Irisch-northumbrische Buchmalerei des 8. Jahrhunderts und monastische Spiritualität [Reprint 2016 ed.] 9783110844764, 9783110050165


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German Pages 234 [248] Year 1967

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Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Mehrfach zitierte Literatur
Abkürzungen
Einleitung
I. Ein northumbrischer Maler vom Anfang des 8. Jahrhunderts
Α. Das Bild des Matthäussymbols im Echternacher Evangeliar
Β. Das Bild der Kreuzigung im Evangeliarfragment in Durham
C. Das Verhältnis zwischen den beiden Miniaturen und die spirituelle Konzeption der Buchmalerei
II. Zwei Miniaturen im Book of Keils
Α. Das Bild des Evangelisten Johannes
Β. Die Chi-Initialseite
C. Das Verhältnis zwischen den beiden Miniaturen und die Entwicklung der spirituellen Konzeption
Reflexion
Register
Verzeichnis der Abbildungen
BILDTAFELN
Tafeln 1–48
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Irisch-northumbrische Buchmalerei des 8. Jahrhunderts und monastische Spiritualität [Reprint 2016 ed.]
 9783110844764, 9783110050165

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Werckmeister · Irisch-northumbrische Buchmalerei des 8. Jahrhunderts und monastische Spiritualität

Otto-Karl Werdemeister

Irisch-northumbrische Buchmalerei des 8. Jahrhunderts und monastische Spiritualität

M i t 48 Tafeln

Walter de Gruyter & Co. Vormals G. J. Gösdien'sche Verlagshandlung — J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit & Comp.

Berlin 1967

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Archiv-Nr. 35 M 671

© 1967 by W a l t e r de Gruyter ft Co., v o r m a l s G. J Gäschen'sche Verlagshandlung . J. Guttenteg, Verlagsbuchhandlung • Georg R e i m e r • Karl J. T r ü b n e r . Veit à Comp., Berlin 30, G e n t h í n e r S t r . 13 Printed in Germany. Alle Redite, I n s b e s o n d e r e das der Übersetzung in fremde S p r a d i e n , vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des V e r l a g e s ist es audi nicht gestattet, dieses Buch oder T e i l e daraus a u f photomedianischem W e g e (Photokopie, Mikrokopie, X e r o k o p i e ) zu vervielfältigen. S a t z und Drude: Otto v. Holten, Berlin 30.

That's the point of eschatology our book of kills readies for now in soandso many counterpoint words. James Joyce, Finnegans Wake, 482.33.

Vorwort Diese Untersuchung wurde von Oktober 1958 bis Oktober 1961 am Warburg Institute, London, geschrieben und im Januar und Februar 1965 überarbeitet, beides auf Grund eines Stipendiums der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der ich für die Möglichkeit freier, selbständiger Arbeit zu größtem Dank verpflichtet bin,· ebenso für die Finanzierung des Drucks. Dem Warburg Institute und allen seinen Mitarbeitern danke ich nicht nur für Gastfreundschaft, sondern darüber hinaus für den Zugang zu einer exemplarischen Form wissenschaftlicher Perspektive und Disziplin. Besonders dankbar gedenke ich der Anteilnahme und moralischen Unterstützung Professor Gertrud Bings, der ich dieses Buch nicht mehr vorlegen kann, der engen Zusammenarbeit mit meinen Freunden Dr. J. N. Hillgarth und Dr. C. Ligota, sowie zahlreicher Diskussionen mit Professor F. Wormald. Für kritische Lektüre des Typoskripts mit vielen Korrekturen und Hinweisen danke ich, neben Dr. Ligota, Professor L. Bieler (Dublin) und Dr. K. Hoff mann (Tübingen). Für die freundliche Bereitschaft, mir die insularen und andere Handschriften zum Studium zugänglich zu machen, danke ich vor allem den Bibliotheken von Trinity College Dublin (Professor H. W. Parke, Dr. W. O'Sullivan, W. E. Mackey, Μ. Α.), der Kathedrale von Durham (Miss M. Johnson, Μ. Α.), des British Museum London (Professor T. J. Brown), sowie der Bibliothèque Nationale in Paris (Professor J. Porcher, Dr. M. Thomas). Der vierte Abschnitt ist eine stellenweise veränderte Fassung eines Aufsatzes in V. H. Elbern (ed.), Das erste Jahrtausend, Textband II, Düsseldorf 1965, 687—710. Die Beziehung der Gedankengänge zu modernen künstlerischen Phänomenen ist angedeutet in dem Essay »Das Book of Keils in Finnegans Wake*, Neue Rundschau, 77 (1966), 44—63.

Inhalt Vorwort

V

Mehrfach zitierte Literatur

X

Abkürzungen

XII

Einleitung

ι

I. Ein northumbrischer Maler v o m A n f a n g des 8. Jahrhunderts

s

Α. Das Bild des Matthäussymbols im Echternacher Evangeliar

.

.

7

ι. Das ikonographische Problem

7

2. Der Bild typ des Evangelistensymbolbilds

8

3. Die Sonderstellung der Echternacher imago hominis in der Handschrift

10

4. Das kreuzförmige Bildgerüst

11

5. Das Matthäussymbol als Evangelistenfigur

15

6. Die Gleichsetzung des Christusbildes mit dem Bild des Menschen

17

7. Das konkave Viereck mit den 46 Bögen

22

8. Die Idee des spirituellen Tempels

26

9. Die Rosette im konkaven Viereck

29

10. Das Zeichen für den Tempel im Innern der Figur 11. Die Tonsur mit den 100 Punkten

. . . .

33 35

il.

Imago Dei als Zielidee des Mönditurns

13. Der Ausdrucksgehalt in der Stilisierung der Figur

38 . . . .

40

14. Die Gestaltung der Figur in der Miniatur

43

15. Die Idee der Mönchsweihe als >zweiter Taufet

47

B. Das Bild der Kreuzigung im Evangeliarfragment in Durham .

.

53

ι. Die Stellung der Miniatur in der Handschrift

53

2. Der Gekreuzigte zwischen den Cherubim

54

3. Die 46 Bögen im Körper Christi

56

4. Bildtradition und Gestaltung der Christusfigur

58

5. Bildtradition, Gestaltung und Bedeutung der Cherubim

.

.

63

6. Die Tonsurlinie im Gesicht Christi

69

7. Der Text um den Bildrand

70

C. Das Verhältnis zwischen den beiden Miniaturen und die spirituelle Konzeption der Buchmalerei

79

ι. Der Textrahmen auf der Rückseite der Durhamer Miniatur

79

2. Die bildtheologische Differenz

82

3. Die künstlerische Entwicklung

84

4. Imago Dei und Malerei

88

5. Lektüre, Buchmalerei und imago Dei

91

II. Zwei Miniaturen im Book of Keils A. Das Bild des Evangelisten Johannes

99 roi

ι. Bildtradition

roi

2. Der Thron mit dem Kreis

108

3· Der Bildrahmen mit den vier Kreuzen

in

4. Die Umfassungsfigur

120

5. Johannes im >Himmelsbild
graphische Problem besteht allein in der Relation zwischen dem Bildthema: ' dem Evangelistensymbol, der Bildform: dem Achsenkreuz, und der Evangelistenfigur. Daß diese Relation ikonographisch sinnvoll ist, läßt sich von vornherein ebenso wie aus der Tradition aus dem Bilde selbst entscheiden. Der Umriß der tonsurierten Frisur ist mit 100 Punkten konturiert (T. zia), 6 T

8

Paris, Bibliothèque Nationale, ms. lat 9389: CLA, V, 578, mit Bibliographie. Weitere Literatur wird im Verlauf der Argumentation zitiert. McGurk, α60, zitiert den Titulus des als Engel gebildeten Evangelistensymbols im Matthäusbild des Book o£ Cerne I9. Jh.), fol. iv (Zimmermann, T. 295a): »Hic Matheus in angelica asspectu videtur.« In Echternach sei Matheus in humanitûte "mistaken for" Matheus in angelica aspectu. Aber der homo ist hier seiner ikonographischen Tradition nach (s. u. S. 15 f.) gar nicht als Engel aufgefafit Zum Deckel von St Emmeram vgl. Werdaneister, Detkel, 54; zum Deckel von Echternach (Goldschmiedearbeit von 983-991) vgl. P. Metz, Das Goldene Evangelienbuch von Echternach etc., München 1956, 34 fi. (mit Vorbehalten). Das Evangelistenbild des Matthäus in dem fränkischen Evangeliar aus Echternach in Trier, Domschatz Nr. 61 (134), fol. i8v (Zimmermann, T. 268; CLA, IX, 1364: 8. Jh.), das unmittelbar nach dem Vorbild der imago hominis gemalt ist, stellt ein besonderes Problem, auf das hier nicht eingegangen werden kann.

7

das konkave Viereck mit der Rosette im Inneren der Figur ist aus 46 Bögen zusammengesetzt (T. 6a). Dies sind spezifische Zahlen der altchristlich-frühmittelalterlichen Zahlensymbolik (s. u. S. 22ñ., 36 ff.). Sie sind nicht aus dekorativen Formenkombinationen abzulesen, sondern der Künstler hat sie mit eindeutiger Absicht in den minutiösesten Details seiner Arbeit der Figur einbeschrieben. Wenn er aber an diesen Stellen Bedeutung intendierte, kann er nicht in der Konzeption des Bildthemas selbst einer bloßen Verwechslung unterlegen sein. Die Miniatur ist demnach ikonographisch genau zu nehmen; das heißt: die Evangelistenfigur im Bild des Evangelistensymbols ist zu erklären und in Beziehung zu setzen zu den beiden symbolischen Zahlen.

2. Der Bildtyp des

Evangelistensymbolbilds

Die Ausstattung eines Evangeliars mit ganzseitigen Bildern der Evangelistensymbole findet sich vor 800 nur in insularen Handschriften: im Book of Durrow (670—680, T. 19b), im Echternacher Evangeliar (T. 1, 4) und in den Fragmenten eines Evangeliars in London und Cambridge (A. 8. Jh., T. i#c)9. Im 9. Jh. begegnet sie fast immer in Handschriften mit insularer Stiltradition 10 . Möglicherweise ist also dieses Ausstattungsschema ursprünglich insular 11 . In den drei Handschriften vor 800 erscheinen die ammalia in ganzer Figur, ohne Nimben und (mit Ausnahme des Adlers) ohne Flügel. Ganzfigurige ammalia sind in der altchristlich-vorkarolingischen Kunst vor dem Book of Durrow nur noch dreimal bezeugt 12 : in den Mosaiken von San Vi9

10

11 12

8

London, British Museum, Ms. Cotton Otho C. V, fol. ljv (Löwe); Cambridge, Corpus Christi College, Ms. 197, fol. ir (Adler): Zimmermann, T. 259a, 266e. Zur Zusammengehörigkeit zu einer Hs. vgl. CLA, Π, 125 : wahrscheinlich Northumbria, 8. Jh. St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. 1 2 4 , A. 9 . Jh. (A. Bruckner, Scriptoria Medii Aevi Helvetica, II, Genf 1 9 3 6 , T. XXII-XXIV; vgl. Micheli, 6 5 ) ; St. Gallen, Stiftsarchiv, (Pfävers) Ms. ι (Bruckner, op. cit., I, T. XVI); Cambrai, Ms. 3 2 7 (Boinet, Pl. CIX; Micheli, flg. 1 8 8 ) ; Ivrea, Kapitelbibliothek, Ms. 6 9 (LXII), S. Amand (?), 9 . Jh.; Valenciennes, Bibl. Mun., Ms. 6 9 ; zu weiteren franko-insularen Hss. vgl. A. Boutemy, in Actes du ijme Congrès International d'Histoire d'Alt (1952), La Haye 1 9 5 s , 216. Vgl. audi die beiden irischen Taschenevangeliare des 1 2 . Jh.s in London, British Museum, Mss. Harley 1 0 2 3 und 1 8 0 2 (Zimmermann, T. 2 1 5 ) . Ein vereinzeltes spätes byzantinisches Beispiel dieses Bildtyps, Istanbul, Patriarchatsbibliothek, Nr. 3 , 1 2 . Jh. (G. A. Soteriou, Κειμήλια τοΰ ΟΙκουμενικου Πατριαρχείου, Athen 1 9 3 7 , 7° ff·, T. 4 7 — 5 0 , • freundlicher Hinweis von Prof. H. Buchthal), geht zweifellos auf ein westliches Vorbild zurück, wie allgemein die Evangelistensymbole, die zwischen 1 0 5 0 und 1 1 5 0 in byzantinischen Hss. häufiger auftreten (vgl. C. Nordenfalk, in Zeitschrift für Kunstgeschichte, 8 [ 1 9 3 9 I , 7 4 f.), während vor 1 0 0 0 nur eine Hs. mit Symbolen überhaupt bekannt ist: Stauronikita, Ms. 4 3 (vgl. K. Weitzmann, Die byzantinische Buchmalerei des 9 . und 10. fahrhunderts, Berlin 1 9 3 5 , 2 4 , 8 5 ) . Vgl. McGurk, 259 f. Vgl. Kitzinger, 231 f.

tale13, im Valerianus-Evangeliar" und auf der >Sedia di San MarcoSedia di San Marco« à Venise«, Cahiers archéologiques, 7 (1954), 19—34. Das 4. von Kitzinger, 1. c. (s. Anm. 12), genannte Beispiel, eine Zeichnung in dem Psalter in Verona, Kapitelbibliothek, Cod. I, fol. i3or (A. Goldschmidt, in Repertorium für Kunstwissenschaft, 23 [1900], 267, fig. 1) zeigt einen Ioannes übersdiriebenen Adler mit menschlichen Füßen, kann also nicht als reine Form des ikonographisdien Typs gelten. F. van der Meer, Maiestas Domini, Città del Vaticano 1938, 223 ff. Vgl. Sagnard, op. cit. (s. u. Anm. 734), 197 ff. (Anm.). I, 33: L. C. Mohlberg (ed.), Liber sacramentorum Romanae ecclesiae ordinis anni circuii, Rom i960, 46 ff. Vgl. C. Vogel, »Introduction aux sources de l'histoire du culte chrétien au moyen âge«, Studi medievali, 3. Serie, 3 (1962), 1—97, cf. 48 ff. Zum Gebrauch in England im 7. und 8.)h. vgl. F. Cabrol, in DACL, W i , 757, H. Quentin, ibid., II/i, 635 f. ; H . A . Wilson, "English Mass Books of the Ninth Century", Journal of Theological Studies, 3 (1902), 429-433P. de Puniet, s.v. »Apertio Aurium«, DACL, Vi, 2523—2537,· audi im Bobbio-Missale, 174—182 (Ε. Α. Lowe [ed.], The Bobbio Missal, London 1920, 54 ff.) Die Zeremonie fehlt im gregorianischen Sakramentar.

9

entgegen50. Nach dem 9. Jh., als isolierte ganzseitige Bilder der Evangelistensymbole selten werden, verschwindet auch die Exposiüo Evangeliorum aus der Liturgie21. 3. Die Sonderstellung dei Echtemacher imago hominis in der Handschrift Im Echternacher Evangeliar unterscheidet sich die imago hominis22 von den drei anderen Evangelistensymbolbildern (T. 1,22b) durch mehrere formale Besonderheiten. Nur hier ist das Rahmengerüst mit Flechtband ausgefüllt. Das ist damit erklärt worden, die drei anderen Bilder seien nicht vollendet, auch in ihnen sei Flechtbandfüllung beabsichtigt gewesen23. Aber diese Bilder wirken künstlerisch abgeschlossen, sie sind detailliert bis zur minuziösesten Punktierung; und die gleichartigen Bilder des Löwen und des Adlers in den Fragmenten von London und Cambridge haben ebenfalls Bildgerüste ohne Flechtbandfüllung. Die transparenten Bildgerüste aus dünnen roten Leisten erscheinen also stilistisch absichtlich, und das kreuzförmige Bildgerüst des Matthäussymbols erscheint absichtlich von ihnen abgehoben. Es bekommt durch die Flechtbandfüllung flächige Konsistenz, wirkt nicht mehr transparent als Hintergrund für das Symbol24, sondern tritt optisch gleichwertig neben die Figur. Diese überschneidet hier nicht die Leisten, wie in den drei anderen Miniaturen, erscheint also nicht vor ihnen, sondern von ihnen eingeschlossen. Eine zweite, weniger auffällige Abhebung zeigt sich in dem Bildtitel imago hominis. Nur hier sind die Leerräume der Buchstaben und die Zwischenräume außer mit gelben Farbflächen noch mit Dreipunktgruppen gefüllt. In zwei der drei anderen Miniaturen sind dieselben Dreipunktgruppen an anderen Stellen, in den Figuren, eingesetzt, aber nicht im Titel: der Unterschied ist also ebenfalls nicht darin begründet, daß jene anderen Bilder weniger weit ausgearbeitet wären, sondern offenbar in einer besonderen Emphase auf dem Titel imago hominis. 20

Beda,

De tabemaculo et vasis sanctis ei as,

II, 1 3 , PL 9 1 , 460A;

In Esdiam etc.,

II, 9, PL 91,

862A, bezeugt den Gebrauch der Expositio-Zciemonie in Northumbria: vgl. de Puniet, op. cit., 2 5 1 9 . Eine Schwierigkeit liegt darin, daß seine eigene Zuteilung der Evangelistensymbole (In

Luc.,

Prol., C C L 120, 7 £F.;

Expl. apocal.,

I, 5, PL 93, 1 4 4 A B ) von der Zuteilung

der Exposiüo abweicht. 21 24

De Puniet, op. cit., 2 5 3 5 f. Sie steht in der gegenwärtigen Bindung, in der die Lagen falsch zusammengefügt sind, nicht gegenüber dem Evangelienanfang, sondern gegenüber der Initial-Ligatur von Matth. 1: 18.

23

Bruce-Mitford, in: Kendrick et al., 248.

24

Zimmermann, 1 2 3 , betont, daß beim Markus-Symbol »eine Füllung des Rahmens mit FleAtwerk, w i e beim Matthäussymbol, nicht beabsichtigt gewesen sein kann, da alle Tatzen des Löwen in den Rahmen hineinragen.«

IO

Die dritte, auffälligste Abhebung zeigt sich in der Figur. Löwe, Kalb und Adler sind in einer lebendigen Abstraktion gebildet, die beim Löwen (Τ. i) den federnd gespannten Sprung stilisiert, beim Kalb (T. 22b) die feingliedrige, ruhige Schreitbewegung, während der Adler weiter von organischer Form entfernt ist28. Der Mensch dagegen ist in rein ornamentalen Formen stilisiert (vgl. T. 5b), an die die Hände und Füße auf den ersten Blick unvermittelt angesetzt erscheinen*. Auch im Book of Durrow ist die Figur des homo (T. 19b) stärker abstrahiert als Löwe, Kalb und Adler. Aber einmal ist hier der Untersdiied geringer, da audi die anderen drei Symbole ohne organische Stilintention gemalt sind, und außerdem ist der homo in Echternach vollständig verschieden von dem homo in Durrow und läßt sich daher nicht aus dessen Tradition erklären. Nun läßt sich sogar zeigen, daß der Maler des Echternacher Evangeliars ebenso wie den vitulus audi den Figurentyp des homo im Book of Durrow kannte (s. u. S. 63); er hat also hier offenbar absichtlich eine andere Bildtradition herangezogen, und diese Bildtradition liegt außerhalb der Evangelistensymbolseiten überhaupt: sie führt auf Evangelistenbilder (s. u. S. 41, T. 50). Die Unterschiede im Stil und in der Bildtradition fallen demnach zusammen, und die Sonderstellung der Figur des homo, die sich so ergibt, fällt ihrerseits zusammen mit der besonderen Behandlung dieses Bildes durch den Flechtbandrahmen und den mit Punktgruppen gefüllten Titel. Alle drei Abweichungen lassen denselben künstlerischen Vorgang erkennen. Aus der Reihe der vier ganzseitigen Bilder der Evangelistensymbole hebt der Maler das Bild des homo durch besondere Gestaltung hervor. Eben durch diese besondere Gestaltung aber erscheint das Bild in jener übergreifenden frühmittelalterlichen ikonographischen Tradition, die zu den goldenen Buchdeckeln von St. Emmeram und Echteraach führt (s. o. S. 7). Seine spezifische Bedeutung ist demnach aus den Abweidlungen zu entwickeln, aus denen es die besondere ikonographische Form gewinnt.

4. Das kreuzförmige Bildgeriist Die Flechtbandfüllung des kreuzförmigen Bildgerüstes entspricht der Form der Bildrahmen im Book of Durrow, mit der irischen doppelten Konturierung In den Fragmenten in London und Cambridge ist der Adler nach einem anderen, realistischeren Typ gebildet, der Löwe dagegen noch weiter abstrahiert als in Echternach. Zimmermann, 113, sieht in ihnen »eine vorangehende Stufe«. ** " . . . if the head, hands, and feet were removed, we should never suspect that a human figure was intended." (Rickert, 17). Die lebendige Stiltendenz setzt sich jedoch auch hier durch: vgl. u. S. 43 fi. u

II

des Flechtbands27. Das Flechtmuster der senkrechten Leisten ist verschieden von dem der waagerechten, wie in Durrow, obwohl in Echternach die Leisten nicht mehr verschieden breit sind. Aber die Bänder sind dünner als in Durrow, der Farbwechsel geht quer durch die Geflechte, anstatt den Bändern selbst zu folgen, und die einfassenden Leisten sind doppelt konturiert: in diesen Zügen gleicht die Form bestimmten Geflechten im Lindisfarne-Evangeliar28. Das Schema des Rahmens mit den kurzen, nach innen vorspringenden Kreuzarm-Stümpfen erscheint sehr ähnlich auf der Seite mit dem Schlußtext des Matthäus-Evangeliums in dem Evangeliarfragment in Durham (T. 25J, auf deren Rückseite das Kreuzigungsbild steht, das vom selben Maler stammt wie die imago hominis (T. 14, s. u. S. 79). Dieses Rahmengerüst ist ebenso eigenaxtig in der paläographisch-ornamentalen Tradition insularer Textseiten wie im Zusammenhang der Evangelistensymbolbilder28. In der Miniatur ist dieser Rahmen als ikonographisches Motiv zu werten30: es ist das Achsenkreuz mit Figur im Zentrum. Am karolingischen Beispiel desselben Schemas, dem Deckel des Codex Aureus von St. Emmeram, ist die Tradition dieses Motivs untersucht worden31. Es erscheint in der christlichen Kunst vor 800 nur mit dem Bilde Christi oder dem Lamm als Symbol Christi. Die zugrunde liegende antike Bildform, das >Kaiserbild im Kreuzt, geht auf die Tradition der Zentralbilder zurück; ihr Sinn liegt in der Idee des Kosmokrators im Mittelpunkt des kreuzförmigen Gerüstes der Himmelsachsen. In seinen christlichen Verwendungen33 ist dieses Schema häufig auf die Parousie bezogen: das Bild Christi im >Himmelskreuz< steht für die apokalyptische Erscheinung des Kreuzes als signum Filii hominis in caelo. In den beiden anderen vorkarolingischen Miniaturen mit dem Bild im Kreuzzentrum34 ist der Zusammenhang mit der Zentralbildtradition noch in einzelnen 27

'2H 29 30

^ 38

M

34

12

Vgl. Aberg, III, 142 ff. Zum Ubergang des Flechtbands aus dem Rahmen in die Kreuzachsen vgl. audi Book of Durrow, fol. 117V (Zimmermann, T. 164b). Vgl. fol. 2 i i r (Zimmermann, T. 244); nur ist in Echternach die Innenkontur des Innenrahmens nicht liniiert. Zur Folgerung s. u. S. 80 f. Zimmermann, 123, erklärte die Form des Rahmens nur stilistisch aus dem Bestreben des Künstlers, »von allen vier Seiten das Flechtwerk heranzuführen und so die Figur zu stützen und zu akzentuieren«, um so »größere Lebendigkeit« zu erreichen. Werckmeister, Dediel, 52 ff. Die folgenden Sätze fassen die dortige Argumentation zusammen. Vgl. J. Deér, »Das Kaiserbild im Kreuz«, Schweizer Beiträge zur allgemeinen Geschichte, 13 (1955), 4 8 - 1 1 0 . Die erste eindeutige Übertragung auf das Christusbild erscheint in dem Bodenmosaik von Hinton St. Mary, Dorset, 4. Jh.: J. M. C. Toynbee, " A New Roman Mosaic Pavement Found in Dorset", Journal of Roman Studies, 54 (1964), 7—Γ4, Pl. II. Außerhalb der Buchmalerei ist nur ein vorkarolingisches Beispiel bekannt: das Silberblechkreuz aus dem bisher nicht genau datierten alemannischen Gräberfeld in Sontheim: H. Zürn, »Ein neues alemannisches Gräberfeld in Sontheim an der Brenz (Kr. Heidenheim)«,

Motiven unmittelbar zu erkennen. Das Titelbild des Evangeliars im Trierer Domschatz (2. H. 8. Jh., T. 2a)36, einer Handschrift, die teilweise direkt nach dem Vorbild des Echternacher Evangeliars dekoriert ist, zeigt im Kreuzzentrum das Kreisbild mit der Christusbüste. Der Zentralbild-Prototyp der ganzen Kreuzkomposition mit Flechtbandfüllung ist in einem kreisförmigen römischen Bodenmosaik des 2-/3. Jh.s in England erhalten (T. sa)39. Im Zentrum erscheint hier der kitharaspielende Apollo, die Quadranten enthalten vier mythologische Frauengestalten auf Reittieren, konzentrisch angeordnet; in der Miniatur stehen an dieser Stelle, aber nicht konzentrisch, die vier Evangelistensymbole, die ihrerseits zur christlichen Ikonographie der Zentralbildtradition gehören (vgl. T. 48J37. Das zweite Beispiel, in der Orosius-Handschrift in Laon (M. 8. Jh., T. 2b)38, zeigt in den vier Kreisen an den Kreuzenden die tierköpfigen Evangelisten; das Lamm im quadratischen Zentrum entspricht ikonographisch dem Deckenbild des Oratoriums Johannes des Evangelisten am Lateran (2. H. 5. Jh.)39. Dieser Ubergang eines monumentalen Bildkonzepts aus der Zentralbildtradition in kleinformatige Werke wie Miniaturen ist ein charakteristisches Phänomen in der vorkarolingischen Kunst (vgl. T. 6, 7)40, geschah aber wahrscheinlich schon in der altchristlich-mediterranen Kunst. Die früheste erhaltene Miniatur mit dem Christusbild im Kreuz, in dem syrischen Evangeliar von 634 in Wolfenbüttel (T. 3b)*1, zeigt zwar ein Standkreuz auf einem Sockel, dieses erscheint aber in seiner Proportion fast wie ein oblonges Achsenkreuz, dessen oberer Vertikalarm nur leicht verkürzt ist: der winzige Sockel, Pundberichte

aus Schwaben,

N . F., 16 (1962), 1 8 3 - 1 8 6 , cf. 184 f., Tafel T . Nach Z ü r n stellt

der Kopf im zentralen Kreis Christus dar ; allerdings ist er nicht eindeutig ikonographisch gekennzeichnet. Die Bedeutung des Kopfes im Zentralmedaillon des Goldkreuzes in (Dividale (T. 44b; s. A n m . 666) ist unklar. 36

Vgl. o. A n m . 8, fol. i v .

38

Ehem. Littlecote Park, Wilts,· nach Kupferstich von G. Virtue (British M u s e u m , Department of Prints and Drawings); vgl. T . Morgan, Romano-British

Mosaic

Pavements,

Lon-

don 1 8 8 6 , 1 0 4 . 37

Lehmann, 14, A n m . 103.

38

Bibliothèque Municipale, M s . 1 3 7 , fol. i v (Zimmermann, T . 144); vgl. CLA,

VI, 7 6 5 :

M . 8. Jh. 38 40

Wilpert, T . 8 6 - 8 7 . Diese Uberlieferung ist zuerst von Elbem gesehen worden (s. die im Literaturverzeichnis genannten Arbeiten sowie Dei Adelhausenei

Tragaltar. Formensdiatz

und

Ikonographie

[ = Nachrichten des Deutschen Instituts für merowingisch-karolingische Kunstforschung in Erlangen, 6—8], Erlangen 1954). Es scheint jedoch notwendig, schärfer zwischen den verschiedenen Formen und den verschiedenen Zusammenhängen ihrer späteren A n w e n dung zu unterscheiden. 41

Wolfenbüttel, Herzog August-Bibliothek, 3. I. 300., Aug. fol., fol. 284V: O. v. Heinemann, Die Handschriften

der Herzoglichen

Bibliothek

zu Wolfenbüttel,

2. Abteilung, I, Wolfen-

büttel 1890, 186 ff.

13

der vielleicht einen Altar bezeichnen soll, wirkt als nachträgliche Einfügung in das ursprüngliche Bildkonzept. Wahrscheinlich war der ikonographische Prototyp dieser Miniatur ein reines Achsenkreuz; in diesem Falle wäre er auch der Prototyp der Trierer Miniatur. Die Assoziation des Kreuzes mit dem Gerüst der Himmelsachsen in dieser Bildtradition entspricht einer allegorischen Idee in der altchristlich-frühmittelalterlichen Literatur. Diese Idee war ursprünglich räumlich konzipiert: das reale Kreuz auf Golgotha steht aufrecht im Mittelpunkt der Erde und reicht nach Ost-West und Nord-Süd, an die Pole und Horizontpunkte der die Erde umschließenden Himmelskugel 42 . Später, als kosmische Allegorien sich nicht mehr folgerichtig auf dreidimensionale, wissenschaftlich-kosmologische Vorstellungen bezogen, wurde das Kreuz als Zeichen abstrahiert und mit dem Achsensystem der zweidimensionalen Horizontprojektion identifiziert43. »Caelum quoque ipsum huius signi figura dispositum est. Nam cum quattuor partibus, hoc est de oriente et occidente a meridiano et septentrione distingui tur, quattuor quasi crucis angulis continetur44.« Die Idee des Kreuzes als »forma quadrata mundi« 45 begründet die frühmittelalterlichen Kreuzkompositionen, deren Tradition zurückführt auf die spätantike Ikonographie der zentralisierten >HimmelsbilderSedia di San Marco< in Venedig (um 600)M, dann im Book of Armagh (vor 807)M. Ein drittes vorkarolingisches Beispiel, in dem Evangeliar aus Echternach im Trierer Domschatz (2. H. 8. Jh.), geht wohl unmittelbar auf die Tradition der imago hominis selbst zurück54. An der >Sedia< und im Book 48

49

60 51 62 63

54

Dublin, Trinity College, Ms. 59 (Α. IV. 23), pp. 30, 54, Dimma-Evangeliai, 2. H. 8. Jh. ; Cambridge, Universitätsbibliothek, Ms. F. i. b. 32, Book of Deer, 9. Jh., St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. 60, p. 4, Johannes-Evangelium, um 800. Vgl. Werckmeister, Pioblems, 177 ff., PI. 8, Anm. 52 fi. Vgl. McGurk, 25 s. Nur das Bild im Johannesevangelium in St. Gallen, Cod. 60, p. 4 (Zimmermann, T. 193; Werckmeister, op. cit., Pl. XXVmd) hat ein etwas größeres Format. Die Formate sind angegeben bei McGurk, 252. Zum selben Phänomen am Deckel von St. Emmeram vgl. Werckmeister, Deckel, 55 f. Grabar, op. cit. (s. Anm. 15), Pl. VII, 1. Dublin, Trinity College, Ms. 52, fol. 32V: Zimmermann, T. 206a, vgl. J. Gwynn, Liber Aidmachanus, Dublin 1913. Der stehende Figurentyp entspricht jedoch dem Matthäus-Evangelistenbild derselben Handschrift (s. o. Anm. 8).

IS

of Armagh ist der homo eine stehende Evangelistenfigur65 mit sechs bzw. vier großen Flügeln. Diese Tradition, die vielleicht von Ägypten nach Irland führt, ist zweifellos schon für die Echternacher Miniatur vorauszusetzen. Aber hier ist sie nodi weiter fortentwickelt, und zwar durch ihre Einführung in die Tradition der Evangelistensymbolseiten (vgl. o. S. 8 f.): die Figur hat keine Flügel, und sie steht nicht. Indem sie auf der Kathedra sitzend dargestellt ist, als vollständiges Evangelistenbild, ist sie nicht länger verstehbar aus der Grundbedeutung der Theophanie, in der die animalia um den Thron Gottes sich bewegen, wie sie in den geflügelten, nicht isolierten Figuren an der >Sedia< und im Book of Armagh noch gegeben war. Der homo erscheint nun selbst in einem Thronbild, und das ist ikonographisch betont durch seine Position im Zentrum des Achsenkreuzes. Gerade durch diese Bildform aber ist die Figur, ihrer Grundbedeutung nach, gekennzeichnet als christologisches Symbol. Hier wird deutlich, wie aus der ikonographischen Tradition ein neuer Bildgedanke in einer Art exegetischer Entfaltung entwickelt ist. Die traditionelle Darstellung des homo durch eine Evangelistenfigur wird zum Ausgangspunkt für ein Bild, in dem der Aspekt des Christussymbols und der des Autorenbildes zu vollständigen Bildformen erweitert sind, die sich durchdringen im Motiv des Thronens. Dadurch wird ein ikonographischer Gehalt impliziert, der sich aus jener traditionellen Ikonographie nicht mehr verstehen läßt und auf einen differenzierteren Bildgedanken deutet. Die unvermittelte Vorstellung des christologischen Symbols des homo durch die Figur des Evangelisten ist nun gerade in dem liturgischen Text gegeben, auf dem das Bildkonzept der Evangelistensymbolseite zu basieren scheint. Die Erklärung des homo in der gelasiarüschen ExpositioEvangeliorum lautet: »exponamus .. . quare Matheus in se figuram hominis habeat: quia in initio suo nihil aliud agit, nisi nativitatem salvatoris pleno ordine genera tionis enarrai. Sic enim coepit: Liber generationis Iesu Christi filii David, filii Abraham. Videtis, quia non inmerito huic hominis adsignata persona est, quando ab hominis nativitate initium conpraehendit; nec inmerito, ut diximus, huic mysterio adsignata est Mathei persona66«. Der Terminus persona erscheint doppeldeutig in »hominis persona« und »Mathei persona«. Wahrscheinlich ergab dies den Ansatz für die Darstellung im Echternacher Evangeliar, so wie der homo als Evangelist im Bereich der Ikonographie. Aber nicht mehr als das. Gerade wenn die liturgische Exegese des Matthäussymbols hier zugrunde hegt, ist eine bloße Identifikation mit dem Evangelisten ebenso ausgeschlossen wie auf Grund des ikonographischen Sachverhalts, und eine 85

Z u m T y p an der >Sedia< vgl. die Evangelistenfiguren am selben Werk (Grabar, op. cit. [s. A n m . 15], Pl. VI, i ¡ V i l i , 2). Z u m T y p in A r m a g h vgl. die Evangelistenbilder im MullingEvangeliar (vgl. u. A n m . 440), pp. 1 9 1 , 193 (T. 28b).

66

I» 33/ 303, cd- Mohlberg (s. A n m . 18), 47,· der T e x t im Bobbio-Missale (ed. Lowe [s. A n m . 19], 55/ Nr· j 7 6 )

16

nur bis »enarrat«.

allegorisch sinnvolle Identifizierung ist aus der theologischen Literatur nicht zu begründen57. In der Tat ist die Evangelistenfigur nicht als Matthäus bezeichnet und daher nicht inhaltlich als Matthäus zu verstehen. Der Figurentyp des frontal thronenden tonsurierten Klerikers oder Mönchs erscheint hier als Bild des geistlichen Menschen schlechthin. Auf diese Figur ist der Text der Expositio nicht lediglich nach einem möglichen Doppelsinn seiner Formulierungen zu beziehen, sondern nach seinem Inhalt, der menschlichen Geburt Christi pleno ordine geneiationis. Die Beziehung des Bildes zum Evangelienanfang ist in der Figur selbst ausdrücklich betont durch den Text »Liber generationis ihü xpi«, der auf das offene Buch geschrieben ist, obwohl es vom Rücken dargestellt ist, seiner ikonographischen Herkunft nach58 und hier besonders eindeutig durch die am Rand gezeichneten Schließen. In keinem anderen Evangelistenbild der ikonographischen Reihe (vgl. Τ. 5a), mit einer Ausnahme59, steht auf dem vor der Brust gehaltenen Buch ein Text. Die Schrift gehörte also nicht zur Darstellungskonvention, sondern ist offenbar mit einer besonderen Absicht eingetragen. Sie wirkt wie eine Demonstration des Textanfangs in dem erhobenen aufgeschlagenen Buch, so wie sie bei der Zeremonie der Expositio Evangeliorum zu vermuten ist (s. o. S. 9 f.), als sei diese dargestellt im Bilde selbst60. An diesem Punkt hat die Interpretation nichts anderes festgestellt als das genaue Verständnis des Bildes nach seinem offenbaren Thema: als imago hominis, so wie der Titel es bezeichnet. Sie schließt die Annahme aus, die Abweichungen von der Tradition resultierten aus Mißverständnissen oder gedankenlosen Übertragungen. Die Frage, was die Figur des Mönchs oder Klerikers in diesem Bild bedeutet, läßt sich demnach nur lösen aus jenem Thema in seiner vollen Konsequenz, das heißt in einem Gedanken, in dem der geistliche Mensch gleichgesetzt ist mit dem menschlichen Körper Christi.

6. Die Gleichsetzung des Christusbildes mit dem Bild des Menschen Ein solcher Gedanke findet sich in der Liturgie des Weihnachtsfestes, auf das der christologische Gehalt des Matthäussymbols sich bezieht. Die Geburt Christi, durch die Gott menschliche Natur annimmt, vergöttlicht umgekehrt 67

Vgl. die altduistliche Tradition über Matthäus, z. B. bei Isidor, De ortu

et obitu Patrum,

L X X V I , 134, PL 83, 1 5 3 A ; sie enthält keine theologische Allegorie. 68

S. u. S. 4 1 , T. je.

εβ

In St. Gallen, Cod. 60 (s. o. A n m . 49) ist der N a m e

lohannis

über beide Seiten geschrieben;

das gehört kaum zur Bildtradition des Prototyps. 80

Das läßt sich selbstverständlich nicht beweisen; die Demonstration des Textes, mit der ursprünglich liturgischen Handgeste, ist aber auf jeden Fall gemeint

17

die menschliche Natur: sie erneuert deren ursprüngliche Ebenbildlichkeit mit Gott, nach der der Mensch von Gott geschaffen war (Gen. ι : 26) und die er durch den Sündenfall verloren hatte 61 . Dies ist die lenovatio oder reformatio des Menschen zur imago Def2. Begründet sie die Substitution der Figur des geistlichen Menschen für das Symbol des menschlichen Körpers Christi? Es fällt auf, daß eine der Abweichungen des Bildes von den drei anderen die besondere Ornamentation des Bildtitels imago hominis ist (s. o. S. 10). Der Terminus imago ist im Echternacher Evangeliar, wie in anderen Handschriften 83 , konventionell allen Symbolen beigegeben und bedeutet unmittelbar nicht mehr als >gemaltes Bildexegetischen< Entwicklung des besonderen Gehalts des Bildes selbst aus der konventionellen Bildtradition® 4 . In der Weihnachtsliturgie steht der Terminus imago in konstitutiver Verbindung mit dem Thema der Miniatur. Aber welche Liturgie galt an dem Ort und zu der Zeit der Miniatur? Historisch läßt sich das nicht feststellen, denn es ist undeutlich, welche Sakramentare in Northumbria im 7. und 8. Jh. gebraucht wurden, und der Ort, an dem das Bild gemalt wurde, ist imbekannt 65 . Aber hier führt umgekehrt die Miniatur selber weiter. Innerhalb der vorkarolingischen Sakramentare 66 finden sich die klarsten Verbindungen der imago Dei-Lehre mit der Weihnachtsliturgie im >gelasianischen S a k r a m e n t a l und im Bobbio-Missale, einem auf dem Kontinent geschriebenen irisdien Formular 67 , nicht dagegen im Gregorianum. In denselben Sakramentaren findet sich auch die Expositio Evangeliomm, die ebenfalls im Gregorianum fehlt. Der Gebrauch >gelasianischer< Liturgien ist in Northumbria um 700 bezeugt 68 . 81

Vgl. H. Merki, s. v. »Ebenbildlichkeit«, in RAC, durch G. B. Ladner, in Traditio,

62

IV, 4 5 9 - 4 7 9 , mit Bibliographie, ergänzt

16 (1960), 454—458.

Z u diesem Gedanken in der Liturgie vgl. Dürig, 167 s . ; P. de Puniet, »Intus reformari: témoignages liturgiques sur le mystère de l'Emmanuel«, Ephemerides

Uturgicae,

52 (1938),

125—140,· G. B. Ladner, The Idea of Reform, Cambridge (Mass.) 1959, 284 fi. 83

In den London-Cambridge-Fragmenten und Ln den Evangelistenbildern des LindisfameEvangeliars.

84

Die Interpretation ist jedoch nicht aus dem Bildtitel zu entwickeln, sondern nur aus der

96

Zum

Kombination der Bildtraditionen. Versuch Browns und Bruce-Mitfords, die Echternacher Hs. nach Lindisfarne zu

lokalisieren, s. u. A n m . 384. 66

Vgl. die Zusammenstellung bei f. A . Jungmann, Missarum

Solemnia,

3. A u f l . , Freiburg

1952, I, 57 ff. βτ

Z u m Problem der Herkunft vgl. J. Hennig, in Irish Ecclesiastical 326 f.

88

18

S. 0 A n m . 18.

Record, 5. Serie, 75 (1951),

Im Gelasianum folgt auf die alte, den meisten Sakramentaren gemeinsame Weihnachtsoration »Deus, qui humanae substantiae dignitate et mirabiliter condedisti et mirabilius reformasti: da, quesumus, ut eius efficiamur in divina consortes, qui nostrae humanitatis fieri dignatus est particeps, Christus filius tuus . . . « die Formel »Deus, qui nativitatis tuae exordio pro nostra necessarium salvacione duxisti, respice nos propitius et quos similes ad imaginem tuam fecisti, similiores observatione perfice mandatorum«89. Noch deutlicher ist im Bobbio-Missale in zwei Orationen der 3. Advents- und der Weihnachtsmesse die iefoimatio-ldee mit dem Terminus imago ausgedrückt70 »... et imagines hac similitudines tuae formam in nobis magis magisque restaura« (3. Advent); » . . . dominus noster iesus christus ad hoc se humiliauit, ut totum genus exaltarit humanum. Et ideo ad ima descendent · ut humilia sublimarit · hac propteria · deus homo nascitur per uirgene ut in homine perditam celestem · reformant · imaginem.« (Weihnaditsvigil). In diesen beiden Formeln zeigt sich eine Ambivalenz des Terminus imago Dei: er umfaßt einerseits die rein heilsgeschichtliche Konstitution der erneuerten Gottebenbildlichkeit durch die Geburt Christi, wie im Bobbio-Missale, andererseits, im Gelasianum, ihre spirituelle Funktion als Zielidee in der Bemühung des Menschen um Sündenlosigkeit. Der volle Gehalt dieser Formeln wird deutlicher in den Predigttexten des Festes. Die imago Dei-Lehre in der Weihnachtsliturgie hängt eng zusammen mit der Inkarnationslehre Leos d. Gr. 71 . In Leos Weihnachtspredigten zeigt sich ihre Begründung in der paulinischen Theologie72, insbesondere in der Parallele Adam—Christus: »Expergiscere, o homo, et dignitatem tuae cognosce naturae. Recordare te factum ad imaginem Dei; quae, etsi in Adam corrupta, in Christo tarnen est reformata73.« Dies ist der ursprüngliche Gehalt der liturgischen imago Dei-Formeln; ihr zeitgenössisches Verständnis im Umkreis der northumbrischen Miniatur zeigt sich in den Weihnachtspredigten Bedas, die zweifellos mit Kenntnis der Predigten Leos geschrieben sind74: »Haec est namque imago Dei ad quam in primo homine conditi sumus ut videlicet 69 70

T1 72

73

74

I, 5, 27 ¡ 29, ed. Mohlberg, io ; vgl. Ladner, op. cit. (s. Anni. 62), 294. 3. Advent: Oratio 63; Weihnaditsmesse: Oratio 66: op. cit. (s. Anni. 19), 23, 24. Die Orthographie folgt der Handschrift. Vgl. Ladner, op. cit. (s. Anm. 62), 285 ff., mit Literatur; de Puniet, op. cit. (s. Anm. 62), t32. Rom. 8: 29; 1. Kor. 1 1 : 7·, 15: 44—49,· 2. Kor. 3: i8 ; 4: 3—4; Kol. 1: 15; 3: 9—10. Vgl. E. Larsson, Christus als Vorbild. Eine Untersuchung zu den paulinisdien Tauf- und Eikontexten, Uppsala 1962. Serm., XXVII, 6, PL 54, 220B; vgl. ibid., XXIV, 2, PL 54, 20sB ; XXVI, 4, PL 54, 214D; und öfter. Beda zitiert in seinen Homilien Leos Sermones viermal: vgl. CCL 122, 403, Index s. v. Leo; drei dieser Stellen stehen in Weihnachtspredigten Bedas und stammen aus Weihnaditspredigten Leos. Zu weiteren Leo-Zitaten bei Beda vgl. J. D. A. Ogilvy, Books Known to Anglo-Saxon Writers from Aldhelm to Alcuin (670-804), Cambridge (Mass.) 1936, 60.

19

participatione divinae sanctitatis perpetuo sancti essemus.« Da der Mensch sie durch Sünde verlor, »placuit Deo humani vultus habitum in carne nascendo adsumere quo nos edoceret in spiritu debere renasci placuit in similitudine carnis peccati sine peccato apparere ut nos emundaret ab omni peccato ad claritatem in nobis suae reformaret imaginis75.« Wenn auf Grund der liturgischen Beziehung zwischen der Geburt Christi und der erneuerten Gottebenbildlichkeit des Menschen die Figur im Bild des Leibes Christi als ein Emblem der sündenlosen Menschennatur interpretiert wird, dann ist dabei die imago Dei-Lehre bereits in einem spezifischen Sinn gefaßt. Denn die meisten altchristlichen Autoren und auch die Liturgie lokalisierten die imago Dei in der rationalen Seele und kontrastierten sie mit dem sterblichen Leib76. Die liturgischen Formeln der renovatio jedoch, ebenso wie die Predigten Leos d. Gr., beziehen die ursprüngliche und die erneuerte Gottebenbildlichkeit auf den ganzen Menschen aus Leib und Seele77. Dadurch also, daß in der Miniatur der Gedanke an dem Symbol des Körpers Christi entwickelt ist, erscheint er konstitutiv begründet in jener spezifisch liturgischen Ausprägung der imago Dei-Lehre. Diese aber setzt den ganzen heilsgeschichtlichen Prozeß voraus: die Gleichgestaltung realisiert sich erst in der Verklärung des Leibes nach dem Vorbild des auferstandenen Christus78. In der Unterscheidung einer alten und einer neuen Leiblichkeit, begründet in r. Kor. 15:44—49, ist die imago Dei-Lehre verbunden mit der Parallele Adam—Christus. »Seminatur corpus animale, surget corpus spiritale. Primus homo de terra terrenus, secundus homo de caelo caelestis. Qualis terrenus, taies et terreni, et qualis caelestis, taies et caelestes. Igitur, sicut portavimus imaginem terreni, portemus et imaginem caelestis.« Das Ziel dieses Vorgangs ist die Gleichgestaltung mit Christus, »qui reformabit corpus humilitatis nostrae, configuratum corpori claritatis suae« (Phil. 3:21). Corpus claritatis und imago Dei sind systematisch verbunden in den Osterpredigten Leos d. Gr.: » . . . amplectamur salutaris Paschae mirabile sacramentum, et ad eius imaginem, qui deformitati nostrae conformis factus est, reformemur. Erigamur ad eum qui pulverem abiectionis nostrae, corpus fecit gloriae suae . . .«7β. Das liturgische Nachbild dieses heilsgeschichtlichen Vorgangs ist die Taufe als Nachvollzug von Tod und Auferstehung 80 : » . . . dum in novitatem a vetustate transitur, 75

76 77 78 78 80

20

Horn., I, 6, C C L 122, 39; vgl. ibid, ideo Deus homo natus est ut nos cendo reficeret ...«. Dürig, 112 ff. Ibid., 140 f. (Liturgie), 107 f. (Leo). Ibid., 108,151, Anm. 322. De Pass. Dom., II, 2, PL 54, 318BC; Rom. 6:3—11; Kol. 2: Ii—12; vgl. (s. Anm. 72), 48 ff.

I, 7, CCL in, 39: ». . . neque umquam oblivisci quod ad imaginem et similitudinem suae divinitatis renas-

»corpus gloriae« statt »corpus claritatis« ist Itala-Text. Ladner, op. cit. (s. Anm. 62), 59 ff.; Larsson, op. cit.

d u m terreni h o m i n i s imago deponitur, et caelestis forma suscipitur, quaedam species mortis et quaedam similitudo resurrectionis intervenit, ut susceptus a Christo Christumque suscipiens non idem sit post lavacrum qui ante baptism u m fuit, sed corpus regenerad fiat caro Crucifixi 8 1 .« Es ist also notwendig, den Bildgedanken der Echternacher Miniatur nicht allein aus der Weihnachtsliturgie z u begründen, sondern aus dem vollständigen heilsgeschichtlich-liturgischen Gedankengang. Im >gelasianischen< Sakramentar erscheint die imago Dei-Idee z u m zweitenmal in zwei Orationen z u m Karfreitag und zur Ostervigil: »Deus, qui peccati veteris hereditaria morte, in qua posteritatis genus omne successerat, Christi tui domini nostri passione solvisti: dona, ut conformes eidem facti, sicut imaginem terreni naturae necessitate portavimus, ita imaginem caelestis gratiae sanctificatione portemus, Christi domini nostri.« (Karfreitag). »Fac, omnipotens deus, ut qui paschalibus remediis innova[s]ti similitudinem terraeni parentis aevasimus, ad f o r m a m caelestis transferamus auctores.« (Ostervigil)" 2 . Nach der 2. Oration wird die Erneuerung bewirkt durch die remedia paschalia, das heißt durch die Taufe. Dementsprechend erscheint im >Gelasianum< die imago Dei-Idee z u m dritten M a l in der Benediktion des Taufbeckens: »Hic natura ad imaginem tuam condita et ad honorem sui reformata principiis cunctis vetustatis squaloribus e m u n d e t u r . . ,83« Die gleiche Oration steht im Bobbio-Missale 84 . Der Sinn der Identifikation von Christusbild und Evangelistenbild im Bild des Inkarnationssymbols liegt also offenbar in der heilsgeschichtlichsakramentalen Konsequenz der Geburt Christi für die erneuerte Vollkommenheit des Menschen auf Grund seiner Ebenbildlichkeit mit Gott. Die theologisch folgerichtige Interpretation führt auf die Liturgie der Taufe, zu deren Zeremonie die Evangelistensymbolseite als Bildform wahrscheinlich gehört (s. o. S. 9 f.). So erscheint die besondere Ausgestaltung des ersten Bildes der Expositio Evangeliorum als eine Demonstration der Bedeutung der T a u f e selbst, entwickelt aus dem spezifischen christologischen Sinn des MatthäusEvangeliums. A n diesem Punkt ist jedoch die Interpretation noch nicht gesichert. Sie erklärt nur das G r u n d p h ä n o m e n der Miniatur: die Durchdringung der Bildtraditionen, und m u ß sich an ihren anderen Eigenarten bestätigen.

81

82 83

84

De Pass. Dom., XII, 6, PL 54, 357AB; vgl. das Zitat von Rom. 6: 3—8 in De Pass. Dom., XIII, s , PL 54, 368A. Vgl. Beda, Horn., II, 8, C C L 122, 233 f. I, 41, 398; 56, 527, ed. Mohlberg, 65, 84. I, 44, 448, ed. Mohlberg, 73; dieselbe Formel im Stowe-Missale, ed. G. F. Warner, II, London iSolvite templum hoc, et in tribus diebus excitabo illud. Dixerunt ergo Iudaei: Quadraginta et sex annis aedificatum est templum hoc, et tu in tribus diebus excitabis illud? lile autem dicebat de templo corporis sui.« Die Zahl 46 wurde erklärt durch eine antike medizinische Theorie, nach der der Embryo im Mutterleib in 46 Tagen nach der Empfängnis vollständige menschliche Gestalt erreicht. Zugleich symbolisierte sie den Namen des ersten Menschen, da die griechischen Buchstaben α, δ( α, μ, als Zahlen gelesen (1, 4, 1, 40), 46 ergeben; und im Namen Adam waren die vier Weltenden bezeichnet, denn er besteht aus den Anfangsbuchstaben ihrer griechischen Bezeichnungen άρκτος (Nord), δύσις (West), ά ν α τ ω λ ή (Ost), μεσημβρία (Süd)"6. Die Interrelation aller dieser Bedeutungen in der Zahl 46s7 symbolisierte die kosmische Dimension des Leibes Christi als Verkörperung der universalen Kirche.

88 86

87

22

Z u dieser Idee vgl. Y. M.-C. Congar, Le Mystère du Temple, etc., Paris 1958, 161 ff. Zur symbolischen Beziehung des Tetragramms ΑΔΑΜ auf die vier Himmelsrichtungen, ihrer Herkunft aus hellenistisch-jüdischer Spekulation und ihrer mittelalterlichen Tradition vgl. M. Förster, »Adams Erschaffung und Namengebung«, Archiv für Religionswissenschaft, I i (1908), 477—529; vgl. auch H.-C. Puech, in: E. Hennecke—W. Schneemelcher, Neutestamentliche Apokryphen, 3. Aufl., I, Tübingen 1959, 137, mit Nachweisen. Zuerst bei Ps. Cyprian, Liber de mont. Sina et Sion con. lud., 4, CSEL 3/III, 107 f., wo die 46 nur auf Adam und die vier Weltenden bezogen ist; vgl. idem, De Pascha comp., 12, 16, CSEL 3/III, 259, 263 (vgl. H. Vogels, »Die Tempelreinigung und Golgotha«, Biblische Zeitschrift, N. F., 6 [1962], 102—107, cf. 103 fí.). Andere Autoren bringen nur die Beziehung auf die Embryo-Theorie: Eucherius, Liber formular, spir. int., XI, PL 50, 772AB (nicht in CSEL 31, 6i),· Isidor, Liber num., 24, PL 83, 198; Beda, Horn., ΙΙ,ι, 24, C C L 122, 188 ff., 365; idem, In Es. et Neh. proph. all. exp., II, 7, PL 91, 853 f. Augustin hat beide Allegorien, aber an verschiedenen Stellen: De div. quaes t., 56, PL 40, 39 (Embryo); In Ιο. Εν. Tract., X, il—12, C C L 36, 107 f. (Adamimundus); beide Stellen sind zusammengestellt in Eugippius' Excerpta ex operum s. Augustini, CCLXXVT, >De quadraginta et sex annis aedificationis templii, CSEL 9, 881 f. Die Exegesen der 46 in zwei von Bischoff, 244, 26s, erwähnten irischen Kommentaren sind bisher unpubliziert. Im 9. Jh. sind dann stets alle Ideen zusammengefaßt: vgl. die Nachweise bei Werckmeister, Deckel, Anm. 502.

Die Zahlenallegorie der 46 deutet darauf hin, daß das Thema der Miniatur, der Leib des inkamierten Christus, in seiner universalen Bedeutung verstanden ist, so wie es anschaulich wird in der Bildform des >HimmelskreuzesBaldadiin< i m Z e n t r u m römischer Deckenbilder® 3 , i n d e m a m klarsten ausgestalteten Beispiel (T.

jaf*

ausgefüllt m i t E l e m e n t e n der m y t h o l o g i s c h e n K o s m o l o g i e : i m Zentralkreis der H i m m e l s g l o b u s m i t d e m Tierkreis, in d e n äußeren Z w i c k e l n die vier Jahreszeiten. D a s S c h e m a ist auf B o d e n m o s a i k e n m i t

Zentralkomposition

übertragen w o r d e n 9 6 , meist in rein o r n a m e n t a l e r A u s g e s t a l t u n g (T. jbj 96 ,g e n a u so erscheint es noch i m Z e n t r u m spätbyzantinischer

Gewölbemosa-

iken 9 7 . In z w e i frühmittelalterlichen Beispielen ist das S c h e m a aus d e m ursprünglichen m o n u m e n t a l e n Z u s a m m e n h a n g in d e n Bereich der Bildzeichen übergegangen. D a s A n n u s - D i a g r a m m in Isidors De natura

r e r u m (T. j c f

eine literarische A b s t r a k t i o n des römischen D e c k e n p r o g r a m m s

99

8

ist

, u n d in der

englischen >Fuller-Brosche< ist dasselbe k o n k a v e Viereck i m Kreis m i t anderen, wahrscheinlich

ebenfalls

kosmologischen

Figuren

ausgefüllt 1 0 0 .

Offenbar

h ä n g t auch das k o n k a v e Viereck im I n n e r n der Echternacher Figur, das die kosmische B e d e u t u n g s z a h l 46 enthält, z u s a m m e n m i t jener T r a d i t i o n des Z e n t r a l b i l d s c h e m a s 1 0 1 . Elbern h a t als erster diesen T r a d i t i o n s z u s a m m e n h a n g 93

94 95

96

βτ

98

99

100

101

24

Lehmann, 1 1 f., erklärt das Motiv als »pseudo-illusionistische Darstellung« eines in der Mitte ausgespannten Baldachins. Vgl. ibid., fig. 5, 42. Ferner: N. Ponce, Arabesques antiques des bains de Livia et de la Villa Adrienne, Paris 1789 (Neuausgabe 1838), No. u. Abb. i l ; C. Cameron, The Baths of the Romans, London 1781, Pl. LXVIII. Ehemals Tivoli, Hadriansvilla: Ponce, op. cit., No. 5; danach Lehmann, fig. 5. Djemila-Cuicul (Algerien): L. Leschi, in Fondado η Piot, Monuments et Mémoires, 35 (1935-1936), 1 3 8 - 1 7 1 , fig· ΐ· Aus Lea bei Shrewsbury, Shrops (nach W. Fowler, Stained Glass and Mosaic Pavements, Winterton 1796—1818, unnumerierter Stich). Sehr ähnlich: Trier, Südallee (Lehmann, fig. ί ο ; Κ. Parlasca, Die römischen Mosaiken in Deutschland, Berlin 1959, T. 30); ohne zentralen Kreis: Tadberting (ibid., T. 14 C2); dasselbe Motiv klein im Zentrum einer großen Zentralkomposition: Wiltingen [ibid., T. 22, 2), Mansfield Woodhouse, Notts (Fowler, op. cit., unnumerierter Stich). Istanbul, Kahrie Djami (Lehmann, 10, fig. 19); dazu: Saloniki, Apostelkirche, dat. 1312— 1 3 1 5 (A. Xyngopoulos, Ή ψηφιδοτή διακόσμηση του ναοΰ των áryícov ¿ατοστόλων θίσσα λουΐκη?, Saloniki 1953, Τ. 40). Zu VII, 4'. aus Paris lat. 6413, ί°1· ir, Nordostfrankreich, M. 8. Ih. (CIA, V, 567); vgl. Isidor, De natura rerum, ed. J. Fontaine, Bordeaux i 9 6 0 , 1 0 1 bis, fig. 2. Die Position der Namen von Annus und den Jahreszeiten entspricht der Position der Bildelemente mit dieser Bedeutung auf der Decke von Tivoli (s. o. Anm. 94; vgl. Lehmann, 6 f.). London, British Museum: R. L. S. Bruce-Mitford, in: D. B. Harden (ed.), Oark-Age Britain, London 1956, 173 ff., Pl. XX. Bruce-Mitfords Deutung als Darstellung der fünf Sinne, zu der Bildparallelen und Textstellen nicht nachweisbar, aber auch nicht nötig seien (ibid., 184), überzeugt nicht; die Tradition des sphärischen Vierecks wird nidit herangezogen, die Form vielmehr aus einer Typentradition angelsächsischer Rundfibeln erklärt (ibid., 185). Das ganze Teilungssystem der Brosche begegnet schon unfigürlidi auf einem koptischen Stoff in Kairo, Koptisches Museum (M. H. Simaika Paäa, Guide sommaire du Musée copte et des principales églises du Caire, Le Caire 1937, Pl. LXXXV). Das Motiv erscheint auch häufig als Rapportomament aus einander durchdringenden Krei-

in v o r k a r o l i n g i s c h e n zentralisierten d e k o r a t i v e n S t r u k t u r e n g e s e h e n 1 0 2 . Er betont dabei richtig, d a ß die k o n k a v e E i n b i e g u n g der R ä n d e r a n s c h e i n e n d h ä u f i g als A n d e u t u n g d r e i d i m e n s i o n a l e r K u g e l w ö l b u n g g e s e h e n w u r d e . D a s Beispiel m i t der differenziertesten A u s p r ä g u n g der g a n z e n D e c k e n g l i e d e r u n g , e i n insulares W e r k , das Paar h a l b k u g e l i g e r S c h w e r t k n ö p f e v o n S u t t o n H o o (2. H . 7. Jh., T . 6b)103,

zeigt i m S c h e i t e l p u n k t das sphärische Viereck, k r e u z f ö r m i g unter-

teilt. W e n i g später erscheint e i n e ähnliche, präzis durchgebildete K o m p o s i t i o n in d e n drei k l e i n e n K r e i s e n des v o n E l b e r n interpretierten

ornamentalen

Kreisbilds i m B o o k of D u r r o w (T. 6c), z w e i f e l l o s m i t e i n e m B e d e u t u n g s g e h a l t , der in jener Z e n t r a l b i l d t r a d i t i o n b e g r ü n d e t iêt 1 0 4 . D a m i t erscheint das M o t i v i n der künstlerischen T r a d i t i o n , die u n m i t t e l b a r z u der Echternacher H a n d schrift f ü h r t . H i e r ist der optische E i n d r u c k der K u g e l w ö l b u n g n o d i eindeutiger g e m a c h t durch die B o g e n f o l g e n i m I n n e r n des Vierecks, die e i n z w e i t e s , kleineres sphärisches Viereck in die T i e f e z u projizieren scheinen. D i e sphäri-

102

103

104

sen in Bodenmosaiken (D. Levi, Antioch Mosaic Pavements, I, Princeton 1947, 374 f.) und in anderen Zusammenhängen (W. D. Zichichvili, in Archivo español de arte, i j (1954), 138 fi.) H. Schiunk u. M. Berenguer, La pintura mural asturiana de los siglos IX y Χ, Madrid 1957, 39 f.; J. Puig i Cadafalch, L'art wisigothique et ses survivances, Paris 1961, 52). Ebenso gibt es den einzelnen Kreis mit konkavem Viereck als reines Ornament, z. B. auf einem Mosaik in Bologna, 2. Jh. (Memoirs of the American Academy in Rome, 8 [1930], Pl. 18,3), oder, mit Rosette im Zentrum, auf Stuckrelief-Dekorationen im Palast von Khirbat-al-Mafjar, dat. 724—743 (R. W. Hamilton, Khirbat al Mafjar, Oxford 1959, fig. 1261). Aber schon in der Antike gewinnt das ornamentale Motiv auch zeichenhaften Wert: auf römischen Mosaiken in Tunesien [Analecta Arthaeologica, Festschrift Fritz Fremersdorf, Köln i960, T. 23—24; P. Gaudder, Inventaire des mosaïques de la Gaule et de l'Afrique etc., II, Paris 1910, Nr. 71c [Abb.]) sind Büsten der Musen oder Jahreszeiten in die Intersektionen der Rapportkreise gesetzt; in altchristlichen dekorativen Skulpturen treten Kreuze an dieselbe Stelle: vgl. den byzantinischen Kindersarkophag ehem. in Berlin, 475. Jh. (O.Wulff u. W. F. Volbadi, Altchristliche und mittelalterliche byzantinische und italienische Bildwerke, III, Ergänzungsband, Berlin u. Leipzig 1923,4 f. mit Abb.) ¡ Transenne von Tocane-S. Apre, Dordogne, 5 76. Jh.? (W. Holmqvist, Kunstprobleme der Merowingerzeit, Stockholm 1939, T. XLVI,i). An den altdiristlichen Transennen-Bronzetüren der Geburtskirche in Bethlehem (R. Jaeger, »Die Bronzetüren von Bethlehem«, Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts, 45 [1930], 91—115, Abb. 1, 2) geht das Rapportornament mit Kreuz in differenzierte, geschlossene Zentralkompositionen über. »Dreifaltigkeit^ minia tur«, 30 ff. Elbem isoliert jedoch das Motiv nicht, sondern sieht es in einem undeutlichen »großen kosmologisdien Zusammenhang« von »Gleichsetzungen, Durchdringungen und Variationen der Kompositionsschemata aus Quadrat, Kreis, Kreisbögen und Kreuz« (ibid., 32). So erwähnt er auch nicht den antiken Prototyp des konkaven Vierecks. R. L. S. Bruce-Mitford, The Sutton Hoo Ship Burial, s. Aufl., London 1956, 59, Pl. 2 i d ; vgl. Elbem, op. cit., 2s, Abb. 19. Vgl. auch den halbkugeligen irischen Glasknopf in Metallfassung aus Ekerö, 8. Jh. (Stockholm, Nationalmuseum; W. Holmqvist, in The Antiquaries Journal, 35 [1955], 50, PI. XlVa). Elbern, op. cit., 33, geht so weit, sie als Christussymbole zu bezeichnen; dafür fehlt aber eine ausreichende Begründung. IS

sehe Formung 105 tritt in derartiger Klarheit sonst nirgends auf: so qualifizieren die 46 Bögen das Motiv als Bedeutungszeichen ebenso unter dem Aspekt der Form wie unter dem Aspekt der Zahlenallegorie. Zweifellos ist hier in der Tat jene Kreisbildstruktur gemeint, wie sie die römischen Bodenmosaiken zeigen; wahrscheinlich enthält aber die sphärische Form sogar eine Assoziation mit der Struktur von Kuppeln (T. jd) 10 *. Die Interpretation des konkaven Vierecks ist festgelegt durch den Bedeutungsgehalt der Zahl 46 : so erscheint das winzige Diagramm der Zentralbaustruktur als Zeichen für die Idee des Tempels in seiner kosmischen Dimension. Es entspricht durch seine Zentralbildtradition und durch seine literarische Begründung im Ideenschema der vier Himmelsrichtungen dem Kompositionsschema des ganzen Bildes, dem >Himmelskreuz An nescitis quoniam membra vestra templum sunt Spiritus sancti, qui in vobis est< (i.Kor. 6:19). Et iterum: >Per fidem habitare Christum in cordibus vestris< (Ephes. 3: 17)« 110 . Das Zeichen in der Figur qualifiziert diese als den spirituellen Tempel Christi. Dodi die individuelle und die kollektive Fassung jener altchristlichen Idee sind nicht zu trennen: der einzelne Mensch als Tempel ist nur ein Element des universalen Tempels der Gemeinde 111 . In beiden ist die inhabitatio Christi bedingt durch die spirituelle Reinheit der Gläubigen (1. Kor. 6: 15—20). Diese spirituellmoralische Konsequenz ist ausführlich dargelegt in Augustine Brief De piaesentia Dei. Augustin setzt die Einwohnung Gottes »in singulis . . . tamquam in templis suis et in omnibus simul in unum congregatis tamquam in templo suo«112 in dialektische Beziehung zur Allgegenwart Gottes als Kosmokrator. Dies erscheint aufschlußreich für die Form des Tempelzeichens in der Miniatur als winziges >HimmelsbildWiedergeburt< in der Taufe 114 , die Grundbedingung für den Bau des spirituellen Tempels : »... non video quo modo aedificentur homines in domum dei ad habendum in se habitatorem deum, nisi cum fuerint renati.. . 11S « Hier zeigt sich die Beziehung der Tempelidee zum Bildgedanken der Miniatur, zur lenovatio ad imaginem Dei; Augustin legt diese Beziehung selbst dar und zitiert in extenso den Grundtext, 1. Kor. 15:46—49 (vgl. o. S. 20). »Quam ob rem deus, qui ubique praesens est et ubique totus, non in omnibus inhabitat sed in eis tantum, quos effecit beatissimum templum suum vel beatissima templa s u a . . . , quod incipit a regeneratione116.« Jeder dieser Gläubigen ist 109 110 111 112

113 114

ue

Vgl. Congar, op. cit. (s. Anm. 85), 183 ff. Beda, op. cit. (s. Anm. 108), I, 3, PL 91, 832BC. Congar, op. cit. (s. Anm. 85), 184. Augustin, Ep., CLXXXVII, 13, i8, CSEL 57, 115; vgl. D. Sanctis, »Le symbolisme communautaire du Temple chez Saint Augustin«, Revue d'ascétique et de mystique, 37 (1961), 3-30, 1 3 7 - 1 4 7 , cf. 13 8. Ibid., 7 , 1 9 , CSEL 57, 106. Ibid., 8,16/ 9, 30, CSEL 57, 103; 108 ff. Ibid., 9, 31, CSEL 57, no. ibid., 12, 35, CSEL 5 7 , 1 1 3 .

27

»... templo illi accommoda tus atque aptus, quod in suo corpore primum Dominus figuravi t, cum ait: >Solvite templum hoc, et triduo suscitabo illud.< Ergo ut fiat quisque lapis vivus ad talem fabricam idoneus, spiritaliter intelligat templi renovationem ex ruina vetere quae in Adam facta est, reparationem novi populi secundum novum hominem atque caelestem: ut sicut portavimus imaginem terreni, portemus et imaginem eius qui de caelo est 1 1 7 . . .« Von hier aus läßt sich der Sinn der 46 in der Echternacher Figur bestimmen. Durch die Allegorie der Adam/Kosmos-Interrelation in jener Zahl erscheint der Mensch als spiritueller Tempel exemplarisch für die ganze Kirche, die im Leibe Christi, an dessen Stelle er als imago Dei steht, verkörpert ist. Der kollektive und der individuelle Aspekt der altchristlichen Idee des Tempels sind demnach auch in dieser Miniatur nicht zu trennen; betont ist jedoch der individuelle Aspekt. Die Tempelbezeichnung läßt sich unmittelbar aus denselben Texten entwickeln wie die zugrundeliegende Gleichsetzung der Bilder Christi und des Menschen. Die Weihnachtspredigten Leos d. Gr. (vgl. o. S. 19 f.) enthalten auch eine entscheidende Stelle für die Verbindung der Geburt Christi und des spirituellen Tempels. »Considerate . . . quis nos in se susceperit, et quem susceperimus in nobis: quoniam sicut factus est Dominus Iesus caro nostra nascendo, ita et nos facti sumus corpus ipsius renascendo. Ideo et membra Christi, et templum sumus Spiritus sancii: et ob hoc B. Apostolus dicit: Glorificate, et portate Deum in corpore vestro< (1. Kor. 6:2o)« 118 . Der Terminus »renascendo« verweist auf die Taufe, die den spirituellen Tempel bildet. Das bestätigt sich in den Tauforationen der Liturgie. Bei der Segnung und Exorzisation des Katecheten am Ostersonnabend heißt es im >Gelasianumc » . . . quem hodie dominus deus noster Iesus Christus ad suam sanctam gratiam et benedictionem fontemque baptismatis dono vocare dignatus est, ut fiat eius templum per aquam regenerationis in remissionem omnium peccatorum . . ,« 119 , und bei der Exorzisation des Taufwassers : » . . . et cum baptizatus fuerit, fiat templum dei vivi in remissione peccatorum .. .«l2°. Die zweite Oration und eine der ersten Oration entsprechende stehen im BobbioMissale 121 , die erste auch im Stowe-Missale 122 ; sie finden sich jedoch nicht im Gregorianum 123 . Insofern auch der Terminus imago Dei nur im Gelasianum und im Bobbio-Missale dem Bild entsprechend gegeben ist (s. o. S. 18), und die Expositio Evangeliomm, in der die Bildform offenbar begründet ist, 117 118 119 120 121 122 123

18

Augustin, Enair, in Ps., CXI, 1, CCL 40, 1625 f. Senn, in Nat. Dom., III, 5, PL 54., 2.03A. I, 42, 419, ed. Mohlberg (s. Anm. i8), 67. I, 75, 607, op. cit., 95; vgl. audi I, 71, 599, ibid., 93; I, 45, 294, ibid., 45. 234, ed. Lowe (s. Anm. 19), 71; 240, ibid., 74. ed. G. F. Warner, London 1906, 27, 29. Die Tempelidee erscheint hier nur in der Messe zum 5. Wochentag vor Ostern, PL 78, 85A, im Zusammenhang mit der Idee der Taufe.

ebenfalls nur in diesen Formularen vorkommt (s. o. S. 9), präzisiert sich die Beziehung der Miniatur zur Liturgie historisch bis zu einem gewissen Grade: als Grundlage erscheint die altrömisch-insulare liturgische Tradition, nicht das gregorianische Sakramentar. Die erneuerte imago Dei und der spirituelle Tempel, begründet in der menschlichen Geburt Christi, sind die Grundideen desselben liturgischen Vorgangs, der Taufe, zu deren Zeremonie das Bild gehört. Gerade in den Tauforationen ist die Idee des spirituellen Tempels eindeutig individuell gefaßt. Das entspricht dem ikonographischen Phänomen: der Bezeichnung des erneuerten Menschen als Tempel Gottes.

9. Die Rosette im konkaven Viereck Wenn das konkave Viereck die inhabitatio Gottes oder Christi bezeichnet, dann fragt sich, wodurch dabei Christus selbst bezeichnet ist. Vom Motiv aus wäre unmittelbar zu schließen: durch den zentralen Kreis mit der achtgeteilten Rosette. Diese Deduktion erscheint jedoch zunächst problematisch, denn die achtgeteilte Rosette ist ein häufiges Ornamentmotiv in spätantiker und vorkarolingischer Kunst, das von sich aus keinen Bedeutungsgehalt erkennen läßt. Die einfache Form schließt andererseits ebensowenig eindeutig Bedeutung aus124. Das zeigt jenes winzige halbkugelige Silberamulett in der achtgeteilten Rosettenform aus einem ungarischen Grabfund (A. 9. Jh.?), auf dessen Rückseite das Gebet »Herr, hilf, Herr, vergib mir« eingeritzt ist125. Es erscheint möglich, daß die achtgeteilte Rosette in bestimmten Fällen zum Bedeutungszeichen erhoben wurde; das ergibt sich als Hypothese auch aus der Argumentation zur Echternacher Miniatur. Die Rosette, die nur an dieser einen Stelle innerhalb der Bilder der Handschrift auftritt, ist nicht isoliert zu verstehen, sondern im Motivzusammenhang des Achsenkreuzes, aus dessen Zentrum sie nur verschoben ist durch ihre Einzeichnung in die konkave Viereckform im Innern der Figur. Die achtgeteilte Rosette im Kreuzzentrum aber hat eine erkennbare Tradition als Motiv in der vorkarolingischen Kunst. Dieses Motiv erscheint zuerst auf mehreren frühbyzantinischen Silberschüsseln aus dem Fund von Sutton Hoo (E. 6. Jh.)128, die mit einem Achsenkreuz verziert sind. Ob hier schon eine ins Dekorative transformierte Zentralbildvorstellung gegeben ist, bleibt fraglich, das Motiv hielt sich aber in späterer, präziserer Iko124

Z u den Möglichkeiten der Rosette als religiöses Symbol im Mittelmeergebiet vgl. E. R. Goodenough, Jewish

Symbols

in the Greco-Roman

Period, VII, N e w York 1958, 175 ff.;

in christlichen Denkmälern: ibid., 195 ff. 125

J. Hampel, Alterthümer

des frühen

Mittelalters

in Ungarn,

Braunschweig 1905, I, 59,

Fig. 56; Π, 44o; III, T . 334, Fig. i l . 128

E. Kitzinger, in The British Museum

Quarterly,

13 (1939], 1 2 2 ff., PI. XLVIIa, c - d ; Bruce-

Mitford, op. cit. (s. A n m . 103), Pl. 15b.

29

nographie, die mit der Bildvorstellung des >Himmelskreuzes< zusammenhängt. Diese Ikonographie ist repräsentiert in drei westfränkischen Miniaturen des 8. Jh.s. Das Titelbild der Pariser Augustinus-Handschrift aus Laon (?), 2. H. 8. Jh. (T. 8a)™, zeigt das Parousiekreuz, bezeichnet mit »XPI IhU« und Α/ω unter einer Bogenarkade,- das unterteilte Zentralquadrat, in dem die Rosette steht, gleicht in allen unfigürlichen Details einem altchristlichen Goldglas mit der Büste Christi (T. 8b)1™. Nach dem Bildzusammenhang liegt hier das altchristliche Motiv des Parousiekreuzes mit zentralem Clipeus oder Quadrat (s. o. S. 12) zugrunde. Die ornamentale Rosette im Zentrum dieses vollausgebildeten Motivs 129 steht sicher nicht ohne Zeichenwert an der Stelle des Christusbilds im Clipeus. Das zeichenhafte Verständnis der achtgeteilten Rosette ist unmittelbarer deutlich in dem zweiten Beispiel, einer Zeichnung im zweiten, späteren Teil der Gregor von Tours-Handschrift in Cambrai (Ostfrankreich, ι. H. 8. Jh., T. Sc)130. Vor das Incipit ist ein sechsachsiges Christusmonogramm mit A und ω gesetzt, das durch das ausschlagende Blätterpaar am Fuß 131 und wohl auch die Blüten an den Enden zugleich als >Lebensbaumomnia quae habet pater mea sunt< (Joh. 16:15). Ad quam similitudinem etiam salvatoris praecepta nos provocant: >estotevos perfecti, sicut et pater vester caelestis perfectus est< (Matth. 5 : 48 ) "*«. Die Verbindung der Gottebenbildlichkeit mit dem hundertfachen Lohn der Askese durch das Zitat desselben Schrifttextes entspricht der Einfügung der 100 Punkte ins Bild der erneuerten imago Dei in der Miniatur. Daß dieses Bild auch Cassians spirituelle Fassung der Tempelidee im homo interior zu enthalten scheint (s. o. S. 35), läßt darauf schließen, daß hier in der Tat Gedankengänge Cassians zugrunde liegen. Jener dritte Grad, dem Cassian die Zahl 100 zuordnet, »specialiter dei est et eorum qui in sese imaginem dei ac similitudinem receperunt«180. Rezeption und Entwicklung der imago Dei aber werden bewirkt durch die Askese. Ihre Bedingung ist die Keuschheit181; der Mönch strebt zur Gottebenbildlichkeit durch demütige Nächstenliebe182. Cassian folgt der altchristlichen Tradition, nach der die imago Dei in der Seele lokalisiert ist; er nennt die Seele »illam pretiosiorem hominis portionem, in qua etiam imago dei secundum beatum apostolum ac similitudo consistit, deposita hac qua retunditur in praesenti sarcina corporali insensibilem fieri, quae omnem rationis vim in se continens etiam mutam atque insensibilem materiam carnis participatione sui facit esse sensibilem, cum utique consequens sit et hoc rationis ipsius ordo contineat, ut exuta mens ista carnali qua nunc hebetatur pinguedine intellectualis virtutes suas in melius reparet et puriores eas ac subtiliores recipiat potius quam amittat«18*. Aber jene asketische Wendung, durch die die imago Dei-Lehre bei Cassian dem monastischen Aspekt der Echternacher Miniatur zu entsprechen scheint, steht zugleich im Widerspruch zu deren Grundbedeutung. Dieser Widerspruch ist die extreme Konsequenz aus dem Gegensatz zwischen der heilsgeschichtlichen Begründung des Bildes in der Liturgie der Taufe und seiner spirituellen Bedeutung, der bereits angelegt ist im Terminus imago Dei selbst (s. o. S. 19, 34). Insofern das Bild die mystische Gleichgestaltung mit Christus durch das Symbol für den Körper Christi darstellt, erscheint es unvereinbar mit Cassians asketischer Begründung der imago Dei aus dem scharfen Gegensatz zur Leiblichkeit als solcher. Die paulinische Lehre von der renovado ad imaginem Dei durch die Geburt des >zweiten Adam< und ihre heilsgeschichtlich-sakramentale Konsequenz fehlen vollständig bei Cassian. Er definiert vielmehr die Idee der imago Dei in ausdrücklicher Polemik gegen ihr anthropomorphes Verständnis. Der Vorstellung Gottes in menschlicher Gestalt auf Grund von Gen. 1: 26 wird entgegengehalten: »non secundum humilem litte179 180 181 182 183

Coni., XI, 7,3, CSEL 13, 319 f. Ibid., XI, 6, 3, CSEL 13, 318. Ibid., XI, 14, CSEL 13, 331 f. Ibid., XI, 9, 1 - 2 , CSEL 13, 322 f. Ibid., I, 14, 8, CSEL 13, 23 f. 39

rae sonum, sed spiritaliter imaginera dei ac similitudinem tradì ab universis ecclesiarum p r i n c i p i b u s . . n e c posse in illam inmensam et incomprehensibilem atque invisibilem maiestatem aliquid huiusmodi cadere quod humana conpositione valeat ac similitudine circumscribi, quippe quae incorporea et inconposita simplexque natura sit quaeque sicut oculis deprehendi, ita mente non valeat aestimari.. .«1M. Kein Wort von der Inkarnation185. Als Alternative zur verworfenen anthropomorphen Vorstellung Gottes beim Gebet wird eine asketische Konzentration empfohlen, in der das Denken sich löst von allem sinnlichen Vorstellen: »illi soli purissimis oculis divinitatem ipsius [sc. Christi] speculantur, qui de humilibus ac terrenis operibus et cogitationibus ascendentes cum ilio secedunt in excelso solitudinis monte, qui liber ab omnium terrenarum cogitationum ac perturbationum tumultu.. fide purissima ac virtutum eminentia sublimatus, gloriam vultus eius et claritatis revelat imaginem his qui merentur eum mundis animae obtutibus intueri«186. Cassians asketische Fassung der imago Dei-Lehre187 scheint also einerseits dem sakramentalen Grundthema der Miniatur zu widersprechen, andererseits entspricht sie genau der monastisch-spirituellen Wendung jenes Themas durch das Zeichen für den Tempel und die 100 Punkte in der Tonsur. Der Gegensatz ist in der Tat kein Widerspruch der Interpretation, sondern liegt offenbar im Bilde selbst, und zwar gerade in jener monastischen Wendung. Läßt sich diese Ambivalenz, die aus den Motiven zu erschließen ist, in der Intention des Künstlers fassen? Hier geht die Interpretation von der Ikonographie über zur Form der Miniatur.

13. Dei Ausdiucksgehalt in dei Stilisieiung dei Figur Der Versuch, die Intention des Malers aus der Form des Bildes zu erkennen, führt zur Frage nach dem Ausdrucksgehalt des Stils. Schapiro hat die extreme Stilisierung des homo als Ausdruck der asketischen Konzeption des irischen Mönchtums interpretiert188. Das würde besagen, daß die Bildung der Figur aus darstellungsfreien Ornamentmotiven absichtlich gegen ein natür184 185

18e 187 188

40

Ibid., X, 3, 3, CSEL 13, 288. In seinen diristologisdien Darlegungen umgeht Cassian geradezu den Begriff imago: vgl. Dürig, 34. Coni., X, 6, 2, CSEL 13, 29a. Vgl. Dürig, 105 f. ". . . the 'imago hominis' is a rigid, abstract,, denatured emblem, bearing the written word of God and held in place by the active compressing frame as by a vise, a radical conversion of the body by whidi the ascetic conception of the human being is wonderfully expressed." (The An Bulletin, 16 [1944], 242).

lidies Körperbild sich richtet, so wie in der Spiritualität die Idee der Askese gegen den Körper selbst. Dabei wäre kunstgeschichtlich vorausgesetzt, daß der Maler ein realistischeres Vorbild aus einer spätantiken Bildtradition von seinem natürlichen Aussehen abstrahierte189. Aber selbst mit dieser Voraussetzung stände noch nicht fest, ob der Maler die realistischeren Formen aufgab, weil er nicht realistisch zu zeichnen gewohnt war, oder aus inhaltlicher Absicht. Die Frage läßt sich nur entscheiden aus dem stilgeschichtlichen Zusammenhang, soweit er noch erkennbar ist. Welche Bildtraditionen standen dem Maler zur Verfügung, welche Stilmöglichkeiten schloß sein eigenes Können ein, und wie gestaltete er sein Bild aus jenen Traditionen und mit diesen Möglichkeiten? Die erhaltenen figürlichen Darstellungen in der irischen Kunst bis 700190 sind kaum realistischer als die Echternacher Figur; die Stilisierung des homo im Book of Durrow (T. 19b) ist sogar nodi abstrakter. Aber die Stilisierung des Echtexnacher homo läßt eich überhaupt nicht aus. insularer Formtradition erklären1®1. Die Figur steht zeitlich am Anfang einer Reihe von anderen Beispielen desselben stilisierten Typs, sämtlich Evangelistenbildern (vgl. T. 5 a). Der altchristliche Prototyp ist eine stehende Evangelistenfigur, die das Buch mit verhüllten Händen vor der Brust trägt, wie sie auf einem koptischen bemalten Buchdeckel (i.H. 7. Jh., T. 5c)192 erscheint. Die verhüllten Hände, eine verehrende Geste, mit der der Codex von Christus empfangen oder Christus dargebracht wird193, gehören essentiell zu einer stehenden Figur, aber diese Darstellungsbedeutung ist in den insularen Miniaturen nicht mehr erhalten: auf die abgeschnittenen Ovale, die offenbar Stilisierungen der herabhängenden verhüllenden Mantelenden waren, sind oft Hände gesetzt, und ein mehr oder weniger schematisch abstrahierter Thron hinter der Figur kennzeichnet diese als sitzend. Die Stilisierung erscheint am vollständigsten in der Echternacher Figur; in den späteren Beispielen scheint sie immer mehr vereinfacht und schließlich aufgegeben zu sein, so daß das Echternacher Bild nicht nur zeitlich, sondern auch formgeschichtlich am Anfang der insularen Entwick189

Diese H y p o t h e s e , ohne Schapiros Folgerung, auch bei P. M e y e r , i n : A l t o n et al., op. cit. (s. u. A n m . 439), 41 ; E. H. G o m b r i d i , Art and Illusion,

ISO Vgl. die Reliefs v o n C a r n d o n a g h (T. ijc¡

L o n d o n u. N e w Y o r k Γ959, 77.

s. u. A n m . 272) u n d Fahan M u r h a (s. u. A n -

m e r k u n g 292]. 181

D a s Folgende ist eine Z u s a m m e n f a s s u n g v o n A b s c h n i t t 2 in W e r d u n e i s t e r ,

Problems,

175 ff.; dort ausführlichere A r g u m e n t a t i o n . 192

W a s h i n g t o n , Freer G a l l e r y of A r t : C . R. M o r e y , East Christian Collection,

Paintings

in the

N e w Y o r k 1914, 63 ff., Pis. XI—XIII; Κ. W e i t z m a n n , in A r s Islamica,

Freer

10 (1943),

124 f., fig. 7. 193

Vgl. das W i d m u n g s b i l d i m Rabula-Evangeliar (dat. 586), fol. i 4 r (C. C e c d i e l l i , G . Furlani, M . Salmi, The

Rabbuia

Gospels,

Ö l t e n u. L a u s a n n e 1959, fol. 14a). Z u r Z e r e m o n i e vgl.

G . M . Braso, »La v e l a c i o de las m ans«, i n Liturgica,

I, Cardinali

F. A. Schuster

in

memo-

riam, M o n t s e r r a t 1956, 311—386; z u m Buch auf v e r h ü l l t e n H ä n d e n vgl. ibid., 362 ff.

41

lung zu stehen scheint. Die Geschichte des Stilisierungsmusters im insularen Bereich erscheint also als fortschreitende Auflösung. Dementsprechend läßt sich auch seine Bildung nicht aus der insularen Kunst erklären: die Palmetten sind ein mediterranes Ornamentmotiv, die abgeschnittenen Ovale finden keine Parallelen in der insularen Ornamentik. Offenbar ist also die Figur fertig stilisiert von außerhalb eingeführt. Die Palmetten, die audi in anderen vorkarolingischen Kunstkreisen nur selten und isoliert auftreten, erscheinen paarweise, zusammen mit den abgeschnittenen Ovalen und in derselben symmetrischen Komposition wie in der Figur, in einer Gruppe bronzener Gürtelbeschläge vom E. 6.1 A. 7. Jh. aus Südspanien (T. $b)w*. Die Ornamentformen treten nur auf diesen Beschlägen auf und sind aus deren byzantinischen Prototypen übernommen 195 . Aus dem Vergleich läßt sich schließen, daß der koptische realistische Prototyp in der i . H . 7. Jh. in Südspanien nach dem Muster der Gürtelbeschläge ornamentalisiert und in dieser Stilisierung in einer westgotischen Miniatur nach Irland oder Northumbria überliefert wurde 196 . Von hier aus scheint es zunächst nicht mehr möglich, in der Stilisierung als solcher eine Ausdrucksform für irische monastische Ideen zu sehen, um so weniger, als der Maler die irische Stilisierung des homo in Durrow kannte, aber nicht übernahm (s. o. S. 11). Das hat vor allem einen ikonographischen Grund: die Einführung der Evangelistenbildtradition in das Bild des Matthäussymbols; aber was interessierte den Maler stilistisch an dem fremden Muster, das er so genau nachbildete, ohne einen Versuch, es mit insularen Formen umzubilden? Diese Stilisierung kontrastiert ja mit der organischen Form der anderen drei Symbole 197 . Der Gegensatz liegt nicht darin, daß die Figur des homo nicht realistisch ist, sondern in der scheinbar rein ornamentalen Tendenz ihrer Abstraktion: die Tiere sind ebensowenig realistisch, aber ihre Abstraktion vermittelt den Eindruck elastisch-bewegter, durchgebildeter Körper. An den beiden Wächtern auf dem Kreuzigungsbild im Durhamer Evangeliarfragment (T. 21b) läßt sich beobachten, wie derselbe Maler einen 194

,es

1ββ

197

42

H. Zeiss, Die Grabfunde aus dem spanischen Westgoicnrcich, Berlin u. Leipzig 1934, 42 ff., T. 17—19; einige N e u f u n d e bei P. de Palol Salellas, »Fíbulas y broches de cinturón de época visigoda en Cataluña«, Archivo español de arqueología, 23 (1950), 73—98, cf. 95 f., fig. 6 - 7 . Zeiss, op. cit., 43, 1 1 8 f., T. 3 1 , ia—b; vgl. J. Werner, in Seminarium Kondakovianum, 8 (1936), 184 ff., mit Nachweisen in A n m . 1 3 . Z u r Tradition spanischer Handschriften i n Irland und England im 7. und 8. Ih. vgl. J. N . Hillgarth, »The East, Visigothic Spain and the Irish«, in: F. L. Cross (ed.), Studia Patristica, IV ( = T e x t e und Untersuchungen, etc., 79), Berlin 1961, 442—456; idem, Visigothic Spain and Early Christian Ireland ( = Proceedings of the Royal Irish Academy, 61/C, No. 6, 167—194), Dublin 1962, 172 ff. Vgl. Α. Haseloff, in Repertorium für Kunstwissenschaft, 42 (1920), 2 1 2 . Dieser Gegensatz ist auch die Voraussetzung der Interpretation Schapiros (s. A n m . 188).

unrealistischen Typ der menschlichen Figur198 in einer ähnlich feingliedriggeschmeidigen, ruhigen Bewegung ausformen konnte wie den vitulus im Echternacher Evangeliar (T. 22b; vgl. u. S. 64). In dieser Situation läßt die stilreine Übernahme der fremden Bildtradition eine besondere Intention vermuten, die mit den ikonographischen Gründen der Übernahme zusammenhängt. In der Tat konnte ein monastisches Bedeutungsmotiv wie das Zeichen für den Tempel im homo interior formal nur aus der strikt ornamentalen Konzeption der Figur entwickelt werden. Inhaltlich impliziert das ein abstraktes Verständnis des Figurenbilds als Zeichenstruktur für spirituelle Ideen, und nicht zufällig bezeichnet gerade jenes zentrale Motiv die spirituelle Gegenidee zur Körperlichkeit selbst (vgl. o. S. 33 f.). Von hier aus wird der zeitgenössische Ausdrucksgehalt der isolierten Stilisierungsform verständlich. Keinesfalls ist die gegenrealistische Abstraktion des Körperbilds, die vom Maler gar nicht geleistet wurde, unvermittelt als Ausdruck für die asketische Mortifikation des Körpers zu verstehen189. Vielmehr liegt die Bedeutung der Stilisierung in ihrer Funktion als eine Vorstellungsform, die die menschliche Gestalt in einer reinen Metapher aus Zeichen und Zahlen faßt. Sie erinnert an die Konzentration der Vorstellung bei Cassian, die Christus vergegenwärtigt in dem Maße, wie sie sich von irdischer Anschauung entfernt200.

14. Die Gestaltung der Figur in der Miniatur Die Abstraktion der Stilisierung ist jedoch nur die eine Seite des stilistischen Phänomens. Die starre Symmetrie ist zwar Prinzip des ornamentalen Musters, aber in der Zeichnung der Figur im vorliegenden Bild ist sie nicht mechanisch eingehalten; vielmehr zeigen sich in allen Details geringe, aber konsequente Abweichungen (T. i i f 0 1 . Legt man die senkrechte Mittelachse durch die Figur, dann lassen sich an beiden Seiten horizontale und vertikale Verschiebungen erkennen. Die linke202 Schulter reicht weiter hinaus als die rechte, ebenso die ganze Bandstruktur im Inneren des herzförmigen Oberteils, so daß die innerste Farbfläche links neben dem Buch nahezu doppelt so breit ist wie rechts. Die innere Mandelform in dem darunterliegenden abgeschnittenen Oval und die Palmette darunter sind ebenfalls breiter als die entspre198

199 200

201 202

Vgl. aus der Bildtradition dieser M i n i a t u r die Profilfiguren unter dem Kreuz auf dem Relief von Caradonagh (T. ijc) und die Wächter auf der Bronzeplatte von Athlone (T. 15). Offenbar ist dies die M e i n u n g Schapiros, I. c. (s. A n m . 188). Z u r asketischen Konzentration bei Cassian vgl. O. Chadwick, John Cassian. A Study in Primitive Monasticism, Oxford 1950, 165 ff. Das Folgende nach Werckmeister, Problems, i 8 r ff. In der folgenden Beschreibung gelten »rechts« und »links« stets vom Beschauer aus, auch bei Körperteilen.

43

chenden Formen auf der Gegenseite, und der linke Fuß ist doppelt so weit von der Mittelachse entfernt wie der rechte. Die Kurve des Tunikasaums ist weit links von der Achse zentriert und verläuft links geradeabwärts, rechts ist sie hochgebogen und retardiert. In allen Teilen erscheint also eine leichte Ausdehnung des Körpers nach links. N u r im Kopf sind die Tonsur und die Oberlippenspalte leicht nach rechts verschoben. Balanciert wird jene Ausdehnung von senkrechten Bewegungen in der rechten Körperhälfte. Diese Bewegungen beginnen in einer merkwürdig abstrakten Verzerrung der Symmetrie im Gesicht: das Auge und die Augenbraue, das Ohr und die innere Haarkontur sind auf der rechten Seite nach oben gerückt 203 ; ebenso ist das halbmondförmige Halsstück redits hinaufgezogen. Die rechte Hand ist höher erhoben als die linke und hebt das Buch an dieser Seite an, kippt es leicht nach links. Die Schließen des Buches sind, ähnlich abstrakt wie die Züge im Gesicht, rechts hochgerückt, und an der oberen Kante sitzt die linke Schließe weiter außen als die rechte: so spiegeln diese Schließen die Verschiebung der Formen auf beiden Seiten der Figur. Beide Hände, mit ihren präzise detaillierten verschieden langen Fingern, sind, ohne jede Symmetrie, in paralleler Bewegung nach rechts gedreht, und zwar aus den Handgelenken heraus, denn die Manschetten konvergieren noch, wobei die linke stärker zur Mitte geneigt ist. Das ganze Motiv der Hände mit dem Buch (T. 23a) erscheint durch und durch bewegt, und diese Bewegung, die akzentuiert ist durch die stärkere Neigung der linken Hand nach redits, setzt sich fort in dem gebogenen Band, das den Ärmel darstellt, und das den >Ärmel< auf der Gegenseite überschneidet; so kommt in die flächenhafte Formenordnung ein räumlicher Effekt, der begründet ist in einem Darstellungsmotiv: der Bewegungdes Arms. Das rechte Ärmelband ist wenigerweit ausgedehnt als das linke, hängt dagegen tiefer durch. Hier beginnt die senkrechte Bewegung abwärts zu wirken. Sie setzt sich fort im abgeschnittenen Oval, das die angrenzende Palmette stärker überschneidet als links und durch die Füllung von 8 Spiralen (gegenüber 7 links) kompakter wirkt als sein Gegenstück. In Wirklichkeit liegen beide Ovale auf gleicher Höhe, und die stärkere Uberschneidung rechts ist bewirkt von der darunterliegenden Palmette, die nicht nur schmaler ist als die Palmette links, sondern auch höher reicht. Die Mandelform im Inneren ist breiter und höher als links; sie ist mit vier statt mit drei Reihen von Punktgruppen gefüllt. So verstärkt die Palmette, deren Bewegungskurve weniger nach der Seite tendiert als die der linken, den Eindruck des senkrechten Gewichtes rechts. In allen Verschiebungen und Uberlagerungen erscheint eine übereinstimmende Tendenz: horizontale Ausdehnung des Körpers links, betonte vertikale Bewegung rechts. A n dem letzten Element in

203

44

Diese Verzerrung erscheint auch beim Kruzifix in der Durhamer Miniatur (s. u. S. 60). Sie ist ohne Parallele in anderen insularen Frontalfiguren, deren Gesichter zwar nicht immer genau symmetrisch sind, aber doch zur Symmetrie tendieren.

diesem Formzusammenhang, dem rechten Fuß, der tiefer hinabreicht als der linke, wird das zugrundeliegende Bewegungsmotiv erkennbar: es ist das antike Konzept des Kontraposts, abstrahiert von seiner realistischen Erscheinung und eingeführt in die ornamental stilisierte Figur. In spätantiken frontalen Thronfiguren lassen sich verschiedene Stadien des Ausgleichs zwischen natürlich-kontrapostischer Bewegung und einer sich verstärkenden Tendenz zu symmetrischer Unbeweglichkeit beobachten204. Die Figur des thronenden Kaisers auf dem Theodosius-Missorium (dat. 388, T. 13 a,)205 zeigt beide Tendenzen im Gleichgewicht. Ihre kontrapostischen Bewegungen entsprechen den an der Echternacher Figur beschriebenen Phänomenen: es ist derselbe Gegensatz zwischen der breiteren und kürzeren linken und der schmaleren und höheren rechten Körperseite, die durch die gehobene Schulter und den gesenkten Fuß verlängert ist; dieselbe Aufwärtsverzerrung von Auge, Augenbraue und Ohr in der rechten Hälfte des Gesichts. Die Ähnlichkeit geht bis zu dem merkwürdig konzentrischen Blick, in dem beide Pupillen sich nach innen drehen, und der in keinem anderen Gesicht auf insularen Miniaturen vorkommt, außer im Durhamer Kreuzigungsbild206. Alle Züge des Kontraposts in der Echternacher Figur erscheinen in der Figur des Theodosius nodi in einem natürlichen Bewegungszusammenhang, dem allerdings schon die abstrahierende Tendenz zur strikten Frontalität entgegenwirkt, besonders im Gesicht. Die Ubereinstimmung bestätigt den Schluß aus den formalen Beobachtungen an der Echternacher Figur: die relativ geringen Verschiebungen sind in der Tat nicht lediglich spontane Unregelmäßigkeiten der Zeichnung, sondern der ornamentalisierte Figurentyp wurde offenbar ausgebildet nach dem Vorbild einer spätantiken frontalen Thronfigur. In dem Majestasbild des Codex Amiatinus (T. 13b), das wenige Jahre früher in Wearmouth-Jarrow in spätantikem Stil gemalt wurde207, ist eine solche Thronfigur erhalten: sie zeigt die beschriebenen kontrapostischen Züge in vereinfachter Deutlichkeit, außer im Gesicht208. In dem Echternacher Bild erscheint die konsequent gestaltete kontraposti20·« Vgl. die Thronfiguren auf spätantiken und frühbyzantinisdien Elfenbeinreliefs: R. Delbrueck, Die Consulardiptychen und verwandte Denkmäler, Berlin 1 9 2 9 , · W. F. Volbacfa, Elfenbeinarbeiten der Spätantike und des frühen Mittelalters, 2. Aufl., Mainz 1952, passim. 206 Madrid, Real Academia de la Historia: Delbrueck, op. cit., 235 ff., T. 63. 206 Rickert, 17, bezeichnet dieses Motiv als »ridiculous crossed eyes«; vgl. jedoch u. S. 90 f. 207 Florenz, Biblioteca Laurenziana, Codex Amiatinus 1, fol. 7 9 6 V : Zimmermann, i n f., T. 2 2 2 * ; Bruce-Mitford, in: Kendrick et al., 1 4 4 ff., Farbtafel 2 4 . 208 Stilistisch dürfte das Vorbild eher dem Vorbild des sitzenden David in der Cassiodor-Hs. in Durham, Cathedral Library, Ms. Β. II. 30, fol. 8iv (Zimmermann, T. 247; Mynors, op. cit. [s. Anm. 246], 21 f., Pl. 9; CLA, II, 152: Northumbria, M. 8. Jh.) entsprochen haben: an dieser Figur erscheinen ebenfalls die kontrapostischen Züge, außer im Gesicht, das nicht frontal ist.

45

sehe Bewegung gegensätzlich zu dem ebenso konsequent stilisierten ornamentalen Muster. Beide Tendenzen können nicht im selben Formvorgang entwickelt sein. Aber jene Bewegungen können auch nicht in der Tradition des Figurentyps als Reste eines realistischen Archetyps erhalten geblieben sein, denn die Stilisierung ist völlig rein, und vor allem war der realistische Prototyp eine stehende Figur (T. jcj, die Bewegungen dagegen gehören zu einer thronenden Figur, sind also dem ursprünglichen Darstellungssinn des Typs entgegengesetzt und setzen seine neue Kombination mit dem Thron im Verlauf seiner vorkarolingischen Tradition voraus. Demnach ist der Kontrapost a posteriori in das stilisierte Muster eingeführt. Die stilistische Präzision, mit der allein diese zugleich minimalen und konsequenten Formveränderungen durchgeführt werden konnten, ist innerhalb der vorkarolingischen Kunst nur im insularen Bereich gegeben, und zwar am vollkommensten in der Echternacher Handschrift selbst. Und insofern hier zugleich das spanische Muster in seiner reinsten Form erscheint, das heißt im Anfangsstadium seiner insularen Tradition 209 , läßt sich schließen, daß die Umformung vom Maler der Handschrift geleistet wurde 210 . Die Tendenz dieses Malers zur stilisierten Lebendigkeit, die in den Tierfiguren dominiert, setzt sich auch durch in der imago hominis, hier jedoch zurückgehalten von der symmetrisch-ornamentalen Abstraktion des Figurentyps. Der Maler hat nicht nur das Muster nicht selbst entwickelt, sondern arbeitete in gewissem Maße gegen dessen Prinzip, das in strikter Symmetrie besteht. Dadurch aber, daß diese Essenz in ihrer reinen Form grundsätzlich festgehalten ist, wird das Muster, im fremden Stilzusammenhang, aus einer bloßen Stilform zum Motiv. Erst in seiner >Verfremdung< inmitten lebendiger Bilder und in der Hand eines organisch zeichnenden Malers bestätigt sich seine Funktion als Vorstellungsform für einen asketischen Gehalt (s. o. S. 43), zumal wenn dem Maler neben der irischen und der spanischen Bildtradition der Figur auch noch eine spätantike, grundsätzlich realistische zur Verfügung stand 211 . Aber die kontrapostische Bewegung macht es zugleich unmöglich, die Figur einseitig aus der ornamentalen Abstraktion zu interpretieren. Jene Bewegung ist sicher nicht als stilbewußte Beziehung auf antike Form zu werten, sondern weit einfacher als Ausdrude dafür, daß 209

Die Figur des Markus im Dimma-Evangeliar (T. 5a), in deren Stilisierung noch am meisten von dem Muster bewahrt ist, zeigt audi dieselben spezifischen Abweichungen von der Symmetrie in vergröberter und reduzierter Form: die Verschiebung der Tonsur nach rechts, des rechten Ohrs und Auges nach oben ; die horizontale Ausdehnung der linken oberen Körperhälfte ; die parallel nach rechts gedrehten Hände mit dem gekippten Buch. Hieraus ließe sich schließen, daß die Echtemacher Figur selbst der späteren Tradition des T y p s zugrunde lag.

ϊ1ϋ

A n dem Durhamer Kreuzigungsbild wird deutlich, daß es sich u m den spezifischen Stil dieses Malers handelt: s. u. S. 60.

211

Z u r Hypothese einer >Konkurrenz< des indigenen Stils mit der neuen mediterranen Tradition vgl. Werckmeister, Problems,

46

189.

der Maler in der stilisierten Figur einen lebendigen Körper sah, in dem die einzelnen Teile sich gegeneinanderbewegen wie lebendige Glieder. Aus dem scheinbar rein asketischen Figurenbild ist in der Tat die sinnliche Vorstellung nicht eliminiert. Die Auffassung der Figur als eines lebendigen Körpers aber entspricht der Grundbedeutung des Bildes, die in der Idee des Körpers Christi den Gedanken der leibhaften Erneuerung des ganzen Menschen im Sakrament der Taufe imaginiert. Wie die ornamentale Abstraktion ist auch die Kontrapostbewegung nicht unvermittelt als Metapher zu interpretieren, wohl aber als Vorstellungsform des Gehalts. Sie zeigt, daß der Maler selbst das Symbol für den Körper Christi nicht, entgegen seinem theologischen Sinn, einseitig asketisch verstand. Der Bedeutungswert beider Stilphänomene erweist sich erst an ihrer Durchdringung, in der das eine gegen das andere aufrechterhalten ist. Die Relation des ornamentalen Figurentyps zur ganzen Handschrift ist dieselbe unter dem Aspekt der Bedeutung wie unter dem Aspekt des Stils. Grundthematik der vier Bilder des Evangeliars ist der christologische Lehrgehalt der Taufe,· der generelle Stil der Bilder, der des Malers selbst, ist die lebendige Abstraktion. Allein in der imago hominis ist jene Thematik spezifisch monastisch interpretiert, und allein hier erscheint die fremdartige Stilisierung. Aber auch in diesem Bilde wird jene lebendige Abstraktion nicht aufgegeben, sondern nur, wie die Grundbedeutung, in einer bestimmten Richtung abgewandelt. Das ist die Relation zwischen dem sakramentalen und dem monastischen Sinn der Miniatur (s. o. S. 40), die bisher als Gegensatz in der Interpretation erschien. Die stilistische Beobachtung zeigt, daß jener Gegensatz im Bilde selbst enthalten ist und sich reflektiert in dessen Form. Läßt er sich am Ende in einem theologischen Gedankengang vermitteln?

15. Die Idee der Mönchsweihe als >zweiter Taufe< Die Idee des in der Taufe erneuerten, vollkommenen Gläubigen schlechthin und die Idee des vollkommenen Mönchs sind verbunden in der altchristlichen Vorstellung von der Mönchsweihe als zweiter Taufe 212 . Sie besagt, daß die spirituelle Abrenuntiation der Welt bei der Taufe real erfüllt wird im mon· astischen Leben: der Mönch gilt als >authentischer ChristBluttaufezweite Taufe< zuerst in dem auf Erzbischof Theodor von Canterbury (gest. 690) zurückgehenden Poenitentiale216, also in einem Text, der in Northumbria zur Zeit der Echternacher Miniatur bekannt war. »Sicut in baptismo presbiter solet velamen infantum aufferre ; ita et abbas debet monacho quia secundum baptismum est iuxta iudicium patrum, in quo omnia peccata dimittuntur sicut in baptismo217.« Die Beziehung dieses Mönchsweiheritus zur Thematik des Bildes im Einzelnen ist schwer auszumachen, da das Formular selbst nicht erhalten ist. Grundsätzlich liegt sie in den beiden korrelativen Vorstellungen der Abrenuntiation und der spirituellen Vollkommenheit218; die Frage ist, ob sie sich auch auf die zentralen Ideen der imago Dei und des spirituellen Tempels erstreckt, die einerseits in der Taufliturgie, andererseits in der monastischen Theorie Cassians erschienen. In der Tat erscheinen diese beiden Ideen in dem nach Analogie der Taufe gestalteten Mönchsweiheformular des Rituale Armenomm (nach 1165), in dem ein altchristliches griechisches Ritual erhalten ist219 und das daher in gewissem Maß als repräsentativ für die altchristliche Praxis gelten kann. Das Formular ist überschrieben: »Die Handauflegung auf die, die im vollen Maß ihres Alters und in der Reife ihrer Jahre des religiösen Lebens für würdig befunden sind und vereinigt sind mit Christus durch Teilhabe an seinem al4

E. E. Malone, The Monk

and the Martyr,

Washington 1950, 120 fi. ( =

»Martyrdom and

Monastic Profession as a Second Baptism«, in: A . M a y e r et al. [ed.]. Vom Mysterium,

gesammelte

Arbeiten

zum Gedächtnis

christlichen

von Odo Casel OSB, Düsseldorf 1950,

115-134)· 215

Ausführlich zuerst bei Ps. Dionysius Areopagita: vgl. P. Oppenheim, »Mönchsweihe und Taufritus. Ein Kommentar zur Auslegung bei Dionysius dem Areopagiten«, in lanea liturgica

in honorem

L. C. Mohlberg,

Miscel-

I, Rom 1948, 259—282. Z u dem im >Rituale

Armenorumi überlieferten altdiristlichen Ritus s. u. A n m . 219. ••ne ρ y j Finsterwalder, Die Cánones Theodori

Cantuarenses

und ihre

Uberlieferungsformen,

Weimar 1929; das Poenitentiale wurde seit dem 9. Jh. allgemein als Werk Theodors tradiert, ist aber nicht von ihm selbst geschrieben, sondern wahrscheinlich eine gleichzeitige oder wenig spätere Aufzeichnung seiner mündlichen Entscheidungen [ibid.,

199). Nach

Dekkers, op. cit. (s. A n m . 212), 95, findet sich hier der Ausdrude »secundum baptismum« z u m erstenmal. 21T

Finsterwalder, op. cit., 3 1 5 (Fassung U), entsprechend PL 99, 9 2 8 C (mit Abweichungen).

218

Colombás, 306 f.

219

F. C. Conybeare (ed.), Rituale Armenorum,

Oxford 1905,· Malone, op. cit. (s. A n m . 214),

1 3 6 S., gibt einen detaillierten Vergleich mit den Taufkatechesen Cyrills von Jerusalem. Casel, op. cit. (s. A n m . 212), 15 f., führt den Ritus auf die altchristlich-griechiscfae Liturgie Jerusalems zurück.

48

Bild220«. Das anschließende Gebet des Abtes über den Novizen entspricht genau dem Erneuerungsgedanken der Taufe: »Forme ihn in deinem Bild, o Heiland der Seele und des Leibes. Und in deinem Erbarmen nimm fort von ihm den alten Menschen der Lust und des Trugs; und bekleide ihn mit dem neuen Menschen durch die Erneuerung des Bildes, der Ebenbildlichkeit zum Tode deines eingeborenen Sohnes« 221 . Hier wird also die Ebenbildlichkeit auf den sterbenden Christus bezogen; das entspricht der Begründung der >zweiten Taufe< im Martyrium als Nachfolge Christi 222 . »Und nun wisse und sieh, mein Kind, daß du in alledem dich verbindest mit dem unsterblichen Christus in deiner sterblichen Natur 223 .« Der Novize wird als Opfer dargebracht, damit Gott in ihm sein Angesicht enthüllt 224 . Die asketische Gleichgestaltung des Mönchs mit Christus vollzieht sich nach dem Gedanken des Opfersakraments. Auch die Idee des spirituellen Tempels erscheint häufig in diesem Mönchsweiheritual. Der Diakon betet, daß der Novize »unverderbt bleibe in seiner Berufung und ein Tempel der Trinität werde« 225 . Der Abt betet, daß des Novizen »Geist, indem er die Gott wohlgefälligen Gebote hört . . ., sie willkommen heiße, und daß er [der Novize], bereit als Tempel der Heiligkeit, Ruhm gebe deiner allheiligen Trinität« 226 . Hier erscheint also die Tempelidee in ihrer individuellen und moralischen Fassung (vgl. o. S. 33J227. »Denn er [der Novize] steht vor Dir und empfängt die Handauflegung zu spirituellem Leben und geistlicher Vortrefflichkeit . .., daß er ein Tempel deines heiligen Namens werde228.« In der Identifikation von baptismal en und monastischen Ideen stimmt dieser ostchristliche Mönchsweiheritus eng zusammen mit der Echternacher Miniatur. 22ü »Th e laying of hands on those w h o in the full measure of age and maturity of years have been deemed worthy of the religious life, and are united with Christ by participation in his image." [Conybeare, op. cit., 140.I 221 "Fashion him in thine image, o Saviour of soul and body. And in thy pity put away from him the old man of lust and vain deceitfulness; and clothe him with the new man, through renewal of the image of the likeness of the death of thy only-begotten Son . . ."

(ibid., 141). 222 223

224

Vgl. auch ibid., 143. "And now know and see, my child, that in all this thou dost communicate with the immortal Christ in thy mortal nature" [ibid., rso).

ibid., 1)2.

225

"That he may remain uncorrupted in his calling and become a temple of the Trinity, let us pray to the Lord" [ibid., 147). 228 ". . . that listening to the precepts pleasing to God, . . . his mind may welcome them, and that as a temple of holiness made ready, he may give glory to thine all-holy Trinity . . ." (ibid., 147 f.|. 227 Vgl. auch ibid., 1 5 1 . 22» „ p o r jjg s t a n c h before thee and receiveth the laying on of hands of a spiritual life and ghostly excellency, for the priesthood of thy holy name, that he may become a temple of thy holy n a m e " [ibid., 153).

49

Aber die historische Folgerung ist schwer zu präzisieren. Es ist anzunehmen, daß in dem Mönchsweiheritus nach Analogie der Taufe, der im sogenannten Poenitentiale Theodors von Canterbury E. 7. Jh. in England bezeugt, aber nicht überliefert ist, die entscheidenden Elemente jenes altchristlich-orientalischen Ritus tradiert waren22*. Geht jedoch die Bildidee der Echternacher Miniatur historisch zurück auf das im Poenitentiale bezeugte Ritual? Die altchristlich-frühmittelalterlichen Mönchsweiheriten sind außerordentlich spärlich dokumentiert230. Ihre Form im irischen Mönch tum ist unbekannt 281 ; daher läßt sich nicht positiv sagen, daß die ostchristliche Analogisierung mit der Taufe nicht schon dort existierte. Fast ebenso unsicher ist, ob aus dem erstmaligen Vorkommen dieses Ritus im Poenitentiale geschlossen werden kann, daß er von der römischen Mission nach England eingeführt wurde 282 . Gehörte er zu der Liturgie, die um 680 in Wearmouth-Jarrow »tarn iuxta auctoritatem catholice atque apostolice Romane ecclesie quam iuxta dispositionem et regulam sancti Benedict!« 213 gelehrt wurde? Der Ritus kehrt später mehrfach in benediktinisdien Kanonsammlungen wieder und ist deshalb als »die römischbenediktinische Form der Mönchsweihe im 7. Jahrhundert« bezeichnet worden234. Zuerst jedoch erscheint seine Tradition in einer irischen Kanonsammlung um 8oo, in der der Text des Poenitentiales wörtlich und unter ausdrücklicher Berufung auf Theodor von Canterbury zitiert ist23fi. Der Ritus verbreitete sich also von der englisch-römischen Kirche aus nach Irland und wurde dort als zur römischen Tradition gehörig verstanden. Die Verbreitung römischer Praxis im Gebiet der irischen Kirche begann schon nach der Synode von Whitby 664; 40 Jahre später, zur Zeit der Echternacher Handschrift, ist sie vielfach nicht mehr scharf von der irischen Praxis zu trennen. Die römische Form der Tonsur z. B. war schon seit langem von einem großen Teil der irischen Mönche übernommen 236 ; sie erscheint auch in der Miniatur 237 . Römische Tradition zeigt sich aber auch im Text des Echternacher Evangeliars: er ist auf ein Evangeliar aus Neapel zurückgeführt worden, das etwa zwischen 664 (Synode von Whitby) und 680 nach England gebracht worden sein muß 238 . 229

N a d i Casel, op. cit. (s. A n m . 1 1 2 ] , 33, steht der Kanon Theodors »noch in direkter Verbindung mit der alten Tradition des Orients«; Casel weist darauf hin, daß Theodor Grieche war.

230

Vgi

noch M . Rothenhäusler, »Die Anfänge der klösterlichen Profess«,

Monatsdirift, 231

Vgl. J. Ryan, Irish Monasticism,

232

So Casel, op. cit. |s. A n m . 212), 33.

233

St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. 349, p. 54, nach Jahrbuch

London etc. 1 9 3 1 , 239 f.

(1924), 179; v gl· Casel, 1. c. 234 236

Ibid. PL 1 0 5 , 6 1 6 ; vgl. Casel, I.e.

238

Gougaud, 205.

237

Ebenso im irisdien Dimma-Evangeliar (T. sa).

238

Brown, in: Kendrick et al., 32 f., 56 f.

SO

Beaediktiaische

4 (1912), 21—28.

für Liturgiewissenschaft,

4

Auf welchem Wege dieser Text nach Northumbria gelangte, ist nicht bekannt. Um 678 besuchte Theodor von Canterbury Lindisfarne, um die dortige Peterskirche zu weihen, zusammen mit seinem Koadjutor Hadrian aus Nisida bei Neapel; es ist vermutet worden, daß der Erzbischof bei dieser Gelegenheit das neapolitanische Evangeliar als Geschenk in Lindisfarne zurückließ239. Diese Verbindung des Echternacher Evangeliars mit der Aktivität Theodors von Canterbury ist kaum weniger hypothetisdi als die mit dem Poenitentiale, das nicht von Theodor selbst verfaßt ist; aber audi ohne eine solche historische Fixierung weisen doch der Mönchsweiheritus, der Text und die Tonsur auf dieselbe römische Tradition. Dodi die Auswirkung dieser Tradition ist erst in ihrem Verhältnis zu den irischen Elementen der Handschrift zu verstehen. Der mediterrane Vulgatatext ist durchsetzt von irischen Lesarten240, das Konzept der Bilder und viele ihrer Formen kommen aus der Tradition des Book of Durrow: so steht die Handschrift im Gegensatz zum Lindisfarne-Evangeliar, das in Text und Evangelistenbildern ganz eng an mediterrane Tradition sich anschließt241. Vielleicht läßt sich in einem Analogieschluß dasselbe Verhältnis der Traditionen auch in der liturgisch-monastischen Begründung der imago hominis erkennen. Die Taufbedeutung der Bilderreihe der Evangelistensymbole in der Expositio Evangeliomm war in der irischen liturgischen Tradition gegeben, und zweifellos gehörte ebenso Cassians asketische Fassung der imago Dei-Lehre zur irischen monastischen Tradition242. Die Verbindung beider Gedankengänge aber ergab sich aus der altchristlich-römischen Analogie von Taufe und Mönchsweihe 2 "; und die Form, durch die jene Verbindung im Bild veranschaulicht ist, die unmerkliche Durchdringung des abstrakten Figurentyps mit lebendiger Körperbewegung, beruht auf einem mediterranen Stilkonzept. So erscheint die mediterrane Tradition in Liturgie und Stil als Medium für die Verwandlung eines asketischen Bildgedankens in mystisch-symbolische Realität. Der 239

240

241

242

243

Diese Hypothese zuerst bei G. Morin, in Revue bénedictine, 8 (1891), 482 í.¡ danach Brown, op. cit., 57. F. Burkitt, »Keils, Durrow and Lindisfarne«, Antiquity, 9 (1935), 33-37, cf. 34 ff.; Brown, op. cit., 33. Zu Browns und Bruce-Mitfords Versuch, die Echtemacher Hs. nach Lindisfarne zu lokalisieren, s. u. Anm. 384. Zur Bedeutung Cassians für das irische Mönchtum vgl. Ryan, op. cit. (s. Anm. 231), Index s. v. »Cassian«; Gougaud, 318; vgl. andererseits die Einschränkungen bei Chadwick, op. cit. (s. Anm. 200), 201 ff., die jedoch zu weit gehen. Casel, op. cit. (s. Anm 212), 13, 22, sieht in der Verbindung von Mönchsweihe und Messe, zu der die Idee der >zweiten Taufe< gehört, die Intention einer Einordnung des ursprünglich pneumatisch selbständigen Mönchtums in die kirchliche Hierarchie. Hat die Einführung des Ritus in Northumbria unter dem Patronat der römischen Kirche |»tam iuxta auctoritatem catholice atque apostolice Romane ecclesie quam iuxta dispositionem et regulam sancti Benedicti«) eine ähnliche Intention gegenüber der von kirchlicher Autorität weitgehend unabhängigen Konzeption des irischen Mönditums? SI

monastische Sinn des sakramentalen Symbols jedoch ist nicht mehr von der Funktion des Bildes in der Taufliturgie bedingt 244 . Er ist eine spezifische Interpretation des monastischen Künstlers, so metaphorisch wie die ganze Vorstellung der Mönchsweihe als >zweiter TaufeTempel< ist vom Maler reflektiert, und diese ausdrückliche Bezeichnung der Inkarnation entspricht der christologischen Typologie der arca zwischen den Cherubim. Das Bild stellt also in der Tat die Kreuzigung dar als Theophanie Christi im Bedeutungszusammenhang des alttestamentlichen Tabernakels. Durch die zahlensymbolische Bezeichnung ist die Bedeutung der Kruzifixfigur über den unmittelbaren Darstellungssinn hinaus erweitert in den vollständigen heilsgeschichtlichen Gedanken, so wie er schon im Bericht der Kreuzigung (Mark. 15:29) ausgesprochen ist: der >Tempel des Leibes< Christi, dargestellt im Moment der >ZerstörungWiedererrichtung< bei der Auferstehung. Die Zahl ist aber ebenso in ihrer symbolischen Konsequenz zu verstehen: als Tempel verkörpert Christus die »congregado omnium electorum« (s. o. S. 26) in der universalen Kirche263. 260

261 262 263

56

Vgl. P. H. Brieger, »England's Contribution to the Origin and Development of the Triumphal Cross«, Mediaeval Studies, 4 (1942), 85—96, cf. 91, zum Kruzifix zwischen Cherubim, aber ohne Erwähnung der Miniatur in Durham. Zur Form vgl. u. S. 61 f. Nur deutlich unter ultraviolettem Licht. Vgl. Congar, op. cit. (s. o. Anm. 85). 191 ff.

Von hier aus läßt sich die Bedeutung des zur Theophanie erweiterten Bildes der Kreuzigung genauer bestimmen. Die christologische Interpretation des alttestamentlichen Tabernakels ist bereits im Neuen Testament gegeben: Hebr. 9 parallelisiert die jährliche Opferhandlung des Alten Bundes, bei der allein der Hohepriester das Allerheiligste betreten durfte, um die arca und die heiligen Geräte mit dem Opferblut zu besprengen, mit dem Heilswirken Christi, der bei seinem Tod am Kreuz zugleich Hoherpriester und Opfer ist. Während das Volk des Alten Bundes trotz dem Opfer nicht selbst ins Allerheiligste gelangen konnte, führt Christus durch sein Opfer die Gemeinde mit sich in das >wahre< Tabernakel, in den Himmel 264 . Dieser Gedanke entspricht der Allegorie von Leib Christi und universaler Kirche in der Zahl 46. Augustin identifiziert in einer Erklärung der Stelle den inkarnierten Christus und die Gemeinde in der Idee des Tabernakels: »Quid est absconditum tabernaculi ipsius? Quod solus sacerdos intrabat. Et forte ipse sacerdos est absconditum tabernaculi Dei. Accepit enim de isto tabernáculo carnem, et fecit nobis absconditum tabernaculi; ut tabernaculum eius alia membra ipsius credentes in eum sint, absconditum autem tabernaculi ipse sit2®5.« Die unmittelbarste Verbindung der Ideen des Tempels und des Hohenpriesters in der Gestalt Christi findet sich in einem Kommentar Bedas zur Voraussage der Zerstörung des Tempels (Luk. 21: 5—7): »Postea vero quam venit ille qui erat verum templum Dei et caelestis Hierusalem coepit aperire mysteria deleta est illa terrena . . . Erat prius pontifex sanguine taurorum et hircorum purificans populum; sed ex quo venit verus pontifex etc.2*6« Die Verbindung entspricht dem aus der Ikonographie der Miniatur erschlossenen Gedanken: die Zahl 46 und die Cherubim bezeichnen den am Kreuz geopferten und dadurch in den himmlischen Tempel einziehenden Christus, der, selber Tempel, seine Gemeinde in sich zusammenfaßt. Der theophane Sinn des Bildes, der in seiner Analogie zum Bild der zwischen Cherubim erscheinenden Majestas sich andeutete, wird dadurch theologisch präzisiert. Die Erscheinung Christi im Himmel, die als verborgene Interpretation hinter der Kreuzigungsdarstellung erkennbar wird, hat die Bedeutung der Parousie, wie sie in den letzten Versen von Hebr. 9 (24—28) beschrieben ist, in Parallele zur Rückkehr des Hohenpriesters aus dem Sanktuarium.

264 266

266

Vgl. C. Spicq, L'ËpitTc aux Hébreux, Paris 1952,1, 109 fi.; II, 246 ff., cf. 259, 281. En. in Ps., XX V L i , io, C C L 38/ 160. Z u m theologischen Gedankeηgan^ vgl. B. Quinot, »L'influence de l'Êpître aux Hébreux dans la notion augustinienne du vrai sacrifice«, Revue des études augustiniennes, 8 (1962), 129—168, cf. 134 f., 146 ft., 159, 166 f. Com. in Luc., VI, C C L 120, 364; vgl. audi ibid., I, C C L 120, 23 f. 57

4. Büdtiadition

und Gestaltung dei

Christusfìgui

Die auffälligste formale Eigenart der Figur ist die Gewandstilisierung, die sich nicht mehr folgerichtig als spätantiker Gewandtyp verstehen läßt; andererseits ist sie eine genau durchgearbeitete und überschaubare, nirgends ornamentalisierte 287 Formstruktur 288 . Ikonographisch geht die Figur auf einen T y p zurück, der zuerst auf palästinensischen Ampullen vom Ende des 6. Jh.s (T. ija)™9 begegnet: der bekleidete Kruzifix mit einer besonderen Armhaltung, bei der die Oberarme an den Körper gedrückt und die Unterarme unterhalb der Brust horizontal abgewinkelt sind270. Dieser Typ, der auf frühchristlichen Denkmälern sonst nicht vorkommt 271 , erscheint auf dem irischen Steinrelief in Carndonagh, Co. Donegal (E. 7. Jh., T. 17c) 2 7 2 und in einer Reihe späterer irischer und nordenglischer Denkmäler 273 . Die Durhamer Miniatur ist das früheste Beispiel nach dem Relief von Carndonagh. In allen altchristlichen und insularen Parallelbeispielen des Typs ist die Christusfigur strikt symmetrisch bis in die Details des Gewands: des Colobiums (Τ. ιηα) oder der langen Ärmeltunika (T. 17c). Das Gewand des Gekreuzigten in Durham ist verschieden von jenen Gewandtypen: über der langen Ärmeltunika liegt offensichtlich ein Pallium, so umgebildet, daß die Schulteröffnung symmetrisch verdoppelt ist, wodurch die über die andere Schulter geschlagene Bahn 267

2β8

289

270

271 273

273



Unter >Ornamentalisierung< ist Umformung in bestehende Ornamentformen der dekorativen Kunst verstanden, wie in der Editernachcr Figur. Das Folgende nadi Werckmeister, Problems, 185 ff. Die Reihenfolge der stilistischen und der ikonographisdhen Argumentation ist hier umgekehrt. Monza, Collegiata S. Giovanni, Nr. 1 1 (hier abgebildet), 13; Bobbio, Abtei S. Colombano, Nr. 8: Grabar, op. cit. (s. Anm. 138), Pis. XXII, XXIV, XL. Verschiedene Erklärungen dieser Haltung bei Grabar, op. cit., 28, 56 f. ; Reil, op. cit. (s. Anm. 153), 55, Anm. 1. Vgl. jedoch u. Anm. 281. Henry, 55; eadem, La sculpture irlandaise pendant les douze premiers siècles de l'ère chrétienne, Paris 1933, 129, 201, Pl. n¡ Aberg, I, 38, fig. 16. Das Relief mit der Kreuzigung ist auf der Ostseite. Vgl. das Relief in Douglas (Isle of Man), Manx Museum, Α. 9. Jh. ('): Β. R. S. Megaw, »The Calf of Man Crucifixion«, The Journal of the Manx Museum, 6 (1958), 57—58, PI. 236, vgl. ibid., 57, zur Traditionsverbindung mit Durham und der Bronzeplatte von Athlone; vgl. auch D. Talbot Rice, English Art 8 7 1 - 1 1 0 0 (= The Oxford History of English Art, II), Oxford 1952, 104 f., fig. 9; ferner die Hochkreuze des 9. und 10. Jh. in Moone, Castledermot und Keils (Turmkreuz) (Henry, La sculpture, op. cit., Pis. 45, i¡ 42, 6 ; 58, 2). Vgl. L. Gougaud, »The Earliest Irish Representations of the Crucifixion«, Journal of the Royal Society of Antiquaries of Ireland, 50 (1920), 128—139. Da dieser Typ in altdiristlicher Zeit nur auf den Ampullen vorkommt, in vorkarolingisdier Zeit nur auf insularen Denkmälern, von denen das Relief von Carndonagh das früheste ist, läßt sich vermuten, daß er über das irische Kloster Bobbio nach Irland gelangte: es ist angenommen worden, daß die Ampullen Geschenke der langobardischen Königin Theodolinda zur Gründung des Klosters 612 waren (Grabar, op. cit. [s. Anm. 138], 32).

des Palliums fortfällt. Die Umbildung erklärt sich aus der irisch-northumbrischen Bildtradition der streng symmetrischen Tunikafigur, die offenbar auch stilistisch die Grundform der Miniatur bestimmte. Wenn aber diese Bildtradition ikonographisch und formal der Figur zugrunde liegt, dann ist das Pallium mit seiner ursprünglich asymmetrischen Drapierung aus einer anderen Quelle in sie eingearbeitet. Ein Figurentyp des bekleideten Christus am Kreuz mit Pallium über langer Ärmeltunika, der von dem Colobium-Typ auf den Ampullen abweicht, erscheint auf zwei ostchristlichen goldenen Pektoralkreuzen vom Ende des 6. Jh.s (T. ijb)374. Es ist kürzlich gezeigt worden, daß hier Christus nicht ans Kreuz genagelt dargestellt ist, sondern bei der Parousie in nubibus und im Kreuz als signum Filii Hominis in caelo (Matth. 2 4 : 1 , 30)275. Seine ausgebreiteten gesenkten Arme demonstrieren die Nagelwunden; dabei ist der rechte Arm verlängert und im Räume vorgestreckt: diese Geste entwickelt sich aus dem kontrapostischen Bewegungsmotiv der Figur, die auf den Beschauer zuzukommen scheint. So ist die Figur des wiederkehrenden Christus deutlich unterschieden von der Figur des Gekreuzigten. Es liegt nahe, das Pallium in Durham auf diesen Typ des Christusbilds im Kreuz zurückzuführen, obwohl eine unmittelbare Quelle sich nicht demonstrieren läßt. Die Symmetrie des irischen Grundtyps, die zur Umbildung des Palliums an den Schultern führte, bestimmt die formale Erscheinung der Figur (T. 16)·, aber bei genauerer Beobachtung zeigt sich, daß ihr eine Tendenz zu asymmetrischer Bewegung im Detail entgegenwirkt. An der Relation der Formen zur Mittelachse des Bildes lassen sich die Verschiebungen ablesen. Eine Bewegungskurve läuft durch den ganzen Körper von oben nach unten: sie verschiebt und verzieht den bogenförmigen Halsausschnitt leicht nach rechts*™, verschiebt dann stärker das Paar der langen vertikalen Faltenwellen über der Brust, die den verdoppelten Palliumsaum markieren, in dieselbe Richtung und fährt nodi weiter aus im ersten und zweiten der horizontalen >BumerangsBumerang< schräggedreht und zur Mitte hin geöffnet ist, zugleich jedoch hinüberführt zu einer erneuten Bewegung rechtsabwärts in der Diagonale des Palliumsaums. Gegenüber dieser horizontalen Biegung der Figur nach rechts erscheinen auf der linken, von der Mittelachse aus schmaleren Seite des Körpers vertikale Formbewegungen. Hier ist die vertikale Fal274

Harvard, Dumbarton Oaks Collection, Nr. 183; Kairo, Koptisches Museum: J. Werner, »Zwei byzantinische Pektoralkreuze aus Ägypten«, Seminarium Kondakovianum, 8 (1936), 183-186, T. V, ι, 3; The Dumbarton Oaks Collection, Harvard University, Handbook, Washington, D. C., 1955, 84, 92 (Abb.). Der Typ ist sonst nicht nadizuweisen. -T·· K. Wessel, »Die Entstehung des Crucifixus«, Byzantinische Zeitschrift, 53 (i960), 95—in, cf. 103 ff. îTe S. o. Anm. 202. 59

tenwelle des Palliumsaums über der Brust voluminöser und hängt tiefer herab als auf der Gegenseite, und das Ende der T u n i k a ist ohne inhaltlichen G r u n d tiefer herabgezogen, so daß der gewellte T u n i k a s a u m schräg abfällt. Im Gesicht dagegen führt die vertikale Bewegung aufwärts durch dieselbe eigenartige Hochschiebung des Auges, der Augenbraue und des Ohrs wie in der Echternacher imago hominis11''''. Die aufschlußreichste der vertikalen Bewegungen ist die des Armes: gegenüber dem A r m auf der Gegenseite ist er v o n der Schulter abwärts konsequent gesenkt; die horizontale Kontur des Ärmelendes verläuft parallel zur Kontur des Kreuzbalkens, während sie rechts konvergiert; die vertikale Ärmelkante ist rechts aufwärts geneigt, links abwärts; und die Faltenbögen des Ärmels tendieren rechts aufwärts, links genau horizontal. Zugleich ist der A r m auf der linken Seite offensichtlich länger als auf der rechten (wenn m a n berücksichtigt, daß auf dieser Höhe die Mittelachse der Figur nach rechts über die Bildachse verschoben ist), und die Hand ist erheblich größer. Diese A u s d e h n u n g des Arms balanciert jedoch nicht die horizontale Biegung der Figur nach rechts: Hand und Ärmelsaum sind immer noch etwas weiter vom Bildrand entfernt als auf der Gegenseite 278 . D a r a n zeigt sich, daß der A r m nicht u m der Symmetrie willen vergrößert wurde, sondern aus demselben Grund, aus dem auch seine Abwärtsbewegung resultiert. Das Phänomen ist als Darstellungsmotiv zu werten: es läßt den A r m , m i n i m a l aber eindeutig, im Raum nach vorn bewegt und dadurch vergrößert erscheinen. Dieses überraschende perspektivische Element bestätigt sich in der Folge der Bogenfalten auf dem Ärmel, deren Ausbiegung erheblich schwächer ist als die der Bögen auf der rechten Seite, obwohl der A r m selbst verlängert ist 279 . A n dieser Stelle zeigt sich, daß der Formvorgang in der Figur des Gekreuzigten derselbe ist wie in der imago hominis. W i e dort die sich überdeckenden A r m e m i t den bewegten Händen, die das gekippte Buch manipulieren (s. o. S. 44, T. 23a), enthüllt hier die Vorwärtsbewegung des ausgestreckten Arms die Intention in der Einarbeitung v o n Bewegungsverschiebungen in die symmetrische Grundstruktur: die starre Figur z u m Leben z u bringen. Das Prinzip der Formung ist dasselbe: Gewichtsverlagerung auf die eine Körperhälfte durch horizontale Ausdehnung, senkrechte Bewegung in der anderen. Die Ubereins t i m m u n g mit der Echternacher Figur reicht bis in die Verzerrung der Z ü g e i m 277

D i e f o r m a l e A b s i c h t ist u m so deutlicher, als in den vier anderen frontalen Gesichtern A u g e n u n d A u g e n b r a u e n auf gleicher H ö h e liegen.

278

A n s t a t t gerade weiter nach a u ß e n z u reichen, w i e es bei einem

Symmetrieausgleidi

n a h e g e l e g e n h ä t t e ; u m so deutlicher ist die Verschiebung des K r e u z n a g e l k o p f s

nach

links, die zur >inneren< F o r m b e w e g u n g des A r m s gehört. 27a

Hier ist die A b s t r a k t i o n in der F o r m u n g erkennbar: die V e r k ü r z u n g , als isoliertes v i s u elles Element, steht im Widerspruch zu der Verlängerung des Arms, durch die der Eindruck der V o r w ä r t s b e w e g u n g h e r v o r g e r u f e n wird.

60

Gesicht; nur die Seiten sind vertauscht. Jenes Prinzip ist auch hier der a b strakte Kontrapostc er erscheint nodi klarer als in Echternach, weil dort die Figur aus einer symmetrischen Ornamentstruktur bestand und daher nicht als Ganze über die Bildachse verschoben werden konnte wie die Figur im beweglichen Gewand. Das Vorbild für die kontrapostische Formung des Gekreuzigten aber läßt sich in demselben Figurentyp der ostchristlichen Brustkreuze fassen, der auch als Prototyp für die Einführung des Palliums erschlossen wurde280. In der Tat kommt die Bewegung vor allem an dem eingearbeiteten Gewandmotiv zur Anschauung, und auf den Brustkreuzen erscheint auch das inhaltliche Bewegungsmotiv der Miniatur: der ausgestreckte, ikonographisch rechte Arm. Hier wird eine Adaptation erkennbar, die offenbar nicht nur stilistisch zu verstehen ist, sondern zugleich ikonographisch: als Angleichung des Gekreuzigten an das Bild des wiederkehrenden Menschensohnes. In einer abstrakten Interpretation des Kreuzigungsbildes wird die Bewegung des advenías auf den Beschauer zu sichtbar an einer Figur, die mit den Nägeln durch Hände und Füße281 ans Kreuz fixiert ist. Diese gedankliche Abstraktion entspricht der visuellen Abstraktion des Kontraposts in der symmetrischen Figur: während im Pallium-Typ der Kontrapost, entsprechend seinem inhaltlichen Sinn, im natürlichen Fall der Palliumfalten nach der Seite resultiert, ist in der Durhamer Figur gerade der natürliche Faltenfall eliminiert: die >Bumerangs< erscheinen in horizontalem Gleichgewicht, und nur der Saum darunter fällt unvermittelt diagonal herab. Die Vorherrschaft der symmetrischen Stilisierung wird am deutlichsten an der Stelle, wo die gegenständliche Form aufgelöst und in eine symmetrische Form verwandelt ist: an dem verdoppelten Schultersaum282. Dieser ergibt die stilisierte Formgruppe in der Figur283, in die die Bedeutungszahl 46 eingetragen ist (vgl. o. S. 56, Τ. 18a). An der Stelle 2S0

Dadurch wird die Einwirkung eines anderen kontrapostisdien T y p s des bekleideten Kruzifix, wie er in dem Fresko von S. Maria Antiqua (Wilpert, T. i8o ; viele weitere Beispiele bei Reil, op. cit. [s. A n m . 253], 64 ff.) erscheint, ausgeschlossen.

281

A u s der Position der Füße geht hervor, daß die Kreise tatsächlich Nagelköpfe darstellen, nicht Wunden.

•¿«•ι £) e r M a i e r g m g demnach in der Tat von dem symmetrischen T y p als Grundstruktur seiner Figur aus und arbeitete selbst die Formen des Palliumtyps in sie ein. Das ist insofern wichtig, als schon in altchristlicher Zeit Kreuzigungsdarstellungen dem Palliumtyp angeglichen wurden : vgl. vor allem das ägyptische Kupferamulett in Paris, Cabinet des M é dailles, 6-/7. Jh. (Reil, op. cit.

[s. A n m . 253], Abb. 1), dessen Kruzifix, bezeichnet als

Ε Μ Μ Α Ν Ο Υ Η Λ , durch die angelegten Oberarme dem spezifischen T y p der Monzeser A m pullen entspricht; die ganze ikonographische Komposition ist den Ampullen eng verwandt. Vgl. auch das ägyptische Votivkreuz der Theodota in Berlin: Wessel, op.

cit.

(s. A n m . 275), 105 f., Abb. 7. Z u r Einwirkung der Parousie-Ikonographie auf andere frühe Kruzifixe vgl. ibid., 103 ff. 283

Hier allein sind die Falten prinzipiell nidit mehr natürlich verstehbar: oben wirken sie wie in einem durchhängenden Sdiulterumhang, der am verdoppelten Palliumrand abschließt, gehen aber unten in die Ärmel über.

61

also, wo die beiden Figurentraditionen gegensätzlich aufeinanderstoßen, wird die gedankliche Intention des Vorgangs faßbar, das Bild des Gekreuzigten durch halbversteckte Formeln motivisch zu erweitern. Aus der Durchdringung der Figurentypen des Gekreuzigten und des Wiederkehrenden resultiert die Zeidienform, in der jene Durchdringung symbolisch formuliert ist durch die Zahl des eschatologischen Ubergangs vom Kreuzestod zu Auferstehung und Erlösung. Die Figur des Gekreuzigten mit der halbverborgenen Parousiebedeutung erhält ihren Sinn in der Bildkomposition, in der durch die Cherubim die Kreuzigung als himmlische Theophanie interpretiert ist. Neben dem Kreuz stehen die apokalyptischen Lettern A und ω, kommentiert in den Beischriften über den Cherubim als initium et finis (vgl. Apk. ι : β)284. Offensichtlich wurde hier das Kreuz als das apokalyptische signum Filii Hominis in caelo verstanden, entsprechend der altchristlichen Tradition285, die in der Kreuzigung die Verkündung des Triumphes bei der Wiederkehr erfaßte: »tunc ostendet vulnera, et crucem manifestabit, ut ostendat quoniam ipse est qui crucifbcus est«288. Entsprechend der traditionellen Verbindung des Kreuzes der Parousie mit der Orientierung des Gebets287 erscheint die Miniatur wie ein Bild der altchristlich-orientalisdien Idee, nach der dem Betenden im Kreuz vor seinen Augen die Gestalt des Wiederkehrenden sichtbar wird288, obwohl diese Idee in westlichen Texten nicht nachzuweisen ist288. Die unmittelbare Bedeutung des Bildes ist im Zusammenhang der exegetischen Idee des himmlischen 284

285

S. u. Anm. 321. i £ η . Kantorowicz, in The Art Bulletin, 16 (1944), 224 3- A . Frolow, »La croix dans le ciel«, Revue des études slaves, 27 (1950), 104—112, cf. 107 S.; E. Stommel, » ΣημεΤον

Vg

έκττΕτάσεως «( Römische Quartahchnft, 48 (1953), 21—42; Daniélou, 29α ñ.¡ Ε. Peterson, Frühkirdie, Judentum und Gnosis, Rom-Freiburg-Wien 1959, 15—35 (»Das Kreuz und das

288

287 288

Gebet nach Osten«); E. Dinkier, Das Apsismosaik von S. Apollinare in Classe, Köln u. Opladen ^ 6 4 , 77 ff. Johannes Chrysostomos, De cruce et lati, hom., I, in der altchristlichen lateinischen Ubersetzung, PL 39, 2052, die im frühen Mittelalter weitverbreitet war: vgl. A. Wilmart, »La collection des 38 homélies latines de Saint Jean Chrysostome«, ]oumal of Theological Studies, 19 (1918), 305—327, cf. 314. Vgl. Peterson, 1. c. (s. Anm. 285); Dinkier, 1. c. (s. Anm. 285). Vgl. die Beschreibung eines Gebets der Xanthippe in den Acta Xanthippae et Polyxenae, nach Peterson, op. cit., 23 f.: ». . . Ιφάνη σταυρός tv τ ω άνατολικω το [χω καΐ ευθέως είσηλθεν δ ι ' αύτοΰ νεανίας εύειδής [,] ή δέ Σανθίπττη Ιδοΰσα ήλάλαξε καΐ ίττεσεν èrrl τήν γ η ν ώσττερ άττνους« und erkennt Jesus: » Εγνων γ α ρ λονττόν δστις εΙ, συ εΐ έκεϊνος, ου πρόδρομος ϊτυχενό σταυρός.« Z u r Interpretation und zu weiteren Zeugnissen vgl. ibid., 24 ff. Peterson setzt den Gedanken bereits in den altchristlichen Paulusakten voraus {ibid., 28).

289

62

Es ist fraglich, ob die hier zugrunde liegende spirituelle Praxis als solche in einer literarischen Tradition zu formulieren war. Z u r spirituellen »Betrachtung des Kreuzes< vgl. u. S. 75 f.

Tempels zu verstehen, wie er durch die Cherubim bezeichnet ist, das heißt aus der Parousieverkündigung im Schlußabsatz von Hebr. 9: 24, 27—28, wo Christus nach dem Einzug als Hoherpriester in das >neue Tabemakel< zum zweitenmal am Ende der Zeit im Himmel, zum Gericht erscheint*90. Die Aufeinanderbeziehung der zwei Offenbarungen Christi in der Kreuzigung und in der Parousie entspricht der Integration der Figur des Wiederkehrenden in den Kruzifix. 5. Bildttadition, Gestaltung und Bedeutung dei Cherubim Die eigenartige Form der Cherubim (T. 19a) ist ohne Parallele und läßt sich auch nicht unmittelbar als Stilisierung aus erhaltenen altchristlichen oder vorkarolingischen Engelfiguren erklären. Fast ebenso einmalig sind ihre bärtigen Gesichter2®1. Innerhalb ihrer stilistisch präzisen Bildung fällt die gedankliche Klarheit auf, mit der, etwa im Gegensatz zum Beschlag von Athlone, die Vierflügeligkeit dargestellt ist, wobei das ausgebreitete Flügelpaar anders geformt ist als das Flügelpaar, das den Leib bedeckt ¡Hes. 1: 11). Die beiden unteren Flügel haben die Form von Ornamentpalmetten, sind mit einer Doppelkontur umrissen, hängen an keiner Stelle mit dem Körper zusammen und wirken so als aufgesetzte Elemente. Dagegen scheinen die beiden oberen Flügel nach einer realistischen Grundvorstellung stilisiert, aber auch sie hängen nicht zusammen mit dem Körper, sondern sind von ihm getrennt durch seine aus zwei Doppelkonturen gebildete bandartige Einfassung. So bestätigt sich formal, was die unableitbare Erscheinung der Cherubim vermuten ließ: diese Figuren sind keine Stilisierungen realistischerer spätantiker Prototypen, sondern zusammengesetzte Formgebilde. Denkt man sich die beiden an- und aufgesetzten Flügelpaare fort (vgl. T. 18b), so erscheint als Körper ein glockenförmiger Umriß ohne Arme, an den unten kleine parallelgestellte Profilfüßchen angesetzt sind: der Figurentyp des homo im Book of Durrow (T. 19b). Die Ubereinstimmung liegt nicht nur in der Grundform, sondern auch in der Art der Detaillierung: in der breiten Bandeinfassung des Körpers mit der eingetieften Kurve des Halses und in dem kleinteiligen Muster, das den ganzen Körper gleidimäßig überzieht. So läßt sich schließen: der Figurentyp des homo im Book of Durrow war das Grundvorbild für die Figur der Cherubim. Das entspricht der Traditionsbeziehung der Miniatur zu einem irischen Denkmal des späten 7. Jh.s, dem Relief von Carndonagh, in der Figur des Kruzifix (T. 17c; s. o. S. 58)-,der Figurentyp des homo selbst erscheint in einer Profilvariante auf dem nicht weit 2βο vgl. A . Feuillet, »L'attente de la Parousie et du Jugement dans l'Êpître aux Hébreux«, Bible et vie chrétienne. Nr. 4a (1961), 23—31, cf. 14 f., und die Exegese der Parousiebedeutung bei Beda, Com. in Luc., I, C C L 1 1 0 , 1 3 f. 291

S. u. A n m . 298.

63

entfernten, gleichzeitigen Steinrelief von Fahan Murha (4. V. 7. Jh.)292. Dieselbe Traditionsbeziehung zeigt sich im Echternacher Evangeliar, wo nicht nur das Grundkonzept der Evangelistensymbolseiten dem Book of Durrow entspricht, sondern audi der Figurentyp des vitulus (T. 22a, bf93. Das stilgeschichtliche Verhältnis zwischen diesen beiden Versionen des vitulus entspricht dem Verhältnis zwischen dem homo in Durrow und den Cherubim in Durham: die Figuren des northumbrischen Malers sind aus der mehr oder weniger abstrakten Starre ihrer Prototypen in elastische Beweglichkeit versetzt. Am offensichtlichsten ist die Stiltendenz in den feingliedrigen unbeschuhten Füßen der Cherubim,· der ganze glockenförmige Umriß der Figur ist leicht nach innen geneigt, biegt sich an der Schulter nach der Bildmitte hin aus, zieht sich an den Flügelansätzen ein und ist an den unteren Enden auseinandergezogen: die untere Kante, in Durrow gerade, ist hier bogenförmig. Die halbovalen Elemente des regelmäßigen Musters auf dem Körper folgen nicht nur in ihrer Ausrichtung jenen Ausbiegungen und Einziehungen der Außenkontur, sondern werden auch je nach der Breite des Körpers größer und kleiner (zuerst größer an den Schultern, dann kleiner zwischen den Flügeln, dann wieder größer am unteren Ende), so daß ein plastisch-pulsierender Eindruck entsteht. Der Stilvorgang entspricht der lebendigen Umformung symmetrischer, mehr oder weniger abstrakter Grundtypen in der Christusfigur und in der imago hominis, gehört aber zugleich zur inhaltlichen Umbildung des homo-Typs in die Cherubim. Die halbovalen Elemente des Körpermusters anstelle der Schachbrettfelder in Durrow haben offensichtlich die inhaltliche Bedeutung eines Federkleides. Sie ähneln dem Federkleid des Adlers im Cambridger Fragment (T. 18c), das aus demselben kunstgeschichtlichen Umkreis stammt294 und stellen bei den Cherubim selbst auf den Flügeln die oberen Deckfederreihen dar. Die realistische Grundform der oberen Flügel entspricht in ihrer auseinandergewinkelten Stellung hinter den Schultern anderen vorkarolingischen Engelfiguren295. Die mandelförmige Stilisierung der unteren Flügel, durch die die Engel als Cherubim gekennzeichnet sind, entspricht der Flügelform der Cherubim auf der Bronzeplatte von Athlone (T. 15J; aber ihre ornamentale Ausprägung im Palmettenmotiv mit Volute am Ende findet keine Parallele in der insularen Kunst des 7. und 8. Jh.s (s. o. S. 42)*". Daraus ergab sich bei der Echternacher Figur der Schluß, daß 292 293

H e n r y , op. cit. (s. A n m . 2 7 2 ] , Pl. 14, ι . Vgl. M e y e r , i n : A . A . Luce, G . O . S i m m s , P. M e y e r , L. Bieler, Evangehorvm Codex Durmadiensis,

294

S. o. S. 8, A n m . 9. V g l . a u c h d i e C h e r u b i m (?) auf d e m R a t c h i s a l t a r (s. A n m . 258).

295

Ygj

z

g

quattuor

O l t e n u . L a u s a n n e i 9 6 0 , 1 2 4 . ff.

J e n l i n k e n o b e r e n Engel a u f d e m R a t c h i s a l t a r (s. A n m . 258) u n d d i e Figur des

homo |der j e d o c h k e i n Engel ist) i m B o o k of A r m a g h (s. A n m . 53). 296

Es ist f r a g l i c h , o b A t h l o n e e i n e B i l d t r a d i t i o n r e p r ä s e n t i e r t , d i e schon f ü r D u r h a m v o r b i l d l i c h w a r , o d e r n i c h t v i e l m e h r z u m i n d e s t i n d i r e k t auf D u r h a m selbst z u r ü c k g e h t . J e d e n f a l l s e r s c h e i n t der B r o n z e b e s c h l a g g e g e n ü b e r d e r M i n i a t u r als das a b g e l e i t e t e W e r k :

64

das Palmettenmotiv in einer spanischen Tradition des gesamten stilisierten Typs überliefert war (s. o. S. 42). Aus dieser Figurenstilisierung hat offenbar der Maler die Palmetten, ebenfalls in symmetrischer Gruppierung, übernommen und zu Flügelpaaren umgebildet. So erklärt sich die Form der Cherubim aus der Verbindung einer irischen Bildtradition der 1. H. 7. Jh., wie sie im Book of Durrow repräsentiert ist, mit Motiv- und Stiltraditionen in dem northumbrischen Kunstkreis am A. 8. Jh., in dem die Durhamer Handschrift zusammen mit dem Echternacher Evangeliar und den Cambridge-Londoner Fragmenten steht. Die Ausgestaltung des homo-Typs zu Cherubim folgt formal der Tendenz dieses Kunstkreises zu lebendiger Stilisierung. Jene Verbindung der Traditionen erklärt jedoch nicht das bärtige Gesicht der Cherubim (T. 20b). Das Gesicht des homo in Durrow ist bartlos, und von seiner Formstruktur ist in den Cherubim nichts übernommen. Andererseits gehört aber der Bart auch nicht zu der veränderten Darstellungsbedeutung: er widerspricht der Idee der Geschlechtslosigkeit der Engel, wegen der es fast keine bärtigen Engel in der altchristlichen297 und vorkarolingischen Kunst298 gibt. So koinzidieren die bärtigen Gesichter mit der spezifischen Bildung der Cherubim aus dem Figurentyp des homo, sind aber weder aus der Bildtradition noch aus der ikonographischen Tradition erklärbar. Dafür gleichen sie fast vollständig dem Gesicht Christi im Bilde selbst (T. 20a). Das ist um so deutlicher, als die frontalen Gesichter der beiden Wächter andersartige Umrisse, Frisuren, Nasen- und Bartformen haben299. Bei den Cherubim dagegen ist die Ubereinstimmung des Gesichtstyps betont durch eine genaue Wiederholung der Formstruktur bis zu den Strichfolgen der verlängerten Wimpern um den Rand der Augen. Der unmittelbare Eindruck der Gleichheit der drei

s. o. A n m . 2 5 5 . Dazu paßt es, daß in D u r h a m die Flügel in der eindeutigen ornamentalen Stilisierung ausgeprägt sind, die in Athlone nicht mehr vorliegt. Die kunstgeschichtliche Stellung der Miniatur als spezifische Neubildung am A n f a n g einer insularen Tradition entspräche der Stellung der Echternacher imago hominis

(s. o. S. 46, A n m . 209). U m

das sicher sagen zu können, ist jedoch das erhaltene Vergleichsmaterial zu gering. A u d i Megaw, op. cit.

(s. A n m . 273), 57, stellt die Durhamer Miniatur an den A n f a n g der

insularen Entwicklung. 297

Vgl. T. Klauser, s. v. »Engel X (in der Kunst)«, RAC,

V, 309: bärtige Engel erscheinen nur

in einer bestimmten Gruppe der Sarkophag-Ikonographie und auf einem Elfenbeinrelief. 298

Vgl. den Engel auf dem fränkischen Reliquienkasten in Essen-Werden, Abteikirche, 2. H. 8. Jh.: A . Goldschmidt, Die Elfenbeinskulpturen

etc., II, Berlin 1 9 1 8 , 54 fi., Nr. 180; V. H.

Elbern, »Der fränkische Reliquienkasten und Tragaltar von Werden«, in: idem (ed.), Das eiste Jahrtausend,

Textband I, Düsseldorf 1962, 436—470; vgl. W . E f f m a n n , »Kruzi-

fixus, Christus- und Engelsdarstellungen am Werdener Reliquienkasten«, Zeitschrift christliche

Kunst,

für

14 (1901), 293—308, cf. 306. Die bärtige Figur auf dem Bild der Evan-

gelistensymbole vor Johannes im Book of Keils (T. 48) ist als geflügelter homo

zu ver-

stehen, nicht als Engel. 29B

Deutlich erkennbar unter ultraviolettem Licht.

65

frontalen Gesichtet300 scheint daher die Intention des Malers zu sein, die die ikonographische Abweichung der Cherubim bedingt. Die Begründung hierfür läßt sich erschließen aus dem Kapitel über die beiden Cherubim in Bedas Traktat De templo Salomonis301: » Decern autem cubitorum sunt [sc. duo Cherubim] altitudinis, quia denario vitae aeternae fruuntur, habentes inviolatam in se sui Redemptoris imaginem, servata in perpetuum sanctitate et iustitia et veritate, quam a prima conditione perceperunt. Denarius namque decern obolis constat, et continere in se nomen Caesaris et imaginem consuevit. Quapropter et figura regni caelestis aptissime congruit, ubi et sancti angeli in imagine sui Conditoris, ad quam facti sunt, semper manent, et electi homines imaginem eius, quam peccando amiserant, recipiunt. >Scimus enim< inquit, >quia cum apparuerit, similes ei erimus, quoniam et videbimus eum sicuti est< (i. Joh. 3: 2).« Die in der altchristlichen Literatur anscheinend vereinzelte Deutung der Cherubim als Träger der unverletzten imago Dei entspricht den Cherubim mit dem bärtigen Gesicht Christi in der Miniatur. Zugleich erklärt sie deren Bildung nach dem Figurentyp des homo im Book of Durrow: dieser Figurentyp muß in der Tat in einem Bild des Matthäussymbols vorgelegen haben, denn der Maler verstand ihn in seiner christologischen Beziehung zur imago Dei und übertrug ihn so allegorisch auf die Cherubim. Dementsprechend sind in Bedas Text die Cherubim, die im Himmel ewig das Bild Gottes unverletzt bewahren302, parallelisiert mit den Menschen, die es bei der Erlösung und Erhöhung in den Himmel zurückerhalten. Die Begründung ihrer Teilhabe an der imago Dei, die hier unmittelbar aus der Allegorie des Denars entwickelt ist, liegt zweifellos in der Grundbestimmung der Cherubim als der Engel, die im Himmel am nächsten neben Gott stehen und ihn am deutlichsten sehen: das war die übliche Interpretation der altchristlichen Etymologie des hebräischen Wortes als plénitude scientiae (vgl. o. S. 55)303. In Bedas Text ergibt dies die allegorische Parallele zu den erlösten Menschen, für die sich die imago Dei in der Kontemplation Gottes bei der Parousie erfüllt und wiederherstellt. Beda zitiert in extenso den entscheidenden Schrifttext zu diesem Gedanken, 1. Joh. 3: 2, und versetzt seine Verwirklichung in den Himmel: die erlösten gotteben-

300

Die Abweichungen liegen in der Frisur |s. u. S. 68) und in der fehlenden Verzerrung der Züge durch den >abstrakten KontrapostCum apparuerit, similes ei erimus, quoniam videbimus eum sicuti est< (1. Joh. 3: 2). Similes ergo tunc angelis erimus, quia sicut illi nunc vident / ita nos Deum post resurrectionem videbimus.« Vgl. P. Oppenheim, Symbolik und religiöse Weitung des Mönchskleides im christlichen Altertum, Münster i. W. 1932, i i o f f . ; Colombài, 299 S.¡ idem, Paraíso y vida angélica, Montserrat 1 9 5 8 , 1 0 f. (Literatur), 169 ff., 191 ff. (Kontemplation), 245 β. De templo Sal., XIV, PL 91, 770C. Ibid., 768D.

67

L e b e n s b e z o g e n : Lektüre 3 0 ®, Keuschheit, p e r m a n e n t e r G o t t e s d i e n s t 3 1 0 . D a ß in der M i n i a t u r die C h e r u b i m als S y m b o l f i g u r e n f ü r d e n M ö n c h

verstanden

w u r d e n , läßt sich erschließen a u s der gelben r u n d g e b o g e n e n F o r m h i n t e r i h r e m K o p f (T. 20b).

Sie ist v o m Gesicht g e t r e n n t d u r c i ein gestricheltes B a n d

über der Stirn, d a s w i e bei Bart u n d W i m p e r n als H a a r g e k e n n z e i c h n e t ist; a u ß e n ist sie kreisrund, o h n e W e l l e n , u n d fällt nicht h i n t e r die Schultern zurück, sondern schließt darüber r u n d g e b o g e n ab. A n den eingerollten Z i p f e l n b e i m rechten C h e r u b sieht m a n deutlich, daß es sich u m eine h a u b e n artige K o p f b e d e c k u n g h a n d e l t . O f f e n b a r ist h i e r der v o n C a s s i a n 3 1 1 beschrieb e n e k u r z e cucullus,

die K o p f b e d e c k u n g der M ö n c h e , dargestellt, entsprechend

der B e z i e h u n g der K a p u z e auf ein F l ü g e l p a a r des C h e r u b s als S y m b o l des M ö n c h s , w i e sie in e i n e m D e k r e t des r ö m i s c h e n K o n z i l s v o n 6 1 5 überliefert ist, b e g r ü n d e t m i t der K o n t e m p l a t i o n G o t t e s aus der N ä h e 3 1 2 . D a s s e l b e spirituelle V e r s t ä n d n i s ist in der M i n i a t u r präzisiert z u r G l e i c h g e s t a l t u n g m i t der imago

Dei

hominis

in der eschatologischen V i s i o n . D e r M a l e r der Echternacher

imago

h a t also ein z w e i t e s M a l das T h e m a des gottebenbildlichen

Men-

schen gestaltet 3 1 3 , dabei aber die imago Tationalis314, 30»

310

311

312

313

68

Dei

rein geistig g e f a ß t in der

deren Z i e l , die K o n t e m p l a t i o n , erreicht ist in der vita

anima angelica.

v o n Beda genannte regula sanctarum Scripturarum ist der Terminus für das genaue Schriftverständnis auf Grund von Textkritik und Kommentarlektüre nach der Konzeption des Hieronymus: vgl. Gorce, op. cit. (s. Anm. 408), 246 ff. Dem entspricht die verbreitete Interpretation der Cherubim zuseiten der Bundeslade als Symbole des Alten und Neuen Testaments: vgl. Gregor d. Gr., Horn, in Ev., II, 25, PL 76, 1 1 9 1 C ; Beda, De tab., I, 5, PL 91, 406D: »Vel certe de medio Cherubim loquitur [vgl. Num. 7: 89], quia per Unigenitum suum, qui in medio duorum Testamentorum in carne apparuit, humano generi Deus Pater voluntatem suam manifestare dignatus est.« Cassian entwickelt an der arca zwischen den Cherubim seine Theorie der spirituellen Lektüre: » . . . sacrae praebeas lectioni, donec continua meditatio inbuat mentem tuam et quasi in similitudinem sui formet, arcam quodammodo ex ea faciens testamenti.. .« Es folgt eine detaillierte Allegorie. »Haec autem omnia duobus dierubim, id est historicae et spiritalis scientiae, proteguntur. Cherubim enim interpretatur scientiae multitudo.. .« (Coni., XIV, 10, 2, CSEL 13, 410; zu dieser spirituellen Allegorie der arca vgl. Hieronymus, Ep. XXII, 24, CSEL 54, 177,· Origines, Horn. 10 in Num., X, 3, GSC/Or. 7, 73 f.). Zur Bedeutung dieser Gedankengänge für die Miniatur vgl. u. S. 92. Vgl. Gougaud, 329 ff. Inst., I, 3, CSEL 17, I i ; vgl. P. Oppenheim, Das Mönchsklcid im christlichen Altertum, Freiburg i. Br. 1931, 142 ff. »Sed unusquisque angelicus ordo quanto claritatem Dei vicinius contemplatur, tanto dignitate sublimior affirmatur. Nam uti dierubim, monachi sex alis velantur. Duae quidem in capitio quo caput tegitur [entspricht dem cucullus] verisimilibus demonstrantur assertionibus. Illud vero tunicae quod brachiis extenditur, alas duas esse dicimus; et illud tandem quo conditur corpus, sex alarum numerum certissime implere asseritur.« (J. D. Mansi [ed.], Saciomm conciliorum . . . collectio, X, Florenz 1764, 505.) Vgl. Oppenheim, op. cit. (s. Anm. 306), 81 f. Zum Cherub als Vorbild des Mönchs vgl. auch Colombás, op. cit. (s. Anm. 306), 198, 222. Zum Vergleich im einzelnen s. u. S. 82 ff.

Die Beziehung zu Christus ist metaphorisch und zugleich visuell anschaulich konzentriert im christusgleichen Gesicht, das auf Christus blickt. Anstelle der leibhaften Identifikation des Menschen mit der Figur Christi in dem Echternacher Bild steht in Durham die Analogie der Gesichter, in der Christus und seine spirituellen Abbilder nebeneinander und aufeinander bezogen erscheinen. 6. Die Tonsuilinie

im Gesicht Christi

Im Gesicht Christi ist die innere Kontur der Ohren fortgesetzt in der Doppelbogenlinie über der Stirn, die die Bögen der Augenbrauen wiederholt. Diese Linie bezeichnet in allen insularen Parallelbeispielen (vgl. Τ. 5a) den Haaransatz 316 ; hier dagegen beginnt das Haar erst oberhalb der annähernd halbkreisförmigen Doppelkontur des Schädels. Ein derartiger halbkreisförmiger Haaransatz findet sich bei anderen Figuren, ζ. B. beim homo im Book of Durrow (T. 19b)316, aber nirgends zusammen mit der Doppelbogenlinie darunter. In Durham ist auch die Stirn erheblich höher als in allen anderen erhaltenen insularen Frontalgesichtern. Offensichtlich ist der untere, natürliche Haaransatz von einem zweiten, darüberliegenden unterschieden. Bezeichnet also der Abschnitt zwischen den beiden Linien eine Tonsur? Deren Form entspräche der Beschreibung der irischen Tonsur »de aure ad aurem«, wenn man diese als vollständige Rasur der vorderen Hälfte der Haarkappe auffaßt 317 . Eine solche Deutung paßt zu der Interpretation der Cherubim, die 314 316

316

317

Vgl. o. S. 20, Anm. 76. Außer Matthäus und Marlow im Dimma-Evangeliar vgl. Durham Ms. A. II 16, fol. 37Γ (s. Anm. 534); Oxford, Bodl., Ms. Auct. D 2. 19, fol. 84V, Evangelist Lukas (Zimmermann, T. 199). Von kontinentalen Beispielen vgl. u. a. Steinrelief von Gondorf, 8. Jh. (Baum, fig. 176); Paris, Bibl. Nat., ms. lat. 1 2 0 4 8 , Sakramentar von Gellone, foil. i8r (mit römischer Tonsur), i43r (Zimmermann, T. 158b, d). Vgl. femer den homo auf dem Bild mit den vier Evangelistensymbolen, fol. 2r ; sowie den Engel auf dem gleichen Bild des Evangeliars in Lichfield, p. 2t9 (Zimmermann, T. 165b, 245a). Vgl. J. Dowden, »An Examination of Original Documents on the Question of the Form of the Celtic Tonsure«, Proceedings of the Society of Antiquaries of Scotland, 30 (1895 —1896), 325-337; Kenney, 216 f.; Gougaud, 201 ff.; Leclercq, op. cit. (s. Anm. 171), 2440 ff. (nach Gougaud). Das einzige ausführliche Textzeugnis ist der Brief Ceolfrids bei Beda, Hist, eccl., V, 21, ed. Plummer, op. cit. (s. Anm. 174), I, 343. Die Frage ist, ob der ganze vordere Teil des Kopfes rasiert war (Plummer, op. cit., II, 354.), oder ein Streifen, der mitten durch das Haar »von einem Ohr zum anderen« ging (Dowden, op. cit., 333). Die erste Annahme ist wahrscheinlicher, aber Bildzeugnisse sind nicht erhalten. Daß die Frisur des homo im Book of Durrow die irische Tonsur darstellen soll (A. K. Porter, The Crosses and Culture of Ireland, New Haven 1931, 17), ist unsicher. Vom Mittelscheitel aus zu den Ohren verlaufen keilförmige Streifen, die ebenso schraffiert sind wie die Streifen über der Kinnpartie. Ob demnach beide Stellen Rasur darstellen, ist wegen der ornamentalen Stilisierung des Gesichts schwer zu entscheiden. E. Ettlinger, in Man, 53 (1953), 33, will eine der Figuren auf den Steinskulpturen von Lough Eme [ibid., PI. C a) als Dar-

69

als Embleme der monastischen vita angelica das Abbild Christi tragen: so erschiene der Gekreuzigte als Vorbild des Mönchs318. Die Deutung ist allerdings problematisch, weil auch die Köpfe beider Wächter den Doppelbogen zeigen, allerdings sehr reduziert319. Entweder bezeichnet er hier keine Tonsur, oder er bezeichnet sie aus einem ikonographischen Grund, der sich vorerst nicht finden läßtwo. 7. Der Text um den Bildiand Das zeitgenössische Verständnis der Miniatur ist in ihr selbst bezeugt durch die Texte, die bei ihrer Einbeziehung in das Evangeliar in und um das Bild geschrieben wurden (vgl. o. S. 54). Uber den Cherubim steht, mit Bezug auf die Lettern A und ω »initium et finis« (vgl. Apk. 1: 8)321, über dem Lanzenträger »Longinus«. Die Beischriften neben den Cherubim am Bildrand sind nicht mehr zu entziffern; rechts erkennt man »ut/ruq/sibi/dnë/inë [?]«. Alle diese Beischriften sind offensichtlich direkte Erklärungen des Bildinhalts. Bei dem Text außen am Bildrand ist es dagegen fraglich, ob er für das Bild konzipiert wurde. So wie er hier erscheint, kann er nicht hintereinander gelesen werden: mehrere Wortgruppen sind verstellt und ineinandergeschachtelt. Der Textanfang ist rechts oben in der Ecke mit dem großen Initial A angegeben. (Rechts) »Auctorem mortis deieciens uitam nostram restituens si tarnen compatiamur (links) surrexit a mortuis dexteram patris (unten) ut nos cumresuscitatos simul et regnare (oben) Scito quis et qualis est qui talia cuius titulus cui (2. Zeile) nulla est inuenta passus pro nobis pp hoc culpa«. Ist das ein ursprünglich zusammenhängender Text, der aus anderer Quelle stammt und für die Bildumschrift adaptiert wurde? Dagegen spricht, daß neben dem A von »Auctorem« noch das S von »Scito« als Initial hervorgehoben ist, wenn auch in geringerem Ausmaß. »Cuius titulus« bezieht sich auf den

318 319 320

321

70

Stellung des hl. Patrick und ihre Kopfbedeckung als irische Tonsur deuten. Die Kopfbedeckung ist aber plastisch erhöht und reicht gar nicht von Ohr zu Ohr. Zur Textdokumentation dieser Idee s. u. S. 74 S. Deutlich erkennbar unter ultraviolettem Licht. Die frühmittelalterliche Longinus-Legende betont die Abkehr des bekehrten Longinus vom Weltleben zur Nachfolge Christi bis zum Martyrium. Rabanus Maurus, Martyriologium, Id. Martii, PL n o , 1135C, berichtet als erster, daß er Mönch wurde: vgl. K. Burdach, Der Gral. Forschungen über seinen Ursprung und seinen Zusammenhang mit der Longinuslegende, Stuttgart 1938, 211 ff. Aber die Beziehung der Miniatur, in der von den beiden Wächtern allein Longinus durch die Beischrift ausdrücklich gekennzeichnet ist, zu jener Legende bleibt fraglich. Praevulgata-Varían te: vgl. P. Sabatier, Bibliorum Sacrorum latinae versiones an ti quae se u Vêtus Italica, Paris 1751, III, 992 Anm.

Kreuztitel im Bild und erfordert vielleicht gar keine Ergänzung. Versucht man die Wortgruppen zu ordnen, so ergibt sich zwar eine inhaltlich sinnvolle Wortfolge, aber kein grammatisch zusammenhängender Text 323 . »Auctorem mortis deieciens vitam nostram restituens. Scito quis et qualis est cuius titulus 323 cui nulla est inventa culpa qui talia passus pro nobis; propter hoc surrexit a mortuis, dexteram patris, ut nos cumresuscitatos simul et regnare , si tarnen compatiamur.« Die beiden Initialen stehen also in der Tat am Beginn zweier Wortfolgen, die sich nicht verbinden lassen*24: zuerst die beiden partizipialen Bezeichnungen Christi, danach der mit »Scito« beginnende Satz, der zusammenhängt durch die drei Relativpronomina, dann durch »propter hoc«825, das zur linken Seite überleitet. Eine Parallele aus der altchristlichen Literatur zu dem ganzen Text ist nicht zu finden,· nicht einmal eine bestimmte literarische Gattung, aus der er stammen könnte, läßt sich aus seiner Form erschließen. So bleibt nur übrig, ihn unmittelbar nach seinem Wortlaut zu interpretieren. Die formelhafte Reihung von Tod, Auferstehung, Himmelfahrt und Erlösung erinnert an Credotexte®28. Sie entspricht der Zusammenfassung der heilsgesdiichtlichen Phasen in der zeichenhaft umgebildeten Figur des Gekreuzigten, vor allem weil sie ebenfalls vom Thema des Kreuzestodes ausgeht, der in den drei Nebensätzen zu »quis et qualis est« umschrieben ist: einer dieser Nebensätze verweist direkt auf den Titel in der Miniatur. Der Text nimmt also genau Bezug auf das Kreuzigungsbild: er erscheint als Aufforderung an den Betrachter, es in der 322

323

3M 325 128

Vgl. die Rekonstruktion von C. H. Turner bei Mynors, op. cit. (s. Anm. 246), 17. Ich bin Professor L. Bieler (Dublin) für längere briefliche Auskunft zu diesem Text und für eine eigene Rekonstruktion (s. Anm. 323) zu großem Dank verbunden. Professor Bieler liest die vier ersten Zeilen metrisch und rekonstruiert hier »cuius titulus Ut [et] simul glorificemur.< Sicut Iohannes ait: >scimus quoniam, cum apparuerit, similes illi erimusirischen Tauchtyp< rein wiederzugeben. Aber schon dieser Grundtyp war offenbar dem irischen Konzept des frontal stehenden Evangelisten angeglichen. Auch in MacDurnan-Johannes gleichen die Proportionen denen der anderen Evangelisten, die eindeutige Stehfiguren sind: das kontrapostische Sitzmotiv des Münchener Evangelisten ist nicht mehr vorhanden, anstelle des Palliums steht die irische Stilisierung des Gewands, das Buch ist geschlossen, der Thron fehlt. Seit dem Vorbild des Mulling-Evangeliars ist der Typ also schon in einer spezifisch irischen Form tradiert. — 2. Kells-Johannes basiert auf der Tradition dieses irischen Tauchtyps. Die Abweichungen vom ursprünglichen Darstellungssinn, dem Schrei442

München, Bayerische Staatsbibliothek, ehem. Gotha I 2 1 , fol. 53V: E. Baron, in für Kunstwissenschaft,

und 7. Jh.s vgl. A . Boedder, in Münchner 127, 443

Jahrbuch

7 (1930], 107 ff. Z u r vermutlich italienischen Bildtradition des 6. jahrbuch

der bildenden

Kunst, 3. Folge, 5 (1954),

142.

Entsprechend der mediterranen Bildform stehender Autoren, in Kontrapost; vgl. Α . M . Friend, jr., » T h e Portraits of the Evangelists in Greek and Latin Manuscripts, I«, Art Studies,

Τ 02

5 ( 1 9 2 7 ) , 1 1 5 - 1 4 7 , cf. 1 2 4

ff.

Motiv

A. München/ Gotha, Markus

B. Mulling-Evgr. p. 189, 193

C. MacDurnanEvgr. Johannes

D. Keils Johannes

ι. Rechte Hand

Dreiviertelprofll; Daumen zwischen Mittelund Ringfinger.

(189) Wie in A.

Innenansicht, ohne Daumen und Zeigefinger; drei unorganisch gebildete Finger.

ι . Feder

Gerade, ohne Gefieder-Ende (Rohrfeder).

(189 Wie in A, aber leicht gebogen.

Dreiviertelprofil; Daumen über Zeigefinger; Zeige- und Mittelfinger vor der Feder statt dahinter. Länger als in A und B; S-förmig gebogen,· fischschwanzförmiges Gefiederende.

3. Tintenhorn

Ohne Stütze, direkt unter der Feder.

4. Beine

Auseinandergestellt, kontrapostisch verschoben,· Füße nach außen gedreht, Schuhe" 4 . Sitzfigur: Thron.

5. Linker Arm

hält zum Schreiben geöffnetes Buch horizontal übers Knie.

(189) kurze strichförmige Stütze im Leeren; etwas entfernt von der Feder. (193) Wie A, aber symmetrisch, ohne Kontrapost; Schuhe, Sohlen horizontal auf dem Boden. Ohne Thron, jetzt Stehfigur. (189, 193) hält geschlossenes Buch horizontal vor der Brust, zusammen mit Mantelschwung; Hand in Außenansicht

6. Gewand

Pallium.

(193) Symmetrische Stilisierung des Palliums: Verflechtung isolierter Faltenbahnen; rechtes Mantelende fällt nach innen über den Arm, linkes nach außen.

Strichförmige Stütze wie in B, aber länger, reicht bis zum Boden; Feder taucht ein. Wie B.

Doppelt so lang wie in C, unten gerade, oberes Ende nach außen umgebogen; mit Band umwickelt; Gefiederende wie in C, aber spitz zugeschnitten. Ohne Stütze am Boden, weit entfernt von der Feder.

Wie B, aber anders gebildet (s. u. S. 104). Sandalen, Sitzfigur: Thron besonderer Form.

Wie B; dazu Stilus.

Nadi außen hochgestreckt, hält geschlossenes Buch diagonal empor. Hand in Innenansicht.

Wie B, aber auch linkes Mantelende fällt nach innen.

Ahnlich Β und C, aber anderer irischer Gewandtyp: Planeta, Enden fallen nach außen über die Arme.

I03

ben, in (ι)—(3) und (5) sowie das abweichende Gewand (6) zeigen jedoch: er steht dem Grundtyp nicht so nahe wie MacDurnan-Johannes. Deshalb gehört offenbar auch das Sitzmotiv (4) nicht zum Prototyp, der vielmehr bereits >ausgeglichen< war. Kells-Johannes ist in der Tat die einzige körperlich eindeutige Sitzfigur unter den frontalen Autorenbildern der irischen Tradition. Das Sitzmotiv erscheint als besondere Variation des Grundtyps in dieser Handschrift. Es ist in einer eigenartigen Form gebildet, die auch in mediterranen Thronfiguren keine Parallele hat: die auseinandergedrehten Unterschenkel erscheinen im Profil und parallel, wie in den anderen Beispielen des irischen Tauchtyps, aber sie sind weit auseinandergerückt und die Knie dadurch übermäßig weit gespreizt. Diese organisch unmögliche Haltung resultiert offensichtlich aus unrealistischen Verschiebungen der Formen im Flächenbild: die Beine sind seitlich neu an die Außenkontur der Figur gesetzt. In den beiden anderen Beispielen des Typs schließen die von den Armen herabfallenden Mantelenden die Figur nach außen ab, und innerhalb dieses Umrisses stehen die auseinandergedrehten Füße enger zusammen. Diese ursprüngliche Kontur des Typs läßt sich in Keils an den Waden noch erkennen. Die schrägen Falten der Tunika spannen sich um diese Innenkontur, an deren unteren Enden der Stoff sich einrollt: die Beine stehen außerhalb der realistischen Faltenstruktur445. Verdeckt man die Beine (T. 29b), so ergeben sich, ungefähr, Umriß und Proportion der Figur im MacDurnan-Evangeliar, das heißt offenbar: des unmittelbaren Vorbilds für Keils. Statt der Füße unter dem Tunikasaum erscheinen vollständige Beine außen und in höherer Position. So entsteht die organisch unmögliche, flächig-abstrakte Vorstellung gebogener Knie, und durch die neuartige Proportionierung erscheint die Figur eindeutig als sitzend. Aber nicht nur die Figur geht auf die irische Tradition zurück, deren reine Form MacDurnan-Johannes repräsentiert. Im MacDurnan-Evangeliar ist der Bildrahmen zusammengesetzt aus Leistenstücken: eine rein spätantik-mediterrane Rahmenform 446 . Sie ist auch im Bildrahmen von Kells-Johannes erkennbar, wo die senkrechten Leisten dasselbe /ret-Ornament enthalten wie im MacDurnan-Evangeliar. Die vier großen Kreuze in den Achsen, einmalige 444

Die parallele Stellung der Beine ist noch stärker ausgeprägt im Lukasbild derselben Hs.,

445

Diese Faltenführung entspricht ungefähr den Evangelisten im Münchener Evgr.

446

Vgl. Gregor v. Nazianz, Paris, Bibl. Nat., gr. 510, fol. 285Γ (H. Omont, Miniatures

fol. δον (Baron, op. cit. [s. A n m . 442], Τ . ι, 4).

plus anciens manuscrits

grecs de la Bibliothèque

Nationale

des

du Vie au XlVe siècle, Paris

1929, Pl. XLIII); Pariser Psalter, gr. 139, fol. 3V (ibid., Pl. III); Lektionar aus Trapezunt, Leningrad, Ö S . Bibl., Cod. gr. 2 1 (C. R. Morey, in The Art Bulletin,

2 1 [1929], 53 ff., figs. 76,

100]. Im Westen: Apokalypse von Valenciennes, Bibl. mun., Ms. 99 (92) (F. v. Juraschek, Die Apokalypse

von Valenciennes,

script of the Aesop 6. Jh.s an.

104

Linz o. J., passim); Α . Goldschmidt, A n Early

Manu-

Fables etc., Princeton 1947, 28, nimmt ein italienisches Vorbild des

Motive, erscheinen eingesetzt; ebenso einmalige Entwicklungen sind die Rücksprünge der Rahmenecken nach innen. So ist das Bild als Ganzes auf die in MacDurnan-Johannes repräsentierte Tradition zurückzuführen: seine Grundvorlage war ein frontales irisches Evangelistenbild auf leerem Pergamentgrund mit flachem Leistenrahmen. Die Hauptabweichung der Figur von der irischen Tradition ist das Sitzmotiv. Sie erklärt sich erst aus der Relation der ganzen Folge der drei Autorenbilder*" im Book of Keils zu jener Tradition. Die Gesten Christi und des Matthäus (T. 2 j ) finden sich nicht in irischen Evangelistenbildern. Die Bildform der beiden Bilder, Rechteckrahmen mit eingeschlossener Arkade und Thron, gehört ebenfalls nicht zur irischen Tradition, sondern hat ihre Parallele im Eginokodex, einer norditalienischen Handschrift um 800 (T. 30b)44*. Zugrunde liegt also die mediterrane Vorstellung des Throns vor der gewölbten Exedra. Aber Christus und Matthäus thronen nicht, sondern sind durch neuangesetzte Beinmotive dem irischen Konzept der stehenden Frontalfigur angeglichen. Die Umformung zeigt sich deutlich in Brüchen zwischen Oberund Unterkörper und in der Zerstückung des Throns, mit Kissen und Decke, zu Flächenformen ohne sinnvolle Verbindung mit den stehenden Figuren. Hier treffen also offenbar zwei verschiedene Traditionen aufeinander. Im Christusbild und im Matthäusbild stammen aus der mediterranen Quelle die Bildform des Rahmens mit der Thronraumarchitektur und wahrscheinlich auch die Darstellungsgesten der Figuren; aber diese Elemente sind umgebildet entsprechend dem irischen Konzept des Flächenbildes stehender Autoren. Das 447

Das ikonographische Problem der Autorenbildform für Christus kann hier nicht erörtert werden.

448

Berlin, Deutsche Staatsbibliothek, Cod. Phill. 1676: J. Kirchner, Beschreibendes nis der Miniaturenhandschriften

der Preussischen

1926, 6 ff.; A . Boinet, La miniature

Staatsbibliothek

carolingienne,

zu Berlin,

VerzeichI, Leipzig

Paris 1 9 1 3 , Pl. C X L V I I ; CLA,

Vili,

Nr. ro57, mit Bibliographie. - Die A n n a h m e von Α . M . Friend, Jr., »The Canon Tables of the Book of Keils«, in: W . Koehler (ed.), Medieval

Studies in Memory

of A.

Kingsley

Porter, II, Cambridge (Mass.) 1939, 611—666, cf. 629 f., das Johannesbild gehe als Ganzes auf dasselbe Vorbild zurück wie das Johannesbild im Hofschul-Evgr. Harley 2788, fol. i 6 i v (W. Köhler, Die karolingischen

Miniaturen,

II, Berlin 1958, T . 60) basiert auf der un-

richtigen Voraussetzung, der Figurentyp von Kells-Johannes sei einmalig in der insularen Buchmalerei (Friend, op. cit., 629). Die einzige Entsprechung zwischen Kells-Joh. und Harley-Joh. ist das Tauchmotiv; in Harley ist aber die Hand nicht so tief gesenkt wie in München/Gotha und in der irischen Tradition. Auch F. Henry, op. cit. (s. A n m . 441), 1 0 1 , bemerkt, daß beide Bilder nicht zusammenhängen. Das Bildgerüst von Kells-Joh. hat nichts zu tun mit den Architektur-Rahmungen der Hofschul-Miniaturen. Diese sind aber auch den Bildgerüsten von Kells-Christus und Matthäus nicht so ähnlich wie die Rahmungen im Eginokodex: in der Hofschule überschneiden die Bogenstellungen die Reditedcrahmen,· im Eginokodex erscheinen Säulen und Rahmen nebeneinander in der Fläche, abgesetzt durch Randleisten, wie in Keils. Auch die radialen Pflanzen in den Zwickeln (Kells-Matth.) finden sich nur im Eginokodex, fol. 191, 25V (Boinet, op. cit., Pl. C X L V I I , Β).

IOS

Johannesbild steht im umgekehrten Verhältnis zu jenen beiden Traditionen. Bildform und Figurentyp stammen aus einer irischen Quelle, und aus der mediterranen ist nur ein Element übernommen : das Sitzkissen mit der Decke (vgl. T. 30b). Dieses eine Element ist aber verwendet entsprechend seinem ursprünglichen Darstellungsgehalt: die irische Figur ist so umgebildet, daß sie eindeutig auf dem Kissenthron zu sitzen scheint449. Die Einführung des Sitzes und die abstrakte Umbildung der Figur hängen also zusammen; das irische Bild des stehenden Autors ist zu einem Thronbild entsprechend der mediterranen Tradition geworden. Der Darstellungsgehalt eines mediterranen Vorbilds ist, abstrahiert von seiner ursprünglichen Formung, übertragen auf die irische Figur. Bei Christus und Matthäus verlief dieselbe Dissoziation in umgekehrter Richtung: die mediterrane Bildform ist übernommen, aber ohne ihren Darstellungsgehalt. Das Johannesbild ist also abgehoben von den beiden anderen Bildern durch (1) Insistenz auf irischer Tradition, (2) Umformung zum Thronbild. Eine Abhebung des Johannes gegenüber den anderen Evangelisten begegnet nicht selten in frühmittelalterlicher Kunst450. Unmittelbar läßt sich die Sonderstellung des Bildes in Keils nicht aus dieser Praxis erklären, denn die Handschrift enthält keine Bilder von Markus und Lukas. Indirekt ergibt sich aber eine solche Erklärung aus dem Thronmotiv des Bildes selbst. In zwei frühen Evangeliaren hat das Johannesbild eine klare Sonderstellung: im LindisfarneEvangeliar (um 698, Τ. 1 ib) 481 und in dem karolingischen Evangeliar aus Tours in Stuttgart (807—834)461. Alle vier Evangelisten sind sitzend dargestellt, aber nur die drei ersten schreibend und im Halbprofil, Johannes dagegen unbeweglich und frontal. In beiden Handschriften ist diese Sonderstellung ikonographisch und formal betont: im Lindisfarne-Evangeliar ist Johannes erheblich größer als die anderen Evangelisten, im Stuttgarter Evangeliar 448

460

451

462

106

Gezeigt ist nur das Rückenkissen mit der darüberhängenden Decke, entsprechend Eginokodex, fol. içr (T. job). Vgl. M. S chápiro, in: D. Miner (ed.), Studies in Art and Literature for Belle da Costa Greene, Princeton 1954, 336 ff. Fol. 109V. Die Haltung ist als Inspiration |G. Baldwin Brown, The Arts in Early England, V, London 1929, 350 f.) und als Kontemplation (Schapiro, op. cit., 336) gedeutet worden. F. Saxl, in Journal of the Warburg and Courtauld Institutes, 6 (1943), 17, führt sie auf antike Philosophendarstellungen zurück. Vgl. auch Bruce-Mitford, in: Kendrick et al., 120. Baldwin Brown verweist auf die (spätere) Eintragung am Ende der Hs. (fol. 25 9r): »Iohannes in prcxhemio deinde eructuavit verbum Deo donante et Spirito Sancto.« Landesbibliothek, Ms. H. B. II. 40, fol. 146V (Köhler, op. cit. [s. Anm. 448), I, Berlin 1930, T. 22). Sdiapiro, op. cit. (s. Anm. 450), 338, bezieht die Sonderstellung des Johannes auf einen Text Alkuins. Köhler, op. cit., Vi, 237, behauptet, die ganze Bilderserie sei die getreue Kopie einer Vorlage des 7. Jh.s, gibt aber keine Belege hierfür. Die Handschrift wäre dann das einzige Zeugnis für die betonte Heraushebung des Johannes in spätantiken Evangelistenbildern.

thront er mit segnendem Gestus 4 " auf einem Globus wie eine Majestasfigur. Andere Evangelisten sind niemals derart unterschieden, und so läßt sich schließen, daß auch im Book of Keils das neueingeführte Motiv der frontalen Throndarstellung für Johannes reserviert war wie im Lindisfarne-Evangeliar. Das besondere Verhältnis der Miniatur zu den Bildtraditionen wäre demnach aus der Idee der Johannes-Heraushebung zu verstehen. Eine Reihe von spezifischen Formen des Bildes in Keils läßt sich jedoch nicht allein aus dem Zusammentreffen der irischen und der mediterranen Tradition des Autorenbilds erklären. Die Figur differiert von dem >irischen Tauchtyp< in mehreren Darstellungsmotiven (s. Tabelle S. 103). (r) DasSchreibmotiv ist reduziert, wenn nicht aufgehoben, durch die Veränderungen von Hand, Feder und Tintenhorn (Tabelle D i, 2, 3). Der Evangelist scheint nicht länger die Feder einzutauchen, sondern sie zu präsentieren wie einen langen Stab. A n der organisch unmöglichen, aber der Intention nach realistischen Verformung der Hand ist erkennbar, daß dieses Motiv in Keils selbst entwickelt wurde. (2) Unter der Brust kommt statt der Hand mit dem Buch der ganze Unterarm mit einem Stück des Oberarms oberhalb der Armbeuge zum Vorschein. Die Kontur des Oberarms ist in das Gewand über der Brust gezeichnet und läuft zur Mittelachse hin anstatt zur Schulter, so daß der Arm unorganisch in der Mitte des Körpers ansetzt, unter dem Hals. Offenbar ist dieser Arm, mit neuartiger Handhaltung, anstelle der bloßen Hand im Vorbild neueingesetzt. So ergibt sich ein neues Darstellungsmotiv anstelle des konventionellen Tragens: der Arm mit dem Buch streckt sich hoch nach außen. Die formalen Beobachtungen lassen demnach einen einheitlichen Vorgang erkennen: der irische Figurentyp wurde an Armen und Beinen umgebildet, offenbar um ihm einen neuen Darstellungsgehalt zu geben. Auch das Bildgerüst differiert sowohl von der irischen als auch von der mediterranen Tradition. Das Schema des unterteilten Leistenrahmens (vgl. T. 29a) ist an den inneren Ecken durch >Rücksprünge< erweitert und unterbrochen von vier großen blauen Kreuzen, an denen außen Kopf, Hände und Füße einer Figur erscheinen. Hinter dem Kopf des Evangelisten erscheint ein großer ornamentierter Kreis mit kleineren Kreisen an der Peripherie. Beide Elemente, ohne Parallelen in insularen oder mediterranen Traditionen des Autorenbildes, erscheinen neueingefügt in das Bild in Keils. Figur und Bildgerüst lassen also eine durchgreifende Umformung erkennen, die die Miniatur heraushebt aus der Kategorie des einfachen Evangelistenbildes. Ein Aspekt in diesem Vorgang, die Umbildung der Figur zur Thronfigur, ist ikonographisch zu erklären aus dem Gedanken der Johannes-Heraushebung. Es ist zu 453

A u s der Handhaltung ist zu schließen, daß der Gestus von einer Majestasfigur mit Hostienscfaeibe (vgl. S chápiro, op. cit., 34t ff.) übernommen und durch Auslassung der Hostie zum Lehrgestus geformt wurde.

107

untersuchen, wieweit dieser Gedanke auch die anderen Veränderungen motiviert. 2. Der Thron mit dem Kreis Die Form des Sitzes mit dem niedrigen Rückenlehnenkissen, über das ein Tuch nach vorn herabhängt, hat einen genauen altchristlichen Prototyp (T. 31a)*64. Hinter dem Sitz ist in Schulterhöhe ein Tuch mit konvergierenden Falten gespannt. Das ist schon ein vollständiger Thron, aber in Keils erscheint vor dem ausgespannten Tuch noch ein großer ornamentierter Kreis ohne gegenständliche Verbindung mit dem Sitz. Dieser Kreis hat keine Parallele in frühmittelalterlichen Evangelistenbildern. Als Nimbus ist er nicht aufzufassen, denn er ist weit größer als die Nimben anderer Figuren im Book of Keils und in der vorkarolingischen Kunst überhaupt. Außerdem enthält er an der Peripherie kleinere Kreise, zwei ganze und einen halben. Das Motiv erinnert an die großen Kreise an den Rückwänden italienischer MarmorBischofsthrone des 12. und 13. Jh.s4BB, für die jedoch eine frühere Tradition nicht erkennbar ist. Aber ein Thron mit großem Kreis in Höhe des Kopfes ist bereits im 7. Jh. (?) in Ägypten erhalten (T. jib)45". Formal gleicht das Motiv in Keils der Dekoration auf der Rückseite eines syrischen Ambos vom Ende des 4. Jh.s, der als Thron für das Buch gebildet ist (T. sie)457: ein großer Kreis mit rosettenartigem Muster, darunter zwei kleinere Kreise. Das Motiv in Keils unterscheidet sich von dieser Form durch die mehr periphere Position der kleinen Kreise, die den großen Kreis halb überdecken, und außerdem durch den dritten, halbierten Kreis am oberen Rand; aber auch hier liegt offenbar die Vorstellung des Thrones mit dem Kreis zugrunde458. Das Motiv des großen Kreises mit den beiden kleinen hat an Steinreliefs eine vorkarolingische Tra454

Volbach, op. cit. (s. A n m . 204), Nr. 1 6 1 , T . 53. Z u r Form des Thrones vgl. K. Wessel, »Die große Berliner Pyxis«, Rivista

455 vgl. E. Hutton, The Cosmati,

di archeologia

cristiana,

36 (i960), 263—307, cf. 268 ff.

London 1950, Pis. 27, 28a, 29a; der Thron von S. Lorenzo

f. 1. m. [ibid., Pl. 26) zeigt auch zwei kleine Kreise rechts und links unter dem großen. Das früheste Beispiel ist der T h r o n in S. Clemente (C. Rohault de Fleury, La Messe, II, Paris 1883, Pl. C L X V I ) , datierbar 1 1 1 8 . Vgl. audi G . Β. Giovenale, La basilica di S. Maria in Cosmedin, 456

Roma 1 9 2 7 , 1 7 4 ff., der frühmittelalterliche Tradition vermutet.

A u s Sakkarah, Jeremiaskloster: J. E. Quibell, Excavations

at Saqqara,

IV, Cairo

1912,

Pl. IV, 4. 467

Qirqbizé (Syrien): J. Lassus u. G. Tchalenko, in Cahiers

archéologiques,

5 ( 1951 ), 97 S.,

Pl. III, ι. Vgl. auch den Thronambo von St. Jeremias, Sakkarah (wahrscheinlich 6. Jh.: G. Duthuit, La sculpture

copte, Paris 1 9 3 1 , Pl. 39; vgl. A . Grabar, in Cahiers

archéologi-

ques, 7 [1954], 20), w o ein Kreis über der Rücklehne eine Muschelkondie einfaßt. 458

Wahrscheinlich auch in dem Bild des thronenden Christus in Poitiers, Bibl. mun., Ms. 17 (65), fol. 31Γ: CLA,

VI, 8 2 1 : Nordfrankreich, wahrscheinlich Amiens, E. 8. Jh. ; Friend,

op. cit. (s. A n m . 448), Pl. XXIII; Crozet, op. cit. (s. A n m . 591), 54 f., Pl. II.

108

dition, die von Spanien auszugehen scheint und möglicherweise auch bis nach den Britischen Inseln führte 4 5 9 . Sein Bedeutungsgehalt auf diesen Denkmälern ist nicht deutlich, vielleicht audi gar nicht klar gedacht, hängt aber doch wohl, zumindest ursprünglich, zusammen mit der Himmelssymbolik des Clipeus 4 * 0 . Eine solche Bedeutung würde dem M o t i v des Kreises am Thron entsprechen, der Kopf und Brust des Sitzenden einschließt wie ein Clipeus die Büste. Der Kreis in Keils ähnelt in seiner ornamentalen Ausgestaltung einer Gruppe südenglischer Kreisfibeln mit Zelleinlage, besonders dem größten und differenziertesten erhaltenen Stück ( i . H . 7. Jh., T. 32a}4". Das Ornamentmotiv an der Peripherie des Innenkreises ist eine Zelleinlageform: ein Halbkreis mit >StufenpyramideStufenpyramideHimmelsbilderRücksprünge< in den Ecken und die vier Kreuze (s. o. S. 104 f.) orientieren ihn zentralisierend auf das Innere des Bildes473. Besonders durch die großen blaugeränderten Kreuze treten die Bildachsen optisch hervor. Formal entspricht das dem Muster eines quadratischen, zentralisierten römischen Mosaiks (T. 330J474. So wird der Rahmen zu einem nach innen und außen vor- und zurückspringenden Bildgerüst, selbst zur Grundstruktur des Bildes, die keinen Bildraum abschließt, sondern sich innen und außen in gleicher Weise vom leeren Pergament abhebt und innen und außen Figuren an sich schließt; damit aber auch zum Bildgehalt. Die vier Kreuze haben in der Tat eine eigene Tradition als christliches 470

471 472 473

471

Z u r Frage der Tradition kentischer Goldschmiedekunst in Northumbria um 700, im Zusammenhang mit dem isoliert stehenden Brustkreuz des hl. Cuthbert, vgl. D. H. Wright, in The Art Bulletin, 43 (1961), 150. S. u. Anm. 485. Z u r weiteren Begründung s. auch u. S. 119. Es ist charakteristisdi, wie die >Rücksprünge< mit dem Thron verbunden sind: oben durch ein Liniengeflecht, unten links durdi das Tintenfaß; unten rechts weist eine Gruppe von drei kleinen Kreisen in das Bild hinein. Ehem. Frampton (Dorset): Kendrick, 35, Pl. XX, i , zur Tradition des Musters im Rapport auf Mosaiken vgl. Levi, op. cit. (s. A n m . 101), 4.13 f. ; christliche Bedeutung haben diese Kreuze nicht. Vier Kreuze in den Ecken von Quadratkompositionen sind häufig in Bodenmosaiken, vgl. u . a . Memoirs of the American Academy in Rome, 13 (1936), Pl. 17, i¡ ibid., 17 (1940), Pl. 33, i ; Levi, op. cit., I, fig. 164; II, Pl. CXXIIIc; Parlasca, op. cit. (s. A n m . 96), T. 58. — Auch die >Rücksprünge< in den Ecken haben Parallelen in Zentralkompositionen von Bodenmosaiken: vgl. Gaudder, op. cit. (s. Anm. ioi|, Nr. 32a,· E. Esperandieu, Les mosaïques romaines de Nîmes, Nîmes 193s, Pl. XXV, 2, zweites Quadrat der oberen Reihe. Sieht man die >Rücksprünge< als in die Ecken gesetzte Quadrate, so sind die Parallelen sehr zahlreich. III

Motiv. Ihre Bedeutung scheint sich aus der Zentralbau-Idee entwickelt zu haben. In dem orientierten quadratischen Turm von Umm el-Djemal, Mittelsyrien (um 500) waren an den vier Wänden die Bilder je eines Erzengels gemalt, und darunter deren Namen mit dem Kreuzzeichen in der Mitte 475 ; die Kreuze bezeichneten also mit den vier Himmelsrichtungen die vier Enden der Welt, an denen nach einer altchristlichen Vorstellung die Erzengel als Wächter stehen, und zugleich die Schutzformel, die mit den Namen der Engel nach Osten, Westen, Norden und Süden ausgesprochen wurde476; so umgrenzten sie einen geschützten zentralisierten Bezirk. — Im Dombaptisterium von Ravenna 477 erscheinen die vier Kreuze, innerhalb eines ausgebildeten Mosaikprogramms, in der untersten Zone der Kuppel über dem Oktogon: ungleicharmig, im Clipeus über leeren Thronen schwebend, als Symbol Christi in der Hetoimasia. Diese Bilder stehen in den Diagonalachsen des Baus, während in den Orientierungsachsen die vier einzelnen Evangelien aufgeschlagen auf Altären dargestellt sind; trotzdem gehören auch die vier Kreuze zur ikonologischen Idee des Erdkreises, an dessen Enden die universale Kirche durch das Evangelium reicht4"78. Ihr Bildsinn ist nur eine Ausgestaltung der Idee der vier Kreuze in den Achsen des Zentralbaus: vier einfache Kreuze in Kreisen sind noch einmal in den Bogenscheiteln unterhalb der Thronbilder angebracht. Schon auf den Mosaiken des heute zerstörten kreuzförmigen Kreuzoratoriums des Papstes Hilarius (461—468) am Lateran erschienen vier Kreuze in den Diagonalachsen der Wölbung479. Von hier aus läßt sich das Motiv verfolgen in Ausgestaltungen, die unmittelbar zurückgehen auf Zentralbauplan und Kuppelform. Die vier Kreuze erscheinen am Taufbecken 480 , das im Zentrum des Baptisteriums stand als 478

Vgl. P. Perdrizet, in Seminari um Kondakovianum,

476

Unter den Engelnamen stehen kurze Sdiutzgebete (ibid.). Z u m Kreuz als Schutzzeichen

2 (1928), 247.

an altdiristlicher Architektur vgl. Lemerle, op. cit. (s. A n m . 134), 86. 477

Deichmann, op. cit. (s. A n m . 13), T. 39, 40, 62, 64, 66¡ vgl. Κ. Wessel, »Zur Interpretation der Kuppelmosaiken des Baptisteriums der Orthodoxen«, in Corsi

478

di cultura

ravennate

e bizantina,

I, Ravenna 1 9 5 7 , 77—81 ; C. Casalone, in Rivista

Nazionale

d'Archeologia

e Storia dell'Arte,

Vgl. C.-O. Nordstrom, Ravennastudien, Evangelienbücher

sull'arte

dell'Instituto

N . S., 8 (1959), 233 f. Stockholm 1 9 5 3 , 46; S. Beissel, Geschichte

der

etc., Freiburg 1906, 6, erklärt die Darstellung der Evangelien auf den

Altären überzeugend aus der Expositio

Evangeliorum

(vgl. o. S. 9) ; diese ist zwar nicht vor

600 schriftlich dokumentiert, gehört aber wohl schon zur Konzeption des gelasianischen Sakramentars im 6. Jh. (vgl. de Puniet, op. cit. [s. A n m . 19], 2528]. 479

»Interstitia absidarum crustis marmoreis cooperta cum quatuor Sanctae Crucis opere vermiculato signis«: Beschreibung Panvinios, zitiert bei P. Lauer, Le Palais de

Latran,

Paris 19t ι, 468; vgl. Wilpert, 727 ff. A u f den Zeichnungen des 16. Jh.s sind diese Kreuze, wie viele andere Details (vgl. Lauer, op. cit., 59), nicht wiedergegeben. Ihr ikonographischer Sinn läßt sich nicht mehr feststellen. 480

Das früheste Beispiel, wohl noch aus dem 4. Jh., ist das oktogonale Taufbecken in der Geburtskirche von Bethlehem (H. Vincent u. F. M . Abel, Bethléem,

112

Le sanctuaire

de la

»piscina, quae in o m n i catholica per totum orbem terrarum ad v i t a m generis h u m a n i salutaribus undis exuberat« 4 8 1 ,· an den vier Seiten des Altars 4 8 2 ; u n d dementsprechend an den vier E n d e n des Z i b o r i u m s über dem Altar 4 8 3 u n d über d e m T h r o n (T. 33b)484.

Offensichtlich gehört das M o t i v zur Idee des Bal-

dachins, u n d insofern sich diese Idee symbolisch auf die H i m m e l s k u p p e l bezieht 4 8 5 , bezeichnen die vier Kreuze die Enden der caidines.

Das Motiv wird

bildmäßig übertragen auf Seitengewölbe 4 8 ® und schließlich auf ein W e r k der Kleinkunst, das die Kuppelbildidee reflektiert 4 8 7 . A m Ende g e w i n n e n die vier Kreuze allein, losgelöst v o n bildhaften Z u s a m m e n h ä n g e n , als G r u p p e einen Nativité, Paris 1914, 92 ff., fig. 36). Im Mosaiktaufbecken in Tunis, Musée Alaoui ( aus Kélibia, Tunesien, 6. Jh. (C. Courtois, »Sur un baptistère découvert dans la région de Kélibia«, Karthago, 6 [1955], 149-156; v gl· R--A. Février u. C. Poinssot, in Cahiers archéologiques, 10 [1959], 149—156), erscheinen an den Scheiteln der Vierpaßhöhlung vier lateinische Kreuze mit A und Où, in der Idee der Christus-Bezeichnung, entsprechend den Hetoimasia-Kreuzen in Ravenna. Das quadratische Becken von Tiirkmen Koy, Kleinasien, undatiert (W. M. Calder, Monumenta Asiae Minoris Antiqua, VII, Manchester 1956, 67 f., Nr. 300, Pl. 18—19), zeigt an den drei zugänglichen Seiten (die 4. ist von einer Mauer verdeckt) das gleicharmige Kreuz im Kreis, einmal mit A und CO zwischen dem doppelten >Paradiesbaum< (s. o. Anm. 142), zweimal zwischen antithetischen Tieren: Lämmern und Vögeln. 481 Optatus von Mileve, Lib., III, 2, CSEL 26, 69,· vgl. B. Neunheuser, in Ephemerides liturgicae, 44 (1930), 388. 482 Quadratisches Steinaltärchen, koptisch, 3. Jh., im Koptischen Museum Kairo (J. Strzygowski, Koptische Kunst, Wien 1904, roi, Nr. 8752, Abb. 154). Auf dem Bodenmosaik in der orientierten Apsis der Basilika von Qasr Lebia, Cyrenaika, 6. Jh. (s. u. Anm. 718; Dr. Elisabeth Rosenbaum bereitet eine Publikation vor ; für Fotografien bin ich ihr zu Dank verbunden) waren an den vier Seiten des Altarrechtecks vier Edelstein-Clipei mit Gemmenkreuzen von antithetischen Rehen und Vögeln flankiert. Diese Ausgestaltung des Motivs entspricht dem Taufbecken von Tiirkmen Koy (s. o. Anm. 480). In den vierten Clipeus ist zweifellos später eine Inschrift eingesetzt; der jetzige Altar ist größer als der ursprüngliche und verdeckt den inneren Abschluß der Bildkomposition. 483 Koptisches Kupferziborium, 10. Jh., im Koptischen Museum Kairo, Nr. 1568 (Simaika Pasa, op. cit. [s. Anm. 100), 42, Pl. XCVII); ein 5. Kreuz über dem Scheitelpunkt der Kuppel. 484 Koptisch, 10. Jh., ebendort Nr. 1343 {ibid., 42, Pl. XCVI). Fotografien der beiden Stücke verdanke ich der Vermittlung meines Freundes Dr. E. J. Grabe (New York). 485 Vgl. O. Treitinger, s. v. »Baldachin«, RAC, I, 1 1 5 3 ; E. Baldwin Smith, The Dome, Princeton 1950, 8, 54 f., 69, 76, 135 ff.; G. Bandmann, Mittelalterliche Architektur als Bedeutungsträger, Berlin 1951, 191 S. 486 Istanbul, Hagia Sofia (A. M. Schneider, Die Hagia Sofia zu Konstantinopel, Berlin [1938], Abb. 62): vier ornamentierte ungleicharmige Kreuze in den Zwickeln um das Doppelkreuzmonogramm im Zentrum. 487 Yg] ¿¡g p a t e n e (j es Bischofs Paternus, ca. 518, in Leningrad, Eremitage (L. Matzulewitsch, Byzantinische Antike, Berlin u. Leipzig 1929, roi ff., T. 26—27). Das große Monogramm im Kreis entspricht den Kuppelmosaiken von Neapel, S. Giovanni in Fonte, und Albenga (M. v. Berchem u. E. Clouzot, Mosaïques chrétiennes du ¿ime au roe siècle, Genève 1924, figs. 119, 128). Auf dem goldgetriebenen Rand sind zwei Kreuzmedaillons genau diametral aufgelötet; zweifellos sind zwei weitere in der anderen Richtung zu ergänzen.

113

Sinn, der sich aus jenem Ursprung erklärt. An den vier Achsenpunkten eines Ringes488 oder eines Armreifs 489 haben sie wahrscheinlich die apotropäische Bedeutung des Schutzkreises; mehrfach finden sie sich in den Ecken altchristlicher Grabsteine von Kleinasien bis Gallien 490 . In reiner Abstraktion erscheint das Motiv in der liturgischen Praxis. Das früheste Zeugnis für die Bekreuzigung der Wände bei der Dedikation von Kirchen491 ist der Bericht in den apokryphen Bartholomäusakten (450—55ο)4®2 über die Umwandlung eines heidnischen Tempels in eine christliche Kirche. Ein Engel, glänzend wie die Sonne, »per quattuor ángulos templi circumvolans digito suo in quadratis saxis sculpsit signum crucis«; er erklärt dem Volk: »quäle signum ego sculpsi in his saxis taie vos digito vestro faci te in frontibus vestris et omnia mala fugient a vobis«. Hier verbindet sich die Idee der im Kreis um den Tempelbezirk gezeichneten vier Kreuze mit der apotropäischen Schutzbedeutung der Bekreuzigung. In den frühen Texten zur Kirchweihe im Abendland493 ist die Chrisam-Bekreuzigung der Wände das dritte Stadium eines Ritus, bei dem zuerst das diagonale Alphabetkreuz, dann das achsiale Weihwasserkreuz durch die Kirche gezogen wurden. Die Begründung dieses Ritus liegt in einer christlichen Interpretation der Orientierung484. Die Zahl der Wandkreuze ist in den frühen Oidines nicht angegeben, aber in e i n e r der ersten Erweiterungen, die wahrscheinlich E. 8./A. 9. Jh. geschrieben wurden495, werden viermal drei Kreuze gezählt und auf die Windrose bezogen: »Deinde in circuitu aecclesiae vadat pontifex et faciat crucem per pañetes cum pollice suo de ipso crísmate in duodecim locis, tres in oriente, 488

London, British Museum, aus Smyrna (Dalton, op. cit. [s. Anm. 128], 33, N o . 212 mit Abb.); vgl. die vier Kreuze auf dem spitzovalen Medaillon eines Ringes aus dem Grabfund von Apahida, 5. Jh. (Hampel, op. cit. [s. Anm. 125], I, 806,• II, 42, Fig. b). 48a Ehem. Berlin, Kaiser Friedrich-Museum, aus Kairo, 6—7. Jh. (Wulff, op. cit. [s. Anm. 101], IIL/i, 186, Nr. 851, T. XLII). 490 Çeçmeli Zebir, Kleinasien (Calder, op. cit. [s. Anm. 480], 120, 145, Nr. 570); Kairo, ehem. Musée Boulaq, aus Assuan (A. Gayet, Les monuments coptes du musée de Boulaq, Paris Γ889, Pl. LXIII, fig. 78 bis); Valentine, Dep. Haute-Garonne (Provence), ca. 400 (E. Le Blant, Inscriptions chrétiennes de la Gaule antérieures au Ville siècle, II, Paris 1865, 412 ff, Nr. 595 A, Pl. 81, fig. 494); Anse, Dep. Rhône, datiert 598 (ibid., I, Nr. 12, Pl. 3). 491 Vgl. F. Oppenheim, s. v. »Dedicazione«, in Enciclopedia Cattolica, IV, Città del Vaticano 1950, r29o—1293, mit Bibliographie; zur Weihe der Wände: W. H. Frere, Pontifical Services, I, The Consecration of a Church, London 1901, 8, 10, 24, 30; P. de Puniet, s. v. »Dédicace des églises«, DACL, IV/r, 374—405, cf. 393, mit Nachweis aller frühen Quellen; D. Stiefenhofer, Die Geschichte der Kirchweihe vom 1.—7. Jh., München 1909, 113 ff. 492 R. A. Lipsius u. M. Bonnet, Acta apostolorum apocrypha, II/i, Leipzig 1898 (Neudrude Hildesheim 1959), 14s f.; vgl. Stiefenhofer, op. cit., 114. 493 Schon im >gelasianisdien< Ordo (Frere, op. cit. [s. Anm 491], 8), dann in den beiden erweiterten Formen des 9. Jh.s (ibid., 24); vgl. Sacramentarium Gregorianum, PL 78, 153B, r s6B, 157B. 494 Vgl. de Puniet, op. cit. (s. Anm. 491), 390; Oppenheim, op. cit. (s. A n m . 491), 1292. 195 frere, op. cit. (s. Anm. 491), 46. IH

tres in australi, tres in occidente, tres in septentrione48®.« Der im Leabhai Bieac (14. Jh.) überlieferte irische Kirchweihtraktat, der wahrscheinlich aus einer Zeit vor 800 stammt497, nennt dagegen vier Kreuze. Der Bischof umkreist, gefolgt von einem Diakon, die Holzkirche von der Südostecke aus und »schneidet ein Kreuz mit seinem Messer in die Südostzinne auf der Südseite und besprengt sie mit dem Weihwasser . . . Sie gehen danach zur Südwestecke der Kirche, und der Bischof schneidet mit seinem Messer ein Kreuz in die südliche Dachseite westlich des Airdiin usw.«. Die Wandbekreuzigung folgte unmittelbar auf die Altarweihe4®8. »[Sacerdos] . . . accipiat chrysma et faciat crucem in medio altaris et per cornua ipsius altaris . . . Similiter per totum templum in circuitu faciens cruces de ipsa chrysmate499.« Nach dem Leabhai Breac ritzt der Bischof auch fünf Kreuze in die Mitte und die Ecken des Altars 500 . Der Sinnzusammenhang von Kirche und Altar in diesem Ritus ist im 9. Jh. expliziert in dem Kirchweihtraktat des Remigius von Auxerre (gest. 908)501: » . . . facit crucem per quatuor cornua altaris. Altare namque ecclesiae figuram praefert. Quod quatuor cornua habet, quia per quatuor mundi cardines dilatatur . . . Sed quaerendum cur in medio altaris crux fiat ex oleo, et sic per quatuor ángulos eius. Ad quod respondendum, quia ecclesiae fundamenta atque initia in Ierusalem primo surrexerunt, quam in medio mundi scimus positam 502 ... ... quia primum in Ierusalem positae supervenit ecclesiae donum Spiritus Sancti, et sic in ceteras mundi partes derivata est503.« Frühere Beispiele von Altären mit vier Kreuzen machen es wahrscheinlich, daß die Interpretation des Autors aus dem 9. Jh. auf einer traditionellen Idee beruht. Schon im 6. und 7. Jh. gibt es in Gallien rechteckige Altarplatten mit eingeritzten Kreuzen in den Ecken504, die die Altarbekreuzigung markieren und zugleich den alten Bedeutungsinhalt der vier Kreuze um den Altar bewahren. 496 497

ι. Komposit-Ordo: ibid., 30. T. Olden, »On an Early Irish Tract in the Leabhar Breac describing the Mode of Consecrating a Church«, Transactions

of the

St. Paul's

Ecclesiological

Society,

4

(1900],

98—104, mit englischer Ubersetzung. Vgl. Kenney, 688, No. 5 s i . 498 v g l . de Puniet, op. cit., (s. A n m . 491), 386 ff. ; J. Braun, Dei christliche Altai in seiner geschichtlichen Entwicklung, 499

I, München 1924, 288 ff.

Sakramentar von A n g o u l ê m e : L. Duchesne, Origines

du culte chiétien,

5. Aufl., Paris

1925, 505. 500

Olden, op. cit. (s. A n m . 497), 102,· vgl. Braun, op. cit. (s. A n m . 498], 289.

501

Frere, op. cit. (s. A n m . 491), c>·, T e x t : PL 1 3 1 , 845—866. Nach Frere liegt der gelasianisdie Ritus zugrunde.

502

Oeded.eccl,

503

Ibid., 8 5 8 C D .

504

S. Germain-en-Laye, Musée des Antiquités Nationales, Altarplatte aus S. Marcel, Ardeche,

PL 1 3 1 , 854C.

6. Jh. (Rohault de Fleury, op. cit. [s. A n m . 455], I, Pl. XLVIII); Ham, S. Pierre, bei Valognes, Bretagne, E. 7. Jh. (ibid.. Pl. X L V ; zur Datierung vgl. Le Blant, op. cit. [s. A n m 1 8 1 β., Nr. 91, Pl. 14). Braun (op. cit. [s. A n m

490], I,

498], 290] hält diese für die einzigen vor-

115

In Irland zeigt der Plan des Klosters St. Mullin's im Mulling-Evangeliar (M. 8. Jh.) um den kreisförmigen Mauerring acht Kreuze, davon vier in den Himmelsrichtungen 506 . Die Beischriften lauten: »Kreuz des hl. Markus Süden. Matthäus Westen. Kreuz des Johannes Norden. Kreuz des Lukas Osten«, die Kreuze in den Zwischenrichtungen sind den vier Hauptpropheten zugeordnet50®. Der Plan weist deutlich zurück auf das Baptisterium von Ravenna,· an der Stelle von Architektur und Bildprogramm steht die Zeichenabstraktion der Kreuze; die wirkliche Klostermauer war nicht einmal rund 607 . Auf St. Kieran's Friedhof, bei Keils, stehen vier Kreuze an den Kardinalpunkten; wahrscheinlich war die Verbindung von Ringmauer und Kreuzen im 8. Jh. in Irland allgemein üblich, bedingt von der Schutzbedeutung des Motivs 508 . Im 10. Jh. erscheint es unter den irischen Loiicae, Gebeten, die einen Schutzkreis um die Person beschworen509: »Das Kreuz Christi im Osten mit Mut, das Kreuz Christi im Westen beim Sonnenuntergang, Süden und Norden ohne Halt, das Kreuz Christi ohne Aufenthalt 510 .« Dieselbe Idee findet sich in einem Bericht des 9. Jh.s über eine Wundertat, die Adamnan von Jona mit erhobenem Evangelienbuch an einem weitentfernten Ort bewirkt: »Verwundert euch nicht, daß das Zeichen des Kreuzes durch die Macht des Evangeliums schneller als ein Zwinkern des Auges alle Elemente durchquert hinauf zum H i m m e l . . . . es

505

508

507

508 Boe

510

116

karolingischen Beispiele; in mehrere andere (vgl. Rohault de Fleury, op. cit., I, Pis. XLIV, XLVIII, LXXV; vgl. auch de Puniet, op. cit. (s. Anm. 491], 386 f.) seien die Kreuze erst später eingeschlagen worden. Diese Ansicht ist aber nur dadurch begründet, daß erst im 10. Jh. ein Text (Paris BN lat. 1 2 0 5 2 , Sakramentar Ratolds von Corbie) die Einkerbung ausdrücklich erwähnt (ibid., 2 8 9 ) . Vgl. auch o. S. 1 1 3 , Anm. 4 8 2 — 4 8 3 . Dublin, Trinity College, Ms. 60, fol. 94V: H. J. Lawlor, Chapters on the Book of Mulling, Edinburgh 1897, 167 mit Abb.; vgl. M. Stokes, The High Crosses of Castledermot and Durrow, Dublin 1898, X f f . mit Abb.; Henry, 101, fig. 37 (Umzeichnung). Zur Datierung vgl. o. Anm. 4 4 0 . Innerhalb des Ringes stehen Kreuze für den »Hl. Geist«, »Engel von oben«, »Christus und die Apostel«. Lawlor, op. cit. (s. Anm. 505), 180 fi., bemüht sich vergeblich, Klostergrundrisse zu finden, die den Quellennaciirichten über kreisförmige Klostermauem entsprächen: ". . . topographical evidence has not helped us much" (ibid., 185]. Dagegen bezieht M. Stokes, I. c. (s. Anm. 505), den Plan richtig auf die frühchristlich-mittelalterliche Kreisidee, geht aber viel zu weit in seiner Interpretation als Bild der Himmelsstadt nach einem siebenfachen Sphärenschema, das hier gar nicht gegeben ist. Henry, 101 : "Warding off the evil forces of the four corners of the world." L. Gougaud, »Étude sur les Loricae celtiques et sur les prières qui s'en rapprochent«, Bulletin d'ancienne littérature et d'archéologie chrétiennes, 1 ( 1 9 1 1 ) , 2 6 5 — 2 8 r ; 2 ( 1 9 1 2 ) , 3 3 — 4 1 , 1 0 1 — 1 2 7 , audi als Monographie, Strasbourg 1 9 1 2 ; H. Leclercq, s. v. »Lorica«, DACL, IX/2, 2 5 1 1 — 2 5 1 6 ; vgl. Kenney, 2 5 1 . Ich danke Dr. Α. Α. Barb für den Hinweis auf diesen Bereich. Lorica des Mugrón, gest. 980, in irisch (Gougaud, op. cit. [Monographie], 7 [Nr. 8], 34; vgl. K. Meyer, Hibemica Minora, Oxford 1894, 42).

erreicht Sonnenaufgang und Sonnenuntergang und das südliche und das nördliche Ende der W e l t in einem einzigen Blitz . . , 5 1 1 .« V o n diesen expliziten Zeugnissen aus lassen sich ähnliche Bedeutungsgehalte des Motivs der vier Kreuze im vorkarolingischen Kunsthandwerk verstehen. A n einem fränkischen Tongefäß des 6. Jh.s 5 1 2 sind vier Kreuze um den Hals geritzt, abwechselnd mit den Buchstaben » + I + E + S + V«, entsprechend der Bekreuzigung beim Aussprechen heiliger Namen. Einen ähnlichen Sinn wie hier haben wahrscheinlich auch die vier als Kreuz im Kreis gebildeten Randbeschläge an einer der frühesten englischen Bronze-Hängeschüsseln 6 1 3 und sicher die vier Ringkreuze aus Email in den Diagonalachsenpunkten des kreisförmigen irischen Gürtelreliquiars aus Moylough (A. 8. Jh.) 614 , die formal den gleichzeitigen irischen Schutzkreuzen (s. o. S. 116) entsprechen: sie verdeutlichen die in Irland vielfach bezeugte Schutz- und Wunderkraft des Heiligengürtels 616 . Solche klaren Beispiele machen die Vier-Kreuze-Gruppierung auch in primitiveren Bereichen verständlich. Vier Kreuze umgeben menschliche Figuren 816 , erscheinen auf den Armen kreuzförmiger Schild-

511

S1S

613

514

518

618

Text über Traditionen des Klosters "lallaght, dat. 831—840, Dublin, Royal Irish Academy, Ms. 3. Β. 23/ ed. Ε. J. Gwynn u. W. J. Purton, in Proceedings of the Royal Irish Academy, 29/C 11911—ii), 162 f.: '"Wonder not', said he, 'that the sign of the Cross by the power of the Gospel traverses quicker thin a wink of the eye all the elements up to heaven. . .. and it readies the sunrise and the sunset and the southern and northern ends of the world in a single twinkling . . . ' " Aus Marchélepot (Somme): E. Salin, La civilisation mérovingienne, IV, Paris 1959, 383 f., fig. 171. Salisbury, Museum, aus Wilton: F. Henry, »Hanging Bowls«, Journal of the Royal Society of Antiquaries of Ireland, 66 (1936), 209—146, cf. 216, Pl. XXIII, i¡ vgl. T. D. Kendrick, »British Hanging-Bowls«, Antiquity, 6 (1932), 161—164, cf. 168; Baldwin Brown, op. cit. (s. Anm. 451), IV, Pl. CXVIII. Das Motiv steht isoliert in der Gruppe; es ist zweifelhaft, ob angesichts der christlichen Bedeutung F. Henrys frühe Datierung um 400 zutrifft. Dublin, National Museum: M. Duignan, »The Moylough [Co. Sligo] and other Irish Belt Reliquaries«, Journal of the Galway Archaeological and Historical Society, 24 (1951), 83—94; vgl- F· Henry, Art irlandais, Dublin 1954, 43 f., Pl. 30-31. Vgl. C. Plummer (ed.), Lives of Irish Saints, I, Oxford 1922, CLXXX f., mit Quellennachweisen,· größtenteils hiernach: Duignan, op. cit., 88 ff.; vgl. audi T. P. Cross, Motif-Index of Early Irish Literature, Bloomington, Indiana, 1953, 129, No. D 1057. Kontinent: Salin, op. cit. (s. Anm 512), 105 fi. In der Klosterneuburger Lorica (Revue celtique,2 [1873—1875], 112 ff., mit lateinischer Ubersetzung; vgl. Gougaud, op. cit. [Monographie; s. Anm. 509), 6, No. 6) werden Heiligengürtel als Schutzkreise beschworen. Paris, Louvre, Goldmedaillon aus Kertsdi (E. Coche de la Ferté, L'antiquité chrétienne au Musée du Louvre, Paris 1958, 42, 102, No. 38 mit Abb., »5.—8. Jh.?« Die Deutung als Kreuzigung ist zweifelhaft); Grabstein in Keutschadi, Kärnten (E. Schafiran, Die Kunst der Langobarden in Italien, Jena 1941, 119, T. 48c; Sdiaffrans Behauptung, die Kreuze seien im i i J u . J h . zugefügt, ist ohne Begründung). Vgl. auch das Relief in Samtavro, Georgien, 12. Jh. (J. Baltrusaitis, L'art médiéval en Géorgie et en Arménie, Paris 1929, Pl. LXXXV, fig. 144).

117

buckelbeschläge 517 oder eines Amulettkreuzes 5 1 8 und an der Peripherie von Kreisfibeln 519 , schließlich an zahlreichen irischen Grabsteinen 520 . In der insularen Kunst läßt sich aber auch eine Tendenz beobachten, derartige Zeichenmotive formal zu differenzieren und bedeutungsmäßig zu präzisieren (vgl. o. S. 25). Die besondere Entwicklung der südenglischen Kreisfibeln mit Zelleinlage im 6. und 7. Jh. (vgl. o. S. 110) führt in einem Beispiel (T. 32cj521 zu einer Verbindung des Motivs der vier Kreuze, das aus der Tradition der kontinentalen Kreisfibeln kommt 5 2 2 , mit einem Kreismuster aus der Formtradition der antiken Zentralkompositionen 623 . So tritt das vorher schematisierte Motiv wieder in den Zusammenhang der Zentralbildidee, in dem es wahrscheinlich die Himmelsrichtungen bezeichnet. Im 8. Jh., in einer Miniatur aus dem >Book of BobbioSic veniet quemadmodum vidistis eum euntem in caelum.! Id est, in eadem f o r m a carnis et sub-

hen aus büdiertragenden Evangelistenfiguren bestehen, stellt das Bild offenbar zugleich die universale Ausdehnung der Kirche dar52®. Außen an den Achsenpunkten des Bildrahmens erscheinen vier Ringkreuze, die im Typ den irischen Stein-Schutzkreuzen und den Metallkreuzen auf dem MoyloughGürtelreliquiar entsprechen. Hier stehen also diese Kreuze in ihrem ursprünglichen Zusammenhang mit der Idee des Himmelskreises. Dementsprechend erscheinen in späteren kosmologischen Handschriften des 9. Jh.s vier Kreuze an den vier Enden der Windrose (T. 44cf™ oder an den Quadratecken des Sonnenumlaufkreises 528 . Von diesen Traditionen aus läßt sich die Bedeutung der vier Kreuze in Keils erschließen. Im >Book of Bobbio< sind abgebildete Ringkreuze außen an ein abgeschlossenes Bild gesetzt, in Keils dagegen sind die Kreuze Elemente des mosaikartig zentralisierten Bildgerüstes, das auf diese Weise selbst die Bedeutung des Himmelskreises gewinnt. Aber auch in solcher dekorativen Abstraktion steht die Bedeutung noch im Zusammenhang mit ihrer ursprünglichen Begründung in der Idee der Kuppel, und zwar sogar noch direkter als im >Book of Bobbio« : die Bildidee einer Thronfigur im Zentrum der VierKreuze-Gruppierung entspricht dem koptischen Bronzekuppelthron (T. 33b) und geht daher wahrscheinlich unmittelbar zurück auf einen ähnlichen Thron oder zumindest auf ein Ziborium mit vier Kreuzen. In der Tat ist die Idee des Baldachins im Bilde selbst dargestellt durch den Ornamentkreis über dem Thron des Johannes. Die Fassung des Vier-Kreuze-Motivs der Baldachinidee in die rein dekorative Rahmenstruktur ist ein weiteres Beispiel für die Abstraktion von Bildideen von ihrer überlieferten realistischeren Form529. Aber die Bedeutung des Rahmengerüstes ist zugleich erweitert über die im Balstantia veniet iudicaturus in qua venerat iudicandus . . . Cuius aeterna gloria divinaque . . . peracto iudicio

ab omnibus sanctis v i d e b i t u r . . . «

Zu

»populus sanctorum«

vgl.

Dan. 7: 2 7 ; Sach. 1 4 : 5. 526

Zur

altchristlidien

Identifizierung

des

endzeitlichen

Reiches mit der

Kirche, die bei Augustin beginnt, vgl. R. Frick, Die Geschichte des Reich in der alten Kirche bis zu Origines

und Augustin,

gegenwärtigen Gottes-Gedankens

Gießen 1928, 138 ff. Unmittelbar vor

der Himmelfahrt sagt Christus zu den Jüngern: »et eritis mihi testes in Ierusalem, et in omni Iudaea, et Samaria, et usque ad ultimum terrae.« Bedas Kommentar hierzu: » . . . ut . . . ad extremum novissimos quoque per circuitum mundi términos evangelii f a m a percurrat« (op. cit., 8). Z u m Zentralbildkonzept gehören auch die Köpfe an den Bildecken: vgl. Trier 61, fol. i v (T. 2a) und das Bodenmosaik in Köln, Händelstraße (Parlasca, op. cit. [s. A n m . 96], T . 65, ι). 527

S. A n m . 670.

628 w i e n

österreichische Nationalbibliothek, cod. 387, fol. t37r, Salzburg, um 8 1 8 : Hermann,

op. cit. (s. A n m . 142), 145 ff.; vgl. die Kopie München, Staatsbibl., clm. 2ro, fol. 130t: G. Swarzenski, Die Salzburger

Malerei

etc., Leipzig r9o8, 13 ff. Das Kreisquadrat, an dessen

Ecken in der Wiener Hs. die Kreuze angesetzt sind, hat keine Teilungsfunktion im Diagramm, ist daher als eingesetztes Zeichenmotiv zu werten. 8 2 8

V g l . o. S . I I I , U . S . 1 2 8 .

119

dachin symbolisierte Idee vom Thronen unter dem Himmelsgewölbe 530 hinaus: insofern das ganze Bild von den vier Kreuzen eingeschlossen ist, wird es, analog den anderen Miniaturen der Vier-Kreuze-Tradition, selbst zum flächenhaften >HimmelsbildHimmelskreuzesHimmelsbild< Die spezifischen Motive in der Ausgestaltung des Bildgerüstes: Ornamentkreis, vier Kreuze und Umfassungsfigur, steigern die traditionelle Hervorhebung des Johannes durch ein Thronbild (s. o. S. 106 f.) zur Bildidee des Thronens im Zentrum des von Christus umfaßten Himmelskreises. Diese Bildidee entspricht einer altchristlichen literarischen Tradition zur Sonderstellung des Evangelisten, die ausführlich dargelegt ist in Augustine De consensu evangelistarum. »Tres tarnen isti evangelistae [sc. Matthäus, Markus, Lukas] in his rebus maxime diversati sunt, quas Christus per humanam carnem temporaliter gessit; porro autem Iohannes ipsam maxime divinitatem domini, qua patri est aequalis, intendit eamque praecipue suo evangelio, quantum inter homines sufficere credidit, commendare curavit. Itaque longe a tribus istis superius fertur, ita ut hos videas quodammodo in terra cum Christo homine conversari, ilium autem transcendiese nebulam, qua tegitur omnis terra, et pervenisse ad liquidum caelum, unde acie mentis acutissima adque firmissima videret in principio verbum deum apud deum, per quod facta sunt omnia, et ipsum agnosceret carnem factum . . ,681.« Johannes allein formuliert die Identität Christi mit dem Vater, »tamquam de pectore ipsius domini, super quod discumbere in eius convivio solitus erat, secretum divinitatis eius uberius et quodammodo familiarius biberit582.« Das Ruhen des Johannes an der Brust Christi und sein Aufstieg zum Himmel, auf den das Symbol des Adlers weist, waren die allegorischen Hauptmotive dieses Gedankens in der altchristlichen und frühmittelalterlichen literarischen Tradition 583 . Augustin faßt sie noch offen metaphorisch: »at vero Iohannes supra nubila infirmitatis humanae velut aquila volat et lucem incommutabilis veritatis acutissimisque adque firmissimis oculis cordis intuetur«684; aber er verfestigt sie audi schon 581 882 083

BM

Augustin, De cons. ev„ I, 4, 7, CSEL 43, 6 f. Ibid., 7. Vgl. u. a. Paulinus v. Nola, Ep., XXI, 3-4, CSEL 29, 150 f.; Beda, Horn., I, 8, CCL 122, 52 f. Zur karolingischen Tradition vgl. Schapiro, op. cit. (s. Anm. 450), 336 f. Op. cit. (s. Anm. 581), 10.

129

zu anschaulicher Allegorie: »transcendens universam creaturam, montes, aera, cáelos, sidera, Sedes, Dominationes, Principatus, omnes Angelos, omnes Archangelos, transcendens omnia, in principio verbum vidit, et bibit«888. Johannes steigt auf zum Himmel und erfährt in unmittelbarer Schau Gottes selbst die Geheimnisse der Schöpfimg und der Inkarnation: »contemplabatur divinitatem Verbi. Transcenderat omnia cacumina terrarum, etc. . . . Nisi enim transcenderet ista omnia quae creata sunt, non pervenirci ad eum per quem facta sunt omnia586.« In einem anonymen frühmittelalterlichen Johanneskommentar587 ist die Stelle aus De consensu evangelistarum übernommen, aber das metaphorische »superius fertur« ist anschaulich konkretisiert zu »sublimius elevatus est«. Der dogmatisch-allegorische Gedanke ist zweifellos entwickelt aus der hagiographischen Tradition der apokryphen Johannesakten, derzufolge Johannes in Ephesus das Evangelium in mystischer Ekstase schrieb und dann nicht starb, sondern entweder lebendig im Grabe ruht oder zum Himmel entrückt ist wie Elias und Henoch688. Die Vorstellung der Auffahrt zum Himmel, um von Gott selbst die Geheimnisse der Schöpfung zu erfahren, hat ihr Vorbild im spätjüdisch-hellenistischen Henochbuch589. Das Johannesbild in Keils basiert jedoch nicht auf der mittelalterlichen literarischen Tradition der Johannesakten selbst, in der die exegetisch-allegorischen Gedanken fehlen, sondern offensichtlich auf der Tradition der dogmatischen Texte über das Johannesevangelium, die sich an dessen Beginn »In principio erat Verbum« anschließen. In ihnen liegt der Ausgangspunkt für die ikonographische Ausgestaltung dieses Evangelistenbildes gegenüber dem initium; aber sie zeigen auch eine grundsätzliche Differenz zu dieser Ausgestaltung. Keiner von ihnen enthält ein Zitat von Ephes. 3: 18 oder überhaupt die formulierte Vorstellung des weltumfassenden Christus. Die Differenz ist dieselbe wie bei den Exegesen des Johannesprologs im Verhältnis zur Christusfigur (s. o. S. 128). Auch hier ist der allgemeine Sinn der Bildvorstellung deutlich: Christus als Schöpfer umfaßt den Himmel, in den Johannes erhoben ist. Aber das Bild des weltumfassenden Gekreuzigten, begründet in Ephes. 3:18, stellt nicht das präexistente Verbum dar, das in den Texten über Johannes genannt ist, sondern den 586

Augustin, Senn., C X X , 1 , PL 38, 676. Idem, in lo. ev. tr., I, s, C C L 36, 2 1 . ¡ vgl. audi Paulinus ν. Nola, I.e. (s. A n m . 583): »altius volans, penetravit et caelos«. 587 Ps. Beda, In lo. ev. exp., PL 92, 637C. see vgl. R. A. Lipsius, Die apokryphen Apostelgeschichten und Apostellegenden, I, Braunschweig 1883, 494 S.,· M . Jugie, La mort et l'assomption de la Sainte Vierge, Città del Vaticano 1944, 7 1 0 S . (Exkurs D : »La mort et l'assomption de Jean l'Êvangéliste«). 589 Slawisches Henochbudi, 20—39 (R· H. Charles, The Apocrypha and Pseudoepigrapha of the Old Testarnent, II, Oxford 1 9 1 3 , 441 S.; deutsch: G . Ν . Bonwetsch [ed.], Die Bücher dei Geheimnisse Henochs, Leipzig 1922, 18 ff.) Vgl. das Akrostichon des Cellanus js. u. A n m . 636). 588

130

inkarnierten Christus am Ende des heilsgeschichtlichen Prozesses der Welterlösung. Die theologische Differenz in der Bildbedeutung entspricht also der Differenz in den Texttraditionen. Ist sie irrelevant für die Miniatur, oder ist sie bedingt von deren spezifischem Sinn? Dieser Sinn erschließt sich erst aus der Gestaltung der zentralen Figur des Evangelisten.

6. Die Figur des Johannes a) Der Arm mit dem Buch Der erhobene A r m mit dem Buch ist ein charakteristisches Motiv im Book of Keils; er erscheint noch n m a l , davon 8mal bei Engeln 690 . Sein Sinn mag in einer betonten Demonstration des heiligen Buches liegen, aber darüber hinaus ist offenbar in der ikonographisdien Zuordnung zu den Engeln audi die Uberbringung des Buchs vom Himmel mitgemeint. Auf fol. i r (T. 36a) strecken die tierköpfigen Evangelisten mit der Rechten ihr Buch empor. Das Bildrechteck ist um 90 o gedreht, und der unmittelbare Darstellungssinn ist nicht klar. Die ikonographische Tradition in der vorkarolingischen Kunst 581 zeigt die tierköpfigen Evangelisten mehrfach in Bildformeln des Buchempfangs: im Evangeliar von Maaseik (2. H. 8. Jh.) 69a halten sie das Buch auf verhüllten Händen vor der Brust (vgl. o. S. 41), auf dem Relief in Braga 693 und in der Miniatur in Poitiers 694 sind sie gruppiert um die Thronfigur Christi, dem sie die Hände mit dem Buch entgegenstrecken. Offenbar hat bei den Figuren in Keils der emporgestreckte A r m mit dem Buch einen ähnlichen Sinn. In der franko-insularen Tradition dieser Ikonographie im 9. Jh. strecken die tierköpfigen Evangelisten das Buch ebenso empor 696 . Das spätantike Motiv ist zu einer expressiven Geste gesteigert. In die Figur des Johannes wurde diese Geste neu eingeführt (s. o. S. 107), und daraus ist auf eine ikonographische Absicht zu schließen, die über die bloße Demonstration des Buchs hinausführt. 580

Engel: foil, i v , i v , 3r, 4r (Evangelistensymbole), 183Γ, 187V, 202V, 28sr¡ Johannes-Adler: fol. 5Γ; stehende Figur (Evangelist?) auf der Matthäus-Initialseite: fol. 2zweifiguriges Evangelistenbild< : diese Relation wurde offenbar vom Künstler in ihrer ikonographischen Konsequenz reflektiert und durch das Motiv des Buchempfangs verbunden. Aber audi die mediterrane Tradition des zweifigurigen Evangelistenbilds mit Christus ist in einer Konsequenz reflektiert, die über den ikonographischen Gehalt dieser Tradition hinausgeht. Dort ist das Motiv auf alle vier Evangelisten angewandt; in Keils ist es auf Johannes beschränkt und gewinnt dadurch eine besondere theologische Begründung. Der einfache metaphorische Bildgedanke, daß die Evangelisten das Evangelium von Christus erhalten, ist gesteigert und konkretisiert zur mystisch-realen Erhebung des Johannes vor das Angesicht des weltumfassenden Christus, zur Distinktion des evangelium supeicaeleste™9. Diese Idee erklärt die Übernahme des Motivs ins Thronbild. Formal zeigt das Bild im konsequenten Flächenstil beide Figuren frontal in einer Ebene und in eine Richtung blickend, ikonoεββ Y g j

(jj e bei(j e n Evangelistenbilder im Livinus-Evgr., 9. Jh., in Gent, Kirchenschatz von

St. Bavo: W . Köhler, in: P. Clemen, Belgische

Kunstdenkmälei,

I, München 1923, 17 f.,

T. 2, 3. Köhlers Deutung der Kompositionen als »Überreichung des Evangeliums durch Matthäus und Johannes an Christus« {ibid., 18) ist unbegründet. Ferner die Evangelistenbilder der Beatus-Tradition: W . Neuss, Die Apokalypse spanischen

und

altdiristlidien

Bibelillustration,

des heiligen

Johannes

in dei alt-

Münster i. W . 1 9 3 1 , 1 1 6 S., Abb. 6, 8,

10—12).

Der zugrunde liegende Bildtyp erscheint in dem Autorenbild der Hs. von Isidors

Contra

ludaeos

Les manuscrits

in Paris, Bibl. Nat., lat. 13396, fol. i v , um 800 (Bibliothèque Nationale: à peintures

en Fiance

du Vile

au Xlle

siècle,

2. Aufl., Paris 1954, 1 1 ,

No. 19, Pl. II) mit dem Titulus »Soror mea Florentina accipe codicem . . .« Vgl. auch Bruce-Mitford, in: Kendrick et al., 164 s . , dessen Deutung des Matthäusbildes im Lindisfarne-Evgr. jedodb unannehmbar scheint. 59T p e r U g i a miniatuia,

Biblioteca Capitolare, Ms. 2:

CLA,

IV, 408; Mostra storica

Kat. Firenze 1953, 4 1 , Nr. 57. Vgl. Köhler, op. cit.,

nazionale

della

18, Abb. 17,· P. Bloch,

» Z u m Dedikationsbild im Lob des Kreuzes des Hrabanus Maurus«, in: V. H. Elbern (ed.), Das eiste Jahitausend,

Textband I, Düsseldorf 1962, 471—494, cf. 484, übernimmt Köhlen

Deutung als »Darbringung des Evangelientextes an Christus«. Bfl8

Vgl. O.S. 1 1 9 .

599

Paulinus v. Nola, op. cit. (s. A n m . 583), 4, C S E L 29, 1 5 1 .

132

graphisch jedoch sind diese Figuren nicht nur in der diagrammatischen Relation von Innen und Außen zu verstehen, sondern ebenso in der Relation des Gegenüber.

b) Der Blick schrägaufwärts Die Gesichter aller drei Autorenbilder (T. 38a, 39) sind frontal, aber ihre Struktur ist verschieden. Bei Christus und Matthäus sind die Nasenformen rundgebogen und zusammengesetzt, bei Johannes dagegen ist die Nase mit einer stark durchgezogenen stilisierten Kontur umrissen, die symmetrisch nach den Seiten ausschwingt und in annähernd waagerechter Linie winklig abschließt. Diese Nasenform entspricht Gesichtsstilisierungen in irischer Metallarbeit (T. 35a). Nur innen sind, sekundär, die Einrollungen der Nasenflügel in ganz dünnen hellen Linien angedeutet. Die Nase ist hier weit größer als bei den beiden anderen Figuren: dort wirkt sie zu klein im Verhältnis zu den Augen und zum ganzen Gesicht, hier ist sie richtiger proportioniert, vielleicht sogar etwas zu groß, und wirkt als betonte senkrechte Achse der Gesichtsstruktur. Bei Christus und Matthäus sind ornamentalisierte Ohren unnatürlich hoch und abstehend an die Außenkontur des Kopfs gesetzt; sie wirken gegen natürliche Struktur und Proportion. Bei Johannes fehlen die Ohren, sie erscheinen verdeckt vom Haar, das zwar ebenso stilisiert ist wie bei Christus und Matthäus, aber nicht wie dort vom Gesicht absteht, sondern das Gesicht umgreift. So entsteht in reinen insularen Stilformen der Eindruck eines vom Haar umhüllten strukturierten Gesichts, gegenüber den mehr maskenhaften Gesichtsstilisierungen der beiden anderen Autoren. Auch diese Stilisierungen sind insular, teilweise irisch®00, der Unterschied kann also nicht auf verschiedene Stileinwirkungen zurückgeführt werden, sondern liegt offenbar in einer besonderen Tendenz der Formung bei Johannes. Diese Tendenz zielt auf betonte natürliche Klarheit der Physiognomie. Sie entspricht der besonderen Relation der Johannesfigur zu den Grundvorlagen der Autorenbilder im Ganzen (s. o. S. 106) : eine irische Figur ist innerhalb ihrer eigenen Stilform verlebendigt, um sie in bestimmten Darstellungsmotiven auszugestalten. Die Augen aller drei Gesichter sind geweitet, aber bei Christus und Matthäus sind die Pupillen zentriert, bei Johannes dagegen sind sie zur Seite und zugleich in die Höhe gedreht: der Blick geht schrägaufwärts. In diesem Darstellungsmotiv, das das Gesicht in physiognomische Bewegung versetzt, liegt offenbar der Grund für die Konzentration des Malers auf die natürliche Gesichtsstruktur. 600

Die Stilisierung der Nase bei Matthäus entspricht den Gesichtern Christi und der Evangelisten im Evangeliar St. Gallen 5 1 (Zimmermann, T . 188a, 189, 190a, 1 9 1 a [besonders ähnlich]).

133

Das Motiv ist einmalig in der Tradition der frontalen irischen Evangelistenbilder. Der einfädle Blick aufwärts, ohne die Drehung zur Seite, erscheint nur noch in dem Johannesbild des Stowe-Johannesevangeliums (T. 38b)*01 und in zwei Figuren des Evangeliars St. Gallen 51, von denen eine Johannes darstellt (s. u. S. 135Ι"*2. In der vorkarolingischen Kunst nichtklassischer Tradition ist grundsätzlich frontale Stilisierung des Gesichts mit zentriertem Blick verbunden. Der Blick aufwärts erscheint dagegen als Element natürlicher Bewegung; in insularen Miniaturen und ihrer kontinentalen Tradition überall dort, wo die Einwirkung realistischerer mediterraner Vorbilder erkennbar ist603. Das Book of Keils folgt aber in der Formung der frontalen Gesichter der vorkarolingisch-irischen Stiltradition; dementsprechend ist überall der Blick zentriert, mit zwei bezeichnenden Ausnahmen (s. u. S. 135). In diesem Stilzusammenhang gewinnt der Blick aufwärts eine Emphase, die hinausgeht über seine konventionelle Verwendung in den Werken mediterraner Stiltradition. Im Gesicht der irischen Evangelistenfigur ist er verbunden mit der Intention auf natürliche Darstellung, wie in jenen mediterranen Werken, aber diese Intention ist durchgeführt in einer abstrakten Form, die das realistische Motiv als Darstellungsgehalt erweist und nicht als bloßes Stilelement. Hier zeigt sich eine Grundtendenz im Johannesbild: die Übernahme realistischen Darstellungsgehaltes ohne Übernahme des realistischen Stils, wie in der Gestaltung der Beine zum Sitzmotiv (s. o. S. 105 f.). L'Orange hat den Blick aufwärts in spätantiken frontalen Porträts von Herrschern und Philosophen, zusammen mit charakteristischen Steigerungen der Physiognomie, als Ausdruck für den Kontakt mit der Gottheit im Himmel in der Vision oder Inspiration gedeutet604. Grundlage seiner Interpretationen ist die literarische Tradition der Beschreibung des Gesichts von Herrschern und homines spirituales; andererseits erscheinen in der Kunst derartige Gesichtsformen, weit über jenen definierten Personenkreis hinaus, als Stil- und Ausdrucksform des spätantiken Porträts schlechthin, und daher ist es nicht möglich, in dem Motiv als solchem schon eine klare ikonographische Distinktion zu erkennen808. In der frühchristlichen und frühbyzantinischen Kunst ist der 801

602

603

604 806

134

Dublin, Royal Irish Academy, Ms. D. II. 3., fol. i i v : CLA, II, 267: Irland, 8.-9. Jh. ; vgl. Henry, op. cit. (s. Anm. 438), 156 f. ; Werdtmeister, Problems, Pl. XXXa. Pp. 128 (Lukas), 208 (Johannes) (Zimmermann, T. r89b, 191a). Das Motiv erscheint auch bei Christus im Weltgericht, p. 267, und bei dem Engel über Matthäus, p. 2 [ibid., T. 188a, 189a). Seine Ausprägung bei Johannes mit den großen, dunkel ausgefüllten Pupillen hebt sich jedoch ab von den anderen Beispielen. Stockholmer Codex Aureus, Vespasian-Psalter, Evangeliar von Maaseik, Salzburger Gruppe um das Cutbercht-Evangeliar, Evangeliar Trier Domschatz 61, Book of Cerne (Zimmermann, passim). H. P. L'Orange, Apotheosis in Ancient Portraiture, Oslo 1947. Die Problematik der Interpretation L'Oranges besteht darin, daß sie von spezifisdben, intendierten Bedeutungsgehalten, wie der Inspiration, übergeht zu einem unvermittelten

Blick aufwärts vollends als Stilform des Gesichts in Figuren aller Art weit verbreitet. Aber gerade eine ikonographische Distinktion gemäß der ursprünglichen Bedeutung des Motivs ist im Johannesbild in Keils zu vermuten, wo der Blick aufwärts isoliert steht und dem spezifischen Bildgehalt: Entrückung in den Himmel, Inspiration aus der unmittelbaren Vision Gottes, zu entsprechen scheint. Wird eine solche Interpretation durch die frühe Verbreitung des Motivs unmöglich gemacht? Eine ikonographische Tradition, in der der Blick aufwärts etwas von jener ursprünglichen Bedeutung behalten hatte, scheint es für das Johannesbild gegeben zu haben. Ihre Spuren zeigen sich in drei insularen Johannesbildern: im Stowe-Johannesevangelium (T. 38b), im Stockholmer Codex Aureus806 und im Evangeliar St. Gallen 51®°*. In allen drei Handschriften kann allerdings der Blick aufwärts nicht völlig sicher auf Johannes isoliert werden: in Dublin steht das Johannesbild allein 608 , in Stockholm ist nur nodi ein weiteres Evangelistenbild erhalten609, in St. Gallen erscheint das Motiv auch bei Lukas, obgleich viel schwächer ausgeprägt. So kann man hier zwar keine Bedeutungsintentionen der Maler selbst erkennen, aber dodi Reflexe einer Tradition des Johannesbildes mit dem Blick aufwärts, die wahrscheinlich in verlorenen Vorstufen schärfer ausgeprägt war. Der Maler in Keils reflektierte sie offenbar in ihrer vollen ikonographischen Konsequenz. Das wird bestätigt von den beiden anderen Beispielen des aufwärtsgerichteten Blicks im Book of Keils. Christus in der zusammengezogenen Darstellung des Gebets am ölberg und der Gefangennahme 610 ist eine frontale Orantenfigur ; in diesem Figurentyp hat der Blick aufwärts eine Bildtradition, die seine ursprüngliche Bedeutung als Blick zum Himmel und zur Gottheit, wie immer vereinfacht, bewahrt 611 . Im Bild

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und undeutlidien allgemeinen physiognomi sehen Ausdrude: "The prevalence of this stereotyped expression must be seen in connection with the spirit of the time. Godpossessed sages or inspired Christians realise the great ideals of their time, the whole contemporary conception of human nature being dominated thereby" (ibid., 100). Fol. 150V (Zimmermann, T. 283). S. o. Anm. 6 0 2 . Aber die Evangelistenfiguren derselben Bildtradition im Mulling-Evangeliar (s. o. S. roi f., T. 28) und im Taschenevangeliar London, Brit. Mus., Add. Ms. 4 0 6 1 8 , fol. i i v (Henry, op. cit. [s. Anm. 438], Pl. ΧΧΠΙ), zeigen alle den zentrierten Blick. Außerdem erscheint der Blick aufwärts nodi bei mehreren Figuren in den Kanontafeln (Zimmermann, T. 280). Fol. ri4v ¡Zimmermann, T. 169). Die spezifische Bedeutung dieses Bildes kann hier nicht weiter erörtert werden. Zur Bedeutung des Mosaiks in S. Apollinare in Classe (dat. 549), einer Darstellung der Theophanie Christi an den Märtyrer durdi das Kreuz, vgl. Dinkier, op. cit. (s. Anm. 285), 100 ff. Zur Tradition des Motivs der Orantenfigur mit Blick aufwärts vgl. u. a. das Fresko in der Priscilla-Katakombe (Volbach, op. cit. (s. Anm. 365], T. 8), die Mosaiken in Thessaloniki, Hagios Georgios, 6. Jh. (ibid., T. 1 2 6 — 1 2 7 , mit Datierung um 4 0 0 ) und Hagios Dimitrios, dat. 6 2 9 — 6 4 3 ¡ibid., T. 2 1 6 ) . Vgl. die Beschreibung eines Porträts Konstantins

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der thronenden Maria ist die Bedeutung des aufwärtsgerichteten Blicks nicht unmittelbar evident, aber sein Zusammenhang mit der Bildkomposition zeigt sich an der Marien-Ikone auf dem Sinai (7. Jh.) 612 : hier ist der Blick aufwärts ebenso auf Maria und das Christuskind beschränkt; Maria blickt schrägaufwärts wie Johannes in Kells ; die Heiligen rechts und links blicken zentriert aus dem Bild, die Engel drehen den Kopf empor zur Hand Gottes im Himmelssegment, die offenbar der Bezugspunkt für den Blick der Maria ist. In ihren Einzelheiten kann die Ikone nicht als ikonographischer Prototyp der Miniatur in Keils gelten 613 . Deren unmittelbare Bildtradition ist genauer faßbar in zwei koptischen Elfenbeinskulpturen des 8./9- Jh.s 614 ; auf einer von ihnen erscheint Maria mit dem Blick aufwärts® 15 . — Demnach zeigen in Keils von drei Figuren zwei, Christus-Orans und Maria, den Blick aufwärts im Zusammenhang einer definierten ikonographischen Tradition,· für die dritte, Johannes, ist eine solche Tradition weniger deutlich erkennbar, dafür ist aber die unmittelbare Beziehung zur Bedeutung des Bildes: Erhöhung und Vision, um so klarer. So ist zu schließen: der Blick aufwärts ist im Book of Keils nicht konventionell verwendet wie in der insularen Miniaturmalerei mediterraner Tradition, sondern als ikonographisches Motiv. Aber welche Bedeutung hatte dieses Motiv im Johannesbild unmittelbar nach der Absicht des Malers? Der Blick geht nicht nur aufwärts, sondern schrägaufwärts: dies ist, im frontalen Gesicht, schon selten in altchristlichen Werken, und in Keils ist es einmalig. So gewinnt das Motiv nicht nur stärkere ikonographische Emphase, sondern auch intensivere physiognomische Wirkung. Ein erneuter Vergleich mit den Köpfen der beiden anderen Autoren (T. 39J zeigt, daß die Drehung nach rechts in der gesamten Formung des frontalen Gesichts realisiert ist: die rechte 616 Hälfte ist schmaler als die linke, der linke Nasenflügel perspektivisch vergrößert, der Bart über der Oberlippe eben-

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»ώς δνω βλέττειν δοκείν άνατεταμένω«; πρό$ Οεόν τρόπον εύχομένου«, »άνω μέν είςούρανόν έμβλέττωυ τώ χεΐρε δ' έκτεταμένοζ εύχομένου σχήματι«, bei Eusebius, Vita Const., IV, 15; hierzu L'Orange, op. cit. (s. Anm. 604), 93 f. Im irischen Bereich erscheint diese Tradition audi in der knienden Orantenfigur des Initials St. Gallen, Stiftsbibliothek, cod. 904, p. 3 (Duft u. Meyer, op. cit. [s. Anm. 2], 72 ff., T. XXXIX). G. u. M. Sotiriou, Icones du Mont Sina 1, I, Athen 1956, T. 4—7; vgl. E. Kitzinger, »On Some Icons of the Seventh Century«, in: K. Weitzmann (ed.), op. cit. (s. Anm. 566), 132 bis 150, cf. 136 ff. Zur ikonographischen Beziehung vgl. jedodi D. H. Wright, in The Art Bulletin, 63 (1961), 146. Baltimore, Walters Art Gallery: Early Christian and Byzantine Art, Katalog Baltimore 1947, 50, No. 160, Pl. XX; der Vergleich mit Keils bei Kitzinger, 354, Pl. XIV, fig. 2; eng verwandt ist das Stüde in Mailand, Castello Sforzesco (Volbach, op. cit. [s. Anm. 204], 105 f., Nr. 253, T. 51), das Kitzinger nicht erwähnt. Hier entspricht jedodi der Typ der Maria dem Bild in Keils nicht so genau wie in Baltimore. Vom Beschauer aus.

falls perspektivisch nach rechts verschoben, die senkrechten Bartsträhnen unter dem Kinn sind nach rechts verzogen. Das Grundmotiv dieser geringfügigen, aber konsequenten Drehung ist perspektivisch, doch ist es stilrein durchgeführt in der flächenhaften Grundstruktur des frontalen Gesichts. Sieht man es zusammen mit der betont realistischen Proportionierung des Gesichts und mit der ikonographischen Emphase auf dem Blick schrägaufwärts, der jene Drehung motiviert, dann läßt sich schließen, daß der Maler eine Bewegung des Kopfes nach rechts andeuten wollte. Diese Bewegung ist in der Tat die Konsequenz aus dem Bewegungsmotiv der Gesamtfigur: der Blick schrägaufwärts folgt dem Griff schrägaufwärts, und diese Wendung der Figur nach rechts wirkt sich aus im ganzen Körper617. Offensichtlich verband der Maler das Motiv des Blickes aufwärts, das ihm wahrscheinlich in einer konventionellen Tradition des Johannesbilds gegeben war, mit dem Bewegungsmotiv der Figur und machte es so thematisch. Die ikonographische Absicht in dieser Gestaltung kann sich nur auf den Darstellungsgehalt beziehen: Johannes empfängt das Buch von Christus und blickt auf zu ihm. Die schematisch betonte Ausrichtung der Pupillen auf das Ziel des Blicks ist häufig bei insularen Figuren im Profil und Halbprofil (T. 2ib)eia. Sie ist offenbar auch der unmittelbare Sinn des Blicks bei Johannes. Ein individueller Ausdrucksgehalt wie in spätantiken Porträts kann hier nicht gesehen werden, denn der zugrunde liegende Stil ist nicht realistisch, wenngleich er gegenüber der irischen Tradition realistisch präzisiert ist. Ausdrucksgehalt hat das Gesicht allerdings insoweit, als die geweiteten Augen frontaler Gesichter der frühchristlichen und vorkarolingischen Tradition zweifellos den Blick intensivieren: dieser intensive Blick wird hier thematisch durch die Fixierung auf das Ziel. Wo ist aber das Ziel im Bilde gegenwärtig? Ikonographisch ist es Christus, von dem Johannes das Buch empfängt. Schon in altchristlichen Bildern erscheint dem zum Himmel blickenden Oranten (T. 3j) die Vision nicht senkrecht über dem Scheitel, wie es unmittelbar den Anschein hat819, sondern zugleich über und gegenüber dem erhobenen Gesicht: das Flächenbild ist die Spiegelprojektion des Gegenüber. So richtet sich auch der Blick des Johannes nicht in der flachen Ebene des Bildes auf den Kopf ei7

Y g ] (jj e Verschiebung des Halsausschnitts und die Ausdehnung des Mittelstücks des M a n tels nach rechts. Jedoch sind nicht notwendig alle Verschiebungen in der Figur auf das Bewegungsmotiv zurückzuführen. Hier liegt nicht dieselbe streng symmetrische Stilisierung vor wie in den beiden früheren northumbrischen Miniaturen,· die Figuren Christi und des Matthäus sind auch nicht streng symmetrisch,

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( j e n ] i n k e n oberen Engel im Bild der Maria, fol. 7V, und die Häscher im Bild

der Gefangennahme, fol. 114T; extreme Beispiele sind die Engel und Wächter auf dem Kreuzigungsbild sowie die Apostel im Weltgerichtsbild des Evangeliars St. Gallen

51,

pp. 266—267 (Zimmermann, T. 188). 619

Im Apsismosaik wölbt sich jedoch der große Kreis mit dem Kreuz im Raum über den Kopf des Märtyrers nach vorn.

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Christi oberhalb des Rahmens. Christus, als zusammenhängende Figur verstanden, erscheint nicht über dem Evangelisten, sondern überragt ihn vom Zentrum aus nach allen Seiten. Die diagrammatische Flächenrelation zu Johannes ist die der Umfassungsfigur (vgl. o. S. 130), aber die ikonographische Relation des dargestellten Vorgangs, reflektiert und sichtbar gemacht in der Formung des Johannes, ist das gespiegelte Gegenüber zwischen dem hinter dem Bilde kreuzförmig ausgestreckten (s. o. S. 125) Christus und dem Evangelisten, der sich auf Christus zubewegt, ihm die Hand entgegenstreckt und ihn anblickt.

7. Die Textgrundlage des Bildgedankens Die Ausgestaltung der ikonographischen Relation zwischen Christusfigur und Johannesfigur durch Gebärde und Blick ist nicht lediglich eine Übertragung der Idee des zweifigurigen Evangelistenbildes in die Frontalität des Autorenbildes. Vielmehr ist der ikonographische Gehalt verschieden: dort tritt der Evangelist vor den thronenden Christus, hier thront er, umgekehrt, selbst, und Christus erscheint kreuzförmig ausgestreckt stehend vor ihm. Der im Himmelskreis thronende Johannes blickt auf Christus, der am Kreuz den Himmelskreis umfaßt. Auf diese Bildvorstellung läßt sich die Idee von der Auffahrt des Johannes in den Himmel vor das Angesicht des Veibum nur in einem allgemeinen Sinn beziehen. Der Unterschied tritt offen zutage in der Ikonographie der Christusfigur, die nicht das präexistente Veibum darstellt, sondern den inkarnierten Christus (s. o. S. 130 f.). Dieser Unterschied ist genau zu nehmen: nach der altchristlichen Theologie ist das präexistente Veibum menschlicher Vorstellung unfaßbar®20; es ist erst offenbar geworden durch die Erscheinung Christi als Mensch in dieser Welt. Der Sinn der Bildformel vom am Kreuz die Welt umfassenden Christus liegt darin, die Idee des Veibum (¿Histologisch widerspruchslos zu veranschaulichen. Johannes ist zwar nach der literarischen Evangelisten-Distinktion gerade dadurch ausgezeichnet, daß er jene Einschränkung transzendiert,· aber der Maler in Keils stellte das nicht direkt dar, sondern nur mit der diristologisch richtigen symbolischen Bildformel. Die Differenz ist dieselbe wie bei den exegetischen Traditionen des Johannesprologs (s. o. S. 128) und der Johannes-Distinktion. Sie ist jedoch nicht zurückzuführen auf eine Inkommensurabilität zwischen der theologischen Idee und dem gemalten Bild. Der Gedanke der Erscheinung des inkarnierten Christus gehört vielmehr schon zur literarischen Tradition über Johannes, die unabhängig von der Symbolik der vier Evangelien die historische Gestalt des 820

138

Vgl. ζ. B. Augustin, Senn., CXIX, 3, PL 38, 674.

Heiligen zum Thema hatte; in ihr war die Idee von der Auffahrt des Johannes in den Himmel nur ein allegorisches Element Jene Tradition basierte auf dem Schluß des Johannesevangeliums: »Hoc autem dixit, significane qua morte clarificaturus esset [sc. Petrus] Deum. Et cum hoc dixisset, dicit ei: Sequere me. Conversus Petrus vidit illum discipulum quem diligebat Iesus, sequentem, qui et recubuit in caena super pectus eius, et dixit: Domine, quis est qui tradet te? Hunc ergo cum vidisset Petrus, dixit Iesu: Domine hic autem quid? Dicit ei Iesus: Sic eum volo manere donec veniam, quid ad te? tu me sequere. Exiit ergo sermo iste inter fratres, quia discipulus ille non moritur. Et non dixit ei Iesus: Non moritur; sed: sic eum volo manere donec veniam, quid ad te?« (Joh. 2 1 : 19—23). Joh. 2 1 : 19—24 war die Perikope zum Fest des Evangelisten 981 . In dem entscheidenden Text über die Distinktion des Johannes unter den vier Evangelisten, Augustine De consensu evangelistarum (s. 0. S. 129) ist an einer späteren Stelle die Gestalt des Johannes auf Grund jenes Schrifttexts behandelt. » . . . dicit eundem Iohannem sic se velie manere, donec veniat. ubi etiam mihi videtur alto doeuisse mysterio istam ipsam Iohannis evangelicam dispensationem, qua in lucem liquidissimam verbi sublimiter fertur, ubi trinitatis aequalitas et incommutabilitas videri potest, et qua maxime proprietate distet a ceteris homo, cuius susceptione verbum caro factum est, perspicue cerni cognoscique non posse, nisi cum ipse dominus ven eri t*".« Damit wird die allegorische Idee christologisch und zugleich historisch begründet: die Offenbarung des Veibum an Johannes wird gleichgesetzt mit der heilsgeschichtlichen Enthüllung Christi in der Parousie. »Ideo sic manebit, donec veniat. manebit autem nunc in fide credentium, tunc autem facie ad faciem contemplandum erit, cum apparuerit vita nostra et nos cum ipso apparebimus in gloria« (vgl. 1. Kor. 13: ia)® 33 . Die besondere evangelica dispensano des Johannes wird verbunden mit der leibhaften eschatologischen Kontemplation,· diese wird, durch das Zitat von 1. Kor. 13: 12, bezogen auf die Vision der Gläubigen, in der sie, erhoben zu Christus in den Himmel, ihre Gottebenbildlichkeit wiedererlangen. Der Gedankengang entspricht genau dem unmittelbaren Bildsinn der Miniatur in Keils: Johannes, im Himmel thronend, sieht die Selbstoffenbarung des inkarnierten Christus durch das Kreuz*™; sein Blick, der auf die Christusfigur gerichtet ist, hat sein theologisches Äquivalent in der Kontemplation facie ad faciem. 621

822 823 624

Godu, op. cit. (s. Anm. 368), 859, no. i2; 873, no. 20; 883 f. ; 901, no. s¡ 908, no. 6¡ und im römischen System: Klauser, op. cit. (s. Anm. 369), 193, Index s. v. Joh. 21: 19—24. Nach dem im Lindisfarne-Evangeliar kopierten neapolitanischen Kapitulare (op. cit. (s. Anm. 368], 760, no. 122) wurde dagegen zum Geburtsfest der Prolog gelesen, zu einem besonderen Fest der >Assumptio< des Evangelisten die Perikope Joh. 21: Γ9—24 (ibid., no. 171). Op. cit. (s. Anm. 581), IV, io, 20, CSEL 43, 415 f. Ibid., 416. Vgl. u. S. ris.

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In der Tat verkörpert in der exegetischen Tradition von Joh. 21: 19—24 Johannes die vita contemplativa in Antithese zu Petrus, der für die vita activa stand. »Est autem alia vita immortalis, quae non est in malis; ibi facie ad faciem videbimus, quod hic per speculum et in aenigmate videtur, quando multum in conspicienda veri tate profici tur*25.« Die vita activa vollendet sich in dieser Welt, die vita contemplativa »differtur . . . post huius saeculi finem, sed in futuro saeculo non habet finem«626. Dies bedeutet das Ausharren des Johannes bis zur Parousie: »contemplado . . . manet autem donec veniat Christus, tunc manifestanda plenitudo scientiae«®27. Sie ist identisch mit der endzeitlichen Vision Christi, in der der Gläubige selbst Christus gleich wird: wenig später zitiert Augustin 1. Joh. 3: 2 in extenso628. Von hier aus konnte der Evangelist zum spirituellen Vorbild werden829. In De consensu evangelistamm ist das ausgeführt am Unterschied zwischen Johannes und den anderen Evangelisten (s. o. S. 129): diesen soll der Gläubige in der vita activa folgen, dem Johannes dagegen in der vita contemplativa. » . . . evectus a terris ab eodem Christo verbo inluminetur, verbo, quod in principio erat et verbum deus erat, etsi per speculum et in enigmate, longe tarnen sublimius ab omni similitudine corporali, quapropter, quamvis in illis tribus activae, in Iohannis autem evangelio dona contemplativae virtutis eluceant eis qui haec dinoscere sunt idonei, tarnen et hoc Iohannes, quoniam ex parte est, sic manebit, donec veniat quod perfectum est. alius diem domino sapit, alius de pectore domini liquidius aliquid bibit, alius levatus usque ad tertium caelum ineffabilia verba audit.. .β30.« Die in Johannes verkörperte Idee der endzeitlichen Kontemplation entspricht einer Grundidee der monastischen Spiritualität (s. o. S. 93 f.), und in der Tat ist Augustine Interpretation in Bedas Predigt zum Fest des Evangelisten so gewendet, daß der Gegensatz zwischen Petrus und Johannes den spirituellen Unterschied zwischen Laien und Mönchen exemplifiziert: »... activa [sc. vita] communis populo Dei via vivendi est; ad contemplativam vero perpauci et hoc sublimiores quique post perfectionem piae actionis ascendunt. Contemplativa . . . vita est cum longo quis bonae actionis exercitio edoctus diutinae orationis dulcedine instruetus . . . a cunctis mundi negotiis vacare et in sola dilectione oculum mentis intendere didicerit gaudiumque perpetuae beatitudinis quod in futura pereepturus est vita etiam in praesenti coeperit desiderando praegustare . . . Haec autem vita divinae speculationis 628 626 627 628 629

630

140

Augustin, In lo. ev. tract., CXXIV, 5, C C L 36, 683. Ibid. Ibid., 686. Ibid.; vgl. auch die unten S. 144 f., Anm. 648 zitierte Predigt. Schon bei Origines, In Io., 32, 2 0 - 2 1 , GCS, Or., 4, 460 ff.: vgl. Völker, op. cit. (s. Anm. 343), 90. Op. cit. (s. Anm. 581) IV, 10, 20, CSEL 43, 418.

illos maxime recipit qui post longa monasticae rudimenta virtutis secreti ab hominibus degere norunt eo liberiorem ad caelestia meditanda animum habentes quo terrenis separatum tumultibus831. Speculativa . . . felicitas quae hic inchoatur illic sine fine perfìcitur quando et supernorum civium et ipsius domini praesentia non per speculum et in enigmate sicut nunc sed facie ad faciem videbitur (vgl. ι. Kor. 13: 12). Unde recte de hac sub typo discipuli quem diligebat quemque supra pectus suum fecit discumbere dicit Iesus: >Sic eum volo manere donee venioDimensionen< des Kreuzes auf die vier Qualitäten der caritasβ42; in der anderen, in der er einer älteren Tradition folgt*43, verband er die >Einwohnung< Christi im homo interior β4υ

In der Lichtkreuzvision der apokryphen Johannesakten (Hennedce-Schneemeldier, op. cit. [s. Anm. 86], II, 157 f.) sind wie in der Miniatur Kosmos-Umfassungsidee und Kreuzvision verbunden: »Den Herrn selbst aber sah ich oben auf dem Kreuz, und er hatte keine Gestalt, sondern nur eine Stimme . . . >Dieses Lichtkreuz wird von mir euretwegen bald Logos genannt, bald Vernunft, bald Jesus, bald C h r i s t u s . . . Es ist die Begrenzung aller Dinge, und die starke Erhebung des aus Unbeständigem Gefestigten und die Harmonie der W e i s h e i t . . . Dieses Kreuz also (ist es), welches sich durch das Wort das All zusammengefügt hat und welches das vom Werden (Herkommende) und das darunter (Befindliche) begrenzt hat, (welches) dann auch in {eines) alles gefestigt hat. Dies ist nicht das hölzerne K r e u z . . .< < Aber diese Vision ist im Westen erst durch die lateinischen Ubersetzungen der Akten des 1 . Konzils von Nikaia 787 überliefert (Anastasius Bibliothecarius, Interpz. syn. VII gen., act. V, PL 119, 358BC, der \ibid., I9$B] eine ältere Ubersetzung erwähnt), w o sie als häretisch verurteilt wurde (Lipsius, op. cit. [s. Anm. 588], 452 f.). Sie ist grundsätzlich zu unterscheiden von dem orthodoxen Gedankengang der Miniatur in Keils. Vgl. Ladner, op. cit. (s. Anm. 566), 89 ff., zu Gregor v. Nyssa.

143

(Ephes. 3: 16, vgl. o. S. 35) mit »comprehendere plenitudinem« (Ephes. 3: 19) in dem Gedanken der spirituellen Anschauung Christi. Eugippius hat in seinen Excerpta diese Interpretation in dem Abschnitt >Quae sit latitudo et longitudo et profundum< zusammengefaßt: »Merito ergo istorum qui saturantur vivunt corda in saeculum saeculi. vita enim Christus est, qui habitat in cordibus eorum ; interim per fidem, post etiam per speciem. vident >enim nunc per speculum in aenigmate, tunc autem facie ad faciemut in caritateradicati et fundati praevaleatis comprehendere cum omnibus sanctisfacie ad faciemBeati mundicordes, quoniam ipsi Deum videbunt< « (Matth. 5 : δ)646. Matth, s : 8 ist mehrfach in dieser exegetischen Tradition zitiert647. Die hier entwickelte Idee der spirituellen Erkenntnis ist dieselbe wie in der spirituellen Johannes-Interpretation. Die Entsprechung zeigt sich deutlich in Augustins Predigt über den Johannesprolog: »Purga mentem, purga cor tuum. Mundum fac oculum, unde illud quidquid est, possit attingi. Mundum fac oculum cordis: >Beati< enim >mundo corde, quoniam ipsi Deum videbuntDimensionen< mit der kosmisch-allegorischen Exegese, die bei Augustin noch nicht gegeben ist849. Sie findet sich jedoch schon im Pauluskommentar des Hieronymus; hier folgt nach der Beziehung der >Dimensionen< auf die Weltkugel650 eine spirituelle Interpretation, die sich anschließt an die Idee der Nachfolge des Gekreuzigten. »Nec mirum si crux Christi universa possideat, cum etiam si quis crucifixus fuerit cum Christo, eandem habeat potestatem. Seiet quippe primum latitudinem ab inferioribus ineipiens, et minora cognoscens.« Dann steigt die spirituelle Erkenntnis auf bis zu der in altitudo symbolisierten himmlischen Erfüllung: »Ex quo advertendum, quia grandem et immensam Christus scientiae habeat charitatem, id est, eorum qui se scire desiderant, qui in lege eius meditantur die ac nocte, qui verba vertunt in opera, et quod ore meditantur, consummant manu. Atque ita implebitur in omni plenitudine Dei: non solum in praesenti saeculo, sed etiam in futuro: ut qui nunc plenus esse coepit in studio per lectionem, postea perfectius impleatur Deo . . ,861.« Das konkrete Verständnis der Spiritualität als Lektüre und Meditation entspricht der monastischen Praxis und erinnert an die monastisdie Wendung in Bedas spiritueller Interpretation des Johannes (s. o. S.i4of.). Auch Beda verbindet die kosmische Exegese von Ephes. 3: 18 mit der spirituellen, wenn auch nur mit der caritas-Allegorie652; diese Verbindung ist noch in den »quatuor virtutes animae« der Würzburger Glossen festgehalten®63. Offenbar bezog auch der Maler des Johannesbildes die Bildformel der kosmischen Exegese von Ephes. 3: 18 648 649

660 651 852 663

Seim., CXVII, 15, PL 38, 670. Nach Ladner, op. cit. (s. Anm. 566), 91, lehnt Augustin sogar die kosmisch-allegorische Exegese ausdrücklich ab; das geht allerdings aus der zitierten Stelle (Senn., LIII, 14, 15; PL 38, 371) nicht eindeutig hervor. S. o. S. 126, Anm. 569. PL 26, 523. L. c. [s. o. Anm. 573). S. o. S. 127; möglicherweise geht sie hier auf Beda zurück. I4S

auf die spirituelle Exegese im Sinne der Kontemplation. Damit ist die »scientia incarnationis Christi«, die nach den Würzburger Glossen die kosmischen Geheimnisse der >Dimensionen< erfaßt, verstanden als das spirituelle Wissen. Erst an dieser Stelle zeigt sich also die Begründung für die Integration des Motivs des weltumfassenden Gekreuzigten in das Evangelistenbild. Die Miniatur gibt eine spirituelle Interpretation der Sonderstellung des Johannes: die visionäre Erscheinung Christi vor dem Evangelisten im Zentrum des Himmels und am Ende der Zeit ist dargestellt als comprehensio der >Dimensionen< des Kreuzes in der Kontemplation.

r46

Β. Die Chi-Initialseite ζ. Die ikonographisdien

Motive

D i e Ornamentation des Book of Keils steht a m Ende einer festen und differenzierten Tradition, die in der insularen Buchmalerei des 7. und 8. Jh.s ausgebildet w o r d e n war. Z u dieser Tradition gehören die ornamentierten initia der vier Evangelien u n d der Perikope M a t t h . 1 : ι 8 β Μ . Buchstabengruppen w i e Xpi w u r d e n als Formgebilde festgehalten und entwickelt w i e ikonographisdie T y p e n " 5 6 . I m Verlauf dieser Entwicklung (T. 40)"™ w u r d e n sie vergrößert, der folgende T e x t w u r d e reduziert, schließlich füllten sie die ganze Seite aus. Eine derartige Reihe reflektiert eine Folge v o n Überlegungen und Entscheidungen bestimmter M a l e r , w i e künstlerische Tradition fortzuführen war. In den Chi-Initialseiten vor dem Book of Keils zielten sie offenbar n u r darauf, die in dieser Tradition mitgegebene T e n d e n z zur Expansion voranzutreiben. A b e r in Keils (T. 40e, 41J887

ist nicht allein deren Extrem erkennbar, son-

dern zugleich ein Bruch in der Tradition. Bis z u m Stadium unmittelbar vorher 654

856

eM

β5Τ

Die Christi autem generatio-Zeile wurde in insularen Handschriften zur gleichwertigen Initialseite ausgebildet, weil sie Beginn der ersten Weihnachtsperikope war. Sie galt als der eigentliche« Evangelienanfang: vgl. McGurk, 257 f. Vgl. H. Jantzen, »Das Wort als Bild in der frühmittelalterlichen Buchmalerei«, Historisches /ahrbuch, 60 (1940), 507—513; auch in: idem, Uber den gotischen Kirchenraum und andere Aufsätze, Berlin 195 t, 53—60. Nach Kendrick, 96, flg. 10, korrigiert in Τ. 40ά (s. u. Anm. 659). Hinzugefügt ist das Evangeliar in Lichfield, p. 5 (Zimmermann, T. 245b) : es steht in der Entwicklung zwischen Lindisfarne und St. Gallen 5t. Vgl. noch Meyer, in: Luce et al., op. cit. (s. Anm 293), 116 β., figs. 30-35· Von den zahlreichen Literaturerwähnungen des Chi in Keils sind drei im Zusammenhang der Frage nach der Bedeutung zu nennen. Henry, 190, nimmt an, »the XP page seems to brim over into subtle intentions«. Die vorliegende Untersuchung folgt dieser treffenden Formulierung. Mlle. Henry glaubt jedoch, jene Intentionen bezögen sich auf »the pagan past«. A. Schardt, Das Initial, Berlin 1938, 14 ff., sucht in einer umfangreichen Interpretation des Chi eine Art psychologischen Ausdrucks germanischer oder keltischer Nationalcharaktere unmittelbar aus dem Stil abzulesen, ohne sich mit den künstlerischen Traditionen im einzelnen oder mit den konkreten historischen Voraussetzungen zu befassen. Eine Interpretation in der Art der o. Anm. 1 zitierten gibt C. Nordenfalk, in: A. Grabar u. C. Nordenfalk, Die großen Jahrhunderte der Malerei: Das frühe Mittelalter, Genf 1957, 1 1 8 : die Chi-Initialseite steht hier als Paradigma für die Feststellung, »daß das insulare Buchomament . . . nicht nur heidnischer Herkunft, sondern fortwährend heidnischen Geistes ist. Es ist fast grausam in seiner unerbittlichen Stilisierung, bar-

147

(T. 4od) wurden das ih o und das i annähernd proportional zusammen mit dem Chi vergrößert; hier dagegen sind sie relativ verkleinert und stehen nicht mehr auf derselben Zeile mit dem Chi, sondern unten auf dem Blatt. Die Buchstabengruppe Xpi ist nicht mehr als formale Einheit aufgefaßt; das Chi steht für sich allein, reicht über die gesamte Seite und ist zum beherrschenden Thema erhoben668. Auch der Umriß des Initials weicht ab von der Tradition. Ein allseitig vorspringender Rhombus ist ins Zentrum gesetzt, offenbar auf der Grundlage der rhomboiden Schnittlinien im Stadium vorher (T. 4od)eM. Er ist gefüllt mit einem konzentrischen Muster aus verschlungenen Tieren und vier menschlichen Figuren, die mit Kopf und Schultern hinausreichen in die Arme des Chi (T. 42). Diese Tiere und Menschen sind spezifische Ornamentmotive des Book of Keils; kein Chi vorher hat eine konzentrische Gruppierung des Ornaments im Schnittpunkt; der Rhombus und sein Inhalt resultieren also aus derselben Prozedur, die das Chi in Keils abhebt von seinen Vorgängern in der Tradition6®0. Die Einführung der neuen Formen koinzidiert mit dem Bruch der Buchstabengruppe Xpi und der Erhebung des Chi zum zentralen Thema. Beide Phänomene sind offenbar Aspekte eines Vorgangs. Die vier menschlichen Figuren gehören nicht zum Repertoire des lebendigen Flechtwerkornaments im Book of Keils. Dieses besteht aus drei festen Typen: Vögel, Vierfüßler und Reptilien, es enthält aber niemals Menschen, mit einer Ausnahme, der Achtkreisseite (Τ. 47α)ββι. Nur hier und im Chi sind

868

659

880

861

148

barisch überladen, phantastisch, wild — Eigenschaften, die alles spezifisch Christlichen entbehren. Und doch erfüllt diese Kunst mit einem großartigen Paradox ihren Zweck . . .« Eine entgegengesetzte Entwicklung derselben Tendenz zur Expansion erscheint in dem Evangeliar in Rom, Biblioteca Vaticana, Ms. Barb. lat. 570, fol. r8r (2. H. 8. Jh., Zimmermann, T. 315b; CLA, I, 63: England, 8. Jh.): alle drei Buchstaben sind gleichmäßig zu voller Seitengröße vergrößert, so daß das Initial Chi kein optisches Ubergewicht mehr hat. In Kendricks Zeichnung sind diese Schnittlinien ausgelassen,· in Τ. 40ά sind sie eingezeichnet. Es fällt auf, daß die Chi-Seite des Evangeliars St. Gallen 51 (p. 7, Zimmermann, T. 187b) zwar durch die Ausdehnung der Buchstaben und die rhomboiden Schnittlinien das fortgeschrittenste Stadium der Entwicklung unmittelbar vor Keils repräsentiert, daß jedoch die ornamentale Ausführung sehr einfach ist. Der Grund liegt wahrscheinlich darin, daß diese provinzielle Handschrift eine Komposition wiedergibt, die in einem der insularen Zentren entwickelt wurde und dort ursprünglich mit differenzierterer ornamentaler Ausgestaltung verbunden war. Im sog. >Garland of Howth«, Dublin, Trinity College Library, Ms. Α. IV. 6., ρ. 1 (Vetusta Monumenta, VI, London 1885, PI. XLV), einer späteren irischen Handschrift um 900, erscheint (über einem Rechteckbild mit zwei Figuren) ein relativ kleines Chi-Initial, ebenfalls mit zentralem Rhombus, der aber nur aus einfachem Bandgeflecht besteht. Wahrscheinlich geht diese Form zumindest indirekt auf das Chi im Book of Keils zurück, das, in seiner hervorragenden Stellung innerhalb der frühen insularen Buchmalerei, zweifellos auf die spätere irische Tradition gewirkt hat. Fol. 33r (Zimmermann, T. 177) Sullivan, T. VIII): in den beiden mittleren Kompartimenten, deren Form ebenfalls im Zusammenhang mit der Bedeutung dieser Seite zu untersuchen ist.

die Menschen mit den Tieren durch und durch verflochten zu einem integrierten Muster; sonst stehen ornamentale menschliche Figuren mehr für sich, als geschlossene Motive; so enthalten die Säulen einer Kanontafel Wechselreihen von Menschen und Vögeln, die zwar verflochten sind, aber klar voneinander abgesetzt durch Umriß und Farbe8®2. Die Integration von menschlichen Figuren ins Tiergeflecht ist also eine Abweichung von der dekorativen Praxis. Komponiert sind sie so, daß das untere Paar mit den Köpfen abwärts >hängtantipodischen< Komposition des Rhombus. Diese Kompositionsform ist ebenso isoliert im Ornamentrepertoire des Book of Keils wie die Integration von Menschen ins Tiergeflecht; die Gruppe erscheint als besonderes Motiv, das sich nur aus der spezifischen Ausgestaltung des Chi erklären läßt. Die Figuren scheinen zu zwei Paaren auf horizontalen Ebenen gruppiert; tatsächlich stehen sie sich aber diagonal gegenüber in den Armen des Chi. Diese Komposition folgt der Kreuzform des Initials; sie ist nur halb verdeckt durch die oblonge Dehnung des ganzen Musters und durch die Verschlingung der Figuren, deren Beine vor- und zurückgebogen sind. Die Kreuzgruppierung aber enthüllt die Herkunft des Motivs: antipodisdhe Figuren im Kreuz haben eine vorkarolingische Tradition, die zuerst an langobardischen Goldkreuzen des 7—8. Jh.s aus Italien (T. 440)™4 erscheint, dann im Kreuz auf dem Lindauer Buchdeckel, um 800e®5. Auf einem der langobardischen Kreuze (Τ. 44b)eee erscheinen die antipodischen Figuren in einer Keils ähnlichen Stilisierung: mit gebeugtem Profilkopf, Arme und Oberkörper gedehnt zum Band, das die eigene Hand ergreift, verschlungen mit den Bändern des Ornaments. Wahrscheinlich geht das Motiv in Keils auf ein solches Kreuz zurück. Die Bedeutung der Figuren auf den langobardischen Goldkreuzen ist noch unbekannt®®7. Aber es genügt, den generellen Sinn der antipodischen Figurengruppierung zu bestimmen6®8. Sie erscheint inhaltlich bezeichnet in Zentral983

903

666

β6β

β6Τ

Fol. 2r (Zimmermann, T. 166) ¡ ebenso in den Textinitialen, wo die menschlichen Figuren noch stärker deformiert sind: vgl. T. 46b. Vgl. das obere Rechteck in dem Rahmenstück rechts unter dem Chi; auch fol. 27ν (Zimmermann, T. 174; Sullivan, Pl. IV), rechte obere Ecke. Bologna, Museo Civico: Fuchs, op. cit. (s. Anm. 518), T. 5, Nr. }¡ vgl. ibid., T. 3, Nr. 1 und p. 66, Nr. 6—11. New York, Pierpont Morgan Library, M. 1: M. Harrsen, Central European Manuscripts in the Pierpont Morgan Library, New York 1958, 8 f. mit Bibliographie, Farbtafel 3. C. Mutinelli, »Das langobardische Gräberfeld von S. Stefano in Pertica bei Cividale«, Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz, 8 (1961), 139—156, cf. 155. Fuchs, op. cit. (s. A n m . 518], 36, behauptet, sie stellten Christus dar. Z u r Bedeutung der langobardischen Goldkreuze im allgemeinen vgl. J. Deér, op. cit. (s. A n m . 32), 77 fi.

149

k o m p o s i t i o n e n der kosmologischen M i n i a t u r e n t r a d i t i o n : podische Figuren die vier W i n d e dar, die i n d e n v i e r stehen· 8 9 . D i e früheste antipodische W i n d r o s e sischen H a n d s c h r i f t v o n Isidors De natura

findet

hier stellen anti-

Himmelsrichtungen sich i n einer franzö-

r e r u m a u s d e m 9. Jh. (T.

440)*™.

Sie geht sicher auf ein früheres V o r b i l d zurück, o b w o h l die Schemata in den erhaltenen vorkarolingischen H a n d s c h r i f t e n v o n D e natura

rerum871

keine

derartigen Figuren enthalten. D a s M o t i v selbst jedoch ist identisch m i t dem auf d e n vorkarolingischen K r e u z e n . I n n e r h a l b der kosmologischen Bildtradition ist seine H e r k u n f t deutlicher e r k e n n b a r : es g e h t o f f e n b a r zurück auf die u m g e k e h r t e G r u p p i e r u n g v o n v i e r Figuren, m i t d e n K ö p f e n nach i n n e n statt nach außen, i n a n t i k e n Z e n t r a l k o m p o s i t i o n e n m i t >HimmelsbildDe Natura Rerum« «, Journal 65-97· 154

of the Walters

Art

Gallery,

19—20 (1956—57),

integriert, sondern standen in einem gewissen Gegensatz zueinander*"0. Die zweidimensional vorgestellte Idee des Kreuzes als Achsengerüst des viergeteilten oibis war unvereinbar mit dem astronomischen Sphärensystem. Viele >kosmisdie< Allegorien der altchristlichen und frühmittelalterlichen Exegese operieren nicht mehr mit wissenschaftlichen Vorstellungen, sondern mit zeichenhaften zweidimensionalen figuiae. Cassiodor löst in seinem Psalmenkommentar das Problem, wie die Erde, gemäß der Bibel, vier Enden haben und zugleich kreisrund sein könne, mit einer rein spekulativen geometrischen Demonstration: »Formam terrae ideo Scriptura orbem vocat, eo quod respicientibus extremitatem eius circulus semper appareat, quem circulum Graeci όρίζοντα vocant. Quatuor autem cardinibus eam forman dicit, quia quatuor cardines, quatuor ángulos quadrati significant, qui intra praedictum terrae circulum continetur.« Dieses Quadrat wird dann auf die vier Himmelsrichtungen bezogen6®1. Ein ähnliches Denken ist bei dem Künstler vorauszusetzen, der mit den Kategorien theologischer Allegorie das Chi als >Himmelskreuz< verstand. In jenem Denken konnte der zentrale Rhombus als Zeichen für den viereckigen oibis gesehen werden893, ähnlich wie er in der karolingischen Miniatur für den mundus tetragonus stand. Während er dort das ganze Bild umfaßt, ist er hier klein ins Diagonalenkreuz gesetzt, und insofern das Diagonalenkreuz die forma quadrata mundi bezeichnet, entspricht diese Relation der Definition »terra est in media mundi regione posita« aus den kosmologischen Traktaten693. Der kosmologjsche Gedanke ist jedoch veranschaulicht innerhalb einer nichtwissenschaftlichen Formentradition69,1 : die Differenz wird deutlich daran, daß die Rhombusecken nicht mit den Kreuzachsen zusammenfallen. In einer astronomischen Handschrift des 9. Jh.s (T. 4sb)em findet sich ein Quadratschema mit Kreisen an den Ecken, das den karolingischen Rhombusbildern entspricht und die schematische Teilung der Erde in die drei Kontinente darstellt, mit den vier Winden in den Kreisen. Dieses Diagramm zeigt

eoo vgl. J. Fontaine, Isidore de Séville et la culture classique dans l'Espagne wisigothique, Paris 1959, 541 ff. «·» Expos, in Ps„ XCV, CCL 98, 869. 882 Dies setzt die Entwicklung des Rhombusmotivs aus quadratischen Prototypen voraus, vgl. Anm. 680. Die frühmittelalterliche Affinität von oibis und mundus, die in der Idee der Himmelskuppel (s. o. S. 14) begründet ist, erscheint auch in Texten über das >Himmelskreuzc vgl. die oben S. 127 zitierten Verse des Sedulius. 893 Isidor, op. cit. (s. Anm. 683), XIV, 1, 1. 884 Zur grundsätzlichen Verschiedenheit der frühmittelalterlichen >HimmelsbildQuaternenErfüllung< der Erde durch die Menschen im Denkschema der vier Himmelsrichtungen 699 , und der Rhombus selbst als Zeichen für den orbis. Der Text bestimmt die begriffliche figura des orbis inhabitatus zeitlich durch die Idee der vier Jahreszeiten: »Quatuor quoque temporum articulis aniversario ordine distinguitur, atque impleto anni spatio, terreni orbis dispensario semper sine cessatione in circulum redigi tur.« Die Interrelation zwischen der Raumausdehnung des orbis und seiner zeitlichen dispensatio erinnert an die Verwendung derselben antipodischen Figuren für die Windrose und den Jahreszeitenkreis in der Isidor-Handschrift in Laon.

β9β v g l . Meyer, op. cit. (s. A n m . 687), 76 f., w o Cassiodors Text in der Fassung v o n Rabanus M a u r u s zitiert ist. 897

698

699

156

Z u m mittelalterlichen Denksdiema der >Quaternenliber de ordine creaturarum««, Sacris eruditi, 5 ( 1 9 5 3 ) , 1 4 7 — 1 6 6 ; P. Grosjean, ibid., 7 ( I 955), 96 f. Information über die Texttradition u n d die zitierten Literaturangaben verdanke ich Dr. Hillgarth. Die zitierten Stellen sind aus Kap. XI, PL 83, 942 f. S. A n m . 86.

Bis zu diesem Punkt trägt die Interpretation der Motive aus ikonographischen Traditionen und ihrer Integration. Der Rhombus enthält aber zugleich die ornamentalen Tiere: sie sind durch und durch verflochten mit den antipodischen Menschen, die ebenso wie sie bandförmig auseinandergezogen und verschlungen sind, und bilden mit ihnen ein farbig integriertes Muster 700 . Sind Menschen und Tiere auf der Ebene des Gehalts zu trennen, so daß allein die Menschen Inhalt wären, die Tiere Dekoration? Oder sind in diesem zentralen Bereich der von Bedeutung bestimmten Komposition die Tiere ebenfalls inhaltlich zu verstehen? Die bisherige Interpretation beruhte auf einer Isolierung ikonographischer Elemente aus dem ornamentalen Repertoire,· diese Unterscheidung würde hier scheinbar aufgegeben, da die insulare Tierornamentik im allgemeinen und auch die realistischere Tierornamentik im Book of Keils keine ikonographischen Gehalte erkennen lassen. Aber es wäre möglich, daß in die Bedeutungsintention des Initials auch ursprünglich ornamentale Elemente einbezogen sind. Grundsätzlich ist es schwer denkbar, daß die vielfältig geformten, lebendig bewegten Tiere im Book of Keils, auch wenn sie typisiert sind, in der Vorstellung der Maler nichts weiter gewesen wären als indifferente ornamentale Formeln. Insbesondere ihre Verschlingungen mit menschlichen Figuren in den Textinitialen (T. 46b) zeigen, daß Ornamentfunktion und Darstellung sich hier nicht ausschließen. Andererseits zeigen die Menschen im Rhombus, die in Keils üblichen Profilmännchen in antipodischer Komposition, wie inhaltliche Bedeutung erst durch besondere ikonographische Strukturierung zustande kam. Eine solche Struktur ist in der Tat auch im Tierornament des Rhombus zu erkennen. Es weicht ab von der gängigen Form der Tierornamentation in Keils. Alle drei Tiertypen: Reptilien, Vierfüßler und Vögel, sind integriert in einem zentralisierten Muster. Diese vollzählige Kombination findet sich in der ganzen Handschrift nur noch an drei Stellen, und zwar stets in zentralisierten Mustern (T. 47b)701. Die zentralisierte Kompositionsform hängt offenbar grundsätzlich zusammen mit der vollständigen Zahl der Tiere. Zentralkompositionen mit drei Tieren jedoch sind in der gesamten vorkarolingischen Ornamentkunst äußerst selten702. Sie 700

701

702

Das Muster ist zweifarbig (vgl. die Farbtafeln bei A l t o n u. Meyer, op. cit. [s. A n m . 439] und Sullivan, Pl. IX): die Mensdien und die Vögel sind vorwiegend blaßlila, in Teilen aber auch hellgelb, die Vierfüßler und Reptilien sind gänzlich hellgelb. Eine derartige Gruppierung erscheint zwisdien C h i und rho, zwei andere im Q der LukasInitialseite (s. A n m . 673): die eine, besonders auffällig, im Kreis unten, die andere im Rhombus darüber,· beide enthalten auch Pflanzen. Vgl. audi das Bild der vier Evangelistensymbole vor Matthäus, fol. 27V, und die Achtkreiseseite, fol. 33t (Zimmermann, Τ. Γ74, 177; Sullivan, Pis. IV, Vili), in denen die drei Tiertypen symmetrisch in der zentralisierten Komposition verteilt sind; fol. 27V hat auch Felder mit Mensdienfiguren. Vgl. die kreisförmigen Nadelköpfe v o m River Witham, 8. Jh. (Kendrick, PI. 71), die in einer Kreuzteilung vier verschiedene Tiere zeigen. Andere Parallelen in vorkarolingisdier Metallarbeit ließen sich nicht finden. 157

finden sich dagegen in der Emailverzierung von drei kontinentalen liturgischen Geräten aus der 2. H. 8. Jh. Die Rückseite des Bursen-Reliquiars von Enger™ und die fränkische (?) Platte, die 910 in die >Caja de las Agatas< von Oviedo™ eingearbeitet wurde (T. 43b), zeigen in einem Zentralmuster drei deutlich unterschiedene Typen von Tierfiguren : Vögel, eine mehr oder weniger reduzierte Art Vierfüßler, sowie als drittes Tier in Enger Fische, in Oviedo eine Art Reptil. Die Muster selbst hängen zusammen mit der Tradition der abstrahierten >HimmelsbildHimmelskreuzesDimensionen< des vom Kreuz umfaßten Kosmos beziehen: vgl. Epideixis, 34 (s. o. Anm. 42). 7 *° Adv. haer., III, i6, 6, ed. Sagnard, 292. Der Schluß bezieht sich auf Joh. 12: 32. Zur Interrelation zwischen Rekapitulation und universaler Kirche vgl. G. Wingren, Man and the 165

sich in der Zahl 46 symbolisiert Vor allem aber hat seine Entwicklung an dem Initial der Weihnachtsperikope eine genaue Entsprechung in Adversus haereses. Irenaus interpretiert den Beginn des Matthäustextes durch einen Verweis auf Johannes, um Christus essentiell abzuheben von seinen Vorgängern in der Generationenfolge: »Et quoniam Iohannes unum et eundem novit Verbum Dei et hunc esse Unigenitum et hunc incarnatum esse pro salute nostra, Iesum Christum Dominum nostrum, sufficienter ex ipsius Iohannis sermone demonstravimus. Sed et Matthaeus unum et eundem Christum Iesum cognoscens, earn quae est secundum hominem generationem eius ex Virgine exponens . . . ait: >Liber generationis Iesu Christi, filii David, filii Abrahame Ceterum potuerat dicere Matthaeus: >Iesu vero generatio sie erat.< Sed . . . ait: >Christi autem generatio sie erat< et quoniam hic est Emmanuel, ne forte tantum eum hominem putaremus .. .«Tde ventre David< suscitatur Rex aeternus qui >recapitulatur omnia in seZweite< entspricht (1. Kor. 15: 45—47). »Si igitur >primus Adam< habuit patrem hominem et ex semine viri natus est, merito dicerent et secundum Adam ex Ioseph esse generatum. Si autem ille >de terra< quidem sumptus est et Verbo Dei plasmatus est, oportebat id ipsum Verbum recapitulationem Adae in semetipsum faciens, eiusdem genera tionis habere similitudinem™3.« Die Verbindung der kosmischen recapitulatio mit der geschichtlichen Reihe der menschlichen Generationen ist ein entscheidendes Argument bei Irenaus; die Beziehung dieses Gedankens zur Adam-Theorie ist ausführlich dargelegt in dem folgenden Kapitel über die Genealogie bei Lukas (3: 23—38), die zurückgeht bis auf Adam, »finem coniungens initio, et significans quoniam ipse est qui omnes gentes exinde ad

Tö ΤΛ



166

Incarnation. A Study in the Biblical Theology of St. Irenaeus, Edinburgh u. London 1959, 170 S. Die Idee des Tempels erscheint jedoch nicht in diesem Zusammenhang. Ibid., ΙΠ, 1 6 , 1 , op. cit., 278 ß. Ibid., ΠΙ, il, 9, op. cit., 370. Ibid., III, l i , 10, op. cit., 371.

Adam dispersas et universas linguas et generationem hominum cum ipso Adam in semetipso recapitulatus est. Unde et a Paulo >typus futuri< (Rom. 5:14) dictus est ipse Adam ; quoniam futuram circa Filium Dei humani generis dispositionem in semetipsum Fabricator omnium Verbum praeformaverat, praeformante Deo primum animalem hominem videlicet uti ab spiritali sai vare tur744.« Dieser Satz erscheint wie eine Zusammenfassung des Bedeutungsgehaltes des Chi in dessen Position im Buch am Ende einer Genealogie Christi. Es liegt nahe, die ikonographische Ausgestaltung der Initialseite auf den Irenäustext zurückzuführen; es bleibt allerdings ein Problem, in welcher Form die Gedankengänge des Irenaus in dem unbekannten Kloster, in dem das Book of Keils gemalt wurde, gegeben waren, ob Adveisus haeieses dort gelesen worden ist. An einer Stelle des Buches wird die Manifestation des Schöpfers durch den Namen Christi mit der Metapher eines gemalten Bildes erklärt: »Quemadmodum si quis rex ipse filii sui pingat imaginem, iuste suam illam dicit imaginem secundum utrumque, quoniam et filii eius est, et quoniam ipse fecit earn: sic et Iesu Christi nomen, quod per universum mundum glori ficatur in Ecclesia, suum esse confitetur Pater, et quoniam Filii eius est, et quoniam ipse scribens id, ad salutem dedit hominum748.« Kam von der Idee des geschriebenen Namens als imago der Impuls, das nomen sacrum in ein zeichenhaftes Bild des inkarnierten Christus zu verwandeln, hinauszugelangen über die Vorschrift »nomina Dei comprehensive debent scribi, quia nomen Dei non potest litteris explican«746 und die im Buchstaben verschlüsselte Idee erkennbar zu machen durch jenes Bild? 4. Die Beziehung auf die imago Dei Die Eigenart jenes aus der Schrift entwickelten zeichenhaften Bildes zeigt sich pointiert an seinem Thema, der Inkarnation Christi. Die frühchristliche Bildertheologie, die auf der antiken Konzeption einer realistisch abbildenden Kunst beruhte747, rechtfertigte den Anspruch der Malerei, Gott darzustellen, mit der Erscheinung Christi in menschlicher Gestalt. Die Inkarnation wurde seit dem 7. Jh. zum Hauptargument für die abbildhafte christliche Malerei mediterraner Tradition748; dabei galt der unmittelbare Inhalt der Bilder, leben744 746

Ibid., III, 11, 3, op. cit., 378. Ibid., IV, 17, 6; ed. Harvey, II, 100.

746

Christian von Stavelot (2. H. 9. Jh.), Exp. in Mat., PL 106, 1 2 7 8 D ; vgl. Leclercq, op. cit. (s. Anm. 681), 1479.

747

S. o. Anm. 395.

748

Ladner, op. cit. (s. Anm. 388), 77s {., vgl. J. Kollwitz, s. ν. »Bild III (christlich)«, RAC, II (1954), 318—341, cf. 324 f., 336; nach G. Ostrogorsky, Studien zur Geschichte des byzantinischen Bildcrstreites, Breslau 1929, 79, nicht vor dem 6. ökumenischen Konzil 680,· vgl. hierzu auch L. Koch, in Benediktinische Monatschrift, 20 (1938), 438.

167

dige Figuren, als notwendige Vermittlung des Göttlichen, das direkt nicht faßbar war. Gegen diese Konzeption kontrastiert das irische Bild des inkarnierten Christus, jener Versuch, jenseits menschlicher Gestalt die Idee des präexistenten, kosmisch-schöpferischen Veibum mit halbabstrakten Zeichenformen zu umschreiben. Diese Idee als solche ist, nach der altchristlichen Theologie, dem Denken unfaßbar und erst offenbar geworden durch die Erscheinung des Verbum als Mensch in dieser Welt (s. o. S. 138)749. Das Chi wird dem gerecht, insofern es durch seine Position in der Matthäusperikope der Geburt die Inkarnation bezeichnet, aber die Intention des Malers richtete sich allein auf jene kosmische Idee; für den menschlichen Körper steht nicht dessen Abbild, sondern das Paar der kleinen Vierecke mit den 46 Rosetten. Die Bedenken der Bildertheologie gelten nicht für diese Art der unbildhaften Malerei: sie kann dem Gedankengang der vierten Weihnachtspredigt Bedas folgen, die auf der Textgrundlage des Johannesprologs die kosmische Dimension des Veibum expliziert750. Theologische Ideen sind unmittelbar umgesetzt in die glasklare Textur aus Zeichenformen, Schrift und Ornament. Sie sind der Gehalt eines künstlerischen Denkens, das sich reflektiert in der zugleich fantastischen und rationalen Präzision des Stils. Nach der altchristlichen Theologie ist die kosmische Schöpfungsordnung dem Menschen erkennbar durch seine rationale Seele, die, geschaffen ad imaginem Dei, die Schöpfung in ihrem christologischen Sinn erfaßt 751 . »Ea [sc. anima] est ad imaginem dei quae non corporeo aestimatur, sed mentis vigore, quae absentes videt, transmarina visu obit, transcurrit aspectu, scrutatur abdita, hue atque illuc uno momento sensus suos per totius orbis fines et mundi secreta circumfert. . ,T62.« Die Sonderstellung des nach der imago Dei geschaffenen Menschen in der Schöpfung, die ihm deren Erkenntnis möglich macht, ist im Chi dargestellt durch die Position der antipodischen Figuren (s. o. S. 161). Sie ist in Bedas vierter Weihnachtspredigt im Anschluß an Joh. 1:4 formuliert: » >Et vita erat lux hominum.< Quo verbo aperte docetur quod ipsa Vitalis ratio per quam omnia disposita sunt et regunturnon omnem creaturam sed rationabilem tantum ut sapere possit inluminat. Homines namque qui ad imaginem Dei facti sunt pereipere sapientiam possunt animalia non possunt753.« Die Erkenntnisfähigkeit der rationalen Seele erfüllt sich durch die 749

Vgl. A n m . 620.

750

S. A n m . 728.

751

Vgl. Augustin, De Trin., X V , 20, 39, PL 42, 1088; vgl. V. Warnach, in Augustinus I, Paris 1954, 448; O. Perler, Der Nus bei Plotin und das Verbum bildliche

Ursachen

bei Augustinus

Magister, als vor-

der Welt, Freiburg (Schweiz) u. Paderborn 1 9 3 1 , 28 ff. Z u m zugrunde

liegenden Begriff der imago Dei s. o. S. 94 f. 762

Ambrosius, Exameron,

VI, 8, 45, C S E L 32/I, 236; die folgenden Sätze beziehen sich auf

die heilsgeschichtliche Erneuerung der imago 753

Dei.

Op. cit. (s. A n m . 728), 54; vgl. auch den weiteren Text. Die Quelle ist Augustin, In Io. ev. tract., I, ι, 18, C C L 36, i o ; vgl. ibid., III, i, 4, p. 20.

168

Inkarnation als Offenbarung des Veibum in dieser Welt. Das Motiv der Menschen zwischen Orbis und >Himmelskreuz< im Chi bezeichnet demnach im Bilde selbst die theologische Begründung der künstlerischen Intention. Das heilsgeschichtliche T h e m a und die anthropologische Idee, die es für den Künstler faßbar macht, durchdringen sich im selben Gedankengang. Es ist aufschlußreich für die Beziehung des Chi zu Adversus haereses, daß bei Irenaus die Erneuerung der Schöpfung durch die iecapitulatio in Christus und deren Erkenntnis durch den gottebenbildlichen Menschen in einem heilsgeschichtlichen Prozeß systematisch verbunden sind 754 . Irenaus interpretiert Kol. 3 : 1 0 : » >Et induentes novum hominem, eum qui renovatur in agnitionem, secundum imaginem eius qui creavit eum.< In eo ergo quod ait, >Qui renovatur in agnitionemSecundum imaginem conditoris2. Synode des heiligen Patrick· 36 Tabernakel 55, 56 f., 63 Taschen-Evangeliare, irische 15 Taufbecken 1 1 2 T a u f e 9, 20 f., 27, 28 f., 33, 34 f., 39, 47 ff., 51 f., 76 f., 78, 84 Tempel 22, 26 f., 28 f., 33 ff., 40, 43, 48 f., 55, 56 f., 63, 67, 77, 83, 1 1 4 , 164, 173 Theodor von Canterbury 51 —, Poenitentiale 48, 50 Theophanie 9 , 1 6 , 55, 56 f., 62, 81 T h r o n 108 ff., 1 1 3 — f ü r das Evangelienbuch 108 —, leerer 1 1 2 Thronfiguren, spätantike 45 Tierkreis 24 181

Tierornament 85, n o , 148 f., 157 Titulus des Kreuzes 54 T o n g e f ä ß mit vier Kreuzen, fränkisch 1 1 7 Tonsur 35, 40, 50, 51, 69 f., 74, 83, 84 —, irische 69, 84, 1 4 1 Tradition, künstlerische 147 T u n i k a 56, 58 f. Typologie 55 f. Umfassungsfigur 107, 120 ff., 129, 138, 162, 1 7 1 ff. Verbum 128, 130, r38 f., 143, 163, 165, 168 f., 1 7 1 , s. auch Logos verhüllte Hände 41 Victorien r 2 i vier Kreuze 104, n r ff., 1 2 1 , 124, r 2 8 , 1 2 9 , 172 Viereck, konkaves 22 ff., 29, 33, 35, 37, 163, 173 Vierfüßler 148 f. Vision 134 f., 1 3 7 , 143, 145 f., 1 5 2 , 1 7 2 —, eschatologische 67 f., 72, 73, 78, 81, 83, 93, 96, 140 f. — Jakobs 94 vita angelica 67 f., 70, 78, 83, 96 vita contemplativa 1 4 0 , 1 7 1 vita theoreticû 95 Vögel 148 f. vollkommener Mönch 47

182

Vorreden s. Prologe zu den Evangelien Vulgata 5 t Wearmouth-Jarrow 45, 50, 97 Weihnachtsliturgie 17, 18 f., 21 Weihnachtsperikope r66 Weihnachtsvigil 163 'Weisheit!, jüdische 125 Weltabkehr 36 Weltenden, vier 22, 1 1 2 , 127 Weltgericht 80 Whitby, Synode 50, 141 Wiedergeburt 78 Wilfried 1 4 1 W i n d e 160 f. Windrose 1 1 4 , 1 1 9 , 1 5 0 , 156 Würzburger Paulusbriefe mit Glossierung 72, 127, r28, 129, 145 f. Z a h l e n s y m b o l i k 8, 22, 26, 43, 90 - der Z a h l 46: 22 f., 28, 56 f., 61, 77, 82, 83, 165, 166, 168, 173 — der Z a h l 100: 36 ff., 38, 40, 47 f. Zeichen 43, 83, 90, 1 1 6 , 1 1 8 Zelleinlage 109 Zentralbau 1 1 2 Zentralbilder 1 2 f., 24 f., 29, 80, i n , 154 Zentralkomposition 1 4 , 1 1 8 , 150 f., 157 f., 160 f. Z i b o r i u m 1 1 3 , 1 1 9 , s. auch Baldachin

Verzeichnis der Abbildungen 1. Paris, Bibliothèque Nationale, ms. lat. 9389, fol. 75V, Evangeliar aus Echternach; Northumbria, i . V . 8. Jh. ; Symbol des Evangelisten Markus. 2. a) Trier, Domschatz, Nr. 61 (134!, fol. i v , Evangeliar aus Echternach,· Echternach (?), 8. Jh.; Frontispiz. b) Laon, Bibliothèque Municipale, Ms. 1 3 7 , Orosius, Historíae, fol. ι ν ; fränkisch, M . 8. Jh.; Frontispiz. 3.

a| Ehemals Littlecote Park, Wilts, römisches Bodenmosaik; Apollo mit Kithara. b) Wolfenbüttel, Herzog August-Bibliothek, 3. I. 900, Aug. fol., fol. 284V, Evangeliar; Syrien, datiert 634; Titelblatt.

4. Evangeliar aus Echternach (s. T. 1), fol. ι 8 ν ; Symbol des Evangelisten Matthäus. 5. a) Dublin, Trinity College Librar/, Ms. 59 (Α. IV. 23), p. 30, Dimma-Evangeliar ; Irland, 2. H. 8. Jh. ; Evangelist Markus. b] Vieh, Museo Episcopal, westgotischer Gürtelbeschlag, aus der Provinz Burgos |?), i . H . 7 . Jh. c) Washington, Freer Gallery of Art, koptischer Buchdeckel mit Wachsmalerei, 1. H. 7. Jh. ; Evangelisten. 6.

a) Vergrößerter Ausschnitt aus T a f e l 4. b) London, British M u s e u m , Schwertknopf mit Email aus dem Fund von Sutton Hoo; Südengland, 2. H. 7. Jh. c| Dublin, Trinity College Library, Ms. 57 (Α. IV. 5.), fol. 192V, Book of Durrow,· Irland oder Northumbria, E. 7. Jh. ; Ornamentseite vor Johannes, vergrößerter Ausschnitt.

7. a) Ehemals Tivoli, Hadriansvilla, römisches Deckengemälde, M . 2. Jh. b| Ehemals Lea bei Shrewsbury, Shrops, römisches Bodenmosaik. c) Paris, Bibliothèque Nationale, ms. lat. 6413, fol. ir, Isidor, De natura rerum; frankreich, M. 8. Jh.; Schema zu Kapitel VII, 4. d) Istanbul, Hagia Sofia, Blick in die Kuppel, M. 6. Jh.

Nordost-

8. a) Paris, Bibliothèque Nationale, ms. lat. 12168, fol. i v , Augustin, Quaestiones in Heptateuchum; Nordostfrankreich, M . 8. Jh. ; Frontispiz. b) London, British M u s e u m , altchristliches Goldglas; Christus zwischen 4 Büsten. c) Cambrai, Bibliothèque de la Ville, ms. 684 (624), fol. 132V, Gregor von Tours, Historia Francorum,· Ostfrankreich, i . H . 8. Jh. ; Christus-Monogramm. 9.

a) Fragmentiertes Relief v o m altchristlichen Friedhof in Marusinac, ca. 5. Jh. b) Kapitell der Basilika A in Philippi, u m 500. c| Budapest, Ungarisches N a t i o n a l m u s e u m , altchristliche Gürtelschnalle. d) Köln, Dombibliothek, Cod. 2 1 2 , fol. 167V, Kanonsammlung etc.; Frankreich, datiert 590-604; Basis eines Bogenrahmens (Ausschnitt). e) Algier, Musée Stephane Gsell, altchristliche Silberampulle mit Christus-MonogTamm.

10. a) Mailand, Biblioteca Ambrosiana, Cod. D. 23. sup., fol. ιν ( · Orosius, Historiae; 7. Jh.; Frontispiz.

Irland,

183

b) St Paul im Lavan tal (Kirnten), Archiv der Benediktinerabtei, i/i Ambrosius, De fide, Italien, 2. H. 5. Jh.; Christus zwischen Aposteln.

(25.3.19),

fol. 72V,

11. London, British Museum, Cotton Nero D. IV., Lindisfame-Evangeliar; Lindisfame, um 698 (?). a) fol. 26V, Kreuzseite zu Matthäus. b) fol. 2 0 9 V , Evangelist Johannes. 12. Vergrößerter Ausschnitt aus Tafel 4. 13. a) Madrid, Real Academia de la Historia, Theodosius-Missorium, datiert 388 (Ausschnitt): der thronende Kaiser verleiht das Kodizill. b) Florenz, Biblioteca Laurenziana, Codex Amiatinus 1, fol. 796V; Wearmouth-Yarrow, E. 7. Jh. ; thronender Christus zwischen Engeln (Ausschnitt). 14. Durham, Cathedral Library, Ms. A. II. 17, fol. 38*v, Evangeliar-Fragment; Northumbria, i. V. 8. Jh. ; Kreuzigung. iS- Dublin, National Museum of Art, Bronzeplatte aus Athlone; Irland, 8. Jh.; Kreuzigung. 16. Ausschnitt aus Tafel 14. 17. a) Monza, Collegiata S. Giovanni, Nr. 12, Ampulle aus Palästina, E. 6. Jh. ; Kreuzigung (Ausschnitt). b) Harvard, Dumbarton Oaks Collection, Nr. 183, goldenes Pektoralkreuz aus Ägypten, E. 6. Jh. (Courtesy of the Dumbarton Oaks Collection). c) Camdonagh (Donegal), Steinrelief, 4. V. 7. Jh. ; Kreuzigung (Courtesy Commissioners of Public Works in Ireland). 18. a) Nachzeichnung der 46 Bögen im Körper Christi von Tafel 14. b) Nachzeichnung des linken Cherubs von Tafel 14, ohne das untere Flügelpaar. c) Cambridge, Corpus Christi College, Ms. 197, fol. ir, Evangeliar-Fragment; wahrscheinlich Northumbria, 1. H. 8. Jh.; Symbol des Evangelisten Johannes. 19. a) Ausschnitt aus Tafel 14: linker Cherub. b) Book of Durrow (s. T. 6c), fol. UV; Symbol des Evangelisten Matthäus (Ausschnitt). 20. a) Vergrößerter Ausschnitt aus Tafel 14: Kopf Christi. b) Vergrößerter Ausschnitt aus Tafel 14: Kopf des rechten Cherubs. 21. a) Vergrößerter Ausschnitt aus Tafel 4: Kopf der imago hominis. b) Vergrößerter Ausschnitt aus Tafel 14: Longinus. 22. a) Book of Durrow (s. T. 6c) fol. ii6v ; Symbol des Evangelisten Lukas (vergrößerter Ausschnitt). b) Evangeliar aus Echternach (s. T. 1), fol. 115V; Symbol des Evangelisten Lukas (vergrößerter Ausschnitt). 23. a) Vergrößerter Ausschnitt aus Tafel 4. b), c) Vergrößerte Ausschnitte aus Tafel 14. 24. Initial-Ligaturen am Beginn des Johannes-Evangeliums. a) Evangeliar-Fragment (s. T. 14), fol. ir. b) Evangeliar aus Echternach (s. T. 1), fol. ιγγτ. 25- Evangeliar-Fragment (s. T. 14), fol. 38 s r ; Sdiluß des Matthäus-Evangeliums. 26. Dublin, Trinity College Library, Ms. 58 (Α. I. 6.), fol. 291V, Book of Keils; Irland oder Northumbria, E. 8. Jh.; Evangelist Johannes. 27. Ebendort, fol. 28v ; Evangelist Matthäus.

184

28. Dublin, Trinity College Library, Ms. 60, Mulling-Evangeliar ; Irland, 2. H. 8. Jh.; Evangelistenbilder. a) p. 1 8 9 . b) p. 1 9 3 . 29. a) London, Lambeth Palace Library, Ms. Cod. 771, fol. 170V, MacDuman-Evangeliar; Irland, 9. Jh. (?); Evangelist Johannes. b) Ausschnitt aus T. 26. 30. a) München, Bayerische Staatsbibliothek, ehemals Gotha I 21, fol. 53V, Evangeliar aus Mainz; ι. H. 9. Jh.; Evangelist Markus. b) Berlin (Ost), Deutsche Staatsbibliothek, Cod. Phill. 1676, fol. 19Γ, Egino-Codex,· Verona (?), E. 8. Jh. ; Leo der Große (?). 31. a) Berlin (West), Staatliche Museen, Elfenbeinpyxis, um 400; thronender Christus (Ausschnitt). b) Steinthron aus dem Jeremiaskloster in Sakkarah, 7. Jh. (?). c) Qirqbizé (Syrien), altchristlicher Thronambo. 32. a) Liverpool, Public Museums, Kreisfibel aus Kingston,· Kent, 1. H. y. Jh. b) London, British Museum, römisches Mosaik aus Horkstow, Lincolns (Rekonstruktionszeidinung, nach Hinks). c) London, British Museum, Kreisfibel aus Faversham; Kent, 1. H. 7. Jh. 33. a) Ehemals Frampton, Dorset, römisches Mosaik. b) Kairo, Koptisches Museum, Nr. 1343, tragbarer Bronzethron mit Baldachin, 10. Jh. 34. a) Dublin, Chester Beatty Library, Ms. 17, fol. iv, Evangeliar aus Stavelot; um 1000; Umfassungsfigur. b) Solidus Konstantins I; Trier 315 A. D. ; Victoria mit Clipeus. c) El Escorial, Cod. Vitr. 17, fol. 62V, Goldenes Evangelienbuch Heinrichs III; Echternach, 1 0 4 5 - 1 0 4 6 (?); Engel mit Tafel. 35. a) Trondheijm, Videnskabers Selskab Oldsaksamling, Bronzebeschlag,· Irland, 8. Jh. b) Lancaster, Abteikirche, Fragment eines Steinreliefs; 9. Jh. (?),· Christus am Kreuz. 36. a) Book of Keils (s. T. 26), fol. i r ; tierköpfige Evangelisten. b) Perugia, Biblioteca Capitolare, Ms. 2, Evangeliar; Italien, 8.-9. Jh.; Johannes empfängt sein Evangelium von Christus. 37. Ravenna, San Apollinare in Classe, Apsismosaik;datiert 549; der hl. Apollinaris sieht die Theophanie Christi (Ausschnitt). 38. a) Vergrößerter Ausschnitt aus Tafel 16. b) Dublin, Royal Irish Academy, Ms. D. II. 3., fol. i i v , Stowe-Johannesevangelium,· Irland, E. 8. Jh. (?); Evangelist Johannes. 39. a) Vergrößerter Ausschnitt aus Tafel 27. b) Book of Keils (s. T. 26), fol. 32V; Christus (vergrößerter Ausschnitt). 40. Entwicklung der insularen Chi-Initialseiten (nach Kendrick, ergänzt). a) Book of Durrow, fol. 23Γ. b) Lindisfarne-Evangeliar, fol. 291. c) Evangeliar in Lichfield, p. 5. d) Evangeliar S t Gallen 51, p. 7. e) Book of Keils, fol. 34Γ. 4r. Book of Keils (s. T. 26), fol. 34Γ; Chi-Initialseite. 185

4ΐ· Vergrößerter Ausschnitt aus Tafel 41. 43. a) Komposition der Mensdien und Tiere in Tafel 42 (Umzeichnung). b) Oviedo, Kathedrale, Cámara Santa, Caja de las Agatas, Deckelplatte ; fränkisch (?), 8. Jh. 44. a), b) Langobardisdie Goldblattkreuze, 7. Jh. a) Bologna, Museo Civico, aus Cividale. b) Cividale, Museo Archeologico Nazionale, aus S. Stefano in Pertica. c), d) Laon, Bibliothèque Municipale, Ms. 422, Isidor, De natura rerum; Frankreich, 9. Jh. c) fol. 5V, Windrose. d) fol. 6r, Jahreszeiten. 45. a) Ravenna, Erzbischöfliche Kapelle, Deckenmosaik; um 500; Engel mit Christusmonogramm. b) Wien, österreichische Nationalbibliothek, cod. 387, fol. i34r, astronomische Handschrift; Salzburg, um 818; Diagramm der Erdteile. c) Ehemals Smyrna, Evangelische Schule, cod. A. I, fol. jr, Oktateuch; byzantinisch, 12. Jh.; Erschaffung der Tiere. 46. Book of Keils (s. T. 26). a) fol. ιΐ4Γ; Textzierseite zu Matth. 27: 38. b) fol. 2 5 5 V ; Initial im Text. 47. Book of Keils |s. T. 26). a) fol. 33Γ; Achtkreise-Seite (vergrößerter Ausschnitt). b) fol. i88r ; Initialseite zu Lukas (vergrößerter Ausschnitt). 48.

186

Book of Keils (s. T.

26),

fol.

290V;

Kreuzseite mit Evangelistensymbolen vor Johannes.

BILDTAFELN

I

i

Evangeliar aus Echternach; N o r t h u m b r i a , ι. V. 8. Ih. ; S y m b o l des Evangelisten M a r k u s .

4

4

E v a n g e l i a r a u s E c h t e r n a c h ; N o r t h u m b r i a , ι . V . 8. J h . ; S y m b o l des E v a n g e l i s t e n M a t t h ä u s

5

ς a

Dimma-Evangeliar;

Evangelist

Irland..

2.

s b

Westgotischer Gürtelbeschlag;

S c

Koptischer Buchdeckel mit

ι . H . 7. I h . ;

Η.

8.

Jh.;

Markus.

Evangelisten.

1. H . 7. J h .

Wachsmalerei,

6

6 b

Schwertknopf

mit

Email

aus d e m

v o n S u t t o n H o o ¡ S ü d e n g l a n d , 2. H. 7. Ih.

Fund

6 c

Book oí D u r r o w ; Irland oder N o r t h u m -

h r i a , E. 7. I h . ; O r n a m e n t s e i t e v o r vergrößerter Ausschnitt.

Johannes,

7

7 c Isidor, De natura rerum,· N o r d o s t f r a n k r e i c h , M . 8. (h. ; Schema zu Kapitel VII, 4.

7 d

Istanbul, Hagia Sofia, Kuppel, M 6. Jh.

8

8 b

Altchristlichcs Goklglas;

Christus zwischen 4 Büsten.

8 a A u g u s t i n , QiKic'sfionc.s 1/1 Hcptatcucham N o r d o s t f r a n k r e i c h , M . 8. J h . ; F r o n t i s p i z .

;

8 c

·.

G r e g o r v o n T o u r s , Historia

Francowm

O s t t r a n k r c i c h , ι. Η. 8. ] h . ; C h r i s t u s M o n o g r a m m .

9

9 Ii

o d tiert

K a p i t e l l dei B a s i l i k a A in I ' h i l i p p i , u m 500.

Kanonsammlung 590—604;

¡Aufschnitt'

Basis

e t c . ; F r a n k r e i c h , daeines

Bogenrahmens

ye

Altchristliche Silberampulle.

ï3

15 a T h e o d o s i u s - A I i . v s o m i m . d a t i e r t ^88 (Ausschnitt): der t h r o n e n d e K a i s e r verleiht das Kodizill.

1 3 b Codex Amiatinus : Wearm o u t h - Y a r r o w , E. 7. I h . ; t h r o n e n d e r C h r i s t u s z w i s c h e n E n g e l n (Ausschnitt).

14

D u r h a m , E v a n g e l i a r f r a g m u n t ; N o r t h u m b i i . i , ι. V. S. | h . ; K r c u z i . m i n s ;

IS

15

B r o n z e p l a t t e a u s A t h l o n e ; I r l a n d , 8. J h . ; K r e u z i g u n g .

π

17 a

A m p u l l e a u s P a l ä s t i n a , E. 6. J h . ;

Kreuzigung

17 h

(Ausschnitt).

G o l d e n e s P e k t o r a l k r e u z a u s Ä g y p t e n , E. 6. I h .

1 7 c C a r n d o n a g h | D o n e g a l ) , S t e i n r e l i e t , 4. V. 7. I h . ; Kreuzigung.