Italienische Gedanken: Beobachtungen und Reflexionen zur Architektur 9783035602500, 9783764363864


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German Pages [204] Year 2000

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Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Einführung
Prolog: Drei Generationen
Die Inszenierung des Möglichen
Vorrichtungen und Dekorationen
Territorium
Die Dichte des Territoriums
Tore, Porches*, Portale
Was für eine wundervolle Erfindung ist doch die Schranktür!
Konglomerate Ordnung
Der Kanon der konglomeraten Ordnung
Das islamische konglomerate Erbe
Janus-Gedanken
Man stelle es sich als Farm vor.
Den Pfad ändern
Winden und Binden
Denkweise
ILA&UD-Bibliographie
Bildquellen
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Italienische Gedanken: Beobachtungen und Reflexionen zur Architektur
 9783035602500, 9783764363864

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Bauwelt Fundamente 111

Herausgegeben von Ulrich Conrads und Peter Neitzke Beirat: Gerd Albers Hansmartin Bruckmann Lucius Burckhardt Gerhard Fehl Herbert Hübner Thomas Sieverts

Alison und Peter Smithson Italienische Gedanken Beobachtungen und Reflexionen zur Architektur Herausgegeben von Hermann Koch und Karl Unglaub

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Die Deutsche Bibliothek - CI Ρ-Einheitsaufnahme Smithson, Alison: Italienische Gedanken, Beobachtungen und Reflexionen zur Architektur / Alison und Peter Smithson Hrsg. von Hermann Koch und Karl Unglaub — Braunschweig; Wiesbaden: Vieweg, 1996 (Bauwelt-Fundamente; 111) ISBN 3-528-06111-1 N E : Smithson, Peter:; GT

Aus dem Englischen von Hermann Koch und Karl Unglaub Erste Umschlagseite: Piazza del Duomo, Pistoia Vierte Umschlagseite: Innenraum vom Gray's Inn, London Mit freundlicher Unterstützung der Firma Tecta, Lauenförde

Alle Rechte vorbehalten © Friedr. Vieweg & Sohn Verlagsgesellschaft mbH, Braunschweig/ Wiesbaden, 1996 Der Verlag Vieweg ist ein Unternehmen der Bertelsmann Fachinformation GmbH. Umschlagentwurf: Helmut Lortz Druck und buchbinderische Verarbeitung: Lengericher Handelsdruckerei, Lengerich Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany ISBN 3-528-06111-1

ISSN 0522-5094

Inhalt

Vorwort

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Einführung

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Prolog: Drei Generationen Die Inszenierung des Möglichen Vorrichtungen und Dekorationen Territorium Die Dichte des Territoriums Tore, Porches, Portale Was für eine wundervolle Erfindung ist doch die Schranktür! Konglomerate Ordnung Der Kanon der konglomeraten Ordnung Das islamische konglomerate Erbe Janus-Gedanken Man stelle es sich als Farm vor Den Pfad ändern Winden und Binden Denkweise

14 30 46 64 80 94 106 110 116 130 138 146 156 170 182

ILA&UD-Bibliographie Bildquellen

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101 Urbino, Entfernungssteine Institutspfad, P.S., 1979, Grundriß bei der Rampe

102 Urbino, Entfernungssteine Institutspfad, P. S., 1979, Plan mit Konstruktionslinien

103 Urbino, Entfernungssteine Institutspfad, P. S., 1979, 'Hommage à F. de G.'

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104 Urbino, Institutspfad, P.S., 1983, Die erste Version läßt den Fußweg direkt in eine kleine Anwohnerstraße münden. 'fd'

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105 Urbino, Institutspfad, P.S., 1979, Erste Version: neues Tor, Blick nach innen

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106 Urbino, Institutspfad, P.S., 1979, Erste Version: neues Tor, Blick nach außen

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107 Urbino, Institutspfad, P.S., 1983, Die dritte Version leitet den Fußweg auf bestehende öffentliche Wege um.

108 Urbino, Institutspfad, P.S., 1983, Dritte Version: Blick vom Valbona Tor entlang des Walls in Richtung Zitadelle

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Ein Territorium ist leicht zu verletzen; wie oft wird ein Fenster durch das Fällen eines Baumes den Blicken ausgesetzt, wird ein Stück freien Himmels durch einen Kamin behindert, wie oft sorgen die Änderung des Straßenpflasters, auf dem jemand spielte, eine hellere Straßenbeleuchtung, ein neues Geräusch dafür, daß wir uns als Bewohner sozusagen enterbt fühlen. Eine vergleichbare Studie zu derjenigen in Urbino, bei der es um das richtige Zeitmaß für das Territorium am Damaskustor in Jerusalem ging, schlug 1979 eine Verbreiterung des Zugangstrichters zum Tor ins Niemandsland zwischen dem existierenden Stadtgewebe und der Stadtmauer vor (Abb. 109), um ein neues, aufgewertetes Gebiet anzubieten, ohne spezifische Zugehörigkeit, für Bewohner und Besucher gleichermaßen; ein Gebiet, das allen - aufgrund der Tageszeit, aufgrund eines Feiertages - eine 'Verschiebung der Wertigkeit' ermöglicht und nie einer bestimmten Bevölkerungsschicht allein gehört (Abb. 110). J.B. Jackson, der scharfsinnigste Beobachter der nordamerikanischen Landschaft, hat einen wunderschönen Essay mit dem Titel The Strangers' Path geschrieben. Wenn man über seinen Text nachdenkt, dann scheint es, daß wir Fremde brauchen, um wacher und aufmerksamer für uns selbst zu werden und dadurch disziplinierter im Umgang mit anderen. Aber verlieren wir nicht durch zu viele Fremde unser Gefühl für uns selbst, wegen des Gefühls, den Ort verloren zu haben? Während der Hauptsaison sind in Siena überall Fremde; im Sommer 1982 berichteten die Zeitungen in Florenz, daß von sechs Menschen, die im Stadtzentrum anzutreffen waren, nur einer Einwohner der Stadt war. Die Florentiner waren enteignet worden. Die Art, in der wir etwas in Besitz nehmen, bedroht auch die Wege bestimmter Tiere, dort, wo die verschiedenen Arten einen Raum in einem gemeinsamen Territorium ungestört besitzen müssen. Empfinden wir Menschen einen Ort jedes Jahr neu, wenn wir ihn wieder in Besitz nehmen? Es scheint so. Venedig im Winter ist wundervoll; an einem kalten, sonnigen Wintersonntag sind die City von London oder Downtown New York wunderschön; Cambridge ist zur Ferienzeit phantastisch, sogar der Klang junger Stimmen in den Straßen ist herrlich, wenn die Studenten zurückkehren.1 1

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Das alte provinzielle Museum mit den separaten Abteilungen für Pfeilspitzen, geologischen Proben, ausgestopften Tieren; der alte Stadtmarkt mit Früchten, Gemüse, Fleisch und Fisch, alles mit einem eigenen Stand; genauso werden persönliche Besitztümer gruppiert, die sich über ein Leben lang ansammeln.

109 Jerusalem, Damaskustor, A.S, 1979, Detail-Isometrie des Gebietes direkt vor dem Tor, Schattenprojektion vom 8. März, 1400 Uhr, Frühlings-Tag-und-Nacht-Gleiche.

110 Damaskustor: Blick den Hügel hinunter vom gepflasterten Gebiet aus, das um Felsausbruche und Olivenbäume zur Stadtmauer und zum Tor fließt

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In den fünfziger Jahren zeigten uns die unbewachten Tore, Porches und offenen Türen, daß Gewalt in Europa selten war; der Verkehr in Wohnund Geschäftsstraßen befand sich in einem vernünftigen Gleichgewicht mit dem, was sie bedeuten. Seit der zweiten Hälfte der achtziger Jahre werden Tore und Porches bewacht, Türen verschlossen und gesichert; überall wird von Gewalt berichtet; der Verkehr in den Straßen wird bedrohlich; man spürt Spannung. In der 'Familiengesellschaft' der Kriegs- und Nachkriegsjahre [in England] kannten sich die Menschen auf der Straße, im Büro oder in der Fabrik meistens; Fremde waren leicht zu erkennen und nur er oder sie wurden gemustert oder neugierig angeschaut. Das ist heute anders, die meisten unserer Nachbarn in der Stadt sind Fremde; die Arbeitsplätze sind gewöhnlich voll von fremden Gesichtern. Tor und Porch haben eine veränderte Aufgabe. In den späten fünfziger Jahren schien in der gediegenen St. James's Street Zurückhaltung angemessen; zu dieser Zeit waren die Redaktion und das Management des Economist wie eine Familie. Das Economist Building hatte ursprünglich zwei Eingänge, die hinter Kolonnaden lagen und für jedermann frei zugänglich waren; eine fast unmarkierte Form des Eingangs, in dieser Art von Mies van der Rohe abgeleitet. Zwanzig Jahre später wurden einige Etagen des Gebäudes an Fremde vermietet, und es gab eine unterschwellige Bedrohung durch internationalen Terrorismus oder Kriminalität, wovor es selbst in dieser vornehmen historischen Straße kein Entkommen gibt. Der neue Porch von 1983/1984 hat einen einfachen, besonders auffälligen, bewachten Eingang. Er berücksichtigt, daß viele, die kommen, Fremde sein könnten, die einen Eingangsbereich benötigen, der leicht zu erkennen ist; sobald sich Besucher im Inneren befinden, müssen sie empfangen und zum richtigen Ort geführt werden. So etwas passierte schon früher: als die Arkaden der ursprünglich offenen Ecke von Michelozzos Palazzo Medici in Florenz, begonnen 1444, von Michelangelo 1517 an der Straßenfassade geschlossen wurden. Das war eine Reaktion auf Vandalismus, Verschmutzung und die zunehmende Gefahr auf allen Straßen: Die neue Anordnung war für die allgemeine öffentliche Benutzung weniger einladend, sie bildete einen leichter zu bewachenden Eingang (Abb. 111).

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110 The Economist Building, St. James's Street, A.&P.S, 1964,1983. Der neue Porch für die neue Zeit. Gröbere Botschaften: rechts, Economist Building-Schild (früher keines); links der einzige bewachte Punkt zum Betreten (früher zwei unbewachte Punkte); ursprünglich war alles unaufdringlich.

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Ein Porch ist eine der Einrichtungen, die die ganze Bedeutung eines Ortes, zu dem sie Zugang gibt, verändern kann. Er kann eine Intensität haben, die im Kleinen die Absichten einer Epoche einfängt. Das Portal von Maso di Bartolomeo von 1451 (Abb. 112) gegenüber dem Palazzo Ducale in Urbino verwandelt die alte Kirche von San Domenico mit einem Minimum an Konstruktion und einem Maximum an formaler Intensität; es ist nur einen halben Meter tief und etwa drei Meter breit, aber die Lunette ist hell und kann aus der Ferne gesehen werden, die Verzierung der Tür-Adikula ist sorgfältig und präzise gemeißelt und hinterläßt eine deutliche Spur im Gedächtnis aller, die vorbeigehen: Eine finstere romanische Festung Gottes wurde in einen leuchtenden Empfang für die Jungfrau der Renaissance umgewandelt. In Siena scheint Einheit darüber zu herrschen, daß jede Nutzungsänderung von Santa Maria della Scala Wege in seinem gebauten Gewebe und durch es hindurch offen halten sollte; natürlich nicht für alle überall hin, jedoch ausreichend viele, um das Gefühl zu erhalten, daß Santa Maria della Scala Teil der Stadt ist (Abb. 113). Daß die Fassade von Santa Maria della Scala zum D o m hin blinde Augen hat, ist hauptsächlich eine Folge der geringen Nutzung Mitte der achtziger Jahre, aber es gibt etwas anderes, schwerer Erklärbares, was sie so leblos erscheinen läßt. Auch wenn die Überzeugung bis in die achtzehnhunderter Jahre andauerte, daß es absolute Pflicht der Architektur sei, den Stil ihrer Zeit demjenigen vorangegangener Epochen aufzuprägen, scheint es doch, daß die fast identischen Replika über den original gotischen Formen diesen die Kraft nehmen, uns sogar an deren Echtheit zweifeln lassen. Das ist die Wirkung der hier abgebildeten neugotischen Fassade (Abb. 114). In der Nähe von Santa Maria della Scala, auf der Südseite der Piazza del Duomo, ist die Auswirkung des Aufprägens von etwas vollkommen Neuem auf etwas Altes erkennbar: dort, wo die Ecke der Palastfassade aus den siebzehnhunderter Jahren an einer Säule des alten, verfallenen Kirchenschiffs endet, wodurch die Authentizität beider Teile bestätigt wird. Das neue Portal von Santa Maria della Scala, als Zugang zur internen Straße geplant und zwischen der echten und der neugotischen Fassade zur Piazza del Duomo hin plaziert, versucht, die Authentizität beider auf die gleiche Weise wiederherzustellen (Abb. 115, 116).

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112 Urbino, S. Domenico, Maso di Bartolomeo, 1451, Portal mit der Lunette von Luca della Robbia

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113 Siena, Santa Maria della Scala, Grundriß der internen Straße, die mittels eines neuen Portals Zugang gibt zur Piazza del D u o m o

114 Siena, Santa Maria della Scala

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115 Siena, Santa Maria della Scala, neues Portal

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116 Siena, Santa Maria della Scala, neues Portal, Skizze des Eingangs S zur internen Straße durch das neue Portal

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Was für eine wundervolle Erfindung ist doch die Schranktür!

Das Studium des Stadtgewebes, von dem ein Gebäude einen Teil bildet, ist der Anfang. Das bringt den Architekten auf den richtigen Weg. Der Rest liegt in der Ausführung und im erfindungsreichen Bewohnen, vom geheimnisvollen unterirdischen Strom des Stils genährt, der in allen Prozessen entlang des Weges aufsteigt (Abb. 117). Schränke sind notwendig; sie vereinfachen das Auffinden und erleichtern die Handhabung von bunt gemischten Inhalten. Was für eine wundervolle Erfindung ist doch die Schranktür, dieser einfache Schutzschild für einen der intimsten Bereiche im inneren Territorium. Schranktüren bringen den bunt gemischten Inhalt unter den tausenden von Dingen, die uns innerhalb und außerhalb des Hauses umgeben, zur richtigen Geltung. Sogar wenn wir das meiste von dem, was wir besitzen, wegwerfen, kann das Auge dennoch durch die offene Tür oder das Fenster wandern. Dabei folgt ihm der Verstand und manchmal auch das Herz. Hinter Schranktüren können Geheimnisse stecken, verborgene zukünftige Freuden, zu verschiedenen Jahreszeiten gezeigte Gegenstände, Geburtstags- oder Weihnachtsgeschenke - denn die Vorfreude ist die schönste Freude. Hinter Schranktüren lassen sich gefährliche Dinge verstecken. Hinter Schranktüren können Dinge in großer Anzahl so aufbewahrt werden, daß gesunder Menschenverstand nicht wie Verschwendung aussieht. 106

117 Piero della Francesca, Madonna della Misericordia, 1445 beauftragt, Museo Civico Sansepolcro

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Was der Schrank für das Haus ist, ist das Haus für die Stadt. So, wie der Schrank seine Türen hat, so hat das Haus seine Straßenansicht, die wie die Schranktüren den bunt gemischten Inhalt des Hauses unter den zehntausenden Dingen, die unsere Aufmerksamkeit erfordern, in der Stadt richtig zur Geltung bringt (Abb. 118). Wie man etwas richtig zur Geltung bringt, hat selten etwas mit dem Individuum und den speziellen Gegenständen zu tun. Bei Häusern scheint das richtige Zur-Geltung-Bringen in jeder Epoche ganz ähnlich zu sein: verursacht durch den extremen Wettstreit an der Spitze der jeweils herrschenden Mode. Diese Einförmigkeit ist auch am Aussehen der Menschen und Tiere einer Epoche erkennbar. Die Menschen scheinen sich mit dem, was fast das Gleiche ist, am wohlsten zu fühlen; und doch ist diese Eintönigkeit Anlaß zum Wechsel des Stils, häufig auf eine brutale Weise. Seit dem späten Mittelalter war der erstaunlichste Stilwechsel in Nordeuropa derjenige, von viel Glas in den fünfzehnhunderter Jahren, zu viel Wand in den sechzehnhunderter Jahren, obwohl das Klima gegen beides spricht. Der Entschluß, anders zu leben, Geld für andere Dinge auszugeben, war folgerichtig für einen Stil, der sich abgenutzt hatte.'

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'Durch die gegenwärtig entstehende Kunst des Bewohnens hervorgehoben': Handlungen, die nicht das Territorium anderer übertreten; Dinge, die auf unser verändertes Empfinden reagieren; Wertschätzung des Unbeschädigten, des Geruchs der Luft, der Veränderung im Laufe eines Tages, des Wechsels der Jahreszeiten; die Dinge in einer Weise zu machen, die eine gesunde Landschaft zum Ziel hat. Diese Themen bringen nicht nur die heroischen, klassischen Tage in Erinnerung, als Gastfreundschaft - ein Bad, Ol, saubere Kleidung, ein Sitzplatz am Feuer, Oliven, Wein, Brot, gute Geschichten aus der Erinnerung, die eine kulturelle Identität festigten Zeichen einer unbeschädigten Umgebung war. Aber das strebte auch die heroische Periode der Modernen Architektur an, die eine gesamteuropäische Identität mit wundervoll klaren Gedanken und leuchtenden Hoffnungen verband.

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118 Antwerpen, Häuser am Marktplatz

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Konglomerate Ordnung

Im Contado* von Siena steht ein Getreidespeicher, La Grancia di Cuna, einst im Besitz von Santa Maria della Scala. Man könnte sagen, daß das landwirtschaftliche Lagerhaus ein riesiger Schrank ist (Abb. 119), ein Ort außergewöhnlicher Präsenz, bei dem die Einfachheit des Bauernhofes eine der seltensten und doch gewöhnlichsten Ordnungen erhält: ein Ort, bei dem man fast Angst hat ihn zu betreten, weil man weiß, daß das Ende seiner landwirtschaftlichen Nutzung ihn verschwinden lassen wird (Abb. 120). La Grancia di Cuna erträgt spontane Anbauten, Abriß und technische Modifikationen, ohne daß auf irgend eine Weise seine eigene O r d n u n g gestört würde; die kleinen hölzernen Sonnenblenden, die die Bewohner vor den Wohnraumfenstern an den Wänden angebracht haben, sind alle verschieden; das Getreidegebläse ersetzte die Packtiere, für die die Rampen in der Mitte gebaut worden waren; Maschinen, die je nach der saisonalen und täglichen Arbeit mal hier, mal dort standen - jeden Tag war es anders und doch jeden Tag gleich, vertraut und beruhigend (Abb. 121-126). Man kann sich in La Grancia di Cuna an einem versteckten, fast geheimen O r t wiederfinden, und doch fürchtet man sich nie, eine innere Stimme gibt einem das Gefühl der Sicherheit: „Ich finde den Weg zu den zentralen Rampen, die mich hinunter und heraus bringen, immer wieder, und selbst wenn die große Tür verschlossen ist, ist der Himmel über mir offen, ich kann rufen und mit den Vögeln sprechen, die durch das viereckige Stück Himmel fliegen; ich weiß, wie spät es ist, wenn ich die Schatten auf den Wänden verfolge, ich kann den Regen auf meinem Gesicht spüren." Alles in allem eine Erfahrung, die man nicht auf ein einfaches geometrisches Schema reduzieren kann, und die sich nicht im entferntesten durch zweidimensionale Bilder vermitteln läßt. Für diese 'Natürlichkeit', die Erfahrung, daß ein Gewebe 'geordnet' ist, auch wenn wir den Ort nicht auf dem ersten Blick verstehen oder das Gebäude nicht kennen, benutzen wir den Begriff konglomerate Ordnung. * ital. ländliche Umgebung (A.d.Ü.)

110

119 Lakritze

120 Val d'Arbia, La Grancia di Cuna, Hof der Erschließungsrampe 111

121 La Grancia di C u n a im Val d'Arbia 3. O G

122 La Grancia di C u n a im Val d ' A r b i a 2. O G

123 La Grancia di C u n a im Val d'Arbia 1. O G

124 La Grancia di C u n a im Val d ' A r b i a EG

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125 La Grancia di Cuna im Val d'Arbia, Schnitt

126 La Grancia di Cuna im Val d'Arbia, Ansicht

113

Wir sind vielleicht nicht in der Lage festzustellen, wo wir genau sind, und trotzdem können wir durch das Gebäude navigieren, mittels unserer Fähigkeiten, eine Lichtquelle zu erkennen, Wärme und Luft auf der Haut zu fühlen, die Dichte des umgebenden Gewebes wahrzunehmen, andere Menschen hinter Mauern instinktiv zu erahnen, zu riechen, was hier war, zu spüren, wo jemand gelaufen ist. Ein Gewebe der konglomeraten Ordnung nimmt alle Sinne in Anspruch; es kann eine gewisse Rohheit ertragen; es funktioniert auch nachts; es bietet vor allem Vergnügen, jenseits des Sehens. Die Architekten der heroischen Periode wollten ebene Fassaden, flache Wände, ebene Geschosse, Rampen anstelle von Treppen, weil diese Elemente von einer Revolution zeugten; wie die Höhe in der Gotik, vermittelte die Geradheit am besten die revolutionären Absichten (Abb. 127). Aber - um es zu wiederholen - wir sind jetzt in der vierten Generation dieser Revolution: Maschinen und maschinengesteuerte Prozesse sind jetzt alltäglich. Trotzdem denken wir immer noch 'gerade'; der Horizont ist die Bezugsebene, die Vertikale ist einfach nur senkrecht; beide sind 'wahr', ein Ausdruck sowohl ethischer als auch geometrischer Solidität. Deswegen bricht der Verstand zusammen, wenn man vor einem hochentwickelten Gebäude aus dem Mittelalter, wie Santa Maria della Scala sitzt und versucht, sich dafür einige einfache Ausgangslinien auf Papier gezeichnet vorzustellen, denen man dann nach und nach alles andere zuordnen kann, denn die gewohnten Hilfen durch ein horizontales Geschoß, ein waagerechtes Gesims, eine regelmäßig angeordnete Linie von normalen Fenstern, waagerechte Mauerwerksschichten fehlen (Abb. 128). Der Verstand bricht zusammen, weil er geschult ist, die Dinge so zu sehen und zu zeichnen, daß sie zusammenpassen, und die Dinge, die in unserer Zeit zusammenpassen, sind normalerweise 'rechtwinklig' zueinander. Beim Bauen benutzt man heute aus gutem Grund gerade Holzteile; am einfachsten und wirtschaftlichsten sägen Maschinen rechtwinklig, hobeln eben und fräsen geradlinig. Wenn wir an ein Gebäude mit abfallenden Fußböden denken, schrägen oder verspringenden Decken, Wänden, die vor und zurückspringen, lädiert und verzogen sind, stellen wir uns eine Masse vor, in der, wie bei einem Plumpudding, immer noch einige Zutaten erkennbar, die meisten aber ein unentwirrbarer Teil des Ganzen sind.

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127 Hilversum, Sanatorium Zonnestraal, Bijvoet und Duiker, 1927

128 Santa Maria della Scala, 'Schwelle zum Capitano'

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Der Kanon der konglomeraten Ordnung

Ein Gebäude der konglomeraten

Ordnung

scheint natürlich - wir haben das Gefühl einer geordneten Struktur, selbst wenn wir sie nicht verstehen oder uns 'verirrt' haben. Wir sind vielleicht nicht in der Lage festzustellen, wo wir sind, und trotzdem können wir mit unseren Fähigkeiten, Licht, Wärme und den Wind auf unserer Haut zu spüren, navigieren, die Dichte der umgebenden Struktur wahrnehmen, andere Menschen hinter Mauern erahnen, riechen, was hier war oder spüren, wo jemand hingegangen ist; nimmt all unsere Sinne in Anspruch: Es kann eine gewisse Derbheit ertragen; es funktioniert auch nachts und bietet vor allem Freude jenseits des Sehens: Dies ist vielleicht der Genuß des Territoriums, den andere Lebewesen so stark empfinden; hat räumliche Präsenz - überwältigender als die Präsenz des Objekts. Es ist auch nicht im entferntesten auf ein einfaches geometrisches Schema reduzierbar oder durch zweidimensionale Bilder verminelbar; kann spontane Anbauten, Abriß und technische Modifikationen ertragen, ohne daß seine Ordnung gestört würde; solche Veränderungen verbessern es sogar; ist imstande, die Veränderung der Nutzung innerhalb der 'Konvention der Nutzung' der übergeordneten Struktur, von der es ein Teil ist, hinzunehmen; es stirbt, wenn seine Nutzung aus der 'Konvention der Nutzung' herausfällt; ist schwer im Gedächtnis zu behalten, kaum faßbar; nur wenn man wirklich dort ist, dann scheint es ganz einfach; bringt all unsere Sinne durch die größtmögliche Vielfalt von Wahrnehmungen ins Spiel; hat eine kräftige Gebäudemasse, breit, aber nicht sehr hoch, von oben zur Belichtung und Belüftung durchbrochen; hat Ansichten, die alle gleichermaßen berücksichtigt sind, es gibt keine Rückseite, keine Vorderseite; alle Fassaden sind gleichermaßen von dem, was vor ihnen liegt, in Anspruch genommen; das Dach ist eine weitere 'Ansicht' (Abb. 129); ist ein unentwirrbarer Teil einer größeren Struktur; ist von einem Material bestimmt: der Matrix des Konglomerats; scheint 'heruntergezogen' zu sein, um den Boden zu berühren - es ist nicht der Boden, der 'aufgebaut' wird, um das Gebäude zu berühren;

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ist klobig, klumpig und schwer; hat einen Grundriß und einen Schnitt von veränderlicher Dichte; hat tragende Wände und Stützen, die in ihrer Dimension abnehmen, wenn die Last oder die Notwendigkeit für Masse sich verringert; hat unregelmäßige Stützen- und Wandzwischenräume und reagiert auf Nutzung und natürliche Situierung; ist durch die Hauptverkehrswege geordnet, die Menschen, Versorgungsleitungen und Informationen organisieren; der Zugang zu diesen Hauptverkehrswegen ist unauffällig - an einer kleinen Ausweitung oder einer Biegung des Weges; hat eine Form, die durch 'Bänder' zusammengehalten wird; ist als vernetzte Darstellung von dem, was benötigt wird, ausgearbeitet.

129 Jerusalem, die Kirche vom Heiligen Grab, das Dach

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Das konglomerate Ordnungssystem verschwand nicht mit dem Auftauchen der 'Architektur der Bücher'. Eine Architektur, die auf alle Sinne wirkt, lebte noch in der Renaissance weiter, auf jeden Fall bis zu Bramante. In den Gebäuden von Francesco di Giorgio spüren wir die Schwingungen eines älteren Netzes von Botschaften, die man heute nur noch schwer wahrnehmen kann, weil sie seit der Hochrenaissance aus der Architektur entfernt wurden. Als Konglomerate

würden wir bezeichnen:

den Sockel des Doms und den Palazzo Ducale in Urbino von Luciano Laurana und Francesco di Giorgio, 1464 und 1477 (Abb. 130). Die Palastansichten, obwohl sie sich der Stadt und der Landschaft bewußt präsentieren, lassen nicht zögern, das Gebäude als Ganzes dem Kanon zuzuschreiben; der Innenhof aber, so wie er wiederaufgebaut (?, P.S.) wurde, scheint von einer anderen Ordnung zu stammen; die Festung von Sassocorvaro von Francesco di Giorgio, 1476-1478 (Abb. 131); Santa Chiara, Urbino, von Francesco di Giorgio (Abb. 132); San Bernardino, Urbino, von Francesco di Giorgio, 1482 oder 1491 (Abb. 133); Palazzo del Magnifico, Siena, von Cozzarelli (?), 1508; Palazzo Tarugi, Montepulciano, von Antonio di Sangallo dem Älteren 1519 (Abb. 134). Selbst an den Renaissance-Ansichten ist er nicht vollkommen regelmäßig; die Gesimslinien steigen und fallen, knicken nach innen und nach außen, die Ansichten sind nicht symmetrisch, der Bau ist häufig innerhalb der 'Konvention des Gebrauchs' verändert worden, das Ordnungsempfinden ist trotzdem gesteigert;

118

130 Urbino, Apsis des Doms, Francesco di Giorgio, vor 1482

131 Festung in Sassocorvaro, Francesco di Giorgio, 1476-1478, fünfhundert Jahre nach der Fertigstellung, eine weitere dritte Generation

119

132 Urbino, Santa Chiara, Francesco di Giorgio im Dienste von Federico da Montefeltrco, 1475-1485, die Ansicht zur Landschaft: ein kanonisches Janus-Gebäude

133 Urbino, San Bernardino, Francesco di Giorgio, 1482 oder 1491

120

134 Montepulciano, Palazzo Tarugi, Antonio di Sangallo der Ältere, 1519

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Shodhan-Haus, Ahmedabad, von Le Corbusier, 1952 (Abb. 135); Palais des Baumwollspinnereiverbandes, von Le Corbusier, 1954 (Abb. 136);

Ahmedabad,

Kloster La Tour ette, von Le Corbusier, 1957-1960 (Abb. 137); Carpenter Center, Harvard, von Le Corbusier, 1961-1964 (Abb. 138); Magistero, Urbino, von Giancarlo de Carlo, 1968-1976 (Abb. 139); Studentenverband und Bibliothek, Universität Stockholm, von Ralph Erskine, Mitte der achtziger Jahre (Abb. 140); Building 6 East, Universität Bath, von Alison & Peter Smithson, 1982-1988 (Abb. 141). Daß die erste Pflicht eines Gebäudes gegenüber dem Gewebe besteht, von dem es einen Teil bildet, ist, so glauben wir, das Verständnis, welches die dritte Generation der Moderne - die Team X-Generation - von derjenigen, die ihr vorausging - der Generation der dreißiger Jahre - unterscheidet; denn seit 1952 hat eine Veränderung der Vision stattgefunden, als das Team X sich aus der gemeinsamen Erkenntnis heraus gründete, daß etwas die leuchtenden Ziele der ersten Generation im CIAM entwertet hat. Das Team X bemerkte die Diskrepanz zwischen den Dingen in den Köpfen dieser Generation und dem, was dann gebaut wurde. Die Ereignisse der vierziger Jahre hatten den lebendigen Geist der 'vier Funktionen' und andere Lehrsätze des CIAM ausgetrocknet. Die Notwendigkeit, das aus unseren eigenen formalen Bedürfnissen heraus zu überdenken, verunglimpfte in keiner Weise die Gedanken des CIAM: Die Idee der reinen Konstruktion der Gebäude, in der bloß das Notwendige auf ein poetisches Niveau gehoben wurde, war wundervoll.

122

FrrrFBTFF , CKCcBftxrj liKfifaalF· ¡Ρ» κιτ3 135 Ahmedabad, Shodhan-House, Le Corbusier, 1952, ein Haus, dessen Ordnungsschema um unsere unauslöschbaren animalischen Empfindungen konstruiert ist

136 Ahmedabad, Palais des Baumwollspinnereiverbandes, Le Corbusier, 1954, 'durch seine Haupterschließungswege geordnet

137 Kloster La Tourette, Le Corbusier, 1957-1960: 'scheint nach unten gezogen, um auf den Boden aufzutreffen (der Boden wird nicht hochgebaut, um auf das Gebäude zu treffen).'

138 Harvard, Carpenter Centre, Le Corbusier, 1961-1964. Von allen späten Gebäuden Le Corbusiers ist es dasjenige, welches am deutlichsten das Ordnungssystem seiner letzten Phase zeigt, und das, was danach kommt.

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139 Magistero, Giancarlo D e Carlo, 1968-1976, innerhalb des Gewebes von Urbino

140 Stockholm, Universitätsbibliothek, Ralph Erskine, Mine der achtziger Jahre

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141 Universität Bath, Building 6 East, A.&P.S., 1982-1988. 'Die Nordfassade stößt nach vorn und öffnet sich, um den Fußweg aufzunehmen. Die Formen werden durch umlaufende Dach- und Gurtgesimse zusammengebunden.'

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Die Idee der ersten Pflicht eines Gebäudes war nicht einfach eine Übereinkunft, auf die sich das Team 10 geeinigt hatte; sie war vermutlich die Folge unseres Instinkts, Gebäude wie Gewebe zu machen. Sicherlich waren unsere frühesten Arbeiten in den fünfziger Jahren - die Golden Lane streets-in-the-air (Abb. 142) und unser Beitrag zum Hauptstadt-Berlin Wettbewerb (Abb. 141) - bewußt Gewebe in Form überlagerter Netze, die miteinander verbundene Räume bildeten, um irgendwie das Netzwerk der Gesellschaft auszudrücken und das Bedürfnis, seinen Weg selbst zu wählen, ohne dabei die Wahl der Möglichkeiten zu weit einzuschränken. Die räumliche Form war das Gegenstück zu einer erdachten gesellschaftlichen Form von greifbarer Freiheit und Mobilität. In den fünfziger Jahren haben wir bewußt versucht, die Dinge auf eine andere Weise zu betrachten, um die 'Denkart', die uns gelehrt wurde oder die wir geerbt hatten, zu durchbrechen. Eine andere Art zu denken, bei der man die Dinge im Kopf umdreht, als wäre alles frisch aufgenommen worden; bei der man alles von allen Seiten betrachtet, wie eine Scherbe von einer Ausgrabungsstätte. Beim 9. CIAM-Kongreß in Aix-en-Provence 1953 wußten wir, daß die Dinge, die durch das Netz der vier Funktionen fielen, so zahlreich waren und daß die europäischen Sehnsüchte sich in einem so großen Wandel befanden, daß der Versuch, sie nach alter CIAM-Manier zu kategorisieren, die Sache zu sehr vereinfacht hätte und die Beweglichkeit der Gedanken zudem blockieren würde. Wir vertrauten darauf, daß der Verstand, der sich der Vielfalt der 'Funktionen' bewußt ist, am besten zur Bewältigung ihrer Verknüpfung und ihres Wandels ausgestattet ist. Das bedeutet, daß wir an der Entwicklung eines Architekturverständnisses nach Art der Ordnung des freien Falls' interessiert waren, einer Ordnung mit unendlichen Variationen, ohne vorgegebene Grenzen, mit der sich eine sich entfaltende Ordnung erkennen lassen würde. Maßsysteme entwickeln sich natürlich aus einer genüßlichen Auflösung eines Programms; wir öffneten unser Denken für neue Möglichkeiten.

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142 Golden Lane-Studie, A.&P.S., 1952-1953,'Vogelperspektive der peripheren Fragmente'

143 Hauptstadt-Berlin-Wettbewerb, A.&P.S., 1957, das Fußgängernetz

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In den späten achtziger Jahren ist die Art von Gebäuden, die unsere Bedürfnisse erfüllt und auf die Komplexität und Veränderbarkeit von Funktionen reagiert - mit der Möglichkeit, in seiner Organisation auf ständig auftretende Veränderungen reagieren zu können - , jenes Gebäude, das von innen nach außen entwickelt wird, so daß unsere Wahrnehmung von ihm, wenn es sich materialisiert, die folgende ist: So sieht es also ans, das konglomerate Gebäude (Abb. 144). Der so entstandene Stil ist klar, erscheint einfach, aber reagiert auf eine größere Komplexität, um mit der Kompliziertheit der Muster umzugehen und sie zu lösen. Die Themen, die ins nächste Jahrhundert reichen, liefern uns schon heute einen Stil, der durch die Reaktion des Gebäudes entsteht: Sonnenenergieaufnahme, Energiespeicherung. Auf viele Arten geht die Rückkehr zum konglomeraten Gebäude - aus den Tagen des Mittelalters, ohne mechanische Einrichtungen, als nur Menschen transportierten und entsorgten - der Erfindung von Versorgungseinrichtungen voraus, die sich selbst versorgen, ferngesteuert. Das wird das 'Röhren- und Kabelzeitalter' beenden. Die unterschiedliche Dichte von Grundriß und Schnitt, offen zu einer Ansicht, dicht zur anderen; offene Formen, die 'platzbildend' sind, beeinflußten die Grundrisse der Gebäude des neuen Stils. Sie sind wie Fußabdrücke (Abb. 145).

144 Universität Bath, A r t s Barn, A.&P.S., 1980, Fragment (Auditorium) im Bau, 1989: A r t s Barn ,ein Gebäude wie 6 East, um das sich das Konzept der konglomeraten Ordnung kristallisierte

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145 Universität Bath, Second Arts Building, A.&P.S., 1978-1981, Grundrisse wie Fußabdrücke

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Das islamische konglomerate Erbe

Die Idee der konglomeraten Ordnung dehnt sich in den Gedanken aus: In einem Gebäude mit konglomerater Ordnung haben die Fragmente Bindekraft und besitzt die Matrix Absorptionsfähigkeit; in einem konglomeraten städtebaulichen Arrangement haben die Gebäude Bindekraft, und der Raum dazwischen besitzt Absorptionsfähigkeit. In Sevilla drängen sich rund um die Kathedrale große Gebäudemassen aneinander; der Raum zwischen ihnen ist voller Verkehr, verwirrend, aber wunderbar, Raum einer definierbaren Urbanen Ordnung, Urbanismus der 'Ballung'. Eine so neuartige Idee, daß wir nicht in der Lage sind, ihre Eigenschaften zu bestimmen (Abb. 146). Eines der verbreitetsten städtebaulichen Arrangements der Gegenwart ist das großer, 'zusammengeballter' Gebäude, die planlos um Verkehrsinseln stehen; dort warten wir auf den Bus, das Taxi oder einen Freund unter Lärm und Gestank und mit dem Verlangen, zu entkommen. Was ist der Unterschied zwischen der Erfahrung des Raumes inmitten der 'Ballungen' in Sevilla und demjenigen dieser Verkehrsinseln? Warum genießen wir die eine und hassen die andere? Konglomerater städtischer Raum ist seinem Wesen nach islamisch, da man in den Ländern, in denen islamisch gebaut worden ist, einen dichten Gebäudeteppich findet, der von großen 'Ballungen' einzeln stehender Gebäude unterbrochen wird, die Sitz religiöser oder weltlicher Einrichtungen sind. Die großen 'Ballungen' drängen sich unregelmäßig zusammen; die Räume zwischen ihnen sind nur etwas breiter als die Risse im Rest des Gebäudeteppichs. 130

Überdenken wir die Erfahrungen aus Sevilla noch einmal: Das von Gebäuden umschlossene Volumen übersteigt das des zum Himmel hin offenen Raumes dazwischen bei weitem; und der Zwischenraum ist die Summe von etwas größeren Rissen in einem zusammengeschlossenen Gebäudeteppich. Außerdem sind die großen 'Gebäudeballungen' niedrig und sehr breit, fast wie treibende Inseln in einem Meer aus Menschen und Autos, so daß diffuses Licht in den Raum dazwischen dringen kann. Einige der Gegenstände - die Möbel der Stadt - , zwischen den großen 'Ballungen' plaziert, sind von hoher Qualität. Sobald sich der Besucher in einer dieser großen 'Ballungen' befindet, schließt deren Masse den Lärm und das Gedränge der umgebenden Stadt aus, es entsteht ein Gefühl der Abgeschiedenheit. Jede dieser 'Gebäudeballungen' hat eine erstaunliche Qualität, sie sind einzigartig und sehr unterschiedlich, eine individuelle Einheit bildend. Jede hat vor- und zurückspringende Außenwände; durch Fialen und Versprünge haftet der Raum zwischen den Gebäudeballungen an deren Oberfläche. Uber den Mauern, die die Gärten voneinander teilen, entdeckt man Pflanzen, die sich in den Himmel strecken, um weiter in den Raum zu greifen; man erinnert sich an Kletten, die an Tieren und Menschen hängen bleiben, die durchs Land streifen. Damit der Zwischenraum Absorptionsfähigkeit erhält - die Fähigkeit, Lärm, Bewegung, Touristenbusse, das Einfügen und Entfernen von Straßenmobiliar usw. zu absorbieren - , muß einiges zu seinen Gunsten arbeiten: Die Bewohner müssen eine Absorptionsfähigkeit für Fremde haben, das heißt, eine eher gleichgültige Neugierde. Sie müssen ein unerschütterliches Vertrauen in ihre eigene Gemeinschaft haben; die Geschwindigkeit des Verkehrs muß niedrig sein, und Fußgänger müssen sicher sein, daß sie aus Gewohnheit Vorrang haben, nicht wegen des Gesetzes - das heißt: Vertrauen in das städtische soziale Gewebe und Vertrauen in das physische Gewebe des Ortes; der Raum muß unregelmäßig 'ausbluten', ein Teil in einen anderen, einige Teile immer unsichtbar, dann geht man davon aus, daß es immer irgendwo leeren Raum, Kapazitäten, Absorptionsfähigkeit gibt, und daß ein Gefühl wirklicher Kontinuität 132

und Zugehörigkeit vermittelt wird, das nicht nur historisch ist, obwohl das eine notwendige Grundvoraussetzung für das konglomerate Empfinden zu sein scheint; der Raum muß unregelmäßig sein, mit unregelmäßigen Rändern, unregelmäßigen Höhenniveaus, er muß mit 'ererbten' funktionalen Unterschieden der Bodenoberfläche ausgestattet sein; der Raum muß mit alten Bäumen versehen sein und mit Anzeichen von Tieren, die hier lebten und durchzogen; er muß Spuren einer gütigen Stadtregierung haben, einer unaufdringlichen Ordnung, sogar Spuren eines gewissen Laissez faire; der Raum braucht all das, was Geräusche zerstreut und absorbiert und die Grenzen des Raumes verunklärt; Dinge, die der räumlichen Absorption gleichsam einen immateriellen Zuwachs geben, stehen für Zeichen, die das Bewohnen signalisieren, von zufriedenen Bewohnern, durch Erbschaft oder die Stadtverwaltung beigesteuert; der Raum braucht schließlich die 'Erweiterung der Behausung' durch gewohnte Verhaltensmuster, die oft jahreszeitlich bedingt sind und dadurch zur Wahrnehmung der Jahreszeiten beitragen. Natürliche Veränderungen besitzen nicht nur für sich Absorptionsfähigkeit; jahreszeitliche Veränderungen ändern die räumlichen Grenzen auch rhythmisch.

133

Es gibt einen Unterschied in den Intentionen des islamischen und des europäischen Stadtraumes. Die exakt gebauten Straßen und Plätze in Europa sind seit der Renaissance immer 'Bühnen' (Abb. 147) gewesen - dieser Raumtyp erschien sicherlich zuerst in Holz und Leinwand, bei den höfischen Feiern und im Theater - , wohingegen in den erweiterten Rissen zwischen den 'Ballungen' islamischer Städte Menschen, Güter, Tiere, Gerüche, die zerknitterte Architektur aus Dächern und Mauern zu einer einzigen Erfahrung verschmelzen, die für das individuelle Drama steht (Abb. 148). Diese 'Einsichten' in die Natur des islamischen Raumes haben kein einzelnes beschreibendes Wort gefunden, denn es gibt nur wenige Worte zur Beschreibung räumlicher Charakteristiken. Oft erfassen wir erst, was einen Ort auszeichnet, wenn es verschwunden ist. Dann sagen wir etwa von einer Straßenecke, die lange Zeit unbebaut war und auf der jetzt ein neues Gebäude steht: Sie war so besonders, weil die Wintersonne das und das machte, wenn sie in flachem Winkel aus den alten Gärten dahinter durch die leere Ecke schien. In den Straßen in der Nähe unseres Hauses in London erlauben die Lücken zwischen den Häusern 'belaubte Ausblicke' in die dahinterliegenden Gärten (Abb. 149,150); man hat die Illusion von Villen in einem großen Garten, die den Eindruck eines Landbesitzes in einer Gemeinschaft vermittelt, in der jeder jedem vertraute. Wesentlich für diese Illusion ist, daß die 'Villen' formal voneinander getrennt sind; das Gefühl des Getrenntseins wird zum Teil durch die Untersicht der weiten Dachüberstände vermittelt, die um das ganze Haus laufen. Aber erst wenn einige dieser Villen den 'umlaufenden' Charakter verloren haben, weil Einbauten zwischen den Häusern den Dachvorsprung abschneiden oder deren klare Linie durch hohe Anbauten auf der Rückseite unterbrochen wird, erkennen wir, wie der räumliche Charakter gerade dieser speziellen Straßen zustande kam. Selbst nach dieser Einsicht findet man nur mit Schwierigkeiten genau die Worte, die den Charakter des Raumes erklären können, besonders gegenüber denjenigen, die hier leben; das Wort 'Stadtvilla', das Architekten benutzen, scheint für sie nur den Gebäudetyp zu beschreiben und nicht eine räumliche Charakteristik. Seltsam, daß so wenige neue Worte zur Beschreibung des Raumes in unser Vokabular eingegangen sind, in einer Zeit mit größtem Interesse für urbane Form, in einer Zeit, da Städtebau akademisch institutionalisiert ist und man über Städtebau wissenschaftlich diskutiert.

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147 Eine ideale Stadt: Luciano Laurana, 1420-1479

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148 Kairo, Straßenszene beim überdachten Souk

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Janus-Gedanken Das Bild von Siena, das uns Augusto Mazzini schildert, ein Architekt, der in dieser Stadt geboren wurde und arbeitete, ist das von Häusern, die sich an Kammstraßen aufreihen, was sie als große Stadt wie aus dünnen Fäden erscheinen läßt (Abb. 151). Dieses Bild produzierte die Saat, aus der diese Janus-Gedanken gewachsen sind, denn die so aufgereihten Häuser erzeugten zunächst eine Verdichtung (Abb. 152); dann begannen die Häuser, auf Dinge anzusprechen, die durch die Verdichtung erzeugt worden waren: Stadt und Land. Die Häuser haben eine Fassade zur Straße davor und zum offenen Land dahinter. Siena kann als Janus-Stadt bezeichnet werden (Abb. 153). Mit Janus ist nicht die 'Doppelgesichtigkeit' des üblichen Sprachgebrauchs gemeint, die Falschheit bedeutet. Hier wird es in einem gegenüber der ursprünglichen Bedeutung erweiterten Sinn gebraucht1, denn Janus war ein römischer Gott, der zweierlei ins Auge schauen konnte: ein Gott, der zwei Beobachtungen anstellen und, als Konsequenz daraus, zwei Handlungen, die sich aus diesen Beobachtungen ergaben, zur gleichen Zeit ausführen konnte (Abb. 154). Deswegen steht ein Janus-Gebäude seiner Natur nach bewußt zwei Bedingungszusammenhängen gegenüber. Das Hospital Santa Maria della Scala steht sicherlich in einem Janus-Zusammenhang, da es ein Gebäude an einer Grenze ist: die Stadt auf der einen Seite, das Land auf der anderen (Abb. 155). Seit dem Mittelalter hat es eine betonte Ansicht zum Duomo auf der Stadtseite, die Fassade zum Land ist einfach eine Rückseite. Aber diese Rückseite verschmilzt nicht mehr wie früher mit dem Geschehen davor, da sich die produktive landwirtschaftliche Tätigkeit einige Kilometer entfernt hat. Was vor der Fassade liegt - das San Ansano-Tal-, ist im Hinblick auf seine Kultivierung die Folge von gesetzlicher Planung, nicht von natürlicher Aktivität. Die Authentizität dieser Seite - daß das Gebäude mit den landwirtschaftlichen Aktivitäten verschmilzt - ist verloren gegangen. 1

„ E r war der G o t t aller Anfänge, sowohl im öffentlichen als auch im privaten L e b e n ; der G e b u r t eines Menschen oder des Beginns eines neuen Jahres. J a n u s war der G o t t der Eingänge (janua), der jeden bewachte und beobachtete, der herauskam oder hineinging (deswegen in beide Richtungen schauend), und der zum O f f n e n und Schließen der T ü r e n seine Zustimmung gab. E r war der G o t t der Stadttore und nach allgemeiner Ansicht der besondere G o t t des Janiculums, weil dies der O r t des Eintritts und Austritts für den Landhandel mit Etrurien war und zugleich die Festung, die die antiken Anlegeplätze am T i b e r bewachte." G . E . Marindin, A Smaller Classical Dictionary, 1898

138

155 Siena, Santa Maria della Scala im Kontext

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Wenn Authentizität wichtig ist, nach welcher Aufgabe sollte dann jede Seite von Santa Maria della Scala jetzt suchen? Man könnte sagen, die Aufgabe der zum Duomo weisenden Seite sei es, die Grenze für einen touristischen Bereich zu markieren, und die Aufgabe der anderen, nach außen gerichteten Seite, die Begrenzung eines Stadtparks zu bilden, denn das San Ansano-Tal kann als Park betrachtet werden, der in das große Gewebe von Siena und Umgebung eingebettet ist (Abb. 156). Die Rückseite von Santa Maria della Scala würde als Gartenmauer dienen. Als Janus-Gebäude interpretiert, würde die Seite zum Duomo mehr oder weniger bleiben, wie sie ist; die zum Tal hin würde beruhigt, leiser, eine stille Grenze zur Stadt (Abb. 157-160). Eine der Eigenschaften eines Gebäudes konglomerater Ordnung besteht darin, daß es sich seinem Wesen nach mit allem verbindet, was darum und darüber liegt - mit anderen Gebäuden, Menschen, dem Himmel, Bergen, Vögeln, Flugzeugen. Sobald ein Gebäude dieser Ordnung eine Fassade gegenüber einem dieser Elemente betont, fällt es aus dem Kanon der konglomeraten Ordnung. Um es zu wiederholen: Hier liegt der Unterschied zwischen einem Janus und einem Konglomerat - ein Janus stellt gegenüber, ein Konglomerat verschmilzt. Die Janus-Eigenschaft von Santa Maria della Scala ist stark ausgeprägt und Teil einer Janus-Stadt. Warum wurde Santa Maria della Scala dann ein Gebäude, an dem sich der Kanon der konglomeraten Ordnung entwickelte? Man könnte sagen: wegen der Notwendigkeit, über das Wesen nachzudenken statt über Fassaden und auch wegen der großen Schwierigkeiten, sich ein Janus-Gebäude vorzustellen, ein Gebäude mit zwei Nervensystemen, die sich an irgend einem Punkt treffen, um sich miteinander zu vermischen, jedoch getrennt agieren können.

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156 Die zwei Seiten von Santa Maria della Scala, Touristen auf der einen, Stadtpark auf der anderen Seite

157 Santa Maria della Scala, die beruhigte Fassade zum Land

158 Santa Maria della Scala, gegenwärtige Fassade zum Land

159 Santa Maria della Scala. D e r Lageplan zeigt den Z u s a m m e n s t o ß von Stadtmauer u n d o f f e n e m Land.

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160 Santa Maria della Scala. Der Lageplan zeigt ein Auditorium hinter der 'Janus-Wand'.

143

Das Janus-Gebäude ist eine nicht ganz einfache Idee. Aber Gebäude mit zwei ausgeprägten, dominanten äußeren Bedingungen sind häufig anzutreffen. Einige Beispiele: ein Palast, eine Seite zum offenen Meer, die andere zu einem engen Fußweg: Venedig; ein Palast mit einem weiten Ausblick über das Mittelmeer auf der einen Seite, einer steilen, engen Straße auf der anderen: Genua; eine Wassermühle, technisch ausgerüstet für den Mühlbach auf der einen Seite, und auf der anderen das Wohnhaus des Müllers; die gebaute Ansicht einer angesehenen Person der Gemeinde; eine Bastion, auf der einen Seite gewaltig, streng, einschüchternd, auf der anderen Seite nur ein offener Hof für das alltägliche Leben, mit den Küchen, Kasernen und Lagerräumen der Garnison; in Friedenszeiten meist leerstehend, möglicherweise nur von Katzen bewohnt, die ohne weiteres auf einer der beiden Seiten schlafen können: Valetta. Ein reines Janus-Gebäude., bei dem - dem Janus-Gedanken entsprechend - die Organisation jeder Form, jedes Volumens, jedes Materials zweifach gedacht ist, wird natürlich nicht existieren, da jede Architektur die Echos anderer in sich trägt. Aber eine Janus-Eigenschaft kann isoliert werden. Sie existiert als handhabbare Idee. Wenn die Nutzung von Santa Maria della Scalla als Hospital aufhört, sollte der Zweck, den wir für die Janus-Seite suchen, die nach außen aufs Land gerichtet ist, nach innen orientiert, verschlossen sein - ohne Angst vor etwas Vernachlässigung oder zugemauerten Fenstern oder massiven Brüstungen 2 (Abb. 161,162).

2

144

Instinktiv möchten wir Santa Maria della Scala öffnen, so daß der Wind, der Regen, der Frost, die Sonne hereinkommen und das Gebäude von allen Spuren alter Krankheiten befreien können. Mit einem Wort: Wir möchten, daß es eine 'Ruine' der früheren N u t z u n g ist. Über viele Generationen war das europäische Gedankengut durch Ruinen mit der Vergangenheit verbunden - saubere Steine in einer Hirtenlandschaft - , durch Ruinen von Gebäuden und Städten, frei von Gemetzel, Begierde^ Vulgärität, Gestank, Fäulnis, der wirklichen Vergangenheit.

161 Das Schweigen der zum offenen Land 162 Urbino, Palazzo Ducale, gerichteten Seite von Santa Maria della Scala, Luciano Laurano, Francesco di Giorgio, Detail der zugemauerten Fenster 1470er-1480er Jahre, Ansicht vom Pincio, Fenster als 'Tabernakel', zugemauerte Fenster, ursprüngliche Fenster

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Man stelle es sich als Farm vor. Das Building 6 East der Universität Bath könnte, obwohl konzipiert, bevor der Begriff sich herauskristallisierte (Abb. 163), in den Kanon der konglomeraten Ordnung aufgenommen werden. Die Gebäudemasse, die Wege, die Versorgung verbinden sich mit den anderen Gebäuden, mit denen es die 'Konvention der Nutzung' teilt. Es ist hochdifferenziert (Abb. 164-169): Unterschiedliche Raumformen, unterschiedliche natürliche Lichtquellen, unterschiedliche Belüftung; schwere Dinge unten, leichte oben; das Gebäude hat sehr dicke und sehr dünne Mauern. Es berücksichtigt, was man die Anliegen des Konglomerats nennen könnte; wenn etwa an bestimmten Stellen Masse zum Lärmschutz benötigt wird, kann dann nicht die gleiche Masse zur Lastabtragung benutzt werden, der Windaussteifung dienen, als Windbrecher fungieren oder Wärme speichern? Eine solche Untersuchung ist nichts anderes als das, was beim Bau einer Farm, einer Festung oder einer Brücke in der Vergangenheit üblich war. Wegen der Mühe, der harten Arbeit, die bei der Realisierung notwendig waren, mußte jeder Teil viele Aufgaben übernehmen. Es mußte eine wechselseitige Verknüpfung der Aktionen geben, den Bauprozeß und selbst spätere Veränderungen eingeschlossen. Aber heute so zu denken, verlangt nach einer bewußten Denkweise, die nicht mehr üblich ist. So zu denken, könnte die gebräuchlichsten Vorstellungen der Raumorganisation, der Tragelemente und der Versorgungseinrichtungen auf den Kopf stellen. Um einige offensichtliche Beispiele zu nennen: Viele kleine, in einer Gruppe angeordnete Räume bilden durch ihre Umschließungswände eine größere Masse als wenige große Räume; diese 'Gruppenmasse' für thermische und akustische Zwecke zu nutzen, führt zu bestimmten Entscheidungen in der Grundrißorganisation und der Gebäudenutzung. Wenn mehr Masse zur Lastabtragung am Fuß des Gebäudes benötigt wird, sollte dann diese 'tragende Masse' nicht für 'schwere Nutzungen' gebraucht werden? Wenn oben am Gebäude weniger Masse zur Lastabtragung benötigt wird, könnten dort nicht Offnungen sein, um mehr Licht hereinzulassen, und könnten die Obergeschosse nicht für 'lichtbeanspruchende' und 'aufwärtsschauende' Zwecke genutzt werden? 146

164 Universität Bath, Building 6 East, A.&P.S., 1982-1988, das gesamte Gebäude im Kontext

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165 Building 6 East, Dach

166 Building 6 East, 4. O G ohne Kontext

167 Building 6 East, 3. O G im Kontext

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168 Building 6 East, 2. O G im Kontext

169 Building 6 East, 1. O G im Kontext

149

In diesem speziellen Gewebe kreisen die persönlichen Interessen des Architekten um den Begriff 'Unterschiede', denn um uns an unserem Territorium wirklich erfreuen zu können, benötigen wir ein Gewebe, das eine große Anzahl von 'Unterschieden ' zur Verfügung stellt. Das Gebäude hat Wände, Decken, Böden, die sich krümmen und verspringen, auf- und abgehen, sich schlängeln und aufeinander einwirken. Licht Sonne und Sterne Wind Hitze Kälte Frost

Geländeformation Himmelsformation

Regen abfließendes Wasser

Gewicht Lärm Stille Geruch

und so weiter machen sie auf die verschiedenste Weise erfahrbar. An den Außenseiten des Gebäudes befinden sich drei, auf Klimaunterschiede reagierende Einrichtungen: umlaufende Gesimse, 'atmende' Dachrinnen, 'atmende' Dachfirste. Betrachten wir sie in umgekehrter Reihenfolge: Als wir die erste Anwendung von 'atmenden' Dachfirsten bei einem früheren Gebäude von oben sahen (Abb. 170), einige Monate nach dessen Fertigstellung, als sich die Besorgnis etwas gelegt hatte und sich eine Art Objektivität eingestellt hatte, entdeckten wir die Idee einer 'First-Rippen-Dacharchitektur'; 'Firstrippen', wie die sichtbaren Wirbel bei einigen Knochenfischarten oder auf dem Rücken einiger Dinosaurier. Das Building 6 East hat hohe, hinterlüftete Firstgrate (Abb. 171). Bei den 'atmenden' Dachrinnen müssen erst noch die ersten Winter abgewartet werden, denn starker Wind könnte Wasser in die Baukörper dringen lassen (Abb. 172). 150

172 Building 6 East, 'atmende' Dachrinnen

171 Universität Bath, Building 6 East, A.&P.S., 1982-1988, 'atmende' Firste

170 Universität Bath, Amenity Building, A.&P.S., 1978-1985. Axonometrie von Südosten 151

Umlaufende Dach- und Gurtgesimse funktionieren, wie die sich 'schlängelnden' Dach- und Gurtgesimse im klassischen Bath, die die urbane Topographie der Stadt durchziehen und Einzelformen zusammenbinden (Abb. 173-176). Die Edelstahldächer reagieren auf den Himmel, nehmen die Farbe des Himmels an, die weiten Dachüberstände lassen den Blick nach unten gehen und machen den Besucher auf das aufmerksam, was vor ihm liegt die unmittelbar angrenzende Parklandschaft - , weniger aufmerksam jedoch auf die Störungen an der Grundstücksgrenze (Abb. 177). Die Außenwände haben die Farben des Baumaterials: beigefarbener Stein, gräulicher Beton, dunklere Farbtöne, wenn er feucht ist. Im Inneren hat das Gebäude die Farben der verwendeten Materialien, weiß tritt hinzu, um den Reflexionsgrad in diesem wirklich tiefen Gebäude zu erhöhen. Weiß, so daß Zeichnungen, Modelle, aufgehängte Blätter gut zu sehen sind und zur Dekoration des Gebäudes werden. Weiß nicht zuletzt wegen der Sicherheit in den Werkstätten. Sieht man die Wände leer, dann sind die grauen und weißen Räume wie die eines fiktiven ländlichen Palastes, dem die Versorgungseinrichtungen des zwanzigsten Jahrhunderts hinzugefügt wurden. Einen Monat nach der Fertigstellung von 6 East trat eine Zeit der Ruhe ein. So gab es Gelegenheit für einsame Spaziergänge in der leeren, frisch fertiggestellten Schale, zu allen Tageszeiten und spät in der Nacht. Das Gebäude schien unvollständig. Falls es ein konglomerates Gebäude ist, sollte es unvollständig erscheinen. Denn wenn es wahr ist, daß die Architektur eines konglomeraten Gebäudes stirbt, sobald sein Gebrauch aus der 'Konvention der Nutzung' fällt, was könnte dann weiter außerhalb davon liegen als gar keine Aktivität, Leere? Das Ordnungsprinzip eines konglomeraten Gebäudes ist nicht das sorgfältig komponierter Formen und Volumen, sondern eines viel derberen Zusammenfügens, das seine geplanten Aktivitäten und die Kunst der Besetzung dieser Aktivitäten braucht, um das Gebäude zu vervollständigen.

152

173 Universität Bath, Building 6 East, A.&P.S., 1982-1988, umlaufende Gesimse auf der Ostansicht

174 Universität Bath, Second Arts Building, A.&P.S., 1978-1981, umlaufende Dachund Gurtgesimse

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176 Bath, St. Mary's Buildings. 175 Universität Bath, Amenity Building, A.&P.S., 1978-1985. Sich schlängelnde Dach- und Gurtgesimse Dach- und Gurtgesimse dienen als Verbinder. queren die Topographie von Bath.

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Es war unsere Absicht, Umliegendes gegenüberzustellen* hinauszuschauen, hinaufzuschauen, sicher darin zu manövrieren, den Himmel hereinzulassen. Das Bemühen, Umliegendes gegenüberzustellenscheint erfolgreich gewesen zu sein (Abb. 178). Es ist möglich, von dem Ort aus, von dem man es annahm, weit über Bath hinweg nach Landsdowne sehen zu können. Und die Orte, von denen aus man über das Avon-Tal nach Brown's Folly sehen kann, um das ganze Stück des bewaldeten Hügels von Bathford bis Conkwell Grange zu erblicken, sind genauso wie geplant. Es ist gelungen, bestimmte Teile des Himmels 'hereinzulassen' - vom obersten Geschoß des Gebäudes aus sind die Sonnenuntergänge über Bath im Winter atemberaubend. Man stelle sich 6 East als ein neues Farmgebäude vor, mit den alten Maschinen vom alten Hof, die man dorthin geschafft hat, und mit ein paar neuen Maschinen für die Arbeiten, die sich verändert haben, mit den alten Arbeitern - mit ihren gewohnten, gebrauchten Sachen und den neuen Vorräten für die auf den neuesten Stand gebrachten 'häuslichen' Arbeiten, von den vertrauten Lieferanten. Die erste Person, die sich niederließ, war ein roter Automat; ein gebrauchter Riegel wurde an einer makellosen, neuen Tür angebracht. Man stelle es sich als Farm vor: ein Hof, eine Eingangstür für Besucher (Abb. 179).

''Im Original: 'to confront what lay around' (A.d.Ü.)

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177 Universität Bath, Building 6 East, A.&P.S., 1982-1988

178 Universität Bath, Building 6 East, A.&P.S., 1982-1988

179 Simone Martini, La Maesta, 1315-1344. Der Baldachin über dem Thron ist als Schutz vor dem von den Dachsparren herabfallenden Vogelmist entstanden.

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Den Pfad ändern

Starke Geländeformationen besitzen die Kraft, Siedlungen zweckmäßig erscheinen zu lassen. Die einfachsten Beispiele dafür sind die Bootshäuser an den Finger-Lakes in Upper New York State, die in langen Reihen entlang des Ufers zum Wasser orientiert stehen; die Straßen in Siena, die wie 'dünne Fäden* den Bergkämmen folgen; die Häuser von Simla, die vereinzelt direkt an der Geländekante stehen, um atemberaubende Ausblicke erlauben zu können. In all diesen Fällen nehmen wir einen Sinn für Strukturen, für Zweckmäßigkeit als Reaktion auf die Geländeform wahr, der sich über die Sensibilität der Zeit realisierte, in der der größte Teil einer Siedlung entstand. Könnte es sein, daß wir dort, wo eine Siedlung strukturlos, nicht zweckmäßig erscheint, 'Gelände-Notationen' erfinden und bauen, um eine Kraft anzubieten, die derjenigen natürlicher Geländeformationen entspricht? In dem Teil Englands, in dem wir unsere Kindheit verbrachten, sind die Felder auf den am höchsten gelegenen Grundstücken durch Mauern markiert; je höher am Hang, desto größer die Einfriedung. Dichter am Hof sind die kleinsten Einfriedungen für die nahen häuslichen Aktivitäten. Die Musterung des Landes durch Feldmauern (Abb. 180), territorialisierende Landmarken und Festungsanlagen (Abb. 181) aus frühester Zeit betrachten wir mit Ehrfurcht - wegen des Einflusses, den diese von Menschen gemachten Geländeformationen über die Zeit ausgeübt haben, wegen der Kraft, im Gelände zu bestehen, ihre Umgebung - im Falle der Landmarken über Jahrtausende - zu beeinflussen. Die Idee, GeländeNotationen als Strukturierungselement zu benutzen, ist unwiderstehlich. 156

180 Feldmauern in Deepdale

181 Norfolk, Castle Rising

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Die Liste von Gelände-Notationen ist lang (Abb. 182):

Wege, Straßen, Kanäle, Eisenbahnlinien, Autobahnen, Landebahnen.

Schneisen, Lichtungen, Baumwände, Feldhecken, Feldmauern;

Hügel, Terrassierungen, Böschungen, Erdbegrenzungen, Gräben, Erdbefestigungen;

Die Dauerhaftigkeit, die Kraft dieser Zeichen und ihr Wert als Orientierungsmittel und strukturierende Elemente ist keineswegs neu. Was jedoch neu ist, ist die Idee, die bei Überlegungen zu einer Markierung des Geländes im Tal von San Miniato, nördlich von Siena, entstand, einer Markierung, die ein Gefühl für künftige Nutzungsmöglichkeiten gibt 1 (Abb. 183, 184). Brachliegendes, nicht genutztes Land ist in Europa wieder verbreitet: Land, das nicht mehr genutzt wird, weil die Politik sich änderte, weil alte Industriebetriebe in der Nähe der Stadtzentren schließen oder wegziehen, weil Transportsysteme - Kanäle, Bahnstrecken - stillgelegt werden und die Gebäude und das Gelände frei werden; oder weil, wie in San Miniato, das Land, das zukünftigen Erschließungen vorbehalten ist, traurig und öde auf die kommende Entwicklung wartet. Wenn eine Gelände-Notation erfunden werden kann, sei es auch nur als Idee, oder nicht vollständig ausgeprägt, wie das bei einer Notation aus Bepflanzungen, bei Straßenplanungen oder der Erweiterung der Energieversorgung die Regel ist, werden Ereignisse und Bauten darauf reagieren. Gelände-Notationen gibt es auf unterschiedlich 'dauerhaften Ebenen': von langlebigen, teuren, schwer veränderbaren, bis zu kurzzeitigen, billigen, ziemlich einfach veränderbaren. Langlebige sind etwa eine Straße oder ein Wassersystem, kurzlebige wachsendes Getreide oder eine Baumanpflanzung, wie bei dem Vorschlag für das San Miniato-Tal. 158

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Der erste Gedanke für San Miniato war der fischschuppenähnlicher Böschungen, bei denen die kleinsten Schuppen in der Nähe der Wohnbereiche und der etablierten Aktivitäten liegen, die dann schrittweise in Richtung des kontrollierten, aber zur Zeit ungenutzten Landes, das weiter weg liegt, größer und größer werden. Die Geländeformation des veröffentlichten Projekts sieht hier 'Schatten-Taschen' aus Baumpflanzungen auf der Hangseite des Tals vor, die zeigen sollen, daß die Hangseite 'berücksichtigt' wurde und nun eine 'väterliche' Präsenz besitzt, auf die Gebäude und Aktivitäten antworten sollen. Es ist nicht bloß Leere, nicht bloß ein unentwickeltes Nirgendwo zum Ausbeuten; diese Hangseite ist für das Tal von San Miniato von höchster Bedeutung.

159

183 Siena, San Miniato-Park: Geländeformation aus Bepflanzungen und 'Parkplattformen'. Die Bepflanzungen im Tal unterhalb des San Miniato-Turms, die Zypressen entlang der Route zur Versorgung diverser Einrichtungen, die 'Parkplattformen' im Bereich der Hauptaktivitäten sollen ein Gefühl der Brauchbarkeit vermitteln.

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iÉKBB 184 San Miniato-Park: Die Bäume der 'Parkplattformen' sind immergrüne Eichen, Parkmarkierungen aus weißen Marmorstreifen in Betonkissen, Plattformkanten aus Travertin; Parkfläche Kies.

161

Es sind die daraus resultierenden Schritte, die die Idee der Gelände-Notation wirklich zu einem Instrument der Stadtplanung machen, zu etwas, das Ereignisse anscheinend von selbst stattfinden läßt. Zwei Beispiele: eine Versorgungsstraße in Street, Somerset; eine Rampe in Ansty Plum in Wiltshire. Street ist eine kleine Stadt, vielleicht ein großes Dorf; die Heimat der Schuhmacher C. & J. Clarke. 1966 wurde eine Versorgungsstraße quer durch den Stadtrand geführt (Abb. 185,186). Diese Straße ergab sich aus einer Studie über die Stadt, die eine neue Versorgungsstraße als dringend erforderlich bezeichnet hatte, um dem Durchgangsverkehr zu ermöglichen, die Hauptstraße zu umfahren, um dem Verkehr zu erlauben, zu den Fabrikparkplätzen und den Ladebuchten zu gelangen, ohne durch die Wohnstraßen fahren zu müssen; um die Zufahrt und das Parken auf der Rückseite der Geschäfte der High Street zu ermöglichen und dadurch die High Street an Street zurückzugeben. 1986 schließlich - nach 20 Jahren ist all dies realisiert, ausgelöst durch die Entscheidung, eine neue Straße in das Gelände zu gravieren, der dann, zufällig, eine Periode des Wohlstands folgte. Die Straße wurde von Ingenieuren aus dem Bezirk gebaut, die den damals üblichen Entwurfskriterien folgten; wegen der Verkehrsunfälle wurde die Hauptkreuzung nach ein paar Jahren ersetzt. Die Fabrikzufahrten und die Parkplätze wurden von C. & J. Clarke gebaut; die ehemaligen Hintereingänge der Fabrik wurden zu Haupteingängen. Die Parkplätze in der Stadt wurden von der Gemeindeverwaltung nahe bei den Ladenrückseiten gebaut; einige Läden haben zu den Parkplätzen führende Hintereingänge. Das Gesamtergebnis ist das übliche für eine gut geführte Provinzstadt. Die Arbeiten, die der Verlegung der Straße folgten, sind überlegt, aber fade. Doch immerhin wurde die High Street als das entscheidende soziale Rückgrat der Gemeinde erneuert. 162

185 Street, Diagramm des ursprünglichen Vorschlags für den Verlauf der Versorgungsstraße der Stadt

186 Street, Versorgungsstraße im Bau, 1968. Aus dem neuen Straßenverlauf ergab sich: Fabriken, Parkplätze usw. sind zur Rückseite hin orientiert und lassen das Uberleben der Highstreet als hauptsächlichen sozialen Mittelpunkts zu.

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Das zweite Beispiel - Ansty Plum - ist ein dänisch beeinflußtes Backsteinhaus, das in den sechziger Jahren hoch über der Straße an einem ehemals terrassierten Hang gebaut wurde. 1971 wurde ein kleines Nebengebäude auf Straßenniveau hinzugefügt - Garage/Lager/Spielhaus für Kinder/Atelier. Der Zugang zum eigentlichen Wohnhaus war schwierig: ein direkter Weg über unebene Stufen nach oben oder indirekt durch den Garten. 1986 wurden die schlechten Stufen für ältere Besucher gefährlich, und die Hausbesitzer machten eine Zeichnung für eine einfache Route nach oben; dieser natürlichen Route folgten eine einfache Betonrampe und ein Pfad aus Stufen. Die Podeste des gepflasterten Pfades befinden sich an den natürlichen Antrittspunkten (Abb. 187, 188). Nachdem der gepflasterte Pfad drei Jahre in Gebrauch war, begannen der Garten und die Ereignisse des Hauses, sich darauf einzustellen: Die alten Stufen und Wege blieben an ihrem Platz, teilweise überwachsen, aber immer noch benutzbar, neue Pflanzungen wurden angelegt, neue Nutzungen sind entstanden (Abb. 189, 190). Die Zeichnung der Bewohner erinnerte an das Diagramm von Rex Martienssen, auf dem die Route hoch nach Delphi in einem Beaux-Arts-Restaurierungsplan des Heiligtums eingetragen ist (Abb. 191). Diese Route nach oben existierte ohne Zweifel, bevor sie die Form eines gepflasterten Pfades annahm. Sobald ein Pfad sich etabliert hat, neigen Ereignisse und Gebäude dazu, 'ihre Nasen' dorthin zu wenden: ein gepflasterter Pfad beeinflußt alles, was ihn umgibt.

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188 Ansty Plum, 1987, der neue Weg im Bau

189 Ansty Plum 1989: Rampe und Stufen laufen parallel, die Bepflanzung des Randes beginnt.

190 Ansty Plum, Der neue, befestigte Weg gibt dem Zugang mehr Gestalt und veranlaßt die Menschen, sich anders zu verhalten.

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187 Ansty Plum, 1987, Grundriß des neu gepflasterten Weges, welcher der Zeichnung der Besitzer von der neuen Route nach oben Gestalt gibt

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191 Delphi, die nach oben führende Route, Uberzeichnung auf einem Beaux Art-Restaurierungsplan von Rex Martienssen, 1942

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Wenn interne Wege ein konglomerates Gebäude zusammenbinden, dann sind externe Wege - die Pfade - die Hauptverknüpfungselemente einer konglomeraten Siedlung. Sollen sie jedoch die verschiedenen Elemente der Siedlung verbinden, dann müssen sie ein erkennbares System herstellen; andere Verbindungselemente an sich gliedern - Wasserversorgung, Abwasserführung, Elektroversorgung, Telefonleitungen; Verbindungsrohre und Verbindungskabel - , um den Eindruck des Zusammenfassens aller verbindenden Elemente zu stärken; Zeichen dieser Verbindung - Masten, Kanaldeckel, Zugänge von wohlüberlegter Qualität besitzen; den Sinn für geordnete Nutzung vermitteln; ein Gefühl von Qualität vermitteln, die höher ist als die Qualität dessen, was verbunden wird, ein höheres gedankliches Niveau, ein höheres Niveau in bezug auf Material und Verarbeitung, so wie die römischen Straßen von höherer Qualität waren - geplant, um das zu überdauern, dem sie eine Zeitlang dienten. Die baumgesäumten Hauptstraßen Frankreichs, des Service du Ponts et Chaussées (Abb. 192), sind Zeichen der Gesittetheit, der Haushaltung des Staates. Es ist dieses Gefühl von Kontinuität, von Rücksicht auf die Bedürfnisse über diejenigen der Gegenwart hinaus, von der Vermittlung von Erinnerungen an die Vergangenheit, das gut gelegenen, gut gepflasterten, kontrolliert verlaufenden Wegen eine überwältigende Bedeutung in den menschlichen Siedlungen gibt.

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192 Chaussées in Frankreich

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Winden und Binden

Es heißt, daß die Mode des Schlitzens - Schlitze in die äußerste Stoffschicht eines Kleidungsstückes zu machen, die sich durch Körperbewegungen öffnen und schließen, um die darunterliegenden, kontrastierenden Stoffe zu enthüllen - zusammen mit der Mode des Bindens - sich mit bunten Bändern zu umhüllen und zu behängen - unter den deutschen Kreuzrittern begann (Abb. 193). Einer der Schlüssel zu Francesco di Giorgios formaler Extravaganz ist die 'Mode' der Militärs. Extravaganz findet sich bei allen oder fast allen Gebäuden Francesco di Giorgios, nicht nur in seiner Militärarchitektur; sie breitet sich in seiner Profanarchitektur und seinen Sakralbauten genauso aus, wie sich die Mode für extravagante Breeches [Reit- und Sporthosen, A. d. U.] unter den Soldaten der Kreuzzüge in einer unaufhaltsamen Woge der Begeisterung ausbreitete (Abb. 194). Breeches wurden aus breiten Stoffstreifen oder aus in Abständen zusammengefügten Bahnen gemacht, bei denen das Futter durch die Schlitze heraustritt (Abb. 195). 170