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German Pages 171 [172] Year 2011
Beuysianismus. Expressive Strukturen der Moderne
Wolfram Hogrebe
eikones
Herausgegeben vom Nationalen Forschungsschwerpunkt Bildkritik an der Universität Basel
Beuysianismus. Expressive Strukturen der Moderne Wolfram Hogrebe
Wilhelm Fink
Schutzumschlag: Joseph Beuys, Urschlitten mit Totengeistern, 1966 © 2011, ProLitteris, Zurich. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte, Zeichnungen oder Bilder durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. © 2011 Wilhelm Fink Verlag, München, (Wilhelm Fink GmbH & Co. Verlags-KG, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn). Internet: www.fink.de eikones NFS Bildkritik, www.eikones.ch. Die Nationalen Forschungsschwerpunkte (NFS) sind ein Förderinstrument des Schweizerischen Nationalfonds. Gestaltungskonzept eikones Publikationsreihe: Michael Renner, Basel Lektorat: Andrea Haase, Basel. Layout und Satz: Lucinda Cameron, Basel Herstellung: Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Paderborn ISBN 978-3-7705-5170-5
Inhalt
Vorbemerkung Einleitung
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I
Geburtswehen der Moderne: Formen der Selbstzerrissenheit seit der Renaissance
I.1 Einstieg in die Geschichte: Spuren oder Wege? I.2 Verwesentlichungsformen und Subordinationsprobleme I.3 Zwei aparte Wege in die Moderne: Cusanus und Spinoza I.4 Michelangelo: Das Bild, das alle sonstigen Bilder ans Kreuz schlug I.5 Goethe: Ist der Mensch noch zu retten?
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II
II.1 Vorbemerkung II.2 Die Wüste II.3 Beuysianismus II.4 Das Paradies
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Wüste und Paradies: Visuelle Strategien der Moderne von Kasimir Malewitsch bis Joseph Beuys und Imi Knoebel
III
Die Überprüfbarkeit der Moderne: Imagination und Realität
III.1 Weltergänzungslust III.2 Eine literarische Bagatelle III.3 Das Projektkonzept vom 1. 1. 2009 III.4 Die Überprüfung nach dem 22. 5. 2009 III.5 Beuys als Erzieher III.6 ›Immer einsehbar‹
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IV
Hat sich der syntaktische Expressionismus der Moderne erschöpft? Frank Stella und die Wiederkehr der Mimesis
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Nachbemerkung
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Anmerkungen
166
Abbildungsnachweis
168
Personenregister
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Drucknachweise
Vorbemerkung
Die Worte sehn mich traurig an, Daß sie nicht sterben können. Lenau In den vier Kapiteln dieses kleinen Buches gehe ich der Frage nach, wo wir heute stehen. Gewiss immer noch in der Moderne. Aber was sollen wir uns darunter noch vorstellen? Was sind ihre Voraussetzungen? Wie ist sie in ihrer Endschaft zu verstehen, für die es immer mehr Anzeichen gibt? Es geht also im Prinzip um eine Standortbestimmung unserer Gegenwart. Deren Vermessung könnte natürlich in verschiedenen Koordinatensystemen stattfinden, in politischen, ökonomischen, technischen etc. Ich habe einen ideengeschichtlichen Zugang gewählt, weil er seine Befunde in einem Terrain sichten muss, das in einiger Unmittelbarkeit von Determinanten der menschlichen Expressivität geprägt ist. Denn diese Determinanten geben uns unentbehrliche Aufschlüsse über Formen der Selbstauslegung des Menschen, die für jede Zeit in symbolischer Prägnanz besonders ›sprechend‹ sind. Was sich in künstlerischen Gestaltungen fängt, sagt, wenn man es recht zu deuten weiß, mehr über uns aus als die Lehrbestände der Wissenschaften. 8|9
Die Anregung zu diesem Text ging von einem Aufenthalt als Fellow bei eikones, dem NFS Bildkritik, aus, den Prof. Gottfried Boehm an der Universität Basel initiiert hat und dessen Direktor er jetzt ist. Dieses exzellente Institut für Bildwissenschaft hat in Europa nicht seinesgleichen. Die anregenden Gespräche mit Gottfried Boehm haben mich bewogen, dem Material, das meinen Vorträgen im Herbst 2009 in Basel zugrunde lag, eine erweiterte Fassung zu geben, die als Buch publizierbar wurde. Dass die Schneisen, die sich im Text eröffnen, noch präziser ausgemessen werden müssten, ist mir klar. Ihr Gewinn könnte aber schon in dieser Gestalt eine Anregung zum selbständigen, auch widersprechenden Weiterdenken sein. Nur auf diesen Anregungsfaktor ist dieses Buch berechnet. Für die Endredaktion des Textes konnte ich im März und April 2010 wieder einen Forschungsaufenthalt am Collegium Budapest nutzen. Hier machten mir insbesondere die fruchtbaren Gespräche mit Jens Halfwassen/ Heidelberg deutlich, um wieviel tiefer gerade auch die historischen Dimensionen der in diesem Text nur skizzenartig angesprochenen Themen ausgeleuchtet zu werden verdienen. Das gilt auch dann noch, nachdem ich dem Text 2010/11 als Fellow des von Prof. Werner Gephart gegründeten und geleiteten Käte Hamburger Kollegs in Bonn den letzten Schliff angedeihen lassen konnte. Für ihre Hilfe bei der Fertigstellung des Manuskripts zum Druck danke ich Frau Ursula Buchholz, Herrn Jaroslaw Bledowski (Universität Bonn) und Frau Andrea Haase (eikones, Basel). Der Text ist der Erinnerung an den Kunsthistoriker Franz-Joachim Verspohl (1. 4. 1946 – 4. 2. 2009) gewidmet. Franz-Joachim Verspohl hat mich seit unserer gemeinsamen Zeit an der Universität Jena immer wieder zu solchen Vermessungsübungen im Terrain der künstlerischen Expressivität mit liebenswürdiger Hartnäckigkeit Beuysianismus. Expressive Strukuren der Moderne
gedrängt. Nicht nur deswegen bleibt er mir und vielen gemeinsamen Freunden, von denen einige auch Gegenstand dieser Meditationen über die Moderne sind, unvergessen.
Vorbemerkung
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Einleitung
Die Moderne war zunächst immer nur da, wo wenige waren. Dann war sie da, wo alle waren. Heute scheint sie da zu sein, wo keiner mehr ist. Das hat Ende des vorigen Jahrhunderts zu der Frage veranlasst, ob sie selbst nicht auch ein Vergangenes sein könnte. Aus der Verlegenheit um eine klare Antwort auf diese Frage wurde der Ausdruck Postmoderne erfunden. Aber auch davon spricht heute keiner mehr. Heinrich Klotz hatte deshalb den Ausdruck Zweite Moderne empfohlen. Das klingt zwar deutlich besser, kann aber leider auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir hier begrifflich schwimmen.1 Was nun? Empfehlenswert ist hier sicherlich ein einstweiliger Verzicht auf unsere historische Selbstklassifikation. Diese Empfehlung ist natürlich nicht neu. Die Historiker wussten um das Prekäre geschichtlicher Zäsuren schon immer. Für unsere Zeit sei Reinhart Koselleck benannt, wenn er etwas gequält bekundet, dass »jede Epochengliederung […] etwas Mißliches an sich [hat]«.2 Der Literaturwissenschaftler Karlheinz Stierle ist da robuster: »Es gibt 12 | 13
keine Epochen.« Dagegen wirft der Musikhistoriker Carl Dahlhaus als Realist ein, dass es manchmal eine »nahezu unwiderstehliche Versuchung« gäbe, solche Zeitzäsuren zu verwenden. Auf dieser Linie spricht wiederum Odo Marquard geradezu von einem »historische[n] Zäsurbedarf« und befindet: »[D]er geschichtliche Zäsurbedarf des ›modernen Menschen‹ sei gestiegen«.3 Kurt Flasch, dem ich die Kollektion dieser Stimmen verdanke, plädiert deshalb vorsichtig, wie er manchmal ist, nicht für eine Abschaffung, sondern bloß für eine Relativierung von Zäsuren: »Epochen als Zeitgrenzen sind nicht schlicht aufzugeben, sondern zu relativieren.«4 Sie sind jedenfalls nur kulturelle Setzungen. Wir benutzen sie probeweise, um zu sehen, ob sie unserem historischen Erklärungsbedürfnis nützlich und hilfreich sind oder nicht: »[W]ir setzen sie experimentell«.5 Diese Auskunft ist natürlich ebenso einleuchtend wie letztlich unbefriedigend. Warum sollten wir das tun? Niemand zwingt uns ja, solche Zäsuren auf der Zeitachse einzutragen. Warum machen wir es trotzdem? Dahlhaus sprach von einer manchmal unwiderstehlichen Versuchung durch die Fakten, Marquard geradezu von einem Zäsurbedarf. Hier ist also mit etwas Tieferliegendem zu rechnen. Woher kommt dieser Zäsurbedarf? Es gibt eine Zeit, der wir selbst unterworfen sind, und es gibt eine Zeit, die wir uns unterwerfen. Uhren sind Methoden, uns die Zeit zu unterwerfen, selbst wenn wir uns hernach, Dialektik der Herrschaft über die Zeit, wieder dem Diktat der Uhren beugen müssen. Rhythmische Bewegungen sind ebenfalls frühe, wahrscheinlich die früheste Form, Herr über die Zeit zu werden. Aber warum bemühen wir uns überhaupt darum? Schelling hat eine erwägenswerte Antwort auf diese Frage gegeben. Rhythmus ist für ihn »Verwandlung der an sich bedeutungslosen Succession in eine bedeutende«.6 Hiernach geht der Beuysianismus. Expressive Strukuren der Moderne
von Marquard so benannte Zäsurbedarf letztlich auf einen Bedeutungsbedarf zurück. Genau das war auch Schellings Ansicht: »Wir halten es in allem an sich Bedeutungslosen […] nicht lange […] aus, wir machen Perioden.«7 Es nutzt also nichts: So relativ und kulturell bedingt die Zeitzäsuren, die wir kreieren, auch sind, ohne sie könnten wir es nicht aushalten. Im Bedeutungslosen verliert sich alles. Wir brauchen Kontraste. Die Moderne ist seinerzeit aus einem geradezu aggressiven Kontrastbedürfnis zum Überkommenen geboren worden. Sie konnte gar nicht genug von Trennlinien bekommen. Schließlich aber gab es zu viele Kontraste und prompt schwand ihre ›bedeutende‹ Kraft. Kontraste stützten daher nach und nach unser historisches Orientierungsbedürfnis nicht mehr. Entsprechend begann auch das Gegenwartsbewusstsein bis heute zunehmend an Artikulationstiefe zu verlieren. Wir befinden uns inzwischen offenbar als Überkontrastierte, d. h. als selbstbegrifflich Verschollene in der von Peter Handke so genannten Niemandsbucht.8 In dieser historischen Niemandsbucht der Gegenwart kann man es natürlich auch deutungslos nicht verhindern, dass ›die Dinge ihren Lauf nehmen‹ und dass ›manches anders wird‹. Ein übergreifendes Deutungsmuster, das uns hilft, diesen Lauf der Dinge irgendwie zu entschlüsseln, steht uns aber offenbar nicht mehr zur Verfügung. Aber war das je anders? Sind die übergreifenden Deutungsmuster nicht immer nachträgliche Etikettierungen? Was wird den Nachgeborenen zu uns einfallen? Vielleicht interessieren sie solche Etikettierungen des Vergangenen gar nicht mehr? In der Niemandsbucht findet sich ja nur eine deutungslose Gegenwart. Wie kommt man überhaupt in die Niemandsbucht? Wie sehen die Wege aus, die aus der Moderne in die Niemandsbucht führen? Früher konnte man als Historiker ›Wege in die Moderne‹, auch historische, expressive, auch Einleitung
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philosophische, nachzeichnen. Man konnte es zumindest versuchen, und solche Versuche gibt es zuhauf. Die Frage ist natürlich, ob es solche ›Wege‹ in der Geschichte überhaupt gibt? Wer bahnt solche Wege, sollte es sie geben? In welchem Gelände können oder konnten sie überhaupt gebahnt werden? Wer begeht oder beging sie? Handelte es sich auch rückblickend nicht doch immer nur um Spuren der Verirrten, um auf eine andere Arbeit von Peter Handke anzuspielen.9 So beginne ich diesen Versuch über eine Moderne, die sich inzwischen in die Niemandsbucht hinein überkontrastiv selbst überholt und annulliert hat, mit kurzen Meditationen über die historische Metapher des ›Weges‹. Dann werde ich zweitens einige Wege in die Moderne skizzieren, auch wenn sie partiell ins Leere führen. Ferner werde ich ein letztes Gefecht des Göttlichen mit sich selbst in der Renaissance thematisieren, weil hier ein dramatisches Ende aufscheint, das zu erreichen wir möglicherweise erst heute im Begriffe sind. Die Summe dieses expressiven Desasters werden einige Bemerkungen zu Goethes Faust bieten, der als Faust I Prometheus beerbt, aber als Faust II an der Schwelle zur Moderne altersgerecht erblindet. Hier nahm der alte Goethe die Niemandsbucht, in der wir uns heute befinden, in einer unnachahmlich verrätselten Weise schon vorweg. Bevor ich mich dann auf das Glatteis der visuellen Expressivität unserer Zeiten begebe, die von der Moderne in ihrer Endschaft stracks in die Niemandsbucht führt, werde ich noch Stimmen vorstellen, die sich die beginnende Moderne im 19. Jahrhundert urplötzlich einfach aus der Geschichte geliehen hatte, um sich selbst aushalten zu können: die Sprache der Engel. Die anschließend ausgeführten Analysen zu einigen visuellen Expressionen der Moderne drehen sich um das, was ich behelfsweise unter den Kunstausdruck Beuysianismus gefasst habe. Darunter verstehe ich eine expressive Beuysianismus. Expressive Strukuren der Moderne
Tiefenstruktur der Moderne, an der ihr Wesen ebenso abgetragen werden kann wie ihr Ende und die heute zu beobachtende Renaissance der Mimesis. Diese Konstruktion ist sicher gewagt. Aber auch in der ihr verbliebenen Fragilität bietet sie doch einigen Anreiz, über das Beschreibungsregister, das uns die Theoretiker der Postmoderne hinterlassen haben, hinauszugehen. Das Motiv für diese Erkundungen im Terrain der Expressivität der Moderne ist natürlich ein philosophisches. Genauer: Das Genre, um das es hier geht, ist das einer historischen Metaphysik. Die metaphysische Matrix ist ja nicht nur in Feldern der intellektuellen Verfassung des Menschen wirksam, sondern auch in ihren expressiven. Gerade hier muss sich die stiftende oder gründende, die conditive Form unserer metaphysischen Verfassung aufweisen lassen. Sie ist die konstitutive Landnahme oder Punktsetzung des Geistes im Terrain unserer lebensweltlichen Existenz.10 Hier greift die explikative Form der Metaphysik jedenfalls zu kurz. Diese zeigt sich ja, und darin ist sie ihrerseits unentbehrlich, vor allem in Aufdeckungen verborgener Implikaturen, die sich in tiefsitzenden Verpflichtungen unseres Handelns bewähren. Die Unterscheidung dieser dualen Form unserer metaphysischen Verfassung ist aber ihrerseits nur möglich auf der Folie einer explizit szenischen Metaphysik, die Stiftung und Verpflichtung aus einem Hintergrund erwachsen lässt, der sich aller Charakterisierung entzieht und dennoch unsere Weltstellung definiert. Alles von sich aus Beginnende gehört hierher. Das liest sich nun für Freunde plastischer Mitteilungen leider etwas kompakt. Aber ein altes Bild der Philosophie kann hier helfen: das Ziehen einer Linie mit einem Stift. Irgendwo muss der Stift auf einem Blatt Papier aufgesetzt werden, das ist der Gründungsakt. Dann will die Linie nach einem Reglement z. B. mit einem Lineal oder einem Muster folgend gezogen sein. Das ist die verpflichtende Implikatur unserer linienziehenden Handlung. Einleitung
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Schließlich ist das Bild komplett, wenn wir die Linie auf ihrem Hintergrund als Kontrastprofil realisiert haben. Diese trinitarische Struktur findet sich in allen grundlegenden menschlichen Verhältnissen. Auch das Satzverstehen ist in Subjekten conditiv, in Prädikaten explikativ und in Sätzen szenisch verfasst. Alle drei Aspekte gehören immer zusammen, aber unterscheidbar sind sie doch. Sie gehören zu den Koordinaten der Dimension unseres szenischen Existierens, durch die wir vom Boden des Physischen abgehoben sind. In diesem grundlegenden Sinn einer Metaphysik von unten sind uns diese Koordinaten als Initialen des Szenischen ›überkommen‹, was immer das hier heißen mag. Unsere expressive Begabung besteht nun mit Paul Klee (1879 –1940) generell darin, Unsichtbares sichtbar zu machen. Insofern ereignet sich in der Kunst historisch immer wieder ein spektakulärer Neueintritt in unsere szenische Dimension. Darin besteht ihr metaphysischer Rang, dem sie mehr oder weniger gerecht werden kann und wird. Überlegungen dieser Art gehören daher auch ›in der Ordnung des Sich-Verstehens‹ zu durchaus ›letzten Gedanken‹.11 Dennoch war ich darum bemüht, die sicherlich ungewohnte neue Sichtweise möglichst durchsichtig zu präsentieren. Das ist, wie mir bewusst ist, leider nicht überall gelungen. Bonn, im Mai 2010 Wolfram Hogrebe
Beuysianismus. Expressive Strukuren der Moderne
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I Geburtswehen der Moderne: Formen der Selbstzerrissenheit seit der Renaissance
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Geburtswehen der Moderne: Formen der Selbstzerrissenheit seit der Renaissance
I.1 Einstieg in die Geschichte: Spuren oder Wege?
Im expressiven Portfolio unserer Tage finden sich Papiere, die nicht an der Börse, sondern auf dem Theater, freilich ohne große Gewinnerwartung, gehandelt werden. Dazu gehört die schon genannte Gegenwartsdiagnose von Peter Handkes Spuren der Verirrten. Die Voruraufführung fand am 16. 2. 2007 unter der Regie von Claus Peymann im Theater am Schiff bauerdamm in Berlin statt. Ich war, und zwar durchaus unbeabsichtigt, zugegen. Weshalb und wieso? Vormittags tagte die Nietzsche-Kommission der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften am Gendarmenmarkt, leider zu eben der Zeit, zu der dem bekannten Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki in der Humboldt-Universität die Ehrendoktorwürde zugesprochen wurde, d. h. um 11 Uhr vormittags. Diese Ehrung hätte ich gerne besucht, allein die Pflicht in der Akademie verhinderte dies. 22 | 23
Nach der Sitzung in der Akademie stellte sich heraus, dass Horst Bredekamp, damals ebenfalls Mitglied dieser Kommission, für einen gemeinsamen Abendtermin verhindert war. Ich besuchte daher – faute de mieux – zunächst das Bode-Museum, um dann zu meinem Hotel in der Albrechtstraße zu gehen. En passant kam ich am Theater am Schiffbauerdamm vorbei, las die Werbung für eine Aufführung von Schillers Jungfrau von Orleans, ließ mich davon anlocken, betrat das Vestibül mit der Theaterkasse, stellte anhand weiterer Anschläge fest, dass am nämlichen Abend nicht Schillers Stück gegeben wurde, sondern eben die ›Voruraufführung‹ von Handkes damals neuestem Stück, kaufte eine Karte, die letzte, die zu haben war, wie mir die blonde Verkäuferin mit gepierctem linken Ohr versicherte: 1. Rang links, Loge 3, Reihe 3, Platz 1, für bloß fünf Euro. Und dann das Stück selbst. Wie ich sagen würde: zum Thema ›Wege nach der Moderne‹. Also Variationen zu Vorzeit, Endzeit, Nachzeit, Auszeit. Der Text von Handke bündelt den gegenwärtigen Zeitverlust mit dem Satz: »Es ist aus mit der Zeit.«12 Der Bilderreigen der Szenen wechselte nach dem Regiehinweis Handkes unentwegt die Richtungen: »[O]bwohl doch keinerlei Richtung mehr im Spiel ist, ebenso wie offenbar weder ein Horizont oder bloßer Fluchtpunkt noch eine Perspektive«.13 Es gab auf dieser Bühne keine ›Wege‹ mehr, nur noch ›Spuren‹ von ›Verirrten‹, die wir, so die Botschaft des Stücks, heute wohl alle sind. Aber war das je anders? Wie sollte man z. B. meinen ›Weg‹ in die ›Voruraufführung‹ schildern oder gar erklären? Wurde es nicht erst ein ›Weg‹, als ich um 20 Uhr meinen Platz im Theater am Schiff bauerdamm eingenommen hatte? Ist es nicht zweifelhaft, wenn man sagen würde: Horst Bredekamp hat mir negativ, d. h. per Mitteilung seiner abendlichen Verhinderung, den Weg zu Peter Handkes neuestem Stück gewiesen? Wir beide wußten von Wolfram Hogrebe
dieser Voruraufführung gar nichts. Dennoch war er in gewisser Weise durchaus mitursächlich für meinen Besuch dieser Aufführung, denn sonst hätten wir uns vermutlich abends zum Essen getroffen wie früher oder auch Jahre später, so z. B. am 19. 2. 2010 um 20.30 Uhr im Restaurant Cantamaggio in der Alten Schönhauser Straße 4. War dieser negative Bescheid Horst Bredekamps eine Ursächlichkeit im physikalischen Sinne? Kaum. Eine Ursächlichkeit im psychologischen Sinne? Sehr fraglich. Eher müsste man sagen: Es handelte sich um eine Ursächlichkeit im Sinne einer anonymen Dramaturgie dieses Tages. Diese Dramaturgie gründete aus der Dimension des für die Beteiligten Zufälligen den szenischen Bedeutungsraum dieses Tages. Wie müsste also eine Erklärung meines Besuchs der ›Voruraufführung‹ von Peter Handkes damals neuem Stück Spuren der Verirrten aussehen? Vermutlich nicht anders als genauso, wie ich die ›Geschichte‹ dieses Besuchs gerade geschildert habe. Alles ›harte‹ Fakten. Aber tatsächlich erreicht man durch solche Erzählungen wohl ein szenisches Gründungsgeschehen, aber noch nicht das Niveau der Geschichte. So wenig die Berichte der Augenzeugen und Beteiligten verzichtbar sind, Geschichte erreichen wir erst, wenn Strukturen und Determinanten explikabel werden, kurz: ein Reglement sichtbar wird, das über die Köpfe der Beteiligten hinweg wirksam ist. Die individuelle Perspektive tritt dann zurück, systematische und erklärende Aspekte gewinnen die Oberhand. Für unseren Fall müssten wir im sound von Max Weber in etwa folgendes Erklärungsschema zum Einsatz bringen: Proletaroide Kleinpfründner wie Professoren lassen sich in Terminentlastungsfällen und aus Gründen notorisch unterreizter Sensibilität gerne von expressiven Angeboten (Musik, Theater, Literatur, Ausstellungen etc.) anlocken. Ein solches Trendgesetz deklassiert zwar den Faktenrang, aber annulliert ihn nicht, sondern konfiguriert ihn szenisch. Geburtswehen der Moderne: Formen der Selbstzerrissenheit seit der Renaissance
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Wie weit dieser systematic ascent dann jeweils getrieben werden darf, ist eine Frage der Plausibilität und Fruchtbarkeit der Ergebnisse. Verliert die gewählte Perspektive die Beteiligten im Geschehen völlig aus dem Blick, haben wir es mit einer nahezu beteiligungsfreien Geschichte zu tun, die diesen Namen nicht mehr verdient. Sie geht dann in die Sphäre einer Systemtheorie über, die sich nur noch mit sich selbst beschäftigt und keine Erdung mehr hat. Das Ergebnis kann dann nur sein: history without tears, Geschichte also, in der sich niemand wiedererkennt. Den Geschichtsraum betritt man also nur, wenn man sich auf szenische Erklärungen im Stile von dramaturgisch begriffenen Geschichten einlässt, die den Kontakt zur Basis nicht verlieren, so schwer diese in der Vergangenheit aus den Quellen zu sichern ist. ›Wege‹ in der Geschichte gibt es daher immer erst im szenisch interpretierenden Rückblick. Rückblicke legen Wege fest, von denen man auf der Folie einer geradezu rekonstruierten anonymen Dramaturgie mehr oder weniger überzeugend nachweisen kann, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt oder auch zur Gegenwart hinführen. Was bloß Spur war, kann in der historischen Betrachtung, aber erst dann, Weg werden. I.2 Verwesentlichungsformen und Subordinationsprobleme
Mit dem kärglichen und anspruchslosen Vokabular von ›Spur‹ und ›Weg‹ soll hier natürlich nicht versucht werden, geschichtstheoretische Grundsatzerwägungen vorzutragen. Worum es geht, ist lediglich die missliche Tatsache, dass man einigermaßen schon wissen muss, wohin die Reise gehen soll, wenn man Spuren als Wege erschließen will. Wer Wege in die Moderne benennen will, muss trivialerweise schon im Ansatz verstanden haben, was unter Moderne zu verstehen ist bzw. was er darunter zu verstehen empfiehlt. Da ich im Folgenden vor allem am Wolfram Hogrebe
expressiven Tableau der Moderne interessiert bin, ist es nicht unstatthaft, umstandslos von einer Charakteristik der Moderne auszugehen, die von einem sensiblen Zeitgenossen der Moderne stammt, der kein Philosoph im akademischen Sinne war. Sie wirkte aber offenbar als so überzeugend, dass sie einen bedeutenden Philosophen vom Fach beeindruckt hat und als signifikant für die Moderne aufgenommen wurde. Es handelt sich um eine Bemerkung von Paul Klee, die von Hans Blumenberg in das Zentrum zeitdiagnostischer Erwägungen gestellt wurde. Im frei gewählten Spielraum der Gestaltungsmöglichkeiten sind nach Paul Klee in der Moderne fortschreitend solche zu realisieren, die die Subjektivität und Kontingenz der Anfänglichkeit in Gestaltungsprozessen zunehmend minimieren. Wo es gelingt, in Gestaltungsspielräumen gleich welcher Art in anfänglich kontingenter Weise Figurationen zu erzeugen, derart, dass sie sich schließlich wie von selbst ergeben, ja zwingend als aus sich verständlich erscheinen, da geschieht, was Hans Blumenberg als Signatur der Moderne begreift und, Paul Klees Text Schöpferische Konfession zitierend, als »Verwesentlichung des Zufälligen« bezeichnet.14 Wenn man solche Überlegungen als Ausgangspunkt für einen angestrebten Rückgang in die Vorgeschichte der Moderne nutzen möchte, wird man sich darauf festgelegt sehen, auf historische Verwesentlichungsformen zu achten, die dieser Verwesentlichung des Zufälligen vorhergingen. Diese werden sich, soviel lässt sich sogar a priori sagen, in historisch durchaus kontingenter Weise dennoch als Verwesentlichungsformen des Notwendigen zeigen müssen. Und solche Formen werden sich wiederum in häufig bloß impliziten Subordinationen unter Normprofile aufzeigen lassen. Bis nämlich wie heute eine Verwesentlichung des Zufälligen erreicht werden konnte, mussten zwangsläufig die Mauern des Notwendigen geschleift werden, Geburtswehen der Moderne: Formen der Selbstzerrissenheit seit der Renaissance
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die anfänglich insgesamt externalistischer Art waren. Die Arena der anonymen Dramaturgie dieses Geschehens betritt folgende Skizze. Ganz anfänglich erfuhren sich die Menschen dem Normprofil der Götter kollektiv subordiniert, aber auch diese ihrerseits der anonymen Macht der Themis. Der monotheistische Schub aus dem Vorderen Orient gab im Christentum eine individuelle Subordinationsform frei, die jedermann gottunmittelbar stellte und als historische Verwesentlichung einer Gnadenstellung aller Kreaturen gefasst werden kann. Darin bestand auch das unübertroffene Trostpotenzial des Christentums. Aber die ersten christlichen Theoretiker hatten im begrifflichen Ablösungsgeschehen vom antiken Weltbild etliche Probleme zu lösen, mit manchen kamen sie nicht zurande. Wo Origenes (185 – 254) darüber meditiert, wie das Konzept des Geschichtsverlaufs zu fassen sei, erwägt er die Vor- und Nachteile des alten Kreismodells. Sein entscheidender Nachteil ist der, dass hiernach der Kreuzestod Christi sich in alle Ewigkeit wiederholen muss, ein eher anstößiger Gedanke. Den Kreis galt es daher aufzubrechen, um ein lineares Verlaufsmodell erhalten zu können. Das war die Leistung von Augustinus (354 – 430). Der frühe Augustinus war es auch, der den drohenden Verlust des heidnischen Naturwissens verhinderte, indem er dieses in De doctrina christiana als unentbehrlich für die rechte Schriftauslegung erklärte. Dadurch wurde das naturwissenschaftliche Wissen zwar gerettet, aber doch nur in depotenzierter Form, d. h. dem Wissen um das geoffenbarte Wort in allegorischer Graduierung adjuvant subordiniert. Hiergegen regte sich der Widerspruch, zunächst eher implizit, dann immer deutlicher, bei Robert Grosseteste (1175 – 1253), Albertus Magnus (1200 – 1280), Roger Bacon (1214 – 1299) u. a. Das hier keimende Naturwissen, schwach genug zunächst, suchte Verbündete gegen die Wolfram Hogrebe
theologische Orthodoxie, um die subordinierenden Ketten definitiv zu sprengen. Und diese gab es seit je in altmagischen Praktiken. Das Amalgam experimenteller Naturforschung mit Magie blieb bis ins 18. Jahrhundert beherrschend. Man muss auch hier auf die Subordinationsformen achten: Wer hat das letzte Wort, das theologisch verkündete oder das astrologisch berechnete? Diese Ambivalenz bezüglich des gültigen Subordinationsmodells ist schon bei dem Florentiner Giovanni Villani (1276 – 1348), also sehr früh, greifbar. Dieter Blume, dem wir ein schönes Werk über die Visualisierung der Sterne als Regenten des Himmels in der Renaissance verdanken, nennt es ein »charakteristisches Spannungsverhältnis, das einerseits aus der Faszination der kausalen Erklärungsmöglichkeiten durch die Astrologie gespeist ist, aber andererseits mit dem Verweis auf die Allmacht Gottes und den freien Willen des Menschen zugleich auch die christlichen Vorbehalte in Anschlag bringt«.15 Diese Ambivalenz bleibt bekanntlich in der gesamten Renaissance erhalten. Wenn im Jahre 1327 Cecco d’Ascoli (1257 – 1327), ohnehin ein intellektuell höchst eigenwilliges Temperament, in Italien als erster und sogar schon eine Generation vor Giovanni Villani für die historische Person Jesus Christus das Horoskop stellte, um zu zeigen, dass der Kreuzestod durch dieses Horoskop prognostizierbar war, dann mochte es in gewisser Weise nicht verwunderlich sein, dass er dafür, die Einzelheiten sind nicht bekannt, umstandslos am 26. 9. 1327 in Florenz auf dem Scheiterhaufen landete.16 Das Unerhörte seiner Nativitätsstellung für Jesus Christus entspräche in unserer Zeit in etwa einer denkbaren Ankündigung des geschäftstüchtigen GenomDechiffrierers Craig Venter, dem Turiner Grabtuch (für unsere Zwecke hier kontrafaktisch unterstellt, dass es echt ist) Proben für eine DNA-Gewinnung von Jesus zu entnehmen, Geburtswehen der Moderne: Formen der Selbstzerrissenheit seit der Renaissance
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die, in der Petrischale klontechnisch auf bereitet, anschließend von einer durchaus preiswerten texanischen Leihmutter als Wiedergeburt ausgetragen werden sollen. Ein solches Vorhaben empfänden viele auch heute noch zumindest als frivol.17 Zu Zeiten von Cecco d’Ascoli war jedenfalls an dem Eindruck einer flagranten Gotteslästerlichkeit seiner Horoskopstellung nicht vorbeizukommen. Später waren solche Horoskope übrigens nichts Unübliches. Girolamo Cardano (1501 – 1576), auch ein in sich extrem zerrissener Charakter, dem wir dennoch die Lösung von Gleichungen dritten Grades und die mechanischen Erfindungen der Kardangelenke und die cardanische Aufhängung beim Kompass verdanken, wird ein solches Horoskop ebenfalls zugeschrieben.18 Den Umstand, dass er auch den Tag seines eigenen Todes korrekt prognostiziert haben soll, schreibt man allerdings eher dem vermuteten Hilfstatbestand eines Suizides zu. Das vielleicht älteste Horoskop dieser Art, übrigens für Christus und Mohammed zugleich, stammt von dem persischen Astrologen Albumasar bzw. Abu Ma’sar (ca. 787 – 886).19 Die Macht der Sterne wurde in der Renaissance jedenfalls nicht schwächer, sondern stärker. Sie bezeugt seit Cecco d’Ascoli eine neue Subordinationsform: Das Göttliche und das gesamte Heilsgeschehen wurden von manchen in ungeheuerlicher Weise dem Stand der Sterne subordiniert. Von hier aus erscheint die magische Verfassung der Renaissance allerdings als durchaus konsequent. Anders war dieser Subordinationswandel gar nicht in Angriff zu nehmen. Ernst Cassirer hat in diesem Sinne auch die wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung von Pietro Pomponazzis (1462 – 1524) Werk De naturalium effectuum admirandorum causis, seu de Incantationibus (1520) gewürdigt. Diese Schrift mutet zunächst wie ein Inventar kruden Aberglaubens an, aber in Wahrheit, so Cassirer, wird hier das von Aby Warburg diagnostizierte ›dämonische‹ oder ›magische‹ Moment der Astrologie tendenziell Wolfram Hogrebe
eliminiert, und übrig bleibt »der Gedanke der einen unverbrüchlichen Gesetzlichkeit des Geschehens […], die keine Ausnahme oder Zufälle kennt«.20 Dass von einer solchen universellen Gesetzlichkeit alles Göttliche ferngehalten werden müsse, begründet Pomponazzi mit dem Argument, dass Gott sonst auch zum Urheber alles Übels werden und auch Ursache von Schmutz und Dreck sein müsste.21 Theologiefreie Naturgesetze treten so in den Dienst einer Theodizee avant la lettre. Aber was bleibt von Gottes Allmacht dann noch übrig? Bleibt er dann selbst noch übrig? Gerade im magischen Zuschnitt der Astrologie schlummert so eine Verwesentlichung des Notwendigen, der sich das menschliche, natürliche und sogar göttliche Schicksal subordiniert erfährt. Ohne diese magische Verwesentlichung des Notwendigen in der Renaissance hätte es schwerlich zur Geburt der Idee einer Naturgesetzlichkeit im nicht theologisch ummantelten Sinne kommen können, wie sie für uns heute selbstverständlich ist. Dennoch darf man nicht vergessen (und man tut es ja auch nicht), dass die Tradition einer ›dämonischen‹ oder ›magischen‹ Einbettung des neuzeitlichen Naturwissens bis Isaac Newton reicht, dessen umfangreiche alchemistischen, hermetischen und theologischen Schriften großenteils, skandalös genug, immer noch unediert sind.22 In gewisser Hinsicht ragt das ›magische‹ Moment der Naturgesetzlichkeit noch bis zu Albert Einsteins Aversion gegen die statistische Fassung der Quantenphysik mit dem Satz: ›Gott würfelt nicht‹. Den altmagischen Nezessitismus wird man eben nicht so leicht los. I.3 Zwei aparte Wege in die Moderne: Cusanus und Spinoza
Ich möchte hier noch zwei Formen einer Verwesentlichung kurz skizzieren, die für Wege in die Moderne paradigmatischen Glanz haben, freilich immer nur Geburtswehen der Moderne: Formen der Selbstzerrissenheit seit der Renaissance
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retrospektiv diagnostiziert. Ich meine hier die Verwesentlichung des Nichtwissens bei Nikolaus Cusanus (1401 – 1464) und die Verwesentlichung der Immanenz durch Spinoza (1632 – 1677). Es gehört zu den Charakteristika der philosophischen Moderne, dass sie sich bis in unsere Zeit heute immer deutlicher von einer Theorie des Wissens zu einer Theorie des Nichtwissens entwickelt hat. Die endlosen und in einer anderen ›Niemandsbucht‹ endenden Debatten über einen kriteriell abgesicherten Wissensbegriff hatten eigentlich schon mit Edmund Gettier das Ergebnis erbracht, dass es keine abgeschlossene Liste von Kriterien geben kann, die das Vorliegen von echten Wissensansprüchen garantieren. Wir müssen uns also mit autorisierenden Kriterien, so Nicholas Rescher, begnügen, und das reicht auch. Quines These von der Unerforschlichkeit der Referenz, seine Argumente gegen die Existenz eines syntaktisch wohldefinierten Bedeutungsbegriffs, sein Plädoyer für die Unbestimmtheit radikaler Übersetzung u. a. sind insgesamt ebenfalls als limitative Ergebnisse anzusehen, die auf ihre Weise Fixpunkte im Forschungsprogramm eines Wissens um unser Nichtwissen zur Darstellung bringen. Timothy Williamsons Buch Knowledge and Its Limits23 schließt mit einem Plädoyer für eine intensivere Erforschung des Nichtwissens, um seinen Anteil und seine Bedeutung für die Begrenztheit unseres epistemischen Managements deutlicher akzentuieren zu können. Dazu liegt inzwischen eine Studie von Joachim Bromand vor, die die bekannten semantischen Paradoxien im Lichte seiner These von der expressiven Unvollständigkeit der Sprache interpretiert und belastbare Fingerzeige für die These von der Unerforschlichkeit des menschlichen Geistes bietet.24 Übrigens nicht als These seiner defizitären Verfassung, sondern umgekehrt als Zeichen seiner Komplexität. In seiner Arbeit Grenzen des Wissens präsentiert er das noch weiter gehende Ergebnis, dass die bloß Wolfram Hogrebe
scheinbar spektakulären Ergebnisse von Williamson als radikal depotenziert zu betrachten sind. Damit bietet er in völlig neuer Sicht geradezu eine Entmystifizierung unserer Erkenntnisgrenzen an.25 Bromand zeigt nämlich, dass der Teppich der Tatsachen manchmal ›löchrig‹ ist, und zwar nicht durch Mottenfraß, sondern aufgrund unserer sprachlichen Webpotenz, so dass trivialerweise mitunter nichts erkannt werden kann, weil es einfach keine Tatsachen gibt, die Gegenstand des Erkennens sein könnten. Das ist neu. Wer hat schon damit gerechnet, dass es deswegen Erkenntnisgrenzen gibt, weil es zu wenige Tatsachen gibt? Die epistemische Verfassung des Menschen reicht weiter als der Teppich der Tatsachen. Die diffuse Semantik des singulären abstrakten Terminus ›die Welt‹ reicht z. B. weiter als das, ›was der Fall ist‹. Das wird vermutlich jeder akzeptieren, obwohl es ihm erst gezeigt werden musste. Auch das Kardinalergebnis der Kritik der reinen Vernunft Kants stützt diese Einschätzung: Unser denkendes Verstehen reicht weiter als das Reich unseres objektiv ausweisbaren Erkennens. Und es muss in der Tat weiterreichen, weil wir sonst nicht mehr verstehen könnten, dass wir ultimativ in Kontexte bzw. in einen diffusen Kontext aller Kontexte eingebunden sind. Ein kosmo-szenisches Ganzes, wie wir es mit dem Titel ›Welt‹ artikulieren, dessen Semantik weiterreicht als die unseres astronomischen Bildes des Universums, käme uns so abhanden. Ja, die Semantik aller Inbegrifflichkeiten, und damit verlören wir uns als in Kontexte Verwobene schließlich sogar selbst. Alle diese Einsichten aus der Tradition und aus aktuellen philosophischen Debatten könnte man im Sinne einer Negativen Erkenntnistheorie als Fortsetzung der Intuitionen von Nikolaus Cusanus auffassen, und zwar im Sinne ›ungeahnter Wege‹ in die Moderne. Ich selbst habe das kürzlich mit meiner Arbeit Echo des Nichtwissens26 so vorgeschlagen. Die Pointe ist auch hier die, dass Cusanus Geburtswehen der Moderne: Formen der Selbstzerrissenheit seit der Renaissance
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an der Schnittstelle zwischen Mittelalter und Neuzeit – und ich sage das, obwohl Kurt Flasch solche großkalibrigen historischen Ecktitel gerade mit Bezug auf Cusanus gar nicht mag 27 – , dass also Cusanus für den Bereich der Extremalphänomene einen überraschend positiven Begriff des Nichtwissens präsentiert, der ebenfalls nicht als Titel eines Defizits erscheint, sondern als Titel einer anders nicht erreichbaren Fülle des Denkens. Die Begrenztheit des Wissens sichert eine Transzendenz, die sich als innere Voraussetzung dessen erweist, was wir positiv wissen können. Die Verwesentlichung des Nichtwissens wird damit auch ein Stichwort unserer Zeit. Unsere komprehensive Fähigkeit erreicht immer nur Ganze, zu denen etwas außerhalb gesetzt ist und bleiben muss, weil es sonst generell Ganze gar nicht geben könnte. Genauer: Zu jedem Ganzen muss außerhalb mehr gegeben sein, als sich im Ganzen wieder fangen lässt, technisch gesprochen: Die Antiextension darf nie leer sein. Sonst könnte es ein AllGanzes geben, das sofort an den Antinomien der Mengenlehre zugrundegehen müsste. Unsere komprehensive Kraft zeugt mithin für eine Unendlichkeit, der sie selbst nicht mächtig ist und auch nicht sein darf, weil sie sonst sofort erstürbe. Am Nichtwissen nährt sich die Kraft unseres begrenzten Wissens. Stichwortgeber für unsere Zeit, und zwar genau gegenläufig zu Cusanus, wurde aber auch Spinoza mit seiner metaphysischen Tendenz zu einer Verwesentlichung der Immanenz. Das Nichtwissen ist für Spinoza, entgegengesetzt zu Cusanus, nicht Modus epistemischer Fülle, sondern, Friedrich Nietzsche antizipierend, ›asylum ignorantiae‹,28 Fabrikhalle für fiktive Entitäten. Alles ist für Spinoza maximal intelligibel, es gibt keinen Rest, der sich epistemisch nicht auflösen ließe. Es gibt für ihn nicht so etwas wie eine extern aufscheinende Fülle, an der wir, wovon Cusanus überzeugt ist, anders Wolfram Hogrebe
als in Formen gewussten Nichtwissens schwerlich teilhaben könnten. Spinoza steht auf diesem Fuße Cusanus gegenüber, wie Hegel Schelling gegenübersteht. Aber nicht deswegen ist Spinoza ein Stichwortgeber für die Moderne geworden. Es ist vielmehr sein metaphysischer Substanzmonismus, der den cartesischen Dualismus zwischen körperlichen und mentalen Entitäten als kategoriale Kontraste verdampfen lässt. Genau das kommt den naturalistischen Vorstellungen z. B. der heutigen Hirnforschung natürlich entgegen. So hat insbesondere Antonio Damasio in seinem Buch Looking for Spinoza29 dessen Zwei-Aspekte-Auffassung neurobiologisch repristiniert. Zentral ist für Damasio »Spinozas Auffassung, daß Geist und Körper parallele Merkmale […] derselben Substanz sind«. 30 Dieser Parallelismus mag neurobiologisch übersetzbar sein, der Rechtsgrund desselben, die Substanz, ist es natürlich nicht. Auch die reflexive Verfassung des Strebens (conatus) nach Selbsterhaltung im Modus der Affektdistanzierung, für Spinoza Zweck und Ziel der Ethik, ist natürlich neurobiologisch ebenfalls nicht übersetzbar. Damasio versucht das auch gar nicht, um wenigstens ein Fragment Spinozas für seinen Naturalismus zu retten. Darauf hat Birgit Sandkaulen in detaillierten Analysen hingewiesen, die das Ergebnis erbringen, dass es Wege in die Moderne gibt, die systematisch in die Sümpfe führen.31 Das ist eine Gefahr der philosophischen Wirkungsgeschichte, die immer gegeben ist und die als Gefahr von daher nicht speziell gegen Damasio spricht. Denn es ist doch sehr sympathisch, dass er als Portugiese eine Schwäche für Spinoza hat. Trotz der gegenläufigen Verwesentlichungstendenzen bei Cusanus und Spinoza und ihrer modernen Wirkungspotenziale bleibt für beide dennoch unstreitig, dass sich bei ihnen aber je auf ihre Weise das alte Subordinationsmodell durchhält: Menschliche Belange sind in ihrer Subordination unter das Göttliche grundsätzlich Geburtswehen der Moderne: Formen der Selbstzerrissenheit seit der Renaissance
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nicht fraglich. Selbst wenn uns diese Subordinationsformen bei beiden geradezu internalisiert 32 erscheinen, erstrahlt es dennoch in Formen der Partizipation an Nichtgewusstem bzw. in unserer intellektuellen Liebe zu Dingen als Botschafter der göttlichen Einheit, d. h. sub specie aeternitatis. Im Gegenwärtigen ist immer zugleich das Göttliche präsent. Das ist in der Renaissance nicht überall so. Hier gab es Temperamente einer inneren Selbstzerrissenheit, die das Göttliche in diese Selbstzerrissenheit bis zu einer spektakulären Selbstgefährdung Gottes einbezogen. Man könnte solche Versuche als Fingerzeige auf eine Moderne betrachten, von der man sich vielleicht eher verschont wünscht. I.4 Michelangelo: Das Bild, das alle sonstigen Bilder ans Kreuz schlug
Die von Aby Warburg, auch von Ernst Cassirer herausgearbeiteten ambivalenten Strukturen im expressiven Tableau der Renaissance gehen letztlich auf einen unentschiedenen Kampf um das rechte Subordinationsmodell zurück. Das Weltliche in allen seinen Ausformungen steht mit sich und mit dem Göttlichen im Wettbewerb (Paragone) um die Stellung als dominante Orientierungsgröße. Philosophisch ist es auch ein Wettbewerb zwischen Epikur und Platon, die sich in der italienischen Renaissance in variationsreichen Szenen wechselseitig erschlagen. Diese Ambivalenz lässt sich bis zu expressiven Formen extremer Selbstzerrissenheit bis Mitte des 16. Jahrhunderts visuell gut studieren, z. B. an der Anlage des Gartens von Bomarzo. Diesen Garten hatte Vicino Orsini (1523 – 1585) in einer seltsamen Verschränkung von Geschlechtslust und spiritualitätsfreier Sehnsucht anlegen lassen. Die Gartenarchitektur spiegelt diese Selbstzerrissenheit Vicino Orsinis, der sich weder religiös noch ästhetisch getröstet finden Wolfram Hogrebe
konnte. Horst Bredekamp hat das mentale Profil Orsinis so zusammengefasst: »Aus all seinen Äußerungen konturiert sich das Bild eines zwischen Größenwahn und Komplexen, Sinnenlust und leiblichen Gebrechen, Existenzangst und Todesverachtung, Aggression und Zuneigungsbedürfnis, Anarchie und Unterwürfigkeit zerspaltenen Menschen, der die Extreme der Epoche mit Hingabe zu einem unaufhaltsamen Skeptizismus kultiviert.«33 Diese Selbstzerrissenheit lässt sich auch schon eine Generation früher bei kreativen Exponenten der Renaissance dokumentieren. Das erstaunliche Tableau einer selbstdiagnostizierten Selbstzerrissenheit z. B. bei Girolamo Cardano, das wirklich keinen Vergleich mit Vicino Orsini zu scheuen braucht, hatte schon Hegel beeindruckt.34 Für Hegel ist Cardano »ein weltberühmtes Individuum, in welchem die Auflösung und Gärung seiner Zeit in ihrer höchsten Zerrissenheit sich darstellt«.35 Dafür spricht Cardanos Selbstbeschreibung (De vita propria), die Hegel hier zitiert: »Ich […] bin sinnreich, elegant, anständig, wollüstig, aufgeräumt, fromm, treu, […] erfinderisch, nach Wundern strebend, verschlagen, listig, bitter, in Geheimnissen bewandert, nüchtern, arbeitsam, sorglos, geschwätzig, Verächter der Religion, rachgierig, neidisch, traurig, heimtückisch, verräterisch, Zauberer, Magus, unglücklich, den Meinigen gram, einsiedlerisch, widrig, streng, Wahrsager, eifersüchtig, Zotenreißer, verleumderisch, willfährig, veränderlich; – solcher Widerspruch meiner Natur und meiner Sitten ist in mir.«36 Das Ringen um das rechte Subordinationsmodell, das in diesen Temperamenten vielleicht als Brennkammer dieser Selbstzerrissenheit betrachtet werden kann, spitzte sich aber schon bei Michelangelo in einer Weise zu, die bis heute unbemerkt geblieben ist, aber eben deshalb auch heute noch als visuelle Zumutung erscheinen könnte. Ich denke dabei an eine Zeichnung von Michelangelo aus der Zeit um 1538 – 1543, das sogenannte Kruzifixus für Geburtswehen der Moderne: Formen der Selbstzerrissenheit seit der Renaissance
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1 Michelangelo, Kruzifixus für Vittoria Colonna, 1538 – 1543.
Vittoria Colonna.37 [Abb. 1] An anderer Stelle habe ich ausführlich über dieses einzigartige Bild gehandelt, 38 so dass ich mich hier auf das für unser Thema Relevante beschränken kann. Der Forschung ist bekannt, dass Michelangelo diese Zeichnung zunächst Vittoria Colonna schenkte, sie dann aber zurückforderte, um sie zu vollenden. Als Bote Wolfram Hogrebe
fungierte, in diesem Falle übrigens sehr zum Ärger Michelangelos, Tommaso de Cavalieri. Vittoria Colonna indes erbat ihrerseits die Zeichnung von Michelangelo wieder zurück: Selbst wenn sie unvollendet sei, sei sie einzigartig und wunderbar, ja, Vittoria war so begeistert, dass sie Michelangelo brieflich mitteilte, dass sein Kruzifixus »alle anderen Bilder, die ich je gesehen, in meinem Gedächtnis Geburtswehen der Moderne: Formen der Selbstzerrissenheit seit der Renaissance
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ans Kreuz geschlagen hat«.39 Sie habe die Zeichnung auch genau studiert: bei Licht mit Glas und Spiegel (ben visto al lume e col vetro e col specchio), d. h. mit einem Vergrößerungsglas und einem Spiegel. Der Umstand, dass Vittoria Colonna die Zeichnung Michelangelos nach eigenem Bekunden mit Vergrößerungsglas und Spiegel betrachtet habe, ist in der kunstgeschichtlichen Forschung so gedeutet worden, »daß die Marchesa dabei bereits an eine Vervielfältigung im Druck gedacht haben könnte, bei dem das Bild seitenverkehrt erschiene […]«.40 Für diese Deutung gibt es allerdings keinerlei Basis. Naheliegend ist hingegen der Verweis auf die Praxis der Qualitätskontrolle in der Ausbildung der Maler mit eben einem Spiegel. Auch Leonardo empfiehlt in seinem Trattato de la Pittura: »[D]u sollst bei deinem Malen einen flachen Spiegel bei der Hand haben und dein Werk des öfteren darin betrachten. Es wird dasselbe hier umgekehrt zum Vorschein kommen und wird dir vorkommen, wie von eines anderen Meisters Hand. Da wirst du über deine Fehler ein besseres Urteil bekommen als sonst.«41 Die Frage ist nun: Warum hat Michelangelo die Zeichnung von Vittoria Colonna zurückerbeten? War die Absicht, sie zu vollenden, wirklich der Grund? Ist die Vollendungsabsicht nicht möglicherweise nur vorgeschoben? War ihm das Blatt in der aus der Hand gegebenen Form zu riskant? Was aber könnte das Riskante gewesen sein? Reiner Haussherr, dem wir eine umfassende Studie zu Michelangelos Kruzifixus für Vittoria Colonna verdanken, vermutet, dass Michelangelo im Kreis von Vittoria Colonna mit Formen einer reformatorischen Passionsfrömmigkeit in Berührung kam (Juan de Valdés, Bernardino Ochino u. a.), die sich expressiv in seiner Zeichnung des Kruzifixus für Vittoria Colonna niederschlug.42 Haussherr hebt auch hervor, dass der Kruzifixus, was schon Ascanio Condivi bezeugt, ikonographisch von aller Konvention abweicht.43 Das ›Moderne‹ umschreibt Haussherr Wolfram Hogrebe
mit Alexander Perrig. Michelangelo habe hier »gerade den ›kritischen‹ Moment aus der Kreuzigungspassion« ausgewählt: »den Moment von Christi Verzweiflung. Sie bemißt das Leiden nach den Tiefen des Bewußtseins […] und sie sieht die Tiefen dort, wo der Gottessohn sich an der Schwelle des Nichts und der Gottlosigkeit findet […]«. Haussherr kann zeigen, dass Michelangelo in dieser Zeichnung »zum ersten Mal in der Geschichte der Kreuzigungsikonographie Christus im Augenblick des Wortes von der Gottverlassenheit dargestellt« hat, hier erscheint auch »zum ersten Male der Gekreuzigte mit nach oben, zu Gottvater gewandtem Haupt«.44 Haussherr beschreibt den Corpus auch korrekt, wenn er darauf hinweist, dass Michelangelo »gerade nicht das im Sterben Zusammensinken des Gekreuzigten zum Thema macht, sondern sein sich in Schmerzen Emporwinden«.45 Und er hat ebenso richtig bemerkt: »[D]ie Füße sind nicht, wie im ersten Augenblick anzunehmen ist, übereinandergenagelt. Der rechte, der vordere von beiden, ist etwas höher als der andere am Kreuz befestigt. Daraus hat Michelangelo ein SichEmpor-Schrauben des Leibes gemacht.«46 Auch der ikonographische Bezug zwischen dem Haupt des Gekreuzigten und der Figuration des LaokoonHauptes ist seit Herbert von Einem der Kunstgeschichte geläufig.47 [Abb. 2] Es scheint, dass wir insoweit auf gesichertem Boden stehen. Wie aber diese dramatische Bewegung des Corpus, die eben, wie Haussherr treffend schreibt, aus einem Sich-Empor-Schrauben des Leibes erwächst, ausschließlich mit einem Reflex der Passionsfrömmigkeit im Kreise der Vittoria Colonna erklärt werden könnte, bleibt szenisch und visuell völlig unklar. Die Wucht des Sich-Empor-Schraubens des Corpus Christi steht dieser Deutung evident entgegen. Michelangelo muss versucht haben, etwas Gewaltigeres zu visualisieren, etwas, nach dem wohl auch Vittoria Colonna mit Glas und Spiegel gesucht Geburtswehen der Moderne: Formen der Selbstzerrissenheit seit der Renaissance
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2 Vorherige Seite: Michelangelo, Kruzifixus für Vittoria Colonna (links); LaokoonGruppe (rechts) (beides im Detail). 3 Michelangelo, Kruzifixus für Vittoria Colonna (Detail).
hat. Was kann das sein? Hier muss man noch genauer ins Detail gehen. Achten wir speziell auf die Geste der rechten Hand des Gekreuzigten. [Abb. 3] Wie ist sie zu deuten? Aus der rhetorischen Gestenlehre von Quintilian könnten wir hier Interpretationshilfen gewinnen. Unter den Gebärden nennt Quintilian diejenige die allgemeinste (maxime communis), bei der entweder der Mittelfinger mit dem Daumen zusammengeschlossen wird, während die drei anderen Finger entfaltet bleiben, oder bei der Mittel- und Ringfinger unter den Daumen geschoben werden. Gerade bei dieser letzten Variante wirkt die Gebärde noch eindringlicher als die erste und sie passt besser als jene beim Beschuldigen und Überführen zum Ausdruck der Schärfe des Angriffs (in exprobrando et coarguendo acer atque instans).48 Im Jahre 1644 publizierte der Mediziner John Bulwer ein Buch, dessen zweiter Teil unter dem Titel Chironomia diejenigen Gesten beschreibt und abbildet, die vom Redner zweckmäßig und kunstgemäß eingesetzt werden. Wolfram Hogrebe
Hier findet sich auch die von Quintilian beschriebene Geste für die Exprobratio wieder. [Abb. 4] Der Bonner Kunsthistoriker Ulrich Rehm hat auf diese Zusammenhänge (allerdings ohne Bezug auf die Zeichnung von Michelangelo) in einer gründlichen und ausgreifenden Studie aufmerksam gemacht, der auch die hier wiedergegebene Figur aus Bulwers Buch entnommen ist.49 Quintilians Wirkungsgeschichte im Humanismus ist bekannt: 1350 wurde sein Werk von Petrarca teilweise, 1415/16 von Gian Francesco Poggio di Guccio Bracciolini in Form einer vollständigen Handschrift in St. Gallen wiederentdeckt. Die Editio Princeps in Rom ist auf das Jahr 1470 datiert. Damit ist zumindest die Möglichkeit beglaubigt, dass Michelangelo mit der rhetorischen Gestenlehre des Quintilian bekannt geworden ist. Die Kunsthistoriker gehen jedenfalls davon aus. Sofern das der Fall gewesen sein sollte, bedeutet die Geste der rechten Hand des Gekreuzigten eine scharfe Anklage. Das allerdings wäre ein spektakulärer, aber seinerzeit lebensgefährlicher Befund, der auch der terribilità Michelangelos gerecht wird, die ja Geburtswehen der Moderne: Formen der Selbstzerrissenheit seit der Renaissance
4 John Bulwer, Chiromantia, 1644.
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schon Carl Justi mit Verweis auf die paroxistische δύσερις in der aristotelischen Affektenlehre als Grundzug seines in sich zerrissenen Temperamentes hervorgehoben hatte.50 Dieser terribilità und der eigentümlichen Dramatik des Kruzifixus für Vittoria Colonna wird man wohl tatsächlich nur gerecht werden können, wenn man Quintilian folgt. Selbst wenn schon Dante im 25. Gesang des Inferno Gott die Fica entgegenstreckt (Inferno XXV,2), betreten wir mit der Gestik unserer Zeichnung doch ein riskantes Deutungsparkett, zumal für Zeiten einer funktionierenden und effektiven Inquisition. Denn hiernach setzte der Gekreuzigte Michelangelos in der von Haussherr korrekt beschriebenen Bewegung des Sich-Empor-Schraubens, im nächsten Augenblick sich vom Kreuze losreißend, zur Attacke auf Gottvater an. Michelangelo hätte so einen Gekreuzigten dargestellt, der sich anschickt, mit Gottvater die Rechnung seines Kreuzestodes zu begleichen. Hatte dieser Abraham an der Opferung seines Sohnes noch gehindert, tut er es bei seinem eigenen Sohn nicht. So stünde der Kruzifixus für Vittoria Colonna für eine Figur, die der alte Goethe in die Formel gefasst hat: Nemo contra deum nisi deus ipse. Diese Formel scheint von Goethe selbst geprägt worden zu sein, bislang jedenfalls hat sich kein prägnanter Vorläufer finden lassen.51 Der Sache nach findet sich ihr Sinn allerdings in allen Konzeptionen, die das Göttliche und Widergöttliche in Einheit denken, in der Gnosis, im Neuplatonismus, in der Kabbala und zuletzt bei Schelling. Denkwürdig ist zudem, dass die Auseinandersetzung zwischen Carl Schmitt und Hans Blumenberg um diesen ›ungeheuren Spruch‹ Goethes zentriert ist.52 In seinem großen Buch Arbeit am Mythos diskutiert und analysiert Hans Blumenberg im vierten Kapitel die Lesarten des ›ungeheuren Spruchs‹, unter anderem auch eine von Carl Schmitt bei Jakob Michael Lenz angegebene, die mit Blumenberg nur die Interpretation zulässt: »Der Gott, der gegen den Vatergott steht, ist also der Gottessohn.«53 Wolfram Hogrebe
Diese Deutung könnte ein Schlüssel für ein tieferes Verständnis von Michelangelos Kruzifixus für Vittoria Colonna sein, wenn man denn, wie gesagt, die Deutung Quintilians für die Geste der rechten Hand als Anklage für Michelangelo als Vorbild nachweisen könnte. Jedenfalls würde diese Deutung den Vorzug haben, dass sie einen tiefgründigen Wesenszug von Michelangelo visuell abträgt, den Giorgio Vasari zu der erstaunlichen Bemerkung veranlaßte: »Er besaß eine so gewaltige Einbildungskraft, daß seine Hände die großen und schrecklichen Gedanken nicht darstellen konnten, die sein Geist in der Idee erfaßte […].«54 In der Tat, Michelangelo hat versucht, auch das Satanische vorzustellen. [Abb. 5] Aber es ist ihm über die folkloristische Physiognomik eines Fauns hinaus nicht gelungen, vermutlich weil es nicht gelingen kann. Die innere Dynamik des Kruzifixus für Vittoria Colonna blieb der gültigste Ausdruck eines Paragone des Göttlichen mit sich selbst. Wie allerdings diese Selbstzerrissenheit im Göttlichen zu einem versöhnlichen Ende kommen könnte, ist völlig unerfindlich. Das letzte Gefecht Gottes mit sich selbst kann eigentlich nur suizidär enden. Dann in der Tat wäre der Mensch von diesem Subordinationsmodell befreit und müsste inskünftig alle Subordination mit sich selbst ausmachen. Das exakt war Kants Idee. Wo überhaupt etwas gilt, gilt es im Vollsinn, d. h. letztlich unbedingt. Genau in diesem Modus unbedingter Geltung sind Menschen in ihrer Existenz als vernünftige Wesen ausgerichtet, und zwar ohne jede Alternative. Darin besteht unsere Selbstverpflichtung, unsere Verpflichtung zur Allgemeinheitsfähigkeit dessen, was wir sagen oder tun. Dies ist eben jene Verpflichtung, der wir bei Strafe des Verlustes unseres Status als Homo sapiens ultimativ subordiniert sind. Wenn wir in dieser subordinierten Stellung dennoch zufolge unserer individuellen Begierden und Interessen derselben Selbstzerrissenheit intern ausgesetzt bleiben, die Geburtswehen der Moderne: Formen der Selbstzerrissenheit seit der Renaissance
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5 Michelangelo, sog. Verdammter, um 1525.
die Expressivität der Renaissance noch im Göttlichen externalisieren konnte, dann allerdings könnte es sein, dass den Homo sapiens bald ein ähnliches Schicksal ereilt wie seine alten Götter. Insgesamt hat man in der Moderne tatsächlich den Eindruck, dass der Mensch sein letztes Subordinationsmodell verabschieden möchte. Er will nicht mehr Vernunft- oder Geistwesen sein. Denn die Vernunft sei, wie Ernst Tugendhat behauptet, nur eine philosophische Wolfram Hogrebe
Erfindung Kants, ein letzter, noch nicht beseitigter theologischer Rest in der Philosophie.55 Die Ausdrücke ›Vernunft‹ und ›Geist‹ haben heute zunehmend weniger Kredit.56 Die Verwesentlichung der Vernunft, Programm der Aufklärung, droht heute in der Tat unter die Räder eines ›geistlosen‹ Naturalismus zu geraten. So beginnt der Mensch zu wanken. Er erkennt sich selbst als Vernunft- und Geistwesen nicht mehr an. Die alten Subordinationsformeln, die ihn als Mensch, Geburtswehen der Moderne: Formen der Selbstzerrissenheit seit der Renaissance
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d. h. als animal eigener Dignität seit Pico della Mirandola aufrecht hielten, also Titel wie ›Würde‹, ›Wissen‹, ›Freiheit‹, verlieren ihre normative Kraft und bleiben als bloße Worthülsen auf dem Weg aus der Moderne zurück. Auch das sind mit Peter Handke bald nur noch ›letzte Spuren von Verirrten‹. Bei Hegel hieß es: »[D]er Mensch steht nur, weil und sofern er will, und nur so lange, als er es bewußtlos will.«57 Man darf das so verallgemeinern: Der Mensch ist nur Mensch, weil und sofern er es will, und nur so lange, als er es bewusstlos will. Ob man von diesem bewusstlosen, d. h. durativ wirksamen Wollen heute noch reden kann, wird immer fraglicher. Hier hilft wirklich nichts mehr. Denn niemand kann durch Argumente noch veranlaßt werden, anzuerkennen, was notwendige Bedingung selbst seiner Verneinung von Vernunft und Geist ist.58 I.5 Goethe: Ist der Mensch noch zu retten?
In diesen dramatischen Antagonismus des Menschen mit sich selbst ist die Moderne bleibend eingelassen und sie muss mit dieser Widersprüchlichkeit des Menschen in sich selber fertig werden. Der erste, der diese Ambivalenz der Moderne literarisch aufgenommen hat, derart, dass zugleich die Perspektive einer Versöhnung mit dieser erbärmlichen Normalität sichtbar wird, die nicht mehr auf eine heroische Überzeichnung des Menschen zurückgreifen muss, war Johann Wolfgang Goethe. Im Faust, und zwar in seiner doppelten Gestalt, hat er in sechzig Jahren Lebensarbeit ein Spiel der Moderne cum figuris vorgelegt, das zu entschlüsseln der Forschung erst in den letzten Jahrzehnten zumindest im Ansatz einigermaßen überzeugend geglückt ist. Ich greife hier auf die Studie des Germanisten Gerhard Kaiser zurück, die 1994 unter dem Titel Ist der Mensch zu retten? erschienen ist.59 Wolfram Hogrebe
Goethe lässt Mephisto gleich zu Anfang den Bazillus benennen, der für das Elend der Moderne oder des modernen Menschen verantwortlich ist. Es ist tatsächlich die Vernunft. Früher nannte man sie Geschenk Gottes und Mephisto lässt es in listiger Manier bei dieser Benennung bewenden, denn die Vernunft ist, so seine Volte, kein Gnadengeschenk, sondern ein Giftgeschenk. Ein wenig besser würd’ er leben, Hättst du ihm nicht den Schein des Himmelslichts gegeben; Er nennt’s Vernunft und braucht’s allein Nur tierischer als jedes Tier zu sein.60 Mit dieser Diagnose startet Goethe sein Drama einer »Dialektik der Moderne«,61 die gerade die rationale Mitgift des Menschen, die Erbschaft des Prometheus an die Menschheit, als ursächlich für das Neue der Moderne und ihr Desaster zugleich sichtbar macht. Im Faust gestaltet Goethe einen entfesselten Menschen der Moderne, der in den Arenen von Natur, Wissenschaft, Wirtschaft und Technik die moderne Industriegesellschaft im Bruch mit allem Überkommenen herbeiführt,62 zunächst mit umwälzendem Erfolg, der dieser stürmischen Energie gutgeschrieben werden kann (Faust I), dann aber auch mit einem grundstürzenden Misslingen auf Kosten geschundener Menschen (Faust I und Faust II), einem Misslingen übrigens, das dennoch für Goethe kein Erlösungshindernis war.63 Eben durch diese heillose Ambivalenz ist die Moderne, seit es sie gibt, gekennzeichnet. Goethe registriert das gnadenlos. Er überhöht die Moderne nicht. Er erkennt die Unumgänglichkeit ihres Anfangs an. Aber er berauscht sich nicht am Schmettern des gallischen Hahns, das ohnehin nur ein besonders lautes Kikeriki war. Er depotenziert die Moderne vielmehr auf das Format, das sie auch zu seiner Zeit schon als warenproduzierende, arbeitsteilige, Geburtswehen der Moderne: Formen der Selbstzerrissenheit seit der Renaissance
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geldinvestierende und markt- und landerobernde Energie aufwies. Diese bietet zwar Aussicht auf ein realisierbares Muster von Freiheit, aber Reichtum einstweilen nur auf dem Wege flagranter Ausbeutung. Goethe meint dazu lakonisch, fast schon im Ton von Gottfried Benn: Menschenopfer mußten bluten, Nachts erscholl des Jammers Qual; Meerab flossen Feuergluten, Morgens war es ein Kanal.64 Solche Fakten bieten daher auch für Goethe nicht den geringsten Anlass für ein überzogenes, ja heroisches Selbstbewusstsein, so wie überhaupt die Segnungen der Zivilisation wie z. B. ein Klosett mit Wasserspülung mit heroischen Attitüden nicht so recht ins selbe Bild gefasst sein wollen. An diesem ästhetischen Grundwiderspruch wäre so manche neoheroische Bewegung des 20. Jahrhunderts in einiger Lächerlichkeit auch dann zugrunde gegangen, wenn die anderen Konten moralischer und militärischer Art nicht schon früher überzogen gewesen wären und ein Ende erzwungen hätten. Damit ist der Moderne auch ein Fundus von lost attitudes zugewachsen, der von ihrer Illusionsindustrie verwaltet und zur Besichtigung freigeben wird. Die Selbstzerrissenheit von Faust ist nicht mehr die der Renaissance. Das Subordinationsschema MenschGott-Stern ist längst zugunsten des Menschen entschieden. Der Kontrast von Gott und Teufel ist ebenfalls nicht mehr stabil. Man schließt untereinander Wetten ab, paktiert und kooperiert mit der einen oder anderen Seite. Das ganze über- und unterirdische Personal steht mit ästhetischer Lizenz einer theatralischen Dramaturgie zu Gebote. Aus Engeln werden Teufel, aus Teufeln Engel.65 Beide sind gleich drollig. Die Teufelchen machen Kopfstand und schlagen Rad, plumpsen hin »und stürzen«, wie Mephisto zu formulieren beliebt, »ärschlings in die Hölle«.66 Engel und Heilige flattern wie rosenblättrige Falter67 durch den Wolfram Hogrebe
Bühnenraum. Mephisto patscht und schlägt nach ihnen wie nach Mücken.68 Aus höchst irdischen Mädchen mit Namen Margarete können hier Engel hervortreten.69 Auch elementare Ereignisse wie Liebe und Tod sind nicht mehr das, was sie früher waren: prompt und definitiv. Bei der Liebe ist das zu keiner Zeit verwunderlich gewesen, beim Tod schon. Früher wusste der Teufel noch, wann die Seele den verstorbenen Körper verlässt. Das ist in der Moderne leider nicht mehr so eindeutig. Kein Wunder, dass die Moderne auch in dieser Hinsicht den alten Seelencatcher Mephistopheles förmlich zur Verzweiflung bringt: Man kann auf gar nichts mehr vertrauen. Sonst mit dem letzten Atem fuhr sie aus, Ich paßt’ ihr auf und, wie die schnellste Maus, Schnapps! Hielt ich sie in fest verschloßnen Klauen. Nun zaudert sie […] Der alte Tod verlor die rasche Kraft, Das Ob? sogar ist lange zweifelhaft […].70 Faust ist anfänglich der prometheisch Besessene, der klären will, was die Welt im Innersten zusammenhält. In dieser Erkenntnisobsession will er sich aus der Tiefe des Raumes der Renaissance mit altmagischen Mitteln geradezu demiurgische Kräfte für neue ways of worldmaking aneignen. Und doch wird ihm mit einem Schlag alles dasjenige in seiner Leerheit deutlich, was den Stolz seines bisherigen Bemühens repräsentiert: sein gesamtes Wissen, erworben im Labor seiner Studierstube. Er sehnt sich nach einer vollsaftigen Begegnung mit dem Leben.71 Diese wird ihm durch Mephisto verschafft, aber Faust stört, wo immer er auftaucht, die Ordnung eines Lebens, dem er sich ja nur als touristischer Narziss zuwendet. Wenn er schließlich im zweiten Teil mit Hilfe bereitstehender politischer Verhältnisse alles verbessern und verändern will, geht es zweifellos um Vernünftiges, aber nichts davon ist realisierbar ohne Hilfe der Massen. Faust bedient sich Geburtswehen der Moderne: Formen der Selbstzerrissenheit seit der Renaissance
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ihrer in Form der Lemuren skrupellos. Besorgnisse sozialer Art sind ihm fremd. Schließlich wird Faust von der Sorge, deren Realität er nicht anerkennen will, angehaucht und erblindet. Schon vorher von Realitätsverlust gekennzeichnet, verliert er gänzlich den Kontakt mit dem, was wirklich der Fall ist. Arbeitsgeklirre mit Spaten und Schaufel deutet er als Geräusche einer Großbaustelle zur Trockenlegung von Sümpfen. In Wahrheit hört er nur, wie sein eigenes Grab schon ausgehoben wird. Der blinde Faust stirbt neben der Realität als »Fortschritts-Phantast«,72 als Karikatur des blinden Sehers,73 der sich, schon sterbend, nichts weniger als eine Wirksamkeit in Äonen zurechnet. Hier kann sich selbst der erzkonservative Kommentator Erich Trunz die Bemerkung nicht verkneifen: »[S]ehr ungoethesch. Hier steht der Dichter tief ironisch daneben […].«74 Wenn das der Fall sein sollte, muss es sich allerdings um eine sehr bittere, um eine tiefschwarze Ironie handeln. Das Gefälle der Depotenzierung Fausts und damit des Menschen der Moderne ist jedenfalls maximal: »Fausts Welt, sein Weltentwurf, ist nicht wohnlich, nicht bewohnbar. Sein Ausblick in vermeintliche Vollendung ist Fausts Todesaugenblick. […] Die Posthistoire ist ausgebrochen.«75 Auch Prometheus hat seine Funktion als Vorbild der Moderne damit endgültig eingebüßt. In Faust I wird er literarisch noch einmal mit großer Pranke ins Fenster gestellt. In Faust II erblindet auch Prometheus in Gestalt des alten Faust. Der alte Faust erscheint in Goethes unbestechlicher Optik als armer Tropf einer am Ende bloß noch phantasierten Weltverbesserung. Das Ideal ›Auf freiem Grund mit freiem Volke stehn‹ bleibt Imagination eines blinden, sterbenden Greises. Mephisto kommentiert seinen Tod daher sarkastisch: »Der mir so kräftig widerstand, […] der Greis liegt hier im Sand.«76 Formen der Selbstzerrissenheit auf dem Weg in die Moderne haben nach den Göttern nun endgültig auch Wolfram Hogrebe
den Menschen erfasst. In dem Augenblick, wo er sein Wissen in bester politischer Absicht in die Praxis umsetzen will, gerät er in den Strudel einer Selbstdepotenzierung, die in reale Geschichtslosigkeit mündet. Kein Ideal mehr, das als Anhalter, als κατέχον, wie Carl Schmitt mit Paulus sagt, den Übergang ins kontrastlose Milieu der Niemandsbucht stoppt. Merkwürdig, dass Goethe den alten Faust dennoch für erlösungswürdig erachtet. Vielleicht gerade deshalb, weil der Mensch der Moderne auch in bester Formation doch immer nur ein armes Schwein bleibt. Es handelt sich bei Goethe sicher nicht mehr um die Erlösung eines Heros, sondern bestenfalls um die Erlösung des Alten Adam, wenn er nur jemand war, der ›strebend sich bemühte‹. Wer immer zu dieser Sorte Mensch gehört, »den können wir erlösen«.77 Eine Garantie dafür gibt es natürlich nicht. Es ist nur dann der Fall, wenn »an ihm die Liebe […] von oben teilgenommen [hat]«. Ohne gratia dei ist auch bei solchen, die strebend sich bemühen, alles umsonst. Um die Frage zu beantworten, ob der Mensch noch gerettet werden kann, müssen wir ihn offenbar auf dem Niveau seines erbärmlichen Normalmaßes aufsuchen. Nur so kommen wir der menschlichen Komödie am nächsten, nur so gelang es ja auch Goethe, dass sich im Faust »Komödie und Tragödie, ja Farce und Tragödie durchdringen«.78 Jeder heroische Anspruch wird in Faust II dementiert. Das Erfordernis einer solchen Depotenzierung hat Goethe mit bewunderungswürdiger Klarheit schon am Beginn des Industriezeitalters, am Beginn der Moderne also, gesehen. In dieser Selbstdepotenzierung vollstreckt sich übrigens ein letztes Stück Aufklärung. Das ist in der Tat mehr Entsagung, als man dem Alten in Weimar zugetraut hätte. Rettungswürdig ist ihm am Ende eine tätige Normalität, die allen erreichbar ist. Sie kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, so Goethe, dass eben deshalb das Geburtswehen der Moderne: Formen der Selbstzerrissenheit seit der Renaissance
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Schiff insgesamt am Sinken ist. Denn: »Es irrt der Mensch, solang er strebt.«79 So ist jedem Fortschrittsversprechen mit dem Brenneisen humaner Unerbittlichkeit das Muster katastrophalen Scheiterns eingebrannt. Auch dafür macht Goethes überaus hintergründige Dichtung sensibel. Um aber das Elend der Moderne poetisch überhaupt aushalten zu können, endet Faust II dennoch in einer hymnischen Operette. Sie tariert das dramaturgische Gefälle wieder aus, um Anfang und Ende des gesamten Dramas, der Tragödie des Menschen schlechthin, zusammenschließen zu können. Der Preis ist allerdings hoch. Es handelt sich am Ende schlichtweg um das, was man einen finalen ›Sakralkitsch‹ nennen könnte. Aber genau dieser dokumentiert zugleich Goethes unzweifelhafte surreale Begabung.80 Goethe verschafft dem Schlussszenario mit seinen Engelchören nämlich vorab eine selbstdistanzierende Lizenz, die Mephisto in robuster homoerotischer Eindeutigkeit artikuliert, wenn er einen der Engel so anspricht: Dich, langer Bursche, dich mag ich am liebsten leiden, […] So sieh mich doch ein wenig lüstern an! Auch könntet ihr anständig-nackter gehen, Das lange Faltenhemd ist übersittlich – Sie wenden sich – von hinten anzusehen! – Die Racker sind doch gar zu appetitlich! 81 Mit dieser robusten, desakralisierenden Lizenz gelingt es Goethe am Ende in einer durch und durch ironischen, ja surrealen Apotheose, dass selbst ein chorus mysticus keine Akzeptanzprobleme mehr haben muss. Goethe wurde, was wenig bekannt ist, in diesem Verfahren einer surrealen Apotheose knapp hundert Jahre später neben Charles Dickens, was bekannt ist, zu einem Vorbild für das Romanfragment von Franz Kafkas Der Verschollene (Amerika) (1911/14). In einem Entwurf für das Wolfram Hogrebe
Schlusskapitel des Romans, schon in der Niemandsbucht Amerika, wird auf Plakaten für ein groteskes Naturtheater von Oklahoma82 geworben, in dem allen Menschen Beschäftigung versprochen wird. Frauen in weißen Tüchern, als Engel verkleidet, spielen auf goldglänzenden Trompeten. Die Kennzeichnung der Lokalität stellt den Bezug zu Goethe unzweideutig her. Goethe: Bergschluchten, Wald, Fels, Einöde. Kafka: hohes Gebirge, schwarze Steinmassen, dunkle, schmale, zerrissene Täler.83 Die explizite Neuaufnahme des Themas nach Kafka durch Thomas Mann generalisiert anschließend Goethes Faust geradezu als Exzess der Moderne. Sie erscheint auch bei ihm zunächst als die durchaus kühne, aber eben deshalb von Anfang an schon satanische Flucht aus formgebender Heimat und Mütterlichkeit in vertrauter Sage, Bild und Klang. Die Moderne findet aus diesem Exzess allerdings nicht zurück und endet im Bankrott des Geistes, in der Zerstörung der Form. Thomas Mann überblendet diesen Exzess durch das Schicksal Nietzsches. Was hier am Ende noch helfen kann, ist bestenfalls eine »Transzendenz der Verzweiflung«.84 Was bleibt, ist eine völlig verstörte Rückkehr mit leeren, aber schuldigen Händen. Das Desaster dieser Rückkehr ins Mütterliche wird von Thomas Mann nicht verniedlicht oder verkleistert: »Schauerlich Rührenderes und Kläglicheres ist nicht zu erdenken, als wenn ein von seinen Ursprüngen kühn und trotzig emanzipierter Geist, nachdem er einen schwindelnden Bogen über die Welt hin beschrieben, gebrochen ins Mütterliche zurückkehrt.«85 Die Depotenzierung des Menschen am Beginn der Moderne führte schon früh und noch vor diesem Finale bei Thomas Mann zu einem intellektuellen Reizklima, das für expressive Tableaus mit poetischer Ambition auf die Dauer entweder zu vulgär oder zu trocken wurde. So nahm es auch nicht wunder, dass im Laufe des 19. Jahrhunderts ziemlich plötzlich neue Gesprächspartner Geburtswehen der Moderne: Formen der Selbstzerrissenheit seit der Renaissance
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eingeführt wurden, die für ihr Auftauchen zwar nur eine ästhetische Kontrastlizenz hatten, aber gerade in dieser Funktion poetisch notwendig wurden: Teufel und Engel. Beide stehen seit Baudelaire, Mallarmé und Valéry, auch seit George und Rilke für die innere Selbstzerrissenheit des modernen Menschen, der sich nur noch zwischen den Extremen seiner Möglichkeiten bewegt. So wie Satan der von Gott abgefallene Engel ist, wird der Mensch der Moderne analog zu dem von Gott und damit von sich selbst abgefallenen Menschen. Der Dichter setzt daher in einem überirdischen Exzess der Poesie zur Attacke auf beide an: »In seinen übernatürlichen Kämpfen wird er den Menschen und den Schöpfer angreifen […].«86 Die Gesänge des Maldoror von Lautréamont (1846 – 1870) entdecken das Verkommene, Ekelhafte und Böse als das moderne Monopol des Poetischen. Der Kampf um die Moderne hätte damit abgebrochen werden können. Aber es gibt Kämpfe, die man bestenfalls unterbrechen, nicht jedoch beenden kann, denn es sind Kämpfe, die mit der szenischen Existenz des Menschen identisch sind. Er kann gar nicht anders, als um sein rechtes Verständnis im Eispalast der Moderne wie nach Worten zu ringen. Seine Selbstzerrissenheit sucht er in allen Feldern der menschlichen Expressivität in immer neuen Variationen auf und macht sie provokant vorstellig. Der Funken des Poetischen wird daher auch da geschlagen, wo die poetische Grabung auf Gesteine des Scheußlichen und Widerlichen stößt. Denn gerade diese satanische Realität ist es, die zugleich »von tausend dichterischen Gebärden funkelt«.87 Jean Genet konnte auf der Basis dieser Einsicht seinen ersten Roman Notre-Dame-des-Fleurs daher zugleich als Poetik der Moderne schreiben. Dennoch kam es gegen Ende des 20. Jahrhunderts wieder zu einem Umschlag in der Expressivität des Bösen. Die politische und ästhetische Inflation der Rückgriffe ins Abscheuliche kehrte sich gegen sich selber um. Wolfram Hogrebe
Botho Strauss liefert für diesen Prozess eine für unsere Zeit gültige Formel: »Aus der Banalität des Bösen ging das Böse der Banalität hervor.«88 Hier in der Tat stehen wir als Überkontrastierte heute. Es scheint sogar, als ob es sehr viel schwieriger ist, diesem Bösen der Banalität zu begegnen als der Banalität des Bösen. Auch deshalb fragt man sich, warum seit dem 19. Jahrhundert vergleichsweise spirituell aufgeladene Komparsen wie Engel oder Teufel in den expressiven Feldern der Selbstinterpretation des Menschen überhaupt eine solche Konjunktur hatten. Man wird den Verdacht nicht los, dass es ohne Bereitstellung einer Kontrastkulisse nicht gut angeht mit Versuchen solcher Selbstinterpretationen. Im Lichte von Engeln oder Teufeln lässt sich der Mensch besser studieren als ohne solche angelischen oder diabolischen Vergrößerungen. Dieses Verfahren ist auch nicht neu. Die zunächst rein fiktive Debatte um denkbare Eigenschaften einer Sprache der Engel im Mittelalter erbrachte eine reiche Ernte an Einsichten in die performative Verfassung der Sprache der Menschen.89 So ergab sich hier auch die Frage, ob Engel, wenn sie denn nicht sinnlich, das heißt der Akustik unbedürftig, denken und sprechen können, vor ihresgleichen gewissermaßen ›abhörsicher‹ sind. Kurz: Ist im Sinne dieser Abhörsicherheit für jeden Engel mit einer angelischen lingua privata zu rechnen und wie müsste diese beschaffen sein? Die erst im 20. Jahrhundert seit Ludwig Wittgenstein diskutierten Argumente für und gegen eine Privatsprache des Menschen sind bereits im Mittelalter von Marsilius von Inghen (1335 – 1396) als denkbare Privatsprache der Engel diskutiert worden.90 Eine andere Frage war dann auch die, ob Engel, wenn sie denn sprechen können, auch der Poesie fähig sind? Auch hier liegen Erwägungen vor, die vor allem von dem biblischen Befund ausgehen, dass die façon de parler Geburtswehen der Moderne: Formen der Selbstzerrissenheit seit der Renaissance
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der Engel eine andere ist, wenn sie Gott preisen, als wenn sie das nicht tun. »Gott lobsingen die Seraphen mit einem sich wiederholenden sanctus, sanctus, sanctus. Wäre hier nicht ein Indiz für die Existenz einer poetischen Sprache unter Engeln? Höchster Gegenstand und eine außerordentliche Form der Sprache würden hier ebenso zusammenfallen wie in der menschlichen Poesie.«91 Das biblische Fundament würde eine angelische Poesie allerdings kaum über eine expressive Analytizität hinauskommen lassen. Es bliebe bei expressiven Verlautbarungen des immer Selben. Das Vertrauen in eine wie immer geartete sprachliche Verständigungsrealität zwischen Mensch, Dichter und Engel ist, wie ersehnt auch immer, nie besonders stabil gewesen und geblieben. In den Duineser Elegien bringt Rainer Maria Rilke diese Verständigungsschwierigkeit in betörenden Versen zum Ausdruck, wie gleich zu Anfang der ersten Elegie: Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel Ordnungen? und gesetzt selbst, es nähme einer mich plötzlich ans Herz: ich verginge von seinem stärkeren Dasein. Denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang […] 92 Aber er gibt auch einen Wink, das Geheimnis der Engel zu lüften. Dieser Wink ist in der vierten Elegie angeführt und in die Zeilen kondensiert: Engel und Puppe: dann ist endlich Schauspiel. Dann kommt zusammen, was wir immerfort entzwein, indem wir da sind.93 Die Puppe ist die erste dingliche Form, in der Kinder sich einem Anderen zuwenden. Sie veranlasst, was uns als Echo unserer Zuwendung wieder erreicht. Deshalb können wir sie auch ohne Weiteres unter wechselnden Wolfram Hogrebe
Namen ansprechen, sie wird uns jedesmal in erwünschter Weise antworten. Die Puppe ist anfänglich das token, das Ding für einen Anderen, von dem das Echo unserer Zuwendung zurückkommt. Später ist dann die Puppe nicht mehr erforderlich, der type, das Eidos des Anderen hat sich stabilisiert. Dieses Eidos ist der Engel. Rein tritt er uns nie entgegen, immer nur in Gestalt eines Ansprechpartners. Deshalb sind wir es, die in jeder faktischen Ansprache Puppe und Engel entzweien. Engel sind, so gesehen, die Vergangenheit der Puppe, Variable dessen, dem wir uns unter verschiedenen Anrufungen überhaupt zuwenden können: ohne Engel keine Zuwendung. Damit endlich hätten wir auch einen Schlüssel für die Antwort auf die Frage in der Hand: Ist der Mensch zu retten? Er ist es, wenn es ihm gelingt, seinen Engel zu retten, d. h. jene szenische Steigerungsform seiner selbst, ohne deren Echo er nicht der tierische Mensch sein könnte, der er ist.
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II Wüste und Paradies: Visuelle Strategien der Moderne von Kasimir Malewitsch bis Joseph Beuys und Imi Knoebel
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Wüste und Paradies: Visuelle Strategien der Moderne von Kasimir Malewitsch bis Joseph Beuys und Imi Knoebel
II.1
Vorbemerkung
Wer in einiger Kreativität gestaltet, arbeitet auf ein uninterpretiertes Symbol hin. Er vermag nicht zu sagen, wie es aussieht. Es bleibt ihm entzogen, aber es attrahiert ihn doch. Gleich einer magischen Anziehungskraft dirigiert es seine Bemühungen, es zur Gewahrung zu bringen, sprachlich, klanglich oder visuell. Dieser Tatbestand ist übrigens nichts Außergewöhnliches. Jeder, der versteht, nimmt an ihm teil. Alle verstehen die Bedeutungen der Worte, aber niemand ist in der Lage, einen definitiven Katalog vorzulegen, der die Bestimmungen enthält, die diese Bedeutungen garantiert ausmachen. Was so für alle gilt, setzt sich mithin im kreativen Bereich nur spektakulär fort. Wohin die Wege hier führen, weiß niemand, nur: dass sie eine Richtung haben, das wird jeder spüren. Aber auch für diese Wahrnehmung bedarf es einer eigenen Sensibilität, einer speziellen Empfindsamkeit. 64 | 65
Nicht einer solchen, die wir normalerweise im Umgang miteinander benötigen, sondern einer solchen, die sich im Umgang mit expressiven Sedimenten angesprochen fühlt, eine Sensibilität für Äußerungen also, die Kinder kreativer Bemühungen sind. Charles Baudelaire hat bei Gelegenheit ganz entsprechend die Empfindsamkeit des Herzens von einer Empfindsamkeit der Phantasie unterschieden.94 Gerade diese Empfindsamkeit der Phantasie und nicht die des Herzens ist für die Kunst das Entscheidende, für die Schöpfung von Kunstwerken und Schöpfungen des Geistes ebenso wie für ihre Interpretation. Die Empfindsamkeit des Herzens benötigen wir im Umgang miteinander. Die Empfindsamkeit der Phantasie im Umgang mit den Kindern unserer Kreativität. Den Kuss des Lebens spüren nur jene Schöpfungen unserer Hand und unseres Geistes, die in einiger Vollendung eine Wolfram Hogrebe
Unabhängigkeit von uns erreicht haben, die am Ende nicht mehr planbar, nur empfindbar ist. Wir spüren dann, selten genug, welches Werk von uns gehen darf: als unser Botschafter, der uns nicht mehr braucht. Der uns deutlicher zu vertreten vermag, als unsere persönliche Präsenz es könnte. Für diesen uninterpretierten Fokus unserer Tendenzen, Bemühungen und Sehnsüchte, für diese Mitte unserer expressiven Ausrichtungen steht auch der Kinderstern von Imi Knoebel. [Abb. 6] Seine suggestive Wirkung, die so gar nichts Bedrohliches hat wie der ›rote Stern‹ als politisches Symbol ehedem, sondern die lächeln macht, soll hier nur als Initialmonogramm jener Empfindsamkeit der Phantasie in Anspruch genommen werden, auf die jede Analyse einer Moderne angewiesen ist, die sich längst überholt hat. Mit der Lizenz des Kindersterns werde ich mich im Folgenden Überlegungen zur bildnerischen Moderne zuwenden. Aber die sich selbst überholende Moderne Wüste und Paradies: Visuelle Strategien der Moderne von Kasimir Malewitsch bis Joseph Beuys und Imi Knoebel
6 Imi Knoebel, Kinderstern, 1989.
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dient mir nur als Spiegel, um zu erkennen, wo wir überhaupt stehen. Kunst ist hier nur in dieser Funktion wichtig: Wir schauen sie an, um uns zu vergewissern, wo wir stehen. Dazu müssen wir ihr aber auch gewachsen sein. Und das sind wir nur dann, wenn wir sie in ihrer Herkünftigkeit wahrnehmen können. Woher sie kam, spiegelt unsere eigene Herkunft. Und ohne ein Wissen um diese blieben wir ortlos. Natürlich bleibt ein philosophischer Zugang auf die Kunst, gerade auch auf die moderne und zeitgenössische Kunst, immer riskant. Er ist aber ebenso notwendig. Riskant, weil natürlich die begriffliche Strukturorientierung des philosophischen Zugriffs unvermeidlich in einiger Spannung zu den Werken verbleiben wird. Notwendig, weil Kunstwerke immer auch Fragen an uns sind, denen im Interesse unserer Selbstinterpretation geantwortet sein will. Im Bewusstsein dieser Schwierigkeiten möchte ich im Folgenden zweierlei versuchen. Erstens möchte ich ästhetische Strukturen entwickeln, die einen Weg durch die Moderne des 20. Jahrhunderts freilegen, den man gehen könnte, aber natürlich nicht muss. Zweitens möchte ich diese Strukturen in einem (flüchtigen) Blick auf den ästhetischen Prozess des 20. Jahrhunderts gewinnen, der, wie ich glaube, zu einem Weiterdenken Hegels zwingt. Dieses Anliegen ist gewiss etwas kompakt und wird hier zwangsläufig sehr skizzenhaft bleiben. Es kann also ein Weg, ein steiniger Weg durch die Moderne nur das sein, was sich hier ergibt. Aber wenn wir nicht vorsätzlich in einer eingeschläferten Verständnislosigkeit verbleiben oder die sich selbst überholende Moderne bloß auf ›Strategien gegen die Indifferenz‹95 herunterdampfen wollen, müssen wir diese Steinigkeit in Kauf nehmen. II.2
Die Wüste
Mit der Aufklärung des 18. Jahrhunderts und vollends mit der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts Wolfram Hogrebe
vollstreckt sich irreversibel der Prozess eines universellen Traditionsabrisses: Nichts gilt mehr in der Einrichtung der Lebensvollzüge, bloß weil es ein Überkommenes ist. Der normative Schleier des Ererbten, in dem man sich nach Väter Sitte einzurichten pflegte, zerreißt, und was gilt, ist ausschließlich durch argumentative Begründungen und nicht länger historisch legitimiert. Auch das ist das Muster einer Selbstzerrissenheit, in die sich die Moderne von Anfang an und bis heute hineingestellt sieht und fühlt. Die vertrauten Nester der Tradition boten seither und bieten annoch keine legitimierende Wärme mehr. Das wollten die Menschen nicht wahrhaben. Sie bemühten die Vergangenheit und sie bemühten die Zukunft, um Wärmenester zu fingieren. Aber Fiktionen wärmen nicht. Diese Ausgriffe ins Ungefähre gerieten daher zwangsläufig zu bloß eskapistischen Ausbrüchen des 20. Jahrhunderts, nochmals im Rückgriff auf alten Glanz, der sich natürlich nicht repristinieren ließ, oder als Ausgriff ins Utopische. Nichts dergleichen fand in sich Halt. Prometheus, Held der französischen Revolution, war in der Gestalt des alten Faust bereits im 19. Jahrhundert erblindet. Er konnte daher nicht mehr sehen, was er den Göttern noch hätte stehlen können. Ihr Feuer war von den Menschen geborgen, aber sie hatten sich an ihm nicht nur gewärmt, sondern auch verbrannt. Der schmale, aber wichtige Gewinn seit der amerikanischen und französischen Revolution war indes die neue Rechtsstellung des Menschen in der Moderne. Der Mensch gilt nicht mehr, bloß weil er einer privilegierenden Herkunft von Familie, Stand, Zunft und Sitte entstammt. Das Prinzip égalité, d. h. das Prinzip der gleichen Rechtsstellung aller, erzwingt die Abtrennung von Herkunft und Geschichte durch Annullierung des Prinzips Legitimation durch Tradition. In diesen Prozess, den Joachim Ritter in seiner eindringlichen Interpretation Hegels herausgearbeitet Wüste und Paradies: Visuelle Strategien der Moderne von Kasimir Malewitsch bis Joseph Beuys und Imi Knoebel
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7 Kasimir Malewitsch. 8 Kasimir Malewitsch, Schwarzes Quadrat, 1915.
hat,96 in diesen Prozess, der zuerst in Europa und von hier aus in alle Welt startete, aber auch heute noch nicht überall angekommen ist, ist auch die bildende Kunst eingelassen. Die normativen Schleier ihrer Symboltraditionen zerreißen, nichts gilt mehr als visuell überzeugend, nur weil es aus Stiltraditionen der Akademien und Schulen ein Überkommenes ist, die Art der Darstellung nicht und die der Sujets nicht. Die legitimierende Kraft überkommener Darstellungsnormen weicht mit Paul Klees Worten in der Moderne einer Verwesentlichung des Zufälligen. Darstellungsart und Sujet emanzipieren sich vollständig, nahezu bis zum Verschwinden des Vorfindlichen in Form und Farbe. Die gegenstandslose Welt ist gewissermaßen der Nullmeridian, der erreicht werden musste, um die historisch überkommenen Privilegien von Darstellungsarten und Sujets vollständig zu annullieren. Am radikalsten vollstreckt diesen Vorgang Kasimir Malewitsch (1878 – 1935), [Abb. 7] ein Künstler, der für viele, schließlich auch für Imi Knoebel, von initialer Bedeutung wurde. Malewitsch berichtet: »Als ich im Jahre 1913 in meinem verzweifelten Bestreben, die Kunst Wolfram Hogrebe
von dem Ballast der Gegenständlichkeit zu befreien, zu der Form des Quadrats flüchtete und ein Bild, das nichts als ein schwarzes Quadrat auf weißem Felde [Abb. 8] darstellte, ausstellte, seufzte die Kritik und mit ihr die Gesellschaft: ›Alles, was wir gehabt haben, ist verlorengegangen: wir sind in einer Wüste‹.«97 Malewitsch nahm diese Diagnose positiv auf, er wollte und bejahte die Wüste, denn sie ist der Ort, der durch die Absenz von Gegenständen die Präsenz der Empfindung allein evoziert.98 Und gerade diesem Geist der gegenstandslosen Empfindung ist, so Malewitsch, die Kunst allein verpflichtet. Denn sie will »nicht mehr im Dienste des Staates und der Religion stehen, sie will nicht mehr die Sittengeschichte illustrieren, sie will nichts mehr von dem Gegenstand (als solchen) wissen […]«. Damit war im Prinzip ein letzter Schritt vor einer völligen Selbstpreisgabe der Kunst getan. In jedem Schritt weiter müsste sie das sinnliche Medium gänzlich hinter sich lassen, auf das sie ehedem in Stein und Farbe, Form und Klang, Geste und Wort angewiesen war. Diese Tendenz zur Selbstannihilation der Kunst war im 20. Jahrhundert durchaus gegeben und Theodor W. Wüste und Paradies: Visuelle Strategien der Moderne von Kasimir Malewitsch bis Joseph Beuys und Imi Knoebel
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Adorno wollte sie darauf verpflichtet sehen. Aber man begreift diese Tendenz nicht, wenn man sie nicht bloß als Emanzipation aus der Tradition und ihren Verpflichtungen versteht. Sind nämlich diese hereditären Verpflichtungen endlich abgeschüttelt, ist nicht mehr einzusehen, warum sich die Kunst den Reichtum ihres sinnlichen Mediums nicht zurückerobern könnte. Das Material definiert ja nicht ihre Legitimität. Das Material bleibt völlig arbiträr. Träger der Legitimität sind und bleiben die Formen. Nach der von Paul Klee diagnostizierten Verwesentlichung des Zufälligen ist die Kunst der Moderne aber auch von externen Normen vollständig emanzipiert, also frei in der Gestaltung, frei im Sujet. Damit stehen ihr nicht nur das Material ihrer Gestaltung zur Disposition, sondern auch die Formen. Wirksam für die Moderne war hier Joseph Alois Schumpeters Prinzip einer schöpferischen Zerstörung. Das »letzte Ziel der Kunst«, so befand schon Schelling, ist »Vollendung der Form« als »Vernichtung der Form«.99 Für Schelling war das ein Erlösungsgeschehen, die Versöhnung von Kunst und Denken in der sterbenden Form, dem Augenblick, in dem, wie Friedrich Schiller sagen würde, der Gedanke ›flammend sich vom Körper scheidet‹. Dieses Ziel lässt sich aber nur erreichen, wenn man die Welt überhaupt preisgibt. Damit sind nicht nur die Künstler völlig überfordert. Sie würden sich und die Kunst in der Vollendung der Form zugleich mit abschaffen. Und so trat das Gegenteil von dem ein, was einzutreten drohte. In fremd anmutender Weise wurde die Fülle wieder entdeckt, eine durchaus andere als ehedem. Ersterbende Klänge fangen sich wieder in seltsamen Harmonien. Die monochrome, ja vollständig verblassende Farbe erstrahlt wieder im gesamten, aber völlig ungebundenen Farbspektrum. Dem erst nur rätselhaften, dann gänzlich verstummenden Wort wächst in neuer Unverständlichkeit eine semantische Fülle wieder zu. Die erstarrte Geste löst sich wieder in einer Bewegung, die, wie Wolfram Hogrebe
ehedem bei Pina Bausch, an Bedeutung nur noch zu leiden scheint. So ist es auch gekommen. Die Verneinung externer Normen des Gestaltens vollendete sich nicht in einer Verneinung von Material und Form des Gestaltens. Der Suizid der Kunst blieb aus. Malewitschs Nullmeridian wurde überschritten. Hier stehen wir heute. Und doch bleibt in den neuen Mustern der Fülle, wie sie uns in allen Künsten wieder entgegentreten, etwas Leeres. Sie gleichen rätsellosen Sphingen. Basilisken, die gefährlich schauen, und man weiß nicht, wohin. Ein Wille fasst sich wieder in reiche Gestaltungen, aber was er will, ist der Gestalt nicht zu entnehmen. Diese eigentümliche lntentionslosigkeit, oder genauer: diese eigentümliche intentionale Unbestimmtheit, ist Signatur gegenwärtiger Expressivität. Intentionale Unbestimmtheit ist das Enigma einer Moderne, die sich selbst überholt hat. Man sieht und hört und fragt sich dennoch einigermaßen verstört: Ich weiß nicht, was soll es bedeuten? Der Künstler weiß es nicht, der Betrachter nicht und der Philosoph erst recht nicht. Der Philosoph bemerkt nur, dass die moderne Kunst sich beinahe selbst liquidiert hat und sich dann, die gestaltungsnormative Kraft des Überkommenen abschüttelnd, ins Unbestimmte erneuert hat. Aus Gründen begrifflicher Ohnmacht und Verlegenheit sprach man daher gegen Ende des 20. Jahrhunderts von einer Postmoderne. Aber mit diesem Etikett war natürlich nichts gewonnen. Problem blieb ein rechtes Verständnis des wesenlosen Blicks im Übergang vom vorigen zum gegenwärtigen Jahrhundert, ein Blick auf irgendetwas, von dem niemand, weder der Künstler noch sein Interpret, nominal zu sagen wüsste, was es ist. Dieser daher bloß pronominale Blick könnte aber selber das eigentliche Geheimnis dessen sein, was historisch jetzt fällig und noch in Zukunft auszutragen ist. Auch wo die visuellen Strategien der Moderne in der Niemandsbucht gelandet sind und hier Wüste und Paradies: Visuelle Strategien der Moderne von Kasimir Malewitsch bis Joseph Beuys und Imi Knoebel
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die Renaissance des Mimetischen feiern, bleibt das sinnliche Scheinen intentionaler Unbestimmtheit erhalten. Fehlt die bestimmte Intention, werden wir zu solchen, die nicht wissen, wohin. Genauer: Das Wohin bleibt erhalten, bloß Weg und Ziel bleiben unbestimmt. Wir peilen alles an, was sich uns bietet, aber sind nicht mehr auf etwas aus, das sich uns nicht bietet. Auf diese Weise werden wir zu Nomaden des Geistes. Der Nomade sucht Wege, nimmt aber stets nur diejenigen, die sich ihm bieten, er bahnt keine neuen. Der intellektuelle Nomade blickt nicht von sich aus auf ein bestimmtes Ziel, das er nicht sieht, sondern er hält seinen Blick nur offen für Ziele, die sich ihm bieten. Dieser faktizitätsabhängige, aber dennoch offene Blick ist der pronominale Blick, der Blick der Nomaden auf irgendetwas. Und dieser Blick mag hier der beuysianische Blick genannt sein. II.3
Beuysianismus
Die moderne Kunst ist Kunst nach dem ›Ende der Kunst‹. Hegels viel diskutierte These vom ›Ende der Kunst‹ hatte ja nur den einfachen Sinn, dass die Weiterexistenz der Kunst, die natürlich auch er weder in Abrede stellte noch bestritt, von den Energien ihres Anfangs nicht mehr zehren kann. Die Spannung, die den Funken ihres Anfangs abspringen ließ, ist inzwischen abgebaut und nährt die Flamme der Kunst nicht mehr. Die Energien ihres Anfangs waren schon in den Geburtswehen des menschlichen Geistes gegeben. Der vordem bloß instinktive Gegenstandsbezug erfuhr sich in einer gewaltigen, immer noch rätselhaften Verstörung als plötzlich transformiert. Die menschliche Registratur gewahrte auf einmal, dass die Gegenstände nicht nur affektiv gegeben sind, sondern von den sinnlichen Arten ihres Gegebenseins auch unabhängig sein mussten. Damit war der Riss zwischen dem Dingeindruck und dem Ding selbst Wolfram Hogrebe
gegeben. Dieser Riss zwischen der Dingvorstellung und dem Ding selbst ist die Differenz zwischen einer Repräsentation und dem, was sie repräsentiert. Die Wahrnehmung ist nicht das Wahrgenommene. Erst wenn es diese Differenz gibt, gibt es Zeichen und Symbole, gibt es Geist. Etwas wird zum Zeichen, wenn einer sinnlichen Spur oder Markierung eine verweisende Kraft zuwächst. Sinnliches wird erst zum Zeichen, wenn es auf anderes verweist. Das Verweisende selbst ist nichts Physikalisches, Chemisches, Physiologisches. Man kann es nicht sehen, schmecken, fühlen oder messen. Man kann es nur verstehen oder verstehend erschließen. Genau das ist die Zugangsart zu dem, was man Geist nennt. Außerhalb dieses Zugangs existiert er nicht. Nicht einmal als das, wozu der Zugang Zugang ist. Zugänglichkeit muss uns als Eigenart des Geistes genügen. Dass es die Verweisung gibt, wird in der anfänglichen Kunst enthusiastisch gefeiert. Sie treibt Gestaltungen hervor, die nur dies bezeugen: Verweisung ist möglich und wirklich. Wir leben im Raum der Verweisung, in einer szenischen Dimension. Worauf verwiesen wird, bleibt anfänglich diffus. Es ist das, wohin die Spitzen der Pyramiden verweisen, auf eine uninterpretierte Originalsphäre schlechthin. Deshalb nennt Hegel die anfängliche Kunstform die symbolische. Symbolisch ist die anfängliche Kunst wie auch die Kunst der Kinder da, wo sie das, was sie darstellen soll, nur unbeholfen andeutet.100 In der nachfolgenden klassischen Kunstform, so Hegel, wird adäquat dargestellt, in der romantischen schließlich wird nur noch zitiert. Die Originalsphäre, die über alles Sinnliche hinaus ist, wurde also zuerst in monumentaler und geradezu brachialer Kraftanstrengung symbolisch präsent gehalten und als das Göttliche verehrt, dann in Kult und Religion geborgen, d. h. schließlich nicht mehr durch Gestaltungen, sondern im Gefühl glaubender Verehrung repräsentiert. Wüste und Paradies: Visuelle Strategien der Moderne von Kasimir Malewitsch bis Joseph Beuys und Imi Knoebel
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Joseph Beuys.
10 Joseph Beuys, I like America and America likes me, 1974. 11 Nächste Seite: Joseph Beuys, Feuerstätte, 1978/79.
Damit, das war Hegels Gedanke, ist die große Zeit der Kunst im Grunde genommen schon vorbei. Die Originalsphäre wird zu Olymp und Himmel und dort hausen weitab von uns Götter und schließlich der Gott, der sich in kein Bild mehr fügen will. Der Kontakt zu ihm reißt ab. So bleibt schließlich der Kunst kein Göttliches mehr, so Hegel, nur die Darstellung des Menschlichen. »Hiermit erhält der Künstler seinen Inhalt an ihm selber.«101 Damit ist die Kunst in die Willkür ihrer Gestaltungen von der abgebauten Spannung ihres Anfangs freigegeben und emanzipiert sich ab sofort und zunehmend von den Verbindlichkeiten ihrer Symboltraditionen. Und so ist auch für Hegel die Kunst nach ihrem Ende noch möglich: Nicht mehr der Gott, sondern der Mensch fügt sich ins Bild. Das ist Hegels letztes Wort, aber es war nicht das letzte. Denn die moderne Kunst hat sich auch von diesem historisch privilegierten Gegenstand, dem Menschen, verabschiedet. Daher dämmert der Kunst erneut ein Ende: Wo der Gott nicht, aber auch der Mensch nicht mehr oder sonst ein privilegierter Gegenstand ins Bild sich fügt, ist nicht mehr abzusehen, wie die Kunst Wolfram Hogrebe
noch Bestand haben könnte. Hier gibt es nur einen Ausweg: Wo nichts Spezifisches mehr privilegiert ist, ist alles privilegiert. Wo der Künstler nicht mehr, wie noch von Hegel vorgesehen, sein eigener privilegierter Inhalt war und es jetzt nicht mehr sein kann, wird jeder Künstler. Dies ist die Konsequenz, die zuerst die Frühromantik zog, namentlich Novalis, dann Joseph Beuys [Abb. 9] in seinem erweiterten Kunstbegriff. Letzterer streift wie zu Urzeiten erneut als Nomade [Abb. 10] durch eine Welt von Gegenständen, für deren Würdigkeit, die Verweisung zu bezeugen, er offenen Auges ist. Er richtet sich in keiner festen Behausung einer Gestaltungsart mehr ein, er zieht von Ort zu Ort, von Feuerstelle zu Feuerstelle, [Abb. 11] gestaltet Vorfindliches, sofern es sich ihm meldet. So bezeugt das Œuvre von Joseph Beuys ein Geflecht begangener Wege, ein Muster, das er zwar selbst realisiert, aber nicht strukturiert hat. Strukturgenerierend waren die Dinge selbst, die sich ihm anboten. Sie bestimmen auch selbst die Finalität von Gestaltungsprozessen. Der Künstler tritt daher das Hoheitsrecht der Finalstruktur seines Gestaltens an das Ding ab. Joseph Beuys: »Also ich sage nie: Ich erkläre das Ding für fertig, Wüste und Paradies: Visuelle Strategien der Moderne von Kasimir Malewitsch bis Joseph Beuys und Imi Knoebel
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sondern ich warte darauf, bis der Gegenstand sich meldet und sagt: Ich bin fertig […] Ich entscheide nie, ob’s fertig ist, sondern der Gegenstand muß sich melden und sagen: So, ich bin fertig. Ich versuche, das zu verwirklichen, was die Intention verwirklichen will; also was jetzt da kommt und steht und noch nicht ganz fertig ist, was das Holz oder der Stein will, aus sich heraus, dem spüre ich nach.«102 Diese Übergabe der Souveränitätsrechte des Gestaltungsprozesses an das Ding ist ein fundamentales Prinzip, nicht einer Person zugehörig, sondern einem Denken, in das viele eingelassen sind. Hierfür sei behelfsweise das Wort beuysianisch eingeführt, so dass wir auch von einem Beuysianismus sprechen können, einem stilisierten Denkmuster, das mit der biographischen Person kaum noch etwas zu tun hat. Nicht mehr der herstellende Mensch ist ab sofort das Maß aller Dinge, sondern das Ding wird zum Maß des Menschen. Prometheus ist, wie oben dargestellt, erblindet und gezwungen, seine Umgebung bestenfalls zu ertasten. Diese Fühlversuche bezeugen eine vollkommen neue Demut vor den Dingen. Dieser Polsprung ist das Grundsätzliche und Neue des Beuysianismus, der sich in dieser Hinsicht natürlich, wie schon gesagt, nicht nur im Werk von Joseph Beuys findet, sondern ebenso bei anderen Künstlern, Denkern, auch Dichtern wie z. B. bei Peter Handke seit seinem Buch Die Stunde der wahren Empfindung.103 Diese Stunde ist nicht mehr die Stunde wahrer Sätze. Hier kündigt sich vielmehr ein neues Verhältnis des Menschen zur Welt an, die nicht mehr die Seinige ist, sondern er der Ihrige. Die Eigentumsverhältnisse haben sich hier verkehrt: Der Mensch steht nicht mehr in einem Herrschaftsverhältnis zur Welt, die er sich untertan macht, sondern er handelt und gestaltet in einer Welt, deren szenischer Präsenz er subordiniert ist. Dieses neue Verhältnis zu den Dingen beruht auf neuen Wahrnehmungsweisen, die nicht mehr fixieren Wolfram Hogrebe
und mit Blicken töten, sondern die offenen Auges für irgendetwas sind, das sich meldet und zeigt. Diese Offenheit ist insofern auch eine neue Sensibilität für den Bildursprung. Gerade das ist das Thema des Kunsthistorikers und Philosophen Gottfried Boehm. Er spricht hier von der »Hintergründigkeit des Zeigens«, eines Geschehens, das als gewahrsame Präsentation von sich »nicht im Sagen aufgeht«.104 Der pronominale Blick erkennt an, dass alles, was sich zeigt, nur ein Beispiel für irgendetwas ist, jenes irgendetwas, das ein Sich-Zeigen erst möglich macht wie die Variable das Auftreten von Konstanten. Nur wo irgendetwas den Platz bereithält, kann etwas Bestimmtes auftreten. Die Geburt von Platzhaltern ist die Geburt des Geistes und gehört in eine Pronominalmetaphysik,105 in eine Metaphysik von unten, nicht in eine Metaphysik als Überbau, sondern als Unterbau. Im expressiven Gedränge der Kunst des 20. Jahrhunderts beweist sich der Beuysianismus zunächst in reduktiven Tendenzen, in solchen, die sich an Zonen der Bedeutungslosigkeit herantasten und gerade hier zwangsläufig rätselhafte Dinge hervortreten lassen. Das klassisch formulierte Zeigeding, die Monstranz des Beuysianismus, stammt hier von Paul Valéry. In seinem Dialog Eupalinos oder der Architekt von 1923 lässt er Sokrates berichten, dass er am Meeresstrand einen Gegenstand gefunden habe, der sich jeder Identifikation entzog: »Wer hat dich gemacht? dachte ich. Du erinnerst an nichts, gleichwohl bist du nicht gestaltlos. Bist du ein Spiel der Natur, oh, du Namenloses […] Der Stoff war genau wie seine Form: Stoff für Zweifel.«106 Das hier von Paul Valéry eingeführte objet ambigu ist die gegenständliche Form einer natürlichen Variablen. Für die Empfindsamkeit der Phantasie kann sie zum Geburtsort neuer Gestaltungen werden. Erst in diese Bedeutungslosigkeit hinein sind ja vollkommen neue Gründungsakte möglich. Wüste und Paradies: Visuelle Strategien der Moderne von Kasimir Malewitsch bis Joseph Beuys und Imi Knoebel
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12, 13 Joseph Beuys, Palazzo Regale, 1985.
Insofern ist das objet ambigu der Prinzengegenstand des Beuysianismus, erreichbar erst nach der vollständigen Zerrüttung traditioneller Bedeutungsverhältnisse. Die Methode dieser konstruktiven Zerrüttung hat Salvador Dalí die »paranoisch-kritische«107 genannt. Sie zersetzt und destilliert und lässt uns ›unsinnliche Ähnlichkeiten‹, wie Walter Benjamin sagen würde, d. h. Neues in ungeahnter Zusammensetzung und Fremdheit, entgegentreten. Je bizarrer, desto wahrscheinlicher. Die »ständige Eroberung des Irrationalen«,108 die Dalí damit für sich beansprucht, ist aber keine Entfernung von der Realität, sondern entspricht ihr unter dem Aspekt des Universums. Denn »im Maßstab des Kosmos hat nur das Phantastische überhaupt Aussicht, möglich zu sein«.109 Wenn wir jetzt die Fäden zusammenfassen, dürfen wir sagen: Die Kunst nach Hegel befreit sich von normativen Substanzen der Tradition, befreit sich von privilegierten Sujets, hat auch das Menschliche, das Hegel noch final als letzten Gegenstand der Kunst bestimmte, fahrenlassen, erobert sich einen neuen Spielraum ins Unbestimmte, ist daher Kunst des Nomaden, der von Ort zu Ort zieht. Auch die Kunst entdeckt in dieser Pronominalität unsere szenische Weltstellung,110 nimmt ihre Gegenstände als intensive Größen wahr, emanzipiert den Künstler, universalisiert das Sujet, alles ist Kunst, jeder ist Künstler. Der Wolfram Hogrebe
Beuysianismus verlangt eine neue Art der Wahrnehmung, aus der, so sein Anspruch, eine neue Weltpraxis folgen soll. Wenn man diese Beobachtungen historisch bündelt, wird man zu einer interessanten Hypothese gedrängt: Die neue Kunst schickt sich an, den Kreislauf der Kunstformen, wie Hegel sie in symbolische, klassische und romantische fasste, auf neuem Niveau zu wiederholen. Wir hätten folglich im Beuysianismus mit einer neuen symbolischen Kunstform zu rechnen, mit einer Renaissance des symbolischen Geistes, der gestaltend andeutet und doch nicht weiß: was. Denn wenn sich das Menschliche111 in dem, wozu es in Horror und Heiligkeit fähig war, erschöpft und verbrannt hat, wenn die disiecta membra des Menschen nur noch herumliegen wie totes Gebein, wenn der Humanus zu Humus wird, das Gefühl zu Glitsch, das Feine zu Filz, die Phantasie zu Fett, dann hat die Stunde der neuen symbolischen Kunstform geschlagen. Sie hat den Humanus im Palazzo Regale [Abb. 12 – 14] von Joseph Beuys beigesetzt, sie hat die Totenbehausung und Sarkophage in jeder Zinkwanne wiedererkannt, [Abb. 15] sie greift ins Massenhafte und Schwere, nimmt die Erde auf, das Fell, das Fett, den Filz und findet in Kupfer und Stein die amorphe Gestalt, die zwar andeutet, und weiß doch nicht: was. Diese neue symbolische Kunstform ist episch in ihren Konstellationen alltäglicher Gebrauchsdinge, episch in ihren Wüste und Paradies: Visuelle Strategien der Moderne von Kasimir Malewitsch bis Joseph Beuys und Imi Knoebel
14 Joseph Beuys, Palazzo Regale, 1985. 15 Nächste Seite: Joseph Beuys, Jason II, 1962/80. 16 Nächste Seite: Joseph Beuys, 7000 Eichen. Der erste Baum an der Spitze des Depots, 1982 – 1987.
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17 Joseph Beuys, Unbetitelt, 1971.
Arrangements der Restlichkeiten unserer Welt, der Reliquien des Humanus, und sie ist ebenso architektonisch in gestalteten Innenräumen und Außenräumen, auch da, wo sie in neue Pflanzungen übergehen. [Abb. 16] Jedes Arrangement bezeugt ein Energiefeld von Wärmeträgern, ein Feld, das der nomadische Geist aufgesucht und verlassen hat, dessen Wege ein Geflecht und Muster realisieren, das die soziale Plastik ist. Ihre Struktur verdankt sie der Welt, nur ihre Realisierung blieb dem Menschen überlassen. Die soziale Plastik ist dann ein geradezu überirdisches Muster, das die Menschheit sehr irdisch realisiert. II.4
Das Paradies
Joseph Beuys gestaltet die Schwelle zur neuen symbolischen Kunstform, das Drama eines neuen symbolischen Ausgangsgeschehens, das sich gut unter seinen Titel der Düsseldorfer Ausstellung von 1984 fassen lässt: Von hier aus.112 Er inszeniert den Schwellenprozess, aber Wolfram Hogrebe
tritt gestalterisch nicht mehr aus ihm heraus. Was war, hält Beuys noch zitierend fest, wird für ihn bloß ein Neues durch neue Deutung, nicht durch ein neues Sein. Alte Heilsbringer werden so bloß umettiketiert. Alte Retter der Menschheit werden so zu Erfindern der Elektrizität und der Dampfmaschine. Sie bleiben präsent, aber die Präsenzlizenz sind neue Beschriftungen. [Abb. 17] In der neuen symbolischen Kunstform nach Beuys gilt es dagegen, Stück für Stück eine neue Formenwelt zu entdecken, neue Formen, die sich der gewandelten Wahrnehmungsweise zu erschließen vermögen. In einen solchen weitergehenden Entdeckungsprozess, scheint mir, ist nun auch das Werk des BeuysSchülers Imi Knoebel hineingestellt. [Abb. 18] Natürlich nicht nur sein Werk, aber es ist doch besonders ›sprechend‹ und ›auskunftsreich‹ für den Prozess, um den es hier geht. Der Tenor seines Werkes steht, wenn ich es richtig sehe, für ein dérangement der Moderne sui generis, d. h. zugleich für ein neues, noch unbenanntes expressives Wüste und Paradies: Visuelle Strategien der Moderne von Kasimir Malewitsch bis Joseph Beuys und Imi Knoebel
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Imi Knoebel.
19 Imi Knoebel, Keilrahmen, 1968.
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20 Imi Knoebel, Grace Kelly, 1989/90.
Gründungsgeschehen, das eine noch verborgene Struktur nach der Moderne sichtbar macht. Imi Knoebel hielt von Anfang an, gerade auch als sein schwieriger Schüler, jenen spannungsvollen Abstand zu Joseph Beuys, der notwendig ist, um von ihm lernen zu können, ohne sich selbst preiszugeben.113 So knüpfte er an Malewitsch an, aber nicht, um wie dieser den Nullmeridian anzustreben, um also die Verpflichtung symbolischer Tradition bloß abzuschütteln, sondern, um von diesem auszugehen, um neue ästhetische Räume zu erschließen. Für den Ausgangspunkt im ästhetischen Nullmeridian mag hier z. B. Imi Knoebels Keilrahmen von 1968 stehen.114 [Abb. 19] Imi Knoebel ist daher mit Malewitsch sofort extrem weit von Joseph Beuys entfernt, obwohl es auch charakteristische Berührungspunkte mit dem Beuysianismus gibt, auf die ich später eingehen werde. Er ist aus eigenem Anfang vor allem in der Hinsicht weit von Joseph Beuys entfernt, als er in seinen Arbeiten nicht ins Naturalistische, ins Didaktische, nicht ins Semantische oder ins Epische Wolfram Hogrebe
geht. Beuys erzählt, wie verrätselt auch immer. Knoebel erzählt nicht, darin folgt er Malewitsch, sondern zeigt nur. Nicht dies oder das, sondern, darin folgt er wieder Beuys, immer nur irgendetwas. Dafür stehen seine Serien. Imi Knoebels Bilder gehen daher in der Regel von einem Set von Farb- und Formelementen aus, deren universales Variationsmuster in Serien von Bildern nach Art von Übungen präsent ist. Diese Bildserien – ich biete hier ein reduziertes Beispiel aus der Serie Grace Kelly [Abb. 20 und 21] – , diese Serien ähneln in ihrer unerhörten Konzentration in der Tat geistigen Übungen, sind exercitia spiritualia. Präzision, Klarheit und Schönheit, die den Bildern von Imi Knoebel gerade in ihrem Exerzitiencharakter eigen sind, machen natürlich Philosophen für sie anfällig, denn Präzision und Schönheit sind hier keine Gegensätze. Die Zentrierung der Bilder auf ein nur in der Zusammengehörigkeit der einzelnen Bilder einer Serie greifbares imaginäres Urbild hin verleiht ihnen auch eine bildtranszendente Strenge, die geradezu mythische Qualitäten eines Gründungsgeschehens aufweist. Was der Dichter Peter Wüste und Paradies: Visuelle Strategien der Moderne von Kasimir Malewitsch bis Joseph Beuys und Imi Knoebel
21 Imi Knoebel, Grace Kelly, 1989/90.
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22 Imi Knoebel, 250000 Zeichnungen 1968 – 1973, 1974/75.
Handke von seiner Arbeit sagt, trifft in gewisser Weise auch auf die Arbeiten Imi Knoebels zu: »Die vergessene, anonyme Sprache aller Menschen wiederfinden, und sie wird erstrahlen in Selbstverständlichkeit […].«115 Imi Knoebels Bilder sind solche Wiederfindungen der vergessenen, anonymen Sprache aller Menschen und sie erstrahlen in stiftender Selbstverständlichkeit. Im pronominalen Raum, im Raum der Verweisung, in dem wir szenisch existieren und leben, gibt es anfänglich nur intensive Größen: Alles ist eine Sache des Grades, selbst wenn Skalen fehlen. Die Skala sind wir selbst, ist unsere Empfindung, mit der sich die Hand im heißen Wasser verspürt. Was nun Imi Knoebels Arbeiten aus großer Entfernung auch mit dem Beuysianismus verbindet, ist gerade die Gestaltung intensiver Größen. Bei ihm wird auch der Raum, auch die Form, auch die Linie intensive Größe, d. h. Sache des Grades. Das ist nicht leicht verständlich. Wie Wolfram Hogrebe
ist es möglich, dass eine Linie eine intensive Größe wird? Offenbar nur durch Ausschöpfung dessen, was das Linienhafte der Linie ist. Ein Projekt zur Ausschöpfung der Linienintensität sind Imi Knoebels Linienbilder. 1974/75 wurden von Imi Knoebel in der Düsseldorfer Kunsthalle eine Viertelmillion Blätter mit senkrechten oder waagerechten Bleistiftlinien nach einem strengen Variationssystem ausgestellt. Von diesem Projekt konnte der Besucher der Ausstellung allerdings nur wissen, sehen konnte er die Blätter nicht. Sie lagerten in schwarzen Schränken wie in aufrechten Särgen eingeschlossen. [Abb. 22] In diesem geradezu manischen Projekt einer ästhetischen Selbstbeisetzung wird der Exerzitiencharakter seines Werkstils besonders deutlich. Dass auch der Raum von Knoebel als intensive Größe gestaltet wird, also gerade nicht als geometrischer Raum, sondern aus der Erfahrung räumlicher Intensität, bezeugen seine Raumplastiken: Raum 19 (1968), Genter Wüste und Paradies: Visuelle Strategien der Moderne von Kasimir Malewitsch bis Joseph Beuys und Imi Knoebel
23 Imi Knoebel, Genter Raum, 1980.
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24 Imi Knoebel, Kadmiumrot 0, 1975/84.
Raum (1980) [Abb. 23] und Heerstraße 16 (1984). Was ferner in variierenden Farbkombinationen an Farbintensitäten möglich ist, welcher Steigerung Farbintensitäten fähig sind, hier ist der semantische Minimalist Knoebel intensiver Maximalist. Die Farbe erhält in seinen Arbeiten eine Strahlungsintensität, die geradezu auratische Grade erreicht.116 Sein Weiß nennt er daher selbst Princess of White (1995). Insgesamt hält sich die Verwandtschaft von Knoebel mit seinem Vorbild Malewitsch auch kompositorisch durch. Man vergleiche Imi Knoebel [Abb. 24] mit einer Komposition von Malewitsch. [Abb. 25] Man sollte hier auch daran erinnern, dass die Farbentdeckungen von Imi Knoebel auf sehr subtile Weise Wolfram Hogrebe
gar nicht im Gegensatz zum Filzgrau von Joseph Beuys stehen. Dieser hatte seinerzeit im Gespräch gesagt: »Ob ich nicht daran interessiert bin, durch diese Filzelemente die ganze farbige Welt als Gegenbild im Menschen zu erzeugen, danach fragt keiner. Also: eine lichte Welt, eine klare, lichte, unter Umständen eine übersinnlich geistige Welt damit zu provozieren, durch eine Sache, die ganz anders aussieht, eben durch ihr Gegenbild […].«117 Von diesem Gegenbildverfahren von Joseph Beuys ließ sich sein Schüler Imi Knoebel im Rückgriff auf Malewitsch wohl provozieren. Aber tatsächlich beglaubigt gerade die lichte, ins Überirdische gehende Farbwelt Imi Knoebels auch das, was man probeweise das ontologische Grundprinzip eines stilisierten Beuysianismus nennen Wüste und Paradies: Visuelle Strategien der Moderne von Kasimir Malewitsch bis Joseph Beuys und Imi Knoebel
25 Kasimir Malewitsch, Acht rote Rechtecke, 1915.
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26 Joseph Beuys, Eisbär, 1960.
könnte: Sein heißt strahlen (to be is to beam). Solche Sätze sind Gründungsurkunden einer neuen Wahrnehmungsweise in der Tradition des alten parmenideischen Satzes, dass Denken und Sein identisch sind. Trotz aller ästhetischen Gewichtigkeit, in der sich die künstlerischen Konzepte von Beuys und Knoebel aufeinander beziehen und ebenso voneinander abstoßen, in einem Punkt haben sie eine federleichte Gemeinsamkeit, die meist übersehen wird. Das ist der Humor. Um dies zu verdeutlichen, zeige ich hier eine Arbeit von Beuys, seine genial einfache wie eben dadurch überaus amüsante Plastik mit dem Titel Eisbär. [Abb. 26] Diesem Augenscherz korrespondiert eine Arbeit von Imi Knoebel, die auf Vincent van Gogh und seine Selbstverstümmelung unter dem Titel Vincent’s Ohr anspielt. [Abb. 27] Beuys war Lehrer, aber in dieser Funktion kein Missionar, wie es so manche Beuys-Sekte gerne hätte. Gewiss verfügte er auch über ein kreisbildendes Charisma, wie man es auch von Stefan George kennt.118 Aber er war Wolfram Hogrebe
vor allem auch – übrigens auch darin wieder ähnlich wie George – ein strenger Lehrer und dennoch – das trennt ihn wieder entschieden von George – jederzeit zu einem olympischen Gelächter bereit, Zeugnis einer auch sich selbst relativierenden Souveränität. So gibt es bei aller Divergenz im Darstellungsstil doch immer noch strukturelle Gemeinsamkeiten, die es überhaupt als aussichtsreich erscheinen lassen, auf diesem Weg von Malewitsch über Beuys und Knoebel ins Herz der Moderne vorzustoßen. Herzkranzgefäß der Moderne ist die Ausrichtung auf ein Unbestimmtes, auf irgendetwas hin, die pronominale Struktur, von der oben die Rede war. Auch sie ist den Arbeiten Imi Knoebels eigen. Wo sie in Selbstverständlichkeit erstrahlen, dulden sie weder eine externe Begründung noch einen externen Sinn. Sie bezeugen nur die ultimative Gründung: Verweisung ist möglich, es gibt Geist. Schließlich findet sich auch das Nomadische, von dem oben die Rede war, in streng kontrollierter Weise in Knoebels Bildern: Wüste und Paradies: Visuelle Strategien der Moderne von Kasimir Malewitsch bis Joseph Beuys und Imi Knoebel
27 Imi Knoebel, Vincent's Ohr, 1976.
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Jede Farbkombination, die er in eine Arbeit versammelt, ist ein Weg, der nur beispielsweise zu visualisieren ist, um dann andere aufzusuchen. Aber bei jeder dieser extrem schönen, ja bis zum Schmerz blendend schönen Farbkombinationen Imi Knoebels fühlt man – und das ist eine Botschaft, die sich dem Betrachter vermittelt –: Wer von hier aus geht, findet ein Paradies, ein Paradies für Kinder. Imi Knoebels Kunst ist Kunst pour les enfants du paradis, einen Ort, den jeder finden kann, der nur Imi Knoebels Kinderstern (1989) zu folgen vermag. Wer dem Kinderstern folgt, gelangt über alles Sprachliche hinweg in ungeahnte Gefilde.119 Auch in solche jenseitigen Gegenden, die, wie in seiner Bildserie Amor intellectualis (2007), in Erinnerung an Jean Cocteau, nur durch Spiegel hindurch erreichbar sind. Bei Cocteau war es das im Spiegeldurchgang erreichbare Totenreich, bei Knoebel bleibt es eine uninterpretierte Jenseitigkeit.120 Der Titel dieser Serie erinnert natürlich in erster Linie an Spinoza und sein Konzept einer intellektuellen Liebe. Das ist jene unerzwingbare und unveranlasste Zuneigung, mit der jeder jedem Ding entgegenlächeln kann Wolfram Hogrebe
als Dokument einer szenischen Einheit, in die alles eingelassen ist, auch er selbst. Auf diese Einheit hin kann jeder durch alles, was ihm entgegensteht, wie durch einen Spiegel zugehen. Und diese Einheit kommt ihrerseits von dort her auf jeden zu, wenn er nur zum Empfang vor den Spiegeln bereit ist. Wer dem Kinderstern zu folgen vermag, wird aber auch in ungeweihte Kathedralen geführt, wie in die Neue Nationalgalerie in Berlin. Hier fand Knoebels Ausstellung Zu Hilfe, zu Hilfe, sonst bin ich verloren im Mai 2009 statt, auf die ich unten aus dem Blickwinkel einer anderen Fragestellung noch einmal zu sprechen kommen werde. In diesem letzten Bau von Mies van der Rohe verzichtete Imi Knoebel auf eine Ausstellung im herkömmlichen Sinn, zumal der Bau von Mies architektonisch ohnehin ein Dementi alles Gegenständlichen ist. Die Außenverglasung wurde von Imi Knoebel für die Ausstellung geweißt, so dass der Innenraum einen starken meditativen Sog erzeugte. Durch die Weißung gelang es ihm, das pure Erscheinen erscheinen zu lassen. Das φαίνεσθαι wurde als φαινόμενον tatsächlich registrierbar. [Abb. 28] Die wenigen Wüste und Paradies: Visuelle Strategien der Moderne von Kasimir Malewitsch bis Joseph Beuys und Imi Knoebel
28 Ludwig Mies van der Rohe/ Imi Knoebel, Neue Nationalgalerie Berlin von innen, 2009.
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29 Vorherige Seite: Imi Knoebel, Ausstellung Zu Hilfe, zu Hilfe …, Neue Nationalgalerie Berlin, 2009. 30 Ludwig Mies van der Rohe, Neue Nationalgalerie Berlin bei Nacht.
Objekte Imi Knoebels in diesem riesigen Raum wirkten bloß wie Zitate aus seinem Œuvre. [Abb. 29] Der Umstand, dass nachts die Beleuchtung nicht abgeschaltet wurde, ließ den Raum in die Dunkelheit der pulsierenden Metropole strahlen, als ob seine eigene Leere, die nur das Erscheinen erscheinen lässt, eine schimmernde Botschaft enthielte. [Abb. 30] Durch diese Lichtregie rückte das Innen-Außen-Verhältnis je nach Lichteinfall tags und Lichtausfall nachts in ein ambivalentes Format säkularer Allgegenwart ein, wie es ehedem in der Tat für Kathedralen typisch war. Hierin bezeugt sich eine moderne Sakralität, eine solche freilich, die als leer erscheint, ja dem pronominalen Blick auf irgendetwas hin als leer erscheinen muss. Dennoch verlangt der beuysianische Blick auch, dass wir es uns angelegen sein lassen sollten, unserem Gefühl für das Ganze, in dem wir von Kindheit an sind, Kredit als uninterpretierte Stimme des Universums zu geben. Hier dringt etwas an unser Ohr und an unser Auge, das uns ›viel zu denken veranlasst‹ (Kant), selbst wenn es bloß unser Echo ist. Friedrich Schleiermacher spricht hier von einem sensus universi. Auf die registrierende Wolfram Hogrebe
Empfindsamkeit dieses sensus, auf dieses Gefühl, in einem Ganzen zu existieren, kann jedenfalls auch die Moderne nicht verzichten, wenn ihr nicht jedes Weltverständnis abhanden kommen soll. Ist diese Empfindsamkeit der Phantasie, von der auch Charles Baudelaire sprach, aber vorhanden, wird man aus dem Schwarzen Quadrat von Malewitsch einen Engel heraustreten sehen. [Abb. 31]
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31 Imi Knoebel, Malewitschs Schwarzes Quadrat mit Lola Knoebel (Montage).
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III Die Überprüfbarkeit der Moderne: Imagination und Realität
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Theoretiker der Postmoderne waren stolz darauf, dass sie es mit einer Expressivität zu tun hatten, die sich gegenüber Bastionen der Geltung (jüngst überkommene Traditionen, Strukturen, Paradigmen, Vorbildliches etc.) destruktiv oder subversiv artikuliert. Klees Devise, dass sich die Moderne im Modus einer Verwesentlichung des Zufälligen vollstreckt, war ihnen noch zu ›essentialistisch‹. Erst durch den Gang in die Niemandsbucht des Zufalls sei die ultimative Befreiung von aller Verbindlichkeit des Stils, der Sujets, der Formen erreicht. Dass es trotz dieser Lizenz dennoch immer wieder zu Gerinnungseffekten im Ausdrucksraum kam, d. h. zu identifizierbaren Musterbildungen, schrieb man der Unvermeidlichkeit individueller Rituale zu. Die sich in diesen sedimentierende Regelhaftigkeit musste man akzeptieren, ob man wollte oder nicht. Man könnte geradezu sagen: Die Privatsprache im Sinne Wittgensteins wurde im expressiven Tableau der Postmoderne notgedrungen ästimiert: Whatever you do, do it your way. 104 | 105
Es zeigte sich jedoch, dass niemand gewissermaßen nur eine Prise Verbindlichkeit in Anspruch nehmen kann, ohne sie ganz zu beanspruchen. Selbst individuelle Geltung ist immer auch Geltung im Vollsinn. Sonst könnten wir uns auf der expressiven Agora gar nicht verständigen. An dieser Inkonsistenz ging die Postmoderne – vielleicht eher ihre Theoretiker als ihre Gestalter – nach wenigen Jahrzehnten zugrunde. Was zurückblieb, war das alte, aber durch die Postmoderne frisch genährte Vorurteil des profanen Publikums, dass der Künstler ohnehin machen kann, was er will. Und dass er selber nicht weiß, was er will. Und dass Markt und Handel definieren, was er macht und was das wert ist. Eine halbwegs rationale Überprüfbarkeit ist, so das Publikum, in der Moderne nicht mehr möglich. ›Halbwegs rationale Überprüfbarkeit‹ soll hier nur heißen: Im Bereich der Kunst, der Moderne zumal, ist so etwas wie eine Prognose unmöglich. Das allerdings trifft nicht zu. Je eindringlicher im expressiven Tableau auch der Moderne gearbeitet wird, desto deutlicher arbeiten sich Dichter und Künstler an einer nicht-interpretierten Grundproblematik ab, die ihren fortschreitenden Gestaltungsprozessen wie eine gesetzesartige Matrize bleibend zugrunde liegt. Bezogen auf diese sind dann manchmal durchaus Prognosen mittlerer Reichweite möglich. Dafür kann ich hier zwei Beispiele geben, eins aus dem Bereich der Dichtung, das zweite aus dem uns schon bekannten Bereich der bildenden Kunst. III.1 Weltergänzungslust
Ein erstes Beispiel ist das Werk von Peter Handke. Nachdem er in seinem ersten Roman Die Hornissen (1966), in dem alles Spätere schon angelegt ist, noch schwankt, ob er auf die Sprache und nur sie (mit deutlicher Beziehung auf den späten Wittgenstein) setzen kann oder nicht, wird er in den nächsten Arbeiten an der exklusiven Wolfram Hogrebe
Sprachoption irre, die Philosophen übrigens weitaus später. Nachdem im Schatten der Sprachoption ohne Erdung im Erfahrungsraum die Sensibilität des Dichters gleichsam leerlief, mündeten seine Sprechstücke im Kaspar (1967), wie er selbst sagt, in ›Sprechfolterung‹ ein. Im Gedichtband Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt (1969) wird dieses Durchdrehen der Sprache ohne Erdung schon im Titel deutlich und findet im Titelgedicht auch die zutreffende Diagnose: Jemand sieht so viele Gegenstände daß ihm die Gegenstände gleichgültig werden – Jemand sieht so viele gleichgültige Gegenstände daß er nach und nach sich selbst aus dem Bewußtsein verliert – 121 Die Sprachoption ohne Erdung widerstreitet der Erfahrung: »Der Raum, in den er spricht, antwortet mit einem Echo.«122 Wo die Sprachzentrierung aber eine echolose Welt erzeugt, wird sie gleichgültig, verliert sich auch das Selbstbewusstsein des Sprechers und er wird wahnsinnig. Hier in der Tat war die Prognose möglich: Wenn der Dichter weiterschreiben will, muss er sich auf neue Weise die Welt erobern. Diese Prognose setzt natürlich voraus, dass der Dichter an seiner Grundproblematik als Grundgesetz gebunden bleibt. Das war bei Peter Handke der Fall. Die entscheidende Wende ist spätestens mit dem Buch Die Stunde der wahren Empfindung (1975) vollzogen. Keuschnig, »der Held einer unbekannten Geschichte«,123 findet einen zertretenen Brief im Rinnstein, in dem die Ausgangslage rückblickend noch einmal charakterisiert wird: »Eines Tages, vor vier Jahren, wurde mir von einem Augenblick zum anderen alles gleichgültig. Damit begann die schaurigste Zeit meines Lebens […].«124 Die Wende wird nun in diesem Buch nicht mehr aus der Sprache vollzogen, sondern dadurch, dass sie es Die Überprüfbarkeit der Moderne: Imagination und Realität
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ist, die zurücktritt und dem Erlebnis Raum gibt: »Dann hatte er ein Erlebnis – und noch während er es aufnahm, wünschte er, daß er es nie vergessen würde. Im Sand zu seinen Füßen erblickte er drei Dinge: ein Kastanienblatt; ein Stück von einem Taschenspiegel; eine Kinderzopfspange. Sie hatten schon die ganze Zeit dagelegen, doch auf einmal rückten diese Gegenstände zusammen zu Wunderdingen. – Wer sagt denn, daß die Welt schon entdeckt ist?«125 Diese Entdeckung der Welt ist nun nicht mehr die Stunde wahrer Sätze, sondern die Stunde wahrer Empfindung.126 Denn dass die Gegenstände zu Wunderdingen werden, ist zwar eine Sache, über die man reden kann. Aber nicht deshalb, weil man über sie reden kann, sind diese Dinge zu Wunderdingen geworden. Ihr Anblick wird nicht mehr allein auf unsere Sprachfähigkeit bezogen, kraft derer wir sie dann als das und das identifizieren und damit ›gleichgültig‹ machen, sondern auf unsere Empfindungsfähigkeit, so dass die registrierte Konstellation dieser Dinge allein schon ein gewisses Glücksgefühl erzeugt. Diese ›wahre‹ Empfindung teilt uns nichts über den Gegenstand mit, sondern ist, wie Kant sagt, die Art, »in der das Subjekt, wie es durch die Vorstellung affiziert wird, sich selbst fühlt«.127 Diese Öffnung zur Welt in der Dichtung Peter Handkes ist seine Entdeckung der szenischen Weltstellung des Menschen, wie wir sie ebenso eindrucksvoll auch bei dem Dichter Botho Strauss kennenlernen können. Beide sind auf diese Weise keineswegs antimodern, aber über die Moderne hinaus. Beide schöpfen aus dem, was Peter Handke ›Weltergänzungslust‹ genannt hat.128 Von beiden kann man lernen, was nach der Moderne, gar Postmoderne oder Zweite Moderne, fällig ist: eine andere Art des Gewärtigens. Wir verlassen in unserer szenischen Weltstellung die »Avenue der Gegenwart«129 nie. Beide Dichter realisieren auf ihre Weise die conditive Struktur der Metaphysik, von der oben schon die Rede war. Wolfram Hogrebe
III.2
Eine literarische Bagatelle
Das zweite Beispiel für die Überprüfbarkeit der Moderne ist wieder der bildenden Kunst entnommen. Genauer: Es handelt sich um eine literarische Bagatelle am Rande der Vorbereitung einer großen Ausstellung von Imi Knoebel. In Bezirken der Kunst gibt es ja leider nur selten den Fall, dass sich eine quasi-experimentelle Situation herstellen lässt oder sich einstellt, die geeignet ist, Aussagen über künstlerische Angelegenheiten zu überprüfen. Von einer solchen Ausnahme kann hier berichtet werden. Die seit geraumer Zeit für die Neue Nationalgalerie in Berlin vereinbarte Ausstellung von Imi Knoebel war Anfang 2009 als Projekt in schweres Wasser geraten. Das künstlerische Konzept war fertig, Imi Knoebel hatte es Mitte des Jahres 2008 ausführlich erläutert. Aber ob es zu dieser Ausstellung überhaupt kommen konnte, stand Ende des Jahres auf einmal dahin. Imi Knoebel fragte mich daher am 31.12. 2008 anlässlich eines Telefongesprächs zu seinem Geburtstag, ob ich ihm nicht einen kurzen Text zum Ausstellungskonzept auf der Basis seiner Berichte allein schreiben könne. Das sagte ich ihm zu, arbeitete den Text über nacht aus, am 1. 1. 2009 war er fertig, und am übernächsten Tag, dem 2. 1. 2009, hatten ihn Carmen und Imi Knoebel dank E-Mail in den Händen. Mit diesem Text fuhren sie in den folgenden Tagen nach Berlin zu abschließenden Verhandlungen. Es klappte. Die Ausstellung wurde angekündigt und die Eröffnung auf den 22. 5. 2009 terminiert. Der Text spielte für das Zustandekommen der Ausstellung vermutlich überhaupt keine Rolle, aber er war da. Das ist für unsere Experimentierlust an dieser Stelle das Entscheidende: Wir haben einen Text, aber wir haben noch keine Ausstellung. Wir haben nur eine schriftlich fixierte Imagination, aber noch keine Realität. Es ging bei diesem Text als Ausstellungskonzept also nicht um Finessen im Sinne der Philosophen oder Die Überprüfbarkeit der Moderne: Imagination und Realität
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Kunsthistoriker, weder zum Werk Imi Knoebels noch zum Ausstellungsort, dem letzten Gebäude von Mies van der Rohe. Das bedeutete ich auch Franz-Joachim Verspohl, dem ich den Text in Jena ebenfalls zugänglich gemacht hatte. Er vermisste die Theorie des ›fließenden Raums‹ von Mies van der Rohe im Ausstellungskonzept.130 Leider hat Franz-Joachim Verspohl, am 4. 2. 2009 in Meiningen/ Thüringen viel zu früh verstorben, die Eröffnung dieser Ausstellung nicht mehr erleben dürfen. Imi Knoebel hat der Erinnerung an ihn die Berliner Ausstellung gewidmet und diese memoriale Dedikation wurde dem Publikum der Vernissage am 22. 5. 2009 auch öffentlich mitgeteilt. Wegen seiner werblichen Funktion war der Text auch streng thetisch gehalten. Dennoch musste in seiner Kürze der Gehalt des Projekts prägnant zur Geltung kommen. Da die Basis, wie gesagt, ausschließlich die Darlegungen Imi Knoebels waren, bewegte sich der Text unvermeidlich auch in einer prognostischen Dimension. Die Einbildungskraft musste ja antizipativ erzeugen, was einmal räumliche Realität werden sollte. Und hier ergab sich zwanglos der experimentelle Status des Textes. Sollte es zur Realisierung der Ausstellung kommen, konnten die prognostischen Anteile des Projekt konzeptes am Rezeptionsprofil der Ausstellung überprüft werden. Genau das soll im Folgenden geschehen. Imagination und Realität treten hier in ein überprüfbares Verhältnis zueinander. Ich biete daher zunächst den originalen Text des Projekt konzeptes vom 1. 1. 2009 und dann einen Bericht über das faktische Rezeptionsprofil, um anschließend zu einigen grundsätzlichen Überlegungen zur Kunst Imi Knoebels überzugehen. III.3
Das Projektkonzept vom 1. 1. 2009
1. Vorbemerkung Das Ausstellungskonzept versteht sich als Antwort auf die Architektur von Ludwig Mies van der Rohe. Wolfram Hogrebe
Keine Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie kann der Provokation dieser Architektur ausweichen. Ihre Provokation besteht darin, dass die Architektur von Mies van der Rohe im Grunde genommen eine gebaute Verneinung von Ausstellungen ist. Seine Architektur einer maximalen Reduktion gebauter Raumprofile terminiert in einer verglasten Entgrenzung des Raumempfindens. Diese Architektur will im Prinzip keine Gegenstände, ist daher eigentlich ein gebautes Dementi jeglicher Art von Objekten. Diese gebaute Verneinung von Objekten wird als zentraler Gedanke in das Ausstellungskonzept von Imi Knoebel integriert und damit positiv aufgenommen. Die Ausstellung setzt also das Anliegen der Architektur auf ihre Weise fort, gibt ihm aber eine visuell erfahrbare Gestalt in Form einer forcierten Optik des Raumes mit Mitteln der Lichtsteuerung. 2. Weißung Die für die Ausstellung zur Verfügung stehende Räumlichkeit wird als solche durch die Weißung der verglasten Wände visuell erfahrbar. Diese Dämpfung des Lichteinfalls nimmt das Konzept mittelalterlicher Kathedralen auf, die auf ihre Weise Lichtinnenräume darstellen. Die bildnerische Gestaltung dieser bleiverglasten Fenster wird im Bildprogramm von Imi Knoebel durch die Weißung extrem reduziert. Wie Malewitsch Farbe und Form reduzierte, werden hier die Räumlichkeit und das Raumempfinden extrem reduziert. 3. Zweck Die Kathedralen des Mittelalters schufen Lichtinnenräume, in denen sich die Seelen der Gläubigen den bildlichen Gehalten der bleiverglasten Fenster öffnen sollten. Diese Bildlichkeit wird im Konzept von Imi Knoebel durch die Weißung maximal reduziert bzw. vernichtet, mit dem Ziel, die Seelen der Ausstellungsbesucher zu öffnen, allerdings nicht für Botschaften von außen, sondern von sich selber. Imi Knoebel macht keine Propaganda. Die Überprüfbarkeit der Moderne: Imagination und Realität
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4. Botschaft Das Bildprogramm von Joseph Beuys summierte sich im Titel der Ausstellung Von hier aus. Dieser noch räumlich gebundenen Devise korrespondiert jetzt die darüber hinausgehende Botschaft der geplanten Ausstellung von Imi Knoebel: Von mir aus. Knoebels Werk spricht jeden, der ihm begegnet, mündig. Mehr als sich hat niemand. Und wenn er sich hat, hat er auch die Welt. 5. Status der Objekte Die sparsame Installierung von abstrakten Objekten im abgedämpften Lichtraum der Ausstellung hat nur den Sinn von Zitaten. Objekte werden hier nur zitiert, um ihre Abwesenheit in Fülle fühlbar zu machen. Damit wird dem objektverneinenden Imperativ der Architektur von Mies van der Rohe Rechnung getragen. Dem Ausstellungsbesucher wird kein Halt von außen geboten: keine Aussicht nach außen, kein äußeres Objekt als für sich wichtiges Sinngebilde. Jeder bleibt auf sich gestellt und schwebt. 6. Alleinstellungsmerkmal Der Sinn der Ausstellung besteht also darin, dass der Besucher hier einen Ort seiner Selbsterfahrung betritt. Das gilt zwar trivialerweise für jede Ausstellung, aber das Konzept ist so angelegt, dass diese Selbsterfahrung in der Ausstellung real inszeniert wird. Man kann ihr nicht ausweichen wie in anderen, sujet-orientierten Ausstellungen des Normaltyps sehr wohl. Das kann für den Besucher als Zumutung empfunden werden, an der bisweilen auch ein Ärgernis genommen werden mag. Er vergisst dann, dass er sich auch selbstironisch oder lächelnd entgegentreten kann. Die Selbstbezüge werden hier jedenfalls im Reichtum ihrer Varianten manifest. 7. Die Front der Kunst heute Die abgenötigte Erfahrung solcher Selbstbezüge ist das Äußerste, was Kunst heute evozieren kann. Weiter ist darüber nichts zu sagen. Wo und wann immer wir Wolfram Hogrebe
wirklich bei uns selbst sind, ist jedes Wort zuviel. Deshalb gilt in der Ausstellung ein ausgeschildertes Redeverbot: Please be silent. III.4
Die Überprüfung nach dem 22. 5. 2009
Die Frage war natürlich: Hielt diese Projektbeschreibung der Realität der Ausstellung stand? Diese wurde am 22. 5. 2009 eröffnet, und zwar in Form eines Doppelereignisses: in der Neuen Nationalgalerie an der Potsdamerstraße unter dem Titel Zu Hilfe, Zu Hilfe und anschließend in der Deutschen Guggenheim unter den Linden unter dem Titel Ich nicht. So war in diesem Fall die Möglichkeit gegeben, die genannte Frage tatsächlich zu beantworten. In der Besprechung der Ausstellung, die Niklas Maak am 23. 5. 2009 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung publiziert hat,131 resümiert er ganz im Sinne der ihm unbekannten Projektbeschreibung, »daß die Glaswände [der Neuen Nationalgalerie offenbar] als Herausforderung [galten] – auf die der Künstler Imi Knoebel jetzt antwortet, indem er die Scheiben selbst als Leinwand nutzt«. Dadurch sah sich der Rezensent allerdings nicht an die Fenster von Kathedralen, sondern wegen der Weißtönung einigermaßen ironisch an »asiatische Pergamentpapierwände« erinnert, »als wolle man zeigen, wie sehr die westliche Moderne in Japan wurzelt«. Dieser Eindruck einer ›japanischen‹ Anmutung hat sich, wie ich bezeugen kann, auch manchem Besucher bei der Eröffnung der Doppelausstellung am 22. 5. 2009 vermittelt. Niklas Maak kommt auf diese Assoziation in seiner Besprechung gegen Ende auch noch einmal zurück: »Bei Sonne fällt Licht durch die bemalten Scheiben (was Vorderund Rückseite dieser Glasmalerei ist, ist schwer sagbar), ein Schattentheater entsteht, das an japanische Vorläufer und Rauschenbergs weiße Gemälde erinnert […].«132 Das Zentrum der Botschaft dieser Ausstellung zusammen mit der in der Deutschen Guggenheim unter Die Überprüfbarkeit der Moderne: Imagination und Realität
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den Linden sieht Niklas Maak »in der Raumwerdung von Malerei«: »Die ungegenständliche Malerei wird zum Raum, der Raum zur Projektionsfläche.« Unabhängig von dieser verbindenden inhaltlichen Achse beider Ausstellungen hat den Rezensenten an der Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie vor allem ein ganz äußerlicher Punkt offenbar beeindruckt: »Formal betrachtet, hat Knoebel […] in der Nationalgalerie das größte ungegenständliche Gemälde aller Zeiten produziert, das gleichzeitig den Raum verwandelt, den es bedeckt […].« So knapp die Besprechung von Niklas Maak gehalten ist, wichtige Punkte sind doch eingefangen, wenngleich nicht, was man von einer anderntags erscheinenden Besprechung auch nicht erwarten darf, tieferführend ausgedeutet. Dass hier aber durchaus auch eine Grenze seiner ästhetischen Registratur fühlbar wurde, dokumentiert besonders deutlich seine Besprechung einer Ausstellung von Rudolf Stingel vom 10. 2. – 24. 5. 2010 ebenfalls in der Neuen Nationalgalerie. Diese Ausstellung konterkariert ebenso wie Imi Knoebel die Räumlichkeit des letzten Baus von Mies van der Rohe. Die Bodenfläche wurde durch einen gewaltigen Teppich bedeckt, von der Decke hing ein einziger überdimensionaler Kristalleuchter. Dass diese Ausstellung eine Antwort auf Knoebels Ausstellung war, leider nur eine trivialisierende Antwort, kam Niklas Maak in seiner Besprechung merkwürdigerweise nicht in den Sinn.133 Immerhin ist dem Rezensenten das thematische Zentrum der Raumerfahrung in beiden Ausstellungen nicht entgangen. Aber dafür war natürlich keine besondere ästhetische Sensibilität erforderlich. Das gilt auch für andere Rezensionen wie der von Nicola Kuhn im Tagesspiegel vom 25. 5. 2009. Die Pointe der Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie eröffne sich, so schreibt sie, erst auf den zweiten Blick, auf den Blick ›von innen‹. Sie bemerkt zudem, wenn sie es auch nicht direkt schreibt, dass die Weißung der Glasfronten dem Wolfram Hogrebe
Architekten Mies van der Rohe die Regie der Architektur rundheraus aus den Händen gewunden hat. Die Weißung vernichtet die vulgäre Durchsichtigkeit. Der Rezensent Till Briegleb spricht in der Süddeutschen Zeitung geradezu von einer »Blendung« des Hauses.134 Jedenfalls stimuliert dieser Eingriff, ob man nun will oder nicht, Attitüden ratlosen Innehaltens, die in solche andächtigen Staunens übergehen: »Der sonst für seine Umgebung so durchsichtige Glaskasten ist auf sich selbst zurückgeworfen; das offene Haus wird zum geschlossenen Raum. Die Qualität der spektakulären, sich selbst tragenden Halle, die von antiken Tempelbauten wie japanischer Architektur inspiriert ist, teilt sich ungestört mit und verwandelt sich in einen Ort zum Meditieren.«135 Sebastian Preuss spricht in seiner Rezension in der Berliner Zeitung vom 25. 5. 2009 konkordant von »weiter Leere«: »umsäumt von den opak schimmernden Scheiben, es herrscht diffuse Erhabenheit«.136 Diese Kennzeichnungen ›Ort der Meditation‹ bzw. ›Leere‹ und ›Erhabenheit‹ korrespondieren auffällig dem in der Projektbeschreibung prognostizierten Kathedraleffekt. Auch Till Briegleb notiert, dass der ›rundum verglaste Saal‹ »plötzlich die Qualität eines großen erhabenen Raumes [gewinnt]«.137 Durch die Weißung »konzentriere sich die Energie des Raumes nach innen«, schreibt Marcus Woeller in seiner Besprechung in der taz.138 Durch die Weißung verwandle sich das Geometrische des Hauses von Mies van der Rohe »ins Gestische«. Imi Knoebel werde hier »abstrakt, wo es kaum noch etwas zu abstrahieren gibt […]«.139 Diese Erfahrung macht in der Neuen Nationalgalerie allerdings nur derjenige, der Gelegenheit hat, sie allein zu betreten. Deshalb hatte ich zwei Tage vor Ausstellungseröffnung schon am 20. 5. 2009 den riesigen Ausstellungsraum besucht, kurz nachdem der Fotograf Ivo Faber mit seiner Arbeit fertig war. Unter nahezu tausend Menschen, Die Überprüfbarkeit der Moderne: Imagination und Realität
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wie sie bei der Eröffnung zwei Tage später anwesend waren, stellt sich der meditative Stimulus der Raumerfahrung naturgemäß nicht ein. Die Menge der Betrachter stört ganz einfach das vom Künstler intendierte neue Raumempfinden. Neu deshalb, weil sich der Betrachter in seiner puren szenischen Existenz in diesem Raum selbst erfahren muss, ob er nun will oder nicht. Die szenische Existenz des Menschen140 wird in dem von Imi Knoebel gestalteten Raum der Neuen Nationalgalerie geradezu verwirrend spürbar. Denn es wird ihm das selbst erst klar, wenn er sich umgesehen hat und doch wieder und wieder nur sich selbst in seiner hilflosen szenischen Existenz findet. Für Sebastian Preuss holt Imi Knoebel die ›klassische Avantgarde‹ »auf den Boden der Tatsachen« zurück. Die Berliner Ausstellung bezeuge eben dadurch eine »Avantgarde ohne Pathos«, aber durchaus mit höchstem Anspruch: Sie präsentiert sich als »ein Formenlager, das die ersten und die letzten Dinge der Kunst thematisiert«.141 Das entspricht wieder exakt dem in der Projektbeschreibung prognostizierten künstlerischen Frontgeschehen der Ausstellung. Während der Phase der Installation der Ausstellung kam es übrigens zu einer glücklichen Ergänzung des ursprünglichen Konzeptes. Nachts blieb das Licht im Gebäude von Mies van der Rohe an, so dass der Raum durch die geweißten Glaswände hindurch ins Dunkle schimmerte. Auch in diesem Schimmer stellt sich der Raum selber aus: tags innen – nachts außen. Aber beides verbleibt, da die Registratur des Menschen nicht subtrahiert werden kann, Erscheinung im Weltinnenraum des Menschen. Das Sujet der Ausstellung ist gewissermaßen das Erscheinen selbst. Das übersieht sich leicht. Das Leuchten tags innen, das Leuchten nachts außen muss stets zweimal betrachtet werden: als Scheinen von innen nach außen und von außen nach innen. Wolfram Hogrebe
Einen solchen vergewissernden ›zweiten Blick‹, der außen oder innen allein nicht fündig werden kann, fordert auch die Kommentatorin der Ausstellung im Deutschlandradio Barbara Wiegand. Denn: »Überhaupt ist wenig offensichtlich in dieser Ausstellung. Man muß schon genau hinsehen, Erwartungen zurückschrauben, um die Wirkung der Kunst zu erfassen. Das betrifft die Kunst der Architektur – und die von Imi Knoebel.«142 Das Rezeptionsprofil der Medienresonanz der Doppelausstellung ist, wie die herangezogenen Beispiele belegen, außergewöhnlich einheitlich. Das lässt den Schluss zu: Die Botschaft der Ausstellung Imi Knoebels in Berlin ist zumindest im Ansatz verstanden worden. Das Rezeptionsprofil korrespondiert darüber hinaus auch ungemein passgenau der Projektbeschreibung vor Realisierung der Ausstellung. Das lässt zweitens den Schluss zu: Trotz der werblichen Fassung der Projektbeschreibung hat sie den intendierten Realitätsgehalt des künstlerischen Geschehens aus der Darstellung des Künstlers allein einigermaßen intersubjektiv zur Sprache bringen können. Beide Schlüsse zusammen erlauben noch einen für die moderne Kunst eher ungewöhnlichen dritten Schluss: Die künstlerische Praxis von Imi Knoebel ist so kohärent, dass sie in einem hermeneutischen Sinn einen hohen Grad an ›Berechenbarkeit‹ aufweist. ›Hermeneutisch berechenbar‹ heißt hier lediglich: In der künstlerischen Praxis von Imi Knoebel herrscht eine Strenge, die subjektiver Willkür keinen Raum gibt. Schönheit und Präzision sind hier keine Gegensätze. Diese letzte These ist übrigens kennzeichnend für alle wirklich bedeutende Kunst. Den Gehalt dieser These kann man daher auch so einfangen: Kunst, die diesem Kohärenzpostulat genügt, nennen wir ›klassisch‹. Auch diese Kennzeichnung hat sich dem Rezeptionsprofil der Ausstellung von Imi Knoebel nicht verschlossen. Tatsache Die Überprüfbarkeit der Moderne: Imagination und Realität
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ist zunächst, dass nach dem Leitungswechsel in der Nationalgalerie von den Planungen des bisherigen Chefs PeterKlaus Schuster von seinem Nachfolger Udo Kittelmann genau und nur ein Projekt übernommenen wurde, eben genau diese Ausstellung von Imi Knoebel.143 Nicola Kuhn kommentiert das im Tagesspiegel mit dem lapidaren Satz: »Mit Knoebel ist ein Klassiker gewählt […].«144 Für Marcus Woeller ist er seit seinem Raum 19 (1968) geradezu eine »mythische Ikone der westdeutschen Kunstgeschichte«.145 III.5
Beuys als Erzieher
Man wird natürlich nicht sagen wollen, dass gerade auf dem Terrain der künstlerischen Praxis trotz aller Präzision Spielräume für Kontingenzen keine Rolle spielen. Im Gegenteil: In Zonen des Gelingens sind sie unvermeidlich, ja sogar erwünscht, aber nie beherrschbar. Irgendwann, urplötzlich und trotz aller Anstrengung kontingent wird z. B. das entstehende Werk dem Künstler entgegenschreien: »Rühr’ mich nicht mehr an!« In diesem Augenblick übernimmt ein geradezu gnadenreicher, d. h. ›graziöser‹ Ausnahmezustand die Regie. In diesem Augenblick ist das Werk in der Tat fertig und der Künstler sieht sich gezwungen, das Hoheitsrecht über sein Werk an eben dieses abzutreten. Es gehört ab sofort sich selbst und degradiert den Künstler ebenso ab sofort zu einem Betrachter, wie es andere auch sind. Das fertige Werk, wenn groß, erreicht einen Grad an Autonomie und Souveränität, die unantastbar sind wie die Würde des Menschen. Das Werk nimmt daher ab sofort die Huldigung der Betrachter entgegen, der Künstler bestenfalls als sein Stellvertreter. Diese Verhältnisse kann man nun so interpretieren, dass sich in jedem fertigen Kunstwerk etwas ereignet hat, was sich Menschen entzieht, worüber sie nicht verfügen können. Es ist jenes Surplus eines Könnens, durch das es überhaupt erst den Adel des Künstlerischen erhält. Wolfram Hogrebe
Menschen stehen dann vor einem solchen Werk und fragen sich erstaunt: »Wie ist es möglich, dass ein Mensch so etwas überhaupt zuwege gebracht haben kann?« Insoweit trennt sich die Kunst allerdings noch nicht von der Artistik. Auch bei einem dreifachen Salto mortale in der Zirkuskuppel, einem verblüffenden Trick eines Zauberkünstlers oder einer atemberaubend gespielten musikalischen Darbietung fragen sich die Zuschauer oder Zuhörer: »Wie ist das möglich?« Diese Meisterschaft des Könnens ist aber noch nicht Kunst im prägnanten Sinn. Erst wenn ein passageres Können produktiv in ein stehendes Muster gleichsam ›einfällt‹, wenn also das Produkt eines verblüffenden Könnens eine stehende Finalgestalt erreicht, die über alle Artistik hinaus als ein unerzwingbares Ereignis erfahren wird, das geradezu bannenden Charakter hat, erst dann wird der Kernbereich der Kunst erreicht. Ein Müssen über jedes Können hinaus wird dann sinnlich. Philosophen dürfen das auch so ausdrücken: Jedes Kunstwerk ist als Gründungsakt ein sinnliches Apriori.146 Dahinter kann nicht zurückgegangen werden. Kein Künstler, der diese Zone erreicht, hat nicht zuvor die Grundlosigkeit jedes Könnens dieser Art verkosten müssen. Was sich nicht von sich aus im Können zeigt, was also bloß von außen übernommene Prothese bleibt, taugt nichts, weil sie nur geeignet ist, der Grundlosigkeit wirklicher Kreativität auszuweichen. Gerade darin bestand ja auch die unerbittliche Pädagogik von Joseph Beuys. Er zwang seine Schüler zu Gängen in die Unterwelt ihrer selbst, dahin also, wo jede übernommene Pose lächerlich wird, wo nichts gilt, was nicht grundlos von selbst erscheint. Dass dieser Gang in die eigene Unterwelt durchaus schmerzhaft ist, bezeugt auch Imi Knoebel: »Wir produzierten, bis Beuys kam – alles wieder weg! […] Am liebsten wäre ich davongerannt! Das waren Korrekturen, wo er einen so richtig abserviert hat.«147 Die Überprüfbarkeit der Moderne: Imagination und Realität
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Imi Knoebel beschreibt dies als den anfänglichen Reinigungsprozess, als initiale Katharsis, der jede Prothese bloß übernommener Gestalt zum Opfer fiel: »Und da blieb natürlich sehr wenig übrig. Es führte immer dahin, daß eben nichts mehr da war. Und trotzdem mußten wir das Nichts mit uns in Verbindung bringen.«148 Nur durch diesen radikalen Prozess einer Befreiung von Posen konnte die Konzentration auf einen unmarked space (Spencer Brown), auf den völlig diaphanen Hintergrund aller Bildlichkeit erreicht werden, vor dem allein etwas rein, d. h. eben wie von selbst, erscheinen kann: »Wir mußten uns im Grunde genommen einen leeren Raum schaffen […]«149 Das nennt Imi Knoebel auch »Konzentration auf einen Punkt«: »Um aufzusteigen, um überhaupt gehen zu können.«150 Aus dieser schmerzhaften Zeit anfänglicher Konzentrationsbemühungen um 1968 stammen viele sogenannte minimalistische Arbeiten von Imi Knoebel, weiße oder schwarze Bilder, Lichtblitz-Bilder, Linienbilder, auch die Hartfaserarbeiten wie der Raum 19. Solche Konzentrationsphasen hat Imi Knoebel in Abständen immer wiederholt (Sandwiches, Kriegsbilder etc.). Sie sind für ihn so etwas wie ein immer wieder notwendiges exercitium mentis am Abgrund der Gestaltung. Auch den Raum 19 stellt er in neuen Versionen immer wieder aus. Er ist wie ein bewegliches Stück Biographie, eine Rauminstallation aus alter Zeit, die nicht die angenehmste war, aber doch notwendig. Der Weg der Ausstellungen Imi Knoebels wird durch die variierte, d. h. mitlebende Konstante Raum 19 zwangsläufig so etwas wie ein Passionsweg. Dieses Ensemble (Raum 19 in der dritten Version), die Batterie von Jena und die Wand-Installation für die documenta 1987, die den Titel der Ausstellung lieferte, sind die einzigen Gegenstände in der Ausstellung in der Nationalgalerie, in der sie zudem wie beiläufig aufgestellt sind. Aus diesen unaufdringlichen Teilen im geweißten Raum ergibt sich dann bündig schon der Sinn der in und durch diese Wolfram Hogrebe
Ausstellung transformierten Nationalgalerie. Imi Knoebel verwandelt den Bau von Mies van der Rohe in einen Palast der Passion: ›Zu Hilfe, zu Hilfe, sonst bin ich verloren!‹ Wer am Abgrund der Gestaltung zu lange verweilt, verliert leicht den Halt. Die Gefahr dieser Abgründigkeit ist zudem in jeder Psyche mitgegeben. Und diese kann wie ein Kristallglas zerspringen, selbst wenn der Druck biographisch bloß völlig kontingent von außen kommt wie bei seinem Freund Imi Giese. Die meisten vermeiden es daher tunlichst, dieser Zone zu nahe zu kommen. Der Künstler aber darf das nicht. Er muss diese Nähe irgendwann erfahren haben. Aber dabei sollte es natürlich nicht bleiben. ›Von hier aus‹ geht es dann immer zurück, im abstandgewinnenden Gang einer gestaltenden Biographie. Jeder Schritt dieses Gangs wird dann ein diszipliniertes ›Von mir aus‹ sein. Disziplin wird da notwendig, wo die Erfahrung des Nichts zur Abstandsnahme zwingt, um zu überleben und sich in einiger Stabilität selbst zu konfigurieren. Abgründe dürfen nur als zu verlassende Voraussetzung wirksam bleiben. An der Grundlosigkeit des Existierens darf man sich nicht berauschen. Das war übrigens schon die Botschaft Goethes als Künstler. III.6
›Immer einsehbar‹
Tatsächlich ist Imi Knoebels künstlerischer Gestaltungsprozess insgesamt durch zwei komplementäre Energien gespeist, für die auch die Doppelausstellung in Berlin Zeugnis ablegt. Da ist erstens die anfängliche Energie einer Verneinung bloß überkommener Formen, eine Energie, die den Künstler bedingungslos an die Quelle sich selbst ergebender Formen heranpeitscht, weil er, wie Hölderlin sagen würde, nur ›Reinentsprungenes‹ zulassen darf. Hier geht es jedenfalls grundsätzlich um den Sturz vorgegebenen Materials. Das bezeugt die Ausstellung in der Nationalgalerie. Die Überprüfbarkeit der Moderne: Imagination und Realität
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Und da ist zweitens die Energie einer Farbigkeit, die sich in bezwingender Impressivität auf geometrisierten, montierten und gebauten Flächen explosiv, unerhört und unersehen, d. h. auch hier ›reinentsprungen‹, entlädt. Hier geht es ebenso grundsätzlich um den Sturz üblicher, d. h. vulgärer Farbigkeit. Das bezeugt die Ausstellung in der Deutschen Guggenheim. Beides, die reduktive151 und die impressive Energie, durchpulst das Werk Imi Knoebels wie ebenso die Welt. Die erste Energie verneint die Gestalt, sofern sie sich nicht von selbst ergibt. Die zweite bejaht die Gestalt, ja reißt Flächen an sich für eine Frühlingsfeier der Farbe als sacre du couleur. Beide Energieformen bezeugen eine auffällige Anonymität des Bildgeschehens im Werk Imi Knoebels. Seine Objekte und Bilder strahlen jedenfalls eine strenge Überindividualität aus, die nur ein anderer Ausdruck für visuelle Objektivität ist. Tatsächlich hat das inzwischen ungeheuer angewachsene Œuvre von Imi Knoebel in seiner radikalen Überindividualität geradezu etwas Kosmisches: Ordnung beugt sich hier Ordnung und sonst nichts. Keinem Sujet, keiner sonstigen Idee von außen. Auch von innen keiner Instanz, keinem Affekt, keinem Willen, keiner subjektiven Intention, die bloß ins Ungefähre geht. Jedes seiner Werke sagt daher auf seine Weise dasselbe und ist, indem es gerade das zuwege bringt, in disziplinierter Weise unerschöpflich. Aber das erschließt sich nur von Angesicht zu Angesicht. Man kann die Farben der Objekte Imi Knoebels nicht beschreiben. Ich fürchte, man kann sie nicht einmal erinnern. Sie verlangen ganz einfach die bedingungslose Präsenz des Betrachters.152 In ihrer Bannkraft strahlen sie etwas absolut Überirdisches ab, eine Farbigkeit nicht von dieser Welt. Wer diesen etwas hymnisch anmutenden Befund zu verifizieren wünscht, sollte sich in einer Galerie, in einem Museum oder auch nur auf einer Photographie Wolfram Hogrebe
oder im Internet beispielsweise Bilder der Serie Grace Kelly von 1989/90 ansehen. [vgl. Abb. 20 und 21] Ich sah sie zuerst anlässlich der Retrospektive von Imi Knoebel 1996 im Haus der Kunst in München. Dort hingen sie direkt im Eingangsbereich. Ich betrat diesen in Begleitung von FranzJoachim Verspohl. Wir beide waren wie erschlagen. Er brachte es immerhin zur Interjektion ›Wow!‹. Aber Verspohl war Kunsthistoriker, er musste so etwas aushalten können. Für mich war es ärger: Am liebsten wäre ich davongerannt. Diese Farben sind eine Strafe für alle Sehsünder wie mich. Beauty as Punishment. Unerbittlich wie seinerzeit die Korrekturen von Joseph Beuys. Diese unerbittlichen Korrekturen machten »alles zunichte mit einem Handstreich oder Satz«. Beuys war kein sanfter Hüter kommunikativer Wellness. Imi Knoebel: »Da gab’s keine Diskussion weiter!« Trotz ihrer Unerbittlichkeit waren diese Korrekturen aber ebenso, wie Imi Knoebel auch berichtet, »immer einsehbar! Das war es ja!«153 Die Überprüfbarkeit der Moderne, die häufig in Abrede gestellt wird, lässt sich jedenfalls an solchen Beispielen einer Einsehbarkeit sui generis belegen. Diese Einsehbarkeit kann nicht sprachlich erzwungen werden, sie muss sich am Bild ausweisen. Man spricht dann von Evidenz. Wo immer jedenfalls diese Überprüfbarkeit wie im Werk Imi Knoebels gegeben ist, darf man eine Ernsthaftigkeit unterstellen, die der Schönheit, wie Kant postulierte,154 sogar den symbolischen Status des Guten zuwachsen lässt. Mehr als diesen symbolischen Status allerdings nicht. Aber was heißt hier schon, fragen wir uns als Zeit- und Kunstgenossen, d. h. als gebeutelte Schönheitserschöpfte, was heißt hier schon: ›mehr nicht‹? Der Verweisungscharakter von Zeichen hat auch nicht mehr als diese ›verweisende‹ Funktion zu bieten. Imi Knoebels Farben sind feuernde, manchmal auch blutende Zeichen wie die dunkelroten Splitter des Fensters einer Kathedrale vor ihrer Fassung in Blei. Die Überprüfbarkeit der Moderne: Imagination und Realität
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Sie dokumentieren: Verweisung ist möglich. Auch hier gilt: ›mehr nicht‹. Merkwürdig: Genau diese Verweisungseigenschaft, nicht physikalisch interpretierbar, nennen wir ›Geist‹. Er ist die Gründungsenergie unserer szenischen Existenz. Mehr nicht. Aber gerade das hat sich heute vergessen. Dem steht das Werk Imi Knoebels als résistance entgegen. Es steht im Dienste einer ästhetischen résistance gegen die Geistvergessenheit unserer Zeit. Das ist wiederum kein bloß subjektiver Eindruck des Autors dieser Zeilen, sondern, wie Hegel sagen würde, die Stimme des objektiven Geistes. Und diese Stimme hat Imi Knoebel für 2011 die Gestaltung und Installation von Fenstern in der Kathedrale von Reims zugesprochen, neben den Fenstern von Marc Chagall. Selbst wenn uns diese Stimme heute zunehmend unvernehmlich wird und leer erscheint, können wir aus dieser Leere dennoch fühlen lernen. Aber nur dann, wenn wir es uns angelegen sein lassen, unserem Gefühl für das Ganze, in dem wir sind, Kredit zu geben als uninterpretierte Stimme des Universums.
Wolfram Hogrebe
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IV Hat sich der syntaktische Expressionismus der Moderne erschöpft? Frank Stella und die Wiederkehr der Mimesis
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Hat sich der syntaktische Expressionismus der Moderne erschöpft? Frank Stella und die Wiederkehr der Mimesis
Die visuell verfasste Moderne hat sich häufig durch literarische ›Vorbilder‹ inspirieren lassen. Auch Frank Stella [Abb. 32] hat nicht erst mit seinen Kleist-Collagen, um die es hier an einem Beispiel gehen soll, eine Serie von Bildern geschaffen, die in einen literarischen Titelrahmen hineingestellt sind. Seine Moby Dick Series (1989) ließen sich ebenso schon von Herman Melvilles Buch inspirieren. Aber weder in diesem früheren Fall noch bei den KleistCollagen sollte man die Korrespondenzen zwischen literarischem Bildtitel und dem Bild selbst interpretativ allzu sehr belasten. Frank Stella ›illustriert‹ ja weder Melville noch Kleist, literarische Motive werden nicht mit malerischen Sujets beantwortet. Was Stella vielmehr gestaltet, ist gewissermaßen das ›Aroma‹ einer Lektüre von Melville oder Kleist, also die durchaus subjektive ›Atmosphäre‹, in die sich Stella durch die Texte versetzt fühlte, ihr übertragbarer ›Impuls‹, der sich ihm in ihnen erschlossen haben mag. Frank Stella hat diese bloß impressive Korrespondenz seinerzeit mit Blick auf Melville auch ausdrücklich 128 | 129
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Frank Stella.
33 Frank Stella, The Beggar Woman of Locarno, 1999.
hervorgehoben. Ihn beeindruckte z. B. Melvilles Fähigkeit, »gleichzeitig zu sehen und zu denken«. Sein Ziel sei es daher gewesen, »den Geist des ganzen Abenteuers einzufangen. Der wirkliche Kernpunkt ist für mich nicht das Detail, sondern der Impuls, um die Metaphorik zum Fließen zu bringen.«155 Mehr als eine solche Impuls-Orientierung wird man auch den Kleist-Collagen Stellas nicht unterstellen dürfen. Auch hier geht es gewiss nicht um Details, um eine Visualisierung narrativer Elemente, sondern allenfalls um eine ›Energieübertragung‹, um einen ›Impulstransfer‹. Wie stellt sich aber ein solcher Impuls in Stellas Kleist-Collage The Beggar Woman of Locarno dar, wie vermittelt er sich dem Betrachter? [Abb. 33] Um diese Frage zu beantworten, hält man sich am besten und zunächst an die Erzählung von Kleist selbst, gerade um ihren ›Impuls‹ zu ermitteln und sprachlich einzufangen. Worum geht es also in Kleists kleiner Erzählung? Ein Marchese, Herr eines Schlosses in der Nähe von Locarno, von der Jagd kommend, befiehlt einer alten, kranken Bettlerin, die aus Mitleid von seiner Frau in einem der Zimmer seines Schlosses auf ein Strohlager gebettet worden war, eher beiläufig, aber unwirsch, oder, Wolfram Hogrebe
wie es bei Kleist heißt, »unwillig«, sich von ihrem Lager zu erheben »und sich hinter den Ofen zu verfügen«.156 Die arme Kreatur erhebt sich mühevoll von ihrem Strohlager, »glitschte« dabei »mit der Krücke auf dem glatten Boden aus«, verletzt sich lebensgefährlich, schleppt sich gleichwohl noch hinter den Ofen, sinkt aber ebendort unter Ächzen und Stöhnen nieder und stirbt. Das Rohe und Erbarmungslose dieser gedankenlosen Anweisung des Marchese findet Jahre später seine Bestrafung in Spukereignissen. Zur mitternächtlichen Gespensterzeit werden in jenem Zimmer dreimal von mehreren Zeugen Geräusche vernommen: »[E]s war, als ob ein Mensch sich von Stroh, das unter ihm knisterte, erhob, quer über das Zimmer ging, und hinter dem Ofen, unter Geseufz und Geröchel niedersank.« Zweimal musste auch der Marchese diesen Spuk ertragen, beim letzten Mal zündet er, »vom Entsetzen überreizt«, sein Schloss an und kommt darin »auf die elendiglichste Weise« um. Spukgeschichten haben in der Regel mit ungesühnten Verbrechen zu tun. Auch hier zeigt Kleist, wie auf eine übernatürliche, Menschen jedenfalls nicht erklärliche Weise Gerechtigkeit vollstreckt wird. Ein solches überindividuelles Gerechtigkeitsvollstreckungsmuster findet Hat sich der syntaktische Expressionismus der Moderne erschöpft? Frank Stella und die Wiederkehr der Mimesis
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sich regelmäßig bei Kleist, sehr prägnant z. B. auch in seiner Erzählung Der Zweikampf (1811). Über alles von Menschen Einsehbare hinaus ereignet sich nach Art einer intervention du surnaturel (Mallarmé) eine Gerechtigkeit, die ansonsten unerreichbar erscheint. Sie ist jedenfalls, wie Kleist im Michael Kohlhaas (1810) prägnant dargestellt hat, von Menschen gerade nicht erzwingbar. Es müsste sich denn etwas Unerwartbares einstellen, um eine Ordnung zu beglaubigen, deren Herstellung nicht bewusst gelingen kann. Eine solche intervention du surnaturel hat daher geradezu magischen Charakter wie auch die Wirkung der Musik in Kleists Erzählung Die heilige Cäcilie (1810),157 oder sie erscheint als Spuk wie im Bettelweib von Locarno. Man muss nun sehen, dass in gewisser Weise eine solche Magie oder ein solches Spukgeschehen aller Kunst zugrundeliegt. Und zwar in einem dreifachen Sinne. Erstens trennen die Künste je nach ihrer Art, wie Magie oder Spuk, den Teppich unseres geschlossenen Wahrnehmungskontinuums auf. Sie lassen sehen, aber nicht hören (bildende Kunst), sie lassen hören, aber nicht sehen (Musik), sie lassen sehen, aber nicht wiedererkennen (abstrakte Malerei), sie lassen hören und verstehen, aber nicht wahrnehmen (Literatur), sie lassen sehen, hören und verstehen, aber nicht anfühlen (Film), sie lassen sich etwas ereignen, aber Ursachen lassen sich nicht erkennen (Magie, Spuk und Kunst). So liefern die Künste insgesamt Spukgebilde, vor denen wir uns nur deshalb nicht ängstigen, weil sie auf eine kollektive Wahrnehmung berechnet sind. Eine Überreizung unseres Entsetzens, wie es bei Kleist dem Marchese widerfuhr, findet normalerweise nicht statt, wenn man von gelegentlichen hysterischen Effekten dieser Art nach Erscheinen von Goethes Werther oder von der Wirkung der Musik Gloomy Sunday absieht. Aber noch in einem zweiten Sinne tritt in der Kunst ein magischer Charakter hervor, der ebenso als ein Wolfram Hogrebe
Spukgeschehen erfahrbar ist. Ich meine hier wieder den oben schon mehrfach angesprochenen Pygmalion-Effekt in der Endphase der künstlerischen Gestaltung. Frank Stella hat ihn so beschrieben, dass gegen Ende des Gestaltungsprozesses der Künstler die Rolle des ersten und einzig notwendigen Betrachters übernimmt. In einem prägnanten Moment schaut dann der Künstler auf das, was er produziert hat, und bemerkt, dass es lebt. Pablo Picasso und Klee hatten dies schon früher (Beuys übrigens ebenso) bestätigt. Diese seelenverleihende, animierende Betrachtung ist einzigartig. Sie bedeutet das Ende des schöpferischen Prozesses, sie ist so basal, dass sie, wie Stella bemerkt, gewissermaßen genetisch verankert erscheint (»guaranteed by genetic imprint«). In diesem Moment, »when the artist looks what he has made and sees it as alive«, ist das Kunstwerk in eine Selbständigkeit entlassen, die nicht mehr angetastet werden darf, auch vom Künstler nicht. Das Sinngebilde erhält eine Autonomie, die fast personalen Charakter hat, erst hier wird das Werk zum Kunstwerk: »Where there’s life, there’s art.«158 Von hier aus erklärt es sich auch, dass Stella gerade diese Lebendigkeit oder Vitalität als einzig notwendige Ingredienz aller Kunst bezeichnet (»vitality is the only necessary ingredient for art«). Oscar Wilde hatte auf dieses beseelende Moment literarisch die Probe gemacht, indem er das Bildnis von Dorian Gray altern ließ. Dass von diesem Befund aus eine ganz neue Theorie des Bildes möglich und notwendig ist, bezeugt ein in Arbeit befindliches neues Buch von Horst Bredekamp unter dem Titel Theorie des Bildakts. Über das Lebensrecht des Bildes. Bredekamp tritt in diesem Buch in einem völlig neuartigen Konzept dem gegenwärtig »herrschenden Zerebralzentrismus«159 entgegen, indem er das Bildsehen konsequent als Bilderfahrung begreiflich macht. Der Geist, der uns Bilder sehen lässt, lässt sich auch durch Bilder sehen.Sie sprechen uns an, schon bevor uns jemand Hat sich der syntaktische Expressionismus der Moderne erschöpft? Frank Stella und die Wiederkehr der Mimesis
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angesprochen hat. Daher kommt es, dass wir im Bild einem uralten Du ausgesetzt sind, das tief in unsere Vorvergangenheit reicht und von dem wir uns auch heute noch als elementar abhängig wissen. Ohne Anspruch von außen kein Ich. Bredekamp nimmt diese Drehung in unserem Weltverhältnis als Botschaft von Aby Warburg auf, der Bild und Symbol beschwörend zugute hielt: »Du lebst und thust mir nichts.«160 Dieses Eigenleben der Bilder, Echo unserer Zuwendung, das aber als Echo dennoch in rätselhafter Weise älter ist als unsere Zuwendung, ist ein ganz neues Fundament einer Theorie der Bilder. Bilder riefen uns schon auf, bevor wir sie noch als Bilder in eine Realität entließen, die aus bloßen Objekten besteht. Ein drittes und letztes Moment des magischen oder spukhaften Charakters der Kunst ist in der Tat in diesem zweiten Moment schon enthalten. Nicht nur der Künstler als der erste und einzig notwendige Betrachter, auch der spätere und allemal kontingente Betrachter gewinnt nur Zugang zu einem Kunstwerk, wenn er Anschluss an das findet, was man gleichsam seine Seele nennen könnte, seinen Impuls. Auch er muss es geschehen lassen, dass es ihm gleichsam wie ein personales Ereignis entgegentritt, dass es ihm wie ein autonomer Sprecher entgegentritt, der ihm einiges zu sagen hat, Winke geben kann, aber auch vieles für sich behält, das man nur erraten kann. Jedes Kunstwerk ist für das Publikum ein delphisches Orakel. Wenn wir unsere Beobachtungen im Ausgang von Kleist jetzt fokussieren, dann mag der gesuchte Impuls seiner kleinen Erzählung Das Bettelweib von Locarno in etwa der sein: Ein spukhaftes Echo einer elementaren, ›schreienden‹ Verfehlung bewirkt über alles von Menschen Erreichbare hinaus eine verzögerte Gerechtigkeit. In diesem Impuls-Schema muss nun das Echo nicht zwingend spukhaft gegeben sein, es ist nur erforderlich, dass eine ungesühnte Untat in irgendeiner verstörenden Weise memorial präsent bleibt. In die Aufgabe einer solchen Wolfram Hogrebe
verstörenden Präsenzerhaltung vergangenen Unrechts kann nun auch die Kunst eintreten. Und so in der Tat könnte Frank Stella seinen Impulstransfer bewerkstelligen. Es müsste ihm nur gelingen, eine visualisierbare Verstörungsform zu finden, die dieser Aufgabe gerecht werden könnte. Dies gelingt ihm, indem er in unerhört abstrakter Verdichtung ein Bild zitiert, das in seiner Weise das Unrecht des 20. Jahrhunderts in verstörender Präsenzerhaltung wie ein Spukgeschehen visualisiert hat. Ich meine hier Pablo Picassos Bild Guernica (1937). [Abb. 34] Wenn man beide Bilder nebeneinander betrachtet, wird diese visuelle Strategie Stellas bis in die Farb- und Formgebung nachvollziehbar. Er übersetzt die Bildenergie expressiv deformierender Mimesis bei Picasso konsequent in die Bildenergie seines syntaktischen Expressionismus. Dass Frank Stellas Kunstwerke keineswegs in einen hermetischen Raum hineinragen, der jeden Kontakt mit der Realität, auch geschichtlichen Realität, verloren hätte, bezeugen schon seine frühen Bilder Arbeit macht frei (1958), Die Fahne hoch! (1959), Reichstag (1958).161 Das Œuvre von Frank Stella bietet also auch Werke, die von einer politischen Ikonographie zu bearbeiten sind. Dazu gehört wohl auch die Kleist-Collage The Beggar Woman of Locarno. Jedenfalls folgt eine solche Interpretation Frank Stellas Devise: »The act of looking at a painting should automatically expand the sense of that painting’s space, both literally and imaginatively.«162 Stella sieht gerade in der enormen Ausweitung des visuellen Raumes durch die abstrakte Kunst deren Überlegenheit. Die traditionellen Bildräume der mimetischen Kunst haben ja immer Grenzen und erscheinen als Teilräume des universalen, aber abstrakten visuellen Raumes: »[A]bstraction today works to make its own space.«163 In diesem Raum erobern gerade seine jüngeren Arbeiten mit einem neuartigen, sich bis zu den KleistCollagen extrem verdichtenden Stil neue Bildräume, die Hat sich der syntaktische Expressionismus der Moderne erschöpft? Frank Stella und die Wiederkehr der Mimesis
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34 Pablo Picasso, Guernica, 1937.
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schon, obwohl abstrakt, die Illusion szenischer Räumlichkeit erreichen, die dem Betrachter ganze Dramen zu beherbergen scheinen. Stella selber spricht von »my new, illusionistic scenographic paintings«.164 An dieser Stelle ist ein Übergang zu wieder mimetischen Bildformen zumindest theoretisch antizipiert. Der szenische Charakter seiner Arbeiten verleiht ihnen, was man schon früh bemerkt hatte, etwas Architektonisches. Aber die Architektur, um die es hier geht, gehört zur Architektur im Sinne kosmischer Prozesse, explosiv oder zusammenstürzend. Der Wucht seiner Raumplastiken, ihren expressiven Farbausbrüchen kann sich niemand entziehen. Sie muten an wie Fragmente einer neuen Genesis, die im universellen, abstrakten Bildraum mit einer titanischen Geste etwas entstehen lässt, etwas einstürzen lässt, man weiß nicht, was. Vielleicht steht der Bildraum selber zur Disposition? Explodiert er oder implodiert er in den Werken Stellas? Jedenfalls atmet er in ihnen, er lebt in ihnen mit großer Gebärde, großzügig und herrisch zugleich, d. h. schön. Und wenn man es in kleiner Münze haben will: Stellas Werke sind nicht schön, sie sind sexy: »It is very hard for abstraction, or abstract figuration, to be sexy, and if it’s not sexy, it’s not art. Everyone knows that.«165 Ich denke, dass man den Darstellungsstil Stellas und der gesamten abstrakten Kunst mit dem Ausdruck syntaktischer Expressionismus gut charakterisieren kann. Damit wird sie von einem inhaltlichen, semantischen Expressionismus unterscheidbar, wie er für den klassischen Expressionismus kennzeichnend war. Genau dann würde der ehrgeizigen Ambition, die Stella für sich reklamiert, nämlich mit seiner Kunst eine produktive Verknüpfung von Kubismus und Renaissance zu etablieren,166 eine basale Stilmöglichkeit, eben als syntaktischer Expressionismus, vorgezeichnet sein. Und damit ineins wieder eine zumindest theoretisch denkbare Rückkehr zu mimetischen Bildformen. Wolfram Hogrebe
Mit seiner bildnerischen Ausschöpfung eines solchen syntaktischen Expressionismus war es seinerzeit zunehmend unwahrscheinlich, dass Stella sich der Erinnerung an seine Kleist-Lektüre in seiner Jugend entziehen konnte. Denn Kleists Werk ist seinem stilistischen Gestus nach ebenfalls von einem syntaktischen Expressionismus durchdrungen. Hier ist ein Gemeinsames in den Werken von Kleist wie von Stella wirksam, hier fasst sich eine anonyme Identität in ihrem Darstellungsstil, bezeichnet zwar, aber nicht begriffen und eben deshalb so faszinierend. Die syntaktische Kompaktheit, sprachlich bei Kleist und visuell bei Stella, bezeugt eine ästhetische Verwandtschaft, die beide Werke als Kompressionsfiguren mit hohem Innendruck erfahrbar macht. Dieser Druck lässt Botschaften aus ihren kompressiven Wort- und Formgefügen geradezu ›wetterstrahlend‹ (Kleist) herausfahren, vor denen man in Deckung gehen muss, um nicht ungeschützt getroffen zu werden. Es ist ein expressiv Abstraktes der Syntax auch bei Kleist, das diese Wirkung hat, und es kann überhaupt eine solche Wirkung nur von etwas Abstraktem abstrahlen. Ein verständliches literarisches Sujet, eine abbildende Bildlichkeit ist je für sich durch einen semantischen Schleier um diese Wirkungsmöglichkeit gebracht. Bekannter Sinn storniert. Wenn es denn immer ein Abstraktes, ein Anonymes, ein Unverständliches (real unknown) ist, das wirkt, dann wird auch klar, dass mimetische Kunst nicht deshalb beeindruckt, weil sie mimetisch ist, d. h. diese oder jene Gegenstände zeigt, sondern dass sie es auf eine Weise tut, die wieder abstrakt ist, jedenfalls nicht gegenständlich. Im Wie des Zeigens kann auch ein mimetisch Gezeigtes erst beeindrucken. In diesem Sinne ist auch alle gegenständliche Kunst zugleich abstrakt. Dafür stehen auch die Bilder des irischen Malers Francis Bacon (1909 – 1992), die geradezu quälend auf Kosten des Menschen in der Schwebe lassen, ob sie denn Hat sich der syntaktische Expressionismus der Moderne erschöpft? Frank Stella und die Wiederkehr der Mimesis
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35 Frank Stella vor der Wandtafel, 2001.
aus dem Figürlichen in den syntaktischen Expressionismus zurückstürzen oder aus ebendiesem ins Figürliche erst auftauchen. Insofern hat auch Stella recht, wenn er die notwendige Frage stellt, »whether abstraction is more than a necessary ingredient in the development of twentieth-century art«.167 Der Verpflichtung, ein Abstraktes, Anonymes hervortreten zu lassen, kann sich die Kunst auch da, wo sie gegenständlich ist, nicht mehr entziehen. Wir haben noch nicht begriffen, was das besagt, auch Stella nicht: »What we want to understand is the relationship of abstraction to the meaning and future of modernism.«168 Am 26. 3. 2001 erklärte Frank Stella an der Kunsthochschule in Weimar folgende drei Prozesse als Feinde der Kunst (enemies of art): representation reproduction recreation [Abb. 35] Wolfram Hogrebe
In der Tat: Selbst wenn sich in der Gegenwart wieder eine mimetische Expressivität meldet, muss sie diese dreifache Re-Struktur meiden. Sie wird folglich in dem Sinne abstrakt bleiben, wie es der beuysianische Blick verlangt. Eine ›affirmative Mimesis‹ wird es nicht mehr geben. Der Bezug auf irgendetwas bleibt auch da erhalten, wo Illusionen des Gegenständlichen im aufgespreizten Fächer der sich selbst überholenden Moderne wieder erscheinen. Allerdings ist die normative Einhegung des syntaktischen Expressionismus, wie sie Frank Stella in Weimar vorgeführt hat, für eben diesen natürlich höchst kontraproduktiv. Wo Normen sind, und da wird der Impuls der Moderne lange wirksam bleiben, wird zerstört. Das ist sich selbst eine endende Moderne noch schuldig. Man möchte meinen, Frank Stella habe seine künftigen mimetischen Kritiker selber schon heute mit Lust provoziert: Zerstört mich doch, ihr mimetischen Zwerge! Hat sich der syntaktische Expressionismus der Moderne erschöpft? Frank Stella und die Wiederkehr der Mimesis
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Ein Rezensent des Frühwerks von Stella kritisierte ihn einmal mit der Feststellung: »These paintings are semi-icons for a spiritual blank. They make Mr. Stella the Oblomov of art, the Cézanne of nihilism, the master of ennui.«169 Gewiss, dieser Kritiker wollte die geometrischen Exerzitien des frühen Stella treffen, mit denen er sich von Jackson Pollock und anderen Heroen seiner Jugend absetzen musste. Ob dieser Kritiker heute noch so quietistische Vokabeln wie ›Oblomow der Kunst‹, ›Cézanne des Nihilismus‹ oder ›Meister des ennui‹ verwenden würde, darf bezweifelt werden, aber schöne Wendungen waren es trotzdem. Sie lassen erkennen, welch extreme Ausdrucksspannweite das Œuvre von Stella umfasst. Er begann geometrisch und monochrom schwarz und ließ schließlich Form und Farbe explodieren. Beides gehört zu seinem Impuls. Vielleicht noch anderes? 1960 trug ein Bild von ihm den Titel Avicenna.170 War das eine frühe Verheißung? Erschließt sich von Avicenna (980 – 1037), diesem großen aristotelisch-platonischen Denker und Arzt Persiens, ein metaphysischer Zugang zur modernen Kunst, zur Kunst von Frank Stella? Müssen wir auf Avicennas Neufassung der Form/Materie- und Akt/Potenz-Distinktion zurückgehen und in seinem Gedanken, dass im Stoff der Möglichkeit nach schon alle seine Formen enthalten sind, einen Schlüssel für ein neues Verständnis der modernen oder gar zukünftigen Kunst erkennen? Kunsthistoriker lieben solche Spekulationen nicht, aber Frank Stella hat mit seinem Bild Avicenna ja ausdrücklich die Philosophen angesprochen. Sie dürfen sich daher auch angesprochen fühlen. Und sie tun es. Und da sie es tun, dürfen sie auch ihrem Gefühl Ausdruck verleihen, dass mit so extrem kondensierten und konzentrierten Werken wie denen von Frank Stella das abstrakte Paradigma der Moderne, wenn man es denn Wolfram Hogrebe
insgesamt unter dem Titel eines ›syntaktischen Expressionismus‹ fassen kann, ausgereizt ist. Dafür steht in der Tat das Spätwerk von Frank Stella, das mit seiner Kleist-Serie Ende der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts beginnt. Seine Bilder entwickeln sich in ihrer exzessiv bunten Expressivität zu wahrhaften Schreien nach Mimesis, der sie sich dennoch versagen müssen. Als Beispiel sei hier das Bild The Earthquake in Chili/Das Erdbeben in Chili aus dem Jahr 1999 angeführt. [Abb. 36] Das Extreme dieses Paradigmas ist bei Frank Stella und anderen erreicht und damit stirbt diese Formmöglichkeit nicht abrupt, aber langsam und ›ausfransend‹. Was folgt, ist tatsächlich eine Renaissance der Mimesis: mit leichter Hand, von infantiler Farbigkeit und völlig ziellos. Auch diese Rückkehr steht nicht wie eine Wand vor uns, sondern quasi ›einfransend‹. Die neue Bildlichkeit tritt in künstlicher Kindlichkeit wieder ans Tageslicht einer sich selbst spielerisch verlierenden Moderne. Das neue expressive Format bedient sich ungeniert der Ausdrucksmittel einer geradezu infantilen Farbigkeit, ja eines flagranten Kitsches. Dieser ist, wie einigermaßen drastisch bei Jeff Koons (*1955) oder auch weniger prominent, aber erbarmungslos synkretistisch bis zum gewollten Plagiat bei Glenn Brown (*1966) oder, wieder prominenter, bei dem Kolumnisten eines politischen Surrealismus Neo Rauch (*1960), genau die Lizenz, mit der sich Farbe und Bild wieder ins Offene nach der Moderne drängen. Das gilt nicht nur für die expressiven Tableaus in Europa, den USA und Südamerika, sondern ebenfalls für die weltmarktgängigen in China und Indien. Infantile Mimesis und gewollter Kitsch gehören zusammen zu den Indikatoren einer definitiv vergangenen Moderne und ihrer rätselhaften Verpuppung in der Niemandsbucht. Natürlich kann man nicht wissen, welche Bild-, Satz- oder Klanggebilde uns hier in Zukunft aus rußenden Sonnen entgegenflattern werden. Hat sich der syntaktische Expressionismus der Moderne erschöpft? Frank Stella und die Wiederkehr der Mimesis
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36 Frank Stella, The Earthquake in Chili, 1999.
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37 Joseph Beuys, Das Ende des 20. Jahrhunderts, 1982/83.
Das sinnliche Scheinen der intentionalen Unbestimmtheit, Kennzeichen des Beuysianismus, wie wir ihn oben skizziert haben, bleibt allerdings auch für die wiedererstandene mimetische Kunst erhalten. Trifft das zu, tritt uns auch in neorealistischen Bildern wie solchen von Anke Doberauer (*1962) ein real unknown entgegen, ohne das große Kunst nun einmal nicht existieren kann. Hatte Joseph Beuys das 20. Jahrhundert noch in einer neuen Steinzeit enden lassen, [Abb. 37] halten Figuren der neuen Mimesis wie bei Anke Doberauer [Abb. 38] Ausschau nach Neuem, berechtigterweise ohne jede Ahnung, was das sein könnte. Man muss ja auch damit Wolfram Hogrebe
rechnen, dass die ersehnte Ankunft eines Neuen bloß die Ankunft eines Alten ist, bloß deshalb, weil wir es als Überkontrastierte nicht wiedererkennen können. Es könnte dann auch sein, dass unsere alte Natur wieder hervortritt, ja vielleicht sogar noch Älteres, als wir sind. Joseph Beuys war für diese Tiefenoptik geradezu hellsichtig sensibel. Und damit sind wir am Ende zugleich da, wo jeder Gedanke und jedes Bild seinen Ausgang nimmt, nämlich bei der uns szenisch zuvorgekommenen Transparenz der Welt. Hierfür steht das Œuvre von Joseph Beuys, besonders prägnant schon die Druidin, die er 1951 in betörender Durchsichtigkeit, d. h. mit Wasserfarbe auf Hat sich der syntaktische Expressionismus der Moderne erschöpft? Frank Stella und die Wiederkehr der Mimesis
38 Anke Doberauer, Sonnenuntergang, 2006 (Detail).
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39 Joseph Beuys, Druidin, 1951.
Transparenzpapier gemalt hatte. [Abb. 39] Diese Ahnungsgestalt unterhalb abstrakter oder mimetischer Konturen indiziert: objet ambigu und subjet ambigu sind ursprünglich indifferent. Ob etwas als Subjekt oder Objekt hervortritt, ist anfänglich unentschieden und uns entzogen. Dieser Entzug konstituiert sich zuerst in expressiven Möglichkeiten, in Klang, Bild und Geste. Hier zuerst Wolfram Hogrebe
konkretisiert sich eine Transparenz, in der wir uns und alles sonst hernach auch sprachlich finden können. Insofern umfasst der Beuysianismus eine Totalität, die aber bloß ein anderer Ausdruck für eine uninterpretierte Korrespondenz ahnender Sinne ist.
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Nachbemerkung
Im dritten Buch von Wilhelm Meisters Wanderjahren notiert Goethe am Ende des Romans in den Aufzeichnungen aus Makariens Archiv: »[W]as in sich eine Entfernung erduldet, tritt von sich selbst weg: Stärke von Stärke, Wärme von Wärme, Kraft von Kraft; so auch Schönheit von Schönheit.«171 Diese Bemerkung stammt nicht von Goethe selbst. Es handelt sich um seine Übertragung einer Stelle aus Plotins Enneaden.172 Die Aussage bündelt die Einsicht, dass das, was aus seinem Zentrum heraustritt, zwar allgemeiner, aber zugleich schwächer wird. Der Gewinn ist seine Ausbreitung, aber um den Preis seiner Intensität. So verliert eben auch das Schöne an Strahlkraft, wenn sie sich aus ihrem Zentrum, wie immer dies beschaffen sein mag, ins Weite verliert. Man mag die Allgemeinheit dieser Bemerkung bis in politische Machtverhältnisse hinein ausbuchstabieren, auch in physikalische Felder emittierender Energiezentren, die Bilanz ist jedesmal dieselbe. Auch Pole kultureller Energien, so diffus sie in ihren Kernen zu fassen sind, 150 | 151
verlieren ihre überzeugende Kraft, wenn das, was von ihnen ausgeht, sich weithin und immer wieder manifestiert. Dieses Schicksal wird daher auch die Moderne betreffen, wenn sie denn ihr Zentrum in einer Selbstbehauptung gegenüber überkommenen Formen hat. ›Erduldet sie in sich eine Entfernung‹, wie Goethe Plotin übersetzt, ›tritt sie von sich selbst weg‹. Auch die Kraft der Moderne verliert sich in ihrer Diffusion. Globalisierung ist ihr thermodynamisches Ende. Diese Abschwächung der Moderne konnte man schon seit langem bemerken. Sie selbst ist ja inzwischen so allgemein geworden, dass von ihr keine Kräfte mehr ausgehen, die auf eine für ihre Wirksamkeit erforderliche Energiedifferenz zwischen Idee und Faktizität zurückzuführen sind. Dafür sind, wie wir es in diesem Buch skizziert haben, die expressiven Felder gute Indikatoren. Was es jetzt braucht, sind Ideen, die ein großes Gefälle zur Realität aufweisen, um neue kulturelle Energien freizusetzen. Solche Ideen sind allerdings nie wirklich neu. Sie schlummern vielmehr in den kritischen Potenzialen der Vergangenheit und werden durch die Verhältnisse plötzlich nur gleichsam ›wachgeküsst‹. Solange sich solche Ideen aber nicht zeigen, gibt es für das Selbstverständnis einer Zeit und ihre Expressivität keine Wahl: Sie muss einstweilen um ihrer selbst willen ihre Schätzung beanspruchen. Das ist historisch schon mehrfach der Fall gewesen, zuletzt im ausgehenden 19. Jahrhundert. Die später vielgeschmähte Formel l’art pour l’art war exakt die Formulierung, um dieser Verlegenheit in einer Phase ausbleibender Ideen Ausdruck zu verleihen. Diese Situation ist jetzt nach dem Ende der Postmoderne wieder gegeben. Insofern könnte diese Formel faute de mieux wieder gute Dienste leisten. Einer, der das in gewisser Weise schon früher erkannt hatte, war Walter Benjamin: »[D]as l’art pour l’art ist ja fast niemals buchstäblich zu nehmen gewesen, fast Beuysianismus. Expressive Strukuren der Moderne
immer eine Flagge, unter der ein Gut segelt, das man nicht deklarieren kann, weil der Name noch fehlt.«173 So wird niemand erwarten, dass ausgerechnet ein Philosoph die Zollgeschäfte für das Überschreiten der Grenze in eine Zukunft nach der Moderne erleichtert, indem er die Tarifierung des neuen Gutes durch eine waghalsige Namenfindung ermöglicht. Er weiß ohnehin, dass diese Namenfindung nur nachträglich erfolgen kann. Kulturelle Grenzüberschreitungen auch in die Zukunft transportieren daher einstweilen und auf unabsehbare Zeit immer nur ein anonymes Gut. Das mag als Schwäche des philosophischen Zeitinterpreten verstanden werden. Aber er weiß ja auch, dass es andere besser wissen. Diese simple Demut lernte er schon aus Goethes Torquato Tasso, diesem bittersten Drama einer scheiternden, aber notwendigen Anerkennungsverweigerung. Diese klandestine Lehre aus Zeiten einer Klassik des blutenden Herzens sollte gegen den seit Hegel so wohlgefälligen Annerkennungskult festgehalten werden. Denn gerade dieser führte bis in unsere Tage zu mentalen Verzerrungsmustern einer nachgebenden, d. h. völlig kraftlos werdenden Aufklärung, die allenfalls noch zum Protest ohne Passion den Mut hat. Die Passion, um die es hier geht, um die es immer geht, ist die aus dem Ernst, zu dem Menschen fähig sind. Dem hat auch der Philosoph Rechnung zu tragen. Dazu hatte mich schon 1977 Peter Handke, Dichter meiner Generation, brieflich aus Paris aufgefordert. Dadurch, so schrieb er, wird »Ihr Denken abenteuerlicher als das allgemeine triviale Gekröse, das so erpresserisch wie tyrannisch, so gravitätisch wie nichtssagend ist«.174 Dieses Ansinnen, so freundlich es damals gemeint war, blieb doch eine schwere Bürde. Aber, wenn wir ehrlich sind und uns tatsächlich dem eingeforderten Ernst der Stunde eines Endes unserer Meditationen über Bilder nähern, Sehanleitungen als Denkanleitungen tatsächlich ernst nehmen, Nachbemerkung
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dann müssen wir zugeben, dass wir von einem heute leider weithin vergessenen Denken der Menschen reden, einem Denken, das nur in einem nicht festgelegten Vokabular möglich ist. Sehen, Denken und Freiheit sind hier und ursprünglich eins. Erst hier beginnt Philosophie. Deshalb wird das Denken, trotz aller Tarifierungsprobleme, erst am Ende, wenn es Glück hat, erhellend, d. h. ›graziös‹ (Volker Beeh). Denken ist wie der Ritt Parzivals durch den Winterwald. Auch er musste sein festlegendes Vokabular, d. h. die Zügel seines Pferdes, am Ende freigeben, um den Gral zu finden.175 Alles wirklich Neue bleibt lange ohne Namen. Es selber will auch keinen, solange es die Kraft hat, nur zu sein.
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Anmerkungen 1 Vgl. Judith Rottenburg, Henning Arnecke (Hg.), Re-Visionen der Moderne.
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Begegnungen mit Heinrich Klotz, München 2010, vgl. hier das Vorwort von Peter Sloterdijk, S. 7. Die folgenden Zitate sind entnommen Kurt Flasch, Zeitgrenzen, in: Wolfram Hogrebe (Hg.), Grenzen und Grenzüberschreitungen, Berlin 2004, S. 843 – 853, hier bes. S. 846. Ebd., S. 844. Ebd., S. 849. Ebd., S. 847. Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Philosophie der Kunst, Darmstadt 1980, S. 137. Ebd. Peter Handke, Mein Jahr in der Niemandsbucht, Frankfurt a. M. 1994. Ebd., Spuren der Verirrten, Frankfurt a. M. 2006. Vgl. hierzu Ernst Kantorowicz, Die Souveränität des Künstlers (The Sovereignity of the Artist), in: ders., Götter in Uniform. Studien zur Entwicklung des abendländischen Königtums, hg. v. Eckhart Grünewald u. Ulrich Raulff, Stuttgart 1998, S. 329 – 348. Im conditiven Sinne wird die fictio zur figura veritatis. Vgl. Dieter Henrich, Endlichkeit und Sammlung des Lebens, Tübingen 2009, S. 53. Handke, Spuren der Verirrten (Anm. 9), S. 64. Ebd., S. 71. Vgl. Hans Blumenberg, Nachahmung der Natur. Zur Vorgeschichte des schöpferischen Menschen, in: Studium Generale 5, 1957, S. 266 – 284; wieder abgedruckt in: Hans Blumenberg, Wirklichkeiten in denen wir leben, Stuttgart 1981, S. 55 – 103, hier S. 94. Heidegger hatte sich übrigens diese Passage aus Paul Klees Text Schöpferische Konfession ebenfalls exzerpiert. Vgl. hierzu Günter Seubold, Heideggers nachgelassene Klee-Notizen, in: Heidegger Studies 9, 1993, S. 5 – 12. Dieter Blume, Regenten des Himmels. Astrologische Bilder in Mittelalter und Renaissance, Berlin 2000, S. 86. Vgl. Lynn Thorndike, A History of Magic and Experimental Science, Bd. II, New York 1923, S. 948 – 968. Die Gründe für Ceccos Verurteilung sind aus den Akten nicht eindeutig zu rekonstruieren. Vgl. dazu Ernst Cassirer, Individuum und Kosmos, Gesammelte Werke (Hamburger Ausgabe), Bd. 14, Hamburg 2002, S. 124: »Cecco d’Ascoli hat im Jahr 1327 den Versuch, die Nativität Christi zu stellen, mit dem Tod durch den Scheiterhaufen gebüßt. Burckhardt sagt von diesen Versuchen, daß sie in ihren weiteren Folgen ›eine förmliche Verfinsterung alles Übersinnlichen‹ mit sich führen mußten.« (Vgl. auch Jacob Burckhardt, Die Cultur der Renaissance in Italien, Bd. II, S. 243). Dass dieses Szenario so realitätsfern nicht ist, wie es sich prima vista liest, bezeugt der Versuch für eine Dokumentation des US-Fernsehens, aus DNASpuren des Turiner Grabtuchs Daten für eine 3D-Visualisierung des Corpus Christi zu gewinnen (YAHOO-Nachrichten vom 31. 3. 2010 mit Berufung auf die New York Post). Beuysianismus. Expressive Strukuren der Moderne
18 Vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der
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Philosophie III, in: ders., Werke, hg. v. Eva Moldenhauer u. Klaus Markus Michel, Bd. 20, Frankfurt a. M. 1971, S. 21: »Die Leben und Taten Christi behandelte er astrologisch.« Darauf hat mich freundlicherweise Thomas Sören Hoffmann aufmerksam gemacht, ebenso auf die Studie von Ornella Pompeo Faracovi, Gli oroscopi di Cristo, Venedig 1999. Cassirer, Individuum und Kosmos, Gesammelte Werke, Bd. 14 (Anm. 16), S. 123. Vgl. Pietro Pomponazzi, Libri quinque de fato, hg. v. Richard Lemay, Bd. II, Lucani 1957, Kap. 7, S. 192. Vgl. Karin Figala, Newton as Alchemist, in: History of Science 15, 1977, S. 102 – 137. Es ist darüber hinaus immer noch ein denkwürdiger Umstand, dass sich in dieser Hinsicht auch eine Verwandtschaft zwischen Newton und Leibniz ermitteln lässt, die eher unbemerkt geblieben ist, aber einer näheren Untersuchung bedürfte. Ich meine hier den Einfluss von Henry More mit seinen kabbalistischen Gedanken auf Newton und Leibniz. Für die Entwicklung der Monadentheorie von Leibniz hat Walter Feilchenfeld schon 1923 den Einfluss von More nachgewiesen. Vgl. Walter Feilchenfeld, Leibniz und Henry More, in: Kant-Studien XXVIII, 1923, S. 323 – 334; vgl. ferner den Artikel Newton, in: Jürgen Mittelstraß (Hg.), Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, Bd. 2, Mannheim 1984, S. 1001. In Newtons Gleichsetzung des absoluten Raumes mit der Allgegenwart Gottes vermuten Jürgen Mittelstraß und Klaus Mainzer ebenfalls den Einfluss Mores. Timothy Williamson, Knowledge and Its Limits, Oxford 2000. Vgl. S. 301: »We are only beginning to understand the deeper limits of our knowledge.« Cusanus ist dem Autor allerdings unbekannt – zumindest nennt er ihn nicht. Joachim Bromand, Philosophie der semantischen Paradoxien, Paderborn 2001. Ders., Grenzen des Wissens, Paderborn 2009. ›Entmystifizierung‹ meint hier: Die Eigenart der Grenzen des Wissens lässt sich als ein einfacher Tatbestand erklären. Diese Einfachheit ist aber selbst sehr rätselhaft. Damit werden die Grenzen des Mystischen, so wie sie Wittgenstein diagnostiziert hatte, nur verschoben, nicht aufgehoben. Wolfram Hogrebe, Echo des Nichtwissens, Berlin 2006. Vgl. Kurt Flasch, Nikolaus von Kues. Geschichte einer Entwicklung, Frankfurt a. M. 1998. Wichtig (für mich besonders, weil er mein philosophischer Lehrer war) ist immer noch die unter Anleitung von Ernst Cassirer verfertigte Dissertation: Joachim Ritter, Docta Ignorantia. Die Theorie des Nichtwissens bei Nicolaus Cusanus, Berlin 1927. Spinoza, Ethik, hg. u. übers. v. Wolfgang Bartuschat, Hamburg 1999, S. 88f. (Pars Prima, De Deo). Vgl. auch den Schluss der Ethik: »Wer nämlich unwissend ist, lebt, außer daß er von äußeren Ursachen auf vielfache Weise umhergetrieben wird und nie seinen inneren Frieden findet, auch in einer Weise, daß er von sich, von Gott und von den Dingen fast nichts weiß; er ist einer, der, sobald er aufhört, etwas zu erleiden, zugleich auch aufhört zu sein.« (S. 595) Für Spinoza ist der Status des Nichtwissens offenbar so etwas wie ein habitueller Masochismus: Wenn das Leiden aufhört, endet das Existieren. Anmerkungen
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Anmerkungen 29 Antonio Damasio, Looking for Spinoza. Joy, Sorrow and the Feeling Brain,
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New York 2003; dt. ders., Der Spinoza-Effekt. Wie Gefühle unser Leben bestimmen, München 2003. Ebd. (dt. Ausgabe), S. 21. Birgit Sandkaulen, Selbst und Selbsterhaltung: Spinoza im Blick der Neurowissenschaften, in: Studia Spinozana 15, 1999, Rotterdam 2006, S. 231 – 244. Vgl. bes. S. 243: »Die Frage ist dann aber die, wie die mentale Repräsentation des Gehirns […] überhaupt auf den Gedanken kommt, daß der Geist nicht nur Streben nach Selbsterhaltung spiegelt, sondern, sofern er Geist ist, sich zu dem, was er spiegelt, selber noch einmal verhalten kann.« Vgl. Cassirer, Individuum und Kosmos, Gesammelte Werke, Bd. 14 (Anm. 16), S. 29: »Jedes Element, jedes natürliche Sein ist daher, wenn wir es dem göttlichen Ursprung des Seins vergleichen, diesem Ursprung gleich fern und gleich nah. Es gibt jetzt kein ›Oben‹ und ›Unten‹ mehr.« Vgl. Cusanus, De docta ignorantia, lib. 2, 11: ›nullibi habens centrum‹ (Cassirer, Individuum und Kosmos (Anm. 16), S. 205). Horst Bredekamp, Vicino Orsini und der heilige Wald von Bomarzo, Worms 1991², S. 45. Vgl. Thomas Sören Hoffmann, Philosophie in Italien, Wiesbaden 2007. Zu Cardano vgl. S. 265ff. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III (Anm. 18), S. 19. Ebd., S. 20f. Für sachdienliche Gespräche danke ich Franz-Joachim Verspohl (dessen Privatbibliothek verdanke ich 2001 auch meine erste Bekanntschaft mit der Zeichnung Michelangelos), Horst Bredekamp, Ulrich Rehm, Thomas S. Hoffmann und Guido Kreis. Vgl. Hogrebe, Echo des Nichtwissens (Anm. 26), S. 240ff. Die hier vorgenommene Einbettung der Bildbeschreibung Michelangelos in die Frage nach dem Bösen habe ich inzwischen aufgegeben. Diese Fassung findet sich zuletzt auch noch in meinem Beitrag Lassen sich philosophische Gedanken visualisieren?, in: Gottfried Boehm, Horst Bredekamp (Hg.), Ikonologie der Gegenwart, München 2009, S. 67ff. Vittoria Colonna, Carteggio, hg. v. Ermanno Ferrero u. Giuseppe Müller, Turin 18922. So Kristina Hermann-Foree, als »nicht ganz schlüssig« mitgeteilt von Sylvia Ferino-Pagden, Zu Michelangelos Zeichnungen für Vittoria, in: dies. (Hg.), Vittoria Colonna. Dichterin und Muse Michelangelos, Wien 1997, S. 446ff. (Ausstellungskatalog des Kunsthistorischen Museums Wien). Leonardo da Vinci, Traktat von der Malerei, übers. v. Heinrich Ludwig, hg. v. Marie Herzfeld, Jena 1909, S. 195 (Nr. 420). Reiner Haussherr, Michelangelos Kruzifixus für Vittoria Colonna, Opladen 1971. Ähnlich argumentiert noch Ernidio Campi, Kruzifixus und Pietà Michelangelos für Vittoria Colonna. Versuch einer theologischen Interpretation, in: Ferino-Pagden (Hg.), Vittoria Colonna (Anm. 40), S. 405 – 412, bes. S. 407. Zit. nach Haussherr, Michelangelos Kruzifixus für Vittoria Colonna (Anm. 42), S. 14f. Ebd., S. 24. Beuysianismus. Expressive Strukuren der Moderne
45 Ebd., S. 18. 46 Ebd., S. 12. 47 Vgl. Herbert von Einem, Michelangelo und die Antike, in: ders., Stil und
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Überlieferung, Düsseldorf 1971, S. 156. Hierauf weist auch Haussherr, Michelangelos Kruzifixus für Vittoria Colonna (Anm. 42), S. 15, hin. Leider ohne diesen Bezug konstatiert noch Michael Hirst »the significant fact […] that Michelangelo here portrayed a living Christ on the Cross, the upturned head is the artist’s final tribute to the Laocoon«.. (Michael Hirst, Michelangelo and His Drawings, New Haven/London 1988, S. 118). Quintilian, Institutionis Oratoriae Libri XII, hg. u. übers. v. Helmut Rahn, Zweiter Teil, Darmstadt 1975, S. 642f. (XI 3, 92 u. 93). Vgl. hierzu Ursula Maier-Eichhorn, Die Gestikulation in Quintilians Rhetorik, Frankfurt a. M. 1989. Ulrich Rehm, Stumme Sprache der Bilder. Gestik als Mittel neuzeitlicher Bilderzählung, München/Berlin 2002, S. 98. Carl Justi, Michelangelo, Berlin 1909, S. 369ff. Vgl. Eduard Spranger, Nemo Contra Deum Nisi Deus Ipse, in: ders., Goethe. Seine geistige Welt, Tübingen 1967, S. 416 – 439. Vgl. hierzu die Ausführungen Carl Schmitts in: ders., Politische Theologie II [1970], Berlin 1996, Nachwort S. 85ff. Hans Blumenberg, Arbeit am Mythos, Frankfurt a. M. 1979, S. 579. Giorgio Vasari, Lebensbeschreibungen der ausgezeichnetsten Maler, Bildhauer und Architekten der Renaissance, Berlin 1911, S. 396. Vgl. Ernst Tugendhat, Gleichheit und Universalität in der Moral, in: Marcus Willaschek (Hg.), Moralbegründung und Gerechtigkeit. Vortrag und Kolloquium in Münster 1997, Münster 1997, S. 17. Vgl. hierzu Hogrebe, Echo des Nichtwissens (Anm. 26), S. 105ff., S. 199ff. Hegel, Enzyklopädie § 410, in: ders., Werke, Bd. 10 (Anm. 18), S. 186. In diese Problemzone gerät am Ende jedes Begründungsprogramm der Philosophie. Ohne ein ultimatives Wollen gibt es keinen Sinn- oder Wertbezug. Vgl. Carl Friedrich Gethmann, Protologik, Frankfurt a. M. 1979, S. 40. Gerhard Kaiser, Ist der Mensch zu retten? Vision und Kritik der Moderne in Goethes ›Faust‹, Freiburg 1994. Johann Wolfgang Goethe, Faust I, in: ders., Gesammelte Werke (Hamburger Ausgabe), hg. v. Erich Trunz, Bd. 3, Hamburg 1967, Vers 283f. Kaiser, Ist der Mensch zu retten? (Anm. 59), S. 19. Diese Entzweiung mit dem Überkommenen hat Hegel als die Signatur der Moderne begriffen. Vgl. hierzu die immer noch unüberholte Analyse von Joachim Ritter, Hegel und die französische Revolution, in: ders., Metaphysik und Politik, Frankfurt a. M. 1969, S. 183ff. Vgl. Kaiser, Ist der Mensch zu retten? (Anm. 59), S. 16. Goethe, Faust II, 5. Akt, Vers 11128 – 11131. Ebd., Vers 11696 zum Chor der Engel: »Es sind auch Teufel, doch verkappt.« Oder auch Vers 11769: »Ihr schönen Kinder, laßt mich wissen: Seid ihr nicht auch von Luzifers Geschlecht?« Ebd., Vers 11738. Ebd., vgl. Vers 11698ff.: Chor der Engel, Rosen streuend: »Flatternde, schwebende […]«. Anmerkungen
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Anmerkungen 68 Ebd., Vers 11741: Meph., Sich mit den schwebenden Rosen herumschlagend. 69 Ebd., Vers 2712. 70 Ebd., Vers 11620 – 11633. 71 Diese Sehnsucht kann sich übrigens zu einer typisch deutschen Krankheit
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auswachsen. Vgl. dazu Wolfram Hogrebe, Riskante Lebensnähe. Die szenische Existenz des Menschen, Berlin 2009. Kaiser, Ist der Mensch zu retten? (Anm. 59), S. 64. Vgl. ebd., S. 52. Zu Vers 11583: Goethe, Gesammelte Werke (Anm. 60), Bd. 3, S. 620. Kaiser, Ist der Mensch zu retten? (Anm. 59), S. 64f. Goethe, Faust II, Vers 11591/92. Ebd., Vers 11936/37. Kaiser, Ist der Mensch zu retten? (Anm. 59), S. 96. Goethe, Faust II, Vers 317. Diese surreale Begabung bezeugt schon Goethes Märchen in betörender Suggestivität. Goethe, Faust II, Vers 11794 – 11800. Franz Kafka, Amerika, Letztes Kapitel, in: ders., Die Romane, Berlin 1966, S. 217ff. Ebd., S. 236. Thomas Mann, Doktor Faustus. Das Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn, erzählt von einem Freunde, Berlin 1963, S. 526. Ebd., S. 542. Lautréamont, Die Gesänge des Maldoror, Hamburg 1996, S. 150. Jean Genet, Notre-Dame-des-Fleurs, Hamburg 1965 (franz. Paris 1951), S. 228. Botho Strauss, Die Unbeholfenen. Bewußtseinsnovelle, München 2007, S. 54. Vgl. hierzu die umfassende Studie von Bernd Roling, Locutio angelica, Leiden 2008. Vgl. zum Thema ebenso Theo Kobusch, The Language of Angels: On the Subjectivity and Intersubjectivity of Pure Spirits, in: Isabel Iribarren, Martin Lenz (Hg.), Angels: Their Function and Significance in Medieval Philosophical Inquiry, Aldershot 2008, S. 131 – 142. Vgl. Roling, Locutio angelica (Anm. 89), S. 152 – 162, S. 649 et passim. Ebd., S. 646 (zu Friedrich Adam Scholler). Rainer Maria Rilke, Gesammelte Gedichte, Frankfurt a. M. 1962, S. 441. Ebd., S. 455. Vgl. Charles Baudelaire, Théophile Gautier, in: ders., Aufsätze, übers. von Charles Andres, München 1960, S. 61. Vgl. Armin Zweite, Strategien gegen die Indifferenz. Vier Beispiele heutiger ästhetischer Produktion, in: Gottfried Boehm, Horst Bredekamp (Hg.), Ikonologie der Gegenwart, München 2009, S. 131 – 175. Armin Zweite, der sich außerordentliche Verdienste um die Moderne als Chef der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf erworben hat, seit er wie mit einem Paukenschlag das letzte Werk von Joseph Beuys’ Palazzo Regale gleich zu Beginn seiner Amtszeit erworben hatte, stellt sich in diesem Aufsatz die Frage, wie sich die Bestimmung der gegenwärtigen Kunst angesichts des Umstandes angeben lässt, dass das Projekt der Aufklärung ausgereizt ist: »Die Emanzipationshorizonte sind verdunkelt, ja vielleicht gibt es sie nicht mehr.« (S. 130) Beuysianismus. Expressive Strukuren der Moderne
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Was für Zweite bleibt, sind eben visuelle Strategien gegen die Indifferenz. Zur Abstützung dieser These präsentiert Zweite Arbeiten von Hans Haacke, Paul McCarthy, Bill Viola und Olafur Eliasson. Allerdings räumt er ein: »Strategien gegen die Indifferenz können sich zweifellos auch in ganz anderen ästhetischen Erscheinungen verkörpern, und zwar auch in einer Kunst, die auf einem abstrakten Formenrepertoire basiert.« (S. 173) Um das zu zeigen, bedürfte es aber eines wesentlich eingriffstieferen analytischen Instrumentariums, als es Zweite zu Gebote steht. Denn seine Referenzkünstler stehen überwiegend für eine Falle der Moderne, die Zweite selbst hellsichtig benennt. Die Gefahr der Moderne sei gerade die allenthalben zu beobachtende Tendenz, dass »die Kunst so diskursiv wie ein Text erscheint und in bedenkliche Nähe zur Sozialarbeit gerät.« (S. 175) Strategien gegen die Indifferenz bieten einen Schlüssel, der in jedes Schloss der Kunst passt, aber keine Tür wirklich öffnet. So verteidigt Zweite am Ende seiner Ausführungen seine paradigmatische Auswahl noch einmal nachdrücklich mit dem Hinweis, hier handle es sich »um Bildproduzenten, die auf hohem ästhetischen Niveau ein überindividuelles Anliegen verfolgen«. (S. 175) Das ist nun wirklich das Mindeste, was man von nennenswerter Kunst erwarten kann. Vgl. Joachim Ritter, Hegel und die französische Revolution, in: ders., Metaphysik und Politik, Frankfurt a. M. 1969, S. 183ff. Vgl. zu den folgenden Zitaten Kasimir Malewitsch, Die gegenstandslose Welt, München 1927, S. 65; Markus Gabriel, Kunst und Metaphysik bei Malewitsch – Das schwarze Quadrat als Kritik der platonischen Metaphysik der Kunst, in: Jens Halfwassen, Markus Gabriel (Hg.), Kunst, Metaphysik und Mythologie, Heidelberg 2008, S. 257 – 277. Auch diese Wahrnehmungsweise ist Kennzeichen der Moderne, durch die Anwesendes depotenziert wird und nur noch in seiner Abwesenheit registrierbar bleibt. Am klarsten hat dies Paul Valéry in die Formel gebracht: »Par tout ce qui est / Présence d’absence«, in: Paul Valéry, Paraboles, in: ders., Werke, hg. v. Jürgen Schmidt-Radefeld, Bd. 1, Frankfurt a. M. 1992, S. 268. Noch prägnanter heißt es in dem Gedicht Le Cimetière Marin in demselben Band auf S. 176: »La vie est vaste, étant ivre d’absence.« Vgl. Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Über das Verhältniß der bildenden Künste zu der Natur [1807], in: ders., Schriften von 1806 –1813, Darmstadt 1968, S. 249. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Ästhetik, hg. v. Friedrich Bassenge, Bd. II, S. 105. Ebd., S. 581. Volker Harlan, Was ist Kunst? Werkstattgespräche mit Beuys, Stuttgart 19883, S. 37. Peter Handke, Die Stunde der wahren Empfindung, Frankfurt a. M. 1975. Gottfried Boehm, Deiktische Wurzeln des Bildes, in: ders., Wie Bilder Sinn erzeugen, Berlin 2007, S. 19 – 32. Vgl. Wolfram Hogrebe, Metaphysik und Mantik, Frankfurt a. M. 1992. Ferner ders., Echo des Nichtwissens (Anm. 26). Paul Valéry, Gedichte. Die Seele und der Tanz. Eupalinos oder der Architekt, Hamburg 1962, S. 129. Die Literatur zu dieser Stelle ist immens. Nach wie vor paradigmatisch ist Hans Blumenberg, Sokrates und das ›objet ambigu‹. Paul Anmerkungen
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Valérys Auseinandersetzung mit der Tradition der Ontologie des ästhetischen Gegenstandes, in: Franz Wiedmann (Hg.), Epimeleia, Festschrift für Helmut Kuhn, München 1964, S. 285 – 323. Dazu wiederum: Ralf Konersmann, Stoff für Zweifel. Blumenberg liest Valéry, in: Internationale Zeitschrift für Philosophie, 1/1995, S. 46 – 66. Ein früheres Pendant zum objet ambigu Valérys ist die schon 1914 in seinem Roman Les caves du Vatican von André Gide vorgestellte völlig grundlose Handlung als acte gratuit. Vgl. hierzu zuletzt Iris Roebling, ›Acte gratuit‹. Variationen einer Denkfigur von André Gide, München 2009. Man darf hier aber nicht vergessen, dass beide Dichter Mallarmés Un coup de dés von 1897 beerben, in dem er das Herzstück einer völlig neuen Poetik gedichtet und gedacht hat. Salvador Dalí, Meine Leidenschaften, aufgezeichnet von Louis Pauwels, Gütersloh 1964, S. 47. Ebd. Ebd., S. 66. Dalí zitiert hier Teilhard de Chardin. Er selbst formuliert diesen Gedanken zuvor so, dass im Gewimmel der Galaxien »das Unbegreifliche eher Aussicht hat, wahr zu sein«. Vgl. hierzu Wolfram Hogrebe, Riskante Lebensnähe. Die szenische Existenz des Menschen, Berlin 2009. Vgl. zu folgender Passage Wolfram Hogrebe, Die semantische Plastik, in: Josef Simon (Hg.), Distanz im Verstehen, Frankfurt a. M. 1995, S. 141. Ich glaube nicht, dass es bekannt ist, dass Beuys diese Formel möglicherweise von Goethe übernommen hat. Vgl. Goethe, Faust II, Vers 11233. Vgl. das Gespräch zwischen Wolf Knoebel und Johannes Stüttgen am 6. 1. 1982, in: Der ganze Riemen – IMI & IMI 1964 –1969, in: Ausst.-Kat. Eindhoven 1982, Stedelijk van Abbemuseum, Imi Knoebel, S. 94 – 98. Vgl. Johannes Stüttgen, Der Keilrahmen des Imi Knoebel 1968/89, Köln/ Bonn 1991. Zum Gesamtkontext vgl. das opus magnum von Johannes Stüttgen, Der ganze Riemen, Köln 2008. Vgl. hierzu meine Besprechung: Wolfram Hogrebe, Gral und Waschmaschine. Johannes Stüttgen erinnert Joseph Beuys, in: Merkur 728 (64. Jahrgang), Heft 1, Januar 2010, S. 63 – 67. Peter Handke, Das Gewicht der Welt, Salzburg 1977, S. 70. Vgl. die oben dokumentierte Serie Grace Kelly (1990). Dazu Rainer Crone, David Moos, Imi Knoebel und Grace Kelly: The High, in: Parkett, Nr. 32, 1992, S. 46ff. Jörg Schellmann, Bernd Klüser, Joseph Beuys – Multiples, Fragen an Joseph Beuys, Teil 1, o. O. 1970. Zitiert nach Harlan, Was ist Kunst? (Anm. 102), S. 111. Vgl. Thomas Karlauf, Stefan George, Die Entdeckung des Charisma, München 2008. Vgl. ferner Ulrich Raulff, Kreis ohne Meister. Stefan Georges Nachleben, München 2009. Das ›dichte Schweigen der Bilder‹ behauptet sich sogar in unserer Zeit, so Gottfried Boehm, »gegenüber dem fortwährenden Gemurmel der Diskurse und dem Lärm der Debatten[…]. Jenseits der Sprache existieren gewaltige Räume von Sinn, ungeahnte Räume der Visualität, des Klanges, der Geste, der Mimik und der Bewegung.« (Boehm, Jenseits der Sprache?, in: ders., Wie Bilder Sinn erzeugen (Anm. 104), S. 52f.) Ein Bild dieser Serie hängt übrigens seit dem 30. 3. 2007 im Institut für Philosophie der Universität Bonn. Beuysianismus. Expressive Strukuren der Moderne
121 Peter Handke, Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt, Frankfurt a. M.
1969, S. 131. 122 Ebd., Die Hornissen, Frankfurt a. M. 1966, S. 145. 123 Ebd., Die Stunde der wahren Empfindung, Frankfurt a. M. 1975, S. 166. 124 Ebd. 125 Ebd., S. 81. 126 Vgl. zur Prognostizierbarkeit dieser Wende Wolfram Hogrebe, Archäologische
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Bedeutungspostulate, Freiburg/München 1977, § 20: Die Stunde der wahren Empfindung, S. 237ff. Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, § 1. Peter Handke, Langsame Heimkehr, Frankfurt a. M. 1979, S. 198. Ebd., S. 180. Vgl. zu Mies van der Rohe die neue und überraschende Perspektiven eröffnende Arbeit von Ulrich Müller, Raum, Bewegung und Zeit im Werk von Walter Gropius und Ludwig Mies van der Rohe, Berlin 2004. Diesem Buch lag Müllers Jenaer Habilitationsschrift bei Franz-Joachim Verspohl zugrunde, die mir als einem der Gutachter natürlich bestens bekannt war. Vgl. zu dieser Arbeit die Besprechung von Horst Bredekamp in: Die Zeit vom 24. 2. 2005, S. 59. Mit E-Mail vom 30. 6. 2009 teilte mir Ulrich Müller auch Folgendes mit: »Bei dem Bau der Nationalgalerie gibt es in der Tat keinen fließenden Raum mehr, er ist zum Stillstand gekommen, weil der Bau richtungslos und allseitig gleich ist. Er kann die Idee des Fließens nicht mehr evozieren. Er ist in der Tat so etwas wie ein klassischer Tempel, der das Diaphane mit der Kathedrale teilt. Nur daß er ganz innerweltlich ist, ein himmlisches Register fehlt ihm.« Niklas Maak, Rot verliert die Angst vor Gelb. Raumwerdung der klassischen Moderne: Imi Knoebel zeigt neue Werke in der Berliner Guggenheim-Filiale und verwandelt die Neue Nationalgalerie, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 23. 5. 2009. Es möchte sein, dass sich die Assoziation der geweißten Fenster mit japanischen Papierwänden bei den Vertretern der Presse und dem Publikum einem Stichwort des Kurators Dr. Blume verdankt, der diesen Vergleich in der Pressekonferenz vor der Ausstellung und in seiner Einführung zur Ausstellungseröffnung heranzog. Vgl. Niklas Maak, Als der Salon zu wuchern begann. Die Welt als Wohnzimmer: Wo einmal Granitboden war, rollt Rudolf Stingel in der Neuen Nationalgalerie Berlin einen endlosen Teppich aus, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 16. 2. 2010, S. 33. Till Briegleb, Keine Angst. Puristischer geht’s kaum: Zwei Ausstellungen des Beuys-Schülers Imi Knoebel in Berlin, in: Süddeutsche Zeitung vom 26. 5. 2009. Nicola Kuhn, Ich mit ihm. Dialog mit einem Bauwerk: Der Künstler Imi Knoebel bestückt die Neue Nationalgalerie Berlin, in: Der Tagesspiegel vom 25. 5. 2009. Sebastian Preuss, Baumarkt statt Bauhaus, in: Berliner Zeitung vom 25. 5. 2009. Briegleb, Keine Angst (Anm. 134). Marcus Woeller, Raum zur freien Entfaltung, in: taz vom 26. 5. 2009. Ebd. Anmerkungen
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Anmerkungen 140 Vgl. hierzu Hogrebe, Riskante Lebensnähe (Anm. 110). 141 Preuss, Baumarkt statt Bauhaus (Anm. 136). 142 Barbara Wiegand, Milchweiß oder schreiend bunt. Zwei Knoebel-Ausstel-
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lungen bieten unterschiedliche Perspektiven auf das Werk des Künstlers, in: Deutschlandradio Kultur, gesendet am 22. 5. 2009. Till Briegleb vermutet in seiner genannten Rezension in der Süddeutschen (Anm. 134), dass die Ausstellung überhaupt eine »Verlegenheit« kaschieren solle. Diese ›Verlegenheit‹ sei der eklatante Geldmangel des Hauses. Diese Vermutung war so abwegig nicht. Deshalb spielte der Text der Projektskizze letztlich auch gar keine Rolle. Kuhn, Ich mit ihm (Anm. 135). Woeller, Raum zur freien Entfaltung (Anm. 138). Vgl. hierzu den Ausdruck ›emotionales Apriori‹, den Wolfgang Wieland in seiner brillanten Kant-Interpretation verwendet hat: ders., Urteil und Gefühl. Kants Theorie der Urteilskraft, Göttingen 2001. Stüttgen, Der ganze Riemen (Anm. 114), S. 533. Ebd., S. 538. Ebd., S. 539. Ebd. Diesen Ausdruck bringt im Gespräch mit Imi Knoebel Johannes Stüttgen ins Spiel. Obwohl Knoebel hier lieber von ›Konzentration‹ spricht, ist der ›reduktive‹, also ›zurückführende‹, ja ›zurückzwingende‹ Charakter dieser Energie von Stüttgen korrekt gesehen. Vgl. Stüttgen, Der ganze Riemen (Anm. 114), S. 539. An anderer Stelle nennt Stüttgen die frühen photographischen Arbeiten von Imi Knoebel auch treffend die »auf einen Grenzwert absoluter Körperlosigkeit angesetzte Versuchsreihe«; sehr klar ist hier auch die englische Version: »This test series, which was intended to reach the limit of absolute immaterialness!« (Johannes Stüttgen, Knoebels frühe fotografische Arbeiten, in: Imi Knoebel, Ich Nicht – Enduros, Katalog zur Ausstellung in der Deutschen Guggenheim, Frankfurt a. M. 2009, S. 47f.). Hier gilt mit Lambert Wiesing: »Weil es meine Wahrnehmung gibt, gibt es mich in der Welt.« Vgl. ders., Das Mich der Wahrnehmung. Eine Autopsie, Frankfurt a. M. 2009, S. 119. Stüttgen, Der ganze Riemen (Anm. 114), S. 533. Vgl. Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, § 59. Zit. nach Robert K. Wallace, Stella and Melville: Seeing and Thinking at the Same Time, in: Frank Stella, Moby Dick Series, Ulmer Museum, 12. Nov. 1993 bis 16. Jan. 1994, S. 18 – 27 (deutsch), hier S. 26; S. 29 – 37 (engl.), hier S. 36. Zu Stella und Melville vgl. zudem Anna-Maria Ehrmann-Schindelbeck, »The Quarter-Deck«, 1989, aus der Moby Dick Series, in: Franz-Joachim Verspohl (Hg.), Pictor Laureatus. In Honour of Frank Stella, Gera 1996, S. 50 – 55. Heinrich von Kleist, Erzählungen, dtv-Gesamtausgabe, hg. v. Helmut Sembdner, Bd. 4, S. 179 – 181. Vgl. hierzu die Studie von Martin Warnke, KonSTellAtionen um Kleist. Das Bild zur Novelle Die Heilige Cäcilie oder Die Gewalt der Musik, in: FranzJoachim Verspohl (Hg.), Heinrich von Kleist by Frank Stella, Jena/Köln 2001, S. 214ff. Beuysianismus. Expressive Strukuren der Moderne
158 Alle Zitate von Frank Stella, The Dutch Savannah, Lecture by Frank Stella,
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on Dec. 15th, 1984 at the Concertgebow, Amsterdam, Speciale bijlage by het Stedilijk Museum Bulletin, S. 4; siehe auch Frank Stella, Working Space, Cambridge, Mass./London 1986, S. 127– 167, hier S. 127. Horst Bredekamp, Theorie des Bildakts, Manuskript Stand Februar 2010, S. 23. Vgl. Bernd Villhauer, Aby Warburgs Theorie der Kultur, Berlin 2002, S. 123ff. Vgl. Lawrence Rubin, Frank Stella. Paintings 1958 to 1965, A Catalogue Raisonné, New York 1986; Nr. 90 (S. 62), Nr. 35 (S. 68), Nr. 29 (S. 60). Zu diesen Bildern bemerkt Robert Rosenblum daher in seiner Einführung (S. 11): »Such elucidations helped to deny the usual early response to these paintings – that they were thoroughly hermetic and cerebral – and to confirm the growing revelation that they reflect an awareness of such universal gloom that they may even end up as younger-generation counterpart to the somber, lifedenying mood of many of Rothko’s own late series paintings.« Stella, Working Space (Anm. 158), S. 9f. Stella, The Dutch Savannah, in: ders., Working Space (Anm. 158), S. 167. Frank Stella, Melrose Avenue, in: Tyler Graphics (Walker Art Center), Minneapolis 1997, S. 42. Es handelt sich hier um einen Vortrag, den Stella 1995 in Fukushima/Japan (20. April) und in Columbus/Ohio (16. Mai) gehalten hat. Stella, Working Space (Anm. 158), S. 77. Ebd., S. 155: »We need [in der Erstveröffentlichung – vgl. S. 5, Anm. 1 – heißt es: we want] to establish a productive tie to Cubism and its forefather, Renaissance classicism.« Ebd., S. 110. Ebd. Zit. bei William S. Rubin, Frank Stella, New York 1970, S. 31. Rubin, Frank Stella (Anm. 161), Nr. 66, S. 98. Goethe, Wilhelm Meisters Wanderjahre, in: ders., Gesammelte Werke (Anm. 60), Bd. 8, S. 463. Plotin, Enneaden, V 8,1. Vgl. den Kommentar von Erich Trunz in: Goethe, Gesammelte Werke (Anm. 60), Bd. 8, S. 721. Walter Benjamin, Träume, hg. v. Burkhard Lindner, Frankfurt a. M. 2008, S. 80. Brief vom 19.12.1977. Vgl. Wolfram von Eschenbach, Parzival, hg. v. Karl Lachmann, Berlin 1965, IX, 452, 1 – 12.
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Abbildungsnachweis 1 Michelangelo, Kruzifixus für Vittoria Colonna, 1538 –1543, in: Charles de Tol-
nay (Hg.), Corpus dei Disegni di Michelangelo, Bd. III, Novara 1978, Nr. 411. 2 Links: Michelangelo, Kruzifixus für Vittoria Colonna, 1538 –1543, in: Tol-
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nay (Hg.), Corpus dei Disegni di Michelangelo (vgl. Abb. 1); rechts: Laokoon nach Athanador, Hagesander und Polydor. Römische Kopie nach dem Original der Zeit zwischen 250 –150 v. Chr., Rom, Vatikanische Museen, Cortile Belvedere. Michelangelo, Kruzifixus für Vittoria Colonna, 1538 –1543, in: Tolnay (Hg.), Corpus dei Disegni di Michelangelo (vgl. Abb. 1). John Bulwer, Chiromantia, 1644, in: Ulrich Rehm, Stumme Sprache der Bilder. Gestik als Mittel neuzeitlicher Bilderzählungen, München/Berlin 2002, S. 98. Michelangelo, sog. Verdammter, um 1525, in: Tolnay (Hg.), Corpus dei Disegni di Michelangelo (vgl. Abb. 1). Imi Knoebel, Kinderstern, 1989, siehe auch die Nachzeichnung von Johannes Stüttgen, in: Knoebel, Retrospektive 1968 –1996, Haus der Kunst, München 1996, Nr. 126. Kasimir Malewitsch, in: ders., Suprematismus, Deutsche Guggenheim, Berlin 2003, S. 4. Kasimir Malewitsch, Schwarzes Quadrat, 1915, in: ders., Suprematismus (vgl. Abb. 7), S. 143. Joseph Beuys, in: Armin Zweite (Hg.), Joseph Beuys. Natur – Materie – Form, Kunstsammlung Nordrhein- Westfalen, München/Paris/London 1991, S. II © 2011 ProLitteris, Zurich. Joseph Beuys, I like America and America likes me, 1974, in: Lothar Schirmer (Hg.), Joseph Beuys. Eine Werkübersicht 1945 –1985, München/Paris/London 1996, Nr. 127 © 2011 ProLitteris, Zurich. Joseph Beuys, Feuerstätte, 1978/79, in: Schirmer (Hg.), Joseph Beuys (vgl. Abb. 10), Nr. 137 © 2011 ProLitteris, Zurich. Joseph Beuys, Palazzo Regale, 1985, in: Zweite (Hg.), Joseph Beuys (vgl. Abb. 9), Nr. 251– 253 © 2011 ProLitteris, Zurich. Joseph Beuys, Jason II, 1962/80, in: Zweite (Hg.), Joseph Beuys (vgl. Abb. 9), Nr. 121 © 2011 ProLitteris, Zurich. Joseph Beuys, 7000 Eichen, 1982 –1987, in: Schirmer (Hg.), Joseph Beuys (vgl. Abb. 10), Nr. 141 © 2011 ProLitteris, Zurich. Joseph Beuys, Unbetitelt, 1971, in: Schirmer (Hg.), Joseph Beuys (vgl. Abb. 10), Nr. 117, Nr. 118 © 2011 ProLitteris, Zurich. Imi Knoebel, in: Franz-Joachim Verspohl (Hg.), Pictor Laureatus. Imi Knoebel zu Ehren. Werke von 1966 –2006, Jena/Köln 2006, S. IV. Imi Knoebel, Keilrahmen, 1968, siehe auch die Nachzeichnung von Johannes Stüttgen, in: Knoebel, Retrospektive 1968 –1996 (vgl. Abb. 6), Nr. 10. Imi Knoebel, Grace Kelly, 1989/90, in: Knoebel, Retrospektive 1968 –1996 (vgl. Abb. 6), Nr. 141ff. Imi Knoebel, 250’000 Zeichnungen, 1968 –1973, in: Knoebel, Retrospektive 1968 –1996 (vgl. Abb. 6), S. 29. Imi Knoebel, Genter Raum, 1980, in: Zweite (Hg.), Joseph Beuys (vgl. Abb. 9), Nr. 44/45.
Beuysianismus. Expressive Strukuren der Moderne
24 Imi Knoebel, Kadmiumrot 0, 1975/84, in: Knoebel, Retrospektive 1968 –1996
(vgl. Abb. 6), S. 87. 25 Kasimir Malewitsch, Acht rote Rechtecke, 1915, in: ders., Suprematismus
(vgl. Abb. 7), S. 143. 26 Joseph Beuys, Eisbär, 1960, in: Zweite (Hg.), Joseph Beuys (vgl. Abb. 9), Nr. 128
© 2011 ProLitteris, Zurich. 27 Imi Knoebel, Vincent’s Ohr, in: Knoebel, Retrospektive 1968 –1996 (vgl. Abb. 6),
S. 41. 28 – 30 Neue Nationalgalerie Berlin, Photos: Ivo Faber. 31 Malewitschs Schwarzes Quadrat mit Lola Knoebel (Montage), in: Malewitsch,
Suprematismus (vgl. Abb. 7), Aufnahme von Carmen Knoebel. 32 Frank Stella, in: Franz-Joachim Verspohl (Hg.), The Writings of Frank Stella.
Die Schriften Frank Stellas, Jena/Köln 2001, S. 5. 33 Frank Stella, The Beggar Woman of Locarno, 1999, in: Franz-Joachim Vers-
34 35 36 37 38 39
pohl, Heinrich von Kleist by Frank Stella, Jena/Köln 2001, S. 154/55, Tafel LXV. Pablo Picasso, Guernica, 1937, in: Verspohl, Heinrich von Kleist bei Frank Stella (vgl. Abb. 33), S. 211, Abb. 11. Frank Stella vor der Wandtafel, 2001, Photo: Ursula Hogrebe. Frank Stella, The Earthquake in Chili, 1999, in: Verspohl, Heinrich von Kleist bei Frank Stella (vgl. Abb. 33), S. 138/39, Tafel LXI. Joseph Beuys, Das Ende des 20. Jahrhunderts, 1982/83, in: Zweite (Hg.), Joseph Beuys (vgl. Abb. 9), Nr. 235 © 2011 ProLitteris, Zurich. Anke Doberauer, Sonnenuntergang, 2006, in: Ute Riese (Hg.), Anke Doberauer – Kunsthalle Giessen, 2009. Joseph Beuys, Druidin, 1951, in: Klaus Vierneisel (Hg.), Hauptstrom Jupiter: Beuys und die Antike, mit Texten von Franz Joseph van der Grinten und Gottlieb Leinz, München/Paris/London 1993, Nr. 77 © 2011 ProLitteris, Zurich.
Abbildungsnachweis
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Personenregister Adorno, Theodor W. 72 Albertus Magnus 28 Albumasar (Abu Ma’sar) 30 Andres, Charles 66 (Anm. 94) Arnecke, Henning 13 (Anm. 1) Augustinus 28 Avicenna 142 Bacon, Francis 139 Bacon, Roger 28 Bartuschat, Wolfgang 34 (Anm. 28) Bassenge, Friedrich 75 (Anm. 100) Baudelaire, Charles 58, 66, 101 Bausch, Pina 73 Beeh, Volker 154 Benjamin, Walter 82, 152 Benn, Gottfried 52 Beuys, Joseph 77, 80, 83, 86 – 89, 93– 95, 112, 119, 123, 133, 146f., Anm. 95 Blume, Dieter 29 Blumenberg, Hans 27, 46, Anm. 106 Boehm, Gottfried 10, 38 (Anm. 38), 68 (Anm. 95), 81, Anm. 119 Bredekamp, Horst 24f., 37, 38 (Anm. 38), 68 (Anm. 95), 133f., Anm. 37, Anm. 130 Briegleb, Till 115, 118 (Anm. 143) Bromand, Joachim 32f. Brown, Glenn 143 Brown, Spencer 120 Bulwer, John 44f. Burckhardt, Jacob Anm. 16
Crone, Rainer 92 (Anm. 116) Cusanus, Nikolaus 32 – 35, Anm. 32 Dahlhaus, Carl 14 Dalí, Salvador 82 Damasio, Antonio 35 Dante Alighieri 46 Dickens, Charles 56 Doberauer, Anke 146 Ehrmann-Schindlbeck, AnnaMaria Anm. 155 Einem, Herbert von 41 Einstein, Albert 31 Eliasson, Olafur Anm. 95 Epikur 36 Eschenbach, Wolfram von 154 (Anm. 175) Faber, Ivo 115 Feilchenfeld, Walter Anm. 22 Ferino-Pagden, Sylvia 40 (Anm. 40), Anm. 42 Ferrero, Ermanno 40 (Anm. 39) Figala, Karin 31 (Anm. 22) Flasch, Kurt 13f. (Anm. 2), 14, 34
Gabriel, Markus Anm. 97 Genet, Jean 58 George, Stefan 58, 94f. Gephart, Werner 10 Gethmann, Carl Friedrich Anm. 58 Gettier, Edmund 32 Gide, André Anm. 106 Campi, Ernidio Anm. 42 Giese, Imi 121 Cardano, Girolamo 30, 37, Anm. 34 Goethe, Johann Wolfgang von 16, Cassirer, Ernst 30, 36, Anm. 16, 46, 50 – 52, 55 – 57, 121, 132, Anm. 27, Anm. 32 151 –153, Anm. 112 Cavalieri, Tommaso de 39 Grosseteste, Robert 28 Cecco d’Ascoli 29f., Anm. 16 Grünewald, Eckhart 17 (Anm. 10) Cézanne, Paul 142 Guccio Bracciolini, Gian Francesco Chagall, Marc 124 Poggio di 45 Chardin, Teilhard de Anm. 109 Cocteau, Jean 96 Haacke, Hans Anm. 95 Colonna, Vittoria 38 – 41 Halfwassen, Jens 10, Anm. 97 Condivi, Ascanio 40 Handke, Peter 15f., 23 – 25, 50, 80, 90, 106 – 108, 153 Beuysianismus. Expressive Strukuren der Moderne
Harlan, Volker 80 (Anm. 102), 93 (Anm. 117) Haussherr, Reiner 40f., 46, Anm. 47 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 35, 37, 50, 68f., 74 – 77, 82f., 124, 153, Anm. 18, Anm. 62 Heidegger, Martin Anm. 14 Henrich, Dieter 18 (Anm. 11) Hermann-Foree, Kristina 40 (Anm. 40) Herzfeld, Marie 40 (Anm. 41) Hirst, Michael Anm. 47 Hoffmann, Thomas Sören 30 (Anm. 19), 37 (Anm. 34), Anm. 37 Hogrebe, Wolfram 13f. (Anm. 2), 81 (Anm. 105), 82 (Anm. 110), 83 (Anm. 111), 117 (Anm. 140), Anm. 56, Anm. 71, Anm. 114, Anm. 126 Hölderlin, Friedrich 121
Kreis, Guido Anm. 37 Kuhn, Nicola 114f. (Anm. 135), 118 Lachmann, Karl 154 (Anm. 175) Lautréamont 58 Leibniz, Gottfried Wilhelm Anm. 22 Lemay, Richard 31 (Anm. 21) Lenz, Jacob Michael 46 Lenz, Martin Anm. 89 Leonardo 40 Ludwig, Heinrich 40 (Anm. 41)
Maak, Niklas 113f. Maier-Eichhorn, Ursula Anm. 48 Mainzer, Klaus Anm. 22 Malewitsch, Kasimir 70f., 73, 88f., 92f., 95, 101, 111 Mallarmé, Stéphane 58, 132, Anm. 106 Mann, Thomas 57 Marquard, Odo 14f. Inghen, Marsilius von 59 McCarthy, Paul Anm. 95 Iribarren, Isabel Anm. 89 Melville, Herman 129f. Michel, Karl Markus 30 (Anm. 18) Justi, Carl 46 Michelangelo 37–41, 45–47, Anm. 37, Anm. 47 Kafka, Franz 56f. Mies van der Rohe, Ludwig 97, Kaiser, Gerhard 50f., 54f. 110 – 112, 114 – 116, 121 (Anm. 72f., 75, 78) Mirandola, Pico della 50 Kant, Immanuel 33, 47, 49, 100, 108 Mittelstraß, Jürgen Anm. 22 (Anm. 127), 119 (Anm. 146), 123 Moldenhauer, Eva 30 (Anm. 18) Kantorowicz, Ernst 17 (Anm. 10) Moos, David 92 (Anm. 116) Karlauf, Thomas 94 (Anm. 118) More, Henry Anm. 22 Kittelmann, Udo 118 Müller, Giuseppe 40 (Anm. 39) Klee, Paul 18, 27, 70, 72, 105, 133, Müller, Ulrich Anm. 130 Anm. 14 Kleist, Heinrich von 129– 132, Newton, Isaac 31, Anm. 22 134, 139 Nietzsche, Friedrich 34, 57 Klotz, Heinrich 13 Novalis 77 Klüser, Bernd 93 (Anm. 117) Knoebel, Carmen 109 Ochino, Bernardino 40 Knoebel, Imi 67, 70, 87– 97, 100, Origenes 28 109– 124, Anm. 151 Orsini, Vicino 36f. Kobusch, Theo Anm. 89 Konersmann, Ralf Anm. 106 Pauwels, Louis 83 (Anm. 107) Koons, Jeff 143 Perrig, Alexander 41 Koselleck, Reinhart 13 Petrarca 45 Personenregister
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Personenregister Peymann, Claus 23 Picasso, Pablo 133, 135 Platon 36 Plotin 151f. Pomponazzi, Pietro 30f. Preuss, Sebastian 115f. Quine, Willard Van Orman 32 Quintilian 44 – 47 Rahn, Helmut 44 (Anm. 48) Rauch, Neo 143 Raulff, Ulrich 17 (Anm. 10), 94 (Anm. 118) Rauschenberg, Robert 113 Rehm, Ulrich 45, Anm. 37 Reich-Ranicki, Marcel 23 Rescher, Nicholas 32 Rilke, Rainer Maria 58, 60 Ritter, Joachim 69, Anm. 27, Anm. 62 Roebling, Iris Anm. 106 Roling, Bernd 59 (Anm. 89ff.) Rosenblum, Robert 135 (Anm. 161) Rottenburg, Judith 13 (Anm. 1) Rubin, Lawrence 135 (Anm. 161), 142 (Anm. 170) Rubin, William S. 142 (Anm. 169) Sandkaulen, Birgit 35 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 14f., 35, 46, 72 Schellmann, Jörg 93 (Anm. 117) Schiller, Friedrich 24, 72 Schleiermacher, Friedrich 100 Schmidt-Radefeld, Jürgen Anm. 98 Schmitt, Carl 46, 55 Scholler, Friedrich Adam 60 (Anm. 91) Schumpeter, Joseph Alois 72 Schuster, Peter-Klaus 118 Sembdner, Helmut 131 (Anm. 156) Seubold, Günter Anm. 14 Simon, Josef 83 (Anm. 111) Sloterdijk, Peter 13 (Anm. 1) Sokrates 81 Spinoza, Baruch de 32, 34f., 96 Spranger, Eduard 46 (Anm. 51)
Stella, Frank 129f., 133, 135, 138 – 143 Stierle, Karlheinz 13 Stingel, Rudolf 114 Strauss, Botho 108 Stüttgen, Johannes 88 (Anm. 114), 119 (Anm. 147), 123 (Anm. 153), Anm. 113, Anm. 151 Thorndike, Lynn Anm. 16 Trunz, Erich 51 (Anm. 60), 54, Anm. 172 Tugendhat, Ernst 48 Valdés, Juan de 40 Valéry, Paul 58, 81, Anm. 98 Van Gogh, Vincent 94 Vasari, Giorgio 47 Venter, Craig 29 Verspohl, Franz-Joachim 10, 110, 123, 132 (Anm. 157), Anm. 37, Anm. 130, Anm. 155 Villani, Giovanni 29 Villhauer, Bernd 134 (Anm. 160) Viola, Bill Anm. 95 Wallace, Robert K. 130 (Anm. 155) Warburg, Aby 30, 36, 134 Warnke, Martin 132 (Anm. 157) Weber, Max 25 Wiedmann, Franz Anm. 106 Wiegand, Barbara 117 Wieland, Wolfgang 119 (Anm. 146) Wiesing, Lambert 122 (Anm. 152) Wilde, Oscar 133 Willaschek, Marcus 49 (Anm. 55) Williamson, Timothy 32f. Wittgenstein, Ludwig 59, 105f., Anm. 25 Woeller, Marcus 115, 118 Zweite, Armin 68 (Anm. 95)
Beuysianismus. Expressive Strukuren der Moderne
Drucknachweise Der Text wurde für diese Publikation vollkommen neu geschrieben. Verwendet wurden Materialien aus folgenden früheren Publikationen: Wolfram Hogrebe, Echo des Nichtwissens, Berlin 2006, S. 250ff.; Wolfram Hogrebe, Wüste und Paradies, in: ders., Michael Platen, Franz-Joachim Verspohl (Hg.), Imi Knoebel – Jena Bilder, Gera 1996, S. 37 – 44; auch in: Franz-Joachim Verspohl (Hg.), Pictor Laureatus. Imi Knoebel zu Ehren. Werke von 1996 – 2006, Jena/ Köln 2006, S. 76 – 82; Wolfram Hogrebe, Syntaktischer Expressionismus. Bemerkungen zu Frank Stellas Collage »The Beggar Woman of Locarno« (1999) nach Heinrich von Kleists Erzählung »Das Bettelweib von Locarno« (1810), in: Franz-Joachim Verspohl (Hg.), Heinrich von Kleist by Franz Stella, Jena/ Köln 2001, Sp. 218 – 221.
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