeutlicht wird dieser Aspekt der séparation des patrimoines durch einen vergleichenden Blick auf das italienische Recht. Denn obgleich dieses sich seit dem Codice civile von 1865 in der Substanz stark an die französische Regelung anlehnt, vermieden die Verfasser des Gesetzbuchs von 1942 den irreführenden Begriff des „separazione del patrimonio“ und bezeichneten das Rechtsinstitut stattdessen als „separazione dei beni“.361 Hierdurch kommt klarer zum Ausdruck, dass die Gläubiger nicht gegen den Nachlass als Ganzen vorgehen, sondern gegen dessen individuelle Bestandteile.362 Immerhin hat die italienische Regelung insofern kollektiven Charakter als sie in Nachfolge der römischen separatio bonorum363 auch diejenigen Gegenstände erfasst, die im Wege einer dinglich wirkenden Einzelverfügung vom Erblasser unmittelbar auf einen Vermächtnisnehmer übergangen sind, so dass es zu einer Art Rekonstituierung des Erblasservermögens kommt.364 Für die französische séparation des patrimoines fehlt eine entsprechende Regelung,365 woraus an 356 Siehe den analogen Befund für das eng an die französische Regelung angelehnte Regime des italienischen Codice civile von 1865 bei Zelger, Separatio Bonorum, 140–142, der deshalb zutreffend die damalige italienische Doktrin für ihre Versuche kritisiert, das eigene Recht im Lichte der römischen Quellen auszulegen. 357 Zur schwachen Ausprägung gesamtverfahrensrechtlicher Elemente bei der Haftungsbeschränkung durch Inventarerrichtung siehe oben C.II.1a)(2) (386 ff.). 358 Percerou, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 258 f. Siehe auch Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht III, Rn. 5 D 330, die allerdings übertreiben, wenn sie sagen, dass die séparation des patrimoines „nichts gemeinsam“ habe mit der separatio bonorum. 359 Gasnier, Liquidation, Nr. 26. 360 Dazu unten C.III.1e)(1) (425 ff.). 361 Art. 512–518 Codice civile 1942. 362 Dazu Zelger, Separatio Bonorum, 127 f., 140; Bilotti, Separazione, 52. 363 Siehe oben § 4 A.V. (257 ff.). 364 Nachdem diese Regelung in Art. 1033 Codice civile 1865 bereits angedeutet war, hat sie in Art. 513 Codice civile 1942 unmissverständlichen Ausdruck gefunden, siehe Bilotti, Separazione, 94 f. 365 Siehe auch Bilotti, Separazione, 94.
C. Das französische Recht
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sich geschlossen werden muss, dass den Nachlassgläubigern an den unmittelbar in das Eigentum eines Stückvermächtnisnehmers gelangten Nachlassgegenständen kein Vorzugsrecht zukommt. Freilich scheint es, dass im Wege der Rechtsfortbildung hiervon abgewichen wird.366 Individueller Natur ist die séparation des patrimoines sodann auch in personaler Hinsicht, indem die Erblassergläubiger diese „défense personelle“367 jeweils für sich geltend machen und folglich nach Separatisten und Nicht-Separatisten unterschieden werden müssen.368 Immerhin besteht insoweit eine Kollektivwirkung, als die rechtzeitige Geltendmachung séparation des patrimoines durch einen Erblassergläubiger grundsätzlich auch den übrigen zu Gute kommt.369 b) Befriedigungsprivileg statt kollektiver Nachlassverwertung Ein weiterer fundamentaler Unterschied der séparation des patrimoines zur separatio bonorum besteht darin, dass sie nicht die Befriedigung der Erblassergläubiger mittels Verteilung der Nachlassgegenstände oder ihres Verwertungserlöses zum Gegenstand hat, sondern den Erblassergläubigern lediglich ein pfandartiges Vorzugsrecht oder Befriedigungsprivileg gewährt370 und damit eine Ausnahme vom Prinzip der par conditio creditorum herbeiführt.371 Die Verwirklichung des Vorzugsrechts geschieht im Rahmen der allgemeinen Mechanismen der Zwangsvollstreckung, also bei Verteilung des erzielten Erlöses.372 Die Geltendmachung der séparation des patrimoines erfolgt dementsprechend nicht gegenüber dem héritier, sondern gegenüber den konkurrierenden Gläubigern. Sie bedarf keiner besonderen Form und erst recht keiner Klage.373 Etwas vereinfacht könnte man daher auch sa366
Siehe unten Fn. 488. Vialleton, JCP 1942, I, 247 (Sp. 1). 368 Grimaldi, Successions, Nr. 686; Gasnier, Liquidation, Nr. 26. 369 Näher dazu unten C.III.1e)(2) (426 ff.). 370 Vgl. Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 932 („la forme d’une sûreté“); Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht III, Rn. 5 D 334 („Recht auf vorzugsweise Befriedigung“). Zur insoweit identischen Rechtslage in Italien Zelger, Separatio Bonorum, 131, 141 („Sicherungsbehelf“, „Befriedigungsprivileg“). Bilotti, Separazione, 38–40, der gar von einer „autentica rivoluzzione rispetto alla tradizione romanistica“ spricht (40). 371 So im Kontext des italienischen Rechts Zelger, Separatio Bonorum, 136. In der französischen Lehre wird auch von einer Durchbrechung des in Art. 2092 Code civil1804 bzw. Art. 2284 Code civil verankerten Prinzips gesprochen, wonach ein Schuldner mit seinem gesamten Vermögen haftet, siehe Gasnier, Liquidation, Nr. 20. 372 Grimaldi, Successions, Nr. 692. Ansätze zu dieser Konzeption fanden sich freilich auch schon im römischen Recht. So sprach Papinian im Kontext des Absonderungsrechts von einer pignoris causa, siehe Zelger, Separatio Bonorum, 61 f. 146; differenzierend Bilotti, Separazione, 39 f. (Fn. 75). 373 Art. 879 Code civil. Näher Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 928; Bilotti, Separazione, 51 (Fn. 102). Im italienischen Recht hingegen wird das Absonderungsrecht hinsichtlich der beweglichen Sachen durch gerichtlichen Antrag (Art. 2059 Codice civile 1865/Art. 517 Abs. 1 Codice civile 1942) und hinsichtlich der unbeweglichen Sachen durch Eintragung geltend gemacht. Letztere ist im französischen Recht nur bedeutend für die Rangwahrung, siehe unten C.III.1e) (425 ff.). 367
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§ 6 Die Vervollkommnung der gesonderten Abwicklung
gen, dass das französische Recht zwar die separatio bonorum übernommen hat, nicht aber das Gesamtverwertungsverfahren der venditio bonorum. Indem die ursprüngliche Fassung des Code civil unspezifisch von der „séparation du patrimoine du défunt“ sprach,374 verdunkelte sie die Wirkungsweise des Instituts.375 Seit der Reform von 2006 macht das Gesetz aber deutlich, dass es nicht um eine komplette Abschirmung des Aktivnachlasses vom Zugriff der Eigengläubiger geht, sondern lediglich um die bevorzugte Befriedigung der Nachlassgläubiger aus diesen.376 Die französische Lehre konnte sich dennoch bislang nicht dazu durchringen, die irreführende Bezeichnung des Instituts als séparation des patrimoines aufzugeben.377 Ungeachtet dessen kann immer noch von einem Modus der gesonderten Nachlassabwicklung gesprochen werden, da die einzelnen Nachlassgegenstände eine erbfallbedingte Sonderbehandlung erfahren. In rechtsystematischer Hinsicht wirft die Wirkungsweise der séparation des patrimoines die Frage nach ihrem passenden Regelungsstandort auf. Aufschlussreich ist erneut ein Blick in das italienische Recht, wo der Codice civile von 1865 die „separazione del patrimonio“ gar nicht im Erbrecht behandelte, sondern – aus struktureller Sicht durchaus konsequent 378 – im Teil über „Vorzugsrechte und Hypotheken“ (dei privilegi e delle ipoteche).379 Die Verfasser des Codice von 1942 stellten demgegenüber auf den funktionalen Zusammenhang ab und überführten das Rechtsinstitut in das Erbrecht. Der französische Code civil macht seit jeher einen regelungssystematischen Spagat: Während die Grundvorschriften über die séparation des patrimoines im Erbrecht stehen,380 werden wichtige Konkretisierungen bei den Grundpfandrechten behandelt.381 Kritiker haben in dieser Fragmentierung das klarste Anzeichen dafür gesehen, dass die Verfasser des Gesetzbuchs sich über die Wirkungsweise der séparation des patrimoines nicht hinreichend im Klaren waren, zumal beide Regelungsabschnitte ursprünglich schlecht aufeinander abgestimmt waren.382
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Siehe Art. 878 Code civil1804. Leleu, Transmission, Nr. 558. 376 Art. 878 Abs. 1 Code civil: „[…] peuvent demander à être préférés sur l’actif successoral à tout créancier personnel de l’héritier“. 377 Grimaldi, Successions, Nr. 685 (541) verteidigt dies unter Hinweis auf die Evolution des Instituts; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 923 (824), halten den Begriff der séparation des patrimoines für „plus suggestif“. Gasnier, Liquidation, Nr. 20 (Fn. 3) hingegen meint, dass angesicht der 2006 erfolgten Bilateralisierung des Rechtsinstituts (dazu unten C.III.1d)(2) (423 ff.)) der Gesetzgeber den Begriff genau in dem Moment aufgegeben habe, wo er die Rechtslage zutreffend beschreiben würde. Doch ändert der bilaterale Charakter der séparation des patrimoines nichts am Fehlen einer voll ausgebildeten Vermögenstrennung (von der Fiktion einer solchen spricht dennoch Piedelièvre, Droit & Patrimoine 2007, 63). 378 So für den französischen Kontext auch Grimaldi, Successions, Nr. 685 (541). 379 Siehe Art. 2054–2066 Codice civile 1865; siehe auch Zelger, Separatio Bonorum, 139 f. 380 Dies sind ungeachtet inhaltlicher Änderungen die Art. 878–881 Code civil. 381 Siehe Art. 2111, 2114 Code civil1804 bzw. Art. 2374 Ziff. 6 , 2383 Code civil. 382 Vialleton, JCP 1942, I, 247 (Sp. 1, 2, 5); ders., Rapport, 142. 375
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c) Verfügungsschutz statt Fremdabwicklung Folge ihrer individuellen und auf die materiellrechtliche Ebene beschränkten Wirkungen ist ein weiterer zentraler Unterschied der séparation des patrimoines zur separatio bonorum, dass mit ihr nämlich nicht die Übertragung der Abwicklungszuständigkeit auf eine amtliche bestellte Person verbunden ist.383 Stattdessen behält der héritier die uneingeschränkte Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über den Nachlass.384 Hat diese Lösung zwar den Vorzug der Zeit- und Kostenersparnis,385 reißt sie zugleich eine empfindliche Lücke in den Schutz der Nachlassgläubiger. Denn diese müssen befürchten, dass durch Verfügungen oder andere Handlungen des héritier Nachlassgegenstände ihrem Zugriff entzogen werden, ohne dass sie dafür adäquaten Ersatz erhalten. Darin, dass der Code civil in seiner ursprünglichen Fassung dieses Problem überhaupt nicht adressierte, kam wie auch an anderen Stellen zum Vorschein,386 dass sein Regime der Nachlassabwicklung einseitig an den Eigentümerinteressen des héritier ausgerichtet war.387 Zum besseren Verständnis der Problematik gilt es sich klarzumachen, dass es zwar naheliegende Kompensationsmechanismen gibt, diese in vielen Fällen jedoch unzureichend sein werden. So kommt einmal in Betracht, hinsichtlich der erhaltenen Gegenleistung eine dingliche Surrogation eintreten zu lassen, den Nachlassgläubigern also etwa am erhaltenen Verkaufspreis auch wieder ein Befriedigungsprivileg einzuräumen. Tatsächlich führten die französischen Gerichte eine solche „subrogation réelle“ bei Verfügungen über bewegliche Nachlassgegenstände auch schon früh ein 388 und verhinderten somit, dass die séparation des patrimoines „steril“ blieb.389 Doch abgesehen davon, dass offenbar bis heute nicht klar ist, ob es sich hierbei um eine allgemein akzeptierte Lösung handelt,390 scheitert die dingliche Surrogation de facto stets dort, wo der Verkaufspreis bereits untrennbar mit dem Eigenvermögen des héritier vermischt wurde.391 383 Diesen Unterschied zur separatio bonorum, aber auch zur Nachlassabsonderung im deutschen Recht, betont und kritisiert Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 607–609. 384 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 932. 385 Vgl. Bilotti, Separazione, 60. 386 Siehe insbesondere im Kontext der Haftungsbeschränkung durch Inventarerrichtung oben C.II.1a)(2) (386 ff.). 387 Siehe auch Bilotti, Separazione, 49. 388 Nachweise bei Lequette, in: Études Weill, Nr. 28; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 938. Siehe auch die kritische Würdigung bei Bilotti, Separazione, 43–45, 56. 389 Grimaldi, Successions, Nr. 700 (Fn. 60). 390 Siehe Grimaldi, Successions, Nr. 699; bei Gasnier, Liquidation, Nr. 41–45, wird die dingliche Surrogation denn auch gar nicht erwähnt. Keine Zweifel an ihrer Existenz äußern hingegen Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 938. 391 Im Schrifttum ist deshalb oftmals die Rede davon, dass die dingliche Surrgation nur den noch nicht erfüllten Gegenleistungsanspruch erfasse (siehe Percerou, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 253, 259, 262; Grimaldi, Successions, Nr. 699; Bilotti, Separazione, 44 f.), und im italienischen Recht findet sich eine solche Regelung seit Langem kodifiziert (siehe Art. 2061 Codice civile 1865, Art. 517 Abs. 3 Codice civile 1942; aus letztgenannter Vorschrift wird der Umkehrschluss gezogen, dass eine darüber hinausgehende dingliche Surrogation nicht stattfinde, siehe Zelger, Separa-
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§ 6 Die Vervollkommnung der gesonderten Abwicklung
Diesem Problem ließe sich auf den ersten Blick dadurch abhelfen, dass dem héritier detaillierte Pflichten zum Umgang mit den Nachlassgegenständen auferlegt werden, einschließlich solcher der Inventarisierung und der Rechnungslegung. Doch bestünde das Problem, dass Pflichtverstöße typischerweise nicht wirksam sanktioniert werden könnten, weil das Eigenvermögen des héritier, mit dem er im Grundsatz ohnehin schon haftet, kein ausreichendes Haftungssubstrat bietet 392 (erst die bekannte oder befüchtete Insolvenz des héritier lässt ja überhaupt das Interesse der Nachlassgläubiger an einer bevorzugten Befriedigung entstehen). Es zeigt sich damit, dass der zentrale Vorteil einer Fremdabwicklung in Konstellationen wie den hier relevanten gar nicht darin liegt, dass sie per se einen sachgemäßen Umgang mit dem Nachlass garantieren würde. Entscheidend ist vielmehr, dass die Ad-hoc-Ernennung eines Abwicklers mit hinreichendem Eigenvermögen es ermöglicht, ein wirksames Sanktionsregime für Pflichtverletzungen zu etablieren. Verständlich wird vor diesem Hintergrund, warum die französischen Gerichte den Nachlassgläubigern bereits im 19. Jahrhundert zusätzlich zur dinglichen Surrogation weitere Schutzinstrumente zur Verfügung stellten und sich hierbei von einer fehlenden oder sogar in die entgegengesetzte Richtung weisenden normativen Grundlage393 nicht beirren ließen. So erließen sie zum einen auf Antrag der Nachlassgläubiger präventive Schutzmaßnahmen, insbesondere in Form der Versiegelung und Inventarisierung des Nachlasses sowie der Beschlagnahme von darin befindlichen Ansprüchen.394 Bei funktionaler Betrachtung kam es hier also zu einer teilweisen Abberufung des héritier von der Abwicklerrolle. Zum anderen schufen die Gerichte im Hinblick auf unbewegliches Nachlassvermögen ein „Folgerecht“ (droit de suite) gegen den Erwerber und statteten das Befriedigungsprivileg der séparation des patrimoines auf diese Weise mit dinglicher Wirkung aus.395 Diese richterliche Rechtsfortbildung 1955 wurde kodifitio Bonorum, 135). Überzeugender scheint es jedoch, zwischen dem Surrogationsvorgang als solchem und der Voraussetzung der Identifizierbarkeit zu unterscheiden. 392 Siehe auch Bilotti, Separazione, 54, der zudem zutreffend darauf hinweist, dass im umgekehrten Fall, nämlich dem eines solventen héritier, der in einen insolventen Nachlass eintritt, die unbeschränkte Haftung eine wirksame Sanktion von Inventarverfehlungen darstellt. Hingegen weist Gasnier, Liquidation, Nr. 8 , zwar zu Recht darauf hin, dass es mit einer bloßen Haftungssonderung nicht getan ist und der héritier auch einer Kontrolle unterworfen werden muss, doch bleibt das Problem des fehlenden Substrats einer Eigenhaftung unerwähnt. 393 So sprachen, was das im Text sogleich zu erörternde „Folgerecht“ angeht, der Wortlaut von Art. 2111 und 880 Abs. 2 Code civil1804 gerade gegen einen dinglichen Charakter der séparation, siehe Bilotti, Separazione, 41 f. Die Argumente dafür waren in erster Linie systematischer Art, siehe Vialleton, Rapport, 143. 394 Bilotti, Separazione, 49 f., 55; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 932 (zur Inventarisierung als Mittel zur Vermeidung der faktischen Vermischung ebd., Rn. 929); Gasnier, Liquidation, Nr. 43. Siehe auch die Diskussionen in der Kommissionssitzung vom 11.12.1954, in: Travaux de la commission de réforme du Code civil, 150–152, zu bestehenden und möglicherweise noch auszubauenden Schutzmaßnahmen. Art. 517 Abs. 2 Codice civile 1942 sieht generell die gerichtliche Anordnung einer Inventarisierung des beweglichen Nachlasses sowie der Maßnahmen zu seiner Erhaltung vor. 395 Siehe Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 608; Bilotti, Separazione, 50.
C. Das französische Recht
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ziert396 und 2006 bestätigt;397 Belgien und Italien hatten entsprechende Regelungen sogar bereits im 19. Jahrhundert gesetzlich verankert.398 Voraussetzung des droit de suite ist freilich die Eintragung im Register, und zwar innerhalb einer Frist von heute vier Monaten ab Eintritt des Erbfalls.399 Das Eintragungserfordernis erklärt zugleich, warum für bewegliches Nachlassvermögen kein Folgerecht gewährt wird: Angesichts der nicht zu gewährleistenden Publizität einer solchen dinglichen Belastung der Nachlassgegenstände wäre diese dem Rechtsverkehr nicht zumutbar und müsste deshalb durch die Regelungen zum gutgläubigen Erwerb weitgehend der Wirkung beraubt werden.400 Für das italienische Recht wird demgegenüber angenommen, dass auch eine Absonderung der beweglichen Nachlassgegenstände Drittwirkung entfaltet, und dies sogar rückwirkend auf die Eröffnung des Erbfalls.401 Und wenngleich diese Ansicht keine klare Stütze im Gesetz findet, spricht für sie immerhin die im Vergleich zum französischen Recht sehr kurze Frist zur Geltendmachung der Absonderung (drei Monate402 gegenüber zwei Jahren ab dem Erbfall403); denn bei einer separazione ohne dingliche Wirkung erschiene diese Frist unangemessen kurz.404
Erscheint es auf den ersten Blick folgerichtig, die séparation des patrimoines teilweise mit Verfügungsschutz auszustatten, um den Nachlassgläubigern die Haftungsmasse zu erhalten, wurde hiergegen dennoch schon früh405 der scharfsinnige Einwand erhoben, dass den Nachlassgläubiger damit in Wahrheit mehr gewährt werde, als ihnen zu Lebzeiten des Erblassers zukam.406 Denn gegen dessen Verfügungen wären sie nur bei Innehabung einer dinglichen Sicherheit geschützt gewesen, wohingegen sie durch die „anomalie sérieuse“407 des droit de suite eine solche dingliche Sicherheit nun gewissermaßen geschenkt bekamen. Wie gesehen, konnten sich solche Erwägungen der „orthodoxie successorale“408 in Rechtsprechung und Gesetz396 Näher
Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 938; Grimaldi, Successions, Nr. 547. Abs. 3 Code civil, der zugleich die Verzahnung mit dem Abschnitt über Grund pfandrechte zum Ausdruck bringt, siehe Gasnier, Liquidation, Nr. 30 (22). 398 Näher Bilotti, Separazione, 50 f. 399 Dies entspricht der allgemeinen Frist für die rangwahrende séparation, dazu unten C.III.1e) (1) (425 ff.). 400 Gasnier, Liquidation, Nr. 4 4. 401 Bilotti, Separazione, 56–59, 174–176, der allerdings aus Art. 517 Abs. 3 Codice civile über die Zuweisung des Kaufpreisanspruchs zum Nachlass den Schluss ziehen will, dass der entgeltliche Erwerb eines Dritten lastenfrei ist. Siehe auch Zelger, Separatio Bonorum, 129, der den Zweck der gerichtlichen Anordnung i. S . d. Art. 517 Abs. 2 Codice civile 1942 darin sieht, in Parallele zu der bei unbeweglichen Nachlassgegenständen stattfindenden Eintragung die Publizität der Absonderung zu gewährleisten. 402 Siehe Art. 2057 Codice civile 1865/Art. 516 Codice civile 1942. 403 Zu dieser Frist unten C.III.1e)(1) (425 ff.). 404 Bilotti, Separazione, 57. 405 Siehe Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 608. 406 Dazu Vialleton, Rapport, 142; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 938; Grimaldi, Successions, Nr. 701; Gasnier, Liquidation, Nr. 34; Bilotti, Separazione, 47 f., 53. 407 Siehe den Nachweis bei Grimaldi, Successions, Nr. 701. 408 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 938. 397 Art. 878
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gebung aber nicht gegen das Ziel des wirksamen Gläubigerschutzes behaupten,409 und wie folgende Überlegung zeigt, trägt die Parallele zur Situation bei Lebzeiten des Erblassers auch nur bedingt. Denn wenngleich dessen Gläubiger damals nicht gegen Verfügungen geschützt waren, konnten sie doch immerhin sicher sein, dass der Verkaufserlös bei vollstreckungsrechtlicher Sichtweise ihnen allein zukam. Nach dem Übergang des Nachlasses auf den héritier hingegen müssen sie außerhalb des engen Anwendungsbereichs der dinglichen Surrogation mit dessen Gläubigern um die erhaltenen Gegenleistungen konkurrieren. Vor diesem Hintergrund bleibt es zwar richtig, dass das droit de suite die durch die Vermögensvermischung eingetretene Vermögensgefährdung durch ein aliud kompensiert; doch würde der Schutz der Nachlassgläubiger ohne dieses eben unzureichend bleiben, insbesondere im Hinblick auf rasche Verfügungen des héritier.410 Abgesehen davon erfährt das Dogma von der Identität der Rechtsstellung von Erblasser und Erbe auch an anderer Stelle Durchbrechungen, insbesondere beim Grundsatz der Schuldenteilung unter mehreren héritiers.411 De facto führt das droit de suite zu einer Verfügungsbeschränkung des héritier,412 da der Käufer eines Nachlassgrundstücks während der viermonatigen Eintragungsfrist das Risiko eingehen würde, am Ende nur belastetes Eigentum zu erwerben.413 Auf diese Weise erfährt die séparation des patrimoines in einem weiteren Punkt eine funktionale Annäherung an die separatio bonorum, die dem heres von Rechts wegen die Verfügungsbefugnis entzog.414 d) Einseitigkeit und Doppelseitigkeit des Vorzugsrechts (1) Die Regelung von 1804 Ein letzter zentraler Unterschied der séparation des patrimoines zur separatio bonorum betrifft auch wieder die materiellrechtliche Ebene: Machen sie die Absonderung der Nachlassgegenstände geltend, verlieren die Erblassergläubiger hierdurch keineswegs den Zugriff auf das Eigenvermögen des héritier. Stattdessen konkurrieren sie um dieses mit den Eigengläubigern so lange, bis der héritier die Haftungsbeschränkung durch Inventarerrichtung geltend macht oder die Eigengläubiger sich ihrerseits auf die séparation des patrimoines berufen. Letztere Möglichkeit wurde
409 Zustimmend
Bilotti, Separazione, 48 f. schon Vialleton, Rapport, 142, 144 (Folgerecht „élément vital“ für die Wirksamkeit der Absonderung, Stellung der Nachlassgläubiger sonst „précaire et incertaine“). Ähnlich Bilotti, Separazione, 53, der zuvor (48 f.) das droit de suite mit dem historischen Argument rechtfertigt, dass seine Ergebnisse funktional gleichwertig mit denen der separatio bonorum seien. 411 Vialleton, Rapport, 144. Eingehend zur französischen Regelung bei Erbenmehrheit unten § 8 B.IV. (669 ff.). 412 Grimaldi, Successions, Nr. 701; Bilotti, Separazione, 54. 413 Gasnier, Liquidation, Nr. 34, sieht in dieser Rechtsfolge ein weiteres Argument gegen die Gewährung eines droit de suite. 414 Zu dieser Parallele Bilotti, Separazione, 54. 410 Siehe
C. Das französische Recht
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allerdings erst 2006 eingeführt; bis dahin hatte der Code civil den Eigengläubigern eine Geltendmachung dieses Instruments ausdrücklich untersagt.415 Anders als die separatio bonorum oder die deutsche Nachlassverwaltung hat die séparation des patrimoines also keine doppelseitige, sondern nur eine einseitige Wirkung.416 Die Erblassergläubiger müssen für den erlangten Vorteil keinen Preis zahlen, die Eigengläubiger erhalten für ihre Zurücksetzung keinen Ausgleich. Da der Begriff der séparation des patrimoines eigentlich eine vollständige haftungsrechtliche Abschottung suggeriert, erweist er sich mithin auch in dieser Hinsicht als irreführend.417 Zu vermeiden ist der Fehler, die materiellrechtliche Asymmetrie der französischen séparation des patrimoines mit der asymmetrischen Antragsbefugnis bei römischer separatio bonorum und deutscher Nachlassverwaltung zu verwechseln. Denn auch wenn die Eigengläubiger die mit diesen Verfahren einhergehende Vermögenstrennung nicht von sich aus beantragen konnten bzw. können, profitierten bzw. profitieren sie dennoch von ihren Wirkungen.
Konnten die verfahrenrechtlichen Abweichungen von der separatio bonorum mit den Besonderheiten des römischen Vollstreckungsrechts erklärt werden,418 weckt die materiellrechtliche Abkehr von ihr unweigerlich Erstaunen. Die Ursachen lassen sich teilweise nachverfolgen, liegen partiell aber auch im Dunkeln. So war die separatio bonorum zwar Teil des ancien droit, wurde jedoch in der von Papinian (und in Deutschland später auch von Windscheid) favorisierten Variante praktiziert, der zufolge die Erblassergläubiger vom Eigenvermögen des heres nicht komplett abgeschnitten wurden, sondern an diesem immerhin nachrangig zu den Eigengläubigern partizipierten.419 Im Anschluss an Domat sprach sich insbesondere auch Pothier für eine solche wechselseitige Präferenz420 aus und begründete sie zum einen damit, dass die Separation die Nachlassgläubiger schützen, ihnen aber keinen Nachteil bringen solle, und zum anderen damit, dass in der Forderung nach Separation des Nachlasses nicht die Absicht zum Ausdruck komme, den Erben von seiner Eigenhaftung freizustellen.421 Zugleich erachtete Pothier es als „équitable“, dass dieser Zugriff auf das Vermögen des héritier nachrangig zu dem der Eigengläubiger war.422 Die Verfasser des Code civil entwickelten die überlieferte Regelung nun dergestalt fort, dass sie die Nachrangigkeit des Zugriffs auf das Eigenvermögen beseitigten, die Erblassergläubiger also auf eine Stufe mit den Eigengläubigern stellten. Nicht klar ist allerdings, ob dieses Ergebnis wirklich beabsichtigt oder nicht eher 415
Art. 1804 Code civil1804. Vialleton, JCP 1942, I, 247 (Sp. 1) spricht von einer „barriere à sens unique“. 417 Hieran ändert auch die 2006 erfolgte Bilateralisierung der séparation des patrimoines nichts, siehe unten C.III.1d)(2) (423 ff.). 418 Dazu Zelger, Separatio Bonorum, 145 f. 419 Bilotti, Separazione, 12 f. Zur Kontroverse im römischen Recht oben § 4 A.V. (257 ff.). 420 Wechselseitig ist die Präferenz deshalb, weil die Eigengläubiger vom Nachlass nicht abgeschnitten sind, sondern immerhin nachrangig an ihm partizipieren. 421 Pothier, Traité VIII, 220 f. 422 Pothier, Traité VIII, 221. 416
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ein gesetzgeberischer „Unfall“ war.423 Denn nicht nur fehlt in den Materialien jeder Hinweis auf ein Motiv für die Abweichung von der historischen Tradition; im Gegenteil wird sogar gerade auf das Ziel hingewiesen, die bisherige Rechtspraxis fortzuführen. Bestätigung fand diese Absicht in der zum Teil wörtlichen Anlehnung der Regelungen an Pothier.424 In der ersten Zeit nach Inkrafttreten des Code civil gab es dementsprechend Versuche, die Vorschriften zur séparation des patrimoines korrigierend im Sinne des früheren Rechts auszulegen.425 Hierbei stieß man allerdings auf das kaum zu überwindende methodische Problem, dass ein Vorrang der Eigengläubiger in Bezug auf das Eigenvermögen des héritier nirgendwo im Gesetz erwähnt war, eine solch bedeutende Ausnahme vom Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung nach allgemeinen Maßstäben aber der Erwähnung bedurft hätte.426 Schon bald wurde denn auch der normative Gehalt der gesetzlichen Regelung nicht mehr in Zweifel gezogen. Die rechtspolitische Kritik an der Regelung verstummte unterdessen nicht und gründete auch keineswegs nur auf der Liebe zur gewachsenen Tradition. Vielmehr wurde die asymmetrische Behandlung der beiden Gläubigergruppen auch für unbillig und gar unlogisch gehalten.427 In der Tat mutet es spontan willkürlich und geradezu unästhetisch an, dass die Nachlassgläubiger „das Beste beider Welten“ erhalten, indem sie sich in Bezug auf das Eigenvermögen auf die Vermögensvermischung, in Bezug auf den Nachlass hingegen auf eine Sonderbehandlung berufen können.428 Dass hierin aber zumindest kein logischer Widerspruch liegt,429 zeigt schon ein Blick auf das deutsche Erbrecht, das eine asymmetrische Gläubigerbehandlung ebenfalls kennt und sie beispielsweise dort vornimmt, wo der Erbe aufgrund einer Inventarverfehlung endgültig in die unbeschränkte Haftung verfallen ist, es anschließend aber auf Antrag der Nachlassgläubiger zur Nachlassverwaltung kommt. Während die Nachlassgläubiger dann auf beide Vermögensmassen zugreifen können, sind die Eigengläubiger für die Dauer des Verfahrens vom Zugriff auf das Nachlassvermögen ausgeschlossen und partizipieren nur an einem etwaigen Rest.430 Es zeigt sich hier einmal mehr, dass die Begriffe „Vermögensverschmelzung“ und 423 Eine bewusste Entscheidung nimmt Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 607 an und sieht die Schuld einmal mehr beim Dogma von der Persönlichkeitsfortsetzung (zu diesem generell oben § 3 A.V. (176 ff.), § 4 C.II.1b) (302 ff.)). Gasnier, Liquidation, Nr. 47, hingegen sieht im Anschluss an Ulpian (siehe oben § 4 A.V.3. (259 f.)) den Grund für die Entscheidung in dem Prinzip, dass jeder Gläubiger die Verschlechterung der Vermögenslage seines Schuldners durch Eingehung neuer Verbindlichkeiten hinnehmen muss. Unzutreffend ist jedenfalls die Aussage, dass die Lösung des Code civil der von Pothier entsprochen habe, denn dieser nahm, wie gesehen, nur einen nachrangigen Zugriff auf das Eigenvermögen an (oben Fn. 422). 424 Näher Bilotti, Separazione, 16. 425 Bilotti, Separazione, 15. 426 Dies betont zutreffend Bilotti, Separazione, 13, 16. 427 Dazu Bilotti, Separazione, 15–17; siehe auch Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 606 f. 428 Verteidigt wird die Gläubigerasymmetrie dagegen von Bilotti, Separazione, 14 f. 429 Gegen diesen Vorwurf auch Bilotti, Separazione, 16 f. 430 Dazu unten Fn. 688.
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„Vermögenstrennung“ nicht in einem ontologischen Sinne verstanden werden dürfen (nur dann würden sie einander ausschließen), sondern immer nur als Kürzel für die Bündelung verschiedener haftungsrechtlicher Regelungen fungieren können.431 Wo es wie im Fall der französischen Regelung noch nicht einmal zu einer vollständigen Abwehr der Eigengläubiger von den Nachlassgütern kommt, sondern den Nachlassgläubigern allein ein Recht auf bevorzugte Befriedigung eingeräumt wird, sollte gar nicht erst von einer Vermögenstrennung gesprochen werden.432 Deutlich schwieriger auszuräumen ist demgegenüber der Vorwurf der Unbilligkeit der französischen Regelung, und seine rechtsvergleichende Bestätigung mag man etwa darin sehen, dass das deutsche Recht die gezeigte Haftungsasymmetrie eben nur in Ausnahmefällen zulässt. Das u. a. von Pothier zugunsten des fortgesetzten Zugriffs der Nachlassgläubiger auf das Eigenvermögen angeführte Argument, dass die Nachlassgläubiger durch Geltendmachung ihres Vorrechts an den Nachlassgegenständen nicht den Zugriff auf das Eigenvermögen aufgeben wollen,433 beruht auf der zweifelhaften Prämisse, dass die Nachlassgläubiger überhaupt ein berechtigtes Interesse am Zugriff auf das Eigenvermögen haben. Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass die erörterte Einseitigkeit des Vorzugsrechts nicht bedeutete, dass die Eigengläubiger des héritier dessen Handeln auf Gedeih und Verderb ausgesetzt waren. Nahm dieser eine überschuldete Erbschaft vorbehaltlos an – und nur dieser Fall musste ihnen Sorge bereiten –, konnte dieser Vorgang mittels der actio Pauliana bzw. action paulienne anfechtbar sein.434 Zu beachten ist freilich, dass aufgrund des Erfordernisses der Schädigungsabsicht die praktischen Hürden sehr hoch waren.435 (2) Die Bilateralisierung der séparation des patrimoines durch den Gesetzgeber Im Jahr 2006 schließlich zeigte sich auch der französische Gesetzgeber von der Kritik beeindruckt und stellte, einem Vorschlag Grimaldis436 folgend, die séparation des patrimoines auch den Eigengläubigern zur Verfügung.437 Zum richtigen Ver431
17.
Dazu auch oben § 1 Text nach Fn. 9. auch Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 924 (825), 931; Bilotti, Separazione,
432 Vgl. 433
Siehe oben Fn. 421. Die Rechtsgrundlage ist Art. 1341-2 Code civil (ehemals Art. 1167 Abs. 1 Code civil), siehe etwa Gasnier, Liquidation, Nr. 48. Daneben kommt auch die analoge Anwendung von Art. 779 Code civil (ehemals Art. 788 Code civil) in Betracht. Diese Vorschrift behandelt den Fall, dass der Berufene eine Erbschaft zum Nachteil seiner Gläubiger ausschlägt, und kann somit als ein Spezialfall der actio Pauliana betrachtet werden. In historischer und vergleichender Sicht eingehend Bilotti, Separazione, 186–215; siehe auch Murga Fernández, ZEuP 2018, 372. 435 Siehe Leleu, Transmission, Nr. 560, der für strenge Anforderungen an den subjektiven Tatbestand überzeugend geltend macht, dass die vorbehaltlose Annahme einer Erbschaft nur die Wahrnehmung einer vom Gesetzgeber zur Verfügung gestellten und von diesem überdies für sachgerecht gehaltenen Option bedeutet (zum gesetzlichen Leitbild unten § 7 B.VI. (602 ff.)). 436 Grimaldi, Successions5, Nr. 630 (586). 437 Siehe jetzt Art. 878 Abs. 2 Code civil. 434
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ständnis dieser Maßnahme ist es erneut wichtig, zwischen Antragsbefugnis und materiellrechtlichen Wirkungen zu unterscheiden. Was die Wirkungen angeht, hat die Geltendmachung der séparation des patrimoines durch die Nachlassgläubiger weiterhin nur eine einseitige Vermögenstrennung zur Folge; wollen die Eigengläubiger die Haftungssymmetrie herstellen, müssen sie sich ihrerseits auf dieses In strument berufen. Erst nachdem sie dies getan haben, kommt es zu wechselseitigen Vorrangverhältnissen an Eigenvermögen und Nachlass, die in materiellrechtlicher Sicht der von Papinian favorisierten Variante der separatio bonorum entsprechen. Zum herrschenden Verständnis des römischen Instituts, und ebenso zur deutschen Nachlassverwaltung, besteht ein Unterschied hingegen weiterhin darin, dass letztgenannte Instrumente die Nachlassgläubiger endgültig vom Eigenvermögen abschneiden, sie also nicht einmal nachrangig daran partizipieren lassen. Zu betonen ist sodann – und hierin liegt der rechtspolitisch brisantere Teil der Reform –, dass die neue Rechtslage den Eigengläubigern keineswegs nur ermöglicht, die Wechselseitigkeit der Vorrangverhältnisse herzustellen, sondern ihnen gestattet, selbst die Initiative zu ergreifen und sich auch unabhängig von den Nachlassgläubigern auf die séparation des patrimoines zu berufen, um damit ein Vorrangverhältnis zu ihren Gunsten herzustellen. Dies ist insbesondere dort von Bedeutung, wo nicht der héritier, sondern der Nachlass überschuldet ist, und die Erblassergläubiger somit an der Vermögenstrennung gerade kein Interesse haben. Mit der Gewährung eines solchen einseitigen Antragsrechts ist der französische Gesetzgeber über die historische Tradition hinausgegangen, denn bei der separatio bonorum hatte auch Papinian ein solches Recht nicht gewährt. Folge ist, dass ein französischer Gläubiger nun nicht mehr nur gegen das Risiko des Todes seines Schuldners versichert wird, sondern auch gegen das Risiko, dass der Schuldner seine Vermögenslage durch die Annahme einer Erbschaft verschlechtert. Denn anders als früher muss er nun nicht mehr die hohen Hürden der actio Pauliana überwinden.438 Die Bilateralisierung der séparation des patrimoines im französischen Schrifttum hat überwiegend Zustimmung,439 vereinzelt aber auch Kritik erfahren. So wird die neue Regelung zum einen als Widerspruch zu der von Ulpian aufgestellten Maxime empfunden, wonach Gläubiger das Risiko zu tragen haben, dass ihr Schuldner (in diesem Fall der héritier) seine Vermögenslage durch Eingehen neuer Verbindlichkeiten verschlechtert.440 Zum anderen wird auch die praktische Relevanz einer von den Eigengläubigern initiierten séparation des patrimoines in Zweifel gezogen, da ein héritier in der Regel nur einen werthaltigen Nachlass vorbehaltlos annehmen und somit seine wirtschaftliche Lage nur verbessern werde.441 Festzuhalten ist in 438 Diese praktische Erleichterung heben auch Grimaldi, Successions, Nr. 687, und Piedelièvre, Droit & Patrimoine 2007, 63 hervor. Zur schwierigen Geltendmachung der actio Pauliana oben Fn. 435. 439 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 924 („opportune“); Grimaldi, Successions, Nr. 685, 687; Piedelièvre, Droit & Patrimoine 2007, 63. 440 Dazu oben § 4 Fn. 127. 441 Gasnier, Liquidation, Nr. 46–48, die neben dem durch die actio Pauliana gewährten Schutz darauf hinweist, dass der héritier seit der Reform von 2006 viel stärker gegen das Risiko einer
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jedem Fall, dass die Maßnahme des französischen Gesetzgebers überwiegend kosmetischer Natur war und die strukturellen Defizite der séparation des patrimoines nicht beseitigt hat. e) Detailprobleme (1) Fristen In Bezug auf bewegliche Nachlassgegenstände verjährt442 das Recht auf vorrangige Befriedigung innerhalb von zwei Jahren ab Eröffnung des Erbfalls.443 Anschließend vermutet das Gesetz (nach Darstellung der französischen Lehre) eine endgültige faktische Vermögensvermischung.444 Auch vor Ablauf der Frist ist es zur Geltendmachung der séparation des patrimoines aber natürlich erforderlich, dass die Nachlassgegenstände überhaupt identifizierbar sind, und wie bereits gesehen, können die Erblassergläubiger zu diesem Zweck Schutzmaßnahmen wie eine Inventarisierung verlangen.445 Deutlich schneller müssen die Erblassergläubiger handeln, wenn sie ihr Vorrecht an unbeweglichen Nachlassgegenständen sichern wollen. Zwar statuiert das Gesetz hier anders als bei unbeweglichen Sachen keine Verjährungsfrist446 und verlangt es für den Vorrang gegenüber ungesicherten Gläubigern auch keine Eintragung.447 Doch trägt der Code civil im Hinblick auf andere nach dem Erbfall eingetragene Sicherheiten Publizitätsinteressen Rechnung, indem er vorsieht, dass diese im Rang an den Erblassergläubigern „vorbeiziehen“. Nur wenn Letztere sich innerhalb von vier Monaten ab dem Erbfall registrieren lassen, wirkt die Eintragung auf den Erbfall zurück und geht somit einer eigentlich früher eingetragenen Sicherheit eines Nicht-Nachlassgläubigers vor.448 überhasteten oder auf falschen Vorstellungen beruhenden Annahme eines überschuldeten Nachlasses geschützt wird (dazu eingehend oben C.II.3. (410 ff.), unten § 7 B.III.2c) (584 ff.), IV. (589 ff.)). Der Kritik zustimmend Brenner, Préface, IX. Auch die Reformkommission der „Société d’études législatives“ hatte die actio Pauliana für ausreichend gehalten, siehe Percerou, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 260. Ebenso Vialleton, JCP 1942, I, 247 (Sp. 5). 442 Dies ist die Terminologie des Gesetzes („se prescrit“). Ob es sich um eine Verjährungsfrist im Sinne der deutschen Dogmatik handelt, woran sich wegen der wohl fehlenden Anspruchsnatur des Absonderungsrechts zweifeln lässt, kann dahinstehen. Jedenfalls ist es möglich, die Frist zu unterbrechen, etwa durch Einleitung gerichtlicher Maßnahmen: Grimaldi, Successions, Nr. 693 (Fn. 45). 443 Art. 881 Abs. 1 Code civil. Nach Art. 880 Abs. 1 Code civil1804 betrug die Frist noch drei Jahre. 444 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 929; Grimaldi, Successions, Nr. 693; Gasnier, Liquidation, Nr. 42. 445 Siehe oben Fn. 394. 446 Art. 881 Abs. 2 Code civil. 447 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 935; Bilotti, Separazione, 51 (Fn. 102 a. E .). Demgegenüber ist die Dreimonatsfrist des Art. 516 Codice civile zur Eintragung i. S . d. Art. 518 Codice civile eine echte Ausschlussfrist, Bilotti, Separazione, 51 f. 448 Art. 2383 Code civil, näher Grimaldi, Successions, Nr. 694; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 935. Nach Art. 2111 Code civil1804 betrug die Frist noch sechs Wochen.
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(2) Das Verhältnis zwischen Separatisten und Nicht-Separatisten Wenngleich die séparation des patrimoines von jedem Nachlassgläubiger individuell geltend gemacht wird, kommt die Geltendmachung durch einen von ihnen grundsätzlich auch den anderen zu Gute. Die Nicht-Separatisten können bei Verteilung eines Verwertungserlöses folglich ebenfalls Befriedigung mit Vorzug vor den Eigengläubigern des héritier verlangen, selbst wenn sie ihr Absonderungsrecht haben verjähren oder nicht haben eintragen lassen.449 Die Rechtfertigung dieses Ergebnisses liegt darin, dass die séparation des patrimoines nur die Lage vor dem Erbfall wiederherstellen, nicht aber den Separatisten einen Vorteil gegenüber den übrigen Erblassergläubigern verschaffen soll.450 Weitere Konsequenz hieraus ist, dass bereits zu Lebzeiten des Erblassers begründete Vorrangverhältnisse unter den Erblassergläubigern durch die séparation des patrimoines nicht berührt werden.451 Zu unauflöslichen Widersprüchen führt nun allerdings die Tatsache, dass die kollektive Wirkung der séparation des patrimoines nicht voll ausgebildet ist und es punktuell eben doch zu Einzelwirkungen kommt. Lässt beispielsweise der Erblassergläubiger A sein Vorzugsrecht an einer Nachlassimmobilie innerhalb der Frist von vier Monaten eintragen, während der Erblassergläubiger B dies unterlässt, und verschafft sich zugleich auch Eigengläubiger C eine eingetragene Sicherheit, dann tritt die Regel, dass A und B gleich behandelt werden müssen, in Konflikt mit der Regel, dass C den B im Rang überholt hat. Um das „Unversöhnliche miteinander zu versöhnen“452 , wurden im Schrifttum verschiedene Berechnungsformeln vorgeschlagen, von denen sich die Rechtsprechung bislang aber nicht klar für eine entschieden hat.453 2. Das Verhältnis der séparation des patrimoines zu anderen Schutzinstrumenten Wenn die séparation des patrimoines in der französischen Rechtspraxis seit Langem eine weitaus geringere Rolle spielt als man zunächst annehmen würde, dann liegt der Grund nicht allein in regulatorischen Defiziten des Instituts, sondern auch darin, dass der mit ihm verfolgte Schutzzweck in vielen Fällen bereits auf andere Weise erreicht oder sogar noch übertroffen wird.454 So führt zum einen die Annahme der Erbschaft unter Inventarerrichtung, obwohl primär dem Schutz des 449
Grimaldi, Successions, Nr. 719 (556); Gasnier, Liquidation, Nr. 32. Zu dieser Ratio Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 936. 451 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 936. 452 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 937 („Comment concilier l’inconciliable?“). 453 Für Beispielsrechnungen Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 937; Grimaldi, Successions, Nr. 719 (556–558); Gasnier, Liquidation, Nr. 35–39. Eingehend zur Problematik Bilotti, Separazione, 63–73. Für das italienische Recht trifft Art. 514 Codice civile 1942 eine detaillierte Regelung über das Verhältnis von Separatisten und Nicht-Separatisten, die in ihrer Entstehung sehr umstritten war (näher Bilotti, Separazione, 77–79, 164–166; siehe auch Zelger, Separatio Bonorum, 136 f.). Das Gesetzbuch von 1865 hatte die Problematik demgegenüber nur sehr rudimentär behandelt (dazu Zelger, Separatio Bonorum, 138 f.; Bilotti, Separazione, 74–77). 454 Lequette, in: Études Weill, Nr. 1–3; Gasnier, Liquidation, Nr. 65. 450
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héritier dienend, reflexartig zu einer „hermetischen Abriegelung“ des Nachlassvermögens gegenüber dem Zugriff der Eigengläubiger.455 Die Erblassergläubiger erhalten hierdurch nicht nur einen weiter reichenden Schutz als bei der séparation des patrimoines, die, wie gesehen,456 den Eigengläubigern den Vollstreckungszugriff keineswegs kategorisch untersagt und zudem innerhalb bestimmter Fristen geltend gemacht werden muss.457 Überdies dauert dieser Schutz sogar dann noch an, wenn der héritier seiner Haftungsbeschränkung später verlustig geht. Folge ist, dass die Nachlassgläubiger im Fall einer Erbschaftsannahme unter Inventarerrichtung in aller Regel kein Bedürfnis für die Geltendmachung der séparation des patrimoines haben.458 Dass die Inventarerrichtung zu einer doppelseitigen Haftungssonderung führt, die im Fall des Verlusts der Haftungsbeschränkung in einseitiger Form fortbesteht, war in der ursprünglichen Fassung des Code civil nur angedeutet459 und daher im Wesentlichen das Werk von Rechtsprechung und Lehre.460 Erst seit der Reform von 2006 finden sich beide Lösungen auch ausdrücklich im Gesetz verankert.461 Aufschlussreich ist einmal mehr der Blick in das italienische Recht, das im Codice civile von 1865 ausdrücklich anders entschied und die Nachlassgläubiger im Fall der Haftungsbeschränkung durch Inventarerrichtung nicht von der Notwendigkeit befreite, zum Schutz ihrer Interessen das „diritto di separazione“ geltend zu machen.462 Der Codice civile von 1942 stattet die „accettazione col beneficio di inventario“ demgegenüber zwar mit doppelseitiger Wirkung aus, hebt mit Verfall des erede in die unbeschränkte Haftung die Vermögenstrennung aber vollständig auf, so dass die Erblassergläubiger sich dann auf die „separazione dei beni“ berufen müssen.463 Ist diese Lösung auch insofern folgerichtig, als die Erbschaftsannahme unter Inventarvorbehalt dem Schutz des erede/héritier dient, mutet es dennoch unbefriedigend und überdies unpraktisch an, wenn dieser den Erblassergläubigern ihr wohlerworbenes Vorrecht an den Nachlassgegenständen aus einer „Laune“ heraus wieder nehmen464 bzw. sie für seine eigenen Verfehlungen büßen lassen kann.465
Zum anderen haben die Nachlassgläubiger auch dort kein Bedürfnis für die Geltendmachung der séparation des patrimoines, wo es eine Mehrheit von héritiers gibt 455
Siehe oben C.II.1b) (392 ff.). Siehe oben C.III.1b) (415 ff.). 457 Zu letztgenanntem Unterschied Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 980 (865). 458 Letztere ist allein insoweit leistungsfähiger, als sie das droit de suite gewährt (dazu oben C.III.1c) (417 ff.)); siehe Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 980 (865); Bilotti, Separazione, 29 f. 459 Art. 802 Ziff. 2 Code civil1804 sprach immerhin vom Ausbleiben der Vermögensvermischung. 460 Percerou RTDCiv. 4 (1905), 591–593; Planiol/Ripert, Successions, Nr. 403 (588), 451; Leleu, Transmission, Nr. 6 45. Siehe auch Bilotti, Separazione, 28 f. 461 Art. 798 Abs. 2 , 802 Code civil. 462 Art. 2058 Codice civile 1865, dazu auch Percerou RTDCiv. 4 (1905), 593 (Fn. 1). 463 Art. 490 Abs. 2 Ziff. 3 Codice civile 1942. Zelger, Separatio Bonorum, 126 f. Unklar ist hingegen, wieso Bilotti, Separazione, 28, keinen inhaltlichen Unterschied zur Regelung des Codice von 1865 erkennen will. 464 Vgl. Percerou RTDCiv. 4 (1905), 592 („caprice“). 465 Zu dem Argument des strafenden und daher persönlichen Charakters der Inventarsanktion Bilotti, Separazione, 29, der gleichwohl die italienische Lösung für überzeugender hält. 456
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und der Nachlass noch nicht geteilt wurde. Denn seit der mittlerweile in Art. 81517 Code civil verankerten „Frécon“-Rechtsprechung ist der Nachlass in diesem Zeitraum ausschließlich den Erblassergläubigern reserviert,466 die überdies noch den zusätzlichen Vorteil genießen, dass sie ihre Ansprüche gebündelt durchsetzen können.467 Werden vor der Teilung unbewegliche Nachlassgegenstände veräußert, bietet die séparation des patrimoines zwar den Vorteil des droit de suite,468 doch findet dafür bei Art. 815-17 Code civil hinsichtlich des Verkaufserlöses eine dingliche Surrogation statt.469 Abschließend festzuhalten ist damit, dass die séparation des patrimoines ihren Schutzzweck heute nur noch in einem Fall umfassend entfaltet, nämlich dort, wo es nur einen héritier gibt und dieser die Erbschaft vorbehaltlos annimmt.470 Im Übrigen erfüllt das Institut nur noch eine Art Auffangschutz, so etwa in dem (aufgrund der häufigen Abwicklung durch den Notar471) praktisch seltenen Fall, dass der Nachlass geteilt wurde, obwohl noch nicht alle Nachlassverbindlichkeiten beglichen wurden,472 oder dort, wo Erblassergläubiger einen Vorrang vor solchen Gläubigern geltend machen wollen, deren Anspruch aus der Nachlassverwaltung herrührt und die Art. 815-17 Code civil in rechtspolitisch umstrittener Weise mit den Erblassergläubigern auf eine Stufe stellt.473 3. Der doppelte Schutz des Einzelvermächtnisnehmers Einzelvermächtnisnehmer, denen eine bestimmte, im Eigentum des Erblasser stehende Sache zugewandt wird, haben kein Bedürfnis für einen Schutz gegen die Gläubiger des héritier, weil die Sache gar nicht Teil von dessen Vermögen wird, sondern unmittelbar auf den légataire übergeht.474 Geld- und Gattungsvermächtnisnehmer hingegen, die nur einen Erfüllungsanspruch gegen den héritier erhalten, haben ebenso wie die Erblassergläubiger ein Interesse daran, mit Vorrang vor den Eigengläubigern auf den Nachlass zugreifen zu können. 466
Dazu unten § 8 B.IV.2. (675 ff.). Lequette, in: Études Weill, Nr. 6; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 958. Ausführlich unten § 8 B.IV.2. (675 ff.). 468 Dazu oben C.III.1c) (417 ff.). 469 Lequette, in: Études Weill, Nr. 28; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 958 (846). 470 Gasnier, Liquidation, Nr. 67. 471 Siehe unten § 8 B.IV.3. (678 ff.). Gasnier, Liquidation, Nr. 68, weist zutreffend darauf hin, dass diese Praxis für sich allein das Institut der séparation des patrimoines nicht überflüssig macht, da die Eigengläubiger durch sie nicht am Zugriff auf den Nachlass gehindert werden (sondern erst durch die Vorschrift des Art. 815-17 Code civil). 472 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 958. 473 Dazu unten § 8 B.IV.4. (680 f.). Lequette, in: Études Weill, Nr. 20–29, spricht davon, dass die séparation des patrimoines durch den Art. 815-17 Code civil eine „zweite Luft“ erhalten habe („un second suffle“, Nr. 29); siehe auch Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 926 (827), 961 (849); Gasnier, Liquidation, Nr. 67, 147. 474 Siehe auch Grimaldi, Successions, Nr. 703 (Fn. 71); Jurisclasseur, Civil Code (-Lequette/ Bremond), Art. 878 à 881 (Stand 15.4.2014) Nr. 13; Bilotti, Separazione, 82; für das analoge Argument im italienischen Recht Zelger, Separatio Bonorum, 130. 467
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In Fortsetzung der römischen Tradition trägt das französische Recht diesem Interesse der Legatare Rechnung und tut dies sogar im Wege einer eigentümlichen Verdoppelung der Schutzinstrumente: Denn zusätzlich zu der im vorklassischen römischen Recht wurzelnden séparation des patrimoines erhält der Legatar das von Justinian herrührende475 Instrument der Legalhypothek an Nachlassimmobi lien,476 das ebenfalls die bevorzugte Befriedigung sichert.477 Das kuriose Ergebnis ist, dass der Legatar stärker gegen die Risiken der Vermögensvermischung geschützt wird als der Erblassergläubiger, und dies, obwohl seine Schutzwürdigkeit nicht höher, sondern niedriger ist. Denn während der Gläubiger des Erblassers geltend machen kann, schon zu dessen Lebzeiten ein Verwertungsrecht an seinem Vermögen gehabt zu haben, erwirbt der Legatar seinen Vermögensvorteil nicht nur unentgeltlich, sondern zudem von vornherein in Konkurrenz zu den Eigengläubigern. Sein Vorzugsrecht bedarf daher einer anderen Erklärung, und die französische Lehre sieht sie im Ziel der Verwirklichung des Erblasserwillens.478 Ein Blick auf die ursprüngliche Fassung des Code civil nährt die Vermutung, dass die Doppelung der Schutzinstrumente von den Gesetzesverfassern gar nicht beabsichtigt war und dem Einzelvermächtnisnehmer allein die Legalhypothek gewährt werden sollte. Denn in der zentralen Regelung zur séparation des patrimoines, Art. 878 Code civil1804, waren die Legatare noch gar nicht erwähnt.479 Dafür wurden sie allerdings in der Vorschrift über das bevorzugte Befriedigungsrecht an Nachlassimmobilien in einem Atemzug mit den Gläubiger genannt,480 woraus geschlossen wurde, dass sie sich allgemein der séparation des patrimoines bedienen durften.481 Die Reform von 2006 wurde zur Klarstellung der Frage genutzt, indem Art. 878 Abs. 1 Code civil nun ausdrücklich auch die „légataires de sommes d’argent“ zu den Inhabern des Absonderungsrechts zählt. Unstreitig war ungeachtet des Fehlens einer ausdrücklichen normativen Grundlage482 dabei immer, dass die Einzelvermächtnisnehmer in Verwirklichung der Maxime „nemo liberalis nisi liberatus“ nur nachrangig zu den Erblassergläubigern zum Zuge kommen.483 475
Dazu oben § 4 A.VI. (260 ff.). wurde ursprünglich nur in Art. 1017 Abs. 2 Code civil vorausgesetzt, ist heute aber auch in Art. 2400 Ziff. 4 geregelt, siehe Grimaldi, Successions, Nr. 703; Bilotti, Separazione, 81 (Fn. 169). 477 Grimaldi, Successions, Nr. 703. 478 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 926; dieselbe Erklärung findet sich in Italien, wird dort vereinzelt aber auch bestritten: Bilotti, Separazione, 82 f. Zur selben Frage im Kontext des römischen Rechts oben § 4 A.VI. (260 ff.). 479 Art. 878 Code civil1804. 480 Art. 2111 Code civil1804. 481 Siehe bereits Planiol/Ripert, Traité IV, Nr. 456; Vialleton, Rapport, 146. 482 Eine solche existiert mit Art. 514 Abs. 3 Codice civile hingegen im italienischen Recht, dazu und zur Rechtlage unter dem ersten Zivilgesetzbuch von 1865 Bilotti, Separazione, 92–96. 483 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 936 (833); Grimaldi, Successions, Nr. 718; Jurisclasseur, Civil Code (-Lequette/Bremond), Art. 878 à 881 (Stand 15.4.2014) Nr. 78. Bilotti, Separazione, 88 f. weist in diesem Zusammenhang treffend darauf hin, dass die französischen Juristen die ungeschriebene Maxime „nemo liberalis nisi liberatus“ oft wie eine allgemeingültige Regel anwenden. Ein Illustrationsbeispiel ist Planiol/Ripert, Successions V, Nr. 101 (123). 476 Diese
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Dieses Ergebnis ist aus zwei Gründen keine Selbstverständlichkeit. Denn erstens würde die mit einer vorbehaltlosen Annahme der Erbschaft verbundene Verschmelzung von Nachlass und Erbenvermögen eigentlich gebieten, keinen Unterschied mehr zwischen Erblassergläubigern und Vermächtnisnehmern zu machen.484 Zweitens besteht der eigentliche Zweck der séparation des patrimoines in der Abwehr der Eigengläubiger und nicht in der Durchsetzung von Vorrangverhältnissen unter Nachlassgläubigern.485 Indem das Absonderungsrecht den Erblassergläubigern dennoch ermöglicht, der Maxime „nemo liberalis nisi liberatus“ Geltung zu verschaffen, wird es für sie zum Schutzinstrument gegen einen insolventen héritier, der die Erbschaft vorbehaltlos annimmt (denn bei einem solventen héritier können die Erb lassergläubiger Befriedigung aus dem Eigenvermögen suchen). Verbunden mit dem droit de suite ermöglicht das Instrument der séparation des patrimoines den Erblassergläubigern nach herrschender Ansicht auch, im Fall der einer vorbehaltlosen Erbschaftsannahme Rückgriff bei einem ausbezahlten Geld- oder Gattungsvermächtnisnehmer zu suchen, und dies, obwohl die analoge Anwendung des für den Fall der Inventarerrichtung vorgesehenen Regressanspruchs486 immer abgelehnt wurde.487 Schließlich scheint die séparation des patrimoines den Erblassergläubigern nach herrschendem Verständnis sogar zu ermöglichen, den Grundsatz „nemo liberalis nisi liberatus“ auch gegenüber einem Stücklegatar geltend zu machen,488 womit der Vermächtnisgegenstand – wie schon bei der separatio bonorum 489 – wieder in die Haftungsmasse hineingezogen würde. Soweit dieser einer expliziten gesetzlichen Grundlage entbehrende Befund zutreffend ist, sind die dogmatischen Einzelheiten des Vorgangs allerdings unklar, vor allem da der Legatar nicht Schuldner der Nachlassverbindlichkeiten ist.490
Dem Vorwurf der Redundanz sieht sich das Nebeneinander von séparation des patrimoines und Legalhypothek an Nachlassimmobilien immerhin nur bedingt aus484 Dies wurde auch schon früh von der Rechtsprechung so entschieden, siehe Leveneur/Leveneur, Leçons IV/2, Nr. 1272; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 923 (823). In beiden zitierten Werken wird freilich auch darauf hingewiesen, dass in der notariellen Praxis die vorrangige Befriedigung der Erblassergläubiger die Regel war. Aus vergleichender Sicht zum genannten konzeptionellen Einwand Bilotti, Separazione, 90. 485 Leveneur/Leveneur, Leçons IV/2, Nr. 1287. 486 Art. 8 09 Abs. 1 Code civil1804, dazu oben Fn. 142. 487 Siehe Bilotti, Separazione, 89–92, der die genannte Lösung als inkonsequent kritisiert, aber nicht hinreichend zu würdigen scheint, dass die séparation des patrimoines ein Rückgriffsrecht gegen Vermächtnisnehmer nur in engen Grenzen gestattet, nämlich allein hinsichtlich Immobilien und unter der Voraussetzung rechtzeitiger Eintragung. Zur entsprechenden Diskussion in Italien, wo die analoge Anwendung des in Art. 495 Abs. 2 Codice civile geregelten Rückgriffsrechts von der herrschenden Meinung ebenfalls abgelehnt wird, die Erblassergläubiger ihren Vorrang vor den Vermächtnisnehmern (und zwar auch den Vindikationslegataren) aber im Wege der separazione dei beni geltend machen können, Bilotti, Separazione, 96–100. 488 Knapp, wenn auch eindeutig in diesem Sinne Jurisclasseur, Civil Code (-Lequette/Bremond), Art. 878 à 881 (Stand 15.4.2014) Nr. 13. Andere Autoren hingegen sprechen meist nur vom Geld- und Gattungsvermächtnisnehmer und bleiben im Übrigen vage, wie schon im Kontext der Haftungsbeschränkung durch Inventarerrichtung (dazu oben Fn. 145). Einen umfassenden Schutz suggerieren beispielsweise Leveneur/Leveneur, Leçons IV/2, Nr. Nr. 1272, 1287. 489 Siehe oben § 4 A.V. (257 ff.). 490 Im italienischen Recht ist die genaue Wirkungsweise des Art. 513 Codice civile, der die Stückvermächtnisse ausdrücklich in die Absonderung einbezieht, umstritten, siehe Bilotti, Separazione, 140 (Fn. 105); Zelger, Separatio Bonorum, 134. Zum Teil wird eine Unwirksamkeit des Vermächtnisses angenommen, soweit der Nachlass unzulänglich ist.
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gesetzt, weil beide Instrumente einander jedenfalls zum Teil sinnvoll ergänzen.491 So ist die Legalhypothek zwar insofern weniger schlagkräftig als die séparation des patrimoines, als sie zu ihrer Wirksamkeit der Eintragung bedarf, deren Datum auch den Rang bestimmt.492 Dafür ermöglicht sie dem Legatar aber, auch bei Vorhandensein mehrerer Gesamtnachfolger die ungeteilte Befriedigung zu erreichen.493 Ursprünglich bestand zudem auch der Vorteil des Verfügungsschutzes, den die Legalhypothek aufgrund ihres dinglichen Charakters genießt,494 doch wurde dieser Unterschied durch die Einführung des „Folgerechts“ bei der séparation des patrimoines495 nivelliert (in der Beseitigung dieses Wertungswiderspruchs ließ sich damit eine weitere Rechtfertigung für das droit de suite finden496). Nach allem kann das französische Recht selbst im Hinblick auf den Legatar nicht den Eindruck eines unabgestimmten Nebeneinanders der Schutzinstrumente vermeiden, und im Hinblick auf die Behandlung anderer Nachlassgläubiger bleibt der Vorwurf der Inkohärenz auf jeden Fall bestehen. Umso mehr erstaunt es, dass die französische Lehre in der Doppelung der Schutzinstrumente kein Problem zu sehen scheint497 und auch der Gesetzgeber bislang keine Anstalten zu einer Zusammenführung gemacht hat. Vermieden wird immerhin die Rechtsfolge, dass der Legatar mittels seiner Legalhypothek sogar noch die Erblassergläubiger im Rang überholt und damit die Maxime „nemo liberalis nisi liberatus“ unterläuft.498 4. Grundlegende Kritik und Reformvorschläge Französische Juristen waren sich schon früh darüber im Klaren, dass das grundlegende Defizit der séparation des patrimoines nicht in Detailproblemen lag, wie der asymmetrischen Behandlung von Eigen- und Erblassergläubigern oder dem anfangs fehlenden droit de suite, sondern das Hauptproblem in dem individualisti491 Bilotti, Separazione, 81 f., der allerdings nicht alle Aspekte zutreffend erfasst. So geht er insbesondere zu Unrecht davon aus, dass das durch die séparation des patrimoines gewährte Vorzugsrecht an Immobilien nur vier Monate lang ausgeübt werden kann (82). Diese Frist ist jedoch nur bedeutsam für die Rangwahrung, siehe oben C.III.1e)(1) (425 ff.). 492 Grimaldi, Successions, Nr. 703. 493 Art. 1017 Abs. 2 Code civil; Grimaldi, Successions, Nr. 703. 494 Grimaldi, Successions, Nr. 703; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 940. 495 Dazu oben C.III.1c) (417 ff.). 496 Vialleton, Rapport, 143; Gasnier, Liquidation, Nr. 30 (21). 497 So stellen etwa Planiol/Ripert, Traité V, Nr. 651, Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 940, oder Grimaldi, Successions, Nr. 703, den gesonderten Schutz für Legatare mit keinem Wort infrage. Gleiches gilt für Bilotti, Separazione, 79–85. 498 Grimaldi, Successions, Nr. 703, 720; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 940; Bilotti, Separazione, 89. Im italienischen Recht ordnet Art. 514 Abs. 3 Codice civile 1942 ausdrücklich die nachrangige Befriedigung der Vermächtnisnehmer an (siehe auch Zelger, Separatio Bonorum, 136). Die bei Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht III, Rn. 5 D 308 (Fn. 17), erwähnte Möglichkeit, dass der Erblassergläubiger als Folge der Schuldenteilung einen partiellen Ausfall hinnehmen muss, während der durch die Legalhypothek gesicherte Legatar vom betreffenden Inhaber des Grundstücks volle Befriedigung erlangt, bleibt allerdings trotzdem bestehen.
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§ 6 Die Vervollkommnung der gesonderten Abwicklung
schen Charakter des Rechtsinstituts bestand und damit struktureller Natur war.499 Fügte sich diese Konzeption zwar auch gut in das Gesamtsystem ein, hinterließ sie empfindliche Lücken im Gläubigerschutz und führte zu schwierigen praktischen Problemen, wie der Notwendigkeit, in bestimmten Fällen zwischen Separatisten und Nicht-Separatisten zu unterscheiden.500 Um dem genannten Grundübel abzuhelfen, schlug die Reformkommission der „Société d’études législatives“ in ihrem 1910 vorgelegten Entwurf den Ausbau der séparation des patrimoines zu einem veritablen Kollektivverfahren vor. Dieses sollte unter Entsetzung des héritier in die Hände eines gerichtlich ernannten „administrateur“ gelegt werden, der die Nachlassgläubiger in geordneter Weise aus dem Nachlass zu befriedigen hatte.501 In historischer Sicht hätte dies eine Rückkehr zur römischen separatio bonorum bedeutet, in vergleichender Sicht eine Annäherung an die deutsche Nachlassverwaltung.502 Bemerkenswert ist, dass diese grundlegende Abkehr vom geltenden Recht in der sonst mehrheitlich auf Erhaltung gesinnten Reformkommission 503 offenbar weitgehend unumstritten war504 (was nichts daran änderte, dass der Vorschlag im Entwurfsstadium steckenblieb). Allerdings sollte das bisherige Absonderungsrecht auch gar nicht abgeschafft werden, sondern im Hinblick auf Fälle, in denen die Durchführung eines Kollektivverfahrens unverhältnismäßig war, weil den Nachlassgläubigern auch mit einem individuellen Vorzugsrecht gedient war, in verfeinerter Form bestehen bleiben.505 Im Ergebnis sah der Entwurf damit eine originelle Kombination aus kollektiven und individuellen 499 Siehe bereits Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 606–611; ders., Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 258 f.; Vialleton, JCP 1942, I, 247 (Sp. 1), der die historische Entwicklung vom Kollektivverfahren der venditio bonorum zum Individualverfahren der séparation des patrimoines als „fatal“ bezeichnet. 500 Vialleton, JCP 1942, I, 247 sprach von „les inconvénients sans nombre qui s’attachent aux fonctionnement pratique de l’institution“ (Sp. 2) und einer „foule de problème irritants“ (Sp. 5). Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht III, Rn. 5 D 330 sprechen von einer „völlig unzureichende[n] gesetzliche[n] Regelung“ und zitieren Roguin, der die Defizite mit dem „optimisme puéril“ der Verfasser des Code civil erklärte, dem zufolge die bloße Festschreibung des ancien droit eine nähere Normierung überflüssig machte. 501 Percerou, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 259 f.; ders. im Protokoll der Sitzung vom 8.12.1910, Bull. Soc.e.leg. 9 (1910), 287. 502 Letztgenannte Parallele wurde zusätzlich dadurch betont, dass der Entwurf den Nachlassgläubigern das Recht auf Beantragung der „séparation collective des patrimoines“ nur unter der Voraussetzung gab, dass ihre Interessen entweder durch das Verhalten oder durch die Vermögenslage des héritier gefährdet wurden (siehe Art. 27 des Entwurfs bei Percerou, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 238 f.) – was in der Substanz den Antragsvoraussetzungen des § 1981 Abs. 2 BGB glich. Ferner sah der Reformentwurf auch insofern eine Annäherung an das deutsche Recht vor, als die weiträumigen Verweisungen auf das (im Entwurf ebenfalls zu einem vollwertigen Kollektivverfahren ausgebaute (siehe oben Fn. 225)) Regime der Abwicklung unter Inventarerrichtung zu einer stückweisen Vereinigung beider Regime geführt hätte: Siehe Art. 28 des Entwurfs bei Percerou, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 239, und zur Erläuterung ebd., 259. 503 Vgl. zum Streit über das Leitbild der Nachlassabwicklung unten § 7 B.VI. (602 ff.). 504 Siehe Percerou, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 259, dem es in dieser Hinsicht also gelungen war, als rapporteur dem Entwurf seinen Stempel aufzudrücken. 505 Percerou, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 260 f.; ders. im Protokoll der Sitzung vom 8.12.1910, Bull. Soc.e.leg. 9 (1910), 287.
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Schutzmechanismen vor, die Mitte der 1930er Jahre von Heinrich Siber in ähnlicher Weise für das deutsche Recht vorgeschlagen werden sollte.506 Drei Jahrzehnte nach den Vorschlägen der „Société d’études législatives“, im Jahr 1942, skizzierte auch der namhafte Erbrechtler Henri Vialleton den Ausbau der séparation des patrimoines zu einem Kollektivverfahren, doch wollte er dabei nicht so weit gehen wie seine Vorgänger. Zwar sollte sich das neue Verfahren an die Abwicklung unter Inventarerrichtung anlehnen und durch Registereintragung publik gemacht werden, einen solchen Formalisierungsgrad wie die deutsche Nachlassverwaltung oder die englische administration of estates sollte es aber nicht erreichen.507 Insbesondere schreckte Vialleton davor zurück, dem héritier die Abwicklungszuständigkeit zu nehmen. Dabei war er keineswegs blind für die Gefahren, die aus der typischerweise geringen oder sogar ganz fehlenden Solvenz des héritier resultierten, und wies zutreffend darauf hin, dass anders als bei der Haftungsbeschränkung durch Inventarerrichtung der Entzug dieses Rechtsvorteils keine wirksame Sanktion für ein Fehlverhalten darstellen würde.508 Eine Lösung vermochte Vialleton jedoch bezeichnenderweise nicht anzubieten, und sie konnte auch nur in der (von ihm verworfenen) Ablösung des héritier von der Abwicklerrolle bestehen. Als Vialleton Mitte der 1950er Jahre dann Berichterstatter für die Kommission zur Reform des Code civil unter dem Vorsitz von Julliot de la Morandière509 war, sah er selbst nicht den geeigneten Zeitpunkt für umstürzende Reformen gekommen und schlug dementsprechend nur punktuelle Änderungen vor, als wichtigste die Kodifizierung des droit de suite.510 Die Reformkommission zeigte dabei durchaus Interesse an Vialletons früheren Überlegungen zu einem großen Wurf,511 arbeitete aber keine entsprechenden Vorschläge aus. Wie gesehen, ließ auch der Reformgesetzgeber von 2006 die Struktur der séparation des patrimoines unberührt, indem er sich damit begnügte, die Befugnis zur Geltendmachung zu bilateralisieren. In der französischen Lehre wird der den Nachlassgläubigern gegen einen finanzschwachen héritier gewährte Schutz daher weiterhin für „précaire“ gehalten.512 Obwohl kein Verfahren zur Unterrichtung der Nachlassgläubiger vorgesehen sei, müssten diese innerhalb von vier Monaten tätig werden, um sich ihr Vorrecht an unbeweglichen Nachlassgegenständen zu sichern. Hinsichtlich des beweglichen Nachlassvermögens seien die Nachlassgläubiger weiterhin dem Risiko ausgesetzt, dass der héritier dieses bzw. einen erzielten Veräußerungserlös rasch mit seinem Eigenvermögen vermischt.513 Im jüngeren 506
Dazu unten § 6 E.VI.2b)(3) (544). Vialleton, JCP 1942, I, 247 (Sp. 4 –6). 508 Vialleton, JCP 1942, I, 247 (Sp. 6). 509 Allgemein dazu Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, 96. 510 Vialleton, Rapport, 141, 148. 511 Siehe die Diskussionen in der Sitzung v. 11.12.1954, in: Travaux de la commission de réforme du Code civil, 149–152. 512 Gasnier, Liquidation, Nr. 21, 45. 513 Gasnier, Liquidation, Nr. 45. 507
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§ 6 Die Vervollkommnung der gesonderten Abwicklung
Schrifttum findet sich interessanterweise der Vorschlag einer Rückkehr zum Konzept der Reformkommission der „Société d’études législatives“, d. h. der Kombination eines an das historische Vorbild der separatio bonorum angelehnten Kollektivverfahrens mit dem individuellen Befriedigungsprivileg.514
IV. Fazit Die französische Rechtsentwicklung während der letzten zwei Jahrhunderte stellt sich als konstantes Ringen zwischen der den Interessen der Familienangehörigen verschriebenen Tradition und modernen Forderungen des Gläubigerschutzes dar. Obgleich die Tradition sich im Laufe der Zeit gezwungen sah, zahlreiche Stellungen zu räumen, konnte sie dank hartnäckigen Widerstands einen Teil ihres Territoriums bis heute erfolgreich verteidigen. Am deutlichsten zeigt sich der skizzierte „Kampfverlauf“ bei dem dem Benefizialerben auferlegten Pflichtenprogramm. Hatte bereits der Code civil von 1804 eine wichtige Ausnahme vom justinianischen Prioritätsprinzip vorgesehen, musste dieses mit der Reform von 2006 endgültig das Feld räumen. Und doch konnte die Tradition dem Gläubigerschutz auch eine wichtige Konzession abtrotzen, indem ungesicherte Gläubiger auch weiterhin nicht anteilig befriedigt werden müssen. Denn explizites Ziel dieser Vereinfachung auf Kosten des Gläubigerschutzes war, die Nachlassabwicklung in den Händen des héritier und damit eines Familienangehörigen belassen zu können.515 Noch erfolgreicher konnte sich der hier zum Vorschein kommende Grundsatz der Eigenabwicklung dort behaupten, wo nicht dem héritier, sondern den Nachlassgläubigern daran liegt, die Folgen der Vermögensverschmelzung zu beseitigen. Denn bis heute wird ihnen keine Möglichkeit gewährt, einen insolventen héritier von der Abwicklerrolle abzuberufen, und dies, obwohl in der fehlenden Realisierbarkeit einer Eigenhaftung anerkanntermaßen die zentrale Schwachstelle des bestehenden Regimes der séparation des patrimoines liegt.516 Dieser erfolgreiche Widerstand gegen die odiöse Fremdabwicklung ist umso bemerkenswerter, als der Grundsatz der Eigenabwicklung auf zwei anderen Feldern empfindliche Niederlagen quittieren musste. Denn nicht nur besteht inzwischen die ausdrückliche Möglichkeit, den ungeeigneten Benefizialerben von der Abwicklung abzuberufen;517 auch wurden mittels Ausweitung der Testamentsvollstreckung und Schaffung des mandat à effet posthume die Möglichkeiten eines Testators gestärkt, seinen nahen Angehörigen einen Außenstehenden als Abwickler bzw. Verwalter „vor die Nase“ zu setzen.518
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Gasnier, Liquidation, Nr. 76, 425. Siehe oben C.II.2c) (405 ff.). 516 Siehe oben C.III.1c) (417 ff.). 517 Siehe oben Fn. 272. 518 Dazu oben § 5 C.II.2d)(2) und (3) (347 ff.). 515
D. Das preußische Recht
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Zu betonen ist bei alldem, dass die französischen Juristen vor den Defiziten und Ungereimtheiten ihrer Regelung der Nachlassabwicklung niemals die Augen verschlossen haben, und insbesondere die zu Beginn des 20. Jahrhunderts angestellten Reformüberlegungen sind für Juristen jedweder Provenienz von großem Erkenntniswert. Dennoch nahm die Debatte gelegentlich auch irrationale Züge an, insbesondere dort, wo die Tradition um ihrer selbst willen verteidigt und eine stärkere Rolle der Fremdabwicklung in den Ruch einer Unterwerfung unter eine fremde Rechtskultur gebracht wurde (gemeint ist hierbei vor allem die englische).519
D. Das preußische Recht Das preußische Recht der Nachlassabwicklung520 ist für die vorliegende Untersuchung gleich aus mehreren Gründen von besonderem Interesse. Es wies erstens eine – zumindest aus heutiger Sicht – überraschend große strukturelle Nähe zum mittelalterlichen englischen Recht auf. Zweitens war das preußische Recht der Nachlass abwicklung zwischen dem Ende des 18. Jahrhunderts und der Mitte des 19. Jahrhunderts keineswegs statisch, sondern neben Kontroversen in Rechtsprechung und Schrifttum immer wieder auch Gegenstand gesetzgeberischer Eingriffe, die auf seine Vervollkommnung zielten. Drittens schließlich war das preußische Recht naturgemäß einer der zentralen Referenzpunkte für die Verfasser des BGB, und insbesondere der Entwurf Gottfried von Schmitts war maßgeblich durch das Bemühen geprägt, von den positiven ebenso wie von den negativen Lehren aus der preußischen Erfahrung zu profitieren.
I. Ausgangspunkt Die Gestaltung der gesonderten Nachlassabwicklung im preußischen ALR stellte den erstmals unternommenen Versuch dar, die beiden tonangebenden Regelungsmodelle der damaligen Zeit – das gemeinrechtliche und das obrigkeitstaatliche Modell – auf gelungene Weise miteinander zu kombinieren.521 Die amtliche Abwicklung, die sich zumindest in Teilen Preußens ebenso wie in Österreich522 und anderen Partikularrechten etabliert hatte,523 sollte wegen ihrer Schwerfälligkeit zugunsten einer Privatliquidation durch den Erben zurückgedrängt werden,524 ihr hoher Maßstab der Verteilungsgerechtigkeit jedoch erhalten bleiben. Von der gemeinrechtlichen, auf dem justinianischen beneficium inventarii beruhenden Tradi519
Siehe insbesondere das Zitat von Catala oben § 5 Fn. 228. Darstellung mit vergleichenden Bezügen jetzt auch bei Osthold, Erben und Haftung, 104–125. 521 Vgl. Eck, Stellung des Erben, 20–22. 522 Dazu oben § 1 E.I.2a)(4) (41 ff.). 523 Dazu Dove, Gutachten, 91–93. 524 Siehe das ausführliche Zitat von Carl Gottlieb Svarez in: Schubert/Regge (Hg.), Gesetzrevision II/7, 141 f. (ebenfalls abgedruckt bei Muscheler, Erbrecht I, Rn. 1215). 520 Eingehende
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§ 6 Die Vervollkommnung der gesonderten Abwicklung
tion sollte also gewissermaßen das verfahrensrechtliche Element, von der partikularrechtlichen Tradition der amtlichen Abwicklung das materiellrechtliche Element übernommen werden. Ihren konkreten Ausdruck fand diese Konzeption darin, dass das ALR die gesonderte Nachlassabwicklung in die Hand des Erben legte, ihn aber einem strengen Pflichtenprogramm unterwarf. Dementsprechend hatte der Erbe mit endgültigem Erwerb des Nachlasses die Stellung eines „Beneficialerben“525 oder „Vorbehaltserben“526 inne, ohne dass es hierzu weiterer Voraussetzungen wie etwa einer Inventarerrichtung bedurfte.527 Dies bedeutete für den Erben nicht nur eine gegenständliche Beschränkung seiner Haftung,528 solange er das Recht zur Inventarerrichtung nicht verloren hatte, sondern implizierte eine Doppelstellung:529 Der Vorbehaltserbe war einerseits eigennützig handelnder Nachlassinhaber, andererseits aber auch „Administrator für die Gläubiger und […] Liquidator der Masse für dieselben“.530 Der Vorbehaltserbe durfte daher Erbschaftsgegenstände zwar für sich nutzen,531 war Gläubigern und Vermächtnisnehmern für die Verwaltung aber rechenschaftspflichtig532 und schon bei gewöhnlichem Verschulden haftbar.533 Sein Eigentum am Nachlass war ein „eingeschränktes“,534 seine Verfügungen über bewegliche Sachen waren jedoch „in Ansehung eines Dritten, der sich redlicher Weise in Verhandlungen mit ihm eingelassen hat“535 so lange gültig, wie seine Befugnis auf Antrag der Gläubiger nicht gerichtlich begrenzt worden war.536 Auch konnte der Vorbehaltserbe Forderungen 525
So die Terminologie des Gesetzes, siehe die Überschrift vor ALR I, 9 § 4 43. die im Schrifttum häufig bevorzugte Terminologie, siehe etwa Dernburg, Preußisches Privatrecht III, § 224 (654). 527 Wollte der Erbe auf die Benefizialeigenschaft verzichten und damit für eine integrierte Abwicklung optieren, bedurfte es einer formellen Erklärung: Siehe unten Fn. 582. 528 Dass der Vorbehaltserbe cum viribus, und nicht pro viribus hereditatis haftete, ging zwar aus verschiedenen Gesetzesstellen hervor, wurde jedoch, vermutlich unter dem „Bann der gemeinrechtlichen Theorie“ (Muscheler, in: FS Kroeschell, 749), zum Gegenstand einer Kontroverse. Die Annahme einer gegenständlich beschränkten Haftung war aber schließlich weitgehend unangefochten, siehe Förster, Theorie und Praxis IV, 282–284; Dernburg, Preußisches Privatrecht III, § 223 (653 f. Fn. 12) m. w. N.; ferner auch die Nachweise bei Casso, Haftung des Benefizialerben, 58 f.; Muscheler, in: FS Kroeschell, 749 (Fn. 28). 529 Von einer „Zwitternatur“ spricht Gruchot, Preußisches Erbrecht in Glossen I, Nr. 9 0 (178). Als „merkwürdige Erscheinung“ bezeichnet den Vorgang Casso, Haftung des Benefizialerben, 51. 530 Dernburg, Preußisches Privatrecht III, § 2 23 (653). Siehe auch ebd., 654 („[…] der Vorbehaltserbe handelt also nicht bloß für sich, vielmehr amtirt er zugleich als Verwalter der Gläubiger“), ferner ebd., § 224 (659). Siehe auch Förster/Eccius, Preußisches Privatrecht IV, 553: „[…] obgleich er [der Benefizialerbe] eine Verwaltung führt, für die er anderen verantwortlich ist, so ist es eine Verwaltung eigener Angelegenheiten“. Siehe auch Osthold, Erben und Haftung, 115. 531 Dernburg, Preußisches Privatrecht III, § 2 24 (654). 532 ALR I 9, § 4 44. 533 ALR I 9, § 4 45, der insofern in die Irre führt, als der Erbe danach „nur für ein grobes und mäßiges Versehen“ haftete. Ausgeschlossen wurde dadurch aber allein die Haftung für „geringes Versehen“, siehe die Definitionen in ALR I 3, §§ 18, 20, 22. 534 ALR I 9, § 4 43. 535 Nach Bornemann, Preußisches Zivilrecht VI, § 422 (311), begründete die Kenntnis der Benefizialeigenschaft noch nicht die Unredlichkeit. 536 ALR I 9, § 4 46. 526 So
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einziehen, Vergleiche abschließen usw.537 An der Verfügung über im Nachlass befindliche Grundstücke war er allerdings gehindert, und seine Stellung als Vorbehaltserbe war im Hypothekenbuch einzutragen.538 Gegen den Nachlass gerichtete Forderungen, einschließlich seiner eigenen,539 durfte der Erbe nur nach der vorgegebenen Rangordnung befriedigen, ein Verstoß führte zur Schadensersatzpflicht.540 Immerhin erleichterte die Rechtsprechung die Stellung des Vorbehaltserben insoweit, als er gleichrangige Forderungen nach dem Prioritätsprinzip erfüllen durfte.541 Prozessrechtlich wurde dem Vorbehaltserben dadurch geholfen, dass Gläubiger vor einer Vollstreckung die „Regulirung der Verlassenschaft“ abwarten mussten.542 Ungeachtet solcher Erleichterungen war die Stellung des preußischen Vorbehaltserben in der Gesamtbetrachtung sehr belastend,543 gerade im Vergleich mit der Stellung eines gemeinrechtlichen Benefizialerben. Zwar konnte sich der preußische Vorbehaltserbe der Mühe und Schwierigkeit, einen erkennbar überschuldeten Nachlass unter Beachtung der überaus komplexen Rangverhältnisse544 abzuwickeln, durch Beantragung eines Konkursverfahrens entziehen.545 Doch lief er im Fall eines zunächst werthaltig scheinenden Nachlasses stets Gefahr, die Gläubiger 537
Dernburg, Preußisches Privatrecht III, § 224 (655); Muscheler, in: FS Kroeschell, 750. ALR I 9, §§ 4 47 f. Ein gutgläubiger Erwerb war aber möglich (ALR I 9, § 450) und löste eine Schadensersatzpflicht des Erben aus, und subsidiär sogar des Richters: ALR I 9, § 451. 539 Dernburg, Preußisches Privatrecht III, § 2 24 (659). 540 ALR I 9, §§ 452–454; Förster/Eccius, Preußisches Privatrecht IV, § 270 (552); Muscheler, in: FS Kroeschell, 750. 541 Siehe die Nachweise bei Muscheler, in: FS Kroeschell, 750; befürwortend etwa Koch, Das Preußische Erbrecht, 1166. Im Schrifttum wurde vielfach allerdings auch die gegenteilige Ansicht vertreten, siehe etwa Gruchot, Preußisches Erbrecht in Glossen I, Nr. 96 (191); Förster/Eccius, Preußisches Privatrecht IV, § 270 (552); Dernburg, Preußisches Privatrecht III, § 224 (658 Fn. 13), unter Verweis auf die nach dem Erbschaftsedikt von 1765 bestehende Rechtslage. 542 AGO I 24, § 18. v. Schmitt, Begründung, 1016. Wohl missverständlich Dernburg, Preußisches Privatrecht III, § 225 (662), und Muscheler, in: FS Kroeschell, 751, die den Eindruck erwecken, als sei die Vollstreckung nur während eines „erbschaftlichen Liquidationsprozesses“ (dazu unten bei Fn. 548) gehemmt gewesen. Die Formulierung in AGO I 24, § 18 hindert jedoch nicht daran, auch die Vorschriften über die Schuldentilgung nach dem ALR hierunter zu fassen. Dies würde auch besser dem Sinn und Zweck der Abwicklung durch den Vorbehaltserben entsprechen. Richtig ist allerdings, dass der Vorbehaltserbe bei Berufung auf AGO I 24, § 18 dazu gezwungen wurde, entweder den Liquidationsprozess zu eröffnen oder seine Haftungsbeschränkung zu verlieren, siehe unten Fn. 555. Ferner wurde der Vollstreckungsschutz des Vorbehaltserben durch eine Reform von 1834 eingeschränkt, siehe unten D.II. (439 f.). 543 Siehe auch Muscheler, in: FS Kroeschell, 751. 544 Nach AGO I 50, § 267 waren sieben verschiedene Gläubigerklassen und entsprechende Vorrangverhältnisse zu beachten! Nach Osthold, Erben und Haftung, 118, waren über 60 Vorrechte in unterschiedlichen Gesetzen zu finden. 545 Die genaue Rechtsgrundlage hierfür ist allerdings nicht klar und wird auch von Muscheler, in: FS Kroeschell, 752, nicht genannt. ALR I 16, §§ 500–506 regelten nur das Absonderungsrecht bei Konkurs des Erben. AGO I 50, § 4 Nr. 2 und 3 regelten nur Fälle der amtswegigen Eröffnung des Konkurses über das Erblasservermögen. Anhang § 312 zu AGO I 50, § 4, auf den Nadelmann, Michigan LR 49 (1951), 1133, hinweist, sah lediglich vor, dass bei Annahme unter Inventarerrichtung die amtswegige Eröffnung unterblieb. Nach Osthold, Erben und Haftung, 119 (Fn. 718), konnte über den Nachlass abgesondert das allgemeine Konkursverfahren eröffnet werden. 538
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§ 6 Die Vervollkommnung der gesonderten Abwicklung
und Legatare voll zu befriedigen und später auftauchende Gläubiger dann aus eigener Tasche bezahlen zu müssen.546 Denn im Anschluss an das preußische Erbschaftsedikt von 1765, und in Parallele zu dem (bis heute in Kraft stehenden) § 815 ABGB, wurde ein Verschulden des Vorbehaltserben immer schon dann angenommen, wenn er den Nachlass ohne vorheriges gerichtliches Aufgebotsverfahren verteilt hatte.547 Dieses Aufgebotsverfahren war Teil des in der Allgemeinen Gerichtsordnung von 1793 geregelten „erbschaftlichen Liquidationsprozesses“,548 der später als Vorbild für die „Nachlassverwaltung“ des BGB dienen sollte.549 Er bot dem Vorbehaltserben die Möglichkeit, die Ermittlung aller Ansprüche und ihre ordnungsgemäße Erfüllung in die Hände und damit in die Verantwortung des Gerichts zu legen.550 Dieses führte zunächst ein Aufgebot der Nachlassgläubiger (einschließlich der Vermächtnisnehmer) durch, das die Zurücksetzung der nicht rechtzeitig angemeldeten Ansprüche zur Folge hatte. Anschließend setzte der Richter, ähnlich einem Konkursverwalter, die Verteilung des Nachlasses durch Urteil fest.551 Der Vorbehaltserbe, der während des Verfahrens Besitz und Verwaltung des Nachlasses behalten durfte, konnte die Umsetzung dieses „Prioritätsurteils“ selbst vornehmen, ebenso aber auch einem gerichtlich zu bestellenden Kurator überlassen. Gegen seinen Willen verlor der Erbe die Verwaltung des Nachlasses nur bei Verdacht einer Gefährdung der Gläubigerrechte.552 Ergab das bei Beginn des Liquidationsprozesses einzureichende Inventar die Insuffizienz des Nachlasses, konnte der Erbe der von den Gläubigern verlangten Konkurseröffnung nicht widerprechen, wenn er die Haftungsbeschränkung nicht verlieren wollte.553 Der Konkurs wurde dann formal im Rahmen des Liquidationsprozesses durchgeführt.554 Nachlassgläubiger konnten den Liquidationsprozess nicht von sich aus eröffnen. Wandte allerdings der Erbe gegenüber der Forderung oder dem Vollstreckungsersuchen eines Gläubigers den Vorbehalt des Inventars ein, ohne den Liquidationsprozess zu aktivieren, so setzte ihm der Richter eine Frist zur Eröffnung; kam er 546 ALR I 9, §§ 452–454. Bornemann, Preußisches Zivilrecht VI, § 422 (312); Wentzel, Die preußische Konkursordnung, 416. 547 Gruchot, Preußisches Erbrecht in Glossen I, Nr. 95 (189); Dernburg, Preußisches Privatrecht III, § 224 (658 Fn. 14). 548 AGO I, 51, §§ 53–98. Näher zum Ablauf des Verfahrens Dernburg, Preußisches Privatrecht III, § 225 (662); Muscheler, in: FS Kroeschell, 751. 549 Dazu unten E.III.3c) (475 ff.). 550 ALR I 9, § 455. Förster/Eccius, Preußisches Privatrecht IV, § 270 (551, 553); Wentzel, Die preußische Konkursordnung, 416. 551 Dieser Schritt war allerdings nicht zwingend, stattdessen konnte der Vorbehaltserbe auch auf seine Stellung verzichten und die weitere Abwicklung selbst besorgen, siehe AGO I 51, §§ 77, 78. Auch an anderen Stellen des Verfahrens wurde der Vorbehaltserbe zu einem solchen Verzicht „eingeladen“, siehe AGO I 51, § 92; I 52, § 7; Förster/Eccius, Preußisches Privatrecht IV, § 270 (550). 552 AGO I, 51, §§ 69–72, 73–76. 553 AGO I, 51, § 6 4. Der Erbe konnte den Nachlasskonkurs offenbar ohne Umweg über den Liquidationsprozess beantragen, siehe oben Fn. 545. 554 Muscheler, in: FS Kroeschell, 751. Für die Masse wurde ein Kurator bestellt, aber dieser konnte auch der Erbe sein. Den Gläubigern kam das Recht zur Auswahl zu: AGO I, 51, § 65.
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dem nicht nach, wurde er der Rechtswohltat des Inventars für verlustig erklärt.555 Festhalten lässt sich damit, dass die preußische Nachlassabwicklung zwar im Ausgangspunkt staatsfernen Charakters war, der erbschaftliche Liquidationsprozess jedoch eine beträchtliche Sogwirkung ausübte. Noch verstärkt wurde diese durch den Umstand, dass der Liquidationsprozess für den Vorbehaltserben die einzige Möglichkeit war, Nachlassgrundstücke zu versilbern (und zwar im Wege öffentlicher Versteigerung).556
II. Reformen und Reformversuche Ermöglichte das skizzierte Regime auf dem Papier auch einen gerechten Ausgleich zwischen Erben- und Gläubigerinteressen, wurde es in der Praxis wegen seiner großen Anfälligkeit für Verzögerungen dennoch als sehr unbefriedigend empfunden, und zwar auch vonseiten der Erblassergläubiger.557 Eine erste Maßnahme zur Beschleunigung der Nachlassabwicklung bestand in einer punktuellen Reform des Zwangsvollstreckungsrechts von 1834, die den Nachlassgläubigern gestattete, mit dem endgültigen Übergang des Nachlasses sofort in diesen zu vollstrecken. Wollte der Erbe dies verhindern, musste er umgehend den Liquidationsprozess einleiten,558 konnte also nicht mehr wie bisher eine richterliche Aufforderung dazu abwarten. Unterließ der Erbe die Einleitung des Liquidationsprozesses, führte dies zwar nicht mehr wie bei Missachtung der gerichtlichen Aufforderung zum Verlust seiner Haftungsbeschränkung. Doch musste er sich so behandeln lassen, als hätte er den betreffenden Gläubiger freiwillig befriedigt, so dass er bei Erschöpfung des Nachlasses später auftretende bevorrechtigte Gläubiger aus eigenen Mitteln bezahlen musste.559 Weitere Defizite des geltenden Rechts wurden durch einen groß angelegten Reformentwurf aus dem Jahr 1835 aufs Korn genommen. So beeinträchtigte die beschränkte Verfügungsmacht des Vorbehaltserben über Grundstücke in der Praxis gerade die Gläubiger, da der Verkauf zum günstigsten Zeitpunkt erschwert wurde.560 Zudem wurde bemängelt, genau wie übrigens schon von Svarez bei Entste-
555 AGO I 51, § 59; Dernburg, Preußisches Privatrecht III, § 2 25 (662); Muscheler, in: FS Kroeschell, 751. 556 AGO I 52, §§ 5, 6. Förster/Eccius, Preußisches Privatrecht IV, § 270 (550). 557 Siehe den Überblick bei Dove, Gutachten, 105–108. Dazu, dass aus Gläubigersicht die geordnete Liquidation aufgrund der mit ihr verbundenen Verzögerungen und Kosten zweischneidiger Natur ist, bereits oben § 4 C.II.3d) (312 ff.). 558 Siehe § 2 der „Verordnung über die Exekution in Zivilsachen“ von 1834 (abgedruckt bei Bornemann, Preußisches Zivilrecht VI, § 422 (313)), wodurch AGO I 24, § 19 aufgehoben wurde. Siehe auch v. Schmitt, Begründung, 1016; Dernburg, Preußisches Privatrecht III, § 225 (662). 559 Muscheler, in: FS Kroeschell, 753. 560 Siehe Schubert/Regge (Hg.), Gesetzrevision II/7, 162, 165, wo ebenso kritisiert wird, dass dem Erben der Abschluss von Vergleichen, die es ihm erlauben würden, Ansprüche wenigstens teilweise zu realisieren, unmöglich gemacht werde. Die rechtliche Grundlage dieses Verbots ist allerdings nicht klar.
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§ 6 Die Vervollkommnung der gesonderten Abwicklung
hung des ALR,561 dass die Furcht vor einer persönlichen Haftung aufgrund nachträglich bekannt werdender Gläubiger den Erben oft ganz unnötig in den Liquidationsprozess trieb, wodurch die Befriedigung der Gläubiger typischerweise „in weite Ferne“ rückte und nicht selten sogar der gesamte Nachlass durch die Kosten des Verfahrens aufgezehrt wurde.562 Von Erfolg gekrönt waren die Reformbemühungen jedoch nur in dem erstgenannten Punkt: Durch eine Verordnung von 1840 erhielt der Vorbehaltserbe die volle Verfügungsbefugnis über Grundstücke, dementsprechend musste seine Eigenschaft auch nicht mehr im Register eingetragen werden.563 Eine Einschränkung der Verfügungsbefugnis erfolgte nur noch im Einzelfall durch gerichtliche Anordnung.564 Im zweitgenannten Punkt scheiterte die Reform hingegen, obwohl der Regelungsvorschlag der radikalen Forderung, zu den erbenfreundlichen Grundsätzen des römischen Rechts zurückzukehren,565 nicht gefolgt war, sondern eine vergleichsweise moderate Änderung vorgesehen hatte. Danach sollte der Vorbehaltserbe sich dadurch von weiteren Forderungen frei machen können, dass er eine neunmonatige Frist abwartete, anschließend eidesstaatlich versicherte, dass ihm keine weiteren Forderungen an die Masse bekannt seien, und sich gerichtlich zur Befriedigung der bekannten Nachlassgläubiger autorisieren ließ. Einen darüber hinausgehenden Schutz der Gläubiger, denen immerhin Saumseligkeit bei der Geltendmachung ihrer Forderungen vorgeworfen werden konnte, hielt der Gesetzesredaktor nicht für erforderlich.566 Das Scheitern seines Vorschlags bedeutete indessen eine fortbestehende Pflicht des Vorbehaltserben zur strengen Beachtung von Forderungsprivilegien, in der man eine den Grundsätzen des ALR widersprechende „übertriebene gesetzliche Fürsorge“ für Gläubigerinteressen erblicken konnte.567 Die preußische Konkursordnung von 1855 führte dann sogar noch zu einer zusätzlichen Belastung des Vorbehaltserben.568 Denn das an die Stelle des bisherigen Liquidationsprozesses tretende „erbschaftliche Liquidationsverfahren“569 räumte 561 Siehe Motive, in: Schubert/Regge (Hg.), Gesetzrevision II/7, 163–166; Bornemann, Preußisches Zivilrecht VI, § 422 (309–311). 562 Wentzel, Die preußische Konkursordnung, 417 (Fn.*). v. Schmitt, Begründung, 1017 (Fn. 1), sah einen erheblichen Mangel des Liquidationsprozesses darin, dass für das Gläubigeraufgebot keine feste zeitliche Grenze vorgesehen war. 563 Bornemann, Preußisches Zivilrecht VI, § 422 (312); Förster/Eccius, Preußisches Privatrecht IV, § 270 (551); Muscheler, in: FS Kroeschell, 754 f. Bereits 1834 war zudem die Regel abgeschafft worden, dass eine öffentliche Versteigerung von Nachlassgrundstücken nur im Rahmen eines Konkurses oder Liquidationsprozesses möglich war, Förster/Eccius, Preußisches Privatrecht IV, § 270 (551). 564 Dernburg, Preußisches Privatrecht III, § 2 24 (659), der aus diesem Grund das Eigentum des Vorbehaltserben immer noch nicht als freies betrachtete, ebd., § 223 (653 Fn 11). 565 Siehe Motive, in: Schubert/Regge (Hg.), Gesetzrevision II/7, 162; siehe auch die bei Dove, Gutachten, 105 f., zitierten Stimmen. 566 Siehe Motive, in: Schubert/Regge (Hg.), Gesetzrevision II/7, 166. 567 So Muscheler, in: FS Kroeschell, 755; dem folgend Osthold, Erben und Haftung, 125. 568 Förster/Eccius, Preußisches Privatrecht IV, § 270 (552 f.); Muscheler, in: FS Kroeschell, 755 f.; Osthold, Erben und Haftung, 121 f. 569 §§ 342–361 preußische KO.
D. Das preußische Recht
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dem Erben nur noch die Möglichkeit ein, ein Gläubigeraufgebot durchzuführen und dadurch die nicht angemeldeten Gläubiger auszuschließen, erlaubte ihm hingegen nicht mehr, die Verwaltung des Nachlasses abzugeben und sich damit von jeder Verantwortung frei zu machen.570 Der Gesetzgeber war davon ausgegangen, dass es mit dem 1840 erfolgten Wegfall der Verfügungsbeschränken des Vorbehaltserben kein Bedürfnis mehr für die über das Gläubigeraufgebot hinausgehenden Elemente des Liquidationsprozesses gab und dieser somit „auf sein wahres Bedürfnis“ zurückgeführt werden konnte.571 Selbst in Fällen, in denen die Überschuldung des Nachlasses feststand, gestattete das neue Gesetz nur den Gläubigern die Eröffnung eines Konkursverfahrens, nicht aber dem Erben,572 so dass dieser mit der womöglich sehr komplexen Abwicklung nun gänzlich allein gelassen wurde. Immerhin stand diesen Belastungen des Erben auch eine wichtige Errungenschaft der preußischen Konkursordnung von 1855 gegenüber: Sie beseitigte das große Übel des bisherigen Rechts, d. h. die Vielzahl unnötig teurer und langwieriger Abwicklungsverfahren. Hierzu trug auch bei, dass das neue Liquidationsverfahren ausschließlich auf Initiative des Erben eingeleitet wurde und die Gläubiger ihn dazu nicht mehr indirekt nötigen konnten.573 Eine wichtige Erweiterung seines Handlungsspielraums erfuhr der Erbe sodann durch die Reichskonkursordnung von 1877, die ihm wieder das Recht einräumte (nicht aber die Pflicht auferlegte), für den überschuldeten Nachlass Konkurs zu beantragen.574 Fortan hatte er bei unzureichender Masse folglich eine Wahl zwischen der ggf. in Verbindung mit einem Gläubigeraufgebot durchgeführten Eigenabwicklung und einer amtlichen Fremdabwicklung. Der Entwurf Gottfried von Schmitts für das Erbrecht des BGB sollte stark an dieses Modell angelehnt sein.575
III. Parallelen zwischen preußischer und englischer Nachlassabwicklung Die Parallelen der preußischen Nachlassabwicklung zum englischen Recht liegen auf der Hand, und ohne Schwierigkeiten könnte man den Vorbehaltserben aus englischer Perspektive auch als personal representative mit Residualbegünstigung betrachten: Er hatte den Nachlass rechtlich inne, war aber nur eingeschränkt verfügungsbefugt und einem umfangreichen Pflichtenprogramm unterworfen. Die oben referierte Bezeichnung des Vorbehaltserben als „Administrator“ unterstreicht die570 Siehe § 345 Abs. 1 preußische KO; Dernburg, Preußisches Privatrecht III, § 2 25 (662); Muscheler, in: FS Kroeschell, 755 f. Das Gläubigeraufgebotsverfahren wurde im Jahr 1879 in zahlreichen Punkten neu geregelt, näher Dernburg, Preußisches Privatrecht III, § 225 (662–665). 571 Wentzel, Die preußische Konkursordnung, 416 f. 572 § 321 preußische KO. Kritisch zu dieser Entscheidung v. Schmitt, Begründung, 1017 (Fn. 1). 573 Dies betonte v. Schmitt, Begründung, 1016, der allerdings auch darauf hinwies, dass AGO I 51, §§ 59, 60 (dazu oben Fn. 555) durch die Konkursordnung von 1855 nicht ausdrücklich aufgehoben worden waren (1017 Fn. 1). 574 § 205 KO 1877; siehe auch v. Schmitt, Begründung, 1016. 575 Muscheler, in: FS Kroeschell, 757; näher unten E.III.1. (459 ff.).
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§ 6 Die Vervollkommnung der gesonderten Abwicklung
se Parallele,576 und ebenso könnte man den preußischen Erben als heres fiduciarius bezeichnen.577 Sucht man nach den Gründen für diese Ähnlichkeit, ist nicht nur ein möglicher Rezeptionsvorgang sogleich zu verwerfen, sondern auch ein vergleichbarer Einfluss der Kirche. Ein verbleibender Unterschied zwischen preußischem und englischem Recht bestand ja denn auch gerade darin, dass der Vorbehaltserbe im Gegensatz zum personal representative nicht einer Aufsicht durch kirchliche oder andere hoheitliche Stellen unterlag, sondern die Einhaltung seiner Pflichten auf privatrechtlichem Wege „überwacht“ wurde, d. h. mittels der Sanktion einer Schadensersatzpflicht gegenüber den Gläubigern. Stattdessen sind Wurzeln der preußichen Nachlassabwicklung in der deutsch rechtlichen Tradition des Mittelalters und ihrer sachgerechten Fortentwicklung zu suchen.578 Gemeint ist damit zunächst, dass die Vorstellung, die Nachlassverbindlichkeiten lasteten lediglich als eine Art „Realschuld“ auf den Aktiva und könnten daher den Erben niemals persönlich treffen,579 zwangsläufig die Behandlung des Nachlasses als Sondervermögen implizierte. Zwar spricht auf den ersten Blick die Rezeption des römischen Instituts der Inventarerrichtung dagegen, dass auch dem preußischen ALR die genannte Konzeption noch zugrunde lag. Doch bedeuteten die Regelungen zur Inventarerrichtung letztlich nur eine „romanistische Einkleidung“ der deutschrechtlichen Tradition.580 Denn anders als unter Justinian war nach dem ALR die Inventarerrichtung gerade nicht Voraussetzung für die Haftungsbeschränkung.581 Stattdessen führte erst das Unterlassen der Inventarerrichtung (die bei Erwerb der Erbschaft nicht ausdrücklich vorbehalten zu werden brauchte582) innerhalb der gesetzlichen Frist von sechs Monaten zur unbeschränkten Haftung des Erben.583 Diese stellte sich somit als Ausnahmefall dar und hatte ihren Grund entweder im ausdrücklich erklärten Willen des Erben oder in der vermuteten „Verdunkelung des Nachlaßbestandes“ und damit im Strafgedanken.584 576
Siehe oben Fn. 530. Zu dieser Charakterisierung des englischen executor oben § 4 C.II.2a) (308 f.). 578 Zu den deutsch-rechtlichen Wurzeln des preußischen Erbrechts näher Osthold, Erben und Haftung, 105–107. 579 Im Kontext des preußischen Rechts Dernburg, Preußisches Privatrecht III, § 221 (646), § 223 (652). Für weitere Nachweise siehe oben § 4 Fn. 37. 580 Dernburg, Preußisches Privatrecht III, § 2 21 (646); ähnlich Casso, Haftung des Benefizialerben, 51 f. („romanistische Erinnerung“). 581 Das preußische Recht wird in diesem Punkt überraschenderweise verkannt von Siber, Referat, 764, 766. 582 Zwar sah ALR I 9, § 413 vor, dass die Annahme der Erbschaft „mit oder ohne Vorbehalt der Rechtswohlthat des Inventarii“ geschehen konnte. Doch musste nach § 414 die Erklärung, eine Erbschaft ohne Vorbehalt annehmen zu wollen, „eine deutliche und bestimmte Entsagung dieser Rechtswohlthat enthalten“ und überdies gegenüber dem Gericht erfolgen (§§ 415, 398, 399). Wer eine Erbschaft stillschweigend annahm oder die Ausschlagungsfrist verstreichen ließ (§ 421), wurde also stets Vorbehaltserbe; dazu Muscheler, in: FS Kroeschell, 744 f. 583 Diese Frist konnte auf Antrag des Erben gerichtlich verlängert werden, ALR I 9, §§ 424, 425. Näher Muscheler, in: FS Kroeschell, 745 f. 584 Dernburg, Preußisches Privatrecht III, § 2 21 (646 f.); Muscheler, in: FS Kroeschell, 745. 577
E. Das deutsche Recht
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Mit der sachgerechten Fortentwicklung dieser deutschrechtlichen Tradition ist sodann gemeint, dass die „automatische“ Behandlung des Nachlasses als Sondervermögen aus Gläubigersicht die Notwendigkeit einer ordnungsgemäßen Verwaltung und Abwicklung entstehen ließ.585 Der Frage, ab wann in der deutschen Rechtstradition die Rolle des Erben als die eines „Administrators“ oder „Liquidators“586 wahrgenommen und in entsprechende Pflicht übersetzt wurde, kann hier ebenso wenig nachgegangen werden, wie der Frage, welchen Einfluss die gemeinrechtliche Literatur hierbei ausübte.587 Jedenfalls bildet das preußische ALR das Ergebnis dieses Entwicklungsprozesses ab.588 Die Charakteristika der englischen Nachlassabwicklung lassen sich demgegenüber gerade nicht auf die deutschrechtliche Tradition des Mittelalters zurückführen.589 Denn das strenge Pflichtenprogramm des executor und seine Überwachung durch die kirchlichen Gerichte galt nicht, oder jedenfalls nicht in erster Linie, der Kompensation seiner beschränkten Haftung, sondern diente vorrangig dem Ziel, den Erblasserwillen zur Durchsetzung zu verhelfen (wovon die Kirche als Empfänger testamentarischer Zuwendungen wiederum profitierte). Die cum viribus-Haftung des personal representative stellt sich aus diesem Blickwinkel daher nicht als notwendiger Ausgangspunkt, sondern als verdiente Belohnung dar.
E. Das deutsche Recht I. Einführung Die Regelung der gesonderten Nachlassabwicklung im BGB ist von einer Ausführlichkeit und Differenziertheit, die alles vorher Dagewesene in den Schatten stellt und auch von keiner nachfolgenden Erbrechtsordnung mehr erreicht worden sein dürfte. Schon der Titel „Haftung des Erben für Nachlassverbindlichkeiten“ (§§ 1967–2017 BGB) umfasst 51 Vorschriften, und darin sind die Regelungen zur Erbengemeinschaft noch gar nicht und die zur Nachlassinsolvenz nur ausschnittsweise enthalten. Die Klage über die außerordentliche Komplexität der Materie ist so alt wie das BGB selbst;590 positive Konnotationen des hohen Differenzierungsgrades sind ausgesprochen selten.591 War Otto von Gierkes im Jahr 1896 zum Zwei585
Siehe hierzu schon im Kontext des beneficium inventarii oben § 4 A.VII.9b) (271 ff.). Siehe oben Fn. 530. Als „Liquidator“ wird der germanische Erbe auch bei Ebel, ZRG (RA) 84 (1967), 254, bezeichnet. 587 Zu dieser Entwicklung oben § 4 Fn. 242. 588 Für das sächsische Recht des 17. Jahrhunderts berichtet Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 20, von einer Abwicklerhaftung des Erben. 589 Siehe oben § 3 B.IV.3. (187 f.), § 4 B.II.2. (286 ff.). 590 Ausführlich unten E.V. (522 ff.). 591 So Rheinstein, Iowa LR 20 (1935), 455: „The German system may appear somewhat complicated. But except perhaps as to some unnecessarily intricate details, such is inevitable for a system which undertakes to state different regulations for different situations of life.“ Als „ausgeklügelt“ bezeichnet die Regelungen Muscheler, Testamentsvollstreckung, 3. 586
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§ 6 Die Vervollkommnung der gesonderten Abwicklung
ten Entwurf geäußerte Klage, „daß noch niemals in der Welt ein so verzwicktes, undurchsichtiges, überkünstliches Recht gegolten hat, wie es hier geschaffen werden soll“,592 zwar auch deutlich subjektiv gefärbt, traf sie in der Sache den Nagel auf den Kopf. Zusätzlich erschwert wird das Verständnis durch eine Gesetzgebungstechnik, die mit zahlreichen Verweisungen und Fiktionen arbeitet und vom Rechtsanwender immer wieder verlangt, Vorschriften zueinander in Bezug zu setzen, die weit voneinander entfernt liegen.593 Bisweilen stehen diese Vorschriften sogar außerhalb des BGB,594 was insbesondere im Fall des Nachlassinsolvenzverfahrens zu der gefährlichen Vorstellung verleitet, es handele sich um eine Sondermaterie, die für das Verständnis des „allgemeinen“ Regimes der Nachlassabwicklung nicht von Bedeutung sei. In Wahrheit aber treten erst im Fall des unzulänglichen Nachlasses die „harten“ Wertentscheidungen des Gesetzgebers zur Nachlassverteilung zu Tage. Dies gilt insbesondere für die Rangverhältnisse unter Nachlassgläubigern.595 Kommt in der großen Detailliertheit des Regimes der Nachlassabwicklung einerseits ein generelles Charakteristikum des BGB zum Ausdruck, nämlich seine im Vergleich etwa zum französischen Code civil, dem österreichischen ABGB oder dem schweizerischen ZGB deutlich höhere Regelungsdichte,596 gibt es für sie andererseits auch sachspezifische Gründe. Die Entwurfsverfasser standen nämlich vor dem Problem, dass die historisch überlieferten Regime der gesonderten Nachlass abwicklung in ihren Augen sämtlich unbefriedigend waren, weil sie entweder als untragbar empfundene rechtsethische Defizite aufwiesen oder als zu schwerfällig betrachtet wurden.597 Die Lösung des Problems wurde schließlich darin gesucht, anstelle eines Pauschalregimes maßgeschneiderte Lösungen für verschiedene Nachlasskonstellationen anzubieten.598 Ungeachtet der vielfältigen und anhaltenden Kritik hat das BGB-Regime der gesonderten Nachlassabwicklung äußerst große Stabilität bewiesen. Eingriffe seitens des Gesetzgebers und der Rechtsprechung sind, soweit sie überhaupt stattfanden, nur punktueller Natur gewesen. Zum Teil ist dies freilich auch dadurch zu erklären, dass die Materie in der Rechtspraxis von Beginn an ein Schattendasein führte.599 592
v. Gierke, Das Bürgerliche Gesetzbuch, 16. Siehe stellvertretend die Kritik von v. Gierke, Das Bürgerliche Gesetzbuch, 16, zum Zweiten Entwurf: „Wie sich das Aufgebotsverfahren mit dem Auschlußurteil, die Nachlaßpflegschaft zum Zwecke der Befriedigung der Nachlaßgläubiger, der Nachlaßkonkurs, die Inventarerrichtung, die aufschiebenden Einreden des Erben und die mancherlei gesetzlichen oder richterlichen Fristen, die bei der Abmessung der Haftung eine Rolle spielen, zu einander verhalten, wird auch ein scharfsinniger Jurist nicht leicht mit Sicherheit ermitteln. Und welches Heer von Fiktionen marschirt in diesem Titel auf!“ Siehe auch Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 65. Aus vergleichender Sicht Murga Fernández, ZEuP 2018, 365 („complex analytical ‚game‘“). 594 Zu diesem Problem bereits Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 44. 595 Siehe insbesondere §§ 324, 327 InsO. 596 Dazu J. P. Schmidt, Zivilrechtskodifikation, 393 f. 597 Ausführlich unten E.III. (459 ff.). 598 Kipp/Coing, Erbrecht, 522; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1187. 599 Siehe bereits oben § 1 C. (15 ff.). 593
E. Das deutsche Recht
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Obwohl die historische Entstehung der geltenden Regelung für ihr Verständnis unverzichtbar ist, empfiehlt es sich angesichts der genannten Komplexität, von der chronologischen Ordnung abzuweichen und in Grundzügen zunächst die heutige Rechtslage darzustellen (II.). Nach eingehender Schilderung des Gesetzgebungsverlaufs (III.) erfolgt dann eine detaillierte Untersuchung der Einzelheiten der gesonderten Nachlassabwicklung im BGB, einschließlich haftungsrechtlicher Sonderkonstellationen (IV.). Dem folgt eine ausführliche Würdigung der am geltenden Recht geübten Kritik und der Vorschläge zu seiner Reform (V. und VI.).
II. Die gesonderte Nachlassabwicklung im Überblick 1. „Amtliche“ und „private“ Abwicklung Als Kontrapunkt zur implizit in § 1967 BGB vorgesehenen confusio bonorum regelt das BGB in den §§ 1975–1992 drei Abwicklungsmodi, bei denen der Nachlass seine Selbständigkeit zumindest teilweise behält oder wiedererlangt: die (unglücklich betitelte600) Nachlassverwaltung, das Nachlassinsolvenzverfahren und die Abwicklung bei dürftigem oder überbeschwertem Nachlass. 601 Diese Verfahren sind gesetzgebungstechnisch sämtlich auf den Fall des Alleinerben zugeschnitten, für den sie wegen der Rechtsfolge der gegenständlich beschränkten Haftung602 auch besonders bedeutsam sind. Auf Miterben, die bis zur Teilung per se in den Genuss der Einrede aus § 2059 Abs. 1 S. 1 BGB kommen, finden die genannten Verfahren mit Modifizierungen Anwendung.603 a) Die zwei Modi der amtlichen Abwicklung Die ersten zwei Modi der gesonderten Nachlassabwicklung, nämlich die Nachlassverwaltung604 (die nach der Legaldefinition des § 1975 BGB eine Unterart der Nachlasspflegschaft ist) 605 und das Nachlassinsolvenzverfahren606 (bis 1998: 600
Siehe schon oben § 1 F.II.1b)(2) (70). Kunz, ErbR 2020, 320, demgegenüber meint, dass „dem BGB ein rechtlich verselbständigter Nachlass iSe Sondervermögens jedenfalls bei Alleinerbschaft unbekannt“ sei, trifft dies einzig für den gesetzessystematischen Ausgangspunkt zu. 602 Diese Einordnung ist unstreitig, siehe etwa Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 33; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3489. Binder, Erbrecht, 77, betont zugleich, dass nicht lediglich eine Sachhaftung vorliegt, weil der Erbe zur vollen Leistung verpflichtet bleibt und allein die Vollstreckung in sein Eigenvermögen abwenden kann. Unverständlich ist, wieso Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 3 angibt, das BGB folge „dem Modell der rechnerisch beschränkbaren Haftung“. Eine solche Haftung mit dem Wert des Nachlasses sieht das deutsche Recht nur in Ausnahmefällen vor, etwa beim Kostenersatzanspruch des Sozialhilfeträgers gegen den Erben (dazu unten E.IV.5c) (519 f.)). 603 Dazu unten E.II.4. (455 ff.). 604 §§ 1975–1988 BGB. 605 §§ 1960–1962 BGB, dazu auch unten E.II.2. (450 ff.). Subsidiär finden deshalb auf die Nachlassverwaltung wie auf jede andere Form der Pflegschaft die Vorschriften über die Vormundschaft Anwendung (§§ 1915 Abs. 1 S. 1, 1793 ff. BGB), siehe Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3544. 606 §§ 1975–1980, 1989 BGB, §§ 315–331 InsO. 601 Wenn
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§ 6 Die Vervollkommnung der gesonderten Abwicklung
Nachlasskonkursverfahren), sind nach der häufigen Charakterisierung im Schrifttum amtlicher Natur. 607 Damit wird deutlich gemacht, dass die betreffenden Verfahren in hohem Maße formalisiert und institutionalisiert sind. Zwar wird die Abwicklung nicht wie z. B. im früheren österreichischen Recht unmittelbar vom Gericht vorgenommen, doch wird die zuständige natürliche Person608 gerichtlich sowohl ernannt als auch in ihrem Tun überwacht. Überdies werden beide Verfahren durch eine publik zu machende Gerichtsentscheidung eröffnet und in der Regel auch durch eine solche Entscheidung wieder beendet. 609 Nach der hier zugrunde gelegten Taxonomie610 handelt es sich um Verfahren der staatsnahen gesonderten Fremdabwicklung. Nachlassverwaltung und Nachlassinsolvenzverfahren weisen damit eine große strukturelle Ähnlichkeit auf und gründen überdies auf einem gemeinsamen Regelungsstamm. Bei funktionaler Betrachtung führen die beiden Verfahren je nachdem, ob sie mit oder ohne den Willen des Erben angeordnet werden, dazu, dass der Erbe seine Abwicklerrolle (nicht aber seine Erbenstellung im Ganzen!) entweder ausschlägt oder er von ihr abberufen wird. Ganz aus dem Spiel ist der Erbe damit allerdings nicht. Denn nach § 1978 Abs. 1 S. 1 BGB muss er sich für seine bisherige Abwicklung rückwirkend als „Beauftragter“ behandeln lassen, was nicht nur Auskunfts- und Rechenschaftspflichten mit sich bringen kann, sondern auch eine Schadensersatzhaftung.611 Ungeachtet dieser Gemeinsamkeiten sind die beiden Verfahren der amtlichen Abwicklung auf unterschiedliche Konstellationen zugeschnitten. So ist das Nachlassinsolvenzverfahren einschlägig bei Nachlässen, die erkanntermaßen überschuldet sind. Die Eröffnung geschieht zwar nicht von Amts wegen, wird dem Erben aber zur schadensersatzbewehrten Pflicht gemacht612 und im Übrigen in das Belieben der Nachlassgläubiger gestellt. 613 Zu dem Zweck, eine unwirtschaftliche Verschleuderung überschuldeter Nachlässe insbesondere dort zu vermeiden, wo ein Unternehmen zur Erbmasse gehört, sah die bis 1999 in 607 Siehe etwa Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 143; MüKoBGB/Küpper, § 1975 Rn. 1; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3519, 3543. 608 Für den Nachlassinsolvenzverwalter ergibt sich der Ausschluss juristischer Personen explizit aus § 56 Abs. 1 S. 1 InsO, für den Nachlassverwalter implizit aus § 1779 BGB, der über § 1915 BGB Anwendung findet. Für eine analoge Anwendung des § 56 InsO dagegen Roth/Pfeuffer, Nachlassinsolvenzverfahren, 298. 609 Siehe für die Nachlassverwaltung §§ 1981, 1983 BGB, 38 FamFG (Anordnung) sowie §§ 1915 Abs. 1 S. 1, 1919 BGB (Aufhebung). § 1988 Abs. 1 BGB ist der einzige Fall, in dem die Nachlassverwaltung ipso iure endet. Näher zum Ganzen Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3555, 3617 f. Für das Nachlassinsolvenzverfahren siehe §§ 317, 9, 27, 30 InsO (Eröffnung) sowie §§ 200 Abs. 1, 207, 211–213 InsO (Aufhebung und Einstellung), näher dazu Strauß, Der notleidende Nachlass, 14 f. 610 Siehe oben § 1 G.II. (86 ff.). 611 Näher unten § 7 C.II.2. (620 ff.). 612 § 1980 Abs. 1 S. 1 und 2 BGB. Ein Straftatbestand der Insolvenzverschleppung exisiert hingegen nicht, da § 15a Abs. 4 InsO nur die Insolvenz einer juristischen Person betrifft. 613 § 317 Abs. 1 InsO.
E. Das deutsche Recht
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Kraft stehende Vergleichsordnung von 1935 ein besonderes Verfahren zur Abwendung des Nachlasskonkurses vor.614 Der Erbe behielt dabei die Abwicklungsbefugnis, wurde aber von einem gerichtlich bestellten Vergleichsverwalter überwacht.615 Ein in dem Verfahren geschlossener Vergleich hatte in Ansehung der Haftung des Erben dieselben Wirkungen wie der Nachlasskonkurs und ein im Konkursverfahren geschlossener Zwangsvergleich.616 Die Insolvenzordnung von 1994 führte die Zusammenfassung von Konkurs- und Vergleichsverfahren auch für das Erbrecht herbei, stellt jedoch mit dem Insolvenzplan617 und der Eigenverwaltung des Erben unter der Aufsicht eines Sachwalters618 Lösungen bereit, die als funktionsäquivalent zum früheren Vergleichsverfahren betrachtet werden können.619
Die Nachlassverwaltung hingegen, deren Anordnung vom Gesetz niemals eingefordert, sondern Erben und Nachlassgläubigern stets nur angeboten wird, hat Fälle im Visier, in denen der Nachlass nach gegenwärtigem Kenntnisstand zwar nicht überschuldet ist, die integrierte Abwicklung durch den Erben jedoch aus anderen Gründen unerwünscht ist. Aus Sicht der Nachlassgläubiger ist dies dort der Fall, wo entweder die Vermögenslage des Erben oder sein Verhalten ihre Interessen zu beinträchtigen droht. 620 Das an eine Frist von zwei Jahren ab Annahme der Erbschaft geknüpfte Recht zur Beantragung der Nachlassverwaltung621 findet sein offenkundiges historisches Vorbild im römischen beneficium separationis. 622 Die Parallele mit dem römischen Recht besteht auch im Hinblick auf die Behandlung der Eigengläubiger des Erben: Diese profitieren reflexartig von einer durch den Erben oder die Nachlassgläubiger herbeigeführten Absonderung des Nachlasses, haben aber kein eigenes Antragsrecht.623 Im Schrifttum wird dies mit dem schon von Ulpian genannten624 und auch im französischen Kontext angetroffenen Argument625 begründet, dass es jedem Schuldner freistehe, seine Gläubiger durch Eingehung neuer Verbindlichkeiten in eine schlechtere Lage zu bringen.626 Freilich findet sich auch die Forderung nach Gewährung eines eigenständigen Antragsrechts.627
614 § 113 VglO. Zu den Einzelheiten des Nachlassvergleichsverfahrens Kipp/Coing, Erbrecht, 559; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 1155, 1158. 615 §§ 39, 40 VglO. 616 § 113 Nr. 4 VglO. 617 § 217–269 InsO; dazu im erbrechtlichen Kontext Gottwald/Döbereiner, § 116. 618 §§ 270–285 InsO, dazu auch unten E.IV.2a)(3) (489). 619 Zu den Kontinuitäten zwischen Vergleichsordnung und Insolvenzordnung in Bezug auf Nachlässe Staudinger/Marotzke (2010), § 1975 Rn. 9 f.; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1254. 620 § 1981 Abs. 2 S. 1 BGB. 621 § 1981 Abs. 2 S. 2 BGB. 622 Protokolle V, 821 f., wo allerdings das Recht der Nachlassgläubiger, im Falle des überschuldeten Nachlasses den Konkurs zu beantragen, ebenfalls als Geltendmachung des beneficium separationis bezeichnet wird. 623 Dazu unten E.IV.2a)(1) (486 f.). Zum römischen Recht oben § 4 A.V. (257 ff.). 624 Siehe oben § 4 A.V.3. (259 f.). 625 Siehe oben Fn. 423. 626 Siehe Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3502. 627 Siehe Windel, Modi der Nachfolge, 466, mit dem Argument, dass die Verschmelzung von Vermögensmassen eine andere Qualität als die punktuelle Begründung neuer Verbindlichkeiten habe. Kritisch auch Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 33.06, der von dem in der Praxis gewählten Ausweg berichtet, bei Insolvenz des Erben ein Gesamtinsolvenzverfahren zu eröffnen, in dem
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§ 6 Die Vervollkommnung der gesonderten Abwicklung
Für den Erben hingegen ist zwar der Antrag auf Anordnung der Nachlassverwaltung weder an Tatbestandsvoraussetzungen geknüpft noch an eine zeitliche Frist,628 doch standen dem Gesetzgeber auch hier bestimmte Situationen vor Augen.629 So kann dem Erben bei Nachlässen, deren Zulänglichkeit sich nicht sicher beurteilen lässt, daran gelegen sein, das Risiko einer unbeschränkten Haftung auszuschließen, bei besonders verwickelten Nachlassverhältnissen ferner daran, sich den Mühen der Abwicklung zu entziehen. Aus Erbensicht erfüllt die Nachlassverwaltung damit die Funktionen des römischen beneficium inventarii und des preußischen Liquidationsprozesses. Ebenso lässt sich der Unterschied zum römischen Recht so erklären, dass das BGB an die Stelle des beneficium inventarii das beneficium separationis des servus cum libertate gesetzt und auf sämtliche Erben erstreckt hat. b) Die private Abwicklung Der dritte Modus der gesonderten Nachlassabwicklung trägt keinen offiziellen Namen, weil der Gesetzgeber ihn von der bedeutendsten Rechtsfolge her konzipiert hat, nämlich der dem Erben gewährten Einrede der Haftungsbeschränkung. Das Schrifttum spricht im Gegensatz zu den amtlichen Verfahren von dem Verfahren der privaten Abwicklung, 630 weil der Erbe diese in eigener Regie, frei von gerichtlicher Aufsicht und unter stark erleichterten Anforderungen vornehmen kann (§§ 1990–1992 BGB). Um den Unterschied zur integrierten Abwicklung durch den Alleinerben deutlich zu machen, die auch bzw. erst recht die genannten Merkmale aufweist und damit ebenfalls privater Natur ist, sollte vom privaten Verfahren der gesonderten Abwicklung gesprochen werden, oder von der gesonderten Eigenabwicklung. Hauptanwendungsfall der §§ 1990, 1991 BGB ist der Nachlass, dessen Aktiva so geringwertig oder dürftig631 sind, dass sie nicht einmal die Kosten für eine Nachdann der Insolvenzverwalter anstelle des Erben die Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens beantragt. 628 Entgegen Wacke, JZ 2001, 386, bedarf es auch nicht der Darlegung eines Rechtsschutzbedürfnisses. Wie hier Finkenauer, in: FS Picker, 203. 629 Denkschrift BGB, 853; Binder, Erbrecht, 74. Ausführlich zur Aufnahme der Nachlassverwaltung in das BGB unten E.III.3c) (475 ff.). 630 Für eine solche Klassifikation etwa Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1187, 1268; Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 67; Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 170, spricht von „Privatliquidation“, Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3520, von „Privatabsonderung“ (Letzterer fasst darunter allerdings auch die Fälle des Gläubigerausschlusses durch Aufgebot oder Zeitablauf). 631 Das Attribut „dürftig“ findet sich nicht im Gesetz selbst, ist aber seit Langem zur Kennzeichnung entsprechender Nachlässe gebräuchlich. Seit 2001 wird § 1990 BGB auch offiziell mit der „Dürftigkeitseinrede“ betitelt. Mitunter ist der Begriff „dürftiger Nachlass“ allerdings auch auf scharfe Kritik gestoßen, siehe unten Fn. 1340. Dernburg/Engelmann, Das bürgerliche Recht V, § 170 (490) sprachen noch vom „ärmlichen“ Nachlass. Unglücklich ist es jedenfalls, wenn manche Autoren stattdessen vom „unzulänglichen Nachlass“ sprechen (so etwa Kipp/Coing, Erbrecht, 560; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1268). Denn das BGB meint, wenn es von der „Zulänglichkeit des Nachlasses“ spricht, dass die Aktiva die Passiva übersteigen, der Nachlass also solvent ist. Dieser Terminologie folgt auch das ganz überwiegende Schrifttum.
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lassverwaltung oder ein Nachlassinsolvenzverfahren decken würden. 632 Um zu vermeiden, dass der Erbe in dieser Situation zur Abwendung seiner unbeschränkten Haftung entweder die Erbschaft ausschlagen oder eigene Mittel opfern muss,633 aber auch im Interesse der Nachlassgläubiger, die von einem durch die Verfahrenskosten gänzlich erschöpften Nachlass nichts hätten, ermöglicht das BGB dem Erben, mittels Erhebung der „Dürftigkeitseinrede“ die Nachlassgläubiger von seinem eigenen Vermögen fernzuhalten und ihre Ansprüche nach Vorgaben zu erfüllen, die gegenüber einem Nachlassinsolvenzverfahren deutlich erleichtert sind (daher auch die Rede von einem „Privatkonkurs“634). Im Fall der Überschuldung des Nachlasses ist der Erbe folgerichtig von der Insolvenzantragspflicht befreit. 635 Für seine Abwicklung muss er sich aber nach § 1978 BGB wie ein Beauftragter verantworten. Einen modifizierten und sachlich beschränkten Anwendungsfall der gesonderten Eigenabwicklung bildet der Nachlass, der durch Verpflichtungen aus Vermächtnissen und Auflagen überschuldet ist.636 Der Erbe erhält in diesem Fall die „Überbeschwerungseinrede“ (auch genannt „Überlastungseinrede“637). c) Zusammenschau Stellt man die expliziten oder impliziten Anwendungsvoraussetzungen der verschiedenen Modi der gesonderten Nachlassabwicklung nebeneinander, ergibt sich folgendes Gesamtbild:638 − Ist der Nachlass dürftig, kann der Erbe in Eigenregie ein vereinfachtes Verfahren der gesonderten Nachlassabwicklung durchführen. − Ist der Nachlass aufgrund von Vermächtnissen und Auflagen überschuldet, kann der Alleinerbe hinsichtlich der daraus resultierenden Verbindlichkeiten das vereinfachte Verfahren der gesonderten Nachlassabwicklung anwenden. − Ist der Nachlass erheblich, aber überschuldet, kommt es auf Antrag des Erben oder eines Nachlassgläubigers zur gesonderten Nachlassabwicklung durch den Insolvenzverwalter. 639 − Ist der Nachlass erheblich, aber nicht überschuldet, kommt es auf Antrag des Erben oder eines Nachlassgläubigers zur gesonderten Nachlassabwicklung durch den Nachlassverwalter. 632
Für Einzelheiten siehe den Wortlaut des § 1990 Abs. 1 S. 1 BGB. Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3657; Fischinger, Haftungsbeschränkung, 165. 634 Binder, Rechtsstellung II, 52, 249; Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 48. 635 Dies ist ungeachtet des Schweigens des § 1980 BGB anerkannt, siehe MüKoInsO/Siegmann, § 317 Rn. 7 m. w. N.; Staudinger/Marotzke (2010), § 1980 Rn. 7 (= Staudinger/Dobler (2020), § 1980 Rn. 7). 636 § 1992 BGB, der auf die §§ 1990, 1991 BGB verweist. 637 Siehe etwa Roth, Einrede, 60. 638 Mit graphischer Veranschaulichung Ehrenkönig, Erbenhaftung, 79–83. 639 Zum Sonderfall, dass über das Vermögen des Erblassers bereits zu Lebzeiten ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde, monographisch Fischinger, Beschränkung der Erbenhaftung in der Insolvenz; siehe auch Geitner, Der Erbe in der Insolvenz, 223–280. 633
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§ 6 Die Vervollkommnung der gesonderten Abwicklung
Eine integrierte Nachlassabwicklung durch den Alleinerben ist nach allem nur für den Fall vorgesehen, dass der Nachlass erheblich und zulänglich ist und weder der Erbe noch ein Nachlassgläubiger die Nachlassverwaltung beantragt hat. Um dem Erben die ungestörte Entscheidung über sein Vorgehen zu ermöglichen, gewährt das BGB ihm insbesondere die Dreimonatseinrede des § 2014 BGB. 640 2. Nachlasspflegschaft und Testamentsvollstreckung als weitere Modi der gesonderten Abwicklung? Man könnte meinen, dass der vorgestellte Überblick unvollständig sei, weil er zu zwei Figuren schweigt, die ebenfalls die Aufgabe der Nachlassabwicklung wahrnehmen können und dies in der Praxis sogar mindestens so häufig tun wie ein Nachlassverwalter oder ein Nachlassinsolvenzverwalter. 641 Gemeint ist zum einen der Nachlasspfleger, dem insbesondere die steigende Zahl vereinsamt sterbender Erblasser einen traurigen Bedeutungsgewinn verschafft hat, 642 zum anderen der Testamentsvollstrecker in Gestalt des Abwicklungsvollstreckers. 643 Doch ist die geordnete Verteilung der Nachlasswerte in beiden Fällen nur Nebenprodukt anderer Zielsetzungen, so dass es sich nicht um eigenständige Abwicklungsmodi handelt. Für die Nachlasspflegschaft zeigt dies schon der bruchstückhafte und in erster Linie auf Vermögenssicherung ausgerichtete Rechtsrahmen,644 ferner auch der Umstand, dass der Nachlasspfleger als Vertreter des Erben agiert645 und damit innerhalb des für diesen geltenden Rahmens. Der Nachlasspfleger muss daher, wenn die Aufgabe der Nachlassabwicklung wie häufig an ihm „hängen bleibt“,646 ggf. von den dazu vorgesehenen Verfahren Gebrauch machen. 647
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Dazu ausführlich unten § 7 C.III. (629 ff.). Siehe etwa Nöll, ZEV 2015, 612: Nachlasspflegschaft sehr oft, Nachlassverwaltung selten. 642 Siehe W. Zimmermann, Nachlasspflegschaft, Vorwort: „Immer öfter sterben ältere Menschen vereinsamt und ohne Kontakt mit Angehörigen, aber mit beträchtlichem Vermögen; noch mehr Nachlässe sind allerdings mittellos oder verschuldet“. Zu Zahlen ebd., Rn. 4. Die gestiegene Zahl der Nachlasspflegschaften hebt auch Schulz/Schulz, Handbuch Nachlasspflegschaft, V, hervor. Genaue Zahlen sind indessen schwierig zu ermitteln, siehe Beck, Erbenermittlung in Deutschland, 104–106. Moser, in: Sitzungsbericht, L 240–242, beklagt dennoch, dass von der Nachlasspflegschaft noch zu wenig Gebrauch gemacht werde. 643 Siehe zur Abwicklungsvollstreckung schon oben § 1 F.II.1a) (68 ff.). 644 §§ 1960–1962 BGB. Die Ungeeignetheit für Abwicklungszecke betont Nöll, ZEV 2015, 612. Monographisch zu den daraus resultierenden Gefahren für die Interessen der Nachlassgläubiger Kaltwasser, Der überschuldete Nachlass. Zur Erbenermittlungspflicht des Nachlasspflegers K. W. Lange, AcP 220 (2020), 197–199. 645 Zu dieser weitgehend unstreitigen dogmatischen Einordnung des Nachlasspflegers BGHZ 49, 1 (5); Röthel, Erbrecht, § 27 Rn. 6 4; W. Zimmermann, Nachlasspflegschaft, Rn. 1. 646 Dies beklagte schon Bode, DJ 1935, 1409 f.; bestätigend Höver, DJ 1935, 1700. 647 Zwar steht dem Nachlasspfleger nach h. M . nicht die Befugnis zur Beantragung der Nachlassverwaltung zu (kritisch W. Zimmermann, Nachlasspflegschaft, Rn. 402), doch kann er sich beispielsweise auf §§ 1990, 1991 BGB berufen, ein Gläubigeraufgebot durchführen oder Antrag auf Nachlassinsolvenz stellen (§ 317 Abs. 1 InsO); siehe etwa Schulz/Schulz, Handbuch Nachlass pflegschaft, § 9 Rn. 39–152; W. Zimmermann, Nachlasspflegschaft, Rn. 567–601. 641
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Weniger offensichtlich ist die Situation hinsichtlich des Abwicklungsvollstreckers. Denn für ihn sieht das BGB ausdrücklich vor, dass er die letztwilligen Verfügungen zur Ausführung bringt, die Auseinandersetzung unter Miterben betreibt und den Nachlass verwaltet, wozu nach allgemeinem Verständnis auch die Schuldentilgung zählt. 648 Und doch liegt der Zweck der Abwicklungsvollstreckung nicht im Schutz der Nachlassgläubiger, sondern in der Verwirklichung des Erblasserwillens. 649 Dies zeigt sich insbesondere darin, dass Nachlassgläubiger ihre Forderungen zwar gegenüber dem Testamentsvollstrecker geltend machen können650 (und für die Zwangsvollstreckung in den Nachlass sogar einen Titel gegen diesen benötigen651), der Testamentsvollstrecker aber im Unterschied zum Erben, zum Nachlassverwalter und zum Nachlassinsolvenzverwalter keiner Abwicklerhaftung im Außenverhältnis unterliegt,652 sondern grundsätzlich nur im Innenverhältnis, also dem Erben gegenüber verantwortlich ist. 653 Zudem ist die Testamentsvollstreckung für den Erben auch nicht mit einer Haftungsbeschränkung verbunden, 654 so dass dieser zu seinem Schutz von den Verfahren der gesonderten Nachlassabwicklung Gebrauch machen muss. 655 Was schließlich die automatische Abschirmung des Nachlasses gegenüber dem Zugriff der Erbeneigengläubiger angeht, 656 dient sie der Abwehr von Störungen der Testamentsvollstreckung und nur reflexhaft den Interessen der Nachlassgläubiger. 657 Deutlich wird damit auch, dass der Abwicklungsvollstrecker des BGB und der englische executor ungeachtet ihrer gemeinsamen historischen Wurzeln keine deckungsgleichen Rechtsfiguren sind. Denn wenngleich dem executor ebenso die Erfüllung des Erblasserwillens zur Aufgabe gemacht ist, ist er vorrangig den Nachlassgläubigern verantwortlich (zudem ist er jedenfalls latent der gerichtlichen Aufsicht unterworfen, anders als der deutsche
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§§ 2203–2205 BGB. Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 39; Muscheler, Testamentsvollstreckung, 10; Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 63, 229 f., 267–269. 650 § 2 213 Abs. 1 BGB, siehe etwa Röthel, Erbrecht, § 35 Rn. 47. 651 § 748 ZPO. 652 § 1978 BGB; § 1985 Abs. 2 S. 1 BGB; § 60 Abs. 1 S. 1 InsO. 653 § 2 219 BGB, siehe Offergeld, Rechtsstellung, 177–179; Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 233–237. Eingehend mit Ausbauvorschlägen Muscheler, Testamentsvollstreckung, 173–246 (kritisch dazu Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 238–241); Quast, Unternehmensfortführung durch Testamentsvollstrecker und Insolvenzverwalter, 195–224, 239–248, der unter Vergleich zum Kapitalgesellschaftsrecht für eine analoge Anwendung der §§ 1985 Abs. 2, 1979, 1980 BGB auf den Testamentsvollstrecker plädiert. 654 Dazu Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3494 („asymmetrische Haftungslage“); Fischinger, Haftungsbeschränkung, 183–185. Eingehend Muscheler, Testamentsvollstreckung, 103–106. 655 Dies wird bestätigt durch § 2 206 Abs. 2 BGB. Siehe Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 39 f.; Dauner-Lieb, in: FS Gaul, 102; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 2818, 3589–3594. Zu den Vorschlägen einer anfänglichen Haftungsbeschränkung des Erben und der Verteidigung des geltenden Regimes Muscheler, Testamentsvollstreckung, 106–108. 656 § 2 214 BGB. 657 Fischinger, Haftungsbeschränkung, 184, 233 f.; Löhnig, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 26 f. Eingehend Muscheler, Testamentsvollstreckung, 11, 95–103, 404 f. 649
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Testamentsvollstrecker658). Der executor ist mit anderen Worten nicht nur in funktionaler, sondern auch in rechtlicher Hinsicht Nachlassabwickler.
Indem nun das BGB dem Testamentsvollstrecker ermöglicht, wie ein Abwickler zu agieren, ohne ihn jedoch umfassend als solchen zu behandeln, 659 drohen schwerwiegende Friktionen mit dem „regulären“ Regime der Nachlassabwicklung. 660 Verschärft wird das Problem durch das „wenig durchdachte“661 Institut der Dauertestamentsvollstreckung,662 die in einer von den allgemeinen Vorschriften nicht berücksichtigten Weise dazu führen kann, dass noch Jahre oder Jahrzehnte nach dem Erbfall neue Nachlassverbindlichkeiten entstehen. 663 Virulent wird die Thematik insbesondere dort, wo ein im Nachlass enthaltenes einzelkaufmännisches Unternehmen unter Dauertestamentsvollstreckung gestellt werden soll. Wegen befürchteter Lücken im Gläubigerschutz hält die h. M. eine solche Maßnahme denn auch nicht für zulässig. 664 Soll der Testamentsvollstrecker das Geschäft fortführen, muss er dies entweder im eigenen Namen tun (sog. „Treuhandlösung“) oder als Vertreter des Erben (sog. „Vollmachtlösung“). 665 Die kohärente und an sich auch naheliegende Lösung hätte darin bestanden, die Abwicklungsvollstreckung genauso auszugestalten wie die Nachlassverwaltung. Dies hätte es sogar erlaubt, beide Institute zu einem zusammenzufassen, denn der einzig verbleibende Unterschied hätte in der Art und Weise der Ernennung des Abwicklers gelegen (testamentarisch/gerichtlich). 666 Zugleich überrascht es nicht, dass die Verfasser des BGB davor zurückschreckten, dem Institut der Testamentsvollstreckung seine begriffliche und regulatorische Selbständigkeit zu nehmen. Denn nicht nur hätte dies die Überwindung einer jahrhundertelangen Tradition erfordert, auch wäre das Institut der Dauervollstreckung infrage gestellt worden.
658 Muscheler, Testamentsvollstreckung, 8; ders., Erbrecht II, Rn. 3611; Löhnig, in: Testamentsvollstreckung in Europa, 20–24. 659 Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 63, spricht von einem „Zusammentreffen verschiedener Formen der Nachlaßsonderung“ (siehe auch ebd., 267, 345 Fn. 9 0). 660 Eingehend Muscheler, Testamentsvollstreckung, 117–172. 661 Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 409. 662 Dazu schon oben § 3 C.I. (197 f.). 663 Muscheler, Testamentsvollstreckung, 3 f. 664 Erstmals RGZ 132, 138; Röthel, Erbrecht, § 35 Rn. 57. Eingehend und für die Überwindung des herrschenden Dogmas plädierend Muscheler, Testamentsvollstreckung, 285–428; Quast, Unternehmensfortführung durch Testamentsvollstrecker und Insolvenzverwalter, 27–60. Für das Festhalten an der h. M. und ihrer argumentativen Untermauerung Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 270–327. Zu betonen ist, dass sich die Frage, ob ein im Nachlass befindliches einzelkaufmännisches Handelsgeschäft als „Handelsgeschäft mit beschränkter Haftung“ fortgeführt werden kann, auch unabhängig von der Anordnung einer Testamentsvollstreckung stellt, siehe unten E.IV.5a) (516 ff.). 665 Muscheler, Testamentsvollstreckung, 285 f.; Röthel, Erbrecht, § 35 Rn. 58. 666 So im zeitlichen Kontext des Zweiten Entwurfs der Vorschlag von Bernhöft, Zur Reform des Erbrechts, 120 f., 124, der sogar dem Gericht die Befugnis einräumen wollte, die Befähigung und Zuverlässigkeit der vom Testator ernannten Person zu überprüfen.
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3. Die Rolle von Gläubigeraufgebot und Inventar Ergänzt wird das skizzierte System der Nachlassabwicklung durch zwei Rechts institute, die die integrierte und die gesonderte Nachlassabwicklung gewissermaßen überwölben: das Aufgebot der Nachlassgläubiger667 und die Inventarerrichtung. 668 Beide dienen in erster Linie der Aufklärung der Nachlassverhältnisse, können in zweiter Linie aber Konsequenzen für die Haftung des Erben haben. So ermöglicht die öffentliche gerichtliche Aufforderung zur Anmeldung von Ansprüchen669 dem Erben nicht nur, die bestehenden Nachlassverbindlichkeiten zu ermitteln und so die Grundlage für eine informierte Entscheidung über die Einleitung einer gesonderten Abwicklung zu schaffen (was auch vor dem Hintergrund einer möglichen Haftung aus §§ 1978 Abs. 1, 1980 Abs. 1 S. 2 BGB von Bedeutung ist). 670 Auch erlangt der Erbe neben einer vorübergehenden Einrede671 das Recht, den Nachlass gegenüber den nicht rechtzeitig gemeldeten Gläubigern unter für ihn sehr günstigen Bedingungen gesondert abzuwickeln. Da es gegenüber den rechtzeitig gemeldeten Gläubigern im Ausgangspunkt bei der Vollhaftung des Erben bleibt, nimmt die Nachlassabwicklung also ausnahmsweise hybriden Charakter an. 672 Dieselben Rechtsfolgen können auch durch bloßen Zeitablauf eintreten: Macht ein Nachlassgläubiger seine Forderung gegenüber dem Erben später als fünf Jahre nach dem Erbfall geltend und ist die Forderung dem Erben nicht vorher bekannt geworden, steht der Nachlassgläubiger einem durch Aufgebot ausgeschlossenen Gläubiger gleich. 673 Die Errichtung eines Inventars hingegen führt, anders als etwa im gemeinen oder im französischen Recht, keine Haftungsbeschränkung herbei, sondern bringt dem Erben lediglich eine Vermutung der Vollständigkeit, 674 deren praktischer Wert überdies bezweifelt wird. 675 Das stets unter amtlicher Mitwirkung zu errichten667 §§ 1970–1973 BGB, §§ 433–441, 454–464 FamFG. Näher zum verfahrensrechtlichen Rahmen Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3691–3699. 668 §§ 1993–2013. Für einen Überblick Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 4 4–56. 669 Näher zur Definition des Aufgebotsverfahrens Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3688. 670 BGH ZEV 2017, 37 (Tz. 29); Denkschrift BGB, 856, wo auf „die bewährten Vorschriften des preußischen Gesetzes vom 28. März 1879“ verwiesen wird; Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 180; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3689. 671 § 2015 BGB. 672 Fischinger, Haftungsbeschränkung, 157 spricht von einer „quasi punktuellen Haftungsbeschränkung gegenüber einzelnen Gläubigern“ (Hervorhebung im Original), wobei der Sinn der Einschränkung („quasi“) unklar bleibt. Von einer „relativ haftungsbeschränkende[n] Wirkung“ spricht Osthold, ErbR 2016, 673 (Hervorhebung im Original). 673 § 1974 BGB, „Verschweigungseinrede“. 674 § 2009 BGB, siehe Herzog, Erbenhaftung, § 7 Rn. 13. 675 Dass § 2009 BGB dem Erben irgendeinen beweisrechtlichen Vorteil bringt, der über die allgemeinen Vorschriften hinausgeht, bestreitet van Venrooy, AcP 186 (1986), 369–384, dem zufolge sich die Existenz der Vorschrift nur aus der verwickelten Entstehungsgeschichte der Regelungen zum Inventar (dazu unten E.III.1. (459 ff.)) heraus erklären lässt (389). Zum Versuch, § 2009 BGB durch geänderte Auslegung einen Sinn zu geben, ebd., 390–406. Weitestgehend für eine „bloße Chimäre“ hält die Beweiserleichterung des § 2009 BGB auch Osthold, ErbR 2016, 613 f.
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de676 Inventar dient nach der Konzeption des BGB daher vor allem den Interessen der Nachlassgläubiger:677 Diese erhalten – in Verbindung mit ihrem Einsichtsrecht678 – erstens eine tatsächliche Übersicht über den Nachlassbestand,679 so dass sie nicht nur wissen, welche Gegenstände im Fall einer bereits erfolgten oder später noch herbeigeführten Haftungsbeschränkung ihrem Vollstreckungszugriff unterliegen,680 sondern auch leichter einen eventuellen Ersatzanspruch wegen nachträglicher Verschlechterung geltend machen können.681 Zweitens ist das Inventar eine „Angriffswaffe“ der Nachlassgläubiger,682 da sie dem Erben eine gerichtliche Frist zu dessen Errichtung setzen können,683 deren Versäumnis ebenso wie die bewusst fehlerhafte Errichtung684 die endgültig unbeschränkte Haftung herbeiführt, 685 und zwar gegenüber sämtlichen Nachlassgläubigern. 686 Selbst wenn also der Nachlass dürftig ist, später noch eine Nachlassverwaltung oder ein Nachlassinsolvenzverfahren eröffnet wird687 oder es zur Durchführung eines Gläubigeraufgebots kommt, ist es dem Erben (ebenso wie seinen Eigengläubigern) verwehrt, die
676 §§ 2002, 2003 BGB. Einem rein privat errichteten Inventar kommt aus rechtlicher Sicht also keine Bedeutung zu, Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3735; Osthold, ErbR 2016, 612. 677 Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3496, spricht deshalb treffend davon, dass aus dem früheren „Inventarrecht des Erben“ ein „Inventarrecht der Gläubiger“ geworden sei; siehe auch Fischinger, Haftungsbeschränkung, 146. 678 § 2010 BGB; Herzog, Erbenhaftung, § 7 Rn. 12. 679 Der Inhalt des Inventars bestimmt sich nach § 2001 BGB. Obgleich auch der Wert der Nachlassgegenstände anzugeben ist, ist der Erbe nicht zur Einholung eines Sachverständigengutachtens verpflichtet, Herzog, Erbenhaftung, § 7 Rn. 27. 680 Denkschrift BGB, 854; RGZ 129, 239 (244); Strohal, Erbrecht II, 198 (gegen Binder, Rechtsstellung II, 65–68, der die einzige mögliche Funktion der Inventarerrichtung in der Herbeiführung einer Haftungsbeschränkung sah (zu Binders Ansicht auch unten E.IV.1a) (480 f.)); Rheinstein, Iowa LR 20 (1935), 452 f.; van Venrooy, AcP 186 (1986), 386; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3739; Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 4 4. 681 RGZ 129, 239 (244). Zu einem solchen Anspruch aus § 1978 BGB unten § 7 C.II.2. (620 ff.). 682 Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1186. 683 Nur dem Fiskus als gesetzlichem (Zwangs-)Erben kann keine Inventarfrist gesetzt werden (§ 2011 BGB), so dass er auch die Möglichkeit der Haftungsbeschränkung nicht verwirken kann, Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 38. 684 Zu diesem und anderen Fällen der Inventaruntreue Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3766; Rö thel, Erbrecht, § 31 Rn. 52–54. 685 §§ 1994 Abs. 1 S. 2 , 2005 Abs. 1 BGB. 686 Verweigert der Erbe hingegen auf die von einem Nachlassgläubiger verlangte eidesstattliche Versicherung der Vollständigkeit des Inventars, so haftet er nur diesem Gläubiger gegenüber unbeschränkt, §§ 2006 Abs. 3 S. 1 BGB, 2013 Abs. 2 BGB. Näher Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 55 f. Ein durchsetzbarer oder schadensersatzbewehrter Anspruch der Nachlassgläubiger auf Inventarerrichtung besteht hingegen nicht, van Venrooy, AcP 186 (1986), 362–366; Fischinger, Haftungsbeschränkung, 146 (Fn. 488). 687 Die auch bei unbeschränkter Haftung des Erben fortbestehende Möglichkeit der Anordnung dieser Verfahren ergibt sich für die Nachlassverwaltung mittelbar aus § 2013 Abs. 1 S. 1 BGB, der nur dem Erben, nicht aber den Nachlassgläubigern die Antragsbefugnis nimmt, und für das Nachlassinsolvenzverfahren ausdrücklich aus § 316 Abs. 1 InsO. In letzterem Fall besteht nach h. M. auch die Antragsbefugnis des Erben fort, BeckOGK/Leiß, BGB § 2013 Rn. 10 (Stand: 15.06.2021).
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Nachlassgläubiger vom Zugriff auf das Eigenvermögen abzuhalten.688 Eine (sogar verschuldensunabhängig mögliche689) Inventarverfehlung des Erben führt somit zur Fiktion eines ausreichenden Nachlasses690 und kann sich als Glücksfall für die Gläubiger erweisen, die unter Umständen deutlich mehr erhalten als den ihnen tatsächlich entstandenen Schaden.691 In dogmatischer Sicht handelt es sich um den Fall einer Privatstrafe, 692 die einen doppelten Zweck verfolgt: Der Erbe wird zu ordnungsgemäßer Errichtung angehalten,693 die Nachlassgläubiger werden von der Notwendigkeit befreit, dem Erben eine schuldhafte Verminderung des Nachlasses nachzuweisen694 (für die der Erbe in den Fällen gesonderter Nachlassabwicklung aus § 1978 BGB haften würde695). 4. Besonderheiten bei Erbenmehrheit a) Allgemeines Die für den Alleinerben formulierten Regelungen zur Nachlassabwicklung finden auch Anwendung im Fall einer Mehrheit von Erben, werden dann aber durch die §§ 2058–2063 BGB erheblich ergänzt und modifiziert. 696 Scharf unterschieden werden muss dabei zum einen zwischen dem Rechtszustand vor und nach der Teilung des Nachlasses, also der Überführung der Nachlassgegenstände mittels rechtsgeschäftlicher Verfügung vom Gesamthands- in das Einzelvermögen der Erben. Zum anderen ist es noch wichtiger als beim Alleinerben, zwischen der „Schuld“ der Miterben, also dem Umfang ihrer Leistungspflicht, und ihrer „Haftung“ zu trennen, also dem Ausmaß, in dem ihr Vermögen dem Vollstreckungszugriff der Gläubiger ausgesetzt ist. 697 Was die Ebene der Schuld angeht, legt das BGB zum Zwecke einer Zentralisierung der Abwicklung698 jedem Miterben grundsätzlich eine volle Einstandspflicht für die Nachlassverbindlichkeiten auf, die nur in Ausnahmefällen in eine quotale Teilschuld umgewandelt wird. Was sodann die Haftung für diese Gesamt- oder Teilschulden angeht, kann sie genauso wie beim Alleinerben entweder auf den Nachlass beschränkt sein oder auch das Eigenvermögen erfassen. Die verschiedenen Formen von Schuld und Haftung treten in kombi-
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Siehe den umfassenden Ausschluss in § 2013 Abs. 1 S. 1 BGB. Der Erbe muss bei schuldloser Versäumung der Inventarfrist eine neue beantragen, § 1996
BGB. 690 Ähnlich Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3741. 691 Für ein Beispiel Ehrenkönig, Erbenhaftung, 91 f. 692 Siehe, jeweils für den Fall der Inventaruntreue, Motive V, 619 = Mugdan V, 332; Karpe, in: 3. Denkschrift, 67; Ebert, Pönale Elemente, 401. Für Inventarverfehlungen allgemein Muscheler, Testamentsvollstreckung, 121; ders., Erbrecht II, Rn. 3741. 693 Protokolle V, 733, 739. 694 Motive V, 619 = Mugdan V, 332. 695 Dazu unten § 7 C.II.2. (620 ff.). 696 Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 413 f.; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3805. 697 Zu dieser Unterscheidung bereits oben § 3 Fn. 332. 698 Dazu näher unten § 8 B.III. (657 ff.).
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§ 6 Die Vervollkommnung der gesonderten Abwicklung
nierter Form auf, so dass es die Gesamtschuld und die Teilschuld jeweils in Verbindung mit beschränkter und unbeschränkter Haftung geben kann. 699 b) Die Rechtslage vor der Teilung Vor der Teilung des Nachlasses kann jeder gesamtschuldnerisch verpflichtete Miterbe nahezu uneingeschränkt die allgemeinen Instrumente der Nachlassabwicklung für sich in Anspruch nehmen.700 Er kann also die Dreimonatseinrede des § 2014 BGB erheben701 und zwecks Sichtung des Nachlasses ein Gläubigeraufgebot durchführen, wobei ein entsprechender Antrag und Ausschließungsbeschluss stets allen Miterben zu Gute kommt.702 Zusätzlich zum gerichtlichen Aufgebotsverfahren steht den Miterben das (in der Praxis noch seltener genutzte703) private Aufgebotsverfahren des § 2061 BGB zur Verfügung, das zwar nicht zum Ausschluss von Gläubigern führen kann, aber zur Umwandlung der Gesamtschuld in eine Teilschuld.704 Ferner können die Miterben die Nachlassverwaltung oder das Nachlassinsolvenzverfahren beantragen, wobei der Antrag auf Nachlassverwaltung allerdings gemeinsam zu stellen ist.705 Schließlich können sich die Miterben auf eine etwaige Dürftigkeit oder Überbeschwerung des Nachlasses berufen. Die Inventarerrichtung durch einen Miterben kommt den übrigen zu Gute,706 umgekehrt genügt nach h. M. allerdings eine Inventarverfehlung durch einen Miterben, um das Recht zur Nachlassverwaltung auszuschließen707 (im Übrigen schadet die Inventarverfehlung den anderen Miterben aber nicht708). Ein Umstand führt nun freilich dazu, dass die Miterben vor der Teilung kaum ein Bedürfnis haben, sich der allgemeinen Instrumente der Haftungsbeschränkung zu bedienen. Dies ist die Möglichkeit, die Nachlassgläubiger schon mittels Erhebung der Einrede aus § 2059 Abs. 1 S. 1 BGB vom Zugriff auf ihr Eigenvermögen abzuhalten, mit der Folge, dass sie zwar voll schulden, aber nur beschränkt haf-
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Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 191 f.; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3800. (2020), Vorbem zu §§ 2058–2063 Rn. 2. 701 Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 110. 702 § 460 Abs. 1 FamFG; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1222 f.; Staudinger/Marotzke (2020), Vorbem zu §§ 2058–2063 Rn. 2 703 Amüsant Siber, Referat, 770, wo auf die rhetorische Frage des Referenten: „Ist z. B. jemals das Privatgläubigeraufgebot bei der Bruchteilshaftung schon vorgekommen?“, im Protokoll der Zuruf „Nein!“ vermerkt ist. Siehe auch Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 117. Auch in heutiger Zeit ist das private Gläubigeraufgebot nach W. Zimmermann, ZErb 2011, 259 „weitgehend unbekannt“, obwohl es deutlich weniger Aufwand und Kosten verursacht als ein gerichtliches Aufgebot (siehe ebd., 260 f., 264, die allerdings noch das alte Recht zugrunde legen). 704 Dazu unten E.II.4c) (457 ff.). 705 § 2062 Hs. 1 BGB. Beim Nachlassinsolvenzverfahren besteht eine individuelle Antragsbefugnis, die nach § 317 Abs. 2 InsO allerdings an erhöhte Voraussetzungen geknüpft ist. 706 § 2063 Abs. 1 BGB. 707 Siehe etwa Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 197; kritisch Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 108; Staudinger/Marotzke (2020), § 2062 Rn. 12; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3811. 708 Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 110; Staudinger/Marotzke (2020), § 2058 Rn. 17. 700 Staudinger/Marotzke
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ten.709 Die Ratio dieses Schutzinstruments besteht darin, dass der Gesetzgeber eine gesamtschuldnerische Verantwortlichkeit bei unbeschränkter Haftung als zu harsch empfand.710 Ist ein Miterbe infolge einer Inventarverfehlung bereits vor der Teilung in unbeschränkte Haftung verfallen, so erlaubt ihm das Gesetz nach § 2059 Abs. 1 S. 2 BGB immerhin noch, die Haftung mit dem Eigenvermögen auf die Höhe seines Erbteils zu beschränken.711 Die Rechtsfolge einer unbeschränkten gesamtschuldnerischen Haftung erschien dem Gesetzgeber als zu streng, auch weil die Gläubiger sich noch an den ungeteilten Nachlass halten können. Im Schrifttum ist diese gesetzgeberische Nachsicht dennoch auf Kritik gestoßen, weil die Vereitelung der Gläubigerkenntnis vom Nachlassbestand nur unzureichend geahndet werde. Überdies handele es sich ohnehin nur um eine „Gnade auf Zeit“712 , weil nach der Teilung die Haftung zu einer unbeschränkten wird.713
Im Ergebnis können die Miterben den ungeteilten Nachlass also gesondert abwickeln, ohne ihn einer gerichtlich ernannten Person ausliefern oder die Voraussetzungen der §§ 1990–1992 BGB nachweisen zu müssen. Beachtlich ist ferner, dass der Gesetzgeber nicht nur davon abgesehen hat, die Abwicklerrolle der Miterben begrifflich zu verselbständigen, sondern die Miterben im Unterschied zum Nachlass(insolvenz)verwalter und dem Alleinerben im Fall des dürftigen Nachlasses auch nicht einmal einer Haftung für Abwicklungsverschulden unterworfen hat714 (mit Ausnahme der Haftung wegen unterlassener Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens715). Nimmt man noch hinzu, dass die Miterben, solange sie nicht dazu aufgefordert werden, auch kein Inventar zu errichten brauchen, besteht der einzige Preis, den sie für die gesonderte Abwicklung zahlen müssen, in der gesamthänderischen Bindung des Nachlasses. Der scharfe Kontrast zur Situation bei Alleinerbschaft ist offenkundig.716 c) Die Rechtslage nach der Teilung Die Teilung des Nachlasses ändert nichts an der gesamtschuldnerischen Verantwortung der Miterben, nimmt ihnen aber die Einrede der Haftungsbeschränkung aus § 2059 Abs. 1 S. 1 BGB, so dass die allgemeinen Regeln zur gesonderten Abwicklung aus Sicht der Miterben nun erheblich an praktischer Bedeutung gewin709
lich.
710
Zur Vollstreckung in den Nachlass sind nach § 747 ZPO Titel gegen alle Miterben erforder-
Dazu näher § 8 B.III.4b) (664 ff.). ein Beispiel Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 108. Näher zur dogmatischen Einordnung Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 198 f.; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3800 (Haftung „gesamtschuldnerisch beschränkt, teilschuldnerisch unbeschränkt“). 712 Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3803. 713 Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 111 f. 714 Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3803. 715 Die Anwendung des § 1980 BGB wird durch das Bestehen eines Leistungsverweigerungsrechts nach § 2059 Abs. 1 S. 1 BGB nicht ausgeschlossen, Staudinger/Marotzke (2020), § 2059 Rn. 20. Umgekehrt will Eberl-Borges, Die Erbauseinandersetzung, 315, die Einrede aus § 2059 Abs. 1 S. 1 BGB versagen, wenn der Nachlass überschuldet ist. 716 Dazu unten E.V.5. (530 f.). 711 Für
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nen. Während die fortbestehende Möglichkeit des Nachlassinsolvenzverfahrens in § 316 Abs. 2 InsO ausdrücklich angeordnet ist, steht den Miterben nach § 2062 Hs. 2 BGB die Tür zur Nachlassverwaltung nicht länger offen.717 Zusätzlich zum Wegfall der Einrede aus § 2059 Abs. 1 S. 1 BGB hat der Gesetzgeber hierdurch den Miterben einen weiteren Anreiz dafür gesetzt, die Teilung erst nach Tilgung der Nachlassverbindlichkeiten durchzuführen.718 Da den Miterben freilich die Beantragung der Nachlassinsolvenz oder die Berufung auf die §§ 1973, 1990–1992 BGB durch die Teilung nicht genommen wird, läuft der genannte Sanktionsgedanke in erheblichem Ausmaß ins Leere.719 Denn die Miterben erreichen in den genannten Fällen eine Beschränkung ihrer Haftung auf die aus dem Nachlass erhaltenen Gegenstände;720 das Gesetz fingiert gewissermaßen den Miterben als Alleinerben und die ihm im Wege der Teilung zugeflossenen Mittel als Nachlass.721 Im Ergebnis bedeutet dies eine starke Annäherung an die Bruchteilsgemeinschaft. Kommt es durch Aufgebot (§ 1973 BGB) oder Ablauf der fünfjährigen Verschweigungsfrist (§ 1974 BGB) zum Ausschluss einzelner Gläubiger, oder wird die Haftung als Folge eines abgeschlossenen Nachlassinsolvenzverfahrens dauerhaft auf den Nachlass beschränkt, hat der Gesetzgeber den Miterben in § 2060 BGB sogar noch eine zusätzliche Erleichterung gewährt. Die Gesamtschuld wird in diesem Fall nämlich in eine der ideellen Erbquote722 entsprechende Teilschuld umgewandelt, und zwar nicht bloß auf Einrede hin, sondern bereits kraft Gesetzes.723 Die Kombination von gegenständlicher Haftungsbeschränkung und quotaler Schuldenteilung724 kann sogar dazu führen, dass ein Nachlassgläubiger mit einem 717
Dasselbe galt nach § 113 Nr. 3 VerglO für das Nachlassvergleichsverfahren. Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 191; Karpe, in: 3. Denkschrift, 16 f. 719 Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 114 f., der kritisiert, dass damit die Erbteilung nur dort, „wo es am wenigsten paßt“, zum Verlust der Haftungsbeschränkung führt, nämlich beim erheblichen, nicht überschuldeten Nachlass. Dem folgend Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3812. 720 Anders als in § 1480 S. 2 BGB ist dies allerdings nicht ausdrücklich gesagt, siehe Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 108; ders., Referat, 771. 721 Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3805. Für die Frage der Überschuldung oder Dürftigkeit ist ungeachtet dessen immer der Nachlass im Ganzen maßgeblich, niemals der einzelne Erbteil, Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 110; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3810 (Fn. 606); Staudinger/ Marotzke (2020), § 2059 Rn. 2. Über den einzelnen Erbteil findet kein Insolvenzverfahren statt (§ 316 Abs. 3 InsO). 722 Es kommt also nicht darauf an, was die Miterben nach Durchführung der Ausgleichung (§§ 2050–2055 BGB) tatsächlich aus dem Nachlass erhalten haben, Staudinger/Marotzke (2020), § 2060 Rn. 20; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3835. 723 Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 191; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3833. Da die Umwandlung in eine Teilschuld eine Einwendung begründet, bedarf es zu ihrer Geltendmachung auch keines Vorbehalts nach § 780 ZPO. 724 Eine solche Kombination ist nicht zwingend, weil die Schuldenteilung auch in Fällen eintreten kann, in denen die Haftung nicht beschränkt ist. So erfassen § 2060 Nr. 1 und Nr. 2 BGB neben den vom Aufgebot an sich nicht betroffenen Gläubigern (§§ 1971, 1972 BGB) auch diejenigen Gläubiger, denen der Miterbe unbeschränkt haftet. Schließlich führt auch das private Gläubigeraufgebot nach § 2061 BGB im Hinblick auf unbekannte Gläubiger zur Schuldenteilung, nicht aber zur Haftungsbeschränkung. Zur Unabhängigkeit der Schuldenteilung auch Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 191 f.; Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 109 f. 718
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Teil seiner Forderung ausfällt, obwohl der Gesamtnachlass zulänglich war.725 Auch an dieser Stelle erhebt die gemeinrechtliche Bruchteilsgemeinschaft also wieder ihr Haupt726 und führt zu einer „unerhörte[n] Entrechtung des Gläubigers“.727 Der Gesetzgeber verkannte, dass die gesamtschuldnerische Verantwortlichkeit für einen Erben, der nur noch mit der verbliebenen Bereicherung haftet, keine Unbilligkeit bedeutet.728 Anders gesagt, führt der Ausschluss von Gläubigern im Aufgebotsverfahren zu einer doppelten Begünstigung der Miterben.
III. Der historische Hintergrund Das skizzierte Regime der Nachlassabwicklung ist Produkt eines wechselvollen Gesetzgebungsverfahrens, dessen nähere Darstellung sowohl für das Verständnis als auch für die angemessene Würdigung der BGB-Lösung unverzichtbar ist. Überdies kommt vor allem der Begründung zum Teilentwurf Gottfried von Schmitts das Verdienst zu, „die einschlagenden Probleme der Haftung für Nachlaßschulden zum erstenmal erschöpfend durchdacht zu haben“.729 Schließlich gilt es auch, bestimmte Auffassungen geradezurücken, die sich aufgrund einer zu oberflächlichen Betrachtung im erbrechtlichen Schrifttum des 20. Jahrhunderts festgesetzt haben. 1. Die gesonderte Nachlassabwicklung im Entwurf Gottfried von Schmitts a) Integrierte Abwicklung als Ausgangspunkt Wenngleich der Entwurf Gottfried von Schmitts in verschiedenen, noch näher zu erörternden Punkten an das preußische Recht der Nachlassabwicklung angelehnt war, war sein Ausgangspunkt ein anderer, nämlich die integrierte Nachlassabwicklung nach Art des römischen Rechts. Solange der Alleinerbe untätig blieb, fand also eine vollständige Verschmelzung des Nachlasses mit seinem Vermögen statt, woraus u. a. seine unbeschränkte Haftung für alle Nachlassverbindlichkeiten resul 725 Für Fallbeispiele siehe Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 116; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3733, 3836. 726 Siber, Referat, 771, spricht von einem „unnötige[n] romanistische[n] Überbleibsel“. 727 Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 116. 728 Siehe die scharfe rechtspolitische Kritik an § 2060 BGB bei Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 116–118, der die Bruchteilshaftung dementsprechend abschaffen wollte (siehe Siber, Referat, 770 f.). Die Nachlässigkeit des Gläubigers biete keine Rechtfertigung dafür, dass der Erbe auf seine Kosten eine Bereicherung aus dem unentgeltlich erworbenen Nachlass behalten darf. Muss der Erbe Nachlassgegenstände, an deren Besitz er sich gewöhnt hat, zur Befriedigung von Nachlassschulden herausgeben, so sei dies unbequem, aber nicht unbillig. Sehr kritisch auch Karpe, in: 3. Denkschrift, 106 f.; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3733, 3836. 729 So die treffende Einschätzung von Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 42, zu den Vorarbeiten zum BGB im Allgemeinen; ähnlich Karpe, in: 3. Denkschrift, 23. Man kann annehmen, dass dieses Lob innerer Überzeugung entsprach und nicht lediglich höfliche Vorrede zu Kritik und Reformvorschlägen war (dazu unten E.VI.2b) (539 ff.) und d) (546 ff.)). Viel „Scharfsinn“ und „Sorgfalt“ bescheinigte den Verfassern des Ersten Entwurfs auch Munk, Gutachten, 55 (ungeachtet seiner grundlegenden Kritik).
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§ 6 Die Vervollkommnung der gesonderten Abwicklung
tierte.730 „Die Erbschaftserwerbung gestaltet des Erblassers Verbindlichkeiten zu eigenen Schulden des Erben, dergestalt, daß dieselben so wenig wie die Erbschaftsaktiva innerhalb des Erbenvermögens einen mit Rücksicht auf ihren Ursprung und früheren Zusammenhang besonderen Kreis darstellen […]“.731 Soweit ersichtlich, ist dies die einzige Stelle, an der von Schmitt vom „Repräsentationsprinzip“ sprach;732 im Übrigen vermied er es tunlichst, der von anderen deutschen Autoren des 19. Jahrhundert so prominent vertretenen Vorstellung von einer „Fortsetzung der Erblasserpersönlichkeit“733 eine Bühne zu geben (weshalb Behauptungen, dass dem Erbrecht BGB diese Idee zugrunde liege,734 in die Irre führen735). Insbesondere vor dem Hintergrund freilich, dass sich dieser Erbschaftserwerb ohne aktives Tun des Erben durch reinen Zeitablauf vollziehen konnte, erschien von Schmitt die Möglichkeit einer „Rechtshülfe für den Erben gegen die Folgen etwaiger Unzulänglichkeit des Nachlass wenn nicht von der Konsequenz, so doch von der Billigkeit unabweisbar geboten“.736 Das von ihm hierzu bereitgestellte Mittel war die Inventarerrichtung,737 die allerdings nicht per se zu einer Haftungsbeschränkung führte, sondern den „Inventarerben“738 erst in die Lage versetzte, zwischen verschiedenen Optionen zu wählen.739 730 Siehe § 353 Abs. 1 Teil-E BGB, ferner auch § 319 Teil-E BGB, der das Erlöschen der Rechtsbeziehungen zwischen Erblasser und Erbe anordnet. 731 v. Schmitt, Begründung, 979, der diesen Vorgang auch als „Prinzip der Vermögenseinheit“ bezeichnete und den (unrömischen Satz) „nemo plures personas in se continere potest“ anführte. 732 v. Schmitt, Begründung, 979. 733 Dazu oben § 1 Fn. 636; § 3 A.V. (176 ff.); § 4 C.II.1b) (302 ff.). 734 Siehe etwa Rheinstein, Iowa LR 20 (1935), 450: „[T]he idea of the continuation of the deceased’s personality by the heir, with the latter’s consequent unlimited liability, appears not only in the French Code of 1804 but also in the Civil Code of the German Reich, of August 18th, 1896“. Rheinsteins fragwürdige Begriffswahl, die den Vorgang der Vermögensverschmelzung bezeichnen sollte, dürfte durch seinen Wunsch zu erklären gewesen sein, an die international anerkannte Terminologie anzuknüpfen. Ein weiteres Beispiel im genannten Sinne ist die Behautung von Staudinger/Meyer-Pritzl, Eckpfeiler, Rn. W 13, dass in Gestalt des Grundsatzes der Universalsukzession Savignys Vorstellung von der Fortsetzung oder Repräsentation des Erblassers (dazu oben § 2 Fn. 26) Eingang in das BGB gefunden habe. 735 Ablehnend auch Staudinger/Kunz (2017), § 1922 Rn. 11. 736 v. Schmitt, Begründung, 979. Den hier für entscheidend gehaltenen Gesichtspunkt der Praktikabilität (siehe oben A.I. (367 ff.)) führte v. Schmitt also nicht an, allerdings ist die privat autonome Legitimation der unbeschränkten Haftung in einem System des Ipso-iure-Erwerbs mit kurzer Ausschlagungsfrist auch besonders schwach. 737 § 353 Teil-E BGB. 738 v. Schmitt war selbst nicht glücklich mit diesem Begriff, hatte aber keinen passenderen finden können. Verworfen hatte er die Ausdrücke „Wohlthatserbe“, „Vorsichtserbe“ und „Vorbehaltserbe“, während der im ALR zu findende Begriff des „Benefizialerben“ nach Auffassung v. Schmitts den Juristen, nicht aber dem Volk geläufig war: Begründung, 991. 739 Dass das Inventar stets schon errichtet sein musste, und somit die fortbestehende Möglichkeit der Errichtung nicht ausreichte, geht nicht nur aus den Vorschriften des Entwurfs klar hervor (siehe etwa §§ 353 Abs. 1, 366 Abs. 1 Nr. 1 Teil-E BGB), sondern wurde auch vom Erbrechtsredaktor mehrfach betont und sowohl sachlich als auch mit einer Redaktionsvorgabe der Entwurfskommission begründet: Siehe v. Schmitt, Begründung, 987, 1020–1023.
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Der insgesamt große Einfluss des preußischen Rechts auf den Entwurf Gottfried von Schmitts darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieser sowohl die Errichtung des Inventars als auch dessen rechtliche Bedeutung wesentlich anders regelte. So genügte es nach preußischem Recht für die Haftungsbeschränkung, dass die Möglichkeit der Inventarerrichtung noch nicht verloren gegangen war.740 Hinsichtlich der Voraussetzungen eines solchen Verlusts war der Entwurf von Schmitts dagegen deutlich erbenfreundlicher als das ALR. Denn die endgültig unbeschränkte Haftung trat (neben dem Fall der Inventaruntreue741) nicht schon aufgrund des Ablaufs einer starren gesetzlichen Frist ein (wie sie auch schon im justinianischen und französischen Recht vorgesehen war742), sondern erst nach Ablauf einer dem Erben auf Betreiben eines Nachlassgläubigers gesetzten richterlichen Frist.743 von Schmitt verwies zur Begründung auf die großen Härten, zu denen die gesetzliche Frist des ALR in der Praxis häufig führte744 und die auch schon in Preußen den Wunsch nach einer Reform hatten aufkommen lassen.745 Eine weitere Abweichung vom preußischen Recht bestand darin, dass der Erbe nach dem Entwurf von Schmitts nicht zwischen einer privaten und einer gerichtlichen Inventarerrichtung wählen konnte,746 sondern stets „eine obrigkeitliche oder eine Urkundsperson“ beizuziehen hatte.747 von Schmitt begründete diese Lösung nicht nur damit, dass sie der weit überwiegenden Zahl der deutschen Rechtsordnungen entsprach, sondern verwies auch auf die schlechten Erfahrungen mit der privaten Inventarerrichtung in Preußen und den für eine solche erforderlichen Bildungsstand, der noch nicht in allen Teilen des Deutschen Reiches gegeben sei.748 Eine Gemeinsamkeit zwischen dem preußischen ALR und dem Entwurf von Schmitts bestand allerdings beim Thema des Inventarinhalts. Denn im Gegensatz etwa zur Regelung Justinians749 und der des französischen Code civil von 1804750 waren nicht nur die Aktiva aufzunehmen, sondern auch die Passiva; die Aktiva waren überdies zu bewerten.751 Das Inventar sollte folglich umfassend über den Inhalt des Nachlasses informieren.
740
Siehe oben D.I. (435 ff.). § 359 Abs. 2 Teil-BGB. 742 Munk, Gutachten, 46. 743 §§ 360, 361 Teil-E BGB. 744 v. Schmitt, Begründung, 1001 („[…] in der That erwächst den Gläubigern aus der bei mangelnder Anregung meist ohne böse Absicht aus einer auch einem sorgsamen Manne kaum zu verargenden Gesetzesunkunde hervorgegangene Versäumung der Inventarfrist unverdienter Vortheil, wenn sie, bisher nicht minder unthätig, als der Erbe, nun an diesen persönlich, wie an den Nachlaß, herantreten können“). Einen eklatanten Fall aus der Praxis schildert Bernhöft, Zur Reform des Erbrechts, 86 f. Auch Leonhard, Referat, 128, erinnerte sich „einzelner sehr schlimmer Fälle“. 745 Vorgeschlagen wurde, zur Regelung des preußischen Erbschaftsedikts von 1765 zurückzukehren, das wie der Entwurf v. Schmitts den Verlust des Inventarrechts vom Ablauf einer richterlichen Frist abhängig gemacht hatte. Svarez hatte dagegen die gesetzliche Frist des ALR mit der Notwendigkeit der Verfahrensbeschleunigung begründet. Näher zum Ganzen Muscheler, in: FS Kroeschell, 746 f. Ferner Leonhard, Referat, 128 f. 746 ALR I 9, § 436. Näher Muscheler, in: FS Kroeschell, 747. 747 § 357 Abs. 2 Teil-E BGB. 748 v. Schmitt, Begründung, 991–993. 749 Siehe oben § 4 Fn. 181. 750 Siehe oben Fn. 258. 751 ALR I 9, § 434 f.; § 358 Abs. 1 Teil-E BGB. 741
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§ 6 Die Vervollkommnung der gesonderten Abwicklung
b) Die Optionen des „Inventarerben“ Bei Ausgestaltung der Optionen des Inventarerben zeigte sich nun der Einfluss des preußischen Rechts auf der letzten Stufe der oben skizzierten Entwicklung.752 So konnte der Inventarerbe erstens, wenn sich der Nachlass als überschuldet erwies, die Eröffnung des Nachlasskonkurses beantragen.753 Hierdurch wurde er von jeder persönlichen Haftung frei, hatte den Nachlass jedoch vollständig an den Konkursverwalter herauszugeben. Zudem unterlag der Inventarerbe für seine bisherige Verwaltung einer Pflicht zur Rechnungslegung und einer Haftung für Fehlver halten.754 Die zweite Option des Inventarerben bestand in der Durchführung eines Gläubigeraufgebots.755 Hierdurch erlangte er gegenüber den nicht rechtzeitig angemeldeten Gläubigern das Recht, den Umfang seiner Schuld auf einen etwaig verbleibenden Nachlasswert zu beschränken und die Ansprüche zudem in der Reihenfolge ihrer Anmeldung zu befriedigen.756 Die dritte dem Inventarerben eröffnete Vorgehensweise schließlich war die aus rechtshistorischer und -vergleichender Sicht interessanteste, aus rechtspolitischer freilich die problematischste (wie von Schmitt selbst eingestand). Mittels der (später sog.) „Abzugseinrede“ konnte der Inventarerbe nämlich einen überschuldeten Nachlass auch selbst abwickeln und dabei eine Herabsetzung seiner Verpflichtungen auf den Wert des Nachlasses geltend machen.757 Entsprach diese Regelung im Ausgangspunkt dem u. a. von Windscheid vertretenen Verständnis des justinianischen beneficium inventarii,758 lag ein entscheidender Unterschied zur gemeinrechtlichen Tradition im Pflichtenprogramm des Erben als Abwickler: Nach der Konzeption von Schmitts durfte der Inventarerbe nämlich die Nachlassgläubiger nicht in der Reihenfolge ihres Auftretens befriedigen, stattdessen wurde ihm angesonnen, „den Verwalter in einem fingierten Konkurse zu spielen“.759 Der Inventar erbe hatte also zum einen die verschiedenen Rangverhältnisse zu beachten, zum anderen den Grundsatz der par conditio creditorum;760 insoweit ging die Pflicht des Inventarerben also sogar noch über die eines preußischen Benefizialerben hinaus.761 Eine Verschiebung der konkursmäßigen Abwicklung in den Gläubigerin752
Siehe oben D.II. (440 f.). § 366 Abs. 1 Nr. 1 Teil-E BGB. 754 § 369 Teil-E BGB. 755 § 366 Abs. 1 Nr. 2 Teil-E BGB. v. Schmitt, Begründung, 1017. 756 § 376 Teil-E BGB. 757 §§ 366 Abs. 1 Nr. 3, 379 Teil-E BGB. 758 Siehe oben § 4 A.VII.9a) (270 ff.). 759 Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 60. In der Sache sehr ähnlich war der Vorschlag von Casso, Haftung des Benefizialerben, 34 f., zur Handhabung des justinianischen beneficium inventarii. 760 § 366 Abs. 1 Nr. 3 Teil-E BGB. Die Nachrangigkeit der Vermächtnisforderugen war gesondert in § 392 Abs. 1 Teil-E BGB geregelt, die Geltendmachung sollte aber auf demselben Wege erfolgen, d. h. über § 379 Teil-E BGB. Siehe v. Schmitt, Begründung, 1066. 761 Zur (umstrittenen) Befugnis des preußischen Vorbehaltserben, gleichrangige Gläubiger in der Reihenfolge ihres Auftretens zu befriedigen, siehe oben D.I. (435 ff.). 753
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nenregress, wie sie in Ansätzen im justinianischen Recht bestanden hatte762 und u. a. im sächsischen BGB ausgebaut worden war,763 schloss der Entwurf ausdrücklich aus.764 c) Die Absage an das gemeinrechtliche Prioritätsprinzip Im Vergleich zum sächsischen Recht, vor allem aber im Vergleich zum gemeinen Recht und dem diesem sehr nahe stehenden französischen Recht, räumte von Schmitt den Interessen der Nachlassgläubiger damit nicht nur Vorrang vor dem Interesse des Erben an einer möglichst bequemen Abwicklung ein, sondern auch Vorrang vor dem Interesse des Gesetzgebers an einer möglichst einfachen Lösung.765 Zur Begründung seiner Wertentscheidung führte von Schmitt Gebote der Billigkeit an. Die Gläubigerbefriedigung nach dem Prioritätsgrundsatz, wie sie zu Lebzeiten des Erblassers stattfand, sei ab dem Moment nicht mehr angemessen, wo keine Aussicht auf den Erwerb neuer Befriedigungsmittel mehr bestehe und es praktisch zur Situation einer Zahlungseinstellung des Gemeinschuldners komme. Der Satz, dass jeder Gläubiger für sich selbst zu sorgen habe, gestatte nicht ohne Weiteres, seine Kenntnis von Tatsachen (z. B. eines Sterbefalls) anzunehmen, die ihn zur Rechtswahrung veranlassen sollten. Problematisch sei bei einer ungeordneten Befriedigung zudem, dass der Erbe als Erbschaftsgläubiger „immer der nächste an der Kasse“ sei.766 Eine fehlende Berücksichtigung von Konkursvorrangrechten sah von Schmitt schließlich auch als nachteilig für den „allgemeinen Kredit“ an, überdies sei die entsprechende Regel des gemeinen Rechts in den Partikularrechten entweder gesetzlich modifiziert worden oder in der Praxis bestritten.767 Der Hinweis auf die gesetzliche Modifizierung spielte insbesondere auf den sogleich noch zu erörternden Umstand an, dass zahlreiche Partikularrechte die Entscheidung des Erben für die beschränkte Haftung schon seit langer Zeit mit einer zwingenden Überleitung in die amtliche Nachlassabwicklung verknüpften. Eine Verwirklichung der konkursmäßigen Befriedigung im Wege eines allgemeinen Rückgriffsrechts nach Art etwa des sächsischen BGB verwarf von Schmitt als unpraktikabel. Im Gefolge eines solchen Regresses befinde sich „ein Heer der verwickeltsten und schwierigsten Prozesse“, wobei die Existenz der beiderseitigen Forderungen selbst unter Dritten bestritten werden könne und mit dem Auftreten jedes neuen Gläubigers alle bereits Befriedigten berührt würden. Ferner wies von Schmitt darauf hin, dass es dem allgemeinen Kredit nicht förderlich sei, wenn bezahlte Gläubiger auf längere Zeit dem Rückgriff ausgesetzt bleiben, und dass der Regressgläubiger das Risiko der Insolvenz des Vorwegbefriedigten tragen müsse. 762
Siehe oben § 4 A.VII.10. (277 ff.). v. Schmitt, Begründung, 1012 f. 764 § 366 Abs. 2 Teil-E BGB. 765 Vgl. v. Schmitt, Begründung, 1010: „Gewiß ist das römische Prinzip einfach für den Gesetzgeber und geeignet, den Erben bequem und rasch zum Ziele zu führen.“ 766 Zu allen genannten Argumenten v. Schmitt, Begründung, 1011. 767 v. Schmitt, Begründung, 1011. 763 Näher
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§ 6 Die Vervollkommnung der gesonderten Abwicklung
Zweckmäßiger sei es daher, die Geltendmachung der Gläubigeransprüche der Masseausschüttung vorangehen statt nachfolgen zu lassen.768 Nur spekulieren lässt sich mangels eindeutiger Stellungnahme über die Frage, inwieweit von Schmitts dezidiertes Bekenntnis zum Gläubigerschutz durch die Zeitumstände geprägt war. Jedenfalls für den kurz vorher erschienen Erbrechtsentwurf Friedrich Mommsens, der sich ebenfalls zur Notwendigkeit einer konkursmäßigen Befriedigung bekannt hatte (wenngleich in Verbindung mit einer amtlichen Liquidation769), ist ein solcher Zusammenhang hergestellt worden. Danach ist Mommsens Bestreben, Gläubiger umfassend gegen das Risiko des Todes ihres Schuldners zu schützen, im Lichte des Aufschwungs von Handel und Verkehr, des Spekulationsfiebers der Gründerzeit und der Weltwirtschaftskrise von 1873 zu sehen.770 Bemerkenswert ist vor diesem Hintergrund, dass sich im damaligen Preußen hartnäckig Kritik am strengen Pflichtenprogramm des Benefizialerben771 hielt und mutmaßlich Ausdruck der Wertvorstellungen des „vornehmen Cavaliers“ war, „der selbst nicht leicht in die Lage kommt, Gläubiger zu werden“.772 d) Das Festhalten an der Eigenabwicklung Sehr ausführlich begründete von Schmitt sodann auch seine Entscheidung, den Erben selbst eine konkursmäßige Verteilung des Nachlasses vornehmen zu lassen, anstatt ihn zur Eröffnung eines amtlichen Konkursverfahrens oder auch nur zur Durchführung eines Gläubigeraufgebots zu zwingen. Sein Entwurf wich in diesem Punkt von den zahlreichen Partikularrechten ab, die auf dem Grundsatz der „Offizialregulirung des Benefizialnachlasses“773 fußten, d. h. der Annahme der Erbschaft unter Inventarvorbehalt automatisch die Durchführung eines konkursähnlichen Verfahrens unter gerichtlicher Leitung folgen ließen.774 Dass diese Lösung auch im zeitlichen Kontext der BGB-Entstehung prominente Befürworter hatte, lässt sich nicht zuletzt daran ablesen, dass Friedrich Mommsen sie seinem Erbrechtsentwurf zugrunde gelegt hatte, dessen freiheitlicher Grundtendenz zum Trotz.775 768
v. Schmitt, Begründung, 1014. Dazu sogleich unten Fn. 775. 770 Andres, Erbrechtsentwurf Mommsen, 436. 771 Dazu oben D.I. (435 ff.). 772 Siehe die Kritik bei Leonhard, Referat, 129 f. Ferner Andres, Erbrechtsentwurf Mommsen, 439 f., die auch von einem latenten Vorwurf gegen Juden spricht. 773 v. Schmitt, Begründung, 913. 774 v. Schmitt, Begründung, 913, 1014 f. Allgemein zu dieser Entwicklung Dernburg, Preußisches Privatrecht III, § 223 (652 f.); Endemann, Erbrecht III/2, 858. Besonders stark verbreitet war der Grundsatz der „Offizialregulirung des Benefizialnachlasses“ in der Schweiz, siehe die Nachweise bei v. Schmitt, Begründung, 913 (Fn. 2); ausführlich Huber, System und Geschichte 2, 400– 402, § 67. 775 Siehe F. Mommsen, Entwurf, 62 (§§ 215, 260), 306 f., der dem Erben allerdings gestattete, die Abwicklung im Anschluss an die gerichtliche Inventarisierung und Aufforderung zur Forderungsanmeldung wieder an sich nehmen, freilich um den Preis der unbeschränkten Haftung. Nä769
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Gottfried von Schmitt indessen sah in einer solchen zwingenden Durchführung des „kostspielige[n] und verzögerliche[n]“ Konkursverfahrens, und sei es auch nur im Anschluss an ein Gläubigeraufgebot, eine unangebrachte „Bevormundung von Parteien, die sich selbst helfen wollen.“776 Der möglichen Einwände gegen seine Lösung war er sich dabei durchaus bewusst: So drohe die in Eigenregie des Erben durchgeführte konkursartige Nachlassabwicklung nicht nur, diesen zu überfordern und infolgedessen zu schädigen, auch weil das Quotenverhältnis sich mit dem Auftauchen jedes neuen Gläubigers ändere. Überdies seien schwerwiegende praktische Nachteile zu befürchten, indem der Streit über Bestand und Wert der Nachlassaktiva und -passiva sowie über etwaige Vorrechte in den einzelnen Prozess verlagert, die Zahl der Prozesse und Verwicklungen vermehrt und die Möglichkeit widersprechender Urteile eröffnet werde. Schließlich könne es zu einer „endlose[n], kostspielige[n]“ Verzögerung der Nachlassbereinigung kommen, „namentlich in der Hand eines Erben, welcher die Inventarwohltat zur allgemeinen Plage ausnützen will“.777 Zur Verdeutlichung dieser Einwände gilt es sich klarzumachen, dass dem Inventarerben zentrale Instrumente eines ordentlichen, d. h. unter der Ägide des Gerichts durchgeführten Konkursverfahrens naturgemäß nicht zur Verfügung gestanden hätten und der durch ihn durchgeführten Abwicklung deshalb notwendig der Charakter eines echten Kollektivverfahrens gefehlt hätte. So hätte der Inventarerbe zwar ein Aufgebotsverfahren durchführen und angemeldete Forderungen in eine Tabelle eintragen können. Es hätte ihm dann aber typischerweise schon an der Infrastruktur gemangelt, um anschließend allen Beteiligten Einsicht in die Tabelle zu gewähren.778 Und selbst wenn der Erbe alle angemeldeten Gläubiger zu einem Prüfungstermin eingeladen hätte, um ihnen Gelegenheit zum Widerspruch zu geben,779 so wäre er doch nicht in der Lage gewesen, die unwidersprochenen Forderungen mit Rechtskraftwirkung gegenüber allen Beteiligten festzustellen.780 Schließlich hätte es den vom Inventarerben geführten streitigen Verfahren über das her Andres, Erbrechtsentwurf Mommsen, 439–446. Für andere Befürworter dieser Lösung siehe die Nachweise bei Eck, Stellung des Erben, 20. 776 v. Schmitt, Begründung, 1017 f., der auch darauf hinwies, dass „[n]icht einmal die preußische AGO“ den Erben dazu gezwungen habe, nach Beendigung des Aufgebotsverfahrens an der gerichtlichen Liquidation festzuhalten (siehe zu diesem Punkt auch oben D.I. (435 ff.)). Dass v. Schmitt mit dieser Skepsis gegenüber der Abwicklungskompetenz der Gericht nicht allein war, zeigt etwa die folgende Aussage von Bernhöft, Zur Reform des Erbrechts, 105: „Billigkeit und Schnelligkeit sind nun einmal nicht die Vorzüge, durch welche sich unsere Gerichte auszeichnen, auch rühmt man ihnen, wenn es darauf ankommt, verwirrte ökonomische Verhältnisse mit möglichst geringem Verlust zu ordnen, keine hervorstechende Geschicklichkeit zu.“ Auch Eck, Stellung des Erben, 20, wies darauf hin, dass „das obligatorische Liquidationsverfahren überall nur Schmerzensschreie hervorgerufen“ habe, und meinte, dass „taugliche Behörden […] höchstens in einzelnen Ländern vorhanden [sind], wie in Württemberg […]“ (21). 777 Zu allen genannten Argumenten v. Schmitt, Begründung, 1019. 778 Vgl. § 175 Abs. 1 InsO. 779 Siehe § 176 InsO; näher Bork, Insolvenzrecht, Rn. 333. 780 Siehe demgegenüber § 178 InsO; näher Bork, Insolvenzrecht, Rn. 334.
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Bestehen, die Höhe oder den Rang einer Forderung an der Bindungskraft gegenüber allen Beteiligten gefehlt.781 Dennoch sah von Schmitt die von ihm selbst vorgetragenen Einwände gegen die Abzugseinrede letztlich nicht als durchschlagend an: „Sie beweisen höchstens die Zweckmäßigkeit, nicht die Nothwendigkeit einer Beschränkung auf generelle Nachlaßregulirung. Sie zwingen den Betheiligten einen Weg auf, den diese selbst wählen werden, wenn er nach den Verhältnissen ihnen vorteilhaft, der aber für sie auch nachtheilig sein kann, und darum von denselben muß vermieden werden dürfen.“782
Als Beispiele nannte von Schmitt die Fälle, in denen die vorhandenen Nachlass aktiva nicht einmal die Kosten für ein Aufgebots- oder Konkursverfahren decken oder nur ein einziger Gläubiger vorhanden ist. In einfachen Fällen sei zudem eine konkursmäßige Befriedigung durch den Erben durchaus zu leisten. In vielen Fällen schließlich werde der Erbe im eigenen wie im Interesse des Erblassers den Wunsch haben, „das den Kredit und Ruf leicht gefährdende öffentliche Konkurs- oder Aufgebotsverfahren zu vermeiden“. Wo Hoffnung auf eine baldige günstige Veränderung des Nachlasses besteht, könne dem Erben sodann auch daran gelegen sein, amtliche Maßnahmen jedenfalls einstweilen aufzuschieben. Überdies machte von Schmitt geltend, dass Nachlasskonkurs und Aufgebotsverfahren auch vom Standpunkt des öffentlichen Interesses nicht zu begünstigen seien, „da sie kostspielige, die Gerichte belastende Prozeduren“ bildeten.783 Abschließend betonte er, dass Gläubigerinteressen durch die dem Inventarerben gewährte Option der rein privaten Abwicklung nicht bedroht würden. Denn bei Erhebung der entsprechenden Einrede erlangten die Gläubiger das Recht, den Nachlasskonkurs zu beantragen, ohne die Überschuldung nachweisen zu müssen.784 e) Die Entscheidung für die Haftung pro viribus hereditatis In der technischen Umsetzung seiner Lösung fällt auf, dass von Schmitt den Nachlasses nicht gegenständlich, sondern nur rechnerisch gegenüber dem Vermögen des Inventarerben verselbständigte, was sich am deutlichsten darin äußerte, dass die Ansprüche der Nachlassgläubiger bereits ihrem Umfang nach beschränkt wurden,785 der Inventarerbe mithin pro (und nicht cum) viribus hereditatis haftete. Dass von Schmitt seine Lösung nicht näher begründete, erstaunt nicht nur deshalb, weil sie von der Situation beim „echten“ Konkurs genauso abwich wie von der überwiegenden Lesart des preußischen Rechts, sondern auch aus dem Grund, dass 781
Siehe demgegenüber § 183 InsO; näher Bork, Insolvenzrecht, Rn. 335, 340. Zu allen genannten Argumenten v. Schmitt, Begründung, 1019. 783 v. Schmitt, Begründung, 1019. 784 v. Schmitt, Begründung, 1019. Siehe auch § 380 Abs. 1 Teil-E BGB. 785 § 379 Abs. 1 Teil-E BGB. Siehe ferner § 379 Abs. 2 Teil-E BGB, nach dem das von § 319 Teil-E BGB angeordnete Erlöschen von Rechtsbeziehungen zwischen Erblasser und Erbe nur für Zwecke der Berechnung außer Betracht zu lassen war. 782
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im gemeinen Recht die Natur der durch Inventarerrichtung bewirkten Haftungsbeschränkung seit jeher umstritten war.786 Vermutlich hatten für die Entscheidung von Schmitts mehrere Faktoren eine Rolle gespielt: Erstens sah er eine Tendenz zur Haftung pro viribus in der Zivilprozessordnung des Reiches von 1877 angelegt.787 Zweitens stand von Schmitt möglicherweise unter dem Eindruck der neueren gemeinrechtlichen Lehre, die sich für die Haftung pro viribus hereditatis aussprach.788 Drittens ging er mutmaßlich davon aus, dass dies auch der Lösung des preußischen Rechts entsprach, zumindest in dessen Spätphase.789 Viertens bedeutete diese Form der Haftungsbeschränkung, die genau genommen eine Schuldbeschränkung war, naturgemäß einen geringeren Regelungsaufwand. So bedurfte es insbesondere nicht der Statuierung einer Abwicklerhaftung des Inventarerben, weil der Wert des Nachlasses im Zeitpunkt des Erbfalls gewissermaßen eingefroren wurde790 und nachträgliche Verbesserungen und Verschlechterungen damit allein den Inventarerben trafen. Überdies machte die umfangmäßig beschränkte Haftung auch Sondervorschriften für die Zwangsvollstreckung entbehrlich. Zu beachten ist schließlich, dass der Inventarerbe durch Geltendmachung der Abzugseinrede ohnehin jegliche Vollstreckungsmaßnahmen unterbinden konnte und somit sein Eigenvermögen gar nicht gefährdet war.791 f) Fazit Die Eckpfeiler des Teilentwurfs für das Erbrecht lassen sich wie folgt skizzieren: Gottfried von Schmitt war erstens nicht bereit, im Interesse des Erben oder der regulatorischen Einfachheit Abstriche beim Gläubigerschutz zu machen. Auch der sich als Konkursverwalter betätigende Inventarerbe musste ungeachtet der Größe oder Komplexität des Nachlasses sämtliche Tilgungsvorgaben beachten; selbst wenn er in irrtümlicher, aber entschuldbarer Weise die Zulänglichkeit des Nachlasses angenommen und deshalb einen Gläubiger zu Unrecht voll befriedigt hatte, ließ dies seine Verantwortlichkeit gegenüber den anderen Gläubigern unberührt.792 786
Siehe oben § 4 A.VII.9a) (270 ff.). v. Schmitt, Begründung, 983. 788 Siehe oben § 4 A.VII.9a) (270 ff.). Im Kontext des Ersten Entwurfs führte auch Binder, Rechtsstellung II, 54 f., die Statuierung der Haftung pro viribus auf den Einfluss des gemeinen Rechts zurück und bezeichnete sie aufgrund ihrer praktischen Schwierigkeiten als Rückfall. Binder verkannte dabei allerdings, dass die Abkehr von der Haftung cum viribus hereditatis erst mit Windscheid begonnen hatte. 789 Dies legt die Darstellung des preußischen Rechts bei v. Schmitt, Begründung, 1016 f. nahe, und in der Tat findet sich auch in den Motiven zur 1879 erfolgten Reform des preußischen Aufgebotsverfahrens (dazu oben Fn. 570), die v. Schmitt noch berücksichtigt hatte, die Auffassung einer nicht gegenständlich, sondern rechnerisch beschränkten Haftung. Kritisch dazu Dernburg, Preußisches Privatrecht III, § 223 (653 f. Fn. 12): „Mit derartigen Motiven läßt sich jedoch ein tiefgewurzelter Rechtsgrundsatz nicht umstoßen.“ 790 Siehe die Regelung in § 379 Abs. 2 Teil-E BGB. § 379 Abs. 3 Teil-E BGB regelte Fragen der Beweislast. 791 § 380 Abs. 1 Teil-E BGB. 792 v. Schmitt sah also keine dem § 1979 BGB vergleichbare Regelung vor. 787
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Zweitens legte von Schmitt unter dem Eindruck der schlechten Erfahrungen mit dem preußischen Liquidationsprozess, aber auch im Einklang mit einem Grundsatzbeschluss der Ersten Kommission,793 größten Wert darauf, die Einschaltung staatlicher Stellen in die Nachlassabwicklung so weit wie möglich zurückzudrängen.794 Einerseits wurde dem Inventarerben deshalb weder die Durchführung eines Aufgebotsverfahrens noch die Durchführung eines Konkursverfahrens zur Pflicht gemacht, andererseits wurde ihm aber auch nur im Fall des überschuldeten Nachlasses gestattet, die Abwicklung aus der Hand zu geben. Der Regelungsvorschlag Gottfried von Schmitts stellt sich damit als Synthese der beiden seinerzeit maßgeblichen Abwicklungsmodelle dar: Aus der gemeinrechtlichen Tradition bewahrte er den Grundsatz der staatsfernen Eigenabwicklung; von den Systemen der amtlichen Nachlassregulierung übernahm er den materiellen Aspekt, also die geordnete Befriedigung der Nachlassgläubiger.795 Hatte derselbe Kompromiss zwar schon das ALR gekennzeichnet,796 ging von Schmitt insbesondere bei der Ausgestaltung der gesonderten Eigenabwicklung bewusst über alles Dagewesene hinaus.797 Verfehlt wäre es vor diesem Hintergrund, den Entwurf von Schmitts etwa deshalb als besonders erbenfreundlich zu bezeichnen, weil er dem Erben, anders als später das BGB, das Inventar als Mittel der Haftungsbeschränkung zur Verfügung stellte. Stattdessen lag das prägende Kennzeichen des Entwurfs darin, dass er das hohe Maß an Selbstbestimmung, das er dem Erben gewährte, mit einem ebenso hohen Maß an Selbstverantwortung koppelte. Die Regelung der gesonderten Nachlassabwicklung im Entwurf von Schmitts lässt sich mithin als Ausdruck einer dezidiert liberalen Weltanschauung begreifen. 2. Die gesonderte Nachlassabwicklung im Ersten Entwurf Die Erste Kommission folgte sowohl in den Grundentscheidungen als auch in deren Rechtfertigung dem Entwurf von Schmitts. So wurde dem Erben bei Überschuldung des Nachlasses anheimgestellt, entweder den Konkurs zu beantragen798 oder die konkursmäßige Verteilung in Ausübung der nun offiziell so betitelten 793 v. Schmitt, Begründung, 893 („keine amtliche Nachlaßbehandlung“), unter Verweis auf das Protokoll v. 21.10.1876. 794 Dazu v. Schmitt, Begründung, 909–912, wo er u. a . betonte, dass auch das „fiskalische In teresse […] in Bezug auf die sichere Einbringung wie die leichte Bemessung der Nachlaßabgaben, Erbschaftssteuern u.s.f.“ keine amtliche Nachlassbehandlung erfordere (911, Hervorhebung im Original); siehe auch Munk, Gutachten, 40 („in fiscalischer Hinsicht zum mindesten entbehrlich“). 795 Ins Leere geht angesichts dieses bewussten Versuchs einer Synthese der von Osthold, Erben und Haftung, 87–154, ausführlich begründete Vorwurf einer Vermischung der historischen Vorgängermodelle, dazu auch unten E.VI.4b)(2) (557 ff.). 796 Dazu oben D.I. (435 ff.). 797 Von einem „neu erfundenen“ System, das allerdings dem „nationalen Rechtsgefühle“ widersstrebe, spricht (im Kontext des Ersten Entwurfs) Munk, Gutachten, 55. 798 §§ 2110–2119 E I-BGB. Das Antragsrecht selbst war nicht im Ersten Entwurf, sondern weiterhin in § 205 KO 1877 geregelt.
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„Abzugseinrede“799 selbst zu besorgen. 800 Im zweiten Fall war die Haftung nicht gegenständlich, sondern rechnerisch beschränkt. 801 Ergänzend stand dem Erben das Aufgebotsverfahren zur Verfügung. 802 Die „bedenkliche[n] Seiten“ der Abzugseinrede und ihrer „Fiktion des Nachlaßkonkurses“803 wurden auch von der Ersten Kommission nicht verkannt, erneut aber nicht für einen hinreichenden Grund gehalten, um dem Erben ein amtliches Konkursverfahren aufzuzwingen. 804 Nachlassgläubiger mussten sich auf die Abzugseinrede nicht einlassen, sondern konnten ihrerseits den Konkurs eröffnen. 805 Die konkursmäßige Verteilung des Nachlasses wurde auch bei geringwertigen Nachlässen für sachgerecht gehalten, da die vorhandenen Aktiva dann in der Regel ohnehin schon durch die vorrangig zu befriedigenden Verbindlichkeiten aufgezehrt würden, insbesondere die Bestattungskosten806 und den ausstehenden „Liedlohn.“807 Hatte der Erbe aufgrund irrtümlicher Annahme der Zulänglichkeit des Nachlasses einen Nachlassgläubiger voll befriedigt, konnte er im Nachlasskonkurs nur die entsprechende Quote ersetzt verlangen. 808 Eine partielle Abkehr vom Entwurf von Schmitts und Rückkehr zum preußischen Recht fand bei der Rolle der Inventarerrichtung statt. Zwar war diese ebenfalls unter Einschaltung einer Amtsperson vorzunehmen,809 doch war sie nicht 799
§ 2133 E I-BGB. Motive V, 605 = Mugdan V, 324 f. Siehe §§ 2133–2146 E I-BGB. 801 Binder, Rechtsstellung II, 53, 57 f.; ders., Erbrecht, 67; Planck/Flad, Vorbemerkungen zu §§ 1967 ff. (unter 5 II); Staudinger/Boehmer, § 1922, Rn. 127, 248. 802 §§ 2120–2132 E I-BGB. Motive V, 643 = Mugdan V, 345 nennen in diesem Punkt ausdrücklich das preußische Recht als Vorbild und sehen seine praktische Nützlichkeit auch dadurch bestätigt, dass es zwecks Erlangung von Informationen selbst in der Erbrechtspraxis solcher Rechtsordnungen zur Anwendung komme, die es gesetzlich nicht geregelt haben (unter Bezugnahme auf Windscheid/Kipp, Pandekten III, § 606 (480 Fn. 3), der allerdings auf die fehlende Präklusionswirkung hinweist). 803 Motive V, 656 = Mugdan V, 352. 804 Motive V, 654 f. = Mugdan V, 351 f., wo im Wesentlichen die Argumente v. Schmitts wiederholt werden. Siehe auch das Protokoll der 667. Sitzung v. 16.5.1887, in: Jakobs/Schubert (Hg.), Beratung des BGB, Erbrecht 1, 392 f. (dort auch zur Rechtsnatur der Abzugseinrede), ferner das Protokoll der 657. Sitzung v. 22.4.1887, in: Jakobs/Schubert (Hg.), Beratung des BGB, Erbrecht 1, 314 f., wo der Antrag, den Erben bei Inventarerrichtung cum viribus hereditatis haften zu lassen, die Abwicklung in diesem Fall aber einem Nachlasspfleger zu übertragen, abgelehnt wurde (der Antrag nahm in Grundzügen die Lösung der Zweiten Kommission und des BGB vorweg und setzte sich damit schließlich doch durch). 805 § 205 KO 1877; Motive V, 605 = Mugdan V, 325. 806 Die aus der „standesgemäßen Beerdigung“ resultierenden Verbindlichkeiten gehörten nach § 2113 Nr. 5 E I-BGB zu den Masseschulden. 807 Motive V, 623 = Mugdan V, 334 f. Mit „Liedlohn“ waren Ansprüche aus pesönlichen Dienstverhältnissen gemeint. 808 § 2115 Abs. 2 E I-BGB; Motive V, 633 f. = Mugdan V, 340. 809 § 2102 E I-BGB. Motive V, 615 f. = Mugdan V, 330 weisen in diesem Zusammenhang ausdrücklich den möglichen Vorwurf der Annahme eines Systems der amtlichen Nachlassregulierung oder einer Bevormundung der Parteien zurück und stellen die „[n]ach den Erfahrungen des praktischen Lebens“ für meisten Erben bestehende Notwendigkeit einer Hilfestellung heraus. Zugleich wird eingestanden, dass auch die amtliche Inventarerrichtung keine Gewähr für die Richtigkeit des Inventars bieten könne, „wenn es der Erbe an der erforderlichen Aufrichtigkeit hat 800
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mehr Voraussetzung für die Geltendmachung der Haftungsbeschränkung des Erben.810 Stattdessen war Inventarerbe schon jeder Erbe, dessen Recht zur Inventar errichtung nicht erloschen war, 811 der also nicht die ihm vom Gericht gesetzte Inventarfrist versäumt812 oder einen Nachlassgegenstand unterschlagen hatte. 813 Die Erste Kommission behandelte die Thematik der Erbenhaftung dennoch weiterhin unter dem Titel „Inventarrecht“, 814 wobei ihr die zweifelhafte Treffsicherheit des Ausdrucks nicht verborgen blieb. 815 Diese Unklarheit war mitursächlich dafür, dass im Schrifttum zum Ersten Entwurf Uneinigkeit darüber bestand, ob die Haftung des Alleinerben anfänglich beschränkt oder lediglich beschränkbar war.816 Für den Ausgangspunkt der unbeschränkten Haftung sprach die Aussage in den „Motiven“, dass der Erbe im Fall des zureichenden Nachlasses die Gläubiger niemals darauf verweisen könne, Befriedigung allein aus den Gegenständen des Nachlasses zu suchen.817 Doch wie Binder zutreffend herausstellte, war dieser unbeschränkte Vollstreckungszugriff lediglich Folge der Haftung pro viribus hereditatis. Und da eben die Geltendmachung der Haftungsbeschränkung an keinerlei andere Voraussetzung als die Geltendmachung der Überschuldung geknüpft war, haftete der Alleinerbe von Anfang an (rechnerisch) beschränkt.818 fehlen lassen“. Sicherheit ließe sich nur dann schaffen, wenn öffentliche Stellen sofort nach dem Eintritt des Erbfalls einzugreifen hätten und mit „inquisitorischen Befugnissen“ ausgestattet würden. Ein solcher Ansatz sei jedoch unvereinbar mit der Grundentscheidung gegen die „amtliche Nachlaßregulirung“. 810 Auch insofern ist deshalb die Ansicht verfehlt, der Erste Entwurf sei dem gemeinen Recht gefolgt, siehe unten Fn. 826. 811 Siehe die Legaldefinition in § 2120 Abs. 1 E I-BGB, sowie Motive V, 657, 667 = Mugdan V, 353, 358; Protokoll der 669. Sitzung v. 20.5.1887, in: Jakobs/Schubert (Hg.), Beratung des BGB, Erbrecht 1, 412 („Man war der Ansicht, daß […] das formale Moment der Errichtung des Inventars nicht zur Voraussetzung der Geltendmachung der Abzugseinrede gemacht werden könne“); Protokoll der 677. Sitzung v. 10.6.1887, in: Jakobs/Schubert (Hg.), Beratung des BGB, Erbrecht 1, 447. Unklar ist, wieso Osthold, Erben und Haftung, 130, in diesem Punkt einen Unterschied zum preußischen ALR sieht; denn Voraussetzung der Haftungsbeschränkung war die Inventarerrichtung auch nach diesem nicht. 812 §§ 2095, 2096 E I-BGB. Auch Motive V, 609 = Mugdan V, 327, und Denkschrift BGB, 855, weisen auf die Härten der preußischen Regelung hin, den Verlust des Inventarrechts schon mit Ablauf einer gesetzlichen Frist eintreten zu lassen, siehe bereits oben Fn. 744 f. Für unzureichend hielt die gerichtliche Inventarfrist hingegen Eck, Stellung des Erben, 11–14, der als Kompromiss vorschlug, die Aufforderung zur Inventarerrichtung von Amts wegen zuzustellen. 813 § 2106 Abs. 1 E I-BGB. 814 Siehe die Kritik bei Endemann, Erbrecht III/2, 887 („[…] das eigenartige ‚Inventarrecht ohne Inventar‘ […]“); ferner van Venrooy, AcP 186 (1986), 385–387; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3480. 815 Siehe Motive V, 606 = Mugdan V, 325: „Ob hiernach der Ausdruck ‚Inventarrecht‘ ganz zutreffend ist, kann dahingestellt bleiben. Allein das Wort hat sich eingebürgert, ist auch in der CPO. § 695 gebraucht und nicht einmal ganz unpassend, mit Rücksicht auf die große Bedeutung, welche auch nach dem Entw. der Inventarerrichtung zukommt.“ Bähr, KritV XXX (1888), 561 (Fn. 1), sollte später spotten, dass im Begriff des Inventarrechts eine Benennung nach dem Muster von „lucus a non lucendo“ liege. 816 Für Nachweise Binder, Rechtsstellung II, 53. 817 Motive V, 604 = Mugdan V, 324. 818 Zu beiden genannten Aussagen Binder, Rechtsstellung II, 53–55, 65; dem folgend Osthold, Erben und Haftung, 128.
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Ziel der (soweit ersichtlich) nicht näher begründeten Entscheidung der Ersten Kommission, die fortbestehende Möglichkeit der Inventarerrichtung genügen zu lassen, war vermutlich die Vermeidung unnötiger Kosten, doch dürfen die praktischen Konsequenzen nicht überschätzt werden. So konnte der Erbe die Abzugseinrede zwar auch ohne die vorherige Inventarerrichtung erheben. 819 Er kam aber, wenn er im Prozess Erfolg haben wollte, um die Darlegung der Vermögensverhältnisse letztlich nicht herum. 820 Im Fall der Beantragung des Nachlasskonkurses musste der Erbe sodann ohnehin ein Verzeichnis der Gläubiger und Schuldner sowie eine Übersicht der Vermögensmasse einreichen, 821 und im Fall des Gläubigeraufgebots musste er die Inventarerrichtung zumindest schon beantragt haben. 822 Weitere Abweichungen gegenüber dem Entwurf von Schmitts betrafen technische Einzelheiten. So musste ein Gläubiger, dessen Forderung nicht einen Geldbetrag zum Gegenstand hatte, diese nach dem Schätzwert geltend machen.823 Der maßgebliche Zeitpunkt für die Ermittlung des Nachlasswertes war nicht mehr der Erbfall, sondern der Moment, in dem die Abzugseinrede geltend gemacht wurde. 824 Dies erklärt zugleich, warum der Erbe sich nach dem Ersten Entwurf ungeachtet seiner Haftung pro viribus hereditatis wie ein beauftragter Verwalter behandeln lassen musste.825 Der Überblick zeigt, dass entgegen der landläufigen Ansicht das Erbenhaftungsregime des Ersten Entwurfs nicht in der gemeinrechtlichen Tradition wurzelte, 826 sondern in erster Linie an das preußische Recht angelehnt war. 827 Denn eine Übereinstimmung mit dem gemeinen Recht bestand nur noch insoweit, als dem Erben eine gesonderte Abwicklung in Eigenregie gestattet wurde. Was hingegen das Pflichtenprogramm betraf, hatte die Erste Kommission wie schon von Schmitt die gemeinrechtliche Tradition bewusst hinter sich gelassen, und hinsichtlich der Voraussetzungen einer Haftungsbeschränkung war sie sogar vom Erfordernis der In819
Motive V, 657, 667 f. = Mugdan V, 353, 359. Immerhin musste dies kein öffentliches Inventar sein, Binder, Rechtsstellung II, 56 f. 821 § 96 KO 1877; Motive V, 623 = Mugdan V, 334. 822 § 2120 Abs. 2 E I-BGB. Der Grund für dieses Erfordernis lag nach Motive V, 644 = Mugdan V, 346 zum einen darin, dass das Aufgebot seinen Sinn verlor, sobald der Erbe sein Inventarrecht eingebüßt hatte und damit unbeschränkt haftete, zum anderen in dem Interesse der Gläubiger, ggf. auch schon vor Abschluss des Aufgebots den Nachlasskonkurs zu beantragen. 823 § 2134 E I-BGB; Motive V, 657 f. = Mugdan V, 353 bezeichnet diese Rechtsfolge als „noth wendige Folge der Fiktion des Konkurses“. 824 §§ 2135, 2136 E I-BGB. Motive V 650 f., 658–665 = Mugdan V 349, 353–357. Sehr kritisch zu diesem beweglichen Stichtag Siber, Haftung für Nachlassverbindlichkeiten, 74 f. 825 §§ 2133 Abs. 2 , 2112 E I-BGB. Fehl geht daher der von Osthold, Erben und Haftung, 131, 136, 139, erhobene Vorwurf eines „Bruch[s] im Haftungssystem“. Als übertriebene Härte lässt sich allenfalls das Fehlen einer Haftungsprivilegierung für denjenigen Erben kritisieren, der schuldlos die Zulänglichkeit des Nachlasses annahm, siehe ebd., 138 (Fn. 823). Siehe auch schon Casso, Haftung des Benefizialerben, 72 f. 826 So aber etwa Kipp/Coing, Erbrecht, 521; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1185; Fischinger, Haftungsbeschränkung, 145; K. W. Lange, Erbrecht, § 69 Rn. 12. 827 Zutreffend Eck, Stellung des Erben, 11; Binder, Erbrecht, 67; Muscheler, in: FS Kroeschell, 757. 820
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ventarerrichtung abgerückt. Neben der Verkennung dieses Unterschieds dürfte die oftmals zu undifferenzierte Wahrnehmung des Ersten Entwurfs ihren Grund in der Gewohnheit vieler heutiger Autoren haben, nur auf die Voraussetzungen einer Haftungsbeschränkung zu schauen und die mindestens ebenso bedeutsame Frage des Pflichtenprogramms außer Betracht zu lassen. 3. Die gesonderte Nachlassabwicklung im Zweiten Entwurf a) Überblick Das von von Schmitt konzipierte und von der Ersten Kommission im Wesentlichen fortgeführte Modell der Nachlassabwicklung erfuhr, auch in Reaktion auf geäußerte Kritik,828 eine grundlegende Umgestaltung im Zweiten Entwurf für das BGB. Die Abzugseinrede wurde in modifizierter Form auf Sonderfälle beschränkt, zugleich wurde mit der „Nachlassverwaltung“ (zwischenzeitlich „Nachlasspflegschaft“ genannt829) ein neues, amtliches Abwicklungsverfahren eingeführt, das keine Überschuldung des Nachlasses voraussetzte.830 Die entscheidenden Weichenstellungen, die letztlich die Gestalt auch des BGB prägen sollten, wurden in einer eigens für das Inventarrecht eingerichteten Subkommission vorgenommen. 831 b) Die Beschränkung und Modifizierung der Abzugseinrede Gegen eine allgemeine Abzugseinrede wurden im Wesentlichen genau die Nachteile in Stellung gebracht, auf die von Schmitt selbst schon hingewiesen hatte.832 Es hieß, die Abzugseinrede schaffe, „indem sie dazu nöthige, den Werth des Nachlasses und die aus demselben zu berichtigenden Nachlaßverbindlichkeiten […] jedem einzelnen Gläubiger gegenüber festzustellen, ein sehr verwickeltes Verhältniß, dessen Lösung ein großes Maß von Rechtskenntnis und geschäftlicher Gewandtheit voraussetze“. 828 Siehe insbesondere Bähr, KritV XXX (1888), 561–565; Munk, Gutachten, 55–66 (Gegenentwurf 83–87); Dove, Gutachten, 112–124; Eck, Stellung des Erben, 7–17; Bernhöft, Zur Reform des Erbrechts, 88, 98; siehe auch die Nachweise bei Andres, Erbrechtsentwurf Mommsen, 444 f. 829 Der ursprüngliche, in die Subkommission für das Inventarrecht eingebrachte Regelungsentwurf sprach von „Nachlaßverwaltung“, siehe §§ e bis r der Anlage VIII zum Protokoll der Sitzung vom 24.9.1894, in: Jakobs/Schubert (Hg.), Beratung des BGB, Erbrecht 1, 514–544. Die Hauptkommission behandelte das Rechtsinstitut dann als besonderen Fall einer „Nachlasspflegschaft“, nämlich einer solchen zum Zwecke der Befriedigung der Nachlassgläubiger (Protokolle V, 807–810). Die Anlehnung an die (allgemeine Nachlass-)Pflegschaft hatte vor allem redaktionelle Gründe, nämlich die Einsparung von Vorschriften (Protokolle V, 809–811). Die Redaktionskommission kehrte zum Begriff der „Nachlaßverwaltung“ zurück (siehe Staudinger/Marotzke (2010), § 1975 Rn. 15), die aber eben weiterhin legal definiert ist als eine Nachlasspflegschaft zum Zwecke der Gläubigerbefriedigung (§ 1975 BGB). 830 Die Erwähnung dieses wichtigen Aspekts versäumt Ehrenkönig, Erbenhaftung, 34. 831 Einflussreich waren hierbei offenbar vor allem die im Schrifttum unterbreiteten Vorschläge von Bähr, Gegenentwurf, 419–426, und Bernhöft, Zur Reform des Erbrechts, 97–139. 832 Zum Folgenden Protokoll der Sitzung der Subkommision zum Inventarrecht vom 24.9.1894, in: Jakobs/Schubert (Hg.), Beratung BGB, Erbrecht 1, 494–497; Protokolle V, 759 f.
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Die aus den notwendigen Schätzungen resultierenden Zufälligkeiten würden Erben und Gläubiger gleichermaßen gefährden. Überdies erreiche die Abzugseinrede das Ziel der Konkursvermeidung nur dann, wenn auch die Gläubiger von dessen Eröffnung absehen. Wo aber der Nachlass überschuldet ist, sei es richtiger, dem Erben, der ohnehin nichts zu bekommen habe, die Berufung darauf nur zu gestatten, wenn er die Kontrolle über den Nachlass aufgibt. Folgerichtig im Sinne dieser Argumentation wurde die Beseitigung der allgemeinen Abzugseinrede mit der schadens ersatzbewehrten Pflicht des Erben zur unverzüglichen Konkurseröffnung verbunden und damit die Grundlage für den späteren § 1980 BGB gelegt. 833 Die Entscheidung, die gesonderte Abwicklung grundsätzlich nur in amtlicher, nicht aber in privater Form zuzulassen, bedeutete eine Annäherung an den Entwurf Mommsens, 834 für den ebenfalls die Gefahr der Überforderung des Erben ausschlaggebend gewesen war.835 Die Entscheidung der Zweiten Kommission mag man insofern als kurios betrachten, als der Erbe einerseits vor sich selbst geschützt werden sollte, er andererseits aber im Ergebnis noch größeren Gefahren ausgesetzt wurde. Denn die unbeschränkte Haftung, aus der sich der Erbe nun nur noch unter erhöhten Voraussetzungen befreien konnte, war potentiell viel folgenreicher als eine Haftung wegen Abwicklungsverschuldens. Das paternalistische Bestreben der Zweiten Kommission führte m. a.W. zu einer Lösung, die vom Erben gerade besondere Wachsamkeit verlangte. In der Subkommission zum Inventarrecht war die Abzugseinrede durchaus nicht ohne Fürsprecher gewesen. So wurde wie schon bei von Schmitt davor gewarnt, die Parteien dadurch zu bevormunden, dass man ihnen die Verhandlung über die Zulänglichkeit des Nachlasses im Prozesswege verwehrte. Einer solchen Möglichkeit bedürfe es schon dort, wo der Nachlass zur Deckung der Kosten eines Konkursverfahrens nicht ausreiche. Und auch bei Nachlässen von mittlerem Wert würden Gläubiger sich häufig veranlasst sehen, vom Antrag auf Konkurseröffnung abzusehen, um sich nicht der Gefahr der Kostentragung auszusetzen.836 Die Mehrheit der Subkommission war indessen der Meinung, dass die Parteien das genannte Ergebnis auch im Wege einer (freilich nur sie selbst bindenden) Privatvereinbarung erreichen könnten und der Gesetzgeber keine Veranlassung habe, ihnen hierzu eine Anleitung zu geben. 837 833
§ 1854 Abs. 2, 3 E II-BGB; Protokolle V, 760. Gerade auch im Hinblick auf die später eingeführte Nachlassverwaltung, siehe Andres, Erbrechtsentwurf Mommsen, 445. Dass der Entwurf Mommsens zugleich als deutlich einfacher und durchsichtiger erscheint (siehe ebd., 442, 445), dürfte allerdings auch durch seine im Vergleich zur BGB-Regelung deutlich geringere Ausdifferenzierung zu erklären sein. 835 Siehe F. Mommsen, Entwurf, 62 (§ 260), 306: „Die Vorschrift des [preußischen ALR] aber legt dem Erben eine Verantwortung auf, welche mit einem sehr erheblichen Risiko verbunden ist, und die umso bedenklicher ist, als der Erbe in den meisten Fällen der ihm gestellten Aufgabe durchaus nicht gewachsen ist.“ Eck, Stellung des Erben, 29, wies demgegenüber auf die Vereinfachung der Rangverhältnisse hin und sah den Erben keineswegs überfordert. 836 Siehe zu allen genannten Punkten das Protokoll der Sitzung vom 24.9.1894, in: Jakobs/ Schubert (Hg.), Beratung des BGB, Erbrecht 1, 494 f. 837 Protokoll der Sitzung vom 24.9.1894, in: Jakobs/Schubert (Hg.), Beratung des BGB, Erbrecht 1, 495. 834
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Mehrheitlich verworfen wurde in der Subkommission auch der Vorschlag, in Anlehnung an die gemeinrechtliche Theorie und Praxis sowie den Grundgedanken des preußischen Rechts838 dem Erben die Möglichkeit zu geben, eine Zwangsvollstreckung in sein eigenes Vermögen dadurch abzuwenden, dass er dem Gläubiger verwertbares Nachlassvermögen nachweist;839 die Gläubiger seien hierdurch nicht schlechter gestellt als zu Lebzeiten des Erblassers.840 Die Mehrheit der Subkommission wandte indessen ein, dass es Aufgabe des Erben und nicht der Gläubiger sei, flüssige Mittel zu erlangen.841 Die vorgeschlagene Regelung würde es dem Erben ermöglichen, die leicht verwertbaren Gegenstände zu versilbern und die Gläubiger auf die schwer verwertbaren zu verweisen. Dies gestatte ihm auch das preußische Recht nicht, vielmehr verlange es vom Erben, der die Vollstreckung in sein eigenes Vermögen abwenden wolle, den Nachweis, dass er die ihm in Ansehung der Abwicklung des Nachlasses obliegenden Verpflichtungen erfüllt habe. 842 Gemeint sein dürfte damit, dass bei einer Verletzung der Abwicklerpflicht stets der Weg zur persönlichen Haftung frei war.
In zwei Konstellationen sah freilich auch die Zweite Kommission Bedarf für die Vermeidung eines Konkursverfahrens und ein Festhalten an der Abzugseinrede. Der erste Fall war der, dass der Nachlass gar nicht zur Deckung der Kosten eines Konkursverfahrens ausreicht.843 Da man dem Erben keine Verpflichtungen auferlegen wollte, „die er ohne rechtskundigen Beistand nicht erfüllen“ könnte, sollte die Lösung hier eine „möglichst einfache“ sein.844 Die Reihenfolge der Gläubigerbefriedigung gemäß dem gemeinen Recht gänzlich in das Belieben des Erben zu stellen, hielt man freilich nicht für tragbar, da eine solche Lösung der Billigkeit zu sehr widerstreiten und „dem Zufall und der Willkür, ja der Chikane des Erben einen zu großen Einfluß“ einräumen würde.845 Der sachgerechte Kompromiss wurde darin gesehen, die Pflicht zur konkursmäßigen Befriedigung auf Verbindlichkeiten aus Pflichtteilsrechten, Vermächtnissen und Auflagen zu beschränken. Ein entsprechender Vorrang der übrigen Nachlassverbindlichkeiten „sei im Publikum bekannt“846 und seine Beachtung dem Erben daher zumutbar.847 Verworfen wurde nach Diskussion hingegen eine Pflicht des Erben zur konkursmäßigen Befriedi838 Gemeint war vermutlich die Annahme einer von Anfang an gegenständlich auf den Nachlass beschränkten Haftung. 839 § a der Anlage VIII, abgedruckt in: Jakobs/Schubert (Hg.), Beratung des BGB, Erbrecht 1, 541. 840 Protokoll der Sitzung vom 24.9.1894, in: Jakobs/Schubert (Hg.), Beratung des BGB, Erbrecht 1, 495. Siehe auch ebd., 544. 841 Protokoll der Sitzung vom 24.9.1894, in: Jakobs/Schubert (Hg.), Beratung des BGB, Erbrecht 1, 497. 842 Protokoll der Sitzung vom 24.9.1894, in: Jakobs/Schubert (Hg.), Beratung des BGB, Erbrecht 1, 497, unter Verweis auf § 2112 E I-BGB (dazu oben Fn. 825) und Dernburg, Preußisches Privatrecht III, § 224 Fn. 7 (§ 224 (657 Fn. 8) in der hier zitierten Ausgabe). 843 Protokolle V, 796. 844 Protokoll der Sitzung der Subkommision zum Inventarrecht vom 24.9.1894, in: Jakobs/ Schubert (Hg.), Beratung BGB, Erbrecht 1, 497; ähnlich Protokolle V, 800. 845 Protkolle V, 800. 846 Protokoll der Sitzung der Subkommision zum Inventarrecht vom 24.9.1894, in: Jakobs/ Schubert (Hg.), Beratung BGB, Erbrecht 1, 497. 847 Protkolle V, 801, dazu auch Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 60 f.
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gung der Masseverbindlichkeiten, da der Rechtsunkundige hierdurch überfordert würde. 848 Der zweite Ausnahmefall, für den die Zweite Kommission an der Abzugseinrede festhielt, war der, in dem die Überschuldung auf Verbindlichkeiten aus Vermächtnissen und Auflagen beruht. Ein Zwang zur Eröffnung des Konkursverfahrens schien den Mitgliedern der Zweiten Kommission in dieser Situation im Widerspruch zum mutmaßlichen Willen des Erblassers zu stehen, der gewöhnlich davon ausgehe, dass der Nachlass zur Erfüllung sämtlicher letztwilligen Anordnungen hinreicht. 849 Die entsprechenden Regelungsvorschläge850 bildeten die Grundlage für die §§ 1990–1992 BGB. Die Zweite Kommission schuf sodann auch eine wichtige haftungserleichternde Klarstellung851 für den Erben, die die Grundlage für den späteren § 1979 BGB bildete: Was der Erbe in nicht verschuldeter Unkenntnis der Unzulänglichkeit des Nachlasses zur Berichtigung von Nachlassverbindlichkeiten bezahlt hatte, sollte er im Nachlasskonkurs in Anrechnung bringen dürfen.852 Abgelehnt wurde dabei zugleich der Vorschlag, den Erben stets als fahrlässig zu behandeln, wenn er die Beantragung des Aufgebotsverfahrens unterlassen hatte. Denn dieses verursache häufig unnötige „Kosten und Weitläufigkeiten“ und könne mitunter „wohl auch wegen des auf den Erblasser fallenden Makels“ als unangemessen erscheinen, „vielleicht sogar als Kreditgefährdung empfunden werden.“853 c) Die Einführung der Nachlassverwaltung Für intensive Debatten, und zwar in der Subkommission zum Inventarrecht ebenso wie in der Hauptkommission, sorgte der schließlich mehrheitlich angenommene Vorschlag, dem Erben nach dem Vorbild des französischen abandon 854 die Möglichkeit zu geben, sich der Nachlassabwicklung zu begeben und sie einer gerichtlichen ernannten Person zu übertragen. Zugunsten einer solchen amtlichen Nachlassverwaltung, die man mit der Liquidation des Vermögens einer erloschenen juristischen Person verglich, 855 wurde neben der Möglichkeit, eine Haftung cum viribus hereditatis „wirklich durchzufüh848
Protkolle V, 801. der Sitzung der Subkommission zum Inventarrecht vom 25.9.1894, in: Jakobs/ Schubert (Hg.), Beratung des BGB, Erbrecht 1, 550 f.; Protokolle V, 762, 803. 850 Siehe §§ 1865–1867 E II-BGB. 851 Zur Frage, ob es sich sogar um eine haftungsrechtliche Privilegierung handelt, unten § 7 Fn. 407. 852 § 1854 Abs. 1 E II-BGB; Protokolle V, 766. Entgegen Osthold, Erben und Haftung, 147, lag hierin kein Umschwenken auf den Modus der freien Gläubigerbefriedigung des gemeinen Rechts. Denn nach diesem kam es gerade nicht darauf an, ob der Erbe die Unzulänglichkeit des Nachlasses kannte oder hätte erkennen können. 853 Protokoll der Sitzung der Subkommission zum Inventarrecht vom 25.9.1894, in: Jakobs/ Schubert (Hg.), Beratung des BGB, Erbrecht 1, 552; siehe auch Protokolle V, 766. 854 Dazu oben Fn. 159. 855 Protokoll der Sitzung der Subkommission zum Inventarrecht vom 24.9.1894, in: Jakobs/ Schubert (Hg.), Beratung des BGB, Erbrecht 1, 496 (siehe auch 544). 849 Protokoll
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ren“856 , vor allem die Notwendigkeit einer Hilfestellung für den Erben angeführt.857 In Fällen, in denen die Nachlassverhältnisse verwickelt waren, etwa aufgrund der Auslandsbelegenheit von Gütern, könne es ihm nicht zugemutet werden, sich einer Aufgabe zu unterziehen, die für ihn und seine bisherige wirtschaftliche Existenz nicht selten mit den größten Gefahren verbunden sei und ihn unter Umständen dazu nötigen könne, seinen bisherigen Beruf aufzugeben. Der Satz, dass es nicht Sache des Staates sei, Privatangelegenheiten zu besorgen, sei nur insoweit richtig, als die Beteiligten zu einer befriedigenden, sie nicht übermäßig gefährdenden Ordnung der Angelegenheiten imstande seien, und dies treffe hier vielfach nicht zu. Die Möglichkeit, den Nachlasskonkurs zu beantragen, helfe selbst dann nicht immer weiter, wenn die Eröffnung schon bei Zahlungsunfähigkeit (und nicht lediglich bei Überschuldung) zugelassen werde, weil diese Voraussetzung vom Reichsgericht bislang sehr restriktiv gehandhabt worden sei. Die Interessen der Nachlassgläubiger schließlich würden durch die Möglichkeit einer Nachlassverwaltung nicht nur nicht beeinträchtigt, sondern gerade begünstigt. So werde zum einen eine bessere Regelung der Nachlassabsonderung im Interesse der Gläubiger ermöglicht, die nach dem Ersten Entwurf nur im Rahmen des Konkursverfahrens erfolgen könne,858 dessen Regelungen aber häufig nicht passten.859 Zum anderen würde die Zahl der Fälle verringert, in denen ein wenig geschäftsgewandter Erbe zunächst selbst mit der Liquidation eines unübersichtlichen Nachlasses beginne und dadurch die Gläubigerinteressen gefährde. Denn weil eine Nachlassverwaltung weniger weitläufig und kostspielig sei als ein Nachlasskonkurs, und zudem auch nicht, oder jedenfalls weit weniger, mit einem „gewissen Makel“ für den Erb lasser verbunden, werde sich der Erbe viel leichter dazu entschließen, die Abwicklung in kompetentere Hände zu legen.860 Gegen die Einführung der Nachlassverwaltung wurde vor allem der Topos der Selbstverantwortlichkeit in Stellung gebracht:861 Es sei nicht Aufgabe des Staates, die Angelegenheiten der Bürger auf ihren Wunsch hin zu regeln, wenn sie diese auch selbst besorgen können, etwa durch Hinzuziehung eines Rechtskundigen oder Geschäftsmannes. Habe der Erbe die Erbschaft angenommen, weil er sich die Vorteile derselben nicht entgehen lassen wolle, so sei es seine Sache, die erbschaftlichen Geschäfte abzuwickeln; er könne nicht erwarten, dass der Staat dies erledige und ihm den Überschuss abliefere. Zudem stehe bei Nachlassbelegenheit im Aus856
Protokolle V, 761. Folgenden Protokoll der Sitzung der Subkommission zum Inventarrecht vom 24.9.1894, in: Jakobs/Schubert (Hg.), Beratung des BGB, Erbrecht 1, 495; Protokolle V, 761. 858 Siehe § 2150 E I-BGB. 859 Protokolle V, 761 f., 821 f. 860 Protokoll der Sitzung der Subkommission zum Inventarrecht vom 24.9.1894, in: Jakobs/ Schubert (Hg.), Beratung des BGB, Erbrecht 1, 495 f.; Protokolle V, 762. 861 Zum Folgenden Protokoll der Sitzung der Subkommission zum Inventarrecht vom 24.9.1894, in: Jakobs/Schubert (Hg.), Beratung des BGB, Erbrecht 1, 496, wo der Vorschlag der Einführung der Nachlassverwaltung noch mehrheitlich abgelehnt worden war; Protokolle V, 760 f. 857 Zum
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land ein Nachlassverwalter genauso wie ein Erbe vor der Notwendigkeit, sich an den zuständigen Konsul, Beamten oder Notar zu wenden. Dem Fall, dass der Nachlass schwierig zu verflüssigen sei, könne durch den neu einzuführenden Konkurseröffnungsgrund der Zahlungsunfähigkeit Rechnung getragen werden.862 Angeführt wurde schließlich auch, dass einer Nachlassverwaltung kein geringerer Makel anhafte als einem Nachlasskonkurs, und dass eines der Vorbilder für die Nachlassverwaltung, nämlich der preußische Liquidationsprozess, 1855 abgeschafft863 und seither nicht vermisst worden sei. 864 Die Befürworter der Nachlassverwaltung setzten sich schließlich durch, und der entsprechende Regelungsvorschlag865 bildete die Grundlage für die §§ 1975–1989 BGB. Für die Möglichkeit, Nachlasskonkurs auch schon bei Zahlungsunfähigkeit zu beantragen, wurde dementsprechend kein Bedarf mehr gesehen.866 d) Der Mythos vom Misstrauen gegen das Inventar Im Schrifttum zum Erbrecht des BGB findet sich häufig die Darstellung, dass die Zweite Kommission die bloß „papierene Separation“ des Nachlass mittels Inventarerrichtung für nicht hinreichend zuverlässig gehalten und dem Erben deshalb eine Beschränkung seiner Haftung nur zu dem Preis der Aufgabe seiner Abwicklungszuständigkeit gestattet habe867 – nach der Devise „Hand ab vom Nachlass!“.868 In der Tat ist dies der Eindruck, den man bei einer „nackten“ Gegenüberstellung von Erstem und Zweitem Entwurf gewinnen muss: Die Abzugseinrede als allgemeines Instrument der Haftungsbeschränkung wurde im Zweiten Entwurf fallen gelassen, dafür wurde die Nachlassverwaltung als neues, amtliches Abwicklungsverfahren eingeführt. Und wahr ist auch, dass beispielsweise Otto Bähr in seiner Kritik am Ersten Entwurf dem Inventar die Tauglichkeit als Mittel zum Gläubigerschutz dezidiert abgesprochen hatte, unter Hinweis insbesondere auf die leichte Hinterziehbarkeit von Inhaberpapieren. 869 Ein Blick auf die Hintergründe zeigt indessen, dass das gezeichnete Bild vom Entstehungsprozess des BGB, das allgemein auch eine größere „Erbenfreundlichkeit“ des Ersten Entwurfs suggeriert, in mehrfacher Hinsicht schief ist. 862 Protokoll der Sitzung der Subkommission zum Inventarrecht vom 24.9.1894, in: Jakobs/ Schubert (Hg.), Beratung des BGB, Erbrecht 1, 496; Protokolle V, 759 f. 863 Dazu oben D.II. (439 f.). 864 Protokolle V, 761. 865 Siehe §§ 1850–1863 E II-BGB. 866 Erst die Insolvenzordnung von 1994 sollte den Eröffnungsgrund der Zahlungsunfähigkeit einführen, siehe § 320 S. 1 InsO; dazu Bork, Insolvenzrecht, Rn. 495. 867 Diesen Eindruck erwecken, bezeichnenderweise stets ohne konkreten Nachweis, etwa Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 16 f., der, vermutlich auch mit Blick auf das schweizerische ZGB von 1911, in der Ablehnung des Inventars als Mittel der Haftungsbeschränkung sogar die „neuzeitliche Rechtsauffassung“ erkennen wollte; Karpe, in: 3. Denkschrift, 61; Kipp/Coing, Erbrecht, 520; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3738, 3491; Fischinger, Haftungsbeschränkung, 145. 868 Bähr, Gegenentwurf, 421. 869 Bähr, KritV XXX (1888), 563; ders., Gegenentwurf, 420 f. (dem folgend Bernhöft, Zur Reform des Erbrechts, 99).
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Einen eher technischen Punkt betrifft zunächst die Erinnerung daran, dass schon im Ersten Entwurf die Inventarerrichtung nicht mehr Voraussetzung für die Haftungsbeschränkung war, sondern ihr Unterlassen trotz gerichtlicher Aufforderung genauso wie die vorsätzlich ungetreue Errichtung lediglich zum Verlust des Haftungsbeschränkungsrechts führte. 870 Die Zweite Kommission behielt diese aus dem preußischen Recht herrührende und auf dem Strafgedanken beruhende Konzeption871 unverändert bei,872 stufte das Inventar in seiner Bedeutung also keineswegs herab.873 In substanzieller Hinsicht ist sodann zu betonen, dass die Abzugseinrede als Weg zur gesonderten Nachlassabwicklung nicht wegen der Besorgnis einer unzureichenden Separation von Erbenvermögen und Nachlass verworfen wurde. Stattdessen war es die Komplexität der mit der Abzugseinrede verbundenen Rechtslage, an der die Zweite Kommission Anstoß nahm und deren Vermeidung gerade auch den Erben selbst vor Schwierigkeiten und Gefahren schützen sollte. Überdies darf der Umstand, dass die Eröffnung der Nachlassverwaltung mit einem Verlust der Abwicklungszuständigkeit für den Erben einherging, nicht als Ausdruck des Misstrauens diesem gegenüber gedeutet werden. Denn wie die in den Materialien geäußerte Zielsetzung zeigt, wurde ein solches amtliches Verfahren gerade nicht als eine „reparierte“ Form der Abzugseinrede betrachtet,874 die ja auch den Fall des überschuldeten Nachlasses betraf und dem Erben die Möglichkeit geben sollte, das Konkursverfahren zu vermeiden. Stattdessen war die Nachlassverwaltung gedacht als eine Art staatliches Serviceangebot für die Nachlässe, die kompliziert, aber eben gerade nicht überschuldet sind (anderenfalls war ja in jedem Fall ein Nachlasskonkurs durchzuführen).875 Dieser von der Zweiten Kommission mit der Nachlassverwaltung verbundene Zweck trat nicht zuletzt auch in ihrer Auffassung hervor, dass es für eine Regelung, die dem Erben die Bestellung als Nachlassverwalter gestattet, keinen Bedarf gebe.876 Inwieweit die Entscheidungen der Zweiten Kommission überzeugen können, wird im Kontext der BGB-Regelung noch eingehend zu würdigen sein. Hier ist einstweilen nur festzuhalten, dass der Vorwurf gegenüber der Zweiten Kommissi870 Ungenau daher etwa Kipp/Coing, Erbrecht, 520 („Haftungsbeschränkung durch Inventar“); ebenso Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1185. 871 Siehe im Kontext des preußischen Rechts oben D.III. (441 f.). 872 Siehe zum Erlöschen des Inventarrechts §§ 1868, 1879 E II-BGB. 873 Eine andere und später zu erörternde Frage ist die, ob die Zweite Kommission die Nützlichkeit einer Inventarerrichtung gerade auch im Zusammenspiel mit der Nachlassverwaltung verkannte. Dazu unten E.V.4. (529 f.). 874 Dass die Nachlassverwaltung die durch Verwerfung der Abzugseinrede aufgetretene Lücke geschlossen habe, meinen dagegen etwa Binder, Rechtsstellung II, 247 f.; ders., Erbrecht, 67; Staudinger/Boehmer 11, § 1922 Rn. 127; Fischinger, Haftungsbeschränkung, 146 f., 164 f.; Osthold, Erben und Haftung, 143. 875 Die unterschiedlichen Zwecke und Anwendungsvoraussetzungen von Abzugseinrede und Nachlassverwaltung verkennt etwa Staudinger/Marotzke (2010), § 1990 Rn. 1 (= Staudinger/Dobler (2020), § 1990 Rn. 1). 876 Dazu unten Fn. 951.
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on nicht in einer übertriebenen Skepsis gegenüber dem Inventar bestehen kann, sondern neben einem möglicherweise übertriebenen Paternalismus nur in dem fehlenden Bemühen, die weggefallene Abzugseinrede durch ein anderes Modell der privaten Nachlassabwicklung (oder gesonderten Eigenabwicklung) zu ersetzen. Hierbei kam freilich der Umstand zum Tragen, dass Gottfried von Schmitt und die Erste Kommission auf die rechnerisch beschränkte Haftung gesetzt hatten. Denn diese war so eng mit der Abzugseinrede verwoben, dass deren Beseitigung den Grundsatz der beschränkten Haftung zwangsläufig mit sich reißen musste. Hätte der Erste Entwurf stattdessen eine Haftung cum viribus hereditatis vorgesehen, wäre es möglich gewesen, diese zu beizubehalten und lediglich das Pflichtenprogramm anders zu gestalten. Dass freilich auch der Neuentwurf einer gegenständlich beschränkten Haftung und seine Einfügung in das bestehende Konzept für die Zweite Kommission kein Hexenwerk gewesen wäre, sollten die Reformvorschläge der 1930er Jahre zeigen. 877 Binder stellte die Behauptung auf, dass die Zweite Kommission sich ebenso wie schon die Subkommission bei Streichung der Abzugseinrede gar nicht darüber im Klaren gewesen sei, dass sie damit den Grundsatz der beschränkten Haftung aufgab und zum Modell einer anfänglich unbeschränkten, aber beschränkbaren Haftung nach Art des römischen Rechts wechselte.878 Erscheint dieser Vorwurf zwar insofern unberechtigt, als die Abzugseinrede ja in beschränkter Form beibehalten wurde, ist das Fehlen einer konsequenten redaktionellen Umsetzung des neuen Konzepts nicht zu leugnen. So erweckten nicht nur bestimmte Vorschriften des Zweiten Entwurfs weiterhin den Eindruck einer anfänglich beschränkten Haftung, die nur durch Versäumung der Inventarfrist zu einer unbeschränkten wurde. 879 Auch wurde der ausführliche Teil zur Inventarerrichtung fast unverändert beibehalten, obwohl er mit Wegfall der Abzugseinrede und Einführung der Nachlassverwaltung stark an Bedeutung eingebüßt hatte. 880 Die späteren Streitigkeiten über die Haftungskonzeption des BGB881 haben hier ihre Wurzel.
Abschließend ist zu betonen, dass der bei Abschaffung der Abzugseinrede zu Tage tretende Paternalismus nicht mit einer generellen Schlechterstellung des Erben im Zweiten Entwurf verwechselt werden darf. Denn im Gegensatz zu Gottfried von Schmitt und der Ersten Kommission räumte die Zweite Kommission dem Interesse an einer einfachen Nachlassabwicklung in zwei Konstellationen gerade den Vorrang vor den Interessen der Nachlassgläubiger an einer konkursmäßigen Befriedi877
Dazu unten E.VI.2. (538 ff.). Binder, Rechtsstellung II, 58–60, 70 f., 98 f. 879 Siehe vor allem § 1868 Abs. 1 E II-BGB: „Der Erbe haftet für die Nachlaßverbindlichkeiten unbeschränkt, wenn er nicht vor dem Ablaufe einer ihm von dem Nachlaßgerichte bestimmten Frist (Inventarfrist) ein Verzeichnis des Nachlasses (Inventar) bei dem Nachlaßgerichte eingereicht hat (Inventarerrichtung).“ Statt „haftet […] unbeschränkt“ hätte es heißen müssen: „haftet […] unbeschränkbar“. 880 Diese „unglückliche Verquickung“ von „Inventarprinzip“ und „Liquidationsprinzip“ kritisierte insbesondere Binder, Rechtsstellung II, 247–250; siehe auch ders., Erbrecht, 67 f., 70. Zu der durch die Entstehungsgeschichte hervorgerufen Unklarheit über die Rolle des Inventars im Zusammenhang mit § 2009 BGB siehe oben Fn. 675. 881 Dazu unten E.IV.1a) (480 f.). 878
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gung ein: zum einen dort, wo der Erbe Zahlungen in schuldloser Verkennung der Unzulänglichkeit des Nachlasses vorgenommen hatte, zum anderen im Fall des dürftigen Nachlasses.
IV. Die Einzelheiten der BGB-Regelung 1. Die Schwierigkeit der Erfassung und Darstellung a) Anfangs beschränkte oder unbeschränkte Haftung des Alleinerben? Angesichts der Komplexität des letztlich verabschiedeten Regimes und des alles andere als gradlinigen Gesetzgebungsverlaufs nimmt es nicht wunder, dass schon bald nach Verabschiedung des BGB heftig um die zutreffende Deutung des Konzepts der Nachlassabwicklung gestritten wurde.882 Gegenstand der Kontroverse war dabei keineswegs nur die zutreffende dogmatische Erfassung, sondern schon die substanzielle Grundfrage, ob der Alleinerbe im Ausgangspunkt unbeschränkt haftet und seine Haftung nur durch Ergreifung bestimmter Maßnahmen beschränken kann, oder ob er nach Art etwa des preußischen ALR von Anfang beschränkt haftet und dieser Beschränkung lediglich unter bestimmten Umständen verlustig geht.883 Für die zweitgenannte Auffassung schienen nicht zuletzt die Erläuterungen in der dem Reichstag vorgelegten „Denkschrift zum Entwurf des BGB“ zu sprechen, die unter dem Titel „Beschränkte Haftung“ zunächst ausführten, dass der Erbe gegen eine eigene Haftung „thunlichst geschützt“ werden solle, und dann fortfuhren: „Hiernach hat die Bestimmung, daß der Erbe für die Nachlaßverbindlichkeiten haftet […], zunächst nur eine Haftung mit dem Nachlasse im Auge […]. Übrigens ist es Sache des Erben, diese Beschränkung seiner Haftung im Wege der Einrede gegen den einzelnen Nachlaßgläubiger geltend zu machen. […] Der Entw. hat es für richtiger erachtet, die beschränkte Haftung des Erben dahin zu regeln, daß der Nachlass in der Hand des Erben als ein mit Nachlaßverbindlichkeiten belastetes, vom übrigen Vermögen des Erben getrenntes Vermögen behandelt wird.“884
882 Siehe schon den bissigen Kommentar v. Gierkes zum Zweiten Entwurf: „Ist man aber mit ihnen [den 50 Vorschriften zur Erbenhaftung] zu Ende, so weiß man nicht einmal gewiß, ob der Erbe eigentlich von Hause aus für die Erbschaftsschulden unbeschränkt oder beschränkt, persönlich oder nur mit dem Nachlaß verhaftet ist. Man hat nur den unbestimmten Eindruck, daß auf Grund der verwickelten Voraussetzungen die verschiedensten Möglichkeiten zur Wirklichkeit werden können, und den bestimmten Eindruck, daß noch niemals in der Welt ein so verzwicktes, undurchsichtiges, überkünstliches Recht gegolten hat, wie es hier geschaffen werden soll“ (Das Bürgerliche Gesetzbuch, 16). 883 Für umfangreiche Nachweise zum damaligen Streitstand Binder, Rechtsstellung II, 61. Noch im Jahr 1935 sollte Siber, Referat, 763, von einem „Streit, der kein Ende nimmt“, sprechen. Ähnlich Binder, DJ 1939, 567 („heute noch nicht ganz erledigt“), der allerdings zugleich darauf hinwies, dass die Kontroverse zum Teil auch nur Fragen der Terminologie betraf. So auch schon Strohal, Erbrecht II, 191. 884 Denkschrift BGB, 852.
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Bestätigt wird die skizzierte Konzeption scheinbar durch die §§ 1994 Abs. 1 S. 2, 2005 Abs. 1 S. 1 BGB, die für den Fall eines Inventarverstoßes die „unbeschränkte“ Haftung anordnen und somit den Umkehrschluss nahelegen, dass die Haftung vorher beschränkt ist. 885 In der Tat sollte diese Ansicht insbesondere von Julius Binder prominent vertreten werden, in seinem „originellen, oft allerdings auch outriert originellen Werk“886 über „Die Rechtsstellung des Erben“.887 Binder verkannte keineswegs, dass seine Auffassung einer anfänglich beschränkten Haftung im klaren Widerspruch zu verschiedenen gesetzlichen Regelungen stand.888 Zutreffend konnte er aber darauf verweisen, dass die Annahme einer anfänglich unbeschränkten Haftung ebenso mit dem Gesetz in Konflikt geriet. Um das „verkrüppelte Produkt der Gesetzgebung […] lebensfähig zu machen“, war nach Binder eine Entscheidung zwischen beiden Lösungen nötig, und die Annahme einer beschränkten Haftung war für ihn diejenige Operation, „die am wenigsten blutig ist“.889 Da er als zentrales Argument die Redaktion der §§ 780, 781 ZPO anführte, die von der Geltendmachung der „Beschränkung der Haftung“ in der Zwangsvollstreckung sprechen, gipfelte seine Konzeption in der Aussage: „Das allgemeine Prinzip der Erbenhaftung steht nicht im BGB, sondern in der CPO“.890 Wie Binder später selbst eingestand, setzte § 780 ZPO allerdings gar kein bestimmtes Haftungssystem voraus, sondern war Überbleibsel des früheren Zivilprozessrechts. 891 Damit sah er auch die Grundlage für seine Ansicht entfallen.892
Die seit Langem herrschende, maßgeblich von Strohal begründete893 Auffassung nimmt hingegen an, dass das BGB, wenn es von „unbeschränkter“ Haftung spricht, die „nicht mehr beschränkbare und somit schlechthin unbeschränkte“ Haftung
885 Denselben Eindruck erweckt § 2000 S. 3 BGB, der von der Inventarerrichtung „zur Abwendung der unbeschränkten Haftung“ spricht. Zur Kritik etwa van Venrooy, AcP 186 (1986), 386. 886 Muscheler, Testamentsvollstreckung, 288. 887 Ausführlich Binder, Rechtsstellung II, 49–101; zusammenfassend ders., Erbrecht, 68 f. 888 Insbesondere den §§ 1975, 1976 BGB: Wenn der Erbe von Anfang an beschränkt haftet, ist nicht erklärbar, wie die Eröffnung von Nachlassverwaltung oder Nachlassinsolvenzverfahren eine Haftungsbeschränkung herbeiführen und das Erlöschen von Schuldverhältnissen durch Konfusion rückgängig machen kann. Wie Strohal, Erbrecht II, 201, zu Recht herausstellte, war zudem auch § 1992 BGB, auf den Binder gar nicht einging, mit dessen Auffassung nicht vereinbar. 889 Binder, Rechtliche Stellung II, 63. 890 Binder, Rechtliche Stellung II, 96. 891 § 780 Abs. 1 ZPO stammt aus der Zeit, als das materielle Erbrecht noch nicht vereineitlicht war und die Reichszivilprozessordnung daher eine für jedes Regime der Erbenhaftung passende Lösung bieten musste. Mit Schaffung des BGB hätte es daher einer Anpassung bedurft, die aber unterblieb. Siehe Binder, Erbrecht, 69; Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 96–99; sehr kritisch auch ders., Referat, 769 („Die Verfasser des BGB haben zuweilen das Zwangsvollstreckungsrecht nicht genügend beherrscht“); Karpe, in: 3. Denkschrift, 37 f. Dazu, dass die Regelung des § 780 Abs. 1 ZPO unter der Abwicklungskonzeption des Ersten Entwurfs noch Sinn ergeben hätte, Osthold, Erben und Haftung, 138. § 780 Abs. 1 ZPO als Überbleibsel der Abzugseinrede des Ersten Entwurfs zu bezeichnen (so Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3522, 3541), ist aus den genannten Gründen dennoch unpräzise. 892 Binder, Rechtliche Stellung II, 68 f. 893 So jedenfalls die Darstellung bei Siber, Geschichtliches und Rechtsvergleichendes, 1018, der selbst freilich eine andere Systematisierung vorschlug.
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meint, 894 so dass gesetzessystematischer Ausgangspunkt die anfänglich unbeschränkte, aber beschränkbare Haftung ist.895 Wird der Regelungsgehalt des BGB von der h. M. damit auch zutreffend erkannt, so kann, wie im folgenden Abschnitt zu erörtern ist, die dogmatische Erfassung der Nachlassabwicklung im BGB dennoch nicht befriedigen. b) Die verfehlte Postulierung eines einheitlichen Prinzips Der seit Langem herrschende Ansatz, das BGB-Regime der Nachlassabwicklung in die Formel der grundsätzlich unbeschränkten, aber beschränkbaren Haftung zu pressen, wird der Vielgestaltigkeit der Regelungen nicht gerecht. 896 Denn in den Fällen der Erbenmehrheit und des dürftigen Nachlasses bildet die gesonderte Abwicklung und damit die beschränkte Haftung den Ausgangspunkt. Zwar lässt sich die Stringenz der genannten Klassifizierung durch den Hinweis darauf wahren, dass in den erwähnten zwei Fällen die Haftungsbeschränkung als Einrede ausgestaltet ist und somit der Erbe zur Geltendmachung seiner Haftungsbeschränkung in jedem Fall aktiv werden muss.897 Doch ist ein so verstandenes Kriterium der „Beschränkbarkeit“ formalistisch und irreführend. Denn es besteht ein fundamentaler Unterschied zwischen dem Fall, dass der Erbe seine Haftungsbeschränkung lediglich im Prozess vorbringen muss und er es somit vollständig in der Hand hat, die Gläubiger auf den Nachlass zu verweisen, 898 und dem Fall, dass er zunächst bestimmte Maßregeln ergreifen muss, wie die Beantragung der Nachlassverwaltung oder des Nachlassinsolvenzverfahrens. 899 Indem weite Teile der Erbrechtsliteratur diesen Unterschied jedoch überspielen und den gesetzlichen Ausgangspunkt mit einem bruchlos durchgeführten Grundsatz verwechseln, gerät die Dar-
894 Strohal, Erbrecht II, 202. Aus dem späteren Schrifttum etwa Staudinger/Marotzke (2010), Vorbem zu §§ 1967–2017 Rn. 9 (= Staudinger/Kunz (2020), Vorbem zu §§ 1967 ff Rn. 43); Rn. 7; Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 10. 895 Ausführlich Strohal, Erbrecht II, 190–205, der sich in einer über vier Seiten laufenden Fußnote mit der Ansicht Binders auseinandersetzte (197–200 Fn. 14). Aus dem späteren Schrifttum etwa Staudinger/Marotzke (2010), Vorbem zu §§ 1967–2017 Rn. 9 (= Staudinger/Kunz (2020), Vorbem zu §§ 1967 ff Rn. 43); Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 76; Frank/Helms, Erbrecht, § 18 Rn. 2; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3488, 3491, 3516, 3533 f.; Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 3; Herzog, Erbenhaftung, § 2 Rn. 21.23, § 11 Rn. 1; K. W. Lange, Erbrecht, § 69 Rn. 7. 896 Kritisch auch schon Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 40 f., der in diesem Zusammenhang den „hergebrachten juristischen Mißbrauch des Wortes ‚grundsätzlich‘ zur Beiseiteschiebung von Unstimmigkeiten“ geißelt (siehe auch ders., Referat, 763); ebenfalls kritisch Kipp/Coing, Erbrecht, 521 („gekünstelt“); Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1187. 897 Zu dieser Sichtweise etwa Ehrenkönig, Erbenhaftung, 38; Herzog, Erbenhaftung, § 4 Rn. 3. 898 Eine solche Besorgung der eigenen Verteidigung entspricht dem notwendigen Minimum einer jeden Abwehr von unberechtigten Ansprüchen. 899 Dies betont zu Recht Binder, Rechtsstellung II, 52, 62, 64 f.; ders., KritV 21 (57) (1925), 272; ders., Erbrecht, 67, 70. Siehe auch Siber, Geschichtliches und Rechtsvergleichendes, 1019: einredemäßige Entkräftung als „Vonselbstentkräftung, nicht bloße Entkräftbarkeit“. Auch Staudinger/ Marotzke (2010), Vorbem zu §§ 1967–2017 Rn. 9, spricht in diesem Fall von beschränkter (und nicht lediglich beschränkbarer) Haftung.
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stellung der Grundsätze der Erbenhaftung oftmals in eine bedenkliche Schieflage.900 Bezeichnend ist überdies, dass die Haftungsregelung bei Erbenmehrheit meist einfach komplett in ein anderes Kapitel ausgelagert wird und damit im „Allgemeinen Teil“ der Erbenhaftung gar nicht mehr auftaucht.901 Ein anderer Versuch, die Modi der Nachlassabwicklung „auf einen Nenner“ zu bringen, wurde von Siber unternommen. Danach sollte die Haftung des Alleinerben im Stadium nach dem endgültigen Nachlasserwerb stets als „einredemäßig beschränkte“ aufzufassen sein.902 Siber begründete seine leicht misszuverstehende und auf den ersten Blick klar gesetzeswidrige Auffassung damit, dass die Geltendmachung der beschränkten Haftung im Erkenntnisverfahren zur Aufnahme des Beschränkungsvorbehalts nach § 780 Abs. 1 ZPO führe und das Vorliegen einer Einrede nicht dadurch ausgeschlossen werde, dass es für ihren Erfolg noch weiterer Voraussetzungen bedarf (wie eben im Fall des Alleinerben eines erheblichen Nachlasses der Eröffnung von Nachlassverwaltung oder Nachlassinsolvenz903). Damit setzte sich Siber aber ebenfalls dem Vorwurf aus, mittels Betonung bestimmter formaler Gemeinsamkeiten Situationen auf eine Stufe zu stellen, die in der Sache kaum etwas miteinander zu tun haben. Denn ob die Einrede der Haftungsbeschränkung wie im Fall der §§ 1990 Abs. 1, 2059 Abs. 1 S. 1 BGB unmittelbar durchdringt oder lediglich das Recht zur späteren Herbeiführung einer Haftungsbeschränkung wahrt, macht einen grundlegenden Unterschied.
900 So werden die Ausnahmen von der sofortigen Vermögensverschmelzung in vielen Einführungsdarstellungen zur Erbenhaftung nur ganz am Rande erwähnt oder sogar gänzlich unterschlagen, siehe etwa Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 2 f.; Frank/Helms, Erbrecht, § 18 Rn. 1 f.; Herzog, Erbenhaftung, § 2 Rn. 9 –11; Bartsch, ZErb 2010, 346; Jünemann, ZErb 2011, 59. Auch Fischinger, Haftungsbeschränkung, 222, nennt als Ausnahmen von der grundsätzlich unbeschränkten, aber beschränkbaren Haftung nur die punktuellen Sonderfälle der stets anfänglich beschränkten Haftung (siehe unten E.IV.5c), nicht aber den Fall der Erbenmehrheit und des dürftigen Nachlasses. Deutlich differenzierter demgegenüber die Darstellung bei Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1186 f. 901 Siehe beispielhaft Röthel, Erbrecht, die in § 31 die „Erbenhaftung“ behandelt, die Haftung bei Erbenmehrheit jedoch ausschließlich in § 32 zur „Miterbengemeinschaft“ erörtert; ähnlich Frank/Helms, Erbrecht, §§ 18, 19. Demgegenüber ist etwa Lange/Kuchinke, Erbrecht, zu Gute zu halten, dass sie „Die Haftung des Alleinerben“ (§ 49) von „Der Haftung der Miterben“ (§ 50) unterscheiden und damit klarstellen, dass den Vorschriften des erstgenannten Themenkomplexes nicht allgemeingültig sind. Konsistent auch die Entscheidung von Muscheler, Erbrecht II, die bei Erbenmehrheit geltenden Besonderheiten innerhalb des Kapitels zur Erbenhaftung zu thematisieren (Rn. 3799–3847). Zu pauschal und deshalb irreführend freilich die Aussage ebd., Rn. 3482, dass der Erbe zur Herbeiführung der Haftungsbeschränkung stets etwas unternehmen müsse. Überhaupt keinen Platz findet die Situation der Erbenmehrheit im Buch von Osthold, Erben und Haftung, der denn auch § 1990 BGB als den einzigen Fall einer anfänglichen Haftungsbeschränkung nennt (23 Fn. 135; erwähnt wird der Fortbestand des Nachlasses als Sondervermögen bei Erbenmehrheit immerhin später (162 f.)). 902 Siber, Geschichtliches und Rechtsvergleichendes, 1019; ders., Referat, 765, verwies auf die Ansicht der Verfasser des BGB und meinte damit vermutlich die oben zitierte (Fn. 884) Aussage aus der Denkschrift. Siehe auch ders., Erbrecht, 147–150, wo in sprachlich wenig glücklicher Weise die (anfänglich) „beschränkte Haftung“ von der „Durchführung“ der Beschränkung unterschieden wird. Kritisch zu dieser Terminologie auch Binder, Erbrecht, 68 f. (Fn. 6); ders., DR 1939, 567 f. 903 An diesem Erfordernis lässt Siber keinen Zweifel: Geschichtliches und Rechtsvergleichendes, 1017.
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Das weitere Problem des dem BGB entnommenen allgemeinen Prinzips der unbeschränkten, aber beschränkbaren Haftung besteht nun darin, dass sich die Fälle der Erbenmehrheit und des dürftigen Nachlasses auch nicht als Ausnahmefälle beiseite schieben lassen.904 Denn früher wie heute bilden beide den praktischen Regelfall. Während dies für die Erbenmehrheit unbestritten sein dürfte,905 klingt der Befund hinsichtlich dürftiger Nachlässe zunächst nur für die durch Wirtschaftskrise und Hyperinflation gebeutelte Zwischenkriegszeit plausibel.906 Doch hat eben der starke Anstieg der Privatvermögen in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg nichts daran geändert, dass die Werte von Erbschaften nach wie vor sehr ungleich verteilt sind.907 So liegt statistischen Erhebungen zufolge der Nachlasswert in knapp 40% aller Erbfälle bei maximal 25.000 Euro und in knapp 10% aller Erbfälle sogar bei Null.908 Schaut man allein auf die Geldvermögen, ist der Anteil der wirtschaftlich bedeutungslosen Nachlässe sogar noch größer.909 Wenngleich nicht in allen diesen Fällen der Tatbestand des § 1990 BGB erfüllt sein wird, ist jedenfalls klar, dass seine praktische Bedeutsamkeit deutlich größer ist, als es seine systematische Stellung im BGB suggeriert,910 und dass die im Fokus der Beratungspraxis und der erbrechtlichen Literatur stehenden Fälle großer oder sogar sehr großer Nachlasswerte im Vergleich dazu den Ausnahmefall bilden. Nach allem ist festzuhalten, dass das BGB im Moment des endgültigen Eintritts des oder der Erben in den Nachlass zwei Haftungsordnungen vorsieht, die gleich904
So beispielsweise Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3491. für die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 40; Siber, Geschichtliches und Rechtsvergleichendes, 1018; ders., Haftung für Nachlaßschulden, 41; aus heutiger Sicht Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1188. Röthel, Erbrecht, § 32 Rn. 1, nimmt sogar an, dass der Alleinerbe „den seltenen Sonderfall“ bilde. 906 Dass der dürftige Nachlass den praktischen Regelfall bilde, war ein wichtiges Argument bei den Diskussionen des Erbrechtsausschusses der „Akademie für Deutsches Recht“, siehe unten Fn. 1395 f. 907 Braun/Pfeiffer/Thomschke, Erben in Deutschland, 18–24, die zudem erwarten, dass die Ungleichheit in den kommenden Jahren weiter zunehmen wird. Aus der Tagespresse siehe „Erbschaften machen Vermögende in Deutschland noch reicher“, Zeit Online v. 3.2.2021. Auch in der Bevölkerung überwiegt die Auffassung, dass das Erbrecht die sozialen Unterschiede verstärkt, siehe die Studie der Deutschen Bank, Erben und Vererben, 45. 908 Dazu auch Kaltwasser, Der überschuldete Nachlass, 19 f., der anhand der Überschuldungsquoten zu Lebzeiten die Zahl der insolventen Nachlässe auf ca. 70.000 pro Jahr schätzt – „ein erschütterndes Bild“. Relativierend Osthold, Erben und Haftung, 161 (Fn. 949). 909 Näher Braun/Pfeiffer/Thomschke, Erben in Deutschland, 18–24; einen ähnlichen Befund liefert Beckert, Referat, L 10–12 sowie die Thesen unter 2. 910 Siehe auch MüKoInsO/Siegmann, Vorbemerkungen vor §§ 315 bis 331, Rn. 16, der in § 1990 BGB neben der Vereinbarung mit den Gläubigern den praktisch bedeutsamsten Fall der Haftungsbeschränkung sieht, dies allerdings auch mit der fehlenden praktischen Akzeptanz des Nachlassinsolvenzverfahrens erklärt. Widersprüchlich Gottwald/Döbereiner, § 111 Rn. 9, dem zufolge die hohe Zahl von mangels Masse nicht eröffneten Verfahren die Bedeutung der Nachlass insolvenz nicht schmälere, da § 1990 BGB für den Erben das „sicherste“ Mittel der Haftungsbeschränkung sei (gemeint ist wohl das „einfachste“ bzw. „kostengünstigste“ Mittel). In Lange/ Kuchinke, Erbrecht 3, 945, findet sich noch die Aussage, dass die „kleinen Nachlässe des täglichen Lebens […] wohl die Mehrzahl der Erbfälle ausmachen“; in der 5. Auflage ist die Aussage nicht mehr enthalten (1189). 905 Siehe
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wertig nebeneinanderstehen: die vorläufig unbeschränkte Haftung des Alleinerben bei erheblichem Nachlass und die vorläufig beschränkte Haftung der Miterben sowie des Alleinerben bei dürftigem Nachlass.911 c) Die verfehlte Fokussierung auf die Haftungsfrage Ein noch grundlegenderes Problem der herkömmlichen Darstellung der gesonderten Nachlassabwicklung besteht darin, dass sie ganz aus der Warte des Erben und der Frage seiner beschränkten oder unbeschränkten Haftung erfolgt.912 Auf die Spitze getrieben wird dieser Ansatz dort, wo über die Kategorie der „vorübergehenden Haftungsbeschränkung“ sogar die Phase zwischen Erbfall und Annahme der Erbschaft mit erfasst wird.913 Der kategoriale Unterschied zwischen dem „vorläufigen Erben“, der aufgrund des § 1958 BGB nur eine Art Platzhalter mit Befugnis (aber nicht der Pflicht) zur vorläufigen Verwaltung ist, und dem endgültigen Erben, der in die Abwicklerrolle eingetreten ist,914 wird dabei komplett überspielt. Vorgeprägt wird die genannte Herangehensweise durch die Gesetzessystematik, die nicht nur die gesamte Thematik unter dem Titel „Haftung des Erben“ behandelt, sondern die Rechtsfolge der Haftungsbeschränkung stets zum Ausgangspunkt des betreffenden Regimes macht.915 Problematisch ist diese Darstellungsweise zum einen deshalb, weil die Frage der Haftung zwar aus Erbensicht meist der bedeutendste,916 offensichtlich aber nicht der einzige Aspekt der gesonderten Nachlassabwicklung ist. So fragt sich u. a. auch, wer den Nachlass abwickelt (der Erbe? ein Dritter?), welches Pflichtenprogramm dabei zu beachten ist (Behandlung des Nachlasses als „fremdes Gut“? insolvenzmäßige Befriedigung? Befriedigung in der Reihenfolge der Anmeldung?) und in welchem Verhältnis der Nachlass zu den Eigengläubigern des Erben steht. Zum anderen ist die beschränkte Haftung aber noch nicht einmal essentieller Baustein der gesonderten Nachlassabwicklung. Denn jedenfalls die Nachlassverwaltung und das Nachlassinsolvenzverfahren können auch dann noch beantragt werden, wenn der Erbe die Möglichkeit der Haftungsbeschränkung aufgrund einer Inventarverfehlung bereits verloren hat.917 Der Grund hierfür liegt eben darin, dass die Zwecke dieser Verfahren sich nicht in der Haftungsbeschränkung des Er911 Für diese Unterscheidung Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 52, der als dritte Haftungsordnung die Situation beim Gläubigerausschluss bezeichnet (dazu unten E.IV.4. (510 ff.)). 912 Beispielhaft Staudinger/Marotzke (2010), Vorbem zu §§ 1975–1992, Rn. 1 (= Staudinger/ Dobler (2020), Vorbem zu §§ 1975–1992, Rn. 1): „Die §§ 1975–1992 betreffen die Beschränkung der Haftung des Erben auf den Nachlass.“ Ähnlich MüKoBGB/Küpper, § 1975 Rn. 1, oder die Kapitel zur „Erbenhaftung“ in der Lehrbuchliteratur. 913 Siehe etwa Siber, Geschichtliches und Rechtsvergleichendes, 1014; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3508–3511; Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 57. 914 Siehe oben § 1 Fn. 6 44. 915 Siehe §§ 1975, 1990 Abs. 1 BGB. Vorsichtige Kritik an der herrschenden Darstellungsweise findet sich bei Dauner-Lieb, in: FS Gaul, 94. 916 Siehe auch Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 47. 917 Siehe oben Fn. 687.
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ben erschöpfen: Die Nachlassverwaltung dient auch der gesonderten, d. h. unter Ausschluss der Erbengläubiger stattfindenden Befriedigung der Nachlassgläubiger, das Nachlassinsolvenzverfahren darüber hinaus der Befriedigung nach einer bestimmten Verteilungsordnung.918 Nicht überzeugend ist allerdings die Ansicht, dass die Befriedigungsfunktion der Haftungsbeschränkungsfunktion sogar logisch vorrangig sei, weil die Haftungsbeschränkung eine Trennung von Nachlass und Eigenvermögen voraussetze, während umgekehrt die Haftungssonderung auch ohne Haftungsbeschränkung möglich und sinnvoll sei.919 Denn obgleich es zutrifft, dass das BGB die Nachlassverwaltung und das Nachlassinsolvenzverfahren auch bei unbeschränkter Haftung des Erben ermöglicht, wäre die Annahme verfehlt, eine Haftungsbeschränkung sei stets nur bei vollständiger Vermögenstrennung denkbar.920 Beispiel für eine Regelung, die den Nachlassgläubigern den Zugriff auf das Abwicklervermögen verwehrt, nicht aber zugleich die Eigengläubiger vom Zugriff auf den Nachlass abhält, ist § 1990 BGB,921 ebenso schon das römische beneficium inventarii.922
Zum Zwecke des besseren Verständnisses der BGB-Regelung empfiehlt es sich deshalb, im Einklang mit dem Grundansatz dieser Arbeit923 den Fokus auf den Nachlass zu legen, zu fragen, von wem und auf welche Weise er abgewickelt wird, und die Frage der Haftung als Teilaspekt des betreffenden Modus zu begreifen. Die deutsche Erbrechtsliteratur behandelt natürlich letztendlich alle diese Fragen, spannt aber, indem sie mit der Frage der Haftung beginnt, den Karren vor das Pferd. 2. Die amtliche Abwicklung a) Gemeinsamkeiten von Nachlassverwaltung und Nachlassinsolvenzverfahren (1) Absonderung des Nachlasses Nachlassverwaltung und Nachlassinsolvenzverfahren haben auf der materiellrechtlichen Ebene zwei zentrale Rechtsfolgen gemeinsam, die oft unter dem Begriff der „förmlichen Separation“ zusammengefasst werden:924 So kommt es erstens zu einer doppelseitigen Haftungssonderung,925 indem sowohl die Nachlassgläubiger vom Zugriff auf das Eigenvermögen926 als auch die Eigengläubiger des Erben vom 918 Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 46 f.; Dauner-Lieb, in: FS Gaul, 94; Fischinger, Haftungsbeschränkung, 147, 153. 919 So Dauner-Lieb, in: FS Gaul, 94; dies., Unternehmen in Sondervermögen, 68. 920 Entgegen dem bei Dauner-Lieb, in: FS Gaul, 94, erweckten Eindruck findet sich eine solche Aussage auch nicht bei Larenz, Allgemeiner Teil, 310 f., und ebenfalls nicht bei Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 46 f., der nur zwischen dem primären und dem sekundären Zweck der amtlichen Liquidation unterscheidet. 921 Siehe unten § 4 E.IV.3b)(6) (503 ff.). 922 Siehe oben § 4 Fn. 233. 923 Siehe oben § 1 E.III. (63 ff.). 924 Siehe etwa Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3545. 925 Siehe etwa Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 47, 146; Dauner-Lieb, in: FS Gaul, 94 f.; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3545. 926 § 1975 BGB. Auch eine eingeleitete, aber noch nicht abgeschlossene Vollstreckung kann
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Zugriff auf den Nachlass abgehalten927 und somit beide Gläubigergruppen in die vor dem Erbfall bestehende Lage versetzt werden.928 Zweitens geht die Befugnis, den Nachlass zu verwalten und über ihn zu verfügen, vom Erben auf den gerichtlich bestellten Abwickler über.929 Der Nachlass bleibt damit nur noch über das formale Element der Rechtsträgerschaft mit dem Erben verbunden.930 (2) Verselbständigung der Abwicklerrolle Eine weitere Gemeinsamkeit von Nachlassverwaltung und Nachlassinsolvenzverfahren besteht in der begrifflichen Verselbständigung der Abwicklerrolle. Denn diese wird dem „Nachlassverwalter“ oder dem „Nachlassinsolvenzverwalter“ zugewiesen und damit einer eigens für die Aufgabe der Nachlassabwicklung geschaffenen Rechtsfigur. Hierin liegt eine Besonderheit nicht nur gegenüber der integrierten Nachlassabwicklung durch den Alleinerben, sondern auch gegenüber der gesonderten Nachlassabwicklung im Fall der Erbenmehrheit und des dürftigen Nachlasses, wo das Gesetz die Abwicklerrolle der oder des Erben jeweils nicht explizit macht. Die Verselbständigung der Abwicklerrolle in Gestalt des Nachlassverwalters bzw. Nachlassinsolvenzverwalter ist natürlich nicht auf die begriffliche Ebene beschränkt, sondern äußert sich vor allem in der detaillierten inhaltlichen Ausgestaltung dieses „privaten Amts“.931 So unterstehen Nachlassverwalter und Nachlassinsolvenzverwalter der gerichtlichen Aufsicht932 (dies im Gegensatz zum Testanoch abgewehrt werden, § 784 Abs. 1 ZPO. Die Beschränkung der Haftung gegenüber den Nachlassgläubigern kann der Erbe allerdings durch Inventarverfehlungen verlieren, siehe oben E.II.3. (453 ff.). 927 Für die Nachlassverwaltung siehe §§ 1984 Abs. 2 BGB, 784 Abs. 2 ZPO (zur Frage der vollstreckungsrechtlichen Durchsetzung Dauner-Lieb, in: FS Gaul, 103–107); für die Nachlassinsolvenz siehe §§ 88, 89 InsO. Dazu auch Dauner-Lieb, in: FS Gaul, 100. 928 Fischinger, in: Hereditare 5, 213. Um das genannte Ergebnis zu erreichen, bedarf es zusätzlich allerdings aufwändiger Maßnahmen zur Rekonstruktion der Vermögensmassen, dazu unten § 7 C.II.2. (620 ff.). 929 Für die Nachlassverwaltung siehe §§ 1984 Abs. 1, 1985 Abs. 1, dazu Muscheler, Erbrecht II, 3578–3583. Für das Nachlassinsolvenzverfahren siehe § 80 InsO, dazu Strauß, Der notleidende Nachlass, 10 f. 930 Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1240 f. 931 Zur Qualifikation von Nachlassverwalter- und Nachlassinsolvenzverwalterschaft als „privates Amt“ Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3614–3616. Umfassend zum Begriff Jacoby, Das private Amt, 155–200. 932 Die allgemeine Aufsicht wird dabei jeweils ergänzt durch die Möglichkeit des Gerichts, Auskunft oder Rechenschaft zu verlangen: für den Nachlassverwalter siehe §§ 1915 Abs. 1 S. 1, 1837, 1839, 1840 BGB (dazu Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3609), für den Insolvenzverwalter siehe § 58 InsO (dazu Bork, Insolvenzrecht, Rn. 66). Der Nachlassverwalter kann überdies in den Fällen der §§ 1821, 1822 BGB für die Vornahme einer Verfügung der gerichtlichen Genehmigung bedürfen, siehe Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3598; Schulz/Schulz, Handbuch der Nachlassabwicklung, § 14 Rn. 1. Der Verkauf von Nachlassgegenständen kann aber freihändig erfolgen, Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3608. Schließlich ist der Nachlassverwalter nach §§ 1915 Abs. 1 S. 1, 1802 BGB zur Aufzeichnung des Nachlasses verpflichtet und nach § 2012 Abs. 1 S. 2 BGB zur Auskunft über den Stand des Nachlasses.
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mentsvollstrecker 933) und können bei Fehlverhalten abberufen werden.934 Kommen durch Letzteres der Erbe oder die Nachlassgläubiger zu Schaden, besteht eine Ersatzpflicht.935 Von der rechtlichen Verselbständigung der Abwicklerrolle zu unterscheiden ist die im folgenden Abschnitt zu untersuchende Frage, ob auch der Erbe selbst zum Nachlassverwalter oder Nachlassinsolvenzverwalter ernannt werden kann. Die Zulassung einer solchen „Personalunion“ würde nichts daran ändern, dass der Erbe die Abwicklung nicht mehr als Erbe, sondern als gerichtlich bestellter Nachlassverwalter bzw. Nachlassinsolvenzverwalter besorgt, also in einer anderen Rolle. (3) Auswahl des Abwicklers Die Auswahl der zur Nachlassabwicklung befugten natürlichen Person936 kommt bei Nachlassverwaltung und Nachlassinsolvenz nicht dem Erblasser zu und erfolgt auch nicht auf Grundlage einer gesetzlichen Rangordnung, sondern ist in das pflichtgemäße Ermessen des zuständigen Gerichts gestellt, das im Wesentlichen nur das Kriterium der Geeignetheit zu beachten hat.937 Dies hat zur Folge, dass nur Personen mit hinreichender Geschäfts- und Rechtskunde für das Amt des Abwicklers infrage kommen,938 und in der Praxis ist denn auch die Ernennung eines professionellen Rechtsdienstleisters mit entsprechender Erfahrung die Regel.939 933
Siehe oben Fn. 658. Siehe für den Nachlassverwalter §§ 1915 Abs. 1 S. 1, 1886 BGB, für den Insolvenzverwalter § 59 InsO. 935 Die Haftung des Nachlassverwalters gegenüber dem Erben findet ihre Grundlage in §§ 1915 Abs. 1 S. 1, 1833 BGB, die gegenüber den Nachlassgläubigern in § 1985 Abs. 2 BGB (BGH NJW 1985, 140; Staudinger/Marotzke (2010), § 1985 Rn. 39 f.; MüKoBGB/Küpper § 1985 Rn. 10 f.; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3610). Das Gericht kann dem Nachlassverwalter aufgeben, für eventuelle Schäden eine Versicherung abzuschließen, § 1837 Abs. 2 S. 3 BGB. Unabhängig davon wird eine solche Maßnahme dem Nachlassverwalter empfohlen (Herzog, Erbenhaftung, § 8 Rn. 29), zumal er die anfallenden Kosten aus dem Nachlass ersetzt verlangen kann (siehe unten Fn. 1015). Die Haftung des Insolvenzverwalters ist in § 60 InsO geregelt (dazu Bork, Insolvenzrecht, Rn. 68–70). 936 Zum Ausschluss juristischer Personen oben Fn. 608. 937 Für die Auswahl des Nachlassverwalters ist § 1779 Abs. 2 BGB entsprechend anzuwenden (über § 1915 BGB). Die Kommentarliteratur nennt meist losgelöst von einer Rechtsgrundlage nur das Kriterium der Geeignetheit, siehe etwa Staudinger/Marotzke (2010), § 1981 Rn. 28 (= Staudinger/Dobler (2020), § 1981 Rn. 28); BeckOGK/Herzog, BGB § 1981 Rn. 91 (Stand: 01.04.2021). Für die Auswahl des Insolvenzverwalters siehe § 56 Abs. 1 S. 1 InsO. Roth/Pfeuffer, Nachlassinsolvenzverfahren, 120, betonen, dass an die Auswahl des Nachlassinsolvenzverwalters andere Anforderungen zu stellen seien als an die Auswahl des Insolvenzverwalters im Regelverfahren. So seien erbrechtliche Kenntnisse ebenso von besonderer Bedeutung wie das nötige „Fingerspitzengefühl“ im Umgang mit den Beteiligten. 938 § 56 Abs. 1 S. 1 InsO, der auch auf die Auswahl des Nachlassinsolvenzverwalters Anwendung findet (Gottwald/Döbereiner, § 112 Rn. 16), nennt für die Auswahl des Insolvenzverwalters das Merkmal der Geschäftskundigkeit ausdrücklich. Für den Nachlassverwalter siehe Roth/ Pfeuffer, Nachlassinsolvenzverfahren, 296. 939 Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3555 (für die Nachlassverwaltung); Bork, Insolvenzrecht, Rn. 65 (für das Insolvenzrecht generell). 934
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Die Ernennung des Erben zum amtlichen Abwickler hingegen wird zwar nicht ausdrücklich ausgeschlossen, scheitert jedoch, wenn nicht schon am Merkmal der Geeignetheit, aus anderen Gründen. So fehlt dem Erben für das Amt des Nachlass insolvenzverwalters bereits die vom Gesetz verlangte Unabhängigkeit von der Person des Schuldners,940 weshalb allenfalls die Zulassung einer Eigenverwaltung durch den Erben in Betracht kommt,941 der dann allerdings unter der Aufsicht eines Sachwalters steht.942 Ist die Anordnung der Eigenverwaltung schon im Regelinsolvenzverfahren die seltene Ausnahme,943 scheint sie bei der Nachlassinsolvenz überhaupt keine praktische Rolle zu spielen. Im Schrifttum wird die Anordnung der Eigenverwaltung auch stets schon dann für unangebracht gehalten, wenn zwischen Erbe und Nachlassgläubigern Ansprüche aus §§ 1978, 1980 BGB bestehen,944 weil Voraussetzung für die Anordnung der Eigenverwaltung ist, dass hierdurch keine Gläubigerinteressen gefährdet werden.945 Darüber hinaus wird im Fall eines überschuldeten Nachlasses in der Regel auch gar nicht die Ratio der insolvenzrechtlichen Eigenverwaltung einschlägig sein, die darin besteht, die besondere geschäftliche Expertise des Schuldners und seine Kenntnis der Nachlasszusammensetzung nutzbar zu machen.946 Denn wenn der Erbe nicht ausnahmsweise schon zu Lebzeiten des Erblassers einen tiefen Einblick in dessen Vermögensverhältnisse hatte, wird er dem Nachlass genauso fremd gegenüber stehen wie ein noch nicht eingearbeiteter Nachlassinsolvenzverwalter. Umgekehrt bestehen gegenüber einer Eigenverwaltung durch den Erben allerdings auch nicht dieselben Bedenken wie im Regelinsolvenzverfahren. Denn weil nicht er, sondern der Erblasser es war, der sein Vermögen in die Krise geführt hat, kann erstens nicht die Rede davon sein, mit der Eigenverwaltung „den Bock zum Gärtner zu machen“.947 Zweitens sind auch die Gläubiger besser gegen ein Fehlverhalten des Eigenverwalters abgesichert.948 Denn während ein Ersatzanspruch gegen den ohnehin schon insolventen Schuldner zahnlos ist, bietet sich beim abwickelnden Erben die Möglichkeit des Zugriffs auf dessen Eigenvermögen.
Die Nachlassverwaltung sieht zwar kein ausdrückliches Unabhängigkeitserfordernis vor, doch liegt ihren Vorschriften eindeutig die Vorstellung einer Personenverschiedenheit zugrunde.949 Die h. M. möchte die Bestellung eines Erben zum Nachlassverwalter denn auch allenfalls bei Erbenmehrheit gestatten.950 940 § 56 Abs. 1 S. 1 InsO. Gottwald/Döbereiner, § 112 Rn. 16, hält deshalb auch den Miterben für ungeeignet. 941 Anders als für das Verbraucherinsolvenzverfahren (§ 270 Abs. 1 S. 3 InsO), schließt das Gesetz die Anwendung der Vorschriften über die Eigenverwaltung auf insolvente Nachlässe nicht aus, MüKoInsO/Siegmann, Vorbemerkungen vor §§ 315 bis 331, Rn. 9. 942 § 270 InsO; dazu Staudinger/Marotzke (2010), § 1975 Rn. 10; Strauß, Der notleidende Nachlass, 10. 943 MüKoInsO/Siegmann, Vorbemerkungen vor §§ 315 bis 331, Rn. 9 m. w. N. 944 MüKoInsO/Siegmann, Vorbemerkungen vor §§ 315 bis 331, Rn. 9; Gottwald/Döbereiner, § 113 Rn. 23. 945 § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO. 946 Dazu Bork, Insolvenzrecht, Rn. 464, 466. 947 Vgl. Bork, Insolvenzrecht, Rn. 466. 948 Zur Gefahr irreversibler Schädigungen Bork, Insolvenzrecht, Rn. 466. 949 Siehe insbesondere § 1984 Abs. 1 S. BGB. 950 Siehe Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1247; Staudinger/Marotzke (2010), § 1981 Rn. 29 m. w. N.;
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Auf den ersten Blick scheint die Erbenmehrheit auch die einzige Konstellation zu sein, in der die Ernennung eines Erben zum Nachlassverwalter praktisch relevant werden kann. Denn wird die Nachlassverwaltung bei Alleinerbschaft auf Antrag der Nachlassgläubiger angeordnet, impliziert dies angesichts der Tatbestandsvoraussetzungen gerade die Ungeeignetheit des Erben zur Abwicklung. Und der Alleinerbe, der die Nachlassverwaltung beantragt, will die Rolle des Abwicklers ja anscheinend gerade loswerden und wäre somit an einer Ernennung zum Nachlassverwalter gar nicht interessiert. Mit eben diesen Argumenten wurde denn auch in der Zweiten Kommission der Antrag fallen gelassen, ausdrücklich auch dem Erben die Bestellung zum Nachlassverwalter zu ermöglichen.951 Doch bleibt bei dieser Sichtweise außer Acht, dass der Alleinerbe auch nur an der Beschränkung seiner Haftung interessiert sein kann und nicht zugleich an der Aufgabe seiner Abwicklerrolle. In diesem Fall würde ihm die Ernennung zum Nachlassverwalter erlauben, beide Ziele zugleich zu verwirklichen. Bernhöft hatte während der Arbeit der Zweiten Kommission genau hierauf hingewiesen und sogar die Ansicht geäußert, dass die Ernennung des Erben zum Nachlassverwalter sich in der Regel empfehlen werde.952
Sowohl bei der Nachlassverwaltung als auch beim Nachlassinsolvenzverfahren kommt es also zur Abwicklung durch eine Person, die nicht Träger des Nachlasses ist und die in aller Regel auch nicht zu den Begünstigten des Erbfalls zählt. Neben den quasiprofessionellen Qualifikationsanforderungen liegt hierin eine weitere Erklärung für den Anspruch von Nachlassverwalter und Nachlassinsolvenzverwalter auf eine angemessene Vergütung.953 Denn ohne eine solche hätten sie keinerlei Anreiz zur Übernahme des Amtes, und von einer entsprechenden Pflicht hat der Gesetzgeber – anders als bei Vormundschaft und allgemeiner Pflegschaft954 – wohlweislich abgesehen.955 (4) Beschränkung der Schuldinhalte Während der Erbe grundsätzlich unverändert in die Schuldverhältnisse des Verstorbenen eintritt,956 führt die amtliche Abwicklung zu deren inhaltlicher Modifikation. So werden bei der Nachlassinsolvenz Ansprüche, die nicht auf Geld lauten, Roth/Pfeuffer, Nachlassinsolvenzverfahren, 296 f. Der „Breslauer Entwurf“ zur Reform der Erbenhaftung wollte diese Möglichkeit ausdrücklich festschreiben, siehe unten Fn. 1385. 951 Protokolle V, 820, wo allerdings auch das Argument erwähnt wird, dass die beantragte Regelung gar keines Ausspruchs bedürfe. 952 Bernhöft, Zur Reform des Erbrechts, 121, 124. 953 Für den Nachlassverwalter siehe § 1987 BGB, für den Insolvenzverwalter siehe § 63 f. InsO. 954 Siehe §§ 1785, 1915 Abs. 1 BGB 955 Für die Nachlassverwaltung siehe § 1981 Abs. 3 BGB, der ausdrücklich den Ausschluss des § 1785 BGB anordnet, der anderenfalls über die Verweisung des § 1915 Abs. 1 S. 1 BGB anwendbar wäre. In den Beratungen der Zweiten Kommission war diese Regelung durchaus umstritten, siehe Protokolle V, 810 f. Gegen die Annahme einer Bürgerpflicht wurde insbesondere angeführt, dass die Anordnung einer Nachlassverwaltung üblicherweise in komplizierten Konstellationen erfolge und das Amt des Nachlassverwalters dann große Nähe zu dem des Konkursverwalters aufweise. Für das Nachlassinsolvenzverfahren siehe § 56 Abs. 1 S. 1 InsO, wonach der Insolvenzverwalter „aus dem Kreis aller zur Übernahme von Insolvenzverwaltungen bereiten Personen auszuwählen ist“ ist. 956 Siehe oben § 1 F.I. (64 ff.).
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mittels Schätzung in Geldforderungen umgewandelt.957 Bei der Nachlassverwaltung, die die Zulänglichkeit des Erblasservermögens voraussetzt, ist eine solche radikale Maßnahme zwar nicht geboten, weshalb der Nachlassverwalter die geltend gemachten Ansprüche grundsätzlich in ihrer bestehenden Form erfüllen muss. Doch ist anerkannt, dass auch der Nachlassverwalter in der Regel nur mit Geld einzustehen hat und jenseits der für die Abwicklung erforderlichen Tätigkeiten nicht zur Vornahme vertretbarer Handlungen verpflichtet ist.958 Im Ergebnis kommt es bei Nachlassverwaltung und Nachlassinsolvenzverfahren also zu einer weitgehenden Umwandlung der vererblichen Schuldverhältnisse in eine sächliche Haftung des Nachlasses.959 b) Unterschiede zwischen Nachlassverwaltung und Nachlassinsolvenzverfahren Die Unterschiede zwischen Nachlassverwaltung und Nachlassinsolvenzverfahren erklären sich durch ihre jeweiligen Zwecke. Da die Nachlassverwaltung nur dann angeordnet werden kann, wenn der Nachlass nach gegenwärtigem Kenntnisstand zulänglich ist, braucht der Nachlassverwalter bei Befriedigung der Nachlassgläubiger keine Reihenfolge einzuhalten960 und kann daher beispielsweise Ansprüche von Vermächtnisnehmern vor denen von Erblassergläubigern befriedigen. Lediglich mit der Auskehr des Überschusses an den Erben als Residualbegünstigten hat der Nachlassverwalter zu warten.961 Zu beachten ist allerdings, dass der Nachlassverwalter rückwirkend auch einem strengeren Maßstab unterworfen sein kann, nämlich dann, wenn der Nachlass sich entgegen der früheren Prognose als unzulänglich herausstellt und deshalb ein Insolvenzverfahren durchgeführt werden muss. Für die Frage, ob ein Nachlassverwalter, der einem Nachlassgläubiger mehr ausgezahlt hat als diesem nach der Insolvenzverteilung zugestanden hätte, den dadurch benachteiligten Nachlassgläubigern zum Schadensersatz verpflichtet ist, kommt es u. a. auf die Vorschrift des § 1979 BGB an.962
Das Nachlassinsolvenzverfahren hingegen hat mehr zu leisten, nämlich die Gläubigerbefriedigung unter der Beachtung von Vorrangverhältnissen und der par conditio creditorum.963 Dementsprechend ist der Nachlassinsolvenzverwalter bei Befriedigung der Nachlassgläubiger detaillierten Vorgaben unterworfen,964 insbesondere der Pflicht zur nachrangigen Bedienung der Begünstigten des Erbfalls.965 Eine spe957
§ 45 InsO. Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1266 f. 959 Siber, Geschichtliches und Rechtsvergleichendes, 1020; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1267. 960 §§ 1985 Abs. 1, Abs. 2 S. 2, 1979 BGB. Siehe auch Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 144 f.; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3613. 961 § 1986 Abs. 1 BGB. 962 Siehe unten § 7 C.II.2. (620 ff.). 963 Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 145 f.; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3613; Strauß, Der notleidende Nachlass, 16. 964 Für Einzelheiten Strauß, Der notleidende Nachlass, 12–14. 965 § 327 Abs. 1 InsO. 958
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zielle Anfechtungsnorm966 sichert diese Vorgabe ab (zusätzlich zur Haftung des Nachlassinsolvenzverwalters). Von erheblicher praktischer Bedeutung ist ferner, dass § 324 Abs. 1 InsO den Kreis der Masseverbindlichkeiten über § 55 InsO hinaus erheblich erweitert. Erfasst sind neben den Beerdigungskosten auch sämtliche weiteren Kosten, die aus der Nachlassabwicklung resultieren. Diese Regelungen erscheinen zum einen als systemfremd, weil die betreffenden Verbindlichkeiten nicht wie die normalen Massekosten erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind, sondern jedenfalls zum Teil bereits davor. Zum anderen erweckt die bevorzugte Behandlung der betreffenden Verbindlichkeiten, die nicht nur auf Kosten der Begünstigten des Erbfalls geht, sondern auch auf Kosten der Erblassergläubiger, mancherlei rechtspolitische Zweifel.967 Ein weiterer, dieses Mal allerdings punktueller Unterschied zwischen Nachlassverwaltung und Nachlassinsolvenz besteht hinsichtlich der jeweiligen Rechtslage nach Beendigung des amtlichen Abwicklungsverfahrens. Während gemäß § 1989 BGB, der eine Einschränkung von § 201 Abs. 1 InsO bedeutet,968 die Haftungsbeschränkung des Erben nach Abschluss des Nachlassinsolvenzverfahrens969 fortbesteht970 und sogar zu einer endgültigen wird,971 fehlt eine entsprechende Regelung für das Ende der Nachlassverwaltung.972 Nach anfangs überwiegender, auch heute noch prominent vertretener Auffassung ist hieraus der Umkehrschluss zu ziehen und für die Annahme eines Wiederauflebens der unbeschränkten Haftung neben dem gesetzgeberischen Willen973 auch auf den Wortlaut des § 1975 BGB zu verweisen („angeordnet ist“ und nicht: „angeordnet worden ist“).974 Gegen Mitte des 20. 966 § 322 InsO, der implizit auf § 134 InsO verweist. Außerhalb des Insolvenzverfahrens besteht die Möglichkeit der Anfechtung nach § 5 AnfG, Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3501. 967 Eingehend Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3639–3645. 968 Fischinger, Haftungsbeschränkung, 156. 969 Gemeint ist die Beendigung durch Verteilung der Masse oder einen Insolvenzplan, nicht die vorherige Einstellung des Verfahrens aus anderen Gründen. Zu diesen Tatbeständen und ihren Rechtsfolgen Fischinger, Haftungsbeschränkung, 153 f. 970 Die Vorschrift erklärt § 1973 BGB über den Gläubigerausschluss durch Aufgebot für entsprechend anwendbar, was neben der gegenständlichen Beschränkung der Haftung auch bedeutet, dass der Erbe mit einem eventuell vorhandenen Nachlassrest nur noch nach Bereicherungsrecht haftet, näher unten E.IV.4a) (510 ff.). § 1989 BGB findet auf die Ansprüche von angemeldeten Gläubigern ebenso Anwendung wie auf die von nicht angemeldeten (Staudinger/Marotzke (2010), § 1989 Rn. 1; allerdings werden die der erstgenannten typischerweise schon teilweise erfüllt und im Übrigen nach §§ 225, 227 InsO erlassen oder erloschen sein). Nicht überzeugend ist es daher, die Ratio des § 1989 BGB allein in der Parallele zum Ausschluss durch Gläubigeraufgebot zu sehen (so aber etwa Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 94). Zur Kritik an der Gleichbehandlung angemeldeter und nicht angemeldeter Gläubiger Fischinger, Haftungsbeschränkung, 154 f. Werden nach Abschluss des Insolvenzverfahrens noch weitere Nachlassgegenstände aufgefunden, ist das Verhältnis zwischen § 1989 und einer möglichen Nachtragsverteilung nach § 203 InsO umstritten, siehe Herzog, Erbenhaftung, § 8 Rn. 65, 102, § 9 Rn. 35. Zu Sonderfragen bei Beendigung durch Insolvenzplan Fischinger, Haftungsbeschränkung, 155 f. 971 Denn ein Antrag auf Inventarerrichtung ist nach § 2000 S. 3 BGB nun unzulässig. 972 Kritisch etwa Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1264. 973 Protokolle V, 817. 974 Hierfür etwa Strohal, Erbrecht II, 283 f.; Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 36 f.; Staudinger/Marotzke (2010), § 1986 Rn. 10; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3626; Fischinger, Haftungsbe-
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Jahrhunderts kam es jedoch zu einem Meinungsumschwung und zur überwiegenden Befürwortung einer Annäherung der beiden amtlichen Abwicklungsverfahren. Demgemäß kann der Erbe nach Beendigung der Nachlassverwaltung die Nachlassgläubiger analog § 1990 BGB stets auf den Nachlassrest verweisen, also unabhängig von dessen Wert.975 Als wesentliches Argument wird die schützenswerte Erwartung des Erben angeführt, einen schuldenfreien Nachlass zu erhalten.976 Auch nach dieser Ansicht besteht ein wichtiger Unterschied allerdings fort. Denn während der Erbe im Fall des § 1989 BGB für den Nachlassrest nur nach Bereicherungsrecht haftet,977 trifft ihn bei der analogen Anwendung des § 1990 BGB über §§ 1991 Abs. 1, 1978 Abs. 1 S. 1 BGB die strengere Haftung des Auftragsrechts.978 Wertungsmäßig begründen lässt sich diese Ungleichbehandlung nicht nur damit, dass die Nachlassverwaltung von geringerer Publizität ist als ein Nachlassinsolvenzverfahren,979 sondern vor allem auch damit, dass die Nachlassverwaltung nicht die Durchführung eines Gläubigeraufgebots verlangt.980 Würde man § 1989 BGB unmodifiziert auf die Nachlassverwaltung erstrecken, träte die rechtspolitisch ohnehin problematische Rechtsfolge des § 1973 Abs. 1 S. 1 BGB981 unter noch geringeren Voraussetzungen ein.982 Kein Unterschied zwischen beiden Lösungen besteht hingegen in der Stellung der Eigengläubiger. Diese können nach Beendigung des jeweiligen Abwicklungsverfahrens ebenfalls auf einen etwaigen Nachlassrest zugreifen.983
schränkung, 150–152, dort auch zum Argument, dass der Erbe sich mittels Durchführung eines Gläubigeraufgebots schützen kann und dieses sogar für ihn günstigere Rechtsfolgen herbeiführt als die Nachlassverwaltung. 975 Ist der Nachlassrest dürftig, kommt § 1990 BGB unmittelbar zur Anwendung. 976 Siehe etwa BGH NJW 1954, 635; Karpe, in: 3. Denkschrift, 79; Kipp/Coing, Erbrecht, 554 f.; Klook, Die überschuldete Erbschaft, 156 f.; Strauß, Der notleidende Nachlass, 17; für weitere Nachweise Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3623. Der „Breslauer Entwurf“ zur Reform der Erbenhaftung sah eine Festschreibung dieser Lösung vor, siehe unten Fn. 1384. Sympathie für eine entsprechende Reform äußert auch Staudinger/ Marotzke (2010), § 1986 Rn. 10. 977 Näher unten Fn. 982. 978 Herzog, Erbenhaftung, § 9 Rn. 31. 979 Fischinger, Haftungsbeschränkung, 237. 980 Dem steht nicht entgegen, dass der Nachlassverwalter in der Praxis typischerweise im eigenen Interesse ein Aufgebotsverfahren durchführt, siehe zu entsprechenden Empfehlungen § 7 Fn. 416. 981 Dazu unten E.IV.4a) (510 ff.). 982 Mit diesem und dem Argument der geringeren Publizität gegen eine Erstreckung des § 1989 BGB de lege ferenda Fischinger, Haftungsbeschränkung, 237 f., dessen Verweis auf die Wertung des § 439 Abs. 4 FamFG allerdings kein Gewicht zukommt, da die ausgeschlossenen Nachlassgläubiger nach überzeugender Ansicht ohnehin nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen können (zu dieser Streitfrage unten Fn. 1132). 983 Für den Fall der Nachlassverwaltung Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 86; Fischinger, Haftungsbeschränkung, 148.
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c) Praktische Probleme der Koexistenz beider Verfahren und Forderungen nach ihrer Fusionierung Die Existenz zweier gesonderter Verfahren der amtlichen Nachlassabwicklung im BGB ist keine durch die Gesamtkonzeption bedingte Notwendigkeit. Zwar könnte nicht einfach eines der beiden Verfahren gestrichen werden, weil die Nachlassverwaltung für überschuldete Nachlässe nicht hinreichend leistungsfähig wäre und das Nachlassinsolvenzverfahren für erkennbar zulängliche Nachlässe einen unnötigen Aufwand bedeuten würde. Doch könnten beide Verfahren dergestalt miteinander fusioniert werden, dass der Nachlassverwaltung für den Fall, dass sich die Überschuldung herausstellt, die Elemente des Nachlassinsolvenzverfahrens nachträglich „aufgepflanzt“ werden. Folge wäre, dass der Abwickler nach dem Pflichtenprogramm des (derzeitigen) Nachlassverwalters handelt, solange er die Zulänglichkeit des Nachlasses annehmen darf, er jedoch in das Pflichtenprogramm des (derzeitigen) Nachlassinsolvenzverwalters wechselt, sobald sich die Überschuldung herausstellt.984 Das englische Recht (und teilweise auch das schweizerische985) belegt die praktische Durchführbarkeit einer solchen Lösung, die zugleich unsachgemäße Differenzierungen vermeiden würde, wie sie die heute h. M. dem BGB bei der Haftungslage nach Verfahrensbeendigung jedenfalls teilweise attestiert.986 Dass die Verfasser des BGB von der Schaffung eines Einheitsregimes abgesehen haben, war weniger eine bewusste Entscheidung denn Folge des Gesetzgebungsverlaufs. Denn während der Nachlasskonkurs von Anfang an „gesetzt“ war, wurde das Institut der Nachlassverwaltung, wie gesehen, erst von der Zweiten Kommis sion in den Entwurf eingefügt, nach durchaus kontroversen Diskussionen.987 Die neue Abwicklungsmodalität nun zusätzlich auch noch mit dem bestehenden Nachlasskonkurs zu einem neuen Gesamtregime zu verflechten, hätte die Kräfte und die Geduld der Kommissionsmitglieder vermutlich überstrapaziert. Überdies waren sie möglicherweise der Ansicht, dass eine Fusion von Nachlassverwaltung und Nachlassinsolvenz nur von technischer oder ästhetischer, nicht aber von praktischer Bedeutung wäre, weil sich die Anwendungsvoraussetzungen von Nachlassverwaltung und Nachlassinsolvenzverfahren nach geltender Rechtslage nicht überschneiden. 984 So der Vorschlag von Suchier, DfG 1936, 33, der allerdings für eine generelle Nachlassabwicklung unter gerichtlicher Leitung plädierte. 985 Dieses wird als vorbildhaft gelobt von Bosch, DJ 1935, 784, doch ist folgende Differenzierung zu beachten: Bei der auf Antrag stattfindenden „amtlichen Liquidation“ ist für Zuständigkeit und Verfahren ungeachtet des gemeinsamen Oberbegriffs danach zu unterscheiden, ob der Nachlass solvent ist oder nicht (siehe Art. 595, 597 ZGB). Auch im Fall, dass die Überschuldung erst nach Aufnahme der amtlichen Liquidation festgestellt wird, hat eine Abgabe an das Konkursgericht zu erfolgen, siehe Wolf/Genna, SPR IV/2, 128 f. Schlagen hingegen alle nächsten Erben die Erbschaft aus, so findet stets eine konkursamtliche Liquidation statt. Ein verbleibender Überschuss kommt den nächsten Erben zu (Art. 573 ZGB). Näher Wolf/Genna, SPR IV/2, 94–96. 986 Siehe oben Fn. 976. 987 Siehe oben E.III.3b) (472 ff.).
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Doch ist es nicht ausgeschlossen, dass beide Verfahren in ein und demselben Erbfall nacheinander zur Anwendung kommen und dann Kosten verursachen, die bei einem Einheitsregime vermieden würden. Stellt sich nämlich – was praktisch keine Seltenheit ist988 – nach Eröffnung der Nachlassverwaltung heraus, dass der Nachlass entgegen der ersten Einschätzung doch überschuldet ist, oder tritt eine solche Unzulänglichkeit infolge bestimmter Umstände (Beispiel Aktiencrash) nachträglich ein, geht die Nachlassverwaltung nicht einfach nahtlos in ein Nachlassinsolvenzverfahren über.989 Stattdessen hat der Nachlassverwalter die Pflicht, die Eröffnung eines solchen Verfahrens zu beantragen.990 Selbst wenn anschließend dieselbe Person zum Nachlassinsolvenzverwalter bestellt wird991 und damit erneute Einarbeitungskosten vermieden werden, entstehen jedenfalls Reibungsverluste durch die unterschiedlichen gerichtlichen Zuständigkeiten992 und Geschäftsvorgänge. Klagen über diese kostspieligen Verfahrensineffizienzen reichen ebenso weit zurück993 wie Berichte über praktische Ausweichlösungen.994 Vom Verfasser des „Breslauer Entwurfs“ zur Reform der Erbenhaftung995 wurde eine Verschmelzung beider Abwicklungsverfahren erwogen, letztlich wegen der unterschiedlichen Zielrichtungen beider Verfahren aber verworfen996 (diese Argumentation unter988 Nach Bundesministerium der Justiz (Hg.), Zweiter Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, 166. 989 Dies insinuiert Strauß, Der notleidende Nachlass, 17, unter Hinweis auf § 1988 Abs. 1 BGB, der aber nur die automatische Aufhebung der Nachlassverwaltung durch die Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens anordnet und damit das Vorliegen getrennter Verfahren implizit bestätigt. Irrführend auch Rugullis, ZEV 2007, 118, der von einem „fließenden Übergang“ zwischen beiden Verfahren spricht. Nahtlos ist allein die beschränkte Haftung des Erben, siehe Fischinger, Haftungsbeschränkung, 148. 990 §§ 1985 Abs. 2 BGB, 317 Abs. 1 InsO. 991 Die Zulässigkeit dieser Möglichkeit ist umstritten. Ablehnend Roth/Pfeuffer, Nachlass insolvenzverfahren, 121, mit dem Argument, dass der Nachlassinsolvenzverwalter gerade auch die Amtsführung des Nachlassverwalters zu überprüfen und etwaige Ersatzansprüche geltend zu machen habe. 992 Die Zuständigkeit für die Anordnung der Nachlassverwaltung liegt beim Nachlassgericht (§§ 1981 BGB, 342 Abs. 1 Nr. 2 FamFG), die Zuständigkeit für das Nachlassinsolvenzverfahren beim Insolvenzgericht (§ 315 S. 1 InsO). 993 Siehe Bosch, DJ 1935, 784; Bode, DJ 1935, 1409 f., die jeweils für eine Zusammenfassung beider Verfahren plädieren (Letzterer sogar in Bezug auf die Nachlasspflegschaft insgesamt); siehe auch schon Suchier oben Fn. 984. Spätere Jahrzehnte brachten keine Verbesserung der Lage, siehe den Befund in Bundesministerium der Justiz (Hg.), Zweiter Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, 164, 166. Kritisch zum Nebeneinander der verschiedenen Verfahren auch Soergel/Stein, Vor § 1975 Rn. 5. 994 So berichtete Bosch, DJ 1935, 784, aus seiner eigenen Praxis als Nachlassverwalter, im Einvernehmen mit Gläubigern und Gericht stets eine Lösung außerhalb des Konkursverfahrens zu finden; die Gläubiger seien froh, wenn sie nicht noch weitere Abzüge hinnehmen müssten und nicht noch zusätzlich Konkursgericht und Konkursverwalter in Erscheinung träten. Die Praxis der Konkursvermeidung empfahl auch Höver, DJ 1935, 1700. Im Reformentwurf Sibers (dazu unten E.VI.2b) (539 ff.)) wurde diese Lösung sogar ausdrücklich verankert (§ 1975 Abs. 2); siehe auch Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 89. 995 Dazu unten E.VI.2c) (545 f.). 996 Karpe, in: 3. Denkschrift, 78.
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stellte allerdings zu Unrecht, dass einer entsprechenden Maßnahme notwendig bestimmte Elemente des Konkurs- bzw. Insolvenzrechts zum Opfer fallen müssten997). Einen anderen Weg schlug Mitte der 1980er Jahre die Kommission für Insolvenzrecht in ihrem Zweiten Bericht vor.998 Danach sollte ein Insolvenzverfahren nur noch dann stattfinden, wenn zum Nachlass ein Unternehmen gehört. Andere insolvente Nachlässe sollten in einem vereinfachten Verfahren innerhalb der Nachlassverwaltung abgewickelt werden.999 Bei Schaffung der Insolvenzordnung von 1994 wurde dieser Gedanke aber nicht aufgegriffen, sondern bewusst an der bestehenden Systematik festgehalten.1000 3. Die private Abwicklung des dürftigen oder überbeschwerten Nachlasses a) Überblick Die private Abwicklung des dürftigen oder überbeschwerten Nachlasses bildet einerseits einen modifizierten Rest der allgemeinen Abzugseinrede, wie sie im Ersten Entwurf und im Teilentwurf von Schmitts vorgesehen war, geht andererseits aber auch über diese hinaus. Die Zweite Kommission hatte, wie oben gezeigt,1001 die Abwicklung eines überschuldeten Nachlasses durch den Erben als praktisch undurchführbar betrachtet und diesem deshalb die Durchführung des Nachlasskonkurses nicht mehr bloß angeboten, sondern zur Pflicht gemacht.1002 Nur dort, wo der Nachlass nicht einmal die Verfahrenskosten trägt oder die Überschuldung auf Vermächtnissen und Auflagen beruht, hielt auch die Zweite Kommission es für angebracht, den Nachlasskonkurs zu vermeiden.1003 Im Einklang mit der amtlichen Abwicklung stellte sie allerdings die rechnerisch beschränkte Haftung auf eine Haftung cum viribus hereditatis um.1004 Zusammen mit der Einführung der Nachlassverwaltung hatte dies zur Folge, dass (nach allerdings bestrittener Ansicht) die §§ 1990, 1991 BGB im Unterschied zur Abzugseinrede auch den Fall des zulänglichen Nachlasses erfassen.1005
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Diese unbegründete Sorge teilte auch das Ausschussmitglied Höver: DJ 1935, 1700. Bundesministerium der Justiz (Hg.), Zweiter Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, Leitsätze 6.4.1 und 6.4.2 (164–166). 999 Nähere Angaben zu dessen Ausgestaltung erfolgten nicht. 1000 Siehe die Entwurfsbegründung (BT-Drucks. 12/2443) vor § 358 (229). 1001 Siehe oben E.III.3b) (472 ff.). 1002 Ungenau Staudinger/Marotzke (2010), § 1990 Rn. 1, der den Eindruck erweckt, als habe der Erste Entwurf den Nachlasskonkurs gar nicht vorgesehen. 1003 Protokolle V, 796. 1004 Planck/Flad, § 1990 (unter b), weist zutreffend darauf hin, dass der Name „Abzugseinrede“ bei der Haftung cum viribus hereditatis nicht passt, weil den Gläubigern hier von ihrem Anspruch nichts abgezogen wird, sondern sie lediglich auf den noch vorhandenen Nachlass verwiesen werden und sich der Ausfall aus dessen Unzulänglichkeit ergibt. 1005 Dazu unten E.IV.3b)(2) (498 ff.). 998
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b) Der dürftige Nachlass (1) Tatbestandsvoraussetzungen Es erstaunt, dass selbst die praktische Ratgeberliteratur kaum jemals konkrete Angaben dazu macht, wann die Voraussetzung der „Dürftigkeit“ des Nachlasses erfüllt und damit dem Alleinerben die Tür zur gesonderten Nachlassabwicklung in Eigenregie eröffnet ist. Zwar ist die Berechnung der Kosten für eine Nachlassverwaltung oder ein Nachlassinsolvenzverfahren üblicherweise kompliziert und erst im Nachhinein abschließend möglich, da hierzu die vorhandene Masse, die Komplexität des Verfahrens und der vom Nachlass(insolvenz)verwalter betriebene Aufwand feststehen müssen. Doch wird das Ziel einer einfachen und kostengünstigten Abwicklung offenkundig konterkariert, wenn dem beweisbelasteten Erben nicht einmal bestimmte Richtwerte an die Hand gegeben werden. Denn es bedeutet, dass der Erbe entweder Rechtsrat zu der Frage einholen muss, ob im vorliegenden Fall die Voraussetzungen des § 1990 Abs. 1 S. 1 BGB erfüllt sind, oder er es „drauf ankommen lassen“ muss und dann riskiert, dass im Rahmen einer Vollstreckung in sein Eigenvermögen die Voraussetzungen der Dürftigkeitseinrede verneint werden. Eine dritter, mitunter empfohlener,1006 aber ebenfalls die Einholung von Rechtsrat erfordernder und zudem mit Kostenrisiken verbundener Weg besteht darin, vorsorglich Nachlassverwaltung oder Nachlassinsolvenz zu beantragen, um zu sehen, ob der Antrag mangels Masse abgelehnt wird.1007 Eine Entscheidung des Nachlassgerichts in dieser Frage bindet nach h. M. das Prozessgericht1008 (woraus natürlich nicht umgekehrt folgt, dass der Erbe den ihm obliegenden Nachweis der Dürftigkeit nur mittels Ablehnungsbeschluss führen könnte1009). Bereits ein einfaches Nachlassinsolvenzverfahren verursacht Kosten von etwa 3.000 bis 6.000 Euro,1010 was bedeutet, dass zu seiner Eröffnung Nachlassaktiva in mindestens dieser Höhe vorhanden sein müssen.1011 Größter Kostenfaktor ist die 1006 Siehe Planck/Flad, § 1990 (unter a); dagegen schon Dernburg/Engelmann, Das bürgerliche Recht V, § 170 (491). 1007 Siehe für die Nachlassverwaltung § 1982 BGB, für das Nachlassinsolvenzverfahren § 26 Abs. 1 S. 1 InsO. 1008 BGH NJW-RR 1989, 1226 (1227); Herzog, Erbenhaftung, § 8 Rn. 16, 50, § 13 Rn. 2 ; Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 97. 1009 Dagegen schon Dernburg/Engelmann, Das bürgerliche Recht V, § 170 (490 f.); heute scheint die Frage nicht mehr umstritten zu sein, siehe etwa MüKoBGB/Küpper, § 1990 Rn. 3. 1010 So die Einschätzung von W. Zimmermann, Nachlasspflegschaft, Rn. 588. 1011 Ähnliche Zahlen bei Schulz/Schulz, Handbuch Nachlasspflegschaft, § 9 Rn. 43 m. w. N. Differenzierend Jünemann, ZErb 2011, 60. Die Kosten des Nachlassinsolvenzverfahrens setzen sich im Wesentlichen zusammen aus den Gerichtsgebühren (siehe § 34 GKG i. V. m. Nr. 2310, 2320 KV GKG, maßgeblich ist nach § 58 Abs. 1 GKG der Bruttonachlass), den Zustellungs- und Bekanntmachungskosten (Nr. 9 022, 9044 KV), den Auslagen für Sachverständige und der Vergütung für den Insolvenzverwalter. Näher W. Zimmermann, Nachlasspflegschaft, Rn. 588; Roth/ Pfeuffer, Nachlassinsolvenzverfahren, 107–109. Dernburg/Engelmann, Das bürgerliche Recht V, § 170 (491) berichteten im Jahr 1911 von der Praxis der Berliner Gerichte, für die Verfahrenseröffnung Nachlassaktiva im Wert von mindestens 300 Mark zu verlangen.
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dem Nachlassinsolvenzverwalter zu zahlende Vergütung1012 , die sich nach einem erheblichen Prozentsatz des Bruttonachlasses bestimmt und mindestens 1.000 Euro beträgt.1013 Die Kosten der Nachlassverwaltung liegen aufgrund geringerer Verfahrensgebühren1014 etwas darunter, doch wirkt erneut der Vergütungs- und Auslagenersatzanspruch des professionellen Abwicklers als wesentlicher Kostentreiber.1015 Insgesamt wird man sagen können, dass der Anwendungsbereich des § 1990 Abs. 1 S. 1 BGB jedenfalls dann eröffnet ist, wenn der Wert des Aktivnachlasses unter 3.000 Euro liegt,1016 die Vorschrift ab einem Bruttonachlasswert von 8.000 Euro hingegen nicht mehr einschlägig ist. Dazwischen liegt ein der Rechtssicherheit stark abträglicher Graubereich. (2) Dürftigkeitseinrede, Unzulänglichkeitseinrede, Erschöpfungseinrede Klärungsbedürftig ist der Anwendungsbereich der privaten Nachlassabwicklung aber auch in rechtlicher Hinsicht. So hat insbesondere Marotzke argumentiert, dass § 1990 BGB dem Erben nur dann die Möglichkeit einräume, die Vollstreckung in sein Eigenvermögen zu verhindern, wenn die Dürftigkeit des Nachlasses mit dessen Unzulänglichkeit einhergeht.1017 In der Tat spricht für diese Ansicht zum einen der Umstand, dass dem Erben die Dürftigkeitseinrede nur insoweit zukommt, „als der Nachlass nicht ausreicht“, zum anderen auch die Tatsache, dass § 1992 BGB unmittelbar an eine Überschuldung des Nachlasses anknüpft.1018 Da bei dürftigem, aber zulänglichem Nachlass auch die beiden anderen zentralen Rechtsfolgen des § 1990 BGB nicht relevant werden, nämlich die Befreiung sowohl von der Pflicht zur Beantragung der Nachlassinsolvenz als auch von der Pflicht zur insolvenzmä1012
Siehe § 63 InsO. Regelvergütung des Nachlassinsolvenzverwalters ist in § 2 InsVV normiert, die auf Grundlage von § 65 InsO ergangen ist. Danach erhält der Insolvenzverwalter bei einem Bruttonachlasswert bis 25.000 Euro eine Vergütung in Höhe von 40% (!) dieses Wertes (Abs. 1 Nr. 1), mindestens aber 1.000 Euro (Abs. 2 S. 1). Näher Roth/Pfeuffer, Nachlassinsolvenzverfahren, 244– 253. Nach Einschätzung von Jünemann, ZErb 2011, 71, wird im Fall der Nachlassinsolvenz allerdings häufig ein Abschlag von der Regelvergütung gemäß § 3 InsVV vorgenommen. 1014 Deren Berechnung bestimmt sich nach § 34 GNotKG i. V. m. Nr. 12310, 12311 KV GNotKG, näher Schulz/Schulz, Handbuch Nachlasspflegschaft, § 10 Rn. 21. Der Geschäftswert bestimmt sich nach dem Bruttonachlass (§§ 6 4, 38 GNotKG). 1015 Während dem Nachlassverwalter auf der Grundlage von § 1987 BGB bei kleineren Nachlässen früher eine Vergütung von 3–5% des Bruttonachlasswertes gewährt wurde, kann er heute ein Stundenhonorar verlangen, dessen Höhe sich nach den Umständen des Einzelfalls bestimmt, das bei professionellen Rechtsdienstleistern im Durchschnitt aber etwa 110 Euro netto beträgt. Näher BeckOGK/Herzog, BGB § 1987 Rn. 6 –10 (Stand: 01.04.2021); Schulz/Schulz, Handbuch Nachlasspflegschaft, § 15 Rn. 2. Zu den ersatzfähigen Auslagen gehören etwa die Kosten für eine abgeschlossene Haftpflichtversicherung, Herzog, Erbenhaftung, § 8 Rn. 15. 1016 Entgegen dem, was der Wortlaut des § 1990 Abs. 1 S. 1 BGB nahelegt, ist nicht erforderlich, dass die Kosten den gesamten Aktivnachlass aufzehren würden, sondern ausreichend, dass ein erhebliches Missverhältnis bestünde: Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1269 m. w. N. 1017 Praktisch wird dies freilich häufig der Fall sein, Ebenroth, Erbrecht, Rn. 1160; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3658. 1018 Staudinger/Marotzke (2010), § 1990 Rn. 2 (= Staudinger/Dobler (2020), § 1990 Rn. 2). 1013 Die
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ßigen Befriedigung,1019 würde die genannte Ansicht also dazu führen, dass es bei der integrierten Abwicklung des Alleinerben bleibt und Nachlassgläubiger auch auf dessen Eigenvermögen zugreifen könnten. Die scheinbar selbstverständliche Parallele zur Nachlassverwaltung, bei der es trotz Zulänglichkeit des Nachlasses zur Haftungssonderung kommt, wäre damit gar nicht gegeben. Die ganz h. M. geht indessen über den Wortlaut des § 1990 BGB hinaus und gewährt dem Erben bei dürftigem Nachlass stets die Möglichkeit, den Zugriff auf das Eigenvermögen abzuwehren.1020 Dieser allgemeinen Dürftigkeitseinrede werden dann die spezielleren Einreden der Unzulänglichkeit oder gar der Erschöpfung des Nachlasses an die Seite gestellt.1021 Zugunsten der h. M. lässt sich neben der Erwähnung der Nachlassverwaltung in § 1990 Abs. 1 S. 1 BGB, die bei einer Beschränkung auf unzulängliche Nachlässe keinen rechten Sinn ergäbe,1022 auch ein historisches Argument anführen: Die Möglichkeit der Eigenabwicklung war als Rest der Abzugseinrede anfangs in der Tat nur für die Fälle des unzulänglichen Nachlasses gedacht und wurde eher nebenbei auch auf die Fälle erstreckt, in denen mangels Masse eine Nachlassverwaltung nicht in Betracht kommt.1023 Wenn § 1990 Abs. 1 S. 1 BGB nur auf Fälle des unzulänglichen Nachlasses passt, könnte die Erklärung somit darin liegen, dass die Notwendigkeit einer Anpassung auch dieses Teils der Norm schlicht übersehen wurde. Schließlich scheint eine erweiterte Auslegung des § 1990 Abs. 1 S. 1 BGB auch durch das Ziel der systematischen Kohärenz geboten: Wenn das BGB dem Erben bei einem Nachlass, der zulänglich und erheblich ist, stets die Möglichkeit einer Haftungssonderung einräumt (mittels Beantragung der Nachlassverwaltung), schiene es widersprüchlich, ihm eine solche Möglichkeit bei zulänglichem, aber dürftigem Nachlass zu versagen.1024 1019
Dazu unten E.IV.3b)(5) (502 ff.). etwa Ebenroth, Erbrecht, Rn. 1159 f.; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3658, 3664; Beck OGK/Herzog, BGB § 1990 Rn. 18 (Stand: 01.04.2021); MüKoBGB/Küpper, § 1990 Rn. 2; Fischinger, Haftungsbeschränkung, 165 f. Zur Diskussion Staudinger/Marotzke (2010), § 1990 Rn. 3, der jedenfalls am Erfordernis einer ernsthaften Möglichkeit der Überschuldung festhalten will. Auch Ebenroth, Erbrecht, Rn. 1160, und Fischinger, Haftungsbeschränkung, 166, weisen darauf hin, dass sich die Frage der Zulänglichkeit häufig erst im Vollstreckungsverfahren klären wird. 1021 Siehe etwa Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3664; Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 97–99; Herzog, Erbenhaftung, § 9 Rn. 43; Fischinger, Haftungsbeschränkung, 166 f. Verfehlt ist es mit Ehrenkönig, Erbenhaftung, 56, auch im Falle des zulänglichen dürftigen Nachlasses von der Erschöpfungseinrede zu sprechen. 1022 Siehe aber den Erklärungsversuch von Staudinger/Marotzke (2010), § 1990 Rn. 2 (= Staudinger/Dobler (2020), § 1990 Rn. 2). 1023 Siehe Protokolle V, 826, wo die Erweiterung der heute in § 1990 BGB enthaltenen Regelung als natürliche und nicht weiter diskutierte Folge der Einführung der Nachlassverwaltung betrachtet wird. 1024 Nicht zwingend ist hingegen das Argument von Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3658 (Fn. 395), dass der Gesetzgeber im Fall des § 1990 BGB ebenso wie bei der Nachlassverwaltung eine Haftung cum viribus hereditatis angeordnet hat. Denn damit ist zu den genauen Voraussetzungen dieser Beschränkung noch nichts gesagt. Zuzugeben ist freilich, dass eine pauschale Geltung der gegenständlich beschränkten Haftung die deutlich gradlinigere Lösung ist. 1020 Siehe
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(3) Die Umsetzung der Haftungsbeschränkung Nach § 1990 Abs. 1 S. 2 BGB hat die Erhebung der Dürftigkeitseinrede für den Erben die Pflicht zur Folge, „den Nachlass zum Zwecke der Befriedigung des Gläubigers im Wege der Zwangsvollstreckung herauszugeben“. Diese „dunkle“1025 , „[v]ollstreckungsrechtlich […] nicht genügend durchdacht[e]“1026 Formel, die Resultat der von der Zweiten Kommission vorgenommenen Umstellung von der rechnerischen auf die gegenständlich beschränkte Haftung ist,1027 wird einhellig so verstanden, dass der Erbe die Zwangsvollstreckung in den Nachlass dulden1028 und durch Mitwirkung ermöglichen muss (etwa mittels Vorlage eines Nachlassverzeichnisses).1029 Aus rechtsdogmatischer Sicht führt die Erhebung der Einrede damit nicht lediglich zu einer Beschränkung der Haftung auf den Nachlass, sondern darüber hinaus zu einer Wandlung der persönlichen Schuld des Erben in eine reine Sachhaftung des Nachlasses.1030 Die Haftungsbeschränkungswirkung ist damit „die stärkste und radikalste, die das BGB kennt.“1031 Dieser Vorgang manifestiert sich zum einen darin, dass der Erbe schon gar nicht mehr zur Vornahme der Leistungshandlung verurteilt wird,1032 zum anderen darin, dass er bei irrtümlicher Begleichung der Schuld aus Eigenmitteln diese Leistung nach § 813 BGB kondizieren kann.1033 Bereits vor Erhebung der Einrede führt § 1990 BGB dazu, dass die Auf1025 Staudinger/Marotzke
(2010), § 1990 Rn. 29. Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 66. 1027 Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 65. 1028 So die ganz einhellige Lesart der Norm, siehe etwa Siber, Geschichtliches und Rechtsvergleichendes, 1016; Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 172; Staudinger/Marotzke (2010), § 1990 Rn. 29; Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 104; Muscheler, Erbrecht I, Rn. 3666 m. w. N. 1029 BGH NJW 1992, 2694 (2695); Staudinger/Marotzke (2010), § 1990 BGB Rn. 33; Muscheler, Erbrecht I, Rn. 3666, weist darauf hin, dass die Pflicht zur Duldung der Zwangsvollstreckung immer besteht und die in § 1990 Abs. 1 S. 2 BGB genannte Pflicht zur Herausgabe eine Bedeutung haben muss; siehe auch Siber, Geschichtliches und Rechtsvergleichendes, 1017. 1030 So jedenfalls Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 65, 88 f., 99, 172 f., 175, 183, der auch auf die parallelen Rechtsfolgen im Falle der §§ 1973 f., 1989 BGB hinweist; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1277 f.; wohl auch Staudinger/Marotzke (2010), § 1990 BGB Rn. 36. Von einem Fortbestand der Schuld geht hingegen Roth, Einrede, 68, aus, freilich ohne sich mit der Gegenansicht auseinander zu setzen. Ebenso Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3665 (Fortbestehen einer „reinen Nachlassschuld“) und wohl auch Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 101. Die Ansicht Boehmers wird ferner abgelehnt von Windel, Modi der Nachfolge, 209 (Fn. 4 4), freilich ohne Begründung. Gar nicht thematisiert wird die Frage erstaunlicherweise bei Fischinger, Haftungsbeschränkung, 167, 207–214. Siehe zur Möglichkeit einer „Haftung ohne Schuld“ auch schon oben § 3 Fn. 333. Die Frage nach dem Schicksal der Schuld im Falle des § 1990 BGB entfaltet auch Relevanz für die Frage eines möglichen Schuldnerverzugs (konsequent bejahend Roth, Einrede, 69; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3665), ferner im Rahmen des § 844 Abs. 2 S. 1 und des § 2329 Abs. 1 S. 1 BGB. Dort lassen sich sich jedoch, wie die Ausführungen von Roth, Einrede, 70, und Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3665 zeigen, im Wege einer weiten Auslegung der Tatbestandsmerkmale „entzogen“ (Recht auf den Unterhalt) bzw. „nicht verpflichtet“ (zur Ergänzung des Pflichtteils) dieselben Ergebnisse erzielen wie bei Annahme eines Wegfalls der Schuld. 1031 Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 172. 1032 Dies wäre jedenfalls die Konsequenz der oben in Fn. 1030 genannten Auffassung, und zwar unabhängig davon, ob die Nachlassgegenstände erschöpt sind. 1033 Siehe etwa Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 178 f.; Staudinger/Marotzke (2010), 1026
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rechnung eines Nachlassgläubigers gegen eine Eigenforderung des Erben an § 390 BGB scheitert.1034 (4) Vorwärts und rückwärts gerichtete Abwicklerhaftung Das Recht des Erben, die Nachlassgläubiger zur Befriedigung auf den Nachlass zu verweisen, löst dasselbe Schutzbedürfnis wie bei der Nachlassverwaltung und der Nachlassinsolvenz aus, nämlich die gegenständliche Beschränkung der Haftung mit dem Gegengewicht einer persönlichen Haftung für Abwicklungsverschulden zu versehen. Denn anderenfalls müssten die Nachlassgläubiger tatenlos zusehen, wie ihr ohnehin schon beschränktes Haftungssubstrat weitere Einbußen erleidet.1035 Ein Unterschied zur amtlichen Abwicklung besteht nun allerdings darin, dass der Erbe beim dürftigen Nachlass die Abwicklerrolle behält. Konsequenterweise wird er nicht nur für die bis zur Erhebung der Einrede stattgefundene Abwicklung, sondern auch für die in der Zukunft liegende der Pflicht zur ordnungsgemäßen Durchführung unterworfen.1036 Es liegt damit der einzige Fall im BGB vor, in der ein Erbe nicht nur implizit oder rückwirkend,1037 sondern ganz „offiziell“ als Abwickler fungiert, auch wenn dies erneut keinen Ausdruck in seiner Bezeichnung gefunden hat (der einen dürfigen Nachlass abwickelnde Erbe ist weiterhin (nur) „Erbe“).1038
§ 1990 BGB Rn. 40; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3665 (trotz Annahme einer fortbestehenden Schuld, siehe oben Fn. 1030). Im Ergebnis auch Fischinger, Haftungsbeschränkung, 208–211 (mit umfassenden Nachweisen zum Streitstand), der allerdings die Frage, ob nach Erhebung der Einrede überhaupt noch eine Schuld des Erben besteht, gar nicht diskutiert. Gegen die Anwendbarkeit des § 813 BGB insbesondere Roth, Einrede, 68, der allerdings von der nicht näher begründeten Prämisse ausgeht, dass die Erhebung der Einrede aus § 1990 BGB das Bestehen der Schuld unberührt lasse; ebenso schon v. Tuhr, Allgemeiner Teil I, 114 Fn. 72. Hat der Erbe unter Verstoß gegen § 1991 Abs. 4 BGB einen Begünstigten befriedigt, kommt ein Anspruch aus § 813 BGB auch bei Verwendung von Nachlassmitteln in Betracht; dieser kann dann von den anderen Nachlassgläubigern gepfändet werden, Staudinger/Marotzke (2010), § 1991 Rn. 22 (= Staudinger/Dobler (2020), § 1991 Rn. 22). 1034 Einer Regelung wie der des § 1977 BGB bedurfte es daher nicht, siehe Kipp/Coing, Erbrecht, 561; Staudinger/Marotzke (2010), § 1990 BGB Rn. 41; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3671. Gegen die Anwendbarkeit des § 390 BGB Roth, Einrede, 63 f., der allerdings wiederum zu verkennen scheint (siehe bereits Fn. 1033), dass die Einrede aus § 1990 BGB keineswegs nur den Haftungsumfang betrifft. Für eine analoge Anwendung des § 1977 BGB dagegen Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 103. 1035 Zu diesem Regelungsproblem schon oben § 4 A.VII.9b) (271 ff.). 1036 Wenngleich der in § 1991 BGB enthaltene Verweis auf § 1978 BGB die sowohl rückwärts als auch vorwärts gerichtete Verantwortlichkeit deutlicher hätte ausdrücken können, ist sie unbestritten. Siehe etwa RGRK/Johannsen, § 1991 Rn. 1; Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 102; MüKoBGB/ Küpper § 1991 Rn. 2. 1037 Dazu noch unten § 7 C.II.2. (620 ff.). 1038 Es ist bezeichnend für die unvollkommene Herausarbeitung der Figur des Nachlassabwicklers im deutschen Recht, wenn das deutsche Schrifttum die Rolle des Erben im vorhandenen Kontext zwar erkennt, zugleich aber das Bedürfnis verspürt, sie an die Nachlassverwaltung anzulehnen. Siehe etwa Fischinger, in: Hereditare 5, 222 („Quasi-Nachlassverwalterschaft“); Herzog, Erbenhaftung, § 4 Rn. 10 (Erbe handele als „eine Art ‚Nachlassverwalter‘“).
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Hat ein Abwicklungsverschulden des Erben die Dürftigkeit des Nachlasses verursacht, so wollen Teile des Schrifttums den Ersatzanspruch aus § 1978 Abs. 1 S. 1 BGB im Wege der dolo agit-Einrede berücksichtigen.1039 Andere erachten es als methodengerechter, unter Hinweis auf die Zugehörigkeit der Ersatzansprüche zum Nachlass (§ 1978 Abs. 2 BGB) schon dessen Dürftigkeit zu verneinen.1040 Es scheint indessen, dass erst die Verbindung beider Ansätze zu einer sachgerechten Lösung führt. Denn solange die Vermögensverschmelzung andauert, ist der Anspruch aus § 1978 Abs. 1 S. 1 BGB nur virtueller Art. Er wird erst aktiviert durch die Berufung des Erben auf § 1990 BGB, die dann aber sofort zum Entfall seiner Tatbestands voraussetzungen führt. (5) Die Reihenfolge der Gläubigerbefriedigung Neben dem Fehlen einer faktischen oder auch nur „papierenen“ Separation des Nachlasses zeigt sich der niedrige Formalisierungsgrad der Eigenabwicklung bei dürftigem Nachlass auch darin, dass der Gesetzgeber den Erben aus Sorge vor seiner Überforderung nur einer eingeschränkten Pflicht zur insolvenzmäßigen Befriedigung der Nachlassgläubiger unterworfen hat.1041 Denn selbst im Fall erkannter Überschuldung1042 hat der Erbe nur hinsichtlich der (nachrangigen) Verbindlichkeiten aus Pflichtteilsrechten, Vermächtnissen und Auflagen1043 wie ein „unbezahlte[r] Insolvenzverwalter“ zu agieren,1044 nicht aber hinsichtlich der übrigen Nachlassverbindlichkeiten. Insbesondere die Erblassergläubiger darf der Erbe mithin nach freiem Belieben bedienen, d. h. er hat weder etwaige Vorrangverhältnisse noch den Grundsatz der par conditio creditorum zu beachten.1045 Dauner-Lieb sieht die Rechtfertigung dieser Erleichterung darin, dass die leer ausgehenden Gläubiger bei Durchführung eines Nachlassinsolvenzverfahren ebenfalls nichts bekommen hätten, weil die gesamte Masse durch die Kosten aufgezehrt worden wäre, und leitet daraus den Primat der amtlichen Nachlassliquidation ab.1046 Doch lässt sich dabei nicht recht erklären, warum bei Abwicklung des dürftigen Nachlasses einige Gläubiger besser behandelt werden dürfen als andere. Präziser scheint es deshalb, den Ausgangspunkt des BGB nicht in der amtlichen Abwicklung, sondern im Ziel der insolvenzmäßigen Befriedigung der Nachlassgläubiger zu sehen. Von diesem Ziel wird aus Rücksicht auf die fehlende Kenntnis und 1039
Herzog, Erbenhaftung, § 9 Rn. 58, § 11 Rn. 46, § 13 Rn. 5 m. w. N.
1040 Staudinger/Marotzke (2010), § 1990 BGB Rn. 7, 19; Dauner-Lieb, Unternehmen in Sonder-
vermögen, 70 f. 1041 Siehe schon oben E.II.1b) (448 f.); Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3658. 1042 Solange der Erbe schuldlos die Zulänglichkeit annimmt, kann er sich auf §§ 1991 Abs. 1, 1979 BGB berufen, siehe Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1272; Fischinger, Haftungsbeschränkung, 167; differenzierend Staudinger/Marotzke (2010), § 1991 Rn. 5 f. (= Staudinger/Dobler (2020), § 1991 Rn. 5 f.). 1043 § 1991 Abs. 4 BGB, der somit auf § 327 Abs. 1, 2 InsO verweist: Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 107. 1044 Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1273. 1045 Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 169; Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 69. 1046 Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 69.
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Erfahrung des Erben dort eine beschränkte Ausnahme gemacht, wo die Einsetzung eines professionellen Abwicklers mangels Masse nicht in Betracht kommt.
Eine Sonderregel besteht nur für diejenigen Gläubiger, die bereits eine rechtskräftige Verurteilung des Erben erwirkt haben,1047 wobei die genaue Bedeutung der Vorschrift umstritten ist. Nach einer Ansicht hat der Erbe in diesem Fall nur die Befugnis, nach anderer Ansicht dagegen auch die Pflicht zur vorrangigen Befriedigung.1048 Eigene Forderungen gegen den Erblasser darf der Erbe in jedem Fall vor allen anderen erfüllen, was diejenigen, die eine Pflicht zur vorrangigen Befriedigung der titulierten Gläubiger annehmen, durch ein Argument begründen müssen, das schon aus der englischen Rechtsgeschichte bekannt ist:1049 Der Umstand, dass der Erbe keinen Titel gegen sich selbst erlangen kann, dürfe ihm nicht zum Nachteil gereichen.1050 (6) Doppelseitige Haftungssonderung? Eine weitere Besonderheit der Abwicklung des dürftigen Nachlasses gegenüber den amtlichen Verfahren liegt darin, dass der Nachlass bei ihr nur in beschränktem Umfang vom Eigenvermögen des Erben abgesondert wird: Zwar werden durch Konfusion und Konsolidation erloschene Rechte „im Verhältnis zwischen dem Gläubiger und dem Erben“ als wieder auflebend fingiert,1051 doch wird der Nachlass nicht gegen den Vollstreckungszugriff der Eigengläubiger des Erben abge1047 § 1991 Abs. 3 BGB. Die in der spezielleren Vorschrift des § 1991 Abs. 4 BGB genannten Gläubiger sind hiervon allerdings nicht umfasst, Staudinger/Marotzke (2010), § 1991 Rn. 21; MükoBGB/Küpper, § 1991 Rn. 21; Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 107. 1048 Für die Annahme einer Pflicht etwa Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 170 f., dem zufolge diese allerdings nur gegenüber den bevorzugten Gläubigern besteht und damit nicht „dinglicher“ Natur ist. Ferner Muscheler, Erbrecht I, Rn. 3673, gegen die Kritik von Siber, Nachlaßhaftung, 61 f., dass ein derartiger Vorrang von „Prozeßzufälle[n]“ abhinge und allenfalls ein Vorrang des zuerst Vollstreckenden gerechtfertigt werden könne: Wer wegen Nichtbestreitens seiner Forderung oder Nichteinlegung von Rechtsmitteln zuerst einen Titel erlangt, besitze offenbar die unumstrittenste Forderung. Für die Annahme einer Pflicht zur vorrangigen Befriedigung offenbar auch Fischinger, Haftungsbeschränkung, 168. Gegen die Annahme einer aus § 1991 Abs. 3 BGB resultierenden Verpflichtung etwa Kipp/ Coing, Erbrecht, 561; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1273; Staudinger/Marotzke (2010), § 1991 Rn. 17 (= Staudinger/Dobler (2020), § 1991 Rn. 17). 1049 Siehe oben § 4 B.II.2b) (288 ff.). 1050 Mit diesem Argument für die analoge Anwendung des § 1991 Abs. 3 BGB: RGZ 139 (202); RGRK/Johannsen, § 1991 Rn. 6; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3670, 3674. Wird hingegen eine Pflicht des Erben zur vorrangigen Befriedigung der Titelgläubiger ohnehin abgelehnt, bedarf das Recht des Erben zur vorrangigen Erfüllung der eigenen Forderungen auch keiner gesonderten Begründung, siehe Staudinger/Marotzke (2010), § 1991 Rn. 20. 1051 § 1991 Abs. 2 BGB. Die Wiederherstellung erfolgt anders als bei § 1976 BGB also nicht absolut, sondern nur relativ und damit rechnerisch (MükoBGB/Küpper, § 1991 Rn. 5). Wiederauflebende Ansprüche des Erben gegen den Nachlass können von den Eigengläubigern des Erben also nicht gepfändet werden, Staudinger/Marotzke (2010), § 1991 Rn. 14. Ansprüche des Nachlasses gegen den Erben kann ein Nachlassgläubiger sich aber pfänden und überweisen lassen, Staudinger/Marotzke (2010), § 1991 Rn. 15; MükoBGB/Küpper, § 1991 Rn. 5.
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§ 6 Die Vervollkommnung der gesonderten Abwicklung
schirmt1052 (folgerichtig ist deshalb auch die Aufrechnung der Erbengläubiger gegen Nachlassforderungen nicht ausgeschlossen1053). Die h. M. möchte die zweiseitige Haftungsbeschränkung durch analoge Anwendung der §§ 1984 Abs. 2 BGB, 784 Abs. 2 ZPO herstellen,1054 was aber zu Recht als unvereinbar mit der klaren gesetzgeberischen Intention betrachtet wird.1055 Zu beachten ist zudem, dass die Nachlassgläubiger für den „gegenständlichen“ Verlust immerhin einen „rechnerischen“ Ausgleich erhalten,1056 indem ihnen durch die Schuldbefreiung des Erben mit Nachlassmitteln ein Ersatzanspruch gegen diesen erwächst.1057 Dieser ist zwar wertlos, wenn der Erbe kein pfändbares Eigenvermögen hat,1058 doch stehen die Nachlassgläubiger insgesamt nicht schlechter als bei Eröffnung der Nachlassverwaltung, da diese den Nachlass erheblich geschmälert oder sogar ganz aufgezehrt hätte.1059
1052 Fischinger, in: Hereditare 5, 213, 222, spricht davon, dass die Haftungsstruktur in diesem Fall „semipermeabel“ sei. Sprachlich ungenau ist es aber, wenn ders., Haftungsbeschränkung, 166, davon spricht, dass die Trennung der Vermögensmassen „nur semipermeabel“ sei. Denn volle Permeabilität würde gerade das Fehlen einer Vermögenstrennung bedeuten. 1053 Anders als bei § 1977 BGB, siehe Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3672; Staudinger/Marotzke (2010), § 1990 BGB Rn. 43. 1054 Siehe etwa MüKoBGB/Küpper, § 1990 Rn. 7. Weitere umfangreiche Nachweise bei Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3505 (Fn. 230), Rn. 3659 (Fn. 396), der die Analogie selbst ablehnt. Ablehnend auch Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 105. Für eine eingehende Begründung der Analogiefähigkeit des § 784 Abs. 2 ZPO und die Kombination mit einer Schadensersatzhaftung des Erben, der von diesem Rechtsbehelf keinen Gebrauch macht, Fischinger, in: Hereditare 5, 219–226; ders., Haftungsbeschränkung, 170–179. Wenngleich Fischinger zuzugeben ist, dass die Vorschriften der ZPO nicht immer hinreichend mit den Regelungen des BGB abgestimmt wurden (zu diesem Problem auch unten Fn. 1219), so wäre doch auch zu begründen, warum die fehlende Verweisung des § 1991 BGB auf § 1984 Abs. 2 BGB ignoriert werden darf. Weiter stellt sich die Frage, ob zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen § 1989 BGB nicht gleichermaßen fortzubilden wäre. 1055 Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 170; Karpe, in: 3. Denkschrift, 7, 93; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3659. 1056 Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 105. 1057 Über dessen Begründung besteht freilich keine Einigkeit. Einige Autoren nehmen einen Bereicherungsanspruch an, so etwa Ebenroth, Erbrecht, Rn. 1170; Staudinger/Marotzke (2010), § 1990 Rn. 28 (unter Hinweis auch auf den in § 1991 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken der Vermögenstrennung; sachlich identisch Staudinger/Dobler (2020), § 1990 Rn. 28) und wohl auch Kipp/Coing, Erbrecht, 561 f., doch erscheint es fragwürdig, in einer so detailliert geregelten Materie mit einem so allgemeinen Topos zu argumentieren (zweifelnd auch Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3659). Wenig überzeugend ist ferner die Annahme eines Schadensersatzanspruchs aus §§ 1991 Abs. 1, 1978, 280 BGB (so in der Sache etwa Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 171; Planck/Flad, § 1990 (unter d)), weil dem Erben der Zugriff auf sein Eigenvermögen gerade nicht vorgeworfen werden kann (zutreffend Staudinger/Marotzke (2010), § 1990 Rn. 28; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3659; Fischinger, in: Hereditare 5, 214 f.). Eine gradlinige und gänzlich im Einklang mit dem Gesetz stehende Lösung besteht darin, mit Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 105, einen Anspruch gegen den Erben auf Herausgabe des Erlangten (also Befreiung von der Schuld) aus §§ 1991 Abs. 1, 1978 Abs. 1, 681 S. 2, 667 BGB anzunehmen. Auf einen Verschuldensvorwurf kommt es dabei gerade nicht an. 1058 Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3659; Fischinger, in: Hereditare 5, 218 f. 1059 Staudinger/Marotzke (2010), § 1990 Rn. 28; Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 105.
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Die Tatsache, dass der Nachlass, anders als bei der amtlichen Abwicklung, im Fall der §§ 1990, 1991 BGB weder hinsichtlich der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis noch hinsichtlich der Zwangsvollstreckung eine Absonderung erfährt, sondern seine Integrität (neben der Rückgängigmachung von Konfusion und Konsolidation) in erster Linie über die (vorwärts- wie rückwärtsgerichtete) Abwicklerhaftung des Erben geschützt wird,1060 erklärt, warum das Schrifttum den Vorgang einer „Absonderung des Nachlasses“ verneint1061 oder ihm allenfalls „fiktiven“,1062 „rechnerischen“1063 oder „bilanziellen“1064 Charakter zuspricht. Diese Terminologie darf indessen nicht darüber hinwegtäuschen, dass zumindest in beschränkten Umfang eine Vermögenstrennung stattfindet, indem die Forderungen der Nachlassgläubiger nicht gegen das Eigenvermögen des Erben geltend gemacht werden können.1065 Folgt man der Ansicht, die die § 1984 Abs. 2 BGB, 784 Abs. 2 ZPO entsprechend anwenden wollen, wäre sogar hinsichtlich des gesamten Nachlasses von einer gegenständlichen Absonderung zu sprechen. Der schillernde Gebrauch des Begriffs der „Absonderung“ im erbrechtlichen Schrifttum ist letztlich Symptom für die oftmals unzureichende Differenzierung zwischen Vorgängen auf der tatsächlichen und Vorgängen auf der rechtlichen Ebene. So führen die amtlichen Abwicklungsverfahren zwar zu einer physischen Separation des Nachlasses vom Erbenvermögen, weil Ersterer vom Nachlass(insolvenz)verwalter in Besitz genommen wird. Parallel dazu kommt es jedoch auch zu einer Vermögenstrennung im rechtlichen Sinn, die sich zum einen in der doppelseitigen Haftungsbeschränkung manifestiert,1066 zum anderen im Übergang der Abwicklungsbefugnis vom Erben auf den Nachlass(insolvenz)verwalter. Da diese Vorgänge sich allein auf der rechtlichen Ebene abspielen, sind sie notwendig virtueller Natur, weshalb es irreführend scheint, etwa von einer „fiktive[n] Trennung der Vermögensmas1060 Eine zusätzliche Stärkung erfährt dieser Schutz dadurch, dass der die Dürftigkeitseinrede erhebende Erbe nach h. M. nachträglich auch der Haftung aus § 1980 Abs. 1 S. 2 BGB wegen Nicht eröffnung des Insolvenzverfahrens unterliegen kann (BGH NJW 1992, 2694 (2695); Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3670; Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 103). Zwar kann es praktisch kaum vorkommen, dass der Nachlass infolge einer Verletzung der Pflicht dürftig wird, weil ein Ersatzanspruch aus § 1980 Abs. 1 S. 2 BGB nach § 1978 Abs. 2 BGB analog dem Nachlass zuzurechnen ist (Staudinger/ Marotzke (2010), § 1991 Rn. 9) und den erlittenen Wertverlust somit kompensiert. Doch ist denkbar, dass z. B. ein Nachlassinsolvenzverfahren eingestellt wurde, weil der Ersatzanspruch aus § 1980 Abs. 1 S. 2 BGB nicht bekannt war, und der Erbe sich dann trotz fehlender Dürftigkeit auf § 1990 BGB berufen kann (Staudinger/Marotzke (2010), § 1990 BGB Rn. 8). Die Nachlassgläubiger können die ihnen aus §§ 1991 Abs. 1, 1978, 1990 BGB zustehenden Ansprüche in jedem Fall selbst geltend machen und müssen nicht wie im Falle der Nachlassverwaltung den Umweg über § 1978 Abs. 2 BGB gehen, siehe Staudinger/Marotzke (2010), § 1991 Rn. 10; Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 103. Unberührt davon bleibt der Umstand, dass § 1978 Abs. 2 BGB Relevanz für die Frage der Dürftigkeit des Nachlasses hat, siehe oben Fn. 1040. 1061 Siehe etwa Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1187 (§ 1990 BGB als Fall der beschränkten Haftung ohne Absonderung), 1271; Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 8 , 95 (Haftungsbeschränkung ohne Gütersonderung). 1062 So etwa Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 102; ähnlich Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1271 („Fiktion“); Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3670 („partielle Fiktion der Nachlasssonderung“). 1063 So etwa Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 102; ähnlich Ehrenkönig, Erbenhaftung, 52 („rechnerische Vermögenstrennung“). 1064 So Herzog, Erbenhaftung, § 4 Rn. 10 („fiktive bilanzielle Vermögenstrennung“). 1065 Hingegen verneint Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 102, nicht nur das Vorliegen einer „Absonderung“, sondern auch das einer Vermögenstrennung. Ähnlich Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1271 (Nachlassabsonderung weder rechtlich noch tatsächlich). 1066 Diesen Aspekt unterschlägt Herzog, Erbenhaftung, § 4 Rn. 9, wenn sie der Nachlassverwaltung nur die Wirkung einer „faktische[n] Vermögenstrennung“ zuspricht.
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sen“ zu sprechen.1067 Abgesehen davon zeigt § 1990 BGB, dass eine (beschränkte) rechtliche Vermögenstrennung weder eine physische Vermögenstrennung voraussetzt, noch eine Abspaltung der Verfügungsbefugnis oder eine „papierene“ Trennung mittels Inventarisierung. An die Stelle der gekünstelten Unterscheidung zwischen „echter“ und „fiktiver“ Nachlasssonderung sollte daher die Unterscheidung zwischen verschiedenen Graden der Absonderung treten.1068 Im Fall der §§ 1990, 1991 BGB ist die Absonderung schwacher, im Fall der amtlichen Abwicklung hingegen starker Natur. Setzt die rechtliche Vermögenstrennung zumindest die Inventarerrichtung voraus, liegt eine Absonderung mittlerer Intensitätsstufe vor.
Die Ratio der (schon vom beneficium inventarii her bekannten1069) „merkwürdigen Asymmetrie der Haftungslage“1070 liegt nicht ohne Weiteres auf der Hand und wird, wie gesehen, vielfach als unsachgemäß empfunden.1071 Nicht überzeugend sind die Erklärungen, dass eine Separationswirkung zugunsten der Nachlassgläubiger sich nicht gelohnt hätte1072 oder mit dem Zweck des Regimes nicht vereinbar gewesen wäre.1073 Denn wo der Nachlass ohnehin schon dürftig ist und den Nachlassgläubigern nicht einmal die insolvenzmäßige Befriedigung zugestanden wird, haben diese ein besonderes Interesse am ungeschmälerten Zugriff auf die Güter des Verstorbenen.1074 Die Erklärung für die Entscheidung des Gesetzgebers dürfte denn auch darin zu sehen sein, dass er die Schwierigkeit der Umsetzung einer haftungsrechtlichen Absonderung des Nachlasses erkannt hatte. Denn wenn dieser weder in räumlicher noch in papierener Form vom Eigenvermögen des Erben getrennt ist, gibt es de facto niemanden außer dem Erben, der eine Vollstreckungsbeschränkung wirksam geltend machen könnte.1075 Dem Erben fehlt für die sorgfältige Ausführung dieser Aufgabe nun aber nicht nur der Anreiz,1076 auch würde die Sanktion wegen Pflichtverletzung in der Sache auf die ohnehin bestehende Pflicht zur Herausgabe des Erlangten hinauslaufen.1077 1067
1068
So aber Herzog, Erbenhaftung, § 8 Rn. 73. Von Absonderung spricht im Kontext des § 1990 BGB etwa auch Planck/Flad, § 1991 (un-
ter 1a). 1069 Siehe dazu oben § 4 A.VII.9b) (271 ff.). 1070 Vgl. Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3505, 3658. 1071 Fischinger, Haftungsbeschränkung, 229, spricht gar von einem möglichen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. 1072 So ohne nähere Erläuterung Kipp/Coing, Erbrecht, 561. 1073 So ohne nähere Erläuterung Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 170. 1074 So zu Recht Fischinger, in: Hereditare 5, 215. 1075 Diesen Aspekt ignoriert Fischinger, in: Hereditare 5, 227–229, der de lege ferenda sowohl dem Erben als auch den Nachlassgläubigern die Rechte aus § 784 Abs. 2 ZPO einräumen möchte (dazu auch ders., Haftungsbeschränkung, 235 f.). Karpe, in: 3. Denkschrift, 93, sieht sogar im Falle der Inventarerrichtung keinen Raum für eine Vollstreckungssperre, weil die Beständigkeit der Aufzeichnung dazu führen würde, dass die Eigengläubiger auch noch nach Berichtigung aller Nachlassverbindlichkeiten am Zugriff gehindert wären. 1076 Vgl. Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3659; nach Fischinger, in: Hereditare 5, 216–218; ders., Haftungsbeschränkung, 170, ist der Erbe aufgrund des Prozesskostenrisikos sogar gut beraten, nicht gegen die Vollstreckung der Eigengläubiger in den Nachlass vorzugehen. 1077 Eine Abschreckungswirkung erhofft sich von der Schadensersatzpflicht Fischinger, in: Hereditare 5, 219.
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(7) Aktivierung des Regimes Während die Rechtsfolgen von Nachlassverwaltung und Nachlassinsolvenzverfahren jeweils durch gerichtliche Anordnung in Gang gesetzt werden, liegt für den Modus der privaten Abwicklung der entsprechende Aktivierungsakt auf den ersten Blick im Erheben der Einrede aus § 1990 BGB. Denn durch diese wird nicht nur die Haftung des Erben auf den Nachlass beschränkt,1078 auch werden die in § 1991 BGB geregelten Rechtsfolgen ausgelöst, also insbesondere die fingierte Aufhebung der Konfusion und die Behandlung des Erben als Beauftragter. Die Fokussierung auf die durch § 1990 BGB gewährte Einrede darf dennoch nicht den Blick darauf verstellen, dass die Rechtsordnung im Fall des dürftigen Nachlasses das zugehörige Sonderregime bereits von selbst ansteuert, also eine Art automatische Zuordnung vornimmt. Dies zeigt sich erstens daran, dass die dem Erben gewährte Einrede ohne Weiteres entsteht und nicht etwa von diesem erst gerichtlich beantragt werden muss. Zweitens ist es für die Funktionsfähigkeit des Regimes essentiell, dass der Erbe bei dürftigem Nachlass automatisch von der Insolvenzantragspflicht befreit ist.1079 Denn anderenfalls käme es zu dem sinnwidrigen Ergebnis, dass der Erbe sich so lange, wie er die Einrede aus § 1990 BGB noch nicht gerichtlich oder außergerichtlich gegenüber einem Gläubiger erhoben hat, der Schadensersatzpflicht aus § 1980 Abs. 1 S. 2 BGB ausgesetzt sieht. Drittens muss der Erbe aber auch vor Erhebung der Einrede aus § 1990 BGB schon von seiner Pflicht zur insolvenzmäßigen Befriedigung der Gläubiger befreit sein. Denn gegenüber einem Gläubiger, den er noch voll aus dem Nachlass befriedigen kann,1080 braucht der Erbe sich auf die Dürftigkeitseinrede noch gar nicht zu berufen.1081 Erst ab dem Moment, in dem er einen Gläubiger ganz oder teilweise enttäuschen muss, wird das Verteidigungsmittel relevant. Viertens schließlich kann ein über die Nachlassverhältnisse gut unterrichteter Gläubiger ein berechtigtes Interesse daran haben, nicht erst die Erhebung der Einrede abzuwarten, sondern unmittelbar auf Duldung der Zwangsvollstreckung zu klagen.1082 Es zeigt sich somit, dass der Erbe im Fall des dürftigen Nachlasses auch schon vor Geltendmachung der entsprechenden Einrede unter einem Sonderregime agiert. Die gesetzessystematische Fokussierung auf die Rechtsfolge der Haftungsbeschränkung, die im Schrifttum unkritisch nachvollzogen wird,1083 lässt diesen 1078 Dementsprechend muss die Dürftigkeit auch zu diesem Zeitpunkt vorliegen, Staudinger/ Marotzke (2010), § 1990 BGB Rn. 7 (= Staudinger/Dobler (2020), § 1990 Rn. 7). 1079 Zu dieser ungeschriebenen Ausnahme des § 1980 Abs. 1 BGB bereits oben Fn. 635. 1080 Es kann allerdings erforderlich sein, mit dem Gläubiger eine Vereinbarung über die Annahme von Nachlassgegenständen an Zahlung Statt (§ 364 BGB) zu treffen, siehe Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1275; Herzog, Erbenhaftung, § 9 Rn. 52. 1081 Gegenüber den in § 1991 Abs. 4 BGB genannten Gläubigern muss der Erbe, wenn er eine Ersatzpflicht aus §§ 1991 Abs. 1, 1978 BGB vermeiden möchte, die Einrede des § 1990 Abs. 1 S. 1 BGB allerdings schon dann geltend machen, wenn absehbar ist, dass der Nachlass zu ihrer Befriedigung nicht ausreichen wird, Staudinger/Marotzke (2010), § 1991 Rn. 21. 1082 Dernburg/Engelmann, Das bürgerliche Recht V, § 170 (492 f.). 1083 Dazu oben E.IV.1c) (485 f.).
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Umstand leicht aus dem Blick geraten und führt in die Irre bei Beantwortung der Frage, was der für das Vorliegen der Dürftigkeit maßgebliche Zeitpunkt ist. Die Meinungen, die auf die Erhebung der Einrede oder gar die letzte mündliche Tatsachenverhandlung abstellen wollen,1084 verkennen die Notwendigkeit, einzelne Rechtsfolgen der §§ 1990, 1991 BGB auch schon vorher eintreten zu lassen. c) Der überbeschwerte Nachlass Da das BGB die lex Falcidia nicht fortgeführt hat1085 und Verpflichtungen, die aus Vermächtnissen und Auflagen resultieren, zum Kreis der Nachlassverbindlichkeiten zählt,1086 wäre eine durch sie eintretende Überforderung des Nachlasses an sich als normaler Insolvenzfall zu behandeln (vorausgesetzt, die ergänzende Testamentsauslegung ergibt nicht schon die Hinfälligkeit dieser letztwilligen Anordnungen1087). Eine Pflicht des Erben zur Eröffnung eines entsprechenden Verfahrens schien der Zweiten Kommission indessen nicht im Sinne des Erblassers zu sein, der gewöhnlich davon ausgehe, dass der Nachlass zur Erfüllung sämtlicher letztwilligen Anordnungen hinreicht.1088 Das BGB befreit den Erben deshalb ausnahmsweise von der Insolvenzantragspflicht,1089 belässt ihm aber das entsprechende Recht.1090 Vor dem Hintergrund der genannten ratio legis war es konsequent, dass ursprünglich auch das Recht der Vermächtnis- und Auflagegläubiger auf Eröffnung des Nachlassinsolvenzinsolvenzverfahrens grundsätzlich ausgeschlossen war.1091 In die 1999 in Kraft getretene Insolvenzordnung wurde diese Regelung jedoch nicht übernommen,1092 so dass Vermächtnisund Auflagegläubiger nun wie jeder andere Nachlassgläubiger die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragen können.1093
Sollte das Ziel, die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in den genannten Fällen zu vermeiden, erreicht werden, musste dem Erben zugleich eine alternative Möglichkeit eingeräumt werden, seine unbeschränkte Haftung gegenüber den Vermächtnis- und Auflagegläubigern zu vermeiden.1094 Dies ist durch Gewährung der sog. Überbeschwerungseinrede geschehen, die in der entsprechenden Anwendung der Dürftigkeitseinrede besteht.1095 Beruft sich der Erbe auf diese Möglichkeit, kommt 1084
Ausführliche Nachweise bei Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1270. Siehe oben § 5 Fn. 7. 1086 § 1967 Abs. 2 BGB. 1087 Herzog, Erbenhaftung, § 4 Rn. 34, § 9 Rn. 60. 1088 Siehe oben Fn. 849; ferner Denkschrift BGB, 854; Staudinger/Marotzke (2010), § 1992 Rn. 1; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3675. 1089 § 317 Abs. 1 InsO. 1090 § 1980 Abs. 1 S. 3 BGB. 1091 Staudinger/Marotzke (2010), § 1992 Rn. 1; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3675. 1092 Sehr kritisch zu dieser Entscheidung, die auf einer Verkennung des historischen Regelungszwecks beruhte (siehe die Begründung in BT-Drucks. 12/2443 zu § 360 des Entwurfs), Staudinger/Marotzke (2010), § 1975 Rn. 37 f., § 1992 Rn. 1. Ähnlich Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3675. 1093 § 317 Abs. 1 InsO. 1094 Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3676. 1095 § 1992 BGB. 1085
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es also zu einer sachlich beschränkten – da nur Verpflichtungen aus Vermächtnissen und Auflagen betreffenden – gesonderten Eigenabwicklung.1096 Verlangt die Einrede der Überbeschwerung zwar nicht die Dürftigkeit des Nachlasses,1097 erfordert sie dennoch dessen Überschuldung.1098 Steht diese noch nicht fest, will der Erbe aber jedes Risiko vermeiden, bleibt ihm nur die Beantragung der Nachlassverwaltung.1099 In dem Bestreben, Nachlassinsolvenzverfahren so weit wie möglich zu vermeiden, ist vielfach dafür plädiert worden, den Anwendungsbereich des § 1992 BGB auf die Fälle zu erstrecken, in denen der Nachlass auch ohne die Vermächtnisse und Auflagen überschuldet gewesen wäre.1100 Doch spricht gegen eine solche Ausweitung nicht nur der klare Wortlaut von § 1980 Abs. 1 S. 3 und § 1992 BGB („beruht“). Auch ist nicht einzusehen, warum der Handlungsspielraum des Erben sich dadurch vergrößern soll, dass ein insolventer Nachlass durch Vermächtnisse und Auflagen vom Erblasser noch zusätzlich überfordert wurde.1101
Die Erhebung der Einrede der Überbeschwerung führt dazu, dass der Erbe die Vermächtnisse und Auflagen nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen zu erfüllen hat.1102 Dies bedeutet eine Verpflichtung zur gleichmäßigen Befriedigung, soweit der Erblasser nicht einen Vorrang im Sinne des § 2189 BGB angeordnet hat1103 oder ein Vermächtnis der Ersetzung des Pflichtteils diente.1104 In dem Maße, wie der Erbe die Erfüllung mangels ausreichenden Nachlasses verweigern kann, hat er die noch vorhandenen Gegenstände herauszugeben, darf diese Herausgabe aber auch durch Zahlung des Wertes abwenden.1105 Ausnahmsweise wird der Erbe, der sich
1096 Auf Pflichtteilsansprüche hingegen findet § 1992 BGB weder direkt noch analog Anwendung. Der Grund hierfür liegt nicht darin, dass das Bestehen solcher Ansprüche stets einen Nachlassüberschuss voraussetzt, denn dieser muss nur zum Zeitpunkt des Erbfalls vorliegen (§ 2311 BGB) und kann anschließend weggefallen sein. Stattdessen dürfte der Grund mit Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3677, darin zu sehen sein, dass Pflichtteilsansprüche im Rang vor den Vermächtnisund Auflagenvollzugsansprüchen rangieren (§ 327 Abs. 1 InsO) und der Gesetzgeber den Erben nicht der Versuchung aussetzen wollte, diese Rangfolge zu missachten. 1097 Sonst wäre § 1990 BGB direkt anwendbar, Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3679. 1098 Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3681. 1099 Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3681. 1100 Siehe etwa Kipp/Coing, Erbrecht, 562 f., unter Verweis auf einen vom OLG Hamburg entschiedenen Fall; RGRK/Johannnsen, § 1992 Rn. 2, der sogar von der mittlerweile herrschenden Meinung spricht. Zahlreiche weitere Nachweise für beide Ansichten bei Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3683 (Fn. 433). 1101 Gegen die weite Auslegung des § 1992 BGB auch OLG München ZEV 1998, 100; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3683; Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 100; Fischinger, Haftungsbeschränkung, 180 f. Für eine vermittelnde Ansicht Staudinger/Marotzke (2010), § 1992 Rn. 5 (= Staudinger/Dobler (2020), § 1992 Rn. 5): Sind alle übrigen Gläubiger damit einverstanden, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterbleibt, so spreche nichts gegen die ausnahmsweise Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 1992 BGB. 1102 §§ 1992 S. 1, 1991 Abs. 4 BGB, 327 Abs. 1 InsO. 1103 § 327 Abs. 2 S. 2 InsO; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3684. 1104 In diesem Fall steht das Vermächtnis gemäß § 327 Abs. 2 S. 1 InsO einem Pflichtteilsanspruch gleich und ist damit vorrangig zu erfüllen, Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3684. 1105 Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3685, dort auch zur Behandlung des Falls, dass der Erblasser dem Vermächtnisnehmer einen bestimmten, noch im Nachlass vorhandenen Gegenstand zugewandt hat.
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auf eine Haftungsbeschränkung beruft, also nicht gezwungen, sich von sämtlichen Nachlassgegenständen zu trennen.1106 4. Die Abwicklung im Fall des Gläubigerausschlusses a) Ausschluss durch Aufgebotsverfahren Führt der Erbe ein Gläubigeraufgebotsverfahren durch, verlieren die nicht rechtzeitig angemeldeten Nachlassgläubiger (mit Ausnahme der vom Verfahren nicht betroffenen1107) mit Erlass des Ausschließungsbeschlusses1108 zwar nicht wie beispielsweise früher im Zürcher Recht1109 und heute noch in vielen Rechtsordnungen der USA1110 sowie seit 2006 in Frankreich1111 ihre Forderung (der Begriff „Ausschluss“ ist insofern missverständlich).1112 Der Erbe darf den säumigen Gläubigern gegenüber den Nachlass jedoch unter für ihn sehr günstigen Bedingungen abwickeln, indem er in den Genuss einer gegenständlichen Haftungsbeschränkung kommt,1113 ohne zwecks schuldrechtlicher Absicherung der Nachlassgläubiger den
1106 Dasselbe Recht besteht sonst nur beim Gläubigerausschluss durch Aufgebot oder Zeitablauf (§§ 1973, 1974 BGB) sowie nach Abschluss des Nachlassinsolvenzverfahrens (§ 1989). Siehe Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 81, der zutreffend darauf hinweist, dass kein Fall einer wertmäßigen Haftungsbeschränkung vorliegt, weil dem Erben ein Wahlrecht zusteht. 1107 Ausgenommen von der Anmeldepflicht sind zunächst dingliche gesicherte Nachlassgläubiger (§ 1971 BGB), was sich mit der besonderen Schutzwürdigkeit ihrer Rechtsstellung erklärt (Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3703). Ebenfalls unter diesen Tatbestand fallen solche Gläubiger, deren Vollstreckung der Erbe mittels Geltendmachung der §§ 2014, 2015 BGB aufgehalten hat, die aber trotzdem bereits ein Pfändungspfandrecht erlangt haben, Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 181 f. Des Weiteren sind Gläubiger, deren Forderungen aus Pflichtteilsrechten, Vermächtnissen und Auflagen herrühren, vom Gläubigeraufgebot nicht betroffen (§ 1972 BGB). Der Grund hierfür liegt darin, dass entsprechende Verbindlichkeiten dem Erben in aller Regel bereits aus der letztwilligen Verfügung bekannt sind oder, wenn eine solche Verfügung erst später gefunden wird, erst nach Ende des Aufgebotsverfahrens bekannt werden. Kritisch dennoch Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3500; siehe auch ebd., Rn. 3702. 1108 § 439 FamFG. Näher, auch zu den durch das FamFG herbeigeführten prozessualen Erleichterungen, Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3696–3699. 1109 Siehe oben Fn. 19. 1110 Allerdings hat der Supreme Court in einer Entscheidung von 1988 eine allzu weitgehende Entrechtung der Gläubiger für verfassungswidrig erklärt, näher McGovern/Kurtz/English/Gallanis, Wills, Trusts and Estates, 553–556. Zum früheren Trend einer immer weiteren Verkürzung der Anmeldefrist Langbein, Harvard LR 97 (1984), 1125 (Fn. 67). 1111 Dazu oben C.II.2b)(4) (402 ff.). 1112 Die Forderung bleibt umfänglich bestehen und kann beispielsweise Grundlage für eine Einrede nach § 320 BGB sein, näher Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3710. 1113 Dies bedeutet zum einen, dass der Erbe den Nachlassgläubigern den Vollstreckungszugriff auf sein Eigenvermögen selbst bei ausreichendem Nachlass versagen kann (Ausschlusseinrede), zum anderen, dass er bei unzureichendem Nachlass dessen Erschöpfung geltend machen kann, ohne eine Insolvenzverfahren einleiten zu müssen (Erschöpfungseinrede). Siehe Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3712 f., der auch von einem „teilweise private[n] Insolvenzverfahren“ spricht; Staudinger/Marotzke (2010), § 1973 Rn. 1; Fischinger, Haftungsbeschränkung, 158. Als „durchaus eigenartig“ erachtet die Haftungsbeschränkung Staudinger/Kunz (2020), § 1973 Rn. 1.
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Abwicklerpflichten der §§ 1978–1980 BGB unterworfen zu sein.1114 Denn der Erbe haftet zum einen nur nach Bereicherungsrecht,1115 was bedeutet, dass er, solange nicht die Voraussetzungen des § 819 Abs. 1 BGB erfüllt sind, den Nachlass gegenüber den ausgeschlossenen Gläubigern wie eigenes Vermögen behandeln und etwa durch Luxusreisen aufzehren darf.1116 Der Erbe haftet m. a.W. nicht mehr als Abwickler, sondern nur noch als Empfänger von Nachlasswerten.1117 Zum anderen braucht der Erbe bei Befriedigung der ausgeschlossenen Gläubiger grundsätzlich keine Reihenfolge zu beachten.1118 Nur soweit er Verbindlichkeiten aus Pflichtteilsrechten, Vermächtnissen und Auflagen noch nicht erfüllt hat,1119 muss er die ausgeschlossenen Gläubiger vorab befriedigen.1120 Folgerichtig nimmt die h. M. an, dass die Forderungen ausgeschlossener Gläubiger bei Bemessung der Zulänglichkeit des Nachlasses außer Betracht bleiben, insoweit also keine Pflicht des Erben zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens besteht.1121
1114 Diesen Unterschied zu den §§ 1990, 1991 BGB betonen etwa Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 183; Kipp/Coing, Erbrecht, 521; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1279; Staudinger/Marotzke (2010), § 1990 BGB, Rn. 1; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3690, 3713 f. Bezweifelt wird die Sachgerechtigkeit der Privilegierung von Staudinger/Kunz (2020), § 1973 Rn. 24. Immerhin ist der Erbe als Herausgabepflichtiger nach § 260 BGB zur Auskunft über den Bestand und zur Versicherung an Eides statt verpflichtet. 1115 § 1973 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2 BGB. 1116 Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1279; siehe auch Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 183 f.; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3714 f.; Staudinger/Marotzke (2010), § 1973 Rn. 20, der die Auffassung kritisiert, nach der die großzügige Haftung auch schon für die Zeit vor Erlass des Ausschließungsurteils gelten soll. Zu beachten ist, dass eine Erschöpfung des Nachlasses auch durch einen Vollstreckungszugriff der Eigengläubiger erfolgen kann, da mangels Anwendbarkeit des § 1984 Abs. 2 BGB eine haftungsrechtliche „Einbahnstraße“ vorliegt (Fischinger, Haftungsbeschränkung, 158). 1117 Strukturell lässt sich eine Parallele zu § 322 InsO ziehen. 1118 Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1279. Eine rechtskräftige Verurteilung zur Befriedigung eines ausgeschlossenen Gläubigers wirkt überdies wie im Falle des § 1991 Abs. 3 BGB gegenüber einem anderen Gläubiger wie eine Erfüllung (§ 1973 Abs. 2 S. 3 BGB). Die h. M. leitet hieraus eine Pflicht zur vorrangigen Befriedigung der titulierten Forderung ab, siehe etwa Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 185 f.; Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 41; Staudinger/Kunz (2020), § 1973 Rn. 48; kritisch Staudinger/Marotzke (2010), § 1973 Rn. 13, 22. 1119 Die Gläubiger dieser Ansprüche sind vom Aufgebotsverfahren nicht betroffen, § 1972 BGB. 1120 § 1973 Abs. 1 S. 2 BGB. Ein Verstoß hiergegen kann eine Schadensersatzhaftung des Erben nach §§ 1978, 1979 BGB auslösen oder die Möglichkeit der Anfechtung nach § 5 AnfG oder § 322 InsO begründen: Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 185; Staudinger/Marotzke (2010), § 1973 Rn. 21. Das Anfechtungsrecht wird man dem ausgeschlossenen Gläubiger auch in dem Fall noch zugestehen müssen, in dem der Erbe bei Geltendmachung der Forderung die Verbindlichkeiten aus Pflichtteilsrechten, Vermächtnissen und Auflagen bereits befriedigt hat. § 1973 Abs. 1 S. 2 BGB regelt demnach nur das Verhältnis zwischen dem Erben und dem ausgeschlossenen Nachlassgläubiger, legt hingegen nicht auch abschließend die Nachlassverteilung fest. 1121 Staudinger/Marotzke (2010), § 1980 Rn. 3 (= Staudinger/Dobler (2020), § 1980 Rn. 3); Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3713; Herzog, Erbenhaftung, § 9 Rn. 70.
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§ 6 Die Vervollkommnung der gesonderten Abwicklung
Schließlich besteht ein „drittes Privileg“1122 des Erben darin, dass er nicht wie im Fall des dürftigen Nachlasses verpflichtet ist, die Vollstreckung in den Nachlass zu dulden,1123 sondern wie bei der Überbeschwerungseinrede das Recht hat, die Herausgabe von Nachlassgegenständen durch Zahlung ihres Wertes abzuwenden.1124 Angesichts der geringen Publizität des Aufgebotsverfahrens1125 und der vergleichsweise kurzen Anmeldefrist1126 birgt es für die Nachlassgläubiger also erhebliche Gefahren,1127 zumal auch diejenigen Gläubiger sich melden müssen, deren Forderungen dem Erben bereits bekannt oder sogar schon tituliert sind,1128 ebenso diejenigen Gläubiger, deren Ansprüche bedingt oder betagt sind.1129
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Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3690. unklare Formulierung des § 1973 Abs. 2 S. 1 wird wie bei § 1990 Abs. 1 S. 2 BGB als Pflicht des Erben zur Duldung der Zwangsvollstreckung verstanden, siehe etwa Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 182 f.; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1026 f.; Staudinger/Marotzke (2010), § 1973 Rn. 24; Staudinger/Kunz (2020), § 1973 Rn. 6 4. Zur Entstehungsgeschichte Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 69. 1124 § 1973 Abs. 2 S. 2 BGB. Dazu Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 186. Als „systemwidrige Sonderregelung“ wird das Ablösungsrecht von Osthold, ErbR 2016, 674, kritisiert. 1125 Vorgeschrieben ist nach § 435 Abs. 1 S. 1 FamFG lediglich die öffentliche Bekanntmachung des Aufgebots durch Aushang an der Gerichtstafel und einmalige Veröffentlichung im elektronischen Bundesanzeiger. Demgegenüber nur fakultativ ist nach § 435 Abs. 1 S. 2 FamFG die öffentliche Bekanntmachung „in einem elektronischen Informations- und Kommunikationssystem, das im Gericht öffentlich zugänglich ist“, etwa Fachzeitschriften oder der örtlichen Presse. Eine wiederholte Bekanntmachung steht ebenfalls im Ermessen des Gerichts (BeckOK FamFG/Schlögel, FamFG § 435 Rn. 1 f.). Landesrechtliche Vorbehalte sind im Fall des erbrechtlichen Gläubigeraufgebots nicht beachtlich (siehe § 484 FamFG). Zur in der Substanz identischen Vorgängerregelung, § 948 ZPO a. F., bemerkte schon der Erb rechtsausschuss der „Akademie für Deutsches Recht“ (zu dessen Arbeiten unten E.VI.2. (538 ff.)) kritisch: „Daß das Anheften an die Gerichtstafel wie das Einrücken im Reichsanzeiger mehr eine öffentliche Verheimlichung ist als eine öffentliche Bekanntgabe bedeuten, dürfte anerkannt sein.“ Allein die nach § 948 Abs. 2 ZPO a. F. im Ermessen des Gerichts stehende Bekanntmachung in lokalen Blättern und berufsständischen Zeitungen könne die Gläubiger mit erheblicher Wahrscheinlichkeit erreichen (Lange, in: 3. Denkschrift, 148 f., der zudem für eine Vereinfachung und Verbilligung des Verfahrens plädierte). De lege ferenda für eine deutliche Ausweitung der Bekanntmachung, nach Möglichkeit unter Einbeziehung neuer Medien, auch Ehrenkönig, Erbenhaftung, 100 f. 1126 Die Aufgebotsfrist beträgt mindestens sechs Wochen und soll sechs Monate nicht übersteigen, §§ 437, 458 Abs. 2 FamFG. 1127 Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1221. Die Frage eines Verstoßes gegen das durch Art. 14 GG geschützte Eigentumsrecht der Nachlassgläubiger wird geprüft und verneint von Fischinger, Haftungsbeschränkung, 231, der allerdings zwei wichtige Rechtsnachteile des ausgeschlossenen Gläubigers nicht in seine Überlegungen einbezieht: erstens die Tatsache, dass der Erbe nur noch nach Bereicherungsrecht haftet, und zweitens das Abrutschen in der insolvenzrechtlichen Rangordnung. Zu einem Verstoß gegen Art. 14 GG wird man aber gleichwohl nicht kommen. 1128 Immerhin muss der Erbe seinem Antrag ein Verzeichnis der ihm bekannten Gläubiger beifügen (§ 456 FamFG) und haftet, wenn ein Verstoß gegen diese Pflicht zum Ausschluss des Gläubigers führt, diesem gegenüber nach § 280 BGB (Herzog, Erbenhaftung, § 7 Rn. 69). Auch wird bekannten Gläubigern der Aufgebotsbeschluss von Amts wegen zugestellt (§ 15 FamFG). 1129 Zu weiteren Beispielen und der ratio legis des umfassenden Anmeldungserfordernisses Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3700. 1123 Die
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Das verbreitet verspürte rechtspolitische Unbehagen über die Zurücksetzung der Gläubiger interessen kommt in dem Streit über die Frage zum Ausdruck, ob ausgeschlossene Gläubiger auf der Grundlage von § 439 Abs. 4 FamFG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach §§ 17–19 FamFG verlangen können. Würde dies mit zahlreichen Stimmen in Rechtsprechung und Literatur bejaht,1130 führte die außerordentliche lange Wiedereinsetzungsfrist von fünf Jahren dazu, dass dem Gläubigeraufgebotsverfahren de facto der Zahn gezogen wird. Denn angesichts der geringen Publizität des Aufgebots müsste die Fristversäumung typischerweise als schuldlos qualifiziert werden.1131 Der BGH hat deshalb ausgeschlossenen Gläubigern die Möglichkeit der Wiedereinsetzung konsequenterweise versagt und dies u. a. mit dem Zweck des Gläubigeraufgebots begründet, die Nachlassverhältnisse verbindlich zu klären.1132 In der Tat würden sich kaum zu meisternde Rückabwicklungsprobleme stellen, wenn der Erbe nach Erlass des Ausschließungsurteils den Nachlass zunächst nach § 1973 BGB abwickelt, ausgeschlossene Gläubiger aber beispielsweise zwei Jahre später noch eine „Nachmeldung“ erreichen und damit die Ausschlussfolgen rückwirkend beseitigen könnten.
Haftet der Erbe aufgrund einer Inventarverfehlung bereits endgültig mit seinem Eigenvermögen, kann das Gläubigeraufgebot für ihn weder den Aufklärungszweck noch den Beschränkungszweck erfüllen,1133 so dass er folgerichtig nicht mehr zur Beantragung berechtigt ist.1134 Dass ein Gläubigeraufgebot in einer solchen Situation nach h. M.1135 hingegen weiterhin von einem Nachlasspfleger, Nachlassverwalter oder Testamentsvollstrecker beantragt werden kann,1136 überrascht auf den ersten Blick, findet seinen Grund aber in der weiteren Rechtsfolge des Ausschließungsbeschlusses, dass nämlich die ausgeschlossenen Gläubiger nur noch nachrangige Befriedigung verlangen können.1137 1130 Siehe etwa OLG München ZEV 2016, 195 (Tz. 11); Bumiller/Harders/Schwamb/Harders, FamFG § 438 Rn. 1. 1131 BeckOK FamFG/Schlögel, § 439 Rn. 9. 1132 BGH ZEV 2017, 37 (Tz. 27–29), mit kritischer Anmerkung Waldner (40). Dem BGH zustimmend BeckOK FamFG/Schlögel, § 439 Rn. 9. Zusätzlich zur fehlenden Anwendbarkeit des § 439 Abs. 4 FamFG auf § 438 FamFG entschied der BGH, dass eine Forderungsanmeldung nur bis zum Erlass des Ausschließungsbeschlusses möglich ist, nicht aber auch noch bis zu dessen Rechtskraft (BGH ZEV 2017, 37 (Tz. 15–20). 1133 Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 182; Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 34. Um die Wirkungen des § 1973 BGB herbeizuführen, muss die Haftung des Erben zum Zeitpunkt der Rechtskraft des Ausschließungsbeschlusses noch beschränkbar gewesen sein (§ 439 Abs. 2 FamFG), Staudinger/Marotzke (2010), § 1973 Rn. 2. Hat der Erbe hingegen den Gläubigerausschluss einmal herbeigeführt, gehen ihm die daraus erlangten Rechtsvorteile durch eine spätere Inventarverfehlung nicht mehr verloren, § 2013 Abs. 1 S. 2 BGB; Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 183; rechtspolitische Kritik bei Staudinger/Marotzke (2010), § 1973 Rn. 10 (= Staudinger/Kunz (2020), § 1973 Rn. 79). Zu unterscheiden von der Regelung des § 2013 Abs. 1 S. 2 BGB ist die umstrittene Frage, ob ein ausgeschlossener Nachlassgläubiger trotzdem noch ein Inventar beantragen kann, siehe die Nachweise bei Staudinger/Dobler (2020), § 1994 Rn. 8; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3706 f. Unberührt bleibt in jedem Fall das Recht zur Beantragung von Nachlassverwaltung und Nachlassinsolvenz, Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3710. 1134 § 455 Abs. 1 FamFG. 1135 Zum Streitstand Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3693 1136 § 455 Abs. 2 FamFG, der die Einschränkung des Abs. 1 nicht enthält. 1137 § 327 Abs. 3 InsO; Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 184 f.; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3704.
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§ 6 Die Vervollkommnung der gesonderten Abwicklung
b) Ausschluss durch Zeitablauf Dieselben Rechtsfolgen wie beim Ausschluss durch Gläubigeraufgebot können auch durch bloßen Zeitablauf eintreten. Macht ein Nachlassgläubiger seine Forderung erst fünf Jahre nach dem Erbfall dem Erben gegenüber geltend, steht er einem durch Aufgebotsverfahren ausgeschlossenen Gläubiger gleich, es sei denn, die Forderung wird dem Erben vor dem Ablauf der fünf Jahre bekannt oder im Aufgebotsverfahren angemeldet (§ 1974 BGB, sog. Verschweigungseinrede). Die gesetzliche Ausschlussfrist wirkt also wie eine richterliche Anmeldefrist.1138 Dinglich gesicherte Gläubiger sind hiervon wiederum nicht betroffen,1139 Gläubiger, deren Ansprüche aus Pflichtteilsrecht, Vermächtnissen oder Auflagen herrühren, dieses Mal hingegen schon.1140 Dies erklärt die einzige Modifikation der Rechtsfolgen des § 1973 BGB: Durch Zeitablauf ausgeschlossene Begünstigte werden nicht in der Reihenfolge der Geltendmachung befriedigt,1141 sondern nach den Regeln des Insolvenzrechts,1142 so dass Pflichtteilsberechtigte (vorausgesetzt, ihr Anspruch ist noch nicht verjährt) vorrangig zum Zuge kommen.1143 Wie stets kann der Erbe die genannten Rechtsvorteile nicht mehr erlangen, wenn er in endgültig unbeschränkte Haftung verfallen ist.1144 Tritt die Inventarverfehlung hingegen erst nach Ablauf der fünf Jahre ein, so bleibt es wie beim Aufgebot bei der Zurücksetzung der betroffenen Gläubiger.1145 Der Zweck der Regelung des § 1974 BGB liegt auf den ersten Blick darin, den Erben durch eine Art Abkürzung der Verjährungsfrist vor dem Risiko erst sehr spät bekannt werdender Nachlassverbindlichkeiten zu schützen. Doch bedarf dies einer wichtigen Präzisierung. Denn wenn die aufgetauchte Nachlassverbindlichkeit sein Eigenvermögen bedroht, stünden dem Erbe ja immer noch die – grundsätzlich unbefristeten – Mittel der Haftungsbeschränkung zur Verfügung. Die eigentliche Ratio des § 1974 BGB, der kein unmittelbare historisches Vorbild hat1146 und dessen Grundgedanke auf Vorschlag der bayerischen Regierung in den Zwei1138
Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3729. § 1974 Abs. 3 BGB. 1140 Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1280; Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 42. 1141 Die unveränderte Anwendung des § 1973 Abs. 1 S. 2 BGB könnte zu der absurden Konsequenz verleiten, dass ein Begünstigter durch seinen Ausschluss in den Genuss einer Befriedigung vor anderen Begünstigten kommt, siehe Staudinger/Marotzke (2010), § 1974 Rn. 16. 1142 § 1974 Abs. 2 , in Abweichung von § 1973 Abs. 1 S. 2 BGB. Siehe Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 186 f.; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1280. Für Ansprüche, die nicht zum Kreis des § 1972 BGB zählen, bleibt es hingegen bei der Regel des § 1973 Abs. 1 S. 2 BGB, MüKoBGB/Küpper, § 1974 Rn. 6; missverständlich Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 43. 1143 § 327 Abs. 1, Abs. 3 InsO. 1144 § 2013 Abs. 1 S. 1 BGB. 1145 § 2013 Abs. 1 S. 2 BGB; Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 187. 1146 An das gemeine Recht knüpft die Vorschrift nur insofern an, als die Nachlassgläubiger das beneficium separationis (dazu oben § 4 A.V. (257 ff.)) verloren, wenn der Nachlass untrennbar mit dem Erbvermögen vermischt war oder der Erbfall mehr als fünf Jahre zurücklag, Muscheler, Erbrecht II, Rn. 724. Während es dabei um den Verlust eines Rechtsvorteils der Nachlassgläubiger ging, begründet § 1974 BGB einen Rechtsvorteil des Erben. 1139
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ten Entwurf aufgenommen wurde,1147 liegt denn auch in etwas anderem: Der Zustand einer latenten Sonderstellung des Nachlasses soll im Interesse des Erben, aber auch der Allgemeinheit, zeitlich begrenzt werden. So wies die Zweite Kommission darauf hin, dass mit fortschreitendem Zeitablauf die für eine Haftungsbeschränkung erforderliche Trennung von Nachlass und Erbenvermögen nicht nur immer schwieriger umzusetzen sei, sondern auch für den Erben eine zunehmende Härte bedeute, weil er den Nachlass bislang als Eigentümer behandelt habe, rückwirkend aber in die Stellung eines Beauftragten versetzt werde.1148 § 1974 BGB stellt damit die deutsche Antwort auf das auch in anderen Rechtsordnungen auftretende Pro blem dar, dass die Verselbständigung des Nachlasses zwar dessen geordnete Abwicklung ermöglicht, zugleich aber auch die Gefahr einer unwirtschaftlichen Perpetuierung dieser Übergangsphase mit sich bringt. Aus Sicht des Erben manifestiert sich das Problem in dem Dilemma, die Nachlassgegenstände entweder für den Fall der Fälle beiseite zu legen (und sie somit als totes Kapital zu behandeln) oder sie als eigene zu gebrauchen und damit das Risiko einzugehen, für Verschlechterungen später Ersatz leisten zu müssen und getätigte Aufwendungen nicht ersetzt verlangen zu können. Der dargestellte Gesetzeszweck erklärt, warum im Fall einer Todeserklärung oder einer Festsetzung des Todeszeitpunkts die Verschweigungsfrist von fünf Jahren erst mit Rechtskraft des entsprechenden Beschlusses zu laufen beginnt.1149 Denn dem Erben steht in diesem Fall deutlich vor Augen, dass er das Vermögen noch nicht endgültig als eigenes behandeln kann.1150
Lässt sich die in § 1974 BGB zum Vorschein kommende Bevorzugung von Praktikabilitätsinteressen gegenüber Gläubigerinteressen1151 damit gut begründen und ist sie angesichts der langen Frist1152 an sich auch schonend ausgestaltet, ist die Vorschrift dennoch rechtspolitisch in die Kritik geraten.1153 Denn indem sie nicht danach differenziert, ob dem Gläubiger die rechtzeitige Geltendmachung der Forderung überhaupt möglich war,1154 kann sie insbesondere im Fall der Dauertestamentsvollstreckung zu sinnwidrigen Ergebnissen führen.1155 Begründet nämlich z. B. der Testamentsvollstrecker eine Schuld durch Rechtsgeschäft erst fünf Jahre 1147
Näher zur Entstehung Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3722. Protokolle V, 795 f. Gute Synthese bei Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3723. 1149 § 1974 Abs. 1 S. 2 BGB. 1150 Fischinger, Haftungsbeschränkung, 162 f., gegen die weiter gehenden Rückschlüsse Muschelers. 1151 Siehe Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 42. 1152 Siehe auch Fischinger, Haftungsbeschränkung, 162. Der Erbrechtsausschuss der „Akademie für Deutsches Recht“ erörterte sogar eine Herabsetzung auf drei Jahre, siehe Lange, in: 3. Denkschrift, 149. 1153 Ausführlich Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3718 f., 3724–3734; eingehende kritische Würdigung bei Fischinger, Haftungsbeschränkung, 161–163. 1154 Die h. M . hält diese Vorgabe für bindend, siehe die Nachweise bei Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3718. 1155 Zu anderen Beispielsfällen, in denen eine Nachlassforderung erst nach Ablauf der Frist entsteht, Fischinger, Haftungsbeschränkung, 160 f. 1148
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nach dem Erbfall, dann unterliegt diese bei wortlautgetreuer Anwendung des § 1974 BGB als Nachlassschuld dem sofortigen Ausschluss.1156 Dieses Ergebnis lässt sich auch nicht durch eine Parallele zum Gläubigeraufgebotsverfahren rechtfertigen, weil für dieses gerade anerkannt ist, dass eine Forderung, die erst nach dem Ausschließungsbeschluss entsteht, von diesem nicht erfasst wird.1157 Mit Muscheler ist deshalb der Regelungszweck des § 1974 BGB von vornherein dort nicht als einschlägig anzusehen, wo der Nachlass (wie insbesondere bei der Dauertestamentsvollstreckung) ohnehin noch eine Sonderstellung innehat, die Abwicklung aus Sicht des Erben also noch gar nicht beendet ist und er deshalb auch noch kein entsprechendes Vertrauen aufgebaut hat.1158 5. Haftungsrechtliche Sonderkonstellationen a) Handels- und gesellschaftsrechtliche Verbindlichkeiten Rühren die Verbindlichkeiten des Erblassers aus der Führung eines einzelkaufmännischen Unternehmens oder aus seiner Stellung als Gesellschafter einer OHG oder KG, so kommt es zu einer Kollision gegenläufiger Haftungsprinzipien: Während die Haftung nach Handels- bzw. Gesellschaftsrecht stets eine persönliche ist,1159 die allein für den Kommanditisten einer KG ihrer Höhe nach begrenzt wird1160 , ermöglicht das Erbrecht die gegenständliche Beschränkung der Haftung auf den Nachlass als Sondervermögen. Das deutsche Recht räumt in dieser Situation den Belangen des Wirtschaftsverkehrs den Vorrang vor denen des Erben ein. Führt deshalb der Erbe das einzelkaufmännische Unternehmen des Erblassers unter dessen Firma dauerhaft fort oder tritt er in seine Stellung als Gesellschafter einer OHG oder KG ein, so muss er für die bestehenden handels- bzw. gesellschaftsrechtlichen Verbindlichkeiten in jedem Fall auch mit dem eigenen Vermögen einstehen.1161 Die erbrechtlichen Haftungsgrundsätze werden damit teilweise überla1156
Für einen Beispielsfall Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3717. mit Nachweisen Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3729; Fischinger, Haftungsbeschränkung, 159. 1158 Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3731; insoweit zustimmend Fischinger, Haftungsbeschränkung, 164. Da Fischinger § 1974 BGB überdies auch dort telelogisch reduzieren möchte, wo eine Nachlassschuld erst nach Ablauf der Frist begründet wird, steht er der Ansicht Muschelers trotz ihrer Ablehnung im Grundsatz (siehe oben Fn. 1153) im Ergebnis sehr nahe. 1159 Für den Einzelkaufmann folgt dies bereits aus den allgemeinen Grundsätzen. Für die Gesellschafter einer OHG und den Kommanditisten einer KG siehe §§ 105, 128 S. 1, 161 Abs. 1 HGB. 1160 § 161 Abs. 1 HGB. 1161 Siehe für die Fortführung des einzelkaufmännischen Unternehmens §§ 25 Abs. 1, 27 HGB, dazu eingehend Friedrich, Haftung, 44–107. Zur unbeschränkten Haftung für bestehende Geschäftsverbindlichkeiten kommt es auch dort, wo das einzelkaufmännische Unternehmen durch eine Erbengemeinschaft fortgeführt wird, § 2059 gilt in diesem Fall also nicht: Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 488; Baumbach/Hopt/Hopt, § 27 Rn. 4; BeckOK HGB/Bömeke, § 27 Rn. 36. Zur umstrittenen Haftung für Neuverbindlichkeiten Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 489–494. Für die Haftung bei Eintritt des Erben in eine OHG oder KG siehe §§ 139, 173 Abs. 1 HGB. 1157 Dazu
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gert,1162 eine Beschränkung ist nur möglich hinsichtlich derjenigen Nachlassverbindlichkeiten, die keine Geschäftsschulden sind.1163 Im Fall minderjähriger Erben drohen damit Schutzlücken.1164 Ungeachtet ihrer großen praktischen Bedeutung ist die Vererbung handels- und gesellschaftsrechtlicher Verbindlichkeiten nicht Gegenstand dieser Arbeit.1165 Der Grund hierfür liegt nicht nur in der gezeigten Überlagerung erbrechtlicher Wertungen, sondern auch darin, dass sich das Problem sich in den anderen hier untersuchten Rechtsordnungen nicht notwendig in derselben Weise stellt. Denn die gesellschafts- und erbrechtlichen Rahmenbedingungen sind möglicherweise andere. Zu unterscheiden von der unbeschränkten Haftung des Erben für bestehende Geschäftsverbindlichkeiten ist die Behandlung der Situation, in der der Erbe ein zum Nachlass gehörendes Unternehmen werbend fortführt, es später aber zu einer Haftungsbeschränkung durch Nachlassverwaltung oder Nachlassinsolvenz kommt. Hier stellt sich das komplexe Problem, welcher Vermögensmasse die durch die zwischenzeitliche Geschäftstätigkeit entstandenen Gewinne und Verluste zuzurechnen sind. Während die Nachlassgläubiger ein Interesse daran haben, den Nachlass für sich zu reservieren, haben die neuen Geschäftsgläubiger in der Regel darauf vertraut, auf das gesamte Erbenvermögen und damit auch auf den Nachlass zugreifen zu können. Der Erbe schließlich kann daran interessiert sein, die neuen Geschäftsgläubiger ausschließlich auf den Nachlass zu verweisen und damit eine Art „einzelkaufmännisches Unternehmen mbH“ zu führen.1166 Noch deutlicher stellt sich das Problem dort, wo ein im Nachlass befindliches Unternehmen von einer Erbengemeinschaft werbend fortgeführt wird, weil hier von Anfang an eine Vermögensseparation vorliegt.1167 In der vorliegenden Arbeit steht die Thematik der werbenden Fortführung von Nachlässen aus dem Grund nicht im Fokus, dass eine solche unstreitig nicht dem Leitbild der deutschen Nachlassabwicklung entspricht; diese ist auf einen statischen, „sterbenden“ Nachlass ausgerichtet.1168 Die zahlreichen Friktionen mit Grundsätzen des Erb- ebenso wie des Gesellschaftsrechts, die bei der werbenden Fortführung von Nachlässen auftreten, machen dies nur allzu deutlich und sind Grund für die rechtspolitischen Zweifel an der Zulässigkeit eines solchen Vorgehens.1169
1162 Näher zum Thema Klook, Die überschuldete Erbschaft, 106–113; Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 24–29; eingehend Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3407–3458. 1163 Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 152. 1164 Siehe unten C.IV.5b) (518 f.). 1165 Die für die Behandlung der Probleme zentrale Vorschrift des § 1978 BGB wird trotzdem eingehend gewürdigt, siehe unten § 7 C.II.2. (620 ff.). 1166 Eingehend Friedrich, Haftung des endgültigen Erben, 135–158; Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 152–220; Windel, Modi der Nachfolge, 78–88. 1167 Eingehend Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 330–516. 1168 Siehe schon oben § 1 F.III.1. (78 ff.). 1169 Siehe oben § 1 F.III.1. (78 ff.).
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b) Besonderer Schutz für Minderjährige Im Unterschied zu vielen anderen Rechtsordnungen1170 sieht die Nachlassabwicklung des BGB grundsätzlich keine Sonderregeln für Minderjährige oder andere Personen vor, die in ihrer Geschäftsfähigkeit ganz oder teilweise beschränkt sind. Der wesentliche Grund hierfür liegt in der Entscheidung des Gesetzgebers, den notwendigen Schutz der betreffenden Personen nicht im Erbrecht, sondern im Rahmen ihrer gesetzlichen Vertretung sicherzustellen.1171 So bedürfen beispielsweise Eltern, die für ihr Kind eine Erbschaft ausschlagen wollen, der Genehmigung des Familiengerichts.1172 Abgesehen davon wird die Notwendigkeit eines besonderen Schutzes für Personen, die in der Handlungsfähigkeit beschränkt sind, aber auch durch die skizzierte Struktur der Nachlassabwicklung gemindert. So kann beispielsweise eine Person, die minderjährig Erbe geworden ist, nach Erreichen der Volljährigkeit grundsätzlich immer noch für eine amtliche Abwicklung optieren.1173 Bis zu einer Reform des Jahres 1998 wies das geltende System dennoch eine empfindliche Schutzlücke auf: Im Fall nämlich, dass zum Nachlass ein einzelkaufmännisches Unternehmen gehörte, konnten Eltern ihre minderjährigen Kinder nach den oben skizzierten Grundsätzen in eine endgültige unbeschränkte Haftung hineindrängen (und zwar für Alt- ebenso wie für nach dem Erbfall begründete Neuverbindlichkeiten), weil nur die Ausschlagung der Erbschaft, nicht aber ihre Annahme der familiengerichtlichen Genehmigung bedarf.1174 Das Bundesverfassungsgericht sah hierin einen Verstoß gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Minderjährigen und forderte den Gesetzgeber zur Beseitigung des Problems auf.1175 Folge war die Einführung des § 1629a BGB, der es einem Minderjährigen ermöglicht, seine Haftung für Verbindlichkeiten, die durch Rechtsgeschäft unter Lebenden begründet wurden oder kraft Erbrechts auf ihn übergegangen sind, bei Erreichen der Volljährigkeit in entsprechender Anwendung der §§ 1990, 1991 BGB auf sein zu diesem Zeitpunkt vorhandenes Vermögen (also nicht auf den Nachlass) zu beschränken.1176 Neben der genannten Konstellation kann das „verlängerte“ Recht der Haftungsbeschränkung1177 des § 1629a BGB auch dort praktische Bedeutung erlangen, wo der minderjährige Erbe aus anderen Gründen in unbeschränkte
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Zu den Regeln des französischen Rechts siehe unten § 7 Fn. 102. Muscheler, Erbrecht I, Rn. 591. 1172 § 1643 Abs. 2 BGB. Zu dieser Regelung bereits oben § 1 Fn. 583. 1173 Zur „Ewigkeit“ der Abwicklungsoption eingehend unten § 7 C.I.2 (611 ff.). 1174 Es liegt nach h. M . auch kein Fall des § 1822 Nr. 3 BGB vor (BGH NJW 1985, 136 (137)), und § 1823 BGB ist nur auf den Pfleger, nicht aber auf die Eltern anwendbar. Zum Ganzen K. Schmidt, NJW 1985, 2791 f. 1175 BVerfGE 72, 155 = NJW 1986, 1859; näher MüKoBGB/P. Huber, § 1629a Rn. 1–4. 1176 Für unzureichend hält den Schutz dennoch Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 25. 1177 Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 25. Der Begriff „verlängert“ darf freilich nicht zu dem Irrtum verleiten, dass die allgemeinen Mittel der erbrechtlichen Haftungsbeschränkung einer zeitlichen Schranke unterworfen wären. 1171 Dazu
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Haftung verfallen ist, etwa aufgrund einer Inventarverfehlung seines gesetzlichen Vertreters.1178 Instruktiv ist, dass der durch § 1629a BGB gewährte Schutz des „Erben seiner selbst“1179 wiederum zu Defiziten im Gläubigerschutz führt, die der Gesetzgeber hinreichend zu kompensieren versäumt hat. Denn weil die Vorschrift nur auf die §§ 1990, 1991 BGB verweist, aber nicht auf das Regime der Erbenhaftung im Ganzen,1180 haben die Altgläubiger des Minderjährigen keine Handhabe, ihre bevorzugte Befriedigung aus dem Nachlass durch Einleitung eines amtlichen Abwicklungsverfahrens nach dem Vorbild von Nachlassverwaltung und Nachlassinsolvenz oder auch nur durch Aufforderung zur Inventarerrichtung zu sichern.1181 c) Fälle anfänglicher Haftung pro viribus hereditatis In verschiedenen Sonderkonstellationen findet gleich eine doppelte Ausnahme von den allgemeinen Prinzipien der Nachlassabwicklung statt, indem erstens die Haftung des Erben auch bei erheblichem Nachlass von Anfang an beschränkt ist und zweitens die Natur der Beschränkung nicht gegenständlicher, sondern rechnerischer Art ist. (1) Ausbildungsanspruch aus § 1371 Abs. 4 BGB Wird der Verstorbene von seinem Ehegatten beerbt und erhält dieser nach § 1371 Abs. 1 BGB den pauschalierten Zugewinnausgleich in Form einer zusätzlichen Erbquote von einem Viertel, so ist der überlebende Ehegatte nach § 1371 Abs. 4 BGB verpflichtet, Abkömmlingen des Verstorbenen, die nicht aus seiner durch Tod aufgelösten Ehe stammen, bei Bedarf die Mittel zu einer angemessenen Ausbildung zu gewähren. Diese Verpflichtung ist allerdings nur „aus dem nach [§ 1371] Absatz 1 zusätzlich gewährten Viertel zu leisten“, was die ganz h. M. als eine rechnerische Haftungsbeschränkung versteht.1182 (2) Nachehelicher Unterhalt War der Erblasser seinem früheren Ehegatten zum Unterhalt verpflichtet, geht diese Pflicht nach § 1586b Abs. 1 S. 1 BGB auf den Erben über, der aber nicht über den Wert des hypothetischen Pflichtteils des Gläubigers hinaus haftet.1183 Das Vorliegen einer rechnerischen Haftungsbeschränkung ist in diesem Fall offenkundig.
1178
Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1188. Angelehnt an Marotzke, AcP 199 (1999), 626. 1180 MüKoBGB/P. Huber, § 1629a Rn. 36–37. 1181 Sehr kritisch deshalb Marotzke, AcP 199 (1999), 627. 1182 Siehe Fischinger, Haftungsbeschränkung, 218 m. w. N. 1183 § 1586b Abs. 1 S. 3 BGB. 1179
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§ 6 Die Vervollkommnung der gesonderten Abwicklung
(3) Ersatzansprüche des Fiskus Eine anfängliche Haftung pro viribus hereditatis besteht schließlich auch beim Kostenersatzanspruch des Sozialhilfeträgers gegen den Erben der leistungsberechtigten Person aus § 102 Abs. 2 S. 2 SGB XII,1184 ebenso bei Ersatzansprüchen der Staatskasse aus Vormundschaft- und Betreuungsrecht gemäß §§ 1836e, 1908i BGB.1185 Aufschlussreich ist die Genese der rechnerisch beschränkten Haftung im Fall des § 102 Abs. 2 S. 2 SGB XII: An ihrer Stelle stand ursprünglich nämlich noch eine Haftung cum viribus hereditatis,1186 die sich aufgrund einer fehlenden Haftung des Erben für Abwicklungsverschulden jedoch beispielsweise in dem Fall als lückenhaft erwies, wo der Erbe sich des Nachlasses durch Schenkung vollständig entledigte.1187 Nachdem das Bundesverwaltungsgericht dem Versuch, zum Schutz des Gläubigers ergänzend die §§ 1978–1980 BGB heranzuziehen, eine Absage erteilt hatte,1188 sah sich der Gesetzgeber zur Umstellung auf die rechnerisch beschränkte Haftung veranlasst,1189 die die genannte Schutzlücke vermeidet.1190 (4) Bewertung und Verhältnis zu den allgemeinen Vorschriften Abgesehen von dem allgemeinen Nachteil einer Haftung pro viribus hereditatis, nämlich den Schwierigkeiten der Wertfeststellung,1191 bilden die genannten Regelungen einen schwer zu rechtfertigenden Fremdkörper im System der deutschen Nachlassabwicklung.1192 Unklar ist beispielsweise, warum der Gesetzgeber im Fall des § 102 Abs. 2 S. 2 SGB XII nicht nach dem Vorbild des § 45 Abs. 2 S. 1 AO über die Haftung für ererbte Steuerschulden einfach das allgemeine Regime der Nachlassabwicklung für anwendbar erklärte.1193 Damit hätte er weiterhin dem Interesse des Erben an einer Haftungsbeschränkung Rechnung getragen, zugleich aber über die Haftung aus §§ 1978–1980 BGB auch das Ziel erreicht, den Fiskus gegen schuldhafte Nachlassbeeinträchtigungen zu schützen.1194 Und falls der Gesetzgeber Wert darauf legte, den Erben anfänglich beschränkt haften zu lassen, so hätte sich nach dem Vorbild des § 1629a Abs. 1 S. 2 BGB ein Verweis auf die §§ 1990, 1991 BGB angeboten. 1184
Siehe auch Fischinger, Haftungsbeschränkung, 220. Roth/Pfeuffer, Nachlassinsolvenzverfahren, 439 f. 1186 § 92 Abs. 5 BSHG i. d. F. von 1961, ebenso die zwischenzeitliche Fassung des § 92c Abs. 2 BSHG. 1187 Siehe Fischinger, Haftungsbeschränkung 221. 1188 BVerwG NJW 1993, 1089 (1090). 1189 Näher Fischinger, Haftungsbeschränkung 221. 1190 Zu diesem Vorzug der Haftung pro gegenüber der Haftung cum viribus hereditatis schon oben § 4 A.VII.9b) (271 ff.). 1191 Dazu oben § 4 A.VII.9b) (271 ff.). 1192 Sehr kritisch deshalb Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3490; Windel, Modi der Nachfolge, 211 f. (Fn. 60); Fischinger, Haftungsbeschränkung, 222–224, 236. 1193 Kritisch zur Ungleichbehandlung verschiedener öffentlich-rechtlicher Forderungen Fischinger, Haftungsbeschränkung, 223. Zur Anwendung des § 1990 BGB im Steuerrecht Dusch, DStR 2013, 844–848. 1194 Siehe auch Fischinger, Haftungsbeschränkung, 223 f. 1185 Näher
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Die ohne Not geschaffene Parallelität der Haftungsregime trübt keineswegs nur die systematische Reinheit, sondern führt auch zu praktischen Problemen. So ist insbesondere unklar, wie die beiden Regelungsmodelle miteinander zu koordinieren sind, wenn der Nachlass nicht für die Befriedigung aller Gläubiger ausreicht.1195 Die Antwort hierauf hängt auch davon ab, ob dem Erben zusätzlich zu seiner besonderen Haftungsbeschränkung die allgemeinen Instrumente der Haftungsbeschränkung zur Verfügung stehen. Dies kann insbesondere dann von Bedeutung sein kann, wenn der Nachlass nach Eintritt des Erbfalls als maßgeblichem Stichtag1196 massiv an Wert verliert.1197 Für die Bejahung der (zusätzlichen) Möglichkeit einer gegenständlichen Haftungsbeschränkung, die im Fall des § 1586b BGB einhellig anerkannt ist,1198 spricht, dass die anfänglich rechnerisch beschränkte Haftung sich anderenfalls als Danaergeschenk entpuppen könnte.1199 Einwenden lässt sich hiergegen auf den ersten Blick zwar, dass, wie die Gesetzgebungsgeschichte des § 102 Abs. 2 S. 2 SGB XII gezeigt hat, die rechnerisch beschränkte Haftung den Gläubigern das Risiko eines späteren Nachlassverfalls gerade abnehmen soll, jedenfalls dort, wo ein solcher Verfall auf Fehlverhalten des Erben beruht.1200 Doch ist zu beachten, dass dort, wo der Erbe sich auf die allgemeinen Mechanismen der Haftungsbeschränkung beruft, auch seine Haftung aus §§ 1978–1980 BGB aktiviert wird, so dass die Gläubiger jedenfalls gegen fährlässig herbeigeführte Nachlassbeeinträchtigungen geschützt sind (Beispiel: Der Erbe schaut dem rapiden Kursverfall von im Nachlass enthaltenen Aktien tatenlos zu). Dass eine Rechtsordnung die Gläubiger mittels einer rechnerischen Haftungsbeschränkung darüber hinaus auch gegen zufällige Wertverluste absichern will, ist zwar nicht a priori ausgeschlossen, doch wohl selbst im Fall des § 102 Abs. 2 S. 2 SGB XII nicht anzunehmen.1201 d) Fall der anfänglichen Haftung cum viribus hereditatis In einem anderen Sonderfall ist der Gesetzgeber nur in einem Punkt von den allgemeinen Grundsätzen abgewichen, indem er die Haftung des Erben zwar ebenfalls als anfänglich beschränkte ausgestaltet, am Prinzip der gegenständlichen Beschränkung aber festgehalten hat. Leistet ein Konsularbeamter einem Deutschen in sei1195
20).
Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3490 m. w. N.; Herzog, Erbenhaftung, § 4 Rn. 19 f. (Fn. 15 und
1196 Im Fall des § 1586b BGB ergibt sich dies aus § 2311 Abs. 1 S. 1 BGB, im Falle des § 1371 Abs. 4 BGB wird diese Regelung analog herangezogen, siehe Fischinger, Haftungsbeschränkung, 219 m. w. N. Im Falle der übrigen genannten Vorschriften wird der Erbfall unmittelbar als Stichtag bestimmt. 1197 Hieraus weist zu Recht Fischinger, Haftungsbeschränkung, 219, 221 hin. 1198 Siehe etwa BGH NJW 2004, 1326; Fischinger, Haftungsbeschränkung, 219 m. w. N. 1199 Mit diesem Argument für die Anwendbarkeit der allgemeinen Regeln im Rahmen des § 1371 Abs. 4 BGB Fischinger, Haftungsbeschränkung, 219. 1200 Diesen Aspekt verkennt Fischinger, Haftungsbeschränkung, 221 f., wenn er der Regelung des § 102 Abs. 2 S. 2 SGB XII allein das Ziel des Erbenschutzes zuschreibt. 1201 So im Ergebnis auch Fischinger, Haftungsbeschränkung, 221 f.
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nem Konsularbezirk Hilfe, so hat der Empfänger dem Konsularbeamten seine Auslagen zu ersetzen.1202 Im Fall des Todes des Schuldners geht die Ersatzpflicht auf den Erben über, der hierfür nach § 5 Abs. 5 S. 3, 4 KonsG aber von Anfang an cum viribus hereditatis haftet. Hieran ändert auch eine endgültig unbeschränkte Haftung des Erben nach den BGB-Vorschriften nichts mehr.1203 Indem der Gesetzgeber erneut davon abgesehen hat, schlicht auf die allgemeinen Vorschriften zu verweisen, hat er nicht nur eine weitere, in ihrer Rechtfertigung fragwürdige Sonderregel geschaffen. Auch übersah er dabei dieselbe Schutzlücke, die früher beim Regressanspruch des Sozialhilfeträgers bestand. Denn das Gesetz bietet dem Konsularbeamten keine Handhabe für den Fall, dass der Erbe den Nachlass verschenkt, beschädigt oder anderweitig beeinträchtigt und die zur Verfügung stehende Haftungsmasse in der Folge ungenügend wird. Beheben ließe sich dieses Problem allenfalls durch eine analoge Anwendung des § 1978 BGB.
V. Die Kritik an der BGB-Regelung 1. Überblick Die BGB-Regelung der „Erbenhaftung“ galt bereits vor ihrem Inkrafttreten in wesentlichen Punkten als missglückt,1204 und an dieser Einschätzung hat sich bis heute nichts geändert. Der Vorwurf besteht dabei zum einen in der übergroßen Komplexität der Materie und ihrer unübersichtlichen Darstellung im Gesetz,1205 die die leitenden Prinzipien kaum erkennen lasse.1206 Es ist gar die Rede von einem der schwierigsten und abschreckendsten Gebiete des Bürgerlichen Rechts,1207 vom „Schandfleck“1208 des 5. Buches des BGB und einer „Haftungsfalle“ für Rechtsberater,1209 die bei Kenntnis von nennenswerten Schulden in der Praxis deshalb häufig 1202
§ 5 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 1 KonsG. Fischinger, Haftungsbeschränkung, 218. 1204 Zu der unmittelbar vor und nach Inkrafttreten des BGB geäußerten Kritik Enneper, Reform der Erbenhaftung, 12–16. 1205 Siehe etwa Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 19; Binder, Rechtsstellung II, 246; ders., Erbrecht, 70; Siber, Geschichtliches und Rechtsvergleichendes, 1014; ders., Referat, 766 („kollosal[e] Kasuistik“); ders., Haftung für Nachlaßschulden, 5 („Unübersichtlichkeit im ganzen, Unfaßlichkeit in Einzelheiten“), 31, 43; Höver, DfG 1938, 5; Karpe, in: 3. Denkschrift, 59; Lange, in: 3. Denkschrift, 144 (Hauptvorwurf der „Verwickeltheit“); Staudinger/Marotzke (2010), Vorbem zu §§ 1967–2017 Rn. 49; Staudinger/Kunz (2020), Vorbem zu §§ 1967 ff Rn. 211; Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 114 („wenig zugänglich, unübersichtlich und irgendwie schwierig-verschlungen“); Bartsch, ZErb 2010, 345; Mayer, Referat, L 122 („selbst für den Fachmann kaum durchschaubar“): Herzog, Erbenhaftung, § 1 Rn. 5, 7 („Dschungel“). 1206 Karpe, in: 3. Denkschrift, 23 f.; ähnlich Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 65. 1207 Siehe Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, Vorwort; Siber, Referat, 772. 1208 Binder, DR 1939, 567 („partie honteuse“). Ähnlich meinte Siber, Referat, 761, die §§ 1967– 2017 BGB hätten „besonderen Anlaß gegeben, das BGB zu schmähen“. 1209 Bartsch, ZErb 2010, 345. In der Tat ist ein erheblicher Teil der Rechtsprechung des BGH auf dem Gebiet der Erbenhaftung zum Thema Anwaltshaftung ergangen, siehe m. w. N. Osthold, Erben und Haftung, 4. 1203
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zur Ausschlagung der Erbschaft (bzw. zur Anfechtung ihrer Annahme) raten.1210 Otto von Gierkes Prophezeiung, dass mit dem „unbegreiflich feinen Gesetzesapparat […] das Leben recht sauer werden“ würde,1211 ist also nur insoweit nicht eingetreten, als Laien wie Fachleute es vorziehen, sich mit diesem „Gesetzesapparat“ möglichst erst gar nicht zu beschäftigen.1212 Zum anderen wird aber auch bestritten, dass zum Preis der erheblichen Komplexität immerhin inhaltliche Sachgerechtigkeit erlangt werde.1213 So heißt es, dass der Regelungskomplex der §§ 1967–2017 BGB an einem „zentralen Konstruktionsfehler“ leide1214, „wie ein abstraktes juristisches Meisterstück [wirke], das an den praktischen Bedürfnissen vorbeigeht“1215 und den Eindruck erwecke, „dem Gesetzgeber sei sein eigener Regelungsperfektionismus über den Kopf gewachsen“.1216 2. Fallstricke und Schikanen Ein erster besonderer Kritikpunkt besteht darin, dass der Alleinerbe im gesetzlichen Regelfall nicht untätig bleiben darf, wenn er sich auf eine beschränkte Haftung berufen möchte, sondern eine Reihe komplexer und selbst für den Rechtskundigen nicht immer leicht zu durchschauender Maßnahmen ergreifen muss.1217 1210 Siehe bereits Höver, DfG 1938, 5. Aus heutiger Zeit Mayer, Referat, L 122; Gottwald/Döbereiner, § 111 Rn. 8; Osthold, Erben und Haftung, 4 f. Herzog, Erbenhaftung, § 1 Rn. 4 f., die zutreffend darauf hinweist, dass der vorschnelle Rat zur Ausschlagung seinerseits ein Beratungsfehler sein kann. Kritisch auch Mayer, Referat, L 147 (Ausschlagung „vielfach zu schnell und ohne die nötigen Informationen“). Im Widerspruch zu dem häufig referierten Bild steht die Einschätzung von Baumann, ErbR 2020, 300, dass die Ausschlagung bei den meisten Rechtsberatern unbeliebt sei, wegen des groben Missverhältnisses zwischen Gebühren und Haftungsrisiken. Nach Herzog, Erbenhaftung, § 3 Rn. 33, raten Rechtsanwälte häufig dazu, die Ausschlagung mit einem vorsorglichen Antrag auf Insolvenzeröffnung zu verbinden, um eine Haftung aus § 1980 Abs. 1 S. 2 BGB zu vermeiden. Von derselben Praxis berichten auch schon Rheinstein, Iowa LR 20 (1935), 456, und Höver, DfG 1938, 5 f. Rheinstein hebt dabei hervor, dass die vom Konkursgericht vorgenommene Prüfung der Überschuldung des Nachlasses weniger kostet als eine Nachlassverwaltung und die Zurückweisung des Antrags den Erben von der Haftung des § 1980 Abs. 1 S. 2 BGB befreit. Noch wichtiger dürfte allerdings sein, dass der Erbe sich bei der Abwicklung fortan einfacher auf § 1979 BGB berufen kann. 1211 v. Gierke, Das bürgerliche Gesetzbuch, 17. 1212 Irreführend ist es deshalb, wenn Ehrenkönig, Erbenhaftung, 67 meint, dass die „Problematik der Erbenhaftung keine bedeutende Rolle in der Rechtspraxis“ spiele. Fischinger, Haftungsbeschränkung, 235, wiederum sieht in der Aussage Ehrenkönigs eine Stütze seiner Ansicht, dass das bestehende Regime in der Praxis „weitestgehend“ funktioniere. 1213 Die Frage, ob die Instrumente der erbrechtlichen Haftungsbeschränkung die Rechte der Eigen- und Nachlassgläubiger aus Art. 14 GG verletzen, wird geprüft und zutreffend verneint von Fischinger, Haftungsbeschränkung, 224–234. Da der Gesetzgeber sich der Notwendigkeit einer Berücksichtigung und Austarierung der verschiedenen Interessen stets bewusst war, scheint die Annahme einer Verfassungswidrigkeit mit Ausnahme des § 1973 BGB von vornherein fernliegend. 1214 Muscheler, in: FS Kroeschell, 739. 1215 Bartsch, ZErb 2010, 345. 1216 Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 66; ähnlich schon Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 42: „Eindruck des Allzuvielen“. 1217 Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3541, spricht treffend davon, dass das Gesetz sich als „Fallen-
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Hierzu gehört nicht nur der Gang zum Gericht, um die Eröffnung der Nachlassverwaltung oder der Nachlassinsolvenz zu beantragen, sondern auch die Vermeidung verschiedener prozessualer Fallstricke.1218 So muss der Erbe sich erstens, wenn er seiner Haftungsbeschränkung nicht verlustig gehen möchte, diese gemäß § 780 Abs. 1 ZPO im Erkenntnisverfahren vorbehalten,1219 und dies, obwohl ihre Voraussetzungen zu diesem Zeitpunkt in der Regel noch gar nicht verwirklicht sind1220 und vielleicht auch mit einer Unzulänglichkeit des Nachlasses noch gar nicht zu rechnen ist.1221 steller“ betätige. Staudinger/Boehmer 10, § 1922 Rn. 249 kritisiert, dass dem Erben der Weg zur Haftungsbeschränkung auf „nahezu schikanös[e] Weise erschwert und verteuert“ werde. 1218 Zur „Härte der prozessualen Durchführung“ der Erbenhaftung etwa Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1190; Kipp/Coing, Erbrecht, 566–568; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3522. 1219 Dazu etwa Höver, DfG 1938, 5; Karpe, in: 3. Denkschrift, 35 f.; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1186; Friedrich, Haftung des endgültigen Erben, 38 f. In dogmatischer Hinsicht handelt es sich um einen Fall der Präklusion, siehe Dauner-Lieb, in: FS Gaul, 98, die auch auf die den Ersatzanspruch des Erben aus § 1978 Abs. 3 BGB gegen den Nachlass hinweist, wenn es zur Vollstreckung in sein Eigenvermögen kommt. Zu unterscheiden hiervon ist der Fall, dass der Erbe mit seiner Klage aus §§ 785, 767 ZPO zu spät kommt. Dann ist § 1978 Abs. 3 BGB jedenfalls nicht unmittelbar anwendbar, da die „Aufwendung“ des Erben erst nach Eröffnung der amtlichen Liquidation getätigt wurde. In Betracht kommt aber ein Bereicherungsanspruch, siehe Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 158 f. Zum gerichtlichen Prüfungsumfang bei Aufnahme des Vorbehalt BGH ZEV 2021, 161. Keines Vorbehalts der Haftungsbeschränkung bedarf der Fiskus als gesetzlicher Erbe, § 780 Abs. 2 ZPO. 1220 Karpe, in: 3. Denkschrift, 36 f. Zum allgemeinen Kontext, der durch die verschiedenen Abwicklungsoptionen geschaffenen Schwebelage, siehe unten § 7 C.II.3. (628 f.). Wurde durch Anordnung der Nachlassverwaltung oder Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens die Haftungsbeschränkung bereits herbeigeführt, stellt sich das Problem wegen der dem Erben fehlenden Prozessführungsbefugnis nicht mehr (siehe unten § 7 Fn. 429 f.). Aus diesem Grund kann dem § 780 Abs. 1 ZPO allenfalls für den Fall des §§ 1990, 1991 BGB der Zweck zugeschrieben werden, die Kompetenzen von Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren zu verteilen, siehe Dauner-Lieb, in: FS Gaul, 98 f. Zur generell anerkannten Möglichkeit des Gerichts, ausnahmsweise schon im Erkenntnisverfahren über das Bestehen der Haftungsbeschränkung zu entscheiden und die Klage im Falle der Nachlasserschöpfung sogar abzuweisen, Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1276 f.; Herzog, Erbenhaftung, § 11 Rn. 36–47. Ablehnend Fischinger, Haftungsbeschränkung, 211–214, dem zufolge der Erbe stets antragsgemäß zu verurteilen und die Haftungsproblematik allein im Vollstreckungsverfahren zu klären ist (so im Grundsatz auch Roth, Einrede, 68, der gleichwohl eine Klageabweisung wegen mangelnden Rechtsschutzinteresses gestatten möchte). Fischinger versäumt jedoch nicht nur einmal mehr eine Erörterung der Frage, ob und was der Erbe im Falle der §§ 1973 f., 1990 BGB überhaupt noch schuldet und ob er nicht vielmehr nur noch haftet (dazu schon oben Fn. 1033). Auch ändert sein an sich zutreffender Einwand, dass zumindest in der Theorie stets noch mit dem Auftauchen weiterer Nachlassgegenstände gerechnet werden muss, nichts daran, dass das erkennende Gericht beispielsweise über die Voraussetzungen des § 1990 BGB nach dem Stand der letzten mündlichen Verhandlung zu entscheiden hat (siehe auch Roth, Einrede, 69, der zutreffend darauf hinweist, dass eine neuerliche, nach Auftauchen weiterer Nachlassgegenstände erhobene Klage nicht an einer entgegenstehenden Rechtskraft scheitern würde). Fischingers Auffassung würde dazu führen, dass der Erbe im Falle des dürftigen Nachlasses niemals nur zur Duldung der Zwangsvollstreckung, sondern immer zur vollen Leistung zu verurteilen wäre. Dies widerspricht klar der herrschenden Lesart des § 1990 BGB. 1221 Das Unterlassen einer Geltendmachung des Vorbehalts stellt deshalb in jedem Fall ein An-
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Die Härte dieser „Prozessschlinge“,1222 die Produkt einer unzureichend koordinierten Gesetzgebungsarbeit ist,1223 zeigte sich bereits in einer Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahr 1904.1224 Darin wurde für eine nach Eröffnung des Erbfalls durch Versäumnisurteil titulierte Forderung aus einer Getreidelieferung trotz späterer Eröffnung des Nachlasskonkurses die endgültig unbeschränkte Haftung der Witwe und der vier minderjährigen Kinder eines verstorbenen Mühlenbesitzers festgestellt.1225
Zweitens hindert aber auch der Vorbehalt der Haftungsbeschränkung den Nachlassgläubiger nicht an der Vollstreckung in das Eigenvermögen des Erben, vielmehr muss dieser sich mit der Vollstreckungsgegenklage zur Wehr setzen, die für den Erben, aber auch für den Vollstreckungsgläubiger, nicht unerhebliche Kosten und Risiken mit sich bringt.1226 Im Extremfall drohen die wechselseitigen Angriffe und Verteidigungen eine ruinöse Klagewelle auszulösen.1227 Die skizzierte „Pflicht [des Erben] gegen sich selbst“ ist nach Ansicht Boehmers „insoweit ‚unsozial‘, als sie nicht nur den sorgsamen Erben vor dem nachlässigen, sondern auch den rechtskundigen oder auch nur gebildeten vor dem rechtsunkundigen oder ungebildeten, insbesondere aber den, der die Mittel hat, Rechtsrat einzuholen, vor dem unbemittelten bevorzugt.“1228 Die römische Maxime „ius vigilantibus scriptum est“ fand nach Ansicht Boehmers „für unser deutsches Rechtsbewußtsein seine Grenze in dem Grundsatz materieller Gerechtigkeit.“1229 Während der Reformdiskussionen der 1930er Jahre sollte die Sorge um den honorigen, aber rechtsunkundigen „Volksgenossen“ sogar als besonderer Ausdruck der nationalsozialistischen Rechtsideologie betrachtet werden.1230
waltsverschulden dar, siehe die Nachweise bei Herzog, Erbenhaftung, § 11 Rn. 3. Zu den Einzelheiten der Aufnahme in das Urteil ebd., § 11 Rn. 25 f. 1222 Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3541, der die Vorschrift auch mit einer Einführung der alten „Annahme ohne Inventarvorbehalt“ durch die Hintertür vergleicht. 1223 Siehe oben Fn. 891. 1224 RGZ 59, 301. 1225 Auf die „besonder[e] Unbilligkeit“ dieses Ergebnisses weist Karpe, in: 3. Denkschrift, 36 hin. 1226 §§ 781, 785, 767 ZPO; zur Kritik etwa Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 56; Rheinstein, Iowa LR 20 (1935), 452 („a rather complicated redress“); Lange, DR 1942, 1719; Friedrich, Haftung des endgültigen Erben, 39 f.; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1237 f.; Joachim, Erbenhaftung, Rn. 12e; Herzog, Erbenhaftung, § 7 Rn. 12. Rheinstein, Iowa LR 20 (1935), 452, berichtet für die Praxis seiner Zeit, dass Gläubiger wegen des Kostenrisikos einer Vollstreckungsgegenklage von einem Zugriff auf das Eigengut des Erben in der Regel absahen und es zur Anwendung der §§ 785, 767 ZPO nur kam, wenn die Zugehörigkeit des gepfändeten Gegenstands unklar war. 1227 Herzog, Erbenhaftung, § 7 Rn. 12; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann/Hartmann, ZPO77, § 784 Rn. 2, spricht im Hinblick auf die §§ 782–784 ZPO gar von einer „Häufung von Klagen, die einen Menschen zugrunde richten kann“. (In den nachfolgenden Auflagen findet sich der Satz nicht mehr.) 1228 Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 55 f. 1229 Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 56; den unsozialen Charakter der geltenden Regelung betont auch Staudinger/Boehmer 10, § 1922 Rn. 247, 250. 1230 Dazu unten E.VI.2d) (546 ff.).
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3. Der hohe Preis der Haftungsbeschränkung Eine weitere Schwäche der BGB-Regelung wird darin gesehen, dass sie dem Allein erben für seine Haftungsbeschränkung einen zu hohen Preis abverlangt. Zwar wird die Entscheidung der Zweiten Kommission, die allgemeine „Abzugseinrede“ zu verwerfen und den Erben außerhalb der Fälle der §§ 1990–1992 BGB zu verpflichten, den überschuldeten Nachlass einem gerichtlich ernannten Konkurs- bzw. Insolvenzverwalter herauszugeben, einhellig für richtig gehalten.1231 Doch wird es als „zentraler Konstruktionsfehler“ des BGB betrachtet,1232 gar als Verrat an dessen Prinzip der gerichtsfernen Nachlassabwicklung,1233 dass der Erbe eines erheblichen, nicht überschuldeten Nachlasses eine Vollstreckung in sein Eigenvermögen nur durch Beantragung der Nachlassverwaltung verhindern kann, die aus mehreren Gründen unattraktiv für ihn ist. Erstens sind deren nicht unerhebliche Kosten zu nennen, die den dem Erben zustehenden Nachlassüberschuss schmälern oder gar ganz aufzehren können.1234 Zweitens führt das Verfahren zur „Depossedierung“1235 des Erben, d. h. zum Verlust von Nachlassbesitz und Abwicklungsbefugnis.1236 Dies bedeutet nicht zuletzt auch, dass der Erbe nicht mehr darüber entscheiden kann, welche Nachlassgegenstände konserviert und welche versilbert werden,1237 auch weil das Gesetz ein Ablösungsrecht auf Ausnahmefälle beschränkt hat.1238 Ein dritter Nachteil der Nachlassverwaltung besteht aus Erbensicht darin, dass sie für ihn mit einer „Degrada tion von Nachlassherrn zum Nachlassverwalter“ verbunden ist.1239 Denn über die Vorschrift des § 1978 Abs. 1 S. 1 BGB muss der Erbe sich rückwirkend wie ein Beauftragter der Nachlassgläubiger behandeln lassen,1240 wodurch nicht nur die persönliche Haftung in anderer Gestalt wiederzukehren droht, sondern der Erbe auch 1231 Siehe etwa Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3481, dem zufolge das Scheitern der allgemeinen „Abzugseinrede“ des Ersten Entwurfs keine Überraschung war: „Zu offenkundig waren ihre Schwächen, zu groß die Zumutungen, die sie an den Eigenbetrieb des Erben stellten.“ Als „gekünstelt“ und „prozeßtechnisch eine Ungeheuerlichkeit“ bezeichnete die Abzugseinrede Binder, Erbrecht, 67. Gegen die Konzeption des Ersten Entwurfs auch schon Endemann, Erbrecht III/2, 887; Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 60; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1189. Aus dem neueren Schrifttum Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 71. 1232 Muscheler, in: FS Kroeschell, 739; Lange, DR 1942, 1719 spricht von einer „wesentliche[n] Unbilligkeit“. 1233 Muscheler, in: FS Kroeschell, 740; ders., Erbrecht II, Rn. 3540; weniger scharf Röthel, Erbrecht, § 32 Rn. 115. 1234 Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 55; Muscheler, in: FS Kroeschell, 739; Bartsch, ZErb 2010, 346; W. Zimmermann, Erbrecht, Rn. 595; Herzog, Erbenhaftung, § 4 Rn. 40. 1235 Ausdruck von Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 61. 1236 Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 56 f.; Bartsch, ZErb 2010, 346. 1237 Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 57, weist darauf hin, dass dieses Problem auch bei § 1990 BGB besteht und dass der Erbe allenfalls versuchen kann, Nachlassgegenstände, an denen er hängt, aufzukaufen. 1238 Im Falle der §§ 1973, 1974 und des § 1992 BGB, siehe oben E.IV.3c) und 4. (508 ff.). 1239 Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 57 f. Siehe auch Muscheler, in: FS Kroeschell, 739. 1240 Für die Zeit bis zur Annahme der Erbschaft ist der Erbe nach § 1978 Abs. 1 S. 2 BGB wie ein Geschäftsführer ohne Auftrag zu behandeln.
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lästigen Pflichten zur Rechnungslegung und Auskunftserteilung unterworfen sein kann.1241 Die rückwirkende Anwendung des Auftragsrechts kann aus Erbensicht vor allem deshalb eine erhebliche Belastung sein, weil er sich bis zur Einleitung der amtlichen Abwicklung typischerweise nicht passiv verhalten hat (und angesichts seiner latenten Pflicht aus § 1978 Abs. 1 BGB auch nicht verhalten durfte!), sondern den Nachlass als Eigentum betrachtet und auf vielfältige Weise auf ihn eingewirkt hat.1242 So hat er womöglich ihm wertlos erscheinende Nachlassgegenstände vernichtet, andere verbraucht oder mit seinem Vermögen vermischt. Vielleicht hat er manche Gläubiger des Verstorbenen befriedigt und mit anderen einen Vergleich geschlossen. Auch Unterlassungen können von Bedeutung sein, etwa wenn der Erbe es versäumt hat, einen Prozess fortzuführen, eine Verjährungsfrist zu unterbrechen, im Wert fallende Aktien zu veräußern oder einen Versicherungsfall anzuzeigen.1243 Kommt es später zur amtlichen Liquidation, werden sämtliche dieser Vorgänge auf den Prüfstand gestellt.1244 Selbst dort, wo der Erbe Nachlassgegenstände lediglich benutzt hat, indem er etwa zeitweise im Haus des Erblassers gewohnt oder Fahrten mit dessen Pkw unternommen hat, muss er nun damit rechnen, vom Nachlass(insolvenz)verwalter wegen Nutzungsersatzes zur Kasse gebeten zu werden.1245
Viertens schließlich wurde der Nachlassverwaltung schon früh vorgeworfen, mit einem „gewissen Odium“ behaftet zu sein,1246 da sie beim Publikum den Eindruck des wirtschaftlichen Zusammenbruchs des Verstorbenen erzeuge. Der Erbe werde so unter moralischen Druck gesetzt, zur Schonung des Erblasserandenkens oder Wahrung seiner eigenen Kreditwürdigkeit das Risiko einer unbeschränkten Haftung auf sich zu nehmen.1247 Selbst wenn der zuletzt genannte Aspekt nur durch anekdotische Evidenz belegt ist und jedenfalls in heutiger Zeit an Bedeutung verloren haben dürfte, besteht kein Zweifel daran, dass die bei Einführung der Nachlassverwaltung geäußerte Prognose, ein Erbe werde sich zu ihr leichter durchringen als zu einem Nachlasskonkurs,1248 sich als verfehlt erwiesen hat.1249 Denn die Nachlassverwaltung konnte sich als zentrales Schutzinstrument des Erben in der Praxis bislang nicht etablie1241 Nach §§ 1978 Abs. 1 S. 1, 666 BGB, siehe Klook, Die überschuldete Erbschaft, 187 f.; Bartsch, ZErb 2010, 346. 1242 Dazu auch unten § 7 C.II.2. (620 ff.). 1243 Anschaulich Klook, Die überschuldete Erbschaft, 92–95; siehe auch Osthold, Erben und Haftung, 48–51; Gramlich, Das rückwirkend fingierte Verschulden, 71–88. 1244 Rechtsdogmatisch äußert sich die Brisanz der Regelung in der an sich systemfremden Rückerstreckung von Verhaltenspflichten. Ausführlich, wenngleich in der Kritik zu weitgehend, Osthold, Erben und Haftung, 55–58; siehe auch Gramlich, Das rückwirkend fingierte Verschulden, 95–118, 145. 1245 Eingehend Klook, Die überschuldete Erbschaft, 237–270. 1246 Höver, DfG 1938, 5; ähnlich schon Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 57. 1247 Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 57; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1189; Muscheler, in: FS Kroeschell, 739. Für Nachweise aus der Zeit kurz nach Inkrafttreten des BGB Enneper, Reform der Erbenhaftung, 15. 1248 Siehe dazu und zur ebenfalls schon im Zuge der Gesetzgebungsarbeiten geäußerten Skepsis oben Fn. 860, 864. 1249 Siehe auch Osthold, Erben und Haftung, 145.
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§ 6 Die Vervollkommnung der gesonderten Abwicklung
ren1250 (immerhin gibt es erste Anzeichen für eine Trendwende in der Beratungspraxis1251). Besteht bei Unübersichtlichkeit des Nachlasses Sorge vor einer persönlichen Haftung, ist das Mittel der Wahl früher wie heute die Ausschlagung der Erbschaft bzw. die Anfechtung der Annahme.1252 Da sich die Nachlassabwicklung in diesem Fall verzögert, leidet mittelbar auch die Allgemeinheit unter der schwerfälligen Regelung zur Haftungsbegrenzung.1253 Selbst wo aber die Erbschaft nicht ausgeschlagen wird, trägt die Unattraktivität der Nachlassverwaltung dazu bei, dass die erbrechtlichen Haftungsfolgen oftmals nicht nur außerhalb der Gerichte,1254 sondern auch ohne Rücksicht auf das materielle Recht geregelt werden. Dies bedeutet nicht nur, dass Erben aus Gründen der Pietät oder des Anstands zumindest kleinere Gläubiger häufig ohne Rücksicht auf die Zulänglichkeit des Nachlasses auszahlen.1255 Auch Gläubiger verzichten nicht selten darauf, ihren Anspruch zu verfolgen1256 , oder ziehen „eine magere Abfindung einem langen Rechtsstreit“ vor.1257 Nimmt man noch hinzu, dass Erben in der 1250 Für die heutige Zeit W. Zimmermann, Erbrecht, Rn. 595 („sehr selten“). Dass die Nachlassverwaltung aber auch schon in früheren Jahrzehnten nur in einer „verschwindenden Zahl“ von Fällen zur Anwendung kam, ergab eine von Nußbaum, AcP 128 (1928), 52 f., für das Amtsgericht Berlin Mitte und die Jahre 1912, 1913, 1925, 1926, 1927 durchgeführte empirische Untersuchung. Vergleichsweise häufiger (wenngleich in absoluten Zahlen immer noch selten) kam die Nachlassabwicklung nach Erhebungen für die Jahre 1927 und 1928 in Baden und Württemberg vor, siehe Nußbaum, AcP 130 (1929), 337 f.; Siefert, AcP 132 (1930), 343 f. Jedenfalls im Falle von Württemberg dürfte dies auf die weitreichenden Aufgaben der Nachlassgerichte nach den landesrechtlichen Ausführungsvorschriften zurückzuführen gewesen sein (Nußbaum, AcP 130 (1929), 337 f.). Siehe zu den empirischen Befunden auch Rheinstein, Iowa LR 20 (1935), 455 f. Nußbaum, AcP 128 (1928), 53, lieferte auch den weiteren interessanten Befund, dass die Zahl der beantragten Nachlassverwaltungen deutlich höher lag, es in vielen Fällen aber zur Zurücknahme oder zur Abweisung des Antrags wegen Überschuldung oder unzureichender Masse gekommen war. Der Umstand, dass viele dieser Fehlanträge von Rechtsanwälten gestellt wurden, zeige, „wie wenig sich die Nachlaßverwaltung eingebürgert hat und welche Unklarheit in dieser Hinsicht besteht“. Schließlich zitierte Nußbaum, AcP 128 (1928), 54, auch die Auffassung von Gerichtsbeamten, dass die Anwendung der Nachlassabwicklung auf dem Lande noch seltener sei als in der Stadt. 1251 So empfiehlt etwa BeckOGK/Herzog, BGB § 1980 Rn. 28 m. w. N. (Stand: 01.04.2021), bei unklaren Verhältnissen möglichst früh Nachlassverwaltung zu beantragen. 1252 Siehe oben Fn. 1210. 1253 Dazu bereits oben A.I. (367 f.) und § 1 C. (15 ff.). Dementsprechend hoffte Höver, DfG 1938, 6, dass mit einer Erleichterung der Haftungsbeschränkung die Zahl der Ausschlagungen und Konkursanträge zurückgehen würde; aus heutiger Zeit Osthold, Erben und Haftung, 236. 1254 Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1191. 1255 Dies wird jedenfalls für frühere Jahrzehnte berichtet, siehe insbesondere Siber, Stellungnahme, 761; ders., Referat, 764, 766: Danach betrachtet der „honorige Erbe“ es als seine „selbstverständliche Anstandspflicht“, kleinere Verbindlichkeiten des täglichen Lebens, insbesondere solche gegenüber Handwerkern und Lieferanten, ohne Weiteres aus eigener Tasche zu bezahlen. Davor schon Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 57; später Staudinger/Boehmer 10, § 1922 Rn. 246. Dass in einer 2015 durchgeführten Befragung zwei Drittel der künftigen Erben den Wunsch äußerten, keine Schulden übernehmen zu müssen (Studie der Deutschen Bank, Erben und Vererben, 24), könnte als Indiz für einen Meinungswandel gedeutet werden. 1256 Siehe schon Siber, Referat, 766; aus heutiger Zeit Bartsch, ZErb 2010, 345. 1257 Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1191.
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Praxis auch von einem anderen Schutzinstrument kaum Gebrauch machen, nämlich dem Gläubigeraufgebot,1258 und dass nur für einen winzigen Teil aller überschuldeten Nachlässe ein Insolvenzantrag gestellt wird,1259 so ist festzustellen, dass das Regime des BGB zur Nachlassabwicklung von der Praxis bis heute in großen Teilen nicht angenommen wird.1260 Stattdessen sehen sich die Parteien offenbar häufig zu konsensualen Lösungen gedrängt, für die das BGB infolge der Entscheidungen der Zweiten Kommission1261 keinen spezifischen Rechtsrahmen bietet. 4. Unzureichender Gläubigerschutz Die Tatsache, dass das BGB-Regime der Nachlassabwicklung verschiedene Gefahren und Nachteile für den Alleinerben mit sich bringt, bedeutet keineswegs, dass es für Nachlassgläubiger ausnahmslos günstig wäre. Zwar können diese darauf hoffen, bei einem unachtsamen oder friedvollen Erben etwas zu holen, was sie zu Lebzeiten des Erblassers schon abgeschrieben hatten. Aber die durch Eröffnung einer Nachlassverwaltung eintretende Verzögerung der Nachlassabwicklung trifft auch die Nachlassgläubiger, und wenn die Verfahrenskosten aus dem Ruder laufen und der Nachlass dadurch insolvent wird, müssen sie sogar einen teilweisen Forderungsausfall befürchten. Vor allem aber wird kritisiert, dass die Nachlassverwaltung die Gläubiger unzureichend für die Vergangenheit gegen unredliches Verhalten des Erben schützt.1262 Denn weil dieser den Nachlass nach dem Erbfall typischerweise zunächst in Besitz nimmt, ist der erst danach die Bildfläche betretende Nachlassverwalter zur Feststellung des Nachlasses auf die Angaben des Erben angewiesen, der außer im Fall einer nachgewiesenen Betrugsabsicht für falsche Auskünfte aber keine Konsequenzen zu befürchten braucht, sondern sich schlimmstenfalls zur Herausgabe der hinterzogenen Werte bzw. zum Schadensersatz aus § 1978 Abs. 1 BGB verpflichtet 1258 Für diesen Befund etwa Herzog, Erbenhaftung, § 7 Rn. 52; Osthold, ErbR 2016, 670. Schon Nußbaum, AcP 128 (1928), 53 f., zeigte in seiner für das Amtsgericht Berlin Mitte und die Jahre 1910–1927 (mit einer Unterbrechung von 1916–1919) durchgeführten empirischen Untersuchung eine geringe und zudem im Laufe der Zeit sinkende Zahl von Aufgebotsverfahren (das Sinken führte Nußbaum dabei auf die allgemeine Verarmung zurück). Siehe auch Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 117. W. Zimmermann, Erbrecht, Rn. 581, sieht den Grund für die geringe Zahl von Aufgebotsverfahren in den damit verbundenen Kosten. Diese sind nach § 36 GNotKG i. V. m. Nr. 15212 Ziff. 3 KV-GNotKG zu berechnen, wobei als Gegenstandswert in der Regel 15% der bekannt gewordenen Nachlassverbindlichkeiten angesetzt werden, siehe Roth/Pfeuffer, Nach lassinsolvenzverfahren, 422; Osthold, ErbR 2016, 672. Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1221, meinen, dass das Aufgebotsverfahren vielen Erben auch aus Gründen der Pietät unwillkommen sei, da es von außen mit dem wirtschaftlichen Zusammenbruch des Verstorbenen assoziiert werde. Herzog, Erbenhaftung, § 7 Rn. 52, sieht im fehlenden Hinweis auf das Aufgebotsverfahren zu Recht einen potentiellen Beratungsfehler. 1259 Kaltwasser, Der überschuldete Nachlass, 19 f., schätzt die Zahl auf maximal 4%. 1260 Eine Trendwende will allerdings Herzog, Erbenhaftung, § 4 Rn. 21, erkennen. 1261 Siehe oben Fn. 837. 1262 Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1189, und auch bereits Lange, DR 1942, 1719; ferner Staudinger/Marotzke (2010), Vorbem zu §§ 1967–2017 Rn. 49; Mayer, Referat, L 124 (Fn. 168).
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§ 6 Die Vervollkommnung der gesonderten Abwicklung
sieht. Dementsprechend wird argumentiert, dass das Inventar aufgrund der psychologischen Wirkung der Errichtung unter amtlicher Aufsicht1263 und der Sanktion der unbeschränkten Haftung bei Inventaruntreue nicht nur ein weniger invasives Mittel der Haftungsbeschränkung als die Nachlassverwaltung wäre, sondern auch ein leistungsfähigeres.1264 5. Mangelnde Kohärenz Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die mangelnde Kohärenz des BGB-Konzepts,1265 die Muscheler mit der Aussage auf den Punkt bringt, dass „[v]ieles an der gesetzlichen Regelung […] in einer merkwürdig schiefen, traumhaft-alogischen Bedeutung“ erscheine.1266 So kann der Alleinerbe bei erheblichem Nachlass eine Haftungsbeschränkung nur durch Aufgabe seiner Abwicklungszuständigkeit erreichen, während er bei dürftigem Nachlass noch nicht einmal ein Inventar zu errichten braucht.1267 Miterben kommen mittels der Einrede des § 2059 Abs. 1 S. 1 BGB sogar in den Genuss einer gänzlich „kostenlosen“ Haftungsbeschränkung, indem sie, anders als der Alleinerbe im Fall des dürftigen Nachlasses, den Gläubigern gegenüber nicht einmal Rechenschaft über den Umgang mit dem Nachlass ablegen müssen.1268 Die Miterben mittels analoger Anwendung des § 1991 BGB einer Abwicklerhaftung zu unterwerfen, wurde verschiedentlich vorgeschlagen,1269 fand aber bislang keine generelle Akzeptanz.1270 Erst nachdem die Nachlassgläubiger die Anordnung der Nachlassverwaltung oder die Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens herbeigeführt haben, müssen sich die Miterben über § 1978 Abs. 1 S. 1 BGB rückwirkend als Beauftragte behandeln lassen. Die einzige Rechtfertigung für die „astonishing difference“1271 in der Behandlung von Alleinerben und Miterben lässt sich darin sehen, dass der Nachlass immerhin insofern abgesondert vom Eigenvermögen der Miterben ist, als diese aufgrund der gesamthänderischen 1263
Diesen Punkt hebt Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3739, hervor. Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1189; Staudinger/Marotzke (2010), Vorbem zu §§ 1967–2017 Rn. 49 (= Staudinger/Kunz (2020), Vorbem zu §§ 1967 ff Rn. 218); Muscheler, in: FS Kroeschell, 739. 1265 Generell Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 66. 1266 Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3543. 1267 Eine entsprechende Pflicht hätte nach Ansicht von Binder, Erbrecht, 70, die „Einheitlichkeit des Grundgedankens“ verlangt. Siehe auch Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1189 f.; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3497 a. E ., 3658 („übers Ziel hinausgeschossen“), 3660; ders., in: FS Kroeschell, 739. Zu beachten ist allerdings auch, dass der Erbe, um die Dürftigkeit des Nachlasses nachzuweisen, in der Regel um die Vorlage eines Vermögensverzeichnisses nicht herumkommen wird, vgl. auch Herzog, Erbenhaftung, § 13 Rn. 2. 1268 Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3806, 3808; aus vergleichender Sicht Murga Fernández, ZEuP 2018, 377. 1269 Siehe etwa Schröder, JZ 1978, 385 (Fn. 59); Staudinger/Marotzke (2020), § 2059 Rn. 22 f. m. w. N. Vgl. auch Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 439. 1270 Ablehnend etwa Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3808; MüKoBGB/Ann, § 2059 Rn. 10. Offen gelassen bei Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1285 (Fn. 36). 1271 Rheinstein, Iowa LR 20 (1935), 454; ähnlich Röthel, Erbrecht, § 32 Rn. 115 („auf den ersten Blick erstaunliche Privilegierung“); Muscheler, Testamentsvollstreckung, 110, bezeichnet § 2059 1264
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Bindung nicht allein über die Gegenstände verfügen können und diese grundsätzlich gemeinsam verwalten.1272 Doch existiert die Separation „only in the purely imaginative world of legal concepts, not in the world of facts“.1273 Denn die Miterben sind weder gezwungen, den Nachlass an Ort und Stelle zu lassen, noch daran gehindert, ihn zur Verwahrung unter sich aufzuteilen.1274 Überdies ist die jüngere deutsche Rechtsentwicklung durch eine zunehmende Abschwächung der gesamthänderischen Bindung zugunsten von Mehrheits- und Einzelentscheidungen geprägt.1275
Ein ähnlicher innerer Widerspruch zeigt sich bei den Sanktionen für Fehlverhalten des Erben: Geht er unsachgemäß mit Nachlasswerten um oder versäumt er die rechtzeitige Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens, so muss er den Nachlassgläubigern auf Grundlage der §§ 1978–1980 BGB nur den konkret entstandenen Schaden ersetzen. Versäumt der Erbe dagegen die Frist zur Inventarerrichtung, etwa weil er eine solche für unnötig hält oder sich über die rechtlichen Konsequenzen nicht im Klaren ist, so muss er den Gläubigern, denen aus einem Inventarverstoß allein gar kein Schaden entsteht, aufgrund seiner nun unbeschränkten Haftung im Ergebnis den Betrag ersetzen, mit dem sie in der Insolvenz ausgefallen wären.1276 Im Extremfall kann dies bedeuten, dass sogar derjenige, dem der überschuldete Testator ein Vermächtnis zugewendet hat, vom Erben volle Befriedigung verlangen kann1277 – zum Leidwesen auch der Eigengläubiger, die den „Durchgriff“ der Nachlassgläubiger auf das Eigenvermögen hinnehmen müssen.1278 Inkonsequent erscheint schließlich, dass die Weigerung der eidesstattlichen Bekräftigung des Inventars eine mildere Sanktion nach sich zieht als die übrigen Fälle der Inventarverfehlung, indem die unbeschränkte Haftung hier nur gegenüber dem Antragsteller eintritt.1279
Abs. 1 S. 1 BGB als „rechtspolitisch bedenklich“. Zu den problematischen Konsequenzen im Falle einer Dauertestamentsvollstreckung ebd., 110–116; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3807 f. 1272 Siehe etwa Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 187 f., 196; Rheinstein, Iowa LR 20 (1935), 454; Röthel, Erbrecht, § 32 Rn. 115. Gestärkt wird die Stellung der Gläubiger überdies durch die Surrogationsvorschrift des § 2041 BGB, siehe Muscheler, Testamentsvollstreckung, 109 f. 1273 Rheinstein, Iowa LR 20 (1935), 454. 1274 Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1284. 1275 Röthel, Erbrecht, § 32 Rn. 115. 1276 Ebert, Pönale Elemente, 402, verkennt fundamental die Konzeption des BGB, wenn sie in den Folgen der Inventarverfehlung lediglich die Festschreibung des haftungsrechtlichen Regelfalls sieht. Denn § 1967 BGB zum Trotz liegt dem deutschen Recht das Leitbild der gesonderten Abwicklung zugrunde (siehe unten § 7 C.I.4. (616 ff.)). 1277 Das Missverhältnis zwischen unbeschränkter Haftung und missbilligtem Verhalten betonen etwa Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1235; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3497, 3541, der überdies kritisiert, dass der Preis einer Inventarverfehlung in keinem Verhältnis zu den Vorteilen steht, die der Erbe durch wahrheitsgemäße Inventarerrichtung erlangt. 1278 Freilich sind die Eigengläubiger aufgrund eines fehlenden Absonderungsrechts (siehe oben Fn. 623) der Gefahr, dass ihr Schuldner bewusst oder aus Nachlässigkeit eine überschuldete Erbschaft annimmt und von der Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens absieht, ohnehin schutzlos ausgeliefert. 1279 § 2006 BGB. Kritisch Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3497.
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6. Stellungnahme: Das Fehlen einer „Abwicklungskultur“ Obgleich sämtliche der genannten Kritikpunkte als solche zutreffen, ist das Regime der §§ 1967–2017 BGB in der Gesamtbetrachtung keineswegs so ungemütlich für den Alleinerben wie stets suggeriert wird. Denn indem das BGB ihn in anderer Hinsicht durchaus großzügig behandelt, reduziert es in erheblichem Maße das Bedürfnis für eine einfache Möglichkeit zur dauerhaften Haftungsbeschränkung. Das eigentliche Problem ist daher in einer unzureichend ausgebildeten „Abwicklungskultur“ zu sehen. Klarzustellen ist zunächst, dass dem Erben überhaupt nur dort Gefahr droht, wo der Nachlass überschuldet ist, der Erbe dies aufgrund der ihm bislang bekannten Tatsachen aber höchstens vermuten kann. Denn wo der Nachlass offenkundig unzureichend ist, hat der Alleinerbe keinen guten Grund, die Eröffnung des Nach lassinsolvenzverfahrens hinauszuzögern (und deckt die Masse nicht einmal die Verfahrenskosten, ist der Erbe über § 1990 BGB geschützt). Irrt der Erbe hingegen über die Sachlage oder lässt sie sich nicht genau einschätzen, versichert das BGB ihn gleich in doppelter Hinsicht gegen das Risiko einer erst nachträglich festgestellten Überschuldung. Erstens unterwirft es das Recht des Erben zur Beantragung eines Nachlassinsolvenzverfahrens keiner zeitlichen Frist, so dass dieser jederzeit noch „reumütig“ zu dieser Variante zurückkehren und dann seine beschränkte Haftung geltend machen kann.1280 Zweitens schützt das BGB einen Erben, der schuldlos die Zulänglichkeit des Nachlasses angenommen hat, mittels der Vorschrift des § 1979 BGB umfassend gegen eine Haftung aus § 1978 Abs. 1 BGB aufgrund bereits getätigter Zahlungen. Dies bedeutet, dass der gutgläubige Erbe die sich meldenden Gläubiger ruhigen Gewissens aus Nachlassmitteln befriedigen darf und somit sein Eigenvermögen keiner Gefahr aussetzen muss. § 1979 BGB hat damit zur Folge, dass das Risiko einer schuldlos verkannten Nachlassinsolvenz nicht dem Erben, sondern den Nachlassgläubigern aufgebürdet wird, und zwar selbst im Hinblick auf ausgekehrte Begünstigungen. Denn diese können nur noch über die Anfechtung nach § 322 InsO „zurückgeholt“ werden. So gesehen hat es den Anschein, als bedürfe es neben dem Nachlassinvolvenzverfahren und § 1990 BGB gar keiner weiteren Möglichkeit der Haftungsbeschränkung, und genau diese Position wurde ja auch zunächst in der Zweiten Kommission vertreten.1281 Doch ist zuzugeben, dass der Erbe in zwei Konstellationen immer noch in Bedrängnis geraten kann. Die erste ist die, wo der Erbe zwar keine sichere Kenntnis von der Unzulänglichkeit des Nachlasses hat, er aber zumindest mit ihr rechnen muss. Da ihm in diesem Fall der Schutz des § 1979 BGB nicht mehr zu Gute kommt, gerät der Erbe in ein Dilemma. Entweder beginnt er, die bekannten Gläubiger mit Nachlassmitteln zu befriedigen, und riskiert somit für den Fall der 1280 Es äußert sich hierin die strikte Entkoppelung von Erwerbs- und Abwicklungsoption, die bei vergleichender Betrachtung ein besonderes Merkmal des deutschen Rechts ist. Eingehend dazu unten § 7 C.I. (610 ff.). 1281 Siehe oben E.III.3b) (472 ff.).
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Unzulänglichkeit des Nachlasses, von den nicht mehr voll befriedigten Gläubigern aus § 1978 Abs. 1 S. 1 BGB auf Ersatz des Quotenschadens in Anspruch genommen zu werden.1282 Oder er hält die Verteilung von Nachlasswerten zurück und riskiert, dass Nachlassgläubiger mit titulierten Forderungen in sein Eigenvermögen vollstrecken. Könnte der Erbe sein Eigenvermögen stattdessen auf einfache Weise abschirmen, würde das Problem der unsicheren Sachlage zumindest teilweise auf die Nachlassgläubiger übergewälzt.1283 Die andere brisante Konstellation ist die, in der der Nachlass aufgrund seiner Zusammensetzung oder Auslandsbelegenheit sich nicht leicht zu Geld machen lässt und der Erbe sich deshalb unter dem Ansturm der Gläubiger gezwungen sieht, sein eigenes Geld entweder freiwillig vorzuschießen oder die Vollstreckung in sein Eigenvermögen zu riskieren. Heinrich Siber wies diesbezüglich auf einen interessanten Zusammenhang zwischen der Erbenhaftungsproblematik und der deutschen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte hin: „[I]nfolge Schwundes der allgemeinen Kaufkraft seit dem Weltkriege mußten die Fälle ständig zunehmen, in denen der Nachlaß wertvolle und die Schulden weit übersteigende, nur nicht gleich flüssig zu machende Gegenstände enthält. Auch bloße Unübersichtlichkeit von Nachlässen, die sich ganz oder teilweis im Auslande befinden,1284 ist durch Absperrung der Staaten gegeneinander, besonders durch Devisenschwierigkeiten, viel empfindlicher geworden.“1285
Dem Erben in einer solchen Situation die Freistellung des Eigenvermögens zu ermöglichen, bedeutet zwar, das Risiko einer schwierigen Verwertbarkeit der Nachlassgegenstände den Nachlassgläubigern aufzubürden. Da diese zu Lebzeiten des Erblassers jedoch mit demselben Problem konfrontiert gewesen wären, läge hierin keine unangemessene Benachteiligung. Besteht damit zumindest in bestimmten Fällen das Bedürfnis für eine Haftungsbeschränkung jenseits des Nachlassinsolvenzverfahrens, darf wiederum nicht vorschnell angenommen werden, dass das BGB dem Erben dadurch das Leben zu 1282 Die Anspruchsgrundlage des § 1980 Abs. 1 S. 2 BGB wird hierfür nicht benötigt, siehe nur MüKoBGB/Küpper, § 1980 Rn. 10. 1283 Der Erbe würde immer noch Gefahr laufen, dass er später für die Zulassung einer Vollstreckung in den Nachlass aus § 1980 Abs. 1 S. 2 BGB in Anspruch genommen wird, siehe MüKoBGB/ Küpper, § 1980 Rn. 10. 1284 Hier verwies Siber auf Protokolle V, 761, dazu auch oben E.III.3c) (475 ff.). 1285 Siehe Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 55. Ein ähnliches Beispiel bietet Binder, Rechtsstellung II, 83. Siehe auch Siber, Referat 772, dem zufolge der Erbe oft nicht einmal wisse, wie er die Beerdigungskosten zahlen solle, weil er infolge von Legitimationsproblemen nicht an das Bankkonto herankomme. Zu beachten ist, dass zu Zeiten von Sibers Ausführungen das deutsche Recht noch nicht die Zahlungsunfähigkeit als Grund zur Eröffnung des Nachlasses vorsah (dazu oben Fn. 866). Doch wird in Fällen wie den beschriebenen in der Regel ohnehin keine Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 Abs. 2 S. 1 InsO vorliegen, sondern nur ein Liquiditätsengpass (zu dieser Unterscheidung Joachim, Erbenhaftung, Rn. 315; Münchener Anwaltshandbuch/Wiester, § 25 Rn. 16). Kann damit die Nachlassinsolvenz nicht beantragt werden, wäre diese wegen ihrer noch höheren Kosten als der Nachlassverwaltung auch gar nicht im Sinne des Erben.
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schwer macht, dass er diese Haftungsbeschränkung nur im Wege der unattraktiven Nachlassverwaltung erreicht. Denn dies hieße, ein anderes Instrument zu verkennen, mittels dessen der Erbe zu einem im wörtlichen wie im übertragenen Sinne sehr niedrigen Preis seine wichtigsten Ziele erreichen kann.1286 Die Rede ist vom Gläubigeraufgebot, das nicht nur den Effekt hat, dem Erben über die Dreimonatseinrede des § 2014 BGB hinaus eine weitere, durchaus großzügig bemessene Verschnaufpause zu verschaffen (§ 2015 BGB).1287 Überdies ermöglicht es ihm die Klärung der Sachlage: Ergeben bereits die angemeldeten Forderungen eine Überschuldung des Nachlasses, hat der Erbe erneut keinen Grund, den Insolvenzantrag hinauszuzögern. Ergeben die angemeldeten Forderungen hingegen keine Überschuldung, braucht der Erbe nichts mehr zu befürchten, da er sich gegenüber später auftretenden Gläubigern auf die Haftungsbeschränkung aus § 1973 Abs. 1 S. 1 BGB berufen kann (ggf. in Verbindung mit dem Einwand der Entreicherung gemäß § 1973 Abs. 2 S. 1 BGB). Damit zeigt sich, dass die viel gescholtene Nachlassverwaltung aus Erbensicht gar nicht essentielles Mittel der Haftungsbeschränkung ist, sondern in erster Linie ein Weg, sich der Abwicklungszuständigkeit zu begeben. Nicht verschwiegen werden soll, dass das Aufgebotsverfahren keine Klarheit auf der Aktivseite zu verschaffen vermag, also nicht hilft, wenn der Bestand oder Wert der Nachlassgegenstände im Zweifel steht und aus diesem Grund ein sicheres Urteil über ihre Zulänglichkeit verhindert wird.1288 Doch abgesehen davon, dass die Ermittlung der Aktiva eindeutig im Verantwortungsbereich des Erben liegt, scheint das Problem in der Praxis der Nachlass abwicklung selten aufzutreten.
Die vorstehenden Ausführungen sollen nicht zu dem Urteil führen, dass der Regelungskomplex der §§ 1967–2017 BGB insgesamt als gelungen anzusehen ist. Denn die Vorwürfe der „Fallenstellerei“, der übergroßen Kompliziertheit und der inneren Widersprüchlichkeit bleiben bestehen. Doch ist jedenfalls festzuhalten, dass die deutsche Regelung der „Erbenhaftung“ deutlich besser ist als ihr Ruf. Nichts belegt die weitgehende Verkennung dieses Regimes durch die Rechtspraxis deutlicher als die überaus seltene Nutzung des für den Erben so vorteilhaften – und aus Gläubigersicht so bedenklichen – Instruments des Gläubigeraufgebots (im Fall von Mit erben werden diese Wirkungen sogar noch verstärkt1289). Wie eingangs bereits angedeutet, ist die Ursache in dem zu sehen, was man das Fehlen einer „Abwicklungskultur“ nennen kann. Gemeint ist damit, dass zwar zu Recht die Möglichkeit einer Haftungsbeschränkung eingefordert wird, doch gleichzeitig die Bereitschaft fehlt, dafür von den Annehmlichkeiten einer integrierten Abwicklung abzurücken. Schon geringfügige Maßnahmen der Vorsorge oder Achtsamkeit des Erben, wie etwa die Durchführung eines Gläubigeraufgebots, 1286
Dessen Vorzüge preist auch Osthold, ErbR 2016, 670, 675. Dass die Aufgebotseinrede dem unredlichen Erben eine „Hinhaltetaktik“ ermöglicht, kritisiert Osthold, ErbR 2016, 673. De lege ferenda und im Anschluss an den Erbrechtsausschuss der Akademie für Deutsches Recht für eine Verkürzung ders., Erben und Haftung, 189. 1288 Anschaulich Bernhöft, Zur Reform des Erbrechts, 101. 1289 Siehe oben E.II.4c) (457 ff.). 1287
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werden als Anomalie empfunden, als lästiger Eingriff in die Sphäre des Erben.1290 Dahinter steht letztlich der unerfüllbare Wunsch, dem Erben das Beste beider Welten zu geben, d. h. die beschränkte Haftung bei völlig unbeschwertem Genuss der Vorteile der Erbschaft.1291 Die Forderung, den Staat aus der Nachlassabwicklung herauszuhalten, wird nicht mit der Forderung nach einer gesteigerten Selbstverantwortung des Erben gekoppelt.
VI. Verbesserungsvorschläge Die vielfältige Kritik an der Gestaltung des BGB ist immer wieder auch durch konkrete Verbesserungsvorschläge untermauert worden. Im Rahmen des Erbrechtsausschusses der „Akademie für Deutsches Recht“ wurden sogar gleich zwei vollständige Gesetzesentwürfe erarbeitet und intensiv diskutiert. Trotz positiver Aufnahme vor allem der Arbeiten des Erbrechtsausschusses in der nachfolgenden Rechtsliteratur ist eine grundlegende Reform des BGB bis heute jedoch ausgeblieben. 1. Die Vorschläge Boehmers Neben Heinrich Siber dürfte Gustav Boehmer derjenige gewesen sein, der sich am intensivsten mit dem BGB-Regime der Nachlassabwicklung befasst hat. Sowohl seine „Erbfolge und Erbenhaftung“ aus dem Jahr 1927 als auch seine spätere „Staudinger“-Kommentierung zum Erbrecht (10. und 11. Auflage) müssen bis heute zu den Grundlagenwerken der Materie gerechnet werden. Obgleich es Boehmer in erster Linie darum ging, die geltende Regelung zu erläutern, unterbreitete er auch konkrete Vorschläge zu ihrer Verbesserung. a) „Erbfolge und Erbenhaftung“ Boehmers im Rahmen von „Erbfolge und Erbenhaftung“ skizzierter Vorschlag zur Reform des BGB ist vor allem deshalb interessant, weil sein Kernstück die rechnerische Beschränkung der Haftung war. Dank dieser sollten nicht nur die Umstände und Kosten eines amtlichen Verfahrens vermieden werden, sondern dem Erben auch die „Depossedierung aus dem Nachlasse“ und die „rückwirkende Degradierung“ zum Nachlassverwalter erspart werden.1292 In der Tat vermeidet die rechnerisch beschränkte Haftung, indem sie den Gläubigern die Vollstreckung in das gesamte Erbenvermögen gestattet, die sich aus der Behandlung des Nachlasses als
1290 Beispielhaft Osthold, Erben und Haftung, 56 f., der schon die vorsorgliche Einholung professionellen Rechtsrats für unzumutbar hält. 1291 Siehe stellvertretend die Klage von Osthold, Erben und Haftung, 60, dem Erben werde durch die Verwalterhaftung des § 1978 Abs. 1 BGB „mit der einen Hand genommen, was ihm mit der anderen erst gewährt wurde“. 1292 Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 58 f.
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gegenständlichem Sondervermögen entstehenden Gefahren für die Gläubiger und die zur deren Vermeidung erforderlichen Schutzmaßnahmen.1293 Zu den weiteren „unbestreitbaren Vorzüge[n]“1294 der Haftung pro viribus hereditatis rechnete Boehmer die Tatsache, dass der Erbe nicht mehr gezwungen sein würde, den Gläubigern die Nachlassgegenstände zu überlassen, wie dies das BGB sogar im Fall der Dürftigkeitseinrede vorsieht. Mit der Zahlung des Wertes sei zugleich auch den Gläubigern mehr gedient, da ihnen deren umständliche Versilberung erspart bliebe. Schließlich versprach Boehmer sich von seiner Lösung aber auch eine wesentliche Vereinfachung der Zwangsvollstreckung, weil nicht mehr zwischen Eigenvermögen und Nachlass unterschieden werden müsste.1295 In einer Hinsicht sah Boehmer allerdings auch weiterhin Bedarf für aufwändige Formalitäten, nämlich bei der Ermittlung des Nachlassbestands als Grundlage für die Wertberechnung. Boehmer schlug vor, den Erben zu einer Inventarisierung unter amtlicher Aufsicht zu verpflichten, mit der Sanktion der unbeschränkten Haftung im Fall des Verstoßes.1296 Schließlich räumte er auch zwei Nachteile der rechnerisch beschränkten Haftung ein, zum Ersten nämlich, dass sie bei überschuldetem Nachlass keine Garantie der konkursmäßigen Befriedigung bietet. In diesem Fall sollte deshalb wie unter geltendem Recht der Weg zum Nachlasskonkurs offen bleiben.1297 Zum Zweiten erkannte Boehmer eine Notwendigkeit, den Nachlassgläubigern den Nachlass auch in anderen Fällen als Haftungsmasse zu reservieren: dort, wo infolge der Insolvenz des Erben ein Zugriff der Eigengläubiger droht, dort, wo der Erbe Nachlasswerte verheimlicht oder verschwinden lässt, und schließlich dort, wo der Nachlass sich zu verflüchtigen droht, auch durch Verteilung auf mehrere Miterben. Für diese Fälle wollte Boehmer den Nachlassgläubigern weiterhin das beneficium separationis gewähren,1298 so dass er letztlich auch für eine Kombination aus Haftung pro und Haftung cum viribus hereditatis plädierte. So erfrischend Boehmers Vorschlag auch daherkommt, so wenig durchdacht wirkt er bei näherer Betrachtung. So ist zum einen zu kritisieren, dass Boehmer sein Konzept nicht zu dem des Ersten Entwurfs in Bezug setzte, der ja im Rahmen der „Abzugseinrede“ ebenfalls auf eine rechnerische Haftungsbeschränkung gesetzt hatte, damit aber nicht durchgedrungen war. Offenbar schwebte Boehmer vor, den Erben bei bekannter Überschuldung zur Konkurseröffnung zu verpflichten und bei noch nicht erkannter Überschuldung die Haftung nach § 1979 BGB zu bestimmen. Es erstaunt, dass er diesen Punkt nicht näher erläuterte. Zum anderen fällt auf, dass Boehmer mit keinem Wort auf die lange bekannte praktische Achillesferse der rechnerisch beschränkten Haftung einging, nämlich 1293
Siehe dazu schon § 4 A.VII.9b) (271 ff.); Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 80. Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 59. 1295 Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 59. 1296 Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 58. 1297 Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 59 f. 1298 Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 60, 62. 1294
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das Problem der Feststellung des Nachlasswertes.1299 Bezeichnenderweise sollte er zehn Jahre später in seiner „Staudinger“-Kommentierung diese Unterlassung selbst korrigieren. b) Die „Staudinger“-Kommentierung Boehmers Reformvorschläge zur Erbenhaftung in der 1937 erschienenen 10. Auflage des „Staudinger“ wichen erheblich von seinen früheren Ausführungen ab. Ursache Boehmers Meinungswandels war vermutlich seine Mitwirkung im Erbrechtsausschuss der „Akademie für Deutsches Recht“, wo die rechnerisch beschränkte Haftung auf energische Ablehnung stieß.1300 Dementsprechend sah Boehmer nun den wesentlichen Vorzug der gegenständlich beschränkten Haftung darin, dass bei ihr „der unselige Streit über den Wert der Nachlassgegenstände und den für die Bewertung maßgeblichen Zeitpunkt vermieden und dem Erben die Gefahr erspart [wird], bei Minderung oder Entwertung des Nachlasses, die nach dem entscheidenden Zeitpunkt eintritt, im Enderfolge doch noch über die Kräfte des Nachlasses haften zu müssen.“1301 Boehmers neue Vorschläge zur Verbesserung des geltenden Regimes nahmen im Wesentlichen diejenigen des Erbrechtsausschusses vorweg.1302 So wollte Boehmer dem Erben fortan ermöglichen, den Nachlass auch ohne Erfordernis von Nachlassverwaltung und Nachlasskonkurs bei gegenständlich beschränkter Haftung abzuwickeln. Die Beantragung des Nachlasskonkurses sollte nur noch ein Recht, aber keine Pflicht des Erben mehr sein.1303 Eine solche bedeute einen „Rückfall in das Mißtrauen des Gesetzgebers gegen die Bosheit oder den Unverstand seiner ‚Untertanen‘, das für das absolutistische Denken vergangener Zeiten charakteristisch ist. Man sollte einsehen, daß beim anständigen Erben die staatliche Bevormundung unnötig und beim unanständigen doch kein Allheilmittel ist; die Juwelen und Wertpapiere kann er auch verschwinden lassen, bevor der amtliche Liquidator kommt.“1304
Wie Boehmer selbst erkannte, lief sein Vorschlag damit im Kern auf eine Verallgemeinerung des § 1990 BGB und eine Rückkehr zur Abzugseinrede des Ersten Entwurfs hinaus.1305 Als flankierende Maßnahme plädierte Boehmer dafür, den Weg 1299
Siehe dazu schon oben § 4 A.VII.9b) (271 ff.). Siehe unten Fn. 1321, 1369. 1301 Staudinger/Boehmer 10 , § 1922 Rn. 248 (Hervorhebung im Original). 1302 Dazu unten E.VI.2. (538 ff.). 1303 Etwas überraschend trat Boehmer im Erbrechtsausschuss der „Akademie für Deutsches Recht“ dann allerdings dafür ein, im Falle des unzureichenden Nachlasses als alleiniges Mittel der Haftungsbeschränkung den Nachlasskonkurs zuzulassen, siehe Protokoll der Sitzung des Erbrechtsausschusses v. 9.12.1937, in: Schubert/Schmid/Regge (Hg.), Akademie für Deutsches Recht, 1933–1945, Protokolle der Ausschüsse III/8, 342. 1304 Staudinger/Boehmer 10 , § 1922 Rn. 249, der weiter bekundete, dass die österreichischen Erfahrungen mit der noch viel weiter gehender amtlichen Nachlassfürsorge „nicht zur Nachahmung [reizen]. Vestigia terrent“. Auf die einfache Möglichkeit der Unterschlagung von Inhaberpapieren war auch schon im Zuge der Entstehung des BGB hingewiesen worden, siehe oben Fn. 869. 1305 Staudinger/Boehmer 10 , § 1922 Rn. 249. 1300
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zum praktisch bislang kaum genutzten Nachlassvergleichsverfahren zu erleichtern, das im Vergleich zu dem „schwerfälligen und kostspieligen Apparat der amtlichen Nachlaßliquidation“ das wesentlich einfachere und kostengünstigere Verfahren sei.1306 Die Schutzinteressen der Nachlassgläubiger verlor Boehmer keineswegs aus den Augen. So hielt er das „fast anderthalb Jahrtausende alte Institut des Inventars“ für „unentbehrlich“, weil den Gläubigern bei einer gegenständlich beschränkten Haftung Sicherheit dafür geboten werden müsse, „daß der Nachlaß nicht verheimlicht, verschenkt, verbraucht, vergeudet, schlecht verwaltet oder voreilig geteilt und in alle Winde verstreut wird“.1307 Inventarverfehlungen sollten wie bisher zur (endgültig) unbeschränkten Haftung führen, und zusätzlich zur Abwicklerhaftung aus § 1978 BGB sollte dem Erben eine persönliche Werthaftung für im Zeitpunkt der Vollstreckung nicht mehr vorhandene oder entwertete Inventarstücke auferlegt werden, von der er sich nur durch den Nachweis fehlenden Verschuldens sollte befreien können.1308 Zur Vereinfachung der „heute übermäßig verwickelten Prozeßabwickelung“ schlug Boehmer schließlich vor, den Vorbehalt des § 780 Abs. 1 ZPO von Amts wegen aufzunehmen und über die Frage der Haftungsbeschränkung nach Möglichkeit schon im Erkenntnisverfahren zu entscheiden. 2. Die Reformdiskussion in der „Akademie für Deutsches Recht“ a) Überblick Der Erbrechtsausschuss der „Akademie für Deutsches Recht“1309 verfolgte das Ziel, neben Materien wie dem Testamentsrecht und der gesetzlichen Erbfolge auch die Erbenhaftung einer gründlichen Revision zu unterziehen. Ein erster Entwurf dazu entstammte der Feder Heinrich Sibers,1310 ein zweiter Regelungsvorschlag
1306 Staudinger/Boehmer 10 , § 1922 Rn. 249 („Kostspielige und unzweckmäßige Bürokratisierung können wir uns aber fürwahr nicht mehr leisten“). 1307 Staudinger/Boehmer 10 , § 1922 Rn. 248. Auch im Erbrechtsausschuss der „Akademie für Deutsches Recht“ trat Boehmer „energisch für die Inventarerrichtung als Haftungsbeschränkungsmittel“ ein, siehe Protokoll der Sitzung des Erbrechtsausschusses v. 9.12.1937, in: Schubert/ Schmid/Regge (Hg.), Akademie für Deutsches Recht, 1933–1945, Protokolle der Ausschüsse III/8, 341 f. 1308 Staudinger/Boehmer 10 , § 1922 Rn. 248. 1309 Allgemein zu dessen Zusammensetzung, Zielen und Arbeiten Wacker, Erbrechtsaussschuß; Schubert, Einleitung, in: Schubert/Schmid/Regge (Hg.), Akademie für Deutsches Recht, 1933–1945, Protokolle der Ausschüsse III/1, XXIII–LX. Siehe ferner Haferkamp, AcP 214 (2014), 72–78. 1310 Abgedruckt in: Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 136–151; ebenso bei Schubert/ Schmid/Regge (Hg.), Akademie für Deutsches Recht, 1933–1945, Protokolle der Ausschüsse III/1, 92–103; Enneper, Reform der Erbenhaftung, 241–264. Im Anschluss an die Diskussion im Erbrechtsausschuss der Akademie für Deutsches Recht revidierte Siber seinen Entwurf noch geringfügig, siehe Siber, in: 3. Denkschrift, 225–229 und unten Fn. 1336. Für eine Zusammenfassung und überwiegend positive Würdigung von Sibers Entwurf siehe Höver, DfG 1938, 4–7, 21–24.
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war der von Heinz Karpe erarbeitete sog. „Breslauer Entwurf“1311 (Karpe war seinerzeit Assistent bei dem Ausschussvorsitzenden Heinrich Lange1312). Beide Vorhaben wiesen weitgehende Übereinstimmungen auf,1313 was nicht zuletzt daran lag, dass sie schon während ihres Entstehungsprozesses ausführlich im Erbrechtsausschuss diskutiert worden waren1314 und sich dabei einander angenähert hatten.1315 Gemeinsames Kernelement war wie schon bei Boehmer die Stärkung der gesonderten Eigenabwicklung.1316 b) Der Entwurf Sibers Siber wollte seinen Entwurf keineswegs als eine Fundamentalkritik am BGB verstanden wissen, sondern zollte dessen Verfassern im Gegenteil immer wieder Re spekt.1317 Da ihm eine Rückkehr zu den einfachen Regelungen der früheren Rechte unmöglich schien, plädierte er dafür, an den Grundzügen der BGB-Regelung festzuhalten.1318 (1) Gesonderte Abwicklung als Ausgangspunkt Neben dem Bemühen um eine größere Übersichtlichkeit der BGB-Regelung1319 bestand Sibers zentraler Änderungsvorschlag darin, auch im Fall des Alleinerben die gesonderte Eigenabwicklung zum gesetzlichen Ausgangspunkt zu machen. Die damit als wichtigste Rechtsfolge verbundene gegenständlich beschränkte Haf1311 Abgedruckt in: Lange, 3. Denkschrift, 128–141; ebenso bei Schubert/Schmid/Regge (Hg.), Akademie für Deutsches Recht, 1933–1945, Protokolle der Ausschüsse III/1, 103–113; Enneper, Reform der Erbenhaftung, 267–283. 1312 Enneper, Reform der Erbenhaftung, 61 f. 1313 Für eine ausführliche Zusammenfassung und Gegenüberstellung der beiden Entwürfe Enneper, Reform der Erbenhaftung, 68–162. 1314 Dazu Lange, in: 3 Denkschrift, VI f.; Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 5. 1315 Lange, in: 3. Denkschrift, 142 f.; Wacker, Erbrechtsausschuß, 98 f. 1316 Keine Zustimmung fand der im selben zeitlichen Kontext unterbreitete Vorschlag von Suchier, DfG 1936, 32–34, zum Grundsatz der amtlichen Nachlassabwicklung zurückzukehren, obwohl dies nach Höver, ZAfDR 1935, 226, einer verbreiteten Rechtsvorstellung entsprochen hätte: „Im Volk herrscht vielfach die Ansicht, daß es doch Sache des Nachlaßgerichts sei, von Anfang bis zu Ende einen Nachlaß zu betreuen, und man hört manchmal ein Bedauern, daß das nicht der Fall ist.“ Immerhin bestand weitgehend Konsens über die Notwendigkeit einer behutsamen Erweiterung der amtlichen Fürsorge, siehe Höver, ebd.; v. Caemmerer, DfG 1936, 119 f.; Reif, in: 4. Denkschrift, 45–47; Lange, DR 1942, 1718. 1317 Siehe bereits oben Fn. 729; ferner Siber, Referat, 761, 772; ders., Haftung für Nachlaßschulden, 6 („[…] die einschlägigen Fragen mit einer nie erreichten Vielseitigkeit erwogen […]“). Ähnlich später Lange, DR 1942, 1719, der sogar das gesamte Erbrecht des BGB als „ein technisches Meisterwerk seiner Verfasser“ rühmte (ebd., 1713), worin sich ein bemerkenswerter Aufwandungswandel seit Beginn des Erbrechtsausschusses widerspiegelte, siehe Wacker, Erbrechtsausschuß, 121. 1318 Siber, Referat, 766 („in den Grundzügen gesund, wenn sie richtig aufgefasst wird“), 772; ders., Haftung für Nachlaßschulden, 6. Dazu auch Enneper, Reform der Erbenhaftung, 213 f. 1319 Zu technischer Kritik am BGB Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 5, 42–50; dazu Enneper, Reform der Erbenhaftung, 29 f.
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tung1320 (die noch im Ersten Entwurf zu findende und auch von Boehmer anfangs favorisierte rechnerisch beschränkte Haftung lehnte Siber dezidiert ab1321) wurde also nicht einmal an das Erfordernis der Inventarerrichtung geknüpft, stattdessen führten lediglich bestimmte Tatbestände zur Verwirkung der beschränkten Haftung.1322 In dieser Konzeption kam Sibers Überzeugung zum Ausdruck, dass ein Regime der Nachlassabwicklung den „anständigen Erben“ als Leitbild betrachten müsse.1323 „Es ist kein Bekenntnis zum Optimismus, sondern ein von jedem Pathos freier Rechtsgrundsatz, daß Böslichkeit nicht zu vermuten, sondern zu beweisen ist.“1324 Bedarf für die Möglichkeit eines freiwilligen Verzichts auf die Haftungsbeschränkung gegenüber allen Nachlassgläubigern sah Siber nicht.1325 Was die Tatbestände der Verwirkung der beschränkten Haftung angeht, war bemerkenswert, dass Siber hierzu neben dem Versäumnis der richterlichen Inventarfrist1326 oder der Inventaruntreue1327 auch jede vorsätzliche oder grob fahrlässige Beeinträchtigung oder Erschwerung der Ermittlung der zur Zwangsvollstreckung geeigneten Nachlassgegenstände zählte,1328 ebenso jede vorsätzliche oder grob fahrlässige Schädigung der Nachlassgläubiger durch den Erben.1329 Siber begründete die beiden letztgenannten Verwirkungsgründe mit dem leichten Scheitern von Schadensersatzansprüchen an Beweisschwierigkeiten.1330 Im Erbrechtsausschuss wurde die von Siber vorgesehene Verwirkung der Haftungsbeschränkung keineswegs diskussionslos hingenommen. So warf insbesondere Walter SchmidtRimpler die Frage auf, ob es nicht zu weit gehe, mittels der Strafsanktion der unbeschränkten 1320 §§ 1967 Abs. 1, 1970 Abs. 1 Entwurf Siber. Dazu Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 51– 56. Zur Ergänzung durch eine Werthaftung unten Fn. 1336. 1321 Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 73–75, der vor allem auf das Problem von Wertschwankungen und die Notwendigkeit von Schätzungen hinwies, hinter denen die bei Notverkäufen erzielten Erlöse aber typischerweise zurückblieben. Zustimmend Höver, DfG 1938, 6 f. 1322 Für diese Lösung auch Höver, DJ 1935, 1700. 1323 Siber, Referat, 772; ders., Haftung für Nachlaßschulden, 52. 1324 Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 52. 1325 Der Verzicht gegenüber einzelnen Gläubigern konnte seiner Ansicht nach ein Mittel zur Förderung einverständlicher Lösungen sein, sollte dann aber vertraglich und nicht einseitig erfolgen: Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 86 f. 1326 § 1999 Nr. 3 BGB-Entwurf Siber, angelehnt an § 1994 S. 2 BGB. Nach Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 82, lagen der einstigen Einführung dieser Regelung in den deutschen Partikularrechten „gesunde praktische Erwägungen“ zugrunde, indem die Verwirkung infolge Fristversäumnis „eine notwendige Ergänzung“ der häufig nicht ausreichenden Schadensersatzpflicht aus Abwicklerhaftung bildete. Zum letztgenannten Punkt auch Siber, Referat, 772. Für Fälle, in denen die Kosten des unter amtlicher Mitwirkung zu errichtenden Inventars außer Verhältnis zum Nachlasswert stehen, wollte Siber ein „privates Nachlassverzeichnis“ genügen lassen: Siehe § 1986 Abs. 1 BGB-Entwurf Siber, dazu Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 82 f.; zustimmend Höver, DfG 1938, 24. 1327 § 1999 Nr. 4 BGB-Entwurf Siber, angelehnt an § 2005 Abs. 1 BGB. Dazu Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 83. 1328 § 1999 Nr. 2 BGB-Entwurf Siber. 1329 § 1999 Nr. 1 BGB-Entwurf Siber. Als historisches Vorbild nannte Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 80, 20 f., eine Regelung des kursächsischen Rechts. Für zu weit gehend hielt diesen Verwirkungsgrund Höver, DfG 1938, 2. 1330 Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 80; ebenso Karpe, in: 3. Denkschrift, 67.
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Haftung den Nachlassgläubigern „ein Geschenk in den Schoß“ zu werfen, anstatt lediglich eine Schadensersatzpflicht anzuordnen.1331 Mit Rücksicht auf die Tradition und die Beweisschwierigkeiten der Nachlassgläubiger sprach sich die Mehrheit des Ausschusses letztlich aber für die Beibehaltung der Sanktion der unbeschränkten Haftung aus.1332
Im Übrigen war die Rechtsstellung des Erben weitgehend nach der bestehenden Regelung im Fall der Nachlassverwaltung oder Nachlassinsolvenz gestaltet. So wurde der Erbe den Pflichten eines zur ordnungsgemäßen Verwaltung Beauftragten unterworfen,1333 worin Siber ein „[u]nentbehrliches Gegengewicht für eine gegenständlich beschränkte Haftung“ sah.1334 In Fortentwicklung des BGB sollte zum einen auch das rechtsgeschäftlich mit Mitteln der Erbschaft Erlangte im Wege dinglicher Surrogation in den Nachlass fallen,1335 zum anderen der Erbe einer verschuldensunabhängigen Werthaftung für Gelder unterworfen werden, die er im Austausch für nicht mehr vorhandene Nachlassgegenstände empfangenen hatte.1336 Nachlassverbindlichkeiten durfte der Erbe in beliebiger Reihenfolge tilgen, solange er bei sorgfältiger Prüfung die Zulänglichkeit des Nachlasses annehmen konnte.1337 War nach den Umständen mit einer Überschuldung des Nachlasses zu rechnen, hatte der Erbe von den Schonungsfristen Gebrauch zu machen und ein Aufgebot der Nachlassgläubiger zu beantragen, falls die Kosten hierfür nicht unverhältnis1331 Siehe das Protokoll der Sitzung des Erbrechtsausschusses v. 10.12.1937, in: Schubert/ Schmid/Regge (Hg.), Akademie für Deutsches Recht, 1933–1945, Protokolle der Ausschüsse III/8, 377. 1332 Siehe das Protokoll der Sitzung des Erbrechtsausschusses v. 10.12.1937, in: Schubert/ Schmid/Regge (Hg.), Akademie für Deutsches Recht, 1933–1945, Protokolle der Ausschüsse III/8, 377–380. 1333 § 1972 BGB-Entwurf Siber, angelehnt an § 1978 BGB. Dazu Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 57 f. 1334 Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 57; siehe auch ders., Referat, 767 („selbstverständliche[s] Korrelat“). 1335 § 1971 BGB-Entwurf Siber, dazu Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 75 f.; Ehrenkönig, Erbenhaftung, 69, 135 f. Zur Diskussion um eine dingliche Surrogation unter geltendem Recht siehe unten § 7 Fn. 367. 1336 § 1970 Abs. 1 BGB-Entwurf Siber. Die gegenständlich beschränkte Haftung wurde bei Veräußerung von Nachlassgegenständen also durch eine rechnerisch beschränkte ergänzt, Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 76 f. Seine Lösung glich damit im Ergebnis der (von der h. M. abgelehnten) Anwendung des § 667 Alt. 2 BGB auch bei fehlendem Fremdgeschäftsführungswillen im Rahmen des § 1978 Abs. 1 BGB (siehe unten § 7 Fn. 366). Unter dem Eindruck der Diskussionen im Erbrechtsausschuss modifizierte Siber seinen Entwurf später allerdings punktuell: Anstelle einer Wertersatzhaftung in Ergänzung der gegenständlich beschränkten Haftung sollte nun ein Erstattungsanspruch des Nachlasses gegen den Erben bestehen (§ 1971 Abs. 2 modifizierter Entwurf-Siber, abgedruckt in: 3. Denkschrift, 228). Siber, in: 3. Denkschrift, 225–227, erachtete die neue Lösung als klarer und einfacher, weil der Erstattungsanspruch genauso behandelt werden würde wie andere Ansprüche gegen den Erben als Verwalter. 1337 § 1973 BGB-Entwurf Siber, angelehnt an § 1979 BGB. Eine Pflicht zur „Bevorzugung der zudringlichsten [Gläubiger]“ war dabei bewusst nicht vorgesehen, Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 58 (anders wohl noch ders., Referat 767). Ders., Referat, 772, argumentierte, dass dem Erben daraus, dass er bei scheinbar werthaltigem Nachlass einzelne Gläubiger, wie etwa einen Handwerker, zuerst bezahlt hat, kein Vorwurf gemacht werden dürfe.
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mäßig waren.1338 Im Fall des unzulänglichen Nachlasses hatte der Erbe unverzüglich die Eröffnung des Nachlasskonkurses zu beantragen, wobei eine auf Vermächtnissen und Auflagen beruhende Überschuldung wie nach geltendem Recht außer Betracht zu lassen war.1339 Bei geringfügigen Nachlässen1340 unterlag der Erbe nur in beschränktem Umfang der Pflicht zur konkursmäßigen Befriedigung und hatte im Gegensatz zur Lösung des BGB stets das Recht, Nachlassgegenstände durch Zahlung des Wertes abzulösen.1341 Im Einklang mit seiner generellen Zielsetzung sah der Sibersche Entwurf schließlich auch prozessuale Erleichterungen vor. So sollte insbesondere die Haftungsbeschränkung des Erben im Urteil nicht nur von Amts wegen vorbehalten, sondern sogar bereits festgestellt werden,1342 so dass die Thematik vom Vollstreckungs- in das Erkenntnisverfahren verlegt wurde.1343 (2) Die verkannte Nähe zum englischen Recht Lässt man die Details des Siberschen Entwurfs außer Betracht und schaut man nur auf seine Grundstruktur, so fällt seine große Nähe zum preußischen, aber eben auch zum englischen Recht auf. Denn wenngleich Siber es nicht begrifflich explizit machte, kam dem Erben nach der neuen Grundregel die Stellung eines treuhänderischen, für Fehlverhalten persönlich haftenden Abwicklers zu, der zugleich Residualbegünstigter war. Eine weitere Parallele zum modernen englischen Recht lag darin, dass eine Pflicht zur Inventarerrichtung nur im Fall gerichtlicher Anordnung bestand. Umso erstaunlicher ist, dass Siber jegliche strukturelle Parallele seines Entwurfs zum englischen Recht verneinte und diesem stattdessen eine „allen kontinentalen Rechten fremd[e]“ Konzeption bescheinigte, die für „die Erbschaft eines Lords“ passe, nicht aber für „bescheidene oder gar geringfügige Nachlässe“.1344 Über den Grund für Sibers fragwürdige Einschätzung lässt sich nur spekulieren. Naheliegend wäre an sich die Vermutung, dass er der auch heute noch häufig anzutreffenden Fehlvorstellung1345 unterlag, der personal representative sei notwendig eine 1338 § 1974 Abs. 1 BGB-Entwurf Siber, Weiterentwicklung von § 1980 Abs. 2 BGB. Dazu Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 58. 1339 § 1975 BGB-Entwurf Siber, angelehnt an § 1980 Abs. 1 BGB, wobei im Gegensatz zu diesem klargestellt wird, dass die Pflicht nicht im Falle des geringwertigen Nachlasses besteht. Dazu Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 59 f. 1340 Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 32 (Fn. 1) gab an, die etablierten Ausdrücke „Dürftigkeit“ oder „Ärmlichkeit“ des Nachlasses bewusst zu vermeiden, weil sie „einen unangenehmen plutokratisch-verächtlichen Beigeschmack“ hätten. Dies fand einhellige Billigung im Erbrechtsausschuss, siehe Lange, in: 3. Denkschrift, 173 (Fn. 1). 1341 § 1976 BGB-Entwurf Siber, angelehnt an §§ 1990, 1991 BGB. Dazu Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 62–68. Bei der Erfüllung von Pflichtteils-, Vermächtnis- und Auflagenansprüchen galten die genannten Regelungen auch bei erheblichem Nachlass, § 1976 Abs. 6 BGB-Entwurf Siber, angelehnt an § 1992 BGB. 1342 § 780 ZPO-Entwurf Siber. Dazu Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 78 f. 1343 Enneper, Reform der Erbenhaftung, 126. Zur Kritik an Sibers Lösung ebd., 128–133. 1344 Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 86; ähnlich schon ders., Referat, 762. 1345 Dazu oben § 1 E.I.1a) (27 ff.).
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Person ohne erbrechtliches Eigeninteresse am Nachlass, ähnlich einem deutschen Nachlass- oder Konkursverwalter.1346 Doch hatte Siber in einem früheren Text auf die in der Praxis sehr häufige Personalunion von personal representative und Hauptbegünstigtem selbst hingewiesen.1347 Weiter kommt in Betracht, dass Siber durch die sehr verbreitete, jedoch unpräzise1348 Klassifizierung des personal representative als trustee abgeschreckt wurde.1349 Sodann könnte eine Rolle gespielt haben, dass Siber den personal representative außerhalb einer persönlichen Haftung für Fehlverhalten immer nur einer Sachhaftung unterworfen sah1350 und hierin den Grund dafür erblickte, dass im englischen Recht für die Verwirkung der Haftungsbeschränkung „kein Raum“ sei.1351 Doch abgesehen von der Zweifelhaftigkeit seiner Qualifikation der Haftung des personal representative1352 verwechselte Siber zwingende Sachgesetzlichkeiten mit einer rechtspolitischen Entscheidung. Denn nichts hindert eine Rechtsordnung daran, auch bei Annahme einer Sachhaftung Inventarverfehlungen des Abwicklers mit einer unbeschränkten persönlichen Haftung zu sanktionieren. Schließlich ist daran zu denken, dass Siber irrtümlich annahm, der personal representative werde auf Schritt und Tritt gerichtlich überwacht. Doch wäre diese Fehlvorstellung spätestens auf einer Sitzung des Erbrechtsausschusses vom Dezember 1937 aufgedeckt worden, als der vom Berliner Kaiser-Wilhelm-Institut ent sandte Ernst v. Caemmerer zu Recht auf den gerichtsfernen Charakter der modernen englischen Nachlassabwicklung hinwies und den Kontrast zur US-amerikanischen Rechtsentwicklung betonte1353 (freilich trug v. Caemmerer zugleich auch wieder zur Verwirrung bei, indem er unzutreffend insinuierte, dass die englischen „Erben“ – gemeint die beneficiaries – nur bei kleinen Nachlässen die Abwicklung selbst vornehmen könnten1354). Und selbst wenn eine oder mehrere der genannten Vorstellungen über das englische Recht zutreffend gewesen wären, hätte Siber doch erkennen müssen, dass der Graben zwischen seiner Lösung und der englischen keineswegs so tief war, wie er glauben machen wollte.1355
1346 Ein solches Verständnis kommt zumindest bei Siber, Stellungnahme, 761; ders., Referat, 766, zum Ausdruck. 1347 Siber, Geschichtliches und Rechtsvergleichendes, 1012. 1348 Siehe oben § 4 B.II.2f) (293 ff.). 1349 Diesen Verdacht nährt jedenfalls Siber, Referat, 762. 1350 Siehe Siber, Referat, 762 f., 770. 1351 Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 79. 1352 Dazu oben § 3 C.II.3c) (208 ff.). 1353 Protokoll der Sitzung des Erbrechtsausschusses v. 9.12.1937, in: Schubert/Schmid/Regge (Hg.), Akademie für Deutsches Recht, 1933–1945, Protokolle der Ausschüsse III/8, 335, 354. 1354 Siber entgegnete auf v. Cammerers Stellungnahme nur mit der kaum weiterführenden Aussage, dass der „englische Erbenbegriff […] von dem unsrigen total verschieden [ist]“, Protokoll der Sitzung des Erbrechtsausschusses v. 9.12.1937, in: Schubert/Schmid/Regge (Hg.), Akademie für Deutsches Recht, 1933–1945, Protokolle der Ausschüsse III/8, 335, 354. 1355 Immerhin finden sich auch punktuelle Bezüge zum englischen Recht, siehe etwa Siber, Referat, 767, 770.
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§ 6 Die Vervollkommnung der gesonderten Abwicklung
(3) Die Möglichkeit der Individualabsonderung Ein weiterer beachtlicher Änderungsvorschlag Sibers bestand darin, auch dem einzelnen Nachlassgläubiger die Möglichkeit einzuräumen, Eigengläubiger des Erben von der Vollstreckung in Nachlassgegenstände fernzuhalten. Dass das BGB die Nachlassgläubiger lediglich in ihrer Gesamtheit schützt (über die Kollektivverfahren der Nachlassverwaltung und des Nachlasskonkurses1356), sei ein durch das römische System der Gesamtvollstreckung bedingter „geschichtlicher Zufall“ und gesetzgeberisch nicht gerechtfertigt.1357 Dementsprechend räumte Sibers Entwurf dem einzelnen Nachlassgläubiger das Recht ein, entweder vorzugsweise Befriedigung im Sinne des § 805 ZPO zu verlangen oder die Vollstreckung des Eigengläubigers in den Nachlass ganz für unzulässig erklären zu lassen.1358 Ein historisches Vorbild für die – von der Zweiten Kommission bewusst verworfene1359 – Individualabsonderung fand Siber in der preußischen Konkursordnung von 1877,1360 deren Regelung mit der Reichskonkursordnung von 1898 wieder weggefallen war.1361 In vergleichender Sicht hätte Sibers Lösung der Einführung der séparation des patrimoines nach französischer Art entsprochen,1362 wobei das Nebeneinander von Individual- und Kollektivabsonderung genau zu dem Modell geführt hätte, das 1910 die „Société d’études législatives“ vorgeschlagen hatte.1363 (4) Der Schutz gegen unerkannte Verbindlichkeiten Bemerkenswert war schließlich eine – vermutlich durch die römische restitutio in integrum inspirierte1364 – besondere Schutzvorschrift für den Fall, dass nachträglich „ungewöhnlich hohe Nachlaßschulden“ bekannt wurden, mit denen der Erbe bei der Verwirkung der Haftungsbeschränkung nicht zu rechnen brauchte. Als Beispiel nannte Siber den „nicht alltäglichen, aber oft genug vorgekommenen Fall einer Schadensersatzpflicht des Erblassers aus seiner Amtsführung im Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft, die erst nach seinem Tode zusammenbricht“.1365 Zur Vermeidung „große[r] Härten“1366 sollte der Erbe dann berechtigt sein, die Erfüllung zu verweigern, soweit er bei Fortdauer der Haftungsbeschränkung nicht haftbar
1356 Diese Verfahren fasste Siber unter dem Titel „Absonderung“ zusammen, siehe § 2005 BGB-Entwurf Siber. 1357 Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 92 f., 95. 1358 Siehe § 1977 BGB-Entwurf Siber, § 784a ZPO-Entwurf Siber. Dazu Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 95 f. 1359 Protokolle V, 823. 1360 § 43 preußische KO 1877. 1361 Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 94. 1362 Dazu oben C.III. (413 ff.). 1363 Dazu oben C.III.4. (431 ff.). 1364 Dazu oben § 4 A.III.2. (252 ff.). 1365 Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 86. Auf dieses Beispiel kam Siber mehrfach zurück, siehe ders., Stellungnahme, 761; ders., Referat, 764. 1366 Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 86.
E. Das deutsche Recht
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wäre.1367 Wie später zu zeigen sein wird, führte der französische Gesetzgeber im Jahr 2006 eine ganz ähnliche Regelung ein.1368 c) Der Entwurf Karpes („Breslauer Entwurf“) Der wesentliche Unterschied des Breslauer Reformvorschlags zu dem von Siber bestand darin, dass die gesonderte Nachlassabwicklung und die damit verbundene Haftung cum viribus hereditatis1369 hier nicht den Grundfall bildete, sondern die Verselbständigung des Nachlasses und daran geknüpft die beschränkte Haftung erst Folge der Inventarerrichtung war.1370 Diese musste der Erbe innerhalb einer – nicht verlängerbaren – gesetzlichen Frist von sechs Monaten ab dem Erbfall1371 oder einer ihm auf Gläubigerantrag vom Gericht gesetzten Frist vornehmen.1372 Zur endgültig unbeschränkten Haftung führte allerdings nur das Versäumnis der gerichtlichen Frist,1373 während der Erbe nach Ablauf der gesetzlichen Inventarfrist1374 weiterhin die Nachlassverwaltung1375 und den Nachlasskonkurs beantragen konnte1376 (vorbehaltlich einer Verwirkung seines Beschränkungsrechts1377). Im Übrigen übernahm der Breslauer Entwurf aber zahlreiche Neuerungen Sibers oder entwickelte sie – zum Teil auch auf dessen eigene Anregungen hin – weiter.1378 Zu nennen ist die dingliche Surrogation bei rechtsgeschäftlichen Verfügungen des Erben,1379 die ergänzende rechnerische Haftung für empfangene Gegenwerte,1380 der von Amts wegen in das Urteil aufzunehmende Vorbehalt der Haf-
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§ 2003 BGB-Entwurf Siber. Siehe unten § 7 B.IV. (589 ff.). 1369 Die rechnerisch beschränkte Haftung verwarf Karpe, in: 3. Denkschrift, 48–51, im Wesentlichen mit denselben Argumenten wie Siber (oben Fn. 1321), wobei er zusätzlich auf verfahrensrechtliche Schwierigkeiten hinwies. 1370 §§ 1967, 1968 Abs. 1 BGB-Breslauer Entwurf. Dazu Karpe, in: 3. Denkschrift, 61. 1371 § 1986 BGB-Breslauer Entwurf. 1372 § 1992 BGB-Breslauer Entwurf. Näher zur Regelung des Inventarrechts Karpe, in: 3. Denkschrift, 67–73. 1373 § 2001 Abs. 1 BGB-Breslauer Entwurf. 1374 Repräsentativ für die wenig zuverlässige Darstellung der Entwürfe bei Ehrenkönig, Erbenhaftung, 70, und dem ihn weitgehend kopierenden Joachim, Erbenhaftung, Rn. 12c, ist die sprachlich ebenso wie inhaltlich verkorkste Rede von der „Fristversäumung eines freiwillig errichteten Inventars“. 1375 Dass diese auch neben der Haftungsbeschränkung durch Inventarerrichtung noch eine Daseinsberechtigung haben würde, betonte Karpe, in: 3. Denkschrift, 78 f. 1376 § 1991 Abs. 1 BGB-Breslauer Entwurf. Karpe, in: 3. Denkschrift, 68 f., weist auf diesen wichtigen Unterschied zum preußischen ALR hin. 1377 Zu einer solchen konnte es im Fall der Inventaruntreue und der absichtlichen Verweigerung oder Verzögerung der Mitwirkung an der Inventarerrichtung kommen, §§ 1990, 2001 Abs. 2, 2002 BGB-Breslauer Entwurf. 1378 Lange, in: 3. Denkschrift, VII. 1379 § 1969 Abs. 1, 2 BGB-Breslauer Entwurf. Nach § 1969 Abs. 3 BGB-Breslauer Entwurf wurde die Frist allerdings durch rechtzeitigen Antrag auf gerichtliche oder private Inventarerrichtung gewahrt (siehe §§ 1984 Abs. 1, 1985 BGB-Breslauer Entwurf). 1380 § 1968 Abs. 2 BGB-Breslauer Entwurf (zur entsprechenden Regelung bei Siber siehe oben 1368
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§ 6 Die Vervollkommnung der gesonderten Abwicklung
tungsbeschränkung,1381 das auch einem einzelnen Nachlassgläubiger gewährte Recht auf vorzugsweise Befriedigung gegenüber den Eigengläubigern1382 sowie die Schutzvorschrift für den Fall nachträglich bekannt gewordener hoher Verbindlichkeiten.1383 Zwecks Klärung der geltenden Rechtslage ordnete der Breslauer Entwurf schließlich auch an, dass die haftungsbeschränkende Wirkung der Nachlassverwaltung über die Verfahrensbeendigung hinaus fortbestand1384 und dass als Nachlassverwalter auch ein Miterbe bestellt werden konnte.1385 d) Die Diskussion der Entwürfe im Erbrechtsausschuss der „Akademie für Deutsches Recht“ Im Erbrechtsausschuss der „Akademie für Deutsches Recht“, der die fertigen Entwürfe einander gegenüberstellte und ausführlich diskutierte,1386 bestand über ihre hohe Qualität ebenso Einigkeit wie über den Befund, dass den jeweiligen Vorzügen unvermeidbare Nachteile gegenüberstanden. Eine Lösung, die allen betroffenen Interessen gleichermaßen gerecht wird, war nach Überzeugung der Ausschussmitglieder nicht zu finden. Die eine Hälfte von ihnen sprach sich für den eher an den Belangen des Erben orientierten Entwurf von Siber aus, die andere Hälfte dem eher an den Belangen der Gläubiger orientierten Breslauer Entwurf.1387 Der Schwerpunkt der Diskussionen lag auf dem bedeutendsten Unterschied zwischen beiden Vorschlägen, also der Frage, ob die Haftung cum viribus hereditas von Fn. 1320). Nach § 781 Abs. 2 ZPO-Breslauer Entwurf war in diesem Fall allerdings vorrangig in das Nachlassvermögen zu vollstrecken. 1381 Diese Regelung war allerdings in § 331 Abs. 3 ZPO-Breslauer Entwurf verortet. 1382 § 1975 Abs. 1 BGB-Breslauer Entwurf. Ein passendes Vorbild sah Karpe, in: Lange (Hg.), 3. Denkschrift, 94, in § 14 der Erbhofrechtsverordnung von 1936, der den Nachlassgläubigern ein bevorzugtes Pfändungsrecht gewährte. Zu den punktuellen Abweichungen von Sibers Entwurf Karpe, in: Lange (Hg.), 3. Denkschrift, 95 f. 1383 Anstelle einer Einrede wurde allerdings nur eine Wiedereinsetzung in die Möglichkeit der Inventarerrichtung gewährt, siehe § 2001 Abs. 3 BGB-Breslauer Entwurf und Karpe, in: 3. Denkschrift, 72 f. 1384 § 1979 Abs. 2 BGB-Breslauer Entwurf. Dazu Karpe, in: 3. Denkschrift, 79 f.; Enneper, Reform der Erbenhaftung, 117 f. 1385 § 2005 Abs. 4 BGB-Breslauer Entwurf. Dazu Enneper, Reform der Erbenhaftung, 115-117. Kritisch Ehrenkönig, Erbenhaftung, 120, der ohne nähere Begründung meint, dass Manipulationen hierdurch „Tür und Tor“ geöffnet werde. Karpe, in: 3. Denkschrift, 80 f. erörterte auch die Ernennung eines Alleinerben, hielt diesen Fall aber nicht für praktisch relevant, da der Alleinerbe entweder ungeeignet sei oder an der Abwicklung gerade nicht interessiert. Zweitgenanntes Argument ergab – anders als im BGB – im Kontext des Breslauer Entwurfs deshalb Sinn, weil dem Erben, dem an einer Beschränkung seiner Haftung gelegen war, ja fortan auch die Möglichkeit der Inventarerrichtung zur Verfügung stehen sollte. 1386 Siehe Lange, in: 3. Denkschrift, 142–224. Eine zusammenfassende Würdigung unter Einbeziehung der Ausschussprotokolle bietet Enneper, Reform der Erbenhaftung, 162–210. 1387 Lange, in: 3. Denkschrift, 142; für nähere Einzelheiten Schubert, Einleitung, in: Schubert/ Schmid/Regge (Hg.), Akademie für Deutsches Recht, 1933–1945, Protokolle der Ausschüsse III/8, XXXVIII.
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Anfang an gelten (so Entwurf Siber) oder an die Inventarerrichtung geknüpft sein sollte (so Entwurf Karpe).1388 Der Ausschussvorsitzende Heinrich Lange neigte dem Vorschlag seines akademischen Lehrers1389 Siber zu1390 und machte ihn vermutlich auch zur Grundlage seines 1942 abgeschlossenen, aber bis heute verschollenen1391 Entwurfs eines Erbgesetzes.1392 Gegen die Lösung des Breslauer Entwurfs führte Lange vor allem die Erwägung an, dass sie dem „unberatenen Volksgenossen“ keinen sicheren Schutz gewähre:1393 Die Auffassung, dass ein Erbe nur bei Inventarerrichtung beschränkt hafte, könne entgegen manchen Stimmen im Erbrechtsausschuss nicht als das „Natürliche“, „gesunder Volksanschauung“ Entsprechende betrachtet werden. Was häufig angefertigt werde, sei allein ein formloses Nachlassverzeichnis, das nicht die Voraussetzungen eines Inventars im rechtlichen Sinne erfülle. Ein solches werde „nur in seltenen Fällen von den Erben aus ihrem natürlichen Empfinden heraus eingereicht“.1394 Langes Ausführungen sind auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass er wie Siber1395 den – vom geltenden
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Lange, in: 3. Denkschrift, 143. Enneper, Reform der Erbenhaftung, 59. 1390 Lange, in: 3. Denkschrift, 223 f. Enneper, Reform der Erbenhaftung, 237 f., bezweifelt, dass sachliche Gründe hierfür ausschlaggebend waren, und weist darauf hin, dass Siber im Gegensatz zu Karpe nicht von Lange selbst, sondern unmittelbar von Akademiepräsident Hans Frank beauftragt worden war (Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 5) und eine Entscheidung für den Entwurf Karpes zudem „ein Affront gegen seinen alten Lehrer Siber gewesen wäre“. Enneper geht allerdings zu Unrecht davon aus, dass Lange seine Ablehnung des Breslauer Entwurfs einzig mit der Vorschrift des § 1991 Abs. 2 BGB-Breslauer Entwurf begründete, die dem Erben im Falle des geringfügigen Nachlasses gestattete, auch nach Ablauf der gesetzlichen Inventarfrist seine Haftung noch durch Auskunftserteilung und Rechnungslegung zu beschränken (Enneper, Reform der Erbenhaftung, 167 f.). Während Lange, in: 3. Denkschrift, 174 f., diese Regelung zwar in der Tat kritisierte, dürften die beiden im Text erörterten Gründe von größerem Gewicht für die Bevorzugung von Sibers Entwurf gewesen sein. 1391 Siehe dazu Schubert, Vorwort, in: Schubert/Schmid/Regge (Hg.), Akademie für Deutsches Recht, 1933–1945, Protokolle der Ausschüsse III/8, XXXVIII; Wacker, Erbrechtsausschuß, 1, 48. 1392 Der Entwurf, dessen Gliederung immerhin überliefert ist (Schubert/Schmid/Regge (Hg.), Akademie für Deutsches Recht, 1933–1945, Protokolle der Ausschüsse III/1, 253–255), wurde anhand verschiedener Quelle rekonstruiert von Wacker, Erbrechtsausschuß, 49–53, 145–270. Entgegen dem bei Wacker, Erbrechtsausschuß, 99 (Fn. 3), erweckten Eindruck wird eine Übernahme von Sibers Entwurf bei Lange, DR 1942, 1719, allerdings nicht ausdrücklich ausgesprochen, weshalb auf sie nur anhand des skizzierten Inhalts geschlossen werden kann, vor allem des Bekenntnisses zur anfänglich beschränkten Haftung. Abgesehen davon steht fest, dass Lange den Siberschen Entwurf zumindest punktuell modifizierte, etwa bei der (auf den Breslauer Entwurf zurückgehenden) Umbenennung der „Nachlassverwaltung“ in „Nachlassabwicklung“, siehe Lange, DR 1942, 1718 (Fn. 12), 1719. Andere von Wacker, Erbrechtsausschuß, 251–266, angenommene Änderungen des Entwurfs von Siber bleiben leider ohne Erläuterung. 1393 Näher zur Diskussion dieses Themas im Erbrechtsausschuss Enneper, Reform der Erbenhaftung, 178–181. 1394 Lange, in: 3. Denkschrift, 217–220. 1395 Siber, Geschichtliches und Rechtsvergleichendes, 1018; ders., Referat, 763; ders., Haftung für Nachlaßschulden, 41; ebenso Höver, DfG 1938, 6. 1389
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Recht als Ausnahmefall behandelten (§ 1990 BGB) – geringwertigen Nachlass für den praktischen Regelfall hielt.1396 Lässt sich Langes Sorge um den „geschäftsungewandten, wenig bemittelten Volksgenossen“1397, den es gegenüber mächtigen und unter Umständen rücksichtslos agierenden Gläubigern zu verteidigen gilt, auch als Ausdruck nationalistischen Rechtsempfindens1398 und Absage an eine individualistische Privatrechtskonzeption sehen,1399 war die Debatte im Erb rechtsausschuss insgesamt klar auf rechtstechnische Fragen fokussiert und innerhalb des tradierten Diskurses angesiedelt.1400 Der Grund hierfür dürfte vor allem darin gelegen haben, dass das eine Vielzahl von Interessen und Fallgestaltungen berührende Thema der Erbenhaftung, anders als z. B. dasjenige der Testierfreiheit,1401 sich von vornherein als zu komplex erwies, um es auf einen ideologischen Nenner zu bringen.1402 So hätte sich beispielsweise eine allzu erbenfreundliche Regelung gerade auch als Ausdruck einer liberalen, individualistischen Weltanschauung kritisieren1403 und die angemessene Rücksicht auf Gläubigerinteressen als Forderung der Volksgemeinschaft rechtfertigen lassen.1404 Und wenn 1396
Lange, in: 3. Denkschrift, 174; dazu auch Enneper, Reform der Erbenhaftung, 178. Lange, DW 1942, 1714; Die Sorge um den „kleinen Mann“ kam u. a. auch in Sibers Kritik am Begriff der „Dürftigkeit“ des Nachlasses“ zum Ausdruck, der seiner Ansicht nach einen „plutokratisch-verächtlichen Beigeschmack“ hatte (oben Fn. 1340). 1398 Ausdrücklich Lange, DW 1942, 1719; ähnlich Höver, DfG 1938, 6 („Fürsorge für die Volksgenossen“ als ein Grundgedanke „der künftigen Erbrechtserneuerung“). 1399 Enneper, Reform der Erbenhaftung, 84 f. 1400 Siehe Wacker, Erbrechtsausschuß, 100 f. So betonte Karpe, in: 3. Denkschrift, 1, gleich zum Auftakt seiner Abhandlung, dass das Thema der Erbenhaftung „weitgehend auch von rechtstechnischen Erwägungen bestimmt werde“. Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 9, erwies zwar gleich zu Eingang der Begründung seines Entwurfs den Forderungen des Nationalsozialismus seine Reverenz, kam dann aber nicht mehr darauf zurück, siehe Enneper, Reform der Erbenhaftung, 212. 1401 Dazu Wacker, Erbrechtsausschuß, 54–56. Das eigenhändige Testament etwa betrachtete Heinrich Lange als „Hort der Pflichtwidrigkeit“, dazu Zimmermann, Testamentary Formalities, 193. 1402 Von einer „ideologischen Unzugänglichkeit“ der Thematik spricht Enneper, Reform der Erbenhaftung, 211 f., 215–217, 236 f., was aber zu weit gehen dürfte. Zweifelnd auch Wacker, Erbrechtsausschuß, 100 f., der insinuiert, die Mitglieder des Erbrechtsausschuss hätten die ideologische Dimension bewusst ausgeblendet. Julius Binder sollte denn die Denkschrift zur Erbenhaftung gerade auch aus diesem Grund kritisieren, dazu unten E.VI.3a) (550 f.). Unverständlich ist jedenfalls, wie Enneper, Reform der Erbenhaftung, 219, zu der Ansicht gelangt, dass „eine groß angelegte ideologisch inspirierte Reform“ der Erbenhaftung wegen deren geringer praktischer Bedeutung kaum zu rechtfertigen gewesen wäre. Es ist nicht anzunehmen, dass einem für nicht sonderlich relevant gehaltenen Thema zwei Gesetzesentwürfe und eine Denkschrift gewidmet worden wären. Beispielsweise bezeichnete Höver (ebenfalls Ausschussmitglied), DfG 1938, 4 die Frage der „Schuldenhaftung des Erben“ denn auch als „[e]ine der […] bedeutungsvollsten“ für das geltende und künftige Erbrecht. Nach Suchier, DfG 1936, 32 spielte das Thema der Nachlassabwicklung „besonders in ländlichen Verhältnissen eine bedeutende Rolle“. 1403 Zum Gebrauch eines liberalen Arguments in einem anderen Kontext Enneper, Reform der Erbenhaftung, 168. 1404 Dies sollte in der Tat Binder geltend machen, dazu unten E.VI.3a) (550 f.). Derselbe Standpunkt findet sich bei Soehngen, Referat, 777: „Die Rücksichtnahme auf den Erben, welcher die [gesetzliche] Inventarfrist versäumt, verträgt sich aber auch nicht mit den Pflichten des Einzelnen gegenüber der Allgemeinheit, sie entspringt den liberalistischen Anschauungen persönlicher, unbekümmerter Freiheit des Einzelnen, sie bevorzugt die Interessen des Einzelnen vor denen der 1397 Siehe
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Heinrich Lange den Grundsatz, dass die Nachlassgläubiger sich mit dem Nachlass zufrieden geben müssen, als Ausdruck des „Pflichtgedankens“ bezeichnete,1405 so lag darin lediglich die ideologische Überhöhung einer zeitlosen Forderung elementarer Gerechtigkeit. Fest steht überdies, dass der Erbrechtsausschuss stets auch ausländische Rechtsordnungen in den Blick nahm1406 und die unterbreiteten Reformvorschläge an historische Vorbilder anknüpften, nicht zuletzt an die gemeinrechtliche Tradition der Inventarerrichtung1407 und an die germanische Tradition der von vornherein gegenständlich beschränkten Haftung.1408 Hierin liegt ein weiterer Beleg der Tatsache, dass die vorgeschlagenen Reformen der Erbenhaftung letztlich keinen spezifisch ideologischen Charakter hatten.1409
Ein weiteres Argument Langes gegen den Breslauer Entwurf lautete, dass die „papierene Separation“ ohnehin keinen wirksamen Schutz gegen den unredlichen Erben bieten könne.1410 Gleichzeitig wies er die im Erbrechtsausschuss vorgebrachte Kritik an einer Gleichwertigkeit von „rechtlicher“ und „papierener“ Vermögenssonderung zurück. Denn da Nachlassverwalter und Nachlasskonkursverwalter den Nachlass aus den Händen des Erben erhielten, seien sie ebenfalls auf dessen wahrheitsgemäße Auskunft angewiesen. Ohne „buchmäßige“ sei deshalb weder eine rechtliche noch eine tatsächliche Absonderung durchführbar.1411 Wurde also grundsätzlich dem Siberschen Entwurf knapp der Vorzug eingeräumt, verständigte sich der Erbrechtsausschuss zugleich auf einzelne Maßnahmen zu seiner Vervollkommnung. So sollte der Anreiz zur (freiwilligen) Inventarerrichtung insbesondere dadurch erhöht werden, dass der Erbe, der ein solches Verzeichnis vorweisen kann, sich gegen eine Vollstreckung in sein Eigenvermögen schon mit einer Erinnerung nach § 766 ZPO zur Wehr setzen kann und damit nicht den teu-
Allgemeinheit. […] Gerade aus dem nationalsozialistischen Gedanken heraus ist die gesetzliche Inventarpflicht gerechtfertigt und begründet, ihre Verletzung als Vernachlässigung der Pflichten gegen die Allgemeinheit wird mit der unbeschränkten Erbenhaftung gerecht bestraft.“ Es zeigt sich hier am Beispiel der Erbenhaftung was Hütte, Gemeinschaftsgedanke, 272–294, für den allerorts zur Begründung angeführten Begriff des „Gemeinschaftsgedankens“ dargelegt hat, dass dieser nämlich äußerst schillernd, vielschichtig und sogar in sich widersprüchlich war und somit die maßgeblichen Interessenkonflikte nicht auflöste, sondern lediglich verschleierte. 1405 Lange, DR 1942, 1713 f. Die „Betonung des Pflichtgedankes“ war nach Lange, ebd., 1713, der „Grundgedanke der Erbrechtserneuerung“, doch handelte es sich nach dem Befund von Wacker, Erbrechtsauschuß, 121 f. hierbei um kaum mehr als ein rhetorisches Überbleibsel des „rauschartigen Anfangs“. 1406 Lange, DR 1942, 1714. Differenzierend Enneper, Reform der Erbenhaftung, 233 f. 1407 Dazu Enneper, Reform der Erbenhaftung, 220–226. Die generelle Anfeindung des römischen Rechts im Nationalsozialismus hinterließ also jedenfalls beim Thema der Erbenhaftung keine Spuren. Vgl. auch ebd., 229–232; Wacker, Erbrechtsauschuß, 139 f. 1408 Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 16, 73, wobei ders., Referat, 764 betonte, sich „nicht aus einer germanischen Passion“ für die gegenständlich beschränkte Haftung entschieden zu haben; Höver, DfG 1938, 6. Zu Bezugnahmen auf altsächsisches Recht siehe Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 20 f.; Enneper, Reform der Erbenhaftung, 225 f. 1409 Siehe auch Schubert, Einleitung, in: Schubert/Schmid/Regge (Hg.), Akademie für Deutsches Recht, 1933–1945, Protokolle der Ausschüsse III/8, XXXVIII. 1410 Lange, in: 3. Denkschrift, 223. 1411 Lange, in: 3. Denkschrift, 220–224.
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ren und aufwändigen Weg einer Vollstreckungsgegen- oder Drittwiderspruchs klage gehen muss.1412 3. Reaktionen im Schrifttum a) Die Kritik Binders Sehr kritisch wurden die in der Denkschrift zur Erbenhaftung zusammengefassten Ergebnisse von Julius Binder kommentiert, der dabei zum Teil an seine frühere Auseinandersetzung mit Siber über die Deutung der BGB-Regelung anknüpfte, zugleich aber auch Bedenken ganz grundsätzlicher Art formulierte. So nahm Binder zunächst Anstoß an der vom Erbrechtsausschuss nicht weiter begründeten Behauptung, dass die gegenständlich beschränkte Haftung dem „Gerechtigkeitsgedanken“ entspreche. Unter Bezugnahme auf das vorjustinianische Recht stellte er die Gegenthese in den Raum, dass sich aus der Einheit der Familie und des Familiengutes, aus der Natur des Vermögens „als lebendiger Organismus“, gerade auch die unbeschränkte Haftung als das „Notwendige und Gerechte“ ergeben könne. Vor dem Beginn aller gesetzgeberischen Arbeit wäre deshalb die Frage zu stellen gewesen, „was denn in der Vorstellungswelt des germanischen Rechts Erbschaft und Erbe sein bedeutet hat und wie sich diese Begriffe von denen des römischen Rechts wesentlich unterschieden haben“.1413 Anschließend meldete Binder Zweifel an, ob die von Siber vorgeschlagene Lösung zu Recht als grundsätzlich beschränkte Haftung bezeichnet werden könne, wenn der Erbe am Ende doch das Inventar benötige, um in der Vollstreckung ggf. die Zugehörigkeit des gepfändeten Gegenstandes zum Eigenvermögen nachzuweisen.1414 Entgegen dem von Binder erweckten Eindruck war jedoch klar, dass nach Sibers Lösung der Nachweis auch ohne Inventar geführt werden konnte und den Erben lediglich die Beweislast traf.1415 Der Verdacht, dass Binder die Denkschrift nur sehr flüchtig gelesen hatte (und Sibers Entwurf als solchen gar nicht), kommt auch an anderen Stellen auf,1416 so etwa wenn Binder dem Erbrechtsausschuss vorwarf, dass seine Beurteilung der BGB-Regelung „höchst positiv“ ausgefallen sei,
1412 Lange, in: 3. Denkschrift, 190 f.; ders., DR 1942, 1719; Enneper, Reform der Erbenhaftung, 195 f. (darauf hinweisend, dass Siber selbst diese Lösung in den Diskussionen abgelehnt hatte, siehe Protokoll der Sitzung des Erbrechtsausschusses vom 10.12.1937, in: Schubert/Schmid/Regge (Hg.), Akademie für Deutsches Recht, 1933–1945, Protokolle der Ausschüsse III/8, 376, 395). Ein weiterer Vorschlag bestand darin, den Erben, der kein Inventar errichtet hat, mit den Kosten einer Klage aus § 785 ZPO zu belasten, wenn der Gläubiger sofort anerkennt, siehe Lange, in: 3. Denkschrift, 191. Schließlich einigte sich der Erbrechtsausschuß darauf, in Anlehnung an § 781 Abs. 2 ZPO-Breslauer Entwurf zu verlangen, dass immer zuerst in den Nachlass vollstreckt werden muss, siehe ebd., 184; Enneper, Reform der Erbenhaftung, 188 f. 1413 Binder, DR 1939, 567. 1414 Binder, DR 1939, 568. 1415 Siehe Karpe, in: 3. Denkschrift, 55 (Binder, DR 1939, 568 schreibt die dortigen Aussagen zu Unrecht Siber zu, es geht aber um dessen Entwurf ). 1416 Siehe auch schon die Falschzuweisung eines Zitats (vorige Fn.).
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oder behauptete, der Ausschuss habe Sibers Vorschlag nicht angenommen, sondern seinem Reformvorschlag den Standpunkt des BGB zugrunde gelegt.1417 Hatte Binder im Übrigen Sympathie für Sibers Idee, die Haftungsbeschränkung nicht an die Inventarerrichtung zu knüpfen,1418 warf er dennoch sowohl Siber als auch dem Erbrechtsauschuss vor, die Rolle des Inventars als Vorbereitung der Nachlassverwaltung verkannt zu haben.1419 Wie oben gesehen,1420 hatte aber jedenfalls Heinrich Lange diesen Punkt durchaus erwähnt. Sucht man nach einer Erklärung für Binders ungerechte Würdigung, kommt neben einem Wunsch, alte Rechnungen zu begleichen, auch die im letzten Absatz seines Textes zum Ausdruck kommende Enttäuschung über das Fehlen der gebotenen ideologischen Einstellung in Betracht: „Die Denkschrift sowohl wie der Vorschlag Sibers scheinen mir zu sehr in der Vorstellungswelt befangen zu sein, die, bedingt durch den rechtsgeschichtlichen Zusammenhang, das rechtswissenschaftliche Denken der Zeit vor der nationalsozialistischen Revolution erfüllte, und der Idee, ein der neuen Zeit mit ihrer veränderten Auffassung von der Stellung des einzelnen Rechtsgenossen in der Rechtsgemeinschaft und vom Verhältnis des Richters und d. h. des Staates zu eben diesem Rechtsgenossen fremd gegenüberzustehen.“1421
Binder skizzierte anschließend, wie seiner Auffassung nach ein dem „Gemeinschaftsgedanken“ verpflichtetes Recht der Erbenhaftung auszusehen hatte.1422 Anders als der Erbrechtsausschuss war er gerade nicht um den Schutz des Erben besorgt, sondern betonte, dass die Gläubiger – „und mittelbar natürlich auch die Volksgemeinschaft und der Staat“ – ein „sehr berechtigtes Interesse an der richtigen Abwickelung der Erbschaftsliquidation haben“.1423 Zur Wahrung dieses Interesses wollte Binder die Nachlassabwicklung in deutlich stärkerem Maße als bislang der gerichtlichen Aufsicht unterwerfen.1424 Ein derartiges Modell wäre indessen natürlich nichts Neues gewesen, sondern hätte im Wesentlichen die Rückkehr zur „Offizialregulirung“1425 bedeutet, wie sie sich insbesondere in Österreich und anderen früheren Partikularrechten fand, jedenfalls in Ansätzen aber auch in England. Binders Berufung auf den „Gemeinschaftsgedanken“ entpuppt sich vor diesem Hintergund als leere Rhetorik. 1417 Binder, DR 1939, 567 verweist hier auf das Vorwort der Denkschrift, wo von den genannten Aussagen aber keine Rede ist. 1418 Er ging sogar noch weiter, indem er den Verlust der Haftungsbeschränkung durch Verwirkung infrage stellte, Binder, DR 1939, 568. Ähnliche Vorschläge waren auch früher schon geäußert worden, ablehnend Karpe, in: 3. Denkschrift, 57. 1419 Binder, DR 1939, 568 f. 1420 Siehe Fn. 1411. 1421 Binder, DR 1939, 569 (Hervorhebung im Original). 1422 Binder konnte hierbei an seine schon zu Weimarer Zeiten entworfene Rechtsphilosophie anknüpfen, die von einer Unterordnung des Privatrechts unter die Gemeinschaftsinteressen ausging, siehe Haferkamp, AcP 214 (2014), 69. 1423 Binder, DR 1939, 569. Eine ähnliche Betonung der Allgemeininteressen findet sich bei Soehngen, siehe oben Fn. 1404. 1424 Binder, DR 1939, 569. 1425 Dazu oben E.III.1d) (464 ff.).
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§ 6 Die Vervollkommnung der gesonderten Abwicklung
b) Das Schrifttum nach dem Zweiten Weltkrieg Breite Zustimmung fanden die Arbeiten des Erbrechtsausschusses dagegen in späteren Jahrzehnten, wobei allerdings überwiegend nur die Grundtendenz gewürdigt und weniger auf die Details eingegangen wurde.1426 Wohl die Mehrheit der Autoren hat sich für die Inventarerrichtung als Voraussetzung der Haftungsbeschränkung ausgesprochen und damit zumindest implizit dem Breslauer Entwurf den Vorzug eingeräumt.1427 Zwecks Erzielung von Synergien ist dabei auch vorgeschlagen worden, das dem Nachlassgericht bislang schon zu Zwecken der Gebührenberechnung einzureichende Nachlassverzeichnis zur Grundlage der Haftungsbeschränkung zu machen, wobei die im Nachlassverzeichnis enthaltenen Wertangaben, mit Ausnahme derjenigen zu Konten und Sparguthaben, für die Haftungsbeschränkung allerdings keine Rolle spielen sollen.1428 Zustimmung hat schließlich auch der Vorschlag gefunden, den Vorbehalt der Haftungsbeschränkung von Amts wegen in das Urteil aufzunehmen.1429 Vereinzelt waren allerdings auch skeptische Stimmen zu vernehmen. So fand sich neben dem zutreffenden Hinweis, dass die Entwürfe keine wesentliche Vereinfachung des geltenden Regimes bedeutet hätten,1430 auch der Vorwurf, dass ihre Verfasser verkannt hätten, wenn auch in unterschiedlichem Maße, dass die Probleme des Erbrechts hauptsächlich zivilprozessualer und vollstreckungsrechtlicher Art seien.1431 Angesichts der Ausführlichkeit und Sachkunde, mit denen Fragen dieser Art sowohl in den beiden Entwürfen als auch im Erbrechtsausschuss erörtert wur1426 Siehe etwa Staudinger/Boehmer 11, § 1922 Rn. 251–253; Staudinger/Marotzke (2010), Vorbem zu §§ 1967–2017, Rn. 49–51 (= Staudinger/Kunz (2020), Vorbem zu §§ 1967 ff Rn. 215–220); Soergel/Stein, Vor § 1967 Rn. 38; Mayer, Referat, L 123 f. Siehe schließlich Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1190 f., deren Darstellung natürlich keine neutrale ist. 1427 Dezidiert etwa Staudinger/Boehmer 11, § 1922 Rn. 248 (siehe zu Boehmers Ansicht auch schon oben E.VI.1b) (537 ff.)); ebenso Mayer, Referat, L 123 f., L 147, der sich freilich irrig auf Siber beruft. Ohne ausdrückliche Bezugnahme auf die Entwürfe, aber für die Möglichkeit der Haftungsbeschränkung durch Inventarerrichtung auch Muscheler, in: FS Kroeschell, 739. Leichte Präferenz für Siber hingegen bei Staudinger/Marotzke (2010), Vorbem zu §§ 1967–2017, Rn. 51 (= Staudinger/Kunz (2020), Vorbem zu §§ 1967 ff Rn. 220), der freilich zu Unrecht suggeriert, dass der Breslauer Entwurf die Haftungsbeschränkung nur bei Auslieferung an einen Fremdverwalter erlaubt habe. Auf dem 68. Deutschen Juristentag 2010 in Berlin fand die Empfehlung, die Haftungsbeschränkung kraft Gesetzes eintreten zu lassen, eine klare Mehrheit, während zugleich die Empfehlung einer generellen Pflicht zur Inventarerrichtung deutlich abgelehnt wurde (Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hg.), Verhandlungen des 68. Deutschen Juristentages. Berlin 2010, Bd. II/1, L 154 (Beschlüsse Nr. 23 und 24)). 1428 Mayer, Referat, L 124. 1429 Siehe etwa Roth, Einrede, 75 f. 1430 Schubert, FamRZ 1992, 762. 1431 So Enneper, Reform der Erbenhaftung, 239. Richtig ist allerdings, dass der Ausschuss sich selbst bewusst war, die vollstreckungsrechtliche Dimension nicht vollständig durchdrungen zu haben. So ist im Protokoll der Sitzung v. 9.12.1937, in: Schubert/Schmid/Regge (Hg.), Akademie für Deutsches Recht, 1933–1945, Protokolle der Ausschüsse III/8, 335, 370, zu lesen: „Die Frage des Vorsitzenden, wie in den Auslandsrechten die Vollstreckungsfrage behandelt werde, beantwortet Siber dahin: Das wissen wir nicht einmal für das Inlandsrecht, geschweige denn für die
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den, ist diese Kritik jedoch kaum gerechtfertigt.1432 Abzulehnen ist zudem die Implikation, dass die sachgerechte Regelung der Nachlassabwicklung auf materiellrechtlicher Ebene kein größeres Problem darstelle. Nicht geteilt werden kann schließlich auch die Auffassung, jedenfalls soweit es um das Thema der Nachlass abwicklung geht, dass der Erbrechtsausschuss keinen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung des Zivilrechts geleistet habe.1433 Denn sowohl die beiden Entwurfsbegründungen als auch der ausführliche Diskussionsbericht des Erbrechtsausschusses sind eine wahre Fundgrube für historische und vergleichende Einsichten, ebenso für neuartige Lösungsansätze.1434 Missverstanden wurden die Reformvorschläge schließlich dort, wo die Erleichterung der Haftungsbeschränkung mit einer Aufgabe des Grundsatzes der insolvenzmäßigen Befriedigung gleichgesetzt wurde.1435 Denn auf eine Beseitigung des Nachlasskonkurses, dessen Eröffnung dem Erben im Fall der Überschuldung weiterhin zur Pflicht gemacht war,1436 zielten die Entwürfe gar nicht ab.1437 Ist die Haftung anfänglich beschränkt oder durch Inventarerrichtung beschränkbar, nimmt dies zwar dem Erben den Druck zur Einleitung des Verfahrens und schiebt die Initiative zum Tätigwerden den Gläubigern zu.1438 Von der Pflicht zur insolvenzmäßigen Befriedigung wäre der Erbe, der den überschuldeten Nachlass einstweilen selbst abwickelt, aber gerade nicht entbunden. 4. Neuere Reformvorschläge a) Der Vorschlag Ehrenkönigs Zwar keinen ausformulierten Gesetzesentwurf, aber einen in Grundzügen beschriebenen „Vorschlag zur Neuregelung“ der Erbenhaftung legte 1991 Ernst-Michael Ehrenkönig in seiner Dissertation vor. Der Autor plädiert für ein Modell der stets gegenständlich beschränkten Haftung, in dem staatlichen Behörden eine zentrale Rolle zukommt. So soll zwecks Sichtung des Nachlasses nicht nur in jedem Fall von Amts wegen ein Gläubigeraufgebot durchgeführt werden,1439 auch soll die Auslandsrechte.“ Der vom Kaiser-Wilhelm-Institut entsandte Ernst v. Caemmerer meldete sich offenbar erst gar nicht zu Wort. 1432 Etwas anderes mag für das harsche Urteil gelten, „daß der gesamte zivilprozessuale Teil des Siberschen Entwurfes unpraktikabel war und als mißlungen zu beurteilen ist“ (Enneper, Reform der Erbenhaftung, 238). 1433 So Wacker, Erbrechtsausschuß, 143. 1434 Den generellen Beitrag der Akademie für Deutsches Recht zur Entwicklung des deutschen Zivilrechts heben auch Schubert, Einleitung, in: Schubert/Schmid/Regge (Hg.), Akademie für Deutsches Recht, 1933–1945, Protokolle der Ausschüsse III/1, 33, und insbesondere Haferkamp, AcP 214 (2014), 72 f. hervor. 1435 Auf dieser Vorstellung beruhen indessen die Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 71 f., formulierten Bedenken. 1436 Siehe § 1975 Abs. 1 BGB-Entwurf Siber; § 1974 BGB-Breslauer Entwurf. 1437 Siehe auch Marotzke, AcP 199 (1999), 626. 1438 Marotzke, AcP 199 (1999), 626. 1439 Ehrenkönig, Erbenhaftung, 100–106; in dieselbe Richtung Kunz, ErbR 2020, 320.
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§ 6 Die Vervollkommnung der gesonderten Abwicklung
Nachlassabwicklung im Ausgangspunkt stets amtlich erfolgen und nur auf Antrag des Erben und auf Vorlage eines Inventars hin in seine Hände gelegt werden.1440 Schließlich will Ehrenkönig dem Erben zwar unmittelbar mit dem Erbfall die Inhaberschaft des Nachlasses geben, die Verfügungsbefugnis hingegen erst nach gerichtlicher Einweisung.1441 Den Versuch des Autors, nach skizzenhafter Darstellung vergangener und geltender Regime auf nicht einmal 100 Seiten ein neues Konzept der Erbenhaftung darzulegen, mag man als mutig und erfrischend oder als naiv und vermessen betrachten. Überzeugen kann Ehrenkönigs Vorschlag jedenfalls nicht,1442 auch wenn manche Einzelheit zumindest diskussionswürdig erscheint. Neben der oft wenig ausgereiften Argumentation ist vor allem zu bemängeln, dass Ehrenkönig sein eigenes Regelungsmodell letztlich nur unzureichend in Bezug zu bekannten Lösungen setzt. In der Folge bleibt nicht nur häufig unklar, warum der Vorschlag des Verfassers in der Gesamtbewertung einen Fortschritt bedeuten soll. Auch scheint Ehrenkönig nicht zu bemerken, dass seine Lösung in weiten Teilen auf eine Neuerfindung der zwingenden amtlichen Nachlassabwicklung hinausläuft, wie sie aus der Rechtsgeschichte nur allzu gut bekannt ist und sich in abgeschwächter Form heute beispielsweise noch in Österreich findet.1443 Dass die Einschaltung staatlicher Stellen in die Nachlassabwicklung eine Reihe von Vorteilen mit sich bringt, insbesondere die Vermeidung von Haftungsrisiken, wird niemand bestreiten. Doch stehen diesen Vorteilen eben auch empfindliche Nachteile in Form von Freiheitsbeschränkungen und Kosten gegenüber. Eine kritische Auseinandersetzung mit diesen Nachteilen seines Modells sucht man bei Ehrenkönig leider überwiegend vergebens. b) Der Vorschlag Ostholds Kurz vor Fertigstellung dieser Arbeit schließlich legte auch Konrad Osthold eine Dissertation vor, die sich eingehend mit dem geltenden Recht der Erbenhaftung befasst und detaillierte Vorschläge zu seiner Reform macht (von einem ausformulierten Regelungsvorschlag allerdings ebenfalls bewusst absieht).1444 Die Arbeit hebt sich in puncto Gründlichkeit und Argumentationstiefe deutlich von der Ehrenkönigs ab und verdient daher nähere Aufmerksamkeit. Zu trennen ist dabei zwischen dem Regelungsvorschlag (1) und dessen theoretischer Fundierung (2).
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Ehrenkönig, Erbenhaftung, 107–118. Ehrenkönig, Erbenhaftung, 149–155. 1442 So auch das Urteil von Staudinger/Marotzke (2010), Vorbem zu §§ 1967–2017, Rn. 51, allerdings ohne Begründung; knapp ablehnend auch Osthold, Erben und Haftung, 155 f. Freundlichere Würdigung bei Schubert, FamRZ 1992, 762. 1443 Siehe oben § 1 E.I.2a) (34 ff.). 1444 Osthold, Erben und Haftung. Knappe, grundsätzlich positive Besprechung bei Kunz, ErbR 2020, 595–596. 1441
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(1) Das Regelungsmodell Obwohl Osthold den Siberschen Entwurf recht apodiktisch für unzureichend erklärt,1445 bewegt sein eigener Vorschlag sich strukturell in denselben Bahnen.1446 So will auch Osthold den Erben von Anfang an gegenständlich beschränkt haften lassen, ihn im Gegenzug aber einer anfänglichen Verwalterhaftung unterwerfen.1447 Nach der hier verwendeten Terminolgie plädiert Osthold also wie Siber für ein Modell der staatsfernen gesonderten Eigenabwicklung, die nicht einmal die Inventarerrichtung zur Voraussetzung hat. Versäumt der Erbe allerdings die ihm auf Antrag der Nachlassgläubiger gerichtlich gesetzte Frist zur Inventarerrichtung, soll er wie bei Siber seine Haftungsbeschränkung verwirken. Was die Reihenfolge angeht, in der die Nachlassgläubiger zu befriedigen sind, angeht, soll es bei der Wertung des § 1979 BGB bleiben, d. h. bei Anzeichen einer Überschuldung hat der Erbe Nachforschungen anzustellen und ggf. die Nachlassinsolvenz zu beantragen.1448 Anerzukennen ist gleichwohl, dass Osthold in wichtigen Punkten auch eigene Wege geht. So soll der Nachlass nicht schon anfänglich gegen die Zugriffe der Eigengläubiger geschützt sein, sondern zunächst nur eine halbseitige Verselbständigung erfahren – was eine Verallgemeinerung der geltenden Rechtslage bei § 1990 BGB1449 oder, bei historischer Betrachtung, eine Rückkehr zum justinianischen beneficium inventarii1450 bedeuten würde.1451 Zur vollständigen Trennung der Vermögensmassen würde erst die von den Nachlassgläubigern beantragte Nachlassverwaltung führen, die Osthold mit dem Institut der Nachlasspflegschaft verschmelzen möchte.1452 Die deutlichste Abkehr vom Siberschen Modell findet sich bei der Verwalterhaftung des Erben: Während Siber den Erben dem gewöhnlichen Sorgfaltsmaßstab unterwerfen und grobe Verfehlungen sogar mit dem Verlust der Haftungsbeschränkung ahnden wollte,1453 plädiert Osthold dafür, vom Erben so lange, wie er von der Zulänglichkeit des Nachlasses ausgehen darf, nur die diligentia quam in suis einzufordern.1454 Charakteristisches Merkmal von Ostholds Konzept ist somit die Abwicklerfreundlichkeit auf Kosten des Gläubigerschutzes, den Osthold im geltenden Recht für übertrieben hält.1455 Es ist hier nicht der Ort für eine umfassende Würdigung von Ostholds Konzept, das in sich schlüssig und ausführlich begründet ist. Ob dem Erben sein Leben als 1445
Osthold, Erben und Haftung, 155. Osthold, Erben und Haftung, 155–230. 1447 Zum Regelungsvorschlag von Siber eingehend oben E.VI.2b) (539 ff.). 1448 Osthold, Erben und Haftung, 193 f. 1449 Osthold, Erben und Haftung, 214. 1450 Dazu § 4 A.VII.9b) (271 ff.). 1451 Zur Haftungslage bei § 1990 BGB oben E.IV.3b)(6) (503 ff.). 1452 Osthold, Erben und Haftung, 210 f. Siber hingegen wollte Nachlassgläubigern auch die Individualabsonderung gestatten, siehe oben E.VI.2b)(3) (544). 1453 Siehe oben E.VI.2b)(1) (539 ff.). 1454 Osthold, Erben und Haftung, 177 f., 213; in diese Richtung auch Gramlich, Das rückwirkend fingierte Verschulden, 146 f. 1455 Osthold, Erben und Haftung, 165. 1446 Eingehend
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Abwickler wirklich so leicht gemacht würde, wie Osthold hofft, scheint freilich nicht ausgemacht, da der Erbe immer mit dem Vorwurf rechnen müsste, vor der Unzulänglichkeit des Nachlasses die Augen verschlossen und nicht die gebotenen Maßnahmen ergriffen zu haben. Der Unterschied zu der vom Verfasser stark kritisierten Abzugseinrede des Ersten Entwurfs1456 wäre damit im Ergebnis gar nicht so groß; denn so weit, dem Erben generell die Erleichterungen des § 1991 Abs. 3 und 4 BGB1457 zu gewähren, will aus nachvollziehbaren Gründen auch Osthold nicht gehen. Ganz abgesehen davon stellt sich natürlich die Frage, ob man die von Osthold befürwortete bewusste Zurücksetzung von Gläubigerinteressen für sachgerecht hält. Der Hinweis auf die Haftungsprivilegierungen von Erbschaftsbesitzer und Vorerbe ist jedenfalls nicht ausreichend, da die Interessenlage in diesen Fällen eine andere ist.1458 Noch weniger verfangen kann das Argument, „eine zu scharfe und lange Verwalterhaftung des Erben“ sei „nicht mit dem Prinzip der Universalsukzession zu vereinbaren“, dessen „Verwässerung“ den Schutz von Gläubigerinteressen nicht wert sei.1459 Denn abgesehen davon, dass der Begriff der Universalsukzession hier – wie so häufig – ohne Not normativ aufgeladen wird,1460 läuft das genannte Argument darauf hinaus, den Vorgang der Gesamtnachfolge zum Selbstzweck zu stilisieren.1461 Ungeachtet der Bewertung von Ostholds Vorschlag würde der von ihm fast komplett ausgesparte Vergleich mit anderen geltenden Rechten durchaus interessante Parallelen offenbaren. So liegt in der betonten Abwicklerfreundlichkeit auf Kosten der Nachlassgläubiger eine Gemeinsamkeit mit dem französischen Recht,1462 während der Ausgangspunkt der gesonderten Abwicklung eine strukturelle Nähe zum englischen Recht bildet. Zumindest letztgenannter Befund würde den Autor vermutlich überraschen, spricht er selbst vom englischen Recht doch als einem „dritten Modell“, bei dem keine Gesamtrechtsnachfolge stattfinde und das deshalb „die Grenze des durch das Grundgesetz zugelassenen Rahmens“ wohl überschreiten würde.1463 Indessen unterliegt Osthold – wie viele andere vor ihm – dem Irrtum, dass das englische Recht stets eine gerichtsnahe Fremdabwicklung verlange.1464
1456
Osthold, Erben und Haftung, 193. Dazu oben E.IV.3b)(5) (502 ff.). 1458 Dazu unten § 7 Fn. 421 f. 1459 Osthold, Erben und Haftung, 59. 1460 Dazu oben § 4 C.II.4 (212 ff.). 1461 Siehe die zutreffende Beobachtung von Muscheler, Erbrecht I, Rn. 931, dass sich in der Diskussion um das Prinzip der Universalsukzession „häufig Mystifikationen beobachten lassen, die in der Sache auf nichts anderes hinauslaufen als auf eben eine solche Legitimierung des Prinzips durch sich selbst“. Siehe im Kontext von dinglich wirkenden Einzelzuwendungen ferner die Kritik von J. P. Schmidt, RabelsZ 84 (2020), 198. 1462 Dazu ausführlich oben C.II.1a)(3) (389 f.), C.IV. (434). 1463 Osthold, Erben und Haftung, 160 f. Zur vermeintlichen Funktionsweise des englischen und skandinavischen Rechts auch ebd., 144. 1464 Siehe oben § 1 E.I.1a) (27 ff.), 2a)(2) (35 ff.). 1457
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(2) Die theoretische Fundierung Kritikwürdig ist in jedem Fall Ostholds theoretische Fundierung seines Vorschlags, deren wichtigste Säule die Unterscheidung verschiedener „Rechtsnachfolgemodelle“ ist.1465 Osthold versteht unter Rechtsnachfolge- oder Sukzessionsmodellen „die Vorstellungen über den Erbgang […], welche der Ausgestaltung des Erbfalls bzgl. seiner Modi sowie rechtlichen Wirkungen zugrunde liegen. Sie können insofern als eine Art außergesetzliches, vorrechtliches Fundament verstanden werden, aus dem sich die Grundstruktur eines Haftungssystems und entsprechende Rechtsgrundsätze ableiten lassen.“1466 Osthold knüpft damit unbewusst1467 an die alte Dichotomie von „Persönlichkeitsfortsetzung“ und „Vermögensnachfolge“ an, welche die Nachlassabwicklung metaphysisch aufzuladen sucht und oben bereits als unfruchtbar und analytisch inkohärent verworfen wurde.1468 Ostholds Ausführungen illustrieren die Unhaltbarkeit dieses Ansatzes einmal mehr.1469 So soll beispielsweise ein zentrales Merkmal des „derivativ-absoluten Nachfolgemodells“ des gemeinen Rechts darin bestehen, dass „der Erbe in die Rechtsstellung des Erblassers eintritt bzw. dessen Rechte und Pflichten als neues Rechtssubjekt innehat“.1470 Doch wäre dieser Satz nicht weniger richtig für das „originär-fiduziarische Nachfolgemodell“ des preußischen ALR.1471 Denn dass der Nachlass hier im Grundsatz als Sondervermögen fortbesteht, ändert nichts an der Rechtsträgerschaft des Erben. Worauf Osthold letztlich hinaus will, ist die schlichte Unterscheidung zwischen einer Verschmelzung des Nachlasses mit dem Erbenvermögen und seinem Fortbestand als Sondervermögen (was nach dem hier verfolgten Ansatz der Unterscheidung zwischen integrierter und gesonderter Nachlassabwicklung entspricht). Doch weil Osthold dieselben zwei Fehler macht wie die herkömmliche Rechtsvergleichung, misslingt seine Herausarbeitung der Unterschiede zwischen gemeinem 1465
Siehe insbesondere Osthold, Erben und Haftung, 87–126. Osthold, Erben und Haftung, 88. 1467 Der Verfasser selbst hält seine Kategorisierung für innovativ, siehe Osthold, Erben und Haftung, 88. 1468 Siehe oben § 4 C.II.1b) (302 ff.). 1469 Dass manche Aussagen des Verfassers sich als Tautologien entpuppen, ist dabei gar nicht entscheidend. So heißt es etwa, dass „die vollständige Verschmelzung von Erbenvermögen und Nachlass“ ebenso im „derivativ-absoluten Nachfolgemodell“ angelegt sei „wie die unbeschränkte Haftung des Erben“ (Osthold, Erben und Haftung, 88; siehe auch 125, 159). Doch ist die unbeschränkte Haftung nicht Folge, sondern Kennzeichen einer vollständigen Verschmelzung (dazu oben § 1 Text nach Fn. 9, G.II.2b) (90 ff.); § 4 A.II.1. (243 ff.)); wie sollte eine Haftungsbeschränkung auch konstruiert werden, wenn der Nachlass rechtlich nicht mehr existent ist? Die selbe Tautologie findet sich in umgekehrter Richtung: Wo eine Verschmelzung nicht eintritt, ist es nach Osthold „naheliegend“, die Haftung auf den Nachlass zu begrenzen (159; siehe auch 125). Aber könnte man ohne Haftungsbeschränkung überhaupt von separaten Vermögensmassen sprechen? 1470 Osthold, Erben und Haftung, 88. 1471 Dies erkennt auch Osthold, Erben und Haftung, 107, 109, der allerdings nur lapidar erklärt, dass insofern eben „auch ein Sukzessionsmodell“ vorliege. 1466
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Recht und preußischem ALR. Der erste Fehler besteht darin, anstelle des Nachlasses die Figur des Erben zum maßgeblichen Bezugspunkt zu machen.1472 Der zweite Fehler besteht in dem Versuch, gemeines Recht und preußisches ALR jeweils auf einen Abwicklungsmodus zu reduzieren, anstatt zu erkennen, dass beide dem Optionsmodell folgen und lediglich unterschiedliche Leitbilder etablierten.1473 Das gemeine Recht beruht auf dem Leitbild der intergrierten Abwicklung, kennt aber auch die gesonderte. Das preußische ALR beruht auf dem Leitbild der gesonderten Abwicklung, kennt aber auch die integrierte.1474 Auch Osthold verschließt sich nicht der Tatsache, dass im gemeinen Recht die Inventarerrichtung „das Wiederaufleben des Nachlasses als Sondervermögen zur Folge“ hat.1475 Doch sieht er sich zwecks Aufrechterhaltung seiner Dichotomie gezwungen, den Vorgang als „Abweichung“ bzw. „Abschwächung“ des zugrunde liegenden Sukzessionsmodells zu charakterisieren,1476 anstatt von einem Wechsel in einen anderen Abwicklungsmodus zu sprechen. Dass umgekehrt im preußischen Recht die vorbehaltlose Erbschaftsannahme zu einer confusio bonorum führte, wird zwar ebenfalls erkannt,1477 jedoch erneut nicht als Widerspruch zur eigenen Taxonomie empfunden.1478 Natürlich ist es zulässig, die unterschiedlichen Leitbilder der Nachlassabwicklung auch mit unterschiedlichen außerrechtlichen Vorstellungen über den Erbgang zu erklären, und Gleiches gilt für die jeweils andere Ausgestaltung der gesonderten Abwicklung im gemeinem und im preußischem Recht (im ersten Fall erbenorientiert, im zweiten Fall gläubigerorientiert1479). Doch ist die Vorstellung verfehlt, dass sich sämtliche Details der Nachlassabwicklung aus einer spezifischen Vorstellung über das „Wesen“ des Erbgeschehens1480 deduzieren ließen. Offenkundig übersteigert ist der Ansatz des Verfassers dort, wo das zugrunde liegende „Sukzessionsmodell“ sogar den Modus zum Erwerb der Erbschaft erklären soll1481 und die Nachlassabwicklung im preußischen ALR mit der Familienbindung des Eigentums in Zusammenhang gebracht wird (106–109).1482 Folgt man dieser Logik, hätte es beispielsweise im altrömischen Recht keine confusio bonorum geben dürfen.
Ins Leere geht denn auch Ostholds Vorwurf, die Verfasser des BGB hätten kein klares „Sukzessionsmodell“ vor Augen gehabt, sondern stattdessen Elemente des 1472
Dazu oben § 1 E.III. (63 ff.). allgemein oben § 1 E.II.6b) (62 f.), im Kontext des französischen Rechts unten § 7 B.VI.2. (602 f.). 1474 Dazu unten § 7 A.II. (575 ff.). 1475 Osthold, Erben und Haftung, 94. 1476 Osthold, Erben und Haftung, 94. 1477 Osthold, Erben und Haftung, 111. 1478 Stattdessen heißt es nur knapp: „Die Situation entsprach damit dem Gemeinen und auch dem heutigen Recht“ (Osthold, Erben und Haftung, 111). 1479 Für das justinianische Recht als Grundlage des gemeinen Rechts siehe oben § 4 A.VII. (262 ff.); für das preußische Recht siehe in diesem Kapitel oben D.I. (435 ff.). 1480 Vgl. Osthold, Erben und Haftung, 156: „[…] grundlegende Überlegungen zu Ursprung und Wesen des Übergangs erblasserischer Verbindlichkeiten auf den Erben […]“. 1481 Osthold, Erben und Haftung, 91 f., 108, 112. 1482 Osthold, Erben und Haftung, 106–109, 112. 1473 Dazu
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gemeinen Rechts und des preußischen Rechts in unsachgemäßer Weise miteinander vermischt.1483 Nicht nur wird hierbei erneut die Tatsache überspielt, dass beide historischen Modelle ihrerseits Mischcharakter aufwiesen1484 und sich eher graduell als kategorisch voneinander unterschieden. Auch ist es abwegig, diese Modelle zu Idealtypen zu stilisieren und von einem Gesetzgeber zu erwarten, dass er sich für eines von ihnen entscheidet. Aus Sicht Gottfried von Schmitts waren eben sowohl das gemeinrechtliche als auch das preußische Modell der Nachlassabwicklung defizitär; Ersteres wegen seines unzureichenden Gläubigerschutzes, Zweiteres wegen seiner Schwerfälligkeit.1485 Sein Versuch, einen gelungenen Kompromiss mittels Neuanordnung der vorhandenen Regelungsbausteine zu finden, mag man für gescheitert halten (ebenso wie die Modifizierungen seines Konzepts durch die Zweite Kommission); doch kann das bewusste Hinausgehen über die etablierten historischen Modelle nicht per se als Irrweg qualifiziert werden.1486
VII. Abschließende Würdigung Das deutsche Recht der Nachlassabwicklung ist durch einen merkwürdigen Kon trast gekennzeichnet. Während die Materie auf der Ebene der Gesetzgebung und der Wissenschaft eine Beachtung und Ausdifferenzierung erfahren hat, die weltweit ihresgleichen sucht, lebt die Rechtspraxis eine Rückkehr zum Entwicklungsstand des vorjustinianischen Rechts: Der Erbe muss sich nach der Devise „ausschlagen oder wagen“1487 entweder von der Erbschaft lossagen oder unbeschränkt haften, wobei ihm, anders als in Rom, dank der großzügigen Handhabung der Anfechtungsvorschriften stets eine Art restitutio in integrum zur Verfügung steht.1488 Trotz des gewaltigen Ausmaßes an geistigen Ressourcen, die seit dem 19. Jahrhundert auf das Thema der Nachlassabwicklung verwendet worden sind, ist es somit für das deutsche Recht immer noch nicht befriedigend gelöst.1489 Denn wie gezeigt,1490 weist das vorjustinianische Modell ungeachtet seines Charmes der Einfachheit ein zentrales praktische Defizit auf: Das Risiko einer Haftung mit dem eigenen Vermögen unterminiert das Ziel einer schnellen und möglichst „geräu1483
Siehe z. B. Osthold, Erben und Haftung, 139, 140, 146, 151, 153 f., 233. Dass überdies das preußische ALR gerade vom gemeinen Recht in erheblichem Maße beeinflusst worden war, entgeht dem Verfasser keineswegs, siehe z. B. Osthold. Erben und Haftung, 110, 111. 1485 Dazu oben E.III.1f) (467 ff.). 1486 Genau dies suggeriert aber Osthold, Erben und Haftung, wenn er beispielsweise konstatiert, dass sich das Inventarrecht des Ersten Entwurfs „weder auf das preußische noch auf das Nachfolgemodell des Gemeinen Rechts zurückführen“ lasse (130; ähnlich 149), dass die Abzugseinrede des Ersten Entwurfs „keinem bestimmten Nachfolgemodell klar zugeordnet werden“ könne (134), oder dass die Verfasser des BGB ein „künstlich-synthetisches Recht“ geschaffen hätten (127), „das nicht historisch gewachsen ist“ (154). 1487 Angelehnt an Bernhöft, Zur Reform des Erbrechts, 104. 1488 Zu der in Rom nur dem minor gewährten restitutio in integrum oben § 4 A.III.2. (252 ff.). 1489 Siehe bereits oben § 1 C. (15 ff.). 1490 Siehe oben § 4 A.VII.3. (264 ff.), § 6 A.I. (367 ff.). 1484
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schlosen“1491 Reintegration des Erblasservermögens in den Rechts- und Wirtschaftsverkehr. Wenn deutsche Autoren die Lösung des Problems lapidar in einer Rückkehr zur gemeinrechtlichen Haftungsbeschränkung unter Inventarerrichtung sehen,1492 machen sie es sich hierbei allerdings gleich in mehrfacher Hinsicht zu einfach. So wurde die implizite Annahme, dass die Inventarerrichtung den Erben nicht nennenswert belastet, zugleich aber ein wirksames Mittel zur Sicherung des Nachlassbestandes ist, schon im Erbrechtsausschuss der „Akademie für Deutsches Recht“ überzeugend infrage gestellt.1493 Generell scheint kein hinreichendes Bewusstsein dafür zu bestehen, dass die im Vergleich zu Zeiten Justinians deutlich gewandelten wirtschaftlichen Verhältnisse das Rechtsinstitut des Inventars in einem gänzlich anderen Licht erscheinen lassen,1494 indem es zu einer deutlichen Verschiebung von Kosten und Nutzen gekommen ist. So ist in Zeiten des materiellen Überflusses, in denen selbst Angehörige der ärmeren Bevölkerungsschichten eine erhebliche Zahl von Gegenständen in ihrem Leben anhäufen, die genaue Aufzeichnung eines Nachlasses mit viel größerem Aufwand verbunden als in dem durch allgemeine Güterknappheit geprägten vorindustriellen Zeitalter. Zugleich ist aber das Schutzbedürfnis der Nachlassgläubiger heutzutage viel geringer, da viele wichtige Vermögenswerte ohnehin in irgendeiner Weise registriert sind und sich damit im Streitfall klar dem Erblasser zuordnen lassen.1495 Dies gilt etwa für Immobilien, Bankkonten, Wertpapierdepots und Kraftfahrzeuge, von denen der Erbe kaum erfolgreich behaupten können wird, dass sie ihm schon vor dem Erbfall gehörten. Und soweit Nachlassgegenstände aufgrund ihrer Natur relativ leicht zu verheimlichen sind, wie es etwa bei Bargeld, Uhren, Schmuck oder Inhaberpapieren der Fall ist,1496 bietet die Inventarerrichtung gegen den unredlichen Erben ohnehin keinen Schutz.1497 Anders gesagt, ist die Verheimlichung von Schuldnervermögen ein allgemein-zivilrechtliches Problem, kein spezifisch erbrechtliches.1498 Wenn die Rechtsordnung mit der Sicherung des Nachlassbestands wirklich ernst machen wollte, müsste sie ihn sofort von Amts wegen in Beschlag nehmen (und würde selbst dann häufig zu spät kommen).1499 1491 Vgl.
Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3460. etwa Muscheler, in: FS Kroeschell, 739 f.; ders., Erbrecht II, Rn. 3540; Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 115. Auch Fischinger, Haftungsbeschränkung, 234 f., erweckt den Eindruck, es gehe bei einer möglichen Reform des BGB im Wesentlichen nur um die Frage, ob der Erbe immer schon anfänglich beschränkt haften soll, und thematisiert nicht die eigentlich entscheidende Frage, welchen Preis der Erbe dafür zu zahlen hätte. 1493 Siehe oben E.VI.2d) (546 ff.). 1494 Hierauf wies am Ende des 19. Jahrhunderts auch schon Bähr, Gegenentwurf, 420 f., hin, wenngleich mit anderer Stoßrichtung (erhöhter Schutzbedarf der Gläubiger). 1495 Siehe auch Osthold, ErbR 2016, 613 f.; ders., Erben und Haftung, 174. 1496 Nach Nöll, ZEV 2015, 612, kommen diese Gegenstände in der ersten Phase nach dem Tod ihres bisherigen Eigentümers „häufig irgendwie abhanden“. 1497 Dazu schon oben Fn. 1304. 1498 In diesem Sinne bereits Eck, Stellung des Erben, 23. 1499 Zu diesem schon in der Ersten Kommission vorgebrachten Argument oben Fn. 8 09. 1492 Siehe
E. Das deutsche Recht
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Sodann ist der Schlachtruf nach der Rückkehr zum beneficium inventarii auch dafür zu kritisieren, dass er, ganz in der BGB-Systematik gefangen, allein die Voraussetzungen der Haftungsbeschränkung thematisiert, nicht aber die Struktur der Nachlassabwicklung im Ganzen. So würde die Rückbesinnung auf das gemeine Recht strenggenommen bedeuten, dass der „Benefizialerbe“ die Nachlassgläubiger nach dem Prioritätsprinzip befriedigen darf. Ist auch diese Konsequenz gewollt? Das wird man den betreffenden Autoren nicht unterstellen können. Und dennoch ist fraglich, inwieweit sie sich darüber im Klaren sind, dass eine Haftungsbeschränkung, die angemessene Rücksicht auf Gläubigerinteressen nimmt, zwangsläufig mit strengen treuhänderischen Pflichten des Abwicklers einhergehen muss, so wie es der Entwurf Sibers ja auch vorsah. Insbesondere müsste vom Erben eines erheblichen Nachlasses verlangt werden, die Vorgaben der Insolvenzordnung zu beachten und nicht bloß diejenigen der §§ 1991 Abs. 3, 4 BGB.1500 Die höchst skeptische Einstellung vieler deutscher Juristen zum englischen Recht, dem eine Lösung wie die genannte strukturell sehr ähnlich wäre, lässt die Vermutung zu, dass sie auch wieder als ungebührlich belastend empfunden würde. Es zeigt sich damit erneut das bereits oben angesprochene Problem einer unzureichend ausgebildeten Abwicklungskultur.1501 Die Schwierigkeiten deutscher Juristen mit der zutreffenden Erfassung der Vollzugsdimension des Erbrechts kommen schließlich auch dort zum Vorschein, wo die Möglichkeit des Erben kritisiert wird, ohne jede Voraussetzungen und damit aus purer Bequemlichkeit die Nachlassverwaltung zu beantragen, um sich am Ende den Überschuss aushändigen zu lassen.1502 Implizit liegt dieser Kritik die Ansicht zugrunde, dass der Erbe sich seine Residualbegünstigung durch die Abwicklung verdienen müsse, und für die testamentarische Erbfolge liegt eine solche Verknüpfung in Ermangelung einer ausdrücklichen anderweitigen Anordnung des Erblassers auch durchaus nahe. Anders sieht es hingegen im Intestaterbrecht aus. Hier spricht zumindest aus grundsätzlichen Erwägungen heraus nichts gegen eine Regelung, die es dem Erben verwehrt, sich der lästigen Abwicklerrolle zu entziehen, seine Begünstigtenstellung aber zu behalten.1503 Würde, wie im englischen Recht, die Abwicklerrolle des Erben begrifflich verselbständigt und damit von seiner Begünstigtenstellung unterschieden, erschiene die Möglichkeit einer getrennten 1500
Dazu oben E.IV.3b)(5) (502 ff.). Siehe oben E.V.6. (532 ff.). 1502 Siehe etwa Nußbaum, AcP 128 (1928), 53; Binder, Erbrecht, 70; Staudinger/Boehmer 10 , § 1922 Rn. 249; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3540. 1503 Kein Problem sah hierin am Vorabend der Verabschiedung des BGB auch Bernhöft, Zur Reform des Erbrechts, 90, 122 f., was ganz im Einklang mit seinen scharfen Beobachtungen zur historischen Wandlung des Erbenbegriffs stand (dazu schon oben § 5 Fn. 3). In die Irre geht die Ansicht von Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3540 (gefolgt von Osthold, Erben und Haftung, 148), dass die Nachlassverwaltung nur zu einem System passe, das den Erben zur insolvenzmäßigen Befriedigung verpflichtet (wovon das BGB im Grundsatz absieht, siehe § 1979). Denn erstens kann auch die freie Abwicklung dem Erben hinreichend lästig erscheinen, zweitens muss er für den Fall einer späteren amtlichen Liquidation stets den Vorwurf fürchten, die Überschuldung fahrlässig verkannt zu haben (§§ 1978 Abs. 1, 1980 Abs. 1 BGB). 1501
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„Ausschlagung“ der Abwicklerrolle nur selbstverständlich. Das Schweizer Recht geht sogar noch einen Schritt weiter, indem es auch die Erbausschlagung in bestimmten Fällen wie eine Aufgabe nur der Abwicklungszuständigkeit behandelt, mit der Folge, dass ein etwaiger Überschuss den Berufenen ausgekehrt wird.1504 Im Vergleich zum deutschen Recht wird also nicht nur die Ausschlagungskette viel früher abgebrochen, auch reklamiert der die Abwicklung besorgende Staat keine Begünstigung für sich. Der Wind aus den Segeln genommen ist damit auch einer anderen möglichen Kritik am deutschen Recht, dass es nämlich die vom Erben mittels Beantragung der Nachlassverwaltung „ausgeschlagene“ Abwickerrolle sofort in den staatlichen Verantwortungsbereich überweist, anstatt sie zunächst anderen Personen anzutragen, wie es im Intestaterbrecht der Fall ist. Die Aussicht, einen anderen Verwandten als neuen Abwickler vorgesetzt zu bekommen, würde den Erben vermutlich sogar davon abhalten, die Abwicklerrolle allzu leichtfertig auszuschlagen. Doch wäre eben sehr wahrscheinlich, dass der Nächstberufene die Abwicklerrolle auch wieder nicht übernehmen möchte. Denn diese würde ihm konsequenterweise „nackt“ angetragen, d. h. ohne Residualbegünstigung. Würde die Abwicklerrolle somit über kurz oder lang ohnehin beim Staat landen, ist es deutlich praktikabler, sie ihm unmittelbar zuzuweisen.
F. Rechtsvergleichendes Fazit I. Allgemeines Die unzähligen Verästelungen insbesondere des deutschen und des französischen Rechts verstellen leicht den Blick auf die grundlegenden Entwicklungslinien, bei denen sich zahlreiche Konvergenzen zeigen, aber auch bemerkenswerte Abweichungen im Detail. In rechtsethischer Hinsicht ist das bestimmende Moment die Sorge um die Interessen der Erblassergläubiger, die Ausdruck in einer schrittweisen Verschärfung des Pflichtenprogramms des Abwicklers findet. Auf der Ebene des Verfahrens lässt sich demgegenüber ein allgemeiner Trend zur Deformalisierung feststellen, in dem sich die gewachsene Skepsis gegenüber einer präventiven Kontrolle des Abwicklers manifestiert. Nicht nur droht eine solche, die Abwicklung teuer und schwerfällig zu machen, auch nimmt sie sich in einem auf Selbstverantwortung und Eigeninitiative gegründeten Privatrecht als Fremdkörper aus. Dieser Gedanke wurde im Rahmen seiner scharfen Kritik des österreichischen Verlassenschaftsverfahrens pointiert von Joseph Unger formuliert: „[D]ie amtliche Ingerenz […] ver1504 Art. 573 ZGB, dessen Tatbestandsvoraussetzung die Ausschlagung durch „alle nächsten gesetzlichen Erben“ ist. Darunter werden alle Angehörigen der ersten Parentel (also die Abkömmlinge des Verstorbenen) sowie der überlebende Ehegatte gefasst, siehe Wolf/HrubeschMillauer, Grundriss, Rn. 1446.
F. Rechtsvergleichendes Fazit
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stößt gegen den Grundsatz, daß jeder für sich selbst zu sorgen habe. Die Civilgerichte sind da, um entstandene Rechtsstreitigkeiten zu schlichten, nicht um möglicherweise entstehenden Rechtsverletzungen vorzubeugen. […] Der ganze Vorgang, wie er zur Zeit stattfindet, verstößt gegen die Regel, daß der Richter für die Gläubiger eines Verstorbenen nicht mehr Sorge zu tragen hat, als für die Gläubiger eines Lebenden […]“.1505
Sind die beiden grundlegenden Tendenzen scheinbar gegenläufiger Natur, indem der Abwickler einerseits strengeren, andererseits laxeren Vorgaben unterworfen wird, löst sich der Widerspruch auf, wenn man die jeweilige Zielrichtung betrachtet. Denn letztlich geht es um das Bestreben, rechtsethische Vorgaben und Verfahrensökonomie optimal miteinander in Einklang zu bringen. Dies war selbst bei den Arbeiten des Erbrechtsausschusses der „Akademie für Deutsches Recht“ der Fall, ungeachtet der Versuche, die Nachlassabwicklung ideologisch aufzuladen. Ein Grundproblem, das man als die „Tragik der Nachlassabwicklung“ bezeichnen kann, vermag freilich keine Rechtsordnung aus der Welt schaffen: dass die rechtliche Komplexität häufig außer Verhältnis zu den wirtschaftlichen Werten steht, um die es geht.
II. Die Verschärfung des Pflichtenprogramms des Abwicklers 1. Der Grundsatz der geordneten Nachlassverteilung Die rechtsethische Grundüberzeugung der untersuchten Rechtsordnungen lässt sich so zusammenfassen, dass die Gläubiger des Verstorbenen entweder vollständige Befriedigung verlangen können oder geordnete, d. h. insolvenzmäßige Befriedigung, ihnen eine unvollständige und zugleich ungeordnete Bedienung hingegen nicht zumutbar ist. Dem Erreichen dieses Ziels werden zwei andere Interessen geopfert: zum einen das Interesse des Abwicklers an der Einfachheit seiner Aufgabe, zum anderen das Interesse der Begünstigten an der Erlangung der ihnen vom Testator oder der Rechtsordnung zugesprochenen Vorteile. Denn geordnete Befriedigung heißt jedenfalls die Beachtung der Maxime „nemo liberalis nisi liberatus“, d. h. des Vorrangs der Erblassergläubiger. Während sich der Grundsatz der geordneten Nachlassliquidation in England bereits im Hochmittelalter durchsetzte, und die entsprechende deutschrechtliche Tradition später insbesondere Niederschlag im preußischen ALR fand, sah sich der Vorrang der Gläubigerinteressen bei Schaffung von Code civil und BGB einem mächtigen Widersacher gegenüber: der „tumultuarischen“ Nachlassverteilung des gemeinen Rechts, die in der justinianischen Regelung des beneficium inventarii wurzelte und Vorrangverhältnisse in den Innenregress verschob. Die Verfasser des Code civil von 1804 vermochten sich dieser abwicklerfreundlichen (und im Verbund mit der beschränkten Testierfreiheit letztlich familienfreundlichen) Tradition denn auch nicht zu widersetzen, wenngleich sie der geordneten Gläubigerbefriedigung immerhin Zugeständnisse machten. Demgegenüber erteilte der Redaktor für 1505
Unger, Verlassenschaftsabhandlung, 137 f., 148.
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das Erbrecht des BGB, Gottfried von Schmitt, der gemeinrechtlichen Tradition eine deutliche Absage, und ungeachtet wesentlicher Änderungen seiner Konzeption im weiteren Gesetzgebungsverfahren wurde diese Grundsatzentscheidung nicht mehr infrage gestellt. Mit der Reform des Jahres 2006 hat sich schließlich auch das französische Recht endgültig zur geordneten Liquidation bekannt, so dass die heutige englische, französische und deutsche Nachlassabwicklung eine gemeinsame Grundwertung kennzeichnet. 2. Überreste des Prioritätsgrundsatzes Betrachtet man die Einzelheiten der geordneten Nachlassverteilung, ist neben der bereits genannte Maxime „nemo liberalis nisi liberatus“ eine weitere rechtsordnungsübergreifende Konstante die bevorzugte Behandlung bestimmter Erblassergläubiger (abgesehen vom Vorrang bestimmter Nachlassabwicklungskosten, insbesondere der für die Bestattung des Verstorbenen1506). Das mittelalterliche englische Recht und das preußische ALR sahen sogar mehrfach gestufte Rangordnungen vor, die den Abwickler vor erhebliche Schwierigkeiten stellen konnten. Dynamisch verlief hingegen die Entwicklung bei der Behandlung gleichrangiger Erblassergläubiger. Den allgemeinen Ausgangspunkt bildete hier der Prioritätsgrundsatz, der sich damit sogar im historischen englischen Recht und im ALR, also Regimen der geordneten Liquidation, punktuell Geltung verschaffte. In Kauf genommen wurde hierbei sogar, dass der Abwickler eigene Forderungen gegen den Erblasser zuerst erfüllte. Zumindest in England war diese Regel mittelbare Konsequenz einer anderen, nämlich der bevorzugten Behandlung titulierter Ansprüche.1507 Das BGB hingegen hat die preußische Ausnahme von der insolvenzmäßigen Befriedigung nicht fortgeführt und verlangt grundsätzlich die Befriedigung pari passu. Das englische Recht ist denselben Schritt mit einer Reform von 1971 gegangen.1508 Demgegenüber hat der französische Reformgesetzgeber von 2006 für gleichrangige Gläubiger ganz bewusst am Prioritätsgrundsatz festgehalten. Nicht nur die gesetzgeberische Intention, auch der Vergleich mit dem deutschen Recht verdeutlicht die Fernwirkungen dieser Entscheidungen zur Verteilungsordnung. Denn während es dem französischen Gesetzgeber um die Stärkung der Eigenabwicklung ging, führte die Verweigerung entsprechender Konzessionen bei Schaffung des BGB aus einer zweifelhaften Logik heraus letztlich dazu, dass der Erbe einen überschuldeten Nachlass grundsätzlich aus der Hand geben muss1509 und das deutsche Recht der Eigenabwicklung einen geringeren Stellenwert einräumt als andere Rechtsordnungen.
1506
Dazu oben § 2 B.III.5. (142 ff.), § 4 Fn. 89, 327, § 6 Fn. 806. Siehe oben § 4 Fn. 333. 1508 Dazu oben B.II.2. (381 ff.). 1509 Dazu oben E.III.3b) (472 ff.). 1507
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Freilich haben sich auch im deutschen Recht beachtliche Reste des Prioritätsgrundsatzes erhalten. So braucht zum einen der Erbe, der einen geringwertigen Nachlass abwickelt, nur die Nachrangigkeit der Begünstigten zu beachten.1510 Zum anderen darf ein Erbe, solange er schuldlos die Zulänglichkeit des Nachlasses annimmt, sogar sämtliche die Nachlassgläubiger in der Reihenfolge ihres Auftretens befriedigen.1511 Das englische Recht sieht eine ähnliche Erleichterung der Abwicklung vor, beschränkt sie allerdings auf die Behandlung gleichrangiger Gläubiger.1512 Wertungsmäßig bedeutet dies, dass das deutsche Recht das Risiko eines entschuldbaren Irrtums über die Sachlage vollständig auf die Gläubiger überwälzt, das englische Recht nur teilweise. Als Folge ist der englische personal representative unter größerem Druck als der deutsche Erbe, ein Gläubigeraufgebot durchzuführen. Aus Gläubigersicht ist dieser stärkere Schutz durchaus zweischneidiger Natur, denn er wird mit einer Verzögerung der Anspruchserfüllung bezahlt, die sich im Falle der Zulänglichkeit des Nachlasses als überflüssig erweist.1513 3. Begründung und Verschärfung der Abwicklerhaftung Vorgaben zur Nachlassverteilung würden ins Leere laufen, wenn Verstöße nicht mit einer persönlichen Haftung des Abwicklers sanktioniert würden. Daneben bedarf die gegenständlich beschränkte Haftung des Abwicklers generell eines Gegengewichts in Form der Pflicht zur treuhänderischen Verwaltung, weil die Nachlassgläubiger ansonsten der Schädigung ihres Haftungssubstrats schutzlos ausgeliefert wären.1514 Das englische Recht entwickelte denn auch schon früh eine scharfe devastavit-Haftung, und Gleiches gilt für das preußische ALR.1515 Das BGB etabliert eine Abwicklerhaftung in § 1978 Abs. 1 bzw. in den betreffenden Regelungen über den Nachlass(insolvenz)verwalter. Das französische Recht schert insofern einmal mehr aus aus dem rechtsvergleichenden Kanon aus, als es zwar schon im Code civil von 1804 eine Abwicklerhaftung vorsah, den unter Haftungsbeschränkung annehmenden héritier aber bis heute nur für „fautes graves“ haften lässt. Auch an dieser Stelle weist das französische Recht damit noch Reste der auf die Interessen der Begünstigten fokussierten Abwicklertradition auf.
1510
Dazu oben E.IV.3b)(5) (502 ff.). Dazu oben E.V.6. (532 ff.). 1512 Dazu oben B.II.2. (381 ff.). 1513 Dazu bereits § 4 C.II.3d) (312 ff.) und im vorliegenden Kapitel Fn. 557. 1514 Dazu oben § 4 A.VII.9b) (271 ff.), § 6 Fn. 1334. Aus portugiesischer Sicht Gomes da Silva, Herança, 159–163, der die Regelung des portugiesischen Zivilgesetzbuchs von 1966 folgerichtig dafür kritisiert, dass sie dem herdeiro die gegenständliche Haftungsbeschränkung gewährt, ohne ihn einer Abwicklerhaftung zu unterwerfen. 1515 Siehe oben § 4 B.II.2c) (290 f.); § 6 D.I. (435 ff.). 1511
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III. Die Zurückschneidung der vorbeugenden Kontrolle 1. Allgemeines Soll im Interesse der wirtschaftlichen Nachfolger des Verstorbenen die ordnungsgemäße Verwaltung und Verwendung der Nachlassgegenstände sichergestellt werden, liegt der Wunsch nahe, Pflichtverletzungen des Abwicklers nicht nur ex post zu ahnden, sondern nach Möglichkeit bereits im Vorfeld zu unterbinden, entsprechend der Maxime: besser Schaden abwenden als Schaden ersetzen.1516 Als geschichtlicher Vorreiter in diesem Sinne kann die Inventarerrichtung als Voraussetzung der Haftungsbeschränkung betrachtet werden. Denn ihr Zweck besteht nicht allein darin, die Gläubiger zu informieren und Streitigkeiten über die Zugehörigkeit von Gegenständen zu vermeiden, sondern auch in der Sicherung des Nachlassbestandes gegen Hinterziehungen.1517 Als weitere Maßnahme zur Kontrolle des Abwicklers begegnet das Erfordernis einer richterlichen Genehmigung bestimmter Handlungen, insbesondere Verfügungen. Eine Mittelstellung zwischen Ex-anteund Ex-post-Kontrolle nehmen Rechenschaftspflichten des Abwicklers ein. Denn sie dienen einerseits dazu, den Nachlassgläubigern die Geltendmachung von Ansprüchen wegen Pflichtverletzung zu erleichtern, andererseits ermöglichen sie eine laufende Kontrolle im Hinblick auf eine mögliche Abberufung. 2. Der Bedeutungsverlust des Inventars Während das französische Recht die justinianische Tradition des Nachlassinventars als strikter Voraussetzung einer Haftungsbeschränkung bis heute nahtlos fortsetzt, hat dieses Rechtsinstitut andernorts längst massiv an Bedeutung verloren. Schon im preußischen ALR spielte die Inventarerrichtung nur noch die Rolle, die (von Anfang an) beschränkte Haftung zu erhalten. Nach einem kurzeitigen Hin und Her während seiner Entstehungsphase setzte das BGB die preußische Konzeption fort, d. h. es misst der Inventarerrichtung nur den Zweck bei, die Gläubiger bei Bedarf zu informieren und dem Erben seine beschränkte oder beschränkbare Haftung zu bewahren. Bedarf für eine Aufwertung des Inventars sah auch Heinrich Siber nicht, vielmehr gestand sein Entwurf dem Alleinerben die anfänglich beschränkte Haftung ohne weitere Voraussetzungen zu.1518 Schließlich ist auch im heutigen englischen Recht das Inventar nur noch auf Aufforderung der Nachlassgläubiger hin zu errichten, und für die Frage der beschränkten Haftung spielt es, anders als noch im Mittelalter, überhaupt keine Rolle mehr. Umso bemerkenswerter ist im Vergleich dazu die weiterhin sehr starke Rolle des Nachlassinventars in Schottland.1519 Auch wenn die Beweggründe der skizzierten Entwicklung selten jemals explizit gemacht wurden, lässt sich vermuten, dass die potentielle Unverhältnismäßigkeit 1516
Siehe in verwandtem Kontext Muscheler, Testamentsvollstreckung, 405. Siehe oben § 4 A.VII.5. und 6. (266 ff.). 1518 Siehe oben E.VI.2b)(1) (539 ff.). 1519 Siehe oben B.I.4b)(1) (377 f.). 1517
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der Inventarerrichtung eine maßgebliche Rolle gespielt hat. Diese Unverhältnismäßigkeit besteht gleich in zweifacher Hinsicht und betrifft erstens die Rechtsfolgen einer Unterlassung. Soll die Inventarerrichtung Voraussetzung der Haftungsbeschränkung sein, muss sie notwendig an eine Frist geknüpft werden. Eine solche „Fallbeilregelung“ droht jedoch zu großen Härten für den Abwickler und unverdienten Gewinnen der Nachlassgläubiger zu führen, wenn der Nachlass überschuldet ist. Denn die Nachlassgläubiger können nun den Fehlbetrag vom Abwickler selbst dann verlangen, wenn ihnen durch die unterlassene Inventarerrichtung als solche gar kein Schaden entstanden ist.1520 Die zweite Unverhältnismäßigkeit ist mittelbare Folge der ersten: Ist die Unterlassung der Inventarerrichtung mit erheblichen Haftungsrisiken verbunden, wird ein umsichtiger Abwickler dazu gedrängt, sie stets vorsorglich vorzunehmen. Der damit verbundene, gerade in Zeiten materiellen Überflusses sehr erhebliche Aufwand wird sich aber in vielen Fällen im Nachhinein als nutzlos erweisen, etwa wenn der Nachlass eindeutig zulänglich ist oder sich die Beteiligten über die Nachlassverteilung einig sind. Schließlich dürfen auch die dem Inventar inhärenten Grenzen der Leistungsfähigkeit nicht übersehen werden: Es kann immer nur Auskunft über den Nachlassbestand im Zeitpunkt des Todes geben, nicht aber über nachfolgende Änderungen in der Zusammensetzung, etwa als Folge von Versilberungen. Zwar kommen nun Rechtsordnungen, die eine Beschränkung der Haftung nicht an die Inventarerrichtung knüpfen, nicht an der denklogischen Voraussetzung vorbei, dass der Nachlassbestand in irgendeiner Weise identifizierbar sein muss.1521 Doch wählen das deutsche und das englische Recht hierzu im Unterschied zum französischen Recht eben keinen starren, sondern einen in zweifacher Hinsicht flexiblen Ansatz. Zum einen erfolgt die Nachlassaufzeichnung nicht abstrakt-vorbeugend, sondern nur aus konkretem Anlass, etwa im Rahmen eines Vollstreckungsverfahrens oder zur Prüfung eines Anspruchs wegen Abwicklungsverschuldens. Zum anderen kann die Feststellung des Nachlasses nicht nur mittels eines Inventars im technischen Sinne erfolgen, sondern grundsätzlich in jeder geeigneten Form, also beispielsweise auch über private Aufzeichnungen des Abwicklers.1522 Lässt man die Fälle außer Betracht, in denen auch im deutschen und englischen Recht noch ein Inventar im technischen Sinne zu errichten ist, betrachten beide Rechtsordnungen die Nachlassfeststellung also als Problem des allgemeinen Beweisrechts. Indem die Beweislast für eine eventuelle Unzulänglich oder Erschöpfung des Nachlasses entsprechend dem Sphärengedanken den Abwickler trifft, ist es seine Sache, die geeigneten Vorkehrungen zu treffen.1523 1520 Siehe im Kontext der BGB-Entstehung Munk, Gutachten, 67, der davor warnte, „einem reinen Formalismus auf Kosten materieller Gerechtigkeit zu huldigen“. 1521 Siehe oben § 4 A.VII.5. (266 f.), § 6 Fn. 820. 1522 Demgegenüber suggeriert etwa Casso, Haftung des Benefizialerben, 52, dass es ohne Inventar keine Grundlage für die beschränkte Haftung geben könne. 1523 Vgl. Munk, Gutachten, 72. Auch Osthold, Erben und Haftung, 174, hält die Beweislastregelung grundsätzlich für ausreichend.
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Schließlich erscheint die Inventarerrichtung als Mittel zur Festellung relevanter Tatsachen in heutigen Rechtsordnungen auch als systematischer Fremdkörper. Denn mit Ansprüchen auf Auskunft und Rechnungslegung können den Gläubigern Instrumente an die Hand gegeben werden, die nicht nur flexibler, sondern in der Gesamtbetrachtung auch viel durchschlagskräftiger sind. Justinian konnte auf eine solche Struktur nicht zurückgreifen, zudem hätte eine Behandlung des heres als Treuhänder eine fundamentale Abkehr von der Tradition bedeutet.1524 Doch unterstreicht dies nur einmal mehr, dass das Institut des Nachlassinventars als Mittel zur Haftungsbeschränkung in einem spezifischen rechtlichen Kontext entstanden ist und die von ihm damals erfüllten Funktionen heute anders sichergestellt werden können. 3. Der Abbau von Genehmigungsvorbehalten Auch wenn sie sich generell in zahlreichen Punkten voneinander unterschieden, wiesen das preußische ALR und der Code civil von 1804 eine wichtige Gemeinsamkeit auf: Sie schränkten den Benefizialerben in seiner Freiheit, über Nachlassgegenstände zu verfügen, erheblich ein und drückten damit ein grundsätzliches Misstrauen ihm gegenüber aus.1525 Genauso mussten beide Rechtsordnungen allerdings bald erkennen, dass derartige Beschränkungen nicht nur dem Abwickler das Leben unnötig schwer machen, sondern die mit ihnen verbundenen Verzögerungen und Kosten auch den Nachlassgläubigern zum Nachteil gereichen. Als Folge wurden die Verfügungsbeschränkungen sowohl in Preußen (1840) als auch in Frankreich (2006) schließlich beseitigt, so dass der Benefizialerbe die volle Verfügungsfreiheit erlangte und damit deutlich schneller, einfacher und kostensparender agieren konnte.1526 Der BGB-Gesetzgeber zog aus den historischen Erfahrungen dieselbe Lehre und sah deshalb für jede Art von Abwickler – Erbe, Nachlassverwalter, Nachlassinsolvenzverwalter – von Verfügungsbeschränkungen grundsätzlich ab.1527 Ein ähnlicher Entwicklungsprozess wie auf dem Kontinent lässt sich für das englische Recht ausmachen. Zwar spielten hier Verfügungsbeschränkungen des personal representative eine deutlich weniger prominente Rolle als später in Preußen und Frankreich. Doch lag dies im Wesentlichen daran, dass die kirchliche Aufsicht ohnehin das gesamte Tun des Abwicklers umfasste. Mit Schwinden der kirchlichen Macht und der damit verbundenen Eigeninteressen erlangte der Abwickler dann Schritt für Schritt mehr Handlungsfreiheit, weil die weltlichen Stellen keinen Bedarf für eine vorbeugende Überwachung sahen.
1524
Dazu schon oben § 4 A.VII.11. (280 ff.). Siehe oben C.II.1a)(4) (388 ff.), D.I. (435 ff.). 1526 Siehe oben C.II.2b)(2) (400 ff.), D.II. (439 f.). 1527 Für eine punktuelle Ausnahme siehe oben Fn. 932. 1525
F. Rechtsvergleichendes Fazit
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4. Auswahl und Abberufung des Abwicklers Es wäre verfehlt, die skizzierte Zurückschneidung einer vorbeugenden Kontrolle als Gleichgültigkeit gegenüber dem Handeln des Abwicklers zu interpretieren. Stattdessen hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass, abgesehen von der Auferlegung treuhänderischer Pflichten,1528 zwei andere Mittel viel geeigneter und praktikabler sind, um die Ordnungsgemäßheit der Abwicklung zu fördern: zum einen die sorgfältige Auswahl des Abwicklers, zum anderen seine Abberufung im Fall der erwiesenen oder vermuteten Ungeeignetheit. Anders gesagt, verdient der Abwickler nach der modernen Konzeption einen Vertrauensvorschuss,1529 und wo er diesen verspielt hat, sollte er nicht präventiv überwacht, sondern gleich von seinem Amt entfernt werden. Verfügungsbeschränkungen nach Art des preußischen oder des früheren französischen Rechts stellen sich in diesem Licht als inkohärent dar und passen nur zu einem System, das den Abwickler weder auswählen noch abberufen kann. In noch stärkerem Maße vom Vorwurf der Inkohärenz betroffen sind die extrem formalisierten Regime der Nachlassabwicklung, wie sie sich heute in Südafrika und zahlreichen Bundesstaaten der USA finden.1530 Denn sie müssen sich fragen lassen, wieso sie die Abwicklung in die Hände einer Person legen, die offenbar so wenig Vertrauen verdient, dass ihr Handeln auf Schritt und Tritt überwacht werden muss. Freilich ist die starke Formalisierung der Nachlassabwicklung in den genannten Rechtsordnungen, wie gesehen, im Wesentlichen auf sachfremde Einflüsse zurückzuführen.
Der Gedanke der sorgfältigen Auswahl des Abwicklers ist dort am klarsten verwirklicht, wo sie, wie z. B. im Fall der Ernennung von Nachlassverwalter und Nachlassinsolvenzverwalter im deutschen Recht,1531 ad hoc nach gerichtlichem Ermessen vorgenommen wird. Doch bringt ein solcher Auswahlmodus den Nachteil der staatlichen Intervention mit sich, so dass es nicht überrascht, dass rechtsvergleichendes Paradigma weiterhin ein anderer Selektionsmechanismus ist: die Auswahl des Abwicklers durch den Erblasser.1532 Die hiermit verbundene erhöhte Geeignetheitsgewähr – in der man eine Bestätigung der „father knows best“-Hypothese sehen mag1533 – trug im mittelalterlichen England wesentlich zum Aufstieg des executor herbei1534 und kam in neuerer Zeit bei der Diskussion um das Kautionserfor1528
Dazu oben F.II.3. (565 f.). Insbesondere Heinrich Siber sprach sich nachdrücklich für das Leitbild des redlichen Erben (und damit des redlichen Abwicklers) aus, siehe oben Fn. 1324. Zu dem der französischen Reform der Nachlassabwicklung des Jahres 2006 zugrunde gelegten Leitbild des „héritier responsable“ oben C.II.2b)(2) (400 ff.). Konträr zum genannten Trend äußern Malaurie/Brenner, Successions et Liberalités, Nr. 249, ein generelles Misstrauen gegenüber dem Nachlassabwickler, auch dem professionellen. 1530 Siehe oben B.I.4a) (376 ff.). 1531 Siehe oben E.IV.2a)(3) (488 ff.). 1532 Eine interessante Kombination beider Ansätze schlug Bernhöft, Zur Reform des Erbrechts, 124 f., vor, indem er die Bestimmung durch den Testator von einer richterlichen Bestätigung abhängig machen wollte. 1533 Dazu im Kontext der Zuweisungsdimension des Erbrechts ausführlich Dutta, Warum Erbrecht?, 11, 257, 369, 412 f., 530. 1534 Siehe oben § 3 B.IV.2. (186 f.). 1529
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§ 6 Die Vervollkommnung der gesonderten Abwicklung
dernis wieder zum Vorschein.1535 Im französischen Recht war die Auswahl des Nachlassabwicklers einem Testator hingegen lange Zeit versperrt, weil die Rolle seinen nahen Angehörigen reserviert war. Erst das 2006 eingeführte mandat à effet posthume verlieh dem Testator immerhin die Kompetenz zur Ernennung eines familienfremden Verwalters (nicht Abwicklers), was manchem französischen Juristen denn auch als kritikwürdiger Bruch mit der Tradition erschien.1536 Das BGB hingegen gestattete dem Erblasser von Anfang an die freie Abwicklerbestimmung, was in den Einzelheiten allerdings selbst von deutschen Juristen nicht immer zutreffend gewürdigt wird. Denn entscheidend ist nicht die Möglichkeit, einen Testamentsvollstrecker einzusetzen, der vom BGB gar nicht konsequent als Abwickler im technischen Sinne konzipiert wurde.1537 Zentral ist vielmehr die unbeschränkte Freiheit der Erbeinsetzung, mit der das deutsche Recht an das vorjustinianische römische Recht anknüpft.1538 Nur schwach ausgeprägt ist der Grundsatz der sorgfältigen Abwicklerbestimmung hingegen dort, wo keine letztwillige Bestimmung vorliegt. Denn dann treffen die heutigen Erbrechte die Auswahl weiterhin aufgrund einer abstrakten, auf Blutsverwandtschaft und Eheband gründenden Rangordnung. Dies gilt grundsätzlich auch für das englische Recht, das allerdings eine gerichtliche Ermessensentscheidung dazwischenschiebt.1539 Zur Disziplinierung des nach abstrakten Kriterien bestimmten Abwicklers trägt immerhin ein anderes Element bei, nämlich das seiner Residualbegünstigung. Denn sie bietet dem Abwickler Anreiz zum umsichtigen Umgang mit den Nachlasswerten.1540 Was schließlich die Möglichkeit der Abberufung des ungeeigneten Abwicklers betrifft, ist sie in England bereits im Mittelalter entwickelt und in Deutschland bei Schaffung des BGB kein Gegenstand von Diskussionen (Rechtsgrundlage hinsichtlich des Erben ist § 1981 Abs. 2 S. 1 BGB). Das französische Recht hingegen geht in Ausdruck seiner starken Ausrichtung auf die Familieninteressen erneut einen rechtsvergleichenden Sonderweg. So wird die Möglichkeit der Abberufung des Benefizialerben erst von den Gerichten entwickelt, und für den héritier, der die Erbschaft vorbehaltlos angenommen hat, besteht sie bis heute nicht.1541 In der Gesamtbetrachtung handelt es sich freilich um die „letzte Bastion“ des französischen Erbrechts gegen die Fremdabwicklung.
1535
Siehe oben B.I.2. (373 f.). Siehe oben § 5 C.II.2d)(3) (349 ff.). 1537 Siehe oben E.II.2. (450 ff.). 1538 Zur Beschränkung der Erbeinsetzung durch die Rechte naher Angehöriger bei Justinian unten § 8 A.II.1. (639 f.). 1539 Dazu unten § 8 A.II.2. (640 f.). 1540 Dazu oben § 3 C.II.2 (205 ff.). Auf den ersten Blick besteht zugleich ein Anreiz zur Hinterziehung von Nachlasswerten, doch ist dieser bei näherem Hinsehen unabhängig von einer Residualbegünstigung gegeben. 1541 Siehe oben C.II.1b) (392 ff.), 2b)(4) (402 ff.), III.1c) (417 ff.). 1536
§ 7 Die Neubewertung der integrierten Abwicklung A. Überblick I. Die Zulassung der integrierten Abwicklung als gesetzgeberische Option Eine Erbrechtsordnung, die grundlegenden Erfordernissen der Rechtsethik und der Praktikabilität genügen möchte, kommt ohne einen Modus der gesonderten Abwicklung schlechterdings nicht aus.1 Besteht dieselbe Notwendigkeit hinsichtlich der Ermöglichung einer integrierten Abwicklung? Auf den ersten Blick ist die Antwort eindeutig.2 Denn wenngleich die Zulassung einer confusio bonorum im Ursprung keine bewusste Regelungsentscheidung war, sondern Ausfluss der rechtlichen Rahmenbedingungen,3 ist die integrierte Abwicklung der gesonderten Abwicklung verfahrensökonomisch immer dort überlegen, wo sowohl Nachlass als auch Abwicklervermögen solvent sind.4 Für den Abwickler äußern sich die Vorteile der Vermögensverschmelzung in seiner Freiheit von Kontrolle und Rechenschaftspflichten,5 im Fall der Eigenabwicklung zudem in der Möglichkeit zur sofortigen Eigennutzung der Nachlassgüter. Die Nachlassgläubiger wiederum werden von der Sorge entbunden, die Nachlassgegenstände zu identifizieren, 6 und brauchen mangels geordneter Befriedigungsreihenfolge keine Verzögerung der Anspruchserfüllung hinnehmen.7 Aus wirtschaftlicher Sicht schließlich ist auf die Möglichkeit zur bruchlosen Fortführung werbender Vermögenseinheiten8 1
Siehe oben § 6 A.I. (367 ff.). etwa Bernhöft, Zur Reform des Erbrechts, 93, der die integrierte Abwicklung als eine von „zwei Formen der Erbschaftsregulierung“ bezeichnet, die für „ein modernes Erbrecht […] unentbehrlich“ sind (die andere ist die „Liquidation unter amtlicher Autorität“). 3 Siehe oben § 4 A.II.2. (243 ff.). 4 Siehe bereits oben § 4 C.II.3 (311 ff.), ferner unten B.VI.4a) (606 ff.). Ebenso IECL/Schwind, Liability for Obligations of the Inheritance, Nr. 29; Murga Fernández, Los sistemas europeos, 267, 274. Bisweilen findet sich die Ansicht, dass die gesonderte Abwicklung praktikabler oder effizienter sei als die integrierte, siehe etwa Vialleton, A.Dir.Comp. 13 (1938), 306 f.; Beinart, Acta Juridica 7 (1981), 20; Goré, L’administration des successions, 34, unter Berufung auf Flour. Dieser Auffassung liegt indessen eine Verwechslung der Vergleichsebenen zugrunde, dazu unten D. (632 ff.). 5 Jedenfalls hat die Rechtsordnung zu solchen Maßnahmen keinen Anlass, siehe oben § 4 B.III. (298). 6 Staudinger/Marotzke (2010), Vorbem zu §§ 1967–2017, Rn. 46 (= Staudinger/Kunz, Vorbem zu §§ 1967–2017, Rn. 213); Osthold, Erben und Haftung, 21. 7 Siehe oben § 4 C.II.3d) und e) (312 ff.). 8 Dazu Windel, Modi der Nachfolge, 3. Ob die integrierte Abwicklung (von Windel „Nachfol2 Siehe
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§ 7 Die Neubewertung der integrierten Abwicklung
und die sofortige Reintegration der Nachlasswerte in den Güterkreislauf hinzuweisen.9 Vom Erbrechtsredaktor für das BGB, Gottfried von Schmitt, wurde insbesondere die verkehrsfreundliche Wirkung der Vermögensverschmelzung immer wieder herausgestellt, und sie erschien ihm sogar als so wichtig, dass er im Fall einer Mehrheit von Erben bereit war, den Erblassergläubigern die Schuldenteilung zuzumuten.10 Attraktiv macht die integrierte Abwicklung aber auch ihre regulatorische Knappheit und Einfachheit, die in starken Kontrast zur Komplexität einer Regelung der gesonderten Abwicklung steht. Der Gesetzgeber kann sich mit der Anordnung der confusio bonorum begnügen und für alles Weitere die „Infrastruktur“ des allgemeinen Vermögensrechts in den Dienst nehmen. Während die Regelung der gesonderten Abwicklung wie gesehen voller Fallstricke ist,11 kann ein Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der integrierten Abwicklung so gut wie nichts falsch machen.12 Den meisten Kodifikatoren Kontinentaleuropas dürfte freilich gar nicht bewusst gewesen sein, dass es sich bei der Fortführung der integrierten Abwicklung überhaupt um eine Regelungsentscheidung handelte; zu groß war die Suggestionskraft der römischen Tradition.13 Gleiches lässt sich über das erbrechtliche Schrifttum in den betreffenden Ländern sagen. Denn während die Notwendigkeit von Möglichkeiten zur Haftungsbeschränkung, und damit einer gesonderten Abwicklung, regelmäßig betont wird,14 wird die Option einer integrierten Abwicklung als selbstverständlich, beinahe naturgegeben vorausgesetzt.15 Max Rheinstein erklärte diese tief verwurzelte Denkweise kontinentaleuropäischer Gesetzgeber und Juristen plausibel damit, dass ihnen in den Digesten aufgrund deren Fokussierung auf das klassische römische Recht fast ausschließlich die unbeschränkte Haftung begegnete und ihnen die beschränkte Haftung somit als fremdartige Ausnahme erscheinen musste, die auf reinen Zweckmäßigkeitserwägungen beruht und die Reinheit des Systems stört.16
Deutlich mehr über die Leistungsfähigkeit der integrierten Abwicklung sagt es deshalb aus, dass auch in den USA, deren Rechtsordnungen, von punktuellen Ausgemodell“ genannt) auch den Erhalt von Vermögenseinheiten erleichert, ist hingegen fraglich. Denn die Möglichkeit, zu diesem Zweck Mittel aus dem Abwicklervermögen hinzuzuschießen, besteht auch bei der gesonderten Abwicklung. 9 Siehe oben § 4 C.II.3f) (314 ff.). 10 Siehe unten § 8 B.III.1. (657 ff.). 11 Ausführlich oben § 6 (367 ff.). 12 Etwas anderers gilt für die in diesem Kapitel zu erörternden Fragen, ob die integrierte Abwicklung überhaupt angeboten werden und in welchem Verhältnis sie zur gesonderten Abwicklung stehen sollte. 13 Bemerkenswerte Ausnahmen stellen Portugal und Brasilien dar, die bereits in ihren Gesetzbüchern von 1867 und 1916 nur noch die gesonderte Abwicklung vorsahen. Während dies im Falle von Brasilien eine bewusste Entscheidung war, war die Lösung des portugiesischen Código civil von 1867 allerdings eher Folge eines gesetzgeberischen Unfalls. Näher oben § 4 Fn. 42. 14 Beispielhaft Murga Fernández, ZEuP 2018, 362. 15 So im Kontext des deutschen Rechts und bezogen auf die unbeschränkte Haftung des Erben auch die Beobachtung von Osthold, Erben und Haftung, 10 f. 16 Rheinstein, Iowa LR 20 (1935), 449 f.
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nahmen abgesehen,17 traditionell nur die gesonderte Abwicklung kennen, immer wieder die Forderung erhoben wurde, den Begünstigten des Erbfalls die integrierte Abwicklung als einfache und kostengünstige Alternative zum gerichtsnahen probate-Verfahren anzubieten. Ergebnis dieser Bestrebungen war die 1982 erfolgte, ausdrücklich auch durch die kontinentaleuropäische Tradition inspirierte18 Einfügung eines entsprechenden Abschnitts in den Uniform Probate Code.19 Hierdurch sollten die Begünstigten des Erbfalls die Möglichkeit erhalten, „the needless interposition of judicial supervision“ zu vermeiden,20 und zwar unabhängig von der Größe des Nachlasses.21 Der Vorgang einer integrierten Abwicklung kommt u. a. darin zum Ausdruck, dass anders als in den Verfahren der gesonderten Abwicklung kein personal representative agiert.22 Zu bedauern ist, dass die Substanz der Reform durch eine unglückliche Begriffswahl verschleiert wird. Denn zum einen suggeriert der Titel, unter den der entsprechende Themenkomplex gestellt wurde – „Succession without Administration“ –, dass eine Nachlassabwicklung in den betreffenden Fällen gänzlich unterbleibe, was aber nur bei formaler und nicht bei funktionaler Betrachtung der Fall ist.23 Zum anderen wird die Übernahme einer unbeschränkten Haftung durch die Intestatbegünstigten oder den Residualbegünstigten eines Testaments mit dem wenig passenden Ausdruck der „universal succession“ bezeichnet.24
Die Ergänzung des Uniform Probate Code um den Abschnitt zur „Succession without Administration“ stellte die Fortschreibung und Vollendung des in der Ursprungsversion von 1969 verfolgen flexiblen Ansatzes dar, der anstelle eines Einheitsmodells den Beteiligten verschiedene Optionen an die Hand geben wollte, je nach Größe und Komplexität des Erbfalls.25 Indem der Uniform Probate Code damit nun einen Modus der integrierten Abwicklung neben verschiedene Modi einer gesonderten Abwicklung26 stellt, weist er eine beachtliche strukturelle Parallele zum BGB auf. Erfolg war der „Succession without Administration“ bislang freilich nicht beschieden. Denn weder der entsprechende Teil des Uniform Probate Code noch der parallel ergangene „free 17 Das klarste Beispiel ist das Recht von Louisiana, in beschränkter Form findet sich die inte grierte Abwicklung aber beispielsweise auch im Recht Kaliforniens, siehe Sneddon, South Texas LR 50 (2009), 462–466. 18 Siehe die „Prefatory Note“ zu § 3 -312 UPC: „The concept of succession without adminis tration is drawn from the civil law and is a variation of the method which is followed largely on the Continent in Europe, in Louisiana and in Quebec.“ Den Vorbildcharakter des „Continental law“ nennt auch Langbein, Harvard LR 97 (1984), 1117 (Fn. 40). 19 Siehe § 3, Part 3, Subpart 2 UPC (§§ 3 -312–3-322). 20 Scholes, Missouri LR 48 (1983), 392, dort auch eingehend zur Vorgeschichte der Reform (371–392). 21 Dies betont Sneddon, South Texas LR 50 (2009), 482. 22 Sneddon, South Texas LR 50 (2009), 486. 23 Dies macht der UPC selbst deutlich, wenn er in § 3 -316 (1) anordnet: „[…] The universal successors shall proceed expeditiously to settle and distribute the estate […]“. 24 Hierzu schon oben § 3 C.II.4d) (221 ff.). 25 Sneddon, South Texas LR 50 (2009), 473, 482, die von einer „natural progression“ spricht. 26 Dazu schon oben § 1 E.I.2a)(3) (37 ff.).
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standing act“27 ist von irgendeinem Bundesstaat übernommen worden, und mittlerweile wurde die Umsetzungsempfehlung sogar offiziell zurückgezogen. 28 Hieraus den Schluss zu ziehen, dass die Idee einer integrierten Abwicklung als solche verfehlt ist, wäre jedoch verfrüht. Denn nicht nur scheinen die Gründe für das Scheitern der „Succession without Administration“ überwiegend sachfremder Natur gewesen zu sein, auch wird im US-amerikanischen Schrifttum weiterhin Bedarf für eine solche Lösung gesehen. 29
Mindestens ebenso bemerkenswert wie die gezeigte Ergänzung des Uniform Probate Code ist nun allerdings der Umstand, dass im englischen Recht die integrierte Abwicklung bis heute nicht vorgesehen ist und allem Anschein nach auch nicht vermisst wird. Sucht man nach Gründen hierfür, gilt es sich zunächst klarzumachen, dass die Achillesferse der gesonderten Abwicklung auf einer anderen Ebene liegt als die Achillesferse der integrierten Abwicklung und deshalb viel eher tolerabel ist. Während nämlich die integrierte Abwicklung dazu führen kann, dass dem Abwickler oder den Erblassergläubigern in arbiträrer Weise erhebliche Vermögens opfer zugemutet werden, unter unverdienter Begünstigung anderer Personen, werden Kosten, die durch eine im konkreten Fall gar nicht notwendige gesonderte Abwicklung entstehen, viel stärker unter den Beteiligten des Erbfalls gestreut (Verzögerungen bei der Verteilung der Nachlasswerte beispielsweise treffen Erblassergläubiger ebenso wie Begünstigte). Solange daher die durch eine gesonderte Abwicklung entstehenden Belastungen nicht exzessiv sind, sind sie ein Ärgernis, aber keine Ungerechtigkeit. Und hier kommt eine zweite Erklärung dafür ins Spiel, warum die gesonderte Abwicklung im englischen Recht bis heute eine Alleinstellung genießt. Denn im Unterschied etwa zu den Rechtsordnungen der USA oder Süd afrika wurde die englische Nachlassabwicklung im Laufe der Zeit von unnötigen Formalismen befreit, so dass das Verlangen nach einem praktikableren System auf diese Weise ein Ventil erhielt.30 Wie oben gesehen, hat das englische Recht ein Optionsmodell damit nicht in horizontaler, sondern in vertikaler Hinsicht etabliert.31 Irreführend ist hingegen die Ansicht, die mit dem „Land Transfer Act“ von 1897 erfolgte Einbeziehung des unbeweglichen Vermögens in die Nachlassabwicklung32 sei eine implizite Entscheidung gegen eine Abwicklung nach römischem Vorbild gewesen.33 Denn wenngleich bis dahin die realty auf den heir bzw. den devisee übergegangen war, konnte mangels dessen Schuldenverantwortlichkeit von einer integrierten Abwicklung nicht die Rede sein. Die Reform von 1897 bedeutete m. a.W. keine Entscheidung zwischen zwei bestehenden Abwicklungsmodi, sondern nur die Vervollkommung des einzig existierenden.
27 Dieser sollte auch solchen Staaten die Übernahme der Regelungen zur „Succession without Administration“ ermöglichen, die den Uniform Probate Code nicht übernommen hatten, siehe Scholes, Missouri LR 48 (1983), 393; Sneddon, South Texas LR 50 (2009), 484. 28 Sneddon, South Texas LR 50 (2009), 484 f. 29 Ausführlich Sneddon, South Texas LR 50 (2009), 483–492, die sich von der integrierten Abwicklung insbesondere eine Stärkung der Familienharmonie verspricht (485, 492). 30 Siehe oben § 6 B.I.3. (374 ff.). 31 Siehe oben § 6 B.I.1. (372 f.). 32 Siehe oben § 3 B.IV.6. (191 ff.). 33 So Gomes da Silva, Herança, 44.
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Zeigt das Beispiel des englischen Rechts somit, dass die Bereitstellung eines Modus der integrierten Abwicklung kein Muss ist, hat es dennoch den Anschein, als sei das in den meisten Erbrechtsordnungen der Welt anzutreffende Nebeneinander von gesonderter und integrierter Abwicklung das vorzugswürdige Modell. Denn bildlich gesprochen ermöglicht es, den Weg der Nachlassabwicklung je nach den Streckenverhältnissen entweder mit dem schnellen und verbrauchsarmen Kompaktwagen zurückzulegen oder mit dem allradgetriebenen, aber langsamen und viel Kraftstoff verbrauchenden Geländefahrzeug. Das Optionsmodell ist mit anderen Worten anspruchsvoller als das einspurige Abwicklungsmodell, indem es versucht, maßgeschneiderte Lösungen anzubieten. Wie dieses Kapitel indessen zeigen wird, bedarf diese Einschätzung der Überprüfung. Denn das Nebeneinander von gesonderter und integrierter Abwicklung bringt neben Vorteilen auch erhebliche Probleme mit sich, insbesondere in Form gesteigerter Komplexität und Risiken für die Beteiligten. Hieraus kann sich die Einschätzung ableiten, dass das einspurige Modell in der Gesamtbetrachtung praktikabler ist, obwohl dies bei einem isolierten Vergleich mit der integrierten Abwicklung nicht gilt.34
II. Die aus der Zulassung der integrierten Abwicklung resultierenden Regelungsprobleme Entscheidet sich ein Gesetzgeber für die Zulassung der integrierten Abwicklung, muss er als Folgeproblem deren Verhältnis zur gesonderten Abwicklung klären. Zwei Dimensionen lassen sich dabei voneinander unterscheiden. Auf der regelungstechnischen Ebene muss ein Mechanimus für die Auswahl des zur Anwendung kommenden Modus geschaffen werden. Legt die Rechtsordnung, wie dies naheliegend ist, die Entscheidung grundsätzlich in die Hände des Abwicklers als die für gewöhnlich am besten informierte und am stärksten betroffene Person, muss sie die Ausübung dieser Option näher regeln, etwa im Hinblick auf Fristen, die Rechtsfolgen der Untätigkeit, das Verhältnis zum Eintritt in die Abwicklerrolle als solche usw. Auf der Wertungsebene stellt sich dem Gesetzgeber hingegen die Frage des Grundsatzes oder Leitbilds. Auf welchen Abwicklungsmodus soll die Rechtsordnung hinwirken, welcher soll die restriktiv zu handhabende Ausnahme sein? Natürlich wird es typischerweise einen engen Zusammenhang zwischen der regelungstechnischen Ebene und der Wertungsebene geben, indem das Leitbild gerade im Regel-Ausnahme-Verhältnis bei der Optionsentscheidung seinen Ausdruck findet. Doch illustriert besonders das justinianische Recht, dass eine solche Verknüpfung nicht zwingend ist. So bildete die durch das beneficium inventarii geschaffene Möglichkeit der gesonderten Abwicklung regelungstechnisch die Ausnahme, weil es zu ihrer Ausübung bestimmter Handlungen bedurfte. Anders gesagt war die 34
Siehe oben Fn. 4.
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integrierte Abwicklung mittels confusio bonorum weiterhin die Auffangregel, die bei Untätigkeit des heres zur Anwendung kam (vorausgesetzt natürlich, die Erbschaft wurde überhaupt erworben). Beim Leitbild waren die Vorzeichen hingegen umgekehrt. Denn nach Justinians Vorstellung sollte die beschränkte Haftung künftig den Normalfall bilden, die unbeschränkte Haftung hingegen nur noch eine Art Sanktion für die Unterlassung der Inventarerrichtung darstellen.35 Die Verfasser des preußischen ALR folgten ebenfalls dem Leitbild der gesonderten Abwicklung, stellten jedoch einen Gleichlauf mit dem Regel-Ausnahme-Verhältnis der Abwicklungsoption her und führten damit die justinianische Konzeption gewissermaßen zur Vollendung.36 Denn um die Stellung eines Benefizialerben erlangen, musste der Berufene nichts tun, insbesondere kein Inventar errichten oder eine bestimmte Erklärung abgeben.37 Stattdessen war es der Verzicht auf die Haftungsbeschränkung, der einer ausdrücklichen Erklärung bedurfte. Verstärkt wurde der Primat der gesonderten Abwicklung durch den „Sog“ des erbschaftlichen Liquidationsprozesses,38 und infrage gestellt wurde er auch nicht dadurch, dass die Haftung automatisch zu einer unbeschränkten wurde, wenn der Benefizialerbe nicht innerhalb von sechs Monaten ein Inventar errichtete. Denn diese Rechtsfolge hatte Sanktionscharakter.39 Im Folgenden wird die Thematik zunächst für den französischen Code civil von 1804, sodann für das deutsche BGB eingehend untersucht. Dabei wird sich zeigen, dass beide Gesetzbücher trotz der gemeinsamen historischen Wurzeln gänzlich unterschiedliche Wege gegangen sind, die mit jeweils eigenen Problemen verbunden sind.
B. Die Stellung der integrierten Abwicklung im französischen Recht I. Verknüpfung von Erwerbs- und Abwicklungsoption Obgleich der Code civil von 1804 die justinianische Dichotomie von Abwicklung mit und ohne Inventarerrichtung fortführte, wich seine Regelung der Auswahlentscheidung in einem zentralen Punkt von dem historischen Vorbild ab. Denn während in Justinians Regelung die Entscheidung über die Inventarerrichtung von der über den Erbschaftserwerb unabhängig war,40 wurden im Code civil von 1804 beide Entscheidungen unmittelbar miteinander verknüpft. Nach der im Grundsatz 35
Siehe oben § 4 A.VII.11. (280 ff.). Zusammenhang dürfte allerdings zufälliger Art sein, da der Einfluss der deutsch rechtlichen Tradition des Mittelalters auf die Ausgestaltung des ALR viel bedeutender war als der des römischen Rechts, siehe oben § 6 D.III. (441 ff.). 37 Siehe oben § 6 D.III. (441 ff.). 38 Dazu oben § 6 D.I. (435 ff.). 39 Siehe oben § 6 D.III. (441 ff.). 40 Siehe oben § 4 A.VII.8. (269 f.). 36 Dieser
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bis heute unverändert fortgeltenden Regelung muss der héritier deshalb bei seinem Entschluss über das „Ob“, also sein definitives Eintreten in den Nachlass und damit in die Abwicklerrolle, zugleich auch über das „Wie“, also den Abwicklungsmodus disponieren. In technischer Hinsicht findet dies seinen Ausdruck in dem dreigliedrigen Charakter der „option successorale“:41 Neben der Ausschlagung der Erbschaft kann der Berufene zwischen zwei Formen der Annahme wählen,42 nämlich zum einen der vorbehaltlosen Annahme („acceptation pure et simple“) und zum anderen der Annahme unter Haftungsbeschränkung (ursprünglich „acceptation sous bénéfice d’inventaire“, seit 2006 „acceptation à concurrence de l’actif net“).43 Die erste Annahmevariante führt zur Vermögensvermischung und damit der integrierten Abwicklung,44 die zweite zur Abwicklung des Nachlasses als Sondervermögen. Eine Annahme der Erbschaft unter Offenlassung der Entscheidung über den Abwicklungsmodus ist demgegenüber nicht möglich, genauso wenig wie eine gespaltene, also auf bestimmte Nachlassteile bezogene Ausübung des Wahlrechts.45 Legt man Wert auf terminologische Präzision, wird die Option folglich stets vom successible, also dem zur Rechtsnachfolge Berufenen ausgeübt, und niemals vom successeur, dem (endgültigen) Rechtsnachfolger. Die aus der Bündelung von Erwerbs- und Abwicklungsfragen resultierende „Schwere“46 des Wahlrechts erklärt, warum französische Lehrbücher der „option successorale“ als zentraler Schaltstelle des Erbrechts breiten Raum widmen.47 Übertragen auf das deutsche Recht wäre sie sowohl im Themenkomplex der §§ 1942–1959 als auch im Themenkomplex der §§ 1967–2017 BGB angesiedelt.
41
Leleu, Transmission, Nr. 545 („tryptique“; „la forme ternaire de l’option héréditaire“). Abs. 1 Code civil. Die Maxime des ancien droit, dass niemand zur Annahme Erbschaft gezwungen ist – „nul n’est héritier qui ne veut“ – findet seit der Reform von 2006 keinen gesonderten Ausdruck mehr im Gesetz (anders noch 775 Code civil1804), siehe Terré/Lequette/ Gaudemet, Successions, Rn. 756. Bedauern über diese (praktisch folgenlose) Änderung äußert Binet, Droit de la famille 2006, étude 55, Nr. 4. 43 Zur Annahme unter Haftungsbeschränkung schon ausführlich oben § 6 C.II. (386 ff.). 44 Erwähnung verdient, dass der Code civil in seiner ursprünglichen Version die aus der vor behaltlosen Annahme resultierende unbeschränkte Haftung des héritier gar nicht explizit anordnete, weshalb sie mittels Umkehrschlusses aus der Haftungsbeschränkung durch Inventarerrichtung (Art 802 Code civil1804) begründet wurde: Siehe Leleu, Transmission, Nr. 518–520; Leroyer, Successions, Nr. 460. Die seit Langem geforderte Klarstellung (siehe etwa Saleilles im Protokoll der Sitzung der „Société d’études législatives“ v. 19.1.1911, Bull.Soc.e.leg. 10 (1911), 27) erfolgte schließlich 2001 in Art. 723 Code civil, dem allerdings nur eine kurze Existenz beschieden war (dazu oben § 5 Fn. 290). Seit 2006 findet sich eine ausdrückliche Regelung in Art. 785 Abs. 1 Code civil. 45 Siehe Art. 769 Abs. 1 Code civil. Näher zum Prinzip der „indivisibilité de l’option“, das in Art. 769 Abs. 2 Code civil nur bei Vorliegen mehrerer Berufungsgründe eine Ausnahme erfährt, Binet, Droit de la famille 2006, étude 55, Nr. 7. 46 Appert im Protokoll der Sitzung der „Société d’études législatives“ v. 19.1.1911, Bull.Soc. e.leg. 10 (1911), 35 („gravité“). 47 Siehe etwa Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 749 ff.; Grimaldi, Successions, Nr. 470 ff. 42 Art. 768
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II. Grundsatz der Unwiderruflichkeit Gestärkt wird die genannte Koppelung dadurch, dass die einmal getroffene Wahl des Abwicklungsmodus grundsätzlich endgültig ist: Hat sich der Berufene für die vorbehaltlose Annahme entschieden, kann er nicht nachträglich auf die Annahme unter Haftungsbeschränkung umschwenken (und erst recht nicht auf die Ausschlagung). Galt dieser Grundsatz der Unwiderruflichkeit der „acceptation pure et simple“ lange Zeit nur implizit,48 hielt der Reformgesetzgeber von 2006 es für angezeigt, ihn ausdrücklich im Gesetz zu verankern.49 In umgekehrter Richtung besteht hingegen Flexibilität: Hat der héritier zunächst für die Annahme unter Haftungsbeschränkung optiert, kann er später trotzdem noch mit Rückwirkung zur integrierten Abwicklung wechseln.50 Der Schwenk zur Ausschlagung bleibt ihm jedoch auch hier verschlossen,51 so dass die Annahme als solche stets endgültig ist.52 In der entgegengesetzten Konstellation wird wiederum eine Ausnahme gemacht: Hat der Berufene ausgeschlagen, kann er diese Entscheidung so lange noch zurücknehmen, wie von den nachberufenen Personen noch niemand die Annahme erklärt hat. Seit der Reform von 2006 kann dies allerdings nur noch durch die Erklärung der vorbehaltlosen Annahme geschehen, nicht mehr hingegen durch eine Annahme unter Haftungsbeschränkung.53 Zu beachten ist schließlich, dass die Möglichkeit der Anfechtung des Erbschaftserwerbs zwar grundsätzlich besteht und die Anfechtungsgründe im Laufe der Zeit erweitert wurden, das Regime seinen restriktiven Charakter aber bis heute nicht verloren hat.54 Insbesondere ist die Anfechtung dort nicht zulässig, wo der Berufene bei Abgabe seiner Erklärung einer Fehlvorstellung über Wert oder Zusammensetzung des Nachlasses unterlag. In Kombination mit dem Grundsatz der Unwiderruflichkeit und dem Fehlen eines selbständigen Gläubigeraufgebotsverfah48 Siehe
Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 771. Art. 786 Abs. 1 Code civil. Flankiert wird die Unwiderruflichkeit durch das Verbot, die Erklärung unter eine Bedingung oder eine Frist zu stellen (Art. 768 Abs. 2 Code civil). Anders als unter der Rechtslage bis 2006, wo es an einer ausdrücklichen Regelung fehlte, die befristete Annahme aber als vorbehaltlose behandelt wurde und die bedingte als unwirksam (Grimaldi, Successions5, Nr. 485), ist die Erklärung nach der jetzigen Vorschrift stets unwirksam, was den Berufenen vor übermäßig belastenden Folgen schützt. Siehe Rapport Assemblée Nationale 67; Binet, Droit de la famille 2006, étude 55, Nr. 6. 50 Ausdrücklich jetzt Art. 8 01 Abs. 1 Code civil. Zeitliche Grenze ist allerdings die 10-Jahresfrist für die Verjährung der Option. 51 Ausdrücklich jetzt Art. 8 01 Abs. 2 Code civil. 52 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 7 74. 53 Art. 807 Code civil. Näher Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 778 (696 f.), auch zur Rechtslage unter Art. 790 Code civil1804. 54 Abgesehen von dem praktisch bedeutungslosen Fall der „lésion“ (dazu unten Fn. 138) sah der Code civil in seiner ursprünglichen Fassung einzig die Anfechtung der Annahme (also nicht auch der Ausschlagung) aufgrund von Täuschung („dol“) vor, Art. 783 Code civil1804. Im Wege der Rechtsfortbildung ließen die Gerichte auch die Anfechtung der Ausschlagung zu und erkannten die Anfechtungsgründe der Drohung („violence“) und des Irrtums („erreur“) an. Bei der Reform von 2006 wurde diese Rechtsfortbildung kodifiziert, siehe jetzt Art. 777 Code civil. Zum Ganzen Binet, Droit de la famille 2006, étude 55, Nr. 35. 49
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rens bot das französische Recht damit lange Zeit keinen Schutz gegen verborgene Erblasserverbindlichkeiten, mit der Folge, dass es die vorbehaltlose Annahme stets zu einem Wagnis machte. Erst 2006 schuf der Gesetzgeber einen Ausweg in Form einer Billigkeitslösung, die weiter unten eingehend zu untersuchen ist.55
III. Einzelheiten der Wahlentscheidung 1. Fristen, Auffangregel und Provokationsrecht a) Die gesetzliche Frist zur Ausübung der Option Solange andere Beteiligte eines Erbfalls, insbesondere die Nachlassgläubiger, untätig bleiben, ist das Optionsrecht des Berufenen lediglich einer gesetzlichen Frist unterworfen, die so lang ist, dass sie für praktische Zwecke beinah als inexistent betrachtet werden kann. Denn erst wenn der Berufene zehn Jahre seit Eröffnung des Erbfalls untätig geblieben ist (vorbehaltlich bestimmter Hemmungstatbestände56), wird ihm die Entscheidung vom Gesetz abgenommen, das ihn dann – trotz seiner Nachlassinhaberschaft seit Eröffnung des Erbfalls57 – rückwirkend so behandelt, als habe er ausgeschlagen.58 Bis zur Reform von 2006 betrug die Frist sogar dreißig Jahre.59 Auch das Recht zur Annahme unter Haftungsbeschränkung bleibt grundsätzlich für den gesamten Zeitraum bestehen, denn die zweimonate Frist zur Inventarerrichtung beginnt erst mit Abgabe der entsprechenden Erklärung vor Gericht. 60 Die lange Frist und die mit ihrem Ablauf verbundene Folge der Ausschlagung kommt dem Berufenen in zweierlei Hinsicht entgegen. Zum einen hat er ausgiebig Zeit, die Nachlassverhältnisse zu ermitteln und über das gebotene Vorgehen zu reflektieren. 61 Zum anderen läuft er nicht Gefahr, durch bloße Untätigkeit in die unbeschränkte Haftung zu geraten. Verdeutlichen lassen sich diese Aspekte durch einen Vergleich mit dem schweizerischen Recht, in dem dieselbe Verknüpfung von Erwerbs- und Abwicklungsoption anzutreffen ist,62 das den Berufenen aber deut55
Näher unten B.IV. (589 ff.). der in entschuldbarer Weise fehlenden Kenntnis von der Eröffnung des Erbfalls (Art. 780 Abs. 5 Code civil) zählt hierzu auch der praktisch häufige Fall, dass die Kinder des Verstorbenen dem überlebenden Ehegatte zunächst den Nachlass zur Nutzung überlassen und ihr Erbrecht erst nach dessen Tod geltend machen. Siehe Art. 780 Abs. 3 und Mazeaud-Leveneur, JCP N 2008, 1247, Nr. 7; Binet, Droit de la famille 2006, étude 55, Nr. 19. 57 Dazu schon oben § 1 E.I.2b) (44 ff.). 58 Art. 780 Abs. 1 und 2 Code civil. Dazu Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 763 (681). 59 Art. 789 Code civil1804, der auf die Maximalfrist für die Verjährung von dinglichen Rechten an Immobilien verwies. 60 Art. 790 Code civil. 61 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 757 f. sprechen in diesem Zusammenhang von der „[l]iberté psychologique“ bzw. der „liberté d’esprit“. 62 Dass die Wahlmöglichkeiten sich in Zahl und Inhalt vom französischen Recht unterscheiden, spielt insoweit keine Rolle. 56 Neben
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lich strengeren Anforderungen unterwirft. 63 So ist nicht nur die Entscheidungsfrist drastisch kürzer als in Frankreich, indem sie im Grundsatz64 lediglich drei Monate ab Kenntnis von der Berufung beträgt. 65 Auch ist die Rechtsfolge des Fristablaufs nicht die Ausschlagung, sondern die vorbehaltlose Annahme, 66 so dass der Berufene bei Untätigkeit in eine endgültige unbeschränkte Haftung rutscht. Eine Ausnahme hiervon wird immerhin für den Fall gemacht, dass die Überschuldung des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes amtlich festgestellt oder offenkundig war; in diesem Fall vermutet das Gesetz die Ausschlagung der Erbschaft. 67 b) Indirektes und direktes Provokationsrecht Die soeben erörterte, sehr großzügige französische Optionsfrist isoliert zu betrachten, hieße zu übersehen, dass sie in der Praxis eine erhebliche Einschränkung erfuhr,68 und auch erfahren musste, weil sie anderenfalls den Nachlassgläubigern nicht zumutbar gewesen wäre. Denn diese hätten sonst womöglich über Jahre hinweg nicht wissen können, ob der Berufene der richtige Klagegegner ist und in welche Gegenstände sie vollstrecken können. Und so räumte der Code civil in seiner ursprünglichen Fassung den Nachlassgläubigern zumindest indirekt69 die Möglichkeit ein, den Berufenen zu einer schnelleren Entscheidung zu zwingen: Gingen sie nämlich im Klagewege gegen den Berufenen vor, war das Gericht aufgrund der Schwebelage nicht etwa an einer Entscheidung gehindert. Vielmehr konnte es den Berufenen auf der Grundlage seiner (zumindest provisorischen) Nachlassinhaberschaft verurteilen, und in Ermangelung einer anderweitigen Erklärung sogar so
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Zu diesem Vergleich und dem zu weiteren Rechtsordnungen Leleu, Transmission, Nr. 566. Eine Ausnahme wird zum einen im Falle der gerichtliche Verlängerung oder Neuansetzung der Frist nach Art. 576 ZGB gemacht, zum anderen dann, wenn der Berufene innerhalb der Monatsfrist des Art. 580 Abs. 2 ZGB die Errichtung eines „öffentlichen Inventars“ beantragt, also eines Aufgebotsverfahrens. Unabhängig von dessen Dauer erhält der Berufene nach Abschluss noch einen Monat Zeit, um seine Entscheidung über Erwerb und Abwicklungsmodus zu treffen, wobei die Möglichkeit einer behördlichen Fristverlängerung besteht (Art. 587 ZGB). 65 Art. 567 ZGB. Wurde von Amts wegen ein Inventar aufgenommen, beginnt die Frist mit der behördlichen Kenntnisgabe von dessen Abschluss (Art. 568 ZGB). 66 Dies ergibt sich neben Art. 571 Abs. 1 ZGB auch daraus, dass die Mittel der Haftungsbeschränkung, nämlich das Gläubigeraufgebot (sog. öffentliches Inventar) und die amtliche Liquidation, nur bei Fortbestehen der Ausschlagungsbefugnis geltend gemacht werden können, siehe Art. 580 Abs. 1, 593 Abs. 1 ZGB. Ferner Druey, Grundriss, § 15 Rn. 54, 83; Wolf/Genna, SRP IV/2, 105, 121 f. 67 Art. 566 Abs. 2 ZGB; dazu und zu den weiteren Ausnahmen vom Ipso-iure-Erwerb in Art. 574, 575 ZGB Wolf, ZSR 125 (2006) II, 220 (Fn. 24). Verdrängt wird die Auffangregel der vorbehaltlosen Annahme zudem im Fall der Annahme unter öffentlichem Inventar (Art. 588 ZGB), wo ein Untätigbleiben des Berufenen nach Abschluss dazu führt, dass der Erbe nur gegenüber den angemeldeten Gläubigern haftet, insoweit aber unbeschränkt (Art. 589 ZGB). Dieser Mechanismus setzt aber eben voraus, dass der Berufene zuvor binnen Monatsfrist das öffentliche Inventar beantragt hat (Art. 580 Abs. 2 ZGB). 68 Dies betont auch Mazeaud-Leveneur, JCP N 2008, 1247, Nr. 8 . 69 Zutreffende Differenzierung bei Leleu, Transmission, Nr. 557 (320). 64
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verurteilen (wenngleich nur mit Wirkung inter partes), als habe er die „acceptation pure et simple“ erklärt.70 Nicht nur übernahm die unbeschränkte Annahme damit jedenfalls teilweise die Rolle der Auffanglösung, auch war die Überlegungsfrist des Berufenen de facto deutlich kürzer als die oben genannten zehn bzw. dreißig Jahre. Denn nur so lange, wie er von den Nachlassgläubigern prozessual nicht belangt werden durfte, war der Berufene in seiner Entscheidung noch völlig frei. Diese in Form einer dilatorischen Einrede gewährte Schonfrist – und damit eigentliche Überlegungsfrist – betrug drei Monate und vierzig Tage ab Eröffnung des Erbfalls.71 Während dieser Zeit sollte der Berufene nach der Vorstellung des Gesetzgebers in Ruhe ein Inventar errichten und sich anschließend das weitere Vorgehen überlegen können. Dies bedeutete allerdings nicht, dass mit Ablauf der zweigestuften Frist72 die Möglichkeit zur Annahme unter Haftungsbeschränkung verloren ging;73 der Berufene musste fortan lediglich damit rechnen, von den Nachlassgläubigern prozessual unter Druck gesetzt zu werden.74 Für die Nachlassgläubiger war diese Rechtslage dennoch unbefriedigend, und zwar vor allem aus dem Grund, dass erst eine rechtskräftige Verurteilung dem Berufenen das Optionsrecht nahm.75 Die Nachlassgläubiger mussten also damit rechnen, dass der Berufene noch „im letzten Moment“ die Ausschlagung oder die Annahme unter Haftungsbeschränkung erklärte und die Klage der Nachlassgläubiger dann nach langer Verfahrensdauer scheiterte oder ein Titel zumindest nicht in das Eigenvermögen vollstreckt werden konnte.76 Diesem Missstand half der Reformgesetzgeber von 2006 dadurch ab, dass er nach historischen und rechtsvergleichenden Vorbildern77 und in Nachfolge eines Entwurfs von 199578 das indirekte Provokationsrecht in Gestalt der Klageerhebung durch ein selbständiges Provoka70 Art. 8 00 Code civil1804. Eingehend Leleu, Transmission, Nr. 557; siehe ferner Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht III, Rn. 5 D 11; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 758 (677); Rapport Assemblée Nationale 71. 71 Art 795, 797 Code civil1804. Auf Antrag konnte die Frist gerichtlich verlängert werden, siehe Art. 798 Code civil1804. Näher zum Ganzen Leleu, Transmission, Nr. 563 f., dem zufolge der Berufene nicht das Inventar errichtet haben musste, um sich auf die 40-tägige Überlegungsfrist berufen zu können. Die Unterscheidung zwischen beiden Fristen war dennoch nicht irrelevant: Schloss der Berufene die Inventarerrichtung vor Ablauf der drei Monate ab, begann die 40-Tages-Frist früher zu laufen. 72 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 758 („double délai“). 73 Art. 8 00 Code civil1804. 74 Leleu, Transmission, Nr. 565. 75 Siehe den Wortlaut des Art. 8 00 Code civil1804. 76 Siehe Leleu, Transmission, Nr. 557 (321 f.), der diese nachsichtige Behandlung des Berufenen wegen der damit verbundenen Möglichkeit der Verschleppung in nachvollziehbarer Weise zusammen mit anderen Stimmen kritisiert und den Reformentwurf von 1995 dafür lobt, dass er auf das Eintreten der Rechtskraft verzichtete. 77 Neben der Fristsetzung durch den römischen Prätor (dazu oben § 4 A.III.3. (253 ff.)) ist aus heutiger Zeit etwa Art. 481 Codice civile zu nennen. Zu diesem und anderen Beispielen Leleu, Transmission, Nr. 566. 78 Dazu Leleu, Transmission, Nr. 567.
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tionsrecht und damit ein deutlich leichtfüßigeres Instrument ersetzte:79 Ist die regelungstechnisch vereinfachte Schonfrist von jetzt vier Monaten seit Eröffnung des Erbfalls80 abgelaufen, haben Nachlassgläubiger (ebenso wie nun auch Mitberufene und Nachberufene, einschließlich des Staates81) die Möglichkeit, den successible mittels außergerichtlicher Ladung82 zu einer Entscheidung aufzufordern. 83 Der fruchtlose Ablauf einer sich daran anschließenden zweimonatigen Frist sowie einer eventuell auf Antrag vom Gericht gewährten Zusatzfrist hat die Fiktion einer „acceptation pure et simple“ zur Folge, die im Gegensatz zum früheren Recht erga omnes wirkt.84 Diese Entscheidung für die vorbehaltlose Annahme als Auffangregel, deren praktische Bedeutung im Gesetzgebungsverfahren hervorgehoben wurde, 85 war keineswegs selbstverständlich. Denn systematische Überlegungen hätten an sich dafür gesprochen, genauso wie beim Verstreichen der gesetzlichen Optionsfrist die Ausschlagung zu fingieren. 86 Der Einwand, dass dies einen Bruch mit dem Grundsatz des automatischen Nachlassübergangs auf den Gesamtnachfolger im Zeitpunkt des Todes bedeutet hätte,87 ist zwar korrekt, stellt aber die Auffangregel bei gesetzlichem Fristablauf erst recht infrage. Im Gesetzgebungsverfahren wurde die Auffangregel der vorbehaltlosen Annahme denn auch anders begründet: Es gelte einerseits, den Berufenen zum Tätigwerden anzureizen, andererseits, die Nachlassgläubiger für ihre Initiative zu belohnen. 88 Indessen fragt sich, ob der angemessene Kompromiss nicht in der Statuierung der Annahme unter Haftungsbeschränkung als Auffangregel gelegen hätte. Das Argument, dass diese Lösung nicht hinreichend attraktiv für die Nachlassgläubiger gewesen wäre, 89 vermag 79 Das damit verbundene Ziel der Beschleunigung der Nachlassabwicklung wird betont in Rapport Assemblée Nationale 27, 47, 49, 68. Im Schrifttum wird die paktische Bedeutung der Maßnahme hervorgehoben, siehe etwa Mazeaud-Leveneur, JCP N 2008, 1247, Nr. 8; Klima ZEV 2006, 441. 80 Art. 7 71 Abs. 1 Code civil, dazu Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 758 (676); Binet, Droit de la famille 2006, étude 55, Nr. 20. Anders als bei der Vorgängerregelung (siehe oben Fn. 71), wird nicht mehr zwischen einer Inventarisierungs- und einer eigentlichen Überlegungsfrist unterschieden. Auch ist keine Möglichkeit der gerichtlichen Verlängerung mehr vorgesehen. 81 Der persönliche Anwendungsbereich des Provokationsrechts wurde gegenüber der früheren Rechtslage also verallgemeinert, Rapport Assemblée Nationale 49. 82 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 758 (Fn. 2) nennen als Beispiel die Zustellung durch den Gerichtsvollzieher oder eingeschriebenen Brief. 83 Art. 7 71 Code civil. 84 Art. 7 72 Code civil, näher Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 758 (676 f.). 85 Rapport Assemblée Nationale 71. 86 Dieses Argument wurde auch im Gesetzgebungsverfahren vorgebracht, siehe Rapport Assemblée Nationale 71 f.; Rapport Sénat 59. Der Entwurf von 1995 hatte in der Tat die Ausschlagung als Auffangregel vorgesehen, siehe Leleu, Transmission, Nr. 567. 87 So die Kritik von Leleu, Transmission, Nr. 567. 88 Rapport Assemblée Nationale 71. Mazeaud-Leveneur, JCP N 2008, 1247, Nr. 8, hält die Rechtsfolge des Art. 772 Code civil dort für gerechtfertigt, wo sie auf die Initiative der Nachlassgläubiger zurückgeht, zweifelt sie aber in dem Fall an, wo Mitberechtigte gegen den Berufenen vorgegangen sind. 89 So Rapport Assemblée Nationale 71.
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nicht zu überzeugen, da Gläubiger an einem unbeschränkten Haftungszugriff im Normalfall kein anerkennenswertes Interesse haben. Immerhin ist auch zu sehen, dass der Berufene nach der gewählten Lösung zwar durch bloßes Untätigbleiben in unbeschränkte Haftung fallen kann, er jedoch vorher zumindest einmal mit dem Verlangen der Nachlassgläubiger konfrontiert wird (eine rechtliche Belehrung über die Folgen des Nichtstuns scheint mit der außergerichtlichen Aufforderung allerdings nicht zwingend verbunden zu sein). Anders als im Fall der Verheimlichung (recel) 90 ist die Fiktion der vorbehaltlosen Annahme daher nicht als Sanktion für Fehlverhalten zu deuten,91 sondern als bloße Auffangregel, die die Beschleunigung der Abwicklung bezweckt und zudem konsistent ist mit dem automatischen Nachlassübergang im Zeitpunkt des Todes. Schließlich hat, und auch dies wurde im Gesetzgebungsverfahren geltend gemacht,92 eine andere 2006 eingeführte Neuerung die Härten der vorbehaltlosen Annahme gemildert, nämlich die bereits erwähnte Möglichkeit, für verborgene Nachlassverbindlichkeiten eine Haftungserleichterung zu erhalten.93 Das bloße Verstreichen der viermonatigen Schonfrist zieht demgegenüber keinen Verlust der Option nach sich.94 Und anders als noch unter früherem Recht, vermag offenbar auch eine gerichtliche Verurteilung des Berufenen keine Entscheidung mehr herbeizuführen. Da das selbständige Provokationsrecht aber ohnehin viel einfacher und schneller geltend gemacht werden kann, wäre den Nachlassgläubigern die Forcierung der Entscheidung im Klageweg auch gar nicht mehr zu empfehlen. 2. Voraussetzungen der Ausübung a) Formerfordernisse Angesichts ihrer weitreichenden Konsequenzen und ihres Charakters als einseitiges Rechtsgeschäft95 überrascht es nicht, dass das französische Recht die Ausübung der Option grundsätzlich Formerfordernissen unterwirft.96 Nicht nur wird dem Berufenen hierdurch Übereilungsschutz geboten, auch wird Publizitätsinteressen Rechnung getragen und im Streitfall die Feststellung des Sachverhalts erleichtert. Dementsprechend darf die Erklärung der Ausschlagung nicht still90
Dazu unten B.V. (599 ff.). So wohl auch Rapport Assemblée Nationale 71, wo der Begriff sanction in Anführungszeichen gesetzt ist. Von einer echten Sanktion wie Fall der Verheimlichung von Nachlassgegenständen spricht hingegen Mazeaud-Leveneur, JCP N 2008, 1247, Nr. 9. 92 Rapport Assemblée Nationale 72; Rapport Sénat 59. 93 Dazu ausführlich unten B.IV. (589 ff.). 94 Art. 7 73 Code civil; Binet, Droit de la famille 2006, étude 55, Nr. 2 2. 95 In der Terminologie der französischen Dogmatik ein „acte juridique unilateral“, siehe etwa Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 749 (670), die im Kontext der „option successorale“ das Fehlen jeglicher Verhandlungen hervorheben (Rn. 766). 96 Aus rechtsvergleichender Sicht betont dies RVglHWB/Hallstein, Annahme und Ausschlagung der Erbschaft, 221. 91
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schweigend erfolgen,97 und soll sie Drittwirkung entfalten, muss sie gegenüber dem zuständigen Nachlassgericht abgegeben werden.98 Die Erklärung der Annahme unter Haftungsbeschränkung ist sogar zwingend amtsempfangsbedürftig.99 Die ausdrückliche Erklärung der vorbehaltlosen Annahme (zur stillschweigenden sogleich) schließlich bedarf der öffentlichen oder privaten Schriftform, kann also nicht mündlich erfolgen.100 Hierin lässt ein Überbleibsel der römischen cretio sehen.101 b) Die vorbehaltlose Annahme als Haftungsfalle Eine Auffälligkeit, wenn nicht gar Paradoxie, des soeben skizzierten Formenre gimes besteht darin, dass ausgerechnet die vorbehaltlose Annahme nicht amtsempfangsbedürftig ist. Denn damit wird die für den Berufenen gefährlichste Option, die vom Gesetzgeber bei Beteiligung nicht voll geschäftsfähiger Personen auch als solche behandelt wird,102 mit den niedrigsten Sicherheitsvorkehrungen ausstattet. So kann der Berufene eine „acceptation pure et simple“ beispielsweise auch in einem gewöhnlichen Brief erklären, der nicht einmal zu diesem Zweck verfasst worden sein muss.103 Noch brisanter ist aber, dass die vorbehaltlose Annahme in Anknüpfung an die römische pro herede gestio104 sogar stillschweigend erfolgen kann und damit unter Ausschaltung jeglichen Übereilungsschutzes. Es genügt, dass der 97
Art. 804 Abs. 1 Code civil. Art. 804 Code civil; näher Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 776. 99 Nach Art. 788 Abs. 1 Code civil ist die Erklärung gegenüber dem „tribunal de grande instance“ am Ort der Eröffnung des Nachlasses abzugeben. 2016 wurde die Möglichkeit eingeführt, die Annahme unter Haftungsbeschränkung vor einem Notar zu erklären (loi n° 2016-1547). Die Amtsempfangsbedürftigkeit der Erklärung war auch schon in der Ursprungsfassung des Code civil vorgesehen, siehe Art. 793 Code civil1804. 100 Art. 782 S. 2 Code civil. 101 Dazu oben § 3 A.I.1. (165 ff.). 102 Minderjährigen und Entmündigten gewährte der Code civil ursprünglich überhaupt nicht die Option der unbeschränkten Annahme, so dass der Vormund oder Pfleger nur die Wahl zwischen Ausschlagung und Annahme unter Haftungsbeschränkung hatte (siehe Art. 776 i. V. m. 461, 509 Code civil1804, rechtsvergleichend RVglHWB/Hallstein, Annahme und Ausschlagung der Erbschaft, 225). Seit einer Reform von 1964 (siehe Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht III, Rn. 5 D 14) gestattet das Recht zwar auch den in der Geschäftsfähigkeit voll oder teilweise beschränkten Personen die vorbehaltlose Annahme, knüpft sie aufgrund ihrer Gefährlichkeit aber an besondere Voraussetzungen. So kann beispielsweise eine unter tutelle stehende erwachsene Person die Annahme unter Haftungsbeschränkung allein, die vorbehaltlose Annahme hingegen nur unter Mitwirkung ihres Pflegers erklären. Zu den Details Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 752; Grimaldi, Successions, Nr. 475. Eine Verheimlichung von Nachlassgegenständen (recel) kann allerdings auch bei geschäftsunfähigen Personen zur Sanktion einer vorbehaltlosen Annahme führen, siehe unten Fn. 218. 103 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 768 (683). Nicht genügend ist hingegen, dass der Berufene sich als solcher bezeichnet, selbst wenn er dabei in rechtlich ungenauer Weise den Begriff „successeur“ oder „héritier“ statt „successible“ verwendet, siehe ebd., Rn. 768 (684); Leroyer, Successions, Rn. 380. Dies gilt nach Art. 730-2 Code civil sogar dann, wenn die Erklärung Teil eines acte de notoriété ist. Zu undifferenziert Klima ZEV 2006, 441, der aber zu Recht die Gefährlichkeit der Regel für den rechtsunkundigen Berufenen betont. 104 Dazu oben § 3 Fn. 7. 98
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Berufene Nachlassgegenstände als eigene behandelt hat, so wie etwa der im Haushalt seiner Mutter lebende Sohn, der nach ihrem Tod eine Flasche Wein aus ihrem Keller trinkt und Holz aus ihrem Schuppen im Kamin verbrennt.105 Das Bewusstsein des unwiderruflichen Eintritts in die Nachlassverbindlichkeiten muss nicht vorliegen, geschweige denn der Wille zur unbeschränkten Haftung.106 Treffend illustriert wird die Problematik durch eine Entscheidung des niederländischen Hoge Raad aus dem Jahr 2014 zur strukturell vergleichbaren Regelung des Burgerlijk Wetboek. Im zugrunde liegenden Sachverhalt hatten zwei der drei Kinder der Erblasserin noch am Todestag mit ihren Partnern ein Restaurant besucht, um über Einzelheiten der Nachlass abwicklung zu sprechen, und anschließend die Rechnung in Höhe von ca. 120 EUR mit der Kreditkarte der Verstorbenen bezahlt. Anders als die Vorinstanz sah der Hoge Raad in der Nutzung der Kreditkarte keine stillschweigende Annahme der Erbschaft.107
Wie schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts scharf kritisiert wurde, lockt der Code civil den gedankenlos handelnden Berufenen damit regelrecht in die Falle der unbeschränkten Haftung108 und ermuntert zu entsprechenden Spekulationen auf Seiten der Gläubiger.109 Zwar bewirkte das Gesetzbuch schon in seiner ursprünglichen Version dadurch einen gewissen Schutz, dass es die Voraussetzungen der stillschweigenden Annahme eng definierte110 und Maßnahmen der Erhaltung, Überwachung und vorläufigen Verwaltung des Nachlasses ausdrücklich vom Tatbestand ausklammerte.111 Überdies kam die Rechtsprechung dem Berufenen insoweit entgegen, als sie strenge Anforderungen an das Vorliegen einer konkludenten 105 Diese Beispiele nennt Appert im Protokoll der Sitzung der „Société d’études législatives“ v. 19.1.1911, Bull.Soc.e.leg. 10 (1911), 34. 106 Leleu, Transmission, Nr. 574, weist darauf hin, dass dieser Wille auch kaum jemals vorliegen würde. 107 Siehe die Besprechung bei Kolkman, Tijdschrift Erfrecht 2015, 8. 108 Percerou RTDCiv. 4 (1905), 825 („un véritable piège légal“); ders. spricht ebd., auch von einer „[l]égislation singulière en vérité et bien imparfaite“; eindringlich auch Appert im Protokoll der Sitzung der „Société d’études législatives“ v. 19.1.1911, Bull.Soc.e.leg. 10 (1911), 33–35 („traquenard“). Aus dem heutigen Schrifttum etwa Mazeaud-Leveneur, JCP N 2008, 1247, Nr. 22; Gasnier, Liquidation, Nr. 52. Für die romanische Tradition generell Vialleton, A.Dir.Comp. 13 (1938), 305. In der Kommission der „Société d’études législatives“ zur Reform der Nachlassabwicklung wurde freilich auch davor gewarnt, die Gefahren zu übertreiben, siehe Percerou, Bull. Soc.e.leg. 9 (1910), 241. Ähnlich meint Leleu, Transmission, Nr. 515, dass die überhastete Annahme in der Praxis die Ausnahme sei, ebenso wie der Fall des überschuldeten Nachlasses. Aus einer vergleichenden Sicht bezeichnete Rheinstein, Iowa LR 20 (1935), 440, die Regelung als „remarkable“ und betonte den Unterschied zum justinianischen Recht. 109 Siehe Appert, Protokoll der Sitzung der „Société d’études législatives“ v. 19.1.1911, Bull. Soc.e.leg. 10 (1911), 34, der von „agents d’affaires“ berichtet, welche Forderungen kaufen, die gegen einen überschuldet verstorbenen Erblasser gerichtet sind, und hoffen, dass ein unvorsichtiger Berufener die Erbschaft vorbehaltlos annimmt. 110 Siehe Art. 782 S. 3 Code civil (der im Wesentlichen dem entsprechenden Passus in Art. 7 78 Code civil1804 entspricht), wonach eine Handlung vorliegen muss, aus der sich zwingend auf den Willen der Annahme schließen lässt und zu welcher der Handelnde nur als annehmender Erbe berechtigt wäre. Auffällig ist allerdings, dass das Gesetz nur einen Willen zur Annahme verlangt, und nicht auch einen Willen zur vorbehaltlosen Annahme. Dazu auch unten Fn. 121 f. 111 Art. 7 79 Code civil1804. Dazu eingehend Gasnier, Liquidation, Nr. 51 f.
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Annahme stellte (es sei denn, der Berufene berief sich zu seinen Gunsten auf eine solche).112 Doch war die Praxis auch so durch eine „desaströse“ Rechtsunsicherheit gekennzeichnet,113 auch was die Wirkung eines erklärten Vorbehalts oder einer vor Vornahme einer Verwaltungshandlung eingeholten richterlichen Genehmigung betraf.114 Zu erkennen gilt es freilich auch, dass der französische Gesetzgeber vor einem Dilemma stand: Hätte er die ausdrückliche unbeschränkte Annahme strengeren Formerfordernissen unterworfen, etwa dem der Amtsempfangsbedürftigkeit,115 so hätte er dem Berufenen im empirischen Normalfall des zulänglichen Nachlasses unnötig Steine in den Weg gelegt.116 Und hätte der Gesetzgeber die Möglichkeit der stillschweigenden Annahme zu sehr eingeschränkt oder gar gänzlich ausgeschlossen,117 hätte der Erbe sich „fröhlich“ in den Besitz des Nachlasses begeben und sogar Verfügungen treffen können, ohne für dieses Handeln Konsequenzen tragen zu müssen. Wollte man dies vermeiden, hätte die starke Zurückdrängung bzw. der Ausschluss der stillschweigenden Annahme mit einer amtlichen Versiegelung des Nachlasses oder dem Einsatz eines Fremdverwalters gekoppelt werden müssen, was aber wiederum einen Bruch mit dem Grundsatz des saisine bedeutet hätte, also dem Recht des Berufenen auf ungehinderten Zugang zum Nachlass.118 Es erweist sich damit, dass der Code civil die Koppelung von Erwerbs- und Abwicklungsoption mit einem erheblichen Preis bezahlen musste, indem er zwei gegenläufige Tendenzen nicht mehr befriedigend in Einklang bringen konnte. Wollte er nicht, wie im Code civil geschehen, das Interesse des Berufenen an der Vermeidung einer unbeschränkten Haftung dem Interesse an schneller und einfacher Einsetzung eines Abwicklers opfern, so hätte er umgekehrt dem Interesse des Berufenen an „Haftungssicherheit“ das Interesse an schneller und einfacher Nachlassabwicklung unterordnen müssen.
112 Leleu, Transmission, Nr. 9 0, 574; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 7 70. Kritisch zur fehlenden Herausbildung einer klaren Linie Gasnier, Liquidation, Nr. 53. 113 Binet, Droit de la famille 2006, étude 55, Nr. 23. Siehe auch schon Percerou, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 241 f. 114 Appert im Protokoll der Sitzung der „Société d’études législatives“ v. 19.1.1911, Bull. Soc.e.leg. 10 (1911), 34 f.; Leleu, Transmission, Nr. 571; Mazeaud-Leveneur, JCP N 2008, 1247, Nr. 22. 115 So wie es das preußische ALR vorsah (siehe oben § 6 Fn. 582) und es im heutigen polnischen Recht geregelt ist (Ferid/Firsching/Dörner/Hausmann/de Vries, Polen, Rn. 274; unterminiert wird dieses Konzept freilich dadurch, dass nach Art. 1015 § 2 Kodeks cywilny das Verstreichen der Ausschlagungsfrist grundsätzlich der einfachen Annahme gleichsteht). Siber, Referat, 768, stellt eine solche Lösung sogar für das deutsche Recht in den Raum, obwohl die Haftungsproblematik hier längst nicht so scharf ist wie im französischen Recht. 116 Genau aus diesem Grund wurde auch die anfangs fehlende Möglichkeit einer vorbehaltlosen Annahme durch geschäftsunfähige Berufene als unbefriedigend empfunden, siehe Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht III, Rn. 5 D 14. 117 Eine solche Maßnahme hält Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3486 für unverzichtbar, wenn die endgültige Annahme zur endgültigen Vollhaftung führt. 118 Zum Begriff der saisine oben § 5 C.II.2. (329 ff.).
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Bei näherem Hinsehen zeigt sich freilich, dass die Wurzel dieses Dilemmas letztlich in einer Vorentscheidung lag, nämlich der, die Annahme unter Haftungsbeschränkung dem Erfordernis der Amtsempfangsbedürftigkeit zu unterwerfen. Denn hierdurch war der Weg versperrt zur Behandlung der stillschweigenden Annahme als Annahme unter Haftungsbeschränkung, so wie es beispielsweise im preußischen ALR der Fall war, ungeachtet dessen unterschiedlichen konzeptionellen Ausgangspunkts.119 Zur Bewahrung der Haftungsbeschränkung hätte der héritier dann die Inventarerrichtung innerhalb der gesetzlichen Frist vornehmen müssen. Zwar wäre er bei einer solchen Lösung, die auf Entkoppelung von Erwerbsund Abwicklungsoption hinausläuft, immer noch dem Risiko ausgesetzt, durch bloße Untätigkeit in unbeschränkte Haftung zu verfallen. Doch hätte der Berufene gegenüber der jetzigen Lösung immerhin eine zweite Chance erhalten. Dass eine Regelung der beschriebenen Art keineswegs ein Fremdkörper im französischen Recht gewesen wäre, sondern in diesem sogar bereits angelegt ist, zeigt ein Blick auf die Schutzvorschriften zugunsten solcher Berufener, denen die volle Geschäftsfähigkeit fehlt. Denn hier ist die Erklärung der vorbehaltlosen Annahme an strengere Voraussetzungen geknüpft als die Annahme unter Haftungsbeschränkung, und ursprünglich war sie sogar gänzlich ausgeschlossen.120 Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass ein Reformentwurf der „Société d’études législatives“ aus dem Jahr 1910 genau in die skizzierte Richtung ging. Denn er sah vor, dass Handlungen, die von einem beschränkt haftenden Gesamtnachfolger begangen werden können, keinen Fall der stillschweigend erklärten vorbehaltlosen Annahme mehr bilden.121 Die „Bevorzugung“ der vorbehaltlosen Annahme beim Umgang mit Einmischungen in den Nachlass wäre hierdurch beseitigt worden. Saleilles schlug vor, die Regelung dahingehend zu vervollkommnen, dass die stillschweigende Annahme zwar zum Verlust des Ausschlagungsrechts führt, die Wahl zwischen vorbehaltloser Annahme und Annahme unter Haftungsbeschränkung hingegen unberührt bleibt.122 Erwerbsoption und Abwicklungsoption wären damit entkoppelt worden, was eine Annäherung an die (noch zu erörternde123) Regelung des BGB bedeutet hätte.124 Dem Reformgesetzgeber von 2006 erschien ein solcher Schritt aber vermutlich als zu weit gehende Abkehr von der etablierten Tradition. Wie im folgenden Abschnitt zu zeigen ist, begnügte er sich stattdessen damit, die Voraussetzungen einer stillschweigenden Annahme klarer und enger zu fassen, um den Berufenen auf die119
Dazu oben § 6 D.III. (441 ff.). Siehe oben Fn. 102. 121 Percerou, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 235 (Art. 2 Abs. 3 des Entwurfs), 242. 122 Siehe Société d’études législatives, Protokoll der Sitzung vom 19.1.1911, Bull.Soc.e.leg. 10 (1911), 27 f. (abgedrucktes Schreiben Saleilles’). Siehe auch ebd., 29, wo Saleilles forderte, die Annahme unter Haftungsbeschränkung zur Grundregel zu machen. 123 Siehe unten C.I. (610 ff.). 124 Hierauf wies Saleilles selbst hin, siehe Société d’études législatives, Protokoll der Sitzung vom 19.1.1911, Bull.Soc.e.leg. 10 (1911), 28. 120
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se Weise besser vor den aus ihr resultierenden Gefahren zu schützen. Dem Entwurf von 1910 wurde damit zumindest im Grundansatz gefolgt.125 c) Die Gefährdung des Nachlasses Der unzureichende Schutz vor Haftungsrisiken war keineswegs die einzige bedenkliche Folge der niedrigen und in den Einzelheiten oft unklaren Hürden für eine vorbehaltlose Annahme. Vielmehr verursachten diese auch ein weiteres, praktisch noch gravierenderes Problem: Aus Furcht davor, in eine unbeschränkte Haftung zu geraten, schreckten die zur Erbschaft berufenen Personen häufig nicht nur vor der Ausübung der Option, sondern auch vor der Vornahme notwendiger Maßnahmen zur Verwaltung des Nachlasses zurück.126 Ein solcher „immobilisme regrettable“ schadete gerade auch den Interessen der Nachlassgläubiger.127 Dadurch, dass das Gesetz die unbeschränkte Annahme besonders leicht machte, machte es die Nachlassabwicklung also paradoxerweise gerade schwerfällig.128 Letztlich bezahlte das französische Recht hiermit einen weiteren Preis dafür, dass es die „option“ mit so weitreichenden Konsequenzen ausstattete. Dem Reformgesetzgeber von 2006 war es deshalb ein zentrales Anliegen, im Interesse aller Beteiligten die vorbehaltlose Annahme durch konkludentes Verhalten rechtssicherer zu gestalten und damit die Verwaltung und Abwicklung des Nachlasses zu beschleunigen,129 insbesondere dort, wo es um die Fortführung eines Unternehmens ging.130 Eine erste diesem Zweck dienende Maßnahme bestand darin, den (nicht als stillschweigende Annahme zu wertenden) Maßnahmen der Erhaltung, Überwachung und vorläufigen Verwaltung durch eine Liste konkreter, im Wesentlichen aus der Rechtsprechung destillierter Anwendungsfälle deutlichere Konturen zu verleihen und darunter u. a. die notwendigen Maßnahmen zur kurzfristigen Fortführung unternehmerischer Aktivitäten zu fassen.131 Trägt diese „Objektivierung“ der still-
125 Dazu Percerou, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 241 f.; Saleilles, Sitzungprotokoll der Société d’études législatives vom 19.1.1911, 27; ders., Bull.Soc.e.leg. 10 (1911), 101 f. 126 Im Kontext des deutschen Rechts weist Röthel, Erbrecht, § 27 Rn. 33, abstrakt auf eine solche Gefahr hin. 127 Rapport Assemblée Nationale 27, 51; Rapport Sénat 27; Gasnier, Liquidation, Nr. 50. 128 Leleu, Transmission, Nr. 562. 129 Rapport Assemblée Nationale 27, 51, 83; Rapport Sénat 28. Grimaldi, Successions, Nr. 492 (386); Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 769 (685). In den Gesetzgebungsmaterialien und dem Schrifttum ist vom Topos der „sécurisation de l’option“ die Rede, siehe Rapport Sénat 26; Gasnier, Liquidation, Nr. 50. Binet, Droit de la famille 2006, étude 55, Nr. 11, 28 unterscheidet näher zwischen der „sécurisation juridique“, also der Erhöhung der Rechtssicherheit, und der „sécurisation économique“, also der Milderung der wirtschaftlichen Risiken. Eine Maßnahme der zweitgenannten Kategorie ist der verbesserte Schutz gegenüber unerkannten Nachlassverbindlichkeiten, siehe unten B.IV. (589 ff.). 130 In Rapport Assemblée Nationale 21, 47 wird beklagt, dass jedes Jahr 7.000–10.000 Unternehmen das Schicksal ihres verstorbenen Inhabers teilen. 131 Art. 784 Abs. 3 –5 Code civil. Näher zu den einzelnen Tatbeständen Binet, Droit de la famil-
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schweigenden Annahme auch zur Klarheit bei,132 bleiben die Ergebnisse in der Praxis dennoch vielfach unvorhersehbar, zumal der Berufene sich auch weiterhin nicht durch einen bei Vornahme der Handlung erklärten Vorbehalt absichern kann.133 Von noch größerer Bedeutung ist deshalb die zweite 2006 getroffene Maßnahme zur Herstellung von Rechtssicherheit, nämlich die Möglichkeit des Berufenen, sich die Vornahme einer bestimmten Verwaltungshandlung vorab richterlich genehmigen lassen und dadurch ausschließen, dass sie nachträglich als stillschweigende Annahme qualifiziert wird.134 Auf diese Weise erhält der Berufene einen Ausweg aus dem bisherigen Dilemma, entweder den Nachlass durch Untätigkeit zu schädigen oder durch Vornahme der gebotenen Verwaltungshandlung das Risiko einer unbeschränkten Haftung auf sich zu nehmen.135
IV. Das Problem verborgener Erblasserverbindlichkeiten 1. Die Schutzlücke im ursprünglichen Regime Abgesehen von dem Problem, dass der Code civil in seiner ursprünglichen Fassung die Entscheidung für die „acceptation pure et simple“, also die vorbehaltslose Annahme der Erbschaft mit der Folge der unbeschränkten Haftung, zu einfach machte und dadurch den unbedacht handelnden héritier geradezu ins Messer laufen ließ, war diese Variante auch für den umsichtig agierenden Gesamtnachfolger niemals frei von Risiken. Denn während die Entscheidung für die integrierte Abwicklung eine endgültige war, wurde ihre Tatsachengrundlage, also der zum damaligen Zeitpunkt bekannte Schuldenstand, keineswegs verbindlich festgeschrieben. Vielmehr musste der héritier auch für die ihm erst später bekannt gewordenen Verbindlichkeiten – und sogar die erst nach dem Tod des Erblassers vollständig zur Entstehung gelangten – unbeschränkt einstehen, was im Fall einer erheblichen Überschuldung des Nachlasses ruinöse Folgen für ihn haben konnte.136 Erlebte der héritier eine solche böse Überraschung und bereute er infolgedessen seine vorbehaltlose Annahme der Erbschaft, war ihm auch der Weg zu deren Anfechtung verschlossen. Denn einen Irrtum über das Ausmaß der Passiva erklärte der Code civil nur in einer Sonderkonstellation für beachtlich, nämlich dort, wo nach der Erbschaftsannahme noch ein Testament aufgefunden wurde, durch dessen le 2006, étude 55, Nr. 25, 27; Grimaldi, Successions, Nr. 494–497; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 769, 132 Mazeaud-Leveneur, JCP N 2008, 1247, Nr. 2 2. 133 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 7 70; Grimaldi, Successions, Nr. 498. 134 Art. 784 Abs. 2 Code civil. 135 Binet, Droit de la famille 2006, étude 55, Nr. 26. Die Reform hat uneingeschränkt Lob gefunden, siehe etwa Mazeaud-Leveneur, JCP N 2008, 1247, Nr. 22; Gasnier, Liquidation, Nr. 54 f. 136 Eindringlich bereits Saleilles, Protokoll der Sitzung der Société d’études législatives vom 19.1.1911, Bull.Soc.e.leg. 10 (1911), 28 f., der darauf hinwies, dass aus der beruflichen Tätigkeit des Verstorbenen resultierende Verbindlichkeiten (diese erwähnt auch Percerou, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 248) keineswegs die einzige Gefahrenquelle seien. Leleu, Transmission, Nr. 515, 517, 547; Rapport Assemblée Nationale 28; Catala, Droit de la famille 2006, 43, Nr. 5.
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Verfügungen der Nachlass aufgezehrt oder um mindestens die Hälfte geschmälert wurde.137 Wenig überraschend blieb dieser „enigmatische“, in Anlehnung an vertragliche Äquivalenzstörungen als „lésion“ bezeichnete Tatbestand138 in der Praxis toter Buchstabe.139 Schließlich half es dem Berufenen auch nicht, dass die französischen Gerichte im Laufe der Zeit den Irrtum („erreur“) als ungeschriebenen Anfechtungsgrund anerkannten.140 Denn zu dessen Konkretisierung waren die Kategorien des Vertragsrechts heranzuziehen, nach denen nur ein Irrtum über die „qualités essentielles“ eines Leistungsgegenstands beachtlich ist, nicht aber ein Irrtum über dessen Wert.141 Den Schritt, die Fehlvorstellung über das Ausmaß der Verbindlichkeiten als Irrtum über eine wesentliche Eigenschaft des Nachlasses zu qualifizieren – so wie es die deutsche Rechtsprechung seit Langem im Rahmen des § 119 Abs. 2 BGB tut – sind die französischen Gerichte nie gegangen. Dies ist insbesondere deshalb bemerkenswert, weil das praktische Bedürfnis für einen solchen Ausweg in Frankreich viel größer war als in Deutschland, wo dem Erben stets noch der Weg zur Haftungsbeschränkung offensteht.142 Die restriktive Haltung des französischen Rechts stellt bei vergleichender Betrachtung keinesfalls einen Sonderweg dar. So erklären die vergleichsweise jungen Erbrechtskodifikationen Italiens (1942) und Portugals (1966) Irrtümer beim Erbschaftserwerb sogar ausdrücklich für unbeachtlich.143
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Art. 783 Code civil1804; dazu Catala, Droit de la famille 2006, 43, Nr. 5. findet sich die Ansicht, dass die Regelung gar nicht sinnvoll angewandt werden könne (siehe etwa RVglHWB/Hallstein, Annahme und Ausschlagung der Erbschaft, 226: „unmögliche[r] Tatbestand“). Zutreffend ist in jedem Fall, dass von einer die „lésion“ kennzeichnenden wirtschaftlichen Beeinträchtigung des Gesamtnachfolgers so lange keine Rede sein konnte, wie die Vermächtnisse den Nachlass nicht erschöpften, und dass selbst bei einer Überbeschwerung eine solche Gefährdung nicht selbstverständlich war, weil es voraussetzte, dass der héritier für die Vermächtniserfüllung mit seinem eigenen Vermögen haftete (Grimaldi, Successions, Nr. 539). Die Verfasser des Reformentwurfs der „Société d’études législatives“ aus dem Jahr 1910 sahen denn auch den Daseinsgrund der Anfechtung des Erbschaftserwerbs wegen „lésion“ dadurch entfallen, dass sie die Haftung für Vermächtnisse ausdrücklich von Anfang an beschränkten (dazu allgemein oben § 6 C.II.3 (410 ff.)), siehe Percerou, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 243. Auch weiterhin einen Bedarf für den Anfechtungsgrund der „lésion“ sah hingegen Saleilles, der zur Illustration den „oft zitierten Schulfall“ nannte, dass der Berufene bereits zu Lebzeiten eine anrechenbare Schenkung erhalten hat, die er u. U. nur dadurch in vollem Umfang behalten kann, dass er sich vom Erbschaftserwerb nachträglich löst (siehe Sitzungprotokoll der Société d’études législatives vom 19.1.1911, 29 (verlesener Brief Saleilles’)). 139 Catala, Droit de la famille 2006, 43, Nr. 5; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 759 (678). 140 Nachweise bei Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 759 Fn. 3; Binet, Droit de la famille 2006, étude 55, Nr. 35; Gasnier, Liquidation, Nr. 56. 141 Siehe Grimaldi, Successions5, Nr. 495; ders., Successions, Nr. 538; Leleu, Transmission, Nr. 547. Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 759 (679), weisen auf einen möglichen Regressanspruch gegen den Notar hin, wenn dieser sich bei Ausstellung eines Erbnachweises der Verletzung einer Informationspflicht schuldig gemacht hat. 142 Dazu unten C.I.5. (618 f.). 143 Art. 483 Abs. 1, 526 Codice civile; Art. 2060, 2065 Código civil. Näher zur Regelung des portugiesischen Rechts J. P. Schmidt, in: Der Allgemeine Teil des Privatrechts, 500 f. 138 Vielfach
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Um die Nöte des Berufenen zu verstehen, ist schließlich noch zu beachten, dass der Code civil ihm auch nicht das Instrument des Gläubigeraufgebots zur Verfügung stellte, um sich gegen unbekannte Erblasserverbindlichkeiten abzusichern. Denn wenngleich der Berufene versuchen konnte (und ratsamerweise auch versuchte), vor dem Treffen einer Entscheidung die bestehenden Nachlassverbindlichkeiten zu ermitteln, war hiermit keinerlei Ausschlusswirkung verbunden für solche Gläubiger, die, aus welchen Gründen auch immer, nicht hervorgetreten waren. Wie französischen Juristen keineswegs entging,144 lag hierin ein zentraler Unterschied zur Regelung des BGB und des schweizerischen ZGB, die beide dem Berufenen die Möglichkeit gewähren, mittels Gläubigeraufgebot bzw. „öffentlichem Inventar“ den zu Schuldenstand gewissermaßen festzuschreiben und nachträglich auftretende Gläubiger auf einen eventuell vorhandenen Nachlassrest zu verweisen.145 Gerade im Hinblick auf das ZGB ist dieser Unterschied zum französischen Recht bemerkenswert, weil sich beide Regime, wie bereits gesehen, in der Grundstruktur sehr ähneln. Aus den vorangehenden Ausführungen folgt, dass das französische Recht den Berufenen immer dann, wenn der Nachlass zulänglich erschien, oder allenfalls in so geringem Maße überschuldet, dass der Berufene bereit war, die Differenz auszugleichen, vor ein Dilemma stellte. Entweder „kaufte er die Katze im Sack“,146 indem er die Erbschaft vorbehaltlos annahm und damit riskierte, dass es später ein böses Erwachen gab. Oder er ging auf Nummer sicher, indem er die Annahme unter Vorbehalt erklärte und damit Kosten und Beschwernisse in Kauf nahm, die sich aller Voraussicht nach als überflüssig erweisen würden.147 Auch in Spanien, wo die Rechtslage für das hier interessierende Thema noch weitgehend der unter dem Code civil von 1804 entspricht, war das Problem verborgener Erblasserverbindlichkeiten eine wesentliche Triebfeder des 2019 angestoßenen Reformvorhabens.148 So heißt es in der offiziellen Begründung, dass derartige Erbschaftslasten seit der Finanzkrise exponentiell zugenommen haben, beispielsweise in Gestalt von gesamtschuldnerischen Bürgschaften oder Verbindlichkeiten aus Geschäftsführerhaftung. Als mögliches Vorbild für eine Lösung wird ausdrücklich die sogleich zu erörternde Neuregelung aus 2006 genannt.149
2. Die 2006 geschaffene Billigkeitslösung Der Reformgesetzgeber von 2006 wollte den beschriebenen Rechtszustand nicht länger tolerieren,150 was im Kontext seines generellen Bestrebens zu sehen ist, den 144 Siehe insbesondere Percerou, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 244–246; Saleilles, Bull.Soc.e.leg. 10 (1911), 52–55. 145 Art. 590 ZGB. 146 Ähnlich Saleilles, Bull.Soc.e.leg. 10 (1911), 54, dem zufolge die Entscheidung häufig „blind“ (aveugle) getroffen wurde. 147 Sehr klar herausgearbeitet wird dieses Dilemma von Percerou, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 246 f. 148 Dazu oben § 1 Fn. 112. 149 Ministerio de Justicia, Orden de 4 de febrero de 2019, 3 f. 150 Das Auftreten des Problems in der Praxis wurde im Konsultationsverfahren von den befragten Notaren bestätigt, siehe Rapport Assemblée Nationale 19.
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héritier gegen die Risiken des Erbschaftserwerbs besser abzusichern und damit auch die Verwaltung und Abwicklung des Nachlasses zu beschleunigen.151 Interessanterweise nahm der Gesetzgeber dabei allerdings nicht den schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts insbesondere von Saleilles mit Nachdruck unterbreiteten Vorschlag auf, ein Verfahren des Gläubigeraufgebots nach Vorbild des deutschen und des schweizerischen Rechts einzuführen.152 Stattdessen schuf er in Anknüpfung an Reformüberlegungen aus dem Jahr 1910153 und einen Entwurf von 1995154 im neuen Art. 786 Abs. 2 Code civil eine Lösung, die rechtsvergleichend ohne unmittelbares Vorbild ist, aber Ähnlichkeiten mit der römischen restitutio in integrum aufweist,155 ebenso wie mit einem Regelungsvorschlag Heinrich Sibers aus den 1930er Jahren156 (was dem französischen Gesetzgeber freilich nicht bewusst gewesen sein dürfte). Der Billigkeitscharakter der neuen Regelung wird durch ihre Stellung außerhalb der allgemeinen Systematik und ihre generalklauselartige Natur verdeutlicht.157 Dank ihr kann ein héritier nun im Klageweg beantragen,158 „von einer Erblasserverbindlichkeit159, von der er aus berechtigten Gründen im Moment der Annahme nichts wusste, ganz oder teilweise befreit zu werden, wenn die Erfüllung dieser Schuld eine schwerwiegende Belastung seines Eigenvermögens zur Folge hätte.“ 151 Siehe zur klareren Regelung der Voraussetzungen einer stillschweigenden Annahme oben B.III.2c) (588 ff.). 152 Saleilles, Bull.Soc.e.leg. 10 (1911), 52–55. Freilich hatte auch schon die Kommission der „Société d’études législatives“ in ihrem 1910 vorgelegten Entwurf zur Neuregelung der Nachlassabwicklung bewusst von der Einführung eines Aufgebotsverfahrens abgesehen, siehe Percerou, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 247, der selbst diese Lösung klar befürwortet haben dürfte, sich trotz seiner Stellung als rapporteur aber offenbar nicht hatte durchsetzen können. Die Mehrheit der Kommission sah in der Ausschlusswirkung des Aufgebotsverfahrens einen zu starken Eingriff in die Gläubigerrechte, was insofern kurios erscheint, als der Code civil diesen im Allgemeinen keinen sonderlich hohen Stellenwert einräumte. 153 Siehe Percerou, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 243, zu einem diskutierten, letztlich aber fallen gelassenen Reformvorschlag der von ihm geleiteten Kommission der „Société d’études législatives“. 154 Siehe Rapport Assemblée Nationale 94; Leleu, Transmission, Nr. 517. 155 Dazu oben § 4 A.III.2. (252 ff.). 156 Siehe oben § 6 E.VII.2b)(3) (544 f.). 157 Zu dieser Charakterisierung etwa Catala, Droit de la famille 2006, 43, Nr. 5; Piedelièvre, Droit & Patrimoine 2007, 61. 158 Der Antrag muss nach Art. 786 Abs. 3 Code civil innerhalb von fünf Monaten nach Erlangung der Kenntnis von Existenz und Ausmaß der Schuld gestellt werden. Piedelièvre, Droit & Patrimoine 2007, 62, empfindet die Frist als unangemessen kurz und kritisiert zudem die fehlende Regelung der prozessualen Einzelheiten. In einem früheren Entwurf betrug die Frist noch ein Jahr, siehe Binet, Droit de la famille 2006, étude 55, Nr. 34. Zuständig ist das „tribunal de grande instance“ am Ort der Nachlasseröffnung (Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 918 (820)). 159 Die Vorschrift spricht von einer „dette successorale“, also einer „Erbschaftsschuld“, aber es scheint Einigkeit darüber zu bestehen, dass hiermit weder Verbindlichkeiten gemeint sind, die aus letztwilligen Verfügungen resultieren, noch solche, die sonst in irgendeiner Weise infolge des Erbfalls entstehen (die sog. „charges“). Ratio dieses Verständnisses ist, dass der héritier vor einer unbeschränkten Haftung für die Vermächtnisse bereits durch den neuen Art. 785 Abs. 2 Code civil geschützt wird (dazu oben § 6 C.II.3b) (411 f.)) und die Kenntnis anderer Erbfallschulden von ihm erwartet werden kann (Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 918 (891); Leroyer, Successions, Rn. 466).
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Obgleich die Vorschrift mit dem Irrtum über eine Erblasserschuld und einer daraus resultierende Belastung an die Regelung zum verspätet aufgefundenen Testament anknüpft und sich auch wegen deren gleichzeitiger Abschaffung als ihre Fortentwicklung verstehen lässt,160 gibt es einen grundlegenden Unterschied in der Rechtsfolge: Art. 786 Abs. 2 Code lässt den Erbschaftserwerb als solchen unberührt161 (und damit auch die vom héritier in der Zwischenzeit getätigten Verfügungen162) und löst das Problem nachträglich bekannt werdender Verbindlichkeiten stattdessen auf der Ebene der Haftung. Zwar schrieb der Reformgesetzgeber von 2006 auch den Irrtum als Grund für die Anfechtung des Erbschaftserwerbs fest,163 doch ist davon auszugehen, dass eine Fehlvorstellung über das Ausmaß der Passiva auch weiterhin nicht den Tatbestand erfüllt. Denn erstens werden die anerkannten Irrtümer weiterhin durch analoge Anwendung der vertragsrechtlichen Regelungen bestimmt,164 zweitens muss Art. 786 Abs. 2 Code civil nach der gesetzgeberischen Intention als lex specialis betrachtet werden.165
Verdeutlicht wird die Wirkungsweise des Art. 786 Abs. 2 Code civil durch ihren systematischen Kontext. Denn indem der darin vorgesehene „Gnadenakt“166 dem héritier in punktueller Weise doch noch einen Ausweg aus der unbeschränkten Haftung eröffnet, mildert er den in Abs. 1 desselben Artikels niedergelegten Grundsatz der Unwiderruflichkeit der „acceptation pure et simple“ ab.167 Zusätzlich zur anfänglichen Haftungsbeschränkung für Geldvermächtnisse168 sind die mit einer vorbehaltlosen Annahme der Erbschaft verbundenen Risiken somit in einem weiteren – und praktisch noch bedeutsameren – Punkt entschärft worden.169 Wie im Folgenden zu erörtern ist, darf allerdings nicht vorschnell eine Parallele zur Rechtslage bei Annahme unter Inventarvorbehalt gezogen werden. Denn während die Ratio des Art. 786 Abs. 2 Code civil eindeutig ist, gilt dies für die mit ihm verbundenen Rechtsfolgen keineswegs. Überdies stellen sich sogar auf der Tatbestandsebene eine Reihe von Fragen.
160 Rapport Assemblée Nationale 94; Rapport Sénat 76; Catala, Droit de la famille 2006, 43, Nr. 5. 161 Rapport Assemblée Nationale 94; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 918 (820). Die 1910 von der Reformkommission der „Société d’études législatives“ diskutierte Regelung war hingegen auf der Ebene der Anfechtung angesiedelt, siehe Percerou, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 243. 162 Rapport Assemblée Nationale 94. 163 Art. 7 77 Code civil. 164 Grimaldi, Successions, Nr. 538. 165 Aus diesem Grund erstaunt es, wenn in Rapport Assemblée Nationale 94 erwogen wird, den Fall des verspätet aufgefundenen Testaments, also die im alten Art. 783 Code civil geregelte „lésion“, als Anfechtungsgrund im Sinne des Art. 777 Code zu behandeln. Gegen eine solche Möglichkeit wohl auch Leroyer, Successions, Rn. 466 (348). 166 Grimaldi, Successions, Nr. 615 („mesure de clémence“). 167 Rapport Assemblée Nationale 50, 83, 94; Rapport Sénat 26, 74, 76; Grimaldi, Successions, Nr. 614. 168 Dazu oben § 6 C.II.3b) (411). 169 Mazeaud-Leveneur, JCP N 2008, 1247, Nr. 21 („moins risquée“).
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3. Rechtsfolgen des Art. 786 Abs. 2 Code civil Art. 786 Abs. 2 Code civil spezifiziert nicht die Rechtsnatur der dem héritier gewährten Erleichterung. Kann der Richter kraft seines „pouvoir modérateur“ die betreffende Nachlassverbindlichkeit auf das dem héritier zumutbare Maß herabsetzen, vergleichbar Fällen einer überhöhten Vertragsstrafe170 oder Bürgschaft?171 Oder bleibt die Schuldhöhe unverändert und wird der héritier im betreffenden Ausmaß lediglich von seiner persönlichen Haftung befreit? Die in der Entwurfsbegründung enthaltene Aussage, dass der sich erfolgreich auf Art. 786 Abs. 2 Code civil berufende héritier wie bei einer Annahme unter Inventarvorbehalt stehe und somit nur mit dem Aktivnachlass hafte,172 spricht für die zweite Variante.173 Doch würde hierbei das Ziel der Norm unter Umständen verfehlt: Denn könnte ein neu auftretender Großgläubiger weiterhin in voller Höhe gegen den Nachlass vorgehen, könnte es passieren, dass andere Nachlassgläubiger, die früher bekannt waren, bislang aber untätig blieben, angesichts der geänderten Sachlage entscheiden, nun gegen das Eigenvermögen des héritier vorzugehen. Für diesen hätte sich das Problem damit nur verschoben, Art. 786 Abs. 2 Code civil hätte ihm lediglich eine Verschnaufpause verschafft,174 einen „victoire à la Pyrrhus“.175 Somit scheint es, dass eine Herabsetzung der Schuld den Zweck des Art. 786 Abs. 2 Code civil besser zu erreichen vermag.176 Des Weiteren stellt sich die Frage nach der Reichweite der dem héritier gewährten Erleichterung. Da der Wortlaut des Art. 786 Abs. 2 Code keinerlei Vorgaben macht, sondern nur die Möglichkeit der vollständigen und der teilweisen Befreiung erwähnt, unterliegt die Entscheidung an sich vollständig der „appréciation souveraine du juge du fond“, also dem tatrichterlichen Ermessen,177 was im Gesetzgebungsverfahren nicht ohne Skepsis gesehen wurde.178 Durch teleologische und systematische Erwägungen lassen sich aber zumindest Leitlinien gewinnen. So 170 Grimaldi, Successions, Nr. 614, der an anderer Stelle (Nr. 616) allerdings meint, dass Art. 786 Abs. 2 Code civil nur Verfolgungsrecht des Gläubigers betreffe. 171 Zur Parallele mit der Bürgschaft Piedelièvre, Droit & Patrimoine 2007, 62, der zugleich auf den Unterschied hinweist, dass im Fall des Art. 786 Abs. 2 Code civil dem Gläubiger kein Fehlverhalten vorgeworfen wird. 172 Siehe das Zitat in Rapport Assemblée Nationale 95. 173 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 918 (820 f.); Piedelièvre, Droit & Patrimoine 2007, 62. 174 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 918 (820 f.); Leroyer, Successions, Rn. 466 (349). Auch im spanischen Schrifttum wird Art. 786 Abs. 2 Code civil aus diesem Grund kritisiert, siehe Murga Fernández, Los sistemas europeos, 267 f., 274, dessen Vorwurf, dass die Regelung dem héritier sogar Schaden könne, allerdings zu weit geht (weil der héritier ohne den Art. 786 Abs. 2 Code civil in jedem Fall unbeschränkt haften würde). 175 Pérès/Vernières, Droit des successions, 541. 176 Für diese Lösung auch Piedelièvre, Droit & Patrimoine 2007, 62. Hingegen sieht Leroyer, Successions, Rn. 466 (349), hierin eine nicht hinnehmbare Beschneidung von Gläubigerinteressen (abgesehen von einem Verstoß gegen den gesetzgeberischen Willen). 177 Gasnier, Liquidation, Nr. 63; Piedelièvre, Droit & Patrimoine 2007, 62 178 Siehe Rapport Assemblée Nationale 95 f. („peut apparaître excessivement discrétionnaire“), wo klarere Lösungen erörtert, letztlich aber verworfen wurden.
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dürfte zunächst unstreitig sein, dass die Erblasserschuld zumindest immer in dem Maße aufrechterhalten werden muss, wie noch Nachlassvermögen vorhanden ist, es also nicht zu einer Haftung infra vires kommen darf.179 Denn anderenfalls würde dem héritier gestattet, sich auf Kosten der Erblassergläubiger zu bereichern. Schwieriger ist demgegenüber die Frage zu beantworten, ob der vorhandene Aktivnachlass zugleich auch die Obergrenze der Erblasserschuld bildet, der héritier bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 786 Abs. 2 Code civil also stets die vollständige Freistellung seines Eigenvermögens erreicht (sei diese Freistellung wertmäßiger oder gegenständlicher Natur). Für diese Lösung spricht die bereits erwähnte, in der Entwurfsbegründung gezogene Parallele zur Annahme unter Inventarvorbehalt. Gegen eine solche starre Kappungsgrenze lässt sich allerdings nicht nur einwenden, dass sie keinen Eingang in das Gesetz gefunden hat180 , sondern auch, dass sie zu unbefriedigenden Alles-oder nichts-Lösungen führen würde: Wo die Unzumutbarkeitsschwelle knapp überschritten wird, käme es zur vollständigen Befreiung des Eigenvermögens, wo dagegen die persönliche Haftung gerade noch zumutbar ist, bliebe sie in vollem Umfang bestehen. Besser dürfte dem Geist des Art. 786 Abs. 2 Code civil deshalb die Lösung entsprechen, bei der die Belastung des Eigenvermögens im Grundsatz bestehen bleibt und lediglich auf ein zumutbares Maß herabgesetzt wird.181 Ein systematischer Vorzug dieser Lösung liegt darin, dass die Unterschiede zur Annahme zur Inventarvorbehalt nicht verwischt werden182 und der potentielle Wertungswiderspruch vermieden wird, dass die Haftungsbeschränkung auf den Aktivnachlass im einen Fall nur unter strengen Voraussetzungen gewährt wird (Inventarerrichtung). 4. Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 786 Abs. 2 Code civil Weite richterliche Ermessensspielräume öffnet Art. 786 Abs. 2 Code civil auch auf der Tatbestandsebene. Dies betrifft zunächst den Grund für den Irrtum über das Bestehen der betreffenden Erblasserschuld. Das Schrifttum nimmt an, dass dieser Irrtum entschuldbar („excusable“) gewesen sein muss,183 und in den Gesetzgebungsmaterialien genannte Beispielsfälle sind die vom Erblasser gewährte Bürgschaft184 und der noch vom Erblasser verursachte, aber erst nach dessen Ableben 179
Grimaldi, Successions, Nr. 616. betont Piedelièvre, Droit & Patrimoine 2007, 62. Hinzufügen lässt sich, dass die gesetzliche Verankerung einer solchen eindeutigen Lösung erwogen wurde, dann aber bewusst unterblieb, siehe Rapport Assemblée Nationale 95 f. 181 Piedelièvre, Droit & Patrimoine 2007, 62, der eine teilweise Parallele zur Herabsetzung exzessiver Bürgschaften zieht; auch Catala, Droit de la famille 2006, 43, Nr. 5, nimmt die Möglichkeit an, dass über Art. 786 Abs. 2 Code civil der Zugriff auf Eigenvermögen lediglich eingeschränkt wird. 182 Dies war letztlich der Grund, warum im Gesetzgebungsverfahren von einer Präzisierung der Rechtsfolgen abgesehen wurde: Siehe Rapport Assemblée Nationale 96. 183 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 918 (820). Auch die Beweislast für die Unkenntnis vom Irrtum ist mit Piedelièvre, Droit & Patrimoine 2007, 61 f., beim héritier zu sehen. 184 Dazu näher Gasnier, Liquidation, Nr. 58–61. 180 Dies
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eingetretene Schaden.185 Doch fehlen Richtlinien zu den dem héritier obliegenden Nachforschungspflichten. Eine Unwissenheit nur bzgl. der Höhe der Forderung wird jedenfalls nicht als ausreichend erachtet. Dies kann etwa in dem Fall relevant werden, wo einer von mehreren héritiers die Erbschaft ausschlägt und sich dadurch die von den verbleibenden Gesamtnachfolgern zu tragende Schuldenquote entsprechend erhöht.186 Wird Art. 786 Abs. 2 Code civil generell durch seine Einzelfallbezogenheit und seinen Billigkeitscharakter charakterisiert, zeigen sich diese Eigenschaften wohl am deutlichsten darin, dass die Höhe der nachträglich entdeckten Schuld nicht absolut, sondern – zum Vorteil der Gläubiger187 – im Verhältnis zu den Vermögensverhältnisses des konkret betroffenen héritier zu beurteilen ist.188 Denn allein im Hinblick auf diese ist das Vorliegen einer „schwerwiegenden Belastung“ zu prüfen.189 Gibt es eine Mehrheit von héritiers, ist das Verteidigungsinstrument des Art. 786 Abs. 2 Code civil im Einklang mit dieser konkreten Betrachtung, aber auch dem Grundsatz der Schuldenteilung, von jedem héritier gesondert geltend zu machen190 und in seinen Voraussetzungen zu prüfen.191 Umgekehrt bedeutet die individuelle Betrachtung, dass die einem héritier gewährte Befreiung nicht von den übrigen ausgeglichen werden muss.192 Da das Tatbestandsmerkmal der schwerwiegenden persönlichen Belastung nicht weiter konkretisiert wird, macht es die Ergebnisse schwer vorhersehbar.193 Fraglich ist etwa, ob bereits ein empfindliches Vermögensopfer des héritier ausreichend ist oder dieser durch die unbeschränkte Haftung überdies in eine schwierige finanzielle Lage geraten muss.194 Praktisch bedeutsam scheint ferner die Frage, inwieweit dem héritier zuzumuten ist, persönliche Sachwerte wie Immobilien oder Kfz zu versilbern und den Erlös ganz oder teilweise zur Schuldentilgung zu verwenden. 185 Rapport Assemblée Nationale 95. Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 918 (820), bilden dieses Beispiel dergestalt fort, dass eine Versicherung den Schaden ersetzt, vom Regress gegen Verstorbenen wegen dessen Finanzverhältnissen aber abgesehen hatte und sich nun an den finanzstärkeren héritier wendet. Grimaldi, Successions, Nr. 615 (Fn. 72) nennt den Fall, dass Gewährleistungsverpflichtungen aus einem vom Verstorbenen getätigten Verkauf erst nach dessen Tod aktuell werden. Weitere Beispiele bei Piedelièvre, Droit & Patrimoine 2007, 61. 186 Grimaldi, Successions, Nr. 615, der als weiteres Beispiel eine unbezifferte Forderung nennt. 187 Dieser Aspekt wurde im Gesetzgebungsverfahren betont, siehe Rapport Assemblée Nationale 94 f.; Rapport Sénat 75. 188 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 918 (819 f.). 189 Wie die Cour de cassation in einer bei Grimaldi, Successions, Nr. 615 (Fn. 76) referierten Entscheidung klarstellte, reicht der bloße Irrtum über das Vorhandensein einer Erblasserverbindlichkeit nicht aus. 190 Grimaldi, Successions, Nr. 616; Piedelièvre, Droit & Patrimoine 2007, 61, 62 f. 191 Unterschiede können nicht nur hinsichtlich der persönlichen Vermögenslage, sondern auch im Hinblick auf die Kenntnis von einer Erblasserschuld bestehen, siehe mit einem Beispiel Piedelièvre, Droit & Patrimoine 2007, 61. 192 Offen gelassen bei Mazeaud-Leveneur, JCP N 2008, 1247, Nr. 23. 193 Piedelièvre, Droit & Patrimoine 2007, 61 f. 194 Für die letztgenannte, gläubigerfreundliche Auffassung Piedelièvre, Droit & Patrimoine 2007, 61; Gasnier, Liquidation, Nr. 62.
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Im Schrifttum wird vorgeschlagen, auch künftige Entwicklungen wie Ausbildungskosten für Kinder mit in die Bewertung einzustellen.195 Von erheblicher praktischer Bedeutung ist schließlich die Frage des maßgeblichen Zeitpunkts für die Feststellung einer unzumutbaren Belastung. Naheliegend wäre es an sich, auf das Stadium vor dem Erbschaftserwerb abzustellen.196 Denn nicht nur führt dieser zur Vermögensverschmelzung, wonach ein vom Nachlass getrenntes Eigenvermögen des héritier strenggenommen gar nicht mehr existiert; auch ließe sich die Rechtsfolge des Art. 786 Abs. 2 Code civil dann durch die Erwägung erklären, dass der héritier bei voller Kenntnis der Sachlage vermutlich anders optiert hätte.197 Und doch bliebe bei einem Abstellen auf die Vermögenslage vor dem Erbschaftserwerb der durch Art. 786 Abs. 2 Code civil bezweckte Schutz unvollständig: Reicht nämlich der Nachlass anfangs zur Deckung auch der verborgenen Verbindlichkeiten aus, benutzt der héritier ihn aufgrund seiner Unkenntnis aber zur Erfüllung von an sich nachrangigen Vermächtnissen, oder verbraucht er im Vertrauen auf einen Überschuss bis zur Aufdeckung der Forderung erhebliche Werte, müsste er für den Fehlbetrag am Ende doch mit seinem Eigenvermögen einstehen. Soll Art. 786 Abs. 2 Code civil dem héritier das Irrtumsrisiko umfassend abnehmen, wird man daher den Zeitpunkt der Geltendmachung der Forderung als maßgeblich erachten müssen, so dass der héritier sich für einen gutgläubigen Verbrauch oder eine gutgläubige Auskehr von Nachlasswerten nicht verantworten muss.198 Folgt man dem, bildet der Aktivnachlass ausnahmsweise nicht die Grenze für die Reduktion der verspätet erkannten Forderung.199 5. Würdigung Im französischen Schrifttum ist das neue Schutzinstrument auf ein geteiltes Echo gestoßen. Während der dem Art. 786 Abs. 2 Code civil zugrunde liegende Billigkeitsgedanke grundsätzlich befürwortet 200 und die auch in den Gesetzgebungsmaterialien besonders hervorgehobene201 Bevorzugung der Haftungslösung gegenüber einer Anfechtungslösung gelobt wird, 202 werden die Augen vor den schwierigen praktischen Anwendungsproblemen und den systematischen Verwerfungen keineswegs verschlossen.203 Vereinzelt wird aber sogar die Ratio des Art. 786 195
Grimaldi, Successions, Nr. 615. In diesem Sinne Rapport Assemblée Nationale 94. 197 Gasnier, Liquidation, Nr. 62. 198 Grimaldi, Successions, Nr. 615. 199 Gasnier, Liquidation, Nr. 62 f. 200 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 918 (821); Binet, Droit de la famille 2006, étude 55, Nr. 28, 34; Mazeaud-Leveneur, JCP N 2008, 1247, Nr. 23 („excellente protection de l’héritier“). 201 Siehe Rapport Sénat 76, wo hinsichtlich einer Anfechtungslösung auf deren „lästige Folge“ hingewiesen wird, dass die Wirksamkeit aller in der Zwischenzeit getätigten Verfügungen infrage gestellt wird, was auch Dritte in Mitleidenschaft ziehen kann. 202 Catala, Droit de la famille 2006, 43, Nr. 5 („[p]lus pragmatique“). 203 Catala, Droit de la famille 2006, 43, Nr. 5; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 918 (821); Mazeaud-Leveneur, JCP N 2008, 1247, Nr. 23. 196
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§ 7 Die Neubewertung der integrierten Abwicklung
Abs. 2 Code civil infrage gestellt. So spricht ein Autor sarkastisch von einer neuerlichen Manifestation des „Rechts, seine Schulden nicht zu begleichen“, und sieht in der Neuregelung ein mögliches Hemmnis für die Kreditvergabe.204 Schließlich wurde die enge Auslegung des Art. 786 Abs. 2 Code civil mit dem Argument gefordert, dass anderenfalls die Unterscheidung zwischen einer „continuation de la personne“ und einer „succession aux biens“205 heimlich abgeschafft werde.206 Obgleich die Problematik der Vorschrift durch diese Stellungnahmen skizziert wird, lässt sich ihr Kern noch deutlicher herausarbeiten. In der Tat sieht es zunächst so aus, als würde die Neuregelung die Rechte von Gläubigern in unzumutbarer Weise beschneiden, da diesen anders als bei einem Ausschluss durch Aufgebotsverfahren nicht einmal der abstrakte Vorwurf der Saumseligkeit gemacht werden kann. Doch wäre eine solche Einschätzung zu undifferenziert. Denn zu betonen ist, dass die zumindest teilweise Verweigerung des Zugriffs auf das Eigenvermögens des héritier den Erblassergläubigern etwas nimmt, worauf sie aus rechtsethischer Sicht zumindest im Ausgangspunkt ohnehin keinen berechtigten Anspruch haben.207 Und folgt man der Auffassung, dass die Eigenhaftung nicht gänzlich entfällt, sondern lediglich auf das zumutbare Maß beschränkt wird,208 belässt Art. 786 Abs. 2 Code civil den Nachlassgläubigern sogar noch einen Teil ihres „unberechtigten Gewinns“. Problematisch ist Art. 786 Abs. 2 Code civil daher allenfalls insoweit, als er die Erblassergläubiger um die Befriedigung aus Nachlasswerten bringt. Eine solche Situation kann, wie oben gesehen, dann eintreten, wenn der héritier den Nachlass bereits zur Bedienung anderer Gläubiger verwendet oder einen vermeintlichen Überschuss verbraucht hat. Doch ist der zumindest teilweise Forderungsausfall, zu dem die Anwendung des Art. 768 Abs. 2 Code civil in solchen Fällen für den später auftretenden Gläubiger führt, in der Regel nicht unangemessen. Denn erstens garantiert auch die bei der Annahme unter Inventarvorbehalt einsetzende gesonderte Nachlassabwicklung den ungesicherten Gläubigern keine anteilige Befriedigung, sondern belastet sie mit dem Risiko eines vollständigen Ausfalls im Fall der Verspätung.209 Und zweitens ist es, wie ein vergleichender Blick auf das deutsche und das englische Recht bestätigt, auch aus allgemeinen Erwägungen heraus gerechtfertigt, das Risiko von Informationsdefiziten unter bestimmen Voraussetzungen vom Abwickler auf die Gläubiger überzuwälzen.210 204
Piedelièvre, Droit & Patrimoine 2007, 61. Diese entspricht in der Substanz der in dieser Arbeit getroffenen Unterscheidung zwischen integrierter und gesonderter Nachlassabwicklung, eingehend oben § 4 C.II.1. (300 ff.). 206 Leroyer, Successions, Rn. 466 (349). Wegen ähnlicher Bedenken hatte die Kommission der „Société d’études législatives“ in ihrem 1910 vorgelegten Entwurf von der Einführung einer dem Art. 786 Abs. 2 Code civil funktional vergleichbaren Regelung abgesehen, siehe Percerou, Bull. Soc.e.leg. 9 (1910), 243. 207 Zu dieser grundlegenden Wertung schon oben § 2 E, § 4 Fn. 231. 208 Siehe oben Fn. 181. 209 Siehe oben § 6 C.II.2b)(4) (402 ff.). 210 Dazu oben § 6 F.II.2. (564 f.). 205
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Und dennoch ist die durch 786 Abs. 2 Code civil bewirkte Beschneidung von Gläubigerrechten in zweierlei Hinsicht rechtspolitisch brisant. Zum einen nämlich droht dort, wo der héritier den Nachlass zur Befriedigung von Vermächtnisnehmern verwendet hat, der Grundsatz „nemo liberalis nisi liberatus“ unterlaufen zu werden, der im Fall der Haftungsbeschränkung durch Inventarerrichtung durch ein Rückgriffsrecht des Erblassergläubigers gegen den ausbezahlten Vermächtnisnehmern gewahrt wird.211 Dessen analoge Anwendung auf den Fall des 786 Abs. 2 Code civil ist deshalb auf jeden Fall in Betracht zu ziehen. Zum anderen aber, und hier liegt die eigentliche Crux des 786 Abs. 2 Code civil, muss der später aufgetretene Erblassergläubiger gegen das Risiko geschützt werden, dass der héritier eine anderweitige Verwendung von Nachlasswerten nur vorschützt. An dieser Stelle wird das Problem offenkundig, dass der héritier sich die Haftungserleichterung des Art. 768 Abs. 2 Code civil in keiner Weise „verdienen“ muss, insbesondere nicht durch Inventarisierung und ordnungsgemäße Verwaltung des Nachlasses. Zur Schließung dieser Schutzlücke ist deshalb von einem héritier, der Art. 768 Abs. 2 Code civil geltend macht, zu verlangen, dass er Rechenschaft über den Verbleib der Nachlassgegenstände ablegt. Abschließend ist festhalten, dass Art. 786 Abs. 2 Code civil bei sachgerechter Handhabung zu angemessenen Ergebnissen führt, dass angesichts der vielen Unschärfen der Vorschrift eine solche sachgerechte Handhabung aber keineswegs garantiert ist. Vorzugswürdig wäre es daher gewesen, wenn der französische Gesetzgeber die vorstehend entwickelten Leitlinien und Ergänzungen in festere Regelungen gegossen hätte. Hierzu wäre allerdings eine gründlichere Vorbereitung der Reform erforderlich gewesen.
V. Vorbehaltlose Annahme als Sanktion Steht die Ausübung der Option grundsätzlich im Belieben des Berufenen, nimmt das französische Recht ihm die Entscheidung zu Sanktionszwecken in einer Konstellation aus der Hand.212 Dies ist der Fall der Verheimlichung von Nachlassgegenständen 213 in betrügerischer Absicht.214 Auf einen solchen recel, der in der Praxis offenbar gar nicht selten vorkommt, 215 reagiert der Code civil seit jeher mit 211
Siehe oben § 6 Fn. 276. Die französische Lehre spricht in diesem Zusammenhang von einer „acceptation contrainte/forcée“, also einer erzwungenen Annahme (siehe Leleu, Transmission, Nr. 91 m. w. N.). 213 Erfasst ist seit 2006 zudem die (im vorliegenden Kontext nicht relevante) Verheimlichung einer Person mit Nachlassberechtigung, etwa durch Unterdrückung eines Testaments. Lobend zu dieser Erweiterung des Tatbestands, die angesichts des im Text noch zu erörternden Schutzzwecks konsequent ist, Binet, Droit de la famille 2006, étude 55, Nr. 14. Siehe auch Grimaldi, Successions, Nr. 514 (402 f.). 214 Eingehend zu den objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen Grimaldi, Successions, Nr. 513–518; siehe auch Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht III, Rn. 5 D 22. 215 Leleu, Transmission, Nr. 569. Nach Grimaldi, Successions, Nr. 513, ist klarer Hauptanwendungsanfall die Verheimlichung zulasten anderer Berufener. 212
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bemerkenswerter Härte: Nicht nur behandelt er den Berufenen so, als habe er die vorbehaltlose Annahme der Erbschaft erklärt (mit der Folge der unbeschränkten Haftung).216 Darüber hinaus verliert der Handelnde zugunsten anderer Berufener auch seine Rechte an den verheimlichten Gegenständen.217 Mittels einer doppelten Privatstrafe218 sanktioniert das Gesetz also sowohl den Betrug gegenüber den Nachlassgläubigern als auch den Betrug gegenüber anderen Berufenen, wobei zur Tatbestandserfüllung die einfache Betrugsabsicht ausreicht.219 Die kombinierten Rechtsfolgen können den Betroffenen empfindlich treffen, da er unbeschränkt haftet, zugleich aber gar nicht mehr seinen vollständigen Anteil am Nachlass erhält.220 Obgleich der Hauptanwendungsbereich des recel im Stadium vor Ausübung der Option liegt, kann sein Tatbestand auch danach noch erfüllt werden. So wird auch ein Berufener, der erst nach Erklärung der Ausschlagung einen Gegenstand verheimlicht, in die unbeschränkte Annahme gezwungen, es sei denn, die nachberufene Person hatte die Erbschaft bereits angenommen.221 Anwendbar bleibt der recel sodann auch nach Erklärung der Annahme unter Haftungsbeschränkung, obwohl der gläubigerschützenden Dimension dann keine eigenständige Bedeutung mehr zukommt. Denn wer einen Nachlassgegenstand verheimlicht, wird sich zwangsläufig auch einer arglistigen Falscherrichtung des Inventars schuldig machen,222 die ebenfalls die Fiktion der „acceptation pure et simple“ zur Folge hat.223 Zu beachten ist dabei freilich, dass die Wirkung einer Inventarverfehlung sich ungeachtet der identischen Bezeichnung von der Wirkung eines recel unterscheidet (was auch erklärt, warum die Inventarverfehlung nicht im vorliegenden Kontext behandelt wird). Denn die vom Berufenen erklärte Annahme unter Haftungsbeschränkung wird entgegen dem, was die gesetzliche Formulierung suggeriert, nicht vollständig beseitigt, sondern bleibt hinsichtlich der zugunsten der Nachlassgläubiger erfolgten Haftungssonderung bestehen.224 Demgegenüber tritt im Fall der vor Ausübung 216 Art. 7 78 Code civil, der folgerichtig im Abschnitt über die allgemeinen Regeln zur „option“ steht. Demgegenüber fand sich die bis 2006 geltende Vorgängerregelung, Art. 792 Code civil1804, noch im Abschnitt über die Ausschlagung, kritisch dazu Leleu, Transmission, Nr. 577. 217 Art. 7 78 Code civil. Ist neben dem Handelnden keine weitere Person berufen, ist die Verheimlichung insoweit folgenlos, siehe Grimaldi, Successions, Nr. 522 (411). 218 Zu dieser Einordnung etwa Grimaldi, Successions, Nr. 512 (400) („double penalité/peine privée“), der eine Parallele zur Erbunwürdigkeit zieht; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 1095 (963) („peine/pénalité“); Leleu, Transmission, Nr. 576 („sanction“). Der Strafcharakter erklärt, warum auch geschäftsunfähige Personen den Tatbestand des recel erfüllen können, vorausgesetzt, sie besitzen die nötige deliktische Einsichtsfähigkeit (Grimaldi, Successions, Nr. 521). 219 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 1095 (964). 220 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 1095 (964) („extrêmement lourdes“); Grimaldi, Successions, Nr. 512 („durement sanctionné“); Leleu, Transmission, Nr. 91, 578. 221 Grimaldi, Successions, Nr. 521. 222 Grimaldi, Successions, Nr. 521, erweckt sogar den Eindruck, dass Art. 8 00 Abs. 4 Code civil den Art. 778 Code civil in diesem Fall absorbiert. Anders als in Art. 801 Code civil1804 nennt Art. 800 Abs. 4 Code civil den recel allerdings nicht mehr ausdrücklich als Fall der Inventarverfehlung. 223 Art. 8 00 Abs. 4 Code civil. Dazu auch oben § 6 Fn. 261. 224 Art. 8 02 Code civil. Anstelle von der Fiktion einer vorbehaltlosen Annahme hätte dieser
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der Option begangenen Verheimlichung die für die unbeschränkte Annahme charakteristische Vermögensvermischung ein, so dass die Nachlassgläubiger sich auf die séparation des patrimoines berufen müssen, wenn sie die Eigengläubiger des héritier vom Zugriff auf den Nachlass abhalten wollen.225 Die Tatsache, dass der Reformgesetzgeber von 2006 das Institut des recel beibehielt und lediglich verfeinerte, spricht für seine generelle Akzeptanz unter französischen Juristen. Grimaldi etwa verweist zur Rechtfertigung auf die Verwundbarkeit der vom Tod ihres Schuldners überraschten Gläubiger sowie auf die großen Verlockungen eines Berufenen, sich auf Kosten anderer Familienmitglieder Vorteile zu verschaffen.226 Auch die Rechtsprechung legt den Tatbestand des recel trotz seines unbestreitbaren Ausnahmecharakters nicht etwa eng, sondern weit aus,227 und fördert damit das Ziel, die Nachlassabwicklung zu disziplinieren und Betrugsversuche zu stigmatisieren.228 Als problematisch könnte das Institut des recel und insbesondere seine expansive Handhabung zumindest dort betrachtet werden, wo der Berufene gar nicht eine Schädigung der Nachlassgläubiger bezweckte, sondern nur eine Benachteiligung seiner Mitberufenen.229 Denn die Nachlassgläubiger kommen dann im Wege einer Reflexwirkung in den Genuss des unbeschränkten Vollstreckungszugriffs.230 Doch ist auch zu bedenken, dass ein Berufener, der Nachlassgegenstände zur Schädigung seiner Mitberufenen verheimlicht, sich gezwungen sehen wird, seine Lüge bei der Inventarerrichtung aufrechtzuerhalten, und dann spätestens auf diesem Weg seine Haftungsbeschränkung verliert. Die gänzliche Abschaffung des Tatbestands der Verheimlichung, oder zumindest seine Befreiung von der gläubigerschützenden Komponente, würde in haftungsrechtlicher Sicht also nur dann einen Unterschied machen, wenn zugleich auch die Sanktion für einen arglistigen Inventarverstoß gemildert würde.
daher besser nur vom Verlust der Haftungsbeschränkung gesprochen, ähnlich seiner Vorgängervorschrift, dem Art. 801 Code civil1804, der als Sanktion den Verlust des „bénéfice d’inventaire“ anordnete. 225 Dazu oben § 6 C.III. (413 ff.). 226 Siehe insbesondere Grimaldi, Successions, Nr. 512 (400), der andeutet, dass die Regelung in der Praxis ihre Abschreckungswirkung auch erzielt. 227 Ausdrücklich gelobt wird dies von Grimaldi, Successions, Nr. 512 (400). Kritisch demgegenüber Leleu, Transmission, Nr. 578. 228 Leleu, Transmission, Nr. 579. 229 Dies ist der praktische Hauptanwendungsfall, siehe oben Fn. 215. 230 Siehe die Kritik bei Leleu, Transmission, Nr. 578 f., der die Verhältnismäßigkeit der Rechtsfolge bezweifelt, sie angesichts der Schwere des Fehlverhaltens (Betrug) aber auch nicht kategorisch verneinen möchte.
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VI. Die integrierte Abwicklung als gesetzliches Leitbild 1. Allgemeines In formaler Hinsicht stellt der Code civil die vorbehaltlose Annahme und die Annahme unter Haftungsbeschränkung – und damit die integrierte und die gesonderte Nachlassabwicklung – seit jeher auf eine Ebene. Der Berufene tritt nicht mit Eröffnung des Erbfalls in einen Abwicklungsmodus hinein, aus dem er ggf. herausoptieren muss, sondern steht auf neutralem, noch undefiniertem Grund. Wenn es bei formaler Betrachtung eine Option verdient, als Regelfall eingestuft zu werden, dann ist es die Ausschlagung, weil sie es ist, die nach Ablauf der (freilich sehr langen) gesetzlichen Optionsfrist fingiert wird.231 Doch welches Bild ergibt sich, wenn man eine umfassendere Perspektive einnimmt, die auch materiale Aspekte und typische Geschehensabläufe mit einbezieht? Ist es auch dann noch gerechtfertigt, eine „Waffengleichheit“ zwischen integrierter und gesonderter Abwicklung anzunehmen? Oder liegt dem französischen Recht ein klares Leitbild zugrunde? Bei Untersuchung dieser Frage empfiehlt es sich, zwischen der ursprünglichen Version des Code civil und der durch die Reform von 2006 geschaffenen Rechtslage zu unterscheiden. 2. Das Regime von 1804 Für das 1804 in Kraft gesetzte, zwei Jahrhunderte lang weitgehend unverändert fortbestehende Regime ist der Befund eindeutig: Es tendierte so stark in Richtung der vorbehaltlosen Annahme und damit der integrierten Abwicklung, dass diese als Leitbild, als vom Gesetz für „ordnungsgemäß“ erachteter Weg, die gesonderte Abwicklung hingegen als Anomalie oder gar als Irregularität erschien.232 Die vom klassischen römischen Recht geprägte Sichtweise233 hatte sich im Code civil von 1804 folglich in besonderem Maße Geltung verschafft. Betonung verdient, dass die skizzierte Neigung nicht damit verwechselt werden darf, dass der zulängliche Nachlass den empirischen Regelfall bildete. Denn die Regelungen zum Auswahlmechanismus differenzierten gerade nicht nach den konkreten Umständen, sondern begünstigten die integrierte Abwicklung im Fall des überschuldeten Nachlasses genauso wie im Fall des zulänglichen.
Basis des Leitbilds der integrierten Abwicklung war die erhebliche Kluft zwischen den Voraussetzungen der beiden Annahmevarianten. Während der Berufene für die vorbehaltlose Annahme nicht mehr tun musste, als einen Nachlassgegenstand als eigenen zu behandeln, musste er die Annahme unter Haftungsbeschränkung gegenüber dem Gericht erklären und ihre eine Inventarisierung des Nachlasses folgen lassen. Bildlich gesprochen führte der Weg zur integrierten Abwicklung damit 231
Siehe oben Fn. 58. Grimaldi, Successions, Nr. 599. 233 Siehe oben Fn. 16. 232 Vgl.
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über ein Moosbett, der Weg zur gesonderten Abwicklung hingegen über spitze Steine. In subtilerer Form wurde die integrierte Abwicklung zudem durch die gesetzten Verhaltensanreize begünstigt. Während nämlich der für sie zu zahlende „Preis“, also die unbeschränkte Haftung, dem Gesamtnachfolger typischerweise erst zu einem späteren Zeitpunkt vollständig ins Bewusstsein drang, bereitete ihm die gesonderte Abwicklung sofortige „Schmerzen“ in Form von Kosten und Formalitäten. Die aus Sicht des Berufenen überaus unattraktive Ausgestaltung der Nachlassabwicklung bei Inventarerrichtung234 konnte gar den Eindruck erwecken, der Gesetzgeber habe ihm diese Option bewusst „madig“ machen wollen. Folgte die Tendenz zur integrierten Abwicklung somit aus der Entscheidung, die gesonderte Abwicklung an eine besondere Erklärung sowie die Inventarerrichtung zu knüpfen, ist es umso bemerkenswerter, dass die Neigung des Code civil durch weitere, nicht zwingend aus den sachlichen Gegebenheiten folgende Regelungsentscheidungen noch verstärkt wurde. So ordnete das Gesetz wie gesehen die Fiktion der vorbehaltlosen Annahme bei Untätigkeit des Berufenen im Prozess an, ebenso bei der Verheimlichung von Nachlassgegenständen.235 Ferner kam die Vorstellung, dass die beschränkte Haftung einen restriktiv zu handhabenden Ausnahmefall darstellt, auch dort zum Ausdruck, wo ein Gesamtnachfolger seine zunächst erworbene Haftungsbeschränkung schon aufgrund vergleichsweise geringer Verfehlungen wie dem freihändigen Verkauf von Nachlassgegenständen wieder verlor.236 Der im Ausgangspunkt souveräne Wille des Berufenen wurde also in Wahrheit an mehreren Stellen beiseite geschoben.237 Zu beachten ist des Weiteren, dass auch die Rechtsprechung das Leitbild der integrierten Abwicklung stützte, insbesondere indem sie auch den Universal- und den Quotenlegatar unbeschränkt haften ließ.238 Ebenso lässt sich die individualistische Ausgestaltung der séparation des patrimoines239 als Ausprägungen des genannten Leitbilds betrachten. Eine Ausnahme bildete hingegen die Rechtsentwicklung bei der Mehrheit von Gesamtnachfolgern, die klar zur gesonderten Abwicklung tendierte.240 Ein weiterer Ausnahmefall war die zwingende Vorschrift der vorbehaltlosen Annahme im Fall geschäftsunfähiger Berufener.241 Die französische Lehre hat ungeachtet von Meinungsverschiedenheiten über die Bewertung die Bevorzugung der integrierten Abwicklung stets klar gesehen und 234
Ausführlich oben § 6 C.II.1. (386 ff.). Siehe oben B.III.1b) (580 ff.), V. (599 ff.). 236 Siehe oben § 6 C.II.1a)(4) (388 ff.). 237 Sehr kritisch zu dieser „tendance fâcheuse“ Leleu, Transmission, Nr. 569, 580, der es deshalb für genauer hält, von einer „Zuweisung“ (attribution) der unbeschränkten Haftung zu sprechen, anstelle von einer willentlichen Übernahme (ebd., Nr. 517). 238 Siehe oben § 5 C.II.2f)(3) (361 ff.). Weitere Beispiel in diesem Sinne waren die Entscheidungen, auch gegenüber Vermächtnisnehmern eine unbeschränkte Haftung anzunehmen (siehe oben § 6 C.II.3a) (4105 ff.)) und eine unter Befristung gestellte Annahme als vorbehaltlose zu behandeln, und nicht als unwirksam (siehe oben Fn. 49). 239 Siehe oben § 6 C.III.1a) (414 ff.). 240 Siehe unten § 8 B.IV.2. (675 ff.). 241 Siehe oben Fn. 102. 235
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sie in die Aussage gefasst, dass das französische Recht in der Idee der „continuation de la personne“ wurzele und nicht im Grundsatz der „succession aux biens“.242 Abgesehen von der grundsätzlichen Problematik dieser begrifflichen Dichotomie243 ist die französische Dogmatik hierbei für ihr übertriebenes Bestreben zu kritisieren, das gesamte Abwicklungsregime auf ein Prinzip zurückzuführen und die Annahme unter Haftungsbeschränkung nur als Ausnahme oder Abmilderung des Grundsatzes der „continuation de la personne“ zu begreifen.244 Denn diese Sichtweise verdunkelt sowohl die Entscheidung zugunsten eines Optionsmodells245 als auch die Tatsache, dass das Regime der Annahme unter Haftungsbeschränkung bei isolierter Betrachtung ein Regime der gesonderten Abwicklung ist, das sich als solches mit anderen Regimen der gesonderten Nachlassabwicklung in sinnvoller Weise vergleichen lässt.246 Gewissermaßen den umgekehrten Fehler begeht Jacques Héron, wenn er unter Aufbietung großen Scharfsinns zu zeigen versucht, „que toute succession est une succession aux biens“, 247 er also das französische Recht auf den „archétype“ der gesonderten Nachlassabwicklung reduzieren möchte. 248 Denn die Feststellung, dass die „succession aux biens“ (also die gesonderte Abwicklung) der „continuation de la personne“ (also der integrierten Abwicklung) in rechtsethischer Hinsicht überlegen und deshalb unverzichtbar ist, berechtigt nicht dazu, die Existenz des zweitgenannten Abwicklungsmodus, der seine eigene Funktionsweise und seine eigenen Stärken hat, zu ignorieren. 249
242 Siehe etwa Percerou, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 240; Grimaldi, Successions, Nr. 600; Leroyer, Successions, Rn. 457; Gasnier, Liquidation, Nr. 7. Aus belgischer Sicht Leleu, Transmission, Nr. 495–497, der allerdings, seiner generellen Konzeption entsprechend, die Haftung ultra vires zum Anküpfungspunkt macht. Vialleton, A.Dir.Comp. 13 (1938), 305, betont für die römische Tradition im Allgemeinen, dass es verfehlt wäre, aus dem formalen Nebeneinander von beschränkter und unbeschränkter Haftung auf ihre praktische Gleichrangigkeit zu schließen. 243 Dazu eingehend oben § 4 C.II.1b) (302 ff.). 244 Siehe etwa Percerou, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 240; Grimaldi, Successions, Nr. 599 f.; Pérès/ Vernières, Droit des successions, 559–561; Goré, L’administration des successions, 32 („tempérament“). 245 In umgekehrter Weise zeigt sich dies dort, wo Goré, L’administration des successions, 32, die 1982 in UPC eingeführte Möglichkeit einer integrierten Abwicklung (dazu oben A.I. (571 ff.)) als Änderung des Grundsatzes der „succession aux biens“ bezeichnet, anstatt deutlich zu machen, dass eine Wahl zwischen integrierter und gesonderter Abwicklung besteht. 246 Dazu schon oben § 1 E.II.6b) (62 f.). Der genannte Vorwurf ist auch der Darstellung von Leleu, Transmission, Nr. 495, 501 ff., zu machen, selbst wenn er treffenderweise nicht von einem Grundsatz, sondern von einer „tendance“ spricht (nämlich zur Haftung ultra vires); siehe auch ders., ERPL 6 (1998), 166. 247 Héron, Morcellement, 49. 248 Héron, Morcellement, 21–83. Zu erwähnen ist, dass Hérons ausführliche materiellrechtliche Analyse letztlich kollisionsrechtlichen Zielen dient. 249 Dazu oben A.I. (571 ff.). Kritisch zu Hérons Ansatz auch Lequette, Communication, 165– 168.
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3. Die Reform von 2006 Zu den Kernzielen der Reform von 2006 gehörte es, die Annahme unter Haftungsbeschränkung zum praktischen Regelfall zu machen.250 Zudem wurde die anfänglich beschränkte Haftung für Vermächtnisse eingeführt251 sowie die Möglichkeit der Haftungserleichterung für erst später bekannt gewordene Erblasserverbindlichkeiten.252 Spricht all dies für einen Wechsel des Leitbilds von der integrierten zur gesonderten Nachlassabwicklung (für den auch im ähnlich gelagerten Recht der Schweiz geworben wird 253), zeigt ein näherer Blick, dass die bestehende Tendenz in anderer Hinsicht beibehalten oder sogar gestärkt wurde. So sind auch unter dem jetzigen Recht die rechtlichen und psychologischen Hürden zur vorbehaltlosen Annahme deutlich niedriger als zur Annahme unter Haftungsbeschränkung. Zwar hat der Gesetzgeber die Attraktivität der gesonderten Abwicklung etwas gesteigert, indem er sie von manch unnötiger Belastung befreit und die Tatbestände der Inventarverwirkung zurückgeschnitten hat. Doch sieht sich der seine Haftung beschränkende Gesamtnachfolger immer noch zahlreichen Einschränkungen und Vorgaben unterworfen.254 Gestärkt wurde das Gleichgewicht zwischen beiden Optionen immerhin dadurch, dass die Tatbestände der stillschweigenden vorbehaltlosen Annahme klarer definiert und sachlich eingegrenzt wurden.255 Doch hat dies an der fundamentalen Asymmetrie nichts geändert: Die stillschweigende Annahme ist stets eine vorbehaltlose, niemals eine Annahme unter Haftungsbeschränkung. In praktischer Hinsicht ist schließlich von besonderer Bedeutung, dass das Leitbild der integrierten Abwicklung durch das neu eingeführte Provokationsrecht nicht nur bestätigt, sondern sogar noch untermauert wurde. Denn die Fiktion der vorbehaltlosen Annahme infolge Untätigkeit des Berufenen tritt einfacher, schneller und umfassender ein als unter altem Recht.256 Festzuhalten ist damit, dass der Reform von 2006 gegenläufige Tendenzen innewohnen. Im französischen Schrifttum ist denn auch das „eklatante Fehlen eines einheitlichen Gesichtspunkts“ kritisiert257 und mit den unterschiedlichen Quellen erklärt worden, aus denen sich die Reform speiste: der Rechtswissenschaft auf der einen und der notariellen Praxis auf der anderen Seite. Letztere sei durch die konsensuale Abwicklung bestimmt und führe damit zu einer verzerrten Sicht.258 250
Siehe oben § 6 Fn. 232. Siehe oben § 6 C.II.3b) (411). 252 Siehe oben B.IV. (589 ff.). 253 Breitschmid, successio 3 (2009), 208; Serozan, successio 2014, 22, die jeweils die Vorstellung einer unbeschränkten persönlichen Haftung „ehrenhalber“ als überholt bezeichnen. 254 Siehe oben § 6 C.II.2c) (405 ff.). 255 Siehe oben B.III.2c) (588 ff.). 256 Siehe oben B.III.1b) (580 ff.). 257 Brenner, Préface, VIII („[…] la loi nouvelle manque fâcheusement d’unité de vue […]“); Malaurie/Brenner, Successions et Liberalités, Nr. 249 („un peu de mécanisme collectif imaginé en 1995, beaucoup de l’esprit indiviualiste du Code Napoléon“). 258 Brenner, Préface, VIII. Den großen Einfluss der Notare auf die Reform betont auch Gas nier, Liquidation, Nr. 10 f. 251
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§ 7 Die Neubewertung der integrierten Abwicklung
In der Gesamtbetrachtung ist mit der französischen Lehre von einem Fortbestehen des Leitbilds der „continuation de la personne“, also der integrierten Abwicklung, auszugehen.259 Zugleich ist allerdings zu betonen, dass die „succession aux biens“, also die gesonderte Abwicklung, gegenüber der früheren Rechtslage eine bedeutende Aufwertung erfahren hat.260 Denn auch wenn das gesetzgeberische Ziel, sie zum praktischen Regelfall zu machen, überambitioniert war, 261 hat die Annahme unter Haftungsbeschränkung jedenfalls in gesetzessystematischer Hinsicht den Charakter des Minderwertigen und Irregulären abgelegt. 4. Kritik und Rechtfertigung des Leitbilds der integrierten Abwicklung a) Die Kontroverse zu Beginn des 20. Jahrhunderts Spätestens zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als mit dem BGB und dem schweizerischen ZGB alternative – und gerade auch im Licht der französischen Probleme entworfene – Modelle vorlagen, stieß das Leitbild der integrierten Abwicklung bei namhaften französischen Autoren, insbesondere Jean Percerou und Raymond Saleilles, auf massive Kritik.262 Vermutlich angestoßen hierdurch setzte die „Société d’études législatives“ im Jahr 1909 eine Kommission zur Erarbeitung eines Reformentwurfs ein, die sich über die Frage nach dem Festhalten am bisherigen Leitbild sinnvollerweise gleich zu Beginn Gedanke machte.263 Die Anhänger der geltenden Konzeption behielten hierbei die Oberhand,264 und es war insbesondere der große Zivilrechtler Ambroise Colin, der die Tradition der „continuation de la personne“ mit Verve verteidigte.265 Colin verwies darauf, dass die Annahme unter Inventarvorbehalt aufgrund ihrer Nähe zum Konkursverfahren in der öffentlichen Wahrnehmung einen schlechten Ruf habe, führte vor allem aber moralische Erwägungen ins Feld: Von den Rechtsnachfolgern eines Verstorbenen werde allgemein erwartet, dass sie dessen Schulden notfalls auch unter Opferung eigener Mittel vollständig zahlen. Diesen moralischen Standard aufrechtzuerhalten, sei die erzieherische Aufgabe des Rechts, gerade auch in Zeiten eines überhandnehmenden Schuldnerschutzes. Dem Berufenen werde zwar die Annahme unter Haftungsbeschränkung gestattet, doch nur um den 259 Siehe etwa Grimaldi, Successions, Nr. 600, der zwischen der Situation vor und nach der Reform von 2006 gar nicht unterscheidet; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 785 (702); Gasnier, Liquidation, Nr. 7. 260 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 785, die insbesondere auf die Einführung des mandat à effet posthume hinweisen (zu diesem oben § 5 C.II.2d)(3) (349 ff.)). 261 Dazu oben § 6 C.II.2c) (405 ff.). 262 Siehe insbesondere die fulminante Abrechnung mit dem Code civil bei Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 542 ff.; weitere Nachweise bei Vialleton, A.Dir.Comp. 13 (1938), 306. Siehe ferner die im Folgenden genannte Kritik von Raymond Saleilles. 263 Siehe das Sitzungsprotokoll v. 24.11.1909, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 70. 264 Siehe die Zusammenfassung von Percerou, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 241, der als rapporteur fungierte; ferner ders. im Protokoll der Sitzung vom 8.12.1910, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 283. 265 Zum Folgenden siehe die Stellungnahme Colins im Sitzungsprotokoll v. 24.11.1909, Bull. Soc.e.leg. 9 (1910), 70, und im Sitzungsprotokoll v. 19.1.1911, Bull.Soc.e.leg. 10 (1911), 30–32.
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Preis einer gewissen Selbsterniedrigung. Colin ging sogar so weit, der Entscheidung gegen das „materialistische“ Konzept der „succession aux biens“ und für das „idealistische“ Konzept der „continuation de la personne“, dem er ausdrücklich einen metaphysischen Gehalt zusprach, 266 Tragweite für den Zivilisationsgrad einer Gesellschaft und das nationale Gewissen beizumessen. In einem kaum verhüllten Angriff auf Saleilles und Percerou kritisierte Colin schließlich die Tendenz, neuere Regelungen aus Deutschland, der Schweiz oder Italien stets für nachahmungswürdig zu halten, den Code civil in Ausdruck eines „umgekehrten Snobismus“ hingegen über Gebühr zu kritisieren.267 Colin leugnete dabei nicht, dass die bestehende Rechtslage unbefriedigend war. Er sah das Problem aber allein in dem unzureichenden Schutz gegen die unbedachte Annahme und gab der Rechtsprechung hierfür die Hauptschuld.268 In einer Replik ließ Saleilles es sich nicht nehmen, auf die Schwächen der Argumentation Colins hinzuweisen.269 So bestritt er gar nicht das Bestehen einer moralischen Pflicht der nahen Angehörigen, die Schulden des Verstorbenen so weit als möglich zu tilgen. Er verneinte aber die Möglichkeit, daraus eine entsprechende Rechtspflicht abzuleiten. Die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit, die unbeschränkte Haftung zu vermeiden, liefere hierfür den Beweis. Vor allem aber sah Saleilles die Konzeption des Code civil an eklatanten Widersprüchen leidend. So werde die moralische Pflicht zum persönlichen Einstehen im Fall minderjähriger Angehörigen plötzlich suspendiert, indem das Gesetz allein die Annahme unter Haftungsbeschränkung zulasse270 und die Rechtsnachfolger damit geradezu zwinge, das Andenken ihres Vorfahren in Mitleidenschaft zu ziehen. Zur Wahl dieses „procédé injurieux“ halte das Gesetz überdies jeden bedächtig handelnden Berufenen an, weil er sich nur auf diesem Weg gegen das Risiko unerkannter Verbindlichkeiten absichern könne. Gleichzeitig erwecke das Gesetz den Eindruck, den Berufenen überraschen und für seine Nachlässigkeit mit der Auferlegung unbeschränkter Haftung bestrafen zu wollen. Ein solches „système déloyal“ könne keinen erzieherischen Wert haben. Schließlich wies Saleilles auch auf den Widerspruch zur Rechtslage unter Lebenden hin, wo Kinder für die Zahlungsunfähigkeit ihrer El266 Sitzungsprotokoll v. 19.1.1911, Bull.Soc.e.leg. 10 (1911), 31: „Et la personne ne meurt pas. Elle se continue dans les enfants ou dans ceux qui, héritiers ou légataires universels, sont comme enfants d’adoption.“ Ähnlich ebd., 32: „Le principe de la continuation de la personne du défunt par l’héritier ne nous a paru si fictif qu’on le prétend.“ 267 Der Vowurf einer zu idealistischen Sicht auf die Nachlassabwicklung in BGB findet sich viel später auch bei Leleu, Transmission, Nr. 490. Gasnier, Liquidation, Nr. 7 (Fn. 18) kritisiert, dass die „singularité de la législation allemande“ nicht erkannt worden sei, die sich der binären Klassifikation von Systemen der „succession aux bien“ und der „succession a la personne“ widersetze. 268 Dezidiert die Stellungnahme im Protokoll der Sitzung vom 8.12.1910, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 292. 269 Zum Folgenden Saleilles, Bull.Soc.e.leg. 10 (1911), 50–53. 270 Mit diesem Argument hatte auch schon Kommissionspräsident Massigli die moralische Fundierung des geltenden Rechts in Zweifel gezogen, siehe die Stellungnahme im Sitzungsprotokoll v. 24.11.1909, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 71.
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tern gerade nicht zur Verantwortung gezogen würden. Bei richtigem Verständnis liege der Zweck der Idee der „continuation de la personne“ genau darin, den Rechtszustand zu Lebzeiten des Erblassers bei dessen Tod zu konservieren und nicht zulasten seiner Nachkommen zu verändern. Es sei nicht zu rechtfertigen, aus Respekt vor der Vergangenheit die Zukunft der Familie zu gefährden.271 Gerade auch unter Verweis auf die französische Rechtstradition – „tout notre ancien droit français à sa plus belle époque“ – verlangte Saleilles, die „succession aux biens“ zum gesetzlichen Regelfall zu machen 272 oder sie jedenfalls vom Makel der Irregularität, vom „Verdacht der Unfeinheit, wenn nicht gar der Ehrlosigkeit“ zu befreien und damit zu einer in jeder Hinsicht gleichberechtigen Option zu erheben.273 Konkret liefen die Vorschläge Saleilles’ darauf hinaus, die Entscheidung über den Haftungsumfang nach dem Vorbild des deutschen und des schweizerischen Rechts gegenüber der Erwerbsoption zu verselbständigen,274 um damit auch von der „verfälschten“ zur „wahren“ römischen Tradition zurückzukehren.275 Die von der Reformkommission für die Beibehaltung des geltenden Leitbilds angegebene Begründung sah denn auch von moralischen Erwägungen ab. Stattdessen wurde die lange Tradition des geltenden Modells ins Feld geführt, ebenso die Sorge, dass die Aufgabe des Prinzips der „continuation de la personne“ notwendig mit Einschränkungen der saisine verbunden werden müsste, also des freien Zugangs der Familienangehörigen zum Nachlass.276 Gefürchtet wurde also m. a.W., dass eine anfängliche Haftungsbeschränkung nur um den Preis einer gewissen Kontrolle des Gesamtnachfolgers zu erlangen wäre. Kommissionspräsident Massigli formulierte in den Diskussionen denselben Gedanken aus einem anderen Blickwinkel, wenn er sagte, dass in der „succession aux biens“ zwar die „verité scientifique“ liege, das gegenteilige Prinzip aber durch seine „extrême simplicité“ verführe.277 Selbst wenn die Kommission sich für das Leitbild der „succession aux biens“ entschieden hätte, wäre nach Ansicht Massiglis der Versuch aussichtslos ge-
271
Diesen Gedanken formulierte Saleilles auch an anderer Stelle: Bull.Soc.e.leg. 10 (1911), 102. Saleilles, Bull.Soc.e.leg. 10 (1911), 102 („[…] le principe de la succession aux biens […] avait été celui de tout notre ancien droit français à sa plus belle époque, celle où les sentiments religieux et les sentiments de famille furent le plus profonds […]“). Siehe auch ders. in seinem Schreiben an die „Société d’études législatives“: Protokoll der Sitzung vom 19.1.1911, Bull.Soc.e.leg. 10 (1911), 29 („le régime de droit commun des successions“). 273 Saleilles, Bull.Soc.e.leg. 10 (1911), 51 f.; ders., Bull.Soc.e.leg. 10 (1911), 102. Entgegen Gas nier, Liquidation, Nr. 7, liefen die zu Beginn des 20. Jahrhunderts gemachten Vorschläge also nicht alle auf die Abschaffung der „succession à la personne“ hinaus (es sei denn, man bezieht diese Aussage nicht auf die integrierte Abwicklung als solche, sondern auf ihren Leitbildcharakter). 274 Saleilles, Bull.Soc.e.leg. 10 (1911), 54. 275 Siehe Saleilles, Bull.Soc.e.leg. 10 (1911), 52: „[…] c’est également à la vraie théorie romaine que nous demandons à revenir, au lieu de la theorie romaine falsifiée et aggravée de notre Code civil“. 276 Siehe Percerou, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 241; ders. im Protokoll der Sitzung vom 8.12.1910, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 283. 277 Zu diesem Vorteil der integrierten Abwicklung schon oben A.I. (571 ff.). 272 Siehe
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wesen, die französische Rechtswirklichkeit umzugestalten.278 Ein letztes erwähnenswertes Argument zugunsten des Leitbilds der „continuation de la personne“, das sich in den Diskussionsprotokollen findet, ist dasjenige der Stärkung der Kreditwürdigkeit von Schuldnern.279 Gemeint war mit diesem nicht näher ausgeführten Gedanken vermutlich, dass eine zwar nicht zwingende, aber doch vom Gesetz geförderte unbeschränkte Einstandspflicht der Rechtsnachfolger eines verstorbenen Schuldners dem Kreditgeber gewissen Schutz gegen dessen Insolvenz bietet.280 b) Nachfolgende Entwicklungen Die Auffassung, dass die Konzeption des Code civil nicht grundlegend verfehlt sei, sondern nur der Feinjustierung durch Stärkung der Entscheidungsfreiheit des Berufenen bedürfe, blieb auch in den nachfolgenden Jahrzehnten herrschend.281 Beispielhaft genannt sei eine Abhandlung Vialletons aus dem Jahr 1938 zum Erbrecht im Entwurf für das neue italienische Zivilgesetzbuch, die der Verfasser nutzte, um sich der Vorzüge des im Entwurf beibehaltenen Leitbilds der „continuation de la personne“ zu vergewissern.282 Ähnlich wie seine Vorgänger verwies Vialleton auf die lange rechtliche Tradition, auf die als natürlich betrachtete Solidarität zwischen den Generationen, darauf, dass die unbeschränkte Haftung von symbolischem und metaphysischem Wert sei und ihr eine höhere, weniger egoistische Auffassung vom erbrechtlichen Erwerb zugrunde liege, schließlich darauf, dass die anfänglich beschränkte Haftung eine Einschränkung der Besitz- und Verfügungsbefugnis des Gesamtnachfolgers erfordern würde. Vialleton äußerte ferner sein Erstaunen darüber, dass die unbeschränkte Haftung ausgerechnet zu einer Zeit in die Kritik gerate, wo es Mode geworden sei, dem Code civil seinen Individualismus vorzuwerfen. Schließlich wird auch im heutigen französischen Schrifttum das Leitbild der „continuation de la personne“ ganz überwiegend noch befürwortet, was sich u. a. im Lob des bei der Reform von 2006 verfolgten Ansatzes zeigt.283 Ungeachtet der überzeugenden Kritik Saleilles’ und späterer Autoren 284 findet sogar das Argument 278 Siehe
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die Stellungnahme im Protokoll der Sitzung vom 8.12.1910, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910),
279 Siehe die Stellungnahme von Lefas im Protokoll der Sitzung vom 8.12.1910, Bull.Soc.e.leg. 9 (1910), 290 f. 280 Zu diesem Argument Vialleton, A.Dir.Comp. 13 (1938), 397, der zugleich den „scharfsinnigen“ Einwand zurückweist, dass eine solche Erhöhung der Kreditwürdigkeit des Schuldners notwendig die Kreditwürdigkeit von dessen vermutetem Rechtsnachfolger beeinträchtige. Denn im Gegensatz zur Möglichkeit des Todes seines Schuldners stelle ein Kreditgeber die Möglichkeit, dass sein Schuldner später eine Erbschaft vorbehaltlos annehme und damit seine Vermögenslage verschlechtere, nicht in seine Berechnungen ein. 281 Siehe Leleu, Transmission, Nr. 517; für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg schreibt Brenner, Préface, VIII dem Werk von Jacques Flour zum „passif successorale“ (1956–1957) großen Einfluss zu. 282 Vialleton, A.Dir.Comp. 13 (1938), 305–310. 283 Grimaldi, Successions, Nr. 606 (483). 284 Siehe insbesondere die beißende Kritik von Héron oben § 5 Fn. 309.
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der intergenerationalen Solidarität bis heute Befürworter, 285 was freilich nichts daran ändert, dass ihm wie schon in der Reformkommission der „Société d’études législatives“ kein entscheidendes Gewicht (mehr) zukommt. Stattdessen wird die Ratio der unbeschränkten Haftung vorrangig darin gesehen, dass sie das notwendige Gegengewicht zur unbeschränkten Herrschaft des Rechtsnachfolgers über den Nachlass bildet.286 Die „succession aux biens“ und die ihr verbundene Haftungsbeschränkung hat im Gegenzug jeglichen moralischen Makel abgestreift, was sich nicht zuletzt in ihrer erheblichen Aufwertung durch den Reformgesetzgeber von 2006 manifestiert.287 Wenn das Gesetz dem Gesamtnachfolger zur Erlangung der Haftungsbeschränkung im Regelfall einen Preis abverlangt, insbesondere in Gestalt der Pflicht zur Inventarerrichtung, dann kommt hierin kein Unwerturteil zum Ausdruck, sondern allein das Ziel, die Beschränkung der Verantwortlichkeit mit einer Beschränkung der Machtbefugnisse zu koppeln.
C. Die Stellung der integrierten Abwicklung im deutschen Recht I. Existenz und Ausgestaltung des Abwicklungswahlrechts 1. Selbstbestimmte Wahl des Abwicklungsmodus Wie an anderer Stelle schon gezeigt, besteht ein besonderes Kennzeichen des BGB darin, für jeden Typ Nachlass einen passenden Abwicklungsmodus bereitzustellen.288 Trotzdem findet nur in beschränktem Maße eine automatisierte „Sortierung“ von Erbfällen statt. So wird zwar der von mehreren Erben abzuwickelnde Nachlass ebenso wie der geringwertige Nachlass ipso iure in das entsprechende Sonderregime überwiesen.289 Doch findet die amtliche Abwicklung stets nur auf Antrag statt, sei es vonseiten des Erben oder der Nachlassgläubiger. Dass das BGB es damit grundsätzlich Erben und Nachlassgläubigern überlässt, von den bereitgestellten Instrumenten das aus ihrer Sicht passende herauszusuchen, hat zum einen technische Gründe. Ob beispielsweise ein Nachlass insolvent ist, lässt sich nicht abstrakt im Vorhinein entscheiden, sondern nur durch Prüfung des konkreten Einzelfalls. Zwar wäre es denkbar, von Amts wegen eine „manuelle Sortierung“ der Nachlässe vorzunehmen, doch wäre eine solche Maßnahme mit einer erheblichen Bürokratisierung der Abwicklung verbunden. 285
Siehe etwa Grimaldi, Successions, Nr. 602–606; Leroyer, Successions, Rn. 461. Siehe dazu oben § 5 Fn. 317. 287 Siehe Gasnier, Liquidation, Nr. 237, 243, die diese Entwicklung als Sieg der Ansicht von Saleilles betrachtet. 288 Dazu oben § 6 E.I. (435 ff.). 289 Zur Modifizierung der §§ 1967 ff. BGB bei Erbenmehrheit siehe oben § 6 E.II.4. (455 ff.), zur unmittelbaren Anwendbarkeit der §§ 1990, 1991 BGB bei geringwertigem Nachlass siehe oben § 6 E.IV.3b)(7) (507 ff.). 286
C. Die Stellung der integrierten Abwicklung im deutschen Recht
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Zum anderen ging es dem BGB-Gesetzgeber gar nicht darum, den Beteiligten des Erbfalls das aus seiner Sicht angemessene Abwicklungsregime aufzuzwingen. Dies gilt selbst im Fall des erheblichen, aber überschuldeten Nachlasses. Denn die Ratio der dem Erben auferlegten Pflicht zur Beantragung des Nachlassinsolvenzverfahrens290 ist nicht darin zu sehen, dass der Gesetzgeber die Durchführung des aus seiner Sicht angemessenen Abwicklungsregimes auf sanfte Weise erzwingen wollte. Stattdessen dient die angedrohte Schadensersatzhaftung291 des – zunächst ja ohnehin unbeschränkt haftenden – Erben dem Ziel, den Nachlass im Fall einer später doch noch erfolgten Absonderung wertmäßig zu rekonstruieren.292 Genau wie der Code civil räumt das BGB Erben und Nachlassgläubigern somit ein Recht zur Wahl des Abwicklungsmodus ein. Am deutlichsten ausgeprägt ist die Option des Erben, der sich je nach Konstellation zwischen der integrierten und einem bestimmten Modus der gesonderten Abwicklung entscheiden kann. Doch ist auch das Abwicklungswahlrecht der Nachlassgläubiger in seiner Bedeutung nicht zu unterschätzen. So können sie insbesondere bei einem erheblichen, aber überschuldeten Nachlass zwei Jahre lang für das Nachlassinsolvenzverfahren optieren 293 und damit dem Erben die Abwicklung auch gegen dessen Willen entziehen. 2. Selbständigkeit und „Ewigkeit“ des Abwicklungswahlrechts Die Entscheidung über den Abwicklungsmodus ist nicht der einzige Moment, in dem das BGB Rücksicht auf die Selbstbestimmung des Erben nimmt. Vielmehr steht diesem auf einer vorherigen Stufe auch schon die Entscheidung darüber zu, ob er überhaupt endgültig in die Erbenstellung eintreten möchte.294 Genau wie im französischen Recht hat der Erbe des BGB damit ein doppeltes Optionsrecht, das erste die Frage des „Ob“, das zweite die Frage des „Wie“ betreffend. In scharfem Gegensatz zum Code civil hat das BGB jedoch beide Optionen nicht miteinander verknüpft, sondern strikt voneinander entkoppelt.295 So muss sich ein Erbe, der die Erbschaft annimmt oder die Ausschlagungsfrist ablaufen lässt, nicht schon definitiv dazu erklären, ob beispielsweise eine Nachlassverwaltung angeordnet werden soll, und er braucht sich die spätere Ausübung dieser Option auch nicht vorzubehalten. Deshalb ist mit dem endgültigen Erbschaftserwerb zwar die Person des Erben und damit des Gesamtnachfolgers festgelegt (vorbehaltlich einer Anfechtung des Erbschaftserwerbs etwa wegen Irrtums oder Erbunwürdigkeit 296); noch nicht defintiv geklärt ist hingegen, von wem und in wel290
§ 1980 Abs. 1 S. 1 BGB. § 1980 Abs. 1 S. 2 BGB. 292 Dazu unten C.II.2. (620 ff.). 293 § 319 InsO. 294 § 1942 BGB. 295 Dies betonen aus französischer Sicht Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 825 f.; Saleilles, Bull. Soc.e.leg. 10 (1911), 53; Héron, Morcellement, 47. 296 §§ 1957, 2340 BGB. Zu einem rückwirkenden Wegfall des Berufungsgrundes kommt es im Fall der Testamentsanfechtung, §§ 2078, 142 Abs. 1 BGB. 291
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cher Weise der Nachlass abgewickelt wird.297 Zwar liegt die Zusändigkeit im Ausgangspunkt beim Erben,298 doch kann er später mit oder gegen seinen Willen von einem Nachlass(insolvenz)verwalter abgelöst werden. Und selbst im Fall, dass der Erbe die Abwicklung durchführt, kann diese eine integrierte sein oder eine gesonderte gemäß § 1990 BGB. Konstant ist die Stellung des Erben daher nur bezüglich seiner Nachlassträgerschaft und Residualbegünstigung, denn diese Elemente werden durch den zur Anwendung kommenden Abwicklungsmodus nicht mehr berührt. Beantragt der Erbe beispielsweise die Nachlassverwaltung, verliert er dadurch weder seine formale Schuldnerstellung noch seinen Anspruch auf einen eventuellen Überschuss. Als solche ist die Entkoppelung von Erwerbsoption und Abwicklungsoption schon aus dem römischen Recht bekannt. Denn Justinian gestattete dem heres, auch nach der Annahme der Erbschaft noch vom beneficium inventarii Gebrauch zu machen.299 Doch musste er hierbei vergleichsweise enge zeitliche Grenzen beachten, so dass beide Entscheidungen letztlich in einem einheitlichen Kontext ergingen. Im BGB hingegen hat die Möglichkeit des Erben, für die gesonderte Abwicklung zu optieren, grundsätzlich „ewigen“ Charakter. Denn nicht nur hat der Gesetzgeber davon abgesehen, das Recht des Erben auf Beantragung von Nachlassverwaltung und Nachlassinsolvenzverfahren einer Frist zu unterwerfen. Auch geht der Erbe seiner Option für die gesonderte Abwicklung nicht durch eine bloße Handlung oder Erklärung verlustig. Entscheidet er sich nämlich in Erwartung der Zulänglichkeit des Nachlasses zunächst für die integrierte Abwicklung, ist er dadurch nicht gehindert, später „reumütig“ auf die Nachlassverwaltung oder das Nachlassinsolvenzverfahren umzuschwenken. Die Entscheidung für die integrierte Abwicklung ist somit immer nur eine provisorische, niemals eine endgültige. Aus der Warte des französischen Rechts und seinem Grundsatz der „irrevocabilité“300 ließe sich auch von der Widerruflichkeit der Entscheidung für die integrierte Abwicklung sprechen. Der Verlust des Optionsrechts tritt allein in Gestalt einer Sanktion ein, nämlich bei einer Inventarverfehlung des Erben.301 Es ist diese Beständigkeit der Abwicklungsoption, die ihrer Entkoppelung von der Erwerbsoption erst die volle Bedeutung verleiht. Denn müsste sich der Erbe mit oder jedenfalls bald nach Ausübung der Erwerbsoption mit bindender Wirkung zwischen integrierter und gesonderter Abwicklung entscheiden, und sei es nur konkludent, wäre der Unterschied zum französischen Recht im Wesentlichen nur 297 Vom Standpunkt der Haftung aus formuliert Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3486: „Definitive Erbenstellung bedeutet nicht definitive Vollhaftung“ (Hervorhebungen des Originals nicht übernommen). 298 Zum Sonderfall des Abwicklungsvollstreckers oben § 6 E.II.2. (450 ff.). Auch dessen Abwicklungszuständigkeit ist, abgesehen vom Erfordernis der Annahme des Amtes (§ 2202 BGB), nicht definitiv, da es sowohl die Möglichkeit der Kündigung (§ 2226 BGB) als auch die der Abberufung gibt (§ 2227 BGB). 299 Dazu oben § 4 A.VII.8. (269 f.). 300 Siehe oben B.II. (578 ff.). 301 Siehe oben § 6 E.II.3. (453 ff.).
C. Die Stellung der integrierten Abwicklung im deutschen Recht
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konzeptioneller Natur, da die Aufspaltung einer gebündelten Erklärung in zwei einzelne Erklärungen nicht per se mit praktischen Folgen verbunden wäre. Hingegen kann das BGB dank des „ewigen“ Charakters der Abwicklungsoption zwei Probleme vermeiden, die im französischen Recht für so viel Kopfzerbrechen gesorgt haben: Zum einen besteht nicht die Gefahr, dass der Erbe durch Unbedachtheit oder fehlende Rechtskunde in die „Falle“ der endgültig unbeschränkten Haftung tappt. Zum anderen muss er sich auch nicht vor verborgenen Erblasserverbindlichkeiten fürchten.302 Freilich ist es auch genau diese „Ewigkeit“ der Abwicklungsoption, die die vieldiskutierten Probleme der werbenden Fortführung von Nachlässen hervorruft.303 Denn erst dadurch, dass der Erbe noch lange Zeit nach dem Erbfall seine Haftung beschränken kann, wird beispielsweise die Anordnung der Testamentsvollstreckung über ein im Nachlass befindliches Unternehmen so brisant.
Sind damit bereits praktische Vorzüge der BGB-Konzeption gegenüber der französischen Lösung benannt, die auch jenseits des Rheins schon früh erkannt wurden, bedarf die Ratio des deutschen Optionsregimes trotzdem noch der näheren Untersuchung. Dabei wird sich zeigen, dass eine seiner Rechtfertigungen vergleichsweise offenkundig ist, die andere hingegen unter der Oberfläche der BGB-Regelungen verborgen liegt. 3. Ratio 1: Die Entlastung der Erwerbsoption Wenn das BGB bei der Ausübung der Abwicklungsoption die gezeigte Großzügigkeit walten lässt, lässt sich dies ganz ähnlich wie schon im preußischen Recht zu einem bedeutenden Teil durch seine Strenge bei der Erwerbsoption erklären. Denn das BGB mutet dem Berufenen nicht nur zu, dass der endgültige Eintritt in die Erbenstellung sich ohne sein Zutun vollzieht; es lässt diesen Erwerb überdies innerhalb der kurzen Frist von sechs Wochen ab Kenntnis von der Berufung eintreten.304 Ein Regime, das die designierte Person derartig in die endgültige Erbenstellung „hineinsaugt“,305 wäre mindestens bedenklich, wenn es den Erben damit zugleich zur integrierten Nachlassabwicklung und damit zur unbeschränkten Haftung verdammen würde.306 Umso erstaunlicher mag es vor diesem Hintergrund erscheinen, dass das schweizerische Recht genau dies hinnimmt, wenngleich es dem Erben immerhin eine doppelt so lange Ausschlagungsfrist gewährt307 und
302 Aus französischer Sicht hält deshalb Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 825 f. das deutsche Recht für „bien préférable“. 303 Siehe oben § 6 E.IV.5a) (516 ff.). 304 § 1944 BGB. 305 Angelehnt an Muscheler, Erbrecht I, Rn. 1081, der treffend von einem „gesetzlichen Sog in die Annahme“ der Erbschaft spricht. 306 Praktisch würde der Erbe vielfach zur Ausschlagung gezwungen, Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3486. Siehe auch schon oben § 6 Fn. 6. 307 Art. 567 ZGB (drei Monate).
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in der Praxis die Möglichkeit einer Verlängerung anerkannt ist.308 Hingegen nimmt das französische Recht der Koppelung von Erwerbs- und Abwicklungsoption jedenfalls einen Teil seiner Brisanz dadurch, dass es den endgültigen Erwerb des Nachlasses nicht ohne Zutun des héritier eintreten lässt.309 Wird unter diesem Blickwinkel somit die Ausgestaltung der Abwicklungsoption durch die Ausgestaltung der Erwerbsoption determiniert, sollte ein kluger Gesetzgeber natürlich beide Themenkomplexe von vornherein im Zusammenhang betrachten. Der Vorteil einer großzügigen Abwicklungsoption lässt sich dann darin sehen, dass sie zwecks rascher Stabilisierung der Nachlassverhältnisse ein strenges, d. h. durch kurze Ausschlagungsfristen und die Möglichkeit der konkludenten Annahme charakterisiertes Regime des Nachlassübergangs zu rechtfertigen vermag.310 Denn die Auslagerung der Entscheidung über den Abwicklungsmodus, die, wenn sie informiert sein soll, eine umfassende Sichtung des Nachlasses voraussetzt, führt zu einer entsprechenden Entlastung der Entscheidung über Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft; diese wird gewissermaßen nicht mehr durch Haftungsfragen „kontaminiert“. Sehr problematisch ist in diesem Licht die Großzügigkeit, mit der die deutschen Gerichte seit dem frühen 20. Jahrhundert etwaige Willensmängel des Erben bei Annahme der Erbschaft berücksichtigt haben.311 Denn jedenfalls im praktisch bedeutsamsten Fall,312 der Anfechtung des Erbschaftserwerbs nach § 119 Abs. 2 BGB wegen nachträglicher erkannter Überschuldung,313 wird die Konzeption der Nachlassabwicklung frontal unterlaufen.314 Nach dieser soll das Risiko verborgener Erb lasserschulden über die „ewige“ Abwicklungsoption aufgefangen werden, die Stabilität des Erwerbs hingegen nicht gefährden. Mit anderen Worten wird bewusst in Kauf genommen, dass der Erbe sich während der sechswöchigen Überlegungsfrist für den Erwerb noch kein vollständiges Bild über den Nachlass verschaffen kann. 308 Serozan, successio 2014, 22. Nicht überraschend wird das Schweizer Regime der Erbenhaftung dennoch für reformbedürftig gehalten, siehe neben der genannten Referenz auch Breitschmid, successio 3 (2009), 208 f. 309 Dazu oben § 1 E.I.2b) (44 ff.). 310 Vgl. auch Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3486. 311 Dazu eingehend Pohl, AcP 177 (1977), 71–81; Menges, Anfechtung, 51 ff.; MüKoBGB/Leipold, § 1954 Rn. 2 ff.; Musielak, ZEV 2016, 353–356. 312 Hierauf wird immer wieder hingewiesen, siehe etwa Pohl, AcP 177 (1977), 75; Menges, Anfechtung, 100; Leipold, ZEV 2019, 263 („[b]emerkenswert häufig“); Röthel, Erbrecht, § 27 Rn. 42. 313 Erstmals für zulässig befunden in RGZ 158, 50 (51 f.); später BGHZ 106, 359 (363) = NJW 1989, 2885; jüngst OLG Brandenburg ZEV 2019, 553 (Voraussetzungen im Fall allerdings verneint). Näher zum Ganzen Pohl, AcP 177 (1977), 75–81; Menges, Anfechtung, 100 ff. Umstritten ist, ob eine Anfechtung wegen Überschuldung des Nachlasses nur dort möglich ist, wo der Erbe über dessen Zusammensetzung irrte, oder auch dort, wo seine Fehlvorstellung sich auf die Bewertung der Nachlassgegenstände bezieht. Bejahend etwa BeckOGK/Heinemann, § 1954 Rn. 61 (Stand: 15.04.2021); ablehnend etwa MüKoBGB/Leipold, § 1954 Rn. 12 f., jeweils m. w. N. Unzureichend jedenfalls rein spekulative Vorstellungen: OLG Düsseldorf NJOZ 2021, 742. 314 Für eine restriktive Handhabung der Anfechtungstatbestände wurde auch im Rahmen der Reformdiskussionen der 1930er Jahre plädiert, siehe Soehngen, Referat, 778.
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Wenn die Praxis demgegenüber mittels weiter Auslegung des § 119 Abs. 2 BGB erlaubt, die für die Wahl des Abwicklungsmodus relevanten Umstände in die Entscheidung über Annahme oder Ausschlagung hineinzuziehen, missachtet sie die gesetzlich vorgesehene Arbeitsteilung zwischen Erwerbsoption und Abwicklungsoption.315 Die Tatsache, dass die französischen Gerichte eine Anfechtung des Erbschaftserwerbs wegen Eigenschaftsirrtums immer abgelehnt haben, obwohl sie angesichts bestehender Schutzlücken hierzu viel eher Anlass gehabt hätten als die deutschen,316 lässt deren Praxis in noch grellerem Licht erscheinen. Zuzugeben ist freilich, dass die skizzierte Konzeption nur in den Entwürfen Gottfried von Schmitts und der Ersten Kommission klaren Ausdruck gefunden hatte und von der Zweiten Kommission erheblich verwischt worden war. So war dem Erbrechtsredaktor die Tatsache, dass der Erbe sich stets noch auf seine „Inventarwohlthat“ berufen kann, Grund genug, die Anfechtung der Erbschaftsannahme gänzlich zu versagen.317 Die Erste Kommission ließ eine solche dann zwar grundsätzlich zu, weil die Erbenstellung auch bei Freistellung des Eigenvermögens „zu einer drückenden Last werden“ könne.318 Doch waren als Anfechtungsgründe nur die Drohung und der Betrug vorgesehen, nicht hingegen der Irrtum.319 Zudem war für die Erste Kommission klar, dass eine durch Fristablauf herbeigeführte Annahme niemals angefochten werden könne.320 Die Zweite Kommission nahm dann eine entscheidende Erweiterung dadurch vor, dass sie die Gründe für die Anfechtung der Annahme gar nicht mehr explizit nannte, sondern sich unmittelbar an die Regelungen des Allgemeinen Teils anlehnte und somit auch die Anfechtung wegen Irrtums zuließ.321 Warum die Zweite Kommission einen solchen Gleichlauf für zwingend hielt, erläuterte sie freilich ebenso wenig wie die genaue Art und Weise, in der die allgemeinen Irrtumsregeln auf die Annahme und Ausschlagung der Erbschaft angewendet werden sollten; insbesondere für den Fall des Eigenschaftsirrtums (§ 119 Abs. 2 BGB) war dies alles andere als evident. Wenig hilfreich war sodann auch die Entscheidung der Zweiten Kommission, als ein vermeintliches Gebot der Billigkeit 322 die Versäumung der Ausschlagungsfrist „in gleicher Weise wie die Annahme“ für anfechtbar zu erklären,323 ohne sich näher mit der Frage aus einanderzusetzen, ob und wie die allgemeinen Anfechtungsregeln auf fingierte Erklärungen überhaupt anzuwenden sind. Diese unzureichende Konturierung der Anfechtung des Erbschaftserwerbs eröffnete den Gerichten einen weiten Spiel315 Kritisch auch Kunz, ErbR 2020, 319 (Fn. 14), die zugleich darauf hinweist, dass der BGH in einer neueren Entscheidung zu der in § 1944 Abs. 3 BGB geregelten Ausschlagungsfrist bei Auslandsaufenthalt einen restriktiven Kurs einschlug (BGH NJW 2019, 1071). 316 Siehe oben Fn. 141. 317 v. Schmitt, Begründung, 822, 834. Die Anfechtung der Ausschlagung („Entsagung“) wollte v. Schmitt hingegen unter engen Voraussetzungen gestatten, siehe § 310 Teil-E Erbrecht. 318 Motive V, 512 f. = Mugdan V, 273 f. 319 § 2041 E-I BGB. 320 Motive V, 512 f. = Mugdan V, 273 f. 321 § 1831 E-II BGB, der Vorbild für § 1954 BGB war; Protokolle V, 631 = Mugdan V, 411. 322 Protokolle V, 632 = Mugdan V, 412. 323 § 1833 E-II BGB, der Vorbild für § 1956 BGB war.
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raum, den sie, wie gesehen, zur Etablierung einer sehr anfechtungsfreundlichen Linie nutzten. Die praktischen Konsequenzen der großen Anfechtungsfreundlichkeit zeigten sich auf drastische Weise in einer Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2015.324 Nicht nur lag hier sogar eine gestufte Anfechtung vor, indem die auf § 119 Abs. 1 BGB gestützte Anfechtung der Annahme aufgrund Fristablaufs Jahre später ihrerseits gemäß § 119 Abs. 2 BGB angefochten werden sollte, so dass die ursprüngliche Annahme der Erbschaft wieder aufgelebt wäre. Auch hätte der Erfolg der zweiten Anfechtung dazu geführt, dass der mehr als 15 Jahre zurückliegende Erbfall neu hätte aufgerollt werden müssen. Der BGH vermochte dieses Ergebnis nur dadurch zu vermeiden, dass er in methodisch zweifelhafter Art und Weise die zweite Anfechtungserklärung der Ausschlussfrist des § 121 Abs. 2 BGB (zehn Jahre) unterwarf, anstelle der längeren Frist des § 1954 Abs. 4 BGB (dreißig Jahre).325
4. Ratio 2: Das Leitbild der gesonderten Abwicklung Beruht die Entscheidung des BGB-Gesetzgebers, die berufene Person innerhalb kurzer Frist zunächst zur Entscheidung darüber aufzufordern, ob sie endgültig Erbe sein möchte, ihr anschließend aber zu gestatten, sich in Ruhe für einen Abwicklungsmodus zu entscheiden, auf einem schlüssigen Konzept, erstaunt auf den ersten Blick dennoch der krasse Gegensatz zwischen beiden Fristen. Denn während der Erbe zur Entscheidung über Annahme oder Ausschlagung geradezu gehetzt wird, lässt ihm das Gesetz für die Entscheidung über den Abwicklungsmodus buchstäblich alle Zeit der Welt. Eine solche Lösung, die sich als Anomalie im System des BGB ausnimmt,326 war durch das Ziel der raschen Stabilisierung keineswegs vorgegeben; ebenso gut wäre es denkbar gewesen, beispielsweise das Recht zur Beantragung der Nachlassverwaltung einer Frist von drei oder sechs Monaten zu unterwerfen.327 Wenn der BGB-Gesetzgeber dennoch von einer zeitlichen Beschränkung abgesehen und der Option der gesonderten Abwicklung auch im Übrigen Beständigkeit verliehen hat, äußert sich darin seine Entscheidung, im Gegensatz zum französischen Recht nicht die integrierte, sondern die gesonderte Abwicklung zum Leitbild zu erheben.328 Der Erbe sollte die Option der gesonderten Abwicklung eben nicht durch Zeitablauf oder die an keinerlei Voraussetzungen geknüpfte Entscheidung für die integrierte Abwicklung verlieren können, weil die mit dieser verbundenen Rechtsfolgen, insbesondere die unbeschränkte Haftung, dem Gesetzgeber als unsachgemäß erschienen. Es zeigt sich damit zugleich ein tiefer liegender Grund für 324
BGH ZEV 2015, 468. Litzenburger, ZEV 2015, 471; Wellenhofer, JuS 2016, 172; zur Entscheidung der Vorinstanz Löhnig/Plettenberg, ZEV 2015, 99. 326 So wird insbesondere der durch die Möglichkeit der Anfechtung eines Rechtsgeschäfts geschaffene Schwebezustand, der in der Struktur dem hier diskutierten vergleichbar ist, absoluten zeitlichen Grenzen unterworfen. Siehe etwa §§ 121 Abs. 2, 1954 Abs. 4 BGB. 327 Soweit ersichtlich, wurde die Frage einer Befristung des Erbenrechts zur Beantragung der Nachlassverwaltung in der Zweiten Kommission überhaupt nicht diskutiert. 328 Zum französischen Leitbild oben B.VI. (602 ff.). 325 Kritisch
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die Entkoppelung von Erwerbs- und Abwicklungsoption: Da für das Erwerbswahlrecht eine „ewige“ Dauer aus praktischen Gründen nicht in Betracht kam, mussten beide Wahlrechte zwangsläufig eigene Wege gehen. Es ist bezeichnend, dass dem namhaften französischen Juristen Jean Percerou, als er das BGB kurz nach seinem Inkrafttreten unter die Lupe nahm, dessen Leitbild der gesonderten Abwicklung sofort auffiel, er das deutsche Abwicklungsre gime dementsprechend als „succession aux biens“ qualifizierte329 und einen scharfen Gegensatz zu dem auf dem Leitbild der „continuation de la personne“ gegründeten französischen Recht sah.330 Und wenngleich Percerou der Vorwurf einer idealisierten Sicht auf das deutsche Recht gemacht werden kann 331 und er dessen Merkmale bisweilen überzeichnete,332 hatte er die Essenz des deutschen Rechts dennoch zutreffend erfasst.333 Wenn sich im Gegensatz dazu die deutsche Lehre seit jeher schwer damit tut, das Leitbild der gesonderten Abwicklung zu identifizieren, und sie sich stattdessen der wenig hilfreichen Formel von der „unbeschränkten, aber beschränkbaren Haftung“ bedient,334 so liegt dies zum einen daran, dass der genannte Grundgedanke weder im BGB ausgesprochen noch in den Materialien näher erörtert wird. Er kommt letztlich nur in der bereits oben zitierten Passage aus der „Denkschrift“ zum Ausdruck, wo es heißt, dass der Erbe gegen eine eigene Haftung „thunlichst geschützt“ werden solle und der Entwurf es deshalb „für richtiger erachtet [hat], die beschränkte Haftung des Erben dahin zu regeln, daß der Nachlass in der Hand des Erben als ein mit Nachlaßverbindlichkeiten belastetes, vom übrigen Vermögen des Erben getrenntes Vermögen behandelt wird.“335 Zum anderen ist dem Gesetzgeber vorzuwerfen, dass er sein Konzept in widersprüchlicher Weise umgesetzt und dadurch verschleiert hat. Denn unbestreitbarer 329 Siehe Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 814, der auch von einer großen Nähe zwischen dem englischen und dem deutschen Recht spricht und das französische Recht als unterlegen bezeichnet (811 f.). 330 Zu diesen Begriffen oben § 4 C.II.1b) (302 ff.). 331 So Leleu, Transmission, Nr. 490, der zu Unrecht allerdings Saleilles mit demselben Vorwurf belegt. Denn Saleilles, Bull.Soc.e.leg. 10 (1911), 50–55, hält sich mit einer eindeutigen Bewertung des deutschen Rechts bewusst zurück. 332 So spricht Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 814, beispielsweise davon, dass der Nachlass im deutschen Recht „absolument séparé“ vom Eigenvermögen des Erben sei, ferner will er eine „atemberaubende Analogie“ (analogie saisissante) zwischen der deutschen Nachlassabwicklung und der Liquidation von Gesellschaften nach französischem Recht erkennen, was jeweils dem Ausgangspunkt der Vermögensvermischung nicht gerecht wird. Schließlich geht Percerou davon aus, dass der Erbe regelmäßig von der Möglichkeit des Gläubigeraufgebots und der Nachlassverwaltung Gebrauch machen werde, was der gelebten Nachlassabwicklung gerade nicht entspricht (dazu oben § 6 E.V.3. (526 ff.); freilich konnte Percerou diese Entwicklung kaum vorhersehen). Differenzierter Leleu, Transmission, Nr. 495, 650, der seinem allgemeinen Ansatz entsprechend (dazu oben Fn. 246) dem deutschen Recht eine „tendance intra vires“ bescheinigt; ebenso ders., ERPL 6 (1998), 167. 333 Die Untersuchung Percerous bietet dem deutschen Leser deshalb auch heute noch eine erfrischende Außenperspektive auf das eigene Recht. 334 Siehe oben § 6 E.IV.1a) (480 f.). 335 Denkschrift BGB, 852. Siehe auch bereits oben § 6 E.IV.1a) und b) (480 ff.).
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gesetzessystematischer Ausgangspunkt der §§ 1967 ff. BGB ist die integrierte Abwicklung, was aus mehreren Gründen problematisch ist. 5. Innere Widersprüche der BGB-Konzeption Das Leitbild der gesonderten Abwicklung wird in erheblichem Maße dadurch unterminiert, dass ihre Anwendung solch einschneidende Maßnahmen erfordert wie die Beantragung von Nachlassverwaltung oder Nachlassinsolvenz.336 Denn nicht nur werden hierdurch psychologische Hürden für den Erben errichtet; auch erhält die gesonderte Abwicklung ganz ähnlich wie in Frankreich den Ruch des Irregulären, Pietätlosen. Viel konsequenter wäre gewesen, anstelle der integrierten die gesonderte Abwicklung zum gesetzlichen Ausgangspunkt zu machen, so wie es das preußische ALR vorsah 337 und wie das BGB es im Fall des geringwertigen Nachlasses und der Mehrheit von Erben anordnet. In diesem Fall hätte das BGB es sich auch leisten können, bestimmte Verfahren der gesonderten Abwicklung, insbesondere die Nachlassverwaltung, einer zeitlichen Schranke zu unterwerfen. Hingegen würde die Möglichkeit, per Inventarerrichtung für die gesonderte Abwicklung zu optieren, den Vorwurf der Inkonsistenz nicht ausräumen. Zwar würden die psychologischen und finanziellen Hürden zum Verlassen der integrierten Abwicklung gesenkt. Doch wären sie, wie die französische Erfahrung lehrt, angesichts des mit einer Inventarerrichtung verbundenen Aufwandes immer noch so hoch, dass an der praktischen Vorrangstellung der integrierten Abwicklung nicht gerüttelt würde. Zudem wäre es mit dem Zweck der Inventarerrichtung kaum vereinbar, sie zeitlich unbegenzt zu ermöglichen, weil die jederzeit nachreichbare Nachlassaufzeichnung nur noch ein besonderes Beweiserfordernis wäre. Eine gesetzliche Inventarfrist zu statuieren hieße jedoch, sich vom Leitbild der gesonderten Abwicklung endgültig zu verabschieden, und genau hierin lag das Problem der preußischen Lösung.338 Der „Breslauer Entwurf“ suchte dadurch einen Kompromiss zu erzielen, dass das Verstreichen der gesetzlichen Inventarfrist das Recht zur Beantragung von Nachlassverwaltung und Nachlasskonkurs unberührt ließ.339 Die Inventarerrichtung im ersten Schritt für relevant zu erklären, ihre Rolle als Voraussetzung zur Haftungsbeschränkung im zweiten Schritt aber zu desavouieren, erscheint indessen wenig konsistent.
Des Weiteren stehen auch die harschen Folgen von Inventarverfehlungen im Widerspruch zum Leitbild der gesonderten Abwicklung.340 Denn indem der Gesetzgeber den Erben in diesem Fall in die integrierte Abwicklung hineinzwingt, verleiht er dieser implizit doch wieder Status der Regularität. Denn wie wären derart weitgehende Rechtsfolgen, die von einem tatsächlichen Schadenseintritt gänzlich unabhängig sind, sonst zu erklären? Die Mitglieder der Zweiten Kommission erlagen hier der historischen Suggestionskraft der integrierten Abwicklung,341 wie sie 336
Zum hohen Preis der Haftungsbeschränkung schon oben § 6 E.V.3. (526 ff.). Dazu oben § 6 D.III. (441 ff.). 338 Siehe oben § 6 Fn. 744. 339 Siehe oben § 6 E.VI.2c) (545 ff.). 340 Dazu oben § 6 E.V.5. (530 ff.). 341 Dazu oben A.I. (571 ff.). 337
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prägend für das gemeine Recht und auch noch den Vorentwurf von Schmitts sowie den Ersten Entwurf für das BGB gewesen war.342 Eine weitere problematische Folge der fehlenden Konsequenz und Transparenz der BGB-Konzeption besteht darin, dass sie den Alleinerben in falscher Sicherheit wiegt und unter Umständen sogar ins Messer laufen lässt. Denn indem das Gesetz dem Alleinerben im Ausgangspunkt keine treuhänderischen Pflichten zum Umgang mit dem Nachlass auferlegt, ermutigt es ihn geradezu, diesen als eigenen zu behandeln. Entscheidet er sich dann später für die gesonderte Abwicklung, kann die rückwirkende Behandlung als Beauftragter (§ 1978 BGB) ein böses Erwachen bedeuten,343 indem der Erbe nun Rechenschaft ablegen muss und womöglich Schadens- und Nutzungsersatz zu leisten hat.344 Und dort, wo der Erbe sich über die Rechtsfolge des § 1978 BGB im Klaren ist, kann sie sich wiederum als psychologische Hürde zur Geltendmachung der gesonderten Abwicklung erweisen. Zusammenfassend trifft die Verfasser des BGB – und konkret die Mitglieder der Zweiten Kommission – der Vorwurf der Halbherzigkeit. Weder mit der integrierten noch mit der gesonderten Abwicklung getrauten sie sich, Ernst zu machen. Resultat ist eine Gemengelage, die zu weiteren, im Folgenden zu untersuchenden Schwierigkeiten führt.
II. Folgeprobleme: Auftreten und Bewältigung der Schwebelage Dadurch, dass das BGB nicht frühzeitig die endgültige Entscheidung für einen bestimmten Abwicklungsmodus forciert, handelt es sich erhebliche Folgeprobleme ein. Denn es entsteht ein (unter Umständen lang andauernder) Zustand der Ungewissheit, der sowohl auf der materiellrechtlichen als auch auf der prozessualen Ebene besondere Maßnahmen erfordert. 1. Integrierte Abwicklung als Auffangregel Die Existenz eines gesonderten Abwicklungswahlrechts ließe an sich erwarten, dass für den Zeitraum der Deliberation des Erben eine Zwischenregime geschaffen wird, das die zum Schutz und Erhalt des Nachlasses notwendigen Maßnahmen ermöglicht, Vermögensverschiebungen hingegen grundsätzlich verhindert, um keine vollendeten Tatsachen zu schaffen. Dies entspräche der Lage zwischen Anfall und endgültigem Erwerb der Erbschaft.345 Zugleich ist verständlich, dass die Verfasser des BGB diesen Weg nicht für gangbar hielten, da die Abwicklung des Nachlasses angesichts der fehlenden Fristen hierdurch auf unzumutbare Weise verzögert zu werden drohte. Stattdessen ordne342
Siehe oben § 6 E.III.1. und 2. (459 ff.). Muscheler, Testamentsvollstreckung, 405, meint, dass der Erbe sich kaum je als „Beauftragter der Nachlassgläubiger“ fühlen wird; ebenso Osthold, Erben und Haftung, 49. 344 Siehe oben § 6 E.V.3. (526 ff.) und unten II.2. (620 ff.). 345 § 1959 BGB; siehe auch schon oben § 1 I.II.2b) (112 ff.). 343 Auch
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ten sie an, dass mit dem endgültigen Erbschaftserwerb ein vollwertiger Abwicklungsmodus als Auffangregel einsetzt, nämlich die integrierte Nachlassabwicklung durch den Erben. Auf der rechtstechnischen Ebene findet dieser Vorgang seinen Ausdruck in der Verschmelzung von Nachlass und Erbenvermögen, mit der Folge der unbeschränkten Haftung des Erben.346 Folge dieses Regelungskonzepts ist, dass die verschiedenen Abwicklungsmodi des BGB, anders als etwa die des französischen Rechts, einander im konkreten Fall nicht ausschließen, sondern sukzessive zur Anwendung kommen können. Die integrierte Abwicklung durch den Alleinerben beispielsweise kann in eine Nachlassverwaltung übergehen, die ihrerseits später von einem Nachlassinsolvenzverfahren abgelöst wird. In rechtlicher Hinsicht 347 ist dieses zeitliche Nacheinander verschiedener Abwicklungsmodi deshalb problematisch, weil deren jeweiliger Zweck verlangt, sie nicht nur ex nunc, sondern schon ab dem Zeitpunkt des Erbfalls zur Anwendung zu bringen. Denn es wäre aus Gläubigersicht beispielsweise nicht hinnehmbar, wenn ein Nachlassinsolvenzverfahren nicht den Ausgangsnachlass, sondern nur noch den schon vom Erben geplünderten Restnachlass zum Gegenstand hätte. Der großzügigen Gewährung des Abwicklungswahlrechts darf m. a.W. nicht die sachgerechte Nachlassverteilung zum Opfer fallen, den Gläubigern dürfen aus dem „verspäteten“ Beginn der gesonderten Abwicklung keine Nachteile erwachsen. Das BGB versucht dieses Problem dadurch zu lösen, dass es die Modi der gesonderten Nachlassabwicklung grundsätzlich auf den Erbfall zurückbezieht und den Nachlass entsprechend rekonstruiert.348 Dies bedeutet, dass der spätere aktivierte Abwicklungsmodus nicht bloß an den früher aktivierten anschließt, sondern ihn rückwirkend überlagert. Folge ist das Auftreten eines „eigentümlichen Schwebezustands“,349 der auch in der Charakterisierung der Haftung des Alleinerben als unbeschränkt, aber beschränkbar seinen Ausdruck findet.350 2. Die Rekonstruktion des Nachlasses Das konsequenteste Mittel zur rechtlichen Neutralisierung der zwischen Erbfall und Aktivierung der gesonderten Nachlassabwicklung liegenden Geschehnisse bestünde darin, jeglicher stattgefundenen Vermögensverschiebung nachträglich die dingliche Wirkung zu versagen. Eine vom Erben vorgenommene Verfügung über einen Nachlassgegenstand z. B. wäre dann ebenso hinfällig wie die abgeschlossene Vollstreckung eines Erbeneigengläubigers in den Nachlass. Es ist indessen offensichtlich, dass eine solche Lösung den Verkehrsschutz in schwerwiegender Weise 346
Siehe schon § 1 F.I. (64 ff.). Der praktische Nachteil eines Nacheinanders von Nachlassverwaltung und Nachlassinsolvenzverfahren wurde oben schon thematisiert, siehe § 6 E.IV.2c) (494 f.). 348 Eingehend Endemann, Erbrecht III/2, § 115; siehe ferner Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 33.03–33.05. 349 Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 135 (siehe auch schon ebd., 49). 350 Dazu oben § 6 E.IV.1a) (480 f.). 347
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beeinträchtigen und die integrierte Abwicklung durch den Erben weitgehend aushöhlen würde. Das BGB hat deshalb einen Mittelweg gewählt: Eine dingliche Wiederherstellung des Nachlasses findet nur in begrenztem Umfang statt, insbesondere haben die vom Erben getätigten Verfügungen Bestand.351 In der Hauptsache erfolgt die „Rückorientierung auf den Erbfall“352 mit Mitteln des Schuldrechts.353 Zur ersten Kategorie gehören zunächst die Regelungen, die das Erlöschen von Rechtsverhältnissen zwischen Erblasser und Erbe durch Konfusion und Konsolidation rückgängig machen 354 sowie denjenigen Aufrechnungen grundsätzlich die Wirkung nehmen, die zwischen nicht länger im Gegenseitigkeitsverhältnis stehenden Vermögensmassen erfolgt sind.355 Sodann entfaltet die Anordnung der gesonderten Nachlassabwicklung auch dort dingliche Rückwirkung, wo begonnene, aber noch nicht abgeschlossene Vollstreckungsmaßnahmen aufgehoben werden können.356 Hingegen bleiben vom Erben getätigte Verfügungen nicht nur genauso wirksam wie abgeschlossene Vollstreckungshandlungen;357 anders als bei der Erbengemeinschaft 358 ist auch keine dingliche Surrogation vorgesehen. Die Frage, ob ein bestimmter Gegenstand nach der durch Nachlassverwaltung oder Nachlassinsolvenz herbeigeführten Vermögenstrennung zum Nachlass oder zum Erbenvermögen gehört, ist für die Frage von Bedeutung, welche Gläubiger sich im Wege der Vollstreckung oder im Fall der Insolvenz aus ihm befriedigen können.359 Richtigerweise ist in mehrfacher Hinsicht zu differenzieren: Dass „Vermehrungen des Nachlasses aus sich selbst heraus“360 , also etwa Sach- und Rechtsfrüchte oder die Versicherungssumme für einen zer351 Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3566; Herzog, Erbenhaftung, § 8 Rn. 69. Hingegen behauptet Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 73, zu Unrecht einen rückwirkenden Verlust der Verfügungsmacht des Erben. Ursache dieses Irrtums könnte eine Verwechslung mit der Situation bei Ausschlagung der Erbschaft (§ 1959 BGB) sein. 352 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 33.05a. 353 Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 48, 137 f., 154; Dauner-Lieb, in: FS Gaul, 95–97; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3517, der allerdings zu pauschal jegliche Art der Rückwirkung verneint. 354 § 1976 BGB, dazu etwa Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 84 f. Entgegen seiner eigenen Aussage an anderer Stelle (oben Fn. 353) spricht auch Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3560, von einem rückwirkenden Vorgang. 355 § 1977 BGB. Eingehend dazu Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 85–90; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3567–3572. 356 Siehe für die Nachlassverwaltung § 784 ZPO und für das Nachlassinsolvenzverfahren § 321 InsO, der die Rückschlagsperre des § 88 InsO zeitlich erweitert und damit einen Wettlauf auch der Nachlassgläubiger um den besseren Rang verhindert; dazu Dauner-Lieb, in: FS Gaul, 100; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3564, 3637. Ist die Vollstreckung bereits abgeschlossen, findet § 321 InsO keine Anwendung mehr, die Vollstreckung kann aber unter Umständen nach §§ 129 ff. InsO angefochten werden ( Jünemann, ZErb 2011, 62). Erfolgte die Vollstreckung durch Eigengläubiger des Erben, kommt ein Bereicherungsanspruch der Masse gegen diesen in Betracht (Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3637). 357 Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 138; Dauner-Lieb, in: FS Gaul, 95–97. Ein so weitgehender Schutz wie im Fall des § 2115 BGB besteht daher nicht, Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 85. 358 § 2041 BGB. 359 Staudinger/Marotzke (2010), § 1978 Rn. 17, 19. 360 Motive V 627 = Mugdan V, 337.
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störten Gegenstand, dem Nachlass zu Gute kommen, wurde vom Gesetzgeber für selbstverständlich erachtet 361 und ist weitgehend unstreitig.362 Ebenso ist anerkannt, dass eine Nachlasszugehörigkeit durch einen entsprechenden Geschäftswillen des Erben begründet werden kann.363 Da freilich zur Zeit der Vornahme der Verfügung die Nachlassverwaltung bzw. -insolvenz noch nicht eröffnet war und der Erbe deshalb in aller Regel nicht zwischen beiden Vermögensmassen differenziert hat,364 wird ein solcher Wille oft fehlen, und die h. M. verneint in Anlehnung an die Materialien 365 diesem Fall auch eine Herausgabepflicht nach § 667 Alt. 2 BGB.366 Die Möglichkeit schließlich, eine Nachlasszugehörigkeit in diesem Fall in analoger Anwendung der §§ 2019 Abs. 1, 2041 und 2111 Abs. 1 BGB mittels dinglicher Surrogation zu begründen, wird von der h. M. verneint.367 Sie würde, wo der erlangte Gegenwert in Geld besteht, wegen dessen faktischer Vermischung mit dem Erbenvermögen typischerweise ohnehin versagen.368
Das zentrale Instrument zur schuldrechtlichen Rekonstruktion des Nachlasses ist ein besonderer technischer Kunstgriff, nämlich die rückwirkende Behandlung des Erben als zwischenzeitlichen Nachlassabwickler im Auftrag der Nachlassgläubiger (§ 1978 Abs. 1 S. 1 BGB).369 Hierdurch wird erreicht, dass der Erbe für seine bisherige Abwicklungstätigkeit Rechenschaft ablegen, das Erlangte einschließlich gezogener Nutzungen 370 herausgeben und für Pflichtverstöße Schadensersatz leisten 361
Motive V 627 = Mugdan V, 337. Windel, Modi der Nachfolge, 81, 469; Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 102 f.; Staudinger/Marotzke (2010), § 1978 Rn. 15 m. w. N.; MüKoBGB/Küpper, § 1978 Rn. 6 m. w. N. 363 Endemann, Erbrecht III/2, 878; Windel, Modi der Nachfolge, 81; MüKoBGB/Küpper, § 1978 Rn. 6 m. w. N. Zur Frage, ob der Wille erkennbar gewesen sein muss, Staudinger/Marotzke (2010), § 1978 Rn. 15 m. w. N.; Klook, Die überschuldete Erbschaft, 190 f. Eingehende Diskussion bei Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 105–112. 364 Zu einer unmittelbaren, d. h. nicht nur rückwirkenden, Anwendung des § 1978 BGB kommt es nur im Fall des § 1991 Abs. 1 BGB, dazu oben § 6 E.IV.3b)(4) (501 f.). 365 Motive V, 628 = Mugdan V, 337. 366 Siehe BGH NJW-RR 1989, 1226 (1227); Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 104, 146 f. m. w. N.; Ebenroth, Erbrecht, Rn. 1136. Die Nachlassgläubiger können Ausgleich danach nur wegen schuldhafter Verminderung des Nachlassbestandes geltend machen. A. A. etwa Staudinger/Marotzke (2010), § 1978 Rn. 16 (Herausgabepflicht nach § 667 BGB auch bei fehlendem Fremdgeschäftsführungswillen). 367 BGH NJW-RR 1989, 1226; Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 131; MüKoBGB/Küpper, § 1978 Rn. 6 m. w. N.; Klook, Die überschuldete Erbschaft, 189 f.; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3574 (Fn. 299), obgleich er das Fehlen der dinglichen Surrogation als Mangel empfindet (Rn. 3542). Zu den vollstreckungsrechtlichen Implikationen Ehrenkönig, Erbenhaftung, 134 f. Unter besonderer Berücksichtigung des Falls der werbenden Nachlassfortführung Windel, Modi der Nachfolge, 81 f., der argumentiert, der erfolgreich wirtschaftende Erbe würde bei Annahme der dinglichen Surrogation „unentgeltlich für die Nachlaßgläubiger tätig“. Befürwortet wird die dingliche Surrogation etwa von Endemann, Erbrecht III/2, 875–878, 961; Staudinger/Marotzke (2010), § 1978 Rn. 17 m. w. N. Eingehende Diskussion bei Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 112–114. 368 Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 76; Ehrenkönig, Erbenhaftung, 134 f. 369 Irreführend daher die Aussage von Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 73, dass der Erbe bei Einleitung der amtlichen Abwicklung „rückwirkend“ die Verwaltungsbefugnis verliere. Denn er wird rückwirkend gerade erst bestimmten Pflichten unterworfen. 370 Staudinger/Marotzke (2010), § 1978 Rn. 15. 362
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muss371 – und zwar aus seinem Eigenvermögen und damit gegenständlich unbeschränkt.372 Eine spezielle Ausprägung der Pflicht aus § 1978 BGB bildet die in § 1980 BGB geregelte Pflicht zur unverzüglichen Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens bei Kenntnis oder fahrlässiger Unkenntnis von der Überschuldung;373 entsteht den Gläubigern durch die schuldhaft verspätete Antragstellung ein Schaden – z. B. indem es zu Vollstreckungen in den Nachlass kommt oder Anfechtungsrechte verfristen374 – hat der Erbe diesen also zu ersetzen.375 Die rückwirkende Behandlung des Erben als ein schon für einfache Fahrlässigkeit haftender376 Beauftragter der Nachlassgläubiger läuft im Wesentlichen darauf hinaus, dass seine gegenständlich beschränkte Haftung in dem Maße, wie Nachlassgegenstände aufgrund Verfügung, Zerstörung etc. nicht mehr vorhanden sind, durch eine rechnerisch beschränkte Haftung ergänzt wird und dingliche Schmälerungen des Nachlasses somit entsprechend aufgefüllt werden.377 Auf den ersten Blick mag es verwundern, dass die rückwirkende Behandlung des Erben als Beauftragter auch im Fall der Nachlassverwaltung vorgesehen ist, die ja die Zulänglichkeit des Nachlasses voraussetzt und bei der man dem Erben daher auf den ersten Blick problemlos gestatten könnte, mit dem Überschuss nach freiem Belieben zu verfahren. Wenn die Zweite Kommission den Erben dennoch umfassend den Auftragsregeln unterwarf, hatte dies einen überzeugenden Grund: Dem Erben sollte nicht gestattet werden, die flüssigen Nachlassmittel rechenschaftslos für sich zu verwenden und die Nachlassgläubiger dann durch Herbeiführung der Nachlassverwaltung auf die schwer verwertbaren Stücke zu verweisen.378 Den Nachlassgläubigern sollte m. a.W. nicht nur die Zulänglichkeit des Nachlasses gesichert werden, sondern auch die im Moment des Erbfalls gegebene Zusammensetzung.
Die Ansprüche aus § 1978 Abs. 1 BGB fallen nach § 1978 Abs. 2 BGB in den Nachlass und können somit nur vom Nachlass(insolvenz)verwalter geltend gemacht werden.379 Im Fall der Insolvenz des Erben kommt ihnen allerdings nicht der Rang 371 Siehe bereits oben § 6 E.V.3. (526 ff.). Ferner Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 94 f., 100 f.; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3573–3576; Herzog, Erbenhaftung, § 8 Rn. 9 0–96. Zur Schadensersatzpflicht des Erben wegen unwirtschaftlicher Vermögensverwaltung, insbesondere dem anzuwendenden Haftungsmaßstab, eingehend Klook, Die überschuldete Erbschaft, 271–359. 372 Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 74, 78, 96. 373 Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3577. 374 Für weitere Beispiele MüKoBGB/Küpper, § 1980 Rn. 10. 375 Herzog, Erbenhaftung, § 4 Rn. 13. 376 Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 94 f.; Staudinger/Marotzke (2010), § 1978 Rn. 12. 377 Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 81; Windel, Modi der Nachfolge, 211; Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 98 f., mit besonderer Betonung des Ausgleichs von Vermögensverschiebungen zwischen Erbenvermögen und Nachlass; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3490 f., 3574; Osthold, Erben und Haftung, 47 („Auxiliarhaftung“). Zu beachten ist allerdings, dass die Haftung aus § 1978 Abs. 1 BGB auch über den Wert des Nachlasses hinausgehen kann, etwa wenn dem Nachlassgläubiger ein Nichterfüllungsschaden entsteht. Dies dürfte auch Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 81, mit der Formulierung gemeint haben, dass die persönliche Haftung „in der Regel“ durch den Wert der Nachlassgegenstände bestimmt werde. 378 Protokolle V, 814. 379 Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3577.
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§ 7 Die Neubewertung der integrierten Abwicklung
einer Masseschuld zu, so dass es an einer dinglichen Sicherung fehlt.380 Es zeigt sich hier, dass der Schutz der Nachlassgläubiger trotz des Rechts zur Vermögensseparation durch Nachlassverwaltung und Nachlassinsolvenz unvollkommen geblieben ist.381 Das BGB nimmt hin, dass das rechtliche Können des Erben sein rechtliches Dürfen rückblickend übersteigt.382 In umgekehrter Richtung verlangt das Ziel der Rekonstruktion des Nachlasses, ihm aus dem Erbenvermögen zugeflossene Werte wieder abzuziehen. Denn anderenfalls stünden die Nachlassgläubiger besser als vor dem Erbfall.383 Folge ist, dass der Erbe nach § 1978 Abs. 3 BGB wie ein Beauftragter Ersatz für seine im Rahmen der Abwicklung getätigten Auslagen verlangen kann 384 (nicht hingegen ein Honorar!385). Hat er also beispielsweise vor Eröffnung von Nachlassverwaltung oder -insolvenz Nachlassverbindlichkeiten aus Eigenmitteln getilgt, so sind ihm diese grundsätzlich 386 aus dem Nachlass zu erstatten, und zwar als Masseverbindlichkeiten im Fall von dessen Überschuldung387 (ein Zurückbehaltungsrecht steht dem Erben hingegen nicht zu388). Diese schon im Ersten Entwurf vorgesehene Privilegierung wurde mit dem Ziel begründet, dem Erben die Sorge vor Vermögenseinbußen infolge der Annahme der Erbschaft zu nehmen.389 Ist der Erbe bei Verwaltung des Nachlasses eine Verbindlichkeit eingegangen, steht ihm ein Befreiungsanspruch aus §§ 1978 Abs. 3, 670, 257 BGB zu, der ebenfalls den Rang einer Masseverbindlichkeit genießt.390 Die Vorschrift des § 1978 Abs. 3 BGB entfaltet in Verbindung mit § 324 Abs. 1 Nr. 1 InsO dort erhebliche Brisanz, wo der Erbe ein im Nachlass befindliches Unternehmen werbend fortführt, bevor es zur Nachlassverwaltung oder Nachlassinsolvenz kommt. Denn werden die neu eingegangenen Geschäftsverbindlichkeiten als Aufwendungen zur Verwaltung des Nachlasses qualifiziert, würde dies zu dem äußerst problematischen Ergebnis führen, dass der Erbe selbst im Fall einer Eigenhaftung gegenüber den neuen Geschäftsgläubigern das geschäftliche Risiko über den Mechanismus des §§ 1978, 670 BGB von seinem Eigenvermögen auf den Nachlass und im Fall von dessen Unzulänglichkeit mittels § 324 Abs. 1 Nr. 1 380
Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 75, 81, 148. Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 92, 148–151. 382 Dies arbeitet Kunz, ErbR 2020, 318–320, durch einen Vergleich mit der Stellung des Testamentsvollstreckers heraus. 383 Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 117, 145. 384 § 1978 Abs. 3 BGB. Zur umstrittenen Frage, ob der Erbe mit Fremdgeschäftsführungswillen handeln muss, Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 95 f., 116–119, 147. 385 Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 98: Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3491, 3573; Osthold, Erben und Haftung, 48, 58. 386 Zu den Ausnahmen weiter unten im Text. 387 § 324 Abs. 1 Nr. 1 InsO, zu der Vorgängervorschrift in § 2 24 Abs. 1 Nr. 1 KO Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 159 f. 388 § 323 InsO. 389 Motive V, 629 f. = Mugdan V, 338. Siehe auch Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 81, 117, 149, die auch auf die asymmetrische Behandlung der Ausgleichsansprüche der Nachlassgläubiger aus § 1978 Abs. 1 BGB hinweist, die keinen entsprechenden Schutz genießen (siehe oben Fn. 380). 390 Die praktische Bedeutung dieses Anspruchs betont MüKoInsO/Siegmann, § 324 Rn. 3. 381 Eingehend
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InsO auf die alten Nachlassgläubiger abwälzen könnte.391 Es zeigt sich hier besonders deutlich, dass die §§ 1978–1980 BGB auf die Abwicklung statischer Nachlässe zugeschnitten sind, nicht hingegen auf die werbende Fortführung dynamischer Nachlässe.392 Ein anderes generelles Problem der Nachlassabwicklung durch den Erben betrifft die Frage, ob er im Rahmen seiner Tätigkeit Verpflichtungen eingehen kann, die im Fall einer späteren Vermögenstrennung auch gegen den Nachlass gerichtet sind und nicht oder jedenfalls nicht nur gegen sein Eigenvermögen. Seit einer Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahr 1917393 wird überwiegend bejaht, dass der betreffende Gläubiger einen eigenen Anspruch gegen den Nachlass(insolvenz)verwalter geltend machen kann und somit von der Notwendigkeit befreit wird, den (bevorzugt zu befriedigenden) Schuldbefreiungsanspruch des Erben aus §§ 1978 Abs. 3, 670, 257 BGB zu pfänden und sich überweisen zu lassen.394 Die Innenhaftung des Nachlasses über § 1978 Abs. 3 BGB wird damit in eine Außenhaftung verwandelt.395 Wertungsmäßig begründen lässt sich dieses Ergebnis damit, dass nach § 324 Abs. 1 Nr. 5 InsO zu den Nachlass- und sogar zu den Masseverbindlichkeiten auch die von einem Nachlasspfleger qua Rechtsgeschäft eingegangenen Verpflichtungen gehören und es sowohl bei formaler als auch bei funktionaler Betrachtung inkohärent erschiene, die vom Erben zwecks Abwicklung des Nachlasses eingegangenen Verbindlichkeiten demgegenüber anders zu behandeln.396 Denn der Nachlasspfleger im eigentlichen Sinne handelt nach h. M. als Vertreter des Erben,397 so dass es keinen Unterschied machen sollte, wenn dieser selbst tätig wird. Was sodann den Nachlassverwalter als Nachlasspfleger im uneigentlichen Sinne angeht,398 hat dieser mit dem Erben sogar unmittelbar die Aufgabe der Nachlassabwicklung gemein.399 Gestattet man damit dem Erben, im Rahmen der Nachlassverwaltung neue Nachlassverbindlichkeiten zu begründen,400 bedroht dies die Interessen der alten Nachlassgläubiger 391 Eingehend unter kritischer Würdigung der vorgeschlagenen Lösungsmöglichkeiten Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 119 f., 182–224; dazu Marotzke, AcP 199 (1999), 622–625. 392 In diese Richtung auch Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 220; Windel, Modi der Nachfolge, 83 f. 393 RGZ 90, 91 (94 f.) (für den Vorerben). 394 Eingehend zum Streitstand Staudinger/Marotzke (2010), § 1967 Rn. 42; siehe auch Windel, Modi der Nachfolge, 82 f. Eingehende Kritik an der h. M. bei Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 120–148, die eine Außenhaftung des Nachlasses für unvereinbar mit dem Gesetz und den Ersatz über §§ 1978 Abs. 3, 670, 257 BGB für ausreichend hält. 395 Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3397. 396 Zu diesem Argument Staudinger/Marotzke (2010), § 1967 Rn. 42. 397 Dazu oben § 6 E.II.2. (450 ff.). 398 Zur Anwendbarkeit des § 324 Abs. 1 Nr. 5 InsO auf die Nachlassverwaltung MüKoInsO/ Siegmann, § 324 Rn. 8; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 33.05a. 399 Ähnlich Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 18. 400 Zu unterscheiden davon ist die Frage, ob der Erbe für die eingegangene Verbindlichkeit im Falle späterer Absonderung des Nachlasses auch mit seinem Eigenvermögen einstehen muss und es sich dann um die Mischkategorie der „Nachlasserbenschuld“ (auch „Nachlasseigenschuld“ genannt) handelt. Die h. M. gestattet dem Erben die Freistellung seines Eigenvermögens, wenn es sich um eine Maßnahme der ordnungsgemäßen Verwaltung handelt und der Erbe bei Abschluss des Geschäfts zum Ausdruck gebracht hat, nur mit dem Nachlass haften zu wollen. Anderenfalls muss der Erbe den Ausgleich über §§ 1978 Abs. 3, 670, 257 BGB suchen. Näher zur Nachlasserbenschuld und den damit verbundenen Abgrenzungsproblemen Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 117–125; Muscheler, Erbrecht II, 3397–3404; Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 18–22; Osthold, Erben und Haftung, 219–222. Die Ablehnung der Lehre von der Nachlasserbenschuld bei Dauner-Lieb, Unternehmen in
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selbst dann, wenn man – inkonsequenterweise – den neuen Verbindlichkeiten nicht den Rang einer Masseschuld einräumt.401 Den notwendigen Schutz stellt die h. M. dadurch sicher, dass nur solche Schulden Nachlassverbindlichkeiten sind, die „vom Standpunkt eines sorgfältigen Verwalters in ordnungsgemäßer Verwaltung des Nachlasses eingegangen“ wurden.402
Kehrt man zurück zur Befriedigung eines Nachlassgläubigers durch den Erben, ist zu beachten, dass darin gerade auch ein pflichtwidriges Verhalten liegen kann. Kommt es nämlich nach der Leistung zur Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens und stellt sich dann heraus, dass der Erbe einem Gläubiger mehr gezahlt hat, als diesem bei insolvenzmäßiger Verteilung zugestanden hätte, ist den anderen Nachlassgläubigern ein entsprechender Schaden entstanden. Kommt es hier zu einer Ersatzpflicht des Erben nach § 1978 Abs. 1 S. 1 BGB bzw. eines Ausschluss seines Erstattungsanspruchs nach § 1978 Abs. 3 BGB?403 Dies zu bejahen könnte nicht nur paradox erscheinen, weil dem Erben zum Zeitpunkt der Leistung ja noch überhaupt keine Befriedigungsreihenfolge vorgegeben war, diese vielmehr erst ex post festgestellt wurde. Auch drohte das Damoklesschwert einer Sanktion für voreilige Gläubigerbefriedigung der Nachlassabwicklung Sand ins Getriebe zu streuen. Denn ein umsichtiger Erbe könnte sich veranlasst sehen, Nachlasswerte stets erst nach umfassender Ermittlung des Sachverhalts auszukehren, wodurch die Abwicklung nicht nur häufig unnötig verzögert würde, sondern die integrierte Abwicklung durch die Hintertür zu einer gesonderten zu werden drohte. Entgegengewirkt wird dem durch die Vorschrift des § 1979 BGB: Danach darf dem Erben so lange kein Verstoß gegen das, was man die „latente Befriedigungsreihenfolge“ nennen kann, zur Last gelegt werden, wie er den Umständen nach annehmen durfte, dass der Nachlass zur Befriedigung aller Verbindlichkeiten ausreicht.404 In noch weitergehendem Maße als im englischen Recht405 wird also das Gläubigerinteresse an insolvenzmäßiger Befriedigung dem Interesse an zügiger Nachlassabwicklung geopfert406 – die freilich ebenso im Gläubigerinteresse liegt. Sondervermögen, 120–148, gründet auf der Ansicht, dass der Erbe den Nachlass überhaupt nicht im Außenverhältnis verpflichten könne (siehe oben Fn. 394). Dazu auch Marotzke, AcP 199 (1999), 618–620. 401 Siehe etwa MüKoInsO/Siegmann, § 324 Rn. 11; Staudinger/Marotzke (2010), § 1967 Rn. 42. Inkonsequent ist diese Behandlung nicht nur wegen des genannten Arguments der Gleichstellung mit § 324 Abs. 1 Nr. 5 InsO, sondern auch weil der Ersatz- bzw. Freistellungsanspruch des Erben nach § 224 Abs. 1 Nr. 1 InsO unstreitig Masseverbindlichkeit ist und die h. M. dem betreffenden Gläubiger wie gesehen den Umweg über dessen Pfändung gerade ersparen will; skeptisch auch Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3641 (Text zu Fn. 383). 402 RGZ 90, 95; Staudinger/Marotzke (2010), § 1967 Rn. 42; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3399. 403 Zu differenzieren ist danach, ob der Erbe die Schuld mit Nachlass- oder mit Eigenmitteln getilgt hat, siehe Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 142; BeckOGK/Herzog, BGB § 1979 Rn. 2–4 (Stand: 01.04.2021). Im letztgenannten Fall tritt er im Nachlassinsolvenzverfahren an die Stelle des befriedigten Gläubigers (§ 326 Abs. 2 InsO), so dass er als „Trostpflaster“ wenigstens die Quote erhält, die diesem zugestanden hätte. Siehe auch Fischinger, Haftungsbeschränkung, 195 f. 404 Zu weit geht daher die Aussage, es sei „vornehmlichste Pflicht eines jeden Erben […], die Nachlassgläubiger ausfindig zu machen“ (so Herzog, Erbenhaftung, § 4 Rn. 12). 405 Dazu oben § 6 B.II.2. (381 ff.). 406 Unberührt von § 1979 BGB bleibt nach h. M . aber die Möglichkeit, eine entsprechende Ver-
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Dennoch sollte in § 1979 BGB keine haftungsrechtliche Privilegierung gesehen werden, sondern nur eine Klarstellung.407 Denn gäbe es die Vorschrift nicht, würden sich dieselben Fragen im Rahmen des bei Anwendung der §§ 1978 Abs. 1 S. 1, 280 BGB zu prüfenden Vertretenmüssens bzw. im Rahmen des bei Anwendung der §§ 1978 Abs. 3, 670 BGB zu prüfenden Kriteriums der Erforderlichkeit stellen.408 Bestätigt wird diese Sichtweise durch die strengen Anforderungen, die die h. M. an die Prüfungsobliegenheit des Erben stellt. So darf er nicht aufs Geratewohl Zahlungen vornehmen, sondern hat den Nachlass zunächst zu sichten, Unterlagen durchzuarbeiten, ggf. Nachforschungen anzustellen, etc.409 Freilich ist auch hier wieder die Gefahr zu vermeiden, durch überspannte Anforderungen den Charakter der Nachlassabwicklung zu verändern. So darf insbesondere nicht von einer grundsätzlichen Obliegenheit der Inventarerrichtung und des Aufgebotsverfahrens ausgegangen werden, weil diese Institute sonst ihren fakultativen Charakter verlieren würden.410 Zur Beantwortung der Frage, wann das Unterlassen eines Aufgebots zum Ausschluss des § 1979 BGB führt, bedient sich die h. M. des in § 1980 Abs. 2 S. 2 BGB enthaltenen Maßstabs,411 so dass es darauf ankommt, ob der Erbe Grund zur Annahme hatte, dass unbekannte Nachlassverbindlichkeiten vorhanden sind. Wie oben gesehen, entspricht dies dem schon in der Zweiten Kommission befürworteten Ansatz.412 Die Problematik stellt sich parallel für den Nachlassverwalter, der – im Unterschied zum Nachlassinsolvenzverwalter – ebenfalls nicht an eine Reihenfolge zur Befriedigung der Nachlassgläubiger gebunden ist,413 über dem aber genauso wie über dem Erben das Damoklesschwert einer rückwirkenden Neubeurteilung nach Insolvenzrecht schwebt.414 Obgleich der Nachlassverwalter sich ebenfalls auf § 1979 BGB berufen kann,415 empfiehlt die Ratgeberliteratur ihm als Vorsichtsmaßnahme die Durchführung eines Gläubigeraufgebots.416 Da der Nachlassverwalter diese Maßnahme im Unterschied zum Erben nicht aus
fügung anzufechten, Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1258; Staudinger/Marotzke (2010), § 1979 Rn. 18; MüKoBGB/Küpper, § 1979 Rn. 8. Wertungsmäßig lässt sich die Vorschrift des § 1979 BGB auch dadurch rechtfertigen, dass der Erblasser zu seinen Lebzeiten ebenfalls nicht an eine bestimmte Befriedigungsreihenfolge gebunden war (so Eck, Stellung des Erben, 32; Bernhöft, Zur Reform des Erbrechts, 107). 407 So auch Staudinger/Marotzke (2010), § 1979 Rn. 1; Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 95. 408 Siehe auch Protokolle V, 766, wonach der Erbe nur die Risiken eines Beauftragten tragen sollte und die Regelung § 2115 Abs. 2 E I-BGB, die nur eine quotale Erstattung des Erben vorsah, als unbillige Härte empfunden wurde. Demgegenüber nehmen FachAnwK-ErbR/Löhnig, § 1979 BGB Rn. 1, und BeckOGK/Herzog, BGB § 1979 Rn. 4 (Stand: 01.04.2021), ohne Begründung an, dass § 1979 BGB im Vergleich zu § 670 BGB geringere Anforderungen stelle. 409 BGH NJW 1985, 140 (entschieden für den Nachlassverwalter, dessen Pflichten denen des Erben aber über § 1985 Abs. 2 S. 1 BGB nachgebildet sind); BeckOGK/Herzog, BGB § 1979 Rn. 12 (Stand: 01.04.2021). Ausführlich Klook, Die überschuldete Erbschaft, 198–209. 410 Klook, Die überschuldete Erbschaft, 199. 411 Staudinger/Marotzke (2010), § 1979 Rn. 5; MüKoBGB/Küpper, § 1979 Rn. 3; BeckOGK/ Herzog, BGB § 1979 Rn. 12 (Stand: 01.04.2021). 412 Siehe oben § 6 Fn. 853 413 Siehe oben § 6 E.IV.2b) (491 ff.). 414 Siehe dazu BGH NJW 1985, 140. 415 Die entsprechende Anwendbarkeit ergibt sich aus § 1985 Abs. 2 S. 2. Dazu und zur Konzeption des § 1979 BGB als Zahlungsverbot Quast, Unternehmensfortführung durch Testamentsvollstrecker und Insolvenzverwalter, 232–238. 416 Schulz/Schulz, Handbuch der Nachlasspflegschaft, § 12 Rn. 10 (dieselbe Empfehlung ergeht ebd., § 9 Rn. 106 an den Nachlasspfleger („unerlässlich“)).
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§ 7 Die Neubewertung der integrierten Abwicklung
eigener Tasche zahlen muss,417 wird er sich zu ihr auch leichter entschließen. Zur Aufzeichnung des Nachlasses ist der Nachlassverwalter ohnehin verpflichtet.418
Die Mechanismen zur Rekonstruktion des Nachlasses im Fall seiner gesonderten Abwicklung führen in der Gesamtheit also zu einem eigentümlichen Nebeneinander zweier alternativer Rechtszustände. Der Nachlass geht im Vermögen des Erben auf, besteht latent aber als Sondervermögen fort.419 Der Erbe haftet unbeschränkt, latent aber beschränkt. Er kann mit dem Nachlass nach freiem Belieben verfahren, unterliegt latent aber den Pflichten eines Beauftragten420 und somit einer schärferen Haftung als ein gutgläubiger Erbschaftsbesitzer421 oder ein Vorerbe.422 Da jedenfalls die Eröffnung der Nachlassabwicklung für den Erben an keinerlei Voraussetzungen geknüpft ist, kann der eine Rechtszustand jederzeit in den anderen umschlagen. Der Konzeption des BGB wird indessen nicht gerecht, wer suggeriert, dass inkompatible Haftungskonzepte nebeneinander zur Anwendung kämen.423 Natürlich können beispielsweise Vermögensverschmelzung und Beauftragtenhaftung aus § 1978 BGB nicht sinnvoll koexistieren.424 Doch ist eben auch zu jeder Zeit immer nur ein Modus aktiviert. Kommt es einer rückwirkenden Änderung, findet keine Kumulation der Modi statt, sondern ein Austausch.
3. Die prozessuale Bewältigung Auf der prozessualen Ebene führt die fehlende Festlegung des Abwicklungsmodus zu dem Problem, dass die Rechtslage im Zeitpunkt des Erkenntnisverfahrens nicht notwendig dieselbe ist wie im Zeitpunkt der Zwangsvollstreckung. Wird der Erbe 417 Die Kosten fallen zwar in erster Linie dem Nachlass zur Last, doch schmälern sie dadurch die Residualbegünstigung des Erben. 418 §§ 1915 Abs. 1 S. 1, 1802 BGB. 419 Von einem „potentiellen Sondervermögen“ sprechen Staudinger/Marotzke (2008), § 1922 Rn. 95, und Dauner-Lieb, in: FS Gaul, 95. 420 Diese Doppelstellung des Erben bringt Klook, Die überschuldete Erbschaft, im Untertitel seines Buches zum Ausdruck: Der Erbe als Berechtigter und als Treuhänder der Nachlaßgläubiger. Siehe auch 30: „Doppelfunktion als Rechtsinhaber und Fremdbeauftragter der Nachlassgläubiger“. Von einer „Treuhänderstellung des Erben“ spricht auch Derleder in seinem Geleitwort (5 f.). Die Metapher des „Januskopfes“ bemühen Osthold, Erben und Haftung, 59, und Kunz, ErbR 2020, 318. 421 Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3574. Für unsachgemäß hält die Ungleichbehandlung Osthold, Erben und Haftung, 52 f., der indessen verkennt, dass der Erbe als Begünstigter weniger schutzwürdig ist als die Nachlassgläubiger. 422 Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1243. Für unsachgemäß hält die Ungleichbehandlung erneut Osthold, Erben und Haftung, 54, 59, der aber wiederum verkennt, dass der Nacherbe weniger schutzwürdig ist als die Nachlassgläubiger. 423 Siehe etwa Osthold, Erben und Haftung, 50, 57, 152, 220; auch Kunz, ErbR 2020, 318, erweckt den Eindruck, als unterläge der Erbe von Beginn an den Pflichten aus §§ 1978–1980 BGB. 424 Wo die Haftung ohnehin unbeschränkt ist, führt eine Abwicklerhaftung nicht zu einer Erweiterung der Vollstreckungsmöglichkeiten, und nicht von ungefähr schließt § 2013 Abs. 1 BGB die Anwendung der §§ 1978–1980 BGB im Falle der endgültig unbeschränkten Haftung aus. Siehe auch schon oben § 4 Fn. 253.
C. Die Stellung der integrierten Abwicklung im deutschen Recht
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im Rahmen seiner integrierten Abwicklung erfolgreich von einem Nachlassgläubiger verklagt, gilt der ausgestellte Vollstreckungstitel als Folge der confusio bonorum notwendig für das gesamte Vermögen. Kommt es anschließend jedoch zur gesonderten Nachlassabwicklung und somit der Beschränkung der Haftung, entsteht ein Widerspruch zwischen materiellem Anspruchsinhalt und prozessualer Vollstreckungsbefugnis.425 Will der Erbe die Reichweite des Titels auf das gebotene Maß beschränken, muss er zu einem Verteidigungsmittel greifen, das der Gesetzgeber in die Form der Vollstreckungsabwehrklage gekleidet hat,426 das der Sache nach aber zwischen dieser und der Drittwiderspruchsklage steht.427 Dieselbe Klage steht dem Erben zur Verfügung, um Eigenvermögen freizukämpfen, in das die Nachlassgläubiger bereits zu vollstrecken begonnen haben.428 Keine Probleme treten hingegen dort auf, wo die Haftungsbeschränkung durch Einleitung der amtlichen Liquidation im Zeitpunkt des Erkenntnisverfahrens bereits herbeigeführt worden ist. Denn dann ist die passive Prozessführungsbefugnis bereits auf den Nachlassverwalter bzw. den Nachlassinsolvenzverwalter übergegangen,429 so dass der Erbe gar nicht mehr verklagt und verurteilt werden kann.430
III. Der Schutz der Entscheidungsfreiheit des Erben Das BGB stellt, wie gesehen, in zweifacher Weise sicher, dass die unter Umständen langdauernde Deliberation des Erben über den passenden Abwicklungsmodus nicht auf Kosten der Gläubigerinteressen geht. So wird der Erbe erstens mit dem endgültigen Eintritt in den Nachlass zumindest einstweilen zu dessen vollwertigem Abwickler gemacht, was bedeutet, dass Gläubiger ihre Ansprüche ihm gegenüber geltend machen können, notfalls auch gerichtlich.431 Zweitens kann, obgleich 425 Diese prozessuale Konsequenz der „schwebenden“ Erbenhaftung wird selten klar herausgearbeitet, siehe aber Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 157 f.; Dauner-Lieb, in: FS Gaul, 99 f. 426 Siehe die Verweisung der §§ 781, 785 ZPO auf § 767 ZPO. 427 Näher dazu Dauner-Lieb, in: FS Gaul, 100 f.; siehe auch Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1238; Herzog, Erbenhaftung, § 12 Rn. 20–25. 428 § 784 Abs. 1 ZPO, dazu Dauner-Lieb, in: FS Gaul, 100. 429 Siehe für den Nachlassverwalter den (von Amts wegen zu beachtenden) § 1984 Abs. 1 S. 3 BGB. Für den Nachlassinsolvenzverwalter fehlt es an einer entsprechenden Vorschrift, doch ordnet § 87 InsO an, dass die Insolvenzgläubiger ihre Forderungen „nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen“ können, was bedeutet, dass sie ihre Ansprüche zur Tabelle anmelden und am insolvenzrechtlichen Feststellungs- und Verteilungsverfahren teilnehmen müssen; zum Ganzen Staudinger/Marotzke (2010), Vorbem zu §§ 1967–2017 Rn. 29; Strauß, Der notleidende Nachlass, 11 m. w. N.; Fischinger, Haftungsbeschränkung, 211. Für die Rechtslage unter der Konkursordnung Friedrich, Haftung des endgültigen Erben, 39 m. w. N.; Dauner-Lieb, in: FS Gaul, 98 f. 430 Die Klage ist sogar von Amts wegen als unzulässig abzuweisen (Fischinger, Haftungsbeschränkung, 211), und gegen eine Vollstreckung in sein Eigenvermögen kann sich der Erbe dann schon mit der Erinnerung nach § 766 ZPO wehren, siehe Dauner-Lieb, in: FS Gaul, 98 f. m. w. N., 101 f., dort auch zur im Schrifttum erörterten Möglichkeit, einen gegen den Verwalter erlangten Titel im Falle des Verlusts der Haftungsbeschränkung des Erben umschreiben zu lassen. 431 Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1219.
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§ 7 Die Neubewertung der integrierten Abwicklung
die amtliche Abwicklung auf den Zeitpunkt des Erbfalls zurückbezogen wird, der Erbe sich durch Ausübung dieser Option nicht jeglicher Verantwortung entziehen. Denn er ist für die unter seiner Ägide stattgefundene Abwicklung rechenschaftspflichtig und u. U. sogar haftbar. Diese Absicherung der Gläubigerinteressen droht nun ihrerseits das Abwicklungswahlrecht des Erben zu unterminieren. Denn ein Erbe, der mit der Forderung eines Nachlassgläubigers konfrontiert wird, gerät in ein Dilemma: Verweigert er die Zahlung, weil er sich noch keinen Überblick über die Nachlassverhältnisse verschaffen konnte, riskiert er die Verurteilung und anschließende Vollstreckung (unter Umständen sogar in sein Eigenvermögen). Erfüllt der Erbe die Forderung hingegen bereitwillig, so läuft er Gefahr, dass der Nachlass sich später als unzureichend erweist und er von den übrigen Nachlassgläubigern auf Ersatz des zu viel gezahlten Betrags in Anspruch genommen wird.432 Natürlich könnte der Erbe diesen Risiken dadurch entgehen, dass er die Abwicklung des Nachlasses mittels Einleitung von Nachlassverwaltung oder Nachlassinsolvenzverfahren aus der Hand gibt, sobald sich ein Nachlassgläubiger bei ihm meldet. Doch abgesehen davon, dass er sich zu einem solchen Schriftt häufig nicht sofort wird durchringen können,433 wäre die entsprechende Entscheidung keine informierte. Um den Erben aus diesem Dilemma zu befreien und ihm Zeit zu geben, den Nachlass zu sichten und ggf. ein Inventar zu errichten, hat der Gesetzgeber ihm zwei dilatorische Einreden gewährt.434 Die erste davon ermöglicht es ihm, bis zum Ablauf der ersten drei Monate435 nach dem endgültigen Erwerb der Erbschaft, aber nicht über die Errichtung eines Inventar hinaus, die Vollstreckung in sein (Gesamt-)Vermögen auf Sicherungsmaßnahmen zu beschränken (Dreimonatseinrede, §§ 2014 BGB, 782 ZPO).436 Die zeitliche Einschränkung macht die Ratio der Vorschrift besonders deutlich, denn mit Abschluss der Inventarerrichtung ist der Erbe jedenfalls über den aktiven Nachlassbestand im Bilde.437 Auch wenn sowohl die Redaktion des § 2014 BGB als auch der zugehörige Gesetzestitel438 den Eindruck erweckt, es handele sich um ein materielles Leistungsverweigerungsrecht, und dieselbe Auffassung sich in den Gesetzgebungsmaterialien findet,439 nimmt die h. M., auch unter Hinweis auf § 305 Abs. 1 ZPO, nur ein Vollstreckungsgegenrecht an, das die Verurteilung des Erben nicht hindert.440 Da der Erbe sich folglich auf den Prozess einlassen muss und dieser in der Regel ohnehin erst nach Ablauf der Dreimonatsfrist abgeschlossen sein 432
Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 138. Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 139. 434 Denkschrift BGB, 857; Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 140; Binder, Erbrecht, 77, dessen gleichzeitige Rückführung der Schonungseinreden auf „Billigkeitserwägungen“ allerdings zu unspezifisch ist; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3512; Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 57. 435 Die Länge der Frist dürfte ihre Wurzel im justinianischen beneficium inventarii haben, siehe oben § 4 A.VII.7 (268 ff.). 436 Näher zu den prozessualen Einzelheiten Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3513. 437 Kipp/Coing, Erbrecht, 563; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1220. 438 „Aufschiebende Einreden“. 439 Protokolle V, 791; Denkschrift BGB, 857. 440 Siehe RGZ 79, 201 (204–206); Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 141; Binder, Erbrecht, 433
C. Die Stellung der integrierten Abwicklung im deutschen Recht
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wird, liegt die praktische Bedeutung des § 2014 BGB vor allem in der Möglichkeit, die Vollstreckung aus einem Titel abzuwehren, der noch gegen den Erblasser erwirkt und nach dessen Tod gemäß § 727 ZPO umgeschrieben wurde.441
Zusätzlich zur Dreimonatseinrde kann der Erbe mittels der Aufgebotseinrede der §§ 2015 BGB, 782 ZPO die Nachlassgläubiger so lange auf Sicherungsmaßnahmen der Vollstreckung beschränken, wie das von ihm beantragte Gläubigeraufgebotsverfahren läuft, vorausgesetzt, er hat den entsprechenden Antrag innerhalb eines Jahres ab dem endgültigen Erwerb des Nachlasses gestellt.442 Konsequenterweise ermöglichen Dreimonatseinrede und Aufgebotsreinrede dem Erben, auch seinen Eigengläubigern vorübergehend die Vollstreckung in Nachlassgegenstände zu verwehren.443 Haftet der Erbe hingegen wegen einer Inventarverfehlung bereits endgültig unbeschränkt, fehlt ihm das Ermittlungsinteresse, weshalb der Gesetzgeber ihm die Einreden in diesem Fall nicht gewährt.444 Dient die vorübergehende Verhinderung von Vermögensverschiebungen in erster Linie dem Schutz der Entscheidungsfreiheit des Erben und der vorbeugenden Sicherung seiner Haftungsbeschränkung, profitieren mittelbar auch die Nachlassgläubiger von einer solchen „Zwangsstundung“445. Denn es wird nicht lediglich auf schuldrechtlicher, sondern bereits auf dinglicher Ebene dafür gesorgt, dass der abgesonderten und ggf. insolvenzmäßigen Befriedigung nicht vorgegriffen wird.446 Dementsprechend wird es als Pflichtverstoß des Erben gewertet, wenn er die Geltendmachung der Einreden grundlos unterlässt.447 Hat der Gesetzgeber durch Anordnung der Schonungseinreden dem Erbeninteresse an ungestörter Nachlasssichtung zwar grundsätzlich den Vorzug gegenüber dem Verfolgungsinteresse der Nachlassgläubiger eingeräumt, stellt sich die Frage nach der Reichweite dieser Interessenwertung. Das Reichsgericht verneinte schon früh das Vorliegen einer materiellrechtlichen Einrede448 und entschied dementsprechend, dass der Erbe ungeachtet der Gel-
77; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1219; Roth, Einrede, 193 f., der von den „schwächsten Einreden des geltenden Rechts“ spricht; Fischinger, Haftungsbeschränkung, 214. Für die Annahme einer materiellrechtlichen Einrede etwa Schröder, JZ 1978, 384; Kipp/Coing, Erbrecht, 565; Staudinger/Marotzke (2010), § 2014 Rn. 8. Zahlreiche Nachweise zum Streitstand bei Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3513 (Fn. 238). Die dogmatische Einordnung des § 2014 BGB ist auch von Bedeutung für die Frage, ob der Erbe trotz Geltendmachung der Schonungseinreden in Verzug geraten kann, dazu unten Fn. 4 49. 441 Herzog, Erbenhaftung, § 9 Rn. 9 f. 442 Zur Qualifizierung als Vollstreckungsgegenrecht gilt das in Fn. 436 Gesagte. 443 § 783 ZPO. 444 § 2016 Abs. 1 BGB. 445 Treffender Begriff von Fischinger, Haftungsbeschränkung, 214, 233, wobei nicht vergessen werden darf, dass eine Hemmung nur auf der Ebene der Vollstreckung eintritt (siehe oben Fn. 4 40). 446 Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 139 f., der auch § 782 Abs. 2 S. 2 ZPO, der das Vollstreckungsverbot bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens überbrückt; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1219; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3512. 447 Staudinger/Marotzke (2010), Vorbem zu §§ 2014–2017 Rn. 2 ; Röthel, Erbrecht, § 31 Rn. 61. Zweifelnd Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1219 (Fn. 24). 448 Siehe oben Fn. 4 40.
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§ 7 Die Neubewertung der integrierten Abwicklung
tendmachung der Schonungseinreden in Schuldnerverzug geraten kann.449 Das Reichsgericht verkannte dabei nicht, dass der Erbe in eine Zwickmühle zu geraten droht, wenn er entweder die Verzugsfolgen in Kauf nehmen muss, die neben dem Nachlass auch sein Eigenvermögen treffen,450 oder er im Fall insolvenzwidriger Zahlung später auf Schadenersatz aus § 1978 Abs. 1 BGB in Anspruch genommen wird.451 Trotzdem hielt das Reichsgericht es nicht für unbillig, dem Erben, und nicht den Nachlassgläubigern, die nachteiligen Folgen der Unübersichtlichkeit des Nachlasses aufzuerlegen, zumal diese typischerweise vom Erb lasser herrühre. Der ausdrücklich in den Gesetzesmaterialien geäußerten Gegenansicht452 maß das Reichsgericht keine hinreichende Autorität bei.453 Folge dieser Ansicht ist, dass der Erbe, der sich auf die Schonungseinreden beruft, „materiellrechtlich den vollen Preis zahlt“.454 Die Lösung des Reichsgerichts hindert indessen nicht daran, für den Einzelfall eine interessengerechte Lösung über das Tatbestandsmerkmal des Vertretenmüssens (heute § 286 Abs. 4 BGB) zu erzielen.455 So lässt sich dieses Vertretenmüssen (und mithin der Eintritt des Verzugs) dort verneinen, wo die Nachlassverhältnisse unübersichtlich sind und das pflichtgemäße Handeln des Erben – gerade auch im Interesse der übrigen Nachlassgläubiger456 – dann darin liegt, einstweilen keine Zahlungen vorzunehmen. Wo hingegen klar ist, dass ausreichend Nachlassmittel vorhanden sind, bedeutet die Verweigerung der Befriedigung einer fälligen Forderung eine Pflichtverletzung des Erben, mit den daraus resultierenden Verzugsfolgen.457
D. Rechtsvergleichendes Fazit Der Vergleich zwischen dem deutschen und dem französischen Recht zeigt nicht nur, dass die Stellung der integrierten Abwicklung im Gesamtsystem sich grundlegend unterscheiden kann, je nachdem ob sie oder die gesonderte Abwicklung das gesetzliche Leitbild ist. Auch ist deutlich geworden, dass beide Lösungen ihre eigenen Probleme mit sich bringen. So erweist sich das französische Modell als sehr gefährlich für den héritier, weil dieser auf sehr einfache, zugleich aber unwiderrufliche Weise in die integrierte Abwicklung und mithin in eine unbeschränkte Haf449 RGZ 79, 201 (204–206); dem folgend etwa Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1219; Roth, Einrede, 196 f. (der eine Parallele zu § 721 ZPO (Räumungsfrist) zieht); Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3512, der konsequenterweise auch andere materiellrechtliche Folgen von Leistungsstörungen eintreten lassen will, etwa im Hinblick auf Schadensersatz, Vertragsstrafen und Rücktritt. Gegen den Eintritt des Schuldnerverzugs etwa Kipp/Coing, Erbrecht, 565; Staudinger/Marotzke (2010), § 2014 Rn. 8 m. w. N.; Herzog, Erbenhaftung, § 9 Rn. 16. 450 Der Verzugsschaden stellt eine sog. Nachlasserbenschuld dar, die Nachlass und Erbenvermögen somit gleichzeitig betrifft, siehe nur Staudinger/Marotzke (2010), § 1967 Rn. 53. 451 Diese „unerträgliche Lage“ hebt Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 142 hervor. 452 Protokolle V, 791; Denkschrift BGB, 857. 453 RGZ 79, 205. 454 Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3515. 455 Dazu Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 142. 456 Hierauf weisen Protokolle V, 791 und Denkschrift BGB, 857 hin. 457 Das Verschuldenserfordernis des § 286 Abs. 4 BGB thematisiert zutreffend auch Fischinger, Haftungsbeschränkung, 215–217, der dieses Tatbestandsmerkmal aber offenbar in keiner Situation als erfüllt ansehen will (anders wohl noch ebd., 207).
D. Rechtsvergleichendes Fazit
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tung geraten kann. Der französische Reformgesetzgeber von 2006 versuchte diese Gefahren durch verschiedene Ad-hoc-Maßnahmen zu lindern, musste hierfür aber mit einem Verlust an Rechtssicherheit bezahlen und konnte das strukturelle Pro blem letztlich nicht beseitigen. Das deutsche Recht vermeidet jedenfalls für einen rechtskundigen Erben die Gefahren des französischen Rechts, indem es die gesonderte Abwicklung als Leitbild statuiert. Doch mangelt es ihm dafür an innerer Folgerichtigkeit, was zu Intransparenz und außerordentlicher Komplexität führt. Der vergleichende Befund zum deutschen und französischen Recht scheint damit das Optionsmodell, also ein Nebeneinander von integrierter und gesonderter Abwicklung, grundsätzlich infrage zu stellen. Denn es ist keineswegs klar, ob die mit diesem Modell verbundenen Vorteile die Nachteile überhaupt auf-, geschweige denn überwiegen. So werden einem englischen Juristen die dem französischen Recht inhärenten Haftungsrisiken befremdlich erscheinen, und die höheren Abwicklungskosten seines eigenen Rechts (deren tatsächliche Existenz unterstellt) im Vergleich dazu als das geringere Übel. Und bei einem Blick auf die erhebliche Komplexität und die langen Schwebezeiträume des deutschen Rechts wird der englische Jurist sogar bezweifeln, dass die Abwicklungskosten des deutschen Modells volkswirtschaftlich gesehen überhaupt geringer sind. Hieraus den Schluss zu ziehen, dass das Optionsmodell zu verwerfen und stattdessen der gesonderten Abwicklung eine Alleinstellung zu gewähren ist, wäre indessen verfrüht. Denn das geltende deutsche und französische Recht sind nicht die einzigen beiden Wege, ein Nebeneinander von integrierter und gesonderter Abwicklung zu verwirklichen. Vielmehr wäre es nötig, wie schon im Kontext des deutschen Rechts angedeutet wurde, das Leitbild der gesonderten Abwicklung konsequent umzusetzen. Dazu müsste die gesonderte Abwicklung den gesetzlichen Regelfall bilden, der an keinerlei Voraussetzungen geknüpft ist, während umgekehrt die Entscheidung für die integrierte Abwicklung mit besonderen Kautelen zu versehen wäre.458 Hierdurch würde nicht nur die Rechtslage transparenter und abwicklerfreundlicher. Auch würde die gesonderte Abwicklung vom Stigma der Pietätlosigkeit und dem Verdacht der Erblasserinsolvenz befreit.459 Der Bedarf für ein Sonderregime für geringwertige Nachlässe würde reduziert, wenn nicht gar gänzlich entfallen,460 und Gleiches gälte für die damit verbundenen Abgrenzungsschwierigen. Schließlich würde im deutschen Recht die schwer erklärbare Ungleichbehandlung von Alleinerbenschaft und Erbenmehrheit beendet.461 Kein stichhaltiges Argument gegen den Grundsatz der Fortführung des Nachlasses als Sondervermögen ist, dass hierdurch die Möglichkeit seiner werbenden Fortführung geschaffen 458 Leleu, ERPL 6 (1998), 177, sieht in einem solchen Modell sogar den Kandidaten für eine europäische Einheitslösung. 459 Dieses auch schon von Saleilles genannte Argument (siehe oben Fn. 273) wird im Kontext des Schweizer Rechts von Breitschmid, successio 3 (2009), 209, betont. 460 Dies hinge davon ab, ob im Falle geringwertiger Nachlässe weiterhin eine erleichterte Befriedgungsreihenfolge gelten soll. 461 Dazu oben § 6 E.V.5. (530 ff.).
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§ 7 Die Neubewertung der integrierten Abwicklung
wird und damit Friktionen mit dem Gesellschaftsrecht heraufbeschworen werden.462 Denn diesen ließe sich durch Anordnung einer expliziten Abwicklungspflicht begegnen, die bezeichnenderweise sowohl für den deutschen Alleinerben als auch die Miterben fehlt.
Historisches Vorbild für ein Optionsmodell, das die gesonderte Abwicklung zum Ausgangspunkt macht, ist das preußiche ALR, das den Berufenen grundsätzlich als „Benefizialerben“ behandelte und für die vorbehaltlose Annahme eine ausdrückliche Erklärung verlangte.463 Nicht kompatibel mit dem skizzierten Konzept war allerdings die gesetzliche Inventarfrist des ALR, verbunden mit der unbeschränkten Haftung im Fall der Versäumung, da hierdurch der integrierten Abwicklung eine zu große Hintertür geöffnet wurde. Der Entwurf Heinrich Sibers vermied genau dieses Problem und kann daher als Verbesserung der preußischen Lösung betrachtet werden. Freilich gab er integrierten Abwicklung durch die weit gefassten Verwirkungstatbestände immer noch sehr viel Raum.464 Eine gänzlich folgerichtige Umsetzung des Optionsmodells findet sich ausgerechnet in den USA. Denn die bereits erwähnte, 1982 in den Uniform Probate Code eingeführte Möglichkeit, anstelle des gerichtlichen probate-Verfahren eine inte grierte Abwicklung durchzuführen, wird nicht nur als Ausnahmefall behandelt, sondern gleich mit einer doppelten Kontrolle versehen, indem es eines formalen Antrags465 sowie der richterlichen Genehmigung bedarf.466 Die Option zur Rückkehr in das probate-Verfahren besteht nicht.467 Übertragen auf die Kategorien des BGB wird das Verhältnis von integrierter Abwicklung bei unbeschränkter Haftung auf der einen und gesonderter Abwicklung durch Nachlassverwaltung oder Nachlassinsolvenzverfahren auf der anderen Seite also in sein Gegenteil verkehrt, d. h. der Erbe muss einen gerichtlichen Antrag stellen, wenn keine Nachlassverwaltung bzw. Nachlassinsolvenz stattfinden soll, weil er den Nachlass lieber selbst abwickeln möchte und bereit ist, dafür unbeschränkt zu haften.468 Und spiegelbild462 Zu dieser Problematik des deutschen Rechts oben § 6 E.IV.5a) (516 ff.). Ob man hingegen die „potentiell endlos[e] Perpetuierung des Nachlasses“ per se als Problem betrachten müsste (so Osthold, Erben und Haftung, 222), ist fraglich; abgesehen davon besteht diese Situation auch schon unter geltendem Recht. 463 Siehe oben § 6 D.III. (441 ff.). 464 Siehe oben § 6 E.VI.2b)(1) (539 ff.). Konsequenter ist insofern der Vorschlag von Osthold, dazu oben § 6 E.VI.4b)(1) (555 ff.). 465 Dieser muss von allen Intestatbegünstigten bzw. Residualbegünstigten nach Testament gestellt werden, weshalb Sneddon, South Texas LR 50 (2009), 477, von einer „consent procedure“ spricht. Im Einklang mit der Zielsetzung des Verfahrens braucht der Antrag nicht von einer Aufzeichnung oder Beschreibung des Nachlasses begleitet zu sein, siehe Scholes, Missouri LR 48 (1983), 389. Zur Vermeidung eines „race to the courthouse“ kann der Antrag frühestens fünf Tage nach dem Tod des Erblassers gestellt werden, siehe Sneddon, South Texas LR 50 (2009), 479; § 3-315 UPC. 466 § 3 -313 f. UPC. Zuständig für die Entgegennahme des Antrags und die Entscheidung über die Gewährung der „universal succession“ ist der „registrar“, der nach § 1-201 (42), 1-307 UPC ein Richter oder eine vom Richter bestimmte Person sein kann. Die Genehmigung wird von der Ausstellung eines Legitimationszeugnisses gefolgt, siehe Scholes, Missouri LR 48 (1983), 390. 467 § 3 -318(b) UPC; Scholes, Missouri LR 48 (1983), 390. 468 Die unbeschränkte Haftung ergibt sich aus § 3 -312 UPC. Siehe auch Scholes, Missouri LR
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lich zum Antragsrecht der Nachlassgläubiger unter dem BGB gewährt der Uniform Probate Code diesen das Recht, der integrierten Abwicklung zu widersprechen, ohne dass sie hierfür allerdings einen Grund angeben müssen.469 Gibt es somit einen Weg für die konsequente und sachgerechte Verwirklichung eines Optionsmodells, ist mit Blick auf das englische Recht abschließend dennoch zu fragen, ob es der Möglichkeit zur integrierten Abwicklung überhaupt bedarf.470 Denn wenn, wie es im englischen Recht der Fall ist, die gesonderte Abwicklung einen so niedrigen Formalisierungsgrad aufweist, dass der Abwickler den Unterschied zur integrierten Abwicklung gar nicht spürt, gibt es auch keinen Bedarf zur Vereinfachung.471 So kommt die gesonderte Abwicklung im englischen Recht im Normalfall nur in den treuhänderischen Pflichten des personal representative im Umgang mit dem Nachlass zum Ausdruck, und diese kann er getrost ignorieren, solange er nur alle Anspruchsteller befriedigt. Die haftungsrechtliche Sonderung kann der Abwickler zudem dadurch ausschalten, dass er jegliche Maßnahmen zur Identifikation der Nachlassgegenstände unterlässt, so dass diese von seinem Eigenvermögen nicht mehr unterscheidbar sind. Dies bedeutet, dass zumindest de facto die Möglichkeit der integrierten Abwicklung auch im englischen Recht besteht. Würde hingegen der personal representative einer engen gerichtlichen Kontrolle unterliegen, so wie es im englischen Mittelalter der Fall war, wäre ihm der Weg zur informellen integrierten Abwicklung versperrt. In Ausnahmefällen kann freilich auch im heutigen englischen Recht eine solche Situation noch eintreten, nämlich dann etwa, wenn das Gericht den personal representative auf Antrag von Nachlassgläubigern zur Inventarerrichtung oder Rechnungslegung auffordert. Im Fall, dass dem personal representative dies zu lästig erscheint und er bereit ist, eine unbeschränkte Haftung in Kauf zu nehmen, besteht dann ein praktisches Bedürfnis dafür, die gesonderte Abwicklung „offiziell“ zu verlassen und in die – von jeglichen Vorgaben außer der Schuldentilgung befreite – integrierte Abwicklung zu wechseln. Der ohnehin schon beschränkte Anwendungsbereich einer entsprechenden Ergänzung des englischen Rechts würde allerdings zusätzlich dadurch reduziert, dass bei einem Verlangen nach Inventarerrichtung oder Rechnungslegung typischerweise bereits ein bestimmter Verdacht auf Unregelmäßigkeiten besteht, so dass ein personal representative, der sich den ge-
48 (1983), 390 f., der deutlich macht, dass eine beschränkte Haftung nur um den Preis einer formalen „administration of estates“ zu haben ist. § 3-321 UPC trifft in etwas verklausulierter Form die Anordnung, dass mehrere „universal successors“ nur im Verhältnis ihrer Anteile in die Schulden eintreten. 469 § 3 -314 (c) UPC; Scholes, Missouri LR 48 (1983), 389. Ebenso besteht die Möglichkeit, die Stellung einer Kaution („bond“) zu verlangen, siehe Sneddon, South Texas LR 50 (2009), 479. 470 Bejaht wird dies von Murga Fernández, Los sistemas europeos, 274. 471 Dies scheint Murga Fernández, Los sistemas europeos, 76–79, 271 f., zu übersehen, wenn er der englischen Nachlassabwicklung bescheinigt, unnötig starr zu sein und daher in jedem Erbfall hohe Kosten zu verursachen; zu undifferenziert auch IECL/Schwind, Liability for Obligations of the Inheritance, Nr. 29.
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§ 7 Die Neubewertung der integrierten Abwicklung
nannten Maßnahmen entziehen wollte, einer erhöhten Gefahr der Absetzung ausgesetzt wäre. In der Gesamtbetrachtung spricht somit viel dafür, dem englischen Einheitsmodell sogar gegenüber einem stringent ausgestalteten Optionsmodell den Vorzug zu sehen. Mag das Einheitsmodell in der Theorie auch unambitioniert oder gar primitiv anmuten, ist seine Einfachheit ein gewaltiger praktischer Trumpf.472 Nicht aus dem Blick geraten darf dabei freilich, dass diese Einfachheit sich erst im Zusammspiel mit zwei weiteren Regelungsentscheidungen des englischen Gesetzgebers ergibt, nämlich zum einen der Zulassung der Eigenabwicklung und zum anderen der staatsfernen Ausgestaltung der gesonderten Abwicklung.
472 Für das römische Recht formuliert einen ähnlichen Gedanken (mit anderer Begrifflichkeit) schon Bernhöft, Zur Reform des Erbrechts, 35: „Zieht man das Facit, so kann kaum ein Zweifel sein, daß die durch die Universalsuccession veranlaßten Komplikationen die Vereinfachungen, welche dadurch möglich geworden sind, bei weitem überwiegen.“
§ 8 Die Konzentration der Nachlassabwicklung A. Überblick I. Die verschiedenen Dimensionen der Abwicklungskonzentration Mit dem Topos der Konzentration der Nachlassabwicklung sind drei unterschiedliche Dimensionen angesprochen. Die erste davon kann als die personale Dimension bezeichnet werden und meint das Bestreben, die Zahl der zur Abwicklung berufenen Personen möglichst gering zu halten oder gar auf eins zu begrenzen. Die zweite Dimension ist struktureller Art und betrifft die Organisation der Abwicklung in dem Fall, dass sie von zwei oder mehr Personen wahrgenommen wird: Konzentration bedeutet dann Zentralisierung in dem Sinne, dass die Abwickler nicht individuell für einen ihnen zugewiesenen Bruchteil handeln, sondern als Ansprechpartner für den gesamten Nachlass auftreten. Die dritte Dimension der Abwicklungskonzentration ist ebenfalls struktureller Art und betrifft die gebündelte Zuweisung der aktiven Vermögenswerte, im Gegensatz zu einer Zulassung von Sonder- bzw. Einzelnachfolgen. Die zweite und dritte Dimension lassen sich zusammenfassen unter dem Streben nach Vervollkommnung der Universalsukzes sion, d. h. zur weitreichenden, wenn nicht gar vollständigen Zurückdrängung von Regelungen, die auf der Aktiv- und/oder auf der Passivseite die Einheit des Nachlasses aufbrechen.1 Zwischen den drei genannten Dimensionen der Abwicklungskonzentration besteht ein möglicher, aber kein notwendiger Zusammenhang. Dass eine Erbrechtsordnung beispielsweise eine Vielzahl von Einzelnachfolgen in aktive Nachlasswerte zulässt, hindert sie nicht daran, die Passiva und damit die Abwicklungszuständigkeit zu bündeln (die Sinnhaftigkeit einer solchen Regelung ist eine andere Frage). Wird hingegen angeordnet, dass jeder Empfänger einer Einzelzuwendung auch für Erblasserschulden einstehen muss, kommt es nicht nur zu einer zahlenmäßigen Vermehrung der Abwickler, sondern auch zu einer Fragmentierung, d. h. Dezentralisierung der Zuständigkeit. Bildet schließlich der Nachlass auch in der Hand mehrerer Abwickler noch eine rechtliche Einheit, ist dieses Konzept sowohl mit einer sehr niedrigen als auch einer sehr hohen Zahl von Abwicklern vereinbar (wohingegen umgekehrt die Entscheidung, stets nur einer Person die Nachlassabwicklung zu übertragen, notwendig zu einer zentralen Abwicklung führt). 1
Zum Begriff der Universalsukzession schon ausführlich oben § 3 C.II.4 (212 ff.).
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§ 8 Die Konzentration der Nachlassabwicklung
Der Schwerpunkt dieses Kapitels liegt auf der zweiten Dimension, genauer der Zentralisierung der Abwicklung durch Überwindung der römischen Bruchteilsgemeinschaft (unten B.). Nirgendwo sonst vollzog sich eine so grundlegende und praktisch bedeutsame Abkehr von den historischen Wurzeln, die sich in Deutschland und Frankreich als den vorrangig untersuchten Rechtsordnungen denn auch erst spät und gegen erheblichen Widerstand durchsetzen konnte. Die beiden anderen Dimensionen der Abwicklungskonzentration sollen damit in ihrer Bedeutung aber nicht herabgesetzt werden, weshalb für sie zumindest ein kurzer Überblick erfolgt.
II. Die personale Konzentration der Abwicklung Die Nachlassabwicklung droht umso komplexer und langwieriger zu werden, je mehr Personen für sie zuständig sind. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Nachlass in der Hand von zwei oder mehr Abwicklern eine Einheit bildet, weil die damit verbundene Kollektivzuständigkeit interne Abstimmungsprozesse erfordert. Unter Praktikabilitätsgesichtspunkten besteht somit ein Interesse daran, die Zahl der mit der Nachlassabwicklung betrauten Personen möglichst gering zu halten. Mit Costa Rica findet sich ein Beispiel für eine Rechtsordnung, die hieraus die radikale Konsequenz gezogen hat und die Nachlassabwicklung stets in die Hände einer einzigen Person legt, dem albacea.2 Zwar nicht für die Abwicklungszuständigkeit, aber immerhin für die Verwaltungszuständigkeit sieht auch das portugiesische Recht eine derartige Form der Konzentration vor, indem es die Rolle des cabeça-de-casal3 auch immer nur einer Person zuweist.4 Historisch gesehen war die Bündelung der Abwicklungszuständigkeit schließlich auch Merkmal der Systeme zwingender Abwicklung durch ein Gericht oder eine Behörde; allerdings war sie hier nicht vorrangiges Ziel, sondern eher willkommene Begleiterscheinung.5 Die in dieser Arbeit vorrangig untersuchten Rechtsordnungen sind hingegen niemals derart weit gegangen. So beschränkt beispielsweise das deutsche Recht allein bei der Ernennung eines Nachlassinsolvenzverwalters die Zahl auf eins,6 nicht hingegen bei der Ernennung eines Nachlasspflegers, Nachlassverwalters oder Testamentsvollstreckers7 (und erst recht nicht bei der testamentarischen oder ge2 Art. 541 Código civil. Die hierdurch erzielte Vereinfachung der Abwicklung hebt Brenes Córdoba, Tratado de los Bienes, 258, hervor. Wurde der Abwickler nicht vom Erblasser bestimmt, haben die Intestatbegünstigten eine Auswahl zu treffen. Bei Fehlen einer Mehrheit bestimmt das Gericht den albacea (Art. 542 Abs. 2 Código civil). 3 Zu diesem oben § 3 Fn. 290. 4 Duarte Pinheiro, Direito das Successões, 436. 5 Zu den Primärzielen der amtlichen Abwicklung – Sicherstellung der vorgesehenen Nachlassverteilung und Erzielung von Einkünften – oben § 1 E.I.2a)(4) (41 ff.). 6 § 56 Abs. 1 S. 1 InsO; MüKoInsO/Graeber, § 56 Rn. 158. 7 Für Nachlassverwaltung und Nachlasspflegschaft siehe § 1775 S. 2 BGB sowie MüKoBGB/ Küpper, § 1981 Rn. 8; W. Zimmermann, Nachlasspflegschaft, Rn. 145. Für die Testamentsvollstreckung siehe § 2197 Abs. 1 BGB.
A. Überblick
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setzlichen Bestimmung der Erben). Wie der folgende Überblick zeigt, finden sich für den Fall des Vorhandenseins einer letztwilligen Verfügung weitgehende Parallelen zwischen englischer und kontinentaler Tradition, für den Fall des intestat verstorbenen Erblassers hingegen fundamentale Unterschiede. 1. Vorhandensein einer letztwilligen Verfügung Wie an anderer Stelle bereits gezeigt, förderten schon das römische und das mittelalterliche englische Recht das Ziel der personellen Konzentration dadurch, dass sie einerseits die letztwillige Bestimmung der für die Nachlassabwicklung zuständigen Person(en) zuließen, andererseits aber auch erlaubten, Einzelzuweisungen losgelöst von einer Abwicklungsbeteiligung vorzunehmen.8 Für das römische Recht bedeutete Justinians Entscheidung, die nahen Angehörigen zu echten „Noterben“ zu machen, dann allerdings eine Trendwende, die im Verbund mit der germanischen Idee einer der Testierfreiheit von vornherein entzogenen Familienreserve jedenfalls bis in das späte 19. Jahrhundert hinein die Rechtsentwicklung stark beeinflussen sollte.9 Im französischen Recht kam es, wie gesehen, sogar zu einer Umkehr der Verhältnisse, indem letztwillig ernannte Gesamtnachfolger (légataires) nicht die formale Stellung eines héritier erlangten und bei Vorhandensein von Vorbehaltserben (héritiers réservataires) diese erst um Auslieferung des Nachlasses ersuchen mussten.10 Sobald diese erfolgt war, nahmen die letztwillig ernannten Gesamtnachfolger dann allerdings auch an der Nachlassabwicklung teil.11 Erst die Schaffung des BGB leitete einen neuerlichen Richtungswechsel ein. So entschloss sich der Erbrechtsredaktor Gottfried von Schmitt nach dem Vorbild des österreichischen Rechts dazu, den „Pflichtteil“ in Form eines Geldanspruchs gegen den Erben zu gewähren und nahen Angehörigen damit nur noch eine wertmäßige, aber keine gegenständliche Teilhabe mehr zu sichern.12 Begründet wurde diese Lösung vor allem mit ihren praktischen Vorzügen,13 und auch im späteren Schrifttum ist die Erleichterung der Nachlassabwicklung durch ihre Konzentration in den Händen des oder der Testamentserben oft hervorgehoben worden.14 Späte Bestätigung fand die Entscheidung des BGB-Gesetzgebers darin, dass im 21. Jahrhundert Staaten wie die Niederlande, Frankreich und Belgien den Wechsel von einer 8
Siehe oben § 3 C.II.2. (205 ff.). Für einen eingehenden vergleichenden Überblick R. Zimmermann, RabelsZ 84 (2020), 475– 480, 491–506. Speziell für das italienische Recht siehe Braun, Forced Heirship in Italian Law, 110, 121–123. Für das spanische Recht, wo es zu einer Überlagerung von römischer und westgotischer Tradition kam, siehe Cámara Lapuente, Forced Heirship in Spain, 139–147, 154 f. Zur strukturellen Fortführung des spanischen Rechts in Südamerika siehe J. P. Schmidt, Forced Heirship and Family Provision in Latin America, 176–185. 10 Siehe oben § 5 C.II. (325 ff.). 11 Siehe oben § 5 C.II.2f) (358 ff.). 12 Röthel, Erbrecht, § 38 Rn. 3. 13 Siehe Motive V, 205 = Mugdan V, 386 f.; ferner die Darstellung bei Zimmermann, RabelsZ 84 (2020), 488. 14 Siehe etwa Kipp/Coing, Erbrecht, 55; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 868. 9
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gegenständlichen zur wertmäßigen Teilhabe vollzogen15 und damit nun ebenfalls eine personelle Konzentration der Abwicklungszuständigkeit fördern (auch wenn dies meist nicht das einzige Ziel war). 2. Fehlen einer letztwilligen Verfügung In grundlegend unterschiedlicher Weise gingen das römische und das mittelalterliche englische Recht mit der Situation um, dass der Erblasser keinen Abwickler ernannt hatte. Denn während nach römischem Recht die Abwicklerernennung dann automatisch erfolgte, war sie nach englischem Recht diskretionär.16 Gemeint ist damit, dass die römischen Intestaterben (und damit die Intestatabwickler) vom Gesetz bzw. dem Prätor aufgrund einer abstrakten Ordnung ernannt wurden, der englische administrator hingegen seine Autorität aus den Händen des kirchlichen Ordinarius empfing (wenngleich dieser die Auswahl unter den nahen Angehörigen zu treffen hatte). Die Stärke der römischen Lösung lag in ihrer verfahrensmäßigen Einfachheit, ihre empfindliche Schwäche in der fehlenden Steuerbarkeit. Denn weder die Geeignetheit noch die Zahl der zur Abwicklung berufenen Personen unterlagen einer Kontrolle. Als Gegengewicht fungierte immerhin das Bruchteilsprinzip, da es dazu führte, dass jeder Miterbe seinen Anteil grundsätzlich wie einen eigenen Nachlass abwickelte. Vergleicht man das heutige englische Recht mit den kontinentalen „Nachfahren“ des römischen Rechts, ist festzustellen, dass sich an dem genannten strukturellen Unterschied nichts geändert hat. So ist der englische administrator heute zwar nicht mehr vom kirchlichen ordinary zu ernennen, sondern vom zuständigen Gericht, doch hat die Ernennung weiterhin Ermessenscharakter und konstitutive Wirkung.17 Und wenngleich auch mehr als ein administrator ernannt werden, liegt die gesetzliche Obergrenze bei vier.18 Nur in Ausnahmefällen, etwa wenn Minderjährige involviert sind, müssen mindestens zwei administrators ernannt werden.19 In Rechtsordnungen wie der deutschen oder französischen hingegen werden die Intestatnachfolger, also die gesetzlichen Erben bzw. héritiers, weiterhin automatisch vom Gesetz bestimmt, ein gerichtlich oder notariell ausgestelltes Legitimationszeugnis hat nur deklaratorische Wirkung. Begünstigen- und Abwicklerrolle werden also strikt miteinander verknüpft, Geeignetheit und Zahl der Abwickler nicht kontrolliert. Obgleich ein solches Modell erhebliche praktische Nachteile 15 Dazu HWBEuP/Kroppenberg, Pflichtteilsrecht, 1158 f.; Dutta, FamRZ 2011, 1831 f.; Zimmermann, RabelsZ 84 (2020), 541–543. Zum französischen Recht schon oben § 5 Fn. 39. 16 Dazu schon oben § 3 C.III.2. (239 f.). 17 Siehe bereits oben § 1 E.I.1b) (32 ff.). 18 Sec. 114(1) SCA; Kerridge, Law of Succession, [17-45]. Nach Williams, Mortimer & Sunnucks [13-07] ist eine so hohe Zahl von administrators in der Praxis ungewöhnlich. Nach Mar grave-Jones, Mellows: Law of Succession, [17.53], folgen Gerichte dem Prinzip, unter mehreren Antragsberechtigten den am besten geeigneten auszuwählen, wobei im Ausgangspunkt allerdings eine Vermutung der Gleichwertigkeit besteht. 19 Williams, Mortimer & Sunnucks [13-09].
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aufweist, von denen einige auch noch zur Sprache kommen werden, 20 ist es rechtspolitisch bis heute niemals ernsthaft zur Diskussion gestellt worden.21 Allein in dem Fall, in dem der berufene Gesamtnachfolger nicht bekannt ist, oder Streit zwischen verschiedenen Prätendenten auftritt, kommt es zu einer der englischen Lösung struktuell vergleichbaren Situation, indem gerichtlich ein Nachlasspfleger ernannt wird.22 3. Fazit Englische und kontinentale Tradition haben miteinander gemein, dass sie die aus praktischen Gründen wünschenswerte personale Konzentration der Nachlassabwicklung mittels Gewährung von Testierfreiheit fördern. Nicht nur erhalten Testatoren die Möglichkeit, die Abwickler selbst zu bestimmen und damit der Zahl nach gering zu halten. Auch ist es ihnen gestattet, Einzelzuwendungen losgelöst von der Abwicklerrolle vorzunehmen und damit den Begünstigtenkreis weiter zu ziehen als den Abwicklerkreis. Liegt keine letztwillige Abwicklerbestimmung vor, zeigt sich allerdings ein fundamentaler Unterschied zwischen beiden Traditionen. Denn wenngleich die Abwicklerrolle jeweils den Intestatbegünstigten angetragen wird, wirkt das englische Recht über das Erfordernis einer gerichtlichen Bestimmung des administrator auch hier auf eine personale Konzentration der Abwicklungszuständigkeit hin. Die kontinentalen Regime hingegen geben die Kontrolle über die Zahl der Abwickler aus der Hand, indem sie Intestatbegünstigung und Abwicklerrolle strikt miteinander verknüpfen.
III. Der Ausbau der Gesamtnachfolge 1. Die Zurückdrängung der Sondernachfolgen Prägendes Kennzeichen der mittelalterlichen Erbrechte war die Existenz zahlreicher Sondernachfolgen.23 Wie das englische Recht bis 1897 und das schottische Recht bis 1964 illustrierten,24 konnte die Nachlassabwicklung hierdurch auf zweierlei Art beeinträchtigt werden: Im englischen Recht führte die gesonderte 20
Siehe unten B.V. (681 ff.). der deutschen Reformdiskussion der 1930er Jahre wurde immerhin der Vorschlag gemacht, zur Überwindung der Handlungsunfähigkeit der Erbengemeinschaft die gerichtliche Einsetzung eines „Nachlaßvollstreckers“ bzw. „Erbschaftsverwalters“ zu ermöglichen, um auf diese Weise eine Zuständigkeitskonzentration herbeizuführen: Siehe Höver, ZAfDR 1935, 226; ders., DJ 1935, 1698; Klaus, DJ 1935, 1412; v. Caemmerer, DfG 1936, 119 f.; eingehend Bartholomeyczik, in: 4. Denkschrift, 136, 242–268, der als rechtsvergleichendes Vorbild Art. 602 Abs. 3 des schweizerischen ZGB nennt. Nach Lange, DR 1942, 1718, fand die Figur des „Erbschaftsverwalters“ auch Eingang in seinen Entwurf eines Erbgesetzes. 22 Siehe § 1960 BGB. Für das französische Recht siehe oben § 5 Fn. 251. 23 Dazu oben § 3 B.I. (179 ff.). 24 Dazu oben § 3 B.IV.1. und 6. (185 ff., 191 ff.). 21 In
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Vererbung des Grundvermögens, der realty, zu einer Schmälerung der Haftungsmasse und damit zu einer Benachteiligung der Erblassergläubiger. Das schottische Recht verhinderte dies zwar, indem es neben dem executor auch den heir als Empfänger des Grundvermögens (heritable property) der Schuldenverantwortlichkeit unterwarf. Was es aber nur bedingt gewährleisten konnte, war eine zentralisierte Abwicklung, denn zur vollständigen Befriedigung mussten Erblassergläubiger u. U. gegen zwei unterschiedliche Personen und Haftungsmassen vorgehen. Merkmal der heutigen Erbrechtsordnungen ist, dass sie derartige Sondererbfolgen weitgehend zurückgedrängt haben. Nicht nur schwand mit Überwindung des Feudalismus das politisch-ökonomische Bedürfnis etwa für die ungeteilte Weitergabe von Land, auch muss einer dem Gleichheitsgedanken verschriebenen Rechtsordnung jede Differenzierung nach Art der Nachlassgegenstände verdächtig erscheinen. Die große Bedeutung, die dem Prinzip der „unité de la succession“ im nachrevolutionären französischen Recht beigemessen wurde, legt beredtes Zeugnis hiervon ab.25 Geschah die Zurückdrängung von Sondererbfolgen damit zwar in erster Linie mit Blick auf die Familienangehörigen und insbesondere die Kinder, lag ein wünschenswerter Nebeneffekt in der Stärkung der Nachlassabwicklung durch Wahrung ihrer Einheit bzw. Zusammenhalt der Haftungsmasse. Des Weiteren dient die Gesamtnachfolge dadurch den Interessen des Rechtsverkehrs, dass sie das „title clearing“, also die Feststellung der neuen Rechtsinhaberschaft etwa im Rahmen der Ausstellung eines Legitimationszeugnisses, 26 einfacher und sicherer macht. Denn wenn die zu prüfende Nachfolgeberechtigung sich auf den gesamten Nachlass bezieht, braucht nicht mehr nach einzelnen Gegenständen differenziert zu werden.27 Gleichwohl ist das rechtspolitische Bedürfnis für Sondernachfolgen niemals gänzlich verschwunden. So finden sich nicht nur in Deutschland, 28 sondern auch in zahlreichen ausländischen Erbrechtsordnungen 29 weiterhin Ausnahmevorschriften für landwirtschaftlich genutztes Eigentum, die familiären ebenso wie agrarstrukturellen Zwecken dienen.30 Abgesehen davon allerdings, dass die rechtspolitische Legitimation solcher Sondererbfolgen jedenfalls in Deutschland zunehmend infra25
Dazu oben § 3 C.II.4i)(1) (232 ff.). Dazu oben § 1 Fn. 564. 27 Dazu MüKoBGB/Leipold, § 1922 Rn. 180; Windel, Modi der Nachfolge, 14 f.; Staudinger/ Meyer-Pritzl, Eckpfeiler, Rn. W 103; Muscheler, Erbrecht I, Rn. 942, der auch auf die typischerweise geringere Zahl von Nachfolgern hinweist. Eine solche kann der Grundsatz der Universal sukzession für sich allein allerdings nicht garantieren und ist für den genannten Vorteil auch nicht entscheidend. 28 Dazu bereits oben § 3 Fn. 488. 29 Siehe den rechtsvergleichenden Überblick bei IECL/Kroeschell/Winkler, Succession to Agricultural Property; Staudinger/Hausmann (2013), EGBGB Art. 3a, Rn. 77 ff.; punktuelle Hinweise bei Röthel, Ist unser Erbrecht noch zeitgemäß?, A 35. 30 Siehe Röthel, Ist unser Erbrecht noch zeitgemäß?, A 33. Auf der Ebene des Kollisionsrechts bilden diese Regime dementsprechend einen zentralen Anwendungsfall der Sonderanknüpfung des Art. 30 EuErbVO, siehe MüKoBGB/Dutta, EuErbVO Art. 30, Rn. 8; Dutta/Weber/J. P. Schmidt, Art. 30 EuErbVO, Rn. 13. 26
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ge gestellt wird,31 zeigen die Regelungen in manchen deutschen Bundesländern, dass die Sonderbehandlung auch auf die Zuweisungsdimension beschränkt werden kann und die Gesamtnachfolge dann unangetastet bleibt.32 Weitere Beispiele in diesem Sinne sind der Voraus des Ehegatten im deutschen Recht und die Behandlung der realty im englischen Recht zwischen 1897 und 1925.33 2. Die Zurückdrängung der gewillkürten Einzelnachfolge a) Der Legitimitätsverlust des Vindikationslegats Lebt das römische legatum per vindicationem, also die dinglich wirkende Einzelzuwendung, zwar in Frankreich, Italien und zahlreichen anderen Rechtsordnungen bis heute fort, hat sich eine nicht minder erhebliche Zahl von Jurisdiktionen von dieser Rechtsfigur inzwischen verabschiedet.34 Als prominenteste und einflussreichste Beispiele können das österreichische, das deutsche und das schweizerische Recht gelten, die Vermächtnissen stets nur „schwächere“35 , d. h. obligatorische Wirkungen zumessen 36 (eine Entscheidung allerdings, die zumindest bei Schaffung des BGB nicht unumstritten war37). Insbesondere zwei Faktoren waren es, die der Existenzberechtigung des Vindikationslegats den Boden entzogen. Der erste bestand in der fehlenden Fortführung der lex Falcidia, die im römischen und gemeinen Recht das Vindikationslegat aus Gläubigersicht dadurch entschärft hatte, dass Einzelzuwendungen fortan drei Viertel des Nettovermögens nicht überschreiten durften und somit nicht mehr dazu führen konnten, dass dem heres mehr Passiva als Aktiva hinterlassen wurden.38 Der zweite Faktor war eine gegenüber dem frühen, aber auch noch gegenüber dem klassischen römischen Recht gestiegene Sensibilität für grundlegende rechtsethische Wertungen. So war etwa schon zu Zeiten der Vorentwürfe zum BGB völlig unbestritten, dass letztwillige Einzelzuwendungen nicht die Befriedigungschancen der Erblassergläubiger beeinträchtigen durften,39 und ebenso we-
31 Dazu Röthel, Ist unser Erbrecht noch zeitgemäß?, A 21 f., 33 f.; im Hinblick auf konkrete Anwendungsfragen Derleder, in: Hereditare 5, 197–212. 32 Siehe oben § 3 Fn. 488. Zu haftungsrechtlichen Privilegierungen landwirtschaftlichen Eigentums Dutta, Warum Erbrecht?, 493 f. 33 Siehe oben § 3 C.II.4i)(1) (232 ff.). 34 Für einen rechtsvergleichenden Überblick siehe Gärtner, Behandlung ausländischer Vindikationslegate, 20–23; Titz, Vindikationslegat, 132–134. 35 v. Schmitt, Begründung, 292. 36 § 684 ABGB; § 2174 BGB; Art. 562 ZGB. 37 Dies ist im Schrifttum schon vielfach eingehend dargestellt worden, siehe etwa Staudinger/ Boehmer 11, § 1922 Rn. 240; Titz, Vindikationslegat, 51–57. Siehe auch die Nachweise bei Muscheler, Erbrecht I, Rn. 946. 38 Siehe oben § 3 A.III. (170 ff.). Kurz erwähnt wird der genannte Zusammenhang bei v. Schmitt, Bemerkungen, 71 f. 39 Siehe stellvertretend v. Schmitt, Bemerkungen, 77: „Mit dem Vorrechte der Erbschaftsgläubiger ist das Vindikationslegat in keiner Gesetzgebung vereinbar.“ Ähnlich ebd., 72.
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nig kam in Betracht, das Vermögen des Erben als Abwickler mit einem eventuellen Fehlbetrag zu belasten. Damit kam ein Vindikationslegat nur noch in zwei Regelungsvarianten in Betracht: Entweder musste die dinglich wirkende Einzelzuwendung mit einer Abwicklungszuständigkeit verknüpft, der Empfänger also einer Außenhaftung unterworfen werden. Oder der Legatar musste einer Innenhaftung in dem Sinne unterliegen, dass der Vermächtnisgegenstand vom Erben bzw. den Erblassergläubigern im Fall unzureichender anderer Nachlasswerte eigenmächtig zur Schuldentilgung herangezogen werden konnte.40 Wie im Folgenden zu skizzieren ist, müssen einem auf Einfachheit, Rechtsklarheit und Schutz der Gläubigerinteressen bedachten Gesetzgeber beide Regelungsalternativen unattraktiv erscheinen.41 b) Die Schwäche der Außenhaftung Die Außenhaftung erhöht nicht nur die Zahl der Abwickler, sondern droht überdies zu einer extremen Dezentralisierung der Nachlassabwicklung zu führen.42 Denn die Zentralität der Abwicklung dadurch zu bewahren, dass der Legatar, in der Sprache des BGB, zum gesamthänderisch gebundenen Miterben und Vorausvermächtnisnehmer gemacht wird, hieße gerade, die dingliche Einzelwirkung des Vermächtnisses zu neutralisieren. Historisch findet die Verknüpfung von Einzelnachfolge (in Liegenschaften) und Außenhaftung denn auch nur außerhalb der gemeinrechtlichen Tradition ein Vorbild, nämlich im schottischen Recht bis 1964, und für eine vergleichsweise kurze Periode im englischen Recht vor 1897.43 Die Rechtsordnungen des Kontinents hingegen entwickelten keine Außenhaftung des Vindikationslegatars, was seinen Grund vermutlich darin hatte, dass eine Schuldenverantwortlichkeit des Legatars in den Quellen nicht überliefert war. Von Gottfried von Schmitt wurde eine solche Lösung denn auch gar nicht erwogen, obwohl ihm eine Außenhaftung jedenfalls insofern hätte tolerabel erscheinen können, als er auch im Fall der Erbenmehrheit eine Bruchteilslösung und damit eine dezentrale Abwicklung befürwortete.44 Zu der in das BGB aufgenommenen Gesamthandslösung hätte ein Vindikationslegat mit Außenhaftung des Bedachten hingegen einen krassen Wertungswiderspruch bedeutet. 40 Zur Unterscheidung zwischen Innen- und Außenhaftung Titz, Vindikationslegat 228–230. In der Sache bereits Staudinger/Boehmer 11, § 1922 Rn. 241, der allerdings zwischen „mittelbarer“ und „unmittelbarer Haftung“ unterscheidet. 41 Für eine eingehende Analyse Titz, Vindikationslegat, 228–337. 42 Siehe Staudinger/Boehmer 11, § 1922 Rn. 241: „[…] würde es auch für die Nachlaßgläubiger eine unerträgliche Erschwerung ihrer Rechtsverfolgung bedeuten, wenn sie allen unter die Vermächtnisnehmer verteilten Nachlaßstücken nachspüren und den Bedachten nachzulaufen gezwungen wären“ (Hervorhebung im Original). 43 Dazu oben § 3 B.IV.1. und 6. (185 ff., 191 ff.). Dass die englische und die schottische Einzelnachfolge in Grundstücke nicht nur auf einem Testament beruhen konnten, sondern sich bei dessen Fehlen unmittelbar aus der Rechtsordnung ergab, spielt im vorliegenden Zusammenhang keine Rolle. 44 Siehe unten B.III.1. (657 ff.).
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Umso bemerkenswerter ist es, dass der polnische Gesetzgeber sich für das Modell einer Außenhaftung entschied, als er 2011 das Vindikationslegat (wieder-)einführte.45 Danach trifft den Vindikationslegatar bis zur Teilung des Nachlasses eine gesamtschuldnerische Verantwortlichkeit zusammen mit den Erben, nach der Teilung dagegen nur noch eine Bruchteilsverantwortlichkeit, bezogen auf den Wert der erhaltenen Zuwendung.46 Besonders auffällig ist, dass der Vindikationslegatar in beiden Fällen automatisch in den Genuss einer Haftung pro viribus hereditatis kommt, also nur bis zum Wert des erhaltenen Gegenstandes einstehen muss, während ein Erbe hierzu einer Inventarerrichtung bedarf.47 Insgesamt scheint die polnische Lösung wenig durchdacht,48 auch wenn die Außenhaftung des Legatars insofern in das Gesamtsystem passt, als das polnische Recht generell die Bruchteilsverantwortung und damit die dezentrale Abwicklung zulässt.49 c) Die Schwäche der Innenhaftung Im Gegensatz zur Außenhaftung finden sich für die Verwirklichung einer Innenhaftung des Vindikationslegatars zahlreiche Beispiele in Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung. Zu nennen sind etwa das preußische, das französische und das italienische Recht, die jeweils dem Erben als Nachlassabwickler bzw. den Nachlassgläubigern die Möglichkeit einräumten bzw. einräumen, den vermachten Gegenstand unter bestimmten Voraussetzungen zur Verwertung heranzuziehen.50 Ungeachtet der formalen Eigentümerstellung des Legatars ist der Gegenstand damit in materieller Hinsicht der Rechtssphäre des Abwicklers zugehörig, die Durchbrechung der Gesamtnachfolge bleibt unvollkommen. Dieser Kompromisscharakter der Innenhaftung weist bereits auf ihre zentrale Schwäche hin: Ihren erheblichen praktischen Nachteilen steht kein greifbarer Vorteil gegenüber. Der Nachteil ist das Entstehen einer komplexen Gemengelage,51 die für das preußische und das französische Recht mit dem Begriff des „relativen Eigentums“ zu erklären versucht wurde, der aber letztlich nur Sinnbild der zahlreichen Kontroversen und Unklarheiten war.52 Zugleich wird das eigentliche Ziel des Vindikationslegats, nämlich dem Begünstigten „das vollkommene Recht“53 zu gewähren, verfehlt. Der Legatar bleibt damit insbesondere dem Risiko veruntreu-
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Ausführlich dazu Osajda, ZEuP 2012, 486–490; Titz, Vindikationslegat, 180–195. Art. 10341, Art. 10342 Kodeky cywilny. 47 Art. 10343 Kodeks cywilny. Dazu Titz, Vindikationslegat, 186–179, 191–195; Osajda, ZEuP 2012, 494–496. 48 Vgl. Titz, Vindikationslegat, 192–195. 49 Auf diesen Zusammenhang weist Titz, Vindikationslegat, 186, 199, 418 hin. 50 Zu den drei genannten Rechtsordnungen ausführlich Titz, Vindikationslegat, 99–110, 135– 180. Zum französischen und italienischen Recht ferner oben § 6 C.II.1b) (392 ff.). 51 Von einer „Zwittergestaltung“ sprechen Motive V, 71 = Mugdan V, 135. 52 Siehe etwa v. Schmitt, Begründung, 290 f., und für das preußische ALR auch Titz, Vindikationslegat, 100–103. Zum französischen Recht auch oben § 5 Fn. 150. 53 Vgl. v. Schmitt, Bemerkungen, 75. 46
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ender Verfügungen des Erben ausgesetzt,54 gerade in einer Rechtsordnung, die einen gutgläubigen rechtsgeschäftlichen Eigentumserwerb großzügig zulässt.55 Ist aber der Legatar ohnehin vom Wohlwollen des Erben abhängig, dann hat die nur schuldrechtliche Wirkung des Vermächtnisses den großen Vorzug, dass sie klare Zuständigkeiten auf der sachen- und haftungsrechtlichen Ebene schafft. 3. Konzessionen an gesellschaftsrechtliche Interessen Der Ausschluss einer letztwillig angeordneten Einzelnachfolge schließt nicht aus, dass genau wie im Fall fortbestehender gesetzlicher Sondernachfolgen die im Grundsatz der Gesamtnachfolge verwirklichten Abwicklungsinteressen ausnahmsweise hinter anderen Belangen zurückstehen müssen. Wichtigstes Beispiel im deutschen Recht ist die Rechtsprechung zu Klauseln über die Nachfolge in Anteile an Personengesellschaftsanteilen, bei der in zweifacher Weise eine Modifika tion der Gesamtnachfolge durch privatautonome Gestaltung zugelassen wird:56 Bei der „einfachen Nachfolgeklausel“ treten Miterben in Abweichung von den §§ 2032 ff. BGB nicht als Gesamthänder in einen durch Gesellschaftsvertrag vererblich gestellten Anteil ein, stattdessen kommt es zu dessen Aufsplittung und entsprechenden Einzelnachfolgen der einzelnen Miterben.57 Ratio dieser Lösung ist, einen Konflikt zwischen gesellschaftsrechtlichen und erbrechtlichen Haftungsgrundsätzen zu vermeiden.58 Ob man von einer Durchbrechung der Gesamtnachfolge sprechen will, hängt von deren Verständnis ab.59 Jedenfalls kommt es aber zu einer punktuellen Ersetzung der Gesamthands- durch eine Bruchteilslösung. 60 Noch einen Schritt weiter ist die Rechtsprechung bei der „qualifizierten Nachfolgeklausel“ gegangen. Diese ermöglicht es, die Gesellschaft nicht mit allen, sondern nur mit einem einzelnen Miterben eines Gesellschafters fortzusetzen, der konkret benannt oder nach abstrakten Merkmalen bestimmt sein kann (etwa „mein ältester Sohn“). Der durch Gesellschaftsvertrag vererblich gestellte Anteil geht dann unmittelbar auf den designierten Nachfolger über, und zwar unabhängig von der Größe von dessen Erbteil.61 Erbrechtliche Grundsätze müssen also erneut hinter gesellschaftsrechlichen Interessen zurückstehen, in diesem Fall hinter dem 54 Versuche, den Legatar durch Verfügungsbeschränkungen des Erben o.Ä. abzusichern, sind letztlich zum Scheitern verurteilt, siehe die eingehende Analyse bei Titz, Vindikationslegat, 230– 317. 55 Zu diesem Zusammenhang v. Schmitt, Bemerkungen, 71, 75. 56 Da die Nachfolgeklauseln bei formaler Betrachtung dem Gesellschaftsrecht angehören, lassen sie sich mit Dutta, in: Passing Wealth on Death, 190–192, auch als „will-substiute“ bzw. Rechtsgeschäft unter Lebenden auf den Todesfall ansehen. Zu diesen unten § 8 A.IV. (647 ff.). 57 BGH NJW 1999, 571 (572) m. w. N. 58 Näher zum Ganzen Windel, Modi der Nachfolge, 126–143; Muscheler, Erbrecht I, Rn. 867 f.; Röthel, Erbrecht § 26 Rn. 14–16. 59 Dazu Muscheler, Erbrecht I, Rn. 872. 60 Windel, Modi der Nachfolge, 126. 61 NJW 1977, 1339. Näher Windel, Modi der Nachfolge, 150–153; Muscheler, Erbrecht I, Rn. 869–871; Röthel, Erbrecht § 26 Rn. 17–20.
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Wunsch nach Fortführung der Gesellschafterstellung durch nur einen der Mit erben. Da allerdings in den Gesellschaftsanteil nur eintreten kann, wer Miterbe ist, liegt der Struktur nach eher eine dingliche Teilungsanordnung als eine Einzelnachfolge vor. 62 Zudem behandelt die Rechtsprechung den vererbten Gesellschaftsanteil für alle erbrechtlichen Zwecke als zum Nachlass gehörig, also etwa im Hinblick auf die Haftung oder den Pflichtteil. 63
IV. Die Aushöhlung der Abwicklungskonzentration durch „will-substitutes“ Ist der Trend zur Konzentration der Nachlassabwicklung bei isolierter Betrachtung weitgehend unangefochten, hat er bei erweiterter Betrachtung spätestens seit Mitte des 20. Jahrhunderts eine erhebliche Aushöhlung erfahren. Die Rede ist von den schon zu Beginn der Arbeit erwähnten „will-substitutes“ oder „Rechtsgeschäften unter Lebenden auf den Todesfall“, 64 die zwar formal außerhalb des Erbrechts stehen, in ihren Wirkungen aber oftmals einer Einzelnachfolge von Todes wegen gleichkommen65 und dementsprechend auch mit einem formlosen Vindikationslegat verglichen werden. 66 Dieter Leipold brachte die deutsche Rechtsentwicklung im Jahr 1980 mit der Feststellung auf den Punkt, dass die Gesamtrechtsnachfolge heute im Wesentlichen dispositiv sei, sie als zwingendes Prinzip schon von den Juristen im Allgemeinen nicht ernst genommen werde und ohnehin nie recht volkstümlich geworden zu sein scheine. 67 Konterkariert wird damit (neben anderen erbrechtlichen Grundsätzen68) auch das mit der Gesamtnachfolge verfolgte Ziel einer konzentrierten Nachlassabwicklung. Erlangt etwa der vom Erblasser in einem Lebensversicherungs- oder Sparvertrag benannte Bezugsberechtigte mit Eintritt des Erbfalls unmittelbar einen Auszahlungsanspruch gegen die Versicherung oder die Bank, oder wird mit dem Tod des Verstorbenen die Begünstigung aus einem zu Lebzeiten errichteten trust aktiviert, so müssen die Erblassergläubiger befürchten, dass die betreffenden Vermögenswerte nicht in die Hände des Nachlassabwicklers gelangen und damit ihrem 62
Muscheler, Erbrecht I, Rn. 873, der auch von „beschränkter Gesamterbfolge“ spricht. BGH NJW 1986, 2431; Muscheler, Erbrecht I, Rn. 871; Röthel, Ist unser Erbrecht noch zeitgemäß?, A 40. 64 Siehe oben § 1.I.III. (114 ff.). 65 Siehe für das deutsche Recht etwa Däubler, ZRP 1975, 144 f.; Kipp/Coing, Erbrecht, 445, 451 f.; Muscheler, Erbrecht I, Rn. 883, 894; Röthel, Ist unser Erbrecht noch zeitgemäß?, A 44 f.; dies., in: Das holographische Testament, 50–56; dies., Erbrecht, § 1 Rn. 18; Titz, Vindikationslegat, 387 f. 66 Siehe etwa Muscheler, Erbrecht I, Rn. 894, 991, mit den gebotenen Differenzierungen. 67 Leipold, AcP 180 (1980), 208 f.; zustimmend Staudinger/Meyer-Pritzl, Eckpfeiler, Rn. W 103. Weniger drastisch Röthel, Ist unser Erbrecht noch zeitgemäß?, A 31 f., die aber dennoch eine „stete Erosion“ der Universalsukzession konstatiert. 68 Zu nennen sind insbesondere die strengen Formvorschriften für letztwillige Verfügungen und die Regelungen des Pflichtteilsrechts, siehe Däubler, ZRP 1975, 145. Zum Pflichtteilsrecht eingehend Röthel, in: Passing Wealth on Death, 303–322; zur Form dies., in: Das holographische Testament, 51–56. 63
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Zugriff entzogen werden.69 Die Leidtragenden sind vor allem die kleinen und mittleren Gläubiger, da Großgläubiger in der Regel ohnehin anderweitig vorgesorgt haben, etwa indem sie vom Schuldner die Stellung einer Sicherheit oder den Abschluss einer Kreditversicherung verlangt und sich damit – in einer Art Gegenstück zu den „will-substitutes“ – vom Erbrecht unabhängig gemacht haben.70 Während manche Rechtsordnungen sich bewusst für eine solche Privilegierung der Begünstigten zulasten der Gläubiger entschieden haben,71 haben andere immerhin insofern auf das Problem reagiert, als sie entweder eine Rückholung der transferierten Werte ermöglichen oder eine Schuldenverantwortlichkeit der begünstigten Personen vorsehen. Die erste Variante entspricht strukturell der im Kontext des Vindikationslegats erörterten Innenhaftung, ist dogmatisch allerdings im Bereich der (Insolvenz-)Anfechtung verortet.72 Die zweite Variante entspricht dem Modell einer Außenhaftung, das im deutschen Kontext von Leipold vorgeschlagen wurde73 und für das sich ein Regelungsbeispiel im Uniform Probate Code findet,74 der generell durch das Bemühen gekennzeichnet ist, „will-substitutes“ in das formale Erbrecht zu reintegrieren.75 Wahren Regelungen wie die genannten immerhin die rechtsethischen Mindestanforderungen der Vermögensverteilung von Todes wegen („nemo liberalis nisi liberatus“, „wer das Erbe nimmt, der muss die Schuld gelten“76), bleiben erhebliche 69 Däubler, ZRP 1975, 145; Leipold, AcP 180 (1980), 208; Kipp/Coing, Erbrecht, 444 f.; Muscheler, Erbrecht I, Rn. 995 f. Aus vergleichender Sicht Braun/Röthel, in: Passing Wealth on Death, 350 f., 357 f. 70 Siehe für die USA Langbein, Harvard LR 97 (1984), 1122–1125, dem zufolge sich hierdurch erklärt, warum starke Gläubiger sich mit der zunehmenden Dominanz von „will-substitutes“ kampflos abgefunden haben; siehe auch schon Wellman, Indiana LJ 44 (1969), 191. Für Deutschland siehe Leipold, AcP 180 (1980), 209 (der nur dingliche Sicherheiten erwähnt). 71 Siehe die Hinweise bei Braun/Röthel, in: Passing Wealth on Death, 328. 72 Für einen Vergleich des deutschen mit dem (weniger anfechtungsfreundlichen) englischen Recht Bork, in: Passing Wealth on Death, 267–281. Zum deutschen Recht auch Windel, Modi der Nachfolge, 455–482. 73 Siehe Leipold, AcP 180 (1980), 209, dem zufolge eine Koppelung von Sonderrechtsnachfolgen mit der Haftung für Nachlassverbindlichkeiten Leitgedanke einer Reform sein sollte. 74 § 6-102(b) UPC: „Except as otherwise provided by statute, a transferee of a nonprobate transfer is subject to liability to any probate estate of the decedent for allowed claims against decedent’s probate estate and statutory allowances to the decedent’s spouse and children to the extent the estate is insufficient to satisfy those claims and allowances. The liability of a nonprobate transferee may not exceed the value of nonprobate transfers received or controlled by that transferee.“ § 6 -102(c) UPC sieht zudem die Ordnung vor, nach der verschiedene Begünstigte in Anspruch zu nehmen sind. Näher dazu L. Smith, in: Passing Wealth on Death, 255–257; Leslie/Sterk, Boston College LR 56 (2015), 102 f.; Gallanis, in: Passing Wealth on Death, 21. Mit einem „nonprobate transfer“ sind alle Übertragungen bezeichnet, die sich außerhalb des formalen erbrechtlichen Abwicklungsverfahrens („probate“) vollziehen. 75 So ist der gesamte, 1989 revidierte Article VI des UPC den „Nonprobate Transfers on Death“ gewidmet. Von einem „dramatic example of the integration of probate and nonprobate transfers“ spricht Langbein, Harvard LR 97 (1984), 1139. Dazu auch Röthel, in: Das holographische Testament, 55 f. 76 Dazu oben § 2 B.III.2. (136 f.).
A. Überblick
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Widersprüche zu den erbrechtlichen Wertungen bestehen.77 So ist die Wahrung des Gläubigervorrangs im Wege der Innenhaftung des Empfängers deutlich unsicherer und beschwerlicher als im Fall einer Gesamtnachfolge, die ein „Ausscheren“ von Aktiva von vornherein verhindert.78 Und selbst dann, wenn eine Erbrechtsordnung die Einzelnachfolge (auch) mittels Vindikationslegat gestattet und Gläubigerinteressen durch eine Innenhaftung absichert, ist die Situation nicht die gleiche. Denn während beispielsweise im französischen Recht der Einzelvermächtnisnehmer den Abwickler erst um Auslieferung ersuchen muss und sich die Innenhaftung daher typischerweise schon mit Kürzung des Legats verwirklichen lässt, bekommt der Begünstigte eines „will-substitute“ den zugewandten Vermögenswert üblicherweise direkt in die Hände, so dass es für eine Rückholung nicht genügt, den Rechtsgrund des Transfers zu beseitigen. Noch offenkundiger ist die Diskrepanz im Fall einer Außenhaftung, da sie den Erblassergläubigern zumutet, die Vermögenswerte bei verschiedenen Begünstigten aufzusuchen, und damit de facto eine Dezentralisierung der Abwicklung bedeutet.79 Die aufgezeigten Spannungen wären dann nicht weiter besorgniserregend, wenn das Prinzip der erbrechtlichen Gesamtnachfolge ohnehin bloß Überbleibsel eines längst überholten Rechtszustands wäre. Das durch die rechtsgeschäftliche Gestaltungspraxis geschaffene „Nebenerbrecht“, in dem sich ein „Massenungehorsam“ gegenüber erbrechtlichen Wertungen manifestiert, 80 wäre dann einmal mehr bloßer Schrittmacher der Rechtsentwicklung, so wie es beispielsweise einst bei der Vererblichkeit von Obligationen der Fall war. 81 Doch ist angesichts der gezielten Entwicklung hin zur Gesamtnachfolge für diese gerade das Gegenteil der Fall. „Will-substitutes“ fegen nicht hinweg, was ohnehin baufällig war, sondern reißen ein, was zuvor mühevoll errichtet wurde. Hieraus folgt noch nicht, dass der einzige Weg zur Wiederherstellung der Systemkohärenz darin bestünde, die rechtsgeschäftlichen Sondernachfolgen in das Erbrecht „zurückzuholen“, etwa indem die im Wege eines Vertrages zugunsten Dritter auf den Todesfall (§§ 328, 331 BGB) zugewandte Forderung zwar nicht unbedingt hinsichtlich der Form, aber hinsichtlich ihrer Wirkung als Vermächtnis behandelt wird und somit in die Nachlassabwicklung hineingezogen wird.82 77 Siehe die bei Leslie/Sterk, Boston College LR 56 (2015), 104–110, für das US-amerikanische Recht aufgezeigten Probleme, zu denen auch die aus der Fragmentierung des Nachlasses resultierenden Schwierigkeiten der Koordinierung von Aktiva und Passive gehören. Auch Gallanis, in: Passing Wealth on Death, 28, hält den Gläubigerschutz vielerorts immer noch für unzureichend. 78 Siehe bereits Däubler, ZRP 1975, 145; Titz, Vindikationslegat, 399 f. 79 Siehe auch Langbein, Harvard LR 97 (1984), 1124 f.; Braun, in: Passing Wealth on Death, 67; Braun/Röthel, in: Passing Wealth on Death, 351; Bork, in: Passing Wealth on Death, 268 (Fn. 6). 80 So die treffenden Formulierungen von Däubler, ZRP 1975, 145. 81 Siehe oben § 2 B.II.2. (129 ff.). 82 Hierfür etwa Kipp/Coing, Erbrecht, 453 m. w. N.; Lange/Kuchinke, Erbrecht 3, 545 f. Weitere Nachweise bei Windel, Modi der Nachfolge, 10; Röthel, Ist unser Erbrecht noch zeitgemäß?, A 45. Muscheler, Erbrecht I, Rn. 9 01, 991 meint, dass ein derartiges formfreies Vermächtnis naturgemäß als Vindikationslegat gedacht werden müsse, aber erstens scheint dies nicht zwingend und zweitens drohte dann jedenfalls das Ziel des Gläubigerschutzes verfehlt zu werden. Denn ohne zusätz-
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Denn ebenso ließe sich argumentieren, dass die im 20. Jahrhundert eingetretene Änderung der Vermögenstrukturen den Grundsatz der Gesamtnachfolge obsolet gemacht habe. Wo nicht wie einst Sachwerte wie Immobilien, sondern längst Finanzwerte den wichtigsten Teil der privaten Vermögen ausmachen, 83 könnte es unausweichlich scheinen, dass die Zuweisung von Todes wegen sich vorrangig über die von Finanzintermediären wie Banken und Versicherungen entwickelten Mechanismen vollzieht, umso mehr, wenn die betreffenden Instrumente der Altersvorsorge dienen. Der Gedanke der Gleichgerechtigkeit würde dann freilich erfordern, dass auch das Erbrecht seinen Widerstand gegen die gewillkürte Einzelnachfolge aufgibt. Ob sich das lebzeitige Vermögensrecht dem Erbrecht anpassen muss oder umgekehrt das Erbrecht dem lebzeitigen Vermögensrecht, oder ob die gegenwärtigen Wertungswidersprüche im Wege eines Kompromisses aufzulösen sind, kann hier nicht weiter untersucht werden, da die Problematik außerhalb des Themas dieser Arbeit liegt. Dass Rechtsordnungen bereit sein werden, sich von dem über Jahrhunderte mühsam errichteten Niveau des Gläubigerschutzes zu verabschieden, erscheint immerhin wenig wahrscheinlich.
B. Die Zentralisierung der Nachlassabwicklung durch Überwindung der Bruchteilsgemeinschaft I. Überblick Die Überwindung der im römischen Recht begründeten und im gemeinen Recht unverändert fortgeführten dezentralen Nachlassabwicklung durch die Bruchteilsgemeinschaft der Miterben gehört für das Thema dieser Arbeit aus zwei Gründen zu den bedeutendsten Rechtsentwicklungen seit dem Ende des 18. Jahrhunderts: Zum einen markierte sie eine Befreiung von überholten historischen Determinanten, zum anderen kam in ihr eine Verschiebung der Interessenwertungen zum Vorschein. Hatte die Schuldenteilung zwischen römischen coheredes vermutlich eine Kompensation ihrer unbeschränkten Haftung gebildet und in Verbindung mit dem liche Regelungen wäre nicht zu sehen, wie Nachlassgläubiger eine Forderung pfänden könnten, deren Inhaber nicht der Erbe ist. Auch die Vorschläge von Däubler, ZRP 1975, 145, zielen nicht auf Wiederherstellung der Gesamtnachfolge ab, sondern auf Stärkung der Anfechtungsrechte der Gläubiger. Röthel, Ist unser Erbrecht noch zeitgemäß?, A 45, möchte an der Privilegierung des mit Lebensversicherungen verfolgten Versorgungszwecks festhalten, diesen Gedanken aber gleichmäßiger entfalten. Muscheler, Erbrecht I, Rn. 990–1006, plädiert für eine Abschaffung des Vertrages zugunsten Dritter auf den Todesfall, möchte aber eine Ausnahme für die Lebensversicherung machen. 83 In den USA wurde die Bedeutung dieser Entwicklung für das Erbrecht insbesondere von Langbein betont: Harvard LR 97 (1984), 1119, unter Hinweis auf das berühmte Diktum von Roscoe Pound: „Wealth, in a commercial age, is made up largely of promises.“ Siehe auch ders., Michigan LR 86 (1988), 729, 739–751. Für das deutsche Recht Leipold, AcP 180 (1980), 206–208. Aus vergleichender Sicht Braun/Röthel, in: Passing Wealth on Death, 345 f.
B. Die Zentralisierung der Nachlassabwicklung
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Entstehen frei verfügbarer Bruchteile am Aktivnachlass ihrem Individualinteresse Rechnung getragen, 84 kannten die neuzeitlichen Regime nicht nur längst die Möglichkeit der Haftungsbeschränkung. Auch setzte sich in ihnen zunehmend die Auffassung durch, dass die Interessen der Erblassergläubiger Vorrang vor denen der Begünstigten haben müssen. Spielte zwar in beiden Fragen der Einfluss der deutschrechtlichen Tradition des Mittelalters eine große Rolle, wird sich auch zeigen, dass das römische Gedankengut niemals vollständig verdrängt wurde. Die folgende Darstellung beginnt mit dem preußischen ALR, das nicht nur die erste bedeutende Kodifikation war, die die Bruchteilslösung aufgab, sondern auch wichtigstes Vorbild für die spätere BGB-Regelung sein sollte. Dessen Untersuchung folgt im Anschluss und geht somit der Darstellung der französischen Rechtsentwicklung vor, die den Abschluss dieses Kapitels bildet. Der Grund für diese Abweichung von der Chronologie der Gesetzbücher liegt darin, dass der Code civil von 1804 ungeachtet starker Einflüsse des droit coutumier noch ganz den Stempel der gemeinrechtlichen Tradition trug und es die französische Rechtsprechung war, die im frühen 20. Jahrhundert den Weg hin zu einer Zentralisierung der Abwicklung einschlug. Wenn das englische Recht in diesem Kapitel nur am Rande gestreift wird, dann liegt der Grund keineswegs darin, dass sich die auf dem europäischen Kontinent diskutierten Fragen wegen grundlegender Strukturunterschiede jenseits des Kanals nicht stellen würden85 oder von minimaler Bedeutung seien. 86 Zu dieser Auffassung kann nur kommen, wer in methodisch unreflektierter Weise den Begriff der „Erbengemeinschaft“ zum Referenzpunkt für eine rechtsvergleichende Sicht macht und überdies unterstellt, dass es stets nur einen personal representative gebe.87 Natürlich musste und muss aber auch das englische Recht die Frage beantworten, ob zwei oder mehr personal representatives den Nachlass zentral oder dezentral abwickeln. Der Unterschied zu den kontinentalen Rechtsordnungen besteht allein 84
Dazu oben § 3 A.IV. (174 f.). aber etwa Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 106; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1082; HWBEuP/Helms, Erbenhaftung, 405; Wolf, ZSR 125 (2006) II, 228. Repräsentativ für die allgemeine Ansicht Staudinger/Werner (2010), Vorbem zu §§ 2032–2057a, Rn. 8: „Im englisch-amerikanischen Rechtskreis erweist sich eine eingehende Regelung [der Erbengemeinschaft] infolge des maßgeblichen Anfallsystems als unnötig. Der Nachlass fällt zuerst an den executor oder administrator als owner at law; er hat die Gläubiger so zu befriedigen und den Nachlass so abzuwickeln, dass er dessen Reste durch Rechtsgeschäft unter Lebenden auf die Miterben übertragen kann.“ Nicht nur wird in der zitierten, offenbar weitgehend Bartholomeyczik, in: 4. Denkschrift, 129, entlehnten Passage der Begriff des „Anfallsystems“ in missverständlicher Weise gebraucht, auch wird der Begriff der „Miterben“ nicht rechtlich im Sinne von Gesamtnachfolgern, sondern wirtschaftlich im Sinne von Begünstigten verstanden. 86 IECL/Schwind, Liability for Obligations of the Inheritance, Nr. 17 („has only minimal importance“). 87 So z. B. IECL/Schwind, Liability for Obligations of the Inheritance, Nr. 17; Weischede, Gesellschafternachfolge, 46 f.; Bartholomeyczik, in: 4. Denkschrift, 130, erkennt zwar die Möglichkeit mehrerer executors oder administrators und den sich daraus ergebenden Regelungsbedarf, doch gelingt es ihm aufgrund der eingenommenen Begünstigtenperspektive nicht, einen sinnvollen Bezug zur deutschen Erbengemeinschaft herzustellen. 85 So
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darin, dass sich das englische Recht schon früh für die zentrale Abwicklung entschied88 und bis heute an ihr festgehalten hat. So werden mehrere personal representatives grundsätzlich als eine Person angesehen, mit der Folge, dass die Handlungen eines von ihnen für und gegen die anderen gelten. 89 Gemeinschaftliches Handeln ist nur im Hinblick auf bestimmte Gegenstände erforderlich, etwa Grundstücke.90 Schwierig ist es, Aussagen über die Voraussetzungen einer Vollstreckung in Nachlasswerte zu finden. Reicht hier ein Titel gegen einen der personal representatives aus, oder müssen, ähnlich wie im deutschen Recht nach § 747 ZPO, alle erfolgreich verklagt werden?91 Praktisch dürfte die Frage eine geringe Rolle spielen, da es einem Gläubiger aufgrund des öffentlichen Charakters des grant of probate bzw. der letters of administration92 leicht fällt, sämtliche personal representatives zu identifizieren und dann gemeinsam zu verklagen. Hinzuweisen ist schließlich darauf, dass das Fehlen detaillierter gesetzlicher Regelungen zu einer durch zwei oder mehr personal representatives gebildeten „Abwicklergemeinschaft“ den kontinentalen Juristen nicht zu der Auffassung verleiten darf, dass das englische Recht dank seiner Struktur mit wenigen einfachen Vorschriften auskäme. Vielmehr verhält es sich so, dass zahlreiche Detailfragen weiterhin durch unkodifiziertes Richterrecht normiert werden.93
II. Der ungeteilte Fortbestand des Nachlasses im preußischen ALR Ebenso wie beim Modus zum Erwerb der Erbschaft oder der Rechtsstellung des beschränkt haftenden Erben markierte das preußische Recht auch bei Regelung der Erbengemeinschaft eine Abkehr von der gemeinrechtlichen und eine Hinwendung zur deutschrechtlichen Tradition, indem es den Nachlass nicht ipso iure in entsprechende Teilmassen zerfallen, sondern als geschlossene Vermögensmasse fortbestehen ließ.94 Obgleich diese Lösung, wie noch im Einzelnen zu sehen sein wird, empfindliche Schwächen aufwies und es dem Gesetzgeber vielfach nicht gelungen war, seinen Vorschriften „vollkommene Durchsichtigkeit und Klarheit“ zu ge88
Siehe oben § 3 B.IV.7. (194 ff.). Williams, Mortimer & Sunnucks [35-25]: „Where more than one executor or administrator is appointed, the joint office is treated as that of an individual person. […] Each representative represents the estate for all purposes […]“. Ferner ebd., [6-02], [13-07], [50-69]; Kerridge, Law of Succession, [20-54]; Margrave-Jones, Mellows: Law of Succession, [23.53]. 90 Siehe sec. 2(2) AEA; Williams, Mortimer & Sunnucks [13-07]; Kerridge, Law of Succession, [20-56]. Zu Sonderregln für die Übertragung von Aktien oder Gesellschaftsanteilen Williams, Mortimer & Sunnucks [50-71]; Kerridge, Law of Succession, [20-57]. 91 Jedenfalls im Mittelalter konnten Prozesse nur gegen alle personal representatives gemeinsam geführt werden, siehe oben § 3 Fn. 243. 92 Siehe Braun, in: Passing Wealth on Death, 71, der zufolge die Tatsache, dass der Inhalt des Testaments öffentlich bekannt wird, ein Anreiz für alternative Mittel des Vermögenstransfers von Todes wegen sein kann. 93 Siehe beispielsweise die Darstellung verschiedener Einzelprobleme bei Williams, Mortimer & Sunnucks [50-69]–[50-74]. 94 Dernburg, Preußisches Privatrecht III, § 238 (702 f.). v. Schmitt, Begründung, 889, spricht von einer „universitas juris“. 89 Siehe
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ben95 (mit der Folge, dass viele Streitfragen von den Gerichten geklärt werden mussten96), sollte sich die preußische Regelung dennoch mittelbar als sehr einfluss reich erweisen, indem sie Hauptvorbild für die Regelung der Erbengemeinschaft im BGB war. 1. Die Schuldenregelung a) Gemeinschaftliche Haftung der Benefizialerben bis zur Teilung Die Unterschiede der preußischen Regelung zur gemeinrechtlichen Tradition manifestierten sich am deutlichsten in der Behandlung der Nachlassverbindlichkeiten: Miterben, denen die Benefizialeigenschaft zukam,97 schuldeten nicht jeder einen ihrer Erbquote entsprechenden Teilbetrag, sondern wurden „gemeinschaftlich“ verpflichtet.98 Dies bedeutete nicht etwa eine gesamtschuldnerische Haftung der einzelnen Miterben,99 stattdessen waren sie in der Gesamtheit verpflichtet und dementsprechend als notwendige Streitgenossen zu verklagen.100 Erst nachdem der Gläubiger einen solchen Gesamttitel erlangt hatte, konnte er in den ungeteilten Nachlass vollstrecken. Neben dem Fehlen einer Gesamtschuld ergab sich dieses Erfordernis auch schon daraus, dass den einzelnen Miterben bis zur Teilung kein verfügbarer Anteil an den einzelnen Nachlassgegenständen zukam.101 Wich die Lösung des ALR damit also deutlich von der gemeinrechtlichen Tradition ab, fügte sie sich zugleich harmonisch in die deutschrechtliche Tradition ein. Denn nicht nur fand das Ausbleiben einer automatischen Schuldenteilung Vorbilder in deutschen Partikularrechten,102 auch ließ sich der Zugriff der Nachlassgläubiger auf den ungeteilten Nachlass als Ausfluss der Vorstellung begreifen, dass die Schulden des Verstorbenen die Erben niemals persönlich treffen, sondern immer nur den Nachlass belasten, der gewissermaßen den Verstorbenen vorstellt.103 Im preußischen ALR lebte diese Konzeption aufgrund der Möglichkeit einer persönlichen unbeschränkten Haftung des bzw. der Erben zwar nicht unverändert fort, doch stand es jedenfalls Benefizialerben zu, die Gläubiger auf die Nachlassgegenstände zu verweisen.104
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Dernburg, Preußisches Privatrecht III, § 240 (708). Dernburg, Preußisches Privatrecht III, § 240 (708); Muscheler, in: FS Kroeschell, 758. 97 Dies war der Regelfall, siehe oben § 6 D.I. (435 ff.), III. (441 ff.). 98 ALR I, 17 § 127. 99 Ungenau daher Hoffmann, Jura 1995, 126. 100 Dernburg, Preußisches Privatrecht III, §§ 238 (702), 240 (708 f.); Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 106; Muscheler, in: FS Kroeschell, 758 f. Die Frage der zutreffenden dogmatischen Erfassung der Haftung wird hier nicht näher thematisiert, sondern nur darauf hingewiesen, dass es die Kategorie der „gemeinschaftliche Schulden“ nach überzeugender Auffassung nicht gibt, siehe Meier, Gesamtschulden, 218 m. w. N. 101 Dernburg, Preußisches Privatrecht III, § 240 (709). Dazu auch unten B.II.2. (656). 102 Näher Stobbe, Eintreten des Erben, 317. 103 v. Schmitt, Begründung, 894 f. m. w. N. Näher zur genannten Konzeption der mittelalterlichen Erbrechte oben § 4 A.II.2. (247 ff.). 104 Dernburg, Preußisches Privatrecht III, § 238 (702 f.). 96
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Die gläubigerschützende Wirkung einer fehlenden Schuldenteilung war bei Abfassung des ALR von Carl Gottlieb Svarez besonders hervorgehoben worden: „Es sei nämlich gegen die ersten Grundsätze des Rechts und selbst gegen die natürliche Billigkeit, daß der Kreditor des Erblassers, welcher nur mit einem Manne kontrahiert und von diesem das Ganze zu fordern hat oder zu erwerben hat, durch den Zufall, daß sein Schuldner mit Hinterlassung mehrerer Erben stirbt, und daß diese zu einer übereilten Theilung des Nachlasses schreiten, unter mehrere debitores distrahirt und genötight weden soll, statt einem Schuldner zehn nachzulaufen und seine Forderung von ihnen stückweise, mit vervielfachten Weitläufigkeiten und Kosten einzuziehen.“105
Nicht übersehen werden darf freilich, dass, obgleich in der zitierten Passage von der Situation nach Teilung die Rede ist, sie eben doch suggeriert, dass es dem Nachlassgläubiger auch schon vorher nicht zumutbar sei, sämtlichen Miterben „nachzulaufen“. Genau dies verlangte das preußische Recht jedoch, indem es die Miterben nicht als Gesamtschuldner, sondern als gemeinschaftliche Schuldner behandelte, gegen die ein Gesamttitel erwirkt werden musste. Die Nachlassgläubiger hatten damit im Ergebnis also doch eine empfindliche Verschlechterung ihrer Rechtslage im Vergleich zu den Lebzeiten des Erblassers hinzunehmen, was durch die praktischen Erfahrungen auch bestätigt werden sollte. Nicht nur mussten sich die Nachlassgläubiger der Mühe unterziehen, alle Miterben zu ermitteln, was sich vor allem im Fall der Intestaterbfolge schwierig gestalten konnte; auch drohte ihr Anspruch vereitelt zu werden, sobald auch nur einer der Miterben nicht ausfindig gemacht werden konnte.106 Die preußische Lösung illustriert damit ein Problem, das sich genauso noch unter dem BGB stellt, dessen sich deutsche Juristen aber bis heute nicht recht bewusst geworden sind: Ein System, das zur Vollstreckung in den Nachlass ein Vorgehen gegen sämtliche Abwickler verlangt, verträgt sich schlecht mit einem System, das bei Fehlen einer letztwilligen Verfügung die Abwickler nach einer abstrakten Gesetzesformel bestimmt und damit ihre Zahl nicht kontrollieren kann. Denn Gläubiger haben damit häufig nicht nur ein Identifikationsproblem, sondern sind auch dem Anschwellen des Abwicklerkreises hilflos ausgeliefert. Besonders eklatant ist dies in dem Fall, dass zwischen Eröffnung und Abwicklung des Erbfalls Miterben sterben und ihrerseits durch eine Mehrzahl von Erben ersetzt werden. Dass der preußische Gesetzgeber sich nicht dazu entschließen mochte, bei Fehlen eines Testaments nach Art des englischen Rechts eine gerichtliche Abwicklerernennung vorzusehen, ist nicht überraschend, ging es ihm doch generell um die Zurückdrängung der amtlichen Nachlassliquidation.107 Doch hätte er, wenn er den Gläubigern das Vorgehen gegen den ungeteilten Nachlass ermöglichen wollte, diesen konsequenterweise mit Subjektqualität ausstatten müssen, so wie es das öster105
Zitiert nach v. Schmitt, Begründung, 892 (Fn. 2). schlechten Erfahrungen mit der preußischen Regelung berichten etwa Denkschrift BGB, 862, und Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 189. 107 Siehe das ausführliche Zitat von Svarez in: Schubert/Regge (Hg.), Gesetzrevision II/7, 141 f. (ebenfalls abgedruckt bei Muscheler, Erbrecht I, Rn. 1215). Ebenso schon oben § 6 D.I. (435 ff.). 106 Von
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reichische Recht für die Phase zwischen Erbfall und Einantwortung tat und tut.108 Einer Klage gegen die Miterben hatte es dann gar nicht mehr bedurft. Freilich wäre dies dem Eingeständnis gleichgekommen, dass die „perhorreszirte hereditas iacens“ im Ergebnis doch nicht abgeschafft war.109 b) Die Rechtslage nach Teilung Lag der Konzeption des ALR an sich der Gedanke zugrunde, dass vor Teilung des Nachlasses zunächst sämtliche Schulden bereinigt werden und die Miterben somit nur noch den Überschuss unter sich aufteilen, trat hierbei das auch schon im Kontext des englischen Rechts diskutierte Problem auf, dass das Vorhandensein weiterer Schulden niemals mit völliger Sicherheit ausgeschlossen werden kann.110 Zur Herstellung eines gerechten Ausgleichs zwischen dem Interesse der Gläubiger an einer Befriedigung aus dem ungeteilten Nachlass und dem Interesse der Erben, schnell in den individuellen Genuss der Vorteile zu gelangen, griff der preußische Gesetzgeber zu einem originellen Kompromiss: Die Miterben mussten ihre Teilungsabsicht öffentlich anzeigen.111 Blieb daraufhin ein Widerspruch von Gläubigerseite aus, so konnten die Miterben den Nachlass unter sich aufteilen und waren fortan nur noch in Höhe ihrer jeweiligen Erbquote verpflichtet. Aus rechtsvergleichendem Blickwinkel ließ sich dieser Vorgang als Rückkehr zum gemeinen Recht deuten,112 aus dogmatischer Sicht als Fall, in dem dem Schweigen der Gläubiger die Bedeutung einer – nach allgemeinen Grundsätzen erforderlichen – Zustimmung zur Schuldenteilung beigelegt wurde.113 Unterließen die Miterben hingegen die Anzeige der Teilung, traf sie die Sanktion der gesamtschuldnerischen Einstandspflicht,114 wobei ihre Benefizialeigenschaft allerdings unberührt blieb, so dass jeder Miterbe nur mit den erhaltenen Nachlassgegenständen haftete.115 In der Praxis favorisierte der durch die Obliegenheit der Teilungsanzeige geschaffene Kompromiss die Interessen der Erben auf Kosten der Nachlassgläubiger. Denn da diese meist kaum eine realistische Gelegenheit hatten, von der Teilungsanzeige Kenntnis zu erlangen, war den Erben ein vergleichsweise einfacher Weg eröffnet, 108
Siehe oben § 1 Fn. 606. Siehe die spätere Kritik bei v. Schmitt, Begründung, 894. 110 Siehe oben § 4 B.II.2g) (297 ff.). 111 Zu den Einzelheiten der Bekanntmachung, die gerichtlich oder privat erfolgen konnte, Dernburg, Preußisches Privatrecht III, § 240 (709); Muscheler, in: FS Kroeschell, 758. 112 So Motive V, 529 = Mugdan V, 282. 113 v. Schmitt, Begründung, 893. 114 Nach Dernburg, Preußisches Privatrecht III, § 237 (703 Fn. 2), erblickte die Praxis nur in dieser Regelung, nicht hingegen in der Nachlasshaftung bis zur Teilung, eine Neuerung des ALR gegenüber dem früheren Rechtszustand. 115 Dernburg, Preußisches Privatrecht III, § 240 (709 f.); Muscheler, in: FS Kroeschell, 759. Für den Umgang mit den erhaltenen Gegenständen galten die allgemeinen Regelungen der gesonderten Nachlassabwicklung (dazu oben § 6 D.I. (435 ff.)), d. h. der Miterbe haftete persönlich für einen unsachgemäßen Umgang, worunter auch eine Verstoß gegen die vorgegebene Befriedigungsreihenfolge fallen konnte (siehe ALR I 17, § 135 i. V. m. I 9, §§ 452 ff.). 109
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doch zu einer Quotalschuld zu kommen.116 Gottfried von Schmitt sollte im Zuge der Arbeiten zur Schaffung des BGB denn auch kritisieren, dass das preußische Recht „namentlich unbekannten Gläubigern, bei denen die öffentliche Bekanntmachung erfahrungsgemäß nur den Werth einer fiktiven Formalerledigung hat“, mit der einen Hand wegnahm, was ihnen mit der anderen gegeben worden war.117 c) Die Rechtslage bei unbeschränkter Haftung Günstiger war die Situation der Nachlassgläubiger im Fall, dass den Miterben aufgrund vorbehaltloser Annahme der Erbschaft oder einer Inventarverfehlung nicht die Benefizialeigenschaft zukam.118 Denn neben der Möglichkeit, mittels gemeinschaftlicher Klage gegen alle Miterben Befriedigung aus dem ungeteilten Nachlass zu suchen, konnten die Gläubiger den einzelnen Miterben auch schon vor Teilung des Nachlasses persönlich und unbeschränkt in Anspruch nehmen, allerdings nur in Höhe der betreffenden Erbquote. Erst wenn die Miterben den Nachlass ohne entsprechende Anzeige teilten, wurde die Teilschuld zu einer Gesamtschuld mit unbeschränkter Haftung. Bei ordnungsgemäßer Anzeige der Teilung blieb es hingegen bei der unbeschränkten Haftung in Höhe der entsprechenden Teilschuld.119 2. Die Behandlung der Nachlassaktiva Umstritten war mangels ausdrücklicher Regelung, ob den Miterben schon vor Teilung realisierbare Quotenrechte an den einzelnen Nachlassgegenständen zukamen. Das preußische Obertribunal verneinte dies konsequenterweise: Bildete der ungeteilte Nachlass auf der Passivseite eine Einheit, musste Gleiches für die Aktivseite gelten. Hierdurch waren die Miterben gegen die – noch im Kontext des französischen Recht zu erörterende120 – Gefahr geschützt, dass ein Miterbe über einen größeren Nachlassteil verfügte, als ihm im Innenverhältnis zustand.121 Vermutlich unter dem Eindruck der gemeinrechtlichen Lehre wurde die Rechtsprechung von Teilen des Schrifttums dennoch heftig kritisiert.122 Über ihren Erbteil im Ganzen konnten Miterben hingegen verfügen, wobei in den Einzelheiten auch hier vieles umstritten war.123 Pfändbar war der Erbteil aber
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Rechtspolitische Kritik bei Muscheler, in FS Kroeschell, 759. v. Schmitt, Begründung, 893. 118 Die Inventarerrichtung eines Miterben kam allerdings den anderen zu Gute, siehe Dernburg, Preußisches Privatrecht III, § 221 (647); Muscheler, in: FS Kroeschell, 760. 119 Dernburg, Preußisches Privatrecht III, § 240 (710); Muscheler, in: FS Kroeschell, 759. 120 Siehe unten B.IV.1a) (669 ff.). 121 Dernburg, Preußisches Privatrecht III, § 238 (704). 122 Dernburg, Preußisches Privatrecht III, § 238 (703–705), der auch darauf hinweist, dass die Frage so lange in ihrer praktischen Bedeutung beschränkt war, wie Benefizialerben in der Verfügung über Grundstücke ohnehin noch nicht frei waren, also bis 1840 (dazu oben § 6 D.II. (439 ff.)). 123 Dernburg, Preußisches Privatrecht III, § 239 (707 f.). 117
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nicht, sondern nur das Recht, die Auseinandersetzung zu verlangen.124 Die Verwaltung des Nachlasses, die sich nach den allgemeinen Vorschriften über das Miteigentum bestimmte,125 gestaltete sich wegen des grundsätzlichen Erfordernisses der Einstimmigkeit126 in der Praxis oft schwerfällig.127 Um jedenfalls gewisse Abhilfe zu schaffen, bemühte sich die Rechtsprechung um einen Ausbau der Individualbefugnisse. So ließ sie es unter bestimmten Voraussetzungen zu, dass ein einzelner Miterbe etwa auf Rechnungslegung an die Gesamtheit oder auf Zahlung von Schulden an die Nachlassmasse klagte.128
III. Die Gesamthandslösung des BGB In kaum einer anderen Frage des Erbrechts sollte sich der Entwurf Gottfried von Schmitts so grundlegend von der BGB-Regelung unterscheiden wie bei der Struktur der Nachlassabwicklung im Fall einer Mehrheit von Erben. Denn während von Schmitt in Fortsetzung der gemeinrechtlichen Tradition die Erbengemeinschaft als Bruchteilsgemeinschaft ausgestaltete, folgte die Zweite Kommission dem preußischen Modell einer ungeteilten Fortführung des Nachlasses und stellte damit die entscheidenden Weichen für die Lösung, die sich bis heute unverändert im BGB findet. Vor- und Nachteile der verschiedenen Modelle kommen in den Gesetzgebungsmaterialien sehr klar zur Sprache. 1. Die Entscheidung für die Bruchteilsgemeinschaft im Entwurf von Schmitts Hält man sich vor Augen, welch hohen Stellenwert Gottfried von Schmitt dem Schutz der Nachlassgläubiger grundsätzlich einräumte,129 erscheint seine Präferenz für die Bruchteilsgemeinschaft zunächst überraschend, und zwar selbst vor dem Hintergrund, dass diese Lösung sich in der Mehrheit der Partikularrechte fand (neben dem ius commune u. a. im französischen und im sächsischen Recht130) und auch Friedrich Mommsen ihr gefolgt war.131 Doch löst sich dieser Widerspruch schnell auf, wenn man berücksichtigt, dass sich mittels der Bruchteilslösung ver124
758 f.
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Dernburg, Preußisches Privatrecht III, § 239 (707 Fn. 11); Muscheler, in: FS Kroeschell,
ALR I, 17 § 115. Dernburg, Preußisches Privatrecht III, § 239 (705). 127 Von „Uebelständen“, die sich „in der Praxis empfindlich fühlbar gemacht“ haben, berichten jedenfalls Motive V, 529 = Mugdan V, 282. 128 Dernburg, Preußisches Privatrecht III, § 239 (706). 129 Dazu ausführlich unten § 6 E.III.1. (459 ff.). 130 Siehe dazu den Überblick bei v. Schmitt, Begründung, 887 f. 131 Siehe F. Mommsen, Entwurf, 3 (§ 3), 58 (§ 244); Andres, Erbrechtsentwurf Mommsen, 430– 432. Zu beachten ist allerdings auch, dass Mommsen im Interesse der Erblassergläubiger eine bedeutende Einschränkung des das Bruchteilsprinzips vorsah (Andres, Erbrechtsentwurf Mommsen, 431 f., 437 f.). So ging er nicht nur davon aus, dass die Erben bis zur Teilung gemeinschaftlich verklagt werden konnten, auch gewährte er den noch nicht befriedigten Gläubigern das Recht, der Teilung zu widersprechen. Dies bedeutete im Ergebnis eine erhebliche Annäherung an die Gesamthandsgemeinschaft. 126
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§ 8 Die Konzentration der Nachlassabwicklung
schiedene andere Zwecke erreichen ließen, die dem Erbrechtsredaktor nicht minder am Herzen lagen. Insbesondere ermöglichte sie auf direktem Wege das „Ziel aller Erbfolge“ zu erreichen, nämlich „die Vermischung des Erbschafts- und Erben-Vermögens unaufhaltsam, auch bei Miterben, herbeizuführen“.132 Nicht nur hob von Schmitt mehrfach die „so wohlthätigen Folgen“ für den Rechtsverkehr hervor, die mit einer solchen sofortigen Reintegration des Nachlasses in das Vermögen lebender Personen einhergingen und die bei einer Fortführung des Nachlasses als Sondervermögen zwangsläufig entfielen.133 Auch sprach für diese Lösung, wie in dem Zitat bereits anklingt, der Gesichtspunkt der Kohärenz. Denn abgesehen davon, dass auch von Kübels Entwurf für das Obligationenrecht die Teil- und nicht die Gesamtschuld zum Grundsatz erhob,134 war von Schmitts Regelung des Alleinerben ebenfalls dadurch gekennzeichnet, dass der Nachlass allenfalls in rechnerischer Hinsicht als Sondervermögen fortbestand (nämlich im Fall der Inventarerrichtung).135 Eine Konzeption, nach der die Schulden des Verstorbenen lediglich das Erbgut belasten würden, nicht aber das Eigenvermögen der Erben, erachtete von Schmitt sogar als im Widerspruch zu einem von der Ersten Kommission gefassten Grundsatzbeschluss stehend.136 Attraktiv musste von Schmitt schließlich auch die regelungstechnische Einfachheit der Bruchteilslösung erscheinen,137 die sein Entwurf auch sehr klar illustrierte, indem er sich nur mit der Auseinandersetzung näher zu befassen brauchte, nicht aber mit Fragen der Haftung oder Verwaltung.138 Die mit der Bruchteilslösung verbundenen Nachteile waren von Schmitt natürlich bekannt und wurden von ihm schonungslos offengelegt.139 Erstens würden an die Stelle des einen Verpflichteten nun mehrere Personen treten, mit allen daraus resultierenden Folgen (Mehrheit von Prozessen, Verschiedenheit der Urteile, etc.);140 zweitens würde die Möglichkeit bestehen, dass ein Erblassergläubiger sogar bei zulänglichem Nachlass auf einem Verlust sitzen bleibt.141 Dass von Schmitt der Preis für eine Vermeidung der genannten Nachteile dennoch als zu hoch erschien, dürfte vor allem dadurch zu erklären sein, dass ihm als mögliches Alternativmodell in erster Linie die Regelung des preußischen ALR vor Augen stand, deren Schwächen offenkundig waren und deren erwiesene praktische Streitanfälligkeit wenig 132
v. Schmitt, Begründung, 892. v. Schmitt, Begründung, 893, und auch 892, 894. 134 v. Schmitt, Begründung, 897 (die Gesamtschuld wird hier auch als „Korrealität“ bezeichnet, entsprechend dem damaligen Sprachgebrauch). Das Prinzip der Teilschuld entsprach der gemeinrechtlichen Tradition, siehe Meier, Gesamtschulden, 25, 122, 710. 135 v. Schmitt, Begründung, 894, 896. Dazu oben § 6 E.III.1e) (466 ff.). 136 v. Schmitt, Begründung, 894 f., unter Verweis auf das Protokoll v. 18.10.1876. 137 Dazu knapp v. Schmitt, Begründung, 896. 138 Siehe §§ 321, 394–410 Teil-E BGB. Für den analogen Befund zum Entwurf Mommsens Andres, Erbrechtsentwurf Mommsen, 430. 139 Entgegen Andres, Erbrechtsentwurf Mommsen, 432, folgte v. Schmitt daher der gemeinrechtlichen Lösung keineswegs „mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie Mommsen“. 140 Abgemildert sah v. Schmitt dieses Problem immerhin durch die Möglichkeit der Klagehäufig an einem einheitlichen Nachlassgerichtsstand: Begründung, 900. 141 v. Schmitt, Begründung, 892. 133
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Vertrauen einflößte.142 So nahm von Schmitt insbesondere Anstoß daran, dass das preußische Recht die Miterben „zur Auflösung der Erbschaft in ihren Reinwerth“ zwang, indem die Gläubiger der Teilung wie im Fall einer Schuldübernahme zustimmen mussten143 (wobei inkonsequenterweise dann aber die Zustimmung schon durch das bloße Schweigen auf die öffentlich bekannt gemachte Teilungsanzeige ersetzt werden konnte144). Abgesehen davon, dass ein solcher strikter Vorrang der Schuldentilgung oftmals nicht den Interessen der Beteiligten und des Rechtsverkehrs entsprach, hielt von Schmitt seine Realisierung auch gar nicht für möglich, weil es kein Mittel gebe, alle Nachlassgläubiger mit absoluter Sicherheit festzustellen.145 Die Möglichkeit eines Gläubigeraufgebots erachtete er nicht als ausreichend, weil dieses immer nur zu einer Haftungsbeschränkung führen dürfe, nicht aber zu einem Erlöschen der Forderung. Wenn etwa das Recht Zürichs die zweite Lösung vorsehe, liege darin ein „ungeheuerliche[s] Präjudiz“. Ferner gab von Schmitt zu bedenken, dass eine öffentliche Ladung kostspielig sei, eine private dagegen keine Sicherheit biete.146 Endlich befürchtete von Schmitt aber auch, dass eine ungeteilte Fortführung des Nachlasses „nicht ohne ein amtliches, schwerfälliges Regulirungsverfahren möglich sein“ werde, dessen Vermeidung aber gerade zu den grundlegenden Zielen der Ersten Kommission gehörte.147 Zur Stützung des ausgemachten Zusammenhangs konnte von Schmitt auf die in Preußen, Österreich und Württemberg gemachten Erfahrungen verweisen.148 Die Ausführungen von Schmitts führen zu der Frage, ob er es sich nicht insofern zu einfach machte, als er kaum nach Möglichkeiten zur Verbesserung des preußischen Rechts suchte;149 diesen Vorwurf sollte jedenfalls Otto von Gierke später der Ersten Kommission machen.150 Doch ist eher anzunehmen, dass von Schmitt es schlicht nicht für möglich hielt, eine Gesamthandslösung so umzusetzen, dass seine Präferenz für die Bruchteilslösung dadurch infrage gestellt worden wäre. Immerhin gestand er ein, dass die Parteinahme für eine der beiden Lösungen letztlich immer auch in persönlichen Ansichten gründete. So sei es Sache der Empfindung, ob man in dem Satz „die Erben dürfen erst aus der Erbschaft gewinnen, wenn die darauf haftenden Lasten und Schulden abgeführt sind“ oder in dem Satz „der Miterbe trägt die Lasten in dem Verhältnisse, wie er von der Erbschaft Vortheil zieht“ 142 v. Schmitt, Begründung, 895 verweist auf die „geradzu exorbitant[e]“ Zahl der Kontroversen, mit denen sich das Obertribunal befassen musste, und schreibt eine Seite später: „Daß die Zweckdienlichkeit des Grundsatzes des preuß. Rechts von der Praxis bejaht werde, kann Niemand ernstlich behaupten.“ 143 v. Schmitt, Begründung, 892. 144 Zu dieser Kritik v. Schmitts am preußichen ALR siehe bereits oben Fn. 117. 145 v. Schmitt, Begründung, 893. 146 v. Schmitt, Begründung, 893 (Fn. 1). 147 v. Schmitt, Begründung, 893, unter Verweis auf das Protokoll v. 21.10.1876. 148 v. Schmitt, Begründung, 893 (Fn. 2), verweist ferner auf das Recht Österreichs und Württembergs. 149 Siehe immerhin den Hinweis auf den Regelungsvorschlag Ungers, die Bruchteilsgemeinschaft mit einer Solidarhaftung der übrigen Miterben zu verbinden: v. Schmitt, Begründung, 901. 150 Siehe unten Fn. 163.
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das Naturgmäßere findet.151 Ferner bescheinigte von Schmitt dem Satz, dass Miterben aus dem Nachlass nichts gewinnen dürfen, solange es noch unbezahlte Nachlaßschulden gibt, „etwas Bestechendes“ zu haben. Doch da „mit Gefühlen […] schwer zu streiten“ sei, liege in dem Satz zugleich auch eine Gefahr.152 2. Die Fortsetzung der Schmittschen Konzeption im Ersten Entwurf Die Erste Kommission folgte dem Teilentwurf von Schmitts, doch zeugt die in den „Motiven“ zu findende Begründung von demselben Dilemma, sich zwischen zwei Lösungen entscheiden zu müssen, die jeweils mit erheblichen Nachteilen behaftet sind. So räumte die Kommission unumwunden ein, dass die Lösung, den Nachlass im Fall mehrerer Erben im Verhältnis ihrer Erbteile übergehen zu lassen,153 weder ein Gebot der Rechtslogik noch der allgemeinen Rechtsprinzipien sei und insbesondere die automatische Teilung der Schulden eine Anomalie darstelle, weil unter Lebenden eine solche Teilung nur durch Mitwirkung der Gläubiger herbeigeführt werden könne.154 Die am nächsten liegende Lösung bestünde an sich darin, den Gläubigern den Nachlass als „ungetheiltes Angriffsobjekt“ zu erhalten und dem einzelnen Miterben erst mit Abschluss der Schuldentilgung eine alleinige Verfügungsmacht über seinen Anteil zu gewähren.155 Doch sah die Kommission diese dem preußischen und dem österreichischen Recht entsprechende Lösung, die sie mit der Liquidation einer Handelsgesellschaft verglich, mit zu vielen praktischen Problemen behaftet. Insbesondere würde sie dazu nötigen, „eine Nachlaßverwaltung zwischen dem Erbfall und der Verfügungsfreiheit der Erben einzuschalten, aus deren Hand der einzelne Miterbe dasjenige empfinge, was ihm nach Tilgung aller […] Nachlaßverbindlichkeiten gebührt.“156 Diese Verwaltung müsste wie in Österreich dem Nachlassgericht übertragen werden, mit der Folge eines umständlichen und kostspieligen Verfahrens, das in der weit überwiegenden Zahl der Erbfälle als „drückende Belästigung“ empfunden werden würde.157 Im Gegensatz dazu führe die gemeinrechtliche Lösung zu einer einfachen und klaren Rechtslage, obschon es ihr nicht an anderen „schwerwiegenden Nachtheilen“ mangele.158 So würde ein Miterbe, der eine Erblasserschuld vollständig beglichen hat (was der Erfahrung nach in der Praxis häufig kaum zu umgehen sei) oder Auslagen für den Nachlass getätigt hat, vor dem Problem stehen, dass er für den Rückgriff keine Befriedigung aus dem Nachlass suchen könne. Noch härter könne den Miterben die Möglichkeit der sofortigen Verfügung über Anteile an Nachlassgegenständen treffen, wenn er Ausgleichung wegen Vorausempfängen fordern 151
v. Schmitt, Begründung, 898. v. Schmitt, Begründung, 901. 153 § 2051 S. 2 E I-BGB. 154 Motive V, 527 = Mugdan V, 281. 155 Motive V, 527 f. = Mugdan V, 281. 156 Motive V, 528 = Mugdan V, 282. 157 Motive V, 528 = Mugdan V, 282. 158 Dazu und zum Folgenden Motive V, 528 = Mugdan V, 282. 152
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kann. Dazu trete der Übelstand, dass Gläubiger des Erblassers ohne ihr Zutun statt eines Schuldners eine große Anzahl von Schuldnern erhalten und dadurch die Forderung im Wert erheblich verringert werden könne. Aber auch für Schuldner des Erblassers könne die Verbindlichkeit infolge ihrer Teilung zu einer viel drückenderen werden. Der Preis für die Vermeidung dieser Nachteile durch Lösungen schien der Ersten Kommission in der Gesamtbetrachtung dennoch zu hoch, und wie schon bei von Schmitt war diese Einschätzung stark von den Widersprüchen und Dunkelheiten des preußischen Rechts und der großen Gerichtsnähe des österreichischen Rechts geprägt.159 Indessen fragt sich insbesondere, wieso die Erste Kommission ohne nähere Begründung annahm, dass die Abwicklung des Nachlasses als Sondervermögen allein richterlich erfolgen könne und nicht auch durch die Miterben selbst.160 3. Die Entscheidung der Zweiten Kommission für die Gesamthandslösung Wie eingangs schon erwähnt, kehrte die Zweite Kommission den bisherigen Kurs vollständig um, indem sie sich von der Bruchteilslösung abwandte und stattdessen eine Gesamthandslösung etablierte.161 Sie folgte damit der starken Kritik am Ersten Entwurf,162 für die hier stellvertretend der Zorn zitiert sei, den Otto von Gierke über der vorgeschlagenen Regelung ausgegossen hatte: „Wenn man die Ausführungen der Motive liest […], so sollte man glauben, der Entwurf hätte dazu kommen müssen, die Erbengemeinschaft im Sinne einer deutschrechtlichen Gemeinschaft zur gesamten Hand auszugestalten! Freilich hätte er sich nicht einfach an das Preußische Landrecht und andere neuere Gesetzbücher anschließen dürfen, die den deutschen Gedanken zwar zugrunde gelegt, jedoch unvollkommen verwirklicht haben. Allein es wäre eine des deutschen Gesetzgebers würdige Aufgabe gewesen, diese Gemeinschaft, deren Gegenstand ein Vermögensganzes als solches ist, angemessen zu organisieren […]. Die Motive lassen deutlich die Empfindung durchblicken, daß nur eine solche Ordnung an sich gerecht und zweckmäßig wäre. Man ist jedoch vor den Schwierigkeiten zurückgeschreckt und bürdet nun dem Leben die Lösung der Schwierigkeiten auf, welche der Mangel jeder gesetzlichen Organisation der Erbengemeinschaft hervorruft. Die letzte Entscheidung hat freilich wohl wieder der Geist des Romanismus diktiert! Kann der Entwurf doch nun mit beiden Füßen in das römische Recht hineinspringen. Und gewinnt er doch, indem er das Band zwischen den Miterben zerreißt und die Erbschaft pulverisiert, eine ‚einfache‘ und ‚klare‘ Regel, welche vortrefflich mit seinem individualistischen und atomistischen Gedankenschema harmoniert. Was bedeutet es da, wenn ein im Grunde unerträglicher Rechtszustand verallgemeinert und verewigt wird, der uns von der Fremde her aufgedrungen, in einem großen Theile Deutschlands bereits glücklich wieder beseitigt und niemals in unser Rechtsbewußtsein eingegangen ist. Unerträglich ist ja aber doch dieser sofortige Zerfall der Erbschaft in vollkommen getrennte Herrschafts- und Pflichtensphären! […] Unser künftiges gemeines
159
Motive V, 529 = Mugdan V, 282 f. Dazu auch unten B.III.4c) (666 ff.). 161 Siehe § 1906 E-II BGB. 162 Dazu Andres, Erbrechtsentwurf Mommsen, 432. Ein Beispiel ist Bernhöft, Zur Reform des Erbrechts, 92, 111–116. 160
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deutsches Recht aber soll uns nicht mit Ordnungen beschenken, mit denen sich allenfalls leben läßt, wenn man sich über sie hinwegsetzt!“163
Und dennoch fiel es auch der Zweiten Kommission schwer, die von ihr propagierte Lösung als klar überlegen zu bezeichnen. Vor- und Nachteile hielten sich ihrer Ansicht nach ungefähr die Waage.164 Das „wesentliche Argument“ für die Gesamthandslösung sah die Zweite Kommission im Interesse der Nachlassgläubiger an der Beibehaltung ihrer Stellung zu Lebzeiten des Schuldners.165 Zudem wies sie auf zwei Umstände hin, die in den Gebietsteilen des gemeinen Rechts möglicherweise dazu beigetragen hatten, „die Uebelstände des römischen Rechts abzuschwächen“ und somit auch das Bedürfnis für eine Gesamthandslösung: zum einen, dass in den betreffenden Rechtsgebieten oftmals eine amtliche Nachlassbehandlung stattfand, zum anderen, dass sich an die Erhebung der erbrechtlichen Teilungsklage (actio familiae erciscundae)166 ein gesetzliches Veräußerungsverbot knüpfte.167 Da diese die Bruchteilslösung in erheblichem Maße neutralisierenden Elemente im Entwurf für das BGB nicht enthalten waren, wäre also damit zu rechnen gewesen, dass die Nachteile der gemeinrechtlichen Lösung viel stärkere praktische Auswirkungen zeitigen. Gleichzeitig kam es für die Zweite Kommission nicht in Betracht, sich mit der bloßen Übernahme der preußischen Regelung zu begnügen, und so setzte sie sich, der Forderung Gierkes entsprechend, deren Verbesserung zum Ziel.168 Das Herzstück dieser Bemühungen bildete die Anordnung der gesamtschuldnerischen Haftung der Miterben auch schon vor Teilung des Nachlasses. Gesamtschuldnerische Haftung war damit anders als im preußischen Recht nicht mehr nur Sanktion für eine verfrühte Teilung, sondern die allgemeine Regel. Die Bedeutung, die dieser Neuerung beigemessen wurde, lässt sich daran erkennen, dass die Regelung sogar an die Spitze des betreffenden Abschnitts gestellt wurde169 und diesen Platz in der weiteren Folge auch behaupten sollte (siehe § 2058 BGB). Beachtung verdient, dass die Anordnung der gesamtschuldnerischen Haftung vor Teilung in der Zweiten Kommission keineswegs unumstritten war. Gegen sie wurde geltend gemacht, dass der Gläubiger mit der Möglichkeit habe rechnen müssen, dass sein Schuldner vor Begleichung der Schuld stirbt und er nun gegen mehrere Erben gemeinschaftlich vorgehen muss. Zudem sei eine Solidarhaftung vor Teilung unbillig, da der einzelne Miterbe noch gar nicht über Nachlassgegenstände verfügen könne. Erst nach der Teilung habe daher die gesamtschuldnerische Haftung als Sanktion ihre Berechtigung.170 Für die Mehrheit der Kommission war 163 v. Gierke, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs und das deutsche Recht, 551 f. m. w. N. (Hervorhebung im Original). 164 Protokolle V, 835. 165 Protokolle V, 836, 871. 166 Dazu oben § 2 Fn. 60. 167 Protokolle V, 835; später auch Bartholomeyczik, in: 4. Denkschrift, 132. 168 Protokolle V, 836. 169 Protokolle V, 868, 871. 170 Protokolle V, 870 f.
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dagegen der Gedanke ausschlaggebend, dass ein Erblassergläubiger durch den Tod des Schuldners nicht schlechter gestellt werden dürfe und deshalb in der Lage sein müsse, zum Zwecke der Befriedigung eine Person in Anspruch zu nehmen. Zudem wurde ein praktischer Vorteil der gesamtschuldnerischen Haftung schon vor der Teilung darin gesehen, dass deren oftmals schwer feststellbarer Zeitpunkt zumindest insoweit nicht von Bedeutung sein würde.171 4. Der unvollendete Charakter der BGB-Lösung a) Überblick Entgegen dem, was die schwankenden Ansichten während des Gesetzgebungsverfahrens vielleicht hätten erwarten lassen, ist die Entscheidung des BGB-Gesetzgebers gegen die Bruchteilsgemeinschaft später nicht mehr infrage gestellt und sogar als rechtsethische Notwendigkeit betrachtet worden.172 Dementsprechend waren auch die im Erbrechtsausschuss der „Akademie für Deutsches Recht“ vorgelegten Reformvorschläge auf Detailfragen beschränkt, anders als bei der Haftung des Alleinerben.173 Wenn die gläubigerschützende Funktion der §§ 2032 ff. BGB vereinzelt mit dem Argument verneint wird, dass die Miterben jederzeit die Teilung vornehmen und damit das einheitliche Haftungsobjekt beseitigen können,174 so wird die gesetzgeberische Gesamtkonzeption nicht hinreichend gewürdigt. Denn die unbeschränkte gesamtschuldnerische Haftung, zu der es infolge der Teilung kommt, soll den Nachlassgläubigern gerade adäquaten Ersatz gewähren und die Miterben zur vorrangigen Schuldentilgung anhalten. Überdies gilt es, sich als Alternative die mit einer Bruchteilslösung verbundene Schuldenteilung vor Augen zu halten, die der BGB-Gesetzgeber den Nachlassgläubigern eben bewusst nicht zugemutet hat.175 Richtig ist natürlich, dass die Ausgestaltung der Erbengemeinschaft als Gesamthandsgemeinschaft nicht ausschließlich Gläubigerinteressen dient, sondern auch dem Interessenausgleich der Miterben untereinander.176 So können diese etwa, wie auch in den Diskussionen um den Entwurf des BGB bereits anklang, etwaige Ausgleichs- und Rückgriffsansprüche leichter durchsetzen und sich der Zerschlagung wirtschaftlicher Einheiten entgegenstellen. Freilich ist der letztgenannte Aspekt offenkundig zweischneidiger Natur, weil das Interesse eines anderen Miterben gerade darauf gerichtet sein kann, seinen Anteil am Nachlass möglichst schnell und ungehindert zu versilbern. Anders gesagt, müssen Miterben für die Vorteile der Gesamthandslösung einen erheblichen Preis bezahlen, so dass man in der Gesamt171
Protokolle V, 871. Siehe etwa Bartholomeyczik, in: 4. Denkschrift, 131–135; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1281 (Schuldenteilung könne den Gläubigern „nicht angesonnen werden“); Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3802. Vgl. auch die Kritik Rheinsteins an der Schuldenteilung des früheren französischen Rechts (unten Fn. 233). 173 Dazu oben § 6 E.VI.2. (538 ff.). 174 Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 342 f., 344 f. 175 Betont wird die gläubigerschützende Funktion auch von Eberl-Borges, Die Erbauseinandersetzung, 44–46. 176 Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 338, 343. 172
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bewertung nicht sagen kann, dass diese ihren Interessen grundsätzlich besser entspricht als die Bruchteilslösung.177
Dass die gesetzgeberische Grundentscheidung Zustimmung verdient und durch den rechtsvergleichenden Trend gestützt wird, bedeutet freilich nicht, dass die BGB-Lösung über jegliche rechtspolitische Kritik erhaben wäre. So ist für das hier interessierende Thema festzustellen, dass das BGB den Weg zur zentralisierten Nachlassabwicklung nicht konsequent zu Ende gegangen ist. Denn es hat zwar, wie im Folgenden zu zeigen ist, für eine Konzentration des Nachlasses als Haftungsmasse gesorgt, für eine Konzentration der Abwicklungszuständigkeit hingegen nur bedingt. b) Gesamthands- und Gesamtschuldklage Die auf den Entscheidungen der Zweiten Kommission basierende Regelung des BGB zeichnet sich durch eine Zweispurigkeit aus, für die sich im Schrifttum die (bisweilen kritisierte178) Unterscheidung zwischen der „Gesamthandsklage“ und der „Gesamtschuldklage“ eingebürgert hat.179 Hiermit sind nicht unterschiedliche Schuldformen bezeichnet, sondern die beiden den Nachlassgläubigern zur Verfügung stehenden prozessualen Vorgehensweisen.180 Mit der Gesamthandsklage ist das eher beiläufig181 in § 2059 Abs. 2 BGB normierte Recht der Nachlassgläubiger gemeint, Befriedigung aus dem ungeteilten Nachlass von sämtlichen Miterben zu verlangen.182 Diese Regelung knüpft unmittelbar an das preußische Vorbild an, und zwar gerade auch insoweit, als die Gläubiger nicht den Nachlass als solchen verklagen können,183 sondern sämtlicher Mit erben habhaft werden müssen.184 Denn als Folge der gesamthänderischen Struktur der Erbengemeinschaft benötigen sie nach § 747 ZPO zur Vollstreckung in den ungeteilten Nachlass einen Titel gegen alle Miterben.
177 Jedenfalls vom gesetzgeberischen Standpunkt aus nicht zuzustimmen ist deshalb der Ansicht von Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3806, wonach die Gesamthandsstruktur „primär den Interessen der Erben und nicht der Gläubiger dient“. 178 Staudinger/Marotzke (2020), § 2058 Rn. 66. 179 Siehe etwa Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1285–1287; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3813–3817; Röthel, Erbrecht, § 32 Rn. 109. 180 Eine Unterscheidung zwischen „Gesamtschulden“ und „Gesamthandsschulden“ wird erst ab dem Moment erforderlich, wo der Erbengemeinschaft die Fähigkeit, Trägerin von Rechten und Pflichten zu sein, zuerkannt wird, siehe Meier, Gesamtschulden, 143–145. Zu anderen in der Literatur vertretenen Auffassungen Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 417–419. 181 Kritisch zur Regelungstechnik auch Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 106. 182 Der Klageantrag ist dabei von vornherein auf Duldung der Zwangsvollstreckung in den Nachlass oder auf Leistung zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung in den Nachlass beschränkt, siehe Meier, Gesamtschulden, 142. 183 Staudinger/Marotzke (2010), § 2058 Rn. 67; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3815. 184 Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 188 f. Nach h. L . und Rechtsprechung liegt ein Fall der notwendigen Streitgenossenschaft i. S . d. § 62 Fall 2 ZPO vor, differenzierend Meier, Gesamtschulden, 142 f.
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Alternativ zu diesem „Gesamtangriff“ ermöglicht die in § 2058 BGB normierte Gesamtschuldklage185 den Nachlassgläubigern, im Wege des „Einzelangriffs“186 auch schon vor Teilung gegen einen einzelnen Miterben vorzugehen und von ihm Begleichung in voller Höhe zu verlangen. Doch ist zu beachten, dass ein auf diesem Wege erstrittener Titel nur in sehr begrenztem Maße vollstreckbar ist. Denn die Vollstreckung in das Eigenvermögen kann der verurteilte Miterbe, solange die Teilung nicht stattgefunden hat, über § 2059 Abs. 1 S. 1 BGB abwehren187, während die Vollstreckung in Nachlassgegenstände wiederum an § 747 ZPO scheitert, solange nicht gegen alle Miterben ein Titel vorliegt.188 Pfänden können Nachlassgläubiger daher nur, aber immerhin, den nach § 2033 Abs. 1 BGB der freien Verfügung unterliegenden und damit zum Eigenvermögen gehörenden Miterbenanteil (§ 859 Abs. 2 ZPO),189 also das „gegenständliche Substrat der Mitgliedschaftsstellung“.190 Dank dieser Konzession an die Bruchteilslösung191 können die Nachlassgläubiger die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft betreiben (§ 2042 Abs. 1 BGB) und so an die im Nachlass verkörperten Vermögenswerte gelangen192 (und überdies, als Folge der Teilung, auch an das reine Eigenvermögen der Miterben193). Dass der Gesetzgeber den Miterben die Einrede des § 2059 Abs. 1 S. 1 BGB gab, mag auf den ersten Blick fragwürdig erscheinen: nicht nur, weil damit aus Gläubigersicht die Gesamtschuldklage in erheblichem Maße entwertet wird,194 sondern auch, weil die Miterben damit viel einfacher in den Genuss einer Haftungsbeschränkung kommen als ein Alleinerbe.195 Doch hätte eben die unbeschränkte gesamtschuldnerische Haftung die Situation der Nachlassgläubiger über Gebühr verbessert und für die Miterben zugleich eine empfindliche Härte bedeutet.196 So wären sie, anders als ein Alleinerbe, wegen der fehlenden Möglichkeit zur Verfü185 Wenn die Vorschrift davon spricht, dass die Erben als Gesamtschuldner „haften“, so wird dabei genauso wie etwa in § 840 Abs. 1 BGB und § 1967 Abs. 1 BGB ein weiter Begriff der „Haftung“ zugrunde gelegt. Denn es ist unstreitig, dass die Erben nicht nur haften, sondern auch schulden, siehe etwa Ann, Miterbengemeinschaft, 142. 186 Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 193. 187 Dazu schon oben § 6 E.II.4. (455 ff.). 188 Immerhin können die Titel gegen sämtliche Miterben in unterschiedlichen Verfahren erwirkt werden, siehe Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 416 f.; Meier, Gesamtschulden, 142. 189 Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 334; siehe auch schon Protokolle V, 871. 190 Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 44. 191 Eingehend Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 40–46. 192 Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 45, 189 f., auch zum Ausgleich im Innenverhältnis; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1287; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3814. Den Unterschied zum preußischen Recht stellt Muscheler, in: FS Kroeschell, 758 f. heraus. 193 Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 421. 194 Ann, Erbengemeinschaft, 144. 195 Zu dieser fragwürdigen Differenzierung schon oben § 6 E.V.5. (530 ff.). 196 Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 196 f.; Staudinger/Marotzke (2010), § 2059 Rn. 2 f.; Muscheler, Testamentsvollstreckung, 109; Ann, Erbengemeinschaft, 143; Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 423 f., 336 („[…] sinnvolle, wenn nicht gar notwendige Ergänzung der gesamthänderischen Bindung des Nachlasses […]“).
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gung über Nachlassgegenstände197 sofort unter Druck gesetzt worden, die Befriedigung aus Eigenmitteln zu leisten, auch weil jedenfalls das Haftungsbeschränkungsmittel der Nachlassverwaltung wiederum nur gemeinschaftlich geltend gemacht werden kann.198 Zudem hätte der in Anspruch genommene Miterbe befürchten müssten, dass der Rückgriff gegen andere Miterben scheitert.199 Und dennoch ändert die Tatsache, dass die Einrede des § 2059 Abs. 1 S. 1 BGB sich als notwendiges Gegengewicht zur gesamtschuldnerischen Haftung begreifen lässt, nichts an der konzeptionellen Fragwürdigkeit der BGB-Regelung. c) Kritik Die Konzeption des BGB lässt sich unter verschiedenen Gesichtspunkten kritisieren. So führt das Nebeneinander von Nachlasshaftung und persönlicher Verantwortlichkeit,200 die Verknüpfung von Gesamthands- und Bruchteilselementen 201 sowie der mangelnde Gleichlauf von (individueller) Leistungspflicht und (kollektiver) Leistungsbefugnis202 nicht nur zu einer überaus komplexen Gemengelage,203 sondern auch zu problematischen Ergebnissen, wie etwa einer haftungsrechtlichen Asymmetrie von Nachlassgläubigern und Eigengläubigern.204 Ferner stellt sich die Frage, ob die Gesamthandsklage neben der Gesamtschuldklage überhaupt einen sinnvollen Zweck erfüllt, weil der mittels Gesamthandsklage erwirkte Titel nach der Teilung ins Leere geht205 und ein Nachlassgläubiger daher mit Erhebung der Gesamtschuldklage, die potentiell auch den Weg zur Vollstreckung in das Eigen197 Hierauf hatten schon die Kritiker der gesamtschuldnerischen Haftung in der Zweiten Kommission hingewiesen, siehe oben Fn. 170. 198 § 2062 BGB. Bei der Nachlassinsolvenz gilt dieses Erfordernis nicht, siehe § 317 Abs. 1 InsO. 199 Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 189 f., 197; Muscheler, Testamentsvollstreckung, 110. 200 Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 188. 201 Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 40. 202 Diese Problematik wird etwa dort relevant, wo die Nachlassverbindlichkeit auf Übereignung eines Gegenstandes aus dem Nachlass gerichtet ist. Näher Ann, Erbengemeinschaft, 145– 147; Meier, Gesamtschulden, 149–158. 203 Siehe etwa die verzweigte Kommentierung bei Staudinger/Marotzke (2020), § 2058 Rn. 2 2– 77, oder die Darstellung bei Leuchten, Miterbenhaftung, 94–112. 204 So eröffnet die Möglichkeit der Erbteilspfändung auch den Eigengläubigern der Miterben einen Weg zu den Nachlasswerten, siehe die Kritik bei Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 45; Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3806. Wegen des Vorrangs der Schuldentilgung (§ 2046 Abs. 1 S. 1 BGB) ist dieser Zugriff allerdings auf den Überschuss beschränkt, siehe Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 335. Ein weiterer Zugang zum ungeteilten Nachlass ist den Eigengläubiger dann eröffnet, wenn ihnen (zufällig) alle Miterben als Gesamtschuldner haften, weil sich auf diesem Weg auch die Voraussetzungen des § 747 ZPO erfüllen lassen. Siehe BGH NJW 1970, 473, und bereits Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 43 f. Eine vollständige Absonderung des Nachlasses führt daher erst die amtliche Liquidation mittels Nachlassverwaltung durch Nachlassinsolvenzverfahren herbei, siehe Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 336. 205 Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 417. Zur intrinsischen Beschränkung der Gesamthandsklage schon oben Fn. 182.
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vermögen eröffnet, stets mehr erreichen kann 206 (wobei sie sinnvollerweise gegen sämtliche Miterben gerichtet wird 207). Der hier entscheidende Kritikpunkt ist aber ein anderer, dass nämlich das BGB entgegen den Beteuerungen der Zweiten Kommission 208 den Erblassergläubigern eben doch eine Veränderung ihrer Rechtsstellung zumutet. Denn konnten sie zu Lebzeiten des Erblassers mittels einer Klage zum Ziel gelangen,209 erfordert ein Vollstreckungszugriff auf den Nachlass nun stets ein Vorgehen gegen alle Miterben.210 Deren gesamtschuldnerische Haftung bedeutet somit keine Konservierung, sondern eine Transformation der zu Lebzeiten des Verstorbenen bestehenden Situation. Zunächst hat es sogar den Anschein, als reduziere sich der Vorzug gegenüber der Bruchteilslösung auf die einfachere Vollstreckung, indem nach Erwirkung der erforderlichen Titel nur noch ein Vollstreckungsvorgang in eine Haftungsmasse erforderlich ist, im Gegensatz zu so vielen Vollstreckungsvorgängen und Haftungsmassen wie es Bruchteilserben gibt. Doch ist zu beachten, dass die Gesamthandslösung die Nachlassgläubiger auch vor der Insolvenz eines Miterben schützt. 211
Die genannte Kritik führt zu der Erkenntnis, dass der BGB-Gesetzgeber das Übel der preußischen Lösung an der falschen Stelle zu kurieren versucht hat. Anstelle der Gesamtschuldklage, die wegen der Einrede des § 2059 Abs. 1 S. 1 BGB das mit ihr verbundene Versprechen nicht einlösen kann und sich als systematischer Störfaktor erweist, hätte den Erblassergläubigern gestattet werden müssen, direkt gegen den ungeteilten Nachlass bzw. den als fortlebenden gedachten Erblasser vorzugehen, also ohne Umweg über die Miterben.212 Anders gesagt, traf die Zweite Kommission bei der Suche nach der einen Person, die ein Erblassergläubiger nach dem Tod des Schuldners weiterhin in Anspruch nehmen können soll, 213 die falsche Auswahl. Die Ursachen dieser Entscheidung sind nicht schwer zu finden. So hätte die Behandlung des Nachlasses als Rechtssubjekt nicht nur eine Überwindung der personalen, d. h. von den Miterben ausgehenden Sicht auf die Abwicklung erfordert, sondern auch die (zu Unrecht) gefürchtete hereditas iacens 214 auf den Plan gerufen. Zudem nahm man vor dem Hintergrund der österreichischen Erfahrungen offenbar an, dass ein solcher Schritt zwingend mit einer amtlichen Abwicklung ver206 Boehmer, Erbfolge und Erbenhaftung, 195 („praktisch untauglich und […] überflüssig“); Lange/Kuchinke, Erbrecht, 1286 (Gesamtschuldklage vorteilhafter); Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 417. 207 Ann, Erbengemeinschaft, 148. 208 Siehe oben Fn. 165. 209 Vgl. Ann, Erbengemeinschaft, 147. 210 Im Kontext des preußischen Rechts auch schon v. Schmitt, Begründung, 899. 211 Zur ähnlichen Situation im französischen Recht unten B.IV.2. (675 ff.). 212 Zur Diskussion dieser Lösung im gemeinspanischen Recht, wo sie eine Grundlage im Prozessrecht findet, siehe Murga Fernández, ZEuP 2018, 377. 213 Vgl. Protokolle V, 871. 214 Siehe oben § 1 I.II.2a) (106 ff.).
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knüpft werden müsse.215 Doch hätte den Gesetzgeber natürlich nichts daran gehindert, den Miterben als „Gesellschaftern“ bzw. „Organen“ des Nachlasses ihre Abwicklerrolle zu belassen und damit an den Grundsätzen der Eigenverwaltung und der Gerichtsferne festzuhalten. Belegt wird die Tragfähigkeit einer solchen Konzeption nicht zuletzt durch die seit etwa drei Jahrzehnten zunehmend erhobene Forderung, der Erbengemeinschaft in Parallele zur BGB-Gesellschaft sogar auf dem Boden des geltenden Rechts den Status eines Rechtssubjekts zuzuerkennen.216 Denn diese Versuche zielen in der Regel nicht, oder jedenfalls nicht primär, auf grundlegende strukturelle Änderungen ab, sondern auf die sachgerechte Erfassung der Organisationsstruktur der Erbengemeinschaft.217 d) Die Erbengemeinschaft als Anspruchsgegnerin Im Unterschied zu den meisten anderen Autoren hat Christoph Ann die rechtliche Verselbständigung der Erbengemeinschaft unmittelbar zu dem Zweck vorgeschlagen, die Position der Nachlassgläubiger zu stärken. Konsequenterweise will Ann das bestehende Recht nicht nur neu interpretieren, sondern auch punktuell umgestalten, indem insbesondere die Gesamtschuldklage vor Teilung nur noch in den Fällen gewährt wird, in denen ein Miterbe schon endgültig unbeschränkt haftet (etwa infolge einer Inventarverfehlung).218 Die grundsätzlich erst mit Teilung einsetzende gesamtschuldnerische Haftung würde damit wie im preußischen Recht wieder den Charakter einer Sanktion für eine unsachgemäße, da nicht auf vorrangige Schuldentilgung gerichtete Abwicklung annehmen. Ann geht kurz auf einzelne prozessuale Implikationen seines Vorschlags ein,219 legt aber keinen vollständig ausgearbeiteten Gesetzesentwurf vor. Auch hier geht es nicht darum, die vielfältigen Implikationen des vorgeschlagenen Konzepts zu würdigen oder gar eigene Vorschläge zu formulieren. Stattdessen interessiert allein das Ziel, die zentralisierte Nachlassabwicklung im Interesse der Nachlassgläubiger zur Vollendung zu bringen.220 Hierzu müsste insbesondere sichergestellt werden, dass die Möglichkeit eines direkten Vorgehens gegen den 215
Vgl. die in der Ersten Kommission geäußerten Bedenken (oben Fn. 156). etwa Grunewald, AcP 197 (1997), 305–315; Eberl-Borges, Die Erbauseinandersetzung, 5–47; Ann, Erbengemeinschaft, 394–416. Ablehnend etwa Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3852– 3856; Meier, Gesamtschulden, 86–88; Staudinger/Marotzke (2020), § 2058 Rn. 48; Leuchten, Miterbenhaftung, 20–37. Weitere umfangreiche Nachweise zum Streitstand bei Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 332 f. 217 Siehe etwa Grunewald, AcP 197 (1997), 315, der zufolge es auch darum geht, „weitgehend bekannte Erkenntnisse in klarere Worte“ zu fassen. Neben der hier interessierenden allgemeinen Haftungsproblematik würden sich dennoch weitere praktische Konsequenzen ergeben, etwa für die Folgen von Verpflichtungsgeschäften mit Nachlassbezug, siehe Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 387–396. 218 Ann, Erbengemeinschaft, 147, 171 f. 219 Ann, Erbengemeinschaft, 172. 220 Diesem Anliegen schenkt Staudinger/Marotzke (2010), Vorbem zu §§ 2058–2063, Rn. 14– 21, nicht genügend Beachtung, trotz seiner im Ganzen beachtenswerten Kritik am Regelungsvorschlag von Ann. Entgegen Muscheler, Erbrecht II, Rn. 3852, geht es auch nicht nur darum, den 216 Siehe
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Nachlass nicht durch Vorgaben des Prozessrechts unterlaufen wird. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn zwecks Erhebung einer zulässigen Klage doch sämtliche Miterben ermittelt werden müssten 221 oder zur Vollstreckung in den Nachlass doch ein Titel gegen sämtliche Miterben erforderlich wäre. Es scheint jedoch, dass sich in Parallele zur Situation bei der GbR solche Hürden bereits unter geltendem Recht überwinden ließen.222
IV. Die Überwindung der Bruchteilslösung in Frankreich Wie eingangs bereits angedeutet, ist die französische Rechtsentwicklung insofern besonders aufschlussreich, als die Wende von einer dezentralen zu einer vorwiegend zentralen Nachlassabwicklung nicht Werk des Gesetzgebers, sondern der Gerichte und der Rechtspraxis war. 1. Die rechtliche Ausgangslage Die 1804 in Kraft gesetzte und ungeachtet bedeutender Reformen in ihren Grundsätzen auch heute noch bestehenden Regelung des Code civil für den Fall, dass es mehrere héritiers gibt, war einerseits stark an die gemeinrechtliche Tradition und damit das Modell einer Bruchteilsgemeinschaft angelehnt.223 Andererseits enthielt sie aber auch Elemente aus dem Gewohnheitsrecht, die zumindest ansatzweise eine Zentralisierung der Abwicklung bewirkten. Das Ergebnis war eine eigentümliche Verquickung der Traditionen. a) Automatische Schuldenteilung Deutlich erkennbar war der gemeinrechtliche Einfluss bei Behandlung der Erblasserverbindlichkeiten, die automatisch im Verhältnis der (ideellen) Erbquoten geteilt wurden, 224 soweit es ihre Natur zuließ und Erblasser und Gläubiger keine entgeSchuldner komfortabler benennen zu können, sondern primär darum, mittels einer Klage zum Ziel zu gelangen. 221 Siehe die Befürchtung von Grunewald, AcP 197 (1997), 313. 222 So verlangt die Rechtsprechung im Rahmen des § 253 ZPO nur, die GbR „identifizierbar zu beschreiben“, siehe Zöller/Greger, ZPO, § 253 Rn. 8c. Zu beachten ist zudem, dass nach § 170 Abs. 3 ZPO bei mehreren gesetzlichen Vertretern die Zustellung der Klage an einen von ihnen genügt. Was schließlich die Vollstreckung in das Vermögen der Außen-GbR angeht, ist inzwischen anerkannt, dass entgegen dem, was § 736 ZPO bei unbefangener Lektüre suggeriert, ein gegen die Gesellschaft als solche gerichtetes Urteil ausreicht. Siehe MüKoZPO/Heßler, § 736 Rn. 1; BeckOK ZPO/Ulrici, § 736 Rn. 8. 223 Zu den historischen Vorläufern Trockels, Erbengemeinschaft, 9–35. 224 Art. 873, 1220 Code civil1804, die einander freilich insoweit widersprachen, als Art. 873 eine Teilung nach Köpfen vorsah („pour leur part et portion virile“) und Art. 1220 Code civil1804 (jetzt Art. 1309) eine Teilung im Verhältnis der Erbquoten. Rechtsprechung und Schrifttum räumten der Regelung des Art. 1220 schon bald den Vorrang ein und begründeten dies mit den Wurzeln des Art. 873 im ancien droit: Unter diesem war die Berechnung der Erbteile aufgrund der zahlreichen Sondererbfolgen oft eine langwierige Angelegenheit (dazu Trockels, Erbengemeinschaft, 190 f.), weshalb man den Gläubigern gestattete, nach Köpfen „abzurechnen“, und die Miterben auf den
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genstehende Vereinbarung getroffen hatten.225 Aus Sicht eines Erblassergläubigers, der bei Vereinbarung der Schuld keine Vorsorge getroffen hatte, war dieser Vorgang in zweifacher Hinsicht sehr problematisch: Erstens musste er seine Bemühungen zur Eintreibung der Forderung auf so viele Personen aufspalten, wie es Miterben gab, und diese Zahl konnte durchaus hoch sein.226 Zweitens trug der Erblassergläubiger das Risiko der Insolvenz eines Miterben, so dass er selbst im Fall eines solventen Erblassers mit einem Teil ihrer Forderung ausfallen konnte. Die Forderung erfuhr mithin in aller Regel eine wirtschaftliche Entwertung, 227 selbst wenn der bis zur Teilung bestehende einheitliche Nachlassgerichtsstand 228 eine gewisse Abmilderung brachte. Während der erstgenannte Nachteil ohne Weiteres einleuchtet, bedarf der zweite der Erläuterung. Denn bei unbefangener Betrachtung waren die Erblassergläubiger im Fall des solventen Nachlasses auf jeden Fall dadurch gesichert, dass der betreffende Miterbe einen Anteil am Nachlass erhielt, in den die Erblassergläubiger mit Vorrang vor den Eigengläubigern vollstrecken konnten (über das Instrument der séparation des patrimoines 229). Doch war der Erfolg eines solchen Vorgehens keineswegs garantiert. Denn solange der Nachlass noch ungeteilt war, drohte eine Vollstreckung in diesen an der sogleich zu erörternden Struktur der französischen Erbengemeinschaft zu scheitern. Und war die Teilung schon vollzogen, konnte es sein, dass der betreffende Miterbe infolge der Verrechnung von Ausgleichsansprüchen, etwa aufgrund erhaltener Vorausempfänge, nur einen verringerten oder gar ganz auf Null reduzierten Anteil erhalten hatte230 (hiergegen schütze den Gläubiger auch nicht sein Recht, bei der Teilung anwesend zu sein 231). In der Gesamtbetrachtung standen Erblassergläubiger im Fall einer Mehrheit von Erben damit erheblich internen Ausgleich verwies (eingehend zum vorkodifizierten Recht Trockels, Erbengemeinschaft, 180–196; siehe auch Saleilles, Bull.Soc.e.leg. 10 (1911), 88). Diese Ratio fiel weg, als der Code civil die Unterscheidung nach Herkunft oder Art der Güter grundsätzlich aufgab (zum Grundsatz der „unité de la succession“ siehe oben § 3 C.II.4i)(1) (232 ff.)). Näher Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 967; Grimaldi, Successions, Nr. 639 (Fn. 141). Kritisch Trockels, Erbengemeinschaft, 211, der in der die Rechtsverfolgung deutlich vereinfachenden Kopfteilung ein unbedingt erforderliches Gegengewicht zur Schuldenteilung sieht. 225 Siehe Art. 1221 Nr. 5 Code civil1804, der eine Ausnahme von Art. 1220 Code civil1804 normierte (zu diesem die vorige Fn.). Ein rechtsgeschäftlicher Ausschluss der Schuldenteilung, der eine Gesamtschuld der Miterben zur Folge hatte, wurde jedenfalls bei Geldverbindlichen offenbar schnell gängige Praxis, siehe Lange/Kuchinke, Erbrecht 3, 1031 (Fn. 15). Aus heutiger Sicht Grimaldi, Successions, Nr. 6 47. 226 Siehe Rheinstein, Iowa LR 20 (1935), 444: „[…] two, or five, or twenty, or even more debtors […]“. 227 Trockels, Erbengemeinschaft, 216 weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass das französische Prozessrecht der obsiegenden Partei keine volle Kostenerstattung gewährt. 228 Planiol/Ripert, Traité IV, Nr. 366 (532). 229 Dazu oben § 6 C.III. (413 ff.). 230 Sehr kritisch schon Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 851 f., der hierin eine Verletzung des „principe élémentaire de bon sens et d’equité“ sah, dass keine Begünstigungen verteilt werden dürfen bevor nicht alle Schulden bezahlt sind. Siehe auch Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 105; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 947; Trockels, Erbengemeinschaft, 216 f. 231 Art. 882 Code civil1804.
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schlechter als im Fall des Alleinerben, weil dort nicht nur die Schuldenteilung ausblieb, sondern sich die Gläubiger über das Instrument der Vermögenstrennung stets den gesamten Nachlass reservieren konnten.232 Die französische Doktrin war sich der gläubigerfeindlichen Wirkung der Schuldenteilung, die nach Ansicht von Max Rheinstein gar den gewichtigsten unter den zahlreichen Defekten der französischen Nachlassabwicklung darstellte, 233 schon früh bewusst, 234 sah sie aber als Ausprägung der dem französischen Recht zugrunde liegenden, vermeintlich römischen Idee der Persönlichkeitsfortsetzung an.235 Diese ohnehin schon gekünstelte und unhistorische Vorstellung236 wurde durch die einer gespaltenen Fortsetzung des Erblassers in Person der einzelnen Miterben also noch auf die Spitze getrieben.237 Nichtsdestotrotz zielte die unglückliche Metapher auf einen wahren Kern, nämlich die quotale Verschmelzung des Erblasservermögens mit den Vermögen der einzelnen Miterben, anstelle seiner Fortsetzung als Sondervermögen. Eine sachliche Rechtfertigung der automatischen Schuldenteilung sieht die französische Lehre seit jeher darin, dass sie ein notwendiges Gegengewicht zur gegenständlich unbeschränkten Haftung der Miterben bilde,238 worin sich eine Parallele zum römischen Recht zeigt.239 In der Tat hätte eine unbeschränkte gesamtschuldnerische Haftung der Miterben eine empfindliche Härte bedeutet und ihnen neben dem Risiko einer Erblasserinsolvenz auch das der Insolvenz eines der übrigen Miterben auferlegt, während umgekehrt die Lage der Erblassergläubiger in fragwürdiger Weise verbessert worden wäre.240 Im Schrifttum ist dementsprechend auch die Rede davon, dass sich das französische Recht geweigert habe, der „vertikalen Dimension der familiären Solidarität zwischen Verstorbenem und Nachfolger“ eine „horizontale Dimension zwischen Nachfolgern“ hinzuzufügen.241 Und dennoch 232
Lequette, in: Études Weill, Nr. 4. Rheinstein, Iowa LR 20 (1935), 445. 234 Siehe etwa Planiol/Ripert, Traité IV, Nr. 367; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 944 („lourdes de consequence pour les créanciers héreditaire“). Ungerechtfertigt scheint daher der Vorwurf bei Trockels, Erbengemeinschaft, 233, dass die französische Lehre Kritik am gesetzlichen Modell vermeide. 235 Siehe etwa Colin/Capitant, Cours élémentaire III, 592 („[…] cadre logiquement très bien avec l’idée de continuation de la personne“); ferner die Darstellung bei Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 577 f., 846. 236 Dazu eingehend oben § 4 C.II.1b) (302 ff.). 237 Zu Recht sehr kritisch Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 577 f., 846; Trockels, Erbengemeinschaft, 180. Trotzdem findet die genannte Konzeption bis heute Verteidiger im französischen Schrifttum, siehe etwa Grimaldi, Successions, Nr. 6 42. 238 Siehe etwa Planiol/Ripert, Traité IV, Nr. 367 (533 f.); Lequette, in: Études Weill, Nr. 4; Grimaldi, Successions, Nr. 6 42. Aus belgischer Sicht will Leleu, Transmission, Nr. 583, 587, die Schuldenteilung sogar als Sanktion für die Inanspruchnahme der Schuldner ultra vires betrachten. 239 Übertrieben scheint es daher, von einer „solution originale de compromis“ zu sprechen, so aber Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 947 f. 240 Grimaldi, Successions, Nr. 6 42. 241 Siehe den Nachweis bei Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 947 (Fn. 2). 233
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versagt die Erklärung des Gegengewichts offensichtlich dort, wo sämtliche Miterben die Erbschaft mit dem Vorbehalt der Inventarerrichtung angetreten haben und somit nur beschränkt haften.242 Denn die Schuldenteilung wird im Gegenzug hierdurch nicht aufgehoben, dem Gläubiger mit anderen Worten keine Belohnung243 für seinen begrenzten Vollstreckungszugriff gewährt. Nicht überzeugend ist es ferner, die automatische Schuldenteilung mit der „théorie du patrimoine“ zu erklären, die aktive und passive Vermögenswerte untrennbar miteinander verbinde und somit eine Haftung immer nur im Verhältnis der erhaltenen Aktiva zulasse.244 Denn noch viel mehr würde die Idee des Vermögens für den Fortbestand seiner Einheit sprechen. b) Die indivision hinsichtlich des körperlichen Aktivnachlasses Während im Nachlass enthaltene Forderungen ebenso automatisch zwischen den Miterben geteilt werden wie Verbindlichkeiten 245 (soweit sie nicht unteilbar sind 246), lässt der Code civil hinsichtlich der übrigen Nachlassgegenstände seit jeher eine mit dem Begriff der indivision bezeichnete Gemeinschaft entstehen, 247 die erst durch die von den Miterben vorgenommene Teilung (partage) beendet wird. Im Ausgangspunkt ist diese Gemeinschaft eine solche nach Bruchteilen, so dass jeder Miterbe über seinen Anteil an den Nachlassgegenständen verfügen kann 248 und dieser auch pfändbar ist.249 In der Ursprungsfassung des Code civil wurde der individualistische Charakter der indivision noch dadurch betont, dass der einzelne Miterbe jederzeit ohne Angabe von Gründen die Teilung verlangen konnte250 und der Gesetzgeber wegen der irrig angenommenen Kurzlebigkeit solcher Zusammenschlüsse251 gänzlich davon abgesehen hatte, Regeln für die gemeinsame Verwal242
Siehe dazu Grimaldi, Successions, Nr. 6 42 (Fn. 154); Trockels, Erbengemeinschaft, 231. So die Deutung von Leleu, Transmission, Nr. 583, siehe auch schon Fn. 238. 244 So Grimaldi, Successions, Nr. 6 42. 245 Ursprüngliche Rechtsgrundlage war auch hier Art. 1220 Code civil1804 (heute Art. 1309), näher Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 828; Trockels, Erbengemeinschaft, 143 f., vermutet, dass die Regelung lange Zeit praktisch wenig relevant war, weil Forderungen nur einen geringen Teil von Nachlässen ausmachten; Kaiser, Rückwirkender Vermögensübergang?, 128 f. Kraft dinglicher Surrogation zum Nachlass gehörende Forderungen aus dem Verkauf von Nachlassgegenständen werden ebenfalls automatisch geteilt, siehe Trockels, Erbengemeinschaft, 4, 161–169. 246 Dazu Trockels, Erbengemeinschaft, 145 f., 156–161. 247 Eingehend zur Struktur und dogmatischen Erfassung in Frankreich Trockels, Erbengemeinschaft, 110–126; Kaiser, Rückwirkender Vermögensübergang?, 90–117. 248 Trockels, Erbengemeinschaft, 3; Kaiser, Rückwirkender Vermögensübergang?, 104. Seit 1976 ist die Verfügungsmöglichkeit ausdrücklich in Art. 815-14 Code civil erwähnt. 249 Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 581, 846. 250 Art. 815 Code civil1804, der zu den „grands números“ des Code civil gezählt wurde, siehe Kaiser, Rückwirkender Vermögensübergang?, 139. 251 In Fortführung der vorrevolutionären Praxis (dazu Trockels, Erbengemeinschaft, 34 f.) wurden Erbengemeinschaften insbesondere bei Vorhandensein eines überlebenden Ehegatten oft über einen langen Zeitraum fortgeführt, siehe Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 823; Brown, ICLQ 3 (1954), 639. Trockels, Erbengemeinschaft, 38 nennt als Gründe die als moralische 243
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tung aufzustellen.252 Das Konzept einer ganz auf Teilung ausgerichteten Gemeinschaft kam überdies auch schon in dem Begriff der „in-division“ zum Ausdruck.253 Eine erhebliche Bresche in diese Gestaltung schlug nun allerdings ein aus dem Gewohnheitsrecht stammendes Rechtsinstitut, nämlich der in Art. 883 Code civil 254 niedergelegte „effet déclaratif“ der Erbteilung. Diesem zufolge wurde und wird jeder Miterbe so behandelt, als hätte er die ihm bei der Teilung zugewiesenen Gegenstände unmittelbar geerbt und an den übrigen Nachlassgegenständen niemals Eigentum besessen. Es wird also so getan, als habe die Teilung gar keine übertragende, sondern lediglich feststellende Wirkung.255 Der Sinn dieser – in der Tat „merkwürdig“256 anmutenden – Rückwirkungsfiktion 257 lässt sich nur vor dem Hintergrund ihres geschichtlichen Ursprungs verstehen, der im 16. Jahrhundert liegt.258 Damals wurde anlässlich praktischer Fälle zum einen über die Frage gestritten, ob die von einem Miterben vor der Teilung bestellte Hypothek an einem Nachlassgrundstück 259 in ihrer Wirksamkeit durch die spätere Zuweisung dieses Gegenstands an einen anderen Miterben berührt wurde; zum anderen wurde auch über die Frage diskutiert, ob Lehnsherren anlässlich der Teilung des Nachlasses eine weitere Abgabe neben der Erbschaftssteuer erheben durften. Mittels der Lehre vom „effet déclaratif“ ließ sich nun sowohl begründen, dass die Hypothekenbestellung rückblickend unwirksam war, als auch, dass insgesamt nur ein Erwerbsvorgang vorlag und deshalb auch nur eine Steuer anfiel.260 Ein weiterer Vorteil der Annahme eines unmittelbaren Erwerbs vom Erblasser wurde darin gesehen, dass sich der Grundsatz „le mort saisit le vif“ damit auch auf Miterben anwenden ließ.261 Verpflichtung empfundene Rücksichtnahme auf den überlebenden Ehegatten, die Sorge vor der Zerschlagung wirtschaftlicher Werte sowie die gestiegene Bedeutung beweglicher Nachlassgegenstände und die damit verbundenen Bewertungsschwierigkeiten. 252 Näher zur ursprünglichen „Feindseligkeit“ des französischen Rechts gegenüber der indivision und dem zugrunde liegenden Menschenbild Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 823; Trockels, Erbengemeinschaft, 35–37, 104; Kaiser, Rückwirkender Vermögensübergang?, 90. 253 Kaiser, Rückwirkender Vermögensübergang?, 91. 254 Die Vorschrift wurde 1976 durch zwei Absätze ergänzt, in dem hier angesprochenen Teil aber unverändert gelassen. Näher Trockels, Erbengemeinschaft, 102–104; Kaiser, Rückwirkender Vermögensübergang?, 176. 255 Eingehend zu den Versuchen einer dogmatischen Erfassung im französischen Schrifttum Kaiser, Rückwirkender Vermögensübergang?, 157–159, 165–178. Von einer Ausprägung der „indivisibilité de la saisine“ (dazu oben § 5 Fn. 142) spricht Leleu, Transmission, Nr. 167. 256 Siehe den Kommentar von Illch zu Art. 883 in: Heinsheimer (Begr.), Zivilgesetze der Gegenwart I. 257 Siehe aber auch Catala, Droit de la famille 2006, étude 43, Nr. 4: „Autre fiction juridique peutêtre, mais réalité humaine: l’auteur véritable de celui qui reçoit dans un partage la maison de son père est le père lui-même et non le frère copartageant.“ 258 Eingehende Schilderung bei Trockels, Erbengemeinschaft, 20–26; Kaiser, Rückwirkender Vermögensübergang?, 161–165. 259 Infrage stand dabei nicht die (als Ausdruck eines starken gegenseitigen Vertrauens und enger Familienbindungen begriffene) Befugnis der einzelnen Miterben, nach außen wirksam über Nachlassgegenstände zu verfügen, siehe Trockels, Erbengemeinschaft, 19, 23. 260 Dass die steuerrechtliche Kontroverse mitursächlich für die Entwicklung des „effet déclaratif“ war, wird allerdings bestritten, siehe Trockels, Erbengemeinschaft, 22 m. w. N. 261 Kaiser, Rückwirkender Vermögensübergang?, 164.
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Die weitreichende Folge des Art. 883 Code civil, der nicht zufällig zu den „grands números“ des Code civil gerechnet wird, 262 besteht nun darin, dass die Rückwirkung der Teilung zwischenzeitlich getroffenen Verfügungen über die Nachlass gegenstände immer nachträglich den Boden entziehen kann.263 Veräußert beispielsweise einer der Miterben vor der Teilung seinen Anteil an einem Nachlassgrundstück, oder wird dieser Anteil von einem Nachlassgläubiger gepfändet,264 so riskiert der Erwerber bzw. Pfänder, rückwirkend mit leeren Händen dazustehen, wenn das Grundstück im Rahmen der Teilung einem anderen Miterben zugewiesen wird.265 Dies erklärt, warum der „effet déclaratif“ der Teilung in seiner praktischen Wirkung stets einem Verbot gleichkam, über die Bruchteile an Nachlass gegenständen zu verfügen oder in sie zu vollstrecken.266 Die indivision wurde damit auf subtile Weise einer Gesamthandsgemeinschaft angenähert, 267 so dass sich die Regelung des Code civil von 1804 rückblickend als erstaunlich modern erweist.268 Leidtragende dieses hybriden Charakters der indivision waren zunächst allerdings vor allem die Erblassergläubiger, da sie an der Vollstreckung in den Gesamtnachlass de jure und an der Vollstreckung in die Bruchteile de facto gehindert waren.269 262
Siehe die Nachweise bei Kaiser, Rückwirkender Vermögensübergang?, 159. ist nur die (früher in Art. 841, heute in Art. 815-14 Code civil geregelte) Verfügung über den Erbteil im Ganzen, weil sie von der späteren Zuweisung der Nachlassgegenstände unabhängig ist, Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 850. Im Einzelnen zum Anwendungsbereich des Art. 883 Code civil, der im Laufe des 19. Jahrhunderts stetig ausgeweitet wurde, Kaiser, Rückwirkender Vermögensübergang?, 180–188. 264 Die Eigengläubiger des Miterben waren nach Art. 2 205 Code civil1804 von der Pfändung des Anteils an ungeteilten Liegenschaften ausdrücklich ausgeschlossen. 265 Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 846 f.; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 850. Ungeachtet der automatischen Teilung von Forderungen (siehe oben Fn. 245) bedroht die Rückwirkung des partage auch zwischenzeitlich erfolgte Abtretungen, siehe Kaiser, Rückwirkender Vermögensübergang?, 129, 186 f., und eingehend Trockels, Erbengemeinschaft, 145–153. Nur zwischenzeitlich erfolgte Schulderfüllungen bleiben in ihrer Wirksamkeit unberührt. 266 RVglHWB/Hallstein, Miterben, 357; Grimaldi, Successions, Nr. 664; Trockels, Erbengemeinschaft, 4 („Regulativ für die weitgehende Rechtsmacht der Gemeinschafter“); Kaiser, Rückwirkender Vermögensübergang?, 193 f., vermutet überzeugend, dass den damaligen Juristen ein ausdrückliches Verfügungsverbot im Hinblick auf den individualistischen Charakter der indivision denkunmöglich erscheinen musste. 267 Illch in: Heinsheimer (Begr.), Zivilgesetze der Gegenwart I, Kommentar zu Art. 815; RVglHWB/Hallstein, Miterben, 358; Trockels, Erbengemeinschaft, 252 f.; Kaiser, Rückwirkender Vermögensübergang?, 195 f. Versuche französischer Autoren, die indivision (auch unter dem Eindruck des BGB) der Gesamthandsgemeinschaft gleichzustellen, konnten sich aber nicht durchsetzen, Kaiser, Rückwirkender Vermögensübergang?, 102–104, 171. 268 Kaiser, Rückwirkender Vermögensübergang?, 194, weist zutreffend darauf hin, dass das preußische ALR die Möglichkeit der Verfügung über Anteile an Nachlassgegenständen nicht geregelt hatte und die preußische Rechtsprechung sie erst 1857 verneinte (dazu schon oben Fn. 121). Im BGB ist das Pendant hierzu entgegen der Verfasserin allerdings nicht in § 2040, sondern in § 2033 Abs. 2 zu sehen. 269 Nicht klar ist, ob die Möglichkeit der Gläubiger, über Art. 1166 Code civil1804 die den Miterben zustehende Teilungsklage zu erheben (sog. „action oblique“, näher Planiol/Ripert, Traité IV, Nr. 475; Kaiser, Rückwirkender Vermögensübergang?, 140) nur den Eigengläubigern zukam oder auch den Nachlassgläubigern, oder jedenfalls auch solchen Nachlassgläubigern, die aufgrund 263 Unproblematisch
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Für die Miterben hingegen erfüllt der „effet déclaratif“ eine wichtige Schutzfunktion, indem er es solchen Miterben, die im Innenverhältnis zum Ausgleich von Forderungen verpflichtet sind und deren Anteil insoweit gemindert wird, erschwert, über ihre Anteile am ungeteilten Nachlass zu verfügen und damit den übrigen Miterben das Risiko ihrer Insolvenz aufzubürden.270 Die Anrechnung von Schulden geschieht mittels des Instituts des „rapport des dettes en moins prenant“, das ebenfalls dem droit coutumier entstammte, dem römischen Recht hingegen unbekannt war, und das historisch vor allem für Darlehen relevant war, die Eltern ihren Kindern zu Lebzeiten gegeben hatten. Diese Darlehen wurden im Ergebnis wie unentgeltliche Vorausempfänge auf den Erbteil behandelt und damit genauso in die Erbteilung mit eingerechnet wie Schenkungen.271 Später wurde die Anrechnung aber auch auf nach dem Erbfall entstandene Schuldverhältnisse zwischen Miterben erstreckt, soweit ihre Entstehung mit der indivision zu tun hatte; beispielsweise also bei Ersatzansprüchen aus der Verwaltung oder der Beschädigung des Nachlasses.272 Der „rapport des dettes“ bedeutet also eine Ausnahme von der automatischen Teilung von Schuldverhältnissen 273 und hat, neben einer Vereinfachung der Abwicklung, die Sicherung der gerechten Teilung zum Ziel. Um die Solvenz des ausgleichspflichtigen Miterben zu garantieren, musste das Institut aber eben durch den „effet déclaratif de partage“ flankiert werden,274 der somit als Garant der Gleichheit der Teilung fungiert.275 2. Die Wende zur zentralisierten Abwicklung: der „Arrêt Frécon“ Mit Rheinstein lässt sich vermuten, dass die Härten der Schuldenteilung in der Praxis oft dadurch abgemildert wurden, dass alle héritiers am selben Ort wohnten oder die solventen unter ihnen aus Gründen der Pietät bereit waren, eventuelle Ausfälle aus eigener Tasche auszugleichen.276 Dass das Problem aber dennoch praktisch relevant war, zeigt der Umstand, dass den Erblassergläubigern im Jahr 1912, nachdem sie also gut 100 Jahre mit der quotalen Schuldenteilung hatten leben müssen, die Cour de cassation zu Hilfe kam. Im sog. „Arrêt Frécon“, der später mehrfach bestätigt wurde und heute zu den meist gepriesenen Gerichtsentscheidungen auf dem
unbeschränkter Haftung des Miterben auch Eigengläubiger waren (für letztgenannte Lösung unter geltendem Recht, das das Teilungsrecht der Gläubiger in Art. 815-17 Abs. 3 regelt, Grimaldi, Successions, Nr. 665 (Fn. 7)). In jedem Fall mussten die Nachlassgläubiger befürchten, dass aufgrund interner Verrechnung einer ihrer Teilschuldner nichts oder nur einen verminderten Anteil erhielt, siehe oben Fn. 230. 270 Dazu Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 581, 848–851; Trockels, Erbengemeinschaft, 4. 271 Trockels, Erbengemeinschaft, 144. 272 Trockels, Erbengemeinschaft, 153–155. 273 Kaiser, Rückwirkender Vermögensübergang?, 129 f., 132. 274 Das Zusammenspiel „effet déclaratif“ und „rapport des dettes“ wird besonders von Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 848–850 betont. 275 Kaiser, Rückwirkender Vermögensübergang?, 194. 276 Rheinstein, Iowa LR 20 (1935), 445 f.
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§ 8 Die Konzentration der Nachlassabwicklung
Gebiet des Erbrechts gehört,277 räumte sie den Gläubigern die Möglichkeit ein, in Höhe der gesamten Forderung in den Nachlass als einer „gage indivisible“ zu vollstrecken. Darüber hinaus wurde den Eigengläubigern der héritiers jeglicher Zugriff auf den ungeteilten Nachlass untersagt, womit die im Gesetz vorgesehene Regelung für Immobilien 278 eine Verallgemeinerung erfuhr279 und der ungeteilte Nachlass ein weiteres Stück in Richtung eines Sondervermögens gerückt wurde. Die Schlechterstellung der Erblassergläubiger im Vergleich zum Fall der Alleinerbschaft war im Ergebnis beseitigt.280 Insbesondere wurde das Risiko der Insolvenz eines Miterben vom Gläubiger auf die anderen Miterben verlagert.281 Historisch betrachtet stellte die im „Arrêt Frécon“ verkörperte Regelung keineswegs ein Novum dar, sondern eine Rückkehr zum ancien droit,282 das somit Parallelen etwa zum preußischen Recht aufwies. Zudem war eine Haftung des ungeteilten Nachlasses unter Berufung auf die „indivisibilté de la saisine“283 bereits im französischen Schrifttum des 19. Jahrhunderts befürwortet worden,284 insbesondere von Aubry und Rau, deren Autorität auch entscheidender Einfluss auf die Entscheidung zugeschrieben wird.285 In dogmatischer Hinsicht ist zu beachten, dass der „Arrêt Frécon“ nur auf den ersten Blick den Grundsatz der Schuldenteilung suspendierte, bei genauer Betrachtung hingegen die Einführung einer Sachhaftung des Nachlasses bedeutete. Die Miterben werden nach der durch den „Arrêt Frécon“ geschaffenen Rechtslage weder gebündelt als Teilschuldner noch als Gesamtschuldner in Anspruch genommen, sondern nur als Inhaber der Nachlassgegenstände.286 Deshalb kommt ihnen auch nicht die mit Wahl ihrer Annahmeoption verbundene aufschiebende Einrede zu, 287 und es spielt keine Rolle, was den einzelnen Miterben im Innenverhältnis zusteht.288 Das französische Schrifttum erklärt den Vorgang auch mit der Vorstellung, dass der Verstorbene oder jedenfalls sein Vermögen den Erbfall bis zur Tei-
277
Grimaldi, Successions, Nr. 665 („[…] parmi les plus célèbre de la matière […]“. Art. 2205 Code civil1804. 279 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 948. 280 Lequette, in: Études Weill, Nr. 4 f. Trockels, Erbengemeinschaft, 232, weist freilich auf den fortbestehenden Nachteil hin, dass die Erblasserforderungen aufgrund ihrer automatischen Teilung (siehe oben Fn. 245) von der gebündelten Vollstreckung ausgenommen sind. 281 Trockels, Erbengemeinschaft, 219. 282 Héron, Morcellement, Nr. 97; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 948 (Fn. 1); Trockels, Erbengemeinschaft, 217. 283 Dazu oben Fn. 142. 284 Teilweise war dabei sogar vorgeschlagen worden, die Regelung über die Teilung hinaus anzuwenden. Für Nachweise siehe Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 578, der die Lösung der Sache nach befürwortete, sie aber zu Recht als unvereinbar mit den Grundprinzipien des Code civil ansah und das Argument der „indivisibilté de la saisine“ als irreführend betrachtete; ablehnend auch Héron, Morcellement, Nr. 97. 285 Trockels, Erbengemeinschaft, 217. 286 Leleu, Transmission, Nr. 590; Grimaldi, Successions, Nr. 666. 287 Leleu, Transmission, Nr. 591. 288 Grimaldi, Successions, Nr. 667. 278
B. Die Zentralisierung der Nachlassabwicklung
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lung überdauere289 oder die indivision eine juristische Person darstelle, 290 worin sich eine Parallele zur Diskussion um die Rechtsfähigkeit der deutschen Erbengemeinschaft zeigt. Grimaldi betont zu Recht, dass die Vorstellung eines zeitweiligen Fortlebens des Verstorbenen „weniger außergewöhnlich“ und „weniger gewagt“ sei als die Annahme seiner dauerhaften Fortsetzung durch andere Personen und eine damit verbundene Haftung ultra vires.291 Ließen die genannten Ausführungen an sich erwarten, dass Erblassergläubiger im Prozess unmittelbar gegen den Nachlass vorgehen können, und wird dieser Eindruck auch im Schrifttum oft erweckt, 292 scheint es, dass zur Vollstreckung genau wie im deutschen Recht Klage gegen sämtliche héritiers erhoben werden muss, 293 weil dem Nachlass als solchem keine echte Rechtspersönlichkeit zukommt. 294 Trifft dies zu, kann zwar die Rechtsverfolgung in der Praxis dadurch erschwert werden, dass nicht alle cohéritiers sofort ermittelt werden. Doch bringt, ähnlich der Situation im deutschen Recht, 295 der „Arrêt Frécon“ gegenüber einer Einzelverfolgung in Höhe der entsprechenden Quote zum einen immer noch den Vorteil, dass nur ein Vollstreckungsvorgang erforderlich ist. Zum anderen ist daran zu erinnern, dass die Behandlung des Nachlasses als „gage indivisible“ auch die Abwehr der Eigengläubiger ermöglicht und den Erblassergläubigern das Risiko der Insolvenz eines cohéritiers abnimmt. Dass das französische Schrifttum der Frage des prozessualen Vorgehens gegen den Nachlass so wenig Aufmerksamkeit schenkt, überrascht auf den ersten Blick. Doch ist die Erklärung vermutlich einmal mehr in der Praxis der Abwicklung durch den Notar zu sehen. 296
Dass die Schuldenteilung als solche durch den „Arrêt Frécon“ nicht berührt wurde, zeigt sich besonders deutlich daran, dass es den Erblassergläubigern unbenommen bleibt, einen unbeschränkt haftenden Miterben auch schon vor der Teilung 297 in 289
Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 954. Grimaldi, Successions, Nr. 666–668; siehe auch Trockels, Erbengemeinschaft, 122– 124; Kaiser, Rückwirkender Vermögensübergang?, 103. Für die Behandlung des Nachlasses als „une sorte de personne morale“ bereits Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 853 f. 291 Grimaldi, Successions, Nr. 668 („moins extraordinaire […] moins audacieux“). 292 Denn immer wieder findet sich die Formulierung, dass die Gläubiger ihre Verfolgungsbemühungen nicht aufteilen müssen („diviser leurs poursuites“), siehe etwa Lequette, in: Mélanges Weill, Nr. 6; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 949, 958; Lemaire, JCP N 2001, 700 Nr. 10, die zudem schreibt, dass die Gläubiger den geschuldeten Betrag „direkt entnehmen“ können („[…] peuvent directement prélever le montant de ce qui leur est dû […]“). 293 Nicht klar ist die Einordnung der bei Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 957 (Fn. 2) referierten Rechtsprechung, wonach jeder héritier (nur) zu notifizieren sei. 294 So ausdrücklich Albiges, Indivision (Régime légal), Nr. 210, 217, 219. Auch findet sich das Argument, dass das Vorzugsrecht der Erblassergläubiger gerade darauf beruhe, dass sie Gläubiger aller Angehörigen der indivision seien, siehe Lequette, in: Mélanges Weill, Nr. 13 f. 295 Siehe oben Fn. 211. 296 Dazu unten § 8 B.IV.3. (678 ff.). 297 Dies gilt allerdings nur, wenn sämtliche Miterben die Erbschaft unbeschränkt angenommen haben, weil nach der – zunächst durch die Rechtsprechung geschaffenen und 2006 im Gesetz festgeschriebenen Regelung (Art. 792-2 Abs. 1 Code civil) – die Vorbehaltsannahme eines Miterben bis zur Teilung auch den übrigen Miterben zu Gute kommt. Siehe zur früheren Rechtslage Percerou, RTDCiv. 4 (1905), 596, zur geltenden Rechtslage Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 997–999. Das BGB sieht hingegen in § 2059 Abs. 1 S. 2 auch schon vor Teilung die Möglichkeit eines Nebeneinanders von beschränkter und unbeschränkter Haftung vor. 290 Dazu
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§ 8 Die Konzentration der Nachlassabwicklung
Höhe der entsprechenden Quote mit dessen Eigenvermögen in Anspruch zu nehmen.298 Der „Arrêt Frécon“ führte somit zu einer haftungsrechtlichen Asym metrie, indem den Eigengläubigern der héritiers der Zugriff auf den Nachlass, Erb lassergläubigern aber nicht der Zugriff auf das Eigenvermögen eines unbeschränkt haftenden héritier verwehrt wurde. 3. Die Vervollkommnung der Zentralisierung in der Rechtspraxis Wenngleich die „Frécon“-Rechtsprechung die Stellung der Erblassergläubiger deutlich stärkte, verlor die Schuldenteilung für sie nicht gänzlich ihren Schrecken. Denn weder ist es den Miterben untersagt, den Nachlass auch ohne vorherige Schuldenbereinigung zu teilen,299 noch wird dieses Vorgehen wie etwa im preußischen ALR oder im BGB durch Anordnung einer gesamtschuldnerischen Haftung sanktioniert.300 Aus Sicht der Erblassergläubiger ist somit Eile geboten,301 es liegt wie so oft im französischen Erbrecht an ihnen, „to work out their own salvation.“302 Zu Hilfe ist ihnen allerdings die Praxis der Nachlassabwicklung gekommen, welche die durch den „Arrêt Frécon“ eingeleitete Wende von der dezentralen integrierten zur zentralen gesonderten Nachlassabwicklung gewissermaßen komplettiert hat. Denn der an der Nachlassteilung in aller Regel beteiligte Notar,303 „usually a man of high esteem in the community“304, wirkt typischerweise darauf hin, dass der Nachlass zunächst bereinigt wird und somit nur noch der Überschuss geteilt wird.305 Oftmals legen die Miterben sogar die gesamte Abwicklung, also auch schon in die Schuldentilgung, in die Hände des Notars, der sich dann sogar aktiv auf die Suche nach Gläubigern macht.306 298
Grimaldi, Successions, Nr. 667; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 949. Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 944; Héron, Morcellement, Nr. 98, schlägt vor, die 1976 erfolgte Kodifizierung der Rechtsprechung (siehe unten B.IV.4. (680)) im Sinne eines Teilungsverbots vor Schuldentilgung zu interpretieren, übersieht aber, dass dann auch Regelungen über die Schuldenermittlung und die Folgen einer verfrühten Teilung erforderlich wären. Das gemeinspanische Recht gibt den Nachlassgläubigern die Möglichkeit, der Nachlassteilung zu widersprechen, siehe Art. 1082 Código civil und Murga Fernández, ZEuP 2018, 378. 300 Kritisch deshalb Leleu, Transmission, Nr. 593. 301 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 954. 302 Brown, Tulane LR 33 (1959), 646. 303 Eine solche Mitwirkung ist nicht zwingend, da mit Ausnahme von Grundstücken eine Teilung auch formlos durchgeführt werden kann. Dennoch ziehen Miterben in aller Regel schon aufgrund der Komplexität des Vorgangs (oftmals muss auch der eheliche Güterstand auseinandergesetzt werden) einen Notar zur Teilung hinzu, Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 1103 (970)). Eingehend zu den Einzelheiten der Teilung Kaiser, Rückwirkender Vermögensübergang?, 139–155. 304 So jedenfalls die Einschätzung von Rheinstein, Iowa LR 20 (1935), 446. 305 Lequette, in: Études Weill, Nr. 29; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 954; Grimaldi, Successions, Nr. 6 41. 306 Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 953 f.; Aupetit/Rejano, ErbR 2020, 87. Siehe auch schon Rheinstein, Iowa LR 20 (1935), 446; Brown, ICLQ 3 (1954), 624, 638 f., 641, der den französischen Notaren „a virtual monopoly in the winding up of estates“ bescheinigte und beton299
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Die zentrale Rolle, die die französischen Notare seit Langem bei der Nachlassabwicklung spielen, war fast zwangsläufige Folge ihrer zahlreichen Zuständigkeiten auf dem Gebiet des Erbrechts.307 So fungieren sie insbesondere als Anlaufstelle für die Errichtung von Testamenten und Inventaren, für die Ausstellung des funktional dem deutschen Erbschein vergleichbaren acte de notoriété sowie für die Erbteilung.308 Hinzu kommt schließlich eine Mitwirkungspflicht der Notare bei Materien, die oft in engem funktionalen Zusammenhang mit dem Erbrecht stehen, insbesondere Eheverträgen und Registerangelegenheiten.309
Nimmt man hinzu, dass die Existenz einer Mehrheit von Rechtsnachfolgern nicht zuletzt aufgrund der beschränkten Testierfreiheit den absoluten Regelfall bildet, hat sich die Realität der französischen Nachlassabwicklung also vom gesetzlichen Ausgangspunkt weit entfernt310 und stark einem Modell wie dem englischen angeglichen.311 An die Stelle einer personal fragmentierten, wenig organisierten und staatsfernen Abwicklung ist ein konzentriertes, professionalisiertes312 und (vermittelt über den Notar) staatlich beaufsichtigtes Verfahren getreten, das freilich – dies darf nicht übersehen werden – nur fakultativer Natur ist.313 Vermieden werden muss gleichzeitig die irrige Vorstellung, dass durch das Agieren des Notars überhaupt erst ein dem personal representative vergleichbare Abwicklungszuständigkeit geschaffen und damit eine Lücke im französischen Recht geschlossen werde.314 Denn hierbei würde wie so oft die funktionale Äquivalenz von personal representative und kontinentalem Erben verkannt.315 Der Nachlass liegt mit Eröffnung des Erbfalls in den Händen der héritiers mit saisine, die folglich auch für die Schuldenbereinigung verantwortlich sind.316 Insbesondere im Fall, dass die Annahme der Erbschaft unter dem Vorbehalt der Inventarerrichtung erfolgt, weist die Abwicklung zudem einen erheblichen Organisationsgrad auf. Deutte, dass ein vollständiges Bild über die französische Nachlassabwicklung nur „by actual observation of what is done within the walls of the notary’s office“ gewonnen werden könne. Ferner Brown, Tulane LR 33 (1959), 634 f. In dem 2006 geschaffenen Art. 812 Abs. 4 Code civil zum mandat à effet posthume (dazu oben § 5 C.II.2d)(3) (349 ff.)) kommt die Rolle des Notars bei der Nachlassabwicklung inzident zum Vorschein. 307 Siehe Brown, ICLQ 3 (1954), 624. 308 Siehe im Einzelnen Brown, ICLQ 3 (1954), 624–641. Allgemein zur gewichtigen Rolle der notariellen Praxis im französischen Erbrecht Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 37. 309 Brown, Tulane LR 33 (1959), 632; Aupetit/Rejano, ErbR 2020, 87. 310 Mit besonderer Betonung Trockels, Erbengemeinschaft, 232–234, der die rechtspolitische Brisanz des Zustands jedoch überzeichnet und gar davon spricht, dass das Gesetz durch die Lebenswirklichkeit „stillschweigend umgangen“ werde. 311 Dies betont Brown, Tulane LR 33 (1959), 631 f. 312 Zu dieser Parallele mit dem englischen Recht Brown, Tulane LR 33 (1959), 644, der allerdings nicht klarmacht, dass es sich in beiden Fällen um die Entscheidung nicht der Rechtsordnung, sondern der am Nachlass beteiligten Personen handelt. 313 Dies betonen Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 955. In der Praxis kommen deshalb auch immer noch Fälle „ungeordneter Teilung“ vor, Grimaldi, Successions, Nr. 6 41. 314 Dies suggeriert indessen Brown, ICLQ 3 (1954), 627 f. („[…] the difficulties arising from the lack of any personal representative […]“); ders., Tulane LR 33 (1959), 633 f., 645 („[…] the lack of representation and the lack of any grant are two of the most striking omissions of the French machinery“). 315 Siehe oben § 1 E.II.6a) (60 ff.). 316 Siehe oben § 5 C.II.2f)(1) (358 ff.).
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§ 8 Die Konzentration der Nachlassabwicklung
lich wird somit, dass der Notar in der beschriebenen Funktion nicht ein vakantes Amt übernimmt oder gar ein solches erst schafft, sondern dass er als Beauftragter der héritiers agiert. Die praktische Bedeutung dieser Vorgehensweise liegt weniger in der Professionalisierung der Abwicklung, sondern angesichts der oft großen Zahl von héritiers 317 und dem gesetzlichen Leitbild der dezentralen Abwicklung318 in dem Bündelungs- und Vereinfachungseffekt.319 4. Gesetzgeberische Festschreibung und Erweiterung im Jahr 1976 Als der französische Gesetzgeber 1976 die indivision grundlegend reformierte320 und dabei erstmals auch ihre Verwaltung regelte,321 nahm er die Gelegenheit zum Anlass, den „Arrêt Frécon“ in gesetzliche Form zu gießen (in Art. 815-17 Code civil).322 Eine Erweiterung der früheren Rechtslage fand dabei insoweit statt, als nun nicht nur Erblassergläubigern sowie Gläubigern der unmittelbar durch den Tod verursachten Lasten (wie Bestattungs-, Versiegelungs- oder Inventarkosten)323 das Recht auf bevorzugte Befriedigung aus dem Nachlass gewährt wird,324 sondern auch solchen Gläubigern, deren Anspruch aus der Verwaltung der indivision herrührt.325 Zu ihnen können auch Miterben gehören.326
317 Brown, Tulane LR 33 (1959), 635 weist zutreffend darauf hin, dass ein französischer Erblasser die Zahl der héritiers nicht beeinflussen und damit auch nicht reduzieren kann. 318 Siehe auch Brown, Tulane LR 33 (1959), 633, der aber eben nicht klar genug diffenziert zwischen der Existenz einer Abwicklungszuständigkeit als solcher und ihrer konkreten Gestalt. 319 Nach Brown, ICLQ 3 (1954), 627 f.; ders., Tulane LR 33 (1959), 634 f., bevollmächtigen die héritiers in der Praxis zudem häufig einen clerc des Notars, um diesen von zeitraubenden Rücksprachen, etwa zwecks Unterzeichnung von Dokumenten, mit ihnen zu befreien. In der Folge sind die héritiers über die Einzelheiten des Verfahrens oft gar nicht mehr unterrichtet. 320 Zur Entstehung der Reform Trockels, Erbengemeinschaft, 40 f. 321 Eingehend Trockels, Erbengemeinschaft, 45–75; siehe auch Kaiser, Rückwirkender Vermögensübergang?, 91, 105, 120 f. Die Reform von 2006 brachte weitere Änderungen, um die Verwaltung der Erbengemeinschaft noch effizienter zu gestalten, siehe Gresser, Testamentsvollstreckung, 134. 322 Den Hinweis auf diese wichtige Regelung unterlässt Gresser, Testamentsvollstreckung, 135. 323 Das Schrifttum nennt diese Gruppe „créanciers au titre des charges héréditaire“ (Terré/ Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 959) oder „créanciers des charges de la succession“ (Grimaldi, Successions, Nr. 669 (529)). Zur Kategorie der „charges de la succession“ auch Trockels, Erbengemeinschaft, 197 f. 324 Streng genommen ist die zweite Gläubigergruppe vom Wortlaut nicht erfasst, da Art. 81517 Abs. 1 Code civil von Gläubigern spricht, die schon vor Eintritt der indivision auf die Nachlassgüter zugreifen konnten, was etwa für einen Anspruchsteller aus Beerdigungskosten nicht zutrifft. Es ist aber unstreitig, dass insofern ein Redaktionsversehen vorliegt, siehe Terré/Lequette/ Gaudemet, Successions, Rn. 959 (Fn. 2). Zur sachlichen Rechtfertigung der Gleichbehandlung mit den Erblassergläubigern Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 960. 325 Art. 815-17 Abs. 1 Code civil. Nach Lequette, in: Études Weill, Nr. 10, hatte die Rechtsprechung das Vorzugsrecht der letztgenannten Gläubiger entgegen der Aussage des Berichterstatters zur Reform keineswegs allgemein, sondern nur sehr vereinzelt anerkannt. 326 Trockels, Erbengemeinschaft, 86 f., 220 f. Umstritten ist allerdings offenbar, ob Art. 815-17 Abs. 1 Code civil auch Anwendung auf Rückgriffsansprüche von Miterben findet, die aus der Nachlassabwicklung resultieren (ebd., 226–229).
B. Die Zentralisierung der Nachlassabwicklung
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Der Gesetzgeber beabsichtigte mit dieser Erweiterung des Gläubigerschutzes, die Kreditwürdigkeit der indivision zu verbessern und damit ihre Verwaltung zu erleichtern, zumal das neue Regime einer ungeteilten Fortsetzung keineswegs mehr so feindselig gegenüber steht wie das alte327 und im Hinblick auf die oft negativen Konsequenzen verfrühter Teilungen 328 Möglichkeiten zu deren Vermeidung geschaffen hat.329 Im Schrifttum stieß die Erstreckung der „Frécon“-Rechtsprechung auf die erwähnte Gläubigergruppe indessen auf Kritik.330 Nicht nur wurde die innere Rechtfertigung einer Bevorzugung gegenüber den Eigengläubigern und einer Gleichbehandlung mit den Erblassergläubigern bezweifelt.331 Auch wurde darauf hingewiesen, dass die Stabilität der indivision nicht gestärkt, sondern gerade untergraben werde. Denn Eigengläubiger erhielten einen Anreiz zur raschen Herbeiführung der Teilung (im Namen der Miterben),332 während die Erblassergläubiger sich genötigt sehen könnten, möglichst rasch in den Nachlass zu vollstrecken.333
V. Rechtsvergleichendes Fazit Zu keiner Zeit haben die hier untersuchten Erbrechtsordnungen darauf beharrt, die Abwicklung in den Händen einer einzigen Person zu konzentrieren.334 Für den Fall aber, dass es zwei oder mehr Abwickler gibt, hat die rechtsethische Forderung, den Erblassergläubigern hieraus keine Nachteile entstehen zu lassen, als Motor für die Zentralisierung der Abwicklung gewirkt. Rechtstechnisch findet diese ihren Ausdruck im Fortbestand des Nachlasses als Sondervermögen. Notwendig einhergegangen ist dies mit einer Zurücksetzung der Interessen der Begünstigten, die 327
Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 823 (741 f.). Trockels, Erbengemeinschaft, 93 f. 329 Dazu Trockels, Erbengemeinschaft, 94–98. Siehe auch unten Fn. 333 zu Art. 815-17 Abs. 3 Code civil. 330 Näher Lequette, in: Études Weill, Nr. 14–20; Terré/Lequette/Gaudemet, Successions, Rn. 960 f.; Grimaldi, Successions, Nr. 669. 331 Lequette, in: Études Weill, Nr. 18, sieht die Gleichstellung allenfalls im Hinblick auf Verbindlichkeiten aus Maßnahmen zur Erhaltung des Nachlasses als berechtigt an, nicht aber im Hinblick auf die sonstige Verwaltung. 332 Dieses früher mittels der „action oblique“ gewährte Recht (siehe oben Fn. 269) ist heute ausdrücklich in Art. 815-17 Abs. 3 Code civil verankert. 333 Dieser Anreiz erklärt sich auch daraus, dass Art. 815-17 Abs. 3 Code civil ein Ablösungsrecht der Miterben für den Fall vorsieht, dass ein persönlicher Gläubiger die Teilung verlangt, und der daraus resultierende Regressanspruch dann ebenfalls privilegiert ist (dazu Trockels, Erbengemeinschaft, 89–91). Im Ergebnis müssen die Erblassergläubiger damit indirekt auch die Konkurrenz der Eigengläubiger befürchten, womit die „Frécon“-Rechtsprechung konterkariert zu werden droht. Siehe Lequette, in: Études Weill, Nr. 17–20 („conséquences néfastes“); Terré/Lequette/ Gaudemet, Successions, Rn. 961. Für unberechtigt hält die Kritik dagegen Trockels, Erbengemeinschaft, 91 f., weil der Masse für jede neue Verbindlichkeit in der Regel auch ein Gegenwert zufließe. Zum Vorschlag, den Vorrang der Erblassergläubiger wenigstens teilweise über das Instrument der Vermögenstrennung (séparation des patrimoines) wiederherzustellen, siehe oben § 6 Fn. 473. 334 Anders ist dies im Falle Costa Ricas, siehe oben Fn. 2. 328
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§ 8 Die Konzentration der Nachlassabwicklung
selbst dann, wenn sie an der Abwicklung beteiligt sind, die ihnen zustehenden Vorteile zunächst nur in gebundener Form erhalten. Wenn das heutige deutsche, englische und französische Recht trotz einer gemeinsamen rechtspolitischen Grundwertung immer noch beachtliche Unterschiede in der Umsetzung aufweisen, so liegt die Erklärung in Pfadabhängigkeiten und den Beharrungskräften der Tradition. So war für das englische Recht die zentralisierte Abwicklung zwar nicht die notwendige, aber doch die natürliche Konsequenz des Grundsatzes der gesonderten Abwicklung und der Idee einer „Repräsentation“ des Verstorbenen.335 Bildete der Nachlass bereits in der Hand eines personal representative ein Sondervermögen, konnte bei einer Mehrzahl von executors oder administrators nicht gut etwas anderes gelten. Das deutsche und das französische Recht standen demgegenüber vor der Aufgabe, das Erbe der gemeinrechtlichen Bruchteilsgemeinschaft abzuschütteln, was ihnen bis heute nicht vollständig gelungen ist. Besonders deutlich ist dieser Befund für das französische Recht, das die Aufteilung der Schulden unter mehreren héritiers nur bis zum partage, also der Nachlassauseinandersetzung aufschiebt, und damit (wie bei anderen Aspekten der Nachlassabwicklung) immer noch eine starke Orientierung an den Begünstigteninteressen zeigt. Wenn das französische Recht in der Praxis dennoch zufriedenstellend funktioniert, liegt der wesentliche Grund in einer Derogation des gesetzlichen Modells durch die Praxis, in der in aller Regel der Notar als Liquidator des Nachlasses agiert. Doch auch das deutsche Recht hat, ungeachtet seiner im Vergleich zu Frankreich stärkeren Rücksichtnahme auf Gläubigerinteressen, den Gedanken eines gebündelten Vorgehens gegen den Nachlass nicht konsequent zu Ende geführt. Indem die Verfasser des BGB versucht haben, das Problem mittels gesamtschuldnerischer Haftung der Miterben schon vor Teilung zu lösen, haben sie, in den Worten Otto von Gierkes, immer noch zu „atomistisch“ gedacht.336 Verschärft werden die Probleme im deutschen Recht durch das unreflektierte Festhalten an einer anderen historischen Überlieferung, die sich mit dem Konzept einer gesamthänderischen Bindung der Abwickler schlecht verträgt. Gemeint ist deren Bestimmung aufgrund einer abstrakten Ordnung im Fall des Fehlens einer erblasserischen Entscheidung. Denn nicht nur wird den Erblassergläubigern hierdurch die Identifikation der Abwickler erschwert, auch droht ihre Zahl unkontrolliert anzuwachsen.337 Das englische Modell der gerichtlichen Ernennung einer beschränkten Zahl von „Intestatabwicklern“ vermeidet beide Probleme und liefert vermutlich die Haupt erklärung dafür, dass englische Juristen niemals das Bedürfnis verspürten, dem Nachlass eine eigene Rechtspersönlichkeit zuzusprechen. Obgleich die englische Lösung den Preis einer stärkeren hoheitlichen Einmischung hat, spricht nicht zuletzt die „nebenbei“ erfolgende Legitimation der Abwickler dafür, dass es sich um 335 Nicht notwendig deshalb, weil auch denkbar wäre, die einzelnen Nachlassbruchteile als (Teil-)Sondervermögen in der Hand der einzelnen representatives fortbestehen zu lassen. 336 Vgl. oben Fn. 163. 337 Siehe dazu schon im Kontext des preußischen ALR oben B.II.1a) (653 f.).
B. Die Zentralisierung der Nachlassabwicklung
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eine lohnende Investition handelt. Als mildere Variante kommt in Betracht, die Entscheidung zur Ernennung des oder der Abwickler zunächst den Intestatbegünstigten zu überlassen, und eine gerichtliche Ernennung nur bei Fehlen einer Mehrheit vorzunehmen.338
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So die Lösung des Rechts von Costa Rica, siehe oben oben Fn. 2.
§ 9 Bilanz und Ausblick Der Vollzug der erbrechtlichen Verteilungsvorgaben, der in dieser Arbeit unter dem Begriff der „Nachlassabwicklung“ behandelt wird,1 ist ein komplexer Koordinierungsprozess und weit mehr als bloßes Transmissionsgeschehen.2 Der Grund hierfür liegt zum einen darin, dass das Erbrecht neben einer gegenständlichen auch eine rein wertmäßige Teilhabe am Nachlass zulässt (Beispiele sind Geldvermächtnisse und Steuern) und dadurch auf lebzeitige Transformations-, Konkretisierungsund Erfüllungshandlungen angewiesen ist. Zum anderen will das Erbrecht in der Lage sein, bei unzureichendem Nachlass bestimmte Rangverhältnisse zu wahren und beispielsweise die Gläubiger des Verstorbenen vor den Begünstigten des Erbfalls zum Zuge kommen zu lassen. Insbesondere dieser zweite Punkt zeigt, warum die Vollzugsdimension des Erbrechts3 nicht voll erfasst werden kann, wenn sie, wie es häufig geschieht, allein aus der Begünstigtenperspektive betrachtet wird. Zudem wird deutlich, dass die (zumindest latente) Beachtung von Rangverhältnissen zu einer „Verstrickung“ der Nachlassgegenstände führt, die schrittweise aufgelöst werden muss. Die jedenfalls unter kontinentaleuropäischen Juristen verbreitete Vorstellung vom Erbrecht als einem einaktigen Übertragungsvorgang wird folglich nur Erbrechtsordnungen auf einer ganz frühen Entwicklungsstufe gerecht, die noch keine Gläubigerinteressen berücksichtigen mussten und allein eine gegenständliche Nachlasspartizipation kannten.4 Die Schaffung und schrittweise Ausdifferenzierung eines „Abwicklungsapparats“, den die gestiegenen Anforderungen der Zuweisungsdimension 5 erforderlich machten, lässt sich besonders klar anhand des römischen und des mittelalterlichen englischen Rechts nachvollziehen,6 deren Regelungen und Begriffe das Fundament auch der heutigen Regime bilden.7 Die grundlegenden Strukturfragen sind – bei aller Vielfalt im Detail – über die Jahrhunderte hinweg stets dieselben geblieben: Staatsnahe oder staatsferne Abwicklung? Eigenabwicklung oder Fremdabwick lung? Gesonderte oder integrierte Abwicklung? Einheitsmodell oder Optionsmo1
Zum Begriff oben § 1 F. (64 ff.). Nachlassabwicklung als Regelungsproblem in geschichtlicher Entwicklung siehe oben § 2 (119 ff.). 3 Zum Begriff der Vollzugsdimension oben § 1 B. (6 ff.). 4 Siehe oben § 2 D. (160 ff.). 5 Zu diesem Begriff oben § 1 B.II. (6 ff.). 6 Dazu oben §§ 3 und 4 (165 ff., 243 ff.). 7 Dazu oben § 5 (316 ff.). 2 Zur
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dell? Zentrale oder dezentrale Abwicklung?8 Weil die herkömmliche Erbrechtsvergleichung die einzelnen Aspekte nicht klar identifiziert oder jedenfalls nicht sauber voneinander unterschieden hat, ist sie nicht nur daran gescheitert, verschiedene nationale Regelungsmodelle auf erkenntnisfördernde Weise zueinander in Bezug zu setzen. Mit ihrer formalistischen und in nationalen Vorverständnissen befangenen Herangehensweise hat sie den Weg zu fruchtbaren Vergleichen sogar verbaut.9 Lassen sich, was die Antworten auf die gestellten Fragen betrifft, historische und rechtsvergleichende Konvergenzprozesse ausmachen, kann gar von einem „Ende der Geschichte“10 in dem Sinne gesprochen werden, dass wir nach jahrhundertelangem Suchen und Experimentieren heute wissen und uns einig sind, welches der beste Weg ist, die von einer verstorbenen Person zurückgelassenen Vermögenswerte in die Hände der auserkorenen Empfänger zu bringen? Angesichts der enormen Vielgestaltigkeit der heutigen Regime scheint es zunächst, als wären beide Fragen zu verneinen, als würden, wie es die herkömmliche Vergleichung ja auch oftmals suggeriert, weiterhin tiefe, womöglich sogar rechtskulturell bedingte Gräben zwischen den einzelnen Rechtsordnungen verlaufen.11 Doch überwiegen bei näherem Hinsehen deutlich die Gemeinsamkeiten. So hat sich die Einsicht, dass für eine Liquidation des Nachlasses als Sondervermögen zumindest die Option bestehen muss, weil sonst der Erbfall einer Lotterie zu gleichen droht, schon im römischen Recht durchgesetzt, ohne in späteren Jahrhunderten nachhaltig in Zweifel gezogen worden zu sein.12 Seit Langem gefestigt ist sodann der Primat der Eigenabwicklung gegenüber der Fremdabwicklung. Die Verteilung der Nachlasswerte in die Hände des Haupt- oder Residualbegünstigten zu legen, bringt Effizienzvorteile und vermeidet Bevormundung, ohne Gläubiger interessen per se zu gefährden.13 Im Hinblick darauf, dass die Begünstigten typischerweise die nahen Angehörigen des Verstorbenen sind, kann die Eigenabwicklung zudem besonderen ideellen und emotionalen Interessen Rechnung tragen, etwa dem Wunsch, bestimmte Nachlassgegenstände in der Familie zu halten14 8 Zu Begriff und Taxonomie der Nachlassabwicklung insbesondere oben § 1 F. und G. (64 ff., 85 ff.), ferner § 1 E.I.2a)(1) (34 ff.), § 3 A.IV. (174 f.), § 4 C.II.2b) (309 ff.), § 8 A.I. (637 ff.) 9 Siehe oben § 1 E. (26 ff.). 10 Angelehnt die von dem Politologen Francis Fukuyama vertretene und u. a . von Hegel inspirierte These vom „Ende der Geschichte“, gemeint im Sinne der endgültigen Durchsetzung von Demokratie und Marktwirtschaft als Ordnungsprinzipien nach dem Ende der UdSSR: Francis Fukuyama, The End of History and the Last Man, 1992. Dieselbe rhetorische Figur gebraucht im Kontext des portuguiesischen Rechts der Nachlassabwicklung Gomes da Silva, Herança, 156 f. 11 In der Tat meint Leleu, ERPL 6 (1998), 188, dass bei der Nachlassabwicklung im Gegensatz zu anderen Teilbereichen des Erbrechts bislang keine Konvergenzprozesse zu beobachten seien. Dieses Urteil beruht jedoch auf einer viel zu engen historischen Sichtweise. Ders., ERPL 6 (1998), 174, konstatiert denn auch selbst eine länderübergreifende Tendenz weg von der integrierten Abwicklung und hin zu Kollektivverfahren. 12 Siehe oben § 4 C.II.3g) (315 f.); § 6 A.I. (367 ff.); ferner IECL/Schwind, Liability for Obligations of the Inheritance, Nr. 12. 13 Siehe oben § 3 C.II.2. (205 ff.). 14 Zusätzlich stärken lässt sich dieser Belang durch die ausdrückliche Gewährung von Ablösungsrechten, dazu oben § 6 C.II.2b)(2) (400 ff.).
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oder intime Details über das Leben des Verstorbenen nicht nach außen dringen zu lassen.15 Dass das BGB demgegenüber die gesonderte Eigenabwicklung stark zurückgedrängt hat,16 stellt den genannten Befund nicht infrage. Denn bei vergleichender Betrachtung hat das deutsche Recht in diesem Punkt einen Sonderweg eingeschlagen, der zu Recht seit Langem als Irrweg kritisiert wird. Natürlich besteht immer die Gefahr, dass der Haupt- oder Residualbegünstigte sich als ungeeignet für die Abwicklung erweist. Doch lässt sich dieser Gefahr durch die Möglichkeit einer Abberufung und insbesondere durch die Gewährung einer letztwilligen Auswahlbefugnis begegnen.17 Wo es ihm ratsam erscheint, kann der Erblasser Abwickler- und Begünstigtenrolle dann auch entkoppeln und somit eine Fremd abwicklung anordnen. Als gefestigt kann des Weiteren auch der Primat der staatsfernen gegenüber der staatsnahen Abwicklung betrachtet werden.18 Die Ratio besteht darin, dass die staatsnahe Abwicklung Kosten und Verzögerungen verursacht, denen im empirischen Normalfall des zulänglichen Nachlasses kein gleichwertiger Nutzen gegenübersteht. Entsprechende Verfahren sollten daher nicht zwingend vorgesehen, sondern nur für pathologische Fälle, d. h. überschuldete oder unübersichtliche Nachlässe, in Reserve gehalten werden. Und wenn die staatsnahe Abwicklung in der Geschichte phasenweise sehr prominent war und nicht zuletzt in den USA noch heute prominent ist,19 dann ist die Erklärung darin zu suchen, dass die Nachlass abwicklung jedenfalls zum Teil von sachfremden Zwecken gekapert wurde, insbesondere fiskalischen Interessen.20 Zwar sichern sich Staaten heute natürlich noch genauso (oder sogar in noch stärkerem Ausmaß als früher) eine wertmäßige Partizipation am Nachlass in Gestalt einer Steuer; doch bedürfen sie zur Durchsetzung ihrer Teilhabe nicht mehr der Einmischung in die Nachlassabwicklung.21 Ein rechtsordnungsübergreifender Entwicklungsprozess hin zur „richtigen“ Lösung lässt sich schließlich auch für den Fall ausmachen, dass der Erblasser oder das Gesetz mehr als eine Person mit der Aufgabe der Nachlassabwicklung betraut hat. Denn spätestens im 19. Jahrhundert hat sich die Überzeugung durchgesetzt, dass den Erblassergläubigern hieraus keine Nachteile entstehen dürfen. Konsequenz ist, dass der Nachlass jedenfalls vorerst als Zuordnungsverband fortbestehen und eine quotale Teilung der Verantwortlichkeiten unter den Abwicklern unterbleiben muss.22
15
Siehe oben § 2 E. (161 ff.), § 4 C.II.3c) (312 ff.). Siehe oben § 6 E. (443 ff.). 17 Siehe oben § 3 C.II.1. (203 ff.), § 6 F.III.4. (569 ff.). 18 Siehe oben § 6 F. (562 ff.). 19 Siehe oben § 1 E.I.2a)(3) (37 ff.). 20 Für das historische österreichische Recht siehe oben § 1 E.I.2a)(4) (41 ff.), für das historische englische Recht § 4 B.II.2e) (291 ff.) (siehe aber auch zum heutigen Recht oben § 6 Fn. 29); für ein punktuelles Beispiel aus dem früheren französischen Recht siehe oben § 5 C.II.d)(1) (347 f.). 21 Dies war schon die Auffassung bei Abfassung des BGB, siehe oben § 6 Fn. 794. 22 Siehe oben § 8 B.V. (681 ff.). 16
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Illustrieren lassen sich die historisch gewachsenen gemeinsamen Grundüberzeugungen durch folgendes Gedankenexperiment: Würden sich Juristen aus Deutschland, England und Frankreich heute zusammensetzen, um ein einheitliches Regime der Nachlassabwicklung zu entwerfen, ist anzunehmen, dass sie sich rasch auf vier Eckpunkte verständigen könnten: erstens auf die Notwendigkeit eines Modus der gesonderten Abwicklung; zweitens auf den Grundsatz der Abwicklung durch den oder die Residualbegünstigten (ohne die testamentarische Anordnung einer Fremd abwicklung damit auszuschließen); drittens auf die unterstützende, aber nicht präventive Beteiligung staatlicher Stellen (wobei für einen sogleich zu erörternden Unteraspekt Dissens zu erwarten wäre); und viertens auf eine zentrale Abwicklung im Fall, dass diese Aufgabe mehr als einer Person zufällt. In bestimmten Punkten wäre freilich auch mit größerem Diskussionsbedarf zu rechnen, und dies gilt insbesondere für die Vorkehrungen, mit denen die gesonderte Nachlassabwicklung ausgestattet werden muss, damit durch sie nicht Gläubiger interessen gefährdet werden. Wie gezeigt, stellt sich vor allem die kontinentaleuropäische Rechtsentwicklung als ein jahrhundertelanges Ringen um das richtige Maß dar, um den „gerechten Preis“ der Haftungsbeschränkung.23 Zwar hat sich hierbei zunehmend die Auffassung durchgesetzt, dass die – an sich wünschenswerte – Einfachheit der Nachlassabwicklung nicht mit Abstrichen beim Gläubigerschutz bezahlt werden darf.24 Doch verläuft die Bruchlinie auch in den geltenden Erbrechten nicht einheitlich. So würden sich die französischen Teilnehmer womöglich dagegen sperren, dem Abwickler allzu feinmaschige Pflichten aufzuerlegen, aus der Sorge heraus, dass die Abwicklung infolge ihrer Komplexität aus den Händen der nahen Familienangehörigen genommen wird (aus demselben Grund würde ihnen womöglich die unbeschränkte Möglichkeit der testamentarisch angeordneten Fremd abwicklung Bauchschmerzen bereiten).25 Die englischen Juristen hätten vielleicht Schwierigkeiten, ihre Kollegen aus Frankreich und Deutschland davon zu überzeugen, dass die gesonderte Abwicklung grundsätzlich frei von jeglichen Voraussetzungen ermöglicht werden kann, insbesondere ohne Notwendigkeit einer Inventarerrichtung, 26 solange nur die beschränkte Haftung mit dem Gegengewicht einer Abwicklerhaftung versehen wird.27 Meinungsverschiedenheiten wären ferner hinsichtlich der Frage denkbar, ob das Risiko einer unerkannten Unzulänglichkeit des Nachlasses den Gläubigern oder dem Abwickler aufgebürdet werden soll.28 Doch wären etwaige Differenzen in diesen Punkten keineswegs unüberbrückbar, da sie eher in der Suggestionskraft der eigenen Rechtstradition als in sachlichen Erwägungen gründen würden. 23
Ausführlich oben § 6 (367 ff.), vorher bereits § 4 A.VII.11 (280 ff.), B.III. (298 ff.). Ausnahme hiervon macht das deutsche Recht bei geringwertigen Nachlässen, siehe oben § 6 E.IV.3b)(5) (502 ff.). 25 Siehe oben § 6 C.IV. (434 ff.). 26 Siehe oben § 6 F.III.2. (566 ff.). 27 Siehe oben § 6 F.II.3. (565 f.). 28 Siehe oben § 6 F.II.2. (564 f.). 24 Eine
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Gibt es immerhin auch Aspekte der Nachlassabwicklung, bei denen sich weiterhin fundamentale Unterschiede zeigen, vielleicht auch als Ausdruck rechtskultureller Besonderheiten? In jedem Fall gehört hierzu die Frage, wie der oder die Abwickler zu bestimmen sind, wenn der Erblasser eine Auswahl unterlassen hat. Denn wenngleich die kontinentale und die englische Lösung gemeinsam haben, dass sie die Abwicklerrolle den Begünstigten antragen und dadurch die Eigenabwicklung fördern, weichen sie in einem zentralen Punkt voneinander ab: Während die kontinentalen Regime die Abwicklerauswahl allein auf Grundlage einer abstrakten Gesetzesformel treffen und jeden Begünstigten in die Abwicklung einbeziehen, sieht das englische Recht nicht nur eine partielle Entkoppelung beider Rollen vor, sondern auch einen gerichtlichen Filter.29 Dies bedeutet zum einen, dass nicht notwendig jeder gesetzliche beneficiary zum administrator bestellt wird, zum anderen, dass die gerichtliche Auswahl eine Ermessensentscheidung mit konstitutiver Wirkung ist. Aus kontinentaler Sicht verletzt die englische Lösung damit zwei Grundprinzipien, die so selbstverständlich erscheinen, dass sie oftmals gar nicht explizit gemacht werden: erstens den Grundsatz der Gleichbehandlung aller Intestatbegünstigten, insbesondere aller Kinder des Verstorbenen, zweitens den Grundsatz der Staatsferne der Nachlassabwicklung. Doch müssen kontinentale Juristen bei nüchterner Betrachtung auch die Stärken der gerichtlichen Ernennung eingestehen, die in der Möglichkeit zum Ausschluss ungeeigneter Personen, in der zahlenmäßigen Beschränkung der Abwickler, in deren einfacher Identifizierbarkeit für Dritte und schließlich in der „beiläufigen“ Ausstattung des Abwicklers mit Legitimation im Rechtsverkehr liegen (für letztgenanntes Ziel kommen auch die kontinentalen Regime typischerweise nicht um die Einschaltung von staatlichen Behörden herum 30). Ein weiterer Aspekt, für den noch nicht von einer Patentlösung gesprochen werden kann, ist die Rolle der integrierten Abwicklung, also der Abwicklung mittels unmittelbarer Vermögensverschmelzung, deren wichtigstes Kennzeichen die unbeschränkte Haftung ist. Soll eine Rechtsordnung diesen Modus neben der (unverzichtbaren) gesonderten Abwicklung überhaupt anbieten? Und wenn ja, in welchem Verhältnis sollen die beiden Abwicklungsmodi zueinander stehen?31 Die Erfahrungen Deutschlands und Frankreichs mit dem Optionsmodell sind wenig ermutigend gewesen, und anderen kontinentaleuropäischen Regimen scheint es kaum anders ergangen zu sein. Doch ist, da weder das deutsche noch das französische Recht das Optionsmodell überzeugend umgesetzt haben,32 der Stab über dieses noch nicht gebrochen. So macht das BGB die gesonderte Abwicklung dadurch unattraktiv, dass es sie grundsätzlich nur in Form der staatsnahen Fremd abwicklung zulässt (Nachlassverwaltung und Nachlassinsolvenzverfahren).33 Der 29
Siehe oben § 8 A.II. (638 ff.). Siehe oben § 1 I.II.1a) (100 ff.). 31 Siehe oben § 7 A. (569 ff.). 32 Siehe oben § 7 D. (632 ff.). 33 Siehe oben § 6 E.V.3. (526 ff.). 30
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Code civil hingegen lässt zwar die gesonderte staatsferne Eigenabwicklung zu, setzt aber die Schwelle zur unwiderruflichen Wahl der gefahrträchtigen integrierten Abwicklung zu niedrig an. Für die Frage, ob jedenfalls ein „aufgeklärtes“ Optionsmodell den Vorzug vor einem Einheitsmodell verdient, liegen somit noch keine Erfahrungswerte vor. Zudem hat die Rechtsvergleichung die Thematik noch gar nicht als Regelungsproblem erfasst und diskutiert. Denn zum einen betrachtet sie die kontinentalen Regime stets nur von der Warte der beschränkten oder unbeschränkten Haftung her, zum anderen überspielt sie das Nebeneinander zweier oder mehrerer Abwicklungsmodi gerade, indem sie es auf einen Grundsatz oder eine Tendenz zu reduzieren versucht.34 Konsequenz ist die Fehlvorstellung, dass eine Rechtsordnung sich definitiv zwischen gesonderter und integrierter Abwicklung entscheiden müsse. Schließlich hat aber auch das doppelte Informationsdefizit, das Erbfälle typischerweise prägt, bislang nicht die gebotene Aufmerksamkeit erfahren. Damit ist zum einen gemeint, dass die für eine vernünftige Wahl des Abwicklungsmodus notwendigen Informationen, also die genauen Nachlassverhältnisse, meist gar nicht bekannt sind, sondern erst ermittelt werden müssen.35 Zum anderen meint Informationsdefizit die Tatsache, dass dem Abwickler häufig die für eine verantwortungsvolle Ausübung des eingeräumten Wahlrechts nötigen Rechtskenntnisse fehlen. Für konkrete Vorschläge zur Reform des allseits als unbefriedigend empfundenen deutschen Rechts wären zumindest in zweierlei Hinsicht noch weitere Untersuchungen erforderlich: Zum Ersten bedürfte es eines klareren Bildes über die herrschende Nachlassabwicklungspraxis, insbesondere was Nachlasswerte und -zusammensetzungen, personale Konstellationen, gerichtliche und außergerichtliche Kosten sowie Rechtskenntnisse und -vorstellungen der Bevölkerung angeht.36 Zum Zweiten wären mehr empirische Erkenntnisse über die Bedeutung des Gläubigerschutzes nötig: Welche Gläubiger sind überhaupt (noch) auf den Schutz durch das Erbrecht angewiesen und verlassen sich auf ihn?37 Schließlich müsste die Rolle staatlicher Stellen in einem umfassenden Sinne erörtert werden, also auch im Hinblick auf allgemeine Informations- und Ermittlungspflichten, die Gerichtsorganisation sowie das Nachlassverfahrensrecht.38 Auf Grundlage der in dieser Arbeit erzielten Erkenntnisse lässt sich immerhin eines sagen: Wenn es eine Rechtsordnung gibt, die dem regulatorischen Ideal derzeit am nächsten kommt, dann ist es die englische.39 Diese Einschätzung basiert keineswegs nur darauf, dass die englische Nachlassabwicklung im Gegensatz zu 34
Siehe oben § 1 E.II.6b) (62 f.), § 4 C.I. (299 f.). Siehe oben § 4 A.VII.10. (277 ff.). 36 Bedarf für mehr empirische Forschung sieht auch Kunz, ErbR 2020, 596. 37 Dazu oben § 8 Fn. 70. 38 Siehe neben den in den 1930er Jahren unterbreiteten Vorschlägen (oben § 6 Fn. 1316) die auf dem 68. Deutschen Juristentag bei Frieser, Referat, L 71–L82, und Mayer, Referat, L 114–139, geäußerten Überlegungen. Zur Idee eines „Großen Nachlassgerichts“ auch Frieser, ErbR 2017, 365– 368; Kollmeyer, ZEV 2020, 273–275. 39 Sympathie hierfür wohl auch bei Staudinger/Kunz (2020), Vorbem zu §§ 1967 ff Rn. 212, die 35
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ihrem deutschen und französischen Pendant in den vergangenen Jahrzehnten keine grundlegende Kritik mehr erfahren hat, denn diese Selbstzufriedenheit der englischen Juristen könnte ihren Grund auch in einer irrig angenommenen Alternativlosigkeit haben. Doch lassen sich für den praktischen Erfolg der englischen Nachlassabwicklung auch handfeste Gründe nennen. So vermeidet sie kategorisch die Vielzahl der mit der integrierten Abwicklung verbundenen Probleme, für die jedenfalls das deutsche und das französische Recht noch keine befriedigende Lösung gefunden haben. Und wenn gefragt wird, wie sich das englische Recht sein Einheitsmodell „leisten“ kann, dann liegt die Antwort in einem anderen, im rechtsvergleichenden Schrifttum regelmäßig verkannten Merkmal seiner Nachlassabwicklung, nämlich der grundsätzlichen Staatsferne.40 Gesagt werden soll damit nicht, dass der deutsche Gesetzgeber bei einer Reform der Nachlassabwicklung in jeder Hinsicht die Nähe zum englischen Recht suchen sollte; beispielsweise erschiene es sinnvoll, die Wertung des § 1979 BGB, die das englische Recht in diesem Ausmaß nicht kennt,41 beizubehalten. Doch wäre es unbedingt nötig, gängige Vorurteile abzulegen und das Erkenntnispotential der Rechtsvergleichung voll auszuschöpfen. So lautet eine erste Lehre des englischen Rechts, dass die gesonderte Abwicklung nicht nur unproblematisch in Form der staatsfernen Eigenabwicklung ermöglicht werden kann, sondern überdies noch nicht einmal an eine Inventarerrichtung geknüpft zu werden braucht und damit den gesetzlichen Regelfall bilden kann. Notwendig, aber grundsätzlich auch ausreichend für den Schutz der Nachlassgläubiger sind treuhänderische Pflichten des Abwicklers und die Möglichkeit seiner Abberufung. Die zweite Lehre des englischen Rechts lautet, dass ein Regime, das eine staatsferne gesonderte Eigenabwicklung gestattet, sogar ganz ohne die gefahrenträchtige und die regulatorische Komplexität erheblich steigernde integrierte Abwicklung auskommen kann. Zur Überwindung ihrer Berührungsängste mit der englischen Nachlassabwicklung müssen deutsche Juristen sich klarmachen, dass deren Strukturen keineswegs fremdartig, sondern im BGB längst angelegt sind. Denn dieses kennt sogar gleich mehrere Spielarten einer geordneten Liquidation des Nachlasses als Sondervermögen.42 Eine Reform der deutschen Nachlassabwicklung bräuchte folglich nicht mit einem Paradigmenwechsel verbunden zu sein, sondern könnte sich damit begnügen, die vorhandenen Regelungsbausteine neu zu arrangieren. Was in jedem Fall einen Paradigmenwechsel erfordert, ob mit oder ohne Reform, das ist die rechtsdogmatische Erfassung der Nachlassabwicklung. Deutsche Juristen stehen – ebenso wie ihre meisten kontinentalen Kollegen – immer noch im Bann der römischen Tradition, die auch der Systematik des BGB ihren Stempel aufgeprägt hat. Merkmal dieser Tradition ist die Fokussierung auf den heres bzw. Erben allerdings der verbreiteten Fehlvorstellung zu unterliegen scheint, dass das englische Recht eine zwingende Fremdabwicklung vorsehe (dazu schon oben § 1 E I.1a) (27 ff.)). 40 Siehe oben § 1 E.I.2a)(2) (35 ff.), § 6 B.I. (372 ff.). 41 Siehe oben § 6 F.II.2. (564 f.). 42 Siehe oben § 6 E.II. (445 ff.).
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als Gesamtnachfolger des Verstorbenen. Soll das Thema der Nachlassabwicklung umfassend verstanden und diskutiert werden, ist es erforderlich, aus der Erbenperspektive herauszutreten und in die Nachlassperspektive einzutreten, angelehnt an Heinrich Mitteis also den Blick weg vom „Erben“ und hin zum „Erbe“ zu lenken.43 Der Grund hierfür ist, dass die Erbenperspektive dazu verführt, den Vorgang der Gesamtnachfolge nicht nur für den Anfangs-, sondern zugleich für den Endpunkt der Nachlassabwicklung zu halten. Denn „hinter“ dem Erben liegende Vorgänge geraten aus dem Sichtfeld; der Erbe wird nur als Empfänger, nicht aber als „Organ“ der Vollzugsdimension wahrgenommen,44 und die Nachlassteilhabe von Erblassergläubigern und Begünstigten erscheint nur noch in Gestalt von Nachlassverbindlichkeiten. Die Erbenperspektive wird deshalb allenfalls der integrierten Abwicklung mittels confusio bonorum gerecht, da das Erbrecht das weitere Geschehen in diesem Fall an das allgemeine Vermögensrecht überweist.45 Hingegen ist die Liquidation des Nachlasses als Sondervermögen aus der Warte des Erben nur unvollkommen zu begreifen. Dies erklärt, warum die Wahrnehmung der kontinentalen Regime bis heute von der integrierten Abwicklung dominiert wird und Modi der gesonderten Abwicklung als mehr oder weniger obskure Ausnahmen aufgefasst werden (eine Sichtweise, die auch auf die Ebene der Rechtsvergleichung transponiert wird).46 Schließlich verführt die Erbenperspektive auch dazu, die Nachlassabwicklung einseitig von den Interessen der Begünstigten her zu denken und die Interessen der Erblassergläubiger zu vernachlässigen.47 Diese Gefahr hat sich, im Gegensatz etwa zum Code civil von 1804,48 zwar nicht bei Erarbeitung des BGB realisiert, das durchgehend ein sehr hohes Gläubigerschutzniveau etabliert hat.49 Doch scheint sowohl bei der Handhabung der Nachlassabwicklung in der Praxis als auch bei Überlegungen zur Reform des geltenden Rechts immer wieder die Vorstellung durch, dass dem Erben weder eine unbeschränkte Haftung noch die Pflichtenstellung eines Treuhänders zumutbar sei.50 Verkannt wird dabei, dass Macht und Verantwortung stets miteinander korrelieren müssen, will man nicht spürbare Einbußen im Gläubigerschutz in Kauf nehmen. Die oft geforderte Rückkehr zur gemeinrechtlichen Tradition des beneficium inventarii liefe auf Letzteres hinaus, ohne dass man sich dessen freilich immer bewusst zu sein scheint.
43
Siehe oben § 1 Fn. 491; vgl. auch Ebel, ZRG (RA) 84 (1967), 254. grundlegenden Unterscheidung zwischen Zuweisungs- und Vollzugsdimension des Erbrechts oben § 1 B.I. (6 f.). 45 Siehe oben § 4 C.II.2a) (308 f.), § 7 A.I. (571 ff.). 46 Siehe oben § 1 E.II.6b) (62 f.). 47 Siehe aber auch K. W. Lange, Erbrecht, der der „Perspektive des Rechtsverkehrs“ einen eigenen Teil widmet (D) und darin u. a. die „Persepktive des Nachlassgläubigers“ behandelt (Kapitel 17). 48 Siehe oben § 6 C.II. (386 ff.), IV. (434 ff.). 49 Siehe oben § 6 E.III. (459 ff.). 50 Siehe oben § 6 E.V.6. (532 ff.). 44 Zur
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Anstatt sich nur damit zu befassen, wie dem Erben eine Beschränkung seiner Haftung ermöglicht werden kann (schon durch Inventarerrichtung oder gar ohne jede Voraussetzung?), müsste also mindestens ebenso ausführlich über die Treuhänderstellung des Erben gesprochen werden, die das „Junktim“ einer gesonderten Eigenabwicklung wäre. Denn in der anfänglichen Pflicht des Erben, den Nachlass als fremdes Vermögen zu behandeln, läge das eigentliche Novum für das deutsche Recht, das außer im Fall des geringwertigen Nachlasses den Erben bislang nur rückwirkend den Pflichten eines „Beauftragten“ unterwirft (§ 1978 BGB).51 Und da diese „latente Treuhänderpflicht“ in der Praxis in aller Regel ignoriert wird,52 konnte sich bis heute keine entsprechende „Abwicklungskultur“ herausbilden, ganz anders als im englischen Recht, das hierfür freilich auch mehrere Jahrhunderte Zeit hatte. Würde die deutsche Rechtspraxis die Rolle des Erben im genannten Sinne neu interpretieren, wäre fraglich, inwieweit überhaupt noch ein Bedarf für eine Gesetzesreform bestünde.53 Der innere Zusammenhang zwischen Haftung und Pflichtenprogramm des Abwicklers führt zu einer grundlegenden Einsicht, die im deutschen Schrifttum nicht immer die gebotene Beachtung erfährt: dass nämlich das Thema der Nachlassabwicklung von einer Fülle gegenläufiger Abhängigkeiten gekennzeichnet ist,54 sich unerwünschte Rechtsfolgen daher niemals ganz vermeiden lassen55 und die Suche nach einer „Zauberformel“ vergebens ist.56 So kollidieren auf verschiedenen Ebenen Begünstigteninteressen mit Gläubigerinteressen57 und Praktikabilitätsinteressen mit Forderungen der Rechtsethik.58 Anstatt die isolierte Beseitigung eines bestimmten Nachteils zu verlangen, etwa der unbeschränkten Haftung des Erben, muss deshalb stets eine Gesamtbetrachtung vorgenommen und gefragt werden: Sind die mit einer geforderten Regelung verbundenen Vorteile (z. B. die anfänglich beschränkte Haftung) den dafür anfallenden „Preis“ (z. B. die Pflicht zum treuhänderischen Umgang mit dem Nachlass) wert? Umgekehrt kann die Gesamtbetrachtung helfen, sich mit unliebsamen Rechtsfolgen zu versöhnen. So ist die unbeschränkte Haftung des Erben eben keine willkürliche Schikane des Gesetzgebers, sondern das zur Wahrung der Gläubigerinteressen notwendige Gegengewicht zu einer Abwicklung, die frei von jeglichen Vorgaben und Kontrollen ist.59 Oder wie 51
Siehe oben § 6 E.IV.3b)(4) (501 f.), V.3. (526 ff.). Siehe oben § 7 C.I.5. (618 f.), C.II.2. (620 ff.). 53 Siehe nochmals oben § 6 E.V.6. (532 ff.). 54 Siehe z. B. oben § 2 B.III. (135 ff.), § 6 A. (367 ff.), § 7 D. 632 (ff.). 55 Siehe auch das Fazit des Erbrechtsausschusses der „Akademie für Deutsches Recht“, oben § 6 E.VI.2d) (546 ff.). 56 Ebenso Murga Fernández, Los sistemas europeos, 276: „[…] no existen modelos perfectos ni fórmulas mágicas […]“. Zum wiederholten Versuch einer „Quadratur des Kreises“ in der französischen Rechtsentwicklung siehe oben § 6 C.I. (384 ff.), IV. (434 ff.). Zur „Tragik der Nachlass abwicklung“ oben § 6 F.I. (563). 57 Gleichwohl ist zu beachten, dass die Interessen vielfach auch parallel laufen, siehe oben § 4 C.II.3. (311 ff.). 58 Dazu etwa oben § 4 A.VII.10 (277 ff.), § 6 A. (367 ff.), F.II. (563 ff.). 59 Siehe oben § 4 B.III. (298), § 5 C.II.2f)(3) (364), § 7 A.I. (571), B.VI.4b) (609 f.). 52
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französische Juristen mit der ihnen eigenen Prägnanz sagen: „à des pouvoirs illimités doit correspondre une responsabilité illimitée.“60 Keinesfalls sollte die Unvermeidbarkeit unerwünschter Rechtsfolgen zu der resignierten Auffassung verleiten, dass die Aufgabe eines Gesetzgebers nur noch darin liege, aus den verschiedenen zur Wahl stehenden Übeln das geringste herauszu suchen. 61 Denn das Ziel des Privatrechts besteht immer im gerechten Interessenausgleich. Gelungene Kompromisse sind kein Scheitern, sondern ein Erfolg, umso mehr, wenn es sich um ein multipolares und daher so komplexes Thema wie das der Nachlassabwicklung handelt. Überdies verdeutlicht die geschichtliche Entwicklung nachdrücklich, dass eine Interessenoptimierung gelingen kann, die Nachlass abwicklung also keineswegs immer ein Nullsummenspiel ist, bei dem einem Anliegen stets nur auf Kosten eines anderen Rechnung getragen werden kann und das Pendel heute in die eine und morgen in die andere Richtung schwingt. Bleiben die Pfade, auf denen die Nachlasswerte zum vorgesehenen Ziel gelangen, also mitunter auch verschlungen, konnte im Laufe der Jahrhunderte doch manche Strecke befestigt und manche Abkürzung gefunden werden.
60
Siehe oben § 5 Fn. 317. Aus dem portugiesischen Schrifttum Gomes da Silva, Herança, 160. So aber Malaurie/Brenner, Successions et Liberalités, Nr. 249: „Il ne faut pas se faire d’illusions. Tous les systems, passés et actuels, français et étrangers, sont mauvais […]. Il faut, comme souvent en droit, trouver le système le moins mauvais qui résulte d’un compromis entre diverses aspirations.“ 61
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Stichwortverzeichnis abandon (Frankreich) 390, 394, 475 Abberufung des Abwicklers 11, 191, 200, 238 f., 291, 312, 314, 390, 395 (Fn. 196), 403, 418, 446, 488, 566, 569 f., 612 (Fn. 298), 687, 691 Ablösungsrecht 391, 398 (Fn. 220, 222), 400 f., 509, 512, 526, 536, 542, 681 (Fn. 333), 686 (Fn. 14) Abwicklerhaftung 275, 290, 309, 443, 446, 449, 451, 455, 467, 501 f., 505, 520–522, 526 f., 530–533, 538, 541, 565, 619, 622 f., 625–628, 632, 688, 693 Abwicklungskultur 29, 532–535, 561, 693 Abwicklungsvollstreckung 31, 69, 349, 450–452 Abzugseinrede 462, 464–475, 477–479, 481 (Fn. 891), 496, 499, 526, 536 f., 556, 559 (Fn. 1486) „acceptation à concurrence de l’actif net“ (Frankreich) 397–410, 577 „acceptation pure et simple“ (Frankreich) 577 f., 581 f., 584, 589, 593, 600 „acceptation sous bénéfice d’inventaire“ (Frankreich) 384, 386–397, 577 acte de notoriété (Frankreich) 346, 679 actio ex testamento 261 actio familiae erciscundae 127, 145, 662 actio funeraria 168 actio Pauliana 400 (Fn. 242), 423 f. „Actio personalis moritur cum persona” 130, 135 action en réduction 327, 343, 360, 387, 393 f., 410 action of assumpsit 135 addictio bonorum libertatis causa 256 (Fn. 95) aditio hereditatis 166, 175 (Fn. 79), 226, 251 „Administration of Estates Act 1925“ 36, 83, 180, 192, 234, 372, 380 „Administration of Estates Act 1971“ 383
administration of estates 73–76, 376 (Fn. 62), 433, 634 (Fn. 468) administrator (England) 28, 30, 33, 36 f., 41, 110, 195 f., 199, 204–207, 230 f., 239 f., 291 (Fn. 344), 294 f., 298, 309, 373 f., 375 f., 382 f., 640 f., 682, 689 Adoption 144 f., 364 adrogatio 214 f. aerarium 167 Affatomie, salfränkische 144, 152 Akademie für Deutsches Recht, siehe Erbrechtsausschuss der „Akademie für Deutsches Recht“ Amt, privates 202, 487 (Fn. 931) ancien droit 101, 359, 421, 432 (Fn. 500), 608, 669 (Fn. 224), 676 Aneignung 122, 125 Anfallprinzip 45 – siehe auch Ipso-iure-Erwerb Anfechtung des Erbschaftserwerbs 16, 18, 253, 523, 528, 559, 578, 589 f., 593, 597, 611, 614–616 Antrittserwerb 18, 20, 26 (Fn. 156), 33 (Fn. 197), 44–46, 48, 51, 102 (Fn. 577), 103 (Fn. 581), 105 (Fn. 597), 106 (Fn. 600), 114, 127, 166, 334, 337 „Arrêt Frécon“ (Cour de cassation) 428, 675–678, 680 f. „Arrêt Toussaint“ (Cour de cassation) 362, 364 Aufgebotseinrede 453, 534, 631 Aufgebotsverfahren – deutsches Recht 356 (Fn. 266), 444 (Fn. 593), 450 (Fn. 647), 453 f., 456, 458 f., 492 (Fn. 970), 493, 510–514, 516, 529, 534, 541 f., 553, 565, 617 (Fn. 332), 627, 631 – englisches Recht 297 f., 383 f. – Erster Entwurf BGB 469, 471 – französisches Recht 398 (Fn. 225), 402, 407 f., 578 f., 591 f., 598
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– mittelalterliches Recht 278 (Fn. 264) – österreichisches Recht 438 – preußisches Recht 438, 440 (Fn. 562), 441, 467 (Fn. 789) – römisches Recht 264, 279 – Schweizer Recht 270 (Fn. 201), 580 (Fn. 64, 66), 591 – spanisches Recht 387 (Fn. 135) – US-amerikanisches Recht 510 – Vorentwurf Gottfried v. Schmitt 462, 464–466, 468, 659 – Zürcher Recht 369, 510 – Zweiter Entwurf BGB 475 Außenerbe, siehe heres extraneus Auskunftserteilung 18 (Fn. 108), 267, 356, 446, 487 (Fn. 932), 511 (Fn. 1114), 527, 529, 547 (Fn. 1390), 549, 567 f. – siehe auch Rechnungslegung Ausschlagung der Abwicklerrolle 33, 254 f., 293, 446, 561 f. Ausschlagung der Erbschaft 1, 11, 16, 18 f., 45, 55–57, 99, 101–106, 109, 111, 113, 126, 251, 253, 264, 367–369, 409, 518, 522 f., 528, 577–584, 602, 611, 613–616 Ausschlagung in der Insolvenz 104 Baden 528 (Fn. 1250) Badisches Landrecht 326 (Fn. 33), 384 (Fn. 123) bairns’ part (England) 179, 184 – siehe auch legal rights, legitim Banken 18 (Fn. 108), 378, 650 „Bankruptcy Act“ (1869/1883/1914) 380 f. Begräbnis 148 beneficium abstinendi 246 (Fn. 16), 251, 254, 256 f., 269 (Fn. 196) beneficium inventarii 96, 248 (Fn. 30), 262–283, 285–287, 298, 316 f., 367, 370, 384, 386, 435, 448, 462, 486, 506, 561, 563, 575, 612, 692 beneficium separationis, siehe separatio bonorum „Benjamin Order“ 384 (Fn. 120) Bernhöft, Franz 490 Besitzschutz, siehe Erbenbesitz Bestattungskosten 10, 139, 142, 160, 168, 255, 262, 288, 469, 564, 680 BGB-Gesellschaft 668 Binder, Julius 470, 479, 481, 550 f.
Blackstone, William 140 Boehmer, Gustav 178, 218, 225, 267, 370, 525, 535–538 bonorum emptor 255 f. bonorum possessio 167, 214, 240 Bracton, Henricus de 284 f. brasilianisches Recht 202, 249, 301 (Fn. 420), 331 (Fn. 76), 572 (Fn. 13) „Breslauer Entwurf“ zur Reform der Erbenhaftung 71, 490 (Fn. 950), 493 (Fn. 976), 495, 539, 545–547, 549, 552, 618 Bürgschaft 133, 591, 594 f. cabeca-de-casal (portugiesisches Recht) 201 f., 638 von Caemmerer, Ernst 543, 553 (Fn. 1431) cessio bonorum 263 „charging clauses“ 36 (Fn. 213) Christentum 147 f., 179 Colin, Ambroise 606 f. confusio 272 confusio bonorum, siehe Vermögensverschmelzung consortium 121, 145, 174, 244 continuatio dominii 121 „continuation de la personne“, siehe Persönlichkeitsfortsetzung conventio in manum 214 costa-ricanisches Recht 638 Court of Chancery 181 (Fn. 132), 190 (Fn. 203), 191 (Fn. 202), 194 (Fn. 241), 286, 289 (Fn. 329), 292 (Fn. 351), 295 f., 298 (Fn. 406), 380 „Creditores sunt propinquissimi heredes“, siehe „Der Gläubiger ist der erste Erbe“ cretio 166, 584 Cujas, Jaques 333 cwide (angelsächisches Recht) 152 Damnationslegat 51 (Fn. 322), 260 f. Dauerschuldverhältnis 314 f. Dauertestamentsvollstreckung 69, 201, 348, 452, 515 f. de Maupassant, Guy 102 (Fn. 570) dead’s part (England) 180, 186, 196 death-bed gift 149 (Fn. 188), 150 (Fn. 192) Deformalisierung der Nachlassabwicklung 36, 41, 96, 293, 371–380, 562
Stichwortverzeichnis
Deliktsschulden 130, 135, 264, 307 (Fn. 458) – siehe auch Vererblichkeit délivrance (Frankreich) 339 f., 344 f., 355, 359, 394 „Der Gläubiger ist der erste Erbe“ 8, 139 f. Dernburg, Heinrich 265, 271, 305 deutschrechtliche Tradition 83, 271, 278 (Fn. 264), 284, 288, 321 (Fn. 1), 329, 442 f., 563, 576 (Fn. 26), 651–653, 611 – siehe auch germanische Rechtstradition devastavit, siehe Abwicklerhaftung devisee 180 (Fn. 125), 193, 216, 574 diligentia quam in suis 390 (Fn. 156), 555 donatio mortis causa 149 (Fn. 188, 190), 203 – siehe auch „will-substitutes“, Zuwendungen unter Lebenden auf den Todesfall donatio post obitum 149 (Fn. 190), 150 (Fn. 192) Dreimonatseinrede 450, 456, 534, 630 f. Dreißigster 6 (Fn. 34) droit coutumier 95, 324, 334, 361 f., 366, 386 (Fn. 126), 391, 651, 675 „droit d’aînesse“ 13 (Fn. 67) droit de suite 418–420, 427 (Fn. 458), 428, 430 f., 433 droit écrit 324 (Fn. 18), 327, 334, 361, 386 (Fn. 126) dürftiger Nachlass, siehe geringwertiger Nachlass ecclesiastical courts, siehe kirchliche Gerichte „effet déclaratif de partage“ 673–675 Ehegatte, überlebender 25, 30, 102 (Fn. 570), 103, 159, 162, 201 (Fn. 291), 202 (Fn. 296), 325, 327 (Fn. 36), 344 f., 356, 375, 519, 562 (Fn. 1504), 579 (Fn. 56), 672 (Fn. 251) – siehe auch statutory legacy, Voraus des Ehegatten, wife’s part Ehrverlust, siehe infamia Eid 270, 290, 298 (Fn. 405) – siehe auch wager of law Eigenabwicklung 27, 30, 86–89, 91, 206, 279, 322, 434, 441, 448 f., 464–466, 468, 479, 499, 502, 509, 539, 555, 564, 571, 636, 685–687, 689–691, 693 eigenhändiges Testament 342–344
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Eigenverwaltung 87 f., 447, 489, 668 – siehe auch Eigenabwicklung Einantwortung, gerichtliche (Österreich) 20, 41, 43 f., 48, 51, 83, 90, 101, 110 (Fn. 635), 226, 353 f., 357, 377, 655 einzelkaufmännisches Unternehmen 80 (Fn. 472), 452, 516 f., 518, 613, 624 Einzelnachfolge von Todes wegen 215–217, 229, 360, 387, 637 Einzelvermächtnis (Frankreich) 21, 325 (Fn. 27), 326 f., 340 (Fn. 148), 343, 359 (Fn. 281), 360 f., 388, 393 f., 428–431, 649 envoi en possession (Frankreich) 343–345, 348, 356 Erbe – als Nachlassabwickler 1 f., 10–12, 31, 60–62, 92, 96, 170–174, 197–202, 238, 280 f., 322–324, 441 f., 542, 561 f., 570, 692 f. – als Residualbegünstigter 7, 9, 11, 31, 61 f., 92, 96, 147, 170–172, 202, 205 f., 238, 254, 280 f., 322 f., 441 f., 491, 542, 561 f., 570, 612, 628 (Fn. 417) Erbenbesitz 332 f., 338 f., 352, 356 f. – siehe auch saisine Erbenermittlung 3, 450 (Fn. 644) Erbengemeinschaft – deutsches Recht 66 f., 79–81, 88, 90, 225, 234, 443, 455–459, 482–484, 487, 489 f., 516 (Fn. 1161), 517, 610, 621, 633, 641 (Fn. 21), 644, 657–669, 682 – englisches Recht 651 f., 682 – französisches Recht 82, 339, 360, 365, 420, 427 f., 596, 669–682 – italienisches Recht 20 – preußisches Recht 652–657, 658 f., 664, 667 f., 674 (Fn. 268), 676, 678, 682 (Fn. 337) – römisches Recht 145, 174 f., 215, 230, 240, 244, 263, 299, 650 f. Erbenklausel 131 Erbfallschulden 8 (Fn. 47), 592 (Fn. 159) Erbkollisionsrecht 71–76, 120 (Fn. 1) Erbrechtsausschuss der „Akademie für Deutsches Recht“ 68, 109, 371, 484 (Fn. 906), 512 (Fn. 1125), 515 (Fn. 1152), 534 (Fn. 1287), 535, 537–553, 560, 563, 641 (Fn. 21), 663, 693 (Fn. 55)
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Stichwortverzeichnis
erbschaftlicher Liquidationsprozess (Preußen) 437 (Fn. 542), 438–440, 448, 468, 477, 576 erbschaftliches Liquidationsverfahren (Preußen) 440 f. Erbschaftsfideikommiss 168 Erbschaftssteuer 7, 9, 10 (Fn. 51), 13, 21, 29, 42, 72, 100 (Fn. 563), 159, 168 f., 173, 255 (Fn. 89), 307 (Fn. 458), 346 f., 372, 374, 380, 468 (Fn. 794), 685, 687 – siehe auch fiskalische Interessen Erbschein 3, 18 (Fn. 108), 33, 67, 345, 679 – siehe auch acte de notoriété, grant of probate, Legitimationsnachweis Erbunwürdigkeit 122, 238, 600 (Fn. 218), 611 Europäische Erbrechtsverordnung 25, 71 f. – siehe auch Erbkollisionsrecht exécution testamentaire (Frankreich) 347 f., 350 executor – englisches Recht 29 f., 32 f., 41, 52, 55, 132–135, 153, 185–194, 197–212, 225 (Fn. 440), 230 f., 239, 275, 280, 285–299, 304, 309, 312–314, 372–376, 382 f., 443, 451 f., 569, 682 – kanonisches Recht 150, 154 f., 197 f. – US-amerikanisches Recht 37 executor-dative (Schottland) 195 (Fn. 249), 378 f. „executor de son tort“ 292 (Fn. 358) „Executors Act 1830“ 190 (Fn. 203) „executor’s year“ 313 f., 374 Exkommunikation 188, 291, 377 familiae emptor 150–152, 168 (Fn. 31), 198 Familienfideikommiss 87 (Fn. 508), 181 f. Familieninteressen 29, 161 f., 203, 312, 341, 347, 354, 400 f., 570, 608, 686 f. – siehe auch Eigenabwicklung „family provision“ (England) 83 (Fn. 483), 374 „father knows best“-Hypothese 569 Ferid, Murad 76 Feudalrecht 12 f., 93, 180 fideikommissarische Substitution 13 (Fn. 67) Finanzkrise 2008 19, 591 fiscus 167
fiskalische Interessen 42, 687 – siehe auch Erbschaftssteuer Fiskuserbrecht 3, 7 (Fn. 42), 16 (Fn. 95), 238, 356 (Fn. 266), 454 (Fn. 683), 524 (Fn. 1219) Fontane, Theodor 101 (Fn. 570) Forderungsabtretung 176 (Fn. 91), 220, 674 (Fn. 265) Forderungsanmeldung, siehe Aufgebotsverfahren Fremdabwicklung 27–31, 86–89, 91 f., 417 f., 434 f., 441, 446, 556, 570, 685–691 Fremdverwaltung 87–89, 201 – siehe auch Fremdabwicklung funktionale Methode (der Rechtsvergleichung) 92–94 Gaius 121, 176, 214, 253, 256 Geldvermächtnis 161, 168, 685 – siehe auch legs de sommes d’argent gemeines Recht 81, 91, 96, 107, 130 (Fn. 71), 138, 175, 248 (Fn. 30), 258 (Fn. 108), 269–271, 273 (Fn. 230), 275 (Fn. 242 f.), 277 (Fn. 259), 396 (Fn. 210), 435, 436 (Fn. 528), 437, 443, 459, 462 f., 467 f., 470 (Fn. 810), 471, 474, 475 (Fn. 852), 514 (Fn. 1146), 549, 557–561, 563 f., 619, 643 f., 650–653, 655–657, 658 (Fn. 134, 139), 660, 662, 669, 682, 692 Generalität des Erbrechts, siehe General sukzession Generalsukzession 95, 179 f., 220 f., 231–237 Gerade 181 f. Gerichtskommissär (Österreich) 43 f., 100 (Fn. 563), 101 (Fn. 566), 273 (Fn. 230) geringwertiger Nachlass – deutsches Recht 3, 32, 63, 66, 88, 90 f., 225, 375, 445, 448 f., 454, 456 f., 469, 480, 482–485, 487, 493, 496–509, 524 (Fn. 1220), 530, 536, 542, 547 (Fn. 1390), 548, 565, 610, 618, 633, 688 (Fn. 24), 693 – englisches Recht 375 f. – schottisches Recht 378 – US-amerikanisches Recht 38, 376 germanische Rechtstradition 21, 95, 122 (Fn. 22), 124, 130, 147 f., 153 f., 177, 182, 192, 198, 209, 213 (Fn. 357), 218, 249, 267,
Stichwortverzeichnis
287, 301, 303–306, 321, 324, 333, 362, 366, 549 f., 639 Geschäfts(un)fähigkeit 126, 240, 518, 584, 586 (Fn. 116), 587, 600 (Fn. 218), 603 – siehe auch Minderjährige Gesamtnachfolge 1, 3, 6–8, 10 f., 14, 22, 30, 51, 54 f., 57 (Fn. 349), 58, 61, 81, 84, 89, 99, 102 f., 113 f., 137, 142, 147, 156, 160, 165, 167–169, 184, 206 f., 212–238, 252, 255, 322–325, 327, 337, 355, 361–366, 384 f., 556, 582, 639, 641–647, 649 f., 692 Gesellschaftsrecht 111, 128, 451 (Fn. 653), 516 f., 634, 646 f. Gewere 329–332 von Gierke, Otto 443 f., 523, 659, 661 f., 682 Glanville, Ranulph de 133, 184 Gläubigerschutz 14, 49, 128–143, 156, 191–194, 231, 243, 274 f., 277–281, 298 f., 355, 370 f., 385–387, 392, 401 f., 420, 432, 434, 452, 467, 477, 519, 529 f., 555, 559, 647–650, 654, 663, 681, 688, 690, 692 Gleichbehandlung der Gläubiger, siehe par conditio creditorum Gleichbehandlung der Kinder 13, 182, 232, 689 Glossatoren 110, 282 Grabbeigaben 121 f., 148 grant of probate 33, 204 (Fn. 309), 287, 345, 346 (Fn. 190), 372, 374, 652 – siehe auch Legitimationszeugnis Gründerzeit 464 Haager Abkommen über die internationale Nachlassverwaltung 75 Haftung cum viribus hereditatis 96, 208, 265 f., 270–276, 281, 286, 306, 365, 386, 397–399., 411, 436, 443, 445, 458, 469, 474 (Fn. 838), 475 f., 479, 492 (Fn. 970), 496, 499, 500 f., 510, 516, 520–522, 536–539, 541, 545–547, 549 f., 553, 555, 565, 595, 623 Haftung pro viribus hereditatis 90 f., 96, 266, 270–276, 285 f., 397–399, 436, 445 (Fn. 602), 466 f., 469 f., 479, 496, 500, 519–521, 535–537, 540, 541 (Fn. 1336), 545, 595, 623 Haftungsbeschränkung – gegenständliche, siehe Haftung cum viribus hereditatis
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– rechnerische, siehe Haftung pro viribus hereditatis Handwerker 383, 406, 528 (Fn. 1255), 541 (Fn. 1337) Hauserbe (römisches Recht) 121, 125–127., 144 f., 151, 165, 190, 197, 244 (Fn. 2), 245 (Fn. 16), 247, 251–253, 254 (Fn. 85), 269 (Fn. 196), 270, 284, 316 f., 333 f., 353 (Fn. 246) Hausgemeinschaft 93, 120 f., 126 f., 145, 182, 216, 247 Hausgötterkult, siehe Sakralpflichten Heergerät 181 f. heir (England) 21, 53, 131 (Fn. 82), 132 (Fn. 83), 133, 180, 184–187, 190, 192 f., 197, 200 f., 204, 209, 216, 284 f., 288, 349 (Fn. 221), 574 Herabsetzungsklage (Frankreich), siehe action en réduction heredis institutio 147, 173, 198 „Heredis institutio caput et fundamentum totius testamenti est” 173, 189 hereditas damnosa 245, 251 hereditas iacens 20, 94, 106–114, 226 (Fn. 443), 336, 655, 667 hereditas sine sacris 126 heres ex re certa 230 heres extraneus 125, 127, 165 f., 170 (Fn. 42), 226, 251–253, 270, 334 heres fiduciarius 309, 442 heres necessarius, siehe Zwangserbe heres suus, siehe Hauserbe heritable property (Schottland) 180, 186, 193 (Fn. 233), 642 héritier réservataire (Frankreich) 327 f., 342 f., 349, 356, 359, 361 f., 393 f., 639 Heusler, Andreas 218, 228, 233 Holmes, Oliver Wendell 190, 217, 285 indivision, siehe Erbengemeinschaft (französisches Recht) infamia 245, 251, 256 Informationsdefizit 19 (Fn. 109), 278, 311, 598, 690 „Inheritance (Provision for Family and Dependants) Act 1975“ 83 (Fn. 483) Insolvenzanfechtung 140, 259, 275 (Fn. 241), 297 (Fn. 400), 382, 492, 511 (Fn. 1120), 532, 623, 648, 650 (Fn. 82)
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Insolvenzantragspflicht 449, 507 f., 611 „Institution d’héritier n’a lieu“ 325, 327, 329 (Fn. 52) interdictum quod legatorum 173 Intestaterbrecht (siehe auch Verwandten erbrecht) 6, 11 f., 30, 41, 83, 120 (Fn. 9), 124, 127, 146, 148, 151, 166 f., 172 (Fn. 57), 173 f., 180, 190, 195 f., 204, 234, 239 f., 252, 294, 314 (Fn. 489), 323, 325, 327, 376, 561 f., 573, 638 (Fn. 2), 639–641, 654, 682 f., 689 Inventarerrichtung – brasilianisches Recht 249 (Fn. 41, 42) – deutsches Recht 3, 453–457, 506, 519, 530, 560 f., 618, 627, 630 – englisches Recht 35 f., 211, 285, 287 f., 290, 292 f., 295 (Fn. 381), 298 f., 309, 313, 372, 635 – Erbrechtsausschuss der „Akademie für Deutsches Recht“ 540, 542, 545–553 – Erster Entwurf BGB 469–471 – französisches Recht 20, 51,324, 344, 363–365, 384–412, 418, 422, 425–427, 430, 432 (Fn. 502), 433, 576, 579, 581, 587, 599, 602 f., 610, 679 f. – italienisches Recht 20, 45, 427 – österreichisches Recht 43, 77 (Fn. 455) – polnisches Recht 645 – portugiesisches Recht 20, 249 (Fn. 42) – preußisches Recht 436, 438 f., 442, 576 – rechtsvergleichend 73, 566–568, 633 f., 688, 691, 693 – Reformvorschlag Boehmer 536, 538 – schottisches Recht 377 f. – schweizerisches Recht 579 f., 591 – Vorentwurf Gottfried von Schmitt (siehe auch Abzugseinrede) 460–462, 464 f., 468 – Zweiter Entwurf BGB 477–479 – siehe auch beneficium inventarii, Inventarverfehlung Inventarführer (Brasilien) 202 Inventarverfehlung – deutsches Recht 422, 454–457, 481, 485, 513 f., 519, 530 f., 538, 540, 543, 612, 618, 631, 668 – englisches Recht 313 – französisches Recht 391, 402, 418 (Fn. 392), 600 f.
Ipso-iure-Erwerb 1, 6, 14 (Fn. 76), 18 (Fn. 104, 105), 20, 33 f., 44–48, 51, 55, 84, 101–106, 112 (Fn. 639), 113, 114 (Fn. 651), 124, 126 f., 167 (Fn. 22), 190, 226, 229 (Fn. 452), 284, 337, 352 (Fn. 243), 460 (Fn. 736), 580 (Fn. 67), 613–616 Irrtum, siehe Anfechtung des Erbschaftserwerbs italienisches Recht 20, 26 (Fn. 156), 45 f., 48 (Fn. 306), 51, 98, 100 (Fn. 562), 103 f., 105–109, 112–114, 200 (Fn. 278), 347 (Fn. 201), 353, 389, 393 (Fn. 183), 414–416, 417 (Fn. 391), 419, 426 (Fn. 453), 427, 429 (Fn. 478), 430 (Fn. 487, 490), 431 (Fn. 498), 590, 609, 639 (Fn. 9), 643, 645 ius commune, siehe gemeines Recht „Ius vigilantibus scriptum est“ 263, 525 von Jhering, Rudolf 107, 265 joint tenancy 375 juristische Person 22, 65, 107, 111, 229, 349, 475, 677 – siehe auch hereditas iacens Justinian 96, 173, 179, 248, 250, 253, 260–262, 265–270, 272–282, 287, 292, 312, 316 f., 334, 367, 388, 429, 442, 461, 560, 568, 576, 612, 639 kanonisches Recht 153 f., 197, 287 (Fn. 314), 314, 363 (Fn. 308) Kapitalismus 132 Karpe, Heinz 539, 547 (Fn. 1390) Kaution 37, 204, 257, 260, 291 (Fn. 344), 296 (Fn. 396), 373 f., 378 f., 381 f., 389 (Fn. 151), 635 (Fn. 469) Kirche 36, 93, 116, 147 f., 153 f., 187 f., 195, 201, 203, 239, 287 f., 291, 293 f., 298, 315, 442 f. kirchliche Gerichte – England 36, 93, 116, 132 (Fn. 83), 134, 181, 185, 187–191, 197, 201, 203, 205, 212, 239, 287, 290–298, 310, 312, 315, 372, 380, 442 f., 568, 569 f. – Kontinent 153 f., 197 – Schottland 185, 377 „Kleines Kaiserrecht“ 288 (Fn. 321) Kommission für Insolvenzrecht (Deutschland) 495 f.
Stichwortverzeichnis
Konfusion 66, 244, 246, 258, 286, 481 (Fn. 888), 503, 505, 507, 621 Konsiliatoren 268 (Fn. 192), 275, 282 (Fn. 286) Konsolidation 66 (Fn. 390), 244, 246, 503, 505, 621 Konsularbeamter 521 f. Kredit 130–132, 163 (Fn. 263), 274, 463, 466, 465, 527, 598, 609, 681 Kreditversicherung 648 kulturelle Prägung des Erbrechts 92 f., 200, 686, 689 Kultverantwortung, siehe Sakralpflichten „Land Transfer Act 1897“ 192, 230, 234, 574 landwirtschaftliches Erbrecht 234 f., 642 f. Langbein, John 39 Lange, Heinrich 70, 547–549, 551 Lassalle, Ferdinand 170 f. „Le mort saisit le vif“ 124, 331–335, 338, 673 „Le paiement est le prix de la course“ 388, 403 – siehe auch Prioritätsgrundsatz Lebensversicherung 114 f., 647, 650 (Fn. 82) legal rights (Schottland) 186 Legalhypothek – römisches Recht 261 – französisches Recht 389 (Fn. 151), 429–431 legatum per vindicationem, siehe Vindikationslegat legitim (England) 186, 190 (Fn. 205) – siehe auch bairns’ part Legitimationszeugnis 75, 100 f., 345 f., 375, 640, 642, 682 f., 689 legs de sommes d’argent (Frankreich) 50, 325 (Fn. 26), 385, 388, 395, 399, 402, 404 (Fn. 278), 407 (Fn. 311), 410 f., 429, 593 legs particulier, siehe Einzelvermächtnis legs universel, siehe Universalvermächtnis Lehnsrecht 181, 332–334, 339, 673 Leichnamshaftung 132 Leipold, Dieter 647 f. Leitbild – des Erben 400, 540, 569 (Fn. 1529) – der Erbengemeinschaft 79–81, 680
735
– der Nachlassabwicklung 38, 116, 270, 280, 282, 316, 517, 558, 576 f., 602–610, 616–618, 632 f. Lenel, Otto 124 f. letters of administration 33, 195, 372, 374 (Fn. 45), 652 letztwillige Auswahl des Nachlassabwicklers 14, 29, 203 f., 207, 373, 379, 569 f., 687 lex Falcidia, siehe quarta Falcidia lex Furia testamentaria 171 (Fn. 49) lex Iulia de vicesima hereditatium 168 lex Voconia 171 (Fn. 49) Louisiana, Recht von 36, 37 (Fn. 224), 573 (Fn. 17, 18) Maine, Henry Sumner 178 Maitland, Frederick William 195, 197, 249 mancipatio familiae 150–152 mandat è effet posthume (Frankreich) 341, 349–351, 434, 570, 606 (Fn. 260), 679 (Fn. 306) magister bonorum 255, 258, 279, 282 Melville, Herman 28 mentio heredis 131 Minderjährige 43, 103, 139, 187, 252, 517–519, 584 (Fn. 102), 607, 640 – siehe auch restitutio in integrum Mitteis, Heinrich 83 f., 143, 692 Mitteis, Ludwig 177 f. Mommsen, Friedrich 105, 464, 473, 657 Mortuarium 288 mund (angelsächisches Recht) 153, 155, 200 Nachfolgeklausel 646 Nachlasserbenschuld 625 (Fn. 400), 632 (Fn. 450) Nachlassinsolvenzverfahren – deutsches Recht 3, 8, 10, 28, 31 f., 64, 66, 69–71, 81 f., 85, 87 f., 91, 199, 323 f., 444–449, 451, 454, 456–458, 462, 465 f., 469, 474–477, 484 (Fn. 910), 485–498, 502, 508, 523 (Fn. 1210), 532, 536, 544, 553, 569, 611 f., 618, 620–624, 626, 629, 634, 638, 689 – englisches Recht 297, 380–384 – französisches Recht 388, 395, 402–406, 606 – preußisches Recht 437 f., 441 – römisches Recht 230, 255, 257, 277–279
736
Stichwortverzeichnis
Nachlasskonkurs, siehe Nachlassinsolvenz verfahren Nachlasskostenschulden 8–11, 358 (Fn. 274), 413 (Fn. 354) Nachlasspflegschaft – deutsches Recht 10, 16 f., 60, 67, 113 (Fn. 655), 123, 354 f., 445, 450, 495 (Fn. 993), 513, 555, 625, 627 (Fn. 416), 638, 641 – französisches Recht 339 (Fn. 142), 343, 351 (Fn. 232), 354 – österreichisches Recht 43 f. – allgemein 114, 353 Nachlassregulierung 67, 69, 74, 387 Nachlassverwaltung 3, 8, 10, 28, 31 f., 63, 66, 69–71, 75, 79, 81, 87 f., 199, 225, 322–324, 421–424, 432 f., 438, 445–449, 452, 456, 458, 472 f., 475–478, 485–496, 498 f., 526–530, 534, 544, 555, 561 f., 569, 611 f., 616, 617 (Fn. 332), 618, 620–623, 627–629, 634, 666, 689 f. nasciturus 108 f. „Nemo liberalis nisi liberatus“ 140, 246, 260, 277, 327, 360, 388, 393, 403 (Fn. 276), 429–431, 563 f., 599, 648 „Nemo pro parte testatus pro parte intestatus decedere potest“ 174, 204 niederländisches Recht 98, 198 (Fn. 264), 331 (Fn. 76), 391 (Fn. 167), 585, 639 Nießbrauch 1 (Fn. 1), 128, 131 (Fn. 82), 215, 220, 390 (Fn. 155) Niftel 139 „Nomina ipse iure divisa“ 174 f., 217, 263 „Non-Contentious Probate Rules 1987“ 83 (Fn. 483) Notar 43 (Fn. 276), 105 (Fn. 598), 344, 346 f., 348 f., 360, 394, 399, 401 f., 409, 428, 430 (Fn. 484), 477, 584 (Fn. 99), 590 (Fn. 141), 591 (Fn. 150), 605, 677–680, 682 – siehe auch notarielles Testament, tabularius notarielles Testament 342, 348, 351 Noterbenrecht 7, 121 (Fn. 18), 145 f., 172 (Fn. 57) „Nul n’est héritier qui ne veut“ 101, 577 (Fn. 42) Nutzungen 340, 622
„option successorale“ (Frankreich) 74 (Fn. 442), 577, 583 (Fn. 95) österreichisches Recht 20, 26 (Fn. 156), 34 f., 41–44, 48 (Fn. 306, 307), 51, 72 (Fn. 430), 73 (Fn. 435), 77 (Fn. 455), 83, 85, 90, 96, 97 (Fn. 555), 100, 101 (Fn. 566), 106 f., 108 (Fn. 615), 109 f., 112 f., 114 (Fn. 653), 178 (Fn. 103), 200 (Fn. 282), 226, 245 (Fn. 10), 249 (Fn. 37), 273 (Fn. 230), 353 f., 357, 377, 435, 444, 446, 537 (Fn. 1304), 551, 554, 562 f., 639, 643, 659–661, 667 Papinian 259, 415 (Fn. 372), 421, 424 par conditio creditorum 278, 299, 371, 381–384, 388, 398 f., 405 f., 415, 422, 462, 491, 502 partage (Frankreich) 672, 673 (Fn. 257), 674 (Fn. 265), 675, 682 – siehe auch „effet déclaratif de partage“, Teilung des Nachlasses „paterna paternis, materna maternis” 181, 232 Paternalismus 39, 41–43, 100, 239, 473, 479 patrimony 2 (Fn. 10), 65 (Fn. 384), 216 – siehe auch Sondervermögen Paulus 121, 259 peculium 203 (Fn. 302), 245, 263, 272 (Fn. 225) Percerou, Jean 606 f., 617 Personalität des Erbrechts 308 personalty (englisches Recht) 179–181, 184, 191, 197, 221, 230, 236 f., 305 Personalvollstreckung 176 (Fn. 91), 245 f., 248 (Fn. 31), 249 –251, 257 Persönlichkeitsfortsetzung 22 f., 94, 111, 130 (Fn. 70), 177–179, 247 f., 300–308, 324, 333, 361–363, 390, 411, 422 (Fn. 423), 460, 557, 598, 604, 606–610, 617, 671 – siehe auch Vermögensnachfolge Pflichtteilsrecht 1 f., 6 f., 9–11, 28, 41, 43, 51 (Fn. 322), 54, 57, 72, 76, 86, 119, 323, 355 f., 502, 509, 511, 514, 639, 647 – siehe auch Noterb(en)recht, zwingende Nachlassteilhabe Pietät 132, 363, 396, 528, 529 (Fn. 1258), 618, 633, 675 Planck, Gottlieb 103 polnisches Recht 98, 586 (Fn. 115), 645
Stichwortverzeichnis
portugiesisches Recht 20, 107 (Fn. 608), 114 (Fn. 653), 201 f., 249, 331 (Fn. 71), 565 (Fn. 1514), 572 (Fn. 13), 590, 638 postmortale Vollmacht 69 (Fn. 409) – siehe auch mandat è effet posthume Pothier, Robert-Joseph 335, 421–423 „Potior est qui certat de damno evitando quam qui de lucro captando“ 141 Prälegat 245 (Fn. 15), 254 (Fn. 85) preußisches Recht 70, 95, 138, 182, 234 (Fn. 491), 275, 281, 394, 435–443, 448, 459, 461 f., 464, 465 (Fn. 776), 466–471, 473 (Fn. 835), 474, 477 f., 480, 542, 544, 545 (Fn. 1376), 557–559, 563–566, 568 f., 576, 586 (Fn. 115), 587, 613, 618, 634, 645, 651–662, 664, 667 f., 674 (Fn. 268), 676, 678, 682 (Fn. 337) Primogenitur 12 f., 180, 192 (Fn. 222), 194 (Fn. 236), 197, 234 Prioritätsgrundsatz 277 f., 370, 383, 388, 405 f., 434, 437, 463 f., 561, 564 f. – siehe auch „Le paiement est le prix de la course“, titulierte Forderungen privates Gläubigeraufgebot 456, 458 (Fn. 724) Privatstrafe 455, 600 pro herede gestio 166, 584 probate 37, 290, 375 f. probate fees 292, 374 (Fn. 45) Prozessführungsbefugnis 209, 524 (Fn. 1220), 629 psychologische Momente der Nachlassabwicklung 308, 351, 409, 530, 579 (Fn. 61), 605, 618 f. Public Trustee 33 (Fn. 195), 110, 375 (Fn. 53), 376 (Fn. 58) Publizitätsinteressen 126, 190, 330, 338, 387, 419, 425, 493, 512 f., 583 Puchta, Georg Friedrich 110 f., 178 „Quadratur des Kreises“ 385, 693 (Fn. 56) quarta Falcidia 7, 169–173, 190, 199, 205, 230, 254, 262, 265, 272, 274 (Fn. 232), 276 (Fn. 251), 279 (Fn. 268), 289 (Fn. 328), 323, 387, 508, 643 Québec, Recht von 336 (Fn. 116), 337 (Fn. 128), 347 (Fn. 195), 353 (Fn. 248), 573 (Fn. 18)
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querela inofficiosi testamenti 145 f., 172 (Fn. 57), 203 „Qui habet commoda, ferre debet onera“ 137 Quotenschaden 533 Realobligation 249, 442 realty (englisches Recht) 33 (Fn. 196), 180 f., 191–194, 197, 217, 221, 230, 234, 238, 284, 305, 317, 574, 642 f. recel (Frankreich) 583, 584 (Fn. 102), 599–601, 603 Rechnungslegung 35–37, 200, 291, 292 (Fn. 351), 295 (Fn. 381), 309, 311, 350, 364, 372, 389 f., 404, 409, 412 f., 418, 436, 446, 462, 487 (Fn. 932), 527, 530, 547 (Fn. 1390), 566, 568, 571, 599, 619, 622 f., 630, 635, 657 – siehe auch Auskunftserteilung Rechtsvergleichung, siehe funktionale Methode Religion, Einfluss der 93, 116, 148, 196 f., 247, 298, 308 – siehe auch Sakralpflichten Repräsentation des Erblassers, siehe Persönlichkeitsfortsetzung réserve (Frankreich), siehe héritier réservataire restitutio in integrum 252 f., 544, 559, 592 „rights of retainer and preference“ 207 (Fn. 325), 286, 289, 381–383 ruhende Erbschaft, siehe hereditas iacens Rheinstein, Max 13, 34, 39 f., 84 f., 95, 132, 572, 671, 675 Sachsenspiegel 130 (Fn. 74), 133, 136 (Fn. 117), 192, 332 sächsiches Recht 249, 443 (Fn. 588), 463, 540 (Fn. 1329), 549 (Fn. 1408), 657 sacra familiaria, siehe Sakralpflichten saisine 21, 51, 324, 326 f., 329–366, 393, 586, 608, 676, 679 Sakralpflichten 126, 165 f., 251, 254, 303, 308, 316 Saleilles, Raymond 587, 606–609 Salmann 152, 154, 198 von Savigny, Friedrich Carl 214 f., 220, 305, 333
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Stichwortverzeichnis
Schenkungsanfechtung, siehe Insolvenzanfechtung von Schmitt, Gottfried 109, 123, 367, 435, 441, 459–468, 479, 559, 564, 572, 615, 639, 644, 656–661 schottisches Recht 28 (Fn. 167), 41 (Fn. 255), 180 f., 183 (Fn. 150), 185 f., 189 (Fn. 198), 192, 193 (Fn. 233), 195 (Fn. 249), 202 (Fn. 297), 304, 377–379, 566, 641 f., 644 Schuld und Haftung 208 f., 500 Schwabenspiegel 181 (Fn. 137) schwedisches Recht 22, 90, 99 (Fn. 557) Schweizer Recht 45 (Fn. 288), 73 (Fn. 435), 77, 98, 270 (Fn. 201), 368, 444, 464 (Fn. 774), 494, 562, 579 f., 591 f., 605–608, 613 f., 633 (Fn. 459), 641 (Fn. 21), 643 – siehe auch Zürcher Recht Seelteil 148 senatus consultum Pegasianum 168 (Fn. 30) senatus consultum Trebellianum 168 „Senior Courts Act 1981“ 83 (Fn. 483) separatio bonorum 238, 256–262, 272–274, 282 f., 313, 317, 323 f., 367, 384, 413 f., 417, 420 f., 424, 432, 434, 447 f., 514 (Fn. 1146), 536 séparation des patrimoines (Frankreich) 324, 384, 387, 392, 413–434, 544, 601, 603, 670, 681 (Fn. 353) servus cum libertate 256–258, 262, 272, 367, 448 Siber, Heinrich 109, 257, 433, 483, 533 Siber-Entwurf zur Reform der Erbenhaftung 495 (Fn. 994), 538–547, 549–551, 552 (Fn. 1427), 553 (Fn. 1432. 1436), 555, 561, 566, 592, 634 Sicherheitsleistung, siehe Kaution „Société d’études législatives“ (Frankreich) 398, 413, 432–434, 544, 587, 606, 610 Soldatenprivileg 144 (Fn. 146), 172 (Fn. 55), 253, 272 „Solus Deus heredem facere potest, non homo“ 187, 325 Sondererbfolgen 13, 155, 181 f., 218 (Fn. 401), 220, 220 (Fn. 419), 224, 232 f., 236, 302, 305, 642, 669 (Fn. 224) Sondervermögen (Begriff) 2 Sozialhilfeträger 520, 522
Sozialmoral 247 spanisches Recht 19, 98, 250, 307 (Fn. 461), 387 (Fn. 135), 409 (Fn. 327), 591, 639 (Fn. 9), 667 (Fn. 212), 678 (Fn. 299) specialty (England) 133–135, 193 „Statute of Distribition 1670“ 294, 314 (Fn. 489) „Statute of Fraudulent Devises“ 193 statutory legacy (England) 30 (Fn. 181), 159 (Fn. 256) Sterbebettschenkung 149, 153 (Fn. 225) – siehe auch death-bed gift, donatio mortis causa Steuerschulden 520 stipulatio 131, 133 Stiftung 87 (Fn. 508), 108, 123 (Fn. 30), 159, 216 successio (des römischen heres) 244, 247, 260 successio in universum ius defuncti 176, 221, 247 – siehe auch Gesamtnachfolge successio per universitatem 214, 219, 224, 229 (Fn. 453), 233, 302 „succession aux biens“, siehe Vermögensnachfolge „Succession without Administration“ 222, 573 f. successions anomales (Frankreich) 233 (Fn. 478) südafrikanisches Recht 371, 376 f., 379 f., 569, 574 „Supreme Court Judicature Act“ (1873/1875) 380 Surrogation, dingliche 276, 417 f., 420, 428, 531 (Fn. 1272), 541, 545, 621 f., 672 (Fn. 245) Svarez, Carl Gottlieb 439, 654 tabularius 268, 282 „Tarde venientibus ossa“ 388 (Fn. 139) Teilung des Nachlasses 71 (Fn. 424), 77, 79 (Fn. 469), 81, 127, 328 (Fn. 46), 348, 428, 445, 455–459, 645, 647, 653–656, 657 (Fn. 131), 659, 662 f., 665 f., 668, 670, 672–675, 677, 678 (Fn. 299, 303), 679 (Fn. 313), 681 f.
Stichwortverzeichnis
– siehe auch actio familiae erciscundae, Erbengemeinschaft, „nomina ipso iure divisa“, partage tempus ad deliberandum 253, 270 Testamentseröffnung 3, 73 (Fn. 435), 168 (Fn. 33), 268, 277, 344, 348 Testamentsvollstreckung 10, 26, 29, 31, 60, 62, 67, 69, 87, 89, 154, 198–201, 204, 208 f., 354, 450–452, 513, 570, 638, 687 – siehe auch Abwicklungsvollstreckung, cabeça-de-casal, Dauertestamentsvollstreckung, executor, exécution testamentaire testamentum calatis comitiis 144 testamentum per aes et libram 122 (Fn. 19), 150–152 Testierfreiheit 11, 14 (Fn. 76), 25, 31 (Fn. 189), 92, 115, 119, 122 (Fn. 19), 124, 143–159, 198, 203, 228 (Fn. 448), 236, 325, 364, 548, 563, 639, 641, 679 – siehe auch letztwillige Auswahl des Nachlassabwicklers „title clearing“ 101, 156, 314 (Fn. 491), 642 titulierte Forderungen 382, 503, 511 f., 533, 564 Totenteil 148 „Tragik der Nachlassabwicklung“ 563 Transaktionskosten 131, 139, 206, 215 (Fn. 378) Trauerfrist 312 treuhänderische Pflichten des Abwicklers 11 (Fn. 59), 87 f., 200, 206, 275, 281, 308 f., 316, 389–391, 399, 404, 542, 561, 565, 568 f., 619, 628, 635, 691–693 – siehe auch Abwicklerhaftung, heres fiduciarius, trustee Treuhandlösung (Testamentsvollstreckung) 452 trust 201, 350 (Fn. 229), 647 – siehe auch trustee „trust corporation“ 29 (Fn. 173) trustee 30 (Fn. 182), 88, 190 (Fn. 203), 194, 216, 295 f., 309, 381, 543 – siehe auch heres fiduciarius „Trustee Act 2000“ 36, 295 f. Überbeschwerung des Nachlasses 159, 162, 168 (Fn. 30), 387, 590 (Fn. 138)
739
Überbeschwerungseinrede 445, 449, 456, 496, 508–510, 512 Ulpian 259 f., 424, 447 Unger, Joseph 562 Uniform Probate Code 38, 222, 573 f., 634 f., 648 „unité le la succession“ 13 (Fn. 67), 232–234, 237, 302, 642 universal sucession – siehe auch Gesamtnachfolge – allgemein 212, 217 f., 221 f., 303 – im Uniform Probate Code 573, 634 Universalsukzession, siehe Gesamtnach folge Universalvermächtnis – deutsches Recht 86, 89, 92 – französisches Recht 21, 325–328, 339, 340 (Fn. 148), 342 f., 348, 358 f., 362, 364 (Fn. 311), 398 (Fn. 221) Unternehmen 78 f., 349, 351, 446, 496, 588 – siehe auch einzelkaufmännisches Unternehmen US-amerikanisches Recht 28, 35–42, 44, 74, 83, 85, 87, 91, 98, 99 (Fn. 557), 101, 114 f., 180, 193 (Fn. 213), 222, 235, 371, 375 (Fn. 54), 376, 378–380, 510, 543 f., 569, 572–574, 634, 648 (Fn. 70), 649 (Fn. 77), 650 (Fn. 83), 651 (Fn. 85), 687 usucapio pro herede 125, 166 f., 254 venditio bonorum 214, 255–257, 260, 263 (Fn. 150), 274 (Fn. 234), 279, 282, 315 f., 323, 416, 432 (Fn. 499) verborgene Erblasserverbindlichkeiten 264, 396 (Fn. 210), 579, 583, 589–599, 613 f. Vererblichkeit – als Grundsatz 219 f., 223 f., 226 (Fn. 444), 227–229, 302, 307 – als Teil des Erbrechts 128 – des Antrittsrechts 103, 334 – des Besitzes, siehe Erbenbesitz – des Eigentums 121 – des Lehens 333 – von Verbindlichkeiten 129–135, 137, 158, 160, 183 (Fn. 147), 189, 649 Verfügungsbeschränkungen 309, 420, 441, 568 f., 646 (Fn. 54) Vergleichsordnung 447
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Stichwortverzeichnis
Verheimlichung von Nachlasswerten 536, 538, 560 – siehe auch recel Vermächtnis, siehe Damnationslegat, Geldvermächtnis, Testierfreiheit, Vindikationslegat Vermögensnachfolge 22–24, 94, 177, 300–308, 324, 397 (Fn. 218), 557, 598, 604, 606–610, 617 – siehe auch Persönlichkeitsfortsetzung Vermögensverschmelzung 2 f., 10, 63, 66, 79–82, 85, 90, 216, 219, 221 f., 224–226, 229, 243–247, 250 f., 257 f., 260, 262, 265, 271 (Fn. 216), 273, 281–283, 285, 299 f., 301 (Fn. 420), 310–314, 322, 369, 422 f., 430, 434, 445, 447 (Fn. 627), 459 f., 502, 557 f., 571 f., 597, 620, 628, 671, 689, 692 Verschweigung 458, 514–516 Versicherung (der Haftung des Nachlassabwicklers) 373, 378, 488 (Fn. 935), 498 (Fn. 1015) Verwandtenerbrecht 232 (Fn. 475), 323, 325, 342 f., 345, 356, 366 Vialleton, Henri 433, 609 Vindikationslegat 25, 81, 169 f., 172 f, 174 (Fn. 71), 217, 221, 230, 250, 260 f., 274 (Fn. 232), 430 (Fn. 487), 643–650 – siehe auch Einzelnachfolge von Todes wegen Vollmachtlösung (Testamentsvollstreckung) 452 Vonselbsterwerb, siehe Ipso-iure-Erwerb Vor- und Nacherbschaft 79, 108, 182 f., 556, 628 Voraus des Ehegatten 6 (Fn. 34), 30, 235, 643 Vorausempfänge 660, 670, 675 Vorbehaltserbe (Frankreich), siehe héritier réservataire vorläufiger Erbe 113 Vormundschaft 210 (Fn. 337), 268 (Fn. 187), 304 (Fn. 439), 445 (Fn. 605), 490, 520, 584 (Fn. 102)
wager of law (England) 134 f. Wertpapiere 477, 537, 560 wife’s part (England) 179 Windscheid, Bernhard 107, 259, 271, 421, 462 „Wer das Erbe nimmt, der soll die Schuld gelten“ 139 „Wills Act 1540“ 193 „Wills Act 1837“ 83 (Fn. 483) „will-substitutes“ 39, 114 f., 216, 292, 375, 647–650 Württemberg 465 (Fn. 776), 528 (Fn. 1250), 659 Zachariä von Lingenthal, Karl Salomo 336 Zürcher Recht 367–369, 510, 659 Zuwendungen ad pias causas 43 (Fn. 272), 135, 148, 153, 183, 196 Zuwendungen unter Lebenden auf den Todesfall 114, 149 f., 216, 646 (Fn. 56), 647 – siehe auch „will-substitutes“ Zwangserbe (römisches Rechts) 101, 126, 246, 251, 256 Zwangsnachfolge 16, 102, 368 f., 454 (Fn. 683) Zwangsvollstreckung 208, 211, 257, 396 (Fn. 208), 415, 439, 451, 457 (Fn. 709), 467, 474, 481, 486 f., 500, 504 f., 507, 512 (Fn. 1123), 524 (Fn. 1219, 1220), 525, 536, 540, 544 f., 549 f., 552, 621, 628–631, 652, 664–666, 669 zwingende Nachlassteilhabe 13, 24, 49 (Fn. 313), 50, 102, 159, 186, 190 (Fn. 204) – siehe auch „family provision“, Pflichtteilsrecht Zwölftafelgesetz 125, 145, 167, 169 (Fn. 40), 174, 250, 323