Lateinische Königs- und Fürstentitel bis zum Ende des 8. Jahrhunderts 9783205793090, 9783205084082


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German Pages [272] Year 1967

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Lateinische Königs- und Fürstentitel bis zum Ende des 8. Jahrhunderts
 9783205793090, 9783205084082

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H E R W I G WOLFRAM / INTITULATIO I

MITTEILUNGEN D E S INSTITUTS FÜR ÖSTERREICHISCHE

GESCHICHTSFORSCHUNG

ERGÄNZUNGSBAND XXI

INTITULATIO i. Lateinische Königs- und Fürstentitel bis zum Ende des 8. Jahrhunderts

Von

HERWIG

WOLFRAM

1967 HERMANN

BÖHLAUS NACHF.

/ GRAZ - W I E N - KÖLN

SWETS & ZEITLINGER B.V. LISSE - THE NETHERLANDS - 1984

Gedruckt mit Unterstützung des Bundesministeriums für Unterricht

Alle Rechte vorbehalten

Nachgedruckt mit Genehmigung Herman Böhlaus Ν ach f., Ges.M.B.H.,

des Graz-Köln

INHALT Seite

I. Einleitung

9

1. D a s Problem und die Quellen Die Intitulatio als Selbstaussage (9) — Intitulatio und Arenga (11) — Begrenzung des Themas (15) — Urkundliche und nichturkundliche Titel (19).

9

2. Methode und Terminologie Methode (21) — Terminologie (25) —• Funktionstitel und Bereichsbezeichnung (27) — Devotionsformel (28) — Definition der Intitulatio (31).

21

II. Die ostgermanischen und langobardischen Königstitel

32

1. Herkunft und Bedeutung des Funktionstitels „rex" Rex in der Spätantike (33) —· Reges Romanorum im 4. Jahrhundert (37) — Germanische Königsbezeichnungen (39) — Heerkönigtum (43) — Patricius praesentalis (45) — Zusammenfassung (53).

32

2. Der flavische Königstitel Das Gentilicium „Flavius" als drittes kaiserliches Praenomen (57) —- Die flavischen Neubürger des 4. und 5. Jahrhunderts (58) — Flavius Theudericus rex (58) — Flavius als königliches Praenomen Odoakers (59) — bei den Westgoten (60) — bei den Langobarden (64) — Die Bedeutung von „Flavius" in einem Königstitel (67) — Flavius Paulus unctus rex orientalis (71) — Quem etiam ob dignitatem Flavium appellarunt (Langobardi) (72) — Zusammenfassung (75).

56

3. Der gentile Königstitel der Ostgermanen Ostgoten (77) — Westgoten (77) — Vandalen (79) — Burgunder (87).

76

4. Der langobardische Königstitel in den Gesetzen Die Problematik von „septimo decimum rex gentis Langobardorum" (99) — Der Princeps-Titel des Königs Ratchis (104).

90

III. Der merowingische Königstitel

108

1. R e x Francorum 108 Die „Franci" (110) — Die Emanzipation der Außendukate des Frankenreichs (113). 2. D a s Vir-inluster-Problem 116 Der paläographische Befund (116) — Das „argument diplomatique" (123) — Das Argument der historischen Wahrscheinlichkeit (126).

Inhalt

β

IV. Die vorkarolingischen Königstitel in Briefen 128 Die Überlieferung (128) — Die Anordnung der Intitulatio innerhalb der Superscriptio (131) — Die Abhängigkeit des Wortlautes von der Anordnung der Intitulatio (133) — Ein vandalischer Königsbrief (134). V. Der fränkische Fürstentitel

136

1. Ego N. dux et princeps Francorum 136 Die Intitulatio der Synodalakten des „Concilium Germanicum" und von Soissons (137). 2. Die urkundlichen Titel der Hausmeier und fränkischen „Amts141 herzöge' Die „private" Carta als Grundlage der spätmerowingischen Hausmeierund Herzogsurkunde (141) — Der Typus „Ego-Illustrat-Name-Funktion" als Grundlage der Titel aller spätmerowingischen „Amtsträger" (143) — Der arnulfingische „dux Francorum" (146). 3. Princeps als Bezeichnung des arnulfingischen Hausmeiers . . . 148 Die überlieferten Bedeutungsmöglichkeiten von Princeps (148) — Der Frankenkönig als Princeps (149) — Der Verlust dieser Stellung (150) -— Pippin II. als erster arnulfingischer Princeps (151). 4. Die Bedeutung des Kapitularien-Titels von 742/44 152 Das nichtkönigliche Herrschertum der Arnulfinger über die Franken (154). VI. Die Titel des bayerischen Stammesherzogs 156 Aquitanien und Bayern (157) — Urkunden und „Kanzlei" des bayerischen Herzoge (158) — „Amtsherzogstitel" und „fürstlicher" Herzogstitel (161) — Das frühmittelalterliche Bangsystem (162) — Die zwei „Wellen" des langobardischen Einflusses auf die Darstellung der bayerischen Herzogspolitik (163) — Die Carta Odilos von 748 (165) — Das bayerische Regnum (167) — Der fränkische Einfluß nach 743 (169) — Die Umformung des fränkischen Illustrate durch langobardische Rangbezeichnungen (171) — Ego Tassilo dux Baiuuariorum (173) — Ego Tassilo illustrissimus duz (177) — Datierungen nach Königsjahren und nach Herzogsjahren (179) — Ego Tassilo dux Baiouariorum vir inluster (181) — Tassilo als ein neuer Konstantin (183). VII. Die langobardischen Herzogstitel bis 774 185 1. Der langobardische Funktionstitel „ d u x " 185 Die langobardischen „duces" als Fortsetzer spätantiker „Ämter" (187) — Dux und Fara (191). 2. Der Titel der Herzöge von Benevent 194 Die Überlieferung (195) — Das nichtkönigliche Herrschertum der Herzöge (196) — ausgedrückt durch „vir gloriosus" (197) — durch „summus dux gentis Langobardorum" (197) — durch „Domnus" (198) — Eine frühe Form eines „männlichen Titels" für eine Herrscherin (201). 3. Der Titel der Herzöge von Spoleto Das königliche Vorbild (203) — Das beneventanische Vorbild (203).

202

4. Der Titel der langobardischen „Amtsherzöge"

204

Inhalt V I I I . Die karolingischen Königstitel vor 800 1. Vorbemerkung Der Aufstieg der Karolinger (207) — Titelverzeichnis (208).

7 206 206

2. Pippinus rex Francorum vir inluster 209 Der karolingische „rex Francorum" (209) — der karolingische Rangtitel „vir inluster" (211) — Die Intitulatio Pippins als Zeugnis für Restitution und „Correctio" (212). 3. Die Einführung der Gratia-Dei-Formel und der Titeltypus I I 213 Devotionsformel (215) — Salbung und Legitimitätsformel (216). 4. D a s karolingische Regnum und die nichtfränkischen „Staatsvölker" 217 Die Erweiterung der fränkischen Politik und die Aufgabe der Beschränkung auf die ethnische Bereichsbezeichnung „Francorum" (219) — Langobarden und Aquitanier als „Staatevölker" (220). 5. ,,. . . ac patricius Romanorum" 225 Überlieferung (225) — Herkunft (226) — Bedeutung (232) — Eine Sonderform des Titeltypus IV (235). 6. Die nichturkundlichen Königstitel vor der Kaiserkrönung . . . 236 Überlieferung (236) — Defensor-ecclesiae-Titel (239) — Dae Produkt einer Initiative Alkuins (241) — Die Bedeutung des Titels (242). Abkürzungen

245

Literaturverzeichnis

246

Quellenverzeichnis

257

I. Register der behandelten Titel II. Personen, Wörter, Sachen

262 265

I. EINLEITUNG 1. Das Problem und die Quellen „Et hoc est testimonium Ioannis, quando miserunt Iudaei ab Ierosolymis sacerdotes et Levitas ad eum, ut interrogarent eum: ,Tu, quis es?'. Et confessus est, et non negavit, et confessus est: ,Quia non sum Christus'. Et interrogaverunt eum: ,Quid ergo? Elias es tu?'. Et dixit: ,Νοη sum'. ,ΡΓΟpheta es tu?'. Et respondit: ,Νοη'. Dixerunt ei: ,Quis es, ut responsum demus his, qui miserunt nos? quid dicis de teipsoV."1) Die vorliegende Studie soll einen Beitrag zur Verfassungsgeschichte und Diplomatik bilden. Sie mit der Frage nach dem Selbstzeugnis des Täufers einzuleiten, mag daher auf den ersten Blick gesucht wirken. Das Zitat hat jedoch in diesem Zusammenhang seine innere Berechtigung, die man leicht begründen kann. Das zentrale Problem meiner Arbeit sehe ich in der Frage nach dem „quid dicis de teipso ?", nach der Selbstaussage, eines Königs oder Fürsten. Setzt man voraus, diese an deren Titeln ablesen zu können, so sind zunächst einmal die geeigneten Quellen zu finden und zu befragen. Man muß sich aber gleichzeitig darüber im klaren sein, auf welcher Ebene man das Wechselspiel von Frage und Selbstaussage anzunehmen hat. Selbstverständlich kann man mit den Worten der Boten aus Jerusalem nach jeder beliebigen Selbstaussage fragen. Den besonderen Rang erhält diese Frage erst durch die Tatsache, daß der befragte Johannes für sich und die Fragenden aus dem mitzuteilenden „nomen" seine ganze Wirklichkeit zu offenbaren hat. Und deshalb steht seine mögliche Selbstaussage neben den Selbstaussagen eines Personenkreises, der im „nomen" die Wirklichkeit seiner Herrschaft zu manifestieren meinte2). Bezieht man die Position der in ihrer Geschichtlichkeit befangenen Juden, dann muß man nämlich die Antwort „Christus sum, id est rex Iudaeorum (rex Israel)" für möglich halten. Diese hätten die Träger der jüdischen Tradition ohne Zweifel auch im Sinne eines historischen und irdischen Messias-Reiches motiviert. Es kommt in diesem Fall nur auf das Wort an; wäre es gesprochen worden, dann hätte Johannes als Messias-Christus eine Selbstaussage getroffen, die ein theologisches Politicum bedeutet haben müßte, genauso wie die Frage des Pilatus an Jesus „Tu es rex Iudaeorum?" 3 ). ») loh. 1, 19—22. *) Vgl. Wolfram, Splendor 38 ff., und die dort zitierten Arbeiten von H. Beumann und H. Fichtenau. ») loh. 18, 33.

10

I. Einleitung

Die politische Theologie der Juden unterschied sich der Sache nach stark von den politischen Kosmologien der alten „Weltreiche" Vorderasiens und Ägyptens, obwohl der Hellenismus auch auf diesem Gebiet Übertragungen ermöglichte. Durch einen „rex Iudaeorum" wird aber das Imperium Romanum ebenso herausgefordert, wie wenn ein Rex regum Sapor particeps siderum frater Solis et Lunae an den Kaiser schreibt4). Die Frage des Pilatus nach der Art des Königtums Christi blieb im Grunde unbeantwortet. Der Statthalter bildete dennoch daraus den Titulus über dem Kreuz von Golgotha, als wäre „rex Iudaeorum" die Selbstaussage des Gekreuzigten gewesen. Die jüdischen Priester suchten daher, wenn auch vergeblich, die Revision des Textes zu erwirken, obwohl sie sich vorher eindeutig von ihrem Königtum distanziert hatten, um die Verurteilung Jesu zu erreichen. Sie nahmen den Sprechchor vor dem Tribunal „qui se regem facit, contradicit Caesari" wieder auf und verstärkten ihn mit der Feststellung: „Non habemus regem nisi Caesarem".5) In Verbindung mit der Szene vor dem Vertreter der römischen Macht ermöglicht das Selbstzeugnis des Johannes eine weitere Einsicht. Aus ihm geht hervor, daß die Selbstaussage als Mitteilung des „nomen" alle Sphären der politischen und theologischen Theorie umspannen kann. Nun gewinnt man mittelbar aus der Frage an den Täufer und unmittelbar aus der damit verknüpften Frage des Pilatus an Christus den Zugang zu einem zweiten historischen Phänomen. Es handelt sich dabei um das SpannungsVerhältnis, das zwischen Imperium und „gentilitas" besteht6). Die „gentilitas" umfängt die Dreiheit „Königtum, Gens, Gottesauserwähltheit"7). Ihre Spitze ist der „rex, qui super unam gentem vel multas", wie andrerseits der Caesar das Imperium repräsentiert — „Imperator, qui super totum mundum aut qui precellit in eo" 8 ). Die stärksten Zeugnisse für einen antiken „Gentiiismus"9) stammen insofern aus der Bibel, als das Buch der Bücher die größte Wirkung auf die Zukunft ausübt. Die „Politik" des frühmittelalterlichen „Gentiiismus", der selbstverständlich anderen Ursprungs ist als der des auserwählten Volkes, gewinnt einen Gutteil ihrer Motivationen aus der Interpretation einer „staatlichen" Ordnung, die die Bibel als ehrwürdiges Vorbild vermittelte. Daß die Intitulatio als Urkundenformel des Mittelalters eine nichtdiplomatische Vorgeschichte besitzt, deckt sich mit den Einsichten, die 4

) Ammian. 17, 5, 3 und seine Kritik 23, 6, 4 f. Vgl. Wolfram, Splendor 85. ) loh. 19, 12—22. ·) Das Wort, gebraucht nach Isid. Etym. IX 2, 1, erfaßt die im Obertext zitierte Dreiheit, wie sie allerdings nur im Titel der Langobardenkönige auch tatsächlich ausgedrückt wurde. Als die das Königtum bestimmende Theorie wurde die „gentilitas" aber auch in den übrigen Königreichen des Frühmittelalters zum bestimmenden Faktor des politischen Lebens. Vgl. Anm. 7. ') Siehe unten 91 Anm. 14. 8 ) Beyerle, Das frühmittelalterliche Schulheft 7. ') Vgl. Beumann, Transpersonale Staatsvorstellungen 218 ff., bes. 223. 6

1. Das Problem

11

Heinrich Fichtenau an der Arenga, Joachim Studtmann und Paul Kirn vornehmlich an der Pönformel und Leo Santifaller an der Invocatio gewannen10). Die frühmittelalterliche Königsurkunde setzte eine politische Tradition fort, die zwar in erster Linie an die spätantike Kaiserurkunde anschloß, gerade darum aber bis auf die grundsätzlich „unrömischen" Wurzeln des hellenistischen Königtums zurückreichte11). Die Theorien eines auch darin einbezogenen alttestamentlichen Königtums behielten während des ganzen Zeitraumes, den unsere Fragestellung betrifft, eine erstaunliche Anziehungskraft. Bei der Ausgestaltung eines christlichen Königtums wirkte jenes Vorbild als verpflichtendes Exemplum. In die Problematik des Titels übertragen, bedeutete dieser Sachverhalt etwa, daß die Karolinger, denen „als Urbild christlicher Herrschaft das Königtum des Alten Bundes, verkörpert in David und Salomon" galt 12 ), zu Königen gesalbt wurden und die Gratia-Dei-Formel in ihre Intitulatio einführten. In seiner Studie „Arenga" zeigte Heinrich Fichtenau neuerlich, wie man die Ergebnisse der diplomatischen Forschung mit einer allgemeinen historischen Fragestellung konfrontieren kann, um die Bedeutung einer Urkundenformel voll auszuschöpfen13). Daß eine mittelalterliche Urkunde von ihren Zeitgenossen stets als Ganzes aufgenommen wurde, stellt eine Binsenweisheit dar. Wenn man diese auch nicht vergessen sollte, so behält doch die analytische Betrachtungsweise ungeschmälert davon ihre Berechtigung. Jede Untersuchung in dieser Richtung wird aber, unabhängig von der mit ihr befaßten Forscherpersönlichkeit, einen der Fragestellung und Methode nach eigenständigen Aufbau besitzen, weil jede Urkundenformel gleichsam auch eine Welt für sich bildet. Wenn ich trotzdem Fichtenaus „Arenga" bewußt als Anregung betrachte, mich mit der Intitulatio zu beschäftigen14), dann muß ein „tertium comparationis" die Verbindung zwischen den beiden Urkundenformeln herstellen. Dieses sehe ich in der gemeinsamen und unmittelbaren Bezogenheit beider Teile auf ein bestimmtes Gebiet der „Politik", nämlich auf den Ordo und die Manifestation des Königreiches an sich und der frühmittelalterlichen Regna im besonderen. Unter „Politik" verstehe ich die geschichtlich bedingte, zeitgenössische Interpretation einer bestimmten Verfassungswirklichkeit, aber nicht diese selbst. Die meisten Arengen tragen Maximen dieser staatlichen Ordnung vor. In allgemein gehaltenen Sätzen gibt die Formel an, welche Pflichten und Rechte der überindividuelle Inhaber dieses und jenes Ranges, dieser und 10

) Fichtenau, Arenga. Studtmann, Pönformel. Kirn, Archivalische Zeitschrift 50/51, 239 ff. Santifaller, Verbal-Invokation. Als weitere Arbeiten über Urkundenformeln wären etwa zu nennen: Schmitz, Devotionsformel. Hunger, Prooimion. Kurcz, Arenga und Narratio. n ) Classen I 5 ff.; vgl. auch Kirn (wie Anm. 10). Was die diplomatische Form anlangt, so schlossen die Urkunden der germanischen Könige meist nur mittelbar, ja nicht selten überhaupt nicht an die römische Kaiserurkunde an. Über die Arten des römischen Urkundenwesens, die die Form der verschiedenen Königsurkunden bestimmten, handelte Classen II 1 ff. 13 ") Fichtenau, Imperium 76. ) Fichtenau, Arenga 7 ff. ") Vgl. Ders. 10.

12

I. Einleitung

jener Funktion, auszuüben hat, um seiner Stellung gerecht zu werden und als solcher gelten zu dürfen. Ohne nun sofort eine ausgefeilte Definition geben zu wollen, kann man doch ganz allgemein schon sagen, daß die Intitulatio den Namen, den Rang und die Funktion eines oder mehrerer als Individuen faßbarer Urkundenaussteller nennt und meist16) noch den Gedanken der persönlichen göttlichen Begnadung des Titelträgers in bezug auf seine Funktion ausspricht. Die Arenga kennzeichnet also den König und Fürsten gleichsam als Typus. Die Intitulatio läßt den einzelnen, namentlich festgelegten König und Fürsten über sich selbst aussagen, was zumeist bloß die Theorie seiner Herrschaft betrifft, jedoch bis zur Reflexion über das persönliche Schicksal des Titelträgers reichen kann18). Eine Selbstaussage in bezug auf die Intitulatio impliziert eine Vielfalt von Möglichkeiten: Diese sind oftmals politisch wirklich, ohne sich auf historische Realitäten stützen zu können. Ein solcher Fall tritt ein, wenn man seinen Titel mit „historischen" Argumenten zu rechtfertigen sucht. Davon abgesehen, wird ein Titel dennoch nur höchst selten der verfassungsgeschichtlichen Situation unmittelbar und gleichzeitig gerecht. Formuliert man die Intitulatio als Anspruch, so geht sie dieser Situation voraus. Besonders vor 800 überwiegen jedoch bewußte Zurückhaltung und Beschränkung bei der Festlegung eines Titelwortlautes. Solche retardierende Faktoren sind die Versuche, auf die Notwendigkeit zu reagieren, sich fremder politischer Traditionen, sei es nun anderer Völker oder anderer Herrschersippen, mittels einer „pseudologischen Gleichsetzung"17) zu bemächtigen. Oder, wie im Falle der karolingischen Hausmeier, ist die Zeit noch nicht reif, daß sich der wahre König auch als „rex" darstellt. Die Intitulatio interpretiert eine verfassungsgeschichtliche Situation vornehmlich nach den Gesichtspunkten der Theorie, ja sogar nach denen der Opportunität; nur dort, wo die beiden die historische Realität voll und ganz anerkennen dürfen, fängt die Theorie des Titels auch die realen, objektiven Gegebenheiten ein. Diesen Prozeß erschwert die Notwendigkeit, im Titel eine oft Generationen alte, ja jahrhundertelange Tradition fortzusetzen; während der Titelwortlaut unverändert blieb, haben sich die Voraussetzungen dafür oft so grundlegend geändert, daß eine Neuinterpretation der Form vom Inhalt her nötig wäre. ) Gemeint ist damit selbstverständlich die Gratia-Dei-Formel; diese wird bekanntlich erst durch die Karolinger zum festen Bestandteil einer Intitulatio. Die Vorstellung jedoch, daß die Herrschaft des Königs von Gott stamme und von Ihm bestimmt werde, findet man bereits in den vandalischen Königsurkunden des 5. Jahrhunderts. " ) Die Intitulatio Ludwigs des Frommen nach 834 lautete: „Hludowicus divina repropitiante dementia imperator augustus" (Stumpf, Reichskanzler 83; Erben, Kaiser- und Königsurkunde 314). Sie spricht ungefähr dieselbe Erfahrung aus, die bereits in einem beneventanisehen Herzogspräzept von 742 ausgedrückt wurde: „Dum divina omnipotentis domini dei nostri gratia desuper inspirante misericordia nostri piissimi domini reges nos in nostro solio revocare dignati sunt, firmamus . . . nos dominus vir gloriosissimus Gisolphus summus dux gentis Langobardorum" (Chroust, Langobardische Königs- und Herzogsurkunde 112). " ) Zu diesem Terminus und seiner Anwendung siehe Wenskus, Stammesbildung 648 und 655. 15

1. Dae Problem

13

Findet ein solcher Vorgang zu Zeiten der Sicherheit oder des Aufstieges statt, dann können mit diesem auch formale Änderungen des Titels Hand in Hand gehen. Das beste Beispiel findet man dafür in der Entwicklung des fränkischen Königstitels zwischen 752 und 800, als mit der Verdrängung der Merowinger und den großen Erfolgen der neuen „reges Francorum" die fränkische Königspolitik in Bewegung geriet. Allerdings, der Kern des Titels blieb formal unverändert, so stark war man der Tradition verhaftet. Als Trägerin „ewiger" Wahrheiten fehlte der Arenga die Bezogenheit auf eine bestimmte historische Aktualität, von der sie hätte ausgehen oder durch die sie hätte beendet werden können. Darin unterscheidet sie sich am deutlichsten von der Intitulatio und ihrer politischen Aussage. Diese ist, wie bereits angedeutet, auch nicht nur die Wiedergabe oder bloße Darstellung von Fakten. Was ihre Entstehung anlangt, bedeutet die Intitulatio das Ergebnis der zeitgenössischen Theorie eben dieser Fakten, während ihre Traditionsbildung nicht nur von der politischen Realität des Augenblicks, sondern auch von deren theoretischer Nachwirkung als die Nachwelt verpflichtende Kontinuität abhängt. Dieser Sachverhalt impliziert die ständige Auseinandersetzung mit der Zukunft, mit den historischen Realitäten im Wandel der Zeiten. In jedem Fall wirkt aber die Intitulatio dem Ablauf geschichtlicher Ereignisse ungleich enger verbunden als die Arenga. Während Fichtenau nach der vergleichenden Lektüre von rund 48.000 Arengen18) deren „Typologie" vorlegen konnte, würde sich eine „Typologie" der Intitulatio auf wenig mehr als auf Definitionen beschränken müssen. Die Einleitung hat sich auch damit zu beschäftigen; aber die Problematik frühmittelalterlicher Königs- und Fürstentitel wäre dadurch nicht zu erschließen. Diese Problematik ist diplomatisch und verfassungsgeschichtlich, also historisch auf kleine Zeiträume hin orientiert. Nur der Mangel an Überlieferung ermöglicht es daher, eine „Intitulatio I" als Geschichte der lateinischen Königs- und Fürstentitel bis zum Ende des 8. Jahrhunderts darzustellen, muß doch mehr als die Hälfte der Untersuchung allein den Titelformen des letzten Jahrhunderts vorbehalten bleiben. Die Titel vor allem der Könige und Fürsten erregten stets und gerade in jüngster Zeit wieder das besondere Interesse der Geschichtswissenschaft19). Trotzdem existiert keine Studie, deren Fragestellung sich mit der meinen decken würde. Denn man bemühte sich bisher entweder um die urkundlichen Titel der Herrscher und „halbsouveränen" Herren als Zeugnisse für bestimmte verfassungsgeschichtliche Situationen oder wegen ihrer „Kanzleimäßigkeit" und diplomatischen Echtheit20). Beide wichtigen Fragestellungen le

) Fichtenau, Arenga 10.

") Vgl. die zwar unvollständige Liste bei Schramm, II simbolismo dello stato 254 Anm. 8. 20 ) Rein diplomatischem Interesse dienen etwa die Verzeichnisse bei BM2 XXXIV f. oder die Vorbemerkungen zu DDKar. S. 1, 61, 77 oder aber auch die bekannt ausführlichen „introductions" zu den „Chartes et diplömes relatifs k l'histoire de France". Die in Anm. 19 genannten Arbeiten stehen hingegen mehr auf Seite der

14

I. Einleitung

kennzeichnet der Versuch, die Überlieferung partiell zu erfassen und aus ihren Teilen zu verstehen. Dabei wurde das Gemeinsame der verschiedenen Urkundentitel einer Epoche wie ihrer Vorgeschichte, die meist bis in die Spätantike zurückreicht, übersehen. Selbst die durch Originale belegten Intitulationes werfen mitunter Probleme auf, die eine paläographisch-diplomatische Untersuchung, die sich fast ausschließlich auf das Material einer bestimmten Herrscherfamilie beschränkt, nicht lösen kann. Die erste Frage schon, nämlich die nach dem sicheren Wortlaut eines Königstitels, bleibt somit unbeantwortet. Angesichts der methodischen Beschränktheit und Enge der Untersuchungen, die einem einzelnen Titel oder Titeltypus gewidmet sind, wirkt es verständlich, daß die besten Studien zu unserer besonderen Fragestellung diejenigen Arbeiten sind, die die Intitulatio in den Rahmen einer allgemeinen Formen- und Bedeutungsgeschichte der urkundlichen Entwicklung stellen. Auf den Zeitraum übertragen, den ich in bezug auf die lateinischen Königsund Fürstentitel aufzuarbeiten suche, bedeutet diese Feststellung, daß die Werke und Aufsätze von Peter Classen, Bichard Heuberger, Anton Chroust sowie von Frau Heidrich, einer Schülerin Eugen Ewigs und Classens, die mit Abstand brauchbarsten Grundlagen für eine Geschichte der Intitulatio bis 800 geliefert haben21). Fichtenau reihte die Arenga „in die große Gruppe der .Herrschaftszeichen' ein". Gleichzeitig deutete er an, daß auch der Titel hierher gehöre42). Die Probe aufs Exempel muß daher darin bestehen, daß man nach einer hilfswissenschaftlich korrekten Sicherung des Titelwortlautes die Bedeutung und Wirkung des Titels zu erfahren sucht83). Daß dieser Versuch zunächst nur für einen im Vergleich zu Fichtenaus „Arenga" kleinen Ausschnitt aus dem weit gespannten Rahmen der Möglichkeiten angestellt wird, wäre folgendermaßen zu rechtfertigen. Zum ersten kann auf die bereits erarbeitete Gebundenheit der Intitulatio an die konkrete historische Aktualität verwiesen werden. Aus diesem nahezu eo ipso verständlichen Sachverhalt resultiert eine gewaltige Fülle des Stoffes, dessen Beschränkung innerhalb des Zeitraumes, da Herrscherund Adelstitel politische Wirklichkeiten repräsentierten, in jedem Falle willkürlich ist. Eine Begrenzung der Fragestellung verlangt jedoch schon verfassungsgeschichtlichen Betrachtungsweise. Die wichtigsten, den Kern des Problems von beiden Seiten her beleuchtenden Feststellungen stammen bereits von Sickel, Acta Karolingorum 1, 213. Vgl. 24 Anm. 8. s l ) Classen I und II. Ders., Karl der Große. Heuberger, Vandalische Reichskanzlei. Chroust, Langobardische Königs- und Herzogsurkunde. Ingrid Heidrich, die über die Urkunden der Hausmeier im Archiv für Diplomatik 11 schreiben wird. Ihre StaatsExamen-Arbeit, die mir auf Grund der freundlichen Vermittlung P. Classens in ebenso liebenswürdiger Weise von der Verfasserin als Manuskript geliehen wurde, handelte über die Titel der arnulfingischen Hausmeier. " ) Fichtenau, Arenga 10. " ) Diese Methode wurde auch gegenüber den eigentlichen Herrschaftszeichen angewendet: siehe Schramm, Herrschaftszeichen und Staatssymbolik 1—3 (1954/56).

1. Das Problem

15

die Arbeitsökonomie, weil sonst ein Buch entstünde, das weder subventioniert noch benützt noch gar gelesen werden könnte. Zum zweiten wird man sich aus taktischen Gründen beschränken. Wer das Gegenstück zur „Arenga" oder zu „Herrschaftszeichen und Staatssymbolik" P. E. Schramms schaffen will, hat mit jähre-, vielleicht jahrzehntelanger Arbeit zu rechnen. Bevor man ein solches „Abenteuer" weiter fortsetzt, wird man daher gut daran tun, das Echo auf die Ergebnisse und Methoden der ersten Bemühungen abzuwarten. Diesen beiden mehr praktisch bestimmten Motiven kommt ein theoretisch-wissenschaftliches zu Hilfe, wenn man den ersten Band einer geplanten Geschichte der Intitulatio mit 800 schließen will. Der dritte Grund meiner vorgeschlagenen Begrenzung des Gegenstandes liegt nämlich darin, daß Karls Kaisertitel an sich wie in seiner Auswirkung auf den fränkischen, das heißt zu dieser Zeit, auf den Typus der europäischen Königs- und Fürstentitel schlechthin, das Ende einer Epoche darstellte. Mit dem mittelalterlichen Kaisertitel beginnt auf dem Gebiet der Intitulatio erst das Mittelalter. Während die in der Völkerwanderung wurzelnden Königs- und Fürstentitel zutiefst der Spätantike verpflichtet sind und bis in die Mitte des achten Jahrhunderts in dieser unmittelbaren Abhängigkeit verharren, kommt mit dem Traditionsbruch von 751 auf 752 ein Moment der Bewegung in den weitgehend erstarrten Formenbestand. Die beispiellosen Erfolge der karolingischen Politik in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts spiegeln sich in einer bis dahin formal wie materiell ungewöhnlichen Fülle von Titelmodifikationen wider. Schließlich gab es auf dem Kontinent keinen lateinischen Königstitel außer dem des „rex Francorum Gallias Germaniam Italiamque regens" und der von ihm als Unterkönige eingesetzten Söhne. Als nun dieser König auch das Kaisertum errang, da schien seine Stellung von einer für alle Zeiten gesicherten Einmaligkeit zu sein, so daß es genügte, von dem König zu sprechen, wenn man den oder einen „rex Francorum" meinte24). Während aber dieser Titel in der kaiserlichen Intitulatio Karls noch existierte, verschwand er unter dessen Nachfolgern und lebte erst wieder unter dem Eindruck der kapetingischen Machtübernahme und dann nur für den Bereich des späteren Frankreichs wieder auf25), östlich des Rheins wurde eine Kombination mit „rex Francorum" fast nie mehr gebraucht26); das einfache „rex" löste im 12. Jahrhundert der Titel „rex Romanorum (semper augustus)" ab, als die Automatik „rex — futurus imperator" von der päpstlichen Politik nachhaltig blockiert werden konnte27). " ) Erben, Kaiser- und Königsurkunde 311. Wie Anm. 24. 2e ) Es ist bezeichnend, daß kein Diplom, wohl aber ein Freundschaftsvertrag zwischen Heinrich I. und Karl IV. (dem „Einfältigen"), ausgestellt am 7. I X . 921, die Formel „rex Francorum occidentalium" neben die Formel „rex Francorum orientalium" stellt; doch besitzt nur die erste auch den Rang einer Selbstaussage: Constit. 1 η. 1; S. 1. " ) Buchner, Der Titel „rex Romanorum" 338.

16

I. Einleitung

Jene Titelneuerung aber dürfte auf dieselbe Erfahrung zurückgehen, die auch die Motivation „sacrum imperium Romanum" schuf. Die Theorie dieser beiden Formulierungen des 12. Jahrhunderts unterscheidet sich nicht grundsätzlich von jener Denkweise, die das Verhältnis der karolingischen Titel seit 800 oder, genauer, schon seit 752 zur antiken Tradition festlegte. Bis zur Mitte des 8. Jahrhunderts bestimmte die spätantike theoretische Politik den Wortlaut und die Form, mitunter auch den Inhalt einer Intitulatio. Nun wird der überlieferte Formenbestand manipulierbar. Wie der ,,rex Francorum vir inluster" Pippins gegenüber der in der Spätantike wurzelnden merowingischen Intitulatio eine Sekundärbildung darstellt, so sind auch die karolingischen Kaisertitel selbstverständlich keine spätantiken Selbstaussagen, sondern Produkte der mittelalterlichen Politik, die erst einen Zugang zur römischen Vergangenheit suchen mußte28). Die zweite Hälfte des 8. Jahrhunderts legte die Grundlagen dafür, daß man sich des Verlustes der unmittelbaren Verbindung zur Spätantike bewußt wurde und das verschüttete Formengut wiederbeleben wollte. Wie jeder Restaurationsversuch, so endete auch dieser in einem mit „historischen" Argumenten motivierten Neubeginn. Für die Intitulatio bedeutet diese Entwicklung, daß man in der Tradition Gewachsenes durch aus ihr bewußt Ausgewähltes ersetzte. Gleichzeitig wurde der „rex Francorum", der letzte der gentilen Könige auf dem Boden des Westreiches, zum Erben der „reges gentium". Damit löste sich die Beschränkung des Frankenkönigs auf die „gens" mehr und mehr auf, bis sie schließlich soweit schwand, daß der „rex Francorum", einmal Kaiser geworden, als „rex" schlechthin auftrat, wenn er nicht „imperator" sein konnte. Mit der Annahme einer kaiserlichen Intitulatio durch Karl tritt dieser Prozeß an die Oberfläche. Das Jahr 800 bedeutet daher einen so entscheidenden Einschnitt in der Geschichte der Intitulatio, daß eine erste Teiluntersuchung darin ein sinnvolles Ziel findet. Wer die Überschrift seiner Arbeit mit dem Zahlzeichen „I" markiert, muß Auskunft über die geplanten Fortsetzungen geben. Das Material für Intitulatio II, die lateinischen Herrscher- und Fürstentitel von der Kaiser krönung Karls des Großen bis zum Ende des 10. Jahrhunderts, ist beim Erscheinen von Intitulatio I gesammelt. Wie weit jedoch die Absicht verwirklicht werden kann, eine Geschichte der abendländischen Intitulatio wenigstens bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts zu führen, kann heute noch nicht gesagt werden29). 28

) Daß der Kaisertitel Karls nichts mit dem spätantiken Titel zu tun hat, versteht sich von selbst. Ebensowenig aber auch „Hludowicus divina ordinante Providentia imperator augustus" (vgl. BM2 LXXX1V), weil hier sowohl eine mittelalterliche „Devotionsformel" gebraucht wird, als auch „imperator augustus" nur mehr eine Funktion bezeichnet, während noch im spätantiken Kaisertitel die Fiktion vorherrscht, als handle es sich bei diesem Titelpaar um Teile des kaiserlichen Namens. Mit dem Aufkommen der Formel „semper Augustus" — vgl. für Justinian Migne PL 66, col. 14 — wird diese Fiktion allerdings sichtbar eingeschränkt; „Imperator" am Beginn des Titels behält jedoch seine Bedeutung als „praenomen". *·) M. Bäk (vgl. Anm. 19) sagte mir bereits grundsätzlich seine Unterstützung und

1. Das Problem

17

Grundsätzlich müßte man alle urkundlichen und nichturkundlichen Titel bis weit herauf in die Neuzeit verfolgen. Reiht man jedoch die Intitulatio unter die „Herrschaftszeichen", so wird der Umfang ihrer Erforschung um ein gutes Stück kleiner. Denn als solches bezieht man sie auf die „Herrschaft" und damit nur auf die Titel einer historischen Welt, in der die Agenden des transpersonalen, des Staates im eigentlichen Sinn noch nicht oder erst in Ansätzen „verstaatlicht" sind und von „Beamten" wahrgenommen werden. Herrschaft ist dem Wort wie der Sache nach eine Funktion des „Herrn". Dieser Begriff der Verfassungsgeschichte ist im Laufe der Zeiten einem starken Bedeutungswandel unterworfen gewesen. Den Terminus näher zu untersuchen, erübrigt sich jedoch an der Stelle, läßt man einen „Herrn" als Repräsentanten der personalen Form der Obrigkeit über „Land und Leute", die er kraft seiner „Tugend" ausübt 30 ), gelten. Von diesem Standpunkt aus betrachtet, unterscheidet sich der Titel eines solchen „Herrn", wenn man den genannten Bedeutungsinhalt des Ausdrucks als weitgehend konstant annimmt, von den Titeln der kirchlichen und bürgerlichen Würdenträger. Die Mitglieder der geistlichen Hierarchie sind der Theorie ihres Titels nach unter Einschluß des Papstes ebenso „Beamte" wie der bürgerliche oder adelige Beamte, der selbst keine Herrschaft ausübt. Selbst dann, wenn ein Bischof sein Amt als „honor" im Sinn des Lehenswesens interpretiert 31 ) oder wie Ainmarus von Auxerre (718—731) den „ducatus pene totius Burgundie" führt 32 ), ändert sich deswegen der geistliche Amtstitel nicht in den Titel eines „Herrn". Diese Stufe erreichte eigentlich auch nicht die „private" Intitulatio „inluster vir N.", die die fränkischen Großen der Merowingerzeit und auch noch die arnulfingischen Hausmeier in ihren Urkunden gebrauchten. Obwohl die Titelträger nachweisbar hohe Funktionen ausübten, sagten sie nur etwas über ihren Rang, nichts jedoch über die Funktionen aus. Diese waren auch theoretisch noch „Ämter" und keine Herrschaften im Sinne der Funktion eines „Herrn". Ohne Zweifel würde die Geschichte der geistlichen Urkundentitel ebenso wichtige wie interessante Forschungsmöglichkeiten bieten. Sie verlangt jedoch, gleich den weltlichen Titelformen, die ich hier nicht berücksichtige noch später berücksichtigen werde, eine gesonderte Abhandlung, um nicht die kategoriale Sauberkeit des derart begrenzten Fachgebietes zu stören. Die lateinischen Königs- und Fürstentitel vor 800 kann man daher aus folgenden Gründen als Intitulatio I abgrenzen. Zunächst sagen allein diese Titelformen auch etwas über die Art der Herrschaft ihrer Träger aus — nach 800 muß der Ausdruck „Königstitel" durch den Begriff „Herrschertitel", der die kaiserliche und königliche Mitarbeit bei der Darstellung der hochmittelalterlichen und vielleicht auch spätmittelalterlichen Königstitel zu. Wahrscheinlich werden auch schon an der Intitulatio II mehrere Autoren beteiligt sein. 30 ) Zum Begriff der „politischen Tugend" vgl. Fichtenau, Arenga 30 ff., und Wolfram, Splendor 25 und 36. «) Ganshof, Fdodalit6 (Lehenswesen) 80 (57). ") Tellenbach, Großfränkischer und frühdeutscher Adel 219 2 Wolfram, Intitulatio I

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I. Einleitung

Intitulatio umschließt, ersetzt werden; hingegen möchte ich vorschlagen, im Hinblick auf die Entstehung der westfränkischen „principautes" auch weiterhin von Fürstentitel zu sprechen, wenn es sich um die Urkundentitel von „Herren" im Sinne eines nichtköniglichen Inhabers echter Herrschaftsaufträge handelt; besonders jedoch dann, wenn dabei die Funktion als ,,gratia Dei" qualifiziert wird. Zum zweiten sieht man, daß es in der weltlichen Sphäre der Intitulatio eigentlich nur die Form des Königstitels gibt. Das „private" Formular, das aus der spätantiken Carta stammt, kennt zunächst allein die bloße Namensnennung des Ausstellers. Jede Intitulatio, die die Angabe über Bang und Funktion des Urhebers einschließt, folgt daher in irgendeiner Form einem Königstitel. Dieser geht seinerseits auf die „öffentlichen" Titel der Spätantike zurück, die vornehmlich die kaiserliche, in zweiter Linie aber auch die Intitulatio der römischen Magistrate bildeten. Auf diesen Grundlagen werden im lateinischen Westen zuerst die Königstitel und dann die daraus abgeleiteten Frühformen der Fürstentitel faßbar; beide gemeinsam sind die Vorbilder für die Titelformen der Zukunft. Was schließlich drittens den Sinn des Adjektivs „lateinisch" anlangt, so bedeutet diese Bestimmung nur die Eingrenzung der Untersuchung auf die entsprechenden Titel des Abendlandes. Es handelt sich dabei um ein Unterscheidungsmerkmal gegenüber der Überlieferung des byzantinischslawischen Ostens, das die Diplomatik auch bisher schon wie selbstverständlich gelten ließ. Für den weiteren Verlauf des Mittelalters hat der Ausdruck „lateinisch" zu bedeuten, daß darin die Titelformen der abendländischen Volkssprachen, die sinngemäße Übersetzungen und Fortsetzungen ihrer lateinischen Vorbilder und Vorläufer sind, einbezogen werden. Ein echter Mangel meiner Arbeit besteht freilich in dem Umstand, daß die angelsächsischen Formen der Intitulatio unberücksichtigt blieben. Nicht zuletzt deswegen, weil im 8. Jahrhundert starke Einflüsse auf die „Politik" der fränkischen Herrscher durch die Träger der angelsächsischen Mission ausgeübt wurden, so daß auch die damals wichtigste kontinentale Intitulatio von dorther bestimmt sein könnte. Die Aussparung der angelsächsischen Intitulatio schien jedoch nicht deshalb notwendig, weil die „angelsächsische Königsurkunde" als Ganzes „auf einer eigenen Entwicklung beruht"33), sondern weil trotz der Bemühungen Albert Bruckners34) und anderer bis heute nicht einmal die Substanz der Originalüberlieferung eindeutig feststeht, geschweige denn ein verläßliches „discrimen veri et falsi" für die kopiale Tradition gefunden wurde. Erübrigt sich zu sagen, daß für die frühe angelsächsische Königsurkunde auch ein „Classen" fehlt. Eine solche Vorarbeit halt« ich jedoch für unbedingt nötig, bevor man anstelle M

) Classen I 4. ) Archivalische Zeitschrift 61, 11 ff., mit gutem Literaturreferat. Vor allem siehe aber jetzt Chaplais, The origin 48 ff., und ders., The authenticity 1 ff. Zur Problematik des ags. „Kaisertitels" siehe zuletzt Stengel, Abhandlungen und Untersuchungen 287 ff.

M

1. Die Quellen

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bloßer Meinungen, an denen ohnehin kein Mangel ist, glaubhafte und stichhaltige Aussagen über den angelsächsischen Königstitel machen kann. Im Augenblick möchte ich mich nur auf die Feststellung beschränken, daß vor 800 in den als Originalen geltenden Stücken ein einfacher Königstitel überwiegt, dessen Typus „N. rex gentis X." der merowingischen Intitulatio entspricht35). Der Name der „gens" ist jedoch zum Unterschied von „rex Francorum" nicht unveränderlich, sondern folgt jeweils der verfassungsgeschichtlichen Situation der Insel. Diese kennzeichnet die Existenz mehrerer angelsächsischer Königreiche, deren jedes bestrebt ist, die Hegemonie über die anderen zu erringen. Die Problematik der Studie „Intitulatio I" zusammenfassend, darf man vielleicht sagen: Da die Überlieferung vor 800, ja während des ganzen „ersten" Mittelalters fast völlig darauf verzichtet, die Annahme einer Intitulatio zu berichten oder gar zu motivieren, kann man nur aus dem Inhalt der Titel erschließen, daß „nichts zufällig ist, jedes Wort einmal seine gewichtige Funktion besessen hat"3·). Diese im Laufe der Darstellung zu erweisende Prämisse stillschweigend vorausgesetzt, legten wir daher die Intitulatio als Selbstaussage ihres Trägers fest. Gleichzeitig setzten wir jene auf einer Ebene an, auf der eine Selbstaussage das „nomen" im Sinne von Herrschaft betrifft und selbst ein theologisches Politicum bedeuten kann. Schließlich wurde die Begründung zu geben versucht, warum „Intitulatio I" die lateinischen Königs- und Fürstentitel bis zum Ende des 8. Jahrhunderts darstellen kann. Nun erhebt sich die Frage, welche Quellen dieser Problematik zur Verfügung stehen. Harry Bresslau und vor ihm schon Theodor Sickel sahen die Notwendigkeit, einerseits die Urkunden als „in bestimmten Formen abgefaßte Zeugnisse rechtlicher Natur" von den übrigen offiziell „erlassenen Schriftstücken" abzuheben, andrerseits jedoch für beide Quellengruppen einen umfassenden Oberbegriff zu finden. Bresslau folgte im besonderen Sickel, wenn er diesen Oberbegriff auf das Wort „Akten" festlegte. Obwohl Heinz Quirin dagegen mit Recht einwendet, daß damit zwar die Diplomatik von einer Schwierigkeit befreit wurde, gleichzeitig aber die Aktenkunde mit einer neuen Begriffsverwirrung belastet wird, so kann er doch keine Alternative vorschlagen37). Soll der diplomatische und nichtdiplomatische Dokumente umfassende Oberbegriff nicht aus einer historischen Kunstsprache genommen werden, so wird man bei dem Ausdruck „Akten" bleiben. Auf diese Weise gebraucht man eine geordnete und erklärte historische Terminologie, die etwa vom 35

) Unter den Bruckner (wie Anm. 34) 14 verzeichneten Urkunden fällt, abgesehen von der im Verhältnis zur karolingischen Intitulatio älteren „Devotionsformel", besonders Birch η. 289 (ChLA 191) auf, in dem der „berühmte" angelsächsische Imperator-Titel vorkommt. Es ist jedoch hier nicht der Ort, in den hauptsächlich von Ε. E. Stengel und R. Drögereit geführten Streit um die Echtheit des ags. Kaisertitels einzugreifen. M ) Fichtenau, Arenga 10. S7 ) Siehe Sickel, Acta Karolinorum 1, 1. Bresslau, Handbuch der Urkundenlehre 1, 1 und 2 f. Quirin, Einführung 65.



20

I· Einleitung

„quod in diversis publicis actibus dictatum" Cassiodors abgeleitet werden kann38). Unter „Akten" — um anzuzeigen, daß ich das Wort in der abgegrenzten Bedeutung verwende, setze ich es stets zwischen Anführungszeichen — eines Königs oder Fürsten verstehe ich daher die urkundlichen und nichturkundlichen Schriftstücke des in der Intitulatio genannten Titelträgers. Die nichtdiplomatischen Dokumente umfassen im wesentlichen Kapitularien, Konzilsakte, Briefe und am Beginn auch noch Königsgesetze, die den Königsurkunden der Zeit nahestehen. Die Urkunden bestehen vornehmlich aus Diplomen oder Präzepten, Mandaten, Placita, Judikaten oder Gerichtsurkunden; doch trifft diese Einteilung, streng genommen, erst für die fränkische Königsurkunde, das „Diplom" im eigentlichen Sinne, zu, das während der Herrschaft der Karolinger „die Mutter der abendländischen Königsurkunde" wurde39). Die Königsurkunden wirken aber auch auf die Fürstenurkunden ein; so spricht Anton Chroust von einem langobardischen Königspräzept und einem analogen Herzogspräzept Benevents und Spoletos40). Die Urkunden wurden, zum Unterschied von den „formlosen" nichtdiplomatischen Dokumenten, „in bestimmten Formen" abgefaßt. Ein solches Phänomen setzt daher eine „Kanzlei" voraus, wenn man darunter auch nach Hans-Walter Klewitz und Josef Fleckenstein „keine .Behörde', sondern ein Aufgabengebiet" der mit der Urkundenherstellung befaßten Personen zu verstehen hat41). Eine besondere Schwierigkeit meiner Studie liegt nun darin, daß sie in bezug auf die Zusammensetzung jenes Personenkreises und daher auch in bezug auf die Ergebnisse seines Wirkens terminologisch und sachlich einen Traditionsbruch überbrücken muß. Mit dem Aufstieg der Karolinger geht fast überall auf dem Kontinent das spätantike Amt des Referendars, der bekanntlich ein Laie war, unter. Gleichzeitig wird erst die oben angeführte Differenzierung von diplomatischen und nichtdiplomatischen Schriftstücken in voller Stärke wirksam. Peter Classen konnte im Hinblick auf das Fortleben spätantiker Traditionen und gestützt auf die zeitgenössische Begriffssprache dem Ausdruck „Königsurkunde" auch Königsgesetze, Dokumente, die „der inneren Verwaltung dienten", und Königsbriefe einordnen42). Man sieht zwar, daß bereits der Königsbrief der Völkerwanderung bei besonderen Anlässen die an sich sehr beständige urkundliche Intitulatio modifizierte. Doch erfolgte eine solche Änderung so regelmäßig, daß nichts zur Annahme berechtigt, diese Königsbriefe wären „formlos" und keine Erzeugnisse der „Kanzlei" gewesen. Im Gegenteil, da hier das spätantike Briefformular deutlich fort*·) ") *") ") «)

Cassiod. Var. praef. 13; S. 4. Ottenthai MIÖG 32, 183. Zur Einteilung der Königsurkunden siehe Classen II 31 ff. Chroust, Langobardische Königs- und Herzogsurkunde 3. Fleckenstein, Hofkapelle 75. Klewitz, Cancellaria 57 ff. und 79. Was Classen II 28 ff. für die fränkisch-merowingische Königsurkunde aufstellte, hat er auch für die der übrigen Könige der Völkerwanderung (vgl. II 1 ff.) durchgeführt.

2. Methode

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lebte, muß gerade wegen dieser Abweichungen auf die Existenz „römischer" Beamter und ihrer Traditionen geschlossen werden43). Es zeigt sich aber auch, daß die „Akten" der Langobardenkönige zwei voneinander völlig unabhängige Titelsysteme kennen, von denen das eine für die Präzepte und das andere für die Prologe der Königsgesetze entwickelt wurde. „Ohne in den stereotypen Formeln merowingischer Diplome befangen zu bleiben", zeigen diese Prologe einen festen Aufbau, woraus zu entnehmen ist, „daß die Kanzleibeamten des Königs auch den Stil römischer Novellen mit ihren Prooimien zu handhaben wußten"44). Auch die beiden Formen des langobardischen Königstitels dürften die Produkte einer und derselben „Kanzlei" gewesen sein; sie sind „kanzleimäßig". Hingegen fehlt die „Kanzleimäßigkeit" in vielen nichtdiplomatischen „acta Karolinorum", in den Briefen, Kapitularien und Konzilsakten, die seit 742/44 im Namen des Frankenherrschers als Reichsgesetze ausgestellt werden46). Zur Abfassung dieser Dokumente dienten oft besonders vertraute oder fachlich bestimmte Personen, die nicht der „Kanzlei" angehörten48). Die Folge davon ist eine Freiheit in der Form, die sich besonders auf die Abfassung des Titelwortlautes auswirkt. Es treten Sonderformen des karolingischen Königstitels auf, die entweder auf spätere Titeländerungen einwirken oder völlig außerhalb des auf Dauer berechneten „kanzleimäßigen" Titels bleiben. Sie sind sehr wichtig für die Erkenntnis der „Politik" eines kleineren Zeitraumes; doch ist ihre Lebenszeit wie im allgemeinen ihre Verbindlichkeit geringer. Wenn die Form eines Königstitels davon abhängen kann, welcher Mann aus der Umgebung des Herrschers das Dokument verfaßte, in dem die Intitulatio vorkam, so muß man sich fragen, ob man den Titel noch als Selbstaussage des Ausstellers betrachten darf oder bereits als Fremdaussage desjenigen werten muß, der das Schriftstück diktierte. Selbstverständlich hat diese Frage ihre Berechtigung; sie muß jedoch auch gegenüber den Erzeugnissen der „Kanzlei" und besonders gegenüber den Titeln in Empfängerausfertigungen gestellt werden. Im allgemeinen wird man jedoch annehmen dürfen, daß ein Titel die Zustimmung dessen erfahren hat, in wessen Namen er geschrieben wurde. Außerdem lauten Fremdaussagen über einen „Herrn" meist ganz anders als seine Intitulatio; doch wird zu diesem Problem noch gesprochen werden.

2. Methode und Terminologie Der Standpunkt, von dem aus die Problematik der Intitulatio gesehen wird, ist diplomatisch und verfassungsgeschichtlich festgelegt, wobei der ") Classen II 71 ff.; vgl. die einschlägigen Abschnitte zu den vandalischen, burgundischen, ostgotischen, westgotischen, langobardischen und Odoakers Königsurkunden. ") Classen II 86. ,5 ) Levison, England and the Continent 85. *·) So schon Sickel, Acta Karolinorum 1, 394 ff., vgl. 104.

22

I. Einleitung

Begriff „Verfassungsgeschichte" auch die theoretische Politik und ihre Betrachtungsweise einzuschließen hat. Für eine historische Fragestellung erübrigt es sich, darauf hinzuweisen, daß die grundlegende Methode die des Vergleiches sein muß. Im besonderen hat man jedoch dem Wortlaut einer Intitulatio gegenüber drei Fragen zu stellen: Die erste betrifft seine Authentizität. Die Kritik einer Titelaussage beginnt mit der Kritik der äußeren Merkmale, wenn sie in einem Original überliefert wird. Die Kopialtradition ist nach ihrer inneren Wahrscheinlichkeit und ihrer allgemein diplomatischen Glaubwürdigkeit zu überprüfen. In dieser Frage wird an die Ergebnisse der diplomatischen Forschung angeknüpft. Zweitens wird nach der Vorgeschichte und Herkunft eines Titels gefragt. In diesem Abschnitt sind selbstverständlich auch urkundliche wie nichturkundliche Fremdaussagen und die Nachrichten der literarischen Tradition zu berücksichtigen, soweit sie den Ursprung des Titels erklären können. Die dritte Frage an das Material betrifft die historisch-politische Bedeutung eines Titels in der Zeit seiner Anwendung. Auch diese Frage kann selbstverständlich nicht allein aus der diplomatischen Überlieferung beantwortet werden. Die Darstellung der verschiedenen Titel richtet sich nach dieser Ordnung, die allerdings kein Prokrustesbett für den Gang der Untersuchung bilden soll. Oft kann erst die nächste Frage Antwort auf die vorangehende geben und umgekehrt. Gewisse Einsichten gelten für eine Reihe von Titeln gemeinsam; sie werden daher an die Spitze eines Abschnittes gestellt und aus der besonderen Abhandlung herausgehoben. Die drei Fragen richten sich sowohl an die Urkunden wie an die nichturkundlichen Dokumente und „Akten". Ist die Gemeinsamkeit der Titel in den beiden Quellengruppen so gering, daß eine ungetrennte Darstellung Mißverständnisse erzeugen könnte, so werden die Titel nach der Art ihrer Überlieferung gesondert behandelt. Bereits bei der Abgrenzung des Problems „Intitulatio" wurde die Absicht deutlich, nur sie als Titel zu interpretieren, indem man beide Begriffe als Selbstaussagen des Urkundenausstellers festlegt. Ein solcher Versuch enthält eine positive Einschränkung gegenüber dem allgemeinen Sprachgebrauch1), der jede Rang- und Funktionsbezeichnung einen Titel nennt, gleichgültig, wer diesen wo und wozu gebraucht. Außerdem ist der Vollständigkeit halber zu erwähnen, daß die Intitulatio nicht den einzigen Ort eines „Aktes" bildet, wo eine Selbstaussage des Ausstellers möglich ist. Es kommen vor 800 einige, wenn auch seltene Fälle vor, wo die UnterfertiIn seinem in Kürze erscheinenden Buch „Der Herzogstitel in Frankreich und Deutschland (9.—12. Jahrhundert)" wird Walther Kienast nicht zwischen urkundlicher Premdaussage und Selbstaussage unterscheiden, wie aus seinem Aufsatz „Der Herzogstitel in den deutschen Königsurkunden" 563 ff. hervorgeht. Um eine gewisse Differenzierung scheint sich hingegen Ingrid Heidrich zu bemühen (vgl. Archiv für Diplomatik 11). Vgl. auch Adelung, Neues Lehrgebäude 6, 319: „Titel derer, an welche die Diplome gerichtet worden. Benennung derselben."

2. Methode

23

gung durch das Prädikat „subscripsi" oder ähnliche Verba bestimmt wird. Es gibt nun keinen vernünftigen Grund, die dabei verwendeten Titel nicht ebenfalls als Selbstaussagen zu werten; nicht zuletzt aber deswegen, weil der Wortlaut einer solchen „Subscriptio" tatsächlich fast stets mit dem Inhalt der Intitulatio des Dokumentes übereinstimmt. Der Titel einer Unterfertigung kann daher sogar die Rekonstruktion einer verlorenen oder zerstörten Intitulatio ermöglichen. Daß die Intitulatio eine Selbstaussage meint, ist keine Fiktion der modernen Wissenschaft. Ebensowenig wird man sich daran stoßen, wenn man, in Anbetracht der ohnehin spärlichen Zeugnisse einer quellenarmen Epoche, die seltenen „Subscriptiones" des Nominativs der ersten Person als Selbstaussagen und Titel versteht und daher in die Behandlung der Intitulatio einbezieht2). Daß aber nur eine Selbstaussage ein echter Titel sein sollte, bedarf einer etwas ausführlicheren Begründung. Sie wird hier nur angedeutet, denn im Grunde findet man sie in allen Kapiteln der vorliegenden Studie. Bereits vor Bresslau bezeichneten die deutschen Diplomatiker diejenige Urkundenformel als „Intitulatio", in der ein Urkundenaussteller seinen Namen und Titel nennt, den er mitunter durch eine „Devotionsformel" ergänzt3). Diese Beschreibung der Urkundenformel folgte der Wortschöpfung Cesare Paolis, der den Ausdruck einer seltenen mittelalterlichen Bezeichnung nachbildete4). Das Wort besitzt den Vorteil, daß es an unseren modernen Begriff „Titel" anklingt und daher an sich bereits verständlich wirkt. Seit dem Nouveau Traits verwenden die Franzosen den Terminus „suscription", der zunächst die Intitulatio und die Adresse gemeinsam bezeichnete. Dabei stützte man sich auf den in Formularbüchern häufigen und etwa auch im Liber diurnus früh schon gebrauchten Ausdruck „superscriptio". Innerhalb dieser Formel überwog, da hier die Intitulatio nahezu ) Man kann darüber streiten, ob die Intitulatio und Subscriptio Tassilos III. nach des Vaters Tod bereits als materielle Selbstaussage zu gelten hat; formal ist sie es jedenfalls schon gewesen und außerdem wird sie auch von dem erwachsenen Herzog in dieser Form geführt. In der Zeit der Minderjährigkeit eines „Herrn" geht die Befugnis, eine Selbstaussage zu treffen, auf die in dessen Namen regierenden Personen über. Ihre Theorie wird schon im Interesse der Rechtmäßigkeit ihrer Herrschaft im Einklang mit der Tradition stehen. Die vornehmsten Zeugnisse für die Unterfertigung als Selbstaussage des Ausstellers sind die Unterschriften der westgotischen Könige in den Gesetzen und Tomi: Classen II 9 und a. a. O. Anm. 33 f. Daneben wären zu nennen DMsp. 6 (zur Echtheitsfrage Classen I I 51 Anm. 243) und DM 95 für die Frankenkönige; in Cap. 1, η. 9; S. 23 (Chlotar II., 614) steht allerdings nur „Chlothacharius in Christi nomine rex hanc definitione subscripsi". Hingegen tritt die der Intitulatio gleichende Subscriptio wieder auf: UB Freising n. 2, 5, 10, 15 (Tassilo III.) und UB Farfa n. 53 (a. 761); vgl. Chroust, Langobardische Königs- und Herzogsurkunde 153 (n. 12 a) für den Spoletiner Herzog Gisolf. Die Selbstaussage in der Unterfertigung bildet das Subjekt des firmativen Satzes und ist sehr gut mit den Intitulationes der ,, Privat'' -Urkunden zu vergleichen, die das Subjekt des dispositiven Hauptsatzes büden. 3 ) Giry, Manuel 533. 4) Bresslau, Urkundenlehre 1, 47 Anm. 1. 8

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I- Einleitung

unverändert blieb, die Bedeutung der Adresse, die Art und Weise, wie der Aussteller eines „Aktes" den oder jenen Empfänger anzusprechen hatte 5 ). Giry schränkte „suscription" auf den Bereich von Namen und Titel ein; Tessier rechnete der „suscription" die „Devotionsformel" hinzu®). In all den genannten Werken bleibt die Einmaligkeit und Besonderheit der Intitulatio als Selbstaussage des Ausstellers über seine politische Stellung ganz oder nahezu unerwähnt. Hingegen hat bereits Theodor Sickel erkannt, daß die von der Intitulatio gebotenen Titel die eigentlichen sind; ja, Sickel verzichtet sogar auf den Ausdruck „Intitulatio" und die möglichen Varianten und spricht an dessen Stelle allein von Namen und Titel 7 ). Diesen selbst aber beschreibt er folgendermaßen: „Im strengen Sinne des Wortes officiell ist allein der an dieser Stelle, an welcher der König als selbstredend eingeführt wird, gebrauchte Titel. Man darf mit ihm die Titulaturen, welche etwa Päpste oder Unterthanen in ihren Schreiben oft verschwenderisch und in vielen Fällen ziemlich willkürlich den Herrschern geben, gar nicht zusammenstellen. Ja selbst zwischen diesen Titeln am Eingang und denen im weiteren Verlaufe der Diplome, wie in der Subscriptions-8) und Datierungszeile, oder denen in der Siegellegende und auf Münzen ist ein Unterschied; denn in den letzteren Fällen reden andere vom König und bedienen sich daher auch mehrfach anderer Worte." 9 ) Sickels vielleicht etwas zu subjektiv formulierten Überlegungen enthalten jedoch grundsätzliche und allgemeingültige Feststellungen, die die bereits angedeutete Einmaligkeit und Besonderheit der Intitulatio als Titel schlechthin betreffen. Darüber hinaus bietet er aber auch schon Ansatzpunkte für eine sachliche und terminologische Unterscheidung der Titel von den Fremdaussagen in- und außerhalb der „Akten". Dabei fällt besonders auf, daß Sickel bereits irgendwie daran zu denken scheint, dem „selbstredenden" Titel die von „anderen" gebrauchte Titulatur gegenüberzustellen. Ich glaube jedoch nicht, daß Sickel Belege wie die des Deutschen Wörterbuchs der Gebrüder Grimm vor Augen hatte, wo tatsächlich zwischen „Titel" und „Titulatur" zu unterscheiden versucht wird. Die Stellensammlung zeigt zwar, daß beide Begriffe oft als Synonyme füreinander gebraucht werden. Trotzdem sieht man, daß in „Titel" mehr die Bedeutung von Selbstaussage, in „Titulatur" die von Fremdaussage überwiegt10). Wenn man diesen sicher nur sehr geringen Gegensatz vertieft, dann kann man positiv festsetzen, daß in der vorliegenden Arbeit von Titel nur im Sinne der Selbstaussage und von Titulatur nur als Fremdaussage gespro*) Nouveau Traits de Diplomatique 4, 611 f. Adelung, Neues Lehrgebäude 6, 410. Der gebräuchlichste mittelalterliche Ausdruck für die Formel war jedoch weder „superscriptio" noch „intitulatio", sondern lautete „salutatio": Bresslau 1, 47 Anm. 1 und 2, 251 f. Vgl. Liber Diurnus I 1 ff.; S. 1 ff. ·) Giry, Manuel 533. Tessier, Diplomatique royale 85 und 216. ') Sickel, Acta Karolinorum 1, 210. ') Sickel denkt dabei an die Subscriptio der Karolingerurkunden, die stets als Fremdaussage formuliert ist. 10 ») Sickel (wie Anm. 7) 213. ) Deutsches Wörterbuch 11, 523; vgl. 527

2. Terminologie

25

chen wird. Alle Zusammensetzungen mit ,,-titel" gehören in die erste, alle mit ,,-titulatur" in die zweite Gruppe, in der auch Kompositionen mit ,,-prädikat" vorkommen. Sieht man von den wenigen Subscriptions ab, die vom Nominativ der ersten Person regiert werden, so gilt von nun an die Gleichung „Intitulatio = Selbstaussage = Titel". Die Intitulatio wurde schon als die Angabe von Name, Rang und Funktion einer oder mehrerer physischer Personen, die Herrschaft ausüben, beschrieben11). Bevor nun eine Definition gegeben wird, sollen erst noch die Ergebnisse unserer bisherigen diakritischen Untersuchung auf die Formel und ihren Inhalt angewendet werden. Die daraus entstehende Terminologie sucht so weit wie möglich an sich verständliche Ausdrücke zu wählen. Um etwas variieren zu können, gebrauche ich mitunter mehrere Ausdrücke für denselben sachlichen Bezug, wenn dadurch keine Mißverständnisse auftreten können. Der Urkundenaussteller oder genauer der Aussteller von „Akten" heißt von nun an auch kurz Titelträger. Mehrere gleichlautende Titel eines und desselben Titelträgers ergeben zusammen den Titeltypus oder die Titelform. Die Bestandteile des Titels sind die Titelwörter, deren systematische Ordnung innerhalb der Formel das Titelelement bildet. Wenn eine Sippe ihren Aufstieg zur Herrschaft und ihre Rangerhöhung den Taten und „Tugenden" eines großen Ahnherrn verdankt, dann kann aus dieser „origo" eine politische Theorie entstehen, die dessen Namen zum Titel werden läßt. Die Namensform des „Helden" am Beginn einer tatsächlichen oder durch „Ansippung" und „pseudologische Gleichsetzung" hergestellten Ahnenreihe erstarrt zu einem Titel12). Imperator, Caesar, Augustus und Flavius sind die vier Beispiele für lateinische Namenstitel, während Caesar, Konstantin und Karl im byzantinisch-slawischen Osten eine ähnliche Bedeutung gewinnen18). Neben den Namenstiteln, die vorwiegend das Ergebnis politischer Theorien, ja offensichtlicher Fiktionen darstellen, besteht die Möglichkeit, auch eine unmittelbare Deszendenz, etwa in Form eines Patronymikon, als Titel aufzufassen. Ein solcher Titel ist ein Herkunftstitel. Bei seinem ersten Auftreten in mittelalterlichen Intitulationes erkennt man noch deutlich seinen unpolitischen Ursprung, der in der „privaten" Carta der Spätantike liegt14). Dem Herkunftstitel steht der Verwandtschaftstitel nahe; er kommt ») Vgl. oben 12 und 17. ") Hauck, Königtum und Adel 99: „Ansippung". Wenskus, Stammesbildung 78 ff. und 648 und 655; vgl. 4 Anm. 17: „pseudologische Gleichsetzung". Der Begriff „Namenstitel" folgt im Grunde sachlich wie auch wörtlich der „Definition" des „primi regis nomen" bei Isid. Etym. 1X3, 14 f.; vgl. 32 Anm. 4. u ) Rosenberg, Imperator col. 1142 und 1145. Mommsen, Staatsrecht 2, 767 ff., für Imperator Caesar Augustus. Zu „Flavius" siehe Kapitel II, Abschnitt 1 und 2. Zur byzantinisch-slawischen Tradition siehe Matl, Antike Gestalten in der slawischen Überlieferung 428. Wolfram, Conetantin 239 Anm. 89. Besonders jedoch Kahl, Wortschatzbewegungen 177 ff. ") Diese Herkunft sieht man noch deutlich an den ältesten bekannten Urkunden der

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I. Einleitung

nur sehr selten vor, und dann nur in Dokumenten, die am Bande des Einflußgebietes der fränkischen Königsurkunde auftreten. Im Verwandtschaftstitel werden nämlich die Angehörigen der regierenden Generation, manchmal unter Einschluß der Kinder, genannt. Diese eigenartige Titelform, der sich etwa Alfons VII. von Kastilien (1126—1155) besonders gern bediente15), ist in hohem Maße die Manifestation einer auf „Ehre" und Herrschaftsanspruch orientierten „Politik". Am Ende des zu untersuchenden Zeitraumes geht ein Titelelement zugrunde, das bis dahin große, mitunter sogar den ganzen Titel repräsentierende Bedeutung besaß, nämlich der Rangtitel16). Giry versteht die „suscription" als „nom au nominatif, ordinairement suivi de ses titres et qualites"17). In einem Abschnitt zuvor und mit der Uberschrift „Titres et qualites des personnes" hatte Giry „titre" nur als Titel im engeren Sinne auf die Funktion des Titelträgers bezogen, während er „qualite" als Kennzeichnung des Banges einer Person im Bahmen der „hierarchie" verstand18). Diese Einsicht ist vornehmlich an den spätantiken Bangbezeichnungen zu gewinnen, die, ausgehend von den gleichzeitigen Bangklassen, auf die Inhaber königlicher Herrschaft und deren „Adel" übertragen wurden. Wenn auch dieser Prozeß nicht so konsequent und lückenlos verlief, wie man bisher annahm, so steht doch fest, daß viele Könige der Völkerwanderung Intitulationes mit dem Titelelement „Bangtitel" geführt haben. Diesem nahe verwandt ist der Triumphaltitel, besonders schon deswegen, weil das kaiserliche „victor ac triumphator" so etwas wie einen an sich ja unmöglichen kaiserlichen „Bangtitel" verkörpert19). Denn es gehört zur Eigenschaft, zur „qualite", des Kaisers, a priori der Siegreiche zu sein20). Die üblichen Triumphaltitel sind freilich die bekannten Adjektiva, die nach den Namen der besiegten Völkerschaften gebildet werden. Auch sie haben in der Spätantike ihre besondere Beziehung verloren und werden oftmals völlig automatisch übernommen. Den Kern eines Titels stellt hingegen der Funktionstitel dar. Er ist im frühmittelalterlichen Königstitel eindeutig und klar ausgeformt, während in dessen kaiserlichem Vorbild „imperator" noch die Erinnerung daran fortlebt, daß die republikanische Funktion zum Cognomen Caesars und schließ-

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") ") 19 ) 80

)

Arnulfinger. Hingegen stellt es ein politisches Programm eines Herrschers dar, wenn sich Roger II. von Sizilien u. a. „Rogerii primi comitis heres et filius" nennt (Κ. A. Kehr, Urkunden der normannisch-sicilischen Könige 416). Ganz besonders gut kann man die theoretisch-politische Bedeutung eines Herkunftstitels an den Titeln der römischen Adoptivkaiser und ihrer Imitatoren erkennen. Rassow, Urkunden Alfons' VII. 407. Die Titel der fränkischen Großen und der Arnulfinger bestanden bis an den Beginn des 8. Jahrhunderts in der Regel nur aus Xame und Rangtitel. Giry, Manuel 533, Ders. 317 ff. Ein kaiserlicher „Rangtitel" ist deshalb unmöglich, weil der Kaiser außerhalb des Beamtenschemas steht. Treitinger, Die oströmische Kaiser- und Reichsidee 170 ff.

2. Terminologie

27

lieh — die Stellung an der Spitze des Kaisertitels zeigt es noch an — zum Praenomen des Augustus wurde21). Das Objekt, auf das sich die Funktion bezieht, kann im Titel ausgedrückt werden. Es ist naturgemäß zunächst die „gens" und erst im späteren Mittelalter das Territorium, das Land. Da die damit befaßten Titelwörter keinen Titel an sich manifestieren, wähle ich dafür den neutralen Ausdruck „Bezeichnung" und spreche von einer ethnischen oder territorialen Bereichsbezeichnung. Vor 800 findet man auf dem Kontinent 22 ) fast nur den Gebrauch der ethnischen Bereichsbezeichnung. Die darin genannten „gentes" werden immer noch am besten mit dem modernen Wort „Staatsvolk" erfaßt, wenn es dann auch notwendig scheint, diesen Begriff zwischen Anführungszeichen zu verwenden. Während die ethnische Bereichsbezeichnung eine verantwortliche Zuständigkeit des Titelträgers meint, stellt die literarische Feststellung der Zugehörigkeit eines möglichen oder tatsächlichen Titelträgers zu einer „gens" noch keine „staatsrechtliche" Beziehung her. Man muß daher die Bereichsbezeichnung als Aussage über das „Staatsvolk" streng von einer bloßen Zugehörigkeitsbezeichnung trennen. Grundsätzlich könnte man jede Intitulatio, die aus mehreren Titelelementen besteht, einen zusammengesetzten Titel nennen. Aus praktischen Gründen, wie vom Standpunkt der theoretischen Politik aus gesehen, soll man jedoch diesen Terminus nur beim gleichzeitigen Auftreten mehrerer verschiedener Funktionstitel anwenden. Besonders deutlich wird diese Erscheinungsform dann, wenn sich die verschiedenen Funktionen jeweils auf besondere Bereichsbezeichnungen beziehen22"). Der zusammengesetzte Titel ist eine verfassungsgeschichtlich bedingte Eigenheit des fortgeschrittenen Hochmittelalters und vor allem des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit. Doch gehören die ältesten Belege dafür bereits in das 8. Jahrhundert, während das wohl berühmteste unter den frühen Beispielen in Karls Kaisertitel vorliegt. Ob man nun von „Intitulatio" oder von „suscription" spricht, man zählt der Formel heute die sogenannte Devotionsformel hinzu, „die dem Gedanken Ausdruck verleiht, daß der Aussteller seine irdische Sendung der Gnade Gottes verdanke" 23 ). Nichtsdestoweniger ist die „Devotionsformel ein Kunstausdruck der mittelalterlichen Urkundenlehre", der überdies noch durch die deskriptiv gute, systematisch jedoch schwache „Geschichte der Devotionsformel" von Karl Schmitz verunklärt wurde24). Schmitz war ,1)

Rosenberg wie Anm. 13. Neben ChLA 220 (697 oder 712 V I I ) „rex Cantuariorum" kommt ChLA 221 (ca. 765) „rex Cantiae" (vgl. ChLA 195 — a. 778) vor. 22a ) Ob man „dux et prineeps Francorum" — die Intitulatio der Brüder Karlmann und Pippin in den Konzilsakten von 742 und 744 — schon einen zusammengesetzten Titel nennen wird, sei dahingestellt, da hier „prineeps" die Mitte zwischen einer Funktion — das Herrscheramt über die Franken — und einem Rang — die erste Stelle unter den Frankenherzögen — markiert. Vgl. Isid. Etvmol. 23) Bresslau 1, 47. Vgl. Giry, Manuel 319. I X 3, 21. 24 ) E. R. Curtius, Europäische Literatur 410, zu Schmitz, Devotionsformel 1. 22)

28

I. Einleitung

nämlich „in der Abgrenzung des Begriffes nicht engherzig"; als Folge davon setzte er Formeln, „in denen ein Oberer (ζ. B. König oder Papst) den ihm Unterstehenden seine gottgesetzte Autorität bekundet", mit offensichtlichen Beteuerungen der Unterwürfigkeit und Demut gleich25). Außerdem bezog er, was noch schwerer wiegen dürfte, die Anrufungen des Namen Gottes, die man diplomatisch als Invocatio festgelegt hat, in den Kreis der Devotionsformeln ein. Im Anschluß an Schmitz und über diesen hinausgehend versuchten etwa Willy Staerk, Walter Ulimann und Hartmut Hoffmann die Bedeutung der „Devotionsformel" im weltlichen Herrschertitel zu erfassen, während Ernst Robert Curtius die Kritik an Schmitz auf dessen mangelhafte Systematik richtete26). Curtius wie Staerk traten für eine schärfere Diakritik des komplexen Begriffes ein. Hoffmann wies auf die Salbung als konstitutives Element der Gratia-Dei-Formel hin 2 '). Die Einsichten und Überlegungen der genannten Forscher aufgreifend, kann man daher in folgender Weise unterscheiden : Zum ersten muß man von der „Devotionsformel" die Invocatio als eigene Formel abtrennen. Ihre wesentlichen Erscheinungsformen als Anrufung des Namen Gottes hat Leo Santifaller aufbereitet 28 ). Sie ist grundsätzlich unpolitisch, ja „privat", da jedermann bei einer Handlung oder einem Rechtsgeschäft den Namen Gottes anzurufen pflegt. Die Invocatio stellt daher auch einen wesentlichen Bestandteil der „privaten" Carta und der von ihr abhängigen oder aus ihr fortentwickelten königlichen und fürstlichen „Akten" dar, wie man sie besonders im langobardischen Italien findet. Zweitens ist die eigentliche Devotionsformel zu nennen, die in diesem Fall ohne Anführungszeichen erwähnt wird. Sie ist die Devotionsformel der geistlichen Würdenträger; mitunter tritt sie auch in den Titeln einer Zwischenschicht von „öffentlichen" Gewalthabern und „Herren" auf, die eine „von Gott gesetzte Autorität bekunden" wollen, diese Möglichkeit aber im Zuge der politischen Ereignisse nicht verwirklichen können. Im allgemeinen findet man solche weltliche Devotionsformeln erst im späteren Mittelalter. Das früheste Beispiel dafür, das allerdings vor 800 völlig vereinzelt dasteht, bildet die Intitulatio eines beneventanischen Herzogs, der von König Liutprand und dessen Sohn in seinem Herrschaftsbereich eingesetzt wurde. Zum dritten möchte ich nach dem Vorbild Staerks die Bezeichnung Legitimationsformel gebrauchen29), die man wie Curtius auch Autoritätsformel nennen kann 30 ). Sie hat sich formal aus der Devotionsformel ent") Curtius a. a. 0 . zu Schmitz 2. *·) Staerk, Zur Geschichte des Gottesgnadentum 160 ff. Ullmann, Principles of Government 117 ff. Ders., On the heuristic value of medieval chancery products 123 ff. Hoffmann, Französische Fürstenweihen 92 f. Zur Literatur vgl. auch Graus, Volk, Herrscher und Heiliger 308 Anm. 30, und Curtius (wie Anm. 24). ") Vgl. Hoffmann 92 und Ullmann, On the heuristic value 124. ,8 ) Santifaller, Über die Verbal-Invokation 19 ff. a ") Staerk 169. °) Curtius 410.

2. Terminologie

29

wickelt und bleibt ihr auch äußerlich ähnlich, ja sogar identisch. Der Ausdruck „Legitimationsformel" bezieht sich zunächst auf die Gratia-DeiFormel der karolingischen Intitulatio. In dieser hat die Salbung Pippins und seiner Söhne zu Frankenkönigen ihren theoretisch-politischen Niederschlag gefunden. Ein westgotischer Usurpator hatte schon knapp ein Saeculum zuvor auf das theologische Politicum seiner Salbung in einer einmalig gebrauchten Intitulatio hingewiesen. Nun aber wurden das traditionelle „gratia Dei" und mit dieser Formel auch die vielen möglichen Varianten auf die politische Ebene der Herrschaft festgelegt und mit neuem Sinn erfüllt. Vorbildlich für Gegenwart und Zukunft manifestierte das karolingische „gratia Dei" die aus der Salbung hergeleitete und „von Gott gesetzte Autorität", wodurch das merowingische Geblütsrecht abgelöst und das karolingische als dessen legitimer Nachfolger bestimmt wurde. In diesem Sinne decken sich die Bedeutungen von Legitimationsformel und Autoritätsformel; doch ist die des zweiten Begriffes weiter. „Eine von Gott gesetzte Autorität" trifft selbstverständlich ganz besonders das Amt und die Ordnung der geistlichen Hierarchie: „servus servorum Dei" ist das bekannteste Beispiel für eine geistliche Autoritätsformel. Man müßte ihr daher den Ausdruck „weltliche Autoritätsformel" gegenüberstellen, wenn man eine Variante zur „Legitimationsformel" sucht. Außerhalb der Betrachtungen und Bemühungen um eine sachgerechte Terminologie halte ich bewußt den spätantiken Kaisertitel und seinen byzantinischen Nachfolger. Der Kaisertitel Justinians lautete etwa Imperator Caesar Flavius Iustinianus Alamanicus Gothicus Francicus Germanicus Anticus Alanicus Vandalicus Africanus pius feliz inditus victor ac triumphator semper Augustus. Die Intitulatio besteht also aus Namen und Namenstitel, Triumphaltitel unter Einschluß des uneigentlichen Rangtitels „victor ac triumphator" und einen Rest von Titelwörtern, die noch nicht eingeordnet werden können. Wenn sich der Namenstitel „Augustus" bereits zu „semper Augustus" gewandelt hat, dann handelt es sich dabei auch schon formal um den Ausdruck der kaiserlichen Hoheit, wie es das griechische άεισεβαστός wiedergibt. Ebenso sind „inclitus" wie etwa auch das hier nicht genannte „serenissimus" Manifestationen der kaiserlichen Hoheit, die kein magistratisches Rangsystem umspannt. In diese Gruppe von Titelwörtern, die man unter Hoheitstitel zusammenfassen wird, gehört auch „felix", weil die von allen Wechselfällen der Fortuna freie Felicitas das Imperium des Kaisers manifestiert. Einen noch in das Heidentum zurückreichenden Pietätstitel verkörpert hingegen das mit Aeneas, dem mythischen Stammvater der julischen Kaiser, verbundene Epitheton „pius". Pietätstitel und Hoheitstitel manifestieren im besonderen „politische Tugenden", die zu Eigenschaften geworden sind. Eine solche Entwicklung kennzeichnet die sachliche Ferne dieser „politischen Tugenden" von der aristotelischen Tugendlehre, obwohl sie dieser seit Cicero und Seneca formal stets verbunden bleiben. Eugen Ewig hat die Antinomie denn auch gesehen und sucht sie dadurch aufzuheben, daß er von denRangtiteln und Rangprädikaten

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I. Einleitung

eigene „Tugendprädikate" abtrennt, die dann nicht mehr zum Titelwesen gehören würden. Η. H. Hoffmann übernahm dessen diakritische Unterscheidung in seine feinsinnige Studie „serenissimus"31). Man muß für diesen Versuch dankbar sein, weil man die Verbindung von „Tugend" und Rang daran noch deutlicher sieht als bisher. Andrerseits ist die terminologische Unterscheidung nur bedingt anwendbar; im Grunde stellt sie nämlich das Produkt einer „nominalistischen" Interpretation dar. Man könnte wohl kaum sagen, daß etwa die politische Tugend „serenitas" im Kaisertitel oder in der kaiserlichen Titulatur aufhört eine Tugend zu sein; denn sie wird doch einzig und allein darum personifiziert und als Abstraktum für ein kaiserliches Personalpronomen gebraucht, um den Imperator in dieser Eigenschaft zu verherrlichen. Der Kaiser hat und ist die Kraft, die Welt mit einem heiteren Himmel zu beglücken. Jede Differenzierung in der Bedeutung der beiden Hilfszeitwörter scheint mir hier willkürlich. Von jenen beiden Titelelementen, dem Hoheitstitel wie dem Demutstitel, wurde hier vor allem der Vollständigkeit halber gesprochen; sie haben mit Ausnahme von „serenissimus" auf die mittelalterlichen Herrscher- und Fürstentitel nur höchst selten, und dann in Sonderformen der üblichen Titeltypen, eingewirkt82). Mittelbar hängen mit der Problematik der Intitulatio noch einige terminologische Fragen zusammen, die im folgenden sehr oft auftreten und daher, soweit es noch nicht geschehen ist33), kurz vorweggenommen werden sollen. Zur Verwendung der Begriffe „Form, Formel, Formular" verweise ich auf die Definitionen, die Bresslau und W. John vorgeschlagen haben: Die Form meint die Fassung des Textes einer Urkunde oder eines Formulars. Die Formel stellt einen festen Urkundenteil dar, wie ihn etwa die Intitulatio bildet. Das Formular ist ein Urkundenmuster, wie es die „Musterbücher", die Formularsammlungen überliefern34). Ein Problem, mit dem immer wieder zu rechnen sein wird, entsteht aus der Konfrontation der üblichen Terminologie der modernen Forschung mit den in „Akten" überlieferten Titeln. Dabei kann es mitunter vorkommen, daß die moderne Begriffssprache den objektiven Überlieferungsbefund, der allein vom zeitlichen Auftreten eines bestimmten Titelwortlautes abhängt, 31

) Die drei Epitheta stammen aus der Intitulatio Justinians (vgl. etwa Migne PL 66, col. 14). Dazu vgl. Ewig, Christliches Königtum 17 f. Anm. 44 a. Fichtenau, Arenga 33 ff., 41, 46, 49, 68 ff. Η. H. Hofmann, Serenissimus 242. Das Wort „felix" wird als kaiserliche Eigenschaft zum kaiserlichen Hoheitstitel; nur der Kaiser ist der a priori „felix", wie er auch „victor ac triumphator" ist (vgl. Anm. 20). 32 ) Das bekannteste Beispiel bietet dafür wieder die Intitulatio des ersten karolingischen Kaisers, die mit „Serenissimus" eingeleitet wurde: DKar. 198. Zu „pius" siehe Ewig (wie Anm. 31). Vgl. 32 Anm. 1. M ) Einige terminologische Fragen wurden auch oben 16 ff. und 19 ff. behandelt und zu klären versucht. 34 ) Classen II 28 Anm. 124. Bresslau, Urkundenlehre 2, 226. John, Archiv für Urkundenforschung 14, 4.

2. Terminologie

31

etwas zu „großzügig" interpretiert. So werden Titel als politisch wirksam angenommen, ohne daß diese aus zeitgenössischen „Akten" zu belegen oder auch nur zu erschließen wären. Spätere Traditionen, die diesem Mangel abhelfen sollen, bewahren aber Fakten im allgemeinen ungleich treuer als deren gleichzeitige Theorie und Terminologie. Ich werde daher einen Titel erst dann als politisch-historische Wirklichkeit annehmen, wenn ich ihn in „Akten" nachweisen kann oder ausreichenden Grund zur Annahme sehe, daß er zu einem bestimmten Zeitpunkt bereits existierte. Versteht man die Intitulatio als eine aus „Akten" stammende Selbstaussage eines Titelträgers, so scheint damit eine Kategorie aufgestellt, in der auch der Numerus eingeschlossen ist, dessen sich der Aussteller bedient, wenn er von sich selber spricht. Bereits die ältesten Königsurkunden gebrauchen den Majestätsplural, wie es für die kaiserlichen Dokumente selbstverständlich ist. Der „private" Aussteller und der untere und mittlere Beamte sprechen hingegen von sich im Singular. Beide „Traditionsstränge" leben im Mittelalter fort; jedoch dauert es bis zum Ende des 8. Jahrhunderts, bis ihre Mischung aufgegeben wird. Da ein königlicher und fürstlicher „Akt" formal davon abhängt, welche römische Behörde zum Vorbild der ihn ausfertigenden „Kanzlei" geworden ist, bildet der Majestätsplural nicht zuletzt ein formales Problem. Dort allerdings, wo eine kaiserliche oder hohe magistratische Kanzlei die Gewohnheiten der königlichen „Kanzlei" maßgeblich beeinflußt hat, zeugt die Verwendung des Majestätsplurals für das Verständnis dieser herrscherlichen Manifestation. Diese Auffassung belegen auch die Versuche des entstehenden mittelalterlichen Fürstentums, den nun königlichen Pluralis maiestatis nachzuahmen. Im folgenden wird das Problem, das vielleicht eine besondere Darstellung verdienen würde, nur dann berührt, wenn es zum unmittelbaren Verständnis einer Intitulatio dienen kann. Dem Ende des Abschnitts bleibt nun der Versuch vorbehalten, die Intitulatio auf Grund der erreichten Ergebnisse und Einsichten zu definieren : Ubergeht man die wenigen Subscriptiones, die Selbstaussagen sind, so bildet die Intitulatio die einzige Formel eines offiziellen Schriftstückes, eines „quod in diversis publicis actibus dictatum", an dem der Titelträger die verbindliche Aussage über sein „nomen" trifft. Diese Aussage kann durch ein Personalpronomen „ego" oder „nos" eingeleitet werden35). Im Sinne der Auffassung der Intitulatio als „Herrschaftszeichen" kann nur ein „Herr", ein den „Staat" repräsentierender Herrscher oder Fürst, eine solche Selbstaussage geben. Sie umfaßt daher auch Name, Rang, Funktion sowie später meistens den Hinweis, daß diese Funktion dem Titelträger von Gott als legitime Autorität über einen bestimmten Herrschaftsbereich anvertraut wurde. Der Herrschaftsbereich kann, muß aber nicht ausdrücklich genannt werden. 35

) Giry, Manuel 533, nimmt das Problem der vorangestellten Personalpronomen in seine Definition der „suscription" auf.

II. DIE

OSTGERMANISCHEN UND LANGOBARDISCHEN KÖNIGSTITEL

1. Herkunft und Bedeutung des Funktionstitels „rex" „Reges a regendo vocati. Non autem regit, qui non corrigit. Recte igitur faciendo regis nomen tenetur, peccando amittitur. Unde et apud veteres tale erat proverbium: ,Rex eris, si recte facias; si non facias, non eris.' Regiae virtutes praecipue duae: iustitia et pietas1). Tyranni Graece dicuntur. Idem Latine et reges. Nam apud veteres inter regem et tyrannum nulla discretio e r a t . . . Fortes enim reges tyranni vocabantur. Nam tiro fortis. De qualibus Dominus loquitur dicens: ,Per me reges regnant et tyranni per me tenent terram.'2) Iam postea in usum accidit tyrannos vocari pessimos atque improbos reges, luxuriosae dominationis cupiditatem et crudelissimam dominationem in populis exercentes3). Imperatores dicti ab imperando exercitui. Sed dum diu duces titulis imperatoriis fungerentur, senatus censuit ut Augusti Caesaris hoc tantum nomen esset, eoque is distingueretur a ceteris gentium regibus. Quod et sequentes Caesares hactenus usurpaverunt. Solet enim fieri ut primi regis nomen etiam reliqui possideant... Augustus ideo apud Romanos nomen imperii est, eo quod olim augerent rempublicam amplificando. Quod nomen primitus senatus Octavio Caesari tradidit, ut quia auxerat terras, ipso nomine et titulo consecraretur. Pharao nomen est non hominis, sed honoris, sicut et apud nos Augusti appellantur reges."*) Diese „Staatslehre" Isidors von Sevilla, eines „der einflußreichsten Lehrer des Mittelalters"6), ist weder systematisch noch politisch, sondern historisch-philologisch bestimmt und begründet®). Trotzdem enthalten die Überlegungen des katholischen Bischofs und loyalen Römers unter westgotischer Herrschaft auch ein gutes Stück zeitgenössischer Politik. Isidor ») leid. Etym. I X 3, 4 f. Vgl. Wickert, Princeps col. 2109. Zu „iustitia et pietas" vgl. Fichtenau, Arenga 52 ff., bes. 52: „Noch vor der ,pietas1 wurde auf dem goldenen Schild des Augustus die .iustitia' genannt." Vgl. Wolfram, Splendor 163 ff. Besonders schließlich Ewig, Christlicher Königsgedanke 32 f. 2 ) Isid. Etym. I X 3, 19 ff. Proverb. 8, 15. ») Isid. I X 3, 20. «) Ders. I X 3, 14 ff. und VII 6, 43. Vgl. 66 Anm. 60. ®) Wattenbach-Levison 86. 6 ) Isid. I X 3, 19 begründet seine Bestimmung von „rex" und „tyrannus" mit dem Zitat aus Verg. Aen. VII 266.

1. Herkunft des Funktionstitels „rex"

33

sucht das Leitbild eines christlichen Königtums aus der Tradition zu motivieren und stößt dabei auf die Gegensatzpaare „imperator — reges gentium" und „rex — tyrannus". Der Versuch, diese Dialektik mittels der Konstruktion einer historischen „Evolution" aufzuheben 7 ), mißlingt, wodurch jedoch der Eindruck verstärkt wird, daß der Königsbegriff nach wie vor theoretisch-politisch „belastet" ist. Gleichzeitig zeigt der Autor den Weg, die abwertenden Traditionen zu überwinden: Eine durch Gott geleitete Königsherrschaft übt „iustitia et pietas" und bleibt davor bewahrt, in die Tyrannei abzusinken. Königsherrschaft ist außerdem Herrschaft ,,in populis". In beiden Dingen unterscheidet sie sich in keiner Weise von der Herrschaft des Kaisers 8 ). Hingegen wird das Kriterium zwischen „imperator" und „reges gentium" auf einen positiven Entschluß des Senats zugunsten Oktavians reduziert; nach Isidor scheint es sich dabei um ein historisches, in seiner Einmaligkeit nicht mehr aktuelles Faktum zu handeln. Jedenfalls eine Theorie, der man eine gewisse Verbindung mit der Wirklichkeit nicht absprechen kann. Was lernt man aber daraus für das Verständnis des Funktionstitels „rex", den die westgotischen Herren des Bischofs von Sevilla ebenso führten wie die übrigen Inhaber der „regna" auf dem Boden des untergegangenen Westreiches ? Die Quellen der römischen Kaiserzeit kennen drei verschiedene Möglichkeiten, den Begriff „rex" zu interpretieren. Einmal abwertend in der Bedeutung von Gewaltherrscher, Tyrann. Zum zweiten völlig indifferent als Bezeichnung „Herrscher, Monarch". Und drittens findet man die Bestimmung des „rex" als den Idealherrscher der griechisch-hellenistischen „Staatsphilosophie", als βασιλεύς und „rex philosophus". Was Isidor als Sprichwort der Alten überliefert, war die Meinung, daß ein βασιλεύεον κακώς das Paradoxon βασιλεύειν μ.ή βασιλικώς darstelle und daher eine „contradictio in se" bilde. Seit Konstantin wurde diese Lehre, die vor allem die jüngere Stoa bei den Römern vertrat, verchristlicht und auf den „imperator" übertragen. Dieser Theorie begegnete der pragmatische Sprachgebrauch des täglichen Lebens, dem kein Unterschied mehr zwischen „rex" und „princeps" auffiel, während die Vorstellung „rex tyrannus" auf den Usurpator überging 9 ). Als die Völkerwanderung begann, waren daher die breite Masse der Römer ebenso wie die von der philosophisch-utopischen Theorie her erfaßbaren Schichten darauf vorbereitet, das Königtum als politische Größe zu akzeptieren. Diese Bereitschaft verstärkte noch die Tatsache, daß die Kaiser des Dominats eine Politik trieben, die als offizielle Neubewertung des Königtums aufgefaßt werden mußte. Das älteste Zeugnis dafür, daß ein anerkannter Machthaber auf dem Gebiet des Imperium als „rex" bezeichnet wurde, stammt aus dem Frühjahr 271. Bevor der Fürst von Palmyra die Stellung eines Augustus usur7

) Vgl. die oben Anm. 1—3 erwähnten Festlegungen auf ein historisches Vor- und Nacheinander, ausgedrückt durch Wendungen wie „apud veteres", „postea" usw. ·) Vgl. Fichtenau, Arenga 30 ff. ») Wickert, Princeps col. 2109 ff. 3

Wolfram. Intitulatto I

34

II. Die ostgermanischen und langobardischen Königstitel

pierte, datierten griechische Papyri aus Ägypten nach dem Herrscher Vabalathus, vir clarissimus, rex, Imperator, dux Romanorum, schlug die Münzstätte zu Antiochia Münzen mit dieser Legende und enthielten lateinische Inschriften Ägyptens diese sonderbare barbarisch-römische Titulatur 10 ). Aus den Fremdaussagen der genannten Denkmale geht jedoch für unsere Fragestellung nur hervor, daß der Orient des 3. Jahrhunderts die Traditionen von „regnum" und „gens" wieder aktivierte, die Römer in diesen „Gentiiismus" einbezog11) und die römische Politik zwang, sich damit ernsthaft auseinanderzusetzen. Im Sommer des Jahres 271 bereitete denn auch Aurelian der „römischen" Herrschaft des orientalischen Fürsten ein rasches Ende 12 ). Man kennt keine Nachwirkungen dieser Episode. Hingegen wurde Hannibalianus, der jüngere Sohn des Kaiserbruders Dalmatius, von Konstantin mit der zur Augusta erhobenen Tochter Constantiana verheiratet und zum „rex regum et Ponticarum gentium" bestellt, wie der Anonymus Valesianus berichtet 13 ). Eine solche Ernennung kann, da sie mit einer auszeichnenden Ehe verbunden war, nicht als Abwertung oder gar Ausschaltung des Hannibalianus gedacht gewesen sein. Der ältere Bruder des Hannibalianus, der wie der Vater der beiden den Namen Dalmatius führte, trat als vierter Caesar an die Seite der Kaisersöhne, um das System der diokletianischen Tetrarchie zu vervollständigen. Hannibalianus muß daher einen dazu annähernd gleichen Rang bekleidet haben. Er war zum Herrscher des christlichen Armeniens bestimmt; vielleicht sollte er sogar eine flavische Sekundogenitur in Persien bilden, das freilich vorerst noch zu unterwerfen gewesen wäre. Seine Funktion wird nur als Fremdaussage überliefert; das Element „rex regum" jener Formel weist allerdings auf den persischen Königstitel, wie ihn nach Ammianus Marcellinus König Sapor der Große geführt haben soll 14 ). Die „Ponticae gentes", die den Herrschaftsbereich des flavischen „rex regum" ausmachten, bewohnten jedenfalls Armenien und Teile des Imperiums. Die Formel „rex regum et Ponticarum gentium" bezog sich daher zwar auch auf Reichsgebiet, spiegelte aber trotzdem eine im doppelten ) Die Münzen aus Antiochia tragen die Legende VABALLATHUS VCRIMDR. Mit C. P. Rainer I 9 und Wilcken Chrest. 1 5 zusammengestellt, die nach den Herrscherjahren des V., des λαμπροτάτου βασιλέως αύτοκράτορος στρατηγού 'Ρομαίων, datieren, ergibt sich die im Obertext zitierte Auflösung. Vgl. auch Anm. 12. " ) Zu diesem Begriff siehe Beumann, Transpersonale Staatsvorstellung 223, und Wenskus, Stammesbildung und Verfassung 2. Bezeichnend für die Auffassung der „Römer" als einer unter den „gentes" des Orients ist ein angeblicher Ausspruch der Königin Zenobia. Nachdem Zenobia 271/72 am Orontes im Kampf gegen Aurelian ihre erste Niederlage erlitten hatte, bot ihr der Kaiser an, sich unter günstigen Bedingungen zu unterwerfen. Sie lehnte mit der Begründung ab, am Orontes seien nur „Römer", d.h. ihre römischen Truppen, gefallen: Mommsen, Römische Geschichte 5, 439 f. " ) Ensslin, Vaballathus col. 2013 ff. Wilcken, Titulatur des Vaballathus 330 ff. Mommsen, Römische Geschichte 5, 437 ff. " ) Stein, Histoire 1, 130 (200). Ensslin Klio 29, 109 f. M ) Ammian. 17, 5, 3; vgl. 10 Anm. 4. 10

1. Herkunft des Funktionstitels „rex"

35

Sinne unrömische Politik wider: Nämlich erstens durch die Festlegung des Herrschaftsbereiches. Weder die Augusti noch die Caesares gaben jemals in ihren Titeln den theoretischen Anspruch auf die unbeschränkte und unbegrenzte Universalherrschaft auf. Zum zweiten, weil „gentes" erwähnt werden und damit der Prozeß der „Gentilisierung" und Partikularisierung von Reichsteilen zum Durchbruch kommt. Beide Beobachtungen zeigen, daß „rex" und „gens" zwei Komplementärbegriffe sind, die die traditionelle römische Politik aufheben müssen, wenn sie sich durchsetzen. Diese Entwicklung unter Konstantin findet ihr Gegenstück in dem Versuch, das Imperium zu erneuern, indem die barbarischen Kräfte in- und außerhalb der Reichsgrenzen in die politischen Führungsschichten „Roms" aufgenommen werden15). Darunter befanden sich die Vorgänger jener „Herren", die ihre „Besitz- und Herrschaftskomplexe" als „regna" verstanden18); das heißt, die denselben Namen auf die Grundlagen ihrer Positionen übertrugen, der dem Imperium als Ganzes und den diesem nachfolgenden Einzelreichen zustand17). Am Ende des 5. Jahrhunderts, als das Reich der „westlichen" Imperatoren bereits vergangen war, soll denn auch im Lande jener „regna", der festungsartigen Sitze der gallischen Aristokratie, tatsächlich ein „rex Romanorum" geherrscht haben. Gregor von Tours bezeichnete so Syagrius, den Sohn des Aegidius. Ob man darin ein mittelbares Zeugnis für einen tatsächlich geführten Titel sehen kann, der sich überdies noch von der Nachfolgeordnung Konstantins herleiten soll18), lasse ich dahingestellt. Denn es wäre gut denkbar, daß Gregor bereits in der Sprache seiner Zeit schrieb, die die gentile Gallia des 6. Jahrhunderts hervorgebracht hat. Legt doch schon Gregors älterer Zeitgenosse Marius von Avenches Zeugnis dafür ab19). Die gentile „Staatssprache" kennt man besonders daran, daß sie mit der Ordnung, ,rex et gens" alle Verfassungswirklichkeiten zu interpretieren sucht. Das spätrömische „Königsbild" haben schließlich nicht zuletzt auch die Bibelübersetzungen des 4. Jahrhunderts mitbestimmt. Während noch Tertullian von Christus als dem „imperator" spricht, um den universalen Anspruch seines Gottes der heidnischen Welt gegenüber glaubhaft zu vertreten20), versteht Hieronymus die Herrschaft Christi nicht anders als der Gotenbischof Ulfila: Auch dort, wo „rex" nicht den jüdischen Volkskönig ") ") 17 ) ")

Ders. 21, 10, 8. Stroheker, Senatorischer Adel 14 ff. Stein, Histoire 1, 124 (190). Werner, Bedeutende Adelsfamilien 91 Anm. 20. Wickert, Princeps col. 2114 ff. Fruin, Titre de roi 140ff.; vgl. Stein, Histoire 1, 392 (579) zu Fred. III 15; S. 98. Siehe zukünftig Zöllner, Franken: „Jedenfalls haben ihn zumindest die Franken so bezeichnet und damit die Eigenart seiner tatsächlich unabhängigen und der Stellung eines barbarischen Heerkönigs (Vereinigung von ziviler und militärischer Gewalt) durchaus vergleichbaren Herrschaft nicht übel charakterisiert." ") Ewig, Volkstum und Volksbewußtsein 638 f., bes. Anm. 178. 644 f. ") Tert. orat. 29 p. 200, 3; fug. 10 p. 479, 1. Sehr wichtig ist auch Itala apoc. 1, 5 (cod. h): „Iesus est imperator regum terrae", wofür in der Vulgata „princeps" steht. Ein besonders gutes Beispiel für die Gleichsetzung „rex-imperator" durch Hieronymus enthält 1 Petr. 2, 13.

3*

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II. Die ostgermanischen und langobardischen Königstitel

der irdischen Messias-Hoffnung meint, übersetzt das Wort das griechische βασιλεύς, obwohl dieses seit dem 1. Jahrhundert stets auch die Übertragung mit „imperator" erlaubte21). Das gentile Königtum der Bibel Schloß dem Begriff „gentilitas" die politisch wirksame δόξα der Gottesauserwähltheit ein22). Die eben erst bekehrten germanisch-sarmatischen Stämme und Heerhaufen, deren Verfassungswirklichkeit wie „Politik" ohnehin auch von den politischen Größen „rex" und „gens" bestimmt waren, mußte daher die aktuelle Interpretation der biblischen Tradition maßgeblich beeinflussen. Diese Interpretation ist zugleich aber auch ein Zeugnis wie weiterer Anlaß für die Aufwertung des Königtums in den Augen der römischen Bevölkerung. Bis zum Ende des 8. Jahrhunderts findet man auf dem europäischen Festland nur einen einzigen Beleg dafür, daß eine königliche Selbstaussage einen anderen als den Funktionstitel „rex" gebraucht hätte23). Aber auch dieser stammt aus der lateinischen „Staatssprache". Die „gentes", deren „Theorie" zumeist besagte, daß ihre Könige autochthone verfassungsgeschichtliche Traditionen auf römischem Reichsboden fortsetzten, verwendeten primär selbstverständlich keine lateinischen Königsbezeichnungen. Und trotzdem existiert ein außerordentlich frühes Zeugnis dafür, daß man die fremde Verfassungswirklichkeit „imperium" auf germanischer Seite zwar den eigenen Vorstellungen angleichen konnte, dabei jedoch nicht auf den Gebrauch der lateinischen Sprache verzichtete. Das Reich Ermanarichs, dessen Größe und politische Bedeutung dem Zeitgenossen Ammianus Marcellinus Achtung gebietend erschien24), erstreckte sich auch über weite Gebiete des heutigen Polens und Rußlands. Im Jahre 1927 wurde an der damaligen polnisch-russischen Grenze ein Goldmedaillon im Gewicht von 48 Solidi gefunden. Das Stück trägt die Bilder der Kaiser Valentinianus I. und Valens und gibt Antiochia als Prägestätte an. Die Rückseite hat die Umschrift GLORIA BOMANOEUM und zeigt einen reitenden Kaiser mit Nimbus, Fortuna und Tellus; sie besitzt Stempelgleichheit mit einem Wiener Medaillon des Kaisers Valens. Daß nur Valentinianus I. und Valens abgebildet sind, legt das Stück auf den Prägetypus der Jahre 364 auf 367 fest. Zwischen dem Rand der Vorderseite und den Bildern der beiden Kaiser sucht sich hingegen die wohl seltsamste „römische" 21

) Brehier, L'origine des titres imperiaux 167 ff. Dölger, Byzantinische Kaisertitulatur 131. Mommsen, Staatsrecht 2, 764. Wickert, Princeps col. 2118. S2 ) Vgl. 10 Anm. 7 und 91 Anm. 14. 2a ) Vgl. hingegen „Ic Ine mid Godes gife Wesseaxna kyning" (Eckhardt, Leges Anglo-Saxonum 136). Ine war König der Westsachsen zwischen 688 und 695. Die Texte seiner Gesetzgebung sind nur „in gekürzter und sprachlich modernisierter Fassung" in das Gesetzbuch Alfreds (871—900) übernommen worden (Eckhardt 9). Nimmt man an, daß davon die Intitulatio des Prologs nicht betroffen wurde, so wäre sie die älteste voltssprachliche Formel ihrer Art. Während jedoch der ags. Königstitel das volkssprachliche Äquivalent zu „rex" darstellt, hat der Langobardenkönig Ratchis, nachweisbar für das Jahr 746, einen davon völlig verschiedenen Funktionstitel geführt. Siehe unten 104 ff. s< ) Ammian. 31, 3, 1. Wenskus, Stammesbildung 471. Schmidt, Ostgermanen 240 ff.

1. Herkunft des Funktionstitels „rex"

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Münzlegende einzufügen, die man kennt: Die Imperatoren werden als R E G I S R O M A N O R U M charakterisiert. Kurt Regling, der das Stück einer strengen methodischen Untersuchung unterzog, tadelte die „abnorme Wahl der Bilder", die „bestialische Roheit der Köpfe", Mißverständnisse und verunglückte Proportionen und schließlich die formal wie materiell schlechte Qualität der Umschriften. Die Buchstaben gleichen „aneinander gelegten Hölzchen". Daß man einen Plural der 3. Deklination mit ,,i" bildet, ist an sich nicht ungewöhnlich. Aber „regis Romanorum" muß man als einen „ganz groben Titelfehler" ansprechen, den „eine fremde Kraft" und nicht ein ständiger Graveur der Münzstätte zu Antiochia verschuldete25). Regling nimmt also jenes mit einer Tülle versehene Medaillon als das, wenn auch verunglückte Produkt einer römischen Prägestätte an. Auf Anraten Robert Göbls wendete ich mich an Philip Grierson, dem wohl besten Kenner dieser Materie und im besonderen der germanischen Nachprägungen römischer Vorbilder, und erhielt von ihm folgende Auskunft, die durch Hinweise Göbls ergänzt wurden: Die spätantiken Kaiser führten „ihr" Gold ständig mit sich — von den Münzprägungen in Gold kann das Itinerar der Imperatoren in ähnlicher Weise abgelesen werden, wie man das der mittelalterlichen Herrscher nach den Produkten ihrer Kanzleien festlegt28). Die Niederlage von Adrianopel brachte den siegreichen Goten reiche Beute an geprägtem und ungeprägtem Gold. "Medaillons of Valens, often mounted as jewellery, are unusually common, as are Germanic imitations of them." Um eine solche Nachahmung handelt es sich auch bei dem fraglichen Medaillon, das als solche keineswegs einmalig ist27), dessen politische Aussage nur kein Gegenstück besitzt28). ") Regling, Ein Goldmedaillon von 48 Solidi 67 ff. Stein, Zum mittelalterlichen Titel „Kaiser der Römer" 182 Anm. 4. Vgl. Gnecchi XVI 1. Noll, Vom Altertum zum Mittelalter 63, zu den Objekten L10 und L 13. Das mit dem im Obertext genannten Medaülon zu vergleichende Stück aus Szilägyisomlyö wird hier um 400 n. Chr. angesetzt. Grierson (wie Anm. 28) vermutet, daß beide Medaillons denselben Hersteller hatten. ") Vgl. etwa Pink, Der Aufbau der römischen Münzprägung 74. *') Gnecchi und Noll (wie Anm. 25). 29 ) In einem Schreiben vom 6. Dezember 1965 teüte mir Philip Grierson seine Ansicht mit den folgenden Worten mit: „I remember the medallion you speak about so well that I do not even have to look up your reference (vgl. Anm. 25). It is a contemporary Germanic copy of a Roman medallion of which no specimens are known. Since an inscription R E G E S ROMANORUM on the original is inconceivable (Or possibly D N V A L E N T I N I A N U S E T V A L E N S ... with letters too small to be easüy copied. The copyist was evidently the same person as the maker of Gnecchi p. XVI. 1 of Valens of Szüagyi Somlyo), I imagine that the obverse of the original had no inscription at all and that this was an invention of the German — and evidently Latin-speaking — copyist. You will note that the original was from the mint of Antioch. I have noticed that medallions of Valens, often mounted as jewellery, are unusually common, a3 are Germanic imitations of them. They are also as a rule from the mint of Antioch. The explanation in my opinion is that the plunder of the battle of Adrianople was quickly diffused through Germany, and that the

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II. Die ostgermanischen und langobardischen Königstitel

Als der „Germane" in das nachgebildete Stück die Worte „regis Romanorum" schnitt, war das Ermanarich-Reich bereits zerstört; doch die ehemaligen Träger dieses Regnum, die germanischen Großen, behielten auch bei Attila ihre Bedeutung als Repräsentanten „staatlicher" Ordnungen, die von „rex" und „gens" verkörpert wurden. Diesen stellte nun ein "evidently Latin-speaking copyist" die römischen Herrscher als Römerkönige, als „reges gentis", gegenüber. Die Umschrift war also die theoretische Leistung eines Mannes, der die Verfassungswirklichkeit seiner gentilen Welt auf die der Imperatoren übertrug. Damit sind einige Überlegungen verbunden: Einmal die Gleichsetzung des Imperium und seiner Träger mit dem autochthonen Königtum. Unter dem Eindruck der „machtvollen Gestalt" des Gaius Iulius Caesar haben selbst die entfernten Goten das Wort für die mit seinem Namen unlösbar verknüpfte Institution übernommen und nach ihm den Ausdruck „kaisar" geprägt, weil ihre eigene Politik kein Gegenstück dazu kannte29). Nun war man ungefähr in denselben Gebieten selbstbewußter geworden; die Erinnerung an das Reich des Ermanarich dürfte das Ihre dazu beigetragen haben. Zum zweiten wird man jedoch in der Formel „regis Romanorum", die ein Angehöriger eines gentilen Verbandes verfaßte, das Abbild eines oder mehrerer „reges Gothorum" sehen. Drittens kann der Autor der Legende als ein Mann gelten, dessen Motivationshorizont zwar gentil orientiert ist, der aber über die nötige Bildung und die Kenntnisse verfügt, um auch die römische Verfassungswirklichkeit danach zu interpretieren. Schließlich war der Besitzer des Medaillons sicher ein „Herr" und ebenso sicher nicht der Verfasser der Umschrift. Wenn die wahrscheinlich schriftlose Vorderseite des Archetypus bei der Nachprägung diese Änderung erfuhr, dann muß sie auch dem Träger des mit einer Tülle bewehrten Medaillons etwas bedeutet haben. Vielleicht auch so etwas wie die Einsicht, daß theoretische Politik auch dann, wenn sie eine gentile Wirklichkeit betrifft, ihren schriftlichen Niederschlag nur in lateinischer Sprache finden kann. Dasselbe gilt für die nichtgermanische „gentilitas" der Völkerwanderung, von der die Tradition viel weniger bewahrt hat und die darum meist vergessen wird. Altava des Jahres 508 war eine Stadt der ehemaligen Mauretania Caesariensis, wo am Beginn des 6. Jahrhunderts sowohl das Regnum originals of the imitations belonged to officers and court dignitaries in the army." An dieser Stelle möchte ich noch Robert Göbl meinen herzlichsten Dank für seine Unterstützung aussprechen; ohne seine Hilfe wäre ich nie zur richtigen Einschätzung der Medaillon-Legende gelangt. Am Rande sei noch vermerkt, daß die von Regling so heftig kritisierte Schrift der Legende, die tatsächlich sehr primitiv wirkt, auch die Möglichkeit zuläßt, in ihr ein bewußtes Stilempfinden festzustellen. Eigentlich hat man R E g i s ROMANORUM zu lesen. Das nach Regling „verzeichnete G in regis" dürfte viel eher ein halbunziales „g" gewesen sein; vergleichbar den halbunzialen Buchstaben des Exemplum Stratonicense, das eine kleinasiatische Abschrift des Edictum Diocletiani de pretiis rerum venalium ist (CIL III S. 805 ff.). 2i ) Kahl, Europäische Wortschatzbewegungen 162 und 174 Anm. 44.

1. Herkunft des Funktionstitels „rex"

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Vandalicum als auch das Imperium auf eine politische Präsenz verzichtet hatten. Hier setzten Beauftragte eines Berberkönigs, die römische Beamtentitel führten, eine Weiheinschrift „pro salute et incolumitate regis Masunae gentium Maurorum et Romanorum" 30 ). Der Unterschied zwischen der germanischen Nachprägung und ihrer Umschrift einerseits und diesem epigraphischen Denkmal andrerseits ist evident. Hier werden die „Römer" zum ersten und einzigen Mal innerhalb der eigentlichen Völkerwanderung zu einem „Staatsvolk" erklärt, das einem gentilen Regnum an zweiter Stelle angehört. Dort sind die Imperatoren als „reges gentium" interpretiert, um von einer gentilen Welt verstanden zu werden. An beiden Denkmälern erkennt man jedoch die Tatsache, daß Königtum und Römertum zwei politische Größen darstellen, die einander nicht mehr ausschließen, die keine „sakrale Verwünschung" (Appian praef. 6) mehr voneinander trennt. Als nächste stellt sich nun die Frage, wie das lateinische Wort „rex" von den „gentes" aufgenommen wurde. Das dafür auswertbare Material ist dürftig und bleibt auf „germanische" Zeugnisse beschränkt. Während das moderne Wort „Kaiser" ein bis auf die Ursprünge durchsichtiges Lehnwort darstellt, übersetzt der vom Lateinischen unbeeinflußte Ausdruck „König" den Terminus „rex". „Der König hatte seinen Ursprung von einem Grundwort altgerm. *kuniz (*kuningaz) genommen, einer Bezeichnung hohen, doch zunächst ,unköniglichen' Adels" 31 ) und wurde erst mit dem Großkönigtum der Merowinger zu der Bezeichnung für den „rex" schlechthin 32 ). Der volkssprachliche Funktionstitel der angelsächsischen Könige ist daher schon von den ersten Zeugnissen an „cyning" 33 ). Die Frage des Pilatus an Jesus lautet nach Johannes: σύ εϊ 6 βασιλεύς των 'Ιουδαίων; Ulfila übersetzte ,,J)u is J)iudans Iudaie?" 34 ). Dieser Ausdruck, der etymologisch leicht erkennbar den Volkskönig meint, kann für keinen gotischen König selbst belegt werden. Man wird sich daher fragen, ob „jpiudans" nicht doch schon früh aufgehört hat, einen „Niederschlag gegenwärtiger Verfassungswirklichkeit" darzustellen 35 ). Jedenfalls um 500, als die Könige ihre Reiche gründeten und beherrschten, die die ersten Zeugnisse eines Königstitels hinterließen, hört man von „jjiudans" nichts 30

) Courtois, Les Vandales 244 und 378 n. 95. Vgl. 377 f. und 382 n. 132. «) Kahl (wie Anm. 29) 162 ff. Vgl. Wenskus, Stammesbildung 322 f., im besonderen 327 Anm. 370a. Wenskus möchte lieber beim Ansatz germ. *kuningaz bleiben, wofür schließlich unter anderen gewichtigen Gründen die finnische Wortform spricht. Hier im Obertext ist jedoch die etymologische Frage nur sekundär wichtig. Kahls Satz wurde deshalb zitiert, weil er in prägnanter Form die politisch-rechtliche Stellung des ursprünglichen „Königs" erfaßt. Darin stimmt ja auch Wenskus (a. a. O. 320) mit der Ansicht Kahls überein. 32 M ) Kahl. 164. Wenskus 322. ) Siehe Anm. 23. ") loh. 18, 33. 35 ) Kahl (wie Anm. 29) 195 f. Anm. 91. Allerdings ist mit Wenskus, Stammesbildung 581, zu bedenken, „daß es (sc. das Wort „Jnudans") verbale wie nominale Ableitungen" im Gotischen zuläßt, was doch für einen lebendigen Gebrauch des Wortes spricht.

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II· Die ostgermanischen und langobardischen Königstitel

mehr. Die Vulgata hat an der zitierten Stelle „rex Iudaeorum" 34 ), also einen Titeltypus, der den meisten gentilen Königstiteln zugrunde liegt. Ein Zeitgenosse Ulfilas, der lateinische Autor und griechische Syrer Ammianus Marcellinus, überliefert aktuelle ostgermanische Königsbezeichnungen seiner Zeit. In seinen Augen sind allerdings die Burgunderkönige von einem „unverantwortlichen" Priester zu unterscheiden. Diesen nennt Ammianus „sinistus", den „rex" übersetzt er als „hendinos". R. Wenskus bedenkt mit Erfolg die Möglichkeit, in jenen beiden Würdenträgern die Repräsentanten voneinander verschiedener Königstypen zu sehen 37 ). Sowohl „hendinos" als auch „sinistus" sind aber keine Funktionsbezeichnungen. K. Hauck denkt daran, „Hendinos", den Ammianus für das „nomen generale" des Königs erklärt, als „göttlichen Spitzenahnen der burgundischen Königsgenealogie zu erschließen"; gleichsam also in dem Begriff das „primi regis nomen" Isidors zu suchen 38 ). Hingegen ist „sinistus" etymologisch leichter zu bestimmen; es dürfte, wohl durch Parallelen belegbar, den „Ältesten" bezeichnet haben 39 ). Nach Prokop sei der Titel Theoderichs, den er zeitlebens führte, nicht βασιλεύς, wie man erwarten würde, sondern ρήξ (sprich „rhix") gewesen40). Tatsächlich liegt aus der Regierungszeit des Amalers kein anderer Funktionstitel als „rex" vor 41 ). Prokop fügt seiner Feststellung aber auch noch hinzu, daß „die Barbaren ihre Heerführer so zu nennen pflegen" 42 ). Damit wäre also die Initiative zur Titelbildung von den Germanen selbst ausgegangen. Andrerseits ist nicht zu übersehen, daß der Terminus ρήξ, der seit Plutarch aus der lateinischen Sprache in die griechische einzudringen beginnt, formal selbstverständlich „rex" entspricht. I n diesem Sinn haben ihn auch andere griechische Autoren der Zeit gebraucht, und zwar nicht zuletzt als Bezeichnung von Germanenkönigen, wie sie etwa Geiserichs angebliche Appellation als ρήξ γης καί θαλάσσης nach der Einnahme Karthagos darstellt 43 ). Einen Terminus technicus bildete das lateinische Lehnwort im Griechischen zunächst noch lange nicht 44 ). Es scheint also schwer zu sagen, ob sich Prokops Motivation eines Barbarismus bediente, der einen Latinismus einbezog oder ausschloß. Gerade an den Stellen, wo Prokop über die staatsrechtliche Position Theoderichs spricht, „treibt er ein geistreiches Spiel" mit den Begriffen einer politischen Terminologie der schillernden Vieldeutigkeit und mangelnden Klarheit 45 ). ») loh. 18, 33. ") Ammian. 28, 5, 14. Wenskus, Stammesbildung 576 ff. *•) Hauck, Die geschichtliche Bedeutung 108 ff.; vgl. Wenskus 579 Anm. 12. Zu Isidor siehe oben 32 Anm. 4. ") Wenskus (wie Anm. 37 f.) 579 f. Anm. 13. «) Proc. bell. Goth. I 1, 26; vgl. 29. ") Siehe unten Abschnitt 2. «) Wie Anm. 40. «») Miltner, Vandalen col. 317. ") Man vgl. die Aufstellung bei Helm, Untersuchungen über den auswärtigen diplomatischen Verkehr 383 Anm. 2., aus der die völlige Freiheit in der Terminologie und ihre verhältnismäßig späte (nach 629, Herakleios I.) Festlegung gut hervorgeht. ") Vgl. Ensslin, Theoderich 112. Wickert, Princeps col. 2127.

1. Herkunft des Funktionstitels „rex"

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Trotz der Unsicherheit, die jeder verfassungsgeschichtlich korrekten Interpretation der Terminologie Prokops anhaftet, versuchte die moderne Forschung doch, den Autor beim Wort zu nehmen. Walter Stach und Edward Schröder griffen eine alte Vermutung Dahns wieder auf, deren Wahrscheinlichkeit auch Reinhard Wenskus nicht ausschließt. Danach habe Prokop mit seiner Nachricht, Theoderich sei wie alle anderen Anführer der „Barbaren" ein ρήξ gewesen, tatsächlich einen germanischen Ausdruck wiedergegeben, dessen großer Vorteil es war, nahezu oder zur Gänze ein Homonym des lateinisch-germanischen und hier griechisch geschriebenen Funktionstitels „rex" zu sein46). Unter den Begriffen, die das politische Leben betreffen, nennt Ulfila auch das Wort „reiks" (sprich „rix"). Er gebraucht den Ausdruck aber nicht für den König, sondern für den άρχων, also für einen „hohen, doch zunächst,unköniglichen'" Großen, um mit H. D. Kahl zu sprechen 47 ). Das ursprünglich keltische Wort ist ein Appellativum, eine Bezeichnung für einen „Herrn", wie zahlreiche damit zusammengesetzte Personennamen lehren 48 ). Obwohl Stach und Schröder den Gleichklang von ithaziertem ρήξ und gotischem „reiks" anscheinend vernachlässigen, suchen sie zu zeigen, daß „rex" selbst wegen seiner Positionslänge wie „rix" ausgesprochen wurde 49 ). Man hat jedoch auch zu bedenken, daß die Gewohnheit, langes „e" wie „i" auszusprechen, keineswegs nur eine gotische oder ostgermanische Spracheigenheit darstellt. Die Legende des nachgebildeten Goldmedaillons besitzt mit „regis Romanorum" nicht nur „gotische" Parallelen 50 ). Die drei Wörter „ρήξ, rex, reiks" dürften daher schon vor 500 Homonyme gewesen sein, was sicher auch dazu beitrug, daß sie gleichsam zu drei Schreibungen desselben Begriffes werden konnten. Der Vandalenkönig Hunerich (477—484) führte wie sein Vater Geiserich und sein Sohn Hilderich einen Namen, der auf dem Grundwort und Appellativum „reiks" aufbaute 51 ). Es muß daher auffallen, daß seine Intitulatio die ungewöhnliche Wortfolge rex Hunirix Vandalorum et Alanorum bietet. Ich möchte diese Formel damit erklären, daß bewußt versucht wurde, das Zusammentreffen der beiden Homonyme „rex" und „reiks" zu verhindern 52 ). *•) Stach, Die geschichtliche Bedeutung 427 Anra. 17. Wenskus, Stammesbildung 581. «) Kahl (wie Anm. 29) 163, 203; vgl. Anm. 48. ") Wenskus, Stammesbildung 359, 419, 581. Vgl. die Namenslisten bei Wrede, Die Sprache der Vandalen, und Courtois, Les Vandales. ") Stach (wie Anm. 46). 50 ) „Gotische" Parallelen sind in Anm. 53 zu finden; siehe auch Gnecchi XX 3. Hingegen sind die von Regling 69 angegebenen Parallelen zum größten Teil „römischen" Ursprungs. ") Wrede, Sprache der Wandalen 64, löst Hunirix mit „erstgeborener Reiks" auf. Courtois, Les Vandales 395, versteht den Namen als „Herrscher (reiks) durch Kraft". Vgl. Heuberger, Vandalische Reichskanzlei 94. l2 ) Heuberger (wie Anm. 51) 96: „Die Intitulatio ,rex Hunirix Vandalorum et Alanorum', in der das erste Wort des Wohlklanges wegen an die Spitze gestellt sein mag, . . . " Heuberger bedachte jedoch nicht die möglichen Zusammenhänge zwischen „rex" und „reiks".

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II. Die ostgermanischen und langobardischen Königstitel

Das positive Zeugnis jedoch, daß „rex" wie „rix" geklungen hat, gewinnt man aus den Denkmalen der ostgotischen Münzprägung in Italien. Seit Athalarich, dem Enkel Theoderichs, tritt in den Münzlegenden die Variante RIX für REX auf; die meisten Beispiele für diese Form stammen aus der Regierungszeit des „nationalen" Königs Totila Baduila 53 ). Schon vor der Errichtung der gotischen Regna auf dem Boden des Westreiches besaßen die Goten eine eigene Schriftsprache, die auch zur Abfassung rechtlicher und offizieller Dokumente verwendet wurde 54 ). Trotzdem ist aus der Zeit, da die Regna der Goten gleich denen der Vandalen, Burgunder, Sueben und Langobarden entstanden und bestanden, keine volkssprachliche Königsbezeichnung mehr überliefert. Die höher entwickelte politische Terminologie der Römer bot im Funktionstitel „rex" eine einheitliche und allgemein verständliche Definition für einen „souveränen" Herrscher über ein von den Größen „gens" und „patria" begrenztes Gebiet 55 ). Es scheint nun einige Wahrscheinlichkeit zu besitzen, daß das Vorbild „rex" über sein Homonym „reiks" in das politische Denken der „gentes" auch dort eingebürgert wurde, wo die Latinität des „staatlichen" Lebens zunächst noch keine Selbstverständlichkeit darstellte. Wir hörten jedoch, daß „reiks" bei Ulfila nicht den „rex" oder βασιλεύς übersetzte, sondern die Schicht der militärischen Anführer und Gefolgschaftsherren einstweilen noch unköniglichen Ranges meinte. Welcher verfassungsgeschichtliche Prozeß ermöglichte es, daß der „reiks" den „rex" auch sachlich erreichte und einen König wie etwa Theoderich, der nachweisbar den Funktionstitel „rex" führte, bezeichnen konnte? Denn der Umstand, daß beide Begriffe gleich oder ähnlich geklungen haben mögen, hat dazu allein sicher nicht genügt. Was Reinhard Wenskus und Hans-Dietrich Kahl als Ursache für die Aufwertung der ursprünglichen Bedeutung von „kuning" im Westen sahen, gilt sicher auch für den Aufstieg der „reiks" zu den „reges gentium" der vorwiegend ostgermanischen Völkerwanderung 58 ). Die zahlreichen kriegerischen Unternehmungen der Zeit boten einer neuen, in diesem besonderen Fall durch „reiks" qualifizierten Schicht von „Herren" die Möglichkeit zur Bewährung ihrer Königsfähigkeit. Musterbeispiel dafür ist die Erhebung des Balten Alarichs I. zum König. Aber auch der Amaler Theoderich der Große selbst errang sein Königtum nicht als ,,{>iudans", sondern als „reiks", ·') Kraus, Die Münzen Odovacars und des Ostgotenreiches in Italien: Athalarich nn. 34, 45, 47 f. 84, 87. Theodahad n. 10. Witiges n. 15. Totila Baduila nn. 14, 30, 32, 35, 39 f. Teja n. 19; vgl. Wroth, Catalogue of the Coins 68, 77 f., 87 f. Auch die merowingische Latinität kennt diesen Lautwandel, wie ihn etwa DOM 27, Zeile 8, „Theuderico condam rige" bezeugt. ") Wattenbach-Levison 68. ") Vgl. etwa Lex Visig. II 1, 8; S. 54 oder Cone. Tolet. X I I I ; S. 478, wo „gens Gotorum" und „patria Gotorum" synonym gebraucht werden. Siehe auch Bosl, Das Stammesherzogtum der Liutpoldinger 336. Claude, König und Stamm im Westgotenreich 72 ff. 5 ') Wenskus, Stammesbildung 320, 322, 326, 411. Kahl, Wortschatzbewegungen 180 und 196 Anm. 91, 202 f. Siehe auch Wenskus, Stammesbildung 359, 419, 581. Schlesinger, Heerkönigtum 108.

1. Herkunft des Funktionstite ls „rex"

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obwohl er an dessen Tradition zumindest theoretisch anzuknüpfen suchte 57 ). Der vielgliedrige Stammbaum der Amaler wurde von Cassiodor über den Heros eponymos der Sippe hinaus bis zum Theos eponymos der Goten selbst zurückgeführt58). Nach Walter Schlesinger und Reinhard Wenskus ist das Regnum eines solchen Königs als „Heerkönigtum" zu verstehen 59 ). Und es war dieses dynamische Element, um nicht zu sagen Prinzip, das einerseits das Westreich in Königreiche aufteilte, andrerseits aber die alten gentilen Stammesverfassungen auflöste und umbaute, ohne alle älteren Traditionen zu vernichten 60 ). Die Erfahrungen der großen Wanderung hatten eindringlich gelehrt, daß nur ein militärisch bewährtes Königtum die Existenz der „barbarischen" Völkerschaften auf dem Boden des Reiches garantierte 61 ). Allein das Regnum erlaubte die notwendige Konsolidierung der germanisch-sarmatischen Heerhaufen. Die Gefolgschaften glücklicher Heerkönige, der „reges- ρηγες-reiks", einten nun ein Zusammengehörigkeitsgefühl und eine politische Willensbildung, die den Augenblick des kriegerischen Unternehmens überdauerten, zur Ausbildung neuer wie Festigung alter Königssippen und schließlich zur Entstehung neuer „Staatsvölker" führten. Die Herkunft dieser Regna aus dem Heerkönigtum wirkte in ihrer Struktur noch lange fort. Diese wird besonders in Krisenzeiten deutlich. Gleichsam paradigmatisch für Existenz und Untergang des ostgermanischen Heerkönigtums läßt Prokop den König Totila Baduila auf die Anziehungskraft einer solchen Herrschaft bauen. In der großen Gefahr der Jahre 541 und 542 verkündet der König den Wiederaufstieg der gotischen Macht mit den Worten: Einst waren wir 200.000 Mann, nun sind wir 5000. Aber unter Hildebad haben wir nur mit tausend Kriegern gegen den Kaiser gekämpft. Doch nach dem ersten siegreichen Gefecht nahm unsere Zahl rasch zu., ,Denn die Sieger wachsen stets an Macht und Stärke." 62) Wenn nun ein barbarisches Föderatenheer sein Regnum auch innerhalb des Imperium behielt, so folgte daraus notwendig, daß die theoretische " ) Wenskus 322 f. (Alarich), 478—484 (Theoderich). Vgl. Wolfram, Methodische Fragen. 5") Schlesinger, Heerkönigtum 105 ff. Wenskus, Stammesbildung 642 sub voce „Heerkönigtum". , 0 ) Wenskus 482 ff., 411: „Die ungebrochene Tradition des gotischen Königtums wird auch durch die Erhaltung des alten Wortes für den König (]piudans) nahegelegt, das im Westen durch eine Neubildung ersetzt wurde (kuning u. ä.). Die altertümlichen sakralen Elemente des wandalischen Königtums sind seit langem bekannt. Nur bei den Burgundern scheint eine Sonderentwicklung (nämlich die von „hendinos" und „sinistus" charakterisierte, vgl. Wenskus 576 ff.) stattgefunden zu haben." Jedoch auch diese Entwicklung zeigt, daß der „jüngere" Königstyp die Aufgaben des „älteren" übernehmen mußte. el ) Wenskus, Stammesbildung 66 ff. 62) Proc. bell. Got. III 4, 2 ff. Vgl. ders. bell. Vandal. I 9, 6—8: Der Bruch der Erbfolgeordnung Geiserichs durch Gelimer, die den Enkel des ersteren als rechtmäßigen Herrscher vorsah, wird aus der militärischen Tüchtigkeit des Thronräubers sowie aus der Niederlage Hilderichs gegen die Mauren erklärt. se )

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I I . Die ostgermanischen und langobardischen Königstitel

Politik des Imperium rearchaisiert wurde. Die Träger des Regnum aktivierten ihre gentilen „Traditionskerne" 63 ) und boten dadurch gleichsam die Kristallisationspunkte für zahlreiche unrömische, aber innerhalb der römischen Welt emporgewachsene Theorien, Motivationen und Vorstellungen. Die „barbarischen", auf die gentile64) Beherrschung und Durchdringung kleinräumiger Einheiten gerichteten politischen Erfahrungen wurden im 5. Jahrhundert aktuell. Die seit der Reichsordnung Diokletians immer stärker wirksamen zentrifugalen Tendenzen gerade der bedeutendsten Provinzen standen zu jenem Prozeß in einem wechselseitig einander bedingenden Verhältnis. Die Einordnung der gentilen Könige in die Politik des Imperium erfolgte über zwei Wege, die zumeist gleichzeitig beschritten wurden. Auf diese Weise gelangte das vorwiegend gefolgschaftlich organisierte Heerkönigtum zu „staatlicher" Herrschaft. Die eine Möglichkeit, mit einem gentilen König in Verbindung zu treten, bestand für das Imperium im Föderatensystem. Die zweite und für die Ausbildung der Regna entscheidende Verbindung bot sich aus der Verleihung ordentlicher Magistrate an diese Könige. Einer der beiden Generäle römischer Elitetruppen, die im Jahre 378 unter Gratian die Alemannen besiegten, war Mallobaudes. Von ihm sagt Ammianus Marcellinus, daß er der „pari potestate collega" des Römers Nannienus gewesen sei, und zwar als „comes domesticorum" und „rex Francorum" 65 ). Mallobaudes nahm also den von einem alten Soldaten Julians korrekt bezeichneten Platz in der militärischen Hierarchie ein66). Die Reichsreform Diokletians hatte jedoch auch eine Bestimmung getroffen, deren genaue Einhaltung verhindert hätte, daß aus der Betrauung eines Germanenkönigs mit einem militärischen Kommando ein Regnum auf Reichsboden entsteht: ich meine die Trennung der zivilen von der militärischen Gewalt. Erst die Wiedervereinigung der beiden Gewalten in der Hand eines einzigen Machthabers bildete die Voraussetzung für die Herrschaft eines Königs innerhalb des Imperium. So wurde aus dem Sohn des noch ordentlich ernannten römischen Beamten Aegidius der „rex Romanorum" Syagrius der fränkisch-gallischen Tradition. Und Chlodwig, der Sohn des Frankenkönigs und Föderaten mehr des Aegidius als des Reichs —· die fränkische Stammessage weiß darum sogar von einem „rex Francorum Aegidius" 67 ) —, schien nach dem Tod des Vaters der „rex Francorum", dem die „administratio Secundum Belgice" fraglos zustand; und zwar in den Augen eines der vornehmsten Repräsentanten der „Römer" 6 8 ). *3) 6J ) 6ä ) ") ")

Beumann, Transpersonale Staatsvor3tellungcn 220. Wenskus (wie Anm. 61). Ewig, Volkstum und Volksbewußtsein 588 ff. Ammian. 31, 10, 6. Stein, Histoire 1, 240 (366). Xotitia dignitatum occ. 1 5 f f . ; S. 103. Greg. Hist. Franc. I I 12; S. 61 f.: „Denique Franci, hunc (sc. Childericum) eiectum, Egidium sibi, quem superius magistrum militum a re publica missum diximus, unanimiter regem adsciscunt." Vgl. I I 27; S. 71: „ A n n o autem quinto regni eius Siacrius Romanorum rex, Egidi filius, . . . " " ) Ep. Austras. 2; S. 113. Vgl. Stroheker, Senatorischer Adel, n. 322 „Remigius".

1. Bedeutung des Funktionstitels „rex"

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Wer die militärische und zivile Gewalt vereinigte, galt theoretisch als Usurpator, als Rebell gegen den Kaiser. Die vandalische Politik stellte gegen diesen Anspruch das „Recht" des Eroberers und die nackte Gewalt. Dagegen konnte aber auch die Macht der Fakten wirken, etwa die Verfügungsgewalt über die letzte und damit einzige militärische Potenz eines Raumes69), so daß die „administratio" eo ipso der „Exekutive" folgen mußte, weil sie ihrer bedurfte. Eine Politik, die besonders die Frankenkönige so meisterhaft einzusetzen verstanden, daß sie dazu die Zustimmung aller Betroffenen erhielten. In Italien lagen die Verhältnisse jedoch anders; zum Teil wurde davon auch das Königtum der Nachbarn, etwa der Burgunder, bestimmt. Aber die besondere Stellung des italischen Königs bleibt doch zunächst und vornehmlich auf die Halbinsel beschränkt; ein Sachverhalt, der auch in der königlichen Intitulatio seinen Niederschlag findet. In Italien löste der „rex" nämlich sowohl einen Kaiser als auch einen Magistrat ab, der — zum Unterschied von entfernt vergleichbaren Provinzialbeamten — anerkanntermaßen beide Gewalten gegen die diokletianischen Reformbestimmungen vereinigte. Nach dem Beispiel Wilhelm Ensslins soll dieser Oberbeamte „patricius *praesentalis" oder „patricius *imperatoris" heißen70). Es handelt sich dabei um den „magister utriusque militiae", der meist das Amt des ranghöchsten Militärs, des „magister peditum (praesentalis)", jedoch mit den um die zivilen Agenden erweiterten Kompetenzen besetzte. Als solcher gewann er „in praesenti" des weströmischen Augustus seine alles beherrschende Stellung, die grundsätzlich auch die beiden anderen Heermeister des Westreiches — magister equitum praesentalis, magister ··) Siehe etwa Werner, Bedeutende Adelsfamilien 89 f. ">) Ensslin, Aus Theoderichs Kanzlei 78. Ders. Serta Hoffilleriana 381 ff. Ders. Klio 24, 472 ff., bes. 492 und 498. Ders. Klio 29,243 ff. Ders., Theoderich 195 f. Die Terminologie Ensslins wurde übernommen von De6r, Patricius-Titel 38 f. Wahrscheinlich aber auch von Heil, Der konstantinische Patriziat, Diss. jur. Basel 1964. Leider konnte ich diese Arbeit vor Abschluß meiner Studie nicht einsehen; jedoch glaube ich aus dem Zitat bei Classen, Karl der Große 5.52 Anm. 55, entnehmen zu dürfen, daß Heil die Ansichten Deers und Ensslins zumindest in ihren Grundzügen teilt. Gegen die Auffassung Ensslins wendet sich am stärksten Stein, Histoire 2, 47 Anm. 1. Zur Titulatur und zu den Rangprädikaten des Patrizius siehe Koch, Beamtentitel 66. In ihren Grundzügen hat die Theorie Ensslins allerdings bereits Gaudenzi, Sui rapporti tra l'Italia e l'Impero d'Oriente 8 ff., vertreten. Die Bezeichnung „patricius *praesentalis" soll andeuten, daß es den „patricius praesentalis" im 5. Jahrhundert nur der Sache nach gibt. Den ersten nachweisbaren Beleg für diese „Amtsbezeichnung" findet man bei Cass. Var. 8, 10, 1 f.; S. 239 (Athalarich an den Senat, Ende 526), wo Tuluin (vgl. unten Anm. 77) zum „patricius praesens" ernannt wird. Ensslin a. a. O. gebraucht jedoch den in Anschluß an die Bezeichnung der obersten Heermeister gebräuchlicheren Ausdruck „praesentalis". Zur Benennung dieses Patrizius als „patricius *imperatoris", der, wie der Asteriskus zeigen soll, ebenfalls nicht in den Quellen der Zeit belegt werden kann, komme ich jedoch aus folgenden Gründen: Schon Constantius, der erste in der Beihe der „militärischen Patrizier" des Westens, wird bereits am Beginn des 5. Jahrhunderts in einem kaiserlichen Schreiben „patricius noster" genannt; eine Bezeichnung, die immer wiederkehrt und sich bis zu „parens patriciusque noster Ricimer" steigern kann (Ensslin, Klio 24, 499).

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II. Die ostgermanischen und langobardischen Königstitel

equitum Galliarum71) — hätten erreichen können. Daß Anaätze dazu vorhanden waren, zeigt die Vereinigung des gallischen Heermeisteramtes mit dem burgundischen Königtum, was dessen Inhabern auch die PatriziusWürde einbrachte72). Wie dieser und die übrigen „patricii" des Reichs, vor allem des organisatorisch intakten Ostens, war der „magister utriusque militiae" formal nur ein Patrizius im Sinne einer, wenn auch der höchsten magistratischen Rangbezeichnung73). Via facti wurde jedoch daraus die Bezeichnung einer Funktion, des „Vizekaisertums" im Westen. Männer wie Rikimer, Gundobad und schließlich auch noch Orestes versuchten Italien und das „Reich" anstelle ihres Kaisers zu beherrschen. Der „occidentis patricius"74) hatte sich eine Stellung geschaffen, an die der „rex" unmittelbar anknüpfen konnte, wenn das Amt, das im 5. Jahrhundert viele „Barbaren" gesehen hatte, und sein Träger vorher beseitigt waren. Odoaker ließ den „Augustulus" am Leben und schickte ihn in „Pension"; dessen Patrizius, diesmal zugleich auch der leibliche Vater, wurde jedoch getötet. Dem Kaiser bot der Skire sein Königtum für die Anerkennung als „patricius" anstelle des Orestes an76). Der Anonymus Valesianus sucht einen logischen Ausgleich zwischen einer anschaulichen und einer korrekten Verwendung der politischen Begriffe zu finden. Der Autor bezeichnet den Theoderich, der mit seinen Heerhaufen den Balkan verwüstet, als „dux Gothorum". Der von Kaiser Zenon ausgesandte römische Beamte heißt stets „patricius". Nach der Königserhebung vor Ravenna ist Theoderich der „rex" und damit Herr zweier „gentes". Vom Standpunkt der nun fast ein Saeculum alten italischen Sonderpolitik aus gesehen, ist hier ein „occidentis patricius" zum „rex" geworden76). ") Stein, Histoire i , 241 (367). Notitia dignitatum occ. I 5 ff.; S. 103. ") Ensslin Klio 24, 491. Schmidt, Ostgermanen 176 und 178. Stein, Histoire 1, 381 (564). 2, 59 und 188: Gundowech. Ensslin Klio 24, 493: Chilperieh. A. a. O. und Stein 2, 59: Qundobad. Stein 2, 188. Schmidt, Ostgermanen 178: Sigismund. Zu allen siehe auch De£r, Patricius-Titel 38 f. ") Vgl. Stein, Histoire 1, 240 f. (366 ff.). Der Autor behandelt hier den grundlegenden Unterschied zwischen der westlichen und der östlichen Militärhierarchie. Aus den Arbeiten Ensslins (wie Anm. 70) siehe etwa ders., Theoderich 195 f. ") Ensslin, Klio 24, 492. ") Mommsen, Gesammelte Schriften 6, 383 Anm. 1. Fruin, Le titre du roi 145. Ensslin Serta Hoffilleriana 381 und 383 (Dagegen Stein, Histoire 2, 47 Anm. 1). Die Diskussion um die historische Echtheit dieses Angebots geht von Malchus fr. 10 aus. Daß Odoaker ein zweiter Rikimer sein wollte, zeigt aber auch die Münzprägung des Königs. Das Monogramm auf den im Vergleich zu den Senatsprägungen nicht sehr zahlreichen Kupfermünzen Odoakers ahmt das des „militärischen Patrizius" Rikimer nach: Stein, Histoire 2, 48. Am Ende seiner italischen Herrschaft wiederholte Odoaker die Politik seines Vorgängers Orestes. Wie dieser rief er seinen eigenen Sohn zum Kaiser aus (Ensslin Serta Hoffilleriana 388). Gleichzeitig ging Odoaker anscheinend zur Ausgabe von Silbermünzen über, die die Legende F L . ODOVAC trugen (a. a. 0 . 3 8 3 ; Stein, Histoire 2,48; Kraus, Die Münzen Odovaears und des Ostgotenreiches nn. 25 f.; vgl. n. 36). Vgl. auch 59 Anm. 23. ~>) Ensslin, Theoderich 75. Ders. Klio 29, 243, nach Anonym. Vales. 12, 49 ff. 57. 63.

1. Bedeutung des Funktionstitels „rex"

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Nach dem Tode Theoderichs wird dieser „rex" ein kleines Kind. Fast gleichzeitig t r i t t ein magistratischer Verweser von vornehmlich, jedoch nicht ausschließlich militärischen Agenden auf. Seine Amtsbezeichnung lautet nun zum erstenmal bezeugbar „patricius praesentalis". Der Inhaber dieses Amtes war ein Gote und Mitglied der amalischen Sippe namens Tuluin 7 7 ). Er dürfte von der gentilen gotischen Hofpartei der Königin Amalaswintha aufgedrängt worden sein und wurde von ihr wahrscheinlich später beseitigt. Tuluin übte jedoch Befugnisse aus, die den Aufgabenbereich eines militärischen Befehlshabers weit überstiegen; sie griffen vielmehr in die zivile Sphäre über und sind nur mit Verfügungen Theoderichs und Odoakers zu vergleichen 78 ). Nicht an Fakten, sondern an den Motivationen einer geplanten Politik erkennt man vielleicht am besten die große Nähe, die zwischen militärischem Patriziat und italischem Königtum besteht. Im Frühjahr 540 beabsichtigten die Goten, Beiisar zu ihrem König zu machen, um den drohenden Untergang ihres Regnum und damit ihrer „gens" zu bannen. Die ideale Ordnung, die das „frühmittelalterliche Schulheft vom Ämterwesen" aufstellt, sieht zwar den Patrizius als den „Beamten" vor, „qui sedet ad latus regis et iudicat causas orbis, u t nullam molestiam habeat rex" 7 9 ). Tatsächlich bedeutete jedoch ein militärischer Patrizius in Italien für den König dieses Landes den Konkurrenten schlechthin; der Patrizius bedrohte den Rex auf Leben und Tod. Prokops staatsrechtlicher Terminologie kann man im allgemeinen zwar nicht trauen; doch gibt es begründete Ausnahmen von dieser Regel. So hat man den Satz βασιλέα της εσπερίας Βελισάριο ν άνειπειν έγνωσαν (sc. οί Γότθοι) mit „(Die Goten) beschlossen, Beiisar zum König des Westens auszurufen" zu übersetzen. Wenig später im Text folgt nämlich die Einladung der Goten, der Feldherr möge als βασιλεύς ' Ιταλιωτών και Γότθων in Ravenna einziehen. Und zuvor hatte sich Beiisar das erste Angebot dahingehend überlegt, daß er ablehnen wolle, um nichts ohne die Erlaubnis des Zu seinen in Wirklichkeit mehrfachen Königserhebungen vgl. zuletzt Wenskus, Stammesbildung 482: Theoderich rechnete sein Königtum selbst seit 471, als er zu Lebzeiten seines Vaters für ein erfolgreiches Unternehmen zum erstenmal zum König erhoben wurde. Die zweite Schilderhebung erfolgte nach dem Tode Thiudimirs im Jahre 474. ") Ensslin Klio 29, 243 ff. Wolfram, Splendor 112 f. Vgl. oben Anm. 70. Tuluin wurde durch sein Amt, obwohl Gote, Mitglied des römischen Senats. Zum Ende Tuluins siehe Ensslin a. a. O. 248. '») Ensslin Klio 29, 247. Classen I 34 Anm. 163. ") Beyerle, Das frühmittelalterliche Schulheft 7. Die a. a. 0. 18 f. vorgetragene Ansicht, das Werk sei im ostgotischen Italien entstanden, behält jedoch in meinen Augen seine Wahrscheinlichkeit. Denn es ist nicht selten ein Anliegen theoretischer Schriften, einen Ausgleich zwischen „Politik" und „Verfassungswirklichkeit" dadurch herzustellen, daß man Gegensätze durch Unterordnung aufhebt. Der „patricius" im „Schulheft" besitzt ein Wirkungsfeld, das über den „orbis" reicht. Ein solcher Sonderbeamter ist nur der „patricius *praesentalis", den man seit Odoaker als König Italiens auszurufen pflegte, der aber neben sich keinen solchen Patrizius duldete, solange er tatsächlich der Herr im Lande war.

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I I . Die ostgermanischen und langobardischen Königstitel

Kaisera zu unternehmen80). Erinnert diese Haltung an Theoderichs erste Bitte von 490 um Anerkennung als „rex" Italiens, so korrespondiert die Formel βασιλεύς Ίταλιωτών και Γότθων den Worten, mit denen Zenon seinem Patrizius Theoderich die Herrschaft über den Westen, das heißt über Italien, in Aussicht gestellt hat 81 ). Ein weiterer Vergleich zwischen Beiisar und Theoderich, gezogen nach Prokop, erhöht noch das Maß an Übereinstimmung ihrer Position als patrizische Heermeister, denen Italien den ins Heerkönigtum übergegangenen militärischen Patriziat bietet. Beide waren nämlich vor ihrem Einmarsch in Italien gar keine „patricii *praesentales", sondern besaßen „nur" den östlichen Ehrenpatriziat. Sie betraten nun die Halbinsel an der Spitze eines siegreichen Heeres: der eine Heermeister mit der Würde eines Patrizius und zugleich Gefolgschaftsherr und König von Stammeskriegern; der andere ebenso Heermeister und Patrizius, aber auch Gefolgschaftsherr von tausenden „bucellarii". Der Unterschied ist gering, wenn man bedenkt, daß der Anonymus Valesianus bei Theoderich auch erst das italische Königtum zählt82). Die gotischen Großen handelten daher nach der Logik der Situation sowie der nicht allein gotischen, sondern italischen Politik, wenn sie Beiisar das Regnum anboten. Hatte doch Prokop, immer noch im Zusammenhang mit der Schilderung dieser Ereignisse und Absichten, beim Anblick der „bucellarii" Beiisars alten Leuten in den Mund gelegt: „Beiisar allein mit seinem Gefolge vernichtet Theoderichs Macht." 83 ) 80

) Proc. bell. Got. I I 29, 17—27. Die besonders wichtigen Stellen sind § 18, 19 und 26. § 17 gibt den Grund an, warum die Goten nicht auf ein Königtum verzichten wollten. Er deckt sich mit der Motivation, daß ein Regnum für die Existenz eines germanischen Volkes auf dem Boden des Reiches notwendig ist (vgl. oben Anm. 61). Stein, Histoire 2, 367 und Anm. 1., interpretiert die Stelle Prokops dahingehend, Beiisar hätte Kaiser des Westens werden sollen, „vielleicht auch König der Goten". Abgesehen von der in Anm. 81 belegten Aussage über das „Hesperium regnum", das Beiisar wie Theoderich erhalten sollte, spricht die eben genannte Erfahrung der „gentes" dagegen: Die Goten konnten nicht die Wiedererrichtung des westlichen Imperium, sondern nur die Erhaltung des eigenen Regnum wünschen. Vgl. dazu auch die Ansicht „des sog. Fredegar, daß das regnum einer gens und deren libertas unvereinbar waren mit der Unterwerfung unter ein imperium": Kahl, Wortschatzbewegungen 179 Anm. 57, nach einer Marburger Diss. (1952) von W. Fritze, Untersuchungen zur frühslawischen und frühfränkischen Geschichte. 81 ) Zur Bitte Theoderichs um die „vestis regia" (Anon. Vales. 53) siehe Schmidt, Ostgermanen 337. Die mit Proc. bell. Got. I I 29, 26 zu vergleichende Stelle ist Proc. a. a. Ο. 11, 11. Dazu vgl. weiters lord. Roman. 344: S. 44: „Hesperium regnum" und Proc. bell. Got. I I 29, 18: βασιλεύς της έσπερίας. ·*) Anon. Vales, (wie Anm. 76). 83 ) Proc. bell. Got. I I I 1, 21; vgl. § 20, wo von 7000 berittenen „bucellarii" die Rede ist. Die von Stein, Histoire 2, 340 Anm. 2 errechnete Truppenstärke Beiisars kommt auf die sehr realistisch anmutende Zahl von 2000 „Privatkriegern", die sich de facto kaum oder gar nicht von den Gefolgschaftskriegern Theoderichs oder Odoakers unterschieden. Über diese Zusammenhänge und Ähnlichkeiten handelte bereits Seeck, Das deutsche Gefolgschaftswesen auf römischem Boden 110 ff.; so waren sowohl Odoaker (118) als auch Beiisar selbst (112) zunächst „bucellarii". Zur

1. Bedeutung des Funktionstitels ,,rex"

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Nach der Zerschlagung des gotischen Regnum mußte daher die Reichsgewalt darauf bestehen, die gefährliche Verbindung, die das gentile Heerkönigtum mit dem halb magistratisch, halb herrschaftlich organisierten italischen „Vizekaisertum" eingegangen war, auf der wiedereroberten Halbinsel ein für allemal zu brechen. Der Exarch von Ravenna war nun als kaiserlicher Beamter damit befaßt, jene rund zwei Jahrhunderte wirksamen Erfahrungen der italischen Politik in die geordneten Bahnen magistratischer Verwaltung überzuleiten 84 ). Das Ergebnis dieser Bemühungen war jedoch ein anderes als das erhoffte; sie führten nämlich zur Teilung Italiens, als der Rechtsnachfolger des „patricius *praesentalis" des 5. und der Könige des 5. und 6. Jahrhunderts zum dauernden Gegenspieler der langobardischen Heerkönige wurde, die ihrerseits die politische Erfahrung eines gentilen „regnum Italiae" fortsetzten. Die Königsgleichheit blieb dem Exarchen daher auch auf Grund der aktuellen politischen Situation stets gewahrt; einen Sachverhalt, den sowohl das byzantinische Rangsystem selbst, als auch der Umstand widerspiegelt, daß sich die Langobardenkönige darin auf gleicher Stufe mit dem „patricius et exarchus" einordneten 85 ). Die ältere Forschung suchte im Anschluß an Theodor Mommsens „Römisches Staatsrecht" nach einer festen Relation zwischen kaiserlicher Amtseinsetzung und daraus abgeleiteter geregelter Amtsführung überall dort, wo man die Organisationsformen des römischen Staates, die den modernen so gut vergleichbar schienen, zu vermuten glaubte. Man unterschied somit auch einen „östlichen" von einem „westlichen" Patrizius, um mit diesem Kunstausdruck den Unterschied zwischen der Patrizius-Würde, wie sie sich am kaiserlichen Hof hielt, und der Patrizius-Funktion des „Heermeister mit erweiterter Kompetenz" festzuhalten, der in Italien de facto ein Vizekaiser war. Daher spricht man auch heute noch von einem „militärischen Patrizius" 86 ). So nützlich eine solche Differenzierung an sich ist, so leicht führt sie jedoch in die Irre, wenn man danach zu fragen beginnt, welcher Art von Patrizius ein vom Kaiser nach dem Westen, das ist Italien, gesandter Heerführer am Ort seines Wirkens ist. Denn auf diese Weise wird man das Opfer seiner eigenen Terminologie, weil man die Herkunft eines Patriziats zum Kriterium seiner praktischen Bedeutung macht. Nun stand aber der westliche Patriziat, der einen burgundischen, besser, gallischen „Ableger" hervorbrachte, bereits außerhalb einer Beamtenhierarchie, bevor es zur Ausbildung eines italischen Königreiches oder der gallischen Regna kam. Auch zeigt der Umstand, daß der „occidentis patricius" vor 476 keine eigentliche Amtsbezeichnung mehr erhielt, mit großer Deutlichkeit dessen Sonderstelneueren Forschung über diesen Gegenstand siehe Werner, Bedeutende Adelsfamilien 91 und a. a. 0. Anm. 20. ) Ensslin Serta Hoffilleriana 384 f. Ders. Klio 29, 249. 85 ) Heuberger, Vandalische Reichskanzlei 97. Koch, Beamtentitel 92. Chroust, Langobardische Königs- und Herzogsurkunde 26 ff. Hartmann, Untersuchungen 28 f. und 137 f. »·) Wie Anm. 70 und 75. 84

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Wolfram, Intltulatio I

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II. Die ostgermanischen und langobardischen Königstitel

lung an. Der Versuch, seit Valentinian III. den „militärischen Patrizius" zum „magister utriusque militiae" zu ernennen, gleichgültig, ob daneben ein zweiter Heermeister „in praesenti" fungierte oder nicht, veranschaulicht die „Hilflosigkeit" der Reichsgewalt gegenüber dieser Machtstellung. Wenn man ihren Inhaber mit einem hypertrophen Amtsauftrag „einholen" möchte, so läßt man dadurch umso eher erkennen, daß jener kein Amt mehr ausübte, sondern eine herrschaftliche Funktion erfüllte. Den Inhalt, den besonders ein Rikimer, der das ungefähr auf Italien reduzierte Westreich ohne Augustus regierte, dieser Funktion gab, konnte ein Odoaker bedenkenlos in sein Regnum übernehmen, ja sogar die Rechtsnachfolge davon so offen proklamieren, daß er sein Königtum gegen einen solchen Patriziat „einzutauschen" suchte. Den magistratischen Gehalt des „militärischen Patriziats" lösten nicht zuletzt auch seine Inhaber auf, die an dessen Stelle gefolgschaftliche, ja herrschaftliche Komponenten einer rearchaisierten, „barbarischen" Politik setzten. Selbst der „Römer" Orestes war vor allem Pannonier und hatte seine Karriere als „notarius" des Hunnenkönigs begonnen87). Die Ursache jedoch, warum Odoaker seinen Gegenspieler, der die Versprechungen an die Truppen nicht erfüllte, als „rex" verdrängte, liegt in der Einsicht der italischen Armee, die zugleich ein germanisches Föderatenheer war, daß ihr nur ein Königtum die Erhaltung und notwendige Konsolidierung garantieren könne. Sie schien jedoch aufs höchste gefährdet, wenn die wirtschaftlichen Voraussetzungen noch länger fehlten. Um diese Forderung gerade der erfolgreichsten und daher um ihre Stellung bangenden Mitglieder des Heeres zu erfüllen, mußte ei» Königtum errichtet werden, wenn das „militärische Patriziat" dazu nicht imstande war oder die politische Notwendigkeit so offensichtlich mißachtete. Die gegenüber der Peripherie nachhinkende Entwicklung brachte darum auch ein eigenartiges, halb dem Imperium zugehöriges, halb dieses ersetzendes Regnum hervor, in dem man jedoch keineswegs sinnvoll nach strengen staatsrechtlichen Normen differenzieren soll. Den italischen König als „rex" einer Gefolgschaft von „Fremden" und als Magistrat gegenüber den Römern der Halbinsel zu verstehen, ginge nur an, wenn dieses Regnum zwei, drei Saecula früher entstanden wäre und nicht den „occidentis patricius" als Vorläufer gehabt hätte. Das Besondere des germanischen Königtums in- und außerhalb Italiens besteht gerade darin, von Anfang an den „rex" der „universi populi suo regno subiecti" gestellt zu haben88), mag seine Herrschaft mitunter auch einen römischen Magistrat in sich aufgenommen haben. ") Ensslin, Orestes col. 1012; vgl. Classen II 4 Anm. 9. ••) Die Formel stammt aus der Lex Hunerichs vom 25. Februar 484: Vict. Vita III 3; S. 40. Vgl. unten 79 Anm. 20. Diese Vorstellung findet man etwa auch bei den Westgoten: Claude, König und Stamm 73. Auch ist in diesem Zusammenhang der Tatsache zu gedenken, daß Odoaker für den „vir inluster et magnificus comes Pierius" der „rex" war, obwohl ihn der König mit der kollegialen Anrede „frater" ehrte: Classen II 18. Zur Anrede „frater" innerhalb der magistratischen Hierarchie

i. Bedeutung des Funktionstitels „rex"

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Wenn dieses Königtum jedoch aus irgendeinem Grunde verschwand oder nicht in der Lage war, seine ihm innewohnenden militärischen Aufgaben zu erfüllen, dann konnte es dort, wo es vorher einen „militärischen Patriziat" gab, zur Wiedererrichtung eines solchen „Amtes" kommen. Im Falle des „patricius praesentalis" Tuluin übergab das Königtum selbst einen Teil seiner Agenden. Der Exarch löste Könige im Auftrag des Kaisers ab. Beide Tendenzen werden im Burgund des ausgehenden 6. Jahrhunderts bei einem interessanten Versuch deutlich, auch innerhalb des „regnum Francorum" die Tradition einer Patrizius-Heermeister-Funktion zugunsten des Imperium einzusetzen. Wie erwähnt, knüpften die burgundischen Könige an das gallische Heermeisteramt an. Damit war an sich die Patrizius-Würde verbunden; Gundobad (ca. 480—516) errang aber nicht nur die „dignitas patriciatus", sondern auch die Funktion, als er in Italien für kurze Zeit seinem verstorbenen Onkel Rikimer als „militärischer Patrizius" nachfolgte. Gundobads Sohn Sigismund (516—523/24) besaß diese Möglichkeit den Umständen gemäß nicht mehr. Seit etwa 501 ein „rex", wurde er auch noch vor 516 für seine Verdienste um das Reich mit der Patrizius-Würde ausgezeichnet. Und nun sieht man, daß nach dem Tode des Vaters König Sigismund, obwohl als solcher ernannt, de facto eben kein „östlicher Patrizius" ist. Ein „rex gentis", dessen Vorfahren Träger kaiserlicher „militiae tituli" waren und der sich in Anschluß daran als „miles" des Kaisers fühlt, kann im Patriziat nur die Vervollständigung seines Königtums sehen. Und zwar im Sinne der italischen Politik, mit der man in Burgund vertraut war und konkurrierte, wie auch entsprechend der „populären" Auffassung des Burgunderkönigs als „patricius Galliae" 8e). Tatsächlich fehlten Sigismund für eine antigotische Aktion in seinem Interesse und des Kaisers Diensten die konkreten Machtmittel. Es blieb in bezug auf Italien und das Westreich90) Theorie, daß der burgundische „rex" den Patriziat wie das Heermeisteramt seiner Funktion eingeschlossen hatte. Mit dem Untergang des selbständigen Burgunderreiches wird diese Funktion gleichsam frei; sie geht nicht zugrunde und hält sich noch bis 581/83, da ein Merowingerkönig die Gefährlichkeit eines solchen Patrizius halb römisch-kaiserlichen, halb burgundisch-königlichen Ursprungs erkennen muß. Das Amt wurde bis dahin von „Römern" bekleidet und diente vorwiegend militärischen Aufgaben für ganz Burgund. Deswegen kann auch Robert Buchner von einem „(älteren) burgundischen Zentralpatriziat" gab es eindeutige Bestimmungen in Cod. lust. I 48, 2; vgl. Dölger, Familie der Könige 410 Anm. 43. ") Zum Patriziat der Burgunderkönige siehe Anm. 72. Die Bezeichnung „patricius Galliae" (Schmidt, Ostgermanen 178 Anm. 4) für den Burgunderkönig müßte in Konkurrenz zum „Syagrius Romanorum patricius" bei Fred. III 15; S. 98 gestanden haben; Stein, Histoire 1, 392 (579) hält diese „tradition digne de foix". ,0 ) Die in Anm. 81 angegebenen Stellen stehen bezüglich der terminologischen Gleichsetzung von „regnum Italiae" und „regnum Hesperium" für viele Berichte aus jener Zeit. Vgl. auch unten Anm. 103. Stein, Histoire 1, 398 (588).

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II· Die ostgermanischen und langobardischen Königstitel

sprechen91). Die schon von Felix Dahn aufgestellte These, dieser Patriziat gehe auf die Patrizius-Heermeister-Funktion des Burgunderkönigs zurück, scheint daher große Wahrscheinlichkeit zu besitzen. Nicht zuletzt aber deshalb, weil die Kritik daran allein mit dem konstruierten Gegensatz zwischen den beiden Arten des Patriziats operieren muß, dessen Relevanz im Bereich der tatsächlichen, vom Königtum bestimmten Politik des Westens äußerst problematisch wirkt und eben bestritten wurde. Für Dahns These spricht hingegen die Tatsache, daß die Erinnerung an den „burgundischen" Patriziat und seinen königsgleichen Möglichkeiten der Politik des Raumes außerordentlich zäh verbunden i t. Zunächst einmal bleibt auch nach 581/83 ein, wenn auch beschränkter, „(jüngerer) burgundischer Provinzialpatriziat" erhalten 92 ). Willebad, ein Inhaber dieses „Amtes" vor der Mitte des 7. Jahrhunderts, wurde zum Mittelpunkt einer gegen den fränkischen Einfluß im Lande gerichteten Adelsopposition. Bei den daraus folgenden Kämpfen kam der Patrizius ums Leben; in der burgundischen Tradition lebte er als „martyr et rex" fort 93 ). Mag diese Bezeichnung auch nur eine historisierende Reminiszenz dargestellt haben. Zwei, drei Generationen zuvor nahm es die fränkische Königspolitik noch durchaus ernst, daß ein burgundischer Patrizius solche politische Möglichkeiten verwirklichen könnte. Im Jahre 587 sandte Guntchram, der merowingische „Burgunderkönig" 94 ), einen „comes Syagrius" nach Byzanz, um dort wegen der Affäre „Gundowald" zu verhandeln, die ihm kein halbes Jahrzehnt zuvor beinahe das Reich gekostet hätte. Von Kaiser Maurikios unterstützt, hatte der angebliche Merowinger, der am kaiserlichen Hof gleichsam zum „Römer" geworden ist, besonders unter der „römischen" Aristokratie des gallischen Südens und Südwestens seine Anhänger gefunden. Von dieser Entwicklung war naturgemäß am meisten das Reich Guntchrams betroffen. Daher lag auch der Kampf gegen den Kronprätendenten auf den Schultern des Königs von Chalons; und ihm mußte auch die „Schuld" an der Beseitigung Gundowalds in den Augen des Kaisers zufallen. Um diese Schwierigkeiten zu bereinigen, war Syagrius nach Konstantinopel gekommen; dort ging er jedoch zu Maurikios über, der ihn als Werkzeug für die Wiederholung der Politik von 583 benützte. Fredegar berichtet: Syagrius „wurde unrechtmäßig zum Patrizius ernannt, man habe aber den dort begonnenen Anschlag nicht vollenden können" 95 ). Paul Goubert bezieht diesen Patriziat ohne Angabe von hinreichen92 ) Ders. 89 ff. 102 ff. » ) Buchner, Provence 86 ff., 101 f. , s ) Ewig, Teilreiche im 7. Jahrhundert 118 ff., bes. Anm. 137. Zur Person Willehads siehe Buchner, Provence 103 f. ·*) Der Titel „Burgunderkönig" oder „rex Burgundionum" ist selbstverständlich mit dem Untergang des Burgunderreiches erloschen. Jeder merowingische Teilkönig war ein „rex Francorum". •5) Zuletzt untersuchte diesen Sachverhalt Goubert, Byzance et les Francs 29 ff. (Gundowald) und 74 ff. (Syagrius). Die Stelle, von der auszugehen ist, findet man Fred. I V 5; S. 125. Vgl. Gasquet, L'empire byzantin 141 und 193. Stroheker, Adel 222 n. 376. Ewig, Teilungen 684 ff. Zöllner, Völker im Frankenreich 94.

1. Bedeutung des Funktionstitels „ r e x "

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den Gründen auf die Provence M ). Richtiger, obwohl allgemeiner, wirkt hingegen die Interpretation, die Erich Zöllner zum Gegenstand vorschlägt, wenn er die Rangverleihung zugleich als Funktionsverleihung ansieht und als auslösendes Moment für „einen Usurpationsversuch eines seinem Namen nach römischen Aristokraten" versteht97). So dunkel auch die Ereignisse des Jahres 587 im einzelnen bleiben werden, klar erkennbar wirkt doch die Bedeutung eines vom Kaiser verliehenen Patriziats im Westen. Unbeschadet der Tatsache, daß der „östliche" Patriziat zum Unterschied vom „westlichen" nur eine Würde und an sich noch keine Funktion darstellt, wird die Differenz im Westen via facti aufgehoben. War der Patrizius nicht der König selbst, so wirkte die formalrechtlich einzig korrekte Verleihung der Würde, nämlich die durch den Kaiser, wie ein Anschlag auf die Integrität, ja die Existenz des Regnum. Nur der Patrizius, den der König ernannte, bedrohte nicht seine Stellung; und zwar solange jener den „rex" als seinen Herrn anerkannte, und nicht, wie der letzte „burgundische Zentralpatrizier" Eunius Mummolus den Gehorsam aufsagte und zur Gruppe der Adeligen um Gundowald stieß, um offensichtlich kaiserliche Politik zu machen. Eine solche Verbindung scheint besonders dann eine aktuelle Gefahr zu bilden, wenn man sich des Satzes bei Gregor von Tours erinnert: „Denique Franci, hunc (sc. Childericum regem) eiectum, Egidium sibi, quem superius magistrum militum a re publica missum diximus, unanimiter regem adsciscunt", aber auch vor Augen hat, daß die fränkische Tradition den Sohn dieses Aegidius einmal als „patricius Romanorum" und dann als „rex Romanorum" in Erinnerung behielt98). Bereits in dem Augenblick, da die ältesten gormanischen Königsurkunden im Namen eines „ r e x " ausgestellt wurden, repräsentierte dieser heute so selbstverständlich wirkende Funktionstitel eine Fülle von Motivationen und Erfahrungen der gentilen wie der römischen Politik. Dieser Vielfalt auf dem Gebiet der Theorie entspricht der Umstand, daß die Praxis der königlichen Herrschaft, also die Funktion eines „ r e x " selbst, in den verschiedenen Regna der Völkerwanderungszeit voneinander stark verschiedene Formen annehmen konnte. Aus der reichen Zahl der Möglichkeiten sei hier nur das Verhältnis herausgegriffen, in dem die Regna zum Imperium standen : Während die Burgunder das „foedus" zu einem Zeitpunkt erneuerten99), da die Vandalenkönige nach heutigen Begriffen als „souveräne" Herrscher gelten müßten100), brach Eurich mit Rom 101 ), vernichtete Chlodwig das Regnum des „Römerkönigs" Syagrius und damit die letzte Institution, die '·) Goubert 78. " ) Zöllner (wie Anm. 9ö); doch ist das dort mit 562 angegebene Jahr der Gesandtschaft des Syagrius durch 587 (Goubert 75 f.) zu verbessern. · · ) Buchner, Provence 89 und 103 f. Goubert, Byzance et les Francs 24 ff. Zur fränkischen Tradition von „Aegidius rex Francorum" und „Syagrius Romanorum patricius" siehe die Anmerkungen 67 und 89. ·») Stein, Histoire i, 396 (585). Miltner, Vandalen col. 317 ff. Courtois, Les Vandales 173 ff. 1 M ) Wie Anm. 99.

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II. Die ostgermanischen und langobardischen Königstitel

eine römische Suprematie über die Franken hätte errichten können102). Im Gegensatz dazu waren Odoaker und sein Nachfolger Theoderich eifrig darauf bedacht, ihr „regnum Italiae" als einen Teil des Imperium zu erhalten, dabei ohne die Demütigung eines herkömmlichen „foedus" mit dem Kaiser auszukommen, um als Nachfolger eines Augustus den theoretischen Anspruch auf die Herrschaft über den Westen vom Besitz Italiens aus erheben zu können103). 1M

) Stein, Histoire 1, 398 f. (589), und 2, 117 Anm. 1. Siehe zukünftig Zöllner, Fränkische Geschichte (in Vorbereitung). 103 ) Proc. bell. Got. I 1, 6 berichtet, Odoaker habe die „Aufstellung als Herrscher" durch das Föderatenheer erreicht und damit eine Würde erlangt, die einen Kaiser daneben ausschließt. Die Absetzung des Augustus wird dadurch als hinreichend motiviert angesehen, da sogar dessen physische Vernichtung von Prokop erwartet wurde. Nach Iordanes Roman. 344; S. 44 verdrängte Odoaker den Kaiser „de regno" und ergriff dann seinerseits die Herrschaft — „Hesperium regnum Romanique populi principatus". Dazu vergleiche man die Bezeichnung Odoakers als „rex Italiae" bei Vict. Vita Hist, persec. I 14; S. 4 (Courtois, Victor de Vita 31, der Victor meiner Ansicht nach wegen dieser doch allgemein üblichen Terminologie zu sehr tadelt). Zur Stellung Odoakers siehe Nagl, Odoacer col. 1890, das Register zu Iordanes, a. a. 0 . 196, sub voce „rex", und Gelasius ep. 26 (496 II 1); S. 409: „Nos quoque Odoacri barbaro haeretico regnum Italiae tunc tenenti, quum aliqua non facienda praeciperet, Deo praestante nullatenus paruisse manifestum est". Für Odoaker wird weiterhin im Sinne seiner Politik überliefert: 1. Wiederherstellung der Bedeutung des Senates in einem überraschend großen Ausmaß. 2. Datierung nach Konsulatsjahren. 3. Anerkennung der von Odoaker ernannten Konsuln im Osten. 4. Übersendung der „ornamenta palatii" (Anon. Vales. 64; S. 322) 5. Protest der Gallier (Syagrius) gegen die Anerkennung Odoakers als König durch Konstantinopel, wohl deswegen, weil dadurch eine Art Suprematie des „rex" über Reichsgallien ausgedrückt worden wäre. 6. Exekutierung der Mörder des Nepos, der vom Ostreich bis zum Ende als rechtmäßiger Kaiser des Westens angesehen wurde: RE 34, col. 1891. 1893. Schmidt, Ostgermanen 320 und 322. Theoderich, der besonders die theoretische Politik Odoakers in bezug auf das Imperium und die „Römer" übernahm, hinterließ viele Zeugnisse dafür, von denen einige herausgegriffen werden sollen: 1. Fortsetzung der Politik gegenüber dem Senat, wofür die offizielle Zustimmung des Kaisers Anastasius erreicht wurde: Avellana 113 (Schmidt, Ostgermanen 372), der Kaiser schreibt an den Senat über Theoderich, „cui regendi vos potestas et sollicitudo commissa est". Siehe auch Ensslin, Theoderich 74 ff. Avellana 199: Kaiser Justinus nennt Theoderich in einem Schreiben an Papst Hormisdas den „praecelsus rex". 2. Anerkennung der von Theoderich präsentierten Konsuln bereits für 498. 3. Übersendung der von Odoaker nach Konstantinopel geschickten „ornamenta palatii" (Anon. Vales. 64; S. 322) und Bestätigung als König durch den Kaiser (zu 2. und 3. siehe Ensslin, Theoderich 77) 4. Protest gegen die Anerkennung Chlodwigs als König, die Anastasius mit einer quasi-magistratischen Ämterverleihung verband, wodurch das Prinzip der Alleinherrschaft und Alleinverantwortlichkeit Theoderichs für den Westen theoretisch durchbrochen wird. In dem berühmten Brief (Cass. Var. I 1, 1; S. 10 f.) wird der Frankenkönig zwar nicht namentlich genannt; aber der Zeitpunkt der Ausfertigung läßt keine andere Wahl der Auflösung zu. Vgl. auch Greg. Hist. Franc. II 38; S. 89: Chlodwig habe nach der Anerkennung seine „cathedra regni" in Paris errichten lassen. Vgl. Ensslin, Theoderich 141 f. 5. Einige Stellen dieses Briefes Theoderichs an Anastasius lauten: „ . . . n o s maxime, qui divino auxilio in re publica vestra didicimus, quemadmodum Romanis aequabiliter imperare possimus. Regnum nostrum imitatio vestra est, forma boni propositi, unici exemplar imperii:

1. Bedeutung des Funktionstitels „ r e x "

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Alle die genannten Könige gehörten einer Schicht von Großen an, die über das Heerkönigtum zur Herrschaft aufstiegen, dadurch die bisherigen magistratischen Organisationsformen sprengten und, ohne selbst Kaiser zu werden, für einen bestimmten Teil des Reiches praktisch den Augustus ablösten. Nach Prokop versuchten wir, diese „reges" als „reiks" zu verstehen. Als solche hatten sie aber auch die alten „Volkskönige" innerhalb ihrer gentilen Ordnung verdrängt, ohne jedoch auf deren Traditionen verzichten zu können. Die besten Beispiele dafür sind wohl der Amaler Theoderich selbst und die Tatsache, daß der „Hendinos" der Burgunder sogar die sakrale Verantwortung des alten „Volkskönigs" übernehmen mußte104). Ebenso selbstverständlich wirkt es aber auch, daß sich die „reiks" als „reges gentium", um mit Isidor von Sevilla zu sprechen105), in das universale Imperium einfügten, obwohl ihre Gefolgschaften alles andere als gentil einheitliche Gebilde darstellten. Eine solche Politik fand in der Selbstaussage „N. rex gentis X . " ihren für alle Welt sichtbaren Ausdruck. Dieser Titel konnte aber innerhalb des römischen Ämterwesens formal nur an die Bezeichnung für verhältnismäßig niedere Magistrate anknüpfen. Der „praefectus laetorum (gentilium) X . " führte etwa eine ethnische Bereichsbezeichnung in seinem Amtstitel10®). Auch steht jede Angabe eines Amtsbereiches oder Herrschaftsauftrages in scharfem Gegensatz zur Intitulatio des universalen Kaisers, die selbstverständlich keine abgrenzende Einschränkung kennt. Es muß daher wie eine „imitatio imperatoria" gewirkt haben, wenn noch dazu der italische „rex", dessen Regnum das Imperium der Theorie nach fortsetzte, auf jede ethnische Bereichsbezeichnung verzichtete und dafür den kaiserlichen Namen „Flavius" im Königstitel führte. Gegenüber der gentilen Tradition stellte jener Titeltypus eine jüngere Sekundärbildung dar, die die ältere Theorie des gentilen Königtums zurückdrängte. Trotzdem besaß die Intitulatio, die ich zum Unterschied vom „gentilen Königstitel" den „flavischen Königstitel" nennen möchte, eine große Anziehungskraft und Ausstrahlung. Der „flavische Königstitel" kommt der Sache nach in die Nähe des „imperialen" oder „augustalen" Königtums des Mittelalters107). Um jenen Königstitel von

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qui quantum vos sequimur, tantum gentes alias anteimus. Hortamini me frequenter, ut diligam senatum, leges principum gratanter amplectar, ut cuncta Italiae membra componam . . . Romani regni unum velle, una semper opinio sit. β. Miltner, Die Grenzmarke 31, nach Cass. Var. 11,3. I I I 43,1. IV 3 3 , 1 : Bezeichnung der römischen Kaiser als „maiores nostri." Siehe oben Anm. 60. Siehe oben Anm. 4. Vgl. Anm. 103, Theoderich 5, mit der Nachricht Anon. Vales. 60; S. 322 (Beumann, Transpersonale Staatsvorstellungen 221), der König habe über zwei „gentes in uno", nämlich über Römer und Barbaren, geherrscht. Notitia dignitatum occ. X L I I 33 ff.; S. 216 ff. vgl. etwa die treffliche Arbeit von Kurt-Ulrich Jäschke, Königskanzlei und imperiales Königtum im zehnten Jahrhundert 288 ff. Zum „augustalen" Königtum des 12. Jahrhunderts siehe Ohnsorge, „Kaiser" Konrad III. 343 ff. (364 ff.). Man unterscheidet wohl deswegen das „imperiale" Königtum eines Karls des Großen oder Ottos I. von dem „augustalen" Königtum Konrade III., weil im ersten das

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II. Die ostgermanischen und langobardischen Königstitel

diesen Begriffen zu unterscheiden und in Hinblick auf die Auffassung des „frühmittelalterlichen Schulheftes vom Ämterwesen", daß der „rex" wie sein „patricius" für den „orbis" Verantwortung tragen, gebrauche ich als Variante wie als Interpretation des „flavischen Königstitels" den Ausdruck „universaler Königstitel" 108 ).

2. Der flavische Königstitel „Regnum nostrum imitatio vestra est, forma boni propositi, unici exemplar imperii: qui quantum vos sequimur, tantum gentes alias anteimus", schreibt gegen 508 der italisch-gotische König Theoderich an den Kaiser Anastasius1). Es ist dies derselbe König, der am 27. August und 1. Oktober 501 zwei Präzepte ausstellte, die die ältesten positiven Zeugnisse für einen flavischen Königstitel enthalten2). Und kaum ein Menschenalter nach dem letzten datierbaren Beleg für diesen Titeltypus vom 11. November 7723) erklärt Paulus Diaconus: „At vero Langobardi cum per annos decern sub potestate ducum fuissent, tandem communi consilio Authari, Clephonis filium supra memorati principis, regem sibi statuerunt. Quem etiam ob dignitatem Flavium appellarunt. Quo praenomine omnes qui postea fuerunt Langobardorum reges feliciter usi sunt."4) Der Typus des flavischen Königstitels lautete Flavius

(vir ezcellentissimus)

(gloriosus)

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rex. Er wurde in königlichen Präzepten5), Königs-

Imperium und dadurch der Imperator-Titel tatsächlich erreicht, im zweiten aber der Funktionstitel „rex" durch den Hoheitstitel „(semper)augustus" aufgewertet wurde. "*) Vgl. Troya, Codice diplomatico longobardo 1, 185 f. Siehe auch Anm. 79. Cass. Var. I 1, 1; S. 10; vgl. die Titulatur „domitor gentium" bei Piebiger-Schmidt n. 193 und die Legende „victor gentium" auf der Rückseite der bekannten Goldmedaille von 500: Schramm, Herrschaftszeichen 1, 227 f. Kraus, Münzen 82 η. 1. Siehe oben 54 Anm. 103, Theoderich 5. 2 ) Praeceptio regis I U I missa ad synhodum S. 420. Praeceptio regis S. 424 (Acta synhodorum habitarum Romae nn. 2 und 4). Classen I I 18 f. Anm. 94. a ) Chroust, Langobardische Königs- und Herzogsurkunde 192 f. n. 36. 4 ) Paul. Diac. Hist. Lang. I I I 16; S. 123; vgl. c. 28 und c. 30; S. 123 f. Zur Bezeichnung des Namenstitels „Flavius" als „praenomen" siehe Suet. Iul. 76. Tib. 26. Claud. 12: „praenomen imperatoris".Vgl. Dölger, Diplomatik 122 und 123 Anm. 38, der ,,αύτοκράτωρ ( = imperator) καΐσαρ φλάβιος" als „praenomina" festlegt. 5 ) Theoderich: Praeceptum regis ad senatum urbis Romae (ep. Theod. 9; S. 392), vom 11. März 507 (zum Datum siehe Classen I I 18 Anm. 94). Praeceptio regis I U I missa ad synhodum, vom 27. August 501. Praeceptio regis V missa ad synhodum, vom 1. Oktober 501 (Acta synhodorum habitarum Romae nn. 2. 4.; S. 420 und 424). In der Praeceptio regis I I I (a. a. Ο. η. 1; S. 419) lautet die Intitulatio nur „Theodericus rex" wie in den stilisierten Überschriften der Variae epistolae Cassiodors (dazu vgl. Classen I I 22 f. und I 13 und 81). Vergleicht man Cass. Var. I 1, 1; S. 10, den berühmten Brief Theoderichs an Anastasius, mit den Schreiben, die Frankenkönige an den Kaiser richteten, epp. Austras. 18 ff.; S. 131 ff. und 25 f.; S. 138 f., so merkt man, wie stark Cassiodor verkürzt haben muB. Die fränkischen Königsbriefe gebrauchen eine reiche Titulatur, die aus der Intitulatio des Kaisers abgewandelt

2. Der flavische Königstitel

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gesetzen6), Konzilsakten 7 ) und Königsbriefen 8 ) gebraucht; er kam jedoch nur in den „Akten" gotischer und langobardischer Könige vor. Den flavischen Königstitel belegt kein Original; am nächsten steht dieser Überlieferungsform das Präzept Aistulfs vom 20. Juli 755 9 ). Ursprünglich hieß der Titel nur „Flavius N. rex"; seine Entstehungsgeschichte ist zugleich die Geschichte seiner Bedeutung, so daß man die Behandlung des einen Problemkreises nicht von der des anderen trennen kann. Das wesentliche Merkmal an diesem Titel bildet der Namenstitel „Flavius", der sich nicht mit einer ethnischen Bereichsbezeichnung verträgt. Die Genesis des Namenstitels „Flavius" ist das Ergebnis einer „pseudologischen Gleichsetzung" 10 ) oder „Ansippung" 11 ) großen Stils, die im 3. Jahrhundert auf der Ebene der kaiserlichen Politik beginnt 12 ). Claudius I I . Goticus (268—270) versuchte, seine Herkunft aus der berühmten Kaiserfamilie des 1. Jahrhunderts herzuleiten. In der ausgehenden Epoche der „Soldatenkaiser" war der Flavierkult weit verbreitet. Er spiegelte den verständlichen Wunsch der Zeit nach Ruhe und Legitimität wider. Die genealogische Konstruktion des Kaisers bildete den konkreten politischen Niederschlag der zeitbedingten Tendenzen. Daran Schloß nun seinerseits Konstantin der Große an, indem er seinen Vater Constantius Chlorus zum Nachkommen des berühmten Gotensiegers machte. Dadurch wurde Konstantin, der nach seinem Adoptivvater Diokletian den Geschlechtsnamen „Valerius" führte, zugleich auch ein „Flavius". Dieses „nomen gentile" entwickelte nun als kaiserliches Praenomen eine ungemein starke Wirkung, die im Grunde vom „ersten" Konstantin bis zum „andern" Konstantin, dem „Flavius Anicius Carlus", reichte 13 ).

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wurde. Langobarden: In 41 Königsurkunden, von denen 22 als echt gelten: Chroust, Langobardische Königs- und Herzogsurkunde 186 ff., danach Classen I I 79 und Anm. 377—380, wodurch Chroust in einigen Punkten korrigiert wird. Die echte Überlieferung setzt mit dem Jahre 688 ein. Lex Theudi regis de litium expensis (546 X I 2 4 ) S. 467. Lex Visigothorum, Register; S. 488 ff. (ab Rekkared I.). „Gesetz (constitutio) Gundomars (610/12) über die Stellung der Kirche von Cartagena, Migne P L 84, Sp. 482 f., Gesetz (lex) zur Bestätigung von 12Kanones des Konzils von 681, MG. L L . sect. I I S . 476, Edikte zur Verminderung von Steuern (683) und über eine Verhandlung gegen einen Beamten (693) S. 479 f. und 483 f . " (Classen I I 8 Anm. 29): nur bei den Westgoten. Classen I I 7 f. Anm. 29: Tomi des 8. Konzils (653) MG. L L . sect. I 1 S. 4 7 2 - ^ 7 5 , des 12. Konzils (681) S. 475 f., des 13. Konzils (683) S. 477—179, des 15. Konzils (688) S. 480 f., des 16. Konzils (693) S. 481—483, des 17. Konzils (694) S. 484 f. Ep. Pauli S. 5 0 0 : nur bei den Westgoten. Classen I I 80 Anm. 384. Wenskus, Stammesbildung 655 sub voce „Wechsel der ethnischen Zuordnung". Hier wird aber nur der Begriff als solcher behandelt. Hauck, Die geschichtliche Bedeutung der germanischen Auffassung von Königtum und Adel 99 ff., zum Wort und zu der Sache „Flavius". Dazu und zum folgenden siehe Mommsen, Ostgothische Studien 476 (536) Anm. 2. Ensslin, Serta Hoffilleriana 385 f. Stein, Histoire 1, 77 (115), um nur einige Autoren zu nennen. Zur Formel „Flavius Anicius Carlus" siehe Schaller, Die karolingischen Figurengedichte 37. Zur Auffassung, daß Karl der Große ein oder der zweite Konstantin

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Π. Die ostgermanischen und langobardischen Königstitel

Konstantin wurde der Gründer der sogenannten „zweiten" flavischen Dynastie, die auch nach dem Erlöschen der männlichen Nachkommenschaft mit Julian Apostata als die Familie der Kaiser wirksam fortlebte. Erst Herakleios I., der 629 den römischen Kaisertitel in den byzantinischen änderte, gab die dreihundertjährige Tradition auf 14 ). Diese Entscheidung fand jedoch in der Welt der „lateinischen Könige" keinen Widerhall. Die genealogische Konstruktion Konstantins hatte nämlich auf einer anderen Ebene eine zunächst nur quantitativ beachtliche Nachwirkung hervorgerufen. Seit Konstantin wurden zahlreiche Mitglieder der nichtrömischen, ja reichsfremden Aristokratie in den „ordo senatorius" aufgenommen, um die Führungsschichten des Reiches zu erneuern. Diese Maßnahme verlangte notwendig die Bürgerrechts Verleihung an die neuen Senatoren. Dieselbe Konsequenz hatte die Öffnung der Militärhierarchie gegenüber den „Barbaren". Denn diese Neubürger nahmen dem alten Herkommen gemäß den Geschlechtsnamen des Kaisers an 15 ). Merobaudes, Stilicho, Rikimer, Aspar, um die wichtigsten zu nennen, waren nachweisbar „Flavii" 16 ). Da solche „Herren" schließlich die Funktion des militärischen Patriziats und damit das höchste „Amt" im Reich ausübten, konnte die moderne Forschung sogar zu der irrigen Ansicht gelangen, ein Patrizier sei an sich schon ein Flavius gewesen 17 ). Auch der Amaler, dessen Intitulatio „Flavius Theodericus rex" hieß, war ein römischer Bürger, da er wie sein Schwiegersohn „Flavius Eutharicus Cilliga" 18 ) römische Ämter bekleidete. Die ganze Königssippe wurde dadurch zu einer „gens Flavia", wie etwa der Name „Flavia Amala Amalafrida Theodenanda" in unübertroffener Deutlichkeit zeigt 19 ). Was aber Theoderich wie der Tochter König Theodahads nach römischem Recht unbestreitbar zustand, mußte seine Bedeutung und seinen Inhalt ändern, wenn „Flavius" zusammen mit dem Funktionstitel „rex" gebraucht wurde. Nun konnte der Name bereits eine politische Demonstration im Sinne des „ob dignitatem" der Langobarden gemeint haben. Ansätze für eine solche Auffassung bieten nämlich schon die spärlichen Überlieferungsreste der Politik Odoakers.

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sei, siehe Ewig, Das Bild Constantins des Großen 33. Wolfram, Constantin als Vorbild 228 ff. 240. Bucklisch, Augustus 14. Ostrogorsky, Mitkaisertum 170. Dölger, Entwicklung der 15 byzantinischen Kaisertitulatur 131. ) Mommsen, Staatsrecht 3, 64 ff. Ders., Ostgothische Studien 477 (536) Anm. 1: „Es sind auch keineswegs gerade die vornehmsten Geschlechter, bei welchen der Flaviername sich einstellt, viel eher die fremden, wie zum Beispiel bei Stilicho und Merobaudes, ebenso bei den saracenischen Phylarchen und den germanischen Königen". Ensslin Serta Hoffilleriana 385 f. stellt eine Liste der „Flavier" auf Grund des epigraphischen Materials zusammen; sie ist durch Fiebiger—Schmidt, Register 164, und Fiebiger, Register 57 zu ergänzen. Mommsen, Ostgothische Studien 477 (536). Ensslin, Odoakers Herrschaft 385. Fiebiger—Schmidt 188. Ensslin, Theoderich, Register sub voce „Eutharich". Benjamin, Eutharicus col. 1496 ff. Fiebiger—Schmidt n. 204.

2. Der flavische Königstitel

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Zwischen dem 18. März 489 und dem 11. August 490 wurde aus den Gesta municipalia von Syrakus eine Kopie angefertigt. Der Papyrus gibt den Wortlaut einer königlichen Schenkung wieder. Die der Inscriptio nachgestellte 20 ) Intitulatio lautet nur Odovakar rex21). Zum Zeitpunkt der Ausstellung war der Bruch mit dem Imperium bereits vollzogen. Damals soll der Skire seinen Sohn zum Kaiser ausgerufen haben, wenn man einer griechischen Quelle trauen darf22). Objektiv zu überprüfen ist hingegen die Tatsache, daß Odoaker die herkömmlichen Formen der kaiserlichen Münzprägung Italiens zu seinen Gunsten änderte, nachdem er von Zenon vor aller Welt zum Usurpator deklariert worden war. Immer wieder begegnet bei Odoaker das Moment der Nachahmung Rikimers, des flavischen „patricius *praesentalis" Italiens, der allein an Kaisers Statt den Westen regierte 23 ). Zunächst setzte Odoaker nach dessen Vorbild nur sein Monogramm auf die Münzen, die sonst den herkömmlichen Prägetypus bewahren24). Nach diesem Zwischenstadium kommt es zur Verselbständigung der Münzprägung des Königs. Außer einem Monogramm, das nach spätantik-kaiserlichem Muster nur den Herrschernamen verschlüsselt, tragen die Münzen des Skiren nun sein Bild und die Aufschrift FL(avius) OD(ov)Ac(ar)2-5). Aus dem Leben des Königs ist aber weder eine Bürgerrechtsverleihung noch eine ordentliche Amtseinsetzung, die jene voraussetzen würde, bekannt. Allerdings weiß man, daß der Kaiser, nachdem ihm Odoaker das Königtum gegen die Anerkennung als „patricius *praesentalis" angeboten hatte, diesen nicht nur an Nepos als den rechtmäßigen Kaiser des Westens verwies, sondern ihn gleichzeitig auch als „patricius" angeredet hat 26 ). Odoaker kann 20

) Classen I I 18 I. Anm. 94 zeigt, daß die vier erhaltenen Königstitel Theoderichs, die außerhalb der Variae epistolae Cassiodors überliefert sind (dort haben die allerdings stilisierten Überschriften stets die Intitulatio nach der Adresse), bezüglich der Stellung der Intitulatio keine genaue Ordnung einhalten. Eine Urkunde Theoderichs weist nur den Titel „Theodericus r e x " auf und reiht diesen der Adresse nach. Man kann jedoch daraus nicht den Schluß ziehen, daß etwa die Verwendung des Namenstitels „Flavius" das ausschlaggebende Kriterium bildete, da Theoderichs Schreiben an den Senat vom I i . März 507 die Inscriptio voranstellt, danach aber die Flavius-Intitulatio bietet. Zu den Urkunden Theoderichs siehe die Aufstellung in Anm. 5. 21 ) Classen I I 18. Santifaller, Die Urkunde des Königs Odovakar vom Jahre 489 (MIÖG 60, 1952) 13. Vgl. Anm. 31. 22 ) Ensslin Serta Hoffilleriana 388. 23 ) Ensslin, Odoakers Herrschaft 381. 386. Vgl. den Text der Inschriften a. a. 0 . 383: „salvo domini nostro Zenone et domno Odoacre" und „salvis dominis nostris et patricio Ricimere". Dazu siehe Piebiger—Schmidt n. 187: „Salvo domino nostro . . . Augusto et gl(oriosissimo rege) Theoderico". Zu diesen Doppelnennungen siehe den von Proc. bell. Got. I 6, 4 f. erwähnten Verhandlungsgegenstand zwischen Justinian und Theodahad. Zum Thema — Odoaker als ein „zweiter" Rikimer — siehe auch oben 46 Anm. 75. 24 ) Stein, Histoire 2, 48. 2δ ) Kraus, Münzen Odovakars und des Ostgotenreiches 45. 49. 26 ) Ensslin, Odoakers Herrschaft 381. Wenn Ensslin jedoch (Klio 24, 502) von einem „Patriziat" spricht, „mit dem bekleidet Odoaker . . . einen Rechtstitel" für seine Herrschaft über Italien gewann, so kann man ihm darin nicht folgen. Denn alle

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II· Die ostgermanischen und langobardischen Königstitel

nun die Namensform dessen übernommen haben, dessen Politik er fortzusetzen suchte; denn auch Flavius Ricimer herrschte in Italien bei gleichzeitiger Wahrung der Einheit des Reiches27). Ebenso besteht die Möglichkeit, daß Odoaker sein Praenomen „Flavius" aus der unverbindlichen Titulatur der kaiserlichen Antwort abgeleitet hat. In beiden Fällen ist aber Flavius kein bloßer Name mehr geblieben. Die Intitulatio Odoakers, die ein einziges, wenn auch außerordentlich gutes Denkmal überliefert, verzichtete noch auf „Flavius". Doch kennt man auch von Theoderich eine Intitulatio, die sich mit dem Typus „N. rex" begnügt, ohne daß man eine nachträgliche Verkürzung anzunehmen hätte 28 ). Hingegen legen Zeitpunkt und Anlaß der Verwendung von „Flavius Odovacar" auf den Münzen des Königs das Praenomen bereits als „Herrschaftszeichen" fest. Innerhalb einer bestimmten theoretischen Politik verkündete „Flavius" das Programm des Königs. Bei Odoaker liegen die Anfänge des flavischen Königstitels, den Theoderich nachweisbar als erster Germanenkönig führte; allerdings war der Amaler zugleich auch ein Flavier, den römisches Bürgerrecht und Amt dazu machten. Als eindeutiger Namenstitel wird „Flavius" im ersten bekannten Titel eines Westgotenkönigs gebraucht. Das Prozeßkostengesetz des Jahres 546 beginnt mit der Formel Flavius Theudis rex29). Theudis war Ostgote und Waffenträger Theoderichs. Nach der Schlacht von Vouille kam er 507 unter Ibba den Westgoten zu Hilfe und wurde schließlich als „tutor" Amalarichs, des unmündigen Enkels Theoderichs, eingesetzt. In dieser Stellung suchte der ehemalige „dux" die Bindungen an Ravenna auf ein Mindestmaß herabzudrücken, weshalb ihm Theoderich noch im Jahre 524 seinen „Amtsauftrag" entzog. Die Ungnade des fernen italischen Königs störte jedoch das „Vizekönigtum" des Theudis kaum. Als letzter westgotischer Amaler wurde Amalarich 531 von seinen eigenen Gefolgsleuten erschlagen. Theudis, der daran nicht ganz unschuldig gewesen sein dürfte, wurde darauf zum König (531—548) erhoben30). Daß Theudis römischer Bürger gewesen wäre, kann man nicht einmal vermuten. Seine Intitulatio gleicht aber der Theoderichs aufs Haar; der Titeltypus „Flavius N. rex" muß daher schon die Manifestation eines besonderen Königtums verkörpert haben, das der Nachahmung auch außerhalb der Grenzen seiner Entstehung wert war. Die

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Ensslin, Odoakers Herrschaft 382 ff., angeführten Beispiele für den Inhalt der Stellung Odoakers sagen alles über die Bedeutung des „militärischen Patriats" als Vorläufer des italischen Königtums, nichts jedoch darüber aus, daß der formale Akt einer Titelverleihung an Odoaker jemals durch den Kaiser vollzogen wurde. In diesem besonderen Fall kommt es jedoch auf den Formalakt an, weil jede inhaltliche Angleichung daran das Praenomen „Flavius" zum Namenstitel macht. Wenn Nagl Odoaker col. 1890, nach Mommsen, Gesammelte Schriften 6, 476 f., die Bürgerrechtsverleihung an Odoaker behauptet, so gibt es dafür keinen positiven Beweis. So die überlieferte Namensform nach Seeck, Ricimer col. 791 ff. Classen II 18. Santifaller, Die Urkunde des Königs Odovakar vom Jahre 489 (MIÖG 60, 1952) 13. Wie Anm. 6: Lex Theudi regis de litium expensis (546 X I 24) S. 467. Stein, Histoire 2, 153 f. Nagl, Theudis col. 246 ff.

2. Der flavische Königstitel

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Übernahme läßt daher vermuten, daß das Praenomen „ F l a v i u s " bereits im T i t e l Theoderichs in Analogie zum Kaisertitel gebraucht wurde und schon damals einen echten Namenstitel darstellte. Bedenkt man schließlich den Umstand, daß v o n Odoaker nur ein einziger Urkundentitel erhalten blieb, Theoderich jedoch in fast allen seinen „ A k t e n " einen flavischen Königstitel führte 3 1 ), so könnte man die Entstehungsgeschichte des Namenstitels vielleicht auf diese Weise zusammenfassen: Die Inhaber des italischen Vizekaisertums des 5. Jahrhunderts waren, unbeschadet ihrer barbarischen Herkunft, Flavier, weil sie formal ein Reichsamt ausübten und daher Bürger sein mußten. W i e die Kaiser der „ z w e i t e n " flavischen Dynastie führten sie das ehrwürdige Gentilicium als Praenomen. I n dem Augenblick, da der italische K ö n i g die Herrschaft jenes „ A m t s t r ä g e r s " , „qui iudicat causas orbis" 3 2 ), als Regnum institutionalisierte, wurde „ F l a v i u s " zum Namenstitel einer königlichen

Intitulatio,

gleichgültig ob ihr Träger römischer Bürger und Beamter war oder nicht. D i e Übertragungen des flavischen Königstitels auf die Westgoten und später auf die Langobardenkönige stellen Theoderich der Theorie nach neben Konstantin. W i e dieser die „ z w e i t e " , so gründete jener die „ d r i t t e " flavische Dynastie. Die ältere Herrschersippe besitzt das Kaisertum, die jüngere sucht das K ö n i g t u m schlechthin zu repräsentieren 33 ). Die Notwendigkeit, den Zeitpunkt festzulegen, seit dem man mit Recht v o n einem flavischen Königstitel sprechen kann, zwang zur Vorwegnahme einiger Tatsachen und Motivationen, auf deren wiederholte Darstellung im systematischen Zusammenhang leider nicht ganz verzichtet werden kann; doch werden im folgenden die Wiederholungen kurz gehalten. Die ostgotischen K ö n i g e nach Theoderich hinterließen keinen „ A k t " , in dem die flavische Intitulatio ihres großen Vorgängers gebraucht würde 34 ). Die erhaltenen Dokumente sind ausnahmslos durch die Varien Cassiodors bekannt und überliefern die dort auch schon für Theoderich geltende K u r z f o r m „ N . r e x " , das Ergebnis der Stilisierung des Autors 3 5 ). D a jedoch Athalarich (526—534) und Theodahad (534—536) Amaler waren, die Tochter des zweiten sogar die Sippennamen „ F l a v i a A m a l a " führte 3 8 ), ist kaum anzunehmen, daß sie v o n der vorgegebenen Titelform abgewichen wären. Ebensowenig wird Witigis (536—540) auf dieses Zeichen der K o n t i n u i t ä t und Legitimität gerade seines Regnum verzichtet haben, w o er doch in seinem Schreiben an „alle G o t e n " den Standpunkt vertritt: „idcirco parens illius (sc. Theoderici regis) debet credi, qui eius facta potuerit imitari", und somit die politische Theorie der „Ansippung durch I d o n e i t ä t " verficht 3 7 ). 31)

Vgl. Anm. 5, Theoderich, Praeceptio regis I I I , und Anm. 21. 28. Beyerle, Schulheft 7. 33) Siehe Anm. 1 und unten 68 ff., sowie 47 Anm. 79. M ) Außer für Theoderich diktierte Cassiodor auch Urkunden für die Könige Athalarich, Theodahad und Witigis und die zwei Königinnen Amalaswintha und Gudeliva: 35) Ders. (wie Anm. 5 und 20). 36) Wie Anm. 19. Classen I I 21. S7) Cass. Var. X 31; S. 318 f., im besonderen die §§ 1 und 5. Vgl. dazu Kern, Widerstandsrecht 253. Zum Begriff „Ansippung" siehe überdies oben Anm. 11. 32)

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II. Die ostgermanischen und langobardischen Königstitel

Die Könige Hildebad (540—541) und Totila Baduila (541—552) waren der Neffe bzw. der Großneffe dee „Flavius Theudis rex"38). Wenn also schon ihr Verwandter in Spanien durch die Tradition, die von Theoderich ausging, verpflichtet wurde, um wieviel eher wird man in Italien selbst den flavischen Königstitel gebraucht haben, um der Politik des kaiserlichen Flaviers Justinian die des königlichen Flaviers und Herrn Italiens entgegenzusetzen. Dasselbe hat wohl auch von Teja (552—553) gegölten. Für einen nicht auf Theoderich beschränkten flavischen Königstitel spricht auch der Umstand, daß ihn die Langobardenkönige noch im 6. Jahrhundert als urkundliche Intitulatio übernahmen. Er muß offensichtlich als der italische Königstitel schlechthin in die politische Erfahrung der Halbinsel eingegangen sein. Wie die Intitulatio der westgotischen Könige vor Theudis ausgesehen hat, kann man heute auf Grund des Standes der Überlieferung nicht mehr sicher sagen. Doch besteht, wie zu zeigen sein wird39), Grund zur Annahme, daß noch Alarich II. einen gentilen Königstitel getragen hat, der auch im 7. Jahrhundert in „Akten" geringeren Ranges zu finden ist40). Der nächste spanische Gotenkönig, dessen Titel nachweisbar den flavischen Typus repräsentierte, war erst wieder Rekkared I. Die Reihe der bezeugten Titelträger, die immer wieder durch mehrjährige Lücken unterbrochen wird, reicht aber mit einer solchen Regelmäßigkeit bis ins 8. Jahrhundert, daß auch das vierzigjährige Schweigen der Quellen nach Theudis auf eine ununterbrochene Weiterverwendung des flavischen Königstitels schließen läßt. Auf Grund der Politik des Königs, die an die gotische Politik in Italien erinnert, wäre die flavische Intitulatio besonders für Leowigild (568—586) bezeichnend gewesen41); doch liegt kein positiver Beleg dafür vor. Rekkared I. unterzeichnete die Beschlüsse des wichtigen toledanischen Konzils von 589, durch das der Übertritt der Westgoten zum katholischen Glauben ratifiziert wurde, mit einer eigenartigen Subscriptio, die völlig dem Wortlaut der flavischen Intitulatio gleicht und subjektiv abgefaßt ist. Dieselbe Formel benützten sicher auch Gundomar, von dem keine Intitulatio vorliegt, dann Rekkeswind und Erwig, und zwar sowohl in Königsgesetzen als auch in „tomi"42). Unter Einbeziehung der Subscriptio bezeugt die Uberlieferung noch für folgende westgotische Könige die Verwendung des flavischen Königstitels: 3e

) Kraus, Münzen Odovocars und des Ostgotenreiches 168 und 178 Anm. 2, nach Proc. bell. Got. II 30, 11 ff. Die Person des Königs Erarich (Kraus 173 ff.) übergehe ich, weil er nur vom Frühjahr bis Herbst 541 regierte. 3 ") Siehe unten im Abschnitt II 2. ") Classen II 8 Anm. 30. ") Ewig, Christlicher Königsgedanke 25 ff. Claude, König und Stamm 70—72, nach Isidor von Sevilla. 42 ) Die westgotischen „tomi" sind Schriftstücke, „in denen die Könige den versammelten Bischöfen die zu beratenden Fragen vorlegten": Classen II 7. Zu den Unterschriften siehe ders. II 9 nach Migne PL 84, col. 358 und 483, sowie die zahlreichen Stellen in der Ausgabe der Lex. Die Subscriptio des westgotischen Königs dürfte nach Classen die Unterschrift der Bischöfe unter den Konzilsakten nachahmen.

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Rekkared I. (586—601), Gundomar (610—612), Sisebut (612—621), Chindaswind (642—653), Rekkeswind (649—672), W a m b a (672—680), Paulus (Usurpator 673), Erwig (680—687), Egica (687—702), Witiza (701—710) 4 3 ). Richard Heuberger erkannte, daß der flavische Königstitel der Westgoten seit Rekkeswinds Liber iudiciorum u m 654 zumeist Flavius gloriosus N. rex lautete 4 4 ). Dieser Rangtitel entstammte dem magistratischen Titelwesen und nahm darin zu seiner Zeit die Spitze ein. Diese Zeit lag um 600, da auch die germanischen Könige v o n den Kaisern selbst als „viri gloriosi" angesprochen wurden 45 ). Die ältere und zugleich jüngere Form des Rangtitels bildete jedoch der Superlativ „gloriosissimus", der nach 600 seinen Platz in der höchsten magistratischen Rangstufe mit „vir excellentissimus" teilen mußte, ja davon sogar verdrängt wurde. Diese Entwicklung machte aber nur mehr das Zentrum Italien mit, während außerhalb des Landes ,,gloriosus/issimus" das königliche Rangprädikat schlechthin blieb 46 ). Als Rangtitel tritt „gloriosus" nur im westgotischen Königstitel auf. I n dieser **) Lex Visigothorum, Register; S. 488 ff. (vgl. Anm. 6): ab Rekkared I. Die Angaben über die Regierungszeit der einzelnen Westgotenkönige, die hier genannt werden, folgt dem Verzeichnis der Chronica regum Visigothorum S. 457 ff., die am übersichtlichsten, wenn auch nicht völlig fehlerfrei von Jacinto Agusti y CasanovasPedro Voltes-Vives Jose, Manual de Cronologia espanola y universal (Madrid 1952) 344, ausgewertet wurde. Nach Tag, Monat und Jahr genau datiert sind nur die Titel von Theudis (546), Wamba (673, 675) und Erwig (683): Classen I I 7 Anm. 25; ein datierter Titel Egicas (702) ist leider unvollständig erhalten geblieben: Lex Visig. IX 1, 21; S. 363. 4< ) Heuberger, Vandalische Reichskanzlei 96. " ) Siehe etwa ep. Austras. 42; S. 148. *·) Koch, Beamtentitel 58 ff. 90 ff. bes. 92: „Für den Exarchen, einen Beamten, in dem wir den magister militum unter verändertem Namen wiederfinden, begegnet der Titel excellentissimus am häufigsten von allen Titeln. Auch der liber diurnus schreibt ihn vor. . . . Einige Male erscheint excellentissimus auch in Verbindung mit gloriosissimus: gloriosissimus atque (et) excellentissimus schon am Ende des 5. Jahrhunderts für einen patricius." Ders. 102 hält zwar „praecellentissimus" für ein Prädikat, „das für germanische Fürsten in erster Linie zur Anwendung kommt". So hat e t w i bei der Wahl eines neuen Papstes der „sublimis et eminentissimus vir praefectus praetorio atque patricius, agens etiam vice praecellentissimi regis Odovacris Basilius" teilgenommen (Schmidt, Ostgermanen 330 f.; Auct. antiq. 12, 445). In diesem Zusammenhang sei jedoch daran erinnert, daß dieses Rangprädikat und „rex" bereits in der Vulgata an entscheidender Stelle beisammen stehen: 1 Petr. 2, 13: „Subiecti igitur estote omni humanae creaturae propter Deum: sive regi quasi praecellenti (zur Identität von Positiv und Superlativ eines Rangprädikats, siehe Koch, Beamtentitel 58). „In der griechischen Vorlage steht βασιλεΐ ώς ύπερέχοντι; nach Koch 124 war das Substantiv υπεροχή stets eine Anrede der obersten „Titularklasse". Als die Könige an die Stelle der Inhaber dieser „Klasse" traten, war jedoch „gloriosus/issimus" en vogue; ein Prädikat, das ursprünglich der kaiserlichen Sphäre angehörte (Thesaurus Linguae Latinae 6, 2; col. 2,101, zeigt sehr schön die Entwicklung und das Absinken des Rangprädikats, wie ja auch der „rex-βασιλεύς" des Petrus-Briefes den Kaiser meint). Daß Odoaker als „praecellentissimus" bezeichnet wurde, könnte vielleicht damit zusammenhängen, daß er der Nachfolger eines Augustus und nicht irgendein König war. Der Gloriosissimat hat sich hingegen außerhalb Italiens als Rangprädikat, bei den Burgundern (siehe Anm. 48) auch als Rangtitel des Königs durchgesetzt.

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II. Die ostgermaniachen und langobardischen Königstitel

Form, die sachlich hinter dem italischen System zurückbleibt, wirkt aber das Abstoßen des antikisierenden Substantivs „vir" ausgesprochen „modern". Der Rangtitel markiert eine Entwicklung, die in Italien selbst erst am Beginn des 8. Jahrhunderts eintritt und das Frankenreich mit Ausnahme Bayerns auch dann noch nicht erreicht 47 ). Obwohl der Rangtitel „gloriosus" erst um die Mitte des 7. Jahrhunderts ein Titelelement der gotischen Intitulatio wurde, weist seine Stellung in ihr Parallelen zum Königstitel des Burgunder Gundobads um 500 auf48 ) .Allerdings stellt die Folge „Rang, Name, Funktion", die sich von der vergleichbaren Reihung im langobardischen Königstitel deutlich unterscheidet 49 ), auch die Form der auf altertümlicher Grundlage basierenden Fürstentitel und ihrer zumeist nur titular überlieferten Vorläufer in Gallien, Spanien und Italien dar 50 ). Während der langobardische Urkundentitel stets die Bedeutung von „Flavius" als Praenomen bewahrte, schob man in Spanien, wohl in Analogie zu den Bezeichnungen der königlichen „Beamten", einen Rangtitel zwischen dem Namenstitel und dem Namen des Titelträgers ein. Den späten Zeitpunkt für die Entstehung jenes Titeltypus könnte man daher aus dem Umstand erklären, daß es sich dabei um eine, wenn auch mit der Tradition gut verbundene Sekundärbildung gehandelt hat, deren Muster die mit dem Illustrat ausgestatteten westgotischen Amtsbezeichnungen abgegeben haben könnten. Die Präzepte der langobardischen Könige sind deren einzige „Akten", in denen die flavische Intitulatio dieser Herrscher vorkommt. Schon im ersten echten Stück lautet die Formel Flavius N. vir excellentissimus rex und bleibt bis zum Ende des Reiches in dieser Form erhalten 51 ). Allerdings ist zu bedenken, daß die älteste der erhaltenen echten Königsurkunden am 9. November 688 von Cunincpert (688—700) ausgestellt wurde und daß das nächste Diplom von Liutprand (712—744) aus dem Jahre 715 stammt. Erst die Langobardenkönige des 8. Jahrhunderts und ihre Mitkönige hinterließen, beginnend mit Liutprand, eine verhältnismäßig geschlossene Reihe von Urkunden 52 ). Es sind dies noch Hildeprand (735/44 1—744 VIII), " ) Siehe unten 91 und 177 ff. " ) Lex Gundoba, praef.; S. 29 (Salis); S. 8 (Beyerle): „Vir gloriosissimus Gundobadus rex Burgundionum". Siehe unten 87 ff. " ) Classen I I 8 i . Ghroust, Langobardische Königs- und Herzogsurkunden 28: „Flavius N. vir excellentissimus r e x " . s o ) Mit der Formel „regnante domno Alarieo (sc. II) rege ordinante viro inlustre Goiarico comite" (Lex Visig. S. 465) ist ein Typus für die Bezeichnung eines Würdenträgers markiert, der immer wieder in spanischen, italischen und gallischen Quellen anzutreffen ist, zwar nicht ausschließlich die Tradition beherrscht (vgl. a. a. O. 485 ff.), aber in den fränkischen und langobardischen „Privat"-Urkunden seit etwa 700 auch zur Intitulatio subjektiviert wird. Dazu siehe unten 141 ff. (Frühformen des fränkischen Fürstentitels) und 204 f. (langobardischer Fürstentitel). 61 ) Wie Anm. 49. Dazu Heuberger 97. Erben 310. 52 ) Chroust (wie Anm. 49) 186 ff. enthält das Verzeichnis der Königsurkunden. A. a. O. n. 5 spricht von der Urkunde Cunincperts. Classen I I 79 Anm. 379 stellt die Datierung des Diploms richtig.

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Ratchis (744—749), Aistulf (749—756), Desiderius (757—774), Adelchis (759—774)»). Dem objektiven Befund der diplomatischen Überlieferung steht die Nachricht des Paulus Diaconus gegenüber, Authari sei bereits bei seiner 584 erfolgten Erhebung zum König „Flavius" genannt worden und habe damit ein Beispiel für die Zukunft gegeben, das alle späteren Langobardenkönige auch befolgten54). Es klafft also zwischen diesem Faktum und dem Einsetzen der sicheren urkundlichen Tradition eine Lücke von mehr als hundert, zwischen 584 und der Abfassung der Darstellung jener Ereignisse sogar eine von mehr als zweihundert Jahren. Die Frage nach der Glaubwürdigkeit des Berichtes scheint daher berechtigt. Nun sind einmal die „(Urkunden)texte des 7. Jahrhunderts (vor dem Jahre 688) sicher nicht ganz frei erfunden"55). Die Fälschungen, deren älteste als angebliches Datum den 24. Juli 598 nennt, bieten alle den ordnungsgemäßen Titel58). Zweitens hat sich Paulus auf gute und alte Überlieferung stützen können, als er die Geschichte der Langobarden schrieb57). Aus dieser Tradition dürfte er im besonderen Material bezüglich der „Intitulatio" Autharis geschöpft haben. Es fällt nämlich auf, daß der Autor unter den Langobardenkönigen, von denen er erzählt, nur Authari als „Flavius" bezeichnet; und zwar zunächst anläßlich der Vorgänge von 584 und dann noch zweimal an Stellen, wo jeweils von offiziellen Gesandtschaften des Königs ins umliegende Ausland die Rede ist. Beide Berichte beginnen gleichsam wie nach einem „Formular"58). Die Möglichkeit, daß hier Dokumente " ) Zur Feststellung der Regierungszeit eines Langobardenkönigs siehe L. Bethmann und O. Holder-Egger, Langobardische Regesten, S. 229 ff. Vgl. Anm. 52. 44 ) Paul. Diac. Hist. Lang. I I I 16; S. 123 (wie Anm. 4). Betrachtet man die Intitulatio der bei Chroust (wie Anm. 52) verzeichneten Königsurkunden, so stellt man tatsächlich eine große Treue dieser Formel zum Typus fest: nn. 8. 15. 16. 21. 22 (wurde von Chroust 211 als Original ediert, was zwar ein Irrtum ist — Classen I I 80 Anm. 384 —, andrerseits aber die Nähe dieser Abschrift zur Originalüberlieferung demonstriert). 26 (Flavius Desiderius atque Adelchis viri excellentissimi reges atque precellentissima Ansa regina). 28. 29. 30. 35. 36. 39. Geringfügige Änderung, wohl ein Abschreibfehler, liegt in n. 12 vor. In nn. 31 und 34 fehlt der Namenstitel „Flavius" vielleicht aus demselben Grund. Der Ausfall von „vir" (Vgl. Anm. 47) liegt vor in nn. 11. 14. 23. Die einzige wirkliche Änderung enthält n. 33: Flavius Desiderius et Adelchis piissimi reges. An ihr ist echt, daß nur der regierende König ein Flavius ist (Chroust 27 f.). Der Demutstitel „piissimus" ist um diese Zeit singular, das gleichlautende Prädikat hingegen keine Seltenheit (vgl. Ewig, Christlicher Königsgedanke 18 Anm. 44a). Zusammenfassend kann man sagen, daß jeweils die bessere Überlieferungsart den Typus rein darstellt, was man am besten an nn. 8 und 22 und ihrer Tradition erkennt. ») Classen I I 80. " ) Chroust 186 f. nn. 1—5. " ) Wattenbach-Levison 221 ff. 58 ) Obwohl Paulus (wie Anm. 4 und 54) ein bedeutendes Faktum schildert und eine wichtige Motivation zum Thema „Theoretische Politik der Langobardenkönige" wiedergibt, fällt doch auf, daß er nur noch zweimal (wie Anm. 4) einen König als „Flavius" bezeichnet. Und dieser ist wieder der „Flavius rex Authari", als er sich in zwei gleichartigen Situationen befand. Zuerst schickte er nämlich Gesandte 5

Wolfram, Intitulatio I

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II. Die ostgermanischen und langobardischen Königetitel

verarbeitet wurden, ist w o h l nicht ganz auszuschließen; jedenfalls wird s c h o n v o n Alboin die Ausstellung v o n U r k u n d e n berichtet 5 9 ). Zum dritten sprechen für eine frühe Entstehungszeit des flavischen Titels der Langobardenkönige die F o r m wie der I n h a l t des darin gebrauchten R a n g t i t e l s „vir excellentissimus". Zunächst ist festzustellen, daß die Verw e n d u n g des Rangtitels bereits eine Erweiterung des ursprünglichen T y p u s voraussetzt. Diese erfolgte jedoch in dem Fall entsprechend der kaiserlichen Intitulatio, i n d e m die Reihenfolge des Königstitels — N a m e n s t i t e l als Praenomen, N a m e , R a n g , F u n k t i o n — in auffallend enger Analogie dazu angeordnet wurde 6 0 ). E i n U m s t a n d jedenfalls, der für die Zeit vor 629, der Titelreform des Herakleios I., spricht. D a n n sieht m a n aber auch, daß die beste diplomatische Überlieferung stets auch das ursprüngliche S u b s t a n t i v „vir" gebraucht. D i e Rechtstradition, die durch diese F o r m der Intitulatio gewahrt werden sollte, m u ß darum schon verhältnismäßig weit zurückreichen, weil der langobardische Königstitel in den N o v e l l e n z u m E d i c t u s an Childebert II. (575—595), um ihn um die Hand seiner Schwester zu bitten. Aus Gründen der hohen Politik abgewiesen, wandte er sich nun an Garibald I. (f 590), um dessen Tochter Theodelinde, die Enkelin des Langobardenkönigs Wacho, zu freien. Beide Male beginnt der Erzähler, der historische Ereignisse der Jahre 587/88 schildert (Hartmann, Geschichte Italiens 2, 1, 67 f.), mit einer ebenso einmaligen wie formelhaften Einleitung, daß man den Eindruck gewinnt, der Autor habe so etwas wie das Formular eines Dokumentes vor Augen. Selbstverständlich kann man nicht behaupten, Paulus habe Kopien aus jener frühen Zeit benützen können oder gar die Korrespondenz „Autharis Brautfahrt" eingesehen. Aber daß ausgerechnet an den beiden Stellen, die von Gesandtschaften berichten und daher Schriftstücke irgendwelcher Art voraussetzen ·— bedenkt man die gleichzeitige Korrespondenz der Epp. Austras. —, der flavische Königstitel in literarischem Gewand und in literarischer Umformung auftritt, scheint mir doch sehr merkwürdig. Paulus hätte auch eine andere Möglichkeit finden können, seine Theorie des Jahres 584 glaubwürdig zu gestalten, als hier versteckt auf fiktive Dokumente hinzuweisen. " ) Bethmann—Holder-Egger nn. 1 f. Classen I I 79 f. ,0 ) Der Titel Justinians etwa lautet, nach Migne PL 66, col. 14; vgl. Bucklisch 13, „Imperator Caesar Flavius (das sind drei „pra«nomina", siehe Anm. 4) Iustinianus (Name) Alamanicus, Gothicus etc. . . . Africanus (Triumphaltitel, für die es im Königstitel aus verständlichen Gründen — Gentiiismus —• keine Entsprechung gibt) pius felix inclytus victor ac triumphator (es handelt sich hier um Demutsund Hoheitstitel, die aber auch die kaiserliche Sphäre bestimmen und so etwas wie einen „unechten" Rangtitel darstellen; siehe oben 29ff.) semper Augustus"; dieser Hoheitstitel im eigentlichen Sinne verliert durch „semper" von seiner ursprünglichen Bedeutung und kommt damit in die Nähe von Isid. Etym. 1 X 3 , 16: „Augustus ideo apud Romanos nomen imperii est, eo quod olim augerent rempublicamamplificando", womit Augustus zur Funktionsbezeichnung wird. Imperator ist selbstverständlich nur einer der möglichen Theorien nach um diese Zeit noch ein „praenomen". Laut Isid. Etym. I X 3, 14 f. (wie oben 32 Anm. 4) ist der Gegensatz zur Funktion „imperator" die Funktion „rex (gentium)". In Anm. 78 wird ein epigraphisches Denkmal zitiert, das „imperator" als Funktionsbezeichnung voraussetzt, da das Wort hier durch „rex" verdrängt wurde, sonst aber eine komplette kaiserliche Titulatur vorliegt. Eine solche Relation ist allerdings nicht so selbstverständlich, wie man meinen möchte, bedenkt man die von Courtois, Les Vandales 382 n. 132, zitierte Inschrift zur Erinnerung an einen Berberkönig.

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Langobardorum bald damit beginnt, wie der westgotische Königstitel auf das „vir" des Rangtitels zu verzichten®1). Hingegen steht der Rangtitel „vir excellentissimus" auf einer morphologisch noch dem 6. Jahrhundert angehörenden Stufe. Materiell ist er identisch mit dem „vir gloriosissimus" der Intitulatio Gundobads aus derZeit um 50062). Der Burgunderkönig führte jenen Rangtitel als einstiger „patricius *praesentalis"; der königsgleiche Beamte, der in Italien regierte, als die Langobarden kamen, war jedoch der Exarch. Und dieser stellte par excellence den „vir excellentissimus" des byzantinischen Rangsystems dar. Die Langobardenkönige, die dessen theoretische Position übernahmen, verzichteten daher auf den Gloriosissimat zugunsten des Rangtitels „vir excellentissimus", der auf Grund seiner Form vielleicht noch im 6. Jahrhundert, möglicherweise auch 584 ein Titelelement der königlichen Intitulatio wurde63). Obwohl das älteste sichere Zeugnis dafür im nichtflavischen Königstitel des Edictus Rothari von 643 vorkommt 64 ), ist kaum anzunehmen, daß der Rangtitel nicht schon vorher in den Präzepten angewendet wurde65). Viertens bildet schließlich das Jahr 584 sowohl aus äußeren wie inneren Gründen ein sehr glaubwürdiges Datum für die Übernahme der Titeltradition, die das germanisch-italische Königtum vielleicht schon mit Odoaker, sicher jedoch seit Theoderich geschaffen hat. Damit begibt man sich aber bereits auf das Gebiet der reinen Bedeulungsgeschichte des flavischen Königstitels, zu der so der Übergang gefunden wurde. Die literarischen Quellen, die das Königtum Odoakers zu verstehen suchten, wichen bei dessen Interpretation stark voneinander ab. Für die einen war dieser Skire aus einer „stirps regia" der gentile Heerkönig vieler Stämme und Völkerschaften, eines Regnum, in dem jedoch kein „Traditionskern" eindeutig vorherrschte. Andere Autoren sahen in ihm, vielleicht nicht zuletzt wegen der fehlenden Dominanz einer bestimmten „gens", den „rex Italiae" oder den Inhaber des „Hesperium regnum Romanique populi principatus"66). Der König, der sich im Augenblick des Bruches mit dem Imperium auf seinen Münzen „Flavius Odovacar" nannte 67 ), gebrauchte zur selben Zeit die Intitulatio „Odovakar rex" 68 ). Auch Theoderich gilt der Zeit als gentiler Heerkönig; selbst der terminologisch genaue Anonymus Valesianus beschreibt ihn als Herrscher über ·') Wie Anm. 47. ·«) Wie Anm. 46 und 48. ") Chroust, Langobardische Königs-und Herzogsurkunde 31. Hartmann, Untersuchungen 29 und 137: „In den Gregorbriefen ist excellentissimus das Regelmäßige." Allerdings wird der Exarch bezeichnenderweise (vgl. Anm. 44) von Gregor I. auch „gloriosus" genannt. Siehe auch Anm. 46. ") Siehe unten 90 ff. e5 ) Bereits für Alboin wird die Ausstellung von Königsurkunden überliefert: wie Anm. 59. ") Nagl, Odoacer col. 1890. Ensslin, Odoakers Herrschaft 386, „rex gentium" nach lord. Get. 243. Zu den Bestimmungen seiner Herrschaft als territoriales Regnum siehe oben 54 Anm. 103. β8 «') Wie oben Anm. 23—25. ) Wie Anm. 21, 28. 5*

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„gentes", über Römer und Barbaren" 9 ). Von Prokop stammt dessen Charakterisierung als ρήξ; eine Bezeichnung, die sowohl den lateinischen Funktionstitel „rex" als auch das gentile Appellativum „reiks" dargestellt haben wird 70 ). Trotzdem wählte Theoderich die Formel „Flavius Theodericus rex" als seine Selbstaussage, die wie ein Cento aus den von Odoaker gebrauchten Möglichkeiten anmutet. Weder Odoaker noch Theoderich motivieren die Annahme des Praenomen „Flavius"; aber der Amaler hinterließ mehrere mittelbare Zeugnisse zum Verständnis seiner Politik und seines Königstitels. Geht man von der Tatsache aus, daß der Namenstitel „Flavius" wohl in einer Intitulatio auftreten kann, die ihren Funktionstitel auf eine territoriale Bereichsbezeichnung bezieht, niemals jedoch gemeinsam mit einer ethnischen Bereichsbezeichnung vorkommt, so ist der Ansatzpunkt für die Interpretation des flavischen Königstitels gefunden. Bereits vor Odoaker wurde ein „patricius *praesentalis" nach seiner Rückkehr aus der italischen Politik ein König, dessen Intitulatio erhalten blieb. Der Burgunder Gundobad hätte sich auf Grund seines von der Reichsgewalt anerkannten „Amtes" und als Neffe des „Flavius Ricimer" mit mindestens ebendemselben Recht wie Odoaker und alle späteren Träger des flavischen Königstitels in seiner Selbstaussage als Flavius darstellen können. In „Vir gloriosissimus Gundobadus rex Burgundionum" wird zwar durch den Rangtitel mittelbar der Patriziat erwähnt, das einstige Gentilicium und nun mögliche Praenomen „Flavius" findet darin hingegen keinen Platz 71 ). Die Theorie, die hinter diesem Flavius Theodericus rex steht, verdeutlicht besonders die eingangs zitierten Motivationen Theoderichs, wenn er dem Kaiser schreibt, seine Herrschaft sei die Kopie der kaiserlichen, das „unici exemplar imperii", und stelle ihn daher an die Spitze der gentilen Welt 72 ). Aus diesem Grund besitze er gleichsam das Recht, gegen die Gleichsetzung mit anderen gentilen Königen seitens der imperialen Politik und Diplomatie zu protestieren. Theoderich selbst sei so etwas wie ein Mittler zwischen dem Reich und den „reges gentium", um einen Ausdruck Isidors zu gebrauchen 73 ). Also genau die Stellung, die der Gallier Syagrius aus der Anerkennung Odoakers durch Konstantinopel entstehen sah und wogegen seine Gesandtschaft beim Kaiser Protest einlegte 74 ), beansprucht nun der italische König Theoderich, um den unmittelbaren Kontakt des Kaisers mit den gentilen Regna Galliens zu unterbinden 75 ). Selbst aus den stilisierten Überschriften der Variae ··) Anonym. Vales. 60; S. 322; vgl. Beumann, transpersonale Staatsvorstellungen 221. '») Wie oben Anm. 40 ff. ") Fasti Vindob. priores 306; S. 607 f.: „defunctus Ricimer XV kl. Septemb. Eo anno Gundobadus patricius factus est ab Olybrio." Stein, Histoire 1, 394 f. (583); Schmidt, Ostgermanen 176. Ensslin Klio 24, 493. Bresslau, Noch einmal der Titel der Merowingerkönige 174 Anm. 6. Deer, Patricius-Titel 38 f. ») Wie Anm. 1. '«) Isid. Etym. 1X3, 14 ff.; vgl. 32 Anm. 4. «) Wie oben 54 Anm. 103, Odoaker 5. 76 ) Die Politik, die der in Anm. 1 und 72 herangezogene Brief Theoderichs an den Kaiser veranschaulicht, machte der Amaler in noch stärkerem Maße gegen die

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epistolae Cassiodors wird noch der Wille des Königs deutlich, als der „rex" der universalen Theorie aufzutreten, der der Nachfolger eines Augustus ist. Die Korrespondenz mit den Königen seiner Zeit zeigt, daß der Amaler der „rex" und die Adressaten nur die Könige von „gentes" sind, wobei auch die westgotischen Brüder von dieser Einstufung erfaßt werden78). Wie alle Germanenkönige, so wurden auch Odoaker und Theoderich als „domini nostri" angeredet, solange man sie nicht gleichzeitig mit dem Kaiser nannte. Diese Titulatur, die ebenfalls schon dem „militärischen Patrizius" Italiens gegenüber möglich war, besitzt eine Parallele in der Anrede „princeps", die bereits Rikimer beanspruchte77). Man bezeichnete Theoderich als „princeps Romanus" oder gar als „Dominus noster gloriosissimus adque inclytus rex Theodericus, victor ac triumfator, semper Augustus, bono rei publicae natus, custos libertatis et propagator Romani nominis, domitor gentium'"18). Auf diese Weise haben Repräsentanten der italischen Bevölkerung den Vorrang des Amalerkönigs vor den „reges gentium" und zugleich aber auch die „forma boni propositi" seiner Herrschaft, die sich als Abbild der kaiserlichen zu geben sucht, deutlich genug anerkannt. Zu den Fremdaussagen gehört die Ansicht Prokops, der Amaler sei in Wirklichkeit ein „rechter Kaiser" und um nichts geringer als andere Inhaber dieser Würde gewesen79). Diese Formulierungen illustriert endlich auch der Anonymus Valesianus, wenn er den Aufenthalt Theoderichs im Rom des Jahres 500 schildert. Davon blieb übrigens auch die goldene Schaumünze erhalten, die

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Burgunder, vor allem gegen Sigismund, worüber sich dieser beim Kaiser beklagte: Schmidt, Ostgermanen 161 f. Cass. Var. I 46; S. 42, I I 41; S. 73, I I I 1, 1. 3, 4; S. 78 ff. V 43 f.; S. 170, IX 1; S. 267. Die letzten Schriftstücke stammen schon aus der Regierungszeit Athalarichs. Außerdem ist zu bemerken, daß keiner der angeschriebenen Germanenkönige Dokumente hinterlassen hat, die Anlaß zur Vermutung geben, er habe einen anderen als einen gentilen Königstitel geführt oder führen wollen. Die Anrede eines Germanenkönigs als „dominus" war allgemein: Courtois, Les Vandales 243 Anm. 5 und 244. Zöllner, Franken. Schmidt, Vandalen 165. Ders., Ostgermanen 176f. (Burgunder); 322 (Odoaker); 372 (Theoderich). Ensslin, Theoderich 112 und 366 Anm. 13. Ewig, Christlicher Königsgedanke 18 Anm. 44a. 26. Ähnliches gilt für „princeps": Ensslin, Theoderich 110 und 112; vgl. Schramm, Herrschaftszeichen 1, 227. Ders. Serta Hoffilleriana 386: schon Rikimer wurde als „princeps" angeredet. Werner, Fürstentum, wird diese Parallelität der Entwicklung auch in der späteren Zeit wiederfinden. Sie trifft etwa auch für die fränkischen Hausmeier zu. Wickert, Princeps col. 2007: Theoderich als „princeps Romanus". Ensslin, Theoderich 155 Anm. 20 und 367: Theoderich als „Augustus" nach Fiebiger-Schmidt n. 193 und die dort angegebenen Inschriften-Editionen. Verglichen mit dem Titel Justinians (Anm. 60) enthält diese Titulatur Theoderichs alle Titelelemente eines Kaisertitels mit Ausnahme der unpassenden und theoretisch unmöglichen gentilen Triumphaltitel und der Funktionsbezeichnung „imperator" selbst. So auch Bucklisch, Augustus 23. Zu „victor ac triumfator" der Inschrift vgl. etwa Anonym. Vales. 80; S. 326: „Ergo Theodericus dato consulatu Eutharico Roma et Ravenna triumphavit." Proc. bell. Got 11, 29. Ensslin, Theoderich 112 und 359. Zu „forma boni propositi" siehe oben Anm. 1.

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den König unter anderem als „victor gentium" feiert, und der Bericht, Theoderich sei von den Römern als Trajan und Valentinian appelliert worden80). Trotz aller Annäherung an das Kaisertum verzichtete Theoderich darauf, es in seiner Person für den Westen zu erneuern, wie selbst Prokop anerkennend hervorhebt 81 ). Hingegen ist sogar eine unzweideutige Ablehnung Theoderichs bekannt, eine solche Usurpation im herkömmlichen Sinne zu vollziehen. Indem er seine Haltung am Beispiel Aspars motivierte, wurde er der „Mann, der anerkennend den Gedanken weitergab, daß die Erhebung eines Arianers und Germanen zur Kaiserwürde untunlich sei" 8 2 ). Dafür übernahm Theoderich das nach „Imperator Caesar" dritte kaiserliche Praenomen „Flavius" 83 ), um damit einen Titel zu schaffen, der seiner Politik der Überwindung des gentilen Partikularismus entsprach. Spätestens seit Theudis gebrauchten die gotischen Könige Spaniens die flavische Intitulatio 84 ). Einerseits manifestiert die Gestalt Theoderichs den vorbildlichen König, das Exemplum der Nachwelt, dessen Andenken als überragender Gefolgschaftsherr in der „Mitte der Welt" erstaunlich lang lebendig bleibt und sogar mit der Konstantin-Tradition, mit der Erinnerung an den Gründer der „zweiten" flavischen Dynastie, verschmilzt 85 ). Andrerseits kommt die Politik Theoderichs den Tendenzen zur Territorialisierung, ja Imperialisierung des gotischen Regnum in Spanien sehr entgegen, wo unter dem Einfluß von Königen wie Leowigild die „gens Gotorum" zur „patria Gotorum" und „Spania" wird 88 ). Diesen Prozeß beleuchtet treffend eine besondere Ausgestaltung des flavischen Titeltypus, die wegen der Person des Titelträgers zustande kam und wohl auch aus der Art des Denkmals zu verstehen ist 87 ), das die Intitulatio überliefert. Julian von Toledo setzte seiner „Historia Wambae regis" den Brief des Usurpators Paulus von 673 voraus, in dem dieser „Tyrann" den wahren König verhöhnt. Die Provokation erreicht jedoch ihren Gipfel ) Siehe oben Anm. 1. (Die Schaumünze aus Gold.) Anonym. Vales. 6 0 ; S. 322. 6 7 ; S. 324. Der Namensvergleich mit einem Kaiser erhebt den also angesprochenen Herrn in die Sphäre des Kaisertums: Ewig, Das Bild Constantins des Großen 1 ff. Wolfram, Constantin 226 ff. " ) Proc. bell. Got. I 1, 26. " ) Anagnosticum regis (Acta synhodorum habitarum Romae 14) S. 425. Löwe, Theoderich zu Karl 353. 83 ) Wie Anm. 60. 85 ) Wolfram, Constantin 241 f. "') Wie Anm. 6. 8e ) Ewig, Christlicher Königsgedanke 24 ff. Claude, Königtum und Stamm 68 ff. Der Gedanke, daß der westgotische König die „patria Gotorum" oder die „patria vel gens Gotorum" regiere, ist in den westgotischen Quellen weit verbreitet: Für viele Stellen seien genannt Lex Visig. I I 1, 8; S. 54 und Conc.Tolet. X I I I ; S. 478. Vgl. dazu etwa Bosl, Das Stammesherzogtum der Liutpoldinger 336. Claude (wie oben) 73, Der westgotische „Untertanen"-Eid wurde „in salutem regiam gentisque aut patriae" geleistet. Zu „Spania" siehe die „Laus Spaniae"; S. 267 und der Sprachgebrauch Isidors, Hist. Goth., im allgemeinen. 8 ') Briefe sind im allgemeinen leichter zu aktualisieren, auf eine bestimmte Situation ad hoc abzustimmen, als etwa Urkunden und Gesetze, d. h. als Quellen, deren Rechtstradition weiter zurückreicht und daher berücksichtigt werden muß. Die Intitulatio in den Königsbriefen wird unten 128 ff. und 236 ff. behandelt. 80

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in der Superscriptio Flavius Paulus unctus rex orientalis Wambani regi austross). Aus ihr geht nun für unsere Fragestellung hervor: Die Territorialisierung des Westgotenreiches, die an seine Teilung zwischen einem „Ostkönig" und einem „Südkönig" denken läßt, wobei „rex auster" — eine Formulierung, die an „regina austri" der Bibel erinnert 89 ) — den spanischen, „rex orientalis" den gallischen König im Sinne eines Herrschers Septimaniens meint 90 ). Zweitens, die Kennzeichnung des einzig wahren Königs sowohl als „Flavius" wie als „unctus". Während die Vorstellung, daß nur jeweils ein König im Reich der Flavius sein könne, auch bei den Langobarden begegnet — Adelchis führt nur dann den Namenstitel, wenn er ohne den Vater Desiderius urkundet91) — besitzt die Theorie der „unctio regni" und des „in regno ungere; per sacrosanctam unctionem suscipere potestatem etc." einen originär westgotisch-spanischen Ursprung92). Besonders provokant mußte es jedoch wirken, wenn man sich Wamba gegenüber auf die Salbung berief, da gerade dieser König nach Julian von Toledo besonderen Wert auf das Sakramentale legte 93 ). Dem Typus der Intitulatio des Paulus war noch ein spätes urkundliches Nachleben beschert. Wenn auch die Form dieses diplomatischen Titels der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts hybrid und der Tradition fremd geworden ist, so erkennt man doch noch, trotz der Entstellung des einstigen Wortlauts, wonach der neue Titel gebildet wurde. In den spanischen Königreichen bedeutete eine christliche Politik zugleich auch die gotische, an die man bruchlos anknüpfen wollte94). Sei es nun, daß außer dem Paulus-Brief auch noch andere Dokumente aus seiner Zeit diese Intitulatio gebrauchten, sei es, daß das Geschichtswerk Julians von Toledo das Vehikel der Tradition abgab, im Jahre 974 tritt die Intitulatio Ranimirus Flavius princeps magnus basileus unctus auf; sie stammt aus einer Zeit der relativen Machtzunahme Leons96). Der Königstitel Ramiros I I I . zeigt, daß „Flavius" nun endgültig ··) Iul. Tolet., Hist. Wambae regis (Ep. Pauli) S. 500. Claude, Königtum und Stamm 69. Müller, Anfänge der Königssalbung 335. ·») Vgl. Luc. 11, 31 f. Siehe aber auch Vita Bathildis c. 5 ; S. 487 f.: „Austrasii. . . receperunt Childericum . . . in regem austri" (Ewig, Volkstum und Volksbewußtsein 641 Anm. 188), obwohl hier nur eine formale Analogie zur Intitulatio des Paulus-Briefes besteht; denn in diesem meint „auster" den Süden, wie es die Bibel und die lateinische Sprache fordern, während die fränkische Quelle darunter das merowingische Ostreich versteht. Außerdem ist nicht zu übersehen, daß der westgotische Königsbrief „auster" als Adjektiv gebraucht. , 0 ) Claude (wie Anm. 88) 69. Zur Echtheitsfrage des Briefes siehe Anm. 97. " ) Chroust, Langobardische Königs- und Herzogsurkunde 27 f. " ) Müller (wie Anm. 88) 338. *3) Dies. 335; allerdings ist zu bedenken, daß „die erste zuverlässige Nachricht über die Salbung westgotischer Könige . . . in der .Historia Wambae' des Julian von Toledo" auftritt, desselben Autors also, der den Brief des Usurpators Paulus überliefert. Dieser Umstand spricht eher gegen die Echtheit des Briefes; vgl. Anm. 97. Ewig, Christlicher Königsgedanke 36. M ) Müller 340. Claude 77. •5) Löwe, Von den Grenzen des Kaisergedankens in der Karolingerzeit 360 Anm. 74 und 363.

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seine Eigenschaft als „praenomen" verloren hat. Nicht untergehen konnte hingegen der „universale" Anspruch, den dieser Namenstitel über die Jahrhunderte hinweg bewahrte, wenn er sich hier mit einer Form des spanischen „Kaisertitels" vereinigte 96 ). Die Intitulatio des Paulus war auf eine besondere Situation hin formuliert worden. Ihre materielle Echtheit ist sicher; doch dürfte es sich in dem Schreiben an Wamba auch um einen formal echten Königsbrief gehandelt haben 97 ). Der flavische König ist danach der Gesalbte und einzig rechtmäßige Herrscher, dem der Vorrang vor den anderen Königen eines „Territoriums" zusteht; eines Territoriums allerdings, das das Reich bildete, von dem die erobernden Mohammedaner kein halbes Jahrhundert später meinen sollten, sie hätten damit die Weltherrschaft gewonnen98). Wie glücklich die Motivation „ob dignitatem" von Paulus Diaconus gewählt wurde, um die Annahme des flavischen Namenstitels durch Authari zu begründen, hat auch der Königstitel des Usurpators Paulus von 673 gezeigt. Die aktuelle Bedeutung des flavischen Königstitels bei den Langobarden wird man daher auch von dorther verstehen können. Allerdings ist zu bedenken, daß die gotische Tradition Italiens von den Repräsentanten einer anderen „gens" fortgesetzt und übernommen werden mußte. Einer „gens", wäre zu ergänzen, deren politisch wirksamer Königstitel zumindest zeitweise nicht der flavische war. Denn die Voraussetzung für die volle Aktivierung eines solchen Titeltypus bildete wenigstens der theoretische Ausgleich mit der römischen Politik; eine Forderung, die das langobardische Königtum niemals zur Gänze erfüllte und woran es schließlich zerbrechen sollte. Wie wenig verwurzelt dieses flavische Königtum der Langobarden war, zeigt vielleicht auch der Umstand, daß die Karolinger nach 774 in keiner Weise daran dachten, den Namenstitel „Flavius" zu führen 99 ). Verständlich wird ··) Erdmann, Forschungen zur politischen Ideenwelt 33 ff., 38 ff. " ) Gegen die Echtheit des Briefes mag, abgesehen von der allgemeinen Bedenklichkeit, die einer Überlieferung in einem literarischen Text anhaftet, sprechen, daß „unctus" ausgerechnet im Werk des Autors als Teil einer Intitulatio überliefert wird, der als erster die Bedeutung der westgotischen Salbung (vgl. Anm. 93) hervorhebt. Hingegen spricht für die Echtheit des Briefes die Invocatio, von der er eingeleitet wird; sie deckt sich mit der des Briefes Sisebuts an Adaloald, wo ebenfalls vor der Intitulatio „in nomine Domini" steht (Classen I I 8 Anm. 30); dieser Brief stammt aus den Jahren 616—620. Auch tritt diese Invocatio in den „tomi" der Zeit auf; etwa Cone. Tolet. VIII (653 X I I , Rekkeswind); S. 472: „In nomine Domini. Flavius Reccesvinthus rex reverentissimis patribus in hac sancta synodo residentibus." An der Intitulatio ist weiters echt: das Grundschema „Flavius N. r e x " der Inscriptio vorangestellt. Flavius allein für den wahren König (vgl. Anm. 91). Bestimmung des Funktionstitels mittels einer territorialen und nicht ethnischen Bereichsbezeichnung, die sich mit Flavius schlagen würde. ί β ) Claude, Königtum und Stamm 72. »·) Die Anrede Karls als „Flavius Anicius Carlus" durch Alkuin stellt eine literarische Reminiszenz dar, deren Herkunft im einzelnen überdies unsicher ist: Schaller, Karolingische Figurengedichte 37. Allerdings dürfte in diesem Gedicht irgendeine Beziehung zu Italien ausgedrückt worden sein.

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hingegen die Notwendigkeit für einen germanisch-italischen König, sich „Flavius" zu nennen, wenn man die politische Situation des langobardischen Regnum am Ende des 6. Jahrhunderts bedenkt. Das Praenomen „Flavius" wurde Authari „ob dignitatem" verliehen; nach Paulus Diaconus ging die Initiative dazu von den „Langobardi" aus, von den „duces" und politisch Handlungsfähigen der „gens"100). Es ist nun nicht leicht, die Bedeutung des Begriffes „dignitas" an dieser Stelle bis ins letzte zu erfassen. Cicero „definierte" den Terminus: „dignitas est alicuius honesta et cultu et honore et verecundia digna auctoritas"101). Sicher kann man diesen Satz auch auf das Zitat des Langobarden anwenden; aber vielleicht nur deshalb, weil es sich dabei gar nicht um eine echte Definition, sondern um die Aufteilung einer Unbekannten auf deren mehrere handelt. Darunter stößt man jedoch auf „auctoritas" und damit auf einen Begriff, der offenkundig eine Funktion der Herrschaft darstellt, wie sie nicht allein auf das republikanische Rom zu beschränken ist102). Dasselbe gilt aber auch für „cultus" und „honor"103). Als „auctoritas" verstand Augustus seine politische Stellung gegenüber der „respublica"104). Als „auctoritas" begriff man den Vorrang, der dem Imperium gegenüber den aufstrebenden Königreichen des 12. Jahrhunderts immer noch zugestanden wurde105). Ein weit gespannter Bogen einer Terminologie also, die „dignitas" seit der Spätantike auch mit dem konkreten Sinngehalt von „Rang" erfüllte106). Wenn daher ein König „ob dignitatem" geehrt werden sollte, dann ging es darum, seine tatsächliche Machtstellung mit einer theoretischen Politik auszustatten und zu festigen, die ihm die Anerkennung eines möglichst großen Personenkreises verschaffte. Gerade aber ein solches Ziel mußte die Reichsversammlung anstreben, als 584 nach zehnjährigem Interregnum der Sohn des letzten Königs das Reich erneuern sollte. Die Kontinuität des germanisch-italischen Regnum war in zweifacher Hinsicht aufs schwerste bedroht. Die „gens Langobardorum" hatte keinen König mehr, obwohl die Erfahrungen der Vergangenheit lehrten, daß die „gens" zu ihrer Verwirklichung eines „regnum" bedurfte, das auch allein ihren Untergang verhindern konnte107). Zum zweiten war das germanisch10

°) Paul. Diac. Hist. Lang. III 16; S. 123. ) Cie. invent. II 166. 102 ) Die Bedeutung der „auctoritas" im politischen Leben der Republik hat Heinze, Auctoritas 346 f., nach Cie. orat. III 133 hervorragend veranschaulicht. los) y g i Wolfram, Splendor 22—26. I04 ) Heinze (wie Anm. 102) 348. los) Wolfram, Splendor 157, nach Kempf, Papsttum und Kaisertum nach Innozenz III. 318. Was Lacour, Bibliotheque de l'Ecole des Chartes 122, 326 ff., und G. Koch, Deutsche Literaturzeitung 86, 530 ff. ohne Angabe hinreichender Gründe bestreiten. Die Terminologie stammt ja auch aus den zeitgenössischen Quellen und kann daher nicht hinweginterpretiert werden. 106 ) Koch, Beamtentitel 65 und öfters. Man vgl. auch den Titel des spätantiken Amtsschematismus „netitia dignitatum". 10 ') Wie oben 43 Anm. 61. Vgl. Dupre-Theseider, Literaturbericht 638.

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italische Regnum seit Odoakers Zeiten eines der „universalen" Konzeption gewesen, das den Ausgleich mit den „Römern" suchte. Diese wie die „Goten", die gentilen Bewohner der Halbinsel, die den politischen Untergang des Theoderich-Reiches überlebten, mußten für das neue Regnum gewonnen werden, wenn sich die Langobarden behaupten sollten. „Obwohl von Byzanz nicht anerkannt, wollte man doch als rechtmäßig gelten und ebenso wie die übrigen germanisch-romanischen Königreiche einen Theil des römischen Reiches sein Eigen nennen."108) Dazu diente die „Ansippung" an die „Familie" der flavischen Herrscher, an die Kaiser und Könige, die dieses „praenomen ob dignitatem" trugen109). Allerdings dürfte der gotische Königstitel das unmittelbare Vorbild für die Intitulatio der flavischen Könige geboten haben. Dieses in der gegebenen Situation politisch zu verwirklichen, war die Absicht der Reichsversammlung von 584. Nicht zuletzt schon deswegen, weil die Königsurkunde und damit der vertraute flavische Königstitel die politisch maßgebliche Schicht der „episcopi et possessores" erreichten. Es war dieser Personenkreis, dessen Erfahrungen man übernahm, wie die Tatsache lehrt, daß die langobardische Königsurkunde keine spätrömische Beamtenurkunde fortsetzte, sondern auf dem Urkundenwesen jener Schicht aufbaute, das die „private" Carta und die Bischofsurkunde bildeten110). Der Namenstitel „Flavius" mußte daher nicht erst, wie der Germanist Franz Stark meinte111), über die volksetymologische Angleichung „frauja-dominus" loe

) ») 110 ) ln ) 10

Hartmann, Geschichte Italiens 2, 1, 45. Hauck, Giermanische Auffassung von Königtum und Adel 99, 109. Classen I I 84. Stark, Kosenamen der Germanen 304 Anm. 2; vgl. Chroust, Langobardische Königs- und Herzogsurkunde 27. Bruckner, Die Sprache der Langobarden 248 (zu got. frauja). A. a. 0 . 136 ff., wo über die Liquiden gehandelt wird, zeigt nur die Liquidendissimulation, jedoch kein dem „Plavius-frauja(s)" vergleichbares Zeugnis. Die Theorie Starke besagt nämlich: Das gotische Maskulinum auf ,,-a" ist auch anderswo mit der Endung ,,-us, ος" in die antiken Sprachen übernommen worden. Das „1" von Flavius könnte sich unter Einwirkung des Phänomens des Liquidenwechsels in ein Zungen „r" gewandelt haben. Chroust (wie oben) ist über diesen Erklärungsversuch nicht besonders glücklich; doch spricht er ihm nicht alle Wahrscheinlichkeit in Hinblick auf die Intitulatio der Herzöge von Benevent ab. Hier scheint nämlich tatsächlich „dominus" an Stelle von „Flavius" zu stehen. Zu diesem Problem siehe jedoch unten 198 ff. Allerdings ist festzuhalten, daß um 750, und zwar ausgerechnet seit Aistulf, dem „imperiale" Politik nachgesagt wurde (Hartmann, Geschichte Italiens 2, 2, 151. Crosara, wie Anm. 114), „vor dem Namen der Offizin Lucca, aber auch bei anderen Ateliers" der Name „Flavia" auf Münzen auftritt. L. M. Hartmann und A. Dopsch (Wirtschaftliche und soziale Grundlagen 2, 486) halten es nicht für ausgeschlossen, daß „jene Städte, die auf den Münzen den Beinamen Flavia tragen, zur Zeit der Prägung königliche im engeren Sinne waren, das heißt, der direkten Verwaltung des Königs unterstanden". Nun besteht aber tatsächlich die Gleichung — erstarrter gen. pl. fröno-publicus-königlich — (Schlesinger, Heerkönigtum 130 Anm. 124. Beumann, Transpersonale Staatsvorstellungen 196), was jedoch nichts über die Gleichung „Flavius-frauja" aussagt. Es war guter römischer Brauch, eine Stadt nach dem Gentilicium des gründenden Kaisers zu nennen. Der allen Langobardenkönigen gemeinsame Namen(stitel) „Flavius" schien daher bestens geeignet, eine „uralte"

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in die langobardische Staatssprache kommen, sondern bildete bereits seit einem Saeculum die politische Größe des italischen Regnum. Daß die Langobarden damit nicht ihr Auslangen finden konnten und auch das gentile Königtum der autochthonen Tradition, nämlich in der Intitulatio der Gesetzesprologe, bewahrten, motiviert die eigenartige Gespaltenheit der langobardischen Politik in Italien, die wie eine Parallele zur Teilung der Halbinsel seit 568 wirkt. Die Problematik des „flavischen Königstitels der universalen Theorie" kann man in wenigen Sätzen vielleicht auf diese Weise zusammenfassen: Das italische Regnum war gegenüber denen in den westlichen Provinzen mit deutlicher Verspätung entstanden. Nachdem es Odoaker errichtet hatte, suchte er jedoch sein Königreich im Verband des Imperium zu erhalten; aber nicht im Stile des alten Föderatensystems, sondern unter der Fiktion der Wiederherstellung der Reichseinheit das auf die Diözese Italien beschränkte Imperium occidentale und seinen Augustus ablösend. Dieser Theorie folgte die Theorie eines Königstitels, der gegen alles Herkommen und die Übung in den umliegenden Königreichen auf die Nennung des gentilen Elementes verzichtete. Außerdem hinterließ der König positive Zeugnisse dafür, daß er das Praenomen „Flavius", den Namenstitel der „zweiten" flavischen Dynastie, führte, der zugleich auch das Praenomen der zahlreichen barbarischen Neubürger des Jahrhunderts war. Da Odoaker nicht als römischer Bürger anzusehen und die Annahme des kaiserlichen Praenomen erst für die Zeit des Bruches mit dem Imperium nachzuweisen ist, wird man darin einen politischen Akt erblicken. Theoderich fügte „Flavius" dann einer Intitulatio bei, die zum Vorbild der westgotischen und langobardischen Königstitel wurde. Was bei Odoaker nur andeutungsweise in Erscheinung tritt, findet man in der Politik des Amalers klar ausgeprägt: nämlich den Anspruch auf den Vorrang vor allen „reges gentium" als Nachfolger eines Augustus und als Stellvertreter des einen Kaisers in Konstantinopel für den Westen. Man möchte doch glauben, daß die amalische Heiratspolitik, die selbstverständlich dem konkreten Sicherheitsbedürfnis eines germanisch-italischen Regnum diente, auch von der Theorie des flavisch-universalen Königtums mitbestimmt wurde, obwohl man sie als Emanation des amalischen „splendor generis" verkündete 112 ). Die Nachfolger Theoderichs konnten sein Erbe nicht wahren. Dieses ging zusammen mit dem Titel auf die Goten Spaniens über, deren Könige jedoch mehr und mehr eine imperiale „Hispania-Idee" 113 ) anstelle der universalen Theorien setzten. Italien selbst konnte nicht einmal seine politische Einheit erhalten. Von der Auflösung der gentilen Einheit und daher vom Untergang bedroht, bedrängt von Byzantinern und Franken, suchte das wiedererstandene langobardische Königtum nach der Kontinuität. Tradition zu aktualisieren und mit neuem Sinn zu erfüllen. Dieser legte „Flavius" aber unabhängig von „frauja-frö-fröno" schon als königlich fest. 112 ) Wolfram, Splendor 108 ff., bes. 114. Siehe bes. auch Wenskus, Stammesbildung 31. 113 ) Messmer, Hispania-Idee und Gotenmythos, ist dieser Problematik gewidmet.

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Dabei und für die angestrebte Verbreiterung der Basis mußte man sich vor allem auf das gotische Regnum berufen, das die letzte Einheit Italiens repräsentierte. Tradition und Glaubwürdigkeit eines „Flavius N. rex" schienen eine solche Politik zu garantieren 114 ). Die Theorie dieser Titelform hat also nacheinander die „universale" Politik Theoderichs, das lebenskräftige Paradoxon „Spania imperialis" und schließlich nur mehr die unvergessene Verpflichtung hervorgebracht, die Einheit Italiens wiederherzustellen. Als Karl der Große 774 das langobardische Regnum zerstörte und sich mit Byzanz schließlich doch auf einen status quo der territorialen Besitzverhältnisse einigte, hatte das flavische Königtum Italiens endgültig seine Daseinsberechtigung verloren: In Byzanz regierte kein Flavius mehr und der Kaiser des Abendlandes führte einen gentilen Königstitel 115 ).

3. Der gentile Königstitel der Ostgermanen Das offizielle wie das literarische Rom pflegte die Könige der Barbaren als „reges gentium" 1 ) zu bezeichnen, seitdem die römische Politik mit ihnen in Verbindung gekommen war. Dabei überging man im allgemeinen den Unterschied zwischen den „Heerkönigen" und den ursprünglicheren „Volkskönigen", wie ihn vielleicht ein Tacitus erkannte 2 ). Ein Barbarenkönig war ein „N. rex gentis X.", und diese Qualifikation wurde so selbstverständlich und nachhaltig angewandt, daß der unvoreingenommene Leser sich heute noch fragen wird, was an der „Selbstverständlichkeit" problematisch wirkt, etwa einen „Gotenkönig" in lateinischer Sprache „rex Gothorum" zu nennen. Nun war aber gezeigt worden, daß gerade der bekannteste und bedeutendste unter den „Gotenkönigen" diese seine herkömmliche „staatsrechtliche" Stellung nicht in der Selbstaussage eines Königstitels ausdrückte. Man mag vielleicht, trotz der zahlreichen literarischen Benennungen Odoakers als gentilen König, diesem Sproß einer untergehenden „stirps regia" die Fähigkeit absprechen, ein gentiles Königtum in einer gentilen Intitulatio 114

) Vgl. die Fälschungen auf „Flavius imperator Aistulfus" (Crosara, Traditum nobis 240). Die politischen Sagen bei Paul. Diac. III 32; S. 138, über den angeblichen Vorstoß Autharis „usque Regiam extremam Italiae civitatem". Vgl. unten 97 f. us) Vgl. Sillabus seu catalogue regum Langobardorum S. 503 f.: „Agilmond filius Aion . . . Flavius Autaris . . . Flavius Desiderius, Flavius Adelchis. Finis regni Langobardorum. Caroli Magni imperatoris regnum." Der bekannte Wortlaut der kaiserlichen Intitulatio Karls tritt zum erstenmal in DKar. 197 auf. Die Formen des byzantinischen Kaisertitels behandelten Brehier Byzant. Zeitschrift 15, 161 ff. und Dölger, Diplomatik 130 ff. >) Wie oben 32 Anm. 4. 2 ) Gemeint ist das berühmte „reges ex nobilitate, duces ex virtute sumunt" aus Tac. Germ. c. 7. Dazu vgl. Schlesinger, Heerkönigtum 109 f., und Wenskus, Stammesbildung 642, sub voce „Heerkönigtum". Zur Terminologie der Quellen siehe auch ders. 71 und 306 ff., wo auch das Verhältnis zwischen zeitgenössischer Begriffssprache und moderner Interpretation der Quellen kritisch behandelt wird.

3. Der gentile Königstitel der Ostgermanen

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zu manifestieren, weil der von ihm repräsentierte „Traditionskern" zu schwach geworden war 3 ). Von Theoderich, der sich nachweisbar als Repräsentanten der amalisch-gotischen Königstradition verstand, wird man eine solche „Schwäche" nicht behaupten wollen 4 ). Beide Könige verzichteten aber auf die ethnische Bereichsbezeichnung und ließen daher ihr Regnum ohne „Staatsvolk", ohne Einschränkung im Sinne des gentilen Partikularismus, um einen möglichst bruchlosen Übergang zur römischen Politik zu finden und ihr Königtum als Nachfolger des Kaisertums sinnvoll deklarieren zu können. In bezug auf die Theorie des „Gentiiismus", den die Theorie der „Ansippung" an die flavische „gens" stets ausschließen sollte, muß daher der flavische Königstitel als Ergebnis der italischen Politik betrachtet werden. Als solcher war er der autochthonen Tradition gegenüber eine „Sekundärbildung". Diese Auffassung kann man mehrfach begründen: Erstens aus dem Vergleich mit den gentilen Königstiteln des 5. und 6. Jahrhunderts. Zweitens enthält das gotische Wort „Jpiudans", die Königsbezeichnung des 4. Jahrhunderts, bereits in sich den Hinweis auf die „gens" und ihre Theorie, die ja auch drittens zur gotischen Interpretation der Imperatoren als „reges Romanorum" führen sollte 5 ). Doch sind die Belege dafür, daß die gotische Politik auch den der Verfassungswirklichkeit entsprechenden Königstitel hervorgebracht hätte, äußerst gering und unsicher. So findet man in der Überlieferung des gotisch-italischen Regnum keine Spur davon, so daß man keine Selbstaussage eines italischen Gotenkönigs nennen kann, die eine ethnische Bereichsbezeichnung auch nur möglicherweise gehabt haben könnte. Da bei der Trennung des Stammes das Königtum bei den Ostgoten blieb, ist das westgotische Regnum als ein typisches Heerkönigtum entstanden. Der „reiks" Alarich I. wurde auf Grund seiner besonderen Erfolge von den Westgoten zum König erhoben6). Von seinen Nachfolgern, den Gründern und Königen des tolosanischen Reiches, kennt man keine Selbstaussage, auch nicht vom Gesetzgeber Eurich (466—484), von dem man sie am ehesten erwarten würde. Einer Selbstaussage kommt hingegen die Umschrift der bekannten Wiener Gemme Alarichs II. (484—507) am nächsten, auf der man die Worte ALARICÜS REX GOTHOEUM liest 7 ). Das Denkmal steht „dem ersten Beleg für den Siegelbrauch bei den Westgoten (546) nicht allzu fern" 8 ). Auch ist zu bedenken, daß die im Nominativ gehaltenen Legenden der 3

) Wie oben 67 Anm. 66. Wenskus, Stammesbildung 68. ) Wenskus 484: „In den Augen seiner Kernsoharen hatte er nie aufgehört, König zu sein. Damit war die Kontinuität der Tradition gewahrt, und das Reich Theoderichs in Italien konnte daher mit Recht ein gotisches genannt werden." Vgl. a. a. O. 653, sub voce „Theoderich". 5 e ) Siehe oben 36 ff. und 39 f. ) Wenskus, Stammesbildung 322 f. und 477. ') Tessier, Diplomatique royale 19 Anm. 6. Die ausführlichste Behandlung des Stückes findet man jedoch bei Schramm, Herrschaftszeichen 1, 217 ff. Dem Commonitorium Alarici vom 2. Februar 506 fehlt ebenso wie den Bruchstücken der Euricianischen Gesetzgebung jede Intitulatio. 8 ) Schramm, Herrschaftszeichen 218. 4

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merowingischen Königssiegel dem Wortlaut des fränkischen Königstitels gleichen 9 ). Ein Umstand, der in diesem Zusammenhang umso wichtiger wirkt, als die Frankenkönige sicher westgotische Erfahrungen in ihr Urkundenwesen übernahmen 10 ). Man wird daher mit aller Vorsicht die Möglichkeit nicht ausschließen, in jener Gemmenumschrift das Abbild eines westgotischen Königstitels zu sehen. J a , vielleicht darf man sogar noch weitergehen und sagen, der Königstitel im tolosanischen Regnum war N. rex Gothorum; denn spätestens seit Theudis gebrauchten zwar die westgotischen Könige die flavische Intitulatio, die aber ihrerseits in Spanien nicht älter sein kann als der Königstitel Theoderichs, der sie geschaffen hat. Die einzige gentile Intitulatio im Sinne einer Selbstaussage stammt allerdings aus viel späterer Zeit, als die Könige des toledanischen Reiches für gewöhnlich den flavischen Titel führten. Sisebutus rex Visigotorum, König zwischen 612 und 621, schreibt einen Brief an Adaloald, den „rex gentis Langobardorum" (616—626) 1 1 ). Beide Könige waren theoretisch Träger des flavischen Königstitels. Der Brief behandelt elementare Fragen der gentilen Politik, nämlich das „Heil" der Langobarden, das sie aus dem rechten Glauben gewinnen könnten. In diesem Augenblick wird offensichtlich auf den gentilen, den Namenstitel „Flavius" ausschließenden Königstitel zurückgegriffen. Die Titulatur des Langobardenkönigs ist technisch korrekt; wenig mehr als zwei Jahrzehnte später bildet ihr Wortlaut den Kern der Intitulatio, die Rothari seinem Edictus Langobardorum voranstellte 1 2 ). Weitere Beweise für den Gebrauch eines gentilen Königstitels bei den Goten fehlen. Es liegt auch kein positives Zeugnis für einen suebischen Königstitel vor; vielleicht war er analog zu ,,N. rex Gothorum" gebildet worden 13 ). Auch der Titel der Vandalenkönige, der demselben Typus folgte, könnte als Vorbild gedient haben. Die Titulatur des Briefes Gregors I. an Rekkared I., den der Papst aus Anlaß der Bekehrung der Westgoten und Sueben an ihren gemeinsamen König richtete, lautet zwar „Gloriosissimo atque precellentissimo filio Reccaredo regi Gothorum atque Suevorum" 1 4 ). Doch kann man allein daraus ebensowenig auf eine tatsächlich geführte Intitulatio schließen, wie aus den Adressen der Variae epistolae Cassiodors, in denen die spanischen Gotenkönige als „reges Wisigotharum" angesprochen werden 15 ). Man lernt daraus allerdings, daß Theoderich seinen Schwie·) ) ») 13 )

Tessier 19. Classen I I 106. Classen I I 31 und 88. Heuberger, Vandalische Reichskanzlei 105. 12 ) Siehe unten 90ff. Ep. Wisigoth. 9; S. 671 f.; Classen I I 8 Anm. 20. Die überlieferten Adressen und Titulaturen, die suebische Könige betreffen, unterscheiden sich in nichts von den gleichzeitigen Gegenstücken für westgotische Könige: siehe die Zitate bei Schmitz, Devotionsformel 101 Anm. 2. 14 ) Reg. Greg. I X 228; 2, 221 hat die stilisierte Überschrift „Gregorius Reccaredo regi VVisigothorum". Codd. H. und Par. 9629 (siehe a. a. O. S. 222, Variantenapparat) überliefern jedoch die im Obertext zitierte Adresse. 15 ) Claude, König und Stamm 71, versuchte aus der Titulatur Rekkareds durch Gregor eine gleichlautende Intitulatio zu rekonstruieren. Ohne diese Möglichkeit i0

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gersohn Alarich II. als „rex Wisigotharum" titulierte, während sich dieser König selbst als „rex Gothorum" verstand, da er die Worte in seinen Siegelstein schneiden ließ. Es wäre aber politisch unklug gewesen, wenn Theoderich den Nachfolgern jenes Balten Alarichs I. die uneingeschränkte Vertretung der „gens" überlassen hätte. Das westgotische Königtum war als echtes Heerkönigtum in Konkurrenz zum gotischen „Jpiudans" entstanden, dessen politische Tradition aber andrerseits der Amaler für sich allein beanspruchte. Auch wenn sich Theoderich selbst einen „Flavius rex" nannte, hörte er gerade jener Theorie wegen nicht auf, ein Gotenkönig zu sein. Ähnlich wie der „imperiale" Frankenkönig auch dann ein solcher blieb, wenn er nur den Titel „rex" führte 18 ). Der älteste der erhaltenen germanischen Königstitel stammt aus der vandalischen „Reichskanzlei" 17 ). Man liest ihn heute noch in zwei Königsurkunden Hunerichs (477—484), die nach Art und Glaubwürdigkeit ihrer Überlieferung unter den königlichen „Akten" der Völkerwanderung nur von der Schenkungsurkunde Odoakers von 489 übertroffen werden 18 ). Die Intitulatio eines Edikts vom 19. Mai 483 19 ) und einer „lex" vom 25. Februar 484 20 ), die „die Ketzergesetze römischer Kaiser gegen die Katholiken" wendet 21 ), lautet jeweils Rex Hunirix Vandalorum et Alanorum22). Die beivöllig auszuschließen, möchte ich doch darauf hinweisen, daß der König nachweisbar die Konzilsakten von Toledo als „Flavius Reccaredus rex" unterschrieben h a t (Classen I I 9 Anm. 34) und diesen Titel in den von ihm promulgierten Gesetzen führte (siehe Lex Visigoth. S. 488, Ausstellerverzeichnis). Hingegen spricht f ü r Claude, die von ihm a. a. 0 . 109 vorgebrachte Mitteilung, noch Egica habe seinen Sohn Witiza in Tuy als suebischen Unterkönig eingesetzt. Zu den Titulaturen der Germanenkönige in den von Cassiodor im Namen der Amaler diktierten Korrespondenz siehe oben 69 Anm. 76. Hier werden auch die Vandalenkönige untechnisch tituliert; vgl. unten 79 Anm. 19ff. le ) Wenskus, Stammesbildung 484 (wie Anm. 4): zum Königtum Theoderichs. Ders. 321. Schlesinger, Heerkönigtum 127 ff. Vgl. Sybel 279. Erben, Kaiser- und Königsurkunde 311. Tessier, Diplomatique royale 88. Giry, Manuel 320: Zur Intitulatio „N. dei gratia rex" der fränkischen Könige seit 833. " ) Dieser Ausdruck wird gebraucht nach Heuberger, Vandalische Reichskanzlei 76 ff. " ) Zur Urkunde Odoakers siehe Classen I I 16 ff. Die Art der Überlieferung des vandalischen Königstitels ist deswegen so vorzüglich, weil er in zwei Königsurkunden im engeren Sinn steht, wenn diese auch noch nicht ganz auf das Schema der fränkischen Diplome festgelegt sind (dazu vgl. Classen I I 38). Zum Zustand oder, besser, zur Glaubwürdigkeit der Überlieferung siehe Anm. 25. Der vandalische Königstitel wird hier nach dem gotischen behandelt, obwohl er als ältester der heute bekannten Königstitel auftritt. " ) Vict. Vit. I I 39; S. 22. Aus der Fülle der Literatur zitiere ich nur Classen I I 3 ff. und Courtois, Les Vandales 237 Anm. 7. 243. Zur Frage der Auflösung der Datierung, die den 20. Mai ergäbe, siehe Classen I I 4 Anm. 10. 20 21 ) Vict. Vit. I I I 3; S. 40. Zur Literatur siehe Anm. 19. ) Classen I I 4. 2t ) Der Funktionstitel „ R e x " wurde mit Großbuchstaben geschrieben, um anzudeuten, daß er die Urkunde einleitet. Der Editor der „Historia persecutionum" des Viktor von Vita schreibt stets „Wandali". Nach der Umschrift der Silberschale Gelimers (siehe Anm. 27) und auf Grund der paläographischen Unmöglichkeit, für das 5. Jahrhundert ein „ W " anzunehmen, korrigiere ich den Stammesnamen zu „Vandali".

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den Dokumente zeigen wie keine Königsurkunde der Zeit den Einbruch eines „rex gentium" in die materiellen wie formalen Vorrechte des Kaisers, was sich besonders in der Promulgation einer „lex" äußert. Die Urkunden Hunerichs sind getreue Kopien der kaiserlichen Urkundenform. Als Neuerung gegenüber der römischen Kaiserurkunde tritt hier sinngemäß nur die Datierung nach Königsjahren auf, die mit der neuen Ära zusammenhängt, die die Einnahme von Karthago der vandalischen Politik setzte23). Die beiden Urkunden Hunerichs findet man bei Viktor von Vita, der nur wenige Jahre nach ihrer Veröffentlichung die „Verfolgungsgeschichte" seiner Heimat verfaßte und darin die Texte vollständig wiedergab24). Die Darstellungsweise des Bischofs von Vita ist tendenziös und durch schärfste Ablehnung der vandalischen Herrschaft und ihrer Repräsentanten bestimmt. Doch davon abgesehen, ist an der Authentizität der vandalischen Königsurkunden nicht zu zweifeln. Von der Intitulatio aus betrachtet, spricht dafür in erster Linie die „rein germanische Namensform Hunirix", die der Autor ausschließlich in dieser Formel gebraucht25). An anderen Stellen seines Werkes nennt Viktor von Vita den König stets nur „Huniricus", während der Genetiv „anno septimo Hunirici", mit dem das Edikt von 483 schließt, ebensogut aus der Kanzlei stammen könnte26). Unter den möglichen Titeln eines vandalischen Königs ist nur die Intitulatio Hunerichs bekannt. Der Typus tritt jedoch in objektiver Form noch an drei Stellen auf, die in diesem Zusammenhang Glaubwürdigkeit verdienen. Ohne die eigenartige Wortfolge der Intitulatio Hunerichs zu wiederholen, bezeugen ein epigraphisches und zwei mehr oder weniger literarische Denkmäler, daß der vandalische König eigentlich ein „rex Vandalorum et Alanorum" ist. Als solcher namentlich genannt werden Geiserich und Gelimer, wodurch die Kontinuität dieser staatsrechtlichen Konstruktion hinlänglich gesichert scheint. Eine Silberschale, die in Fonzaso bei Feltre gefunden wurde und wohl aus dem Schatz Gelimers in die Hände eines germanischen Söldners Beiisars gelangt war, enthält die Inschrift +GEILAMIR REX VANDALORUM ET ALANORUM. Das Stück dürfte zwischen 530 und 533 entstanden sein27). Auf das Jahr 533 bezieht sich ein Brief Tzazos, des Bruders Gelimers, an den König. Das Schreiben, das Prokop seiner Darstellung einbaute, ent23

) Miltner, Vandalen col. 319 und 332. Courtois, Les Vandales 244. Zur Zählung nach germanischen Herrscherjähren siehe Mommsen, Das römisch-germanische Herrscherjahr 353 (61) ff. Classen II δ. Miltner col. 317. Courtois 244 Anm. 8. 21 ) Courtois, Victor de Vita et son oeuvre 11 ff. 2ä ) Heuberger, Vandalische Reichskanzlei 93. 2 ') Die vandalische Sprachform des Königsnamens ist nicht bekannt. Sie wird von der modernen Forschung unterschiedlich mit „Huniric", „Hunirix" und „Hünarix" angenommen. Gotisch wäre *hüni-reiks zu erschließen: Courtois, Les Vandales et l'Afrique 395. ") Courtois, Les Vandales 380 n. 111. Vgl. Mommsen NA 8, 353, wo jedoch eine gegenüber dem Original geänderte Wortfolge und Orthographie der Inschrift zu finden ist. Zur Erbeutung des Schatzes Gelimers siehe Proc. bell. Vand. II 4, 33—41.

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behrt jeder festen Form, so daß man es wohl als ein Produkt der rhetorischen Gestaltungsprinzipien des Autors ansprechen darf. Darin wird Gelimer mit ώ Βανδίλων τε και 'Αλανών βασιλεΰ apostrophiert 28 ). Meiner Meinung nach hat Prokop damit nur seine Kenntnis der vandalischen Königspolitik und ihrer Terminologie zeigen wollen 29 ). Denn eine technisch korrekte Titulatur bildet die Objektivierung des Titelwortlautes nur für eine Adresse im Dativ, nicht aber für die direkte Anrede, die den Vokativ gebraucht. In diesem Falle wären „domine (mi) noster (rex)" beziehungsweise dessen griechisches Äquivalent die richtige Formulierung gewesen30). Rein literarisch, aber doch merkwürdig ist die Nennung Geiserichs als „rex Vandalorum et Alanorum" bereits zum Jahre 455, die man in der römisch-afrikanischen Fortsetzung Prospers von 446 bis 455 liest. Allerdings wurde diese Quelle erst nach dem Tode des Königs verfaßt und ist daher ungefähr gleichzeitig zu den beiden Königsurkunden Hunerichs 31 ) entstanden. Vom Standpunkt einer Formengeschichte der Intitulatio aus betrachtet, fällt an der Intitulatio Hunerichs am meisten ihre Wortfolge auf. Für gewöhnlich lautet diese „N. rex gentis X (gentium XY)". Die Umkehr der gewohnten Reihung von Name und Funktionstitel verlangt daher nach einer Erklärung. Freilich kann diese nur versucht, aber nicht restlos sicher geboten werden. Bereits Richard Heuberger meinte, die Anordnung des HunerichTitels sei des „Wohlklanges" zuliebe erfolgt 32 ). Peter Classen beurteilt den Wert der bei Prokop überlieferten Briefe Gelimers mit Recht gering. Trotzdem weist er darauf hin, daß der einzige „Brief", der eine Superscriptio und damit so etwas wie ein Protokoll kennt, die Formel Βασιλεύς Γελίμερ ' Ιουστινιανω βασιλεί zeigt, so daß die verkürzte Intitulatio Gelimers bezüglich der Abfolge von Funktionstitel und Königsname mit dem Urkundentitel Hunerichs formal übereinstimmen würde 33 ). 2e

) Proc. bell. Vand. I 21, 3. Vgl. Courtois, Les Vandales 237 Anm. 7. Zur Wertung der Briefe Prokops siehe Classen II 5; vgl. Anm. 34. Die historische Darstellung gebrauchte, um den rhetorischen Prinzipien der Zeit gerecht zu werden, sowohl die erfundene Rede als auch den fingierten oder zumindest stilisierten Brief: Norden, Kunstprosa 88 Anm. 1. 29 ) Vgl. Nov. Iust. 30, 11, 2, wo das Regnum Vandalicum pragmatisch als Reich der Vandalen, Alanen und Mauren beschrieben wird. 3 ") Zur Anrede der Vandalenkönige siehe Courtois, Les Vandales 243 Anm. 5. Auch die Legenden der Münzen (a. a. O. pi. VII und S. 448) tragen durchwegs die Formel D(ominus) N(oster) REX N. Der Kaiser und die Beamten wurden ebenfalls ohne Nennung ihres Amtsbereiches und zumeist auch ihrer Funktion angeredet: Mommsen, Staatsrecht 2, 760 ff. Koch, Beamtentitel 82 ff. Zur Objektivierung einer Intitulatio als Adresse siehe 94 Anm. 35. 31 ) Continuatio codicis Albobaciensis (a. 455) S. 487. Courtois, Les Vandales 237 Anm. 7. Wattenbach—Levison 1, 83 Anm. 164. Die übrigen literarischen Erwähnungen der Vandalenkönige sind bei Courtois a. a. 0 . zu finden. Cass. Var. V 43 f.; S. 170, und IX 1; S. 267, begnügt sich mit der Adresse „N. regi Vandalorum". Doch bleibt die authentische Form der „superscriptio" in den Variae epistolae wegen ihrer starken Stilisierung unklar: Classen II 22. Heuberger, Vandalische Reichskanzlei 97. Mommsen, Ostgothische Studien 476 (536) Anm. 4. 32 M ) Heuberger 96. Im übrigen siehe oben 41 Anm. 51 f. ) Classen II 5 Anm. 20. β

Wolfram, Intitulatio I

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Die Behandlung der vorkarolingischen Königsbriefe, die trotz ihrer geringen Zahl gewisse Gemeinsamkeiten erkennen lassen, bleibt einem eigenen Abschnitt vorbehalten. Zum Verständnis des Gelimer-Briefes und seiner Intitulatio muß hier jedoch vorweggenommen werden, daß jener zwar tatsächlich echte Stilmerkmale bietet, die aber von der Rhetorik Prokops aufgelöst werden. Man wird daher den Basileus-Titel Gelimers bestenfalls als abgeleitetes, aber keine Intitulatio erschließendes Zeugnis werten müssen 34 ). Da jedoch eine Brief-Intitulatio von dem Urkundentitel desselben Ausstellers völlig verschieden sein kann35), muß der Titel im Gelimer-Brief, selbst wenn er echt sein sollte, als Kriterium für unsere Frage ausscheiden. Zur Lösung des Problems, das die Umstellung von Funktionstitel und Name in der Intitulatio Hunerichs bietet, bleibt daher nur der Hinweis auf die bereits vorgetragene Annahme, daß das Grundwort „reiks— rix" des Königsnamens als ein Homonym, vielleicht sogar als das ostgermanische Synonym von ,,rex" empfunden wurde. Das Kanzleipersonal Hunerichs muß der römischen Behördentradition verpflichtet gewesen sein, weil sonst die Abfassung hochentwickelter Urkundenformen undenkbar gewesen wäre. Gleichzeitig weiß man aber, daß sich unter diesen Notaren auch Vandalen befunden haben 36 ). Um ein phonetisch wie sachlich unmögliches „rix—rix" zu vermeiden, hätte man daher den Funktionstitel vor den Namen des Titelträgers gereiht, könnte man als Hypothese vielleicht gelten lassen. Dieselbe Notwendigkeit hätte theoretisch auch für Hunerichs Onkel Gunderich (406—428), den Vater Geiserich (428—477) und schließlich für Hunerichs Sohn und drittnächsten Nachfolger Hilderich (523—530) bestanden. Doch blieb von diesen Königen keine Selbstaussage erhalten, ja die Münzumschriften aus der Zeit Hilderichs bieten sogar die kakophone Wortfolge D(ominus) N(oster) HILDIRIX REX37). Die vandalische Überlieferung führt also selbst nicht weiter; eher beginnt sie sich im Hinblick auf die titularen Bezeichnungen Hilderichs und Gelimers zu widersprechen. Die literarische Tradition der Zeit stimmt in der Ansicht überein, Geiserich habe gegenüber den Mauren eine dominierende Rolle eingenommen ; sie seien in seine Gefolgschaft eingetreten — beim Unternehmen gegen Rom bildeten sie die Landungstruppe — und ihre „gentiles reges" hätten seinen Befehlen gehorcht. Rund ein Menschenalter nach dem Tode Geiserichs setzten „Beamte" eines Berberkönigs den Stein von Altava, der die bereits erwähnte Dedikation „pro salute et incolumitate regis Masunae ") Siehe unten 134 f. ) Siehe (wie Anm. 34) unten 134 f. M ) Siehe oben 41 und a. a. 0. Anm. 51 f. Zu den „Notaren der wandalischen Könige" siehe Heuberger (wie Anm. 31) 81. 83 ff. Classen II 4 Anm. 9. ") Courtois (wie Anm. 31) 393: *Guntharix; vgl. got. *guntha-reiks. Ders. 394: •Gaisarix; vgl. got. *gaisa-reiks. Ders. 397: Hilidirix; vgl. got. *hildi-reiks. Hildirix ist außer Hunirix (Courtois 395) die einzige Namensform, die unter diesen Namen derart belegt werden kann: „Sur les monnaies, on rencontre generalement la forme Hildirix"; vgl. Courtois pi. VII und S. 448. 35

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gentium Maurorum et Romanorum" trägt38). Die außerordentlich große Ähnlichkeit dieser Formel mit Hunerichs Königstitel „rex Hunirix Vandalorum et Alanorum" fällt sofort auf. Wird ein König mit Namen, Funktionstitel, und ethnischer Bereichsbezeichnung genannt, so geschieht eine solche Erwähnung fast ausnahmslos in der angegebenen Reihenfolge. Dasselbe gilt für die Anordnung der entsprechenden Titelelemente in den Intitulationes, unter denen vor 800 der vandalische Königstitel die einzige Ausnahme bildet. Die Voranstellung der Funktionsbezeichnung in der Titulatur Masunas wiederholt jedoch die Wortfolge des Hunerich-Titels, der mit dem Funktionstitel beginnt. Überdies kann man leicht erkennen, daß dort, wo der vandalische Königstitel die Alanen als zweites „Staatsvolk" bestätigt, in der Titulatur Masunas der Römername steht39). Daran zeigte sich eine Haltung gegenüber den „Römern", deren sich zwar auch ein anderer Maurenkönig der Zeit, der „imperator" Masties, rühmte, die aber sonst keine westliche Königspolitik expressis verbis motivierte40). Daß die Titulatur Masunas den Typus des vandalischen Königstitels in bezug auf die doppelte ethnische Bereichsbezeichnung wiederholte, fiel anderswo schon auf 41 ). Vielleicht wäre es aber auch möglich, aus dem Umstand, daß im wesentlichen sogar die Wortfolge des Hunerich-Titels nachgeahmt wurde, auf dessen Eigenschaft als Intitulatio, wenn schon nicht aller, so doch mehrerer Vandalenkönige zu schließen. Das epigraphische Denkmal datiert aus dem Jahre 508; damals regierte Thrasamund (496—523), der zweite afrikanische Vandalenkönig, dessen Name nicht auf „-rix" *·) Siehe oben 39 Anm. 30. Miltner, Vandalen col. 322, Vict. Vit. I 35: Geiserich und die Mauren. '•") Die Titulatur Masunas unterscheidet sich vom Typus des Hunerich-Titels nur durch die Einfügung von „gentium". Dieser Umstand veranschaulicht die Einschätzung der „Römer" als eine „gens" wie jede andere; vgl. Beumann, Transpersonale Staatsvorstellungen 221. Im Titel eines Germanenkönigs kommt das verstärkende „gentis (gentium)" nur noch bei den Langobarden vor. Siehe unten 90 ff. Mag man auch die literarische Anrede Hilderichs als „gemini diadematis heres" aus seiner halbrömischen Abstammung — Mutter Eudokia — und nicht mit seiner Herrschaft über Vandalen und Alanen erklären, wie Courtois 237 Anm. 7 vorschlägt, so ist damit noch nichts über die praktische Politik, die allerdings in diesem Falle römerfreundlich war, noch aber über die Theorie des Königstitels ausgesagt. Dagegen kann man Masunas Titulatur mit dem Titel des Bulgarenzars Symeon vergleichen, der 925 als βασιλεύς Βουλγάρωνκαί 'Ρωμαίων bezeugt ist: Stein, Forschungen und Fortschritte 1930,183. Zu „imperator" Masties siehe Courtois 333 ff., bes. 334 und 337 ff.: Masties wird gegen 496 gestorben sein; 484 hat er die 4000 von Hunerich vertriebenen Katholiken aufgenommen und dürfte erst danach selbst Christ geworden sein. Er war König von Hodna, zählte seine Herrschaft mit 67 Jahren als „dux" und 40 Jahren als „imperator" und behauptete von sich, er habe weder im Krieg noch im Frieden, weder Mauren noch Römern, jemals die Treue gebrochen. Courtois 382 n. 123: „Dis Manibus sacrum, ego Masties dux annis LXVII et imperator annis XL, qui nunquam periuravi neque fidens fregi neque de Romanos neque de Mauros et in bellu parui et in pace et adversus facta mea sie mecum Deus agit bene . . .". " ) Claude, König und Stamm 106. e·

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endete 42 ). Wie sein Vorgänger Gunthamund hätte er, ohne eine Kakophonie zu erzeugen, die Wortfolge ,,N. rex Vandalorum et Alanorum" in seinem Urkundentitel gebrauchen können, wie es die Inschrift auf der Silberschale Gelimers für den letzten Vandalenkönig nahelegt. Trotzdem formulierte man in Altava nach dein Typus des Hunerich-Titels. Wenn aber an einer Stelle, wo das aktuelle, eher maurenfeindliche Regnum Vandalicum seine Präsenz hatte längst aufgeben müssen, die Tradition eines vandalischen Königs so offenkundig nachwirkte und eine abgeleitete politische Theorie schuf, so kann dieser König im Grunde nur Geiserich gewesen sein. Denn er allein hatte einerseits lange genug geherrscht, um einen Titeltypus zu prägen, und war andrerseits ein so erfolgreicher König, daß er zum afrikanischen „rex" schlechthin hatte werden können. Für Geiserich galt überdies dasselbe akustische Phänomen, das wohl den Aufbau des Hunerich-Titels bewirkte. Ich möchte daher annehmen, daß Hunerich die Intitulatio seines Vaters als Typus fortsetzte, wofür schon ganz allgemein auch der Umstand spricht, daß eine überragende Gründergestalt die Nachwelt theoretisch-politisch wie formal auf sein Beispiel verpflichtet. Bedenkt man jedoch die Tatsache, daß die Formen einer bestimmten Politik an der Peripherie, ja jenseits der Grenzen sich oft zäher halten und länger wirksam bleiben als im Zentrum selbst, so möchte ich mir aus der Inschrift von Altava nur den Rückschluß auf den Titel der beiden ersten Könige auf afrikanischem Boden erlauben. Ihre Selbstaussage hat mit großer Sicherheit Rex N. Vandalorum et Alanorum gelautet. Nach der Einnahme von Karthago soll Geiserich als ρήξ γης και θαλάσσης appelliert worden sein. Wenn diese Formel historisch ist und nicht bloß nach traditionellen Mustern die dem Imperium abgerungene „Souveränität" des Vandalenkönigs ausdrücken soll, dann war sie trotzdem nur eine Fremdaussage, die ad hoc formuliert wurde. Irgendwelche Hypothesen über die Bedeutung der Funktionsbezeichnung ρήξ für das ostgermanische „reiks—rix" sind hier wohl nicht angebracht 43 ). Als Selbstaussage Geiserichs wird hingegen der vandalisch-alanische Königstitel gegolten haben. Wie weit die Könige nach Hunerich davon bestimmt wurden, kann man mit letzter Sicherheit nicht sagen. Feststehen dürfte die unveränderte politische Bedeutung einer doppelten ethnischen Bereichsbezeichnung. Die im Grunde ") Der andere König war Gunthamund (484—496), aus dessen Regierungszeit die bekannten „Tablettes Albertini" stammen: Classen II 3. Veikko Väänänen, Etude sur le texte et la langue des Tablettes Albertini (Annales Acad. Scient. Fennicae 141, 2, 1965). 13 ) Miltner, Vandalen eol. 317, verteidigt die Glaubwürdigkeit dieser Überlieferung gegen Ludwig Schmidt. Die Titulatur Geiserichs steht jedoch, wie Berlinger, Beiträge zur inoffiziellen Titulatur der römischen Kaiser 33. 58 f. 90 (nach Val. Max. I praef. 1: „Tu [sc. Tiberius] . . . penes quem hominum deorumque consensus maris et terrae regimen esse voluit.") zeigte, in der Tradition der antiken Herrscherakklamation. Darum muß Geiserichs literarisch überlieferte Appellation nicht falsch sein; aber sie ist keine Selbstaussage. Vgl. hingegen Helm, Untersuchungen 378 Anm. 3 (Constantius I.). Zur Problematik von ρήξ-rex-reiks siehe oben 40 ff. und a. a. O. Anm. 51 f.

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doch weniger wichtige Reihung der Titelelemente schien nur in bezug auf die Abhängigkeit der maurischen von der vandalischen Königspolitik einer längeren Überlegung wert. Die Reihung hatte vielleicht ihren normativen Charakter im Vandalenreich selbst schon bald verloren. Wägt man den Wert der spärlichen und doch einander widersprechenden Zeugnisse aus der Spätzeit des Vandalenreiches gegeneinander ab, so wird man sich in bezug auf den Inhalt der möglichen Königstitel im klaren sein, über deren Aufbau jedoch nicht sicher urteilen wollen. Immerhin wäre es auch denkbar, daß der Funktionstitel „rex" unter Hildirix, dem Sohn der Eudokia und „gemini diadematis heres", bewußt von Barbarismen befreit wurde, so daß D(ominus) N(oster) H I L D I R I X R E X eine Wortfolge ergab, die weder als Kakophonie noch als sachliche Tautologie in bezug auf ,,-rix" und ,,rex" empfunden wurde 41 ). Die Verbindung der beiden „Staatsvölker", der Vandalen und Alanen, geht noch auf die Zeit zurück, da beide Völkerschaften in Spanien lebten. Zwischen 416 und 418 schlug der Westgote Wallia die Silingen und spanischen Alanen vernichtend; ihre Könige fielen oder gerieten in Gefangenschaft. Darauf verzichteten beide Völker auf ein eigenes Königtum und schlossen sich, ihrer „staatserhaltenden" Mitte beraubt, den hasdingischen Vandalen an 45 ). Deren König aber, der von nun an den alten Volksnamen der Hasdinger als Sippenname führte 46 ), ermöglichte durch die Schaffung des afrikanischen Regnum eine neue „Volkswerdung". Dieser Prozeß einer gentilen Verschmelzung hatte tatsächlich die Minderung der alanischen Sonderstellung bewirkt. Doch die Stärke und Verbindlichkeit von Theorie und Tradition der vandalisch-alanischen Politik wurden davon nicht betroffen. Der Königstitel, wie ihn die Urkunden Hunerichs bezeugen, epigraphische und literarische Belege auch danach noch erschließen lassen, spiegelt bis 533 die Ereignisse des Jahres 418 wider 47 ): Gunderich war materiell der erste „rex Vandalorum et Alanorum", Gelimer der letzte. Die Herkunftsgeschichte nahm wieder vieles von der Bedeutung des Titels vorweg. Das afrikanische Königtum war der Theorie nach das gemeinsame Reich der Vandalen und Alanen, worauf der Königstitel verwies. Die kaiserliche Politik, die spätestens seit 474 der vandalischen gegenüber auch de iure eine ausländische Politik verkörperte, interpretierte das Regnum " ) Gelimers Silberschale (wie Anm. 27) zeigt den Typus „N. rex Vandalorum et Alanorum". Seine Anrede nach Prokop hat die Reihenfolge „ethnische Bereichsbezeichnungen-Funktionsbezeichnung" (wie Anm. 28). Seine Brief-Intitulatio iiach Prokop (wie Anm. 33) besteht aus Funktionstitel und Name. Schließlich ist zu bemerken, daß die Münzen Hilderichs auf der Vs. die Legende D(ominus) N(oster) HILDIRIX REX zeigen, während das erhaltene Material von Gunthamund, Thraeamund und Gelimer den Königsnamen am Ende der Formel zeigen: Courtois, Les Vandales 448. Allerdings ist die Regellosigkeit der numismatischen und epigraphischen Titulaturen auffallend groß, wie eine Durchsicht der Überlieferung etwa bei Fiebiger—Schmidt oder Courtois 367 ff. zeigt. Vgl. im besonderen Courtois nn. 54. 104. 106. 108. Fiebiger—Schmidt n. 181: Theodericus r e x ; n. 182: rege Theoderico. t s ) Courtois, Les Vandales 237 und a. a. O. Anm. 7. Miltner, Vandalen col. 309. Wenskus, Stammesbildung 67. 77. " ) Courtois wie Anm. 45. " ) Stein, Histoire 1, 267 (405). Vgl. Anm. 56.

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II. Die ostgermanischen und langobardischen Königstitel

Vandalicum pragmatischer, als dies das Selbstverständnis des Vandalenkönigs und seiner „Staatsvölker" zuließ. In Konstantinopel sprach man von einer Trias von „gentes", nämlich von den Yandalen, Alanen und Mauren, wenn man das afrikanische Vandalenreich meinte 48 ). Dessen Verhältnis zu den im Königstitel nicht genannten Mauren war jedoch im Verlauf der hundert Jahre vandalisch-afrikanischer Geschichte nicht immer gleich. Hatten die Mauren vorerst am Aufstieg des Regnum Geiserichs entscheidenden Anteil genommen, indem sie dem großen Heerkönig treue Gefolgschaft leisteten, so richtete sich ihre Expansion nun, da das Imperium Afrika aufgab, gegen das Vandalenreich selbst. Das machtpolitische Vakuum ausnützend, das der Rückzug von Imperium und Regnum Vandalicum schuf und das sich mehr und mehr vergrößerte, errichtete nicht nur Masuna ein Regnum Maurorum et Romanorum, ein maurisch-römisches Königreich auf dem Boden der alten Mauretania Caesariensis49). Die Analogie zum vandalischalanischen Vorbild wurde durch den Vergleich deutlich, den man zwischen Hunerich-Titel und der Titulatur Masunas ziehen kann. Doch ein ähnliches Entgegenkommen gegenüber den „Römern" versuchte die vandalische Politik niemals. Der Vertrag von 435 zwischen Geiserich und dem Reich billigte dem Vandalenkönig den Status eines Föderaten in einem Teil der Diözese Afrika zu. Dennoch hatte er damals schon Herrschaftsrechte über die Römer beansprucht, wofür er im Vertrag 442 auch die Anerkennung des Kaisers erhielt 60 ). Die „Römer" gehören zu den „universi populi nostro regno subiecti", an die Hunerich seine „lex" adressiert 51 ). Von Anfang an suchte die vandalische Politik, die Römer in das Regnum einzugliedern. Als sichtbares Zeichen dafür galt im allgemeinen der Übertritt zum Arianismus52). Die Verfolgungen der Katholiken dürften daher vorwiegend politische Ursachen gehabt haben; indem die „homousiani" 53 ) als Reichsfeinde gewertet wurden, konnte man gegen sie und besonders gegen ihre Führungsschichten, „episcopi" und „senatores", vorgehen. Ob diese Haltung jedoch von der Absicht getragen wurde, auf diese Weise eine Art „Umvolkung" der „Römer" Afrikas zu erreichen, oder ob man sie als Repressalie im Kampf gegen das Imperium zu werten hat, sei dahingestellt54). Wie jedes Heerkönigtum der Zeit, so setzte sich auch das vandalische Regnum aus einer Vielzahl von Völkern und Stämmen zusammen. Außer den genannten vier „populi" sind noch gotische und suebische Abteilungen namentlich bekannt 55 ). Durch den Anschluß an die zahlenmäßig überwie") ") 5 °) ") 52 )

Nov. Iust. 30, I i , 2 ; vgl. Anm. 29. Siehe das bemerkenswerte Kapitel „Maures et .Romains'" bei Courtois 325 ff. Courtois 169—173. Miltner, Vandalen col. 316 ff. Vict. Vit. I I I 2 ; S. 40 (wie Anm. 20). Siehe die Miltner, Vandalen eol. 315. 316. 318 f., geschilderten Fakten und Handlungsweisen. 63 ) Die Adresse des Ediktes Hunerichs vom 19. Mai 483 (wie Anm. 19) lautete „universis episcopis homousianis". " ) Als solche wertet sie Miltner, Vandalen col. 334. « ) Courtois 217 f. und 237.

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genden Vandalen und Alanen verloren jedoch diese Stammeselemente ihre Eigenständigkeit. Der Titel „rex Vandalorum et Alanorum" bedeutete also im wesentlichen den König der vereinigten Vandalen und Alanen, der mit einer verschieden starken Mitwirkung maurischer Gefolgschaf ten rechnen konnte 54 ), und den Herrn der unterworfenen Römer, die lange Zeit das bloße Objekt der vandalischen Politik abgaben. Hilderichs Versuche, diese ausweglose Politik endgültig zu überprüfen und ein vandalisch-römisches Reich in Afrika aufzubauen, blieben wegen der Niederlage gegen die Mauren erfolglos 57 ). Den Zeiten offenkundiger Schwäche war kein Neubeginn mehr beschert. Der burgundische Königstitel wird in seiner historischen Gestalt allein durch die Gesetzgebung Gundobads (ca. 480—516) und Sigismunds (516— 523/24) überliefert 58 ). Die bekannte Lex Gundobada, die wohl in der letzten Dekade des fünften Jahrhunderts, jedenfalls vor 501 entstand und durch das Werk Sigismunds vom 29. März 517 oder 518 erhalten blieb, besitzt in ihrer Praefatio die Intitulatio Vir gloriosissimus Oundobadus rex Burgundionum59). Nur unter den Extravaganten gibt es noch zwei Gesetze, deren Protokoll zumindest teilweise in die Sammlung übernommen wurde. Das ältere Dokument lautet noch auf den Namen Gundobads, die jüngere Konstitution datiert unter dem 8. März 516 und wurde von Sigismund erlassen. In beiden Stücken findet man den Titeltypus N. rex Burgundionumeo). Es erhebt sich nun die Frage, ob beide Titelformen originär sind oder ob der Titel Gundobads aus der Praefatio eine spätere Sekundärbildung darstellt. Der Rangtitel „vir gloriosissimus" müßte in seiner objektiven Form „domnus gloriosissimus" heißen. Das Rubrum der Lex Gundobada, deren Neufassung unter Sigismund erfolgte, gibt den Zeitpunkt der Überarbeitung mit „anno secundo regni domni nostri gloriosissimi Sigismund! regis" an 61 ). Stellt daher die Intitulatio der Praefatio vielleicht nur eine Subjektivierung dieser Titulatur dar ? Der „große" Titel Gundobads blieb allein in den ersten zwei Handschriften der Gruppe Α erhalten 62 ), von denen wieder A 2 die Extravagantes völlig ausgeschieden hat 63 ), A x nur das Gesetz Gundobads mit dem Titel „rex Burgundionum" bringt 64 ). Allerdings liegt auch dieses nicht mehr in der wünschenswerten Ausführlichkeit vor; es fehlen nämlich Unterschrift und Datierung 65 ). Doch ist die genannte Extravagante Gundobads „omnibus ) Courtois 243. Proc. bell. Vandal. I 5, 21: „Die Namen aber der Alanen und die der anderen Barbaren wurden alle, mit Ausnahme der Mauren, zu dem der Vandalen." Der Begriff „Name, nomen, ονομα" bedeutet hier soviel wie „gens". " ) Die Absetzung Hilderichs durch Gelimer begründet Proc. bell. Vand. I 9, 1—3, und bes. 9, mit dessen allgemeiner Kriegsuntüchtigkeit und mit dessen Niederlage 5e ) Beyerle, Gesetze der Burgunden S. VIII. gegen die Mauren im besonderen. 5 ") Lex Gundob. praef.; S. 29 (Salis); S. 8 (Beyerle). Von nun ab wird die Seitenzählung nach Beverle in Klammer angegeben. 6 °) Extrav. 19 und 20; S. 118 (118) und 119 (132). " ) Lex Gundobada 1; S. 30 (2). · 2 ) Beyerle, Gesetze der Burgunden 8 Anm. 2. Salis 15. ««) A. a. O. " ) Classen I I 12. ie

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II. Die ostgermanischen und langobardischen Königstitel

comitibus" adressiert; eine Inscriptio, die in den viel jüngeren fränkischen Originalen wiederkehrtββ). Der Titel Gundobads in der Praefatio geht nicht in eine Adresse über. Auch die Neufassung Sigismunds verzichtet auf eine Inscriptio, obwohl zahlreiche „comites et proceres", nach deren „consilium" die Veröffentlichung der Lex vorgenommen wurde, diese mit ihren Handzeichen signierten®7). Aber die Praefatio Gundobads läßt auf Grund ihres Aufbaus — die Intitulatio leitet in eine ausführliche Arenga und dann in die Narratio über — keinen Raum für eine besondere Inscriptio. Und dann wäre eine solche in einer gentilen Rechtskodifikation auch durchaus unüblich gewesen 68 ); nicht jedoch in einem Nachtrag, mit dessen Durchführung bestimmte „Beamte" zu beauftragen sind69). Da die Lex Gundobada samt ihren Extravaganten nur abschriftlich überliefert ist, hat eine hilfswissenschaf tliche Argumentation bald ihre Grenze erreicht. Dennoch kann man feststellen, daß die Intitulatio der Praefatio in den Handschriften vor dem Rubrum mit der Titulatur Sigismunds steht. 70 ) Dieser Sachverhalt würde eher dagegen als dafür sprechen, daß der subjektiv gefaßte Wortlaut des „großen" Gundobad-Titels von der objektiven Fassung des Rubrum mit der Titulatur Sigismunds beeinflußt worden wäre. Demnach müßte man den burgundischen Königstitel mit (Vir gloriosissimus) N. rex Burgundionum wiedergeben. Man sieht daran ein Phänomen, das immer wieder auftritt: nämlich die verhältnismäßig geringe Verbindung, die zwischen dem Rangtitel einerseits und den übrigen Elementen einer königlichen oder fürstlichen Intitulatio andrerseits besteht. Die Herkunfts- und Bedeutungsgeschichte von „rex Burgundionum" kann in diesem Rahmen keinen großen Raum einnehmen. Im 4. Jahrhundert soll ein Burgunderkönig die Bezeichnung „hendinos" geführt haben, was Karl Hauck als „sakralen Würdenamen" versteht und als Namen des „göttlichen Spitzenahnen der burgundischen Königsgenealogie" erklärt. Reinhard Wenskus zieht unter den angebotenen Etymologien mit guten Gründen diejenige vor, die den „hendinos" als „primus" deutet; damit wäre gleichsam ein „Äquivalent zu ahd. furisto .princeps'" vorgeschlagen71). Aus jener Gruppe von burgundischen Heerkönigen, deren jeder den Namen „hendinos" führte, stammte der „rex Burgundionum", der das Burgunderreich zuerst in der Sapaudia um Genf und dann im Rhonetal um Lyon und Vienne beherrschte72). Die Verbindung zum Imperium wie zu den Römern ··) DOM 15 oder DM 48. ") Lex Gundobada 2; S. 30 (praef.; S. 2). ·*) Vgl. etwa die Prologe des Edictus Langobardorum bzw. seiner Novellen. ··) Diese Königsgesetze wären etwa den fränkischen „Kapitularien" zu vergleichen, die als Ergänzung zur Lex Salica erlassen wurden. Die „Kapitularien" sind adressiert, ,0 die Lex nicht. ) Beyerle 8 Anm. 2. n ) Wenskus, Stammesbildung 579 Anm. 12 und 411. Der burgundische „hendinos" dürfte „möglicherweise eine spezifisch burgundische Neubildung" sein. Im übrigen siehe oben 40 und 46 ff. Schmidt, Ostgermanen 138 ff. Es werden aber immer wieder auch burgundische „Unterkönige" in Genf erwähnt, die „reges" heißen.

3. Der gentile Königstitel der Ostgermanen

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war fast immer gut 73 ). Die Burgunder nahmen in Gallien solange eine verhältnismäßig starke Stellung ein, als sie nur mit Westgoten und Römern zu tun hatten. Mit dem Aufkommen der fränkischen Macht einerseits und der Errichtung des italisch-gotischen Reiches andrerseits gerieten sie immer mehr ins Hintertreffen und suchten daher die Unterstützung des Kaisers. Da der Onkel Chilperich I. 474 das „foedus" erneuert hatte, umfaßte der Titel „rex Burgundionum" Gundobads und Sigismunds wieder die „militiae tituli" der Vorfahren. Man verstand sich selbst als gallischen Heermeister, König von kaiserlichen Föderaten, Träger einer römischen Amts- und Rangbezeichnung 74 ). In der „großen" Intitulatio Gundobads sollte diese doppelte Verpflichtung, Rom wie den Burgundern gegenüber, ihren Niederschlag finden. Bevor Gundobad seinem Vorgänger als „rex Burgundionum" nachfolgte, war er, zugleich auch Neffe des allmächtigen Rikimer, italischer Patrizius und Erbe von dessen Stellung geworden 75 ). Aus dieser Zeit behielt er das patrizische Rangprädikat „vir gloriosissimus" und subjektivierte es als ersten bekannten Rangtitel7®) einer königlichen Intitulatio. Ebenfalls noch vor seiner Königserhebung wurde auch Sigismund zum Patrizius ernannt. Zum Unterschied von seinem Vater besaß er wohl den Rang eines Patrizius, aber nicht die spezifisch italische Funktion eines solchen. Wie bereits gesagt, besteht diese Differenzierung im Titelwesen selbst nicht 77 ). Auch Sigismund hätte denselben Rangtitel wie sein Vater führen können. Bekannt ist jedoch nur seine Titulatur als „domnus noster gloriosissimus Sigismundus rex" 78 ), worauf aber jeder König dieser Zeit schon Anspruch erhob, so daß man darin keinen Niederschlag seiner Patrizius-Würde sehen muß 79 ). Bedenkt man aber, daß der burgundische Königstitel nur an drei Stellen überliefert wird, so wird man den Gloriosissimat als Rangtitel Sigismunds weder ausschließen noch mit Sicherheit annehmen können. ,3

) Zur Erneuerung des „foedus" mit dem Reich durch Chilperich I. im Jahre 474 siehe oben 53 Anm. 99. Zum Verhältnis Burgunder und Römer siehe besonders Stroheker, Senatorische Adel 97 ff. 100: „Wie im Codex Euricianus zeugen auch in der Lex Gundobada Form und Inhalt von der Mitarbeit römischer Juristen. Männer wie jener Syagrius, den Apollinaris Sidonius als ,novus Burgundionum Solon' kennzeichnete, werden an der Abfassung des burgundischen Rechts beteiligt gewesen sein. Wenn in ihm wenigstens an einer Stelle die burgundischen ,optimates' und die römischen ,nobiles' einander ausdrücklich gleichgestellt wurden, so ist auch dies ein bedeutsamer Beleg für die Stellung der römischen Aristokratie im Burgunderreich.'' '«) Siehe oben 68 Anm. 71 und 51 f. und 51 Anm. 89. Dazu siehe Avit. ep. 93; S. 100. Vgl. auch Anm. 72. ") Wie 68 Anm. 71: Fasti Vindob. priores 306; S. 607 f.: „defunctus Ricimer XV kl. Septemb. Eo anno Gundobadus patricius factus est ab Olybrio." '·) Koch, Beamtentitel 65 f. 68. Siehe oben 63 f. Anm. 46 und 48. Vgl. 67 Anm. 62 f. ") Wie oben 45 und 49 ff. 7i ) Wie Anm. 61. ") Vgl. unter den vielen möglichen Parallelen etwa nur das Commonitorium Alarici, subscriptio (B); S. 466: „. . . ex praeceptione domni nostri gloriosissimi regis Alarici . . .".

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II. Die ostgermanischen und langobardischen Königstitel

4. Der langobardische Königstitel in den Gesetzen Das große Gesetzeswerk, das stets in seiner Gesamtheit als Edictus Langobardorum galt 1 ), wurde von König Rothari (636—652) begonnen. Die 643 veröffentlichte Sammlung nannte der König die erste Kodifikation des Langobardenrechtes2). Edictus Rothari und die Novellengesetzgebung der Könige Grimoald (662—671), Liutprand (712—744), Ratchis (744—749) und Aistulf (749—756)3) sind materiell Königsgesetze4), die das Volksrecht promulgieren, verbessern und vervollständigen5). Sie werden von Prologen und Epilogen eingeleitet und beschlossen, die zeigen, „daß die Kanzleibeamten des Königs auch den Stil römischer Novellen mit ihren Prooimien zu handhaben wußten"6). Der Edictus Rothari und die meisten der jüngeren Königsgesetze überliefern heute noch die königliche Intitulatio, die entweder am Beginn oder nach einigen erklärenden Sätzen des Prologs steht 7 ). Die Reihe dieser vierzehn bezeugten Königstitel eröffnet naturgemäß die Intitulatio Rotharis, die Ego in Dei nomine Rotari vir excellentissimus et septimo decimum rex gentis Langobardorum lautet8). Ihre wesentlichen Titelelemente treten noch im letzten bekannten Königsgesetz aus dem Jahre 755 auf; man findet dort die Einleitung mit „Ego", eine Invocatio, einen allerdings schon etwas modifizierten Rangtitel und den Kern „rex gentis Langobardorum"9). Zwischen Rothari und Aistulf war die ,,gentile" Intitulatio der Langobardenkönige, wie ich den Königstitel des Edictus zum Unterschied von der ,,flavischen" Intitulatio der Präzepte nennen möchte10), einigen, wenn auch nur geringfügigen Änderungen unterworfen. Sieht man von dem Titel des Königs Ratchis ab, dessen „revolutionäre" Form eigens behandelt wird11), so kann man folgende Modifikationen im Laufe der Zeit feststellen, *) Buchner, Rechtsquellen 36. Beyerle, Gesetze der Langobarden I f. ) Ro. c. 386; S. 156. (Die Abkürzungen der zitierten Gesetze erfolgen nach Beyerle, Gesetze der Langobarden 405.) Beyerle, Gesetze der Langobarden II. Zur jüngeren Tradition dieser Auffassung siehe Paul. Diac. Hist. Langob. IV 42; S. 169. 3 ) Die Angaben der Regierungszeit der genannten Langobardenkönige folgen Bethraann—Holder-Egger, Langobardische Regesten (NA 3, 1878) 225 ff. 4 ) Classen I I 86. 5 ) A. a. 0 . Siehe die Prologe, die sich im allgemeinen mit den in Anm. 7 zitierten Stellen decken. Besonders drückt diesen Gedanken Ro. c. 386; S. 156 aus. 6 ) Wie Anm. 4. ') Beyerle (wie Anm. 1) 2 (Rothari). 160 (Grimoald). 168. 172. 182. 188. 202. 218. 230. 308. 312. (Liutprand). 342 (Ratchis). 358. 364 (Aistulf). 8 ) Ro. prol.; S. 2 (Beyerle). Die griechische Übersetzung der Intitulatio des Edictus Rothari, der in Süditalien griechisch bearbeitet wurde (Mayer, Verfassungsgeschichte 1, 33) lautet samt der Überschrift nach MGH Leges 4, 225: Προοίμιον τοϋ νόμου 'Ρούτταρ'. τοϋ υψηλοτάτου ρηγός των Λογουβάρδων. " Ε γ ω έν ονόματι Ίησοϋ Χρίστου τοϋ σωτηρος ήμών ρήξ τοϋ ε&νους των Λογουβάρδοιν 'Ρούτταρις έπικληθείς. Zur Frage des Gegensatzes von einleitendem „ego" und der Verwendung des Majestätsplurals im Text der Prologe wie der Satzungen siehe unten 92. ·) Ai. prol. (a. 755); S. 364 (Beyerle). 10 ) Zur flavischen Intitulatio der langobardischen Königsurkunden siehe oben 64 ff. n ) Siehe unten 104 ff. 2

4. Der langobardisohe Königstitel in den Gesetzen

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von denen einige ohne Nachwirkung bleiben, die anderen aber zu einer dauernden Umgestaltung des Titels führen. Die Invocatio fällt insgesamt nur zweimal aus 12 ); seit Liutprand und besonders durch die Brüder Ratchis und Aistulf wird ihr Wortlaut modifiziert13). Liutprand Schloß der ethnischen Bereichsbezeichnung Adjektiva bei, die die Katholizität, Gottesauserwähltheit und ,Felicitas" der „gens" manifestieren14). Aistulf wiederholte einmal diese Gedanken15). Manchmal nennt sich Liutprand selbst in seiner Intitulatio „christianus (et catholicus)"16). Seit Liutprand stößt der Rangtitel „vir excellentissimus", der allgemeinen Entwicklung entsprechend, das archaisierende Substantiv „vir" ab und bezieht sich danach auf den Funktionstitel ,,rex"17). Ratchis hatte anstelle von „excellentissimus" das Rangtitelpaar „precellentissimus et eximius" gesetzt, von dem Aistulf, der im übrigen den gentilen Titeltypus bewußt reaktivierte, „precellentissimus" auch weiterhin gegen „excellentissimus" beibehielt18). Die Zählung des Königs innerhalb der langobardischen Königsreihe tritt allein in der Intitulatio Rotharis auf 19 ). 12

) Gr. prol.; S. 160. Lpr. prol. (a. 735); S. 312. ) Man kann fünf Typen der Invocatio feststellen: Typus 1: in Dei nomine (Ro. prol.; S. 2. Lpr. I ; S. 168. X I I ; S. 218. X X I I ; S. 308. Vielleicht auch Ai. I ; S. 358). Typus '2: in dei omnipotentis nomine (sehr beliebt bei Liutprand, nämlich Lpr. V; S. 172. V I I I ; S. 182. I X ; S. 188. X I ; S. 202). Typus 3: in Christi nomine (Lpr. X I I I ; S. 230). Typus 4: divino auxilio (Ras. prol.; S. 342: ich möchte diese Formel unbedingt auch als Invocatio ansprechen, obwohl sie Schmitz, Devotionsformel 169 — zur Kritik dazu siehe oben 27 ff. — als Devotionsformel versteht. Da er sie jedoch mit der in Typus 5 genannten Formel gleichsetzt, die eine eindeutige Invocatio darstellt, bestätigt er damit mein Vorgehen). Typus 5: in Dei omnipotentis auxilio (Ai. V ; S. 364). Zur Invocatio in den Langobardengesetzen siehe auch Chroust, Langobardische Königs- und Herzogsurkunde 24. Erben, Kaiser- und Königsurkunde 308. Santifaller, Verbalinvokation 75 und 78, berücksichtigt jedoch den Edictus Langobardorum nicht. ") Die Formeln sind: (sc. gentis) filicissimae (Lpr. V I I I ; S. 182). filicissimae ac catholicae deoque dilectae (Lpr. V; S. 172). deo dilectae et catholicae (Lpr. I X ; S. 188). christianae et catholicae (Lpr. X I I ; S. 218). Zur Vorstellung, daß das Bekenntnis zum katholischen Glauben die alte „felicitas" erhöhe und erneuere, siehe Wolfram, Fortuna 5 Anm. 22, und ders., Splendor 123 ff. Der Ansicht von Graus, Volk, Herrscher und Heiliger 318 Anm. 86, daß die Theorie von der Gottesauserwähltheit der „gens" biblischen Ursprungs ist oder, vielleicht besser gesagt, eine Art „pseudologischer Gleichsetzung" der „filicissima gens Langobardorum" mit dem „auserwählten Volk" darstellt, stimme ich gerne zu. Vgl. oben 10 und a. a. O. Anm. 9. Siehe auch Ro. c. 386; S. 156, wo die Langobarden als „primati iudices cunctique felicissimus exercitus noster" definiert werden. Ebenso Löwe, Von Theoderich zu Karl dem Großen 371 f. Anm. 70. 15 16 ) Ai. V; S. 364. ) Lpr. I ; S. 168 (kürzere Form). Lpr. X X I I I ; S. 312. " ) Vgl. die in Anm. 7 genannten Stellen des Edictus Langobardorum. Rothari und Grimoald nennen sich noch „vir excellentissimus". Seit Liutprand fehlt das Substantiv des Rangtitels. Die griechische Fassung des Edictus Rothari (siehe Anm. 8) besitzt ebenfalls keine Entsprechung mehr zu „vir". Der Rangtitel gehört dort zum Namen des Titelträgers. ls ) Vgl. Beyerle 342 und 364. Zur Frage, ob Aistulf den gentilen Königstitel in den Gesetzen bewußt reaktivierte siehe unten 106. " ) Beyerle 2. 13

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II. Die ostgermanischen und langobardischen Königstitel

Den am wenigsten veränderlichen Teil bildet die Verbindung von Funktionstitel und ethnischer Bereichsbezeichnung, die in 13 der 14 bekannten Prolog-Titel vorkommt. Schon Grimoald und dann noch dreimal Liutprand gebrauchten jedoch die Inversion „gentis Langobardorum rex". Sie dürfte sich aus dem Bedürfnis nach einem rhythmisch wirkenden Abschluß der gewichtigen Sprechpause entwickelt haben, die man bei der Verlesung von Dokumenten zwischen Protokoll und Kontext sicher einzuschieben pflegte. Die Form ,,N. gentis X . rex" ist es schließlich gewesen, die sich in der französischen Königskanzlei als einzige für lateinische Ausfertigungen durchsetzte 20 ). Den gentilen Königstitel des Edictus Langobardorum kann man also auf den Typus Ego (Invocatio) N. (vir) ecxellentissimus (precellentissimus) rex (catholicae etc.) gentis Langobardorum festlegen. Seine Herkunftsgeschichte hängt eng mit der politischen Geschichte und der Entstehung des Langobardenreiches in Italien zusammen. Der Formelteil, den die Verbindung von „Ego" und einer Invocatio bildet, kommt aus der spätantiken Privaturkunde 21 ). Die Bedeutung dieses Vorbildes für die langobardische Königsurkunde und die königlichen „Akten" rührt daher, daß die Könige nicht unmittelbar auf das Formengut der spätrömischen Behördenkanzleien oder gar auf die des Kaisers aufbauen konnten, sondern das „private" Urkundenwesen der Bischöfe und der „possessores" fortentwickelten und so zu einem eigenen langobardischen „Stil" in den Königsurkunden und in den Königsgesetzen gelangten22). Der Rangtitel „vir excellentissimus" erinnert an die Intitulatio der Lex Gundobada23). Tatsächlich entspricht das dort verwendete Titelelement „vir gloriosissimus" genau dem Rangtitel der Langobardenkönige, wie er gleichfalls auch in den Präzepten vorkommt 24 ). Allerdings stellte „vir gloriosissimus" eine ältere Entwicklungsstufe der allerhöchsten magistratischen Dignität dar, auf die die „reges gentium" stets Anspruch erhoben 25 ). In diesem Falle wurde aber nicht ein „patricius *praesentalis" wie Gundobad oder ein Patrizius wie Sigismund zum König eines Volkes; sondern die Langobardenkönige kopierten den Rangtitel des Exarchen, der als Magistrat jenes sonderbare „Amt" eines „patricius *praesentalis" fortsetzte und vom Ende des 6. Jahrhunderts an in der Regel als „vir excellentissimus" auf) Die Inversion „gentis Langobardorum r e x " kommt vor bei Beyerle 160. 168. 202. 218. Zur Bedeutung des analog gebildeten Typus in der französischen Königskanzlei siehe Tessier, Diplomatique royale 216 f. Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik 1, 500 und 504 f., erwähnt, seiner Themenstellung gemäß, das Problem der Rhetorik in den „Akten" nur am Rande. Doch genügen die dort gebotenen Hinweise, um die Behauptung aufzustellen, daß rhetorische Gesichtspunkte die Inversion von ethnischer Bereichsbezeichnung und Funktionstitel veranlaßten. Der Sinn der Inversion ist es, ein Wort oder eine Wortgruppe besonders hervorzuheben: Fichtenau, Rhetorische Elemente 58. 21 ) Chroust, Langobardische Königs- und Herzogsurkunde 24. " ) Classen I I 84. " ) Siehe oben 87 Anm. 59. " ) Wie oben 64 Anm. 49 und 51. " ) Wie oben 63 Anm. 46. 20

4. Der langobardische Königstitel in den Gesetzen

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trat2®). Das früheste Zeugnis für diese Übernahme bietet eben der Prolog zum Edictus Rothari. Es wurde schon die Vermutung ausgesprochen, daß die Langobardenkönige bereits zwei Menschenalter früher den Rangtitel geführt haben könnten. Da nämlich nur „vir excellentissimus" sowohl in den Gesetzen als auch in den Präzepten der Langobardenkönige vorkommt und hier überdies in der konservativen Vollform bis zum Ende des Reiches erhalten bleibt, darf man vielleicht annehmen, daß der Rangtitel gemeinsam mit dem Namenstitel „Flavius" rezipiert wurde. Die Rezeption von „Flavius" legte aber Paulus Diaconus auf das Jahr 584 fest87). In dem wiederhergestellten gentilen Königstitel gebrauchte Aistulf den Rangtitel „precellentissimus"28). In Präzepten kommt die entsprechende Form nur für die Königin vor29). Hingegen kann Paul Koch, da er das gesamte Material der Völkerwanderungszeit überschaut, den Rang „praecellentissimus" als ein „Prädikat bezeichnen, das in erster Linie für germanische Fürsten zur Anwendung kommt" 30 ). Bedenkt man jedoch die Stelle aus dem Petrusbrief: „Subiecti igitur estote omni humanae creaturae propter Deum, sive regi quasi praecellenti...", so wird man in dem Positiv des Rangprädikats, der dem Superlativ stets gleichwertig ist, eine spezifisch königliche Bezeichnung sehen wollen, wie sie etwa schon in einer Titulatur Odoakers bezeugt wird31). Im Liber diurnus kommt „praecellentissimus" auch in der Anrede für den Exarchen vor32). Während die Rechtstradition der Präzepte die Form ihrer Intitulatio streng beibehielt, konnte sich die Intitulatio des Edictus Langobardorum bezüglich des Rangtitels freier entwickeln. Der von Ratchis vollzogene Übergang zu neuen Formen, die auch Aistulf nicht zur Gänze wieder aufgab, könnte vielleicht davon bestimmt worden sein, daß die päpstliche Kanzlei damals nichtkönigliche Herrscher, nämlich die karolingischen Hausmeier, als „excellentissimi" anredete33). In „rex gentis Langobardorum" trifft die Intitulatio ihre wesentliche Aussage. Unter den gentilen Königstiteln vor 800 nimmt dieser Typus formal eine Sonderstellung ein. Denn keine zweite ethnische Bereichsbezeichnung betont den gentilen Charakter des Volksnamens so sehr, daß sie das Wort ,,gens" voranstellt. Die einzige Parallele bietet die doppelte ethnische Bereichsbezeichnung der Titulatur Masunas, jenes Berberkönigs aus Altava, in der Mauren und Römer als „gentes" genannt und einander gleichgesetzt werden34). Irgendwelche Zusammenhänge zwischen den beiden Formeln, der Intitulatio der Langobardenkönige und jener Titulatur, haben sicher nicht bestanden. Doch titulierte der „rex Wisigothorum" Sisebut seinen „frater" Adaloald als „rex gentis Langobardorum". Das Schreiben wurde zwischen 26 ) 27 ) 28 )

'•">) 31 ) 33 ) 34 )

Wie Anm. 25. Der erste bekannte Exarch wurde 584 X 4 noch als „vir gloriosus" angesprochen: Hartmann, Untersuchungen 9. Siehe auch Anm. 25 und oben 56 Anm. 4. Wie Anm. 18. 30 ) Wie oben 63 Anm. 46. Chroust (wie Anm. 21) 29. 32) Koch, Beamtentitel 102. A. a. O. Zur Titulatur der Hausmeier durch die Päpste siehe unten 152 f. Siehe oben 39 Anm. 30 und 83 Anm. 38.

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II. Die ostgermanischen und langobardischen Königstitel

616 und 620 ausgefertigt, muß also um mindestens 23 Jahre älter als der älteste der gentilen langobardischen Königstitel sein35). Daraus folgt, daß Rothari eine bereits allgemein in der Welt bekannte Formel zur Grundlage seiner Selbstaussage machte. Der Genetiv „gentis" diente im 8. Jahrhundert dazu, spezifisch langobardische „Propaganda" zu machen, indem an das Wort bestimmte Adjektiva angeschlossen wurden36). Trotzdem scheint es mir höchst unwahrscheinlich, daß auch „gentis" selbst die Übersetzung einer autochthonen langobardischen Vorstellung gewesen sein soll. Viel eher dürfte es sich dabei um die Übernahme einer lateinischen Terminologie gehandelt haben, die die italische „Staatssprache" schon vor der langobardischen Invasion ausgebildet hatte. Die gutorganisierte37) langobardische Königskanzlei war sehr leicht in der Lage, die ethnische Bereichsbezeichnung „gentis Langobardorum" in der Tradition des offiziellen römischen Sprachgebrauchs zu formulieren. Die Tribunen der in Italien angesiedelten „laeti" und „gentiles" führten nach der Notitia dignitatum eine Amtsbezeichnung, deren Bereich mit „gentis X." im eigentlichen Sinne angegeben wurde38). Daß man diese Formel auch auf die Langobarden übertrug, wäre durchaus denkbar. Die Zeugnisse, die aus der Kanzlei des Exarchen stammen, sind an sich nur gering und geben keine Begründung für meine Annahme39). Hingegen spricht die päpstliche Kanzlei sehr früh und häufig von der „gens Langobardorum" und supponiert später diesen Ausdruck auch als langobardisches Selbstverständnis40). Die ältesten Belege für „gens Langobardorum" findet man freilich schon im Register Gregors des Großen, also in einer Zeit, da staatsrechtliche Konstruktionen der Staatsfeinde noch keine Aufnahme in die 35

) Ep. Wisigoth. 9; S. 671. Classen II 8 Anm. 30. Diese Einschränkung ergibt sich, wenn man die Regierungszeiten der beiden Herrscher miteinander vergleicht. Vgl. NA 3, 235, mit ebendort 27, 430. 3e ) Wie Anm. 14. 37 ) Classen II 85 f. Chroust, Langobardische Königs- und Herzogsurkunde 35 ff. 3β ) Not. dignit. XLII; S. 215 ff. In diesem Zusammenhang scheint der Satz bei Wenskus, Stammesbildung 492, wichtig, wo er sagt: „Allerdings dürfte ein Teil der von Paulus Diaconus als sarmatisch bezeichneten Dörfer (sc. die Siedlungen der nach dem Autor vielstämmigen Gefolgschaft Alboins) noch auf gentile Truppenverbände der Römerzeit zurückgehen." Die traditionelle Terminologie kann also noch durchaus lebendig gewesen, als die Langobarden nach Italien kamen und hier in gewohnter Weise als „gens Langobardorum" bezeichnet wurden. Vgl. auch unten Anm. 45. 39 ) Vgl. etwa ep. Austras. 41; S. 147. 40 ) Greg. Reg. V 38; S. 325. A.a.O. 2, 549 (Register, sub voce, „gens") zeigt, daß man in Rom von einer „gens Anglorum, Barbaricinorum, Francorum, Gothorum, Langobardorum, Sclavorum" sprach. Vgl. Zöllner, Völker im Frankenreich 136. Die ethnische Bereichsbezeichnung „gentis Langobardorum" kehrt auch in der Intitulatio der beneventanischen Herzöge wieder; siehe unten 194 Anm. 1. Im „indiculum episcopi de Langobardia" des Liber diurnus n. 76; S. 81, wird das langobardische Volk als „Staatsvolk" aufgefaßt und ebenfalls „gens Langobardorum" genannt (vgl. Anm. 42). In ähnlich bedeutender Stellung („hodie Langobardorum gens nec regem nec duces nec comites haberet, . . .") bei Greg. Reg. V 6; S. 286.

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römische Staatssprache finden konnten. Noch im 8. Jahrhundert interpretiert die päpstliche Kanzlei die „gens Francorum" oder die „gens Baioariorum" nach dem Muster, das sie am Ende des 6. Jahrhunderts ausgebildet hatte 41 ). Die Bedeutung des gentilen Titels der Langobardenkönige muß man an mehreren Titelelementen ablesen, die die des flavischen Königstitels an Zahl übertreffen. Den Kern der Intitulatio bilden die Titelwörter ,,rex gentis Langobardorum". Ein „indiculum episcopi de Langobardia" drückt die Bereitschaft des Verfassers aus, alles in seiner Macht Stehende zu tun, ,,ut semper pax quam Deus diligit inter rempublicam et nos, hoc est gentem Langobardorum, conservetur"42). Die „gens Langobardorum" ist das „staatliche Gebilde", das dem Imperium und der römischen Staatlichkeit in Italien gegenübersteht. Diese „gens Langobardorum" besitzt im Edictus Langobardorum ihr Recht, das ihr König mit ihrer Zustimmung erläßt, erweitert und ergänzt43). Wenn sich der König auf diese Weise mit der „gens Langobardorum" zur gemeinsamen rechtlich-politischen Aktion verbindet, dann muß er sie nach langobardischer Theorie auch in seinem Königstitel nennen. Als Nachfolger des Gotenkönigs war der Langobardenkönig seit 584 ein „Flavius vir excellentissimus rex"; so berichtet Paulus Diaconus in durchaus glaubwürdiger Weise. Mit dieser Ansippung an die „gens Flavia" war jedoch die Nennung einer barbarischen „gens" unvereinbar. Der Bangtitel „vir excellentissimus" konnte hier wie dort gebraucht werden. Bestand hingegen die „gens Langobardorum" auf ihrer Nennung im Königstitel des Edictus, dann mußte ein anderer Titeltypus entwickelt werden. Wie der Brief Sisebuts zeigt, ist dieser aber nicht erst von Rothari „erfunden" worden. Wer ist nun die „gens Langobardorum"? Rothari legte die Gültigkeit seines Edictus ausdrücklich für alle Untertanen fest44). Dennoch darf man zwischen einer politischen Aussage des Titels und der rechtlichen Verbindlichkeit des Edictus differenzieren, wobei sich dieser Gegensatz mit zunehmender Dauer des Langobardenreiches noch verstärkte. Paulus Diaconus schildert die Gefolgschaft eines typischen Heerkönigs, wenn er zum Jahre 568 berichtet: „Certum est autem tunc Alboin multos secum ex diversis, quas vel alii reges vel ipse ceperat, gentibus ad Italiam adduxisse. Unde usque hodie eorum in quibus habitant vicos Gepidos, Vulgares, Sarmatas, Pannonias, Suavos, Noricos sive aliis huiuscemodi nominibus appellamus." Das bulgarische Element erfuhr noch hundert Jahre später eine erwähnens") Siehe etwa ep. Bonif. 45; S. 72. ep. 77; S. 160. Besonders jedoch Codex Carol, η. 45; S. 561, wo der Papst die Verbindung eines Karolingers mit der Iangobardisohen Königstochter zu verhindern sucht. 42 ) Lib. diurn. n. 76; S. 81 (vgl. Anm. 40). Buchner, Rechtsquellen 56: dieses Stück würde, falls die Einteilung der Schichten des Liber diurnus richtig ist, der zweiten angehören. ") Buchner, Rechtsquellen 34, 36. Classen II 86. Siehe oben Anm. 5 und 7. ") Ro. c. 386; S. 156. Zur Unvereinbarkeit von Namenstitel „Flavius" und gentiler Intitulatio siehe oben 68.

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II. Die ostgermanischen und langobardischen Königstitel

werte Verstärkung; König Grimoald wies einer Schar Bulgaren bei seinem Sohn im Herzogtum Benevent Wohnsitze an 45 ). Alle diese Völker haben rechtlich wie politisch zur „gens Langobardorum" gezählt. Denn die Sachsen aus der Gefolgschaft Alboins, denen die Langobarden den personalen Rechtsstatus verweigerten, verließen deswegen Italien. Andrerseits kennt man aus der langobardischen Stammesüberlieferung die Tatsache, daß Fremde und Sklaven in die „gens" aufgenommen wurden, um diese als politischen Faktor zu stärken. Die dabei angewandten Riten vollzogen die Einordnung der neuen Stammesmitglieder nach den archaischen Formen des langobardischen Rechts 46 ). Erst die Gesetzgebung Liutprands scheidet Römer und Langobarden nach dem Personalitätsprinzip. Hingegen dürften die Goten ihre rechtliche Sonderstellung behalten haben, obwohl sie politisch dem „felicissimus exercitus noster" der Langobardenkönige angehörten 47 ). Diesen verstärkten schließlich auch zahlreiche „exercitales" und „arimanni" ursprünglich römischer Herkunft. Noch im 8. Jahrhundert beschreibt man einen solchen Ubertritt, über den sich schon ein Gregor der Große entrüstete, als Annahme der langobardischen Tracht in Kleidung, Haar- und Bartschnitt 48 ). Man kann natürlich unmöglich behaupten, daß während der ganzen Geltungsdauer des gentilen Titels der Langobardenkönige die Bereichsbezeichnung „gentis Langobardorum" eine Konstante geblieben wäre. Schon die überwiegend territoriale Geltung des Langobardenrechts hat die Territorialisierung der ,,gens" zur „patria" gefördert und damit eine der westgotischen vergleichbare Entwicklung eingeleitet. Aber entgegen der tatsächlichen Verfassungswirklichkeit blieb die „Politik" des Begriffes „gens Langobardorum" im ganzen doch sehr konservativ, um nicht zu sagen, in archaischer Erstarrung zurück. Das beweist einerseits das Schicksal und das Andenken des Königs Ratchis 49 ). Und das wird andrerseits aus der besonde15

) Paul. Diac. I I 26; S. 103. V 29; S. 196 f. Vgl. Wenskus, Stammesbildung 492 und 494. ") Paul. Diac. I 13; S. 60 f. Wenskus 490 f.: Zur Frage der Vermehrung der „gens" durch Sklaven und Fremde. Wenskus 493 und Paul. Diac. I I I 6: „sed . . . noluerunt (Saxones) Langobardorum imperiis s u b i a c e r e . . . neque eis a Langobardis permissum est in proprio iure subsistere . . ." Man sieht daraus, daß die bedeutendste Sondergruppe in der Gefolgschaft Alboins, die Sachsen, die rechtliche und politische Sonderstellung zu erreichen suchte. 47 ) Wenskus 493 f. Den Ausdruck „felicissimus exercitus noster", der das Langobardenvolk meint, findet man bei Ro. c. 386; S. 156. 4β ) Mayer, Italienische Verfassungsgeschichte 1, 3; 28; bes. 47. Vgl. Greg. Reg. V 38; S. 325: „Unde fit, ut derelicta pia republica possessores eiusdem insulae (sc. Corsicae) ad nefandissimam Langobardorum gentem cogantur (wegen der Steuerlasten) effugere." Siehe auch Paul. Diac. I 19; S. 65, wo er das Aufgebot Odoakers gegen die Rugier beschreibt: „Adunatis igitur Odoacer gentibus quae eius dicioni parebant, id est Turcilingis et Herolis Rugorumque partem quos iam dudum possidebat necnon etiam Ilaliae populis." Diese Stelle spiegelt sicher die politische und die Verfassungswirklichkeit des langobardischen „Staates" wider, worauf bereits Mayer a. a. O. 47 Anm. 84 aufmerksam machte. Siehe jetzt auch Tabacco, I liberi del re 13 ff., bes. 19 f. **) Bened. Soract. Chronicon c. 16; »S. 702. Siehe auch Anm. 54 und unten 1 0 4 f f .

4. Der langobardische Königstitel in den Gesetzen

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ren politischen Lage verständlich, in der sich die Langobarden mit ihren „Methoden" zu behaupten suchten 5 0 ). Die Politik des germanisch-italischen Königtums verlangte nämlich die Einheit des Landes. Die Theorie des Exarchats war hingegen auf die Vertreibung der „Nichtrömer" und die Vernichtung eines gentilen Königtums in Italien gerichtet. Die Reichsgründung Alboins und die Erfolglosigkeit der byzantinisch-fränkischen Koalition der achtziger Jahre schufen auf Jahrhunderte hinaus die Teilung Italiens, gleichsam als wäre sie die späte Ausführung eines Gedankens, den bereits Justinian gegenüber Witigis geäußert hatte 5 1 ). Politische Theorien benützen gerne die Sage als Vehikel. Die langobardische Politik interpretierte gerade ihre machtvollsten Könige wie selbstverständlich dahin, daß sie das „regnum Italiae" im vollen U m f a n g wiederherstellen wollten. Der Sage und der Fiktion blieb es jedoch vorbehalten, die Verwirklichung jener politischen Hoffnung zu behaupten 5 2 ), die in späten Fälschungen von Titeln und Insignien-Auf Schriften fortlebte 5 3 ). Aber aus dem niemals aufgegebenen Versuch, den gedachten Auftrag zu erfüllen, entstand der große Gegensatz zu den Römern außerhalb des Regnum, die man innenpolitisch brauchte und die zu einem echten „regnum Italiae" zustimmen mußten. Noch um die Mitte des 8. Jahrhunderts verlor 60

) Zöllner, Völker im Frankenreich 134 f. " ) Stein, Histoire 2, 366, nach Proc. bell. Goth. I I 29, 1 f. 52 ) Paul. Diac. III 32; S. 138: „Circa haec tempora putatur esse factum, quod de Authari rege (derselbe wurde nach I I I 16; S. 123 mit dem Namenstitel ,Flavius' geehrt) refertur. Fama est enim, tunc eundem regem per Spoletium Beneventum pervenisse eandemque regionem cepisse et usque etiam Regiam extremam Italiae civitatem vicinam Siciliae perambulasse; et quia ibidem intra maris undas columna quaedam esse posita dicitur, usque ad eam sedens accessisse eamque de hastae suae cuspide tetigisse, dicens: ,Usque hie erunt Langobardorum fines!'." 53 ) Crosara, Traditum nobis a Domino populum Romanorum 240 f.: Unter den dort angeführten Stellen, die der Verfasser für meine Begriffe zu sicher als Zeugnisse für die Theorie der frühen Zeit — wirklich zeitgenössisch ist nur „rex in Italia" als Fremdaussage der Privaturkunden (Chroust, Langobardische Königs- und Herzogsurkunde 30) — wertet (vgl. Dupre-Theseider, Literaturbericht 643), befindet sich auch die Inschrift der sogenannten Krone Agilulfs (590—616), die + A G I L U L F U S GRATIA D E I V I R GLORIOSUS R E X TOTIUS I T A L I A E . . . lautet. Nach Koch, Beamtentitel 59, wäre um 600 die Verwendung des Rangprädikats und Rangtitels „vir gloriosus" zeitgenössisch, und zwar noch für König und Exarchen. Reinhard Elze (Schramm, Herrschaftszeichen 2, 455) führte jedoch den Beweis, daß diese Krone eine späte Fälschung sei. Während jedoch seine Beweisführung bezüglich der Gratia-Dei-Formel völlig stichhältig wirkt, muß die Bezeichnung „rex totius Italiae" nicht unbedingt erst aus der Zeit Ludwigs des Frommen stammen. Obwohl auch diese Überlegung viel für sich hat, gebe ich doch zu bedenken, daß bereits Odoaker in literarischen Quellen als „rex Italiae" bezeichnet wurde (siehe oben 54 Anm. 103). Die Aufschrift auf einer Krone ist kein Titel, der immer wieder aktuell sein muß; ihr Inhalt kann vielmehr auch ein Programm ausdrücken. Elze hat jedoch völlig Recht, wenn er die „Gültigkeit" des Begriffes „regnum Italiae" erst ins 9. Jahrhundert versetzt; vgl. etwa Codex Gothanus 9; S. 10: „hic finitum est regnum Langobardorum et incoavit regnum Italiae." oder Ad. prol. (a. 866); Beyerle 392: „Omnipotens universitatis dispositor quondam Italiae regnum genti nostrae Langobardorum subdidit." 7

Wolfram. Intitulatio I

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Ratchis seine Herrschaft, weil er einen praktischen wie politischen Ausgleich mit den Römern suchte 54 ). Für die offizielle politische Theorie der Langobarden — die Parallele zu den Vandalen bedachte bereits Carlo Troya 55 ) — boten die Römer als solche das Objekt, den „traditum nobis a Domino populum Romanorum", wie noch Aistulf formulieren sollte5®). Nachdem der Papst immer mehr in die Rolle eines politischen Vertreters des italischen Römertums gedrängt worden war, geriet die „filicissima ac catholica deoque dilecta gens Langobardorum" in ständig steigenden Gegensatz zu ihrem kirchlichen Oberhaupt, mag diese Bindung auch noch so lose gewesen sein. Es ist Schulbuchweisheit, daß das Langobardenreich an diesem Widerspruch zugrunde ging. Doch sind damit die Widersprüche der langobardischen Politik nicht erschöpft. Außer der „gens" nannte Liutprand auch sich selbst „christianus et catholicus"; eine Aussage, die vor 800 in einer königlichen Intitulatio einzigartig ist, getroffen von einem König, der den Papst in Rom aufs schärfste bedrängte 57 ). Interessant sind auch die Versuche der Langobardenkönige, die Kontinuität zu den an sich feindlichen Römern zu wahren. Vielleicht veranschaulicht Paulus Diaconus diese Antinomie, wenn er die Langobarden vor ihrer Ankunft in Italien treue Föderaten des Kaisers sein läßt, dem italischen Langobardenreich jedoch alle Sympathien im Kampf gegen das Imperium und die „Graeculi" schenkt 58 ). Ähnlich liegt der Sachverhalt in den Bereichen der praktischen Politik. Die Langobardenkönige hatten sicher die besten Kanzleibeamten und Juristen der Zeit, die als solche überwiegend Römer gewesen sein mußten. Die Prooimien kaiserlicher Gesetze stehen den Prologen des Edictus Langobardorum Pate, wo sich der König ,,rex gentis Langobardorum" nennt; aber die Königsurkunde, in der ein „Flavius rex" die gotisch-römische Tradition fortsetzt, baut weder auf der Kaiserurkunde noch auf der spätrömischen Beamtenurkunde auf 69 ). Die Widersprüchlichkeit der langobardischen Politik manifestiert sich aber am deutlichsten am Königstitel Rotharis. Man sieht nämlich, daß der Langobarde hier versuchte, langobardische Traditionen in eine Form zu 54

) ) ) ")

Zöllner, Völker im Frankenreich 136. Siehe auch unten 104 ff. Troya, Codice diplomatico longobardo 1, 185 f. Ai. (a. 750) prol.; S. 358. Siehe auch Crosara (wie Anm. 53) 235 ff. Wattenbach-Levison 2, 209 und 204 ff. Hartmann, Geschichte Italiens 2, 2, 125 ff., bes. 126: „Der Papst wurde ihm (Liutprand) . . . nur ein politischer Gegner und niemals ein religiöser." Sicher hat der „Ausgleich", den Pertharit (661/2, 672—688) mit dem Imperium Schloß, eine fühlbare Entlastung des Verhältnisses von Römern und Langobarden gebracht (Hartmann, Geschichte Italiens 2, 1, 270 ff. Classen I I 84). Doch die Politik der Langobardenkönige des 8. Jahrhunderts zeigt im Praktischen wie auf dem Gebiet der Theorie die Absicht, die „gens Langobardorum" zur Herrin der Halbinsel zu machen. Siehe auch Anm. 54. Gerade zu Pertharit vgl. auch Wattenbach-Levison 207. " ) Vgl. Paul. Diac. I I 1; S. 84: „Omnique tempore quo Langobardi Pannoniam possiderunt Romanae rei publica« adversum aemulos adiutores fuerunt" mit den von Zöllner (wie Anm. 54) 135 ff. angeführten Stellen. «·) Classen I I 84—86.

55 se

4. Der langobardische Königstitel in den Gesetzen

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fassen, die bereits das gotische Königtum seinem sagenhaften römischen Vorgänger nachzubilden suchte. Rothari nannte als einziger Träger des gentilen Königstitels seinen Platz in der langobardischen Königsreihe. Er zählt sich als „septimo decimum rex gentis Langobardorum"; als Beweis dafür baut er „propter futuris (sie) temporis memoriam" den Katalog seiner Vorgänger in den Edictus ein. Der König leitet sein Wissen, „ex quo in gente nostra Langobardorum reges nominati coeperunt esse", von der Befragung bestimmter „antiqui homines" her60). Namensgeschichtliche Untersuchungen und die Kritik der Königsliste im allgemeinen zeigen jedoch, daß es sich dabei nicht um eine ununterbrochene Abfolge langobardischer Könige handelt. Vielmehr können die Abstände, die zwei nacheinander gereihte Könige trennen, bis zu einem halben Jahrtausend betragen. Die Tradition des Stammes hielt selbstverständlich das Andenken besonders an die Könige und Heerführer wach, die in stürmischer Zeit überragende Leistungen vollbrachten81). Die Zahl 17, die das Königtum Rotharis der langobardischen Tradition verbindet, ist daher das Ergebnis einer Auswahl, die entweder die Stammesüberlieferung schon vorweggenommen hatte, als sie Rothari aufzeichnen ließ, oder die der König und seine politischen Berater selbst trafen, indem sie die autochthone Tradition vielleicht bewußt modifizierten. Ende 533 schreibt König Athalarich an den Senat und hebt dabei die Verdienste des Verfassers der Gotengeschichte gebührend hervor: „Er hat die Könige der Goten, die lange schon vergessen waren, aus dem Gehäuse der Altertümlichkeit hervorgeholt. Er hat die Amaler in vollem Glanz ihrer Sippe wiederhergestellt und gezeigt, daß wir in der siebzehnten Generation das Königsgeschlecht bilden."62) Die Gotengeschichte Cassiodors liegt heute nur als Auszug des Jordanes vor; doch hat bereits Theodor Mommsen mit Hilfe der Variae epistolae erkannt, daß der Amalerstammbaum, wie man ihn bei Jordanes in der Getica liest, schon das Werk Cassiodors gewesen sein muß. Denn auch in dieser „Genealogie" findet man siebzehn Gotenkönige genannt, die einander in ununterbrochener Reihenfolge abgelöst haben sollen63). Ro. prol; S. 2—4. ) Wenskus, Stammesbildung 489. Der erwähnte große Abstand von rund einem halben Jahrtausend trennt allerdings genau genommen Agio, den „Vater" Agelmunds, von diesem, der als erster König der Langobarden genannt wird, und zwar im Edictus, bei Paul. Diac. I 14 und im Codex Gothanus; doch haben nur die beiden letzten Quellen König Agelmund auch als Sohn des Agios überliefert. Siehe auch Wenskus 489 f. Zur langobardischen Königsliste siehe auch Graus, Volk, Herrscher und Heiliger 321 ff., bes. 322 Anm. 108 und 332. Von der älteren Literatur ist immer noch brauchbar Sybel, Entstehung des deutschen Königthums 214 ff. Vgl. schließlich Codex Gothanus c. 7 (MGH Script, rerum Langob. 1878, 6): „Et regnavit Rothari annos decern et Septem." S2 ) Cass. Var. IX 25, 4; S. 291 f. Vgl. Wolfram, Splendor 109. Ders., Methodische Fragen. 63 ) lord. Get. 76 ff.; S. 76 f. Vgl. a. a. 0. 76 Anm. 1. Dazu und zum folgenden siehe 7» 61

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Der Amalerstammbaum unterstellt ein „tot reges quot parentes" für die italischen Gotenkönige; im Rahmen der Getica muß er jedoch auch ein Ereignis der Gotengeschichte motivieren, das seinerseits wieder nur über eine „pseudologische Gleichsetzung" zu einem solchen wurde. Vorgetragen wird der erste Zusammenstoß zwischen Goten und Römern. Bei den „Goten", die Domitians Feldherrn Fuscus töteten und sein Heer vernichteten, handelt es sich um die Daker-Geten an der unteren Donau64). Die Ursache dieses Sieges aber motiviert der Autor mit einer gotischen „Theorie", mit der Ansicht, das Kriegsglück der „proceres" habe eine Kraft erzeugt, aus der die Goten siegten. Darauf „riefen" diese, ihre heilsstarken „proceres" seien „non puros homines, sed semideos id est Ansis". Deren Genealogie ist es nun, die der Verfasser im folgenden vortragen will. Man möge „absque invidia" seinen wahrheitsgetreuen Bericht anhören. Der Stammbaum beginnt mit Gapt, den ersten der „heroes", ,,ut ipsi suis in fabulis referunt". Erst der vierte nach dem Theos eponymos der Goten ist Amal, der amalische Heros eponymos. Von ihm an zählt Cassiodor die Königsreihe bis zu Athalarich, ihrem siebzehnten Glied85). Die Komposition des Autors läßt seine Fähigkeit erkennen, Schwierigkeiten und dunkle Stellen in der gotischen Tradition zu überdecken, andrerseits aber bei den Zuhörern römischer Herkunft eine Vielfalt von positiven Assoziationen hervorzurufen. Wenn Cassiodor die Geten und ihre Taten für die amalisch-gotische Tradition reklamiert, so kommt er bezüglich wichtiger Einzelheiten mit dieser in Konflikt. Diese Feststellung trifft vor allem die Schwierigkeit, das Onomastikon des gotischen Heroenkatalogs mit den aus der antiken Literatur bekannten Namen der Dakerkönige übereinzustimmen. Die römische Intervention an der Donau richtete sich 86 auf 87 gegen Dorpaneus, den Jordanes daher folgerichtig als Gotenherrscher bezeichnen muß. Von Dorpaneus führte jedoch kein Weg zu den Amalern, weshalb das Problem über deren Bestimmung als „proceres", die das „Heil" der Goten verkörpern, in die Welt der Heroen, Ansis und Halbgötter gehoben wird. Der Satz „Gothis autem Dorpaneus principatum agebat" kann, was seine „faktische" Aussage anlangt, aber schon deswegen vernachlässigt werden, weil die amalische Sippentradition jede historische Abhängigkeit durch das Bewußtsein aufhebt, ihre Mitglieder seien immer „ipso etiam rege, cui tunc serviebant, nobiliores, quia Amalorum generis eos potentia inlustrabat". Bei einer solchen Selbsteinschätzung und auf der Ebene der Halbgötter und Heroen erübrigt sich die Frage, ob das „tot reges quot parentes" auch Graus (wie Anm. 61) 332. Eckhardt, Die Nachbenennungen 41 ff. In den Grundzügen bereits Sybel (wie Anm. 61) 184—203; die von Sybel vorgeschlagene Differenzierung zwischen der ursprünglichen Darstellung Cassiodors und der vorliegenden Mitteilung des Jordanes lehne ich jedoch in bezug auf den Stammbaum ab. ·*) Weynand, Domitian col. 2561 f. e5 ) Vgl. die Zusammenstellung bei Wolfram, Methodische Fragen. Siehe auch Cass. Var. XI 1, 19; S. 330, wo der Autor einen verkürzten, mit Amal beginnenden Stammbaum der Königin Amalaswintha vorträgt.

4. Der langobardische Königstitel in den Gesetzen

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wirklich zu belegen ist68). Ebenso bleibt offen, welcher der Vorfahren Athalarichs — Dorpaneus gehört nicht dazu und hat mit dem Römerkampf nichts mehr zu tun — die „totius pene rei publicae milites ductore Fusco" besiegte. Trotzdem gelangte jedermann, rechnete er nach bekanntem Muster von Athalarich sechzehn Generationen zurück, auffallend genau bei den Dakerkämpfen Domitians an, die Sueton eingehend beschrieben hatte 87 ). An das Ziel der indirekt gewünschten Operation hatte Cassiodor eben diesen Sieg der „Goten" über die Römer gesetzt; eine Konstruktion, der die ,,pseudologische Gleichsetzung" von Daker-Geten und Goten zugrunde lag, die nach Ausweis des epigraphischen Materials bereits im Italien des beginnenden 5. Jahrhunderts keineswegs nur mehr literarisch war88). Wenn man aber sagt, Cassiodor wollte, daß der Leser sechzehn Königsgenerationen weit zurückrechnete, so unterstellt man, Cassiodor sei von der Zahl 17 a priori festgelegt gewesen und beabsichtigte, die gotische Königsüberlieferung in eine siebzehngliedrige Abfolge zu bringen. Man würde damit zugleich behaupten, daß das an der Spitze der Amalergeschichte angenommene „Faktum", die Besiegung der Römer unter Fuscus, nur deswegen ausgewählt wurde, weil der dazwischenliegende Zeitraum ebenfalls für etwa 17 Generationen Platz bot. Eine solche Annahme klingt paradox. Daß man sie doch für möglich, ja wahrscheinlich halten kann, zeigt die folgende Überlegung. Der Codex Bodleianus enthält die Chronik des Hieronymus-Eusebius; die Handschrift wurde in „ältester" Unziale um die Mitte des 5. Jahrhunderts in Italien geschrieben. Den Haupttext glossiert eine gleichzeitige zweite Hand, die die Unziale des „ b d"-Typus schrieb89). Das letzte Blatt des Codex, wie er heute vorliegt, wurde zur Gänze in dieser Schrift abgefaßt und schließt zusammenhanglos an den Haupttext an; denn das einleitende Verweiszeichen findet darin keine Entsprechung. Die Folie beginnt mit dem unvollständigen Satz „quae condita est a Romulo septima Olympiade anno secundo, qui X V I I ab Aenea regnavit"; das Subjekt des nicht erwähnten Hauptsatzes ist selbstverständlich leicht zu erschließen; die gemeinte Gründung ist die Stadt Rom 70 ). ··) Wenskus, Stammesbildung 472 ff. Sybel (wie Anm. 61) 184 ff., bes. 194. Dazu vgl. Gass. Var. (wie Anm. 65). I X 25, 4; S. 291 f. X I 1, 10; S. 329, mit lord. Get. 76—78; S. 76. Siehe auch Wolfram, Splendor 109, nach lord. Get. 199; S. 109. β7) Suet. Domit. c. 6. " ) Vgl. Fiebiger-Schmidt nn. 24. 207. Wenskus, Stammesbildung 470 Anm. 248. Wattenbach-Levison 1, 72. e9) C L A 2 , n. 233 a. , 0 ) Fotheringham, The Bodleian Manuscript of Jerome's version of the Chronicle of Eusebius fol. 145 recto. Diese Seite wird als Institutstafel 14 in den Übungen aus Paläographie von Herrn Prof. Fichtenau mit den angehenden Mitgliedern des Instituts für österreichische Geschichtsforschung gelesen. Frl. Elisabeth Cornides, die im Wintersemester 1965/66 sowohl die Vorlesung bei Prof. Fichtenau besuchte, als auch sein Seminar, in dem ich einen Teil der vorliegenden Arbeit zur Diskussion stellen durfte, machte mich auf das „qui X V I I ab Aenea regnavit" aufmerksam, wofür ich ihr zu herzlichem Dank verpflichtet bin. Der Typus dieser Angabe,

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II. Die ostgermanischen und langobardischen Königstitel

Zählt man Romulus als siebzehnten König seit Aeneas, so muß man zunächst die Reihe der mythischen Albanerkönige als dessen Vorgänger reklamieren; ein Vorgehen, worin sich besonders die spätantiken Genealogen, nicht zuletzt auch Cassiodor in seiner Chronik, einig sind71). Die Zählung wird aber notwendig, wenn man die rund 430 Jahre sinnvoll ausfüllen will, die zwischen der angenommenen Ankunft des Aeneas und der Gründung der Stadt liegen72). Die griechische wie lateinische Literatur spricht aber im allgemeinen von fünfzehn Vorgängern des Romulus, wobei dieser Kanon Aeneas einschließt. Er ist nur dann auf sechzehn zu erweitern, wenn man, wie es „unrichtiger" Weise Cassiodor in seiner Chronik tut, zu Amulius Silvius, dem unmittelbaren Vorläufer des Romulus, feststellt: „qui fratrem suum Numitorem regno expulit, cuius tempora isti sunt adplicita"73). Den Gedanken jedoch, daß dadurch Romulus der siebzehnte König wird, wiederholte Cassiodor expressis verbis nicht. Diesen ausgesprochen zu haben, bleibt anscheinend das Verdienst des Glossators, in dessen Tradition dann der sogenannte Fredegar steht, wenn er sagt: „Romanorum septimus decemus rex Romolus."74) Cassiodor läßt Athalarich den Senatoren gegenüber die Motive seines Werkes darlegen. In Hinblick auf die römische Aristokratie wollte er zeigen, „daß, wie ihr von euren Vorfahren her immer als Adelige gegolten habt, nun auch jetzt ein altes Königsgeschlecht über euch die Herrschaft ausübt". Was konnte aber Cassiodor dafür geeigneter erscheinen, als wenn er das allgemeine Ziel seiner Arbeit, das „originem Gothicam historiam fecit esse Romanam"75), in der Darstellung der Königsgeschichte im besonderen verwirklichte ? Diese Möglichkeit bestand in mehrfacher Hinsicht, wenn Cassiodor die siebzehn Albanerkönige als Vorbilder der Amaler nahm. Erstens wurden die gotischen Heroenkönige den römischen gleichgesetzt, was beim Leser positive Assoziationen hervorrief. Zweitens konnte man zeigen, daß die gotischen „Halbgötter" bis in die Gegenwart herein herrschen und daß sie ihren Ursprung von einem „Ereignis" herleiten, das ihren Anspruch untermauerte, die Nachkommen des Romulus abzulösen. Drittens erhielt Cassiodor aus den 430 Jahren und siebzehn Generationen der Albanerkönige ein Modell, das man erstaunlich gut auf die „Getarum origo et Amalorum nobilitas" übertragen konnte. Denn der historisch überprüfbare Zeitab-

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mitgeteilt durch lateinische Zahlenzeichen, findet sich auch im Haupttext der Handschrift; vgl. etwa fol. 116 v . Die auf fol. 145 geschriebene „Großglosse" würde sachlich zu fol. 66 v gehören; doch findet man hier kein Gegenstück zum Verweiszeichen auf fol. 145r. Holzapfel, Römische Chronologie 259 ff. Gass. Chron. 47—73; S. 121 f. Chronog. a. 354; S. 143 d. Rosenberg, Rex col. 718. Siehe auch Holzapfel (wie Anm. 71). Cass. Chron. (wie Anm. 71) 122. Wattenbach-Levision 1, 70: Die Chronik Cassiodors, 519 anläßlich des Konsulats Eutharichs überreicht, muß vor der Gotengeschichte abgefaßt worden sein. Fred. Chron. II 16; S. 49. Cass. Var. I X 25, 5 f.; S. 292.

4. Der langobardische Königstitel in den Gesetzen

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schnitt, der die Niederlage des Fuscus vom Regierungsantritt Athalarichs trennt, ist jenen 430 Jahren nahezu identisch"). Athalarich wurde auf diese Weise neben Romulus gestellt, und damit ein Motiv erzeugt, das auch die herkömmliche römische Herrscherakklamation kannte 77 ). Wenn nun Rothari diese Konstruktion auf sich übertrug, so konnte er diese Gegenüberstellung auch der Sache nach rechtfertigen: Er trat Romulus, dem „conditor urbis", als „conditor legis" seines Volkes an die Seite78). Der siebzehnte „Romanorum rex" erneuerte das vom mythischen Ahnherrn Aeneas geschaffene Regnum durch die Gründung Roms. Der „septimo decimum rex gentis Langobardorum" gab ein gebessertes und von allem Überflüssigen gereinigtes Gesetz, das er als neue Grundlage für den inneren Frieden und die Stärke nach außen motivierte79). Rothari verpflichtete im Epilog seines Edictus ausdrücklich alle seine „subiecti" auf dessen Einhaltung80). Die im Prolog gebrauchte Intitulatio betraf daher alle Bewohner des Langobardenreiches, und zwar auch dann, wenn sie vielleicht schon wie die Goten so etwas wie ein personales Recht besessen hätten 81 ). Dazu diente nicht zuletzt die Berufung auf die siebzehngliedrige langobardische Königsreihe. Wenn man die Namen derjenigen, die sich in der Tradition der „gens" einen ehrenvollen Platz erworben hatten, schriftlich niederlegte, so „stützte" man damit das Gedächtnis des Stammes. Aber ebensowenig wie es die gentile Tradition der Goten sachlich verlangt hätte, einen Katalog von sechzehn königlichen Vorgängern Athalarichs aufzustellen, war Rothari „tatsächlich" der siebzehnte König der Langobarden. „Tatsächlich" war er es aber nicht nur nicht, weil man weiß, daß die Königsreihe lückenhaft ist, sondern auch in bezug auf die langobardische Tradition selbst, der gegenüber sich diese Reihe als eine formale Auswahl präsentiert. Eine solche Auswahl mußte freilich die „Römer" und „Goten" der „gens Langobardorum" ansprechen und ihnen zeigen, daß man auch ein „siebzehnter König" mit allen damit verbundenen theoretisch-politischen und „ideologischen" Ansprüchen ist. Wenn aber Romulus im Gallien des 7. Jahrhunderts noch als ein solcher König galt, dann konnte im gleichzeitigen Italien diese Motivation erst recht eine politische Rolle spielen. 76

) Athalarich folgte seinem Großvater Theoderich am 31. August 526 nach (Kraus, Münzen 106). Die Niederlage des Fuscus ist nicht mit letzter Sicherheit zu datieren; sie wird wohl im Jahre 87 frühestens jedoch im Spätherbst 86 stattgefunden haben. Damit erhält man einen Zeitraum von 439/440 Jahren, die Athalarichs Regierungsantritt von dem vermeintlichen ersten Sieg der gotischen Waffen über die Römer trennen. ") Berlinger, Beiträge zur inoffiziellen Titulatur 23. 36. 59. Taeger, Charisma 2, 702, sub voce „Romulus". 7e ) Romulus als „conditor urbis": Rosenberg, Romulus col. 1103. Obwohl man Rothari nicht im eigentlichen Sinne des Wortes als „conditor legis" ansprechen dürfte, da er als germanischer König das alte Recht suchen und bewahren muß, spricht er doch selbst davon, und zwar: „necessarium esse prospeximus presentem corregere legem" (Beyerle 2) und „antiquas legis patrum nostrorum, quae scriptae non erant, condedimus." (Beyerle 156). Vgl. Fichtenau, Arenga 27 und 54 f. 7 80 ») Beyerle 2. ) Beyerle 156: Ro. c. 386. ") Siehe oben 96 Anm. 47.

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II. Die ostgermanischen und langobardischen Königstitel

Ebensowenig dürfte das stolze Wort Athalarichs vergessen worden sein: „in septimam decimam progeniem stirpem nos habere regalem"82). In seiner Intitulatio muß daher, so folgt daraus, Rothari sein Königtum bewußt und gleichwertig an die Seite seiner italischen Vorgänger, der mythisch-historischen Amalerkönige und der mythischen „römischen" Albanerkönige, gestellt haben. Da ihm die Tradition der „gens Langobardorum" verbot, eine einzige „stirps regia" in einer siebzehngliedrigen Abfolge zu behaupten, nannte Rothari im Anhang der Königsliste die stattliche Zahl der eigenen Vorfahren83). Unter den vierzehn Prologen des Edictus Langobardorum, in denen eine königliche Intitulatio vorkommt, bietet nur ein einziger den Titel des Königs Ratchis (744—749)M). Und gerade dieser einzige Beleg für dessen nichturkundliche Selbstaussage85) überliefert den in doppelter Hinsicht einmaligen Titelwortlaut ego divino auxilio Ratchis precellentissimus et eximius princeps**). Eine solche Selbstaussage eines Königs tritt weder in der langobardischen noch in der übrigen Tradition vor 800 ein zweites Mal auf 87 ). An der Echtheit der Intitulatio, in der Ratchis das Element „rex gentis Langobardorum" durch das Wort „princeps" ersetzen ließ, ist nicht zu zweifeln88). Als Anrede eines germanischen Königs war der Begriff „princeps", dessen Geschichte parallel zu „dominus (noster)" verläuft 89 ), allgemein gebräuchlich90). Besonders der „rex" des germanisch-italischen Regnum konnte die alte kaiserliche Titulatur als Nachfolger des „patricius *praesentalis" des 5. Jahrhunderts beanspruchen91). In diesem Sinne wirkt es daher durchaus üblich, wenn Liutprand den langobardischen König an sich als „princeps" oder „princeps Langobardorum" bezeichnet92); denn auf solche Weise sprechen auch die Kaiser von ihren Vorgängern93), und beziehen sich etwa auch die Hausmeier Karlmann und Pippin auf ihre merowingischen Vorgänger, die königlichen „principes" der Franken94). Im Prolog der Novelle des Jahres 746, der große Ähnlichkeit zu den Prooimien der Gesetzgebung Liutprands besitzt, beruft sich Ratchis auf 82

83 ) Siehe oben Anm. 62 und 74. ) Beyerle 2 und 4. ") Ras. prol. (a. 746); S. 342; vgl. Anm. 7. 85 ) Die beiden Präzepte, die von Ratchis nachweisbar ausgestellt wurden, zeigen den üblichen flavischen Königstitel: Chroust, Langobardische Königs- und Herzogs86 urkunde 188 f. nn. 15 f. ) Wie Anm. 84. 8? ) Sowohl die Intitulatio der fränkischen Hausmeier von 742 und 744, als auch die Intitulatio der Fürsten von Benevent nach 774 sind keine Königstitel. Der Königstitel Ramiros' III. von 974 enthält hingegen das Titelelement „princeps magnus": siehe oben 71 Anm. 95. 88 88 ) Zu „princeps" siehe unten 148 ff. ) Siehe oben 69 Anm. 77. ,0 ) Siehe Leges Visigothicae 549 und Leges Burgundionum (Salis) 182, jeweils sub voce „princeps". Für die Frankenkönige vgl. etwa Löwe, Bonifatius und die bayerisch-fränkische Spannung 315 Anm. 169. Siehe auch oben 69 Anm. 77. n ) Wie Anm. 89. »2) Lpr. I prol.; S. 168. «) Vgl. etwa Cod. Iust. 2, 13, 1. 7, 37, 3, 4. 2, 26, 3. 2, 46, 1. 6, 35, 11, 2. M ) Siehe unten 137 f.

4. Der langobardische Königstitel in den Gesetzen

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seine Vorgänger, auf Rothari, Grimoald und Liutprand, den er seinen „nutritor" nennt. Der erste wird als „huius gentis Langobardorum princeps" tituliert; Grimoald nennt die Vorrede „precellentissimus rex"; Liutprand ist der „eximius et precelsus . . . princeps"95). Man sieht, daß bereits der Prolog die objektive Form aller Titelelemente vorwegnimmt, die dann die eigentliche Intitulatio bilden sollten. Aus der herkömmlichen Intitulatio des Edictus Langobardorum blieb nur das einleitende Personalpronomen „ego" erhalten, das in einem eigenartigen Kontrast zu dem Majestätsplural des Prologtextes und der Satzungen steht 96 ). Die Invocatio vor dem Königsnamen spreche ich als solche wegen ihrer Stellung im Rahmen des Titels an, die auch der neun Jahre jüngere Titel bestätigt, den Aistulf gebrauchte97). Der Rangtitel „precellentissimus et eximius" bezieht sich, da der Rangtitel an sich das Substantiv „vir" seit Liutprand abgestoßen hat 98 ), auf den Funktionstitel. Das erste Glied „precellentissimus" ist inhaltlich nahezu identisch mit „excellentissimus", wurde aber früh schon vor allem als Rangprädikat germanischer Könige, dann jedoch auch für den Exarchen von Ravenna gebraucht, der ja überhaupt das Vorbild der Langobardenkönige in Rangfragen abgab99). Die Hinzufügung von „eximius" bedeutet noch eine verstärkte Angleichung an die patrizische Titulatur und mögliche Intitulatio des Exarchen, den der Liber diurnus seit dem 7. Jahrhundert ausdrücklich als „eximius" ehrt100). „Precellentissimus et eximius" verdoppelt gleichsam, wenn auch inkonventionell, das 150 Jahre früher der Titulatur des Exarchen entnommene „(vir) excellentissimus"101). Die Herkunftsgeschichte des Rangtitels erklärte zugleich auch dessen Bedeutung. Die Aussage von „princeps" ist nicht so leicht zu erfassen und bleibt vielleicht, trotz aller Bemühungen, dunkel. Mag sein, daß ein Blick auf die allgemeine Geschichte des Königs Ratchis ein wenig die Situation aufhellt, in der dieser Titel formuliert wurde. Benedikt von Soracte wußte noch 250 Jahre danach über Ratchis zu berichten: der in seinen Augen gute König habe eine Stadtrömerin zur Frau gehabt, das Gesetz der Langobarden in bezug auf das Eherecht „gebrochen" und Landschenkungen zugunsten von „Römern" in den Formen der „cartule Romane" vollzogen. Darüber hätten sich die Langobarden empört und ihm unter Führung seines Bruders Aistulf das Königreich genommen102). Dieser wurde aber tatsächlich der Nachfolger des Ratchis; die erste Bestimmung der Gesetzgebung Aistulfs betraf die Landschenkungen, die ·») ··) »') ")

Ras. prol. (a. 746); S. 340 und 342. Vgl. Beyerle 168 (Liutprand). Siehe oben Anm. 8. Siehe Anm. 13. ·«) Siehe Anm. 17 f. Koch, Beamtentitel 102. Chroust Langobardische Königs- und Herzogsurkunde 29. Siehe oben 66, 63 Anm. 46 und 96 f. 10 101 °) Koch 94. ) Vgl. oben 63 Anm. 46. Siehe auch Anm. 99. 102 ) Bened. Soract. Chronicon c. 16; S. 702. Zöllner, Völker im Frankenreich 135. In der Gesetzgebung des Ratchis sind jedoch keine Spuren eines konkreten Verstoßes gegen die alten Satzungen festzustellen.

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II. Die ostgermanischen und langobardischen Königstitel

der römerfreundliche König und seine Gemahlin Tassia gegeben hatten 103 ). Ein Vergleich der Königstitel der beiden Brüder miteinander zeigt überdies, daß der aktive Romgegner Aistulf das wesentliche Titelelement „rex gentis Langobardorum" in der Intitulatio des Edictus wiederherstellte. Man sieht aber, daß der Typus der Invocatio bei Ratchis von Aistulf übernommen wurde und daß vor allem der einfache Rangtitel „precellentissimus" in dessen Intitulatio wiederkehrt 104 ). Dieser Sachverhalt wurde bereits damit zu erklären versucht, daß die päpstliche Kanzlei das Rangprädikat „excellentissimus" an die fränkischen Hausmeier vergab und deshalb in den Augen der Langobarden entwertet haben könnte 105 ). Ist die Überlegung richtig, dann würde sie in noch höherem Maße den Gebrauch des rangbestimmenden Funktionstitels „princeps" erklären, den Ratchis anstelle von ,,rex gentis Langobardorum" setzen ließ. Vier Jahre nach der Abfassung des Concilium Germanicum und fast auf den Tag genau zwei Jahre nach der Synode von Soissons, wo beide Male der Titel „ego N. dux et princeps Francorum" formuliert wurde106), verwendete ein Langobardenkönig den Titel „ego . . . Ratchis precellentissimus et eximius princeps". Ratchis führt „princeps" als königlichen Funktionstitel; im fränkischen Hausmeiertitel findet man das erste Beispiel dafür, daß „princeps" ein fürstlicher Funktionstitel sein konnte. Die zeitliche wie räumliche Nähe der beiden so ähnlichen Titelformen, die innerhalb von drei Jahrhunderten nur in den Jahren 742 bis 746 vorkommen, kann wohl kein Zufall sein. Ratchis stammte wie die Hausmeier aus der Schicht der „duces" 107 ). Die Übertragung des königsgleichen Princeps-Titels auf den nichtköniglichen „dux Francorum" hätte gefährliche Rückwirkungen auf die Stellung des Langobardenkönigs als „princeps Langobardorum" haben können. Seit Jahrzehnten suchte der „summus dux gentis Langobardorum" Benevents, gefolgt vom Herzog von Spoleto, seine fürstliche Position entsprechend darzustellen 108 ). Dazu hätte vor allem die Bezugnahme auf einen langobardischen Prinzipat dienen können; eine Politik, die nach 774 im Titel „princeps gentis Langobardorum" der Herzöge von Benevent auch sofort verwirklicht wurde 109 ). ) Ai. I c. 1; S. 358. "«) Vgl. Beyerle 342 und 364. ) Siehe Anm. 33. Dagegen spricht die Weiterverwendung von „vir excellentissimus" in den Titeln der Präzepte und besonders die Annahme des Rangtitels durch Arichis (wie Anm. 109) nach 774. " · ) Siehe unten 136ff. Paul. Diac. VI 51 f.; S. 2 3 6 f . l o e ) Siehe unten 194 ff. Zur Verwirklichung der Möglichkeit, daß ein königsgleicher Großer sich dem König nicht unterordnen will und seine Stellung durch die Bezeichnung „princeps" manifestieren kann, siehe Greg. Tour. Hist. Franc. I I I 14; S. 110: „Mundericus igitur, qui se parentem regium adserebat, multa elatus superbia ait: .Quid mihi et Theuderico regi? Sic enim mihi solium regni debetur ut ille. Egrediar et collegam populum meum atque exegam sacramentum ab eis, ut sciat Theudericus, quia rex sum ego, sicut ille. E t egressus coepit seducere populum dicens: 'princeps ego sum'." Vgl. Wenskus, Thunginus 225. 10e ) Chroust 109 f. Voigt, Beiträge zur Diplomatik 32 ff. Zur Herkunft des Ratchis 1M

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4. Der langobardische Königstitel in den Gesetzen

107

Man könnte daher meinen, Ratchis habe mit seinem Princeps-Titel für „immer" verhindern wollen, daß ein „du.x gentis Langobardorum" auch als „princeps gentis Langobardorum" auftritt und dadurch mit dem königlichen Princeps der Langobarden ernstlich konkurriert. Ratchis ging aber noch einen Schritt weiter, als ihn ein nichtköniglicher Fürst der Langobarden je hätte tun können, ohne unglaubwürdig zu werden. Der König führte die Angleichung an den einzigen „princeps" durch, der ohne jede ethnische Bereichsbezeichnung akzeptiert wurde, nämlich an den Kaiser. Dadurch eilte Ratchis seinen möglichen Gegenspielern in einen Bereich der theoretischen Politik voraus, wohin sie ihm nicht zu folgen vermochten. Was wie gegen den Kaiser in Byzanz gerichtet wirkt, war nicht zuletzt auch eine Antwort auf die fränkische Herausforderung. Diese drohte die von Liutprand begonnene Politik mit Hilfe der päpstlichen Kanzlei zunächst einmal von der Theorie her aufzulösen. Daß sich die Langobarden ihrem König Ratchis bei der Durchführung seines aufgeschlossenen „Programms" versagten, gehört zur besonderen Tragik dieses eigenartigen Einzelgängers, der eine Alternative zur herkömmlichen langobardischen Rompolitik suchte 110 ). siehe Anm. 107, zu der des Arichis siehe Belting, Studien zum beneventanischen Hof 144 ff., bes. 144 Anm. 5. "») Siehe oben 96 ff.

III. D E R MEROWINGISCHE

KÖNIGSTITEL

1. R e x Francorum Der merowingische Königstitel lautete N. rex Francorum. Er ist der erste germanische Königstitel, dessen Wortlaut in Originalurkunden überliefert wird. Als diplomatische Selbstaussage belegen ihn Königsurkunden, deren Originalüberlieferung von etwa 625 bis 717 und deren echte Kopialtradition von 596 oder 602 bis 744 oder 747 reicht 1 ). Nur wenig älter als die frühesten unverdächtigen Urkundentitel sind die ersten gleichlautenden nichtdiplomatischen Selbstaussagen, die heute noch in drei Kapitularien und fünf Königsbriefen vorliegen. Die Briefe wurden alle von dem Austrasier Childebert I I . ausgestellt; sie waren für hohe kaiserliche Beamte bestimmt und wurden anläßlich der fränkischen Gesandtschaft von 587/88 in Byzanz übergeben 2 ). Die drei erwähnten merowingischen Kapitularien sind zugleich auch die einzigen dieser Art, deren Protokoll weitgehend erhalten blieb. Die dabei gebrauchte Intitulatio „N. rex Francorum" ist identisch mit der diplomatischen Selbstaussage der fränkischen Könige. Bei den Kapitularien handelt es sich um das Edikt König Gunthrams von 585, um die „decretio" des schon erwähnten Childeberts I I . von 596 und um die sogenannte „praeceptio Chlotarii", deren Datierung aus dem Text nicht hervorgeht und auch nicht sicher erschlossen werden kann 3 ). F. L. Ganshof weist das Dokument, wie schon Boretius, dem zweiten König dieses Namens zu, wodurch es auf die Jahre 584 bis 628 festgelegt würde. E. Zöllner sieht hingegen die Annahme nicht völlig unbegründet, daß schon Chlotar I. (511—561) das Kapitulare erlassen habe 4 ). Ist dieser zeitliche Ansatz richtig, dann enthielte die Praeceptio Chlotarii das älteste positive Zeugnis eines merowingischen Königstitels ,,N. rex Francorum", das dann unmittelbar aus der Generation nach dem Reichsgründer stammen würde. ) Classen I I 26. ) A. a. 0 . 27 f. Ganshof, Was waren die Kapitularien? 163, zu Cap. 1, η. 5 ; S. 11, η. 7 ; S. 15, η. 8 ; S. 18. Goubert, Byzance et les Francs 135 ff., zu Epp. Austras, nn. 32; S. 141, 34; S. 142, 37—39; S. 144 f. 3 ) Siehe Anm. 2. 4 ) Zöllner, Franken. Classen I I 32 Anm. 160 zum Stand der Forschung. Gegen die Zuschreibung an Chlotar I. ist Ganshof, L'immunite dans la monarchie franque 177 und a. a. O. Anm. 16. Sein wichtigstes Argument, daß dann Childerich I. auf Grund der Aussage der Praeceptio Chlotarii bereits als Heide an Kirchen Immunitäten verliehen haben muß, was historisch unwahrscheinlich sei, kann mich nicht recht überzeugen. r

2

1. Rex Francorum

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Als Titulatur kennt man den Wortlaut der merowingischen Intitulatio bereits aus den Variae epistolae Cassiodors, wo Theoderich seinen Schwager Chlodwig-Luduin als ,,rex Francorum" anspricht. Die Überschriften der Variae wurden von Cassiodor wie auch die übrigen Teile des Protokolls stilisiert oder ausgelassen. Viel Wert besitzt ihre Aussage für unsere Fragestellung daher nicht, obwohl man von keinem der adressierten „reges gentium" mit Sicherheit sagen kann, er habe keine gentile Intitulatio geführt. Hingegen weicht der Wortlaut der Titulatur in den Variae von dem Titel der angeschriebenen Könige im einzelnen sehr wohl ab, wie der Vergleich mit dem vandalischen, aber auch burgundischen Königstitel zeigt5). Das älteste objektive Zeugnis für das Königtum der Merowinger an sich bietet die Legende des Siegelringes Childerichs I. (f 481). Dieses Stück, 1653 zu Tournai im Grab des Königs gefunden, 1831 jedoch verloren gegangen, trug die Umschrift CHILDERICI REGIS 6 ). Diese Eigentumsbezeichnung im Genetiv besitzt den Wert einer Fremdaussage. Sie unterscheidet sich daher auch von den Siegellegenden der späteren Könige, die mit der Selbstaussage des Titels übereinstimmen und N. R E X FRANCORUM lauten7). Childerichs Siegel läßt keinen Rückschluß auf seine — läßt man die Prämisse gelten, daß die Praeceptio Chlotarii vom ersten König des Namens ausging —immerhin mögliche urkundliche Intitulatio zu8). Chlodwig I. (481—511) hatte wie sein Vater ein Siegel, dessen Legende man jedoch nicht kennt 9 ). Die einzige von ihm bekannte Selbstaussage steht in einer „epistola" an Bischöfe. Während die Intitulatio „N. rex Francorum" stets am Beginn der Superscriptio auftritt, kann die Briefform eines vorkarolingischen „Aktes" bewirken, daß — bei einem bestimmten Personenkreis als Adressaten — die Intitulatio nachgereiht und um die ethnische Bereichsbezeichnung verkürzt wird. Dieses Problem wird im nächsten Kapitel behandelt10). Man kann also für Chlodwig selbst den Gebrauch des merowingischen Königstitels nicht nachweisen. Trotzdem wird man mit Sicherheit schließen dürfen, daß er der erste „rex Francorum" im Sinne des merowingischen Königtums war, weil er einfach die Voraussetzungen dazu geschaffen hatte. Der „comes domesticorum" Mallobaudes des Jahres 378 war auch ein „rex Francorum"; doch meint „Francorum" in diesem Zusammenhang die Zugehörigkeit dieses Königs zum Bund der Franken. Mallobaudes ist ein König von Franken, aber diese bilden nicht in ihrer Gesamtheit den Herrschaftsbereich des Mallobaudes. Diese „Monopolisierung" des Königtums der Franken blieb Chlodwig vorbehalten. Nicht, daß es in Zukunft nicht gleichzeitig mehrere „reges Francorum" nebeneinander geben sollte. Aber sie ) Siehe oben 69 Anm. 76, 79 Anm. 22, 87 Anm. 59 f. ) Tessier, Diplomatique royale 19. Zöllner, Fränkische Geschichte. Zusammenfassend Schramm, Herrschaftszeichen 1, 213 ff. ') Tessier 19. DOM 43. Schramm 232. 8 ) Cap. 1, η. 8 c. 11 f.; S. 19; vgl. Ganshof (wie Anm. 4). ») Tessier 20. Liber Hist. Franc. 12; S. 257. 10 ) Cap. 1, η. 1; S. 1. Vgl. Classen II 40 Anm. 184. Krusch, Studien 23. Sickel, Acta Karolinorum 1, 394 ff. Im übrigen siehe unten 128 ff. 5 6

110

III. Der merowingische Königstitel

gehörten alle einer einzigen Sippe an, die sich von Chlodwig, dem ersten fränkischen „Großkönig", herleitete 11 ). Zunächst einmal bedeutete daher „rex Francorum" den fränkischen Großkönig aus der direkten Deszendenz Chlodwigs. Dieser war ein „kuning", der zum namengebenden Vorbild aller späteren west- und nordgermanischen Könige werden sollte. Gleichgültig, in welchem Reichsteil ein Frankenkönig herrschte, hatte er Anspruch auf den Titel „rex Francorum"; und wenn seine thronberechtigten Verwandten ohne Erben vor ihm starben, dann stellte er in seiner Person die theoretisch niemals fragliche Einheit des „regnum Francorum" auch praktisch wieder her. Man wird daher annehmen, daß der Funktionstitel „rex" durch Chlodwig und seine nächsten Nachfolger im Rahmen der gallischen Politik einen festen Platz erhielt. Der fränkische „rex" war, 508 durch die Verleihung des Konsulats, vielleicht sogar Patriziats, seitens des Imperium anerkannt 12 ), der Befehlshaber und Gefolgschaftsherr des stärksten militärischen Potentials Galliens, der Inhaber des römischen Fiskus und ehemals kaiserlichen Domaniallandes, der Münzherr, oberster Gerichtsherr und Herr der Kirche, der die Synoden einberief, schließlich ein König, dessen Stellung durch altertümliche Traditionen, die sich mit dem Begriff „rex crinitus" verbanden, besonders hervorgehoben wurde 13 ). Dieser, was ihre Theorie anlangt, verhältnismäßig konstanten Größe gegenüber war der Bedeutungsgehalt des in der ethnischen Bereichsbezeichnung genannten Wortes „Franci" an sich starken Veränderungen unterworfen. Als Bezeichnung einer „gens" innerhalb der „gentilitas" 14 ) Galliens folgte der Begriff „Franci" den Wandlungen des fränkischen „Volksbewußtseins", das besonders seit dem 7. Jahrhundert deutlich auf eine „Regionalisierung" des Frankennamens, noch dazu gleichzeitig an verschiedenen Stellen des Frankenreiches, abzielte 15 ). Daneben, aber diese Wandlungen einschließend, ") Wenskus, Thunginus 233. Zur Bezeichnung des Merowingerkönigs als „konung" und die Bedeutungsaufwertung dieses Begriffes auf Grund des Aufstieges der Merowinger siehe Kahl 239 und öfters. 12 ) An Stelle der zahlreichen Literatur und Sekundärliteratur zu diesem Thema zitiere ich die Stelle aus Greg. Tour. Hist. Franc. II 38; S. 88. Siehe auch a. a. O. Anm. δ: „Igitur ab Anastasio imperatore codecillos de consolato accepit, et in basilica beati Martini tunica blattea indutus et clamide, inponens vertice diademam. Tunc ascenso equite, aurum argentumque in itinere illo, quod inter portam atrii et eclesiam civitatis est, praesentibus populis manu propria spargens, voluntate benignissima erogavit, et ab ea die tamquam consul aut (oder besser ,ut') augustus est vocitatus. Egressus autem a Turonus Parisius venit ibique cathedram regni constituit." Zu „augustus" vgl. Bucklisch, Augustus 24 ff. Vgl. unten 126 Anm. 82. 13 ) Zur Bestimmung der konkreten Macht des „rex Francorum" und ihre mögliche zeitgenössische Interpretation siehe die lesenswerte Abhandlung von Werner, Bedeutende Adelsfamilien im Reich Karls des Großen 86—91. Die Interpretation jener Stelle, an der Greg. Hist. Franc. II 9; S. 57 von den „reges criniti" spricht, versuchte zuletzt Graus, Volk, Herrscher und Heiliger 323. Vgl. Wenskus, Stammesverfassung 531. Schramm, Herrschaftszeichen 124 ff. Buchner, HZ 201, 637. u ) Das Wort selbst findet sich bei Isid. Etym. I X 2, 1. 15 ) Ewig, Volkstum und Volksbewußtsein 628—644 und 646 ff. Zöllner, Völker im

1. Rex Francorum

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meint das Wort „Franci" die „Volkszugehörigkeit im Sinne der Rechtszugehörigkeit und der Abstammung", und zwar mit der „ständischen Einschränkung" von „Francus" als den Freien schlechthin14). Auch eine solche Zuordnung impliziert ständigen Wandel und dauernde Bewegung. Der Titel „rex Francorum" müßte daher, faßt man ihn nur als König dieser „Franci", einen ebenso engen wie veränderlichen Bedeutungsumfang gehabt haben. Die Terminologie der politischen Theorie übersteigt aber den Sprachgebrauch des kleinen Raumes17). Daher gelingt es, den merowingischen Königstitel sowohl vor der Gefahr der Einengung auf bestimmte Reichsteile des Regnum Francorum zu bewahren, als auch seine Verbindlichkeit für Gallien dauerhaft zu gestalten. Wenn „rex Francorum" nacheinander noch der Titel der Karolinger und Kapetinger werden konnte und am weitaus längsten von allen germanischen Königstiteln gültig war, dann müßte schon deswegen seine Konzeption weit und offen angelegt gewesen sein, aber auch einen bestimmten, im Grunde unveränderlichen Herrschaftsauftrag bedeutet haben. Dieser bezog sich selbstverständlich auf das Frankenreich, auf die „Franci". Wenn jedoch Remigius von Reims diesen Auftrag als „regnum administrandi et Deo auspice properandi" begreift und Chlodwig als „populorum caput" und Inhaber des „regimen" anspricht, dann hat diese außerordentlich frühe Fremdaussage zu „rex Francorum" und „regnum Francorum" symptomatische Bedeutung18). Denn dieser Brief stammt aus den Jahren, in denen der König Syagrius und sein Reich vernichtet, die Alemannen schwer geschlagen hatte und sicher zur Gänze unterworfen hätte, wäre ihnen nicht Theoderich zu Hilfe gekommen, und entscheidende Erfolge gegen die Westgoten errungen hatte19). Dem Schreiben des Bischofs an Chlodwig geht ein etwa zehn Jahre älteres Dokument voraus, in dem Remigius den Regierungsantritt des Frankenkönigs als Übernahme der „administratio Secundum Belgice" auslegt, deren Metropole die Stadt Reims bildet20). Indem ein typischer Vertreter des gallischen Episkopats wie der senatorischen Aristokratie des Landes sich auf diese Weise zur Herrschaft des „rex Francorum" bekannte — eine Haltung übrigens, mit der Remigius nicht allein blieb21) —, waren die besten Voraussetzungen für den notwendi-

le) 17 )

1B)

19 )

20 )

»)

Frankenreich 57 ff. Wenskus, Die deutschen Stämme im Reiche Karls des Großen 184 ff. Schließlich Ewig, Descriptio Franciae 143 ff. Zöllner (wie Anm. 5). Wenskus, Stammesbildung 538 ff. Die literarischen Quellen sprechen schon im 7. Jahrhundert von einem „regnum Francorum", das ein Teilreich, nämlich vorwiegend Neustrien, meint: Ewig, Volkstum und Volksbewußtsein 632. 638. 641. Diesem geographischen Begriff steht selbstverständlich der einer „staatsrechtlichen Terminologie" (Ewig, Descriptio 143 Anm. 1) gegenüber. Siehe unten 209 Anm. 2. Ep. Austras. 1;S. 112. Allerdings werden weder in der Adresse noch im Kontext des Briefes die Begriffe „ r e x Francorum" und „regnum Francorum" gebraucht. Levison, Zur Geschichte des Frankenkönigs Chlodowech 210 ff. und 225 ff. Zur Datierung des Briefes siehe W . von den Steinen, Chlodwigs Übergang zum Christentum 432 und 499. Ep. Austras. 2; S. 113.Vgl. von den Steinen (wie Anm. 19) und Levison (wie Anm. 19). Levison (wie Anm. 19) 222 ff. und 227.

112

III. Der merowingische Königstitel

gen Ausgleich zwischen „Franci" und „Romani" gegeben. Nachdem Chlodwig zuerst in sich selbst arianische Neigungen überwunden, dann die gotischarianischen Konkurrenten aus Gallien weitgehend ausgeschaltet und die burgundischen Arianer und halben Katholiken zurückgedrängt hatte 22 ), konnte er die Fähigkeiten der römischen Führungsschicht in kirchenpolitischer, administrativer, ja vielleicht sogar schon in militärischer Hinsicht für sein Regnum Francorum einsetzen 23 ). In der Folge dieses Prozesses löste sich von der alten „Francia", die ein „gentilrechtlicher" Begriff bleibt und mehr und mehr zum geographischen Terminus wird, das „lateinische und darum selbstverständlich jetzt auch katholische Regnum Francorum" 2 4 ). Das Frankenreich Chlodwigs und seiner nächsten Nachfolger erfaßte Gallien und griff sogar offensiv nach Germanien über 25 ). Parallel dazu erhob sich die Vorstellung „rex Francorum" zu dem „staatsrechtlichen" Begriff inerowingischer „rex Francorum". Dieser stellte als Titel die allgemeinverbindliche diplomatische Selbstaussage des Königs dar, durch die der Befehl des Königs im ganzen Regnum Francorum, zumindest theoretisch, Gültigkeit erlangte. „N. rex Francorum" manifestierte daher eine politische Wirklichkeit, die naturgemäß ein Bekenntnis voraussetzte, und zwar die Zustimmung des politisch handlungsberechtigten „populus, exercitus etc. Francorum". Gregor von Tours konnte dieses „Bekenntnis" sehr anschaulich als das „aspicere ad regem" der Franken bezeichnen 28 ). Seitdem der Frankenkönig zum „dominus noster" der senatorischen Aristokratie geworden war, konnte er deren Mitglieder als königliche „Amtsträger" mit den höchsten Aufgaben selbst in den germanischen Teilen des Reiches betrauen 27 ). Es war, um nur ein bezeichnendes Beispiel aus dem Gebiet der theoretischen Politik zu nennen, das Rangprädikat „inluster vir", das vom senatorischen Adelsprädikat zum fränkischen „Amts-" und Adelsprädikat schlechthin wurde 28 ). Aus formalen wie materiellen Gründen scheint es daher nicht gut möglich, daß der romanische Adel sehr lange aus der Reihe der „Franci qui ad regem illum aspiciebant" ausgeschlossen blieb. Die Carta de ducato et patriciatu et comitatu, ein politisch höchst wichtiges Formular Markulfs, enthält die Verpflichtung des „Amtsträgers", dem gesamten „populus", nämlich „Franci, Romani, Burgundionis vel reliquas nationis", gegenüber recht zu handeln 29 ). Es kann nur eine Ver22

) Levison 227 und 219. Von den Steinen 472 ff. ) Die ältesten Nachrichten für die militärische Verwendung gehören allerdings schon der Generation der Chlodwig-Söhne an: Werner, Bedeutende Adelsfamilien 88. 2S ") Werner (wie Anm. 13) 89. Vgl. Anm. 0. ) Werner a. a. O. 26 ) Siehe die bei Ewig, Volkstum und Volksbewußtsein 640 Anm. 184, verzeichneten Stellen. ") Werner, Bedeutende Adelsfamilien 88 f. 28 ) Siehe etwa Form. Andec. 46; S. 20. Die dort gebrauchte Intitulatio bildete die Grundlage des Urkundentitels, dessen sich noch Pippin der Mittlere und seine Gemahlin Plektrud bedienten. Siehe unten 142 Anm. 8. 29 ) Form. Marc. I 8; S. 48; vgl. I 40; S. 68, das Formular „ut leudesamio promittantur rege", wo „Burgundiones" aber ausgefallen ist. 23

1. Rex Francorum

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mutung sein, wenn man das Formular als ein Zeugnis dafür wertet, daß der Ausgleich zwischen Franci und Romani ein Gegenstück im Verhältnis von Franci und Burgundiones fand. Jedenfalls gehören die Großen des Südreiches, die Burgundiones oder Burgundaefarones des 7. Jahrhunderts, zu den „Franci proceres". Allerdings sind sie weder einheitlich altburgundischer, noch fränkischer oder römischer Herkunft, sondern stellen eine „national gemischte Gesellschaft dar", wie sie Eugen Ewig beschreibt 30 ). Die Wirksamkeit des merowingischen Königstitels lag also in seiner Offenheit gegenüber den Repräsentanten fremder Volkstümer und in der Fähigkeit, diese an den „rex Francorum" zu binden, unbeschadet des persönlichen Rechtes des einzelnen. Dabei verlor der Frankenname niemals seine beherrschende Rolle im politischen Spiel Galliens und mußte diese auch mit keinem anderen „Staatsvolk" teilen 31 ). Soweit die fränkischen Waffen und die fränkische Politik wirkte, reichte die Gültigkeit des merowingischen Titels „rex Francorum". Diese Konzeption, die auf Chlodwig zurückging — die fränkische Tradition hat ihn darum früh schon als „primus rex Francorum" verstanden32) —, barg den Keim zu einer gefährlichen Entwicklung in sich, die dann akut wurde, als die merowingische Königspolitik in Gallien an Glaubwürdigkeit und Verbindlichkeit verlieren sollte. Dieser Prozeß setzte tatsächlich um die Mitte des 7. Jahrhunderts ein. Ohne daß von einem Zerfall des „regnum Francorum" expressis verbis gesprochen wurde, noch heute zu sprechen wäre, zeigt sich doch das theoretisch-politische Paradoxon, daß der „rex Francorum" innerhalb der Grenzen des Frankenreiches nicht einmal mehr überall als dessen nominelle Spitze anerkannt, geschweige denn als tatsächlicher Herrscher betrachtet wurde. Der Thüringerherzog Radulf etwa, ein Franke, der vom König mit der Leitung dieser dem Regnum unterworfenen „gens" betraut wurde, verkörperte nun offensichtlich einen Typus fränkischer „Amtsträger", die man „Franci qui ad regem Francorum non amplius aspiciebant" nennen könnte, um das Wort Gregors zu modifizieren33). Darf man einer freilich viel jüngeren Quelle wörtlich folgen, so soll eine wohl agilolfingische Gruppe von Herzögen ihre Gehorsamsverweigerung der Zentralgewalt gegenüber ein, zwei Generationen später damit motiviert haben, daß die Hausmeier den Merowingerkönig entmachtet und die unmit30 )

Ewig, Volkstum und Volksbewußtsein 640. Zöllner, Völker im Frankenreich 57 ff. Die Stellen jedoch, die die Unterwerfung der fremden Völkerschaften allzusehr betonen, gehören bezeichnenderweise schon der Karolingerzeit an, da die Wiederherstellung des Regnum Francorum allen gentilen Sonderbestrebungen zum Trotz zwar bereits gelungen war, die Härte der Kämpfe aber naturgemäß eine Verschärfung in der Diktion zur Folge hatte: Vgl. Zöllner 78 Anm. 83 f. Vielleicht läßt die Aussage des Liitticher Kommentators des Liber historiae Francorum auch eine Interpretation in dieser Hinsicht zu: siehe Ewig, Volkstum und Volksbewußtsein 648. 32) Epil. Leg. Sal.; 2 , 4 0 8 : „Primus rex Francorum statuit a primo titulum usque LX(V) disposuit iudicare." 33) Vgl. Anm. 26. 31 )

8

Wolfram, Intitulatio I

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I I I . Der merowingische Königstitel

telbare Dienstleistung für den König verhindert hätten34). Eine Art von „Legitimismus", wie ihn dieselbe adelige Opposition noch 743 ins politische Spiel brachte und die bayerischen Agilolfinger im berühmten Prolog der bayerischen Lex sogar kodifizieren ließen35). Im Grunde stellte aber die Berufung auf die Merowingerkönige, deren Titel immer noch die alte Formel „rex Francorum" ausmachte, um diese Zeit bereits den ernsthaften Versuch dar, sich dem „regnum Francorum" zu entziehen36). Noch in der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts spielt sich im Gebiet der alten Aquitania I und II ein äußerst wichtiger und dem bayerischen vergleichbarer Prozeß ab, dem die Sonderentwicklung der Provence parallel verläuft37). Vor der Jahrhundertmitte dürfte ein merowingisches Unterkönigtum in Toulouse, dem alten gotischen Königssitz, politische Traditionen reaktiviert haben. Diese führten im Verlauf des restlichen 7. und beginnenden 8. Jahrhunderts zur Ausbildung eines umfassenden „Prinzipats"38), der nur mit dem der karolingischen Hausmeier in der Francia zu vergleichen ist39). Dieser erste „Sonderstaat" innerhalb des Regnum Francorum40) bezog den Römernamen auf sich und seine Bewohner, machte ihn sekundär zum „staatsrechtlichen" Begriff, bevor er dann von der Bezeichnung „Aquitani" abgelöst wurde41). Die Herren Aquitaniens erkannten die Repräsentanten des Frankenreiches nicht mehr an, obwohl sie noch im Namen des Königs Synoden abhielten. Dabei wurde nachweisbar die einzige offizielle Fremdaussage '*) Löwe, Bonifatius und die bayerisch-fränkische Spannung 295 Anm. 102. Zöllner, Herkunft der Agilolfinger 127 ff. 35 ) Löwe, Bonifatius 294 Anm. 100. Zöllner, Herkunft 121 ff. " ) Jedenfalls wäre die Narratio von D K a r . 162 (788 X 25) „Igitur quia ducatus Baioarie ex regno nostro Francorum aliquibus temporibus infideliter per malignos homines Odilonem et Tassilonem, . . . , a nobis subtractus et alienatus fuit, . . i n diesem Sinne zu deuten, da hier auch Odilo erwähnt wird. Daher sind mit dieser Klage nicht nur die Ereignisse seit 763 gemeint. " ) Vgl. Ewig, Volkstum und Volksbewußtsein 646. Siehe Buchner, Provence 28 f. 38 ) Der Ausdruck „Prinzipat", den Eugen Ewig für diesen Machtbereich prägte und der auch etwa von Werner, Bedeutende Adelsfamilien 115 ff., übernommen wurde, ist nur literarisch belegt. Für Tassilo findet man „princeps" als diplomatische Fremdaussage (siehe unten 177 ff.) und nur die Arnulfinger führten „princeps" nachweisbar auch als Titel, jedoch nicht in ihren Urkunden. Dort kann freilich im Interregnum von 737 auf 743 vom „principatus" des Hausmeiers gesprochen werden. Zur Problematik der Terminologie Ewigs, die wegen ihrer Anschaulichkeit mit Recht gerne übernommen wird, vgl. 156 f. Anm. 4. >·) Ewig, Volkstum und Volksbewußtsein 600. 40 ) Ders. 638 Anm. 174: „Julian von Toledo . . . versteht aber unter den Franken . . . offenbar die Aquitanier des Dux Lupus." Löwe, Bonifatius und die bayerischfränkische Spannung 297 Anm. 112: „ . . . ; was man mit dem Titel .princeps' meinte, ergibt sich aus dem Liber pontificalis, Vita Gregorii I I , deren — gerade im Anfang des Papstes Zacharias entstandene — Überarbeitung (ed. Duchesne 1 S. 401 Z. 15,21) Eudo von Aquitanien als,Francorum dux' und ,Aquitaniae princeps' anführte." Beide Quellen, die von „Ausländern" verfaßt wurden, zeigen, daß Aquitanien „völkerrechtlich" zum „regnum Francorum" gezählt wurde. " ) Ewig 600 ff.

1. Rex Francorum

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gebraucht, die auch auf eine mögliche diplomatische Selbstaussage dieser Machthaber schließen läßt. Denn mit „inluster vir N. dux" lautete die in den Synodalakten verwendete Fremdaussage genauso wie die Titulaturen und Titel der übrigen fränkischen „Amtsträger". Der Typus ist alt und bildet die urkundliche Intitulatio der Hausmeier bis zur Königserhebung Pippins42). Die Möglichkeit, daß sich ein aquitanischer Fürstentitel analog zum Herzogstitel Tassilos I I I . entwickelt haben könnte, ist nicht auszuschließen. Sie wirkt wahrscheinlich, wenn man bedenkt, daß der bayerische Herzogstitel keine zwei Generationen nach der Einverleibung des Herzogtums in das Karolingerreich als bayerischer Königstitel eines Frankenkönigs wiederersteht, dessen Vater aber schon ein halbes Jahrhundert zuvor als karolingischer „rex Aquitanorum" geurkundet hat. Trifft der Analogieschluß zu, dann ist die aquitanische Entwicklung der bayerischen parallel, aber phasenverschoben verlaufen43). Der Bedeutungsumfang des merowingischen Königstitels „rex Francorum" schrumpfte also in den letzten hundert Jahren vor 751 immer mehr auf die fränkischen Kernländer, die „tria regna", zusammen. Nachdem aber die karolingischen Hausmeier ihren „principatus" hier gesichert hatten, gingen sie an die Wiederherstellung des Regnum Francorum. Zunächst konnten sie sogar die Politik Chlodwigs vollenden und den letzten Rest der gallischen Gothia in das Frankenreich eingliedern, wobei allerdings die Tatsache mitspielte, daß das Westgotenreich 711 von den Mohammedanern vernichtet wurde44). Trotz aller Erfolge, nicht zuletzt auch gegen Aquitanier und Bayern, gelang es jedoch den Hausmeiern vor 751 nicht, den Widerstand dieser beiden „partes" des alten merowingischen Frankenreiches zu brechen. Diese Situation änderte sich auch während der ganzen Regierungszeit Pippins nicht; und als der König 768 starb, da erbte Karl das „bellum Aquitanicum a patre inchoatum, sed nondum finitum" 45 ). Ebenso ungeklärt blieb das Verhältnis des Frankenreiches zu Tassilos bayerisch-slawischem Regnum. Ja, die besondere innerfränkische Entwicklung der beginnenden siebziger Jahre, nämlich die zunehmende Entfremdung der karolingischen Brüder, zwang Karl zunächst sogar dazu, Tassilo als gleichberechtigten Verhandlungspartner anzuerkennen und sodann dessen „harisliz" von 763 und die daraus de facto abgeleitete Unabhängigkeit des Herzogs noch eine Zeitlang zu dulden48). Als die geschickte Politik Karls diese Schwierigkeiten schließlich doch meisterte, gelang ihm nicht nur die räumliche Wiederherstellung des alten Frankenreiches, sondern auch dessen beträchtliche Erweiterung. Wie jede Restauration, so stellte aber auch die karolingische in bezug auf das Franken«) ") ") ") *')

A. a. O. 600 Anm. 40. Vgl. unten 142 Anm. 10. Siehe unten 156 ff. Zöllner, Völker im Frankenreich 124 ff. Einhard, Vita Karoli c. 5; S. 7. Ph. Wolff, L'Aquitaine et ses marges 270 f. Lintzel, Karl der Große und Karlmann 10 ff. Delaruelle, Charlemagne, Carloman, Didier 216 f. Vgl. 175 ff. 8*

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III. Der merowingische Königstitel

reich der Merowinger nur ein historisches „Argument" im Bemühen um die Kontinuität des karolingischen Königtums dar. „Historische Argumente" sind, wie die Restaurationen und Renaissancen, denen sie dienen, im Grunde unhistorisch; sie holen die Vergangenheit nicht wieder hervor, sondern rechtfertigen daraus nur eine neue Wirklichkeit. Diese neue Wirklichkeit ,,rex Francorum" ist das Kernproblem des karolingischen Königstitels geworden.

2. Das Vir-inluster-Problem Es klingt wie ein schlechter Scherz, daß ausgerechnet die Intitulatio der merowingischen Originalurkunden ihrer wissenschaftlichen Kritik ein unlösbares Rätsel aufgeben sollte. Trotz ihrer verhältnismäßig guten Überlieferung —· das älteste Original wurde um etwa zwei Menschenalter früher ausgestellt als die ersten unverfälschten langobardischen Präzepte, von denen überdies nur Abschriften erhalten blieben1) — fand der merowingische Urkundentitel oder, genauer gesagt, die Superscriptio der Merowingerdiplome bis heute keine allgemein anerkannte Lesung. Gäbe es keine Originale, würde man weiterhin mit Jean Mabillon die Formel „N. rex Francorum vir inluster" lesen dürfen2). So aber konnte ein Paläograph, der freilich ein mindestens ebenso guter Diplomatiker war, auf die Idee kommen, den Wortlaut des Merowingertitels an den äußeren Merkmalen zu überprüfen. Julien Ha vet bestritt vor nun mehr als achtzig Jahren zwar nicht die Richtigkeit der Lesung ,,N. rex Francorum"; denn dieser eigentliche fränkische Königstitel tritt deutlich, wenn auch nur selten ungekürzt, in allen unverletzten Originalen wie in den Kopien auf. Havet wandte sich ausschließlich gegen die Zuordnung der Rangbezeichnung „vir inluster" zur Intitulatio. das heißt gegen die Auffassung eines Rangprädikats der Adresse als Rangtitel der Intitulatio, wie nach der eingangs aufgestellten Terminologie zu sagen wäre3). Das Vir-inluster-Problem wird seither mit Hilfe einer Dreiheit von Argumenten diskutiert, die G. Tessier „argument paleographique, argument diplomatique et argument de vraisemblance historique" nennt. Vor allem für das erste, aber auch für das zweite Argument legten die Forschungen Havets, des jungen Bibliothekars der „Bibliothfeque Nationale", den Grund4). Als Originalüberlieferung und ihr gleichwertig gelten 38 Papyri und Pergamente5) sowie eine Nachzeichnung eines verlorenen Originals im Nouveau traite6) und die auffallend treue karolingische Kopie eines Mandats *) 2 ) 3 ) 5 )

Classen II 26; bezüglich der langobardischen Präzepte siehe a. a. O. 79. Jean Mabillon, De re diplomatica II 3; S. 69. Havet 1 ff. (138 ff.). ') Tessier, Diplomatique royale 23. Photokopiert und transkribiert sind die Originale: Les Diplömes originaux des Mirovingiens (ed. Philippe Lauer — Charles Samaran, Paris 1908). Im folgenden als DOM zitiert. ·) Nouveau traite 3, 646 pl. 66. Vgl. Ottenthai MIÖG 32, 191. Bresslau Archiv für Urkundenforschung 10, 154 Anm. 2.

2. Dae Vir-inluster-Problem

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Sigiberts I I I . 7 ) In keinem einzigen dieser Stücke liest man jenen Rangtitel „vir inluster". Hingegen zeigen nach der herkömmlichen Auffassung zehn Originale deutlich und die Abschrift aus dem ersten Drittel des 9. Jahrhunderts unbewußt den Casus obliquus der Rangbezeichnung, wodurch diese als Rangprädikat und Element der Inscriptio bestimmt wäre8). Die Kontroverse, die auf Havets Interpretation des originalen Urkundenbestandes folgte, soll nicht die vorliegende Arbeit beschweren, obwohl die Diskussion darüber eine wissenschaftsgeschichtliche Frage ersten Ranges darstellt. Die Lösung des Problems scheint mir vor allem durch den weltanschaulichen Gegensatz zwischen Harry Bresslau und Bruno Krusch verhindert worden zu sein, da Krusch die Argumentation, die ihm seine positive Wissenschaftlichkeit hätte bieten können, zugunsten einer apodiktischen Polemik gegen Bresslaus ehrliche Überzeugung vernachlässigte. Obwohl man „eneffet" zum selben Ergebnis wie Krusch kommen muß, hat er dieses in Hinblick auf seinen weitgehend falschen Gang der Untersuchung weit mehr erraten als bewiesen9). Nachdem sich Arthur Giry für Havet ausgesprochen hatte 1 0 ), wurde der Streit um den vollen Wortlaut des Merowingertitels im wesentlichen von Bresslau und Krusch auf deutschem Boden fortgesetzt 11 ), ohne daß man das Problem geklärt hätte 12 ). Der Österreicher Ottenthai bezog eine vermittelnde Stellung, nachdem er als einziger seit Havet am paläographischen Befund der Superscriptio etwas Neues entdeckt hatte 13 ). Dieser zwingt nämlich zur Differenzierung der Casus obliqui. An den zehn Originalen, in denen die Rangbezeichnung der Superscriptio unbestritten zur Adresse gehört, stellte Ottenthai drei Dativi singulaiis und sieben der Mehrzahl fest. Havet und die ihm folgenden Editoren der Originalurkunden hatten überall „viris inlustribus" gelesen, obwohl sie die Möglichkeit einer Adresse im Singular nicht ausschlossen14). ) Krusch, Studien zur fränkischen Diplomatik 54 ff., Tafel 5. Die beste Rekonstruktion findet man bei Levison, Aus rheinischer und fränkischer Frühzeit 139 ff. Vgl. Classen I I 25 Anm. 115, 1. 8 ) DOM 2, 3, 4, 7, 8, 12, 15, 18, 34, 35; siehe Tessier, Diplomatique royale 22 Anm. 3. 9 ) Tessier, Viris inlustribus 225 ff. 1 0 ) Giry, Manuel de diplomatique 708. n ) Krusch, Studien zur fränkischen Diplomatik 1—30, und die früheren Schriften. 12 ) Bresslaus letzte Stellungnahme erschien posthum als: Noch einmal der Titel der Merovingerkönige 150 ff. " ) Ottenthai MIÖG 32, 190 ff., bes. 191. 14 ) Classen I I 41 Anm. 190 will nur in DOM 4 = DM 12 „viro inl(ustri)" lesen, was sicher überkritisch ist; denn selbst Lauer bemerkte zu DOM 8 = DM 20, „viris inlustribus" ou „viro inlustri"; vgl. Ottenthai 191. Hingegen ist auch meiner Meinung nach da3 „viro inl(ustri)" in DOM 12 = DM 32 nur durch einen, wenn auch zulässigen Analogieschluß zu retten. Man sieht hier deutlich „vir. inl.". Wie DOM 8 ist DOM 12 aber nicht „verstümmelt", wie Classen meint, sondern die tatsächlich einzige Adresse. DOM 12 ist allerdings schlecht zu lesen. Da aber die Pluraladressen entweder das Substantiv zu „ v . " supendieren oder mit „viris" ganz ausschreiben, dann jedoch auch „inlustri(e)bus" oder „inlbus" schreiben, bleibt für die Figur „vir. inl." nur die Auflösung ,,vir[o]inl(ustri). Ottenthai 190. Vgl. 7

118

III. Der merowingische Königstitel

Allerdings verkörpert der Dativus pluralis nachweisbar den ältesten Typus der Inscriptio in den Merowingerurkunden. So gehören unter den ersten zehn Originalen, die um das Jahr 625 beginnen15), nicht weniger als drei ihm an1*), während vier Überschriften zerstört sind17), zwei die deutliche Inscriptio „viro inl(ustri)" zeigen18) und nur ein einziges Stück, noch dazu in durchaus atypischer Form, die später so häufige Figur „v. inl." hat 19 ). Diesen Entwicklungsbefund des 7. Jahrhunderts bestätigt auch ein nichtdiplomatisches Zeugnis, das noch dem 6. Jahrhundert angehört. Die Decretio Childeberti von 596 besitzt ebenfalls die Adresse „viris inlustribus"20). Während aber hier die Adresse aus jenen beiden Worten besteht, kommt die Formel „viris inlustribus" in den Originalen, von einer einzigen Ausnahme abgesehen21), nur in Verbindung mit namentlich genannten22) oder wenigstens nach ihrem Aufgabenbereich bezeichneten Amtsträgern vor23). Die ideale Inscriptio wäre demnach die Namensadresse „viris inlustrebus NN. vel omnebus agentebus tarn praesentebus quam et futures"24). Eine solche Formel beweist deutlich den ursprünglichen Briefcharakter der merowingischen Königsurkunde, die hierin ihren Vorbildern, den Schriftstücken der spätrömischen Behördenkanzleien, folgt25). Die Inscriptio „viro inl(ustri)" besitzt wohl unter den Abschriften, nicht jedoch unter den Originalen Belege dafür, daß sie zu einer Namensadresse verbunden wurde28). Der im Original überlieferte Abkürzungstypus tritt ohne Namensnennung und nur in Papyrusurkunden auf, was einerseits seine relative Altertümlichkeit, andrerseits aber in Hinblick auf die noch ältere Namensadresse im Plural zeigt, daß der Typus „viro inl(ustri)" ein Übergangsstadium der Formengeschichte markiert2'). Es hat nämlich auch den Anschein, daß die typische Gestaltung der Abbreviatur „v. inl." mit ihrem überlangen „L" erst auf Pergament ausgebildet wurde28). Der Typus ,,v. inl." soll es nun nach Ottenthai gewesen sein, der seit 650 fast aus-

") ") ") 20 ) !1 ) ") ") 26 )

") 2e )

DOM 2 = DM 11: lustrebus". DOM 3 = DM 14: „viris in[lustre]bus". DOM 7 = DM 18: „ . . . bus". DOM 15 = DM 48: „viris inlbus.". DOM 18 = DM 51: „v. inlbus". DOM 34 = DM 81: „v. inlustribus". DOM 35 = DM 82: „viris inlustrebus". Siehe auch Prou, Preface (DOM) III f. Classen II 26. ") DOM 2, 3, 7 = DM 11, 14, 18. DOM 1, 5, 9, 10 = DM 10, 17, 34, 36. ") DOM 4, 8 = DM 12, 21; vgl. Anm. 14. DOM 6 = DM 19; vgl. Anm. 51. Cap. 1, η. 7; S. 15 und Anm. 42—45. DOM 34 = DM 81. «) DOM 2. 3. 7. 15 = DM 11. 14. 18. 48. DOM 18. 35. = DM 51. 82. «) Classen II 36 Anm. 179. Classen II 38. DM 21. 23. 25. 42. 62; vgl. Ottenthai 192, aber auch noch die späte Urkunde DM 97, die eigentlich schon der Hausmeier Karlmann ausstellte, vgl. Classen 62 f., bes. 63 Anm. 299. Die Übernahme der Namensadresse in die karolingische „Kanzlei" zeigt hingegen deutlich Brandl, Reichenauer Urkundenfälschungen 101. vgl. ep. Bonif. 22; S. 37. Santifaller, Beschreibstoffe 65 f.; vgl. 31. Erst ab DOM 14 DM 47 ist der graphische Typus „v. inl.", der zum ersten Mal in den Unterschriften von DOM 6 = DM 19 auftritt, ziemlich regelmäßig in der Gruppe der positiv unbestimmbaren Superscriptiones geworden.

2. Das Vir-inluster-Problem

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schließlich gebraucht, als Nominativ verstanden und zum Titel gezählt wurde29). Diesen Prozeß habe die tatsächlich nachweisbare „Verselbständigung" der Merowingerurkunde begünstigt. Wenn diese nämlich schon das Recht in sich trug, dann brauchte der Herrscherbefehl nicht mehr wie in der Spätantike und am Beginn der Merowingerzeit von dazu beauftragten Beamten vollzogen werden30). Damit wurden Namensadresse, aber auch die allgemeine Kennzeichnung bestimmter „Beamter" in den meisten Fällen materiell gegenstandslos. Die Erinnerung daran, daß der Empfänger seine Königsurkunde einmal einem zuständigen „Beamten" werde vorlegen müssen, habe dann zum bloßen Dativ der Mehrzahl oder Einzahl geführt. Diesen könne man zunächst noch deutlich erkennen; später sei man dieser Formel gegenüber unsicher geworden; nicht zuletzt deswegen, weil die Abkürzung weiter vereinfacht und nur mehr als „v. inl." geschrieben wurde. So entstand nach Ottenthai in der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts die Grundlage dafür, daß die ersten Karolingerkönige den Rangtitel „vir inluster" als vermeintliches „urmerowingisches" Erbe gebrauchten 31 ). Peter Classen und nach ihm Georges Tessier behandelten erst in jüngster Zeit die einschlägige Kontroversliteratur 32 ), die der Streit der Meinungen seit 1885 geboren hatte. Die beiden Gelehrten berücksichtigen fast 33 ) die gesamte Problematik oder erschließen sie zumindest. Der Diplomatiker der ficole des Chartes trifft sich weitgehend mit Classen bezüglich der Wertung der Thesen Havets, des „ancien 61eve" der Schule, und ihrer Modifizierung durch Ottenthai. Sie sehen in dessen Vermittlungs vor schlag — einen ähnlichen hat übrigens auch Prou, nur für einen späteren Zeitpunkt, erwogen34) — am ehesten noch die Möglichkeit, eine Deutung zu geben, die Anspruch auf Wahrscheinlichkeit besitzt. Es fällt auf, daß man nun die Frage, ob Rangtitel oder Rangprädikat der Inscriptio, nur von Fall zu Fall lösen oder überhaupt darauf verzichten will, falls alle diakritischen Voraussetzungen eine Einordnung versagen sollten 35 ). Als wichtigstes Kriterium dafür übernahm auch Classen den potentiellen Brief Charakter einer Urkunde 36 ). Dort, wo die antike Tradition noch lebte, hat man eine Adresse gebraucht und erwartet. Fehlt im Kontext die Anrede in der zweiten Person, wie etwa in den Gerichtszeugnissen, den " ) Ottenthai MIÖG 32, 192. ) Classen I I 59 f. und 89. s l ) DKar. 102 ist das letzte Original und zugleich unmittelbare Zeugnis für den karolingischen Königstitel mit nachgestelltem Illustrat. Siehe unten 208 Anm. I i . 32 ) Classen I I 40 f. und Anm. 190. Tessier, Diplomatique royale 21 ff. Vgl. auch Zöllner, Fränkische Geschichte. 33 ) Nicht erwähnt wurde Eckhardt, Pactus legis Salicae 1, 143 ff. 34 ) Prou, Preface (DOM) V: „N'est-il pas plus vraisemblable qu'au V I I I e siöcle le sens de l'abreviation v. inl. en tete des diplömes royaux etait perdu, et que dejä quelques notaires des derniers merovingiens avaient developpi l'abreviation en vir inluster?" 35 ) Tessier, Diplomatique royale 26. Classen I I 42 Anm. 190. 3 ") Classen I I 41 Anm. 190. so

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III· Der merowingische Königetitel

Placita, dann wäre es „gut möglich, wenn nicht wahrscheinlich, daß sie gar keine Adresse hatten" 37 ). In diesen Fällen habe man die dennoch verwendete Abkürzung „v. inl." sehr leicht als Teil des Titels begreifen können. Dem Autor von „Kaiserreskript und Königsurkunde" gelang die kürzeste und dabei beste Einführung in die Problematik, die wie ein gordischer Knoten die leidige Abbreviatur ,,v. inl." umspannt. Daher ist es nur verständlich, daß man sich an Classen hält, will man den Faden aufnehmen. In dem Gestrüpp von Meinung und Gegenmeinung ist Classen ein sicherer Führer. Will man über die von ihm dargelegten Ergebnisse der Forschung hinauskommen, so kann man sich allerdings deren eingehende Überprüfung nicht ersparen. Das Kapitulare Nr. 7 soll angeblich keine Adresse gehabt haben 38 ). Dieses Dokument, das nach dem Beispiel Classens mit der urkundlichen Überlieferung, zumindest was die Superscriptio anlangt, verglichen werden kann 39 ), ist die Decretio Childeberti II. vom 1. März 596 40 ). Hatte dieses Kapitulare aber wirklich keine Adresse, dann muß man hier, wie Boretius, „Childebertus rex Francorum vir inluster" lesen. Damit hätte sich aber auch jede weitere Debatte über das Vir-inluster-Problem erübrigt. Das Stück ist älter als die Originalüberlieferung und steht wahrscheinlich auch der echten Kopialtradition voran 41 ). Sein Titelwortlaut wäre daher dem ursprünglichen am nächsten. Wie alle merowingischen „Kapitularien" 42 ), so kennt man heute auch die Decretio nur mehr aus Abschriften. Die Kopien überliefern jedoch im allgemeinen, dem Verständnis ihrer Entstehungszeit entsprechend, Formeln, die die Rangbezeichnung als Rangtitel „vir inluster" auflösen. Darauf stützte sich auch die Kritik an Havet, obwohl sie dieser bereits vorwegnehmend widerlegt hatte. Er holte nämlich die Lesung der besten Handschrift (A x ) aus dem Dunkel hervor, in das sie mangelhafte Editionen gestürzt hatten 43 ). In A x tritt tatsächlich die altertümliche Inscriptio „viris inlustribus" auf, die nur aus der Vorlage stammen kann und auch unter den Originalen ein Gegenstück besitzt 44 ). Karl August Eckhardt hat am Beginn der fünfziger Jahre die Leistung Havets noch einmal eingehend gewürdigt 45 ). ") ) 3») 40 ) ") ")

A. a. O. Vgl. 86 ff. Classen II 40 Anm. 189. Vgl. die Aufstellung bei Classen I I 28 ff. MGH Cap. 1, η. 7; S. 15. Zum Datum siehe Eckhardt (wie Anm. 33) 142 ff. Siehe Anm. 1 und 2. Ich setze den Terminus deswegen unter Anführungszeichen, weil die Königsgesetze erst in karolingischer Zeit Kapitularien genannt werden: Buchner, Rechtsquellen 45. " ) Havet, L a formule: N. Rex Francorum v. inl. 11 Anm. 2 (149). Krusch, Studien 24 f. Siehe Anm. 45. **) Buchstäblich stimmt die Adresse des Kapitulares Nr. 7 mit DOM 34 = DM 81 überein. Die anderen Originale haben Namensadressen oder bezeichnen die angesprochenen Amtsträger näher. Vgl. Kapitulare Nr. 8; S. 18: „Chlodacharius rex Francorum omnebus agentibus". Vgl. 87 Anm. 60. « ) Eckhardt, Pactus 1, 143 ff. 38

2. Das Vir-inluster-Problem

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In Anschluß an Pirenne und Bresslau hatte Classen aber auch angenommen, daß wahrscheinlich in den Gerichtszeugnissen oder Placita die Inscriptio gefehlt habe. Weil jedoch auch in den sechzehn Originalen dieser Art die Figur „v. inl." vorkommt, könne man, so Schloß Classen, die Rangbezeichnung an diesen Stellen am ehesten als Titelzusatz auffassen46). Bereits Theodor Sickel hat gezeigt, daß die Placita mit den Kapitularien viel gemeinsam haben47). Nun sieht man aber, daß alle drei merowingischen Kapitularien, deren Protokolle erhalten blieben, eine in Intitulatio und Inscriptio geschiedene Superscriptio aufweisen48). Wenn die Form der Placita dem Aufbau der Kapitularien ähnelt, dann müßte demnach dieser Sachverhalt für die Adresse nicht gelten. Das Ergebnis eines Schriftvergleiches, der noch nie konsequent gezogen wurde49), zeigt jedoch, daß zumindest ein merowingisches Placitum eine Inscriptio hatte. Die erste Zeile der Merowingerurkunde besteht in der Regel aus der Intitulatio und der namenlosen Inscriptio „viro/viris inlustri/inlustribus", sofern nicht eine Namensadresse hinzutritt. In dieser ersten Zeile ist der Herrschername fast immer, der Rest der Superscriptio stets in einer Auszeichnungsschrift angefertigt, die durch Verlängerung aus der Kontextschrift entwickelt wurde50). Daher ist es methodisch nicht nur erlaubt, sondern ausdrücklich geboten, alle Originalstellen zu „vir inluster" oder „inluster vir" aufzusuchen und sie, wo immer sie und in welchem Fall sie auch stehen mögen, miteinander hinsichtlich des paläographischen Befundes zu vergleichen. Längst bekannt und daher in ihren Konsequenzen dementsprechend heftig umstritten sind die Unterschriften der weltlichen Großen im Präzept Chlodwigs II. vom 22. Juni 65451). Vor ihren Namen steht eine Abkürzung ,,v. inl.", die wie eine Verkleinerung des Analogons der Superscriptio wirkt, jedoch eher der späteren graphischen Ausgestaltung jener Figur als dem ,,v. inl." derselben Urkunde gleicht. Da aber die Subscriptiones der weltlichen Großen mit „ + Signum" eingeleitet werden, folgt notwendig, die Abbreviatur mit einem Casus obliquus aufzulösen. Gemäß der merowingischen Latinität ergibt eine solche Auflösung, obwohl ein Genetiv verlangt ist, „viro inlustri", also formal dieselbe Wendung wie der Dativ einer möglichen Adresse. Weil es eine alte Meinung der Gegner Ha vets dar") Classen II 41 Anm. 190 und 68 Anm. 328. Bresslau Archiv für Urkundenforsehung 10, 156 f. Krusch, Studien 20. ") Sickel, Acta 1, 356 ff. vgl. Classen II 68 Anm. 328. Bresslau Archiv für Urkundenforschung 10, 169. Krusch, Studien 25. « ) Wie Anm. 43—45. *') Die Voraussetzungen dazu schuf Ottenthai MIÖG 32, 192. Herr Siegfried Haider, Assistent am Institut für österreichische Geschichtsforschung, teilte mir mit, daß Herr Jochen Götze derzeit ebenfalls die Überschriften der Merowingerurkunden untersucht und zum selben Ergebnis bezüglich des Vir-inluster-Problems kommt wie ich. Götzes Arbeit soll im nächsten Band des Archivs für Diplomatik erscheinen. 50 ) Rresten, Auszeichnungsschriften 38 ff. 51 ) DOM 6 = DM 19. Dazu sollen nur die markantesten Vertreter der drei Anschauungen zitiert werden: Ottenthai MIÖG 32, 192. Bresslau Archiv für Urkundenforschung 10, 155 f. Krusch, Studien 16. Havet, Oeuvres 1, 240 f.

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III. Der merowingische Königstitel

stellt, daß das adelige Rangprädikat zum Unterschied vom königlichen Rangtitel nur „inluster vir" gelautet habe 52 ), bedeuten die Unterschriften in DOM 6 zumindest einen paläographischen Beweis für den Franzosen; und zwar trotz aller Versuche, den objektiven Befund zu leugnen53). Im Kontext, mitunter auch im Eschatokoll der Merowingerurkunden tritt der Illustrat stets als adeliges Rangprädikat auf. Die graphische Ausgestaltung der Formel „vir inluster" in allen ihren möglichen Variationen richtet sich nun offensichtlich nach dem Numerus. Der für unsere Fragestellung wichtigste Fall ist der Dativ. Im Plural wird das Adjektiv zu „inlbus" kontrahiert, im Singular jedoch meist zu „inl." suspendiert54). Zu den wenigen Ausnahmen, die den Dativus singularis des Adjektivs kontrahieren, gehört das Placitum Childeberts I I I . vom 14. März 697, wo man in Zeile 7 die Lesart „inl.i viro Drogone" findet 55 ). Die damit vergleichbare Auszeichnungsschrift der Adressen56) zeigt folgendes Bild: Die Mehrzahl „inlustribus" wird entweder ausgeschrieben oder ganz wie in den parallelen Kontextstellen kontrahiert. Von der Einzahl „inlustri" ist bis jetzt nur bekannt, daß sie wie in den überwiegenden Fällen des Kontextes suspendiert wurde57). Das Placitum Chikleberts I I I . ergänzt jedoch das Bild der Erscheinungsformen im Sinne der seltenen Lesart. Wie im Kontext von DOM 27 die Figur „inl.i" auftritt, so findet man sie auch in der Auszeichnungsschrift der Superscriptio58). Den I-Strich, der bei Lauer-Samaran durch eine kleine Pergamentfalte verkürzt erscheint, hat Letronne nach dem Original deutlich nachgezeichnet. Mademoiselle Elisabeth Ulrich, derzeit „eleve de l'ficole des Chartes", hatte die große Liebenswürdigkeit, die Lesung ,,v. inl.i" von DOM 27 am Original zu überprüfen und konnte sie völlig verifizieren59). Das Placitum Childeberts I I I . vom 14. März 697 enthält in seiner Superscriptio den Beweis einmal dafür, daß Placita adressiert sein konnten, zum '*) Ζ. B. Bresslau Archiv für Urkundenforschung 10, 159. Diese These wird auch schlagend widerlegt durch weiter unten (143 Anm. 17) angeführte Stellen. Zum Genetiv „viro inlustri" siehe Uddholm, Formulae Marculfi 96. " ) Krusch, Studien 16, über Bresslau 155 f. " ) Vgl. Ottenthai 190 und 192. M ) DOM 27 = DM 70. Diese Lesung und ihre Auflösung findet man bereits bei LauerSamaran, wie auch Ottenthai 192 vermerkt. u) Wie Anm. 50. " ) Siehe die Aufstellung in Anm. 14. " ) DOM 27 = DM 70, Zeile 1. " ) Letronne X X X I I I (serie 1). Die von Ottenthai MIÖG 32, 192 vermerkten Kontraktionen des Adjektivs „inluster" in der Einzahl enthalten zu DOM 27, Zeile 1 und 7, am ehesten noch eine Parallele in DOM 30 = DM 76, Zeile 15, obwohl O. gerade bezüglich der Einordnung dieser Figur in seine Aufstellung ein Fragezeichen setzte. Lauer—Samaran übergingen DOM 30, Zeile 15, vielleicht deswegen, weil es sich hier um einen unabsichtlich verstümmelten Xominativ gehandelt haben könnte. Dazu vgl. DOM 28 = DM 70, Zeile 6, und besonders DOM 20 = DM 64, Zeile 7. Ein grammatikalischer Genetiv in DOM 38 = DM 87, Zeile 9 (nicht 8, wie Ottenthai schreibt) wurde hingegen „inltri" kontrahiert. Was Krusch, Studien 16, zu diesem Sachverhalt bemerkt, stimmt nur insofern, als es Ottenthai nicht widerspricht.

2. Das Vir-inluster-Problem

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andern aber, daß noch um 700 der eigentliche Sinn der Figur „v. inl." als Adresse gewußt wurde. Wenn der Schreiber an diesem Placitum deutlich zeigen wollte, daß „seine" Inscriptio „v(iro) inl(ustr)i" lauten müsse, so wird man als Ursache dafür ebenso eine besondere Gewohnheit annehmen, die ja auch im Kontext wiederkehrt, wie man dies bereits für die Figur „v. inlt." getan hat 60 ). Damit sind die Möglichkeiten, mit Hilfe des paläographischen Befundes zu argumentieren, erschöpft. Das „argument diplomatique", teilweise bereits im Sinne Havets gebraucht, kann mit seinen restlichen Begründungen daran anschließen, wobei die gewonnenen Ergebnisse kurz wiederholt werden: 1. Der Briefcharakter der merowingischen Urkunde bedingte notwendig eine Adresse. Mit der zunehmenden „Verselbständigung" des Diploms wurde die Namensadresse meist überflüssig und verkümmerte dann zu einer allgemeinen Inscriptio, die allen „viri inlustres" oder einem einzigen, aber namentlich unbestimmten „vir inluster" galt. Daß zwischen der Form „vir inluster" und der Variante „inluster vir", wie sie in der Merowingerzeit bevorzugt vorkommt, ein sachlicher Unterschied besteht, ist eine Erfindung der modernen Forschung 81 ). Trotz der Entwicklung zu einer auf das Minimum an Wörtern und Buchstaben reduzierten Adresse, die ja auch die graphische Figur „v. inl." rein optisch ausdrückt, blieb stets die Möglichkeit offen, wieder eine „große" Inscriptio zu bilden, in der die „Amtsträger" in bezug auf ihre Funktion, mitunter sogar auch noch namentlich genannt wurden. In der Spätzeit der Merowinger hat sich die karolingische „Hausmeierkanzlei" der überkommenen Formen angenommen und sie sinnvoll angewandt®2). Damit fällt die Hypothese, der Illustrat sei von der Adresse in die Intitulatio gelangt, weil man mit dem Inhalt der aus der Kaiserzeit stammenden Urkundenarten auch deren Form änderte und vergaß. 2. Der Brief charakter des merowingischen Diploms und Placitums 43 ) erlaubt, was die Superscriptio anlangt, den Vergleich der Urkunden mit «») Ottenthai 191. e l ) Krusch, Studien 31 und 32. Als Belege vgl. etwa Anm. 78. 51—53. Es kann freilich nicht bestritten werden, daß die normale Form des adeligen Rangprädikats im Kontext der merowingischen Diplome „inluster vir" lautete. Vgl. unten 126 Anm. 78. β2 ) Die Anfänge des karolingischen Fürsten- und Königstitels zeigen die Kenntnis des merowingischen Königstitels „N. rex Francorum" einerseits, auf die andrerseits mit „N. rex Francorum vir inluster" eine bewußte Neubildung aus merowingischer und karolingischer Tradition folgte, die der Herstellung einer politischen Kontinuität im doppelten Sinne diente. Siehe unten 212 Anm. 21 f. 63 ) Bezüglich der rudimentär erkennbaren Briefform der Placita auch in anderen Teilen siehe Ha vet, Oeuvres 1, 16. Krusch, Studien 23. Dazu Classen I I 69. Man wird darum Krusch 21 folgen, der die Gerichtszeugnisse zwar materiell streng von den Präzepten, „den Urkunden", wie er sich ausdrückt, scheidet, in beiden jedoch das sie verbindende Prinzip erkennt, nämlich den königlichen Befehl. Nun galt aber der „Befehl des Königs unabhängig von einem Verfahren vor Beamten (Classen I I 89)". Die einzelne Urkunde bot die Rechtssicherheit, und zwar in Gegenwart und Zukunft. Wie hätte dann die Differenzierung von Präzept und Placitum so viel bedeuten können, daß dadurch die Superscriptio jeweils anders formuliert und vor

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III. Der merowingische Königetitel

den Königsbriefen. In den Briefen, deren Überschrift wie in den Königsurkunden mit der Intitulatio beginnt, liest man ,,N. rex Francorum"; man findet jedoch keine Spur eines königlichen Rangtitels 64 ). 3. Dasselbe gilt für die Kapitularien und die Formulare®5). 4. Der karolingische Königstitel ,,N. rex Francorum vir inluster" kann schon deswegen nicht merowingischen Ursprungs sein, weil er eine bewußte Neubildung darstellt6®). „N. rex Francorum vir inluster" bedeutet, vom Standpunkt der Formengeschichte aus gesehen, eine unorganische Form. Soll sich nämlich ein Rangtitel von der Spätantike herleiten, dann gehört er zunächst unmittelbar zum Namen; auf keinen Fall aber kann der Rangtitel das Ende eines „vollen" Titels bilden. Die Intitulatio des Burgunderkönigs Gundobad beginnt mit den Worten „Vir gloriosissimus Gundobadus" und fügt dann erst ,,rex Burgundionum" an 67 ). Die langobardischen Diplome stellen mit „Flavius N. vir excellentissimus rex" ebenfalls Namen und Rangtitel nebeneinander. Auch im Titel des Edictus Langobardorum qualifiziert das Titelelement „(vir) excellentissimus" entweder den Namen des Titelträgers oder — nach Verlust des Substantivs — den Funktionstitel „rex" 68 ). Obwohl das antike Substantiv „vir" im westgotischen Königstitel niemals aufgetreten ist, stand der Rangtitel „gloriosus" so eindeutig beim Königsnamen, daß man sich nur fragen kann, ob er mehr zum Namenstitel

**) ,5 )

") c: ) ββ )

allem aufgefaßt worden wäre ? Ist doch das Placitum nicht selten nur das Zeugnis eines Scheinprozesses, „in dem der Veräußerer des Gutes auf Befragen seine vorausgegangene Handlung bestätigt. Das Königsgericht erklärt diese Handlung dann für rechtsgültig, und der König erläßt sein entsprechendes Gebot (Classen II 90)". Dieses kann aber tatsächlich dann nichts anderes bedeuten als ein „praeceptum" in der Form einer Bestätigungsurkunde, weshalb ein Placitum mitunter auch „praeceptum" heißt (Sickel, Acta 1, 357). Vgl. dazu Classen II 70, a. a. O. Anm. 342, der zeigt, daß DOM 27 nicht zur Gruppe der Scheinprozesse zählt; umso wichtiger ist es, daß dieses Placitum adressiert war. Es wäre aber auch sehr unwahrscheinlich, daß ein Placitum keine Adresse gehabt hätte, wenn man bedenkt, daß es ebenso wie jedes Präzept irgendwann irgendeinem „Beamten" vorgelegt werden mußte. Die Anrede der merowingischen „Beamten" mit dem Illustrat war aber so allgemein, daß sie selbst den Zöllnern von Marseille gewährt wurde, und zwar noch in dem relativ späten Stück DOM 35 = DM 82. Siehe 130 Anm. 21. Wie Anm. 42 und 43 (zu den Kapitularien). Bezüglich der Wendungen in Formularen siehe Form. Marc. I 2; S. 41. I 28 f.; S. 60. I 39; S. 68 („Ille rex Francorum vero inlustris illo comitae"). Vgl. Suppl. Form. Marc. 1; S. 107. 6; S. 109, und Add. Marc. 2 f.; S. 111. Cart. Senon. 18 und 19; S. 193 — „Ille rex Francorum vir inluster magnifico fratri illo comite. Ille rex Francorum vir inluster illo comite . . . " als Beispiel dafür zu zitieren, daß der „comes ebenso wie der Herrscher den illusterTitel" geführt hätte (Claude, Comitat 13 und a. a. O. Anm. 52), ist schon deswegen unzulässig, weil die beiden Formulare zu dem Teil der Sammlung gehörten, der zwischen 768 und 775, also in karolingischer Zeit, entstanden ist (Buchner, Rechtsquellen 53). Außerdem erkennt man aber auch an der Form der Superscriptio, daß in diesem Fall „comes" und „rex Francorum" eben nicht dieselbe Rangbezeichnung führen. Siehe unten 210 ff. Siehe oben 87 Anm. 59. Siehe oben 64 Anm. 51 und 90 f.

2. Das Vir-inluster-Problem

125

„Flavius" oder zum Individualnamen gehört 89 ). Was für die mit dem Merowingertitel vergleichbaren Intitulationes germanischer Könige gilt kann auch an Fremdaussagen 70 ) wie an den Fürstentiteln der Zeit abgelesen werden, vor allem dann, wenn in ihnen eine ethnische Bereichsbezeichnung vorkommt 71 ). Eine bezeichnende Ausnahme macht von dieser Regel 5. der Titel Tassilos I I I . Vor 769 gebrauchte der Herzog entweder einen fränkischen Amtsherzogstitel, etwa „Ego Tassilo vir inluster dux" 7 2 ) oder er versuchte durch „Ego Tassilo dux Bauuariorum" mit dem karolingischen „dux et princeps Francorum" und daher mittelbar mit dem merowingischen Königstitel gleichzuziehen73). Nach 769 glaubte man hingegen, mit dem karolingischen Königstitel erfolgreich konkurrieren zu können, wenn man die Formel „Ego Tassilo dux Baiouariorum vir inluster" gebrauchte. Und auch dann hielt man jene Form nicht immer durch; in der Urkunde für Kremsmünster steht der Rangtitel nach dem Namen des Titelträgers 74 ). 6. Tassilos Herzogstitel sind jedoch nicht die einzigen Zeugnisse dafür, daß Pippins Königstitel wegen seines neuartigen Rangtitels auffiel und den Zeitgenossen wichtig schien. Eine Urkunde aus St. Gallen, ausgestellt am 10. Mai 752, datiert „anoprimo domno nostro Pippinoregnante vir inlusdro". Nur im Frühjahr 752, nahezu gleichzeitig mit den ersten karolingischen Diplomen und der neuen Intitulatio, versuchte man also in St. Gallen der geänderten Staatssprache zu genügen78). 7. Abgesehen davon, daß kein merowingischer König von seinen Untertanen oder vom Kaiser jemals nur allein mit dem Illustrat tituliert worden wäre 76 ), findet man auch keinen Beleg für die Annahme, der König hätte, bei gemeinsamem Auftreten mit einem fränkischen „Amtsträger", dasselbe Rangprädikat wie dieser geführt. Das Konzil von Bordeaux, zwischen 673 und 675 von dem „princeps" 77 ) der zur Unabhängigkeit strebenden Aqui« 9 ) Siehe oben 63 Anm. 43. '·") Ep. Austras. 42; S. 148: „Imperator Caesar Flavius Mauricius Tiberius . . . Semper Augustus Childeberto (sc. II.) viro glorioso regi Francorum." Vgl. A . a . O . 41; S. 147: „Domino excellentissimo atque praecellentissimo Childeberto regis Francorum Romanus." A. a. O. Zeile 33 wird von einem Langobarden „Gisoulfus vir magnificus d u x " gesprochen. Die Wortfolge dieser Fremdaussage entspricht völlig der Selbstaussage „Ego Tassilo vir inluster dux", die mehr als 150 Jahre jünger ist. Siehe unten 161 Anm. 24. 71 ) Siehe die Titel der merowingischen „Amtsherzöge" (unten 143) und die Intitulatio der Herzöge von Benevent (unten 194ff.). " ) Siehe unten 161 Anm. 24. ™) Siehe unten 174 Anm. 112 und 176 Anm. 119. ™) Siehe unten 181 Anm. 149 und 152. " ) Wartmann, U B St. Gallen n. 16; 1, 20. " ) Siehe die von Bresslau Archiv für Urkundenforschung 10, 172 ff., selbst angeführten Stellen. Sogar die ältesten Titulaturen, deren sich Remigius von Reims bediente (epp. Austras. 1 und 2 ; S. 112 f.), nennen Chlodwig nicht nur „domino inlustro (sie)", was das Gegenstück zur Selbstaussage „vir inluster" wäre. Auf diesen Sachverhalt hat im wesentlichen Krusch, Studien 26, hingewiesen. Siehe auch Thiel 1, 624 (Ep. Anast. papae n. 2). " ) Die Bezeichnung „princeps" kann hier nur im Sinne einer späteren Hilfskon-

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III. Der merowingische Königstitel

tanier abgehalten, verlautbart seine Beschlüsse „mediante viro inlustri Lupone duce per iussionem supra fati gloriosi principis Childerici (sc. I I . ) " 7 8 ) . Mit dem „argument de vraisemblance historique" soll das Vir-inlusterProblem abgeschlossen werden. G. Tessier reduziert es im wesentlichen auf die eben diplomatisch untersuchte Frage, ob es denn wahrscheinlich sei, daß der König dieselben Rangprädikate und Rangtitel wie seine „Amtsträger" geführt habe 79 ). Allerdings muß Tessier feststellen, daß sich auch Pippin nicht daran gestoßen hat, das alte „Amtsprädikat" zum königlichen Rangtitel zu machen 80 ). In Hinblick auf die Thesen Harry Bresslaus möchte ich daher das „Argument der historischen Wahrscheinlichkeit" positiv formulieren und fragen, welches Ereignis oder welche Motivation die Entstehung eines merowingischen Königstitels „N. rex Francorum vir inluster" veranlaßt haben könnte. „Die Annahme des Titels vir inluster durch die merowingischen Könige wird heute wohl allgemein und gewiß mit Recht zurückgeführt auf die Verleihung des Honorarkonsulats an Chlodovech I. durch den Kaiser Anastasius". Mit diesen Worten eröffnet Bresslau seine Kritik an Havet und Zeumer, die für einen Konsul des 6. Jahrhunderts unbedingt noch den Clarissimat verlangen 81 ). Diese Kritik ist sicher richtig; nur erweicht sie auch die Lehre vom merowingischen Illustrat. Zunächst einmal muß daran erinnert werden, daß sich Gregor von Tours, unser einziger Gewährsmann über die Ereignisse von 508, über die Art der Chlodwig verliehenen kaiserlichen Würde nicht eindeutig ausdrückt. Nachdem er im Inhaltsverzeichnis zum zweiten Buch „De patriciato Chlodovechi regis" geschrieben hatte, schilderte er im derart charakterisierten Kapitel eine nicht unbedingt den kaiserlichen Vorstellungen entsprechende Konsulatsverleihung82).

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81 ) 82 )

struktion verstanden werden. Lupus war selbstverständlich kein „princeps" im Sinne des Hausmeiertitels „dux et princeps Francorum". Dazu vgl. unten 136 ff. Ewig, Volkstum und Volksbewußtsein 600 Anm. 40. Im Text des Concilium Burdegalense (Conc. Galliae 2, 313) findet man bezeichnenderweise zum erstenmal die „Acutani" erwähnt. '·) Tessier, Diplomatique royale 25. Die Meinung, daß sich die Arnulfinger in der Spätzeit des merowingischen Königtums den Illustrat vorbehalten hätten, so daß er auf Grund dieser „Monopolisierung" dann zu einem Element des karolingischen Königstitels werden konnte, vertritt etwa auch Ewig, fränkische Teilreiche im 7. Jahrhundert 139 Anm. 209. E r stützt sich dabei auf DOM 27 = DM 70, von dem aber 121 gezeigt wurde, daß es noch „v(iro) inl(ustr)i" adressiert war. Dagegen sprechen Krusoh, Studien 37, und die von Claude, Comitat 13 Anm. 52, hinsichtlich der gräflichen Titulatur zitierten Stelle (zur Korrektur Claudes siehe Anm. 65). Es stimmt, daß in den karolingischen Diplomen insgesamt nur zwei Xichtkarolinger den Illustrat führen (vgl. DDKar. S. 561, sub voce „inluster"). Aber je länger der Zeitpunkt zurücklag, an dem der Illustrat aus der karolingischen Intitulatio ausgeschieden wurde, um so leichter konnte sich wieder seine alte Bedeutung als fränkisches Adelsprädikat durchsetzen. Vgl. 160 Anm. 17. Bresslau (wie Anm. 76) 175. Greg. Tour. Hist. Franc. I I 38; S. 88 f.; zur Literatur siehe a, a. O. 88 Anm. 5 sowie Bresslau (wie Anm. 76) 175 Anm. 2.

2. Das Vir-inluster-Problem

127

Der Burgunderkönig Gundobad hatte in Italien die höchste Funktion ausgeübt, die ein Patrizius erreichen konnte. Seine Stellung war von einem Kaiser anerkannt worden. Im Königstitel Gundobads tritt daher, wie niemand bestreitet, der höchste der damals möglichen Rangtitel auf, nämlich „vir gloriosissimus" 83 ). Wenn nun Chlodwig fast gleichzeitig dazu ein römisches „Amt" erhält, wird er dann, so könnte man fragen, auf das Rangprädikat des Kodizills achten, wenn er sich einen Rangtitel schaffen möchte ? Wird er da nicht mit dem burgundischen Nachbarn gleichziehen wollen, und zwar ungeachtet dessen, ob dieser vielleicht einen höheren Anspruch darauf besitzt? Besonders jedoch, weil die gleichzeitigen und wenig jüngeren königlichen Rangprädikate auch dann „praecellentissimus, gloriosissimus, excellentissimus" hießen, wenn dafür keine kaiserliche Rangverleihung verantwortlich war 84 ). Die Könige galten auf Reichsgebiet eo ipso so viel wie die Mitglieder der höchsten magistratischen Rangklasse in der unmittelbaren Nähe der Kaiser. Demgegenüber war „vir inluster" bereits hinter dem aktuellen Rangsystem weit zurückgeblieben. Der Abstand zwischen Illustrat und königlichem Rang vergrößerte sich aber im folgenden immer mehr, so daß man auch keinen späteren Zeitpunkt in der merowingischen Geschichte vorschlagen kann, an dem ein Rangtitel „vir inluster" in den Königstitel gekommen wäre. Außerdem hätte er dann schon das archaisierende „vir" verloren gehabt 85 ). »') Wie 87 Anm. 59. ") Siehe die Krusch, Studien 29, zitierten Stellen; vgl. weiters oben 63 Anm. 46. ") Siehe oben 64 Anm. 47 und 91.

IV. D I E VORKAROLINGISCHEN IN B R I E F E N

KÖNIGSTITEL

Die vorkarolingischen Königstitel in Briefen, „indiculi, epistolae etc." 1 ), besitzen gewisse Gemeinsamkeiten, die es erlauben, sie einerseits miteinander zu vergleichen und in einer Gruppe zu behandeln und sie andrerseits von ihren karolingischen Gegenstücken abzuheben. Die Briefe der Karolingerzeit stammen in vielen Fällen nicht aus der Kanzlei. Als Mitteilungen von Informationen unterschieden sie sich auch formal deutlich von den Diplomen, den fränkischen Königsurkunden, die die Voraussetzungen für diese der mittelalterlichen Diplomatik vertraute Differenzierung erst geschaffen haben. Da die karolingischen Königsbriefe von Personen abgefaßt wurden, die außerhalb der Normen und Traditionen der Kanzlei standen, kann es vorkommen, daß die verwendeten Königstitel gegenüber der kanzleimäßigen Intitulatio der Urkunden stark variieren; sie haben jedoch mit dieser gemeinsam, daß sie stets an der Spitze der Superscriptio stehen 2 ). Die vorkarolingischen Königsbriefe sind hingegen formal nur sehr schwer von den „eigentlichen" Königsurkunden der Zeit zu unterscheiden. Sie stammen auch sicher wie diese aus den „Königskanzleien" 3 ). Die dabei gebrauchten Königstitel variieren niemals den Urkundentitel, können ihn jedoch verkürzen und sind in bezug auf ihre Stellung innerhalb der Superscriptio in keiner Weise festgelegt. Die Zahl der vorkarolingischen Königsbriefe mit echter Superscriptio ist äußerst gering. Die Sammlungen Cassiodors4), des Avitus von Vienne, aber auch das Register Gregors des Großen müssen wegen ihrer nachträglichen Bearbeitung der Protokolle von unserer Betrachtung weitgehend ausgeschieden werden. Damit verliert man den überwiegenden Teil der ent*) Classen I I 33 f. Levison, Kleine Beiträge 351. ) Siehe oben 20 f. (allgemein) und unten 237 ff. (besonders). Zu den karolingischen Königsbriefen siehe auch Sickel, Acta Karolinorum 1, 394 ff. Zur Intitulatio im besonderen a. a. O. 401 f. 3 ) Classen I I 28 läßt diese Auslegung mittelbar zu. Vgl. oben 20 f. 4 ) Die Variae epistolae Cassiodors haben regelmäßig die Intitulatio des Ausstellers, die nur aus Xamen und Funktionstitel im Sinne des archaischen Formprinzips besteht (vgl. Roller, Das Formular der paulinischen Briefe 57 ff.), an das Ende der Superscriptio gestellt. Die Sammlung ist jedoch, was das Protokoll anlangt, stilisiert worden. Classen II 22 f. Santifaller, Die Verwendung des Liber Diurnus 244 Anm. 2, sowie Heuberger, Vandalisehe Reichskanzlei 95 und a. a. O. Anm. 192. 2

Die Überlieferung

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sprechenden Überlieferung, vor allem des ostgotischen und westgotischen Materials sowie alle burgundischen Königsbriefe5). Glaubwürdige Brieftitel kennt man von dem Westgotenkönig Sisebut (612—621)«), dem Usurpator Paulus von 673'), den Frankenkönigen Theudebert I. (533—547/48) 8),TheudebaldI. (547/48—555) 9),Childebert II. (575—595)10), Dagobert I. (623—639)11), Sigibert III. (634—656)12). Außerdem lernt man einiges über den Aufbau der Superscriptio in Königsbriefen aus den Formulae Marculfi13). Die Form von Königsbriefen haben vier amtliche Schreiben Theoderichs, deren Intitulatio unstilisiert erhalten blieb14), sowie eine „epistola ad episcopos" Chlodwigs I., in der der König eine „einmalige Anordnung" traf15). Während alle die genannten Dokumente in lateinischer Sprache geschrieben sind, kennt man aus Prokop einen griechischen Königsbrief Gelimers an Justinian. Das Problem der Echtheit dieses Schreibens muß nach den Kriterien überprüft werden, die man an den einwandfrei historischen Brieftiteln gewinnen kann. Es sind daher zunächst diese Kriterien zu erarbeiten und zusammenzustellen. Die in Frage kommenden Briefe besitzen als Adressaten den Kaiser, die Bischöfe und hohe weltliche Große18). Die Stellung und der Wortlaut der Intitulatio hängt nun ganz offenkundig von der Person des Adressaten ·) Die Überschriften aus dem Register Gregors des Großen lassen sich aus der Überlieferung wenigstens zum Teil rekonstruieren; doch muß man dem Ergebnis eines solchen Versuches stets mit Vorsicht gegenüberstehen. So zeigen die Superscriptiones zahlreicher Gregorbriefe an den Kaiser (etwa Greg. Reg. I I I 61. V 30, 36 f., VI 16, 61; S. 220, 310, 317, 320) sowohl Verkürzung wie Nachstellung der kaiserlichen Adresse, während der a. a. Ο. I 16 a; S. 17 überlieferte Brief der istrischen Bischöfe an Mauricius die volle vorangestellte Inscriptio zeigt. Wie weit man daher Reg. Greg. IX 227; 2, 220 „Domino sancto ac beatissimo papae Gregorio episcopo Recharedus" im einzelnen glauben darf, sei dahingestellt. Über die Sammlung des Λvitus sagt Classen I I 13: „Ein zuverlässig überliefertes Protokoll und Eschatokoll fehlt allen Briefen des Avitus"; vgl. Anm. 17. ·) Claesen I I 8 Anm. 30 nach Ep. Wisig. 9; S. 671. Der Brief stammt aus 616—620. NA 3, 235 n. 20. ') Iul. Tolet. Hist. Wambae S. 500; vgl. 70 f. ·) Epp. Austras. 19 f.; S. 132 f. Vgl. Anm. 9. Zu den fränkischen Königsbriefen siehe Classen I I 28 und 40. Bezüglich der fränkischen Herrscherjahre folge ich Krusch, Chronologia regum Francorum 485 ff. Zur Datierung und Interpretation der austrasischen Königsbriefe siehe Goubert, Byzance et les Francs 95 ff. ·) Ep. Austras. 18; S. 131. Vgl. Anm. 8. ,0 ) Ep. Austras. 25; S. 138 (an den Kaiser). 28; S. 140 (an König). 31; S. 141 (an Bischof). 32; S. 141 (an Beamten). 33; S. 142 (an Bischof). 34; S. 142 (an Beamten). 37—39; S. 144 f. (an Beamte). n ) Dagobert I. an Sulpicius von Bourges (630 IV 8): Vita Desiderii S. 572. I2 ) Desid. episcopi Cadurc. epp. I I 9; S. 207. I I 17; S. 212; vgl. Anm. 8. ") I 6; S. 46 ist zu vergleichen mit I 5; S. 45. Weitere Briefe oder briefähnliche Dokumente sind I 9 f.; S. 48, I 26 f.; S. 59, I 28 f.; S. 60. ») Classen I I 18 Anm. 94. ,s ) Cap. 1, η. 1; S. 1; zur Beurteilung des Schriftstückes siehe Classen I I 28 Anm. 128. ") Siehe die Anm. 4 bis 15. Die im Obertext getroffene Aussage betrifft auch die amtlichen Schreiben Theoderichs und Chlodwigs. 9 Wolfram, Intitulatio I

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IV. Die vorkarolingischen Königstitel in Briefen

ab: Mit Ausnahme des Gelimer-Briefes ist keine königliche Intitulatio bekannt, die in einem Königsbrief an den Kaiser ursprünglich vor der Inscriptio gestanden wäre 1 7 ). Unter Einschluß des Gelimer-Briefes gibt es keinen derartigen Königstitel, der in einem Brief an den Kaiser die ethnische Bereichsbezeichnung hätte 1 8 ). Derselben Ordnung sind die Königsbriefe unterworfen, die für die Mitglieder des Episkopats bestimmt waren 1 9 ). D a s wenige Material, das auf die Form der Briefe schließen läßt, die die Könige untereinander als Freundschaftsbeweise austauschten, zeigt die Nachreihung der Intitulatio, aber nicht immer die Unterdrückung der ethnischen Bereichsbezeichnung 8 0 ). Die Briefe der Frankenkönige an in- und ausländische Würdenträger weltlichen Standes beginnen hingegen mit ,,N. rex Francorum" in den tatsächlich ausgefertigten Schreiben und mit „Ille rex" bei Markulf 21 ). Für das Westgotenreich wie für das Regnum Langobardorum fehlt jede vergleichbare Überlieferung. In den vier amtlichen Schreiben Theoderichs, unter denen drei für die Synode v o n R o m des Jahres 501 bestimmt waren und eines am 11. März 507 an den Senat gerichtet wurde, stehen zwei Intitulationes vor und zwei nach der Inscriptio. I m letzten Fall, der im Brief an den Senat und in der Prae" ) Die sechs burgundischen Köngisbriefe der Sammlung des Avitus (vgl. Anm. 5) folgen scheinbar nicht dieser Regel; ihre Überschriften sind aber stilisiert, wie etwa auch der völlig unmögliche Königstitel „domnus Gundobadus rex" (Aviti ep. 21; S. 54) zeigt. Daher reihen auch nicht einmal die Briefe an den Kaiser (a. a. O. 78. 93 f.; S. 93 und 100 f.) die Intitulatio hinter die Inscriptio, die überdies stark verkürzt wurde (vgl. etwa auch Anm. 4, zum Reg. Greg.). 18 ) Von dieser Regel schließen sich auch die burgundischen Königsbriefe nicht aus; vgl. Anm. 17. " ) Classen I I 40 Anm. 184 sah bereits diesen Zusammenhang; ebenso bemerkte er, daß diese Regel nicht gilt, sobald Bischöfe und Laien gemeinsam adressiert werden. Sie trifft aber auch nicht zu, wenn der fränkische König mit einem „preceptum" (Form. Marc. I 5; S. 45) an die Bischöfe herantritt. Wie ein Vergleich des „Indecolum regis ad episcopum" (a. a. Ο. I 6; S. 46: „Domino sancto . . . in Christo patri illo episcopo ille rex" und ebenso I 26 f.; S. 59) mit dem „Indecolum ad laicum" (a. a. O. 29; S. 60: „Ille rex vir inlustris illo") lehrt, tritt die Nachreihung der königlichen Intitulatio hinter die Titulatur des Adressaten eben nur im Brief, „indecolum", an den Bischof auf und nicht in der eigentlichen Urkunde, dem „preceptum". Zur Verwendung einer ethnischen Bereichsbezeichnung im Testament Dagoberts I. siehe Anm. 43. !0 ) Epp. Austras. 27 f.; S. 671. Die Ausnahme bezüglich der ethnischen Bereichsbezeichnung macht Ep. Wisigoth. 9; S. 671, was wohl mit praktischen Gründen und dem Wunsch nach sinnvoller Gleichrangigkeit zu erklären sein wird. Die Formel „illo regi ille rex" tritt Form. Marc. I 9 f.; S. 48 auf; auch hier handelt es sich um „indecoli". Dazu vgl. Anm. 1. Die Anm. 7 genannte Invektive des Paulus gegen den Westgotenkönig Wamba hält sich verständlicherweise nicht an die Höflichkeitsformel. ») Epp. Austras. 32; S. 141, 34; S. 142, 37—39; S. 144 f. Siehe oben 108 Anm. 2; dort auch zur Datierungsfrage. Zur Formel „Ille rex vir inlustris illo" siehe Form. Marc. I 29; S. 60 (vgl. Anm. 19). In den Formulae Marculfi gibt es aber nur einen Titel „Ille rex Francorum"; die der eigentlichen Sammlung angehörenden Formulare lassen die ethnische Bereichsbezeichnung der Intitulatio mit einer einzigen Ausnahme (I 39; S. 68) aus.

Die Anordnung der Intitulatio innerhalb der Superscriptio

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ceptio regis I I I missa ad synhodum vom 8. August 501 vorliegt, wird einmal, nämlich 507, der volle Titel „Flavius Theodericus rex", das andere Mal nur „Theodericus rex" gebraucht22). Diese Form entspricht dem nachgestellten „Odovakar rex" in der Schenkungsurkunde an Pierius, aber auch allen Überschriften, die Cassiodor stilisierte23). Die „einmalige Anordnung" Chlodwigs an die Bischöfe seines Reiches zeigt ebenfalls den der Inscriptio nachgereihten Titeltypus „N. rex" 24 ). Die stärkste Verkürzung einer nachgestellten Intitulatio, die ein Königsbrief aufweist, soll nach dem Register Gregors des Großen der Westgotenkönig Rekkared I. vorgenommen haben, der überhaupt nur seinen Namen nannte25). Es erhebt sich nun die Frage nach der Herkunft und damit zugleich auch nach der Bedeutung von Titelform und Titelstellung im Rahmen der Superscriptio. Die Nachreihung der Intitulatio innerhalb der Überschrift folgt der Tradition der spätantiken Behördenkanzleien; „in Briefen an Höherstehende setzten Beamte oft ihre Intitulatio hinter die Adresse"26), was die Stellung der Königstitel in den Briefen an den Kaiser erklärt. Die Intitulatio, die die Könige in den Briefen an den Papst und die Bischöfe gebrauchten, ist aber ebenfalls nachgereiht und besitzt auch denselben Wortlaut wie in den Briefen an den Kaiser. Man sieht, daß die Frankenkönige im Verkehr mit dem Episkopat genau zwischen Urkundentitel und Brieftitel unterscheiden ließen. Im Diplom, also dort, wo sie zu befehlen hatten, steht der volle Titel vor der Adresse, während die Bitte und einfache Mitteilung mit der Inscriptio des bischöflichen Adressaten beginnt27). Die Ursache dafür, daß die Könige dem Kaiser und den Bischöfen denselben Ehrenplatz an der Spitze ihrer Briefe zustanden, dürfte in ihrem Selbstverständnis als „filii" des Augustus wie der Bischöfe liegen. Fast alle der überlieferten Adressen enthalten die Anrede „dominus" und die Bezeichnung „pater" oder „papa" 28 ). ") ») 2S) ")

Classen II 18 Anm. 94. «) A. a. 0 . 18. Wie Anm. 15. *5) Wie Anm. 4 (Reg. Greg. I X 227; 2, 220). Classen I 80 und a. a. O. Anm. 398. Roller 422—425; bes. 424. Vgl. Form. Marc. I 5; S. 46: „. . . Qua de re statuta presentibus ordinavimus, ut . . . " (Preceptum de episcopatum: „Ille rex vero apostolico illo episcopo). I 6; S. 46, I 26 f.; S. 59 f.: „. . . petimus . . .". Von den drei Indiculi haben die zwei letztgenannten eine Formel, wodurch der Empfänger aufgefordert wird, für den Fall, daß er die Bitte des Königs nicht erfüllen will, dies in einem „responsum" zu begründen. 28 ) Die in Anm. 27 genannten drei „indiculi" haben in der Adresse „patri". Ebenso die in den Anmerkungen 4 (Rekkared, papae) und 8: unter diesen beiden Briefen Theudeberts I. befindet sich das berühmte Schreiben des Franken an Justinian (ep. Austras. 20; S. 133). Obwohl der Frankenkönig, der nach seinen Erfolgen in Italien mit dem Hoheitstitel „augustus" operierte — vgl. Bucklisch, Augustus 27. Zöllner, Frank. Geschichte. — in diesem Brief von seiner „maiestas" spricht (Ewig, Königsgedanke 18 Anm. 44), hat er es nicht verabsäumt, die kaiserliche Adresse ausführlich zu fassen und den Kaiser als „pater" anzusprechen. Dazu vgl. Helm, Untersuchungen über den auswärtigen diplomatischen Verkehr 386: „Theoderich, Athalarich, Sigismund von Burgund und die Könige der Franken Theodebert I. und Childebert II. bezeichneten den Kaiser auch als ihren Vater." 9*

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IV. Die vorkarolingischen Königstitel in Briefen

Rekkared I. soll, wie gesagt, die Voranstellung der Inscriptio mit der bloßen Namensnennung verbunden haben. Diese Kurzform kommt aus dem spätantiken Privatbrief 29 ). Der Exarch Bomanus gebrauchte im Antwortbrief an Childebert II. die Überschrift „Domino excellentissimo atque praecellentissimo Childebertus regis (sic) Francorum Romanus 30 )." Auch der kaiserliche Patrizius Venantius ordnete seine Intitulatio, in der allerdings noch „patricius" vorkommt, einer umfangreichen und mit der eben genannten vergleichbaren Titulatur des Königs nach31). Hingegen hatte derselbe Childebert II. an den Personenkreis, dem sowohl Romanus als auch Venantius angehörten32), als „rex Francorum" geschrieben, der die weltlichen Großen erst nach der Nennung seines Titels nannte. Dadurch trat er den höchsten Mitgliedern der magistratischen Hierarchie gegenüber und auch von diesen anerkannt wie ein spätrömischer Oberbeamter auf 33 ). Seine Inscriptio wird nur im Kaiserbrief der Intitulatio des Ausstellers nachgereiht34). Sonst steht der König, wie ja auch das „frühmittelalterliche Schulheft vom Ämterwesen" lehrt35), als „rex" über allen weltlichen Machthabern mit Ausnahme des Kaisers selbst. Diesem billigte hingegen er wieder den Ehrenvorrang zu, den er auf die Mitglieder des Episkopats ausdehnte, weil auch sie seine „Herren" und „Väter" sind. Untereinander wenden die Könige ebenfalls diese Form an, wenn sie einander nicht beleidigen wollen34). Man wird in der Nachreihung der Intitulatio in dieser Art von Briefen einen Ausdruck gegenseitiger Hochachtung erblicken. Die nachgestellte Intitulatio lautet in den meisten Fällen ,,N. rex". Eine Ausnahme davon bildet die Intitulatio Sisebuts im Brief an den Langobardenkönig Adaloald37). Der Westgotenkönig nennt den anderen seinen „Herrn" und „Bruder". Beide sind „flavische" Könige; gerade darum aber gebraucht Sisebut, wie ich meine, nicht die gewöhnliche Intitulatio. Der gentile Königstitel der Langobarden gibt den Wortlaut für die Inscriptio ab, während Sisebut auf die stets vorhandene Möglichkeit der westgotischen Politik38) auswich, eine gentile Intitulatio zu wählen. Denn sowohl bei den Goten wie bei den Langobarden repräsentierte anscheinend der Namenstitel „Flavius" einen theoretisch-politischen Anspruch auf „universale" Gültigkeit, so daß nicht zwei „Flavii reges" nebeneinander auftreten konnten39).

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Vgl. ders. 385 Anm. 3 und Goubert, Byzance 131. Zur Anrede der Bischöfe als „patres" siehe weiters die Anm. 11 und 12. Siehe Roller, Das Formular der paulinischen Briefe 57. al Ep. Austras. 41; S. 147. ) A.a.O. 39; S. 145. Siehe die oben Anm. 21 genannten Briefe. Unter den Adressaten, die in dieser Weise angesprochen werden, befindet sich auch der Vater des Kaisers selbst. Ein mögliches Schreiben an den Exarchen erschließt Goubert, Byzance et les Francs 158. Zur Originalüberlieferung der entsprechenden Dokumente siehe Brandl Archiv für Urkundenforschung 5, 277. Mallon, Paliographie Romaine pi. XXVII. Kresten, Auszeichnungsschriften 17 Anm. 28. Ep. Austras. 42; S. 148. Beyerle, Das frühmittelalterliche Schulheft vom Ämterwesen 6 f., 18 ff. Siehe Anm. 7 und 10 Anm. 4. »') Wie Anm. 6. Siehe oben 77f. ">) Siehe oben 71 und Anm. 91.

Die Abhängigkeit des Wortlautes von der Anordnung der Intitulatio

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Außer Sisebut hatte aber schon Theoderich eine unverkürzte, in diesem Fall jedoch flavische Intitulatio der Inscriptio nachgestellt. Dieser Sachverhalt zerstört auch darum das Schema, das die Analyse der fränkischen Königsbriefe so eindeutig ergab, weil hier weltliche Große in der Adresse genannt werden. Allerdings halte ich diesen Widerspruch doch nur für einen scheinbaren; denn wenn diese „weltlichen Großen" den Senat repräsentieren, wenn „Domitori orbis, praesuli et reparatori libertatis senatui urbis Romae Flavius Theodericus rex" geschrieben wird40), dann hat man eben hier einen Akt der „Höflichkeit" aus „staatspolitischen" Gründen gesetzt und gleichzeitig nicht darauf verzichtet, das flavische Königtum des Amalers zu betonen. Hingegen hat unter den drei „praeceptiones" Theoderichs an die Bischöfe eine einzige die Intitulatio nachgereiht und auch auf den Typus „N. rex" verkürzt. Es tritt also hier derselbe Typus auf, den Odoaker seinem „frater" Pierius gegenüber anwendete41). Da auch Cassiodor die Form „Adresse—Name—Funktion" zur Regel seiner umstilisierten Überschriften machte, könnte es sein, daß sich die gotische „Staatskanzlei" stets mehrere Möglichkeiten für eine flexible „Politik" der Superscriptiones offenhielt. Das eben entwickelte Schema der fränkischen Königsbriefe hätte hingegen das Ergebnis eines Prozesses dargestellt, der auf der anderen Seite zu den „stereotypen Formeln merowingischer Diplome"42) führte. Eine scheinbare Ausnahme macht jedoch das Testament Dagoberts I., in dem zwar die angeredeten Bischöfe vor der Intitulatio genannt werden, diese jedoch „Dagobertus rex Francorum" lautet. Das Stück, das als Abschrift erhalten blieb, gilt freilich als höchst verdächtig. Aber selbst wenn seine Superscriptio echt sein sollte, so hat doch W. Levison gezeigt, daß das Testament nicht die Form eines Königsbriefes, sondern den Aufbau privater Urkunden nachahmt43). Art und Umfang der Überlieferung zwingen schließlich dazu, die Frage, warum die nachgereihte Intitulatio zugleich auch verkürzt wurde, zu modifizieren. Sie hat vielmehr zu lauten: Warum stößt die Intitulatio, die in den Briefen der Frankenkönige nach der Inscriptio steht, die ethnische Bereichsbezeichnung ab, während sie doch mit dem Urkundentitel „N. rex Francorum" identisch ist, sobald sie an der Spitze des Königsbriefes genannt wird ? Der Vergleich mit der antiken Tradition44) wie mit den Briefen der Zeit lehrt45), daß die Nachordnung der Intitulatio fast immer eine Veränderung, zumeist auch eine Verkürzung des Titelwortlautes erforderte. Diesem formalen Prinzip blieben die fränkischen Königskanzleien treu. Die nachge«) ") «) ") ") 45 )

Classen II 18 Anm. 94; vgl. Anm. 22. Wie Anm. 40 und Anm. 22 f. Classen II 86. DMsp. 39. Levison, Kleine Beiträge 350 ff. Classen II 30 Anm. 153. Siehe Classen I 80 Anm. 398 und die dort verzeichneten Briefe. Roller 424 f. Siehe etwa die Überschriften der Briefe, die in den von Santifaller, Die Verwendung des Liber Diurnus 245, verzeichneten Sammlungen aus dem 5.—7. Jahrhundert erhalten blieben.

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IV. Die vorkarolingischen Königstitel in Briefen

stellte Formel „N. rex" bedeutete in diesem Fall die Anerkennung des kaiserlichen wie bischöflichen Ehrungsvorranges, wozu eben die antike Höflichkeitsform bestens geeignet schien49). Den erwähnten Königsbriefen gegenüber nimmt das Schreiben Gelimers an Justinian einen besonderen Platz ein. Erstens ist es innerhalb einer literarischen Darstellung überliefert, die ein Autor verfaßte, der seine Helden im Sinne der rhetorischen Stilprinzipien Briefe schreiben läßt 47 ). Wie das Bellum Vandalicum, so ist selbstverständlich auch der Gelimer-Brief in griechischer Sprache geschrieben, während die Korrespondenz der Germanenkönige, soweit man sie kennt, lateinisch abgefaßt war 48 ). Es ergibt sich daher zweitens ein, was den authentischen Wortlaut der möglichen Intitulatio anlangt, nicht zu unterschätzendes Übersetzungsproblem. Drittens enthält unter den von Prokop mitgeteilten Briefen allein der des Vandalenkönigs eine Superscriptio, so daß man sie mit keinem Gegenstück vergleichen und auf ihre Glaubwürdigkeit hin überprüfen kann. Viertens verstößt ihr Wortlaut Βασιλεύς Γελίμερ ' Ιουστινιανω βασιλεΐ nicht nur gegen die „Etikette", was vom Briefinhalt her noch verständlich wäre 49 ), sondern die kurze zweigliedrige Superscriptio weicht auch bezüglich der kaiserlichen Titulatur in der Adresse von den vergleichbaren Schriftstücken stark ab 50 ). Zum fünften erkennt man, daß diese Überschrift in Form eines Chiasmus aufgebaut ist 51 ). Die Verwendung einer rhetorischen Figur in einer Urkundenformel muß an sich zwar nicht deren Glaubwürdigkeit schwächen 52 ). Aber eine literarische Darstellung, die den Inhalt ihrer Aussage den Prinzipien der Form ungleich leichter unterwirft als die „Urkunde" selbst, verringert freilich das Vertrauen in die von ihr allein mitgeteilte „Urkunde", wenn man besonders in ihren festen Formeln allzuviel Rhetorik findet. ") Kaiser Mauritius schreibt an Childebert II. und nennt den König „vir gloriosus rex Francorum" (Ep. Austras. 42; S. 148). Die Briefe der Frankenkönige an die Kaiser (Anm. 8—10) enthalten die nachgestellte Formel „N. rex". Sollte die Unterdrückung der ethnischen Bereichsbezeichnung im Verkehr mit Byzanz einen ähnlichen Sachverhalt meinen wie der flavische Titel der italischen Könige, dann wäre nicht einzusehen, warum etwa dem Vater des Kaisers und den übrigen weltlichen Großen an dessen Hof von einem „rex Francorum" geschrieben wurde, während die ebenfalls dort tätigen geistlichen Würdenträger dieselbe Anrede seitens eines „N. rex" erhalten wie der Kaiser. Eine Form übrigens, die die Frankenkönige auch ihren eigenen Bischöfen gegenüber gebrauchten. Die nachgestellte Intitulatio „N. rex" kann daher, wie Goubert, Byzance et les Francs 130 f., vermutete, nur ein Zeichen der Ehrerbietung sein. *') Proc. bell. Goth. I 9, 20 ff. Classen II 5 und a. a. 0. 20. Courtois, Les Vandales 245 scheint den Titel ernstzunehmen. Zum Stilprinzip des Briefes siehe Norden, Kunstprosa 88 Anm. 1. Vgl. oben 81 Anm. 28. **) Die von Helm, Untersuchungen 385 f., gebotenen Ergebnisse setzen einen lateinischen Briefwechsel des Kaisers mit den Königen der Germanen voraus. ") Wie Anm. 47: Gelimer bezeichnet die „Ermahnungen", die Justinian durch seine Gesandten vortragen läßt, als Einmischungen in die inneren Angelegenheiten seines Reiches und weist sie samt und sonders zurück. 60 ) Reg. Greg. 116 a; S. 17 (wie Anm. 4) und die Briefe an den Kaiser (wie Anm. 8—10). 51 ) Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik 1, 361; § 723. ") Vgl. etwa Fichtenau, Rhetorische Elemente 39 ff.

Ein vandalischer Königebrief

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An der Intitulatio Gelimers ist der Sachverhalt echt, daß im Königsbrief an den Kaiser keine ethnische Bereichsbezeichnung gebraucht wird. Nur relativ richtig ist hingegen die Voranstellung des Funktionstitels vor den Namen des Titelträgers. Sie wird zwar im Urkundentitel des Vandalenkönigs Hunerich bezeugt53); aber die Form „Basileus N." besitzt in den griechisch überlieferten Kaiserbriefen zahlreiche Gegenstücke54). Und damit wurde auch bereits das Vorbild genannt, woraus der Gelimer-Brief bei Prokop zu verstehen ist. Die lapidare Kürze der hier gebrauchten Superscriptio kommt aus dem „klassischen" Kaiserbrief55). Als einen solchen hat Prokop jenen vandalischen Königsbrief auch überliefert. Einmal vom Inhalt her, indem er Gelimer an Justinian wie einen Souverän an den andern schreiben läßt. Das andere Mal, was die Superscriptio betrifft, in der ein βασιλεύς den andern anspricht. Mag Prokop das Wort βασιλεύς auch noch so frei und vielseitig verwenden; in der Superscriptio dieses Briefes kann er nur ausdrücken wollen, daß der Vandalenkönig dem Kaiser wie seinesgleichen gegenübertritt5®). Man könnte daher vielleicht sagen: Prokop hatte die Absicht, das „bellum iustum" des Kaisers gegen den vandalischen Usurpator, der nicht nur die Nachfolgeordnung Geiserichs, sondern auch das Imperium selbst störte, zu demonstrieren. Er kannte den Gesandtschaftswechsel zwischen Konstantinopel und Karthago und wohl auch die dabei vorgetragenen Instruktionen57). Möglicherweise hatte Prokop auch einmal einen vandalischen Königstitel gesehen, der die Funktion vor dem Königsnamen nannte. Dazu kam der Wunsch, einen klassischen Kaisertitel zu gebrauchen, um den Einbruch Gelimers in die überkommene Tradition noch stärker hervortreten zu lassen. Die gefällige Figur eines Chiasmus konnte der formalen Fiktion ein ansprechendes Äußeres verleihen. „Tant de choses en deux mots ?", wird vielleicht der Leser, skeptischer noch alsM.Jourdain, sagen, hört er die vielen Möglichkeiten, die eben vorgetragen wurden. Doch der Brieftitel Βασιλεύς Γελίμερ gibt, da er allein durch Prokop überliefert wird, nur Anlaß zu Hypothesen. ") ") ") 5")

Vgl. Classen II 5 Anm. 20; siehe oben 79 Anm. 22. Roller 56 ff. Vgl. Roller 57. Zur ungenauen Terminologie bei Prokop siehe etwa Helm, Untersuchungen 383 Anm. 2. Wickert, Princeps col. 2127. Ensslin, Theoderich 112. Vgl. 10 Anm. 4: Brief Schapurs II. " ) Courtois, Les Vandales et l'Afrique 244 f.

V. D E R F R Ä N K I S C H E F Ü R S T E N T I T E L 1. Ego N. dux et princeps Francorum Nach den oben festgelegten Grundsätzen1) ist der Fürstentitel die Selbstaussage eines „Herrn", das heißt eines Titelträgers, der Herrschaft über „Land und Leute" ausübt und diesen Sachverhalt in seiner Intitulatio ausdrückt. Damit ahmt er aber zugleich in irgendeiner Form einen Königstitel nach, sei es nun, daß er nur den Funktionstitel auswechselt oder daß er stärkere Umformungen des Vorbilds anordnet. Wie es zwei Grundformen des Königstitels gibt, nämlich den „gentilen" und den „absoluten" Königstitel, so entstehen auch zwei Arten von Fürstentiteln; die einen geben den Bereich der Herrschaft an, die andern verzichten darauf. Die erste Form bildet aber im allgemeinen den vornehmeren Typus2). Man kann nicht bestreiten, daß „princeps—Fürst" in der Gleichungsreihe „imperator—Kaiser, rex—König, dux—Herzog, comes—Graf" der Oberbegriff ist3). Trotzdem wird man die besondere Bedeutung der Titelformen, nach denen in diesem Kapitel gefragt werden soll, nicht erfassen, wenn man nicht einen Fürstentitel im engeren Sinn der kaiserlichen und königlichen Intitulatio gegenüberstellt. Die Spannung, die zwischen nichtköniglichem und königlichem Herrschertum besteht, zwingt dazu, die Titel der „Souveräne" von denen der übrigen Fürsten als Herrschertitel zu differenzieren. Außerdem muß man bemerken, daß „princeps" nur ausnahmsweise das Element eines Königstitels bildete, und dann allein in seiner absoluten Form4). Hingegen treten im Frankenreich wie noch im Benevent des 8. Jahrhunderts nichtkönigliche „Herren" auf, die den Funktionstitel „princeps" in bezug auf einen Herrschaftsbereich führen, den zunächst eine „gens", später auch ein Territorium J)

Siehe oben 17 ff. Die Fürstentitel der zweiten Gruppe sind etwa der Spoletiner Herzogstitel und die Herzogs-und Grafentitel des 9. und 10. Jahrhunderts, die bereits eine GratiaDei-Formel vor ihren Funktionstitel setzen, aber noch keine ethnische Bereichsbezeichnung gebrauchen. Zur ersten Gruppe von Fürstentitel, die schon eine ethnische Bereichsbezeichnung angeben, zähle ich unter anderen den fränkischen Fürstentitel im engeren Sinne, wie er im Obertext vorkommt, den „älteren" und „jüngeren" bayerischen Herzogstitel, d. h. die Intitulatio Tassilos III. und Arnulfs, und den Herzogstitel von Benevent, der 774 von einem langobardischen PrincepsTitel abgelöst wird. 3 ) Kahl, Wortschatzbewegungen 161 f. 4 ) Siehe oben 104. Die im Text gebrauchte Terminologie darf sich auf Werner, Entstehung des Fürstentums, stützen. 2)

1. Ego Ν. dux et princeps Francorum

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bildet. Der Inhaber eines solchen Titels nimmt dann einen „spezifischen Einzelrang" ein, der im 8. Jahrhundert keineswegs unterhalb des „ducatus" steht, sondern im Gegenteil den Anspruch eines „dux" auf Königsgleichheit unterstreicht5). Die einzigen Belege für einen fränkischen Fürstentitel vor 800 findet man in zwei nichturkundlichen „Akten". Es handelt sich dabei um die inhaltlich wie formal sehr ähnlichen, ja mitunter wortgleichen Kapitularien, deren früheres Karlmann am 21. April 742 erließ und deren späteres Pippin am 2. März 744 promulgierte. Jedes der beiden Dokumente war für die „pars regni Francorum" bestimmt, die jeweils einer der Brüder beherrschte, also das Stück Karlmanns für Austrasien und das Pippins für Neustrien4). Karlmanns Kapitulare, das sogenannte „Concilium Germanicum", war das erste fränkische Reichsgesetz, das als solches die Beschlüsse einer fränkischen Synode veröffentlichte; Pippin folgte in Soissons diesem Beispiel. Das Muster für die von Bonifatius angeregten Reformsynoden brachte dieser aus seiner Heimat mit. Auf den Reichsversammlungen der Angelsachsen wurden auch die kirchlichen Angelegenheiten verhandelt; nachdem sie der König mit geistlichen und weltlichen Großen beraten hatte, wurden sie in seinem Namen als Reichsgesetze promulgiert7). Die Titel der beiden Kapitularien von 742 und 744 besitzen denselben Aufbau und Typus; dieser lautet „Ego N. dux et princeps Francorum". Auch der Zweck der beiden Dokumente ist der gleiche; trotzdem nimmt die Intitulatio Karlmanns im Concilium Germanicum eine etwas andere Stellung ein als die Pippins in den Synodalakten von Soissons. Hatte Karlmann die Fehler der „praeteriti principes", nämlich der Merowingerkönige, „cum 5

) Kahl (wie Anm. 3) 161: „princeps"-„Fürst" war „zunächst kein spezifischer Einzelrang unterhalb der der herzoglichen Würde". Diese Aussage trifft erst für das spätere Sprachverständnis zu. Am Beispiel des Kapitularien-Titels der Hausmeier und an der Entwicklung der Intitulatio der beneventanischen Langobardenherzöge nach 774 sieht man jedoch, daß der Princeps-Titel über dem Dux-Titel stand. Wenn im 8. Jahrhundert ein nichtköniglicher „Herr" den Princeps-Titel führt, so sucht er nach einer Manifestation seiner königsgleichen Herrschaft. β ) BM2 44. Ep. Bonif. 56; S. 98. Concil. 2, 1 η. 1; S. 2: Karlmann. BM2 55. Concil. 2, 1 n. 4; S. 33: Pippin. Der Ausdruck „pars regni Francorum" findet sich nicht in den Kapitularientexten. Er ist jedoch unmittelbar vor dem Concilium Germanicum von Bonifatius in einem Brief an Zacharias gebraucht (ep. Bonif. 50; S. 82) und vom Papst auch aufgenommen worden (a. a. O. 51; S. 87). Löwe, Bonifatius und die bayerisch-fränkische Spannung 295 f., hat gezeigt, daß dieser Ausdruck gegenüber der Selbstaussage Karlmanns über seine Herrschaft — regnum nostrum — eine vorsichtige Einschränkung bedeutet haben muß. Zur Diskussion über die Datierungsfrage des Concilium Germanicum siehe die gründliche Auseinandersetzung Lowes a. a. 0 . 303 ff. mit Schleifer, Angelsachsen und Franken 37 ff. ') Levison, England and the Continent 85. Schieffer, Bonifatius 198, nimmt daher sicher mit Recht an, daß Angelsachsen an beiden Synodalkonstitutionen mitwirkten, was nicht zuletzt auch die Datierung der Dokumente nach den auf dem Kontinent ungebräuchlichen Inkarnationsjahren nahelegt: Schieffer, Bonifatius 215. Levison, England 83 ff. Treiter, Urkundendatierung in angelsächsischer Zeit 92 ff.

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V. Der fränkische Fürstentitel

consilio servorum Dei et optimatum meorum..., qui in regno meo sunt" zu bessern verkündet, so stellte sich zwar auch Pippin durch seinen Titel wie durch den Hinweis auf die „priores principes" in die Reihe der Könige, aber er hatte doch gewisse Rücksichten zu nehmen. Auf die Invocatio 8 ) folgt nun nicht die Intitulatio wie zwei Jahre zuvor, sondern die Datumzeile. Sie gleicht zunächst der Datierung im Concilium Germanicum, die nach Inkarnationsjähren und dem römischen Kalender zählt 9 ), wird dann jedoch durch die Angabe des Mondalters noch genauer bestimmt10) und führt schließlich in eine dreigliedrige Formelfolge über. Diese lautet: „in anno secundo Childerici regis Francorum ego Pippinus dux et princeps Francorum. Dum plures non habetur incognitum, qualiter nos in Dei nomine una cum consensu episcoporum sive sacerdotum vel servorum Dei consilio seu comitibus et obtimatibus Francorum conloqui apud Suessionis civitas synodum vel concilio facere decrevimus."11) Zunächst fällt die ungewöhnliche Königstitulatur in der Datumzeile auf. Die vorkarolingische Königsurkunde und die ihr gleichzeitige „Privat"Urkunde zählen zwar in der Regel nach Königsjahren, weshalb es notwendig ist, den König zu titulieren12). Dazu gebraucht man eine Formel, die den Namen, die Funktion und meist auch ein Rangprädikat des Herrschers enthält, auf die Angabe der ethnischen Bereichsbezeichnung jedoch fast ausschließlich, weil selbstverständlich, verzichtet13). In Soissons wich man jedoch von dieser Regel ab. *) Die Formel der australischen Synode lautet „In nomine domini noetri Iesu Christi" (wie Anm. 6: Karlmann). Man findet sie etwa auch im letzten Prolog der Novellen Liutprands (Beyerle, Gesetze der Langobarden (312) und in den päpstlichen Synodalkonstitutionen von 745, die Zacharias in Rom promulgierte (Santifaller, Verbal-Invokation 53 f.). In ihrer Vollform ist die zitierte Invocatio bestes kaiserliches Formular, bekannt etwa aus der justinianischen Gesetzgebung für Italien (Santifaller 89). Sie kommt aber auch bei westgotischen Konzilien, meist jedoch in modifizierter Form, vor (Santifaller 88). Auch das älteste der als Originale geltenden angelsächsischen Königsurkunden kennt diesen Typ, um „salvatoris" erweitert: Birch η. 45; vgl. Bruckner, Zur Diplomatik 14. Levison, England 177. Die ältesten von Santifaller 89 f. zitierten Beispiele für das Vorkommen der Invocatio in ags. Königsurkunden sind jedoch Fälschungen. ») Siehe Anm. 7. ,0 ) Die übergenaue Datierung der in Soissons gefaßten Beschlüsse sind „Formalien, die wieder angelsächsischen Einfluß greifbar" werden lassen: Schieffer, Bonifatius 214. " ) Wie Anm. 6: Pippin. 12 ) Classen I I 3 (Tablettes Albertini). 5 (Hunerich, von dem das erste Beispiel dieser Art von Datierung bekannt ist). 55 (Frankenreich). ") Ich habe selbstverständlich nicht alle fränkischen Privaturkunden vor dem Jahre 752, da sich diese Gewohnheit vielleicht geändert haben dürfte (vgl. Bruckner, Reg. Alsat nn. 296. 297. 303 mit nn. 299—301), durchgesehen. Unter Dutzenden von Urkunden fand ich jedoch nur Arn. 12 und Bruckner, Reg. Alsat. n. 62, in denen nach „reges Francorum" gezählt wird. Beide Stücke gebrauchen jedoch nicht den Typus „anno (regni) regis etc.", in dem ich niemals die ethnische Bereichsbezeichnung verwendet fand, sondern die Formel „regnante N. rege Francorum". Allerdings gibt es auch zahlreiche „Regnante"-Datierungen — sie sind die überwiegende Mehrzahl —, in denen auf die Bereichsbezeichnung verzichtet wird.

1. Ego Ν. dux et princeps Francorum

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War die Königsära im Jahre 742 nicht aktuell — Childerich III. wurde vermutlich erst am 1. März 743 von Karlmann eingesetzt 14 ) —, so konnte der Hausmeier seine „pars regni Francorum" auch ungescheut das „regnum meum" nennen und die weltlichen Großen als seine „optimates" bezeichnen. Aus den „optimates mei" Karlmanns wurden jedoch in Soissons die „comites et obtimates Francorum"; eine Formel, die ungleich präziser wirkt und wie das Gegenstück zu „dux et princeps Francorum" anmutet. Pippin hatte gleichzeitig auf die Deklarierung seiner Herrschaft als „regnum" verzichtet. Die Dreiheit „König, Hausmeier, weltliche Große" zieht in auffälliger Weise den Frankennamen zu den entsprechenden Bezeichnungen der Funktion und des Ranges, ohne auf die kategoriale Differenz von „Titel" und „Titulatur", wie sonst üblich, zu achten. Dieses sorgfältig gefaßte Schema hatte wohl den Sinn, für eine äußerst gespannte Situation den Ausgleich zu finden; einen Ausgleich zwischen den merowingischen „Legitimisten", der Adelsopposition, die die Einsetzung eines Merowingerkönigs mehr oder weniger erzwungen hatte, und dem Herrschaftsanspruch der zum Königtum aufsteigenden Karolinger 15 ). Gerade aber dieses Ziel wurde im Prolog der Synodalakten von Soissons mit erstaunlicher Sicherheit getroffen. Der „dux et princeps Francorum" stellt den „rex Francorum" zwar als solchen vor sich hin, offenbart ihn aber zugleich als Schattenkönig. Denn man sieht, daß Childerich III., obwohl König der Franken, nicht mehr ihr „princeps" ist 16 ). Außerdem wird im Text der Satzungen ausdrücklich davon gesprochen, daß die Mißstände, die es zu bessern gilt, „in diebus priorum principum" eingerissen sind, daß also die merowingischen „reges Francorum" von sich aus ihren Prinzipat und damit die Einheit des „ordo" verspielt haben. Daraus folgt unausgesprochen, daß der „dux et princeps Francorum" deren Aufgabe übernehmen muß. Damit ist aber auch die Kontinuität der karolingischen Herrschaft zum merowingischen Königtum gewahrt 17 ), was sich nicht zuletzt darin äußert, daß die Bußen für die Verstöße gegen das von Pippin gefundene „alte" Recht, „secundum quod in lege scriptum est", angedroht werden. Dieses kann jedoch nur das salische, als Königsgesetz erlassene Stammesrecht ge\vesen sein 18 ). Wenn Karlmanns „Kanzlei", vielleicht sogar schon wenige Monate nach Soissons, Childerich III. von „seinem" Hausmeier sagen läßt: „qui nobis in solium regni instituit" 19 ), so hat man diesen Sachverhalt auf der neustri» ) Löwe, Bonifatius 316 f. 15) Löwe 294 ff. le ) Zu den Bezeichnungen der merowingischen Könige als „principes" siehe Löwe 315 Anm. 169. " ) Die Berufung auf die Vorgänger als „principes" findet man, allerdings nicht im pejorativen Sinn der beiden Kapitularien, auch in der staatspolitischen Terminologie des Kaiserrechtes: vgl. die bei Mayer, Vocabularium Codicis Iustiniani 1, 1926 f., verzeichneten Stellen. 18 ) Concil. 2, 1 n. 4; S. 36. " ) DM 97; zur Datierung auf 744/47 siehe Classen I I 26 Anm. 119.

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V. Der fränkische Fürstentitel

sehen Reichsversammlung in der Stadt an der Aisne ungleich differenzierter und vorsichtiger, auf die Dauer aber umso wirkungsvoller ausgedrückt. Die Stellung des letzten Merowingerkönigs ist auf diese Weise vor aller Welt und nicht nur einem alten austrasischen Hauskloster 20 ) gegenüber deutlich genug definiert worden. Childerich III. war nur mehr ein König, nach dessen Königsjahren man datierte — im abseits gelegenen St. Gallen verzichtete man meist sogar darauf 21 ). Gleichzeitig war aber in Soissons eine Formel gefunden, um die Großen des Reiches an den Hausmeier zu binden. Wie der „dux" den „comites" vorangeht, so ist der „prineeps" der „furisto", der Erste unter den „obtimates" der Franken. Hier, wo sich Pippin „dux Francorum" nennt, sind die fränkischen „Amtsträger" allesamt nur „comites Francorum". Eine solche Tendenz der „Rangminderung" der „duces", die sich an dieser Stelle zum ersten Male offen zeigt, kennzeichnet auch die Haltung der karolingischen Könige gegenüber den herzogsfähigen Großen 22 ). Es spricht also viel dafür, Pippins Selbstaussage von 744 als gelungenen Versuch zu werten, den Titel des Bruders trotz der stark geänderten politischen Lage, die ebenso theoretisch-politische wie praktische Schwierigkeiten kennzeichnen, zu übernehmen und dem König wie den Großen des Reiches gegenüber zu vertreten. Zu dieser Politik scheint es mir zu gehören, daß Pippin, zum Unterschied von Karlmann, unter die Akten von Soissons die Worte „Signum inluster vir Pippino maiorum domus" setzen ließ23). Denn der Wortlaut dieser Titulatur deckt sich vollkommen mit der gewöhnlichen urkundlichen Intitulatio der Hausmeier. Bevor die Interpretation des Kapitularien-Titels, der ja von der Kanzleitradition unabhängig ist, fortgesetzt werden kann, muß daher der arnulfingische Urkundentitel und sein Verhältnis zu den Titeln der fränkischen „duces" kurz erörtert werden. 20

) DM 97 war für Stablo—Malmedy bestimmt, dem seit Grimoald I., Arn. 1, die Sorge der Arnulfinger gilt. So haben auch die beiden erhaltenen Urkunden Karlmanns (Arn. 15 f.) dieses Kloster als Empfänger. 21 ) Der letzte König, den man in St. Gallen noch kennt, war Dagobert III. VVartmann, UB St. Gallen nn. 8 f. N. 10 datiert auch nach Childerich, und nur n. 14 allein nach Königsjahren. Diese Zusammenstellung entnehme ich der Arbeit von Ingrid Heidrich; dazu siehe unten 142 Anm. 13. ") Allgemein über dieses Problem handelte Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte 1, 105. Im besonderen siehe etwa Dhondt, La naissance des prineipautös 216 f.: „ce titre (dux Aquitanorum) demeura purement officieux jusqu'ä l'accession au tröne des Capetiens. Avant cette derniere date, la chancellerie royale ne connait point de dues d'Aquitaine". Er wurde vielmehr entweder „comes" oder „marchio" genannt. In den Urkunden der Hausmeier: Ep. Bonif. 22; S. 37. Brandl, Reichenauer Urkundenfälschungen 101. Arn. 19 (nach Heidrich wahrscheinlich eine Fälschung, Bloch hält sie noch für echt; sie ist allein beim „Fälscher" Grandidier überliefert). 20. 21. 23 (vgl. Tessier, Diplomatique royale 73 Anm. 2.), kann der Aussteller hingegen ungescheut auch „duces" in der Adresse nennen, da er selbst diesen Titel nicht führt. ») Concil. 2, 1 n. 4; S. 36.

2. Die urkundlichen Titel der Hausmeier und fränkischen „Amtsherzöge" 141 2. D i e u r k u n d l i c h e n T i t e l der H a u s m e i e r u n d f r ä n k i s c h e n „Amtsherzöge" Die gemeinsame Grundlage aller Herzogs- und Hausmeierurkunden der Merowingerzeit bildet die Form der „privaten" Carta, wie sie aus den Formulae Andecavenses und aus Markulfs „cartae paginsis" bekannt ist 1 ). Diese Carta setzte im Frankenreich die spätrömische Urkunde fort, ohne aber die letzte Entwicklungsstufe des spätantiken Urkundenwesens noch zu erreichen. Sie ist vorwiegend in subjektiver Briefform abgefaßt; doch kennen zweiseitige Rechtsgeschäfte, wie etwa Tausch- und Teilungsurkunden, auch die objektive Stilisierung. Hier wird dann der Aussteller in einer Narratio genannt und streng genommen nur tituliert 8 ). A m Wortlaut dieser Formel ändert sich gegenüber dem der Intitulatio nichts. Die älteste Form des Protokolls kennt die Reihenfolge: Adresse—Intitulatio—Gruß 3 ). D o c h bestand auch die Möglichkeit, eine Carta mit einer Arenga einzuleiten. So konnte m a n aus einem allgemeinen Motivenbericht die konkrete Handlung begründen, wobei dann die Intitulatio das Subjekt des dispositiven Hauptsatzes bildete, während die Adresse meist verschwand 4 ). Der Satzteil, den die Intitulatio ausfüllte, wurde durch die Formel „ego in Dei nomine" eröffnet 5 ) und mit dem Patronymikon geschlossen®). Zunächst fehlt jeder

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Formulae S. 4 ff. und 70 ff. Der Streit um die Entstehung der Formularsammlung Markulfs kann hier deswegen übergangen werden, weil einmal der Großteil der zu untersuchenden Urkunden erst dem 8. Jahrhundert angehört und andrerseits eine der wichtigsten Titelformen bereits durch die Form. Andec. belegt wird, die ohne Zweifel schon im 6. Jahrhundert gesammelt wurden: Buchner, Rechtsquellen 49 f.; vgl. Classen I I 28 Anm. 124 (wegen der Kontroverse um Markulf). Boüard 2, 43 ff. und 68 ff., bes. 69 Anm. 2. Redlich 4 ff. und 32 ff. Siehe Arn. 3. Boüard 2, 71. Die von Redlich 34 getroffene Einteilung ist zu schematisch. Die Arnulfinger befolgen die Ordnung, wie sie ihm Obertext skizziert wurde, am deutlichsten ausgeprägt in Arn. 1 (ohne Gruß). Ep. Bonif. 22; S. 37. Arn. 19 (vielleicht eine Fälschung, siehe zukünftig Heidrich wie Anm. 13). 20. Die drei zuletzt genannten Urkunden beenden die Superscript«) mit „bene cupiens vester". Vgl. Add. Marc. 2; S. 111, wo allerdings die Reihenfolge „Adresse—Intitulatio" dem königlichen Formular entsprechend bereits umgekehrt wurde. Die „private" Anordnung der Superscriptio ist freilich alt: Santifaller, Die Verwendung des Liber Diurnus 244 ff. Vgl. Form. Marc. I I 47; S. 103. I I 49; S. 104. I I 51; S. 105. Auch Herzog Liutfrid im Elsaß gebrauchte mehrmals diese Überschrift: Bruckner, Reg. Alsat. nn. 103. 123. 126. 133 f. 137. Boüard wie Anm. 2. Die Formularsammlung von Angers und die Markulfs bringen zahlreiche Belege für diese Anordnung. Siehe auch Arn. 5. 14. 23. Wampach, UB Echternach n. 8; S. 29 (Herzog Heden). Über das Auftreten dieser Anordnung im antiken Privatbrief siehe Classen 169. Einen interessanten Versuch, einen Ausgleich zwischen beiden Formen zu finden, stellt Brandl, Reichenauer Urkundenfälschungen 101, dar. „Ego" und Invocatio, nicht Devotionsformel, sind privates Formular: Chroust, Langobardische Königs- und Herzogsurkunde 24. Boüard 69. Redlich 34. Zum Wortlaut siehe auch Santifaller, Verbal-Invokation 73 ff. Schmitz, Devotionsformel 168 f. Es ist bezeichnend für den Stand der Handbücher zur Lehre von den „Privaturkunden", daß eine offensichtlich weitverbreitete Eigenheit der privaten Intitu-

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V. Der fränkische Fürstentitel

Hinweis auf einen Funktionstitel; doch überliefern die frühen Formulae Andecavenses bereits die Verwendung des Rangtitels „inluster vir" durch besonders hochgestellte Persönlichkeiten7). Eine Verfügung über privaten Besitz verlangt nicht selten die Zustimmung von Familienmitgliedern, besonders die der Gattin des Ausstellers. Die Tradition der echten Stücke wie der Formularsammlungen belegen daher regelmäßig Zusätze wie „et coniu(n)x mea" oder „et matrona mea" 8 ). Die Verwendung des Numerus hängt von der natürlichen Zahl der handelnden Personen ab9). Die von der Tradition festgelegte Urkundenform mußte nun aber auch dem Selbstverständnis einer Schicht von Großen genügen, die infolge des Niedergangs der Merowinger von „Amtsträgern" zu „Herren" wurden10). Darunter befanden sich „Stammesherzöge", denen der Griff nach dem Königtum in ihrem Amtsbereich nachgesagt wurde11). Zu ihnen gehört aber ganz besonders der Hausmeier der arnulfingisch-pippinidischen Sippe, der in der Person des „subregulus" Grimoalds I. sogar das fränkische Königtum der Merowinger seiner Familie sichern wollte12). Trotz dieser großen Veränderung in der tatsächlichen „staatsrechtlichen" Situation blieb die Selbstaussage in den Urkunden dieser Herren bis 751 auffallend konservativ. Obwohl die Entwicklung auf die Ausbildung eines „Hausmeierdiploms" abzielte, können selbst die letzten urkundlichen Erzeugnisse Pippins III. nicht ihre Herkunft aus der „privaten" Carta verleugnen. Während sich aber seit Pippin II. immerhin die Anzeichen mehren13), daß hier ein wahrer latio (vgl. Arn. 4—6), wie sie die Verwendung des Patronymikons büdet, nirgends erwähnt wird. Heidrich (wie Anm. 13) dürfte auch diesen Mangel beheben. ') Form. Andec. 46; S. 20.; vgl. 12; S. 9 und 32; S. 14. Siehe auch Claude, Untersuchungen 13 Anm. 52. ») Vgl. etwa Form. Andec. 46; S. 20. Marc. I I 3 ff.; S. 75 ff. I I 17; S. 86. Arn. 2—6 (Pippin II.). Wampach wie Anm. 4. Bruckner (wie Anm. 3) nn. 134. 137. 103 (Liutfrid und sein Bruder Eberhard). ») Vgl. Anm. 8. 10 ) Claude, Untersuchungen 47 f. und 58. Diese Entwicklung wurde vor allem dort gefördert, wo der „dux" mit der Leitung eines ehemaligen Stammesgebietes betraut wurde. Vgl. Wenskus, Amt und Adel 51 ff. Siehe auch Anm. 11. n ) Zöllner, Völker im Frankenreich 164, nach Fred. IV 87; S. 167 f.: „regem se in Toringia esse cinsebat (sc. Radulfus)". Ewig, Teilreiche im 7. Jahrhundert 131 Anm. 181 und 183: zur Entwicklung Aquitaniens. Die Miracula s. Martialis (MGH Scriptores 15, 218) behaupten von Lupus (um 673): „in sedem regiam se adstare". Derselbe aquitanische Machthaber läßt sich jedoch zur selben Zeit auf dem Konzil von Bordeaux, das sich im Namen Childerichs II. versammelt, nur „inluster vir Lupus dux'' nennen: Ewig, Volkstum und Volksbewußtsein 600Anm. 40, nach Concil. Galliae 2, 313. In nichtfränkischen Quellen werden auch die Bayern- und Friesenherzöge „reges" genannt: Schlesinger 114. 126 ff. Wenskus, Stammesbildung 70. Zöllner, Völker 167. 12 ) Über Grimoald zuletzt: Ewig, Noch einmal zum „Staatsstreich" Grimoalds 454 ff. 13 ) Titel wie Diplomatik der Hausmeier behandelte Ingrid Heidrich in einer erst kürzlich vollendeten, von Eugen Ewig und Peter Classen angeregten Arbeit. Die Grundzüge davon hat die Verfasserin unter dem Titel „Titulatur der Hausmeier aus dem Geschlechte Arnulfs von Metz und Pippins des Älteren" als „Zulassungsarbeit zur wissenschaftlichen Prüfung für das Lehramt an höheren Schulen" 1962

2. Die urkundlichen Titel der Hausmeier und fränkischen „Amtsherzöge" 143

Herrscher urkundet, behält die Urkunde der übrigen „duces" fast ausnahmslos ihre einfache Form14). Entgegen den Veränderungen in der Hausmeierurkunde und im Einklang mit der konstanten Form der Carta, deren sich die übrigen fränkischen „duces" bedienten, steht der beiden Urkundenarten gleiche Titeltypus. Dieser reicht von der bloßen Namensnennung des Ausstellers15) über eine Intitulatio, die Illustrat und Namensnennung kennt16), bis zur Formel „Ego—Illustrat—Name—Funktion"17). Die Intitulatio der Hausmeier wie der arnulfingischen und nichtarnulfingischen Herzöge wird vom Ende des 7. Jahrhunderts an überliefert. Man kennt sie von Grimoald I., Pippin dem

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eingereicht. Dank der Vermittlung Peter Classens konnte ich diese Studie im Manuskript einsehen. Ihm wie seiner Schülerin Frau Heidrich bin ich daher zu großem Dank verpflichtet, wenn auch die Benützung der gesamten Arbeit, die für den nächsten Band des Archivs für Diplomatik angekündigt wurde, noch günstiger gewesen wäre. Doch hat ein mehrmaliger Briefwechsel viel geholfen. Auch dafür habe ich zu danken. Von Arn. 6 bis Arn. 16 findet man eine Mischung von Singular und Majestätsplural, der sich erst in Arn. 17 (Pippin III.) durchsetzt. Dieses Stück ist zugleich die älteste bekannte Immunitätsverleihung eines Karolingers: Sickel Sb. d. Wr. Akademie 47, 196. In Arn. 17 ff. fehlt auch das einleitende Personalpronomen „ego". BM2 LXXXIV wäre in diesem Sinne zu berichtigen. Bereits Arn. 16 (Karlmann) beginnt mit der Intitulatio „Inluster (vir) Karlomannus maior domus", hat aber noch die Angabe des Vaternamens aus dem Formular der „privaten" Carta. Eine mögliche Erklärung dafür findet man bei Löwe, Bonifatius 295 Anm. 101. Erst mit Pippin III. setzt sich dann „die anspruchsvollere Vereinfachung seines Titels ,Inluster vir Pippinus maiorem domus'" (BM2 LXXXIV) durch. Pippin III. spricht auch niemals mehr die Beurkundungsbitte aus; dafür treten zum ersten Mal Rekognoszenten auf (Bresslau, Handbuch 1, 370 f., nach Arn. 18 f. 21. 22). Allerdings hatte bereits der Alemannenherzog Gotfrid um das Jahr 700 einen Beurkundungsbefehl ausgesprochen: Wartmann, UB St. Gallen η. 1; 1, 1. Joachim von Watt, Chronik der Äbte des Klosters St. Gallen 113. Siehe auch UB Echternach n. 8; S. 30 (Heden). Zur Bezeichnung der Herrschaft der Hausmeier als „principatus" bzw. zu ihrem Selbstverständnis als „principes" in Urkunden siehe Löwe, Bonifatius 315 Anm. 169 ff., und Arn. 17. Ab Arn. 15 ff. fällt meist die „private" Invocatio aus. Gotfrid (wie Anm. 13) datierte nach seinen Herzogsjahren. Arn. 1. 9 (Intitulatio verbessert nach Wampach, UB Echternach n. 27; S. 67). Bruckner, Reg. Alsat nn. 103 und 137: bloße Namensnennung Herzogs Liutfrid im Elsaß — vgl. Büttner, Elsaß 74 ff. — verbunden mit einer Signumzeile, die eine Funktionsbezeichnung erwähnt. Arn. 3—5 (Arn. 2 dürfte hingegen Arn. 6 oder vielleicht auch Arn. 7 gleichen; die Emendation von Pertz ist jedenfalls falsch). Wampach, UB Echternach n. 8; S. 29: Thüringerherzog Heden; vgl. Patze, Landesherrschaft in Thüringen 45 f. Schlesinger, Landesherrschaft 42 ff. Wenskus, Die deutschen Stämme 192 f. Bruckner, Reg. Alsat. n. 126: Herzog Liutfrid (vgl. Anm. 15). Arn. 6. 7 (allerdings fehlt hier der Illustrat). 10 ff. Ab Arn. 17 fällt „ego" aus. Das Personalpronomen fehlt anscheinend auch in Wartmann, UB St. Gallen η. 1; 1, 1. Wie Anm. 13, Wampach, UB Echternach n. 26; S. 64: Heden. Bruckner, Reg. Alsat. nn. 123. 133 f.: Liutfrid. Auf die Anordnung der einzelnen Titelelemente innerhalb der Intitulatio sowie auf die Reihung des Rangtitels „vir inluster" oder „inluster vir" wurde nicht Rücksicht genommen, da beides nicht von Belang ist. Siehe oben 123 Anm. 61: Krusch, Studien 32.

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V. Der fränkische Fürstentitel

Mittleren, dem Drogosohn Arnulf, Karl Martell, Karlmann und Pippin 18 ) sowie von den Agilolfingern Gotfrid, dem Alemannenherzog 19 ), und Tassilo III. 20 ), dem Thüringerherzog Heden 21 ) und dem Herzog im Elsaß Liutfrid 22 ). Mit (ego) inluster vir N. dux oder (ego) Muster vir N. maior domus bildet dieser Titel formal immer noch den Titel eines merowingischen „Amtsträgers" und besitzt damit eine Form, die bereits in der Unterschriftenliste eines der ältesten Merowingeroriginale auftritt 23 ). Die Pippiniden führten daher als Hausmeier oder wie Pippin II. als „dux" stets einen Titel, dessen Typus sich erstens nicht von der Titulatur unterschied, mit der der Merowingerkönig seit eh und je seine „Amtsträger" anzureden pflegte; der zweitens mit der Selbstaussage der übrigen „duces" völlig identisch war und drittens auch nicht von den belegten Selbstaussagen der „comites" und erschließbaren der „domestici" und „grafiones" abwich 24 ). Zwischen 697 und 700 reorganisierte Pippin II. das Reichsregiment in den „tria regna". Er legte das „Amt" eines Hausmeiers zugunsten seines Sohnes Grimoald nieder und übertrug ihm Neustrien. Dem älteren Sohn Drogo übergab er Burgund; wie Eugen Ewig wahrscheinlich machte, galt Drogo als „dux Burgundionum". Eine Selbstaussage stellt diese Formel freilich nicht dar. Pippin selbst blieb de iure, wie die Selbstaussage in seinen Urkunden lehrt, nur „dux". Seine unmittelbare Machtbasis war das verkleinerte Austrasien; praktisch regierte er selbstverständlich das ganze Regnum Francorum, soweit es seine Herrschaft anerkannte 25 ). Pippin II. ») Arn. 1 (Grimoald). Arn. 2—6 (Pippin II.). Arn. 7 (Arnulf). Arn. 9—14 (Karl Martell). Arn. 15 f. (Karlmann). Arn. 17 ff. (Pippin III.). " ) Wie Anm. 13 ff.; vgl. Zöllner, Herkunft der Agilolfinger 127 ff. " ) Siehe Abschnitt VI. ») Wie Anm. 16 f. ") Wie Anm. 15—17. 23 ) DOM 6 = DM 19. DM 21 ist „viro inlustri Grimoaldo maiori domus" adressiert (vgl. Classen I I 62 Anm. 297). Siehe auch DMSp. 90 (vgl. Classen I I 29 Anm. 140 und 63 Anm. 302; ebenso 62 f. Anm. 297 ff.). Vgl. weiters Fred. cont. 34; S. 182: „Ueque nunc inluster vir Chüdebrandus comes, avunculus praedicto rege Pippino hanc historiam . . . scribere procuravit. Abhinc ab inlustre viro Nibelungo, . . . itemque comite succedat auctoritas." ") Siehe Anm. 23, letztes Zitat. Urkundliche Selbstaussagen für alle drei Arten des Amtstiteltypus, geführt von einem „comes", findet man etwa: Diplomata Belgica 1, n. 5; S. 15: „ego in Dei nomine Amalfridus illuster vir" (685 I I 8). Doli, Das Pirminskloster Hornbach 141. Wampach, UB Echternach nn. 34; S. 79. 35; S. 81. Die Formel „Signum viro inlustri Ermenrico domestico" findet man schon in DOM 6 = DM 19; als Selbstaussage konnte ich sie jedoch in dieser Vollform nicht entdecken; vgl. Bruckner, Reg. Alsat. nn. 103. 110. 122 (Or.). 124. 127: Eberhard, der Bruder des elsäßischen Herzogs Liutfrid, wird einmal „domesticus", dann wieder „comes" genannt. Zu den Zeugnissen für „grafio" siehe Claude, Untersuchungen 33 ff. und die Anm. 169—171. 176 f. ") Siehe Ewig, Teilreiche im 7. Jahrhundert 138 und 142 ff. Die Verkleinerung Austrasiens kam dadurch zustande, daß sich die zu diesem Reichsteil gehörenden „Stammesherzöge" nur dem Merowingerkönig verpflichtet fühlten (vgl. Löwe, Bonifatius 294 ff.), der jedoch in Neustrien residierte. Daher hatte Pippin II. vor 687 auf diesen keinen Einfluß; und nach dem Schicksalsjahr war die Entwicklung schon

2. Die urkundlichen Titel der Hausmeier und fränkischen „Amtsherzöge" 145

hatte also in seiner Eigenschaft als bloßer „dux" einem Herrschaftsbereich entsprochen, für den bereits Gregor von Tours den Terminus technicus kannte. Schon im Jahre 577 hatte ein fränkischer Großer, wenn auch vergeblich, den „ducatus totius regni" angestrebt2®). Die Funktion des „maior domus" blieb bis 751 der theoretisch-politischen Aussage des Titels nach ein „Amt", ein Hausamt am Königshof. Hingegen scheint der Amtstitel „dux" eher die Fähigkeit besessen zu haben, sich in den Funktionstitel eines Herrn zu wandeln. Seine unmittelbare Verbindung mit dem Heer, das heißt mit dem „exercitus-populus" — „dux dictus eo quod sit ductor exercitus (Isid. Etym. IX 3, 21)" — dürfte diesen wichtigen theoretischen Prozeß erleichtert haben. Ich gedenke nicht, in den Streit um die Herkunft, die ursprüngliche Bedeutung und das volks sprachliche Äquivalent des frühmittelalterlichen und im besonderen fränkischen „dux" einzugreifen. Denn um 700, da die ersten urkundlichen Herzogstitel im Frankenreich auftraten, galt einerseits bereits die Gleichung „dux—heritoho (herizogo)" und andrerseits war „dux" ein fester Terminus technicus geworden. An den Selbstaussagen der „duces" kann man die Problematik ihrer Herkunftsgeschichte, wie sie die moderne Forschung sieht oder zu sehen glaubt, in keiner Weise mehr ablesen. Da sie keinen urkundlichen Niederschlag fand, erübrigt sich hier ihre Behandlung. Die Verfassungswirklichkeit aber, in der die „duces" um 700 standen, ermöglichte ihnen zum Unterschied von der „Politik" der Titel, die sie als „Amtsträger" festlegen, vor allem jenseits des Rheins und in Aquitanien die Erringung einer königsgleichen Stellung. Denn die Inhaber der Außendukate des Merowingerreiches traten an die Spitze eines ursprünglichen oder sekundär entstehenden „Stammes" und konnten so ihren „Amtsauftrag" in eine Herrschaft ändern, die an die autochthone Tradition einer „gens" des Frankenreiches anknüpfte27). sehr weit fortgeschritten und die Konsolidierung der arnulfingischen Herrschaft noch nicht gelungen. In Arn. β sicher und wahrscheinlich auch in Arn. 2 nannte sich Pippin II. „dux". In Arn. 7 (verbesserte Lesung im UB Echternach n. 25; S. 62) nannte sich auch der Drogosohn Arnulf „dux". Von ihm kann man jedoch keinen „Amtsauftrag" nachweisen: Breysig, Jahrbücher 2 ff. Ewig, Teilreiche 144. Man könnte daher diese Selbstaussage am besten damit erklären, daß auch reicher Grundbesitz in einem Gebiet den Besitzer befähigt, hier als „dux" aufzutreten: Claude, Untersuchungen 54 ff. ") Greg. Hist. Franc. V 14; S. 210. Vgl. Zei3s, Herzogsname 156. Claude, Untersuchungen 47 Anm. 232. Den „dux Francorum" von 742/44 von dieser Stelle her zu interpretieren versuchte bereits Waitz, Verfassungsgeschichte 57 Anm. 1. Er fand noch die Zustimmung Lowes, Bonifatius 315 Anm. 168. ") Der fränkische „dux" gehört wie die „Vir-inluster"-Frage zu den Problemen, die die Gemüter immer wieder erregen und stets neue Generationen von Gelehrten zu mitunter sehr leidenschaftlichen Stellungnahmen anspornen. Unsere Fragestellung ist zwar nur darauf ausgerichtet, daß die Bedeutung des Funktionstitels „dux" in der Intitulatio erklärt werden muß. Trotzdem scheint es notwendig, die gesamte Problematik, die damit verbunden sein könnte, vor Augen zu stellen. Diese Problematik setzt sich aus zwei Fragen zusammen: 1. die verfassungsgeschichtliche Bedeutung und die Entwicklung des Begriffes „dux" im Franken10

Wolfram, Intitulatio I

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V. Der fränkische Fürstentitel

Daß auch dem Hausmeieramt ein solcher „dux gentis" eingeschlossen war, sollte es sich politisch verwirklichen können, wurde an den Kapitularien-Titel der Jahre 742 und 744 deutlich; also in Dokumenten, die auf die Kanzleitradition nicht Bückeicht nahmen und daher leichter eine gezielte Manifestation des karolingischen Herrschaftsanspruches vermitteln konnten*8). Allerdings dürfte der im Titel des Concilium Germanicum enthaltene Titelteil „dux Francorum" einiges Aufsehen erregt haben, als er im Jahre 742 reich; 2. die Etymologie seiner volkssprachlichen Lehnbildung oder seines germanischen Ursprungs — hier scheiden sich die Geister — in- und außerhalb des Frankenreiches; oder mit einem Wort, die Etymologie des Begriffes „Herzog". 1. Heinrich Brunner, Deutsche Rechtegeschichte 209, definierte den merowingischen Dukat als „Amt" und dementsprechend den „dux" als „Amtstr&ger". Tatsächlich gehören die „duces" nach Ausweis der Quellen, der Diplome wie der Historiographie, zu den königlichen „agentes" (Siehe Guttenberg, Iudex h. e. comes aut grafio 107 und bes. 116 f., der eine gute Gegenüberstellung der Belege liefert). In jüngerer Zeit suchte Rolf Sprandel, Dux und comes in der Merovingerzeit 41 ff., vgl. 48 Anm. 26, wo wichtige Literatur zum Thema genannt wird, den Gebrauch von „dux" in der Merowingerzeit als „Anpassung der weltlichen Verfassungsverh<nisse in der Darstellung an die kirchlichen" zu erklären (S. 54). Sprandel betont die sicherlich gegebene Möglichkeit, die Entstehung verfassungegeschichtlicher Termini aus dem Sprachgebrauch der Bibel zu verstehen. Hingegen scheint es unmöglich, wenn man die Quellen vorurteilsfrei liest, in „dux" keinen Terminus technicus der offiziellen Politik zu sehen. (Vgl. Werner, Literaturbericht 642). Dietrich Claude, Untersuchungen zum frühfränkischen 45 ff., konnte die Behauptungen Sprandels in dieser Beziehung treffend widerlegen. Daran ändert meiner Meinung auch nichts die Replik Sprandels ZRG Germ. Abt. 82,1965, 288 ff. Claudes überzeugendes Gesamtergebnis schwächt auch nicht die Tatsache, daß er sich bei den ältesten Nachweisen für den „dux" als „iudex" auf Venantius Fortunatue etützen muß, der „duces" seiner Zeit mit dem herkömmlichen Topos „arma legesque" feiert (vgl. Fichtenau, Arenga 27). Auch ein Topos wird nur dann sinnvoll angewandt, wenn er einigermaßen der Wirklichkeit entspricht. Über die Agenden eines „beamteten" Dux siehe die gute Übersicht bei Claude 49—56. Die von königlicher Seite nicht vorgesehene Ausweitung des Amtsauftrages eines „dux", besonders in den rechtsrheinischen gentilen Einheiten und in Aquitanien bzw. Burgund, behandeln Schlesinger, Heerkönigtum 128 ff., Ewig, Teilreiche 118 ff. und 130 ff. Zuletzt Wenskus, Die deutschen Stämme 203 f. 2. Nicht völlig von 1) zu trennen, aber doch in ihrer Fragestellung anders geartet wirkt die philologische Diskussion um das Problem „dux got. *harjataüha". Ist die Übersetzung „Herzog" für „dux" eine Lehnbildung in gotischer Zeit, oder wurde mit „dux" ein urgermanisches Wort in der lateinischen Traditionssprache des Mittelalters wiedergegeben? Die Debatte, die von Edward Schröder, „Herzog" und „Fürst" 1 ff., und Rudolf Much, „Herzog", ein altgermanischer Name des dux 1 ff. und 406 f., begonnen wurde, faßte Hans-Dietrich Kahl, Wortschatzbewegungen im Bereich der Verfassungsgeschichte 164 Anm. 27, in übersichtlicher Weise zusammen. Kahle souveräne Kritik der älteren Literatur stellt einen großen Gewinn für die Forschung dar. Zur Frage des Ranges eines „dux", wie ihn vor allem die spätantike Tradition bestimmt, siehe die „Gradus Romanorum" (Beyerle, Das frühmittelalterliche Schulheft vom Ämterwesen 7). Für unser Problem ist außer der schon genannten Literatur, die Kahl a. a. O. verzeichnete, besondere noch Klebel, Herzogtümer und Marken 46 ff. (6 ff.), wichtig. »«) Ganshof, Kapitularien 66 ff. Sickel, Acta Karolinorum 1, 414.

2. Die urkundlichen Titel der Hausmeier und fränkischen „Amtsherzöge" 147

zum ersten Male promulgiert wurde. Jedenfalls datierte der Weißenburger Schreiber Theutgar in den Monaten, die zwischen dem 21. April 742 und dem 1. Marz 743 liegen, zweimal nach den Prinzipatsjahren der „duces Francorum" bzw. seines australischen „dux Francorum" KarlmannaM). Bedenkt man die große Seltenheit einer ethnischen Bereichsbezeichnimg in der Titulatur der Datumzeilen30), so kann dieses zeitliche Zusammentreffen von neuer Intitulatio und besonderer Fremdaussage kein Zufall sein. Aber ein „dux Francorum" mit dem Anspruch der Brüder Karlmann und Pippin, die zum Unterschied von ihrem Vater ihre Herrschaft als „regnum" und „principatus" ausdrücklich zu erkennen gaben31), mußte zugleich auch der „princeps Francorum" sein, und zwar sowohl in bezug auf einen möglichen merowingischen Schattenkönig wie den übrigen „Amtsträgern" und Großen der Franken gegenüber. Bereits Pippin der Altere wird von einer allerdings späteren literarischen Quelle „dux" genannt31). Um 700 führen Pippin II. und sein Enkel Arnulf nachweisbar den Funktionstitel „dux"33). Nun ist zu bedenken, wie und seit wann der arnulfingische „Amtsträger", der seit Karl Martell in Urkunden allein den Amtstitel „maior domus" führte, in der Fremdaussage als „princeps" bezeichnet wurde. Denn erst dann, wenn „dux" durch „princeps" in seinem Vorrang festgelegt ist, besteht die Voraussetzung dafür, eine Intitulatio zu bilden, deren Träger der Herrscher der Franken, der „dux et princeps Francorum", sein kann. " ) Zeuss n. 4 (743 II 15): „anno eecundo princip&tu Carlomanno et Pippine ducibus Francorum, quando successerunt in regnum" entspricht ganz der in Anm. 31 belegten Auffassung der Karolinger von ihrer Herrschaft und enthält auch alle Elemente der politischen Selbstaussage im Titel und im Text des Concilium Germanicum. Zeuß n. 235 datiert hingegen „anno prino (sic) post obitum Carlo maioro regnante domno Carlomanno duce Francorum". Karl Martell ist im Oktober 741 geetorben (BM* 43a); das erste Jahr nach seinem Tode geht im Oktober 742 zu Ende. Daher kann die Ausfertigung der so datierten Urkunde ohne weiters zwischen 742 IV 21 und dem Oktober des Jahres liegen. ") Siehe oben 138 Anm. 12 f. " ) Siehe Arn. 17. Löwe, Bonifatius 314 ff. M ) Eine Aufstellung über die subjektiven und objektiven Bezeichnungen der Hauemeier wird man künftig bei Heidrich (wie Anm. 13) finden. Daraus entnehme ich nur einige wichtige Zitate: Bereits Pippin der Ältere wird im Liber hist. Franc. 41. 42; S. 311 und 315 „dux" genannt. Allerdings wurde dieses Werk erst im ersten Drittel des 8. Jahrhunderts verfaßt: Wattenbach-Levison 115 f. Die Adresse des Briefes Gregors II. an Karl Martell lautet „domno glorioso filio Karolo duci": ep. Bonif. 20; S. 34 (722 XII). Kurz vor dem Concilium Germanicum sprach Bonifatius (ep. 50; S. 82 f.) von Karlmann als dem „dux Francorum"; vgl. Löwe, Bonifatius 295 f. Es fällt jedoch auf, daß derselbe Bonifatius den Hausmeier Karlmann später stets „princeps Francorum" nennt: ep. Bonif. S. 292 sub voce „Karlmann", wie es Gregor III. 739 zum ersten Mal tut (ep. Bonif. 45; S. 72). Löwe, Bonifatius 297: „Dem von Pippin und Karlmann gerade zur Betonung ihrer Königsgleichheit geführten Titel,princeps' gab der kuriale Sprachgebrauch eine Wendung, die diese Tendenz deutlich abbog." Siehe dazu a. a. O. Anm. 112. *») Wie Anm. 25. 10·

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V. Der fränkische Fürstentitel

3. Princeps als Bezeichnung des arnulfingischen Hausmeiers Mit der Errichtung der Germanenreiche auf dem Boden des westlichen Imperium wurde es Sitte, die Könige als „dom(i)ni" und „principes" anzureden1). Beide Titulaturen treten ziemlich gleichzeitig auf; zu „dominus" setzte man sehr bald auch das Possessivpronomen „noster", wodurch die königliche Titulatur der kaiserlichen angeglichen wurde. Noch leichter konnte man hingegen „princeps" auf den König anwenden. Denn erstens monopolisierte die hohe Bedeutung des Wortes, die es in der ersten Kaiserzeit annahm, niemals seinen Sinngehalt so sehr, daß alle übrigen Bedeutungen ausgeschlossen worden wären. Zweitens wurde „princeps" niemals ein Bestandteil des kaiserlichen Titels noch einer allgemein verbindlichen kaiserlichen Titulatur2). Durch Augustus wurde der Herrscher des Reiches der „princeps", und noch die spätrömischen Kaiser sprechen von ihresgleichen als von den „principes"3). Aber ebenso wie man zu „princeps" in der Bedeutung „Kaiser" die Wörter „civium" oder „civitatis" mithören muß4), so kann eigentlich stets von nichtkaiserlichen „principes" gesprochen werden, ohne eine Bereichsbezeichnung beizufügen5). Auf diese Weise blieb der ursprüngliche Begriffsinhalt gewahrt: „princeps" stellt, ausgesprochen oder nicht, eine soziale Beziehung her zwischen einem Menschen und einer politischen Gruppe, deren „Erster" dieser Mensch ist®). Ein solches Verhältnis kann jedoch insofern weiter relativiert werden, daß man die Mehrzahl „principes" gebraucht. Sie nehmen zwar innerhalb einer bestimmten politischen Einheit eine Vorzugsstellung ein — „principes civitatis'), provinciae8), populi9)" —, sind aber untereinander nicht weiter zu differenzieren, sondern stellen theoretisch eine homogene Oberschicht dar. Das Wort „principes" im Sinne von „primores, proceres" diente den römischen Schriftstellern auch zum Verständnis fremder politischer Ordnungen, so daß ein Tacitus die herrschende Schicht bei den germanischen Stämmen, die kein Königtum kannten, als „principes" bezeichnen konnte 10 ). Diese unverbindliche, relativierende Terminologie des täglichen Lebens wurde im 4. Jahrhundert ein Teil der biblischen Begriffssprache. Derselbe Hieronymus, der die Caesares als „Romanorum principes" — übrigens nicht *) ") 3 ) 4 ) 5 ) *) 7

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e

) ») 10 )

Siehe oben 69 Anm. 77. Wickert, Princeps col. 2007 ff., 2036. Vgl. etwa Robert Mayr, Vocabularium Codicis Iustiniani 1 (Prag 1923) 1926 f. Wickert col. 2060. A. a. O. col. 2008 f. und 2013 (Spätzeit). Wickert col. 2040: „Den Begriffen princeps, principes entsprechen auf der anderen Seite (nicht nur in Rom, sondern überhaupt) die Begriffe populus, plebs, multitudo usw." Es folgt hierauf eine ausführliche Liste der Belegstellen. Von nichtkaiserlichen „principes civitatis" sprechen etwa Seneca und Quintilian: Wickert col. 2009, oder Plinius der Jüngere: a. a. O. 2012. Siehe Anm. 6. Wickert col. 2012. Siehe auch Anm. 6. Wie Anm. 6. Wickert col. 2012.

3. Princeps als Bezeichnung dee arnulfingischen Hauemeiers

149

als einziger seiner Zeit11) — versteht12), sichert dem Terminus „princeps (populi)"13) in der Vulgata eine weite und vor allem auch nachhaltige Verbreitung. Mußte gerade die Relation von „princeps" und „populus" der zukünftigen gentilen Welt besonders vertraut erscheinen14), so wurde diese politische Theorie noch dazu durch das Buch der Bücher vermittelt. Gregor von Tours gebraucht den Begriff „princeps" in drei Bedeutungsfelder aufgefächert. Der Terminus meint den Kaiser, den Frankenkönig, mitunter sogar beide gemeinsam, und schließlich die weltlichen Großen. Der dritten Schicht kann man auch das biblische „principes sacerdotum" und das biblisch gefärbte „princeps tenebrarum" hinzurechnen15). Die weltlichen Großen werden in bezug auf das Reich des Frankenkönigs, dem sie angehören, als „principes" relativiert, was zur Formel „omnes regni regis illius principes" führt18). Offizielle merowingische Texte bezeichnen in der Regel allein den König als „princeps"17). Konnte der Frankenkönig zusammen mit dem Kaiser, also gleichsam in einem Atemzug mit dem „Ersten" der Welt, „princeps" genannt werden18), so hat doch dieses Wort niemals den „rex Francorum" und einen seiner „principes" gleichzeitig bezeichnet19). Gegenüber der „gens" bestand die Einheit von „rex et princeps"; sie ist auch für die karolingische Königspolitik und das von ihr abhängige Schrifttum selbstverständlich20). ») Wickert col. 2007. ") Wickert col. 2078 f. ") Dem antiken Ausdruck „princeps populi" (siehe Anm. 6 und 9) folgt der biblische etwa in Ps. 46, 10. 3. Reg. 8. loan. 3, 1 und viele andere Stellen. Einem klassischen Dualismus „principes-multitudo" (Wickert col. 2040) entspricht das biblische „principes multitudinis" (etwa los. 9, 15). 14 ) Die offizielle fränkische Historiographie des zweiten Viertels des 8. Jahrhunderts, repräsentiert durch den zweiten Fortsetzer der Fredegarchronik, vermeidet die Gregor von Tours und dem Verfasser des Liber historiae Francorum geläufige Bezeichnung „principes" für die Großen des Reiches; „princeps" dürfte dem arnulfingischen Hausmeier bewußt vorbehalten gewesen sein (vgl. Ewig, Königsgedanke 43 Anm. 163). Bei der Königserhebung Pippins „cum . . . subiectione principum" wird scheinbar die Ausnahme gemacht. Ewig a. a. O. denkt an Nachahmung biblischer Terminologie aus dem Buche Josue (zu dieser Verbindung siehe unten Anm. 31). Tatsächlich findet man in los. 9, 15. 22, 30 überraschende Anklänge an den Bericht Childebrands (cont. Fred. Chron. 33; S. 182). Ähnliche mittelbare Nachwirkung des biblischen Sprachgebrauchs wären in ep. Bonif. 60; S. 124 und ep. 61; S. 125 zu vermuten. 15 ) Greg. Hist. Franc. S. 624 sub voce „princeps". le ) Ders. VII 36; S. 358. Dieses Zitat steht bezeichnenderweise (vgl. Anm. 14) in großer Nähe zu einem Bibelzitat aus los. 10, 21. Zum Verhältnis gerade dieses Buches zur „Staatssprache" aus der Zeit Karl Martells siehe unten Anm. 30 f. " ) Löwe, Bonifatius 315: „Im älteren Sprachgebrauch, aber auch in den merowingischen Königsurkunden des 8. Jahrhunderts begegnet das Wort in stilistischer Variante inhaltlich gleichbedeutend mit ,rex'." 18 ) Greg. Hist. Franc. X 2; S. 483. 19 ) Ewig, Königsgedanke 43 Anm. 162. Die Vita Remacli (MGH Script, rerum Merov. 5, 106), die die Wendung „piis principibus regni Francorum Sigeberto rege et Grimoaldo duce" gebraucht, wurde erst am Beginn des 9. Jahrhunderts verfaßt: Wattenbach-Levision 139. 20 ) Etwa Gesta Dagoberti regis Francorum 23; S. 408: „princeps atque rex Fran-

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V. Der fränkische Fürstentitel

Um die Mitte des 7. Jahrhunderts löst jedoch der Niedergang der merowingischen Königsmacht diese Einheit vorübergehend auf. Die Datierung der beiden Quellen, an denen man jenen Prozeß ablesen kann, ist heftig umstritten21). Aber auch dann, wenn man sich für die späteste der Datierungsmöglichkeiten entscheidet, würden die beiden Quellen noch das Jahr 744 erklären können, da sich unter den „omnes regni regis illius principes" einer erhebt, der dem König wie den Großen gegenüber beansprucht, der „princeps Francorum" zu sein. Markulfs Formular „carta de mundeburde regis et principes" ist der einzige Ort der Sammlung, wo „princeps" nicht den König meinen kann22). An dem Genetiv „regis et principes" ist auch keine Unterordnung des nichtköniglichen „princeps" unter den König abzulesen. Im Kontext des Formulars erfährt man die Stellung jenes „Amtsträgers"; er ist der technisch korrekt titulierte „inluster vir maior domus"23). Die wichtige Formularüberschrift wird noch in einen Zusatz zu Markulf aufgenommen, da Pippin bereits König ist. Der nun sprachlich gereinigte Wortlaut „regis et principis" tritt auch hier wieder auf. Während aber in der alten „carta de mundeburde" der König die Durchführung der „defensio" dem Hausmeier und „princeps" überläßt oder überlassen muß, entspricht der praktisch unveränderten Überschrift des neuen Schutzbrief-Formulars keine „Gewaltenteilung" mehr. Der „rex et princeps" ist nun wieder eine Person und spricht von „nostro mundeburdo vel defensione"24). „Daß der,princeps' der Titel 73 § 1 und 79 (der Lex Ribvaria) ebenfalls der Hausmeier ist, halte ich zwar nicht für sicher, aber doch für höchstwahrscheinlich. Daß auch diese Amtsbezeichnung nicht vor 643 in Frage kam, dürfte feststehen; sie läßt sich jedoch auch für die Hausmeier nach Grimoald I. belegen, liefert also an sich nur einen terminus a quo."25) Gegenüber dieser vermutlich so frühen Verwendung von „princeps" in einem offiziellen Text bleibt, was sonst nicht üblich ist, die literarische Bezeichnung zurück. Das mag mit der Dürftigkeit der zeitgenössischen Historiographie zusammenhängen; Fredegar nannte jedenfalls noch keinen fränkischen Hausmeier so. Hingegen spricht die Vita sanctae Bathildis, deren Fassung Α wohl noch dem 7. Jahrhundert angehört, vom neustrischen Hausmeier Erchinoald (641—657) als einem „princeps Francorum virque

21

22

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corum." Die Quelle stammt aus dem 9. Jahrhundert: Wattenbach-Levison 113. Siehe auch Anm. 24. Gemeint sind die Formulae Marculfi und die Lex Ribvaria; vgl. Buchner, Rechtsquellen 22 ff. Eckhardt, Lex Ribvaria 101 ff., bes. 111. Formulae S. 769 sub voce „princeps"; für die Form. Marc, treffen nur die Verweise zu, die zwischen S. 44 und S. 86 genannt sind. Form. Marc. I 24; S. 58. Diese Stelle ist im Register (wie Anm. 22) nicht erwähnt. Add. Form. Marc. 2; S. 111. Die frühesten Muntbriefe der Karolinger sind ep. Bonif. 22; S. 37 (a. 723) und Brandl, Reichenauer Urkundenfälschungen 101; vgl. Mayer, Die Anfänge der Reichenau 313 ff. Sie wurden beide schon von Karl Martell ausgestellt. Eckhardt (wie Anm. 21) 111.

3. Princeps als Bezeichnung des arnulfingischen Hausmeiers

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inluster". Mag auch „Francorum" in diesem Zusammenhang eher die Zugehörigkeit Erchinoalds zum Frankenstamme ausdrücken — Bathildis war eine angelsächsische Sklavin, die Erchinoald nach der Vita freundlich aufnahm —, als die ethnische Bereichsbezeichnung eines tatsächlich geführten Titels widerspiegeln, so kann doch „princeps", das später noch mehrmals gebraucht wird, durchaus als korrekte zeitgenössische Fremdaussage gewertet werden28). Als erster Arnulfinger wird Pippin II. „princeps" genannt, und zwar im Liber historiae Francorum, der 726 auf 727 entstanden ist 27 ). Die Terminologie des Liber übernahmen die Fortsetzer des „Fredegar", deren erster gegen 736 zu schreiben begann. Besonders aber die beiden Fassungen, die auf Veranlassung von Karl Martells Bruder Childebrand und dessen Sohn Nibelung geschrieben wurden, können als Ausdruck der offiziellen Politik und ihrer „Staatssprache" gelten 28 ). Der Begriff „princeps" besitzt in ihrem Munde besonderes Gewicht, wenn er ausschließlich auf Bruder und Neffen Anwendung findet und die einzige „Ausnahme" dann auftritt, wenn die „subiectio principum" anläßlich der Königserhebung Pippins geschildert wird. Diese „principes" stellen jedoch keine sachliche Mehrzahl des einen „princeps" dar29). Diesem Vorstellungsbereich ordnet Eugen Ewig mit guten Gründen die „missa pro principe" ein, die demnach nicht den Merowingerkönig, sondern den tatsächlich „Ersten der Franken", den arnulfingischen Hausmeier, betraf 30 ). Die Entstehung der „missa" dürfte, wenn man bedenkt, daß die Bezeichnung „princeps" erst für Karl Martell wirklich allgemein wird, auch in dessen Epoche fallen. Den besonderen Anlaß dafür könnte der „Heidensieg" des Jahres 732 geboten haben, der „Y^F'-weites" Aufsehen erregte31). 2e

) Ders. 60. Wattenbach-Levison 128. Hingegen sind die von Eckhardt 61 f. angeführten Stellen, die den allgemeinen Gebrauch von „princeps" als Bezeichnung der Hausmeier belegen sollen, nicht stichhaltig, weil sie fast alle aus späterer Zeit stammen. Die Vita Filiberti, die Ebroin als „princeps" versteht, wurde nach 750 verfaßt (Wattenbach-Levison 138). Die Vita Ansberti (um 800), die Annales Mettenses priores (um 800) sind in viel späterer Zeit entstanden und können daher nicht den Sprachgebrauch vor dem Jahre 751 belegen: Wattenbach-Levison 139 und 260. Einzig und allein die Vita Audoini dürfte noch im 7. Jahrhundert geschrieben worden sein (Wattenbach-Levison 128); sie gebraucht den Ausdruck „principes palatii". Zur Bedeutungsverschiedenheit von „princeps" und „principes" siehe Werner, Entstehung des Fürstentums. ") Lib. hist. Franc, c. 48—50; S. 322 ff. Zur Datierung vgl. Wattenbach-Levison 114 ff. 2S ) Ewig, Königsgedanke 42 f. »») Ders. 43 Anm. 162. Fred. cont. 33; S. 182. Vgl. Anm. 26 (Werner). 30 ) Ewig 44 f. 31 ) A. a. O.: „Der Kreis der Betrachtungen schließt sich, wenn wir an die Missa pro principe des Missales von Bobbio erinnern, die den Heidenkampf durch die Paradigmen Abrahams, des Moses und Davids erläutert und bei Josue gerade auf den Fall von Jericho hinweist."

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V. Der fränkische Fürstentitel

4. Die Bedeutung des Kapitularien-Titels von 742/44 „Ego dux Ν. et princeps Francorum" stand in einem auffallend großen formalen wie materiellen Gegensatz zum urkundlichen Hausmeiertitel. Die Synoden, die 742 und 744 für die beiden Reichsteile Austrasien und Neustrien abgehalten wurden, dienten der Reform der fränkischen Kirche und damit unmittelbar einem Personenkreis, der sich in den Augen des fränkischen Episkopats aus Fremden zusammensetzte1). Für ein Reichskonzil unter Führung eines Hausmeiers und Beteiligung von Laien existierten im Frankenreich weder Traditio noch Exemplum. War die Abhaltung einer solchen Reichsversammlung in kirchlichen Angelegenheiten an sich schon eine Art von „Revolution", die sich angelsächsischen Königsbrauch zum Vorbild nehmen mußte, so stieß die Selbstaussage des Titels erst recht in theoretisch-politisches Neuland vor. Bonifatius wird unter den Bischöfen, die am Concilium Germanicum teilnahmen, an hervorragender Stelle genannt 2 ). Seine Anwesenheit in Soissons ist nicht belegbar, aber auch nicht ausgeschlossen3). In seinem Briefwechsel mit den Päpsten vor und nach 742 treten seit 739 immer wieder die Elemente der Intitulatio von 742/44 auf, wobei „princeps Francorum" den „dux Francorum" mehr und mehr überflügelt4). Ende Oktober 745, also schon nach Soissons, sprach Zacharias von Pippin und Karlmann als den „principes" der „universi episcopi, presbiteri, diacones, abbates, cuncti etiam duces, comites omnesque Deum timentes per Gallias et Francorum provincias constituti" 6 ). Mochte man auf kirchlicher Seite zunächst noch „den legitimistischen Auffassungen zugänglich gewesen sein"6) und dem Begriff „princeps" eine „Wendung gegeben haben, die die Tendenz" zur Manifestation der karolingischen Königsgleichheit „deutlich abbog" 7 ), so muß sich diese Haltung nach 742 doch rasch geändert haben. Erstens spricht dafür die „staatsrechtliche" Terminologie; „princeps" und „princeps Francorum" werden zwar nicht zur offiziellen Adresse päpstlicher Dokumente 8 ). Aber dem einfachen „inluster vir N. maior domus" der karolingischen Selbstaussage steht in der direkten Anrede „domino excellen') Vgl. Schleifer, Bonifatius 233. Zur Datierung der Synoden vgl. Anm. 3. ') Concil. 2, 1 η. 1; S. 2. 3 ) Die Annahme Schieffers, Bonifatius 215 f., Bonifatius könne in Soissons 744 nicht dabei gewesen sein, da gleichzeitig das für ihn wichtigere austrasische Konzil von Les Estinnes stattfand, beruht auf Schieffers Versuch, beide Synoden Karlmanns ein Jahr später anzusetzen. Löwe, Bonifatius 303 ff., widerlegte jedoch diese Datierung, so daß Bonifatius aus zeitlichen Gründen sehr wohl in Soissons anwesend gewesen sein konnte, zumal die übergenaue Datierung der dort gefaßten Beschlüsse „Formalien" darstellt, die „wieder den angelsächsischen Einfluß greifbar" werden lassen: Schieffer, Bonifatius 215. ') Ep. Bonif. S. 292 sub voce „Karlmann". ») Ep. Bonif. 61; S. 125. Vgl. Löwe, Bonifatius 297. ·) Löwe 295. ') Ders. 297. ·) In diesem Punkt muß man Löwe a.a.O. 297 Anm. 112 f. uneingeschränkt zustimmen.

4. Die Bedeutung des Kapitularien-Titels von 742/44

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tissimo atque christianissimo Pippino maiori domus" gegenüber9), während Zacharias an Bonifatius über den Hausmeier als den „Pippinum excellentissimum maiorem domus gentis Francorum" schreibt10). Im letzten bekannten Prolog zu den Novellen Liutprands nannte sich der König selbst „excellentissimus, christianus et catholicus"11). Die Nähe dieser Selbstaussage zur Adresse im Papstbrief an Pippin ist offensichtlich. Eine glatte Parallelbildung, in der, soweit möglich, jedes Wort dem andern gleicht, liegt hingegen in der zuletzt genannten Fremdaussage über Pippin vor: Der nahezu unveränderliche Kern des gentilen Titels der Langobardenkönige lautete ,,N. excellentissimus rex gentis Langobardorum"12). Die Formel „Pippinus excellentissimus maior domus gentis Francorum" läßt in der Gegenüberstellung dazu jedes Wort überflüssig werden. „Circa haectempora" —nämlich nach Ausbruch des Interregnum von 737 —„Carolus princeps Francorum Pipinum suum filium ad Liutprandum direxit, ut eius iuxta morem capillum susciperet. Qui eius caesariem incidens, ei pater effectus est multisque eum ditatum regiis muneribus genitori remisit." Mit diesen Worten qualifizierte Paulus Diaconus den Hausmeiersohn Pippin als einen Königssohn im theoretisch-politischen Sinn13). Die päpstliche Politik wird davon genauso Kenntnis gehabt haben wie Bonifatius selbst, dessen Kontakt mit König Liutprand nachweisbar sehr gut war14). Und hat nicht König Ratchis im Jahre 746 vielleicht doch versucht, mit einer Princeps-Intitulatio, die unter den langobardischen Königstiteln ein Unikum bleibt, die Herausforderung abzuwehren, die der Titel „dux et princeps Francorum" für die langobardische Königspolitik darstellte?15) Man kann aber auch noch einen zweiten Grund nennen, der es wahrscheinlich macht, daß die kirchliche Politik, verkörpert durch den Papst und seinen Legaten, ihr anfängliches Zögern aufgab, den Aufstieg der beiden karolingischen Brüder Karlmann und Pippin zum königsgleichen Prinzipat der Franken anzuerkennen16). Diesen Grund sehe ich darin, daß die vom ») ") n ) ") ")

Cod. Carol. 3; Löwe 297 Anm. 113. Ep. Bonif. 77; S. 160. Beyerle, Gesetze der Langobarden 312. Siehe oben 90 ff. Paul. Diac. Hist. Langob. VI 53; S. 237, Löwe, Bonifatius 294 Anm. 101. Schleifer, Bonifatius 126. ") Schieffer, Bonifatius 114: „Ohne Zweifel sehr bald nach jenem 15. Mai 719 trat Bonifatius von Born aus die Reise nach Norden an. Dabei kam er mit der Langobardenwelt in Berührung: bei dem König Liudprand, der ihn freundlich empfing (wohl in der Hauptstadt Pavia), macht er kurze Rast und tauschte mit ihm Geschenke aus." Dieser Austausch der Geschenke (vgl. Anm. 13 und im Obertext) qualifiziert Bonifatius sehr wohl auch als politisch Handlungsberechtigten. ") Siehe oben 104 ff. ") Löwe, Bonifatius 294 ff., zeigt sehr anschaulich, daß Bonifatius gegenüber Karlmann und Pippin in doppelter Hinsicht in Schwierigkeiten geriet. Einmal weil er wie auch der Papst den „Rechtsstandpunkt" der adeligen Opposition um Gotfrid und Odilo anerkannte, zum andern weil er auch die Berechtigung der Ansprüche Grifos gebilligt haben dürfte. Wenn Zacharias aber bereits am 5. November 744 seinen Legaten für Bayern wieder einsetzte und dessen Auftrag auf ganz Gallien

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V. Der fränkische Fürstentitel

Papst und von Bonifatius eifrig gewünschte Reform der fränkischen Reichs kirche17) zu ihrer Verwirklichung einen durchschlagskräftigen „princeps Francorum" brauchte. Wie sehr Bonifatius auf das „patrocinium principis Francorum" angewiesen war, hörte Zacharias immer wieder von ihm 18 ). Daß die Mißstände, die unter den „praeteriti principes" eingerissen waren, der „dux et princeps Francorum" beheben konnte, sagen die Träger dieses Titels selbst19). Die Intitulatio, wie sie im Concilium Germanicum erstmalig formuliert wurde, bedeutet daher die Annäherung an den fränkischen Königstitel, die nicht zuletzt durch eine außenpolitische Aufwertung der Hausmeier seit 739/40, da Gregor III. um Hilfe gegen die Langobarden bat20), möglich wurde. Im Gefolge davon stand die Anerkennung der Hausmeier als „principes" einer ganzen „gens"; die Anerkennung drückte man dadurch aus, daß man Begriffe wählte, die der Sphäre des Königtums angehörten, ohne die Funktion „rex" zu erwähnen. Als „Sohn" König Liutprands war Pippin ohnehin schon in jene Sphäre aufgenommen worden. Selbstverständlich bedeutete der Königstitel der Merowinger das Vorbild, das es zu erreichen galt. Die Analyse der neustrischen Synodalakten zeigte allein schon an diesem Dokument, daß eine solche Tendenz bestand21). Auch formal gleicht der fränkische Fürstentitel der merowingischen Intitulatio, da er wie sie keinen Rangtitel kennt. Zum dritten stellen sich Karlmann und Pippin in derselben Dialektik von Eintracht und Ausschließlichkeit als „dux et princeps Francorum" dar, wie vor ihnen jeder merowingische Teilkönig ein ,,rex Francorum" war22).

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ausdehnte, dann kann Bonifatius keine „persona ingrata" gewesen sein, wogegen ja auch seine Anwesenheit am Concilium Germanicum 742 spricht. (Löwe, Bonifatius 328). Ders. 325 nimmt auch die ungeschickte politische Haltung des Bonifatius nur f ü r die Zeit bis 740 an, worin man völlig zustimmen muß. Damit im Widerspruch finde ich jedoch den Satz — Löwe, Bonifatius 302 — : „Die öffentliche Salbung durch den päpstlichen Legaten (nämlich 751), der noch 742 den Rechtsstandpunkt gegen die herrschenden Karolinger gewahrt hatte, . . ." Bonifatius h a t vielleicht wirklich irgendeinen Fehler wieder gut machen müssen. Dieser muß ihm aber vor 742 unterlaufen sein. Denn damals war Bonifatius unter denen, die für die Formulierung der Akten des Concilium Germanicum wie seiner politisch bedeutsamen Formeln und der Intitulatio „dux et princeps Francorum" verantwortlich zu machen sind. Vgl. die päpstliche Interpretation in ep. Bonif. 61; S. 125: „. . . quod, dum sinodus aggregata esset, in provincia vestra iuxta nostram commonitionem mediantibus (vgl. Concil. Galliae 2, 313) filis nostris Pippino et Carlomanno principibus vestris, peragente etiam vice nostra predicto Bonifatio." Dazu vgl. Löwe, Bonifatius 326. Epp. Bonif. 50; S. 82 f. 63; S. 130: „Sine patrocinio principis Francorum nec populum ecclesiae regere nec presbiteros vel clericos, monachos vel ancillas Dei defendere possum nec ipsos paganorum ritus et sacrilega idolorum in Germania sine illius mandate et timore prohibere valeo . . . Timeo magis damnum de predicatione, quam populis inpendere debeo, si ad principem Francorum non venero. 20 Siehe oben 139 Anm. 17. ) Schieffer, VVinfrid-Bonifatius 126. Siehe oben 137 ff. Classen I I 39; vgl. etwa Fred. IV 1; S. 124: „Gunthrammus rex Francorum cum iam anno 23. Burgundiae regnum bonitate plenus feliciter r e g e b a t . . ."

4. Die Bedeutung des Kapitularien-Titels von 742/44

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„Princeps" war zunächst eine Rangbezeichnung; wie der fränkische Sprachgebrauch von 742/44 und die Intitulatio des Königs Ratchis von 746 lehren, meint aber das Wort in bezug auf „rex" und „dux" eine Funktion: die Herrschaft des „Ersten" einer „gens", mag diese nun genannt werden oder nicht. „Dux" war immer eine Funktionsbezeichnung. In Verbindung mit „princeps" und dem Frankennamen ist daraus aber ein echter Funktionstitel geworden, der einen Herrschaftsanspruch verkündet. Innerhalb des Frankenreiches bildet „dux Francorum" das älteste Beispiel für die Intitulatio eines „Stammesherzogs", der in diesem Falle allerdings den „ducatus totius regni" 23 ) beherrscht. Die unbeschränkte Zuständigkeitserklärung des „dux Francorum" wird durch „princeps Francorum" noch verdeutlicht und zugleich abgesichert. Wenn ihn die „comites et obtimates Francorum" anerkennen, dann haben sie den karolingischen Hausmeier als den Herrscher anerkannt, der nun ohne zeitliche oder räumliche Beschränkung seiner „Amtsgewalt" — „ducatus" 24 ) — kraft seiner Stellung — „principatus" 25 ) — alle Franken regiert und ihnen daher auch bindend ein Reichsgesetz verkünden kann. Die Intitulatio der beiden Kapitularien legte alle politisch wirksamen Tendenzen fest, die auf die Erhebung der Karolinger zur neuen Königssippe abzielten 26 ). Auf dem Weg dorthin sind sie aber die einzigen Zeugnisse einer Selbstaussage der Hauptpersonen dieser Entwicklung geblieben. „Ego N. dux et princeps Francorum" offenbart die karolingische Politik der letzten Dekade vor der Königsherrschaft, die die urkundlichen Titel eher verbergen als aussprechen. '·) Siehe oben 138 Anm. 26. ) Siehe oben 139 Anm. 11 und 146. ") Vgl. Schlesinger, Heerkönigtum 128: „Noch der Gebrauch im Heliand, wo Pilatus der heritogo ist, zielt deutlich auf eine befristete Amtsgewalt, auf Statthalterschaft, ..". Gerade aber in diesem Punkt unterscheidet sich der „ducatus" des „dux et princeps Francorum". 2 ') Vgl. Werner, Bedeutende Adelsfamilien 121: „In wenigen Generationen haben sie alle denkbaren Stufen adligen Aufstiegs durchlaufen (nämlich die Karolinger), dann einen zunächst austrasischen, endlich den ganzen Reichskern (aber nur diesen) umfassenden Prinzipat errichtet, d. h. eine erbliche, nichtkönigliche Herrschaft über die Franken." 24

VI. DIE TITEL DES BAYERISCHEN STAMMESHERZOGS

Frage I und Frage II, nämlich die nach dem Wortlaut des Titels und die nach seiner Genesis, beantwortet weitgehend eine jüngst erschienene Studie, die Heinrich Fichtenau den Urkunden Tassilos III. gewidmet hat 1 ). Sie überliefern die einzigen Fürstentitel 2 ), die v o n einem nichtkarolingischen Franken — trotz seiner karolingischen Mutter wird man Tassilo als solchen verstehen — aus der Zeit vor 800 erhalten blieben 3 ). E s ist zumindest denkbar, daß seine Titel Typen verkörpern, die auch die aquitanischen „principes" gebrauchten 4 ). U n d zwar vor 768, da Pippin der Selbständigkeit und Einheit *) Heinrich Fichtenau, Die Urkunden Herzog Tassilos I I I . 1 ff. ) A. a. 0 . 2: Von den Resten „einer vollgültigen Carta . . . , die, wenn nicht alles täuscht, von Herzog Odilo ausgestellt wurde" blieb die Intitulatio formal nicht erhalten. Zu dieser Carta siehe jedoch unten 163 ff. Als echten Fürsten-Titel verstehe ich einen nichtköniglichen Titel, der mit einer ethnischen oder auch territorialen Bereichsbezeichnung verbunden oder einem Königstitel nachgebildet wird, der dem „universalen" Typus folgt; vgl. oben 136. 3 ) Der Kapitularien-Titel Karlmanns und Pippins von 742/44 ist selbstverständlich auch ein echter Fürstentitel, den die beiden nichtköniglichen Karolinger in Konkurrenz zum Königstitel führten. Siehe oben 152 ff. Um 900 kamen sowohl in Burgund und Aquitanien (Dhondt, La naissance des principautes 163 und 217. Siehe künftig Werner, Fürstentum), als auch in Bayern (Bosl, Das bayerische Stammesherzogtum 5) echte Fürstentitel wieder auf, die formal sehr stark dem tassilonischen Typus gleichen. Zur Frage, ob sich die Fürstentitel um 900 vom Titel des bayerischen Princeps-Dux unterscheiden, siehe Werner a. a. 0 . 4 ) In Anschluß an Ewig, Teilreiche 131 ff., bezeichnet man heute die spätmerowingischen Herzöge Aquitaniens allgemein als „principes". Eine solche Terminologie gründet jedoch weder auf zeitgenössischen diplomatischen Quellen, weil es solche nicht gibt, noch auf einer wenigstens annähernd gleichzeitigen literarischen Tradition. Julian von Toledo, ein Zeitgenosse jenes Lupus, der 673 als Herr der Kernlande des späteren Aquitaniens erwähnt wird, nennt diesen Machthaber schlicht und einfach „dux", also mit dem höchsten „Titel" eines fränkischen „Amtsträgers". Der anonyme Verfasser der älteren Fassung (composee vraisemblablement aux environs de 800 — Vies des Saints 6, 518) der Miracula s. Martialis läßt hingegen diesen Lupus von den Seinen zum „princeps" erhoben werden. Damit überträgt er aber den Sprachgebrauch seiner Zeit, da man die nichtköniglichen, aber wie Könige herrschenden Machthaber des spätmerowingischen Reiches allgemein als „principes" verstand (Vgl.oben 150ff., die Verwendung von „princeps" in fränkischen Quellen), auf die politische Situation des 7. Jahrhunderts. Zwischen der Terminologie des späten 8. und beginnenden 9. Jahrhunderts, die, bedenkt man Annal. regni Franc, aa. 742, 760, nicht unbedingt (vgl. hingegen cont. Fred. 135; S. 192) die von um 750 gewesen sein muß, liegt etwa noch die Princeps2

Aquitanien und Bayern

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dieses „sekundären" 5 ) Stammesherzogtums ein Ende zu bereiten suchte 6 ). Die im einzelnen natürlich stark voneinander abweichende Geschichte Aquitaniens und Bayerns hindert jedoch nicht, die theoretische Politik der beiden Länder miteinander zu vergleichen. Sie bildeten innerhalb des Frankenreiches zwei politische Einheiten, Regna, die eine unmittelbar auf R o m zurückgehende kirchliche Organisation festigte. I n — nicht selten gemeinsamen — Aktionen gegen die Karolinger und deren „regnum" erhielten Aquitanier und Bayern nicht nur ihre Selbständigkeit, sondern auch ihre „nationalen Dynastien" bis über das Schicksalsjahr 751/52 hinweg. Der Herr Aquitaniens wie der diplomatisch bezeugte „dux Bauuariorum" sind die letzten der fränkischen „duces (qui) noluerunt obtemperare ducibus Franchorum eo quod non potuerint regibus Meroveis servire sicut antea soliti erant". Als die Unabhängigkeitsbestrebungen Waifars wie Tassilos zu deren Niederlage führten, bedeutete diese jedoch auf die Dauer gesehen nicht den Untergang ihrer „Stämme", die erstaunlich rasch wieder als „regna" des „regnum Francorum" erstanden, diesmal jedoch unter Führung karolingischer Unterkönige 7 ). Titulatur Eudos von Aquitanien in einem Abschnitt des Liber ponitificalis, der ungefähr 742/43 geschrieben wurde (siehe Löwe, Bonifatius und die bayerischfränkische Spannung 297 Anm. 112). Dazu siehe auch Ewig, Volkstum und Volksbewußtsein 599 ff., wo Ewig die Chronologie der Quellen vorlegt. So stammen die a. a. 0 . 600 Anm. 41 zitierten literarischen Princeps-Titulaturen aquitanischer „duces" alle schon aus karolingischer Zeit. 5 ) Ewig, Volkstum und Volksbewußtsein 599 f.: „Der Großdukat Toulouse, den man im Lande selbst vielleicht (von mir hervorgehoben; vgl. Anm. 4) schon als Prinzipat bezeichnete, dehnte sich im späten 7. und frühen 8. Jahrhundert über den gesamten Raum der römischen Provinzen Aquitania I und I I aus. Diese Expansion begann unter Herzog Lupus in den Wirren, die der Sturz Ebroins 673 hervorrief. Das neue politische Gebilde, das den alten Namen Aquitanien annahm, war nach Anlage und Anspruch von vornherein kein Herzogtum alter Art." ·) BM2 104t ff. Siehe besonders Ann. regni Franc, a. 768. ') Steinbach, Das Frankenreich 48 f., 59 (mit dem Hinweis auf die zeitliche Verschiebung der Entwicklung: Aquitanien wurde 768 zwischen den Erben Pippins geteilt, Bayern nicht; 741 blieben noch beide politische Einheiten von einer Erbteilung ausgeschlossen), 63. Sicher darf man Annales regni Franc, a. 769 (Handschriftengruppe E, vgl. Rau S. 3): „Nam Hunoldus (Vater des toten Waifars) quidam regnum adfectans provincialium animos ad nova molienda concitavit" im technischen Sinne als Königreich deuten (P^auS. 25 hat hingegen „Herrschaft"). Aus der Sicht des 8. Jahrhunderts war Aquitanien ein „regnum", das jedoch den Karolingern und nicht dem Repräsentanten der „provinciales" zustand. Die ältere Arbeit von Eiten, Unterkönigtum im Reiche der Merowinger und Karolinger 18 ff. und 59 ff., ist bezüglich der Wertung der brav geschilderten Ereignisse und ausgezogenen Quellen durch Werner, Bedeutende Adelsfamilien 123 f., zu korrigieren. Über die im Lande selbst angenommene Gleichwertigkeit des bayerischen Dukats mit den großen „regna" und Herrschaftsaufträgen der Karolinger kann vielleicht die Passauer Datierungsformel von 788/89 Auskunft geben, die „regnante domno Karolo rege Francorum atque Langobardorum et patricio Romanorum in primo anno quando adquesivit gentem Baiuuariorum" lautet. Ohne einen Zusammenhang zu dieser Bemerkung behaupten zu wollen, sei jedoch darauf hingewiesen, daß cont. Fred. 136; S. 192 „rex Pippinus iam totam Aqui-

158

VI. Die Titel des bayerischen Stammeeherzogs

Mit der zunehmenden Auflösung des „regnum Francorum" zu Beginn des 10. Jahrhunderts tritt dann sowohl in Aquitanien wie in Bayern fast gleichzeitig der Titeltypus auf, den bereite Tassilo geformt hat8). Wegen der auffallend ähnlichen politischen Theorie dieser beiden staatlichen Ordnungen darf vielleicht per analogiam auch auf die Form der verlorenen diplomatischen Selbstaussagen der Aquitanierherzöge vor 768 geschlossen werden, und zwar selbstverständlich ausgehend vom alten bayerischen Herzogstitel. „Aus den ersten anderthalb Jahrhunderten der agilolfingischen Herrschaft ist kein Zeugnis über Ausstellung von Urkunden überliefert; erst mit der vorletzten Generation, unter Herzog Odilo, beginnen Nachrichten von Güterschenkungen an kirchliche Institutionen, die eine Grundlage in Urkunden des Herzogs haben dürften."9) Aber auch aus den rund vierzig Regierungsj ahren Tassilos blieben nur sieben Cartae und ein Mandat erhalten10). Doch ist „kein einziges Original vorhanden, und keine einzige Abschrift dürfte unverstümmelt oder unverändert auf uns gekommen sein"11). Daher scheint auch die „Frage nach den Bräuchen seiner ,Kanzlei' kaum befriedigend zu beantworten, vor allem dann, wenn es von vornherein klar ist, daß die vorliegenden Diktate völlig im Rahmen und in der Art des bairischen Urkundenwesens verbleiben"18). Muß Fichtenau den Zustand der Überlieferung auf diese Weise beschreiben und kann er von einer Kanzlei als zentraler Behörde und Instrument der herzoglichen Politik nur unter Anführungszeichen sprechen13), so wirkt es auch nicht sonderbar, daß von den acht Intitulationes M) Tassilos keine der anderen völlig gleicht15). Ein solcher Formenreichtum mag es vielleicht nahelegen, die überlieferten Titel als Fremdaussagen anzusehen und in ihnen jedenfalls keinen Niederschlag einer bayerischen Herzogspolitik zu sehen. Oder man denkt überhaupt daran, der Tradition wegen ihres schlechten Erhaltungszustandes die Echtheit abzusprechen. An solchen Betrachtungsweisen kann man jedoch nur dann festhalten, wenn man Gefallen an einer Skepsis findet, die keine Aussage einer nur kopial überlieferten Urkunde gelten läßt. Die diplomatischen Selbstaussagen Tassilos sind nämlich, trotz ihrer Vielfalt, nach bestimmten Systemen und deren Entwicklungsschichten geordnet. Die Titel stellen im Grunde nur formale Variationen über zwei ein-

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taniam adquesitam" für die Unterwerfung Aquitaniens derselbe Ausdruck verwendet wurde. Die Karolinger mußten die Außenbezirke dee spätmerowingischen Reiches erst „erwerben", sie besaßen sie trotz DKar. 162 von 788 — „ducatus Baioarie ex regno noatro Francorum" (vgl. Löwe, Reichsgründung und der Südosten 40 Anm. I i i ) — nicht eo ipso als Rechtsnachfolger der Merowinger. Dhondt, Werner und Bosl wie Anm. 3. ') Fichtenau, Urkunden Tassilos 1 f. A. a. O. 6 und 5 Anm. 24. ») Wie Anm. 9. Fichtenau β. ») Fichtenau 10 ff. Diesen Bestand an diplomatischen Selbstaussagen kann man noch durch vier gleichlautende Confirmationes Tassilos aus Freisinger Urkunden ergänzen: Bitterauf 1, 29 n. 2. 31 n. 5. 37 n. 10. 43 n. 15. Fichtenau (wie Anm. 9) 7 Anm. 36 und 6 Anm. 24.

Urkunden und „Kanzlei" des bayerischen Herzogs

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deutig festgelegte Typen dar, von denen der zweite, wenn man will, noch aufgegliedert werden kann. Die Formen der tassilonischen Intitulatio fügen sich dem „herzoglichen Formular", das Fichtenau mit aller Vorsicht erarbeitete1·), ein und stehen daher in der Tradition der bayerischen Carta17). M

) Fichtenau 15 ff., bes. 18 f. " ) Zum Verhältnis der bayerischen zur fränkischen Carta siehe Heinrich Brunner, Zur Rechtsgeschichte der römischen und germanischen Urkunde 248: „Zeigen auch gerade die ältesten bairischen Urkunden — abgesehen von einem unten zu erörternden Fragment (Brunner meint das berühmte Rottachgau-Fragment) — das deutliche Gepräge der fränkischen, so treten doch in zahlreichen Urkunden der agilolfingischen und der karolingischen Zeit gewisse Besonderheiten hervor, welche theilweise auf das römische Urkundenwesen Rhätiens und Noricums zurückzugehen scheinen." In diesem Sinne wird wohl auch Heinrich Koller, Der Donauraum zwischen Linz und AVien 27 (vgl. Fichtenau 3 Anm. 16) zu verstehen sein, wenn er es für möglich hält, „daß Rupert ein einfaches Urkundenweaen, dae von den Romanen bei Salzburg tradiert wurde, vorfand und übernahm". Auch Fichtenau 18 f. sagt: „Das herzogliche Formular der Zeit Tassilos bildet den Schlußpunkt einer Entwicklung, die schon einige Zeit früher begonnen haben dürfte und die ihre Anregungen nicht aus Königs- oder Herzogsurkunden anderer Länder (sc. der Franken und Langobarden), sondern aus der Privaturkunde empfing." Alle diese Einsichten beziehen sich, wie etwa Fichtenau 19 Anm. 111 erkennen läßt, nicht auf die Intitulatio, aber wohl auch nicht auf die diplomatischen Fremdaussagen der bayerischen Herzogs- und Privaturkunde. Hier fanden politische Theorien ihren Niederschlag, die weder ein „einfaches Urkundenwesen" selbständig aus der Antike hätte tradieren noch die sich unabhängig von der fränkischen wie langobardischen Staatssprache hätten entwickeln und behaupten können. Bis zum Beweis des Gegenteils wird man auch die Intitulatio „vir clarissimus" des „Grafen" Machelm nicht als Beleg einer autochthonen bayerischen Tradition des antiken Rangsystems werten dürfen. Antik ist die Zusammenstellung des fränkischen (vgl. Prinz, Herzog und Adel 253) „comes" und „vir clarissimus" jedenfalls nicht: Koch, Beamtentitel 18: „Schon ein Edikt des Kaisers Honorius und Theodosius aus dem Jahre 413 verleiht den Clarissimat an subalterne Bureaubeamten." Andrerseits legen Vergleiche mit der Verwendung von „clarissimus" im Frankenreich des frühen 8. Jahrhunderts (vgl. UB Echternach n. 8; S. 29) den Schluß nahe, darin so etwas wie eine Variation zu „inluster" zu sehen. Auch könnte man eine Salzburger Tradition (UB Salzburg 1, 42; vgl. 941): „Machel et frater eius Venil illustres viri" wenn schon nicht mit der Person Machelms, so doch mit Personen aus seiner Umgebung und Umwelt in Verbindung bringen. Zu Machelm siehe E. Trinks, Wels im Jahre 776, 30 f., der eine genaue Aufstellung des erhaltenen Materials bietet und auch in unserem Sinne sehr vorsichtig wertet. Eine Schäftlarner Urkunde von 782 nennt Tassilo den „princeps clarissimus "(Fichtenau, Urkunden Tassilos 24), was wieder beweist, wie wenig genau dieses Rangprädikat festgelegt war; die gewöhnliche Beifügung für „princeps" war „summus". Siehe unten Anm. 122 und 138. Mindestens ebenso wie der „vir clarissimus" und „comes" Machelm — beide Titelformen treten nie miteinander auf — beschäftigte die Forschung eine objektiv abgefaßte Tauschurkunde (zu dieser Form der Carta siehe H. Brunner, Zur Rechtsgeschichte 211), die ein Rechtsgeschäft zwischen dem Regensburger Bischof Baturich und dem „vir inluster Maurentius", offensichtlich einem hochfreien Romanen, vollzog: siehe zuletzt Hans Dachs, Römerkastelle und Herzogs- und Königsgut an der Donau 67. Das Dokument stammt aus der Zeit zwischen 826 und 840. Seine Aussage scheint jedoch bestenfalls für eine gewisse Affinität zwischen den romanischen Bevölkerungeresten Bayerns und dem „römischen" Titelwesen zu sprechen, das die Franken aber ursprünglicher bewahrten. Denn, wie noch zu zeigen sein wird, sind die

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VI. Die Titel des bayerischen Stammesherzogs

Diese wurde v o n zwei einander überschichtenden und miteinander verschmelzenden Uberlieferungasträngen gebildet, die einerseits aus dem fränkischen Bayern, andrerseits aus dem italischen Langobardenreich stammen. Dazu k o m m t noch, daß der karolingische Königstitel des Jahres 752 ein neues Vorbild schafft und so den angedeuteten dritten Titeltypus motiviert. Die Titel Tassilos III., die vor seiner selbständigen Regierung diktiert wurden, haben die Großen aus der Umgebung der Herzoginwitwe im Sinne der Tradition ausgesprochen. Später setzen diese Selbstaussagen, gleichgültig in welcher Form sie auftreten, die persönliche Zustimmung des Herzogs voraus 1 8 ). Auch lassen die verschiedenen Titeltypen erkennen, daß sie jeweils einem bestimmten „Publikum" galten und doch sehr viel gemeinsam haben 1 9 ). Die Intitulatio und Subscriptio Tassilos kann man daher als einwandfreie Selbstaussagen werten, die v o n den Trägern einer bayerischen Herzogspolitik stammen 2 0 ). älteren bayerischen Herzogsprädikate, morphologisch gesehen, höheren Ranges als die späteren, die unter fränkischem Einfluß gebildet wurden (siehe unten 169 ff.). An der Spitze des erstarrten „römischen" Titelwesens der Franken steht nämlich „vir inluster". Wie lange es sich dort hält, zeigt nicht zuletzt jenes Wahlversprechen Ludwigs des Stammlers von 877 — überliefert von den Annal. Bertiniani a. 877 (Rau 2, 258) —, wo die „illustres viri" den „rei publicae administratores" ganz so wie in der Merowingerzeit (siehe oben 141 ff.) gleichgesetzt werden. " ) Die Geschichte Tassilos liest man immer noch am besten bei Löwe, Reichsgründung und der Südosten 16 ff., nach. Man könnte an dieser ausgezeichneten Darstellung des zum Zeitpunkt der Veröffentlichung noch sehr jungen Gelehrten nur die Wertung der Stellung Tassilos vielleicht ein wenig korrigieren. Auch noch in späteren Arbeiten findet man die Meinung vertreten, die nahezu absolute Präponderanz der Karolinger in Bayern sei seit 743, vielleicht nur mit Ausnahme der beginnenden Siebzigerjahre, eine bewiesene Tatsache gewesen, wogegen Tassilo oder sein Vater mit mehr oder weniger Erfolg „rebellierten" (vgl. Ders., Arbeo 93 f.). Dagegen stehen doch Zeugnisse eines „Franken" wie Arbeos selbst, die unter Tassilo verfaßt wurden und die Stellung der bayerischen Herzöge ganz anders beschrieben, mögen diese auch der Vergangenheit angehört haben: Bosl, Das „jüngere" bayerische Stammesherzogtum 334 ff. Ders., Das bayerische Stammesherzogtum 1 ff.: „Stammesherrschaft, die auf dem Bund zwischen ,dux' und ,optimates' ruht". Vgl. dazu Ep. Bonif. 45; S. 72 (a. 739). Bitterauf 1, 62 n. 34 (a. 697), die „Gründungsurkunde" von Innichen (Zöllner, Die Gründung von Innichen 135 ff.), die den „dux Baiouarorum" gemeinsam mit den „optimates Baiouarorum" handelnd zeigt, mögen darunter auch „Franken" gewesen sein. Die in dieser Urkunde gebrauchte Intitulatio verkörpert einen Typ, dessen „bayerische" Komponente bis weit in die Anfänge der Herrschaft Tassilos unter der Vormundschaft seiner Mutter zurückreicht. Siehe unten 170 und 177. ") Zöllner, Die Gründung von Innichen 147 ff., zeigt, daß der wohl Tassilo freundliche „Handlungszeuge" Reginuuolf nicht nur in Bozen, sondern vielleicht auch in noch zwei anderen Herzogsurkunden unter den „testes" genannt wird. Die Intitulatio aller dieser drei Urkunden zeigt weitgehende Übereinstimmung; die beiden Titel der bedeutsameren „cartae" sind nahezu identisch. Siehe unten 174 f. 20 ) Das Stück (vgl. Fichtenau 6 Anm. 24), das Tassilos eigener Anschauung sicher entsprochen hat, stammte es doch aus seiner „Kanzlei", was immer wir darunter auch zu verstehen haben, enthält jedenfalls alle Elemente eines königsgleichen Herzogstitels, dessen Grundlage auch im „Stiftbrief" seines Klosters Kremsmünster wiederkehrte. Siehe unten 182.

„Amtsherzogstitel" und „fürstlicher" Herzogstitel

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Die beiden erwähnten Traditionsstränge leiten sich von zwei Typen urkundlicher Herzogstitel her; der einfachere war die Intitulatio des „Amtsherzogs"21), von der sich die kompliziertere Form des „fürstlichen" Herzogstitels abhebt22). Beide Formen findet man sowohl bei den Langobarden als auch im Frankenreich23). Der fürstliche Herzogstitel orientiert sich in irgendeiner Art und Weise nach einem Königstitel. Wenn also der Bayernherzog eine solche Intitulatio annahm, dann glich er seinen Titel mittelbar oder unmittelbar dem eines Königs an. Die der königlichen nachgebildete Intitulatio eines Herzogs steht entwicklungsgeschichtlich auf einer jüngeren Stufe als der Titel eines „Amtsherzogs", den man aus langobardischen und fränkischen „Privat"-Urkunden kennt. Unter den Herzogstitel Tassilos verkörpert diesen Typus am reinsten die Mondseer Carta von 77024). Mit Ego Tassilo vir inluster dux folgte diese Intitulatio den spätmerowingischen Herzogstiteln, die für Pippin II., Heden den Jüngeren von Thüringen, Liutfrid im Elsaß und Tassilos eigenen Großvater, den Alemannenherzog Gotfrid, belegt sind25). Zugleich stimmt sie aber auch mit dem Wortlaut einer Subscriptio Walperts überein, der unter König Liutprand der mächtige Herzog von Tuszien war2*). Mag es nun ein Spiel des Zufalls und der Überlieferung sein oder hat es mehr zu bedeuten, jedenfalls kommt die zitierte Intitulatio Tassilos unter den fränkischen Herzogstiteln dem des Großvaters am nächsten27), während sie der Unterfertigung Walperts sogar bezüglich der Wortfolge gleicht88). Leider sind nur wenige nichtfüratliche Herzogstitel aus dem Langobardenreich bekannt29). Wirklich vergleichbar mit Tassilos Titel aus Mondsee scheint allein die Intitulatio Herzogs Johannes von Modena, die aber mit „Ego in Dei nomine dux" viel eher an Arnulfs, des Sohnes Drogos, Schenkung an Echternach erinnert und damit eher einem Außenseiter unter den fränkischen Herzogstitel ähnelt30). Was hingegen die gleichlautenden diplomatischen Fremdaussagen anlangt, so sind die fränkischen mit den langobardischen auch in bezug auf die 2! ") Siehe 141 ff. ) Siehe 136 ff. und 194 ff., 202 ff. »») Wie Anm. 22. ") UB Oberösterreich 1, 45 n. 76; vgl. Fichtenau 6 Anm. 31. Die vorsichtige Einschätzung dieser Intitulatio, die das Verbum „scheint" ausdrückt, wird unten 183 f. verständlich. ") Zur Verwandtschaft Tassilos und Gotfrids siehe Zöllner, Herkunft der Agilulfinger 127 ff. Zustimmend Löwe, Bonifatius und die bayerisch-fränkische Spannung 285 f. Die aufgezählten Beispiele für einen fränkischen Amtsherzogstitel wurden oben 141 ff. ausführlich behandelt. ") Troya 3, 342 n. 438 (a. 722); vgl. Chroust, Langobardische Königs- und Herzogsurkunde 113. ") Wartmann, UB St. Gallen 1, η. 1 (ca. a. 700): „Godafridus dux vir inluster". Vgl. Wampach, UB Echternach 30 n. 8 (a. 704): „iubente domno Hedeno viro illustri". ") Wie Anm. 26: „Manus Walpert viro illustri duci testis" vgl. mit „Ego Tassilo vir inluster dux" wie Anm. 24. Hingegen lautete der fränkische „Amts"-Herzogstitel, die Anm. 27 angeführten Beispiele ausgenommen, im allgemeinen „inluster vir N. dux". ») Chroust 113. ,0 ) Troya 5, 659 n. 963 (a. 772). Siehe Anm. 29 und oben 144 Anm. 18.

11

Wolfram, Intitulatio I

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VI. Die Titel des bayerischen Stammesherzogs

Wortstellung und Wortfolge zu vergleichen. Den „Amtsträgern" kommt selbstverständlich hier wie dort der Illustrat als Rangbezeichnung zu31). Allerdings konnten die Herzöge des eigentlichen „regnum Langobardorum" mitunter auch als ,,gloriosi(ssimi)" tituliert werden32). Diese Fortentwicklung des spätantiken Rangsystems dürfte wahrscheinlich von einem Titelwesen beeinflußt worden sein, in dem der „dux" selbstverständlich ein „gloriosus/ issimus" war. Dieses Vorbild repräsentierte der byzantinisch-italische Dux, dem im Langobardischen die Herzöge von Benevent und Spoleto entsprachen. Ein Herzog von Benevent galt aber auch in den Augen des Königs als „gloriosus", was im Frankenreich der Zeit gänzlich unmöglich gewesen wäre33). In Italien hatte nämlich die höchste Rangstufe, auf der ein Barbarenkönig und die höchsten Reichsbeamten, wie vor allem der Exarch von Ravenna, einander gegenüberstanden, etwa um 600 eine weitere Differenzierung erfahren, die an der Peripherie unberücksichtigt blieb. Daher waren die langobardischen Könige „(viri) excellentissimi", die ihnen nächsten „duces" von Benevent und Spoleto „(viri) gloriosi(ssimi)", während man Gastalden oder Herzöge des Königsgebietes mit Titulaturen bedachte, die von „gloriosi(ssimi)" über „magnifici" bis „illustres" reichten34). Im Gegensatz dazu blieb das „römische" Titelwesen des Frankenreiches einfacher und konservativer: der alte Illustrat kennzeichnete den „Beamten" bis hinauf zum königsgleichen Hausmeier und „dux", während der König allein der „(vir) gloriosus(issimus)" war35). Diese Differenzierung in der Titulatur, die sowohl im 6. wie 7. Jahrhundert exakt eingehalten wurde und daher gut zu verfolgen ist3®), übernahmen zwar grundsätzlich auch die karolingischen Könige37). Aber der Umstand, daß „vir inluster" zunächst zum Rangtitel ihrer Diplome wurde, bedeutete eher noch einen Rückschritt in der ohnehin schon früh zum Stillstand gekommenen Entwicklung. Wenn daher in der Frühzeit des karolingischen Königtums für den Bayernherzog Titel und Titulaturen verwendet wurden, die aus der Sphäre der langobardischen „duces" stammen, dann mußten diese eo ipso mit der Terminologie der aktuellen fränkischen Königspolitik konkurrieren. Man möchte bei der Betrachtung dieser Erscheinung gerne die Parallele mit der Herkunft und Bedeutung der Kapitularien-Titel Karlmanns und ») Chroust 113 und oben 141 ff. 32 ) Chroust a. a. O. ") Chroust 109. Zur Herkunft dieses herzoglichen Rangprädikats bzw. Rangtitels wird unten 189 f. gehandelt. M ) Mayer, Verfassungsgeschichte 2, 264. Bresslau, Urkundenlehre 1, 353 ff. Vgl. unten 189 Anm. 23. 3t ) Vgl. Concil. Galliae 2, 313. So auch noch DDM 91. 96. 97. Oder UB Echternach nn. 8 und 11; S. 30 und 36. ") Am besten vielleicht in Concilia Galliae 2, 313 (a. 662—675): „Unde mediante viro inlustri Lupone duce per iussionem supra fati gloriosi principis Childerici (sc. II.)". ") Bereits DKar. 3 (a. 752) kennt schon „Signum Pippini gloriosi regis", während im folgenden dann der Superlativ überwiegt, obwohl der karolingische Königstitel bekanntlich „N. rex Francorum vir inluster" lautet. Siehe unten 209 ff.

Die zwei „Wellen" des langobardischen Einflusses in Bayern

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Pippins ziehen. Wie die beiden Brüder die merowingische Staatssprache mit Hilfe der langobardischen und wohl auch der angelsächsischen Königspolitik umformten, auf sich übertrugen und damit ihre Königsgleichheit augenfällig demonstrieren konnten, so handelte nun der „dux" des bayerischen „regnum" den Karolingern und „ihrem" Regnum gegenüber38). Allerdings diente den Agilolfingern zur Modifikation der fränkischen „Politik" vor allem das langobardische Vorbild. Wenn das Ergebnis dieser Übernahme nahezu das gleiche Vokabular darstellte, wie das des „Concilium Germanicum", an dem Angelsachsen maßgeblich mitwirkten, dann hat man diese Erscheinung aus der Tatsache zu verstehen, daß sowohl die langobardische wie die angelsächsische Terminologie dieselbe Herkunft besitzen; sie stammen beide aus der italischen Politik des 6. und 7. Jahrhunderts39). Der Import langobardischer Politik und Terminologie dürfte Bayern in zwei „Wellen" erreicht haben: die erste müßte vor und die zweite mit Arbeo gewirkt haben40). Arbeo hatte seine Kenntnisse auf diesem Gebiet für den Frankenkönig anwenden wollen, der in seinen Augen der eigentliche Herr Bayerns war. Die politische Entwicklung hinderte den Bischof von Freising jedoch daran, seiner „fränkischen" Haltung immer treu zu bleiben. Auch hatte die erste „Welle" der langobardischen Königspolitik in Bayern bereits gewisse Formen einer festen „Staatssprache" geschaffen, die dem Herzogtum diente. Dazu kam noch, daß sich Arbeo schließlich gezwungen sah, die von ihm entwickelten königlichen Titulaturtypen auf den Herzog zu übertragen. Unter diesen sind, wie der Name sagt, keine diplomatischen Selbstaussagen zu verstehen. Wenn im folgenden dennoch ausführlicher davon gehandelt wird, so deshalb, weil diese Typen einmal zu echten Titeln werden und andrerseits die Gesamtheit der Titel Tassilos verstehen helfen. Um Arbeos Wirken richtig einordnen zu können und seine Tätigkeit im Bahmen der Tradition zu begreifen, sind die wenigen Manifestationen der ersten „Welle" zu untersuchen. Ihren vornehmsten Niederschlag scheint sie mir in „jenem an Rätseln reichen Dokument" gefunden zu haben, das nach einer wenig signifikanten Invocatio41) mit „regnante domno Hotiloni (Ottiloni) inclito duci gentis 38

) Löwe, Bonifatius 315 Anm. 171. Zum Ausdruck „ihrem Regnum" siehe etwa DKar. 162 (a. 788): „Igitur quia ducatus Baioarie ex regno nostro Francorum . . . per malignos homines Odilonem et Tassilonem . . . a nobis subtractus et alienatus fuit". Siehe Löwe, Reichsgründung 40 Anm. 111. Fichtenau, Urkunden Tassilos 4. ") Siehe oben 152 ff. Bis 743 war allerdings der Einfluß der angelsächsischen Mission nicht unbedeutend: Löwe, Reichsgründung 10 ff. Auch Angelsachsen könnten die Überträger langobardischer Erfahrungen gewesen sein. Nachzuweisen ist jedoch aus dieser frühen Zeit nichts. 40 ) Arbeos beste Lebensskizze verfaßte Löwe, Arbeo 87 ff. Von ihm erfährt man ungleich mehr über die „langobardisch-italienischen Beziehungen" der Bayern als aus Baesecke, Der deutsche Abrogans, bes. 148—155, da dieses Werk philologischen Interessen zu dienen hat. ") „In nomine domini": siehe dazu die weite Verbreitung dieser alttestamentarischen Anrufung des Herrn bei Santifaller, Über die Verbal-Invokation 73 ff. 11·

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VI. Die Titel des bayerischen Stammesherzogi

nostre Bauuariorum" beginnt42). Es fehlt jede Intitulatio, es fehlen Zeugenreihe und Schreiberzeile sowie eine genauere Datierung. Dafür ist diese „vollgültige Carta" in subjektiver Form abgefaßt, wobei sich der Urheber im Plural vorstellt. Die Urkunde war zugunsten Mondsees ausgestellt worden und blieb im Traditionsbuch des Klosters erhalten43). Fichtenau hält sie mit guten Gründen für eine Carta Odilos; doch „bleibt die Möglichkeit offen, daß man das Stück nachträglich teilweise umstilisierte, worauf auch die Latinisierung des Klosternamens verweist". Daß der verwendete Majestätsplural auf eine spätere Redaktion zurückgeht, halte ich jedoch für unwahrscheinlich44). Eine Haustradition schreibt die Urkunde 748, dem Todesjahr Odilos, zu45). Zu diesem Zeitpunkt und in dem Jahrzehnt zuvor hatten unter den Großen des Frankenreiches nur dessen wahre Beherrscher, nämlich die karolingischen Schwäger und der Schwiegervater Odilos, derartige königliche Prärogativen beansprucht und durchgesetzt: Ihre „Kanzleien" entwickelten einen zwar noch holprigen Majestätsplural für die Urkunden und diplomatischen Quellen ihrer Herren, aber unter Pippin III. wußte man diese Form schon richtig zu handhaben46). Die Privaturkunden des karolingischen Machtbereiches datierten ebenfalls „regnante" und setzten als Subjekt dieses Ablativus absolutus den oder die Namen der Hausmeier ein, wobei man deren Titulatur mehr oder weniger getreu den Selbstaussagen nachbildete47). Und schließlich redete die letzte erhaltene Merowingerurkunde, die schon Männer aus der Umgebung Karlmanns verfaßten und schrieben, den „maior domus" als „vir inclitus" an48). Sich die Möglichkeit vorzustellen, Odilo habe, getreu der agilolfingischen Tradition, seiner feindlichen Verwandtschaft die „imitatio regni" streitig machen wollen, hat einiges für sich. Allerdings impliziert die Überlegung, Odilos Selbstaussage hinter der Eingangsdatierung „regnante" und ihrer ausführlichen, aber eben objektiven Titulatur zu vermuten. Was spricht nun für diese Annahme ? Zunächst zeigen spätere Urkunden des bayerischen49) wie Spoletiner80) Herzogs, daß offensichtliche Titulaturen in der Eingangsdatierung oder als Subjekt von Regestierungen, die wie Notitiae anmuten und einer Carta ") UB Oberösterreich 1, 24 n. 39 (a. 748). Siehe dazu Fichtenau, Urkunden Tassilos 2. «) Fichtenau 2. ") A. a. O. ") Wie Anm. 42: Marginalglosse des 12. Jahrhunderts: „Anni domini DCCXLVIII. Pippinus Tassilonem sororis sue filium Baivari? ducem post Otilonem patrem suum fecit et ipse domnus Otilo non longe antea construxit cenobium Maninse, ut in chronica et in hoc libro nuenitur". ") Vgl. oben 143 Anm. 13. *') Siehe besonders Zeuss n. 4 und n. 235; vgl. oben 147 Anm. 29. ") DM 97; vgl. Classen II 63 Anm. 299. Arbeo selbst gebrauchte einmal die Formel „iussus de duce inclito": Bitterauf n. 14b; 1,42; vgl. Fichtenau, Urkunden Tassilos 12 Anm. 62. ") Bitterauf 1, 29 n. 3 (a. 748—750); vgl. Prinz, Herzog und Adel im agilulfingischen Bayern 235 f. und a. a. 0 . Anm. 22. Heuwieser 7 n. 6 (vor 774). ä0 ) Regesto di Farfa 2, 54 n. 55 (761). Vgl. Chroust, Langobardische Königs- und Herzogsurkunde 204 n. 13 und 138 f.

Die Carta Odilos von 748

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vorangehen, die Intitulatio entweder überhaupt unterdrücken oder ihren Wortlaut zumindest verkürzen können. Diese Form einer Titulatur übernimmt dann ganz oder teilweise die Funktion der Intitulatio, obwohl typische Anredewendungen selbstverständlich nicht über den Wortlaut des Titels, der verloren ging, Auskunft geben: Rangprädikate und „domnus" gehören dem Bereich der Titulatur an. Anders verhält es sich jedoch mit dem Kernstück einer objektiv formulierten Titulatur, das einem „vollen" Titel mit Funktionstitel und Bereichsbezeichnung entsprechen würde; besonders jedoch dann, wenn man bedenkt, daß die Bereichsbezeichnung bis um die Mitte des 8. Jahrhunderts im allgemeinen nicht für diplomatische Titulaturen gebraucht wurde. Seitdem die Karolinger ihre Herrschaft durchzusetzen beginnen, gewinnt die nachdrückliche Bezugnahme dieser „principes" und späteren „reges" auf eine oder mehrere „gentes" auch in den Titulaturen der Datumzeilen „privater" Urkunden an Bedeutung. Diese Titulaturen sind den diplomatischen Selbstaussagen der Karolinger identisch51). Die Carta Odilos von 748 steht, was ihre subjektiven Teile anlangt, im Majestätsplural, wie die Herzogsurkunde von Benevent und Spoleto und nicht nur wie die Dokumente der Karolinger. Die Titulatur der Eingangsdatierung in Odilos Carta aber ist eindeutig „langobardisches" Diktat: „dux gentis nostre62) Bauuariorum" entspricht dem Typus des beneventanischen, mitunter auch Spoletiner Herzogstitels „dux gentis Langobardorum"53). Außerdem erinnert die bayerische Herzogstitulatur Odilos an die Aussage einer zwar nur literarischen, dafür italischen Quelle offiziellen Ranges; nämlich an die Vita Gregors II. im Liber pontificalis, wo es heißt: „Theodo dux gentis Baioariorum cum alios gentis suae ad apostoli beati Petri limina orationis voto primus de gente occurrit."54) Abgesehen von dem eher fränkischen Rangprädikat „inclitus" und der ,,regnante"-Datierung, die bei den Langobarden, der staatsrechtlichen Entwicklung entsprechend, allein den Königen zustand, wäre als Kern der Titulatur Odilos ein Wortlaut zu sichern, der mit einer aktuellen herzoglichen Intitulatio der Langobarden identisch ist. Die Möglichkeit, in Odilos Umgebung habe man diese Formel auf den eigenen „dux" übertragen oder dieser selbst habe sich als ein solcher „Stammesherzog" darstellen wollen, besitzt daher einige Wahrscheinlichkeit. Allerdings wurde die langobardisch5I

) Dieses Phänomen tritt überall annähernd gleichzeitig auf. Ich habe es im einzelnen hier nicht untersucht. Die Verifizierung meiner Feststellung gelingt jedoch leicht, wenn man irgendein Traditionsbuch der Zeit, sei es Bitterauf, Zeuss, Heuwieser usw. nach dem jeweiligen Wortlaut der Datumzeilen durchliest. ") Chroust (wie Anm. 50) 109 Anm. 1: In langobardischen Urkunden und diplomatischen Quellen dürfte das Possessivpronomen als nähere Bestimmung der ethnischen Bereichsbezeichnung nur in Fälschungen vorkommen. Wahrscheinlich sollte jedoch das Possessivpronomen nicht „gens" bestimmen, sondern entweder zu „domnus" (vgl. Anm. 55) oder zu „dux" (vgl. Anm. 91) gehören. 53 ) Dera. 109 ff. und 137. M ) Liber pontificalis 1, 398. Vgl. Klebel, Zur Geschichte des Herzogs Theodo 174 Anm. 15. Bosl, Stammesherzogtum der Liutpoldinger 335. Zeiss, Quellensammlung 51 n. 27. Die Vita entstand gegen 741/42: Löwe, Bonifatius 297 Anm. 112.

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VI. Die Titel des bayerischen Stammesherzogs

italische Fassung eines möglichen bayerischen Herzogstitels nie zur diplomatischen Selbstaussage. Hingegen datierten zwei Dokumente des Jahres 772 in auffallend zeitlicher N ä h e wie wenig voneinander abweichenden Form „anno regni ducis TassilonisgentisBaiuuariorum" 5 5 ). D a s wichtigere v o n beiden, die Akten der Synode v o n Neuching, ist um kaum vier Wochen älter als eine Urkunde v o n Mondsee. W e n n unter den vielen Dutzenden v o n Cartae, die unter Tassilo u n d Odilo für diese Kirche ausgestellt wurden, die den langobardischen Titeltypus als einzige gebrauchte, die so kurze Zeit nach Neuching geschrieben wurde, so liegt ihre Abhängigkeit v o n den Synodalakten nahe. E i n Kleriker des Klosters konnte, noch unter dem frischen Eindruck einer der machtvollsten Demonstrationen des Herzogtums Tassilos stehend, die zu dessen Interpretation dienende Formel kopiert haben. Hingegen dürften der oder die Diktatoren der Akten v o n Neuching die Kenntnis des italienischen Titelbrauches aufgrund einer Ausbildung besessen haben, die noch v o n der „ersten Welle" des langobardischen Einflusses getragen wurde6®). Die volltönende, in die langobardische Königspolitik 5 7 ) hineinreichende Herzogstitulatur v o n Neuching wurde in einem Zeitpunkt abgefaßt, da Tassilo durch seinen Sieg über die Karantanen auch einen großen innen" ) Notitia de Concilio Neuchingensi (Concilia 2,104): „Regnante in perpetuum domino nostro Iesu Christo (dazu vgl. Fichtenau, Urkunden Tassilos 16 ff. Prinz, Herzog und Adel 263; Neuching lag im Einflußbereich des „westbayerischen Freisinger Formulars", wo diese Eingangsdatierung seit 770 gebraucht wurde) in anno X X I I I I regni religiosissimi ducis Tassilonis gentis Baiuvariorum sub die consule, quod erat I I Idus Octob., indictione X I I I I . " Das Tages- und Monatsdatum nach dem römischen Kalender anzugeben, ist in den Urkunden Tassilos nicht der Brauch, wohl aber kommt dieser Modus sowohl in den Novellen zum Edictus Langobardorum (vgl. etwa Beyerle 312) wie in den ersten Kapitularien der Karolinger (siehe oben 138 Anm. 9) vor. Das zweite Dokument ist UB Oberösterreich 1, 36 n. 60, das trotz „regnante domno nostro Tassilone duce gente Bauuariorum anno XXV. VI Idus Novembris" in dasselbe Jahr gesetzt wird (vgl. a. a. 0 . 811). Sollte diese Auflösung jedoch nicht stimmen, so ist damit die auffallende Nähe der beiden Stücke immer noch gegeben. An der Konzilsdatierung fällt weiters die Stellung von Funktionsbezeichnung und Namen auf,die im allgemeinen selten ist. Vgl.oben81.ZudemRangprädikat „religiosissimus" vgl. Anm. 130. Siehe aber auch MGH Capit. 1, 33 n. 14: „gloriosissimus atque relegiosus inluster vir Francorum rex Pippinus". M ) Parallel zu Arbeos (siehe 177ff.) Übertragung langobardischer Formen und Formeln auf die bayerischen Urkunden werden selbstverständlich auch andere „Traditionsträger" gewirkt haben. Wie im folgenden zu sehen ist, hat Arbeo auch andere und vielleicht vor ihm eingeführte langobardische Formen und Formeln übernommen oder neben seinen eigenen bestehen lassen. " ) Daß ein „dux gentis Baioariorum", dessen „anni regni" gezählt werden, auch Elemente des langobardischen Königtums in sich aufzunehmen sucht, halte ich aus folgenden Gründen für möglich: 1. Die Datierung „anno regni" ist der Stil des Edictus Langobardorum (Beyerle 2 und alle die Stellen, wo eine königliche Intitulatio auftritt). 2. Die Bezeichnung „dux gentis Baioariorum" steht in gewissem Sinne nicht in Analogie zu „dux gentis Langobardorum", weil jedes Mal, wenn diese Form auftritt, sie mit „summus" näher definiert wird. Löwe, Arbeo 91 ff., scheint mir jedoch „summus dux" und „summus princeps" zu sehr zu relativieren (vgl. Anm. 138).

Das bayerische Regnum

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politischen Erfolg errungen hatte. Wie Karlmann und Pippin in den Dokumenten von 742 und 744, so ist hier Tassilo der „princeps" schlechthin, der der Kirchenversammlung vorsitzt und das „omne regni sui collegium procerum" dazu einberufen hat 58 ). Es ist jetzt die Zeit, da der Herzog dem „rex Constantinus filius Helenae" verglichen wird und dadurch auch in den Augen eines Nichtbayern Aufnahme in den Kreis der Könige gefunden hat 59 ). Wieder fast gleichzeitig zu Neuching und Mondsee tritt in diesem Kloster, aber auch in Freising, dem Zentrum des von Friedrich Prinz so anschaulich beschriebenen „westbayrischen Adelskreises"®0), und in Passau, ein „langobardischer" Urkundenbeginn auf, dessen Eingangsdatierung Tassilo ein hohes Rangprädikat zuteilt®1). „In nomine domini Dei salvatoris nostri Iesu Christi. Temporibus gloriosissimi ducis Tassilonis anno regni (ducatus) eius illo, indictione illa" könnte fast ebensogut im „Regesto di Farfa" stehen; man müßte nur den Namen des Titulierten gegen den eines Herzogs Lupo von Spoleto oder einer seiner Nachfolger austauschen®2). Die Langobarden sprechen hingegen nicht vom „regnum", sondern stets vom „ducatus" ihres Herzogs; außerdem steht die Datierung nach dem römischen Kalender fast durchwegs vor der Indiktion®3). Der Diakon Snelhart, der sich für 776/77 „noch am ehesten als Angehöriger der .Kanzlei' bezeichnen läßt"®4), verfaßte 774 die einzige aus Passau bekannte Herzogsurkunde. Dabei übernahm er den eben erwähnten Typus der langobardischen „Privat"-Urkunden, was den Verlust der Intitulatio zur Folge hatte®5). Zwischen 772 und 774 gebrauchten insgesamt drei Schreiber dieses Formular, und zwar 772 in Mondsee, 773 in Freising und 774 Snelhart in Passau. Dieser ist aber der einzige, der dem langobardischen Vorbild auch insoweit treu blieb, als er die Herrschaft Tassilos als „ducatus" — die anderen sprechen von „regnum" — bezeichnet®®). Man darf wohl annehmen, daß „regnum" und „ducatus" einigermaßen technisch verstanden wurden, das heißt zumindest, daß nur ein Princeps-Herzog auch ein „regnum" ausübt. Auf jeden Fall kann im Verständnis des tassilonischen Herzogtums als „regnum" keine Abwertung liegen. Ein solcher Sachverhalt scheint nun der Auffassung Arbeos und Freisings als frankenfreundlichen Gegnern Tassilos zu widersprechen. »·) 5 ·) «») ") β2

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Wie Anm. 55; vgl. oben 136 ff. Siehe Löwe, Reichsgründung 58 ff. Ewig, Das Bild Conatantins des Großen 22 Anm. 117. Prinz, Herzog und Adel 251; 238 ff. UB Oberöaterreich 1, 8 n. 13 (a. 772). Bitterauf 1, 83 n. 55 (a. 773); vgl. Fichtenau, Urkunden Tassilos 16 Anm. 90. Heuwieser 7 n. 6 (a. 774); vgl. Fichtenau 15, der hier auch über Mondsee spricht. II regesto di Farfa 2, 34 ff. n. 25 sqq. (a. 748 sqq.). Vgl. Fichtenau, Urkunden Tassilos 18. Allerdings kommt diese Datierungsform auch in Mondsee vor; vgl. etwa nur Anm. 55, doch hängt die Datierung nicht nur davon ab, daß das wahrscheinliche Vorbild dazu — die Konzilsakten von Neuching — ebenso datieren. Vgl. etwa UB Oberösterreich 1, 41 n. 70; vgl. 44 n. 74. Fichtenau, Urkunden Tassilos 13; vgl. 12 f. Vgl. oben Anm. 49; dazu im Obertext. " ) Wie Anm. 62.

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VI. Die Titel des bayerischen Stammesherzogs

Auf der Neuchinger Synode in der Nähe Freisings dominierten die Bischöfe 6 7 ); die Eingangsdatierung der Synodalakten verrät deutlich den Stil des Freisinger Formulars seit 770. Der Bischof dieser Kirche war damals Arbeo, aber der ewigen Herrschaft Christi wird das „regnum presens" Tassilos gegenübergestellt 68 ). In Passau führte ein Mitglied der herzoglichen „Kanzlei" die Ducatus-Datierung ein; sie wurde dort so selbstverständlich, daß sich selbst Karl der Große einmal die Zählung nach seinen „anni ducatus" gefallen lassen mußte 6 9 ). In Freising und, davon abhängig, auch in Mondsee datierte man hingegen nach dem „regnum" Tassilos. Verfolgt man nun die „Anni-regni"-Datierung bis zu ihrem ältesten Auftreten in Bayern zurück, so scheint es, daß sie Arbeo selbst eingeführt hat, und zwar in einem sehr merkwürdigen, noch zu untersuchenden Zusammenhang 70 ). Man kann den oben angedeuteten „Widerspruch" in der Haltung Arbeos vielleicht dann lösen, wenn man seine diplomatische Terminologie mit der in den literarischen Werken vergleicht. Ganz wie etwa ein Paulus Diaconus den bayerischen Stammesherzog zugleich als fränkischen „Amtskönig" versteht 7 1 ), so fällt es auch Arbeo niemals ein, den RegnumCharakter 7 2 ) des bayerischen Dukats zu leugnen und ihn als antifränkisch oder antikarolingisch zu empfinden 73 ). Ob der Freisinger Bischof für die Einführung der langobardischen Datierung in ihrer ursprünglichen Form verantwortlich war, wage ich nicht zu entscheiden. Man kann nur feststellen, daß die Formel in Passau anscheinend treuer bewahrt wurde als in Mondsee und Freising; sie hielt sich auch in der Stadt an Inn und Donau ungleich länger und konnte von Snelhart sogar nach Schäftlarn „exportiert" werden 74 ). Bedenkt man schließlich, daß die Formel in Freising nur einmal gebraucht wurde und daß in ihr ein Rangprädikat vorkommt, das schon vor Arbeo zur Freisinger Herzogstitulatur gehörte 75 ), so wird man die Datierung einem Traditionsstrang zuweisen, der ") ··) ··) '·) ")

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Löwe, Reichsgründung 59 f. Fichtenau 7 f. Vgl. besonders Anm. 118. Heuwieser 22 n. 27 (788—800). Bitterauf 1, 34 n. 7 (a. 754). Siehe unten 177 f. So könnte man vielleicht den Satz des Paulus Diaconus (Hist. Lang. IV 7; S. 146) „His diebus Tassilo (I.) a Childeperto (II.) rege Francorum aput Baioariam rex ordinatus est" verstehen. Siehe dazu etwa Schlesinger, Heerkönigtum 127—129. Vgl. oben 109 ff. Der Ausdruck „Amtskönig" ist hier nur als Analogiebildung zu „Amtsherzog" zu verstehen, von dem man heute ja auch nur mehr unter Anführungszeichen sprechen kann. Zu diesem Ausdruck vgl. Werner, Bedeutende Adelsfamilien 122, dessen kluge Kritik des angeblichen „karolingischen Einheitsstaates" mit Arbeos profränkischer Einstellung wie seiner Interpretation des bayerischen Dukats als „regnum" im Gesamtreich gut übereinstimmt. Zur Terminologie der literarischen Werke Arbeos siehe Bosl, Stammesherzogtum der Liutpoldinger 335 f., während Löwe, Arbeo 93 f. die Auseinandersetzung mit dieser, seiner Grundthese nur scheinbar widersprechenden Auffassung Arbeos (vgl. oben Anm. 18) scheut. Vgl. unten 177 und 184. Fichtenau, Urkunden 12 Anm. 64 und 15. Ders. 16 Anm. 90.

Der fränkische Einfluß nach 743

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noch vor Arbeos Tätigkeit als Urkundenschreiber das bayerische Urkundengebiet erreichte. Die älteste Freisinger Tradition aus dem Jahre 744 ist zugleich die älteste der datierten bayerischen Urkunden76). Sie zählt nach den Jahren „gloriosissimi ducis Oatilonis"77). Man befindet sich im Jahr nach der Besiegung Odilos durch die karolingischen Schwäger; der fränkische Einfluß im Lande verstärkte sich und begann sich in der Politik des „westbayerischen Adelskreises" um Freising zu konstituieren78). Trotzdem fand man im Hochstift nichts daran, den geschlagenen Herzog als „gloriosissimus" zu titulieren, obwohl diese Stufe des Rangsystems, wie man es nördlich der Alpen verstand, vom König eingenommen wurde79). Die vornehmsten „duces" Italiens und des Langobardenreiches im besonderen waren hingegen wie selbstverständlich „gloriosi(ssimi)". Daher bekamen die karolingischen Hausmeier-Duces zunächst auch noch päpstliche Briefe, deren Adresse dieses Rangprädikat enthielt. Später wurden sie dann wie der Exarch und der Langobardenkönig als „excellentissimi" geehrt80). Die Verwendung eines herzoglichen Gloriosissimats dürfte aber in Freising ungefähr dasselbe meinen wie die Fremdaussagen nur wenig jüngerer „cartae", die vom „regnum" und dem „regnare" Tassilos sprechen; eines Kindes, das der Frankenkönig bevormundete81). Die Privaturkunden im karolingischen Machtbereich datieren für gewöhnlich nach Königsjahren; wenn es keinen König gibt, dann trat der Hausmeier an dessen Stelle82). Die Agilolfinger waren, wie es die Lex in ihrem Prolog demonstriert und wie man es noch im 9. Jahrhundert wußte, '·) Über die möglichen Gründe für den Beginn der urkundlichen Aufzeichnungen der Freisinger Kirche siehe Prinz, Herzog und Adel 236. Vgl. Brunner, Zur Rechtsgeschichte 248 Anm. 1. Zatschek, Die Benutzung der Formulae Marculfi 234 ff. " ) Bitterauf 1, 28 η. 1. ">) Vgl. Prinz, Herzog und Adel 236. 255. 263 und öfters. '») Siehe oben 127 und 162. ,0 ) Aus den Jahren 722 und 724 stammen die ersten Briefe eines Papstes an einen fränkischen Hausmeier. Die Adresse des älteren Schreibens Gregors II. blieb erhalten; sie lautet ep. Bonif. 20; S. 34: „Domno glorioso filio Karolo duci" und unterscheidet sich, was das Rangprädikat betrifft, in nichts von der Adresse in ep. Bonif. 17; S. 30 (722 X I I 1): gloriosis ducibus, magnificis castaldiis, comitibus . . .", die ganz der langobardischen Staatssprache verhaftet bleibt, obwohl sie die Christenheit „Germaniens" betrifft. Vgl. ep. Bonif. 24; S. 42: „. . . Carolo excellentissimo filio nostro patricio (fehlt in Hs. 4), . . ., paternis litteris scripsimus." Siehe auch 153 Anm. 9 f. β1 ) Vgl. oben 167 ff. Es dürfte also kaum das bayerische Regnum an sich als Bedrohung des karolingischen Regnum Francorum gewirkt haben. Sondern der Kampf der Karolinger galt dem Umstand, daß die Agilolfinger, ihre alten Konkurrenten in den südöstlichen Dukaten jenseits des Rheins, dieses Regnum ausübten und besaßen. " ) Siehe Anm. 42 und 102 (Odilo); oben 144 Anm. 19 (Odilos Vater Gotfrid, der Alemannenherzog), die beide nicht nach Königsjahren datieren; vgl. hingegen 142 Anm. 12 und die 143 Anm. 18, 21, 22 genannten Urkunden mit Ausnahme von Arn. 17, das aus dem Interregnum stammt. Siehe auch H. Brunner, Zur Rechtsgeschichte 244 f.

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VI. Die Titel des bayerischen Stammesherzogs

merowingische „Legitimisten"83). Nicht zuletzt, um ihrer Politik den Wind aus den Segeln zu nehmen, erfolgte im Frühjahr 743 die Wiedererrichtung des merowingischen Königtums. Trotzdem kennt keine bayerische Urkunde die Datierung nach Königsjahren noch gar die nach den Prinzipatsjahren der karolingischen Brüder. Dafür datierte man weiterhin ungescheut nach den „Herrscherjahren" Odilos und nannte ihn „gloriosissimus"; ein Stil, der mit dem im gleichzeitigen Herzogtum Spoleto durchaus vergleichbar wirkt84). Die Karolinger haben dieses Vorgehen anscheinend geduldet. Könige geworden, versuchten sie die „souveränen" Rechte derartiger Herren, wie ihr Schwager Odilo einer war, „arte qua poterant"85), das heißt in die Praxis übertragen, beharrlich und systematisch zu beschneiden und schließlich aufzuheben86). Am 3. Juli 750 stellte Bischof Joseph von Freising eine Urkunde über große Schenkungen aus, die der „gloriosissimus Tassilo dux Baioarorum" zusammen mit Mitgliedern der Fagana-Sippe zugunsten des Stiftes vollzogen hatte 87 ). Diese Carta gehört in die Zeit, da Tassilos „Mutter Hiltrud nach den Direktiven seines Onkels Pippin geherrscht hat"; gleichzeitig drangen „typisch fränkische Formulartypen" in das Freisinger Urkundenformular ein88). Die Genealogie der Fagana war überdies fränkisch orientiert89). Innerhalb des fränkischen Urkundenwesens nimmt aber die zitierte Titulatur Tassilos einen besonderen Rang ein; das Rangprädikat „gloriosissimus" steht, „international" gesehen, über dem Illustrat. Die Titulatur vom Typus „dux gentis" kann man nur mit dem Kapitularientitel der Hausmeier vergleichen, wenn man die Erscheinungsformen der fränkischen Selbst- und Fremdaussagen heranzieht. Die Titulatur Tassilos qualifiziert ihn als „Stammesherzog", als „Fürsten"90). Man fragt sich jedoch, welche Möglichkeiten „dux Baioarorum" als Selbstaussage besitzt und welche Rangprädikate oder auch Rangtitel dem verwendeten Gloriosissimat Tassilos gleichwertig gegenüberstehen. Die Firmatio gibt an, sie sei „praesente domno inlustrissimo duce nostro Tassilone" geschehen; die Datierung lautet „regnante domno inlustrissimo M

) Löwe, Bonifatius und die bayerisch-fränkische Spannung 294 ff. Die Quelle des 9. Jahrhunderts ist das Breviarium Erchanberti (vgl. a. a. O. 295 Anm. 102); zu seiner Datierung siehe Wattenbach-Levison 261 Anm. 319 und 349 f. ") Chroust, Langobardische Königs- und Herzogsurkunde 150. II regesto di Farfa 2, 34 f. nn. 25 f., ζ. B. ") Wie Anm. 83 (Breviarium Erchanberti). 8e ) Das beste Beispiel dafür überliefert wieder das Breviarium Erchanberti (vgl. Anm. 83): Karl habe Grimoald von Benevent, der als Geisel in seiner Hand war, nur unter der Bedingung die Herrschaft überlassen, „ut Langobardorum mentum tonderi faceret, (vgl. dazu oben 153) cartas quoque nummosque nominis sui characteribus superscribi semper iuberet". Zitiert nach Voigt, Beiträge zur Diplomatik der langobardischen Fürsten 31. Belting, Studien 147 Anm. 23, zu Erchanbert c. 4; S. 236. 87 ) Bitterauf 1, 31 n. 5. Vgl. Prinz, Herzog und Adel 235 f. 8S ) Prinz 236. Vgl. Brunner, Zur Rechtsgeschichte 248 und a. a. 0 . Anm. 1: „ . . . die älteste datirte Urkunde Baierns hat eine Arenga wie Marculf II 2, 2." ·») Prinz 250 f. '") Wie oben 136 und ebendort Anm. 2.

Umformung des fränkischen Illustrate durch langobardische Rangbezeichnungen

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duce nostro Tassilone"91). Man hat allen Grund zur Annahme, daß die in einer Urkunde für ein und dieselbe Person verwendeten Rangprädikate alle gleichwertig sind. Daher darf man „gloriosissimus dux" und das zweimal an so hervorragender Stelle genannte ,,inlustrissimus dux" gleichsetzen. Rein titular ist „domnus" und „noster", so daß man die Worte hier übergehen kann92). Hingegen sind die beiden Rangprädikate sehr wohl miteinander zu vergleichen, da sie auch als Rangtitel Tassilos auftreten93). Wie im gentilen Königstitel seit Liutprand und im Spoletiner Herzogstitel fehlt in den Rangtitel und Rangprädikaten Tassilos dieser Klasse das altertümliche Substantiv „vir"94). Hingegen kam dieses damals noch in den Präzepten der Langobardenkönige, der Herzöge von Benevent und in den karolingischen Hausmeierurkunden vor95). Selbst die langobardischen Referendare wurden hingegen nur mehr als „illustres referendarii" angesprochen96). Die Urkunde Bischof Josephs gebrauchte für Tassilo den Gloriosissimat und einen ebenfalls in den Superlativ gesteigerten Illustrat, obwohl diese Form völlig „unfränkisch" war. Trotzdem leitet sie sich aus dem „vir inluster" der fränkischen Staatssprache ab: Dieser Rang nahm nur dort die Spitzenstellung ein, wie man noch 752 in St. Gallen zeigte 87 ). Dafür sprechen auch spätere Versuche von Freisinger Schreibern, „inlustrissimus" und gleichwertigen Rangprädikaten das alte fränkische „vir" anzuschließen98). Und dafür spricht schließlich die bereits erwähnte Selbstaussage Tassilos, die „vir inluster dux" lautete 99 ). «) Wie Anm. 87. Vgl. Anm. 52. •2) Eine Ausnahme macht „dominus" nur in der Intitulatio der Herzöge von Spoleto und Benevent. Dazu siehe unten 198 ff. Aber die Verbindung „dominus noster" ist sinngemäß nur als Titulatur und Anrede möglich. Sie gehört ursprünglich zur Anrede des Kaisers, dann erst der Könige und nun der Fürsten; vgl. oben 69 Anm. 77. ·») Siehe 177 und 182. '*) Siehe oben 91 Anm. 17. Da die erste erhaltene echte Herzogsurkunde aus Spoleto (vgl. Chroust 203 η. 1) aus dem Jahre 725 stammt und bereits „vir" abgestoßen hat, was stets dann wieder zu beobachten ist, wenn nicht der beneventanische Typus kopiert wird, kann die Vorgeschichte dieser Form des Rangtitels nicht sehr weit zurückreichen. *5) Siehe 66 Anm. 60 und 194 und 144. ··) Bresslau, Urkundenlehre 1, 353 ff. und die Anm. ·') Wartmann, U B St. Gallen 1, 20 n. 16 (a. 752): Im Frühjahr nach der Königserhebung und der Annahme des bisher ungebräuchlichen Titels „rex Francorum vir inluster" übernahm der Schreiber Marcus in St. Gallen diese auffällige Intitulatio in seine Datierungszeile und machte daraus „anno primo domno nostro Pippino regnante vir inlusdro". Daß auffällige und neuartige Herrschertitel auch sonst von den Schreibern der Privaturkunden einmalig oder auch für mehrere Male übernommen werden, bezeugt am besten der Weißenburger Schreiber Theutgar. Siehe oben 143 Anm. 29. 98 ) Etwa Bitterauf 1, 69 n. 41 und 73 n. 45 b. Doch gebraucht Arbeo selbst nie diese Form. Eine der letzten, aus den westbayerischen Raum stammenden Datierungen nach den Herrscherjahren König Pippins (Bitterauf 1, 50 n. 22; a. 765/67; vgl. Prinz 238 Anm. 28) lautet sogar „tempore excellentissimi viri Pippini regis et Tassiloni ducis" und erinnert damit an „inluster vir Pippinus rex Francorum" in DKar. 2. Zu „excellentissimus" in bayerischen Privaturkunden siehe unten 177. >e ) Siehe oben 161 Anm. 24.

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VI. Die Titel des bayerischen Stammesherzogs

Wenn aber „vir inluster" hinter „inlustrissimus" stand, dann wurde dieses Rangprädikat durch den „langobardischen" Gloriosissimat umgebildet, der bereits dem fränkischen „Amtsherzog" Odilo zugestanden worden war. Dabei fiel das Substantiv aus und der Positiv „inluster" erhob sich zum Superlativ „illustrissimus". Die Urkunde, die Tassilo, der damals etwa neun Jahre alt war, mit so großen und reichen Rangprädikaten bedachte, wurde für eine Kirche ausgestellt, der der erwachsene Mann eher als Feind begegnete 100 ). Im Jahre 750 erwartete man im Zentrum des „westbayerischen Adelskreises" von einem Enkel Karl Martells keine antifränkische Politik. Die Huosi, Fagana und, wie sie alle hießen, nannten den halben Karolinger ihren „dux Baioarorum" und gebrauchten so eine Bezeichnung, die wieder bis auf die Tage Odilos zurückging. Sie könnte vielleicht jenen zweiten Titeltypus begründet haben, der eingangs als eine mögliche Variante charakterisiert wurde101). In einer undatierten Urkunde aus Passau, die man jedoch auf 739 festlegen kann, liest man den Satz: „in quo tempore edificata erat ecclesia ista, in tempore (scilicet) duci Paiauuariorum, Otilo erat nomen eius, et annum unum fuit ista in sua potestate." 102 ) Diese umständliche, aber darum nicht weniger glaubwürdige Formel erklärt Odilo als Stammesherzog der Bayern. Dazu verwendete man jedoch nicht wie in Mondsee eine Formel des „langobardischen Imports"103), sondern die zwei Elemente des einfachen Titeltypus, nach dem auch die merowingische Intitulatio aufgebaut war. Die Titulatur „dux Paiauuariorum" stellt die älteste urkundliche Erwähnung eines fränkischen „Amtsträgers" als „dux" einer „gens" des Frankenreichs dar. Diese Fremdaussage ist auch fast ein halbes Jahrzehnt älter als die Intitulatio der Karolinger von 742 und 744104). Damals suchten Karlmann und Pippin den fränkischen Königstitel einzuholen und mit „dux et princeps Francorum" zu paralysieren. Der Passauer „dux Paiauuariorum" dürfte dasselbe Vorbild gehabt haben. Wenn man sich auch hüten wird, daraus irgendwelche, den karolingischen vergleichbare Ansprüche herauszulesen, so bezeugt die Titulatur doch klar, daß bereits Odilo als Bayernherzog verstanden und interpretiert wurde105). Hinterließ er auch keine 10

°) Tassilo dürfte um 742 geboren worden sein; vgl. Zeiss, Quellensammlung 43 n. 48. Über die Feindschaft, mit der Tassilo der Freisinger Kirche begegnete, siehe Fichtenau, Urkunden Tassilos 14 f. Prinz, Herzog und Adel 239. 101 ) Siehe oben 159. 102 ) Heuwieser 2 n. 2 (a. 739 vor IX 1). Vgl. Anm. 105. 103 ) Siehe Anm. 42. 104 ) Siehe oben 152ff. Vgl. Cont. Fred. c. 26; S. 180: „. . . Odilo dux Bagoariorum." los) Wi e Anm. 102: ,,. . . et annum unum fuit patria ista in sua potestate." Die von Juraschek, Die Reihung der Traditionen 284 (vgl. Zöllner, Herkunft der Agilulfinger 142 Anm. 20), aufgestellte Vermutung, das Demonstrativpronomen „ista" weise darauf hin, daß Odilo vom „Ausland" nach Bayern gekommen und hier als Herzog eingesetzt worden wäre, vernachlässigt den Sprachgebrauch der Quelle. Es heißt hier knapp zuvor auch „in quo tempore edificata erat ecclesia ista", ohne daß man deswegen auf eine andere Kirche schließen müßte, von der implicite noch die Rede wäre. Wichtiger jedoch als dieses Problem ist die Formulierung

Ego Tassilo dux Baiuuariorum

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Selbstaussage, so kann man eine solche für ihn ungescheut erschließen, weil sie im N a m e n Tassilos schon zu einem Zeitpunkt ausgesprochen wurde, da dieser noch ein kleines Kind war. Eine v o n Odilo ausgestellte und nach ihm datierte Carta trägt den Zusatz „ E t post haec ego Tassilo dux Baioariorum hanc epistulam confirmavi propria manu" 1 0 6 ). Diese älteste urkundliche Selbstaussage eines bayerischen „Stammesherzogs" gehört also noch der Zeit vor 751 an und stimmt mit dem Typus des merowingischen Königstitels, vernachlässigt man das „private" Personalpronomen ,,ego", überein, während sie dem karolingischen Kapitularientitel v o n 742 auch darin völlig gleicht 1 0 7 ). Wenig jünger als die Confirmatio v o n 748 ist die erste Carta, die im N a m e n Tassilos selbst ausgestellt wurde. I n einem der eigentlichen Urkunde vorangehenden „Regest" liest man die in objektiver Form gefaßten Worte „Tassilo dux Baiuuariorum" 1 0 8 ). Trotz ihrer formalen Zugehörigkeit zu den urkundlichen Fremdaussagen stellt sie jedoch Fichtenau m i t Recht in die Gruppe der Titel 1 0 9 ), die eingangs als „fürstliche" Herzogstitel bestimmt wurden. Zwischen 750 und 760 wurde die Confirmatio „ego Tassilo dux Baiuuariorum. . . " in Freising nachweisbar noch dreimal gebraucht. Die Formel

1M

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„patria . . . in sua potestate". Der Gedanke, daß zu einer bestimmten Zeit ein Herrscher die „patria Gotorum" oder die „patria vel gens Gotorum" regiere, ist in der Lex Visigothorum allgemein verbreitet: ζ. B. Lex Visig. I I 1, 8; S. 54 oder Cone. Tolet. X I I I ; S. 478. Vgl. dazu Bosl, Das Stammesherzogtum der Liutpoldinger 336. Außerdem kann man feststellen, daß nach der durchaus möglichen Gleichsetzung von „patria" und „provincia" (vgl. 0 . Brunner, Land und Herrschaft 188 ff., bes. 189 Anm. 1) das besprochene „patria . . . in sua potestate" auffallend einer wenig jüngeren Rechtsquelle, nämlich I I 8 der Lex Baiuvariorum (zur Problematik dieses Abschnittes vgl. Buchner, Rechtsquellen 28), gleicht, wo es heißt: „Si quis hominem per iussionem regis vel duci suo qui illam provincialη in potestatem habet, . . ". Löwe, Bonifatius 295 f., zeigte die Ähnlichkeit dieser Formulierung mit einer Wendung aus dem bekannten Briefwechsel zwischen Zacharias und Bonifatius, die sowohl Ep. Bonif. 50; S. 82 wie in wenig modifizierter Form a. a. O. 51; S. 87 auftritt und von der Herrschaft der karolingischen Hausmeier über das Frankenreich redet. Auch aus dem Jahre 739, aus einer Zeit also, da die Passauer Urkunde vermutlich geschrieben wurde, liegt ebenfalls ein Papstbrief mit vergleichbarer Aussage vor, die noch dazu hier Bayern betrifft. Ep. Bonif. 45; S. 72 (739 X 29) heißt es: „. . . et quia cum assensu Otile ducis eorumdem Baioariorum seu optimatum provinciae illius." Vergleicht man den Sprachgebrauch aller zitierten Stellen miteinander, so erkennt man auch für Bayern die Übereinstimmung von „gens", „patria" und „provincia", und zwar schon zu einem relativ frühen Zeitpunkt. Weil diese Dreiheit bereits vor 743 im Lande selbst einen diplomatischen Niederschlag gefunden, darf man Arnold von St. Emmeram, der allerdings erst nach 1000 schrieb, der Sache nach folgen, wenn er „bei der Darstellung des vorbonifatianischen Bayerns", gestützt auf die ältesten Regensburger Traditionen, den Ausdruck „ducatum genti huic praebuit Hucbertus" prägte: Bosl, Das Stammesherzogtum der Liutpoldinger 336. Bitterauf 1, 29 n. 2 (748 I I 12). Odilo ist angeblich am 18. Januar 748 gestorben: UB Salzburg 1, 32 Anm. 88. Siehe oben 137. Bitterauf 1, 29 n. 3 (a. 748—750); vgl. Anm. 49. Fichtenau, Urkunden Tassilos 7 und a. a. O. Anm. 36.

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von 750 steht in einer Carta, die überdies die Möglichkeit bot, „gloriosissimus dux Baioariorum" mit „inlustrissimus dux" gleichzusetzen110). Die beiden letzten Stücke, in denen die subjektive Subscriptio Tassilos vorkommt, verfaßte niemand anderer als Arbeo selbst111). Das Freisinger Urkundenbuch bewahrte jedoch auch ein Beispiel dafür, daß die in der Confirmatio gebrauchte Selbstaussage als Intitulatio angewendet wurde, wodurch wieder einmal die Berechtigung gezeigt wird, beide Formeln als solche zu werten. In Aufhausen bei Erding stellte Tassilo eine Urkunde für die Kirche von Moosen aus. Der mittelbare Empfänger der Schenkung, die leider undatiert ist, war der Priester Ursus. Daher geschah es, daß diese Carta von Bitterauf „beim Jahre 769 mit eingereiht wurde, weil in diesem Jahr der Priester Ursus zweimal genannt ist; sie könnte auch wesentlich früher anzusetzen sein"112). Es spricht nun viel dafür, an diese von F. Prinz eröffnete Möglichkeit anzuknüpfen, obwohl er sich selbst nicht dafür entscheidet. Prinz hält vielmehr die Einordnung der Carta, wie sie Bitterauf vorgenommen hat, für wahrscheinlich und motiviert seine Entscheidung mit der historischen Entwicklung um 770113). Das Jahr 769 als Ausstellungsdatum der Carta scheint aber zunächst auch ein Teilergebnis der Untersuchungen zu stützen, die E. Zöllner an der Herzogsurkunde vornahm, die schließlich zur Gründung von Innichen führte114). In dieser Carta, die auf 769 datiert ist, tritt ein Reginuuolf als „Handlungszeuge" auf. Die Urkunde von Aufhausen nennt nun ebenfalls einen Zeugen dieses Namens. Die Identität der beiden Personen ist aber keineswegs sicher; der Reginolf von 769 besaß in Freising noch einen Namensvetter. Aber selbst wenn in den beiden Urkunden von Bozen und Aufhausen derselbe Regin(uu)olf signiert hätte — ein Träger dieses Namens war auch Zeuge des „Stiftbriefes" von Kremsmünster und gehörte überhaupt zur Umgebung des Herzogs —, so folgt daraus nicht notwendig, daß die Aufhausener Urkunde im Jahre 769 ausgestellt wurde. Nach Zöllner wäre es nämlich möglich, daß dieser Reginolf bereits 744 die erste Freisinger Tradition mitunterfertigte115). Die beiden Nennungen des Priesters Ursus 769, die man außerhalb der Schenkung für Moosen besitzt, verlangen daher ebensowenig, auch diese Urkunde in dasselbe Jahr zu setzen, wie die Tatsache, daß sowohl in Bozen 769 wie in Aufhausen zu einem unbekannten Zeitpunkt ein Reginolf als Zeuge aufgetreten ist. »») Bitterauf 1, 31 n. 5 (a. 700); vgl. Anm. 87 ff. m ) Bitterauf 1, 37 n. 10 (a. 757). 43 n. 15 (a. 760). 112 ) Bitterauf 1, 63 n. 3ö. Prinz, Herzog und Adel 247 f. Vgl. Zöllner, Gründung von Innichen 148 Anm. 42: „Die Datierung beruht lediglich auf der Nennung des Priesters Ursus, der sonst noch zweimal im Jahre 769 genannt wird, ist daher unsicher." 113 ) Prinz 248; vgl. unten Anm. 116 und 180. ,14 ) Von einer „Gründungsurkunde" für Innichen zu sprechen, ist nicht möglich: Fichtenau, Urkunden Tassilos 20. 1Iä ) Zöllner, Die Gründung von Innichen 147 ff.

Ego Tassilo duz Baiuuariorum

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Mehr Gewicht hat das historische Argument, das F. Prinz für die Beibehaltung der von Bitterauf vorgeschlagenen Datierung anführt: Im Jahre 769 habe nämlich die allgemeine politische Situation gleichsam die Rückkehr Tassilos in das fränkisch gesinnte „Huosi-Bistum" Freising ermöglicht. Die Entspannung der Beziehungen zwischen Karl dem Großen einerseits und dem Agilolfinger wie Desiderius andrerseits hatte bewirkt, daß sich der „westbayerische Adelskreis" wieder Tassilo näherte. Demnach hält Prinz die Schenkung von Aufhausen für das Ergebnis einer ähnlichen politischen Konstellation, wie sie 769 tatsächlich urkundlich zu belegen ist und von E. Zöllner für den „Stiftbrief" von Innichen gezeigt wurde116). Diese Überlegungen bilden an sich einen zulässigen Analogieschluß; sie berücksichtigen jedoch nicht die Verschiedenheit in der Intitulatio, die die Urkunde von Aufhausen von der Bozner Carta trennt. Während nämlich die Intitulatio dieses Stückes von 769 den karolingischen Königstitel als bayerischen Herzogstitel genau kopiert, lautet die entsprechende Formel in der Schenkung für Moosen Ego Tassilo dux Bauvariorum. Diese Intitulatio, die ich den „vorkarolingischen" Typus des bayerischen Herzogstitels nennen möchte, richtet sich nach den Königs- und Fürstentitel des Frankenreiches vor 751. Sie ist aber dann auch in Einklang mit der Politik zu bringen, die sich in den Freisinger Urkunden während der ersten Jahre der tassilonischen Herrschaft widerspiegelt. Die theoretisch-politischen Aussagen wie das Schweigen der Tradition des Stiftes erlauben es nicht, die Ablehnung Tassilos durch den Personenkreis, dessen Zentrum Freising gebildet hat, schon für dessen Anfänge zu behaupten. Man sieht vielmehr, daß Tassilo unter der Vormundschaft seiner Mutter und ihres Bruders Pippin als Bayernherzog galt, und zwar in derselben Form, wie sie der Wortlaut der Intitulatio in der Aufhausener Urkunde darstellt. Die erste Periode Tassilos geht hingegen, nach Ausweis der Freisinger Urkunden, „schlagartig" mit 763 zu Ende, da der Herzog das fränkische Heer in Aquitanien verläßt117). Für die frühe Ansetzung der Urkunde von Aufhausen spricht aber auch die Verwendung „fränkischer" Formeln, wie sie außerhalb der Intitulatio vorkommen. Dazu gehört die Arenga, die vom „regnum presens" des Ausstellers spricht. Eine solche Theorie der herzoglichen Politik war in Freising nicht nur schon, sondern gerade unter der vormundschaftlichen Regierung Hiltruds und Pippins möglich118). Dasselbe gilt von der Selbstaussage „ego "·) Prinz, Herzog und Adel 248. Zöllner, Gründung von Innichen 135 ff. "') BM2 96 d. Bereits Abel suchte in den Urkunden Tassilos und seiner Zeit nach einem sichtbaren Niederschlag dieses im wahrsten Sinne des Wortes (vgl. unten Anm. 139) „Epoche machenden" Ereignisses. Seine Schlußfolgerung ist jedoch nicht richtig. "·) Äußerst wichtig in diesem Zusammenhang ist die Vermutung, Fichtenau, Urkunden Tassilos 7 f.: „Nur auf einen Regenten passen jedoch ihre Schlußworte (nämlich der Arenga von Freising n. 35), die das ,regnum presens' neben dem Himmelreich nennen. Die Anregung zu dieser Wendung kam sicherlich nicht aus der Kanzlei Pippins; eher könnte man an Diplome der Merowinger denken

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dux Bauuariorum", die in den eben erwähnten Unterfertigungen und Uberschriften der frühen Herzogsurkunden und „privaten" Cartae Freisings vorkommen. Ich möchte daher die Aufhausener Urkunde zwischen 748 und 760/63 ansetzen; vielleicht kann man diesen Zeitraum, nimmt man eine andere Formel der Urkunde wörtlich, sogar noch einschränken und zwischen 757 und 763 genauer festlegen 119 ). Die beiden Titelformen, die ohne Zutun Arbeos die bayerische Herzogspolitik widerspiegeln, sind die Typen „ego N. vir inluster dux" und „ego N. dux Baiuuariorum". Die entwicklungsgeschichtlich ältere Form ist die erstgenannte Formel; sie entspricht dem fränkischen „Amtsherzogstitel" und wird, im Falle einer korrekten Überlieferung, durch die Mondseer Herzogsurkunde von 770 belegt. Die jüngere Form des Herzogstitels kommt jedoch in Bayern bereits mehr als zwanzig Jahre früher vor, weshalb man „vir inluster dux" als einen vergleichsweise veralteten Typus ansprechen muß. Hingegen herrscht von 748 bis an den Beginn der sechziger Jahre — das letzte datierte Zeugnis stammt vom 23. Januar 760 120 ) — eindeutig die Titelform „Ego—Name—Funktionstitel—ethnische Bereichsbezeichnung" vor, deren Wurzeln im erschließbaren Titelwesen Odilos liegen. Dieser Herzogstitel folgt mittelbar oder unmittelbar dem merowingischen Königstitel, den auch die arnulfingischen Hausmeier kopierten. Die älteste Form eines bayerischen Herzogstitels im eigentlichen Wortsinn bleibt jedoch auf die Freisinger Traditionen beschränkt; doch würde es sicher zu weit führen, daraus irgendwelche Schlüsse ziehen zu wollen121). Wie bereits angedeutet, lehnt sich eine jüngere Form des bayerischen „Stammesherzogstitels" an den karolingischen Königstitel an. Bevor jedoch dieses Gegenstück zum „vorkarolingischen" Typus behandelt wird, soll noch (DM 87)." Vgl. a. a. O. 10 Anm. 53. Zur Formel „regnum presens" siehe auch Anm. 68. " · ) Zöllner, Die Gründung von Innichen 148, weist darauf hin, daß der Rechtsakt „coram episcopis necnon et presbiteris vel diaconibus seu vernaculis meis presentibus" vollzogen wurde. „Vernaculi" will er sicher mit Recht eher als Gefolgsleute denn „als das niedere Hausgesinde" verstehen. BM2 84 a. Löwe, Reichsgründung 19: 757 fand in Compiegne „die feierliche Kommendation Tassüos" und seiner Begleitung statt, die Pippin und seinen Söhnen die Vasallentreue schworen. Vgl. Ganshof, Qu'est-ce que la feodalitö 46 f. Von diesem Zeitpunkt an war Tassilo aus der Vormundschaft entlassen. Eine stärkere Betonung der Selbständigkeit des jungen Herzogs könnte man daher auch in Freising zugestanden haben, was vielleicht mit der zitierten Formel zusammenhängt. Für eine möglichst frühe Datierung würde hingegen Fichtenau wie Anm. 118 sprechen, obwohl Nachwirkungen merowingischer Diplome über das Jahr 751 hinaus selbstverständlich möglich sind. 12°) Bitterauf 1, 43 n. 15: Auf den Schreibervermerk folgt „Ego Tassilo dux Baioariorum confirmavi hanc epistulam". 121 ) Zur Vorsicht mahnt ja nicht zuletzt die Tatsache, daß man die Salzburger Bestände nicht kennt: Fichtenau, Urkunden Tassilos 3 f. Sowohl die Notitia Arnonis als auch die Breves Notitiae verzichten bei der Erwähnung der „duces Bawarie regionis" (UB Salzburg 1, 33) auf jeden Zusammenhang mit einem echten Herzogetitel.

Ego Tassilo illustrissimus dux

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die Entstehung und Verwendung eines tassilonischen Herzogstitels erwähnt werden, dessen Konzeption als fürstliche Intitulatio wohl mittelbar auf Arbeo zurückgeht. Es ist hier nicht der Ort, Arbeos Bedeutung für die Einführung langobardischer Urkundenformeln in Bayern zu würdigen. Ebenso muß ich auf die Untersuchung von Titulaturen wie „summus dux" und „summus princeps" verzichten, da diese weder direkt noch indirekt eine urkundliche Selbstaussage hervorbrachten. Außerdem wäre in dieser Frage vielleicht nur Heinz Löwe zu wiederholen122). Hingegen wurde eine bereits erwähnte Herzogstitulatur aus Freising123) zwischen 776 und 778 zu einer einmalig belegten Intitulatio. Die Zweitälteste Carta für Schäftlarn ist eine Herzogsurkunde; ihre Intitulatio lautet Ego Tassilo illustrissimus dux124). Dieser Typus war 750 in Freising, dem Schäftlarn zugehörte, zum ersten Male titular gebraucht und „gloriosissimus dux Baioarorum" gleichgesetzt worden125). Dadurch war diese Form als Typus eines „fürstlichen" Herzogstitels schon festgelegt, bevor noch Arbeo 754 als Schreiber des Stiftes auftrat. Der „(archi)presbiter" führte sich damals mit einer in mehrfacher Hinsicht bedeutsamen Datumsformel ein, als er am 24. Juni des Jahres schrieb: „anno secundo regnante excellentissimo Pippino rege, quando domnus apostolicus in partibus Gallie venerat, anno sexto regni Tassilonis electissimi ducis."128) Tassilos Mutter Hiltrud ist, der literarischen Überlieferung nach, 754 gestorben; darauf übernahm ihr Bruder Pippin die unmittelbare Vormundschaft über den jungen Herzog und behielt sie bis 757, dem Tag von Compiegne127). Die Datierung Arbeos könnte daher den Terminus ante quem sowohl für den Tod Hiltruds wie für den Beginn der unmittelbaren Herrschaft Pippins über die Bayern markieren. Zweitens kann man an der Titulatur Pippins und dem Interesse für die Papstreise nach „Gallien" die politische Position des Schreibers erkennen. An der Grenze zwischen Bayern und Langobarden geboren, hatte der junge bayerische Adelige dank seiner Begabung, Bildung und Herkunft Einblick in die theoretische Politik wie die Verfassungswirklichkeit des südlichen Königreiches gewonnen. So war Arbeo zum besten Kenner der langobardischen Staatssprache geworden und in gleicher Weise auch bereit, seine Kenntnisse einzusetzen. Aus kirchenpolitischen Erwägungen wie auf Grund seiner Abstammung zählte er jedoch zu den bayerischen „Franken"128). Arbeo verfaßte 754 die älteste bekannte Datierung nach karolingischen Königsjahren, die in einer bayerischen Carta nachzuweisen ist. Gleichzeitig rechnete er aber weiterhin nach „anno regni" des bayerischen Herzogs, "») ') '") 125 ) "·)

Löwe, Arbeo 91 ff. Siehe jedoch Anm. 138. Vgl. oben Anm. 87 und 91. Weissthanner 7 n. 2; Vgl. Prinz, Herzog und Adel 235. Vgl. oben 170. Bitterauf 1, 34 n. 7. Zur Datierung bayerischer Urkunden nach Königsjahren vgl. die Zusammenstellung bei Prinz 238 Anm. 28. 127 ) Ölsner, Jahrbücher 264. Vgl. Löwe, Reichsgründung 18 f. Vgl. Anm. 119. 128 ) Löwe, Arbeo 89 ff. Prinz, Herzog und Adel 246. 12

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Wolfram, Intitulatio I

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was einerseits gute Freisinger Tradition ist, aber auch aus der Sicht der langobardischen Königspolitik verstanden werden kann129). Eine offenkundig langobardische Titulatur liegt freilich in der Formel „regnante excellentissimo Pippino rege" vor, während das Rangprädikat „electissimus", das Tassilo schmückt, eine Gelegenheitsbildung sein dürfte130). Die Titulatur Pippins als „excellentissimus (vir) rex" tritt in Freising zehn Jahre später noch einmal auf131). Trotzdem blieb Arbeo selbst dem von ihm geschaffenen Typus nicht treu. Schon im kommenden Jahr 755 modifizierte er ihn zugunsten einer bereits bekannten Freisinger Formel132) und hatte damit den Freisinger Stil schlechthin kreiert, den man je nach politischer Lage und Einstellung kürzen oder übernehmen konnte. Die Änderung ergab „regnante domno Pippino inlustrissimo rege (nostro)133) et anno illo regni Tassilonis duci(s) venerabilis"134). Fünf Jahre zuvor hatte Atto, der Vorgänger Arbeos, „regnante domno inlustrissimo duce nostro Tassilone" datiert135). Es spricht nun für den hohen Rang dieser Titulatur, daß sie auch auf einen König übertragen werden konnte, den man im Jahr zuvor noch als „excellentissimus rex" geehrt hatte. Während im St. Gallen des Frühjahrs 752 „regnante vir inlusdro" gezählt wurde138), kehrte man in Freising zwar wieder zu einem Illustrat zurück, um die königliche Titulatur auszufüllen. Aber dieser Illustrat galt so viel wie der Gloriosissimat und stand neben dem langobardischen Königsprädikat „excellentissimus". „Inlustrissimus rex" stellte daher die am langobardischen Vorbild geschulte bayerische " · ) Siehe Anm. 71. lso) Vgl. damit etwa Regesto di Farfa nn. 36 sq.; 2, 42 f. (aa. 750/51): „Regnante domno nostro Haistolfo (viro) excellentissimo rege" (siehe auch die Titulatur Pippins nach Anm. 131). Das Rangprädikat „electissimus" konnte ich in Freisinger Traditionen kein zweites Mal verwendet finden. Es dürfte aber auch noch andere einmalige Bildungen gegeben haben, wie etwa „eminentissimus" (Bitterauf 1, 67 n. 39), „religiosissimus" ( a . a . O . 119 n. 102 a), „inclitus" (wie Anm. 48). m ) Bitterauf 1, 50 n. 22. Es handelt sich dabei um eine der zwei Freisinger Urkunden aus der Zeit Tassilos, die noch nach 763 (vgl. Anm. 141) nach Königsjahren datierten. Vgl. Prinz, Herzog und Adel 238 Anm. 28. Zu den Urhebern dieser Urkunde, Reginolt und Egeno, siehe Zöllner, Gründung von Innichen 150. 132 ) Wie Anm. 87. 133 ) Daß Pippin hier „rex noster" genannt wird, halte ich nicht für eine so besonders auffällige Formulierung, wie Löwe, Reichsgründung 21, und Fichtenau, Urkunden Tassilos 15, da Arbeo nur das Wort „rex" in den f ü r Tassilo von Atto verfaßten Typus (wie Anm. 87) einsetzte. Auch das Possessivprononem „noster" gehörte schon dazu. 1M ) Bitterauf 1, 35 n. 8. Das Rangprädikat „venerabilis", das etwa auch Bitterauf 1, 90 n. 63 im Kontext vorkommt, dürfte Arbeo der kirchlichen „Staatssprache" nachgebildet haben. Wie Mitterauer, Karolingische Markgrafen im Südosten 133 und 169 ff., zeigte, ist dieses Rangprädikat noch im 9. Jahrhundert f ü r „herzogsfähige" bayerische Grafen belegbar. Zum gleichzeitigen westfränkischen Usus siehe etwa Bibliotheque Nationale Paris, Collection Baluze 76 fol. 56: „domno scilicet Hugoni venerabillimo a b b a t i " (a. 878), doch wird das Problem der Titulatur von westfränkischen Laienäbten noch später zu berücksichtigen sein. 135 ) Wie Anm. 87. 136 ) Wartmann, U B St. Gallen 1, 20 n. 16.

Datierungen nach Königsjahren und nach Herzogsjahren

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Interpretation des neuen fränkischen Königstitels „rex Francorum vir inluster" dar. Zwischen 755 und 763 bevorzugte Arbeo den zweiten der von ihm eingeführten Titulaturtypen in der Datumzeile 137 ). Im Sommer des Jahres 763 machte jedoch ein wichtiges Ereignis „Epoche". Am 29. Juni 763 verfaßte und schrieb Arbeo seine letzte bekannte Urkunde, bevor er Abt und später Bischof wurde. Nach zweimaliger Erwähnung des „consensus Tassilonis inlustrissimi ducis" datierte der Schreiber einzig und allein „regnante inlustrissimo duce Tassilone". Gleichzeitig gebrauchte Arbeo zum ersten und einzigen Male in einer von ihm geschriebenen Urkunde die Fremdaussage „summus princeps" für Tassilo, die er noch durch das Possessivpronomen „noster" verstärkte 138 ). Nur wenige Wochen zuvor hatte Tassilo das Heer Pippins in Aquitanien verlassen, wohl eingedenk der alten aquitanisch-bayerischen Freundschaft im Kampf gegen die Arnulfinger 13 '). Der Bayernherzog mißachtete offenkundig seine Verpflichtungen, die er 757 in Compiegne eingegangen war und konnte seine eigene Politik treiben, ohne daß er vom fränkischen König zur Rechenschaft gezogen worden wäre 140 ). Eine solche Demonstration der Stärke, der nicht widersprochen wurde, mußte gewaltigen Eindruck machen. In der Folge davon dürfte man auch im betont frankophilen Freising seine Position überprüft haben. Nur noch zwei Traditionen datieren seither nach Königsjahren. Bezeichnenderweise befindet sich darunter die Carta des mächtigen Huosiers „Poapo vir nobilis", die kein anderer als Bischof Arbeo selbst diktierte. Als Hauptdatierung dient in dieser Urkunde aber nicht die Zählung nach Pippins „anno regni" 1 4 1 ), sondern die nach Inkarnationsjahren, die Arbeo schon einmal als „presbiter" verwendet hatte 1 4 2 ). ) Bitterauf 1, 35 n. 8, 36 n. 9 a, 43 n. 15, 45 n. 17. ) Ders. 1, 48 n. 19. Vgl. Löwe, Arbeo 91 ff. und Anm. 57. Weil Arbeo die Titulatur „summus princeps" in n. 19 zum einzigen Mal gebraucht, wäre in diesem Falle doch zu fragen, ob die Titulatur die Stellung Tassilos als „summus dux" relativieren sollte. Die Staatssprache des 9. Jhdts. würde Löwe 92 widerlegen. Aber auch bei den Langobarden des 8. Jhdts. war „summus dux" schon eine absolute Größe. Vgl. 204. 139 ) BM2 96 d. Löwe, Reichsgründung 46 f., hält dieses Ereignis für nicht besonders lang nachwirkend. Prinz, Herzog und Adel 238 Anm. 28, bietet eine Aufstellung der nur auf „Westbayern" beschränkten Datierungen nach Pippins Königsjahren. Daraus geht hervor, daß nach 763 nur zwei Ausnahmen unter der stark anwachsenden Urkundenüberlieferung vorhanden sind, die nach dem fränkischen König zählen. Aber auch diese beiden Urkunden sind 765 bzw. spätestens 767 ausgestellt worden. Nach diesem Jahr gibt es in einer bayerischen Urkunde bis 788 keine Datierung nach einem Frankenkönig mehr. 140 ) Zumindest ist man erst 788 auf diesen „harisliz" zusprechen gekommen: Annal. regni Franc, a. 788 (Rau S. 56). 141 ) Bitterauf 1, 51 n. 23; vgl. Prinz wie Anm. 139 und Zöllner, Gründung von Innichen 161. 142 ) Bitterauf 1, 39 n. 11. Da diese Carta von 758 V 25 stammt, gehört sie der Periode von 754 bis 763 an, in der man für gewöhnlich nach Königs- und Herzogsjahren datierte. In diesem Stück hat die Rechnung nach Inkarnations jähren die Zählung nach Königsjahren verdrängt, also genau umgekehrt wie in a. a. 0 . 5 1 n. 23 gewirkt. 137 13s

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VI. Die Titel des bayerischen Stammesherzogs

Von einem solchen Datierungsmodus gelangte man jedoch auf die Eingangsdatierung „regnante in perpetuo domino nostro Iesu Christo", mit der man in Freising nach 768, also nach dem Tode Pippins, die Kursänderung von 763 wieder ein wenig zu korrigieren suchte 143 ). Die Freisinger Datierungen nach Herrscherjahren steckten den Rahmen ab, in dem die Fremdaussagen zu der jeweils höchsten irdischen Macht in Bayern auftreten konnten. Indem Arbeo dieselbe Titulatur auf Pippin und dann wegen der geänderten politischen Situation von 763 wieder auf Tassilo übertrug, hatte er die Fähigkeit der alten Freisinger Formel bewiesen, eine königliche Politik zu repräsentieren. Diese „königswürdige" Formel wurde dann auch von anderen Urkundenschreibern zu „regnante (domino nostro) et illustrissimo duce (nostro) Tas3ilone" ausgebaut 144 ). Obwohl der Gegensatz zwischen dem Agilolfinger und dem „westbayerischen" Adelskreis zunahm, war der Huosier Poapo der letzte, der vor Tassilos Untergang nach Königsjahren datieren ließ 143 ). Die königsgleiche Herrschaft Tassilos wurde aber im „Huosi-Bistum" Freising seit 770 dadurch paralysiert, daß man, gleichsam in einer Flucht nach vorne oder, besser gesagt, nach oben, sich auf das ewige Königtum Christi berief. Wenn man nun im Freisinger Eigenkloster Schäftlarn 776 auf 778 eine Herzogsurkunde mit einer Intitulatio bedachte, die der Freisinger Titulatur nachgebildet wurde, so wurde damit nur eine vielfach und gerne gebrauchte Formel subjektiviert. Sie muß als fürstliche Intitulatio gegolten haben, wenn man bedenkt, daß sie der Mann, der durch die Tat zeigte, daß er Karl und den Franken treuer war als seinem Stammesherzog 146 ), als Typus einer königlichen Titulatur für würdig gehalten hatte. Arbeo selbst hatte den wahrhaft fürstlichen Charakter dieses Titels deutlich gemacht. Mit der Mondseer Carta von 770 verbindet die Urkunde für Schäftlarn ein gemeinsamer Urkundenbeginn: Protokoll und Dispositio mit Datierung lassen verblüffende Parallelen zu langobardischen „Akten" erkennen, die die Königsgesetze einschließen 147 ). ' ) Fichtenau, Urkunden Tassilos 16: Das erste Stück stammt aus 769 I 20. Pippin war am 24. September 768 gestorben: BM2 115 a. »«) Bitterauf 1, 72 n. 44 (a. 772), 78 n. 49 (a. 772), 79 n. 50 (a. 772), 87 n. 60 (a. 773): eine Carta Arbeos nach seinem Diktat verfaßt von Sundarher. Und viele andere Beispiele. 1