Italienische und spanische Malerei im Alten Museum [Reprint 2021 ed.]
 9783112432389, 9783112432372

  • Similar Topics
  • Art
  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

II.

Italienische und Tonische Malerei im

Alten Museum von

Oberlehrer Dr. Schultz

Preis 10 Pfennig

Verlag von W. Spemann in Berlin.

Plan der Gemäldegalerie.

L u stg arten

N eues M useum

Domseite

Kupfergraben

I—X Italienisch-Spanische Malerei.

Von dem großen Kuppelbau, in den man vom Lustgarten cintritt, gehen wir geradeaus, quer durch den großen mit Bildsäulen erfüllten Saal, die gegenüberliegende Treppe mit der Glasthür ganz hinauf, in einen Borraum, wo einige neugekaufte Gemälde hängen; dann nach rechts, zu den Sälen der Italiener und Spanier. Vor 500 Jahren zerfiel Italien in viele kleine Staaten, im Norden mochten's zu Zeiten gegen zwei Dutzend sein. Sic wurden fast sämtlich von Fürsten beherrscht, oft blutgierigen Tyrannen wie jener Mailänder Giovan Maria, der wilde Bestien zum Zerreißen von Menschen abrichtete; teilweise waren's auch wohlmeinende Landesväter, wie der herrliche Federigo von Urbino, den man das Licht Italiens nannte. Alle aber, Böse wie Gute, brannten vor Begierde nach Ruhm, und da iimii mit einem Staat vom Umfang der Altmark keine kriegerischen Großthaten verrichten kann, so trachteten diese Fürsten danach, von Dichtern besungen, von Gelehrten gefeiert, durch Bauwerke verherrlicht zu werden. Wer also etwas Schönes malen, meißeln, schreiben konnte, fand glänzenden Lohn und viel Ehre an den oft vrunkvollen Höfen der kleinen Tyrannen. Nie zuvor ging es Künstlern und Schriftstellern so gut! — Diese Männer nun wurden eben damals von heftiger Liebe zu den Werken des Altertums ergriffen. Man war ja damals in allen Ländern unzufrieden mit den kirchlichen Zuständen; Luther ging, wie jedermann weiß, auf die Bibel zurück; die Italiener aber lieber auf die Bücher der heidnischen römischen Dichter und Redner; das Leben der alten Welt kam ihnen viel besser und heiterer vor als das ihrer christlichen Zeitgenossen! So wie früher­ sollte es nach ihrer Ansicht wieder werden; waren sie denn nicht die Nachkommen jener Römer, die einst die Welt beherrscht hatten? Auch die Baumeister sollten nicht mehr spitzige Kirch-

4 türme und steile Giebel bauen, sondern weite Kuppeln und Hallen, wie die alten Römer gehabt hatten, man ahmte gern Säulen und Bogen nach, die als Trümmer der untergegangenen Pracht des Altertums noch reichlich in Italien standen. — Die Maler aber und Bildhauer wollten von den frommen, steifen Figuren der bisherigen Kirchenkunst gar nichts mehr wissen; aus dem Boden grub man immer neue Wunderwerke der heidnischen Marmorkünstler, man sah, wie die emsig die Natur beobachtet, wie fein und lebendig sie alles ausgeführt hatten; so mußte man's auch machen, das war die allgemeine Ansicht. Die neue Kunstart heißt „Renaissance", d. i. „Wieder­ geburt"; man meint damit Wiedergeburt des römischen und griechischen Altertums in Gegensatz zur Kirchenkunst des Mittel­ alters. — Am frühesten kam die Renaissance in der glorreichen Republik Florenz auf; hier erinnerten die Staatseinrichtungen an die der alten Freistaaten Rom, Athen u. s. w., und auf­ fallend viele begabte Männer wurden hier während zweier Jahrhunderte (etwa von 1300—1500) geboren. Als hier der schöne Marmordom um 1420 mit einer mächtigen Kuppel römischer Art geschmückt wurde, erkannten alle Baumeister in Italien, was die Glocke geschlagen hatte; und während noch der stille Mönch des Marknsklosters, Bruder („Fra") Angelico, die feinsten und lieblichsten Bilder der früheren, strengkirchlichen Weise malte (siehe unten), in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, wirkten hier schon zahlreiche Meister der neuen Art, die vor allem nach Natürlichkeit und Lebendigkeit strebten; freilich hatten die Bildhauer anfangs den Vorsprung vor den Malern; die konnten direkt an den aus­ gegrabenen Bildwerken der Alten lernen; daher ahmen die Maler anfangs den Bildhauern öfters nach; auf die Zeichnung der Leiber und Gesichter kommt ihnen mehr an als auf Farbe, Licht, Hintergrund. Dazu sind die Farben mit Eiweiß ge­ bunden („Tempera") und erscheinen gegenüber den späteren Oelfarben kalt und hart. Und gewisse Sonderbarkeiten, wie z. B. rote Schattierung gelber, weiße Beleuchtung roter und blauer Kleider sind noch Gewohnheiten aus den vorangegangenen Jahrhunderten. Einer der besten Meister der Frührenaissance war Filippo Lippi (stirbt 1469). Fast sein hübschestes Bild finden wir im I. Saal, gegenüber dem Eingang (Nr. 69). Maria betet ihr Kind im Walde an. Es ist vielleicht die früheste Wald­ landschaft der neuen Kunst; denn im Mittelalter waren ein­ farbig goldne Hintergründe Sitte; und mit welcher Liebe ist

5 das Einzelne der Natur nachgeahmt! Man erkennt z. B. die verschiedenen Blumenarten vorn genau, es sind Anemonen,Nelken u. s. w. Die Andacht der mädchenhaften Gottesmutter ist mit zartester Lieblichkeit gemalt; einzelne Züge des holden Ge­ sichtchens, z. B- die schmale Nase, die geschwungenen Brauen, den kleinen feinen Mund finden wir bei vielen Italienern dieser Zeit wieder; anderes hat der Künstler entschieden einem be­ sonderen Modell nachgezeichnet. Das rote Gewand und den blauen Mantel trägt „Madonna" (die Gottesmutter) auf den meisten italienischen Bildern. Das Kind ist kein neugeborenes, sondern in der Gliederfülle dargestellt, wie etwa ein griechischer junger Gott; so war es damals allgemein in Italien ge­ bräuchlich. Der reizende Knabe mit dem Kreuz, der hinten lauscht, ist der Täufer Johannes, den man gern dem Christkinde als älteren Gespielen beigicbt; noch weiter hinten betet der fromme Mönch Benedikt die heilige Gruppe an. Oben aber schwebt segnend Gottvater. Ein Schüler Lippis war der seltsame Botticelli. Der wollte noch weniger als sein Meister von der früheren Kirchen­ kunst wissen. „Hat man vor uns die Kleider in feierliche Falten geworfen, so laß ich den Sturm hineinwehen, daß sie sich recht tüchtig bauschen und krausen! Hat man die Gesichter wie Milch und Blut gemalt, so mach ich sie gelblich, mit trüben Augen und erfrorenen Nasen, wie man sie ja so oft im Leben sieht! Hat man die Engel als Helden oder als kleine Kinder dargestellt, bei mir müssen es Backfische sein, recht mager und eckig, wie eben Backfische sind." Man lernt Botticelli aut kennen z. B. auf dem großen Rundbild Nr. 102 (rechte Wand vom Eingang), wo eine schwermütige Madonna zwischen rosengeschmückten kerzentragenden Engeln steht; oder aus dem Altarbild Nr. 106 (Eingangswand), wo Madonna auf den Thron sitzt und zwei Heilige zu ihrer Seite stehen. Auf solchen Altarwerken haben die einzelnen Figuren an sich nichts mit­ einander zu thun; es pflegten die Kirchen und Kapellen mehreren Heiligen geweiht zu werden; auf dem Altar stellte man dann diese Gottesleute nebeneinander, mochten sie auch zu den verschiedensten Zeiten gelebt haben; in die Mitte setzte man meist Maria mit dem Kinde; man kann sich die Szene, wenn es denn eine sein soll, im Himmel denken. Bei den früheren Gemälden, wie z. B. hier, stehen die Gestalten ruhig da; später brachte man sie in redende und bewegte Gruppen. — Um dieselbe Zeit wie Botticelli wirkte in Florenz u. a. auch Pollaiuolo, übrigens hauptsächlich als Bildhauer; seine

6 „Verkündigung Mariä" (Nr. 73; rechte Wand) erfreut be­ sonders durch die herrliche Halle, wo der Engel der Maria erscheint; durch die Renaissancebogen sieht man die lachende florentinische Hügellandschaft als Hintergrund. Im II. Saal hängen zahlreiche Bilder des 15. Jahr­ hunderts meist aus den Städten Norditaliens. An der rechten Wand (vom Eingang gerechnet) fällt ein großes Altarwerk des Cosimo Tura aus Ferrara auf (Nr. 111); die Madonna sitzt auf einem prachtvoll geschmückten Renaissance-Thron, hinter dem die Landschaft bereits vortrefflich geraten ist. Der Heilige vorn links ist der gelehrte Bischof Augustin: er liest in einem Buch; wie interessant hebt sich das bischöfliche Prunkgewand gegen die verarbeiteten, harten Gesichtszüge ab! Ihm gegen­ über steht der Bibelübersetzer Hieronymus mit dem Kreuz in der Hand; sein zahmer Löwe wandelt vor ihm her. Die Heilige darüber mit dem Rad ist Katharina; sie wurde von den grausamen Heiden gerädert, aber Engel zerbrachen das Rad, worauf man sie köpfte: so die kirchliche Sage. Mantegna aus Padua (stirbt 1506) war der feinste Zeichner der ganzen Frührenaissance. Seine Farben sind schlicht und blaß; aber die zartesten Einzelheiten des menschlichen Gesichtes und Körpers wußte er in genauem Umriß und oft in den schwersten Stellungen wiederzugeben; jedes Haar und jedes Aederchen beobachtete er treu; viele spätere große Maler, Deutsche und Italiener, haben von ihm gelernt, wie man die Natur be­ greift und wiedergiebt. Ein reizendes Werk von ihm ist die Darstellung Jesu im Tempel (rechte Wand, Nr. 29). Die mädchenhaft schlanke und zierliche Maria hält verschämt das — hier nach deutscher Art als Wickelkind aufgefaßte — Jesusknäblein dem ehrwürdigen silberbärtigen Simeon entgegen; zwischen beiden, aus dunklem Hintergründe schaut das etwas vergrämte Gesicht des ergrauenden Joseph. Die Figuren sind als Brustbilder gegeben; Mantegna liebt das so; nach seinem Vorgang wurde es später besonders in Venedig gebräuchlich, von welcher großen Seestadt Padua nicht sehr entfernt liegt. Das Porträt eines Kardinals mit mächtigen Zügen (ebenda, Nr. 9) wird als schöne Probe Mantegnascher Bildniskunst interessieren. Ein gewaltiger Meister war Luca Signorelli (stirbt 1523), der meist in kleinen Städten zwischen Florenz und Rom malte. Wie ganz der in seiner Kunst lebte, mag folgende Er­ zählung zeigen: Als Räuber eines Abends seinen einzigen Sohn erschlagen hatten, saß er die ganze Nacht durch an der

7

Leiche, ohne Thränen und Jammern; schaute den schönen nackten Körper an und malte ihn Zug für Zug; am Morgen erst, als die Arbeit fertig war und das Leichengefolge kam, begann er bitterlich zu weinen. Ein sonderbares Bild dieses großen Malers hängt an der Wand links vom Eingang (Nr. 79 A). Es stellt sinnbildlich das Naturleben in der Frühlings­ nacht dar. In der Mitte sitzt der Naturgott Pan mit Bocks­ füßen; über seinen rötlichen Locken leuchtet die Mondsichel als Schmuck, sein schwarzer Mantel ist mit Sternen bestickt. Hinter den: Gott steht ein älterer Mann, anbetend; wer gemeint ist, errät sich schwer; vorn gruppieren sich zwei flötende männliche Waldgeister (Faune) und ein weiblicher (Nymphe). — Vorn rechts scheint ein gekrümmter Greis Abschied zu nehmen; doch wohl der Winter; gerade über seinem Kopf, am fernen Felsen, erblickt man den letzten kahlen Baum. Hinten links träumen noch zwei Nymphen im Frühlinaswalde. — Zu beiden Seiten des großen Bildes hängen zwei Teile eines Altars (Nr. 79), auf jedem Teil sind drei Heilige abgebildet. Besonders schön ist die blonde Frauengestalt rechts. Der andächtige Greis links, der sich die Brust mit dem Stein zerschlägt, um recht zu büßen, ist wieder Hieronymus. Antonello aus Messina machte weite Reisen und lernte in Flandern (Belgien) die OelMalerei kennen. Wie tief und warm sahen Oelfarben doch aus verglichen mit den harten Temperafarben! Antonello brachte das kostbare neue Kunst­ geheimnis nach Venedig, jener in die See hineingebauten Wunderstadt, deren Flotten damals das Mittelmeer beherrschten, auf deren Märkten alle Waren der Welt zusammenströmten, jener Stadt, die durch ihren Reichtum, ihre Kriegstüchtigkeit, ihre kluge Verwaltung so mächtig war wie irgend ein damalmer Groß­ staat. Hier lehrte Antonello dasOelmalen einzelnen Schülern; einer davon war Schurke genug, den Meister i. I. 1493 zu ermorden, um allein die seltene Kunst zu verstehen; er wußte wohl nicht, daß er der Einzige schon nicht mehr war. Von dem un­ glücklichen Antonello aber sehen wir eine schöne Madonna an der rechten Wand oben in der Ecke (Nr. 13); sie ist in Halbfigur gegeben, das Jesuskind steht an ihrer Hand; so haben es die venezianischen Maler auch später gern gemalt. Man achte auf den Unterschied zwischen der Farbe dieses und der bisher beschauten Bilder; wie angenehm der gelbliche, warme Ton, der darüber liegt! Einer der Nachfolger Antonellas war in Venedig Car-

8 Vaceto, der bunte, lustige Szenen liebt; so stellte er (linke Wand, hinten, Nr. 23) dar, wie Petrus den Stephanus (der nachher ge­ steinigt wurde, siehe Apostelgeschichte!) zum Geistlichen weiht. Eine Schar schöngekleideter Geistlicher kniet; dahinter plaudern reizende Mädchen in morgenländischer Tracht; ganz links unter­ halten sich Greise in türkischen Turbanen mit einem im Judenhut; das sollen wohl die Feinde der frommen Männer sein, man siehts an ihren verbissenen Mienen. Der Hinter­ grund zeigt einen Hafen mit Felsen, Schiffen, Häusern; vorn sieht man einen Vogel, Blumen, ein Kind mit Hündchen; überall Leben und Bewegung. — In venezianischer Art ge­ malt ist auch das edle Altarbild Nr. 44 von Montagna, wo die ernsthaftige, schöne Madonna auf den Thron sitzt; daneben links ein würdiger Mann, der Almosen spendet; rechts der heilige Franz; der hatte so andächtig an die Wunden Christi gedacht, daß er an Händen und Füßen blutende Nägelmale be­ kam! — Trefflich ist hier auch die Landschaft; die fernen Berge sind ganz natürlich dunstigblau gemalt. — Der größte Schüler Antonellos aber war Bellini (siehe unten). Weit über alle früheren Meister stieg nun der Florentiner Lionardo daVinci (1452-1519); da Zwar ein Mann, der alles konnte; schön und kräftig, ritt und focht er wie keiner, bog Huf­ eisen mit seiner gewaltigen Faust krumm; wenn er mit fernen hübschen, jungen Schülern über die Straße ging, guckte alles dem Haufen nach! Er zeichnete sich als Baumeister und Bild­ hauer, als Dichter und Musiker, als Maschinenerfinder und Landmesser, als Arzt und Naturforscher glänzend aus und war so ganz nebenbei noch der bedeutendste Maler seiner Zeit. Als er dreißig Jahre alt war, ging er nach Mailand an den Hof des blutigen Tyrannen Ludwig, den man den Mohren nannte; hier gründete er seine Kunstschule, die noch lange blühte; nach Ludwigs grauenvollem Untergang reiste Lionardo hin und her, zuletzt nach Paris; in den Armen des französischen Königs Franzi, soll er gestorben sein. Im nächsten Saal (PlanIV) findet man mehrere gute Bilder der Mailänder Zeitgenossen und Schüler Lionardos zusammen. Der „auferstehende Christus" an der Wand rechts neben dem Eingang (90 B.) wird sogar von vielen Gelehrten für ein Werk Lionardos selbst gehalten. Mit der Siegerfahne strebt der Erstandene nach oben; auf der ganzen schönen Landschaft des Hintergrundes liegt das Graugrün der Däm­ merung; über den Felsen aber scheint von rechts der erste Sonnenstrahl und malt das edle Gesicht des Gottessohnes

9 gelb. Unten knieen zwei Heilige in innigem Gebet: Leonhard, ein fein gebildeter Jüngling, mit erhobenen Händen, und Lucia, ihre Augen auf einer Schüssel dem Heiland opfernd; die Heiden hatten sie ihr ausgestochen. VonLionardos liebstem Schüler Luini ist die holdselige kleine Madonna in der Ecke links vom Eingang (neben dem Korridor: 217); von einem selbstständigeren Nachfolger des großen Mannes, Ferrari, die Verkündigung Mariä, in der Ecke rechts vom Eingang (213); der Hintergrund ist in altertümlicher Weise einfarbig; die demütig sich verneigende Gottesmagd, als ein anmutiges Landmädchen aufgefaßt; der junge Engel in seinem blonden Gelock wie frisch, wahrhaftig, helläugig! — Der Mailänder Schule gehört auch Melzi an; er stellt die hübsche Obstgöttin Pomona dar, mit der Vertumnus, der Gott der Jahreszeiten, eine Liebschaft anfängt; er tritt zu ihr in Gestalt eines alten Mütterchens; denn Götter verwandeln sich nach Belieben. Die üppige Herbstlandschaft ist mit be­ sonderer Freude ausgemalt (rechts vom Eingang, oben: 222). Inzwischen lernte man allenthalben Tüchtiges zu dem hinzu, was die Meister des 15. Jahrhunderts gekonnt hatten. In Ferrara malte Garofalo seine farbenbunten Bilder; wir sehen z. B. den gelehrten Hieronymus, der die Bibel ins Latein übersetzte, zwischen den Felsen der Wildnis sitzen; ein Kruzifix erinnert ihn an Christi Kreuzestod, eine Sanduhr und ein Schädel an die Vergänglichkeit des Menschenlebens; mit einem Stein zerschlägt er sich büßend die Brust; sein treuer Löwe liegt ihm zu Füßen (Wand zwischen den beiden Ausgängen Nr. 243). Besonders lebhaft ging es in Florenz zu. Im Markus­ kloster lebte und malte der fromme Bruder Bartolommeo, der Freund jenes kühnen Reformators Savonarola, der wegen seiner Angriffe auf das Papsttum 1498 verbrannt wurde; dieses schreckliche Ereignis ging Bartolommeo so zu Herzen, daß er lange Zeit einsam trauernd saß und den Pinsel nicht anrühren mochte; erst etwa 5 Jahre später entschloß er sich, den Künstlerberuf wieder aufzunehmen; von niemandem hat der berühmte Raffael soviel gelernt wie von diesem Mönch, der i. I. 1517 starb (dem Jahr, wo in Deutschland Luther seine Reformation begann). Vom Bruder Bartolommeo ist die Himmelfahrt der Maria (Wand gegen­ über dem Eingang 249). Um den offenen Sarg, aus dem Blumen hervorwachsen, knieen sechs Heilige und beten an, er­ staunt über das Wunder; sie sehen nicht, daß die Gottesmutter

10 bereits über Wolken zwischen Engeln schwebt, geradewegs in den Himmel hinein. Man beachte die kunstvolle Gruppierung der Gestalten, den mächtigen Wurf der Gewänder, die edlen Gesichter der Betenden; auch die Landschaft ist schön gegeben. Der obere Teil des Gemäldes ist übrigens von einem Freunde Barto­ lommeos ausgeführt. — Etwas jünger als Bartolommeo war A n d r e a d e l S ar t o (dh. „Sohn des Schneiders" 1487-1531) Er war ein hochbegabter Mann: wer in Florenz konnte seine Fi­ guren feierlicher anordnen, wer prächtigere Farbentöne treffen als er? Aber seine schöne und leichtsinnige Frau Lucrezia wurde das Unglück seines Lebens; die verschwendete alles, was er sich er­ warb, auch eine größere Summe, die jener kunstliebende Franzosenkönig Franz ihm zum Ankauf von Gemälden ver­ traut hatte; in Schande und Kummer lebte der hervorragende Künstler von nun ab hin. Treten wir von unserem Saal aus in das I. Kab in et (PlanV) hinüber, so sehen wir an dessen Hinter­ wand oben (239) den klugen Kopf des Andrea, von einem seiner Schüler gemalt; an der Eingangswand das prunksüchtige Weib (240), von ihrem Gatten selbst porträtirt. Nun zurück in den Saal (Plan IV). Da hängt (Nr. 246) ein mächtiges Altar­ bild Andreas. Oben thront die Madonna; wieviel lebhafter doch ist ihre Stellung und die des Knaben auf ihrem Schooß, als in jenen Bildern des 15. Jahrhunderts, die wir in den ersten zwei Sälen beschauten! Zu beiden Seiten der Thrones­ stufen stehen andächtige Heilige; links Petrus mit dem Himmels­ schlüssel, Benedikt mit der weißen Mönchskutte, der nackte Einsiedler Onofrius, der in der Wüste seinen Leib mager ge­ fastet hat; rechts Markus, der Evangelist; dann Antonius von Padua mit dem flammenden Herzen, weiter Katharina mit ihrem Rad. Erkennt man in der Frau unten, die zur Treppe emporsteigen will, die Züge Lucreziens wieder? Außer der edlen Anordnung blenden die prächtigen Farben; man achte darauf: hier sind nicht, wie in den älteren Gemälden, grelle Farbengegensätze aneinandergeschoben; sondern es fällt etwa ein rosa Shawl über ein zinnoberrotes Kleid, oder man siebt (bei Maria) das Rot des Kleides durch das Blau des dünnen Schleiers scheinen; auch die dämmrigen Töne, Grau und Bräunlich, sind mit feinstem Geschmack verwendet, während die früheren Maler nur die lebhaftesten Farben liebten. Ein talentvoller Freund Andrea's war Francia Bigio; von ihm zeigt das erste Kab in et (PlanV), in das wir abermals treten, das treffliche Bildnis eines jungen Gelehrten mit dem Doktorhut (unter der Lucrezia, Nr. 245.) — Berühmter aber als

11 alle Zeitgenossen wurde Raffael Sanzio, geb. 1483 in der kleinen Gebirgsstadt Urbino; als Jüngling lebte er längere Zeit in Florenz und befreundete sich hier besonders mit jenem Mönch Bartolommeo, der ihn vieles Treffliche lehrte; später ging er nach Rom, wo er für den Papst Leo X., denselben, gegen den Luther kämpfte, seine gewaltigsten Werke schuf. Er ward einer der Begründer der römischen Künstlerschule und gilt vielen noch heute als der größte Maler aller Zeiten. Gestorben ist er, vielgeliebt und vielbetrauert, schon 1520. Im Kabinet, wo wir stehen, befinden sich drei kleine Madonnen aus Raffael's frühester Jugendzeit (141. 145. 147.); dann ein größeres Rundbild (247 A), wo die liebliche Gottesmutter in eine bergige Landschaft sieht; sie ist (wie Raffael es liebt) als sehr junges Mädchen geschildert; das anmutige Länglich­ rund des frischen Gesichtes, die vollen Backen, die sanften Tauben­ augen, die geschwungenen Brauen, die feine Rase, das kleine Mündchen findet sich bei vielen Madonnen des Meisters wieder. Das kräftiggebaute Kind plaudert mit dem andächtigen Johannes­ knaben; ein Engelchen kommt lauschend von rechts herbei. Ueber das ganze Gemälde ist ein sonniges Gelb ausgegossen; diese Helle Stimmung liebt Raffael. — Unvollendet ist die lesende Madonna mit dem schön bewegten Kinde (Nr. 248): die letzte Farbenlage fehlt; dafür ist die Zeichnung besonders anziehend. Tritt man in's nächste Kabinet (PlanIV), so findet man zunächst an der Hinterwand (60A) ein Bild jenes Bruders An­ ge lico, letzten bedeutenden Meisters der alten strengkirchlichen des Kunst (s. o.) Es stellt das Jüngste Gericht dar. Die Hölle rechts ist etwa so gemalt, wie sie der große Dichter Dante hundert Jahre früher geschildert hatte; lieber betrachten wir die Engel, die links auf der Himmelswiese ihren Tanz treten. Sodann hängt hier noch ein kleines Bildnis des oben ge­ nannten Antonello aus Messina (Nr. 18); und Werke seines hervorragendsten Schülers Bellini aus Venedig (stirbt etwa 1516). Dieser merkwürdige Mann lernte eigentlich erst als Greis vollendet schön zu malen; eins seiner besten Werke ist die Beweinung des toten Christus durch zwei Engel (Nr. 28). Das edle Gesicht des Toten zeigt noch die Spuren der überstandenen Qual — und doch welche Ruhe auf der Stirn! Und die rührenden, als Heranwachsende Mädchen aufgefaßten Engel in ihrer stillen Trauer! Niemand hatte Engel je so anziehend gemalt wie Bellini. — Mit Bellini's Schüler Giorgione aber, der jung i. I. 1510 starb, wurde das mächtige, glänzende Venedig eine Hauptstadt für die Kunststätte.

12

Nirgends malte man mit so brennenden Farben; nirgends so weiche, volle Formen! Das herrliche Porträt eines Jünglings von G i o rg i n en findet man, wenn man ins erst e K a b i n e t (V)zurück­ tritt (yJr. 12 A); ebenda das Bild eines energischen Baumeisters mit langem Bart und einfachem dunklen Anzug von Lorenzo Lotto (Nr. 153); Der größte Maler aber unter allen Vene­ zianern wurde Tizian, der, fast hundertjährig, doch noch unab­ lässig schaffend, 1476 gestorben ist. Von ihm ist das reizende Bildnis seiner blonden Tochter, die, in Goldbrokat gekleidet, eine Schüssel mit Früchten uud Blumen in die Höhe hebt (Nr. 166); sein unvollendetes Selbstporträt finden wir (Nr. 163) im dritten Kabinet (Plan VII); wie funkelt dem Greise Arbeitslust und Lebensmut aus den Augen! Wer auch in solchem Alter noch so kühn dreinschauen könnte! Gegenüber hängen noch zwei Porträts von Tizian (16t. 301.), das eines vor­ nehmen jungen Mannes und das eines Generals in blanken: Panzer. Tizran'sAltersgenossePalm a malte am liebsten schöne Frauen; von ihm ist das blonde Köpfchen (197 A); die schöne Gärtnerin aber (259 B) von einem Venezianer, der nach Rom zog, sich vom Papst eine einträgliche geistliche Stelle schenken ließ und nun bloß noch malte, wenn es ihm gerade Vergnügen machte, von Sebastian del Piombo. — Das prächtige Bildnis des tapfern, doch vermutlich etwas wüsten Feldherrn, das an der Hinterwand dieses Kabinets hängt (Nr. 190), ist von einem Deutschen, Johann von Kalkar, der nach Venedig zog, sich ganz in die venezianische Malweise hineinlernte und nun Deutschland Deutschland sein ließ. Wir treten aus dem Kabinet in den nächsten Sa a l (PlanVIII). Auch er enthält hauptsächlich Werke venezianischer Maler. Vor allen leuchten uns zwei Bildnisse entgegen von schon genannten Großmeistern: An der Wand zwischen dem Ausgang und dem Korridor hängt (160A) ein Kinderporträt von Tizian; welch anmutiges Lockenköpfchen schaut da mit großen Augen in die Welt! und wahrhaft delikat sind die Farbenstufen, vom Weiß des Kleides, vom Gelblich des Marmors zum Scharlach der Decke und dem Grün der Abendlandschaft. Dem Eingang gegenüber (259 A): ein ernster Kreuzritter, im Türkenkrieg braun und hager geworden, klug, mit scharfer Nase und lichter Stirn — von Sebastian del Piombo. — Um diese Zeit waren viele italienische Städte dem mächtigen Venedig Unter­ than; deren Maler lernten nun ihre Kunst in der Meeres­ hauptstadt; so die beiden Meister von Brescia, Romanino und Moretto. Von ersterem ist (rechts vom Eingang 155)

13 eine Judith, die den Kopf des Holofernes aus dem Zelte trägt; sie selbst hat rotgeweinte Augen, sie hat das Schreckliche für ihr Volk gethan; stumpfsinnig folgt ihre Magd; die ge­ harnischte Wache schlummert in die Nachts hinein. Von letzterem eine Madonna in Wolken, die zwei ernste Männer anbeten (197): neben der Gottesmutter sitzt ihre Mutter Anna, lockige Engel umfliegen das heilige Paar; die beiden Beter aber, Oheim und Neffe, sind wundervolle Charakterköpfe, der Greis schon fast über die Lebenssorgen hinaus, der Schwarz­ bärtige offenbar in Gefahren und Leiden auf Hülfe von oben hoffend. Bedeutend später wirkte zu Venedig Tintoretto (stirbt 1594), zum Teil noch nach dem Vorbild des einzigen Tizian. Er malte mit erstaunlicher Leichtigkeit und Geschwindigkeit; das größte und figurenreichste Oelgemälde der ganzen Erde ist von seiner Hand. Freilich gerieten seine Bilder nicht alle gleich gut: Hasten ist selten nützlich, in der Kunst immer vom Uebel; doch wenn er sich einmal rechte Mühe gab, leistete er Erstaun­ liches; seine besseren Porträts namentlich treten fast aus ihrem Rahmen heraus, scheinen lebende Personen. Unter mehreren seiner Bilder in diesem Saal dürften die schönsten zwei Bild­ nisse von Prokuratoren (hohen venezianischen Beamten) sein; beide tragen Purpurgewand; der eine ein Mann in guten Jahren (rechts vom Eingang 298); der andere ein staatskluger Greis (gegenüber dem Eingang 299). Wie anders mutet uns eine Madonna desselben Malers an, die über den zwei Evan­ gelisten Marcus (dem Schutzherrn Venedigs mit dem Löwen) und Lukas (mit dem Stier) in Wolken thront, auf die Mond­ sichel tretend (links vom Eingang, oben, 300). Wenn Raffael in der Zeichnung und Tizian in der Farbe über alle ihre Zeitgenossen triumphierten, so galt als Meister der sanften Anmut Correggio aus Parma (stirbt jung 1534). Die späteren Maler versuchten vergebens, ihren Figuren ein so holdseliges Lächeln, so weiche Körperumrisse zu verleihen wie er. Gegenüber dem Eingang (218) sehen wir ein Bild von ihm: Leda, die Mutter der schönen Helena, und ihre Freundinnen spielen in anmutiger Landschaft mit Schwänen. Die späteren italienischen Maler wußten nicht mehr, wie sie die großen Meister der Hochrenaissance übertreffen sollten. So kamen sie, um doch etwas Neues zu geben, auf zwei Wege: erstens bildeten sie statt heiliger oder heldenhafter Gestalten das alltägliche Leben ab, matten Weinstuben, Räuberhöhlen, Kriegs­ scenen ihrer Gegenwart möglichst natürlich, ohne sich um Schönheit oder Unschönheit groß zu bekümmern; zweitens übten

14 sie sich in absonderlichen Beleuchtungen, ließen z. B. aus dunkler Nacht Helle Gestalten im Fackellicht heraustreten und dergl. Wohl der größte Meister dieser neuen Schule war Caravaggio (stirbt 1609). Von ihm sind im letzten Saal (Plan IX) zwei zusammengehörige Bilder: Der kleine Liebesgott zertritt lachend Musikinstrumente und Waffen --„die Liebe siegt über Alles", könnte man dazu schreiben; aber dann wird der vor­ witzige Knabe von einem kriegerischen Geist gezüchtigt; auch die Liebe kann durch den Ernst des Lebens überwunden werden! (linke Längswand, 369 und 381.) Bon Caravaggio lernte der in Neapel wirkende Ribera, der gern gemarterte Heilige malte. Da hängt Sebastian tot am Baume; die Heiden haben ihn am Abend erschossen, er ist verblutet; der abgezehrte gelbe Leib leuchtet durch die tiefe Nacht (405 B). Der gute alte Bartholomäus wird angebunden, der Henker wetzt schon sein Messer, um ihm, seines Christenglaubens wegen, die Haut ab­ zuziehen; teils böse, teils dumm glotzend schaut die heidnische Volksmenge auf das gräßliche Schauspiel (416). — Neapel gehörte damals zu Spanien; die neue Kunst setzte sich in diesem Lande glänzend fort. Vor allen Spaniern strahlten der Hofmaler Velasquez (stirbt 1660) und der Kirchenmaler Murillo (stirbt 1682). Ersterer malte mit erstaunlicher Naturtreue Bilder aus dem täglichen Leben und Porträts; wenn uns an letzteren der Stumpfsinn der Arenen, die Steifheit der Haltung und der Kleider oft nicht zusagen, so müssen wir be­ denken: so gedankenlos und förmlich leibten und lebten die spanischen Prinzen, Prinzessinnen und Höflinge zu jener Zeit, der Künstler mußte sie darstellen, wie sie waren, er ist an den Reifröcken und den gläsernen Augen unschuldig! Dies sage nian sich, ehe man etwa das feine Bildnis der Prinzessin Maria Anna, die später deutsche Kaiserin wurde, betrachtet (413C)! Anziehender ist das Porträt der eigenen Frau des großen Meisters (Schmalwand, gegenüber dem Eingang, 413 E). Murillo aber schmückte die Kirchen seines streng­ katholischen Vaterlandes mit mächtigen Gemälden aus; niemand bat je die leidenschaftliche Frömmigkeit besser gemalt als er. Wir sehen an der linken Längswand (414) von ihm ein herr­ liches Werk: Der heilige Mönch Antonius, der die ganze Nacht über gebetet hat, fühlt sich gegen Morgen plötzlich von himmlischem Glanz bestrahlt; Engel jauchzen und singen, in seinen Armen liegt das geliebte Christkind, er darf es küssen und herzen! Wie leuchtet sein Gesicht! Wie bricht der Gold­ schein in das Dunkel, wo der Fromme kniet!

-

15

-

Ehe wir Abschied nehmen, beachten wir noch zwei schöne Landschaften des Franzosen Claude Lorrain (stirbt 1682), der in Italien lernte und arbeitete. Sie hängen an der schmalen Eingangswand. Hier der Morgen (448B); lichte Berge und Tempeltrümmer, hinten ein Hafen; der Frühwind rauscht in hohen Bäumen. Dort der Abend (428); Dunkel läßt sich auf die mächtigen Baumgipfel und über ferne Berge nieder; im Vordergrund stehen ein Paar Gestalten aus der griechischen Göttersage.

Druck von Albert Damcke, Berlin SW. 12.