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German Pages 138 [137] Year 1954
BEOBACHTUNGEN ZUR EPISCHEN TECHNIK APOLLONIOS
DES
RHODIOS
VON
PAUL HÄNDEL
C. H. BECK’SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG MÜNCHEN 1954
Copyright 1954 by C. H. Becok’sche Verlagsbuchhandlung (Oscar Beck) München
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forsch in der C. H. Beck’schen Buchdruckerei Nördlingen
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INHALTSVERZEICHNIS Vorbemerkungen
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J. Die Einleitung des Epos: Götteranrufung, Vorgeschichte, Katalog
II. Einzelinterpretationen zum Heldenkatalog IIJI. Herakles, Hylas und Polyphem
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IV. Mythologische Tendenzen und ihr Verhältnis zur Erzählung ΕΌ VI. Die Reisen
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VIII. Die Einzelszenen und das Ganze . . . .00
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VII. Die Übergänge in den Reisen des Vierten Buchs
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68
IX. Zwei Szenen aus dem Vierten Buch: Der Mord an Apsyrtos und die Begegnung zwischen Peleus und Thetis . . . .0 000000000000 R ει κ ες
75
X. Zum Prinzip der Variation: Die Stationen der Reise. Abfahrt und Ankunft als Rahmen der Episoden. Die Abenteuer bei den Kyaneen und den Plankten XI. Das Dritte Buch: Hellenistisches Empfinden und epische Erzählungsform
Exkurs: Kirke. Die Sirenen. Thrinakria Schlußbemerkungen Nachwort
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Verzeichnis der häufiger erwähnten Literatur 7
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125 132 133 135
VORBEMERKUNGEN
Die Frage nach der dichterischen Technik eines Autors ist zwar nicht
die einzig denkbare, sozusagen die Frage des Philologen schlechthin, aber sie ist vielleicht die allgemeinste der möglichen Fragen. Um die Extreme zu bezeichnen: Man wird, wenn man sie behandelt, ebenso auf
sehr konkrete Quellenprobleme stoßen wie dem Geheimnis der innersten Motive des Dichters begegnen. Aber man darf, wenn man einen guten Anfang machen will, nicht ohne eine bestimmte Vorbereitung den Phänomenen gegenübertreten, man muß sich für sie ausrüsten — mit zwar zunächst vorläufigen, aber vernünftigen Kategorien. Am Anfang steht die Hypothese, die ausgeht von den offenkundigen Bedingungen, die einen im einzelnen noch unbekannten Autor umgeben.
Was sind für Apollonios, den epischen Dichter des dritten vorchristlichen Jahrhunderts, diese offenkundigen Bedingungen, und was sind dementsprechend unsere vorläufigen Kategorien? Vor allem und immer wieder ist da die Bedingung Homer. Man kann die Frage, wie der Nachfahr zum Urbild alles Dichtens steht, nie genug
stellen: wie und wo er es auffaßt als Aufforderung zur Imitation und zum Kontrast. Denn er wird sich immer empfinden als einer, der vor der homenschen Fohe steht, und wie dies fest im Bewußtsem des DichOE DE E E
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wir auf Homer blicken, und zwar auf das Allerkonkreteste bei ihm, können wir erwarteng zu finden, was unser Dichter „macht‘‘.
Wie Homer sozusagen die fortwährende Bedingung der antiken Epik ist, so ist für den Hellenisten all das eine Bedingung, was seit dem
fünften Jahrhundert entdeckt und fixiert worden ist — an poetischen \
Möglichkeiten, will sagen an neuem Sentiment, und an antiquarischen ;
und geographischen Fakten. Sind aber all diese neuen Dinge einmal ‘ gewonnen, so braucht man sich immer noch nicht nach ihnen zu richten. Also ist die Frage: Ist Apollonios ein Epiker ganz im archaischen ‘ Sinn oder läßt er, und wie, das Neue in sein Werk hinein?
Dieser weitere Aspekt auf unseren Dichter hat, wie es scheint, ein poetisches und ein durchaus unpoetisches Element. Alles, was sich auf die
neuen Empfindungen und Redeweisen bezieht, gehört ins Poetische; alles, was Sachen und die Kenntnis von ihnen betrifft, ist von der Wurzel her
unpoetisch. Berücksichtigt es der Dichter, so schafft er eine Spannung;
8
Vorbemerkungen
um 8o stärker, je genauer das Sachliche wird. Wieweit unterstellt er nun das Sachliche den Gesetzen der Dichtung, somit: wieweit verhüllt er es? Da schließlich auch das sachlich in unserem Werk Gesagte vom Dichter so gewollt ist, dürfen wir es nicht in dem Gedanken, es sei nicht im eigentlichen Sinne poetisch, aus unserer Betrachtung ausscheiden. Mit anderen Worten, wir müssen auch fragen: Hat Apollonios im Sachlichen, im An-
tiquarischen und Mythologischen,eine Methode, ist er, wie für einen Dichter seiner Zeit nicht verwunderlich, ein Mythologe mit gelehrten Grundsätzen? Oder schaltet er mit den Sachen nach dichterischem Belieben? Zwei Hauptfragen werden also die scheinbar locker aufgereihten folgenden Untersuchungen bewegen: die nach den Abweichungen von Homerund die nach dem Platz und dem Gewicht der modernen Kennt-_ ‚ nisse und modernen Empfindungen bei unserem Dichter. Immer wird das dichterische „„Machen‘‘, die dichterische Methode,‚im Vordergrund
stehen. Wenn die Untersuchungen nicht in die Irre führen, so muß ι sich ergebeny daß das „‚Machen“‘ einheitlich ist: daß der Dichter Sachliches und Poetisches zusammenstreben läßt, das eine dem anderen dienstbar macht. Dann stehen aber hinter allen Einzelheiten die gleichen fundamentalen Regeln der dichterischen Technik. Sie, wenn auch nur angenähert, zu formulieren, muß am ehesten gelingen, wenn man den Blick, jedesmal scheinbar isoliert, auf diese Einzelheiten oder Gruppen von ihnen richtet.! ı Durch die Ungunst der Nachkriegszeit wurde die Dissertation von R. Ibscher, Gestalt der Szene und Form der Rede in den Argonautika des Apollonios Rhodios, München 1939, erst zugänglichg als diese Arbeit abgeschlossen war. Nach den Untersuchungen von Mehmel ist Ibschers Buch das Eingehendste und Anregendste, das in neuerer Zeit über unseren Autor erschienen ist. Wir dürfen es als Stütze für unsere Ergebnisse auffassen, wenn sich Ibschers Beobachtungen, wie öfters, mit unseren decken. So verwendet er auch bisweilen den gleichen Terminus (vgl. hier S. 130
Anm. l) Um aber das'was Ibschers Arbeit wirklich will, richtig einschätzen zu kön-
nen, wäre vor allem eine Prüfung ihrer Grundposition nötig, die wir hier nicht vornehmen können. Es wäre nötig, Begriffe wie „lineare Handlung (und ihre Durchbrechung), Statik und Dynamik, Bewußtheit, Wichtigkeit der Handlung, Szenenakzent‘“ auf ihre Tragfähigkeit hin zu betrachten, zu fragen, wie weit das,was Ibscher für Zwang und Notwendigkeit beim Dichten des Apollonios hält, es wirklich ist. Ein Beispiel (S. 190): „„Die Distanzgdie Apollonios seinem Stoff gegenüber einnimmt, ist durch seine wissenschaftliche, historische Einstellung bedingt. Die Erzählung trägt ‚ einen . .. Vergangenheitscharakter ... Um einen Ausgleich zu schaffen, muß die Ökonomie der Szene in ihrer inneren Spannung besonders ausgewogen werden.“ Kein Zweifel, daß die Feststellungen, jede für sich, richtig sind. Ist es aber auch die Verknüpfung ? Das Problem stellt sich bei Ibscher oft. — Die Dissertation von M. Hügi, Vergils Aeneis und die hellenistische Dichtung, Bern 1951, erschien nach dem endgültigen Abschluß des Manuskripts. Sie verfolgt einen von dem unseren ganz verschiedenen Weg.
DIE EINLEITUNG GÖTTE RANRUFUNG,
DES EPOS:
VORGESCHICHTE,
KATALOG
Zuerst beschäftigt uns der Anfang des ersten Buchs. Über die ersten
233 Verse hin enthält es noch keine Handlung, sondern Präludien zu
ihr: Proömium, Vorgeschichte und Heldenkatalog. diesen Stücken betreffen zunächst das Poetische.
Unsere Fragen in
PROÖMIUM
Gemäß epischer Weise beginnt Apollonios sein Werk mit einem Proömium. Während jedoch in den homerischen Gedichten und bei Hesiod zu Beginn des Proömiums die Musen angerufen werden, setzt Apollonios mit einer Anrufung des Apollon ein: ἀρχόμενος σέο, Φοῖβε. Die Formulierung erinnert an Hymn. Hom. 25: Movodwv &pyouaL
”’Arx6Mwv66 te Aı6s te. Auch ein solcher Hymnus gilt als xpooipıov (Pindar Nem. 2, 3. Thuc. 3, 104),! weil er einem größeren Rhapsodenvortrag vorangeht. Nur als Andeutung nimmt Apollonios das Götter-
proömium in sein Epos hinein, dichtet nicht etwa, was im Sinne der Rhapsoden gewesen wäre und was zum Beispiel Arat tut, ein breites
Götterlied als Einleitung. Den Gegenstand seines Liedes führt Apollonios „Ruhmestaten
der
Helden
aus
der
Urzeit
V. 1 ff. so ein:
will ich hervorholen,
die
im Auftrag des Königs Pelias durch den Mund des Pontos und die kyaneischen Felsen die wohlgefügte Argo nach dem goldenen Vließe lenkten.‘“ Das ist in doppeltem Sinne homerisch: auch Homer bestimmt
den Gegenstand
seines Liedes in einem
Relativsatz genauer,
auch
Homer gibt nicht den ganzen Inhalt seines Liedes an. Wie Apollonios nur Ereignisse der Hinfahrt nennt, so spricht Homer nur vom Zorn des Achilleus und den Irrfahrten des Odysseus. Der Zorn des Achilleus
läuft zwar durch die Handlung der Ilias wie ein Faden, aber um ihn herum legt sich anderes, mehr oder minder Selbständiges, alles das, was die Achilleusgeschichte zum Epos vom Troianischen Krieg macht: ı Allen-Sikes, The Homeric Hymns,
London
1904, S. LXI.
10
Götteranrufung,
die Aristien,
das
Vorgeschichte,
Hektor-Priamos-Thema,
das
Katalog
mit
dem
Paris-Helena-
Thema zusammenhängt und viel Selbständiges ins Epos hineinbringt.!
Im Proömium der Odyssee hören wir nichts von Telemachos und den Freiern. Die Beziehung von Themaangabe und Inhalt ist also in beiden homerischen Proömien nicht genau, die Auswahl des Angegebenen aus dem Gesamtinhalt nicht konsequent. Diese Kongruenz zwischen dem Proömium der Argonautika und den homerischen Proömien ist jedoch nur scheinbar. Denn unser Dichter gliedert seinen Stoff in Abschnitte, schafft Teilthemen, deren jedes mit einem besonderen Proömium eingeleitet wird (Anfang von Buch 3 und 4), er nimmt sich vory ein Epos in Büchern zu schreiben,
denn für ihn ist Homer in Bücher gegliedert. So kann
der Dichter
darauf verzichteny im
Proömium
Buches den Inhalt des ganzen Werkes (vollständig merischer Weise auswählend) anzugeben. Was man Gesamtproömium hält, stellt sich als Proömium des aus. Aber ist nicht doch das Anfangsproömium mit
des ersten
oder auch in hozunächst für ein ersten Teils herApollonanrufung
mehr als die Zwischenproömien, in denen Erato, die Muse,
wird?
angerufen
Das legt die Versgruppe 20-23 nahe: „„Ich will nun zuerst Name und Sippe der Helden singen und den weiten Weg auf dem Meere . .. Die Musen aber seien irogHtopec? des Sanges.‘ Dies erscheint als die eigentliche Einleitung zum Komplex_der _ersten beiden Bücher; der Anruf an die Musen stellt es an die Seite der Proömien von Buch 3 und 4. ı Der Anfang der Ilias gibt wohl „den Grundakkord und Ton der ganzen Symphonie“ an (so Reinhardt, Von Werken und Formen, Godesberg 1948, S. 33), aber nicht das im Rahmen einer Ilias inhaltlıch Wesentliche.
2 Die Bedeutung von ὑποφήτωρ
ist umstritten, vgl. Mooney
zu Ap. Rhod. 1, 22
(edited with Introduction and Commentary, Dublin-London 1912). Nach Liddell-Scott
heißt
das Wort
(mit
-twp-
oder
-tn6-Suffix)
„Ausdeuter,
Erklärer‘.
So
merkwürdig
es scheinen mag, auch für unsere Stelle ist daran nicht zu rütteln. Die Musen geben
dem
Dichter
nicht
sein
Lied
ein, sie verhelfen nur zum klaren Ausdruck,. Die Rolle/
die sie hier spielen, ist weniger glanzvoll als diey die Homer ihnen zuweist: so unhomerisch das Proömium, so unhomerisch auch die Stellung der Musen (vgl. K. Latte, Antike und Abendland II, 1946, S. 154). Entsprechend ist die Einleitung der Aitia des Kallimachos unhesiodisch (im Hellenismus spiegelt sıch der Gegensatz von Lehrgedicht und Heldenlied an den verschiedenen Vorbildern). Hesiod hatte von sich bekannts daß ihm die Musen bei seiner Herde am Helikon erschienen waren und ihn die Theogonie gelehrt hatten. Auch Kallimachos gibt an, sein Gedicht komme von den Musen. Aber sie künden es ihm nicht in der Wirklichkeit seines Arbeitstages, sondern ein Traum versetzt ihn auf den Helikon. Was Hesiod als wunderbare Wahrheit erlebt, das träumt Kallimachos (Quellen bei R. Pfeiffer, Callimachus I, Fragmenta, Oxford
1949, S. 11).
Vorgeschichte
11
Damit erschließt sich uns nun endlich das richtige Verständnis der Eingangsverse. Der Dichter sagt uns, wer die Helden in seinem Liede
sind, nicht, was er über sie erzählen will. Das folgt erst mit V. 20. Sonst
wäre ja V. 1—4 eine Dublette zu V. 20-23. Ἵ Die ersten vier Verse sind also eine Art Überschrift für das Gesamtwerk,! ihm gilt Apollons Beistand. Sodann hebt Apollonios mit der Vorgeschichte an. Aber er will nichts Genaueres von ihr erzählen, erst die Fahrt interessiert ihn. Sogar der Schiffsbau, die unmittelbarste Vorbereitung zur Fahrt, scheidet aus (V. 18/19).
Apollonios gibt sich Rechenschaft über die Beschaffenheit seines
Stoffs und die Auswahl, die er trifft, und der Leser kann aus dem Pro-
ömium das
geradezu
seinen Gedankengang
Einleitungskapitel
eines
Buches,
erkennen. Es ist sozusagen
in dem
das
Buch
gegenüber
anderen Büchern über den gleichen Gegenstand abgegrenzt und seine Gliederung angedeutet wird. Homer jedoch erzählt einfach „von einem beliebigen Punkte aus‘“‘ (Od. 1, 10). VORGESCHICHTE
In der Ars poetica spricht Horaz,‚im Zusammenhang der Erörterung,
unter welchen Voraussetzungen es möglich seiyein gutes Epos zu dichten, auch von der Kunst der Einleitung, V. 136 ff. Er sieht ein Charak-
teristikum der homerischen Gedichte darin, daß die Vorgeschichte nicht
etwa mit jeder möglichen Deutlichkeit und in sondern daß der Leser sofort mitten in den schehens hineingeführt wird (der so begrenzt und überschaubares Ganze entsteht, vgl. Ars
aller Breite erzählt wird, Zusammenhang des Geisty, daß ein vernünftiges poet. 151 ff. und Arıist.
Poet. 1450 b 32, 1459 b 19). Aber Horaz bemerkt auch, daß der Leser
in einen Zusammenhang
hineingeführt wird, der ihm nicht neu ist
ı Die falsche Ansicht, das Proömium am Anfang beziehe sich nur auf Buch 1 und 2,, hat zu Schlüssen über die gesonderte Herausgabe dieser beiden Bücher geführt (so A.Körte, Die hellenistische Dichtung, Leipzig 1925, S. 153). Von der Frage, ob Apollonios etwa nur ] und 2 in Alexandrıa veröffentlicht, den Rest in Rhodos zugefügt habe, trennen wir das Proömienproblem ab; wir sehen es nur im Zusammenhang mit dem neuen Sinn für Bucheinteilung und Stoffgliederung. Es ist natürlich möglich, daß Apollonios in Alexandria nur die beiden ersten Bücher vorgelegt hat (H.Emonds, Zweite
Auflage im Altertum, Bonner Phil. Stud. 14, 1941, S. 302 ff.), zumal er damit vermied,
Kallimachos zu wiederholen, der ja in den Aitia die Rückreise der Argonauten beschrie-
ben hatte. Trifft das zu, so behaupten wir: Er hätte das erste Proömium auch dann'
nicht anders geschrieben, wenn er das ganze Werk in einem Zug verfaßt hätte.
12
Götteranrufung,
Vorgeschichte, Katalog
(in medias res non secus ac notas auditorem rapit, V. 149), der, so
ergänzen wir, keiner umständlichen Erklärung, keiner Exposition bedarf. In der Ilias wird von Achill und den Achäern gesprochen, jeder weiß,;, wann und wo das Geschehen spielt. Das ganze Epos läuft ab vor Hörern, die die Beziehungen auf das vorher und später Geschehene ge-
nau kennen. So ist kein erklärendes Wort zuvor nötig. Nicht anders ist
es bei der Odyssee. D n Apollonios will, wie wir sahen, am Anfang seiner Erzählung den ganzen Bereich der Argonautensage abstecken. Daraus schneidet er dann den Teil aus, den er für seine Erzählung wählt. Um seinen Gegensatz zu Homer zu kennzeichnen, kann man vielleicht sagen: Er versteht
den aristotelischen Begriff des‘ Mythos als Fabel,"*’örwurf für ein Kunstwerk,im Sinne einer Sagengesamtheit, die möglichst schon die
frühesten Motive erfaßt, während er aus den homerischen Gedichten als „‚sinnvoller Zusammenhang mit sinnvollem Anfang und sinnvollem
Ende“‘ zu deuten wäre. Aber in einem gleicht unser Dichter Homer: er
setzt Kenntnis des Lesers voraus. Er erzählt die Vorgeschichte keines-
wegs in der Absichtg seine Erzählung von Grund auf verständlich zu machen. Das zeigen die Verweise auf die Vorgeschichte an späteren Stellen des Epos: zum Beispiel wird die Sage von Phrixos und Helle (offenbar weil sie mit den Argonauten nicht unmittelbar zu tun hat)
erst 1, 256 und 291 erwähnt. Dennoch ist die Argonautensage ohne sie nicht denkbar! Von dem Orakel, das Jason zu Beginn der Fahrt einholt, hören wir erst 1, 209, und auf die Fragey was Pelias dazu bewogen
hat,Jason auszusenden, können wir aus 2, 1194 und 3, 333 ff. viel mehr
antworteng als wenn wir nur die Vorgeschichte V. 5 ff. kennen. Solche Verweise auf Ereignisse, die vor dem Beginn der Erzählung liegen, sind
homerisch. Man vergleiche, daß erst Il. 2, 155 ff. der eigentliche Grund
des Zuges gegen Troia, der Raub der Helena, behandelt wird: Hera
bittet Dinge
Athene um Beistand, damit die Helden nicht unverrichteter wieder abziehen, „sonst würden sie Priamos und den Troern
Helena zum Triumph zurücklassen, um derentwillen viele der Achäer starben, fern vom heimatlichen Land‘‘. Um zu wissen, was in der Ilias vor sich geht, muß man diese Tatsache schon ganz am Anfang kennen.
Die Schilderung der Vorgeschichte bei Apollonios steht nun in einer bestimmten Relation zu den Verweisen an späterer Stelle. 1,8 £. erfahren wir soviel: Jason steigt aus dem Fluß, trifft sogleich Pelias bei einem Festmahl, der ihn erkennt und ihm den Auftrag gibt, eine ge-
fährliche
Reise zu unternehmen.
Die einzelnen Handlungen
folgen
Vorgeschichte
13
„sogy@“ (V. 12) und „schnell“ (V. 15) aufeinander. Für Über-
legungen auf beiden Seiten scheint kein Platz zu sein. Durch die Verdichtung der Abfolge rückt der Dichter die Handlungen in ein gewisses Mißverhältnis. Jeder wird fragen: Was dachten, redeten die Personen? Nun ist bemerkenswert, daß später (2, 1194 und 3, 333ff.), gerade dies nachgetragen wird. An der ersten Stelle erfahren wir, Jason fahre nach Kolchis OptEo.0 Sunldc dunrknawv,! an der zweiten, daß ihn Pelias ausgesandt habe, weil er „durch seine Kampfeskraft unter allen Aiolos-
söhnen glänzte‘‘. Dergleichen, denken wir, werden Jason und Pelias gedacht und geredet haben. Wir empfangen aber noch andere Hinweise: In der Straßenszene, als die Leute aus Pagasai die Argonauten
bestaunen, vernehmen wir die Vox populi: „Bei Zeus, was hat Pelias im Sinn? Schnurstracks könnten 816 das Haus des Aietes verbrennen,
wenn er ihnen das Vließ verweigert. . .‘ (1, 242). Das Volk macht sich Gedanken über das Unternehmen, es ist ein Akt des Herrschersy der Verwunderung erregt. Man weiß ihn sich nicht zu deuten. Zwischen Verkündung und Vollzug des herrscherlichen Planes ist geraume Zeit verstrichen (1, 278 klagt Jasons
Mutter: „O
hätte ich doch
an jenem
Tag meine Seele ausgehaucht, als ich hören mußtey wie Pelias den schlimmen Auftrag gab. . .‘). Athene hatte den Schiffbau geleitet, Argos war ihr Helfer (1, 19, ein wenig ausführlicher 1, 111; 300). Von Hera
wissen wir schon aus der Vorgeschichte, daß sie Pelias’ erklärte Feindin ist. Wie kommt Pelias zu dieser Feindschaft? Als Jason ihm begegnet, richtet er gerade ein Göttermahl aus — Poseidon und den anderen
Göttern, aber nicht Hera (1, 13). In dem Augenblick,als Jason zu Pelias
tritt, äußert sich die Vernachlässigung der Göttin. Der Dichter setzt also das Faktumy daß Hera und Pelias Feinde sind, in lebendige Handlung um; jeder Leser kann von der Erzählung aus weiterdenken, die Feindschaft aus ihr ableiten. Das ist eine Art unverbindlicher Aitiologie (unverbindlich, weil nicht die Mythologie die Fakten vorschrelbt sondern der Dichter sie erfindet), die, wie wir sehen werden,
ı Bei Pindar, Pyth. 4, 159 ff. steht: „Phrixos befiehlt, seine Seele zu bergen ... und das
Vließ des Widders heimzuführen.‘““ Das Vließ hing als Weihgeschenk in Kolchis; in-
dem Jason es nach Hellas bringt, erfüllt er den eigentlichen Sinn der Weihung. Also besteht kein Grund zu übersetzen: „um Sühneopfer für Phrixos darzubringen‘‘ (so Mooney 2, 1194 und andere). Die Worte bedeuten: „Erfüllend die (eigentliche Bestimmung der) Opfergaben ...‘° Alles andere widerspricht nicht nur dem Sachlichen; sondern auch dem Zusammenhang der Stelle” aus der die Verse stammen. Jason bittet
Argoss ihm zu helfen, da er fahre ᾧὥρ. ϑυηλὰς ἀμπλήσων. ὄεϊομος Ατὶ soll diese Hilfe sein? Orientierung auf dem Weg)und Beistandy das Vließ zu erlangen.
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Götteranrufung,
Vorgeschichte, Katalog
neben der verbindlichen ihren eigenen Platz im Werk des Apollonios hat. Wie aber kommt Jason zu der Freundschaft Heras? Als er Pelias trifft, ist er gerade durch den Fluß Anauros gewatet. An diesem Fluß erwuchs ihm einst Heras Zuneigung. Er hatte sie, die mitten im Winter in Gestalt einer Greisin die eövowin der Menschen prüfen wollte, hinübergetragen. Aber wir erfahren dies keineswegs auch am Anfang des Epos, erst 3, 66 sagt es Hera in einer Rede an Aphrodite. Sie will die Göttin zum Beistand überreden und trägt ihr deshalb vor, wie sie zu Jason steht. Sie verschweigt auch nicht ihren Groll gegen Pelias, dem sie die Vernachlässigung vorwirfty/ von der uns der Dichter
schon zu Anfang erzählt hatte. Je genauer wir also die späteren VerC
weise besehen,
desto
dichter wird
das
Geflecht
von
Motiven
für die
Vorgeschichte. Es gibt, wohlgemerkt, keine Übersc!_l_geidungen Zzwischen beiden! Wenn Apollonios die Vorgeschichte erzählt, hat er bestimmt Pindar
(Pyth. 4, 70 ff.) vor Augen. Wie ist sein Verhältnis zu dessen Version? Die Schilderung bei Pindar ist viel breiter angelegt: es ist die Rede von einer ersten Begegnung zwischen Jason und Pelias, als Jason gerade die Stadt betritt, vom Wiedersehen Jasons mit den Eltern, von einem
zweiten Gespräch mit Pelias, in dem der Königihn auf die Reise schickt.
Bei Pindar steht eine ganze reich ausgestattete Vorgeschichte, die sich
in plausibeln Zeiträumen abspielt (so liegen etwa 6 Tage zwischen Jasons Eintreffen und seinem zweiten Besuch bei Pelias). Die Lücken, die wir bei Apollonios bemerken, gibt es da nicht. Aber andererseits erzählt Pindar nichts vom Fluß Anauros, über den Apollonios im Ver-
gleich zum übrigen doch recht ausführlich berichtet (l, 8-11 und 3, 66 ff.). Offenbar hat also der Spätere sich nach dem Früheren ge-
richtet. Es gibt, scheint es, ein dichterisches Gesetz der Variation, nach dem man
nie wiederholen, sondern nur ergänzen oder weglassen darf,
_ Deswegen erzählt Apollonios knapp‚ was sich bei Pindar findet, und
"rückt das in den Vordergrundg was Pindar nicht hat. Er konnte die
. Kenntnis
‘ Wenn '
der pindarischen
Version
bei seinen
Lesern
voraussetzen.
er aber seine Dichtung nach der gelehrten Kritik und dem
Wissen seiner Leser einrichtet, so ist das echt hellenistisch: dem neuen
Bildungsbewußtsein entspricht es nichty” das Alte in alter Weise zu : erzählen.! ı H. Faerber, Zur dichterischen Kunst . Berlin 1932, S. 49 Anm. 5.
in Apollonios Rhodios’ Argonautika,
Diss.
Katalog
15
KATALOG
Auf die Versgruppe 1-22 folgt, wie V. 20 ankündigt, der Heldenkatalog. Wie das Proömium, ist auch er durch das homerische Vorbild gefordert.! Aber die Arty wie ihn Apollonios behandelt, ist nicht homerisch: bei Homer ist er ein Glied der Handlung, bei Apollonios präludiert er ihr gleich dem Proömium. In der Ilias geht er aus der Situation des zweiten Buches hervor. Zu
einer bestimmten Zeit und zu einem bestimmten Anlaß werden die Völker gemustert. Mit einem breit angelegten Vergleich beschreibt der Dichter, wie sie zusammeneilen, dann zählt er, als Beobachter des Vorgangs,
auf, wen er sieht.? Dagegen ist der Katalog bei Apollonios eine versi-
fizierte Liste von
Namen,
bei der die Fiktion aufgehoben isty daß sie
Handlung sei.? So wird am Ende des Kataloges ein Sprung in die Handlung notwendig, V. 234. Mit diesem Zeitpunkt erst beginnt die Uhr zu sehlagen. Zwischen dem Katalog und der Handlung vermittelt die Versgruppe 228 ff.: „So viele ratefide Genossen versammelten sich nun
um Jason .. .‘“ Was bedeutet es aber, wenn Apollonios seinen Katalog im Gegensatz zu Homer an den Anfang der Handlung rückt, so deutlich kennzeichnend, daß er nicht Handlung, sondern reine Aufzählung ist? Doch wohl, daß der Dichter sich nicht berechtigt fandg seine Erzählung für eine große Strecke Zeit zu unterbrechen. Das kommt daher, daß in Apollonios’ Epos ein besonders starkes Bewußtsein für die Einheitlichkeit und Meßbarkeit der Zeit vorhanden ist, dafür, daß die Zeit gleichmäßig und dauernd weiterschreitet. Über dieses Zeitbewußtsein haben
uns die glänzenden Interpretationen F. Mehmels (Virgil und Apollo-
ı Aber er entsprach in seiner Einförmigkeit nicht dem Geschmack des Hellenismus. Zum Beispiel kann ihn Dionysios von Halikarnaß nur loben wegen der meisterlichen Weise, in der das Fehlen von xaM\loyia und sewv6ötrng durch raparinpduatA EÜRWVA ausgeglichen wird (De comp. verb. 102 p.67 Us.-Rad.). Auch wenn man zugibt) daß dem homerischen Katalog historische Angaben zugrunde liegen (V. Burr, NeGv xatdloyoc, Klio Beiheft 49, 1944), so muß man doch die archaische Freude an der Reihung klangvoller Namen (darüber einige Bemerkungen bei J. Burckhardt, Griechische Kulturgeschichte I 1), die Bedeutung des Katalogs als „panachäische Ehrentafel‘‘ würdigen
(Formulierung von F. Focke, Gymnasium 1950, S. 272).
2 Mag man den Katalog nun für ein frühes, für ein „homerisches‘) Stück halten oder
nicht — er ist sorgfältig in die Handlung eingefügt. Das sagt schon das B-Scholion zu YHias 2, 494 (Dindorf III 136, 15 ff.). In der jüngsten Zeit bestätigen es die Interpretationen der Analytiker F. Jacoby (Die Einschaltung des Schiffskatalogs in die Ilias, SB. Berlin, Phil.-Hist. Klasse, 1932) und P. von der Mühll (Mus. Helv. 3, 1946, S. 197—-209). 3 R. Wyss, Die Komposition von Apollonios’ Argonautika, Diss. Zürich 1931.
16
Götteranrufung,
Vorgeschichte,
Katalog
nios Rhodios, Hamburger Arbeiten zur Altertumswissenschaft, Heft 1, 1940) Klarheit gebracht.! Gegenüber Homer hat sich bei Apollonios offenbar auch das Prinzip der weitreichenden Wortvariation durchgesetzt.? Zum epischen Katalog alten Stils gehören die reihenden Formeln; die Ehöen haben von ihnen ihren Namen. Homer verwendet im Schiffskatalog ἦρχεν, ἡγεμόνευεν, ἄγεν für die Führer und &vaıov, Eyov, dumevewovrto für die Mannen. Der Heroinenkatalog in der Nekyıa (Od. 11, 235 ff.) varliert zwischen glöov und (dov metri causa, der „hesiodische‘“
Katalog der
Freier um Helena hat ein stereotypes uvXto (Berl. Klassikertexte V 1 S. 28 ff.). In der Beschreibung der Diplax, die Athene Jason schenkt, verwendet
Apollonios
eine ähnliche stereotype
Formel:
&v u&v, &v δέ,
wie wenn er seinen Lesern damit das Muster einer Homernachahmung liefern wollte (die homerische Schildbeschreibung, II. 18, hat die Formeln: &v $& &t7ideı, &v 8 &xolnoe nebst ein paar Variationen). Seinen Katalog scheint Apollonios nun als Muster des Unhomerischen aufzufassen: so zahlreiche neue Formulierungen weist er vor, teils positive (es nahm teil. . .), teils negative (es blieb nicht aus . . .). Noch mehr
als bei seiner Beziehung auf Pindar kann der Dichter hier sicher sein,
daß jeder Leser das große Vorbild kennt und das Neue zu würdigen weiß.} Jetzt schon vermuten wir ein durchgängiges Gesetz in der Dichtung des Apollonios: das der Variation. Es gälte ebenso für die Wörter wie für die größeren Zusammenhänge: nichts soll sich wiederholen, weder in dem kleinen Zusammenhang des Katalogs, weder in der Beziehung zwischen Vorgeschichte und späteren Verweisen noch im Verhältnis des Dichters zu seinen Vorgängern, also im Komplex der Literatur, wie er sich von Apollonios aus ansieht. Man kann diesen letzten Fall des Gesetzes der Variation auch anders beschreiben: als die verbindJiche Rücksicht auf das, was bereits vorliegt. ο
1 Schon Mehmels Dissertation (Valerius Flaccus, Hamburg 1938) enthält wichtige Erkenntnisse darüber, vgl. bes. S. 11. 2 K. W. Blumberg, Untersuchungen zur epischen Technik des Apollonios Rhodios, Diss. Leipzig 1931, S. 10, Wyss a. O. S. 16. Es scheinty” daß dieses Variationsprinzip in der Antike nie theoretisch behandelt worden ist. Über das Variieren hat man z. B. im Hinblick auf die Klimax nachgedacht (L. Arbusow, Colores rhetorici, Göttingen 1948, S. 29). Ein Beispiel für seine Anwendung in der Prosa ist Paus. 5, 8, 6 ff. 3 Auch die Berichte, in denen die einzelnen Begegnungen in der Schlacht aufgezählt werden, sind eine Art Katalog. In solchen Fällen ist schon Homer von großer Buntheit des Ausdrucks (vgl. z. B. Il. 4, 517ff. 20, 455ff.). In einem Epos mit so ausgesprochen kriegerischen Zügen liegt es nahe, jede einzelne Begegnung mit individuellen Zügen auszustatten. Apollonios hält sich 1, 1039 ff. und 2, 102 ff. an das Vorbild. ;
II
EINZELINTERPRETATIONEN
ZUM
HELDENKATALOG Nun ist die Frage, ob die Rücksicht auf das, was bereits vorliegt, auch im Sachlichen, d. h. im Geographischen und Mythologischen, verbindlich ist. Die Vorgänger sind hier nicht Dichter, sondern Mythographen (oder allenfalls Dichter mit mythographischer Absicht), und die Methoden der Rücksichtnahme nicht poetische, sondern mehr oder minder exakte mythologische Kunstgriffe. Spüren wir, daß Apollonios die Probleme_der Mythologie bemerkt hat, daß er sich in ihnen entscheiden wollte? Können wir vielleicht sogar sageny warum er sich in einem bestimmten Falle so und nicht anders entschied? Gelingt es unsy das eine oder andere seiner Argumente zu fassen? Wir werden am besten im Heldenkatalog einsetzen; in ihm steckt die größte Fülle der mythologischen Fakten. ORPHEUS
Ob OÖrpheus Argonaut war (so Apollonios 1, 23 ff.), wird in der antiken Mythologie umstritten. Mit kaum einer mythologischen Ge-
stalt
hat
sich
die
antike
Wissenschaft
so viel beschäftigt
wie
mit
Orpheus.! Es gibt die verschiedensten Zeitansätze für ihn; aber nur
wenn er um eine oder zwei Generationen vor den Troianischen Krieg
versetzt wird, ist es möglichy daß er am Argonautenzug teilnimmt. Wenn unser Dichter überhaupt Fragen der mythologischen Chronologie beachtet, muß er diesen Fall besonders genau prüfen. Pherekydes verneint Orpheus’ Teilnahme,? und Herodor macht aus einem Orpheus zwei zu verschiedenen Zeiten lebende Männer — beide Geschichtsschreiber aus chronologischen Erwägungen. 1 Gruppe bei Roscher III 1 Sp. 1064 ff.
? F. Jacoby (zu 3 F 26) fragt sichg ob Pherekydes Teilnahme polemisiert habe. 2
Händel
ausdrücklich gegen Orpheus’
18
Einzelinterpretationen
zum
Heldenkatalog
Schon wenn der Dichter die Teilnahme des Helden feststellen will, steht er also vor der Wahl zwischen Versionen. Wie ist es mit der Herkunft des Orpheus bestellt? Auch da glbt es mehrere Versionen:
einige Zeugnisse geben ihn als Pierier, andere als Pierien gehört Orpheus durch seine Mutter, die — oder Polymnia heißt — als Muse pierisch ist, Thraker Masse der Zeugnisse. Hellenistische Gelehrsamkeit mal versucht zu haben, diese beiden Versionen in
Thraker aus. Nach ob sie nun Kalliope nennt ihn die große scheint zum ersteneins zu setzen. Auf
sie wird zurückgehen/ was Strabon (10, 3, 17) überliefert: daß sich in Pierien (d. i. unmittelbar nördlich an Magnesia anschließend) thrakische
Siedlungen befunden hätten. Es zeigt sichy daß Apollonios bemüht isty die Versionen auf eine eigene Weise zu vereinen.* — Nach Apollonios ist zwar Orpheus Vater Olagros Thraker, aber Orpheus ist am Pimpleischen Felsen zur Welt gekommen. Dieser liegt in Pierien (RE XX 2 Sp. 1387). Von da aus hat dann Orpheus nach Apollo-
nios einen ganzen Hain durch den Zauber seines Gesanges nach Zone —
geführt. Dabei muß man bedenkeng daß Zone mitten in Thrakien, bei
Abdera, liegt! Offenbar soll durch dieses Wunder eine greifbar dichte
‘ Verbindung zwischen Pierien und Thrakien hergestellt werden. Außer
bei Apollonios wird aber Pierien im ‚Zusammenhang mit dem Baumwunder nicht erwähnt.? Der Dichter hat die Freiheit; das Baumwunder in eigener Weise zu verwenden, weil nur sein Zielpunkt festlag. Er dehnt also die mythische Handlung,da, wo sie es erlaubt, aus,im Bestreben‚ eine Einheit innerhalb der Überlieferung herzustellen. Aber zusammen mit dieser Sageneinheit entsteht (in unserem Fall besonders kraß), was entstehen muß, wenn Sage in die Raum-Zeit-Dimension des Historischen eintritt: ein eigentümliches Mißverhältnis, eine gemessen am Alltäglichen verblüffende Unwahrscheinlichkeit des Geschehenden. Orpheus bewegt den Hain über weite Strecken Landes — wir erfahren genaug von
welchem
Punkt
bis zu welchem
Punkt,
und
können
es
nachmessen. Gerade darin abery daß wir dies können, liegt das Neue gegenüber der alten Sagenerzählung. Das „bistonische Pierien‘‘ (V. 34) glbt es genau so wenig wie ein thrakisch besiedeltes Pierien bei Strabon (das man an der Stelle zu suchen hätte, wo heute noch die Landkarten Pierien ausweisen, nörd1 Gruppe bei Roscher a. O. Sp. 1078; Blumberg a. O. S. 9, Anm. 3; E. Delage, La geographie dans les Argonautiques d’Apollonios de Rhodes, Paris 1930, S. 40. 2 Wohl aber Zone. Dort war das Baumwunder lokalisiert. Nik. Ther. 461 mit Schol. Pomp. Mela 2, 2.
Orpheus
19
lich von Magnesia). Eines wie das andere ist harmonisierende Erfindung. Das
bistonische
Pierien,
nach
Apollonios
das
Herrschaftsgebiet
des
Orpheus, aus dem er zu den Argonauten kommt, ist das dritte große Gebiet der Orpheusverehrung, das ebenfalls Pierien genannte Gebiet am Pangaiongebirge (die Vertauschbarkeit des Namens Pierien hängt wohl auch mit der Doppelung unserer Orpheusüberlieferung zusammen!). Daß dieses Pierien in V. 31 nicht gemeint ist, zeigt die Erwähnung von Pimpleia. Diesen Geburtsort des Orpheus kann ich nur im Pierien nördlich von Magnesia suchen. Der Dichter kann eher gemeint haben:
„Aus
seinem Geburtsland verpflanzte der Dichter einen Hain
nach Thrakien‘‘ als: „Aus seinem Herrschaftsbereich verpflanzte der Dichter einen Hain nach Thrakien‘‘. Für Apollonios scheint ein Gegen-
satz zwischen Ilıepin, d. i. „eigentliches Pierien‘‘, und Πιερίη Βιστωνίς zu bestehen.! Bıctwvic wäre dann notwendig zur Unterscheidung. Daraus folgt: Apollonios ist bestrebt/ die vorgegebenen mythologischen Fakten (oder doch eine möglichst große Zahl von ihnen) zu berücksichtigen, sie miteinander in Harmonie zu bringen. Er sieht die Handlungen der Sage in einem geschichtlich und geographisch erhellten Raum-Zeit-System. Also gibt er, wenn man es auf diese Formulierung bringen darf, weniger die Abbreviatur des Orpheusmythas als die einer Orpheusbiographie.
Denn aus dem Unbestlmmten, vielfältig
Zerstreuten und Widersprüchlichen,ist ein der Zeit nach einheitliches und geographisch bestimmtes Gefüge geworden (wenn diese Fügung auch durch ein so groteskes Mittel wie das Baumwunder geschieht!). Diese Aufhebung der Heterogonie von Sage und Geschichte an manchen Stellen im Werk des Apollonios wird später noch behandelt werden.? Noch ein Zweites lernen wir: daß der Dichter bemüht ist, Wissens-
stoff aufzunehmeng der für die Handlung nichts bedeutet, auch über das hinausgeht/ was im literarischen Genos an Daten üblich ist, diese Daten aber ergänzt, für den kundigen Leser sogar begründet. Immerhin hält sich der Dichter dazu an Gelegenheiten wie die Herkunftsangabe im Katalog, die ja seit Homer bisweilen zu ausführlichen genealogischen und geographischen Angaben benutzt wird.3 l Aus diesen geographischen Schwierigkeiten kommt die Lesart IIıepin Βιστῶνί τε xtTA)., die die Scholien zur Stelle verzeichnen. 2 Apollonios folgt dabei dem Verfahren der Atthidographie; vgl. zum Phänomen der ‘Historisation’ im ganzen F. Jacoby, Atthis, Oxford 1950, z. B. S. 133 ff.
un
—3 Eine Liste solcher Einfügungen gibt R. Wyss a. O. S. 13 2°
20
Einzelinterpretationen zum Heldenkatalog
,
-
POLYPHEM
UND
KAINEUS
Ein anderes Stück aus dem Heldenkatalog zeigt noch mehr, welche Bedeutung der Wissensstoff in der Schilderung hat. V. 40 ist von dem Lapithen Polyphemos, dem Sohn des Elatos, die Rede. Warum erzählt der Dichter/ daß der Held in seiner Jugend gegen die Kentauren mitgekämpft habe, nun freilich schon alt sei? Die Erwähnung des Alters wäre begründet, wenn eine bestimmte spätere Rolle des Polyphem vorab anzudeuten wäre. Davon keine Spur. Polyphem verläßt den Zug unterwegs mit Herakles und Hylas; von seinem Alter findet sich kein Wort. Er hat offenbar Kraft wie je, als er em Hylas zu retten sucht (1, 1240 ff.). Durch die Jugendgeschichte des Polyphem soll wohl das zeitliche Verhältnis des Argonautenzugs zum Kentaurenkampf hergestellt werden. Darauf baut der Dichter seine Entscheidung in der Kontroverse, ob Kaineus oder sein Sohn Koronos am Argonautenzug teilgenommen habe (V. 57 und Schol.). Denn wenn, wie Apollonios erzählt, Kaineus im Kentaurenkampf fiel (V. 58), dieser aber viel früher liegt als das Unternehmen der Argonauten, wird jeder sich für den Sohn entscheiden.
(Der Wechsel
zwischen
Vater
und
Sohn
kommt
auch
sonst vor, etwa bei Philoktet und Poias.) Daß Apollonios, wenn er von Koronos spricht, auch seinen berühmten Vater Kaineus erwähnt, ent-
spricht durchaus epischer Gepflogenheit. Aber hinter dieser epischen
Gepflogenheit verbirgt sich die Begründung dafür/ daß Kaineus nicht } unter den Argonauten gewesen sein kann! Man hätte den mythologischen Schluß einfach so vortragen können:
„Koronos
nahm
teil,
sein Vater aber kann nicht teilgenommen haben, weil usw.‘“ Aber das
ist nicht der Ton eines epischen Dichters. Der muß die beiden Prä-
missen des Schlusses: „Kaineus nahm am Kentaurenkampf teil“ und: „Der Kentaurenkampf ist schon längst vergangen‘‘ verhüllen,
indem er jede für sich dort bringt, wo sie der epischen Gepflogenheit nach auch ohne Hintersinn am Platze ist. Das Verhüllen gelehrter Argumentation erscheint so als ein Element der dichterischen Technik
des Apollonios.
In der Geschichte von Kaineus heißt es V.59: Kaıviax γὰρ ζῶόν περ
ἔτι χλείουσιν doıSol. Ähnlich wird V. 18 der Bau der Argo übergangen unter Hinweis auf die „früheren Sänger‘*. Verweise auf Gewährsmänner bedeuten, daß der Dichter die Verantwortung auf andere Schultern; legt. Das ist erst in einer Zeit möglichg die dichterische Aussagen
Erytos-Eurytıos. “
Namengleichheit
_B}'i.t.iä‘?h_ vergleicht; insofern ähnelt 68 dem
21
Zitierverfahren
der Scho-
lien.! Durch ein solches Zitat kann der Dichter die ausführliche Behandlung ablehnen (wie im Falle des Argobaus),? er kann aber auch die Gültigkeit seiner Aussage unter Hinweis auf den consensus verstärken. Beide Fälle setzen voraus, daß der Zuhörer einen bestimmten Anspruch an die sachliche Behandlung des Gegenstandes macht. In unserem Fall will der Verweis das zweite: der Zeitansatz für den Kentaurenkampf und damit die Teilnahme des Koronos am Zug sollen
bekräftigt werden. Man vergleiche die ähnliche Verweisformel 4, 1381: Μουσάων ὅδε μῦϑος, ἐγὼ δ᾽ ὑπακουὸς ἀείδω.
Es folgt die Geschichte vom Transport der Argo über libysches Land. Die Formel soll sozusagen das Vertrauen des Lesers in den Autor erhöhen. Der Schiffstransport bedarf aber deshalb des Kredits, weil der Dichter durch ihn zwei
Überlieferungen
miteinander verbindet,
die vor ihm noch niemand verbunden hatte (vgl. Kap. VII und Wila-
mowitz, Hellen. Dicht. II S. 173). Ebenso wie der Hinweis auf die anderen Dichter ist der Musenanruf für den Leser ein Merkmal für eine wichtige, eigene und besonders der Zustimmung bedürftige Kombination des Dichters!® Kallimachos nennt an einer Stelle der Aitia seinen Gewährsmann
mit
Namen,
in der Geschichte
von Akontios
und
schaffen: „„Wir hörten das vom
alten Xenomedes,
der die Mythologie
Kydippe (frg. 75, 54 ff. Pf.). Diese Manipulation soll allerdings kaum den Dichter rechtfertigen, sondern wohl Raum für neue Gelehrsamkeit
der ganzen Insel erzählte, beginnend mit . . .‘ Folgt weiteres mythologisches Material. ERYTOS-EURYTOS.
NAMENGLEICHHEIT
Für „Erytos‘* in unserem Gedicht V. 52 ist „Eurytos‘ die gewöhnliche : Namensform. Ist es möglich, daß für Apollonios die Form „Erytos‘
gefordert war, um die Verwechslung mit Eurytos von Oichalia, dem
Vater der Argonauten Klytios und Iphitos, zu vermeiden?
ı E. Rohde, Der griechische Roman, 3. Aufl., Leipzig 1914, S. 104. R. Heinze, Vergils
epische Technik, 3. Aufl., Leipzig 1915, S. 240. 2 H. Diller
verdanke
ich
den
Hinweis,
daß
schon
Herodot
(z. B.
6,
55)
ähnlich
formuliert. Der natürliche Unterschied zwischen dem Historiker und dem epischen Dichter beleuchtet noch schärfer, wie bemerkenswert die Praxis des Apollonios ist. 3 Vgl. 4, 552. Wilamowitz, Hell. Dicht. II S. 178. 4 Der Verfasser der orphischen Argonautika befindet sich in Abhängigkeit von Apollonios, vgl. H. Venzke, Die orphischen Argonautika in ihrem Verhältnis zu Apol-
22
Einzelinterpretationen
zum
Heldenkatalog
Eine solche Distinktion wäre in der harmonisierenden, Widersprüche ausschaltenden Technik des Apollonios nicht singulär: wir vergleichen
den Namen Asterion, der im Personenapparat der Sage zweimal vor-
kommt. Zu V. 176 notieren die Scholien, daß der Argonaut Asterios (so die Namensform
bei Apollonios), Sohn des Hyperasios,
gewöhn-
lich Asterion genannt worden sei. Auch Hygin nennt den Helden Asterion. Apollonios wählt (darin vielleicht ohne Vorgänger) die Namensform
Asterios
zweifellos
deshalb,
damit
nicht
zwei
Helden
des
gleichen Namens in seinem Katalog erscheinen (beide Helden figurieren
nur hier). Im Falle der zwei Iphitoi im Personenapparat der Sage ist
eine solche Möglichkeit der Unterscheidung nicht gegeben. Deswegen
'
setzt der Dichter 2, 115, wo der eine der beiden Helden noch einmal
auftritt, das Patronymikon zur Unterscheidung hinzu. Warum aber wollte Apollonios nicht zwei Personen gleichen Namens? Das gehört, wie anderesy das uns noch begegnen wird, unter seine Forderung, möglichst nur Plausibles zu erzählen. Er bestimmt dieses Plausible nach den Gesetzen des ihm geläufigen alltäglichen, oder allgemeiner: historischen,Geschehens. Danach ist schon der Fall, daß
zwei Personen gleichen Namens in einem kleinen Kreis von Menschen
auftreten, unwahrscheinlich —- wie unwahrscheinlich ist dann erst eine
Häufung von drei Fällen solcher Namenskongruenz (für uns aus der Genesis der Sage leicht erklärlich!). Durch vorsichtige Manipulationen,
die womöglich überliefertes Gut verwenden, wird diese vom Standpunkt des Dichters aus in der Sage liegende Unwahrscheinlichkeit aufgehoben. THESEUS. CHRONOLOGISCHE ARGUMENTE Das
Interesse des
Dichters
am
Sachlichen, besonders
am
Mytho-
logischen, losgelöst von dessen Beziehung zum Epos, wird um so deutlicher, je verblüffender eine sachliche Mitteilung in der Erzählung ist. Wenn der gelehrte Stoff in eine positive Behauptung, in Handlung,ein-
gehüllt wird, so ist das ursprünglichem epischem Erzählen viel nähery, als wenn eine Umkehrung ins Negative stattfände: ‚„„Dies oder jenes‘“‘ (an das der Leser vielleicht gar nicht denkt) „geschah nicht, weil . . .“ lonios
Rhodios, Neue
Deutsche Forsch. VIII
13, 1941, S. 36. Erytos
wird
die
ältere
Namensform sein, vgl. Ph. Buttmann, Lexilogus I, 4. Aufl., Berlin 1865, S. 146. C. Robert
vermehrt die Belege für Eurytos, indem er auf einer Inschrift ein überliefertes EYOH willkürlich ändert (Heldensage II 3, 1, Berlin 1921, S. 774 Anm. 4).
Theseus. Chronologische Argumente
23
So redet einerg dem Überlieferungen vor Augen stehen, von dem Rücksicht auf diese Überlieferungen gefordert wird. Damit ist der Bereich des epischen Erzählens übertreten — episches Erzählen erlaubt nicht, daß sich das Gestalten aus den Quellen zum Argumentieren an ihnen verschiebt. Eine solche negative Feststellung trifft Apollonios im Heldenkatalog von Theseus, V. 101. Die Aufzählung der Teilnehmer (als ein Mittel, zu‘ 0a erfasseng wer gegenwärtig ist und handelt) entspricht noch durchaus dem epischen, Programm, etwas Geschehendes zu erzählen, während in V. 101 nicht mehr erzählt wird/g wie sich etwas zutrug, sondern, wie sich etwas nicht zutrug: „Theseus aber hielt dunkle Fessel unter dem tainarischen Lande zurück, da er dem Peirithoos gefolgt war. Wahrlich hätten diese beiden leichteres Ende der Mühsal für alle ge- 0..!. Σ schaffen.‘“ Das wendet sich nicht an deny der etwas vernehmen will, A sondern an denz der etwas weiß. Argumentation ist auf Wechselseitig- * keit aufgebautz und Begründengy warum ein Held nicht im Katalog er; scheint, heißt Argumentieren. Wer aber argumentiert, ist nicht mehr . “. ein reiner, unbefangener Erzähler: dem reinen Erzähler kann nicht daran liegen) seine Stoffauswahl durch eine Art von vorweggenommener Antikritik gegenüber Einwänden zu sichern —- er bemüht sich einfachj einen Zusammenhang reizvoller Geschehnisse möglichst gut zu erzählen. Nun mag man einwenden, daß Apollonios sagen mußtey warum ‘“ der berühmteste Athener hinter dem Landsmann und Argonauten Boutes zurückstand. Aber selbst diese Aussage ist nur sinnvoll, wenn der Leser weißg daß Theseus als Argonaut in Frage kommt. Sonst hätten wir in den Versen 101 ff. einen Einschub vom athenischen Standpunkt aus, der den Ruhm des großen Nationalhelden verteidigen soll.! ı In dem
Katalog der Helena-Freier (Berliner Klassikertexte V, 1) findet sich der
Hinweis,daß Achilleus nicht unter den Freiern war, und wir erfahren auch, weshalb: Χίρων δ᾽ &v Πηλίῳ ὑλήεντι Πηλείδην ἐκόμιζε... παῖδ᾽ ἔτ᾽ ἐόντα. (ΞΞ frg. 96, 49 Rz.3).
Ist das nicht ein Beweis gegen unsere These? Nun ist vor allem der Freierkatalog schon ein sehr spätes Stück (Wilamowitz im Kommentar), man kann also an ein Interesse für mythologische Vollständigkeit denken. Aber es besteht ein grundlegender Unterschied zur Apollonios-Stelle. Es gab keine Versiong die Achilleus zum Freier machte (vgl. Paus. 3, 24, 10. Eur. Hel. 99 darf nicht als mythologisches Zeugnis ge-
wertet werden, vgl. Wilamowitz a. O. S. 39). Aber wer hätte, wo die besten Helden aus Griechenland versammelt
waren, nicht an Achilleus gedacht,
den Vornehmsten
im Kampfe um Helena! Dem Leser wird also nur eine sehr naheliegende durchaus noch unbefangene Frage beantwortet, wenn er erfährt; warum Achilleus nicht teilnahm.
“
ἴ....
‘
24
Einzelinterpretationen
zum
Heldenkatalog
Theseus kam wirklich als Argonaut in Frage. Wir können zwar keine Überlieferungen vor Apollonios beibringen, aber es ist so gut wie sicher/ daß sie bestanden haben.! Apollonios begründet, warum Theseus nicht am Argonautenzug teilgenommen hat, indem er die Heroenchronologie beizieht. Heroenchronologie, d. i. Einfügung der Helden in eine zeitliche Abfolge, gibt es genau genommen schon seit den Königslisten, aber da werden die Helden jeweils nur unter einer bestimmten lokal gebundenen Perspektive festgelegt. Um Zusammenhänge zu gewinnen, nützt der Gedankey die Sage in die Dimension der Zeit zu stellen, erst, wenn Synchronismen hergestellt und die Chronologie einer einzigen Überlieferung durch Festsetzung eines Haupt-Synchronismus (zum Beispiel des troianischen Kriegs) in die anderen Sagen hinein verzweigt wird.? Herodor behauptet, daß Herakles am Argonautenzuge nicht teilgenommen
habe, indem
er, wie Apollonios
bei Theseus,
die Heroen-
chronologie befragt (31 F 418a Jacoby). Verständlicherweise sind die chronologischen Einwände in beiden Fällen verhältnismäßig subtil: ı Auf Vasen finden wir gegen Ende des 6. Jh. eine Reihe von Heldentaten des The-
seus auf seinem Weg von Troizen nach Athen
(Wilamowitz, Die griech. Heldensage, SB.
Berlin, Phil.-Hist. Klasse 1925, Heft I S. 44, II S. 234). Plutarch berichtet Thes. 29, 3, daß Herodor den Helden nur am Lapithenkampf habe teilnehmen lassen, daß ihn aber andere zum kalydonischen Jäger und zum Argonauten gemacht hätten. Daher sei
das Sprichwort 00x &veu Onotwg entstanden. Die Tendenzy Theseus auf diese Weise
vu vEL
zu
einem
„zweiten
Herakles‘
zu machen,
hat
man
früher
in Kimons
Zeit
gesetzt,
neuerdings setzt sie H. Herter (Theseus der Athener, Rhein. Mus. 88, 1939 S. 285) in die Peisistratidenzeit. Die Herodornotiz bei Plutarch (= 31 F 26 Jacoby) läßt vermuten, daß sich der Geschichtsschreiber ausdrücklich gegen die Teilnahme des Theseus wendet, nicht bloß eine Lücke in seinem Bericht läßt. An der Fragegob Theseus am Argonautenzug teilgenommen hat, hängt viel: man denke nur an die gituation Theseus-Medea am Anfang der kallimacheischen Hekale. Die Alternative ist, entweder die Teilnahme des Theseus am Argonautenzug oder den ganzen Sagenkomplex Aigeus-Medea zu be-
zweifeln (über diesen vgl. Wilamowitz a. O. S. 234)! Möglicherweise ist also Theseus
\
|
+
der Argonaut nicht athenischen Ursprungs. 2 So arbeitet Hellanikos (Jacoby bei Pauly-Wissowa s. v. Sp. 122-127). Seine Genealogien reichen bisweilen bis in die Gegenwart; er sieht sie im Zusammenhang einer „Universalmythologie‘, weil er Widersprüche zwischen ihnen aufheben will. Ephoros, Eratosthenes, Apollodor lehnen es aby die mythische Zeit nach chronographischer Weise zu behandeln (F. Jacoby, Apollodors Chronik, Phil. Unters. XVI, 1902, S. 11). Während sich Hellanikos um die relative Chronologie bemüht (seine Zeitansätze kritisiert Thuk. 1, 97, 2), schafft Eratosthenes eine Methode absoluter Chronologie: für ihn ist die Zerstörung Troias das erste fixierbare Ereignis. Kastor von Rhodos bezieht dann wieder in großem Umfang die vor diesem Zeitpunkt liegenden Fakten in sein System ein (Kubitschek, Pauly-Wissowa s. v. Sp. 2351ff.). Es ist wichtig zu sehen, daß das Verfahren des Apollonios auf der chronologischen Methode seiner Quellen, der Chroniken des 5. und 4. Jahrhunderts, beruht.
Theseus. Chronologische Argumente
25
denn sie kommen ja nicht von einer groben Differenzin der zeitlichen An-
setzung der Heroen her, sondern von der verschiedenen Verteilung ihrer
Taten über ihre Lebenszeit. Herakles und Theseus sind Gestalten im
Mittelpunkt der antiken Sage: Herakles, der panhellenische Held, ist es
seit früher Zeit, Theseus, der attische Nationalheros, ist es in der Ζεῖῖ,
in der Apollonios dichtet, längst geworden, vor allemg seit 416 Atthidographie (die begreiflicherweise gerade sein Leben sehr wichtig genommen hat) attische Landesgeschichte und attische Landeshelden im allgemeinen Griechentum zur Geltung brachte (vgl.F. Jacoby, Atthis S. 394); Leben und Taten dieser Helden sind genau in Beziehung gebracht. Während im Falle des Theseus die Argumentation subtil ist, weil sie mit den verhältnismäßig kleinen Zeiträumen innerhalb eines Lebens arbeitet, geht es bei Nauplios (1, 134) um sehr viel größere Distanzen.
Dieser Nauplios wird als Sohn des Poseidon geführt, seine Mutter war
Amymone
aus dem Geschlecht des Danaos und so in einer sehr viel
früheren Zeit als die Argonauten zu Hause. Als Sohn des Nauplios gilt Palamedes (Roscher s. v. Sp. 25), damit aber gehört der Held in die Reihe der Väter troianischer Helden.
Das paßt natürlich nicht zu der Abstammung des Helden von Po-
seidon
und Amymone
(zum
Beispiel erfaßt
Strabon
8, 6, 2 in der
Partie über Nauplia den zeitlichen Widerspruch). Ihn zu beheben, war die Trennung des einen in zwei Nauplioi geeignet. Solche Tren-
nungen sind in der antiken Wissenschaft üblich, wenn zwei Fakten die mit dem Namen eines bestimmten Helden fest verbunden sind,
chronologisch unvereinbar sind. Sie findet sich etwa für Orpheus (vgl. S. 17) und für Herakles (vgl. Gruppe, Pauly-Wissowa, Suppl. III Sp. 1108) belegt, wo die große Dichte der Überlieferung kaum zuläßt, daß alles im Zeitraum eines Lebens untergebracht wird.
Apollonios bringt die Trennung in der Herkunftsangabe im Katalog, er verwendet also für die gelehrte Mitteilung eine legitime epische Gelegenheit, Merkwürdiges über den Helden zu erzählen. Aber er gibt nicht nur den Vater des Nauplios an, sondern eine ganze Geschlechterfolge, und am Ende der Geschlechterfolge erscheint ein zweiter Nauplios, Sohn des Poseidon und der Amymone. Das, was über das Maß des alten Epos hinausgeht, das lange Stemma, hat den eigentlichen Nachdruck. Argonaut und Poseidonsohn sind nicht identisch, doch immerhin in gerader Linie verwandt.!
ı Auch hier verwendet Apollonios eine Methode seiner mythographischen Quellen.
Wenn
der Zeitansatz für einen Helden eine Alternative ergab, führte schon Hellanikos
26
Einzelinterpretationen
zum
Heldenkatalog
Ein anderer Ausweg aus den chronologischen Schwierigkeiten wäre gewesen, das Leben des Nauplios überlang zu bemessen. Das tut Ps.Apollodor (2, 1, 5, 13, er nennt den Nauplios uaxxp6ß.0c). Suidas wendet dieses Verfahren auf Orpheus an (8. ν. ᾽Ορφεύς Nr. 654 Adler). Unser Dichter greift auch hier nach dem Wahrscheinlichen, nach dem,
was seiner Gegenwart entspricht: er kann sich nicht vorstellen, daß die
-
.
—
D
Helden der Vorzeit in einem anderen Rhythmus gelebt hätten als die
gegenwärtigen Menschen. Sie werden alt wie Polyphem, sie sterben nicht später als die Menschen um den Dichter. Damit hebt Apollonios die Anomalie des Sagenhaften auf. Die Sage wird für Apollonios zur Gegenwart, und indem ihr die Elemente genommen werdeny die untereinander widersprünglich und gegen die Vernunft sind, erhält sie eine künstliche innere Einheitlichkeit. Diese künstliche Harmonie ist das Ziel der mythologischen Manipulationeng, die wir bis jetzt am Heldenkatalog beobachtet haben: die Dateng die der Dichter vorfindet, sollen möglichst vollkommen aufeinander bezogen und miteinander verbunden werden, sollen, zusammengenommen, ein Bild ergeben. Von selbst würde sich solch ein Bild nie aus ihnen ergeben, deswegen muß der Dichter das eine oder andere mit
leichter
Namensform. Am
was
Hand
verändern,
Falle des Herakles
dieses
Bild
(das
man
werden
sei es einen wir noch
in einem
mythologischen Kunstgriffen erfordert.
Zug
Zeitansatz,
sei es eine
deutlicher sehen können,
soll schildern
können)
an
zwei homonyme Figuren ein, zwischen die er einen Stammbaum schiebt. Die Namen für seine Stammbäume nimmt er aus fremder Umgebung oder erfindet sie. Dabei waltete stets große Freiheit: um Homer und Hesiod mit Orpheus verwandt zu machen,
erfand man Figuren wie Idmonides, Philoterpes. Auch bei Apollonios haben wir damit
zu rechneny daß seine Namen durch Willkür in den Stammbaum kommen. Er nennt 1, 136 einen Proitos den Sohn des älteren Nauplios; das ist keineswegs der berühmte Held der Ilias, der einen anderen Vater hatte. Zwei andere Namen
sind Berufsnamen:
Klytoneos, Naubolos. Offenbar macht es Apollonios so wie Hellanikos.
II
HERAKLES,
HYLAS
UND
POLYPHEM
Herakles, den panhellenischen Helden, trifft Jasons Ruf nicht zu Hause/sondern unterwegs, 1, 122. Im Gegensatz zu den anderen Helden ist er gerade in heldischer Aktion. Dadurch zeichnet ihn Apollonios aus.
Also tritt an die Stelle des Wohnortes der Ort des heldischen Tuns: Herakles ist eben dabeiy den erymanthischen Eber wegzutragen, wir erfahreny welchen Weg er geht und wo er ihn unterbricht, um zu Jason zu eilen.! Herakles steht also noch im Dienst des Eurystheus und kann
nur gegen dessen Willen sich dem Zug anschließen: ‚,. .. wider den
Willen des Eurystheus brach er auf. . .‘ (V. 130). In reizvoller Weise verdeutlicht Apollonios durch den Ausschnitty den er von Herakles’
Heldenalltag
gibt, die wichtigen Tatsachen
der
Heraklessage: den
Dodekathlos, die Rolle des Eurystheus. Herakles’ Fahrt auf der Argo
ist in den
Dodekathlos
eingeschoben — die Episode
aus Herakles’
Heldenalltag hat folglich noch eine zweite Funktion: das Biographische,
die Chronologie ins Reine zu bringen. Diese Funktion hat auch die
Schilderung vom Meergreis Glaukos (1, 1310 ff.), die Apollonios wahrscheinlich zum erstenmal in den Zusammenhang der Argofahrt gesetzt
hat, und
der Bericht von den Spuren
des Herakles in Libyen
|
(4,
1393 ff.), wo die Helden erfahren, daß Herakles „gestern‘‘ die Äpfelder
Hesperiden errungen hat.?
ı V. 125. Der Held geht über Aupx%iov "Apyoc. Das ist im homerischen Sinne ein
Gebiet. AupxY%tov (lectio difficilior) ist ebenso richtig wie ”"Apyoc, das Delage ganz unnötigerweise in &pSoc geändert hat. Man kann nicht sagen (Delage a. Ο. S. 46), „que le poete a commis une erreur assez grave‘“, wenn man bedenkt, daß der Weg von Arkadien nach Mykene durchaus über den Inachos und damit durch das lyrkäische Argos führen kann. 2 Der Dichter führt die relative Heroenchronologie in ihren extremsten Fall, wenn er
zwei mythische Ereignisse aus ganz fremden Bereichen nur einen Tag (= einen Sonnenumlauf) auseinanderliegen läßt. Die Helden sind einsgepannt in die Gesetze des Altags, auch für sie gibt es gestern und morgen. Thetis sagt von Zeus Il. 1, 424: “Χϑιζὸς ἔβη κατὰ δαῖτα, ϑεοὶ δ᾽ ἅμα πάντες ἕποντο.
Aber da wird der Begriff „gestern‘ so gebraucht, wie ihn jeder im alltäglichen Gespräch gebrauchen würde. Bei Apollonios dient er dazu, extreme Reize in der Erzählung zu erzeugen.
‘
28
Herakles, Hylas und Polyphem
Apollonios will mit diesen Angaben ein Gefüge von Sagendetails her-
stellen, das ohne Widersprüche ist. Widersprüche in der Sage kann man aber nur dann empfinden, wenn man die Überlieferungen nachrechnet, als ob sie mch„_fleroeg sondern moderne Menschen beträfen, die nur
eine kurze Lebensdauer und ein begrenztes Vermögen besitzeny die Länder dieser Erde zu durchwandern. Wenn zum Beispiel überliefert
isty daß Herakles in Libyen die Äpfel der Hesperiden gewann, aber auch die Argonauten nach Libyen gelangten, fragt man sich: Lag das Abenteuer des Herakles vor oder nach dem Argonautenzug? Hatten die Argonauten zu ihm irgendeine Beziehung? Oder wenn überliefert
isty daß Herakles einen Zug nach Osten unternahm, auf dem er den Gürtel der Amazonenkönigin gewann: Wie steht dieser Zug zu seiner Teilnahme an der Argofahrt? Wenn er die Argo unterwegs verläßt, zieht er dann zu Fuß weiter nach Osten? Apollonios gibt auf diese Fragen eine Antwort; er zeigt, daß er sich die Biographie des Herakles genau zurechtgelegt hat. Dieses Ziel will nur der Dichter erreichen, der
sich einem unterrichteten und kritischen Publikum gegenübersieht: er
sichert seine Version gegen andere. Von den Abenteuern des Herakles,die er in seinem Werk nennt, kann ihm kein Kritiker sagenydaß er sie übersehen habe, daß sie der Teilnahme am Argozug im Wege ständen. Indem
er die Abenteuer nennt, belegt er/ daß er sie nicht nur als dichterischen
Stoffg sondern auch als mythologische
Überlieferung gewürdigt hat.
Aber Apollonios will sich nicht allein über seine Forschung ausweisen, wenn er den Dodekathlos des Herakles mit dem Argozug in ein gutes zeitliches Verhältnis bringt. Er belebt auch seine Schilderung,
wenn er die Tätigkeiten des Herakles zeigt. zt. Wie reizvoll ist esy wenn die Argonauten
ihren einstigen Gefährten in Libyen um
einen Tag ver-
fehlen, wenn ihn die überscharfen Augen des Lynkeus gerade noch am Horizont zu sehen meinen (4, 1478)! Für den Leser ist es ebenso anziehendj von der grotesken Wirkung eines Tages im Leben der Helden zu hören wie von der märchenhaften Sehkraft des Lynkeus, zumal diese Sehkraft nicht ein echtes Wunder vollbringt4; sondern nur beinahe erfolgreich ist (Lynkeus „wähnt‘‘ ja nur). Und wie Lynkeus mit seiner märchenhaften Sehkraft nur beinahe erfolgreich war, so die Boreaden mit ihrer märchenhaften Schnelligkeit — die Komposition des Apollonios verursacht den urzeitlichen Wunderkräften Mißerfolg (4, 1464 ff.). Das ist echt hellenistisch.
Nicht nur in Libyen treffen die Argonauten
einen
amüsanten
auf die Spuren des
Herakles. Er war vor ihnen schon einmal zu Fuß im Osten. Als sie, noch
Herakles, Hylas
und
Polyphem
29
vor dem Amazonenland, bei den Mariandynern Station machen, kom-
men sie auch zum König des Volkes, zu Lykos, und tragen ihm, wie es sich für Ankömmlinge schickt, ihre bisherigen Erlebnisse vor. Da er hört/ daß sie Herakles unterwegs zurückgelassen haben, zeigt er sich
Vaters. Herakles hatte es auf seinem Ostzug besucht. 2, 774 ff. erzählt nun Lykos; was Herakles auf diesem Ostzug alles vollbracht hat. Diese Erzählung ist nicht nur eine Bereicherung seines Gesprächs mit den Argonauten; sie hat auch eine Bedeutung für die Mythologie. Durch sie wird festgestellty daß Herakles seine Taten im Osten nicht etwa anschließend an jene unglücklich verfrühte Abfahrt der Gefährten vollbracht hat, bei der er zurückgeblieben war: er war nicht zu Fuß nach Osten weitergewandert.! Man sieht: die mytholog'lsche und die poetlsche Absicht dienen sich wechselseitig. Daß sich der Dichter durch mythologische Bemerkungen dieser Art der Zustimmung seines Publikums versicherte, war nötig, denn es war keineswegs allgemeine Meinung, daß Herakles am Argonautenzug teilgenommen
habe.
Herodor
(ein beachtlicher
Zeuge)
hatte es zum
Beispiel bestritten (Schol. 1, 1289). Den ganzen Zug macht Herakles auf keinen Fall mit, er verläßt ihn irgendwo unterwegs, in der alten Sage offenbar schon im Mutterland, bei ‘Argus Aphetai, das davon seinen Namen hat. In der Sagenform, die bei Apollonios vorliegt, scheidet er erst ausg als der Zug schon im Osten ist. Diese Version ist ungleich weiter verbreitet (Quellen im Schol. 1, 1289). Wer sie annehmen will, hat zwei Möglichkeiten: er kann das alte Aition von Argus Aphetai
einfach
übergehen, er kann
aber auch versuchen, es
mit der neuen Version in Harmonie zu bringen. Wer das zweite tut, strebt offenbar mythologische Vollständigkeit (und damit Beifall des gelehrten Publikums) an. Apollonios tut es, gibt Argus Aphetai ein neues Aition. Er setzt sozusagen die alte Version mit Gründen außer Kraft, indem er folgende Geschichte
erzählt
(1, 585ff.):
„Die
Helden
erweisen
dem
Heros
Dolops die gebührenden Ehren, weil sie unter widrigen Winden zu leiden haben. Als sie gelandet sind, beginnt das Meer mächtig anzuschwellen; sie müssen ihre Rast ausdehnen, bis es sich beruhigt hat. ı Theokrit läßt Herakles zu Fuß nach Kolchis kommen.
Für den Epylliendichter
ist das vollkommen unverhindlich; er brauchte sich über dasy was etwa in Kolchis
geschehen sein könntej keine Gedanken zu machen. Bei Nikander frg. 48 steigt Herakles wieder ins Schiff, nachdem er Hylas nicht findet, und überträgt Polyphem die Suche.
i ——
sehr betrübt und berichtet, er kenne den Helden aus dem Hause seines
30
Herakles, Hylas
und Polyphem
Das dauert zwei Tage, und so heißt heute noch der Ort ihrer Rast Argus Aphetai.‘ Nach allem Ermessen heißt der Ort nicht deswegen so, weil die Argonauten unter irgendwelchen beliebigen Umständen von da aus in See gestochen sind. Der Akzent liegt darauf, daß sie nach einer längeren Rast in See gestochen sind. Was aber verursacht die Verzögerung der Fahrt? Der Wind und das Meer, man darf statt dessen sagen: der Wille des Dichters, denn über Wind und See kann er nach seinem Gutdünken verfügen.! Unter der Oberfläche des Geschehens
liegt also ein Deutungsversuch, durch den ein Aition gerettet werden-
selh das die Hauptperson verloren hat. Fast ist man versucht zu sagen, daß diese Art Aitiologie nur ein reizvolles Spiel des Dichters vor Kennern sei: denn ihr Zweck kann nur eine quasi-Harmonie im Mythos sein, weil niemand
die Glaubwürdigkeit
des
alten
Mythos
mit
der
Glaubwürdigkeit des neuen Details gleichstellen wird. So fährt nun Herakles ein Stück mit nach Osten. Aber bald verlieren ihn die Gefährten. Apollonios erzählt diesen Verlust in einer Episode, in der neben Herakles sein Begleiter Hylas und der Held Polyphem die Hauptpersonen sind. Hylas gehört von Hause aus nach Mysien (Nilsson, Griech. Feste von relig. Bedeutung, Leipzig 1906, S. 429). Später setzen
ihn milesische Kolonisten mit der griechischen Sage in Beziehung. Der Gründer von Kios, Polyphemos, tritt zu ihm in ein erotisches Verhältnis. Nach der Version der Herakleoten war Herakles der Lieb-
haber. Bei manchen galt Hylas auch als der Sohn des Keyx, bei anderen
war der Dryoperkönig Theiodamas sein Vater.
Dies sind die mythologischen Ausgangspunkte für unseren Dichter. Wie verbindet er sie nun mit einheitlicher, plausibler Handlung? Wie
umgeht er die Widersprüche in ihnen?
Die Helden fahren rudernd von der Insel des Kyzikos ab (1, 1152),
und da Windstille herrscht, liegt der Gedanke nicht fern, um die Ausdauer im Rudern zu wetteifern (wiederum Wind und See als frei verfügbare Mittel des Dichters). Herakles hält am längsten aus, aber unter der ungewöhnlichen Beanspruchung bricht sein Ruder. Sofort nach der Landung
geht er also in den
Wald,
um
sich ein neues
zu holen
(1, 1187). Der Dichter hat Gelegenheity bei Details zu verweilen: bei dem Baumyden
Herakles auswählt, bei der Riesentat des Ausreißens,
die er als Exempel für die einzigartige Kraft des Helden benutzt. Wenn schon ein anderer als Herakles den Zug anführt, so muß Herakles ı Vgl. Kap. VII. F. Mehmel
hat in seinem Buch „Apollomos Rhod:os und Nnrg;‚'
über die Rolle des Windes ausführlich gehandem
S
an
'
Herakles, Hylas und Polyphem
31
Platz habens seine einzigartigen Eigenschaften auszuspielen. Die Szene zum poetischen Gleichgewicht zwischen der Gestalt des Führers und der Gestalt des ersten Helden beitragen (vgl. S. 54). Während Herakles ein neues Ruder holt, geht Hylas auf Wassersuche. Das sei ihm zur Gewohnheit
geworden, erzählt der Dichter, seit Herakles ihn
seinem Vater Theiodamas weggenommen habe. Mit dieser Mitteilung erreicht der Dichter zweierlei: er verzeichnet eine Überlieferung über Hylas,und motiviert, indem er etwas hinzu erfindet, zugleich die Wassersuche. Das mythologische Faktum wird um einen erfundenen Zug bereichert — damit wird es Begründung einer Handlung. Wozu aber dient diese Handlung letzten Endes" Dazu, auf mythologische Fakten hinzuführen. Mit Herakles mußte Polyphem, der nach der Überlieferung Kios gründet, den Zug verlassen. Der Dichter macht eine plausible Geschichte zurecht, zeigt genau die einzelnen Stufen der Entwicklung, die seelischen und die räumlich-zeitlichen. Während die Nymphe schon ihr Spiel mit Hylas treibt, sondert sich Polyphem von den Gefährten ab. Der Dichter sagt, er wollte dem Herakles entgegengehen. Er erfindet ein Detail aus dem Hgg_gg_g__all_tfg/ um Polyphem von den Gefährten zu lösen. Auch dieser Teil einer unverbindlichen Alltagsszene führt letzten Endes aufs Mythologlsche Nun vernimmt Polyphem, als er schon ein Stück von den Gefährten weg ist, den Hilferuf des Hylas. Er stürmt sofort los, ruft keinen der Gefährten (auch das ᾽ hat einen mythologischen Zweck). ᾽ Herakles, Hylas und Polyphem sind nun von den Gefährten getrennt, und alles hat sich wie natürlich abgewickelt. Je natürlicher, ungezwungener die Erzählung des Dichters ist, um so glücklicher ist seine mythologische Kombination. Am nächsten Morgen fahren die Argonauten aby ohne sich ihrer drei Genossen zu erinnern. Aber damit ist die Trennung noch nicht endgültig - sie müssen ja irgendwo den Verlust bemerken und können dann umkehren. Aber das macht der Dichter unmöglich, wie wir später noch sehen werden (S. 37 ff.). Aber nicht nur das Schicksal der wegfahrenden Argonauten liegt dem Dichter am Herzen, sondern auch das der zurückgelassenen. Zumal sein aitiologisches Interesse richtet sich auf die Zukunft.! Es ı Dieses aitiologische Interesse ist vollkommen anders als das „biographische Inter6880“, das (nach dem Urteil von Reinhardt, Von Werken und Formen, S. 131) in Ilias und Odyssee am Werke ist, wenn durch „Vor- und Rückgriffe in wemgen Tagen eine
ganze Heldenlaufbahm umfaßt wird‘. Im Biographischen verfolgt ein Dichter eine einzige Hauptlinie, im Aitiologischen zahllose Nebenlinien.
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ι !
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32
Herakles, Hylas und Polyphem
besteht ein großer Unterschied zwischen der Zukunft der Weiterfahrenden (vom Augenblick des Verlustes an gerechnet) und der der Zurückgelassenen: die eine ist Sache der Argonautika, die andere Sache eines mehr oder minder glücklich eingefügten Ausblicks. Der Dichter ist bestrebty diesen Ausblick in herkömmlichen epischen Formen zu geben,! wie immerj wenn reine Mythologie vorgetragen werden soll. Einen Teil bildet die Prophezeiung des Meergreises Glaukos 1, 1310fr., einen
andern
verweist
der Dichter ins vierte Buch, an die Stelleg wo
die Helden beinahe den Herakles wieder getroffen hätten. Wir wissen: einige von ihnen suchen ihn; unter diesen ist nun Kanthos, der ihn nach dem Schicksal seines Freundes Polyphem fragen möchte. Diese Freundschaft, frei erfunden, dient dazuf zur Mythologie hinzuführen:
denn dem Leser wird 4, 1472 die Frage beantwortety die für Kanthos
; unbeantwortet bleibt, weil die Helden Herakles nicht mehr erreichen.
Die hellenistische Vorliebe für das beinahe Geschehene (vgl. S. 66) hilfty die Mythologie anzubringen: beinahe wüßte es Kanthos, wirklich weiß es der Leser. Apollonios wechselt nur den Modus. Seite 51 haben wir geseheng wie Apollonios Theiodamas in die Geschichte einfügt. Aber neben Theiodamas gilt ja Keyx, der König von Trachis, als Vater
des Hylas! Apollonios
erzählt
nun: „Herakles
drohte den Mysern, ihr Land zur Einöde zu machen, wenn sie ihm nicht Hylas wiederfänden ... Deswegen suchen die Leute von Kios den Hylas, den Sohn des Theiodamas,
noch heute
(im Kultruf)
und
pflegen des wohlgegründeten Trachis. Denn dort hatte Herakles die Knaben angesiedelty die sie ihm als Geiseln gegeben hatten‘“ (1, 1348). Öffenbar war zur Zeit des Apollonios noch die Erinnerung an eine Abhängigkeit zwischen Kios und Trachis lebendig.? Herakles kann aber nur dann Geiseln nach Trachis senden, wenn Hylas dort gesühnt werden muß. Am ehesten ist das der Fally wenn er von dort stammt (wenn also Keyx sein Vater ist). Aber Apollonios hatte ihn gerade eben erst noch einmal den Sohn des Theiodamas genannt. Wir sehen: ı Drei Beispiele für Zukunftsausblicke in den homerischen Gedichten: Od. 4, 461 (Begegnung Menelaos-Proteus: das Geschehen soll an die Ilias angeschlossen und zugleich weiterbewegt werden), Il. 20, 302 (Poseidon über Aineias; persönliche Gründe eines Dichtersyder das Geschlecht der Aineiaden preisen will. Vgl. R. Merkelbach, Philolog. 97, 1948, S. 303ff.), Od. 11, 100 (Teiresias macht Odysseus mit dem Freierkampf
und seinem Lebensende bekannt — Telegonosproblem). Immer ist ein Held, nicht das
i Aition, wichtig. 2 Vgl. die sogenannte Lokrische Buße (C. F. Lehmann-Haupt in Gercke-Norden, Einleitung in die Altertumswissenschaft III, 1912, S. 102).
Herakles, Hylas und Polyphem
33
die Geschichte von Trachis ist eine mythologische Kombination aus Gründen der Vollständigkeit. Man soll dem Dichter nicht vorwerfen können, er habe überseheng daß es für Hylas’ Abstammung zwei Versionen gibt. Da er sich aber nur für eine entscheiden kann, nimmt er die andere mit einer Art Als-ob-Gültigkeit auf: der kultische Zusammenhang besteht, als ob Trachis die Heimat des Hylas wäre, aber der Dichter erfindet eine neue Ursache für ihn. Er verfährt genau 8so wie bei Argus Aphetai: das Ergebnis (Name oder Kultzustand) bleibt, das darauf hinführende Geschehen wird verändert. Vielleicht gilt für die ganze Geschichte von Herakles und Hylas, was wir S. 30 für das Aition von Argus Aphetai sagten: daß der Dichter vor Kennern geistreiche mythologische Spiele treibe. Wenn es seine Aufgabe isty für eine Reihe von feststehenden Überlieferungen eine Handlung zu erzählen, die einheitlich, widerspruchsfrei ist und aus der man jede der Überlieferungen ableiten kann, dann wird die Handlung zur Chiffre der Aitiologie, Erkennungsmittel für eine möglichst große Zahl von Überlieferungen. Ein Gedanke an die Echtheit und Gültigkeit des Mythos ist in diesem Verfahren schwerlich enthalten.
|
‘
‘
l I ‘
IV
MYTHOLOGISCHE
TENDENZEN ZUR
|
UND
IHR
VERHÄLTNIS
ERZÄHLUNG
Wir wollen nun genauer ermitteln, wie Apollonios den gelehrten Stoff in dichterischen umsetzt. Sein Epos ist erzählend, nicht belehrend (man könnte zum Belsplel Kallimachos’ Aitia viel eher belehrend nennen); alle Aussagen müssen den Gesetzen des Erzählens untergeordnet sein. Das Fremdartlge muß verhüllt werden, so daß es nicht gar zu offenkundig in Erschemung tritt. Mit anderen Worten: aus dem gelehrten Stoff muß dichterischer Stoff werden, aus der gelehrten Aussage dichterische Aussage. NAMEN
1, 228 erfahren wir, daß die Argonauten Minyer genannt worden
sind: ‚,. .. So viele Genossen versammelten sich um Jason. Diese Hel-
den aber nannten die Umwohner Minyer insgesamt, da die meisten und besten sich rühmen konnten, von Töchtern des Minyas herzustammen ...‘“ Wir
stellen uns vor, daß
die Umwohner
den
Helden
ihren
Beinamen zu dem Zeitpunkt gaben, als sie sich in Pagasai versammelten. Die Verse 1, 228-233 sind ja das Gelenk zwischen dem Heldenkatalog (der keine Handlung enthält) und der Handlung. In diesem Gelenkstück geschieht zwar schon Handlung, aber sie ist nicht in einer bestimmten räumlichen und zeitlichen Umgebung festgelegt, wie in den anschließenden Teilen.! Der Dichter setzt das überlieferte Faktum: „Die Argonauten werden Minyer genannt‘“ in erzählbare Handlung um, oder vielmehr (da solche Handlung, in ihrer ganzen Breite
genommen,
sich nicht in besonderem
Maße
dichterisch
aus-
werten ließe) in die Abbreviatur einer solchen, die jedoch alle kon-
ı Vgl. S. 15 f. Der Heldenkatalog wird V. 20 als Aufzählung angekündigt, erlaubt aber natürlich dem Leser eine ungefähre Vorstellung, wann und wo die aufgezählten
Helden zusammengekommen sind. ’Hysp£9ovrto V. 228 ist zugleich Resümee der Aufzählung und Beschreibung eines Geschehens.
Namen
35
stitutiven Elemente einer Erzählung noch in sich schließt. Durch diesen Vorgang, der sich im Verlauf unseres Epos noch häufig findet, ! schafft der Dichter aus Zuständen, Beziehungen, Bedingungen, die| er in seinem mythologischen Material antrifft, kleine Handlungen, Details der Sage: er erweitert die Erzählbarkeit mythologischen Materials. Diese Erweiterung erlaubt ihm, alles aufzunehmen, was indirekt gesagt werden muß, wenn aus dem Epos nicht eine Ansammlung mythologischer Fakten werden soll. Es ist bemerkenswert, bis zu welchem Grade von Genauigkeit die abgekürzte Geschichte, die Apollonios erzählt, den mythologischen Befund
vertritt:
es wird
deutlich,
daß
die
Bezeichnung
‚Minyer‘‘
geographisch gebunden ist (V. 229) und daß sie nur a potiori gilt (nur ein Teil der Helden ist wirklich Nachkommenschaft des Minyas, V.231). Das setzt doch einige genealogische Prüfung voraus! Sogar das Motiv der Benennung erfahren wir: die Tatsache,daß „‚die meisten
und besten‘
der Helden Minyasabkömmlinge
hat die „„,Umwohner‘‘
veranlaßt, alle Helden
gewesen sind (V. 231), mit dem
Namen
zu be-
legen. Ein vollkommenes kleines Erzählungsgefüge. Warum spricht nun Apollonios von den ‚„„‚Umwohnern“? Das erfahren wir aus einer zweiten Stelle. Wenn Odysseus auf seiner Reise eine neue Station erreicht, erzählt er darüber: „Der Wind trieb uns zu den Kikonen‘“ (9, 39) oder: „Am zehnten Tage setzten wir unseren
Fuß auf das Land der Lotophagen‘‘ (9, 84) usw. In Ankunftsszenen bei Apollonios wird der Leser ausführlich über Land und Leute ins Bild gesetzt. Das entspricht, wie wir noch sehen werden, der neuen Auffassung des Reisens, die Apollonios in die Sage hineinträgt. Also muß deutlich geschieden werden zwischen Mitteilung über Land und Leute und Erzählung von Handlung. Bei der Lemnosgeschichte verfährt der Dichter so: Zuerst stellt er fest „Mit
Rudern erreichten sie
das felsige sinteische Lemnos‘‘ (1, 608). Das ist die erste Stufe der Handlung. Dann folgt die Unterrichtung des Lesers über dasy was
auf Lemnos
früher geschah, schließlich setzt die Handlung
ein (V. 633): „Als nun rudern
sahen...‘,
mit
(die Lemnierinnen) unmittelbarem
nahe
wieder
der Insel die Argo
Anschluß
an
608.
Ganz
parallel gebaut ist der Beginn der Phineusgeschichte (2, 177f£f.). Wichtig ist vor allem eine Divergenz gegenüber Homer, die wir in der Kyzikosgeschichte finden (1, 941ff.). Indem der Dichter den Ort nennt, wo die Argonauten landen, stellt er dessen Namen nicht einfach fest, sondern er relativiert ihn in wissenschaftlicher Weise: „Bärengebirge 3°
36
Mythologische
Tendenzen und ihr Verhältnis zur Erzählung
nennen ihn die Umwohner, und ihn bewohnen die frevelmütigen und wilden Söhne der Erde, staunenswert den Umwohnern Damit
anzusehn . . .“
soll, scheint es, vermieden werden, daß der Leser das „Bären-
; gebirge‘“ mit den Söhnen der Erde verbindet. Der Dichter trennt die Benenner von den Figuren seiner Sage. Die Be
eichnung „Bärengebirge“‘
wird aus der Zeit der Sageherausgenommen‚ äen „Umwohnern‘“‘ irgendeiner nicht bestimmten Art zugewiesen. Apollonios wagt nicht, die Bezeichnung den Söhnen der Erde zuzuweisen (sie sind zu eindeutig Gestalten der Sage, viel mehr als die Bewohner anderer Stätten, die die Argonauten auf ihrer Reise besuchen. Man lese die Schilderung, die Apollonios von ihrem Aussehen gibt, V. 944 ff.). Um die sachlichen Angaben möglichst genau zu machen, nimmt der Dichter die Doppelung von Γηγενεῖς ἐνναίουσιν υπᾶ περιναιετάοντες καλέουσιν ἴπ Καυΐ. Während im! Epos einfach erzählt wird, müssen hier neben dem Erzählerischen die Denkweisen von Mythologie, Geographie, Historie An anderen Stellen tritt die Absrcht uber Namen zu belehren, noch
offener hervor. Dort ist die Formuherung noch gelehrter, noch weniger dem Epos angemessen, entspricht dafür noch mehr hellenistischer Art.? 1, 623, bei der Erzählung von der Rettung des Lemnierkönigs Thoas, findet sich: . Und sie retteten ıhn nach der Insel, die früher Oinoie, epäter Srlunos genannt ward nach Sikinos, den dem
Thoas ... Oinoie, die Najade, gebar ...‘“ Der Wissensstoff ist in 8so hohem Maße verdichtet, daß die grammatische Fügung bis zum Äußersten beladen wird. Dies ist aber dem Stil alter Epik weit weniger angemessen als dem des Hellenismus, zu dem das Kurze, Gedrängte gehört, das man erst im Denkprozeß aufschlüsseln muß. Bei Kallimachos (frg. 716 ΡΩῚ ) findet sich: „Ok d früher Kalliste, später aber Thera
geheißene,
Mutter
unseres
Vaterlandes,
des
rossereichen. .
.“
ı Daher verstehen wir auchjy daß Apollonios 2, 984 II6vrogc "AEeıvoc sagt. Er will zeigen,daß er in den geographischen Begriffen seiner Heldenzeit zu Hause ist. Strabon J berichtet, daß die Bezeichnung II. EöZewvog erst zur Zeit der ionischen Kolonisation aufgekommen sei. Aus dem gleichen Grunde nennt der Dichter 4, 1212 Korinth Ephyra. Ähnliches schon bei Homer: wenn dort der Dichter in eigenem Namen spricht,
sagt
er
„Korinth‘,
seine
Helden
läßt
er „Ephyra‘
sagen,
vgl.
Mooney
zu
4, 1212; K. Lehrs, De Aristarchi studiis Homericis, 3. Aufl., Leipzig 1882, S. 228. Bei Homer mag die Unterscheidung auf den Quellen beruhen, bei Apollonios ist sie gelehrte Absicht. 2 H. Faerber a. O. S. 32 Anm. 1.
GLAUKOS
und die Boreaden UND
DIE
37
BOREADEN
Einige Stunden nach der Abfahrt aus dem Myserland bemerken die Argonauten den Verlust von Herakles und Polyphem (1l, 1283). Die Abfahrt ist so komponiert, daß wir versteheny warum der Verlust der beiden Gefährten erst auf hoher See bemerkt wird. Als Tiphys die Helden weckt, herrscht noch Dunkelheit. Das Wecken fällt Tiphys durch sein Steuermannsamt zu; Apollonios läßt gern zwischen Handlung und Handelndem eine evidente Beziehung walten. Man fährt 80 ἔτ ῃ δοὸ7ν weil günstige Winde zu wehen beginnen — der Wind dient auch hier wieder dazu, eine bestimmte Situation zu schaffen. Weil es aber dunkel ist, steigt die Heldenschar ins Schiffy ohne zu bemerken, daß drei Gefährten fehlen. Der Wind bläst tüchtig, rasch sind die Seefahrer ein gutes Stück vom Land weg, in froher Stimmung über den guten Anfang. Dann erst geht die Sonne auf, und um zu unterstreichen, wie wichtig innerhalb des Erzählungsgefüges dieser Sonnenaufgang ist, beschreibt der Dichter in drei Versenj wie die Welt sich langsam erhellt (V. 1280-82). Man denke bei diesem kurzen Stück, in dem der
Dichter den optischen Eindruck kunstvoll wiedergibt, an die Geschichte von Polyphem. Dort kam es darauf an,zu zeigeny daß Polyphem ohne weiteres davonstürzty als Hylas ruft; dieses Moment hebt der Dichter hervor, indem er Polyphem mit dem wilden Tier vergleichty das gierig dem Blöken der Schafe nachjagt.! Nachdem der Verlust der Gefährten bemerkt ist, herrscht Erregung: Telamon erhebt seine Stimme im Zorn gegen Jason. Bezeichnend, wie Apollonios eine solche Szene baut: statt die seelische Bewegung in weit ausgrei-
fender Rede auseinanderzulegen, deutet er nur an, und zwar in äußer000 a n
D n ü
da es dir ganz zupaß kamy den Herakles zurückzulassen sein Ruhm
\“ ®: ‘;
a —
Glaukos
... damit
nicht den deinen in Hellas verdunkle ... Aber wozu rede
ich? Denn ich will gehen, weg vgn deinen Gefährten, die diese Heim-
tücke mit ausgeheckt haben.‘‘ Die Frage „Wozu rede ich ?“ nach einer
Rede von vier Versen —- und doch reicht diese Rede hingum alle Motive ı Entsprechend der Gleichnistheorie des Apollonios bezieht sich jedes Element des Vergleichs auf die Erzählung, vgl. Faerber a. O. S. 30f. Ähnliche Funktion hat der Vergleich, der veranschaulicht, wie Herakles, von Polyphem
orientiert, auf die Suche
nach Hylas eilt: er erscheint als καχῷ βεβολημένος οἴστρῳ (], 1269). Der olartpoc ist der Liebesstachel; Faerber vergleicht Eur. Hipp. 1300, Iph. Aul. 547 f. So drückt der Dichter ausz daß Herakles und Hylas nach der Überlieferung wie Liebhaber und Lieb-
ling zueinander
stehen (S. 30).
! .
38
Mythologische
Tendenzen und ihr Verhältnis zur Erzählung
Telamons auszudrücken: Gefolgschaft für Herakles, Gegensatz zu Jason, Vorwürfe, Verdacht gegen die Genossen. Nachdem Telamon den Jason geschmäht hat, stürzt er sich auf Tiphys — nicht auf den, den er angeredet, sondern auf den, den er offenbar zuletzt im Sinn gehabt hat. Wir erraten, daß Tiphys, der durch seine Beobachtung des Windes so früh zum Aufbruch getrieben hatte, für Telamon der Nächstschuldige ist. Der Leser muß die kompakte Aussage
verstehen:
„Ich gehe
auch
ohne
deine
Gefährten,
die
diese Heimtücke mit ausgeheckt haben. Sprach’s und stürmte auf Tiphys los‘* (V. 1294-1296). Auf engstem Raum erzählte Rede, angrenzend an auf engstem Raum erzählte Handlung — das eine wirft Licht auf das andere als Symptom einer Situationg die der Dichter schildern will. Erst wenn man alles Gesagte hinreichend prüft, klärt sich diese Situation. Bei einem solchen kleinen Gefüge (vgl. S.47) kann der Leser nicht einfach die vorbeifließende Rede aufnehmen (wie es für den Hörer des ungleich breiter angelegten Epos möglich ist — wie hätte er, da er doch nur hören, nicht nachlesen kann, es sonst verstanden?). Er muß verweilen und die einzelnen Abbreviaturen auf‘ schlüsseln.
So
hat
es
auch
es
offenbar
die
Kleinkunst
des
Hellenismus
mit
sich gebracht. Eine neue Hör- oder Leseweise wird nötig, wo feingewebte dichterische Komposition mit subtilen mythologischen Aussagen zusammengeht. Der Unterschied zwischen Apollonios und Homer in der Struktur der Szenen läßt sich also auf den Unterschied zwischen mündlich und schriftlich überlieferter Dichtung zurückführen. Was ‚ dem Leser schon mehr als genug ist, genügt dem Hörer noch nicht. Man
kann
so
ausdrücken : die
homerische
Ausführlichkeit,
die der hellenistische Epiker nicht nachahmt, ist wesentlich. So gehören zum alten Epos beispielsweise auch die Formelverse (vgl. Kap. X).! Mit einem Resümee bricht die Schilderung ab: „Und nun wären sie
zurück ins Myserland gekommen, wenn sie Wind und Se%;l bezwungen hätten (der Wind ist also gegen Telamon), hätten nicht die beiden Söhne des Boreas mit schlimmen Worten Telamon zurückgehalten ...°
(V. 1298ff.).
Warum
versuchen
die Boreaden,
die Argonauten
ı Wie in unserem Epos das sachliche Verständnis schwieriger ist als im homerischen, so auch das grammatische. Gegenüber Homer ist die Syntax der Argonautika um die neuen differenzierten Formen bereichert, die die Sprache inzwischen geschaffen hatte. Erst eine Untersuchung der jüngsten Zeit hat darüber Aufschluß gegeben; die älteren galten mehr lexikographischen und morphologischen Fragen: K. Mugler, Zur epischen Sprache bei Homer und Apollonios, Philol. 96 (1944) S. 1ff.
Glaukos
und die Boreaden
39
zurückzuhalten? Der Wind; die Schwierigkeiten der Navigation kommen offenbar nicht in Frage, denn sie reden
yaleroioıv Erxecow. Eine
nicht näher bezeichnete Hinterlist des Brüderpaares liegt zugrunde. Nun soll die Rede des Glaukos, die auf die Boreadengeschichte folgt (V. 1315ff.), die Argonauten an der Umkehr hindern, indem sie ihnen Einblick in die göttlichen Fügungen gibt. Was die Boreaden versuchen
und
erreichen,
des Glaukos
wird
noch
setzt mit 1315
einmal
versucht
und
erreicht.
so ein, als ob der Entschluß
Die
Rede
der Helden;
die verlorenen Gefährten wiederzuholen, feststände — aber das kann ja nach dem Erfolg der Boreaden nicht mehr der Fall sein! Mit der Glaukosrede ist die Entwicklung noch einmal bis vor das Eingreifen der Boreaden zurückgeschoben — das sichere Zeichen einer Doppelfassung. Ὑ Μ " Meergreis erscheint plötzlich, ohne jede beziehungschaffende Überleitung: „Diesen aber erschien Glaukos aus der Tiefe des Meeres
...“ (1310). Die göttliche Erscheinung ist unvermittelt und scheinbar grundlos. So empfinden wir auch, wenn Apollon 2, 674 in der Ferne an den Helden vorüberschreitet.! Dagegen sucht der Dichter bei Begegnungen unter Menschen das Vermittelnde auf. Das beste Beispiel ist 2, 1093, die Begegnung zwischen den Argonauten und den Söhnen der Chalkiope. Aus dieser Begegnung erwächst den Argonauten großer Nutzen, also ist sie umso sorgfältiger zu motivieren. Es kann nicht 14, 1706 erscheint der Gott auf Jasons Gebet noch einmal den Helden; er zeigt
ihnen die Insel Anaphe. Der Dichter schildert die Erscheinung des Gottes in der zweiten Person. Diesem Unterschied ın der Formulierung entspricht ein Unterschied der Vorgänge: in der Szene im zweiten Buch geht der Gott in der Ferne vorüber, der Dichter sagt genau, woher und wohin. Er kommt von ungefähr und hat nicht die Absicht, sich den Helden zu offenbaren. Im vierten Buch will er ihnen helfen. Woher die Götter kommen und wohin sie gehen, erfahren wir auch in den homerischen Gedichten, aber da kommen sie gerufen oder gesandt oder (wie bei Apollonios im vierten Buch), weil sie selbst sehen, daß ihr Eingreifen vonnöten ist. Wir begreifen, warum sich Zeus auf dem Glpfel des Ida und Apollon auf Pergamos aufhält. Kommen und Gehen der. Götter hat eine Funktion für das Gesamtgeschehen, auch ihre Abwesenheit (z. B. wenn Poseidon bei den Aithiopiern, Od. 1, 22, oder Hephäst bei den Sintiern auf Lemnos, Od., 8, 293, weilt). Bei Apollonios ist im zweiten Buch alles auf Impression hin
komponiert, wir lesen eine Schweigeszene, die ganz im Optischen ruht. Der Dichter
schafft einen deutlichen Kontrast gegen homerische Göttererscheinungen, wenn der Gott von ungefähr kommt. Aber das Ungefähr hat einen aitiologischen Hintergrund: Von Herodot ist überliefert, daß die Helden dem Gott einen Altar erstellen; das kann der Dichter nicht übergehen, muß es aber motivieren. Außerdem möchte Apollonios seine personllche Memung über den Ursprung des Namens ’Inraızawv anbringen. Der Dichter verfügt, wie so oft, frei über eine Göttererscheinung. Die Verschiedenheit der Szene im zweiten von der im vierten Buch kommt aus dem Bestreben,y nicht zweimal dasselbe zu erzählen. ern ,
!
40
Mythologische
Tendenzen
und
ihr Verhältnis
zur Erzählung
genügen zu sagen: „‚ Und siehe da, sie trafen . . .‘. Schon Phineus’ Weissagung hilft die Begegnung zustande bringen: er empfiehlt4 auf der Aresinsel zu landen. Und als die Helden dort sind, fragt Apollonios: „Was
war wohl die Absicht
des Phineus,
der Helden
Zug hierhin zu
führen?‘“ (V.1090/91). Dann erzählt er von den Söhnen der Chalkiope, die sich nach Westen eingeschifft hätten und nun sehr nahe der Aresinsel seien. Da kommt ein gewaltiger Sturm auf Veranlassung von Zeus und zerstört ihr Schiff. Vieren der Kolcher gelingt es£ einen Balken zu fassen, und der gleiche Wind/j der eben ihr Schiff zerstört hat, trägt sie nun der Aresinsel zu. Dort langen sie an, und als es Tag wird, treffen sie die Argonauten. Neben Phineus, dem Künder göttlichen Willens, hat also der Wind des Zeus zu der Begegnung geführt. Der Dichter verwendet viel Kunst daraufy die Ereignisse bei dem Sturm zu schildern —- der Sturm ist wichtig für das Zustandekommen der Begegnung, die Begegnung wiederum für die Handlung des dritten Buches, also gilt ihm das Interesse des Dichters. Wir sehen hier zum drittenmal, daß der Dichter seine Schilderungskunst da spielen läßt, wo er wünscht; daß der Leser ein Faktum auch ja gelten lasse (vgl. S. 37). Wir überblicken genau die Ursachenkette, die dazu führtj daß Jason und Argos auf der Aresinsel miteinander sprechen.! Nachdem nun Glaukos so unvermittelt erschienen ist, versöhnen sich Telamon und Jason, und alle Helden sind froh. Wozu braucht der
Dichter da vorher die Boreaden? Ihr Vorgehen ist nach Apollonios die Ursache dafürg daß Herakles sie einst töten wird. Die bekannte Tatsache aus der Mythologie, daß Herakles und die Boreaden Feinde sind, wird so nach dem Gesetz von Ursache und Wirkung in Handlung
umgesetzt. Apollonios ist gegenüber den Gewährsmännern von Schol. 1, 1300, die allesamt nach dem Grund des Mordes fragen, viel geistreicher: er sucht nicht die Begründung für ein gegebenes Faktum, sondern gestaltet seine Erzählung so, daß sie den Zorn des Herakles und damit den Mord begründet. Da der Mord gänzlich außerhalb des Zusammenhangs der Argonautensage liegt, ist dieses Verfahren geradezu ‚universalmythologisch‘, weil es die einzelnen überlieferten Fakten auch dann aufeinander abstimmt; wenn sie nicht in den Handlungszusammenhang einer Sage gehören. Der Einheitsbegriff dieser ı Entsprechend der Rolle des Natürlichen in den ersten beiden Büchern (vgl. beson-
ders Kap. X) beansprucht die Schilderung der Gewalt des Sturmes einen breiten Raum.
Zwar erregt sie Zeus, aber der Gott „sinkt zum bloßen Begriff herab“, wie Faerber
a. O. S. 86 beobachtet. Im Blickfeld steht die Natur, nicht der Gott.
Mythologische Exkurse
41
Art von Mythologie kommt wohl aus der Historie, besonders aus der Biographie. Nur wenn man das Leben des einzelnen Heros als bio-
graphisch erfaßbare Einheit, die Epoche des Heroengeschlechts im ganzen aber nicht bloß als Summe von Heroen-Bioi, sondern als einen Komplex mit vielfältiger Wechselbeziehung der Elemente betrachtet, kann man wie Apollonios zwei heterogene Überlieferungen in das Verhältnis von Ursache und Folge setzen. MYTHOLOGISCHE
EXKURSE
dem
Satz
„Und
das
sollte
so
nach
geraumer
Zeit
sich
J
Was Apollonios vom künftigen Schicksal der Boreaden erzählt, entfernt sich in einer Art fortschreitender Assoziation immer weiter von der Handlung, wird zu absoluter Belehrung. Der Dichter gelangt von der Mordtat des Herakles (mit genauer mythologischer Zeitbestimmung, versteht sich, V. 1305/06) schließlich zu den physikalischen Merkwürdigkeiten des Grabmals der Boreaden. Aber mit vollenden‘“‘
(V. 1309) wendet er sich wieder in das Kontinuum seines Geschehens. Dieser Satz zeigt: der Dichter ist sich bewußt, einen Exkurs gegeben zu haben. Sein Wortlaut stammt aus Kallimachos (frg. 12, 6 Pf.; vgl. noch das Scholion zur Apolloniosstelle). Aber Apollonios übernimmt nicht einfach einen fremden
Wortlaut;
er verfährt mit ihm
ähnlich
wie mit dem pindarischen Vorbild bei der Vorgeschichte (S. 14): er beweist, daß er die Kunst der Korrektur beherrscht. Bei Kallimachos bezieht
sich
der Vers
auf das
Schicksal
einer
der Kolchergruppens
die auf Aietes’ Geheiß die Argonauten verfolgen. Über dieses Thema berichtet auch Apollonios, im vierten Buch; aber er setzt an Stelle der kallimacheischen Formel seine eigene: „Aber das trat ein, nachdem
ein gutes Stück Zeit vorbeigegangen war“‘“ (4, 1216). Im ersten Buch, in
einem
Zusammenhang,
den
Kallimachos
nicht
behandelt
hatte,
erscheint dann dessen Formel. In dieser Kette dichterischer Manipulationen: Ausscheiden, Neudichten, Wiederverwenden des Ausgeschiedenen liegt ein viel stärkerer Wettstreit mit dem Vorbild, als wenn
Apollonios den Vers einfach durch einen neuen ersetzt hätte. Dadurch,
daß er den Vers des Kallimachos kennt,
bekennt
als brauchbare
er sich als Nachstrebender:
Formulierung aner-
dadurch‚ daß
er ihn
an
seinem alten Platz ersetzt, als einer„, der auf Vorgänger nicht angewiesen ist. In poetischen Fragen verhält sich der Dichter also ebenso wie in mythologischen: er läßt das Fremde nicht einfach aus,
}/
‘
}
\
42
Mythologische
Tendenzen
und ihr Verhältnis zur Erzählung
sondern fügt es, indem er es zugleich ersetzt, in reizvoller Abwandlung _ in sein Werk ein. .
Noch an anderen Stellen fängt der Dichter gression mit einem Abschlußvers auf so 4, *” 1, 1220 (Theiodamas). 2, 528, der Schluß der gibt uns Anlaßg einiges zum Kyrene-Exkurs
eine mythologische Di1764 (Insel Thera) und Geschichte von Kyrene, zu bemerken.*
KYRENE
Die
Kyrenegeschichte,
ein beträchtlicher
Exkurs
von
27
Versen,
bringt die Erzählung fast ein wenig aus dem Gleichgewicht. Die Argonauten
befinden
sich
im
Lande
des
Phineus,
und
als
sie
abfahren
wollen, wehen die Etesien, die Jahrwinde des Zeus. Das liegt an Handlung
dem
Exkurs
zugrunde.
„Am
Morgen
wehten
die
Etesien,
die
über das ganze Land gleichmäßig wehen auf Geheiß des Zeus‘‘ (2, 498 ff.). Wir erwarten nun zu höreng daß die Helden die Abfahrt verschoben. Aber was wird gesagt? „Ein Mädchen des Namens Kyrene soll in früheren Geschlechtern einmal in den Niederungen des Peneios Schafe geweidet haben . . .‘ Es verblüfft uns, daß hier plötzlich ganz neue Dinge eingeführt werden. Es gibt Ähnliches, wenn auch weniger Überraschendes‚ auch sonst bei Apollonios, z. B. 1, 934: ‚,. . . sie durch-
;ı fuhren den Hellespont mit seinen purpurnen Wasserwirbeln. — Es gibt aber eine steile Insel in der Propontis, ein wenig vom fruchtbaren phrygischen Lande ins Meer vorgelehnt . . .‘* Mit dieser'Formel Jeitet Apollonios die Geschichte von Kyzikos ein: sie ist Handlungselement, nicht Exkurs; und außerdem liegt es näherg vom Hellespont auf eine Insel in der Propontis überzugehen als von den Etesien auf ı L. Malten, Kyrene, Sagengeschichtliche und historische Untersuchungen, Phil. Unters. XX, 1911, S. 1ff., 11ff. Der Exkurs über Kyrene die Nymphe enthält nicht
alles über Kyrene die Stadt. Von Euphemos und Thera spricht Apollonios 4, 1695ff., jedoch ohne Kyrene zu erwähnen. Vgl. Malten S. 156ff.
\
2 Die Hekale des Kallimachos beginnt: ᾿Ακταίη τις ἕναιεν ᾿Ερεχϑέος ἔν ποτι γουνῷ, frg. 230 Pf. Wie das große Epos sein Proömium hat, in dem die Vorgeschichte abgemacht wird, so hat die kleine in sich zusammenhängende Geschichte Einleitungsverse, in denen die Basis für die Handlung gelegt wird. Bezeichnend, daß innerhalb des Argonautenepos solche kleinen Geschichten auftreten, deren jede ihre besonderen, der Hekale entsprechenden Einleitungsverse hat. Man sieht, daß eigentlich eine Reihe von Geschichten
die Erzählung vom Argonautenzug ausmacht: jede dieser Geschichten könnte, für
sich allein erzählt, die gleiche Einleitung haben. Die Erzählform geht auf ein homerisches_ --------Ἕ---.-..ο..-
“ - Muster zurück, Od. 13, 96: Döpxuvoc SE Tic Eartı Ayınv xtA, Auch da: Fahrtschllderung, Situationsbeschreibung, Wiederanknüpfen der Erzählung.
Der Tod des Tiphys und die Wahl des neuen Steuermanns
43
Kyrene. Niemand erwartet nach der schlichten Erwähnung widriger Winde die große erzählerische Geste „Es lebte einst Kyrene ...“. Erst am Ende der Geschichte erhellt sich die Beziehung zwischen Kyrene und den Etesien, klärt sich die große Geste auf. Zeus schickt die Etesien jährlich seit einer großen Dürre, zu deren Abwehr Aristaios, der Sohn der Kyrene, nach Keos gerufen worden war. Aber bevor wir Namen,
Details über
die
Träger dieser Namen, Geographika. Des Abseitigen ist so viel, daß die Etesien als Anlaßg es zu erzählen; nicht gewichtig genug scheinen. So scheint es, daß nicht Kyrene und Aristaios da sindy um die Etesien zu erklären, sondern daß die Etesien bloß genannt werden,; damit der Dichter von Kyrene sprechen kann — Kyrene, der mythischen Herrin einer der wichtigsten Städte des ptolemäischen Reiches. Sie lag dem Dichter wohl nicht nur am Herzen, weil er zum Hofe in Alexandria gehörte, sondern auch, weil er des Kallimachos Schüler war. Zweifellos hat Kallimachos vieles über Kyrene gesagt, das zu korrigieren, zu ergänzen Apollonios reizen mochte.! Wir lernen aus der Kyrenegeschichte: Apollonios erzählt ganz anders als das homerische Epos, das mit unveränderlicher Gelassenheit und < Stetigkeit eine große Erzählungslinie verfolgt. Er biegt ab vom Wege, zögert
an
Stellen; wo
man
es nicht
erwartet,
weil
da das
für ihn
Wichtige liegt, und schlägt für längere oder kürzere Zeit Seitenwege
ein, die kein homerischer
Erzähler beachten würde.
DER TOD DES TIPHYS UND DIE WAHL
DES NEUEN
STEUERMANNS
Der Tod des Tiphys beraubt die Argo des Steuermanns (2, 8531). Bei Apollonios übernimmt Ankaios die Nachfolge, bei Herodot der Milesier Erginos. Es bewerben sich bei Apollonios noch andere Helden um das Amt: Erginos, Nauplios, Euphemos. Erginos steht an zweiter Stelle,
wie
wir
sehen
werden.
Das
bedeutet:
der
Dichter
setzt
die
Überlieferung, nach der Erginos neben Ankaios als Nachfolger in Betracht kommt, in Handlung um. Durch den Tod des Tiphys scheint das Unternehmen der Argonauten gefährdet. Deswegen greift Hera ein und treibt Ankaios an, ı Von
festen
den Kallimachosfragmenten,y die Kyrene
Ort im
Werk
erhalten.
Vgl.
R. Pfeiffer,
S. 76, Anm. 2,und Ausgabe I (1950) frg. 602.
betreffen, hat noch keines seinen
Kallimachos-Studien,
München
1922,
΄
hören wir vielerlei anderes:
„“ + aa “
dazu kommen,
44
Mythologische Tendenzen
und ihr Verhältnis zur Erzählung
sich zum Steuermannsamt zu melden (865 und 895). Die Aktion des Ankaios beginnt in einem unverbindlichen Gespräch zu zweien: er weist Peleus darauf hin, daß er selbst, daß andere Gefährten der See-
fahrt kundig sind. Es spricht voll Zurückhaltung, schätzt die anderen nicht geringer als sich selbst. Wir werden sehen, daß diese Zurückhaltung nicht in der Absicht erwähnt wird, Ankaios’ Charakter darzustellen.
Als
Peleus
die Worte
des
Gefährten
hört,
ist er voll
Freude. Die anderen Argonauten liegen in dumpfer Verzweiflung am Strand. Zu ihnen spricht er nun. Aber er nennt nicht den Urheber
seiner Zuversicht, Ankaios,
was am nächsten läge, sondern redet: nur
von den „Steuerleuten unter uns‘‘. Alle seine Zuversicht jedoch ver-
mag die Niedergeschlagenheit der Gefährten nicht zu besiegen. Jason antwortet ihm in einer von Zweifeln und Verzweiflung erfüllten Rede: „Wo
sind denn
diese Steuerleute?‘
An Ankaios
denkt er nicht.
Mit dem Ende der Rede Jasons wechselt der Erzähler von der Ausführlichkeit zum Resümee. Nachdem er in drei Stufen die Entwicklung der Stimmung gezeigt hat (Niedergeschlagenheit, Zuversicht des Peleus, Zweifel Jasons), kann er nur noch zusammenraffend die Fakten berichten: Ankaios tritt vor und bietet sich an, kurz nach ihm Erginos, Nauplios, Euphemos. Aber als diese kommen, ist Ankaios schon ge-
wählt.
Nun fragen wir: Warum ist Ankaios so bescheiden, warum geht er den Weg über Peleus? Warum sagt Peleus zu den Gefährten nichts von
seiner
Initiative?
Warum
melden
sich
neben
ihm
noch
andere,
und von ihnen zuerst Erginos? Auf alle diese Fragen ist die Antwort: aus mythologischen Gründen, Apollonios brauchte eine Gelegenheit, seine Kenntnis der Version von Erginos anzubringen; Erginos mußte sich mindestens melden können, wenn er auch nicht Steuermann wurde.
«5΄,
Wäre aber der Name des Ankaios gleich gefallen, so wäre es nie zu einer Gelegenheit für Erginos gekommen, denn Ankaios wäre sofort gewählt worden. Was entscheidet nun zwischen Ankaios und den übrigen? Die größere Schnelligkeit, Aber Ankaios hat sie von der Göttin empfangen, © also ist diese letzten Endes ausschlaggebend dafürg daß Ankaios dem Erginos vorgezogen wird. Während der Dichter sonst (wie wir im Heldenkatalog gesehen haben) mythologische Argumente für die Entscheidung zwischen zwei Sagenversionen vorträgt, hat er hier offenbar nur das Eingreifen der Göttin als Argument; das aber ist seine Erfindung. Man kann also vermuten, daß der Dichter keine mytho-
Argos und Akastos
45
logischen Gründe finden konnte, daher willkürlich entschied und seine eigene Erfindung, das Eingreifen Heras, zur Ursache erhob. Die Göttin,
hier, wie es scheint, willkürlich eingeführt, wird so zum Zeichen dafür,
daß der Dichter keine anderen Kriterien mitzuteilen hat! Wie in der Geschichte von Herakles und Hylas belegt der Dichter, daß er andere Versionen kennt (sonst hätte er auf Erginos einfach verzichtet). Er übt die Kunst, von allem Überlieferten den bestmöglichen Gebrauch zu machen, indem er die Faktenz die seiner eigenen Version widersprechen, als Bausteine zu seiner neuen Geschichte verwendet. Das, was er als Mythologe β8ο, wie es überliefert ist, nicht ' annehmen
kann,
macht
er sich
als
Dichter
nutzbar.
In
dieser
Art
spielerischen, unverbindlichen Zusammensetzens sollen alle Bestandteile der Überlieferung zu einem möglichst glatten, bedeutungsvollen Ganzen zusammentreten.!
| o\"'.'
ARGOS UND AKASTOS
Argos
und Akastos
kommen
als letzte zur Abfahrt
(1l, 321):
„Sie
bemerkten, wie Akastos und Argos von der Stadt heruntereilten, und wunderten sich darüber, daß sie wider den Willen des Pelias voller Hast herbeikamen.‘
Nun
kann
man
sich
vorstellen,
daß
die beiden
garnicht kommen, wenn Pelias nicht will. Aber was soll man sich als Grund dafür denken, daß sie spät kommen? Etwa eine letzte Unterhaltung im Hause des Pelias, die der Dichter nicht erzählt? Es ist
worten: ‚, Weil Pelias ihnen bis zum letzten Augenblick verbot; teilzunehmen‘‘
oder:
„Weil
sie ihm
heimlich
entwischt
sind‘‘.
Dann
er-
fände er ja Handlung über die Grenzen hinausg4 die der Dichter gesteckt hat. Der Dichter will n_i_&ht. daß sich der Leser eine bestimmte ı Wilamowitz,
Heldensage
mit der Sage nur gespielt.“
I S. 50: „Im
Grunde
haben die hellenistischen Dichter
(ς *.7 _\
ι -
seligkeit ausdrücken will, mit der Pelias den Argonauten begegnet. Er führt seinen Leser dazuj Assoziationen nachzugehen, sich zu überlegen, wie Pelias zu Jason, zum Bau der Argo steht, den ja der genannte Argos vollbringt, wie er über seines Sohnes Wunsch denkt/; auf der Argo mitzufahren. Bevor der Leser die Frage beantworten kann, warum Argos und Akastos so spät kommen, muß er nachdenken, die kleine Geschichte richtig einschätzen. Er kann nicht einfach ant-
-
ganz einfach so, daß der Dichter durch dieses kleine Detail die Feind-
,
46
Mythologische
Tendenzen und ihr Verhältnis zur Erzählung
Ursache für das Zuspätkommen vorstellt; er will einfach (Zustand in Handlung umsetzend, wie so oft) die Feindseligkeit des Pelias erzählbar machen, ohne von der Haupthandlung weg in einen Exkurs zu geraten. Ihr Detail ist sozusagen die Abkürzung eines Exkurses : der Leser mag den Exkurs ausführen. In den homerischen Gedichten kann es dergleichen nicht geben (vgl. S. 54). Auch hier dient das Detail, das seinen Grund in der Mythologie hat, zur Belebung der Handlung. Das Normale ist, daß alle Teilnehmer zugleich kommen. Aber hier erscheinen zwei zu spät! Die Erwartung des Lesers wird durchbrochen, statt des Gewöhnlichen das
Ungewöhnliche
erzählt
(spezifisch
hellenistisch),
die
Abfahrt
der
Argonauten von Pagasai wird von jeder anderen, regelrecht verlaufen-
den Abfahrt unterschieden. Man ist geradezu versucht zu fragen, ob die Geschichte gemacht ist, um
eine mythologische Tatsache zu re-
präsentieren, oder ob, gleichsam in Umkehrung des Spiels, die Geschichte als solche das Primäre ist und nur um der reizvollen Fügung willen an das Sagenfaktum angeschlossen ist. Auf jeden Fall hängt das belebende Detail mit mythologischen Fakten zusammen. In einem anderen Falle wird das Detail auch nicht im mindesten als Hinweis, sondern rein um des Dichterischen willen hergesetzt. 1, 310 ff. erzählt Apollonios, daß Iphias, eine alte Priesterin der Artemis,
_ Jason im Gewühl entgegengetrieben wird, ihn bei der Hand faßt, sie küßt, etwas sagen will - aber der Strom der Menschen treibt die beiden
auseinander. Eine Begegnung also, deren Reiz im Schweigen, in dem, was beinahe stattgefunden hätte, liegt. Für diese Gestaltung kennen
wir weder den Vorgänger (die Scholien schweigen sich aus; hier am Anfang wird das Argumentum ex silentio noch gestattet sein) noch einen gelehrten Bezug. Mit großer Sicherheit dürfen wir annehmen, daß die kleine Geschichte ausschließlich um des Dichterischen willen da ist, zur Auflockerung und Differenzierung.!
ı Als Argos den Argonauten seine Brüder vorstellt (2, 1155), nennt er vom Dichter
offenkundig erfundene Namen (®pövrıc, MEi1ac, Kutlacwpog). Nach epischer Gepflogenheit haben auch Personen, die nur für einen Augenblick wichtig sind, einen Namen (Wilamowitz, Die Heimkehr des Odysseus, Berlin 1927, S. 149). Wie stark Apollonios bisweilen auch bei den Namen von Randfiguren an die Überlieferung gebunden war, zeigt 2, 456. Dort erscheint Paraibios notieren, daß „die anderen‘“ (gemeint
als liebster Freund des Phineus. Die Scholien sind die Erzähler der Sage neben Apollonios)
Paraibios nicht als Freundy sondern als Knecht des Phineus eingeführt haben. Wilamo-
witz, Hell. Dicht. II S. 222 Anm. 3, glaubt, daß Paraibios einem alten Epos angehört habe.
Das
Grab
des Sthenelos
47
Wenn nun aber zwei Geschichten, von denen die eine Beziehung zum Mythologischen hat, die andere aber nicht, das gleiche Aussehen haben, dann ist dem Dichter die Verhüllung des Mythologischen vollkommen geglückt. Das, was Zwecken außerhalb der Erzählung dient, sieht zunächst so aus, als diene es der Erzählung. Apollonios gibt den Details ein eigenes Recht, man kann sogar sagen: der gänzlichen Ausführung der Erzählungsentwürfe wird die Erzählungsminiatur vorgezogen, die nicht wie die großen Entwürfe weitgreifende Entwicklungen enthält, sondern Bilder, Situationen,
Zustände, die mit mög-
lichster Feinheit und Treue erzählt werden. Eigentlich vollständig sind nicht die großen Szenen, in denen sich die Erzählung sofort ins Resümee verwandeltywenn das dichterische Interesse erlischt, sondern
die „kleinen Gefüge‘“ (vgl. S. 38). DAS
GRAB
DES
STHENELOS
Es handelt sich darum, die Argonauten an dem Grabmal des Sthenelos, wo ein Aition gegeben war, zum Halten zu bringen (2, 911 ff.). Das hätte gans- einfach dadurch geschehen können, daß die Helden das Grab sehen und es ihnen einfällty, Sthenelos zu opfern. Dieses Opfer an Sthenelos wäre nicht weniger motiviert als das Opfer am Dolopsgrab (1, 585, vgl. S. 29). Wie ist es überhaupt möglich, daß Heroen die Riten des Heroenkults vollziehen? Ebensojy wie es möglich isty daß die Helden auf der Kabireninsel Samothrake initiiert werden. (Dabei setzt Apollonios das Schweigegeboty das auf der Insel herrscht, in eine Art
dichterischer
praeteritio
um,
1, 919. Ähnlich
verfährt
er
4, 248 bezüglich der Hekate-Riten.) Der Anachronismus, der für uns hier zutage tritt, ist für das griechische Denken nicht vorhanden. Es gibt keine Zeit, seit der man allgemein Heroen verehrt hätte, es gibt nur die jeweils verschiedenen Zeiteny seit denen man die einzelnen Heroen verehrt, den Zeitpunkt ihres Todes. So können die Argonauten verstorbenen Helden die Ehre des Heroenopfers erweisen, können sie zu ihnen wie zu Göttern beten (2, 1271). Homer weiß nur von Gräbern zu berichten, die den Ruhm der Helden für alle Ewigkeit verkünden werden. Das weist mit Sicherheit darauf hiny daß der Heroenkult zu seiner Zeit schon bestand (vgl. Od. 24, 73ff. F. Pfister, Der Reliquienkult im Altertum II, 1912, S. 541), aber die homerischen
Helden, einer anderen Zeit als der Dichter selbst angehörig, pflegen ihn nicht. Apollonios geht, in der uns bekannten Identifikation der
48
Mythologische
Tendenzen
und
ihr Verhältnis zur Erzählung
mythischen Zeit mit seiner eigenen, einen anderen Weg: der Heroenkult ist bei ihm nicht Zustand einer vergangenen Zeit, sondern Hand-
lung seiner Helden. Dennoch sieht der Dichter in seinen Helden ein geschlossenes und unwiderruflich vergangenes Geschlecht: sie heißen ralaıyeveic (], 1)
und %wt$eoı (1, 548). Der Dichter kann auch zu ihnen beten: 0«r ἀριστήων μακάρων γένος (4, 1773). Das Muster dieser Vorstellung vom Heroengeschlecht ist Hesiod (Erga V. 159). Apollonios spricht sie am
Anfang und am Schluß seines Werkes deswegen so deutlich aus, weil
er sein Werk als Epos im alten Sinn charakterisieren will, soviel er auch an modernem Erzählergeist entwickelt. Offenbar hat es Kalli-
machos abgelehnt, Heroenlieder zu singen.!
Das bewegende Element in der Sthenelosgeschichte ist der Held, der aus Sehnsucht nach dem Leben und den Gefährten seines Heldenlebens
eine kurze Zeit über seinem Grabe schwebt, um die Argonauten zu
sehen. Sthenelos erscheint nach homerischer Weise 80y wie er auf Erden gelebt hat (Il. 23, 65).
Die Argo
vermag
er nur von ferne
zu sehen,
Dunkel — mehr ist der Totenseele nicht verstattet.
Darin, daß eine
"
er muß, das Bild des vorbeifahrenden Schiffes vor Augen, wieder ins Szene. Man fühlt sich an die freilich auf anderer Stufe des Gefühls stehende Begegnung zwischen Jason und Iphias erinnert (vgl. S. 46). Alles, was der Dichter fühlt, sagt er in der Sthenelosgeschichte durch die Melancholie der Stimmung.? Bei Homer hat die Wehmut und die Trauer nichts derart Verschwimmendes: sie ist mit Namen genannt, spricht nicht nur aus Impressionen;
Gestimmtheit
des Lesers überlassen.
sie zu erfassen, bleibt nicht der
Sie drückt sich in deutlichen
Reaktionen der handelnden Personen aus, wie etwa bei der Begegnung
des Odysseus mit seiner toten Mutter, 11, 84 ff.:
„Jetzo kam die Seele von meiner gestorbenen Mutter ... Welche noch lebte, da ich zur heiligen Ilios schiffte.
Weinend erblickte ich sie und fühlte herzliches Mitleid, Dennoch verbot ich ihr, obgleich mit inniger Wehmut, Sich dem Blute zu nahn . . .“ ı Konjektur von Wilamowitz im Telchinenprolog: elvex]ev 00y & &eıouax διηνεκχὲς ἣ βασιλ[ήων πρήξι]ας ἐν πολλαῖς Ävuax yıALdaLv Y TpotEpP]JouG Apwac. TpOTEPOUG ergänzt Wilamowitz frg. 1,5 Pf. 3 Mehmel,
Valerius Flaccus
S. 21: „Wahrend
Apollonios
die Dinge als Phänomene
gibt, macht er gleichzeitig ihren gefühlsmäßigen Inhalt deutlich. Man kann über das Gefühlsmäßige hinweglesen und versteht doch das Geschehen.‘“
n m
Verständigung nicht möglich ist — im Schweigen ‚ruht der Reiz dieser
Das
Grab
des
Sthenelos
49
oder 152 ff.: „Aber ich blieb dort sitzen am Rande der Grube, bis endlich Meine Mutter kam, des schwarzen Blutes zu trinken.
Und sie erkannte mich gleich und sprach mit trauriger Stimme .. .
6
(Übersetzung nach Voß.) Überall sind die Gefühle mit scharfen Konturen gezeichnet, wie Handlungen. Dichter und Hörer empfinden viel knapper und direkter. Die von Melancholie erfüllte Impression von Sthenelos wirkt auch auf die Helden: Mopsos, entsprechend seinem Amty, den Willen der höheren
Mächte
zu deuten, fordert sie auf( zu landen und dem Heros
zu opfern (2, 922). An Land zelebrieren die Argonauten umfangreiche
Riten und bauen dem Apollon einen Altar. Darauf legt Orpheus eine
Leier nieder; nach dieser heißt der Ort Lyre.
Der Übergang von den Riten für Sthenelos zum Altarbau geschieht
mit &vöıyax 8° «ö, „außerdem
aber‘
(V. 927). Das
Scholion
zu 2, 928
erwähnt, daß bei Promathidas statt des Altars von einer Stele geredet werde. Wir sehen: die Weiterführung der Schilderung über das Opfer an Sthenelos hinaus ist vom Altlologlschen her zu verstehen. Der Über-
gang mit Xvö.yox stellt dies eher heraus, als daß er es verhüllt. Die Epiphanie
des
Sthenelos,
die Opfer
an
seinem
Grabe
dienen
dem
Aitiologischen. Man spürt deutlichy welches Mißverhältnis zwischen den einzelnen Erzählungselementen diese Tendenz zum Aitiologischen mit sich bringt; die Aktionen werden im Vergleich zum Anfang immer
kleiner:
Erscheinung
des
Helden,
Landung,
Opfer,
Altarbau
beim
Opfer, Leierweihe auf diesem Altar. Das aitiologische Detail beansprucht den gleichen_Raum wie die bedeutungsvollste Handlung! Das
läßt sich desto eher ertragen, je kleiner, je weniger strömend der Lauf einer Erzählung ist. Aber im Epos, das die größte erzählerische Strömung hat, treten die Abweichungen ins unmotivierte aitiologische Detail sozusagen als Wirbel in der Stromu—lfg‘m Erschemung Das
Aitiologische, die bis ins einzelne festgelegten sachlichen Details, die oft ausführlicher sind als die ganze umgebende Erzählung zusammen,
gehört ı nicht in das große Epos, sondern in unterbrechungsreiche, in
immer neuen Ansätzen verfahrende Dichtungen wie die kallimacheischen Aitia. Es zeigt sich so, daß das Mißverhältnis zwischen Aitiologie und epischer Erzählung in den Argonautika echt hellenistisch ist.
4
Händel
/
V
KYZIKOS Das
Problem,
wie
man
plausible
Handlung
zwischen
die über-
lieferten Aitia einschieben kann, wird in besonderer Weise sichtbar in
den Geschichten, die Apollonios vom Besuch der Argonauten bei König Kyzikos erzählt, 1, 936 ff.! Der Dichter erzählt zunächst die Vorgeschichte (den Schwebezustand zwischen I'’nyeveig und Dolionen, von dem alle späteren Verwicklungen herrühren) und führt sie bis zum Punkt der Kongruenz mit der Argonautenhandlung (vgl. S. 35). Das erste Aition, daß nämlich die Argonauten ihren Ankerstein ersetzen (1, 955), wird uns dargeboten unter Angabe des seemännischen Grundes, des Veranlassers (da es um die Seefahrt geht, ist es Tiphys), des Ortes und der weiteren Schicksale des Steins. Dies ist viel detaillierter als die folgende Erzählung; auch hier verführt das Aitiologische den Dichter zu einem Grad von Ausführlichkeits den er bei der großen Linie der Erzählung niemals einhalten kann. Kallimachos hat die Geschichte vom Ankerstein am Schluß der Aitia erzählt (frg. 108/9 Pf.). Es ist schwierig” das Verhältnis der Erzählung des Kallimachos zu der des Apollonios zu bestimmen, weil das’/ was von Kallimachos überliefert ist, keine sicheren
Schlüsse zuläßt. Wir können sicher sagen, daß die Quelle Artakia (als Ort des Aitions) und das spätere Schicksal des Steins bei Kallimachos erwähnt werden. Aber die Diegesen, eine unserer Quellen (frg. 109), lassen nicht erkennen, ob Tiphys bei Kallimachos vorkam. Wir können vermuteng daß im Text des Kallimachos mehr gestanden hat, als die Diegese bietet; sicher ist es nicht.? ı F, Stoessl, Apollonios Rhodios, Interpretationen zur Erzählungskunst und Quellen-
verwertung, Diss. Bern 1941, interpretiert S. 10 die Geschichte unter dem Gesichts-
punkt der Quellen, jedoch weniger, um die Methode der Quellenverwertung zu zeigen, als um die Mangelhaftigkeit der Handlungserzählung (die er durch die Quellenbeschaffenheit erklärt) hervorzuheben. Er verwendet die Kyzikosgeschichte als Beispiel einer Geschichte mit nichttragischer Vorlage, entsprechend seiner Grundthese, daß Apollonios zu einem wesentlichen Teil verlorengegangene Stücke der attischen Tragiker episiere (S. 8). 2 Die Diegese der Hekale (X 18f. -- frg. 230 Pf.) umfaßt 22 Zeilen, ist also verhältnismäßig knapp (verrät uns zum Beispiel nichts über das berühmte Krähenge-
Kyzikos
51
Können wir nun aber nicht an anderen Stelleny wo sich Apollonios
und Kallimachos in Details berühren, ihr Verhältnis kontrollieren und
daraus Rückschlüsse auf die vorliegende Stelle ziehen? Dabei steht für uns festz daß die Aitia früher als die Argonautika sind.! Zwei Stellen wollen wir betrachten: die erste betrifft das künftige Schicksal der Kolchergruppe, die den Argonauten durch Pontos und Kyaneen gefolgt war, die zweite das Schicksal der Gruppey die auf dem Istros gefahren war. Die erste Gruppe wagt wegen der Entscheidung des Alkinoos nicht mehr heimzukehren, die zweite wegen des Mordes an Apsyrtos. 1. Ap. Rhod. 4, 1209 ff. — Kall. frg. 12, 5 Pf. Δὴ τότε μιν βασιλῆος ἑοῦ τρομέοντας ἐνιπὰς δέχϑαι μειλίξαντο συνἡμοναἣαὗὃι δὲ νήσῳ δὴν μάλα Φαιήκεσσι μετ᾽ ἀνδράσι ναιετάασχον, εἰσότε Βαχχιάδαι, γενεὴν ᾿Εφύρηϑεν ἐόντες, ἀνέρες ἐννάσσαντο μετὰ χρόνον. οἱ δὲ περαίην νῆσον ἔβαν᾽ κεῖϑεν δὲ κεραύνια μέλλον ᾿Αβάντων οὔρεα, Νεσταίους τε καὶ "Ὥρικον εἰσαφικέσϑαι:
‚] «pv[ Φαιήκων ἐγένον[το ἑσμὸν ἄγων ἑτέροις".. ἔχτισε Κερχ[υ]ραῖον ἐδέϑλιον ἔνϑ[εν ἀν᾽ αὖτις στάντες ᾿Αμζ[α]ντινήν ὥχ[ισαν ᾿Ωρικίην
ἀλλὰ τὰ μὲν στείχοντος ἄδην αἰῶνος ἐτύχϑη. Schwierig ist bei Apollonios zu verstehen: ol 32 περαίην νῆσον ἔβαν. περαῖος heißt;was gegenüber liegt und durch einen Wasserarm getrennt ist. Aber was sollen die Kolcher auf einer Insel, die Korkyra gegenüber liegt und vom Dichter als eine Zwischenstation betrachtet wird (xeidev V. 1214)? Pfeiffer hat zu frg. 12, 3 ff. konjiziert: ol 8& περαίην νήσου ἔβαν. Das scheint uns eine gute Lösung zu sein: περαΐην c. gen. bezeichnet nach den Stellen bei Liddell-Scott „the part over against‘““ und kommt öfter vor. Apollonios hätte dann, in seinem bekannten Strebeny, möglichst genau zu schildern, den Weg der Kolcher 80 beschrieben: „Als sie von den Bakchiaden vertrieben wurden, gingen sie spräch!), während die Diegese von Jambus 7 (7, 32 ff. = frg. 197 Pf.) 23 Zeilen lang ist. R, Pfeiffer (Die neuen AIHTHZEIX zu Kallimachosgedichten, SB. Bayer. Akad., Phil.-Hist. Kl., 1934, Ausführlichkeit‘“.
S. 23)
nennt
diese
letzte
Diegese
von
„ganz
ungewöhnlicher
ı In diesem Sinne zuletzt E. Cahen, Callimaque, 2i&me €&d. rev.et corr., Paris 1948. Pfeiffer, Ausgabe 1950, passim, z. B. zu frg. 18, 6ff. Die gegenteilige Meinung hat wohl zuletzt vertreten: F. Wehrli, Apollonios Rhodios und Kallimachos, Hermes 76 (1941),
S. 14 ff., aufbauend auf Coppola.
‘.
52
Kyzikos
zunächst aufs Festland und von da weiter . . .‘“ Apollonios bietet mehr als Kallimachos, er führt die Bakchiaden, Ephyra, Nestäer, Kerauniaberge ein.! Offenbar ist es auch von Bedeutung, daß Apollonios statt der Namensform ᾿Αμαντίνη, 416 sich bei Kallimachos findet, die Form "Aßavrtec wählt. Vgl. Steph. Byz. β. ν. ᾿Αβαντίς ‘ tö ’Aßavrix . ... ὁπερ κατὰ βαρβαρικὴν τροπὴν τοῦ β εἷς μ ᾿Αμαντία ἐλέχϑη. An dieser Stelle bemerken wir, daß sich Apollonios um Variation gegenüber Kallimachos, zugleich um Korrektur und Ergänzung bemüht. 2. Ap. Rhod. 4, 516 ff. = Kall. frg. 11 Pf. . οἱ δ᾽ ἄρ᾽ ἐπ᾽ ᾿Ιλλυρικοῖο μελαμβαϑέος ποταμοῖο,
ἐνναίουσιν, ἅπερ τε Κεραύνια κικλήσχκονται,
Ο μὲν ἐπ᾽ ᾽᾿ΙΪλλυρικοῖο πόρου σχάσσαντις ἐρετμά λᾶα πάρα ξανϑῆς ‘Apμονίης ὄφιος ἄστυρον ἐχκτίσσαντο. τό χεν |
ἐκ τόϑεν, ἐξότε τούσγε Διὸς Κορονίδαο κεραυνοὺ νῆσον ἐς ἀντιπέραιαν ἀπέτραπον ὁρμηϑῆναι.
Γραικός, ἀτὰρ κείνων γλῶσσ᾽ ὀνόμηνε..Πόλας" "
τύμβος ἵν᾽ “Αρμονίης Κάδμοιό τε, πύργον ἔδειμαν, ἀνδράσιν ᾽᾿Εγχελέεσσιν ἐφέστιοι᾽ οἱ δ᾽ ἐν ὄρεσσιν
οἦ υγάδων΄““τις ἐνίσποι
Statt Polai erscheint bei Apollonios eine andere Bestimmung des Ortes, an dem die Kolcher gesiedelt haben,.durch die ’Eyyeieic. Dem Anschein nach glaubt Apollonios, damit den Siedlungsort der Kolcher anders,
reizvoller bestimmen
zu können, er rivalisiert auch mit dem
Etymologen, indem er dessen Worterklärung (man kann auch sagen: Namens-Aition) für die Kerauniaberge gibt (V. 518 ff.). Die Geschichte von Kadmos und Harmonia steht bei Kallimachos zwar in epigrammatischer Kürze, aber doch soy daß man die wichtigen Fakten erkennen kann. Apollonios setzt sie voraus, nennt nur die Namen. Daß Apollonios Kallimachos nachahmt, wie es uns an diesen Stellen entgegentritt, müssen wir im Sinne von K. Lehrs auffassen: „Acumen doctrinamque quaerit in exemplari deflectendo, non ut lateat imitatio,
sed ut pateat‘.? Für die Stelle in der Kyzikosgeschichte, von der wir ausgegangen waren, ergibt sich: Wenn wir auch die sachlichen Angaben bei Kallimachos nicht erschließen können, so haben wir doch
ı Von dieser Stelle aus erscheint wenig wahrscheinlich, daß gerade Kallimachos besonderen Wert auf die Schicksale der verfolgenden Kolcher gelegt habe, wie Wehrli
a. O. meint. 2 De Aristarchi studiis Homericis, 3. Aufl. S. 70 Anm. 43.
Kyzikos
53
allen Grund, zu vermuten, daß Apollonios die Version des Kallimachos in durchsichtiger Weise abwandelte. Nach der Landung treffen die Helden mit dem Herrscher der Insel zusammen: Kyzikos erfährt, wer die Helden sind und was ihre Absicht
ist; auf beiden Seiten herrscht gleich Einvernehmen und Zuneigung,
so daß der König die Helden bitten kann, sie möchten mit ihrem Schiff
näher an seine Stadt heranfahren, V. 961-965. Zunächst mußten die Helden weiter draußen landen, um des Aitions willen. Aber sie folgen
dem Angebot des Königs nicht gleich, sondern weihen dem Apollon zuerst einen Altar und bringen ihm Opfer.
Danach labt Kyzikos sie
mit Speise und Trank. Die Freundlichkeity mit der der König den Helden entgegenkommt, ist so außergewöhnlich, daß sie mit dem Ergebnis der ersten Unterhaltung (1, 961 ff.) nicht genügend
motiviert
zu sein scheint. So tritt ein Orakel als Motivierung ein — anders wäre sie nicht zu erlangen.! Durch die Charakteristik des Kyzikos (V. 972 ff.) wird verständlich, daß im weiteren Verlauf neben allem Kämpferischen, man kann auch
sagen: Iliashaften, ganz anderes erscheinen wird. Kyzikos ist noch
kaum
zum Mann
gereift,? eben erst verheiratet, noch kinderlos, und
trotzdem, sagt der Dichter, weilt er unter den Helden zum Mahl und
überwindet
die
Furcht
in seinem
Herzen.?
Aus
diesem
„Trotzdem‘“
entsteht ein bestimmter Akkord von Gefühlen: der Dichter liebt das Zarte, eben erst Gereifte an Stelle des Kraftvollen und Männlichen, das bei Homer der höchste Wert ist. Bei diesem ist alles entfaltet, steht auf
der Mitte der Entwicklung. So in der Ilias; zum Beispiel wenn die dreistimmige Klage um Hektor ertönt (Buch 22, Ende: Priamos, Hekabe, Andromache). Die Themen dieser Klage sind: Hektor der
Kämpfer, :Hektor der blühende, in der Fülle stehende Sohn, Hektor der Vater. Hier hingegen: Kyzikos der fri’edfértige‚ den Kampf mei-
dende, Kyzikos der eben erst erwachsene, der noch fast Geliebter, “nicht Ehemann ist. Das ist genau die Umkehrung.
»“ ı 1 Wahrscheinlich ist dieses Orakel eine freie Erfindung des Dichters. Vgl. L. Hensel, „ Weissagungen in der hellenistischen Poesie, Diss. Gießen 1908, S. 15: „Ich glaube; daß _ das dem Kyzikos gegebene Orakel über die Ankunft der Argonauten der alten ‘Sago angehört, da es eine alte epische Sitte war, bedeutende Helden schon lange voraus ‚ durch ein Orakel anzumelden, wenn nicht gerade Apollonios deswegen dieses Orakel erfunden hat‘“.
3 G. Huber, Lebensschilderung und Kleinmalerei im hellenistischen Epos, Diss. Basel
1926,
S. 56, lehrt diesen
Zug
im
Zusammenhang
des
Hellenismus
sehen.
3 V, 979. Für die Anschauung des Hellenismus ist die Angst des zarten Jünglings
nichts Entehrendes.
54
Kyzikos
Das Gespräch zwischen König und Helden mündet in die Frage nach Land und Leuten (V. 982). Wenn Odysseus an den Stationen seiner Fahrt je drei Gefährten aussendet (Od. 9, 88; 10, 100), so will er wissen‚
ob er zu Freund oder Feind kommt. Die Argonauten sind bei Freunden und interessieren sich jetzt für die Topographie der Umgebung. Wie Augias deswegen mit den Helden reist; weil er das kolchische Land und seinen Herrscher kennenlernen möchte (1l, 174), so fragen die Argonauten aus jenem Interesse für Landschaft;, das aus_reiner_Neugier entspringt.! Man beschließt und beginnt aus diesem Interesse eine Bergbesteigung — in der alten Zeit wäre dies ganz unerhört gewesen (V. 985): „Am Morgen aber bestiegen sie das hohe Dindymon . . .‘“ Ganz unvermittelt und ohne daß über das Dazwischenliegende etwas gesagt wird, wird mit dieser Mitteilung der Übergang zum nächsten Tag vollzogen. Damit ist wiederum gezeigt: bei Apollonios erschöpft sich das Interesse an einer Szenej wenn das für ihn Wesentliche gesagt ist. Er rechnet auf die Fähigkeit des Lesersy zu supplieren, eine Fäh„igkeitt die das alte Epos nicht in Anspruch nimmt (vgl. S. 46). Während ein Teil der Helden auf das Dindymon hinaufsteigt, bleibt Herakles mit ein paar jüngeren Gefährten zurück (Apollonios teilt seine Schar, um der Belebung und der Natürlichkeit willen, in Jüngere und Ältere. Vgl. 1, 408). Herakles wird hier für eine kämpferische Aufgabe abgesondert, während er sich auf Lemnos als Mahner und Bewahrer der Aufgabe von den ausschweifenden Gefährten trennt. Dieser Lösungsversuch für den Gegensatz zwischen Herakles und Jason beruhte auf dem Geistigen, jetzt kommt Herakles’ Körperstärke ins Spiel (vgl. S. 130f.). Während er bei dem Schiff zurückbleibt, das indessen in den inneren
Hafen überführt worden ist, greifen die I'’nyeveic an. Vom Angriff gegen die Dolionen hatte sie Poseidon zurückgehalten, Fremde greifen sie ohne weiteres an (vgl. V. 950). Apollonios gibt sogar, um der genaueren Bezeichnung der topographischen Aitia willen, die strategische Situation an (V. 989 ff.). Und Herakles, zunächst allein, dann mit den anderen zusammen, besiegt die Angreifer. Der Dichter schließt mit einer ausgebreiteten Schilderung der Walstatt in der Weise Homers, V. 1003 ff. 1 G. Kaibel, Hermes
32 (1887) S. 512, exemplifiziert die Reiselust
bei Apollonios
an Augias. Ähnlich Stoessl a. O. S. 14 Anm. 17: „Die Argonauten verhalten sich wie ijonische Forschungsreisende.‘‘
Strabon handelt im Proömium
des ersten Buches von
der Reiselust der Heroenzeit, die er durch den Anfang der Odyssee illustriert. Aber damit trägt er wohl späteres Empfinden in eine frühere Zeit hinein.
Kyzikos
55
Die Helden fahren ab — ohne daß der Dichter ein weiteres Wort über ihre Beziehungen zu Kyzikos verliert; sie sind jetzt nicht von Belang. Aber der Wind, der den Tag über günstig war und die Fahrt gefördert hatte (wir erfahren das ausdrücklich, V. 1013/15), dreht um und wirft die Argo dorthin zurück, von wo sie aufgebrochen war. Daß der Wind im Spiel ist, deutet auf eine Manipulation des Apollonios!! Die nächtliche Rückkunft der Argonauten erscheint den Dolionen als Angriff der ihnen feindlichen Maxpısic. Sie ergreifen Gegenwehr. Bei der Schlacht, die sich nun entrollt, macht Apollonios Gebrauch von allen Mitteln epischer Schlachtenschilderung — wie um zu zeigeny daß er sie beherrscht, vor allem im Katalog der Sieger und Besiegten (V. 1039 ff., vgl. z. B. Ilias 5, 37 ff. Einen ähnlichen Katalog scheint vor Apollonios der Historiker Deiochos verfaßt zu haben, Schol. 1, 1039). Unter den Gefallenen ist Kyzikos, von Jason selbst getötet. Zwölf Tage werden die Helden nach der Schlacht durch widrige Winde festgehalten, bis Mopsos zur Besteigung des Dindymon rät. Dort sollen die Helden opfern (V. 1092 ff.). Bei der Besteigung, die diesmal glückt, wird uns auch das Panorama geschilderty nach dem die Helden König Kyzikos vergeblich gefragt hatten. Wie reizvoll war bei der Vorbereitung der ersten Besteigung die Situation verlebendigt worden: die Helden fra-
gen, der König gntwonet:\gleh-«eiß_evn&eb?_‚%wollen—zm&
nachsehen-gehen.‘‘
Warum ist die Kyzikosgeschichte so außergewöhnlich verwickelt? Warum folgen aufeinander Tagschlacht, Nachtschlacht, mißglückte und wiederholte Besteigung? Warum liegt zwischen diesen Geschehnissen der Versuch
einer Abfahrt?
Wie
zu erwarten,
ist die Ursache
eine Vielfalt von Überlieferungen, die sich zum Teil widersprechen, zum Teil überdecken. Ephoros erzählte, daß die Dolionen (die er Pelasger nennt) die Leute aus Magnesia und Thessalien (= die Argonauten) wegen früherer Schmach angegriffen hätten (Schol. 1, 1037), Kallisthenes, daß die Bewohner von Kyzikos die Argonauten nächtlicherweile aus Feindschaft angegriffen hätten. Die Überlieferung von den T’nyeveic scheint mit all dem zunächst nicht verknüpft gewesen zu sein.* Daraus macht Apollonios die friedfertigen Dolionen, indem er den Kampf aus böser Absicht durch das Mittel des Windes zu einem unfreiwilligen ı Stoessl a. O. S. 16 Anm. 23 glaubt nicht an die freie Erfindung der zweiten Landung, „weil Apollonios die geographischen KEinzelheiten doch offenbar Lokalberichten entnommen hat‘“. 2 So schon Venzke a. O. S. 69. Dort auch eine Übersicht über den ganzen Sagenstoff.
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δό
Kyzikos
und unglücklichen Kampf umbildet, der nächtlicherweile, ohne Möglichkeit gegenseitigen Erkennens, stattfindet (Verwendung der Kallisthenesnachricht). Die Pelasger erscheinen, vom Dichter als Maxpıeic oder Mäxpwvec bezeichnet, nicht als eigentlich handelnde Personen, sondern als mögliche Angreifer auf die Dolionen (V. 1024), während die I’nyeveic die Rolle der Dolionen oder auch Pelasger als Angreifer der Ankömmlinge übernehmen. Das heißt: aus den überlieferten Namen, Beziehungen,
Umständen
ist, unter
optimaler
Verwertung
des
Ge-
gebenen, ein neues Gebilde geschaffen worden, das als Korrektur und Harmonisierung
der Überlieferung zwar keinen Wirklichkeitswert be-
\ anspruchen wird, aber als gelungene, glatte Fügung gewertet werden will. Die besondere Anteilnahme am Schicksal des Kyzikos findet ihren Ausdruck in den Erwägungen über die Macht der Moira im menschlichen Leben, die sich an die Erzählung von seinem Tode anschließen. Wenn bei Apollonios sonst vom Schicksal gesprochen wird, etwa in der Mahnung des Meergreises Glaukos an die Argonauten (1l, 1317) oder in der Rede des Peleus nach dem Tod des Steuermannes Tiphys und des Idmon
(2,
881),
so
bedeutet
esy
daß
ein
Geschehnis
hingenommen
wird, daß Verzweiflung und Kummer in dem Gedanken an die Moira ein Ende haben. Auch im Falle des Mopsos (4, 1502) ist die Erwähnung des rx6twoc nicht Anlaß zum Hadern, sondern führt nur in der Form der Gnome zur abschließenden und jeden Schmerz gleichsam neutralisierenden Aussage: „Es gibt kein Entfliehen vor dem Tod.‘“ Hier aber, obwohl die Moira das gleiche bedeutet, hören wir andere Töne:
An
Stelle der Einsicht,
der raschen
Abkehr
vom
Toten
zum
Lebendigen, tritt, allein schon durch den Umfang gewichtig, die Erwägung der Sinnlosigkeit dieses Todes. Der Dichter beweint Kyzikos, den kaum erst Erwachsenen, den Liebling seiner Zeit, mit besonderem Schmerz (V. 1035 ff.).!
ı Vgl. S. 53 Anm. 2.
VI
DIE
REISEN
Die Interpretation der Reisen kann Aufschluß über die Rolle des Märchenhaften in den Argonautika geben; denn in diesen Reisen stößt die Praxis der Seeleute immer wieder mit fabelhaften Wundererschei-
nungen zusammen.
Die Gradej in denen jeweils das eine der beiden
Elemente gegenüber dem anderen dominiert, bestimmen
ter der Schilderungen. Die ersten beiden
Bücher
sind
schon
durch
das eine
den Charak-
Proömium
gegen Buch 3 und 4 als Einheit zusammengefaßt (vgl. S. 10f.). Diese Einheit beruht darin, daß die Reiseroute von Anfang bis Schluß auf
:
einer stetig verfolgten Linie verläuft Das Schiff bewegt "sich, wie es die Schiffe der Periploi tun!, stetig an einer bekannten Küste entlang, nur unterworfen den Absichten der Steuerleute (die der Vernunft gemäß handeln) und den natürlichen Einwirkungen des Windes und der
Strömungen. Die Hinreise nach Kolchis ist, soweit das Seemännische in Betracht kommt, für jeden Späteren wiederholbar und zur Zeit des Dichters schon unzählige Male wiederholt. Sie steht im Raum der natürlichen Realitäten, ist als ein gleichmäßiges Vorwärtsschreiten an dicht aneinanderliegenden Fixpunkten vorbei gänzlich überschaubar. Die Entfernung zum Ziel (die in jedem Augenblick bestimmbar ist)
nimmt regelmäßig ab, wenn nicht natürliche Ursachen wie Wind und Strömungen diese Regelmäßigkeit stören. Doch selbst Störungen bewegen sich innerhalb gewisser natürlicher Grenzen. Aber können nicht Störungen eines vernünftigen Verlaufs auch 50
beschaffen sein, daß sie den Blick aufs Ziel nachhaltig versperren, indem sie den Fahrenden aus seiner geradlinigen und zweckmäßigen
Route herausreißen und auf eine mindestens zeitweilig ziellose und
ı Die Sprache der Periploi (vgl. Gisinger, Pauly-Wissowa s. v.) berührt sich an verschiedenen Stellen mit Apollonios. Das bringt zum Ausdrucky daß Apollonios und die Periploi bisweilen das Gleiche erzählen wellen. An Parallelen notieren wir Reihungen
wie 1, 592 oder 1, 922, Verben wie yvduyav 2, 965. Eine Wurzel der Periplus-Sprache
liegt zweifellos in den Fahrtschilderungen der Odyssee. Zur Erzählform des Periplus im Ganzen vgl. R. Güngerich, Die Küstenbeschreibung in der griechischen Literatur, Orbis Antiquus 4, Münster 1950.
;
4
58
n
E
N
T
| ( _ _ _
Die Reisen
unübersehbare
Route führen, wo die Kunst der Schiffsführer und die
geographische Orientierung versagen? So liegen die Dinge im vierten Buch, das dadurch zum genauen Gegenstück der ersten beiden Bücher wird. Wie im kleinsten Element seiner Erzählung, so schafft Apollonios in den größten Einheiten seines Werkes Gegenstücke, indem er varüert : das eine Stück sagt aus, was das andere vermissen läßt. Um es vorwegzunehmen: im vierten Buch wechseln Reiseereignisse, die man jederzeit wieder erleben kann/ mit solchen, die einmalig sind und nicht wieder geschehen können. Man kann diese Ereignisse „märchenhaft‘
nennen,
weil
in ihnen
die
Vernunft
des
Seemanns
D
ausgeschaltet wird. Nur drei Teile kann jeder wieder erleben: das erste \ Stück der Rückfahrt, das mit Gegenkurs auf der Route der Hinfahrt verläuft
(4, 241 ff.); das
an
der Westküste
Griechenlands
entlang-
führende Stück von der Istrosmündung südwärts (557 ff.); das Stück von Drepane bis in Sichtweite der Peloponnes (1228 ff.). Dazu kommt noch das letzte Stück Fahrt, das ja zugleich der Beschluß des ganzen Gedlchts ist. Wir wollen nun zeigeny wie die Verschiedenheit des . Reisens in der Schilderung gespiegelt wird. Wir betrachten zunächst die Reise auf dem Istros (303 ff.), dann die Reise entlang der dalmatinischen Küste. Was war über die Landschaft, durch die das erste Reisestück geht, zu sagen? Vor allem etwas über Jie Einfahrt in den Istros: da liegt die Insel Peuke, die die Form eines
Dreiecks
hat
(309 ff.). Bei
dieser
Deltainsel
nehmen
die ver-
folgenden Kolcher (als der Örtlichkeit besser kundig?) den kürzeren Weg an einer Seite vorbei, während die Argonauten, statt direkt wie jene in den Istros einzufahren, erst an zwei Seiten entlangsteuern und damit gegenüber den Kolchern ins Hintertreffen geraten. Die Verfolger fahren also vor den Verfolgten! Der Dichter braucht diese Situation, damit Argonauten
und
Kolcher am
Ende
der Istrosfahrt auch wirk-
lich zusammentreffen. Die gelehrte Feststellung über die Beschaffenheit der Insel hat also eine Funktion in der Erzählung. Wieder ein Fall des nun schon oft beschriebenen Spiels, die Sagenerzählung mit den erforschten Zuständen geographischer oder historischer Art so in ο
—_
\ entsteht. Die Sage gerät in den Raum des Geschichtlichen, weil sie ; aus denselben Bedingungen wie das Geschichtliche erklärt wird. *.. Während nun die Argorgaflten auf dem Istros fahren, laufen die
Leute an den Ufern davon, weil sie sich vor dem unerhört Neuen fürchten, das d„i‚eses Schffl' für sie ist: „In den Niederungen verließen
Die Reisen
59
ihre unermeßlichen Viehherden die rauhen Hirten aus Furcht vor den Schiffen, gleich als wenn sie riesige Seeungeheuer dem Meere entsteigen sähen. Denn noch nicht sahen sie früher meerbefahrende Schiffe, weder
die Skythen noch usw.“ (V. 316 ff.). Wer sind die Leute, die noch kein._ ἰ᾿. f
,\ ὦ
nenden Völkerschaften steht unter dem Gedanken an die Flucht der Hirten an den Stromufern, wird hineingeknüpft in ein sehr enges Handlungsgewebe. Die Flüchtigen und von Furcht Bedrängten, die noch nie ein Schiff gesehen haben, gehören zu den genannten Völkerschaften, die geradezu als die Gemeinschaft aller Flüchtigen erscheinen. Hier tritt wiederum das bekannte Mißverhältnis zwischen kleiner Begebenheit und den um vieles größeren gelehrten Anhängseln (= der gesamten Ethnologie des durchfahrenen Raums) zutage. Immerhin erreicht Apollonios; daß er seinen ethnologischen Stoff in Form von Handlung bringen kann.! Die Berührung_zweier fremder Welten ist ein altes Motiv der Reisemärchen. Die Angst _der Flußanwohner zeigt ein ganz anderes Verhältnis zu den Ankömmlingen als jede Art von Feindschaft, die den Argonauten auf ihrer Hinreise begegnet. Man darf nicht denken, daß die Argo als erstes Schiff überall Staunen hervorgerufen hat. Bei der Hinfahrt ruft sie es nirgends hervor, denn da ist sie nicht das erste Schiff. Bei Kyzikos trifft sie auf Hafenanlagen (1, 954), die Phrixossöhne fahren auf einem Schiff, und die Kolcher senden eine ganze Flotte hinter den Argonauten her. Die Hinfahrt verläuft in einer Welt, die mit den seemännischen Dingen vertraut ist. An sich ist die Reise auf dem
ersten
Schiff eine Urzeitmär
schlechthin, weil
—— ὦὖ᾽ “.»--.»----- --
Schiff gesehen haben? Die Skythen, die Sigynnen, die éraukenier, die Sinder. Diese ganze Aufzählung von großen, weite Räume überspan-
die seemännische
Praxis noch den Zauber des ersten Mals hat.? Bei Apollonios gilt diese ı Faerber a. O. S. 44. Ein ähnliches Mißverhältnis nimmt Apollonios 4, 129 in Kauf:
„Der Drache zischt ... das hörten weit in der Ferne vom
titanischen Aia die Bewoh-
ner usw. . . .‘ Die Frauen im Kindbett mitsamt den Kleinen wachen sogar in der Ferne kann auch an einer anderen
Stelle zeigen, wie Apollonios seine Schilderung
Schr. acht
Objekte
für
die Frage
„Sollen
wir
besingen
...?‘“ Ein
solches Übermaß
treffen wir sonst nicht mehr bei ihm an, und C.Gaspar, Chronologle Pindarienne, Brüssel 1900, hat nicht ohne Grund die Kritik von Pindars Landsmännin Korinna, die Plutarch De glor. Athen. 14, 347 F überliefert, mit diesem Fragment in Verbindung gebracht. 2 Über die Argo als erstes Schiff H. Herter, Rhein. Mus. 91 (1942)
S. 248 : „Wie
an-
regend die mythische Tradition auf Apollonios wirkte, zeigt auch die ebenfalls von ihm
οο
auf! Man
belastet, um geographisches Material vorzulegen. 3, 1240ff. vergleicht er Aietes auf seinem Wagen mit Poseidon. Wie das alte Epos gibt er an, wohin Poseidon fährt - und nennt gleich sieben Fahrtziele! Homer hat in solchen Fällen höchstens zwei oder drei Glieder (vgl. auch die drei Glieder bei Sappho frg. 7 D.). Allerdings hat Pindar frg. 29
60
Die Reisen
Urzeitmär nur noch in einem Land,y das dem Dichter und seinen Zeitgenossen wie eine Urzeitlandschaft erscheinen sein mag: wenn die Argo auch nicht mehr das erste Schiff ist, findet der Dichter doch wenigstens einen Raumzs in dem sie es mit Wahrscheinlichkeit sein könnte. Dadurch läßt Apollonios aber eine bestimmte Einstellung zu Märchen und Wunder überhaupt erkennen: er weiß einen Platz für sie ın fernen, unerforschten Ländern, wo man sie seit dem Alexander-
zug nicht nur hat gelten lasseny Und
den
nun die Namen
flüchtigen
Zunächst
sind
Hirten
da
sondern geradezu gesucht hat.!
selbst, die durch
in
die
die
„mit
folgender Art:
„Die
diese
Erzählung
den
kleine Geschichte von
hineingebracht
werden.?
vermischten
Skythen‘“
Thrakern
(V. 320). Man erwäge das von uns beschriebene Mißverhältnis in einer Aussage
mit
den Thrakern vermischten Skythen
; } hatten vor der ß.{go noch kein Schiff gesehen!‘““ An der Wissenschaft-
lichkeit dieser Angabe wird das Mißverhältnis deutlich. Die Völker-
namen betreffen große Räume, lassen viel Spielraum, anders als die (in kleinem Abstand folgenden, fast ein Kontinuum bildenden) Namen des Periplus in den Büchern 1 und 2. Die Ortsnamen in dieser Schilderung sind aber genau so zahlreich wie die Völkernamen (V. 323 ff.). Während nun in 1 und 2 jeweils die Völkernamen den entsprechenden Ortsnamen zugeordnet werden, sind hier zuerst die Völker genannt und
dann
die Orte.
Der
Dichter
wählt
dieses
Nacheinander,
weil er
w —
«
.N
-.-N .....
—
nicht angeben kann, welcher Ort zu welchem Volk gehört. Auch in seinen Ortsnamen (für die Timagetos als Quelle in Betracht kommt) drückt er die Riesenhaftigkeit der zu überwindenden Distanzen aus: die Reisestationen sind "Ayyovpov Spoc, dann, fern davon, oxöTEloG Kavlıxxolo und schließlich rxediov tö A«dpıov, eine ganze Ebene (V. 323-26). Mit V. 327 befinden wir uns dann im Adriatischen Meer. Die Reise auf dem Istros kann man sich also nicht als Summe ein-
zelner individueller Akte an vielen Stationen vorstellen, wie die Reise in ] und 2, sie ist ein Überstehen, die Überwindung einer Strecke
zwischen Anfangs- und Endpunkt. Für die handelnden Personen ist die Fahrt genau so unübersehbar wie für den Leser. \
selbst erfundene Szene . . ., in der die trockene Aufzählung von Völkerschaften in leben-
dige Handlung umgesetzt ist. Man spürt ohne weiteres das Motiv der Einmaligkeit der Argo ...“ ı E. Schwartz, Fünf Vorträge über den griechischen Roman, Berlin 1896, S. 86 £. 2 Mooney zu 4, 307f.: „Apollonios, in his imaginary geography, speaks losely of the country between the two points.‘ In ähnlichem Sinne Delage a. O. S. 210, Wilamowitz, Hell. Dicht. II S. 194.
Die Reisen
61
Ähnlich die Fahrt auf dem Rhodanos (4, 627 ff.). Sie ist nicht wie die Fahrten im ersten und zweiten Buch von einer bestimmten Länge (einer Anzahl von Tagen, die durch unfreiwillige Aufenthalte über Normale
hinaus
vermehrt
werden
umtosten
„unzählige
Gestaden‘
(V.645).
Völkerschaften
kann),
sie ist von
danach kamen
Die
Helden
der Kelten und
haben
Ligyer‘
märchen-
sie zu den meer-
dann
hinter
(V.646).
sich
Auch
diese Fahrtstrecke ist für die Helden ein Überstehen, nicht ein Han-
deln; während der ganzen Fahrt hatte Hera sie in einer Wolke verborgen, um sie vor Gefahr zu schützen. Das Reisestück wird für den
— ——
das
hafter, unbestimmter Länge: „Lange
Leser keineswegs übersehbar durch die Angabeny die Apollonios über
;
einem Grenzgebiet geographischer
;
den Flußverlauf macht; sie sind nicht mehr als gröbste Daten aus Kenntnis:
„Aber
dann fuhren sie
in den Rhodanos, der in den Eridanos mündet . . . Dieser abezr kommt von den äußersten Grenzen der Erde, wo die Pforten und Sitze der Nacht sind, und . . . mündet mit einem Arm in den Okeanos, mit dem
andern ins Ionische Meer...‘ „Lange
danach
kamen
sie zu
(V. 627 ff.). den
meerumtosten
Gestaden‘“‘, sagt
V. 645. Märchenreisen werden nach dem unbestimmten Eindruck ge-
waltiger Länge, entsprechend dem unbestimmten Eindruck gewaltiger Räume, gemessen, oder allenfalls in Zahlen, die seit Urzeiten in den Bereich von Sage und Märchen gehören (die Zwölf-, die Siebenzahl) und keinen numerischen
Wert haben.
Die Begriffe von Zeit und Raum verändern sich ins Unbestimmte, als die Argonauten in den Eridanos einfahren (4, 596). Sie betreten eine Zone der Starrheit (619). Wie lange diese Starre währt, danach
fragt niemand.
Dann
fahren die Helden
weiter, durch ein Land, in
dem alles seemännische Ermessen.zunichte wird. Deswegen ist die Hilfe der Götter besonders nötig (V.640, 648). Hier ist nun die Zeit nicht mehr so gegenwärtig wie in den ersten beiden Büchern, wo sie den Dichter zur ständigen Rechenschaft über das Tun seiner Personen auffordert,! hier sind große, unbestimmbar lange Pausen des Tuns, Zonen sg;fififer Passivität — Dinge, gegen die die Vernunft und Alltäglichkeit der Reise in den ersten beiden Büchern kontrastieren.? ı Mehmel a. O. S. 5.
2 Eine solche Zone zeigt
4, 1232ff., wo
der
Sturmy der die Helden
nach Libyen
treibt, neun Tage lang wütet. Das ist nicht seinem Zahlenwert nach zu nehmen, anders als 2, 837: „Drei Tage insgesamt klagten sie .. .‘“ Dies bedeutety daß
die Helden aus
62
Die Reisen
Wie anders ist dagegen 4, 562-576 die Reise an der griechischen Westküste entlang. In der Technik der ersten beiden Bücher häuft der Dichter hier eine Fülle von Ortsangaben, Ort reiht sich an Ort, ein stetig vorbeiziehendes Panorama. Entsprechend der Fahrwind: Die Helden
segeln
„hocherfreut
über
den
frischen
Fahrwind‘“
(V.572).
Der Wind ist gleichmäßig und stetig, sozusagen alltäglich. Der Dichter befindet sich in so bekannter Landschaft, daß er nicht bloß Landpunkte,sondern den Fernblick vom Schiff aus angeben kann: „Sie aber glaub-
ten, die blauen Kerauniaberge zu sehen.‘ Aber diese Fahrt führt nicht zum
Ziel, ein Sturm kommt und treibt
die Helden in den Eridanos und Rhodanos. Es beginnt dasMfl “----
Äl;;iurch, daß Menschen- und Gotterwflle einander ablösen; die Fahrt der Seeleute, die ihrer Sache sicher sind, verwandelt sich in eine Fahrt ins Ungewissej in der alle Seemannskunst versagt. Aber die Irrfahrt läuft in sich selbst zurück von bekanntem über unbekanntes zu bekanntem Land: schließlich erreichen die Helden sicheren Anschluß an die Routes die zur Heimat führt und auf der wieder Wind und See-
gang die einzigen Gefahren sind. Das ist das Ende des 4. Buches, zugleich das Ende des ganzen Gedichts.!
‚ einer genau abgemessenen Zeitspanne drei Tage mit Klagen hinbrachten. Im vierten _ Buch gibt es keine solchen abgemessenen Zeiträume, sondern nur die Unbestimmtheit ‚ des Märchens. Ein Bruchteil von neun Tagen aus einer märchenhaften Dauer ist aber nur
} 'scheinbar bestimmt. — Um die Argo über das libysche Land zu schaffen, brauchen die
— -
; Helden zwölf Tage. Das überliefert schon Pindar (Pyth. 4, 25). Hier erkennen wir also : noch deutlichery daß gewisse numerische Angaben zur alten Sage gehören. Diese Bemerkungen über die „Märchenzeit‘‘ wären Mehmels Ausführungenüber den „modernen‘“ Zeitbegriff bei Apollonios hinzuzufügen. Vgl. Güngerich, Küstenbeschreibung S. 7 Anm. 8.
ı Dem Dichter lag nichts daran, mit dem Schluß ein Gegenstück zur Abfahrt zu
schaffen. Er erzählt ihn in einer resumierenden Formel (4, 1775 ff.). Hätte er die Ankunft erzählt, so wären für ihn mannigfache mythologische Probleme entstanden: er hätte seine Handlung mit den Überlieferungen von Medea in Griechenland (Pelias’ Tod usw., vgl. 1, 1304) verknüpfen müssen. Das Thema „Medea in Griechenland‘“ aber war schon bei Euripides behandelt. Mit Medeas Landung in Griechenland beginnt
ein neuer Sagenabschnitt; der der Argonautika ist schon vorher geschlossen.
VII
DIE
ÜBERGÄNGE DES
IN
DEN
VIERTEN
REISEN
BUCHS
Nach der Weissagung des Phineus ist der Weg nach Kolchis leicht, wenn erst einmal die Kyaneen überwunden sind (2, 420 ff.): „O Sohn, wenn
du erst durch
die verderblichen
Felsen
entkommen
bist, fasse
Mut. Denn ein Daimon wird einen anderen Fahrtweg von Aia zurück zeigen. Nach Aia aber werden genug der Geleiter sein.‘ Phineus meint: „Angesichts der Fülle der Wegweiser, angesichts der Geradlinigkeit des Wegs,ist keine Gefahrg daß ihr euch verirrt.‘“ Die Rückfahrt wird ein Daimon anzeigen, sie ist dem Bereich seemännischer Tüchtigkeit entrückt und zu einer Sache höherer Kräfte gemacht. Nach diesen Eröffnungen des Sehers erwarten wir eine Reaktion der Helden, Freude über das Gelingen oder auch Kummer über die Mühsale. Aber dann liegt naheg daß sie mit Fragen über die Rückfahrt in Phineus dringen. Also muß alles; was über die Andeutungen des Sehers hinausgeht, abgeschnitten werden: das geschieht doppelt, die
abwehrende
Schlußbemerkung
des
Phineus:
„Wr
aber sollt ihr mich nicht weiterfragen‘“, und durch die Boreaden; die von der Verfolgung der Harpyien gerade in diesem Augenblick heimkehren und alles Interesse auf sich vereinigen. Damit entzieht der Dichter (nach den so genauen Angaben des Phineus über die Hinfahrt) die Rückreise der Voraussicht
seiner Helden. Planung
tung sind im vierten Buch nicht möglich. Die
Rückreise
beiden Bücher im
beginnt
gleichwohl
Rhythmus
ganz
Strecke Wegs (erst nach dieser!) kommt
und Vorberei-
in der Weise
der Alltagszeit.
Nach
den Helden
der ersten
einer gewissen
die Erinnerung
an das, was Phineus ihnen gesagt hat. Wichtig isty daß die Erinnerung erst da komm:t. Sie spielt vorher keine Rolle, auch nicht,wo es eigentlich zu erwarten wäre,; bei der Abfahrt in Kolchis.
——
durch
Wäre sie da vorhanden, hätte das etwa folgendes Aussehen: im Augenblick der Abfahrt (oder unmittelbar danach) machen die Helden einen Planz der auf der Weissagung beruht. Der Gedanke an diesen Plan begleitet sie bis zu dem Punkt, wo von außen her ein Zeichen kommt; das sie mit der Weissagung des Phineus in Verbindung brin-
;
64
Die Übergänge
in den Reisen des Vierten Buchs
gen können. Sie wären auf ein solches Zeichen jedenfalls vorbereitet. Aber bei Apollonios gibt es keine vorwärtswirkenden Gedanken; was
er schildert, gilt für den Bereich der Szene; der es entstammt.
Ein
Gedanke wird gegebenenfalls wieder hervorgeholt, aber er schwingt nicht ungesagt mit. Wir werden sehen, daß Apollonios im dritten Buch
eine Ausnahme macht, daß er da Gedanken
vorwirken läßt. Warum
tut er es hier nicht? Weil, wie sich noch genauer zeigen wird, die Aspekte, unter denen er die Handlung der beiden Bücher betrachtet, gänzlich verschieden sind: in unserem Fall will er (aus mythologischen Gründen, versteht sich) eine Aktion in dem bestimmten Augenblick; wo sie nötig wird, motivieren, im dritten Buch will er den Verlauf eines Entschlusses zeigen. Da er nicht zweimal dasselbe erzählt, verzichtet er darauf; das Abbiegen der Helden im voraus zu motivieren; er müßte doch noch einmal darauf zurückkommen. Gerade an der Stelle, wo die Erinnerung an Phineus kommt, ist die Naht zwischen zwei Überlieferungeny; die vor Apollonios noch nicht verbunden waren. Wir lassen die Überlieferungen über die Rückfahrt im einzelnen beiseite. Apollonios bemfi]lt sich jedenfalls, wie wir das schon wissen, die gesamte Überheferung in seinem Werk zu vereinen, nichts zu verschweigen. Es gab Überlieferungen, nach denen die Helden den gleichen Weg zurück nahmen;z den sie auf der Hinfahrt
fuhren (Kallimachos wählt diese Überlieferung in den Aitia); es gab Versionen, nach denen sie über den Westen, auf den Istros, nach Libyen, auf den Phasis usw. gelangten. Alle diese Überlieferungen addiert Apollonios. Also muß er Mittel findeny jeweils die eine Version an die andere anzuschließen, in unserem Falle die Überlieferung von der Rückfahrt durch den Pontos an die vom Istros (vgl. zur ganzen Frage Delage, La geographie d’Apollonios de Rhodes, S. 287 ff. mit Anführung aller Quellenstellen,und Radermacher, Mythos und Sage, S. 220ff.). Wenn wir uns daran erinnernj wie Apollonios bei der Geschichte von
Herakles
und
Hylas
verfahren ist, so erkennen wir; daß
an
Daß
eine
neue
Lage
er hier das gleiche Verfahren im allergrößten Stil verwendet. Der Anschluß der Istros-Version geschieht durch die Erinnerung die
Phineus.!
Rede
sie
schafft, wird
zunächst
durch
des Phrixossohnes Argos, 4, 256 ff., deutlich. Was in der
ı Entsprechend seiner Führerrolle erinnert sich Jason zuerst, dann folgen die ande-
ren! Fast mutet dies grotesk an. Aber Jasons Führerrolle soll herausgestellt werden. Gegen die These, daß das plötzliche Eintreten der Erinnerung unplausibel
sei, wird
man vielleicht einwenden: im Epos tritt die Erinnerung an ein Orakel immer gerade
dann ein, wenn es gebraucht wird, vgl. Od. 9, 507ff.; 10,330; 13, 172ff., Hensel a. O. S. 15.
Die
Übergänge
in den Reisen
des
Vierten Buchs
65
neuen Lage gesagt werden muß, ist anders als allesg was die Argonauten bisher auf ihrem Zug erfahren haben. Deswegen muß es durch
den Mund eines fremden Mannes gesagt werden. Wer wüßte über geo-
graphische Dinge im Pontos Euxinos besser Bescheid als Argos, der in Kolchis lebt? Doch ist die plötzliche Bekanntgabe seines Wissens an dieser Stelle ebenso unwahrscheinlich und verblüffend wie das Einsetzen der Erinnerung an Phineus bei den Argonauten. ı Argos verrät nun, daß er durch die Kolcher an Urzeitüberlieferungen teilhat, daß er von den frühesten Schicksalen des Menschengeschlechts weiß. Von dem Vorzeitwissen geht er aus, dann erst gelangt er dazu,
; die neue Route, den Istros, zu erwähnen. Statt kurzer, an den Augen-
des Sachlichen nicht der Aufklärung
-
1, 496! er- ;
τ τ
könnte, bei aller chhte
zählt, wie die Elemente sich zum Kosmos zusammenfanden. Aber da
υ
haben
‚der Gefährten dienend, sondern Erzählung, so wie Orpheus
“«.-.ὕὕὉ΄-..
-
‚blick gebundener Rede erscheint ein breites Lied auf das längst ver- ‘ gangene Geschlecht— ein Liedywie es wohl ein Sänger am Hofe gesungen
‚ herrschte nicht die Notwendigkeit, eine Entscheidung zu treffen. Im ı vierten Buch wird aus der Aufklärung eines rätselhaften Orakels eine ; zeitfüllende Ballade. ‚ Die Rede des Argos grenzt die neue Reiselandschaft gegen die ge. wohnte
ab,
sie
offenbart
ihre
Fremdartigkeit,
Urtümlichkeit
und
_ist wie die Argonautensage für den späteren Leser.
Das vierte Buch ist in besonderem Maße der Ort göttlicher Wirk-
samkeit.?
An
den
drei Stellen
unbegründeten
Kurswechsels
(er ist
d ..
; Weite. Argos erfüllt die Landschaft mit einer in riesenhaften Dimen' sionen angelegten alten Sage, die für die Helden ebenso wunderbar
überall durch mythologische Notwendigkeit verursacht), bei der Einfahrt in den Istros, beim Abbiegen auf der Fahrt entlang der griechischen Westküste, bei der Fahrt von Drepane nach Libyen, jedesmal ist eine
Beispiele bei Apollonios sind 1, 969 (S. 53) und 3, 540 (S. 104 f.). An allen diesen Stellen führt eine Begegnung mit einem Menschen, oder ein Ereignis) das man interpretiert, auf dem Wege der Assoziation zu dem Orakel. Aber ist an unserer Stelle irgendein Anlaß zur Assoziation? Etwa die Landung der Helden bei den Paphlagoniern? Diese Landung ist vom Dichter ganz willkürlich gestaltet (Wind V.241!), die erste Pause nach
dem
Aufbruch
aus
Kolchis.
Man
sieht, der Dichter
brauchte
gerade
an dieser
‘
Stelle wegen der Mythologie (hier zweigte der &06 x\00c ab) die Erinnerung, hat also -
die Fahrt daraufhin gestaltet. Es ist etwas ganz anderes, nachdem bereits ein Stück ‘ Rückfahrt hinter einem liegt, sich an einer beliebigen Stelle eines Orakels zu erinnern, _ als eine Begegnung ex post auf ein Orakel zu interpretieren! ı Abgedruckt bei Kern, Orph. Fragm., als Nr. 29 mit Kommentar. 2 Für das Folgendeimmer zu vergleichen: L.Klein, Die Göttertechnik in den Argonau-; tika des Apollonios Rhodios, Diss. Freiburg, abgedruckt Philol. 86 (1931) 18 ff. 215ff.‘ 5
Händel
_
66
Die
Übergänge
in den Reisen
des
Vierten Buchs
Gottheit der Beweger, wird die seemännische Tätigkeit durch die ! göttliche abgelöst. Offenbar ist das göttliche Eingreifen ein Mittel, ; das Mythologische zu bewältigen (vgl. schon S. 44f.). Es gibt im Komplex der ersten Bücher (neben den Kyaneen, vgl. Kap. X) nur eine scheinbar vergleichbare Szene: 2, 1093ff. (vgl. S.39f.), den Seesturm, der die Begegnung zwischen den Argonauten und den
/
Aul
Phrixossöhnen zustande bringt. Aber er ist seiner Ausdehnung und seiner Wirkung nach keineswegs ein Wunder wie der gewaltige Wind den Hera erregt, um die Argonauten in die Mündung des Eridanos zu
'f
W4
ἵ
.
versetzen (4, 578); sie will die Argonauten Zeus entziehen, der ihnen wegen des Mordes an Apsyrtos tief grollt. Dieser Sturm bringt die Helden mit einem Schlag zurück zur Insel Elektris, von der sie auf-
gebrochen waren. Inzwischen hatten sie das ganze beträchtliche Stück der Reise zurückgelegt, das V. 562-576 beschrieben wird. Die Wirkung
des Sturms übersteigt also jedes den Helden bisher bekannte Maß. Schon bei der Einfahrt in den Istros ist ein Eingriff von außen not-
wendig, weil die Argonauten zwar durch Argos über den Istros Bescheid wissen, nicht aber über den Weg dorthin. Apollonios bedient
sich nicht des Sturms, sondern eines göttlichen Feuerzeichens (4, 294). In dem Augenblicky da die Helden die Route wechseln, erscheint
noch einmal die genaue Ortsbestimmung des Periplus, freilich negativ: „Sie bogen nicht erst um
das Vorgebirge
Karambis.‘
Dann
beginnt,
geleitet vom Zeichen der Göttin, die neue Fahrt. Zeus selbst bewirkt, daß die Helden, anstatt von Drepane in die Heimat zu gelangen, von einem Sturm nach Libyen getrieben werden (4, 1225): „Denn ‚nicht wat\es 1hnenj bestimmt, den Fuß auf achäische
Erde zu setzen . . .“ Ein Schicksalsbegriff zur Motivierung mythologlscher Kombinationen! Was die Götter verhängen, ist für den Dichter ' die bequemste Begründung. Wie
die Reise
4, 522
an
der dalmatinischen
Küste, so führt auch
die Fahrt von Drepane bis vor die Tore der Heimat: „Aber gerade
erschien ihnen
das Land
des Pelops,
als plötzlich ein verderblicher
Sturm sie packte .. .‘ (V. 1231 ff.). Das Stück Wegs, so kurz es ist, wird doch nach Periplusweise als Summation geographischer Namen gegeben.! Indem der Dichter das Motiv des „Beinahe wäre es erreicht worden‘‘ (vgl. S. 32: „beinahe“ hätten die Helden Herakles getroffen,
wenn er nicht gestern. . .) mit dem Walten des Schicksals in Wechsel-
ı Auch die Stimmung beider Reisestücke gleicht sich. Beide Male entspricht der Fahrtwind dem menschlichen Willen (V. 572 und 1229).
Die
Übergänge
in den Reisen
des
Vierten Buchs
67
nungsreicher Erzählung.
Der Sturm, der die Heimreise zum zweitenmal abschneidet und die
Argo nach Libyen entführt, hat im Gefolgeg daß die Helden an der Wirksamkeit vernünftigen seemännischen Handelns verzweifeln und in Passivität verfallen. Der Steuermann spricht die Hoffnungslosigkeit der Situation als der Berufene aus. Bis ins einzelne begründet er sie in der besonderen Beschaffenheit der Untiefen und Strömungen (4, 1261ff.).! Schon auf dem Rhodanos hatte die seemännische Tüchtigkeit versagt: da wären die Helden in ihrer Unkenntnis beinahe dorthin gefahrenyg von wo es keine Rückkehr gab (4, 639), wenn nicht Hera, von einer Klippe herunter und unter gewaltigem Mitschwingen
der Natur (eine urtümliche Situation!), eine Warnung gerufen hätte.
Wie hier Hera, so τιμήοροι, ες Ηεϊάδῃ der Natur, Wind und in den ersten beiden
erbarmen sich in Libyen die %pooxt, Arßünc (4, 1308). Wo nicht die berechenbaren Kräfte Strömung, wie (mit Ausnahme der Kyaneen) Büchern, den Helden entgegenstehen, sondern
Sagenkräfte, sind die Götter auf den Plan gerufen. Wie sie die Helden zweimal von der nahen Heimat weg in neue Mühsale reißen (dalmatigische Küste, Drepane), so retten sie sie zweimal vor dem Verderben im Land
des Wunders
(Keltenland, Libyen).
Im ganzensteht esso: die Reise des vierten Buches ist viel eher Sage als die Reise, die in den ersten beiden Büchern beschrieben wird. Diese gleicht einer Gegenwartsreise, geschieht, mit Ausnahme der Kyaneen (die durch die Argonauten aufhören, ein Wunder zu sein!), ohne förderliche und hemmende Wunder. Die éage haftet an den Haltepunkten wie an den Knoten eines Fadens, gleichsam von der Fahrtstrecke landeinwärts gerichtet.Buch 1 und 2 sind eine Art von mythologischem Periplus, während Buch 4 viel von der alten Erzählform des Schiffermärchens bewahrt.? ı Wilamowitz, Hell. Dicht. II S. 226. M. Brauneiser, Tagzeiten und Landschaft im Epos der Griechen und Römer, Diss. Würzburg 1944, S. 162. Wichtig ist, daß die Schilderung der Syrten nicht eine veränderliche Naturstiummung ,sondern eine dauernde Natur-
beschaffenheit angeben will. Wir sollen die Gefahren einer
Zone kennenlernen,in der sich ᾿
alles gleich bleibt, nichts von den Jahreszeiten, vom Wind usw. abhängt. Die Gefahren
können also nur durch 3 Delage a. O. S. 281: facon d’un auteur de Periplus gleichen, paßt angegeben wird, wenn notiert, an welchen
Ortsveränderung überwunden werden. „Generalement, le podte decrit l’itine&raire des Argonautes a la periple‘. Zu dem Gedanken, daß die Bücher 1 und 2 einem die Genauigkeit, mit der der Standort des Schiffes auch dann er keine Beziehung zur Erzählung hat: 1, 592 und 1279 wird
Punkten die Helden nächtlicherweile vorbeifahren. Vgl. F. Mehmel,
Valerius Flaccus S. 9 und A. Lesky, Thalatta, Wien 1947, S. 254. 59
VII
DIE
EINZELSZENEN DIE
UND
DAS
GANZE
HELDENPROBE
Wir fragen, ob der Gedanke an das Ziel des Argonautenzuges bei den einzelnen Ereignissen eine Bedeutung hat.! Allgemeiner gesagt: Werden bei Apollonios die einzelnen Szenen unter den Gedanken an Anfang und Ziel gestellt, ist eine Handlungsstufe bedeutsam als eine Stufe vor oder zurück im Hinblick auf das Ziel? Treffen wir nicht vielmehr Stimmungen, Bilder, Situationen, sozusagen Augenblicksaussagen mit individuellem Recht? In diesem Falle wäre nicht in ; erster Linie Einheit und Ziel der Handlung erheblich, sondern die kleine Begebenheit.
Daß das zweite zutrifft, daß der kleine Zusammenhang wichtiger ist als der große, geht deutlich aus einer Stelle im zweiten Buch hervor (620f.); der Heldenprobe, die auf die Durchfahrt durch die Kyaneen folgt. Über diese Probe hat Blumberg kurz gehandelt (a. O. S. 42) und festgestellt, daß für sie nach gelungener Durchfahrt durch die Kyaneen kein Anlaß ist. Offenbar soll mit ihr die Ilias nachgeahmt werden. Aber das, was die Alexandriner
in ihren Buchüberschriften AIAIIEIPA
nennen (Il.
2, 110 ff.), ergibt sich sinnvoll aus dem Vorausgehenden und hat auch eine Folge: den Entschluß zur Fortsetzung des Krieges, aus dem sich hinwiederum die Musterung der Kämpfer in der BOIQTIA ergibt. Die Aufrüttelung durch die AIAIIEIPA (in der das Schicksal der Achäer auf des Messers Schneide steht) leitet eine gewaltige Anstrengung der Helden ein, die zum Siege führt. Bei Apollonios schieben die Gefährten einfach die Rede ihres Führers beiseite: „So sprach er, die Helden ver-
suchend. Sie aber lärmten mit Reden voll Zuversicht. Aber Jasons Herz wurde erwärmty als sie so riefen, und er sprach nun offen zu ihnen . ..‘ (V. 638-640).
ı Auf das in diesem Abschnitt behandelte Problem hat besonders A. Couat, La po&sie Alexandrine, 1882, S. 293ff., geachtet. Weitere Äußerungen: Hensel a. O. S. 33. Mehmel, Apollonios
S. 29. 43. M. Puelma
S. 325 Anm. 4.
Piwonka,
Lucilius und Kallimachos, Frankfurt
1949,
Die Heldenprobe
69
Es liegt im Wesen einer Heldenprobe, daß sie Bezug auf die großen
bewegenden Kräfte nimmt. In hältnis der Fahrenden zu ihrer in einer wirklichen Notstunde Sieg oder Niederlage, Hoffnung fehlen
des
Ziels.
Wir
erwarten
den Argonautika hätte sie das VerAufgabe als eindringliches Bekenntnis auszudrücken. Da würde geredet von und Verzweiflung, Erstreben und Vernicht
bloß
die
Rede
eines
Mannes,
sondern möglichst viele Stimmen. Bestimmt aber ist in einer echten Heldenprobe mehr nötig als ein Monolog mit in drei Versen abgetaner Reaktion der Zuhörer, wie wir ihn bei Apollonios lesen.
Obendrein muß die Heldenprobe dort steheny, wo die Versuchung ernst genommen werden kann, wo Gefahr, Mutlosigkeit, Erschlaffung
herrscht, wo eine echte Entscheidung für oder gegen die Aufgabe er-
wartet werden kann. Hat es Sinn, die Helden nach eben geglückter Durchfahrt
durch die Kyaneen
einer solchen Probe zu unterwerfen,
wo gerade noch der Steuermann als der Berufene auf den Phineusspruch Und
hingewiesen hatte,
schließlich,
Fahrtgenossen?
wie
Indem
nun
antwortet
werde
Jason
alles gut auf
er die beruhigenden
die
gehen
bis Kolchis?
Bekenntnisse
Aussagen, die
seiner
Tiphys
zuvor gemacht hatte, wiederholt (V. 641 ff.). Was aber soll eine Probe, wenn am Anfang die Zuversicht nicht geringer ist als am
Schluß? Wie kann man erwarten, daß ausgerechnet nach der Überwindung des größten Hindernisses, nachdem der Steuermann auf
das Orakel des Phineus hingewiesen hat, die Helden der Erprobung bedürfen? Wenn man von den Szenen Zusammenhang mit der größeren Ein-
heit, Bedeutung für den Verlauf des Ganzen verlangt, muß man die Einfügung der Heldenprobe an dieser Stelle für sinnlos halten. Folglich geht es dem Dichter nicht darum, die Aufgabe, die den Helden gestellt
ist, und das dabei bewährte
Heldentum
zu beleuchten. Mit anderen
Worten: der Einheitsgedanke scheint kein besonderes Anliegen des Apollonios zu sein. Vielleicht können wir sogarsagen;Einheit und Zweck der Reise sind nur da gegenwärtig, wo sie als Mittel dienen, das Geschehen
zu
motivieren,
zusammenzuhalten,
vorwärtszubewegen.
Sie
sind um des Geschehens willen da, nicht umgekehrt. Wie bezeichnend, daß die Einfahrt zu den Symplegaden zu keinem Gedanken an die gemeinsame Aufgabe Gelegenheit gibt, bei allem Vertrauen zur Taubenprobe, die Phineus riet (2, 328). Keiner wußte vorher, ob sie gelingen
würde, und auch Phineus’ Spruch könnte in den Augenblicken höchster Gefahr zweifelhaft erscheinen.
70
Die
Einzelszenen
und
das
Ganze
Warum finden wir trotzdem die Heldenprobe bei Apollonios? Es gibt Dinge, die zum Epos notwendig gehören: diejenigen, die Homer eingeführt hat. Neben die Forderung,y gut zu erzählen, tritt die Forderung, dem . Vorbild gerecht zu_ werden, indem man Homerisches wiederholt: Ekphrasis (1, 730 ff.), Gebet (1, 411), Beschreibungen technischer Dinge (1, 363 ff., 559£f.), bis zu einem gewissen Grad auch Ver-
gleiche gehören hierher. Was unmittelbar interessierte, war das Prunk-
‚ voll-Bunte,
Pikante,
Sentimentale.
Das
andere
erklärt
sich
durch
ξ Homer: der Leser beurteilt die mehr oder minder geglückten Nach! schöpfungen, die nach dem Grad ihrer Gelungenheit zugleich als Aus” weis über das Verständnis Homers galten.! IDMON
Idmon prophezeit den Helden sein eigenes Schicksal und das Schicksal des Zuges (1, 440 ff.). Das wäre eine Stelle von höchstem heldischem Pathos,.wenn heldisches Pathos in das Werk Eingang fände! Aber die Möglichkeity Aufgabe und Schicksal der Helden ins Licht zu rücken, wird überhaupt nicht beachtet: „Sprach’s, als die Jünglinge absr die Weissagung vernahmen, freuten sie sich über die Heimkehr,
über das
Schicksal des Idmon aber ergriff sie Schmerz‘“ (V. 448/49). Diese Verse Ζ sind aber nicht viel mehr 818 eine Schlußformel, eine Fuge gegen ein neues Erzählungsstück hin, jedenfalls nicht mitempfindende Schilderung von seelischen Bewegungen, die um Aufgabe und Schicksal kreisen. Daß die Verse begrenzende Funktion haben, macht auch der harte Übergang zu V. 450 deutlich: ‚... Schmerz ergriff sie. Als aber die Sonne die Mittagshöhe durchwandelt ...‘ So formt kein Dichter eine Aussagey an der ihm viel liegt. Die Sonne sinkt, die Schatten werden länger, die Gefährten liegen bei Speise und Trank am Gestade und plaudern miteinander, wie Jünglinge fröhlich plaudern, wenn Hybris fern ist. Fröhlich — eine ganr neue Stimmung herrscht. Idmons Rede ist überwunden;, oder genauer: nie recht zum Durchbruch gekommen. ı Schon die einfache Tatsache, daß Apollonios und Kallimachos in der Sprache Homers dichten (mit entsprechenden Neuerungen, versteht sich), bedeutet, daß sie sich durch Wort- und Formwahl über ihr Verständnis Homers ausweisen. Schon Merkel hat in den Prolegomena zu seiner großen Ausgabe der Argonautika (Leipzig 1854) die Frage gestellt, was sich aus der Sprache des Apollonios für sein Verhältnis zur Homerkritik Zenodots ergebe. Vgl. dazu jetzt H. Erbse, Hermes 81, 1953, 163 ff. Für das Verhältnis von Zenodot zu Kallimachos trägt Pfeiffer (Ausgabe I 1949) zu frg. 12, 6 und an der entsprechenden Stelle der Addenda Material zusammen.
Idmon
Aber Jason steht in Beklemmung Idmons.
Diese
Beklemmung
schwingt
71
abseits, wohl wegen der Worte jedoch
nicht
aus:
„Er
erwog
das einzelne, einem Niedergeschlagenen gleich. Idas gMer sprach ihn argwöhnisch mit lauter Stimme
an: ...° (V. 460-462). Die Rede
des
Idas entfernt sich sofort von ihrem Ausgangspunkt, der Beschwertheit Jasons. Idas will den zaghaften Führer nicht aus größerer Zuἰω
Ὶ
versicht zurechtweisen, er will nur (für sich persönlich, unverbindlich) _ S — nW
prahlen. Seine Prahlrede heftet sich an den abseitsstehenden Jason. Er ist nur Veranlassung, nicht Gesprächspartner. Wichtig für den Dichter ist auch hier, daß ein seelischer Zustand, ein Verhalten, das von einem bestimmten Charakter bedingt ist, innerhalb eines kleinen Zusammenhangs vollkommen eingefangen wird. Die Rede selbst ist wohl
am Anfang
.-“-.--.....»....
in den Verlauf der Dinge ein- ΄
gehängt, aber selbst ohne Bedeutung für ihn.
©
bleibt hier ganz außerhalb) von dem tiefen Wesen Idmons, so wie es seinem Schicksal nach zu denken wäre, ist also nichts erfaßt. Seine
Gestalt wird hier in der spezifischen Weise des Epos nach ihrer Ober-
fläche, nach dem äußerlich an ihr Sichtbaren, mit aller Gelassenheit des Erzählers behandelt, wird nur aus dem‚ was sie in einer bestimmten Situation wirklich tut, verstanden.!
Bei Idas wird eigentlich noch deutlichery daß der Dichter seine Personen vom Augenblick her schildert. Das Problem der Hybris und des Maßes (ebenso wie das Problem des Schicksals bei Idmon ein
tragisches Problem,
das Aischylos in den Sieben gegen Theben im
einen Fall an Amphiaraos, im anderen an Parthenopaios zeigt)? ist gar
nicht gestellt. Gleichwohl gibt es eine gewisse, aber bezeichnenderweise
nicht vom Schicksal her zu verstehende Einheitlichkeit des Tuns und
Denkens bei Idas. Apollonios weist Idas Aufgaben zu, in denen er ı Diese Behandlung der Geschehnisse von der Oberfläche her hält Mehmel, Valerius
Flaccus
S. 21, für ein Charakteristikum unseres Dichters. Wir glauben vielmehr, daß
mit der „Öberflächigkeit‘““ eine Eigenschaft benannt isty die dem epischen Erzählen im allgemeinen, vor allem dem homerischen, eignet. 2 Hensela. O. S. 10 ist im Gegensatz dazu der Meinung, daß Apollonios „sich diese Figur gesch;fien hat in der bewußten Absicht, in seinem Gedicht ein Gegenstück zu Achilleus und Amphiaraos zu haben‘“. Er setzt damit für Apollonios die Möglichkeit voraus, auch auf Randfiguren seines Epos das Licht fallen zu lassen, das in der Ilias auf Achilleus, in der tragischen Dichtung auf Amphiaraos fällt.
4
Auf die Rede des prahlenden Idas folgt die des maßvollen Idmon (476—484). Aber der Idmongy der hier dargestellt ist, erinnert in nichts an die vorausgehende Szene. Die Tragiky die vorher spürbar war,
72
Die
sein Vertrauen
Einzelszenen
und
zu sich selbst bewähren
das
Ganze
kann
(Stellen bei Gillies zu
3, 516). Wir vergleichen die Geschichte von Idmons Tod (2, 815 ff.). Die Erzählung, daß Idmon einem Eber in den Weg läuft und von
ihm
getötet
wird,
rem
Dichter.
ist schon
vor Apollonios
vorhanden
(vgl.
Schol.
einer
fürdie
2, 815), aber die reiche Belebung der Schilderung gehört sicher unseZunächst
wird
das
Tier beschrieben,
mit
Auffassung des Dichters sehr bezeichnenden Steigerung: „Ein tükkisches Ungeheuer, das sogar die Nymphen in den Niederungen fürchteten . . .‘ (V. 820). Sogar die Nymphen, die zu jener Zeit so beliebten anmutigen
Gottheiten,
fürchten
sich!
Dann
erzählt
Apollonios,
wie
das Tier Idmon angreift und tötet, schließlich, wie die Gefährten Rache nehmen. Sie wird um des größeren Reizes willen zwei Personen gegeben: erst geht Peleus den Eber an, aber der entflieht ihm wieder in den Sumpf. Das Tier stürzt sogleich wieder hervor — da erlegt es Idas, der rasch Zupackende, Kühne, Lanzentüchtige (wie er ja selbst prahlerisch verheißen hatte). Ausgerechnet Idas als Rächer seines, wenn man will, weltanschaulichen Gegners! Aber es wird gar nicht beachtet, daß der Maßvolle vom Maßlosen gerächt wird. Auch dessen wird nicht gedacht, daß Idas selbst von der Kraft seiner Lanze im
an
οὃὦ
frevelhaften
Übermut
Wunderbares
versprochen
hatte:
„prahlen‘“
ist ganz von außen her betrachtet einfach Prahlen und nicht weiterwirkender Frevelmut. Es gibt keine Tragödienmotive im Epos. Aber zweifellos ist die Szene im ersten Buch dem Leser wie dem Dichter gegenwärtig! Wir müssen also fragen: Ist mit der Einführung des Idas vielleicht eine neue Seite des mythologischen Spiels, Personen zu beschäftigen, hervorgekehrt? Liegt das Spielerische darin, daß angesichts der Gleichheit des Personenapparates in beiden Szenen das Verhältnis der Kräfte so völlig umgekehrt ist? Jedenfalls hat der Kontrast
zur
Szene
des
ersten
Buches
keine
weltanschauliche
Aus-
; sagekraft etwa der Art: „So verkehrt sich das Verhältnis von maß— voller Zurückhaltung und maßloser Anmaßung in leidvolles Unter-
liegen und kühne Überwindung“ oder: „So seltsam ist die Welt, daß der, den Idmon kraft seines göttlichen Amtes gescholten hat, nunmehr ‚ zu seinem Rächer wird.“
Statt des pathetischen Verweises auf das verhängnisvolle Schicksal
des Idmon
findet sich ein Verweis
auf die Zukunft,
auf das, was mit
dem toten Helden Idmon sich ereignen wird (V. 845—-850), und zwar wiederum nicht vom Weltanschaulichen ausgehend (wie es möglich wäre' wenn die dem Idmon beschiedene Heroisierung als Ausgleich
Idmon
73
oder Belohnung angesehen würde), sondern vom aitiologischen Inter-
esse. Statt des Blicks auf das Schicksal und
Blick auf rung von besonders Μουσάων
die Vergangenheit
der
das Aition! Die Aussagen über die Zukunft, an die Schildeder Bestattung des Helden geknüpft, werden sogar noch unter den Schutz der Musen gestellt (V. 845). Die Formel ὕπο bedeutet beileibe nicht, daß der Dichter geringere Auf-
merksamkeit
fordert, nur ungern
einer Pflicht nachkommt,
sie be-
deutet genau das Gegenteil. Aber der Musenanruf soll auch die Aussage des Dichters bekräftigen (Diller, Antike und Abendland II S. 141). Welches Bedürfnis nach Bekräftigung hat Apollonios, wenn
er die weiteren Schicksale Idmons erzählt?
Das Scholion zu 2, 844 gibt Ephoros als Quelle dafür an, daß Böoter und Megarer die Stadt Heraklea gegründet hätten. Apollonios
setzt voraus/
daß
man
diese Gründung
Nisäern
den
Böotern
kennt:
er spricht
nur
von
der „Stadt‘ (849). Die Gründung erzählt er so: Apollon verkündete und
ausdrücklich,
sie
sollten
den
Idmon
als
den Stadtschützer verehren und um sein Grab herum eine Stadt anlegen (Hysteron-Proteron!). Sie jedoch verehren statt des Idmon bis zum heutigen Tag Agamestor. (Promathidas erzählt, nach Schol. 2, 844, später die gleiche Gründungsgeschichte). Nun ist es sehr merkwürdig, daß Apollon einen Helden „ausdrücklich‘* (&xıpphönv 843) newfit und sich die Orakelsucher nicht daran halten. Welchen Grund haben sie dafür? Finden sie den Helden nicht oder verwechseln
sie ihn? Alles weist darauf hiny daß Apollonios selbst die Überlieferung
über Agamestor mit einer Version über Idmon kombiniert hat. Er macht
eine kleine Geschichte aus der Tatsachey daß Idmons Grab nicht bekannt war: daß wir es nicht kennen, dafür aber jenes andere des Agamestor, ist offenbar Schuld der Kolonisten, die ein Orakel des Apollon
nicht ausgeführt haben. Vielleicht ist Heraklea als Grabstätte Idmons eine Erfindung unseres Dichters ?! An der gleichen Stelle wie Idmon stirbt auch Tiphys (es gibt eine Überlieferung‚ nach der er erst auf der Rückreise stirbt, aber die konnte Apollonios nicht brauchen, weil seine Helden auf der Rückreise
einen anderen Weg fahren). Der Dichter versetzt seine Handlung in eine durchsichtige Beziehung zur Mythologie. Tiphys wird nicht heroisiert, auch sein Grab scheint nicht gezeigt worden zu sein. Idmon ist schon toty als Tiphys zum Sterben kommt: durch ein kleines Zeitı Robert, Heldensage II 3, 1 S. 775: „In Wahrheit hat erst die Dichtung das Grab des Lokalheros Agamestor für das des Argonauten Idmon ausgegeben.“‘‘
‘__—_‘_
74
Die
Einzelszenen
und
das
Ganze
intervall trennt der Dichter die Schicksale und gibt damit an, daß sie
nicht auf gleicher Stufe stehen.! Auch schmücken die Argonauten (wie um selbst diesen Unterschied herauszustellen) zwar das Grab des Idmon, nicht aber das des Tiphys.?
So scheint es, daß die ganze Stelle auf eine wohlausgedachte mytho-
logische Kombination hinausläft, für die Apollonios durchaus den Schutz der Musen erbitten konnte. Was er erzählt, betrifft nicht das Pathetische am Schicksal des Idmony sondern das Aitiologische. Es sollen nicht große Leitgedanken in einer Reihe von Szenen fortschreitend sich erhellen, sondern die unzähligen kleinen Dinge am Wege der Argonauten in angemessener und glaubwürdiger Weise mit jeweils einer Szene verflochten werden.
ı Trennend wirkt auch die Frage V. 851: „Wer aber starb noch ?“ Blumberg a. Ο. 5. 45. 2 Das Grab scheint in Heraklea eine Art Stadtmittelpunkt gewesen zu sein, vgl. Herodor im Schol. 2, 848. Schol. 843 enthält die rätselhafte Nachricht, daß die Argonauten den Ölbaumpfahl „auf die Anweisung des Orpheus‘“ auf das Grab des Idmon gesetzt hätten. Davon steht bei Apollonios ja kein Wort — liegt echte unzitierte Überlieferung vor oder die ergänzende Vermutung eines Späteren ?
ΙΧ
ZWEI DER
MORD
SZENEN AN
AUS
DEM
APSYRTOS
ZWISCHEN
PELEUS
VIERTEN
UND UND
DIE
BUCH:
BEGEGNUNG
THETIS
Wie sehr das besondere Interesse des Dichters an einem Erzählungselement, etwa der Entwicklung eines Gedankens in Einzelrede oder Redepaar, den Umfang und das Gewicht der übrigen Erzählungselemente reduziert, läßt sich am besten an der Geschichte vom
Mord
des Apsyrtos zeigen. Diese Vernachlässigung der übrigen Erzählungselemente hat zur Folge, daß der Zusammenhang der Tatsachen in der Erzählung
verdunkelt
wird,
daß
er, weil weniger
evident,
auch
we-
niger plausibel ist. Wilamowitz hat (Hellenistische Dichtung II S.194) dazu mancherlei beobachtet. Nicht klar ist zum Beispiel, wie Herolde an Apsyrtos Geschenke! (und gleichzeitig einen vertraulichen Auftrag Medeas) überbringen (4, 422). Aber schon der Abschluß des Vertrages zwischen Argonauten und Kolchern (4, 340) ist nicht klar. Es fehlt, was das Zustandekommen eines solchen Vertrages wahrscheinlich machen könnte: Hinweise; wie die erste Begegnung zwischen
den Parteien ausgesehen hat, welche Rolle dabei Medea gespielt hat,
und dergleichen. Aber Medea ist nicht mehr wie im dritten Buch die Gestalt, von
der schlechthin
psychologischen
alles ausgeht;
Beobachtungen,
die lückenlose
die das dritte Buch
Kette
von
aufweist, wird
während
das dritte Buch eine einzige Episode enthält, enthält das
A
das ganze Interesse des Erzählers hat: das vierte Buch wird wieder vom Prinzip der Episoden, nicht von dem der Biographie (psychologischer Art) regiert. Man kann den Unterschied auch so ausdrücken:
ὄ . ..
im vierten nicht fortgesetzt. Das hindert nichty daß Medea bisweilen
vierte (wie das erste und zweite) deren eine ganze Reihe (Episode im : Sinn
von
„Unterbrechung
der
Reise,
Landaufenthalt
mit
einer
ge-
ı Gemeint ist der Peplos der Hypsipyle. Von ihm hören wir in der Lemnosgeschichte nichts, aber Jason trägt ihn, als er in Kolchis die Stiere-bezwingt (3, 1205). Die Ökonomie des Epos erlaubt, Dinge unvollständig zu erzählen und beliebig zu ergänzen oder überhaupt nicht zu erzählen und dann unter der Hand mitzuteilen.
76
Zwei
Szenen
aus
dem
Vierten
Buch
schlossenen Gruppe von Abenteuern‘“‘). So kann es im vierten Buch geschehen, daß Medeas Anteil an einer Sache gänzlich belanglos ist,
während das, was sie hinterher darüber denkt und daraus folgert, im
Mittelpunkt einer Szene steht. Mit V.338, dem Beginn der Apsyrtosgeschichte, ist der Vertrag schon geschlossen, wir befinden uns auf der Insel der Argonauten. Einige Herolde sollen zu Apsyrtos gehen. Sind es Kolcher oder Argonauten? Für das erste spricht, daß sie anonym sind,und Medea kaum hoffen kann, Apsyrtos werde eine vertrauliche Aufforderung von Argonauten entgegennehmen (sonst müßten sie ja mit ihm konspirieren!); für das zweite, daß wir nicht wisseny, warum noch Kolcher bei den Argonauten sind. Oder waren die Kolcher überhaupt nie insgesamt mit den Argonauten zusammengetroffen, sondern hatten Herolde geschickt, und diese Herolde hatten selbständig einen Vertrag abgeschlossen? Kaum glaublich. Wir müssen es uns also versagen, die Fakten zu rekonstruieren. Jedenfalls nimmt Medea Jason irgendwann auf die Seite, und eine große Redeszene entfaltet sich zwischen den
beiden. Was Medeas Motive sind, können wir aus V. 338-349 leidlich
erkennen (aber, wie gesagt, keinesfalls ihre Lage zur Zeit des Geschehensg auf das sie jetzt reagiert). Niemand wird behaupten, daß es ein glücklicher Einfall des Dichters ist, in 9 von diesen 12 Versen,
341-349, den Text des Vertrags in Anlehnung an streng stilisierte Amtssprache zu bringen. Wenn aber Apollonios, statt in Kürze das Zustandekommen dieser so verblüffenden Einigung, lieber weitschweifig den Vertragstext angibt, so erschien es ihm vielleicht vom Standpunkt antiquarischer Gelehrsamkeit aus reizvolly sich als Nachahmer des
Gesetzesstils
zu versuchen
(besonders
bezeichnend
für den
Stil
sind die Formeln 7ö y&p mEiev duphpLotOv, parenthetisch V.345, und
HewiotoiXmv Bacılnav V. 347). Lieber wüßten wir Genaues seelischen Vorgänge vor der großen Redeszene.
über die
Aber vielleicht noch ungenauer ist erzählty/ wie nach der Rede der Mordplan in die Tat umgesetzt wird. Apsyrtos soll Medea auf der Artemisinsel, dem vertraglich festgesetzten Aufenthaltsort, nächt-
licherweile
aufsuchen
(4, 417 und 435). Zunächst
fährt Medea selbst
dorthin (V.452), unter Geleit beider Parteien, wie wir aus V. 453 supplieren. Kolcher und Argonauten fahren wieder zurück, nur Jason
bleibt. Dann Bord
(ohne
aber kommt
daß
ein Schiff mit dem kolchischen Führer an
der Leser es sich versieht, ist es Nacht,
V. 458).
Ist
nun das Schiff, auf dem Apsyrtos kommt, dasselbe wie das Geleitschiff?
Mord
Möglich,
denn
an Apsyrtos,
war Jason
Begegnung
zwischen
auf der Argo,
Peleus
so kann
man
Apsyrtos auf dem geleitenden kolchischen Schiff war.
u. Thetis
77
erwarten,
daß
Nun folgt die Schilderung der Ermordung. Jason vollzieht an dem
Leichnam einen altertümlichen Ritus. Da sehen die Argonauten (wo sind sie?) ein Feuerzeichen Medeas, kommen und richten unter der B‚e_gleitung des Apsyrtos ein Blutbad an. Erst spät tritt Jason hinzu (Warum spät? Hatte er etwa zwischen Feuersignal und Ankunft
des Schiffes den Ritus vollzogen?). Offenbar sind die Kolcher bis zur
Hintergrund, und einen Teil muß sich der Leser obendrein aus den Angaben des Dichters noch selbst zusammenreimen. Plan und Ausführung, Gespräch und Mordtat stehen in Wechsel-
beziehung. Im Gespräch entfaltet sich das Psychologische; die pathetische Klage der Medea und ihre listenreiche Überredungskunst füllen den größten Raum. Das Gegenstück, die Mordtat, ist rein als äußere Handlung geschildert, über das, was die handelnden Personen bewegt,
über
ihre
Bedenken,
ihr Widerstreben
erfahren
wir
nichts.
Das Vorgehen bei der Ermordung ist nahezu unabhängig von dem, was im Gespräch erwähnt worden ist. Man muß sich Abmachungen zwischen
den
Gesprächspartnern
hinzudenken,
in
denen
sie
ihre
Rollen festgelegt haben. Nur so kann man sich erklären, daß beide aufeinander eingespielt sind. Erst Gespräch und Tat zusammen hilden ein überschaubares Gefüge. Das Gespräch zeigt die Motive, bei der Tat erfahren wir die Einzelheiten des Vorgehens. Aber die Verbindung zwischen den beiden Erzählungsstücken bleibt im Belieben des Lesers; der Dichter erzählt gerade 80 viely daß sie möglich wird. Ähnlich liegen die Dinge bei der Durchfahrt der Argonauten durch
die Plankten
(4, 920 ff.). Ein
Gespräch zwischen Hera und Thetis
(4, 782 ff.) schafft die Voraussetzungen
für das Eingreifen der Meer-
göttin: Hera sagt Thetis, warum sie auf seiten der Argonauten steht, und überredet sieg mitzuhelfen. Dabei wird gleich abgemacht, welche
Rolle jede der Göttinnnen übernehmen wird. Das wird später nicht wiederholt. Schon vor dem Gespräch hat Hera Iris zu Hephäst gesandt mit der Bitte‚ die Arbeit an den Essen zu unterbrechen, V. 763
x
haben. Es geht ihm offenbar viel weniger um die äußere Mordhandlung als um die Bewegungen in der Seele der Täter. Die Fakten sind eine unerhebliche Dreingabe für ihn: er zeigt nur gerade das Nötigste vom
_„
Ankunft der Argonauten ruhig gelegen. Die zeitlichen Abstände, die Verteilung der Personen, die Situation auf den verschiedenen Schauplätzen, alles dies scheint der Dichter nicht ganz durchdacht zu‘
78
Zwei
Szenen
aus
dem
Vierten
Buch
und 775. So kann später genügen: ‚,. .. und obwohl Hephäst von der Arbeit abließ, stieg noch vom Meer der heiße Atem (seiner Essen) empor ...‘ (V. 928 f.). Also kombiniert der Leser, daß Heras Bitte an Hephäst nicht vergeblich war. Wie das Gespräch zwischen Hera und Thetis die technischen Probleme vorab klärt, so erhellt ein zweites Gespräch zwischen Peleus und Thetis eine seelische Bedingung für das nachfolgende Geschehen: die Spannung zwischen dem liebenden Gatten und der Göttin, die ihn verließ (V. 8532 ff.). Auch davon wird
später nicht mehr gesprochen. Hätte es für den Dichter nicht nahe-
gelegen, den Schmerz des Peleus noch einmal hervortreten zu lassen,
als Thetis und die Nymphen das Schiff hilfreich umschweben? Aber
da
gibt es keine
Gebärde, keinen
Blick mehr
zwischen
den Gatten
von einst! Jeder der drei Teile, die zwei Gespräche und die Durchfahrt, steht isoliert, und doch (obwohl der Dichter seinen Leser nicht direkt auf die Beziehungen hinführt) sind die drei Teile zusammen ein vollkommenes Ganzes mit einer Fülle von inneren Beziehungen. Auch bei dieser Szene tritt das Verhältnis, das sie als Stufe zum Ziel hat, zurück hinter
ihren
isolierten Gehalt,
ihre vom
Gedanken
an das Ganze gelösten singulären Stimmung. Die Stimmung liegt dem Dichter besonders
am
Herzen,
wenn
anderes
um
ihretwillen beiseite
geräumt, dann sogar vergessen wird. Dies geschieht, wenn die Gefährten und die gemeinsame Sache in dem Gespräch zwischen Peleus und Thetis gänzlich ausscheiden. Sobald Thetis ihrem verlassenen Gatten gegenübertritt, um durch ihn den Gefährten ihren Beistand anzukündigen (sie wendet sich an ihn, wie man sich in einer Sachey die alle angeht, an denjenigen wendet, den man schon kennt), verdrängt das Private das Offizielle. Es dominiert die einsame Trauer des Menschen, der sich mit seiner göttlichen Gemahlin überwarf. Aber selbst dieser sentimentale Ton gilt nur für die Dauer des Gesprächs. Er gehört keineswegs als seelische Grundstimmung zu Peleus. Selbst in einer Lage, die nur vom Verhältnis des Peleus zu Thetis ganz auszuschöpfen wäre, bei der Ausfahrt der Argo, wo vom Himmel die Götter, von einem Berg Cheiron und sein Weib mitsamt dem kleinen Sohn des Peleus auf dem Arm zusehen (1, 553 ff.) — selbst in dieser Lage kein Wort vom besonderen Schicksal des Peleus! An dieser Stelle ist etwas ganz anderes wichtig: die Stimmung des Kosmos, die die Ausfahrt der Helden begleitet, das Bild des bedeutungsvollen Abschieds. Der Dichter sieht es nicht als seine Aufgabe an, das Bildj in dem die Stimmung sich ausdrückt, durch Weiteres zu stören. Wenn er
Mord
an Apsyrtos,
Begegnung
zwischen Peleus
u. Thetis
79
will, kann sich der Leser auch bei diesem Bilde etwas denken, nach
dem; was er schon weiß oder was der Dichter ihm später erzählt. Aber _ Apollonios löst an jeder Stelle seines Werkes eine deutlich begrenzte erzählerische Aufgabe,; einmal gestaltet er ein Stimmungsbild, das andere Mal eine seelische Spannung, nie vermischt er die Aufgaben ' miteinander, nie deutet er alles an.
Verfolgen wir nun, wie sich in der Peleus-Thetis-Szene das private Erlebnis der erloschenen Liebe vor die Gedanken an das gemeinsame
Unternehmen schiebt. Thetis spricht Peleus an, er allein kann sie hören und sehen (4, 853; unter dieser Bedingung erscheinen auch die
homerischen Götter den Menschen). Sie spricht ganz im offiziellen Ton, so wie eine Göttin, die kraft ihres Auftrags dem Menschen seine Zukunft eröffnet. Das Offizielle ist am stärksten, als Thetis sagt: „. . . Jöst die Taue des schnellen Schiffs, vertrauend der Helferin Hera.
Denn in ihrem Auftrag kommen
Nymphen...‘“
Sie nennt die Ur-
heberin der Hilfe und verschweigty daß sie selbst mit den Nymphen
kommen wird. Sie spricht in der Ihr-Form und entzieht sich gleichsam mit jedem Wort der Vermutung, sie könnte irgendwie Anteil nehmen. Aber mitten im Offiziellen bricht plötzlich das Persönliche hervor, in einer Drohung:
mich
unter
„Du
diesen
aber weise niemandem
(gemeint
sind
die
meine
Nymphen)
Gestalt, wenn
siehst, und
du
denke
darauf; mich nicht noch mehr als schon vorher zu erzürnen!‘“ Jetzt herrscht das Private; erst in der Drohung erfährt der Gatte, daß Thetis selbst mit den Nymphen kommen wird. Die Reaktion des Peleus auf die Rede der Thetis wird vom Privaten bestimmt. Der tröstlichen Kunde für die Gefährten widmet er keinen Gedanken. Wir erfahren nun in einer Art Exkurs das Schicksal seiner:
Ehe.
Charakteristisch;
daß
der Exkurs
unmittelbar
auf die für die
Gefährten so beglückehde Offenbarung der Thetis folgt, wo doch nach unserer Meinung andere Stellen viel gelegener wären! Er liegt also dem Dichter mehr am Herzen als Götteroffenbarung und Argonautenzug. So sehr ist immer nur vom
Schicksal des Peleus die Rede, daß
sogar seine Mitteilung an die Gefährten unter den Schatten dieses Schicksals
gestellt
wird:
„Darob
lähmte
beklemmende
Hilflosigkeit
seine Sinne. Aber dennoch verkündete er den Gefährten den ganzen
Auftrag der Thetis.‘ Das Dennoch, &urnc (V. 880), trägt dabei den Hauptton.
Auch
die Rede der Hera 4, 783 ff. zeigt; daß Apollonios jede ein-
zelne Episode
in einer besonderen Absicht erzählt, daß der Leser die:
*
80
Zwei
Erzählung
nicht
Szenen
aus
an weitgehenden
dem
Vierten
Buch
Assoziationen
prüfen
darf.
Hera
sieht in der Bindung der Thetis an Peleus ein Mittel, zu überreden.
Man bedenke: in der Bindung an Peleus, wo doch der Dichter in dieser
Bindung später alles andere enthüllt als Gründe für Thetis, freundlich gestimmt zu sein! Der Gedanke an Peleus spielt freilich längst nicht
die wichtigste Rolle, er ist ein Argument neben anderen. Er kann natürlich selbst diese Rolle nur dann spielen,; wenn Hera den Groll der Thetis gering achtet. Und das tut sie — unwidersprochen! Dabei
ist die Größe dieses Grolls der Grundton der folgenden Begegnung
von Thetis und Peleus. Man sieht auch hier wieder, wie isoliert voneinander die Teile sind. Hera hält Thetis eine großangelegte Überzeugungsrede, mit einer Reihe von Argumenten dieser Art: „„Medea wird deinen Sohn Achilleus heiraten‘‘
(V.814)
oder:
„Wir
Götter
alle haben
dich
durch
unsere
Anwesenheit bei deiner Hochzeit geehrt‘‘ (V.807). Heras Rede ist kaum Teil eines Gesprächs mit Thetis, denn die Angeredete erwidert nicht in einer Weise, die dem Inhalt der Rede entspräche, mit Zweifeln
oder Gegengründen,
zumal nicht mit solchen, die Peleus betreffen,
sondern mit einer knappen technischen Erklärung: „Wenn Feuer und Stürme wirklich aufhören, so könnte ich kühnlich behaupten, daß ich das Schiff retten werde. Doch muß ich Hilfe bei den Schwestern suchen ...‘ (V. 834 ff.). Heras Rede ist eine monologische Kund-
gebung
‘
das
für das
Publikum
des
Dichters,
Wesentliche
übergeht.
Die
Rede
nicht
enthält
für Thetis, die ja
viel
zuviel
an
rein
mythologischen Dingen, die zwischen zwei Göttinnen nicht am Platze
sind.1
Ὸ
Anders ist es in den Göttergesprächen der Ilias, etwa in dem zwi-
schen Hera und Zeus (4, 30 ff.). Forderung und Ablehnung werden da
ganz mit den Argumenten ausgestattet, die der Augenblick an die Hand gibt. Freilich gibt es auch hier Assoziationen, durch die sich
ja bei Apollonios die mythologische Belehrung in die Rede eindrängt.
Vor allem aber gibt es eine Art, sich ausführlich und vollklingend aus-
zudrücken, die einer feierlichen Rede vor großem Publikum entspricht.
Das ist der Stil der homerischen Rede (die ja niemals Reproduktion einer Wirklichkeit sein kann, sondern immer Lied bleiben muß). Ein Beispiel ist 4, 58 ff. Hera spricht: ı Klein a. O. S. 33. Faerber a. O. S. 90 vergleicht 2, 1208 ff., wo Argos die Argonauten über die Herkunft des kolchischen Drachens informiert. Dies aber müssen die Argonauten
wiıssen.
Mord an Apsyrtos, Begegnung zwischen „. .. auch
ich bin Göttin,
entstammt
dem
Peleus u. Thetis Geschlechte,
81
woher
Ich, die erhabenste Tochter, gezeugt vom verborgenen Zweifach erhöht, an Geburt, und weil ich deine Genossin
du,
Kronos,
Ward ernannt, der du mächtig im Kreis der Unsterblichen waltest. ...doch jetzo beschleunige Pallas Athene, Hinzugehn in der Troer und Danaer furchtbare Schlachtreihn, Daß sie versuch’, ob die Troer die siegesstolzen Achäer Etwa zuerst anfahn zu beleidigen, wider den Eidschwur‘“ (Übersetzung nach Voß). Gegenüber dieser natürlichen Rhetorik erscheint die Herarede bei Apollonios mit Sachlichem bis zum Bersten vollgestopft: „Laß
sie nicht hilflos in den Schlund
der Charybdis
geraten,
Laß sie auch nicht an der Höhle der grausigen Skylla vorbeiziehn, Skylla, Ausoniens Schrecken, die einst dem Phorkys die nächt’ge Hekategöttin gebar, die auch Krataiis genannt wird‘“ (V. 825 ff., Übersetzung nach Th. v. Scheffer).
In die Überzeugungsrede von Göttin zu Göttin eingeschlossene BeJehrung, sogar mit einer Namensvariante! Auch die homerischen Götter klären einander über Abstammung und Vorgeschichte auf. Aber wenn Athene gegenüber Zeus (Od. 1, 51 ff.) einige Worte über Kalypso sagt, Zeus umgekehrt über Polyphem, so ist da zunächst ein nicht unbedeutender gradueller Unterschied zu Apollonios: die Angaben bei Homer sind ungleich primitiver: „Eine Atlas’
Göttin bewohnt das waldumschattete Tochter, des allerforschenden, welcher
Eiland, des Meeres
Dunkle Tiefen kennt . . .‘ (Voß). Dann aber steht die Götterszene am Anfang des Epos, erklärt dem Hörer allmählich die Situation. Die Götter exponieren, geben an, welche Personen auf welchen Schauplätzen agieren. Man erkennt eine Notwendigkeit für die Erzählung. Im Gegensatz dazu steht bei Apollonios M
Χ
ZUM PRINZIP DER VARIATION: DIE STATIONEN DER REISE. ABFAHRT UND ANKUNFT ALS RAHMEN DER EPISODEN. DIE ABENTEUER BEI DEN KYANEEN UND DEN PLANKTEN In den Erzählungen des Odysseus erscheint die zwischen den Abenteuern liegende Seefahrt jeweils als die Summe derselben Elemente. Fahrtszenen
sind
sogenannte
„typische
Szenen‘‘,
zu
denen
immer
Formelverse gehören. Als Beispiel geben wir Stellen des neunten Buches an: (100-102-)103-104. = (177-)178-180 — 471472 — 561--564 Die Zahlen in Klammern bedeuten sinngemäß gleiche Verse. Viermal wird mit den gleichen Worten das Gleiche erzählt: wie die Gefährten
schnell
einsteigen,
an
den
Ruderbänken
niedersitzen,
zu
rudern beginnen.! Wir lesen vier sachlich gleiche Schilderungen; 68 waltet ein Prinzip der Identifikation: Vorgang erscheint in der Er-
zählung gleich Vorgang,
wenn
nur der Effekt und die funktionell
wichtigen Teile gleich sind. Das gilt auch für viele andere homerische
Schilderungen, für die Reaktionen auf Gesprochenes, für die Entschlüssey die eine Tat einleiten. Überall da sind Formelverse das Gerüst. Das Prinzip der Identifikation hätte nach unserer Vorstellung zu einer Art Abbreviatur der Erzählung führen können. Der home-
rische Gmndsatz‚' daß sich nichts in der Handlung von selbst versteht,
verursacht jedoch das Gegenteil: die späteren Fahrtschilderungen sind ungefähr so ausführlich wie die erste, jede beliebige reicht hiny
um die Technik des fikation ist also nicht Homer und seine Interesse auf, so oft
Fahrens zu verstehen. Der Erfolg der IdentiAbkürzungysondern vervielfachte epische Breite. Hörer nehmen einen Vorgang mit stets frischem er sich auch wiederholen mag. Damit wird die
Erzählung dem Geschehen sozusagen als Beobachterin synchron: sie setzt nicht Akzentey sondern gibt Wirklichkeit mit vollkommener ı Für das Folgende ist immer Mehmel, Apollonios, zu vergleichen.
Die Stationen
der
Reise
83
Treue und Leidenschaftslosigkeit. Auch dann wird alles für den Dichter Wirkliche,
Gesagtes
und
Getanes,
ohne
Auswahl
berichtet,
wenn
Plan und Ausführung, Tat und Bericht über die Tat in der Erzählung aufeinanderfolgen. Dann lesen wir zwei Stücke mit weitgehenden Ähnlichkeiten in der Formulierung. Denken wir nur an das zehnte Buch der Odyssee, wo der Dichter zunächst die Erlebnisse des Eurylochos auf seinem Erkundungsgang erzählt, dann aber mit der gleichen Ausführlichkeit den Bericht bnngt1 den Eurylochos den Gefährten über diesen Erkundungsgang erstattet, mit, wie zu erwarten, wörtlichen Kongruenzen (210-232 und 250-260).! Wie anders ist daneben das Verfahren unseres Dichters (vgl. das vorige Kapitel)! Für die homerischen Gedichte aber gibt es kaum eine Eigenschafty die charakteristischer wäre. Sicher beruht sie auf der Mündlichkeit der Überlieferung, auf der Praxis rhapsodischen Erzählens. Das Schiff bewegt sich durch Ruder und Segel, es liegt am Land an Ankerstein und Haltetauen. Wie jede Seefahrt im Wechselspiel von Rudern und Segeln besteht, so jedes Anlegen an Land im Zusammenwirken von Ankerstein und Tauen. Aber der-Diehter. berich-
tet diese Vorgänge keineswegs wie Homer bei jeder Gelegenheit mit gleichem Interesse, in den gleichen Formeln. Das homerische Verfahren weicht der Auswahl in bezug auf die technischen Details und der Variation in bezug auf den Ausdruck dafür. 1, 1152 gibt der Dichter einfach any daß die Helden
wegruderten,
während
er l, 910 das
Technische verhältnismäßig ausführlich beschreibt. Homer erscheinen die Abfahrtsschilderungen nur sinnvoll, wenn sie vollständig sind und nichts dem Hörer überlassen, wie ja auch die Gleichheit von IchErzählung und Er-Erzählung in der Eurylochosgeschichte alle Ansprüche an das Erinnerungsvermögen aufhebt. Demgegenüber macht . Apollonios seine Abfahrtsschilderungen verschieden ausführlich, so daß der Leser, der das Technische verstehen will, sich an die einzige ganz
ausgeführte Szene halten muß, die es gibt, die breite und mit reichen technischen und poetischen Details verzierte Schilderung der Abfahrt
von Pagasai (technische Details etwa 1, 363 ff. 519 559) Welches Gesetz
bestimmt_nun die verschiedene Ausführlichkeit der Szenen? In je einer Ausfahrt und einer Landung sind die technischen Schllderungen vollständig vorhanden, aber keineswegs in typischer Form,
ı Dieses sogenannte „Gesetz des doppelten Berichts‘‘ gehört zum Wesen der Volkspoesie. Vgl. M. Dibelius, Formgeschichte des Evangeliums, 2. Aufl., Tübingen 1933,
S. 23531 Anm.2. 6.
84
Zum
Prinzip
der
Variation
sondern ausgestattet mit besonderen Figuren, unverwechselbaren Lokalitäten, einmaligen Bedingungen des Windes und der See. Dieses Stellenpaar ist die erste Ausfahrt und die letzte Landung der ganzen Hinreise
(1, 363 ff. und
2, 1262 ff.).
Also
scheint
eine
Relation
zu
bestehen zwischen dem Volumen der Schilderung und der Emphase, die auf ihr ruht. Bei Homer gibt es ein Schema der Fahrty das sich ‘ von Abenteuer zu Abenteuer gleich bleibt. Bei Apollonios gibt es zwei Szene?{ ıin denen das Technische ; stehen an en Grenzen der Hinreise,
vollkommen
enthalten iıst. Sie
die bedeutungsvollste Abfahrt und die bedeutungsvollste Ankunft. Alle anderen Abfahrts- und Ankunftsschilderungen sind mehr oder minder gekürzt. In Buch 4 finden wir keine Szenen, die diesen beiden ähnlich sind. Die Abfahrt von Kolchis steht unter dem Zeichen des errungenen Sieges, der Akzent liegt auf dem Singulären, dem Erfolg des Unter-
nehmens:
„(Schluß
der Rede
Jasons) ‘. .. auf unsere Kraft
kommt
es an, ob Hellas Schmach oder ob es großen Ruhm ernten wird’. So sprach er und legte die kriegerische Rüstung an. Die Gefährten aber jauchzten voll göttlicher Begeisterung. Jason zog sein Schwert aus der Scheide und hieb die Haltetaue des Schiffes ab
...° (V. 204 ff.).
Das Ablegen vom Land ist weniger eine technisch notwendlge Handlung als ein Symbol für den ;leg Wir vergleichen die Abfahrt des Telemachos von Pylos. Homer erzählt des langen und breiten das Technische, alle Verrichtungen auf dem Schiff, das geraume Zeit im Hafen lag (Od. 15, 283-292). Auch die Heimreise des Telemachos könnte einen dynamischen Akzent tragen wie die Heimreise der Argonauten: Athene hatte Telemachos aufgeforderty, heimzufahren, und
ihm dabei die Bedrängnisse seiner Mutter (15, 15 ff.) und den Hinter-
halt der Freier (15, 27 ff.) vorausgesagt. Wenn auch die Göttin Hilfe gegen diesen Hinterhalt verspricht, so bedrängt der Gedanke an ihn gleichwohl den Abfahrenden. Aber von dieser Möglichkeit, seine Abfahrtsschilderung zu modifizieren, macht Homer keinen Gebrauch. Vielleicht schildert er das Technische deswegen so ausführlichy weil die Abfahrt bedeutungsvoll ist: Telemachos geht nach erfolgloser Suche nach dem Vater auf eine gefahrvolle Heimreise. Aber die Fülle des Technischen kann einen Hinweis auf das andere nicht ersetzen. Der Dichter kommt auf die Sorgen des Telemachos erst zu sprechen, als er nach einem Stück Fahrtschilderung den Schauplatz wechselt (V. 298):
„Da
lenkte er sein Schiff auf die spitzen
Inseln zu, beden-
kend, ob er wohl dem Tod entfliehen möchte oder ihn erleiden.‘‘ Das
Die
Stationen
der
Reise
85
ist kein Tribut an ein Interesse am Seelischen, es ist eine Notwendig-
keit für den Erzähler: wenn er zu einem anderen Schauplatz übergeht,
muß er zunächst das Geschehen auf dem früheren sozusagen in Permanenz erklären, damit er später daran anknüpfen kann. Während
Odysseus zu Eumaios spricht, sorgt sich Telemachos auf dem Meere.
Die letzte Landung des ganzen Epos, die in Pagasai, erscheint nur als der Schluß des äußerst knappen Ausblicks, in dem der Dichter am Ende
von
Buch
4, die
letzten
Schicksale
seiner
Helden
zusammen-
faßt: sie alle liegen schon nicht mehr in den Grenzen der ausführlichen
Erzählung.
Die technischen Schilderungen fallen also in der Haupt-
ı
sache in die ersten beiden Bücher, in denen Seefahrt und Steuermanns-
'
Ende dieses Kap.).
᾽
‘
kunst ja eine wichtige Rolle spielen (vgl. Kap. VI und VII, auch das : Wie steht es nun mit Landung und Abfahrt am Ende einer Episode? Zum Beispiel ist die Landung bei den Dolionen breit angelegt,
während die Abfahrt sehr knapp gefaßt ist, 1, 953 und 1151. Für die
Landung trifft nun das gleiche wie für die Szene im Hafen von Pagasai zu: das Typische, das stets gleichbleibende technische Detail ‚’
ist unlösbar
mit
Individuellem
verbunden.
Das
Atypische,
Indivi-
duelle trägt hier aber einen besonderen Charakter: es ist gelehrte Überlieferung. Vom Hafen ist nicht die Rede, weil ein Hafen zur
;
Landung gehört, sondern weil dieser bestimmte Hafen (die äußere Reede der Dolioneninsel) Ort eines Aitions ist (954) und obendrein
ein wichtiger Punkt in der verwickelten Topographie der Insel, von der für die übrigen Aitia viel abhängt. In Kapitel V haben wir darüber einige Beobachtungen angestellt. Genau so wenig wie vom Hafen .
wird vom Ankerstein aus technischem Interesse gesprochen; auch er ':ἳ gibt ein Aition ab. / Bei der endgültigen Abfahrt von der Insel (nach dem Sturm, der
nächtlichen
Schlacht
und
der Besteigung
des Dindymon,
1, 1151)
stellt der Dichter einfach das Faktum fest; es ist nicht weiter wichtig,
weder für die Mythologie noch für die weitere Handlung. Immerhin
fügt er einen individuellen Zug hinzu, den er später braucht: daß die
Helden die Insel mit Rudern verließen. Daran knüpft er einen Ruder-
wettstreit an, ohne den er seine nicht erzählen könnte. Darüber Umgekehrt wie hier ist das Episode. An der Ankunft ist nur
Version der Geschichte von Hylas vgl. Kap. III. Gewichtsverhältnis in der Lemnosinteressant/ daß sie stattfand; des-
wegen genügt 1, 608: „Mit Rudern kamen sie zum felsigen Lemnos.‘“
8ό
Zum
Prinzip
der
Variation
Dagegen hat die Abfahrt (V. 875 ff.) ganz anderes Gewicht, sie bringt den Helden ja die Trennung von den lemnischen Frauen. Stellvertretend vollziehen sie Jason und Hypsipyle in einem Redepaar. Um die seelische Bewegung gänzlich darzustellen, führt der Dichter das Faktische entsprechend
zum
Seelischen breiter aus: Jason
schreitet
als erster aufs Schiff, der Liebhaber der Königin und Führer des Zugs, die anderen Helden folgen ihm, setzen sich der Reihe nach nieder und ergreifen die Ruder, schließlich s?ß't Argos das Schiff vom Ufer weg. ‘Das alles, mag es auch eine typische Abfahrtsmanipulation scheinen, ‚trägt etwas Atypisches: den Stimmungsgehalt einer Scheidestunde, weil es das Gespräch zwischen Jason und Hypsipyle fortführt. Die allmähliche Verwirklichung der Trennung ist das handlungsmäßige Korrelat zu den Gefühlsbewegungen in den Reden von Jason und Hypsipyle. Je ausgewogener die Beziehung der Erwägung zur Tat ist, desto schöner ist die Szene geschlossen. * Der Rahmen der Lemnosepisode entspricht dem Rahmen der HylasEpisode (1, 1273 ff.), nur daß da die ausführliche Abfahrtsschilderung nicht abschließen, sondern weiterführen soll: wenn auf eine alltägliche Verrichtung eine plötzliche Überraschung folgt (in diesem Fall die Entdeckung des Verlustes von drei Gefährten), kann der Erzähler die Überraschung stark hervorheben, wenn er zuvor zeigt, wie gelassen und unbeschwert seine Helden das Alltägliche verrichten. Das bezweckt die ausführliche Abfahrtsschilderung. / Wir sehen: die Breite der Landungs- und Abfahrtsschilderungen ; wird bestimmt durch ihre Bedeutung für die Handlung oder für die ‘ Mythologie. Sie steht unter den individuellen Bedingungen der jeweiligen Szene und gilt nur für einmal. Dabei sind Abfahrt und Ankunft nicht derart aufeinander bezogen, daß bei der Abfahrt genau die Umkehrung der seemännischen Operationen berichtet wird, die die Landung ausmachen — wir können bei der Abfahrt vielmehr von Dingen hören, über die bei der Landung kein Wort fiel. Dann wird erst durch die nachfolgende Abfahrt der Vorgang der Landung erhellt. Beispielsweise hören wir erst bei der Abfahrt von Lemnos (1, 913) von
dem Felseny an dem die Helden die Haltetaue festgebunden hatten. In den Büchern ]l und 2 stehen zwei ausgeführte, sachlich vollständige Szenen einer größeren Anzahl von verkürzten, sachlich auswählenden Szenen gegenüber. Wenn bei Szenen in der Mitte dieser Büchergruppe die Ausführlichkeit von der jeweiligen Situation abhängt, bleibt andererseits bei den Randszenen ein Überschuß an Aus-
Die
Stationen
der
Reise
87
führlichkeit. Sie enthalten mehr sachliche Angaben, als die exponierteste Abfahrt verlangt. Dieser Überschuß besteht für sich selbst, also hat das technische Detail ein bestimmtes Recht für sich allein. Apollonios ahmt damit offenkundig Homers Gepflogenheit nach,
Partien mit technischen Angaben in die Erzählung einzustreuen. Denken wir nur an die Erwähnung spezieller technischer Vorgänge in der entsprechenden Seemannsterminologie innerhalb der großen ersten Abfahrtsszene! Was Homer anlangt, so zeigt der platonische Ion, in welchem Maße über sein Sachwissen diskutiert wurde.
Die Erzählung vom Kyaneenabenteuer antwortet vornehmlich auf die Frage, welche Schwierigkeiten die Durchfahrt für den Seemann
hat, auf die Frage nach den Bedrohnissen und den Maßnahmen, die
ihnen entgegenwirken sollen (2, 549 ff.). Die Überwindung der Kyaneen erscheint als Tat des Seemanns.
Schon die Weissagung
des Phineus
zeigt es: den Helden wird empfohlen, auf die eigene Kraft zu bauen, „ .. da viel mehr Hoffnung in der Kraft der Hände ruht als in from-
men Gebeten . . .‘.(2, 333). Später ruht wirklich alles auf dieser Kraft
der Helden. Um das zu zeigen, braucht der Dichter eine genaue Schilderung der Felsen — eine Schilderungy, die mehr will als über ein Stück Naturgeschichte belehren, die mit allen dichterischen Mitteln schildern
soll, wie das Urmächtige, Grausige, Bestürzende an den Kyaneen Stufe
um Stufe den Helden entgegentritt (vgl. Wilamowitz, Hellenistische
Dichtung II S. 204; Blumberg, Untersuchungen zur epischen Technik usw. S. 41). Diesen Stufen ordnen sich entsprechende Reaktionen der Helden zu: zuerst Verzagen, dann heldische Bereitschaft. Der Dichter
schildert zunächst Präludien: der Weg wird eng, von beiden Seiten
drängen sich rauhe Felsen in die Fahrtstraße (550), der Schaum der Wogen brodelt mächtig um das Schiff (551), aber die Helden fahren weiter, zwar in gewöhnlicher Ruderweise, jedoch voll Furcht (552). Dies ist das optische Präludium, nun folgt das akustische: das Getöse der aufeinanderschlagenden Felsen (554). Hier setzen die ersten Maßnahmen der Helden ein: Euphemos bereitet die Taubenprobe vor, und Tiphys steigert durch einen Aufruf die Kraft des Ruderns. Nun aber geht aus den Präludien das Thema hervor und aus den Vorbereitungen die eigentliche Tat. Durch die Taubenprobe veranschaulicht Apollonios,
wie gespannt alles ist: Euphemos tritt auf das Vorderdeck, die Taube in der Hand, jeden Augenblick bereit, sie loszusenden. Da biegen die Helden um die letzte Felsenecke, und vor ihnen liegen die Kyaneen (V. 559). d
88
Zum
Prinzip
der
Variation
Dies ist eine Stufenfolge von jeweils Schrecklicherem. Alles dient der Steigerung bis zur erlösenden Tat, deswegen wird der Naturvorgang so breit gezeichnet und jede Reaktion der Helden beachtet. Wenn das Epos in dieser Weise die äußeren Dinge den inneren zuordnet, dann wird der innere Verlauf gewöhnlich durch eine Reihe von Stimmungswörtern ausgedrückt, mit denen jede einzelne Reaktion isoliert, ohne Beziehung auf die vorhergehende und auf die nachfolgende, erfaßt wird. Es heißt nie: „,Und ihre Erregung steigerte sich . . .‘‘ Der Dichter überläßt es dem Leser, seine einzelnen Angaben so zusammenzufügen, daß sich die Steigerung und Auflösung eines anfänglichen Seelenzustandes ergibt. Er kann ihm das Crescendo nicht unmittelbar vor
Augen
halten;
das
tun,
hieße
die epischen
Stimmungswörter
nach
einem psychologischen Steigerungsbegriff kommentieren, sie vor- und zurückbeziehen. So bleibt es bei einer Reihe isolierter Angaben, einer Reihe von (wie wir sagen würden) Steigerungselementen, ohne daß ein Anstoß da ist, durch den sie sich zu einer Bewegung zusammenschließen könnten. Es fehlt der Begriff von seelischer Entwicklung. Zuerst ergreift die Helden Furcht, sodann, bei einem neuen Anlaß, wird ihr Mut
erschüttert, schließlich überkommt sie Zittern (575). Jede Reaktion steht für sich: eine Augenblicksstimmung der Seele, die auf einen Augenblicksvorgang erwidert. Dazu paßt, daß auch die Reaktion der Helden auf die Taubenprobe vollkommen isoliert steht, die doch nach Phineus das Einstimmen der Götter in den Plan der Helden gewährt: „ . . 8ie aber flog heil hinweg. Die Ruderer schrien laut. Tiphys rief zum
kräftigen
Rudern,
denn
die Felsen
öffneten sich. Aber
als die
Helden dahinfuhren, überkam sie ein thtern‚{ “ (V. 572 ff.). Aufschrei aus Zuversicht und Zittern aus Angst liegen nebeneinander, das eine
bezieht sich auf das Taubenwunder,
das andere
auf die sichtbare Ge-
fahr. Aber das eine beeinflußt nicht das andere: weder stellt die Zuversicht die Angst in ihren Schatten noch modifiziert die Angst die vorhergehende Zuversicht. Hätte der Dichter nicht jede einzelne Reaktion vollkommen unabhängig betrachtet, dann hätte die Freude darüber, daß die Taube unversehrt blieb, eine wie auch immer gerichtete Komponente in den späteren Reaktionen der Helden sein müssen: jede nach dem Taubenwunder liegende Reaktion wäre ein Weiterschreiten von dieser Freude aus gewesen, nicht einfach ein neuer isolierter Seelenzustand. Wenn es dem Dichter also nun auf die Seefahrer ankommt, auf ihre
Furcht und ihren desto größeren Heldenmut, wie steht es dann mit
Die
Stationen
der
Reise
89
dem Eingreifen Athenes? Obwohl die Göttin schon bereit steht (V. 537
war sie herbeigeeilt), kommt sie doch erst im letzten Augenblick zur Hilfe herbei (V. 598).! Bei diesem Eingreifen in letzter Minute verweilt
Apollonios kaum, wie er auch V. 537 ff. nicht so behandelt hat, als ob
sich darin ein für das Schicksal der Helden entscheidender Götterakt vorbereitete.
Es
heißt:
gesinnt den Fahrenden.
„Athene
...
eilte
herab
schnell stürmend
zum
Meer,
freundlich
setzte Athene
ihren
Fuß auf das Gestade.‘‘ Die Schnelligkeit Athenes vergleicht der Dichter mit der Schnelligkeit, die dem melancholischen, einsamen See-
fahrer in seinem
Denken, seinen Assoziationen eigen ist. Das ist die
überladene Nachahmung des Gleichnisses Il. 15, 80-83. Aber wenn dieses Überladene wenigstens irgendwie zum Ausdruck brächtejy daß
die Schnelligkeit wegen eines Vorhabens von großer Bedeutung da ist! ‘”
Der Bericht von Athenes Gang zum Meere erhält überhaupt nur durch den Vergleich Farbe — aber eine, die ihm nicht ansteht (vgl. Färber, Zur dichterischen Kunst usw., S. 17). Erst im letzten Augenblick leistet die Göttin Hilfe, als die Helden bereits höchste Anstrengungen vollbracht haben. Auf diese Anstrengungen kommt also etwas an. Obendrein vollzieht sich das Eingreifen der Göttin, wie gesagt, ohne erzählerische Ausschmückung.
Überhaupt wird, nachdem V. 597 ein
gewisser Höhepunkt des Erzählens überschritten ist, alles viel knapper, eigentlich summarisch erzählt. Auf vieles verzichtet der Dichter ganz,
so auf das Bild der Ruhe nach der Tat als eine Möglichkeit zu reizvollem Kontrast. Statt dessen erfahren wir von einem Aition, V. 604: die
Felsen
werden
fest, nachdem
sie einmal
überwunden
sind.
Der
Dichter erzählt breit, was ißhm am Herzen liegt: die Schwierigkeiten der Durchfahrt und ihre Überwindung. Er beachtet, wie oft, nur den Weg zum Ziel. Daß das Ziel erreicht ist, was seine Helden dann fühlen,
bemerkt er nebenbei.
Ganz anders erzählt der Dichter die Durchfahrt durch die Plankten.
‘Die Naturgeschichte der Felsen behandeln die Verse 4, 924-928. Was
dann über Hephäst gesagt wird, gibt zugleich den Ton der folgenden
Erzählung an: die (wir würden sagen: paradoxe) Gelassenheit, die wir
später deutlicher daran erkennen, daß sich der Blick des Dichters vom Gewaltigen zum Nebensächlichen, zur anmutigen Arabeske wendet.
Das kann man auch umkehren: der Dichter wählt einen gelassenen Er-
zählton aus Interesse am Abseitigen, nicht zum Geschehen Gehörenden.
ı Klein a. O. 23ff. 216ff.
"
(
90
Zum
Prinzip
der
Variation
Indem Hephäst seine Arbeit unterbricht, hebt er auch die Gefahren die der Durchfahrt sonst gedroht hätten, für die Dauer dieser Arbeitspause
auf: wie bezeichnend,
dem Nachwirken
daß die Helden, als sie ankommen,
nur
einer aufgehobenen Gefahr begegnen (V. 928/29):
„ .. und obwohl Hephäst von der Arbeit abließ, stieg noch vom Meer
der heiße Atem (seiner Essen) empor . . .‘‘ In der folgenden Erzählung
sind nun die Nymphen und nur die Nymphen wichtig. Vor allem: sie sind nicht etwa gleich in einer Gruppe zur Stelle, sondern müssen erst zusammenkommen, die eine von hier, die andere von da her (930). Aber
eine Vorbereitung wie diese ist voll von Ruhe und Gelassenheit. Thetis nimimt selbst am Steuerruder der Argo Platz. Läge nun der Blick auf dem, was die Argonauten betrifft, so gingen die Nymphen ohne Verzug an ihr Werk. Aber solche Eile ist in einem Bereich, in dem alles heiter
und anmutig zugeht, nicht am Platz. Zuerst umschwebt die Schar der Nymphen das Schiff eine Weile spielend, wie Delphine, zum Vergnügen der Seeleute (V. 933; bei Apollonios läßt sich ein Gleichnis vollkommen dechiffrieren,! also entspricht das Vergnügen der Seeleute über die — Delphine dem Vergnügen der Argonauten über die Nymphen). Heiterer Himmel, lieblich spielende Delphine in Scharen, Vergnügen der Schiffsleute — das ergibt eine ganz andere Stimmung als die Schilderung ım zweiten Buch.
Und nun der Augenblick des Handanlegens selbst! Die Nymphen schürzen die Gewänder bis zum weißen Knie (V. 940: für einen Augen-
blick schiebt sich ein liebliches Bild vor den Gedanken an den Hilfs-
akt), und dann: (6ovt” Evda xal Evda Sınatadbv AMHANGW. fOectaı (vom
Waffentanz
Od.
24, 69, vom
Tanz
der Nymphen
Il. 24,
216
u. ὅ.)
bedeutet schnelle Bewegung. Wie gehen nun die Nymphen vor? „Bald schwebten sie bergeshoch in der Luft, bald auch benetzte sie der unterste Grund des Meeres . . . Sie aber, wie Jungfrauen am sandreichen
Gestade, im hochgeschürztem Gewande, mit rundem
Balle spielen —
die eine nimmt ihn von der anderen und sendet ihn durch die Luft, so spielten sie sich das Schiff zu und sandten es hoch durch die Luft, immer fern von den Felsen .. .‘ (V. 945 ff.). Der Vergleich steht voran: durch die Zartheit seiner Motive reduziert er die fast kosmischen Aus-
maße des Schiffstransports zu anmutigen Bewegungen junger Mädchen. Dem Leser bleibt es überlassen, sich zu erklären, wie das Schiff durch
‚diese anmutigen Bewegungen
die Plankten überwand.
Im Gegensatz
ı Das Wesentliche der Vergleiche bei Apollonios ist ihre vollkommene Analogie zur Erzählung. Musterbeispiele bei Faerber a. O. S. 30.
Die
Stationen
der
Reise
91
hierzu erklärt ihm der Dichter im zweiten Buch genau jede einzelne Maßnahme der Helden, so daß der Sieg über die Natur begreifbar wird. Wie dort das Heldentum, so ist hier die Anmut der Nymphen d}fi Thema.}! Wenn nun liebreizende Nymphen das Schiff über die Gefahr wegbringen, kann der Leser das vernünftig finden? Muß er nicht ein Mißverhältnis zur Wahrscheinlichkeit darin finden? Gewiß, aber jedes groteske Mißverhältnis zwischen demy was die Personen vernünftigermaßen leisten können, und dem, was sie in der Dichtung tun, jedes arpocdöxnrtov,ist dem hellenistischen Dichter lieb. Verblüffung und gemessene Erheiterung sind ästhetische Werte. Man vergleiche den Hymnos des Kallimachos auf Delos: Leto, die gebären will, irrt umher
und sucht eine Stätte, wo sie ruhen kann. Zuerst auf dem Festland —
vergeblich, dann auf den Inseln — auch vergeblich. Aber schließlich
kommt sie nach Kos. Dort könnte sie Ruhe finden. Aber was hält sie
zurück? Die Stimme des ungeborenen Sohnes im Mutterleib (V. 162). Und warum? Weil Ptolemaios Philadelphos auf Kos geboren werden
wird! Auch
da besteht der Reiz des Erzählten
darin, daß es der Ver-
nunft nach nicht geschehen könnte. Die anmutige Rede vollzieht sich in der Form eines Naturwunders.?
Dadurch, daß Hephäst untätiger Zuschauer der Durchfahrt ist, entsteht in der himmlischen Szenerie eine Entsprechung zur irdischen. Die Erzählung steigert sich zum Abbild kosmischen Friedens. Hephäst gibt den Mann ab, der gelassen von der Arbeit ausruht, gelassen angesichts
dessen,y was die Nymphen mit der Argo beginnen! Anders Hera: sie ist
von Furcht erfüllt und legt in ihrer Angst den Arm um Athene (959). Aber diese Angst hat in dem irdischen Geschehen, wie es Apollonios schildert,
keine
Veranlassung,
zudem
kommt
sie hintegfig_él_}:
Heras
Angst wäre eigentlich nur möglich als Ausdruck einer irdischen Gefahr.
Aber eine solche Gefahr gibt es hier nicht, und so paßt das Bild von ı Lange glaubte man, in Pap. Genav. 97 das kallimacheische Gegenstück zur Schilderung des Apollonios zu haben. Pfeiffer edierte das Fragment als Nr. 5 in seiner Ausgabe von 1923, handelte darüber Kallimachosstudien 65ff. Vgl. weiter Wilamowitz, Hell. Dicht. II S. 174ff. Klein a. O. S. 254ff. widmet dem Problem einen Exkurs. Nun hat Pfeiffer, dem die Zuweisung an Kallimachos schon von Anfang an nicht ganz
sicher war, das Fragment dem Parthenios zugewiesen, Class. Quart. 37 (1943), S. 23ff. nach dem Zitat in der Ausgabe I 1949 S. 517. Für unsere These, daß Apollonios zu erzählen vermeidet, was er bereits ausführlich gestaltet vorfindet, hätte eine Parallel-
schilderung bei Kallimachos ein Problem bedeutet. 2 Man vergleiche die Bemerkungen F. Dornseiffs (Die archaische Mythenerzählung, 1933, S. 74 f.) über Kallimachos.
Ν
92
Zum
Prinzip
der
Variation
Hephäst ungleich besser als das von Hera. Man könnte zuspitzend formulieren: Hera hat Angst, daß die Göttinnen des Meeres die Gefahren des Meeres nicht überwinden. Bei Homer betrachten die Götter nicht schweigend das irdische Ge-
schehen, Kosmos,
erweitern es nicht durch ihre einfache Anwesenheit auf den da reden sie, entladen ihre Furcht und ihr Mitleid in Ent-
schlüsse.
Die
homerischen
Götter
sind
nicht
Komponenten
einer
Stimmung, sondernin allen Fällen Faktoren eines Geschehens. Im ganzen ergibt sich nun: Die beiden Durchfahrten legt der Dichter gänzlich verschieden an, soviel Gemeinsames er ihnen auch in den Stim-
mungen, ın der Naturgeschichte, in den Aktionen der Helden verleiht. Während entsprechend dem Charakter der ersten beiden Bücher bei den Kyaneen die seemännischen Aktionen hervortreten, herrscht bei der
Fahrt
durch
die
Plankten
das
Märchenhafte,
Wunderbare
vor.
| Während im ersten Fall die Götterhilfe im letzten Augenblick hinzukommt, als die Helden bereits das Äußerste geleistet haben, ist sie im
zweiten Fall von Anfang an da; die Helden können die Hände in den
Schoß legen. Daß die Helden passiv sind, entspricht dem Charakter des_ ; vierten Buches (vgl. Kap. VII). Die Verschiedenheit der Schilderungen
beruht auf dem Prinzip der Variation. In den zwei Szenen mit gleichem Thema darf nicht auch die Auswahl der Erzählungselemente, der Blickpunkt gleich sein.! Wir sehen also, daß das, was wir bei den Landungs-
und Abfahrtsschilderungen gefunden haben, in allgemeinerem Sinn gilt. ı Klein,
Philol. 86,
S. 219
betrachtet
freilich
die
Einfügung
der
Athene
in
das
Symplegadenabenteuer als einen Mißgriff, Das späte Eingreifen der Göttin sei unmotiviert. Wir glauben,. daß man es aus dem Charakter der Schilderung erklären muß in der die Anstrengung der Menschen gezeigt werden soll. Dem Urteil Kleins S. 22{ stimmen wir ohne weiteres zu: ‚.. . wenn
den Dichter eine Erwägung
geleitet hat, so
\ wird es die der Variatio gewesen sein: im zweiten Buch hatte er die Menschen im Kampf ‚ mit den Naturgewalten gezeigt, im vierten Buch zeigt er die Götter als Überwinder ; derselben.‘‘
ΧΙ
DAS
DRITTE
HELLENISTISCHES
BUCH:
EMPFINDEN
UND
EPISCHE
ERZÄHLUNGSFORM
Im dritten Buch der Argonautika, dem Buch von Jason und Medea,
offenbart sich eine Spannung
zwischen dem
Heroischen,
dem
durch
Homer und die Heldensage gegebenen Thema, und dem hellenistischen Interesse für das Genre und für die Psychologie der Liebe. Der Hellenismus hat die alten Mythen vielfach derart umgestaltet, daß statt des Heroischen das Erotische ihr Thema wurde,! und oft hat er die Helden
dieser Mythen aus der wunderbaren Urzeit in einen Alltag versetzty wie er ihn selbst erlebte. Bei Apollonios ist nun das Erotische und das‘ Genre keineswegs das eine Thema der vielen Episoden. Im Gegenteil,g
wo es erscheint, steht es gleichsam vor der heroischen Kulisse und soll;
mit
dieser zusammen
wirken.
Apollonios
wagte
es nochgj ein reines‘
Heldenepos zu schreiben, und sicher griff ihn die literarische Welt seinerzeit auch deswegen an. So wird das dritte Buch, das wir als eine einzige große Szene betrachten können,* zu einem besonderen Zeugnis der Schwierigkeiten, die in dem
Versuch liegen, hellenistische Emp-
findung mit Heroensage zu verbinden.
Denn zwischen zwei Haupt-
motiven muß der Dichter ausgleichen: der Liebe Medeas und den heldischen Aktionen Jasons. Diese Motive treten abwechselnd zueinander in das Verhältnis von Bedingung und Bedingtem. Zwar werden Medeas Entschlüsse durch Jason den Helden bestimmt, zwar ergreift jede Begegnung mit Jason Medea bis aufs äußerste, aber als der Sieg entschieden wird, steht Jason durch ihre Kunst gewappnet vor dem Gegner, die sie ihm wiederum nicht mitgeteilt hätte, wenn sie nicht durch ihn im Herzen getroffen worden wäre. So ist die Situation im menschlichen Bereich. Über dem menschli-
chen Bereich aber liegt der göttliche, den der Dichter uns hier zum
ı E. Rohde, Der griechische Roman, passım und Ph. E. L&grand, La po&sie Alexandrine, Paris 1924, S. 61 ff. ? Es hat einen
einheitlichen örtlichen und
führlich behandelte
zeitlichen Zusammenhang,
Reisestation (vgl. Sonnenburg,
Rhodios, Neue Jahrb. 33, 1909, S. 713).
Zur
Würdigung
ist eine aus-
des Apollonios
94
Das
Dritte
Buch
erstenmal weit öffnet. Die Frage ist: Wie greift das Göttliche in den menschlichen Bereich ein? Bestimmt es die Handlungen gänzlich, tritt sozusagen die Gottheit selbst, wie bei Homer, als Prinzip des Entschlusses auf ?! Doch auch damit sind wir noch nicht am Ende der Probleme. In
Frage steht auch, wie Apollonios die seelische Entwicklung behandelt, die Medea zu Jason führt, wie er die Schwergewichte über die Teil-
handlungen verteilt: was wird am wichtigsten genommen? Und gibt es einen Ausgleich für das, was dann an den Rand rückt? Auch der Vergleich der einen gänzlich entfalteten Szeney die wir in diesem Buch
besitzen,
mit
den
Szenen
der anderen
Bücheri
die mehr
oder
minder gerafft sind, bringt Probleme. Wir wollen zunächst die seelische
Entwicklung hervorgehen.
Medeas
betrachten,
daraus
werden
die anderen
Dinge
MEDEA
In der Odyssee entfaltet sich das Liebesmotiv für kurze Zeit in der
Begegnung Nausikaas mit Odysseus, zuerst am Strand, im sechsten Buch, und dann am Abend des ersten Tages bei den Phäaken im Palast
ı Die Handlung in den homerischen Gedichten ist stets vom Ratschluß der Götter gelenkt. Zu Anfang der Ilias sind die Troer überlegen; der Dichter sieht das als Ergebnis einer Beratung der Götter (1, 493 ff.). Was sich von dieser Grundposition aus weiter
entwickelt, ist ebenfalls von den Göttern vorher beschlossen (4, 1 ff., 8, 1 £., 13, 1 ff., 15, 1 ff., 20, 1 #£. Die Grammatiker haben durch ihre Bucheinteilung die Wichtigkeit
dieser Götterszenen hervorgehoben). Der Dichter der Odyssee sieht das Geschehen als Ergebnis der Lenkung einer Gottheit, nicht einer sozusagen kosmischen Gemeinschaft mit Göttern. Aber auch er leitet sein Gedicht mit einer großen Götterberatung ein; durch sie wird das Geschehen in Gang gebracht und Funktionen und Grenze der einzelnen in ihm beteiligten Kräfte bestimmt; Od. 5, 1 ff. ist einfach die Fortsetzung der Szene am Anfang (Wilamowitz, Die Heimkehr des Odysseus, Berlin 1927, S. 1). Bei Apollonios entwickelt sich die Handlung der ersten beiden Bücher im menschlchen Raum:
die Götter sehen bloß zu, wie bei der Ausfahrt, oder erscheinen von un-
gefähr, wie Apollon, und wenn sie wirklich eingreifen, wie bei dem Seesturm am Schluß ! des zweiten Buchs und bei den Kyaneen (vgl. S. 39 f. und 87 £f.), dann steht das Walten der Naturkräfte im Vordergrund. Warum aber steht zu Anfang des dritten Buchs eine Götterszene ? Weil im Gegensatz zu den vorhergehenden Büchern die menschlichen Möglichkeiten nicht annähernd ausreichens die gestellten Aufgaben zu bewältigen. Medea kann nur durch göttliche Hilfe. (will sagen: durch eine für die Menschen unverständliche Entwicklung) zur Helferin der Argonauten
werden.
Die
wie ein Wunder anmutet.
Götterszene
drückt
aus, daß
eine Hilfe kommen
wird,
die
Medea
95
des Alkinoos (7, 457 ff.). So knapp diese Szenen sind, so zauberhaft ist ihre Wirkung. Erfaßt nun Homer die Psychologie der Liebe?! Nach
der ersten, für
Nausikaa
und
die Mädchen
so schreckvollen
Begegnung war Odysseus beiseite gegangen und kehrt in der neuen Schönheit zurück, die ihm Athene verliehen hat:
„Und er ging ans Ufer des Meers und setzte sich nieder, Strahlend vor Schönheit und Reiz. Mit Staunen sah ihn die Jungfrau. Leise begann
(6, 236 ff.;
sie und
Übersetzung
sprach zu den schöngelockten nach Voß).
In
Gespielen. ...
der Rede, die folgt, bekennt
Nausikaa:
Würde mir doch ein Gemahl von solcher Bildung bescheret, Unter den Fürsten des Volkes, und gefiel es ihm selber zu bleiben! (244/45).2? Homer erfaßt die ganze Reaktion der Königstochter von
außen her, durch $n”eito (staunend sehen, V. 237), das er in der Art,
wie er auch sonst Reaktionen beschreibt, adversativ anschließt an daé‚
was die Reaktion hervorruft. Ein einziges Wort genügt also, um die folgende Rede Nausikaas zu motivieren. Π 6061 1δὲ ϑηεῖσϑαι eine einfache sichtbare Handlung, sozusagen auf der Oberfläche des Menschen
erfaßbar (vgl. S. 71). Die homerischen Menschen reagieren sichtbar auf
sichtbare Anlässe, entsprechend faßt der Dichter ihre Reaktionen als sichtbare „Gemütstätigkeiten‘‘ auf.? Jede Reaktion ist ein Tun. Das, was die Menschen Homers denken, hat in der Rede seinen Platz, nicht
etwa in einem psychologischen Bericht des Dichters. Wenn sie reden,
sind sie sozusagen sichtbar Denkende. Jeder Gedanke, jede seelische; Regung ist Aktion. Es gibt keine psycholgglschen Berichte. Die homerische Techmk, die Äußerungen der Seele in die Rede zu
verweisen, befolgt Apollonios fast durchweg. Wie Homer enthält er sich breiter Berichte über das Seelenleben seiner Helden. Seine Schilderungen sind, wie die homerischen, im allgemeinen verschlossen vor gleitenden Übergängen, sich widersprechenden, plötzlich einsetzenden und
ı Zum Liebesmotiv bei Homer und in den Argonautika Huber, Lebensschilderung usw. S. 76ff. Als Ergänzung ist wichtig, wie anders als Medea der Dichter die liebende Hypsipyle behandelt. Da spricht er keineswegs neue psychologische Einsichten aus, sondern verweilt ım Bereich epischen Konstatierens tatsächlicher Geschehnisse. Im Sinne seines Variationsprinzips kann die Liebe nicht zweimal Thema sein. Vgl. Heinze, Virgils epische Technik, 3. Aufl. S. 118.
2 Der Gedanke an die Hochzeit ist nicht das Ergebnis eines freien Spiels der mensch-
hchen Seele. Athene spricht ihn aus, als sie Nausikaa auffordert‚ am Strand ihre Wäsche zu waschen (6, 25 ff.). 3 Zur Auffassung des Menschen bei Homer vgl. B. Snell, Die Entdeckung des Geistes, 2. Aufl. Hamburg 1946, S. 15 ff., 22 ff. Arıstot. Poet. 1460a 6 ff.
96
Das
verebbenden
Reaktionen,
Dritte
Zuständen
Buch
der
Zerrissenheit
— schlechthin
allem, was über das einfache, sichtbare Reagieren hinausgeht.! Ein Beispiel: 4, 1068 ff. Nächtliche Szene zwischen Alkinoos und Arete. Die Königin versucht, den König davon zu überzeugeng; daß er den Argonauten helfen müsse. Nach ihrer Rede die Verse: ς ἔφατ᾽ ἀντομένη. τοῦ δὲ φρένες ἰαίνοντο. .. Der König entgegnet mit Einwänden, doch wohlwollend. Nach seiner Rede: ὧς ἄρ᾽ ἔφη. καὶ τὸν μὲν ἐπισχεδὸν εὔνασεν ὕπνος. ἢ δ᾽ ἔπος &v ϑυμῷ πυχκινὸν βάλετ᾽, αὐτίκα δ᾽ ὦρτο...
Es folgt, was die Königin tut. Auch hier wieder das Sichtbare in knappster Form, das, was sich ohne weiteres auffassen läßt. Auf die Rede schläft der König „sogleich‘‘ (V. 1110) ein. Das ist die Reaktion auf einen Überzeugungsversuch! Auch 1, 697 (die alte Polyxo überzeugt die Lemnierinnen) wird in dieser Weise punktuell erzählt. Wir vergleichen Homer, Od. 16, 364 ff.: Antinoos versucht, die Freier davon zu überzeugen, daß man nach dem Mißlingen des Überfalls auf Telemachos etwas Neues versuchen müsse. Darauf schweigen die Freier, sie lassen also eine augenfällige Reaktion vermissen. Aber beim Schweigen bleibt es nicht, sondern Amphinomos redet gegen den Vorschlag des Antinoos. Wir stellen uns die seelische Bewegung, die der Handlung zugrunde liegt, so vor: die Freier lehnen den Vorschlag des Antinoos ab,* weil er ihnen ein Unrecht zu sein scheint. In ihnen regt sich eine Art moralischer Abwehr, und der, in dessen redlichem Herzen
das Gefühl für das Unrecht am lebendigsten ist, macht sich zu ihrem Sprecher. Aber was berichtet Homer? „Amphinomos sprach, ... er aber gefiel Penelope (früher) in seinen Reden am besten, denn er war rechten Sinnes‘* (16, 394 ff.). Statt der Beschreibung eines seelischen Vorgangs erscheint das Urteily das Penelope über Amphinomos fällt. Durch dieses Urteil wird sein Charakter festgelegt, seine jetzige besonnene Rede erklärt. Es wird nicht gesagt: „Er dachte in der und der Weise
. . .‘“, sondern:
„Penelope
hat von ihm
einen
derartigen
Ein-
ı Vgl. S. Erasmus, Zur Darstellung psychischer Vorgänge, Würzburger Jahrbücher 3 (1948) S. 275 ff., besonders 278-80. ? Das tun sie eben, indem sie schweigen. Homer erfaßt ihr Denken deshalb nicht, weil es sich nicht sichtbar äußert. Wie wir sehen werden, behandelt Apollonios Medea ganz anders; aber innerhalb der Hinreise verwendet er das Schweigen im homerischen Sinn 2, 408-10 (Faerber a. O. S. 103).
Medea
97
druck, und jetzt handelt er entsprechend‘. Nach der Rede des Amphinomos verwandelt sich das Schweigen in Zustimmung. Nachdem auf die erste Rede überhaupt keine Reaktion der Zuhörer zu beobachten war (wir würden sagen: sie hatten Bedenken), beobachtet der Dichter jetzt das Folgende: „Also sprach er, und allen gefiel Amphinomos’ Rede. Schnell erhoben sie sich und gingen . . .“
(V. 406/07). Erst was sich den Sinnen äußert, kann Homer wieder
erzählen.
Selbst an Stellen, wo Apollonios sein neues Empfinden vortragen will, verläßt er nicht den Umkreis homerischer Psychologie. Er sucht andere Möglichkeiten für eine Wirkung in seinem neuen Sinn. An der Sthenelosgeschichte des zweiten Buchs sahen wir, wie der Dichter eine sichtbare Erscheinung zum Träger einer Stimmung zu machen versteht (S.47ff.). Die Helden, die die Erscheinung sehen, rea-
gieren aber nicht ausführlich auf ihren Stimmungsgehalt. Der Dichter
erzählt nicht: „„Den Helden kam bei diesem Anblick
der schmerzliche
Gedanke an die Vergänglichkeit der Dinge und das Dunkel des Hades‘‘, sondern er läßt seine Personen durchaus nach homerischer Weise einfach und punktuell reagieren: ‚,. . . er tauchte wieder ins große Dunkel. Die Helden aber sahen es und erstaunten . . .‘ (V. 921 f.). Das; was
der Dichter selbst empfindet, aber um der epischen Aussageform willen nicht durch seine Helden sagen will, überträgt er in das Bild. Wie verhält er sich nun bei Medea? Der Anfang des dritten Buches schließt sich an die homerische Schilderung in Od. 7, 14 ff. an: die Göttin schickt verhüllenden Nebel,! die Helden gelangen unbeobachtet durch die Stadt bis zum Palast und verweilen dort bewundernd. Das gibt beiden Dichtern Anlaß zu einer Beschreibung des Palastes, der spätere entlehnt die Elemente
dafür bei dem
früheren (Od. 7, 82 ff., vermehrt
um
einen
Zug aus der Kalypsogeschichte, Od. 5, 70; vgl. Gillies, Kommentar zu 3, 229). So konventionell die Behandlung der Szenerie ist, so un-
konventionell behandelt Apollonios das erste Zusammentreffen zwischen Jason und Aietes. Bei Homer verläuft die Handlung streng einlinig: Odysseus betritt den Palast und trifft dort sofort die ganze Hofgesellschaft mitsamt König und Königin. Wir finden keine Überleitung, keine Vorzimmergespräche, keine Szenen, die das Hofleben erfassen sollen,
alles
ı Sonnenburg 7
MHändel
liegt
unmittelbar
a. O. S. 720.
aneinander,
entsprechend
dem
kon-
98
Das Dritte Buch
zentrierten Erzählerinteresse Homers. Man könnte sagen: so wie die Anfügung unmittelbar ist, so gilt das Interesse unmittelbar dem Hauptgeschehen: deswegen eine große Linie der Erzählung. Bei Apollonios werden neben dem Ergebnis die Vorbereitungen wichtig, er wiM zeigen, was alles geschehen mußy bis das Gespräch zwischen dem Ankömmling und dem König zustande kommen kann —- während Homer mit einem Schritt auf dieses Gespräch zugeht. Daher finden wir bei Apollonios (V. 248 ff.) einzelne Stufen der Begegnung, die von verschiedener Wichtigkeit für die Ankommenden sind, und wir finden Zufälle, die von dem Vorwissen des Lesers aus, das von der Götterszene am Anfang des dritten Buchs herrührt, einen besonderen
Reiz erhalten. Während
die Argonauten noch verharren und die Bauten bewundern, erscheint Medea.
Der
Dichter
ordnet
dies in den
Plan
der
Hera
ein:
„Sonst
pflegt sich Medea während des ganzen Tages im Hekateheiligtum aufzuhalten, nur heute hat die Göttin sie im Hause zurückgehalten.‘ Medea geht über den Hof/ um ihre Schwester zu besuchen. Als sie die Ankömmlinge sieht, stößt sie einen Schrei aus. Er gilt natürlich den Söhnen ihrer Schwester und den Fremden insgesamt, aber der Dichter Jäßt den Leser bei ihm auch schon durch ihn das spätere Verhältnis Medeas zu Jason ahnen. Medeas Reaktion ist eine Art Vorzeichen. Auf den Schrei hin eilt Chalkiope, die Mutter des Argos, rasch herbei, und
die Dienerinnen werfen ihre Arbeit eilends vor sich auf den Boden und laufen auf den Hof. Ein lebendiges Bild, das nur etwas Vorläufiges, eine Zwischenstufe vor dem Hauptgeschehnis darstellt. Denken wir an die Begegnung von Odysseus und Kirke (vgl. auch S. 119 ff.). Da soll das vorhergehende Zusammentreffen von Eurylochos und Kirke die _ Hauptentwicklung keineswegs in anziehender Weise unterbrechen und verzieren. Die Märchenwelt, die Tiere, Kirke selbst erscheinen in ihm
gleichsam als Komponenten der späteren Siegestat des Odysseus. Der Bezug zum Folgenden ist direkt. Bei Apollonios ist es gerade umgekehrt:
er erzählt nicht mehr direkt, einlinig, im Hinblick auf einen einzigen
Gedanken. Seine Ankunftsszene mit ihren Stufen soll nicht in erster Linie das Gespräch mit Aietes motivieren, sondern erzählen, in wieviel reizvollen Einzelereignissen eine Ankunft bestehen kann, einen Alltagsverlauf schildern, den zwar die Argonauten erleben, den aber jeder andere ebensogut erleben könnte. Die Tendenz dieser Szene (wie aller Szenen bei Apollonios) geht im Gegensatz zu Homer auf Abseitiges,
; Einzelheiten, Genre. Wir erinnern uns dessen,
Thema
was wir über das große
des Epos in seiner Beziehung zu der Vielfalt der einzelnen
Medea
99
Szenen gesagt haben (Kap. VIII). Auch im dritten Buch verläßt der Dichter also sein Hauptthema, um die Kleinmalerei _ zu pflegen.
Die Rede der Chalkiope V. 260 ff. enthält im Kern, was jede Mutter in der Freude über ein unverhofftes Wiedersehen mit ihren Kindern ausrufen könnte. Auch sie gehört zum kleinsten Teil zum Argonautenthema, weit mehr in die Reihe der Detailschilderungen aus dem wirklichen Leben. Entsprechend den epischen Möglichkeiten muß der Ausdruck der seelischen Regungen unzulänglich bleiben: der Dichter kann Elemente seelischer Regung nur aneinanderfügen, nicht mischen.! „Sie
hielt ihre
kömmlinge
Hände
vor
Freude
in die
Höhe. AL£
auch
die An-
grüßten die Mutter herzlich und voll Freude. Aber sie
sprach klagend solches Wort .. .‘“ (V. 257 ff.). Freude und Klage er-
scheinen hier als aufeinanderfolgende Gefühle. Wir würden denken, daß Chalkiope nicht zweierlei nacheinander empfindet, sondern ein einziges zwischen Freude und Betrübnis schwebendes Gefühl, ein komplexes Gefühl. Erst die folgende Rede erlaubt, die seelischen Bewegungen zu nuancieren. Apollonios achtet auf das Kleinste: er sagt, wie unvertraut die Mutter mit einem Unternehmen ist,das nach Hellas führt: „Wozu wohl kämt ihr nach Orchomenos, was immer dies
Orchomenos sein mag . . .?“ (V. 265). Nun endlich, nachdem Chalkiope
sich ausgesprochen hat, erscheint das Königspaar. Damit ist die letzte Stufe der Ankunftsszene
erreicht, aber noch ist alles vorläufig: „Der
Hof ward erfüllt von Lärm. Alle waren emsig.tätig, die Ankömmlinge
im Dienste des Königs zu bewirten.‘“ Aietes veranlaßt zunächst nur
das Übliche zum Empfang der Fremden. Auf die Hauptsache muß der Leser weiter warten. Mitten in diesem vorbereitenden Geschehen er-
scheint nun Eros auf dem Plan, die Pause im irdischen Tun ist die rechte Zeit für den Gott.? Er schießt seinen Pfeil auf Medea ab, und ı Das Muster
‘Misch-Gefühl?
für solche
entspricht,
aneinandergefügte
ist
Hom.
Il. 6, 484
Elemente, δακρυόεν
denen
in Wirklichkeit
yeldoxox,
ein
„weinenderweise
lächelnd‘*. Zwei sichtbare Regungen werden einfach nebeneinandergestellt: die Tränen
in den Augen und das Lächeln des Mundes. Bei Apollonios ist die Formulierung freilich nicht von solcher homerischer Prägnanz. 2 Über seine Funktion Sonnenburg, Berl. Phil. Wochenschr.
51 (1931) Sp. 1239 (in
der Rezension der Arbeit von Klein): „Selbst eine so individuell charakterisierte Gott-
heit wie Eros ım Eingang des dritten Buches ist ihm . . . so wenig Persönlichkeit, daß
er unbedenklich den Plural
Z&pwrteg
als wirkende Ursache sogar in unmittelbarem
Zusammenhang (3, 452) und sonst (Gillies zu 3, 452) gebraucht.‘“ Im weiteren Verlauf der Erzählung entfaltet sich das freie Spiel der Empfindung in einem von göttlichen Wirkungen ganz freien Raum: in diesem hat nur der Begriff £p«c, nicht die göttliche Person Platz. 7.
100
Das
Dritte
Buch
nun zum erstenmal erhalten wir einen ausführlichen Reaktionsbericht (V. 287-298), der nicht nur eine optisch oder akustisch erfaßbare Regung konstatiertgsondern die Einzelheiten dieser Regung aufsucht. Der eine Eindruck: „Der Liebespfeil hat gewirkt‘‘ wird aufgelöst in eine Mehrzahl von Phänomenen, von denen nur ein Teil mit den Sinnen
unmittelbar aufzufassen ist. Man kann von außen sehen, daß Medeas
Augen auf Jason festgeheftet sind (V. 287), aber daß ihre Gedanken nun gänzlich Jason gelten, und gar, daß ihr Herz mehr und mehr vom Gott Eros erfüllt wird, weiß man aus der Beobachtung der Seele. Sie ist die Grundlage des Reaktionsberichtes. Wie wichtig ist, daß Apollonios
hler über die Seele unmittelbar berichtet, während er sonst den Leser
“ allenfalls durch die Stimmung seiner Erzählung zur seelischen Lage der Helden hinführt! Man sieht leicht ein, daß der Unterschied grundlegend ist: Stimmungen liegen in jeder erzählbaren Geschichte verborgen,
der Leser muß
sie entdecken,
während
die Beschreibung
der
seelischen Vorgänge dem Epos geradezu eine neue _ Dimension des Geschehens erschließt. a Apollonios verrät, daß er von den eigenen Gesetzen .dieser neuen Dimension
weiß,
wenn
er vom
Wachsen,
Sich-Entwickeln
der Emp-
findung bei Medea spricht (V. 291 ff.). Das geschieht durch den Vergleich mit dem Feuer, das wider den Willen dessen wächsty der es angezündet hat. Daß Liebe sich entwickelt, kann der Dichter nur durch
eine Analogie aus dem Sichtbaren aussagen, durch das bewährte epische Mittel des Vergleichs. Das sichtbare Geschehen ist geradezu eine Allegorie des seelischen, als episches Verständigungsmittel für einen so unepischen Gegenstand nicht entbehrlich.! ı Wenn man den Vergleich auf seine Aussagekraft prüft, wird man das Urteil Kleins (a. O. S. 224) revidieren: „Die griechische Dichtung hat nie, auch die hellenistische nicht, von einem Anwachsen und Aufkeimen der Leidenschaft gesprochen.‘‘ Bei Homer (Il. 14, 294) und Theokrit (2, 81; 3, 42) wird die Reaktion gemäß der epischen Auffassung als ein punktueller Akt geschildert. Apollonios denkt nicht nur darans daß eine seelische Entwicklung stattfindet, indem er eine Pause in seiner Handlung ausspart, sondern er gibt auch an/ was sich entwickelt — durch den Vergleich., Wenn der Dichter eine Pause in der Handlung ausspart, empfindet der Leser, daß etwas für die Sinne nicht Erfaßbares vor sich geht. Vorbildlich für eine solche Er-
zählungsform: Il. 9, 695; 17, 695, Od. 4, 704. Bei Apollonios finden wir sie 2, 409; 3, 504. Aber Jasons Reaktxon auf Aletes Vorschlag 3, 422 (vgl. S. 102) wird
anders erzählt. Zwischen Anlaß und Reaktion schiebt sich das Schwanken. Dann erst folgt mit der Formel „spät aber antwortend ...‘ V. 426 die Replik auf den Vorschlag. Ähnlich verfährt der Dichter, aber mit stärkerem Nachdruck, bezüglich Medeas 3, 681 ff., 1011 , Theokrit (2, 138) verwandelt durch Beifügung eines Substan-
tives im altepischen Reaktionsschema das optisch sichtbare punktuelle Reagieren in
101
Mit 299 ff. dominiert das Argonautenthema in dem großen Gespräch zwischen Aietes und den Ankömmlingen. Medea nimmt nur durch ihre Blicke teil. Der Schreiy mit dem sie die Ankömmlinge bemerkte, galt wenn nicht den Söhnen der Schwester, so doch der ganzen für sie un-
-
Medea
gegliederten Gruppe von Fremden. Ihr Blick gilt nur noch Jason.
Vor allem kommt in diesem Gespräch (V. 304—438) das Heroische,
Großlinige,und in diesem Sinne echt Epische zum Ausdruck. Die Kate-
gorien,in denen die Partner denken und reden, sind ganz die heroischen. Der
König vermutet,
daß Jason gekommen
sei, um ihn zu stürzen
(V. 375), Jason widerlegt ihn und macht statt dessen. ein Anerbieten: er will für den König einen &d)oc übernehmen. Die. Reaktionsschilde-
rung V. 396 ff. ist homerisch: „„Er (Jason) sprach dies schmeichelnd mit
liebenswürdiger Stimme. Aber dessen Sinn (des Königs) erwog in der Brust doppelten Entschluß, ob er sie (die Ankömmlinge) sofort nieder-
strecken oder erst ihre Kraft erproben sollte. Dies schien ihm besser ...“ (vgl. z. B. Ilias 1, 189; 14, 20).
Welcher
Unterschied
zwischen
dieser
Psychologie und der eben erläuterten! Ein Entschluß ist genau ge-
nommen
keine seelische Bewegung:
der Mensch sieht diese und jene
Möglichkeit (seine Sicht kongruiert mit den wirklichen Verhältnissen,
wichtig ist njeht die Funktion des Einsehens, sondern das Objekt), und eine erscheint ihm besser. Bei Homer ist eine Entscheidung punktuell,
entwicklungslos. Denn es ist kein Platz für eine Entwicklung, wenn der Dichter nur Möglichkeiten und Resultate notiert.! Das ganze weitere Geschehen hängt daranı daß der König es nicht
ehrlich meint, daß er die Helden zwar scheinbar befriedigen, in Wirklichkeit aber verderben will. Bezeichnend; daß alles das in dem einen
Wort üroß\önv steckt,* das die Tonart der folgenden Rede des Königs angibt. Dieses eine Wort steht also als Abbreviatur für einen seelischen Vorgang, der für das Künftige von größter Bedeutung ist. Die Rede des Königs V. 401 ff. entspricht dem heroischen Ton Jasons genau: eine reipa soll stattfinden, der König erklärt seine Bereitschaft, dann nachzugeben. Die Reaktion Jasons (V. 422 ff.) ist schon
mit einer gewissen Breite ausgestaltet. Hätte aber nicht Jason, sich
wie
Aietes
gleichsam
punktuell
entschließend,
sogleich
annehmen
ein progressives, in der Seele sich vollziehendes. Kallimachos dämpft das Unmittelbare der epischen Erzählweise durch Zwischenschaltung eines Bildes (Hymn. in Dian. 26 ff.). Apollonios allein sagt etwas unmittelbar Begreifbares über die Seele aus. ı Snell, Die Entdeckung des Geistes, S. 99. 2 Vgl. Huber a. O. S. 3. Dort heißt das Wort am Anfang der Rede, das so wichtig für ıhr Verständnis ist, „Regieanweisung‘“‘.
|
102
Das
Dritte
Buch
können? Oder mußte die Schwere der Aufgabe und die Größe seines
Heldentums heraustreten? Jasons Reaktion reicht schon in den Bereich Medeas
hinein. Je wesentlicher die
Rolle Medeas
ist, desto unbedeu-
tender wird Jasons Heldentum. Deswegen müssen seine Entschlüsse in
ein besonderes Licht rücken, muß das, was er tut, glänzender sein als dasy/ was die anderen tun. So wird der Entschluß Jasons auch tech-
nisch ganz anders behandelt als der des Aietes (obgleich dieser vielleicht psychologisch der interessantere wäre!). Aber nicht nur die Gefährdung von Jasons
Heldentum mußte der Dichter berücksichtigen.
«-----ο —— .
.
Da Jason Mittelpunkt von Medeas Seele werden soll, ihre Seele aber (wie wir schon wissen) ein vornehmes Thema des Dichters ist, verdient er auch als Partner Medeas (dies im psychologischen Sinn) besondere Beachtung um des Gleichgewichtes in der Erzählung willen. In dieser großen Szene entscheidet der Mensch nicht aus göttlicher Eingebungs sondern aus eigener Kraft. Er braucht Zeit, bis er sich durchgerungen hat, und sieht lange keinen Ausweg (V. 424; bezeichnend, daß der Dichter nicht sagt: „Aber endlich rang er sich durch usw.‘, sondern das Schwergewicht in eine Rede legt und nur V. 426 den Ton dieser Rede angibt). Die Lage fordert das Äußerste, was ein Mensch überhaupt leisten kann, aber nur von Jason; denn der &9)0c, den Pelias auferlegt, betrifft nur ihn. Auch für Odysseus ist es eine gewaltige Aufgabe, seinen Palast von den Freiern zu säubern. Aber er wird auf sie vorbereitet, eingeweiht in das, was ihn erwartet, sogar über das Verhalten seiner Gattin aufgeklärt — durch die Göttin Athene (Od. 13, 187 ff., besonders 375 ff.). Und
als Telemachos
zum
Gehöft des Sauhirten kommt,
erscheint die
——
Göttin zu einem klärenden Wort in dem Augenblick, da es für den Vater geboten scheint, sich dem Sohn zu offenbaren (Od. 16, 167 ff.). Der Mensch hat einen Bundesgenossen. Nun fehlt zwar auch Jason die Hilfe der Götter nicht: Hera und Athene haben den Erosknaben zur Erde gesandt. Aber welcher Unterschied besteht doch zwischen Eros’ Eingreifen und dem Erscheinen Athenes in der Odyssee! Athene redet, gibt unmittelbare Gewißheit. Eros wirkt unbemerkt, läßt sein ‚ Tun erst lange danach offenbar werden. Die Götter sollen ja nichts vor‘ wegnehmen, sollen nicht die Ungewißheit des Zukünftigen in Gewißheit verwandeln! Die Entwicklung der Liebe soll eine echt menschliche Entwicklung sein, bei der keiner des anderen sicher ist. Aus diesem Grunde erscheint nicht eine Gottheit, die die Zukunft durch ihr offen-
barendes Wort festlegt, sondern Eros, die Verkörperung einer wirken-
Medea
den
Kraft; deswegen wird
103
der göttliche Entschluß auf Erden nicht
offenbart, sondern nur seine Verwirklichung eingeleitet. soll zwar
begreifen, daß
diese
Liebe
unverrückbarer
Götter ist, aber er soll auch sehen‚ daß mit dem
_IAI
Der Leser
Beschluß
der
Schuß des Eros eine
menschliche Entwicklung beginnt, deren Ausgang noch durchaus offen ist, man kann vom poetischen Standpunkt aus auch sagen: daß der Dichter ein Motiv für Medeas Liebe braucht, das nach epischer Tradition hmrelcht/ die Umwälzung des dritten Buchs hervorzurufen, und an dem kein Kritiker rütteln kann— das sind die göttlichen Einwirkungen. Vergleichen wir damit wiederum die Odyssee. Harrt Odysseus auf ein Zeichen des Schicksals, erleidet er die Ängste des Preisgegebenen? In dem Augenblick, da er den Heimatboden betritt, weiß er, daß Athene für den Erfolg seines (man kann genau 8so sagen: ihres) Plans einsteht.! Die Spannung des Lesers ist in beiden Epen genau gleich (wie ja überhaupt im Mythos keine Spannung in unserem Sinne ent-
steht, weil der Ausgang der Geschichte festliegt). Aber der Leser des
Apollonios sieht“/ daß Menschen ihrem Schicksal preisgegeben sind, ohne
es zu kennen, wie er selbst. Daher vor allem rührt der Reiz des
dritten Buchs, daß Medea und Jason nicht wissen, sondern ein Spielball quälender Unsicherheit sind. Als nun die Helden den Königshof verlassen, um zum Schiff zurückzukehren,
hören
wir
zum
drittenmal
von
Medeas
seelischen
Re-
gungen. Der Beginn ihrer Rede läßt auf sich warten, wir verfolgen ihr Denken
(V. 444;
durch
das
Enjambement
soll verdeutlicht
werden,
wie Aktion und Reaktion ineinandergreifen).2 Nach der Form ist die
Schilderung ihrer Gedanken eine vielfach erweiterte, selbständig gewordene Stimmungsangabe: während Homer ein paar Worte genügen, beschreibt Apollonios bis ins einzelne die Gemütsvorgänge, aus
denen die Rede entspringt (am Ende gelangt er dann zur homerischen
Formel, V. 463). Ebenso könnte man die musikalischen Siglen, dynamische, Tempo-, Tonartzeichen, durch ein ausführliches Präskript ergänzen. In der Rede Medeas stoßen gegensätzliche Wünsche und Empfindungen
aufeinander: „„Warum quält mich Arme
solche Pein?
Mag er nun der beste oder der schlechteste aller Helden sein - gehen
ı Interessant ist der Unterschied zur Telemachie. Während Odysseus eine Aufgabe vollbringen soll, soll Telemachos einer Lebensform entgegenreifen. Reifen ist nur mög-
lichs wenn der Held seinen Weg selber findet. Deswegen tritt Telemachos am Eingang
der Odyssee so wacker auf in dem Glauben, daß sein Vater tot ist, ohne die Sicherung
durch göttliche Offenbarung.
/
3 Zum Ausdrucksgehalt des Enjambements Faerber a. O. S. 64.
_
\
_
f
104
Das
Dritte
Buch
soll er! Oh, möchte er doch heil entkommen!“ Es folgt ein Gebet an Hekate, Jason möge heimkehren. „Wenn es ihm aber zu sterben bestimmt ist‘, so bittet Medea weiter, „‚soll er wissen, daß es nicht mir
zur Freude geschieht‘“‘.
Während Medea sich quält, geht Argos mit Jason und den Gefährten
zurück zum Schiff (typisch homerisch das Resümee V.471
„„.. .80 zer-
quälte Medea sich. Die aber, als sie aus der Stadt gegangen waren. . .‘‘). Unterwegs spricht Argos von der Möglichkeit, Medeas Hilfe zu gewinnen (V. 475 ff.), aber ohne ihren Namen
zu nennen. Alles ist zu-
nächst unbestimmt, der Vorschlag geschieht mit dem Vorbehalt, daß Chalkiope dem Unternehmen nicht geneigt sein könnte — auch Jason, meint Argos, sei vielleicht nicht einverstanden. Argos trägt seinen Vorschlag beiläufig vor, an ein früheres Gespräch mit Jason anknüpfend: „Ich habe dir doch schon erzählt von einem Mädchen
. . .° Jason ant-
wortet im Ton eines wenn auch verzweifelten, so doch seines Mannestums bewußten Helden (V. 485 ff.). Dann trifft er wieder mit seiner Mannschaft zusammen.! Die Aufnahme des Berichtes, den er den Ge-
fährten gibt, ist geteilt; Peleus ist mit einigen weiteren zur Gefolgschaft bereit, der Rest schweigt. Dieses Schweigen (im homerischen Sinn das Fehlen eines gemeinsamen Entschlusses) veranlaßt Argoss/ wieder auf seinen Plan zurückzukommen. Warum sagt Jason den Gefährten kein Wort davon? Aus dem gleichen Grund, aus dem er sich bei der Antwort an Argos zurückgehalten hat: weil er nur daran dachtey seine Aufgabe wie ein Mann geradeswegs zu erfüllen. Von der
——
a a n
| dichterischen
Technik
aus
betrachtet,
ist also
Argos
wichtigy/
um
zwischen dem heroischen Verhalten der Helden, das nicht angetastet werden darf, und der Liebe Medeas auszugleichen. Wenn Argos an Medea erinnert, sie empfiehlt, mit ihr verhandelt, geraten die Helden
; nicht in den Verdachtgy feige zu sein.
—
In diesem Augenblick erscheint ein Vogelzeichen (V. 540). Mopsos erinnert kraft seines Amtes an die Weissagung des Phineus, Kypris werde den Helden helfen, und räty die Jungfrau (deren Name immer noch nicht bekannt ist) um ihren Beistand zu bitten. Der Plan des Argos wird also durch die Gottheit bestätigt. Mit anderen Worten:
ı Im homerischen Epos wäre ein genauer Bericht seiner Erlebnisse am Platz, in dem die Elemente der Schilderung aus der Er-Form in die Ich-Form verwandelt wiederkehren. Apollonios, der Iterationen vermeidet, läßt seinen Helden sagen: „Wolltet ihr das einzelne
erfragen,
so wäre weder für mich noch für euch ein Ende‘“ (3, 492 ff.).
\ Was Jason hier sagt, könnte der Dichter auch zu seinen Hörern gesagt haben!
Medea
105
seine Annahme wird legitimiert.! Das ist etwas ganz anderesg als wenn schon zu Anfang die Götter Jason den Weg zu Medea gewiesen hätten.
Ὶ
So wird Raum geschaffen, wo Jason und seine Gefährten die heldische Bereitschaft.und die heldische Verzweiflung ganz ausspielen können. So sehr alles auf Medea hinweist : zuerst muß die Möglichkeit geschaffen
werden,
!
daß Helden ein Mädchen um Hilfe bitten können. Aus diesem
Grunde lä®< Apollonios seine Helden erst da an Kypris denken, wo sie _ längst vewiesen haben, daß sie Helden sind (die Erinnerung ist so ‚' lange unterbrochen, bis 816 nötig wird, vorher wäre sie den Zwecken
‘
des Dichters schädlich, vgl. S. 63 ff.). Apollonios behandelt den Entschluß der Heldenj die Hilfe Medeas zu gewinnen‚ durchaus als heroisches Verhalten. Keineswegs versucht
er, das Verblüffende, Widersinnige, Amüsante an der Tatsache heraus-
zustellen, daß der Heldenzug zu guter Letzt auf die Hilfe eines zarten : Mädchens angewiesen ist. Das Eingreifen Medeas erscheint als Eingreifen in einer echten ausweglosen Lage, bewirkt von den Göttinnen :
* ”
Athene und Hera,und wahrlich verdient von den Helden, die immer ᾽ wieder das Ihre an Mut und Kraft aufbringen. Nicht nurg daß das ; Heldische seinen Raum innerhalb des Epos hat, in dem es sich ent- ; falten kann: es ist als Motiv im dritten Buch geradezu notwendig, denn | Medea antwortet darauf. Das Gespräch, das Jason und seine Genossen _ mit Aietes führen, enthält die Motive, aus denen sich Medeas liebende oder abweisende Erinnerung immer wieder nährt.
Man muß sich Kallimachos’ Hekale und Theokrits Herakliskos vergegenwärtigen. Hier der kleine Sohn des Amphitryon, von der Mutter
wohl gewaschen im Bettchen liegend, der erst zwei schreckliche Schlan-
gen der Hera besiegen muß, um dann, nach getaner Arbeit, von seinem ı Klein a. O. S. 230. 247. 2 Selbst in dem großen Gespräch zwischen Jason und Medea im Heiligtum der Hekate bleibt das lockere Spiel der Liebe außerhalb.
< 7‚
——
Das Thema hätte sich durchaus auch in anderer Perspektive betrachten lassen! Man hätte zum Beispiel die Fugen zwischen dem Erotischen und dem Heroischen anders legen können. Wenn durch eine präzise Voraussage des Phineus die Helden im Zeichen der Hilfe Medeas : gelandet wären, hätte alles anders ausgesehen. Aber so wird der Sieg * nicht gewonnen, indem der Führer geradewegs in den Bereich der Liebe eintritt, so gibt es keine verspielten, anmutigen Liebesbegegnungen am Rande des Geschehens! Das heroische Thema dominiert — wenn auch nicht über das psychologischeg so doch über das erotische.?
'
106
Das
Dritte
Buch
aus dem Schlaf gejagten Vater wieder ins Bett gesteckt zu werden! Dort der Held, der bei einer Greisin einkehrt und übernachtet (man bedenke: bei einer Greisin!), am nächsten Morgen zum Kampf mit dem Ungeheuer auszieht, schließlich zum Haus der Greisin zurückkehrt, um seinen Sieg zu melden — und die Greisin tot findet.! In beiden Fällen ist das Interieur, das gänzlich Unheldische und Alltägliche, Ausgangs-
und Endpunkt der heldischen Tat. Herakles muß wieder in sein Bett, und Theseus kehrt zur Greisin zurück. Das Interieur ist nicht etwa bloß der Hintergrund der heldischen Tat: wieviel Interesse wird zum Beispiel auf Hekale verwendet! Dieser neuen echt hellenistischen Sicht heroischer Taten steht Apol‚ lonios fern.
Nachdem Argos gehört hat, wie die Argonauten zu seinem Vorschlag stehen, eilt er zu Chalkiope. Chalkiope hat sich bereits mit ähnlichen Gedanken beschäftigt wie er, aber sie weiß nichty ob Medea zustimmen wird (V. 611). Die Unsicherheit verlagert sich also von Jason, Argos, Chalkiope auf Medea. Je näher wir uns an Medea heranbewegen, desto deutlicher wirdy daß sie im Mittelpunkt steht. Alles hängt davon ab, wie sie sich verhalten wird. Der Dichter hat also dreierlei eingerichtet: daß sich Medea und die Helden in einem Raum menschlicher Entschlüsse bewegen, daß die Eigenleistung der Helden ins rechte Licht gerückt wird,und daß schließlich die Annäherung an Medea die Unsicherheit des Gelingens verstärkt. Es muß Platz sein für den ent-
"scheidenden Entschluß, den ihren.
Er fällt in die große Nachtszene, die V. 616 beginnt und bis V. 825 ; reicht. In dieser Szene entspricht der Intimität der seelischen Regung die Intimität des Hintergrundes, wir befinden uns mit Medea im Schlafgemach. In einem Traum, über den der Dichter frei verfügen kann, wenn er auf die Zukunft weisen und noch nicht Ausgesprochenes aussprechen will, denkt Medea zum erstenmal an die Möglichkeit einer Ehe mit Jason. Sie träumt, nicht um des Vlieses, sondern um ihret-
ı Nach Plutarch Thes. 14 erzählte Philochoros die Geschichte von Hekale anders als
Kallimachos, ohne das Mißvgrhältnis‚ das im Besuch des jungen Helden bei der Greisin
liegt. Bei ihm ist Hekale jung und zärtlich. Kallimachos hat wohl die Version des Philochoros gekannt und wollte seine Erzählung in verblüffender Weise anders gestalten. Den Anteil des echt Heroischen an seiner Erzählung können wir schwer bestimmen: Ida Kapp (Hecalae fragmenta, Berlin 1915) weist fünf Fragmente dem Bericht über den Kampf des Theseus mit dem Stier zu (53-57), davon bezweifelt Pfeiffer die Zuweisung der drei ersten (= 283, 363, 732 in seiner Ausgabe von 1949). Wir ersehen aus dem Anfang der Tabula Vindobonensis, daß das Epyllion einen offenbar dramatischen Kampfbericht enthielt.
Medea
107
willen sei Jason nach Kolchis gefahren. Sie sieht sich selbst die Stiere bändigen, ganz mühelos - ein Anzeichen ihres kommenden Entschlusses. Aber die Eltern wollen ihre Hilfe nicht anerkennen und verweigern Jason das Vlies. Medea soll zwischen ihnen und Jason wählen. Sie wählt den Fremdling, die Eltern werden von Zorn und Gram gepackt — in dem Augenblick wacht Medea auf: ‚.. . . Sie aber wählte sogleich den Fremdling, nicht schonend der Eltern. Die aber faßte gewaltiger Schmerz, und zornig schrien sie auf. Bei dem Schrei erwachte Medea...“‘ (V. 630 ff.). Einfaches Erzählen des Inhalts genügt nicht, der Dichter will die höchste Steigerung des Traums und damit zugleich sein Ende veranschaulichen. Er geht also den Weg vom Inhaltsbericht (Medea deuchte sich ... V. 623) zur direkten Erzählung (Die Eltern schrien auf... V. 631). Der Traum ist anders als homerische Träume, wo bloß
ein wahres oder trügerisches Bild der Zukunft offenbart wird, er ist ein Muster an Psychologie: er bricht mit einer besonders krassen Wahrnehmung des Träumenden ab.! Welche Funktion hat er? Er bereitet Medea innerlich vor, indem er ihr zeigt, daß alles von ihr abhängt. Er wächst ganz aus den Wünschen heraus, die Medea am Tag empfand. Auch darin beweist der Dichter sein Wissen vom Traum:
er mischt
Bilder der Wirklichkeit mit Wunschbildern und scheinbar gänzlich widersinnigen Vorstellungen. Das Unreale, scheinbar Willkürliche, am
Traum dient dazu, Medea auf etwas sehr Bestimmtes hinzulenken. Von
dem unberechenbaren Inhalt eines Traumes hängt aby ob Medea den Helden hilft. Man siehty daß der Dichter das seelische Geschehen gänzlich in sich selbst beruhen läßt, ohne göttlichen Eingriff führt es ' über den scheinbar von ungefähr kommenden Traum zum festen Entschluß.
Zunächst ist Medea durch ihr Traumerlebnis erschöpft, und sie rückt von ihm ab, wie man, wenn eine Beklemmung ihren Höhepunkt erreicht
hat, von
deren
Ursache
am
weitesten
abrückt:
„Mag
er in
seinem Land eine hellenische Frau heiraten, mir soll meine Jungfräulichkeit und das Haus meiner Eltern am Herzen liegen!‘“ (V. 639 ff.). Schwierigkeiten macht das Folgende: ἔμπα γε μὴν ϑεμένη κύνεον κέαρ, οὔκετ᾽ ἄνευϑεν
αὐτοκασιγνήτης πειρήσομαι, εἴ κε μ᾽ ἀέϑλῳ
χραισμεῖν ἀντιάσῃσιν, ἐπὶ σφετέροις ἀχέουσα / παισί. (641] fFf.)
ı Vgl. W.-H. Friedrich, Ennius-Erklärungen, Philol. 97 (1948) S. 288. H. Kornhardt, Mus. Helv. 9 (1952) 5. 51.
108
Das
Mooney
übersetzt
im
Dritte
Kommentar:
Buch
„Nevertheless,
though
I have
banished shame from my heart, I will not yet essay aught without my sister, if haply she entreat me to aid them‘“‘ etc. Gillies, der auf Seaton
(Class.. Rev.
1914
S. 18 A)
basiert,
übersetzt:
„Forcing
my
heart to recklessness, I will no longer keep aloof from my sister, but I will make trial of her‘‘ etc. Der Gedanke 641 ff. bedeutet gegenüber dem vorherigen sicher eine Umkehr, denn wie auch immer gelangt Medea von V. 640 (dem Verzicht auf jede Verbindung mit dem Fremden) zu dem Entschluß zu helfen, durch eine Tat die Qual ihrer Seele zu heilen. Wir übersetzen: „Dennoch, mein von Scham (xüöveoc, „schamlos‘‘, verbinden wir
&vardeln nach Il. 9, 372/73. «&n
Herz freimachend mit dem Begriff
aber war in Argon. 3, 640 wirksam),
will ich bei meiner Schwester versuchen, mich nicht mehr fern von ihr
haltend, ob. . .“ usw. Medea gibt also ihre Gleichgültigkeit von V. 640 teilweise meder auf, aber nicht in der Hoffnung auf Jason, sondern ein— ; fach, um zur Ruhe zu kommen. Sie entkräftet erwachend den Wunsch, dessen Verwirklichung ihr der Traum gezeigt hatte. Wenn nicht für Medea, 80 gilt doch für den Leser der Traum weiter, und er gewinnt eine wichtige psychologische Einsicht daraus: wenn nämlich der scheinbar vernünftige Entschluß Medeas vor dem Hintergrund des Traums steht, so wird offenbar, wie unecht die Begründung dieses Entschlusses ist, wie der echte Wunsch des Traums heimlich über jede Vernunft bei Medea triumphiert. In unserer modernen Terminologie würden wir sagen: Medea drängt unbewußt ihren Wunsch zurück. Apollonios hat keine gleichwertige Terminologie, aber er vermag auch für uns befriedigend zu beschreiben, wie das liebende Mädchen vor ihren eigentlichen Wunsch Fiktionen setzt. Indessen eilt Chalkiope herzu, von einer Dienerin herbeigeholt, die Medeas
Qualen beobachtet hatte. Sie kommt
von der Beratung
mit
ihren Söhnen. Schon in ihren ersten Worten lenkt sie auf ihr Vorhaben hin: „Bist du krank, oder hast du ein verderbliches Wort vom
Vater
gehört, das mich und meine Kinder betrifft? Oh, wenn ich doch weit
weg von Kolchis wäre!“ “ Medea schweigt zunächst. Der Dichter verwendet die Verse 682—687 dazu, um
ausführlich zu beschreiben, daß Medea sprechen will, aber
nicht kann. ἄλλοτε
Dabei bedient er sich einer antithetischen Fügung mit
-- &Morte
(„Bald war
das Wort vorn
auf der
Zunge,
bald
tief
in der Brust‘“). So sagt Homer/; wenn er das rasche Wechseln eines sichtbaren Dinges beschreiben will (vgl. Il. 11, 61; 18, 159; 21, 464).
Medea
109
Apollonios erfaßt in der Formel nicht Sichtbares, sondern Seelisches. Aber er behält zu seiner psychologischen Formulierung die alte epische
Formel, und unter dem Einfluß dieser Formel wird diese Aussage eher
physiologisch, spielt in den Bereich äußerer Beobachtung hinüber; der Dichter beschreibt das Versagen der SpracKe als ihr vibrierendes Hinund Herschwanken zwischen der Tiefe der Brust und der Zunge. Endlich antwortet Medea, V. 688. Sie spricht von der Sorge um Chalkiopes
Söhne,
die ihr den Schlaf raube.
Vor sich selbst
steht sleh
also immer noch zu ihrer Begründung von V. 644; um darauf deutlich }
hinzuweisen, wiederholt Apollonios gans gegen seine Gewohnheit Teile
aus V. 642 ff.! Chalkiope bricht das Herz, weil ihr der Kummer nun doppelt deutlich vor Augen tritt. In ihrer Verzweiflung droht sie: sie werde als Erinys kommen, wenn Medea nicht hilft. Zugleich aber fällt sie ihr zu Füßen und fleht sie an. Welche Fülle von feiner Charakteri-
sierung der Frau! Medea stimmt in ihr Weinen ein, faßt sich dann aber
als erste
und
gibt Chalkiope
das
Versprechen zu helfen.
Nun
fällt zum erstenmal das Wort Eeivos zwischen den beiden (V. 719). Ge-
meint ist Jason. Bis jetzt war nur von den Söhnen die Rede, von seiten
Chalkiopes, weil sie ihr am meisten am Herzen lagen, von seiten Medeas weil es sich aus der Wandlung nach dem Traum so ergeben hatte. Wie Argos den Namen Medeas zunächst unterdrückt, so unterdrückt Chalkiope den Jasons. In dem Augenblick aber, da Chalkiope bittety, daß Medea um ihrer Söhne willen Jason helfen möge, bricht die Liebe Medeas hinter ihren Klugheitsgründen, die nur Ausflüchte waren, hervor (V. 724 ff.). Um so mehr bleibt Medea aber dem Gesprächston treu,
den sie gewählt hat, dem der liebenden Schwester. Ja jetzt erst, da die Fiktion
im
Innern
schon beiseite geschoben
ist, erhebt
sich
dieser
Gesprächston zu vollklingendem Pathos; weil Medea selbst nicht mehr von ihrer Sorge für die Schwester überzeugt ist, äußert sie diese Sorge in der überzeugendsten Form: ‚„„Nicht mehr lange möchte ich leben, wenn
mir etwas
teurer ist als du und
deine Söhne!
Schwester
und
Tochter bin ich für dich zugleich, denn du hast mich wie eine Mutter genährt . ..° Ganz am Schluß, in drei Versen von zwölf, spricht Medea
von den konkreten Dingen. Sie bittet Chalkiope,über alles zu schweigen, und will am nächsten Tag die Zaubermittel zum Hekatetempel bringen. Hier bricht Apollonios ab, indem er in Resümee-Form angibt, was die Beteiligten jetzt tun, V. 740 ff. Man sieht daran deutlich, daß das
| f
Interesse des Dichters begrenzt ist: es gilt den Bewegungen in Medeas
ı Freilich sind die Wiederholungen nicht wörtlich. Ähnlich 4, 1106:1118 (vgl. Od.
24 , 47:55), 4, 1323:1358. Faerber a. O. S. 74.
͵'
110
Das
Dritte
Buch
Seele, nicht dem Argozug, Chalkiope, dem König. Wie könnte sonst Szene da enden, wo der Dichter von demy was an Medea wichtig zu dem kommt; was für das Unternehmen der Argonauten wichtig Chalkiope geht, es wird Nacht, V. 751. Die Menschen erfaßt Schlummer,
nur Medea
die ist, ist? der
alfein berührt er nicht. Aufs neue erleben wir
ihr Schwanken in einer großen Rede wie in 464 ff. und 636 ff. Medeas Empfindungen gleiten hin und her, ihr Weg geht über Widersprüche (in unserem Fall sind es die Stufen: 771, 778, 782, 785, 789, 798). Zwei:. fellos gab der berühmte Monolog der euripideischen Medea (1019 6) ) 485 Vorbild.! Medea faßt den Entschluß, sich zu_töten. Darin gipfelt ihre Rede,
und sogleich ergreift sie ihre Truhe mit den tödlichen Zaubermitteln. Aber welche erstaunliche Wendung! Hera greift ein, im letzten Augen-
blick.? Sie hindert Medea am Selbstmord. Damit aber gelangen wir.
zurück in den angestammten epischen Bereich, von der inneren Moaoti-_ vation zu der äußeren durch die Götter. Im dritten Buch scheinen die Götter nur dazusem‚ um Entwicklungen zu bestätigen oder zu beenden, vorher schwingt die Seele voll aus. Wenn Hera aber nicht gekommen wäre? Dann hätte sich wohl eine Moghchkelt der Abkehr vom Tode finden lasseng die im seelischen Bereich gebheben wäre. Aber Medea soll sowohl vom Selbstmord abgebracht wie zu Jason zurückgeführt werden. Des Schwankens ist genug, notwendig ist ein fester Entschluß zur Tat. Dies bedeutet aber Aufhebung des schwankenden Charakters, den Medea bis jetzt bewiesen hat. Also vermag es nur die Göttin. Sie beendet das Auf und Ab und schafft für Medea eine feste Position: Medea schwankt jetzt nicht mehr in ihrem Entschluß, sondern setzt ihn durch. Kann man angesichts dieses Ineinander von freier seelischer Bewegung und göttlicher (man kann auch sagen: vom Mythos herrührender) Vorbestimmung noch von Einheitlichkeit des Charakters bei Medea reden? Die Götter erscheinen ja als Kräfte, durch die der Dichter das freie Spiel des Seelischen in den Grenzen der Überlieferung hält. Gleichsam als Bekräftigung der Rückkehr zur alten epischen Weise folgt auf das Eingreifen Heras ein Stück ganz im homerischen Sinn: Medea,
die
Königstochter,
befindet
sich mit
ihren
ı W. Schadewaldt, Monolog und Selbstgespräch, Neue S. 198 ff. über den Charakter dieses Medea-Monologs.
Mädchen
Philol.
Unters.
auf der II (1926)
2 Klein a. O. S. 221 ff. Dort wird das späte Eingreifen Heras kritisiert und mit der
Notwendigkeit
begründet,
daß
die
„Göttin
ihre
nun einmal in die Handlung einbezogen war‘‘.
Rolle
durchzuführen
hatte,
da
sie
Medea
111
Ausfahrt zum Hekatetempel, V.828 ff. Wir erfahren, wie die pdpuaxa beschaffen sind - ein Tribut an das Interesse für außergewöhnliche Gegenstände.! Medea ist nur mehr die Königstochter, die entschlossen ist, sich durchzusetzen. Sie spricht voll berechnender Verstellung zu den Mägden. Indessen
aber naht Jason
mit Argos.
Der
Dichter
macht, wie_oft,
allesbis ins Detajl plansibel: Argos war.awar allein von Challnope weg
zu dem Schiff der Argonauten gegangen, hatte aber seine Brüder zu-
rückgelassen. Diese meldeten ißhm Medeas Entschluß, und so bricht er mit Jason auf, V. 913; auch Mopsos
geht mit. Auch
hier befinden
wir uns auf dem Boden des alten Epos: wie Hera den Argonauten bei ihrem Gang zu Aietes Nebel gesandt hatte, so verleiht sie jetzt Jason göttliche Schönheit. Mopsos der Seher durchschaut jetzt schon, wie alles kommen wird. In der folgenden Szene, in der eine Krähe Mopsos dazu auffordert Jason allein zu Medea gehen zu lassen, hat man im Gedanken an das Krähengespräch in der Hekale ein Zeugnis des literarischen Streits zwischen Kallimachos und Apollonios gesehen. Die Ähnlichkeit der Motive ist sicher nicht ohne Bedeutung: das läßt sich aus den vielen anderen Fällen folgern, wo bei Apollonios Motivwiederholungen zugleich Verwandlungen und Korrekturen sind? (vgl. S. 50 ff., 119 ff.). Allerdings wissen wir nicht; wie das Krähengespräch in die Handlung der Hekale eingefügt war. Bei Apollonios ist das Auftreten der Krähe
jedenfalls ein ἀπροσδόχητον, und wir glauben, daß es einen Anlaß hat,
der außerhalb _der Dichtung liegt. Die Rede der Krähe (932 f .) soll das Heroische aus der Begegnung zwischen Jason und Medea ausscheiden?®: sie ist eine Begegnung zwischen Verliebten. Die Krähe sagt, an ein selbstverständliches Wissen
appellierend, im Ton der Entrüstung: „Der Seher ist nichts wert, der
ı S, Eitrem, La magie comme motif litt&raire chez les Grecs et les Romains (mit einem Exkurs über Medea bei Apollonios), Symb. Osloens. 21 (1941) S. 39 ff.: „„La promenade matinale fi&@re et joyeuse de la princesse et de ses douze servantes ä travers
la ville est comparee par l’auteur a l’apparıtion d’Artemis. Il se refere directement
a Vidylle de Nausicaa dans l’Odyss6e.‘“ Bemerkenswert ist die Variation gegen die Nausikaaszene: Während Homer den technischen Akt des Anschirrens ausführlich ἷ schildert, geht Apollonios mit einem Wort (V. 841, 843) darüber hinweg. 3 Literatur zum Krähengespräch bei H. Herter, Bursians Jahresberichte 255 (1937) S. 171 ff. Vgl. Pfeiffer zu fr. 230; 260, 16 ff. 3 Hensel (a. O. S. 30) meint: „Jason mußte den des Landes kundigen Argos mit- \ nehmen, um nicht den Weg nach dem Heiligtum zu verfehlen. Argos muß aber unter- ‘ wegs irgendwo festgehalten werden, wenn nicht der ganze Plan gefährdet werden soll. Dies konnte am leichtesten durch Eingreifen der Götter geschehen
. . .“
112
Das
Dritte
Buch
nicht weiß, daß eine Jungfrau zu einem Jüngling kein liebendes, süßes Wort sagt, wenn andere dabei sind . . .“ Mopsos lächelt; das Lächeln bedeutet Verständnis und Gehorsam. Der Seher weiß: Jetzt betreten die Helden den Bereich der Kypris, von dem er schon vorher, V. 545 ff., in Erinnerung an Phineus, zu ihnen gesprochen hatte. Am Wirken der
—
m
Göttin liegt es, ob das Unternehmen gelingt. So gibt die Krähenrede die Stimmung des Folgenden an. Das Wesen des Vogels ist dafür von Bedeutung, nur die Krähe kann den Seher auf eine so vorwitzig-vorwurfsvolle Art zurechtweisen. Je mehr die Zurechtweisung den Ton selbstverständlicher Berechtigung hat, je selbstverständlicher Mopsos sie annimmt (das Lächeln bedeutet dies), desto ruhigeren Gewissens begeben wir uns mit dem Dichter in die neue, unheroische Stimmung. Mopsos gleicht sozusagen zwischen dem Heroischen und dem Erotischen aus, er legitimiert das Erotische. Medea ist durch das Eingreifen der Hera nun in ihrem Entschluß beständig. Jason aber kommt zu ihr als der Held, der um seines Auftrags , willen verhandeln muß; deswegen nimmt er auf Früheres Bezug (981)-
und erinnert Medea daran, daß sie sich gebunden hat. Der Dank, den er ihr in Aussicht stellt, ist nicht der seinej/ sondern der des Gemeinwesens, der Eltern und Verwandten; die Medea vor einem herben Schicksal bewahrt. Medea fordert statt dessen das persönliche Gedenken Jasons (1069 ff.). Die Forderung und das Versprechen dieses Gedenkens sind durchwoben mit Motiven aus der Ariadnesage. Jason spricht von Ariadney um Medea des Dankes der Helden und ihrer Angehörigen zu versichern:! wie Ariadne, die Theseus gerettet hat, zum Lohn dafür als Sternbild an den Himmel
versetzt worden ist, so wird
auch Medea Dank empfangen. Dabei läßt Jason den Teil der Ariadnegeschichte zwischen Labyrinth-Abenteuer und Verstirnung aus, die Wegfahrt des Theseus von Naxos und die Begegnung mit Dionysos: Dionysos versetzt ja Ariadne an den Himmel.? Davon schweigt Jason; um böse Ahnungen bei Medea zu vermeiden, und er kann darauf rechı Die
Heimat
Griechenland
erscheint noch
4, 195;
1, 336, 416. Man
wird
sie wohl
als Ziel, nicht aber als Gegenstand der Sehnsucht ansprechen. Überhaupt vermißt man ja eine Verbundenheit mit den Stationen der Reise. So gibt zum Beispiel die An-
kunft in Kolchis keinerlei Anlaß für Gefühlsbewegungen ab. Kaum sind die Helden
angekommen, so planen sie ihr Vorgehen (2, 1277). Die Tragödie kennt ein Pathos des Erreichens (Soph. Oed. Col. 84 ff.) und des Heimkehrens (Aesch. Agam. 503 ff.). Eurtpides schafft in Iphigenie und Helena Gestalten‚ die der Heimat gedenken, wenn auch nicht im Sinne der Goetheschen Iphigenie.
2 Vgl. Arat, Phaen. 71ff. xxtaotepıowol sind ein echt hellenistisches Thema, wie
wir durch Kallimachos-Catull wissen. Auch bei Apollonios finden sich Stellen‚ die von
Medea
nens daß die Barbarentochter
nicht
113
das geringste argwöhnt, wenn
Arijadne auch mit ihr verwandt ist. Medea aber will mehr wissen (V. 1074). In seiner Antwort auf ihre Fragen (V. 1083-1095) erklärt ihr
Jason zunächst weitläufig, was es mit Orchomenos und den Minyern auf sich hat, biegt aber
dann
ab, weil
er die Ariadnegeschichte doch
lieber nicht so genau aufklären will (V. 1096 ff.). Er will allen Verwicklungen aus dem Wege gehen. Deswegen erfindet er einen beruhigenden Abschluß für Theseus’ Abenteuer, wo eigentlich keiner ist.! Aber Medea nimmt das keineswegs einfach hin, sie entgegnet: „„Das mag in Hellas wohl
am
Platze sein, aber Aietes ist nicht Minos — und ich bin nicht
Ariadne. Deswegen sprich nicht von gastlicher Freundschaft (d. i. laß dir nicht in den Sinn kommeny daß Ariadnes Geschichte auf mich paßt), sondern bleib£# nur meiner eingedenk‘“ (V. 1110). In aller Liebe doch
Zurückhaltung und Bewußtsein der Kindespflicht, ja sogar unbewußte
Abwehr
gegen
die Identifikation
mit der verlassenen
Geliebten
des
Theseus, wo doch gerade diese, allerdings anders als Jason wollte, sich
erfüllen sollte!
Der
Dichter hat wieder
die späteren
Ereignisse
mit
Situationen und Reden einer viel früheren Stufe verknüpft, um ein Lebenskontinuum für seine Helden zu schaffen. Man kann das Zwiegespräch zwischen Jason und Medea dann unter dem Gesichtspunkt des Schicksalsmäßigen betrachten;,und sagen: Hier wirft ein künftiges Schicksal seine Schatten voraus. Das zu zeigeny hatte Apollonios bei Idas
unterlassen, wo
sich zudem das Schicksal innerhalb des Epos er-_
füllt hätte. (vgl. S. 71 f.). Medea behandelt der Dichter anders als Idas. Der weitere Verlauf der Begegnung zwischen Jason und Medea steht unter dem Zeichen göttlicher Kräfte. Es ist jetzt Zeity die Rolle der Götter im dritten Buch zusammenfassend zu betrachten. Dabei wird
sich
herausstellen,
daß
dies
von
selbst
Medeas und das Heroische zu analysieren.
dazu
führtg
den
Charakter
Interesse an der Sternenwelt zeugen, z. B. 3, 141. Nach Wilamowitz, Heldensage I S. 50, ist nur die Verstirnung des Orion alt. “ * ı Vgl. H. Herter, Rhein. Mus. 91 (1942) S. 228. Er vertritt die Meinung, daß Apollonios auf eine hellenistische Umgestaltung der Sage zurückgeht, und schließt das aus einer
Notiz bei Satyros (FHG III 164 f.), der Ariadne zatpogpiin nennt. Schon der Heraus-
geber Müller hat diese Stelle für korrupt gehalten, und man wird ihm gegen Herter zustimmen, wenn man bedenkt, daß Satyros in einer Demenliste durch ein Adjektiv eine Sagenversion korrigiert hätte. Herter meint, daß Ariadne wegen Dionysos von dem Vorwurf der Untreue gegen ihren Vater hätte gereinigt werden müssen. Aber Dionysos trifft sie doch gerade in der umgekehrten Situation, als sie Untreue erleidet. Und wenn Jason eine Überlieferung reproduzierte, wäre der ganze Reiz dahin, der in seiner listigen Erfindung liegt. 8
Händel
_
114
Das
GÖTTLICHES
Dritte
EINGREIFEN
Buch
IM DRITTEN
BUCH
Jason antwortet erst spät auf die Liebe Medeas, und der Dichter
nimmt das gar nicht sehr wichtig: „Selbst Jason befiel der verderbliche
Eros .. .‘ (V. 1077). So kürzt er aby was er nicht breiter erzählen will. Die Liebe treibt Jason zu der großen Rede an Medea, in der er, wie wir
schon wissen, von seiner Heimat Orchomenos berichtet. Sie schließt mit den Worten: „Möchte dein Vater, so wie Minos damals dem Theseus
zu Gefallen war, auch zu uns entgegenkommend sein . . .‘“© Wir wissen auch schon, daß Medea diesen Wunsch von sich wegschiebt, und statt dessen nachdrücklicher fordert, Jason möge sie nicht vergessen. Wenn er sie vergesse, droht sie, werde sie auf den Stürmen nach Hellas fahren.
Jason hat für dergleichen fabelhafte Dinge keinen Sinn: .. . . Laß die
nichtigen Stürme dahinwehen . . . du redest unnütze Dinge‘“ (V. 1120 ff.). Er erwidert die Ankündigung von Medeas wunderbarer Reise mit
einem festen Versprechen: „Wenn du aber selbst nach Hellas kommest,
sollst du im bräutlichen Gemache unser Lager bereiten, und nichts anderes wird unsere Liebe trennen als der Tod. . .“ (V. 1128). Je mehr Medea sein Gedenken verlangt, desto weiter geht Jason in seinen Versprechungen. Zunächst wollte er Sicherheit für sein Unternehmen, er gelobte Dankbarkeit und Ruhm. Nun will er Medea sogar zur Gattin ' nehmen! Er wird von Medea mitgerissen, sie führt im Zusammenklang ‘ der Stimmen, er begleitet. Er ist als Partner, als Ziel von Medeas ; Gedanken wichtiger als alle anderen Personen, ausgenommen Medea selbst.! Medeas Entschlüsse, Medeas Gefühle,übertreffen die seinen um ein Vielfaches an Gewicht. Bemerkenswert ist, daß das Anerbieten Jasons und noch mehr die
‚. Reaktion Medeas an den äußersten Rand der Begegnung gerückt sind. Das bedeutet bei Apollonios; daß für Einzelheiten der Entwicklung kein Interesse besteht, nur für das Resultat (V. 1131 ff.). Der äußere Grund für das rasche Ende der Szene ist das Eingreifen der Gottheit.
Man kann sagen: Das Göttliche ist, wenn es nicht in konventioneller Funktion erscheint (vgl. S. 111), das Prinzipy das zwischen dem freien Spiel des Seelischen und den fixierten Fakten der Sage ausgleicht, ein ı Über den Charakter Jasons ist viel gehandelt worden. Wir haben sein Handeln
hauptsächlich unter dem Gesichtspunkt des Ausgleichs gegenüber Herakles (S. 30f., 54)
und Medea (S. 107, 124) behandelt. Man vergleiche A. Couat, La po&sie Alexandrine, S. 319 ff., und die Fülle von Stellen bei Faerber a. O. S. 100 f. Nicht zugänglich:
M. Saussez, Le Charact&re
de Jason
dans les Argonautiques d’Apollonios de Rhodes,
Thöse de licence, Univ. de Louvain (Zitat nach Rev. Belg. 20, 1941, S. 783).
Göttliches Eingreifen
115
Prinzip der dichterischen Technik, das am _ Rand der Szenen steht. Diese Rolle amRande erhellt, wie mchüg für den Dichter der vom Göttlichen ganzzfreie Raum ist, den die Bewegungen der Seele ausfüllen. Der Dichter gestaltet die Emanzipation des seelischen Bereichs von den Göttern. Je weniger wir von den Göttern hören, desto näher liegen die erzählten Geschehnisse dem, was auch wir zu erleben pflegen.! Hera also lenkt den Entschluß Medeas, mit Jason zu fliehen. Dem-
entsprechend ist auch die Stelle am Anfang des vierten Buchs angelegt, wo Medea Abschied von Kolchis nimmt und sich Jason anvertraut:
4, 11: „Ihr sandte Hera schmerzvollste Furcht ins Herz
4, 20£ff.: „...und storben, indem
so wäre
die Jungfrau
wider
das
. ..“
Schicksal
sie sich Gift bereitete, und hätte Heras Wünsche
gever-
eitelt, wenn die Göttin sie nicht angetrieben hät_te‚ mit den Söhnen des Phrixos zu fliehen . . Die
Formel:
„Das
wäre
geschehen,
wenn
nicht
...‘“
kennen
wir
aus anderen Stellen.? Der Entschluß Medeas ist nicht Ergebnis langen Ringens, sondern liegt in dem Willen der Göttin fest. Die Psychologie, die in dieser Szene enthalten ist, handelt von Medeas Angst vor ihrer Zukunft in Kolchis (12 ff.), nicht von ihrem Entschluß; zu fliehen. In direkter
Rede
stehen
vier Verse:
an
die
Mutter,
an
die
Schwester,
nerem und äußerem Gesetz der Erzählung zu vermitteln. Die Stelle 2, 985 ist recht
interessant. Über eine Berührung der Argonauten mit den Amazonen kann Apollonios nichts berichten, aber er möchte die Amazonen nicht gern übergehen. Deswegen formuliert er: „Sie wären verweilt und hätten mit den Amazonen eine wahrlich nicht unblutige Schlacht angefangen ... wenn nicht Winde des Zeus gekommen wären.“ In Parenthese erscheint ein Einschub von 6 Versen,in dem Apollonios über die Herkunft der Amazonen eine Version vorträgt; die anders ist als die Vulgata und auf Pherekydes
zurückgeht.
Daß
die
Helden
beinahe
gelandet
wären,
ist der
Anlaß
für
die
mythologische Belehrung. Wiederum hängt alles an den vom Dichter erfundenen Einwirkungen des Windes, im Grunde schon die genaue Beschreibung des Amazonenlandes 2, 966 ff., die eigentlich nur motiviert wärej wenn die Helden dort Taten zu vollbringen hätten!
8.
—
1 Couat formuliert entsprechend seiner kritischen Einstellung so (a. Ο. S. 325): „Il semble, que les dieux, insuffisants eux-memes, soient cependant charg6£&s de suppleer ä Vinsuffisance des hommes.‘ 2 Z. B. Od. 12, 71, Arg. 1, 492,1298; 2, 985; 4, 916, 1305. Die Formel ist sehr be- : quem, wenn der Dichter eine Entwicklung, die sich aus seiner Erzählung zwangs- läufig ergibt, abschneiden muß, um ganz andersartige Vorgänge an ihre Stelle zu setzen. Er muß das day wo die psychologische, also innere, Notwendigkeit seiner Erzählung mit der mythologischen, äußeren Erfordernis zusammenstößt: wie oben, wo es nahegelegen hätte, daß Medea zuletzt doch nicht flieht) 1, 1300, wo es nahegelegen hatte„ daß die Argonauten umkehren usw. Die Formel vermag gewissermaßen zwischenin-
116
Das Dritte Buch
'iein Fluch an Jason. Eine größere Rede fehlt, in der Medea ihre kom-
.
‚phz1erte Beziehung zu Jason hätte auseinandersetzen können, die sie, ‘wider ihren Willen, an seine Seite führt. Für das alles ist hier kein Ort.
Während also in den ersten beiden Büchern die Götter den Bereich des menschlichen Handelns gelegentlich berühren, um einen Ablauf
s
\
ins Werk
zu setzen oder zu vollenden,
| wunderbare
während
im vierten Buch
die
und jeder Kausalität enthobene Fahrt allein von den Göttern gelenkt wird, entfaltet sich im dritten Buch ein freies Spiel ‚ der menschlichen Seele — aber fast nur der Seele Medeas —, dem göttı liche Einwirkung ein Ende setzt. Die Handlung des dritten Buches ist freilich nicht durch ein solches emanzipiertes seelisches Geschehen * motiviert, sondern durch einen göttlichen Ratschluß am Anfang des ‘ Buches, und von ihm her gesehen ist das seelische Geschehen Zwischen‚ spiel — aber gerade mit diesem Zwischenspiel bekommt das dritte Buch
|
; sein eigenes Thema.
MEDEAS
CHARAKTER
Wir sahen (S. 110), wie das Eingreifen der Göttin Medeas Schwanken
in einen festen Entschluß verwandelt. Dies im Blick, stellen wir nun die
Frage: Wollte der Dichter einen einheitlichen ‘Charakter’ Medeas zeichnen, wollte er ihre seelische Entwicklung vom ersten Erwachen der Liebe bis zu den grausen Taten des vierten Buchs mit Folgerichtigkeit vorführen ? Schon Wilamowitz (Hell. Dicht. II S. 202) nahm an dem Kontrast des dritten zum vierten Buch Anstoß. R. Ibscher (Gestalt der Szene
und Form der Rede usw. S. 86) sieht eine Linie: „Medea ist die Verbrecherin aus Liebe.‘“ Diese eine Linie scheint trügerisch. Denn wer macht Medea zur Verbrecherin ? Die Göttin. Ursprünglich ist Medea die Zauberin,
und
auch
bei Apollonios
bleibt sie es im Grunde; 3, 27, 251
wird sie so eingeführt. Ihre Liebe zu Jason wird in der alten Sage nur
als ein Faktum notiert gewesen sein.! Nun aber sieht unser Dichter seine
Medea als ein Mädchen,y das so natürliche Dinge erlebt und tut wie ein
Mädchen
des dritten Jahrhunderts,
das hilflos den Leiden der Liebe
preisgegeben ist — gegen die Qual, die mit der Liebe kommt, hilft ihr 1 Rohde, Der griechische Roman 3. Aufl. S.111: „Schon die älteste Sage hatte in den Abenteuern des Jason das Werk des ... Helden durch Aphrodite unterstützen lassen. Sicherlich aber tat sie sich, nach altertümlicher Weise, mit einer solchen nach außen gewissermaßen projizierten und von außen wirkenden Personifizierung der Leidenschaft in Gestalt der Liebesgöttin genug.‘
Das
Heroische
117
keine Zauberkunst.! Seit dem Augenblicky da die Göttin eingegriffen hat, Medea zu Jason, später zur Flucht geführt hat (S. 110. 115), ist das Mädchen verändert: nichts mehr von willenlosem Schwanken, von heim-
licher lodernder Sehnsucht und gewolltem Haß, der den Kummer der Sehnsucht stillen soll — statt des weichen Mädchens steht uns eine düster entschlossene Frau gegenüber.
Wenn man diesen Kontrast wegzunehmen sucht, so verkennt man,
scheint es, zweierlei: das Eigenlebenz das jede Szene bei unserem Dichter führt (man denke an das Beispiel von Idmon), und die Spannung, die aus der Verbindung von überlieferten mythologischen Fakten und der
Neigung des Dichters zu intimer Psychologie und weichen Tönen her-
vorgeht: Medea, die schlimme Zauberin, soll als weiches Mädchen lieben.
Der Kontrast kommt mit den Intentionen des Dichters. Wäre des Dich-
ters Interesse wirklich darauf gerichtet, den Bogen einer seelischen Ent-
wicklung zu spannen, so hätte er nicht plötzlich den Weg der Seele, der
von Göttereingreifen frei ist, irgendwo enden lassen, sondern die Geschehnisse insgesamt aus dem Wesen, und nur aus dem Wesen, Medeas
hervorgehen lassen.
DAS
HEROISCHE
Wir lesen in den Argonautika die Geschichte von Helden, die durch ein Mädchen zum Ziel kommen. Daraus ergibt sich die Frage: Was
geschieht in einer solchen Geschichte mit den eigentlichen heroischen Motiven, zumal im Bereich der unmittelbaren Hilfeleistung? Denn
Medeas Eingreifen leistet Gewähr für den Sieg. Um einen Ausgleich zu schaffen, gestaltet der Dichter das, was
Jason auf die Aufforderung Medeas hin vollzieht, zu einer heldischen
Leistung ersten Ranges. Wenn auch der Sieg nicht eigentlich Jasons Sieg ist, so gebraucht der Held doch die Mittel, die ihm an die Hand
gegeben werden, mit einzigartiger Bravour: das ist die Leistung, die
ı S, Eitrem ἃ. O. 82 verweist auf die zur Stützung unserer Ansicht sehr wesentliche Tatsache, daß die Zauberkünste Medeas nicht zum Liebeszauber dienen. ‚„Dans V’e&mouvante po&sie psychologique de l’Alexandrin, les incıdents magiques l&gendaires ne sont qu’un placage artificiel.‘“ Medea empfindet ihre Liebe zu Jason rein als Mädchen, und jede Handlung geschieht aus diesem Empfinden. Man denke dagegen an die Praxis,
die Theokrits Pharmakeutriai schildern! Die Liebe Medeas erklärt Pindar so: (Κυ-
προγένεια)
λιτάς
τ᾽ ἐπαοιδάς ἀδιδάσκησεν
σοφὸν
Αἰσονίδαν,
ὄφρα Μηδείας τοκέων
ἀφέλοιτ᾽ αἰδῶ (Ργτμ. 4, 214 ff.). Das, was Apollonios als rein menschliches Geschehen
erzählt, als ein Erlebnis; das sich bei den Menschen seiner Zeit immer wieder einstellen — a
118
Das
Dritte
Buch
ihn als Helden, als Führer des Zuges bestätigt. Der &9)oc umfaßt aus diesem Grunde eine beträchtliche Anzahl von Versen und steht am Schluß des dritten Buches. Innerhalb der Schilderung selbst vereinigt der Dichter allen denkbaren Glanz auf Jason, indem er jeweils das Bedrängende in aller Drastik dem siegreichen Bestehen gegenüberstellt: als die Stiere gegen Jason hervorbrechen (3, 1289 ff.) und die Helden beben, weicht Jason auch nicht ein kleines Stück (je mehr die Gefährten Angst empfinden, desto stärker tritt Jasons Heldentum hervor); das Geschehen, in das Jason hineingestellt ist, wird als ein Wirbel elementarer Gewalten geschildert, Jason besteht züngelnde Flammen (1313), das Schnauben der Stiere, das einem entsetzlichen Sturm gleicht (1327). Und schließlich gar der Steinwurfy den Medea
vorgeschrieben hatte (1365)! Der Steiny den Jason
ergreift, wäre als
Diskus für Ares gut gewesen, und vier Männer hätten ihn nicht auf-
zuheben vermocht. Man sieht, wie der Dichter, in seinem Bestrebe
alles so glanzvoll wie möglich auszustatten, ein echtes Verhältnis im alten Epos fast ins Bizarre verwandelt (vgl. Faerber S. 54; ähnlich oben S. 106): ‚,... Hektor brachte einen Stein ... den hätten nicht
leicht zwei Männer, des Gaues beste, vom Boden auf einen Wagen gehoben ...° (Hom.
Il. 12, 445 ff.). Je mehr sich Jason dem Erfolg
nähert,
entfernt
desto
weiter
sich
Aietes
von
seinem
Ziel.
Auch
in
diesen gegenläufigen Erzählungskurven stellt sich Jasons Heldentum dar. Aietes ist kein geringer Held, seinem Speer hätte keiner der Argonauten außer Herakles, auch nicht Jason, standgehalten (1232). Ihn umgibt, als er zum Aresfeld hinauszieht, die Masse seines Volkes,
unter der Menge erscheint er gleich Poseidon. Dementsprechend ist der Auszug von Jasons Gefährten wenn auch nicht ohne Zuversicht, so doch von weit geringerem Glanz (1246 ff.). In dem Augenblick, als Jason die erste Stufe seines Kampfes hinter sich gebracht hat, hören wir wieder von Aietes: er ist über Jasons Stärke erstaunt (1314). Als
aber Jason den Steinwurf tut, verschlägt es Aietes die Sprache, und seine Mannen schreien auf (1370 ff.). Schließlich ist Jasons Werk vollbracht. Da geht es Aietes wie dem Landmann, dem die Saat verregnet (breiter ausgeführt in einem Gleichnis, 1386 ff.). Der Höhepunkt in Jasons Kampf ist für Aietes der Tiefpunkt. Damit schließt das Buch. Ganz offenbar liegt in dieser Behandlung des Buchschlusses ein Hinweis auf das heroische Thema: der Teil des Werkes, in dem in vollen Tönen vom Wirken zarter Liebe gesungen wird, schließt dennoch mit Kampf.
EXKURS KIRKE.
DIE
SIRENEN.
THRINAKRIA
Wir haben gesehen, daß Apollonios das/, was Kallimachos in parallelen Schilderungen gibt, nicht einfach wiederholt oder wegläßt, daß er es vielmehr ergänzt, korrigiert. Wie macht er es mit Homer? Die Argonauten fahren ja auf ihren Irrfahrten ein Stück die gleiche Route wie Odysseus. KIRKE
(Od. 10, 210 f. = Arg. 4, 659 ff.)
Odysseus wie Jason treffen bei Kirke auf seltsame Tiere. In der Odyssee sind es durch Zauber gezähmte Wölfe und Löwen, die die Ankömmlinge umschmeicheln. Die Tiere bilden einen Märchenhintergrund für die Verzauberung der Gefährten und die Siegestat des Odysseus: ohne diesen Märchenhintergrund wäre die Geschichte kaum ein rundes Ganzes, hätte die Verzauberung der Gefährten eine unschöne Plötzlichkeit. Die Schilderung enthält reines Geschehen, in einfacher Reihung seiner Elemente: die Helden rufen vor dem Hause, Kirke tritt heraus, geleitet sie hinein und bietet ihnen Zauberspeise .. . Später sitzt sie Odysseus, der ihr Widerpart gehalten hat, gegenüber und äußert, in einer Mischung von Flehen und Verwunderung: „Wer bist du?
Kein
anderer
hielt
meinen
Zaubermitteln
stand. Wahrlich,
du bist Odysseus, von dem mir Hermes gesprochen hatte ...‘“ (zur Behandlung der Voraussage vgl. S. 64 Anm. 1). Apollonios erzählt ein kompliziertes Geschehen, läßt das Seelische unmittelbar hervortreten. Kirke hat in der Nacht vor der Ankunft der Argonauten einen Angsttraum (V. 664): sie sieht Gefahr für ihre Zauberkunst und sich selbst. Aber sie wird im Traum dieser Gefahr noch Herr. Faerber (a. O. S.28 Anm.1) beobachtet richtig, daß zwischen diesem Traum und demy was die Argonauten bei Kirke tuny, keine rechte Beziehung besteht: man müsse aber, meint er, diesen Mangel an Beziehung daraus erklären, daß dem Dichter eine unglückliche Assoziation zur Odyssee unterlaufen sei. Nun weiß der Leser des Apollonios, daß die Ängste Kirkes (die im Traum natürlich einen grausig übertriebenen Anlaß haben) einst bei Odysseus begründet
120
Exkurs
sein werden. Wenn wir denkenjy wie der Dichter Jason durch seine listige Umformung der Ariadnegeschichte auf das spätere Schicksal Medeas vordeuten ließ (S. 113), liegt es nahe’ daß der Dichter hier auf die Zukunft ähnlich verdeckt anspielt, etwa in der Meinung: „Kirke
hatte, gans- ohne
erkennbaren
Grund,
Furcht
vor Ankömm-
lingen (der Traum als Mittel, irrationale Zusammenhänge zu erhellen, vgl. S. 107). Aber diesmal sollte es sich noch nicht bewahrheiten . . .“
‚ Jeder weißg wann es sich bewahrheiten wird. Kirkes Leben ist ein Kontinuum, in dem frühere Ereignisse zu späteren Beziehung haben, wie das Medeas und der anderen Figuren bei Apollonios.
Die eigentliche Berührung Kirkes mit den Ankömmlingen verläuft in den Argonautika gänzlich anders als in der Odyssee. Bei Apollonios zaubert Kirke nicht (obwohl sie als Zauberin gilt, V. 666 und 685/87), und es kommt auch zunächst nicht zu Gesprächen. Apollonios setzt an die Stelle des Gesprächs die bedeutungsvolle Gebärde, komponiert eine Szene voll inhaltsreichen Schweigens. Was bei Homer den Anfang macht (die Frage nach dem Herkommen und die Erkennung),
rückt in eine spätere Partie. Das Begehren der Ankömmlinge drückt die Geste aus, die Jason
der Augen.
Erst nach
mit seinem
der Sühnung
Schwert
macht,
das Ausweichen
lösen sich die Zungen,
da erst
erfährt Kirke, mit wem sie es zu tun hat; die Argonauten wissen, daß
sie zu Kirke gelangen müssen (ihr Schiff hatte es ihnen gesagt, V. 590).
Bei Homer ist es gerade umgekehrt: da weiß Kirke durch Hermes,
daß Odysseus zu ihr kommen wird, und braucht sich bloß zu besinnen,
Odysseus hingegen weiß nichty/ wo er hingelangt. Welche Steigerung
liegt bei Apollonios! Erst vermeidet Medea den Blick Kirkes, aber als er sie endlich trifft, ist Kirke sofort klar/ daß die Unbekannte aus dem Geschlecht des Helios ist. Schließlich, nach der Rede Kirkes,
verhüllt Medea ihre Augen. Apollonios unterscheidet sich von Homer ' durch diese redenden Gesten von Grund aus. —_ Wie unser Dichter hier im Poetischen gegenüber Homer varüert,
so in der Beschreibung der Tiere um Kirke im Sachlichen. Bei ihm sind sie Fabelwesen, nicht Gattungen bekannter Raubtiere, die durch
Zauber gezähmt sind. Es mag seiny daß sie aus Menschen verzaubert worden sind (V. 667). Während Homer, um zu zeigeny wie zahm die Tiere der Kirke sind, sie mit schmeichelnden Haushunden vergleicht,
setzt Apollonios an die entsprechende Stelle einen Vergleich mit Schafen, die ihrem Hirten folgen. Entsprechend der alexandrinischen
Vergleichstheorie (Faerber a. O. S. 30) stimmt der Vergleich in allen
Die
Sirenen
121
Punkten zur Erzählung: das Verhältnis Kirke - Zaubertiere entspricht dem Verhältnis Hirt — Schafe viel besser als bei Homer das Verhältnis Herr - Haushund
dem der Ankömmlinge
zu den Zaubertieren. Wie-
derum ein Beweis für die wohlbedachte Variation bei Apollonios: seine Fassung mutet wie eine Korrektur an.
J. Tolstoi* hat nun vermutet, daß die Mischweseny von denen Apol-
lonios berichtet,
älter seien als die homerischen
zahmen
Löwen
und
Wölfe, und glaubt, daß Apollonios die ältere Version verwendet habey um die Argonauten nicht mit den Gefährten des Odysseus zusammenbringen zu müssen. Er hätte wohl auch dann die Argonauten nicht mit den Gefährten des Odysseus zusammenbringen müsseny wenn er das homerische Motiv übernommen hätte: denn die Tiere in Kirkes Umgebung sind ja schon vor Odysseus da. Er wollte gansa einfach vermeiden, das gleiche wie Homer
DIE
zu erzählen. SIRENEN
(Od. 12, 39 ff., 166 ff. — Arg. 4, 891 ff.). Nach Robert? gehört zur ältesten Form der Sage, daß den Sirenen für den Fall der Tod bestimmt ist, wenn eines anderen Sang den ihren übertrifft. Später tritt für den obsiegenden Sänger der obsiegende Seefahrer ein, er bringt den Sirenen den Tod, wenn er sich der Macht
ihres Gesanges entzieht. Gleichwohl weiß die Odyssee vom Tod der Sirenen
nichts, wir finden
das früheste
Zeugnis
iın einer bildlichen
Darstellung des frühen 5. Jhs. (E. Buschor, Die Musen des Jenseits,
München 1944, S. 532). Für Apollonios lag die Überlieferung, daß sich die Sirenen nach ihrer
Besiegung durch Odysseus das Leben genommen haben, wohl schon
vor. Ob er auch wußte, daß die Niederlage im Sange zu ihrem Tode
führen sollte,? können wir nicht sagen. Wie dem auch sei —- vom Tod der Sirenen kann Apollonios nichts erzählen, denn er hält sich vor Augens; daß Odysseus
im Sinne seiner Chronologie
später zu ihnen kommt.
ı Nach E. Diehl, Gnomon6 (1930) S. 235. 32 Heldensage III 1 S. 827. Nach den grundlegenden Forschungen K. Meulis (Odyssee und Argonautika, 1921, zu denen jetzt R. Merkelbach, Untersuchungen zur Odyssee, Zetemata 2, 1951, einige Ergänzungen bringt) wissen wir: Die Abenteuer der Odyssee sind zum Teil nach einem Ur-Argonautenepos gestaltet. Für die Interpretation des Apollonios hat allein das homerische Vorbild Bedeutung. 3 Steph. Byz. s. v. "Arrtepa berichtet, daß die Sirenen in der Stadt Aptera (auf Kreta) im Wettstreit mit den Musen unterlegen sind und sich ins Meer gestürzt haben.
\
! /
122
Exkurs
Bei Homer ist die Begegnung mit den Sirenen durch den Spruch der Kirke vorbereitet; die Helden sind entschlosseny ihnen auszuweichen und treffen nach Kirkes Rat Vorkehrungen. Bei Apollonios ruht die Entscheidung in dem Einfall eines Augenblicks: beinahe wären die Helden dem Gesang anheimgefallen, wenn es nicht plötzlich, als sie schon die Taue auswarfen, Orpheus eingefallen wäre, die Leier zu nehmen und zu singen. Woher wußte Orpheusy daß Singen helfen würde?
Wir erfahren es nicht.
Bei Homer
herrscht
Windstille,
die
. N
. Γ9
Hekden verdanken ihr Wegkommen dem Rudern (168, 194); bei Apol-
lonios würde
g_gw
(Υ. 905--909),
indem
ins Verderben
führen
(903), wenn
nicht ein starker Wind einsetzte (910). Äußere Bedingungen und Verhalten der Mannschaft sind also bei Apollonios gerade umgekehrt wie bei Homer: bei Homer ruht die Rettung in dem vorher empfangenen Rat, bei Apollonios in dem spontanen Eingreifen des Orpheus. Apollonios verzeichnet nicht mehr als dessen Eingreifen, überläßt es dem Lesery sich das übrige Tun der Helden auszumalen. Allerdings verweilt er einen Augenblick bei dem Bild des leierspielenden Sängers er, nicht
ohne
amüsante
Überzeichnung,
den
Sieg der Leiertöne über die Sirenentöne schildert. Ist nicht der Sieg des Orpheus in den gleichen hellenistischen Kategorien erzählt wie der Sieg der Nymphen über die Plankten (S. 90f.)? — Es scheint, die
ganze Sirenengeschichte bei Apollonios ist eine raffinierte Variation
der homerischen. Über die Sage von Boutes, der sich als einziger den Sirenen in die Hände gibt, aber von Aphrodite im letzten Augenblick entrückt wird, wissen wir nichts. Die Verknüpfung, die Robert a. O. S. 789
herstellt, ist fragwürdig:
„Es
scheint, daß
der Elymer
Butes
früh
zum Argonauten geworden ist, indem man erzählte, er allein habe dem
lockenden Gesang der Sirenen nicht widerstehen können und sich ins Meer gestürzt, um zu ihnen zu schwimmen.‘‘ Man wird sich an dieser Stelle klar, wie gefährlich es isty die Genesis eines Sagenzustandes zu beschreiben (darauf hat Wilamowitz in den beiden Sitzungsberichten von 1925 über „Griechische Heldensage‘* gerade im Anschluß an Robert hingewiesen).
Denn
ist es nicht
wahrscheinlicher,
daß
sein.‘
denkt
statt dessen
an Messenien,
auch
Boutes, der
Athener (vgl. die Stellen bei Robert), zum Argonauten wurde, und dies nicht „„früh‘‘, sondern spät, als athenische Dinge mehr und mehr in den Sagenkosmos eindrangen? Reine Willkür ist esy zu sagen: „Schwerlich wird Attika die Heimat des Elymers Butes gewesen Robert
wo
ein Boutes
Thrinakria
123
überliefert ist. Warum soll dieser Boutes der Messenier von Sizilien aus an den Argonautenzug angeschlossen worden sein? Der Entwicklung nach, die die einzelnen Kristallisationszentren der Sage genommen
haben, ist es viel wahrscheinlicher,
daß Butes
der Athener den
Argonauten zugezählt und dann mit einer sizilischen Hirtengottheit des gleichen Namens identifiziert wurde (ßo0tnc = Hirte), die in einem ähnlichen Verhältnis zu Venus stand wie Adonis. Apollonios schildert die Episode mit Butes zwar äußerst knapp, deutet aber doch ihre erotischen Motive an: Der Argonaut wird durch den Gesang der Sirenen erregt, er wäre zugrunde gegangen, wenn nicht das Mitleid der Aphrodite gewesen wäre. Not der vor Liebe sehnsüchtigen Seele und Errettung durch die mitleidige Liebesgöttin! Auch : bei Homer gibt es Entrückungen (Liste bei Ameis-Hentze-Cauer 1913, zu Il. 3, 380), aber
diese
Entrückungen
geschehen,
weil be-
stimmte Götter den Troern einen Helden erhalten wollen (nur Troer werden entrückt).
Bei Apollonios
sehen
wir keinen Zweck,
nur
ein
Gefühl. Vermutlich lag die Geschichte von Butes schon bei Timaios vor, und Apollonios schmückt sie nur aus. Aber Butes den Athener hat Timaios kaum selbst erst als Argonauten eingeführt; denn die Eingliederung von attischen Lokalheroen in den Sagenkosmos liegt viel früher (vgl. S. 24 Anm. 1). Wahrscheinlich isty daß Timaios den athenischen Butes mit der sizilischen Hirtengottheit identifiziert hat. Homer sieht das Sirenenabenteuer entsprechend der Form der IchErzählung (Reinhardt, Von Werken und Formen S. 73) von dem Helden aus. So kann er über die Sirenen nicht mehr angeben, als wer sie sind, und wie die Insel aussieht, auf der sie wohnen (159). Bei Hesiod steht schon ein Name für die Insel. Diesen Namen übernimmt Apollonios und fügt eine Anzahl weiterer Angaben hinzu: Vater und Mutter; daß die Mutter eine Muse ist; was die Sirenen früher taten. Er führt
die Sirenen regelrecht mythologisch ein, sicherlichsy um dem großen Vorbild etwas Eigenes entgegenzusetzen. THRINAKRIA
(Od. 12, 127 ff., 260 ff. = Arg. 4, 965 ) Bei der Insel Thrinakria registiert Apollonios einfach die Vorbeifahrt, wie in den Periplusstücken der ersten beiden Bücher, es geschieht
gar nichts. Aber zum Ausgleich wird das Bild von den hütenden Son-
nentöchtern
breit
ausgeführt.
In der entsprechenden
homerischen
124
Exkurs
Partie, in der die Handlung ja sehr dicht ist, werden die Sonnentöchter vorgestellt: also verzichtet Apollonios seinerseits auf entsprechende Angaben. Dafür verleiht er ihnen individuelle Züge — die eine ist jünger, die andere älter - und weist ihnen verschiedene Funktionen zu. ZUSAMMENFASSUNG
Wie in der Vorgeschichte gegen Pindar und im Kyzikosabenteuer
gegen Kallimachos, so varliert Apollonios in den Abenteuern des vierten
Buchs gegen Homer. Immer setzt er voraus;, daß man sein Gegenbild
kennt.!
ı Vgl. A. Körte, Die Hellenistische Dichtung, Leipzig 1925, S. 193: „... Für den nächsten Teil der Irrfahrten gilt nur das Gesetz, daß die Argonauten alle Gefahren und Wunder/ die Odysseus zu bestehen hatte, gleichfalls erleben müssen ... Diese Neuprägung‘ berühmter Sagen hatte für Apollonios’ Hörer besonderen Reiz und ist ihm selbst gewiß besonders wichtig gewesen.“
SCHLUSSBEMERKUNGEN Immer wieder haben unsere Untersuchungen als die Besonderheiten der dichterischen Technik des Apollonios das Streben nach Variation
und das Streben nach gelehrter Vollständigkeit gezeigt. Das eine weist
in den Bereich des Poetischen,
quarischen,
mythologischen,
das andere in den Bereich der (anti-
geographischen)
Wissenschaft.
Damity
daß sich die beiden Merkmale unter die Antithese Dichter— Gelehrter
bringen lassen, wird der hellenistische Charakter unserer Dichtung
deutlich. Jede Erzählung erfordert Geschehen, nicht Aufzählung wissenschaftlicher Befunde. Deswegen erstrebt Apollonios den Ausgleich des gelehrten Elements und des dichterischen, oder genauer ihre An-
gleichung. Er macht Gebrauch von der Möglichkeit‚ die die Lokal-
historie gefunden hatte: den Mythos als historisches (will sagen rational zu ermessendes) Geschehen zu behandeln. Daher kommt, daß ͵ er statt eines großlinigen Tatenzusammenhangs eine Summe von.
kleinen Entschlüssen,
Handlungen,
von vielen einzelnen Orten,
Zeit-
punkten zum Ausgangspunkt seiner Erzählung macht. An all dieses _ heftet sich das aitiologische Interesse. Man muß dieses Interesse in _
seiner Verh_m_dung zur Lokalgeschichte sehen: es supkt zusammenzutrageny was für eine bestimmte Stätte an mythlschen Vorgängen gefunden werden kann, und bringt dies in eine literarische Form (Chronik, Monographie). Das aitiologische Interesse geht von dem Hinter-
! {
!
Jassenen aus, legt Längsschnitte an die Geschichte an, während eine / epische Erzählung nach Personen, nach (wenn man so will) Hinter- ; lassenden fragt, Querschnitte anlegt. Von Natur aus ist es zweierlei, den Lebenszusammenhang eines Helden, einer Gruppe von Helden, zu erzählen, oder eine Summe von aus sehr verschiedenen Zeiträumen
stammenden Antiquitäten zusammenzutragen. Wenn beides verbunden werden soll, ergibt sich ein Mißverhältnis zwischen der großen Linie des Lebenszusammenhangs (wie ihn beispielsweise die homerischen Gedichte darstellen) und den unzähligen kleinen Aitien-schaffenden Aktionen der Helden. Aber auch Aktionen‚
die keine Aitien liefern, scheinen uns im Ver-
hältnis zu dem/, was um sie herum erzählt wird, nicht wohl proportioniert: wir finden sie nebensächlich,
hinderlich für den
Fortschritt
126
Schlußbemerkungen
der Erzählung. Als Herakles den Ruf Jasons an die Helden Griechen-
lands vernimmt, ist er gerade mit dem erymanthischen Eber auf dem „
!
Rücken unterwegs (l, 126). Er entschließt sich, teilzunehmen.
: alles
ist in
der
Dichtung
summarischer
Bericlit,
nicht
Das
Handlungs-
erzählung. Aber dann folgt die Schilderung einer Aktion (128/29) ; wir erfahren, was
Herakles
mit dem
Eber macht,
den er ja nicht mit-
nehmen kann: er legt ihn vor den Toren Mykenes ab. Es erscheint grq_i_:_esk, daß wir ausgerechnet das erfahren. Aber man darf nicht glauben, es sei eine besondere Manipulation des Apollonios: nach dem Scholion zur Stelle berichtete auch Herodor darüber. Welchen Zusammenhang diese Mitteilung bei ihm gehabt hat, wissen wir freilich nicht. Bei Apollonios steht sie jedenfalls (so plausibel sie an sich ist: Herakles geht vor lauter Eile gar nicht erst in die Stadt hinein!) in einem grotesken Verhältnis zu ihrer Umgebung. Versuchen wir dies genauer zu bestimmen. Die Verse 128/29 bilden das Geschehen in einem großen Maßstab
ab, machen
also noch sehr
kleine Aktionen sichtbar. Die umgebenden Verse dagegen betrachten
‚es in kleinem Abbildungsmaßstab, so daß alle Einzelheiten verschwin-
den (es werden also nur die gröbsten Fakten sichtbar), sie haben eine Eigenschaft, die wir an anderer Stelle‘resümierend’(weil einen detaillierten Handlungszusammenhang in knappe Formeln zusammenfassend) oder verkürzend’genannt haben. Jetzt wird uns klar; was wir als Mißverhältnis empfinden: die Verschiedenheit des Abbildungsmaßstabes. Auch die aitiologischen Partien weisen einen kleinen Abbildungsmaßstab auf. Nun erinnern wir uns an das, was wir eben von der großen Linie des Lebenszusammenhanges in den homerischen Gedichten sagten. Der homerische Erzähler hält den Abbildungsmaßstab ein, mit dem er einmal zu erzählen angefangen hat. Eine Summe von zusammengehörigen Aktionen leidet grundsätzlich keine Veränderung dieses Maßstabs.
Der
extreme
Fall kann
niemals
eintreten,
daß
über
eine
Teilhandlung auf einer der Stationen der Irrfahrt des Odysseus mehr erzählt wird als über den Rest der Teilhandlungen zusammen. Wenn Odysseus
reist, dann
sind
die einzelnen
Akte
des
Reisens;,
die wir
erfahren, die einzelnen Erlebnisse,von gleicher Wichtigkeit, auch für unser Ermessen:
wir haben
nicht das Gefühl, daß
Einzelheiten ge-
wichtiger sind als der Zusammenhang des Ganzen. Wenn nun aber die Argonauten reisen, dann erfahren wir von dem einen Teil der Reise sehr viel, vom
anderen
kaum
den
Effekt,
nämlich, daß
sie ihr
Ziel
Schlußbemerkungen
127
erreichten. Denn da jede Erzählung einer gewissen natürlichen Ausdehnungsbegrenzung unterliegt, kann man eine solche Reise nicht so
erzählen, daß man von jedem Zeitintervall (das Apollonios sehr klein
verkürzt Apollonios das eine zugunsten einer fast grotesken Breite des
’
bemessen würde) gleich viel Details erzählt — dann schwölle das Epos ins Uferlose. Man kann nur eine begrenzte Summe von Versen für die Reiseschilderung in Anspruch nehmen. Während nun Homer diese begrenzte Summe von Versen 80 einteilt, daß alle genannten Aktionen ungefähr gleichgewichtig sind, daß also im Gleichtakt erzählt wird,
Handlungen zu erzählen. Wenn ein „Lebenszusammenhang‘‘, wie wir es nannten, erzählt wird, muß das Kleine natürlicherweise zugunsten
“ ‘:
anderen. Aber wir sahen gleich zu Anfang, daß dies eine allgemeine Folge der Verbindung von aitiologischem Interesse mit der Absicht ist, einen größeren in der Dimension der Zeit ruhenden Komplex von des Großen weichen, und gerade das Kleine, Singuläre ist der Gegenstand des aitiologischen Bemühens. Aber das Mißverhältnis zwischen einer und der anderen Teilaktion
war nicht das« einzige Mißverhältnis bei Apollonios. Es bestand auch
ein Mißverhältnis zwischen dem Erzählten insgesamt und der Wahrscheinlichkeit, den Möglichkeiteny die nach unserer alltäglichen Erfahrung bestehen. Dieses Mißverhältnis bestand allerdings nur an einigen bestimmten Stellen; es steht auf einem ganz anderen Blatt als das vorher beschriebene. Wenn
Plankten
Apollonios retten,
schildert, wie die
wie
die zahllosen
Nymphen
die Argo
Völkerstämme
an den
über
die
Ufern
des
-
Istros alle in Angst fallen vor dem einen Schiff, dann bemerken wir ein Mißverhältnis zwischen dichterischer Realität und unserer Erfahrung, wir haben ein Paradoxon, etwas Unerwartetes vor uns. Aber
nichts ist mehr im Sinne des Hellenismus! Auf Kallimachos
wir in diesem
also in Mythos die an er ihn
Zusammenhang "schon hingewiesen
einer Weise der Dichter seinen Leser aus in den der Alltäglichkeit führt, indem er den tausend Nichtigkeiten seines Alltags auf der anderen Seite in einen Bereich der
erfährt, die in seiner Zeit unter keinen
haben
(S. 91). Während
dem Bereich des ihm Helden zeigt; teilhaben, geleitet Sage, wo er Dinge
Umständen
mehr geschehen
würden — aber so, daß ihm jedesmal das Vergnügen darüber kommt, daß das Erzählte doch ‘eigentlich gar nicht hätte geschehen können’. Die Restitution des Sagenhaften gilt also vor allem für den Bereich des hellenistischen
Witzes,
der verblüffenden
Einfälle.
-----
,
128
Schlußbemerkungen
Kehren wir nun aber zu dem Mißverhältnis zwischen Teilaktionen zurück, von dem wir ausgegangen waren. Unsere Beobachtungen
Jassen sich mit dem
zusammenstellen, was
wir in Kap. X
über die
Szenen der Abfahrt und Ankunft gesagt haben. Bei Homer verteilt sich das Interesse gleichmäßig, bei Apollonios nach dem Gesichtspunkt des Aitiologischen, oder, wie bei der Lemnosgeschichte, nach der besonderen Aufmerksamkeit,y die er der seelischen Seite des Geschehens zuwendet (S. 85f.). Apollonios erzählt auch dann eine Teil. «aktion ausführlich, wenn er nachfolgendes Geschehen dadurch motivieren kann (Ruderwettstreit, S. 85). Welcher Art ist das Geschehen, das er in diesen Fällen motivieren will? Durch den Ruderwettstreit wird der Gang des Herakles in den ‚ Wald motiviert, durch diesen die ganzen Ergebnisse der Herakles-
; Hylas-Episode. Der Komposition dieser Episode lag aber die Absicht zugrunde, viele (teilweise widersprüchliche) Überlieferungen in ein . plausibles Ganzes umzuschaffen. Apollonios erstrebt also, daß die ' einzelnen Überlieferungen (die entweder aus einem fremden Zusam-
"
—
menhang stammen oder, wie das aitiologische Detail, lokal gebunden, ursprünglich nicht in den bestimmten Lebenszusammenhang eines Helden oder einer Gruppe versetzt werden) Folgen der Handlung sind,
die er erzählt. Er will eine Handlung so erzählen, daß man sich vor-
stellen kann, wie an dieser Stelle diese Überlieferung, an jener Stelle jene entstanden ist. Er will die Vielzahl einzelner Sagenversionen 80 mit seiner Erzählung verbinden, daß sie jeweils an bestimmte Aktionen seiner Helden,
an bestimmte
Teile des Erzählungsverlaufs
geknüpft
' sind. Auch damit macht er mythisches und geschichtliches Geschehen
zu einer Einheit: denn das mythische Geschehen ist begreifbare Ursache für dasy was in geschichtlicher Zeit erzählt und an Bräuchen geübt worden ist. Natürlich kann man nicht soweit gehen zu sagen, dies sei der Euhemerismus des Apollonios, seine Doktrin von der Be-
schaffenheit des Mythos und damit eine Weltanschauung. Denn wir können nur feststelleny daß Apollonios seine Leistung als spielerische Kombination betrachtet, sonst wären Kombinationen wie die zwischen
‘
Erginos, Ankaios und den übrigen Seekundigen unter den Argonauten (vgl. S.43ff.) nicht möglich. Der Dichter befolgt die Gesetze eines Spiels,
die verlangeny daß man so wahrscheinlich, man kann auch sagen: so
täuschend ‚wie möglich kombiniere: die aus der Addition aller Sagenversionen gewonnene neue Version soll möglichst viel widerspruchsfrei erfassen, reich an Assoziationen sein, diejenigen Überlieferungen abery
Schlußbemerkungen
129
die man gar nicht brauchen kann, möglichst wenig verwandeln. Wir kommen also nicht zu der Behauptung, Apollonios wolle die mythische , Zeit rationalisieren, sondern sehen‚ daß er durch möglichst kunstreiche Behandlung der Sagenversionen eine neue Version schaffen will, die . die alten Versionen möglichst unbeschädigt erhält. Die Kategorie,. unter der Apollonios sein Tun beurteilt, scheint nicht die der Wirklichkeit im Verhältnis zu den gegenwärtigen Menschen, sondern die | der Ähnlichkeit im Verhältnis zu den überlieferten Sagen zu sein. Es! ist also eine echt gelehrte Kategorie. Σ Nun müssen wirnoch bedenken, daß Apollomos mit dem Vorbild Homer vor Augen erzählt hat. Aber vor allem in einem hat er dieses Vorbild nicht befolgt: sein Werk ist viel kleiner als Ilias oder Odyssee. Können wir dafür einen Grund angeben? Aristoteles empfiehlt an einer längst noch nicht ganz geklärten Stelle der Poetik (1459b 18 ff.), den Umfang eines Epos kleiner zu halten als ἀϊὸ σύστασις τῶν ἀρχαίων, ihn etwa auf die Länge von drei Tragödien zu begrenzen. Schon Körte ' (Hell.
Dicht. S. 153)
stellt
eine
Verbindung
zwischen
Aristoteles’
Empfehlung und dem Umfang der Argonautika her, genau ausgeführt hat es Mehmel, Virgil und Apollonios Rhodios, S. 17. Wir begreifen: Apollonios mußte auf geringerem Raum erzählen. Man kann sagenz: statt epischer Breite war sein Gesetz epische Sparsamkeit. Aber hinzu kam die Forderung nach wissenschaftlicher, will sagen aitiologischer,Genauigkeit. Das Ergebnis beider Forderungen ist die Ausscheidung alles dessen, was bloß Raum füllt, nicht prägnant genug ist: Formelverse, breite Schilderungen des technischen Details, typische Szenen überhaupt. Bestimmt ist es ein vorschneller Entschluß, wenn man diese neue Praxis der Vermeidung jeglicher Wiederholung direkt als Konsequenz der Empfehlung des Aristoteles ansieht. Wird doch auch da ein Streben nach Abwechslung,
Variation) beobachtet, wo es
nicht um Sparsamkeit und Breite ging: in den Fällen; wo es galt, eine bereits vorliegende Geschichte neu zu erzählen (Pindar, Pyth. 4; Abenteuer bei Kirke, Sirenen, Schicksal der verfolgenden Kolcher). Der
Dichter muß
bemüht
sein zu ı beweisen,
Neues emfäll_t nur aus dlesem
daß ihm immer
Grunde sucht er neue
etwas
Beleuchtungen
fur eine alte Gesclnchte Auch daß im Heldenkatalog die Verben variieren, hat nicht seinen Grund in der Sparsamkeity sondern in dieser Art von Variation. Deswegen muß man vorsichtig damit sein, das Fehlen von typischen Szenen lediglich als eine Konsequenz der arıstotelischen Auffassung zu betrachten. 9 Händel
130
Schlußbemerkungen
Fragen wir uns, von dem Gedanken an die Variation ausgehend, ein letztes. F. Stoessl hat in einer Arbeit vom Jahre 1941 (Apollonios Rhodios, Interpretationen zur Erzählungskunst und Quellenverwertung) behauptet, daß eine Reihe von Erzählungsteilen bei Apollonios (Lemnosgeschichte, Abfahrt von Pagasai, Hochzeit auf Kerkyra, Apsyrtosmord) auf tragische Vorlagen zurückgehe. Er arbeitet sehr stark mit dem Begriff der ‘“Verkürzung’,! der ihm diejenigen Stellen finden hilft, an denen seiner Meinung nach eine tragische Vorlage beschnitten, zusammengestrichen, aptiert worden sei. Diese Behauptungen sind nicht unwidersprochen geblieben, zum Beispiel unterzieht H. Herter, Rhein. Mus. 91 (1942) S. 237 ff., Stoessls Interpretation des Asyprtosmordes einer genauen Analyse. Wir würden zwei grundsätzliche Fragen stellen: 1. Woher kommt die Verkürzung? Wir haben an vielen Stellen gezeigt, daß dem verschiedenen Abbildungsmaßstab in der Erzählung ein verschiedenes dichterisches Interesse zugrunde liegt. Dieses Interesse muß man aus den allgemeinen Bedingungen des Hellenismus verstehen.
Erinnern
wir uns
nur der Reden,
die, wenn
sie ein Haupt-
gewicht der Handlung trugen, oft nur ein ganz kleines Resümee der von ihnen ausgelösten Folgen nach sich hatten, oder auch des sogenannten aitiologischen
Bßen Zügen
erzählten
Details, wo sich plötzlich, unter in ganz gro-
Geschehnissen,
ein ausführlich
dargebrachtes
1 In unserer Untersuchung erscheint der Begriff oft in dem Sinn, daß die mögliche (oft sogar wünschbare) weitere Ausführung einer Episode unterblieben ist.
Schon Ibscher a. O. S. 103 ff. führt den Begriff der Verkürzung in diesem Sinn ein. Die Handlungsteilez‚ die von einer solchen Verkürzung betroffen sind, nennt
er „‚unterdrückte Szenen‘“ ‚und sucht jeweils zu begründen, warum eine solche unterdrückte Szene da ist. Seine Bemühungen führen an einigen Stellen zu den gleichen Ergebnissen wie die unseren, so vor allem für die Geschichte vom Apsyrtos-Mord (vgl. hier S. 75 ff.): „„Die Ausführung hätte die Wiederholung gebracht und die Erzählung zerrissen‘“. Freilich ist hier ein Einwand gegen den zweiten Teil von Ibschers Behauptung möglich (vgl. schon S. 8 Anm. 1). Die alte Epik zumindest duldet Dinge, die ähnlich sindy wie ein genauer Bericht über den Mord an Apsyrtos aussehen möchte: denken wir nur an die Doppelung von Ich- und Er-Erzählung über den gleichen Vorgang in der Eurylochos-Szene bei Homer (S. 83). Das ästhetische Empfinden spricht also in der Zeit nicht gegen den sogenannten „doppelten Bericht‘‘, jay es scheint ihn geradezu herbeizuwünschen. Wenn nun aber Apollonios, und mit Llhm seine ganze Epoche, Wiederholungen dieser Art zu vermeiden sycht, so ist das Störende doch wohl die Langeweile (wie in den Katalogen, vgl. S. 15) und nicht ein gegen das Zerreißen der Erzählung sprechendes Empfinden. Denn wie vermöchte ein Bericht über Elemente der Handlung den Verlauf des Gesamtsberichts eben dieser Handlung zu stören? Soweit unser Einwand gegen den Begriff, den
Ibscher verwendet.
‘
Schlußbemerkungen
131
kleines Handlungsgefüge fand, bloß weil dessen Details vom aitiologischen Standpunkt des Dichters aus Gewicht und Bedeutung ge-
wannen. Das wechselnde Interesse rafft oder dehnt das Handlungsgewebe. 2. Verwendet Apollonios unbedenklich Vorlagen, die jeder kennt, so daß sie jeder wiedererkennen kann? Wir haben oft gesehen, daß er vermeidet, andere zu wiederholen, vielmehr dem bereits behandelten
Stoff neue Momente abgewinnt. Und im Fall der Abfahrt aus Lemnos
kann
man
vermuten,
daß
der Dichter von dem
Schicksal der Söhne
Jasons nichts erzählt hat, weil darüber jeder durch Eufipides"fierühmte Tragödie Hypsipyle Bescheid wußte (vgl. S. 62 Anm. 1). Wir können‚,nach
allen sicheren Indizieny
die wir in der ἷἷἔᾗ“ἆἷεὗἆπ, da-
rauf rechnen, daß Apollonios seine Quellen so verwendet, daß jeder einen Unterschied in Aufbau und Dynamik erkennt. Vom Prinzip der ‘epischen Sparsamkeit’ und dem
Prinzip
der
Variation aus vermögen uns also Stoessls Thesen nicht zu gewinnen.
"
2
NACHWORT Diese Arbeit beruht auf meiner Dissertation, mit der ich im Jahr 1951
in Heidelberg promovierte, aber viele Teile sind neu geschrieben. Daß sie in den „Zetemata‘*
erscheinen kann, verdanke
ich neben
der Freund-
lichkeit der Herausgeber dem großen Entgegenkommen der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der C. H. Beck’schen Verlagsbuchhandlung. Für vielfältige Hilfe habe ich zu danken: meinem Lehrer Professor Regenbogen, Professor Burck und Professor Diller, die die Drucklegung des Buches vorbereitet und sowohl im Manuskript wie in den Fahnen vielerlei durch Rat und Kritik verbessert haben. Wilhelm Ehlers hat die in der Arbeit vorgeschlagenen Lösungen noch einmal erwogen und auf manches Wichtige hingewiesen. Natürlich bleibt die Verantwortung für das Vorgetragene allein beim Verfasser. — Bei der Anfertigung des Re-
gisters war Herr cand. phil. Wolfgang Klug so freundlich, mitzuhelfen. Die Literatur der allerletzten Zeit konnte bis auf einige Ausnahmen nicht mehr berücksichtigt werden. Sehr bedauerlich ist, daß die Ungunst der Nachkriegsverhältnisse verhinderte, die 1939 erschienene Dissertation von Rolf Ibscher in größerem Umfang zu benutzen — zumal sich einige ihrer Fragestellungen
mit
denen
dieser Arbeit
berühren
(vgl.
S. 8 Anm. 1). Die in Anführungszeichen gesetzten deutschen Wieder-
gaben griechischen Texts machen keinerlei Anspruch darauf, Reiz und
Eigenart der fremden Sprache in unsere eigene umzusetzen; auch vereinfachen sie öfter, wenn es nur um das Sachliche oder die Situation geht. Heidelberg, April 1954
P. H.
VERZEICHNIS: DER
HÄUFIGER
ERWÄHNTEN
LITERATUR
Ausgaben: The Argonautica of Apollonius Rhodius, edited with Introduction and Commentary by G. W. Mooney, London-Dublin 1912. The Argonautica of Apollonius Rhodius, Book III, edited with Introduction and Commentary by M. M. Gillies, Cambridge 1928. Scholia in Apollonium vetera rec. C. Wendel anum IV), Berlin 1935.
(Auctarium Weidmanni-
Callimachus ed. R. Pfeiffer, vol. I fragmenta, Oxford 1949.
K. Blumberg, Untersuchungen zur epischen Technik des Apollonios von Rhodos, Diss. Leipzig 1930. A. Couat,
La
po&sie Alexandrine
sous les trois premiers
Ptol&mö&es,
Paris 1882. ' E. Delage, La g&ographie dans les Argonautiques d’Apollonios de Rhodes, Bordeaux-Paris 1930.
H. Faerber, Zur dichterischen Kunst in Apollonios Rhodios’ Argonautica (Die Gleichnisse), Diss. Berlin 1932.
L. Hensel, Weissagungen in der hellenistischen Poesie, Diss. Gießen 1908. G. Huber, Lebensschilderung und Kleinmalerei im hellenistischen Epos, Diss. Basel 1926.
L. Klein, Die Göttertechnik in den Argonautika des Apollonios Rhodios, Diss. Freiburg (abgedruckt Philol. 86, 1931, S. 18-51. 215-257).
F. Mehmel, Valerius Flaccus, Diss. Hamburg 1933 (zitiert als „Mehmel,
Valerius Flaccus“‘). F. Mehmel, Virgil und Apollonios Rhodios, Untersuchungen
über die
Zeitvorstellung in der antiken epischen Erzählung, Hamburger Arbeiten zur Altertumswissenschaft 1, 1940 (zitiert als „Mehmel, Apol-
lonios‘* oder nur mit Verfassernamen). F. Stoeßl, Apollonios Rhodios, Interpretationen zur Erzählungskunst
und Quellenverwertung, Diss. Bern 1941. H. Venzke, Die orphischen Argonautika in ihrem Verhältnis zu Apollonios Rhodios, Neue Deutsche Forschungen VIII 13, 1941.
134
Verzeichnis
der häufiger
erwähnten
Literatur
U. v. Wilamowitz, Hellenistische Dichtung++ im Zeitalter des Kallimachos, 2 Bde., Berlin 1924 (zitiert als „Wilamowitz, Hell. Dicht.“‘‘). U. v. Wilamowitz, Die griechische Heldensage, SB. Berlin 1925, S. 4162. 214—242, abgedruckt in den Kleinen Schriften V 2, 1937, S.54-126 (zitiert als „Wilamowitz, Heldensage‘‘).
R. Wyss, Die 1931.
Komposition von Apollonios Argonautika, Diss. Zürich
REGISTER (Die kursiven Zahlen
bezeichnen die Seiten. A. = Anmerkung; über eine Seite hinausreichende Anmerkungen sind unter der Seite angegeben, auf der sie beginnen.)
A.BEHANDELTE Aischylos Agam. 503 ff.: 112 A.1I Apollodor bibl. 2, 1, 5, 13: 26 Apoll. Rhod. Argon.
1, 1: 48; 1-23: 9 ff;; 5 ff.; 12; 20: 34 A.1l; 22: 10 A.2; 23 £.:17"31 19; 34: 18'”᾽΄0 20; 52: 21; 57 £.: 20; 101:
23; 111:13; 122 8΄.: 27, 27 Α. 1; 126 Ε:
126; 134: 25; 136: 25 Α.1; 174: 54; 176: 22; 209: 12; 228 ff.: 15, 34 A.1; 234:
15;
242:
13;
112
Α.1;
256:
12;
278:
13;
29] : 12; 300: 13; 310 ff.: 46; 321 ff.:
45;
336:
408 : 54; 411: 70; 70; 460 ff.: 71; A.2; 496 ff. (= 65; 519: 83; 548 : 70, 83; 585 ff.:
363ff.:
70,
83 f.;
416®* 112 A. 1; 440 £ff.: 476 ff.: 71; 492: 115 Orph. frg. 29 Kern): 48; 553 ff.: 78; 559 ff.: 29, 47; 592: 57 Α.1,
67 A.2; 608: 35, 85; 623: 36; 633: 35; 691: 96; 730 ff.: 70; 875 ff.: 86; 910:
83; 913: 86; 919: 47; 922: 57 Α.1; 934: 42; 936 ff.: 50; 941 ff.: 35 f.; 950: 54; 953 £f.: 85; 954 : 59; 955: 50; 961 £.: 53; 969: 64 4.1; 972 ff.: 53; 979: 53 A.3; 982 ff.: 54; 989 ff.: 54; 1003 ff.: 54; 1013 ff.: 55; 1024: 56; 1035 ff.: 56; 1039 ff.: 16 A. 3, 55; 1092 ff.: 55; 1151:
85; 1152; 29, 83; 1187 ff.: 29; 1220: 42; 1240 ff.: 20; 1269: 37 A. 1; 1273 ff.: 86; 1279: 67; 1280 f£.: 37 f.; 1294-96: 38; 1298 ff.: 38f. 115 A. 2; 1300: 115 Α. 2;
1302 ff.: 41;
1304:
62 A.l;
27, 32, 39; 1315 £#.: 1348: 32; 1472: 32
39;
1310 f£f.:
1317:
56;
2, 102 6.:ὄ 16 Α..3; 115: 22; 1717 Ε.: 85; 328 ff.: 69; 333: 87; 408 ff.: 96 A.2; 409 : 100 A. 1; 420 ff.: 63; 456: 46 Α.1; 498 ff.: 42; 528: 42; 537: 89; 540 Ε: 87 : 5128.: 88; 591: 89; 598: 89; 604: 89; 620 ff.: 68; 638 ff.: 68; 641 ff.: 69; 674: 39; 774: 29; 815 ff.: 72; 837:
61l A. 2; 843 £.: 73; 845 ff.: 72 f.; 851£f:. 43, 74 A.l; 865: 44; 881: 56; 895: 44; 3911 Β.: 47; 9211.: 97; 922 £.: 49;
STELLEN
‚965: 57 Α4.1; 966 ff.: 115 A.2; 984: 36 A.l; 985: 115 A.2; 1090 f.: 40; 1093 ff.: 39 A.l, 66; 1155: 46 A.I; 1194: 12 f.; 1208 ff.: 80 A.l; 1262 ff.:
84; 1271:47; 1277: 112 A. 1
3, 27: 116; 66 ff.: 14; 141: 112 A.2; 248 ff.: 98; 251 : 116; 257 ££.: 99; 260 £f.: 99; 287 ff.: 100; 291 ff.: 100; 304—438: 101 f.; 333 6.: 12 [.; 422 £.: 100 A. 1; 444 : 103; 452 : 99 A.2; 463: 103; 464 ff.: 110; 471 ff.: 104; 485 ff.: 104; 492 ff.: 104 A.l; 504: 100 A.1; 516: 27; 540: 64 Α4.1]1. 104; 545 ff.: 112; 61l1: 106; 616-825: 106 ff.; 636 £f.: 110; 640 £f.: 108; 642 ff.: 109; 681 f£.: 100 Α.1;
682 ff.:
108;
688 ff.:
109;
719:
109;
724 ff.: 109; 740 ff.: 109; 771 f£.: 110; 828 £.: I11; 913: 111; 932 ff.: I11; 981: 112; 1011 ff.: 100 A.1; 1069 £ff.: 112 f.; 1074: 113; 1077: 114; 1083 ff.: 113; 1096 ff.: 113; I110: 113; 1120 £.: 114; 1131 ff.: 114; 1205: 75 A.lI; 1232{f.: 118; 1240 ff.: 59 A.lI; 1246 £.: 118; 1289 ff.: 118; 1313: 118; 1327: 118; 1365: 118; 1370 ff.: 118; 1386 ff.: 118 4, 11f£.: 115; 20 ff.: 115; 30 £.: 80; 58 ff.: 80; 129: 59 A.l1; 195: 112 A.1; 204 ff.: 84; 241 ff.: 58. 64 A.l; 248: 47; 256 ff.: 64; 294: 66; 303 £ff.: 58; 309 ff.: 58; 320: 60; 323 ff.: 60; 338 ff.: 76; 340: 75; 417: 76; 422: 75; 435: 76; 452 ff.: 76; 516 ff.: 52; 522: 66; 552: 21 A.3; 557ff.: 58; 562 ff.: 62. 66; 572: 66 A.l; 578: 66; 596: 61l; 619: 61; 627.: 61; 639: 67; 640: 61; 645 ff.: 61; 648: 61; 659 ff.: 119; 763: 770.; 115: 78; 182 8.: 77; 783 £.: 79; 807: 80; 814: 80; 825 ff.: 81; 834 £l.: 80; 852 ff.: 78 f.; 880: 795 891 £ff.: 121; 916: 115 A.2; 920ff.: 77; 924 ff.: 89 ff.; 928 ff.: 78; 940 ff.: 90 f.; 965 £f.: 123; 1068 ff.: 96; 1106: 109 A. I; 1110: 96; 1118: 109 Α.1; 1209 ff.: 51; 1212:
136
Register 9, 39: 35; 84: 35; 88: 54; 100 £.: 82; 177: 82; 471 £.: 82; 507 ff.: 64 A.1; 561 ff.: 82 10, 100: 54; 210£f.: 83, 119; 250 ff.: 83; 330 ff.: 64 Α4.] 11, 84 ff.: 48; 152 ff.: 49; 235 ff.: 16 12, 39 ff.: 121; 71: 115 A.2; 127 ff.: 123; 166 ff.: 121; 260 ff.: 123 13, 93: 42 A. 2; 172 ff.: 64 A. 1; 187 £f.:
36 A.l; 1216: 41; 1225: 66; 1228 ff.: 58; 1229: 66 A. 1; 1231 ff.: 66; 1232 ff.: 6l A.2; 1261 ff.: 67; 1305: 115 Α. 2; 1208: 67; 1316 ff.: 59; 1323: 100 Α.1; 1358: 109 A.lI; 1381: 21; 1393 ff.: 27; 1464 ff.: 28; 1479 ff.: 28; 1502: 56; 1106: 89 4.1; 1764: 42; 1773: 48; 1775 ff.: 62 Α.1. Arat Phaenomena 71 ff.: 112 A. 2 Aristoteles Poet. 1450b 32: IIl; 1459b 18 ff.: 129; 1459b 19: II; 1460a 6 ff.: 95 A. 3
Dionys von Halikarnass de comp. 102 p. 67 Us.-Rad.: I5 Euripides Helena 99: 23 A. I Hippol. 1300: 37 A. I Iph. Aul. 547 f.: 37 A. I Medea 1019 ff.: 110
102;
1,
189:
493 ff.: 94 A.1
101;
424:
27
Hymn. auf Delos 162: 91 Hymn. auf Artemis 26 ff.: 100 A. I Iamben frg. 197 Pf.: 50 A.2 Adespota frg. 716 Pf.: 36
3, 380: 123 4, 1 f.: 94 A. 1; 517 £.: I6 A. 3 5,37: 55 6,484: 99 A. 1
Nikander frg. 48: 29 A. 1 Orph. frg. 29 Kern (= Apoll. Rhod. Argon. 1, 496 ff.): 65 A. 1
8, 1 £.: 94 A.I 9, 372 £.: 108; 695: 100 A. 1
32 A. I1
100 A. 1 80 ff.: 89
Od. 1, 10: I1; 22: 39 A. 1; 51 £.: 81
4, 46]: 32 4.1; 704: 100 A. 1 5, 1 ff.: 94 A.1; 70 ££.: 97
6, 25 ff.: 95 A. 2; 236 ff.: 95 7, 14 ff.; 97; 82 ff.: 97; 457 f£.: 95
8, 293: 39 A.l1
‚
Pausanias
16 A.2
Pindar
3, 24, 10: 23 A.I;
Pyth.
4, 25:
61
A.2;
5. 8, 6 ff.: 10 4.:
14;
159 ff.: 13 A.l; 214 £.: 117 A.l; £rg. 29 Schr.: 59 Α.] Plutarch glor. Ath. 14, 347 F.: 59 A.1 Thes.
302: 32 A. I; 455 ff.:
283 ff.: 84;
Pf.: 111 A.2;
A.2;
2, 110 . : 68; 155: 12
11,61: 108; 100: 12, 445 : 118 13, 1 ff.: 94 A.1 14, 20: 101; 294: 15, 1 ff.: 94 A. 1; 17, 695: 100 A. 1 18, 159: 108 20, 1 ff.: 94 A.1; 16 A. 3 21, 464 : 108 22, 405 £.: 53 23, 65 : 48 24, 216 : 90
84;
406 £.: 97 24, 4Ί: 109 Α4.1; 55: 109 Α.1; 69: 90; 73 ff.: 47 Hymn. 25, 1: 9 Horaz ars poet. 136 ff.: I1; 151 £.: 11 Kallimachos Aitia frg. 1, 5 Pf.: 48 A.1; 11 Pf.: 52; 12, 3 ff. Pf.: 51; 12, 6 Pf.: 41; 75, 54 . Pf.: 21; 108 f. Pf.: 50; Hekale frg. 53-57 K.: 106 — frg. 230 Pf.: 42 Α. 2. 50 A.2. 111 A.2; 260, 16 ff.
Hesiod Erga 159: 48 [Hesiod] Freier d. Helena. Berl. Klassikertexte V 1 (= frg. 96 Rz. 3) 1 ff.: 16; 49: 23 Α.] Il.
27.:
16, 167 ff.: 102; 364 ff.: 96; 394 ff.: 96;
verb.
Herodot 6, 55: 21 A. 2
Homer
375 £.: 102
15, 15 ff.: 84; 298 : 84
14: 106 A.1; 29, 3: 24 A. 1
Sappho frg. 7 D.: 59 A. 1 Schol. Apoll.
Rhod.
1, 57: 20;
1037:
55;
1039: 55; 1289: 29; 1300: 40 — 2, 843: 74 A, 2; 844 : 73; 928 : 49 Schol. Hom. Il. B 2, 494 : 15 A. 2 Sophokles Oedip. auf Kol. 84 ff.: 112 A. I
Strabo 7, 3, 6: 36 A.l1; 8, 6, 2: 25; 10, 3, 17: 18 Theokrit 2, 81: 100 Α.1;
138: 100 A.1 -
3, 42: 100 A.l Thukydides 1, 97, 2: 24 A. 2
Register
137
B. NAMEN Aietes 59 A.1. 97, 101 ff., 105, 118 Akastos 45 ff. Alkinoos 51, 95, 96
Amazonen 115 A.2 Ankaios 43 f., 128 Aphrodite 104, 116 A. 1, 123 Apsyrtos 51, 66, 75 ff. Argo 35, 43, 45, 55, 59, 59 A.l, 60, 61 A.2, 77, 78, 90 ff., 127 Argos, Argonaut 45 ff. Argos, Phrixos Sohn 40, 64 f., 66, 80 A. 1, 104, 111 Ariadne 112, 113 A. 1 Asterion 22 Asterios 22 Athene 13, 16, 81, 89, 81 £., 102
Boreaden 37 ff. Butes 122 f. Chalkiope 39 f., 98 f., 108 ff. Dindymon 53, 55, 85
Dionysos 112, 113 A. 1 Dolionen 54 f., 85 Drepane 58, 65 ff. Ephoros 24 A. 2, 55, 73 Eratosthenes 24 A.2 Erginos 43 f., 128 Eridanos 61 f. Eros 99 f., 102 f. Erytos 21 Euphemos 43 f., 87 Eurylochos 83, 98 Eurytos 21 Glaukos 27, 37 ff., 56 Hekate 81, 104 f. Hektor 53, 118
Hellanikos 24 A.2, 25 A. 1
Hephaistos 77 f., 89 ff. Hera 13, 14, 43, 61, 66, 67, 77 ff., 91 f., 102, 105, 110 f., 115 Herakles 20, 25, 27 ff., 40, 41, 54, 105, 118, 126, 128 Hermes 119 f. Herodor 17, 74 A. 2, 126
Homer 7, 83 ff., 129 Hylas 20, 27 ff., 85, 128 Hypsipyle 75 A. 1, 86, 95 A. 1, 130
Idas 71 f., 113 Idmon 56, 70 ff. Iphias 46 Iphitos 21 Iris 77
Istros 52, 58, 64 ff., 127
Jason 12 ff., 27, 34, 37, 38, 39 Α.1, 40, 44 ff., 54 ff., 64 A. 1, 68 f., 71, 75 A. 1, 76 f., 84, 86, 97, 100 ff., 119 ff., 126 Kaineus 20 f. Kallimachos 10 A. 2, 11 A. 1, 21, 43, 51 ff., 64,70 A. 1, 91, 111, 124 Kalliope 18 Kallisthenes 55
Kalypso
Kanthos
97
32
Kastor von Rhodos 24 A. 2 Keraunia-Berge 52, 62 Keyx 32 Kirke 98, 119 ff. Kios 31
Kolchis 13, 63, 84, 107 f., 115 Koronos 20 Krataijs 81
Kyaneen 51, 63, 68, 82 ff., 87 Kyrene 42 f. Kyzikos 42, 50 ff., 59
Lemnos 35, 54, 85 f., 130 Leto 91
Libyen 61 A. 1, 64 ff. Lynkeus 28
Magnesia 18, 55 Medea 62 A. 1, 75 ff., 93 ff. Megarer 73 Minos 114 Minyer 34, 113 Mopsos 49, 56, 104, 111f. Naubolos 25 A. I Nauplia 25 Nauplios 25, 43 f. Nausikaa 94 f. Nymphen 90 f., 127 Odysseus 54, 82, 94, 98, 102 f., 119 ff., 126 Oiagros 18 Orchomenos 99, 113 Orpheus 17 ff., 25 f., 49, 65, 74 A.2, 122
138
Register
Pagasai 13, 34, 85
Ptolemaios
Palamedes 25 Peleus 44, 72, 75 ff., 104
Philadelphos
91
Pylos 84 Rhodanos 61 f., 67
Pelias 12 ff., 45, 62 A. 1, 102
Satyros 113 A 1
Pindar 124
Samothrake 47
Penelope 96
Sirenen
121
Phäaken 94 Pherekydes 17
Skylla 81 Sthenelos 47 ff., 97 Symplegaden 69
Phrixos 12 f., 59
Telamon 37 f.,
Philochoros 106 A. 1 Phineus 40, 63 ff., 69, 87 f., 104 f.
Telemachos 84, 96, 102
Pierien 18
Theokrit 29
Plankten 77, 82 ff., 89 f., 127
Thesus 22 ff., 106, 112 f., 115
Polyphem 20 f., 27 ff.
Thetis 75 ff., 90
Polyhymnia 18
T?loas 36 Tiphys 37, 43, 50, 56, 69, 73 f., 87 f. Zeus 66, 80
Poseidon 13, 25, 59 A.l1 Priamos 12, 53 Promathidas 73
C.BEGRIFFE Abbildungsmaßstab des Geschehens 126 f. Abbreviaturen im Erzählstil 19, 38, 82 Abfahrtsschilderung 86 Aitiologisches
30 f., 49,
74, 89, 125,
Anpassung an die Erzählung 25
130
Atypisches 86
Biographisches 27, 28, 41, 127 Chronologie 17, 22 ff., 25 ,
Märchenhaftes 57, 61, 61 A. 2, 67 Mißverhältnis von Teilen zueinander 13, 59, 59 A. 1, 127
Musenanruf
21
Mythologie 12, 17, 47, 81, 128
Namen 22, 25, 25 A. 1
Natur 40 A. 1, 57 ff., 87 f., 91
Oberflächliékeit der Darstellung 71 Pathos
70, 74, 112
Detail, belebendes 46
Periplus 57, 67
Entwicklung, seelische 100, 117
Psychologie 71, 75, 77, 88, 95 f., 97, 99, 115
Erotisches 93, 105, 112 Erzählungsminiatur 47
Resümee 44, 109 Sentiment 79
Episode als Erzählungsprinzip 75 Fakten, antiquarische, geographische, mythologische 7, 31, 35 vom Dichter erfundene 13
Formeln 16, 38, 82
Genre 98, 104 Götter 9 ff., 39, 39 A.1, 44f., 65, 79 ff., 92,94 A. 1, 99, 102, 110 ff., 114 ff.
H
.
Ὑ. 55f.64
von Sagenversionen 19
6
Heroenkult 47 Heroische, das 93, 101, 105, 112, 117 ff. Historisation 18, 25 f., 58
Randfiguren 46 A. 1, 71 A. 2
Stimmung 48, 79, 88, 103 Träume 106 ff., 120
Universalmythologie 24 A. 2, 40
Variation 14, 16, 87 ff., 122, 129, 130 A. 1
Vergleich 37 A. 1, 89 f., 100 Vorbilder 41, 50 ff., 70 Vorgeschichte des Epos 9 ff., 14
Vorzeichen, Orakel 53, 63 f., 104
’ Wissensstoff 19 f., 36, 42
Zahlen 61, 61 A. 2 Zeitbegriff 15, 61 A.2 Zitate von Vorgängern 20 f.
ZETEMATA MONOGRAPHIEN
ZUR
KLASSISCHEN
ALTERTUMSWISSENSCHAFT
Bisher sind erschienen: Hefit 1
WOLF STEIDLE
Sueton und die antike Biographie 1951. VIIT, 188 Seiten. Geheftet DM 16.Hefi 2
REINHOLD MERKELBACH Untersuchungen zur Odyssee 1951. VIII, 241 Seiten. Geheftet DM 18.50 Heft 3 GERHARD MÜLLER
Studien zu den platonischen Nomoi 1951. VIII, 190 Seiten. Geheftet DM 15.Heft 4 WALTER
SCHMITTHENNER
Oktavian und das Testament Cäsars 1952. VIII, 95 Seiten. Geheftet DM 9.Heft 5
WOLF H. FRIEDRICH Euripides und Diphilos 1953. VIITI, 279 Seiten. Geheftet DM 22.50
Hefi 6
MARION SORETH Der platonische Dialog Hippias Maior 1953. VIII, 64 Seiten. Geheftet DM 6.50 Demnächst
erscheinen:
Heft 8 REINHOLD
MERKELBACH
Die Quellen des griechischen Alexanderromans Hefi 9 RUDOLF
STARK
Aristotelesstudien Philologische Untersuchungen zur Entwicklung der aristotelischen Ethik