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German Pages [805] Year 2010
Edition Internationale Wirtschaft Herausgegeben von
Professor Dr. Hans-Dieter Haas
Internationale Wirtschaft Rahmenbedingungen, Akteure, räumliche Prozesse
Herausgegeben von
Prof. Dr. Hans-Dieter Haas und
Dipl.-Kfm. Simon-Martin Neumair Institut für Wirtschaftsgeographie Ludwig-Maximilians-Universität München Mit Kapitelbeiträgen von Dipl.-Geogr. Daniela Eschlbeck, Dipl.-Kfm. Bernd Alexander Forster, Prof. Dr. Hans-Dieter Haas, Dr. Martin Heß, Dipl.-Kfm. Ingo Maximilian Levasier, Dipl.-Kfm. Simon-Martin Neumair, Dipl.-Geogr. Michael Oechsle, Dr. Johannes Rehner, Dipl.-Kfm. Dieter Schlesinger, Dr. Till Werneck, Dr. Hans-Martin Zademach
R.Oldenbourg Verlag München Wien
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
© 2006 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Telefon: (089) 45051-0
www.oldenbourg.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säure- und chlorfreiem Papier Druck: Oldenbourg Druckerei Vertriebs GmbH & Co. KG Bindung: R. Oldenbourg Graphische Betriebe Binderei GmbH 3-486-57943-6 ISBN ISBN 978-3-486-57943-7
V
Vorwort
Vorwort Die Internationalisierung der Wirtschaft ist ein Phänomen unserer Zeit, das die Gesellschaft prägt und sich im täglichen Leben jedes Einzelnen niederschlägt. Unternehmen gehören zu den Trägern globaler Prozesse, deren Dimension und Vielschichtigkeit ständig weiter zunehmen. Nahezu alle Erdteile sind inzwischen von diesem Vorgang erfasst, der mit dem Begriff „Globalisierung" eine zusätzlich qualitative und raumdifferenzierende Ausprägung erhält. Auch in der akademischen Lehre beschäftigt sich eine Vielzahl von Studiengängen mit der Internationalisierung der Wirtschaft und deren Auswirkungen auf Gesellschaft, Politik, Kultur und Umwelt. Je nach Fachgebiet liegt der Fokus zwar auf unterschiedlichen Fragestellungen, die Komplexität der Thematik macht es aber erforderlich, dass inhaltliche Zusammenhänge, Ursächlichkeiten und Wirkungen auch vor dem Hintergrund raumstruktureller Gegebenheiten und entwicklungsspezifischer Abläufe gesehen werden.
Die Idee, ein Lehrbuch zu verfassen, das sich gleichsam mit Akteuren, Rahmenbedingungen, aber auch räumlichen Prozessen der Internationalisierung der Wirtschaft befasst, entstand vor einiger Zeit am Lehrstuhl für Wirtschaftsgeographie der Ludwigs-Maximilians-Universität (LMU) München, von dem alle an dem Werk als Autoren beteiligten Personen, Lehrstuhlinhaber, Assistenten und Doktoranden, stammen. Dort werden vor allem Diplom-Wirtschaftsgeographen, Diplom-Kaufleute und Diplom-Volkswirte interdisziplinär ausgebildet. In der jüngst zurückliegenden Zeit sind zwar etliche Publikationen erschienen, die sich insbesondere mit den Gebieten „Internationales Management" und „Interkulturelles Management" beschäftigen. Das Lehrgebiet „Internationale Wirtschaftsräume", das als Vertiefungsfach sowohl im Studiengang Wirtschaftsgeographie als auch im Studiengang Betriebswirtschaftslehre an der LMU gewählt werden kann, bewegt sich aber an einer spezifischen Schnittstelle, die weitere, über die in den gängigen Lehrwerken behandelten Themen hinausgehende Aspekte einschließt oder zumindest anscheidet. Dies gilt insbesondere für wirtschaftgeographische Fragestellungen, die verstärkt räumliche Aspekte der Internationalisierung im Blickfeld haben. Wir hoffen, dass mit vorliegendem Lehrbuch diese Lücke nun geschlossen werden konnte. Das Buch richtet sich vor allem an Studierende der Wirtschaftswissenschaften, die sich aus betriebswirtschaftlicher, volkswirtschaftlicher oder geographischer Perspektive mit der Globalisierung der Wirtschaft und der Internationalisierung unternehmerischer Aktivitäten beschäftigen. Doch auch für Studierende der Soziologie sowie der Kultur- und Politikwissenschaft bietet dieses Buch interessante Ein-
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VI
Vorwort
blicke und Implikationen. Zur Zielgruppe gehören ferner auch diejenigen, die sich mit internationalen Wirtschaftsbeziehungen in der Praxis befassen und zusätzliches Hintergrundwissen für diese Materie erwerben wollen. An der Erstellung eines so umfangreichen Werkes ist eine Vielzahl von Persobeteiligt. Wir bedanken uns an dieser Stelle zunächst bei allen derzeitigen und ehemaligen Mitarbeitern und Doktoranden am Institut für Wirtschaftsgeographie, die als Autoren tätig gewesen sind. nen
Auch möchten wir uns bei Frau Dipl.-Geogr. Susanne Lindemann, Herrn Dr. Jochen Scharrer, Frau Dr. Claudia Schraml, Herrn Dr. Eckhard Störmer sowie Hr. Dr. Till Werneck bedanken, die als frühere Lehrstuhlmitarbeiter inhaltliche Vorarbeiten für dieses Buch geleistet haben. Zu tiefstem Dank sind wir folgenden Personen verpflichtet, die sich durch ihr überaus großes Engagement verdient gemacht haben und ohne deren Hilfe die Realisierung dieses Buchprojektes nicht möglich gewesen wäre: •
•
Herrn Heinz Sladkowski, Kartograph am Institut für Wirtschaftsgeographie, der die gewissenhafte und sorgfältige Erstellung der zahlreichen, teils schwierigen Abbildungen und Karten übernommen hat sowie den vielen Änderungswünschen immer geduldig gegenüberstand und diese mit großer Sorgfalt umsetzte; Herrn Christian Gnam, studentische Hilfskraft am Institut für Wirtschaftsgeographie, der uns über Monate hinweg mit umfangreichen und zeitaufwendigen Daten- und Literaturrecherchen stets zur Seite stand, uns wertvolle inhaltliche Anregungen geliefert und bei der Umsetzung der Korrekturarbeiten unterstützt
•
hat;
Herrn Michael Wolfson, studentische Hilfskraft am Institut für Wirtschaftsgeographie, der gemessen an Arbeitsaufwand, Zeitdruck und Vielzahl der geäußerten Änderungswünsche mit der Gestaltung des Layouts eine äußerst schwierige Aufgabe zu bewältigen hatte, in unermüdlicher Weise zur Vollendung des Buches ganz wesentlich beigetragen und damit den Nachweis erbracht hat, welch hohen Anforderungen bei der Formatierung eines Buches -
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zu •
genügen ist;
Herrn Dipl.-Kfm. Dieter Schlesinger MBR, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wirtschaftsgeographie, der die umsichtige Erstellung des Endlayouts und der Tabellen übernommen sowie uns jeder Zeit seine umfangreiche Unterstützung in technischen Fragen zur Verfügung gestellt hat.
Schließlich möchten wir uns für die zahlreichen Unterstützungsleistungen aller, hier nicht namentlich genannten Lehrstuhlmitarbeiter sowie für die Hinweise und Anregungen aus dem Kreis unserer Studenten bedanken.
VII
Vorwort
Bei der Erstellung eines derartigen Lehrbuches treten gerade bei einer Anzahl immer Fehler, sowohl in sprachlicher wie auch formaler Sicht, von 11 Autoren Wir konnten sie sicherlich nicht alle beseitigen, so sehr wir uns auch bemüht auf. haben. Sollten wir ferner inhaltlich eine aus den genannten Quellen entnommene Denkweise falsch interpretiert oder unzureichend wiedergegeben haben, stellt dies ein unabsichtliches Versäumnis dar. -
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Anregungen und Anmerkungen aller Art sind daher jederzeit erwünscht und ausdrücklich willkommen (email: [email protected]).
München, im September 2005
Hans-Dieter Haas und Simon-Martin Neumair
Aufbau und Struktur des Buches
IX
Zu Aufbau und Struktur des Buches Was den Aufbau dieses Buches angeht, ist anzumerken, dass dieser keinem stufenweisen und strikt evolutorischen Lehrkonzept entspricht. Da stets Teilaspekte der Internationalisierung der Wirtschaft bzw. einer internationalen Unternehmenstätigkeit behandelt werden, ist dem Leser der Lektüreneinstieg an jeder Stelle möglich, zumal die einzelnen Kapitel durch viele Querverweise thematisch eng zusammengehalten werden. Die von uns gewählte Reihenfolge erscheint uns in didaktischer Hinsicht aber durchaus sinnvoll, korrespondiert sie doch mit einer entsprechenden Lehrveranstaltung, die sich mit dem komplexen, Schnittstellen bildenden Thema globaler Wirtschaftsentwicklung und deren ökonomischen, politischen, räumlichen und soziokulturellen Implikationen befasst. Das Buch besteht aus 5 Hauptkapiteln (A bis E) und 27 Einzelkapiteln. Teil A beschäftigt sich mit ausgewählten Aspekten und allgemeinen strukturellen Rahmenbedingungen des weltwirtschaftlichen Globalisierungsprozesses. Dabei soll gezeigt werden, dass Globalisierung wirtschaftliche, politische und soziale Prozesse beinhaltet und dabei Veränderungen sowie Chancen und Risiken nicht nur für einzelne Individuen, Gruppen und Unternehmen, sondern auch Länder und Ländergruppen auslöst. Nach einem kurzen Einblick in die Eigenschaften und Ebenen von Globalisierung (Kap. 1) folgt ein Überblick über Frühformen länderübergreifender Wirtschaftsaktivitäten und deren Entwicklung bis heute (Kap. 2). Kap. 3 stellt mit dem Außenhandel und den internationalen Direktinvestitionen die beiden wichtigsten ökonomischen Globalisierungsindikatoren vor. Kap. 4 befasst sich mit den institutionellen Grundlagen des Welthandels (GATTVWTO), Kap. 5 mit der Rolle der Entwicklungsländer in der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung. Ausgehend vom Prinzip einer nachhaltigen Entwicklung, diskutiert Kap. 6 die Rolle von Umweltund Sozialstandards und thematisiert damit ökologische und soziale Momente des
Globalisierungsprozesses.
Gegenstand von Teil B sind theoretische Erklärungsansätze für die Internationalisierung der Wirtschaft und eine internationale Unternehmensaktivität. Es werden damit aus Sicht der Theorie Antworten auf die Frage gegeben, warum, wie und unter welchen Bedingungen es zu einer Internationalisierung unternehme-
Engagements kommt. In Kap. 7 werden die bedeutendsten Außenhandelstheorien, in Kap. 8 die wichtigsten Theorien der internationalen Direktinvestitionen und in Kap. 9 allgemeine theoretische Grundlagen der Standortwahl erläutert.
rischen
Teil C widmet sich internationalen Wirtschaftsräumen als Aktionsfeldern internationaler Unternehmen. Dabei sollen raumwirksame Aspekte der Globalisierung sowie räumliche Komponenten und Ebenen des Internationalisie-
X
Aufbau und Struktur des Buches
rungsprozesses unter Berücksichtigung zeitlicher Veränderungen und regional differierender Einflüsse thematisiert werden. Dazu gehören zunächst Prozess und Formen der Regionalisierung, d.h. der Verdichtung ökonomischer Aktivitäten durch Bildung supranationaler Handels- und Wirtschaftsblöcke (u.a. NAFTA, MERCOSUR, EU) (Kap. 10), sowie die Entstehung sog. Wachstumsmärkte, deren Charakteristik und Dynamik am Beispiel Indiens und Chinas aufgezeigt werden (Kap. 11). Kap. 12 thematisiert theoretische Grundlagen und Konzepte zur Erfassung von Kultur, Kernelemente und Manifestationsebenen von Kultur sowie Kulturdimensionen und deren räumliche Verortung. Mit der Rolle des Nationalstaates als Governance-Institution diskutiert Kap. 13 eine weitere räumliche Ebene im Globalisierungsprozess, die durch eine kurze, aber kritische Reflexion der Debatte um den Standort Deutschland abgerundet wird. Kap. 14 rückt mit Städten und Regionen weitere wirtschaftsräumliche Einheiten in den Vordergrund der Betrachtung. Der Global-City-Ansatz führt die Rolle weltweit weniger Städte als Knotenpunkte einer globalen Ökonomie aus. Das in der Wirtschaftsgeographie viel Aufmerksamkeit erfahrende Cluster-Konzept zeigt, dass mit der Aufwertung regionaler Wettbewerbspotenziale die Globalisierung auch eine Gegenbewegung „von unten" erfährt. Teil D widmet sich spezifischen unternehmerischen Aktivitäten und Wertschöpfungsbereichen im internationalen Kontext. Ziel ist es dabei, den Prozess und Mechanismus der Internationalisierung sowohl einzelner unternehmerischer Funktionen als auch ausgewählter Branchen abzubilden. Im Einzelnen handelt es sich dabei um Unternehmenszusammenschlüsse und -übernahmen („mergers and aquisitions") mit Beispielen aus der Finanzdienstleistungsbranche (Kap. 15), Grundlagen des interkulturellen Marketings am Beispiel der Nahrungsmittelindustrie (Kap. 16), internationale Märkte für Umweltschutztechnologie (Kap. 17), die Internationalisierung des Luftverkehrs (Kap. 18) sowie die zunehmenden Möglichkeiten kostenbedingter Auslagerung unternehmerischer Wertschöpfungsstufen in andere Länder („offshore outsourcing"), dargestellt am Beispiel der IT-Branche
(Kap. 19). Im Mittelpunkt von Teil E steht das Unternehmen als Akteur im internationalen Wettbewerb. Mit dem „going international" kommt es für Unternehmen zu einem prinzipiellen Situationswandel und einer Multiplikation der relevanten Entscheidungsvariablen. Daher gilt es die mit einer Internationalisierung der Geschäftstätigkeit und des Untemehmensumfeldes verbundenen Herausforderungen und Bedrohungen herauszuarbeiten und bedeutende strategische Elemente zu analysieren. Kap. 20 thematisiert zunächst veränderte Organisations- und Produktionsstrukturen sowie die Bildung von Unternehmensnetzwerken. Kap. 21 und 22 stellen mit dem Prozess der Ländermarktauswahl, dem Markttiming und der Wahl der Marktbearbeitungsform wichtige strategische Entscheidungsfelder der Internationalisierung vor. Kap. 23 beschäftigt sich mit der Typologisierung und den Organisationsstrukturen international tätiger Unternehmen sowie strategischen Internationalisierungskonzepten. Kap. 24 erläutert Besonderheiten und Probleme
Aufbau und Struktur des Buches
XI
der Internationalisierung kleiner und mittlerer Unternehmen. Gegenstand von Kap. 25 sind dynamische Modelle der Internationalisierung, welche die internationale Untemehmensaktivität als Lern- und Erfahrungsprozess interpretieren. Kap. 26 widmet sich Formen, Ausprägungen und Bestimmungsgründen von Länderrisiken sowie Konzepten und Methoden zu deren Bewertung. Kap. 27 befasst sich schließlich mit den Grundlagen des interkulturellen Managements sowie Kultur als Länderrisiko und geht auf die Schwerpunkte der Personal- und Verhandlungsführung im interkulturellen Kontext ein.
XIII
Inhaltsübersicht
Inhaltsübersicht Vorwort.
V
Zu Aufbau und Struktur des Buches.IX Inhaltsverzeichnis. XV
Verzeichnis der Abbildungen. XXVII Verzeichnis der Tabellen. XXXI Verzeichnis der Karten. XXXII Verzeichnis der Exkurse.XXXIII Teil A: Weltwirtschaft im 1.
2. 3.
Globalisierungsprozess.1
Kapitel: Globalisierung der Märkte und Internationalisierung der Kapitel: Kapitel:
Wirtschaft (Haas. 3 Wirtschaftliche Aktivitäten im Wandel Frühformen und Entwicklung bis heute (Heß). 17 Handel und Direktinvestitionen Eine Bestandsaufnahme -
(Neumair). 41 4. Kapitel: Protektionismus und Außenhandel (Neumair). 61 -
5.
Kapitel: Entwicklung versus Unterentwicklung: Ursachen und Konsequenzen (Neumair). 6. Kapitel: Nachhaltige Weltwirtschaft Die Rolle internationaler Umwelt- und Sozialstandards (Schlesinger). -
103 147
Teil B: Theorien internationaler Unternehmenstätigkeit.185 7. Kapitel: Theorie des Außenhandels
(Neumair). 187 S.Kapitel: Theorie der Direktinvestitionen (NeumairAVerneck). 215 9. Kapitel: Theoretische Grundlagen der Standortwahl (Heß). 243 Teil C: Internationale Wirtschaftsräume als Aktionsfelder internationaler Unternehmen.263
Blockbildung (Neumair). 11 .Kapitel: Dynamische Wachstumsmärkte Die Beispiele China
10. Kapitel: Formen der regionalen und Indien
265
(Haas). 321 -
XIV
Inhaltsübersicht
U.Kapitel: Nation und Kultur (Rehner).
349
13. Kapitel: Wettbewerb der Nationen: Wirtschaftsstandorte und Governance-Strukturen im Zeitalter der Globalisierung
(Heß).. 377 14. Kapitel: Städte und Regionen im Wettbewerb (Neumair). 397 .
Teil D:
Ausgewählte unternehmerische Aktivitäten und Wertschöpfungsbereiche im internationalen Kontext.427
15. Kapitel: Fusionen und Übernahmen (M&A) im internationalen Kontext: Grundlagen und Beispiele aus der Finanzdienstleistungsbranche (Zademach). 429
Marketing Das Beispiel der Nahrungsmittelindustrie (Rehner). 17. Kapitel: Internationale Märkte für Umweltschutztechnologie (Schlesinger). 18. Kapitel: Internationalisierung der Luftverkehrsbranche (Oechsle). 19. Kapitel: Offshore-Outsourcing von IT-Dienstleistungen neue Rahmenbedingungen für Unternehmen und Herausforderung für 16. Kapitel: Interkulturelles
-
461 491 511
-
Industrieländer (Eschlbeck). 535
Teil E: Unternehmen als Akteure im internationalen Wettbewerb.555
20. Kapitel: Unternehmensnetzwerke und Netzwerktheorie
(Heß). 557 21. Kapitel: Ländermarktauswahl und Timingstrategien (Haas). 579 22. Kapitel: Marktbearbeitungsformen das Spektrum einer internationalen Unternehmenstätigkeit (Haas). 605 -
tätige Unternehmen: Formen, Strategien und Herausforderungen (Levasier). 24. Kapitel: Internationalisierung kleiner und mittlerer Unternehmen
23. Kapitel: International
645
(Forster). 669
Dynamische Modelle unternehmerischer Internationalisierung (Rehner). 26. Kapitel: Länderrisiken und deren Bewertung (Neumair). 27. Kapitel: Grundlagen des Interkulturellen Managements (Rehner). 25. Kapitel:
691 715
749
Stichwortverzeichnis.787
XV
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Globalisierungsprozess.
1
Globalisierung der Märkte und Internationalisierung der Wirtschaft.
3
Teil A: Weltwirtschaft im 1 .Kapitel:
1.1
1.2 1.3 1.4 1.5 1.6
Alltagsphänomen Globalisierung. Zum Begriff der Internationalisierung und Globalisierung.
Die Rolle transnationaler Unternehmen. Internationalisierung und globale Arbeitsteilung. Globalisierung und Außenhandel. Globalisierung und nachhaltiges Wirtschaften.
Kapitel: Wirtschaftliche Aktivitäten im Wandel Frühformen und Entwicklung bis heute. 2.1 Internationalisierung ein neues Phänomen?. 2.2 Weltwirtschaft und europäische Expansion. 2.3 Industrialisierung im Weltmaßstab.
3 4 6 8 10 12
2.
-
-
2.3.1 2.3.2 2.4 2.5 2.6 2.6.1 2.6.2
Die Industrielle Revolution. Die Theorie der Langen Wellen. Die Entwicklung internationaler Unternehmensnetzwerke. Weltwirtschaftliche Entwicklungen nach dem Zweiten Weltkrieg Vom Fordismus zum Postfordismus. Gesellschaftlicher und ökonomischer Wandel in Industriestaaten Fordismus und Postfordismus: Ein regulationstheoretischer
.
..
17 17 18 21 21 23 25 28 31 32
Erklärungsansatz.
35
3. Kapitel: Handel und Direktinvestitionen Eine Bestandsaufnahme 3.1 Wirtschaftlicher Wandel und globaler Wettbewerb. 3.2 Entwicklungstendenzen des Welthandels. 3.2.1 Das Wachstum des Welthandels. Sektorale und regionale Struktur des internationalen Warenhandels 3.2.2 3.2.3 Deutschlands Stellung im Weltwarenhandel. Internationaler Dienstleistungshandel. 3.2.4 Globale Direktinvestitionsstrukturen. 3.3 Internationale Direktinvestitionstätigkeit. 3.3.1 3.3.2 Sektorale und regionale Verteilung von Direktinvestitionen. Deutsche Direktinvestitionen versus Direktinvestitionen 3.3.3 in Deutschland.
41
-
..
41
43 43 45 49 51 53 53 55 57
XVI
Inhaltsverzeichnis
4. Kapitel: Protektionismus und Außenhandel. 4.1 Protektionismus als ordnungspolitisches Leitbild des Außenhandels Ziele des Protektionismus. 4.1.1 4.1.2 Handelshemmnisse als Instrumente des Protektionismus. Tarifäre Handelshemmnisse. 4.1.2.1 Nichttarifäre Handelshemmnisse. 4.1.2.2 4.1.3 Auswirkungen des Protektionismus. Unmittelbare Wirkungen im Inland. 4.1.3.1 4.1.3.2 Rückwirkungen über das Ausland. 4.1.4 Ansätze zur Erklärung von Protektionismus. 4.2 Das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen GATT. 4.2.1 Ursprung und Zielsetzungen des GATT. 4.2.2 Prinzipien des GATT. 4.2.3 Erfolge und Defizite des GATT. Die Neue Welthandelsordnung. 4.3 4.3.1 Modifizierung und Erweiterung des GATT. 4.3.2 Das Dienstleistungsabkommen GATS. Das Abkommen zum Schutz geistiger Eigentumsrechte (TRIPs) 4.3.3 4.3.4 Das Abkommen über die Welthandelsorganisation (WTO). Defizite der neuen Welthandelsordnung und künftiger 4.3.5
61 61 61 62 62 64 67 68 69 71 74 74 75 79 81 81 84 86 87
Handlungsbedarf.
90
.
4.4
5.
.
Die Konferenzen von Doha, Cancün und Genf sowie Zukunftsperspektiven der WTO.
95
Kapitel: Entwicklung versus Unterentwicklung: Ursachen und
5.1 5.1.1
5.1.2 5.1.2.1 5.1.2.2 5.1.2.3 5.1.3 5.2 5.2.1 5.2.2 5.3 5.3.1 5.3.2 5.3.3 5.3.4
Konsequenzen. 103 Allgemeine Grundlagen. 103 Der Begriff „Entwicklung". 103
105 105 107 110 112 116 Modernisierungstheorien. 116 Dependenztheorien. 118 Rohstoffe und weltwirtschaftliche Arbeitsteilung. 121 Entwicklungsländer im Welthandel. 121 Abhängigkeit vom Rohstoffexport. 125 Instabilität der Rohstoffpreise und ihre Folgen. 128 Instrumente der Rohstoffpolitik. 131
Merkmale und Indikatoren von Unterentwicklung. Symptome der Unterentwicklung. Strukturmerkmale der Unterentwicklung. Indikatoren zur Messung von Unterentwicklung. Einordnung und Typologisierung von Entwicklungsländern Entwicklung versus Unterentwicklung aus theoretischer Sicht .
....
XVII
Inhaltsverzeichnis
5.4 5.4.1 5.4.El 5.4.1.2 5.4.1.3
5.4.2
Strategien zur Überwindung von Unterentwicklung. Endogene Entwicklungsstrategien. Strategie der importsubstituierenden Industrialisierung. Strategie der Dissoziation. Strategie der Exportorientierung und neue internationale Arbeitsteilung. Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit internationaler Organisationen. Die Abkommen
6.
Die Rolle internationaler Umwelt- und Sozialstandards. Aspekte einer nachhaltigen Weltwirtschaft. Begriff und Formen von Dumping. Regime und Akteure einer nachhaltigen Weltwirtschaft. Internationale Abkommen. Regelungen von GATTAVTO. Internationale Umweltabkommen Internationale Sozialabkommen.
Kapitel: Nachhaltige Weltwirtschaft
6.1 6.2 6.3 6.3.1 6.3.1.1 6.3.1.2 6.3.1.3 6.3.2 6.3.2.1 6.3.2.2 6.3.2.3 6.3.3
-
.
Nichtregierungsorganisationen (NGO)
.
Merkmale und Aktionsbereiche von NGO Soziale Etikettierung. .
Ökologische Etikettierung. Unternehmerische
138
139 Lome und Cotonou. 142
5.4.3
von
136 136 136 137
Aspekte.
147 147 149 154 154 154 157 163 166 166 169 171 174
Teil B: Theorien internationaler Unternehmenstätigkeit. 185 7. Kapitel: Theorie des Außenhandels. 7.1 Vor-und Nachteile des Außenhandels. 7.2 Theoretische Erklärungsansätze. 7.2.1 NichtVerfügbarkeit als Ursache für Außenhandel. 7.2.2 Merkantilismus. 7.2.3 Klassische und neoklassische Außenhandelstheorien. 7.2.3.1 Theorie der absoluten Kostenvorteile. 7.2.3.2 Theorie der komparativen Kostenvorteile. 7.2.3.3 Unterschiedliche Faktorproportionen. 7.2.3.4 Bewertung und Kritik. 7.2.4 Moderne Außenhandelstheorien. 7.2.4.1 Theorie der technologischen Lücke. 7.2.4.2 Produktlebenszyklustheorie. 7.2.4.3 Die Bedeutung von Größenvorteilen. Die Rolle von Produktpräferenzen. 7.2.4.4 7.2.4.5 Strategische Handelspolitik. 7.3 Optimalität des Freihandels.
187 187 189 190 192 193 193 195 198 200 201 201 203 204 206 208 210
XVIII
Inhaltsverzeichnis
8. Kapitel: Theorie der Direktinvestitionen. 8.1 Der Begriff „Direktinvestition". 8.1.1 Typen von Auslandsinvestitionen. 8.1.2 Eigenschaften und Systematisierung von Direktinvestitionen. 8.2 Motive für Direktinvestitionen. 8.3 Theoretische Ansätze zur Erklärung von Direktinvestitionen. 8.3.1 Partialanalytische Ansätze. 8.3.1.1 Kapitalmarktorientierte Ansätze Ansätze der Industrial Organisation. 8.3.1.2 8.3.1.3 Standorttheoretische Ansätze. 8.3.1.4 Internalisierungsansatz. 8.3.1.5 Sonstige Ansätze. 8.3.2 Eklektisches Paradigma. 8.3.3 Behavioristische Theorie. 8.4 Wirkungen von Direktinvestitionen. .
215 215 215 216 218 219 220 220 221 224 228 230 231 234 236
9. Kapitel: Theoretische Grundlagen der Standortwahl. 243 9.1 Unternehmerische Standortwahl als theoretischer Untersuchungsgegenstand. 243 9.2 Weiterentwicklungen der Industriestandorttheorie. 244 9.3 248 Verhaltensorientierte Standorttheorien 9.3.1 Modell vonPred. 248 9.3.2 Modell unternehmerischer Anpassungshandlungen. 251 9.4 Dynamische Standorttheorien. 253 9.4.1 Produktlebenszyklustheorie. 253 9.4.2 Profitzyklustheorie. 255 9.5 Evolutionäre Standorttheorie: Das Modell industrieller Entwicklungspfade. 258 .
Teil C: Internationale Wirtschaftsräume als Aktionsfelder internationaler Unternehmen. 263 10. Kapitel: Formen der regionalen Blockbildung. 10.1 Entwicklung und Motive der Regionalisierung des Welthandels.. 10.2 Formen regionaler Integration. 10.2.1 Präferenzzone. 10.2.2 Freihandelszone 10.2.3 Zollunion. 10.2.4 Gemeinsamer Markt. 10.2.5 Wirtschafts- und Währungsunion. 10.3 Beurteilung regionaler Integrationen aus ökonomischer Sicht. 10.3.1 Gegner und Befürworter regionaler Integrationen. 10.3.2 Wirkungen regionaler Integrationen. .
.
265 265 269 269 270 271 272 273 274 274 275
XIX
Inhaltsverzeichnis
Bedeutende regionale Integrationsräume. 277 NAFTA Integration zwischen ungleichen Partnern. 277 Wirtschaftliche Strukturen. 278 279 Integrationsmotive Ziele und Vertragsinhalte. 280 Probleme und Potenziale 282 MERCOSUR Integrationsprozess mit Rückschlägen. 289 Wirtschaftliche Strukturen. 290 Integrationsmotive. 291 Ziele und Vertragsinhalte. 292 Probleme und Potenziale. 293 Regionale Integrationen im asiatisch-pazifischen Wirtschaftsraum 295 Primat der politischen über der wirtschaftlichen Integration 10.4.3.1 ASEAN. 296 10.4.3.2 APEC. 302 Die Europäische Union: Vorreiter regionaler Integrationen. 303 10.4.4 10.4.4.1 Besonderheiten, Institutionen und Stationen der Europäischen Integration. 303 10.4.4.2 Regionale Disparitäten unter besonderer Berücksichtigung der Osterweiterung. 308 310 10.4.4.3 Wirtschaftliche Wachstumsstrategien 313 10.4.4.4 Ausgewählte Problembereiche: Agrar-und Strukturpolitik
10.4 10.4.1 10.4.1.1 10.4.1.2 10.4.1.3 10.4.1.4 10.4.2 10.4.2.1 10.4.2.2 10.4.2.3 10.4.2.4 10.4.3
-
.
.
-
-
....
.
.
11.
Kapitel: Dynamische Wachstumsmärkte Die Beispiele China und Indien.
11.1 11.2
11.3 11.4 11.4.1 11.4.2 11.4.3 11.4.3.1 11.4.3.2 11.4.3.3 11.4.4 11.5 11.5.1 11.5.2 11.5.3
-
Wachstumsmodell Ostasiens. Charakteristika von Wachstumsmärkten. Wachstumsmärkte und Krisen. Wachstumsmarkt China. Ursachen der Wachstumsdynamik.
Erfolgsfaktor „Intemationalisierung".
Schattenseiten des Wirtschaftswachstums.
Regionale Disparitäten. Energie-, Infrastruktur-und Umweltprobleme. Rohstoffknappheit. Folgerungen aus dem Wachstumsboom. Wachstumsmarkt Indien. Die Entwicklung Indiens im Vergleich zu China. Nachhaltige Entwicklungsprobleme trotz Wachstum Kooperation der Wachstumsmärkte.
.
321 321 324 327 329 329 330 334 334 335 337 339 340 341 344 345
XX
Inhaltsverzeichnis
12. Kapitel: Nation und Kultur. 12.1 Zum Wesen von Kultur. 12.1.1 Merkmale und Definitionen des Kulturbegriffs. 12.1.2 Kulturelemente. 12.2 Maßstabsebenen kultureller Identität. 12.2.1 Kulturerdteile. 12.2.2 Nationalstaaten. 12.3 Kulturdimensionen. 12.3.1 Zur Messbarkeit von Kultur. 12.3.2 Die Kulturdimensionen nach Hofstede. 12.3.2.1 Machtdistanz. 12.3.2.2 Individualismus versus Kollektivismus. 12.3.2.3 Maskulinität versus Feminität. 12.3.2.4 Unsicherheitsvermeidung. 12.3.3 Erweiterungen und alternative Konzepte. 12.3.3.1 Konfuzianische Dynamik. 12.3.3.2 Zeitkonzepte. 12.3.3.3 Kontextualität. 12.3.3.4 Kulturdimensionen nach Trompenaars. 12.4 Kulturelle Globalisierung oder Renaissance kulturbasierter
349 349 349 351 353 353 359 361 361 362 362 363 364 366 368 368 368 370 371
Feindbilder?. 372 13.
Kapitel: Wettbewerb der Nationen:
Wirtschaftsstandorte und Governance-Strukturen im Zeitalter der Globalisierung Dimensionen der Globalisierung. Globalisierung und die Rolle von Nationalstaaten. Das Konzept nationaler Wettbewerbsvorteile von Porter. Die Debatte um den Wirtschaftsstandort Deutschland. Jobexport und Rolle von Direktinvestitionen. Faktoren der Standortdiskussion. ...
13.1 13.2 13.3 13.4 13.4.1 13.4.2
377 377 380 384 387 378 388
14. Kapitel: Städte und Regionen im Wettbewerb. 14.1 Städte und Regionen im Zeitalter der Globalisierung. 14.2 Global Cities als Zentren der Globalisierung. 14.2.1 Begriff und Merkmale der Global City. 14.2.2 Verwandte und alternative Stadtbegriffe. 14.2.3 Global Cities als Standorte unternehmensorientierter
397 399 399 403
Dienstleistungen. Hierarchie und Dynamik des Städtesystems. Sozialräumliche Disparitäten und Kritik am Global City-Konzept Regionen im Standortwettbewerb. Standortfaktoren und regionale Wettbewerbsfähigkeit.
405 409 412 413 413
14.2.4 14.2.5 14.3 14.3.1
.
397
XX'
Inhaltsverzeichnis
14.3.2 14.3.2.1 14.3.2.2 14.3.2.3
Teil D: 15.
Wettbewerbsvorteile durch regionale Vernetzung. 418 Dimensionen und Erscheinungsformen von Clustern. 418 420 Stärkung unternehmerischer Wettbewerbsfähigkeit .
Voraussetzungen für erfolgreiche regionale Clusterbildung.
421
Ausgewählte unternehmerische Aktivitäten und Wertschöpfungsbereiche im internationalen Kontext.
427
Kapitel: Fusionen und Übernahmen (M&A) im internationalen Kontext: Grundlagen und Beispiele aus der Finanzdienstleistungsbranche.
15.1 15.2 15.2.1 15.2.2 15.2.3 15.3 15.3.1 15.3.2 15.3.3 15.4 15.4.1
429 429 433 434 439 441 446 446 447 449 451
M&A im internationalen Kontext M&A als Markteintritts-und Marktbearbeitungsstrategie. Abgrenzung und Systematisierung des M&A-Begriffs. Ziele, Erwartungen und Motive. Auswirkungen von Fusionen und Übernahmen. Internationales Fusionsmanagement Pre-und Postmerger-Integration: Struktur des M&A-Prozesses Herausforderungen und Erfolgsfaktoren. Interkulturelles Fusionsmanagement. Fallbeispiele aus dem Finanzdienstleistungsbereich. Internationale Branchenkonsolidierung und Unternehmenskonzentration Die Übernahme von Bankers Trust durch die Deutsche Bank. Ausblick. .
.
...
451 454 455
.
15.4.2 15.4.3 16.
Kapitel: Interkulturelles Marketing
16.1 16.1.1 16.1.2 16.1.3 16.1.4 16.2 16.2.1 16.2.2 16.2.3 16.2.4 16.2.5 16.3 16.3.1 16.3.2 16.3.3
Das Beispiel der
Nahrungsmittelindustrie.
461
Globales Marketing Die Standardisierungsthese Das globale Produkt und der globale Konsument. Strategische Konzeption des internationalen Marketing. Internationale Marktsegmentierung. Anpassung des Marketing-Mix an Auslandsmärkte.
461 462 445
-
.
.
467 470 472 Produktpolitik. 472 Kommunikationspolitik. 474 Preispolitik. 478 Distributionspolitik. 479 Zwischenfazit: Zur Standardisierbarkeit des Marketing-Mix. 481 Interkulturelles Marketing in der Nahrungsmittelindustrie. 482 Eine Branche zwischen Globalisierung und regionaler Einbettung 482 Der Markt und die wichtigsten Unternehmen der Branche. 483 485 Fallbeispiel Nestle ein multinationaler Lebensmittelkonzern .
....
-
XXII
Inhaltsverzeichnis
17. Kapitel: Internationale Märkte für Umweltschutztechnologie. 491 17.1 Umweltschutztechnologien ein differenzierter Wirtschaftszweig. 491 17.2 Umweltschutztechnologiemarkt Deutschland. 494 17.3 Strategien des Going International für 498 Umwelttechnologieuntemehmen Ländermarktauswähl. der 17.3.1 498 Grundlagen Allgemeine Deutschland: Weltweiter Wasserstofftechnologie-Cluster München 501 17.3.2 17.3.3 Polen: Umweltmarkt im Spiegel der EU-Osterweiterung. 502 505 Mexiko: Sprungbrett in die USA und Lateinamerika 17.3.4 507 China: Die „grünen" olympischen Spiele in Peking 2008 17.3.5 -
.
.
.
18. Kapitel: Internationalisierung der Luftverkehrsbranche. Die Begriffe „Luftverkehr" und „Flughafen". 18.1 18.2 Entwicklung des Luftverkehrs. Trends im Luftverkehr. 18.3 18.3.1 Regulierung und Deregulierung. 18.3.2 Hub-and-Spoke-System. 18.3.3 Strategische Allianzen und Codesharing. 18.3.4 Billigflieger 18.4 Bedeutung und Entwicklung von Verkehrsflughäfen. 18.4.1 Privatisierung von Flughäfen. 18.4.2 Der Flughafen als Standortfaktor in einer internationalisierten Wirtschaft. Zunehmende Bedeutung von Non-Aviation-Aktivitäten. 18.4.3 .
Kapitel: Offshore-Outsourcing von IT-Dienstleistungen neue Rahmenbedingungen für Unternehmen und Herausforderung für Industrieländer. Die 19.1 Verlagerung von IT-Prozessen die Grundidee der Arbeitsteilung. Offshore Outsourcing Konzeptionelle Grundlagen. 19.2 19.2.1 Abgrenzung von „Outsourcing" und „Offshoring". 19.2.2 Gestaltungskonzepte zur Verlagerung von IT-Prozessen. 19.3 Unternehmerische und gesamtwirtschaftliche Auswirkungen einer grenzüberschreitenden Auslagerung.
511 511 512 517 517 521 522 525 527 527 529 530
19.
-
-
-
19.3.1 19.3.1.1 19.3.1.2 19.3.2 19.3.2.1 19.3.2.2
535
535 536 536 538
540 Unternehmerische Akzeleratoren und Grenzen. 540 Motive für IT-Outsourcing. 540 Risiken für Unternehmen. 543 Gesamtwirtschaftliche Effekte. 545 Effekte in den Ursprungsländern. 545 Effekte in den Zielregionen. 546
XXIII
Inhaltsverzeichnis
19.4 19.4.1 19.4.2 19.4.3 19.5
Zielländer für Offshore-Verlagerungen. 547 Indien. 547 China 549 Osteuropäische Staaten. 550 Ausblick. 551 .
Teil E: Unternehmen als Akteure im internationalen Wettbewerb 555 557 20. Kapitel: Unternehmensnetzwerke und Netzwerktheorie 20.1 Unternehmensorganisation zwischen Hierarchie und Markt. 557 20.1.1 Transaktionskosten als Determinante zwischenbetrieblicher Arbeitsteilung. 558 20.1.1.1 Verhaltensannahmen des Transaktionskostenansatzes 559 20.1.1.2 Institutionelle Transaktionsarrangements 560 20.1.2 der Netzwerktheorie. 562 Grundlagen 20.1.2.1 Netzwerkbegriff. 562 20.1.2.2 Eigenschaften von Netzwerken 563 20.1.2.3 Beurteilung von Netzwerken. 566 20.1.3 Wertschöpfungsnetzwerke. 567 20.1.3.1 Eigenschaften von Wertschöpfungsnetzwerken 567 20.1.3.2 Wertschöpfungsnetzwerke und Standortsysteme. 569 20.2 Flexible Spezialisierung und dynamische Flexibilisierung. 570 20.3 573 Glokalisierung von Produktionsnetzwerken .
.
.
.
.
.
21. Kapitel: Ländermarktauswahl und Timingstrategien 21.1 Ziele einer internationalen Unternehmensaktivität. Methoden und Techniken zur Auswahl von Ländermärkten. 21.2 21.2.1 Vorauswahl relevanter Länder 21.2.2 Grobselektion 21.2.2.1 Marktattraktivität und Markteintrittsbarrieren als .
.
.
579 579 582 583 583
Selektionskriterien. 583 21.2.2.2 21.2.2.3
21.3 21.3.1 21.3.1.1
Selektionsmodelle
.
590
Feinselektion. 593 Internationale Timingstrategien. 595 Länderspezifische Timingstrategien. 595
Pionierstrategie. 595 Folgestrategie. 596 Länderübergreifende Timingstrategien. 597 Wasserfallstrategie. 597 21.3.2.2 Sprinklerstrategie. 600
21.3.1.2 21.3.2 21.3.2.1
XXIV
Inhaltsverzeichnis
22.
Kapitel: Marktbearbeitungsformen das Spektrum einer internationalen Unternehmenstätigkeit. 22.1 Bedeutung und Systematisierung der Marktbearbeitungsform. 22.2 Außenhandelsgeschäfte. -
22.2.1 22.2.1.1 22.2.1.2 22.2.1.3 22.2.2 22.2.2.1 22.2.2.2 22.3 22.3.1 22.3.2 22.3.3 22.3.4 22.4 22.4.1 22.4.2 22.5 22.6 22.6.1 22.6.2
Basisformen des Außenhandels.
Export. Import. Transithandel. Sonderformen des Außenhandels.
Kompensationsgeschäfte. Veredelungsgeschäfte Kooperative Marktbearbeitungsformen. Lizenzvergabe Franchising. Managementverträge. Vertragsproduktion Marktbearbeitungsformen mit Kapitalbeteiligung. .
.
.
Joint Ventures.
Auslandsniederlassungen und Tochtergesellschaften. Interkulturelle Aspekte der Marktbearbeitung. Neue Formen der Internationalisierung. Strategische Allianzen und Netzwerke .
Virtuelle Unternehmen.
605 605 608 608 608 613 614 615 615 617 618 618 621 623 624 625 625 629 632 634 634 639
23.
Kapitel: International tätige Unternehmen: Formen, Strategien und Herausforderungen 23.1 Dimensionen und Grade der Internationalisierung 23.2 Organisationsstrukturen internationaler Unternehmen 23.3 Formen international tätiger Unternehmen 23.3.1 Integration-Responsiveness-Ansatz. 23.3.2 Typologisierung nach Bartlett und Goshal. 23.4 Strategische Internationalisierungskonzepte.
645 645 650 653 653 655 658 Das Triade-Modell. 659 Das EPRG-Modell. 663 .
.
.
.
23.4.1 23.4.2
24. Kapitel: Internationalisierung kleiner und mittlerer Unternehmen 24.1 Globalisierungsbetroffenheit als Auslöser einer zunehmenden Internationalisierung von KMU. 24.2 Abgrenzung und Bedeutung von KMU. 24.2.1 Definition und Strukturmerkmale von KMU. 24.2.2 Gesamtwirtschaftliche Bedeutung von KMU ..
.
669 669 670 670 674
XXV
Inhaltsverzeichnis
24.3 24.3.1 24.3.2
675 und Motive der Internationalisierung Rahmenbedingungen von KMU. 675 Formen der internationalen Marktbearbeitung und ihre 677 Bedeutung für KMU Außenhandelsgeschäfte. 677 Kooperative Marktbearbeitungsformen. 678 Marktbearbeitungsformen mit Kapitalbeteiligung. 679 681 Internationalisierungsverläufe von KMU und von KMU Möglichkeiten Internationalisierungshemmnisse ihrer Überwindung. 683 Hemmnisse der Internationalisierung von KMU. 684 Möglichkeiten zur Überwindung der Intemationalisierungshemmnisse von KMU. 686 Ausblick. 687
Internationalisierungsverhalten von KMU.
.
24.3.2.1 24.3.2.2 24.3.2.3 24.3.2.4 24.3.2.5 24.3.2.6 24.3.2.7 24.4
25.
.
Kapitel: Dynamische Modelle unternehmerischer
25.1 25.2 25.2.1 25.2.2 25.3 25.4
Internationalisierung. 691 Unternehmensexpansion und Raumdurchdringung. 691
Lerntheoretische Phasenmodelle. 694 695 Das Uppsala-Intemationalisierungsmodell 699 und des Weiterentwicklungen Uppsala-Modells Erweiterungen 703 Verhaltenstheoretische Internationalisierungsmodelle .
...
.
Perspektiven der Forschung. Planungsperspektive. Evolutionsökonomische Perspektive. „Hidden champions" und „born global firms". Netzwerkperspektive und Internationalisierung als relationaler Neue
Der Internationalisierungsprozess
-
25.4.1 25.4.2 25.4.3 25.4.4
706 706 707 709
Prozess. 710
26. Kapitel: Länderrisiken und deren Bewertung. Der Begriff „Länderrisiko" 26.1 26.2 Ausprägungen und Bestimmungsgründe des Länderrisikos. Politische Risiken. 26.2.1 26.2.2 Währungsrisiken. 26.2.3 Ausmaß der Risikobetroffenheit Einflussfaktoren des Länderrisikos 26.2.4 26.3 Konzepte zur Beurteilung des Länderrisikos. 26.3.1 Unternehmensinterne versus unternehmensexterne
715 715 716 720 725 726 727 733
Informationsquellen. Unternehmensinterne Informationsquellen Unternehmensexterne Informationsquellen.
733 733 734
.
.
.
26.3.1.1 26.3.1.2
.
XXVI
26.3.2 26.3.2.1 26.3.2.2
Inhaltsverzeichnis
Qualitative versus quantitative Verfahren. 735 Qualitative Verfahren. 735 Quantitative Verfahren. 737
27. Kapitel: Grundlagen des Interkulturellen Managements. 27.1 Organisationsstrukturen in verschiedenen Kulturkreisen. 27.1.1 Unternehmenskultur und Nationalkultur. 27.1.2 Organisationsstrukturtypen zwischen Bürokratie und Adhokratie.. 27.2 Managementkonzepte und Personalführung im internationalen Kontext. Motivation in verschiedenen Kulturen. 27.2.1 27.2.2 Führungsstile und Managementkonzepte im interkulturellen Kontext. 27.2.3 Besetzungsstrategien, Personalauswahl und Vorbereitung für den Auslandseinsatz. 27.2.4 Kulturschock und kulturelle Anpassung. 27.2.5 Interkulturelle Kompetenz. 27.3 Verhandlungsführung und interkulturelle Kommunikation Der Kommunikationsprozess in Vertragsverhandlungen. 27.3.1 27.3.2 Nationale Verhandlungsstile 27.3.3 Interkulturelle Verhandlungskompetenz. 27.4 Risiko und Vertrauen in interkulturellen Kooperationen. 27.4.1 Länderrisiken und Risiken interkultureller Geschäftsbeziehungen 27.4.2 Bedeutung und Genese von Vertrauen in internationalen .
.
.
Geschäftsbeziehungen.
749 749 749 751 754 754 755 759 763 768 771 771 772 775 778 778 779
XXVII
Verzeichnisse
Verzeichnis der Abbildungen 2.1: Faktoren des Industrialisierungsprozesses. 2.2: Die Langen Wellen wirtschaftlicher Entwicklung. 2.3: Von der mono- zur multipolaren Weltordnung. 2.4: Regulationstheoretische Grundstruktur der wirtschaftlichgesellschaftlichen Beziehungen in einer Volkswirtschaft. 3.1: Außenhandel und Direktinvestitionsströme als Indikatoren wirtschaftlicher Globalisierung. 3.2: Entwicklung der Weltexporte seit 1950 3.3: Anteile einzelner Branchen am Weltexport (2003). 3.4: Die deutsche Exportpalette in Mrd. Euro (2003). 3.5: Die wichtigsten Exportpartner Deutschlands (2004). 3.6: Entwicklung der weltweiten Direktinvestitionsbestände seit 1980. 3.7: Nettozu- und -abflüsse von Direktinvestitionen in Deutschland. 3.8: Deutsche Kapitalverflechtungen mit dem Ausland. 4.1: Träger und Formen des Protektionismus. 4.2: Formen von Handelskonflikten. 4.3: Zollsenkungen des GATT. 4.4: Die neue Welthandelsordnung. 4.5: Der Streitschlichtungsmechanismus der WTO. 5.1: Teufelskreis der Armut. 5.2: Weltbevölkerung nach Ländern und Regionen (in % der Weltbevölkerung 2000). 5.3: Bruttosozialprodukt nach Ländern und Regionen (in % des Welt-BSP 2000). 5.4: Struktur des Imperialismus nach Galtung. 5.5: Regionale Anteile an den Weltwarenexporten 2003. 5.6: Weltmarktpreise für Rohstoffe (ohne Brennstoffe) (1960-2002) auf Euro-Basis. 5.7: Entwicklung des nominellen Welterdölpreises (bis einschließlich 2004) 6.1: Soziallabels. 6.2: Umweltlabels 7.1: Vorteile des Außenhandels. 7.2: Nachteile des Außenhandels. 7.3: Ursachen der NichtVerfügbarkeit von Gütern. 7.4: Preisveränderungen infolge der Spezialisierung auf absolute Kostenvorteile. .
.
.
23 24 29 36 43 44
46 50 51 54 57 58
65 70 80 82 89 106 109
109 119 122
129 133 170 172 188 189 191 194
XXVIII
Verzeichnisse
7.5: Matrix zum Vergleich der komparativen Kosten. 7.6: Produktionsmengen bei Autarkie. 7.7: Produktionsmengen bei Spezialisierung nach komparativen Kostenvorteilen. 7.8: Technologischer Lückenhande. 7.9: Produktions- und Handelsströme während des Produktlebenszyklus 8.1: Standortbedingungen und deren räumliche Ebenen. 8.2: Internationale Marktbearbeitungsformen im Eklektischen Paradigma.... 8.3: Ökonomische und räumliche Wirkungen von Direktinvestitionen. 9.1. Räumliche Gewinnzone bei variablen Kosten und Erlösen. 9.2: Einfluss der Unternehmensleistung auf die Standortwah. 9.3: Einfluss von Subventionen auf die Standortwahl. 9.4: Verhaltensmatrix und Standortsuchraum nach Pred. 9.5: Schema unternehmerischer Anpassungshandlungen. 9.6: Produktlebenszyklus und Bedeutung von Standortfaktoren. 9.7: Das Konzept des Profitzyklus. 9.8: Das Modell der industriellen Entwicklungspfade. 10.1: Merkmale regionaler Integrationsformen im Überblick. 10.2: Säulen und Institutionen der Europäischen Integration. 10.3: Stationen des Europäischen Integrationsprozesses. 11.1: Entwicklung der asiatischen Automobilproduktion im Vergleich. 11.2: Die größten Exporteure und Importeure weltweit (2003 11.3: Der deutsche Außenhandel mit Asien. 11.4: Ausgewählte Entwicklungsindikatoren Chinas und Indiens im Vergleich. 12.1: Ebenen der mentalen Programmierung. 12.2: Machtdistanz und Individualismus. 12.3: Maskulinität und Unsicherheitsvermeidung. 13.1: Inhalte und Ebenen des Globalisierungsbegriffes. 13.2: Das Diamantkonzept nationaler Wettbewerbsvorteile nach Porter. 13.3: Internationaler Vergleich der Arbeitskosten pro Stunde in der Industrie 2003 (in Euro). 13.4: Wettbewerbsfähigkeit von Ländern. 14.1: Städtehierarchie der heutigen Weltwirtschaft. 14.2: Multidimensionale Skalierung des globalen Städtesystems. 14.3: Systematisierung von Standortfaktoren. 14.4: Kontinuüm der harten und weichen Standortfaktoren. 14.5: Standortverbund des italienischen Schuhmodeclusters. ....
.
196 196 197 202 203 225 233 238 245 246 247 250 252 254 256 259 274 305 306 323 331 332 342 350 363 365 379 386 389 392 410 411
439 417 424
Verzeichnisse
XXIX
15.1: M&A-Transaktionen weltweit (1997-2004). 15.2: Fusionswellen und Wirtschaftskrisen (1895-2004). 15.3: Die wichtigsten Käufer- und Zielländer der grenzüberschreitenden Transaktionen mit deutscher Beteilung (1999-2003). 15.4: Modell der Akkulturation bei Fusionen und Übernahmen. 16.1: Die Standardisierungsthese im Marketing. 16.2: Push und Pull-Faktoren des globalen Marketings. 16.3: Lokalisierungs- versus Globalisierungsvorteile ausgewählter Branchen. 16.4: Standardisierbarkeit verschiedener Marketinginstrumente. 18.1: Die acht Freiheiten der Luft.
430 431
19.1: Begriffliche Abgrenzung von Outsourcing vs. Offshoring. 19.2: Institutionelles Kontinuum bei Outsourcing-Prozessen. 19.3: Jährliche Arbeitskosten für einen IT-Spezialisten in ausgewählten Ländern 2003 20.1: Institutionelle Transaktionsarrangements in Abhängigkeit von Häufigkeit und Investitionsmerkmalen. 20.2: Elemente von Wertschöpfungsnetzwerken und Standortsystemen. 20.3: Konsistenz von Wertschöpfungsaktivitäten und Standortsystemen. .
438
450 463 464 469
481 518 537 539 541
561 567 569 20.4: Das Konzept der „economies of scope". 571 21.1: Aktive versus reaktive Internationalisierungsmotive. 580 21.2: Idealtypischer Verlauf der Ländermarktauswahl. 582 21.3: Faktoren zur Beurteilung der Attraktivität ostmitteleuropäischer Märkte. 585 588 21.4: Zusammenhang zwischen Umfeldsensibilität und Produktanpassung 21.5: Typen von Ländermärkten. 589 21.6: Marktattraktivitäts-/ Marktrisiko-Portfolio. 592 21.7: Der Prozess der Ländermarktselektion nach Henzler. 594 21.8: Wasserfallmodell als länderübergreifende Timingstrategie. 598 21.9: Prozess der Internationalisierung der Metro AG. 600 21.10: Sprinklerstrategie als länderübergreifende Timingstrategie. 601 22.1: Systematisierung von Formen der Auslandsmarktbearbeitung nach Wertschöpfungsschwerpunkt und Kapitaltransfer. 606 ..
.
22.2: 22.3: 22.4: 23.1: 23.2:
Formen einer Auslandstätigkeit. 607 Formen des direkten und indirekten Exports. 609 Markteintrittsformen und deren potenzielle kulturelle Risiken. 634 Pfade der Internationalisierung bei Unternehmen. 646 Internationalisierungsgebirge von Kutschker. 649
XXX
Verzeichnisse
23.3: Zweidimensionale Matrixstruktur internationaler Unternehmen 23.4: Typen international tätiger Unternehme. 23.5: Organisationsmodelle international tätiger Unternehmen. 23.6: Das EPRG-Modell. 24.1: Differenzierung der Internationalisierungshemmnisse. 25.1: Hakanson-Modell der Unternehmensexpansion und Raumdurchdringung 25.2: Basismechanismus des Internationalisierungsprozesses. 25.3: Internationalisierung im erweiterten Uppsala-Modell. 25.4: Unternehmerische Anpassungshandlungen im Internationalisierungsprozess. 25.5: Evolution, Episoden und Epochen der Internationalisierung. 25.6: Typische Konstellationen im Netzwerk-Modell der Internationalisierung. 26.1: Risiken der internationalen Unternehmensaktivität. 26.2: Versicherte Katastrophenschäden weltweit. 26.3: Zusammenhang zwischen Risikobetroffenheit und Marktbearbeitung 26.4: Checkliste zur Beurteilung des Länderrisikos. 26.5: Beispielhaftes Risikoprofil. 26.6: Struktur und Gewichtungsschema des Operation Risk Index am Beispiel der Türkei (Stand: August 2003). 26.7: Marktbearbeitungsempfehlungen des Profit Opportunity Recommendation Index. 27.1: Organisationsstrukturtypen. 27.2: Kurve der kulturellen Anpassung. 27.3: Das Dual-Concern-Modell. .
..
654 658 666 684 692 696 700 704 708 711 711 719 726
736 737 739 742 752 764 773
XXXI
Verzeichnisse
Verzeichnis der Tabellen 2.1: Strukturelle Merkmale von Fordismus und Postfordismus. 3.1: Die führenden Weltexportländer (2004). 3.2: Geberländer internationaler Direktinvestitionen (2003). 3.3: Empfängerländer internationaler Direktinvestitionen (2003). 5.1: Die 20 ärmsten Länder nach dem Human Development (2002). 5.2: Abhängigkeit der Entwicklungsländer vom Rohstoffexport. 10.1: Ökonomische Kennzahlen der NAFTA-Länder (2003). 10.2: Ökonomische Kennzahlen der MERCOSUR-Länder (2003). 10.3: Intraregionale Exportanteile des MERCOSUR in Mio. US-$ (2003) 11.1: Die größten Volkswirtschaften in Asien (2004, Wachstum
...
34 48 56 57 111
126 278 290 293
gegenüber 2003).
324
13.1: Synoptische Zusammenstellung weltwirtschaftlicher Strukturen. 13.2: Prozentuale Entwicklung der Arbeitskosten und Lohnstückkosten ausgewählter Industrieländer. 15.1: Ausprägungsmöglichkeiten von M&A-Transaktionen. 15.2: Mögliche Ziele von M&A-Transaktionen. 15.3: Die 10 größten Bankenübemahmen weltweit. 16.1: Globale und regionale Umsätze der größten
381
Nahrungsmittelkonzerne(2003). 18.1: Passagieraufkommen der zehn größten Flughäfen 2004 18.2: Strategische Allianzen im Luftverkehr (Frühjahr 2005). 18.3: Die zehn größten Frachtdrehkreuze Europas 2003. 20.1: Vor- und Nachteile vertikaler Integrationsstrategien. .
20.2: Kontrollstrukturen in Netzwerken. 20.3: Vor- und Nachteile von Strategischen Netzwerken. 20.4: Merkmale flexibler Spezialisierung und dynamischer Flexibilisierung.. 21.1: Internationalisierungsziele im Überblick. 21.2: Globale Umweltkomponenten von Ländermärkten. 22.1: Vor- und Nachteile des indirekten Exports 22.2: Vor- und Nachteile des direkten Exports. 22.3: Vor- und Nachteile der Lizenzvergabe. 22.4: Vor- und Nachteile des Franchisings. 22.5: Kriterien zur Systematisierung von Joint Ventures. 22.6: Vor- und Nachteile von Joint Ventures. 22.7: Vor- und Nachteile vollbeherrschter Unternehmen. .
390 435 441 452
484
516 525 530 562 565 566 572 581 590 611 612 621 623 627 628 630
XXXII
Verzeichnisse
22.8: Vor- und Nachteile Strategischer Allianzen. 22.9: Vor- und Nachteile Virtueller Unternehmen. 24.1: Quantitative Merkmale von kleinen und mittleren Unternehmen. 24.2: Typische Stärken und Schwächen von KMU 26.1: Corruption Perception Index 2004 26.2: Bribe Payers Index 2002 Ranking by country. 26.3: Bribe Payers Index 2002 Ranking by business sector. 26.4: Institutional Investor Country Rating (Stand: März 2005). 27.1: Ausprägungsformen interkultureller Kompetenz .
.
-
-
.
638 640 671 673 730 731 732 744 769
Verzeichnis der Karten 2.1: Kolonialer Dreieckshandel. 3.1: Regionale Strukturen des Welthandels. 5.1: Ländereinteilung der Weltbank 2003 10.1: Häufigkeit regionaler Integrationsabkommen (2005). 10.2: Intraregionale Handelsströme der NAFTA in Mrd. US-$ (2003). 10.3: Regionale Integrationen im asiatisch-pazifischen Wirtschaftsraum. 10.4: Wohlfahrtsdisparitäten in der EU (bezogen auf das Jahr 2003). 11.1: Interregionale Entwicklungsdisparitäten in China. 12.1: Die Kulturerdteile. 14.1: Weltweite Verteilung von Global Cities nach dem Grad unternehmensorientierter Dienstleistungen. 16.1: Standorte des Nestle-Konzerns weltweit. 18.1: Anteil weltweit zurückgelegter Personenkilometer im Luftverkehr 2002. 23.1: Der weltweite Fertigungsverbünd des VW-Konzems. 23.2: Triaderegionen und ihre Kernräume. 26.1: Weltweite Verteilung des Länderrisikos (Herbst 2001). .
20 47 114 268
284 297 310 335 356 408 486 514 648 660 724
XXXIII
Verzeichnisse
Verzeichnis der Exkurse 2.1: Wachstum und frühe Internationalisierung Das Beispiel Dunlop. 27 4.1: Der Stahlprotektionismus der USA. 72 4.2: Das Multifaserabkommen. 78 5.1: Westafrikas Baumwollproduktion unter Subventionsdruck. 124 5.2: Die Organisation erdölexportierender Länder. 132 -
6.1: 6.2: 6.3: 6.4: 6.5: 6.6:
Formen von Dumping. Konflikte zwischen Freihandel und Umweltschutz. Internationaler Transport und Umwelt. Formen, Verbreitung und Folgen von Kinderarbeit. Das Anti-Globalisierungsnetzwerk Attac. Nachhaltige Entwicklung in der Sportbekleidungsindustrie am Beispiel der PUMA AG. 10.1: Handelskonflikte innerhalb der NAFTA Kanadisches Bauholz und mexikanische Lastwagen. 10.2: Maquiladoras lohnveredelnde Weltmarktfabriken. 10.3: Das Fluggänsemodell. 14.1: London als Global City. 14.2: Der italienische Schuhmodencluster. 15.1: Käufer- und Zielländer bei cross-border M&A. 15.2: Die größten grenzüberschreitenden Bankenfusionen in Europa. 16.1: MTV und das „globale Dorf". 21.1: Das Länderselektionsmodell von Henzler. 22.1: Lizenzierung als Form der internationalen Marktbearbeitung. 22.2: Franchising als Form der internationalen Marktbearbeitung. 22.3: Joint Ventures als Form der internationalen Marktbearbeitung. 22.4: Tochtergesellschaften als Form der internationalen -
151 156 161
164 167 177 281 286
-
299 401 422 438 453 462 593 620 622 626
630 631 680 682 26.1: Terrorismus und Krankheiten als Länderrisiken. 721 27.1: Netzwerkintegration als Strategie zur Vermeidung kultureller Konflikte? Das Beispiel deutscher Unternehmer in Mexiko. 770 27.2: Verhandeln mit Chinesen. 776
Marktbearbeitung. 22.5: Internationale Marktbearbeitungsstrategien für Dienstleister. 24.1: Beispielhafte Internationalisierungsstrategien von KMU. 24.2: „Born globals" und Initialmodelle der Internationalisierung.
.
Teil A Weltwirtschaft im
Globalisierungsprozess
A: Weltwirtschaft im
1
Globalisierungsprozess
3
Globalisierung der Märkte und Internationalisierung der
Wirtschaft
Globalisierung ist zu einem der meistbenutzten Schlagworte im wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Diskurs geworden. Verbitterte Kritiker stehen überzeugten Befürwortern gegenüber. Dabei ist sicher, dass Globalisierung unaufhaltsam weltweit wirkt. In folgendem Kapitel geht es um die Erklärung des Begriffs und den von der Globalisierung ausgelösten Prozess, um die Akteure der internationalen Arbeitsteilung, den Globalisierungsindikator Außenhandel sowie Fragen der Nachhaltigkeit. 1.1
Alltagsphänomen Globalisierung
Die Wirtschaft ist heute durch die Prozesse der Globalisierung in hohem Maße international verflochten. Etwa jeder dritte Euro des deutschen Bruttosozialprodukts wird durch Exporte im Ausland erzielt. In den letzten 50 Jahren war die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate des Welthandelsvolumens stets höher als die des Weltbruttosozialprodukts (vgl. Kap. 3.1). Für die Unternehmenspolitik stellte in der Vergangenheit der Außenhandel einen der zentralen Wachstumsbereiche dar. Die Mehrzahl großer deutscher Industrieunternehmen erzielt heute durch den Ertrag aus ausländischen Direktinvestitionen etwa die Hälfte ihres Umsatzes im Ausland. Seit 1980 übersteigt der Bestand deutscher Direktinvestitionen im Ausland den der ausländischen Unternehmen in Deutschland. Jedes dritte Auto, das unter dem Markenzeichen eines deutschen Herstellers auf der Straße fährt, wird im Ausland hergestellt. Mitte der 1990er Jahre waren es bereits über 2 Mio. Fahrzeuge, welche die ausländischen Produktionsstätten deutscher Konzerne verließen.
Transnationale Unternehmen gewinnen weiter an Einfluss, die Konzentration der wirtschaftlichen Wertschöpfung auf immer weniger Unternehmen nimmt an Bedeutung zu. Großkonzeme werden neben den Nationalstaaten zu Hauptakteuren der Weltwirtschaft. Allein auf die weltweit 600 größten Unternehmen entfallen ca. 25% der Wertschöpfung bei der marktwirtschaftlichen Güterproduktion. Dabei sind die Hauptsitze dieser Konzerne auf nur 20 Regionen der Erde konzentriert, die zum aller größten Teil den Triadeländern angehören. Ein auffälliges Merkmal der vergangenen Jahrzehnte ist die Dynamik in der internationalen Vernetzung der nationalen Volkswirtschaften. Zum Ende des 20. Jh. entstand ein internationales, vielfach verflochtenes System gegenseitiger Abhängigkeiten, ein interdependentes Netzwerk von Millionen kleiner und großer Märkte und
4
1
Globalisierung der Märkte und Internationalisierung der Wirtschaft
Unternehmen für Milliarden von Konsumenten. In immer kürzeren Intervallen verdoppelt sich derzeit der grenzüberschreitende Austausch auf den Finanz- und Kapitalmärkten sowie auf den Waren- und Dienstleistungsmärkten, die internationalen Handelsverflechtungen nehmen dadurch immer weiter zu. Innerhalb von nur 40 Jahren potenzierte sich mengen- und wertmäßig der Welthandel. An dieser Aufwärtsentwicklung hatten insbesondere die Märkte der Triade (vgl. Kap. 2.5 und 23.4.1) des ausgehenden 20. Jh., also USA, EU-15 und Japan, Anteil, wo auch noch bis heute der weit überwiegende Teil des Weltsozialprodukts erwirtschaftet wird.
1.2 Zum
Begriff der Internationalisierung
und
Globalisierung
Die
Internationalisierung gilt als Vorstufe bzw. als Interimszustand zur Globalisierung. Im Bereich ihrer ökonomischen Aktivitäten haben Unternehmen durch Zusammenschlüsse, Errichtung von Zweigwerken im Ausland und strategische Kooperationen inzwischen eine neue Dimension der Internationalisierung, die der Globalisierung, erreicht. Ein wichtiger Katalysator bei der zunehmenden Dynamik des Internationalisierungsprozesses sind mikroökonomische Kräfte, welche über Innovationen in der Informationstechnologie mobilisiert werden. Auf den ersten Blick sinkt dabei die Bedeutung der räumlichen Distanz; parallel dazu entwickelt sich die Zeit als wichtigster Wettbewerbsfaktor. Globalisierung ist ein junger Begriff, der im allgemeinen Sprachgebrauch sehr vielfältig eingesetzt wird (vgl. Kap. 13.1). Verwendung findet er in ökonomischen, kommunikationstechnischen, arbeitsorganisatorischen, kulturellen und zivilgesellschaftlichen Kontexten. Im Gegensatz zu „Internationalisierung", verstanden als zunehmende geographische Ausdehnung ökonomischer Aktivitäten über die nationalstaatlichen Grenzen hinaus, versteht man unter „Globalisierung" eine weitergehende und komplexere Form der Internationalisierung im Sinne einer gesteigerten funktionalen Integration zwischen international dispersen ökonomischen Aktivitäten Globalisierung ist quasi als fortgeschrittene Phase des Internationalisierungsprozesses zu begreifen (vgl. Zeller 2001, S. 8). Der Begriff bezeichnet Prozesse .
der außerordentlichen Zunahme von Interaktionen in einer transnationalen Dimension, d.h. die Zunahme von Volumen und Frequenz des Austausches von Menschen, Gütern, Kapital und Ideen über die Grenzen von Nationalstaaten hinweg (vgl. Dieter 2003, S. 34).
Globalisierung schafft weltumspannende, untereinander verflochtene ökonomi-
sche, politische und soziokulturelle Netzwerke, die sich bis auf die regionale und lokale Ebene auswirken, oft unter Umgehung des Nationalstaates (vgl. Wiese 2001, S. 4; NlSSEL 2001, S. 64). Henzler (2003, S. 463) spricht bei der Globalisierung sogar von der Entkopplung wirtschaftlicher und sozialer
Zu einzelnen Definitionsansätzen
vgl. Kap. 13.1.
Beziehungen von nationa-
A: Weltwirtschaft im
5
Globalisierungsprozess
len Territorialstaaten. Territoriale wie kulturelle Grenzen werden nach seiner Meinung in jeglicher Hinsicht überwunden und nicht nur einfach überschritten oder -
-
geöffnet. Globalisierung meint die Neuorganisation des globalen Akkumulationsraums, d.h. die Erweiterung des Organisationsraums und die Entscheidungsfindung für die Kapitalallokation zur Errichtung neuer Produktionsstandorte (vgl. Krätke 1995). Voraussetzung für die Globalisierung waren neben den neuen Kommunikationstechnologien auch die weltweiten wirtschaftspolitischen Liberalisierungs- und Deregulierungsmaßnahmen (vgl. Vossen 2001, S. 4). Gleichzeitig ermöglichten neue Transporttechnologien und Formen der Organisation des Gütertransports über innovative Logistiksysteme eine radikale Senkung der Transportkosten und -zeiten. Die Welt ist „kleiner" geworden, und nirgendwo geschieht etwas, was von nun an nicht Auswirkungen in anderen Erdteilen hätte (vgl. Kap. 13.1). Weltweit gleichen sich Teile der Lebenskultur und Verhaltensweisen an (McDonaldisierung), und es findet ein immer rascherer Informationsaustausch durch die banken statt (vgl. Ritzer 1996; Kulke 1999, S. 10).
Medien, Internet und Daten-
Globalization is not only, or even primarily, an economic phenomenon (...), Globalization is really about the transformation of space and time (Giddens 1994, S. 4). „
"
Globalisierung bedeutet ein Handeln und Agieren über jegliche Entfernungen hinweg; durch die Existenz des Cyberspace wird der Raum in Teilbereichen der New Economy sogar aufgehoben. Ökonomische Globalisierung ist die weltweite Vernetzung der Wertschöpfungsprozesse und Zeichen einer neuen Phase der Integration der Weltwirtschaft. Schamp (1996, S. 209) versteht darunter einen Prozess, in dem mächtige Akteure eine weltweite Integration von Wirtschaftssektoren und Produktionssystemen bewirken, die zuvor territorial weitgehend getrennt waren. Es ist ein Vorgang der Entkoppelung („des-embeddedness") von Interaktionen aus ortsgebundenen Zusammenhängen und deren raumzeitübergreifende Integration (vgl. Giddens 1997, S. 84ff.; Bathelt 2000, S. 103). Daraus resultiert ein pfadabhängiger, kumulativer Prozess, der infolge von Erfahrungswissen und Lernprozessen nicht in allen Wirtschaftszweigen, Unternehmen und Wertschöpfungsabläufen absolut zur gleichen Zeit stattfindet. Wirtschaftsregionsspezifische Differenzierungen und eine unterschiedliche Dynamik der Akteure bewirken daher durchaus regionale Disparitäten. Regionalisierungstendenzen, die letztlich zu unterschiedlichen regionalen Entwicklungsbedingungen führen, stellen sich vor allem durch die Bildung supranationaler Wirtschaftszusammenschlüsse (vgl. Kap. 10) ein (vgl. Nuhn 1997, S. 136ff).
Globalisierung bedeutet in der Regel aber nicht eine einseitige räumliche Entankerung bzw. räumliche Homogenisierung, sondern eine Transformation von Raumbezügen und Machtgeometrien. Dabei entstehen neue Maßstabsebenen und es
6
1
Globalisierung der Märkte und Internationalisierung der Wirtschaft
kommt zur Neuaushandlung von sozialen Beziehungen in den bisher bekannten Kontexten (vgl. Berndt 1999, S. 314) Rahmenbedingungen und Regionalentwicklung verändern sich. -
Globalisierung beinhaltet eine neue Qualität der internationalen Wirtschaftsbeziehungen (vgl. Schamp 1997, S. 2). Standortverlagerungen, Gründung von Auslandsniederlassungen, grenzüberschreitende Firmenkäufe und markante Megafusionen (vgl. Kap. 15.1) kennzeichnen die globale Dynamik des ökonomischen Prozesses. Die Globalisierung der Märkte und der Produktion lässt Investitionen mobiler werden; sie setzt inländische und ausländische Standorte stärker in Wettbewerb zueinander und ermöglicht somit eine höhere Effizienz der Wertschöpfung (vgl. jungnickel 1996, S. 309).
Internationalisierung und Globalisierung sind also nicht als Synonyme zu verstehen. Bezeichnet der Terminus „Internationalisierung" den Vorgang der Ausdehnung wirtschaftlicher Aktivitäten über Staatsgrenzen hinweg, so beinhaltet Globalisierung zusätzlich eine qualitative Komponente, charakterisiert durch einen höheren Grad an gezielter funktionaler Integration, insbesondere aus unternehmerischer Sicht. Globalisierung wird Teil der Unternehmensstrategien. Die wichtigsten Entscheidungsträger im Globalisierungsprozess konzentriesich zunehmend auf einige wenige Weltstädte, die Global Cities (vgl. Kap. 14). Diese werden als Gravitationszentren und hierarchisch angeordnete Steuerungszentralen bzw. Kontrollzentren länderübergreifender Wirtschaftsräume verstanden (vgl. Giddens 1997). Städte wie New York, London oder Tokio sind Kommandozentralen in der Organisation der Weltwirtschaft, Schlüsselstandorte für das Finanzwesen und höchstrangige Dienstleistungen sowie gleichsam Innovationszentren und Handelsplätze. Als raumgebundene Knoten organisieren, strukturieren, steuern und kontrollieren sie das Netzwerk einer globalisierten Ökonomie (vgl. Kreisel/Melzer 2001, S. 35).
ren
1.3 Die Rolle transnationaler Unternehmen Vor allem bei transnationalen Unternehmen wird die Wertschöpfung zunehmend internationalisiert. Die Investitionen dieser Unternehmen stiegen in den letzten beiden Jahrzehnten deutlich stärker an als die Weltproduktion. Die Umsätze von Konzernen, wie z.B. General Motors, erreichen Dimensionen, die denen des Bruttoinlandsproduktes von Staaten wie Portugal oder Schweden entsprechen. Dabei verfolgen die Unternehmen mit Direktinvestitionen im Wesentlichen zwei unterschiedliche Ziele: Effizienzsteigerung durch Internationalisierung von Austauschbeziehungen und/oder Zugewinn bzw. Erhalt von Marktmacht („ownership advantages"). Ersteres ist kostenorientiert, letzteres marktorientiert.
A: Weltwirtschaft im
Globalisierungsprozess
7
Die sog. Global
Players sind zu einem wesentlichen Faktor wirtschaftlicher Entwicklung geworden, der in manchen Überlegungen zur Wettbewerbsfähigkeit von Volkswirtschaften unterschätzt wird. So hängt die ökonomische Entwicklung eines Landes nicht nur von den dort ansässigen Firmen ab, sondern in hohem Maße auch vom Auslandsengagement der inländischen transnational operierenden Unternehmen und den von ausländischen Firmen im Gastland getätigten Direktinvestitionen.
Transnationale Unternehmen wie DaimlerChrysler oder Siemens sind Beispiele für solche Global Players und gelten als Motor und Träger der ökonomischen Globalisierung. Von einem nationalen Standort ausgehend bilden sie durch Errichtung von Zweigwerken, durch die Übernahme von Unternehmen bzw. durch Fusionen ein globales Standortsystem aus. Zwingend ist dabei ihre Präsenz auf den Schlüsselmärkten der Triade (vgl. Danielzyk/OssenbrüGGE 1996, S. 103). Dabei entstehen in den wichtigsten Auslandsmärkten nicht nur Produktions- und Vertriebsstätten, sondern mit Forschungs- und Entwicklungsabteilungen eigenständige Produktionssysteme, die gleichwertig in ein globales Unternehmensnetzwerk integriert sind. Parallel dazu kommt es zur Trennung von Funktionsbereichen, um weltweit die jeweils günstigsten Standortbedingungen (z.B. Arbeits- und Umweltkosten, günstige Forschungsbedingungen, Steuervorteile etc.) zu nutzen. Aus der
Globalisierung der Märkte ergeben sich für die Sicherung der langfristigen Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und Regionen neue Herausforderungen. Die zunehmende Liberalisierung der Weltwirtschaft führt dazu, dass Unternehmen in fast allen Märkten mit eigenen Kapazitäten vor Ort präsent sein müssen. Sequentielles Vorgehen bei der Erschließung neuer Märkte wird durch gleichzeitiges Markterschließen abgelöst. Dabei ist die Einführung von Marken in neue Märkte keine simple Ausweitung des traditionellen Geschäfts, sondern ein Abwägen zwischen der Ausnutzung der Vorteile globalen Vorgehens und der richtigen Einschätzung lokaler Nachfragebedingungen (vgl. Henzler 1999, S. 14). Der Prozess der Internationalisierung und sein Verlauf hängen sehr stark mit der Form der Unternehmenssteuerung zusammen. Corporate Governance erscheint seit einiger Zeit als ein Schlüsselbegriff in der innerbetrieblichen Diskussion
und im wissenschaftlichen Diskurs. Wenn die Governance-Diskussion mittlerweile auf breiter Front in die wirtschaftswissenschaftliche Debatte eingegangen ist, mag das neben der generellen Popularität des Konzepts auch daran liegen, dass Governance2 als anschlussfähig an die bisher bekannten institutionenökonomischen Ansätze erscheint, die sich auch im Sinne einer internationalen Managementlehre verstehen lassen. Diese Perspektive zu verfolgen bedeutet, Governance nicht einfach als Antwort auf die Frage zu verstehen, wodurch bestimmte globale Prozesse gesteuert werden, sondern als Frage danach zu begreifen, wie die Steuerung erfolgt.
Zum
Governance-Begriff vgl. Kap. 13.
8
1
Globalisierung der Märkte und Internationalisierung der Wirtschaft
Eine solche steuerungsorientierte Perspektive könnte die ke wirtschaftswissenschaftlicher Arbeiten verbessern.
analytische Leistungsstär-
Der Globalisierungsprozess wird in der breiten Öffentlichkeit sehr unterschiedlich beurteilt. Vor allem Ökonomen gewinnen ihm positive Seiten ab. Die weltweite Wohlfahrt, auch die Effizienz der Märkte werden nach ihrer Ansicht deutlich gesteigert. Hingegen schreiben die Globalisierungsgegner (u.a. aus dem Lager von Nichtregierungsorganisationen, vgl. Kap. 6.3.2.1) die wachsenden Disparitäten zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, zunehmende Arbeitslosigkeit und Einkommensungleichgewichte der Globalisierung zu. Feiner befürchten sie, dass politische Handlungsspielräume abnehmen, so dass der politische Souverän nicht mehr das Handeln bestimmt, sondern das Effizienzdiktat des Marktes und die Macht der Konzerne (vgl. Lohr 1999, S. 123).
1.4
Internationalisierung
und
globale Arbeitsteilung
Nationalstaaten und Regionen sehen sich beim Vorgang der Globalisierung einer schärfer werdenden Standortkonkurrenz ausgesetzt (vgl. KinkelAVengel 1998, S. 2). Die Vorstellung, dass es zu einer globalen Standortspezialisierung kommt, bei der sich die Kernregionen der Weltwirtschaft auf Forschung und Entwicklung spezialisieren und die Fertigung von Zulieferbetrieben und verlängerten Werkbänken in peripheren Standorten durchgeführt wird, entspricht bei Produkten mit einem hohen Technik- und Dienstleistungsanteil nicht der ökonomischen Realität. Produkt-, Prozess- oder organisatorische Innovationen erfordern betriebsintern einen kontinuierlichen, persönlichen Informations- und Erfahrungsaustausch zwischen Fertigung, Forschung und Entwicklung, Marketing sowie Finanzierung. Eine enge Kooperation von Facharbeitern und Ingenieuren vor Ort sowie der betriebsexterne Zugang zu neuestem technischen Wissen gehören ebenso dazu. Ferner ist eine detaillierte Marktkenntnis geboten. Letztlich spielen die wechselseitige Erreichbarkeit von Produzenten und unternehmensnahen Dienstleistern über Face-to-face-Kontakte sowie eine intensive Verflechtung zwischen Produktionsbetrieben und Zulieferern eine große Rolle. Wegen Letztgenannten werden trotz oder gar wegen der Globalisierung die Region sowie die Kenntnis über regionale Märkte und deren kulturelle Besonderheiten stets bedeutsamer (vgl. Revilla Diez 1999, S. 23). In einem dynamischen Globalisierungsprozess kommt es zu einer Intensivierung der internationalen Arbeitsteilung (vgl. Grömling et al. 1996, S. 32). Zunehmender Wettbewerb und steigende Kosten in den Industrieländern führen zu einem Teil zur Verlagerung der Produktion in Länder der Peripherie, was auch unter dem Begriff „Neue internationale Arbeitsteilung (vgl. Kap. 2.5 und 5.4.1.3) Eingang in die Standortdiskussion gefunden hat (vgl. Fröbel et al. 1977). Diese teilt die Fertigung industrieller Güter in Teilsegmente der Produktion auf, die dann an unter-
A: Weltwirtschaft im
Globalisierungsprozess
9
schiedlichen Standorten weltweit bearbeitet werden. Die modernen Informationsund Kommunikationstechnologien schaffen dafür die Voraussetzung, indem sie Entfernungen über Zeitgewinne schrumpfen lassen, zusätzlich kontinuierlich Informationen über die spezifischen Besonderheiten regionaler Märkte liefern und die jeweiligen nationalen Rechtssysteme für Unternehmer transparenter machen. Damit ist es möglich, Lohnkosten, Steuerabgaben etc. in ausländischen Standorträumen und Märkten wettbewerbsstrategisch umzusetzen (vgl. Nissel 2001, S. 65). Werden diese Möglichkeiten von der Wirtschaft systematisch genutzt, kann es zu einer Benachteiligung klassischer Produktionsstandorte, etwa des „Standort Deutschlands", kommen, was bekannter Weise zu einem besonderen Thema der öffentlichen Diskussion geworden ist (vgl. Kap. 13.4). Die mit dem Aufbau ausländischer Niederlassungen und der Beteiligung an ausländischen Firmen betriebene geographische Diversifikationspolitik bedeutet für viele Unternehmen heute Existenzsicherungspolitik. Die mögliche Verlagerung von Produktionsstätten ist ein langfristiger Prozess, dessen Wirkungen erst nach Jahren spürbar werden. In der konsequenten Fortsetzung des in vielen Betrieben über Zulieferer eingeleiteten Abbaus der Fertigungstiefe steht am Ende die Beschränkung auf einige wenige Schlüsselkomponenten, die noch selbst bzw. in Deutschland gefertigt werden. Integration und Internalisierung von Gütermärkten sind das Ergebnis einer zunehmenden intraindustriellen Arbeitsteilung. Dabei spielen Fragen der Reduktion von Transaktionskosten sowie steigende Skalenerträge in Form von Grössen- und Differenzierungsvorteilen eine zunehmende Rolle. Die Globalisierung schlägt auf alle Geschäftsfelder durch, auf die Markterschließung, die Zulieferung, die Produktion sowie Forschung und Entwicklung. Die Stagnation auf traditionellen Märkten zwingt Unternehmer dazu, über neue Produkte und neue Regionen weitere Märkte zu erschließen. Angesichts des zunehmenden Preisdrucks können es sich diese nicht leisten, ihren deutschen Lieferanten „Heimatschutz" zu gewähren. Das gilt für die Produktion wie für den Dienstleistungsbereich. Vor allem elektronische Buchungen, Reservierungen, aber auch die Erstellung von Lohn- und Gehaltsabrechnungen lassen sich aufgrund moderner Informations- und Kommunikationstechnologien heute immer mehr in Indien oder China durchführen. Da bei gleicher Qualifikation die Löhne dort sehr viel geringer als in den Industrieländern sind, macht eine derartige Verlagerung Sinn (vgl. Kap. 19). Auf diese Weise lassen sich erhebliche Lohnkosten sparen und Vorteile im Wettbewerb gewinnen. In einem weiteren Globalisierungsschritt werden auch mittelständische Unternehmen zunehmend globales Denken entwickeln müssen (vgl. Kap. 24). Ihre Leistungen münden in Wertschöpfungsverbünden von Systemlieferanten. Schon heute wird ein hoher Prozentsatz vieler für das Ausland bestimmter Endprodukte bei Unterlieferanten, eben diesen Mittelständlern, gefertigt, die damit auf diese Weise zu Exporteuren werden. Zunehmend entfällt allerdings in der Produktion aus Kostengründen und aus der Forderung, Arbeitsplätze im ausländischen Absatzmarkt selbst zu schaffen, die Möglichkeit der weltweiten Belieferung aus einem deutschen Mut-
10
1
Globalisierung der Märkte und Internationalisierung der Wirtschaft
terbetrieb. Man bemüht sich im Ausland um lokale Partnerschaften, den Transfer von Know-how und die Ausbildung von lokalem Fachpersonal. Nur wenn es gelingt, in allen wichtigen Märkten global vernetzte Stützpunkte aufzubauen, wird es möglich sein, bestimmte Arbeitsplätze im Stammland des Unternehmens zu erhalten.
Für die betroffenen Unternehmer gilt es die Herausforderungen der Globalisierung anzunehmen und strategisch auf die Öffnung der Märkte mit Spezialisierungen in anspruchvolleren Produktsegmenten und einer Konzentration auf regionale Markt-
nischen
1.5
zu
antworten.
Globalisierung
und Außenhandel
Angesichts der fortschreitenden internationalen Verflechtung der Wirtschaft spielt der Außenhandel für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit und die Entwicklung von Ländern, Regionen und Standorten eine zentrale Rolle. Gerade im europäischen Integrationsprozess wird deutlich, dass die fortschreitende Globalisierung verstärkt zu einer zunehmenden Verflechtung von Volkswirtschaften und global agierenden Unternehmen über nationale Grenzen hinweg führt. Veränderte außen- und wirtschaftspolitische, technologische und ökonomische Rahmenbedingungen bewirken eine Reduzierung des Einflusses von Nationalstaaten sowie die Steigerung des internationalen Wettbewerbs. Um in diesem Umfeld konkurrenzfähig zu bleiben, müssen Regionen ihre spezifischen Vorteile im weltweiten Kontext entsprechend nutzen und durch grenzüberschreitende Verflechtun-
gen sichern. Der Fokus der öffentlichen und wissenschaftlichen Debatte im Bereich grenzüberschreitenden Handels liegt bislang eingeschränkt auf der Betrachtung der Ausfuhren. Häufig thematisiert die Rubrik Außenhandel lediglich die Exportseite; Angaben über den Importsektor finden sich hingegen meist nur in den amtlichen Statistiken von Bund und Ländern. Auch die stark regulierten nationalen Arbeitsmärkte wachsen in wesentlichen Bereichen immer mehr zusammen und lassen globale Beschäftigungsnetzwerke entstehen. Diese höhere Verflechtung spiegelt sich in einer geänderten Warenstruktur wider. Innerhalb multinationaler Unternehmen, die sich vorwiegend auf hochwertige Produkte und vor allem Vorleistungen konzentrieren, werden zumindest was die statistische Erfassung angeht oftmals gleichartige Waren transferiert. Dabei ist gegenüber dem interindustriellen Handel und dem auf Nicht-Verfügbarkeit (vgl. Kap. ?) bzw. der exklusiven Verfügbarkeit bestimmter Rohstoffe und Vorprodukte basierenden Handel der sog. intraindustrielle Handel von Waren und Dienstleistungen in den fortschrittlichen, offenen Ökonomien mittlerweile dominierend. Bei dieser Form des Warenverkehrs werden ähnliche Produkte des gleichen Industriezweiges und im Fall der Industrieländer wegen der hohen und ansteigenden Einkommen insbesondere höherwertige und kapitalintensive Güter nach individuel-
-
A: Weltwirtschaft im
Globalisierungsprozess
11
len Präferenzen gehandelt (vgl. GRÖMLING et al. 1998). Beispielsweise fragen Konsumenten in Deutschland Kraftfahrzeuge aus Frankreich und Konsumenten in Frankreich Kraftfahrzeuge aus Deutschland nach. Ausschlaggebend sind hierfür weniger Preisunterschiede als zumeist subjektive Produktbewertungen, die u.a. durch Image- und Marketingmaßnahmen der Anbieter beeinflusst werden (vgl. Kap.
7.2.4.4). Neben der
wesentlichen Teil durch die internationale Verflechtung erst ausgelösten Steigerung des Wohlstandsniveaus sind vor allem die beachtlichen Liberalisierungserfolge im Rahmen von GATT/WTO (Abbau tarifärer und nichttarifärer Handelshemmnisse, vgl. Kap. 4) sowie die deutliche Abnahme der Transportund Kommunikationskosten ursächlich für die beispiellose Ausweitung des Handelsaustausches. Die starke Dynamik des globalen Handels zeigt sich auch in einem Vergleich der Entwicklung von Welthandel und Weltsozialprodukt (vgl. Kap. 3.1). So ist in der zweiten Hälfte des 20. Jh. das Welthandelsvolumen als Gesamtmenge aller weltweit produzierten Güter und Dienstleistungen im Vergleich zum realen Weltsozialprodukt mehr als dreimal so schnell gestiegen. zum
Im Außenhandel hat sich in den beiden letzten Jahrzehnten die zwischenbetriebliche Zusammenarbeit über Staatsgrenzen hinweg deutlich verstärkt. Die sich hieraus ergebenden Möglichkeiten zur Kombination der Leistungsprofile (z.B. regionale und sektorale Spezialisierungen) und Mobilisierung synergetischer Potenziale sind aber noch ausbaufähig. Vor dem Hintergrund, dass starke lokale und regionale Verflechtungen mit anderen Unternehmen dazu geeignet sind, Ansatzpunkte für eine endogene wirtschaftliche Entwicklung zu bieten (vgl. Hess 1998), ist neben einem fachlichen Informationstransfer einer ausgeprägten Vernetzung von Verarbeitendem Gewerbe und Handel große Bedeutung beizumessen. Aufbau und Pflege von Netzwerken haben in der Vergangenheit der Außenwirtschaft deutliche
Entwicklungsimpulse geben.
Der Außenhandel trägt generell durch direkte und indirekte Effekte erheblich zu Beschäftigungssicherung und Arbeitsplatzwachstum bei; dies gilt nicht nur für die Exportwirtschaft, sondern auch die Importwirtschaft, insbesondere in hoch entwikkelten Ländern (vgl. Kap. 22.2.1.2). Hierbei ist vor allem die Bedeutung der Einfuhr von Vorleistungsgütern für die Wirtschaft und ihre exportorientierten Industrien zu nennen, da das Verarbeitende Gewerbe besonders in den Bereichen Chemie, Maschinenbau, Elektrotechnik und Fahrzeugbau in hohem Ausmaß auf Vorleistungsimporte angewiesen ist. Bei Rohstoffen besteht oftmals eine fast vollständige Abhängigkeit vom Ausland. Gerade aber Importe können zu einer Stabilisierung des Preisniveaus in Volkswirtschaften beitragen; in diesem Zusammenhang werden Wohlfahrtseffekte einerseits durch sinkende Importpreise, andererseits durch günstige aus dem Ausland bezogene Konsumgüter wirksam. Die Importwirtschaft ist wegen der insgesamt positiven Rolle des Importbereichs in höher entwickelten Ländern bislang stark unterschätzt worden. In Anbetracht dieser identifizierten Auswirkungen der Importwirtschaft wird ein Überdenken der in der Regel einseitig auf Unter-
12
1
Globalisierung der Märkte und Internationalisierung der Wirtschaft
Stützung von Exportaktivitäten konzentrierten Außenwirtschaftsförderung gerade in höher entwickelten Ländern
-
1.6
Globalisierung
und
notwendig sein.
-
nachhaltiges Wirtschaften
Die Globalisierung bewirkte bis heute trotz der Bestrebung, bessere weltweit geltende Umweltstandards zu etablieren in vielen Fällen eine Verlagerung der Umweltlasten von den alten Industriestaaten in neu industrialisierte Länder. Somit gelang es im Zuge des Globalisierungsprozesses bisher nicht, die grenzüberschreitenden Umweltprobleme in den Griff zu bekommen (vgl. Eekhoff 1999, S. 65). Wirtschaftswachstum, zunehmender Energiebedarf und exponentiell wachsende Verkehrsströme erhöhen vielmehr weiter deutlich die gleichzeitig mindern sie die globale Nahrungsmittel-Versorgungssicherheit. In den durch den Globalisierungsprozess marginalisierten Ländern nehmen die Chancen für eine nachhaltige Senkung der hohen Geburtenrate und damit auch für eine Minderung der Umweltbelastungen durch Ressourcenübernutzung derzeit immer eher noch ab als zu (vgl. Klaus 1999, S. 28). -
-
Umweltbelastung3,
Das bisherige westliche Wohlstandsmodell, das auf steigendem Wirtschaftswachstum in Verbindung mit zunehmendem Rohstoff- und Energieverbrauch beruht, lässt sich nicht auf zehn Milliarden Menschen ausdehnen. Wird der Begrenztheit der Umweltgüter ernsthaft Rechnung getragen und davon ausgegangen, dass jedem Erdbewohner weltweit in etwa die gleichen Verbrauchsmengen zustehen, müssten Lebensstil wie Produktions- und Konsumstrukturen in den wohlhabenden Ländern, aber auch in den stark Ressourcen nachfragenden Schwellenländern wie China deutlich geändert werden. Eine dauerhaft umweltgerechte und nachhaltige Entwicklung ist ohne Akzeptanz auch von Restriktionen in der humanen Daseinsgestaltung nicht zu realisieren. Die Nutzung einer Ressource sollte wegen der Nachhaltigkeitsproblematik prinzipiell nicht größer sein als ihre Regenerationsrate; entsprechend darf die Freisetzung von Stoffen nicht die kapazitätsbedingte Aufnahmefähigkeit der Umweltmedien übersteigen. Dies bedeutet weniger einen Bruch mit dem marktwirtschaftlichen System als vielmehr eine im Rahmen der Globalisierung mögliche effizientere Ressourcennutzung. Anstelle eines überstarken Wachstums ist die Orientierung in Richtung eines ausgewogeneren Wachstums mit wirtschaftlich sinnvollen und ökologisch vertretbaren Innovationszyklen geboten. Dieses Bestreben wird durch die Begriffe „qualitatives Wachstum" und „nachhaltige Entwicklung" („sustainable de-
velopment")4 ausgedrückt.
Zu den Ebenen verschiedener Umweltprobleme Zum Nachhaltigkeitsbegriff vgl. Kap. 6.1.
vgl. Kap. 6.2.
A: Weltwirtschaft im
Globalisierungsprozess
13
In der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung wurde die Wertschöpfung bisher stark überbewertet, kamen doch volkswirtschaftliche Schäden im Bruttosozialprodukt nicht zum Abzug und extern unentgeltlich erbrachte Leistungen blieben unberücksichtigt. Quantitatives Wachstum bedeutete folglich häufig eine Reduzierung der Ressourcenbasis sowie eine Schädigung der Umwelt. Als ein Beispiel hierfür kann die nicht nachhaltige Nutzung des tropischen Regenwalds, z.B. in Brasilien, genannt werden. Verantwortlich ist dafür nicht nur der wirtschaftende Mensch, sondern auch die Politik, welche zur Exportförderung für die verstärkte Produktion von Rindfleisch an die Farmer Subventionen vergab und dabei gleichzeitig die Vernichtung des Regenwaldes in Kauf nahm (vgl. Frey 2003, S. 57). Beim Bruttosozialprodukt führt die nachgeschaltete Minderung von wachstumsinduzierten Umweltschäden („End of Pipe"-Technologien) zu vermeintlich positiven Steigerungsraten. Die daraus resultierende höhere Produktivität lässt jedoch in der Regel die natürliche Umwelt außer Acht, weil längerfristig nur integrierte Umweltschutztechnologien nachhaltige Prozesse garantieren. Ziel sollte es sein, die Globalisierung dahin gehend zu nutzen, dass neben ökonomischen verstärkt auch ökologische Effizienzsteigerungen möglich werden und somit ein nachhaltiges qualitatives Wachstum zustande kommen kann. Bei der Analyse von Umweltmaßnahmen ist es sinnvoll, die verschiedenen Maßstabsebenen zu berücksichtigen, denn branchen- und regionalwirtschaftliche Effekte zeigen zunehmend internationale Verflechtungen (z.B. C02-Problematik, Mülltourismus). Diese erkennbare Globalisierung der Umweltprobleme und die verstärkte Internationalisierung von Umweltpolitik haben die Wichtigkeit ressourcen- und umweltökonomischer Kenntnisse in unserer Gesellschaft verdeutlicht. Der Standortfaktor „Umweltqualität" hat inzwischen einen ähnlichen Stellenwert wie die Schlüsselgrößen Wachstum und Beschäftigung erlangt (vgl. Kap. 17.2). Entsprechend ist der Agenda-21-Prozess (vgl. Kap. 17.3.5) in Gang gekommen, hat jedoch bisher nicht zu den gewünschten Ergebnissen geführt. Zwar stellten sich zwischen den Konferenzen von Rio (1992) und Johannesburg (2002) sowie in jüngerer Zeit erkennbare Fortschritte ein, z.B. dass sich globale Umweltstandards (vgl. Kap. 6.3.1) in vielen Ländern durchsetzen, jedoch sind Fragen wie jener der nachhaltigen weltweiten Reduzierung der Treibhausgase immer noch nicht schlüssig geklärt. So verweigern die USA nach wie vor ihre Teilnahme am Kyoto-Protokoll
(vgl. Kap. 6.3.1.2).
Die Vision von Denis Meadows von der raschen Endlichkeit unserer mineralischen Ressourcen, publiziert in dem 1972 erschienen Buch „Die Grenzen des Wachstums", geht zwar an der Wirklichkeit vorbei. Die Lebensdauer der meisten Rohstoffe ist sehr viel größer als vom Club of Rome vor drei Jahrzehnten angenommen. Dennoch bleibt die Warnung an die Menschheit bestehen: Heute stehen wir nicht mehr unmittelbar vor der Endlichkeit unserer Rohstoffe, sondern eher vor der Endlichkeit des ökologischen Gleichgewichtes unserer Erde, das durch die unbe-
14
1
Globalisierung der Märkte und Internationalisierung der Wirtschaft
dachte
Rohstoffausbeutung und die damit verbundene Umweltbelastung in Gefahr gerät (vgl. Haas 1990, S. 113; 2004, S. 15ff.). Noch immer führen zunehmende Umweltprobleme und nicht erreichtes nachhaltiges Wirtschaften, zusammen mit bzw. als Folge der Globalisierung, in den Entwicklungsländern auch zu einer weiteren Verstärkung der Armut (vgl. Neuburger 2003, S. 15f.; Kreutzmann 2002, S. 60). Scholz (2003, S. 4ff.) spricht davon, dass durch die Globalisierung letztlich die Armut quantitativ, sozial und räumlich eine neue Dimension erreich hat. Aus der Sicht einer angestrebten nachhaltigen Entwicklung stellte die Globalisierung bisher keine Instrumente bereit, um von der bisherigen polarisierenden Entwicklung zwischen Arm und Reich bzw. einer „Ökonomie des Archipels" als wohlhabenden Wirtschaftsinseln der triadischen Entwicklung einerseits und Meeren der Armut andererseits wegzuführen (vgl. Fujita et al. 1999; Scholz 2002, S. 11). Die Vorstellung einer nachholenden Entwicklung muss nach Scholz (2002, S. 6ff.) durch das Faktum fragmentierender Entwicklung (vgl. Kap. 5.1.3) ersetzt werden. Denn die Globalisierung hat in jüngerer Zeit die Unterschiede vor allem zwischen den Entwicklungsländern (z.B. den Ländern Schwarzafrikas gegenüber jenen Ostasiens und Südamerikas) eher verstärkt (vgl. Andersen 2005, S. 4L).
Literatur: Andersen, Uwe (2005): Entwicklungspolitik unter veränderten Rahmenbedingungen. In: Informationen zur
politischen Bildung, Nr. 286, s. 4-7.
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16
1
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A: Weltwirtschaft im
17
Globalisierungsprozess
2 Wirtschaftliche Aktivitäten im Wandel
-
Frühformen und
Entwicklung bis heute Das Schlagwort „Globalisierung" (vgl. Kap. 1.2 und 13.1) bestimmt die öffentliche Diskussion über Wirtschaftsentwicklung und Wirtschaftspolitik nicht nur in Deutschland. Dabei wird oft ignoriert, dass dieser Prozess keineswegs erst in den letzten Jahrzehnten entstanden ist. Dieses Kapitel skizziert frühe Formen von Internationalisierung und thematisiert deren Entwicklung bis in das 20. Jh. Der Schwerpunkt der folgenden Ausführungen liegt dabei auf der Analyse der internationalen Arbeitsteilung im Zuge der Industrialisierung und der Darstellung sozialer und wirtschaftlicher Veränderungen, insbesondere in den Triaderegionen. Zur theoretischen Fundierung dieses sozioökonomischen Wandels wird auf die Regulationstheorie zu-
rückgegriffen. 2.1
Internationalisierung ein -
neues
Phänomen?
Die Tatsache, dass unter Globalisierung häufig nur die weltwirtschaftliche Entwicklung der letzten 40 bis 50 Jahre verstanden wird, verstellt allzu oft den Blick auf die Ausbreitung von Handel und Investitionen in der Zeit davor. Betrachtet man Weltwirtschaft und Globalisierung weniger als wörtlich genommene Ausdehnung ökonomischer Aktivitäten über den gesamten Globus und statt dessen eher als Entwicklung geographisch weitreichender, verschiedene Erdräume in Verbindung bringender Wirtschaftsverflechtungen, dann ist Globalisierung im Sinne letzterer Betrachtungsweise sicherlich kein neues Phänomen der zweiten Hälfte des 20. Jh. Vielmehr lassen sich internationale Handelssysteme zeitlich wesentlich weiter zurückverfolgen. Sie funktionierten über ein System verschiedenster Träger (u.a. abenteuernde Seefahrer und Kaufleute, „peddling traders", d.h. Hausierer, Handelskompanien) und Aktivitäten (Kauf, Tausch, Raub, Landnahme, Ansiedlungen, Faktoreien bzw. Handelniederlassungen, Eroberung, Krieg etc.), die sich regional und lokal in unterschiedlichen Formen der Raumgestaltung (z.B. Städte, Häfen, Bergwerke, Plantagen, Grenzsysteme, Verkehrswege, Straf-, Wirtschafts- und Siedlungskolonien) auswirkten und schließlich der effektiven Nutzung von Ressourcen sowie dem Herrschaftsausbau dienten. In Lateinamerika, Afrika und Teilen Asiens ist diese fremdbestimmte raumstrukturelle Wirklichkeit bis heute spürbar (vgl. Scholz 2004, S. 5lf). auch primitive Ansätze der Internationalisierung in Form eines Tauschhandels sind bereits aus dem Siedlungswesen der Jungsteinüberregionalen zeit (ca. 5 000 v. Chr.) bekannt. Ein früher, quasi-staatlich organisierter Handel ist
Erste,
wenn
18
2 Wirtschaftliche Aktivitäten im Wandel
Frühformen und
Entwicklung bis heute
-
erstmals aus den sumerischen und babylonischen Stadtkulturen (nach 3 200 v. Chr.) überliefert. Als frühes, Länder und Kontinente übergreifendes Handelssystem kann der Orienthandel begriffen werden, der Europa mit Ostafrika und Asien über den Mittelmeerraum verband. Gehandelt wurden Teppiche, Farbstoffe, Gewürze etc. Bekannt ist vor allem die von Marco Polo in seinem Reisetagebuch dokumentierte Seidenstraße, über die seit dem 2. Jh. v. Chr. u.a. Seide von China über Zentralasien zum Mittelmeer und Schwarzen Meer transportiert wurde. unterhielten bereits 1 750 v. Chr. einen weitreichenden in der anatolischen Bronzekultur lag, und galten als erdessen Zentrum Zinnhandel, ste Fernhandelsunternehmer. Um 500 v. Chr. bestand in Europa mit den Etruskern ein Netz von Handelsbeziehungen, welche den gesamten Mittelmeerraum abdeckten und bis nach Schweden und Irland reichten (vgl. Scholz 2004, S. 51f.; dülfer 2002, S. 72f.).
Assyrische Kaufleute
nachhaltigerer Einfluss als diese frühzeitlichen Internationalisierungsansätze ging auf die Entstehung des heutigen Weltwirtschaftssystems aber seit dem 14. Jh. von Mittel- und Westeuropa aus. Ein wesentlich
2.2 Weltwirtschaft und
europäische Expansion
Im 14. und 15. Jh. vollzog sich in Europa ein Wandel, der als Übergang von einem vorwiegend auf Agrarwirtschaft basierenden, feudalistischen System zu einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung charakterisiert werden kann (vgl. Knox/Agnew 1994, S. 152ff.; Scholz 2004, S. 5Iff.; Dülfer 2002, S. 72ff.). Das neue, merkantilistische System wurde von einer wachsenden Kaufmannschaft und einem zunehmenden Handel zwischen den Städten und Regionen Europas getragen. Es folgte der Aufstieg berühmter Kaufmanns- und Handelsdynastien wie die der Medici, der Fugger und Welser.
Die rasche Zunahme der Handelsbeziehungen im Merkantilismus (vgl. Kap. 7.2.2) basierte auf einer regionalen Spezialisierung der Produktion von Gütern, anfangs mit den stärksten wechselseitigen Verflechtungen zwischen norditalienischen Handelsstädten wie Venedig und Florenz, flämischen Zentren wie Brügge oder Antwerpen und den Mitgliedern des Hansebundes an Nord- und Ostsee (Bremen, Hamburg, Lübeck, Rostock und Danzig). Insbesondere seit dem 16. Jh. erfolgte jedoch eine deutliche Ausweitung der Wirtschaftsbeziehungen. Die merkantilistische Wirtschaftsweise, deren Philosophie im Kern die Mehrung des Wohlstands eines Herrschaftsgebietes durch Handel und Kolonialismus zum Inhalt hatte, erforderte eine ständige territoriale Ausdehnung des Handels, da eine Festigung von Position und Einfluss für Kaufleute, Produzenten und Finanziers auf andere Weise nicht möglich war. Dem zunächst zaghaften, auf bloßen Warenaustausch angelegten Umgang mit den Einwohnern anderer Erdteile folgte bald
A: Weltwirtschaft im
Globalisierungsprozess
die exzessive Aneignung von Gütern (agrarische und mineralische Menschen und Land durch Kolonisation (vgl. scholz 2004, S. 54f).
19
Rohstoffe),
Ferner beschleunigte der Merkantilismus auch die Entwicklung des StädtesyStädte waren nicht nur die wesentlichen Marktplätze des Merkantilismus, sondern in steigendem Maße auch die Zentren einer spezialisierten Produktion. Das Wachstum der Städte und ihrer wirtschaftlichen Basis ließ sich vor allem durch Importsubstitution sichern, d.h. es wurden zunehmend Produkte kopiert und selbst hergestellt, die man bis dahin über den Handel mit anderen Regionen beschaffte. Daraus resultierte ein spürbares Wachstum von Beschäftigung, die Kapitalverfügbarkeit stieg an. Mit Hilfe dieses so generierten Kapitals konnten wiederum weitere Produkte aus anderen Regionen bezogen werden. Die merkantilistische Wirtschaftsweise war damit ein sich selbst antreibendes System ökonomischen Wachstums und territorialer Expansion. stems.
Verbindung mit der Ausdehnung politischer Einflussbereiche durch den europäischen Kolonialismus wurden verstärkt auch die übrigen Kontinente in den Handel und die Produktion von Gütern einbezogen und erste Grundzüge einer neuen Weltwirtschaft sichtbar gemacht. In Lateinamerika erfolgte nach Zerschlagung der Reiche der Azteken, Maja und Inka die Aneignung von Edelmetallen, die Okkupation von Land durch die Haciendaökonomie und die Errichtung viehwirtschaftlicher Großbetriebe („estancias"). In der Karibik breitete sich das Plantagensystem aus, das Monokulturgüter für die Metropolen produziert und als „quasi kostenlose und subhuman angesehene Energiequelle" (Scholz 2004, S. 56) alleine den merkantiIn
listischen Interessen der Mutterländer zu dienen hatte.
Von Westafrika breiteten die Akteure in den kolonialen Mutterländern den Sklavenhandel aus, der als kolonialer Dreieckshandel Europa mit Afrika und Amerika durch die Seeschifffahrt verband (vgl. Karte 2.1). Vom 16. bis zum 18. Jh. wurden Sklaven von der afrikanischen Westküste aus in die Überseekolonien Amerikas und der Karibik transportiert. Dort zwang man sie zur Arbeit auf Plantagen, deren Produkte (u.a. Zuckerrohr, Rum, Tabak, Baumwolle) für die europäischen Märkte bestimmt waren. Von Europa aus wurden wiederum manufakturelle Fertigerzeugnisse nach Westafrika exportiert, um damit neue Sklaven einzuhandeln. Neben dem kolonialen Dreieckshandel bildeten sich, ebenfalls im Zuge der eukolonialen Expansion, auch zunehmende Wirtschaftsbeziehungen mit Süd- und Ostasien heraus. Einen bedeutenden Fixpunkt der kolonialen Expansion bildete vor allem Indien, von wo aus Gewürze, Baumwolle, Seide, Schmuck, Kunstgegenstände etc. nach Europa gelangten. Abgewickelt wurde dieser Handel zunächst von portugiesischen, ab dem 16 Jh. auch von französischen, holländischen, britischen und dänischen Kaufleuten und Seefahrern, die sich wegen eines steigenden Kapitalbedarfs später zu Handelsgesellschaften, wie z.B. der am 31.12.1600 gegründeten „British East India Company", zusammenschlössen (vgl. scholz 2004, S. 64).
ropäischen
20
2 Wirtschaftliche Aktivitäten im Wandel
Frühformen und
Entwicklung bis heute
-
Karte 2.1: Kolonialer Dreieckshandel
Überall nutzte die entwickelte internationale Arbeitsteilung Rohstoffe und Arbeits-
kräfte in den außereuropäischen Kolonien zur Generierung von Wohlstand in den europäischen Kernländern. Es entstand ein weltwirtschaftliches System, das auf vielfältigen Verflechtungen zwischen europäischen Kernökonomien und von diesen erschlossenen Peripherien basierte. Auch innerhalb Europas verlief die wirtschaftliche Entwicklung nicht gleichmäßig, im Laufe der Zeit ergaben sich deutliche Verlagerungen der Zentren ökonomischer Macht. Zu Beginn der merkantilistischen Phase, Anfang des 16. Jh., war der europäische Mittelmeerraum das dominierende ökonomische Zentrum. Spanien und Portugal waren weltweit die am weitesten entwickelten Imperien; sie konnten ihren Wohlstand nicht zuletzt mit Hilfe der in den amerikanischen Kolonien explorierten Gold- und Silbervorkommen weiter ausbauen. Gegen Ende des 17. Jh. hatte sich die wirtschaftliche Macht jedoch nach Norden verlagert, wo sich vor allem England und die Niederlande als führende Handels- und Wirtschaftsmächte etabliert hatten, während Südeuropa in der Zwischenzeit deutlich zurückgefallen war. Neben politischen und sozialen Faktoren wird diese Verschiebung vor allem auf die deutlich stärker ausgeprägte merkantilistische Philosophie niederländischer und englischer Kaufleute zurückgeführt.
A: Weltwirtschaft im
2.3
Globalisierungsprozess
Industrialisierung
21
im Weltmaßstab
Der Prozess der Industrialisierung hat die Weltwirtschaft in ihrer heutigen Form sicherlich am nachhaltigsten geprägt und ist auch zu Beginn des 21. Jh. noch nicht abgeschlossen. Die Tatsache, dass viele internationale Statistiken immer noch zwischen industrialisierten und anderen Ländern, z.B. zwischen Industrieund Entwicklungsländern, unterscheiden, unterstreicht dies deutlich. Industrielle Produktion spielt nicht nur als Entwicklungsinstrument vieler Länder in Südamerika, Asien und Afrika eine Schlüsselrolle, auch in den Dienstleistungsgesellschaften der westlichen Welt hat die Industrie nach wie vor eine tragende ökonomische
Funktion.
2.3.1 Die Industrielle Revolution Die Anfänge der Industrialisierung liegen in England zur Mitte des 18. Jh. Es gibt verschiedene Gründe, warum gerade England als Herz der Industriellen Revolution gilt. Neben dem Einsatz von Kohle als weithin verfügbarer Energieträger war die zunehmende Mechanisierung der Produktion, sowohl in der Landwirtschaft als auch im Handwerk und in den frühen Manufakturen, ein wichtiger Auslöser der Industriellen Revolution. Die Mechanisierung der Landwirtschaft führte zum geringeren Einsatz von Arbeitskräften, so dass angesichts einer wachsenden Bevölkerung ein Arbeitskräfteüberhang entstand, der von der sich entwickelnden Industrie genutzt werden konnte. Das Bevölkerungswachstum war demnach zwar nicht Auslöser der Industrialisierung, jedoch ein wesentlicher unterstützender Faktor. Darüber hinaus wurde die Industrialisierung von einer steigenden Nachfrage nach Gütern und einer ausreichenden Kapitalverfügbarkeit in England getragen, wie es für die kapitalistisch-merkantilistische Phase kennzeichnend war. Die Mechanisierung der Produktion basierte wesentlich auf der Erfindung und Einführung neuer Techniken. An erster Stelle ist hier der mechanische Webstuhl zu nennen, der die Produktivität und den Output in der Textilherstellung wesentlich erhöhte. Entscheidend war aber auch die Erfindung der Dampfmaschine, welche die für den Produktionsprozess nötige Energie auf der Basis des Rohstoffes Kohle lieferte. Das Prinzip der Dampfmaschine revolutionierte in der Folge mit dem System der Eisenbahn auch die Transporttechnologie, was zur Beschleunigung und Ausbreitung des Industrialisierungsprozesses in England und darüber hinaus wesentlich
beitrug.
und später dampfkraftgetriebene Webstühle wurden in entstanden erste größere Fabrikanlagen. Der zur Textileingesetzt, großem wurde in wachsenden Mengen aus den Rohstoff Baumwolle herstellung benötigte Überseekolonien angeliefert, insbesondere aus Indien und zu Beginn des 19. Jh. zunehmend von den Plantagen im Süden der USA. Bis 1841 hatte sich die Baumwollund Textilindustrie, trotz der durch die Mechanisierung bedingten Erhöhung der Ar-
Mechanische, Stil
wasseres
22
2 Wirtschaftliche Aktivitäten im Wandel
Frühformen und
Entwicklung bis heute
-
unter den Handwebern, zum größten Arbeitgeber Großbritanniens entwickelt. Es war aber nicht allein die Textilindustrie, die auf der Basis neuer Technologien und gestützt durch verfügbares Kapital entstand. Daneben wuchsen neue Wirtschaftszweige, im 18. Jh. vor allem die Eisen- und Stahlindustrie sowie stahlverarbeitende Sektoren wie der Schiff- und der Eisenbahnbau. Diese rasche Expansion war auch ausschlaggebend dafür, dass trotz Rationalisierungsdrucks durch die Mechanisierung zunächst noch keine massive Arbeitslosigkeit entstand.
beitslosigkeit
Insgesamt führte damit ein ganzes Bündel von Faktoren zur Entstehung einer industriellen Wirtschaftsweise unter kapitalistischen Bedingungen (vgl. Abb. 2.1). Die Folge waren tiefgreifende soziale Veränderungen. Durch die zentralisierte Produktion in Fabriken erfolgte nicht nur eine Trennung von Wohn- und Arbeitsort, auch die räumliche Konzentration auf bestimmte Regionen in England vor allem die Midlands und der Nordwesten sowie die rasche Urbanisierung veränderten das soziale Gefüge. Es entstand eine lohnabhängige Arbeiterklasse, die als industrielles Proletariat unter widrigsten Bedingungen lebte und arbeitete. Die bekanntesten Ankläger dieser Zustände sind Karl Marx und Friedrich Engels, welche beide die Verhältnisse in Großbritannien des 19. Jh. vor Ort studiert hatten und daraus ihre einflussreiche Kapitalismuskritik entwickelten. Die negativen Auswirkungen der Industriellen Revolution änderten aber nichts an der internationalen Ausbreitung der neuen Produktionstechniken und der diesen zugrundeliegenden kapitalistischen Wirtschaftsweise. -
-
Die Industrielle Revolution löste, gepaart mit Freihandelsideen (vgl. Kap. 7.3) „Nationbuilding", vom Staat gestützte sowohl agrarisch wie bergbaulich und siedlungsmäßig raumgestaltende Kolonisationsprozesse in Übersee aus. In dem Umfang, wie sich Großbritannien und andere Staaten Europas im Prozess von Industrialisierung und „Nationbuilding" befanden, veränderte sich die anfangs eher offene Einflussnahme auf überseeische Wirtschaftsräume zu einem imperialistischen Interessensystem, das in der Suche und militärischen Sicherung von Rohstoffquellen, Absatzmärkten sowie Investitionsmöglichkeiten zum Ausdruck kam. Unter der Leitung Bismarcks wurde auf der Berliner „Kongo-Konferenz" 1884/85 die koloniale Aufteilung der außereuropäischen Erdteile auf dem Reißbrett beschlossen. und
wurde der imperialistische Wettlauf von Großbritannien, das zu Hochzeiten über ein Kolonialreich von der lOOfachen Größe des eigenen MutterInnerhalb der Kolonialimperien entwickelte sich eine landterritoriums spezifische internationale Arbeitsteilung in Form häufig privatwirtschaftlich organisierter, überseeischer Netzwerke, innerhalb derer inländische Produktionsüberschüsse in den Kolonien abgesetzt und von dort billige Rohstoffe und Kolonialwaren bezogen wurden ein System, das in vielen Entwicklungsländern
Angeführt
verfügte1.
-
In Belgien lag das Einwohner-Flächen-Verhältnis zwischen Mutterland und Kolonien bei den Niederlanden bei 1:60, Frankreich bei 1:22.
ca.
1:80,
A: Weltwirtschaft im
23
Globalisierungsprozess
auch nach Erlangung der Unabhängigkeit in den 1960er Jahren immer noch bar ist (vgl. Scholz 2004, S. 66ff; Dülfer 2002, S. 85ff.). Abb. 2.1: Faktoren des
spür-
Industrialisierungsprozesses
Kolonien als Rohstofflieferanten, Märkte und Aufnahmeräume für Bevölkerungsüberschuss
Freies Unternehmertum mit Gewinnstreben
z 5
Überseehandel, führende Seemacht
Maschinenbau,
Industrialisierung
Urbanisierung
Modernisierung der und Geldwirtschaft
Investitionsgüter, Dampfmaschinen
Massenproduktion unter Arbeitsteilung in Fabriken, Erfindungskette, Innovationen
Kapitalakkumulation
Landwirtschaft, Pacht
Ausbau, Beschleunigung von Transport und Kommunikation
Freisetzung von Arbeitskräften
Bevölkerungswachstum
Trennung von
Wohn- und Arbeitsplatz
Quelle: Brücher 1982, S. 14.
Der räumliche Ausbreitungsprozess von innovativen Vorgängen, welche die Industrielle Revolution auslösten, wird in der „Theorie der Langen Wellen" thematisiert.
2.3.2 Die Theorie der
Langen Wellen
Die Theorie der Langen Wellen geht zwar ursprünglich auf die Arbeiten des russischen Wirtschaftswissenschaftlers Nicolai Kondratieff zurück, der Nationalökonom Joseph Schumpeter hat sie jedoch maßgeblich erweitert und formuliert. Mit Hilfe dieser Theorie wird versucht, die im Zeitablauf unterschiedliche, ungleichmäßige Entwicklung der Wirtschaft dadurch zu erklären, dass bedeutende Innovationsprozesse (Basisinnovationen) wellenförmige Phasen wirtschaftlichen Aufschwungs und Abschwungs auslösen. Diese Phasen umfassen jeweils einen verhältnismäßig langen Zeitraum von etwa 50 bis 60 Jahren (sog. Kondratieff-Zyklen), weshalb, im Unterschied etwa zu den deutlich kürzeren Entwicklungsphasen im Produktlebenszyklus (vgl. Kap. 7.2.4.2, 8.3.1.3 und 9.4.1), von der Theorie der Langen Wellen ge-
sprochen wird. Schumpeter beschreibt das Entstehen dieser Langen Wellen von Aufschwung und Niedergang als einen Prozess schöpferischer Zerstörung durch das scharenweise Auftreten von Unternehmern (vgl. Bathelt 1992, S. 201). Danach werden von
24
2 Wirtschaftliche Aktivitäten im Wandel
Frühformen und
Entwicklung bis heute
-
diesen neuen Unternehmern Basisinnovationen etabliert, die den bis dahin dominierenden, alten Produktionssystemen zunehmend Produktionsfaktoren entziehen und damit zunächst einen wirtschaftlichen Abschwung auslösen. Es folgt eine Phase der Stagnation, in der zunehmend Nachahmer der neuen Technologien auftreten und sich Multiplikatoreffekte einstellen, die positiv auf die Gesamtwirtschaft ausstrahlen. Erst dann führt die Durchsetzung der Basisinnovationen zu einem erneuten Aufschwung und einer neuen Welle wirtschaftlicher Entwicklung. Die Zeit seit der Industrialisierunsphase gegen Ende des 18. Jh. wird in mehrere Phasen unterteilt (vgl. Abb. 2.2). Abb. 2.2: Die
Langen Wellen wirtschaftlicher Entwicklung Basisinnovationen -1-
Dampfkraft
Textilindustrie Eisenindustrie
Eisenbahn Eisen- u. Stahlindustrie
-1- -1-
Automobilind. Chemische Ind. Elektrizität
Elektronik Mikroelektronik Petrochemie Bio- und Gensynth. Materialien technologie
Internationale Ausgangspunkte wesentlicher Innovationen Großbritannien, Großbritannien, Deutschland, USA, Japan, Japan, USA, EU (insbes. Frankreich, Frankreich, USA, Kanada, Großbritannien, Ausatralien, Deutschland, Belgien Belgien, EU (insbes. Deutschland, Frankreich, Schweden), USA Taiwan, SüdDeutschland, Belgien, Niederlande, korea, Kanada, Schweden) Schweiz
Australien
Quelle: Dicken 2003, S. 88, verändert.
Basisinnovationen der ersten Welle waren Entwicklungen in der Textil- und Eisenindustrie, gefolgt von Neuerungen in der Eisen- und Stahlindustrie der zweiten Langen Welle. Die dritte Welle wurde durch die Automobil-, Elektro- und Petrochemische Industrie bestimmt, während Innovationen vor allem in der Elektronikindustrie die vierte Lange Welle bis in die Gegenwart beeinflussten. Mittlerweile existieren verschiedene Spekulationen darüber, welche Basisinnovationen Träger der nächsten Langen Welle wirtschaftlicher Entwicklung sein werden. Viele Beob-
A: Weltwirtschaft im
Globalisierungsprozess
25
achter sehen das Potenzial dazu insbesondere in der Bio- und Gentechnologie, aber auch der Mikroelektronik und der Kommunikationstechnologie. Jede dieser Entwicklungsphasen war bisher mit zumeist unterschiedlichen räumlichen Produktionsschwerpunkten in den neuen Industrien verbunden. Wie im vorangegangenen Kapitel gezeigt, waren die Basisinnovationen der industriellen Revolution (Beginn der ersten Welle) zunächst ausschließlich in England lokalisiert. Der Produktionsschwerpunkt der zweiten Welle lag neben England insbesondere in Deutschland, während die dominierenden Wirtschaftsräume der dritten Welle vor allem in Deutschland und den USA lagen. Die vierte Welle schließlich wurde neben Europa auch von den Produktionsräumen USA und Japan getragen. Mit Hilfe des Ansatzes
Kondratieff und
Schumpeter lassen sich internationale Verlagerungen Produktionsschwerpunkten gut nachvollziehen. Der Vorteil der Theorie der Langen Wellen gegenüber vielen statischen Standorttheorien liegt dabei in der Berücksichtungung des Faktors Zeit. Allerdings ist die Bedeutung der Theorie zur Erklärung wirtschaftlicher Entwicklung und wirtschaftsräumlichen Wandels nicht unumstritten (vgl. Bathelt 1992, S. 202). Kritikpunkte liegen u.a. in der Annahme der Zyklizität wirtschaftlicher Entwicklung (wellenförmiger, gleichmäßiger Verlauf von Aufschwung- und Abschwungphasen) und der Festlegung der Dauer von
von
dieser Wellen (ca. 50 bis 60 Jahre). Als wesentliche Schwachstelle der Theorie wird auch ihr technologischer Determinismus (wirtschaftlicher Wandel ist allein abhängig von Basisinnovationen) gesehen. Dennoch hat Schumpeter besonders mit der Betrachtung des Prozesses „schöpferischer Zerstörung" einen Aspekt in den Vordergrund gerückt, der auch in der heutigen Diskussion um die Rolle von Innovation und innovativen Unternehmern für die wirtschaftliche Entwicklung durchaus von Bedeutung ist.
2.4 Die
Entwicklung
internationaler Unternehmensnetzwerke
Einhergehend mit der internationalen Ausbreitung der Industrialisierung und der Entstehung neuer wirtschaftlicher Schlüsselsektoren begannen auch die Unternehmen ihre Produktionsnetzwerke über Ländergrenzen hinweg zu organisieren. Seit etwa 1875 investierten Firmen in Europa und den USA in steigendem Umfang außerhalb ihrer jeweiligen Heimatmärkte in Zweigbetriebe und TochterunternehDurch diese Direktinvestitionen wuchsen sie zu multinationalen Unternehmen heran, deren Bedeutung hinsichtlich des Ausmaßes ihrer Auslandsinvestitionen in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg häufig unterschätzt wird. Anfang des 20. Jh. hatte sich in vielen Ländern bereits ein Direktinvestitionsvolumen gebildet, das sie in der Regel erst in den 1960er Jahren oder später wieder erreichten. Schätzungen des weltweiten Direktinvestitionsbestandes für das Jahr 1914 belaufen sich auf ca. 14 Mrd. US-$. Das entsprach damals ca. 35% der langfristigen internationalen Vermen.
26
2 Wirtschaftliche Aktivitäten im Wandel
Frühformen und
Entwicklung bis heute
-
bindlichkeiten und war gemessen am Volkseinkommen ein weder davor noch danach jemals wieder erreichter Wert (vgl. Dunning 1983). -
-
Moderne Transporttechnologien wie die Eisenbahn und die Dampfschifffahrt reduzierten die Reisezeiten innerhalb und zwischen den Kontinenten erheblich, wodurch eine räumliche Ausdehnung der Kontrolle über das Unternehmensnetzwerk, welche das Grundcharakteristikum von Dirtektinvestitionen bzw. multinationalen Unternehmen darstellt, erleichtert wurde. Darüber hinaus machten Erfindungen wie der Telegraph eine schnellere Kommunikation über große Distanzen hinweg möglich (vgl. WlLKINS 1986). Bis in die 1930er Jahre waren britische Unternehmen die dominierenden Auslandsinvestoren. Der Grund dafür liegt zum einen in der Geschichte des Landes als dominierender Kolonialmacht, zum anderen in der bereits beschriebenen frühen Entwicklung der britischen Industrie. Ein bedeutender Teil der Auslandsinvestitionen war auf die Beschaffung und Sicherung von Rohstoffen ausgerichtet, wenngleich das nicht für alle britischen multinationalen Unternehmen in gleichem Maße galt (vgl. Exkurs 2.1). Der Gewinn oder Erhalt von internationalen Marktanteilen war oftmals ein ebenso wichtiges Motiv. An zweiter Stelle der weltweit wichtigsten Investoren standen US-Firmen, die sich vor allem auf die Massenproduktion von Konsumgütern konzentrierten. Im Unterschied zur Situation in Großbritannien wuchsen die amerikanischen Unternehoftmals durch Fusionen und Übernahmen schnell zu großen, integrierten men Konzernen heran. Es entwickelte sich der Typus der integrierten „managerial firm", während in Großbritannien selbst große, internationale tätige Unternehmen lange Zeit in Familienbesitz blieben (vgl. Chandler 1980). -
-
Auch deutsche Unternehmen, wie z.B. Siemens, begannen zum Teil schon sehr früh, sich mittels Direktinvestitionen im Ausland zu engagieren (vgl. Mirow 2002). Die Bedeutung Deutschlands als Herkunftsland ausländischer Investitionen war, ähnlich der Rolle Frankreichs, bis 1914 relativ groß, ging jedoch in der Folge der beiden Weltkriege drastisch zurück. Das Bild änderte sich erst wieder mit dem Beginn des Wirtschaftswunders nach dem Zweiten Weltkrieg und der politischen wie wirtschaftlichen Integration Deutschlands in die westliche Staatengemeinschaft.
A: Weltwirtschaft im
27
Globalisierungsprozess
Exkurs 2.1: Wachstum und frühe tnternationalisierung
Das
Beispiel Dunlop
-
Dunlop Rubber Company wurde 1889 gegründet und entwickelte sich gemessen an der Marktkapitalisierung- bis 1930 zum achtgrößten britischen Unternehmen. Dunlop produzierte zu Beginn ausschließlich Gummireifen für Fahrräder, die der Unternehmensgründer J.B. Dunlop hatte patentieren lassen. Bereits vier Jahre nach der Gründung etablierte die Firma Produktionsstätten in Deutschland, Frankreich und den USA. Der Hauptgrund für dieses Engagement im Ausland lag in der Sicherung von Patentrechten und nicht etwa der Sicherung oder Beschaffung von Rohstoffen. Um den Patentschutz auch auf diesen schnell wachsenden Auslandsmärkten aufrecht zu erhalten, war eine lokale Produktion gesetzlich vorgeschrieben, weshalb ein Export in diese Zielländer nicht in Frage kam. Als sich herausstellte, dass der pneumatische Reifen bereits lange Zeit vor Dunlop patentiert worden war und auch die zugekauften Patente zur Jahrhundertwende auslaufen würden, begann das Unternehmen, Gummiwerke zuzukaufen und damit seine Produktionsbasis zu erweitern, die bis dahin ausschließlich in der Montage der Zulieferprodukte bestanden hatte. Die
-
Erfolgte der Internationalisierungsprozess von Dunlop zunächst über Lizenzverträge (USA) bzw. Minderheitsbeteiligungen (Deutschland, Frankreich), so erwarb das Unternehmen ab 1900 sukzessive die Mehrheit an den Auslandsgesellschaften. Dies sollte eine erhöhte Einflussnahme und Kontrollmöglichkeit der britischen Firmenzentrale sicherstellen und darüber hinaus Probleme bei der Qualitätskontrolle beseitigen. 1909 nahm Dunlop die Produktion in Japan auf, nach dem Ersten Weltkrieg expandierte die Firma in weitere Länder, darunter Kanada, Indien und Südafrika. Die 1915 enteignete deutsche Tochterfirma wurde nach Kriegsende wieder integriert, das bereits 1898 aus unklaren Gründen verkaufte US-Werk zurückgekauft. Damit reagierte das Unternehmen wenn auch mit einer starken zeitlichen Verzögerung auf die Managementfehler der ersten Unternehmensjahre. Die Tatsache, dass die ausländischen Tochterfirmen häufig Verluste machten, stellte das Auslandsengagement von Dunlop jedoch niemals grundsätzlich in Frage. Denn Konkurrenten begannen zunehmend auf dem britischen Markt Fuß zu fassen, weshalb Dunlop seine Wettbewerbsposition im Ausland ebenfalls zu stärken versuchte. -
-
Internationalisierungsphase zwischen den beiden Weltkriegen war deshalb im Gegensatz den patentrechtlich motivierten Auslandsengagements der ersten Unternehmensjahre durch eine „follow-the-leader"-Strategie gekennzeichnet. Wachsender Protektionismus der Zielländer und ein verschärfter oligopolistischer Wettbewerb führten zur Imitation der Strategien anderer Reifenhersteller vor allem aus den USA, aber auch Italien und Deutschland. Ein wachsendes internationales Vertriebsnetz unterstützte dabei die Präsenz auf den Weltmärkten. Um im Wettbewerb bestehen zu können, nutzte Dunlop auch ein Instrument, das heute als flexible Form der Unternehmensorganisation vielfach diskutiert wird: Die Strategische Allianz (vgl. Kap. 22.6.1), ein in den unsicheren 1930er Jahren vielfach erprobtes Rezept. Beispielsweise traf Dunlop Abmachungen mit einem seiner Hauptkonkurrenten aus den USA, der Firma Goodyear. Diese umfassten nach einem internen Papier des Board of Directors von 1935 die Vereinbarung, dass Die
zu
„wherever either Dunlop or Goodyear have a factory (other than in the USA, Canada and GB) they will favourably consider the question of manufacturing for the other party in that territory" (vgl. Jones 1984).
28
Frühformen und
2 Wirtschaftliche Aktivitäten im Wandel
Entwicklung bis heute
-
2.5 Weltwirtschaftliche
Entwicklungen
nach dem Zweiten
Weltkrieg Nach den beiden Weltkriegen und der dazwischen auftretenden Wirtschaftskrise erfuhr die Weltwirtschaft einen erneuten Wachstumsschub. Gestützt auf die in der Folge des Bretton-Woods-Abkommens geschaffenen globalen Institutionen von Weltbank (vgl. Kap. 5.4.2) und Internationalem Weltwährungsfonds (vgl. Kap. 5.4.2) sowie die Entstehung des GATT (vgl. Kap. 4.2), begann eine rasante Entwicklung von internationalem Handel und Investitionen, die jedoch räumlich sehr
differenziert verlief.
Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges etablierte sich eine neue geopolitische Weltordnung, die zunächst vor allem durch die Spaltung in einen kapitalistisch ausgerichteten Block westlicher Industriestaaten einerseits (die USA und deren Verbündete einschließlich der besiegten Länder Japan und Deutschland) und einen kommunistisch orientierten Block östlicher Staaten (die Sowjetunion und ihre verbündeten Staaten) andererseits charakterisiert war. Die Nationen des globalen Südens, die keiner dieser beiden Staatengruppen angehörten, waren die wirtschaftlich schwächsten Weltmarkteilnehmer und wurden unter dem Begriff „Dritte Welt" (vgl. Kap. 5.1.3) zusammengefasst (vgl. Dicken 2003, S. 32f.).
Diese drei Blöcke entwickelten unterschiedliche Strategien, um ihren Einfluss geltend zu machen und einen wirtschaftlichen Aufschwung herbeizuführen. Die sozialistischen Staatshandelsländer, angeführt von der Sowjetunion, vereinigten sich im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW bzw. Comecon) und schotteten sich relativ stark vom Welthandel ab. Viele Entwicklungsländer schlössen sich auf der Suche nach einem „Dritten Weg" zwischen kapitalistischer Markt- und sozialistischer Staatswirtschaft im Rahmen der Bewegung blockfreier Länder zur Gruppe der 77 (vgl. Kap. 5.4.2) zusammen. Die weltwirtschaftliche Entwicklung der westlichen Ökonomien war im Wesentlichen von den USA und deren wirtschaftlichen sowie politischen Interessen dominiert. Damit lösten die USA Europa endgültig als vormals führende Region in einer monopolaren Weltwirtschaft ab und übernahmen die zentrale Rolle in einer nunmehr bipolaren globalen Ordnung. Mit dem Aufstieg Japans zu einer globalen wirtschaftlichen Macht und dem Erstarken der ostasiatischen Tigerstaaten (Hongkong, Singapur, Taiwan und Südkorea) begann die Herausbildung eines auch heute noch führenden triadischen Systems, bestehend aus Nordamerika, Europa und dem japanisch dominierten Wirtschaftsraum im asiatisch-pazifischen Becken. Auch nach Zusammenbruch des Sozialismus Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre besteht die Triade (vgl. Kap. 23.4.1) weiterhin fort (vgl. Abb. 2.3). Auf diese drei globalen Schwerpunkträume entfallen rund zwei Drittel des Weltsozialproduktes sowie des Welthandels, während die Entwicklungsländer des sog. Südens kaum vom Wachstum der Weltwirtschaft profitieren konn-
-
ten.
A: Weltwirtschaft im
Globalisierungsprozess
Abb. 2.3: Von der
mono- zur
29
multipolaren Weltordnung
Eigene Darstellung nach Müller/Kornmeier 2002,
S. 52; Papp 1997, S. 159ff.
30
2 Wirtschaftliche Aktivitäten im Wandel
Frühformen und
Entwicklung bis heute
-
Neben der Triadisierung und den damit verbundenen räumlichen Schwerpunktverschiebungen der Weltwirtschaft hat sich im 20. Jh. auch die Form der internationalen Arbeitsteilung stark verändert. Wie bereits am Beispiel des kolonoialen Dreieckshandels gezeigt wurde, bestand die alte internationale Arbeitsteilung vor allem aus dem grenzüberschreitenden Handel von Gütern, wobei sich viele Staaten auf bestimmte Gütergruppen (z.B. Rohstoffe, verarbeitete Produkte) spezialisierten. Mit den seit 1950 wieder stark anwachsenden Direktinvestitionen transnationaler Unternehmen verschob sich jedoch der Fokus des globalen Handels, vom intersektoralen Austausch hin zum intrasektoralen und Intra-Unternehmenshandel, der auch als Neue Internationale Arbeitsteilung oder „New International Division of Labor" (NIDL) (vgl. Kap. 5.4.1.3) bezeichnet wird. Fröbel et al. (1977, S. 30f.) nennen drei wesentliche Ursachen für diese Veränderung weltwirtschaftlicher Beziehungen: •
Entwicklungsländern hat sich im Laufe der Zeit ein enormes Potenzial Arbeitskräften herausgebildet, wobei die Arbeitskosten weit unter denen in den entwickelten westlichen Staaten liegen; die weitreichende Fragmentierung des Produktionsprozesses erlaubt die Übertragung insbesondere standardisierter Produktionsprozesse auf gering qualifiIn den an
•
•
zierte, angelernte Arbeitskräfte; Entwicklungen in der Transport- und Kommunikationstechnik schliesslich reduzieren die Raumüberwindungskosten, so dass sich die Reichweite von Unternehmen deutlich erhöht und eine weltweite Standortwahl erlaubt.
In der Folge entsteht eine dreiteilige Hierarchie der unternehmensinternen Arbeitsteilung, die sich aus mehreren Funktionen zusammensetzt: Kontrollfunktionen und wissensintensive Forschungs- und Entwicklungsaufgaben an der Spitze, gefolgt von Produktionsschritten, welche eine mittlere bis hohe Qualifikation erfordern, und als unterste Stufe standardisierte Produktionsaufgaben ohne besondere Ausbildungsanforderungen. Dem NIDL-Modell zufolge entspricht jeder Stufe dieser funktionalen Pyramide ein bestimmter Produktionsraum, der die vorteilhafteste Faktorausstattung für die jeweilige Stufe aufweist (vgl. Schoenberger 1988, S. 107f.).
Fröbel et al. (1977, S. 62ff.) interpretieren die weltweit stattfindenden Verlagerungen industrieller Produktion als Ergebnis einer qualitativen Veränderung der Rahmenbedingungen zur Verwertung von Kapital (z.B. internationale Verfügbarkeit billiger, zumeist nicht organisierter Arbeitskraft, neue Wettbewerbsbedingungen), auf welche transnationale Unternehmen und Länder als Akteure lediglich reagieren. Als Ergebnis konstatieren sie die seit den 1970er Jahren bekannten Krisenerscheinungen, wie z.B. die Zunahme der Arbeitslosigkeit in vielen Industriestaaten und sinkende Staatseinnahmen. An dieser Stelle werden auch die Analogien zur in neuerer Zeit geführten öffentlichen Globalisierungs- bzw. Standortdebatte deutlich (vgl. Kap. 13.4), deren Wurzeln durchaus in den Vorstellungen zur NIDL
A: Weltwirtschaft im
zu
Globalisierungsprozess
31
suchen sind. So verbinden sich aus heutiger Sicht mit der Öffnung Osteuropas Möglichkeiten für eine Billigproduktion westlicher Unternehmen.
neue
Die Neue Internationale Arbeitsteilung unterliegt in ihrer Konzeptualisierung zwei Voraussetzungen: Die Faktorkonstellationen innerhalb der weltweiten Arbeitsteilung bleiben konstant und die Prinzipien einer fordistischen Massenproduktion müssen weiterhin für maßgebliche Bereiche der Industrie Geltung besitzen (vgl. Bürkner 1996, S. 29). Wie die tatsächliche Entwicklung in den letzten Jahrzehnten zeigt, kann dies aber nicht mehr als zutreffend angesehen werden. So hat die Bedeutung der Arbeitskosten in vielen Sektoren der Industrie keineswegs mehr den dominierenden Einfluss, wie es durch das Modell der NIDL angenommen wird. Stattdessen üben Marktmotive häufig einen wesentlich stärkeren Einfluss auf die Standortentscheidung von Unternehmen aus, wodurch Industrieländer als Investitionsstandorte an Attraktivität gewinnen. Die gegenwärtige weltweite Verteilung von Direktinvestitionen unterstreicht dies in eindrucksvoller Weise. Auch die Annahme einer kontinuierlich hohen Bedeutung arbeitsintensiver Massenproduktion ist zumindest kritisch zu hinterfragen. Transnationale Unternehmen haben neben einer reinen Kostenreduktion verschiedene Möglichkeiten, auf den globalen Wettbewerb zu reagieren, ihre Strategien und Entscheidungen finden im NIDL-Modell jedoch kaum Beachtung (vgl. Schoenberger 1988b, S. 113f; Fagan/Le Heron 1994, S.
267).
Die These der NIDL hat für internationale Standortentscheidungen sicherlich einen gewissen Erklärungsgehalt. Jedoch legt die gegenwärtige Entwicklung internationaler Produktionsverflechtungen auch gegenteilige Überlegungen nahe, nach denen es weiterhin die ökonomischen Zentren bzw. Industrieländer sind, die den Großteil der Weltwirtschaft beherrschen.
2.6 Vom Fordismus
zum
Postfordismus
In der sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion herrscht heute weitgehend Einigkeit darüber, dass in den letzten Jahrzehnten starke Veränderungen weltwirtschaftlicher Strukturen und unternehmerischer Organisationsformen stattgefunden haben (vgl. Angel 1994, S. 188), die sich von den weiter oben beschriebenen Phasen der Wirtschaftsentwicklung unterscheiden. Es hat sich dabei zunehmend durchgesetzt, die späten 1960er und frühen 1970er Jahre nicht nur als Phase wirtschaftlicher und sozialer Turbulenzen innerhalb einer langfristig kontinuierlichen sozioökonomischen Entwicklung, sondern eher als grundlegenden, gewissermaßen paradigmatischen Bruch der Produktionsverhältnisse entwickelter kapitalistischer Gesellschaften zu begreifen (vgl. Lipietz 1985; Esser/Hirsch
1987).
32
2 Wirtschaftliche Aktivitäten im Wandel
Frühformen und
Entwicklung bis heute
-
2.6.1 Gesellschaftlicher und ökonomischer Wandel in Industriestaaten
Idealtypisch wird die vergleichsweise stabile Entwicklungsphase seit dem ZweiWeltkrieg bis in die frühen 1970er Jahre als fordistische Phase bezeichnet.
ten
Bezeichnung leitet sich aus den Strukturen der Automobilindustrie ab, welche allem durch Henry Ford initiiert wurden, und lässt sich durch folgende Charakteristika beschreiben: Die Produktions- und Organisationsstrukturen des Fordismus sind durch eine Massenproduktion standardisierter Güter in entsprechend großen Produktionsanlagen geprägt. Hierbei kommt der Produktionskontinuität durch Fließfertigung ein hoher Stellenwert zu. Gleiches gilt für die Art der Arbeitsteilung nach dem Modell des (vgl. Jessop 1992, 46ff). Diese beiden Komponenten führten zu hohen Zuwächsen der Produktivität und steigenden Skalenerträgen („economies of scale"), welche typischerweise in hierarchisch strukturierten Großunternehmen realisiert wurden. Die Folge war eine starke Konzentration des Kapitals in wenigen, oftmals international tätigen Unternehmen. Die Reproduktion des Faktors Arbeit basierte auf dem sog. „fordistischen Kompromiss" zwischen den Tarifparteien, der einen dem Wachstum der Arbeitsproduktivität entsprechenden Lohnzuwachs garantierte (vgl. Maier 2005, S. 453). Die vor
Taylorismus2
Bezüglich des Konsums war die Phase des Fordismus durch eine Massennachfrage nach standardisierten Gütern gekennzeichnet, welche ihrerseits durch die erzielten Einkommenszuwächse im Zuge der Produktivitätsfortschritte ermöglicht wurde.
Weniger eindeutig zu definieren ist die industrielle Raumstruktur, welche der Fordismus mit sich brachte. Analog zur beschriebenen Konzentration von Kapital und Produktion in wenigen Großbetrieben dominierte die Tendenz zur Agglomeration in den Kernregionen der industrialisierten Länder. Damit war eine hierarchisch strukturierte räumliche Arbeitsteilung verbunden, welche die asymmetrischen Machtverhältnisse zwischen Stammsitz und Zweigwerken von Großunternehmen bzw. zwischen Endproduzent und Zulieferer widerspiegelt und die sich in mehrfacher Hinsicht durch Zentrum-Peripherie-Beziehungen auszeichnet (vgl. Storper/ Scott 1990, S. 134; Moulaert/Swyngedouw 1990, S. 94). So bestanden neben Abhängigkeiten peripherer Regionen von Wirtschaftszentren innerhalb der Industrieländer auch zentral-periphere Beziehungen auf internationaler Ebene. Analog zur Arbeitsorganisation wird diese für den Fordismus charakteristische räumliche Organisation der Produktion auch als „Taylorisierung des Raumes" bezeichnet (vgl. Krätke 1990, S. 34). Grundlegendes Merkmal tayloristischer Arbeitsteilung ist die strikte Trennung von ausführenden und konzeptionellen Tätigkeiten sowie die Zerlegung des Fertigungsprozesses in möglichst viele, einfach strukturierte, zumeist standardisierte und formell vorgegebene Teilschritte der ausführenden Tätigkeiten (vgl. FUCHS 1992; BATHELT 1994).
A: Weltwirtschaft im
Globalisierungsprozess
33
Erste Symptome einer gesamtwirtschaftlich wirksamen Krise des Fordismus, deren Ausbruch spätestens mit der ersten Ölkrise Anfang der 1970er Jahre datiert wird, machen sich mit den sozialen Konflikten der 1960er Jahre und der Studentenrevolte von 1968 bemerkbar. In weiten Bereichen der Industrie sah sich eine starre, auf Skaleneffekte ausgerichtete Massenproduktion mit einer Individualisierung der Konsumnachfrage konfrontiert eine strukturelle Inkompatibilität, welche den Fordismus immer mehr als ineffizient erscheinen ließ. Vielfältige staatliche Maßnahmen („deficit spending", Beschäftigungs- und Konjunkturprogramme, steuerliche Entlastungen, Subventionen, Protektionismus etc.) sollten die Auflösung fordistischer Strukturen verzögern, stürzten aber, gepaart mit rückläufigem ökonomischen Wachstum, den fordistischen Wohlfahrtsstaat in eine tiefe, strukturelle und inflationsbeschleunigende Haushaltskrise (vgl. Maier 2005, S. 454). -
Es wurde geschlossen, dass der lange Zeit stabilen wirtschaftlichen Phase des Fordismus nun eine neue, zumeist als Postfordismus bezeichnete Entwicklungsphase folgen würde (vgl. Benko/Dunford 1991; Boyer 1991, S. 11 Off.; Bathelt 1994). Tab. 2.1 stellt die wesentlichen strukturellen Merkmale von Fordismus und Postfordismus einander gegenüber. Dabei wird ein zumindest „rethorischer Dualismus" zugrunde gelegt, welcher die zukünftige Entwicklung als das genaue Gegenteil der ökonomischen Vergangenheit westlicher Industriestaaten erscheinen lässt (vgl. SayerAValker 1992, S. 193). Im Vordergrund steht bezüglich dieses Dualismus häufig die Argumentation, postfordistische Strukturen seien wesentlich flexibler als jene des alten Wettbewerbsmodells (vgl. Piore/Sabel 1989). Die Voraussetzungen für diese Flexibilisierung beinhalten neben Aspekten wie Unternehmensgröße, Arbeitsteilung und vertikale Integration auch eine räumliche Komponente, nämlich die Neubewertung des regionalen und lokalen Potenzials ökonomischer Aktivitäten (vgl. Säbel 1994). Danach müssten es kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sein, die, basierend auf nicht-hierarchischen Beziehungen und eingebettet in regionale Produktionskreisläufe, nun als selbständige Akteure das wirtschaftliche Wachstum tragen. Die These eines paradigmatischen Bruchs zwischen den skizzierten Entwicklungsphasen ist durchaus umstritten. Nicht eindeutig geklärt ist bisher, ob die Krise des Fordismus (INDEX) wirklich zu dessen Überwindung führt oder ob nicht vielmehr das alte Produktionssystem den veränderten Wettbewerbsbedingungen angepasst wird. Wie sonst ließe sich die heute mehr denn je evidente Bedeutung von Großunternehmen erklären, die vor allem in einer wachsenden Unternehmenskonzentration durch Fusionen und Akquisitionen sowie der zunehmenden internationalen Verflechtung ökonomischer Aktivitäten zum Ausdruck kommt. In den letzten Jahren mehrten sich deshalb die Stimmen, welche den Dualismus zwischen Fordismus und Postfordismus als vereinfachende „Schwarz-Weiß-Malerei" bezeichnen, da in der Realität durchaus beide Formen nebeneinander existieren (vgl. Bathelt 1997). Für diese kritische Sichtweise sprechen verschiedene Argumente (vgl. Hudson 1992, S. 79):
34
2 Wirtschaftliche Aktivitäten im Wandel
Frühformen und
Entwicklung bis heute
-
•
•
•
In den westlichen Industriestaaten war, wie z.B. in der Investitionsgüterindustrie, niemals die gesamte Produktion fordistisch organisiert. Umgekehrt ist es verfrüht, das Ende fordistischer Massenproduktion in allen Wirtschaftsbereichen vorherzusagen. Viele Großunternehmen besitzen die Fähigkeit, flexibel zu produzieren. Oftmals sind Konzentrationsprozesse die Voraussetzung für eine flexiblere Reorganisation und Restrukturierung der Produktion. KMU andererseits agieren nicht per se flexibler als Großunternehmen, zumindest wenn man berücksichtigt, dass sie oftmals in Wertschöpfungsketten eingebunden sind, in denen sie sich den Vorgaben der Endhersteller unterordnen müssen. Schließlich werden viele kleine Produktionsbetriebe kaum in lokale oder regionale Produktionskomplexe integriert, während dies bei Großunternehmen nicht generell auszuschließen ist.
Tab. 2.1: Strukturelle Merkmale
von
Fordismus und Postfordismus
Fordismus
Postfordismus
Individualisierung / Standardisierung Massenprodukte Tätigkeitsorientierung
Flexibilisierung Produktdifferenz erung
Funktionsorientierung Lohndifferenzierung Preisdifferenzierung
Löhne Preise Wohnformen
Synchronisierung
individualisierte Wohnformen
Entkoppelung flexible Zeiten
starre Zeiten U laub, Konsum, Freizeit
Verkehrsspitzen
Individualisierung Verkehrsentzerrung
Arbeitseinkommen
Entlohnun ohne Arbeit
Konzentration / Zentralisierun Konzentration der Arbeit Konzentration bestimmter
Fertigungen Verstädterung, Konzentration auf Ballungskerne Infrastruktur, Großkrankenhäuser,
Dekonzentration Lockerung des Fabriksystems Lockerung der Standortbindungen Zersiedelung, Sub- /Desurbanisierung kleinere Einheiten • dezentrale Konzepte
Bürgerinitiativen
Großschulen zentrale Energieversorgung komplexe Politikeinheiten zentrales Management,
Profit Centres, Teams, Projektgruppen, Qualitätszirkel Autokoordination
konzeptionierte Kapitalbeschaffung
Großverwaltungen
zentrale Koordination s bstanzorientierte Kapitalbeschaffu g M
ximierung economies of scale quantitatives Wachstum
eilmaximierung Quelle: Grabow 1990, S. 38.
Optimierung flexible Fertigung qualitatives Wachstum Gesamtoptimierung •
A: Weltwirtschaft im
35
Globalisierungsprozess
2.6.2 Fordismus und Postfordismus: Ein
regulationstheoretischer
Erklärungsansatz Wie die bisher dargestellte Diskussion um fordistische und postfordistische Strukturen der Wirtschaft und deren Veränderungen zeigt, vollzieht sich offensichtlich ein ökonomisch-gesellschaftlicher Strukturwandel, der mit den bisher dargestellten Theorien der Mikro- und Mesoebene nicht in vollem Umfang zu erfassen ist. Diese sind zwar in der Lage, kurz- und mittelfristige Prozesse der industriellen Organisation und Standortentwicklung auf Unternehmens- und Branchenebene zu erklären, der langfristige Wandel wird dadurch jedoch nicht thematisiert. Aus diesem Grund begann seit den 1980er Jahren die Diskussion über die Regulationstheorie, welche die Komplexität der Entwicklungsdynamik moderner kapitalistischer Gesellschaften in ihrer zeitlichen und räumlichen Differenzierung zu erklären versucht3 (vgl. Jaeger/Ernste 1989, S. 165). Das Ziel des regulationstheoretischen Ansatzes ist es, die sozioökonomische Entwicklung als eine nicht-deterministische, nicht-zyklische Abfolge von (stabilen) Entwicklungsphasen und Entwicklungskrisen zu betrachten. Im Vordergrund steht das Zusammenwirken der wirtschaftlich-technischen und der gesellschaftlich-institutionellen Strukturen einer Volkswirtschaft in einem komplexen Entwicklungszusammenhang (vgl. Bathelt 1995, S. 177). Abb. 2.4 zeigt die Grundstruktur der Regulationstheorie. Die wirtschaftlich-technischen Aspekte des Entwicklungszusammenhangs werden als Akkumulationsregime bezeichnet. Es umfasst die Produktionsstrukturen und Konsummuster einer Volkswirtschaft, welche sich in einer stabilen Entwicklungsphase auf längere Zeit entsprechen und somit übereinstimmen. Den wichtigsten Bestandteil der Produktionsstruktur bildet das jeweilige industrielle Paradigma, das durch die vorherrschenden Produkt- und Prozesstechnologien gekennzeichnet ist. Damit verbunden existiert eine für die Entwicklungsphase spezifische Form der Arbeitsorganisation und Arbeitsteilung; es ergibt sich eine in Intensität und Ausprägung charakteristische Industrie- und Produktionsstruktur (vgl. Benko/Dunford 1991; Krätke 1996, S. 9). Das Konsummuster, welches der Produktionsstruktur einer Entwicklungsphase entspricht, wird von Faktoren wie Präferenzsystemen, Einkommensstruktur, Konsumgewohnheiten etc. geprägt und steht über marktliche und nicht Die Ursprünge regulationstheoretischer Ansätze liegen in Frankreich, wo sie insbesondere durch die Arbeit von AGLIETTA (1976) entscheidende Impulse erfahren hat. Beeinflusst wurde die Regulationstheorie vor allem durch die marxistische Theorie (historische Sicht der Produktionsweisen, Interessenskonflikte ökonomischer Akteure) und die nicht-orthodoxe Makroökonomie (Hinterfragung der neoklassischen Annahmen zu Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung, Keynesianismus) (vgl. BENKO 1996, S. 188). Die Regulationstheorie vermeidet es allerdings, die marxistischen Annahmen allgemeingültiger Entwicklungen, welche das Ende des Kapitalismus zur Folge haben, zu übernehmen (vgl. LlPlETZ 1992, S. 309). Sie betrachtet die Entwicklung kapitalistischer Gesellschaften als komplexes Phänomen, so dass man den Regulationsansatz nur bedingt als neo-marxistisch bezeichnen kann.
36
Frühformen und
2 Wirtschaftliche Aktivitäten im Wandel
Entwicklung bis
heute
-
marktbedingte Austauschprozesse
mit der Produktionsstruktur in
Beziehung (vgl.
Tickell/Peck 1992, S. 192).
Abb. 2.4: Regulationstheoretische Grundstruktur der chen Beziehungen in einer Volkswirtschaft
wirtschaftlich-gesellschaftli-
I-Auswirkungen auf die Wachstumsstruktur-1 Koordinationsmechanismus
Wachstumsstruktur (Akkumulationsregime)
(Regulationsweise)
Produktionsstruktur
Arten der Koordination
Industrie- /Produktstruktur
Paradigma Arbeitsorganisation Arbeitsteilung Produktionskonzepte
Normen
Regeln/Gesetze
industrielles
Wechsel-
Politiken Machtverhältnisse gesellschaftliche Bedürfnisse kulturelle Gewohnheiten.
wirkungen
Marktbedingte und
nicht-marktbedingte Austauschprozesse
gesellschaftlicher Regulation und
Konsummuster Nachfragestruktur
Präferenzsystem Einkommensverteilung
Haushalts-/Familienstruktur kulturelle Traditionen
wirtschaftlicher Akkumulation
Aushandlung, Festlegung, Durchsetzung und
Überwachung
des wirtschaftlich-
gesellschaftlichen Handlungsrahmens
Institutionen der Koordination Nationalstaat
Länder-/Gemeinderegierungen Arbeitgeber, Gewerkschaften Parteien, Kirchen, Bewegungen institutionalisierte Kooperation
I-Anforderungen an den Koordinationsmechanismus—I Oue//e: Bathelt 1994, S. 66.
Eckpfeiler wirtschaftlich-gesellschaftlicher Entwicklung neben dem Akkumulationsregime ist die Regulationsweise4 oder der Koordinationsmechanismus. Die Regulationsweise beinhaltet die institutionalisierten Spielregeln, d.h. die Organisations- und Lenkungsmechanismen des Wirtschaftsprozesses, die durch die jeweils vorherrschenden Normen und Gesetze, Politik und die gegebenen Machtverhältnisse bestimmt sind (vgl. Dunford 1990, S. 306). Die zentralen Akteure des Der zweite
A: Weltwirtschaft im
Globalisierungsprozess
37
Koordinationsmechanismus sind Institutionen, wie z.B. der Nationalstaat, der auf der Ebene einer Volkswirtschaft den generellen Handlungsrahmen festlegt. Unterhalb dieser Ebene sind es Parteien, Verbände, Gewerkschaften, Kirchen und viele andere Institutionen, die gesellschaftliche und wirtschaftliche Prozesse regeln. Sie wirken auch auf regionale und lokale Entwicklungen ein, so dass von ihnen ein regional differenzierendes Potenzial ausgeht. In Hinblick auf Globalisierungsprozesse spielen darüberhinaus auch supranationale Organisationen als Institutionen eine zunehmend wichtigere Rolle.
Wirtschaftliche Akkumulation und
gesellschaftliche Regulation stehen über in Die verschiedenen Arten der KoWechselwirkungen Zusammenhang. vielfältige ordination innerhalb der Regulationsweise haben starke Auswirkungen auf das Akkumulationsregime. Veränderungen innerhalb des Akkumulationsregimes, z.B. aufgrund eines Wandels des industriellen Paradigmas oder modifizierter Nachfragestrukturen, führen umgekehrt zu notwendigen Anpassungen der Institutionen auf der Seite des Koordinationsmechanismus, z.B. in Form einer Änderung des wirtschaftspolitischen Umfelds. In einer stabilen Entwicklungsphase sind beide Teilkomplexe kompatibel, die Produktionsweise und deren Regulation durch Institutionen entsprechen sich. Wandeln sich jedoch die Bedingungen in einem der beiden Teilbereiche, kann dies zu einer strukturellen Inkompatibilität führen, die den bis dahin konsistenten Entwicklungszusammenhang gefährdet. In diesem Fall gerät das Gesamtsystem in eine Krise, die nur durch neuerliche Anpassungsmassnahmen zu überwinden ist. Die Folge ist die Herausbildung einer neuen, wiederum stabilen Entwicklungsphase, welche die alte ablöst.
Ebenso wie andere Theorien beinhaltet der Regulationsansatz in seiner Entwicklung zunächst keine spezifisch räumliche Komponente. Er ermöglicht es jedoch, mittelbare räumliche Effekte, die aus dem Zusammenwirken von Produktionsstruktur, Konsummuster und Regulationsweise resultieren, zu analysieren und einen Zusammenhang zwischen wirtschaftlich-technologischem Wandel, Arbeitsteilung und Standortstrukturen herzustellen (vgl. Bathelt 1997). So existiert, bedingt durch das dominierende industrielle Paradigma, eine für die jeweilige Entwicklungsphase charakteristische Branchenstruktur mit bestimmten Formen der Arbeitsteilung. Dadurch werden unterschiedliche räumliche Organisationsformen und industrielle Verflechtungsbeziehungen begünstigt bzw. eingeschränkt, und es entwickelt sich eine entsprechende Raumstruktur (vgl. Moulaert/Swyngedouw 1990, S. 92f). Mit der Krise einer Entwicklungsphase gerät auch diese in eine Krise, neue Anforderungen führen demzufolge zu räumlichen Anpassungen der Produktionsstruktur. Dadurch lassen sich analog zur Theorie der Langen Wellen (vgl. Kap. -
Der Begriff „Regulation" ist nicht mit Regulierung gleichzusetzen. Die Regulationstheorie geht nicht davon aus. dass wirtschaftliches Handeln zwangsläufig einen staatlichen Steurungs- und Regulierungsbedarf hervorruft, sondern dass ökonomischen Aktivitäten zu jeder Zeit ein konkreter Handlungsrahmen zugrunde liegt, der die Austauschprozesse zwischen Produzent und Konsument (z.B. Produktions- und Handelsrichtlinien) beeinflusst (vgl. BATHELT 1997).
38
2 Wirtschaftliche Aktivitäten im Wandel
Frühformen und
Entwicklung bis heute
-
2.3.2), jedoch ohne Unterstellung einer Zyklizität der Aufstieg und Niedergang
Wirtschaftsregionen erklären und Aussagen zur Standortstruktur von Unternehzumindest bedingt ableiten. men Das Anliegen regulationstheoretischer Ansätze ist es, einen Erklärungsbeitrag zur Entwicklung kapitalistischer Gesellschaften zu leisten. Dies ist insofern gelungen, als durch sie u.a. die Wechselwirkungen von wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Sphäre eine stärkere Aufmerksamkeit erfahren haben. Auf diese Weise konnte der technologische Determinismus anderer Ansätze (z.B. der Theorie der Langen Wellen) überwunden werden. Dennoch ist die Regulationstheorie aus verschiedenen Gründen kritisch zu würdigen (vgl. Tickell/Peck 1992; Bathelt -
von
-
-
1994, S. 74f.; Frieling 1996): Die
Ablösung von stabilen Entwicklungsphasen durch neue Phasen ist nicht eindeutig zu belegen, ein dauerhaftes Nebeneinander unterschiedlicher Produktions- und Regulations weisen wird durch das Konzept der Entwicklungskrisen theoretisch ausgeschlossen. Die Regulationstheorie ist aus einer strukturalistischen Perspektive heraus entwickelt worden, woraus eine unzureichende Berücksichtigung der Akteursebene folgt. Eine generelle Schwierigkeit ergibt sich schließlich aus der empirischen Umsetzbarkeit der Regulationstheorie. Ihre umfassende, gewissermaßen metatheoretische Anlage macht es nahezu unmöglich, sämtliche Komponenten adäquat zu erfassen. Insgesamt kann festgehalten werden, dass die Regulationstheorie innerhalb wirtschaftsgeographischer Fragestellungen oftmals mehr Fragen offen lässt, als sie zu beantworten vermag (vgl. Benko 1996, S. 200f.). Unter Einbeziehung anderer Erklärungsansätze ist sie aber trotzdem ein wertvolles heuristisches Gerüst, mit dem die Komplexität wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklungsmuster analysiert werden kann.
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40
2 Wirtschaftliche Aktivitäten im Wandel
Frühformen und
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-
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look. In: Journal of
European
A: Weltwirtschaft im
41
Globalisierungsprozess
3 Handel und Direktinvestitionen aufnahme
-
Eine Bestands-
Die Zuwächse des internationalen Handels, der weltweiten Direktinvestitionen sowie deren Verteilung spiegeln das Zusammenwachsen der Weltwirtschaft wider und gelten als bedeutendste Indikatoren wirtschaftlicher Globalisierung. In folgendem Kapitel wird für die Entwicklung beider Größen eine Bestandsaufnahme vorgenommen und auch auf die Rolle Deutschlands eingegangen. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass die Entwicklung von Handel und Direktinvestitionen nicht eindeutig getrennt betrachtet werden darf. Auf der einen Seite substituieren Direktinvestitionen den Außenhandel, auf der anderen ziehen Direktinvestitionen durch innerbetrieblichen Wertschöpfungsaustausch und zwischenbetriebliche Zulieferungen grenzüberschreitenden Handel nach sich.
3.1 Wirtschaftlicher Wandel und
globaler Wettbewerb
Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs unterliegt die Weltwirtschaft einem dynamischen Veränderungsprozess, der durch die zunehmende Internationalisierung wirtschaftlicher Aktivitäten gekennzeichnet ist. Zurückzuführen ist dies auf tief greifende politische, wirtschaftliche und technologische Veränderungen in den vergangenen Jahrzehnten im Zuge der Globalisierung (vgl. Perlitz 2004, S. 1; Kutschker 1999, S. 9ff ): •
Mit
Gründung des GATT bzw. der Welthandelsorganisation (WTO) (vgl. Kap. 4.2 und 4.3) sind weitreichende Maßnahmen zur Handelsliberalisierung ergriffen worden. Da die Bestimmungen für die internationale Handelspolitik für die Mitgliedsländer auch rechtlich verbindlich sind, sehen sich Unternehmen mit der Erschließung neuer Absatz- und Beschaffungsmärkte im Ausland, aber auch mit neuen Wettbewerbern in den Heimatmärkten konfrontiert;
•
•
parallel zur multilateralen Handelsliberalisierung entstehen große regionale Integrationsräume, wie z.B. EU, MERCOSUR, NAFTA oder ASEAN (vgl. Kap. 10), die nach innen weitreichende Liberalisierungstendenzen aufweisen,
nach außen aber nach wie vor häufig an Handelshemmnissen festhalten. Weltweit operierende Unternehmen müssen diese Wirtschafträume deshalb in vielen Fällen über investive Auslandsaktivitäten „von innen" erschließen; im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung der sog. „emerging markets" (vgl. Kap. 11.2), vor allem in Ost- und Südostasien sowie Lateinamerika, konnten sich neue, erfolgreiche Unternehmen aus diesen Ländern auf dem Weltmarkt
42
3 Handel und Direktinvestitionen
Eine Bestandsaufnahme -
verfolgen in vielen Fällen eine auslandsorientierte und expansive Unternehmensstrategie; der politische Zusammenbruch des Kommunismus in der Sowjetunion und Osteuropa sowie die wirtschaftliche Neuorientierung und Dynamik von grossen Zukunftsmärkten wie Indien und der Volksrepublik China (vgl. Kap. 11) etablieren. Diese
•
haben den wirtschaftsräumlichen Aktionsradius für Unternehmen zusätzlich
erweitert; •
der technologische Wandel, insbesondere die Entstehung und Diffusion innovativer Informations- und Kommunikationsformen, bietet Unternehmen neue Möglichkeiten zur räumlichen Konfiguration der Unternehmensaktivitäten.
Ausdruck des durch diese Entwicklungen begünstigten globalen Wettbewerbs ist ein in Relation zum Wachstum der weltwirtschaftlichen Leistung überproportionaler Anstieg internationaler, grenzüberschreitender wirtschaftlicher Interaktionen (vgl. kulke 2004, S. 193f; 2005a, S. 5). Dabei handelt es sich um (vgl. Koch 2000, S. 21): •
•
Die Zunahme des Außenhandels, welche zur Internationalisierung der Märkte für Waren und Dienstleistungen führte; den Anstieg der Kapitalströme, welcher die Bildung eines international inte-
grierten Kapitalmarktes begünstigte; •
•
die Zunahme der internationalen Direktinvestitionen, aus der eine Internationalisierung der Produktion resultierte; die verstärkte Migration von Arbeitskräften, die zur Entstehung internationaler Arbeitsmärkte führte.
Internationale Finanzströme, die in Form von Portfolioinvestitionen (vgl. Kap. 8.1.1) auftreten und zum überwiegenden Teil kurzfristiger Natur sind, bleiben im Folgenden unberücksichtigt. Dasselbe gilt für die Wanderung von Arbeitskräften, welche als Wachstumsdeterminante auf der internationalen Maßstabsebene eine vergleichsweise noch geringe Bedeutung aufweisen. Im weiteren Verlauf werden dagegen nur der internationale Handel und die internationalen Direktinvestitionen thematisiert. Charakteristisch für diese beiden Symptome der Globalisierung (vgl. Kap. 1.1 und 1.2) sind Wachstumsraten, die seit den letzten zwei bis drei Jahrzehnten deutlich über denen des Weltsozialprodukts liegen (vgl. Abb. 3.1). Die Tendenz ist weiter steigend.
A: Weltwirtschaft im
43
Globalisierungsprozess
Abb. 3.1: Außenhandel und Direktinvestitionsströme als Indikatoren wirtschaftlicher Globalisierung
1970 1975 1980 1985 1990 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003
Quelle: Unctad 2005; Wto 2005b; Un 2005.
3.2
Entwicklungstendenzen des Welthandels
3.2.1 Das Wachstum des Welthandels Das Wachstum des Welthandels gemeint ist im Folgenden der internationale Warenhandel stellt einen Basisindikator für die Globalisierung der Wirtschaft dar. Dabei ist ein kontinuierliches Wachstum des weltweiten Warenverkehrs festzustellen, schon lange bevor das Schlagwort „Globalisierung" seine Karriere begonnen hat. Bereits zwischen 1870 und dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs wuchs der Welthandel um durchschnittlich 3,5% jährlich (vgl. Kitson/Michie 1997, S. 7). Die beiden Weltkriege und die dazwischen liegende Weltwirtschaftskrise ließen das Welthandelsvolumen deutlich schrumpfen1. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs stieg das Volumen dann stärker als je zuvor (vgl. Abb. 3.2). -
-
Nach der Phase beständigen Wachstums in den 1960er Jahren mit einer durchschnittlichen Wachstumsrate von 9% p.a. und einer sehr starken Wachstumsphase Anfang der 1970er Jahre mit einem Wachstum von 27% p.a. im Durchschnitt ging diese Mitte der 1970er Jahre aufgrund weltwirtschaftlicher Friktionen, insbesondere der Zwischen Januar 1929 und Januar 1933 sank das Welthandelsvolumen us-$ (vgl. Wagner 2003, s. 56).
von
rund 3 auf unter 1 Mrd.
44
3 Handel und Direktinvestitionen
Eine Bestandsaufnahme -
Ölkrise, wieder auf etwa 12% durchschnittliches Wachstum p.a. zurück. Die Weltwirtschaftskrise Anfang der 1980er Jahre führte zwischen 1980 und 1983 dann sogar zu einem Rückgang des Welthandelsvolumens von durchschnittlich 3% p.a. Zwischen Mitte der 1980er Jahre und 1990 ist dann wieder ein starkes Wachstum von 9% p.a. zu verzeichnen (vgl. Wto 2005b). Getrieben wurde diese Steigerung einerseits durch die erfolgreichen Industrialisierungsanstrengungen der Schwellenländer in Ost- und Südostasien sowie Lateinamerika, in denen die Einkommens- und Wohlfahrtszuwächse zu einer höheren Kaufkraft und Nachfrage geführt haben. Andererseits drängten multinationale Unternehmen aus den Industrieländern der Triade in diese „emerging markets", um neue Absatzchancen für ihre Produkte zu realisieren. Die konjunkturelle Schwäche der Weltwirtschaft in der ersten Hälfte der 1990er Jahre führte zu einer zwischenzeitlichen Verlangsamung des Welthandelswachstums. Doch trotz der schwerwiegenden Finanzkrisen in Südostasien, Russland und Südamerika konnte sich der Welthandel aufgrund der konjunkturellen Wiederbelebung in den westlichen Industrieländern in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre mit einer Wachstumsrate von 7% p.a. wieder deutlich erholen. Durch eine gestärkte Inlandsnachfrage und ein beschleunigtes wirtschaftliches Wachstum sind insbesondere in Nordamerika und Westeuropa die Warenimporte stark angestiegen. Auch die zunehmende Liberalisierung des Welthandels durch die Uruguay-Runde des GATT (vgl. Kap. 4.3) und die wirtschaftliche Öffnung des ehemaligen Ostblocks haben seitdem spürbar zur Expansion des Welthandels beigetragen. ersten
Abb. 3.2:
Entwicklung der Weltexporte seit 1950
Mrd. US-$ 10 0009 000 8 000 7 000 4,
III
6 000 5 000 4 000
3 000
4,
I
2 000 1 000 0
i
I
1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2001 2002 2003 2004
Quelle: Wto 2005b.
A: Weltwirtschaft im
Globalisierungsprozess
45
Der Trend zur kontinuierlichen Ausweitung des Welthandelsvolumens ist bis heute ungebrochen. Zwischen 1950 und 2000, d.h. innerhalb von nur 50 Jahren, hat sich dieses nominal verhundertfacht. Eine immer größere Bedeutung nimmt aufgrund einer globalen Unternehmensorganisation dabei der Intra-Unternehmenshandel ein. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um die Handelsströme zwischen den verschiedenen, weltweit verteilten Wertschöpfungseinheiten multinationaler Unternehmen (sog. Global Players) (vgl. Kulke 2005a, S. 7). Der Anstieg des Welthandelsvolumens ist für sich genommen aber noch kein hinreichender Beleg für die zunehmende internationale Verflechtung der Volkswirtschaften. Erst unter Berücksichtigung des Vergleichs mit der Entwicklung des Weltsozialproduktes ergibt sich ein eindeutigeres Bild. Wie Abb. 3.1 zeigt, liegen die Zuwachsraten des Welthandels seit mehreren Jahrzehnten konstant über denen der
Weltproduktion. 3.2.2 Sektorale und handels
regionale Struktur des internationalen Waren-
Was die sektorale Struktur des Welthandels angeht, ist ein anhaltender Bedeutungsverlust des Handels mit Primärgütern zu verzeichnen. 1970 betrug der wertmäßige Anteil der Rohstoffe am Welthandel noch 36%. Im Jahr 2003 lag der Anteil von Agrargütern und Bergbauprodukten dagegen nur noch bei 22,4%. Dagegen gewinnt der Außenhandel mit technologisch höherwertigen Halb- und Fertigerzeugnissen immer mehr an Bedeutung. Insbesondere Güter der Büro-, Telekommunikationsund EDV-Branche sowie jene der Halbleiter- und Unterhaltungselektronik dehnen ihren Welthandelsanteil mehr und mehr aus. Abb. 3.3 zeigt die sektorale Zusammensetzung des Welthandels im Jahr 2003. Die
Beteiligung
der Länder
am
Welthandel ist extrem unterschiedlich (vgl.
Kap. 5.3.1). In den letzten Jahren entfielen über zwei Drittel aller Exporte auf die
Industrieländer. Der Anteil der Entwicklungsländer schwankte dagegen zwischen 20 und 28%. Insbesondere Afrika und weite Teile Asiens nehmen am weltweiten Handel nur unterproportional teil, auch wenn das Exportwachstum der Entwicklungsländer das weltweite Exportwachstum mittlerweile übersteigt. Der Anteil der ehemaligen sozialistischen Staatshandelsländer bzw. der heutigen Transfomationsstaaten ist zu vernachlässigen. Der größte Teil der ostmitteleuropäischen Reformstaaten gehört ohnehin bereits der Europäischen Union an. Die dominierende
Stellung der Industrieländer im Welthandel beruht auf ihren angelegten Produktionsstrukturen, die eine weitreichende und intensive Nutzung der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung erlauben. Die Industrieländer probreit
sich verbessernden Terms of Trade, welche das Verhältnis zwischen und ImportExportpreisentwicklung beschreiben. Den Großteil des Handelsvolumens der Industrieländer stellen Fertig- bzw. Halbfertigprodukte dar, deren Preise
fitieren
von
46
Eine Bestandsaufnahme
3 Handel und Direktinvestitionen -
schneller als die der Rohstoffe als wichtigste Einfuhrprodukte steigen. Ein weiterer Grund liegt in der Schaffung regionaler Handelsräume, wie z.B. der EU oder der NAFTA (vgl. Kap. 10), an denen in erster Linie Industrieländer beteiligt sind. Abb. 3.3: Anteile einzelner Branchen
am
Weltexport (2003)
Textilien Eisen- und
Stahlerzeugnisse
Bekleidungsprodukte
sonstige Halbfertigwaren sonstige Konsumgüter
Agrargüter Erzeugnisse der Automobilindustrie chemische Büro-
u.
Erzeugnisse
Telekommunikationsprodukte
Bergbauprodukte Maschinen und
Transportgüter
I 0
i 2
i
i
i
i
i
i
4
6
8
10
12
14
Anteil
am
i
-—I
16 18%
Weltexport
Quelle: Wto 2005a.
Der Bedeutungsverlust der Entwicklungsländer im Welthandel gründet dagegen vor allem auf der Verschlechterung der Terms of Trade. Da die Exportpreise für Rohstoffe, dem wichtigsten Ausfuhrprodukt für Entwicklungsländer von Ausnahmen abgesehen tendenziell sinken, die Einfuhrpreise für Fertigprodukte aber steigen, verschlechtert sich die Welthandelsposition der Entwicklungsländer relativ zu den Industrieländen (vgl. Kap. 5.3.1). In jüngster Zeit differenzieren sich diese Länder allerdings dann, wenn sie am Markt verknappte Rohstoffe besitzen bzw. nicht besitzen und der Import z.B. von Erdöl die Terms of Trade weiter belastet. -
-
Zu beachten ist auch die räumliche
Ausrichtung der internationalen Handelsüberwiegend untereinander mit Fertigprodukten, d.h. sie betreiben einen intraindustriellen Handel (vgl. Kap. 7.2.3.4). Die Schwellenländer charakterisieren sich durch eine starke Orientierung ihrer vornehmlich arbeitsintensiven Ausfuhrprodukte auf die Märkte der Industrieländer. Die Entwicklungsländer machen dagegen nur einen geringen Anteil ihrer Handelsbeziehungen untereinander aus. Sie betreiben überwiegend einen interindustriellen Handel (vgl. Kap. 7.2.3.4), d.h. sie exportieren fast ausschließlich Rohstoffe in die Industrieländer, von denen sie Fertigprodukte beziehen (vgl. Kulke 2004, S. ströme. Die Industrieländer handeln
204f; 2005b, S. 8).
A: Weltwirtschaft im
Karte 3.1:
Globalisierungsprozess
Regionale Strukturen des Welthandels
47
48
3 Handel und Direktinvestitionen
Eine Bestandsaufnahme -
Aus geographischer Perspektive konzentriert sich der weltweite Handel vor allem auf die Regionen der Triade (vgl. Karte 3.1). Im Jahr 2003 entfielen über 43% des Welthandels auf Westeuropa, ca. 14% auf Nordamerika und 26% auf Asien. Darin enthalten ist der Intrablockhandel, also der Handel, der innerhalb der betreffenden Region stattfindet2. Wie bedeutend dieser ist, zeigt der intraeuropäische Handel, auf den allein 29% des Welthandels entfallen. Beim innerasiatischen Handel sind es WTO 2005a). Bedeutend 13%, im Falle Nordamerikas immerhin noch ist daneben vor allem der Außenhandel zwischen den Triadekernen, also der transatlantische und der transpazifische Handel. Demgegenüber spielen die Außenbeziehungen der Triade, wie z.B. der Handel zwischen Nord- und Lateinamerika oder Westeuropa und Afrika, eine untergeordnete Rolle.
5,5%3(vgl.
Betrachtet man die Stellung einzelner Länder im Welthandel gemeint ist hier der Warenexport lässt sich feststellen, dass die USA, gefolgt von Deutschland und Japan, lange die ersten Plätze belegten. Mittlerweile hat Deutschland die USA abgelöst, während China auf Platz drei steht und Japan auf den vierten Platz verdrängt hat. Tab. 3.1 zeigt die weltweit führenden Exportländer des Jahres 2004. -
-
Tab. 3.1: Die führenden
Rang 1 2
3 4 5 6 7 8 9 10
Weltexportländer (2004)
Land
Exportvolumen in Mrd.
Deutschland
USA China
Japan Frankreich Niederlande Italien Großbritannien Kanada
US-$
914 819
593 565 451 358 346 345 322
Anteil
export
Weltin %
am
10,0 9,0 6,5 6,2 4,9 3,9 3,8 3,8 3,5
Belgien_308_3,4
Quelle: Faz 2005a; Nzz 2005.
Zum Intrablockhandel einzelner Wirtschaftsräume vgl. die Fallbeispiele regionaler Integration in Kap. 10. In den 5,5% nicht enthalten ist der inner-us-amerikanische Handel, der statistisch zwar unter den Binnenhandel fällt, von der Größe dieses Landes und den zu überwindenden geographischen Distanzen her betrachtet faktisch aber als intraregionaler Handel zu begreifen ist. Hingegen wird z.B. der geographisch sehr nahe Handel zwischen Deutschland und Luxemburg statistisch als Außenhandel erfasst und ist im Intrablockhandel der EU enthalten.
A: Weltwirtschaft im
Globalisierungsprozess
3.2.3 Deutschlands
49
Stellung im Weltwarenhandel
Mit einem Welthandelsanteil von 10% ist Deutschland im Jahr 2004 der Exportweltmeister (vgl. Tab. 3.1). Jedoch ist zu beachten, dass Deutschland Ende der 1980er Jahre bereits einmal einen Anteil von 12% hatte. Zurückzuführen ist dieser Rückgang aber nicht auf sinkende deutsche Ausfuhren, sondern eine im Vergleich zum deutschen stärkere Zunahme des weltweiten Exportvolumens, für das die steigenden Ausfuhren aus den Schwellenländern sowie den ehemals planwirtschaftlich organisierten Staatshandelsländern China und Russland als Erklärungsgründe anzuführen sind (vgl. Kutschker/Schmid 2005, S. 62). Im Jahr 2004 standen den Exporten in Höhe von 733,5 Mrd. Euro Importe in Höhe von 577,4 Mrd. Euro gegenüber. Die Exportquote, d.h. der BIP-Anteil der Exporte, betrug 33,7%, die Importquote, d.h. der BIP-Anteil der Importe, 26,5%. Der Ausfuhrüberschuss belief sich auf 156,1 Mrd. Euro und entsprach damit 7,2% des deutschen BIP (vgl. Statistisches Bundesamt 2005).
Seit ca. 25 Jahren weist Deutschland einen regelmäßigen Ausfuhrüberschuss im Warenhandel und damit einen positiven Handelsbilanzsaldo auf. Gerade in Zeiten einer schwachen Binnenkonjunktur werden diese Exportüberschüsse als Triebfeder des deutschen Wirtschaftswachstums gesehen. Der Exporterfolg wird allerdings relativiert, sobald er als Exportlastigkeit interpretiert wird, d.h. als strategisches Versäumnis, nicht proaktiv eine „echte" Internationalisierung der Wirtschaft, z.B. durch vermehrte Direktinvestitionen, betrieben zu haben. Denn mit der Exportfixierung verbunden ist die Vernachlässigung von Direktinvestitionen, die notwendig sind, ausländische Märkte langfristig zu sichern, und eine Plattform für die Belebung des Exportgeschäfts darstellen (vgl. Müller/Kornmeier 2002, S. 63).
Insgesamt machen die referierten Zahlen über den Außenhandel deutlich, wie stark Deutschland in die internationale Wirtschaft eingebunden ist. Abb. 3.4 zeigt die Warenstruktur der deutschen Exporte, welche durch Investitionsgüter und wertschöpfungsintensive Fertigprodukte dominiert wird (vgl. Haas/ Zademach 2005, S. 77). Dabei entfielen 2003 etwa 57% der Gesamtexporte auf nur fünf Produktgruppen (Kraftfahrzeuge, Maschinen, chemische Erzeugnisse, Nachrichten- und Rundfunktechnik sowie Elektrotechnik). Die wichtigsten Warengruppen des Exports haben zugleich auch die höchsten Anteile beim Import, was auf einen intensiven, für Industrieländer typischen intraindustriellen Handel (Handel zwischen den Industrieländern), d.h. den Austausch gleichartiger Waren, hindeutet.
50
3 Handel und Direktinvestitionen
Eine Bestandsaufnahme -
Abb. 3.4: Die deutsche
Exportpalette in Mrd. Euro (2003) Bekleidung 19,0 Glas, Keramik 9,0 Möbel, Schmuck, Freizeitprodukte 12,2 Papier 14,5 Büromaschinen, EDV 19,2
Textilien /
Fahrzeugbau 155,8
Metallwaren 51,2
Kunststoffwaren 22,9
Nahrungsmittel 26,1 Feinmechanik, Optik 27,0 Maschinenbau 93
Eisen- und
Stahlerzeugnisse 30,0
Erzeugnisse 86,2
chemische
Elektro- u. Nachrichtentechnik 66,0
Quelle: Statistisches Bundesamt 2005.
Im Jahr 2004 gingen über 74% der deutschen Exporte nach Europa, mit großem Abstand gefolgt von Amerika (11,5%) und Asien (11,3%) (vgl. Statistisches Bundesamt 2005). Abb. 3.5 zeigt die Verteilung der deutschen Warenexporte nach Ländern. Dabei belegt Frankreich mit über 10% den Spitzenplatz. Mit den USA (8,8%) und China (2,9%) befinden sich unter den zehn wichtigsten Exportländern nur zwei außereuropäische. Diese Konzentration der deutschen Außenwirtschaft auf den europäischen Markt wird als Europafixierung bezeichnet. Sie gilt als strategische Schwäche, da sich die Wachstumsdynamik der Weltwirtschaft zunehmend in den asiatisch-pazifischen Wirtschaftsraum verlagert, wovon die deutsche Außenwirtschaft bisweilen zu wenig profitiert (vgl. Müller/Kornmeier 2002, S. 67f).
A: Weltwirtschaft im
Abb. 3.5: Die
51
Globalisierungsprozess
wichtigsten Exportpartner Deutschlands (2004)
8 Anteil
10 am
12%
Gesamtexport
Quelle: Statistisches Bundesamt 2005.
3.2.4 Internationaler
Dienstleistungshandel
Als internationale Dienstleistungen werden Leistungen des tertiären Sektors bezeichnet, die grenzüberschreitend im Kontakt mit ausländischen Geschäftspartnern erbracht werden. Während Dienstleistungen zur Weltproduktion zu über zwei Dritteln beitragen, sind sie am Welthandel bisher nur mit 20 bis 25% beteiligt. In der Produktion ist die Tertiärisierung wesentlich weiter fortgeschritten als im Handel (vgl. Lichtblau 2000, S. 61). Lange wurde bei internationalen Dienstleistungsbeziehungen nur der Tourismus berücksichtigt, welcher streng genommen aber nicht als Transfer einer Dienstleistung, sondern als Mobilität seiner Nachfrager zu begreifen ist (vgl. Kulke 2004, S. 210). Der geringe internationale Austausch von Dienstleistungen hängt mit deren konstitutiven Merkmalen zusammen. Zu diesen zählen Intangibilität bzw. Immaterialität, Nichttransport- bzw. Nichtlagerfähigkeit sowie die Notwendigkeit zum Einbezug eines externen Faktors (überwiegend des Kunden). Aufgrund des sog. Uno-actu-Prinzips, d.h. der Gleichzeitigkeit von Produktion und Konsumtion, erscheinen Dienstleistungen auf den ersten Blick eher binnenmarktorientiert und daher nur schwer internationalisierbar. In Wahrheit erlauben aber moderne Informationstechnologien auch die vom Ort unabhängige Erstellung bestimmter
52
3 Handel und Direktinvestitionen
Eine Bestandsaufnahme -
Dienstleistungen (z.B. Programmierungs-, Reservierungs- und Kommunikationsdienstleistungen) (vgl. Dolski/Hermanns 2004, S. 87). Während beim Warenhandel ein physisch greifbares Produkt eine geographische Grenze überquert, stellt sich der grenzüberschreitende Dienstleistungshandel
als Handel mit „unsichtbaren Produkten" dar. Doch nicht nur deshalb, sondern auch weil im Inland erstellte Dienstleistungen häufig von Ausländem in Anspruch gediese nommen werden und sich die Einbeziehung produktnaher Dienstleistungen erweist sich werden häufig dem Hauptprodukt zugerechnet als schwierig gestaltet, eine genaue statistische Erfassung als kompliziert. -
-
Dienstleistungshandel von besonderer Bedeutung unternehmensbezogene Dienstleistungen, die im Zusammenhang mit dem Güterhandel, Investitionsvorhaben, der internationalen Reisetätigkeit sowie den internationalen Finanzbeziehungen stehen. Die Palette reicht von Informationsund Beratungsdienstleistungen bezüglich der globalen Beschaffungs- und Absatzaktivitäten („global sourcing" und „global selling"), Inanspruchnahme von Transportunternehmen im Ausland, über ausländische Finanz- und Telekommunikationsdienstleistungen bis hin zur Nutzung ausländischer Dienstleister für Marketing, Werbung, aber auch Konstruktions- und Montageleistungen (vgl. Für den internationalen
sind
Koch
2000, S. 28).
Der Dienstleistungsanteil am gesamten Welthandel liegt wesentlich niedriger als der Warenanteil. Im Jahr 2003 machten die internationalen Warenexporte das Vierfache der Dienstleistungsexporte aus (vgl. aussenwirtschaft 2004a, S. 12). Entsprechend hoch ist das Wachstumspotenzial internationaler Dienstleistungen, vor allem da der BIP-Anteil des tertiären Sektors in den Industrieländern in der Regel bei weit über 50% liegt.
Anders als beim Anteil am Welthandel stellt sich das Verhältnis zwischen Waren- und Dienstleistungshandel beim Handelswachstum dar. So lag zwischen 1985 und 2000 die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der internationalen Dienstleistungsexporte mit 9,4% deutlich über jenen der Warenexporte (7,7%) (vgl. Kulke 2004, S. 210). Für dieses starke Wachstum zeichnen mehrere Ursachen verantwortlich (vgl. koch 1997, S. 14f; Dolski/Hermanns 2004, S. 88f; Lichtblau 2000, S. 70f; Bruhn 2005, S. 6ff): •
Die fortschreitende Liberalisierung des Dienstleistungshandels durch den Abbau von Handelshemmnissen im Rahmen des internationalen Dienstleistungsabkommens GATS (vgl. Kap. 4.3.2) sowie die Deregulierung vormals stark reglementierter Dienstleistungsbranchen (Telekommunikations-,
•
Finanz-, Verkehrs-, Versorgungsdienstleistungen etc.); komplexer werdende Produkte, welche zunehmend produktbegleitende Dienstleistungen (z.B. Planung, Beratung, Konstruktion) erfordern;
•
„Client-Follower-Motiv": Als Zulieferer der Industrie begeben sich auch Dienstleister immer mehr auf die internationale Ebene.
Beispiele
sind
u.a.
A: Weltwirtschaft im
Marktforschung, Finanzierung, Rechtsund Weiterbildung, Versicherungen; •
•
•
53
Globalisierungsprozess und
Unternehmensberatung,
Fort-
die durch die Zunahme der internationalen Handelsbeziehungen anwachsende Reisetätigkeit, welche die grenzüberschreitende Inanspruchnahme von Transport-, Übernachtungs- und Gastronomiedienstleistungen verstärkt; die auf den zunehmenden individuellen Reichtum in den Industrieländern zurückgehende Erhöhung der Mobilität, welche die Nutzung von Tourismusleistungen im Ausland intensiviert; die Zunahme der internationalen Direktinvestitionsströme, welche ein Mehr an Versicherungs-, Finanz- und Telekommunikationsdienstleistungen erfor-
dert; •
eine moderne Kommunikationstechnik, wie vor allem das Internet, welche einen weltweiten Informationsaustausch ohne Zeitverlust erlaubt und zur Standardisierung der Leistung sowie der an sie gestellten Anforderungen bei-
trägt.
Der weltweit
größte Dienstleistungsexporteur sind die USA mit einem Dienstleistungsanteil Gesamtexport von 26% im Jahr 2002. Obwohl Dienstleistungen hierzulande über 70% des nationalen BIP ausmachen, lag dieser Anteil in Deutschland zum selben Zeitpunkt bei nur 17,5% (vgl. Dolski/Hermanns 2004, S. 87). Andere europäische Länder wie Frankreich, Spanien und Großbritannien weisen deutliche Überschüsse in ihrer Dienstleistungsbilanz auf, d.h. sie exportieren mehr Dienstleistungen als sie importieren. In Deutschland werden dagegen wertmäßig um ca. ein Drittel mehr Dienstleistungen importiert als exportiert. Neben dem Nachholbedarf bei der Exporttätigkeit deutscher Dienstleistungsunternehmen ist dies am
auch auf die Position Deutschlands als Reiseweltmeister zurückzuführen, da Tourismus statistisch betrachtet immer ein Dienstleistungsimport ist. Auch im als serviceorientiert geltenden Japan wird nur ein geringer Teil der Dienstleistungen exportiert, wofür vor allem kulturelle und sprachliche Gründe ursächlich sein dürften (vgl. Bruhn 2005, S. 8f.). -
-
Allgemein sind statistische Daten zum internationalen Dienstleistungshandel immer mit Vorsicht zu genießen, was zum einen auf Problemen der Zuordnung und Abgrenzung einzelner Dienstleistungsbranchen, zum anderen auf den hohen Aggreationsgrad der Daten beruht. 3.3 Globale Direktinvestitionsstrukturen 3.3.1 Internationale
Direktinvestitionstätigkeit
Neben dem Wachstum des Außenhandels sind die zunehmende Mobilität und der an Bedeutung gewinnende Einsatz des Produktionsfaktors Kapital ein weiterer In-
54
3 Handel und Direktinvestitionen
Eine Bestandsaufnahme -
dikator für die Globalisierung der Wirtschaft. Global agierende Unternehmen treffen ihre Standortentscheidungen aufgrund von Standort- und Marktbedingungen, wobei nationalstaatliche Grenzen als den Handlungsspielraum limitierender Faktor praktisch nicht mehr ins Kalkül gezogen werden. Neue, die Kosten der Raumüberwindung reduzierende Technologien und eine zentrale Koordination internationaler Unternehmensaktivitäten ermöglichen eine neuartige Fragmentierbarkeit der Wertschöpfung. Die geographische Rekonfiguration betrieblicher Aktivitäten führt zur globalen Optimierung der gesamten Wertschöpfungskette. Verschiedene Produktions- und Vertriebsstätten eines Unternehmens sind miteinander und/oder mit anderen Unternehmen verbunden. Möglich wird dies erst durch die internationale Tätigung von Direktinvestitionen (vgl. Koch 2000, S. 38). Dabei handelt es sich um Investitionen im Ausland, bei denen der Investor einen unmittelbar kontrollierenden Einfluss auf das Investitionsobjekt ausübt (vgl. Kap. 8.1.1). Sie treten in Form von Joint Ventures (vgl. Kap. 22.4.1), Gründung von Tochtergesellschaften (vgl. Kap. 22.4.2) sowie Fusionen und Akquisitionen (Mergers & Acquisitions, vgl. Kap. 15.1) auf. Obwohl sich auch kleine und mittlere Unternehmen international engagieren, sind es vor allem multinationale Unternehmen, die als Träger internationaler Direktinvestitionen in Frage kommen. Dabei handelt es sich in erster Linie um Unternehmen mit mindestens einem ausländischen Tochterunternehmen, an denen eine Kapitalbeteiligung von wenigstens 10% besteht. Abb. 3.6:
Entwicklung der weltweiten Direktinvestitionsbestände seit 1980
1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003
Quelle: Unctad 2005.
A: Weltwirtschaft im
55
Globalisierungsprozess
Abb. 3.6 zeigt die Entwicklung der weltweiten Direktinvestitionsbestände seit Anfang der 1980er Jahre. Einen besonders starken Anstieg verzeichneten die internationalen Direktinvestitionen jeweils in der zweiten Hälfte der 1980er und 1990er Jahre. Der vorläufige Höhepunkt wurde zu Beginn des neuen Jahrtausends gemessen, was vor allem auf sog. Mega-Fusionen und Mega-Akquisitionen (vgl. Kap. 15.2.1) zurückzuführen ist (z.B. die Übernahme von Mannesmann durch Vodafone). Während der weltweite Direktinvestitionsbestand 1980 noch bei 693 Mrd. US$ lag, waren es 2003 bereits 6 541 Mrd. US-$ bzw. 6,5 Bio. US-$, was einer Ver-
zehnfachung entspricht. Für den insgesamt sehr dynamischen Verlauf der internationalen Direktinvestitionen sind mehrere Ursachen verantwortlich. Diese reichen von der fortschreitenden Liberalisierung der Kapitalmärkte und dem Abbau von Investitionshemmnissen über kostengünstige Kommunikations- und Transportbedingungen bis hin zur Notwendigkeit, aufgrund steigender Kaufkraft und differenzierter werdender Nachfragestrukturen in etlichen Ländern eine eigene Präsenz vor Ort zu entwickeln (vgl. KOCH 2000, S. 38).
3.3.2 Sektorale und
regionale Verteilung
von
Direktinvestitionen
Was die sektorale Verteilung von Direktinvestitionen betrifft, sind deutliche Verschiebungen zu erkennen. Während Anfang der 1970er Jahre noch ca. 25% der weltweiten Direktinvestitionen auf rohstofforientierte Produktionen und 30% auf Dienstleistungen entfielen, nimmt der tertiäre Sektor heute bereits die Hälfte aller Direktinvestitionen ein, auf Rohstoffe (z.B. Bergbau, Erdöl) entfallen dagegen nur noch weniger als 10%. Diese Struktur erklärt auch den trotz ihrer großen sektoralen Bedeutung eher schwach ausgeprägten Handel mit Dienstleistungen. Wegen der häufig auftretenden Notwendigkeit der Nähe zum Kunden sind für die Internationalisierung von Dienstleistungen Direktinvestitionen von größerer Bedeutung als
Exporte.
Wichtigster Geber von Direktinvestitionen sind mit einem Anteil von über 80% die Industrieländer. Der Rest stammt aus den Erdöl exportierenden Ländern sowie sog. Finanzholding-Standorten bzw. „Offshore"-Oasen (z.B. Antillen, Bahamas, Bermudas). Der Anteil der Entwicklungsländer ist marginal. Als Empfänger dominieren mit einem Anteil von ca. zwei Dritteln ebenfalls die Industrieländer. Weitere wichtige Empfängerregionen sind die ostmitteleuropäischen Transformationsstaaten sowie die ost- und südostasiatischen Schwellenländer. Die geringen, in die Entwicklungsländer fließenden Direktinvestitionen konzentrieren sich auf wenige Der Direktinvestitionsbestand beinhaltet alle bisher getätigten Direktinvestitionen, ist also die Summe aller jährlichen Nettodirektinvestitionen. Damit sind die Direktinvestitionsbestände von den Direktinvestitionsströmen (vgl. Abb. 3.1) zu unterscheiden. Letztere geben nur an, um wie viel sich der Betstand verändert hat.
56
Eine Bestandsaufnahme
3 Handel und Direktinvestitionen -
Staaten mit großem Binnenmarkt, fortgeschrittener Infrastruktur und stabilen politischen Systemen (vgl. Kulke 2004, S. 215; aussenwirtschft 2004b, S. 9). Tab. 3.2 zeigt die wichtigsten Geberländer von Direktinvestitionen. Weltweit kamen bis 2003 rund 80% aller Direktinvestitionen aus nur zehn Ländern (bzw. rund 60% aus nur fünf Ländern). An oberster Stelle stehen die USA, von denen rund ein Viertel aller weltweiten Direktinvestitionen stammen. Es folgen mehrere westeuropäische Länder, unter denen sich Deutschland mit einem Anteil von 7,6% hinter Frankreich auf Platz vier befindet. Auffallend ist die Stellung der Benelux-Länder (zusammen 8,8%). Ursächlich dafür sind die Finanztransaktionen und Beteiligungen internationaler Unternehmen, die in diesen Ländern ansässig sind (sog. „Ultimate Beneficial Owners") (vgl. Kutschker/Schmid 2005, S. 131). Femer fällt die auf den fortschreitenden wirtschaftlichen Entwicklungsprozess zurückgehende Position Chinas (vgl. Kap. 11.4) auf. Dabei ist zu beachten, dass ein großer Teil der chinesischen Direktinvestitionen im Ausland seinen originären Ursprung in Hongkong hat und sich darunter auch umfangreiche Investitionen der Auslandschinesen in Südostasien befinden. Tab. 3.2: Geberländer internationaler Direktinvestitionen
Rang Land
1 2 3 4 5 6 7
USA Großbritannien Frankreich Deutschland Niederlande Schweiz Hongkong, China
8 9 10
Japan Belgien, Luxemburg Kanada
Dl-Bestand im Ausland in Mrd. US-$ 2 069,0 1 128,6
643,4 622,5 384,4 344,1 336,1 335,5 334,1 307,9
(2003) Anteil am weltweiten DlBestand in %
25,2 13,8 7,8 7,6 4,7 4,2 4,1 4,1 4,1 3,8
Quelle: Unctad 2005.
Was die Zielländer internationaler Direktinvestitionen (vgl. Tab. 3.3) angeht, entfallen rund 45% der weltweiten Direktinvestitionen auf nur fünf Länder, rund ein Fünftel allein auf die USA, die damit auch auf der Empfängerseite den ersten Platz belegen. Auffallend ist, dass sich China als Folge des anhaltenden Industrialisierungsbooms (vgl. Kap. 11.4) mittlerweile auf Platz vier vorgeschoben hat. Für die Beneluxländer gelten dieselben Sonderbedingungen wie auf der Geberseite. Während Deutschland auch hier relativ weit vorne rangiert, ist bemerkenswert, dass sich Japan als Empfänger von Direktinvestitionen nicht auf den ersten zehn Plätzen befindet.
A: Weltwirtschaft im
Tab. 3.3:
57
Globalisierungsprozess
Empfängerländer internationaler Direktinvestitionen (2003) Rang
Land
1
USA Großbritannien Deutschland China Frankreich Hongkong, China
Dl-Bestand im Inland in Mrd.
US-$ 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Anteil
am
weltweiten DlBestand in %
1 554,0
18,8
672,0 544,6 501,5 433,5 375,0 355,3 336,1 275,8
8,2 6,6 6,1 5,3 4,5 4,3 4,1 3,3
Belgien, Luxemburg Niederiande Kanada
Spanien_230,3_2,8
Quelle: Unctad 2005.
Was Herkunfts- und Zielregionen der Direktinvestitionen insgesamt betrifft, ist längst nicht mehr allein von den Schwerpunkten der Triade, sondern unter Einbezug eines großchinesischen Wirtschaftsraums von einer „Quadriga" zu sprechen. -
-
3.3.3 Deutsche Direktinvestitionen versus Direktinvestitionen in Deutschland Abb. 3.7 zeigt, wie sich Zu- und Abflüsse von Direktinvestitionen seit 1990er Jahre aus deutscher Sicht entwickelt haben. Abb. 3.7: Nettozu- und -abflüsse
von
Anfang der
Direktinvestitionen in Deutschland
Mrd. €
250-,-1
1993 1994 Quelle: Eurostat 2005.
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
58
3 Handel und Direktinvestitionen
Eine Bestandsaufnahme -
Dabei lassen sich zwei Trends erkennen •
•
(vgl. KUTSCHKER/SCHMID 2005, S. 121):
der 1990er Jahre lagen Zu- und Abflüsse der Direktinvestitionen auf einem relativ niedrigen Niveau. In der zweiten Hälfte ist dann ein Anstieg zu erkennen, der sich bis zum Wendepunkt im Jahr 2000 fortsetzt; In den meisten Jahren haben ausländische Unternehmen in Deutschland stets weniger investiert als deutsche Unternehmen im Ausland. Mit anderen Worten: Deutschland weist zumeist einen negativen Saldo seiner Direktinvestitionsbilanz auf. Das Jahr 2000 ist ein ungewöhnlicher Ausreißer und auf die Großakquisition von Mannesmann durch Vodafone zurückzuführen, die zu einem ungewöhnlich hohen Kapitalzufluss geführt hat.
Anfang
Im Jahr 2003 investierten ausländische Unternehmen in Deutschland netto ca. 22 Mrd. Euro. Der gesamte Bestand ausländischer Direktinvestitionen in Deutschland erhöhte sich damit auf rund 307 Mrd. Euro5. Deutsche Unternehmen investierten im Ausland dagegen netto ca. 2 Mrd. Euro, was den Bestand deutscher Direktinvestitionen im Ausland bei rund 666 Mrd. Euro praktisch unverändert ließ (vgl. Faz 2005b). Abb. 3.8: Deutsche
Kapitalverflechtungen mit dem Ausland
Deutsche Direktinvestitionen im Ausland USA
Wert in Mrd. Euro
Ausländische Direktinvestitionen in Deutschland Euro-Raum
Wert in Mrd. Euro
sonstige Staaten derEU-15
Entwicklungsländer neue
EU-Staaten
China
Quelle: Faz 2005b.
Abb. 3.8 stellt die regionale Herkunft ausländischer Direktinvestitionen in Deutschland den Zielregionen deutscher Direktinvestitionen im Ausland gegenüber. AuffalAusländische Direktinvestitionen in Deutschland erstrecken sich überwiegend auf den Dienstleistungssektor (ca. 90%), während die Attraktivität des verarbeitenden Gewerbes als Anlageobjekt immer mehr nachlässt. Räumlich konzentrieren sich die ausländischen Direktinvestitionen größtenteils auf nur vier Bundesländer, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Baden-Württemberg und Bayern (vgl. Haas/Zademach 2005, S. 77f.).
A: Weltwirtschaft im
59
Globalisierungsprozess
lend ist in beiden Fällen die überragende Stellung des Euro-Raums, wohingegen der asiatisch-pazifische Wirtschaftsraum immer noch stark unterrepräsentiert ist. Allerdings weisen bei den Zielregionen China und die mittelosteuropäischen EU-Mitglieder (vor allem Polen und Ungarn) die höchsten Wachstumsraten auf. Insbesondere für letztere Länder ist abzuwarten, inwieweit sich diese dynamische Entwicklung durch ihren auf der räumlichen Nähe gründenden Standortvorteil im neuen Europa weiter verstärkt (vgl. Haas/Zademach 2005, S. 78).
negative Saldo der deutschen Direktinvestitionsbilanz (Bestand deutscher Direktinvestitionen im Ausland größer als der ausländischer Direktinvestitionen in Deutschland) ist ein integraler Bestandteil der Diskussion um den Standort Deutschland (vgl. Kap. 13.4). Einerseits wird der negative Saldo als Indikator für Standortschwäche und „Absage an den Standort Deutschland" interpretiert. Andererseits wird er auch als Indiz für die hohe Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen gewertet, die zur Verwertung ihrer untemehmensspezifischen Vorteile zusätzlich Märkte im Ausland sichern und erschließen (vgl. Kap. 13.4.1). Der
Literatur: AUSSENWIRTSCHAFT (2004a) Zeitschrift für Export und Import USA und Asien sorgen für Schubkraft. Nr. 7, S. 12-14. -
Branchen und Märkte: Welthandel: -
AUSSENWIRTSCHAFT (2004b) Zeitschrift für Export und Import Branchen und Märkte: Globalisierung: Trendwende bei den Investitionsströmen. Nr. 12, S. 9-11. -
-
bruhn, MANFRED (2005): Internationalisierung von Dienstleistungen eine Einführung in den Sammelband. In: Bruhn, Manfred; Stauss, Bernd (Hrsg.): Internationalisierung von Dienstleistungen. Wiesbaden, S. 3-42. dolski, joerg; hermanns. ARNOLD (2004): Internationalisierungsstrategien von Dienstleistungsunternehmen. In: Gardini, Marco A; Dahthoff, H. Dieter (Hrsg.): Management internationaler Dienstleistungen: Management, Konzepte, Erfahrungen. Wiesbaden, S. 85-110. Eurostat (2005): Wirtschaft und Finanzen. (URL: http://europa.eu.int/comm/eurostat/newcronos/refe-
rence/display.do?screen=welcomeref&open=/&product=EU_yearlies&depth=2&language=de). Abrufdatum: 26.2.2005.
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Faz
München.
KOCH, eckart (2000): Globalisierung der Wirtschaft. München.
60
Eine Bestandsaufnahme
3 Handel und Direktinvestitionen -
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Home.aspx?Language). Abrufdatum:
26.2.2005.
A: Weltwirtschaft im
61
Globalisierungsprozess
4 Protektionismus und Außenhandel Die weltwirtschaftlichen Handelsbeziehungen werden heute von einer Reihe von internationalen Regelungen und Institutionen geordnet, deren wichtigste das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT) bzw. die Welthandelsorganisation (WTO) ist. Die Notwendigkeit der Existenz eines multilateralen Ordnungsregimes für den Welthandel und dessen Weiterentwicklung wird vor allem vor dem Hintergrund, dass zwischenstaatliche Außenhandelsbeziehungen oft durch schwerwiegende protektionistische Eingriffe gestört werden, ersichtlich. Im Folgenden werden zunächst Ziele, Formen und Erklärungsansätze des Protektionismus diskutiert, bevor im weiteren Verlauf alte und neue Welthandelsordnung, ihre Entwicklungen und Herausforderungen erläutert werden.
4.1 Protektionismus als
Außenhandels
ordnungspolitisches
Leitbild des
Protektionismus ist ein in der Außenwirtschaftstheorie denkbar weit gefasster Begriff, da er das dem Freihandel und außenwirtschaftlichen Laisser-faire in seiner Gesamtheit diametral entgegen gerichtete handelspolitische Instrumentarium beschreibt. Er beinhaltet alle staatlichen, bewusst und politisch gewollten, auf Handelshemmnissen beruhenden Diskriminierungen ausländischer Handelspartner zum Schutz ausgewählter inländischer Branchen. 4.1.1 Ziele des Protektionismus Protektionismus ist die Konsequenz daraus, dass ein Land oder einzelne Gesellschaftsgruppen innerhalb eines Landes die aus Freihandel resultierenden Marktergebnisse als untragbar empfinden und diese im Hinblick auf die Erreichung bestimmter Ziele autonom verändern möchten. Zu diesen Zielen gehören (vgl. Dieckheuer 2001, S. 151; Koch 1997, S. 126ff; Müller/Kornmeier 2001, S.
93): •
Der Schutz einzelner inländischer Wirtschaftssektoren
vor
überlegener
Aus-
landskonkurrenz, •
• •
•
die Verbesserung der Leistungs- und damit der gesamten Zahlungsbilanz, die Erhöhung des allgemeinen inländischen Beschäftigungsniveaus, die Beeinflussung der inländischen Einkommensverteilung, der Abbau internationaler Abhängigkeiten und Autarkiebestrebungen,
62
4 Protektionismus und Außenhandel
•
•
•
•
die Verbesserung der inländischen Terms of Trade, d.h. des Verhältnisses zwischen Import- und Exportpreisen, die staatliche Einnahmenerzielung (durch Zölle), die Beseitigung externer Effekte (z.B. im Umweltbereich), die Bestrafung bzw. Kompensation von Handelsbeschränkungen anderer Länder (Retorsion).
Von den angeführten Zielen dominiert der Schutz inländischer Produktionsbereiche. Er richtet sich auf den Erhalt bestimmter Branchen, die sich im freien internationalen Wettbewerb nicht behaupten könnten oder zumindest partiell verdrängt würden und in denen Produktions-, Beschäftigungs- und Einkommenseinbußen verhindert werden sollen. Typische Beispiele sind die Landwirtschaft, die Textil- und die Stahlindustrie.
4.1.2 Handelshemmnisse als Instrumente des Protektionismus Protektionistische Maßnahmen äußern sich im Einsatz von Handelshemmnissen, welche die internationale Arbeitsteilung und den Handel in Volumen, Struktur und regionaler Ausrichtung verzerren und bewirken, dass die Spezialisierungsvorteile des Freihandels (vgl. Kap. 7.3) nicht voll ausgeschöpft werden können. Als Handelshemmnisse im protektionistischen Sinn gelten aber nur staatlich sanktionierte Maßnahmen zur gezielten Manipulation des Außenhandels. Natürliche Handelshemmnisse (z.B. sprachliche Barrieren, kultureller Fremdheit entspringende Antipathien gegen ausländische Produkte, Kosten und Risiken des Gütertransports) sowie Aktivitäten von Privatunternehmen, die ebenfalls handelsstörenden Charakter haben können, fallen nicht unter den Begriff des Protektionismus. Grundsätzlich lassen sich zwei Formen von Handelshemmnissen unterscheiden: Tarifäre Handelshemmnisse stellen den Schutz inländischer Branchen durch Zölle dar; nichttarifäre Handelshemmnisse sind der Sammelbegriff für alle übrigen protektionistischen Instrumente, die keine Zölle sind.
4.1.2.1
Tarifäre Handelshemmnisse
Tarifäre Handelshemmnisse (THH) sind sämtliche Arten von Zöllen. Zölle werden seit mehr als 5 000 Jahren in allen Epochen und Kulturen erhoben und gehören damit zu den ältesten Instrumenten staatlicher Eingriffe in das Wirtschaftsgeschehen. Der Zoll stellt eine im grenzüberschreitenden Warenverkehr von Seiten der staatlichen Obrigkeit erhobene Abgabe dar1 (vgl. HOFFMANN/FlKENTSCHER 1988, S. 630). Er wird auf gehandelte Waren erhoben und ist beim Passieren der Zollgrenze an den Staat abzuführen.
A: Weltwirtschaft im
63
Globalisierungsprozess
Ökonomisch betrachtet wirken Zölle wie Transportkosten, da sie den Ortspreis der einzuführenden Güter bei Überschreiten der Grenze sprunghaft erhöhen (vgl. Kortmann 1998, S. 196f.). Sie betreffen entweder alle Handelspartner eines Landes (Generaltarif) oder gelten auf bilateraler Ebene nur für ausgewählte Handelspartner (Konventions- bzw. Vorzugstarif). In Deutschland obliegt die Zollerhebung der Bundeszollverwaltung, die dem Bundesfinanzministerium untersteht. Da Zölle nach der deutschen Abgabenordnung Steuern sind, ist die zollamtliche Überwachung Steueraufsicht. Innerhalb der EU besteht seit 1968 eine Zollunion (vgl. Kap. 10.2.3), mit der alle nationalen Zolltarife abgeschafft und zu einem einzigen gemeinschaftlichen Außenzolltarif zusammengefasst wurden. Die Zolleinnahmen fließen seit 1975 abzüglich einer Pauschale für die Erhebungskosten der EU zu. Im Jahr 2003 hat Deutschland 2,9 Mrd. Euro nach Brüssel abgeführt. Auf internationaler Ebene ist für die Zollhöhe das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT) (vgl. Kap. 4.2) relevant. Die für den Welthandel förderliche internationale Angleichung nationaler Zollrechte und die Vereinheitlichung von Zollformalitäten wird vom 1950 gegründeten Brüsseler Zollrat, 1995 in die World Customs Organization (WCO) überführt, angestrebt.
Zölle können nach
folgenden
Kriterien
systematisiert werden (vgl.
Borchert
1999, S. 358ff; Glastetter 1998, S. 183ff.; Senti 1992, S. 122f; Adebahr/ Maennig 1987, S. 137ff): Nach ihrem •
•
•
Erhebungsereignis werden Zölle unterteilt in Exportzölle, die auf die Ausfuhr heimischer Produkte erhoben zur Einnahmenerzielung oder aus Versorgungsgründen);
werden
(z.B.
Durchfuhr- bzw. Transitzölle, die auf Güter erhoben werden, die nicht in dem Land angeboten werden, das den Zoll erhebt; Importzölle, die der künstlichen Beseitigung von Kostenvorteilen ausländischer Anbieter dienen; sie sollen Importe verteuern und damit eindämmen.
Nach dem Erhebungszweck können Zölle klassifiziert werden in •
•
Finanz- bzw. Fiskalzölle zur staatlichen Einnahmenerzielung; Schutzzölle, die den Schutz wettbewerbsschwacher inländischer Wirtschaftssektoren vor einer überlegenen Auslandskonkurrenz gewährleisten sollen; Der Begriff „Zoll" leitet sich aus dem griechischen „telos" (Ziel, Grenze, Zahlung) sowie dem spätlateinischen „teloneum" (Abgabe) her. Schon im dritten Jahrtausend vor Christus wurden in den antiken Hochkulturen Ägyptens und des Orients Zölle zur staatlichen Einnahmenerzielung erhoben. In Deutschland hat man Zölle als Binnenzölle bis ins Mittelalter für die Nutzung von Brücken, Straßen, Häfen und Märkten verlangt. Zum Ende des Dreißigjährigen Krieges war das deutsche Zollgebiet in 1 240 Einzelgebiete zersplittert. Zu Beginn des 19. Jh. verlagerte sich die einzelstaatliche Zollerhebung an die Außengrenzen, was den gegenseitigen Warenverkehr stark behinderte. Erst mit der Schaffung des deutschen Zollvereins zum 1.1.1848 wurde ein gemeinsames Außenzollsystem
geschaffen.
64
4 Protektionismus und Außenhandel
•
Retorsionszölle zur Vergeltung bzw. nahmen des Auslands.
Hinsichtlich der Bemessungsgrundlage •
•
Beantwortung protektionistischer Maß-
treten
Zölle auf als
Spezifische Zölle in Form fixer Abgaben auf quantitative Einheiten (z.B.
pro
Tonne, pro Stück, pro Liter etc.); Wertzölle, bei denen sich die Zollbelastung als bestimmter Prozentsatz des
Warenwertes ergibt; •
•
Mischzölle, die eine Kombination von spezifischem und Wertzoll darstellen; Gleitzölle, welche die Differenz zwischen niedrigerem Weltmarkt- und höhe-
Inlandspreis ausgleichen. Wichtigstes Merkmal von Zöllen ist deren rem
Marktkonformität. Gegenüber anderen Handelshemmnissen weisen sie den Vorteil auf, dass die Importbelastung alleine über den Einstandspreis der Einfuhrware wirkt, während die einzuführende Menge der Dispositionsfreiheit inländischer Importeure bzw. ausländischer Exporteure obliegt. Der Zoll verändert damit nur die Datenkonstellation über den Preis, ohne die Importmenge selbst zu beschränken (vgl. Glastetter 1998, S. 184). Aus Sicht des Protektors weisen Zölle allerdings gravierende Schwächen auf: Die Schutzwirkung des Zolls verpufft, wenn die Zollbelastung durch Preissenkungen des Auslands neutralisiert wird. Zölle versagen in ihrer Wirkung ferner, wenn die Inlandsnachfrage preisunelastisch reagiert (vgl. Langhammer 1993, S. 44). Sie müssen daneben von der Legislative in langwierigen Prozeduren beschlossen werden, was Ad-hoc-Anpassungen erschwert. Vor dem Hintergrund internationaler Zollsenkungsverpflichtungen im Rahmen des GATT bzw. der WTO (vgl. Kap. 4.2 und 4.3) haben Zölle schließlich an Attraktivität als handelshemmende Maßnahmen eingebüßt. Diese Nachteile begünstigen die Entstehung nichttarifärer Handelshemmnisse.
4.1.2.2 Nichttarifäre Handelshemmnisse Als nichttarifäre Handelshemmnisse (NTHH) gelten all die diskriminierenden staatlichen Maßnahmen, die den Handel ebenfalls stören, aber nicht Zölle sind. Zu beachten ist, dass es sich dabei nicht nur um Instrumente handelt, die den Außenhandel einzuschränken oder auszuschalten versuchen (defensive Handelsinstrumente), sondern auch um Maßnahmen, die den Außenhandel zur Erweiterung von Marktanteilen künstlich stimulieren sollen und seine Struktur dadurch ebenfalls ver-
(offensive Handelsinstrumente). Abb. 4.1 zeigt Träger und Ausprägungsformen des nichttarifären Protektionismus und dient gleichzeitig der Unterscheidung von THH und NTHH. Gemeinsam ist diesen lediglich, dass sie einen diskriminierenden, staatlichen Eingriff in den Auszerren
senhandel darstellen.
A: Weltwirtschaft im
Abb. 4.1:
Globalisierungsprozess
65
Träger und Formen des Protektionismus Diskriminierende Maßnahmen
I Staatlich sanktionierte
Eingriffe
Exekutive
Nichttarifärer Bereich Tarifärer Bereich
Gesetzes-
Administrativer Protektionismus
protektionismus
Direkt
Indirekt
protektio-
protektio-
nistische Gesetze
nistische Gesetze
Preisbeeinflussende Handelshemmnisse
Ermessen Willkür Schikane
Gefühls-
protektionismus
Buy-
Boykottaufrufe
National-
Kampagnen
Mengenbeschränkende Handelshemmnisse
Beschränkung der Einfuhrmenge
Die Verwendung inländischer Produkte erhöhende Bestimmungen
Beschrän-
kung der Ausfuhrmenge
„Freiwillige" Exportbeschränkung
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung
an
Autonomer Privatbereich
Quambusch 1976, S. 28ff.: 1989,
Sp.
78311.
66
4 Protektionismus und Außenhandel
Als Träger diskriminierender protektionistischer Maßnahmen kommen in demokratisch organisierten Staaten Legislative (Gesetzgeber), Exekutive (Verwaltung) und Privatsektor in Frage; zwar wirken diese in praxi nicht unabhängig voneinander, unterscheiden sich aber durch das Ausmaß staatlicher Sanktion. Die von ihnen ausgehenden Eingriffe lassen sich nach dem Grad ihrer Affinität zu Zöllen auf der mittleren Skala in Abb. 4.1 erfassen: Der staatliche Einfluss ist dort am stärksten, wo der handelspolitische Eingriff auf der Legislative beruht. An ihrem linken Ende befinden sich daher sämtliche Formen von Zöllen, deren Erhebung ein staatliches Privileg darstellt. Am rechten Pol der Skala ist der autonome Privatbereich angesiedelt, der sämtliche private Wirtschaftssubjekte zusammenfasst, die ohne Unterstützung oder Notiz des Staates diskriminierende Handelspraktiken einsetzen. In der Mitte der Skala befinden sich all die diskriminierenden Maßnahmen, die zwar keine Zölle sind, wohl aber bewusste Eingriffe des Staates darstellen oder zumindest mit dessen Billigung eingesetzt werden und somit als NTHH aufzufassen sind (vgl.
Quambusch 1989, Sp. 783). Folgende Formen von NTHH lassen sich dabei unterscheiden (vgl. Quambusch 1976, S. 39ff; 1989, Sp. 786ff): Unter den Gesetzesprotektionismus sind die NTHH zu subsumieren, die auf einem legislativen Akt beruhen. Hierzu gehören preisbeeinflussende Handelshemmnisse, welche dem Schutz inländischer Produktionen dienen. Die zweite Gruppe bilden mengenbeschränkende Eingriffe, zu denen Kontingentierungen auf der Ein- und Ausfuhrseite sowie die „freiwillige" Exportbeschränkung rechnen. Mit die Verwendung inländischer Produkte erhöhenden Bestimmungen wird danach getrachtet, den Erwerb heimischer Produkte über den Verordnungsweg zu fördern. Neben diesen direkten existieren auch indirekte Gesetze, die vorgeblich keine protektionistischen Absichten verfolgen, aber handelsbe-
schränkend missbraucht werden können2. Sie können auch bereits dem administrativen Protektionismus zugerechnet werden, der von der Exekutive als vollziehender Staatsgewalt ausgeht. In diesen Bereich gehören auch behördliche Ermessensentscheidungen, Willkürakte und Schikanen3. Sobald Private (z.B. Gewerkschaften oder Verbände) zu protektionistischen Maßnahmen greifen, reduziert sich die Funktion des Staates auf die Tolerierung solcher Aktivitäten. Da es sich hier meist um Appelle an die patriotischen Instinkte der Inländer handelt, wird von Gefühlsprotektionismus gesprochen, der gelegentlich durch staatliche „Buy-National"-Kampagnen unterstützt wird. Als gefühlsprotektionistisch gelten auch die Boykottaufrufe des autonomen Privatbereichs gegen den Erwerb ausländischer Güter als Folge einer offenen Fremdenfeindlichkeit.
z.B. Verbraucherschutz- und Gesundheitsvorschriften, Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Sicherheit, Bestimmungen zum Schutz geistigen Eigentums etc. z.B. Methoden der Zollwertbestimmung, Abfertigungs-, Genehmigungs- und Kontrollprozeduren der Zollbehörden.
A: Weltwirtschaft im
Globalisierungsprozess
67
Der Grad der staatlichen Einflussnahme nimmt in der Skala von links (tarifärer Bereich) nach rechts (autonomer Privatbereich) ab. Damit steigt auch das Ausmaß der Wandelbarkeit von NTHH, denn je weniger diese auf einer gesetzlichen Grundlage
beruhen, desto eher lässt sich ihr Einsatz modifizieren und desto unkalkulierbarer sind sie für die ausländischen Handelspartner. Umgekehrt nimmt die Regelmäßigkeit der Eingriffe in den Handel von links nach rechts ab; die Verschleierung protektionistischer Absichten ist in der Mitte der Skala, d.h. beim administrativen Protektionismus, am stärksten ausgeprägt. In diesem Zusammenhang ist häufig vom Neuen Protektionismus die Rede. Es kann sich dabei sowohl um das Wiederaufleben einer protektionistischen Handelspolitik als auch um eine neuartige Instrumentierung der Handelspolitik handeln (vgl. Jaeschke 1986, S. 4). Während ersterer Aspekt die Rückkehr zum Protektionismus in den OECD-Ländern, ausgelöst durch weltwirtschaftliche Krisenerscheinungen Anfang der 1970er Jahre, meint, äußerst sich letzterer vor allem im verstärkten Einsatz versteckter NTHH4, die in eben der Mitte der Skala anzusiedeln sind. Sie entfalten ihren protektionistischen Charakter nicht sofort und provozieren daher keine allzu plötzlichen Vergeltungsmaßnahmen der durch sie diskriminierten Länder (vgl. nunnenkamp 1983, S.
373). Grundsätzlich verfolgen THH und NTHH dieselbe Absicht: Sie erhöhen die Kosten der Einfuhren und verändern damit künstlich die Preisrelation zwischen inund ausländischen Gütern. Dennoch lässt sich festhalten, dass sich NTHH von Zöllen durch ihre schwierige Kalkulierbarkeit, schnelle Veränderbarkeit und Vielfältigkeit abheben. Mengenbeschränkende NTHH schalten im Gegensatz zu Zöllen femer den Preismechanismus des Marktes aus. Während Zölle für ausländische Exporteure und inländische Importeure eine Konstante darstellen, mit der sie rechnen können, erhöht die Intransparenz der NTHH deren Unsicherheit, mit der Folge, dass schneller als bei Zöllen ausländische Exporteure auf Drittmärkte und inländische Importeure auf nationale Angebotsquellen ausweichen (vgl. Ohlinger 1986, S.
-
-
116). Verlässliche Aussagen über das genaue Ausmaß der NTHH sind aufgrund ihrer unterschiedlichen Erscheinungsformen und der wenig klaren Abgrenzung zwischen privaten und staatlichen Maßnahmen nur schwer zu treffen; allerdings ist davon auszugehen, dass zumindest ein Drittel des Welthandelsvolumens von NTHH betroffen ist (vgl. Tietje 1997, S. 34).
4.1.3
Auswirkungen
des Protektionismus
Von handelsbeschränkenden Maßnahmen gehen mehrere unterschiedliche einzelund gesamtwirtschaftliche Wirkungen aus. Sie lassen sich in solche differenzieren, und Standardnormen, Sicherheits-, Verpackungs-, Markierungs- oder Kennzeichnungsvorschriften, Produktgestaltungs- und pharmazeutische Kontrollvorschriften etc.
Qualitäts-
68
4 Protektionismus und Außenhandel
die ihren Ursprung unmittelbar im Inland haben, und solche, die sich über Effekte im Ausland rückwirkend auf das Inland auswirken.
4.1.3.1
Unmittelbare
Wirkungen
im Inland
Als primäre Wirkung, d.h. direkt aus handelsbeschränkenden Maßnahmen hervorgehend, stellen sich im Inland Preis- und Abgabewirkungen ein. Verbraucher des „geschützten" Landes haben die Einfuhrbeschränkungen durch, im Vergleich zu Freihandel, höhere Preise zu tragen. Diese treffen auch importierende Unternehmen, die Vorprodukte beziehen und weiterverarbeiten; deren Inputkosten steigen daher, ihre Exportchancen lassen nach. Handelt es sich um Konsumgüter, werden die Arbeitnehmer zur Kompensation von Reallohnverlusten höhere Nominallohnforderungen stellen, welche die Kosten der Unternehmen indirekt erhöhen. Insgesamt kommt es zum Verzicht auf eine optimale Güterversorgung bei gleichzeitigen Beschäftigungsrisiken in anderen als den geschützten Branchen (vgl. Dieckheuer 2001, S. 171; Sauernheimer 1989, Sp. 1766; altmann 2000, S. 541). Beim offensiven Protektionismus, wie z.B. im Falle der Exportsubventionierung, erhalten einzelne Branchen einen Wettbewerbsvorteil, der aber mit höheren Abgaben und Steuern finanziert wird und damit von der Allgemeinheit zu tragen ist (vgl. Kortmann 1994, S. 297; 1998, S. 226). Handelsbeschränkungen bewirken, dass Vorteile aus der Spezialisierung im internationalen Handel nicht genutzt werden; vielmehr lenken sie durch die künstliche Erhöhung der inländischen über die ausländischen Preise verfügbare Produktionsfaktoren des Inlands in relativ unproduktive Bereiche, was die Wirtschaftsstruktur in Richtung nicht-zukunftsträchtiger Branchen verzerrt (Strukturwirkungen). Kurzfristige Vorteile für einzelne Branchen müssen damit langfristig teuer erkauft werden (vgl. Sell 2003, S. 209; Weckhannemann 1993, S. 298). Zu den sekundären Wirkungen, die sich indirekt für das Inland ergeben, gehören auch Wettbewerbswirkungen. Die durch Handelsbeschränkungen geschützten Branchen werden partiell vom Weltmarkt entkoppelt, was zur Verkrustung bestehender oder Entstehung neuer Monopolstrukturen führen kann, indem ausländische Wettbewerber von der Bearbeitung der heimischen Märkte abgehalten werden. Die Wettbewerbsintensität lässt nach, positive Wettbewerbswirkungen (u.a. Nachfrageorientierung, Anpassungsflexibilität, Innovationsbereitschaft) verringern sich. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit reduziert sich zusehends, was den Protektionsbedarf weiter erhöht (vgl. Voigt 1992, S. 143; Glismann et al. 1992, S. 40f.; MiCHALSKI 1985, S. 630). Die selektive Bevorzugung einzelner Branchen beeinträchtigt die Leistungsfähigkeit anderer Sektoren bzw. Branchen (sektor- bzw.- branchenübergreifende Wirkung). Denn die durch Protektion nicht wettbewerbsfähiger Branchen entstehenden Kosten müssen von anderen, effizient wirtschaftenden und gewinnträchtigen Bran-
A: Weltwirtschaft im
Globalisierungsprozess
69
chen getragen werden, die dadurch ebenfalls in den „Strudel" einer Strukturkrise hineingezogen werden können; dadurch und indem die selektive Bevorzugung einzelner Branchen das Protektionsverlangen anderer Branchen weckt, kommt es zur Ausweitung der inländischen Protektion, die sich zeitversetzt auf vor-, neben- oder nachgelagerte Branchen überträgt (Ölfleckeneffekt) (vgl. kortmann 1994, S. 298; 1998, S. 227f; Altmann 2000, S. 542; Michalski 1985, S. 633).
4.1.3.2
Rückwirkungen über das Ausland
Arbeitsplätze, welche die Politik durch Protektion im Inland künstlich schützt oder neu schafft, werden durch Abnahme der Absatz- und Wachstumsmöglichkeiten des Exports im Ausland bedroht oder vernichtet („beggar-my-neighbour-policy"). Protektionismus entfaltet aber nur dann seine volle Wirkung, solange das Ausland auf Retorsionen gegen die Maßnahmen des Protektors verzichtet. Da dies aber meist nicht der Fall ist, kommt es als Reaktion zu einer Protektionsausweitung im Ausland, welche die Vorteilhaftigkeit einer freien internationalen Arbeitsteilung bedroht. Für das Ausland ergeben sich dann spiegelbildlich die o.g. negativen Inlandseffekte (vgl. Altmann 1993, S. 266ff; Glismann et al. 1992, S. 42; El-Shagi 1993, S. 2703).
Berücksichtigt man die Flexibilität der Wechselkurse, erhöhen Handelsbeschränkungen den Außenbeitrag einer Volkswirtschaft (Wechselkurswirkung). Die Inlandswährung gerät, zum einen über die Leistungsbilanz aufgrund protektionsbedingter Importrückgänge, zum anderen über die Kapitalbilanz aufgrund von Direktinvestitionen zur Umgehung ausländischer Handelsbarrieren, unter Aufwertungsdruck. Dies verursacht Kontratktionseffekte im Exportsektor und wirkt dem erreichten Schutz des Importsubstitutionssektors entgegen (vgl. Sauernheimer 1989, Sp. 1766; Michalski 1985, S. 630). Importbehinderungen wirken sich auch durch die Wirkungen über das Auslandseinkommen negativ für die eigene Volkswirtschaft aus, denn in dem Maße, wie das In- das Ausland an der Nutzung von Exportchancen hindert, verringert sich das Auslandseinkommen, wodurch auch die Käufe des Auslands im Inland nachlassen („Ricardianischer Bumerangeffekt") (vgl. Kortmann 1994, S. 298f; 1998, S. 231). Auf internationaler Ebene lösen protektionistische Maßnahmen wechselseitige Nachahmungs- und Vergeltungsmaßnahmen aus, die möglicherweise zu Handelskonflikten eskalieren; dabei können drei Formen unterschieden werden (vgl. Schmidt 2003, S. 226): •
Konflikte, die sich
an der Verteilung der Anpassungskosten infolge einer entzünden (klassischer, d.h. defensiver Protektionismus). Betroffen davon sind die „üblichen Verdächtigen", d.h. Branchen, die vom Strukturwandel betroffen sind und in denen protektionistische Maßnahmen
Marktöffnung
70
4 Protektionismus und Außenhandel
eine •
lange Tradition genießen (Stahlbranche, Landwirtschaft, Textilwirtschaft
u.a.). Konflikte, die sich bei der Ausweitung von Marktmacht ergeben (offensiver Protektionismus). Typische Beispiele sind Exportsubventionen, industriepolitisch motivierte, d.h. auf der
•
Förderung
von
Großindustrien beruhende Kon-
flikte, Auseinandersetzungen um die Erschließung neuer Märkte etc. Konflikte, die über eine enge Produktbetrachtung hinausgehende Aspekte
betreffen. Sie resultieren aus der wachsenden Marktund neuen Handelsformen, z.B. Regulierung von Online-Handel vernetzung und audiovisueller Dienstleistungen (angepasster Protektionismus). Gegenstand sind aber auch externe Effekte, die in von Land zu Land unterschiedlichen institutionellen Ordnungen erfasst und geregelt werden. Der Nachweis einer direkten protektionistischen Absicht fällt hier nicht leicht, da vorgeblich andere, hehre Motive (Gesundheit, Verbraucherschutz, Schutz von Moral und Sicherheit u.a.) im Vordergrund stehen (z.B. Importverbote für behandelte Lebensmittel) (versteckter Protektionismus).
bzw.
Fragestellungen
Abb. 4.2: Formen
von
Handelskonflikten
Marktmacht
Marktöffnung Durch Anpassungslasten der Akteure ausgelöste Handelskonflikte
(defensiver Protektionismus) z.B. US-Stahlzölle,
EU-Bananenmarktordnung, Agrarmarktsubventionierung und -abschottung der Industrieländer, "freiwillige" Exportselbstbeschränkungen (Automobilhandel, Textilhandel, Elektronikprodukte) u.a.
Durch Versuche, zusätzliche
Handlungsoptionen zu erreichen, ausgelöste Handelskonflikte (offensiver Protektionismus) z.B. US-Exportsubventionsgesetz, Subventionierung von US-Airlines,
industriepolitisch motivierte Konflikte (z.B. Flugzeugbau, vor allem Boeing und Airbus, Halbleiterbranche), koreanische Schiffbausubventionen, Konflikte um die Liberalisierung der Dienstleistungsmärkte in Südostasien
Marktvernetzung Durch Veränderungslasten der Regelungsakteure ausgelöste Handelskonflikte: 1. Angepasster Protektionismus, z.B. Regulierung der Internetwirtschaft und audiovisueller
Dienstleistungen u.a. 2. versteckter Protektionismus, z.B. EU-Importverbote für genveränderte Lebensmittel und hormonbehandeltes Rindfleisch, Thunfisch-Streit (USA-Mexiko) u.a.
Quelle: Schmidt 2003, S. 227, verändert.
u.a.
A: Weltwirtschaft im
71
Globalisierungsprozess
Abb. 4.2 gibt einen Überblick über diese Formen von Handelskonflikten, wie sie in den letzten Jahren gehäuft zwischen den großen Industrienationen USA, EU, Japan und einigen Schwellenländern, vor allem im Südost- und ostasiatischen Raum, d.h. innerhalb der Triade, beobachtet werden konnten. Die Gefahr ist, dass sich aus Handelsbeschränkungen kumulierende Prozesse ergeben, welche den weltweiten Außenhandel schrumpfen lassen und den beteiligten Ländern Wohlstands- und Wachstumseinbußen auferlegen. Trotz dieser insgesamt als negativ einzustufenden Effekte ist allen Ländern ein teilweise hoher Grad an Protektion gemein, der nach plausiblen Begründungen verlangt.
4.1.4 Ansätze
zur
Erklärung
von
Protektionismus
Einen bekannten Ansatz für die Erklärung der Einführung und Beibehaltung von Protektionsmaßnahmen stellt die politische Ökonomie des Protektionismus dar. Dieser Ansatz unterstellt einen politischen Markt für Protektion, auf dem importkonkurrierende Unternehmen, aber auch ganze Branchen sowie die ihnen nahestehenden Interessensgruppen, die Schutz vor ausländischer Konkurrenz suchen, als Nachfrager protektionistischer Maßnahmen gelten. Regierung, Bürokratie und öffentliche Verwaltung stellen die Anbieter dar (vgl. Weck-hannemann 1992, S. 15). Der Einsatz von Handelshemmnissen leitet sich aus den eigennutzorientierten Überlegungen der politischen Eliten einer Demokratie ab. Die Politik „verkauft" eine restriktive Handelspolitik an die Nachfrager nach Protektion und erhält im Gegenzug politische Unterstützung, meist modelliert in Form von Ressourcentransfers (vgl. Martin 2003, S. 237). Bei den Nachfragern von Protektion handelt es sich meist um Vertreter partikularer Interessen (Wirtschafts- und Branchenverbände, Gewerkschaften). Ihr starkes Organisationspotenzial sorgt dafür, dass Wirtschaftssektoren erhalten bleiben, die im freien Wettbewerb keine Chance hätten. Sie treten in der Öffentlichkeit hervorragend organisiert auf und besitzen die Fähigkeit zur Mobilisierung beträchtlicher motivationaler und materieller Ressourcen, welche die wirksame Artikulation ihrer Bedürfnisse ermöglichen. Zum anderen weisen sie eine ausgeprägte Konfliktfähigkeit auf, indem sie den geordneten Ablauf wirtschaftpolitischer Prozesse zu stören vermögen (vgl. Frey/Kirchgässner 2002, S. 195). Ein diesem Zusammenhang oft bemühtes Beispiel sind die spektakulären Protestaktionen französischer Bauern, die sich gegen den Abbau von Subventionen und Außenhandelsschutz richten5.
nachteiligen Wirkungen des Protektionismus können Politiker nicht davon abhalten, sich den Forderungen derartiger Interessensgruppen zu beugen. Letztlich ist damit das Kernproblem der Handelspolitik der meisten Industrieländer angesprochen: Zur kurzfristigen, wahltaktisch motivierten Befriedigung von Lobbyinginteressen ergreifen Regierungen protektionistische Maßnahmen, anstatt langfristig für die Liberalisierung des Handels einzutreten. Verstöße gegen das Freihandelsprinzip Die
4 Protektionismus und Außenhandel
72
bringen Wählerstimmen, weil die Wähler bei drohender Arbeitslosigkeit Schutz vor Importen bzw. die staatliche Protegierung der Exportwirtschaft von der Politik fordern. Die politischen Motive und ökonomischen Konsequenzen des Protektionismus lassen sich exemplarisch am Beispiel der US-Importzölle auf Stahlprodukte illustrieren (vgl. Exkurs 4.1). Exkurs 4.1: Der
Stahlprotektionismus der USA
Am 6.3.2002 verfügte US-Präsident George W. Bush auf Anraten der US-International-TradeCommission die Verhängung von Straf- und Antidumping-Zöllen auf den Import von Stahlprodukten, welche am 20.3.2002 in Kraft traten und zwischen 8 und 30% des Warenwertes ausmachten. Die Zölle sollten die sich in einer tiefen Strukturkrise befindenden Unternehmen der US-Stahlbranche von einem unerwünschten Importdruck befreien, welcher für den Niedergang der Stahlindustrie in den USA verantwortlich gemacht wird. Rund ein Drittel der US-amerikanischen Stahlproduktion wird von Unternehmen bestritten, die um das wirtschaftliche Überleben kämpfen oder bereits Konkurs angemeldet haben. Die Maßnahmen erstreckten sich auf rund die Hälfte aller Stahleinfuhren. Betroffen waren vor allem Stahlproduzenten in Brasilien (10% der US-Importe im Jahr 2001), Südkorea (9%), Japan (7%) und Russland (6%). Importe aus Mexiko und Kanada, den Mitgliedern der nordamerikanischen Freihandelszone NAFTA (vgl. Kap. 10.4.1), sowie aus Israel und Jordanien waren dagegen von den Zöllen ebenso befreit wie etliche Entwicklungsländer.
Die Schutzmaßnahmen der US-Administration brachten den internationalen Stahlmarkt aus dem Gleichgewicht. Die EU reagierte drauf sehr empfindlich, da sie gemessen an Absatz, Eigenproduktion und Importen den größten Stahlmarkt der Welt darstellt. Zum einen wurde die EU mit einer Handelsvernichtung auf dem US-Importmarkt konfrontiert, zum anderen musste sie eine gravierende preisdämpfende Handelsumlenkung von Drittlandsstahl, der nicht mehr auf die US-Märkte gelangen konnte, auf die Märkte der Gemeinschaft befürchten. Aufgrund der hohen Überkapazitäten in der Weltstahlproduktion ließen beide Effekte einen starken Preisdruck auf dem EU-Stahlmarkt befürchten. Um die drohende Handelsumlenkung und Importschwemmen zu drosseln, erließ die Kommission daher für 15 verschiedene Kategorien von Stahlprodukten zeitlich befristete Importkontingente, bei deren Überschreiten Zölle in Höhe von 14,9 bis 26% anfielen. -
-
Zusammen mit Japan, Südkorea, China, der Schweiz, Norwegen, Neuseeland und Brasilien legte die EU ferner Klage bei der Welthandelsorganisation (WTO) ein. Diese verurteilte im Juli 2003 die US-Stahlzölle als unvereinbar mit dem geltenden Welthandelsrecht. Die USA hätten keinen konkreten Beweis erbracht, dass die tatsächliche Entwicklung der Stahlimporte unvorhersehbar gewesen ist und daher die Einfuhren überraschend gestiegen sind. Auch konnte kein kausaler Zusammenhang zwischen Schaden und Problemen der US-Stahlindustrie
1990 kam es beispielsweise zu militanten Protestaktionen französischer Bauern, die sich gegen die Liberalisierungsbeschlüsse des GATT in der Landwirtschaft und dem Agrarhandel (vgl. Kap. 4.3.1) richteten. In der mittelfranzösischen Stadt Bellac kaperten Bauern einen Lastwagen mit
Schafen, schlachteten diese und verbrachten die Kadaver
vor ein öffentliches Gebäude. Die gerufene Polizei wurde mit Steinen und Eiern beworfen. Anderenorts wurden Heuballen angezündet und die anrückende Polizei mit Gülle bespritzt. Auch Liefersperren bei Agrarerzeugnissen, Straßenblockaden durch Traktoren und Ladewagen, die Vernichtung von Agrarprodukten sowie Protestkundgebungen gegen Agrarpolitiker sind keine Seltenheit (vgl. ANDEREGG 1999, S. 74).
A: Weltwirtschaft im
Globalisierungsprozess
73
nachgewiesen werden. Unter dem Druck angedrohter Vergeltungszölle der EU hob die USRegierung im Dezember 2003 die umstrittenen, ursprünglich bis 2005 geplanten Zölle auf. Der US-Stahlprotektionismus ist kein neues Phänomen. Bereits seit den 1960er Jahren zeigt die US-Stahlindustrie Krisensymptome, welche immer wieder zu handelspolitischen Friktionen mit Drittländern führten. Derweilen liegen die eigentlichen Ursachen der US-Stahlkrise gar nicht in ausländischen Importen. Vielmehr sind diese seit 1998 um ca. ein Drittel zurückgegangen. Allein die Importe aus der EU sanken 2001 um fast ein Viertel. Die Probleme der US-Stahlbranche sind dagegen vielmehr hausgemacht: Starke Marktfragmentierung, unzureichender Kapitalmarktzugang, hohe Soziallasten und nachlassende Qualität der Stahlprodukte aufgrund veralterter Produktionsanlagen und Verfahrenstechniken. Als Ergebnis dieser Faktoren resultiert, dass die unproduktiv wirtschaftende US-Stahlindustrie international nicht wettbewerbsfähig ist. Berücksichtigt werden muss ferner, dass von den USSchutzmaßnahmen aber nicht nur die ausländischen Produzenten von Stahl, sondern auch die stahlverarbeitende Industrie und die Verbraucher in den USA negativ betroffen waren: In der Metallverarbeitungsindustrie, die einen 60mal größeren Produktions- und Beschäftigtenanteil als die Stahlproduktion besitzt, stiegen die Produktionskosten aufgrund der zollinduzierten Preiserhöhungen sowohl bei importierten als auch bei heimischen Vorprodukten. Die Folge waren höhere Endproduktpreise, welche zum einen die internationale Wettbewerbsfähigkeit der stahlverarbeitenden US-Industrie beeinträchtigten, zum anderen die amerikanischen Endverbraucher belasteten. Mögliche und wahrscheinliche Retorsionsmaßnahmen jenseits des Atlantiks hätten wiederum andere Exportbranchen getroffen. Aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive lassen sich die Stahlzölle daher nicht erklären, wohl aber aus politökonomischen Überlegungen heraus. Vor allem dürften wahltaktische Überlegungen eine ausschlaggebende Rolle gespielt haben. Die als „Rostgürtel" bezeichneten Stahlregionen (vor allem West-Virginia, Ohio, Pennsylvania) spielen für die Machtverteilung zwischen Demokraten und Republikanern im Kongress das „Zünglein an der Waage". Sie gelten als „kritische" Bundesstaaten („swing states"). Vordem Hintergrund der Kongresswahlen im Herbst 2002 diente der Stahlprotektionismus der republikanischen Administration unter George W. Bush dem „Stimmenkauf". Viele der rund 200 000 Stahlarbeiter samt der Funktionäre der mächtigen Stahllobby hatten daher obwohl sie eigentlicher eher zur Wahlklientel der Demokraten gehören für die Republikaner votiert. Trotz des Schadens für die weiterverarbeitenden Industrien (vor allem die Automobilbranche) und die Konsumenten infolge höherer Stahlpreise hat sich die Bush-Administration auf den politökonomischen Wirkungsmechanismus verlassen, dass sich die kleine, homogene und hoch mobilisierte Gruppe der Stahllobby wahlwirksam organisieren lässt. -
-
Auch die Aufhebung der Zölle entsprach politökonomischem Kalkül. Zwar riskierte der Präsident, Stimmen in besagten Staaten zu verlieren, andererseits verschaffte er der Klientel der stahlverarbeitenden Industrie, vor allem der Automobilindustrie in Michigan und Wisconsin, die durch die Zölle hart getroffen wurde, Entlastung. Ausschlaggebend war aber vor allem die Drohung der EU, US-Importe mit Strafzöllen in Höhe von 2,2 Mrd. US-$ zu belegen. Die davon betroffene Produktpalette hätte sich von Motorrädern der Marke Harley-Davidson aus Wisconsin, über Tropicana-Fruchtsäfte aus Florida bis zu Textilien aus North- und South Carolina erstreckt alles Staaten, die bei den Präsidentschaftswahlen im November 2004 eine große Rolle spielten (vgl. Busse/Koopmann 2002, S.238f.; Ameling 2002, S.3f.; Falke 2002, S.5ff.; Schäfer 2002, S.8ff.; Dieckheuer 2002, S.11ff.; Handelsblatt 5./6.12.2003). -
74
4 Protektionismus und Außenhandel
4.2 Das 4.2.1
Allgemeine Zoll- und
Ursprung
und
Handelsabkommen GATT
Zielsetzungen des GATT
Die Geschichte des GATT (General Agreement on Tarifs and Trade) reicht bis ins Jahr 1941 zurück. Mit der sog. Atlantik-Charta einigten sich die Alliierten auf die Grundzüge der wirtschaftlichen und politischen Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg. Es bestand ein allgemeiner Konsens, dass eine Reaktivierung der Weltwirtschaft nur auf dem Wege einer Intensivierung der internationalen Arbeitsteilung bei freiem Kapital- und Güterverkehr gelingen könne. Eine erste Konkretisierung dieses Vorhabens lag in der Gründung des Internationalen Währungsfonds (IWF) (vgl. Kap. 5.4.2) und der Weltbank (vgl. Kap. 5.4.2) 1944 (vgl. Hauser/Schanz 1995, S. 7; Rubel 2004, S. 260).
Unterzeichnung der sog. Havanna-Charta eigentlichen Anliegen, der Gründung einer „International Trade Organization" (ITO), welche den Handel liberalisieren und die Regelbindung der nationalen Handelspolitiken vorantreiben sollte, sah diese auch multilaterale Standards zur Eindämmung privater Wettbewerbsbeschränkungen sowie die Schaffung eines günstigen Klimas für ausländische Direktinvestitionen vor. Das GATT war lediglich ein in die ITO eingebettetes Teilabkommen, welches zum Abbau von Handelshemmnissen verpflichtet. Nachdem die Havanna-Charta am Widerstand und der Zerstrittenheit des US-Kongresses gescheitert war, trat am 1.1.1948 nur das von 23 Vertragsparteien gegründete GATT in Kraft, das formal keine Institution, sondern lediglich ein multilaterales Handelsabkommen darstellt, faktisch aber wie eine internationale Organisation im Sinne des UN-Rechts agierte. Das GATT ist nicht als „Magna Charta" des Freihandels zu verstehen, sondern vielmehr als das rechtlich zum Ausdruck gebrachte Bemühen eines geregelten Interessensausgleiches zwischen Staaten, die auf das Recht zur Ausübung einer souveränen Handelspolitik nicht zu verzichten bereit waren. Zu den Zielen des GATT gehören (vgl. Hauser/Schanz 1995, S.20f.): Erhöhung des Lebensstandards in den Vertragsstaaten, Verwirklichung von Vollbeschäftigung, Realisierung ständig steigender Realeinkommen, Optimale Erschließung der Weltressourcen, Intensivierung der Produktion und des Außenhandels zwischen den VertragsIm März 1948 fand in Havanna die
statt. Neben dem
•
•
•
•
•
staaten.
Wenn auch mit deutlich weniger Regelungskraft als die geplante ITO und kaum vorhandenem institutionell-organisatorischen Fundament ausgestattet, behauptete sich dieser ordnungspolitische „Torso" der Nachkriegszeit erstaunlich lange. Erst 1994 wurde die Schaffung einer völkerrechtlich eigenständigen „World Trade Or-
A: Weltwirtschaft im
75
Globalisierungsprozess
ganization" (WTO) beschlossen, welche zum 1.1.1995 das provisorische GATT ablöste (vgl. Hauser/Schanz 1995, S. 8; Sautter 2004, S. 91f.). Der GATT-Vertrag besteht aber in erweiterter Fassung fort und bildet seitdem unter dem Dach der WTO eine der Grundsäulen der neuen Welthandelsordnung (vgl. Kap. 4.3). 4.2.2
Prinzipien des GATT
Das GATT ist ein multilaterales Regelwerk, das in seiner Komplexität kaum zu übertreffen ist. Im Wesentlichen sind es aber die folgenden Prinzipien, die den GATT-Vertrag dominieren: •
Das Prinzip der Liberalisierung verpflichtet die GATT-Mitglieder zum Verzicht auf die Erhöhung bereits existierender und die Verhängung neuer Zölle sowie zum Verbot nichttarifärer, insbesondere mengenregulierender Handelshemmnisse. Das GATT verlangt damit die Beschränkung protektionistischer Maßnahmen auf Zölle, die gegenüber mengenbeschränkenden Quoten entscheidende Vorzüge aufweisen: Im Vergleich zu mengenmäßigen Einfuhrbeschränkungen sind sie transparenter und berechenbarer. Anders als Quoten erlauben Zölle den ausländischen Exporteuren, durch Preissenkungen Marktanteilsverluste im Importland zu verhindern oder in Grenzen zu halten. Auch entfallen die bei der Vergabepraxis der Quotenrechte bzw. Importlizenzen entstehenden Probleme (Unsicherheit, Monopolbildung, Korruption etc.).
Die GATT-Parteien verpflichten sich zur Bindung, d.h. zur rechtsverbindlichen Festschreibung ihrer Zölle. Allerdings gestattet das GATT unter bestimmten Voraussetzungen die Erhebung von Antidumping- bzw. Ausgleichszöllen, falls die Bedingungen eines fairen Wettbewerbs durch Preisdumping bzw. eine ungerechtfertigte (Export)subventionierung verletzt werden. Die Maßnahmen zur Liberalisierung des Handels werden in multilateralen, meist mehrere Jahre dauernden Verhandlungsrunden, den sog. Welthandelsrunden6, ausgehandelt. Die steigende Zahl der Vertragsparteien und die zunehmend komplexe Verhandlungsmaterie sind der Grund dafür, dass sich diese Runden über immer längere Zeiträume erstrecken. Bisher wurden acht dieser Runden abgeschlossen. Als bisher weitreichendste gilt die achte, die sog. UruguayRunde (1986-1993), deren wesentliches Ergebnis die Schaffung der neuen Welthandelsordnung und Gründung der Welthandelsorganisation WTO ist (vgl. Kap. 4.3.4). Im November 2001 wurde die neunte, nun laufende Liberalisierungsrunde eröffnet (vgl. Kap. 4.4).
1. Runde: Genf (1947/48), 2. Runde: Annecy (1949), 3. Runde: Torquay (1950/51), 4. Runde: Genf (1955/56), 5. Dillon-Runde (1960/61), 6. Kennedy-Runde (1964-1967), 7. Tokio-Runde (19731979), 8. Uruguay-Runde (1986-1994), 9. Doha-Runde (2001 ?). Zur ausführlichen Beschreibung vgl. SENT1 2000, S. 41ff. -
76
4 Protektionismus und Außenhandel
•
•
Das Prinzip der Reziprozität verlangt, dass alle Handelsvergünstigungen, die ein Land einem anderen zugesteht, auch umgekehrt eingeräumt werden; die gegenseitig gewährten Vergünstigungen sollen gleichwertig, die Verhandlungen ausgewogen sein. Das Prinzip der Nichtdiskriminierung beinhaltet zwei wesentliche Prinzipien: Das Meistbegünstigungsprinzip verlangt, dass einseitig gewährte Handelserleichterungen für alle GATT-Parteien gelten. Es handelt sich dabei um die Multilateralisierung bilateral ausgehandelter Handelsvergünstigungen bzw. um die Gleichbehandlung der Außenhandelspartner an den Außengrenzen Das Prinzip der Inländerbehandlung sieht vor, dass importierte Waren bezüglich absatzbezogener Verwaltungs- und Rechtsvorschriften nicht schlechter gestellt werden dürfen als gleichwertige inländische Waren. Dieser Grundsatz ergänzt somit das Meistbegünstigungsprinzip durch die Nichtdiskriminierung von Auslandswaren nach Überschreiten der Staatsgrenzen und stellt sicher, dass ausländische Waren nicht nur untereinander, sondern auch gegenüber inländischen Waren gleichbehandelt werden. Das Prinzip der Transparenz betrachtet Information und Rechtssicherheit als elementare Bestandteile für die Fortentwicklung des internationalen Handels. Das Transparenzprinzip schreibt daher vor, dass sämtliche außenhandelsrelevante Gesetze, Verordnungen, Vorschriften und Gerichtsurteile publiziert und dem Ausland zugänglich gemacht werden müssen. Anliegen dieses Gebotes ist, dass erzielte Liberalisierungsfortschritte nicht durch prohibitiv hohe Kosten der Informationsbeschaffung zunichte gemacht werden. .
•
Das GATT enthält eine Vielzahl gen Prinzipien erlauben. •
von
Ausnahmen, die ein Abweichen von den obi-
Sonderbedingungen für Entwicklungsländer: Auf Grundlage des dem GATT-Vertrag 1965 beigefügten Allgemeinen Präferenzsystems gilt das Meistbegünstigungsprinzip nicht für Entwicklungsländer. Ferner bleiben Handelsvergünstigungen, welche die Industrie- den Entwicklungsländern einräumen, einseitig. Die Entwicklungsländer müssen den Industrieländern keine gleichwertigen Handelserleichterungen zugestehen, was eine Abweichung vom Reziprozitätsprinzip darstellt. Völkerrechtlich bindende Zollzugeständnisse können von den Entwicklungsländern ferner rückgängig gemacht oder ausgesetzt werden. Sogar mengenmäßige Importrestriktionen im Falle von Zahlungsbilanzproblemen sind möglich. Die Verletzung der GATT-Prinzipien wird durch das höher angesiedelte Ziel, die wirtschaftliche Entwicklung in Ländern der Dritten Welt zu fördern, gerechtfertigt. Meistbegünstigungsprinzip wird durch zwei wesentliche ökonomische Argumente gerechtfertigt: Zum einen setzt es eine Liberalisierungsdynamik in Gang, weil automatisch alle GATT-Parteien in den Genuss bilateral ausgehandelter Handelsvergünstigungen kommen. Zum anderen lassen sich die hohen Verhandlungskosten einsparen, die bei der Aushandlung bilateraler Handelsvereinbarungen anfallen würden. Das
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•
•
Globalisierungsprozess
77
Notstandsmaßnahmen: Zum Schutz der Zahlungsbilanz erlaubt das GATT in Ausnahmefällen eine zeitweise Verhängung mengenmäßiger Handelsbeschränkungen. Ferner gestattet eine Schutzklausel die Erhebung von Einfuhrbeschränkungen, falls die Importmengen so stark ansteigen, dass den Inlandsbranchen dadurch ein ernsthafter Schaden droht. Sicherheitsmaßnahmen: Zum Schutz der öffentlichen Ordnung und Gesundheit sowie der nationalen Sicherheit ist es den GATT-Mitgliedern im Einzelfall möglich, unter Nichtbeachtung der GATT-Prinzipien den Handel zu behindern. Integrationsräume: Für den Fall, dass sich einzelne GATT-Mitglieder zu Integrationsräumen, d.h. Freihandelszonen, Zollunionen oder Gemeinsamen Märkten (vgl. Kap. 10), zusammenschließen, duldet das GATT die Abweichung vom Meistbegünstigungsgrundsatz. Die Mitglieder der Integrationsräume dürfen sich untereinander Marktzugangserleichterungen gewähren, ohne diese Drittstaaten einräumen zu müssen. Sektorale Ausnahmen: Bis zum Abschluss der Uruguay-Runde des GATT (1986-1994) existierten zwei Bereiche, die von den GATT-Prinzipien faktisch ausgeklammert waren. Hierzu gehörte in erster Linie die Landwirtschaft. Die Agrarsektoren der meisten Industrieländer werden vor außenwirtschaftlichem Wettbewerb abgeschirmt und rechnen zu den vom Staat am meisten regulierten und durch Subventionen gestützten Wirtschaftsbereichen. Die Ursachen dafür liegen zum einen in spezifischen, sektorautochthonen Besonderheiten der Landwirtschaft (Abhängigkeit und Verbundenheit mit der Natur, intersektorale Einkommensrückstände, strukturelle Anpassungsprobleme), welche sie von anderen Wirtschaftszweigen unterscheiden und staatliche Eingriffe erforderlich erscheinen lassen. Zum anderen verfügt die Landwirtschaft in Industriegesellschaften über einen erheblichen, weit über ihre ökonomische Bedeutung hinausreichenden politischen Einfluss, den sie zur Beibehaltung und Erweiterung ihres Protektionsniveaus geltend macht, um sich so vom Druck des strukturellen Wandels zu befreien. Obwohl der Agrarsektor zwar von Anfang an Bestandteil des GATT war, wurde er mehr durch Ausnahmen als durch Regeln geprägt: GATT-rechtlich erlaubte Mengenregulierungen und Exportsubventionen, die in anderen Bereichen untersagt waren, störten den internationalen Agrarhandel in starkem Ausmaß. Eine weitere Sonderstellung betrifft den Textilsektor, der durch das Weltbaumwollabkommen (1962) und später das Multifaserabkommen (1973) (vgl. Exkurs 4.2) vom GATT gänzlich
war. Beide Sektoren gehören seit der Uruguay-Runde dem GATT zwar offiziell an (vgl. Kap. 4.3.1), stellen aber zwei immer noch sehr sensible Bereiche dar, die häufig Anlass zu Handelsstreitigkeiten geben.
ausgeschlossen
Für den Fall von Verstößen gegen obige Prinzipien sah das GATT einen multilateralen Streitschlichtungsmechanismus durch Einsetzen von Panels (Expertengruppen) vor, welche die Verletzung der GATT-Prinzipien überprüfen sollten. Sie
78
4 Protektionismus und Außenhandel
fertigten einen Bericht an und gaben eine Empfehlung zur Streitschlichtung ab, der aber alle Vertragsparteien, auch die unmittelbar betroffenen, zustimmen mussten. Da die Streitparteien somit über die Möglichkeit der Behinderung und Verzögerung verfügten und das einzige formale Druckmittel in der Ermächtigung zur Aussetzung von Handelsvergünstigungen durch die geschädigte gegenüber der schädigenden Partei lag, galt dieser Mechanismus aber nur als wenig erfolgreich (vgl. Hauser/ Schanz 1995,
S.37f.).
Exkurs 4.2: Das Multifaserabkommen Die Geschichte des Protektionismus zum Schutz der heimischen Textil- und Bekleidungsindustrie (T&B) reicht bis ins 17. Jh. zurück: 1663 wurde in England ein Gesetz verabschiedet, das der Bevölkerung vorschrieb, nur Bekleidung aus heimischer Produktion zu tragen. Auch im eher freihändlerischen 19. Jh wurde der T&B-Handel mit überdurchschnittlich hohen Zöllen belegt. In den 1930er Jahren führte Frankreich erstmals nichttarifäre Handelshemnisse in Form von Importquoten ein. Hauptgrund war die expansive Handelspolitik Japans, wo die T&B-Industrie als Starterindustrie den wirtschaftlichen Aufschwung ebnete. Bereits 1936 hatten 40 der 106 Exportmärkte Japans auf den steigenden Konkurrenzdruck mit quantitativen Importbeschränkungen reagiert. Diese nahmen nach dem Zweiten Weltkrieg sukzessive zu eine Entwicklung, die den allgemeinen GATT-Prinzipien zuwiderlief. -
1961 wurde daher auf Betreiben der Industrieländer, welche durch den Importdruck aus den Entwicklungsländern negative Auswirkungen auf ihre Textilwirtschaft befürchteten, das sog. Weltbaumwollabkommen verabschiedet, das insgesamt dreimal verlängert wurde. Als sektorales Sonderrechtsabkommen nahm es große Teile des T&B-Handels von den GATT-Prinzipien aus. Im Kern handelte es sich um Vereinbarungen über höchstmögliche Liefermengen, welche die Industrieländer als Textilimporteure den Entwicklungsländern als Textilexporteure zustanden. Der Handel unter den Industrieländern war davon nicht betroffen. Die Tatsache, dass es sich nur auf solche Erzeugnisse mit einem Baumwollbestand von mindestens 50% erstreckte, führte dazu, dass sich die großen textilproduzierenden Länder auf die Produktion von Erzeugnissen überwiegend aus Chemiefasern spezialisierten. Als Gegenreaktion wurde 1974 daher das sog. Multifaserabkommen (MFA) geschlossen, das ebenfalls als Sonderabkommen neben dem GATT auch die stark angestiegenen Chemiefaserimporte umfasste. -
-
Das MFA kann als umfassendere Fortsetzung des Weltbaumwollabkommens gesehen werden. Der internationale T&B-Handel wurde durch bilateral ausgehandelte Abkommen zur Exportselbstbeschränkung reglementiert. Ein Textilüberwachungsorgan kontrollierte sämtliche Beschränkungen der Mitgliedsländer und gab im Falle von Streitigkeiten Empfehlungen zur Streitschlichtung ab. Das Weltbaumwollabkommen diente in seiner ursprünglichen Fassung noch den Interessen sowohl der Einfuhr- als auch der Lieferländer. Während die Industrieländer zum Schutz vor Marktzerrüttung selektiv gegen einzelne Länder durch Aushandeln von Exportquoten vorgehen konnten, wurden den exportierenden Niedriglohnländern im Gegenzug jährlich zu erhöhende Exportkontingente eingeräumt. Das mehrfach verlängerte und bis Dezember 1994 bestehende MFA entpuppte sich dagegen bald als ein höchst komplexes System mehrjähriger, bilateral ausgehandelter Quoten, welches sich nach unzähligen Erzeugniskategorien, Liefer- und Empfängerländern auffächerte und allmählich zu einem restriktiv gehandelten Protektionsinstrument der Industrieländer wurde. Die Rezession in den 1970er Jahren und verheerende Arbeitsplatzverluste bei gleichzeitig steigenden Importen führten dazu, dass die unter dem Druck der heimischen Textilproduzen-
A: Weltwirtschaft im
Globalisierungsprozess
ten stehenden Industrieländer in den 1970er und 1980er Jahren weitere
79
Verschärfungen
durchsetzten. So wurde die vom MFA erfasste Produktpalette sukzessive auf alle synthetischen und pflanzlichen Fasern sowie Seide ausgeweitet und die Handelsvorschriften zunehmend strenger ausgestaltet. Der ursprüngliche Interessensausgleich zwischen Industrie- und Entwicklungsländern hat sich damit endgültig zum Nachteil letzterer gewandelt, deren Exportinteressen den Schutzinteressen der Einfuhrländer untergeordnet wurden. Die Exporte der Entwicklungsländer wurden dadurch erheblich beeinträchtigt. Zwar wurden sie nicht endgültig gestoppt, jedoch deutlich verlangsamt. Nach Abschluss der Uruguay-Runde trat zum 1.1.1995 das „Agreement on Textiles and Clothing" als Übergangsregime zur Integration des T&B-Handels in das GATT in Kraft. In einem zehnjährigen Vierstufenplan sollen bis 2005 demnach alle bestehenden Handelbeschränkungen abgebaut und der Handel mit T&B-Gütern vollständig GATT-konform gestaltet werden. Die Umsetzung wird von einem Überwachungsorgan, dem neu gegründeten „Textiles Monitoring Body", überwacht. Das ATC-Abkommen enthält eine automatische Beendigungsklausel und wird nach seiner Umsetzung nicht weiter existieren, womit auch das MFA offiziell abgeschafft ist. Viele Industrieländer, vor allem USA und EU, aber auch einige Entwicklungsländer, wie z.B. Bangladesch, Indonesien, Mauritius und Vietnam, befürchten in diesem Zusammenhang, dass wegen der verstärkten Konkurrenz aus China und Indien ihre Produktionsstandorte unter Druck geraten und sich eingespielte regionale Handelsbeziehungen verschieben.
Wegen seiner großen Produktionskapazitäten und seiner unschlagbar geringen Herstellungskosten wird China, das sich zum weltweiten „Textiltiger" entwickelt, von dem Fall der Quoten am meisten profitieren. Mittlerweile stammen ca. 55% aller weltweit gefertigten Anoraks und ca. 50% der Welt-Babybekleidung aus China. Ein freier T&B-Handel verstärkt diese Tendenzen erheblich. Nach Angaben des Brüsseler Textilverbandes Euratex haben sich im Januar 2005 gegenüber dem Vorjahr die chinesischen Exporte in die EU um 46%, in die USA gar um 65% erhöht. Beide Handelspartner haben daher neue, befristete Sonderquoten verhängt, deren Einführung die Volksrepublik als Bedingung für ihren WTO-Beitritt zugestimmt hatte. Aus politischer und ökonomischer Sicht stößt die Abschaffung des MFA und damit die Liberalisierung des T&B-Handels überwiegend auf Zustimmung. Denn es steht fest, dass die gesamtwirtschaftlichen Kosten zur Beschäftigungserhaltung durch das MFA die einzelwirtschaftlichen Kosten zur Anpassung an einen liberalen Welthandel übersteigen (vgl. Schöppenthau 1993; 1999, S. 47ff.; Haas/Zademach 2005, S. 34ff.; Hofmann 2005, S. 37ff.; Nzz 2004a, 2004b, 2005a, 2005b; Faz 2005).
4.2.3
Erfolge und Defizite des GATT
Ein unbestrittener Erfolg des GATT sind die erreichten Zollsenkungen, so dass Zölle bei nicht-agrarischen Produkten heute kaum noch eine Rolle spielen (vgl. Abb. 4.3). Für seinen Erfolg spricht auch die stetig ansteigende Anzahl der an den bisher stattgefundenen Zollsenkungsrunden teilgenommenen Staaten. Nahmen an der ersten Runde in Genf 1947 nur 23 Länder teil, waren es zur Uruguay-Runde (1986-1994) bereits 123 Staaten (vgl. Rubel 2004, S. 265). Mehr als 90% des weltweiten Warenhandels werden von den GATT-Parteien abgewickelt. Mit seinem disziplinierenden Handelsregime hat das GATT neben IWF (vgl. Kap. 5.4.2) und Weltbank (vgl. Kap. 5.4.2) wesentlich zum Aufschwung des internationalen Handels und damit des ge-
80
4 Protektionismus und Außenhandel
samten
Volz
Wirtschaftswachstums seit Ende des Zweiten Weltkrieges beigetragen
2000, S. 73).
Abb. 4.3:
(vgl.
Zollsenkungen des GATT
Durchscnittszoll in %
GATT-GRÜNDUNG
Quelle: Senti 2000, S. 220, verändert.
Die Erfolgsbilanz des GATT wird allerdings dadurch getrübt, dass der fortschreitende Zollabbau das Aufblühen des Neuen Protektionismus (vgl. Kap. 4.1.2.2) begünstigte. Das GATT war nicht in der Lage, durch die Festlegung disziplinierender Regelungen mit dem Entstehen neuer protektionistischer Maßnahmen Schritt zu halten. So wurden Zölle durch NTHH, die vom GATT nicht erfasst wurden, abgelöst. Besonders beliebt waren dabei „freiwillige" Exportselbstbeschränkungs- und Marktordnungsabkommen, die bis zum Abschluss der Uruguay-Runde in eine GATT-rechtliche Grauzone fielen und daher nicht ausdrücklich verboten waren. Ferner wurden GATT-konforme Instrumente wie Antidumping- oder Ausgleichszölle immer öfter zu protektionistischen Zwekken missbraucht. Auch den weltweiten Subventionswettlauf in bestimmten Branchen konnte das GATT nicht eindämmen. Verschärft wurden diese Tendenzen durch die Weltwirtschaftskrisen in den 1970er und 1980er Jahren, welche der Politik einer protektionistischen Abschottung starke Impulse verliehen (vgl. Hauser/ Schanz 1995, S. 43ff.). Ein schwerwiegendes Defizit war weiterhin, dass Dienstleistungen, die im Zuge des globalen Strukturwandels und des fortschreitenden internationalen Warenverkehrs immer mehr an Bedeutung gewinnen, vom GATT gänzlich ausgeklammert waren. Daneben mangelte es an international verbindlichen Regelungen und Standards zum Schutz geistiger Eigentumsrechte (Patente, Lizenzen, Urheberrechte, Gebrauchsmuster etc.), was die Tätigung grenzüberschreitender Investitionen sehr erschwerte. Eine erhebliche Schwäche lag zudem in der unbefriedigenden Diszipli-
A: Weltwirtschaft im
81
Globalisierungsprozess
nierung des internationalen Textil- und Agrarhandels, was immer öfter für handelspolitische Friktionen sorgte. Das größte institutionelle Defizit war das Fehlen eines straffen und effizienten multilateralen Mechanismus zur Schlichtung von Handelskonflikten zwischen den Mitgliedern. 4.3 Die Neue
Modifizierung
4.3.1 Die
Welthandelsordnung und
Erweiterung des GATT
abgeschlossene Uruguay-Runde führte nach achtjähriger Verhandlungsdauer Schaffung der Neuen Welthandelsordnung, welche die Reaktion des GATT auf die stark veränderten Rahmenbedingungen des internationalen am
15.12.1993
zur
Handels darstellt und o.g. Defizite ausräumen sollte.
Die Erneuerung des Welthandelssystems läßt sich in materielle und institutionelle Erneuerungen unterteilen (vgl. Frenkel/Radeck 1996, S.15ff). Zu den materiellen Änderungen gehören die Erweiterungen des ursprünglichen GATT, das allgemeine Dienstleistungsabkommen (GATS) sowie das Abkommen zum Schutz geistiger Eigentumsrechte (TRIPs). Dabei handelt es sich um 15 multilaterale Verträge, die nur in ihrer Gesamtheit akzeptiert und unterzeichnet werden können („Single package-Verfahren"). Abgerundet wird dieses Vertragswerk durch vier plurilaterale Abkommen, die aber nur für die ratifizierenden Staaten verbindlich sind. Zu den institutionellen Änderungen zählt die Schaffung der World Trade Organization (WTO), die das Dach für alle Abkommen darstellt, die Einhaltung der Verträge überwacht und Konflikte schlichtet (vgl. Abb. 4.4). Der GATT-Vertrag von 1947 besteht in seinen Grundsätzen weiter fort, wurde jedoch in einigen Punkten modifiziert bzw. um wichtige Bereiche erweitert. Daneben erreichte man Liberalisierungsfortschritte für den Warenhandel.
Das neue GATT treibt den Abbau von Zöllen weiter voran. Im Einzelnen bedeutet dies (vgl. Frenkel/Radeck 1996, S. 18; Hauser/Schanz 1995, S. 63): •
Erneute
40%, •
Senkung
Importzölle
auf
Industrieprodukte
um
durchschnittlich
vollständiger Zollabbau im Handel mit Pharmazeutika sowie Land- und Baumaschinen
•
der
o
,
erstmalig weitgehende Bindung lungs- und Schwellenländer.
und
Senkung
der Zollsätze der Entwick-
Insgesamt hat sich mit der Uruguay-Runde der Anteil der zollfreien Positionen 40% aller Zollpositionen erhöht (vg. SENTI 2005a, S. 169).
von ca.
20 auf über
82
Abb. 4.4: Die
4 Protektionismus und Außenhandel
neue
Welthandelsordnung
Quelle: Frenkel/Radeck 1996, S. 16, verändert.
A: Weltwirtschaft im
Zur
83
Globalisierungsprozess
Stärkung des GATT-Regelwerks sind eine schärfere Formulierung der Vor-
aussetzungen für den Einsatz von handelshemmenden Schutzmaßnahmen sowie ein Verbot sämtlicher Grauzonenmaßnahmen vorgesehen. Feiner wurden die Voraussetzungen für die Anwendung von Antidumping-Maßnahmen präzisiert und die Vorschriften über ihren Umfang und ihre Erhebungsdauer erheblich verschärft, so dass das Missbrauchspotenzial dieses Protektionsinstrumentes wesentlich reduziert wurde. Weitere Neuerungen betreffen die Regelungen für inländische Subventionen. Das neue GATT schränkt deren Protektionspotenzial deutlich ein, indem Subventionen in verbotene, angreifbare und erlaubte Beihilfen differenziert werden. Ferner wurden ein Verfahren zur Einleitung von Ausgleichsmaßnahmen implementiert sowie Regelungen über ihre Dauer und ihren Umfang erlassen; für Entwicklungsländer gelten dabei bevorzugende Sonderbedingungen (vgl. Frenkel/Radeck 1996, S. 20ff; Hauser/Schanz 1995, S. 72ff. und lOOffi). In der Landwirtschaft wurde durch die stärkere Disziplinierung des Agraran der die Uruguay-Runde fast gescheitert wäre, die Umwandlung aller nichttarifären Agrarhandelshemmnisse (Importquoten, variable Abschöpfungen, Staatshandelsmonopole u.a.) in Zölle erreicht, die gebunden wurden und Schritt für Schritt abgebaut werden müssen. Ferner vereinbarte man ein Verbot neuer und den Abbau bestehender Exportsubventionen sowie die Reduktion von außenhandelswirksamen Binnensubventionen, insbesondere der produktionsstimulierenden Marktpreisstützung. Gleichzeitig wurde offiziell das System direkter produktionsunabhängiger Einkommenszahlungen an die Landwirte eröffnet und ein Minimum an Marktzutrittsmöglichkeiten festgeschrieben (vgl. Hauser/ Schanz 1995, S. 173ff; Frenkel/Radeck 1996, S. 26ff; Senti 2000, S. 465ff).
handels,
Im Textilsektor wurde das Auslaufen des Multifaserabkommens (vgl. Exkurs 4.2) beschlossen. Dies bedeutet, dass sämtliche, den Handel reglementierende Quoten schrittweise abgebaut werden müssen. Für die Einführung neuer Textilhandelshemmnisse wurde ein ausdrückliches Verbot erlassen. Der internationale Textilund Bekleidungshandel wird damit schrittweise in das GATT integriert (vgl. Hauser/Schanz 1995, S. 157ff; Frenkel/Radeck 1996, S. 29f; Senti 2000, S.
501).
Handelsbezogene Investitionsmaßnahmen TRIMs („trade related investment measures") werden eingesetzt, um ausländische Investoren zur Befolgung der inlän-
dischen
Wirtschaftspolitik zu zwingen.
Dabei kann
es
sich
u.a. um
Local-Content-
Vorschriften, Beimischungszwänge, zu exportierende Mindestmengen zur Devisen-
erzielung oder um inländische Mindestbeteiligungen am Eigenkapital handeln. Sie stellen Handelshemmnisse dar, weil sie über die Erhöhung der Produktionskosten der investierenden Unternehmen die Handelsströme zum Schutz der Inlandsbranchen verzerren. Das neue GATT identifiziert erstmals bestimmte protektionistische TRIMs und unterwirft sie seinem Regelwerk, sieht Verbotsvorschriften für neue und Abbauregelungen für bestehende TRIMs vor (vgl. Frenkel/Radeck 1996, S. 30f; Hauser/Schanz 1995, S. U7ff.).
84
4 Protektionismus und Außenhandel
4.3.2 Das
Dienstleistungsabkommen GATS
Der formelle Dienstleistungssektor spielt insbesondere in entwickelten Ökonomien eine immer tragendere Rolle; in vielen Industrieländern beträgt sein Beitrag zum BSP mittlerweile mehr als 50%. Auch die Bedeutung des internationalen Dienstleistungshandels ist in den letzten Jahrzehnten stark angewachsen und beträgt inzwischen mehr als 20% des gesamten Welthandelsvolumens (vgl. Kap. 3.2.4). Dennoch war ein multilaterales Verhandlungsabkommen zur Liberalisierung des internationalen Dienstleistungshandels bis zur Uruguay-Runde nicht realisierbar, was als Ordnungslücke empfunden wurde. Die Gründe für das verspätete Zustandekommen eines solchen Regelwerks liegen in der Natur des Dienstleistungshandels (vgl. Kap. 3.2.4) begründet, der gegenüber dem Warenhandel einige schwer zu regelnde Besonderheiten aufweist (vgl. Volz 2000, S.109L): •
•
Die Erstellung vieler Dienstleistungen erfordert das räumliche Zusammentreffen von Dienstleistungserbringer und Dienstleistungskonsument. Ein grenzüberschreitender Dienstleistungshandel macht somit die freie Bewegung von Personen über die Grenzen und den Aufenthalt in anderen Ländern erforderlich, wogegen sich viele Länder aber sträuben.
Dienstleistungen (insbesondere in der Banken- und Versicherungsbranche) erfordern eine ständige lokale Präsenz im Sinne örtlicher Niederlassungen, wofür Investitionen getätigt werden müssen. Die Tätigung von ob im Dienstleistungs- oder im produzierenden Direktinvestitionen Gewerbe greift die Unabhängigkeit und Souveränität eines Staates stärker an als der Abbau von Handelshemmnissen an der Staatsgrenze zur LiberalisieBestimmte
-
-
•
rung des Warenhandels. Der Erfolg der Dienstleistungserstellung hängt maßgeblich von den beruflichen Qualifikationen des Anbieters ab, die aber in einzelnen Ländern unter unterschiedlichen Voraussetzungen erworben werden müssen. Zur Liberalisierung des Dienstleistungshandels reicht der bloße Abbau von Handelshemmnissen nicht aus. Vielmehr ist dafür der Abbau oder zumindest die
Harmonisierung komplizierter Detailregelungen
zum
Qualifikationsnachweis
erforderlich.
gravierendes Problem für die Liberalisierung grenzüberschreitender Dienstleistungen stellen ferner die von Staat zu Staat unterschiedlichen Sozialversicherungssysteme dar, die der grenzüberschreitenden Mobilität von Arbeitskräften entgegenstehen. Der Dienstleistungshandel gleicht dem Warenhandel aber insofern, als es Ähnlichkeiten in der Struktur der Protektion gibt. Arbeitsintensive Dienstleistungen werden ebenso wie arbeitsintensive Güter stark geschützt; dagegen fällt der Außenhandelsschutz bei wissens- und kapitalintensiven Dienstleistungen ähnlich wie bei kapitalintensiven Gütern vergleichsweise gering aus (vgl. Langhammer 2002, S. 317). •
Ein
A: Weltwirtschaft im
85
Globalisierungsprozess
Mit Ausnahme veredelter Dienstleistungen, die an physische Trägermedien (z.B. Datenträger) gebunden sind, besitzen Zölle für Dienstleistungen keine Relevanz, da eine Registrierung der Grenzüberschreitung für gewöhnlich unmöglich ist. Von großer Bedeutung sind dagegen nichttarifäre Handelshemmnisse, mit denen die Diskriminierung ausländischer Dienstleistungsanbieter bezweckt wird. Sie reichen von der Subventionierung inländischer Monopolanbieter (z.B. Telekommunikation, Luftverkehr) bis zu Local-Content-Vorschriften. Häufig treten Dienstleistungshandelshemmnisse auch in Form inländischer Standards, Zertifizierungszwängen, Tests, Patenten oder technischen Handelshemmnissen auf. Auch Höchst- und Mindestpreise sowie Kapitalverkehrsbeschränkungen hemmen den internationalen Dienstleistungshandel (vgl. Bruhn 2005, S. 20f.). Trotz dieser Probleme stellt das in der
Uruguay-Runde verabschiedete GATS zur Liberalisierung des internationa-
(General Agreement on Trade in Services)
len
Dienstleistungshandels neben dem GATT den zweiten Pfeiler der neuen Welthandelsordnung dar (vgl. Krancke 1998, S. 41 Off.; Senti 2000, S. 563ff.; Beise 2001, S. 114ff.).
Das GATS erfasst nach dem Standortkriterium folgende Dienstleistungsformen (vgl. Hauser/Schanz 1995, S. 196; Sautter 2004, S. 94f.): •
•
•
border supply: Nur die Dienstleistung überschreitet die Grenze (z.B. Beratungsdienstleistungen per Post oder Telefon); commercial presence: Die Dienstleistung benötigt eine Niederlassung am ausländischen Ort der Leistungserstellung (z.B. Banken und Versicherungen); consumption abroad: Die Dienstleistung steht in Verbindung mit der Grenzüberschreitung natürlicher Personen (insbesondere touristische Dienstleistuncross
gen); •
of natural persons : Die Dienstleistung wird von inländischen Persoim Ausland erbracht (z.B. Consulting- oder Konstruktionsdienstleistun-
presence nen
gen).
Das GATS formuliert u.a. folgende Regelungen zur Liberalisierung des Dienstleistungshandels (vgl. Hauser/Schanz 1995, S. 198ff.): •
•
•
Meistbegünstigungs- und das Transparenzprinzip werden auf den Dienstleistungssektor ausgeweitet. Das Inländerprinzip verbietet diskriminierende Verfahren der Bewilligung Das
oder der Anerkennung im Ausland erworbener Qualifikationen. Durch den Abbau von Dienstleistungshandelshemmnissen (z.B. Beschränkung der Anbieterzahl, Abhängigkeit der Niederlassungsgenehmigung von der Wahl bestimmter Rechtsformen, Mindestgrenzen für inländische Kapitalbeteiligungen an ausländischen Dienstleistungsgesellschaften etc.) wird der Marktzugang erleichtert.
4 Protektionismus und Außenhandel
86
Aufeine generelle Marktöffnung im Dienstleistungssektor wurde verzichtet. Im Rahmen einer Positivliste kann stattdessen jedes Land die Dienstleistungen nennen, die es dem internationalen Wettbewerb aussetzten möchte. Die Offenheit der Arbeitsmärkte für unselbständig Beschäftigte ist meist nicht enthalten. Allgemein von der Liberalisierung ausgenommen sind ferner die Meeresschifffahrt sowie audiovisuelle und medienwirtschaftliche Dienstleistungen. Im Luftverkehr bezieht sich die multilaterale Liberalisierung bisher nur auf Wartungs-, Reparatur-, Werbe- und Reservierungsdienstleistungen, nicht aber auf den Erwerb von Luftverkehrsrechten, die in bilateralen Verträgen ausgehandelt werden (vgl. Sautter 2004, S. 95; Hauser/ Schanz 1995, S. 205f.; Frenkel/Radeck 1996, S. 35).
4.3.3 Das Abkommen
zum
Schutz
geistiger Eigentumsrechte
(TRIPs) Die Bedeutung geistigen Eigentums (Patente, Urheberrechte, Markennamen) für die Erstellung von Produkten und Dienstleistungen nimmt kontinuierlich zu. Umso schwerwiegender sind die Konsequenzen, die sich aus Produkt- und Markenpiraterie ergeben (vgl. Frenkel/Radeck 1996, S. 36): •
•
Der unzureichende Schutz geistiger Eigentumsrechte schmälert die Absatzchancen innovativer und prestigeträchtiger Produkte auf den ausländischen sowie wegen des Konkurrenzdrucks durch imitierte Importwaren auch auf den inländischen Märkten. Der mangelhafte Schutz schöpferischen Eigentums bremst Forschungs- und Innovationsanreize aus und kann die Reputation renommierter Unternehmen zerstören.
•
Verletzung derartiger Rechte und international unterschiedliche Mindestzum Rückgang von Exporten und Direktinvestitionen in Ländern mit niedrigem Schutzniveau; besondere Zurückhaltung besteht beim
Die
standards führen
grenzüberschreitenden Know-how-Transfer. •
Der missbräuchliche Einsatz von Warenzeichen und kann Gesundheit und Sicherheit der Verbraucher
Dienstleistungsmarken
gefährden9.
Entwicklungen machten die Festlegung international verbindlicher MindestSchutz geistigen Eigentums notwendig. Einer der Beschlüsse der Uruguay-Runde war daher die Schaffung des TRIPs-Abkommens (Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights), das neben GATT und GATS die dritte Säule der neuen Welthandelsordnung darstellt (vgl. preusse 1996, Diese
normen zum
9
Ein besonders abschreckendes Beispiel stellen die im Sommer 2004 in mehreren Aldi-Süd-Filialen und Praktiker-Märkten aufgetauchten falschen Rauchmelder einer Hongkonger Firma dar (vgl. FAZ
2004).
A: Weltwirtschaft im
87
Globalisierungsprozess
S. 27ff.; Senti 2001, S. 607ff.; Beise 2001, S. 120ff.). Das TRIPs enthält gende Bestimmungen (vgl. Hauser/Schanz 1995, S. 216ff.): •
•
•
u.a.
fol-
Prinzip der Inländerbehandlung sieht vor, dass der Schutz geistigen Eigentums für inländische auch den ausländischen Rechtsinhabern zuteil wird; das Meistbegünstigungsprinzip sorgt indes für die Multilateralisierung bilateral eingeräumter Schutzbedingungen. Die unterzeichnenden Staaten werden angehalten, den Inhabern von Produkt-, Handels- und Dienstleistungsmarken das Recht zuzugestehen, Dritte von der Markenverwendung auszuschließen. Ferner sind die WTO-Mitglieder verpflichtet, Sanktionen gegen irreführende geographische Herkunftsangaben bei Produkten zu verhängen. Das
Für innovative Produkte und Verfahren besteht ein begrenzter patentrechtlicher Schutz.
einheitlicher, zeitlich
WTO-Mitglieder sind zur Implementation von Sanktionsmechanismen verpflichtet, die ein effektives Vorgehen bei Missachtung geistiger Eigentumsrechte möglich machen und weder unnötig schwierig, langwierig und kostspielig anwendbar sind. Zum Schutz vor Produktpiraterie sind die Zollbehörden ermächtigt, Imitationen und Raubgut zu konfiszieren. Die Regelungen beziehen sich auf eine breite Palette von Artikeln. Sie reicht von Softwareprogrammen, Filmwerken, Tonaufnahmen, Radio- und Fernsehproduktionen, Warenzeichen über gewerbliche Muster, Patente, Layout-Designs bis zu geographischen Herkunftsbezeichnungen für Weine und Spirituosen sowie integrierten Schaltkreisen (vgl. Sautter 2004, S. 98). •
Alle
•
4.3.4 Das Abkommen über die
Welthandelsorganisation (WTO)
Bis zum Abschluss der Uruguay-Runde bestand das Welthandelsregime nur aus dem GATT-Vertrag, der in den einzelnen Vertragsstaaten juristisch aber nicht einklagbar war. Ferner besaß das alte Welthandelssystem keine Organisation, welche die Befolgung der Vertragsinhalte überwachte und die Schlichtung von Handelskonflikten übernahm; häufig wurde gegen die GATT-Regelungen verstoßen, ohne dass Sanktionsmechanismen in Gang gesetzt wurden (vgl. Frenkel/Radeck 1996, S. 39). Zentrale institutionelle Erneuerung der Welthandelsordnung war daher die Gründung der WTO (World Trade Organization), unter deren Dach das GATT, GATS und TRIPs-Abkommen sowie die plurilateralen Abkommen verwaltet werden. Aufgabengebiet der WTO ist die Überwachung der Einhaltung aller Vertragsinhalte sowie die Umsetzung der Beschlüsse der Uruguay-Runde und künftiger
Liberalisierungsrunden. Die WTO mit Sitz in Genf trat zum 1.1.1995 die institutionelle Nachfolge des GATT-Sekretariats an. Mittlerweile gehören ihr 148 Mitglieder unterschiedlichster
88
4 Protektionismus und Außenhandel
Größen und stark divergierender Entwicklungsstände an. Durch den Beitritt Chinas und Taiwans im Dezember 2001 kann die WTO den Anspruch der Universalität erheben. Das zuletzt beigetretene Mitglied (Oktober 2004) ist Kambodscha. Die bedeutendsten (Noch)-Nicht-WTO-Mitglieder sind Saudi Arabien, der Iran, Vietnam, Russland und die Ukraine. Doch auch mit letzteren beiden befinden sich die Beitrittsverhandlungen mittlerweile auf der Zielgeraden (vgl. Hauser 2005, S. 72). Die WTO weist folgende Organisationsstruktur auf: Hauptorgan ist die mindealle zwei Jahre zusammentretende Ministerkonferenz. Auf ihr werden die wichtigsten handelspolitischen Weichen gestellt sowie Ausschüsse eingesetzt, in denen Grundsatzprobleme mit allgemeiner Bedeutung für die einzelnen Teilabkommen behandelt werden. Es gilt das Prinzip „one country one vote". Alle Mitglieder auch die Europäische Union, die geschlossen als ein Mitglied auftritt haben einen Sitz und eine Stimme. Der Ministerkonferenz sind ein Sekretariat und ein Generaldirektor zugeordnet. Operatives Hauptorgan ist der Allgemeine Rat. Er übt die Geschäftsführung zwischen den Ministerkonferenzen aus und bereitet diese zusammen mit dem Sekretariat vor. Ihm unterstehen die Räte der drei Allgemeinen Hauptabkommen (GATT, GATS, TRIPs) sowie der TPRB (Trade Policy Review Body). Ihm muss jedes Mitglied in regelmäßigen zeitlichen Intervallen einen Bericht über seine aktuelle Handels- und Wirtschaftspolitik vorlegen. Ziel ist die Offenlegung der Außenwirtschaftspolitiken der Vertragsstaaten, um diese aufeinander abzustimmen und sie in Einklang mit den Entwicklungs- und Währungsmaßnahmen von IWF (vgl. Kap. 5.4.2) und Weltbank (vgl. Kap. 5.4.2) zu bringen (vgl. Hauser/ Schanz 1995, S. 234; Volz 2000, S. 116; Beise 2001, S. 214). stens
-
-
-
Ein weiteres zentrales Organ stellt das Streitbeilegungsgremium dar. Die WTO ist das institutionelle Forum zur Schlichtung von Konflikten, die zwischen den einzelnen Mitgliedsländern bezüglich der drei Haupt- oder der Nebenabkommen auftreten können. Der Streitschlichtungsmechanismus wird ausgelöst, sobald ein WTO-Mitglied ein anderes des Vertragsbruchs beschuldigt, d.h. dieses die verbindlichen Vertragsbestimmungen nicht einhält oder zu Maßnahmen greift, die einer anderen Vertragspartei schaden. Zur Beilegung der Konflikte dienen der DSB (Dispute Settlement Body) als erste Schiedsinstanz und der SAB (Standing Appellate Body) als Berufungsinstanz. Zur Prüfung des Falls und zur Erarbeitung einer Konfliktlösung werden Expertenpanels eingesetzt.
Streitschlichtung unterliegende Partei muss die Panel-Empfehluntut sie das nicht oder nur unvollständig, darf die geschäumsetzen; fristgerecht digte von der schädigenden Partei eine Kompensationsleistung auf freiwilliger Basis verlangen. Kommt hierbei keine Einigung zustande, kann die geschädigte Partei von der WTO offiziell dazu ermächtigt werden, gegen die schädigende Partei Retorsionsmaßnahmen einzuleiten oder gemachte Konzessionen außer Kraft zu setzen. Die Sanktionen sollten sich grundsätzlich auf denselben Sektor beziehen, in dem die beklagte Partei des Vertragsbruchs überführt wurde; sofern dies nicht möglich ist, können sie sich auch auf andere Sektoren, im Extremfall auch auf andere Die bei der
gen
A: Weltwirtschaft im
89
Globalisierungsprozess
Abkommen beziehen
(„cross retaliation"). Abb. 4.5 zeigt das Schema des Streit-
schlichtungsmechanismus. Abb. 4.5: Der
Streitschlichtungsmechanismus der WTO
LAND A
Phase I
Vermutete
Vertragsverletzung
Bilaterale Konsultationen
Antwort: 10
Tage Verhandlung: 30 Tage
LAND B
Einigung
Benachrichtigung
'zwischen A und B"
keine Einigung Antragsrecht durch A
oder keine Verhandlung innerhalb von 60 Tagen
des DSB
Verhandlungsverweigerung durch Entscheid
B
von
Streitparteien akzeptiert keine Ablehnung
Phase n
innerhalb 60 Tagen
von
keine Annahme des Entscheids innerhalb von 60 Tagen durch die Streitparteien
Berufung vor
dem SAB Annahme des
Entscheids
^durchTJSB^ Phase m
Entscheid
von
Entscheid
von
Streitparteien
innerhalbvon 30 Tagen angenommen Kontrolle der
[w Verwirklichung
des Entscheids durch den DSB
Streitparteien akzeptiert
nicht
Dauer
Streitschlichtung: 9 Monate mit Berufung: 12 Monate Phase
Streitschlichtung gescheitert
B2
Sanktionsmaßnahmen 1. im gleichen Sektor der Vertragsverletzung 2. cross-retaliation Quelle:
DSB: SAB:
Eigene Darstellung in Anlehnung an Senti 2000, S. 14011.
Dispute Settlement Body Standing Appellate Body
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4 Protektionismus und Außenhandel
Streitschlichtungsmechanismus führte zu einer deutlichen Verrechtlichung handiespolitischer Konflikte. Dies darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die WTO immer auf die Regeltreue ihrer Mitglieder angewiesen ist. Sie besitzt weder einen rechtlich eigenständigen Sanktionsauftrag gegenüber regelbrechenden Mitgliedern, noch kann sie als selbständiger Katalysator der regeltreuen Mitglieder Der
funktionieren, indem sie deren Sanktionsmaßnahmen auf die Regelbrecher fokussiert (vgl. Langhammer 2002, S. 315).
Die Anzahl der Streitfälle hat sich auf hohem Niveau (ca. 35 pro Jahr) eingependelt. Insgesamt wurden in den ersten acht Jahren der WTO 278 Streitfälle verzeichnet. In den 47 Jahren des „alten" GATT (1948-1994) waren es dagegen nur 200 (weniger als 5 pro Jahr) (vgl. Koopmann/Hefeker 2003, S. 405). Vor allem die führenden Handelsnationen USA und EU machen vom Streitschlichtungsmechanismus regen Gebrauch. Bekannte Handelskonflikte, welche die WTO-Schiedsgerichte zum Teil über Jahre hinweg beschäftigten, sind der Konflikt um die Bananenmarktordnung der EU, das EU-Importverbot gegen hormonbehandeltes Rindfleisch aus den USA oder die Exportsubventionspraxis der USA im Rahmen der sog. „Foreign Sales Corporations", d.h. Steuervergünstigungen für sog. Briefkastenfirmen in Offshore-Oasen bzw. Steuerparadiesen. Auch gegen die Stahlzölle der USA war ein Verfahren anhängig (vgl. Exkurs 4.1). Ein weiterer Fall betrifft die industriepolitisch motivierte Subventionierung im Flugzeugbau, die vor allem in den USA (Boeing) und der EU (Airbus) praktiziert wird. 2005 haben sich diesbezüglich beide Seiten vor der WTO gegenseitig verklagt. Für handelspolitischen „Zündstoff sorgt ferner das sog. „Byrd Amendment" der USA. Dieses schüttet die Einnahmen aus Antidumping- und Antisubventionszöllen auf Importe an jene Unternehmen aus, die sich durch die betreffenden Einfuhren geschädigt fühlen und daher auf Verhängung der Zölle gedrängt haben.
4.3.5 Defizite der neuen
Welthandelsordnung
und
künftiger Hand-
lungsbedarf Die Uruguay-Runde brachte beträchtliche Liberalisierungsfortschritte im internationalen Industriegüter-, Agrar- und Textilhandel. Mit der Disziplinierung des Dienstleistungshandels und dem Schutz geistiger Eigentumsrechte wurden zwei völlig neue Bereiche der multilateralen Handelsordnung unterworfen. Ferner konnten handelsverzerrende Investitionshemmnisse deutlich reduziert werden. Die Auskunftspflicht über die nationalen Außenwirtschaftspolitiken erhöht die Transparenz in den internationalen Handelsbeziehungen. Die Schaffung der WTO institutionalisiert die Handelspolitik und stärkt den Mechanismus zur Beilegung von internationalen Handelskonflikten (vgl. Sauernheimer 1996, S. 228). Gleichwohl gibt es auf nahezu allen Gebieten der neuen Welthandelsordnung erheblichen Reformbedarf: Obwohl zur Jahrtausendwende die Industriegüterzölle durchschnittlich nur noch 4% betragen, besteht auch weiterhin zollpolitischer
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Globalisierungsprozess
Handlungsbedarf, da bei einigen Produktbereichen trotz der Zollsenkungsverpflichtungen der Uruguay-Runde in den Industrieländern immer noch Spitzenzölle von bis zu 20%, in den Entwicklungs- und Schwellenländern teilweise noch Durchschnittszölle von bis zu 39% gelten. Auch den Abbau des nichttarifären Pro-
-
tektionismus in Form versteckter Handelshemmnisse wie technischer Normen und Standards gilt es noch stärker voranzutreiben. Der reziproke Zollabbau hat bewirkt, dass die Länder keine autonomen Zollsenkungen vorgenommen und Niedrigstzölle als Manövriermasse für weitere Verhandlungen beibehalten haben, obgleich diese weder Schutzinteressen dienlich noch für den Fiskus von Interesse sind. Als Problem erweist sich auch, dass Zölle auf Rohstoffe stärker gesenkt wurden als auf Halb- und Fertigfabrikate (Zolleskalation). Diese Zollstruktur spiegelt die Schutzinteressen innerhalb einzelner Länder wider. Die verarbeitende Industrie ist gleichsam an billigen Rohprodukten wie am Schutz von Fertigprodukten interessiert (vgl. Senti 2005a, S. 170). Eine nach wie vor schwere Hypothek für die Welthandelsbeziehungen stellt der Agrarhandel dar. Bei der Umsetzung der Verpflichtungen aus der Uruguay-Runde haben sich vor allem die Industrieländer, allen voran USA und EU, eine protektionistische „Hintertür" aufgehalten, da sie die gebundenen Zolläquivalente, welche an Stelle der NTHH, insbesondere der quantitativen Beschränkungen, traten, auf einem Niveau festgesetzt haben, das zum Teil bei weitem das Schutzniveau der alten NTHH übersteigt ein Phänomen, das als „schmutzige Tarifizierung" bezeichnet wird. Auch erfüllen viele Länder die durchschnittlichen Zollsenkungsverpflichtungen dadurch, dass sie die höchsten Zollsätze für sensible Agrarprodukte (z.B. Zukker, Milcherzeugnisse, Getreide und Rindfleisch) am geringsten und die niedrigsten am stärksten reduzieren. Ferner ist nach wie vor unklar, bis wann alle landwirtschaftlichen Exportsubventionen abgebaut sein müssen. Auch sind weiterhin solche Subventionen gestattet, welche in Form von direkten Einkommensbeihilfen, Umweltschutzleistungen, Regionalförderung und Strukturanpassungshilfen sogar noch angehoben werden können (vgl. Frenkel/Radeck 1996, S. 28; Koopmann 1996, S. 20f.; Sautter 2004, S. 1 lOff.). -
Auch im Textilsektor kann von einer umfassenden Liberalisierung noch nicht die Rede sein. Zwar ist das Multifaserabkommen (MFA) (vgl. Exkurs 4.2) zu Beginn des Jahres 2005 ausgelaufen, doch sieht die Realität so aus, dass innerhalb der zehnjährigen Übergangsfrist zum Teil und mehr oder weniger verdeckt neue Importbeschränkungen eingeführt wurden. Wie die Textilhandelspolitik der WTO-Mitglieder für die Zeit nach dem MFA aussehen wird, ist immer noch offen. Zur Abfederung von Strukturanpassung können sich die Industrieländer bestimmter Schutzklauseln bedienen, um sich nach wie vor, wie z.B. im Falle Chinas, gegen unerwünschte Textilimporte abzuschotten; auch können Ausgleichs- und Antidumping-Zölle ergriffen werden. In den Vertragstexten werden immer wieder neue Schlupflöcher entdeckt, die zur Verschiebung oder Verwässerung der Umsetzung führen (vgl. sautter 2004, S. 112; Langhammer 2002, S. 316; Haas/Zademach 2005, S. 30ff.).
92
4 Protektionismus und Außenhandel
Marktzugangsverbesserungen im Dienstleistungssektor sind durch eine Disziplinierung der inländischen Subventionsvergabe und die schärfere Sanktionierung diskriminierender Praktiken bei der öffentlichen Auftragsvergabe Die stärkere zu
ergänzen. Zu beachten ist femer der enge Zusammenhang zwischen Dienstlei-
stungen und der Rolle von Direktinvestitionen.
Durchschnittlich werden von den WTO-Mitgliedern ca. 25 Dienstleistungsardie meisten im Tourismus erfasst, was aber nur 15% der von der WTO aufgelisteten Dienstleistungen entspricht (vgl. Senti 2005a, S. 171). So existieren immer noch bestimmte Dienstleistungsformen, die noch überhaupt keiner oder einer nur unzureichenden Liberalisierung unterzogen wurden (z.B. Hochseeschifffahrt, Telekommunikations- und Finanzdienstleistungen, Luftverkehr, Buch- oder Wirtschaftsprüfungen, medienwirtschaftliche Dienstleistungen). Schließlich wehren sich viele Länder hartnäckig gegen die Liberalisierung von Dienstleistungen, deren Erbringung an eine Überwindung von Migrationsbarrieren geknüpft ist (vgl. Koopmann 1999, S. 644ff; Langhammer 2002, S. 317; Hauser 2002, S. 144f.). ten
-
-
Der Schutz geistigen und schöpferischen Eigentums muss weiter verschärft werden. Hervorzuheben ist insbesondere die fortschreitende Produkt- und Markenpiraterie in Russland, China und den ost- und südostasiatischen Schwellenländern. Daneben entstehen gerade den Entwicklungsländern erhebliche Nachteile aufgrund höherer Preise der geschützten Güter und Marken sowie der Tatsache, dass zu niedrige Schutzstandards wie eine Investitionsbarriere wirken (vgl. Frenkel/Radeck 1996, S. 39). Dagegen sollte im Pharamazeutikbereich der Patentschutz zugunsten der EL gelockert werden, um eine bessere Krankheits- und Seuchenbekämpfung zu
ermöglichen. Multilateral verbindliche Regelungen und Standards für den Electronic Commerce existieren noch überhaupt nicht. Das dynamische Wachstum des Internets und die fortschreitende Entwicklung anderer elektronischer Medien erfordern die Schaffung international verbindlicher Standards. Dies ist vor allem für den Bereich des elektronischen Handels erforderlich, bei dem nicht nur die Bestellung des Produktes, sondern auch die Lieferung über das Internet erfolgt. Die grenzüberschreitende Online-Bereitstellung von Buchtexten, Spielfilmen, Musik- und Videoclips, Blaupausen, Finanzdienstleistungen etc. untergräbt durch das Unterlaufen von Zöllen und die Missachtung geistiger Eigentumsrechte mehrere handelsrechtliche Vorschriften der WTO. Zu beachten ist ferner, dass der elektronische Handel nicht nur auf dem Internet basiert, sondern sich eine immer breitere Palette von Hardwareund Dienstleistungsinfrastrukturen zunutze macht, die fließend ineinander übergreifen und sich nicht eindeutig voneinander abgrenzen lassen (z.B. Telefon, Fax, Fernsehen, computergestützte Informationssysteme) (vgl. Biesenbach 1999, S. 647; Freytag 2001, S. 156t; Hauser 2001, S. 29ff). Das GATT ist grundsätzlich gegen staatliche richtet. Private Wettbewerbsbeschränkungen
Wettbewerbsbeschränkungen ge(z.B. Kartelle, Preisabsprachen,
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Quotenvereinbarungen, Fusionen, Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung) waren bisher kaum Gegenstand multilateraler ordnungspolitischer Bemühungen. Ein Problem liegt auch in der Ungleichbehandlung des Ursprungs von Wettbewerbsbeschränkungen. Während sich auf inländische Märkte erstreckende wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen in den meisten Staaten verboten sind, kann die inländische Markteffizienz durch Wettbewerbsbeschränkungen, die ihren Ursprung im Ausland haben, jederzeit gestört werden. Die nationalen Kartellbehörden besitzen nämlich meist keinen Anlass, die negativen Auswirkungen der vom eigenen Staatsgebiet ausgehenden Wettbewerbsbehinderungen auf die ausländischen Märkte zu unterbinden. So sind Exportkartelle vom allgemeinen Kartellverbot in vielen Ländern ausgeklammert (vgl. Koopmann 1999, S.645f). Trotz der Beschlüsse der Uruguay-Runde ist die Anzahl eingeleiteter Antidumping-Verfahren stark angestiegen. Neben den konventionellen Nutzern dieses GATT-konformen Protektionsinstruments (EU, USA, Kanada, Australien u.a.) erheben auch immer mehr Entwicklungsländer Antidumping-Zölle. Die Verallgemeinerung der Grundsätze zum Antidumping durch die Uruguay-Runde führte zur Verallgemeinerung seiner Anwendung. Wichtig wäre, dass Antidumping-Maßnahmen in Zukunft nicht mehr nur von den Import-, sondern auch von den Exportländern (z.B. durch Dumpingverbote und -strafen) verhängt werden und exportwirksames wettbewerbswidriges Dumping damit bereits im Inland sanktioniert wird (vgl. Koopmann 1999, S. 645f).
Das TRIMs-Abkommen
war
ein bedeutsamer Schritt
zur vor
allem für den
Dienstleistungssektor wichtigen Liberalisierung des Direktinvestitionsregimes. Die Verbotsliste der Auflagen, die ausländische Direktinvestitionen verzerren, ist aber nicht vollständig. Verboten sind lediglich solche TRIMs, die nicht im Einklang mit dem Prinzip der Inländerbehandlung stehen oder gegen das Verbot mengenmäßiger Beschränkungen verstoßen, wie z.B. Local-Content- oder Handelsausgleichsvorschriften. Andere Diskriminierungspraktiken (z.B. Exportauflagen, Einschränkung des Gewinnrückflusses ins Heimatland, steuerliche Diskriminierungen), die den internationalen Wettbewerb nicht weniger verzerren, bleiben unerfasst. Weiter werden die Freiheit des internationalen Kapitalverkehrs und die Rechtssicherheit für ausländische Investoren nicht angemessen berücksichtigt (vgl. Frenkel/Radeck 1996, S. 33; Sauernheimer 1996, S. 239; Sautter 2004, S. 115). Der Umweltschutz fand im GATT und auch der WTO bisher nur wenig UnterVor allem viele Entwicklungsländer sind weder im privaten noch im öffentlichen Bereich bereit, umweltschutzpolitische Maßnahmen zu ergreifen. Auch im arbeits- und sozialpolitischen Bereich ist das Engagement von GATT bzw. WTO im Vergleich zu anderen Gebieten immer noch relativ unausgeprägt (vgl. Senti 2005a, S. 172). Dennoch muss sich der Handel strenger an Nachhaltigkeitsprinzipien orientieren. Die Reformvorschläge reichen hier von einer extensiveren, d.h. stärker umweit- und gesellschaftspolitische Belange berücksichtigenden Inter-
stützung.
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4 Protektionismus und Außenhandel
pretation des Vertragswerks, bis zur Schaffung einer eigenständigen Organisation für Handel und Soziales. Dabei gilt es zu beachten, dass die Durchsetzung von Umwelt- und Sozialnormen mit Instrumenten der Handelspolitik vor allem aus Sicht der aber als schleichender Protektionismus beurteilt wird. Die WTO darf daher nicht mit handelsfremden Zielen wie soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz überfrachtet werden, da ansonsten Zielkonflikte vorprogrammiert sind; gleichwohl muss sie aber die zuständigen Organe und Abkommen, vor allem die Bemühungen der ILO (International Organisation of Labor) zur Eindämmung von Sozialdumping (Kinder- und Sträflingsarbeit, Nichtgewährung gewerkschaftlicher Mindestrechte etc.) und internationale Umweltabkommen, stärken (vgl. Kap. 6.3.1; Franzmeyer 2001, S. 1741; Langhammer 2002, S. 320; Senti 2005b, S.
Entwicklungsländer
19). Drei Viertel der WTO-Mitglieder sind Entwicklungsländer. Ohne ihre aktive Einbeziehung und ohne ihre Zustimmung lässt sich heute keine neue Welthandelsrunde mehr starten oder gar zu Ende bringen. Die gescheiterten Ministerkonferenzen von Seattle (1999) und Cancün (2003) haben dies deutlich gemacht. Eine stärkere Berücksichtigung der Entwicklungsdimension, wie in der 2001 eingeläuteten DohaRunde (vgl. Kap. 4.4) bekundet, entspricht daher gleichermaßen politischer und wirtschaftlicher Logik. In den Bereichen, in denen die Entwicklungsländer komparative Wettbewerbsvorteile besitzen, muss die Handelsliberalisierung stärker vorangetrieben werden; notwendig erscheinen hier insbesondere der Abbau der Agrarsubventionen der Industrieländer, die Umsetzung des Textilabkommens, Zollsenkungen für arbeitsintensive Produkte, die stärkere Kontrolle von Antidumping-Verfahren, die Öffnung der Dienstleistungsmärkte, verbunden mit dem Aufenthalt von natürlichen Personen. Bestimmte Vertragsinhalte, die sich für die Entwicklungsländer als problematisch erwiesen haben, bedürfen einer Überprüfung und eventuellen Korrektur. Dies gilt vor allem für das TRIPs-Abkommen zum Schutz geistiger Eigentumsrechte, dessen entwicklungshemmende Bedeutung durch die Auseinandersetzung zwischen der Regierung Südafrikas und internationalen Pharmakonzernen um die Patente von AIDS-Medikamenten im Jahr 2001 virulent wurde (vgl. Hemmer 2002, S. 711; Hauser 2003, S. 465ff.). Die Anzahl
Nichtregierungsorganisationen (NGOs) (vgl. 6.3.2), die sich Interessensvertreter einzelner gesellschaftlicher Gruppierungen nichtgewählte wird 30 000 beziffert. Während der Beitrag vieler NGOs weltweit auf ca. sehen, Hilfsund (insbesondere internationaler Rettungsorganisationen) als überaus positiv gewertet werden muss, wird die Arbeit der WTO durch solche NGOs erschwert, die sich als Anwalt der Entwicklungsländer und der Umwelt berufen fühlen und daher die Errichtung hoher Handelsbarrieren fordern. Durch die zunehmende elektronische Mobilisierung über das Internet haben sich manche NGOs dabei zu mächtigen Netzwerken entwickelt. Das Scheitern der WTO-Konferenz in Seattle 1999 geht zu einem nicht unbeträchtlichen Teil auf das Konto derartiger Organisationen. Mit ihnen muss die WTO zukünftig in einen vertieften Dialog treten, um auf als
von
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der einen Seite von der Notwendigkeit ihrer Existenz zu überzeugen und andererseits frühzeitig gesellschaftliche Entwicklungen („Globalisierungsgegner") zu antizipieren (vgl. Freytag 2001, S. 158ff; Franzmeyer 2001, S. 175). Zwischen den einzelnen WTO-Mitgliedern breiten sich zunehmend bilaterale oder regionale Präferenzhandelsabkommen und andere Formen regionaler Integration aus. Obwohl sie dem Nichtdiskriminierungsverbot widersprechen, hat sich ihre Anzahl seit Gründung der WTO sprunghaft erhöht (vgl. Kap. 10.1). Während Befürworter den handelsschaffenden Effekt regionaler Integrationen betonen, behaupten deren Kritiker, dass die sich häufig gegenseitig überlappenden Abkommen aufgrund von handelsumlenkenden Effekten den Welthandel erheblich verzerren, hohe Transaktionskosten verursachen, knappes Verhandlungskapital binden und Partikularinteressen befördern, die sich einer umfassenden Handelsliberalisierung widersetzen und internen Anpassungsdruck „exportieren". Die Meinungen der Ökonomen gehen hier meist auseinander (vgl. Kap. 10.3.1). Fest steht aber: Da die Einfuhrbedingungen sich im Hinblick auf Zölle, Ursprungsregeln und regulatorische Vorgaben für ein und dasselbe Produkt je nach Herkunftsregion deutlich unterscheiden, und sich diese Effekte mit der großen Anzahl der vorgesehenen, noch nicht in Kraft getretenen Abkommen im amerikanischen und asiatischen Raum, aber auch zwischen den Entwicklungsländern in den nächsten Jahren deutlich verstärken werden, gerät das Transparenzprinzip der WTO mehr und mehr aus den Fugen (vgl. Koopmann/Hefeker 2003, S. 404; Hauser 2003, S. 481). Das zunehmende Geflecht dieser Abkommen bedeutet auch die schleichende Erosion des Meistbegünstigungsprinzips. Dieses droht „zur Wenigstbegünstigung zu pervertieren" (Koopmann 2005, S. 76).
4.4 Die Konferenzen
von
Doha, Cancün und Genf sowie
Zukunftsperspektiven der WTO Im November 2001 wurde in Doha der Startschuss für die vierte WTO-Ministerkonferenz, deren Eröffnung zwei Jahre zuvor in Seattle gescheitert war, gegeben. Die Gründe für dieses Scheitern lagen zum einen im massiven Protest militanter Globalisierungsgegner, zum anderen in den damals unzureichend ausgeprägten Liberalisierungsinteressen der wichtigsten Welthandelsnationen (vgl. Sauernheimer 2001,
S.3). Zum breiten und ehrgeizigen Programm der Doha-Runde, die vor allem die Entwicklungsländer stärker in die internationalen Handelsbeziehungen integrieren möchte, gehören (vgl. Koopmann/Hefeker 2003, S. 402; Hauser 2002, S. 135f; Sautter 2004, S. 130): •
Erleichterung des Zugangs zu Medikamenten bzw. Erlaubnis zur Verbreitung von Generika gegen Tuberkulose, Aids, Malaria und andere Epidemien für
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•
•
•
solche Entwicklungsländer, insbesondere in Schwarzafrika, welche keine eigene Pharmaindustrie haben; Vorlage von Verpflichtungslisten zur weiteren Liberalisierung der Märkte für Dienstleistungen, einschließlich der Erleichterung der Einreise zur Erbringung von Dienstleistungen; Vereinbarungen zum weiteren Abbau von Zöllen auf Industriegüter; weitere Liberalisierung der Agrarmärkte durch den Abbau von Zöllen, Binnen- und vor allem Exportsubventionen letztere erstmals mit der Perspektive eines völligen Auslaufens („with a view of phasing out"); Behandlung der sog. „Singapore Issues", d.h. der Themen, welche die Mitgliedsstaaten auf ihrer Ministerkonferenz 1996 in Singapur aufnahmen: Wettbewerbspolitik, Verhältnis zwischen Handel und Investitionen, Transparenz im öffentlichen Beschaffungswesen, Vereinfachung von Außenhandelsvor-
•
schriften.
Vor dem Hintergrund eines konjunkturellen Abschwungs und der zunehmende Kontraktion des Handelsvolumens durch die wirtschaftlichen Auswirkungen der Terroranschläge vom 11. September 2001 sowie des Bekenntnisses zu einer klaren Sonderbehandlung der Entwicklungsländer („special and differential treatment") wurden die Ergebnisse der Konferenz allgemein als Erfolg gewertet. Auf der im September 2003 im mexikanischen Cancün stattgefundenen fünften Ministerkonferenz sollte zum einen eine Zwischenbilanz über die bisherigen Verhandlungen gezogen, zum anderen über die Aufnahme weiterer Themen in die Verhandlungsagenda befunden werden (vgl. Hauser 2002, S. 127). Bereits im Vorfeld deutete sich jedoch Stillstand auf nahezu allen Verhandlungsgebieten an. Die Konferenz selbst wurde dann ohne Ergebnisse abgebrochen, ihrem Scheitern liegen mehrere Ursachen zugrunde: Von einer befriedigenden Lösung weit entfernt ist nach wie vor das Agrarproblem. Wie schon in früheren Verhandlungen standen sich hier zwei Lager gegenüber: Während die freihändlerisch orientierte (Kanada, Neuseeland, Australien, einige lateinamerikanische Nettoagrarexporteure) auf eine sofortige Abschaffung sämtlicher Agrarsubventionen sowohl im Binnen- wie im Exportbereich und somit auf die Schaffung eine freien Weltmarktes für Agrarprodukte drängte, betonten die sog. Multifunktionalisten (u.a. EU, Japan, Korea, Schweiz, Norwegen) die über die reine Nahrungsmittelproduktion hinausgehenden Funktionen der Landwirtschaft. Da diese auch
Cairns-Gruppe10
Die Cairns-Gruppe ist eine Vereinigung agrarexportierender Länder, in der sich Industrieländer und Entwicklungsländer für Verhandlungen zur Liberalisierung des internationalen Agrarhandels zu einer gemeinsamen, starken Interessensvertretung zusammengeschlossen haben. Sie bezeichnen sich selbst als „nicht subventionierende" Freihändler und gelten als Wortführer in der Kritik an protektionistisch ausgerichteten Agrarpolitiken anderer Staaten, insbesondere der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU. Der Cairns-Gruppe gehören Argentinien, Australien, Brasilien, Chile, die Fidschi-Inseln, Indonesien, Kanada, Kolumbien, Malaysia, Neuseeland, Philippinen, Thailand, Uruguay, Bolivien, Costa Rica, Guatemala, Paraguay und Südafrika an.
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ökologische, soziokulturelle, räumliche und siedlungspolitische Funktionen erfüllt, bestehen diese Länder auf einem gleich bleibend hohen Protektionsniveau. Die USA befanden sich dagegen in einer Zwitterposition. Einerseits drängten sie auf ein Auslaufen von Ausfuhrbeihilfen, die sie selbst kaum zahlen; andererseits weigerten sie sich, eine Kürzung ihrer Baumwollsubventionen (vgl. Exkurs 5.1) in Erwägung zu
ziehen.
Gestört wurde das bisher eingespielte und bewährte Verhandlungs- und Fordeaus westafrikanischen Baumwollexporteuren Exkurs und der erstmals 5.1) aufgetretenen Gruppe der 2111 (G-21). In dieser (vgl. sich die einerseits die Liberalisiefinden Entwicklungsländer, amorphen Gruppe Aufbau eines eigenen, funkzum der Industrieländer der fordern, rung Agrarmärkte ihre Agrarprotektion aber nicht abzubauen tionsfähigen Nahrungsmittelsektors bereit sind. Die nicht vorhandene Kompromissbereitschaft der Entwicklungsländer in der Agrarfrage entwickelte sich rasch zu einem kategorischen „Nein" auch auf anderen Verhandlungsgebieten, wie z.B. den von der EU eingeforderten „SingapurThemen" Investitionen und Wettbewerb (vgl. Hauser 2003, S. 461ff; Sautter 2004, S. 124).
rungsmuster durch eine Koalition
Das Scheitern der Konferenz ist wie bei früheren Runden damit weniger auf Unstimmigkeiten zwischen den großen Handelsnationen (USA, EU, Japan), sondern vielmehr auf Konflikte zwischen Industrie- und Entwicklungsländern zurückzuführen, welche in Cancün mit einem bisher ungewohnten Selbstbewusstsein aufgetreten sind (vgl. Hauser 2003, S. 466). Die Führungsrolle kommt dabei vor allem China, Indien und Brasilien zu, deren gemeinsame Wirtschaftsleistung heute noch weniger als 15% derjenigen der G-6-Volkswirtschaften (USA, Japan, Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Italien) ausmacht, diese in 40 Jahren aber wirtschaftlich überholt haben werden. Als sog. Ankerländer üben sie wichtige regionale Lokomotivfunktionen aus. Ihre Machtposition speist sich aus einer sog. „soft power", d.h. einer Macht, die sich nicht in militärischer Gewalt manifestiert, sondern auf wirtschaftlichen und kulturellen Primatstellungen beruht (vgl. Decker/Mildner 2005, S. 18ff.). Ca. ein Jahr später konnte in Genf der vorerst durch das Scheitern von Cancün verursachte Stillstand der Doha-Runde durch Einigung auf ein als weiteres Arbeitsprogramm zu verstehendes Rahmenabkommen durchbrochen werden. Im Mittelpunkt stehen Bekundungen zur fortschreitenden Liberalisierung erneut des Agrar-, Industriegüter- und Dienstleistungshandels, der Vereinfachung der Zollverfahren und des Abbaus der Zollbürokratie. Der endgültige Abschluss der Doha-Runde wurDer bereits im Vorfeld der Konferenz gebildeten Gruppe gehören Argentinien, Bolivien, Brasilien, Chile, China, Costa Rica, Ecuador, El Salvador, Guatemala, Indien, Kuba, Kolumbien, Mexiko, Pakistan, Paraguay, Peru, die Philippinen, Südafrika, Thailand und Venezuela an. In Cancün kamen dann noch Ägypten, Nigeria und Indonesien dazu. Auf Druck der USA haben sich Costa Rica, Kolumbien, Peru, Guatemala und El Salvador inzwischen wieder zurückgezogen (vgl. HAUSER 2003, S. 461).
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4 Protektionismus und Außenhandel
de für die im Dezember 2005 in niert (vgl. Decker 2004).
Hongkong stattfindende Ministerkonferenz termi-
Für die Zukunft der WTO lassen sich auf lange Sicht zwei Szenarien ableiten. Dreh- und Angelpunkt stellen auch hier die Entwicklungsländer dar (vgl. Hauser 2003, S. 483f): Das pessimistische Szenario geht davon aus, dass sich aufgrund der geschilderten ungelösten Probleme eine länger andauernde Stagnation einstellt. Die großen Entwicklungsländer bilden keine glaubwürdige Koalition für eine auf Gegenseitigkeit basierende multilaterale Initiative, entweder weil ihre Interessenhaltungen zu stark divergieren, oder weil sie nicht willens sind, vom Dogma einseitiger Konzessionen der Industrieländer abzurücken. Mit solchen Tendenzen würde den großen Industrieländern das Interesse am Multilateralismus der WTO verlustig gehen und der Weg bilateraler Handelsabkommen beschritten werden. Die reale Gefahr, dass die WTO ihre Führungsrolle bei der Gestaltung der internationalen Handelsordnung dann verliert, ist nicht von der Hand zu weisen.
Das optimistische Szenario fußt auf den noch nicht ausgeschöpften Potenzialen Wohlfahrtserhöhung. Die Industrieländer sind zu weitgehenden Zugeständnissen im Agrarsektor, zur Angleichung der Zollstrukturen im Industriegüterbereich und der Öffnung von Dienstleistungsmärkten einschließlich Migrationserleichterungen bereit. Die Entwicklungsländer signalisieren ihrerseits Bereitschaft zur allgemeinen Liberalisierung und zur Verhandlung der „Singapur-Themen". Insgesamt würde die Attraktivität bilateraler Abkommen nachlassen und dem Multilateralismus neue Kraft verliehen. zur
Welches Szenario die Entwicklung nachhaltiger prägen wird, hängt davon ab, inwieweit es vor dem Hintergrund der Entwicklung der politischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten gelingt, die großen Entwicklungsländer zu wichtigen Partnern der bisher führenden Handelsmächte zu machen.
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101
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102
4 Protektionismus und Außenhandel
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A: Weltwirtschaft im
5
103
Globalisierungsprozess
Entwicklung versus Unterentwicklung: Ursachen Konsequenzen
und
Vor dem Hintergrund der Globalisierung der Wirtschaft, der voranschreitenden Vernetzung der Welt durch Waren-, Informations- und Kapitalströme sowie des Wandels von Wertesystemen und Lebensstilen stellt sich auch die Frage nach dem DritteWelt- bzw. dem Entwicklungsbegriff neu. Zwar gefährden weltweite Migrationsströme sowie Deregulierungs- und Flexibilisierungsprozesse auch in den Industrieländern soziale Errungenschaften und machen Armut sieht- und spürbar, wodurch die einst klaren Grenzen zwischen Erster und Dritter Welt zumindest teilweise verschwimmen. Dennoch bestehen nach wie vor klaffende, teils sich verschärfende Wohlfahrtsdisparitäten zwischen Industrie- und Entwicklungsländern (EL und IL), welche in einem Nord-Süd-Gegensatz zum Ausdruck kommen (vgl. Coy 2005, S. 728). Entwicklung und Unterentwicklung sind daher bedeutende Objekte wissenschaftlicher Theoriebildung, empirischer Analysen und strategischer Konzepte.
Nach einer Darlegung der Begriffe „Entwicklung" und „Unterentwicklung", ihrer Symptome und Strukturmerkmale sowie der Vorstellung von Ansätzen zur Typologisierung von Entwicklungsländern werden im Folgenden zunächst die wichtigsten Strömungen der Entwicklungstheorien vorgestellt. Im Anschluss thematisiert dieses Kapitel unter besonderer Berücksichtigung von Rohstoffen und rohstoffpolitischen Instrumenten die Rolle der Entwicklungsländer im Welthandel, bevor unterschiedliche Entwicklungsstrategien und Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit vorgestellt werden. -
-
5.1
Allgemeine Grundlagen
5.1.1 Der
Begriff „Entwicklung"
Was genau unter dem Begriff „Entwicklung" zu verstehen ist, stellt einen großen Teil der Entwicklungsproblematik selbst dar. Entwicklung ist ein in den unterschiedlichsten Zusammenhängen angewandter, vieldeutiger und definitorisch nur schwer fassbarer Begriff. In ihn gehen unterschiedliche Vorstellungen über die wünschenswerte Richtung gesellschaftlicher Veränderungsprozesse, Theorien über die Gründe von Unterentwicklung, Aussagen über die Träger und den Ablauf sozioökonomischer Transformationsprozesse sowie Entscheidungen über Maßnahmen zur Überwindung von Unterentwicklung bzw. zur Aufrechterhaltung eines erreichten Entwicklungsniveaus ein.
104
5
Entwicklung versus Unterentwicklung:
Ursachen und
Konsequenzen
Mit ihrem „Magischen Fünfeck" stellen Nuscheler/Nohlen (1993a, S. 64ff.) fünf wesentliche Bestandteile von Entwicklung vor, auf deren Grundlage sie dann eine Definition erarbeiten: •
•
•
•
Entwicklungskonformes Wachstum besteht nicht nur in der rein quantitativen Vermehrung von Gütern, sondern ist zusätzlich an qualitative Voraussetzungen (Beitrag zur gesamtgesellschaftlichen Wohlstandserhöhung, Nichtgefährdung der natürlichen Lebensgrundlagen) gebunden; gesamtgesellschaftlich ist Arbeit eine Entwicklungsressource, die in ärmeren Wachstum:
Gesellschaften reichlich vorhanden ist und genutzt werden kann. Sie stellt eine Existenzgrundlage dar, mit der Menschen ihre Armut überwinden, elementare Bedürfnisse befriedigen und sich selbst entfalten können; das Postulat der Gleichheit bzw. Gerechtigkeit ist das qualitative Regulativ zu einem rein quantitativen Wachstum, um ein Wachstum ohne Entwicklung zu vermeiden, d.h. die gerechte Verteilung des gesamtgesellschaftlichen Mehrprodukts zu gewährleisten; Partizipation fordert die Achtung der sozialen und politischen Menschenrechte, Demokratie durch Wahlen, eine pluralistische Organisationsfreiheit sowie die Anerkennung der Mitwirkung politischer Gruppierungen an einer
„Entwicklung von unten"; Unabhängigkeit bzw. Eigenständigkeit ist als Ausweg aus politischer, wirtschaftlicher und sozialer Unterdrückung zu begreifen. Aus der Synthese dieser Begriffe lässt sich Entwicklung definieren als „die eigenständige Entfaltung der Produktivkräfte zur Versorgung der gesamten Gesellschaft mit lebensnotwendigen materiellen sowie lebenswerten kulturellen Gütern und Dienstleistungen im Rahmen einer sozialen und politischen Ordnung, die allen Gesellschaftsmitgliedern Chancengleichheit gewährt, sie an politischen Entscheidungen mit•
gemeinsam erarbeiteten Wohlstand teilhaben lässt" (Nuscheler/Nohlen 1993a, S. 73). In formaler Hinsicht ist für den Entwicklungsbegriff eine terminologische Klarstellung vorzunehmen, da der Begriff „Entwicklung" auf zweifache Weise verwendet werden kann: Als Entwicklungsprozess steht Entwicklung für zeitlich-dynamische Abläufe, als Entwicklungsstand für eine zeitpunktorientierte Betrachtung. Beide Perspektiven hängen miteinander zusammen, indem sich der dynamische Prozess der Entwicklung als Verbindung unterschiedlicher statischer Entwicklungsstände darstellt (vgl. Hemmer 2002, S. 3). wirken und
am
A: Weltwirtschaft im
105
Globalisierungsprozess
5.1.2 Merkmale und Indikatoren
von
Unterentwicklung
Entwicklung und Unterentwicklung bilden zwei Seiten derselben Medaille, sind als Gesamtsyndrom zu verstehen und daher sachlogisch nicht voneinander zu trennen. Semantisch betrachtet stellt Unterentwicklung „einen Zustand der Entwicklung unterhalb einer Norm" (Hemmer 2002, S. 3) dar. Vereinfacht wird unter Unterentwicklung ein Bündel endogen und exogen bedingter Strukturdefizite verstanden, welche zur unzureichenden Entfaltung der Produktivkräfte und damit zur ungenügenden Versorgung großer Bevölkerungsschichten mit für das Überleben notwendigen Gütern und Dienstleistungen führt (vgl. Coy 2005, S. 737). Insgesamt sind aber weniger die Merkmale als vielmehr die Ursachen von Unterentwicklung umstritten. 5.1.2.1
Symptome der Unterentwicklung
Als Symptome für Unterentwicklung gelten (vgl. Hemmer 2002, S. Mahn 2002, S. 148f.; Lachmann 2004, S. 5; Nuscheler 2004, S. •
•
•
Hunger:
27f.; Müller192f):
Die quantitativ und qualitativ ausreichende Versorgung mit Lebensmitteln stellt die unabdingbare Voraussetzung für das Überleben, die physische und psychische Gesundheit sowie die Aufrechterhaltung von Leistungsfähigkeit und Arbeitskraft dar. Nach Angaben der Welternährungsorganisation (FAO) leiden über 850 Mio. Menschen an chronischer Unterernährung, 80% davon in Südasien und Afrika, weitere 2 Mrd. Menschen an Mangelerscheinungen. Die Ursache dafür liegt vor allem im ungleichen Zugang aller Menschen zu einem ausreichenden Nahrungsmittelangebot; mangelhafte Gesundheitszustände: Krankheiten sind oft die symptomatische Folgeerscheinung einer unzureichenden und qualitativ unausgewogenen Ernährungssituation sowie unbefriedigender hygienischer Verhältnisse aufgrund mangelhafter Wohnverhältnisse. So gehen in den EL nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) rund 43% aller Todesfälle auf das Konto von Infektionen und parasitären Erkrankungen (in den IL nur 1,2%); die Armut erschwert dabei den Zugang zu medizinischen Dienstleistungen und wirksamen Medikamenten. In den Ländern Subsahara-Afrikas kommt ein Arzt auf ca. 24 000 Menschen (in den IL auf ca. 380). Unterentwicklung schlägt sich daher in einer geringen Lebenserwartung und einer hohen Kindersterblichkeit nieder; schlechter Bildungsstand: Ausbildung ist ein zur Überwindung von Unterentwicklung unverzichtbarer Faktor, weil sie das für die Inwertsetzung des Sachkapitals notwendige Humankapital liefert und nachhaltiger als jede andere Entwicklungsinvestition wirkt. Dennoch gibt es nach Angaben des
106
5
Entwicklung versus Unterentwicklung:
UN-Kinderhilfswerks (UNICEF) weltweit Drittel davon sind Frauen; •
•
ca.
Ursachen und
1 Mrd.
Konsequenzen
Analphabeten,
zwei
hohe Arbeitslosigkeit: Unterbeschäftigung gilt in unterentwickelten Ökonomien als wirtschaftliches Schlüsselproblem, da sie die Nutzung eines großen Arbeitskräftepotenzials blockiert und es Großteilen der Bevölkerung unmöglich macht, sich aus eigener Kraft zu entwickeln. Arbeitslosenquoten von bis zu 50% sind insbesondere in den Großstädten der EL keine Seltenheit. Arbeitslosigkeit resultiert vor allem aus einem steigendem Bevölkerungswachstum und einer Wirtschaftspolitik, die durch den Einsatz effizienter Produktionstechnologien zwar wirtschaftliches Wachstum und Arbeitsproduktivität forciert, aber dadurch arbeitsintensive Branchen (wie Landwirtschaft und Handwerk) in den Hintergrund drängt. Fehlende Ausbildung und ein geschwächter Gesundheitszustand tragen ihr Weiteres dazu bei. Zerstörung von Umwelt und natürlichen Ressourcen: Während in den IL Umweltprobleme die Konsequenz von Entwicklung sind, gelten in den EL Überbevölkerung, Armut, falsche ökonomische Anreize, fehlende Informationen und Mangel an Alternativen als Ursachen der Zerstörung der Umwelt.
Zusammengenommen kennzeichnen die beschriebenen Symptome der Unterentwicklung den Armutsbegriff. Armut stellt sich dabei als Teufelskreis dar, der von innen nicht durchbrochen werden kann (vgl. Abb. 5.1). Dieser sollen zeigen, dass in Ländern der Dritten Welt zerstörerische Kräfte wirken, welche zur Zementierung von Strukturen der Unterentwicklung führen, die nur durch exogene Eingriffe überwunden werden können.
Abb. 5.1: Teufelskreis der Armut
Quelle: Wolff 2000, S. 52.
A: Weltwirtschaft im
Globalisierungsprozess
107
Unterentwicklung ist keineswegs ein naturgegebenes oder mentalitätsbedingtes Phänomen. Sie hängt vielmehr direkt mit der Entwicklung der heutigen IL zusammen. Denn von wenigen Ausnahmen abgesehen waren alle EL früher Kolonien, die von den europäischen Kolonialmächten erobert, beherrscht, manchmal besiedelt und hinsichtlich ihrer Rohstoffvorkommen meistens ausgebeutet wurden. Nur wenige Länder mit kolonialer Erfahrung haben eine selbständige Entwicklung durchmachen können. Landwirtschaft, Handel, Handwerk, Kultur und Sprache haben sich nicht so entfalten können, wie es ohne Kolonialismus möglich gewesen wäre. Je weitgehender die erfahrene Deformierung, desto ausgeprägter war der Versuch, das koloniale Erbe abzustreifen (vgl. Lachmann 2004, S. 252). Doch auch nach Entlassung in die politische Unabhängigkeit konnten die meisten ehemaligen Kolonien die Abhängigkeiten von den ehemaligen Kolonialmächten nicht überwinden. Denn die traditionellen Führungseliten der EL verdanken ihre Stellung größtenteils der Zusammenarbeit mit den ehemaligen Kolonialherren und streben daher ein ungespanntes Verhältnis zu den IL an. Die Aufrechterhaltung der Wirtschaftsbeziehungen zu den ehemaligen Kolonialmächten durch Förderung des Rohstoffexports und gleichzeitigen Verzicht auf Importhemmnisse scheint für diese Herrschaftsklasse ein gangbarer Weg zur Machterhaltung zu sein (vgl. Lachmann 2004, S. 232). 5.1.2.2 Strukturmerkmale der
Unterentwicklung
Um unterentwickelte von entwickelten Gesellschaften zu unterscheiden, lässt sich der Begriff „Unterentwicklung" in einen Katalog von Strukturmerkmalen aufspalten. Hierzu gehören (vgl. Nohlen/Nuscheler 1993b, S. 33f.; Nuscheler 2004, S. 197; coy 2005, S. 729): •
Eine unbefriedigende Faktorausstattung: Mangel an Rohstoffen oder wirtschaftlich nutzbarem Land, ungünstige ökologische Voraussetzungen (Gefahr von
•
•
•
•
•
Dürre, Desertifikation, Versalzung u.a.);
niedriger Diversifizierungsgrad in der Produktions- und Exportstruktur; geringe Spar- und Investitionsquoten, geringe Kapitalausstattung und Arbeitsproduktivität; ein niedriger Industrialisierungs- und Verarbeitungsgrad von mineralischen und agrarischen Rohstoffen; Monokulturen im Exportsektor infolge kolonialer Hypotheken; außenwirtschaftliche Verwundbarkeit durch Schwankungen der Rohstoffnachfrage und der Rohstoffpreise; eine hohe Agrarquote, d.h. Beschäftigung der meisten Arbeitskräfte in der Landwirtschaft zur Sicherung des eigenen Nahrungsmittelbedarfs (Subsistenz) und geringe Produktion von Überschüssen zur Bedienung des lokalen
ein
Marktes;
108
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
5
Entwicklung versus Unterentwicklung:
Ursachen und
Konsequenzen
eine hohe offene und verdeckte Arbeitslosigkeit; eine mangelhafte verkehrsinfrastrukturelle Erschließung abseits der an den Weltmarkt angeschlossenen Rohstoffenklaven; ein weit überdurchschnittliches Bevölkerungswachstum mit der Tendenz zur Verschärfung der Armutsstrukturen; Slumbildung wegen Migrationsdrucks und eingeschränkter Aufnahmekapazität des Agrarsektors; eine stark voranschreitende Verstädterung (vor allem Metropolisierung); ungenügende hygienische und Gesundheitsverhältnisse; ein schlecht ausgestattetes Bildungswesen mit einer hohen Analphabetenquote; überwiegend traditionelle Verhaltens- und Lebensweisen der Bevölkerung; ein geringfügiges Ausmaß an sozialer Mobilität und kultureller Dynamik; eine schwach ausgeprägte politische Partizipation der Bevölkerung und Legitimation der politischen Elite bei insgesamt starker politischer Instabilität; geringe Autorität und institutionelle Steuerungsfähigkeit einer häufig für Kor-
ruption anfälligen Administration; Deformation durch koloniale Vergangenheit; unabgeschlossener Prozess des „Nationbuilding" und geringe internationale politische Bedeutung; gewaltsame zwischen- und innerstaatliche Konflikte; ökologische Probleme (z.B. Deseitifikation, Regenwaldzerstörung etc.). Ein zentrales Merkmal zur Unterscheidung von entwickelten und unterentwickelten Ländern, gemeinhin von IL und EL, ist der klaffende Unterschied zwischen Bevölkerungsanteilen und wirtschaftlicher Leistung. Zur Zeit leben mehr als 6 Mrd. Menschen auf der Erde, fast 80% davon in den EL. Die Bevölkerung der Welt nimmt jährlich um ca. 83 Mio. Menschen zu, wovon 99% auf die EL, insbesondere im subsaharen Afrika, entfallen. Dagegen steuern die EL nur ca. 17% zum weltweiten BSP bei (vgl. Abb. 5.2 und 5.3). •
•
•
•
A: Weltwirtschaft im
109
Globalisierungsprozess
Weltbevölkerung nach Ländern und Regionen (in % der Weltbevölkerung
Abb. 5.2:
2000)
Kanada
|0,5%| USA
4,7%
GUS
4,8%
Ostasien
Osteuropa 2,2%
Australien
3,4%
EU 6,2%
[0,5%l
China 21,0%
Südasien 22,0% Grenze zwischen
entwicklungspolitischen Norden dem
Südostasien
8,6%
und Süden
Quelle: Müller-Mahn 2002, S. 9.
Abb. 5.3:
2000)
Bruttosozialprodukt nach Ländern und Regionen (in % des Welt-BSP
Quelle: Müller-Mahn 2002, S. 9.
110
5
Entwicklung versus Unterentwicklung:
Ursachen und
Konsequenzen
Klaffend fällt der Unterschied zwischen Industrie- und Entwicklungsländern auch in der Nutzung und dem Zugang zur internationalen Kommunikationsinfrastruktur aus. Gemäß der Entwicklungsstufe digitaler Netzwerke und des Humankapitals unterscheidet die Weltbank zwischen: •
•
eLeaders, die führend in der elektronischen Datenverarbeitung sind und meist der Gruppe der OECD-Länder oder der IL angehören; eTigers, die sich aufgrund einer fortgeschrittenen Infrastruktur und eines ausgereiften Humankapitals an der Schwelle zur Informationsgesellschaft befin-
den; •
eLoosers, die weder über das zur Digitalisierung nötige Humankapital noch die
entsprechende Infrastruktur verfügen. Die EL fallen zum größten Teil in letzte Gruppe. Die über 90% der Menschen, die das Internet nutzen, machen gerade einmal ein Fünftel der Weltbevölkerung aus. Während je ca. ein Drittel der Welt-Internet-Anschlüsse auf Nordamerika und Europa entfällt, sind es in Lateinamerika nur knapp 5%, in Afrika sogar unter 1 % ein Phänomen, das als „Digital Divide" bezeichnet wird. Die Ursachen für diese digitale Polarisierung, die sich auch als soziale Spannung zwischen „Information-Haves" und „Information-Have-Nots" beschreiben lässt, liegen in den mangelnden techni-
schen Voraussetzungen für Telefon- und Internet-Anschlüsse in den EL, den hohen Kosten einer vorhandenen Internet-Nutzung sowie der dem „Brain Drain" (vgl. Kap. 5.2.2) geschuldeten mangelnden Verfügbarkeit von Fachkräften (vgl. Scholz 2004, S. 230f; nuscheler 2004, S. 58ff.)
5.1.2.3 Indikatoren
zur
Messung von Unterentwicklung
Zur Messung von (Unter)entwicklung werden zwei grundsätzliche Formen von Indikatoren verwendet: Partialindikatoren erfassen jeweils nur einen einzelnen Aspekt von Entwicklung, während sich Totalindikatoren aus der Aggregierung und möglichen Gewichtung einzelner Indikatoren ergeben (vgl. Nohlen/Nuscheler
1993c, S.77ff). Einer der am häufigsten verwendeten Partialindikatoren, der sowohl zur Quantifizierung des Entwicklungsniveaus einzelner Gesellschaften (vgl. Tab. 5.1, Spalte 5; Karte 5.1) als auch zur Einordnung von EL in einzelne Ländergruppen verwendet wird, ist das BSP bzw. BIP pro Kopf (Pro-Kopf-Einkommen). Es stellt einen grundlegenden Indikator dar, der das Ausmaß der Befriedigung elementarer Grundbedürfnisse der Mitglieder einer Gesellschaft reflektiert. Obwohl das BSP/Kopf als Indikator für Unterentwicklung einer Reihe von ausgesetzt ist, gilt es aufgrund seiner bestechenden Einfachheit als Instrument zur Messung des EntWicklungsniveaus und der leichten Verfügbarkeit der Daten als Schlüsselindikator
Kritikpunkten1
.
A: Weltwirtschaft im
111
Globalisierungsprozess
Tab. 5.1: Die 20 ärmsten Länder nach dem Human Land
Sierra Leone
Niger Burkina Faso Mali Burundi
Guinea-Bissau Mosambik
Äthiopien Zentralafrikan. DR Kongo
Rep.
Tschad
Angola Malawi
Sambia Elfenbeinküste Tansania Benin Guinea Ruanda
Entwicklungsländer
Development Index (2002) BIP pro
Index-
Lebens-
wert
erwartung in sierungsrate in US-$3
Jahren1
Alphabetiin
Kopf
Prozent2
0,273 0,292 0,302 0,326 0,339 0,350 0,354 0,359 0,361 0,365 0,379 0,381 0,388 0,389 0,399 0,407 0,421 0,425 0,431 0,663
34,3 46,0 45,8 48,5 40,8 45,2 38,5 45,5 39,8 41,4 44,7 40,1 37,8 32,7 41,2 43,5 50,7 48,9 38,9 64,6
36,0 17,1 12,8 19,0 50,4 39,6 46,5 41,5 48,6 62,7 45,8 42,0 61,8 79,9 49,7 77,1 41,0 69,2 76,7
4 054
0,911
77,1
k.A.
24 904
k.A.
7 804
39.8
520 800 1 100 930
630 710 1 050 780
1 170 650 1 020 2 130 580
840 1 520 580 1 070 2 100 1 270
Industrieländer
(OECD)
Welt 0,729 66,9 bei Geburt, älter als 15 Jahre, BIP in Kaufkraftparität Quelle: Undp 2005.
Z.B. kann in Ländern mit einem hohen Anteil an Subsistenzwirtschaft das BSP nur auf grobe Schätzungen zurückgreifen; ferner interpretiert es Marktferne als Unterentwicklung, indem es den informellen Sektor der kleinbäuerlichen Subsistenzproduktion und der städtischen Armen ausblendet, obwohl dieser als funktionsfähige Überlebensökonomie mehr Menschen ernährt als der formelle Sektor. Das BSP bewertet kostenintensive Dienstleistungen zu hoch und diskriminiert die den Massenbedürfnissen eher angepassten Leistungen, präferiert also Tausch- gegenüber Gebrauchswerten; ferner vernachlässigt es alle jenseits von Marktwerten gehandelten nicht-materiellen Güter, welche die Entwicklung aber ebenfalls beeinflussen. Daneben verbirgt das BSP die oft extremen Einkommens- und Wohlfahrtsgefälle innerhalb einer Gesellschaft hinter statistischen Durchschnittswerten und ignoriert dadurch den Verteilungsaspekt (vgl. NUSCHELER 1991, S. 15ff). Daneben gibt es für einzelne Teilaspekte von Entwicklung weitere Einzelindikatoren: Ernährung (Kalorienverbrauch pro Kopf), Gesundheit (Lebenserwartung bei Geburt, Todesfälle infolge von Seuchen und Infektionen pro 100 000 Einwohner, Ärzte pro 100 000 Einwohner, Säuglingssterblichkeit pro 1 000 Lebendgeburten), Bildung (Alphabetisierungsrate) etc.
112
5
Entwicklung versus Unterentwicklung:
Ursachen und
Konsequenzen
Ein Beispiel für einen Totalindikator ist der vom Entwicklungsprogramm der vereinten Nationen (UNDP) jährlich neu berechnete Human Development Index (HDI). Dieser in der Zwischenzeit etablierte Index für die menschliche Entwicklung ergibt sich aus der gewichteten Aggregierung dreier Partialindikatoren (Lebenserwartung in Jahren, Alphabetisierungsrate in % und BIP/Einwohner in US-$) und liegt auf einer Skala zwischen 0 und 1 (vgl. Tab. 5.1)3.
5.1.3
Einordnung
und
Typologisierung von Entwicklungsländern
Die Entdeckung der EL als Gegenstand wissenschaftlicher Forschung geht auf das Ende der 1940er Jahre zurück4. „Entwicklungsland" ist der international gebräuchlichste und von den UN-Organisationen offiziell verwendete Begriff für Länder mit geringem Entwicklungsniveau und materieller Rückständigkeit. Der Begriff „Entwicklungsland" verdeckt allerdings, dass sich auch die IL und zwar mit viel höherer Geschwindigkeit als die EL weiterentwickeln, und impliziert damit ein Wachsen der Entwicklungslücke zwischen IL und EL. Der sprachliche Gegensatz zwei zu „Entwicklungsländern" wäre daher Rückschritts- oder Stagnationsländer aber die Gründen abzulehnen Hemmer aus sind Begriffe, diplomatischen (vgl. 2002, S. 7). -
-
-
Weitere Begriffe für unterentwickelte Länder sind nicht weniger problematisch: Der Begriff „Südländer" ignoriert die Tatsache, dass sich auch auf der Südhalbkugel der Erde reichere Länder (z.B. Australien, Neuseeland, Südafrika), im Norden dagegen auch ärmere Länder (z.B. Länder der ehemalige Sowjetunion oder in Ostmitteleuropa, aber auch Spanien, Griechenland, Portugal) befinden. Der Begriff „Dritte Welt" wird dann problematisch, sofern er eine strikte Homogenität der unterentwickelten Länder der Erde unterstellt. Die über 130 EL der Erde differieren nämlich ganz erheblich in geographischer Lage, Größe, Bevölkerungszahl, Rohstoffausstattung, Bildung, Kultur und Politik. Das „typische" Entwicklungsland gibt
Gegen den HDI sind die nur beschränkte Verfügbarkeit international vergleichbarer Daten und die umstrittene Gewichtung der aggregierten Partialindikatoren einzuwenden. Die Rangfolge der Länder nach dem HDI korreliert nicht immer konsistent mit der nach dem BIP/Kopf (vgl. Tab. 5.1), was auf der besonderen Anstrengung oder Verantwortungslosigkeit der politischen Elite eines Landes beruht. Ferner sind manche Indikatoren bei steigendem Wert nicht mehr brauchbar. So streben die Merkmale Lebenserwartung und Bildungsstand im Zuge der Entwicklung einem physischen Maximum entgegen, wodurch Varianz und Erklärungswert sinken. Dennoch hat der HDI seinen Wert, da er Entwicklung nicht nur als in BSP- bzw. BIP-Größen gemessenes wirtschaftliches Wachstum darstellt, sondern als Prozess der Entwicklung menschlicher Wahlmöglichkeiten (vgl. Hemmer 2002, S. 35; Lachmann 2004, S. 46). In einer Regierungserklärung vor dem amerikanischen Kongress bezeichnete US-Präsident Truman einen Großteil der Welt als unterentwickelte Gebiete bzw. EL. Mit der Truman-Deklaration begann eine lebhafte wissenschaftliche Diskussion über die wirtschaftliche Situation dieser Länder und mögliche Maßnahmen zur Überwindung von Unterentwicklung (vgl. hemmer 2002, S. 3).
A: Weltwirtschaft im
113
Globalisierungsprozess
somit nicht. Auch existiert keine einheitliche, international verbindliche Liste von EL (vgl. KOCH/CZOGALLA 2004, S. 387L).
es
Die Entwicklung in den der Gruppe der EL angehörigen Staaten ist seit Mitte des 20. Jh. sehr unterschiedlich und disparitätisch verlaufen: Während einige Staaten (insbesondere in Südostasien) durch industrielles Wirtschaftswachstum zu Schwellenländern aufstiegen, hat sich die Entwicklungsdisparität zwischen den ärmsten und reichsten Ländern verschärft. Dagegen hat sich die Gruppe der ölexportierenden Länder wegen der Verknappung der Erdölreserven und der Verhandlungsmacht des OPEC-Kartells (vgl. Exkurs 5.2), die Anfang der 1970er und 1980er Jahre zu einem explosionsartigen Ansteigen der Rohölpreise führten, zumindest zeitweilig unter die Länder mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen begeben, ohne aber strukturelle Merkmale von Unterentwicklung überwunden zu haben.
Zur Typologisierung von EL werden von wirtschaftlichen und politischen Institutionen unterschiedliche Konzepte verwendet. Am bekanntesten und am meisten verbreitet ist die Einteilung der Weltbank (vgl. Kap. 5.4.2). Diese verwendet für die Kategorisierung von Ländern das BSP/Kopf. Danach gehört jedes Land einer der
folgenden Kategorien an (vgl. Weltbank 2003): Länder mit niedrigem Einkommen („lower income" LIC): bis zu 745 US-$; •
•
=
Länder mit mittlerem Einkommen: untere Kategorie („lower middle income" LMC): 746 2 975 US-$ obere Kategorie („uper middle income" UMC): 2 976 9 205 US-$; Länder mit hohem Einkommen („higher income" HIC): 9 206 US-$ oder mehr. =
-
=
-
•
=
EL sind danach Länder mit niedrigem oder mittlerem Einkommen5
(vgl. Karte 5.1).
Bei diesem Konzept gilt es zu beachten, dass abhängig von der nationalen Einkommensverteilung auch bei gleich hohem durchschnittlichen Einkommen der Bevölkerungsanteil, der unter einer als minimal geltenden Einkommensgrenze lebt, stark schwankt. Daher ist es angebracht, eine sog. Armutsgrenze festzulegen und -
-
dann den Anteil derer zu ermitteln, die sich unterhalb dieser befinden. Die Armutsgrenze der Weltbank liegt bei ca. 1 US-$ pro Tag und Person. Ca. 1,2 Mrd. Menschen leben unter dieser Grenze, der Großteil davon in Südasien, gefolgt von Afrika südlich der Sahara und Ostasien/Pazifik. In der letztgenannten Region hat die Zahl seit 1987 allerdings erheblich abgenommen, während sie sich in Südasien und im subsaharen Afrika deutlich erhöht hat (vgl. Durth et al. 2002, S.14L).
Die genauen Zahlen können
von
Jahr
zu
Jahr geringfügig variieren.
114
5
Entwicklung versus Unterentwicklung: Ursachen und Konsequenzen
A: Weltwirtschaft im
Globalisierungsprozess
115
Die Vereinten Nationen (UN) unterschieden bis 1989 zwischen folgenden Ländergruppen: Westliche Industrieländer (USA, Kanada, Westeuropa, Australien, Neuseeland, Japan, Südafrika), kommunistische Staatshandelsländer Osteuropas und Ostasiens, Entwicklungsländer (alle übrigen Länder). Mit dem Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums und der Virulenz globaler Abhängigkeiten ist diese Dreiteilung weitgehend obsolet geworden; heute wird daher nur noch zwischen IL und EL unterschieden. Eine besondere Gruppe unter den EL sind die Least Developed Countries (früher LLDC, heute LDC), die als ärmste Länder bei folgenden Kriterien bestimmte Schwellenwerte nicht überschreiten: •
•
•
BIP/Kopf (Dreijahresdurchschnitt unter 70 US-$); „Augmented-Physical-Quality-of-Life-Index" (Alphabetisierungsgrad der erwachsenen Bevölkerung, Lebenserwartung, Pro-Kopf-Kalorienverbrauch, Einschulungsrate); „Economic-Diversification-Index" (industrieller Anteil am BIP, Beschäftigtenanteil der Industrie, Ausfuhrorientierung der Wirtschaft, Pro-Kopf-Stromverbrauch);
Bevölkerungsanzahl von max. 75 Mio. (Ausnahme: Bangladesch). In den ca. 50 LDC leben ca. 610 Mio. Menschen (ca. 10% der Weltbevölkerung), •
die aber nur 0,5% des weltweiten BSP erwirtschaften.
Einer rein auf Länderebene erfolgenden Unterscheidung zwischen Entwicklung und Unterentwicklung bzw. Armut und Reichtum steht die These der fragmentierenden Entwicklung entgegen. Sie besagt, dass am globalen Wettbewerb und seinen Wohlfahrtseffekten nicht Länder und deren Bevölkerung als ganzes, sondern immer nur bestimmte Orte, wie z.B. Global Cities (vgl. Kap. 14.2), und auch dort nur Teile der Bevölkerung teilhaben. Zu sprechen ist hier von einem durch Konkurrenz gesteuerten Nebeneinander zeitlich und nachhaltig ganz unterschiedlich am Reichtum partizipierenden, integrierten punkthaft-weltweit gestreuten Orten und Menschengruppen („Inseln des Reichtums") einerseits und von einer durch Armut geprägten, ausgegrenzten flächenhaft-globalen Restwelt („Meer der Armut") andererseits (...)" (SCHOLZ 2002, S. 11).
(...)
Von den EL zu trennen sind zwei Ländergruppen: Erstens die sog. Schwellenländer bzw. Newly Industrialized Countries (NIC), die einst EL waren und sich aufgrund hohen industriellen Wachstums, fortgeschrittener Diversifizierung der Wirtschaftsstruktur, wachsender Weltmarktintegration und ausreichender Befriedigung von Grundbedürfnissen im Übergang zur Gruppe der Industriestaaten befinden. Diese Länder, die überwiegend in Südamerika und Ost-/Südostasien vorzufinden sind6, entfalten eine erhebliche wirtschaftliche Eigendynamik, die es ihnen gestattet, die für EL typischen Strukturmerkmale Schritt für Schritt zu überwinden7. Ihr wirtschaftlicher
116
5
Entwicklung versus Unterentwicklung: Ursachen und Konsequenzen
Aufstieg lässt sich mit dem sog. Fluggänsemodell erklären (vgl. Exkurs 10.3). Zweitens die Transformationsländer des zusammengebrochenen kommunistischen Länderblocks. Aufgrund der Systemtransformation sind letztere mit spezifischen wirtschaftlichen Anpassungsproblemen konfrontiert, die mit denen der typischen EL nichts mehr zu tun haben.
Entwicklung
5.2
versus
Unterentwicklung
aus
theoretischer
Sicht
Ex-post-Analysen zur Beantwortung der eigentlich simpel klingenden Frage „Warum sind die einen reich, die anderen arm?" machen die Erklärung eines äußerst komplexen und multikausalen Sacherverhaltes erforderlich. Für die Problematik der EL sind viele Ursachen verantwortlich; ihre Analyse macht den Einbezug sowohl sozioökonomischer als auch historischer wie religiös-kultureller Aspekte erforderlich. Es darf nicht verwundern, dass daher nebeneinander viele Entwicklungsunterschiedlichen Punkten ansetzen und verschiedene Denkrichtungen transportieren. Alle Entwicklungstheorien stehen jedoch vor zwei Herausforderungen: Einerseits wollen sie die ökonomisch-gesellschaftlichen Phänomene Entwicklung und Unterentwicklung analysieren und dafür einen Erklärungsbeitrag liefern. Andererseits sollen sie aus der Analyse und Erklärung der Probleme strategische Folgerungen ableiten, was dann vor allem für die Entwicklungszusammenarbeit (vgl. Kap.5.4.2) eine bedeutende Rolle spielt (vgl. Coy 2005, S. 739). Unter den ökonomisch ausgerichteten Theorien lassen sich grob zwei Strömungen identifizieren: Modernisierungstheorien und Dependenztheorien.
theorien existieren, die
5.2.1
an
Modernisierungstheorien
Modernisierungstheorie ist der Oberbegriff für Theorieansätze, die den Prozess der Nachahmung und Angleichung von unterentwickelten an entwickelte Gesellschaften zum Inhalt haben. Modernisierung steht dabei für den Entwicklungsprozess, den die EL durchmachen und für den die IL die Norm sind. Die Modernisierungstheorien gehen vom ökonomischen Leitbild der westlichen IL aus. Aufgabe der EL ist es diesem nachzueifern. Das Bild von der industrialisierten Gesellschaft entwickelter Länder wird daher zum eigenen Zukunftsbild der EL. Modernisierung gilt somit als direkt-evolutionärer Prozess in Richtung auf eine gesetz-
Hongkong, Taiwan, Südkorea, Singapur, Thailand, Malaysia sowie Brasilien und Argentinien galten früher als Schwellenländer, sind heute jedoch bereits als Industrieländer einzustufen. Länder, welche dem Entwicklungskonzept der NIC erfolgreich nacheifern, aber noch nicht deren wirtschaftliches Niveau erreicht haben, wie z.B. die Jaguar-Staaten in Lateinamerika (vor allem Mexiko und Chile), werden als Newly Industrializing Economies (NIE) bezeichnet.
A: Weltwirtschaft im
te
117
Globalisierungsprozess
Norm, die Modernität. Ein Abweichen
von
dieser Norm wird als Fehl- bzw.
Unterentwicklung verstanden. Modernisierungstheorien gehen von endogenen Ursachen der Unterentwicklung aus: Die Verhaltens- und Lebensweisen traditioneller Gesellschaften und Kulturen gelten als die wesentlichen Hemmnisse bei der Überwindung von Unterentwicklung. Die Kernhypothese aller Modernisierungstheorien besagt, dass die Dritte Welt unterentwickelt ist und bleibt, weil und solange sie nicht fähig ist, sich aus den Fesseln der Tradition zu befreien. Unterentwicklung gilt erst dann als überwunden, wenn sich die Mitglieder der unterentwickelten Gesellschaften in Denken und Handeln, Produktion und Konsum den reichen Industriegesellschaften angepasst haben. Für den Entwicklungsprozess stellen Tradition und Modernität Startund Zielpunkt eines Weges dar, den die EL zu beschreiten haben und der nach dem ursprünglichen Verständnis der Modernisierungstheorie uniform, d.h. für alle unterentwickelten Gesellschaften gleich, und unilinear, d.h. auf das Entwicklungsniveau der Industriegesellschaften ausgerichtet, verläuft. Ein typisches Merkmal der Modernisierungstheorien ist die Annahme dualistisch geprägter interner Strukturen der EL. Folgende Formen lassen sich unterDie
scheiden: Der ökonomische Dualismus bezeichnet das Nebeneinander eines kapitalistisch organisierten, vom Ausland dominierten und exportorientierten modernen Sektors und eines mit primitiver Technologie funktionierenden und lose in den nationalen Markt integrierten traditionellen Subsistenzsektors. Der regionale Dualismus bedeutet das Nebeneinander zwischen industriellen Metropolen und unterentwickelten, marginalisierten Peripherien. Sozialer und kultureller Dualismus besteht zwischen extrem armen und extrem reichen Schichten, zwischen einer westlich gebildeten Elite und einer analphabetischen Masse (vgl. Nohlen 2000 S. 522ff.; Lachmann 2004, S. 92; Coy 2005, S. 740).
Es existiert eine Vielzahl unterschiedlicher Modernisierungstheorien. Je nach Untersuchungsperspektive werden politologische, soziobiologische oder sozialpsychologische Rahmenbedingungen akzentuiert. Ein besonderer Typ der Modernisierungstheorien sind die sog. Wirtschaftsstufentheorien. Eine der bekanntesten Wirtschaftsstufentheorien stammt von Rostow. Dieser unterscheidet fünf Phasen, die eine traditionelle Gesellschaft auf dem Weg zur Modernität durchmacht (vgl. Wagner/Kaiser 1995, S. 36f.; Lachmann 2004, S. 90f.): 1. Die traditionelle Gesellschaft:
Übergewicht des Agrarsektors, hierarchische
Gesellschaftsstrukturen, geringe vertikale Mobilität;
Übergang:
2. Gesellschaft im Anbahnung des Wirtschaftswachstums, Ansteigen der Investitionsquote; die Verhaltensweise der Bevölkerung beginnt sich zu
ändern;
3. Wirtschaftlicher Aufstieg (take-off): Ansteigen der Investitionsquote auf 5 bis 10%; Bildung von Leitsektoren, d.h. industrieller Wirtschaftszweige mit
118
5
Entwicklung versus Unterentwicklung:
Ursachen und
Schaffung politischer, sozialer Rahmenbedingungen; dynamische Unternehmer;
hohen Wachstumsraten;
Konsequenzen
und institutioneller
4. Reifestadium: Kontinuierliches Wirtschaftswachstum übertrifft das Bevölkerungswachstum, Investitionsquote zwischen 10 und 20%; neue Technologien verändern die Industriestruktur;
5. Nach Absolvieren des Reifestadiums kann die Gesellschaft zwischen drei Optionen zur Weiterentwicklung wählen: Streben nach äußerer Macht durch imperialistische Militär- und Außenpolitik, Errichtung eines Wohlfahrtsstaates oder Weiterentwicklung zur Massenkonsumgesellschaft wie in den USA, Westeuropa und Japan. Die Stufentheorie von Rostow ist einer Reihe von Kritikpunkten ausgesetzt. Sie weist rein deskriptiven Charakter auf und bleibt die Antwort auf die Frage schuldig, wie es zur Stufenabfolge genau in dieser Reihenfolge kommt. Unklar bleibt, wie sich eine traditionelle Gesellschaft zur Übergangs- oder Take-off-Gesellschaft entwickelt. Kritisch ist auch einzuwenden, dass Rostow wie alle Modernisierungstheoretiker den sozialen, politischen und ökonomischen Entwicklungsprozess der IL als Norm vorgibt, an der sich die EL orientieren sollen. Ignoriert wird, dass derartige Normen in den EL möglicherweise aber nicht auf Akzeptanz stoßen, da Modernität nach westlichen Normen nicht die einzige Alternative zu Unterentwicklung darstellen muss. Die Sichtweise der Modernisierungstheoretiker ist also insofern einseitig, als sie unter Tradition alles Nicht-Moderne subsumiert und Modernität als Leitbild jeder Entwicklung dogmatisiert. Des Weiteren berücksichtigt die Theorie von Rostow wie alle Modernisierungstheorien keine exogenen Faktoren, sondern überbetont den endogenen sozioökonomischen Wandlungsprozess. Koloniale Hypotheken der EL und die aktuelle weltwirtschaftliche Lage werden ignoriert (vgl. Wagner/Kaiser 1995, S. 37f; Lachmann 2004, S. 92; Hemmer 2002, S. 7f.).
5.2.2
Dependenztheorien
1960er Jahren ursprünglich Raum im entwickelte Theorieansätze. Sie bilden lateinamerikanischen vor allem sondern kein geschlossenes System, integrieren Elemente der klassischen, von Karl Marx beeinflussten Imperialismustheorien mit der auf Raul Prebisch zurückgehenden Theorie der peripheren Wirtschaft. Anders als die Modernisierungstheorien sehen sie Unterentwicklung nicht als das Ergebnis endogener Faktoren, sondern führen sie auf exogene Ursachen zurück. Die Integration der EL in das System der internationalen Beziehungen gilt als Kernursache der Unterentwicklung, die sich aus der strukturellen Abhängigkeit der EL (Peripherien) von den IL (Zentren bzw. Metropolen) ergibt. Wichtige Vertreter der Dependenztheorie (u.a. Cardoso, Dos Santos, Amin) stellen neben der wirtschaftlichen auch auf die soziale, kulturelle und politische Abhängigkeit der EL von den IL ab. Sie betrachten Unterentwicklung Als
Dependenztheorien gelten verschiedenste, in den
A: Weltwirtschaft im
Globalisierungsprozess
119
Frühphase der Entwicklung, sondern als Resultat des kapitalistischen Entwicklungsprozesses in den IL und als Produkt des industriellen Imperialismus (vgl.Wagner/Kaiser 1995, S. 234ff.). nicht als
Abb. 5.4: Struktur des
Imperialismus nach Galtung
Zentrum Zentralnation
Peripherie
Zentrum
Peripherienation
Peripherie
*-
Interessenharmonie Interessendisharmonie
Quelle: Wagner/Kaiser 1995, S. 83.
Zu den bekanntesten Dependenztheorien gehört die Theorie des strukturellen Imperialismus von Galtung (vgl. Wagner/Kaiser 1995, S. 82ff.). Dieser teilt die Welt in Zentrums- und Peripherienationen auf, welche wiederum in ein Zentrum und eine Peripherie aufgespalten werden. Jede Zentralnation und jede Peripherienation haben damit ein Zentrum und eine Peripherie. Die strukturelle Abhängigkeit gründet darauf, dass die Zentralnation im Zentrum der Peripherienation einen Brükkenkopf in Form einer nationalen, kollaborierenden Führungselite besitzt, welche die Wertvorstellungen und Lebensformen des Westens adaptiert und mit der Zentralnation ein gemeinsames Interesse an der Aufrechterhaltung der bestehenden Zustände hat. Die Struktur des Imperialismus ist durch eine Interessensharmonie zwischen dem Zentrum der Zentralnation und der Peripherienation gekennzeichnet. Dagegen besteht eine Interessensdisharmonie innerhalb der Peripherienation und der Zentralnation sowie zwischen Peripherie der Zentralnation und Peripherie der Peripherienation (vgl. Abb. 5.4). Der Imperialismus beruht nach Galtung zum einen auf den asymmetrischen Austauschbeziehungen zwischen Zentral- und Peripherienation. Während die Außenhandelsstruktur der Zentralnation länder- und gütermäs-
120
5
Entwicklung versus Unterentwicklung:
Ursachen und
Konsequenzen
sig über eine breite Basis verfügt, ist die der Peripherienation nur auf wenige Güter und Länder ausgerichtet. Ferner nimmt sich der Warenaustausch für die Zentralnation vorteilhafter als für die Peripherienation aus. Während letztere Rohstoffe exportiert, die einfach herzustellen sind und keine besonderen Fähigkeiten erfordern, produziert die Zentralnation technologieintensive Industrieprodukte. Die ungleiche Verteilung der sich daraus ergebenden Spinn-off-Effekte zementiert die Entwicklungsunterschiede zwischen Zentral- und Peripherienation.
Die Dependenztheorien attackieren scharf das verwestlichte Entwicklungsideal Modernisierungstheorien und ihren auf die westlichen Industriegesellschaften ausgerichteten Ethnozentrismus. Nach den Dependenztheoretikern ist Unterentwicklung nicht das bloße Zurückbleiben der EL hinter dem Entwicklungsniveau der reichen IL oder das Ergebnis einer unzureichenden Einbindung unterentwickelter Gesellschaften in das moderne Weltsystem, sondern gerade die Folge einer über die Ausbeutungsmechanismen der IL sehr effizient funktionierenden Integration der EL in ein von den kapitalistischen Industriezentren dominiertes Weltwirtschaftssystem. Als Ausbeutung gilt der kontinuierliche illegitime Ressourcentransfer von den EL in die IL, die sich bestimmte Inputs der unterentwickelten Gesellschaften für den eigenen Entwicklungsprozess über verschiedene Mechanismen aneignen (vgl. Hein 1998, S. 163ff.): der
•
•
•
Ausbeutung über den Handel: Aufgrund unterschiedlicher Einkommenselastizitäten der Nachfrage nach Primärgütern und industriellen Fertigprodukten kommt es zu einer Verschlechterung der Terms of Trade, d.h. die Realaustauschverhältnisse des Außenhandels zwischen Ex- und Importgütern verschlechtern sich zuungunsten der EL ; Ausbeutung durch transnationale Konzerne: Abbau mineralischer Rohstoffe in den EL und Rückführung der in den Peripherien erwirtschafteten Gewinne in die industriellen Ursprungsmetropolen der Konzerne. Ausbeutung durch Migration: „Brain drain", d.h. Migration hoch qualifizierter Arbeitskräfte aus den EL in die IL aufgrund besserer Arbeits- und Forschungsbedingungen, höherer Einkommen und politischer Verfolgung, obwohl die Qualifikation dieser Arbeitskräfte zur Weiterentwicklung in den Ländern der Dritten Welt dringend gebraucht wird.
Den Dependenztheorien kritisch entgegenzuhalten ist die unpräzise, sehr verschiedentliche und manchmal sogar widersprüchliche Verwendung des Begriffs der Abhängigkeit (dependencia), der sich nur schwer operationalisieren und empirisch erfassen lässt. Zwar greifen viele Dependenztheoretiker auf die koloniale Vergangenheit etlicher EL zurück, was als unbestrittene Stärke dieser Theorien gilt, doch wird die Tatsache ignoriert, dass manche EL (z.B. Afghanistan, Äthiopien, Liberia, 8
Diese These geht auf die sog. Theorie des ungleichen Tauschs bzw. der säkularen Verschlechterung der Terms of Trade von Prebisch und Singer zurück (vgl. Hein 1998, S. 164ff; Wagner/Kaiser 1995, S. 72ff).
A: Weltwirtschaft im
121
Globalisierungsprozess
Thailand, Nepal) nie oder nur kurzzeitig kolonialisiert waren. Daneben rechnen Länder, die sehr lange Kolonien waren (wie z.B. Hongkong oder Singapur), auf-
grund ihrer Sonderrolle als Stadtstaaten und internationale Handelsdrehscheiben zu den erfolgreichsten Ländern der Welt. Ferner ist die Rückführung von Unterentwicklung allein auf externe Ursachen ebenso monokausal und vereinfachend wie die Betonung allein endogener Verursachungsfaktoren von Unterentwicklung durch die Modernisierungstheorien (vgl. Wagner/Kaiser 1995, S. 84f). Dennoch hat die Dependenztheorie durch das Auftreten der sog. Globalisierungsgegner (vgl. Exkurs 6.5), welche einen Großteil der Armut der EL der Existenz und Politik der kapitalistischen IL zuschreiben, eine gewisse Renaissance erfahren (vgl. Lachmann 2004, S.
234).
5.3 Rohstoffe und weltwirtschaftliche 5.3.1
Arbeitsteilung
Entwicklungsländer im Welthandel
Exporterlöse stellen für EL die wichtigste Einnahmequelle dar. Im Jahr 2000 machten sie das l lfache der gesamten internationalen Entwicklungshilfeleistungen aus.
Durch den Außenhandel verdienen die EL einen Großteil ihrer Devisen, welche sie zu Importfinanzierung und Schuldendienst aufwenden. Der Außenhandel trägt über Zölle und sonstige Abgaben ferner wesentlich zu den Einnahmen der öffentlichen Haushalte bei (vgl. Lachmann 2004, S. 212). Die EL, deren Wirtschaftsstruktur vielfach noch historisch-koloniale Bezüge aufweist, können am internationalen Handel aber nur beschränkt teilnehmen und ihn nur in sehr wenigen Fällen (z.B. bei strategischen Rohstoffen wie Rohöl) maßgeb-
lich beeinflussen. Dass der Welthandel an den EL im Wesentlichen vorbeigeht, zeigt Abb. 5.5, welche die ungleiche Verteilung des Welthandels gemessen an den Exporten deutlich macht. -
-
Auf die IL, in denen zusammen nur 16% der Weltbevölkerung leben, entfielen 2003 ca. 68% der weltweiten Warenexporte (Dienstleistungen ca. 71%). Die EL bestritten zusammen dagegen nur ca. 28% der Güterexporte (Dienstleistungen ca. 25%), auf die Transformationsländer bzw. die ehemaligen Ostblockstaaten entfielen nur ca. 3% der weltweiten Warenausfuhren (Dienstleistungen ca. 4%). Die Abhängigkeit der Ländergruppen von den gegenseitigen Handelsbeziehungen ist höchst unterschiedlich: Die IL machen ca. 80% ihrer Handelsbeziehungen unter sich selbst aus (Nord-Nord-Handel), während nur ca. 40% des Handelsvolumens der EL auf den Süd-Süd-Handel zwischen den EL selbst entfallen. Der Handel zwischen den IL und den EL bzw. Transformationsländern ist asymmetrisch, da der Warenaustausch zwischen diesen Ländergruppen für die IL erheblich geringere Bedeutung hat als für die EL bzw. Transformationsländer.
122
5
Abb. 5.5:
Entwicklung versus Linterentwicklung: Ursachen
und
Konsequenzen
Regionale Anteile an den Weltwarenexporten 2003 asiatische Schwellen 3). und junge Industrieländer
9,4%
Entwick-
lungs-
länder
1) inclusive Intra-EU-Handel 2) Mittel- und Osteuropa, Russland 3) Malaysia, Thailand 4) Hongkong, Singapur, Südkorea, Taiwan Quelle: Eigene BerechnungeN nach Wto 2004. Für die geringen Marktanteile der ärmsten EL am Welthandel zeichnen mehrere Ursachen verantwortlich (vgl. Kortmann 1998, S. 21ff): •
•
Schwache wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der EL und Verschlechterung der Produktionschancen (z.B. Bodenerosion in der Landwirtschaft, Erschöpfung natürlicher Rohstoffressourcen); Angebotsknappheit der EL aufgrund wachsenden Eigenbedarfs (z.B. wegen des
explosiven Bevölkerungswachstums
oder wachsender
Konsumansprü-
che); •
Hemmung des Außenhandels durch politische Instabilitäten, ideologisch bedingte Blockaden und eine nicht an der Erbringung ökonomischer Leistungen ausgerichtete Mentalität;
A: Weltwirtschaft im
123
Globalisierungsprozess
•
ungenügende verkehrsinfrastrukturelle Erschließung mit der Folge hoher Transport- und Kommunikationskosten zur Überwindung der geographischen
•
Beeinträchtigung der Produktions- und Exportkapazitäten der EL durch hohen Schuldendienst, Devisenknappheit und Kapitalflucht; Diskrepanzen zwischen der Angebotsstruktur und der Qualität des Exportan-
Distanzen;
•
gebots den
der EL und den Bedarfsstrukturen sowie
IL;
Qualitätsanforderungen
in
Verlagerung der Bezugsquellen der IL in andere IL, Schwellenländer und vor allem in die Transformationsstaaten des ehemaligen Ostblocks mit der Folge der weiteren Verschlechterung der Absatzchancen der traditionellen EL. Um der besonderen Situation der EL im Welthandel Rechnung zu tragen, räumt das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen GATT den EL Sonderbedingungen ein (vgl. Kap. 4.2.2). Von Bedeutung sind auch regionale Handelsabkommen, wie z.B. die von der EU mit den AKP-Staaten abgeschlossenen Abkommen von Lome und Cotonou (vgl. Kap. 10.2.1). •
Neben den angeführten Gründen ist es vor allem der Protektionismus der IL, der in ganz erheblichem Ausmaß zur Marginalisierung vieler EL im Welthandel beiträgt ein Effekt, der um so stärker wiegt, je weniger diversifiziert die Exportgüterpalette der EL ist. Gerade in den Sektoren, in welchen die EL komparative Wettbewerbsvorteile gegenüber den IL genießen (vor allem Agrarprodukte, Textilien und Bekleidung), kommt die Handelsliberalisierung nur stockend voran. So unterwerfen die OECD-Länder Importe von arbeitsintensiven Produkten wie Bekleidung und Schuhe trotz Auslaufen des Multifaserabkommens (vgl. Exkurs 4.2) immer noch einem bereiten Spektrum von Einfuhrquoten. Im Agrarbereich wird den EL mit ihrer relativ kostengünstigen landwirtschaftlichen Produktion der Marktzugang durch hohe Zollmauern verwehrt. Einträgliche Beispiele sind der abgeschottete EU-Zuckermarkt und der hoch protektionierte japanische Reismarkt. Hinzukommt, dass die Zölle mit zunehmendem Grad der Verarbeitung der Primärgüter stark ansteigen (Zolleskalation)9. Besonders problematisch sind vor allem die von den IL gezahlten Subventionen, welche die eigenen, teuer erzeugten Agrarprodukte für die Ausfuhr künstlich verbilligen und über den damit ausgeübten Druck auf die Weltmarktpreise wettbewerbsfähigen agrarproduzierenden EL schaden (vgl. Sautter 2004, S. 48). Ein besonders gravierendes Beispiel sind die Baumwollsubventionen der USA (vgl. Exkurs 5.1). -
lässt sich ein Zoll von 5% auf die Einfuhr in Neuseeland anführen.
Als
Beispiel
von
gemahlenem Kaffee
von
Kaffeebohnen, aber
von
15% auf die
124
5
Entwicklung versus Unterentwicklung:
Exkurs 5.1: Westafrikas
Ursachen und
Konsequenzen
Baumwollproduktion unter Subventionsdruck
Baumwolle, nach Holz die bedeutendste pflanzliche Ressource für technische Verwertungs-
gilt als Grundstoff für das hoch entwickelte Textilgewerbe. In der wirtschaftlichen Entwicklung mehrerer westafrikanischer Länder (Burkina Faso, Benin, Mali, Togo, Tschad etc.) spielt die Baumwollproduktion eine herausragende Rolle. Rund 30% der Gesamtexporteinnahmen und mehr als 60% der Erlöse aus Agrarexporten entfallen in dieprozesse,
Ländern auf den Baumwollsektor, der dort bis zu 10% des BIP ausmacht. Für die meist unArmutsgrenze lebenden Kleinerzeuger ist Baumwolle das einzige wettbewerbsfähige Exportprodukt und die wichtigste Einkommensquelle. Die Einnahmen aus dem Baumwollgeschäft fließen zum größten Teil in den Ausbau der wirtschaftlichen und sozialen Infrastruktur des ländlichen Raums. In den vergangenen Jahren konnten Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit des westafrikanischen Baumwollsektors durch produktivitätserhöhende Reformen gesteigert werden. Gleichzeitig ließen sich die Produktionskosten auf einen sehr niedrigen Stand senken, der um bis zu 50% unter dem der baumwollproduzierenden Industrieländer, vor allem der USA und der EU, liegt. Hinzukommt die sehr gute Qualität der westafrikanischen Baumwolle, die von Hand gepflückt wird und daher viel weniger verunreinigt ist als mechanisch geerntete Baumwolle.
sen
ter der
Die größte Bedrohung für die Produzenten Westafrikas liegt in den Subventionen, mit denen die Industrieländer ihre eigentlich nicht wettbewerbsfähigen Baumwollsektoren stützen. Sie betrugen alleine in den USA 2003 3,7 Mrd. US-$. Gemäß der am 13.5.2002 in Kraft getretenen „Farm Bill" werden die US-Baumwollsubventionen weiter kräftig steigen. Durch die staatliche Stützung begünstigt, stieg der Anteil der USA an den weltweiten Baumwollexporten zwischen 1997 und 2002 von 25 auf 37%. Die Folge dieses Subventionsregimes ist, dass das Baumwollangebot auf dem Weltmarkt zusätzlich ansteigt und zu deutlichen Preiseinbrüchen führt. Die westafrikanischen Länder werden davon am meisten getroffen, da ihre nicht-subventionierten Landwirte Baumwolle nur noch zu einem Preis absetzen können, der kaum über den Herstellungskosten liegt. Steigen die Subventionen weiter, wird die Produktion wohl stillgelegt werden müssen, da sie gegenüber der hoch subventionierten Baumwolle, vor allem aus den USA, kaum wettbewerbsfähig ist. Zwar alimentiert auch die EU ihren Baumwollsektor, insbesondere in Spanien und Griechenland, kräftig mit Subventionen. Da die EU-Baumwolle aber nicht für den Export bestimmt ist, wird dies aus westafrikanischer Sicht weniger negativ angesehen als das Subventionssystem der USA. Der Widerstand etlicher Entwicklungsländer gegen die Baumwollsubventionen trug mit zum Scheitern der WTO-Ministerkonferenz in Cancün (vgl. Kap. 4.4) vom September 2003 bei. 2004 hat die Welthandelsorganisation WTO denn auch einer Klage Brasiliens, dem fünftgrößten Baumwollproduzenten der Welt, gegen die US-Subventionen stattgegeben, wonach diese zu künstlich niedrigen Preisen auf dem Weltmarkt führten. Wann es aber tatsächlich zu einem Abbau der Baumwollbeihilfen kommt, bleibt weiterhin unklar (vgl. Krings 2004, S. 26ff.; Die Zeit 2003; Sz 2004).
Die Agrarsubventionen der OECD-Länder übersteigen die direkte Entwicklungshilfe um ein Vielfaches. In der entwicklungspolitischen Diskussion ist der Agrarprotektionismus der IL wegen seiner verheerenden Folgen kaum vertretbar und somit immer wieder Gegenstand kontroverser Verhandlungen der Welthandelsorganisation (WTO). Diese ging mittlerweile dazu über, immer öfter protektionistische Agrar-
A: Weltwirtschaft im
125
Globalisierungsprozess
an den Pranger zustellen. Neben der Verurteilung der USBaumwollsubventionen (vgl. Exkurs 5.1) entsprach 2004 ein WTO-Schiedsgericht der Klage Brasiliens, Australiens und Thailands und verurteilte die Zuckermarktordnung der EU. Denn unter natürlichen Bedingungen wäre der europäische Zukker, dessen Produktionskosten um 200-300% über den Weltmarktpreisen liegen, auf dem Weltmarkt keinesfalls wettbewerbsfähig. Doch hat die seit 1968 existierende Zuckermarktordnung, die aus einem komplexen System von garantierten Mindestpreisen, Produktionsquoten, Zöllen und Exportsubventionen besteht, einerseits die EU zum weltweit größten Exporteur von Weißzucker gemacht, wodurch anderen wettbewerbsfähigen Exportländern wichtige Exportmärkte verlustig gehen und sich der Preisverfall auf den internationalen Zuckermärkten verstärkt. Kritiker lässt dies von „Zuckerdumping" sprechen. Andererseits wird der Zuckermarkt der EU nahezu hermetisch vor Zuckerimporten aus anderen Ländern abgeschirmt. Beide Effekte führen zu gravierenden Wettbewerbsverzerrungen auf dem Weltmarkt. Das Urteil stufte Teilbereiche der Zuckermarktordnung daher als nicht vereinbar mit den geltenden Welthandelsprinzipien ein und zwingt die EU erstmals zu einer weitreichenden Korrektur ihrer Zuckermarktpolitik (vgl. Corves 2004, S. 42ff.).
Politiken
5.3.2
Abhängigkeit vom Rohstoffexport
Trotz weitreichender Veränderungen seit den 1960er Jahren stellen Rohstoffe immer noch die wichtigsten Exportgüter der EL dar. Ca. 60% der Ausfuhren der 49 ärmsten Länder der Welt setzen sich aus unverarbeiteten Rohstoffen mit geringer Wertschöpfung zusammen. Umgekehrt ist es bei den Importgütern: Die EL führen zum größten Teil verarbeitete Produkte ein, während sich die Rohstoffeinfuhr in Grenzen hält. Für die Außenhandelsstruktur vieler EL ist daher wenn auch mit abnehmender Tendenz die auf die Kolonialzeit zurückgehende komplementäre bzw. intersektorale Arbeitsteilung prägend: Die EL produzieren und exportieren Rohstoffe in die IL, von denen sie industrielle Produkte beziehen. Nur wenige Länder, die heute als Schwellenländer gelten, haben es bisher geschafft, diese komplementäre durch eine substitutive bzw. intrasektorale Arbeitsteilung abzulösen, indem sie Industrieprodukte sowohl aus den IL beziehen als auch dorthin exportieren (u.a. Taiwan, Südkorea, Malaysia, Mexiko, Brasilien, Argentinien). Die Mehrheit der EL ist immer noch in hohem Ausmaß vom Rohstoffexport abhängig (vgl. Tab. 5.2), der vielfach die wichtigste, wenn nicht gar einzige Einnahmequelle darstellt. -
-
Dabei gilt es zu beachten, dass die Höhe der Einnahmen, die den EL aus dem Rohstoffhandel zufließen, durch bestimmte Faktoren stark beeinträchtigt wird. Hierzu rechnet in erster Linie die Instabilität der Rohstoffpreise (vgl. Kap. 5.3.3). Daneben machen die Transport- und Transportnebenkosten bei Rohstoffen einen erheblichen Teil des Importpreises aus. Da die EL aber meist nicht über die nötigen Transportkapazitäten verfügen, können sie aus dem Transport ihrer Rohstoffe selbst keine Deviseneinnahmen erzielen. Ferner reduzieren die Handelsspannen des Groß-
126
5
Entwicklung versus Unterentwicklung: Ursachen und Konsequenzen
und Einzelhandels den Anteil der EL am Endverbrauchspreis der Rohstoffe. Bei bestimmten Rohstoffen wird der Markt von wenigen Großkonzernen dominiert, deren Marktmacht große Differenzen zwischen Export- und Endverbrauchspreis der Rohstoffe verursacht (vgl. Wagner/Kaiser 1995, S. 110). Tab. 5.2:
Abhängigkeit der Entwicklungsländer vom Rohstoffexport Exportprodukt
Land
/ Rohstoff
Prozent d. Gesamt-
exporte
Uganda
Kaffee
95
Mauretanien
Eisenerz
83
Sambia
Kupfer
81
Niger
NE-Metalle Kaffee
79
Tschad
Baumwolle
78
Reunion
Zucker
78
Fidschi
Zucker
78
Ruanda
Kaffee
75
Somalia
Vieh
70
Liberia
Eisenerz
62
Äthiopien
Kaffee
60
Kuba
Zucker
59
El Salvador
Kaffee
58
Dominik.
Zucker
54
Ghana
Kakao
54
Mali
Baumwolle
52
Kolumbien
Kaffee
50
Burundi
Rep.
79
Quelle: In Anlehnung an Altmann 2000, S. 508.
Für den immer noch hohen Rohstoffanteil an den Exporten vieler EL zeichnen mehrere Ursachen verantwortlich (vgl. Koch 1997, S. 59; Nuscheler 2004, S. 315L): •
•
Der Rohstoffreichtum der EL weckte koloniale Begehrlichkeiten, den IL bzw. Kolonialmächten versprach seine Ausbeutung einen „Platz an der Sonne". Koloniale Hypotheken bürdeten den EL damit eine Exportstruktur auf, die sich ausschließlich an der Rohstoffversorgung der IL orientierte und dadurch andere Entwicklungsoptionen mit der einsetzenden Dekolonialisierung zunächst blokkiert und später entscheidend beeinträchtigt hat. Bis heute werden viele EL als Rohstofflieferanten der IL an ihrer Weiterentwicklung behindert. Auf die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs sich zunächst erhöhenden Rohstoffpreise und den steigenden Bedarf an Devisen zur Bezahlung ihrer Importe reagierten die EL mit einer Expansion ihrer RohstoffSektoren.
A: Weltwirtschaft im
•
127
Globalisierungsprozess
Der kontinuierlich zunehmende Import von Konsum- und Investitionsgütern in den EL bewirkte infolge des explosionsartigen Anstiegs der Erdölpreise in den 1970er und 1980er Jahren eine wachsende Auslandsverschuldung. Das erhöhte den Druck auf die EL, durch eine weitere Ausdehnung der Rohstoffexporte Devisen zum Abbau der Verschuldung zu erzielen. Die notwendige wirtschaftliche Umstrukturierung in den EL blieb dadurch aus.
Der Rohstoffreichtum vieler EL erweist sich wegen der hohen Exportabhängigkeit als Entwicklungshemmnis und als schwer belastende kolonialzeitliche Bürde. Ferner hinterlässt der Abbau mineralischer Rohstoffe vielfach große Einschnitte in der Kulturlandschaft der EL, ohne dabei aber notwendige Entwicklungsimpulse in Gang zu setzen. Die großen Plantagen, die meistens im Besitz agroindustrieller Konzerne stehen, bilden Enklaven, die zumindest einige Exportsteuern sowie Devisen abwerfen und Saisonarbeitern Beschäftigung bieten. Wie die Plünderung natürlicher Lebensgrundlagen durch die Rohstofförderung die Überlebensbedingungen in den EL beeinträchtigt, zeigen der ökologische Raubbau an den tropischen Regenwäldern und die Expansion von Monokulturen, die ökologisch verheerend und entwicklungspolitisch als Misserfolg zu werten sind (vgl. NlJSCHELER 1991, S. 104).
Rohstoffbestände allein stellen noch keine Garantie für eine höhere Wirtschaftsleistung dar, in manchen Fällen tritt sogar das Gegenteil ein. Eine Variante dieses Umstandes ist die sog. holländische Krankheit („dutch disease"): Durch hohe Erlöse aus der Rohstoffausfuhr gerät die heimische Währung tendenziell unter Aufwertungsdruck, was die Exportchancen für andere, auf dem Weltmarkt gehandelte Produkte reduziert10. Verbreitet ist mittlerweile auch die These vom sog. Fluch der Rohstoffe, welche den Rohstoffreichtum für Demokratiedefizite und extreme Korruption in EL verantwortlich macht und als Hemmnis beim Streben nach wirtschaftlicher Prosperität erscheinen lässt. Meist handelt es sich dabei um strategische bzw. sensitive Rohstoffe, d.h. Energieträger (Erdöl, Erdgas, Kohle, Uran), industriell genutzte Rohstoffe, welche existenziell für die Funktionsfähigkeit der Volkswirtschaften von Industriegesellschaften sind (Kupfer, Kobalt, Platin, Mangan, Coltan u.a.), aber auch um gewinnträchtige Minerale wie Diamanten, Edelsteine, Gold und mit Abstrichen wertvolle Tropenhölzer. Aufgrund ihres Beutecharakters werden derartige Rohstoffe zu einer bedeutenden Einnahmequelle für einflussreiche Eliten. Die Gewinne aus dem Rohstoffhandel fließen nicht nur in die Entwicklung des jeweiligen Landes, sondern auch in die Errichtung und Aufrechterhaltung klientelistischer Herrschaftssysteme sowie in die Stabilisierung von Repressions- und Sicherheitsapparaten (vgl. Basedau/Mehler 2003, S. 39f). Nicht selten kommt es wie das Beispiel Westafrika zeigt zu dauerhaften kriegerischen Auseinandersetzungen und demzufolge zu politischen und wirtschaftlichen Instabilitäten. -
-
Große Erdgasfunde in der Nordsee und deren Ausfuhr hatten in den 1960er Jahren in den Niederlanden zumindest kurzzeitig Exporteinbrüche bei Industriegütern und Dienstleistungen zur Folge.
128
5
Entwicklung versus Unterentwicklung: Ursachen und Konsequenzen
5.3.3 Instabilität der
Rohstoffpreise und ihre Folgen
Da die EL in hohem Maße Rohstoffe produzieren und ausführen, wirken sich Schwankungen der Rohstoffpreise unmittelbar auf ihre Exporterlöse aus. Rohstoffe als Hauptausfuhrprodukte der EL sind für derartige Preis- und die sich daraus ergebenden Erlösinstabilitäten besonders prädestiniert, da nicht nur die Einkommenselastizität der Weltmarktnachfrage nach Rohstoffen vergleichsweise gering sein kann, sondern auch die Preiselastizität des Angebots und der Nachfrage. Dies bedeutet, dass bereits kleinste Angebots- und Nachfrageschwankungen überproportionale Preis- und Erlösfluktuationen zur Folge haben können. Sie erschweren den EL eine mittelfristige Haushalts- und Entwicklungsplanung, erweitern oder verringern die Einfuhrfähigkeit, das steuerliche Aufkommen sowie die Fähigkeit zum Schuldendienst und wirken sich auf Produzenteneinkommen, unternehmerische Investitionsfähigkeit, Beschäftigungssituation sowie nicht selten auf die politische Stabilität eines EL aus. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass die Produzenten aufgrund von Transport- und Vermarktungskosten, Handelsspannungen sowie Abschöpfungen durch (halb)staatliche Marketing Boards in den EL, welche einen oft erheblichen Teil der Verkaufserlöse einbehalten, häufig nur einen Teil des Preises erhalten, den die Konsumenten zahlen (vgl. Nuscheler 2004, S. 316).
Preisschwankungen von Rohstoffen ergeben sich aus angebots- oder nachfragebedingten Ursachen (vgl. Wagner/Kaiser 1995, S. 113ff.): Angebotsbedingte Ursachen betreffen vor allem agrarische Rohstoffe und liegen in Witterungseinflüssen, Seuchen, Schädlingsbefall oder Naturkatastrophen. Zu beachten sind ferner die z.T. sehr langen Ausreifungszeiten bestimmter Agrarprodukte, die nicht nur zu einmaligen, sondern zu zyklischen Preis- und Erlösfluktuationen führen. Zu den nachfragebedingten Ursachen gehören die konjunkturelle Entwicklung in den IL, die als Hauptnachfrager von Rohstoffen aus den EL auftreten, und spekulative Einflüsse. Die Rohstoffpreise werden ferner ganz erheblich durch die Preiselastizität der Rohstoffnachfrage beeinflusst. Aufgrund des sinkenden Anteils von Rohstoffen in der industriellen Produktion führen geringe Nachfrageänderungen zu überproportionalen Preisschwankungen; die gesunkenen Preise werden aber nicht durch Nachfrageerhöhungen kompensiert, sondern bewirken Erlöseinbrüche. Aus Abb. 5.6 ist deutlich zu erkennen, dass die Sprunghaftigkeit der Rohstoffpreise (Brennstoffe ausgenommen) seit 1970 erheblich zugenommen hat. Der in der Gesamtbetrachtung negative Trend der Rohstoffpreisentwicklung'1 ist von zeitweisen Wachstumsschüben und -krisen gekennzeichnet.
A: Weltwirtschaft im
Abb. 5.6: Basis
129
Globalisierungsprozess
Weltmarktpreise für Rohstoffe (ohne Brennstoffe) (1960-2002) auf Euro-
landwirtschaftliche Rohstoffe Lebensmittel -Mineralien, Erze, Rohstoffe
.
-
tropische Getränke -alle Rohstoffe ohne Brennstoffe
-
Quelle: Unctad 2002, S. 138.
Allerdings ist die in Abb.
5.6 geschilderte Entwicklung der Rohstoffpreise in zwei Punkten zu relativieren. Erstens haben aufgrund des anhaltenden Industrialisierungsbooms der VR China die Preise für Eisenrohstoffe (Eisenerz, Stahlschrott, Kokskohle) mittlerweile drastisch (vgl. Kap. 11.4.3.3). Zweitens ist in Abb. 5.6
angezogen12
Im freien Fall befinden sich vor allem die Weltmarktpreise für Kaffee. Der Preis für das am Weltmarkt gehandelte Pfund Rohkaffee (= 453,6 g) der Sorte Arabica lag 1997 noch bei durchschnittlich 189,06 US-Cent, 2002 dagegen bei weniger als einem Drittel davon (61,54 US-Cent). Seit 2003 steigt der Preis für Rohkaffee wieder, dies allerdings nur sehr langsam (64,20 US-Cent durchschnittlicher Weltmarktpreis 2003). Schuld an den niedrigen Weltmarktpreisen ist vor allem das Überangebot von Kaffee auf den Weltmärkten. In den 1990er Jahren wurden mehrere südostasiatische Länder, vor allem Vietnam, wo es bis vor 20 Jahren noch überhaupt keine Kaffeepflanzen gab, durch Kredite der Weltbank zum Kaffeeanbau aufgemuntert. Mittlerweile hat Vietnam etablierte Kaffeeanbauländer wie Kolumbien und Peru hinter sich gelassen und belegte 2003 mit 1917 Mio. Sack (= 60 kg) Netto-Rohkaffeeeinfuhren nach Deutschland hinter Brasilien (4,446 Mio. Sack) bereits den zweiten Platz (vgl. Deutscher Kaffeeverband 2005; Faz 2004). Zwar ist China selbst der weltweit größte Stahlproduzent, seine Kapazität in der Rohstahlproduktion hat sich zwischen 2000 und 2004 fast vervierfacht. 60% davon werden in der Bauwirtschaft und der Automobilindustrie verwendet (vgl. Haas 2004, S. 18). Doch ist der „Stahlhunger" der Chinesen so groß, dass zusätzliche Importe erforderlich sind. China treibt die Weltmarktpreise für Stahl damit auf die Spitze. Die Folge ist ein regelrechtes Explodieren der Stahlpreise. Ähnliche Entwicklungen lassen sich auch bei Zinn, Kupfer, Blei, Aluminium und Nickel beobachten.
130
5
Entwicklung versus Unterentwicklung:
Ursachen und
Konsequenzen
nicht die Entwicklung des Erdölpreises enthalten. Aufgrund seiner hohen strategischen Bedeutung für sämtliche wirtschaftliche Entwicklungen und seiner Knappheit kam dem Erdöl schon immereine besondere Rolle unter allen Rohstoffen zu. 2005 hat der Weltmarktpreis den historischen Höchststand von über 70 US-$/Barrel (159 Liter) erreicht. Ursache ist neben der zunehmenden Konjunktur in mehreren IL vor allem auch die boomende Industrialisierung in China, verbunden mit entsprechenden Nachfrageerhöhungen und Engpässen bei Raffinierung und Transport. Hinzu kommt beim Erdöl nach etlichen Terroranschlägen im Irak und Saudi-Arabien eine sog. „Terrorprämie". Zu beachten sind schließlich auftretende Kapazitätsprobleme in der USamerikanischen Treibstoffproduktion bei gleichzeitiger Verschärfung der dortigen Umweltschutzmaßnahmen sowie die anhaltende Nachfrage nach Fahrzeugen mit hohem Benzinverbrauch in der US-Automobilproduktion. Dennoch gibt es deutliche Anzeichen für eine Abkehr zunehmender Rohstoffnachfrage. Für das sogar langfristige Absinken vieler Rohstoffpreise kommen mehrere Ursachen in Frage: •
•
•
•
Das sich in den IL mehr und mehr durchsetzende Bewusstsein von der Endlichkeit natürlicher Ressourcen, ursprünglich forciert durch die weltweiten Ölkrisen in den 1970er und 1980er Jahren, führt zu einem immer sparsameren Energie- und Rohstoffverbrauch. Der technologische Fortschritt in den IL reduziert vermehrt den Rohstoffverbrauch: Durch neue Produktionsverfahren sinkt der Rohstoffanteil am Endprodukt; daneben werden natürliche Rohstoffe zunehmend durch synthetisch hergestellte Kunststoffe substituiert, während moderne Recyclingverfahren die Wiederverwertung von bereits verarbeiteten Rohstoffen ermöglichen. In bestimmten, als modern eingestuften Zukunftsbranchen (IuK, Mikroelektronik, Bio- und Gentechnologie) kommt den Rohstoffen eine im Vergleich zum Humankapital nur noch geringe Bedeutung zu. Da viele EL in der Expansion ihrer Rohstoffsektoren immer noch die einzige Möglichkeit zur Steigerung ihrer Deviseneinnahmen sehen, nehmen das Rohstoffangebot und der Wettbewerbsdruck auf den Rohstoffmärkten zu.
Welch verheerende Auswirkungen der Rückgang von Rohstoffpreisen für die EL hat, zeigt der Verfall der Kaffee- und Kakaopreise Ende der 1980er Jahre, der Kolumbien, dessen Ausfuhrerlöse zu ca. 50% vom Kaffeeexport abhängen, in den wirtschaftlichen Ruin getrieben hat. Auch andere kaffeeexportierende EL (u.a. Uganda, Äthiopien, Kenia, Ruanda, El Salvador, Costa Rica) mussten massive Erlös- und Beschäftigungseinbrüche hinnehmen. Ebenso stand die Elfenbeinküste, der weltweit größte Kakaoexporteur, vor dem wirtschaftlichen Untergang. Ähnlich gravierende ökonomische Auswirkungen hatten der Verfall der Tabakpreise für Simbabwe Anfang der 1990er Jahre und der Rückgang der Zinnpreise für Bolivien, wo es Mitte der 1980er Jahre zur Schließung vieler Minen und zu Massenentlassungen kam.
A: Weltwirtschaft im
Globalisierungsprozess
5.3.4 Instrumente der
131
Rohstoffpolitik
Da die Mehrheit der EL auf den Export von Rohstoffen stark angewiesen ist und diese Exportabhängigkeit als allgemeines Entwicklungshemmnis gilt, stellt die Rohstoffpolitik ein Kernstück der modernen Entwicklungspolitik dar. Aus Sicht der EL zielt sie darauf ab, den Produzenten wertstabile Preise bei nur gering schwankenden, im Trend aber steigenden Erlösen sowie den regelmäßigen Absatz der Rohstoffe zu
garantieren. Zu den
wichtigsten Tools der Rohstoffpolitik zählen: Instrumente zur Marktbeobachtung dienen der Information über Produktion, Konsum und Handel der Rohstoffe. Instrumente der Marktpflege werden zur Forschung und Entwicklung, Standardisierung bzw. Diversifizierung, Verbesserung der Qualität und Weiterverarbeitung sowie zur Absatzförderung eingesetzt. Die Preis- und Erlöswirkungen derartiger Maßnahmen sind aber begrenzt (vgl. Wagner/Kaiser 1995, S. 131). Ein Beispiel ist das 1994 abgeschlossene internationale Tropenholzabkommen, das der Kontaktpflege zwischen Produzenten- und Verbraucherländern tropischer Hölzer dient und neben Marktbeobachtung und der Förderung der Markttransparenz auch die Zusammenarbeit in Waldkonservierung und Forstschutz zum Gegenstand hat. Das 1986 geschlossene internationale Abkommen für Oliven und Olivenöl zielt neben Absatzförderung und technologischer Kooperation auf den Schutz geographischer Herkunftsbezeichnungen und ökologische Belange ab. Bei Produzentenkartellen vereinbaren mehrere Rohstoffproduzenten bzw. exporteure Produktionsquoten bzw. Mindestmengen, um gemeinsam den Weltmarktpreis eines Rohstoffs zu beeinflussen und ihn dann über die Drosselung der Förderung in die Höhe zu treiben. Die EL erhoffen sich davon eine höhere Beteiligung an der vertikalen Diversifizierung (Verarbeitung) und Vermarktung der Rohstoffe. Das beste Beispiel für das erfolgreiche Funktionieren eines Rohstoffkartells ist die OPEC (vgl. Exkurs 5.2). Viele EL engagierten sich in der Bildung weiterer Rohstoffkartelle13, um den Erfolg der OPEC zu kopieren, die zum größten Teil aber wirkungslos blieben, weil die Kartellfähigkeit eines Rohstoffs an mehrere Voraussetzungen geknüpft ist, die in den meisten Fällen aber nicht erfüllt werden. Hierzu gehören u.a. ein ausreichender Anteil der Kartellpartner an der Weltproduktion und am Weltexport; kein Monopson14 auf der Nachfrageseite, Mechanismen zur Kontrolle der angebotenen Rohstoffmengen, d.h. der Möglichkeit der Lagerbarkeit oder Produktionsdrosselung, -
•
•
für Phosphat, Kaffee, Bauxit, Bananen, Quecksilber, Kakao, Kupfer, Eisenerz, Kautschuk, Wolfram Ein Monopson liegt vor, wenn ein einzelner Nachfrager einer großen Menge von Anbietern gegenübersteht. u.a.
132
•
•
•
5
Entwicklung versus Unterentwicklung: Ursachen und Konsequenzen
Homogenität des Rohstoffes
als Voraussetzung für die Festlegung eines einheitlichen Preises, eingeschränkte Substitutions- und Recyclingmöglichkeiten, geringe Anzahl von Anbietern des Rohstoffs, die nicht dem Kartell angehören,
•
•
geringe Anfälligkeit der Kartellmitglieder gegenüber Sanktionsmaßnahmen der Importeure, strikte Einhaltung der vom Kartell beschlossenen Förder- bzw. Exportquoten. Exkurs 5.2: Die
Organisation erdölexportierender Länder (OPEC)
(Organization of Petroleum Exporting Countries) stellt ein internationales Kartell zur Regulierung der Erdölförderung dar. Sie wurde 1960 von den fünf großen Ölexportländern Saudi-Arabien, Venezuela, Iran, Irak und Kuwait gegründet. 1962 wurde sie bei den Vereinten Nationen (UN) registriert und stellt seitdem eine in Wien ansässige zwischenstaatliche Organisation dar, die der Koordination und Vereinheitlichung der Erdölpolitik dient. Heute umfasst die OPEC 11 Mitglieder. Neben den Gründungsländern gehören ihr heute zusätzlich Katar (1961), Indonesien (1962), Libyen (1962), Vereinigte Arabische Emirate (1967), Algerien (1969) und Nigeria (1971) an. Ecuador (1973-1992) und Gabun (1975-1994) gehörten der OPEC nur zwischenzeitlich an. Die Mitgliedschaft des Irak wurde nach dem ersten Golfkrieg 1990 suspendiert, nach Beendigung des zweiten Irakkriegs 2003 aber wieder restituiert. Die Die OPEC
OPEC-Länder besitzen ca. 80% der gesamten konventionellen Welterdölreserven, sind aber nur mit einem Anteil von ca. 40% an der Weltölförderung beteiligt. Die Aufgaben der OPEC bestehen in der Ausarbeitung und Festlegung von Maßnahmen zur Stabilisierung der Preise auf dem internationalen Ölmarkt. Dadurch sollen folgenschwere Fluktuationen der Erdölpreise und ihre negativen gesamtwirtschaftlichen Folgen vermieden werden. Die Bemühungen der OPEC liegen dabei einerseits auf den Interessen der Produzentenländer, die ein stabiles Einkommen aus dem Erdölexport sicherstellen wollen, andererseits auf einer gleichmäßigen und effizienten Ölversorgung der Konsumentenländer. Zudem soll ein fairer Kapitalrückfluss für die Unternehmen, die in die Erdölindustrie investiert haben, sichergestellt werden. Zur Erreichung ihrer Ziele setzt die OPEC einen sog. Preisband-Mechanismus zur Förderquotierung ein. Zu diesem Zweck wird für jedes Mitgliedsland eine Förderquote festgesetzt, an die es sich zu halten hat. Ausgehend von einem OPEC-Gesamtangebot, wird sie über einen bestimmten Schlüssel auf die Mitglieder aufgeteilt. Um wie viel jedes Land seine Förderung verändern muss, wird in prozentualen Anteilen festgelegt. Voraussetzung für das Funktionieren dieses Mechanismus ist die strikte Disziplin der Mitgliedsländer bei der Einhaltung der Förderquoten. Neben der OPEC existiert seit 1968 die OAPEC (Organization of Arab Petroleum Exporting Countries). Ihr Ziel ist die Förderung der arabischen Erdölindustrie durch intensive Zusammenarbeit und regen Informationsaustausch. Die Mitgliedschaft können alle arabischen Länder beanspruchen, deren Haupteinnahmequelle der Erdölexport ist, unabhängig davon, ob sie Mitglied in der OPEC sind oder nicht. Allerdings ist die Politik der OAPEC bindend an den Beschlüssen der OPEC ausgerichtet. Die OAPEC zählt heute 11 Mitglieder (Algerien, Bahrain, Ägypten, Irak, Kuwait, Libyen, Katar, Saudi-Arabien, Syrien, Tunesien, Vereinigte Arabische Emirate). Der wirtschaftliche und politische Einfluss der OPEC ist starken Schwankungen unterworfen. In den 1960er Jahren fungierte sie zunächst nur als Schutzorganisation gegen die multinationalen
133
Globalisierungsprozess
A: Weltwirtschaft im
Ölkonzerne,
mit denen Fördermengen und feste Preise ausgehandelt wurden. Anfang der begann die OPEC dann, die Ölpreise autonom festzulegen. Mit der durch die Industrialisierung der Weltwirtschaft bedingten Nachfrageerhöhung wuchs ihr Einfluss stetig und erreichte mit der ersten Ölkrise einen zwischenzeitlichen Höhepunkt. Auf die politische Unterstützung Israels durch etliche westliche Industrieländer während des israelisch-arabischen Yom-Kippur-Krieges im Herbst 1973 reagierte die OPEC mit einer drastischen Reduzierung ihrer Fördermengen und setzte Erdöl erstmals als politisches Druckmittel ein. Der Ölpreis schnellte in die Höhe und machte zum ersten Mal die Abhängigkeit der Industrieländer vom Erdöl deutlich. Gleichzeitig wurden aber auch Substitutionsmöglichkeiten und energiesparender Verbrauch angeregt. Die zweite Ölkrise im Zuge der iranischen Revolution 1979 und des folgenden Krieges zwischen dem Irak und dem Iran kurbelte die Erdölproduktion mehrerer Nicht-OPECLänder (u.a. USA, Großbritannien, Norwegen, Mexiko) an, sodass bis Mitteder 1980er der weltweite Förderanteil der OPEC und ihre Einnahmen stark sanken. Im Zuge der durch die Asienkrise eingebrochenen Nachfrage hat der Einfluss der OPEC Anfang 1999 seinen Tiefpunkt erreicht, konnte sich mit der dritten Hochpreisphase im Herbst 2000 aber wieder stabilisieren. Dass der Einfluss der OPEC seitdem grundsätzlich hoch ist, aber auch nicht überschätzt werden darf, zeigt die Preisexplosion im Jahr 2005, als der Ölpreis die 70 US-$-Marke überschritten hat und die OPEC nicht über ausreichend freie Förderkapazitäten verfügte.
1970er Jahre
Zu beachten ist, dass zu hohe Preise auch eine Gefahr für die Marktmacht des OPEC-Kartells darstellen. Zum einen ist der Anreiz für Nicht-OPEC-Mitglieder, Öl bei erheblich höheren Kosten rentabel zu fördern, groß. Neue Techniken erlauben daneben die bessere Ausbeutung bestehender Vorkommen und die Erschließung neuer, bislang unzugänglicher Lagerstätten. Mit steigendem Ölpreis rechnet sich ferner die Förderung nicht-konventioneller Erdöle, z.B. von Ölsanden in Kanada und Venezuela. Zum anderen regen sie das Bestreben an, die Ölnachfrage durch effizienten Verbrauch mittels weiter entwickelter Technologien und den Übergang zu substituierenden Energiequellen zu senken. Abb. 5.7 zeigtdie Entwicklung des Erdölpreises im Zeitablauf bis einschließlich 2004 (vgl. Vetter 1998; Opec 2001 und 2002; Isw 2001; Adolf 2002 und 2005). Abb. 5.7:
Entwicklung des nominellen Welterdölpreises (bis einschließlich 2004)
Dollar je Barrel
1970 72
74
76
puelle: Die Zeit 2004a,
78
1980 82
verändert.
84
86
88 1990 92
94
96
98 2000 02 2004
134
5
Entwicklung versus Unterentwicklung:
Ursachen und
Konsequenzen
Ähnlich wie Produzentenkartelle funktionieren auch sog. Export-Quoten-Abkommen. Über nicht zu überschreitende Ausfuhrquoten soll ein preisdrückendes Roh-
stoffangebot auf dem Weltmarkt verhindert werden. Die Kontingente werden meist mit fixierten Preisgrenzen vereinbart. Als Beispiel können das bis Mitte der 1980er Jahre praktizierte internationale Zuckerabkommen und das heute noch bestehende internationale Kaffeeabkommen angeführt werden. Als problematisch erweist sich dabei vor allem die Festlegung der nationalen Ausfuhranteile. Diese sollten so gewählt werden, dass sie sowohl die aktuelle als auch die zukünftige Nachfrage zu solchen Preisen decken, die sich zum Zeitpunkt der Quotenbildung als langfristige Gleichgewichtspreise einstellen. Andererseits sollen sich variierende Erzeugungsund Kostenbedingungen der Herstellerländer in den Preisen niederschlagen. Im Normalfall werden Quoten aber auf Grundlage historisch gewachsener Marktanteile fixiert, was einer Anpassung der Quote an veränderte Produktionsbedingungen (z.B. infolge technischen Fortschritts) und somit der Nutzung komparativer Vorteile entgegensteht. Ferner können Rent-Seeking-Aktivitäten unter den Anbietern die Auslesefunktion des Wettbewerbs ausschalten und zu einer Ressourcenverschwendung führen, wodurch im Ergebnis die Wohlfahrtseffekte infolge der Preisstabilisierung egalisiert werden. Schließlich kann der Ausbruch von Quotenkämpfen das gesamte Abkommen zum Kollaps bringen (Hemmer 2002, S. 700f). Bei Abkommen über Abnahme- und Lieferverpflichtungen erklären sich Importeure zur Abnahme einer zu einem bestimmten Mindestpreis fixierten Rohstoffmenge bereit, auch wenn der Weltmarktpreis niedriger liegt. Die Exporteure verpflichten sich umgekehrt zur Lieferung einer zu einem ausgemachten Höchstpreis festgelegten Menge, auch wenn der Weltmarktpreis höher ausfällt. Beispielhaft ist das bis 1975 bestehende internationale Weizenabkommen. Die Probleme, die den Erfolg derartiger Abkommen in Frage stellen, liegen in den Interessenskonflikten zwischen den beteiligten Ländern, welche die Aufteilung der Export- und Importquoten schwierig machen; hinzu kommen die geringe Anzahl der den Abkommen beigetretenen Länder, die sich tatsächlich an die Abmachungen halten, die Existenz von Residualmärkten und die Fehlallokation von Ressourcen aufgrund von Eingriffen in den Preismechanismus (vgl. hemmer 2002, S. 700).
die
Marktausgleichslagern bzw. buffer stocks werden zur Stabilisierung der Rohstoffpreise Mindest- und Höchstpreise festgelegt. Fällt der Marktpreis unter den Mindestpreis, wird das Lager aufgefüllt; durch diese künstliche Nachfrage steigt der Preis. Liegt der Preis über dem Höchstpreis, wird durch Abbau der Lagerbestände das Angebot erhöht und dadurch der Preis gesenkt. Beispiele sind die bis Mitte der 1980er Bei
Jahre bestehenden Zinn-, Kakao- und Kautschukabkommen. Die Risiken der buffer stocks liegen in den immensen Lagerungskosten und der vor allem bei agrarischen Rohstoffen begrenzten Lagerfähigkeit. Ferner führt die Außerkraftsetzung des Marktmechanismus zur Fehlleitung von Ressourcen in den EL und stellt aufgrund garantierter Abnahmepreise einen ständigen Anreiz zur Produktion von aufzukaufenden und dann zu lagernden Überschüssen dar15. Der Zwang zur Diversifizierung der
A: Weltwirtschaft im
135
Globalisierungsprozess
Wirtschafts- und Exportstrukturen in den EL lässt nach. Häufig werden keine marktgerechten Mindestpreise festgelegt, so dass das Interventionspotenzial aufgrund mangelnder finanzieller Reserven (bei Unterschreiten des Interventionspreises) oder fehlender Rohstoffvorräte (bei Übersteigen des Höchstpreises) schnell ausgeschöpft ist und der buffer stock zusammenbricht. Letztlich können Warenspekulationsgeschäfte den Erfolg einer internationalen Lagerhaltung zunichte machen (vgl. Wagner/Kaiser 1995, S. 135f; Hemmer 2002, S. 699f.). Da den Rohstoffen als wichtigstem Gut der EL im Prozess zur Überwindung von Unterentwicklung eine Schlüsselbedeutung zukommt und die oben geschilderten Instrumente zur Stabilisierung der Erlöse aus den Rohstoffexporten nur selten von Erfolg gekrönt waren, wurde die Notwendigkeit international abgestimmter rohstoffpolitischer Maßnahmen von allen Ländern auch den IL anerkannt. Auf der vierten Vollversammlung der UNCTAD (vgl. Kap. 5.4.2) wurde daher 1976 in Nairobi das Integrierte Rohstoffprogramm (IRP) verabschiedet, welches die 18 wichtigsten Rohstoffe enthalten sollte (vgl. Wagner/Kaiser 1995, S. 157ff). Hauptziele waren ein für Konsumenten und Produzenten gerechtes Preisniveau, die Verminderung von Preisschwankungen, Verbesserung der Marktzugangsbedingungen in den IL und der Konkurrenzsituation der Rohstoffe gegenüber Substituten, Versorgungssicherheit und die Förderung des Verarbeitungsgrades der Rohstoffe in den EL. Doch schon während der Verhandlungen kam es zu gravierenden Interessensgegensätzen. Die IL sahen die geplanten Schritte als zu hohe Einschränkung des freien Wettbewerbs an. Ein im Jahr 1980 erzielter Kompromiss berücksichtigte lediglich zehn der ursprünglich geforderten 18 Kernrohstoffe (Kaffee, Kakao, Kautschuk, Zinn, Zucker, Jute, Baumwolle, Kupfer, Sisal und Tee) (vgl. Mutter 1984, S. 90). Der Abschluss des IRP wurde von 103 Staaten ratifiziert, nicht jedoch von den USA, obwohl diese Hauptexportland für die im IRP enthaltenen Rohstoffe sind (vgl. anderegg 1999, S. -
-
577). 1989 trat dann der Gemeinsame Fonds für Rohstoffe mit Sitz in Amsterdam in Kraft. Seine Aufgaben wurden auf zwei Schalter aufgeteilt. Der erste Schalter dient der finanziellen Förderung internationaler Ausgleichslager (buffer stocks) einzelner Rohstoffe, um so zum Ausgleich von Preisschwankungen beizutragen. Der zweite Schalter unterstützt die Finanzierung anderer rohstoffbezogener entwicklungspolitischer Maßnahmen, wie z.B. Forschung und Entwicklung, Produktivitätsverbesserungen oder eine bessere Vermarktung (vgl. Michaelowa/Naini 1995, S. 15). Allerdings gibt es derzeitig nur noch ein einziges Übereinkommen, das Naturkautschuk-Übereinkommen, das mit Ausgleichslagern arbeitet. Feiner sollen weitere Rohstoffabkommen, welche das Mittel der buffer stocks einsetzen, in Zukunft nicht mehr geschlossen werden. Somit besitzt der erste Schalter keine praktische BedeuSo kam es im Rahmen des internationalen Zinnabkommens zur Hortung von so großen Zinnmengen, dass ein ständiges Überangebot entstand und den Zinnbergbau in bestimmten EL (u.a. Bolivien, Nigeria, damaliges Zaire) zum Erliegen brachte. Die Folge waren drastische Preiseinbrüche, die 1985 zum Zusammenbruch des Abkommens führten.
136
5
Entwicklung versus Unterentwicklung: Ursachen und Konsequenzen
(vgl. Ramesh 1998, S. 16f.). Heute zählen allgemeine Maßnahmen zur Förderung einzelner Rohstoffsektoren zu den Aufgaben des Fonds. Die Vergabe der Mittel erfolgt über Kredite und Zuschüsse, konzentriert auf die ärmsten EL und deren Hauptrohstoffe. Das IRP war zwar ein Schritt in die richtige Richtung, blieb aber vor allem wetung mehr
gen seiner schlechten finanziellen Ausstattung deutlich hinter den Erwartungen der EL zurück und konnte zur Verminderung der außenwirtschaftlichen Verwundbarkeit der EL durch die Instabilitäten auf den Weltrohstoffmärkten in nur bescheidenem
Umfang beitragen.
5.4
Strategien zur Überwindung von Unterentwicklung
Entwicklungsstrategien, deren Ziel in der Überwindung von Unterentwicklung besteht, lassen sich je nach Herkunft der Entwicklungsimpulse in zwei Gruppen un-
terteilen. Zu den endogenen Entwicklungsstrategien zählen Maßnahmen, durch die EL den Zustand der Unterentwicklung aus eigener Kraft, d.h. ohne fremde Hilfe, überwinden wollen. Gehen die Entwicklungsmaßnahmen dagegen auf internationale Organisationen oder im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit auf andere Länder zurück, wird von exogenen Entwicklungsstrategien gesprochen.
5.4.1
Endogene Entwicklungsstrategien
5.4.1.1
Strategie der importsubstituierenden Industrialisierung
Die Strategie der importsubstituierenden Industrialisierung (ISI) sieht in der Industrialisierung das zentrale Element von Entwicklung. Sie zielt auf die Förderung der lokalen Produktion von Gütern ab, nach denen eine lokale Nachfrage besteht. Im Zuge der Förderung bzw. des Aufbaus der inländischen Industrie sollen Importe aus anderen Ländern durch eine eigene Produktion ersetzt werden. ISI bietet sich am ehesten an, wenn der Binnenmarkt eine ausreichende Kaufkraftentfaltung ermöglicht und unternehmerisches Know-how und Risikokapital zur Verfügung stehen. Auch bei einer kleinbetrieblichen Unternehmensstruktur mit geringem finanziellen Spielraum und mangelnden Exporterfahrungen scheint die ISI geeignet (vgl. Lachmann
2004, S. 173 und 262).
Die Strategie der ISI geht auf die Theorie von Raul Prebisch zurück, der zu ihrer Realisierung folgende Instrumente vorsah (vgl. HEIN 1998, S. 263): •
Gemäßigter Protektionismus der EL in Form moderater Schutzzölle und einzelner Importbeschränkungen, um die sich im Aufbau befindlichen jungen Industrien („infant industries") vor überlegenen Exportprodukten anderer Länder zu schützen;
A: Weltwirtschaft im
Globalisierungsprozess
137
reziproker Handel durch Bildung von Freihandelszonen unter den EL, um über die Expansion der nationalen Märkte und den steigenden Konkurrenzdruck eine internationale Wettbewerbsfähigkeit dieser Industrien herzustellen; Förderung arbeitsintensiver Technologien und Vermeidung einer frühen Übernahme metropolitaner Konsummodelle. Die reale Umsetzung dieser Inhalte in den EL kann vom ursprünglichen Ideal der Strategie der ISI allerdings abweichen: Prohibitiv hoch angesetzte Zollsätze bieten •
•
der heimischen Industrie einen dauernden Schutz vor ausländischen Konkurrenzprodukten und nehmen ihr den Anreiz, die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Ferner bewirken Überbewertungen der nationalen Währungen zur Verbilligung des Imports solcher Güter, die national nicht hergestellt werden, Marktverzerrungen. Die lokale Produktion kann nur durch Protektion wettbewerbsfähig gehalten werden, die Chancen zur Erreichung internationaler Wettbewerbsfähigkeit schwinden aufgrund der Verteuerung inländischer Produkte. Die Förderung der Investitionstätigkeit transnationaler Konzerne im industriellen Bereich der EL führt schließlich zum Import moderner Produktionstechnologien, die aber nicht arbeitsintensiv sind und das lokale Arbeitskräftepotenzial ungenutzt lassen.
5.4.1.2 Die
Strategie der Dissoziation
Dissoziationsstrategien greifen im Wesentlichen auf die Dependenztheorien (vgl. Kap. 5.2.2) zurück, die Unterentwicklung als das Ergebnis der unausgewogenen Integration der EL in eine von den kapitalistischen Industriegesellschaften beherrschte Weltordnung sehen. Die Überwindung von Unterentwicklung liegt demnach in der Dissoziation, d.h. der Entkoppelung der EL von diesem System. Myanmar, Kuba, Nordkorea und China haben diesen Ansatz zeitweise verfolgt. Dissoziation verlangt dabei nicht die vollständige Kappung aller Außenbeziehungen, sondern vielmehr, dass diese einer einheitlichen politischen Kontrolle unterworfen werden mit dem Ziel, die selbständige Entfaltung einer integrierten nationalen Wirtschaftsstruktur („National Self-Reliance") voranzutreiben. Daneben soll sich eine „Collective SelfReliance" als neuartige Arbeitsteilung zwischen den EL herausbilden. Darunter fallen Programmelemente wie der Ausbau des Süd-Süd-Handels, finanz- und währungspolitische Kooperationen, Errichtung von Gemeinschaftsunternehmen, technische Zusammenarbeit sowie die Ausweitung der Kommunikations- und Verkehrsinfrastruktur. Was das Verhältnis zu den IL angeht, wird der zeitweilige Bruch mit der internationalen Arbeitsteilung gefordert, bis die Strukturmängel der EL und ihre sozialen Folgen (Arbeitslosigkeit, ungleiche Einkommensverteilung, Armut, Verschuldung u.a.) behoben sind. Nach Aufbau kohärenter Produktionsstrukturen können die Beziehungen zu den IL sogar intensiviert werden (vgl. Lachmann 2004, S. 242). Die Dissoziationsstrategie geht also weiter als die ISI-Strategie, die über den Aufbau eigener Industriesektoren und die Substitution von Importen bereits eine partielle Abnabelung vom Weltmarkt vorsieht.
138
5
Entwicklung versus Unterentwicklung: Ursachen
und
Konsequenzen
mögliche, wenn auch radikale Ausprägungen der Dissoziation gelten: Der „real-existierende Sozialismus" in seiner sowjetischen und chinesischen
Als •
Variante;
entwicklungsorientierte Militärdiktaturen (zeitweise Ägypten, Algerien, Syrien, Peru, Ecuador); Verknüpfung einer konsequent eigenorientierten Politik bei vorsichtiger Herauslösung aus der kapitalistischen Weltordnung (Chile bis zum Militärputsch 1973, Nicaragua). Die Dissoziationsstrategie bleibt die Antwort auf die Frage schuldig, wie der Entwicklungsprozess im Einzelnen ablaufen soll. Auch erscheint ihre vollständige Umsetzung aufgrund der zunehmenden weltwirtschaftlichen Verflechtungen und der Begrenztheit der Ressourcen heute für kein Land mehr praktikabel. Allerdings darf nicht außer Acht gelassen werden, dass für die am wenigsten entwickelten Länder eine zumindest partielle und zeitlich begrenzte Dissoziation eine entwicklungspolitische Option darstellen kann, um in unterentwickelten Ökonomien überhaupt die Grundlage für eine entwicklungsfördernde Beteiligung am Weltmarkt zu setzen (vgl. Hein 1998, S. 268ff). •
der „Nasserismus", d.h.
•
5.4.1.3
Strategie der Exportorientierung und neue internationale Arbeitsteilung
Strategie der Exportorientierung stellt den Gegenpol zu den Dissoziationsstrategien dar und sieht in der gezielten Weltmarktintegration mittels Exportförderung den Schlüssel zur Überwindung von Unterentwicklung. Dieser Weg wurde vor allem von einigen ost- und südostasiatischen Ländern (Hongkong, Singapur, Südkorea, Taiwan) eingeschlagen. Sie befreiten die Unternehmen des Exportsektors von Zöllen auf importierte Vorprodukte und protegierten sie gleichzeitig durch Steuererleichterungen und Subventionen. Ergänzt wurde diese Politik durch ein Wechselkursregime, das durch konsequente Unterbewertung der nationalen Währung für ein international konkurrenzlos niedriges Lohnniveau sorgte. Ein wichtiger Bestandteil dieser Maßnahmen war die Bildung sog. Freier Produktionszonen, die für die Exporteure nicht nur Steuer- und Zollvergünstigungen, sondern auch günstige Kreditbedingungen, die Möglichkeit des uneingeschränkten Gewinntransfers, eine gut ausgebaute Infrastruktur und einen schwachen gewerkschaftlichen Organisationsgrad vorsehen (vgl. hein 1998, S. 274f). Ein Ergebnis dieser gegenüber ausländischen Investoren sehr aufgeschlossenen Politik bildete die Ansiedlung von Lohnveredelungsindustrien, die hochspezifische und arbeitsintensive Produktionsprozesse (vor allem in der Elektronik-, Textil- und SpielzeugDie
branche) durchführen. Diese Entwicklungen werden als Neue Internationale Arbeitsteilung bzw. „New International Divison of Labor" (NIDL) bezeichnet. Sie löste die überwie-
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Globalisierungsprozess
gend horizontal bzw. sektoral strukturierte alte internationale Arbeitsteilung, die auf den Austausch von Rohstoffen gegen Industrieprodukte zwischen den EL und IL ausgerichtet war, ab (vgl. Kap. 2.5). Die NIDL gilt dagegen als unternehmensinterbzw. intrasektorale Arbeitsteilung, deren Hauptakteure transnationale Konzerne sind (vgl. Fröbel et al. 1977, S. 62). Während die unternehmerischen Managementsowie humankapitalintensive Forschungs- und Entwicklungsfunktionen weiterhin in den IL verortet bleiben, werden standardisierte Produktionsprozesse, die keine besonderen Ausbildungsanforderungen stellen, aber sehr arbeitsintensiv sind, in die EL ausgelagert. Nach Fröbel et al. (1977, S. 535ff.) sind diese Tendenzen wegen des Abbaus von Arbeitsplätzen durch Standortverlagerungen sowohl für die IL als auch wegen der verheerenden Arbeitssituation im Exportsektor für die EL sehr schädlich. ne
Die
Strategie der ISI ist der Exportorientierung meist vor gelagert. Nahezu alle
EL, auch die heutigen Schwellenländer, haben anfangs eine Importsubstitution betrieben.
Ausschlaggebend ist damit nicht die Frage, welche der beiden Strategien verfolgt wird, sondern wann von der Importsubstitution auf die Exportorientierung übergegangen wird (vgl. Lachmann 2004, S. 262). 5.4.2 Maßnahmen der
Entwicklungszusammenarbeit internationaler
Organisationen Unter Entwicklungszusammenarbeit versteht
man
„alle Bemühungen von staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen aus entwickelten Ländern, den Prozess der Entwicklung in Ländern der Dritten Welt zu unterstützen" (koch/czogalla 2004, S. 407). An dieser Stelle sollen nur kurz staatliche Träger der Entwicklungszusammenarbeit beschrieben werden. Grundsätzlich kann dabei zwischen zwei Formen unterschieden werden (vgl. Koch/Czogalla 2004, S. 405): Bei der bilateralen Zusammenarbeit findet die Entwicklungszusammenarbeit zwischen zwei Staaten statt. In der Bundesrepublik Deutschland sind dafür in erster Linie das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sowie die Deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) und die Kreditanstalt für Wiederaufbau, welche als Durchführungsorganisationen vom BMZ beauftragt sind, zu nennen. Im Jahr 2003 betrug der Anteil der Entwicklungshilfe am deutschen BIP Als multilateinsgesamt 0,28%, womit Deutschland im unteren Mittelfeld rale Zusammenarbeit wird die Unterstützung von EL durch internationale Organisationen verstanden, in welchen die beteiligten Länder vertreten sind. Neben
liegt16.
Am höchsten ist der Anteil in Norwegen mit 0,92, gefolgt von Dänemark mit 0,84 und den Niederlanden mit 0,81%. Das Schlusslicht bilden die USA mit nur 0,14% (vgl. DIE ZEIT 2004). Die EU plant mit einer freiwilligen oder obligatorischen Abgabe auf Flugtickets mittlerweile eine neuartige Form von Entwicklungshilfe.
140
5
Entwicklung versus Unterentwicklung:
Ursachen und
Konsequenzen
verschiedenen regionalen Entwicklungsbanken und Entwicklungsfonds sowie dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) sind dabei vor allem der Internationale Währungsfonds und die Weltbank anzuführen. Dem Internationalen Währungsfonds (IWF) kommt vor allem eine wichtige Funktion bei der Überwindung von Verschuldungskrisen zu. Er berät die EL bei der Durchführung der zur Entschuldung notwendigen wirtschaftspolitischen Anpassungsmaßnahmen, ist bei den meisten Umschuldungsverhandlungen vertreten und stellt Kredite zur Überwindung von Zahlungsbilanzproblemen zur Verfügung, deren Erhalt an die Durchführung von Stabilisierungsprogrammen gebunden ist (vgl. Wagner/Kaiser 1995, S.
241f.). Bei der Gewährung von Entwicklungsmaßnahmen spielt neben dem IWF auch die Weltbank eine herausragende Rolle. Ihre Aktivitäten konzentrieren sich auf die Beseitigung der Armut in der Dritten Welt durch die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung. Im Mittelpunkt stehen die Vergabe von Krediten und die Teilfinanzierung von wichtigen infrastrukturellen Projekten (z.B. Straßenbau, Energiewirtschaft, Schulen, Telekommunikation), welche die Voraussetzungen für ein langfristiges Wirtschaftswachstum bilden, aber keine direkten Renditen abwerfen, was die Suche nach privaten Investoren deutlich erschwert. Die Entwicklungsmaßnahmen der Weltbank sind allerdings an die Durchführung eines Strukturanpassungsprogramms (SAP) geknüpft. SAP sind ordnungspolitisch motiviert und bedeuten für die EL eine Korrektur ihrer Fiskal-, Wirtschafts- und Sozialpolitik, wodurch makroökonomische Ungleichgewichte beseitigt werden sollen. Hierzu gehören insbesondere (vgl. Koch/Czogalla 2004, S. 116):
Einsparungen im öffentlichen Haushalt, insbesondere im Personalbereich, Kürzungen des Sozialetats und staatlicher Investitionsmaßnahmen, Durchführung von Steuerreformen (z.B. Einführung der Mehrwertsteuer, Reform der Steuerverwaltung), wirtschaftliche Deregulierung und Privatisierung staatlicher Unternehmen, deren Sanierung oder Schließung, Schaffung realistischer Wechselkurse durch deutliche Währungsabwertung, Abschaffung von Preiskontrollen und Schaffung von Investitions- und Exportanreizen für die private Wirtschaft, Schaffung marktwirtschaftlicher Preissysteme in der Landwirtschaft und gleichzeitige Abschaffung von Subventionen für Produktionsmittel, Saatgut, Düngemittel etc., Liberalisierung der Preise, Märkte und des Außenhandelsregimes zur Wiederherstellung oder Stärkung der internationalen Konkurrenzfähigkeit. In mehreren Ländern wurden durch SAP beachtliche Erfolge erzielt. Von Nachteil ist ihre kurze Dauer von nur drei Jahren; so kurzfristig lassen sich die planwirt•
•
•
•
•
•
•
schaftlich orientierten Staatsbürokratien der EL meist nicht in marktwirtschaftlichdemokratische Systeme transformieren. Kritiker, insbesondere Nichtregierungsor-
A: Weltwirtschaft im
Globalisierungsprozess
141
ganisationen (vgl. Kap. 6.3.2.1), weisen ferner immer wieder auf die unsozialen und ungleichen Belastungen der SAP hin. Die Einsparungsmaßnahmen betreffen vor al-
lem die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes. Die städtischen Unterschichten haben mit der Verteuerung bislang staatlich subventionierter Güter zur Befriedigung der Grundbedürfnisse zu kämpfen. Bei den staatlichen Eliten stoßen die SAP indes auf Ablehnung, weil sie zum Wegfall vormaliger Privilegien und Klientelmacht (z.B. Verlust des Monopols bei der Vergabe von Einfuhrlizenzen und öffentlichen Aufträgen) führen. Das entwicklungspolitische Dilemma der SAP besteht darin, dass sich das Ziel der Stabilisierung durch Schuldenabbau mit den Zielen einer staatlichen Entwicklungs- und Sozialpolitik nur schwer vereinbaren lässt (vgl. Tetzlaff 1993, S. 424).
2005
einigten sich die G-8-Länder (USA, Kanada, Japan, Deutschland, Frank-
reich, Großbritannien, Italien und Russland) auf einen historischen Schuldenerlass für die Entwicklungsländer. Den 18 ärmsten, sich überwiegend in Afrika befindli-
chen Ländern der Welt werden erstmals sämtliche Außenstände bei internationalen Organisationen, vor allem Weltbank und IWF, gestrichen. Als eine internationale Organisation, die zwar selbst keine Entwicklungszusammenarbeit leistet, sich aber mit den wirtschafts- und handelspolitischen Anliegen der EL beschäftigt, gilt die UNCTAD (United Nations Conference on Trade and Developemt), welche seit 1964 ein eigenständiges Organ der UN-Generalversammlung ist. Hauptaufgaben der UNCTAD sind die Förderung des Handels zwischen IL und EL, Finanz- und Technologietransfers sowie die Stärkung wirtschaftlicher Kooperationen zwischen den EL. Die handelspolitischen Aufgaben überschneiden sich mit denen der WTO (vgl. Kap. 4.3.4). Rund zwei Drittel ihrer 192 Mitglieder sind EL. Wichtigstes Organ ist die alle vier Jahre tagende Generalversammlung, welche politische Richtlinien vorgibt und Arbeitsprioritäten setzt, deren Beschlüsse im Gegensatz zu denen der WTO aber nur moralisch verbindlich sind.
Innerhalb der UNCTAD ist die Gruppe der 77 (G 77), ein loser Zusammenschluss ursprünglich 77, heute 134 EL, von Bedeutung. In der G 77 werden Forderungskataloge der EL für die einzelnen Konferenzen aufgestellt und ein gemeinsames Verhandlungsvorgehen abgestimmt. Bedeutend ist vor allem das 1974 vorgestellte Konzept einer Neuen Weltwirtschaftsordnung (NWWO) zur Neuordnung der weltwirtschaftlichen Beziehungen. Wesentliche Eckpunkte waren u.a. die Steigerung des Anteils der EL an der Weltindustrieproduktion, der Abbau von Handelshemmnissen, von
die Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln, die Neuordnung des Weltwährungssystems, ein verbesserter Technologie- und Kapitalzugang für die EL sowie die Aufwendung von mindestens 0,7% des BIP der IL für Entwicklungshilfe und Schuldenerlass. Verglichen mit den ehrgeizigen Forderungen nehmen sich die tatsächlichen Erfolge der NWWO nur sehr bescheiden aus (vgl. Wagner/Kaiser 1995, S. 15 Iff.).
142
5
Entwicklung versus Unterentwicklung:
5.4.3 Die Abkommen
von
Ursachen und
Konsequenzen
Lome und Cotonou
1975 zwischen der EU (damals EG) und anfangs 46 d.h. Ländern aus dem afrikanisch-karibisch-pazifischen Raum, abgeAKP-Staaten, schlossenes Entwicklungshilfe- bzw. Kooperationsabkommen. Zu seinen Zielen gehören die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation in den AKP-Ländern und die Förderung ihres Entwicklungsprozesses durch die Intensivierung des Außenhandels mit der EU. Die Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit soll den Ländern den Weg zum Exporterfolg ebnen und dadurch zur Verbesserung der Lebensbedingungen beitragen. Durch die Diversifizierung der Wirtschaftsstruktur soll die einseitige Abhängigkeit dieser EL vom Rohstoffexport reduziert werden. Das Lome-Abkommen sieht den Einsatz mehrerer Entwicklungsinstrumente vor (vgl. KOCH 1997, S. Der
Vertrag von Lome ist ein
188f): Über einseitige Präferenzsysteme (vgl. Kap. 10.2.1) verzichtet die EU •
zugunsten der AKP-Staaten auf die reziproke Gewährung von Handelserleichterungen. Dem „aid by trade"-Konzept folgend, gewährt sie für ca. 99% der
•
•
•
AKP-Produkte Zollfreiheit beim Zugang zum europäischen Binnenmarkt17. Das Stabex-Programm (Stabilisierung der Exporterlöse) verfolgt die Absicht, die Erlöse der AKP-Länder aus dem Rohstoffexport zu stabilisieren und gegen sinkende Weltmarktpreise infolge von Produktionseinbrüchen oder Währungsschwankungen abzusichern. Für diesen Fall sind Ausgleichszahlungen vorgesehen, die den EL ein Mindesteinkommen aus dem Rohstoffexport
garantieren. Das System
für mineralische Rohstoffe (Sysmin) beinhaltet Finanzierungsbeihilfen zur Sanierung maroder Bergbauunternehmen in den AKP-Ländern. Aus den europäischen Entwicklungshilfefonds fließen den AKP-Staaten ferner direkte Entwicklungshilfetransfers zu.
Zusätzlich werden Industrialisierungsvorhaben und Industriekooperationen, kleine und mittlere Unternehmen sowie Direktinvestitionen gefördert. Neben der Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums erfolgt zusätzlich der gezielte Ausbau unterschiedlicher Querschnittsbereiche (u.a. Gesundheits- und Bildungswesen,
Umweltschutz, Bevölkerungsentwicklung).
Das Lome-Abkommen erfuhr insgesamt eine dreimalige Verlängerung. Im Juni 2000 wurde es durch das Abkommen von Cotonou ersetzt, dem mittlerweile die 25 EU-Staaten sowie 77 AKP-Staaten angehören. Gegenüber Lome IV wurden die Finanzinstrumente Stabex und Sysmin, vor allem wegen der Verzögerung der Umsetzung und der mangelnden Übereinstimmung mit den GATT-Prinzipien, nicht mehr Ausnahmen bestehen in sensiblen Branchen, allen voran der Landwirtschaft: Bei Agrarprodukten, die in der EU einer Marktordnung unterliegen (z.B. Tomaten, Zitrusfrüchte, Rindfleisch, bestimmte Getreidesorten, Zucker, Bananen, Reis, Erdbeeren u.a.) gilt zum Schutz der europäischen Hersteller die Zollfreiheit nicht oder nur innerhalb eines bestimmten Kontingents.
A: Weltwirtschaft im
Globalisierungsprozess
143
aufgenommen. Stattdessen führte man sog. Economic Partnership Agreements ein, welche die progressive Einführung von Freihandelsabkommen zwischen der EU und den einzelnen AKP-Staaten vorsehen. Neu ist auch das Prinzip der Good Governance (verantwortungsvolle Regierungsführung), bei dessen Verletzung, z.B. im Falle schwerer Korruption, dem einzelnen Staat Sanktionsmaßnahmen oder gar eine Aussetzung der Entwicklungszusammenarbeit drohen. Für die EL des AKP-Raums stellt das Lome-Abkommen eine umfassende finanzielle Unterstützung dar. Während Exporteinbußen kompensiert werden, wird der Zugang zum europäischen Binnenmarkt gefördert. Für die EU verbessern sich ihr entwicklungspolitisches Image und der Zugang zu wichtigen Rohstoffvorkommen. Dennoch krankt das Abkommen an einigen Fehlentwicklungen, die seinen Beitrag zur Überwindung von Unterentwicklung schmälern (vgl. koch 1997, S. 190f; Schumacher 1998, S. 134ff; Hemmer 2002, S. 704f): •
•
Das Abkommen ist überwiegend außenhandelszentriert. Die innen- und wirtschaftspolitische Situation der EL wird zu wenig berücksichtigt; dauerhafte Anreize zur Überwindung der internen Entwicklungshemmnisse sind dadurch nicht gegeben.
Die
gewährten Handelsvergünstigungen gelten überwiegend für Industriepronur geringem Ausmaß exportieren; der durch Zollsenkungen gewonnene Spielraum kann nicht genutzt werden. Bei landwirtschaftlichen Produkten, deren Export für die EL vergleichsweise wichtiger ist, hindern die Agrarmarktordnungen der EU, die vorrangig den Schutz der eigenen Landwirtschaft sicherstellen sollen, die AKP-Länder am Marktzugang. Ein wesentliches Problem liegt vor allem in der allgemeinen Wirkung von Zollpräferenzen. Sie gestatten den EL, zu Preisen zu produzieren, die erheblich über denen des Weltmarktes liegen, was den Erhalt ineffizient produzierender Unternehmen künstlich perpetuiert. Häufig wird die Wirkung der Zollpräferenzen durch eine geschickte Zolleskalation der IL beeinträchtigt, indem die effektive Protektion, d.h. mit dem Verarbeitungsgrad von Produkten steigende Zollsätze, die nominellen Zollzugeständnisse neutralisiert. In den Genuss der früheren Sysmin- und Stabex-Förderungen kamen lediglich dukte, welche die AKP-Länder aber in
•
•
•
die rohstoffreichen EL, während diese Hilfen an den ressourcenarmen und damit umso hilfsbedürftigeren EL vorbeiflossen. Auch wirken diese auf den Rohstoffsektor ausgerichteten Förderprogramme einer für die Entwicklung notwendigen Diversifizierung der Wirtschaftsstruktur entgegen und tragen damit zur Zementierung der Außenhandelsstruktur bei. Letztendlich diskriminiert das Abkommen alle anderen EL (z.B. in Latein- und Südamerika sowie in Asien), die nicht der AKP-Staatengruppe angehören.
144
5
Entwicklung versus Unterentwicklung:
Ursachen und
Konsequenzen
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A: Weltwirtschaft im
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Nachhaltige Weltwirtschaft Die Rolle internationaler -
Umwelt- und Sozialstandards
Neben der Beschäftigung mit ökonomischen Aspekten der Weltwirtschaft bedürfen vor allem die Bereiche der Globalisierung, die gleichsam Mensch und Umwelt betreffen, einer besonderen Betrachtung. Da soziale und ökologische Belange oft nur einen geringen Stellenwert bei der Betrachtung ökonomischer Fragestellungen haben, kommt es zu Beeinträchtigungen dieser Bereiche, die sich z.B. in Kinderarbeit oder Umweltverschmutzungen äußern. Dieses Kapitel zeigt, wie neben ökonomischen auch soziale und ökologische Aspekte in eine nachhaltige Weltwirtschaft eingebunden werden können. Hierfür werden nach einer Einführung internationale Abkommen zum Schutz der Umwelt und sozialer Belange, die Betätigungsfelder von Nichtregierungsorganisationen (NGO) sowie unternehmerische Aktivitäten zur Einhaltung von Menschenrechten und zum internationalen Umweltschutz vorgestellt.
6.1
Aspekte einer nachhaltigen Weltwirtschaft
Die Gründe für den
steigenden Anteil weltweiter Aktivitäten, vor allem des Außenaus können Sicht der klassischen und neoklassischen Theorien, die den handels, Handel zwischen Ländern auf Basis verschiedener Produktionsbedingungen oder unterschiedlicher Faktorausstattungen erklären, belegt werden (vgl. Kap.7.2.3). In den modernen Außenhandelstheorien liegen die Gründe u.a. in der Unternehmensgröße und den damit einhergehenden Skaleneffekten, den Nachfragebedingungen sowie dem Wunsch der Nachfrager nach Produktvielfalt (Nachfragepräferenzen) (vgl. Kap.7.2.4). Für die beteiligten Länder ergeben sich daraus Vorteile durch Produktivitätssteigerung, eine bessere Verfügbarkeit von Gütern, aber auch Wissensund Technologietransfer sowie Risikodiversifizierung, womit sich die Wohlfahrt insgesamt erhöhen lässt. Durch Marktversagen und unvollkommene Konkurrenz stehen diesen (theoretischen) Vorteilen aber auch eine ungleiche Verteilung der Handelsgewinne, mögliche Verluste für einzelne gesellschaftliche Gruppen, eine fehlende Berück-
sichtigung der Umweltnutzung und -Verschmutzung sowie die Vernachlässigung sozialer Belange gegenüber (vgl. Althammer et al. 2001, S. 15). Zur Erarbeitung von Lösungsansätzen für dieses Dilemma ist ein geeignetes Modell zu entwickeln, das vor einem weltwirtschaftlichen Hintergrund die Zusammenhänge zwischen ökonomischen, ökologischen und sozialen Aspekten aufzeigt und bewertet.
6
148
Nachhaltige Weltwirtschaft Umwelt-
und Sozialstandards
-
Als Basis eignet sich hierfür besonders das Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung'. Der Durchbruch dieses Leitbildes einer idealtypischen verträglichen Entwicklung wurde auf der Internationalen Umwelt- und Entwicklungskonferenz von Rio de Janeiro im Jahr 1992 erreicht, in der das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung („sustainable development") postuliert wurde. Gemäß der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung (World Commission for Environment and Development, WCED), auch „Brundtland-Kommission" genannt, bezeichnet dieser Begriff eine
„Entwicklung, die es der heutigen Generation erlaubt, ihre Bedürfnisse befriedigen, ohne dass den nachfolgenden Generationen die Möglichkeit genommen wird, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen (wced
zu
"
1987, S. 9f). Mit der Zielvorgabe der Nachhaltigkeit ist die Erkenntnis verbunden, dass sich umweltpolitische Probleme nicht isoliert von wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen betrachten lassen. Vielmehr ist ein ganzheitliches Verständnis erforderlich, bei dem ökologische, soziale und ökonomische Belange integrativ behandelt werden. Damit kann eine nachhaltige Entwicklung nur dann stattfinden, wenn keine einseitige Ausrichtung nur auf eine der drei Ebenen vollzogen wird. So ist zwar die Erhaltung der Umwelt von großer Bedeutung, sie muss jedoch im Einklang mit den sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen und Zielen stehen. Gleiches gilt für die Erreichung wirtschaftlicher oder sozialer Ziele. Die Schwierigkeit, alle drei Zielebenen gleichzeitig, ausgewogen sowie dauerhaft zu erreichen, mündet in immer wiederkehrende Zielkonflikte. Um weltwirtschaftliche Aktionen und Prozesse vor dem Hintergrund einer nachhaltigen Entwicklung beurteilen zu können, müssen zum einem die weltweit gehandelten Produkte, zum anderem deren Produktion betrachten werden. Diese Zweiteilung ist notwenig, da sowohl von einem Produkt Gefahren für Mensch und Umwelt in Form eines überhöhten Anteils an Gefahrstoffen, schwerwiegender Schadstoffemissionen sowie eines unverantwortlichen Ressourcenverbrauchs (vgl. Mayer 2003, S. 38) als auch von Prozess- und Produktionsverfahren ausgehen können, die zwar in der Ware selbst nicht nachweisbar sind, ökologisch oder sozial aber durchaus fragwürdig sind2. Beispielsweise kann beim Einsatz von umweltgefährdenden Chemikalien eine Umwandlung stattfinden, so dass diese im späteren Produkt nicht mehr entdeckt oder zuvor ausgewaschen werden können, wie es bei Der Begriff „Nachhaltigkeit'" tauchte das erste Mal im Jahr 1713 in einer Schrift von Hans Carl von Carlowitz auf. Von Carlowitz zufolge sollte die Forstwirtschaft durch Neuanpflanzungen und einen pfleglichen Umgang mit dem Wald sicherstellen, dass auch in Zukunft Holz zur Verfügung steht. Im Vordergrund stand hier die langfristige Versorgung mit Holz, also die Bewahrung des Waldes als Rohstoffquelle. In den 1920er Jahren wurde ein hierzu alternatives Konzept landwirtschaftlicher Produktion entwickelt, das den Wald nicht nur als Rohstoffquelle, sondern als schützenswerten Lebens- und Erholungsraum ansah. Folglich sollte es zu einer schonenden Bewirtschaftung kommen, wobei der Wald auch als Lebensraum für Tiere und Pflanzen zu erhalten ist.
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Globalisierungsprozess
149
von Kaffee eingesetzt werden, der Fall ist. Diese zwischen Produkt und Produktion ist insbesondere vor dem HinterUnterscheidung grund weltwirtschaftlicher Zusammenhänge bedeutend, da Produzenten- und Konsumentenländer oft nicht mehr identisch sind und somit die Möglichkeit besteht, negative Effekte zu verlagern.
Pestiziden, die z.B. beim Anbau
Aus weltwirtschaftlichen Aktivitäten ergeben sich sowohl positive als auch negative Effekte. So bringen wachstumsfördernde Wirkungen der Weltwirtschaft positive Effekte für Umwelt und Soziales mit sich. Der mit dem Wachstum einhergehende Wohlstand führt zu einer Zunahme der Nachfrage nach Umweltschutzmaßnahmen und ist eine Voraussetzung dafür, dass die hierfür notwendigen Ressourcen bereitgestellt werden können. Eine Zunahme der Spezialisierung und Veränderungen der Produktionsstrukturen wirken sich durch die Entwicklung umweltfreundlicherer Produktionsverfahren zudem positiv und effizienzsteigernd aus. Weiterhin kommt es zu Verbesserungen der weltweiten Angebotsstrukturen, Wissensspillovers sowie zur Verbreitung westlicher Umwelt- und Sozialstandards.
Negative Effekte entstehen dagegen vor allem durch vermehrten Ressourcenverbrauch und erhöhte Schadstoffemissionen bei Produktion, Transport und Konsumption von Produkten. Auch werden Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Unternehmen durch den Handel mit gefährlichen Gütern und Abfällen (Mülltourismus) oder die Spaltung bzw. Verlagerung von Standorten profitieren. Während die positiven Effekte als Triebfeder für die Zunahme weltwirtschaftlicher Aktivitäten gelten und maßgeblich für die Versorgung mit hochwertigen und günstigen Produkten sind, gelten die negativen Auswirkungen häufig als Auslöser für Globalisierungskritik von Nichtregierungsorganisationen (NGO), Wissenschaft und Medien.
6.2
Begriff und Formen
von
Dumping
Dreh- und Angelpunkt in der Nachhaltigkeitsdebatte ist die Ausbeutung bzw. die über ein nachhaltig vertretbares Maß hinausgehende Nutzung von Ressourcen. Die Ursachen dafür liegen in den jeweils geltenden nationalen Rahmenbedingungen. Diese beeinflussen die Art des Umgangs mit den zur Produktion benötigten Inputs (vgl. KOCH 2000, S. 174). Zur Ausbeutung kommt es in einem marktwirtschaftlich orientierten System durch falsche Preise der eingesetzten Ressourcen. Zu diesen zählen nicht nur natürliche Ressourcen, an denen Raubbau betrieben wird, sondern auch Arbeitskräfte, die unter menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten müssen. Stiftung Warentest hat diesen Zusammenhang erkannt und Ende 2004 erstmalig damit begonProdukte hinsichtlich ihrer sozialen und ökologischen Herstellungsbedingungen zu prüfen. Warentest möchte diese zusätzlichen Prüfungen intensivieren, wenn sich das Interesse der VerbrauDie
nen,
cher daran erhöht.
150
6
Nachhaltige Weltwirtschaft Umwelt- und Sozialstandards -
Sind die Kosten für die Inanspruchnahme eines Produktionsfaktors, wie z.B. der Umwelt, nicht in angemessenem Umfang in den Produktions- und damit den Güterpreisen enthalten, so spricht man von Dumping (vgl. Koch 2000, S. 108). Damit liegt eine Fehlallokation bzw. ein Marktversagen vor, da Märkte Konsum- und Produktionsentscheidungen nur dann effizient lenken können, wenn deren Kosten bei der Preisbildung auch vollständig berücksichtigt werden (vgl. Althammer et al. 2001, S. 16). Exkurs 6.1 zeigt, dass der Dumpingbegriff in vielen unterschiedlichen Zusammenhängen und Formen verwendet wird. Daneben kann Dumping auf unterschiedlichen Ebenen wirken und mit unterschiedlichen Intensitäten betrieben werden. Durch Zunahme der weltwirtschaftlichen Verflechtungen kommt es zu einem Systemwettbewerb der Nationalstaaten, wodurch sich Länder gezwungen sehen, ihre Wettbewerbsfähigkeit auf den internationalen Märkten durch die strategische Nutzung niedriger Schutzniveaus im Umwelt- und Sozialbereich zu erhöhen. Begünstigt wird dies durch die Liberalisierung des Handels und die Deregulierung der Finanzmärkte, die zur wachsenden Mobilität von Unternehmen beitragen. Länder mit relativ hohen Umweltschutzauflagen könnten sich veranlasst sehen, eine anspruchsvolle Umweltpolitik aufzugeben, um so eine Abwanderung von Unternehmen zu verhindern, insbesondere wenn andere Länder signifikant niedrigere Umweltstandards aufweisen (vgl. Knorr 2002, S. 131; Althammer et al. 2001, S. 15). Dadurch kann es zu Deregulierungs- und Unterbietungswettläufen kommen, die zu einer Verringerung oder Abschaffung umweit- und/oder sozialpolitischer Errungenschaften führen können (vgl. Koch 2000, S. 108). Unterstützt wird diese Argumentation durch drei grundlegende Thesen (vgl. Klemmer 1999, S. 451): •
•
•
Industrieflucht-Hypothese befürchtet eine Abwanderung von Sektoren aufgrund hoher Auflagen und damit verbundener Kosten aus Ländern mit hohen Standards in Niedrig-Standard-Länder. Die Pollution-Haven-Hypothese geht davon aus, dass Länder mit niedrigen Umweltschutzvorschriften sich zu „Verschmutzungsoasen" entwickeln. In der Race-to-the-Bottom-Hypothese kommt die Befürchtung zum Ausdruck, Länder könnten durch „Herunterkonkurrieren" um niedrige Umweltstandards und daraus folgende Standortvorteile eine Abwärtsspirale im Bereich dieser Standards in Gang setzen. Die
Ökodumping
kann dann unterDas hier im Vordergrund stehende Umwelt- oder des die Kosten für die Inanspruchnahme Produktionsfaktors stellt werden, wenn Umwelt nicht in angemessenem Umfang in den Produktionskosten und damit den Güterpreisen enthalten sind. Dies gilt sowohl für den Umweltverbrauch bzw. die Umwelt-Reproduktionskosten als auch die Belastung der Umwelt durch die Produktion selbst (Folgekosten) (vgl. koch 2000, S. 108).
A: Weltwirtschaft im
Globalisierungsprozess
151
Exkurs 6.1: Formen •
Preisdumping:
Verkauf
von
Gütern „unter"
von
Dumping
Preis, d.h.
unter den
eigentlichen Produk-
tionskosten. •
•
•
Sporadisches Dumping: Der Produzent ist bemüht, hohe Bestände, die z.B. aus unvorhersehbaren Nachfragerückgängen resultieren, zu reduzieren. Räuberisches Dumping: Der Produzent versucht, die Wettbewerber durch Dumping vom Markt zu verdrängen. Persistentes Dumping: Der Produzent genießt einen gewissen Grad an Monopolmacht und nutzt die Möglichkeit der Preisdiskriminierung zwischen heimischen Märk-
Gewinnmaximierung zu realisieren. Wettbewerbsdumping: Hier spiegelt sich die Gefahr wider, dass im Zusammenhang mit Fusionen marktbeherrschende Stellungen einzelner Unternehmen zu Wettbeten und Auslandsmärkten aus, um sein Kalkül der
•
werbsverzerrungen führen. •
•
•
•
•
Direktes und indirektes Dumping: Vom direkten Dumping spricht man, wenn die Exportgüter des Landes A gleichartige inländische Güter des Landes B verdrängen. Das indirekte Dumpingszenario liegt dann vor, wenn durch ein Land A die Exportgüter eines Landes C im Land B substituiert werden. Valuta- oder Währungsdumping: Unterbietung der Preise auf dem Weltmarkt aufgrund eines niedrigeren intervalutarischen Kurses der heimischen Währung oder Verschleppung einer fälligen Währungsaufwertung. Die entwertete Währung wirkt als Exportbonus. Wenn Inlandspreise und Kosten im Schutz einer Devisenbewirtschaftung künstlich niedrig gehalten werden, kann das Valuta- oder Währungsdumping über längere Zeit betrieben werden (Wechselkursprotektionismus).
Steuerdumping: Die Konkurrenz um ausländische Investoren führt dazu, dass Volkswirtschaften in einen ruinösen Steuerunterbietungswettbewerb treten. Umwelt- und Sozialdumping (= Ressourcendumping): Unter dem an dieser Stelle besonders relevanten Öko- und Sozialdumping wird, abweichend von der üblichen auf die Güterpreise bezogenen Dumping-Definition, eine zu niedrige Bewertung der Produktionsfaktorkosten bei der Gütererzeugung verstanden. Da die tatsächlich entstehenden Kosten der Produktionsfaktoren Natur, Kapital und Arbeit, zu denen auch Reproduktionskosten gehören, sich nicht vollständig im Güterpreis niederschlagen, erhalten Dumping betreibende Länder Wettbewerbsvorteile, die von Mitbewerbern als unfair empfunden werden. Durch den internationalen Wettbewerb werden Länder mit hohen Standards Ländern mit niedrigen Standards wirtschaftlich unterliegen. Unternehmen verlagern tendenziell ihre Aktivitäten in Länder mit einem vergleichsweise niedrigeren Standard; in der Folge kommt es zu einer weltweiten Absenkung der entsprechenden Standards. Diese Sorge wird häufig in Industrieländern als Argument für die Einführung von Sozial- und Umweltstandards angeführt.
Demokratiedumping: Befürchtung, dass nicht mehr eine demokratisch gewählte Politik die Wirtschaft, sondern die Wirtschaft die Politik bestimmt, und die Bürger durch die von ihnen gewählte Regierung die Unternehmen nicht mehr in ihrem Sinne kontrollieren können, sondern die Regierung den Forderungen der Wirtschaft ausgeliefert ist (vgl. Altmann 2001, S. 79 und411ff.; Palm 2001, S. 323; Berthold/Hilpert 1996, S. 596ff.).
152
6
Nachhaltige Weltwirtschaft Umwelt- und Sozialstandards -
Eine Fehl- oder Übernutzung der Umwelt ist meist auf ihren ineffizienten Gebrauch, z.B. einen verschwenderischen Einsatz als Produktionsfaktor, zurückzuführen. Da Umwelt als freies Gut erhältlich ist, wird der Zugang wie bei anderen freien Gütern nicht reguliert, d.h. Eigentumsrechte sind nicht eindeutig definiert, die Preise am Markt spiegeln nicht die Opportunitätskosten wider. Die Folge ist eine Übemutzung der Natur mit daraus resultierenden Umweltschäden. Diese lassen sich nach Art der Wirkung in Verschmutzungseffekte, Gesundheits- und Sicherheitseffekte sowie Ressourceneffekte unterscheiden (vgl. Altmann 2002, S. 39). Neben dieser wirkungsbezogenen Unterscheidung können Umweltprobleme auch auf verschiedenen räumlichen Ebenen, also entweder national, d.h. lokal verortet, oder aber grenzüberschreitend bzw. global auftreten. Dabei umfassen nationale und lokale Umwelteffekte jene Probleme, bei denen sich die Folgen des Umweltverbrauchs auf das Territorium eines Landes beschränken (z.B. städtischer Smog oder verschmutzte Gewässer). Grenzüberschreitende regionale Umwelteffekte betreffen dagegen zwei oder mehr Länder (z.B. saure Niederschläge, Verschmutzung von Gewässern oder gemeinsam genutzten Ressourcen) (vgl. Altmann 2002, S. 39). Von globalen Umweltproblemen wird dann gesprochen, wenn ihre Entstehung zwar lokal verortet, ihre Auswirkungen jedoch globaler Natur sind. Sie betreffen alle Länder und umfassen die Schädigung der „global commons" wie Erdatmosphäre, Ozeane oder Antarktis. Aus den wirtschaftlichen Tätigkeiten wie Produktion und Handel resultieren somit globale öffentliche Güter bzw. globale öffentliche Übel (vgl. Sautter 2004, S. 29). Im
Gegensatz zum Umweltdumping mit seinen verschiedenen räumlichen Auswirkungen liegen beim Sozialdumping nur regionale Auswirkungen vor, so dass diese auch nicht ganz so stark ins öffentliche Bewusstsein rücken. Sozialdumping liegt vor, wenn die sozialen Reproduktionskosten der Arbeitskraft, also beispielsweise Grundbedürfnisse deckende Löhne, eine angemessene soziale Absicherung oder die Menschenwürde beachtende Arbeitsbedingungen, die bei dem Produktionsfaktor Kapital analog in Form von Abschreibungen berücksichtigt werden, nicht in den Güterpreisen enthalten sind (vgl. Koch 2000, S. 180). So wie beim Umweltdumping der Umweltverbrauch gilt im Falle von Sozialdumping die fehlende Internalisierung von Arbeitskosten bei der Bemessung der Produktionskosten als Grundlage komparativer Kostenvorteile. Auch hier beeinflussen die jeweils geltenden nationalen Rahmenbedingungen die herrschenden Produktionsbedingungen und damit die Produktionskosten (vgl. Koch 2000, S. 178f.). Somit bedeutet die Möglichkeit mancher Länder, aufgrund wenig strenger Vorschriften Sozialdumping zu betreiben, einen Standortvorteil gegenüber anderen Ländern. Eine Regulierung mit dem Ziel eines fairen Wettbewerbs zwischen den verschiedenen Ländern kann nur mit Hilfe allgemein gültiger Sozialstandards durchgesetzt werden (vgl. Berthold/Hilpert 1999, S. 128ff). Eine besondere Form des Sozialdumpings ist das Lohndumping. Durch niedrigere Lohn- oder Arbeitskosten entsteht ein
komparativer Wettbewerbs vorteil.
Um
A: Weltwirtschaft im
Globalisierungsprozess
153
Dumpingvorwurf zu rechtfertigen, ist jedoch stets zu überprüfen, ob dieses niedrige Niveau lediglich das Resultat einer höheren Arbeitsproduktivität oder auf
den
Maßnahmen des Staates zurückzuführen ist (vgl. Hauser 2001, S. 15). Als Maßnahmen gegen Lohndumping werden immer wieder gesetzliche oder tarifliche Mindestlöhne diskutiert. Auch Regelungen, die es ausländischen Anbietern verbieten, ihre Leistungen im Gastland nach einheimischen Standards anzubieten, kommen in Frage. Ein Beispiel ist das deutsche Entsendegesetz, das Mindeststandards und -löhne in der Bau Wirtschaft festsetzt.
Die durch Umwelt- und Sozialdumping herbeigeführten „falschen" und damit meistens auch niedrigeren Preise führen zu komparativen Wettbewerbsvorteilen, die von Mit-Wettbewerbern als unfair empfunden werden, zugleich z.B. durch die fehlende Reproduktion und Rücksichtnahme auf die Umwelt aber auch dem Dumpingland selbst schaden. Vor allem die Industrieländer fordern seit einiger Zeit Vereinbarungen über weltweit gültige ökologische und soziale Mindeststandards, um dem Dumping erfolgreich begegnen zu können (vgl. Berthold/Hilpert 1996, S. 596ff). Damit wollen sie dem Abwandern von Arbeitsplätzen in Entwicklungsländer mit ihren niedrigen Sozial- und Umweltstandards vorbeugen. Letztere sehen darin aber oft essentielle Wettbewerbsvorteile. Handelssanktionen zur Durchsetzung von Umwelt- und Sozialstandards sind daher höchst umstritten. Die Folgen wären für die Entwicklungsländer Wohlfahrtseinbußen durch den Verzicht auf Handelsgewinne, aufgrund der zunehmenden globalen Interdependenzen der Weltwirtschaft aber auch Auswirkungen aufdie Industrieländer selbst, wie z.B. Armutsmigration, Flüchtlingsströme, grenzüberschreitende Kriminalität usw. (vgl. Homann/Gerecke 1999, S. 439). -
-
Aus diesem Grund sollten die Preise so korrigiert werden, dass die externen Effekte internalisiert, also in die Faktorpreise integriert werden. Dies kann z.B. über politische Restriktionen (Steuern, Ge- und Verbote, Auflagen und Gesetze) oder internationale Vereinbarungen (z.B. GATTAVTO), die mit handelspolitischen Maßnahmen durchsetzbar sind und so globale Wettbewerbsbedingungen vereinheitlichen, erfolgen. Weiterhin führt ein vor allem durch die Medien erzeugter öffentlicher Druck gesellschaftlicher Anspruchsgruppen (z.B. Organisationen wie Attac, Oxfam etc.), der Gewerkschaften, Kirchen und Verbände sowie der Wissenschaft, aber auch Bürgern bzw. Kunden zu einer erhöhten Sensibilisierung für diese Themen, da Unternehmen ihr Image gefährdet sehen. Anzuführen sind auch unternehmerische Gründe, wie z.B. die Vorgabe sozialer und/oder ökologischer Mindestanforderungen entlang der Wertschöpfungskette, die unter Marketinggesichtpunkten zur Differenzierung und Profilierung dienen oder die Vermeidung von Haftungs- und Kreditrisiken ermöglichen. Letzteres gilt umso mehr, seit Banken und Versicherungen zunehmend ökologische Kriterien berücksichtigen.
6
154
Umwelt- und Sozialstandards
Nachhaltige Weltwirtschaft -
6.3
Regime und Akteure einer nachhaltigen Weltwirtschaft
Vielfältige Gründe führen zu ökologisch und sozial unerwünschten weltwirtschaftlichen Entwicklungen. Dies liegt vor allem daran, dass die institutionell-ordnungspolitische Rahmenordnung der Weltwirtschaft enorme Defizite aufweist und demzufolge nicht in der Lage ist, eine erwünschte nachhaltige Entwicklung zu gewährleisten (vgl. Homann/Gerecke 1999, S. 441). Allerdings gibt es wie bereits angesprochen eine Reihe von Möglichkeiten, gewisse ökologische und soziale Ziele vor dem Hintergrund einer tragfähigen Wirtschaft umzusetzen. -
-
6.3.1 Internationale Abkommen
korrigieren, hat der Staat die Möglichkeit, Ge- und VerAuflagen zu erlassen, marktorientierte Instrumente (z.B. Pfandsysteme) einzuführen, neue Märkte durch staatliche Nachfrage zu schaffen und die Öffentlichkeit einzubeziehen (vgl. jänicke et al. 1999, S. 99). Diese staatlichen Instrumente besitzen die größte Wirkung auf unternehmerische Entscheidungen, können allerdings von den einzelnen Nationalstaaten mit ihren internationalen Verflechtungen nicht völlig frei eingesetzt werden. Da zudem, z.B. an der Schadensverursachung internationaler Umweltprobleme, in der Regel mehrere Länder beteiligt sind, ist es sinnvoll, diese auch mittels multilateraler Umweltabkommen zu lösen. Fraglich erscheint jedoch, in welchen institutionellen Rahmen solche Abkommen gestellt sein sollten (vgl. International Bank for Reconstruction
Um ein Marktversagen bote wie Normen und
and
zu
Development/The World Bank 2003, S.
6.3.1.1
38).
Regelungen von GATT/WTO
Das Hauptanliegen der im GATT bzw. der WTO (vgl. Kap. 4.2 und 4.3) institutionalisierten Welthandelsordnung ist ökonomischer Art, was sich in den Kernbereichen der Liberalisierung des Welthandels für Waren und Dienstleistungen sowie durch die Sicherstellung von Schutzrechten für geistiges Eigentums widerspiegelt (vgl. Kulessa 2000, S. 176). Im ursprünglichen Vertragstext des GATT von 1947 sind weder ökologische noch soziale Belange thematisiert und galten bis in die 1990er Jahre auch als eher nebensächlich. Erst mit der Zunahme des ökologischen Bewusstseins in den Industrieländern erfolgte eine stärkere Hinwendung zu ökologischen Themen, nicht zuletzt auf Druck unterschiedlichster Organisationen. Im Rahmen der Ministerkonferenz der WTO in Seattle (1999) forderten Umweltschutzorganisationen, dass alle zukünftigen Handelsvereinbarungen einen ökologischen und sozialen „Check" zu durchlaufen haben. Weiterhin müsse die WTO mit den für Umwelt- und Sozialfragen zuständigen internationalen Institutionen vernetzt werden, um die Akzeptanz von Umwelt- und Sozialstandards als Grundlage für den Welthandel sicherzustellen (vgl. Franz/Jaeckel 2000, S. 47).
A: Weltwirtschaft im
Globalisierungsprozess
155
Trotz des dem vehementen Widerstand von Globalisierungsgegnern und der Zerstrittenheit von Industrie- und Entwicklungsländern geschuldeten Scheiterns dieser Konferenz stehen die Themen Umwelt und Soziales nicht mehr unvermittelt im Hintergrund der Agenda. Das Thema Umweltschutz wurde mittlerweile in die Präambel des Vertragstextes aufgenommen. Die Ziele des freien Welthandels müssen nun mit den Zielen einer umweltverträglichen Entwicklung in Einklang stehen. Auch andere Bestimmungen, wie z.B. das Agrarübereinkommen, nehmen nun ausdrücklich Bezug auf die Umwelt. Im GATT ist eine Reihe von Umwelt-
aspekten enthalten, wobei immer der Grundsatz der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen gewährleistet sein muss vgl. (vgl. Franz/ Jaeckel 2000, S.
47).
In Art. XX GATT („general exceptions: measures to safeguard public morals, health and natural resources") ist vorgesehen, dass handelsbeschränkende Maßnahmen erlassen werden können, wenn es für das Leben oder die Gesundheit von Menschen, Tieren oder Pflanzen erforderlich ist oder es sich um Maßnahmen zur Erhaltung endlicher natürlicher Ressourcen handelt. Die Einführung von Maßnahmen zum Schutz der Umwelt ist allerdings mit Schwierigkeiten behaftet, da die Beweislast dafür, dass keine GATT-konformen oder zumindest weniger handelsbeschränkenden Maßnahmen zur Verfügung stehen, beim durchführenden Land liegt (vgl. Sautter 2004, S. 133).
Eine explizite Einführung des Begriffs „Umwelt" erfolgte mit dem Übereinkommen über technische Handelshemmnisse und dem „Übereinkommen über gesundheits- und pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen. In diesen Abkommen geht es um Einschränkungen der Möglichkeiten, Produktstandards als nichttarifäre Handelshemmnisse (vgl. Kap.4.1.2.2) zu verwenden und damit Importe zu erschweren. In den Übereinkommen ist ausdrücklich das Recht festgelegt, von internationalen Standards abzuweichen, so dass Länder in Einzelfällen über internationale Umweltstandards hinausgehen können, wenn die Maßnahmen notwendig und wissenschaftlich fundiert sind (vgl. Franz/Jaeckel 2000, S. 48). Das Übereinkommen über landwirtschaftliche Subventionen und Ausgleichsmaßnahmen ist eine Zusatzvereinbarung zum Artikel über Subventionen innerhalb des GATT, die im Rahmen der Uruguay-Runde 1994 beschlossen wurde (vgl. Kap. 4.3.1). Hierin sind unter anderem die Voraussetzungen für die Zulässigkeit von Subventionen zum Schutz der Umwelt geregelt. Eine solche Voraussetzung ist beispielsweise die Beschränkung der Subvention auf einen bestimmten Anteil der Anpassungskosten. Trotz dieser Konkretisierungen zur Umweltthematik können umweltpolitische Maßnahmen im Rahmen der Welthandelspolitik nur in beschränktem Umfang eingesetzt werden (vgl. Sautter 2004, S. 135). Häufig führen Umwelt- und Verbraucherschutzmaßnahmen zu langwierigen und schwer zu lösenden Handelskonflikte (vgl. Exkurs 6.2).
156
6
Nachhaltige Weltwirtschaft
Umwelt- und Sozialstandards -
Exkurs 6.2: Konflikte zwischen Freihandel und Umweltschutz Die häufigsten Probleme bei internationalen Auseinandersetzungen um umweit-, aber auch verbraucherschutzpolitisch motivierte handelspolitische Maßnahmen ergaben sich bisher aus dem Prinzip der Nicht-Diskriminierung sowie dem Recht auf nationale wirtschaftspolitische
Autonomie, dem Umwelt- und Verbraucherschutz bisher tendenziell untergeordnet wurden,
wie die
folgenden zwei Beispiele verdeutlichen.
Im sog. Hormonfleischstreit verweigert die EU seit 1989 die Einfuhr hormonbehandelten Rindfleischs aus den USA und Kanada mit der Begründung, dass bestimmte, in der Tiermast eingesetzte Wachstumshormone krebserregend seien. Der Aufforderung der WTO, hierfür einen eindeutigen, wissenschaftlichen Nachweis zu führen, konnte die EU bisher aber nicht beikommen. Seit 1999 verhängen die USA und Kanada daher Strafzölle auf den Import ausgewählter
europäischer Produkte.
Im sog. Thunfischstreit beantragte Mexiko 1991 die Einrichtung eines GATT-Panels aufgrund eines Importverbotes, welches die USA auf Basis eines nationalen Umweltschutzgesetztes, das den Fang von Thunfischen mit delphingefährdenden Netzen verbietet, erlassen hatten. Im Ergebnis sah ein GATT-Panel das Importverbot als GATT-widrig an. Begründet wurde diese Entscheidung im Wesentlichen damit, dass ein Land keine handelspolitischen Maßnahmen einsetzten darf, wenn davon Produktionsmethoden außerhalb des eigenen Landes betroffen sind (vgl. Kulessa 2000, S. 179f.; Decker 2002, S. 150ff.; Franz/Jaeckel 2000, S. 48; Sautter 2004, S. 134ff.).
Weiterhin soll die 1971 gegründete Arbeitsgruppe „Group on Environmental Measures and International Trade" (EMIT-Group) im Bedarfsfall Umweltaspekte im Rahmen des GATT-Vertrages prüfen. Seit 1994 hat sie den Status eines ständigen Ausschusses („Committee on Trade and Environment", CTE), dessen primäre Aufgabe es ist, die Zielvorgabe der nachhaltigen Entwicklung der WTO mit Inhalten zu füllen. Themenfelder sind insbesondere Handelsbeschränkungen im Rahmen internationaler Umweltschutzabkommen, Transparenz handelsrelevanter Umweltschutzbestimmungen, handelspolitische Implikationen von Verpackungsvorschriften und Umweltkennzeichnungen sowie Beziehungen zwischen Handelsliberalisierung in Entwicklungsländern einerseits und nachhaltiger Entwicklung andererseits (vgl. Franz/Jaeckel 2000, S. 45ff.). Der Ausschuss gibt auf Basis der Zusammenhänge zwischen Handels- und Umweltmaßnahmen Empfehlungen für Änderungen der Freihandelsregelungen, falls diese erforderlich werden sollten. Als problematisch ist anzusehen, dass die Panels bislang überwiegend mit Handelsspezialisten besetzt waren, Fachleute für Umwelt oder Gesundheit jedoch nicht hinzugezogen wurden. Ihre Beteiligung ist mittlerweile aber vorgesehen. Im Vergleich zu den umweltbezogenen Standards sieht es mit der Integration von Sozialstandards in die WTO deutlich schlechter aus. Als Mittel zur Abwehr eines „race to the bottom" bzw. zur Herstellung fairer Wettbewerbsbedingungen wären zwischen den Industrienationen einerseits und den Entwicklungs- und Schwellenländern andererseits allgemein verbindliche Sozialmindeststandards einzuführen und Verstöße gegen diese mit handelspolitischen Sanktionen zu ahnden. Vor allem aufgrund des Widerstands von Entwicklungsländern ist eine Verankerung von Sozialklauseln
A: Weltwirtschaft im
Globalisierungsprozess
157
im WTO-Vertragswerk bisher aber nicht möglich, da diese dahinter protektionistische Maßnahmen der Industrieländer vermuten. Daher hat sich die WTO bisher auch nur verpflichtet, die Kernarbeitsnormen der internationalen Arbeitsorganisation (Vereinigungsfreiheit, Recht zu Kollektivverhandlungen, Verbot sämtlicher Formen von Zwangs- und Kinderarbeit sowie beruflicher Diskriminierung, vgl. Kap. 6.3.1.3) zu beachten, wenngleich dies keine Legalisierung von Handelssanktionen aus sozialen Gründen beinhaltet und nur auf Basis von Einzelfallentscheidungen gewisse Konflikte entschärft werden können (vgl. Gaedtke2003, S. 93ff.; Knorr 2002, S. 131).
Insgesamt ist die Aufnahme von Umwelt- und Sozialstandards in die WTO umstritten. Einerseits greifen andere internationale Umweltabkommen zu kurz, auch gibt es keine internationalen Organisationen mit entsprechenden Sanktions- und Durchsetzungsmöglichkeiten. Dies ist der Grund dafür, dass die meisten internationalen Umwelt- und Sozialabkommen nur unzureichend umgesetzt werden. Andererseits könnten von den Konflikten mit den Entwicklungsländern, die niedrigere Standards als komparative Wettbewerbsvorteile betrachten, abgesehen durch WTO-Regeln nationale Umwelt- und Sozialstandards als nichttarifäre Handelshemmnisse ausgelegt werden, was zu einer Schwächung dieser Standards führen könnte. Es wird zum Beispiel argumentiert, dass ein Unternehmen eines Landes, das in einem anderen Land eine Produktionsstätte aufbauen will, die Abgasstandards dieses Landes als Marktzutrittsbarriere auslegt und über sein Heimatland eine Behandlung des Falls vor der WTO beantragt. Diese könnte möglicherweise zugunsten des Unternehmens entscheiden und die Abgasstandards als Handelshemmnisse auslegen. Das Land wäre dann gezwungen, die Umweltstandards zu senken. -
-
net
Abschließend bleibt festzustellen, dass das WTO-Regelwerk sicherlich geeigwäre, ökologische und soziale Belange zu regeln, es wegen der langen Abstim-
mungsrunden und der derzeitigen „Lücken" aber auch weitere Organisationen und Regelungen geben muss. Einige dieser Abkommen werden in den nächsten Abschnitten näher beschrieben.
6.3.1.2 Internationale Umweltabkommen
Betrachtung internationaler3 Umweltabkommen müssen zum einem die Organisationen, die hinter den Abkommen bzw. Standards stehen, zum anderen die einzelnen Abkommen selbst betrachtet werden. Dabei muss geklärt werden, wer für die Aufstellung der international gültigen Umweltabkommen bzw. die Steuerung auf Bei der
globaler Ebene („global governance") zuständig ist. Wie gezeigt, sind nur wenige Umweltschutzanforderungen in das Regelwerk der WTO integriert. Daher sind für den Erhalt und den Schutz der Umwelt multinationale Umweltabkommen erforder-
Auf die Vielzahl nationaler und regionaler Umweltabkommen (z.B. innerhalb der EU) kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Ihre ausführliche Darstellung findet sich z.B. bei KÖSTERS 2002.
158
6
Nachhaltige Weltwirtschaft
Umwelt- und Sozialstandards -
vor allem für solche Umweltprobleme, die über die nationalstaatlichen Grenzen hinausgehen, eine zu geringe Wirkung haben.
lieh, da nationale Lösungsmaßnahmen
Auf der obersten Ebene einer „global governance" steht die UN mit einer Reihe Unterorganisationen, die sich mit Umweltthemen beschäftigen. Allen voran ist die 1972 gegründete UNEP (United Nations Environment Programme) zu nennen, die sich als Stimme der Umwelt im UN-System bezeichnet und eine nachhaltige Entwicklung der Umwelt verfolgt. Mit dem Ziel der nachhaltigen Entwicklung hat zudem die CSD (Commission on Sustainable Development) die Umsetzung der sog. Rio-Beschlüsse zu begleiten, zu überwachen und zu begutachten (vgl. Simonis 2000, S. 210). Weiterhin beschäftigt sich eine Vielzahl weiterer UN-Organisationen über ihr jeweiliges Hauptaufgabengebiet hinaus mit Umweltthemen: von
•
UNDP
arbeit, •
•
(United Nations Development Programme): Entwicklungszusammen-
FAO
(Food and Agriculture Organization of the United Nations): Nachhaltige Nutzung und Entwicklung der Landwirtschaft, UNESCO (United Nations Educational Scientific and Cultural Organization):
Umweltbildung, •
UNIDO
(United Nations Industrial Development Organization): Nachhaltige
Industrieentwiclung, •
•
•
•
IAEA (International Atomic Energy Agency): Atomaufsicht, IMO (International Maritime Organization): Schutz der Meere,
WHO (World Health Organization): Förderung einer gesunden Umwelt, IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change): Bereitstellung von Informationen zum Klimawandel.
Außerhalb des UN-Systems sind verschiedene Finanzinstitute wie Weltbank (vgl. Kap. 5.4.2), Internationaler Währungsfond (vgl. Kap. 5.4.2), regionale Entwicklungsbanken oder die GEF (Global Environment Facility) zu nennen, die durch Förderung von Entwicklungsprojekten Armut reduzieren und Umweltschutz verbessern helfen. Andere Organisationen, wie z.B. die IUCN (World Conservation Union) oder das ICES (International Council for the Exploration of the Sea) betreiben Umweltschutz vor allem durch Forschungsprojekte (vgl. World Resources Institute 2003, S. 142).
Ausgehend von diesen Organisationen kommt es zu multinationalen Umweltabkommen (Mulitnational Environmental Agreements, MEAs), die auf internationalen Vereinbarungen beruhen und nicht einseitig von einem Land ausgehend einem anderen aufgezwungen werden können. Probleme könnten jedoch entstehen, wenn nicht alle GATTAVTO-Mitglieder das entsprechende multinationale Umweltabkommen unterzeichnet haben. Allerdings überwiegt die hohe Übereinstimmung zwischen den WTO-Mitgliedern und den Unterzeichnerstaaten der MEAs (vgl. Biermann 2000, S. 24). Durch die breite Länderbeteiligung ist die Gefahr handels-
-
A: Weltwirtschaft im
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verzerrender Wirkungen der Abkommen, insbesondere hinsichtlich der Gefahren für protektionistische Maßnahmen oder Ökodumping, reduziert. Damit Umweltabkommen auf eine breite Zustimmung stoßen, gehen ihnen oft internationale Gipfeltreffen voraus. Das bekannteste ist sicherlich die Internationale Umwelt- und Entwicklungskonferenz (UNCED) in Rio de Janeiro (RioKonferenz) im Jahre 1992, in der Regierungsvertreter und NGOs in der Agenda 21 und der Rio-Erklärung Impulse in der Nachhaltigkeitsdiskussion setzten. Dort wurden auch die Abkommen zum Klimaschutz und zum Erhalt der Biodiversität initiiert. Besonders die Agenda 21 verankerte die nachhaltige Entwicklung als neues Paradigma umweit- und entwicklungspolitischer Zusammenarbeit auf globaler, regionaler und lokaler Ebene (vgl. Deutscher Bundestag 2002, S. 393). Die Fortschritte bei der Umsetzung wurden auf dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg im Jahre 2002 diskutiert. Bei diesem Nachfolgegipfel von Rio kam es zwar nicht zu neuen Umweltabkommen, allerdings wurde die Bedeutung von Umweltthemen wieder stärker ins Bewusstsein gerückt. Wichtigster Beschluss ist ein aktualisierter und nahezu vollständiger Bezugsrahmen, auf den sich künftige Verhandlungen stützen können (vgl. Rechkemmer 2003, S. 47f). Internationale Umweltabkommen nehmen auf die auf die unterschiedlichsten Umweltbereiche Bezug (vgl. Biermann 1999, S. 69ff; Sautter 2004, S. 237): Der Schutz der biologischen Vielfalt (Erhalt der Biodiversität) liegt als internationale Aufgabe in seiner Funktion als globales Kollektivgut begründet. Weiterhin sind die gravierenden Wechselwirkungen in Biosystemen, wo bereits das Verschwinden einer einzigen Art große Auswirkungen auf das gesamte Ökosystem haben kann, Gründe für einen internationalen Schutz. Zudem werden noch enorme Potenziale in der weltweiten biologischen Vielfalt mit vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten für den Menschen vermutet. Zu den wichtigsten Abkommen in diesem Bereich gehört das Washingtoner Artenschutzabkommen bzw. die Internationale Konvention über den Handel mit gefährdeten Tier- und Pflanzenarten (Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora, CITES) aus dem Jahre 1973 mit 167 Mitgliedsstaaten. Im CITES verpflichten sich die Staaten, durch Handelbeschränkungen den Schutz seltener Tier- und Pflanzenarten zu gewährleisten. Zur Zeit sind ca. 5 000 Tier- und 28 000 Pflanzenarten unter Schutz gestellt. Für über 800 unmittelbar vom Aussterben bedrohte Arten besteht ein totales Handelverbot. Ein bekanntestes Beispiel ist das Handelsverbot für Elfenbein (vgl. Cites 2005). Im Rahmen des Biodiversitätsübereinkommens (Convention on Biological Diversity, CBD) aus dem Jahre 1992 mit 183 Mitgliedsstaaten wird versucht, durch Abgrenzung von Rechtspositionen (Verfügungsrechte) die Erhaltung der biologischen Vielfalt, deren nachhaltige Nutzung und die gerechte und ausgewogene Verteilung der aus einer Nutzung resultierenden Gewinne zu erreichen. Aufgabe der Nationalstaaten ist es, entsprechende Systeme aufzubauen. Anfallende Kosten können dabei z.B. über die Global Environment Facility (GEF) erstattet werden. Ein Beispiel ist der Vertrag des Pharmaunternehmens Merck, das sich dem Land Costa
160
6
Umwelt- und Sozialstandards
Nachhaltige Weltwirtschaft -
gegenüber verpflichtete, den Schutz des Tropenwaldes zu gewährleisten, und im Gegenzug die Nutzungsrechte am Gen-Material des Tropenwaldes zur Entwicklung von Medikamenten erhielt (vgl. deutscher bundestag 2002, S. 348ff). Der Schutz des Klimas und der Ozonschicht ist ein weiteres prädestiniertes Feld
Rica
für eine internationale Zusammenarbeit, da umweltschädliche Emissionen weltweit wirken. Zu nennen sind das Rahmenübereinkommen der UN über Klimaveränderungen (United Nations Framework Convention on Climate Change, UNFCCC) aus dem Jahre 1992 mit 178 Vertragsstaaten, das Kyoto-Protokoll von 1997 mit 150 Vertragsmitgliedern sowie das Montrealer Protokoll zur Erhaltung der Ozonschicht aus dem Jahre 1987 mit mehreren Vertragsanpassungen und heute 188 Vertragsländern. Auf der Rio-Konferenz wurde die Handlungsnotwendigkeit erkannt, einen wirksamen Klimaschutz aufzubauen, da beim derzeitigen Bevölkerungswachstum und dem Streben nach Wohlstand der Energieverbrauch, der maßgeblich für den Treibhauseffekt und den daraus resultierenden Klimawandel verantwortlich ist, massiv ansteigt (vgl. Schlesinger 2004, S. 154; Sautter 2004, S. 235ff.). In dem Rahmenübereinkommen
verpflichteten sich die Industrieländer zu geden Ausstoß von Treibhausgasen zu reduzieren. Verpflichtende Reduktionsziele wurden erst auf der Konferenz der Vertragsparteien in Kyoto 1997 eingerichtet. Das Protokoll erlangt Gültigkeit, wenn mindestens 55 Industrieländer, die zusammen für 55% der Treibhausgase verantwortlich sind, dieses Protokoll auch ratifizieren. Die USA als größter Treibhausgasemittent (ca. 25%) lehnten eine Ratifizierung jedoch ab, was das Scheitern des Protokolls zur Folge gehabt hätte. Erst 2004 wurde mit der Ratifizierung des Protokolls durch Russland die 55%-Quote erreicht (derzeit 61,6% der Treibhausgase). Zur Reduktion der Treibhausgase sind verschiedene Instrumente vorgesehen. Hierzu gehören der Handel mit Emissionsrechten („Cap-and-Trade-Verfahren"), „Joint-Implementation" und „Clean Development Mechanism", bei denen durch Projekte im Ausland Treibhausgasreduktionen erreicht werden können. In der EU wird für Industriebetriebe 2005 ein Emissionshandelssystem aufgebaut, das bei einem Verstoß entsprechende Sanktionsmöglichkeiten von Seiten der EU gegenüber ihren Mitgliedern beinhaltet (vgl. Unfccc 2005). eigneten Maßnahmen,
um
Der Ausstoß von FCKW bewirkt einen Abbau der stratosphärischen Ozonwas wiederum zur Gefährdung des Lebens auf der Erde führt. Nachdem dieser Zusammenhang Anfang der 1980er Jahre entdeckt wurde, kam es im März 1985 zum ersten Übereinkommen zum Schutz der Ozonschicht (The Vienna Convention) und in September 1987 zum Montrealer Protokoll zur Erhaltung der Ozonschicht. In einer Reihe von Folgekonferenzen wurde das Protokoll erheblich überarbeitet, immer mit dem Ziel einer Reduzierung der ozonschädigenden Substanzen. Dadurch, dass die schädlichen Substanzen relativ einfach zu ersetzen sind und die USA als treibende Kraft hinter dem Übereinkommen stehen, gelang es trotz mangelnder Sanktionsmöglichkeiten rasch, beachtliche Erfolge zu erzielen. Handelspoltische Sanktion beschränken sich darauf, dass die Unterzeichnerstaaten
schicht,
-
-
A: Weltwirtschaft im
Globalisierungsprozess
161
nicht mehr mit den schädlichen Produkten handeln, was bei der großen Anzahl an Unterzeichnerstaaten die Vereinbarung quasi zum Weltstandard macht (vgl. Ozone Secretariat United Nations Environment Programme 2005). -
Ein weiterer klassischer MEA-Bereich ist der internationale Handel mit Abfällen. Um Entsorgungsstandards zu umgehen, bietet es sich an, diese in Länder mit niedrigen oder keinen Entsorgungsstandards zu exportieren. In den 1980er Jahren häuften sich Berichte über solche Abfallgeschäfte. Insbesondere gefährliche Abfälle konnten kostengünstig in Entwicklungsländer verschoben werden, da es an internationalen Regelungen und Kontrollen fehlte. Mit dem 1992 in Kraft getretenen Basler Übereinkommen über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung, dem mittlerweile rund 160 Staaten beigetreten sind, konnte der Mülltourismus deutlich reduziert werden. Mit der Konvention wurden weltweit geltende Regelungen über Zulässigkeit, Genehmigung und Kontrolle von Exporten gefährlicher Abfälle getroffen. Grenzüberschreitende Abfallverbringungen bedürfen nun der Genehmigung des Ausfuhrlandes, sämtlicher Durchfuhrländer sowie des Einfuhrlandes. Ziel ist es, insbesondere solche Staaten zu schützen, die nicht über die notwendigen technischen Voraussetzungen für den Umgang mit gefährlichen Abfällen verfügen. Um weltweit einheitlich festzulegen, welche Abfälle als gefährlich gelten, wurde eine konkrete Liste dieser erarbeitet (vgl. Umweltbundesamt 2000, S. 2ff). Die
aufgeführten Einzelvereinbarungen können jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass für eine effektive, weltweite Umweltpolitik eine zentrale Steuerung unerlässlich ist. In Bezug darauf werden verschiedene Konzepte diskutiert. Der sog. Upgrade-Ansatz sieht vor, die UNEP signifikant auszubauen und zu stärken. Im Mainstreaming-Konzept ist angedacht, IWF, Weltbank und WTO stärker an umweltpolitischen Gesichtspunkten auszurichten. Ein weiterer Ansatz sieht die Schaffung einer Welt-Umweltbehörde mit einem umfassenden Mandat vor (vgl. Rechkemmer 2003, S. 44). Unabhängig davon, welches Konzept letztendlich umgesetzt wird, ist vor dem Hintergrund, dass Umweltprobleme meistens nicht an nationalen Grenzen halt machen, eine Verbesserung der derzeitigen Situation notwendig. Für die Umwelt besonders problematisch gestaltet sich dabei vor allem das zunehmende weltweite Transportaufkommen (vgl. Exkurs 6.3). Exkurs 6.3: Internationaler Transport und Umwelt Durch die im Rahmen der Globalisierung umfangreicheren Unternehmensverflechtungen, die Veränderung von Produktionssystemen, die Vergrößerung von Beschaffungsradien und die Ausweitung von Absatzmärkten kommt es zu massiven Auswirkungen auf das Verkehrsaufkommen. Neue und leistungsstärkere Transportsysteme tragen sukzessive zu der Steigerung des Transportauskommens bei. Dabei nimmt nicht nur der Warenverkehr, sondern auch der Personenverkehr stetig zu. Dies liegt in der zunehmend international verflochtenen Wirtschaft begründet, die einen erhöhten Koordinations- und Kooperationsbedarf und damit Personenverkehr zur Folge hat, der zum großen Teil mit dem Flugzeug abgewickelt
162
6
Umwelt- und Sozialstandards
Nachhaltige Weltwirtschaft -
wird. Dem dert.
gegenüber wird der Großteil
des internationalen Warenverkehrs per Schiff beför-
Bezüglich ihrer Umweltwirkung verursachen die verschiedenen Verkehrsmittel sehr unterschiedliche externe Effekte: Lärm, verkehrsbedingte Luftverunreinigungen (vor allem Partikelausstoß, Kohlenmonoxid, Blei, flüchtige organische Verbindungen, Stickstoffoxyd und Schwefeldioxyd), Boden- und Wasserbelastungen, Flächenverbrauch sowie Sekundäreffekte, die vom Verkehrsmittel selbst ausgehen. Dabei ist zu beachten, dass der Luftverkehr die höchsten Belastungen im Betrieb, geringe jedoch durch die notwendige Infrastruktur verursacht. Dem steht der Schiffsverkehr mit den geringsten externen Effekten im Betrieb gegenüber. Demnach ist der Warentransport per Schiene und Schiff anderen Verkehrträgern ökologisch vorzuziehen. Stehen jedoch z.B. zeitkritische Aspekte im Vordergrund, wird häufig auf das Flugzeug ausgewichen. Neben der grundsätzlichen Zunahme des Verkehrs ist zudem seine Verlagerung auf die vergleichsweise umweltschädlichen Verkehrsmittel Flugzeug und LKW negativ zu werten. Positiv zu werten ist in einigen Bereichen hingegen die Entkopplung des transportbedingten Energieverbrauchs vom Wirtschaftswachstum, die in besseren Logistikkonzepten, einer höheren Fahrzeugauslastung oder technischen Maßnahmen an Transportmitteln liegt. Ein weiterer ökologischer Problembereich ist die Gefährdung der Umwelt durch Unfälle mit ökologisch gefährlichen Stoffen und absichtlich herbeigeführten Umweltverschmutzungen. Diese Punkte treffen besonders auf die eigentlich umweltschonende Schifffahrt zu. Hierbei sind die unerlaubte Einleitung von Rückstandsprodukten, die beim Betrieb der Schiffsmotoren anfallen, das Überbordwerfen von Schiffsmüll, die nicht gestattete Entfernung von Schiffsabwasser sowie die verbotene Einleitung flüssiger Abfallprodukte zu nennen. Am stärksten rückt die Bedrohung der Umwelt durch Havarien großer Öltanker (z.B. Exxon Valdes, Erika, Prestige), die ganze Küstenabschnitte und Seegebiete verseuchen, in das öffentliche Bewusstsein. Auf der ökologischen Seite ist die Schädigung der maritimen Flora und Fauna zu nennen, die sich direkt an Wasservögeln und Fischen zeigt, aber auch indirekt durch den langfristigen Gifteintrag, wie z.B. bei Muscheln. Ökonomisch haben Havarien massive Auswirkungen auf den Fischfang (Handelsverbote) und den Tourismus (verschmutzte Strände). Zu berücksichtigen sind auch Kosten für die Reinigung der Strände und die Bergung der Schiffwracks. Politische Auswirkungen ergeben sich durch ein chaotisches Krisenmanagement und den daraus resultierenden innenpolitischen Druck. Mögliche Langzeitfolgen liegen z.B. im Verlust der Blauen Fahne als Gütesiegel für saubere Strände und der Regeneration des Ökosystems. Maßgeblich verantwortlich für derartige Havarien sind vor allem der sehr schlechte Zustand der Schiffe, die häufig nur einwandig sind, ein unklarer rechtlicher Status (Billigflaggen) und die damit verbundene Unklarheit, wer für Wartung und Aufsicht verantwortlich ist. So war z.B. die im November 2002 vor der galizischen Küste havarierte Prestige in griechischem Auftrag mit philippinischer Besatzung und russischem Schweröl von Lettland nach Singapur unterwegs, in Liberia registriert, der Eigentümer war auf den Bahamas ansässig. Um in Zukunft solche Havarien zu reduzieren, beschlossdie EU, dass ab 2015 nur noch Tankschiffe mit einer doppelten Wand europäische Häfen anlaufen dürfen. Als weitere Maßnahmen werden ein Verbot von Tankern, die älter als 20 Jahre sind, eine Lotsenpflicht für gefährliche Wasserstraßen, technische Maßnahmen wie die Einrichtung von Schiffsleitstellen mit Weitbereichs-Radar entlang der Küsten, ausreichende Schlepperkapazitäten und die Errichtung von „safe havens", in die havarierte Schiffe abgeschleppt werden können, diskutiert (vgl. Koch 2000, S. 13f.; neumair/schlesinger 2004, S. 124f.; LingenhÖhl 2003, S. 16ff.).
A: Weltwirtschaft im
Globalisierungsprozess
163
6.3.1.3 Internationale Sozialabkommen Im Sozialbereich ist die ILO (International Labour Organization) als eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen federführend (vgl. Deutscher Bundestag 2002, S. 172). Seit ihrer Gründung im Jahre 1919 ist es der Grundsatz dieser Organisation, wirtschaftliche und soziale Entwicklung so weit möglich im Gleichschritt zu vollziehen. Sie verfügt über eine dreigliedrige Struktur, die im UNSystem einzigartig ist: Die 178 Mitgliedsstaaten sind in den Organen der ILO durch Repräsentanten sowohl von Regierungen als auch Arbeitnehmern und Arbeitgebern vertreten. Schwerpunkte der Arbeit der ILO sind die Formulierung und Durchsetzung internationaler Arbeits- und Sozialnormen, insbesondere der Kernarbeitsnormen, eine soziale und faire Gestaltung der Globalisierung sowie die Schaffung menschenwürdiger Arbeit als zentrale Voraussetzung für die Armutsbekämpfung (vgl. ILO 2005). -
-
Ihre besondere Bedeutung erlangt die ILO nicht nur durch ihr langes Bestehen und die Anerkennung ihrer Arbeit, z.B. durch den Friedensnobelpreis im Jahre 1969, sondern auch durch ihre Kompetenzen zur Aufgabenerfüllung. So kann die ILO auf etwa 180 internationale Übereinkommen im Bereich Arbeitnehmerrechte und Sozialstandards verweisen. Weiterhin prüft sie die Einhaltung der zugesagten Sozialstandards und macht deren Überwachung, z.B. durch regelmäßig erscheinende Tätigkeitsberichte, zur öffentlichen Angelegenheit. Von Nachteil ist, dass nur diejenigen Länder zur routinemäßigen Auskunft über die Respektierung der Kernarbeitsnormen verpflichtet sind, die auch die entsprechenden Konventionen ratifiziert haben (vgl. Adamy 1996, S. 141). Die ILO ist durchaus in der Lage, gegen grobe Regelverstöße vorzugehen, und hat somit eine starke Ähnlichkeit zu der geforderten WTO-Sozialklausel. Eine Klage vor dem Internationalen Gerichtshof wurde bisher allerdings nur einmal, gegen Burma (Verstoß gegen das Verbot von Zwangsarbeit), eingereicht, wobei jedoch keine konkreten Strafmaßnahmen verhängt wurden (vgl. Sautter 2004, S. 281). Die Basis der Ziele, die die ILO verfolgt, bilden die Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen und deren Konvention über die Rechte von Kindern. Zu den abgeleiteten ILO-Kernarbeitsnormen zählen das Verbot von Kinderarbeit (vgl. Exkurs 6.4), Zwangsarbeit und Diskriminierung, Vereinigungsfreiheit und das Recht zu Kollektivverhandlungen (vgl. Gaedtke 2003, S. 94; Sautter 2004, S. 257).
164
6
Nachhaltige Weltwirtschaft
Umwelt- und Sozialstandards -
Exkurs 6.4: Formen,
Verbreitung und Folgen von Kinderarbeit
Eine der am häufigsten diskutieren Formen von Sozialdumping ist Kinderarbeit, die nach „westlichen" Maßstäben völlig inakzeptabel, in einigen Regionen aber die einzige Möglichkeit
eigenen bzw. Familienversorgung ist. Weltweit schätzt die ILO die Zahl der arbeitenden Kinder zwischen fünf und 14 Jahren auf 211 Mio., wovon wiederum 186 Mio. Vollzeit arbeiten, d.h. keine Schule besuchen. Der größte Teil von Kinderarbeit findet sich in Asien (61% der weltweiten Kinderarbeit bzw. 19% der Kinder in Asien), gefolgt von Afrika (32% bzw. 29%) sowie Lateinamerika (7% bzw. 16%). Betroffen sind vor allem Landwirtschaft und Fischerei, mit großem Abstand gefolgt von der Produktion (z.B. Sportbekleidungsindustrie und Teppichzur
knüpferei).
Kinderarbeit lässt sich in ..domestic work" (umfasst alle Formen der Hausarbeit) und „non-domestic" bzw. „non-monetary work" (meist in agrarisch geprägten Volkswirtschaften anzutreffen) aufteilen; „wage labor" umfasst Arbeiten mit Gegenleistung, wobei hier zwischen permanenter und gelegentlicher bzw. legaler und illegaler Arbeit und solcher mit oder ohne Lerneffekt unterschieden werden muss. Die vierte Kategorie umfasst alle Tätigkeiten, die sich durch Unregelmäßigkeit und Kurzzeitigkeit auszeichnen. Solche „marginal economic activities" sind beispielsweise Schuhputzen oder Müllsammeln. Die am wenigsten sozialverträgliche Kategorie von Kinderarbeit stellt jedoch die sog. Schuldknechtschaft („bonded child labor") dar. Hier erhält eine Familie eine Vorauszahlung (oft weniger als 15 US-$), woraufhin sie ihr Kind an einen Arbeitgeber aushändigt. In den meisten Fällen kann weder das Kind die Schuld abbezahlen noch die Familie es wieder freikaufen. Das größte Problem bei der Durchsetzung weltweit gültiger Sozialstandards gegen Kinderarbeit ist die Tatsache, dass die Familien der betroffenen Kinder meist in der Armutsfalle stekken. Da ein Kind schon mit drei bis vier Jahren mehr erwirtschaften kann als es zum Leben braucht, müssen arbeitslose Eltern ihre Kinder zum Arbeiten schicken, um sich und der Familie überhaupt das Überleben zu sichern. Diese wiederum können deshalb nicht zur Schule gehen und/oder erleiden irreparable Gesundheitsschäden, weshalb sie später selbst wieder in die Arbeitslosigkeit fallen. Daraufhin müssen die eigenen Kinder ebenfalls wieder zur Arbeit geschickt werden. Grundsätzlich ist zu überlegen, ob es sinnvoll ist, pauschal alle Formen von Kinderarbeit zu verbieten. Die Folge könnte ein Abdriften der Kinder in die Kriminalität oder Prostitution sein. Wie vielschichtig dieses Problem ist, hat sich im Jahr 1992 gezeigt, als die USA ein Importverbot auf durch Kinderarbeit hergestellte Textilien gegen Bangladesch verhängten. In der Folge wurden über 50 000 Kinder entlassen und mussten in wesentlich gefährlicheren Bereichen, wie z.B. Prostitution, Steinbrüchen oder nur für den Heimatmarkt produzierenden Industrien, ihr Auskommen suchen. Im Gegensatz dazu scheint die Investition in Schulbildung die weitaus bessere Lösung. Die ILO fand in einer Studie heraus, in welchem Ausmaß Produktivität und Löhne steigen würden, wenn man in die Ausbildung von Kindern investieren würde, anstatt sie frühzeitig in den Arbeitsprozess einzubinden. Der volkswirtschaftliche Gewinn würde die Kosten der Abschaffung der Kinderarbeit um ein Vielfaches übertreffen. In der Praxis jedoch erweist sich ein solcher Wandel als sehr kompliziert. In den ersten 15 Jahren hätten sowohl die Familien als auch der Staat zunächst immense Kosten zu tragen, bevor sich die Investitionen amortisieren. Dafür fehlen in den meisten Fällen die finanziellen Mittel sowie der politische Wille (vgl. Terre des hommes 2005; deutscher bundestag 2002, S. 170ff. und S. 465).
Am Beispiel des Verbots von Diskriminierung soll gezeigt werden, dass eine Überprüfung der Einhaltung von Kernarbeitsnormen problematisch ist. Nach der Defini-
A: Weltwirtschaft im
Globalisierungsprozess
165
tion liegt Diskriminierung dann vor, wenn bestimmte Arbeitnehmer aufgrund besonderer persönlicher Merkmale von manchen Tätigkeiten ausgeschlossen oder unterhalb ihrer Produktivität entlohnt werden (vgl. Berthold/Hilpert 1999, S. 129f.). Soll z.B. der Grad der Diskriminierung von Frauen in einem Land gemessen werden, bietet sich der „Gender-related Development-Index" der Vereinten Nationen an. Hier werden jeweils die Indikatoren Anzahl der Schuljahre, Analphabetenrate, Lebenserwartung, Löhne sowie die Erwerbsquote im Vergleich zu den Männern betrachtet (vgl. Busse/Grossmann 2003, S. 126). Diese eigentlich einfache quantitative Zählung und Gegenüberstellung muss jedoch um kulturelle Unterschiede erweitert werden. Es können z.B. verschiedene Regeln für die Gleichbehandlung von Arbeitnehmern gelten. Ein Beispiel ist das Senioritätsprinzip, das in vielen asiatischen Ländern gilt. Danach erhalten ältere Mitarbeiter automatisch mehr Ansehen und höhere Löhne als jüngere Kollegen auch wenn diese unter Umständen härter und produktiver arbeiten. Dies macht deutlich, wie schwierig sich eine Bewertung und damit die Durchsetzung von Diskriminierungsverboten gestalten, da vorab in Abhängigkeit des jeweiligen Kulturkreises geklärt sein muss, was Diskriminierung überhaupt ist. -
-
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Wie angedeutet, wirft die Umsetzung der Kernarbeitsnormen in der Praxis viele Probleme auf, die schnell in grundsätzliche Wertediskussionen und die Frage nach der ethischen Parallele von Fortschritt und Sozialpolitik münden. Die Durchsetzung von Sozialstandards ist damit deutlich schwerer als die von Umweltstandards. Besonders Entwicklungs- oder autoritär regierte Länder wehren sich gegen Sozialstandards, bildet deren Nichtbeachtung doch oft einen der wenigen Wettbewerbsvorteile bzw. die Erhaltung der Machtbasis. Da es nicht Sinn und Zweck von Sozialstandards sein darf, die Entwicklung eines Landes zu hemmen, sollten Industrienationen von einem Entwicklungsland nicht von heute auf morgen verlangen, ihre komplette soziale Infrastruktur umzubauen, da diese Länder oftmals nur diesen einen komparativen Vorteil und keinerlei Ausweich- oder Substitutionsmöglichkeiten haben. Zielführender scheint es, dass Entwicklungsländern realistische soziale Zielvorgaben zu erfüllen haben. Eine Möglichkeit zur Quantifizierung qualitativer sozialer Standards könnte z.B. in der Messung des Anteils von Beschäftigten, für die kollektive Tarifverträge abgeschlossen werden, und der Festlegung, welche Schwellenwerte dabei nicht unterschritten werden dürfen, liegen. Auf Basis solcher Zahlen sind eine objektive Ermittlung von Normverstößen möglich und daraus resultierende Sanktionen vertretbar. Die Gefahr des protektionistischen Missbrauchs kann zudem minimiert werden (vgl. sautter 1995, S. 237). Die sensible und äußerst diffizile Sozialstandard-Thematik sollte im Verant-
wortungsbereich der ILO belassen und nicht z.B. in eine WTO-Sozialklausel integriert werden, da nur so entsprechende regionale und/oder kulturelle Aspekte berücksichtigt werden können. Durch eine WTO-Regelung würden pauschale Normen eingefordert, bei deren Nichteinhaltung Sanktionen greifen. Angemessener ist
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6
Nachhaltige Weltwirtschaft Umwelt- und Sozialstandards -
daher, diesen Bereich der von ihrem Rollenverständnis her neutralen und objektiven ILO zu überlassen (vgl. Adamy 1996, S. 16). Die mangelnde Durchsetzbar-
es
keit der Sozialregeln könnte durch eine Präzisierung und Stärkung der vorhandenen verfassungsmäßigen Instrumente behoben werden (vgl. Sautter 1995, S. 242).
Als relativ einfaches und schnell einsetzbares Instrument für die Ausübung von Druck auf solche Staaten, die sich nicht an die Achtung der grundlegenden Konventionen halten, könnte die ILO eine Art „Sozialranking der Nationen" entwickeln. In einer solchen Rangliste ließen sich die Länder je nach Grad der Verletzung oder Nichteinhaltung der Kernarbeitsnormen in soziale Bedenklichkeitskategorien einteilen. Ein solches Ranking könnte dann in einem jährlich erscheinenden Bericht veröffentlicht werden. Diese Berichtspraxis würde für öffentlichen Druck innerhalb eines Landes sowie auf internationaler Ebene sorgen und der Dynamik der Thematik dabei durchaus gerecht werden, da sich die Veränderungen gegenüber dem jeweiligen Vorjahr aufzeigen ließen. Des Weiteren könnte in einer solchen Rangordnung beschrieben werden, worauf die niedrigen Standards zurückzuführen sind. Dies würde zu einer Vermeidung von Pauschal strafen beitragen. Darauf aufbauend, wäre es dann möglich, die Pflichten eines Landes vom jeweiligen Entwicklungsstand, also der jeweiligen Sozialstandardkategorie, und somit vom jeweiligen Kontext abhängig zu machen (vgl. Sautter 1995, S. 237). Auf Basis solcher Listen könnten dann auch entsprechende Handelssanktionen bei einem Verstoß gegen die Kernarbeitsnormen erwirkt werden (vgl. Deutscher Bundestag 2002, S. 173). -
-
6.3.2
Nichtregierungsorganisationen (NGO)
6.3.2.1
Merkmale und Aktionsbereiche
von
NGO
Bei der Betrachtung weltwirtschaftlicher Rahmenbedingungen zeigt sich, dass das Handeln der Akteure nicht nur von nationalen Gesetzen und internationalen Vereinbarungen zwischen Staaten gesteuert wird, sondern die eigentlich größte Beeinflussung von den Bürgern, vor allem in ihrer Funktion als Kunden und Konsumenten,
ausgeht. Umweltbelastungen sind, soweit sie als externe Effekte keine oder nur geringe monetäre Wirkungen auf Unternehmen haben, nicht oder nur kaum direkt wettbewerbsrelevant. Ebenso sind niedrige Sozialstandards eher als unternehmerischer Wettbewerbsvorteil denn als Nachteil zu sehen. Werden sie aber von politischen, öffentlichen und marktlichen Anspruchsgruppen aufgegriffen, können sie in politische Regulierungen, gesellschaftliche Ansprüche und marktliche Veränderungen
transformiert werden.
Eine der Grundlagen dieses Mechanismus bilden Nichtregierungsorganisationen4 bzw. „Non Governmental Organizations" (NGO). NGO, wie z.B. Attac (vgl. Exkurs 6.5), Oxfam, Amnesty International, Ärzte ohne Grenzen, Greenpeace oder
A: Weltwirtschaft im
Globalisierungsprozess
167
WWF, haben sich im Laufe der letzten Jahre immer stärker professionalisiert, indem
sie umfassende Informationen über Unternehmenstätigkeiten einholen und zielgerichtet Presse, Öffentlichkeit und Politik zur Publikation von Kritik und Forderungen einzuschalten wissen. Damit können ihre Ansprüche direkt wettbewerbswirksam werden, wenn sie sich in einem geänderten Konsumentenverhalten ausdrücken. Indirekt wirksam werden sie, sobald die Politik diese öffentlichen Ansprüche aufgreift und in gesetzliche Rahmenbedingungen für Unternehmen umwandelt (vgl. Falke 2005, S. 180).
Exkurs 6.5: Das
Anti-Globalisierungsnetzwerk Attac
Attac die französische Abkürzung für „Vereinigung zur Besteuerung von Finanztransaktionen im Interesse der Bürgerinnen" wurde 1998 in Frankreich gegründet. Der ursprüngliche Fokus lag im Eintreten für eine demokratische Kontrolle der internationalen Finanzmärkte und der Einführung der sog. Tobin-Steuer5. Mittlerweile beschäftigt sich Attac mit der gesamten Thematik neoliberaler Globalisierung und ist zu einem der bedeutendsten Globalisierungsgegner geworden. Deren Kernanliegen sind vor allem die durch die weltweite Liberalisierung und Deregulierung von Märkten entstehende Zunahme sozialer Ungleichheit und ökologischer Schäden. Weiterhin wird die mangelnde Transparenz und demokratische Legitimation von Gremien wie WTO, IWF oder Weltbank kritisiert. Als Konsequenz fordert Attac daher gesetzliche Regelungen wie Mindestlöhne oder weltweite Umweltstandards, eine stärkere Globalisierung von Menschenrechten und eine Eindämmung von Lobbygruppen der Wirtschaft. -
-
Attac ist mit seinen 90 000 Mitgliedern in 50 Ländern vertreten. In Deutschland bildet die Vereinigung mit über 160 Ortsgruppen ein breites gesellschaftliches Bündnis, das von ver.di, über BUND und Pax Christi, bis zu kapitalismuskritischen Gruppen unterstützt wird. Ziel
von Attac ist eine demokratische Kontrolle und Regulierung der internationalen Märkte für Kapital, Güter und Dienstleistungen, ausgerichtet an den Leitlinien von Gerechtigkeit, Demokratie und Ökologie, zum Ausgleich einer durch kapitalistische Wirtschaftsweise entstehenden gesellschaftlichen Ungleichheit. Dies versucht Attac über Vorträge, Publikationen, Podiumsdiskussionen und Pressearbeit sowie mit Aktionen, die den notwendigen Druck auf Politik und Wirtschaft zur Umsetzung alternativer Konzepte erzeugen, umzusetzen (vgl. Attac 2005).
Da viele Unternehmen sehr sensibel auf eine kritische Öffentlichkeit reagieren müssen, werden faktische Standards geschaffen. Dies liegt u.a. an der Börsenkapitalisierung von Unternehmen, durch die der Anteil immaterieller im Vergleich zu Unter dem
Begriff „Nichtregierungsorganisation"
fallt
prinzipiell jeder
Zusammenschluss
von
Menschen, der nicht gewinnorientiert und nicht von staatlichen Stellen organisiert oder abhängig ist sowie auf freiwilliger Basis agiert. Demnach sind Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften und Sportvereine NGO. Die Institutionen, Vereine. Organisationen und Gruppierungen können auf allen Ebenen und in allen Bereichen, wie z.B. Sozialarbeit, Umweltschutz, Tierschutz oder Menschenrechte, engagiert sein. Die sog. Tobin-Steuer ist die Idee einer Steuer (zwischen 0,05% und 1%) auf internationale Devisengeschäfte, welche 1972 von James Tobin (1918-2002), Nobelpreisträger für Wirtschaft, vorgeschlagen wurde. Auf diese Weise sollten Finanzspekulationen eingedämmt werden.
168
6
Nachhaltige Weltwirtschaft Umwelt- und Sozialstandards -
materiellen Werten (Bilanzwerten) zunimmt. Immaterielle Werte entstehen in erster Linie durch aktuelle und zukünftige Gewinnerwartungen des Unternehmens, die wiederum von seiner Reputation abhängen. Vertrauen der Anspruchsgruppen in das verantwortungsbewusste und langfristig erfolgreiche Geschäftsgebaren bildet dafür eine Grundlage (vgl. Scheiwiller 2000). Besonders bedroht sind dabei diejenigen Firmen, die mit starken Marken Emotionen ansprechen und gutes Lebensgefühl vermitteln wollen. Stimmt das Markenimage nicht mit der tatsächlichen Produkt- und Unternehmensqualität überein, ist die Integrität dieser Marke in Frage gestellt. Selbst kleinste Zweifel können für den Ruf eines Unternehmens verheerend sein, werden sie von Interessensgruppen öffentlichkeitswirksam publiziert (vgl. Zollinger 2000). Die Reputation des Produktes bezieht sich dabei nicht nur auf die Produktionsbedingungen in dem herstellenden bzw. vermarktenden Unternehmen, sondern auch auf die vorgelagerten Rohstoffgewinnungs- und Vorproduktionsstufen. Eine wichtige Möglichkeit, wie NGO ihre Ziele durchsetzen können, liegt in der Hervorhebung positiver Aspekte weltwirtschaftlicher Aktivitäten. Zur glaubhaften Kommunikation bieten sich z.B. Siegel, die von NGO vergeben werden, an. Durch solche entsteht ein Quasi-Markt für Ökologie- und sozialstandardfreundliche Produkte, da bislang „verborgene" Produktqualitäten sichtbar gemacht werden (vgl. Palm 2001, S. 329). Der Konsument wird direkt, unmittelbar und visuell klar erkennbar darauf hingewiesen, dass die Ursache eines erhöhten Preises in der Achtung ökologischer und/oder sozialer Normen zu suchen ist. Die Ware bekommt also einen Zusatznutzen oder Mehrwert (vgl. Tiemann 1999, S. 101 ff.).
Siegelinitiativen6
Die Grundvoraussetzung für das Funktionieren eines solchen Konzeptes ist jedoch der Konsument. Der Verbraucher entscheidet darüber, ob er bereit ist, für umweltverträgliche(re) und/oder unter fairen Arbeitsbedingungen erstellte Produkte einen höheren Preis zu zahlen bzw. ökologisch und sozial fragwürdige Produkte zu boykottieren, und somit für eine marktkonforme Lösung sorgt (vgl. Bendell 2000, S. 161). Solange der Käufer die Nachfrage nach solchen Produkten aber nicht artikuliert und ein diesbezüglich sensitives Kaufverhalten an den Tag legt, besteht zunächst einmal kein unmittelbarer unternehmerischer Handlungsbedarf. Sobald jedoch ein „Pull-Effekf' einsetzt, können sich Unternehmen dem kaum mehr entziehen (vgl. Müller/Kornmeier 2001, S. 69).
Überprüfung aufgestellter Standardisierungskriterien als Anforderungen an ein Produktionsprozess im Rahmen der Zertifizierung wird im Allgemeinen als Auditierung, international als Labelling, bezeichnet. Nach erfolgreicher Auditierung und Abschluss des Zertifizierungsverfahrens erhält das antragstellende Unternehmen die Berechtigung zum Führen des Prüfzeichens bzw. des Zertifikates. Dieses nach außen sichtbare Ergebnis der Zertifizierung wird international als Label (Signet, Kennzeichen) bezeichnet (vgl. LÜBBERT 1999, S. 96ff). Der Vorgang der Produkt oder den
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Globalisierungsprozess
6.3.2.2 Soziale
Etikettierung
169
Ein Weg, auf die Verbesserung von Arbeits- und Sozialstandards in Niedrig-Standard-Unternehmen bzw. in Entwicklungsländern hinzuwirken, sind internationale Sozial-Siegelinitiative, wie sie in den meisten OECD-Staaten bereits eingeführt sind. Durch Produktkennzeichnung wird dem Konsumenten garantiert, dass die Produkte unter Wahrung bestimmter Standards hergestellt wurden. Entscheidend für die Durchschlagskraft der Labels ist die Kontrolle der Einhaltung der konstitutiven Voraussetzungen der Warenzeichenvergabe durch unabhängige Dritte (vgl. LÜBBERT 1999, S. 98).
größte Sozialzertiftzierer ist die 1997 gegründete „FairTrade Labelling Organizations International" (FLO), unter der weltweit 20 nationale Siegelorganisationen, die nach denselben Fair-Handels-Kriterien arbeiten, zusammengeschlossen sind. Sie garantiert, dass Produkte mit dem FairTrade-Label überall auf der Welt den festgelegten Fair-Handels-Kriterien und -standards entsprechen. In der FLO legen Siegelinitiativen und Produzentenvertreter gemeinsam die Strategien und Richtlinien für einen fairen Handel fest. Diese Aufgabe wird von einer eigenen Zertifizierungseinheit, getrennt von Kontrolle und Zertifizierung, wahrgenommen7. Ziel ist es, durch garantierte Mindestpreise und direkte Handelsbeziehungen dazu beizutragen, die Lebensbedingungen in den Erzeugerländern zu verbessern. Für einige Produkte (z.B. für Kaffee) werden Festpreise zugesichert, die über dem Weltmarktniveau liegen. Durch langfristige Abnahmeverträge und das Recht auf eine Vorfinanzierung soll den Erzeugern eine sichere Zukunftsplanung ermöglicht werden. Neben dieser Grundaufgabe leistet die FLO Lobbyarbeit in den internationalen Der weltweit
Initiativen Organisationen8 und stellt die Kommunikation zwischen den nationalen mit ihren Familien sicher. Von der Arbeit der FLO profitieren 4,5 Mio. Produzenten in 45 Ländern (vgl. FLO International 2005).
Nationaler FLO-Vertreter in Deutschland ist der 1992
gegründete
Verein
„TransFair e.V." (vgl. Abb. 6.1), ein Zusammenschluss von 38 namhaften sozialen,
entwicklungspolitischen und kirchlichen Organisationen, die für die Selbständigkeit und Gleichberechtigung der im Welthandel benachteiligten Partner in der Dritten Die Anforderungen, die an eine Zertifizierung gestellt werden, sind das Verbot von illegaler Kinderarbeit, menschenwürdige Arbeitsbedingungen, garantierte Mindestpreise, FairTrade-Prämien für soziale Projekte, zusätzlicher Aufschlag für kontrolliert biologischen Landbau, Vorfinanzierung der Ernte, langfristige Lieferbeziehungen sowie eine nachhaltige und umweltschonende Wirtschaftsweise. Ende 2001 legten die vier internationalen Fair Handels-Netzwerke, die unter dem gemeinsamen Namen FINE arbeiten (FLO FairTrade Labeling Organization, IFAT International Federation of Alternative Trade, NEWS! Network of European World Shops, EFTA European FairTrade Association), die Grundlage für ein Zusammenwachsen der Fair-Handels-Bewegung durch die Verabschiedung eines gemeinsamen Dokuments „Grundlage für eine verbesserte Zusammenarbeit im fairen Handel". Die Ziele liegen in der Entwicklung des fairen Handels entlang der gesamten Wertschöpfungskette sowie der Förderung des FairTrade-Gedankens (vgl. IFAT 2005). -
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Umwelt- und Sozialstandards
Nachhaltige Weltwirtschaft -
Welt eintreten. TransFair handelt nicht selbst mit Waren, sondern vergibt sein Siegel für fair gehandelte Produkte. Zu den Aufgaben gehören die Kontrolle der FairHandelsregeln, das Siegelmarketing sowie die Bildungs-, Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit. Der Umsatz mit fair gehandelten Produkten steigt seit der Gründung stetig und lag 2004 bei 57,5 Mio. Euro bzw. bei 6 5001 Waren, wodurch 1,2 Mio. Euro an Prämien an die Produzentenorganisationen überwiesen werden konnten. Zum Sortiment gehören u.a. Kaffee, Orangensaft, Schokolade, Kakao, Honig, Bonbons, Tee, Bananen und Fußbälle. Die TransFair-Waren werden von 60 Lizenznehmern (z.B. Gepa) in 22 000 Supermärkten und Läden sowie im Versandhandel angeboten (vgl. Transfair 2005). Abb. 6.1: Soziallabels
gepa
Fair Handelshaus
Quelle: http://www.transfair.org/ und http://www.gepa3.de/
Eng verbunden mit TransFair ist die Organisation Rugmark (vgl. Abb. 6.1), deren Aufgaben seit 1999 weltweit (ohne USA und Großbritannien) von TransFair wahrgenommen werden. Primäres Ziel ist die Bekämpfung der illegalen Kinderarbeit bei der Teppichproduktion in Indien, Nepal und Pakistan. Rugmark vergibt ein international registriertes Siegel für Teppiche, die nach den Rugmark-Kriterien9 produziert wurden. Neben der Kontrolle und Zertifizierung der Produktion vor Ort werden von Rugmark auch Sozialprogramme für (ehemalige) Kinderarbeiter und deren Familien angeboten. In den Absatzländern stehen Bewusstseinsbildung, Öffentlichkeitsarbeit sowie Betreuung des Fachhandels im Vordergrund der Tätigkeit. Zur Finanzierung ihrer Arbeit verlangt Rugmark von den Exporteuren 0,25% des Exportwertes, von den Importeuren mindestens 1% des Importwertes (vgl. Rugmark 2005). Die „Gepa" (Gesellschaft zur Förderung der Partnerschaft mit der Dritten Welt mbH) (vgl. Abb. 6.1) setzt sich seit 30 Jahren als größtes „Fair-Handelshaus" in Europa für einen sozial und ökologisch verantwortungsbewussten Handel mit den Produzenten in Entwicklungsländern ein. Die Handelsbeziehungen haben zum Ziel, im Welthandel benachteiligten Produzenten einen besseren Marktzugang zu ermöglichen. Zunehmend gewinnen auch Großverbraucher wie Krankenhäuser oder Behörden als Abnehmer der fair gehandelten Waren an Bedeutung. Oft wird auf Basis Keine Beschäftigung von Kindern unter 14 Jahren; in traditionellen Familienbetrieben dürfen Kinder des Knüpfstuhlbesitzers mitarbeiten, wenn sie den regelmäßigen Schulbesuch nachweisen; Zahlung von wenigstens den gesetzlichen Mindestlöhnen an die erwachsenen Teppichknüpfer; Offenlegung der Aufträge sowie Akzeptanz von unangekündigten Kontrollen zu jeder Zeit.
A: Weltwirtschaft im
Globalisierungsprozess
eines fairen Handels zusätzlich die ökologische chen Betrieben gefördert. So sind ca. 60% der Richtlinien produziert (vgl. Gepa 2005).
171
Entwicklung von landwirtschaftligepa-Produkte nach ökologischen
Hervorzuheben ist schließlich noch das von der Textilbranche vergebene „SoAccountability 8000"- Label für Bemühungen der Verbesserung sozialer Bedingungen in den Produzentenländern (vgl. Sai 2005). cial
6.3.2.3
Ökologische Etikettierung
Im Gegensatz zu Sozial-Siegeln werden bei Umwelt-Siegeln in der Regel sowohl die Produktion als auch das Produkt betrachtet, da sich sowohl die Produktion als auch das Produkt umweltschädigend auswirken können. Während bei der Produktion z.B. Emissions- und Immissionsgrenzwerte des Schadstoffausstoßes gemessen werden, sind dies im Bereich der Produktstandards die physikalischen oder chemischen Eigenschaften, die einer Überprüfung hinsichtlich der ökologischen Unbedenklichkeit unterzogen werden. Damit können Umweltstandards im Allgemeinen als technisch-wissenschaftliche Regelungen verstanden werden, die den Schutz der Umwelt zum Ziel haben. Eine der
am häufigsten angewandten Formen ist die sog. Produktkennzeich(informative Warenkennzeichnung). Sie lässt sich in klassifizierende Kennzeichnungen (Handels- und Güteklassen), Güte- und Sicherheitszeichen, wie z.B. RAL-Gütezeichen, GS-Zeichen (geprüfte Sicherheit) oder Wollsiegel, gesetzliche Normen zur Produktdeklaration (z.B. LebensmittelkennzeichnungsVerordnung), nationale und internationale Normen (z.B. DIN, EN und ISO) sowie sonstige Verbandszeichen und Prädikate aufteilen (vgl. lübbert 1999, S. 96).
nung
Bekannteste internationale Normungsstelle ist die „International Standards Organization" (ISO), in der 90 nationale Normungsinstitute vertreten sind. Durch ein EU-Mandat wurde dem DIN (Deutsches Institut für Normung e.V.) die Aufgabe übertragen, europäische Interessen wahrzunehmen. Ziel der weltweiten Normung ist es, Handelshemmnisse zu beseitigen sowie auf Einheitlichkeit, Widerspruchsfreiheit und Internationalität zu achten. Umweltbezogene Normen sind in über 350 Prüfverfahren enthalten, die in einigen Ländern die Grundlage von Umweltauflagen bilden. Weiterhin hat die ISO mit der ISO-14000 Reihe ein Instrument zum Aufbau von entwickelt (vgl. ISO 2005).
Umweltmanagementsystemen10
Damit der Konsument beim Kauf die Umwelteigenschaften von Angeboten berücksichtigen kann, ist er auf zuverlässige Informationen und klare Kennzeichnungen angewiesen. Hier setzt die weltweit erste und älteste umweltschutzbezogene Kennzeichnung für Produkte und Dienstleistungen, der „Blaue Engel" (vgl. Abb.
6.2), an. Mehr
zu
Umweltmanagementsystemen findet sich z.B. bei Müller-Christ (2001, S. 288ff.).
172
6
Nachhaltige Weltwirtschaft Umwelt-
und Sozialstandards
-
Abb. 6.2: Umweltlabels
Quelle:
http://www.blauer-engel.de/: http://www.naturland.de/; http://www.fsc-deutschland.de/
Eingeführt wurde der Blaue Engel 1977 als marktkonformes Instrument der Umweltpolitik, mit dem auf freiwilliger Basis die positiven Eigenschaften von Angeboten gekennzeichnet werden. Diese sind z.B. der sparsame Einsatz von Rohstoffen, eine umweltverträgliche Herstellung und Entsorgung sowie eine lange Lebensdauer. Heute tragen rund 3 700 Produkte und Dienstleistungen in 80 Produktkategorien den Blauen Engel. Zeicheninhaber ist das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Getragen und verwaltet wird es vom Umweltbundesamt sowie dem RAL Deutsches Institut für Gütesicherung und Kennzeichnung e.V., das auch mit der Vergabe des Blauen Engels betraut ist. Sämtliche technischen Anforderungen an Produkte und Dienstleistungen für die Vergabe des Umweltzeichens beschließt die unabhängige Jury Umweltzeichen (vgl. Ral Deutsches Institut für Gütesicherung
und
Kennzeichnung e.V.
2005).
-
Um den zwischenstaatlichen Informationsaustausch bezüglich nationaler Umweltzeichen-Aktivitäten zu fördern und die Umweltzeichen-Programme der einzelnen Staaten möglichst fortschrittlich zu entwickeln, haben sich in dem 1994 gegründeten Umweltzeichen-Netzwerk „Global Ecolabelling Network" (GEN) 26 nationale Umweltzeichen-Organisationen zusammengeschlossen (vgl. Global Ecolabelling Network 2005). Neben diesen staatlich initiierten Umweltzeichen wurde auf Basis privater Initiativen eine Fülle von Umweltzeichen gegründet. Während der Blaue Engel brachenübergreifend umweltfreundliche Produkte kennzeichnet, beziehen sich die meisten anderen Kennzeichnungen auf Branchen, wie z.B. ökologische Land- oder Forstwirtschaft.
„Naturland" (vgl. Abb. 6.2), der Verband für naturgemäßen Landbau e.V., wurde 1982 gegründet. Mit 36 000 Landwirten und Erzeugergruppen ist Naturland eine der bedeutendsten Organisationen des anerkannten ökologischen Landbaus in Deutschland. Weltweit gehört Naturland zu den großen Zertifizierungsorganisationen für Ökoprodukte. Ziel und Aufgabe von Naturland sind der Schutz der Umwelt und die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen durch eine naturgemäße Wirtschaftsweise in allen Bereichen des Landbaus (vgl. Naturland e.V. 2005a).
a: Weltwirtschaft im
Globalisierungsprozess
173
Bei der IFOAM („International Federation of Organic Agriculture Movements") handelt es sich um eine internationale Nichtregierungsorganisation, die eine Plattform für den internationalen Austausch und die Zusammenarbeit im Bereich des ökologischen Landbaus darstellt. Mit mehr als 700 Mitgliedsorganisationen in über 100 Ländern ist IFOAM seit mehr als 30 Jahren die internationale Stimme des ökologischen Landbaus. Die IFOAM-Normen werden durch die IFOAM-Mitglieder und die berufenen Komitees festgelegt. Des Weiteren arbeitet IFOAM zur Abstimmung ihrer Normen mit UN-Organisationen wie UNEP, FAO und UNCTAD sowie der ISO zusammen (vgl. ifoam 2005). Ein großer Schritt zu einer weltweiten Harmonisierung im Öko-Landbau gelang auf der 6. IFOAM Trade Conference 1999 in Florenz. Dort hatte die Mehrheit der 17 IFOAM-akkreditierten Öko-Anbauverbände, darunter als einziger deutscher Verband Naturland, eine multilaterale Vereinbarung unterzeichnet, um die wechselseitige Anerkennung der einzelnen Zertifizierungen zu erleichtern. Durch das neue Abkommen muss der jeweilige IFOAM akkreditierte Verband lediglich die Erfüllung desjenigen Teils der Richtlinien nachweisen, der über die jeweiligen IFOAMRichtlinien hinausgeht, um die von ihm zertifizierten Produkte vom Partnerverband anerkannt zu bekommen (vgl. Naturland e.V. 2005b).
Stewardship Council" (FSC) (vgl. Abb. 6.2) wurde 1993 in Folge Umweltgipfels von Rio ins Leben gerufen. Der FSC ist eine nichtstaatliche, gemeinnützige Organisation, die sich für eine ökologische und sozial verantwortliche Nutzung der Wälder einsetzt. Sie wird weltweit von UmWeltorganisationen, Gewerkschaften, Interessensvertretern indigener Völker sowie zahlreichen Unternehmen aus der Forst- und Holzwirtschaft unterstützt. Ziel des FSC ist es, einen Beitrag zur Verbesserung der Waldbewirtschaftung weltweit zu leisten. Der FSC versteht Der „Forest
des
sich hierbei als Plattform, auf der Vertreter mit unterschiedlichen Interessen am Wald zusammenkommen und einen Konsens über verantwortungsvolle Waldwirtschaft finden können. Aus diesem Konsens werden Bewirtschaftungsstandards entwickelt und Mechanismen für die Vermarktung von entsprechend erzeugten Waldprodukten abgeleitet. Wichtigstes Instrument ist die Kennzeichnung von Produkten mit dem FSC-Siegel. Die FSC-Standards legen fest, welche ökologischen und sozialen Minimalstandards bei der Bewirtschaftung von Wald" eingehalten werden müssen. Die Einhaltung dieser Standards wird jährlich durch unabhängige Prüfer (Zertifizierer) bei jedem Waldbesitzer überprüft. Erst nach bestandener Prüfung kann ein Eigentümer Holz mit dem FSC-Siegel kennzeichnen und entsprechend vermarkten. Der FSC stellt somit ein Siegel zur Verfügung, an dem der Ziel ist eine naturnahe Bewirtschaftung. Dies soll u.a. durch stabile Mischwälder anstatt Monokulturen, Verwendung heimischer Baumarten, eine ausgewogenen Altersstruktur, Erhalt von Totholz als Lebensraum für Insekten und Tiere sowie eine schonende Nutzung, d.h. dem Wald nur so viel Holz zu entnehmen, wie wieder nachwächst, erreicht werden. In Abhängigkeit von nationalen Gegebenheiten, wie z.B. klimatischen und geologischen Rahmenbedingungen oder nationalen Gesetzen, können die FSC-Standards angepasst werden.
174
6
Nachhaltige Weltwirtschaft
Umwelt- und Sozialstandards -
verantwortungsvolle und überprüfte Waldbewirtschaftung erkennt. Strenge Kriterien, an denen die Bewirtschaftung der Wälder ausgerichtet werden soll, dienen dazu, unkontrollierte Abholzung, Verletzung der Menschenrechte und Belastung der Umwelt zu vermeiden. In den 1980er Jahren riefen Umweltverbände zum Tropenholz-Boykott auf, um den Raubbau an tropischen Wäldern zu stoppen. Diese Maßnahme bewirkte teilweise das Gegenteil: Akteure der Holzwirtschaft aus tropischen Ländern versuchten, den sinkenden Absatz durch einen erhöhten Holzeinschlag zu kompensieren. Aufgrund dieser Erfahrung sind viele UmWeltorganisationen dazu übergegangen, anstelle von Boykotten die Einführung einer schonenden Waldbewirtschaftung zu
Verbraucher
nur so viel Holz zu entnehmen, wie natürlich und hierbei klare ökologische und soziale Grundan(Nachhaltigkeit), in den waldreichen Gebieten ein Eineinzuhalten. So kann einerseits forderungen kommen erwirtschaftet und andererseits der Wald langfristig erhalten werden. Seit der Gründung wurden bereits über 51 Mio. Hektar weltweit nach den Regeln des FSC zertifiziert (vgl. FSC-Deutschland 2005).
unterstützen. Ziel ist dabei, dem Wald
nachwächst
Für eine nachhaltige Entwicklung ist nicht nur das Zusammenspiel von ökologischen und sozialen Belangen notwendig, sondern auch eine internationale Vereinheitlichung der jeweiligen Standards. Da diese nur auf Basis des Konsensprinzips, unter Beachtung der Anforderungen der Verbraucher als auch der Möglichkeiten der Produzenten, erfolgen kann, ist dies keine einfache Aufgabe. Voraussetzung für die Entwicklung und Realisierung von Lösungsansätzen sind daher nicht nur der Wille aller Beteiligten zur konstruktiven Mitarbeit und eine genaue Kenntnis der ökologischen und/oder sozialen Probleme, ihrer Verursacher sowie der Gesamtheit ihrer Auswirkungen, sondern auch handlungsfähige Gremien zur Umsetzung der gefassten Beschlüsse. Da die international ansteigende Zahl an unterschiedlichsten Kennzeichnungen zu einem Verlust an Transparenz und Informationsgehalt führt, kann es dadurch nicht zu einer nachhaltigen Verbesserung der derzeitigen Situation
kommen.
6.3.3 Unternehmerische
Aspekte
Vor allem Multinationale Unternehmen von
(MNU) werden wegen ihrer Aktivitäten oft Globalisierungskritikern angegriffen (vgl. Klein 2002; WernerAVeiss 2005).
Allerdings
sind MNU auch
häufig
Vorreiter einer umweit- und
Wirtschaft, die aufgrund ihrer Marktmacht Standards
an
sozialgerechten regionale Zulieferer wei-
tergeben und somit insgesamt für weltweit höhere Standards sorgen. Verantwortlich
hierfür sind sowohl unternehmensexteme Faktoren wie Gesetze oder die Überwachung durch NGO als auch untemehmensinterne Faktoren wie Marketinggesichtspunkte, das Streben nach effizienter Produktion und Innovation oder Finanzierungsund Haftungsfragen. So werden Unternehmen vor dem Hintergrund der „richtigen" Rahmenbedingungen sogar aus ihrem ureigensten Selbstzweck heraus, der langfri-
A: Weltwirtschaft im
Globalisierungsprozess
175
stigen Gewinnerwirtschaftung, Umweltschutz betreiben und sozial verantwortungs-
bewusst handeln.
Zum Aufbau von strategischen Wettbewerbsvorteilen kann vereinfacht entweder eine Kostenminimierungsstrategie oder eine global-proaktive Nachhaltigkeitsstrategie gewählt werden (vgl. Stobbe/Mesterharm 2002, S. 933). Während bei ersterer die Kostenminimierung durch gezieltes Ausnutzen von Standards sowie die Erfüllung minimalster Anforderungen (Externalisierungsvorteile) das Ziel sind, steht bei der global-proaktiven Strategie die Erfüllung der weltweit höchsten Standards im Vordergrund. Dadurch sollen Innovations- sowie Reputationseffekte erreicht werden (Internalisierungsvorteile). Besonders bei MNU mit ihrer starken Markenpräsenz bietet sich diese Strategie an. Zudem können durch eine Positionierung der Produkte im ökologischen und/oder sozialen Bereich langfristige Wettbewerbsvorteile generiert werden (vgl. Müller-Christ 2001, S. 20).
Weiterhin sind gerade die von NGO vielfach kritisierten milliardenschweren Ausgaben von MNU zum Aufbau und zur Pflege ihrer Marken (vgl. Klein 2002, S. 27ff. und 482ff.) quasi der Garant eines umweit- und sozialverträglichen Wirtschaftens. Da die eigentlichen Produkte stark austauschbar sind, entscheidet zu einem großen Teil die Marke, wie gut sich das Produkt verkaufen lässt. Damit werden die eigentlich immateriellen Marken zu wirklichen Werten, wie es z.B. bei Coca-Cola der Fall ist, dessen Marke ca. 96% des Unternehmenswertes ausmacht; der Markenwert von Coca-Cola wurde im Jahre 2000 auf 72,5 Mrd. US-$ geschätzt (vgl. WernerAVeiss 2005, S. 63). Sehr treffend bildet der Ausspruch von Robert D. Haas, CEO Levi Strauss & Co., diesen Zusammenhang ab: „Als ein Unternehmen, das hunderte von Millionen Dollar jedes Jahr in Werbung investiert, müssen wir diesen Wert auch schützen. In der
heutigen Welt kann ein einziger Fernsehbericht über schlechte Arbeitsbedingungen die langjährigen Bemühungen eines Unternehmens zerstören, eine spezifische Markenloyalität zu entwickeln" (vgl. homann/ Gerecke 1999, S.
446).
bei moralischen Verwerflichkeiten von Unternehmen auch zu Boykotten durften bereits viele MNU, wie z.B. Shell 1995 bei der Entsorgung der Ölkommt, Plattform Brent Spar, schmerzlich erleben. Shell musste die Plattform nicht nur kostspielig an Land entsorgen, sondern auch Verkaufseinbußen und enorme Imageschäden hinnehmen. 1997 wurde der Sportartikelhersteller Nike wegen menschenunwürdiger Arbeitsbedingungen („Sweat-Shops") in Asien in mehreren dezentralen Anti-Nike-Kampagnen sowie Medienberichten scharf angegriffen. Darauf reagierte Nike mit einigen neuen Standards zur Verbesserung der Produktionsbedingungen (Klein 2002, S. 373ff.). Zur Prävention imageschädigender Kampagnen, hatte auch die Adidas-Salomon AG zur Zeit der FußballWeltmeisterschaft 1998 ihre Aufträge Dass
es
176
6 Nachhaltige Weltwirtschaft
Umwelt- und Sozialstandards -
China zur Lieferung dass diese unter Einsatz an
von von
Um ein umweit- und
Fußbällen storniert, nachdem bekannt Gefangenenarbeit hergestellt wurden.
sozialgerechtes Verhalten
geworden war,
unternehmensweit
zu
gewähr-
leisten, bietet sich die Einführung eines verbindlichen Verhaltenskodex (Code of
Conduct12) oder von Unternehmensleitlinien an. Codes of Conduct sind als Versuch zu interpretieren, das Reputationskapital des Unternehmens gegenüber der Öffentlichkeit und vor allem gegenüber den zahlenden Konsumenten zu erhalten und zu kommunizieren (vgl. Homann/Gerecke 1999, S. 446).
Codes of Conduct spiegeln die unternehmerische Verantwortung für ein Produkt und sein Umfeld wider. Es geht nicht mehr nur darum, was hergestellt wird, sondern vor allem wie, d.h. unter welchen ökologischen und sozialen Produktionsbedingungen. Ein Unternehmen kann nicht mehr die aus einer Verlagerung der Produktion in Niedrig-Standard-Länder resultierenden Vorteile ausnutzen, ohne dabei gleichzeitig das Risiko einzugehen, von einer Interessensgruppe öffentlich kritisiert zu werden. Die daraus abzuleitenden Verhaltenskodizes könnten sogar die Grundlage für ein neues Modell einer „Global Corporate Governance" darstellen. Ein Verhaltenskodex hat jedoch gewisse Kriterien zu erfüllen, damit er den Erwartungen gerecht und somit glaubwürdig kommuniziert werden kann. Er sollte nicht das Ergebnis eines unilateralen Beschlusses sein, sondern als organischer Prozess die betroffenen Akteure miteinbeziehen, lokale Bedürfnisse widerspiegeln sowie von unabhängigen und qualifizierten Beurteilungsorganen evaluiert werden. MonitoringAktivitäten sind daher zu einem eigenständigen Wirtschaftszweig herangewachsen. Beratungsunternehmen wie KPMG, Ernst & Young oder Pricewaterhouse Coopers nehmen sog. Social Reportings oder Labor Audits vor, um den auftraggebenden Unternehmen ihre Standardkompatibilität zu bestätigen (vgl. Müller/Kornmeier 2001, S. 73). Um diese
Bemühungen getreu dem Grundsatz „Tue Gutes und sprich darüber"
kommunizieren, sollten Verhaltenskodizes in Umwelt- oder Sozialberichten oder wie in neuerer Zeit üblich in Nachhaltigkeitsberichten veröffentlicht werden. In diesen sollten/werden nicht nur die eigenen Aktivitäten beleuchtet, sondern auch die der internationalen Vertragspartner und Subunternehmer vor allem in Entwicklungs- oder Schwellenländern. Durch die immer stärkere Bedeutung der Zulieferer ist dies auch unbedingt nötig, da die meisten Verstöße gegen Umwelt- oder Sozialzu
-
-
Bei Codes of Conduct handelt es sich um ethische Leitsätze, in denen Normen für ethisches Management. Sozial- und Umweltverhalten schriftlich festgelegt sein können. Im Gegensatz zu gesetzlichen Verpflichtungen sind Codes of Conduct selbstverpflichtende bzw. freiwillige Leitlinien. Der Begriff der Freiwilligkeit kann in diesem Kontext allerdings missverständlich sein: Das Vorhandensein von Codes of Conduct und insbesondere ihre konkrete Implementierung und Überwachung sind mittlerweile in einigen Branchen de facto Marktausschlusskriterien für Zulieferer (vgl. deutscher Bundestag 2002, S. 177f).
A: Weltwirtschaft im
Globalisierungsprozess
177
geschehen. Exkurs 6.6 zeigt das unternehmerische Bekenntnis zum Nachhaltigkeitsprinzip und die Codes of Conduct der Puma AG. Standards dort
Exkurs 6.6:
Nachhaltige Entwicklung in der Sportbekleidungsindustrie am Beispiel der PUMA AG
Das Marktumfeld der Sportbekleidungsindustrie gehört zu den dynamischsten der Welt. Die imkürzer werdenden Produktlebenszyklen in dieser Branche stellen die Unternehmen vor immer neue Herausforderungen. Um im globalen Wettbewerb erfolgreich bestehen zu können, sind daher eine innovative Organisationsstruktur und eine homogene Markenstrategie besonders wichtig. Diesen Zusammenhang beschreibt treffend der Ausspruch „Marken statt Produkte" von Nike-CEO Phil Knight. Die Unternehmen, die quasi nicht mehr selbst produzieren, sondern die Produktion weltweit ausgelagert haben und ihre Produkte hauptsächlich über die Marke verkaufen, geraten wegen der zum Teil umweltschädigenden und unsozialen Produktionsbedingungen in ihren Zulieferbetrieben oft in die Kritik. Um eine Marke vor solchen Angriffen zu schützen, entwickeln die Unternehmen entsprechende Maßnahmen, um eine umweit- und sozialgerechte Produktion sicherzustellen. Im Folgenden sollen diese Bemühungen am Beispiel des Branchenvierten, der Puma AG, dargestellt werden. Die Puma AG ist 2004 von der unabhängigen Rating Agentur Oekom Research AG auf 200 soziale und ökolgische Kriterien überprüft und als nachhaltiges Investment empfohlen worden. Basis dieser Entwicklung bildet das Puma S.A.F.E.-Konzept (vgl. Zentes et al. 2004, S. 293; Klein 2002, S. 373; Puma mer
2005). Das PUMA S.A.F.E.-Konzept zielt darauf ab, eine wechselseitige Partnerschaft zwischen Umwelt, Mitarbeitern, Geschäftspartnern und anderen Interessengruppen herzustellen. S.A.F.E. steht für PUMA's langjährigen Einsatz im Bereich verantwortlicher Unternehmensführung. S.A.F.E. basiert auf den vier Prinzipien „social", ..accountability", „fundamental" und „environment". Diese umweit- und sozialpolitischen Prinzipien werden durch die folgenden fünf Eckpfeiler konkretisiert (original von PUMA übernommen): •
Transparenz: Es ist das Ziel von PUMA,
unseren
Kunden
hochwertige Produkte anzu-
bieten, von denen keine den Menschen oder die Umwelt gefährdenden Schadstoffe aus-
•
•
•
gehen. Die Produkte werden vor der Produktionsaufnahme durch unabhängige Institute auf ihre Qualität und ökologische Verträglichkeit getestet. Mit Hilfe unserer produktbezogenen Umwelt- und Sozialstandards sowie der Veröffentlichung von Umwelt- und Sozialreports sorgen wir bei unseren Zulieferern, Produzenten und Kunden für die nötige Transparenz, die die Basis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit ist. Dialogbereitschaft: Fragen und Problemstellungen im Bereich Umwelt und Soziales lassen sich am besten im Team durch einen konstruktiven Dialog lösen. Durch einen permanenten Meinungsaustausch mit unseren Partnern sind wir bestrebt, einvernehmlich nach Lösungen zu suchen und damit unsere Produkte zu verbessern. Nachhaltigkeit: Maßstab unseres Handelns bei PUMA ist die nachhaltige Umwelt- und Sozialpolitik. Unter einer nachhaltigen Politik verstehen wir eine Entwicklung, „die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen" (Brundtland-Kommission 1987). Sozialverantwortung: Die Achtung der Menschenrechte gehört zu den wesentlichen Bestandteilen der Sozialverantwortung. PUMA legt sehr großen Wert darauf, dass in allen Produktionsstandorten weltweit die Vorgaben zur Produktion gesundheitlich unbedenklicher Waren unter Beachtung internationaler sozialer Standards eingehal-
178
6
Nachhaltige Weltwirtschaft
Umwelt- und Sozialstandards -
Abstimmung mit seinen Herstellern strebt PUMA dabei die einer sozialverträglichen Arbeitsplatzumgebung an. Die Sozialstandards sind in einem Code of Conduct zusammengefasst, der die wichtigsten sozialen Grundsätze miteinander vereinigt und sich an die Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation, der ILO, anlehnt. ten werden. In enger
Schaffung
•
Evaluation: Für die Einhaltung der Umwelt- und Sozialstandards sorgt das „S.A.F.E.Team". Die Aufgabe dieser Experten besteht darin, auf der Grundlage nationaler und internationaler Gesetze die von PUMA definierten Umwelt- und Sozialstandards zu überprüfen und zu überwachen. Wenn keine verbindlichen Grenzwerte festgeschrieben sind, werden in Zusammenarbeit mit unabhängigen Prüfern eigene Richtwerte definiert. Das S.A.F.E.-Team fungiert dabei nicht nur als Kontrollorgan, sondern auch als Consulting-
team.
Durch die Einhaltung der oben genannten Prinzipien stellt PUMA sicher, dass Arbeitnehmerrechte respektiert werden und Produktionsmethoden einem ständigen Verbesserungsprozess unterliegen. Nach einer Reihe konstruktiver Gespräche mit verschiedenen Nichtregierungsorganisationen hat sich PUMA dazu entschlossen, eine Stellungnahme gegen die Androhung bzw. Anwendung von körperlicher und psychischer Gewalt zu erarbeiten, die nun als Teil eines neu entwickelten, weitergehenden „Code of Ethics" in den Unternehmensalltag integriert wird. Bestandteil dieser Vereinbarung wird es sein, nur mit Partnern zusammenzuarbeiten, die diese Geschäftsprinzipien und Ideale teilen.
Puma Code of Ethics Mit diesem Kodex bekennt sich PUMA sowohl im individuellen als auch im unternehmerischen Bereich zu ethischem und verantwortungsvollem Verhalten. Der Kodex erläutert unsere wichtigsten Prinzipien und beinhaltet Richtlinien für den Umgang mit unseren Stakeholdern. In diesem Zusammenhang haben wir zusätzlich zu dem bereits existierenden Code of Conduct, der sich primär an unsere Hersteller richtet, den folgenden Kodex entwickelt: •
•
PUMA achtet in allen Ländern, in denen das Unternehmen vertreten ist, das Recht und die gesetzlichen Bestimmungen.
geltende
PUMA und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden Situationen, die einen Interessenskonflikt zur Folge haben könnten, vermeiden. Vorteilsannahmen sind strikt
untersagt. •
•
•
•
PUMA unterstützt finanziell keine politischen Parteien. PUMA bestärkt und unterstützt seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tativ zu engagieren.
darin, sich kari-
PUMA ist der Überzeugung, dass niemand diskriminiert werden darf. PUMA stellt seine neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unter Berücksichtigung des Prinzips der Chancengleichheit ein und erwartet, dass alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich im täglichen Umgang ethisch korrekt verhalten und die Menschenrechte respektieren. PUMA zeigt keinerlei Toleranz gegenüber jedweder Form von Gewalt oder Missbrauch Möglichkeiten der aktiven Konfliktlösung.
und sucht nach •
•
•
PUMA achtet das Recht jedes einzelnen auf
Religionsfreiheit. PUMA respektiert die Privatsphäre seiner Kunden und gibt ohne ausdrückliches vorheriges Einverständnis keinerlei persönliche Daten an Dritte weiter. PUMA ist sich seiner Verantwortung gegenüber seinen Stakeholdern, seinen Kunden und gegenüber der Umwelt bewusst und folgt dem Prinzip der nachhaltigen Entwicklung.
A: Weltwirtschaft im
Globalisierungsprozess
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Neben Marketinggesichtspunkten spielt besonders im Umweltbereich aus unternehmerischer Perspektive auch die effiziente Produktion innovativer Produkte eine bedeutende Rolle, wodurch ein wesentlicher Beitrag zum Umweltschutz geleistet wird. Hier sind z.B. die Einführung von Stoffkreisläufen, die Reduktion von Abfällen (vgl. Haas et al. 2003, S. 93ff.) oder die Optimierung der Ressourcennutzung zu nennen. MNU mit entsprechenden „economies of scale" könnten bzw. sind trotz oft langer Transportwege ökologisch vorteilhafter als kleine Produktionen vor Ort13. Wird die Produktion an hohen Standards ausgerichtet, können zudem Störfallrisiken reduziert und damit Gefahrenpotenziale minimiert werden. Diese Vorteile werden nicht durch ausländische Standorte mit einem niedrigeren Standard beeinflusst, was daran liegt, dass Effizienzsteigerungen grundsätzlich erwünscht sind und so von der Absicht von Unternehmen, ihre Wertschöpfungsprozesse (ökologisch) effizient gestalten zu wollen, auszugehen ist. Einzuräumen bleibt aber, dass es z.B. aufgrund weniger restriktiver Umweltbestimmungen oder niedrigerer Energiekosten zu nicht so ausgeprägten Bemühungen kommt Stoffkreisläufe einzuführen. Die Angleichung von Standards wird dann aber langfristig erfolgen. Insofern ist eine ökologisch wie ökonomisch optimale Gestaltung der Wertschöpfungsprozesse grundsätzlich als eine Frage der Zeit zu betrachten. Ferner sind für Unternehmen Finanzierungs- und Haftungsfragen immer mehr von Bedeutung, was für deren hohe Akzeptanz von Umwelt- und Sozialstandards spricht. Bestehen in einem Unternehmen Umweltrisiken, werden diese für börsennotierte Unternehmen zu Marktrisiken, da Anleger sehr sensibel auf entsprechende negative Presseberichte reagieren. Aber auch Kapitalbeschaffung und Versicherungsprämien verschlechtern sich durch eine fehlende bzw. nicht ausreichende Berücksichtigung von Umwelt und Sozialem Durch drohende Schabei Umweltschäden sinkt die densersatzansprüche entsprechende Bonität der Beide Unternehmen. Aspekte tragen so maßgeblich zu einer hohen unternehmerischen Akzeptanz der entsprechenden Standards bei (vgl. Mercier/Zenklusen 2003, S. 8). .
Eine aufschlussreiche Studie hat RATZING (2003) hierzu verfasst. Während Umweltschützer meist für den Kauf regionaler Produkte plädieren, hat er errechnet, dass z.B. für ein Kilogramm Lammfleisch aus der Region dreimal mehr Energie verbraucht wird als für aus Neuseeland nach Deutschland transportiertes Fleisch. Dies liegt daran, dass deutsche Lämmer intensiv mit Zufütterung gehalten und zur Schlachtung in relativ weit entfernte Schlachthöfe gefahren werden, während sie in Neuseeland extensiv gehalten, in hoch effizienten Schlachthöfen geschlachtet werden und anschließend nur das Fleisch nach Deutschland transportiert wird. Neueste Bestrebungen von NGO gehen dahin, Banken als Finanziers von Projekten anzugreifen. Ihr Ziel ist es, diese Banken mit den durch sie finanzierten umweltschädigenden Projekten in Verbindung zu bringen. So verlor z.B. die Citybank durch eine Fernsehkampagne, die sie mit fragewürdigen Projekten im Regenwald in Verbindung brachte, etwa 10 000 Kunden. Um solche Verluste oder Imageschäden zu vermeiden, sind Banken in diesem Bereich deutlich sensibler und die Finanzierung von solchen Projekten sehr teuer und ggf. unmöglich geworden.
180
6
Nachhaltige Weltwirtschaft Umwelt-
und Sozialstandards
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Teil B Theorien internationaler
Unternehmenstätigkeit
B: Theorien internationaler
Unternehmenstätigkeit
187
7 Theorie des Außenhandels Der Außenhandel stellt die wichtigste Form der internationalen Marktbearbeitung dar. Die Wachstumsraten des internationalen Handels sind daneben ein wesentlicher Indikator der Globalisierung der Wirtschaft (vgl. Kap. 3.2). In diesem Kapitel werden theoretische Ansätze für das Zustandekommen von Außenhandelsbeziehungen vorgestellt.
7.1 Vor- und Nachteile des Außenhandels Unter Außenhandel versteht
man
„den die Grenzen des eigenen Wirtschaftgebietes überschreitenden Warenverkehr, einschl. der mit seiner Abwicklung verbundenen Maßnahmen bzw. Kosten" (Reining 2003, S. 34). Sein Zustandekommen ist darauf zurückzuführen, dass inländische Wirtschaftssubjekte mit ausländischen Wirtschaftssubjekten Handelsbeziehungen eingehen. Während sich der Binnenhandel innerhalb der Staatsgrenzen vollzieht, ist für den Außenhandel das Überschreiten des staatlichen Hoheitsgebietes ausschlaggebend. Es lassen sich unterschiedliche Formen des Außenhandels unterscheiden (vgl. Kap.22.2). Die wichtigste Unterscheidung betrifft die zwischen Import und Export: Der Import stellt die grenzüberschreitende Bereitstellung wirtschaftlicher Leistungen vom Ausland an das Inland dar; der Export ist die grenzüberschreitende Belieferung des Auslands mit wirtschaftlichen Leistungen aus dem Inland (vgl. Pepels 1997, S. 7).
Die Frage, warum Länder miteinander Handel betreiben, ist an die Frage nach seiner Vorteilhaftigkeit geknüpft. Denn freiwilliger Handel zwischen souveränen Staaten kommt nur dann zustande, wenn dieser für sie Vorteile bringt. Allerdings wirkt sich der Außenhandel auf beteiligte Länder, Regionen und auf die betroffenen sozialen Gruppen (Unternehmer, Arbeitnehmer, Verbraucher, Staat) unterschiedlich aus. Im Einzelfall gilt es daher Vor- und Nachteile des Außenhandels (vgl. Abb. 7.1 und 7.2) gegeneinander abzuwägen.
7 Theorie des Außenhandels
188
Abb. 7.1: Vorteile des Außenhandels
Internationale Vorteile
Vorteile für das Inland
Exporte
1) Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen und Einkommen durch Produktion für das Ausland
2) Erhöhung der internationalen Wettbewerbsfähig-
keit durch Kostensenkungen und Produktionssteigerungen infolge steigender Stückzahlen (economies of scale)
3) Erzielung von Devisen-
einnahmen zur Finanzierung von Importen
4) Abbau erzielter Erzeugungsüberschüsse 5)
Handelsbilanzüberschüsse zur
Halbierung von
Defiziten in anderen Bereichen der Leistungsbilanz
Importe
1) Verbesserung der Versorgungssituation durch Schließen
VersorIntensivierung des Wettbewerbs und Vergrösserung des von
gungslücken,
Ressourcen, erhöhte
Leistungsfähigkeit, verbessertes Angebot (Nutzung der Vorteile
Marktangebots
2) Schaffung von Produktionsvoraussetzungen durch Bezug im Inland nicht verfügbarer Güter (z.B. Rohstoffe, technologisches Wissen) 3) Verbesserung der Pro-
duktionsstrukturen durch
Bezug kostengünstiger
Produkte anstatt teurer
Eigenerzeugung 4) Vermeidung negativer
Produktionsauswirkungen im Inland (z.B. Umweltbelastung, Ressour-
cenausbeutung, KapaziBeschäftigungsschwankungen)
täts- und
Quelle: Koch 1997, S. 102, verändert.
1) Allgemeine Wohlfahrtserhöhung durch verbesserten Einsatz knapper
der internationalen Ar-
beitsteilung) 2)
Internationaler Ausgleich Überfluss und Man-
von
gel (Abbau von Angebotsüberschüssen,
Schließung von Versorgungslücken) 3) Vermeidung von Krisen und kriegerischer Auseinandersetzungen durch wechselseitige Abhängigkeit in den internationalen Wirt-
schaftsbeziehungen
Unternehmenstätigkeit
B: Theorien internationaler
189
Abb. 7.2: Nachteile des Außenhandels
Nachteile für das Inland
Importe Kernproblem der internationalen Beziehungen
Exporte 1)
Internationale Nachteile
Politische und ökonomische Abhängigkeit als
2) Import von Umweltbelastung durch eigene Leistungserstellung
2) Gefährdung inländischer Arbeitsplätze und
3) Übernahme ausländischer Beschäftigungs-, Absatz- und Kapazitäts-
3)
4) Gefährdung der inländischen Versorgung durch den Verbrauch knapper
4) Gefährdung von
Einkommen
risiken
des Auslands nach inländischer Währung
5)
6) Wegen der tendenziellen Vernichtung ausländischer Arbeitsplätze protektionistische Gegenmaßnahmen des Auslands (z.B. Zölle, Importquoten) mit negativen
Industrie- und Entwick-
fung produktionsbedingter Potenziale (z.B. Lernkurveneffekte) Gesundheit und Sicherheit der Verbraucher bei Unterschreiten oder Nichtbeachtung von Schutzvorschriften und -Standards
Produktionsfaktoren
5) Währungsaufwertung des Inlands aufgrund steigender Nachfrage
Verzicht auf Ausschöp-
2) Ungleiche Verteilung der Außenhandelsgewinne, Erhöhung des Wohlstandsgefälles zwischen
Durch Importüberschüsse und damit unausgeglichene Handelsbilanz verursachtes Defizit in der Leistungsbilanz
lungsländern, Verschärfung des Nord-Süd-Konflikts
3)
Zwischenstaatliche Handelskonflikte
4) Bedrohung der Umwelt (Transportrisiken, Ausbeutung der Natur, Mülltourismus etc.) 5) Verschärfung von Krisen und Terrorgefahr durch Rüstungshandel
6) Verringerung von Devisen und Erhöhung der Auslandsverschuldung bei zu starken Importen
BeschäftigungswirkunExportland
gen im
Quelle: Koch 1997, S. 105, verändert.
7.2 Theoretische
Erklärungsansätze
Seit langer Zeit befassen sich Wissenschaftler mit der Frage, warum und unter welchen Bedingungen es zu Außenhandel kommt. Im Mittelpunkt der realen' Außenhandelstheorie stehen dabei folgende Fragestellungen: •
•
•
Welche Güter werden importiert bzw. exportiert, welche Vorteile ergeben sich für die beteiligten Länder und Wirtschaftssubjekte aus dem Außenhandel, welche Bestimmungsgründe sind für eine spezifische regionale und gütermäßige Export- und Importstruktur ausschlaggebend?
7 Theorie des Außenhandels
190
Das Spektrum der Ansätze schiedlich angelegt.
7.2.1
zur
Erklärung von Außenhandel ist sehr breit und unter-
NichtVerfügbarkeit als Ursache für Außenhandel
Eine vergleichsweise einfache Erklärung für die Entstehung von Außenhandel liefert der Nichtverfügbarkeitsansatz von Kravis (1956). Er erklärt das Aufkommen von Exporten und Importen über das Nichtvorhandensein bestimmter Güter, die im Inland entweder gar nicht, nicht in der ausreichenden Menge oder nicht in der gewünschten Qualität vorhanden sind. Abb. 7.3 zeigt unterschiedliche Ursachen der
Nichtverfügbarkeit. Man unterscheidet zwischen
folgenden grundlegenden Formen der Nichtverfügbarkeit: Dauerhafte Nichtverfügbarkeit liegt vor, wenn Güter aufgrund der Nichtverfügbarkeit natürlicher Ressourcen im Inland nicht produziert werden können. Beispielsweise sind Rohstoffe und Bodenschätze nur in bestimmten Ländern verfügbar. Gleiches gilt für manche landwirtschaftlichen Erzeugnisse, welche aufgrund der klimatischen Bedingungen nicht im Heimatland angebaut werden können. Entwicklungsländer verfügen hingegen häufig nicht über industrielle Produkte, da zur Herstellung im Heimatland die technologischen Voraussetzungen fehlen. Dauerhaft kann auch die Nichtverfügbarkeit von Arbeit (z.B. zu wenige oder zu schlecht ausgebildete Arbeitskräfte), Kapital (z.B. zu wenige Anlage- oder Erweiterungsinvestitionen) oder die Fehlallokation knapper Produktionsfaktoren sein. Auch subjektiv wahrgenommene, objektiv aber gar nicht vorliegende Qualitätsunterschiede zwischen in- und ausländischer Produktion können eine dauerhafte Nichtverfügbarkeit darstellen.
aus
Sicht des Inlands
Temporäre Nichtverfügbarkeit beruht dagegen auf zeitlich begrenzten Entwicklungsmonopolen einzelner Länder, die auf neuartige Produkte oder Technologien zu-
rückzuführen sind. Zwischen den Produzenten im Ausland und denen im Inland besteht eine technologische Lücke, die bei vorhandener Nachfrage des Inlandes den Import des neuartigen und dort noch nicht verfügbaren Produktes auslöst. Auch auf Konjunkturabläufen basierende Zeitmonopole können zur temporären Nichtverfügbarkeit führen. Die infolge einer Hochkonjunkturphase ausgelasteten Produktionskapazitäten verhindern die Befriedigung der inländischen Nachfrage durch Erhöhung der Produktion im Inland. Die Nachfrager sind daher auf Auslandshersteller angewiesen, die aufgrund freier Kapazitäten noch lieferfähig sind. Im Gegensatz zur realen Außenhandelstheorie, bei welcher die nicht-monetären Güterströme zwischen Volkswirtschaften sowie die Verteilung und Allokation von Gütern und Produktionsfaktoren im Mittelpunkt stehen und von der Existenz des Geldes sowie unterschiedlicher Währungen abstrahiert wird, rückt die monetäre Außenhandelstheorie Geld und Währung in den Mittelpunkt der Betrachtung und beschäftigt sich mit Fragen des Devisenmarktes, der Zahlungsbilanz, Wechselkursdeterminanten sowie den Auswirkungen einzelner Wechselkursregime, deren Gleichgewicht und Stabilität.
B: Theorien internationaler
Abb. 7.3: Ursachen der
Unternehmenstätigkeit
191
NichtVerfügbarkeit von Gütern
Eingeschränkte Verfügbarkeit von
Gestörter bzw. alternativer Einsatz
Produ ktionsfaktoren
von
Produktionsfaktoren
Eingeschränkte Verfügbarkeit
Eingeschränkte Verfügbarkeit von Arbeit und Kapital
Unterschiedliche
Fehlendes technisches Know-how
des Faktors Natur -
geographische, geologische bzw.
-
klimatische
Bedingungen
Produktionsbe-
bzw. -verböte
-
-
(z.B. Platin, Kupfer, Bauxit, Coltan etc.) -
Fehlende agrarische Rohstoffe
(z.B. Früchte, Getreide, Genussmittel) -
-
Zeitraubende und teure bürokratische Entschei-
-
Über- bzw. Unter-
auslastung durch Fehlplanungen von privaten bzw. politischen Entscheidungsträgern Ungeeignete und
-
ineffiziente wirtschaftliche Orga-
nisationssysteme (z.B. Planwirtschaften) Politische Umlei-
tung von Ressourcen (z.B. Kriegs-
vorbereitungen, staatliche Prestigeobjekte) -
Vom Menschen bedingte Ursachen:
Streiks, Aussper-
rungen, Zerstörungen, Flüchtlings-
probleme etc.
Naturbedingte -
Ursachen: Naturkatastrophen, Missernten etc.
Produktimages
ausländischer Produkte
dungsprozeduren
an
(z.B. Erdöl, Erdgas, Kohle)
Quelle: Koch 1997, S. 79, verändert.
produkte
Länder- und
Schlechte Ausbildung der Arbeitskräfte
Fehlende fossile Rohstoffe
nügende Erfüllbarkeit subjektiver
Produkterwartungen durch Inlands-
Gründen
Geringe Sachkapitalausstattung Arbeitskräften
aus
umweltpolitischen
tionsanlagen
Mangel
-
Keine oder unge-
-
sundheits- oder
-
Fehlende mineralische Rohstoffe
schränkungen Verbraucher-, ge-
Veraltete Produk-
Subjektive Nichtverfügbarkeit
Produktdifferen-
zierung und Marktsegmentierung
192
7 Theorie des Außenhandels
Da die zur Herstellung unterschiedlicher Produkte erforderlichen Produktionsfaktoren (Rohstoffe, Arbeitskräfte, Know-how, Kapital etc.) sehr ungleich verteilt und in manchen Ländern gar nicht verfügbar sind, wird der Außenhandel mit anderen Ländern erforderlich.
Zusammenfassend kann konstatiert werden, dass das Nichtverfügbarkeitsargukein abstraktes, geschlossenes Modell ist, früher wie heute aber einen vergleichsweise großen Teil des Welthandels zu erklären vermag (vgl. Kutschker/ Schmid 2005, S. 387ff; Rose/Sauernheimer 1999, S. 375f).
ment zwar
Der NichtVerfügbarkeit diametral entgegengesetzt können auch Kapazitätsreund Überschüsse eine Ursache für Außenhandel darstellen. Sie bilden die Grundlage der auf Myint (1958) zurückgehenden Vent-for-Surplus-Theorie. Diese besagt, dass in einzelnen Ländern Überschusskapazitäten in verschiedenen Bereichen „verfügbar" sind und der Export gewissermaßen als „Ventil" für den Überfluss fungiert. Der Außenhandel kann aus dieser Sicht als internationaler Austausch von Überschusskapazitäten interpretiert werden. Ein typisches Beispiel stellt die Agrarpolitik der EU dar, die sich durch subventionierte Exporte der chronischen Produktionsüberschüsse im Binnenbereich zu entledigen versucht. serven
7.2.2 Merkantilismus Als Merkantilismus gilt die zentralistische Wirtschaftspolitik des absolutistischen Staates (16. bis 18. Jh.), welche die ständisch gebundene, dezentralistische Wirtschafts- und Handelsordnung des Mittelalters ablöste. Die Lehren des Merkantilismus erlangten nie den Status einer geschlossenen Theorie, vielmehr ist der Merkantilismus als übergeordnete ordnungspolitische Denkrichtung zu verstehen, die in einer kaum überschaubaren Anzahl von praktischen Empfehlungen zur Gestaltung der Wirtschaftspolitik im Absolutismus zum Ausdruck kommt. Für den Merkantilismus charakteristisch waren die Suprematie des Staates über die Wirtschaft und das Streben nach Expansion. Ziel war das Erreichen einer politischen und militärischen Hegemonialstellung durch Förderung der inländischen Produktivkräfte. Dabei kommt dem Außenhandel eine Schlüsselrolle zu, indem eine aktive Handelsbilanz durch Erwirtschaftung von Außenhandelsüberschüssen angestrebt wurde. Während Exporte vom Staat gefördert wurden, sollten Importe künstlich erschwert werden. Die Maßnahmen zur Begrenzung der Einfuhr reichten von Zöllen, über Mengenkontingente bis hin zu totalen Importverboten; die Instrumente zur Förderung der Ausfuhr erstrecken sich von Subventionen, der Gewährung steuerlicher Privilegien bis zur Verleihung von Handels- und Produktionsmonopolen an private oder staatliche Unternehmen. Sogar die Entfesselung von Handelskonflikten, notfalls flankiert durch militärische Unterstützung, gehörte zum merkantilistischen Inventar, denn im Merkantilismus wurde Außenhandel als Nullsummenspiel begriffen: Positive Effekte im Inland sollten durch negative Effekte in anderen Län-
B: Theorien internationaler
Unternehmenstätigkeit
193
(„beggar-my-neighbour-policy", vgl. Kap. 4.1.3.2). Die europäischen Kolonialmächte, die aus ihren Kolonien billige Rohstoffe bezogen und teure Fertigwaren dorthin lieferten, machten sich diesen Gedanken zueigen (vgl.
dem erkauft werden
Blaich 1983, S.
141f.).
Bis heute schwingen merkantilistische Grundüberlegungen in den Außenwirtschaftspolitiken vieler Länder mit (Neomerkantilismus), was vor allem in der Bereitschaft, langwierige Handelskonflikte auszutragen, zum Ausdruck kommt (vgl. Kolb
2000, S. 314; Kutschker/Schmid 2005, S. 376f.; Reining 2003, S. 296f.).
7.2.3 Klassische und neoklassische Außenhandelstheorien Im Mittelpunkt der klassischen und neoklassischen Erklärungsansätze steht die Verschiedenartigkeit von Produktionsbedingungen und Faktorausstattungen einzelner Länder, die dazu führt, dass sich diese auf die Erstellung und den Export unterschiedlicher Güter spezialisieren.
7.2.3.1 Theorie der absoluten Kostenvorteile Die Theorie der absoluten Kostenvorteile wurde vom schottischen Nationalökonomen Adam Smith (1776) begründet. Die Wirkung von Smith geht in zweierlei Richtungen. Zum einen kritisiert er die merkantilistische Denktradition, indem er versucht nachzuweisen, dass Außenhandel eben kein Nullsummenspiel ist und auch Importe zur Wohlstandsförderung beitragen können. Zum anderen zeigt er, wie freier Wettbewerb eine vorteilhafte internationale Arbeitsteilung bewirkt (vgl. Niehans 1995, S. 25f.). Die Theorie der absoluten Kostenvorteile zeigt, dass Außenhandel selbst dann vorteilhaft ist, wenn es einer Volkswirtschaft gelingt, alle benötigten Versorgungsobjekte selbst herzustellen. Liegen die Inlandspreise eines bestimmten Produktes über denen des Auslands, besitzt dieses Produkt einen absoluten Preis- bzw. Kostennachteil, im umgekehrten Fall einen absoluten Preis- bzw. Kostenvorteil. Die absoluten Kostenunterschiede sind auf die ungleiche Leistungsfähigkeit des Faktors Arbeit zurückzuführen. Außenhandel kommt in einem Zwei-Länder/Zwei-Gütermodell dann zustande, sobald in einem Land Kostenvorteile für je ein Gut vorliegen und somit beide Länder vom Handel miteinander profitieren. Genauer bedeutet dies, dass sich jedes Land auf die Herstellung und den Handel des Gutes spezialisiert, bei dem es über absolute Kostenvorteile verfügt, d.h. die Arbeitsproduktivität gegenüber dem Land, mit dem Handel betrieben wird, durchgehend höher ist (vgl. StröbeleAVacker 2000, S. 9; kortmann 1998, S. 138).
194
7 Theorie des Außenhandels
Jede Volkswirtschaft spezialisiert sich auf die Herstellung jener Produkte, die aufgrund bestimmter Bedingungen (Rohstoffvorkommen, günstige technologische, geologische oder klimatische Produktionsvoraussetzungen, niedriges Lohnniveau etc.) absolut kostengünstiger als andere Länder herzustellen vermag. Diese Produkte werden dann exportiert, um mit den Erlösen aus dem Export wiederum Güter zu importieren, bei denen gegenüber einem anderen Land ein absoluter Kostennachteil besteht. Absolute Kostennachteile können demnach Importe, absolute Kostenvorteile Exporte erklären. Die Nutzung absoluter Kostenvorteile durch Spezialisierung aufgrund unterschiedlicher Ressourcenausstattung steht somit für die Vorteilhaftigkeit eines freien Außenhandels zwischen Ländern (vgl. KOCH 1997, S. 82f.; DlECKHEUER 2001, S. 50). Die Wohlfahrtsgewinne sind dabei umso größer, je mehr ein Land von dem Gut produziert, bei dem es absolute Kostenvorteile hat und je mehr es die Produktion des Gutes mit absoluten Kostennachteilen einschränkt.
sie
In einem Preis-Mengen-Diagramm stellt sich die Aufnahme der Außenhandelsbeziehung gemäß absoluter Preisunterschiede wie folgt dar (vgl. Abb. 7.4): Abb. 7.4: teile
Preisveränderungen infolge der Spezialisierung auf absolute Kostenvor-
Land 1
XXX Land 2 Überschussmengen IPa V
-
P Außenhandel/)
Quelle: Siebert 2000. S. 20.
Bei der Produktion des betrachteten Gutes X besitzt Land 2 gegenüber Land 1 einen absoluten Kostenvorteil (p2 anzubieten bereit sind.
p2)
B: Theorien internationaler
Unternehmenstätigkeit
195
Die Theorie der absoluten Kostenvorteile kann nicht erklären, warum Länder ohne absolute Kostenvorteile im Exportgeschäft aktiv sind, oder warum Länder Güter importieren, bei deren Produktion sie selbst keine absoluten Kostennachteile gegenüber dem Ausland besitzen. Geeigneter erscheint dafür die Theorie der komparativen Kostenvorteile von Ricardo.
7.2.3.2 Theorie der
komparativen Kostenvorteile
Nach der Theorie der komparativen Kostenvorteile von David Ricardo (1817) ist der Außenhandel zwischen zwei Ländern selbst dann von Vorteil, wenn in einem Zwei-Länder/Zwei-Güter-Modell das eine Land imstande ist, beide Güter absolut kostengünstiger als das andere herzustellen. Ausschlaggebend sind nach Ricardo nämlich nicht die absoluten, sondern die komparativen Kosten, d.h. die Produktionskosten- bzw. Preisverhältnisse, die auf internationalen Produktivitätsunterschieden beruhen, indem z.B. durch günstige klimatische Bedingungen, Knowhow-Vorteile etc. der Faktoraufwand je erzeugter Einheit relativ geringer ist als in anderen Ländern (vgl. Koch 1997, S. 84; Rose/Sauernheimer 1999, S. 381ff; Kortmann 1998, S. 140ff). Diese erstaunliche und für die Außenhandelstheorie elementare Erkenntnis soll anhand eines fiktiven Zahlenbeispiels kurz erläutert werden: Betrachtet werden die Länder Portugal und Großbritannien sowie die Güter Wein und Tuch. Die Herstellungsqualität ist in beiden Ländern gleich. Der einzige Produktionsfaktor ist wiederum Arbeit; die Produktionskosten werden also nur durch die Arbeitskosten determiniert. In Großbritannien benötigt man zur Produktion einer Einheit (EH) Wein 20 Arbeitseinheiten, zur Produktion einer EH Tuch 40 Arbeitseinheiten. In Portugal sind zur Produktion einer EH Wein 30 und zur Herstellung einer EH Tuch 90 Arbeitseinheiten nötig. Portugal produziert also beide Güter absolut teurer als Großbritannien, hat also bei beiden Gütern einen absoluten Kostennachteil. Dennoch lohnen sich Spezialisierung und Außenhandel: Eine EH Tuch kostet in Großbritannien, in Arbeitseinheiten gerechnet, soviel wie zwei EH Wein; in Portugal kostet dagegen eine EH Tuch soviel wie drei EH Wein, d.h. eine EH Tuch ist in Großbritannien relativ kostengünstiger produzierbar als in Portugal. Umgekehrt ist eine EH Wein in Portugal relativ billiger als in Großbritannien, denn in Großbritannien kostet eine EH Wein soviel wie 1/2 EH Tuch, während eine EH Wein in Portugal nur 1/3 EH Tuch kostet (vgl. Abb. 7.5). Man sagt: Großbritannien hat einen komparativen Kostenvorteil (KKV) bei Tuch, Portugal bei Wein.
7 Theorie des Außenhandels
196
Abb. 7.5: Matrix
zum
Vergleich der komparativen
Kosten
Gut Tuch
Wein Land 20
Großbritannien
40
1 EH Wein
EH Tuch
=
1 EH Tuch
=
2 EH Wein
1 EH Tuch
=
3 EH Wein
—
30
1 EH Wein
Portugal
=
-j-
90
EH Tuch
Quelle: Eigene Darstellung.
In Großbritannien stehen 6 480 EH, in Portugal 2 160 EH Arbeit zur Verfügung. In der Ausgangssituation setzt jedes Land die Hälfte zur Produktion von Tuch, die andere zur Produktion von Wein ein, wodurch sich folgende Produktionsmengen ergeben (vgl. Abb. 7.6). Abb. 7.6: Produktionsmengen bei Autarkie Gut
Tuch
Wein
Land Großbritannien
20
(6480) Portugal (2160) Summe
30
3240 20 1080 30
40 =
162 EH 90
36 EH
198 EH
3240 40
1080 90
81 EH
=
12 EH
93 EH
Quelle: Eigene Darstellung.
der Übergang zur Spezialisierung und zur internationalen Arbeitsteilung durch Außenhandel. Jedes Land spezialisiert sich auf die Produktion des Gutes, bei dem es einen KKV hat (Großbritannien auf Tuch, Portugal auf Wein), öffnet die Grenzen und betreibt Außenhandel. In Großbritannien werden 240 EH Arbeit aus der Produktion von Wein in die Produktion von Tuch umgelenkt, wo Großbritannien einen KKV hat. In Portugal kommt es umgekehrt zu einer Verlagerung von 450 EH Arbeit bei der Tuch-Produktion in die Wein-Herstellung, wo für Portugal ein KKV besteht. Die gesamte Ausbringungsmenge erhöht sich somit (vgl. Abb. 7.7). Nun
erfolgt
B: Theorien internationaler
Abb. 7.7: teilen
Unternehmenstätigkeit
Produktionsmengen bei Spezialisierung
197
nach
komparativen Kostenvor-
Gut Wein
Tuch
Land 20
Großbritannien
(6480) 30
Portugal (2160) Summe
3000 20
1530 30
40 =
150 EH 90 51 EH
201 EH
Differenz Autarkie
3 EH
zur
3480 40
87 EH
630 90
1 EH
94 EH
+
1 EH
Quelle: Eigene Darstellung.
Durch die Spezialisierung und die Aufnahme von Außenhandelsbeziehungen findet eine Gütervermehrung (bei Wein um 3 EH, bei Tuch um 1 EH) statt, ohne dass der Ressourceneinsatz vergrößert wird. Es kommt in beiden Ländern zu einer Wohlfahrtserhöhung. Die Spezialisierung gemäß komparativer Vorteile verändert in beiden Ländern die Wirtschaftsstruktur: In Großbritannien wächst die Tuchbranche zulasten der Weinproduktion, in Portugal findet eine umgekehrte Strukturanpassung statt3. In der Diskussion um die komparativen Kostenvorteile sind folgende Punkte hervorzuheben (vgl. Koch 1997, S. 82f; Sell 2003, S. 165f.): •
•
Durch den Außenhandel kommt es auf den betroffenen Märkten zur Änderung der Preisverhältnisse. Abstrahiert man von Handelshemmnissen (Zölle, Kontingente, Transportkosten u.a.), führen solche Arbitrageprozesse letztlich auch zu indirekten Einkommensumverteilungen, welche in der unterstellten gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrtsfunktion nicht zum Ausdruck kommen. Wie vorteilhaft der Außenhandel tatsächlich ist, muss von Einzelfall zu Einzelfall geprüft werden. Zu beachten sind mögliche Marktmachteffekte: Die Drosselung der Produktion des mit einem komparativen Kostennachteil (KKN) belasteten Produktes erhöht dessen Herstellungskosten weiter und trägt zur VerDas Zahlenbeispiel, das wenn auch in abgeänderten bzw. unterschiedlichen Formen in alle Lehrbücher Uber Außenhandelstheorien Einzug gehalten hat, geht ursprünglich auf den Abschluss des Methuen-Handelsvertrags benannt nach dem englischen Diplomaten John Methuen (16501706) zwischen Großbritannien und Portugal vom 27.12.1703 zurück: Während Portugal seinen Markt für Textilien aus Großbritannien öffnete, erklärte sich Großbritannien bereit, die Zölle bei der Einfuhr portugiesischer Weine um ein Drittel zu verringern, verglichen mit den Zöllen für Weine aus Frankreich. -
-
-
-
7 Theorie des Außenhandels
198
•
•
•
•
schärfung des KKN bei, wodurch die Stellung des Auslandsanbieters auf den Exportmärkten stärker wird und dieser höhere Preise verlangen kann. Dieser Marktmachteffekt ist stets gegenüber dem sich aus der Spezialisierung auf das Produkt mit KKV ergebenden Kostensenkungseffekt abzuwägen. Die Spezialisierung kann ferner dazu führen, dass einige Volkswirtschaften Produktionsstrukturen aufweisen, die veraltet sind oder nur wenig Entwicklungspotenzial besitzen. Bei einem Strukturwandel treten dann ernsthafte Probleme für die betroffene Wirtschaft auf. Ferner ergeben sich durch eine Spezialisierung mitunter starke Abhängigkeiten vom Welthandel. Als Beispiel sind Entwicklungsländer anzuführen, die auf die Gewinnung und den Export von Rohstoffen spezialisiert sind. Ein sinkender Weltmarktpreis oder ein Rückgang der Nachfrage hat Auswirkungen auf die für den Import anderer Güter erforderlichen Deviseneinnahmen. Die für den Außenhandel maßgeblichen Weltmarktbedingungen hängen von vielen Faktoren ab (u.a. Angebot, Nachfrage, Wechselkurse) und können sich schnell ändern. Länder, deren Produkte eine flexible Anpassung der Ex- und Importpalette erlauben, sind im Vorteil, was in erster Linie Anbieter industrieller Fertigwaren, weniger Rohstoffproduzenten, betrifft.
Wie bei Smith handelt es sich um einen statischen Ansatz, der nur aktuelle, nicht aber potenzielle Kostenvorteile und Absatzmöglichkeiten berücksichtigt. Die Tatsache, dass lediglich ein Produktionsfaktor, nämlich Arbeit, berücksichtigt wird, ist dagegen kein grundlegender Einwand. Der Einbezug von Opportunitätskosten, welche alle realen Kosten beinhalten, kann die Kernaussagen der Theorie erweitern, ohne sie in ihrer Gültigkeit zu berühren. Die vorausgesetzte Vollbeschäftigung bleibt die Antwort auf die Frage schuldig, ob freier Außenhandel einzelnen Branchen nicht schockartige, nur schwer verkraftbare Strukturanpassungen (vor allem Entlassung von Arbeits-
kräften) abverlangt.
7.2.3.3 Unterschiedliche
Faktorproportionen
Nach dem Faktorproportionstheorem von Heckscher (1949) und Ohlin (1931) beruhen komparative Kostenunterschiede nicht wie bei Ricardo auf Produktivitätsunterschieden, sondern auf unterschiedlichen Faktorausstattungen. Diese sind entscheidend dafür, welche Güter ein Land optimal produziert. International verschiedene Produktionskosten beruhen auf der unterschiedlichen Verfügbarkeit der Produktionsfaktoren. Nach dem Faktorproportionstheorem spezialisiert sich ein Land auf die Produktion und den Export solcher Güter, für deren Herstellung der relativ reichliche und daher im Vergleich billig verfügbare Produktionsfaktor erforderlich ist. Kapitalreiche Länder produzieren und exportieren daher kapitalintensive Produkte, während arbeitsintensive Produkte importiert wer-
B: Theorien internationaler
Unternehmenstätigkeit
199
den. Bei Ländern, in denen der Faktor Arbeit relativ reichlich vorhanden ist, verhält es sich genau umgekehrt (vgl. Ethier 1997, S. 137ff.). Der Außenhandel führt zum Ausgleich der Faktorpreise in bestimmten Läner nicht durch staatliche Interventionen beeinträchtigt wird. In dem Land mit den relativ reichlich verfügbaren Arbeitskräften steigt wegen der zusätzlichen Exportproduktion die Arbeitskräftenachfrage, wodurch es zu Lohnerhöhungen kommt. In dem Land mit der relativ reichlichen Kapitalausstattung steigt dagegen die Kapitalnachfrage, was zum Anstieg der Kapitalkosten führt. Die von Land zu Land unterschiedlichen Preise für Produktionsfaktoren gleichen sich damit tendenziell an. Der Außenhandel bewirkt damit das, was sich auch bei voller Mobilität der Produktionsfaktoren einstellen würde (vgl. Sell 2003, S. 166ff.).
dern, sofern
Empirischen Überprüfungen hielt das Faktorproportionstheorem in seiner ursprünglichen Form allerdings nicht stand. So kam Leontief (1956) zu dem erstaunlichen Ergebnis, dass die USA, obwohl sie als kapitalreiches Land galten, mehr arbeitsintensive als kapitalintensive Güter exportierten. Seine Forschungsergebnisse sind als das sog. Leontief-Paradoxon in die außenwirtschaftstheoretische Diskussion eingegangen (vgl. Borchert 2001, S. 87ff.; Ethier 1997, S. 18Iff.). Als Ursache wurden folgende Gründe vermutet (vgl. Perlitz 2004, S. 67f.): •
•
•
•
•
Die in den USA im Vergleich zu anderen Ländern größere Effektivität des Faktors Arbeit, der hohe Konsum kapitalintensiver Erzeugnisse, die Umkehrung der Faktorintensität, die Entfernung-von rohstoffintensiven Produkten aus den Berechnungen der Input-Output-Statistiken, da Rohstoffe in den USA relativ kapitalintensiv
gewonnen werden; der hohe Bedarf an
hochqualifizierten
Arbeitskräften in der
US-Exportindu-
strie,
komparative Vorteile durch den Forschungs- und Entwicklungsvorsprung der USA bei der Produktion neuartiger Güter, die Belastung der Importe arbeitsintensiver Güter durch Zölle und andere Beschränkungen. Empirisch bestätigt werden konnten nur die vier letztgenannten Vermutungen. Eine plausible Aufklärung des Leontief-Paradoxons ergibt sich, wenn man den Produk•
•
tionsfaktor Arbeit nicht als homogenen Faktor betrachtet. Werden die Qualifikationsunterschiede bei den Arbeitskräften berücksichtigt, ist festzustellen, dass die USA und andere Industrieländer über einen relativ hohen Bestand an Humankapital bzw. an hochqualifizierten Arbeitskräften verfügen. Da diese verstärkt im Exportgütersektor eingesetzt werden, ist es nicht weiter verwunderlich, dass von diesen Ländern Güter exportiert werden, die eine relativ hohe Arbeitsintensität aufweisen (vgl. DlECKHEUER 2001, S. 98). In der Literatur fand der qualitative Aspekt der Fak-
7 Theorie des Außenhandels
200
torverfügbarkeit im Neofaktorproportionentheorem seinen Ausdruck (vgl. Blum 2000, S. 433). 7.2.3.4
Bewertung und Kritik
Den skizzierten klassischen und neoklassischen Theorien haftet (aus heutiger Sicht) die Kritik an, dass sie lediglich den Handel zwischen Ländern erklären können, die sich entweder aufgrund verschiedener Produktionsbedingungen (Smith, Ricardo) oder unterschiedlicher Faktorausstattungen (Heckscher/Ohlin) in ihren Produktionskosten unterscheiden. Sie sind daher vor allem geeignet, den Handel zwischen Industrie- und Entwicklungsländern (interindustrieller Handel) zu erklären. Für den immer intensiver werdenden Außenhandel zwischen den hochentwikkelten Industrieländern (intraindustrieller Handel), die sich in ihren diversifizierten Produktionsstrukturen und Faktorausstattungen stark ähneln, besitzen obige Theorien keinen Erklärungsgehalt (vgl. Kortmann 1998, S. 149). Kritik an den geschilderten Theorien richtet sich auch gegen die Prämissen (vgl. Kutschker/Schmid 2005, S. 383f.; realitätsfernen teilweise Müller/Kornmeier 2002, S. 253f.): Zwei-Länder/Zwei-Güter-Model; fixe Ressourcen- bzw. Faktorausstattung; vollständige Ressourcen- bzw. Faktorverwendung; Faktorimmobilität; keine Transportkosten; Existenz vollkommener Märkte, d.h. exogen gegebener Wissensstand; keine Transaktions- und Informationskosten; keine staatlichen Institutionen; keine Märkte für Zwischenprodukte; keine externen Effekte; keine Wechselkursproblematik.
Allgemeine
Aus heutiger Sicht muss konstatiert werden, dass einige Aussagen der traditionellen Außenhandelstheorien aufgrund technologischer und ökonomischer Entwicklungen eindeutig überholt sind. Die Untersuchung der industriellen Aufholjagd vieler Entwicklungsländer bringt vor allem die herausragende Bedeutung von Technologie- und Kapitaltransfers zum Ausdruck. Von der Bedeutung technologischen Fortschritts und Faktorwanderungen wird in den traditionellen Theorien abstrahiert. Die Rolle geschaffener Produktionsfaktoren (Kapital und Technologie) und der Unterschied zu natürlichen Produktionsfaktoren wie Boden und Arbeit konnten (noch) nicht erkannt werden. In der modernen Zeit setzt sich der Wert eines Unternehmens aber vorwiegend aus geschaffenen, immateriellen Werten (Wissen, Erfahrung) zusammen, welche einer hohen Entwertungsrate bedingt durch technischen Fortschritt unterworfen sind. Berücksichtigt werden konnte ferner nicht, dass Kapital heute immer weniger an einen festen Standort gebunden und damit zu einem international höchst mobilen Faktor geworden ist (vgl. Sell 2003, S. 173f). -
-
Kritik besitzen die Theorien ihren Wert: Das Prinzip und Spezialisierung über Grenzen hinweg kann durch die Existenz absoluter oder komparativer Kostenunterschiede bzw. unterschiedlicher Fak-
Trotz der
der
eingebrachten
Arbeitsteilung
B: Theorien internationaler
Unternehmenstätigkeit
201
torausstattungen tatsächlich erklärt werden. Ihr Hauptverdienst liegt vor allem in der
Erklärung der wohlfahrtserhöhenden Wirkung des Außenhandels. 7.2.4 Moderne Außenhandelstheorien
Die modernen Außenhandelstheorien versuchen, Außenhandel zu erklären, ohne auf bestimmte Annahmen, wie etwa die vollständige Konkurrenz und vollkommene Information, zurückzugreifen. Stattdessen berücksichtigen sie z.B. die Größe der Unternehmen und die damit einhergehenden Größenvorteile, die Nachfragebedingungen sowie den Wunsch der Nachfrager nach Produktvielfalt, die sog. Nachfragepräferenzen. Da eine steigende Nachfrage häufig auf die Neuentwicklung eines Produktes zurückzuführen ist, wird das Zustandekommen von internationalem Handel auch durch die Existenz einer technologischen Lücke erklärt.
7.2.4.1 Theorie der
technologischen Lücke
Die Theorie der technologischen Lücke von Posner (1961) beruht auf der Annahme, dass sich komparative Kostenvorteile für ein Land durch den Fortschritt in der Technologie ergeben. Der Theorie zufolge kommt Handel dadurch zustande, dass eine technologische Lücke zwischen In- und Ausland existiert. Der Internationalisierungsprozess wird durch die temporäre Nichtverfügbarkeit bestimmter Produkte aufgrund der fehlenden Technologie verursacht (vgl. Rose/Sauernheimer 1999, S. 375f). Ein Unternehmen in Land A entwickelt ein Produkt, das in Konkurrenz zu einem ausländischen Erzeugnis steht, diesem aber technologisch überlegen ist. Das Ausland (Land B) erlangt einige Zeit später Erkenntnis von dem neuen Produkt (Nachfragelücke) und importiert es (vgl. Abb. 7.8). Nach einer gewissen Zeit beginnen Unternehmen im Land B, das Produkt zu imitieren (Imitationslücke). Anfänglich wird der eigene Markt versorgt, zu einem späteren Zeitpunkt wird die Ware in das Ursprungsland A exportiert. Damit hören auch die Exporte von Land A nach Land B auf. Den Zeitraum der anfänglichen Importe von Land A bis hin zum Exportbeginn nach Land B bezeichnet man als technologischen Lückenhandel. Die Theorie unterstellt, dass der Export von einem Land mit technologischer oder industrieller Führerschaft ausgeht. Dies sind meist Länder mit einem hohen Lohnniveau. Während der Zeit, in der das Innovationsunternehmen einen technologischen Vorsprung hat, spielen die Lohnkosten nur eine untergeordnete Rolle. Nachdem die Imitationslücke geschlossen wurde, gelten die Kostenunterschiede als Hauptdeterminante des Handelsstromes, was zur Theorie der komparativen Kosten (vgl. Kap. 7.2.3.2) zurückführt (vgl. Perlitz 2004, S. 69ff).
7 Theorie des Außenhandels
202
Abb. 7.8:
Technologischer Lückenhandel
Produktion und
Exporte Land A
Exporte Land B
Menge
Quelle: Kutschker/Schmid 2005, S. 390.
Die
Frage nach der Existenz einer technologischen Lücke ist auf der Ebene einzelLänder nicht immer eindeutig zu klären. So kann es der Fall sein, dass ein Land bei bestimmten Technologien und Produkten die Führerschaft besitzt, bei anderen im internationalen Vergleich aber hinten liegt. Auch müssen es nicht unbedingt einzelne Länder sein, die weiterentwickelt sind, häufig sind es einzelne Unternehmen, die anderen in- und ausländischen Unternehmen überlegen sind. Das größte Manko der Theorie liegt aber darin, dass eine überlegene Technologie nicht zwangsläufig zum Export führen muss. Es kann sein, dass die Technologie bzw. das Produkt im Ausland gar nicht nachgefragt werden, weil entweder dort die Anwendungsvoraussetzungen nicht vorhanden sind, die notwendige Kaufkraft fehlt oder Produkt bzw. Technologie aufgrund ihrer Herkunft abgelehnt werden. Damit bleibt die Theorie den Nachweis schuldig, warum Außenhandel zwingend stattfinden muss (vgl. Kutschker/Schmid 2005, S. 392f). Umfangreiche empirische Untersuchungen für verschiedene Länder und Branchen zeigen allerdings die große Bedeutung dieser Theorie für das Zustandekommen von Exporten. Das Entstehen einer technologischen Lücke wird aus einer überlegenen Produkt- und Prozesstechnologie abgeleitet. An dieser Stelle knüpft die Produktlebenszyklustheorie von Vernon an, da auch sie in neuen Produkten und Verfahren die Ursache für den Außenhandel sieht. ner
B: Theorien internationaler
7.2.4.2
Unternehmenstätigkeit
203
Produktlebenszyklustheorie
Bei der Produktlebenszyklustheorie von Vernon (1966) handelt es sich um einen dynamischen Erklärungsansatz, der sowohl auf die Veränderungen der Aussenhandelsstrukturen eingeht als auch Ursachen für die Verlagerung von Produktionsstandorten aufdeckt (vgl. müller 1995, S. 55; Kap. 8.3.1.3, 9.4.1). Die Theorie geht davon aus, dass die Produktion und der Absatz bzw. Export von Gütern einer charakteristischen Zeitabfolge unterworfen sind. Der Lebenszyklus wird dabei idealtypisch in drei Phasen Innovationsphase/Einführungsphase, Wachstums-
eingeteilt4:
phase/Reifephase, Schrumpfungsphase/Standardisierungsphase (vgl. Abb.7.9). Abb. 7.9: Produktions- und Handelsströme während des
Produktlebenszyklus
Gesamt-
produktion Innovations-
Wachstums-
phase
phase
Teilproduktion in Wirtschaftsräumen
—
(1) (2) (3)
Gesamtproduktion
Produktion im Land A Produktion im Land B Produktion im Land C Exporte aus Land A -Importe in Land A •
•
Schrumpfungsphase
(Inland) (Ausland) (Niedriglohnland)
•
Quelle: Eigene Darstellung.
Je nach Autor kann der Produktlebenszyklus auch mehr als Meffert 2000, S. 340ff.; Pleschak 1991, S. 3).
nur
drei Phasen aufweisen
(vgl.
7 Theorie des Au ßenhandels
204
In der Innovations-ZEinführungsphase sind die anfallenden Stückkosten des Produktes sehr hoch. Durch Forschung und Entwicklung (F&E) und die damit verbundenen Personalkosten entstehen für das Unternehmen hohe finanzielle Belastungen. Doch diese spielen, wie bei der Theorie der technologischen Lücke, eine untergeordnete Rolle. Es wird angenommen, dass das Unternehmen allein das Produkt erstellt und somit Monopolgewinne einfahren kann. Aufgrund der geringen Preiselastizität der Konsumenten wird auch die Produktion im relativ kostenintensiven Hochlohnland durchgeführt. Nach der Einführung des Produktes auf dem Heimatmarkt beginnt kurze Zeit später der Export. Dieser wird solange fortgeführt, bis ein Unternehmen des Landes, in das exportiert wird, die Chance erkennt und das Produkt imitiert bzw. in ähnlicher Art nachbaut.
Vorgang wird sich erfahrungsgemäß spätestens im zweiten Abschnitt, der Wachstums-ZReifephase, einstellen. Dabei kann festgestellt werden, dass der spätere Markteintritt einem wesentlich kleineren Risiko unterliegt. Käuferpräferenzen haben sich bereits herausgebildet und eine grobe Vereinheitlichung von Materialien und Produktionsverfahren etabliert. Die Notwendigkeit hochqualifizierter Arbeitskräfte rückt ins Abseits. Sobald Unternehmen aus dem eigenen Dieser
Land und anderen Industriestaaten dem Innovator Konkurrenz machen, starten auch die ersten Unternehmen aus den Schwellen-/Entwicklungsländern mit der Produktion. Während zunächst Unternehmen aus anderen Industriestaaten die Produktimitation anstoßen, um mit den ursprünglichen Produkten des Innovators zu konkurrieren, folgen Unternehmen aus Schwellen-/Entwicklungsländern in einer nächsten Entwicklungsstufe schnell nach. In dieser Phase erfolgt der Wettbewerb über den Preis. Die Kosten erhalten somit einen stärkeren Stellenwert. Unternehmen aus den Niedriglohnländern können in dieser Phase bereits ihren Vorteil, nämlich den der günstigeren Lohnkosten, nutzen. Die Kostenvorteile führen dazu, dass die ausländischen Wettbewerber auf den Inlandsmarkt des Innovators drängen und ihm dort Marktanteile abnehmen. In der Schrumpfungs-ZStandardisierungsphase wird davon ausgegangen, dass das Innovationsunternehmen und die anderen inländischen Untenehmen mit ihrer Produktion im Hochlohnland nicht mehr konkurrenzfähig sind. Die Produktion wird in die Schwellen-/Entwicklungsländer verlagert, und es kommt zu Importen aus diesen Ländern (vgl. Hirsch 1967, S. 32ff.; Perlitz 2004, S. 73ff ; MaennigAVilfling 1998, S. 143f). Zur Kritik am Produktlebenszykluskonzept vgl. Kap. 8.3.1.3
und 9.4.1) 7.2.4.3 Die
Bedeutung
von
Größenvorteilen
Größen- oder Skalenvorteile („economies of scale") in der Produktion liegen dann eine proportionale Erhöhung der Einsatzmengen aller Produktionsfaktoeiner überproportionalen Erhöhung der produzierbaren Ausbringungsmenge führt. Als positiver Nebeneffekt steigen die Gesamtkosten, welche von den Faktorvor, wenn ren zu
B: Theorien internationaler
Unternehmenstätigkeit
205
einsatzmengen abhängen, nur unterproportional mit der Ausbringungsmenge. Es wird von zunehmenden Skalenerträgen („increasing to scale") gesprochen. Eine Ursache dafür liegt in sog. Lernkurveneffekten. Durch Lernprozesse in der Produktion kommt es zu Kostensenkungen, indem Erfahrungen über eine effiziente und möglichst fehlerfreie Organisation der Produktion gesammelt werden. So sinken z.B. im Flugzeugbau die Fertigungskosten je Flugzeug um 20%, sobald sich der kumulierte Output verdoppelt (vgl. SlEBERT 2000, S. 100). Erfolgt die Produktion eines Gutes jedoch in mehreren Ländern getrennt, so ist kein Land in der Lage, die Kostenvorteile der Massenproduktion voll zu nutzen. Um die Größenvorteile zu erreichen, ist die Zusammenlegung der Produktionen der einzelnen Güter ökonomisch sinnvoll. Dies führt zu einer Spezialisierung eines jeden Landes auf nur ein Gut und letztlich zu Außenhandel, durch den die ungleichen Güterbestände ausgeglichen werden können. Diese lassen sich mit Nichtverfügbarkeit (vgl. Kap. 7.2.1) vergleichen, nur dass eine ungleiche Ausstattung mit Gütern hier bewusst gewollt ist. Dabei spielt es keine Rolle, welches Land sich auf welches Produkt spezialisiert, da alle Länder alle Güter gleich gut herstellen können (gleiche Technologie, gleiche Faktorausstattung). Die Konzentration der Produktionseinheiten an einem Ort führt dann zu einem Sinken der durchschnittlichen Kosten, wenn eine subadditive Kostenstruktur gegeben ist, d.h. die gesamten Kosten der Produktion für die doppelte Gütermenge 2x geringer sind als das Doppelte der gesamten Kosten zur Produktion der einfachen Menge x. Es gilt damit: K(2x) < 2K(x). Damit fallen die Durchschnittskosten bei einem großen Unternehmen geringer aus als bei einem kleinen. Die Erweiterung der Produktionskapazitäten durch die zusätzliche Bearbeitung Auslandsmärkten bewirkt eine kostengünstigere Güterproduktion und damit niedrigere Preise. Viele Unternehmen sind daher darauf aus, ihr Absatz- und folglich auch ihr Produktionsvolumen durch die Bedienung ausländischer Märkte zu erhöhen. Die auf die räumliche Zusammenlegung von Produktionseinrichtungen zurückgehenden Spezialisierungsgewinne basieren nicht auf komparativen Kostenunterschieden. Umgekehrt zur klassischen und neoklassischen Außenhandelstheorie lässt sich dagegen vielmehr schlussfolgern, dass internationale Kostenunterschiede erst durch bewusste Spezialisierung und Außenhandel zustande kommen (vgl. Kortmann von
1998, S. 150ff.).
Von einer Konzentration der Produktion auf nur ein Gut kann in der Realität aber bei weitem keine Rede sein. Schuldig bleibt die Theorie die Antwort auf die Frage, welches Land sich auf die Produktion welchen Gutes konzentrieren soll. Wenn der Handel ausschließlich auf das Vorliegen von Größenvorteilen zurückzuführen wäre, dann müsste er zunehmend interindustrieller Art sein. Die Empirie zeigt aber, dass der Handel zwischen den Industrieländern vorwiegend intraindustrieller Art ist. Ferner wird die tatsächliche Bedeutung von Größenvorteilen von Unternehmensseite häufig weit überschätzt. Der Zusammenschluss von Unternehmen wurde in jüngster Vergangenheit stets mit dem Hinweis auf existierende Economies-of-scale-Effekte vorangetrieben. Empirische Untersuchungen zeigen jedoch,
206
7 Theorie des Au ßenhandels
dass die Durchschnittskosten nur selten gesenkt werden konnten (vgl. KORTMANN 1998, S. 87 und 153). Kommt es jedoch tatsächlich zu einer Konzentration der Produktion aufgrund steigender Skalenerträge, besteht die Gefahr, dass ein Land eine marktbeherrschende Stellung einnehmen kann und unüberwindbare Markteintrittskosten für andere Länder verursacht. Dadurch können Wohlfahrtsverluste wegen Monopolisierung entstehen (vgl. Dieckheuer 2001, S. 123). Kritisch einzuwenden ist ferner, dass die Frage, um welche Güter es sich handelt, aus Sicht der Theorie ungeklärt bleibt, weshalb die Handelsstruktur als bloßes Resultat historischer
Entwicklungsprozesse gilt. Zuletzt darf auch nicht unerwähnt
bleiben, dass immer nur die Rede
von Größenvorteilen ist. Die Existenz von Größennachteilen wird gänzlich verschwiegen. Diese liegen in steigenden Informations- und Kontrollkosten (..diseconomies of scale"), welche mit zunehmender Unternehmensgröße überproportional ansteigen (vgl. KORTMANN 1998, S. 154). Zusammenfassend ist die Theorie der Größenvorteile damit als besonders kritisch zu beurteilen.
7.2.4.4 Die Rolle
von
Produktpräferenzen
Während in den (neo-)klassischen Theorien der interindustrielle Außenhandel, d.h. der grenzüberschreitende Austausch andersartiger Güter, im Vordergrund stand, findet in neueren Ansätzen der intraindustrielle Handel seine Berücksichtigung (vgl. Behr 1998, S. 4). Dabei handelt es sich vornehmlich um Güter des gleichen Industriezweiges. Heutzutage besteht ein großer Teil der Produktion moderner Volkswirtschaften nicht aus homogenen, sondern vielmehr aus differenzierten Produkten. Als Ursache für die Produktdifferenzierung gelten die Präferenzen der Nachfrager, welche Aufschluss über die Außenhandelsstruktur geben können. Sie stellen den Wunsch der Nachfrager nach Produktvielfalt dar und führen zur Marktform der unvollständigen Konkurrenz (vgl. SlEBERT 2000, S. 99).
Häufig lässt sich beobachten, dass Käufer eine bestimmte Variante des jeweils betrachteten Gutes einer anderen vorziehen. Diese Präferenzen versuchen die anbietenden Unternehmen zu befriedigen. Im internationalen Wettbewerb sind Exporteure in der Lage, mittels Produktdifferenzierung bei gleichen Gütern subjektive und objektive Ausstattungs- und Qualitätsunterschiede und damit Präferenzen bei ausländischen Käufern bewusst herbeizuführen. Folgende Formen von Produktdifferenzierung lassen sich dabei unterscheiden (vgl. Perlitz 2004, S. 86): •
•
Unterschiedliche physikalische oder funktionelle Eigenschaften (z.B. Materialart, Qualität, technische Ausstattung, Haltbarkeit), unterschiedliche ästhetische Eigenschaften (z.B. Form, Design, Verpackung,
Farbe), •
unterschiedliche symbolische
Eigenschaften (z.B. Markenname),
B: Theorien internationaler
•
unterschiedliche
dienst, Beratung).
Unternehmenstätigkeit
Zusatzleistungen (z.B. „value
207
added services", Kunden-
Für welches Produkt mit seinen unterschiedlichen Merkmalsausprägungen sich der Kunde entscheidet, hängt von persönlichen Präferenzen ab. Der Entscheidungsprozess des einzelnen Konsumenten ist vielschichtig und nur schwer durchschaubar. Hervorzuheben ist allerdings, dass die Entscheidung nicht vom Preis, sondern vom subjektiven Produktnutzen abhängt. So werden in Deutschland beispielsweise Konfektionsartikel aus Italien, Weine aus Frankreich und Uhren aus der Schweiz nachgefragt, obwohl vergleichbare Waren auch in Deutschland hergestellt werden. Deutsche Produkte der gleichen Warengruppe stoßen hingegen auch auf Nachfrage aus dem Ausland. Dieser von Preisüberlegungen weitgehend losgelöste Austauschhandel scheint mit wachsendem Wohlstand zuzunehmen. Je höher die Pro-KopfEinkommen in den einzelnen Ländern sind, desto unterschiedlicher werden die Bedürfnisse und folglich auch die Produktdifferenzierungen umso mannigfaltiger (vgl. Rose/Sauerheimer 1999, S. 352; Kortmann 1998, S. 155). Will man die Bedeutung von Präferenzen als Ursache für den Außenhandel herausarbeiten, sind die angebotsbedingten Ursachen in den klassischen und neoklassischen Theorien nicht relevant (vgl. Luckenbach 2002, S. 91). Der Versuch der Erklärung des Zustandekommens von Außenhandel durch Produktpräferenzen geht auf Linder (1961) und seine Nachfragestrukturhypothese zurück. Entgegen den Argumenten von Heckscher und Ohlin (vgl. Kap. 7.2.3.3) kommt Linder zu dem Schluss, dass eine unterschiedliche Ausstattung mit Produktionsfaktoren nicht bei allen Gütern die notwendige Voraussetzung für die Aufnahme von Außenhandelsbeziehungen ist, sondern dass bei bestimmten Produkten, insbesondere Industriegütern, die Inlandsnachfrage die Auswahl der potenziell exportfähigen Güter bestimmt. Je größer das Absatzpotenzial im Inland ist, desto größer ist auch die Wettbewerbsfähigkeit im Ausland, da aufgrund einer starken Inlandsnachfrage in der Produktion Skalenvorteile erzielt werden können. Der Inlandsabsatz ist bei den Produkten am größten, die einer sog. Repräsentativnachfrage im Inland entsprechen. Dafür, dass das Produkt wie bei der Theorie der technologischen Lücke (vgl. Kap. 7.2.4.1) zuerst im Inland angeboten wird, liefert Linder folgende Begründungen (vgl. Perlitz 2004, S. 81): -
-
•
•
•
Aufgrund unvollkommener Information über das Ausland gilt es als unwahrscheinlich, dass ein Unternehmen eine Nachfrage im Ausland bedient, die im
Inland selbst nicht vorhanden ist. Innovationen werden meist im näheren Umfeld der Unternehmen getätigt, das sich für gewöhnlich im Inland befindet. In der Einführungsphase neuer Produkte erfordert der Prozess des „Trial and Error" eine enge Verbindung zwischen Anbieter und Abnehmer, um einen effizienten und günstigen Austausch von Informationen zu gewährleisten. Am ehesten ist dies in der Regel im Inland möglich.
7 Theorie des Außenhandels
208
Sobald eine Wachstumsgrenze im Inland einer weiteren Ausdehnung der Produktion entgegensteht, weitet das Unternehmen seinen Aktionsradius auf andere Länder aus. Als Importländer kommen vor allem solche Länder in Frage, die eine ähnliche Nachfragestruktur wie die Exportländer aufweisen. Die Ähnlichkeit der Nachfragestruktur macht Linder an der Höhe des Pro-Kopf-Einkommens und des präferenzierten Qualitätsniveaus fest. Je mehr die Nachfragestrukturen zweier Länder konvergieren, desto intensiver nimmt sich der potenzielle Außenhandel zwischen diesen aus (vgl. Perlitz 2004, S. 81). Jedes Land stellt die Produkte her, welche der repräsentativen Nachfrage der inländischen Bevölkerung entsprechen, und exportiert diese auch in andere Länder. Der Bedarf der nicht-durchschnittlichen Bevölkerung wird durch Importe befriedigt. Güter, die eingeführt werden, sind damit Güter, welche in anderen Ländern von der durchschnittlichen Bevölkerung am meisten nachgefragt und daher dort günstiger produziert werden. Insgesamt wird von einem Außenhandel zwischen ähnlichen Ländern gesprochen. Länder mit vergleichbarer Nachfragestruktur poolen ihre überlappenden Nachfragen und spezialisieren sich, indem sie den Prinzipien der internationalen Arbeitsteilung folgen (vgl. Kutschker/Schmid 2005, S. 393f.; Lukkenbach
2002, S. 92f).
Literatur als Ausgangspunkt für welche unter der Bezeichnung „home market effect" bzw. „home market bias in export" subsumiert werden (vgl. Krugman 1995, S. 1261ff.). Empirische Untersuchungen konnten die Linder-Hypothese bisher nicht verwerfen5.
Hypothese gilt in der internationalen nachfrageorientierten Außenhandelstheorien, Linders
die
7.2.4.5
Strategische Handelspolitik
In den Modellen der vor allem auf KRUGMAN (1988) zurückgehenden Strategischen Handelspolitik wird theoretisch abgeleitet, dass der Staat die inländische Wohlfahrt durch die Förderung von Industrien, welche sich durch hohe Faktorrenten auszeichnen und auf unvollkommenen, gewinnträchtigen Märkten agieren, erhöhen kann. Ihm kommt die Aufgabe zu, durch gezielte industriepolitische Maßnahmen (vor allem Forschungs- und Exportsubventionen) die internationale Wettbewerbsfähigkeit bestimmter, meist im Hochtechnologiebereich (z.B. Luftund Raumfahrt6, Mikroelektronik) angesiedelter Branchen zu stärken oder gar erst herbeizuführen. Die Regierung schlüpft gleichsam in die Rolle des Managements des Unternehmens „Volkswirtschaft".
strategischen7
sind davon allerdings jene Tests, welche den Außenhandel der USA betrachten. einen weisen die USA ein fast immer größeres Pro-Kopf-Einkommen als die Handelspartner auf, weshalb die Linder-Hypothese nicht greift. Zum anderen gibt es in den USA so extreme räumliche Wohlfahrtsdisparitäten, dass eine auf dem nationalen Pro-Kopf-Einkommen basierende Untersuchung praktisch ohne Erkenntniswert ist (vgl. Luckenbach 2002, S. 93). Ein typisches Beispiel ist die staatliche Subventionierung der Flugzeugbauer Airbus und Boeing, die handelspolitisch äußerst umstritten ist (vgl. Kap. 4.3.4).
Ausgenommen Denn
zum
B: Theorien internationaler
Unternehmenstätigkeit
209
Im Wesentlichen verfolgt die Strategische Handelspolitik zwei Ziele: Wenn ein Unternehmen als erster Anbieter für ein neues Produkt auf dem Markt erfolgreich auftritt und eine herausragende Position eingenommen hat, besitzt es gegenüber den ausländischen Wettbewerbern einen kaum mehr aufholbaren Wettbewerbsvorsprung. Dieser sichert ihm den Erwerb von Erfahrungsvorteilen, das hohe Absatzvolumen ermöglicht die Erschließung von Größenvorteilen und die Sicherung von Marktanteilen (vgl. Kortmann 1998, S. 214). Damit solche monopolartigen Gewinne nicht im Ausland, sondern im Inland anfallen, werden inländische Unternehmen in ihren Forschungsanstrengungen und beim Aufbau von neuen Märkten unterstützt („rent creation"). Gibt es bereits ausländische Anbieter, gilt es, deren Position zu schwächen und dem inländischen Unternehmen zur oligopolistischen Marktführerschaft zu verhelfen, wodurch Gewinne zu Lasten anderer Länder ins Inland fließen („rent shifting") (vgl. Winter 1994, S. 37f). Beides soll vermittels Schutz- und Fördermaßnahmen im Rahmen einer offensiv ausgerichteten Subventionspolitik erreicht werden. Die Strategische Handelspolitik ist immer wieder massiv ins Kreuzfeuer der Kritik geraten und daher höchst umstritten. Ihre ökonomische Wirksamkeit wird in Zweifel gezogen, da sie die folgenden Sachverhalte unberücksichtigt lässt (vgl. WeizsäckerAValdenberger 1992, S. 404): •
•
•
•
•
•
Sofern die zu fördernden Unternehmen nicht vollständig im Inlandsbesitz sind, kommt ein Teil der Gewinne ausländischen Kapitaleignem zugute. Der Wirksamkeit staatlicher Politik zur Förderung von Forschung und Entwicklung sind angesichts der hohen internationalen Mobilität technologischen Wissens enge Grenzen gesetzt. Staatliche Fördermaßnahmen müssen durch erhöhte Preise oder Abgaben im Inland getragen werden und können daher eine kontraktive Wirkung entfalten; Staatlich geförderte Unternehmen tendieren zum verschwenderischen Umgang mit Fördermitteln, weshalb die beabsichtigte Wirkung der Förderung ausbleiben kann. Ergreift das Ausland Gegenmaßnahmen in Form von eigenen Schutz- und Fördermaßnahmen, besteht die Gefahr von Handelskonflikten, welche die Vorteile internationaler Arbeitsteilung zunichte machen. Schließlich besteht ein Problem in der richtigen Auswahl der zu fördernden Industrien. Zum einen steht und fällt der Erfolg der Strategischen Handelspolitik mit der Frage, ob es nicht noch eine andere, mehr förderungswürdige Branche gegeben hätte. Zum anderen erweist sich die fehlende InformationsDer Begriff „strategisch" ist dabei nicht mit Attributen wie „für die wirtschaftliche Entwicklung entscheidend" oder „für das langfristige Wachstum bedeutsam" gleichzusetzen. Vielmehr handelt es sich hier um den aus der Spieltheorie entliehenen Strategiebegriff, welcher den Einbezug des Wettbewerbsverhaltens der anderen Marktakteure in das eigene Entscheidungskalkül meint (vgl. WeizsäckerAValdenberger 1992, S. 403).
7 Theorie des Außenhandels
210
•
7.3
basis als Problem: Der Staat benötigt Wissen darüber, welche Produkte in Zukunft florieren werden. Diese Informationen hat er aber nicht und kann sie sich auch nicht aus objektiven Quellen beschaffen; die von der Industrie selbst bereitgestellten Informationen sind dagegen stets interessensgebunden. In einem Umfeld, indem der Staat aktiv sektorspezifisch die Bedingungen für seine Exportindustrie zu gestalten versucht, werden die Unternehmen große Energien und Ressourcen dafür einsetzen, günstige staatliche Bedingungen für ihren Exportsektor zu erzielen („rent seeking"). Sie betätigen sich daher im politischen Raum (Lobbying), anstatt sich auf die unternehmerische Aufgabe zu konzentrieren, neue Faktorkombinationen durchzusetzen und andere Produkte zu entwickeln.
Optimalität des
Freihandels
Mit Ausnahme der merkantilistischen Denktradition und des Ansatzes der Strategischen Handelspolitik ist den unterschiedlichen Außenhandelstheorien der Nachweis gemein, dass freier zwischenstaatlicher Handel als First-Best-Lösung gilt und allen anderen, vom Staat beeinträchtigten Formen des Güteraustausches überlegen ist. Freihandel kann dabei definiert werden als
„der dezentrale Austausch von Handlungsrechten durch private Wirtschaftssubjekte über nationalstaatliche Grenzen hinweg, der von den Regierungen der Nationalstaaten nicht eingeschränkt wird" (voigt 1992, S. 17). Freihandel entspricht damit einer freien internationalen Arbeitsteilung. Arbeitsteilung zwischen den Individuen einer Gesellschaft verursacht bereits auf nationaler Ebene eine Effizienz- und Wohlstandssteigerung. Dieser positive Effekt wird durch den Übergang zum Regime einer internationalen Arbeitsteilung noch zusätzlich verstärkt. Das ökonomische Bekenntnis zum Freihandel basiert auf der Überzeugung, dass sich die Kombination von dezentraler Planung, freiem Leistungswettbewerb und Marktpreisen als Ordnungsrahmen für die internationale Wirtschaft als ebenso vorteilhaft erweist wie als Organisationsprinzip für den nationalen Wirtschaftsraum. Für die Anhänger eines freien Außenhandels stellt eine freie internationale Arbeitsteilung daher das geeignete Medium dar, mit dem sich Nutzenmaximierung und Produktionseffizienz im globalen Maßstab verwirklichen lassen (vgl. Sell 2003, S. 203; Berg 1999, S. 545). Im Einzelnen bringt Freihandel sowohl einzel- als auch gesamtwirtschaftliche Vorteile hervor (vgl. bender 2003, S. 537f; Birnstiel 1984, S. 73ff; Sell 2003, S. 158): •
Freier Handel ermöglicht Produktionsspezialisierung infolge der länderspezifischen Konzentration auf die Produktion jener Güter, die sich zu relativ nied-
B: Theorien internationaler
Unternehmenstätigkeit
211
rigeren Kosten als in anderen Ländern herstellen lassen. Ein internationales Preissystem lenkt die Produktivkräfte in jene Bahnen, in denen sie den größten •
•
•
•
Nutzen stiften.
zur Vergrößerung der unternehmerischen Absatzmärkte. Größenabhängige Kostendegressionspotenziale lassen sich durch Produktionsausweitung besser nutzen, Skalenvorteile können erzielt werden. Heimische
Es kommt
Produktionsüberschüsse fließen über den Außenhandel ab, anstelle im Inland Preiseinbrüche und partielle Absatzkrisen auszulösen. Da Freihandel mit offenen Märkten korrespondiert, erhöht sich der internationale Wettbewerbsdruck auf leistungsschwächere inländische Anbieter. Durch freien Außenhandel bleiben Produktzyklen nicht ausschließlich dem Pionierland vorbehalten, sondern können „auswandern" und nationale Grenzen überspringen. Dies zwingt zur Preis- und Kostensenkung und erhöht die unternehmerische Innovationsbereitschaft. Ferner stärkt ein freier Handel auch die Entmachtungsfunktion des Wettbewerbs gegenüber inländischen Monopolen und Oligopolen. Freihandel ermöglicht durch den Ausgleich von Mangel und Überfluss eine Verbesserung der Konsumstruktur. Es stellt sich eine vielgestaltigere Versorgung ein, die Qualität erhöht sich. Schließlich kommt freiem Außenhandel eine Konfliktvermeidungsfunktion zu. Die optimale Ausrichtung und räumliche Verteilung der Produktion substituiert die Wanderung der Produktionsfaktoren, wodurch Migrationsproblemen und Konflikten infolge der Dominanz ausländischen Kapitals entgegengesteuert werden kann.
Aufgrund seiner Vorteilhaftigkeit und die allgemeine Wohlfahrt erhöhenden Wirkung wird ein freier Außenhandel von der Mehrheit der Ökonomen schon seit langer Zeit befürwortet. Freihandel ist ein Leitbild der Außenwirtschaftspolitik, dessen
Tradition auf die klassischen Nationalökonomen des späten 18. und frühen 19. Jh. (u.a. Smith und Ricardo) zurückgeht. Die Überzeugung von einer natürlichen Harmonie der Interessen, welche die Wirtschaftspolitik des klassischen Liberalismus kennzeichnet, prägt auch die Vorstellungen über die Ausgestaltung der Außenhandelspolitik. Nur bei freier Entscheidung der Individuen über den Einsatz der Produktivkräfte, also der Unversehrtheit des Außenhandels gegenüber staatlichen Eingriffen, kommt es zur Wohlstandsmehrung in den Ländern, welche Wirtschaftsbeziehungen zueinander unterhalten (vgl. Berg 1999, S. 545; kösters 1998, S. 810). Die Nutzung der oben genannten Vorteile verlangt dem Staat nicht nur die passive Duldung, sondern auch die aktive Förderung des uneingeschränkten zwischenstaatlichen Handels ab. Doch trotz seiner Vorteile ist freier Handel in seiner idealtypischen Form in der Realität kaum anzutreffen, sondern wird in seiner Wirkung durch vielfältige Maßnahmen der staatlichen Außenhandelsprotektion ausgehebelt. Die freihändlerischtheoretischen Aussagen der nationalökonomischen Wissenschaft stehen daher in
7 Theorie des Außenhandels
212
auffälligem Kontrast zur Missachtung der Freihandelsregeln (vgl. BlRNSTlEL 1984, S. 71). In praxi dominiert anstelle des Freihandelsideals häufig der Protektionismus die internationalen
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B: Theorien internationaler
Unternehmenstätigkeit
215
8 Theorie der Direktinvestitionen Neben dem Außenhandel stellen Direktinvestitionen den zweiten wesentlichen Indikator wirtschaftlicher Globalisierung dar (vgl. Kap. 3.3). Sie ermöglichen die Verlagerung unternehmerischer Wertschöpfungsaktivitäten ins Ausland und sind damit die intensivste, aber auch irreversibelste Form zur Bearbeitung ausländischer Märkte. In diesem Kapitel sollen Begriff, Motive und theoretische Erklärungsansätze für Direktinvestitionen vorgestellt werden.
8.1 Der 8.1.1
Begriff „Direktinvestition"
Typen von Auslandsinvestitionen
Auslandsinvestitionen stellen Kapitalanlagen eines Investors außerhalb des Staatsgebietes dar, in dem dieser ansässig ist. Zwei Formen von Auslandsinvestitionen lassen sich unterscheiden (vgl. Reining 2003, S. 30; Krol/Schmid 2002, S. 671): Direktinvestitionen stellen Kapitalanlagen im Ausland in Form von Unternehmensbeteiligungen mit der Absicht, auf die Unternehmenspolitik einen entscheidenden Einfluss zu nehmen, dar. Sie treten in Form von Beteiligungskapital, reinvestierten Gewinnen, Grundbesitz sowie Finanz- und Handelskrediten auf. Als Portfolioinvestitionen gelten dagegen Wertpapieranlagen (z.B. Obligationen, Investmentzertifikate, Aktien etc.), mit denen kein maßgeblicher Einfluss auf die Unternehmenspolitik ausgeübt wird. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden Formen besteht darin, dass bei der Direktinvestition der Investor nach einer unmittelbaren Managementkontrolle strebt, die er langfristig ausüben möchte. Mit der Portfolioinvestition verbindet sich dagegen nicht der Wunsch nach dauerhaftem Einfluss, vielmehr ist sie ertragswirtschaftlich motiviert oder wird zur Risikodiversifikation vorgenommen. Das Interesse am Investitionsobjekt ist meist von kurz- bis mittelfristiger Dauer. Allerdings muss man beachten, dass sich beide Motive nicht zwingend ausschließen müssen. Unter Berücksichtigung des Shareholder Values als zentralem Unternehmungsziel wird in praxi mit Direktinvestitionen häufig auch das Ziel der Maximierung der Eigenkapitalrendite verfolgt. Damit lässt sich festhalten, dass das Kontrollmotiv das konstituierende Motiv der Direktinvestitionstätigkeit ist, Ertrags- und Risikodiversifikationsmotive zwar gegeben sein können, nicht jedoch zwangsläufig vorliegen müssen.
8 Theorie der Direktinvestitionen
216
Ein zweiter wesentlicher Unterschied liegt in der Transaktionsform. Während es bei der Portfolioinvestition nur zu einer rein monetären Kapitalübertragung kommt, kann die Direktinvestition sowohl einen monetären, einen realen (Sachleistungen) als auch einen intangiblen Vermögenstransfer (Technologie, Management-, Marketing- oder Organisations-Know-how), die Thesaurierung im Ausland erwirtschafteter Gewinne bzw. eine Kapital aufnähme auf den Finanzmärkten des Auslands umfassen (vgl. Kutschker/Schmid 2005, S. 81). Zur statistischen Qualifizierung einer Direktinvestition wird von den meisten nationalen und internationalen statistischen Ämtern ein Beteiligungsgrad von 10% herangezogen. Dies bedeutet, dass ab einer Beteiligungsquote von 10% nicht mehr alleine von Rendite- und Spekulationsmotiven auszugehen ist, sondern das Kontrollmotiv im Mittelpunkt steht. Dabei besteht die Frage, ob sich die Beteiligungshöhe auf die Kapital- oder die Stimmrechtsbasis bezieht. Die Deutsche Bundesbank geht daher davon aus, dass eine Direktinvestition dann vorliegt, sobald ein Beteiligungsgrad in Höhe von mindestens 10% entweder beim Kapital oder den Stimmrechten erreicht ist (vgl. Kutschker/Schmid 2005, S. 82f.; Deutsche Bundesbank 1999, S. 59).
8.1.2
Eigenschaften
und
Systematisierung von
Direktinvestitionen
Direktinvestitionen sind sowohl bezüglich der Höhe des eingesetzten Kapitals als auch dessen langfristiger Bindung die komplexeste Marktbearbeitungsstrategie (vgl. Kap. 22.4). Der strategische Charakter einer Direktinvestition beruht darauf, dass diese gleichermaßen Eigentum und Kontrollbefugnisse im Ausland begründen, womit eine enge Verbindung zwischen der Stromgröße „Direktinvestition" und der Bestandsgröße „Unternehmen" geschaffen wird. Direktinvestitionen erweitern maßgeblich den unternehmerischen Entscheidungsspielraum über Ländergrenzen hinweg; bei Investitionen in mehrere Länder kommt es zur Entstehung multinationaler Unternehmen. Nicht nur hinsichtlich der Standortwahl, sondern auch der Marktbearbeitungsform ist eine Direktinvestitionstätigkeit in höherem Maße Bestandteil des Prozesses der unternehmerischen Strategiewahl und tiefer in die gesamte Unternehmensstrategie eingebunden als der Außenhandel. Große Bedeutung besitzt die sorgfältige Analyse des Investitionsstandortes; auch müssen Risiken durch Informations- und Kommunikationsbarrieren, unterschiedliche Verhaltensund Organisationstraditionen sowie rechtliche Kenntnisse und der Umgang mit administrativen Hürden und Prozessen beachtet werden. Da es bei Direktinvestitionen häufig auch zum Transfer personeller Ressourcen kommt, fällt zusätzlich das Problem der adäquaten Mitarbeiterauswahl an (vgl. heiduk 2005, S. 318). Direktinvestitionen lassen sich zunächst nach der Höhe des Kapitaleinsatzes unterscheiden. Sie können entweder als internationale Kooperationen (vor allem Joint Ventures) oder als Auslandniederlassungen und Tochtergesellschaften auftreten. Die Entscheidung, welche Form gewählt wird, hängt vor allem von den unter-
B: Theorien internationaler
nehmensspezifischen
Unternehmenstätigkeit
217
Wettbewerbsvorteilen und dem Umfeld des Unternehmens
ab.
Eine Direktinvestitionsform mit geringem Kapitaleinsatz ist das internationale Joint Venture (vgl. Kap. 22.4.1). Die Gründung voll beherrschter Unternehmen in Form von Auslandsniederlassungen oder Tochtergesellschaften (vgl. Kap. 22.4.2) erfordert dagegen einen 100%igen Kapitaleinsatz. Dabei wird zwischen Neugründungen und Akquisitionen unterschieden (vgl. Kap. 15.2.1): Im Rahmen von Neugründungen kommt es zum kompletten Aufbau eines Unternehmens auf der grünen Wiese („greenfield investment"). Akquisitionen stellen dagegen Übernahmen schon bestehender Unternehmen im Gastland dar („brownfield investment"). Da Direktinvestitionen auf allen Tätigkeitsfeldern eines Unternehmens vorgewerden können, lassen sie sich auch hinsichtlich der Position in der Wertschöpfungskette unterscheiden. Relevant ist hier vor allem die Unterscheidung zwischen vertikalen und horizontalen Direktinvestitionen. Vertikale Direktinvestitionen werden zur Nutzung internationaler Faktorpreisunterschiede getätigt. Sie können vor- oder rückwärts ausgerichtet sein. Sind die im Ausland angesiedelten Funktionen denen im Inland nachgelagert, spricht man von vorwärtsgerichteten Direktinvestitionen. Beispielhaft wäre der Aufbau eines eigenen Vertriebsnetzes im Ausland zur Distribution im Inland hergestellter Produkte. Demgegenüber beinhalten rückwärtsgerichtete Direktinvestitionen dem Inland vorgelagerte Funktionen, wie die Beschaffung, Veredelung oder Bearbeitung von Rohstoffen (z.B. die Erzeugung von Roheisen und Rohstahl) oder Vorprodukten im Ausland, die im Inland weiterverarbeitet werden (vgl. Braun 1988, S. 19; Stein 1998, S. 37). Vertikale Direktinvestitionen wirken grundsätzlich außenhandelsfördernd, da sie nicht die Produktion ersetzen, sondern durch Ausweitung der Vertriebswege und Absatzmöglichkeiten den Export unterstützen (vgl. Eckert 1978, S. 58). nommen
Horizontale Direktinvestitionen werden dagegen auf derselben Wertschöpfungsstufe getätigt. Die betrieblichen Funktionen im Ausland entsprechen denen im Heimatland des Investors. Dies kann zwar grundsätzlich auch für die Bereiche Absatz und Beschaffung gelten, der Großteil horizontaler Direktinvestitionen wird jedoch in der Produktion getätigt, weshalb sie oft mit Produktionsverlagerungen gleichgesetzt werden (vgl. Eckert 1978, S. 55). Von vertikalen und horizontalen sind konglomerate Direktinvestitionen zu unterscheiden. Bei ihnen bestehen keine direkten Verknüpfungen zu den betrieblichen Funktionen im Heimatland des Investors. Meist werden sie aufgrund von Diversifikationsüberlegungen getätigt. Die damit angestrebte Risikominderung bzw. Risikostreuung beruht auf einer produktbezogenen und/oder international-räumlichen Diversifikation der Unternehmensaktivitäten.
8 Theorie der Direktinvestitionen
218
8.2 Motive für Direktinvestitionen
Analog zu den allgemeinen Zielen einer Internationalisierung (vgl. Kap. 21.1) lassich auch für Direktinvestitionen im Besonderen markt- bzw. absatzorientierte, beschaffungs- bzw. faktororientierte, kosten- bzw. ertragsorientierte sowie politische und umweltorientierte Motive unterscheiden (vgl. im Folgenden Werneck 1998, S. 28ff.). sen
Zu den markt- und absatzorientierten Motiven gehört die Erschließung bzw. Sicherung ausländischer Märkte. Hierbei sind binnenmarkt- und exportorientierte Direktinvestitionen zu unterscheiden. Werden die Leistungen im Gastland abgesetzt, handelt es sich um binnenmarktorientierte Direktinvestitionen. Bei exportorientierten Direktinvestitionen steht dagegen die Versorgung von Drittmärkten bzw. des Heimatmarktes im Vordergrund (vgl. Adebahr 1981, S. 22ff). Neben Marktgröße und Marktwachstum in den Zielländern stellt auch die Kundennachfolge einen wichtigen Bestimmungsgrund für markt- und absatzorientierte Direktinvestitionen dar. Unternehmen (z.B. Zulieferbetriebe) folgen ihren Kunden (z.B. Industrieunternehmen) ins Ausland, um die Geschäftsbeziehungen aufrechtzuerhalten (Kielwasserinvestitionen). Ein weiterer Grund liegt im Vorhandensein protektionistischer Barrieren in den Zielländern. Direktinvestitionen werden getätigt, um Handelshemmnisse zu umgehen, z.B. als Folge von Exportselbstbeschränkungsabkommen bei im Gastland nicht akzeptierten Exportaktivitäten, und diese Märkte „von innen" zu erschließen.
Beschaffungs- bzw. faktororientierte Motive spielen besonders bei rückwärtsgerichteten, vertikalen Direktinvestitionen eine bedeutende Rolle. Durch die Beschaffung von Technologie, Humankapital, Rohstoffen, Vorprodukten usw. werden der langfristige Zugang und die Versorgung mit oftmals standortgebundenen Inputfaktoren für das investierende Unternehmen gesichert, Kostenvorteile realisiert und Einfluss auf die Produktionsprozesse und Qualität der Inputfaktoren gewährleistet. Bei kosten- und ertragsorientierten Motiven steht die Nutzung von Kostenvorteilen im Vordergrund. Dabei kann es sich um die Einsparung von Lohn- und Lohnneben-, Produktions- und Transportkosten handeln. -
-
Politische und umweltorientierte Motive beziehen sich auf die Rahmenbedingungen, die von Unternehmen nicht unmittelbar beeinflusst bzw. verändert werden können. Sie stellen eine notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung für die Durchführung von Direktinvestitionen dar. Günstige Rahmenbedingungen können z.B. eine sichere politische Lage und Rechtsordnung, eine stabile gesamtwirtschaftliche Situation oder eine gut ausgebaute Infrastruktur sein. Vor allem für Direktinvestitionen in Entwicklungs- und Schwellenländern spielen solche Faktoren eine besondere Rolle. Das Verhalten des Staates gegenüber ausländischen Direktinvestitionen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten grundlegend verändert. Insbesondere
B: Theorien internationaler
Unternehmenstätigkeit
219
in den heutigen Transformations- und Schwellenländern wurden früher Direktinvestitionen als Bedrohung der heimischen Produktion empfunden und als für die Zielländer nachteilige Verschärfung des Wettbewerbs gewertet (vgl. Blomström/ Kokko 2003, S. 37). Heute stehen vor allem erhoffte Vorteile wie die Schaffung von Arbeitsplätzen oder Know-how-Transfers im Vordergrund der öffentlichen Sichtweise. Es werden nicht nur Barrieren für Investitionen abgebaut, sondern diese auch gezielt gefördert. Die Maßnahmen dafür reichen von Subventionen über Steuervergünstigungen bis zu günstigen Krediten und großzügigen Bereitstellung von Infrastruktur. Trotz der mitunter spendablen Unterstützung sind derartige staatliche „incentives" aber kein grundlegendes Entscheidungskriterium für Direktinvestitionen, d.h. allein aufgrund staatlicher Begünstigungen wird keine Investitionsentscheidung gefällt (vgl. köddermann/WlLHELM 1996, S. 1 14).
Insgesamt lässt sich festhalten, dass Direktinvestitionen fast nie aus nur einem einzigen Beweggrund getätigt werden, sondern zumeist eine ganze Kombination von Motiven ausschlaggebend ist, bei der ein Motiv größeres Gewicht hat als andere und sämtliche Beweggründe der strategischen Ausrichtung des gesamten Unternehmens unterliegen (vgl. Zschiedrich 2002, S. 17). Zudem ist es möglich, dass die Motive als Folge der zeitlichen Veränderung einen Wandel durchlaufen. So kann z.B. nach der Verlagerung der Produktionsprozesse in ein Gastland aufgrund von Lohnkostenvorteilen später durch die Erschließung strategischer Zulieferer auch die Beschaffungsorientierung hinzukommen. Auch können sich binnenmarkt- in exportorientierte Direktinvestitionen wandeln, wenn das Produktionsvolumen den Export in weitere Länder erlaubt (vgl. Dunning 1994, S. 57). 8.3 Theoretische Ansätze Direktinvestitionen
zur
Erklärung von
Seit den 1960er Jahren haben sich mehrere theoretische Ansätze zur Erklärung von Direktinvestitionen entwickelt. Schwerpunkt dieser Ansätze ist die Beantwortung der Frage, wann, warum und unter welchen Bedingungen Unternehmen im Ausland investieren. Die Theorie der Direktinvestitionen lässt sich nicht ohne weiteres mit den deterministischen Modellen der Außenhandelstheorien (vgl. Kap. 7) vergleichen. Während das Zustandekommen von Außenhandel immer auf den relativen Eigenschaften einzelner Länder bzw. ganzer Wirtschaftsräume beruht, ergeben sich Direktinvestitionen aus individuellen Unternehmensentscheidungen, bei denen makroökonomische Variablen nur einen Teil des Entscheidungskalküls abbilden. Der theoretische Rahmen, in dem Direktinvestitionen zu behandeln sind, umfasst damit gleichsam die Standortbedingungen des Auslands, die Unternehmensorganisation, Branchensituation sowie die Bedingungen auf dem Heimatmarkt (vgl. heiduk 2005, S. 318).
8 Theorie der Direktinvestitionen
220
Daraus wird ersichtlich, dass
lange Zeit kein übergreifendes, theoretisches gab. Die verschiedenen theoretischen Ansätze stellen vielmehr auf unterschiedliche Problemstellungen ab, d.h. ihr Erklärungsbeitrag ist jeweils nur partialanalytischer Natur. Erst mit dem Eklektischen Paradigma von Dunning (vgl. Kap. 8.3.2) kann von einem ersten Schritt zu einem umfassenden Theoriegebäude gesprochen werden. Konzept
zur
Erklärung
von
es
Direktinvestitionen
Neben ökonomischen Ansätzen, die Direktinvestitionen auf unterschiedliche Kostenstrukturen und Ertragsaussichten zurückführen, existieren auch verhaltensorientierte Ansätze (vgl. Kap. 8.3.3), in deren Mittelpunkt psychologische und lerntheoretische Aspekte stehen.
8.3.1
Partialanalytische Ansätze
8.3.1.1
Kapitalmarktorientierte Ansätze
Unter den Begriff der kapitalmarktorientierten Ansätze fallen mehrere unterschiedliche Einzelansätze zur Erklärung von Direktinvestitionen. Nach der einfachen Zinssatztheorie von Nurkse (1935) und Iversen (1967), nicht die zwischen Portfolio- und Direktinvestitionen im Ausland differenziert, gelten Zinsniveaudifferenzen als Ursache für zwischenstaatliche Kapitaltransfers. Die Zinssatzunterschiede sind das Ergebnis unterschiedlicher Kapitalausstattungen bzw. der zwischenstaatlich differierenden Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals. Gemäß des Faktorproportionentheorems (vgl. Kap. 7.2.3.3) besteht in kapitalreichen Ländern ein relativ niedriges, in kapitalarmen ein relativ hohes Zinsniveau. Anders als das Faktorproportionentheorem geht die Zinssatztheorie aber von der Mobilität des Faktors Kapital aus. Dieses fließt von kapitalreichen solange in kapitalarme Länder, bis sich die Faktorproportionen und Faktorgrenzproduktivitäten nivelliert, d.h. die Zinsunterschiede ausgeglichen haben. Die einfache Zinssatztheorie ignoriert zahlreiche, in der Realität bei Kapitaltransfers auftretende Faktoren, wie z.B. Informations- und Transaktionskosten, Risikopräferenzen, Unsicherheiten etc. Die erweiterte Zinssatztheorie von heidhues (1969, S. 55ff.) berücksichtigt daher zusätzlich subjektive Risikopräferenzen, Wechselkursrisiken, Kosten der Informationsbeschaffung etc. Die Richtung der Kapitalströme lässt sich dadurch aber nicht mehr eindeutig vorhersagen. Vielmehr kann die Kapitalbewegung sogar ausbleiben, wenn die Kapitaltransferkosten und das empfundene Risiko den Arbitragegewinn aus den Zinssatzunterschieden
überwiegen. Der Währungsraumansatz von Aliber (1970) unterscheidet Hartwährungsländer mit aufwertungsverdächtiger und Weichwährungsländer mit abwertungsverdächtiger Währung. Aufgrund von Kapitalkostenvorteilen diskontieren
B: Theorien internationaler
Unternehmenstätigkeit
221
Unternehmen aus Hartwährungsländern Investitionsprojekte mit einem vergleichsweise niedrigen Kalkulationszinsfuß, Unternehmen aus Weichwährungsländern wegen Kapitalkostennachteilen mit einem vergleichsweise hohen. Je nach Herkunft des Investors wird ein und dasselbe Investitionsprojekt daher unterschiedlich beurteilt. Bei einem Investor aus einem Hartwährungsland fällt die Beurteilung grundsätzlich positiver aus als bei einem aus einem Weichwährungsland stammenden Investor. In der Konsequenz kommt es daher zu Investitionen aus Hartwährungs- in Weichwährungsländer, nicht aber umgekehrt (vgl. Aliber 1970, S. 21ff.). Kritisch einzuwenden gilt es, dass multinationale Unternehmen ihre Investitionsprojekte nicht nur in der Währung ihres Stammlandes finanzieren, sondern auch mit lokalen Krediten oder zurückgehaltenen Gewinnen, die an ausländischen Standorten erzielt wurden, operieren. Ferner müssten die Investitionen vor allem von Industrie- in Entwicklungsländer fließen. Direktinvestitionen zwischen Industrie-, also Hartwährungsländern, können nicht erklärt werden. Auch die branchenmäßige Verteilung der Investitionen bleibt unklar (vgl. Stein 1998, S. 54; Jahrreiss 1984, S. 179ff.). Im Mittelpunkt der Portfoliotheorie von Rugman (1975) steht der Diversifikationseffekt. Ein aus international diversifizierten Investitionen bestehendes Unternehmen ist bei gleicher Rentabilität mit weniger Risiken behaftet als ein nationales Unternehmen bzw. weist bei gleichem Risiko eine höhere Rentabilität auf. Der ausgleichende Diversifikationseffekt beruht auf konjunkturellen Schwankungen, unterschiedlichen Positionen im Produktlebenszyklus (vgl. Kap. 8.3.1.3), der Vermeidung einseitiger Währungsabhängigkeiten sowie unterschiedlichen Marktbearbeitungsformen (vgl. Kap. 22). Das Hauptmanko dieser Theorie ist, dass sich dadurch überwiegend das Anlageverhalten von Portfolio-, nicht aber von Direktinvestoren erklären lässt.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass alle kapitalmarktorientierten Ansätze Auslandsinvestitionen mit Zinssatzdifferenzen, unterschiedlichen Wechselkur-
Diversifikationsmotiven etc. begründen, insgesamt jedoch keinen Unterschied zwischen Portfolio- und Direktinvestitionen ziehen (vgl. Kutschker/Schmid 2005, S. 405). sen,
8.3.1.2 Ansätze der Industrial
Organisation
Gemeinsamer
Ausgangspunkt der unter dem Begriff „Industrial Organisation" zusammengefassten Theorieansätze ist die Annahme unvollkommener Märkte. Nach der Theorie des monopolistischen Vorteils von Hymer (1976) und
Kindleberger (1969) weist ein inländisches Unternehmen, das auf einem ausländischen Markt auftreten möchte, gegenüber den lokalen ausländischen Unternehmen zahlreiche Wettbewerbsnachteile auf. Für diese „liability of foreigness" gibt es mehrere Ursachen (vgl. Hymer 1976, S. 32ff.):
222
•
•
•
•
8 Theorie der Direktinvestitionen
Erhebliche Informations- und Kommunikationskosten aufgrund geringer Kenntnisse über die rechtlichen, wirtschaftlichen, politischen und soziokulturellen Rahmenbedingungen des Gastlands sowie sprachlicher Defizite, Diskriminierung durch ausländische Behörden (z.B. in Steuer-, arbeits- und devisenrechtlicher Hinsicht), Konsumenten und Lieferanten, Wechselkursrisiken bei der Gewinnrückführung, erhöhter Kommunikations- und Koordinationsbedarf aufgrund der geographischen Distanz zwischen Stamm- und Gastland.
Um diese natürlichen wettbewerbsbedingten Nachteile zu überwinden, muss das inländische Unternehmen gegenüber den lokalen Konkurrenten Wettbewerbsvorteile aufweisen, welche eine Direktinvestition trotz aller Risiken vorteilhaft erscheinen lassen. Solche Vorteile sind auf Marktunvollkommenheiten zurückzuführen, welche in Form von Unvollkommenheiten auf den Faktormärkten (z.B. patentiertes Wissen, Technologievorsprünge, besserer Kapitalzugang, überlegenes Management-Know-how, effiziente Organisationsstrukturen, Marktmacht auf den Beschaffungsmärkten) und den Gütermärkten (z.B. Imagevorteile aufgrund von „Countryof-Origin-Effekten", Marktmacht auf den Absatzmärkten, Produktdifferenzierung, spezifisches Marketingwissen) auftreten. Auch Massenproduktionsvorteile („economies of scale") und staatliche, den Marktzu- und -austritt reglementierende Marktbarrieren (Abgaben, Zölle und nichttarifäre Handelshemmnisse) stellen Marktunvollkommenheiten dar (vgl. Kindleberger 1969, S. 14ff.). Die aus derartigen Wettbewerbskonstellationen resultierenden Wettbewerbsvorteile können von anderen Unternehmen nicht auf externen, frei zugänglichen Märkten erworben werden und gelten daher als monopolistisch. Sie machen es einem ausländischen Unternehmen möglich, sich gegenüber der lokalen Konkurrenz durchzusetzen und können im Ausland nur mittels einer Direktinvestition geltend gemacht werden (vgl. Harsche 2000, S. 14; Welge/Holtbrügge 2003, S. 67f.) Eine kritische Würdigung der Theorie des monopolistischen Vorteils zeitigt die „Umkehr von der intellektuellen Zwangsjacke der klassischen und neoklassischen Außenhandels- und Kapitaltheorie" (Kreikebaum et al. 2002, S. 55). Stattdessen rückt die Analyse international tätiger Unternehmen in den Mittelpunkt. Auch weist die Theorie den realitätsnahen Erkenntnisfortschritt auf, dass in den strategischen Überlegungen international operierender Unternehmen nicht nur Portfolio-, sondern vor allem Direktinvestitionen eine Rolle spielen, denn nur mit diesen lässt sich der Vorteil der Kontrolle durch das inländische Mutterunternehmen in Zusammenhang bringen. Letztlich liegt mit der Analyse monopolistischer Vorteile ein wichtiger Schritt in Richtung auf eine Identifizierung von Markteintritts- und -austrittsbarrieren auf der internationalen Ebene und damit einer der ersten Ansätze von internationalem strategischen Management vor. Dennoch ist die Theorie auch von einer Reihe von Kritikpunkten betroffen: Außer Acht gelassen wird, dass internationale Unternehmen im Ausland nicht nur in-
B: Theorien internationaler
Unternehmenstätigkeit
223
vestieren, um bestehende Wettbewerbsvorteile zu verwerten, sondern auch um diese zu erringen (z.B. Sicherung von Faktormärkten und Rohstoffquellen, Know-howErwerb). Nicht berücksichtigt wird ferner, dass die Umsetzung unternehmensspezifischer Wettbewerbsvorteile im Ausland Anpassungskosten verursacht, sofern der Transfer dieser Vorteile aufgrund der Bedingungen im Gastland, z.B. eines Ent-
nicht ohne weiteres möglich ist. Auch besitzt die Theorie statischen Charakter, d.h. das Argument eines monopolistischen Vorteils gilt nur für den Zeitpunkt, zu dem das Unternehmen im Ausland aktiv wird. Danach können sich die Rahmenbedingungen, z.B. durch Technologiewandel oder Diffundierung technologischen Wissens, ändern.
wicklungsrückstandes,
Die Theorie liefert zwar eine Erklärung, warum Unternehmen auf ausländischen Märkten Wettbewerbsvorteile gegenüber inländischen Unternehmen erlangen können, nicht aber dafür, weshalb eine Auslandsproduktion rentabler als eine alternative Inlandsproduktion und eine Bearbeitung des ausländischen Marktes mit Exporten ist. Schließlich werden nur Direktinvestitionen zur Ausnutzung von Wettbewerbsvorteilen, nicht aber zur Vermeidung oder Begrenzung von Wettbewerbsnachteilen („cross investments") erklärt (vgl. Stein 1998, S. 50f). Die Theorie des monopolistischen Vorteils hat vielfache Erweiterungen um einzelne Teilaspekte erfahren. So begründet nach Johnson (1970) insbesondere ein Vorsprung kommerziell nutzbaren Wissens auf der Technologie- und/oder Managementebene einen monopolistischen Wettbewerbsvorteil. Caves (1971) betont die Rolle von Produktpräferenzen, die dann vorliegen, wenn ein Produkt in Varianten hergestellt wird, die sich aus technischen, ästhetischen und/oder sozialen Eigenschaften ergeben. Das Produkt hebt sich in den Augen der Konsumenten von Konkurrenzprodukten daher deutlich ab, wodurch ein quasi-monopolistischer Spielraum geschaffen wird (vgl. Stein 1998, S. 51 f.; Perlitz 2004, S. 93). Nach der Theorie des oligopolistischen Parallelverhaltens von Knicker(1973) und Graham (1978) sind Direktinvestitionen im Ausland Ausdruck oligopolistischer Verhaltensweisen. Die Aktivitäten eines Anbieters können das Marktergebnis der restlichen Oligopolteilnehmer ganz erheblich beeinflussen, so dass sich diese zu entsprechenden Reaktionen veranlasst sehen, derer sich zwei typische Fälle unterscheiden lassen (vgl. Stein 1998, S. 56). Die Follow-the-Leader-Hypothese geht davon aus, dass ein Oligopolist, der als erster den Schritt ins Ausland tut, das oligopolistische Gleichgewicht empfindlich stört. Ein anderes Unternehmen folgt diesem dann ins Ausland, um seine relative Wettbewerbsposition zu wahren. Diese These wurde von Knickerbocker (1973, S. 32ff.) anhand des InvestitionsVerhaltens von 187 US-Unternehmen aus dem Verarbeitenden Gewerbe in 23 Ländern im Zeitraum 1948-1967 empirisch überprüft. Nach der Kreuzinvestitionshypothese stellt eine ausländische Direktinvestition die Antwort auf das Eindringen eines ausländischen Konkurrenten in den eigenen lokalen Markt dar. Es handelt sich damit um eine Gegeninvestition, die im Heimatmarkt des Eindringlings getätigt wird, um das internationale oligopolistische Gleichgebocker
8 Theorie der Direktinvestitionen
224
wicht wiederherzustellen. Empirisch getestet wurde die These von Graham (1978, S. 84ff.), der europäische Direktinvestitionen in den USA in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren untersuchte. Reaktionsweisen kommt ein hohes Gewicht bei der Erklärung von Direktinvestitionen zu. Dennoch können auch andere Faktoren, wie z.B. eine Änderung der Faktorpreise, die Errichtung von Handelsschranken oder eine nachlassende Inlandsnachfrage, dazu führen, dass mehrere Unternehmen unabhängig voneinander im Ausland investieren. Ferner wird eine Direktinvestition grundsätzlich als Reaktion auf eine Pionierinvestition gewertet. Die Motivation für letztere wird jedoch nicht berücksichtigt (vgl. Stein 1998, S. 59f.).
Oligopolistischen
8.3.1.3 Standorttheoretische Ansätze Standorttheoretische Ansätze zur Erklärung von Direktinvestitionen existieren nur wenige. Dies erstaunt umso mehr, als die Entscheidung eines Unternehmens, eine Direktinvestition zu tätigen, immer auch eine Standortentscheidung ist (vgl. Harsche 2000, S. 12). Die Standorttheorie internationaler Unternehmensaktivität von Tesch (1980) erklärt neben Direktinvestitionen auch andere Internationalisierungs-
strategien (Exporte und Lizenzvergabe). Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen sog. .standortbedingte Wettbewerbsvorteile. Sie ergeben sich aus der Kombination der unternehmerischen Standortanforderungen mit den konkreten Standortbedingungen, welche den unternehmerischen Leistungsprozess an einem Standort von Vorteil sein lassen und durch länderspezifische Aspekte beeinflusst werden (vgl. Tesch 1980, S. 337f.). Abb. 8.1 gibt einen Überblick über diese Standortbedingungen, die auf unterschiedlichen räumlichen Ebenen auftreten.
Direktinvestitionen erklären sich durch das Bestreben eines Unternehmens, standortbedingte Wettbewerbsnachteile (z.B. Handelshemmnisse, weite Transportwege, Wechselkursrisiken, unterschiedliche Produktionsbedingungen) zu vermeiden und Wettbewerbsvorteile anderer Standorte zu nutzen (vgl. Tesch 1980, S. 334). Durch derartige standorttheoretische Überlegungen wird die Direktinvestitionstheorie um wertvolle und notwendige Aspekte erweitert. Dennoch stellt der Ansatz keine umfassende und geschlossene Theorie dar. Ferner können absatzorientierte Direktinvestitionen auch nicht-standortbedingter Natur sein, und dynamische Aspekte werden vernachlässigt (vgl. braun 1988, S. 320ff.). Die Produktlebenszyklustheorie kann sowohl für die Begründung von Außenhandel (vgl. Kap. 7.2.4.2) als auch die Tätigung von Direktinvestitionen herangezogen werden. Mit letzterem Aspekt hat sich vor allem Vernon (1966) befasst. In einer ersten Version stellen Direktinvestitionen ein Instrument zur Nutzung von Standortarbitrage dar, d.h. Direktinvestitionen leiten sich aus den sich im Zeitablauf ändernden Standortanforderungen der Produktion1 ab (vgl. vernon 1966, S. 191 ff.; Kap.
9.4.1):
B: Theorien internationaler
Abb. 8.1:
Unternehmenstätigkeit
225
Standortbedingungen und deren räumliche Ebenen 1. Durch die Nationalstaatlichkeit geschaffene länderspezifische, d.h. im nationalen Raum einheitliche und sich von anderen Ländern unterscheidende Standortbedingungen = Standortbedingungen aufgrund der im nationalen Rahmen einheitlichen Gesetzgebung und staatlichen Politik sowie der
länderorientierten Organisation von Unternehmensverbänden, Gewerkschaften und wettbewerbsbeschränkenden Absprachen -
-
-
-
-
-
-
-
Staatsgebiet, Personen, die als Inländer gelten; "nationaler" Markt Rechts-, Wirtschafts-, und Gesellschaftsordnung die wirtschaftliche Tätigkeit betreffende allgemeine Gesetzgebung und staatliche Politik allgemeine Wirtschaftspolitik, (u.a. Wettbewerbspolitik, Sozialpolitik, Kreditpolitik, nationale Förderpolitik) Steuerpolitik Währung, Wechselkurs Außenwirtschaftspolitik (Außenhandelspolitik, Politik gegenüber Direktinvestitionen, Devisenpolitik, Entwicklung^- und Außenpolitik) Unternehmensverbände, wettbewerbsbeschränkende Absprachen Geld- und
Gewerkschaften
-
2. Durch die Nationalstaatlichkeit
Standortbedingungen
geschaffene regionale oder lokale
regionale oder lokale staatliche Förderpolitik -
3. Durch die Nationalstaatlichkeit beeinflusste,
regionale Standortbedingungen Standortbedingungen, die aufgrund =
regionale
bzw. lokale
-
Komponen-
te der
Stand-1
-
ortbedingungen
entwicklungsabhängige
ihrer Entwicklungsabhängigkeit sowie der durch die Einheitlichkeit der Gesetzgebung und der staatlichen Politik im nationalen Rahmen größeren Interdependenzen der wirtschaftlichen Entwicklung häufig einen "länderspezifischen" Charakter erhalten, bei denen auch regionale und lokale Einflüsse wirksam sind und bei denen deswegen in bestimmten Fällen die regionalen bzw. lokalen Komponenten dominant werden können
-
-
Verfügbarkeit und leistungen
Preise
von
Geldkapital,
Produktionsmitteln und Vor-
Qualifikation der Arbeitskräfte Löhne Infrastruktur
Nachfrage
-
-
(materielle
und
immaterielle)
Kaufkraft (Pro-Kopf-Einkommen, Einkommensverteilung) Bedürfnisse (produktivkraftentwicklungsbedingte Komponente)
-
4. Mit dem
Staatsgebiet zum Teil korrespondierende Standortbedingungen Sprache Kultur
Bedürfnisse
(kulturelle Komponente)
-
5.
Aufgrund des Staatsgebietes
trotz ihres regionalen bzw. lokalen Charakters als "national" bezeichnete natürliche Bedingungen, u.a. -
-
Klima •
-
Rohstoffvorkommen Bodenbeschaffenheit
Entfernung
-
Quelle: Tesch 1980, S. 367.
I
Vernon knüpft dabei an die Theorie der Industrial Organisation an, indem er unterstellt, dass Unternehmen die Produktion an einem Standort im Ausland aufgrund bestehender oder potenzieller monopolistischer Vorteile aufnehmen.
8 Theorie der Direktinvestitionen
226
•
•
•
In der Innovations-ZEinführungsphase erfolgen die Entwicklung, Produktion und Markteinführung eines neuen, innovativen und wenig standardisierten Produktes. Ein hoher Koordinations- und Kommunikationsbedarf, unsichere Kundenpräferenzen, der Bedarf hoch qualifizierter Mitarbeiter, die Möglichkeit der kurzzeitigen Nutzung der Quasi-Monopolstellung aufgrund fehlenden Wettbewerbs und die noch untergeordnete Rolle von Kostengesichtspunkten lassen einen Standort in Marktnähe, d.h. im Heimatland, opportun erscheinen; In der Wachstums-ZReifephase erfolgen die Durchdringung des Heimatmarktes und die Erschließung zusätzlicher Märkte im Ausland, die nach anfänglichem Export auch über Produktionsstätten vor Ort versorgt werden. Möglich wird dies durch die fortschreitende Standardisierung und die effiziente Gestaltung der Produktionsprozesse. Die zunehmende Bedeutung von Produktionsund Arbeitskosten bedingt eine Standortverlagerung weg aus den industriellen Zentren hin in Wachstumsperipherien; Die Schrumpfungsphase-ZStandardisierungsphase ist durch den geringen Flexibilitätsbedarf der Produktion geprägt, da die Produkte kaum noch differenziert und die Produktionsprozesse weitgehend standardisiert sind. Aufgrund der hohen Markttransparenz und Preiselastizität der Nachfrage rückt die Höhe der Produktionskosten gegenüber dem Aspekt der Marktnähe als Entscheidungskriterium für die Standortwahl und als Wettbewerbsfaktor endgültig in den Vordergrund. Durch die Nutzung von Skalenvorteilen durch Massenproduktion weitet sich die Produktion auf Peripherien bzw. Entwicklungsländer aus, die in puncto Arbeitskosten komparative Wettbewerbsvorteile gegenüber den Industrieländern aufweisen. Der Bedarf des Heimatlandes wird dagegen zunehmend durch Importe gedeckt.
Produktlebenszykluskonzept kritisch entgegenzuhalten ist, dass der von Vervorgegebene Phasenablauf nicht zwingend ist. Außenhandel und Direktinvestitionen folgen in dem Modell einem mechanischen Ablauf. In der Realität kann die Marktinvention eines Produktes aber bereits von Anfang an nur auf ausländische Märkte ausgerichtet sein. Einer Direktinvestition muss damit nicht unbedingt ein Export vorausgehen (vgl. Bathelt 1991, S. 313; Giddy 1978, S. 90ff.). Das Modell des Produktlebenszyklus, das ursprünglich die Internationalisierungsentwicklung von US-Großunternehmen in den ersten beiden Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg beschreibt, ist auf den Wettbewerb der heutigen Global Players nur eingeschränkt anwendbar. Einerseits erfolgen Entwicklung, StandardiDem non
sierung und Differenzierung heutzutage länderübergreifend und in Echtzeit. Zum anderen bedingt die wettbewerbsgerichtete Orientierung am Kunden die Mobilisierung von Flexibilitätspotenzialen in allen Phasen des Produktlebenszyklus. Das Konzept stellt aufgrund der immer komplexer werdenden weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen letztlich kein adäquates Prognoseinstrument dar. Vor allem kann die Aufnahme einer Initialproduktion im Ausland zur Bedienung des Heimatlandmarktes nicht begründet werden. Beispielhaft ist die Endproduktion des Z3-Modells
B: Theorien internationaler
Unternehmenstätigkeit
227
BMW in Spartanburg, USA. Auch erfährt die Herkunft unternehmensspezifischer Wettbewerbsvorteile, welche zu Innovationen führen, keine erklärung (vgl. kreikebaum et al. 2002, S. 62). Ferner steht zu beachten, dass nicht alle Güter eivon
nem
Lebenszyklus unterliegen2.
Schließlich unterstellt die Theorie, dass es sich stets um ein „Ein-Produkt-Unternehmen" handelt, die es in der Realität aber kaum gibt. Aus standorttheoretischer Betrachtung ist letztlich die Menge der in Betracht gezogenen Standortfaktoren zu klein, während spezifische lokale und regionale Wirtschaftsstrukturen nur unzureichend thematisiert werden (vgl. Braun 1988, S. 284; Storper 1985, S. 261). In einer erweitert-modifizierten Version werden von Vernon durch Berücksichtigung unternehmensspezifischer Vorteile Elemente der Industrial Organisation und der Standorttheorie integriert. Multinationale Unternehmen stabilisieren durch die Errichtung von Markteintrittsbarrieren oligopolistische Marktstrukturen. Dabei lassen sich drei Phasen der oligopolistischen Entwicklungssequenz international agierender Unternehmen unterscheiden (vgl. Vernon 1974, S. 92ff.): •
•
•
2
In innovativen Oligopolen besteht durch den hohen Koordinations- und Kommunikationsbedarf eine starke Tendenz zur Internalisierung und Zentralisierung von Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten. Unternehmen richten ihre Innovationen auf die jeweiligen Heimatmärkte aus. Die Produktionskosten spielen nur eine untergeordnete Rolle, da für die noch unstandardisierten Produkte aufgrund der geringeren Preiselastizität höhere Preise auf dem Markt durchsetzbar sind. Die Produktion ist in dieser Phase sehr forschungs- und entwicklungsintensiv. Der Aufbau ausländischer Produktionskapazitäten hängt von der Arbeitsintensität des Produktionsprozesses, erzielbaren Skalenvorteilen, Transportkosten und Handelshemmnissen ab. In reifen Oligopolen bestehen Markteintrittsbarrieren in Skalenvorteilen jeweils im Bereich Produktion, Transport und Vermarktung. Die Oligopolisten versuchen, einen Gleichgewichtszustand herzustellen und zu stabilisieren, um ihre Erlöse nicht zu gefährden. Dadurch werden internationale Produktionsverlagerungstendenzen verlangsamt. Die Erschließung neuer Märkte im Ausland führt zu einer Destabilisierung des Oligopols und gegenläufigen Direktinvestitionen im Heimatmarkt des „Eindringlings". Als Ergebnis ist eine räumliche Konzentration von Direktinvestitionen zu beobachten. Auch Strategische Allianzen (vgl. Kap. 22.6.1), Kooperationen und das Nachahmen des Investitionsverhaltens von Wettbewerbern sollen das Oligopol stabilisieren. In gesättigten Oligopolen verlieren Produktinnovation und Skalenvorteile als Markteintrittsbarrieren an Bedeutung. Die Bildung von Kartellen sowie die Differenzierung von Markennamen und Produkten sollen den GleichgewichtsRicardo-Güter, deren Produktion an bestimmte Rohstofforte gebunden ist; Lösch-Güter, die nur für lokale Märkte im Heimatland produziert werden; Thünen-Güter, zu deren Herstellung die Nähe zu spezialisierten Zulieferern und Dienstleistern erforderlich ist (vgl. Kap. 9.4.1).
228
8 Theorie der Direktinvestitionen
zustand zwar verlängern, der Eintritt neuer Marktteilnehmer kann jedoch nicht verhindert werden. Manche Unternehmen geben auf. Doch sind auch Fälle denkbar, in denen eine Aufrechterhaltung der Produktion Sinn macht, z.B. bei mangelnder Übertragbarkeit unternehmerischer Ressourcen auf andere Bereiche oder komplementären Wirkungen auf das sonstige Produktionsprogramm. Dadurch gewinnen standortspezifische Kosten in dieser Phase immer mehr an Bedeutung. Durch Aufbau einer ausländischen Produktion lassen sich bei Fremdbezug auftretende Lieferunzuverlässigkeiten vermeiden. Die Oligopolisten weisen oftmals multinationale Strukturen auf, sind mit den Gastlandsbedingungen vertraut, zur Übernahme einer Produktion vor Ort bereit oder haben ohnehin bereits eine Direktinvestition dort getätigt. Dieser zweite Ansatz weist nur noch wenig Ähnlichkeit zum eigentlichen Produktlebenszyklus-Modell auf und bietet daher lediglich eine eingeschränkte Erklärung für Direktinvestitionen. Je nach Alter einer Branche wird die Standortentscheidung von anderen Faktoren determiniert. Damit ist zwar eine gewisse Übereinstimmung mit den Aussagen des ursprünglichen Modells gegeben, der dynamische Charakter ist aber nicht mehr derselbe (vgl. Stein 1998, S. 67).
8.3.1.4
Internalisierungsansatz
Die
Grundlage des Internalisierungsansatzes bildet die Transaktionskostentheoin rie, deren Mittelpunkt die effiziente Gestaltung von Koordinationsmechanismen für wirtschaftliche Austauschbeziehungen steht (vgl. Kap. 20.1.1). Bezogen auf die Tätigung von Direktinvestitionen kommt es nach dem Transaktionskostenansatz zur Bildung eines multinationalen Unternehmens dann, wenn die Allokation internationaler Ressourcen durch interne Koordinationsmechanismen kostengünstiger ist als die Inanspruchnahme des freien Marktes. Im Unterschied zu den davor erörterten Ansätzen stehen dabei nicht die physischen Aspekte länderübegreifender Ressourcentransfers, sondern die daran geknüpften vertraglichen Aspekte der Übertragung von Verfügungsrechten („property rights") im Vordergrund der Betrachtung. Die Übertragung der Gedanken des Transaktionskostenansatzes auf die Erklärung von Direktinvestitionen kommt vor allem in zwei Ansätzen zum Ausdruck. Teece (1981, S. 3f.). bezieht die effiziente Organisation wirtschaftlicher Aktivitäten multinationaler Unternehmen auf die Märkte für Zwischenprodukte (intermediäre Güter), Know-how und Kapital. Vertikale Direktinvestitionen werden durch die Unsicherheit, mit denen Verträge behaftet sind, und einen hohen Spezifitätsgrad von Zwischenprodukten, der möglicherweise zu einer unerwünschten Abhängigkeit von Zulieferern führt, ausgelöst. Zusätzlich kann im Ausland die Verfügbarkeit von Know-how und Kapital zum Aufbau eigener Produktionskapazitäten eingeschränkt sein (vgl. Teece 1981, S. 4ff.; 1985, S. 235f). Horizontale Direktinvestitionen ergeben sich aus der Internalisierung von Know-how-Märkten. Die Verwertung von Know-how im Ausland ist dann attraktiver, wenn die zusätzlichen Verwertungsko-
B: Theorien internationaler
Unternehmenstätigkeit
229
im Vergleich zu den Transfer- bzw. Entwicklungskosten des Know-hows niedriger sind. Die Koordination über externe Märkte ist dagegen mit hohen Kosten der Bewertung und des Transfers von Know-how zwischen Anbieter und Abnehmer verbunden, falls dessen Diffusion und Implementierung an bestimmte Individuen bzw. Gruppen gebunden sind (vgl. Teece 1981, S. 9). sten
Die
„Long-run-Theory of the Multinational Enterprise" von Buckley/Casson
(1991) basiert auf Internalisierungsvor- und -nachteilen und erklärt Direktinvestitio-
mit der Organisation grenzüberschreitender Transaktionen von Zwischenprodukten. Die Internalisierung von Zwischenprodukt- bzw. Know-how-Märkten wird durch vier Einflussfaktoren bestimmt (vgl. Buckley/Casson 1991, S. 33f): nen
•
•
Industriespezifische Faktoren, die sowohl die Produkteigenschaften als auch die Strukturen externer Märkte beschreiben;
regionsspezifische Faktoren, die wirtschaftsgeographische und soziale Merkmale derjenigen Regionen beinhalten, die über externe Märkte verbunden sind. Relevante Faktoren sind z.B. geographische Distanzen oder soziokulturelle Unterschiede;
länderspezifische Faktoren, die politische und fiskalische Aspekte umfassen (zum Länderrisiko vgl. Kap. 26); firmenspezifische Faktoren, die sich auf die Fähigkeiten des Managements zur Schaffung und Organisation interner Märkte beziehen. Bei der Internalisierungsentscheidung kommt es zu einem Abgleich der daraus resultierenden Vor- und Nachteile. Die Internalisierungsvorteile ergeben sich aus verschiedenen Arten unvollkommener Märkte (vgl. Buckley/Casson 1991, S. 36ff.): Aufgrund des Auseinanderklaffens von Beginn und Ende wirtschaftlicher Aktivitäten (z.B. bei der Generierung von Wissen) werden Märkte benötigt, die nicht existieren. Interne Märkte bringen dagegen unabhängige Aktivitäten unter ein•
•
•
•
•
heitliche Kontrolle. Auf externen Märkten ist eine Preisdifferenzierung schwierig. Marktmacht können Monopolisten nur über Preisdifferenzierung in höhere Gewinne umsetzen. Ein zu hoher Einheitspreis löst unerwünschte Substitutionsprozesse aus, während bei einer Preisdifferenzierung von potenziellen Nachfragern lediglich der Preis verlangt wird, welcher der Grenzzahlungsbereitschaft entspricht. Wissen stellt ein typisches „natural monopoly" dar, das im Rahmen von Lizenzvereinbarungen kaum Möglichkeiten der Preisdifferenzierung eröffnet, womit sich eine Internalisierung des Marktes anbietet. Bilaterale Marktkonzentrationen bedingen unsichere und instabile Verhandlungssituationen. Sanktionen, die sich aus der Verhandlungsposition ergeben, können am besten durch langfristige Verträge oder durch Internalisierung in Form von Beteiligungen oder Übernahmen umgangen werden.
8 Theorie der Direktinvestitionen
230
•
•
von Know-how-Märkten Informationsstände Anbietern und Nachfravon aufgrund asymmetrischer können nicht Effiziente Preise weil zur Bewertung werden, gern. gebildet durch den Nachfrager Wissen vor Vertragsabschluss zugänglich gemacht werden muss. Damit läuft der Anbieter jedoch Gefahr, den Wissens vorsprung einzubüßen, d.h. ein Einblick in die Qualität kann vorab kaum gewährt werden. Die Käuferunsicherheit fördert in der Folge eine vorwärts gerichtete Integration durch den Anbieter. Schließlich führen auch administrative Eingriffe, wie z.B. Handelshemmnisse, zu einer Internalisierung. Unternehmensinterne Transferpreise sind schwer zu prüfen und ermöglichen durch eine geschickte Ausgestaltung eine Minimierung der Abgaben im internationalen Kontext.
Das
„Arrow-Paradoxon" bezeichnet das Versagen
Nachteile der internen Koordinationslösung wirtschaftlicher Aktivitäten entstehen durch erhöhte Kosten für Ressourcen und Kommunikation sowie durch politische Eingriffe. Die Internalisierung führt zu einer Aufteilung einheitlicher externer in verschiedene interne Märkte bzw. Produktionsstufen, die intern koordiniert werden müssen. Die optimale Ausbringungsmenge richtet sich nach dem schwächsten Glied der Kette. Die Effizienz der Produktion in einem Unternehmen vermindert sich gegenüber der Lösung auf perfekten externen Märkten. Die Kosten für die Bereitstellung und Kontrolle von Informationen steigen bei der Internalisierung von Märkten ebenso wie der Aufwand für Verwaltung und Überwachung aufgrund der geographischen Distanz sowie kultureller und wirtschaftlicher Unterschiede zwischen den Unternehmenseinheiten. Auch politische Eingriffe, wie z.B. die Diskriminierung ausländischen Eigentums, reduzieren den Nutzen. Schließlich wird die Vorteilhaftigkeit der Internalisierung durch die Fähigkeit des Managements zur Organisation grenzüberschreitender Märkte, die mit wachsender Unternehmensgröße gestiegenen Anforderungen gegenübersteht, beeinflusst (vgl. Buckley/Casson 1991, S. 41ff). Die Kritik am Internalisierungsansatz richtet sich vor allem an seine empirische
Überprüfbarkeit, die ohne Einführung zusätzlicher Prämissen und Operationalisierung kaum
8.3.1.5
zu
leisten ist
(vgl.
KRIST
1987, S. 109f.).
Sonstige Ansätze
Die marxistisch beeinflusste Imperialismustheorie nach Wolff (1970) und Gal(1972) lehnt sich an den Dependenztheorien (vgl. Kap. 5.2.2) an. Sie geht von der Annahme aus, dass Regierungen kapitalistischer Industrieländer und multinationale Unternehmen eine Interessenskoalition zur Erlangung der wirtschaftlichen und politischen Macht über fremde Länder bilden, um sich mit Direktinvestitionen wichtige Rohstoffquellen, Absatzmärkte und Kapitalanlagemöglichkeiten zu sichern. Auch wenn das hinter dem Machtgedanken stehende Kontrollmotiv für die Tätigung von Direktinvestitionen im Ausland Relevanz besitzt, bleibt dieser Theorieansatz
tung
B: Theorien internationaler
Unternehmenstätigkeit
231
doch sehr spekulativ und fragwürdig (vgl. Perlitz 2004, S. 97; Kutschker/Schmid 2005, S. 425f.). Eine sehr plausible Erklärung von Direktinvestitionen liefert der Handelsschrankenansatz von Corden (1967). Danach kann der Export aufgrund der Existenz staatlicher (Zölle und nichttarifäre Handelshemmnisse, vgl. Kap. 4.1.2), aber auch privater Handelshemmnisse (z.B. Kartellvereinbarungen) so kostspielig werden, dass sich ein Markteintritt per Direktinvestition rechnet. Droht wegen Handelshemmnissen der Verlust der Exportmöglichkeiten, kann eine Direktinvestition die einzige Möglichkeit darstellen, den Ausschluss von einem ausländischen Markt zu verhindern. Insgesamt handelt es sich um einen einleuchtenden, allerdings theorielosen Erklärungsansatz (vgl. Perlitz 2004, S. 99f.; Kutschker/Schmid 2005, S.
415f.). 8.3.2 Eklektisches
Paradigma
Das gemeinsame Defizit der bisher vorgestellten Ansätze liegt in deren monkausalen Erklärungsmustern, da jeweils nur einzelne Internationalisierungsaspekte hervorgehoben werden. Das Eklektische Paradigma von Dunning, das den vorläufigen Abschluss der Bildung von Direktinvestitionstheorien darstellt, ist um die Überwindung dieses partialanalytischen Charakters bemüht, indem die Theorie der Industrial Organisation, die Internalisierungstheorie sowie die neoklassische Außenhandels- und Standorttheorie in eine gemeinsame, umfassende theoretische Basis überführt werden sollen. Kernelement der Eklektischen Theorie bilden drei Vorteilskategorien, zu verstehen als Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit es für ein Unternehmen lohnenswert ist, an einem ausländischen Standort eine Direktinvestition vorzunehmen (vgl. Dunning 1979, S. 276): 1.
Nettoeigentumsvorteile („ownership advantages"): An die Theorie des monopolistischen Vorteils von Hymer und Kindleberger (vgl. Kap. 8.3.1.2) anknüpfend, gelten Nettoeigentumsvorteile (= unternehmensspezifische Wettbewerbsvorteile abzüglich Wettbewerbsnachteilen durch Unvertrautheit mit dem ausländischen Markt) gegenüber lokalen Konkurrenten als Grundvoraussetzung für eine grenzüberschreitende Unternehmensaktivität. Dabei kommen drei Formen in Frage (vgl. Dunning 1981, S. 30; Kreikebaum et al. 2002, S. 77):
•
•
Allgemeine, vom Internationalisierungsgrad unabhängige Eigentumsvorteile: Patente, spezifisches Humankapital, Management- und Marketing-Knowhow, Erfahrungs- und Größeneffekte, günstige Beschaffungskonditionen, Monopolmacht, staatlicher Schutz etc.; spezifische, aus der Multinationalität resultierende Eigentumsvorteile: Nutzung international unterschiedlicher Faktorausstattungen, durch Informations-
232
8 Theorie der Direktinvestitionen
bedingter größerer Marktüberblick, Risikodiversifikation durch Betätigung in unterschiedlichen Währungsräumen; Eigentumsvorteile dezentraler Unternehmenseinheiten: Zugriff auf Kapazitäten der Unternehmenszentrale, Synergien durch gemeinsame Beschaffung vorteile
•
etc.
2.
Internalisierungsvorteile („internalization advantages"): Es muss für das Unternehmen vorteilhafter sein, obige Eigentumsvorteile im Gastland selbst zu nutzen, als sie über die Vergabe von Lizenzen zu verwerten (vgl. Dunning 1977, S. 402ff.). Typische Internalisierungsvorteile liegen in der Vermeidung von Transaktions- und Verhandlungskosten, der Vermeidung von Kosten zur von der Kontrolle über BeschaffungsbedinDurchsetzung Eigentumsrechten, gungen, Absatzkanäle und Qualitätsstandards, der Umgehung oder Nutzung staatlicher Eingriffe etc.
3. Standortvorteile
(„locational advantages"): Das Unternehmen ist bemüht,
etwaige Eigentums-
und Internalisierungsvorteile an einem ausländischen Standort umzusetzen (vgl. dunning 1977, S. 408ff.). Beispiele für Standortvorteile sind Marktgröße und -Wachstum, Faktorkostenvorteile, Infrastruktur, rechtliche und politische Rahmenbedingungen (Steuersystem, staatliche Investitionsanreize und Regulationen, Handelshemmnisse, politische Stabilität), Überbrückung physischer und psychischer Distanzen (Sprache, Kultur u.a.) etc.
Das Ausmaß des internationalen Engagements wird aus der Kombination der Vorteilsarten bestimmt. Dabei ist nach folgendem Muster vorzugehen (vgl. Abb. 8.2). Als erstes ist zu prüfen, ob ein Nettoeigentumsvorteil auf internationalen Märkten vorliegt. Falls nicht, ist von einer Internationalisierung grundsätzlich abzusehen. Falls ja, kommen Exporte, Lizenzen und Direktinvestitionen als internationale Marktbearbeitungsstrategien in Frage. Im nächsten Schritt ist festzustellen, ob Internalisierungsvorteile vorliegen, d.h. sich durch Eigennutzung der Nettoeigentumsvorteile Transaktionskosten sparen lassen. Wenn nein, kommt es zur Lizenzvergabe. Wenn ja, ist schließlich zu prüfen, ob sich das Gastland durch eine im Vergleich zum Heimatland des Unternehmens überlegene Ausstattung mit Standortfaktoren qualifiziert. Ist dies zu verneinen, sollte der ausländische Markt mit Exporten bearbeitet werden. Liegen dagegen zusätzlich zu den unternehmensspezifischen Eigentums- und Internalisierungs- auch noch Standortvorteile vor, kommt es zu einer Direktinvestition (vgl. heiduk 2005, S. 323; Harsche 2000, S. 24). In einer Erweiterung seines Ansatzes bezieht Dunning auch nicht-ökonomische Faktoren in seine Analyse mit ein. Dabei wird zwischen einem unternehmensexternen (politische, rechtliche, ideologische, kulturelle Faktoren) und einem unternehmensinternen Umfeld (Organisations-, Management- und Marketingaspekte) unterschieden (vgl. dunning 1988, S. 311).
B: Theorien internationaler
Abb. 8.2: Internationale
Unternehmenstätigkeit
233
Marktbearbeitungsformen
im Eklektischen
Paradigma
keine Inter-
nationalisierung Nettoeigentums-
Lizenzvergabe
vorteile Internationalisier-
ungsvorteile
nein ^
Export
ja
Direktinvestition
ausländische Standortvorteile
Quelle:
Eigene Darstellung in Anlehnung an Dunning 1981, S.
32.
Eine weitere
Modifizierung erfolgte vor dem Hintergrund der Diskussion um die Produktionsstrukturen des Fordismus (vgl. Kap. 2.6.1): Zum Aufbau und zur Verwertung von Wettbewerbsvorteilen betätigen sich Unternehmen nicht nur direktinvestiv, sondern auch im Rahmen grenzüberschreitender Allianzen und Netzwerke, welche die Qualität der Entscheidungen maßgeblich bestimmen. Zur strategischen Umgehung von Marktunvollkommenheiten sind sie als alternative Organisationsformen in Betracht zu ziehen, womit sich ein Wandel vom Hierarchie- zum Allianzdenken vollzieht. Durch die Inkorporation derartiger relational-symbiotischer Kooperationsformen wird die evolutorische Flexibilität des Ansatzes betont (vgl. Dunning 1995, S. 461; Kreikebaum et al. 2002, S. 81). Dunnings Verdienst liegt darin, den Versuch unternommen zu haben, verschiedene partialanalytische Ansätze zur Erklärung von Direktinvestitionen in ein umfassendes Theoriegebäude zu überführen. Er hat an diesem Versuch mit einem beeindruk-
kenden Maß an akademischer und individueller Flexibilität über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahrzehnten gearbeitet. Wesentlich besser und geschickter als andere Ansätze vermag er zwischen alternativen Marktbearbeitungsformen (Export, Lizenzvergabe, Direktinvestition) zu differenzieren (vgl. kutschker/schmid 2005, S. 457; Kreikebaum et al. 2002, S. 83).
Dennoch muss auch Dunning sich eine Menge Kritik gefallen lassen: Zwischen den drei Vorteilskategorien bestehen erhebliche Interdependenzen. Beispielsweise können Standortvorteile langfristig auch zu Eigentumsvorteilen avancieren. Die
aufgeführten Marktbearbeitungsalternativen (Exporte, Lizenzen, Direktinvestitionen) schließen sich nach Dunning gegenseitig aus, treten in der Realität vielfach aber auch parallel nebeneinander auf. Auch gibt es keine Erklärung für reziproke Direktinvestitionen zwischen Ländern, da nach Dunning immer nur ein Land über Standortvorteile gegenüber anderen verfügt und Direktinvestitionen daher immer nur in eine Richtung fließen (vgl. Stehn 1992, S. 63).
8 Theorie der Direktinvestitionen
234
Kritiker halten Dunning auch den Mangel an Originalität vor. Wesentliche Basisvorteile des Eklektischen Paradigmas wurden bereits von der Theorie des monopolistischen Vorteils und der Internalisierungstheorie thematisiert. Das Werk reduziere sich damit auf die gegenüber seinen Vorläufern übersichtlichere Darstellung (vgl. Braun 1988, S. 329f.; Schanz 1995, S. 133f.). Böse gesprochen kann die Vokabel „eklektisch" daher mit „in unschöpferischer Weise nur die Ideen anderer verwertend" übersetzt werden. Weitere Kritikpunkte beziehen sich auf formal-theoretische Defizite, da ein Großteil der Ausführungen zum Eklektischen Paradigma verbal nur rudimentär formuliert ist. Kritik richtet sich auch auf die mangelnde Dynamik des Paradigmas. Zwar anerkennt Dunning, dass sich die einzelnen Vorteilsarten im Zeitablauf verändern können, doch ändert dies nichts am grundsätzlich statischen Charakter (vgl. Braun 1988, S. 338f.). Schließlich weist der Ansatz wie viele Internationalisierungstheorien nur für Industrieunternehmen Relevanz auf. Anwendungsversuche für Dienstleister sind allenfalls fragmentarisch vorhanden (vgl. Kutscher/Schmid 2005, S. 457).
8.3.3 Behavioristische Theorie Die verhaltensorientierte bzw. behavioristische Theorie der Internationalisierung von Aharoni (1966) stellt im Gegensatz zu den bisher geschilderten Theorien einen völlig neuen Ansatz zur Erklärung von Direktinvestitionen dar. Im Kern sucht Aharoni nach einer Erklärung dafür, dass sich Unternehmen trotz beträchtlicher Gewinnmöglichkeiten nicht für die Tätigung einer Direktinvestition im Ausland entscheiden. Ursächlich dafür zeichnet seiner Ansicht nach die internationale Unerfahrenheit von Führungskräften, welche die Risiken bzw. Schwierigkeiten einer internationalen Direktinvestition über-, ihre Chancen und Vorteile aber unterschätzen. Da die Prognose eines hohen Gewinns nicht hinreichend ist, stellt sich die Frage, weshalb es dennoch zu ausländischen Direktinvestitionen kommt. In der Tradition verhaltenswissenschaftlicher Erkenntnisse wird davon ausgegangen, dass der Prozess der Investitionsentscheidung nicht rational, sondern irrational abläuft und nur schwer berechenbar ist. Die Entscheidungsträger verfügen nur über begrenzte Informationen und eine unvollkommene Informationsverarbeitungsund Problemlösungskapazität, was zu Unsicherheit und Risikoaversion führt. Im Gegensatz zum vollständig rational handelnden „economic man" bzw. homo oeconomicus begnügt sich der „behavioural man" auch mit suboptimalen Problemlösungen. Nach Aharoni
(1966, S. 17) sind Direktinvestitionen das Ergebnis eines Ver-
Koalitionen von Entscheidungsträgern eines Unternehmens, die sich sowohl in ihren Einstellungen wie auch ihren internationalen Erfahrungen unterscheiden und daher verschiedene Interessen verfolgen.
handlungsprozesses zwischen wechselnden
B: Theorien internationaler
235
Unternehmenstätigkeit
Aharonis Ergebnisse beruhen auf der Befragung der Führungskräfte von 38 US-Unternehmen in unterschiedlichen Phasen des Prozesses der Entscheidungsfindung zur Tätigung von Direktinvestitionen in Israel. Der Investitionsentscheidungsprozess läuft dabei in vier Phasen ab (vgl. Aharoni 1966, S. 70ff): In der ersten Phase erfolgt die grundsätzliche Entscheidung zur Beachtung ausländischer Märkte („decision to look abroad"). Zurückzuführen ist dies auf inner- oder außerhalb des Unternehmens begründete Initialkräfte (vgl. Stein 1998, S. 112; Aharoni 1966, S. 54). Als interne Initialkräfte kommen seitens des Managements die Vorliebe für ein bestimmtes Land, Prestigebestrebungen, Reiselust etc. in Frage. Als externe Initialkräfte gelten: •
•
Vorschläge, die von außen, z.B. von ausländischen Kunden, Händlern, Repräsentanten oder Unternehmen, an das Management herangetragen werden; die Angst, den ausländischen Markt zu verlieren (z.B. durch Errichtung von Handelshemmnissen oder die Forderung des Gastlandes nach lokaler Produktion);
•
Mitläufereffekte
(„bandwagon-effects")
in horizontaler Sicht
(„Follow-the-
Leader-Verhalten", d.h. einem Konkurrenten ins Ausland folgen, um die relative Wettbewerbsposition zu halten) oder vertikaler Sicht (Kielwasserverhalten, d.h. einem
•
wichtigen Kunden oder Lieferanten ins Ausland folgen, um die Geschäftsbeziehung aufrechtzuerhalten); Bedrohung des eigenen Marktes durch Konkurrenten aus dem Ausland („cross investments").
In der zweiten Phase kommt es zur Bewertung des Investitionsprojektes („investigation process"). Der Evaluation der Investition sind wegen der Kosten der Informationsbeschaffung, begrenzter Informationsverarbeitungskapazitäten, knapper Managementfristen etc. aber enge Grenzen gesetzt. In der dritten Phase wird die eigentliche Investitionsentscheidung gefällt („decision to invest"). Die Entscheidung muss gegenüber anderen Managementmitgliedern durchgesetzt werden. Zur Überwindung etwaiger Widerstände können in der letzten, der vierten Phase, Nachprüfungen und weitere Verhandlungen („reviews and negotiations") erforderlich sein, die unter Umständen zur Revision der ursprünglichen Investitionsentscheidung führen. Das zentrale Verdienst Aharonis liegt in der Erweiterung des überwiegend rein ökonomisch ausgerichteten Spektrums der Direktinvestitionstheorien um bis dahin weitgehend vernachlässigte verhaltenswissenschaftliche Erkenntnisse. Mit der Betrachtung von Investitionsentscheidungen als soziale, organisationsinterne Prozesse
enthält sein Ansatz ein erfrischendes Moment. Dadurch, dass ein Unternehmen während des Investitionsprozesses an Erfahrung gewinnt, wird ein weiterer wichtiger Aspekt, die Lernfähigkeit von Organisationen, thematisiert. Gleichwohl ist zu beachten, dass im Rahmen dieses Lernprozesses Unsicherheit und Risikoaversion mit zunehmender internationaler Erfahrung nachlassen, so dass Aharonis Erkennt-
236
8 Theorie der Direktinvestitionen
nisse überwiegend nur auf Erstinvestitionen international noch unerfahrener Unternehmen anwendbar sind (vgl. Welge/Holtbrügge 2003, S. 62; Stein 1998, S.
113f).
8.4
Wirkungen von Direktinvestitionen
Ein umfassendes
Theoriegebäude für die Wirkung von Direktinvestitionen existiert bisweilen nicht. Mit ihrem fortschreitenden Wachstum werden derartige Erkenntnisse aber immer dringlicher. Die sich im Zielland bzw. der Zielregion entfaltenden ökonomischen Wirkungen einer Direktinvestition lassen sich in vier Kategorien unterteilen: •
Transferwirkungen beziehen sich auf die Übertragung von Ressourcen (Kapital, Technologie und Know-how) in das Zielland. Bei knappen Ressourcen im Empfängerland leistet der Transfer einen positiven Beitrag zur Regionalentwicklung. Negative Wirkungen können sich einstellen, wenn durch die Nutzung lokaler Kapitalmärkte den Unternehmen der Region Kapital entzogen wird. Langfristig kommt es bei Gewinntransfers auch zu gegenläufigen Kapitalbewegungen aus dem Empfängerland. Direktinvestitionen sind ferner auch als bedeutendes Medium für den Technologie- und Know-how-Transfer zu begreifen. Es stellt sich jedoch die Frage, inwieweit Technologie und Know-how unternehmensintern übertragen werden und auch tatsächlich via Verflechtungsbeziehungen bzw. Demonstrationseffekte in das Empfängerland diffundieren (vgl. Graham/Krugman 1989, S.46f.; Plum 1995, S. 174ff).
•
•
Verflechtungswirkungen beziehen sich entweder rückwärts auf die Beschaffung von Inputs oder vorwärts auf weitere Unternehmen bzw. Unternehmensteile. Die Beschaffung kann beispielsweise über externe Zulieferunternehmen oder unternehmensinterne Vorleistungen gesichert werden, woraus sich auch der vertikale Integrationsgrad bestimmen lässt. Entscheidend für die Bewertung der langfristigen Vorteilhaftigkeit einer Direktinvestition für das Empfängerland ist die Intensität der Verflechtungen, da sich daraus Technologietransfers, Beschäftigungseffekte und die Möglichkeit für lokale Unternehmensneugründungen (Spin-offs) ergeben. Die Entstehung lokaler Verflechtungen bestimmt
sich in hohem Maße aus den Charakteristika der Direktinvestition (z.B. Strategie und Motivation, Produktionsform, Technologie usw.) sowie der Region und dem Faktor Zeit (vgl. haas et al. 1995, S. 16f, Bellak 1993, S. 129ff). Outputwirkungen beziehen sich auf direkte und indirekte Beschäftigungsveränderungen. Als „direkt" werden Veränderungen in der Beschäftigung des direktinvestierenden Unternehmens bezeichnet, während „indirekt" Beschäftigungseffekte in anderen Unternehmen bzw. Sektoren meint. Die Zahl der direkten Arbeitsplätze ergibt sich vor allem aus dem Umfang und den technologischen Bedingungen der Aktivitäten des Direktinvestitionsunternehmens. Indirekte Beschäftigungsveränderungen resultieren dagegen aus
B: Theorien internationaler
Unternehmenstätigkeit
237
gerichteten Verflechtungsbeziehungen und aus z.B. in Form von Spill-over-Effekten. Dabei können sich Strukturwirkungen auch für die Region negative Effekte ergeben, wenn das investierende Unternehmen Beschäftigte abbaut oder die Gründung lokaler Unternehmen erschwert wird. Neben diesen quantitativen sind auch qualitative Aspekte für die Regionalentwicklung, z.B. die Schaffung qualitativ hochwertiger Arbeitsplätze, zu berücksichtigen (vgl. Adebahr 1981, S. 42ff., Graham/Krugman 1989, S. 51 f.). Strukturwirkungen lassen sich anhand der Merkmale einer Direktinvestition in der Zielregion analysieren. Vor allem hochwertige Funktionsbereiche innerhalb des investierenden Unternehmens verändern die Wirtschafts- und Wettbewerbsstruktur. Aus dem Ressourcentransfer ergeben sich Wachstumseffekte, die sich durch lokale Neugründungen in Form von Spin-offs noch verstärken können. Durch Technologietransfers bzw. Verflechtungsbeziehungen wird die Entstehung von Clustern (vgl. Kap. 14.3.2.1) begünstigt und so langfristige Wettbewerbsvorteile gesichert. Demgegenüber steht die Gefahr der Entstehung einer sog. „branch plant economy", aus der ein hohes Maß an Abhängigkeit von Entscheidungen resultiert, die außerhalb der Region getroffen werden, und nur bestimmte, ausführende Funktionen, z.B. die Produktion, innerhalb der Zielregion verbleiben ein Phänomen, das als „hollowing-out" bezeichnet wird (vgl. Daniels/Radebough 1994, S. 432ff.). vorwärts- bzw. rückwärts
•
-
Abb. 8.3 stellt vereinfachend die ökonomischen und raumwirksamen Effekte einer Direktinvestition dar. Hierbei ist zu beachten, dass sich in Abhängigkeit der Charakteristika von Direktinvestitionen unterschiedliche Wirkungen beobachten lassen. Lokale Verflechtungen spielen eine besondere Bedeutung, da diese den technologischen Wandel begünstigen sowie Spin-offs und indirekte Beschäftigungseffekte nach sich ziehen (vgl. Dicken et al. 1994, S. 23). Direktinvestitionen in Form klassischer Produktionsstätten mit geringen lokalen Verflechtungsbeziehungen haben oftmals eher negative Folgen für die Empfängerregion. So sind Zulieferbeziehungen in erster Linie kostenorientiert und werden in hohem Umfang unternehmensintern abgewickelt. Es kommt lediglich zu einer überregionalen Arbeitsteilung. Zudem verschlechtert sich die Zahlungsbilanz aufgrund des großen Importanteils der Zulieferungen (vgl. young et al. 1988, S. 488). Hohe Flexibilitätsanforderungen, dezentralisierte Entscheidungsverantwortung und differenzierte Nachfragestrukturen bedürfen dagegen engerer Verknüpfungen, die zu weniger vertikal integrierten Direktinvestitionen mit ausgeprägten Verflechtungsbeziehungen führen. Aus der räumlichen Clusterung und dem Aufbau von Netzwerkstrukturen leiten sich Transaktions- und Transportkostenvorteile mit positiven Impulsen für die lokale Wirtschaft ab. Durch den geringen Importanteil der Vorleistungen ergeben sich positive Wirkungen für den Arbeitsmarkt, die Zahlungsbilanz verbessert sich (vgl. McCalman 1992, S. 24; Turok 1993, S. 401f.).
8 Theorie der Direktinvestitionen
238
Abb. 8.3:
Ökonomische und räumliche Wirkungen von Direktinvestitionen
Rückwärtsgerichtete Verflechtungen Lokal,
Regional Uber-
Indirekte Beschäftinehmensintern
national
(Import)
wirkungen
Quantitative
Beschäftigungswirkungen
regional Inter-
Struktur-
gungswirkungen
Unter-
Externe Markt-
Wachstum
Qualitative
Wett-
Beschäftigungswirkungen
partner
Spin-offs bewerb
Direktinvestitionsunternehmen
Vorwärtsgerichtete Verflechtungen Lokal, Regional Uber-
Direkte Beschäfti-
Transfer-
gungswirkungen
wirkungen
Quantitative
Kapitaltransfer, Zahlungs-
Unter-
Beschäftigungs-
nehmensintern
regional International
(Export)
wirkungen
bilanzeffekte
Qualitative
Technologie- und
Beschäftigungs-
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Know-how-Transfer
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Demonstrations-
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B: Theorien internationaler
9 Theoretische
Unternehmenstätigkeit
243
Grundlagen der Standortwahl
Die
Bedeutung der Standortwahl für Unternehmen ist auch im Zeitalter der Globalisierung und der vermeintlichen Kontraktion von Raum und Zeit nicht zu unterschätzen. Frühe Ansätze der Regionalökonomie und Standortforschung zur Analyse des optimalen Standortes reichen bis ins 19. Jh. zurück. Im Folgenden werden kurz klassische einzelwirtschaftliche Standorttheorien vorgestellt. Daran anschließend erfolgt die Diskussion von neueren Konzepten, die der Realität unternehmerischer Standortwahl dadurch Rechnung tragen, dass sie Verhaltensmerkmale der Entscheidungsträger und den Faktor Zeit als dynamisches Element der Standortentwicklung mit einbeziehen.
9.1 Unternehmerische Standortwahl als theoretischer Unter-
suchungsgegenstand Transnationale Unternehmen gehören heute zu den wesentlichen Akteuren der Weltwirtschaft. Analysiert man sie im Kontext internationaler Wirtschaftsräume, so sind neben Überlegungen zur Organisation und Struktur dieser Unternehmen, ihrer Strategien, Handlungen und Rahmenbedingungen vor allem Bestimmungsgründe für die Standortwahl zu berücksichtigen. Standortentscheidungen gehören bei allen Unternehmen zu den konstitutiven Entscheidungen, sie verursachen in der Regel hohe Kosten und tragen in einem nicht unerheblichen Maß zum Erfolg oder Misserfolg einer Unternehmung bei. Die Standortwahl wird dabei durch verschiedene Faktoren beeinflusst. Diese können betriebswirtschaftlicher Natur sein (z.B. Transport- oder Personalkosten), aus Marktunvollkommenheiten resultieren (z.B. „localcontent"-Vorschriften), nicht zuletzt aber auch in den persönlichen Präferenzen der
Entscheidungsträger liegen.
Die Suche nach Standorttheorien zur Erklärung optimaler Standortkonfigurationen begann schon relativ früh. Aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive sind hier vor allem die Arbeiten von Johann Heinrich von Thünen, Walter Christaller und August Lösch zu nennen, welche im 19. und 20. Jh. wertvolle Beiträge zur Begründung von Standortstrukturen im Agrar-, Industrie- und Dienstleistungsbereich geleistet haben. Einzelwirtschaftliche Standorttheorien wurden insbesondere durch die Arbeit von Alfred Weber zu Beginn des 20. Jh. geprägt, in der er versuchte, den kostenoptimalen Standort eines Betriebes unter Berücksichtigung relevanter Einflussfaktoren wie Transportkosten, Arbeitskosten und Agglomerationseffekten zu bestimmen. All diese Theorien werden in den gängigen wirtschaftsgeographischen Lehrbüchern (vgl. Schätzl 2003; Bathelt/Glückler 2002;
244
9 Theoretische
Grundlagen der Standortwahl
Kulke 2004) ausführlich thematisiert und an dieser Stelle nicht weiter vertieft. Vielmehr werden in diesem Kapitel Standorttheorien vorgestellt, die durch ihre zusätzliche Berücksichtigung nicht-kostenbasierter Variablen (Erträge, Information und Wahlfreiheit) sowie des Faktors Zeit zur Erklärung von Standortmustern und deren Dynamik beitragen.
9.2
Weiterentwicklungen der Industriestandorttheorie
Den oben bereits erwähnten Standorttheorien ist vor allem gemeinsam, dass ihr Hauptaugenmerk auf den Kosten der Produktionsfaktoren als alleinige Erklärungsvariable der Standortwahl liegt. Vor dem Hintergrund des Menschenbildes des homo oeconomicus sind solche kostenorientierten Ansätze auch einleuchtend, reichen zur Erklärung von Standortentscheidungen allein aber nicht aus, wie z.B. David Smith in den 1970er Jahren in seinem Werk „Industrial Location" gezeigt hat.
Den Ausgangspunkt für Smiths Überlegungen bildet die Industriestandorttheorie von Alfred Weber (1909). Danach läuft die optimale Standortwahl in einem dreistufigen Entscheidungsprozess ab. Zunächst wird auf Grundlage der für die Produktion verwendeten Materialien (lokalisierte Materialien, deren Gewinnung an bestimmte Fundorte geknüpft ist; Ubiquitäten, die an jedem beliebigen Ort verfügbar sind) ein transportkostenminimaler Standort (tonnenkilometrischer Minimalpunkt) identifiziert. Im nächsten Schritt werden die Arbeitskosten und im letzten Schritt Agglomerationseffekte in die Analyse miteinbezogen, die gegebenenfalls eine Verlagerung des optimalen Standortes opportun erscheinen lassen, wenn Arbeitskostenersparnisse und positive Agglomerationseffekte eine Erhöhung der Transportkosten durch Entfernung vom Transportkostenminimalpunkt überkompensieren.
Smith versucht, diese Theorie sukzessive zu verfeinern, einzelne Restriktionen aufzuheben und andere Variablen einzuführen. Dabei machte er u.a. deutlich, dass nicht nur die Kostenseite variabel ist (d.h. es existieren neben den räumlich fixen Kosten auch andere, mit dem Standort veränderliche Kosten), sondern auch die Erlöse eines Betriebes, die bei Weber noch als einheitlich betrachtet wurden, mit dem Standort variieren können. In älteren einzelwirtschaftlichen Standorttheorien stand die Suche nach dem ko-
stenoptimalen Betriebsstandort im Vordergrund. Die zusätzliche Betrachtung räum-
lich variabler Erlöse in der industriellen Standorttheorie von Smith lenkt den Blick stattdessen auf Zonen oder Räume, in denen ein Gewinn erwirtschaftet werden kann. Innerhalb dieser Zone fällt der erzielte Gewinn unterschiedlich hoch aus, auch hier gibt es also einen optimalen Produktionsstandort (vgl. Abb. 9.1). Dennoch ermöglicht dieses Modell auch die Erklärung nicht-optimaler Standorte. Die Annahme von Smith ist, dass Unternehmer mit ihren Aktivitäten zwar nach Gewinn streben, aber nicht notwendigerweise den maximalen Profit erzielen wollen, auch wenn
B: Theorien internationaler
Unternehmenstätigkeit
245
sie sich über die räumliche Variabilität von Kosten und Erlösen im Klaren (vgl. Hurst 1974, S. 174; Smith 1981, S. 109ff.).
sind1
Abb. 9.1. Räumliche Gewinnzone bei variablen Kosten und Erlösen
Kosten
Erlöse
>
Quelle: Eigene
Darstellung nach Smith 1981, S.
km
113.
der gewinnoptimale Standort der Produktion, an dem die Differenz zwischen Erlösen und Kosten am größten ist. Pa und Pb sind Grenzproduktionsstandorte, innerhalb derer die Gewinnzone (Erlöse größer Kosten), außerhalb derer die Verlustzone (Kosten größer Erlöse) liegt. Ein Unternehmen kann sich folglich überall innerhalb der Gewinnzone erfolgreich ansiedeln, umso mehr, als nur ein Teil der Produktionskosten lageabhängig ist. Smith unterscheidet nach Grundkosten, die an jedem Standort gleich hoch sind (z.B. die Kosten des Rohmaterials am Beschaffungsort), und standortabhängigen Lagekosten (z.B. die Transportkosten für das Rohmaterial zum Produktionsort). Für jedes Unternehmen und jede Branche sind die Grund- und Lagekosten unterschiedlich bedeutend, die Grenzen der Gewinnzone je nachdem weiter oder enger gesteckt (vgl. Schätzl 2003, S. 52ff.).
Poptist
Im Zuge der Entwicklung eines alternativen Ansatzes gelingt es Smith, seine Theorie industrieller Standortentscheidungen nicht nur durch den Einbezug der Erlösseite der Realität anzunähern, sondern schrittweise auch Restriktionen der früheren Theorien aufzuheben. Im Einzelnen betrachtet er fünf Annahmen, die vorher zumeist modellhaft vereinfacht oder vernachlässigt wurden (vgl. Smith 1981, S. 167ff.). So sind (1) unternehmerische Fähigkeiten ein wesentlicher Einflussfaktor, denn nicht alle Unternehmensleitungen besitzen diese in gleichem Maße. Je stärker diese Fähigkeiten ausgeprägt sind, desto höher ist die Freiheit der Standortwahl eines Unternehmens; die Grenzen der räumlichen Gewinnzone sind somit weiter gesteckt, als es bei Organisationen mit geringeren Fähigkeiten der Fall ist (vgl. Abb. 9.2). Neben dem Gewinnstreben beeinflussen konkurrierende Ziele wie die Erhaltung einer bestimmten Lebensqualität oder andere persönliche Motive ebenfalls die Standortwahl.
9 Theoretische
246
Abb. 9.2: Einfluss der
Grundlagen der Standortwahl
Unternehmensleistung auf die Standortwahl
€
Quelle:
Eigene Darstellung nach Smith 1981, S.
168.
GA"0ist die durchschnittliche räumliche Gesamtkostenkurve aller Unternehmen innerhalb einer Branche. Popl kennzeichnet den allgemeinen kostenoptimalen Standort2. GKi ist die Gesamtkostenkurve eines Unternehmens, das über eine überdurchschnittlich leistungsfähige Führung verfügt und daher mit geringeren Kosten als der Branchendurchschnitt produziert. Dieses Unternehmen erzielt daher einen höheren Gewinn, seine Gewinnzone dehnt sich von der Durchschnittssituation Pa Pb auf Pc Pd aus. Umgekehrt verschiebt sich die räumliche Gesamtkostenkurve eines Unternehmens mit unzureichendem Management (GK2) nach oben, die Gewinnzone schränkt sich auf Pe ein (vgl. Schätzl 2003, S. 58).
Pf
Ein weiterer Aspekt, der die Ertragssituation eines Unternehmens für oder gegen einen Standort beeinflusst, sind staatliche Maßnahmen in Form von (2) Standortsubventionen. Durch sie kann die Standort-Kostenkurve und damit die Gewinnzone verändert werden. Subventionen eines Unternehmens, die in vielen Staaten in wirtschaftlichen Problemregionen, z.B. in Form von Investitionsbeihilfen, Infrastrukturbereitstellung oder Steuererleichterungen, fließen, ermöglichen es dem Unternehmen, Gewinne an einem Standort zu erwirtschaften, der ansonsten aufgrund der Lagekosten keine Profite erwarten ließe.
Die Erlöse werden hier als fix angenommen.
B: Theorien internationaler
Abb. 9.3: Einfluss
von
Unternehmenstätigkeit
247
Subventionen auf die Standortwahl
€ A
GK
Quelle:
Eigene Darstellung nach Smith 1981, S.
170.
In Abb. 9.3 unterstützt der Staat die Ansieldung von Industrien in den peripheren, außerhalb der Gewinnzone gelegenen Gebieten A und B mit Subventionen. Im Geso biet A verschiebt sich dadurch die Gesamtkostenkurve unter die dort Gewinne realisieren können. Im das noch dass Unternehmen auch Gebiet B, weiter entfernt liegt, reicht dieselbe Höhe an Subventionen zum Ausgleich standortbedingter Wettbewerbsvorteile nicht aus. Hieraus geht die Notwendigkeit räumlich differenzierter Fördermaßnahmen des Staates hervor (vgl. Schätzl 2003, S. 58f.).
Erlösgerade3,
Umgekehrt zu Subventionen können regional unterschiedlich hohe Steuerbela-
stungen manche Standorte
profitabel
aus
der räumlichen Gewinnzone ausschließen, die sonst
wären.
Ein weiterer Faktor, der die Kostensituation eines Unternehmens an einem bestimmten Standort beeinflusst und gerade in jüngerer Zeit wieder verstärkte Aufmerksamkeit erfahren hat, ist das Vorhandensein von (3) Agglomerationseffekten, die bereits in der Standorttheorie von Alfred Weber eine zentrale Rolle spielten. Dabei handelt es sich um Kostenvorteile für die Produktion und Vermarktung der Produkte durch räumliche Nähe. Sie ergeben sich entweder aus dem Vorhandensein von Unternehmen verschiedener Branchen, z.B. durch gemeinsame Nutzung vorhandener Infrastruktur („urbanisation economies") oder der Konzentration von UnDie Erlöse werden hier als fix angenommen.
9 Theoretische
248
Grundlagen der Standortwahl
ternehmen der gleichen Branche an einem Standort („localisation economies"). Vorteile können dann z.B. in der gemeinsamen Nutzung von Zulieferern oder eines spezialisierten Arbeitsmarktes liegen. Die (4) Substitution von Inputfaktoren ist ein weiteres Element der industriellen Standorttheorie von Smith. Bereits 1928 wurde ihre Bedeutung von dem deutschen Ökonomen Andreas Predöhl beschrieben und später von Walter Isard weiterentwickelt. Indem ein Unternehmen die Möglichkeit hat, verschiedene InputFaktoren (Materialien, Kapital, Arbeit) zu einem gewissen Grad durch andere zu ersetzen, können sich auch die standortbedingten Lagekosten für das Unternehmen verändern, die Grenzen der Gewinnzone und der kostenoptimale Standort verschieben sich somit (vgl. Hurst 1974, S. 177f.; schätzl 2003, S. 48ff.). Schließlich wird eine fünfte Restriktion früherer Modelle aufgehoben und das Vorhandensein von Skalenerträgen oder „economies of scale" explizit berücksichtigt. Das (5) Volumen der Produktion an einem Standort kann in hohem Maße dessen Profitabilität beeinflussen und damit wie die anderen Einflussgrößen die räumliche Wahlfreiheit und die räumliche Gewinnkurve eines Unternehmens verändern. -
-
Ein großes Verdienst der Standorttheorie von Smith ist es, kostenorientierte Elemente der Standortwahl mit anderen wesentlichen entscheidungsrelevanten Faktoren verknüpft zu haben. Von besonderer Bedeutung für den Realitätsbezug dieser Theorie ist vor allem die Erkenntnis, dass andere Aspekte wie persönliche Präferenzen oder unternehmerische Fähigkeiten einen ebenso großen Einfluss auf Standortwahl und Unternehmenserfolg haben können.
9.3 Verhaltensorientierte Standorttheorien 9.3.1 Modell
von
Pred
Das oben beschriebene Konzept einer räumlichen Gewinnzone bei variablen Kosten und Erlösen anerkennt die Möglichkeit einer suboptimalen Standortwahl und weicht damit vom Menschenbild des homo oeconomicus ab. Auf den Sachverhalt, dass die modellhafte Annahme eines gewinnmaximierenden und rein rational handelnden Unternehmers realitätsfem ist, hat schon in den 1960er Jahren Allan Pred hingewiesen (vgl. Pred 1967; 1969), dessen Werk den verhaltensorientierten Ansatz („behavioral approach") in der Wirtschaftsgeographie begründete. Anders als neoklassische Ansätze arbeitet dieser stärker induktiv und nicht normativ. Im Mittelpunkt aller ökonomischen Überlegungen und Verhaltensweisen stehen das Individuum sowie seine Werte, Motive, Präferenzen und Wahrnehmung (vgl. Staudacher 2005, S. 99).
B: Theorien internationaler
Unternehmenstätigkeit
249
Der Grundgedanke des Modells der Standortwahl von Pred ist die Überlegung, dass Menschen niemals vollständig rational handeln, vielmehr spielen irrationale Momente bei der Entscheidungsfindung oftmals eine bedeutende Rolle. Darüber hinaus verfügt kein Mensch also auch kein Unternehmen oder dessen Entscheidungsträger über vollständige Informationen. Bezogen auf die Standortentscheidungen eines Unternehmens bedeutet dies, dass die betreffenden Entscheidungsträger zu keinem Zeitpunkt vollkommene Informationen über alle denkbaren Standortalternativen haben. Bei der Standortsuche im internationalen und globalen Maßstab wird dies besonders augenfällig, die Menge der Informationen wird absolut unüberschaubar. Auch die Fähigkeit, die vorhandenen Informationen zu verarbeiten, ist nicht unbegrenzt. Es ergeben sich suboptimale Standortentscheidungen (Staudacher 2005, S. 103f.). -
-
Quantität und Qualität der Informationen, über die ein Unternehmen verfügt, hängen u.a. von technischen Systemen und den Möglichkeiten der Kommunikation ab. Heute eröffnen neue Medien wie das Internet nicht nur einen schnellen Zugang zu einer enormen Menge an Informationen, sie erleichtern auch die Kommunikation und die Verbreitung von Wissen über größere Distanzen. Die Art der sozialen Beziehungen innerhalb der Unternehmen determiniert jedoch den Informationsfluss in der Unternehmung, das Verhältnis von potenziell möglicher und tatsächlicher Information variiert bei verschiedenen Personen.
Auch die Fähigkeit, Informationen zu verarbeiten, ist bei Entscheidungsträgern nicht einheitlich ausgeprägt. Die Ansprüche, Ziele und Werte einer Person sind stark durch ihre Herkunft, Kultur und Umgebung geprägt und erhöhen oder verringern entsprechend die Wahrscheinlichkeit, dass die betreffende Person auf bestimmte Reize oder Informationen reagiert (vgl. hurst 1974, S. 75), z.B. um Unsicherheiten zu vermeiden. Mit anderen Worten: Auch wenn die nötige Information vorhanden ist, muss daraus nicht zwingend eine Reaktion erfolgen. Betrachtet man Unternehmen als Ganzes, werden ebenfalls Unterschiede in der Informationsverarbeitungskapazität sichtbar. Kleine und mittlere Unternehmen haben zwar in der Regel einen sehr guten internen Informationsfluss, aber eingeschränkte personelle und finanzielle Ressourcen zur Informationsbeschaffung und -auswertung. In großen Konzernen ist oftmals der umgekehrte Fall vorzufinden. Es werden sehr viele Mittel auf Informationsbeschaffung verwendet (z.B. eigene Standortabteilungen), aber die Information zirkuliert häufig nur schwer zwischen den wesentlichen Ent-
scheidungsträgern.
9 Theoretische
250
Grundlagen der Standortwahl
Abb. 9.4: Verhaltensmatrix und Standortsuchraum nach Pred
Fähigkeit zur Nutzung wahrgenommener Informationen
oeconomicus
1-1
O optimaler Standort •
~J Quelle:
tatsächlicher Standort räumliche Margen der Profitabilität
pred 1967, S. 92; chapman/walker 1987, S. 20; Hayter 1997, S. 142.
Bezogen auf Standortentscheidungen wird somit deutlich, dass aufgrund der beschriebenen Einschränkungen hinsichtlich des Faktors Information in nahezu allen Fällen ein suboptimales Verhalten resultiert. Wenige Informationen schlechter Qualität und geringe Fähigkeiten, diese Informationen zu nutzen, können dann letzten Endes
zu
einem Standort außerhalb der räumlichen Gewinnzone führen und damit
B: Theorien internationaler
den
Unternehmenstätigkeit
251
Unternehmenserfolg insgesamt in Frage stellen. Allerdings ist es auch vorstell-
bar, dass ein Unternehmen trotz schlechter Informationslage durch Zufall oder andere Faktoren einen Standort innerhalb der Gewinnzone wählt (vgl. Abb. 9.4).
9.3.2 Modell unternehmerischer
Anpassungshandlungen
Basierend u.a. auf der Arbeit von Pred wurde in den 1980er Jahren ein Modell unternehmerischer Anpassungshandlungen entwickelt, welches die verhaltensorientierten Elemente einer Standortentscheidung, wie z.B. begrenzte Rationalität und eingeschränkte Information, in einem prozessualen Modell zusammenfasst (vgl. Haas/Scherm 1983, S. 11; Haas/Fleischmann 1986, S. 304ff; 1991, S. 17). Unternehmerische Aktivitäten, wie z.B. Standortentscheidungen, werden demnach durch Stressfaktoren, die aufein Unternehmen einwirken, hervorgerufen. Diese stellen Standortunzulänglichkeiten unternehmerischen Handelns dar. Dabei lassen sich zwei Formen von Stressfaktoren unterscheiden: Standortinterne Stressfaktoren, die fehlende Expansionsmöglichkeiten, die Überalterung von Produktionsanlagen, schlechte örtliche Verkehrverhältnisse und Umweltschutzauflagen sein können, und standortexterne Stressfaktoren, welche auf regionaler, nationaler und supranationaler Ebene auftreten. Beispiele sind Konjunktureinbrüche, technologische Umwälzungen oder die Konkurrenz neuer Wettbewerber auf dem Markt. Stressfaktoren sind als Stimuli potenzieller unternehmerischer Anpassungshandlungen aufzufassen. Ihr Erkennen ruft eine Reaktion des betroffenen Unternehmens hervor. Das Spektrum dieser Reaktionen reicht von standorterhaltenden Maßnahmen bis hin zur Standortverlagerung, Standortspaltung und Liquidation eines Unternehmens. Der Umfang der selektiv wahrgenommenen Stressfaktoren und ihre Bewertung hängen von den persönlichen Präferenzen und Informationsverarbeitungskapazitäten des Entscheidungsträgers ab (vgl. Abb. 9.5). Wie auch im Modell von Pred wird der Mensch also nicht mehr als rational handelnder homo oeconomicus, sondern als „satisfizer" mit begrenzter Information betrachtet.
9 Theoretische
252
Abb. 9.5: Schema unternehmerischer
Unternehmenstradition
Grundlagen der Standortwahl
Anpassungshandlungen
Persönlichkeitsstruktur der Unternehmens-
Interaktionen der Verhaltensträger
mitglieder
Staat, Land, Gemeinden
|Arbeitnehmer|-|
Unternehmer
\\
Gewerkschaften, Unternehmerverbandel
Interne Faktoren z.B.
Externe Faktoren Flächenangebot technologische
z.B.
persönliche Präferenzen Wertsysteme Fähigkeiten Handlungsnormen
Innovationen
Arbeitskräfteangebot
Gesetze und Auflagen
selektive
Wahrnehmung * Bewertung entschei-
funktional-
dungslogisch
matisch
prag-
V Unternehmerverhalten
Verhaltensbezüge 1 z.B.| I
|Technologie[] Standort~|-|Arbeitsmarkt| Anpassungshandlungen
Quelle: Haas/Fleischmann 1986, S. 305.
Bürger
B: Theorien internationaler
Untemehmenstätigkeit
253
Dynamische Standorttheorien
9.4 9.4.1
Produktlebenszyklustheorie
Produktlebenszyklustheorie4
wurde in den 1960er Jahren von Vernon (1966) und Hirsch (1967) ursprünglich als dynamischer Ansatz der Außenhandelstheorie (vgl. Kap. 7.2.4.2) entwickelt, eignet sich aber auch zur Erklärung von Direktinvestitionen (vgl. Kap. 8.3.1.3). Die wirtschaftsgeographische Forschung hat sich den Ansatz insofern zunutze gemacht, als durch ihn eine Dynamisierung einzelwirtschaftlicher Standorttheorien ermöglicht wurde. Die Produktzyklushypothese leistet insbesondere einen Beitrag zur Erklärung internationaler und interregionaler Arbeitsteilung. Ihre Grundaussage, welche zunächst nur auf einzelne Produkte bzw. Unternehmen ausgerichtet war, lautet, dass ein Produkt einen phasenhaften Alterungsprozess durchläuft. In jeder der Phasen existieren charakteristische Merkmale hinsichtlich der Faktorstruktur, des Wettbewerbs, der Marktstruktur etc. (vgl. Sternberg 1995, S. 30).
Die
Der Alterungsprozess von Produkten beeinflusst in starkem Maße die Industrie, in welcher das Produkt erzeugt wird. Die Produktlebenszyklushypothese findet aus diesem Grund auch auf die Entwicklung von Branchen Anwendung. Der Produktzyklus wird üblicherweise in die Innovationsphase, die Wachstums-/Reifephase und die Schrumpfungs-/Standardisierungsphase mit jeweils spezifischen Standortschwerpunkten unterteilt5. In jeder Phase existieren spezifische Standortanforderungen, so dass die Bedeutung einzelner Standortfaktoren im Zeitablauf variiert (vgl. Kap. 8.3.1.3, Abb. 9.6). Im Laufe des Lebenszyklus eines Produktes und mit dem Altern einer Branche besteht eine Tendenz zur intraregionalen, interregionalen und schließlich internationalen Dezentralisierung der Produktion. Es erfolgt eine Standortverlagerung vom Zentrum in die Peripherie, d.h. von Industrie- in Entwicklungsländer. Dies kann auch als Diffusion von Produktionsstätten neuer Güter interpretiert werden.
In der Literatur wird abwechselnd von Produktlebenszyklustheorie, Produktzyklustheorie oder Produktlebenszyklushypothese gesprochen. Diese Begriffe werden nachfolgend synonym verwendet. Die Phaseneinteilung des Produktlebenszyklus wird unterschiedlich umgesetzt. So unterscheidet z.B. Schätzl (2003, S. 194f.) vier Phasen, während Dicken (2003, S. 104) fünf Phasen differenziert. Diese Einteilungen unterscheiden sich jedoch nicht substantiell voneinander.
9 Theoretische
254
Abb. 9.6:
Produktlebenszyklus und Bedeutung von
Grundlagen der Standortwahl
Standortfaktoren
Schrumpfung
Standortfaktoren: Wissen und technisches
Fachpersonal Management ungelernte
Arbeitskräfte
Kapital externe Zulieferer u. Dienste
Bedeutung:
^ hoch
mittel
niedrig
Quelle: Nuhn 1985, S. 1891., verändert.
Die Produktlebenszyklustheorie ist einer Reihe von Kritikpunkten ausgesetzt (vgl. Sternberg 1995, S. 33; Schätzl 2003, S. 217f.; Tichy 1991, S. 46ff.; Hess 1998, S. 76; Kap. 8.3.1.3): •
•
•
Nicht alle Güter unterliegen einem regionalen Produktlebenszyklus, so dass es zu keinen Standortverlagerungen kommt: Die Produktion von Ricardo-Gütern ist an die Fundorte von Rohstoffen gebunden (Rohstofforientierung); LöschGüter werden nur für den lokalen Markt produziert, weshalb ihr Produktionsstandort im näheren Agglomerationsraum liegt (Marktorientierung); zur Produktion von Thünen-Gütern sind die Güter ausgewählter Zulieferer und spezifische Dienstleistungen erforderlich, die nur in urban-industriellen Zentren verfügbar sind (,,high-skill"-Orientierung). Der den Hypothesen zugrunde liegende Produktbegriff ist nicht eindeutig definiert. Damit bleibt unklar, ab welchem Zeitpunkt ein neues Produkt vorliegt bzw. bis wann es sich um Produktmodifikationen handelt. Der technologische Determinismus der Produktlebenszyklushypothese vernachlässigt Handlungsalternativen industrieller Produktion. Die Möglichkeiten
B: Theorien internationaler
Unternehmenstätigkeit
255
flexibler Produktion und die Bedeutung der Kleinserienfertigung werden nicht
berücksichtigt. •
•
•
Die Standortwahl in Agglomerationsräumen während der Innovationsphase lässt sich durch die Produktlebenszyklushypothese nicht erklären. Es gibt keine Begründung, warum bestimmte Räume neue Produkte bzw. Branchen generieren, andere aber nicht. Standortverlagerungen laufen in der Realität nicht so mechanisch ab, wie es in der Theorie postuliert wird. In den urban-industriellen Zentren versuchen Gewerkschaften und Politik, eine Standort- und damit Arbeitsplatzverlagerung zu verhindern; in den Peripherien müssen zur Aufnahme der Produktion reifer Produkte innovative Unternehmer vorhanden sein. Unberücksichtigt bleibt die durch erfolgreiche Prozessinnovationen bestehende Möglichkeit der Rückverlagerung des Produktionsstandortes aus der Peripherie in die industriellen Zentren .
9.4.2
Profitzyklustheorie
Neben den Produktlebenszyklus als Ausgangspunkt für Überlegungen zur Standortwahl international agierender Firmen und Konzerne tritt, vor allem im Hinblick auf Kostenreduktion und Ausnutzung unterschiedlicher Faktorausstattung, häufig eine zweite theoretische Grundlage zur Untersuchung von Standort- und Organisationsstrukturen: Oligopolistischer Wettbewerb und Macht (vgl. Markusen 1985; Storper 1985; Schoenberger 1988). Oligopolistische Strukturen innerhalb einer Branche erlauben zum einen größere Möglichkeiten der Preiskontrolle und zum anderen eine stärkere Marktposition. Die Gewinnspannen für ein Produkt in der Reifephase des Produktlebenszyklus können sich in zwei Richtungen entwikkeln: 1.) Starker Wettbewerb zwischen einer Vielzahl von Marktteilnehmern gestattet nur durchschnittliche bis geringe Gewinne („profits"), die im Extremfall negativ werden können. 2.) Oligopolbildung dagegen kann zu einer für diese Phase des Produktlebenszyklus überdurchschnittlichen Gewinnentwicklung durch einWettbewerb führen Markusen (vgl. 1985, S. 28). Es existiert daher geschränkten nicht nur ein Produktzyklus, sondern auch ein Profitzyklus. Die Gewinne, welche das entscheidende Motiv unternehmerischen Handelns darstellen, unterliegen wie das Produkt einer phasenhaften, zyklischen Entwicklung. An die Stelle einer zyklischen Entwicklung der Nachfrage tritt beim Konzept des Profitzyklus eine Abfolge von fünf verschiedenen Gewinnphasen (vgl. Abb. 9.7).
So
verlagerte der deutsche Batteriehersteller Varta 1997 die Produktion von Mikrobatterien von Singapur zurück an den schwäbischen Stammsitz in Ellwangen. Die Gründe für dieses „Insourcing" lagen in Qualitätseinbußen, höheren Managementkosten, größerem Betreuungs- und Koordinationsaufwand, längeren Lieferzeiten sowie einer kostspieligen Lagerhaltung (vgl. DIE ZEIT 2005).
9 Theoretische
256
Abb. 9.7: Das
Grundlagen der Standortwahl
Konzept des Profitzyklus
Null
TCn
1
II
Phase
Profit
Kosten u. Erträge je Einheit konstanten Preisen
zu
III
|
I
,V Phasen
IVb IVa
Quelle: MARKUSEN 1985, S. 28, verändert. Diese Phasen charakterisieren die Entwicklung einer Branche und korrespondieren mit jeweils unterschiedlichem räumlichen Verhalten der Akteure (vgl. MARKUSEN 1985, S. 27ff.). Die erste Phase des Zyklus ist die sog. Null-Profit-Phase7. Forschung und Entwicklung sowie die Herstellung von Prototypen eines Produktes dominieren in diesem Stadium, analog zur Phase eins des Produktzyklus. Gewinne lassen sich aufgrund der hohen Einstandskosten und zunächst sehr geringer Nachfrage nicht erzielen. Räumlich ist der entstehende Sektor zunächst stark konzentriert, es existieren nur wenige Regionen, in denen sich die Branche entwickelt. Ist die Entwicklung des Produktes abgeschlossen, beginnt eine Phase dynamischen Wachstums, in der die Gewinne der Hersteller aufgrund temporärer Monopolstellung überdurchschnittlich hoch liegen. Dieses Stadium wird als Super-Profit-
Entsprechend Abb. 9.7 könnte man auch von einer Verlustphase sprechen, da die Kosten die Erlöse übersteigen. Markusen bezeichnet dies jedoch als inadäquat, da im Stadium der Invention und Innovation die meisten Unternehmer nicht in konventionellen, kurzfristigen Aufwands-Ertrags-Schemata denken (vgl. MARKUSEN 1985, S. 29).
B: Theorien internationaler
Unternehmenstätigkeit
257
Phase bezeichnet. Durch Patentschutz und das Fehlen potenzieller Wettbewerber können hohe Preise für das neue Produkt erzielt werden, die deutlich über den Herstellungskosten liegen. Im Laufe der Zeit sinken die Stückkosten weiter, durch den Markteintritt von Konkurrenten und einen damit verbunden Preisrückgang sinken jedoch auch die Erträge je produzierte Einheit. Aus räumlicher Sicht kommt es in dieser Phase überdurchschnittlicher Gewinne zu einer Agglomeration von Herstellern und ihren Zulieferern in den Kernregionen der neuen Branche, da die nach wie vor hohen Innovationsaktivitäten durch räumliche Nähe begünstigt werden. In der dritten Phase, der Normal-Profit-Phase, werden von den Unternehmen durchschnittliche Gewinne erzielt, der Markt zeigt Sättigungserscheinungen. Die Massenproduktion des Gutes ist nun ausgereift, Kostenreduktion und Preiswettbewerb spielen eine wichtige Rolle. Innerhalb der Branche dominieren inzwischen Mehrbetriebsunternehmen, deren Größe „economies of scale" gewährleistet. Neben den Kernregionen werden Peripherien erschlossen, das Standortmuster der Branche ist dispers. Das vierte Stadium eines
Profitzyklus beinhaltet zwei unterschiedliche Entwicklungsmöglichkeiten bezüglich der Unternehmensgewinne. Bleibt trotz sinkender Nachfrage ein starker Wettbewerb zwischen den Herstellern bestehen, können die Erlöse bis unter die Kostendeckungsgrenze sinken (Normal-minus-Profit-Phase). Um dem entgegenzuwirken, kommt es in vielen Wirtschaftszweigen zur Oligopolbildung, wodurch auf der Basis von Marktbeherrschung höhere Gewine erzielt werden können, als es in dieser Phase zu erwarten ist (Normal-plus-Profit-Phase). Da der Markt aber schon stark gesättigt ist, erfolgt üblicherweise keine Kapazitätsausweitung innerhalb des Sektors, sondern die durch Oligopolbildung erzielten Gewinne werden in anderen Branchen, in Maßnahmen vertikaler Integration oder in Finanzmärkte reinvestiert.
Die Negativ-Profit-Phase als letzte Phase eines Profitzyklus schließlich ist durch anhaltende Verluste gekennzeichnet. Betriebsschließungen und Liquidationen sind die Folge, viele Standorte werden aufgegeben oder die Produktion wird in
Billiglohnländer verlagert. Fasst man die wichtigsten wettbewerbsrelevanten Veränderungen im Zeitablauf zusammen, so ist nach dem Modell des Profitzyklus davon auszugehen, dass die Unternehmensgröße im Laufe der Zeit ebenso wie das Ausmaß vertikaler Integratizunimmt. Die Unternehmenskonzentration wächst stark an, so dass in einer reifen Branche nur mehr wenige Anbieter ein Oligopol bilden. Sie weisen ein dezentrales, häufig international ausgerichtetes Standortmuster auf. Den meisten Untersuchungen über Konzerne und transnationale Unternehmen liegen solche Annahmen über oligopolistischen Wettbewerb zugrunde, die in der Regel auch den Aspekt der „corporate control" oder Beeinflussung der Branche durch wenige große Firmen beinhalten. Dies ermöglicht eine relativ weitreichende Kontrolle über technische und technologische Innovationen und in Verbindung mit Diversifizierungson
258
9 Theoretische
Grundlagen der Standortwahl
bestrebungen einen Ausbau der Produktpalette bis hin zum Systemanbieter. Die Systemführerschaft bei Produktion und Handel komplexer Produkte innezuhaben, gewinnt auf vielen Märkten an Bedeutung. Durch diese sog. vertikale Kompetenz ist es möglich, dem Kunden Komplettlösungen anzubieten. Sowohl die Produktlebenszyklustheorie als auch das Modell der Profitzyklen werden als teleologische Ansätze bezeichnet, d.h. sie gehen a priori von einem festgelegten Endzustand aus, den Produkte und Branchen im Laufe ihrer Lebenszyklen erreichen. Die Struktur und das Standortmuster von Unternehmen werden nicht kausal, sondern allein aus ihrer zeitlichen Stellung im Alterungsprozess heraus erklärt.
Trotz der angeführten Kritik ist die Produktlebenszyklushypothese für die Analyse der Standortkonfiguration international tätiger Unternehmen insofern geeignet, als damit Erklärungsbeiträge für die Standortmuster von Forschungs- und Entwicklungszentren der betreffenden Firmen oder Branchen und die Verlagerung standardisierter, wertschöpfungsextensiver Produkte in Länder mit geringeren Arbeitskosten, wie z.B. Entwicklungs- oder Transformationsländer, zur Verfügung gestellt werden. Die Profitzyklustheorie erlaubt es darüber hinaus, das Phänomen industrieller Konzentration in bestimmten Branchen aus dem Reifeprozess und der Marktstruktur des betreffenden Wirtschaftszweiges heraus zu erklären.
9.5 Evolutionäre Standorttheorie: Das Modell industrieller
Entwicklungspfade Alle bisher vorgestellten Theorien tragen mit jeweils neuen Aspekten zur Erklärung von Standortstrukturen auf Branchen- und Unternehmensebene bei. Sie liefern jedoch keine Anhaltspunkte für ein Phänomen, das in der jüngeren Vergangenheit verstärkte Aufmerksamkeit erfahren hat: Die Entstehung neuer, dynamischer Wirtschaftsregionen abseits der bis dahin dominierenden ökonomischen Zentren. Warum entstehen neue Wachstumsindustrie-Ballungen an Orten, deren Faktorausstattung dies nicht erwarten lässt und was veranlasst Unternehmen, sich für solche Standorte zu entscheiden? Eine Antwort auf diese Fragen geben die kalifornischen Geographen Storper/Walker (1989) mit ihrer Theorie der geographischen Industrialisierung, die als das Modell der Entwicklungspfade bekannt geworden ist. Ebenso wie konventionelle Standorttheorien erkennt die Theorie der geogra-
phischen Industrialisierung bestimmte Standortspezifika („locational specifications") an, die für eine Standortentscheidung von Relevanz sind. Dazu gehören
auch die bereits bei Alfred Weber genannten klassischen Standortfaktoren wie Arbeits- und Transportkosten, deren Höhe in Abhängigkeit von der Verfügbarkeit der Produktionsfaktoren variabel ist. Unternehmen besitzen aber die Fähigkeit, durch Rationalisierung, Innovationen oder erhöhte Investitionen die für sie relevanten Produktionsfaktoren an irgendeinem gegebenen Standort zu sichern („locational capability"). Unternehmen sind also nicht nur abhängig von den in einer
B: Theorien internationaler
Unternehmenstätigkeit
259
Region vorgefundenen Standortfaktoren,
sondern können diese aus eigener Kraft beeinflussen. Insbesondere für neue Wachstumsindustrien existiert aus der Kombination von „locational specifications" und „locational capabilities" eine
räumliche Wahlfreiheit. Unternehmen in jungen, wachstumsstarken Sektoren erwirtschaften in der Anfangsphase für eine bestimmte Zeit überdurchschnittliche Gewinne. Dadurch können die benötigten Produktionsfaktoren (Arbeit, Kapital) auch an Standorte gelockt werden, die mit diesen Faktoren unterdurchschnittlich ausgestattet sind. Solche Unternehmen haben also die Möglichkeit, ihr eigenes Umfeld durch die Schaffung und Attraktion der jeweils spezifischen Faktorausstattung zu generieren. Diese Möglichkeit der Unternehmen wird auch als „window of locational opportunity" bezeichnet. Erfolgt die Standortwahl außerhalb bis dahin bedeutender Wirtschaftszentren, kommt es somit zur Entstehung neuer Wachstumsregionen, deren Evolution von Storper/Walker in einem vierstufigen Modell dargestellt wird (vgl. Abb. 9.8). Abb. 9.8: Das Modell der industriellen
1. Lokalisation
3.
Entwicklungspfade
2.
Clusterung
Dispersion
Quelle: Storper/Walker 1989, S. 71.
Die erste Phase wird als Lokalisierung bezeichnet. Für die Unternehmen eines wachstumsstarken Wirtschaftszweiges öffnet sich das „Fenster der Standortmöglichkeiten", in einigen Regionen entstehen erste Zentren dieses Wirtschaftszweiges. Zumeist erfolgt dies abseits älterer Industriezentren, da deren Faktorausstattung und Struktur oftmals zu sehr auf Altindustrien fixiert und somit ungeeignet für die Anforderungen der neuen Unternehmen sind.
9 Theoretische
260
Grundlagen der Standortwahl
In der zweiten Phase des Entwicklungsprozesses, der Clusterung, entwickelt sich eines dieser neuen Zentren rasant und zieht mehr und mehr weitere Finnen (Konkurrenten, Zulieferer, Dienstleister) an. Andere Regionen, die sich zunächst parallel entwickelt hatten, schrumpfen oder wachsen deutlich langsamer als die erfolgreiche Region. Dieser selektive Clusterungsprozess beruht auf „economies of scale", die nunmehr in diesem Raum erzielt werden können. Das Wachstum des Branchenclusters (vgl. Kap. 14.3.2.1) und die Erzielung von Skalenerträgen sind auf zwei verschiedene Arten möglich: Es kann sich ein komplexes System zahlreicher kleinerer, unabhängiger Produzenten entwickeln, deren Spezialisierung auf bestimmte Produkte oder Prozesse jedoch „economies of scale" zulässt. Ein solches System wird als vertikal desintegrierter Produktionskomplex bezeichnet (vgl. Bathelt 1992, S. 210). Es ist aber auch denkbar, dass ein oder wenige Großunternehmen das Wachstum und die Entwicklung des Branchenclusters dominieren, so dass in diesem Falle Skalenerträge durch interne Ersparnisse erzielt werden. In jedem Fall aber führt das rasche Wachstum zu einem sich selbst verstärkenden räumlichen Konzentrationsprozess, dessen Erfolg weitere Unternehmen anzieht. In der dritten Phase des Modells entstehen erste Tendenzen der Dispersion, wovom Zentrum, sowohl durch internes Wachstum von Unternehmen und deren Betriebsneugründungen als auch durch Firmenübernahmen oder Fusionen zunehmend andere, periphere Standorte („growth peripheries") entstehen. Dadurch werden neue Märkte erschlossen, ohne damit grundsätzlich die Dominanz des eigentlichen Branchenclusters in Frage zu stellen.
bei, ausgehend
In der letzten Phase dieses evolutionären Konzeptes wirtschaftsräumlicher Entwicklung entstehen neue Zentren ökonomischer Aktivitäten, sog. .shifting centers". Dabei kann es sich entweder um die Standortschwerpunkte neuer Wachstumsindustrien handeln, welche die alten in ihrer Bedeutung ablösen, oder die bisherige Industrie wächst aufgrund von massiven Restrukturierungs- und Innovationsprozessen innerhalb der Branche an anderen als den bisherigen Standorten. In beiden Fällen werden damit neue industrielle Entwicklungspfade eingeschlagen. Die Theorie
lungspfade
zum
geographischer Industrialisierung, wie sie im Modell der EntwickAusdruck kommt, weist gegenüber den anderen Standorttheorien
den Vorteil auf, dass sie zum einen den evolutionären Charakter wirtschafsräumlicher Entwicklung betont, zum anderen die Gestaltungsspielräume hervorhebt, die Unternehmen bezüglich ihrer Standortwahl haben. Letztere sind nicht zuletzt abhängig von Veränderungen in der Organisation von Unternehmen, Branchen und Produktionssystemen und damit der Form sozialer Arbeitsteilung, welche zunehmend globale Ausmaße annimmt.
B: Theorien internationaler
Unternehmenstätigkeit
261
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TeilC Internationale Wirtschaftsräume als Aktionsfelder internationaler Unternehmen
C: Internationale Wirtschaftsräume als Aktionsfelder internationaler Unternehmen
10 Formen der
265
regionalen Blockbildung
Während Anfang der 1940er Jahre der Außenhandel als Folge des Zweiten Weltkrieges nahezu zum Erliegen kam, stiegen die globalen Handelsverflechtungen durch den wirtschaftlichen Wiederaufbau und die politische Nachkriegsordnung rasch wieder an (vgl. Kap. 3.2.1). Allerdings lassen sich für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zwei unterschiedliche Tendenzen erkennen: Einerseits wurde durch das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen GATT bzw. die Welthandelsorganisation WTO (vgl. Kap. 4.2 und 4.3) sowie die erfolgreichen wirtschaftspolitischen Deregulierungs- und Liberalisierungsmaßnahmen die notwendigen Voraussetzungen für ein multilaterales Welthandelssystem geschaffen. Anfang der 1990er Jahre erfolgte mit der politischen und wirtschaftlichen Öffnung Mittel- und Osteuropas eine potenzielle Erweiterung deren Geltungsbereichs. Andererseits kommt es durch die zunehmende ökonomische und politische Integration einzelner Staaten immer häufiger zur geographischen Konzentration des Welthandels und damit zur Schaffung regionaler Integrationen. Folgendes Kapitel gibt zunächst einen Überblick über Motive, Formen und Wirkungen regionaler Integrationssysteme, bevor mit der NAFTA, dem MERCOSUR, ASEAN und APEC sowie der EU die weltweit bedeutendsten Regionalintegrationen vorgestellt werden.
10.1
Entwicklung
handels Unter regionalen
und Motive der
Regionalisierung des Welt-
Integrationen versteht man
„die Zusammenarbeit von zwei oder mehr Ländern auf dem Gebiet ihrer
gemeinsamen Wirtschaftsbeziehungen oder darüber hinausgehend den Zusammenschluss von zwei oder mehr Ländern zu einem gemeinsamen Wirtschaftsraum" (DlECKHEUER 2001, S. 193). Das übergeordnete Ziel einer regionalen Integration liegt in der Förderung der inter-
-
nationalen Arbeitsteilung innerhalb des Integrationsraums, um damit die Wohlfahrt der teilnehmenden Länder zu erhöhen. Häufig wird die Kooperation auf wirtschaftlichem Gebiet auch als Vorstufe zur weiter reichenden, bis hin zu politischen Integration gewertet (vgl. Rubel 2004, S. 235; Demirelli 1998, S. 71). Fast jeden Monat werden in den verschiedenen Teilen der Welt neue Projekte Schaffung, Ausdehnung oder Vertiefung regionaler Integrationen ins Leben gerufen, und es gibt nur wenige Länder, die keiner regionalen Integration angeschlossen sind (z.B. die Mongolei oder Taiwan). Die Abkommen reichen von bilazur
10 Formen der regionalen
266
Blockbildung
Handelsvergünstigungen benachbarter Länder bis hin zu weit gespannten, überregionalen und subglobalen Vertragssystemen mit teilweise überlappenden Mitgliedschaften (Freihandelszonen, Zollunionen, Binnenmärkte). Wie stark die Regionalisierung1 des Welthandels auf dem Vormarsch ist, zeigt die beim GATT/ WTO registrierte Menge dieser Abkommen. Während 1980 noch 21 gezählt wurteralen
den, waren 2005 bereits 168 in Kraft. Zahlreiche weitere Abkommen sind beschlossen, aber noch nicht ratifiziert, befinden sich in Planung oder Verhandlung.
Bis Ende 2007 könnte die Anzahl auf fast 300 ansteigen, was mehr als die Hälfte des gesamten Welthandels abdecken würde (vgl. Koopmann 2005, S. 76; Faz
2005). Der Prozess der Regionalisierung ist eine Begleiterscheinung der Globalisierung. Diese charakterisiert sich auf der Mikroebene durch das Streben privater Unternehmen nach grenzüberschreitenden Investitionen zur Sicherung und Stärkung internationaler Wettbewerbsfähigkeit. Akteure auf der Makroebene sind dagegen die Nationalstaaten bzw. deren Regierungen, welche für Liberalisierung, Deregulierung und multilateralen Handel eintreten. Dabei handelt es sich um zentrifugale Prozesse, welche die Grenzen nationaler Wirtschaftsräume aufheben und die nationalstaatliche Souveränität bei der Steuerung des Wirtschaftsgeschehens angreifen. Dadurch geschwächte Nationalstaaten sehen daher die Notwendigkeit zusammenzurücken, um durch Schaffung regionaler Integrationsräume an kollektiver Stärke und Einfluss im Wettbewerb der Nationen zu gewinnen (vgl. Nuhn 1997, S. 142f.). Die unangefochtene Vorreiterrolle im Prozess der regionalen Blockbildung nimmt die Europäische Union (EU) (vgl. Kap. 10.4.4) ein. Zum einen schreitet derpolitökonomische Integrationsprozess innerhalb Europas sowohl im Hinblick auf die Vertiefung der Zusammenarbeit als auch bezüglich der geographischen Erweiterung immer mehr voran. Zum anderen hat die EU auch mit den meisten außereuropäischen Ländern Integrationsabkommen abgeschlossen. Nur noch mit acht der 148 WTOStaaten wickelt die EU ihren Außenhandel gemäß des Meistbegünstigungsprinzips (vgl. Kap. 4.2.2) ab. Mit anderen Worten hat die EU nur mit acht Staaten (USA, Kanada, Japan, Südkorea, Australien, Neuseeland, Hongkong, Singapur) keine Freihandelsabkommen im weitesten Sinn abgeschlossen. Doch auch an den beiden anderen Triadepolen kam und kommt es zur Expansion regional integrierter Wirtschaftsräume. In Asien sind hierbei vor allem die Integrationsbestrebungen von ASEAN und APEC (vgl. Kap. 10.4.3.1 und 10.4.3.2), in Nordamerika die NAFTA (vgl. Kap. 10.4.1) anzuführen. Und auch außerhalb der triadischen Kernräume existiert eine zunehmende Bereitschaft zu regionalen Integrationen. Vor allem in Lateinamerika hat sich ein dichtes und kaum mehr überschaubares Netz von regionalen Freihandelsabkommen ausgebreitet, deren bedeutendstes der MERCOSUR (vgl. Kap. 10.4.2) ist. Schließlich werden bzw. wurden auch etliche Integrationsversuche in i
Regionalisierung, welche als Intensivierung regionaler Wirtschaftsbeziehungen aufzufaszu unterscheiden, der für das politisch gewollte Betreiben dieser Verdichtung steht (vgl. BORRMANN et al. 1993, s. 7). Von der sen
ist, gilt es den Begriff des Regionalismus
c: Internationale Wirtschaftsräume als Aktionsfelder internationaler Unternehmen
Afrika unternommen jedoch nur mit geringen Erfolgschancen. Karte 10.1 weltweite Häufigkeitsverteilung regionaler Integrationsabkommen. -
267
zeigt die
Grundsätzlich lassen sich zwei Grundformen der regionalen Blockbildung unterscheiden: Wenn sich, wie im asiatischen Raum, eine Blockbildung als Folge marktwirtschaftlicher Prozesse vollzieht, d.h. auf natürlichem Wege als Ergebnis der Verdichtung des Waren- und Dienstleistungsaustausches sowie der wachsenden Kapitalverflechtungen, spricht man von einer De-facto-Blockbildung bzw. funktionellen Integration. Sie wird nicht durch dafür geschaffene supranationale Institutionen gesteuert, sondern geht von den Unternehmen selbst aus, die Vorteile in verdichteten Produktions- und Absatzräumen sehen. Dem Markt kommt die Rolle des Integrators zu. Eine De-jure-Blockbildung bzw. institutionelle Integration liegt dagegen vor, wenn sich einzelne Staaten bzw. Volkswirtschaften aufgrund von Verträgen zu regional begrenzten Wirtschaftsräumen zusammenschließen, der Integrationsprozess also wie das Beispiel der Europäischen Union zeigt politisch gewollt ist und die Schaffung gemeinsamer Institutionen beinhaltet, denen nationalstaatliche Kompetenzen übertragen werden (vgl. Nuhn 1997, S. 138; Koch 1992, S. 181f.). -
-
Konkret kommen für das Eingehen regionaler Integrationen folgende Motive in Frage (vgl. Shiells 1995, S. 28f.; Barth 1999, S. 3): •
•
•
Ökonomische Vorteile durch effiziente Produktionsstrukturen (Verteilung fixer Kosten über größere regionale Absatzmärkte) und eine Stimulierung des
wirtschaftlichen Wachstums durch Anziehen ausländischer Direktinvestitionen, Lerneffekte sowie Forschung und Entwicklung; außerökonomische Vorteile wie die Vertiefung politischer Beziehungen oder die Bewältigung von Migrationsproblemen; für kleinere Länder die Sicherung des Zugangs zu den Märkten größerer Län-
der; •
•
Absicherung einseitiger innenpolitischer Reformen, indem durch die vertragliche Vereinbarung gemeinsamer Ziele und die Festlegung von Sanktionsmöglichkeiten im Falle des Verstoßes gegen diese ein Abbruch begonnener Reformen erschwert wird; Stärkung der Verhandlungsposition bei multilateralen Verhandlungen, z.B. vor dem GATT bzw. der WTO, oder Missbilligung des zähen Vorankommens dieser
Verhandlungen2.
So kann z.B. die Gründung der NAFTA (vgl. Kap. 10.4.1) vor dem Hintergrund der stockenden Verhandlungen der Uruguay-Runde des GATT (vgl. Kap. 4.3) gesehen werden.
268
10 Formen der regionalen
Blockbildung
C: Internationale Wirtschaftsräume als Aktionsfelder internationaler Unternehmen
10.2 Formen
269
regionaler Integration
Je nach Integrationstiefe und Geltungsbereich lassen sich unterschiedliche Stufen einer regionalen Integration unterscheiden. Charakteristisch für jede Form ist dabei der Abbau von Handelshemmnissen zwischen den beteiligten Ländern. Häufig reduziert sich die Regionalisierung jedoch nicht nur auf den bloßen Abbau von Handelshemmnissen (negative Integration), sondern sie hat immer häufiger auch die Koordination, Harmonisierung und Zentralisierung der Wirtschaftspolitiken (positive Integration) zum Inhalt. Grundsätzlich verstößt die Bildung regionaler Integrationsräume gegen das Meistbegünstigungsprinzip des GATT (vgl. Kap. 4.2.2), da der wechselseitige Abbau protektionistischer Barrieren unter den Mitgliedsländern Drittländer diskriminiert. Dennoch ist sie als Ausnahme zulässig, da der Abbau von Handelshemmnissen auf der globalen Ebene aufgrund der großen Interessensheterogenität ungleich schwerer realisierbar ist und regionale Integrationen deshalb häufig als Annäherung an einen globalen Freihandel betrachtet werden (vgl. Kübel 2004, S. 234).
Wichtigste Voraussetzung für die Schaffung einer regionalen Integration ist, dass sich die Partnerländer ökonomisch ergänzen. Ausschlaggebend sind die Komplementarität der Wirtschaftsstruktur ihrer Mitglieder im Allgemeinen und die ihrer Außenhandelsstruktur im Besonderen. Hinzu kommt das Erfordernis gesellschaftspolitischer Übereinstimmungen, des Verständnisses für gemeinsam zu bewältigende Probleme sowie stabiler politischer Systeme, die gewährleisten, dass Widerstände durch Integration oppositioneller Auffassungen überwunden werden (vgl. Koch 1992, S. 185). 10.2.1 Präferenzzone Die Präferenzzone ist die schwächste Form einer regionalen Integration. Zwei oder mehr Länder kommen in bi- oder multilateralen Verträgen dazu überein, sich für den Außenhandel mit bestimmten Gütergruppen Vorzugsbedingungen, meist in Form von im Vergleich zur Ausgangsbasis niedrigeren Zöllen oder höheren Quoten, einzuräumen. Abgeschlossen werden Präferenzabkommen häufig zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. -
-
Die Anwendung von Handelspräferenzen setzt Ursprungsregeln voraus. Diese legen den Wertschöpfungsanteil an einem Produkt fest, der mindestens im Präferenzraum erbracht werden muss, damit eine aus dem Präferenzland eingeführte Ware die vereinbarte Vorzugsbehandlung erfährt (vgl. bender 1998, S. 533). Der Abbau der Handelsbeschränkungen kann, muss aber nicht einseitig erfolgen. Vollzieht sich die Handelsliberalisierung einseitig-selektiv, d.h. zugunsten schwächerer Länder, von denen keine Gegenleistung erwartet wird, spricht man von nicht-reziproken Präferenzsystemen. Über den verstärkten Handel wird erhofft, das
270
10 Formen der regionalen
Blockbildung
Wachstum und die wirtschaftliche Entwicklung dieser Länder voranzutreiben. Erfolgt die Handelsliberalisierung dagegen gegenseitig-selektiv, liegt ein reziprokes Präferenzsystem vor (vgl. nuhn 1997, S. 138). Bei beiden Formen ist die EU der Vorreiter. Ein bedeutendes Beispiel für nichtreziproke Handelspräferenzen bilden die Abkommen von Lome und Cotonou zwischen der EU und den AKP-Staaten (vgl. Kap. 5.4.3). 1971 führte die EU ferner ein Allgemeines Präferenzsystem (APS) ein, das jenen Entwicklungsländern eine handelspolitische Vorzugsbehandlung gewährt, mit denen kein spezielles Präferenzabkommen abgeschlossen wurde (vgl. Langhammer 1983; Kösters 1998, S. 838). 2001 rief die EU über das APS die sog. „Everything-but-arms"-Initative ins Leben, die den 50 am wenigsten entwickelten Ländern für sämtliche Produkte außer Waffen den zoll- und quotenfreien Zugang zum Gemeinschaftsmarkt verschafft. Für bestimmte Agrarprodukte (z.B. Zucker, Reis, Bananen) gelten Übergangsfristen. Nicht-reziprok sind auch die Handelspräferenzen, welche die EU im Rahmen ihrer Mittelmeerpolitik seit den 1970er Jahren bestimmten Mittelmeeranrainerstaaten gewährt. Hierzu gehören die Länder des Maghreb (Marokko, Algerien und Tunesien), des Maschrek (Ägypten, Syrien, Jordanien, Libanon) sowie Israel. Während Industrieprodukte generell zollfrei sowie in unbegrenzter Menge in die EU eingeführt werden dürfen, gelten für Textil- und Agrarprodukte zum Schutz der Europäischen Produzenten auch hier einschränkende Sonderbehandlungen. Beispielhaft für reziproke Präferenzen im Außenhandel sind die Präferenzen der EU gegenüber den ASEAN-Staaten.
10.2.2 Freihandelszone In einer Freihandelszone kommt es zu einer engeren handelspolitischen Kooperation, indem die Handelshemmnisse unter den Mitgliedsländern im Idealfall bei allen Produktkategorien abgebaut werden (vgl. Molitor 2001, S. 171). Es existiert jedoch kein gemeinsamer Außenzoll, so dass die Mitglieder der Freihandelszone gegenüber Drittstaaten außenhandelspolitisch autonom bleiben ein Umstand, der sich vor allem dann als problematisch erweist, wenn die Zollsätze nach außen stark voneinander abweichen. In diesem Fall nämlich werden die Anbieter aus Drittländern zu strategischem Handeln veranlasst, indem sie ihre Exporte in ein beliebiges Land der Freihandelszone über das Mitgliedsland abwickeln, dessen Außenzölle am niedrigsten sind. Um dies zu verhindern, bedarf es der Anwendung von Ursprungsregelungen. Freie Güterbewegungen innerhalb der Freihandelszone müssen durch Ursprungszertifikate belegt werden. Dies verursacht einen erheblichen administrativen und kostspieligen Aufwand und erfordert eine grundsätzliche Kontrolle der Handelsströme bei Überschreiten der Grenzen auch innerhalb der Freihandelszone. Schwierigkeiten ergeben sich zudem für den Fall, dass ein Produkt zwar innerhalb der Freihandelszone erstellt wurde, für seine Produkte aber Vorprodukte aus Drittländern eingeführt werden müssen. Deshalb bedarf es der Ermittlung des Wert-
C: Internationale Wirtschaftsräume als Aktionsfelder internationaler Unternehmen
271
schöpfungsanteils, der mindestens innerhalb der Freihandelszone erwirtschaftet werden muss, damit das Gut zollfrei bleibt (Local-Content-Anteil) (vgl. Heiduk 2005, S. 297; Dieckheuer 2001, S. 195; Rubel 2004, S. 235). Beispiele für Freihandelszonen sind u.a.: •
•
•
ANCERTA
(Australia New Zealand Closer Economic Relations Trade Agreement): Australien, Neuseeland (seit 1983); NAFTA (North American Free Trade Agreement): USA, Kanada, Mexiko (seit 1994) (vgl. Kap. 10.4.1); EFTA (European Free Trade Association): Island, Liechtenstein, Norwegen, Schweiz (seit 1960; bei Gründung waren auch Dänemark, Großbritannien,
Österreich, Portugal und Schweden Mitgliedsländer, die aber nach und nach
EG/EU übertraten; Finnland war zwischen 1985 und 1995 Mitglied); EWR (Europäischer Wirtschaftsraum): EU- und EFTA-Staaten ohne die Schweiz (seit 1994); CAFTA (U.S.-Central American Free Trade Agreement): USA, Costa Rica, El Salvador, Honduras, Nicaragua (unterzeichnet am 28.5.2004); FTAA (Free Trade Area of the Americas): 34 nord- und lateinamerikanische sowie karibische Staaten mit Ausnahme Kubas (ursprüngliches Zieldatum 1.1.2005, tatsächliches Datum der Umsetzung offen) (vgl. Kap. 10.4.1.4); AFTA (Asean Free Trade Area): Brunei, Indonesien, Malaysia, Philippinen, Singapur, Thailand (seit 2003 unvollständig im Kraft) (vgl. Kap. 10.4.3.1); APEC (Asia Pacific Economic Cooperation): 21 Staaten des asiatisch-pazifischen Wirtschaftsraums, darunter USA, Japan und China (seit 1989, Umsetzung der Freihandelszone bis 2020 geplant) (vgl. Kap. 10.4.3.2); SAFTA (South Asian Free Trade Area): Bangladesch, Bhutan, Indien, Malediven, Nepal, Pakistan, Sri Lanka (unterzeichnet am 6.1.2004). zur
•
•
•
•
•
•
10.2.3 Zollunion Wie bei der Freihandelszone kommt es auch bei der Zollunion zum Abbau zwischenstaatlicher Handelshemmnisse. Zusätzlich vereinbaren die Mitglieder aber einen einheitlichen Außenzolltarif, d.h. ein gemeinsames Zollgebiet, wodurch Ursprungsregelungen gegenüber Drittstaaten obsolet werden. Die Zolleinnahmen werden gemäß eines vereinbarten Schlüssels aufgeteilt (vgl. Molitor 2001, S. 17 lf; rubel 2004, S. 235f; Demirelli 1998, S. 73).
Über die relative Vorzüglichkeit von Freihandelszonen und Zollunionen besteht unter den Ökonomen Uneinigkeit (vgl. De Melo/Panagariya 1992, S. 40). Für die Freihandelszone spricht, dass es zu keiner Anhebung der Zölle kommt. Bei der Zollunion kann es jedoch sein, dass wegen eines einheitlichen Zollniveaus niedrige Ausgangszölle angehoben werden. Für die Zollunion dagegen lässt sich anfüh-
272
10 Formen der regionalen
Blockbildung
ren, dass zur Bildung eines gemeinsamen Außenzolls das am wenigsten geschützte Land auf protektionistischere Länder Druck ausüben kann, die Zölle auf das eigene Niveau zu senken. Ferner entfallen komplexe Ursprungsregelungen.
Beispiele für Zollunionen sind u.a.: •
•
MERCOSUR (Mercado Comün del Cono Sur): guay, Uruguay (seit 1991) (vgl. Kap. 10.4.2);
Andenpakt: Bolivien, Ecuador, Kolumbien, Peru, gemeinsame Außenzölle und Venezuela);
•
•
•
Argentinien, Brasilien,
existieren faktisch aber
Para-
Venezuela (seit 1969, zwischen Kolumbien
nur
Zollunion zwischen der EU und der Türkei (seit 1996); SACU (Southern African Customs Union): Südafrika, Botswana, Lesotho, Namibia, Swasiland (seit 1969); SADC (Southern African Development Community): Südafrika, Angola, Botswana, DR Kongo, Lesotho, Malawi, Mauritius, Mosambik, Namibia, Sambia, Seychellen, Simbabwe, Swasiland, Tansania (seit 1980, vollständige Umsetzung bis 2012).
10.2.4 Gemeinsamer Markt Während Freihandelszonen und Zollunionen nur den Abbau von Handelshemmnissen zwischen den Mitgliedsstaaten vorsehen, gewährt der Gemeinsame Markt vier zentrale Freiheiten (vgl. Ohr/Gruber 2001, S. 20): •
•
•
Freier Warenverkehr. Abschaffung von Grenzkontrollen, Abbau von tarifären und nichttarifären Handelshemmnissen, Harmonisierung des Steuersystems (vor allem Mehrwert- und Verbrauchsteuern). Freier Dienstleistungsverkehr: Liberalisierung des Finanzdienstleistungssektors, des Verkehrssektors, des Telekommunikations- und Informationsdienstleistungsmarktes, Öffnung des öffentlichen Auftragswesens. Freier Personenverkehr. Abschaffung von Personenkontrollen an den Grenzen, Freizügigkeit für Arbeitnehmer, Niederlassungsfreiheit für Unternehmen, Aufenthaltsrecht für Nichterwerbstätige, Harmonisierung der Asyl- und Ein-
reisegesetze. •
Freier Kapitalverkehr. Beseitigung devisenrechtlicher Hemmnisse, Freiheit für Geld- und Kapitalbewegungen, Freigabe des Wertpapierverkehrs.
Probleme können bei Gemeinsamen Märkten aus nicht gleichen Standortbedingungen innerhalb des Integrationsraums resultieren. Unterschiedliche Steuer-, Sozialund Arbeitsmarktpolitiken lassen Unternehmen ihre Produktionen in die Länder verlagern, in denen die Kosten am günstigsten sind. Um dies zu verhindern, bedarf es der Schaffung eines gemeinsamen wirtschaftpolitischen Ordnungsrahmens, ins-
C: Internationale Wirtschaftsräume als Aktionsfelder internationaler Unternehmen
besondere der Harmonisierung der Steuer- und 2001, S. 195f.; Rubel 2004, S. 236).
Abgabenpolitik (vgl.
273
DlECKHEUER
Bedeutendstes Beispiel für einen weitgehenden funktionierenden GemeinsaMarkt ist der seit 1993 bestehende Europäische Binnenmarkt (vgl. Kap. 10.4.4.3). Doch auch in Lateinamerika und Westafrika gibt es auf die Errichtung Gemeinsamer Märkte gerichtete Integrationsbestrebungen. Beispiele sind ALADL (Asociaciön Latinoamericana de Integraciön), CARICOM4 (Carribean Community and Common Market) und ECOWAS (Economic Community of West African States)5. Diese Zusammenschlüsse sind aufgrund fortdauernden, wechselseitigen Protektionismus, unterschiedlicher, teils instabiler politischer Systeme und starker Verflechtungen mit Drittstaaten aber nur wenig erfolgreich. men
10.2.5 Wirtschafts- und Die
Währungsunion
einer Wirtschaftsunion gehen über den GemeinsaMarkt hinaus, indem es zur weitgehenden Vereinheitlichung der wirtschaftlichen Prozess- und Ordnungspolitik und so zur Vereinheitlichung der ökonomischen Rahmenbedingungen kommt. Durch eine gemeinsame Strukturpolitik sollen ferner die Lebensbedingungen innerhalb des Integrationsraums konvergieren. Die Harmonisierung wird wie das Beispiel EU zeigt zuvorderst durch Schaffung supranationaler Entscheidungsgremien erreicht (vgl. DlECKHEUER 2001, S. 196; Rübel 2004, S. 236).
Integrationsbestrebungen
men
-
-
Die Wirtschaftsunion kann neben der güterwirtschaftlichen auch eine monetäre d.h. einheitliche Geldmarktbedingungen vorsehen, welche ein inflationsfreies Wachstum ermöglichen und wechselkursbedingte Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Mitgliedern ausschließen sollen (Währungsunion). Dies setzt die Koordination der nationalen Geldpolitiken durch eine gemeinsame Zentralbank, die Einrichtung fixer Wechselkurse und wie im Falle des Euro geschehen die Einführung einer gemeinsamen Währung voraus. Eine Integration im monetären Bereich ist aber nur dann sinnvoll, wenn auch die den monetären Transaktionen zugrunde liegenden güterwirtschaftlichen Aktivitäten liberalisiert wurden und einheitlichen institutionellen und ordnungspolitischen Spielregeln unterworfen sind (vgl. DlECKHEUER 2001, S. 196; Heiduk 2005, S. 298). Abb. 10.1 fasstdie Merkmale der einzelnen Integrationsformen zusammen.
Integration,
-
-
Argentinien, Bolivien, Brasilien, Chile, Kolumbien, Ecuador, Mexiko, Paraguay, Peru, Uruguay, Venezuela (seit 1981). Antigua & Barbuda, Bahamas, Barbados, Belize, British Virgin Islands, Dominica, Grenada, Guyana, Jamaika, Montserrat, St. Vincent & Grenadines, St. Kitts & Nevis, St. Lucia, Surinam, Trinidad & Tobago (seit 1973). Benin, Burkina Faso, Elfenbeinküste, Gambia, Ghana, Guinea, Guinea-Bissau, Kap Verde, Liberia, Mali, Niger, Nigeria, Senegal, Sierra Leone, Togo (seit 1975).
10 Formen der regionalen
274
Abb. 10.1: Merkmale
regionaler Integrationsformen
Präferenz- Freihandelszone
zone
im
Blockbildung
Überblick Gemein-
Zollunion
samer
Markt
| Wirtschaftsund
Währungsunion
Beseitigung von
Handelshemmnissen auf Teilmärkten
Beseitigung von
Handelshemmnissen auf allen Märkten Gemeinsame
Außenhandels- bzw.
Zollpolitik Freie
Faktorbewegungen Harmonisierung der Wirtschaftspolitiken Gemeinsame Organe und Institutionen
Quelle: Dieckheuer 2001, S. 196, verändert und erweitert.
10.3
Beurteilung regionaler Integrationen
aus
ökonomischer
Sicht
Die Ansichten über eine diskriminierende Liberalisierung des Außenhandels auf regionaler Ebene bzw. die Bildung von Handelsblöcken gehen stark auseinander. Es besteht Uneinigkeit darüber, ob die Regionalisierung als Ausdruck einer spezifischen Liberalisierung „von unten" mit einer globalen Liberalisierung „von oben" im Einklang steht (vgl. Heiduk 2005, S. 297). Denn letztendlich wird, in Übereinstimmung mit den Erkenntnissen der Nationalökonomie und der Außenhandelstheorien, ein globaler Freihandel als First-Best-Lösung erachtet (vgl. Kap. 7.3).
10.3.1
Gegner und Befürworter regionaler Integrationen
Befürworter betrachten regionale Integrationen als Baustein („building block"), Gegner als Stolperstein („stumbling block") auf dem Weg zu einer multilateralen Handelsordnung. Eine differenzierte und ausgewogene Betrachtung zeigt, dass es keine eindeutige Lösung bzw. Antwort gibt. Gegen eine regionale Integration lassen sich vor allem zwei Argumente ins Feld führen (vgl. Papastamkos 2000, S. 458f.; borrmann/koopmann 1994, S. 365):
c: Internationale Wirtschaftsräume als Aktionsfelder internationaler Unternehmen
•
275
Bei der Bildung von Handelsblöcken besteht stets die Gefahr des Abgleitens in einen versteckten regionalen Protektionismus, da regionale Handelspräferenzen notgedrungen die Diskriminierung Dritter bedeuten. Befürchtet wird auch wenn dies bisher ausgeblieben ist ein Auseinanderdriften der Weltwirtschaft in protektionistisch abgeschottete Wirtschaftsblöcke. Die an der Regionalintegration beteiligten Staaten haben nur noch ein reduziertes Interesse am multilateralen Handelssystem, das vom Regionalismus untergraben wird. So stellen regionale Integrationsformen für das GATT-/ WTO-System ein ganz grundsätzliches Problem dar, da sie per definitionem ein diskriminierendes Moment enthalten, indem sie den Außenhandel zwischen den Mitgliedern erleichtern, den mit außenstehenden Dritten aber zumindest relativ erschweren -
-
•
-
.
-
Für die Bildung regionaler Integrationen sprechen dagegen folgende Argumente (vgl. De Melo/Panagariya 1992, S. 40; Borrmann/Koopmann 1994, S. 365): •
•
•
Regionale Integrationsräume können als sinnvolle Ergänzung bzw. Stimulus multilateraler Liberalisierungsbemühungen sowie pragmatische Zwischenstation auf dem Weg zum globalen Freihandel gesehen werden. Multilaterale Liberalisierungsverhandlungen sind dann erfolgversprechender, wenn sie zwischen wenigen Blöcken statt zwischen unzähligen Ländern geführt werden. Die im Rahmen regionaler Handelsgespräche erzielten Liberalisierungsergebnisse reichen bei weitem über die Zollsenkungsrituale multilateraler Handelsrunden hinaus und stoßen auch in andere Bereiche, z.B. die Harmonisierung von Währungs- und Finanzpolitik, vor. Die wirtschaftliche Integration führt wie das Beispiel Europa zeigt auch zur Beilegung politischer Konflikte. -
10.3.2
-
Wirkungen regionaler Integrationen
Die Wirkungen regionaler Integrationen lassen sich in statische und dynamische Effekte unterscheiden. Statische Effekte entfalten sich kurzfristig und spiegeln die Marktgleichgewichte vor und nach Abschluss des Integrationsabkommens wider. Dynamische Effekte stellen sich dagegen langfristig durch den Vorgang der Anpassung an das neue Gleichgewicht ein. Als statisch sind Handelsschaffung und Handelsumlenkung einzustufen zwei Effekte, die erstmals von Jacob Viner in seiner berühmten Abhandlung „The Customs Union Issue" (1950) untersucht wurden und als grundlegende Kriterien zur -
Das GATT macht die Zulässigkeit regionaler Integrationsräume daher davon abhängig, dass Zölle und andere Handelshemmnisse in ihrer Gesamtheit nach Bildung der Integration nicht restriktiver sein dürfen als vorher. Ferner wird verlangt, dass das Integrationsabkommen „annähernd" den gesamten Handel umfasst.
276
10 Formen der regionalen
Blockbildung
Beurteilung von Handelsblöcken gelten. Eine wohlfahrtssteigernde Handelsschaffung („trade creation") liegt vor, wenn der zwischenstaatliche Abbau von Handelshemmnissen neue Handlungsmöglichkeiten eröffnet und Verzerrungen abgebaut werden. Die bisherige relativ teure Inlandserzeugung wird zugunsten kostengünstiger Einfuhren aus Ländern des Integrationsraums eingestellt und eine Spezialisierung gemäß komparativer Kostenvorteile (vgl. Kap. 7.2.3.2) erreicht (vgl. Hauser/ Zimmermann 2001, S. 4; Barth 1999, S. 4). Eine verbesserte Ressourcenallokation ist die Folge, da die Produktionsfaktoren an dem Ort eingesetzt werden, der die effizientesten Verwendungsmöglichkeiten bietet. Die Konsumenten profitieren durch eine bessere Versorgung und sinkende Preise, die Unternehmen durch eine günstigere Wettbewerbssituation. Insgesamt kommt es zu positiven Einkommensund Beschäftigungswirkungen (vgl. Blank et al. 1998, S. 36f.; Schirm 1997, S.
20f.).
Im Gegensatz dazu wirkt sich die Handelsumlenkung („trade diversion") wohlfahrtsmindernd aus. Sie tritt ein, weil sich die Marktöffnung nicht auf alle, sondern nur auf ausgewählte Länder richtet. Importe aus Drittländern werden durch weniger wettbewerbsfähige Importe aus Mitgliedsländern der Integration verdrängt, wenn der Zollnachteil des Drittlandes seinen Kostenvorteil gegenüber dem günstigsten Integrationsmitglied überwiegt. Es kommt zu einer Fehlallokation von Ressourcen, weil Erzeugnisse aus Ländern mit höheren Produktionskosten importiert und konkurrenzfähige Anbieter vom Handel ausgeschlossen werden, während dem Staat Zolleinnahmen verlustig gehen (vgl. Hauser/Zimmerman 2001, S. 4; Berthold 1996, S. 64). Insgesamt ist eine Integration dann als positiv zu werten, wenn die Handelsschaffung die Handelsumlenkung überwiegt. Zu den dynamischen Effekten zählen u.a. Skaleneffekte („economies of scale"), die aus größeren Stückzahlen infolge vergrößerter Absatzräume bei gleichzeitig sinkenden Durchschnittskosten resultieren. Der zunehmende Wettbewerbsdruck zwingt zur Verbesserung der technischen und organisatorischen Effizienz und induziert Preis- und Innovationseffekte. Die Senkung von Transaktions- und Informationskosten stärkt die unternehmerische Wettbewerbsfähigkeit sowohl innerhalb des Integrationsraums als auch auf dem Weltmarkt. Ferner stellen sich Spillover-Effekte durch Technologietransfers innerhalb des Integrationsraums und eine allgemeine Verbesserung des Investitionsklimas ein. Insgesamt erhöhen sich volkswirtschaftliche Leistungs- und internationale Wettbewerbsfähigkeit (vgl. Barth 1999, S. 4). Voraussetzung ist, dass die Mitglieder der Integration ihre protektionistischen Schranken nach außen dergestalt anpassen, dass sich das Volumen des Handels mit Drittstaaten nicht zu stark verändert (vgl. Berthold 1996, S. 64).
Die Verwirklichung aller ökonomischen Gewinnmöglichkeiten erfolgt jedoch keinesfalls automatisch, stets müssen spezifische Kosten in die Nutzenkalkulation einer regionalen Integration einbezogen werden. Die durch intensiveren Wettbewerb und veränderte Produktionsbedingungen hervorgerufenen Integrations- und Freihandelskosten entsprechen im Allgemeinen den Kosten, die bei der Anpassung
C: Internationale Wirtschaftsräume als Aktionsfelder internationaler Unternehmen
277
der Wirtschaftsstruktur eines Landes an neue Rahmenbedingungen wie Liberalisierung, stärkeren Wettbewerb oder neue Technologien anfallen. Sie treten in Form von Arbeitsplatzverlusten, Gewinneinbußen und Konkursen nicht wettbewerbsfähiger Unternehmen auf (vgl. Schirm 1997, S. 16). Zusätzlich ist durch erhöhte Produktion und gestiegenes Verkehrsaufkommen mit ökologischen Kosten zu rechnen. Ferner können sich durch die Anpassung von Qualitätsstandards an ein niedrigeres Niveau der Integrationspartner negative Effekte ergeben (vgl. Koch 1997, S. 195). Für Entwicklungsländer, deren Staatseinnahmen sich zum Großteil aus Zöllen zusammensetzen, führen Integrationsabkommen zu Problemen, wenn keine alternativen Einnahmenquellen zur Verfügung stehen. Schließlich können sich auch negative Konsequenzen ergeben, wenn keine Möglichkeiten zum Schutz von jungen Branchen (,,Infant-Industry"-Branchen) vor den Mitgliedsländern der Regionalintegration mehr bestehen oder durch die Einbuße an wirtschaftspolitischer Souveränität schädliche Wirkungen für die nationale Volkswirtschaft zu befürchten sind (vgl. Blank et al. 1998, S. 39). Es
zeigt sich, dass eine eindeutige Beurteilung der ökonomischen Wirkungen regionaler Integrationen unmöglich ist. Das Ausmaß, in dem ein Land davon profitiert bzw. wie die Effekte zwischen und innerhalb der Mitgliedsländer verteilt werden, hängt letztlich vom politischen und wirtschaftlichen System der Länder und deren Verteilungsgerechtigkeit ab. 10.4 Bedeutende 10.4.1 NAFTA -
regionale Integrationsräume
Integration zwischen ungleichen Partnern
Durch die Freihandelszone NAFTA (North American Free Trade Agreement) ist ein den gesamten nordamerikanischen Subkontinent umfassender Wirtschaftsraum mit rund 425 Mio. Einwohnern und einem BIP im Jahr 2003 von 12 326 Mio. US$ (vgl. Tab. 10.1) entstanden. Seine Bildung ist Ausdruck der Tatsache, dass drei Länder (USA, Kanada und Mexiko), obwohl in Größe, Wirtschaftsstruktur, außenhandelspolitischer Stellung, ethnischem Hintergrund und politischer Biographie völlig heterogen, zur selben Zeit dasselbe Ziel, nämlich eine gegenseitige wirtschaftliche Kooperation, ansteuerten (vgl. Senti 1996, S. 9). Die NAFTA intensiviert die globale Tendenz zur Regionalisierung ökonomischer und politischer Bindungen. Sie verstärkt die Triadisierung der Weltwirtschaft, indem sie neben dem europäischen Integrationsraum und dem informellen Yen-Block in Asien einen dritten subglobalen Wirtschaftsraum konstituierte.
10 Formen der regionalen
278
Blockbildung
10.4.1.1 Wirtschaftliche Strukturen Charakteristisch für die NAFTA sind die unterschiedlichen Entwicklungsniveaus und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeiten ihrer Mitgliedsländer (vgl. Tab. 10.1). Mit der NAFTA schlössen zwei hoch entwickelte Industrieländer ein Freihandelsabkommen mit einem Entwicklungs- bzw. Schwellenland ab. Tab. 10.1:
Ökonomische Kennzahlen der NAFTA-Länder (2003) BIP (zu laufenden Preisen in Mio. US-$)
Kanada Mexiko USA
853 832 615 051
10 857 200
BIP pro in US-$
ArbeitsKopf Bevölkerung Inflation in Mio. (Veränderung losenquote in % gegen(in %) über 2002)
27 097 5 945 36 924
32 102
2,8 4,5
7,6 3,3
291_2^3_
Quelle: Oecd 2004; Un 2004.
Den beiden G8-Ländern USA und Kanada, zwischen denen zuvor schon ein Freihandelsabkommen bestand, steht mit Mexiko ein Land gegenüber, das zwar schon seit längerem als „Newly Industrialized Country" (vgl. Kap. 5.1.3) gilt, sich gegenüber seinen beiden nördlichen Nachbarn aber immer noch durch erhebliche ökonomische Rückständigkeit auszeichnet. Das mexikanische Pro-Kopf-Einkommen betrug 2003 nur 16% dessen der USA bzw. 22% Kanadas. Auf die USA entfallen rund 88% des BIP des gesamten NAFTA-Raums, auf Kanada dagegen nur 7%, auf Mexiko sogar nur 5%. Das BIP der USA beträgt damit das 18fache des mexikanischen und das 13fache des kanadischen BIP. Die Einkommensunterschiede spiegeln die Disparitäten in der Verfügbarkeit von Sach- und Humankapital, technologischer Entwicklung und Infrastruktur wider. Für die NAFTA bezeichnend ist ferner die unterschiedliche Bedeutung des Abkommens für die Mitgliedsländer. Für Mexiko und Kanada sind die wirtschaftlichen Beziehungen zu den USA von fundamentaler Bedeutung. Für die USA sind Mexiko und Kanada in ökonomischer Hinsicht dagegen zwar wichtige, nicht aber die entscheidenden wirtschaftlichen Partner. Neben den wirtschaftlichen gilt es auch die Divergenzen im politischen Bereich zu betonen. Während sich Kanada und die USA durch stabile demokratische Systeme auszeichnen, herrscht in Mexiko ein halb-autoritäres, paternalistisch-korporativ organisiertes politisches System mit nur eingeschränkter Partizipation der Gesellschaft am politischen Prozess (vgl. Schirm 1997, S. 68 und 73).
c: Internationale Wirtschaftsräume als Aktionsfelder internationaler Unternehmen
10.4.1.2
279
Integrationsmotive
An die
Gründung der NAFTA richteten Mexiko, die USA und Kanada sehr unterschiedliche Erwartungen (vgl. Senti 1996, S. 149f.; Revilla Diez 1997, S. 688f.; Fuchs 2004, S. 208f.; Schirm 1996, S. 54f.): Die Motive der USA waren sowohl ökonomischer wie politischer Natur: Kanada und Mexiko sind für die USA wichtige Exportmärkte, von deren weiteren Öffnung die USA profitieren wollten. Auch versprachen sich die USA durch den Ausbau ihrer Direktinvestitionstätigkeit eine noch bessere Nutzung der günstigen Produktionsbedingungen, vor allem der niedrigen Löhne in Mexiko (ca. 12% des durchschnittlichen US-Niveaus). In außenpolitischer Hinsicht wollten die USA auf eine politische Stabilisierung Mexikos, die Stärkung des proamerikanischen Kurses der mexikanischen Führung und deren marktwirtschaftliche Reformen hinwirken. Auch für spezifische Probleme, vor allem Umweltschutz und den Zustrom illegaler Flüchtlinge aus Mexiko, erhofften sich die USA eine Lösung. Aus Sicht der USA sollte die NAFTA ferner eine handels- und weltpolitische Antwort auf die fortschreitende Integration in anderen Regionen, insbesondere die Europäische Gemeinschaft und deren Binnenmarktprogramm, aber auch das asiatische Yen-Gebiet darstellen. Beschleunigt wurden die Regionalisierungsbestrebungen dabei durch die Anfang der 1990er Jahre ins Stocken geratene Uruguay-Runde des GATT (vgl.
Kap. 4.3). Im Gegensatz zu den USA standen für Mexiko überwiegend ökonomische Fakten und Erwartungen im Vordergrund. Die NAFTA stellt Mexikos privilegierten Zugang zu den USA als wichtigsten Exportmarkt sicher. Bedingt durch die neue weltwirtschaftliche und weltpolitische Lage befürchtete Mexiko außerdem das Ausbleiben von Direktinvestitionen zur Modernisierung seiner Wirtschaft aus Asien und Europa, für das die wirtschaftliche Kooperation mit den mittel- und osteuropäischen Staaten nach dem Zusammenbruch des Ostblocks von nun an im Vordergrund stand. Von der NAFTA versprach sich Mexiko daher auch eine Erhöhung seiner At-
traktivität als Standort für Direktinvestitionen aus solchen Ländern, die sowohl günstige Produktionsbedingungen, insbesondere niedrige Arbeitskosten, als auch marktwirtschaftliche Bedingungen mit dem ungestörten Zugang zum US-Markt verbinden wollen. Mexiko betrieb ferner bis Mitte der 1980er Jahre eine Strategie der importsubstituierenden Industrialisierung (vgl. Kap. 5.4.1.1) und ein etatistisch-protektionistisches Entwicklungsmodell. Nach der schwerwiegenden Verschuldungskrise von 1982 begann das Land, sich wirtschaftlich neu zu orientieren. Der Beitritt zum GATT 1986 markiert die angestrebte Weltmarktintegration und den Beginn einer neoliberalen Wirtschaftspolitik. Dieser Wirtschaftskurs erhielt durch die NAFTA eine institutionelle Verankerung, da sich das Land vertraglich zur Einhaltung marktwirtschaftlicher Prinzipien verpflichtete, und schuf für Investoren zusätzliche Investitionsanreize.
10 Formen der regionalen
280
Blockbildung
Das Interesse Kanadas an einer Mitgliedschaft in der NAFTA hielt sich in Grenzen. Zum einen sind die Wirtschaftsbeziehungen zu Mexiko für Kanada eher von nachrangiger Bedeutung. Zum anderen bestand seit 1989 mit der CUSFTA (Canada-United-States-Free-Trade-Agreement) bereits ein Handelsabkommen mit den USA als mit Abstand wichtigsten Handelspartner, so dass der Handel zwischen Kanada und den USA bereits zum größten Teil zollfrei war. Das Interesse an einer Wahrung der mit den USA schon vereinbarten Handelspräferenzen und die Furcht vor einer Handelsumlenkung zugunsten Mexikos ließ Kanada letztlich aber keine andere Wahl, als der NAFTA schließlich doch beizutreten.
10.4.1.3 Ziele und
Vertragsinhalte
Der
NAFTA-Vertrag wurde am 17.12.1992 unterzeichnet und trat nach der Ratifizierung durch die Parlamente der drei Länder am 1.1.1994 in Kraft. Der Hauptvertrag enthält u.a. folgende wichtige Bestimmungen: Im Außenhandel werden für die meisten Produktkategorien die Zollschranken entweder sofort oder innerhalb von fünf bzw. zehn Jahren abgebaut. Für die Automobilindustrie, den Textil- und Bekleidungssektor sowie vor allem die Landwirtschaft wurden von vorne herein Ausnahmeregelungen implementiert. Im Bereich der nichttarifären Handelshemmnisse wird insbesondere eine Harmonisierung von technischen Normen und Standards angestrebt. Um sich für den zollfreien Handel innerhalb der NAFTA zu qualifizieren, müssen Ursprungsnachweise erbracht werden7. Was Direktinvestitionen angeht, werden die Schutzinteressen von Investoren aus den Partnerländern, vor allem im Hinblick auf Enteignungen und die Verletzung geistigen Eigentums, garantiert und wesentliche Investitionsbarrieren, insbesondere in Mexiko, abgebaut. Im Tourismus und der Erdölindustrie, Symbol der Autonomie Mexikos, gelten Sonderbestimmungen. Im Dienstleistungsbereich wird Unternehmen eine grundsätzliche Niederlassungsfreiheit eingeräumt. Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge erfahren Unternehmen aus den Partnerländern dieselbe Behandlung wie inländische Bewerber (vgl. Vetter 1998, S. 149f.; Schirm 1996, S. 55f.; 2004, S. 190; Revilla Diez 1997, S. 689f.).
Unter dem Druck von Gewerkschaften und Teilen des Kongresses, die aufgrund des erheblichen Gefälles des Lohn- und Arbeitsschutzniveaus zwischen Mexiko und den USA den Verlust von Arbeitsplätzen befürchteten, und Umweltschutzgruppen, welche die sehr niedrigen Umweltschutzstandards in Mexiko bemängelten, sah sich die US-Administration zu Nachbesserungen am Vertragswerk der NAFTA veranlasst. Diese kamen in zwei Neben- bzw. Parallelabkommen zu Umweltschutz- und Arbeitsmarktaspekten zum Ausdruck. Mexiko wurde darin zur strikten Einhaltung Bei industriellen Erzeugnissen dürfen höchstens 7% des Wertes aus einem Drittland kommen. Im besonders sensiblen Automobilsektor wurde ein Local Content, d.h. ein regionaler Wertschöpfungsanteil von 62,5% festgesetzt.
C: Internationale Wirtschaftsräume als Aktionsfelder internationaler Unternehmen
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und Kontrolle seiner nationalen Standards und mittel- bis langfristig zu deren Anhebung verpflichtet (vgl. Fuchs 2004, S. 210; Vetter 1998, S. 150). Institutionell verfügt die NAFTA über eine Kommission, die für die Einhaltung und Weiterentwicklung des Vertrages verantwortlich zeichnet. Für spezielle Fragen (z.B. Textil- und Landwirtschaft, Transportwesen, Telekommunikation, Finanzdienstleistungen etc.) existieren Ausschüsse und Arbeitsgruppen. Für die Abwicklung der laufenden Aufgaben steht der Kommission ein Sekretariat zur Verfügung, das in allen drei Hauptstädten Sitze unterhält. Zur Schlichtung auftretender Streitigkeiten werden ähnlich wie bei der WTO (vgl. Kap. 4.3.4) Panels eingesetzt. Die NAFTA selbst ist ein plastisches Beispiel dafür, dass auch innerhalb einer Freihandelszone Handelskonflikte auftreten können (vgl. Exkurs 10.1). -
-
Ein selbständig handelndes Gemeinschaftsorgan wie die EU-Kommission existiert in der NAFTA nicht. Die Schaffung gemeinsamer Behörden, ausgestattet mit eigenem Initiativrecht, ist da nur Freihandelszone auch nicht vorgesehen. Anders als in der EU, die sich durch die vier Grundfreiheiten eines Gemeinsamen Marktes (vgl. Kap. 10.2.4) auszeichnet, bezieht sich die Freizügigkeit in der NAFTA nur auf Güter, Kapital und Dienstleistungen. Die Freizügigkeit des Faktors Arbeit zwischen Mexiko einerseits und den USA und Kanada andererseits ist zur Eindämmung von Migrationsströmen vertraglich ausgeschlossen. Ferner gibt es in der NAFTA einen gemeinsamen Außenzoll und eine Währungsunion ebenso wenig wie finanzielle Transfers an anpassungsbedürftige Mitglieder, wie es in der EU mit den Struktur- und Kohäsionsfonds der Fall ist (vgl. Schirm 1996, S. 57f.; 2004, S. 191; Dieckheuer 2001, S. 203). -
-
Exkurs 10.1: Handelskonflikte innerhalb der NAFTA Kanadisches Bauholz und mexikanische Lastwagen -
In Kanada stellt die Holzindustrie einen wichtigen Pfeiler der Exportwirtschaft dar. Über 80% der Holzexporte gehen dabei in die USA. Ein Großteil des Holzes, das vor allem als Bauholz Verwendung findet („soft lumber"), wird auf Flächen gewonnen, die überwiegend im Eigentum der staatlichen Provinzverwaltungen (u.a. British Columbia, Quebec, Ontario, Alberta) stehen. Diese verlangen von den Holzunternehmen eine Abholzgebühr. Seit 1982 werfen US-Holzproduzenten den Provinzverwaltungen vor, diese Gebühren, die nur ein Viertel der marktüblichen amerikanischen Preise betragen, künstlich niedrig zu halten. Sie leiten daraus einen unfairen Wettbewerbsvorteil auf dem amerikanischen Holzmarkt ab und fordern die Verhängung von Ausgleichs- und Antidumping-Zöllen. Dem hält Kanada entgegen, dass es sich um natürliche komparative Wettbewerbsvorteile handle, die aus der Effizienz des dortigen Holzabbaus resultieren. Zudem müssten die Holzunternehmen sowohl für den Straßenbau in den oft nur schwer erreichbaren Gebieten als auch für Wiederaufforstungsmaßnahmen aufkommen. Als Mitte der 1980er Jahre der Marktanteil kanadischen Bauholzes auf über 30% anstieg, gab die US-Regierung dem Druck der Holzlobby nach und begann 1986 Verhandlungen mit Kanada. Um die drohenden Zölle zu vermeiden, verhängte Kanada daraufhin eine 15%ige Exportsteuer. Die Einnahmen aus dieser Steuer flössen über die Provinzregierungen allerdings wieder den Holzunternehmen zu, was die USA als unerlaubte Exportsubvention ansahen.
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Blockbildung
1996 wurde schließlich das auf fünf Jahre begrenzte „Softwood Lumber Agreement" abgeschlossen. Für kanadische Holzimporte wurde ein zollfreies Kontingent vereinbart, dessen Überschreitung zu hohen Grenzabgaben führte. Obwohl in der Zwischenzeit mehrere unabhängige Gremien bestätigten, dass Kanada seine Holzexporte nicht subventioniere, forderten etliche amerikanische Holzproduzenten nach Auslaufen des Abkommens im März 2001 erneut hohe Zölle. Unter dem erneuten Druck der Holzlobby verhängte die Bush-Administration im August 2001 zunächst Ausgleichszölle von 19,3%, zu denen im Herbst 2001 auch noch Antidumpingzölle in Höhe von 12,6% hinzukamen. Die kombinierte Belastung belief sich damit auf rund 30%.
Nachdem Kanada in der Zwischenzeit sowohl ein WTO- als auch ein NAFTA-Panel zur Lösung des Konflikts angerufen hatte, kam es im Dezember 2003 zu einer vorläufigen (!) Einigung: Kanada, dessen Marktanteil ca. 34% beträgt, darf maximal 31,5% des US-Marktes ausfüllen. Die darüber hinaus gehenden Mengen werden mit Zöllen von durchschnittlich 27% belastet, deren Einnahmen geteilt werden (Kanada 52%, USA 48%). Ein neuer Konfliktherd eröffnet sich mit der Frage, was mit den eingenommenen Zöllen passiert. So zahlen die USA diese an die vorgeblich importgeschädigten Holzunternehmen als doppeltes „Trostpflaster" aus, was wiederum Kanada als unerlaubte Subvention einstuft. Zum 1.5.2005 hat Kanada daher Strafzölle auf ausgewählte US-Produkte in Höhe von 15% verhängt. Ein weiterer Konflikt betrifft den LKW-Streit zwischen Mexiko und den USA. Für den Handel zwischen beiden Ländern ist der LKW-Transport von herausragender Bedeutung. Rund 70% des Handels werden auf dem Landweg abgewickelt. Die ca. 3 300 km lange Grenze zwischen Mexiko und den USA wird von Frachtlastern ca. 9 Mio. Mal jährlich überquert. Vor Inkrafttreten der NAFTA war mexikanischen Transportunternehmen nur der Zugang zu grenznahen Handelszonen gestattet, die in der Regel ca. nur 25 Meilen in die USA reichten. Laut NAFTA-Vertrag sollten bis zum 1.1.2000 alle Zugangsbeschränkungen fallen und der Gütertransport vollständig liberalisiert sein. Doch auf Druck der mächtigen US-Fernfahrergewerkschaft Teamsters erlaubte die US-Administration mexikanischen LKWs nur die Einfahrt in eine sogar nur 20 Meilen tiefe Zone. Danach musste die Fracht auf amerikanische LKWs umgeladen werden. Teamsters machte dafür sowohl wirtschaftliche (der Lohn für mexikanische LKW-Fahrer beträgt nur ein Bruchteil des US-Niveaus) als auch sicherheitstechnische Argumente (mangelnde Sicherheitsstandards, NichtVerfügbarkeit personenbezogener Daten bei Straf- und Verkehrsdelikten) geltend.
Da die mexikanische Transportindustrie sich um ein sehr lukratives Geschäft gebracht sah, rief Mexiko im September 1998 ein NAFTA-Panel an, das im Februar 2001 das US-Transportregime für rechtswidrig erklärte. Seit 2002 dürfen mexikanische Lastwagen nun die US-Grenze überfahren, müssen aber dennoch strenge Sicherheitsinspektionen sowie Drogen- und Alkoholkontrollen übersieh ergehen lassen (vgl. Dunker 2002, S. 166ff.; Nzz2001a, 2001b, 2001c, 2002, 2003, 2005; Handelsblatt 2001).
10.4.1.4 Probleme und Potenziale Möchte
man
eine
Beurteilung der ökonomischen Auswirkungen der NAFTA
vor-
bereits vor ihrem Inkrafttreten eine enge wirtschaftliche Kooperation zwischen den Ländern gab und somit kein völlig neues handelspolitisches Kapitel aufgeschlagen wurde. Zwischen den USA und Kanada bestand mit der CUFSTA ohnehin bereits ein Freihandelsabkommen, während die
nehmen, ist festzustellen, dass
es
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USA und Mexiko schon lange vor der NAFTA eine „silent integration" praktizierten, die sich nicht nur auf den Handel, sondern auch auf Direktinvestitionen und Produktion sowie die Schaffung von „mexamerica" durch Migration und kulturellen Austausch bezog. Die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Mexiko und Kanada waren dagegen vor und sind auch nach Gründung der NAFTA vergleichsweise unbedeutend. Dennoch hat die NAFTA durch Bindung der Rechte und Pflichten der Länder mehr Transparenz und Stabilität geschaffen und den Grundstein für eine weitere Intensivierung der Beziehungen gelegt (vgl. Schirm 1996, S. 51). Gemessen am Grad der wirtschaftlichen Interdependenz zwischen den drei beteiligten Ländern weist die NAFTA eine eindeutige Erfolgsbilanz auf (vgl. Gratius 2002, S. 155): •
•
Die Länder der NAFTA wickeln mittlerweile deutlich über 50% ihres Außenhandels untereinander ab (Intrablockhandel); der Grad der Regionalisierung des Außenhandels liegt nur wenige Prozentpunkte unter dem der EU.
Täglich
werden zwischen den
1,7 Mrd. US-$ gehandelt.
•
•
NAFTA-Mitgliedern
Waren im Wert
von ca.
In den ersten sieben Jahren der NAFTA hat sich der Intrablockhandel um 109% auf 622 Mrd. US-$ erhöht und verzeichnet damit ein ungleich größeres Wachstum als der Warenhandel der Mitgliedsländer mit der gesamten restlichen Welt. Das Außenhandelsvolumen der drei Länder verdreifachte sich zwischen 1990 und 2000.
Auf zwischenstaatlicher Ebene ist die NAFTA allerdings weniger ein Freihandelsabkommen zwischen den drei Ländern, als vielmehr Ausdruck der engen wirtschaftlichen Handelsbeziehungen Kanadas und Mexikos mit den USA (vgl. Karte 10.2). Mexiko und Kanada sind ökonomisch äußerst stark auf die USA fixiert. Beide Länder tätigen fast 90% ihrer Exporte in den USA. Ihre Konjunkturzyklen sind damit stark an die wirtschaftliche Entwicklung des großen Nachbarn gebunden und extrem exportabhängig (vgl. Gratius 2002, S. 155). Doch auch für die USA haben Mexiko und Kanada mittlerweile eine strategische Bedeutung im Außenhandel er2003 gingen rund 14% der US-Exporte nach Mexiko, 23% nach Kanada. 18% der US-Importe stammten aus Kanada, 11% aus Mexiko. Dagegen ist der Außenhandel zwischen Mexiko und Kanada aufgrund der geographisch-historischen Distanz eher unbedeutend.
langt8.
Es gilt anzumerken, dass sich eine definitive Korrelation zwischen einem Freihandelsvertrag und einer Steigerung des Außenhandels nicht nachweisen, sondern nur vermuten lässt. Andere Faktoren, wie z.B. das allgemeine Wirtschaftswachstum in den beteiligten Ländern, deren Wirtschaftspolitik oder Währungsschwankungen, können den Außenhandel ebenso beeinflussen wie der Abbau von Handelshemmnissen (vgl. Schirm 1996, S. 60f.; Revilla Diez 1997, S. 690).
284
10 Formen der regionalen
Karte 10.2:
Blockbildung
Intraregionale Handelsströme der NAFTA in Mrd. US-S (2003)
Abschließend sollen die Folgen der NAFTA für die drei Länder im Einzelnen skizziert werden: Für die USA bringt die NAFTA eine rege Stimulierung des Außenhandels mit seinem nördlichen und seinem südlichen Nachbarn mit sich. Die USA profitierten von der verstärkten Spezialisierung in den Sektoren, in denen sie komparative Wettbewerbsvorteile besitzen, vor allem in der ausbildungs- und technologieintensiven Produktion. Insbesondere für hoch qualifizierte Arbeitskräfte („white collar workers") werden neue Arbeitsplätze geschaffen. Hinzutreten langfristig-dynamische Effekte durch die Expansion des Wirtschaftsraums und die Zunahme des Wettbewerbs, was auf eine Senkung der Produktionskosten und eine Steigerung der globalen Wettbewerbsfähigkeit hinausläuft (vgl. Schirm 1997, S. 74). In den Bereichen, in denen die USA über keine Wettbewerbsvorteile verfügen und der Konkurrenzdruck durch mexikanische Anbieter spürbar ist, kommt es zu Arbeitsplatzverlusten9. Besonders betroffen sind die Textil- und BeUm die daraus anfallenden sozialen Kosten aufzufangen, rief die US-Regierung das sog. „NAFTA Trade Adjustment Assistance"'-Programm ins Leben, das Ausgleichszahlungen an und Umschulungen von Menschen vorsieht, welche durch die NAFTA ihren Arbeitsplatz verloren haben (vgl. FUCHS 2004, S. 213).
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kleidungs-, die Elektro- und die Metallindustrie. Bemerkbar machen sich die Arbeitsplatzverluste vor allem im Mittleren Westen der USA. Zu den Gewinnern zählen dagegen große Handelsunternehmen, das subventionierte Agribusiness so-
wie die Automobilkonzerne und deren Zulieferer. Sie profitieren von dem durch die Jobverluste hervorgerufenen Druck auf die Reallöhne und der fehlenden Umwandlung von Produktivitätserhöhungen in Lohnsteigerungen (vgl. fuchs 2004, S. 213). Neben rein ökonomischen Motiven wollten die USA auch einer Lösung des mexikanischen Immigrationsproblems näher kommen. Heute leben bereits mehr als 20 Mio. Mexikaner in den USA. Den illegalen Grenzübertritt von ca. 1 Mio. Mexikanern jährlich haben jedoch weder schärfere Grenzkontrollen noch die NAFTA verhindern können. Im Gegenteil, der Migrationsstrom aus Mexiko nimmt nach wie vor zu, was sich auf Migrationsnetzwerke, die Krise des Peso und die hohe Attraktivität von Arbeits- und Einkommensmöglichkeiten in den USA zurückführen lässt10 (vgl. Fuchs 2004, S. 213; Schirm 1997, S. 75).
Von Bedeutung für die USA war auch die Stabilisierung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Mexiko. Inwieweit dieses Ziel erreicht wurde, lässt sich nicht genau sagen. Positiv aus Sicht der USA zu werten sind der Konsens über die politökonomische Annäherung an die USA sowie die aus der NAFTA resultierende Verpflichtung zur Fortsetzung der marktwirtschaftlich ausgerichteten Wirtschaftspolitik Mexikos. Dem stehen jedoch politische Instabilitäten entgegen, die sich auch auf die Wirtschaftspolitik auswirken. Hierzu gehören der ethnisch bedingte und auf Landbesitzkonflikten beruhende indianische Chiapas-Aufstand von 1994, mehrere politische Morde sowie die Währungskrise 1994/95 (vgl. Schirm
1997, S. 76).
Für Mexiko sind die Auswirkungen der NAFTA sehr differenziert zu bewerten. Trotz der Peso-Krise 1994/95 und einer wirtschaftlichen Rezession 2001/02 verzeichnet Mexiko seit Gründung der NAFTA ein deutliches Wirtschaftswachstum. 2002 lag das BIP um 33% über dem von 1993, durchschnittlich stieg das Pro-KopfEinkommen in diesem Zeitraum um ein Prozent jährlich. Motor dieses Wachstums ist vor allem die mexikanische Exportwirtschaft, deren Volumen sich seit Schaffung der NAFTA verdoppelt hat. Allerdings ist dies nicht allein auf die NAFTA zurückzuführen, sondern auch Währungseinflüssen, insbesondere der massiven Abwertung des Peso gegenüber dem US-$, geschuldet (vgl. Revilla Diez 1997, S. 693). Hinter dem Exportboom steht vor allem das starke Wachstum der Maquiladora-Industrie (vgl. Exkurs 10.2).
Das Grenzproblem reflektiert dabei zwei gegensätzliche Interessen der USA: Zum einen Freihandel und billige Arbeitskräfte aus Mexiko, zum anderen die Undurchlässigkeit der Grenzen im Zuge der Bekämpfung von Terrorismus und Drogenhandel. Durch die Globalisierung sind nationale Sicherheit und Kontrollen der Grenzen ebenso untrennbar miteinander verbunden wie freier Handel und offene Grenzen (vgl. Gratius 2002, S. 158).
10 Formen der
286
Exkurs 10.2:
regionalen Blockbildung
lohnveredelnde Weltmarktfabriken
Maquiladoras -
Die Maquiladora-Industrie gilt als mexikanische Variante der in vielen Schwellenländern errichteten freien Produktionszonen. Sie sollen exportorientierte Direktinvestitionen anziehen, um durch Exporterlöse eine Verbesserung der Devisenbilanz zu erreichen, und vor allem neue Arbeitsplätze schaffen. Die dort angesiedelten Unternehmen dürfen Vorprodukte, Maschinen und Komponenten zollfrei einführen und weiter verarbeiten, um das Produkt im Rahmen einer passiven Lohnveredelung (vgl. Kap. 22.2.2.2) dann wieder zu exportieren. Nur der vor Ort erbrachte Wertschöpfungsanteil muss versteuert und beim Reexport verzollt werden. Bei den Unternehmen handelt es sich ursprünglich um ausgelagerte Produktionsbereiche, in denen gering qualifizierte und austauschbare Arbeitskräfte eingesetzt werden. Das ursprüngliche Konzept der Maquiladoras entspricht damit der These der Neuen Internationalen Arbeitsteilung (vgl. Kap. 2.5 und 5.4.1.3). In der jüngeren Zeit bilden sich aber neue industrielle Produktionsstrukturen heraus. Diese zeichnen sich durch den Einsatz moderner Industrieroboter und computergestützter Maschinen mit der Notwendigkeit einer qualifizierten Bedienung aus. Das Maquiladora-Programm wurde von der mexikanischen Regierung Anfang der 1960er Jahre zur Entlastung des Ballungsraumes von Mexiko City sowie zur Schaffung von Arbeitsplätzen für mexikanische Arbeiter ins Leben gerufen, die bis 1964 legal auf US-Plantagen arbeiten durften, danach aber wieder Beschäftigung suchten. Vor allem die USA und Kanada nutzen die Maquiladoras aufgrund ihres niedrigen Lohnniveaus, des geringen gewerkschaftlichen Organisationsgrades sowie der niedrigen Umweltschutzstandards als Standort für arbeitsintensive und umweltbelastende Produktionsschritte. Für Drittländer außerhalb der NAFTA entfällt zwar der Vorteil des zollfreien Außenhandels mit dem fortschreitenden Abbau von Handelshemmnissen, doch ist es für Unternehmen aus diesen Ländern, insbesondere aus der Textil-, der Elektrobranche sowie der Computer- und Telekommunikationsindustrie aufgrund der geographischen Nähe zu den USA und der nach wie vor geringen Lohnkosten attraktiv, in Maquiladoras zu investieren. Zu den wichtigsten deutschen Investoren zählen Siemens und Bosch. Die
Maquiladoras haben sich zum wichtigsten Wachstumsträger der mexikanischen Industrie
entwickelt, von dem bedeutende quantitative Beschäftigungseffekte ausgehen. Im Jahr 2000 erreichte die Beschäftigung mit ca. 1,3 Mio. Arbeitsplätzen den vorläufigen Höhepunkt und stell-
Industriearbeitsplatz in Mexiko. Ähnlich hoch ist die Bedeutung für den Außenhandel. Die Maquiladoras wickeln fast 50% der Exporte und ca. 35% der Importe Mexikos ab. te somit fast jeden dritten
Die Maquiladora-Betriebe konzentrieren sich vor allem im Norden des Landes entlang der Grenze zu den USA. Über 80% der Maquiladora-Beschäftigten entfallen auf die Grenzstaaten Chihuahua, Baja California und Tamaulipas. Die Löhne in den nördlichen Regionen liegen erheblich über dem nationalen Durchschnitt und haben zur Bildung eines Gürtels relativ hoher Arbeitseinkommen in den an die USA grenzenden Regionen geführt. Dieser hat die ohnehin sehr hartnäckigen Wohlfahrtsdisparitäten in Mexiko weiter verschärft und stellt das wichtigste Ziel der Binnenmigration aus den ärmeren südlichen Regionen dar, bildet aber auch eine Zwischenstation für die Wanderung in die USA. Die mexikanischen Eliten, Medien, aber auch ausländische Manager preisen das MaquiladoraProgramm als eindeutige Erfolgsgeschichte und eine Art industrielle Revolution. MaquiladoraManager werden häufig mit der Chiffre sich missionarisch betätigender Entwicklungshelfer beschrieben. Kritiker betrachten die Maquiladoras dagegen als Ausbeutungsbetriebe, „terror machines" oder
„footlose"-Weltmarktfabriken, die auf der Suche nach günstigen Produktions- und Arbeitsbedingungen von Land zu Land und Region zu Region ziehen. Als Beleg hierfür wird die anhal-
C: Internationale Wirtschaftsräume als Aktionsfelder internationaler Unternehmen
tende Verlagerung von Arbeitsplätzen in Industriezonen im südlichen China angeführt, Kosten für vergleichbare Arbeit nur ca. ein Drittel ausmachen.
287
wo
die
Aufgrund ihres Enklavencharakters und ihres mangelnden Bezugs zu den lokalen Strukturen und zum sozialen Gefüge ihres Umfeldes werden die Maquiladoras gerne auch als „Kathedralen der Wüste" bezeichnet, die zur Verfestigung von Entwicklungsdisparitäten und zur Destabilisierung traditioneller Milieus führen (vgl. Fuchs 2003, S. 21; Berndt 2003, S. 40; 2004, S. 86f.). Eine sektoraie Aufschlüsselung der Exportströme in die USA macht deutlich, dass Mexiko nicht mehr Rohstoffe gegen industrielle Erzeugnisse tauscht, sondern zu über 80% verarbeitete Produkte dorthin ausführt. Es zeichnet sich die Verschiebung zu einer intra-industriellen Arbeitsteilung ab, indem einzelne Produktionsstufen in Mexiko vollzogen werden. Dieser Trend zeigt, dass Mexiko nicht mehr in der klassischen Rolle eines Entwicklungslandes als Exporteur von Primärgütern steckt. Unterstrichen wird dies auch durch die Aufnahme Mexikos 1994 in die eigentlich nur Industrieländern vorbehaltene Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) (vgl. Schirm 1996, S. 77). Zu beachten
ist, dass den steigenden Exporten aber noch stärker zunehmende
Importe entgegenstehen. Seit 1998 besteht ein Außenhandelsdefizit von rund 6-10 Mrd. US-$ jährlich. Die Ursache dafür liegt in strukturellen volkswirtschaftlichen Defiziten, die den steigenden Import von Investitionsgütern und Vorprodukten notwendig machen. Die Folge ist, dass durch Nettokapitalabflüsse dem Land mittelfristig ein Teil des Produktionsfaktors Kapital entzogen wird. Durch den mit der NAFTA verbundenen zollfreien Zugang zum US-Markt hat Mexiko auch seine Attraktivität als Standort für ausländische Direktinvestitionen erheblich steigern können. Mit der Gründung der NAFTA hat sich der Bestand an ausländischen Direktinvestitionen deutlich erhöht. Der Zustrom hat sich auf einem sehr hohen Niveau eingependelt (zur Zeit mehr als 10 Mrd. US-$ jährlich) und übertrifft das Außenhandelsdefizit damit deutlich. 65% der zwischen 1994 und 2003 nach Mexiko geflossenen Direktinvestitionen den USA. Allerdings erfolgt die Verteilung der Direktinvestitionen regional sehr ungleich. Zwischen 1994 und 2001 konzentrierten sich über 70% der Direktinvestitionen der beiden NAFTA-Partner auf die mexikanische Hauptstadt und die nördlichen Grenzstaaten; in den Süden flössen dagegen nur 0,5% (vgl. gratius 2002, S. 155ff). stammten aus
Die NAFTA hat die regionalen Disparitäten zwischen dem Norden und Süden des Landes verschärft. Vor allem der Norden profitiert von den Investitionen in die Maquiladora-Betriebe (vgl. Exkurs 10.2) und der Erweiterung der Produktion für den US-Markt. Allerdings ist diese Region eher als wirtschaftliches Archipel zu betrachten, da sie als internationaler Wertschöpfungsknoten vor allem mit den USA verbunden ist, innerhalb Mexikos aber eine Insel des relativen Wohlstands darstellt,
10 Formen der regionalen
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Blockbildung
der kaum
positive Effekte („trickle-down-effects", wie z.B. Technologie- und Beschäftigungstransfers) für die regionale Wirtschaft ausgehen. Gleichwohl ist die Region wegen der sektoralen Spezialisierung in hohem Maße von den konjunkturellen Entwicklungen in den USA abhängig. Dem modernen und industrialisierten Norden steht ein vergleichsweise wirtschaftlich unterentwickelter und stark agrarisch geprägter Süden, in dem sich quasi-feudale Macht- und Eigentumsstrukturen länger als anderswo halten, gegenüber (vgl. Schirm 1996, S. 63). Die Arbeitsplatzeffekte lassen sich grundsätzlich nicht von der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung isoliert betrachten. Zwar kann man feststellen, dass zwischen 1993 und 2004 die Anzahl der formell Beschäftigten von 32,8 auf 42,3 Mio. angestiegen ist. Gleichzeitig erhöhen sich wenn auch nur langsam in Mexiko die Arbeits- und Lohnkosten, so dass in einzelnen Branchen, vor allem in der Spielzeugsowie Textilindustrie, durch Verlagerung in Länder mit niedrigeren Lohnkosten, insbesondere China, viele Arbeitsplätze wieder verloren gehen (vgl. fuchs 2004, S. 212). Zum größten Verlierer der NAFTA gehört zweifellos die mexikanische Landwirtschaft. 2003 erfolgte nach mehrjähriger Übergangsfrist die Ausdehnung des freien Handels von wenigen Ausnahmen abgesehen auch auf den Agrarsektor. Der Abbau der Handelshemmnisse wurde durch eine Reduktion der staatlichen Agrarsubventionen begleitet. Millionen Menschen ein Viertel der Bevölkerung (ca. 25 Mio.) ist in der Landwirtschaft beschäftigt fürchten um ihre ländliche Existenzgrundlage. Gegen die hoch subventionierten und modern hergestellten US-Agrarvon
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produkte
hat die kleinbäuerlich strukturierte Landwirtschaft vor allem im Süden Mexikos keine Chance. Die Importe drücken das mexikanische Agrarpreisniveau, verschärfen das Produktivitäts- und Kostengefälle11 und zwingen tausende Landwirte zur Aufgabe. Da meist keine sozialen Auffangmechanismen zur Verfügung stehen, verstärkt sich zum einen die Binnenmigration in die nördlichen Regionen, zum anderen die direkten Migrationsströme in die USA (vgl. Handelsblatt 2003a; Parnreiter 2000, S. 22f.).
Die Auswirkungen der NAFTA auf Kanada sind aufgrund der bereits bestehenden CUFSTA und der schwachen wirtschaftlichen Verflechtungen mit Mexiko von geringer Bedeutung. Beobachter gehen davon aus, dass Produktivität und Exportorientierung der kanadischen Industrie und deren Einkommen infolge der NAFTA leicht gewachsen sind (vgl. fuchs 2004, S. 214). Was den Ausbau der Integration angeht, gibt es für die NAFTA zwei mögliche Optionen. Bereits 1990, lange vor Gründung der NAFTA, verkündeten die USA ihre Vision einer „Enterprise for the Americas Initiative", die den Grundstein für die Free Trade Area of the Americas (FTAA), einer gesamtamerikani-
Beispielsweise liegt
beim Grundnahrungsmittel Mais der durchschnittliche Hektarertrag in den USA viermal so hoch wie in Mexiko, während die Produktionskosten um die Hälfte niedriger sind. Die Arbeitsproduktivität ist in den USA ca. 18mal so hoch wie in Mexiko (vgl. Parnreiter 2000, S. 24).
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sehen Freihandelszone von Alaska bis Feuerland, legte. An der FTAA sollten die 34 Staaten des Kontinents (außer Kuba) beteiligt sein. Der 1994 offiziell in Gang gesetzte FTAA-Prozess sollte ursprünglich bis 2005 abgeschlossen sein. Mit 832 Mio. Einwohnern und einem geschätzten Handelsvolumen von ca. 3,4 Bill. US-$ wäre die FTAA eine der größten Freihandelszonen der Welt. Zu den größten gleichsam Problemen wie Herausforderungen der FTAA gehört die strukturelle und politische Heterogenität ihrer Mitglieder. Die FTAA wird gleichzeitig einige der reichsten und ärmsten sowie größten und kleinsten Länder der Welt zu einem gemeinsamen Wirtschaftsraum zusammenschließen. Als problematisch erweisen sich die zu Protektionismus verleitenden wirtschaftlichen und technologischen Rückständigkeiten einiger Länder, deren Währungsinstabilitäten sowie unausgeglichene Staatshaushalte.
Aufgrund der befürchteten ungleichen Verteilung von Kosten und Gewinnen des Freihandels stößt die FTAA in Lateinamerika zunehmend auf Skepsis und Gegenwind. Zu den Schlüsselproblemen zählen die Liberalisierung der Textil- und Bekleidungs-, der Stahl- und Agrarmärkte, vor allem die Agrarsubventionen der USA und deren hohe Stahlzölle, die Schaffung eines effizienten Streitschlichtungsmechanismus, der Schutz geistigen Eigentums und die Definition gemeinsamer Normen und Standards. Vor allem Brasilien, das als wirtschaftliches Schwergewicht Lateinamerikas gilt und sich als dessen Gegenpol zu den USA präsentiert, befürchtet wirtschaftliche Nachteile sowie Einbussen seines politischen Einflusses und begegnet der FTAA daher eher misstrauisch (vgl. Gratius 2002, S. 159; Fuchs 2004, S. 224.; Handelsblatt 2003b). Wie stark die USA dagegen an einer Integration mit dem Süden interessiert sind, zeigen die 2004 neu gegründete Zentralamerikanische Freihandelszone (CAFTA) (vgl. Kap. 10.2.2) sowie der Abschluss eines Freihandelsabkommens mit Chile. Den
Gegenpol zu den panamerikanischen Integrationsbestrebungen bildet die Vertiefung der nordamerikanischen Integration im Rahmen einer sog. „NAFTA plus". Im Mittelpunkt stehen dabei zwei überwiegend mexikanische Anliegen. Erstens die Schaffung von Regional- und Sozialfonds zur Konsolidierung des nordamerikanischen Wirtschaftsraums, zweitens die Einbeziehung des Produktionsfaktors Arbeit. Vorschläge existieren ferner zur Schaffung eines gemeinsamen Energiemarktes, der vor allem im Interesse der USA als größtem Energieimporteur der NAFTA ist, und zur Vertiefung der Zusammenarbeit in Forschung, Technologie, Kommunikation und Gesundheitswesen (vgl. Gratius 2002, S. 154). 10.4.2 MERCOSUR -
Integrationsprozess mit Rückschlägen
Mit dem MERCOSUR (Mercado Comün del Cono Sur = Gemeinsamer Markt des Südens) ist im südlichen Lateinamerika ein sich integrierender Wirtschaftsraum entstanden, der neben den großen regionalen Integrationen in Nordamerika, Europa und Asien/Pazifik ein ökonomisch und politisch selbständiges Gewicht aufweist
10 Formen der regionalen
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Blockbildung
(vgl. Sangmeister 2002, S. 57). Er umfasst 222 Mio. Einwohner und ein BIP von 629 Mrd. US-$ (2003) (vgl. Tab. 10.2). Dem MERCOSUR gehören Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay an. Seit 1996 sind Bolivien und Chile, seit 2003 Peru im Rahmen einer Beobachterposition mit dem MERCOSUR assoziiert, genießen verschiedene Präferenzen, sind aber keine offiziellen Mitglieder. ca.
10.4.2.1 Wirtschaftliche Strukturen
häufig angeführte quantitative Dimension des MERCOSUR spiegelt sein Marktpotenzial, keinesfalls aber seine wirkliche Marktgröße wider. „Somos 200 milliones" gilt allenfalls in nomineller Hinsicht, da nur ca. 23 Mio. Menschen im MERCOSUR eine reale Kaufkraft aufweisen, die dem BIP/Kopf Spaniens entDie
spricht. In den Ländern des MERCOSUR herrschen Massenarmut und extrem ungleiche Einkommensverteilungen, die ca. zwei Drittel der Bevölkerung nicht an der Nachfrage nach langlebigen Konsumgütern teilhaben lassen (vgl. Schirm 1996, S. 81). Geprägt wird der-MERCOSUR vor allem durch die ökonomische Heterogenität seiner Mitglieder (vgl. Tab. 10.2). Tab. 10.2:
Ökonomische Kennzahlen der MERCOSUR-Länder (2003) BIP
(zu
laufenden Preisen in Mio.
Argentinien Brasilien
Paraguay
Bevölkerung in Mio.
US-$
US-$) 3 375 2 700 1 001 183_3 274
129 707 481 866 5 887
Uruguay_11 12002
BIP pro Kopf in
37 176 6 3
Inflation
Arbeits-
(Veränderung losenquote in % gegen- (in %) über 2002) 3,7 9,3 15,0 10,4
17,3 12,3
11.01 17,0
Quelle: UN 2004; Ahk 2004; Dbla 2004.
Brasilien, in dem 79 % der Bevölkerung des MERCOSUR leben, erwirtschaftet 77
% des BIP dieses Wirtschaftsraums und verfügt über ein industrielles Potenzial von der Größe Kanadas. Das nach Einwohnerzahl und Wirtschaftsleistung zweitgrößte Land ist Argentinien. Die kleinen Mitglieder Paraguay und Uruguay vereinigen dagegen nur einen sehr kleinen Teil an Bevölkerung, Fläche und wirtschaftlicher Leistung dieser regionalen Integration auf sich und sind im Vergleich zum Schwergewicht Brasilien ökonomisch eher irrelevant. Bezeichnend für den MERCOSUR sind vor allem die Unterschiede in der sektoralen Zusammensetzung der Wirtschaft seiner Mitglieder. Brasilien zählt zu den zehn größten Volkswirtschaften der Welt, weist innerhalb des MERCOSUR die am weitesten diversifizierte Wirtschaftsstruktur auf und besitzt die modernste Industrie Lateinamerikas. Auf den Industriesektor entfällt mehr als ein Drittel der gesamtwirt-
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291
schaftlichen Wertschöpfung. Demgegenüber ist in Argentinien immer noch die bedeutende Rolle des primären Sektors zu betonen, in dem das Land entscheidende komparative Wettbewerbsvorteile besitzt. In Uruguay spielt neben der traditionellen Viehzucht und Baumwollgewinnung nun vor allem der Finanzdienstleistungssektor eine bedeutende Rolle. Aufgrund seines liberalen Bankensystems, der Nichtbeeinträchtigung von Gewinntransfers, günstiger Steuern und stabiler Anlagebedingungen konnte Uruguay seinen großen Nachbarn in beträchtlichem Umfang Kapital abtrotzen. Paraguay verfügt gegenüber den anderen MERCOSUR-Ländern dagegen über keine nennenswerten Wettbewerbsvorteile. Auf den Agrarsektor entfällt immer noch ca. ein Viertel des BIP. Wichtiger als legale Außenwirtschaftsbeziehungen waren für das Land bisher die Einkünfte aus dem Schmuggel zollfrei importierter Waren, welche Paraguay den Ruf als „Duty-Free-Shop" Lateinamerikas bescherten (vgl. SANGMEiSTER2002,S.60und 70; Schirm 1996.S. 107f.;cejas/gans 1998,S.620).
10.4.2.2
Integrationsmotive
Dem MERCOSUR gingen seit Anfang der 1960er Jahre zahlreiche Integrationsprojekte voraus, die aufgrund zu stark divergierender Wirtschaftsstrukturen, zu unterschiedlich ausgerichteter Wirtschaftspolitiken sowie gegenseitiger Rivalitäten unter den Integrationspartnern allerdings ohne Erfolg blieben (vgl. Cejas/Gans 1998, S. 619). Mit dem ordnungspolitischen Paradigmenwechsel in Lateinamerika in den 1980er Jahren, der nach innen auf die Privatisierung staatlicher Betriebe und nach außen auf den Übergang von einer importsubsituierenden Binnenmarktorientierung zu einer exportorientierten Weltmarktintegration gerichtet war, verbesserten sich die regionalen Integrationschancen. Die zentralen Ziele des MERCOSUR liegen im freien Verkehr für Güter, Dienstleistungen und Produktionsfaktoren, der Koordination der Außenhandelspolitiken und der Abstimmung der sektoralen Politiken zwischen den Mitgliedern. Um diese Kernziele herum streuten die Integrationsmotive der einzelnen Länder allerdings erheblich (vgl. fuchs 2004, S. 216f). Brasilien wollte an Glaubwürdigkeit für seine eingeschlagene liberale Wirtschaftspolitik gewinnen, seine regionale Hegemonialstellung ausbauen und deshalb auch eine bilaterale Annäherung zwischen Argentinien und den USA verhindern. Ein verstärkter Zufluss ausländischer Direktinvestitionen und eine Stärkung seiner Position in internationalen Verhandlungen waren weitere wichtige Zielsetzungen. Für Argentinien hatte der Zugang zum brasilianischen Markt Priorität. Argentinien weist sowohl in einigen agroindustriellen Bereichen (u.a. Milchprodukte und
Reis) als auch in bestimmten industriellen Sektoren (u.a. Stahl und Chemie) eine Ni-
schenkompetenz gegenüber Brasilien auf. Andererseits erhoffte sich Argentinien durch eine binnenmarktinduzierte Konkurrenz die Erleichterung des Übergangs zur Weltmarktintegration gerade bei nicht-traditionellen Exportgütern (z.B. Maschinen, Fahrzeuge). Auch das Anziehen von Direktinvestitionen sowie die innenpolitische
10 Formen der regionalen
292
Blockbildung
Legitimation für den verstärkten Rückzug des Staates aus der Wirtschaft haben eine Rolle gespielt. Da Argentinien und Brasilien ihre wichtigsten Außenhandelspartner sind, blieb
den beiden kleinen Ländern Paraguay und Uruguay zur Vermeidung von Handelseinbußen keine andere Wahl, als dem MERCOSUR beizutreten. Beide Länder erhofften sich ferner Spezialisierungs- und Effizienzgewinne, Attraktivität für ausländische Investoren sowie die Begründung und Absicherung ihres marktwirtschaftlichen Reformkurses. Nach dem Ende der Diktatur stellte für Paraguay auch die Rückkehr in die internationale Staatengemeinschaft ein Integrationsmotiv dar.
Die Bildung des MERCOSUR und seine aktive Weltmarktpartizipation sind insgesamt auch als Reaktion auf die Entstehung von Integrationsräumen in anderen Weltregionen zu sehen. Die Pläne zur Bildung der NAFTA und zum Europäischen Binnenmarkt Anfang der 1990er Jahre ließen Argentinien und Brasilien befürchten, auf der internationalen Ebene wirtschaftlich, aber auch politisch marginalisiert zu werden (vgl. Schirm 1996, S. 86).
10.4.2.3 Ziele und
Vertragsinhalte
Der 1991 unterzeichnete MERCOSUR-Vertrag sah ursprünglich die Schaffung eines Gemeinsamen Vertrages vor; ihm vorgeschaltet war zunächst die Errichtung einer Freihandelszone, anschließend einer Zollunion. Der Vertrag regelt den Zollabbau innerhalb des MERCOSUR sowie die Schaffung eines einheitlichen Außenzolls gegenüber Drittstaaten, sieht aber für bestimmte sensible Wirtschaftssektoren, darunter die Automobil- und Informatikbranche, Ausnahmeregelungen vor. Auch existieren Schutzklauseln im Falle des Drohens schwerer, auf Importsteigerungen zurückzuführender Importzunahmen. Was Investitionen angeht, wird Auslandskapital aus den MERCOSUR-Ländern von Ausnahmen abgesehen mit nationalen Investitionen gleichgestellt. Für den Dienstleistungssektor sollen gleiche Wettbewerbsbedingungen geschaffen, bei der Vergabe staatlicher Aufträge Anbieter aus den Mitgliedsstaaten und nationale Unternehmen gleich behandelt werden. Normen und Standards sollen vereinheitlicht, die Wirtschaftspolitiken harmonisiert werden. Zur Lösung von Konflikten wurde ein kompliziertes Streitschlichtungsverfahren geschaffen, dessen höchste Instanz ein Ad-hoc-Tribunal ist (vgl. Schirm 1996, S. 88f.; 2004, S. 193f.). -
-
Aufgrund politischer und wirtschaftlicher Schwierigkeiten konnte der Gemein-
Markt bisher nicht realisiert werden. Der MERCOSUR verharrt daher bisher im Stadium einer Zollunion, deren Wirkung durch nationale Zollanhebungsalleingänge immer wieder ausgehebelt wird. same
Was seine institutionelle Struktur angeht, lehnt sich der MERCOSUR an die EU verbleibt aber gänzlich im intergouvermentalen Bereich. Entscheidungen werden nach dem Konsensprinzip von Repräsentanten gefällt, die gegenüber den nationalen Regierungen weisungsgebunden sind. Ein Transfer nationalstaatlicher Kompetenzen an,
C: Internationale Wirtschaftsräume als Aktionsfelder internationaler Unternehmen
293
auf eine unabhängige, technisch-administrative Behörde, wie sie die EU-Kommission darstellt, unterbleibt (vgl. SCHIRM 1996, S. 89; FUCHS 2004, S. 218).
10.4.2.4 Probleme und Potenziale In der Erfolgsbilanz des MERCOSUR gehen Fortschritte und Rückschläge Hand in Hand. Mit seinen mehr als 220 Mio. Konsumenten gilt der MERCOSUR als äußerst attraktiver Markt mit beträchtlichem Nachfrage- und Wachstumspotenzial. Ferner hat die Abkehr von Staatsinterventionismus und importsubstituierender Industrialisierung (vgl. Kap. 5.4.1.1) früherer Dekaden für mehr marktkonformen Wettbewerb in den Volkswirtschaften des MERCOSUR gesorgt (vgl. Sangmeister 2002, S. 58 und 64). Bis Mitte der 1990er Jahre hielt der Liberalisierungsprozess durch den Abbau und vor allem interner Handelshemmnisse konsequent an. Der Intrablockhandel hat sich daher sehr dynamisch entwickelt. Lag der Anteil der intraregionalen Exporte des MERCOSUR 1991, seinem Gründungsjahr, noch bei 11,1%, waren es 1998, dem Jahr vor der großen Krise, bereits 25,2% (vgl. Sangmeister 2002, S. 71). Allerdings variieren die intraregionalen Exportanteile der Mitglieder erheblich, die gegenseitigen Abhängigkeiten sind höchst unterschiedlich (vgl. Tab. 10.3). externer
Tab. 10.3:
Intraregionale Exportanteile des MERCOSUR in Argentinien
4 619
Argentinien Brasilien
Paraguay
Uruguay
Brasilien
4 561 66 155
425 471
Paraguay Uruguay 423 707 48
540 404 243
Mio. US-S
Exporte
in den Mercosur 5 582 5 672 734
674
(2003) Gesamt-
exporte 29 349 73 084 1 242 2 198
Quelle: Aladi 2004, Ahk 2004.
Brasilien, das hinsichtlich Größe, Bevölkerung und Sozialprodukt mit Abstand größte Land, tätigt nur 8% seiner Exporte innerhalb des MERCOSUR. Bei den klei-
Ländern Paraguay und Uruguay sind es 59% bzw. 31%. Insgesamt ist die Bedes Intrablockhandels im MERCOSUR noch nicht so ausgeprägt wie innerhalb der NAFTA oder der EU. Die beträchtlichen Einfuhren kapitalintensiver Güter aus Drittländern weisen indes auf technologische Rückständigkeiten bei der Erweiterung und Modernisierung der Produktionsanlagen hin (vgl. Sangmeister 2002, S. 64f.). nen
deutung
In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre geriet der Integrationsprozess zunehmend ins Stocken. Das Jahr 1999 markiert den Beginn der Krise des MERCOSUR. Drohende Rezessionen in den Mitgliedsländern und eine massive Kapitalflucht aus Brasilien, welche zu einer drastischen Abwertung des Real führten, stürzten die ge-
10 Formen der regionalen
294
Blockbildung
in politische und wirtschaftliche Turbulenzen. Immer häufiger griff allem in der Elektro-, Schuh- und Textilindustrie sowie der Landwirtman, zu schaft, unilateralen Protektionsmaßnahmen. Gegenüber Drittstaaten wurden die Zölle, z.B. im Automobilsektor seitens Brasiliens, wieder drastisch erhöht. Neben handelspolitischen Alleingängen flüchteten sich Brasilien und Argentinien immer mehr in bilaterale Entscheidungsfindungen, so dass Paraguay und Uruguay an den Rand gedrängt wurden. Durch die Krise verschärften sich die wirtschaftlichen Verteilungskonflikte in den Kernländern und führten zum Aufkeimen von gesellschaftlichen Interessen, die sich zunehmend gegen die Integration und die Liberalisierung des Handels richteten. Als Folge ging der Intrahandel zwischen 1998 und 2001 von 25 auf 18% zurück und nahm 2002 nochmals um 37% ab. Außenpolitisch büßte der MERCOSUR an Glaubwürdigkeit ein und wurde zunehmend nur noch als lockerer Staatenbund begriffen (vgl. FUCHS 2004, S. 219ff). samte
Region
vor
Seit 2000 hat sich die wirtschaftliche Entwicklung deutlich gebessert. Nach massiven Abwertungen und dem Ende der „Dollarisierungsdebatte" haben die brasilianische und argentinische Währung wieder an Stabilität gewonnen. Vor allem das Wachstum der Wirtschaft Brasiliens ist für dessen Nachbarn, insbesondere Argentinien, zu einem wichtigen Hoffnungsträger geworden (vgl. Sangmeister 2002, S. 77). Das größte Problem des MERCOSUR sind seine defizitären Strukturen. Aufgrund des strikten Intergouvermentalismus existieren weder institutionelle Regeln für den politischen Entscheidungsprozess noch gibt es eine unabhängige supranationale Instanz zur Überwachung der Umsetzung gefasster Beschlüsse, welche den gemeinschaftlichen Interessen verpflichtet wäre und gegenüber nationalen Egoismen eine kommunitäre Stellung beziehen könnte. Ein gravierendes Problem liegt daneben im Fehlen eines währungspolitischen Konsenses sowie der mangelnden Bereitschaft zu makroökonomischer Kooperation zwischen Argentinien und Brasilien. Ökonomen betonen immer wieder die Bedeutung einer engen geld- und währungspolitischen Verzahnung für das Funktionieren einer regionalen Integration und gleichzeitig das Problem verschiedener Wechselkurssysteme bei fehlender Ankerwährung, wie es beim MERCOSUR der Fall ist (vgl. Fuchs 2004, S. 221).
Eine schwerwiegende Hypothek im internationalen Standortwettbewerb stellt für den MERCOSUR die schlechte Bildungssituation dar. Zwar existieren in den großen Städten durchaus Universitäten und private Schulen, welche eine Ausbildung auf hohem Niveau bieten. Der Großteil der Kinder und Jugendlichen wird allerdings in staatliche Schulen geschickt und zeigt schlechte Lernresultate'2 (vgl. Sangmeister 2002, S. 69).
Fast 30% haben bereits vor Erreichen des fünften Schuljahres die Schule wieder verlassen. Während bei einem durchschnittlich Erwerbstätigen der Schulbesuch in Südostasien bei ca. sechs Jahren liegt, beträgt er in den MERCOSUR-Ländern nur vier Jahre.
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295
Trotz dieser Defizite mehren sich in jüngerer Zeit wieder die Anzeichen für ein stärkeres Voranschreiten des Integrationsprozesses. Diskutiert werden u.a. eine Institutionalisierung der Koordination der Wirtschafts- und Finanzpolitiken, die Errichtung eines Währungsinstitutes sowie die Schaffung eines supranationalen Streitschlichtungsorgans (vgl. Fuchs 2004, S. 223). 2004 haben die Länder des MERCOSUR, des Andenpaktes (Bolivien, Ecuador, Kolumbien, Peru, Venezuela) (vgl. Kap. 10.2.3), Chile sowie Guyana und Surinam zudem die Gründung einer den gesamten Subkontinent umfassenden „Südamerikanischen Union" beschlossen. Zwar handelt es sich dabei um ein rein politisch motiviertes Integrationsprojekt, dessen Auswirkungen aber auch im ökonomischen Bereich fühlbar werden sollen. Neben einer Senkung der Zölle ist ferner eine Zusammenarbeit in der Verkehrs- und Energieinfrastruktur vorgesehen. Dass der MERCOSUR auch für die großen Handelsmächte USA und EU von großer Bedeutung ist, zeigen sowohl die panamerikanischen wie auch die transatlantischen Integrationsbestrebungen. Für die USA spielen vor allem Brasilien und Argentinien als „Big Emerging Markets" eine bedeutende außenhandelspolitische Rolle. Allerdings stößt das panamerikanische Integrationsprojekt FTAA (vgl. Kap. 10.4.14) vor allem bei Brasilien, das um seine politische und wirtschaftliche Hegemonialrolle auf dem südamerikanischen Subkontinent fürchtet, auf Skepsis und Widerstand.
Für die Interessen der EU in Lateinamerika ist eine regionale Integration mit dem MERCOSUR vor allem deshalb bedeutend, weil mit der FTAA nachteilige handelsumlenkende Effekte drohen (vgl. Sangmeister 2002, S. 76). Die bereits 1995 zur Bildung einer Freihandelszone aufgenommenen Verhandlungen erlitten mittlerweile allerdings einen empfindlichen Rückschlag. Während die EU den vom MERCOSUR geforderten Zugang zu ihren Agrarmärkten verweigert, stößt beim MERCOSUR die Forderung der EU nach Öffnung der Dienstleistungsmärkte, insbesondere des Bankensektors, auf Ablehnung.
10.4.3
Regionale Integrationen im asiatisch-pazifischen WirtschaftsPrimat der politischen über der wirtschaftlichen Integration raum
-
Im Vergleich zu anderen Weltregionen nehmen sich die Integrationsversuche im asiatischen Wirtschaftsraum in den letzten Jahrzehnten eher bescheiden aus. Zum einen existiert aufgrund der Komplementarität der benachbarten Länder bezüglich des Entwicklungsstandes, der Ressourcenausstattung sowie der divergierenden Faktorkosten ohnehin eine enge intraregionale Handelsverflechtung im Sinne einer Defacto-Blockbildung (vgl. Kap. 10.1). Zum anderen wird eine zu enge Zusammenarbeit sowohl durch eine wirtschaftsstrukturelle Heterogenität zwischen den Ländern als auch durch einen fehlenden soziokulturellen und gemeinsamen kolonialgeschichtlichen Überbau erschwert. Während mit Ausnahme Thailands alle anderen
10 Formen der regionalen
296
Blockbildung
Länder des kontinentalen und insularen Südostasien lange Zeit unter dem starken Einfluss verschiedener Kolonialmächte standen Brunei, Malaysia, Myanmar (Birma) und Singapur waren britisch, Kambodscha, Laos und Vietnam französisch, Indonesien niederländisch und portugiesisch sowie die Philippinen spanisch und amerikanisch kolonisiert konnten sich China, Japan und Korea viel früher schon als souveräne Staaten entwickeln. -
,
-
Eine Integrationsbarriere stellen auch die religiösen Unterschiede dar. In Thailand sind ca. 94% der Bevölkerung Buddhisten, in Indonesien setzt sie sich zu ca. 87% aus Muslimen zusammen, während ca. 84% der Phillippinos katholisch sind. In wiederum anderen Ländern, z.B. Vietnam und China, ist ein buntes Nebeneinander von Buddhismus, Taoismus, Konfuzianismus und Hinduismus zu beobachten. Letztlich rechnet auch Australien, eine Exklave angelsächsischer Kultur, zu dieser Region, mit der es einen Großteil seines Handels abwickelt, und das daher um regionale Anerkennung sucht (vgl. Hartmann 2001, S. 172). Trotz dieser gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Divergenzen haben sich aber bestimmte regionale Integrationsräume herausbilden können (vgl. Karte 10.3).
10.4.3.1 ASEAN Die 1967 gegründete ASEAN (Association of Southeast Asian Nations) stellt die am weitesten entwickelte Integration in diesem Raum dar. Zu den Gründungsmitgliedern der ASEAN gehören Indonesien, Malaysia, die Philippinen, Singapur und Thailand. Seitdem sind Brunei (1984), Vietnam (1995), Laos und Myanmar (1997) sowie Kambodscha (1999) beigetreten. Die 10 ASEAN-Staaten, die zusammen eine Bevölkerung von ca. 500 Mio. Menschen aufweisen, erwirtschafteten 2003 ein BIP von 668 000 und ein Handelsvolumen in Höhe von 849 000 Mio. US-$ (vgl. asean 2004).
C: Internationale Wirtschaftsräume als Aktionsfelder internationaler Unternehmen
Karte 10.3:
Regionale Integrationen im asiatisch-pazifischen Wirtschaftsraum
297
298
10 Formen der regionalen
Blockbildung
Gründung der ASEAN war in erster Linie sicherheitspolitisch motiviert. Die Beziehungen zwischen den Gründerstaaten sollten nicht durch Konflikte über Gebietsansprüche geleitet, sondern durch den Willen zu Partnerschaft und Frieden dominiert werden (vgl. Pretzell 1998, S. 9). Daneben sollte mit ASEAN im Lichte des Vietnam-Krieges vor allem ein klares antikommunistisches Zeichen gesetzt werden. So war das politische Selbstverständnis der ASEAN ursprünglich durch Antikommunismus und Anlehnung an westliche Ideale geprägt. Erst das Ende des Kalten Krieges lieferte der ASEAN neue, zunehmend auch im wirtschaftpolitischen Bereich liegende Anknüpfungspunkte. Neben Sicherheit und Frieden liegt der Fokus daher auch auf der Förderung von Wirtschaftswachstum und Sozialwesen der Region (vgl. Kaufmann et al. 2004, S. 231). Die Ökonomien Südostasiens gehören zweifellos zu den dynamischsten Regionen der Welt mit einem trotz Auswirkungen der Asienkrise nicht abflachenden wirtschaftlichen Wachstum. So betrug das durchschnittliche Wirtschaftswachstum der ASEAN zwischen 2000 und 2003 4,6% (vgl. ASEAN 2004). Der wirtschaftliche Erfolg dieser Region wurde ursprünglich durch interne und externe Wachstumsdeterminanten geebnet (vgl. koschatzky 1997, S. 702). Zu den internen Wachstumsdeterminanten gehören: Ein hohes Arbeitsethos und niedrige Lohnkosten, eine fortgeschrittene materielle und personelle Infrastruktur, der konfuzianische Wirtschaftsgeist, welcher in der ausgeprägten Wachstumsorientierung etlicher chinesischer Groß- und Kleinunternehmen zum AusDie
•
•
•
•
•
druck kommt, eine Direktinvestitionen fördernde und Exporte stimulierende litik der Staaten der Region, stabile und berechenbare politische Verhältnisse.
Als externe Wachstumsdeterminanten •
Wirtschaftspo-
gelten:
Die
Auslagerung lohnintensiver und standardisierter Fertigungsschritte aus vor allem Japan, aber auch den mit steigender Arbeitskostenbelastung kämpfenden Tigerstaaten (Südkorea, Taiwan, Hongkong, Singapur), das zunehmende Engagement japanischer Unternehmen bei der Sicherung von Rohstoffbeständen und komparativen Kostenvorteilen in der Region, die aus dem Produktionsnetzwerk japanischer Unternehmen, vor allem der Komponentenzulieferung resultierenden intraregionalen Handelsverflechtunden Industrieländern,
•
•
gen.
Wichtigstes wirtschaftliches Merkmal der ASEAN ist die strikte industrie- und handelspolitische Orientierung an Japan und den Tigerstaaten, von denen die wichtigsten wirtschaftlichen Entwicklungsimpulse der Region ausgehen ein öko-
C: Internationale Wirtschaftsräume als Aktionsfelder internationaler Unternehmen
nomischer Wachstumszusammenhang, der sich mit dem sog. schreiben lässt (vgl. Exkurs 10.3).
299
Fluggänsemodell be-
Auch was die Rolle des Staates in der Wirtschaft anbelangt, folgen die ASEANLänder ihren ostasiatischen Vorbildern. Die in den westlichen Marktwirtschaften vom Kapitalismus, insbesondere in seiner angelsächsischen Variante indoktrinierte Staatsferne des Marktes findet dort keine Entsprechung; vielmehr steht die Zielgebung des Staates im Mittelpunkt des privaten Unternehmerkalküls (vgl. Hartmann 2001, S. 171).
Exkurs 10.3: Das
Fluggänsemodell
Das auf den Japaner Akamatsu (1962) zurückgehende Fluggänsemodell will erklären, wie sich technologisch eher gering entwickelte Volkswirtschaften relativ schnell entwickeln können. Einfach ausgedrückt, übernehmen sie ausgediente Industriezweige von weiter entwickelten Ländern. Es existieren somit in einer bildlichen Fluggänse-Formation „voraus fliegende" Länder (Anführer) und „hinterher fliegende" Länder (Nachfolger). Das Modell beschreibt im Kern ein standardisiertes sektorales Entwicklungsmuster, welches auf Thesen der Produktlebenszyklustheorie (vgl. Kap. 8.3.1.3 und 9.4.1) zurückgreifend auf der Nutzung komparativer Wettbewerbsvorteile innerhalb eines regionalen Netzwerks beruht. -
-
Im Rahmen des strukturellen Wandels verschiebt sich der sektorale Schwerpunkt eines Landes weg von der Primärgüterproduktion über arbeitsintensive hin zu kapital- und technologienintensiven Wirtschaftssektoren, was mit entsprechenden Verschiebungen in der Au ßenhandelsstruktur einhergeht: Mit dem Aufbau einer anfangs gegen ausländischen Wettbewerb protektionistisch abgeschotteten Produktion innerhalb eines Sektors gehen die Importe sukzessive zurück, bis ein Land seinen gesamten Eigenbedarf selbst produzieren kann. Ist ein ausreichender Grad an internationaler Wettbewerbsfähigkeit erreicht, setzen Exporte ein, die Produktionskapazitäten werden ausgeweitet. Während komparative Wettbewerbsvorteile vor allem in der arbeitsintensiven Produktion (z.B. der Textilindustrie) lokalisiert sind, gewinnen mit zunehmender industrieller Reife kapital-, ausbildungs- und technologienintensive Branchen an Bedeutung. Die in der Fluggänseformation fliegenden Volkswirtschaften verdrängen einerseits weiter entwickelte Ökonomien aus ihren angestammten Sektoren, anderseits müssen sie komparative Wettbewerbsvorteile an die Verfolgergruppe abtreten. Sektorspezifische Wettbewerbspositionen führen damit zu einer evolutorischen internationalen Arbeitsteilung, wodurch die statische Außenhandelstheorie eine gewisse Dynamik erfährt.
Das Modell lässt sich wie folgt auf die Entwicklung Ost- und Südostasiens übertragen. Anfang der 1960er Jahre gelang dem „Leitvogel" Japan als erster asiatischer Volkswirtschaft der ökonomische take-off. Es folgten in den 1970er Jahren die NICs („Newly industrialized Countries") bzw. die Tiger- oder Drachenstaaten (Südkorea, Taiwan, Hongkong, Singapur). In den 1980er Jahren schlössen sich die ASEAN-Staaten an, wobei Malaysia und Thailand gegenüber Indonesien und den Philippinen über einen deutlichen Wettbewerbsvorsprung verfügten. In den 1990er Jahren reihten sich dann China und Vietnam in den Fluggänseschwarm ein.
Das in Japan sehr beliebte Fluggänsemodell avancierte zum Sinnbild des dynamischen Entwicklungsprozesses in der gesamten Region. Jüngere Ansätze versuchten indes, es den veränderten internationalen Rahmenbedingungen anzupassen: Das „Shanghai-Ied flying geese modell of economic development" sieht eine Übertragung auf die regionalen Entwicklungen innerhalb Chinas vor, das keineswegs als wirtschaftlich homogener Raum anzusehen ist. Die dynamische Küstenregion (Shanghai, Hongkong und andere Großstädte), die über einen re-
300
10 Formen der regionalen
Blockbildung
lativ einfachen Zugang zu ausländischen Technologien verfügt, bildet den Leitvogel, der veraltete Technologien an die nachfolgenden Sonderwirtschaftszonen abtritt, welche wiederum schließlich an die Provinzen im Hinterland „durchgereicht" werden.
Das „Tandem-Modell" geht dagegen von einer sich gegenseitig ergänzenden Doppelspitze mit Japan als Technologie- und China als Ressourcenlieferant aus. Bisher stand dem empirischen Gehalt dieses Modells die aus der japanischen Besatzungszeit stammende psychologische Distanz der Chinesen gegen über Japan entgegen, was sich mit der fortschreitenden Öffnung Chinas in Zukunft jedoch ändern könnte. Beim „Spatial aerobatics modell" (Flugshowmodell) bieten die Länder in einer Auktion für neue Technologien. Jenes Land, das aufgrund der niedrigsten Faktorkosten die höchste Summe bieten kann, erhält den Zuschlag für eine bestimmte Industrie. Die dazu erforderliche Technologie wird aus dem Ausland zugekauft. Vergleichbar mit einer Flugshow, bei der sich die Flieger zu immer neuen Formationen zusammenschließen, ist die interregionale Wirtschaftsstruktur in einem ständigen Wandel begriffen (vgl. Hilpert 1994, S. 619f.; Heiduk 2005, S. 169ff. und 185f.).
Die ASEAN steht auf nur schwachen institutionellen Füßen. Außer einem in Jakarta ansässigen Generalsekretariat und bestimmten, Berichte und Empfehlungen erarbeitenden Komitees gibt es keine gemeinsamen Institutionen. Die wesentlichen Entscheidungen werden intergouvermental von den Konferenzen der Staatsoberhäupter und der Fachminister getroffen. Im Vergleich zum Welthandel ist der Intra-ASEAN-Handel eher gering. Im Jahr 2003 gingen nur 23% aller ASEAN-Exporte in die ASEAN-Region (vgl. Wto 2004). Dabei steht allerdings zu beachten, dass die intraregionalen Exportanteile der Länder höchst unterschiedlich sind. So wickelt ein kleines Land wie Kambodscha über 70% seiner Exporte mit den Mitgliedsländern ab, während es bei größeren Ländern wie Thailand weniger als 20% sind (vgl. Kaufmann et al. 2004, S. 236).
Zur Stimulierung des intraregionalen Handels wurde bereits 1992 die Gründung einer Freihandelszone beschlossen. Die AFTA (Asean Free Trade Area) sollte ursprünglich 2008 in Kraft treten, zur Beschleunigung der Verwirklichung wurde dann aber 2003 als Zieldatum vereinbart. Die AFTA ist bisher nur unvollständig verwirklicht. Zwar haben die Länder der ASEAN-6 (Gründungsmitglieder und Brunei) bei über 44 000 Tarifkategorien die Zölle auf 0 bis 5% gesenkt. Für die jüngeren Mitglieder gelten in diesem Bereich zum Teil aber sehr lange Übergangsfristen, z.B. für Kambodscha bis 2010. Bei sensiblen Produkten sollen die Zölle ASEAN-weit gar erst bis 2018 vollständig beseitigt sein (vgl. Kaufmann et al. 2004 S. 231). Der AFTA steht somit noch ein langer Weg bevor. Ihre Umsetzung erweist sich vor allem aufgrund starker ökonomischer und sozialer Disparitäten als kompliziert. Obwohl sie nur ca. 17% der gesamten Bevölkerung aufweisen, stellen Singapur, Malaysia und Thailand 73% des Export- und 74% des Importvolumens aller ASEAN-Länder (vgl. Asean 2004). Verglichen mit der EU wies der Stadtstaat Singapur 2003 mit einem Pro-Kopf-Einkommen von 21 195 US-$ einen ähnlich hohen Entwicklungsstand wie Spanien (20 424 US-$) auf. Das ärmste Land der ASEAN, Myanmar, erwirtschaftete
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301
im Jahr 2003 1 174 US-$. Im Vergleich dazu waren es in Lettland, dem ärmsten Land der EU, 4 453 US-$ (vgl. UN 2004). Hinsichtlich der wirtschaftlichen Struktur lassen sich ebenfalls markante Unterschiede feststellen. Während Singapur als struktureller Vorreiter den Wandel zum Dienstleistungszentrum bereits vollzogen hat, befindet sich Malaysia aufgrund seiner breiten und industriellen Basis an der Schwelle zum Industrieland, Thailand am Beginn des Übergangs von der Komponentenfertigung zur High-tech-Produktion. Bei den Philippinen, Indonesien und Brunei handelt es sich dagegen um rohstofforientierte und sachkapitalintensiv produzierende Ökonomien, in denen sich eine wettbewerbsfähige Industrie erst im Aufbau befindet. Vietnam ist als Systemtransformationsökonomie mit punktuellen Modernisierungsansätzen sowie einer leicht- bis schwerindustriellen und noch stark agrarisch geprägten wirtschaftlichen Ausgangslage zu begreifen (vgl. Koschatzky 1997, S. 705). Das wirtschaftliche Schwergewicht Kambodschas liegt in der Land- und Rohstoffwirtschaft. Daneben verfügt das Land über eine exportorientierte Bekleidungsindustrie. Die Wirtschaft Myanmars leidet unter internationalen Sanktionen, die sich gegen die seit 1988 regierende Militärjunta richten; das Land ist außerhalb der Region wirtschaftlich und politisch weitgehend isoliert. Alle Schlüsselindustrien, insbesondere die Rohstoffwirtschaft, befinden sich in den Händen militärisch geführter Staatsunternehmen, auf der Straße dominiert der Schwarzmarkt. Im kleinen Binnenland Laos schließlich dominiert die Primärgüterproduktion, vor allem Bergbau und Holzeinschlag, doch auch der Dienstleistungssektor weist deutliche Wachstumsraten auf. Bei der ASEAN handelt es sich um eine Gemeinschaft, in der die (außenpolitischen die ökonomischen Interessen nach wie vor dominieren und sich gemeinsame Denkansätze nur langsam durchsetzen. Dennoch macht die ASEAN die Region Südostasien und ihre einzelnen Länder sichtbarer, als wenn diese Gesamtidentität nicht existierte (vgl. Hartmann 2001, S. 172). Die ASEAN stellt einen sehr inhomogenen und schwach institutionalisierten Wirtschaftsraum dar, den nicht das erreichte wirtschaftliche Niveau, sondern viel mehr sein wirtschaftliches Potenzial und die beständig hohen Wachstumsraten in den Mittelpunkt der globalen Aufmerksamkeit gerückt und zu einem Fixpunkt von Handels- und Investitionsströmen gemacht haben (vgl. koschatzky 1997, S. 704). 2004 beschlossen die ASEAN und China, deren gemeinsames Handelsvolumen 2003 bei rund 78 Mrd. US-$ lag und allein in den ersten neun Monaten 2004 um 35% gestiegen ist, die Gründung einer Freihandelszone. Für China, das sich lange Zeit gegen regionale Vereinbarungen gesträubt hat, setzen der wachsende Rohstoffbedarf (vgl. Kap. 11.4.3.3) und das Interesse an sicheren Handelswegen neue Prioritäten. Für die ASEAN-Länder, die dem wirtschaftlichen und politischen Aufstieg Chinas mit gemischten Gefühlen begegnen, überwiegt inzwischen die Gewissheit, dass das Land wegen seiner Binnennachfrage der wirtschaftliche Motor der gesamten Region ist. Setzt sich die Wachstumsdynamik fort, wird China in den nächsten
10 Formen der regionalen
302
Blockbildung
Jahren die USA als wichtigsten Handelspartner der ASEAN ablösen. Die Freihandelszone, die 1,8 Mrd. Menschen umfasst und vergleichbar mit dem Fahrplan der AFTA 2010, mit den jüngeren ASEAN-Staaten erst 2015 in Kraft treten soll, übt auch Druck auf Japan und Südkorea aus, mit der ASEAN in einen vertieften handels- und wirtschaftspolitischen Dialog zu treten. -
-
Ebenso plant Indien, das eine stärkere regionale Führungsrolle beansprucht, ein Freihandelsabkommen mit der ASEAN, um einen Gegenpol zu China aufzubauen. Auch mit Australien und Neuseeland, die bereits über das Freihandelsabkommen ANCERTA (vgl. Kap. 10.2.2; Karte 10.3) miteinander verbunden sind, werden mittlerweile die Chancen für eine Freihandelszone ausgelotet.
10.4.3.2 APEC Die 1989 gegründete Asiatisch-Pazifische Wirtschaftskooperation APEC (Asia-Pacific Economic Cooperation) stellt den geographisch am weitesten reichenden Integrationsansatz dar (vgl. Karte 10.3). Der APEC gehören 21 asiatische und nichtasiatische Pazifikanrainerstaaten13 an. Die APEC umfasst 2,58 Mrd. Einwohner und weist einen Welthandelsanteil von 43% auf (vgl. Wto 2004). Im Jahr 2003 erwirtschafteten die Volkswirtschaften der APEC ein BIP von ca. 19 500 Mrd. US-$ (vgl. Apec 2003), das fast doppelt so groß wie das der EU-25 ist (vgl. UN 2004). Mit einem Intra-Exportanteil von 72% weist die APEC ferner die stärkste Binnenverflechtung aller Regionalintegrationen auf (vgl. WTO 2004). Zu beachten ist dabei, dass die APEC aus mehreren regionalen Gravitationszentren, darunter Japan, China, die ASEAN und der NAFTA-Raum (vor allem die USA), besteht. Das Selbstverständnis der APEC liegt mehr in einer „asiatisch-pazifischen OECD" und weniger in einem neuen Wirtschaftsblock. Wesentliche Ziele sind die Liberalisierung der regionalen Handelsbeziehungen mit dem Fernziel der Gründung einer Freihandelszone, die Förderung des Technologietransfers, die Zusammenarbeit in Bildung und Forschung sowie die sektorale Kooperation auf den Gebieten Telekommunikation, Energie, Transportwesen, Fischerei und Schutz der Meere (vgl. Spreen 1998, S. 9). Bis auf ein Sekretariat in Singapur besitzt die APEC keine gemeinsamen Institutionen. Sie ist eher ein Forum für regelmäßige Konsultationen in Form von Ministertreffen, Arbeits- und Projektgruppen, um unter Berücksichtigung gegenseitiger Standpunkte und Auffassungen wirtschaftliche Kooperationsfelder zu identifizieren und deren Potenziale auszuschöpfen. Die APEC ist dort erfolgreich, wo sie allen nutzt, vornehmlich bei der Erleichterung von Handel und Investitionen. Auf den Gebieten, wo nationale Interessen tangiert werden könnten, vor allem der WirtschaftsAustralien, Brunei, Chile, China, Hongkong, Indonesien, Japan, Kanada, Malaysia, Mexiko, Neuseeland, Papua-Neuguinea, Peru, Philippinen, Russland, Singapur, Südkorea, Taiwan, Thailand, USA, Vietnam.
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303
politik, kommt sie jedoch nur langsam voran (vgl. Pretzell 1998, S. 12). Seit dem 11.9.2001 steht vor allem der internationale Terrorismus regelmäßig auf der Tagesordnung des jährlichen APEC-Gipfels. Allen voran die USA sind bestrebt, die APEC auch zu einem sicherheitspolitischen Forum auszubauen, wodurch wirtschaftliche und handelspolitische Aspekte in den letzten Jahren zum Teil in den Hintergrund gerückt sind. 10.4.4 Die
Europäische Union: Vorreiter regionaler Integrationen
Die EU (Europäische Union) ist die am meisten fortgeschrittene regionale Integration. Ihre Entwicklung ist aus einer doppelten Perspektive zu betrachten: Zum einen die Vertiefung der Integration, welche durch die Übertragung wirtschaftlicher und politischer Kompetenzen von den Mitgliedsstaaten auf die Gemeinschaftsebene charakterisiert ist; zum anderen die fortschreitende geographische Erweiterung (vgl. Heiduk 2005, S. 304). Von den sechs Gründungsstaaten ist die EU mit der Osterweiterung auf mittlerweile 25 Mitglieder angewachsen. Dass sie damit aber immer noch nicht an ihre Grenzen stößt, zeigen die 2004 von den Staats- und Regierungschefs beschlossenen und 2005 beginnenden Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Die
Europäische Integration hat sich zu einem eigenen Forschungsfeld entwik-
kelt, mit dem sich gleichsam Wirtschafts-, Rechts- und Politikwissenschaften befas-
sen und auf das in seiner thematischen Breite im Rahmen dieses Kapitels nicht eingegangen werden kann. Stattdessen sollen hier ausgewählte wirtschaftsgeographische und ansatzweise wirtschaftspolitische Aspekte, vor allem Binnenmarkt und Osterweiterung, hervorgehoben werden.
10.4.4.1
Besonderheiten, Institutionen und Stationen der EuropäiIntegration
schen
Die EU gilt landläufig als Vorreiter und Vorbild aller funktionierenden regionalen Integrationen. Noch nie in der Geschichte wurde ein vergleichbarer Versuch unternommen, auf freiwilliger Basis einen so engen supranationalen Zusammenschluss souveräner Staaten herbeizuführen. Die EU ist ein Integrationsmodell sui generis, das aufgrund folgender Besonderheiten seinesgleichen sucht (vgl. Pfetsch 2001, S.
11): •
•
Die EU entstand aus einem Zusammenspiel und einer Harmonie von Interessen, die ohne jeglichen äußeren Druck zusammengeführt wurden. Die EU ist ein politisches Gebilde, das sich ständig weiter entwickelt und daher in einem andauernden Prozess der Regimewerdung befindlich ist; so hat sich die EU mittlerweile auch eine eigene Verfassung gegeben, deren Einführung an Volksreferenden in einzelnen Mitgliedsstaaten aber vorerst gescheitert ist.
10 Formen der regionalen
304
•
•
•
Blockbildung
Die EU stellt ein politisches Mehrebenensystem dar: Der Prozess der politischen Willensbildung und Entscheidungsfindung findet gleichsam auf der supranationalen, nationalen, regionalen und lokalen Ebene statt. Im Gegensatz zu anderen regionalen Integrationen strebt die EU danach, Vielfalt und Vielgestaltigkeit ihrer Mitglieder zu einer Einheit zusammenzufügen. Etliche Mechanismen sollen einen inter- und intrastaatlichen Ausgleich herbeiführen. Die EU figuriert als Zwittergebilde zwischen einer supranationalen Organisation und einer intergouvermentalen Kooperation zwischen den beteiligten Staaten.
Kein Staat, keine internationale Organisation befindet sich in einem so fortgeschrittenen und tiefgreifenden Wandel wie die EU. Dabei ist zu beachten, dass dieser Prozess nicht gleichmäßig verläuft; vielmehr lösen sich im Sinne eines Stop-and-Go Phasen der beschleunigten Integration mit Phasen der Stagnation ab. Auch verläuft er nicht geradlinig: Mal steht die supranationale Dynamik, mal die schwerwiegende intergouvermentale Konsens- und Kompromissfindung im Vordergrund. Die Europäische Integration ist ferner ein selektiver Prozess. Von den vielen Reformkonzepten und Visionen werden nur wenige, begrenzte und auf allgemeine Zustimmung stoßende Vorhaben tatsächlich umgesetzt. Schließlich handelt es sich um einen asymmetrischen Prozess: Während Fragen der Marktintegration gemeinschaftlichinstitutionell behandelt werden, erweisen sich andere Politikbereiche, insbesondere Außen- und Sicherheitspolitik, als schwer integrierbar und bleiben nicht von nationalen Alleingängen verschont (vgl. TÖMMEL 2003, S. 19). Abb. 10.2 zeigt die Säulen der Europäischen und ihre wichtigsten Institutionen, Abb. 10.3 die Stationen des wichtigsten Integrationsprozesses.
Integration14
2004 wurde die letzte große institutionelle Reform der EU verabschiedet. Mit der Schaffung der Ämter eines Präsidenten des Europäischen Rates und eines EU-Außenministers soll die EU nach innen und außen gestärkt werden. Im Ministerrat gilt ab 2009 grundsätzlich das Prinzip der doppelten Mehrheit (55% der Mitgliedsstaaten, 65% der EU-Bevölkerung). In der Außen- und Sicherheits-, der Steuer- und Sozial- sowie Teilen der Einwanderungs- und Asylpolitik gilt weiterhin das Einstimmigkeitsprinzip. Bis 2014 setzt sich die Kommission aus 25 Mitgliedern (eines je Mitgliedsland) zusammen; danach wird ihre Größe auf zwei Drittel der Mitgliederzahl reduziert, die im Rotationsverfahren ausgewählt werden. Die Befugnisse des Parlaments, das 2007 auf 786 Mitglieder vergrößert wird, werden, insbesondere bei der Haushaltsplanung, aufgewertet (vgl. Rm 24.6.2004).
C: Internationale Wirtschaftsräume als Aktionsfelder internationaler Unternehmen
Abb. 10.2: Säulen und Institutionen der
EG (Europäische Gemeinschaften) EWG (Europäische Wirtschaftsgemeinschaft) EAG (Europäische Atomgemeinschaft)
Gemeinsame Außenund Sicherheits-
-
-
Zusammenarbeit in der Innenund Rechts-
politik
bis 2002 EGKS
-
Europäischen Integration
(GASP)
(Europäische Gemeinschaft für Kohle u. Stahl)
politik
EU-Ministerrat
EU-Kommission
EU-Parlament
Gesetzgebendes Organ
Hüterin d. Verträge und Exekutivorgan
Vertretung des europäischen Volkes
Höchste Gerichtsbarkeit
Allgemeiner Rat /
Umsetzung der Politikbereiche und des Haushalts
Direkte Wahl alle 5 Jahre
Überwachung der
Fachministerräte
Genehmigung Haushaltsplans
des
Rechtsvorschriften
Derzeit 732
Mitglieder
Wirtschaftspolitik
Allgemeines Recht für Gesetzesvor-
Koordination der polizeilichen und
schläge
Gewalt (bei Mitentschei-
dungsverfahren)
Vertretung der EU
auf internationaler Ebene
Demokratische Kontrolle der Kommission
Beschaffung und Analyse von
Haushaltes
Koordination der
justiziellen
Zusammenarbeit
einheitlichen An-
wendung der EU-
Durchsetzung des EU-Rechts
EU-Gerichtshof
Gesetzgebende
Entscheidung bei Rechtsstreitig-
keiten
Auf Anfrage beratende Funktion
Abschluss der
EU-Verträge Abschluss
von
Verträgen
mit Dritt-
staaten und
Informationen
25
Organisationen
Mitglieder
Entwicklung
der GASP
schaftlichkeit der Haus-
haltsführung Stellungnahme zu neuen finanziellen Regelungen Quelle:
Eigene Darstellung.
(mit Rat) Beratende Funktion bei Gesetzentwürfen
Zustimmung bei EU-Verträgen, Erweiterungen und Außenbeziehungen Wirtschafts- und Sozialausschuss
EU-Rechnungshof Budgetprüfung und Erstellung von Berichten Gewährleistung der Wirt-
Genehmigung des
Beratendes 222
Organ
Mitglieder (Arbeitge-
ber, Gewerkschaften, Verbraucher, Landwirte etc.)
Stellungnahme in der WirtSchafts- und Sozialpolitik
Ausschuss der
Regionen
Vertretung der regionalen
und kommunalen Gebiets-
körperschaften mit 222 Mitgliedern
Anhörung bei regionalen Belangen
305
10 Formen der regionalen
306
Abb. 10.3: Stationen des Europäischen Inhaltliche Erweiterung
Integrationsprozesses Geographische Erweiterung 2015-
2020? 2007
Verabschiedung institutionenumbildender Reformen sowie einer gemeinsamen Verfassung; letztere durch negative Referenden in einzelnen Mitgliedsländern 2005 aber vorerst gescheitert
Blockbildung
2004
Beitritt der Türkei
1
Beitritt
Bulgariens und (geplant)
Rumäniens
Osterweiterung: Beitritt Estlands, Lettlands, Litauens, Maltas, Polens, Slowakeis, Sloweniens, Tschechiens, Ungarns, Zyperns
Europäischer Konvent: Vorlagee eines Verfassung
Verfassungsentwurfs
für die erweiterte I Euro als
Bargeld
Vertrag von Nizza: Neue Stimmverteilung im Ministerrat und Parlament Agenda 2000: finanzielle Vorausschau (2000-2006), Osterweiterung, Reform der Agrarpolitik, 3. Stufe der Währungsunion (Euro als Buchgeld) Vertrag von Amsterdam: Kriterien Osterweiterung, Regelungen in der Einwanderungs- und Asylpolitik Europäischer Wirtschaftsraum (EWR), 2. Stufe der Währungsunion (wirtschaftliche Konvergenz)
2002 2000
1999
1997
zur
EU-Binnenmarkt
Vertrag von Maastricht: Wirtschaftsu. Währungsunion, gem. Außen- u. Sicherheitspolitik, Zusammenarbeit in der Innen- und Rechtspolitik
1995
1994
1992
1990
Einheitliche Europäische Akte: Binnenmarktbeschluss
1987
Europ. Währungssystem, erste Europaparlaments
1979
Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern (Lome-Abkommen)
1975
1990
(Kapitalmarktliberalisierung)
1986 1981
1973 1972
Abschaffung sämtlicher zwischenstaatl. Zoll- und Handelsschranken Gemeinsamer Außenzolltarif im Rahmen der Zollunion
1968
Inkrafttreten des Agrarmarktes durch gemeinsame Marktordnungen
Verträge von Rom: Gründung der EWG u. EAG Gründung der EG KS (bis 2002) Quelle::
Eigene Darstellung.
1958
1952
Beitritt der ehemaligen DDR durch deutsche Wiedervereinigung
Beitritt
Spaniens, Portugals Beitritt Griechenlands
Direktwahl des
Schaffung neuer gem. PolitikRegional- und Struktur-, Energie- und Umweltpolitik
Österreichs,
1993
1. Stufe der Währungsunion
bereiche:
Beitritt
Finnlands, Schwedens
Beitritt Dänemarks, Großbritanniens, Irlands
C: Internationale Wirtschaftsräume als Aktionsfelder internationaler Unternehmen
307
Die EU ist ein Laboratorium für neuartige Formen staatlicher Regulation (vgl. TÖMMEL 1996, S. 57). Einerseits manifestiert sich die EU, garantiert durch das in einer vertikal-hierarchisch strukturierten politischen Orandererseits werden von der EU ganz bewusst neue Organiganisation des Raums, als die sationsformen initiiert oder Integration unterstützende Institutionen gefördert: Auf der kommunalen Ebene stellen Städtenetze und Kooperationen zwischen Metropolregionen moderne Ansätze innerstaatlicher, immer öfter aber auch grenzInüberschreitender Verbindungen dar. Als Beispiele lassen sich der frastrukturprojekte wie das der Transeuropäischen Netze17 oder das Raumplanungsnetzwerk METREX18 anführen.
Subsidiaritätsprinzip15,
Eurocity16,
Auf der regionalen Ebene haben sich mehrere Gemeinschaftsinitiativen entwickelt, welche die Durchlässigkeit der Grenzen, welche auch nach dem Wegfall physischer Barrieren im mentalen, politischen und kulturellen Bereich fortbestehen, erhöhen sollen. Beispiele sind die auf die Förderung grenzüberschreitender Zusammenarbeit gerichteten INTERREG-Programme und die Bildung von Euregios, in denen kommunale Gebietskörperschaften aneinander grenzender Regionen in bestimmten Bereichen (z.B. Wirtschaft und Verkehr, Arbeitsmarkt, Technologietransfer, Umwelt, Tourismus, Kultur etc.) länderübergreifend koopeneren
19
.
Auf der nationalen Ebene wurden von den Regierungen bedeutende souveräne Politikbereiche (u.a. Währungs-, Wettbewerbs- und Handelspolitik) an gemeinsame Institutionen abgetreten. Der europäische Nationalstaat, wie er sich seit dem Westfälischen Frieden 1648 sukzessive entwickelt und im Imperialismuszeitalter des späten 19. Jahrhunderts seinen Höhepunkt erlebt hat, ist im „Verschwinden" begriffen. Dennoch sind die Nationalregierungen im Ministerrat als tonangebendem Organ der EU vertreten. Trotz Machtverschiebungen zugunsten europäischer Institutionen sind nationalDas Subsidiaritätsprinzip besagt, dass die EU in den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, nur dann reglementierend aktiv wird, sofern und soweit die Ziele der in Betracht kommenden Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedsstaaten nicht ausreichend zu erreichen sind. Beim Eurocity handelt es sich um einen grenzüberschreitenden Fernschnellzug, dessen Strecken von mehreren Eisenbahngesellschaften innerhalb der EU betrieben werden und wichtige Städte in Europa miteinander verbinden. Die Transeuropäischen Netze (TEN) sind Netze für Verkehr, Telekommunikation und Energieversorgung, welche die globale Wettbewerbsfähigkeit der EU erhöhen und räumliche Disparitäten durch Verbesserung der interregionalen Erreichbarkeit reduzieren sollen. METREX ist ein Netzwerk europäischer Ballungs- und Großräume, dem gleichzeitig Politiker, Beamte und deren Berater angehören, welche sich auf Ebene der Metropolregionen mit Raumplanung und Raumentwicklung befassen. Es handelt sich um ein Forum zum Wissens- und Erfahrungsaustausch. Euregios unterscheiden sich in ihrer inhaltlichen Schwerpunktsetzung, der Reichweite ihrer Handlungskompetenzen sowie ihrem organisatorischen Aufbau. Die Mitgliedschaft in Euregios wird manchen Ortes auch von Kammern oder sonstigen Interessenverbänden ausgeübt und ist stets freiwillig.
10 Formen der regionalen
308
Blockbildung
Optionen für die Entscheidung über die zukünftige Richtung wicklung der Integration maßgeblich (vgl. ossenbrügge 2004, S. 6f.) staatliche
10.4.4.2
Regionale Disparitäten Osterweiterung
unter besonderer
und Ent-
Berücksichtigung
der
Das Raumbild der wirtschaftlichen Entwicklung der EU ist durch ein auffallendes Zentrum-Peripherie-Gefälle charakterisiert (vgl. Miosga 1997, S. 16). Nach dem Europäischen Raumentwicklungskonzept (EUREK) wird das Gravitationszentrum der EU durch Verbindungslinien zwischen den Metropolen London, Paris, Mailand, München und Hamburg umschlossen. Reiht man die wirtschaftlich posperierendsten Regionen aneinander, ergibt sich das Bild der sog. Blauen Banane, eine sich vom Südosten Großbritanniens entlang der Rhein-Schiene über den Benelux-Raum
und zentrale Gebiete Deutschlands bis nach Norditalien erstreckende räumliche Zone mit überdurchschnittlich hoher Wirtschaftskraft. Doch auch außerhalb dieses Zentrums liegen entwicklungsstarke Metropolregionen (u.a. die Großräume Madrid, Wien und Helsinki, Südschweden, Teile Schottlands). Als peripher gelten dagegen die Regionen, in denen das BIP pro Kopf nur 75% oder weniger des durchschnittlichen EU-BIP beträgt. Diese ärmeren Regionen mit ökonomischem Rückstand liegen vor allem im Süden der EU, d.h. in weiten Teilen der Iberischen Halbinsel, dem italienischen Mezzogiorno und Griechenland. Auch im Norden und Nordwesten der EU befinden sich periphere Gebiete (Teile Großbritanniens, Irlands, Skandinaviens und der französischen Atlantikküste), in denen aufgrund der stärkeren Wirtschaftskraft aber eine geringere Problemdichte gegeben ist. Zu den wirtschaftlich weniger erfolgreichen Gebieten gehören auch die neuen Bundesländer, bestimmte altindustrielle Gebiete Belgiens und das österreichische Bur-
genland. Abgerundet wird das Bild der „Festung Europa" durch die neue mittel- und osteuropäische Peripherie. Vergleichbar mit der Bedeutung der mexikanischen Maquiladora-Industrie für die USA (vgl. Exkurs 10.2) stellen die ostmitteleuropäischen Länder (OMEL) für die EU-15 einen Pool für arbeitskostenintensive Produktionen dar. Mehrere Standort Verlagerungen nach Polen, Tschechien und Ungarn belegen diesen Trend (vgl. Ossenbrügge 2004, S. 7f.; Brasche 2003, S. 232). Andererseits bildet sich mit dem Beitritt der OMEL auch eine
neue
Klasse
re-
gionaler Disparitäten heraus. Der Zusammenbruch des Ostblocks erzwang in den OMEL Anfang der 1990er Jahre eine umfassende Revision des ökonomischen, gesellschaftlichen und politischen Systems. Der Prozess der Transformation brachte die Ineffizienzen und schlechte Wettbewerbsfähigkeit der Planwirtschaft, eine hohe verdeckte Arbeitslosigkeit und zurück gestaute Inflation ans Licht. Die Schaffung ordnungspolitischer Rahmenbedingungen für einen funktionierenden Wettbewerb, wie z.B. Privatisierung staatlicher Unternehmen, Reform des Finanzsektors, Auf-
C: Internationale Wirtschaftsräume als Aktionsfelder internationaler Unternehmen
309
bzw. Umbau sozialer Sicherungssysteme, wird von Geldentwertungen, Destabilisierung der Staatshaushalte und außenwirtschaftlichen Ungleichgewichten begleitet. Das Ergebnis sind beträchtliche volkswirtschaftliche und soziale Kosten, welche in der Entwertung erheblicher Teile des Kapitalstocks, steigender Arbeitslosigkeit und Armut weiter Bevölkerungsschichten zum Ausdruck kommen (vgl. Brasche
2003, S. 148). Mit der
1.5.2004 erfolgten Osterweiterung, durch welche die Spaltung überwunden werden soll, stieg die Bevölkerung der EU von 379 um 74 auf 453 Mio. Einwohner, d.h. um knapp 20%. Der Anstieg des BIP liegt dagegen bei nur 4,4%. Noch nie war bei einer Erweiterung der EU dieses Verhältnis so ungünstig (vgl. Hahn 2004, S. 59). Karte 10.4 zeigt die im BIP in Kaufkraftstandards pro Kopf gemessenen Wohlfahrtsdisparitäten innerhalb der erweiterten EU, basierend auf Werten aus dem Jahr 2003. zum
Europas endgültig
Setzt man den Durchschnittswert der EU-15 mit 100 gleich, liegen vom Ausreißer Luxemburg mit 188 abgesehen die meisten Länder der alten EU zwischen 100 und 125, Spanien, Portugal und Griechenland dagegen deutlich unter 100. In fünf der zehn Beitrittsländer (Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei) liegt der Wert sogar unter 50%. Demnach befinden sich mehr als 10% der gesamten EU-Bevölkerung in einem gravierenden Wohlfahrtsrückstand gegenüber der gesamten Union (vgl. Hahn 2004, S. 61f.). -
-
Als besonders klaffend erweisen sich vor allem die interregionalen Wohlfahrtsdisparitäten innerhalb der Beitrittsländer. Hauptstadtagglomerationen wie Warschau, Prag und Budapest, aber auch die Mährisch-Schlesische Region und die Stadtregion Bratislava mit ihrer Nähe zu Wien stellen dynamische wirtschaftliche Wachstumspole dar. Im Vorteil befinden sich zudem die ehemaligen Randgebiete an den Westgrenzen zur EU, welche bereits nach der Wende von den wirtschaftlichen Kontakten gen Westen, respektive Deutschland und Österreich, profitieren konnten. Ansonsten sind die Beitrittsländer fast überall von regionaler und sektoraler Strukturschwäche mit einem hohen Anteil unproduktiv wirtschaftender landwirtschaftlicher Arbeitskraft geprägt. Es ist zu beobachten, dass ländlich-periphere Regionen, altindustrielle Gebiete mit staatlichen Betrieben in traditionellen Branchen (z.B. Kohle und Stahl) sowie die ökonomisch nur schwach integrierten und infrastrukturell unzureichend ausgestatteten östlichen Grenzregionen in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung stagnieren oder sogar zurückfallen. In allen OMEL wird daher eine Verstärkung der regionalen Polarisierung im Zuge von Transformation und EU-Beitritt erwartet (vgl. vorauer-mischer 2004, S. 7; brasche 2003, S. 239; Beichelt 2004, S. 178).
310
10.4.4.3 Wirtschaftliche In den 1980er Jahren
10 Formen der regionalen
Blockbildung
Wachstumsstrategien
begann die europäische Wirtschaft unter einer ausgeprägten Wachstumsschwäche und einem technologischen Rückstand gegenüber den anderen beiden Triadepolen, Nordamerika sowie Japan und den Tigerstaaten, zu leiden ein Phänomen, das als „Eurosklerose" bekannt geworden ist (vgl. BRASCHE 2003, S. 48).
-
C: Internationale Wirtschaftsräume als Aktionsfelder internationaler Unternehmen
311
Europäischen Akte von 1987, die auch als Beginn der „zweiten Gründungsphase" der EU bezeichnet wird, sollte diese Schwäche überwunden werden. Der zum 1.1.1993 eingeführte Binnenmarkt, der auf den vier Freiheiten (freier Personen-, Waren-, Kapital- und Dienstleistungsverkehr) beruht, ist gleichermaßen Wachstumsinitiative wie Konzept zur Beschleunigung des wirtMit der Einheitlichen
schaftlichen Strukturwandels und sollte die EU stärker in den triadisch strukturierten Wettbewerb integrieren. Seitdem gewinnen Forschungs- und Technologiepolitik sowie industriepolitisch motivierte Gemeinschaftsprojekte (z.B. der Airbus in der Luftfahrtindustrie) konsequent an Bedeutung (vgl. OssenbrüGGE 2004, S. 6).
Wirkung des Binnenmarktes zeigt sich vor allem in der Entwicklung grenzüberschreitender Aktivitäten. Während der Intrahandel der EU-15 1992 noch ca. 1 672 Mrd. Euro betrug, lag er 2003 bereits bei ca. 3 085 Mrd. Euro, was einem Wachstum von ca. 85% entspricht. Dagegen hat sich der Außenhandel der EU mit Drittländern (Extrahandel) im gleichen Zeitraum zwar um 123% erhöht, in absoluten Zahlen fällt er allerdings bedeutend geringer aus und lag 2003 bei rund 1 960 Mrd. Euro. Damit ist der Intra-EU-Handel 1,6mal so groß wie der Außenhandel der EU mit dem Rest der Welt. Eine ähnliche Binnenwirkung ergibt Die
sich bei den Direktinvestitionen. Im Jahr 2003 entfielen 66% aller Direktinvestitionen der Mitgliedsstaaten (insgesamt 383 342 Mio. Euro) auf Länder der EU, was einer Summe von 252 573 Mio. Euro entspricht. Beide Trends werden sich mit der Osterweiterung weiter verstärken (vgl. Eurostat 2005).
Entgegen den von Drittländern zu Beginn der 1990er Jahre vielfach geäußerten Befürchtungen ist der Binnenmarkt nicht zur protektionistisch abgeschotteten „Festung Europa" geworden. Zwischen 1992 und 2003 haben sich die Extra-EU-Importe um 112% von 465 auf 988 Mrd. Euro erhöht (vgl. Eurostat 2005). Auch für Investoren aus Drittländern hat die EU mit dem Binnenmarkt deutlich an Attraktivität gewonnen. Die Direktinvestitionen in der EU-15 waren im Jahr 2003 (110 649 Mio. Euro) fünfmal so hoch wie 1992 (22 907 Mio. Euro) (vgl. eurostat 2005).
Die steigenden Einfuhren aus Mitglieds- und Drittländern und zunehmende Ansiedlungen ausländischer Unternehmen haben den Wettbewerbsdruck auf den Gemeinschaftsmärkten deutlich verschärft. Der Zwang zu Kostensenkungen und Effizienzgewinnen stärkt auch deutlich die Position vieler europäischer Unternehmen auf den Weltmärkten. Eine Erfolgsgeschichte der besonderen Art bildet die High-tech-Produktion. In mehreren Bereichen zählt die EU mittlerweile zu den Weltbesten, wie folgende Beispiele belegen: •
•
Der neue Airbus A380 (vgl. Kap. 18.2), der 550 Passagieren Platz bietet, ist das größte aller bisher gebauten Flugzeuge. Das voraussichtlich 2008 in Betrieb gehende Satellitennavigationssystem Galileo erlaubt eine Vielzahl praktischer Anwendungen (Verkehrs- und Wegeinformationen, Mobilfunkkommunikation, Straßenleitsystem, Schiffs- und Lkw-
10 Formen der regionalen
312
•
•
•
•
Blockbildung
Ortung, Grenzüberwachung u.a.). In der Nähe von München soll dafür ein Testgebiet entstehen. Auch das anfangs viel gescholtene satellitengestützte Mautsystem Toll Collect könnte künftig zu einem Exportschlager werden. Im Jet-Reaktor in Oxford (Großbritannien) wird nach dem Sonnenprinzip Energie aus Atomfusion gewonnen. Mit dem geplanten Fusionsreaktor in Cadarache (Frankreich) sollen weitere Fortschritte für eine autonome Energieversorgung erzielt werden. Durch den hochinnovativen und symbolträchtigen Luxuskreuzer „Queen Mary II" hat die lange Zeit als marode geltende europäische Kreuzfahrtschiffbauindustrie wieder den Anschluss an die Weltspitze geschafft. In der Bahntechnologie stoßen die Hochgeschwindigkeitszüge TGV und ICE auf weltweiten Absatz. Die Landung der europäischen Raumsonde Huygens auf dem Saturnmond Titan unterstreicht die fortschrittliche Leistung der europäischen Raumfahrtbehörde Esa.
gemeinschaftlichen, häufig industriepolitisch motivierten wirtschaftlichen Erfolgen stehen aber Wachstumsdefizite entgegen, die vielfach auf ordnungspolitiDiesen
sche Defizite des Binnenmarktes zurückzuführen sind: Noch immer nimmt sich der grenzüberschreitende Warenhandel aufgrund technischer Hemmnisse kostspieliger und komplizierter aus als der Binnenhandel innerhalb eines Landes Die EU-Kommission setzt hier verstärkt auf den Erlass von sog. Euronormen, die auch in komplexen und sensiblen Produktbereichen greifen. Auch der Markt für öffentliche Aufträge, die immerhin 16% des EU-BIP ausmachen, ist immer noch nicht ausreichend liberalisiert. Hier bemüht sich die Kommission um die elektronische Abwicklung von Vergabeverfahren (vgl. Zentes et al. 2004, S. 199ff). .
Schließlich existieren vor allem im Dienstleistungsbereich immer noch deutliche Hemmnisse. Sie liegen vordringlich in den großen Rechtsunterschieden zwischen den Mitgliedsländern, vor allem was Qualifikationen und Niederlassungen Die EU strebt hier neben einer stärkeren Kontrolle der betrifft, Niederlassungsfreiheit vor allem eine gemeinsame Richtlinie zur Anerkennung beruflicher Qualifikationen (Diplome, Prüfungszeugnisse, Befähigungsnachweise)
begründet21.
Beispielsweise soll in Deutschland das CMA-Gütesiegel „Aus deutschen Landen frisch auf den Tisch" den Absatz deutscher Agrarprodukte erhöhen, diskriminiert gleichzeitig aber Drittanbieter. In Griechenland müssen importierte Softdrinks mit einem speziellen Richtpreisetikett in englischer und griechischer Sprache versehen werden. In Frankreich müssen Getränke mit einem Alkoholgehalt über 25 Vol % ein Etikett tragen, aus dem ersichtlich ist, dass ein Beitrag zur französischen Sozialversicherung gezahlt worden ist. Unternehmen aus anderen Ländern müssen daher allein für den französischen Markt spezielle Etiketten anbringen (vgl. Brasche 2003, S. 757f.). Beispielsweise wird in Irland, Frankreich und Österreich die Dienstleistungsfreiheit von Patentanwälten durch bestimmte Eignungsprüfungen eingeschränkt. In Italien erhalten nur italienische Staatsangehörige die Erlaubnis zum Betreiben eines privaten Sicherheitsdienstes (vgl. brasche 2003, S. 87f.).
C: Internationale Wirtschaftsräume als Aktionsfelder internationaler Unternehmen
313
Eine Dienstleistungsrichtlinie, die gemäß dem Herkunftslandsprinzip es Dienstleistungsanbietern erlaubt hätte, nach den Regeln des eigenen Landes im Ausland tätig zu werden, wurde von den Staats- und Regierungschefs aber bereits wieder verworfen. Als Gründe wurden die möglichen Gefahren für Sozialgefüge und Arbeitssicherheit (Sozialdumping) sowie Verbraucherrechte genannt. an.
Im Jahr 2000 hat die EU ihre sog. Lissabon-Strategie verabschiedet. Danach sollte sich die EU bis 2010 zum weltweit dynamischsten und wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum entwickeln. Zu den Zielen gehören u.a. ein durchschnittliches jährliches Wirtschaftswachstum von 3% und die Erhöhung der Beschäftigungsquoten der Mitgliedsländer auf 70%. Ein wesentliches Element der Strategie ist es, bis 2010 3% des BIP für Forschung und Entwicklung aufzuwenden. Der 2004 vorgestellte Kok-Bericht22 offenbarte allerdings, dass die ehrgeizig gesteckten Lissabon-Ziele zwischenzeitlich in weite Ferne gerückt sind. Entmutigend fällt vor allem der ökonomische Vergleich mit den USA aus: 2003 lag das Pro-Kopf-Einkommen in den USA um rund 40% über dem Durchschnitt der EU-15, während die Arbeitsproduktivität pro Person um mehr als 21% höher lag. Als Ursachen führt der Bericht die schleppende Vollendung des Binnenmarktes (insbesondere im Dienstleistungssektor), die zähe Liberalisierung früherer Monopolbranchen (Post, Telekommunikation, Energie), administrativ-bürokratische Hemmnisse für Unternehmen, die zögerliche Öffnung der Arbeitsmärkte sowie die nur mühsam vorankommende Reform der sozialen Sicherungssysteme in etlichen Mitgliedsländern an.
10.4.4.4
Ausgewählte Problembereiche: Agrar- und Strukturpolitik
Der Haushalt der EU ist in den letzten 20 Jahren dramatisch angewachsen. Während sich die Ausgaben 1985 noch auf 28,2 Mrd. Euro beliefen, ging der Haushaltsentwurf für das Jahr 2004 bereits von einer Obergrenze von 111,4 Mrd. Euro aus. Insgesamt dürfen die Ausgaben 1,27% des EU-BIP aber nicht überschreiten (vgl. Beichelt 2004, S. 159). Da mit der Osterweiterung der EU ohne Ausnahme Länder beigetreten sind, die auf derselben Stufe wie Griechenland, dem schwächsten Mitglied der EU-15, oder noch weiter darunter stehen, finden sich Haushaltsfragen und regionale Disparitäten auf deren Beitrittsagenda ganz oben. Die in den Beitrittsländern auf nachhaltige Solidarität des „alten" Europas gerichtete Erwartungshaltung prallt aber auf die Spar- und Reformanstrengungen der reicheren Länder der EU zur Aufrechterhaltung wohlfahrtsstaatlicher Leistungen. Verteilungskonflikte, die daher schon während der Beitrittsverhandlungen mit den OMEL auftraten, sind auch für die Zukunft vorprogrammiert und werden auch die Beitrittsverhandlungen mit weiteren Ländern, insbesondere der Türkei, Uberschatten (vgl. Ossenbrügge 2004, S. 9).
Benannt nach dem
ehemaligen niederländischen Premierminister Wim Kok.
314
10 Formen der regionalen
Blockbildung
Zwei Politikbereiche, die quantitativ von extremer Bedeutung und daher als besonders problembehaftet gelten, sind die Agrar- und die Strukturpolitik, auf die zusammen im Jahr 2004 fast 80% aller Haushaltsmittel entfallen (vgl. Beichelt 2004, S. 159). Obwohl der Agrarsektor in der EU-15 als Wirtschaftszweig nur eine untergeordnete Rolle spielt (ca. 4% der Arbeitsplätze, ca. 2% des BIP), gilt die Agrarpolitik als Sorgenkind der Gemeinschaft. Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) ist der am weitesten vergemeinschaftete, die höchste Regulierungsdichte aufweisende und mit Abstand kostspieligste Politikbereich der EU. Trotz mehrer Reformen beansprucht der umfangreiche Subventionsapparat der GAP nach wie vor 50% des gesamten EU-Budgets, führt zu exorbitanten Produktionsüberschüssen (Butterberge, Wein- und Milchseen) sowie erhöhten Konsumentenpreisen bei teils schlechter Qualität und erheblichen Belastungen für die Umwelt. Gegenüber Drittländern sorgt die GAP mit ihren Preisstützungen, Exportsubventionen und hohen Zöllen seit ihrem Bestehen für internationale handelspolitische Friktionen, welche immer wieder wichtige GATT- bzw. WTO-Verhandlungsrunden blockieren (vgl. Kap. 4.3.1). Innerhalb der Gemeinschaft ist sie die Quelle für ständige Verteilungskonflikte zwischen Nettozahlern und Nettoempfängern. Besonders deutlich wurde dies auf dem EU-Gipfel im Juni 2005. Großbritannien machte die Kürzung des sog. „Briten-Rabatts", den das Land einst als Ausgleich für seine hohen Nettozahlungen in den Agrarhaushalt erhalten hatte, von einer Neuordnung der Ausgabenstruktur der EU und damit einer Kürzung der Agrarsubventionen abhängig, was Frankreich als größter Nettoempfänger von Agrarsubventionen naturgemäß verweigerte. Das Scheitern des Gipfels, dem die negativen Referenden zu einer gemeinsamen EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden vorausgingen, stürzte die EU in eine schwere Krise. Trotz der geschilderten Probleme gelingt der aus einem stark aneinander geschweißten agroindustriellem Komplex vor- und nachgelagerter Branchen bestehenden Agrarlobby immer wieder die Mobilisierung nationaler Egoismen, die sich allzu weitgehenden Reformen der GAP erfolgreich widersetzen (vgl. Bergmann 2001, S. 294; Brasche 2003, S. 170f.). Die „subventionierte Unvernunft" kann sich daher bis heute weitgehend behaupten.
Die Landwirtschaft
war
der Stolperstein in den
Beitrittsverhandlungen mit den
OMEL, die eine sehr ungünstige Agrarstruktur aufweisen. Außer Estland, Lettland
und Ungarn lag der nationale BIP-Anteil der Landwirtschaft bei deutlich unter 3%, der durchschnittliche Beschäftigungsanteil dagegen bei 9,5%, in Polen, dem größten Beitrittsland, sogar bei fast 20%. Die geringe Produktivität und Effizienz der ostmitteleuropäischen Landwirtschaft generiert daher nur sehr geringe Einkommen. Eine Ausdehnung des geltenden Stützungsniveaus der EU-15, insbesondere der direkten Einkommenszahlungen, hätte die EU daher an die Grenze der finanziellen Belastbarkeit geführt. Die Agenda 2000 als finanzielle Vorausschau für die Jahre 2000-2006 hatte dies auch nicht vorgesehen. Doch hätte dies für die Beitrittsländer bedeutet, zu Mitgliedern zweiter Klasse degradiert zu werden, und auf sie den
C: Internationale Wirtschaftsräume als Aktionsfelder internationaler Unternehmen
315
Druck erhöht, den gesamten Beitritt an der Finanzierung des Agrarsektors scheitern zu lassen. Der Kompromiss schließlich bestand darin, die Direktzahlungen im Jahr 2004 in den OMEL zunächst auf 25% des EU-15-Niveaus zu begrenzen und bis 2013 auf 100% anzuheben (vgl. Beichelt 2004, S. 174ff.). Dabei ist zu beachten, dass die mit der GAP-Reform von 1992 eingeführten Direktzahlungen als soziale Abfederung der Senkung der Stützpreise für die wichtigsten Agrarprodukte konzipiert waren. Da in den OMEL das Agrarpreisniveau aber unter dem der EU-15 liegt und daher mittelfristig steigen wird, besteht für diese Zahlungen eigentlich keine ökonomische Rechtfertigung. Weil sie schrittweise ansteigen, wird das Finanzierungsproblem nur in die Zukunft vertagt, aber nicht wirklich gelöst. Im Brennpunkt des Konfliktes um den EU-Haushalt, in den die einen hineinzahwas die anderen herausbekommen, steht auch die Struktur- bzw. Regionalpolitik. Sie dient der Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts in der EU. Der Binnenmarkt bringt vor allem den wirtschaftlichen Gravitationszentren mit gut ausgebauter Infrastruktur und leistungsfähigen Industrien Vorteile; weniger entwickelte Regionen können mit diesen nur schwer mithalten. Es besteht die Tendenz der wachsenden Konzentration ökonomischer Aktivitäten in den Verdichtungsräumen, die mit der Gefahr von starken Migrationsbewegungen zu den Arbeitsplätzen in den Zentren der EU und der Entleerung altindustrialisierter, agrarischer, peripherer und strukturschwacher Räume einhergeht. Die europäische Regionalpolitik soll einer solchen Entwicklung durch den Abbau regionaler Disparitäten und die Verbesserung der Wirtschaftsstruktur in Randgebieten entgegensteuern und damit auch zum Erhalt des sozialen Friedens in der EU (vgl. Bergmann 2001, S.
len,
beitragen23
398ff.). Die Europäische Regionalpolitik ist in ihrer Motivation und Konzeption höchst umstritten. Die EU gibt rund ein Drittel ihres Haushalts für Regionalsubventionen aus und limitiert gleichzeitig korrespondierende Aktivitäten der Nationalregierungen. Angesichts der erheblichen finanziellen Belastung, des hohen Erwartungsdrucks ärmerer Regionen sowie des steigenden Problemdrucks im Hinblick auf ihre Erweiterungen muss die Frage nach den bisherigen Erfolgen und den zukünftigen Maßnahmen dieses Politikbereichs gestellt werden. Die Osterweiterung wird sich in diesem Zusammenhang immer an der Frage der Verteilungsgerechtigkeit messen lassen müssen. Bis 2006 erhalten die Neumitglieder weniger als 8% der Fördermittel, welche den alten Mitgliedern der EU-15 zur Verfügung stehen. Auf Griechenland, Portugal, Spanien, den italienischen Mezzogiorno Zu den Förderinstrumenten zählen die drei Strukturfonds, d.h. der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), der Europäische Sozialfonds (ESF) und die Abteilung Ausrichtung des Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAGFL). Weitere Instrumente bzw. Einrichtungen sind die Kohäsionsfonds für einkommensschwache Mitgliedsstaaten, das
Finanzinstrument für die Ausrichtung der Fischerei (FIAF), die Europäische Investitionsbank (EIB), der Europäische Investitionsfonds (EIF) sowie bis Juli 2002 die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS).
10 Formen der regionalen
316
Blockbildung
und die neuen Bundesländer entfallen dagegen rund drei Viertel der gesamten Strukturförderung (vgl. Beichelt 2004, S. 168). Danach werden die „Karten neu gemischt". Erfahren die Mittel für die Regionalpolitik eine deutliche Aufstockung, werden deren Hauptempfänger spürbare Einbußen hinzunehmen haben. Denn der Beitritt der OMEL wird das für die Regionalförderung ausschlaggebende Durchschnitts-BIP der EU drücken. Etliche Regionen könnten ihren Förderstatus weniger als 75 % des durchschnittlichen EU-BIP verlieren, indem sie dann über dieser Grenze liegen. Hier sind für die Zukunft heftige Verteilungskonflikte zu erwarten. Insgesamt wird der Umverteilungsdruck von „Süd nach Ost" aber zunehmen (vgl. Caesar 2003, S. 167). -
-
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204.
C: Internationale Wirtschaftsräume als Aktionsfelder internationaler Unternehmen
11
Dynamische Wachstumsmärkte
-
Die
321
Beispiele China
und Indien
Die zunehmende Liberalisierung der Weltmärkte und das damit verbundene Wegfallen von Handelshemmnissen, die weltweit in den letzten Jahrzehnten stark gesunkenen Transportkosten sowie neue Informations- und Telekommunikationsmöglichkeiten haben den Unternehmen fast jeder Branche die Tür zu den internationalen Märkten immer weiter geöffnet. Firmen wie Siemens, BASF oder VW, die früher als ausgesprochen deutsche Unternehmen galten, sind heute als Global Player weltweit präsent und haben den Charakter von transnationalen Gesellschaften. Gerade für derartige Großunternehmen sind die Wachstumsmärkte China und Indien von großer Bedeutung. Die beiden bevölkerungsreichsten Länder der Welt bieten ausländischen Investoren ungeahnte Marktmöglichkeiten und große Wachstumspotenziale. Im Verlauf der nächsten Jahrzehnte werden Länder wie China und Indien vom bisherigen Status des Entwicklungs- bzw. Schwellenlandes zumindest was ihre künftige Wirtschaftsleistung betrifft zu den heutigen OECD-Ländern aufschliessen. Die gegenwärtig hohen Wachstumsraten sind Ausdruck dieses Prozesses, das schrittweise Durchsetzen des marktwirtschaftlichen Prinzips ist verantwortlich für Entwicklungs- und Wohlfahrtserfolge. Heute steigt der Lebensstandard beider Länder jedes Jahrzehnt um den Faktor zwei (vgl. weizsäcker 2004, S. 13), wobei es in beiden Staaten, insbesondere Indien, nicht gelungen ist, das regionale und soziale Gefälle abzubauen. Zu Beginn dieses Jahrtausends werden auf dem indischen Subkontinent die Merkmale eines Entwicklungslandes von der Weltöffentlichkeit im Vergleich zu China immer noch viel stärker wahrgenommen (vgl. Bronger 2002). -
-
Folgendes Kapitel widmet sich zunächst sowohl den charakteristischen Merkmalen als auch der Krisenanfälligkeit von Wachstumsmärkten im Allgemeinen. Im Anschluss wird dann zunächst China als weltweit wohl dynamischster Wachstumsmarkt im Besonderen sowie die Determinanten und Folgen seines Wachstums vorgestellt. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf rohstoffwirtschaftlichen Aspekten. Im Anschluss folgt eine vergleichende Darstellung Indiens. 11.1 Wachstumsmodell Ostasiens Die Volkswirtschaften im ostasiatischen Raum machten in den vergangenen vier Jahrzehnten durch ihre Erfolge in der wirtschaftlichen Entwicklung, insbesondere durch hohe Zuwachsraten beim Sozialprodukt sowie durch die zunehmend erfolgreiche Integration ihrer volkswirtschaftlichen Wertschöpfung in die internationale
11
322
Dynamische Wachstumsmärkte: Die Beispiele China und Indien
auf sich aufmerksam. Das außerordentliche Wirtschaftswachstum Ostasiens ist zum großen Teil auf die starke Akkumulation von physischem und Humankapital in der Region zurückzuführen. Begründet wird dies u.a. damit, dass die ostasiatischen Wirtschaftssysteme besser als die meisten anderen in der Lage seien, diese Ressourcen in hochproduktive Investitionen zu lenken. Dazu kombinieren sie zwei wirtschaftspolitische Ansätze miteinander, indem sie einer marktwirtschaftlichen Orientierung grundsätzlich freien Lauf geben, gleichzeitig aber noch sehr stark auf maßgeschneiderte staatliche Eingriffe vertrauen.
Arbeitsteilung,
Außenstehende haben den Erfolg Ostasiens mit Anerkennung bedacht. Begriffe „Ostasiatisches Wunder", „Beginn eines asiatischen Jahrhunderts" oder einer „asiatisch-pazifischen Ära" traten auch in der wissenschaftlichen Literatur zunehmend auf (vgl. u.a. Nuscheler 1997). Teilweise prognostizierte man die Verlagerung des Schwerpunkts der Weltwirtschaft im zunächst ökonomisch ausgewogenen triadischen System in das neue Gravitationszentrum Ostasien. Bis zur Asienkrise 1997 schien sich diese Vorhersage basierend auf den beeindruckenden Wirtschaftsdaten der „High-Performing Asian Economies" zu bewahrheiten. Von 1960 bis 1997 waren die durchschnittlichen Wachstumsraten dieser Länder dreimal höher als in Südasien und Lateinamerika und 25mal höher als im subsaharen Afrika. Besonders die sog. Tigerstaaten Ost-/Südostasiens' hatten mit Hilfe der Investitionen aus der japanischen Wirtschaft den dynamischen Entwicklungspfad der Industriemacht Japans beschritten. In einer späteren Phase reihte sich schließlich auch China in diesen dynamischen Wachstumsverbund ein. Aus internationaler Sicht wurde die Region zusammen mit den Tigerstaaten der zweiten Generation in Südostasien2 zum Wachstumsmotor der Weltwirtschaft3. Schlüsselindustrien wie die Automobilwirtschaft zeigen sehr anschaulich, wie gerade durch die Produktion von Kraftfahrzeugen wirtschaftsdynamische Prozesse befördert werden (vgl. Abb. wie
-
-
-
-
11.1).
Internationalisierung und Globalisierung ökonomischer Aktivitäten durch Unternehmenszusammenschlüsse, Errichtung von Firmentöchtern im ostasiatischen Ausland und strategische Kooperationen haben inzwischen ein beträchtliches Ausmaß erreicht. Die japanischen, amerikanischen und europäischen Global Players sind zu einem wesentlichen Faktor wirtschaftlicher Entwicklung der Region geworden, der in manchen Überlegungen zur Wettbewerbsfähigkeit von Volkswirtschaften unterschätzt wird. Auch ostasiatische Konzerne aus den aus der Gruppe der „Newly Industrialized Countries" (NICs) (vgl. Kap. 5.1.3) aufgestiegenen jungen Industrieländern (wie Südkorea und Taiwan) betätigen sich nun zunehmend Uber Direktinvestitionen im ost-/südostasiatischen Wirtschaftsraum, aber auch mehrt in anderen Erdteilen (vgl. Frommhold-Eisebith 2001, S. 32ff.). Südkorea, Taiwan, Hongkong, Singapur.
ver-
insbesondere die ASEAN-Länder Malaysia, Indonesien, Philippinen, Thailand, vgl. zur Erklärung des dynamischen Wachstums in Ost- und Südostasien das in Exkurs 10.3 beschriebene „Fluggänsemodell".
C: Internationale Wirtschaftsräume als Aktionsfelder internationaler Unternehmen
Abb. 11.1:
323
Entwicklung der asiatischen Automobilproduktion im Vergleich Mio. Pkw
4,0
-i-
Quelle: Haas/Rehner 2002, S. 169 nach
PriceWaterhouseCoopers.
Die verstärkt stattfindende „Asiatisierung" des Großraums wird durch den für gesamt Ostasien wirksamen „Metakonfuzianismus" begünstigt. Insbesondere Japan besinnt sich in jüngerer Zeit wieder zunehmende auf eine marktliche Bearbeitung des ost-/südostasiatischen Raums, China rückt im neuen Jahrtausend aufgrund seiner ökonomischen Potenziale in den Rang von Japan auf.
Die Asienkrise (Mitte der 1990er Jahre) hat die Entwicklungsparameter allerdings auch in Ostasien stark verändert. In Südkorea und Japan gibt es bis in die jüngste Zeit wirtschaftliche Schwierigkeiten (u.a. schwacher Yen, Leerstände in Bürogebäuden). Die Global City4 und Steuerungszentrale Tokio droht gegenüber anderen Weltstädten in Ostasien an Bedeutung zu verlieren. Davon profitiert im Gegensatz zum Nachbarn Japan, das seit mehr als einem Jahrzehnt an mangelndem politischen Willen zu einschneidenden Reformen krankt nun die chinesische Hafenmetropole Shanghai als Sinnbild eines fortschrittsgläubigen, hoch innovativen Chinas. Die Ende 2002 erfolgte Jungfernfahrt des deutschen Hochgeschwindigkeitszugs Transrapid zum Flughafen Pudong verlieh dieser Entwicklung symbolischen Ausdruck. Bislang liegt Chinas Bruttosozialprodukt aber noch bei gut einem Drittel der Wirtschaftsleistung Japans (vgl. Tab. 11.1). -
-
vgl. zum Global-City-Begriff Kap.
14.2.
11
324
Tab. 11.1: Die
2003)
Dynamische Wachstumsmärkte: Die Beispiele China und Indien
größten Volkswirtschaften
Land
in Asien
BIP in Mrd. US-$
(2004, Wachstum gegenüber
Reales Wachstum
4 668 1 649
Japan VR China Südkorea Indien Taiwan Indonesien
681 661 305 258 165 163 118
Hongkong Thailand
Malaysia
+2,6 +9,5 +4,6 +7,3 +5,7 +5,1 +8,1 +6,1 +7,1
Singapur_107_ÖA_ Quelle: Bfai 2005, S. 12.
In China treiben die im Dezember 2001 vollendete Mitgliedschaft in der Welthandelsorganisation (WTO) und der starke Wille zu weiterem wirtschaftlichen Wachstum begleitet durch sozialen Druck Reformen und Modernisierung an. Das Land wird nicht nur zum Symbol für die verlängerte Werkbank japanischer Konzerne, sondern verändert durch die Verlagerung von Produktionsstätten auch die Industriestrukturen in den USA und Europa. In den vergangenen beiden Jahrzehnten flössen bereits über 500 Mrd. US-$ an Investitionen in die Volksrepublik. Auch der jüngst abgeschlossene Vertrag zwischen China und den Asean-Staaten zwecks Gründung der weltgrößten Freihandelszone (1,8 Mrd. Verbraucher) in den nächsten fünf bis zehn Jahren wird die Bedeutung des ostasiatischen Raums, insbesondere aber Chinas, weiter stärken (vgl. Kap. 10.4.3.1). -
-
11.2 Charakteristika
von
Wachstumsmärkten
der Weltwirtschaft und dem Aufbrechen der politischen Ost-West-Konfrontation haben sich die Marktbedingungen zwischen den Kontinenten verändert. Neue Märkte entstanden, die bis heute die Weltmarktstrukturen und prozesse deutlich beeinflussen (vgl. PERLITZ 1999). Zu den aufstrebenden Wachstumsmärkten, den sich besonders dynamisch entwickelnden Schwellenländern, zählen in der Regel alle „Newly Industrialized Countries" (NIC). Neben Länder wie Brasilien, Mexiko, Thailand oder Südafrika zählen dazu auch die meisten Transformationsländer Ostmitteleuropas. Einen besonderen Stellenwert haben vor allem China und Indien, die schon wegen ihrer Größe (zusammen 2,4 Mrd. Menschen) besondere Marktpotenziale aufweisen. Mit der
Liberalisierung
-
Für die einzelnen Länder ist charakteristisch, dass ihre wirtschaftliche EntwickWirtschafts-
lung überdurchschnittlich schnell voranschreitet oder ein auffälliges
c: Internationale Wirtschaftsräume als Aktionsfelder internationaler Unternehmen
325
Wachstum in naher Zukunft absehbar ist. In der Literatur taucht an dieser Stelle auch der Begriff „emerging markets" auf (vgl. mangold 1996, S. 10). Viele Quellen nehmen hierbei aber keine enge und eindeutige Abgrenzung von „emerging markets" vor. So wird der Begriff häufig synonym mit dem Terminus „Schwellerländer" verwendet. Auch Staaten, wie beispielsweise Thailand, die in der Aufzählung von Mangold (1996) nicht enthalten sind, werden an anderer Stelle im Zusammenhang mit „emerging markets" genannt (vgl. Die Allgemeine Kredit 1999, S. XII). Die internationale Wirtschaftszeitschrift Economist fasst unter dem Begriff „emerging market" weltweit 28 Länder zusammen. Es wäre
falsch, bei Wachstumsmärkten von einer einheitlichen Staatengruppe
Es können sowohl der Grad der wirtschaftlichen Entwicklung von Wachstumsmärkten als auch ihre historische und kulturelle Ausgangslage in hohem Maße unterschiedlich sein. Immerhin gibt es trotz dieser faktischen Inhomogenität eine Reihe von Gemeinsamkeiten und Grundcharakteristika (vgl. Mangold 1996, S. 12):
sprechen.
zu
-
-
•
Die dynamische Wirtschaftsentwicklung verursacht durch stetig wachsende Kaufkraft einen starken Nachfragesog sowohl für Konsum- als auch für Inve-
stitionsgüter.
•
•
Der primäre Sektor, die Agrarwirtschaft, verliert zusehends an Bedeutung. Die Industrialisierung schreitet rasch voran, so dass die Wertschöpfung bei der industriellen Produktion in diesen Ländern um bis zu 15% pro Jahr wächst. Die gesamte Wertschöpfung der Volkswirtschaften gemessen am Bruttosozialprodukt nimmt entsprechend schnell zu, wobei jährliche Zuwachswerte von bis zu 10% und mehr durchaus realistisch sind. Der Exportsektor ist durch ein starkes Wachstum gekennzeichnet. Dies bewirkt in der Regel eine Senkung der Staatsdefizite und der Auslandsver-
-
•
schuldung. •
•
•
•
•
Der enge Kontakt der politischen Führung zu den Akteuren der nationalen Wirtschaft ermöglicht eine schnelle und flexible Anpassung der länderspezifischen Rahmenbedingungen an Erfordernisse des globalen Wettbewerbs. Es kommt eine hohe Kapitalbildung sowohl intern (durch eine überdurchschnittliche Sparquote) als auch extern (vor allem durch ausländische Direktinvestitionen) zustande. Es werden in vergleichsweise kurzer Zeit relativ viele Arbeitsplätze geschaffen, das Lohnniveau bleibt trotz steigender Reallöhne relativ niedrig. Im Verlauf der Entwicklung steigen Produktivität und komparative Kostenvorteile gegenüber den Industrieländern an. Das dynamische Wirtschaftswachstum führt bei bestimmten Roh-, Bau-, Grund- und Werkstoffen (z.B. Stahl, Zement, Kohle, Erdöl) häufig zu inländi-
326
•
•
•
11
Dynamische Wachstumsmärkte: Die Beispiele China und Indien
sehen Versorgungsengpässen. Die Auswirkungen sind auf dem Weltmarkt (z.B. durch Preisanstieg) spürbar. Die infrastrukturellen Ausgangsbedingungen sind meist schlecht, nur an bevorzugten Wirtschaftsstandorten (Hafenstädte, Hauptstädte, Verkehrsleitlinien) werden durch konzentrierte Infrastrukturinvestitionen Verbesserungen geschaffen. Daraus resultiert in der Regel ein deutliches Entwicklungsgefälle zwischen infrastrukturell besser ausgestatteten Verdichtungsräumen und ländlichen (peripheren) Regionen. Im politischen System der Länder zeichnet sich mehr oder minder deutlich eine Tendenz zur Liberalisierung und Deregulierung ab. Ein an internationalen Standards orientiertes Rechtssystem ist im Entstehen begriffen, d.h. das Recht auf Privateigentum setzt sich mehr und mehr durch, und den Unternehmen werden zunehmend Niederlassungs- und Handlungsfreiheiten gewährt. Typisch ist das Ausnützen von Regulierungslücken zur Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards, wie sie in entwickelten Volkswirtschaften üblich sind.
Dass ein aufstrebender Ländermarkt im stetigen Wandel begriffen ist, macht Kukovetz (2002, S. 6) deutlich: „Without change, nothing can emerge". Wenn man im Zusammenhang mit Wachstumsmärkten von Wachstum spricht, denkt man überwiegend an Wandel. Wachstum entwickelt sich allerdings nicht von alleine, vielmehr bedarf es einer impulsgebenden Kraft. Diese „initiating force" (Kukovetz 2002, S. 7) kommt häufig durch einen markanten, grundlegenden Wechsel im politischen System eines Landes oder zumindest durch eine neue Richtung in der Politik zustande. In China beispielsweise wurde die bis heute anhaltende Wachstumsphase durch die Einsicht des früheren Premierministers und Staatschefs Deng Xiaoping eingeleitet, dass eine Umwandlung des Landes in ein marktwirtschaftliches Wirtschaftssystem und seine Öffnung für ausländische Unternehmen notwendig sind, um den Anschluss an die allgemeine Entwicklung der Weltwirtschaft zu erlangen, aber auch um Versorgungsengpässen im Inneren des Landes und damit größeren Problemen
vorzubeugen. Im Vergleich zum Durchschnitt der Schwellenländer gilt nicht nur ein schnelles Wachstum der Wertschöpfung als ein allgemeines Merkmal von Wachstumsmärkten. Neben der ebenfalls großen Bedeutung der sich verstärkenden Kapitalströme in
diese aufstrebenden Nationen ist vor allem auch der recht starke, teilweise fundamentale Strukturwandel kennzeichnend (vgl. Speidel-Walz 2001, S. 17). Es sind die den Entwicklungsprozess steuernden Parameter, die sich in diesen Ländern selbst dynamisch ändern. Das betrifft insbesondere das Rechtssystem, welches gerade für unternehmerische Entscheidungen einen hohen Stellwert hat und ein wesentlicher Schlüssel für das Erlangen wirtschaftlichen Erfolgs sein kann (vgl. Kukovetz 2002, S. 12).
C: Internationale Wirtschaftsräume als Aktionsfelder internationaler Unternehmen
327
Da ein großer Teil des weltwirtschaftlichen Wachstums in diesen Ländermärk-
stattfindet, ist aufgrund deren Attraktivität auch der unternehmerische Wettbewerb dort einem dynamischen Wandel ausgesetzt (vgl. Doh 2003, S. 3). Der
ten
Wettbewerb zieht stets neue Akteure an. Dabei ist auf das Problem der Berechenbarkeit von Marktchancen hinzuweisen:
„As those competitors will be mostly new entrants, it is hard to forecast their emergence, as well as their behavior. Thus, like the other change variables, the fast changing competitive environment makes it difficult to plan ahead in emerging markets" (kukovetz 2002, S. 13). Hieraus ist zu ersehen, dass durch den verstärkten Wettbewerb mit der Folge einer unkalkulierbaren Entwicklung die Geschäftstätigkeiten in diesen Wachstumsmärkten mit zusätzlichen Risiken verbunden sind. Ein weiteres Merkmal, das ebenso für den Geschäftserfolg Unsicherheiten mit sich bringt, ist das Nachfrageverhalten der Konsumenten auf den neuen Märkten selbst. Da es für große, in ihrer Regionalstruktur sehr unterschiedliche Länder nur unzulängliche Marktdaten gibt und damit bei Produkteinführungen konkrete Abschätzungen der Absatzentwicklung schwer möglich sind, kommt es vor allem bei Marktgebieten wie China und Indien zu zusätzlichen Investitionsrisiken. In einer empirischen Untersuchung, bei der 167 aus Europa stammende und in Asien tätige Manager über „emerging markets" befragt wurden, stellte man fest, dass Verlässlichkeit, Qualität und Zugänglichkeit der für die strategische Planung wichtigen Daten besonders problematisch sind (vgl. Kukovetz 2002, S. 14). Umso mehr hat die Kenntnis über die Nutzungsmöglichkeit von Netzwerken im jeweiligen Land zur besseren Marktbeurteilung für den Unternehmenserfolg besonderes Gewicht.
11.3 Wachstumsmärkte und Krisen Die schnell voranschreitende Globalisierung der Finanzmärkte seit den 1980er Jahren hat zusammen mit der regionalen Wirtschaftsintegration zu zusätzlichen dynamischen Entwicklungen in den Wachstumsmärkten geführt. Der Boom des Finanzsektors, der viele Investoren aus den Industrieländern mobilisiert hat, führte gerade auch in dieser Ländergruppe seit Mitte der 1990er Jahre zu Entwicklungsproblemen durch ungebremstes Wachstum (vgl. Motamen-Samadian/Garrido 2000, S. 1; Millar et al. 2000, S. 5). Die erweiterten Investitionsmöglichkeiten, die sich in den aufstrebenden Märkin den letzten Jahrzehnten ergeben haben, waren somit an eine Erhöhung des Länderrisikos (vgl. Kap. 26) gekoppelt. Dieses steigt mit zunehmenden Entscheidungsfreiheiten von Investoren und Spekulanten, aber auch mit dem wachsenden Bestand an kurzfristig mobilisierbarem und damit unsicherem Kapital, das vermehrt ten
328
11
Dynamische Wachstumsmärkte: Die Beispiele China und Indien
Schließung der wachsenden Finanzierungslücken in den Wachstumsmärkten eingesetzt wird (vgl. Die Allgemeine Kredit 1999, S. XIII). Solange die Wirtschaften der „emerging markets" einen mittelfristig tragbaren Wachstumskurs beibehalten, spielt diese erhöhte Empfindlichkeit keine größere Rolzur
le. Wenn sich jedoch turbulente Krisenherde wie in Südostasien bilden, dabei das Finanzsystem brüchig wird und sich im nationalen Markt strukturelle Ungleichgewichte entwickeln, kommt es in diesen Ländern leicht zu einer raschen Destabilisierung des gesamten Wirtschaftssystems. Faktoren wie eine mangelhafte Importdiversifizierung und die damit verbundene starke Abhängigkeit von nur einem oder wenigen Rohstoffen, insbesondere Erdöl, potenzieren die Risiken über den engen Kreis direkt betroffener Industrien hinaus. Letztlich führt dies zur Kapitalflucht aus den aufstrebenden Märkten („flight to quality").
Es ist festzustellen, dass Wachstumsmärkte von Krisen, die über die Finanzmärkte und eine Deflation initiiert wurden, weit stärker betroffen sind als hoch entwickelte Länder, aber auch die Masse der Entwicklungsländer, die in den Sog einer derartigen Entwicklung geraten. Infolge der Mexiko-, Asien- und Russlandkrise weiteten sich die Probleme hauptsächlich auf Länder aus, deren Reformprozess noch nicht sehr weit fortgeschritten war. Deutliche Auswirkungen gab es außer in den ostund südostasiatischen Ländern in Lateinamerika, den Maghrebländern (Nordafrika), dem Nahen Osten und den ostmitteleuropäischen Transformationsstaaten (vgl. Die Allgemeine Kredit 1999, S. XV). Für Kapitalgeber, international aktive Investoren und Geschäftsleute bleibt im Rahmen von Investitionsentscheidungen daher zu prüfen, inwieweit die Regierungen in den „emerging markets" daran arbeiten, strukturelle Schwächen und Ungleichgewichte zu beseitigen, um die Anfälligkeit gegenüber derartigen Krisen zu verringern. Die Asienkrise, die den asiatischen Kontinent, vor allem im Osten und Südosten, heimsuchte, ist die bisher am besten dokumentierte Krise der Schwellenländer (vgl. Millar et al. 2000, S. 44; Rieger 1999, S. 71 ff.). Die meisten südostasiatischen Staaten durchlebten seit Anfang der 1980er Jahre einen enormen, durch teilweise zweistellige Wachstumsraten gekennzeichneten wirtschaftlichen Aufschwung. Da dieser fast zwei Jahrzehnte ununterbrochen anhielt, galt die Region Südostasien als der dynamischste Wirtschaftsraum der Erde. Noch Mitte 1997 wurden Prognosen veröffentlicht, die der Region ein auch weiterhin starkes Wachstum vorhersagten (vgl. u.a. Kraas 1998, S. 139). Doch schon wenig später stellte sich der Beginn einer Krise ein, die zu einem rapiden Wertverlust der Währungen und Aktienkurse in Thailand, Indonesien, Malaysia, den Philippinen und Singapur führte sowie einschneidende politische Umbrüche auslöste. Schließlich wurden davon auch Hongkong, Japan und Südkorea erfasst. Infolge der besonderen politischen Rahmenbedingungen blieben China und Indien von dieser Entwicklung im Wesentlichen verschont, was letztlich auch ein Grund für die in der Folgezeit dort einsetzende Wirtschaftsdynamik war.
C: Internationale Wirtschaftsräume als Aktionsfelder internationaler Unternehmen
329
Bisher hat die schnelle Erholung nach derartigen Krisen eher zu Selbstzufriedenheit als zur Durchführung dringend notwendiger Reformen geführt, was die Krisenanfälligkeit von Wachstumsmärkten perpetuiert. Das Krisenanfälligkeitsprofil ergibt sich dabei in erster Linie aus der Instabilität des Bankensystems, einer stark einseitig abhängigen Außenwirtschaft, dem Grad der Verschuldung sowie der Währungspolitik eines Landes. Zusätzlich stark getroffen werden kann die Wirtschaftsentwicklung der Wachstumsmärkte durch nicht vorhersehbare Naturkatastrophen, wie z.B. die TsunamiFlutkatastrophe Ende 2004 (vgl. Kap. 26.2) oder Virus-Epidemien wie SARS oder die Vogelgrippe, die in Asien in jüngerer Zeit mehr oder minder starke Folgewirkungen nach sich zogen (vgl. Exkurs 26.1). Die Asiatische Entwicklungsbank (ADB) macht die kurzfristigen Auswirkungen solcher Ereignisse in erster Linie an einer sinkenden Nachfrage auf den Märkten fest. Vier Effekte werden dabei genannt (vgl. Asian Development Bank 2003, S. If): •
Die
nach Gütern und Dienstleistungen geht stark zurück, im Wesentlichen auf Angst und Unsicherheit bei den Konsumenten zurückzuführen ist. Von einem Nachfragerückgang besonders stark betroffen ist der Tourismus. Das Investitionsvolumen fällt zum einen aufgrund der sinkenden Nachfrage, zum anderen auch wegen der erhöhten Unsicherheit und des damit verbundenen größeren Risikos ab. Der Fluss ausländischer Direktinvestitionen verzögert sich dadurch zumindest. Durch finanzielle Hilfen von Seiten der Regierungen lassen sich zwar die Folgen von Naturkatastrophen und Epidemien reduzieren, die zurückgegangenen privaten Ausgaben werden kurz- bis mittelfristig dadurch jedoch nicht belebt.
private Nachfrage
was
•
•
•
11.4 Wachstumsmarkt China 11.4.1 Ursachen der
Wachstumsdynamik
Über Jahrzehnte hinweg war das Reich der Mitte kein von multinationalen Gesellschaften bevorzugter Standort. Die Volkswagen AG galt als einer der Pioniere bei der Bearbeitung des chinesischen Marktes. Seit sich in den 1990er Jahren Chinas wirtschaftliche Modernisierung zu beschleunigen begann und Millionen städtischer Haushalte immer mehr Kaufkraft kreierten, wurde China von den westlichen Unternehmen als attraktiver Markt entdeckt. Auch motivierte die Verfügbarkeit von billigen Arbeitskräften global operierende Unternehmen immer mehr dazu, vom Produktionsstandort China aus Märkte weltweit mit Konsumgütern und Zulieferteilen zu versorgen. Das Land wurde zur „globalen Werkstätte".
330
11
Dynamische Wachstumsmärkte: Die Beispiele China und Indien
Seit Ende der 1970er Jahre wurden unter Deng Xiaoping überfällige Wirtschaftsreformen in Gang gebracht, 1989 erlangten trotz gewaltsamer Unterdrückung und Niederschlagung wesentliche Demokratisierungsbewegungen den Durchbruch. Danach hat die Volksrepublik während des letzten Vierteljahrhunderts eine außergewöhnliche wirtschaftliche Modernisierung erlebt, die auch zu wesentlichen Erneuerungen im sozialen Bereich führte. Ein Grund für die hohen Zuwachsraten der chinesischen Wirtschaft liegt auch in dem geringen makroökonomischen Investitionsrisiko. Im Vergleich zu anderen Ländern Asiens erwies sich seine Wirtschaft bisher als überdurchschnittlich stabil. Der Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) 2001 förderte zusätzlich das Vertrauen in die guten Marktchancen, was der weiterhin starke Anstieg der ausländischen Direktinvestitionen belegt. Die mit den Reformen einsetzende Außenwirtschaftsorientierung hat mit der schrittweisen Liberalisierung der Handels- und Investitionsbestimmungen China zu einem äußerst beliebten Standort für ausländische Unternehmen gemacht China weist das typische Muster eines schnell wachsenden Entwicklungslandes mit einem Überfluss an billigen Arbeitskräften auf, was in der stark anwachsenden arbeitsintensiven Textil- und Bekleidungsindustrie zum Ausdruck kommt. Das Defizit im Bereich der kapital- und technologieintensiveren Produkte abzubauen, ist das Ziel des Wachstumsmarktes in jüngster Zeit. Es ist beeindruckend, mit welcher Geschwindigkeit sich das einst hermetisch abgeschlossene Land zur „Werkstätte der Welt" entwickelt.
11.4.2
Erfolgsfaktor „Internationalisierung"
Seit geraumer Zeit befindet sich die Wirtschaft in einer ausgeprägten Boomphase. Innerhalb von nur zwei Jahrzehnten verfünffachte sich das Bruttoinlandsprodukt. Das jährliche Wachstum lag seit den ersten Wirtschaftsreformen 1978/79 durchschnittlich bei 9 bis 10%, hat auch in jüngster Zeit Wachstumsraten von 9% nicht unterschritten und somit Befürchtungen, es könne zu einer Überhitzung kommen, genährt. Zwischen 1982 und 2000 nahmen die Importe im Durchschnitt jährlich um über 14% zu. Mehr als die Hälfte aller in die Entwicklungsländer Asiens fließenden Direktinvestitionen gingen zwischen 1982 und 2000 nach China (vgl. Kukovetz 2002, S. 8). Ende 2004 waren in der Volksrepublik bereits ca. 500 000 Unternehmen mit ausländischer Beteiligung registriert. Die kumulierten Auslandsinvestitionen beliefen sich auf 560 Mrd. US-$. Welchen Stellenwert das Land bei multinationalen Unternehmen erlangt hat, wird daran deutlich, dass mittlerweile 90% aller sog. Fortune-500-Gesellschaften in China Direktinvestitionen getätigt und einige ihren
regionalen Asien-Hauptsitz in Shanghai eingerichtet haben (vgl. Nzz 2005). Die starke Zunahme der Importe ist auch eine Folge der hohen Zuwachsraten bei den Direktinvestitionen in China. Die massive Gründung von durch ausländi-
C: Internationale Wirtschaftsräume als Aktionsfelder internationaler Unternehmen
331
sehe Unternehmen initiierten Joint Ventures stimuliert stark den Import von Investitionsgütern. Als die zunehmenden Produktmengen der neu geschaffenen Firmen, vor allem im Konsumgüterbereich, auf die Weltmärkte drängten, zog mit einer gewissen Verzögerung dann mengen- und wertmäßig der Export nach. Auch die riesigen Marktpotenziale bedingt durch die weiter stark zunehmende Kaufkraft der Bevölkerung sind für Wachstumsmärkte charakteristisch und begründen insbesondere die dynamische Entwicklung in China. -
-
Der außenwirtschaftliche Erfolg Chinas basiert auf dem starken Exportanstieg Produkten aus dem Verarbeitenden Gewerbe, insbesondere der Elektroindustrie. Im Zeitraum 2001 bis 2003 erreichten die Warenexporte einen Anteil von 31% am Bruttoinlandsprodukt (vgl. römer 2004, S. lf.). Das Außenhandelsvolumen hatte sich schon zwischen 1983 und 1995 mehr als verfünffacht (vgl. Giese/Zeng 1997, S. 713). von
Abb. 11.2: Die
größten Exporteure und Importeure weltweit (2003) Die größten Exporteure US-$
Wachstum in %1>
Land
in Mrd.
Deutschland
— 748_22_
USA_—724_4_
Japan_I 472_13 I 4582»_34^> China_I 17
Frankreich L 1387 Großbritannien B— 305
9
294_20 Italien_t^M 292_15
Niederlande
Kanada_BM^273_8_ Belgien Die
B^B 255_18
größten Importeure
Land_in Mrd. US-$_Wachstum in %1>
USA_BMBMWB—— 1 303 Deutschland
I
China_I Großbritannien
'
9
I 602_23_
I4374'_4P3»
—i 391_13
Japan_M—383_14
Italien_—291_18 Niederlande —263_20 Kanada_—245_8_
Belgien_— 235_18 1) gegenüber 2002 2) davon Hongkong (ohne Reexporte) 19,6 Mrd. $ 3) ohne Hongkong 4) davon Hongkong (ohne weitergeleitete Güter) 24,1
Quelle: Faz 2004b.
Mrd. $
Dynamische Wachstumsmärkte: Die Beispiele China und Indien
11
332
Anders als die meisten übrigen Entwicklungsländer schaffte es China, im Laufe der 1990er Jahre einen Handelsüberschuss zu erzielen und das Entstehen eines Schuldenberges zu verhindern (vgl. Harrie 2000, S.164). Allein die Exportquote, d.h. der Anteil des Exports am Bruttosozialprodukt, ist innerhalb von zwei Jahrzehnten (1982 bis 2002) von 8,9 auf 29,5% angewachsen (vgl. Weltbank 2003). Der Aussenhandel hat damit wesentlich zum Wirtschaftswachstum beigetragen. 2003 ist China dadurch zur viertgrößten Handelsnation der Welt aufgestiegen (vgl. Abb. 11.2). 2004 lag die Volksrepublik gemessen an den Warenausfuhren nach Deutschland und den USA sogar auf Rang drei (vgl. Kap. 3.2.2). Die führende Rolle Deutschlands im Export beruht nicht zuletzt auf den hohen Zuwachsraten, die gerade aus dem Handel mit China resultieren (vgl. Abb. 11.3). -
-
Abb. 11.3: Der deutsche Außenhandel mit Asien Einfuhr aus in Klammern:
...
Veränderung zum Vorjahreszeitraum in Prozent
China
I
Japan
I.
Südkorea Taiwan
I 19,3 (+25%) I 13,9
(+10%)_ — 4,7 (+35%;_ I
I 3,5 (+4%)
üiü 2,8 (+34%) HU 2,4 (+7%) Indien 1 1,9 (+9%)_ Thailand 1,6 (+12%) Indonesien 1,4 (+2%) 1,3 (-9%) Philippinen
Singapur Malaysia
Ausfuhr nach in Klammern: Veränderung ...
zum
~l 14,2 (+19%)
China
I
Japan
BBMBBBl 8A (+11 %)_ M 4,4 (+19%)_
Südkorea
LMM 2,9 (+13%) Hongkong EU 2,8 (+8%) 2,7 (+5%) Singapur Malaysia HH 2,2 (+8%) Indien Hfl 2,1 (+37%) Thailand H 1,3 (+2%) Indonesien 1,2 (+37%) Taiwan
Quelle: Faz 2004a.
Vorjahreszeitraum in Prozent
C: Internationale Wirtschaftsräume als Aktionsfelder internationaler Unternehmen
333
Wichtige Handels- und Investitionspartner Chinas stammten zunächst vornehmlich aus derselben Region. Es war vor allem die Ansiedlung von exportorientierten Unternehmen aus Hongkong und später aus Taiwan, die Chinas Einbindung in den Weltmarkt besonders beschleunigt hat. Der Zustrom von ausländischem Kapital übte großen Einfluss auf die Entwicklung der exportorientierten Wirtschaft aus, was sich am Bruttoproduktionswert der „foreign funded enterprises" ablesen lässt. 2000 hatte dieser bereits einen Anteil von über 45% an den Exporten Chinas. Mitte der 1980er Jahre lag der Anteil noch bei 6% (vgl. Taubmann 2001, S. 15). Immer mehr Unternehmen haben in den letzten Jahren selbst innerhalb des Hochtechnologiebereichs ihre Produktion nach China verlagert. Sie nehmen dabei auch erstaunlich hohe Risiken auf sich, sind ein Schutz für geistiges Eigentum doch noch kaum vorhanden und die Behördenwillkür noch unberechenbar. -
-
Die Lohnkosten
betragen in China nur ein Bruchteil derjenigen in klassischen
Industrieländern, gleichzeitig steigt der Qualitätsstandard der dort erbrachten Ar-
beitsleistung infolge besserer Ausbildung und durch Lerneffekte im praktischen Alltag von Jahr zu Jahr an. Fortschritte einer industriellen Modernisierung, die in westlichen Industrieländern mehrere Generationen in Anspruch nahmen, werden in China in deutlich kürzeren Zeiträumen vollzogen. Die chinesische Wertschöpfung stößt immer schneller in technologisch anspruchsvolle Produktsegmente vor. So stammten bereits Ende 2004 über 50% der weltweiten Kameraproduktion als Folge japanischer Produktionsverlagerungen aus China. Es gibt deutliche Hinweise dafür, dass chinesische Unternehmen in der näheren Zukunft immer stärker in die Forschung investieren und das Zeitalter der Plagiate der Vergangenheit angehören wird. China ist heute auf demselben Pfad wie einst Japan, gefolgt von den asiatischen Tigerstaaten. Hochrechnungen ergeben, dass bereits im Jahre 2018 die VR China die USA als größte Volkswirtschaft übertreffen wird. China zieht inzwischen weltweit die meisten Auslandsinvestitionen an. Das Land gilt z.B. als Schüsselmarkt für die chemi-
-
sche Industrie im asiatischen Großraum. Der deutsche Chemiekonzern BASF investiert derzeit 2,9 Mrd. US-$ in das größte deutsch-chinesische Gemeinschaftsprojekt, ein Chemiewerk zur Herstellung von jährlich 1,7 Mrd. t hochwertiger Kunststoffe und Chemikalien in der Sechs-Millionen-Einwohner-Stadt Nanjing. Infolge des hohen Energiebedarfs wird BASF größter Abnehmer einer 3 900 km langen Gaspipeline sein, die für 5,2 Mrd. US-$ aus dem westchinesischen Tarimbecken bis an die wirtschaftsstarke Ostküste verlegt wurde. Ein eigenes Kraftwerk, das die Verbundanlage versorgen wird, hat eine Kapazität, die zur Energieversorgung einer Stadt mit 100 000 Einwohnern reichen würde. Die dort produzierten Grundstoffe werden in zahlreichen anderen Industriezweigen verarbeitet, z.B. in der Automobilindustrie, die bis 2008 einen zweistelligen Milliardenbetrag in China investieren will.
11
334
Dynamische Wachstumsmärkte: Die Beispiele China und Indien
11.4.3 Schattenseiten des Wirtschaftswachstums 11.4.3.1
Regionale Disparitäten
Die 1,3 Mrd. Einwohner Chinas, der weltweit bevölkerungsstärksten Volkswirtschaft, bergen große wirtschaftliche Entwicklungspotenziale. Doch gerade daraus ergeben sich auch gravierende Probleme. China hat 170 Millionenstädte, davon zehn mit mehr als vier Millionen Einwohnern. Sie beanspruchen allein im Bereich der Infrastrukturentwicklung und der Energieversorgung jährlich Investitionen in Milliardenhöhe. In zehn Jahren werden trotz der Bestrebungen, die Land-StadtMigration unter Kontrolle zu bringen bereits 600 Mio. Menschen in den Städten Chinas leben. Bedingt durch die Verstädterung gehen zahlreiche agrarwirtschaftlich genutzte Flächen, insbesondere produktive Reisanbaugebiete, verloren, was sich negativ auf die Deckung des steigenden Nahrungsmittelbedarfs auswirkt (vgl. Brown 1995, S. 61ff.). -
-
Ungleichgewicht verstärkt sich durch die dynamische Wirtdie damit im Zusammenhang stehende Binnenwanderung und schaftsentwicklung Taubmann 2003a, S. 46ff.; 2003b, S. 2ff.). Schon zu Beginn der 1990er Jahre (vgl. lebten über 90% der Bevölkerung auf nur 40% der Staatsfläche (vgl. Domrös/ Tomala 1991, S. 9). Die Wirtschaft des Landes boomt insbesondere in den großen, verkehrsgünstiger gelegenen Agglomerationen im Osten des Landes. Karte 11.1 verdeutlicht, dass insbesondere die Küstenprovinzen Chinas durch ihre Außenorientierung einen weit höheren Entwicklungsstand erreicht haben als küstenferne Landesteile. Das räumliche
Das wirtschaftliche Wachstum ist regional sehr unausgewogen und wirkt unkoordiniert. Das auffällige Ost-West-Entwicklungsgefälle orientiert sich dabei an den physisch-geographischen Gegebenheiten des Landes und der daraus resultierenden ungleichen Bevölkerungsdichte und Infrastrukturausstattung. Die Provinzregierungen versuchen, ihren wenn auch geringen Entscheidungsspielraum für sich zu nutzen und die Wirtschaft auch in ihrem Zuständigkeitsbereich voranzubringen. Ihre Vorhaben konzentrieren sich dabei allzu häufig auf die gleichen, Dynamik versprechenden Entwicklungsmaßnahmen. So gibt es in den 31 Provinzen Chinas inzwischen weit über 100 Automobilfabriken; Stahlhütten, Aluminium- und Zementfabriken entstehen relativ planlos. Das Entwicklungstempo ist deutlich zu schnell geworden. In manchen Bereichen, z.B. im Immobiliensektor, wird an der -
Nachfrage vorbeiproduziert.
-
C: Internationale Wirtschaftsräume als Aktionsfelder internationaler Unternehmen
Karte 11.1:
5
Interregionale Entwicklungsdisparitäten in China
Zhejiang
Nachzügler
Provinz
Wirtschaftliche Reformdefizite Binnenorientierte Reformen Aussenorientierte, wirtschaftsstarke Provinzen Aussenorientierte Wirtschaftszentren
/Hongkong Sonderverwaltungsgebiet Staatsgrenze Provinzgrenze
Metropole Beijing Tianjin
Entwurf: J. Rehner und S. Röhrig Kartographie: F. Eder Institut für Wirtschaftsgeographie der Ludwig-Maximitians-Universität München,
Keine Daten
11.4.3.2
335
-
-
Quelle: China Statistical Yearbook 1999;
eigene Berechnungen 4 5 2 1 1
Häufigkeitsverteilung
2002
Vorstand: Prof. Dr. H.-D. Haas
Energie-, Infrastruktur- und Umweltprobleme
Obwohl China zu den größten Energieproduzenten der Welt gehört, wird die Wirtschaftsentwicklung seit vielen Jahren durch eine ungenügende Energieversorgung, die „Achillesferse" Chinas, behindert (vgl. Meier-Hilpert 1997, S. 357). Der Zuwachs in der Stromversorgung, der in den vergangenen zwei Jahren dem gesamtem Jahresverbrauch einen Staates wie Brasilien entsprach, kann mit der boomenden Wirtschaft nicht mehr mithalten. Die Versorgung brach in der jüngeren Vergangenheit immer häufiger zusammen und weist derzeit eine Lücke in der Größenordnung der australischen Jahresproduktion auf.
11
336
Dynamische Wachstumsmärkte: Die Beispiele China und Indien
Im Sommer 2004 drohte der Volksrepublik die größte Energiekrise seit zwei Jahrzehnten. Über zwei Drittel der chinesischen Provinzen mussten mit Stromausfällen und regionalen Umverteilungen zu Rande kommen. Blackouts wurden selbst in der Wirtschaftsmetropole Shanghai zur Regel. So bekamen 2004 rund 2 100 Unternehmen im Stadtgebiet die Auflage, durchgehend nachts zu arbeiten, weitere 3 000 mussten zwischen Tag- und Nachtarbeit wechseln. In Peking waren 600 Betriebe von den Maßnahmen betroffen. Taiwans Computerfirmen, die auf dem chinesischen Festland im großen Stil produzieren und inzwischen zwei Drittel der ITExporte Chinas bestreiten, planen inzwischen, wegen der Stromknappheit ihre Produktion aus dem Land wieder weg zu verlagern. Selbst Hochtechnologieparks wie der von Suzhou, Zentren ausländischer High-tech-Firmen, hatten im Sommer 2004 bis zu drei Tage die Woche keinen Strom. Die chinesische Zentralregierung will daher bis 2010 ca. 100 Mrd. US-$ in den Bau neuer Elektrizitätswerke investieren. Eine wesentliche Verbesserung erhofft man sich durch die energetische Nutzung der im Drei-Schluchten-Gebiet aufgestauten Wasserressourcen (vgl. King et al. 2002, S. 40).
Die boomende Wirtschaft deckt auch Mängel in der Verkehrsinfrastruktur auf. In Häfen und Güterbahnhöfen staut sich mangels fehlender Transportkapazitäten die Fracht. Staatliche Erhebungen machen deutlich, dass 2005 über 300 000 Eisenbahnwaggons pro Tag nötig gewesen wären, um den Schienentransportbedarf Chinas zu decken doppelt so viel wie noch vor wenigen Jahren. Doch die chinesische Bahn hat nur eine Kapazität von 100 000 Waggons pro Tag. Spediteure weichen deshalb vermehrt auf den Straßentransport aus, was jedoch zusätzliche Staus verursacht und damit zu längeren Transportzeiten führt. Amtlichen Angaben zufolge müsste das Land jährlich ca. 12 Mrd. US-$ in das Schienennetz investieren, um eine weitere Verschlechterung der Transportversorgung zu verhindern. -
In der Seeschifffahrt vervierfachten sich wegen der starken Nachfrage innerhalb eines Jahres die Frachtkosten bei einigen Chartertypen. Die Umschlagmöglichkeiten reichen nicht aus, um die ankommenden Schiffe zu löschen. Der anhaltende Ausbau der Tiefseehäfen, wie z.B. in Shanghai, sorgt für zusätzliche Behinderung. Die Reeder klagen über wochenlange Wartezeiten der Schiffe und die damit zusätzlich anfallenden Kosten.
Zu den Schattenseiten des Booms gehört auch die zunehmende Umweltbelastung (vgl. Hermann-Pillath/Lackner 1998, S. 325ff.; Taubmann 2003b, S. 2f.). Die Smogbildung in den Millionenstädten verstärkt sich als Folge der Emissionsbelastung aus Industriewerken und der hohen Verkehrsbelastung. Die Agrarproduktion bekommt nicht nur wegen der immer wieder auftretenden Wasserknappheit Probleme, sondern auch infolge vergifteter Böden im Umfeld von dynamisch wachsenden Schwerindustriezentren. Erst die Internationalisierung der Wirtschaft macht diese Probleme wirklich deutlich. Denn die durch den WTO-Beitritt stärker in das Blickfeld geratenen Umweltprobleme Chinas verlangen schon
c: Internationale Wirtschaftsräume als Aktionsteider internationaler Unternehmen
337
wegen des gerechten Wettbewerbs auf dem Weltmarkt eine intensivere Orientierung an den geltenden Umweltstandards5 (vgl. Shen et al. 2002, S. 91).
11.4.3.3
Rohstoffknappheit
Eine gravierende Folge des Wirtschaftswachstums stellt der Rohstoffbedarf Chinas dar. 2004 verbrauchte das Land ca. ein Viertel der globalen Produktion der wichtigsten Industriemetalle. Die eigenen Vorkommen reichen seit längerem nicht mehr aus, neue Funde im Lande sind im Vergleich zum Verbrauchszuwachs nicht so ergiebig (vgl. Mlr 2004, S. 4). Besonders gravierend gestaltet sich die Situation bei Öl, dessen Verbrauch sich bis 2020 gemessen an der Verbrauchsmenge im Jahre 2000 auf 620 Mio. t verdreifachen wird (vgl. Umbach 2001, S. 43ff.; Downs 2004, S. 23). Noch 1996 war China Ölexporteur, seither zählt das Land zu den weltgrößten Ölimporteuren. Bereits 2004 musste China ca. ein Drittel der benötigten Ölmenge einführen (vgl. HlEBER 2004, S. 399). Zwar wächst die eigene Ölproduktion jährlich um knapp 2%, der Ölimport nimmt aber im zweistelligen Bereich zu. Chinas Abhängigkeit vom Erdölimport wird nach neueren Berechnungen bis 2010 auf 43%, bis 2020 sogar auf 56% des Gesamtbedarfs ansteigen (vgl. Iea 2004, S. 20f.). 2004 musste die Volksrepublik über 100 Mio. t Öl, aber auch mehr als 160 Mio. t Eisenerz importieren. Durch die stark zunehmenden Einfuhren von Rohstoffen hat sich das Handelsdefizit Chinas deutlich erhöht. -
-
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-
Die Ausweitung der Stromproduktion in den Ballungsräumen durch den Bau zusätzlichen Kraftwerken und die Verlegung von Stromleitungen über weite Strecken in die ländlichen Regionen hinein beflügelt die Nachfrage nach Kupfer als Leitungsmetall. Ähnliches gilt für das Metall Zinn, weshalb sich der Weltmarktpreis für Zinn innerhalb kurzer Zeit mehr als verdoppelt hat. Zwar fördern die Chinesen mehr Zinn als das klassische Zinnland Bolivien. Die boomende Elektroindustrie in der Volksrepublik braucht aber immer mehr Lötzinn, Chemieunternehmen mischen es in Farben und Pflanzenschutzmittel und schließlich ist auch die Spielwaren- und Konservenindustrie ein bedeutender Zinnverbraucher. von
Nach den USA ist China auch der zweitgrößte Aluminiumverbraucher weltweit. Infolge der breiten Anwendung des Rohstoffs, vor allem im Fahrzeugbau und in der Bauwirtschaft, wuchs Chinas Verbrauch bis Mitte 2005 auf fast 6 Mio. t (2003: 4,6 Mio. t) an. Die Verdoppelung der Nachfrage beim Ausgangsmaterial von Aluminium, Tonerde, und die Engpässe bei der Stromversorgung der Aluminiumschmelzwerke beeinträchtigen zusehends die Produktion des wichtigen Rohmetalls. Besonders
stahlkapazität
ist der enorme Stahlverbrauch Chinas. Seine Roh2000 bis 2004 auf 260 Mio. t annähernd vervierfacht.
problematisch hat sich
von
Umweltprobleme aber gerade schutztechnologieanbieter ist, zeigt Kap. 17.3.5. Dass China wegen seiner
auch ein attraktiver Markt für Umwelt-
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11
Dynamische Wachstumsmärkte: Die Beispiele China und Indien
60% des Stahls werden von der Bauwirtschaft und der Automobilindustrie verbraucht. Dabei ist der Höhepunkt der Nachfrage gerade bei diesem Rohstoff noch lange nicht erreicht. Besonders stark boomt in der Stahlproduktion die Provinz Hebei, südlich von Peking, wo die Industrie wegen Kohlevorkommen schon früh angesiedelt wurde, aber zunächst nur langsam wuchs. Wurden dort in den 1990er Jahren noch jährlich 20 Mio. t Stahl produziert, stieg der Ausstoß 2003 auf 50 Mio. t an.
Von dem für die Stahlproduktion benötigten Eisenerz wird nun schon mehr als die Hälfte aus Australien und Brasilien importiert. Um ihre Produktionskapazität zu erhöhen, kaufen die Chinesen Altanlagen, die sie im Ursprungsland selbst demontieren und in China wieder aufbauen, so z.B. eine Kokerei in Dortmund; mit ihr lässt sich der hohe Koksbedarf in den Hochöfen der Eisen- und Stahlindustrie kurzfristig schneller befriedigen.
China ist bereits heute einer der größten Auslandsinvestoren. Hohe Investitionssummen gehen vor allem in zahlreiche Rohstoffländer, was auf den generellen Rohstoffmangel zurückzuführen ist. Die politische Führung hat realisiert, dass China bei einer Fortschreibung seines ungebremsten Wirtschaftswachstums langfristig von Rohstoffimporten abhängig sein wird. Ziel der chinesischen Außenwirtschaftsoffensive ist es daher, mittelfristig eine Sicherung der Energie- und Rohstoffimporte in Übersee zu erreichen. So versuchen staatliche Konzerne, auf den großen, bisher noch wenig erschlossenen Rohstoffmärkten über den gesamten Globus hinweg Fuß zufassen (vgl. Hieber 2004, S. 402ff.; Downs 2004, S. 35). Häufig bieten sie den Rohstoffländern Kompensationsgeschäfte an (vgl. Kap. 22.2.2.1). Mit Unterstützung oder gar auf direkte Weisung des Staatsrates leisten sie bei der Rohstofferschließung und beim Infrastrukturausbau Hilfe, staatliche Geschäftsbanken bieten Kredite an. Gleichzeitig leistet China damit auch einen Beitrag zur Wirtschaftsentwicklung vieler ärmerer Länder, was sich entwicklungspolitisch nach außen gut darstellen lässt.
Auffällig bei den Investitionsvorhaben sind z.B. die Aktivitäten in Brasilien. Dort planen chinesische Konzerne innerhalb der nächsten Jahre Investitionen in Höhe von 5 Mrd. US-$. Schon heute beziehen die Chinesen von dort große Mengen an Eisenerz und Soja. China wurde auf diese Weise drittwichtigster Exportmarkt für Brasilien. Wichtige Perspektiven bietet Brasilien den Chinesen vor allem in den Bereichen Erzbergbau, alternative Treibstofferzeugung (Ethanol), Agrarrohstoffe, Zellstoff/Papier und Düngemittel. Teilweise sind dies Produkte, die Brasilien auf den geschützten Märkten der Industrieländer nur bedingt verkaufen kann. Bei rund dreißig Rohstoffen (u.a. Bauxit, Eisenerz, Rindfleisch, Baumwolle) ist Brasilien unter den weltweit führenden Lieferanten. Die Exporte ließen sich weiter steigern, wenn die dafür nötige Transportinfrastruktur vorhanden bzw. leistungsfähig genug wäre. Fernstraßen, Schienenetz und Häfen in Brasilien sind dafür dringend auszubauen. China wird in den nächsten Jahren daher rund 2,4 Mrd. US-$ in brasiliani-
C: Internationale Wirtschaftsräume als Aktionsfelder internationaler Unternehmen
339
Infrastrukturprojekte investieren, um im Gegenzug Versorgungssicherheit bei wichtigen Rohstoffen zu erlangen. Von strategischer Bedeutung ist für China auch seine Beteiligung an Gasförderprogrammen im Iran oder an petrochemischen Großprojekten in Kuwait. Auch in sehe
Afrika nehmen die rohstofforientierten Investitionen Chinas zu. Großes Interesse zeigt China vor allem am afrikanischen Erdöl. So erhielt das westafrikanische Ölförderland Angola bereits ein Darlehen über 2 Mrd. US-$. In Indonesien ist China bereits in die Erdgas-Offshore-Gewinnung eingestiegen, in Südkorea wurden Anteile am Raffinerie-Konzern Inchon erworben. Offshore-Bohrungen nach Erdöl werden von chinesischen Gesellschaften seit geraumer Zeit im Bereich mehrerer Inselgruppen im süd- und ostchinesischen Meer durchgeführt, wobei sich die chinesische Regierung Souveränitätsansprüchen Japans und mehrerer südostasiatischer Länder ausgesetzt sieht. Eine 1 240 km lange Erdölpipeline von Kasachstan in die nordwestchinesische Provinz Xinjiang soll jährlich bis zu 20 Mio. t Öl nach China befördern (vgl. Hieber 2004, S. 403).
China versucht, die Abhängigkeit vom Öl, aber auch von der mengenmäßig noch immer bedeutsamen, emissionsbelastenden Kohle zu reduzieren. Geplant wird, Erdgas aus dem Ordos- und Tarim-Becken zu gewinnen und dieses über eine 4 000 km lange Pipeline in die Industriezentren der Ostküste zu leiten. Durch den Bau neuer Atomkraftwerke soll der Anteil des Atomstroms an der Energieproduktion bis 2020 auf 6% steigen. Die Kaufabsicht der Hanauer Brennelemente-Fabrik ist ein Hinweis auf diese neue Strategie. Ferner setzt China neben dem Ausbau der Wasserkraft vor allem auf Windenergie und Biogas in den ländlichen Gebieten.
11.4.4
Folgerungen aus dem Wachstumsboom
Das dynamische Wachstum Chinas und die sich abzeichnende konjunkturelle Überhitzung werden seit 2004 von der Regierung durch verschiedene administrative Maßnahmen abgebremst. Es besteht die erkennbare Gefahr, dass es ohne eine konjunkturelle Dämpfung in besonders dynamischen Wirtschaftsbereichen, insbesondere in der Produktionsgüterindustrie und im Immobiliensektor, zum Aufbau von Überkapazitäten kommt. Der Tritt auf die Konjunkturbremse soll den Aufbau einer Spekulationsblase mit gefährlichen Auswirkungen auf die gesamte Volkswirtschaft verhindern. Das nach wie vor starke Wachstum in Anlageinvestitionen artet vielerorts in blindes Investieren in Nachbauten vorhandener Projekte aus. Dadurch werden Kredite und Subventionen fehlgeleitet. Strebte der frühere Ministerpräsident Zhu Rongji noch um jeden Preis zusätzliches Wachstum für China an, hat sein Nachfolger Wen Jiabao nun die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen verändert. Mit dem Schlagwort vom nachhaltigen Wachstum wird u.a. auf eine zurückhaltendere Kreditvergabe der Banken eingewirkt, um das BIP-Wachstum zu drücken. Dabei bezieht sich die Nachhaltigkeit
11
340
Dynamische Wachstumsmärkte: Die Beispiele China und Indien
sowohl auf die ökologische Verträglichkeit des Wirtschaftswachstums (vgl. Weizsäcker 2004, S. 13), aber auch auf eine ausgeglichenere Verteilung des Wachstums zwischen reichen und armen Provinzen und auf die Wohlstandsdisparitäten zwischen städtischer und ländlicher Bevölkerung in China.
Zinserhöhungen sollen Überinvestitionen abfedern, für den ländlichen Raum bejedoch die Gefahr, dass das dringend im Agrarsektor benötigte Wachstum beeinträchtigt wird. Dem Konjunkturrotstift fielen inzwischen auch zahlreiche Großprojekte, wie z.B. geplante Eisenbahnstrecken, U-Bahnen in Großstädten, Kapazitäten bei Aluminiumschmelzwerken sowie ein Staudammprojekt, zum Opfer. Der Rohstoffhunger Chinas hat sich seit 2004 sehr deutlich auf die Weltwirtschaft ausgewirkt. Industrie- und Entwicklungsländer bekamen Verknappungen und die damit zusammenhängenden Preissteigerungen zu spüren. Die Zeiten, in denen sich das wohlhabende Fünftel der Weltbevölkerung problemlos und zu real sinkenden Preisen mit Rohstoffen versorgen konnte, scheinen der Vergangenheit anzugehören. Längerfristig dürften die Preise, insbesondere bei endlichen Rohstoffen wie Erdöl, Zinn, Kupfer, Nickel und Zink, noch weiter steigen. Versorgungsengpässe infolge falsch eingeschätzter Marktentwicklungen verstärken das Rohstoffpreisproblem, unter dem China selbst am stärksten leidet. Der durch das dynamische Wachstum Chinas bei mehreren Rohstoffen ausgelöste Engpass hat den Blick der Unternehmer weltweit in diesem Bereich verändert. Hinter den Rohstoffpreisen verbergen sich heute so die inzwischen weitverbreitete Meinung eine deutlich höhere Volatilität und ein damit verbundenes größeres Risteht
-
siko als bei Aktien, Zinsen und Devisen. -
11.5 Wachstumsmarkt Indien Auch der Subkontinent Indien gewinnt durch seine positive, stabile wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahre für viele international tätige Unternehmen zunehmend an Attraktivität (vgl. Faz-Institut 2003, S. 20). Indien könnte schon in wenigen Jahren ähnlich viel Auslandskapital wie die USA und China anziehen. Vieles deutet darauf hin, dass Land bis zum Jahr 2050 zur weltweit drittgrößten Wirtschaftsnation aufsteigen könnte. In manchen Unternehmensstrategien ergänzt Indien bereits als „verlängertes Büro" die „verlängerte Werkbank" China. Auch entwickelt sich Indien in jüngster Zeit zu einem attraktiven Bankenmarkt in Asien, obwohl die Mehrheitsübernahme im Bankensektor für ausländische Investoren erst 2009 erlaubt sein wird. Die Zahl vermögender Inder nimmt rasch zu; zwischen 2000 und 2005 hat sich deren Vermögen auf 177 Mrd. US-$ verdoppelt (vgl. Handelsblatt 2005a). Megastädte wie Mumbai sind mit ihrer Funktion als „globalizing cities" strategisch wichtige Standorte der Globalisierung, die ihre nationalen Territorien und Gesell-
C: Internationale Wirtschaflsräume als Aktionsfelder internationaler Unternehmen
341
schaften in globalen Prozessen und Systemen vernetzen und schrittweise in die tionale Wirtschaft zu integrieren versuchen (vgl. Nissel 2004, S. 55).
na-
11.5.1 Die
Entwicklung Indiens
im
Vergleich zu China
Der indische Aufstieg ist keine Wiederholung des Booms in China. Während das chinesische Wachstum überwiegend von ausländischen Direktinvestitionen angetrieben und von exportorientierten Branchen getragen wird, ist Indiens Aufschwung eher hausgemacht. In den vergangenen 25 Jahren flössen 560 Mrd. US-$ an Auslandsinvestitionen nach China, während Indien im selben Zeitraum nur ein Zwanzigstel der Summe ins Land holen konnte. Noch sind die ausländischen Direktinvestitionen mit jährlich ca. 5 Mrd. US-$ im Vergleich zu China (2004: 55 Mrd. US-$) zwar gering, das weitere Entwicklungspotenzial ist jedoch beachtlich. Auch Indiens Exporte liegen noch weit hinter denen Chinas; auch bei Dienstleistungen war das Land bisher Nettoimporteur, jedoch deutet sich hier ein schneller Wandel an. In Abb. 11.4 sind verschiedene wirtschaftliche Entwicklungsindikatoren Indiens und Chinas im Vergleich dargestellt.
Chinas private Unternehmen wuchsen im Gegensatz zu seinen Staatskonzernen langsam. In Indien gab es dagegen schon immer mächtige private Familienunternehmen, die sich bereits mit der Öffnung des Landes am Weltmarkt etablierten. Damit stehen sich heute zwei asiatische Wachstumsmärkte gegenüber, die unterschiedlich strukturiert sind. Als Werkbank für den globalen Markt stellt China Konsumgüter wie Haushaltsgeräte und Computer her, Indien gilt demgegenüber als Softwarelabor und Anbieter von IT-Dienstleistungen (vgl. FTD 2005). sehr
Mit einer Fläche von 3,3 Mio. km2 und einer Bevölkerung von knapp 1,1 Mrd. Menschen kommt der Bundesstaat größenordnungsmäßig relativ dicht an China heran. Gemessen am durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen ist Indien jedoch als noch deutlich ärmer einzustufen. Auf dem Weg von einem Entwicklungsland hin zu einem Schwellenland weisen die niedrige Alphabetisierungsrate (48%), die hohe Inflationsrate (über 5%) sowie die geringe Verstädterungsquote (25%) als Indikatoren des Entwicklungsstandes auf erhebliche, noch zu bewältigende Strukturprobleme hin (vgl. Census Of India 2003). Immerhin ging der Anteil der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze von über 50% in den 1950er Jahren auf ca. 26% (über 250 Mio.) in jüngerer Zeit zurück, die Kindersterblichkeit halbierte sich von 127 (1970) auf 67 pro 1 000 Lebendgeburten im Jahre 2002 (vgl. Weltbank 2003). In China weisen diese Entwicklungsindikatoren im Vergleich dazu aber noch weitaus günstigere Werte auf.
342
11
Abb. 11.4:
Dynamische Wachstumsmärkte: Die Beispiele China und Indien
Ausgewählte Entwicklungsindikatoren Chinas und Indiens im Vergleich
BIP-Wachstum real, Veränderung zum Vorjahr in %
95 96 97 98 99 00 01 02 03 04 05
Inflation Rate in %
-3 "i—i—t—r""i—r~~"i—r""i—r~"t 95 96 97 98 99 00 01 02 03 04 05
Außenhandel
Direktinvestitionen
Volumen in Mrd. US-$
aus
dem Ausland, in Mrd.
US-$
32
24 16
0 i-1—i-1—i-1-1—i—i—i—r 95 96 97 98 99 00 01 02 03 04 05
t
i
i
i
i
i
i
i
r
95 96 97 98 99 00 01 02 03 04 05
Quelle: Handelsblatt2005b.
Politisch könnten beide Gesellschaften nicht unterschiedlicher sein. China wird von einer kommunistischen Partei regiert, die sich in ihrer Wirtschaftspolitik indes eher kapitalistisch verhält, Indien dagegen ist eine Demokratie. In den 1990er Jahren setzte ein wirtschaftlicher Reformprozess ein, der zu einer sozialen Marktwirtschaft führen soll; frühere sozialistische Experimente sind dagegen gescheitert. Stabile Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts von durchschnittlich über 5% in jüngerer Zeit zeugen in Indien von einer im globalen Vergleich sehr positiven wirtschaftlichen Entwicklung. Generell haben die wirtschaftliche Liberalisierung
C: Internationale Wirtschaftsräume als Aktionsfelder internationaler Unternehmen
und allmähliche Öffnung nach außen das Wachstum Indiens Asienkrise war Indien, ähnlich wie China, kaum betroffen.
angekurbelt.
343
Von der
Der Arbeitsmarkt wird noch in hohem Maße vom informellen Sektor bestimmt. Von den ca. 400 Mio. Erwerbstätigen Indiens ist nur ein kleiner Teil im formellen Sektor beschäftigt (vgl. Bfai 2003, S. 5ff.). Während derzeit noch über 60% der Erwerbstätigen Indiens in der Landwirtschaft tätig sind und dieser Sektor 24% des BIP generiert, hat der stark anwachsende Dienstleistungssektor die sektorale Struktur des Subkontinents erheblich verändert. Von der Weltbank veröffentlichte Daten zeigen, dass Indien mit einem Bruttoinlandsprodukt von 692 Mrd. US-$ 2004 mittlerweile Südkorea und Mexiko überholt hat und damit weltweit zur zehntgrößten Volkswirtschaft geworden ist (vgl. Indisches Generalkonsulat 2005, S. 1). Deutlichen Einfluss auf die Wirtschaftsentwicklung nahmen wie auch in China ausländische Unternehmen durch ihr verstärktes Engagement. Innerhalb von nur fünf Jahren hat sich der Direktinvestitionsbestand um mehr als 60% erhöht. Auffällig hoch waren dabei US-amerikanische Investitionen. Ein wichtiger Treiber in diesem Prozess war die seit Anfang der 1990er Jahre von der indischen Regierung betriebene Förderung ausländischer Direktinvestitionen innerhalb arbeitsintensiver, exportorientierter Industrien. 2005 wurden schließlich wie in einer früheren Phase in China Sonderwirtschaftszonen („special economic zones") mit attraktiven Anreizen und Steuerzugeständnissen für Unternehmen eingerichtet. -
-
-
-
Ausdruck der starken Wachstumsdynamik im Globalisierungsprozess ist auch die in Indien begonnene Phase der Akquisition ausländischer durch indische Unternehmen. Inzwischen tauchen diese in der M&A-Statistik vermehrt in der boomenden IT-Branche und bei der Generikaherstellung auf. Gegenüber chinesischen Aktiengesellschaften sind Indiens börsennotierte Unternehmen den internationalen Bilanzierungs- und Überwachungsstandards unterworfen, was bei Anlegern Vertrauen erzeugt und einen weiteren Wettbewerbsfaktor gegenüber China darstellt. Neben der Automobilzuliefer- und Pharmaindustrie sowie der traditionellen Textilwirtschaft hat sich im letzten Jahrzehnt der IT-Dienstleistungssektor besonders dynamisch entwickelt (vgl. Kap. 19.4.1). Inder mit guter Schulbildung machten in den USA Karriere und sorgten dafür, dass erste, einfache Computerarbeiten ins Mutterland Indien verlagert wurden. Seither verdoppelt sich der Export von ITDienstleistungen innerhalb von jeweils zwei Jahren. Als Ergebnis eines für Entwicklungsländer überdurchschnittlichen Bildungssystems bringt Indien eine außergewöhnliche hohe Zahl an ausgebildeten Fachkräften hervor (vgl. Kap. 19.4.1). Es verfügt bereits heute über ein großes Reservoir an gut ausgebildeten IT-Spezialisten, Technikern und Ingenieuren sowie eine zunehmende Schar an Wissenschaftlern. 380 Universitäten und 1 500 Forschungsinstitute, an denen jährlich ca. 200 000 Ingenieure und 300 000 Techniker ihre Ausbildung beenden, zeugen von dieser
11
344
Dynamische Wachstumsmärkte: Die Beispiele China und Indien
Qualität indischer „manpower" (vgl. Asuncion-Mund 2005, S. 5). In China sind es dagegen gerade einmal 60 000 bis 80 000 IT-Ingenieure und Techniker. Indien ist auch dabei, sich zu einem der größten Märkte für die pharmazeutische Industrie zu entwickeln. Generika werden zu sehr konkurrenzfähigen Preisen produziert. 2005 fielen bereits 20% der weltweiten Produktion auf Indien (vgl. Indisches Generalkonsulat 2005, S. Durch zunehmend
4).
höherwertige Beschäftigungsmöglichkeiten, z.B. in der Da-
Einkommen in den Städten überdurchschnittlich an. Es entsteht derzeit eine „Mittelschicht" von ca. 250 Mio. Indern, auch wenn diese bislang nur über ein vergleichsweise geringes Jahreseinkommen (durchschnittlich ca. 15 000 Euro) verfügt (vgl. Johnsson 2003, S. 3).
tenverarbeitung, steigt der Anteil der Haushalte mit mittlerem
11.5.2
Nachhaltige Entwicklungsprobleme trotz Wachstum
Noch klafft die Schere zwischen Arm und Reich auf dem Subkontinent weit auseinander. Nach Angaben der Weltbank lebte 2004 weiterhin knapp ein Viertel der ärmsten Menschen in Indien. Die Schnittstelle zwischen struktureller Armut und raschem Wachstum ist dabei die größte Herausforderung für das Land. Weitere Ziele sind
vor
allem die
Verbesserung
der
Verwaltungseffizienz
des
Staates, Investitionen in Erziehung und Gesundheit sowie die Förderung des privat-
wirtschaftlichen Wachstums. Dabei gilt es die in Indien immer noch stark auftretende Misswirtschaft abzubauen. Bisher verhinderten Überregulierung und bürokratischer Wildwuchs privatwirtschaftliches Engagement. Die meisten der wirtschaftsfeindlichen Gesetze aus der sozialistischen Phase der indischen Politik zwischen 1950 bis 1990 haben Reformregierungen in den letzten Jahrzehnten zwar abgeschafft. Dennoch gibt es immer noch zahlreiche Entwicklungshemmnisse durch die anhaltende Protektion von Staatsbetrieben. So haben z.B. die Staatsfluglinien Air India und Indian Airlines es bisher nicht geschafft, ein zeitgemäßes leistungsfähiges Flugangebot für das indische Staatsgebiet und dessen Einbindung in den internationalen Luftverkehr zu organisieren. Obwohl Bangalore mittlerweile ein wichtiges globales Zentrum für IT-Firmen ist, gelang es aus bürokratischen Gründen bisher nicht, den Bau des seit längerer Zeit geplanten internationalen Flughafens zu verwirklichen. Ähnliches gilt für den Ausbau von Seehäfen, die dem heutigen Bedarf an Umschlagkapazitäten für Containerfracht und Massengüter nicht mehr gerecht werden. Immer wieder kommt es vor, dass die Fließbänder von Fabriken im Raum Mumbai still stehen, weil Schiffe mit ihren Lieferungen für die Produktion nicht gelöscht werden können. Auch die zunehmende Energieknappheit macht Indien immer mehr zu schaffen. Das Land ist bereits heute der fünftgrößte Energieverbraucher weltweit. Zwischen 2005 und 2010 wird sich der Energiekonsum verdoppeln. Während China 2003 ca. 5,46 Mio. Fass Erdöl pro Tag verbrauchte und diesen Bedarf zu einem Drittel mit Einfuhren deckte, konsumierte Indien täglich ca. 2 Mio. Fass, von denen allerdings
C: Internationale Wirtschaftsräume als Aktionsfelder internationaler Unternehmen
345
bereits 70% importiert werden mussten. Bis 2025 wird eine Steigerung des indischen Ölverbrauchs auf 7,4 Mio. Fass pro Tag erwartet (vgl. Nzz 2004). Zu beachten ist auch, dass Indien ein großes Beschäftigungsproblem hat, denn durch die Verschlankung der Staatsbetriebe gingen zwischen 1996 und 2004 rund 4.5 Mio. Arbeitplätze verloren. Es wird damit gerechnet, dass bis 2007 rund 75 Mio. neue Arbeitsplätze geschaffen werden müssten, um mit dem dynamischen Bevölkerungswachstum Schritt zu halten (vgl. Die Zeit 2004).
11.5.3
Kooperation der Wachstumsmärkte
So verschieden beide Volkswirtschaften auch sind, China und Indien, die über eine fast 400 km lange gemeinsame Staatsgrenze verbunden sind, haben in vielen Feldern gleiche Interessen. Eine Kooperation beider Staaten würde sich daher für die Zukunft als sinnvoll erweisen. Die Wachstumsmärkte sehen in der Datenverarbeitung, im Fernmeldewesen, in der Biotechnologie und der Pharmazeutik sowie innovativen Spitzentechnologien wie der Raumfahrt große Synergiepotenziale. Eine Grundlage ist die heutige Komplementarität von Indiens Software- und Chinas Hardwarestärke. Gelingt eine Kooperation, wäre dies für beide Wachstumsmärkte im internationalen Feld ein wertvoller Wettbewerbsvorteil. Das im Globalisierungsprozess derzeit aufholende Indien wird das chinesische Wirtschaftmodell jedoch nicht kopieren müssen, um entsprechend erfolgreich zu sein. Bei allen Schwächen Indiens gegenüber China überzeugt der Wachstumsmarkt durch seine Stärken im globalen interkulturellen Kontext. Eine bessere Kommunikationsqualität und das größere Vertrauen der Geschäftswelt in die kulturellen Rahmenbedingungen werden den Aufholprozess Indiens gegenüber China
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C: Internationale Wirtschaftsräume als Aktionsfelder internationaler Unternehmen
349
12 Nation und Kultur
Globalisierung hat in ihren verschiedenen Erscheinungsformen eine Zunahme von Kontakten zwischen Menschen unterschiedlicher Sprache, Herkunft und Gewohnheiten zur Folge. Insbesondere in den 1990er Jahren sind kulturelle Differenzen zu einem viel diskutierten Thema geworden. Sie erschweren den Erfolg internationaler Wirtschaftskooperationen, da kulturbedingte Probleme meist offenkundiger sind als mögliche Synergiepotenziale. Das folgende Kapitel thematisiert die theoretischen Grundlagen und Konzep-
Die
te, Kulturen sichtbar und erfassbar zu machen. Nach der definitorischen Diskussion der Kernelemente von Kultur werden verschiedene Manifestationsebenen von Kultur vorgestellt, wobei der Fokus auf der nationalstaatlichen Ebene liegt. Hierfür werden verschiedene Kulturdimensionen vorgestellt und ihre Ausprägungen diskutiert. Damit soll im Folgenden die konzeptionelle Basis für die Analyse der Bedeutung kultureller Differenzen im internationalen Management (Kap. 27) und für das Fallbeispiel des interkulturellen Marketings (Kap. 16) gelegt werden.
12.1 Zum Wesen von Kultur 12.1.1 Merkmale und Definitionen des
Kulturbegriffs
komplexesten Begriffe, der neben seiner Verwendung im alltäglichen Sprachgebrauch1 von vielen wissenschaftlichen Fachrichtungen in ihre Betrachtungen einbezogen und vor dem jeweiligen disziplinaren Hintergrund definiert wird. Im Kontext internationaler Unternehmenstätigkeit wird Kultur als Teil der Unternehmensumwelt betrachtet, welche die Handlungen der Individuen und die Organisationsstrukturen beeinflusst. Die Aussichtslosigkeit der Bemühungen zur Formulierung einer einheitlichen und allgemein anerkannten Kulturdefinition zeigt sich in der Vielfalt unterschiedlicher Definitionen, weswegen zunächst die Eigenschaften von Kultur dargelegt werKultur ist einer der
den (vgl. Perlitz 2004, S. 249ff). Kultur ist an die menschlichen Träger gebunden, wird von diesen kollektiv erschaffen und ist daher ein soziales Phänomen. Es wird vom Individuum erlernt und innerhalb der Gruppe weitergegeben. Als gruppenspezifisches Phänomen wirkt es integrierend und strebt nach Konsistenz. Für das Individuum stellt Kultur ein Instrument dar, welches hilft, sich an die Umwelt Gemeinhin wird „Kultur" im Sinne von Tradition und Brauchtum oder alles schaffenen, gewissermaßen als Gegenpol zur „Natur", verwendet.
vom
Menschen Ge-
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350
anzupassen
wandlungs-
somit wirkt Kultur verhaltenssteuernd. In langfristiger Sicht ist Kultur und anpassungsfähig und weist somit eine gewisse Dynamik auf.
-
Für den einzelnen Menschen erfüllt die Kultur bestimmte Funktionen. Sie bietet ihm ein Orientierungssystem, mit dessen Hilfe eigene Erfahrungen bewertet und organisiert werden können. Der kulturelle Rahmen setzt die Standards für Wahrnehmung und Bewertung von Informationen, die Entscheidungsfindung und das daraus resultierende Handeln.
Um einen möglichst griffigen Zugang zum komplexen und vielschichtigen PhäKultur zu schaffen, bedient sich Hofstede (2001, S. 2f.) einer Metapher aus der Informationstechnologie. Demnach gibt es verschiedene Ebenen der mentalen Programmierung des Menschen (vgl. Abb. 12.1). nomen
Abb. 12.1: Ebenen der mentalen
Programmierung
ererbt
Quelle: Hofstede 2001, S. 5.
Die unterste Ebene ist die ererbte Programmierung, die universell gilt, d.h. allen Menschen gemeinsam ist. Jeder Mensch kann Angst, Zorn, Liebe empfinden und hat das Bedürfnis und die Fähigkeit, mit anderen Menschen zu kommunizieren. In der Computer-Metapher entspricht diese Ebene dem Betriebssystem. Es bestimmt, was ein Computer ist und über welche Grundfunktionen er verfügt. Die erlernten Fähigkeiten werden durch Sozialisation bzw. Enkulturation vermittelt und sind vom Kontext, in welchem das Individuum aufwächst und lernt, abhängig. Diese mittlere Ebene ist somit gruppen- bzw. kategorienspezifisch. Durch ihre Eigenschaften grenzen sich Gruppen voneinander ab. Die erlernte Ebene stellt die Kultur der jeweiligen Gruppe dar, die Hofstede definiert als die „kollektive
Kategorie S.4).
von
Programmierung des Geistes", die die Mitglieder einer denen anderer Kategorie unterscheidet (hofstede 2001,
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Der Begriff „Kategorie" von Menschen kann sowohl Nationen oder Ethnien bezeichnen als sich auch auf demographisch definierte Schichten oder Tätigkeitsbzw. Berufsgruppen beziehen. In der Computer-Metapher entspricht die kollektive Programmierung des Menschen der Software. Von der installierten Software hängt letztendlich ab, was welcher Computer kann, worin seine Stärken liegen und wie er mit den gestellten Problemen umgeht. Wie der Mensch die mehr oder weniger alltäglichen Probleme der Versorgung löst und wie er kommuniziert, hängt von der Kultur ab, in welcher er aufgewachsen ist. Darauf aufbauend liegt die individuumsspezifische Persönlichkeitsebene, die sowohl erlernte als auch erlebte Fähigkeiten beinhaltet. Für das Agieren als Unternehmensvertreter im Ausland bzw. den Kontakt mit ausländischen Geschäftspartnern ist von besonderem Interesse, dass dem Individuum die eigene Kultur größtenteils nicht bewusst ist. Das Bündel unbewusster Verhaltensmuster, das, was innerhalb einer Kultur als „normal" gilt, wird erst durch den Kontrast zwischen dem „Fremden" und dem „Eigenen" deutlich und kognitiv wahrgenommen. Durch Interaktion mit Angehörigen anderer Kulturen sowie durch Reflexion der eigenen und der fremden Kultur kann es gelingen, mit dem „Fremden" vertraut zu werden. Bei intensivem Kontakt kann es aber auch in Abhängigkeit vom Grad der Fremdheit zu einem „Kulturschock"(vgl. Kap. 27.2.4) kommen. -
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12.1.2 Kulturelemente Aus der Vielzahl der Kulturelemente, die sich in der Literatur finden, können zum Verständnis kulturell bedingter Probleme im Internationalen Management die Elemente „Symbole", „Helden", „Rituale" und „Werte" als eine Synthese betrachtet werden (vgl. Hofstede 2001, S. 8ff.): •
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Symbole: Worte, Objekte und Gesten, deren Bedeutung auf Konventionen der jeweiligen Gemeinschaft basiert und nur mit deren Hilfe entschlüsselt werden kann. Auf der Ebene der Nationalkulturen zählt dazu die gemeinsame Sprache, die eine bestimmte Bedeutung durch ein Symbol (das Wort) kodiert und übermittelt. Die Bedeutung dieses Symbols erschließt sich nur demjenigen, der die betreffende Sprache beherrscht. In Organisationen (also z.B. in Unternehmen) zählen dazu Abkürzungen, Anredeformeln, Kleidungsordnungen und Statussymbole, die in ihrer vollen Bedeutung nur von Insidern erkannt werden können. Helden: Personen, die als Vorbilder für das eigene Verhalten dienen. Diese Personen können real (tot oder lebendig), aber auch fiktiv sein. Zu den Helden des amerikanischen „Entrepreneurships" zählen z.B. Figuren aus der Realität oder aus Spielfilmen, die den Aufstieg „vom Tellerwäscher zum Millionär" geschafft haben. Im chinesischen Kulturkreis sind beispielsweise reale Personen wie der Hongkonger Unternehmer Lee Kahsiung, der ein gigantisches Familienimperium aufgebaut hat, Vorbilder für Aufschwung und neue Wirtschaftskraft.
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Rituale: Aktivitäten, die kollektiv ausgeführt werden und deren Bedeutung vor allem in sozialen Funktionen begründet ist. Aus technischer oder rein wirtschaftlicher Sicht sind sie nicht notwendig. Dazu zählen beispielsweise Begrüßungsformeln und Feste. Aber auch Aktivitäten, die scheinbar rational notwendig sind, wie regelmäßige Besprechungen, das Schreiben von Memos etc., können rituellen Charakter annehmen. Ebenfalls hier einzuordnen ist das systematische Verspäten in Sitzungen entscheidend ist dabei die Frage, welche Personen sich das leisten können und welche es tatsächlich tun. Wertvorstellungen sind die tiefste Schicht der Kultur. Es handelt sich dabei um Gefühle, die von den Mitgliedern einer Gesellschaft geteilt werden und die Umwelt strukturieren, indem sie festlegen, was gut und was böse ist. -
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In der Managementliteratur wird auch auf das Schichtenmodell verschiedener Kulturelemente nach Trompenaars Bezug genommen (vgl. Apfelthaler 1999, S.
65ff.): •
Die äußerste Schicht stellen wie bei Hofstede die Symbole dar. Sie sind jene Elemente, die beim Kontakt mit einer bisher nicht bekannten Kultur als erste wahrgenommen werden. Dazu zählen u.a. Sprache, Nahrung und Essgewohnheiten, Kleidung und Baustile. Sie stellen die Außenansicht einer Kultur dar. Auch ohne die darunterliegenden Schichten zu kennen und zu verstehen, werden sie als fremd wahrgenommen. Vorurteile gegenüber fremden Kulturen lassen sich meist an dieser äußersten Schicht festmachen. Ihre Elemente sind relativ schnell erlernbar: Firmenentsandte im Ausland können die Sprache des Gastlandes lernen, Essgewohnheiten imitieren und sich den Kleidungsnormen anpassen. Die bereits genannte Dynamik von Kultur manifestiert sich ebenfalls am deutlichsten auf der Ebene der Symbole: Baustile in modernen asiatischen Bürozentren sehen jenen in Westeuropa oder den USA zunehmend ähnlich, Kleidungsstile im Geschäftsleben gleichen sich weltweit mehr und mehr an. Die Symbole sind aber auch Ausdruck der tiefer liegenden kulturellen Schichten, ihre volle Bedeutung kann nur bei Verständnis für die darunterliegenden Schichten richtig erfasst werden. Werte und Normen stellen die mittlere Schicht dar. Normen formulieren den gemeinsamen Sinn einer Gruppe, was richtig und was falsch ist. Sie können formell als Gesetze festgeschrieben werden oder sich informell als soziale Kontrolle äußern. Rechtlich festgelegt sind z.B. die Fürsorgepflicht der Eltern und Unterhaltszahlungen im Scheidungsfall. Der Versuch, sich solchen Vorschriften zu entziehen, ist strafbar. Dagegen ist die Verpflichtung, Verwandten grundsätzlich finanzielle Unterstützung zu gewähren, in vielen Kulturen eine informelle Norm. Ein Zuwiderhandeln, d.h. die Verweigerung finanzieller Unterstützung, würde Sanktionen der Gemeinschaft (in diesem Falle der Familie) nach sich ziehen. Auf der anderen Seite stehen Werte, welche grundsätzlich festlegen, was gut und was böse ist. Sie sind eng mit den Idealen einer Gruppe verbunden. Beispielsweise stellt in unserer heutigen Gesellschaft der -
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Schutz der Umwelt an sich einen wichtigen Wert dar. Dennoch hat ein Zuwiderhandeln (z.B. Urlaubsfernreisen) oft keine informellen und erst recht keine formellen Sanktionen zur Folge. Die innerste, am tiefsten liegende Schicht beinhaltet absolute Grundannahmen. Sie betreffen die Beziehungen zum Menschen an sich, zu Zeit und Natur. Jedes Individuum steht diesen Problemen gegenüber und muss sie für sich lösen (vgl. Trompenaars 1993, S. 46). Die Grundfragen sind die folgenden: Wie ist die Natur des Menschen im Allgemeinen? Kann sich der Mensch ändern? Wie ist die Beziehung des Menschen zur Natur? Mit welcher Zeitvorstellung wird das Leben betrachtet? Wie ist die Einstellung zur menschlichen Aktivität? Was kennzeichnet die Beziehung der Menschen untereinander?
Üblich ist auch die Unterscheidung in eine Ebene der Percepta und eine der Concepta (vgl. Holzmüller/Berg 2002, S. 885; Kutschker/Schmid 2005, S. 680ff.). Die Ebene der Percepta umfasst deskriptive Aspekte: Verhaltensmuster (Sprache, Sitte, soziale Strukturen) sowie materielle Kultur der Verhaltensergebnisse (Kleidung, Architektur etc.). Die Ebene der Concepta hingegen enthält explikative Elemente und ist nicht direkt beobachtbar. Auf dieser Normen etc. angesiedelt.
Ebene sind Einstellungen Werte,
12.2 Maßstabsebenen kultureller Identität Jeder Mensch gehört gleichzeitig einer Vielzahl von Gruppen und Kategorien von Menschen und damit auch verschiedenen Kulturen an. Er trägt in Hofstedes Diktion verschiedene Ebenen kollektiver Programmierung in sich. Im Folgenden werden beispielhaft die supranationale und die nationale Ebene betrachtet. -
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12.2.1 Kulturerdteile Der von Albert Kolb geprägte Begriff „Kulturerdteile" (vgl. Ehlers 1996, S. 340) bezeichnet einen Raum subkontinentalen Ausmaßes, dessen Einheit auf dem individuellen Ursprung der Kultur, der einmaligen Verbindung landschaftsgestaltender Natur- und Kulturelemente, der eigenständigen geistigen und gesellschaftlichen Ordnung und dem Zusammenhang des historischen Ablaufes beruht. Das Konzept der Kulturerdteile wurde von Jürgen Newig aufgegriffen. Wenn auch das Grundkonzept dasselbe geblieben ist, so werden hier fünf konkrete Merkmale benannt, die als Abgrenzungskriterien für Kulturerdteile herangezogen werden (vgl. Newig 1986, S. 264): •
Normatives Leitsystem: In der Form von dominanten Religionen oder Ideologien hat das normative Leitsystem oft den größten Einfluss auf die Entstehung von Kulturerdteilen. Sowohl das Konzept von Newig als auch Alternativen, wie
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das umstrittene Konzept von Huntington (1996) stützen sich in ihren Abgrenzungen überwiegend auf vorherrschende Religionen und Ideologien. Kommunikations- und Infrastruktursystem: Unter diesem Sammelbegriff werden Sprache, Schrift und Rechtssystem, aber auch Gebräuche und Kleidung subsumiert. Damit stellt dieses Merkmal vor allem Symbole, aber auch bestimmte Elemente des Normensystems dar. Hautfarbe bzw. Rasse: Dieses Merkmal berücksichtigt ausschließlich ererbte physiognomisch wahrnehmbare Elemente. Daher ist dieser Aspekt im Kontext einer kulturellen Betrachtung unter Berücksichtigung der oben erläuterten Merkmale und Definitionen kritisch zu hinterfragen. Wirtschaftssystem: Newig betrachtet explizit die Wirtschaft als ein eigenes Element, obwohl es zum Teil Ausdruck der dominanten Ideologie ist. Lagesituation: Die Lagebezüge werden vor allem aufgrund ihrer geopolitischen Bedeutung berücksichtigt. Aber auch bezüglich der Intensität interkulturellen Austausches unterscheiden sich Durchgangsgebiete erheblich von isolierten Lagen. Das wiederum hat Auswirkungen auf die Dynamik kultureller Veränderungen. -
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Auf der Basis dieser Merkmale identifiziert Newig zehn Kulturerdteile: Nordamerika (Anglo-Amerika), Lateinamerika (Ibero-Amerika), Europa, Russland bzw. die ehemalige Sowjetunion, Orient, Schwarzafrika, Ostasien mit Zentralasien, Südasien, Südostasien und Australien mit Ozeanien. Insbesondere nach dem Wegfall der Ost-West-Dualität und der Konkurrenz der politischen Systeme ist ein neuerliches Interesse an einer kulturell begründeten Gliederung der Welt entstanden. Huntington (1996) hat mit seinem Buch zum „Kampf der Kulturen" eine kontroverse Diskussion ausgelöst, die es zu diskutieren gilt.
Huntington ist sich der Problematik, dass sich Kulturen auf sehr verschiedenen räumlichen Maßstabsebenen manifestieren durchaus bewusst und nimmt folgende Differenzierung vor: Die oberste räumliche Ebene der Kultur, oberhalb derer keine gemeinsame Ebene außer der menschlichen Natur steht, definiert er als Kulturkreise (vgl. Huntington 1996, S. 55). Darunter liegt die nationalstaatliche Ebene, die wiederum verschiedene subnationale Kulturen kennt. Die Kulturen auf subnationaler Ebene unterscheiden sich voneinander weniger, als die Kulturen verschiedener Nationen. Nationalkulturen innerhalb eines Kulturkreises wiederum sind einander verwandter, da sie untereinander mehr Gemeinsamkeiten aufweisen als mit Nationen eines anderen Kulturkreises2. „Ein Kulturkreis ist (...) die höchste kulturelle Gruppierung von Menschen und die allgemeinste Ebene kultureller Identität der Menschen Ein süditalienisches Dorf hat eine andere Kultur als eine norditalienische Stadt. Die beiden Kulturen sind sich aber verwandter als die Kulturen eines italienischen Dorfes und eines deutschen Dorfes. Diese wiederum weisen mehr Gemeinsamkeiten auf als die Kultur eines europäischen und die eines chinesischen Dorfes.
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unterhalb der Ebene, die den Menschen von anderen Lebewesen unterscheidet. Sie definiert sich sowohl durch gemeinsame objektive Elemente wie Sprache, Geschichte, Religion, Sitten, Institutionen als auch durch die subjektive Identifikation der Menschen mit derselben" (Huntington 1996, S. 56).
(1996, S. 57ff.) unterscheidet weitgehend deckungsgleich mit Nedie folgenden Kulturkreise (vgl. Karte 12.1): Gliederung wigs sinisch (Konfuzianismus und Buddhismus), japanisch (Shintoismus),
Huntington
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hinduistisch, islamisch, westlich (christlich), lateinamerikanisch (eventuell auch eine Variante des westlich-christlichen
Kreises),
Stammesreligionen, teils christlich). Grundtenor der Ausführungen Huntingtons ist die Unvereinbarkeit der Kulturkreise, die in einen permanenten Kampf um die Vormacht mündet. Dieser Kampf wird •
afrikanisch (teils
insbesondere zwischen der westlichen Welt einerseits und der sinischen sowie der islamischen Welt andererseits ausgetragen. An den Bruchlinien der Kulturkreise kommt es zwangsläufig zu dauerhaften Auseinandersetzungen. Als Belege werden vor allem die Konflikte im ehemaligen Jugoslawien angeführt, wo sich der islamische, der westlich-christliche und der slawisch-orthodoxe Kulturkreis treffen und einen Brennpunkt der Bruchlinien bilden Auch an der Grenze zwischen afrikanischer und islamischer Kultur (z.B. Somalia, Äthiopien, Sudan) kam es in den 1990er Jahren zu schweren Konflikten. Die Unvereinbarkeit der verschiedenen Zivilisationen führt letztendlich zu einer kategorischen Ablehnung der Multikulturalität. Die Kritik an Huntingtons Thesen ist vielfältig. Er suche nur nach Belegen für simple Thesen, die bruchstückhaft zusammengesetzt werden. Die empirische Basis seiner Ausführungen wird angezweifelt, dem Ansatz der wissenschaftliche Anspruch ab.
gesprochen.
3
In jüngerer Zeit hat sich diese Bruchlinie z.B. auch auf den Philippinen gezeigt wo es zu Anschlägen und Kämpfen zwischen der Armee des mehrheitlich katholischen Landes und den islamistischen Abu-Sayyaf-Rebellen kam.
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„Der Kampf der Kulturen findet nicht statt. Vorsicht ist angeraten ge-
genüber Huntingtons Globaltheorie. Sie pflegt die Tugend der Einfachheit
auf Kosten der
1998, S.
Wahrheit und
verfälscht
die Realität" (müller
262).
Ansatz sucht nach einem neuen Feindbild, seitdem der Sozialismus nach Ende des Kalten Krieges nicht mehr den geopolitischen Gegenpol zum Westen darstellt. Somit sei er nur Ausdruck von Zukunftsangst und Unsicherheit in der „westlichen Welt".
Huntingtons
„Beide (Zukunftsangst und Unsicherheit, Anm. d. Verf.) finden ihren krassesten Ausdruck in Huntingtons Prognose eines blutigen Krieges der Zivilisationen, in dem die besonders gefährdete westliche Zivilisation zu Verteidigungsmaßnahmen aufgefordert wird unter dem Motto ,the West versus the Rest'" (Ossenbrügge/Sandner 1994, S. 682). alte Feindbilder, wie z.B. die „Gelbe Gefahr" oder die Die kritischen Wien". „Türken Argumente münden letztlich in den Vorwurf der Parteinahme und des Mangels an Objektivität.
Der Ansatz
reproduziert
vor
Die Konzepte der Kulturerdteile bzw. der Zivilisationen sind zum Verständnis interkulturellen Wirtschaftsbeziehungen nur wenig geeignet. Sie dienen allenfalls dazu, die Existenz verschiedener Kulturen zu verdeutlichen und Ansätze zu deren Verortung zu liefern. Ein Verständnis der Handlungen von Wirtschaftspartnern bzw. der Symbole einer Kultur setzt die Auseinandersetzung mit dem darunter liegenden Weitesystem voraus. In den vorgestellten Konzepten der Kulturerdteile bzw. -kreise wird implizit von der dominanten Rolle der Religionen ausgegangen. Wenn auch im alltäglichen Leben die Religion heute in vielen Kulturen keine dominante Stellung mehr innehat, so ist sie doch prägend für das zugrundeliegende Wertesystem. Im Folgenden werden daher die Implikationen des Wertesystems der großen Weltreligionen für das wirtschaftende Individuum thematisiert. von
•
Christentum: Häufig betrachtet man die protestantische Ethik als Basis des heutigen demokratisch-marktwirtschaftlichen Modells. Im ProtestantismusKapitalismus-Modell nach Max Weber wird die Bewährung im Leben durch Tüchtigkeit und Erfolg im Beruf als Zeichen der Erwählung gesehen (vgl. Schwald 1999, S. 92). Auch die zunehmende Individualisierung steht demnach in engem Zusammenhang mit der protestantischen Ethik (vgl. RlN-
1999, S. 191f.). Die Zusammenhänge zwischen der Individualisierung der Gesellschaft und der rastlosen Berufsarbeit sowie der rationalen Selbstkontrolle werden aufgezeigt. Die ebenfalls in der protestantischen Ethik verwurzelte asketische Sparneigung führt zur Kapitalbildung. Diese Zusammenhänge sind jedoch nicht als Kausalzusammenhänge zu verstehen, vielmehr besagen Webers Thesen, dass die protestantische Ethik die Entstehung des Merkantilismus (vgl. Kap. 7.2.2) begünstigte. In der katholischen Kirche wird das Solidaritätsprinzip stärker betont, daher sind hier mehr Elemente der schede
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•
•
Sozialbindung von Eigentum und Produktivmitteln zu finden. Mit der Grundethik dieser christlichen Strömung ist die soziale Marktwirtschaft besser zu vereinbaren. Islam: Grundsätzlich fördert der Islam das Privateigentum und ist daher zunächst als kapitalistisch einzustufen. Die islamische Wirtschaftsethik weist viele Parallelen zur christlichen auf: Eine grundsätzlich positive Einstellung zur Wirtschaft, persönliche Leistung als Wert sowie Vermeidung von Ungleichverteilung sind prägende Elemente (vgl. Rinschede 1999, S.190). In seinem Selbstverständnis sieht sich der Islam jedoch als dritte Alternative neben dem kapitalistischen und dem sozialistischen Modell. In ökonomischtheoretischer Perspektive ist von einem „homo islamicus" die Rede, der dem „homo oeconomicus" entgegengestellt wird (vgl. Schwald 1999, S. 107). Der „homo islamicus" ist eher religiös als materialistisch, eher national als international ausgerichtet. Seine Handlungen beruhen auf einer ethischen Solidarverpflichtung gegenüber anderen Muslimen. Wohlhabende Mitglieder sind moralisch verpflichtet, durch Spenden oder Almosen für einen sozialen Ausgleich zu sorgen. Somit wird dem wirtschaftenden Individuum mehr Solidarität abverlangt, als dies in der christlichen Gesellschaft durch das „fairplay"-Gebot vorgegeben wird. Eine Besonderheit ist auch das im Koran festgeschriebene allgemeine Zinsverbot, das den Produktionsfaktor Kapital in streng islamistischen Ländern verknappt und rigorosen Kontrollen unterstellt. Hinduismus: Der Hinduismus ist mit der Betonung der Askese, der seelischen Reinigung durch Verzicht, dem Kastenwesen4, welches keine Aufstiegsmöglichkeiten zulässt, sowie der Hoffnung auf ein besseres Leben durch Wiedergeburt für Angehörige westlicher Kulturen vielleicht am schwierigsten zu verstehen (vgl. Schwald 1999, S. 124ff.). Die klassischen Konzepte des wirtschaftlich handelnden Menschen in der westlichen Ökonomie (nutzenmaximierendes oder opportunistisches Handeln, homo oeconomicus etc.) versazumindest solange nicht das gen vor diesem kulturellen Hintergrund Erreichen einer höheren Kaste bei der Wiedergeburt als ökonomischer Nutzen interpretiert wird. Buddhismus: Ein besonderes Merkmal des Buddhismus ist das Fehlen einer verpflichtenden Ideologie und religiösen Indoktrination. Dem einzelnen Gläubigen kommt eine höhere Selbstverantwortung zu, sein Glauben soll auf rationalen Entscheidungen beruhen. Die Selbstverantwortung in moralischen Fragen ist stärker ausgeprägt als in jenen Religionen, deren „Heilslehre" alleinige Gültigkeit beansprucht. Daher tritt sie vielfach gemeinsam mit anderen Glaubensrichtungen auf, es sind „Verschichtungen" der Religionen festzustellen. Dennoch lassen sich bestimmte Merkmale buddhistischer Wirtschaftsethik -
•
4
Das Kastenwesen bezeichnet „eine religiös begründete, streng hierarchische Aufteilung einer Gesellschaft in genau voneinander abgegrenzte Schichen, die sich durch gemeinsame Sitten und Lebensformen auszeichnen" (Gabler Wirtschaftslexikon 2004, S. 1631 f.).
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identifizieren. Kennzeichnend ist eine der protestantischen ähnliche Individuenprägung mit einem geradezu „obsessiven Perfektionismus" (Fukuyama 1995, S. 223). Schwald (1999, S. 135) bezeichnet das buddhistische Arbeitsverhalten als besonders erfolgreiche Mischung, da hier der Perfektionstrieb mit dem Prinzip der Askese, dem Verzicht auf egozentrisches Verhalten, aber auch mit der Förderung individueller Fähigkeiten kombiniert wird. Die darauf beruhende dominante Leistungsethik spiegelt sich nicht nur im wirtschaftlichen Handeln, sondern auch im Bildungswesen wider. Konfuzianismus: Leistungsorientierung, Lernbereitschaft, Sparsamkeit und Gruppenorientierung gelten als zentrale Merkmale konfuzianischer Gesellschaften (Taiwan, Hongkong, Singapur, China und chinesische Gemeinschaften im Ausland, z.T. auch in Japan und Südkorea) im Hinblick auf den wirtschaftenden Menschen (vgl. Rinschede 1999, S. 187f.). Mitgliedern westlicher Kulturen fremd und gleichzeitig von herausragender Bedeutung für das wirtschaftliche Handeln sind das Harmonieprinzip und die Gruppenorientierung. Sie haben eine Einschränkung des Individuums zugunsten der Gruppe zur Folge, der einzelne Mensch drängt sich nicht in den Vordergrund und betont nicht seine eigene Leistung. Als Gegenleistung für Bescheidenheit und Loyalität stehen dem Individuum Sicherheit und ein anteiliger Gruppenertrag zu. Die Gruppen- und Beziehungsorientierung sind definitorische Elemente der konfuzianistischen Kulturen; damit zusammenhängend ist auch das „Guanxi"-Prinzip (vgl. Exkurs 27.2) zu interpretieren (vgl. Weggel 1989). Ihm liegt die Tatsache zugrunde, dass im Konfuzianismus eine universelle (d.h. für jeden Menschen geltende) moralische Verpflichtung fehlt. Die Normen werden immer im Kontext der Gruppe angewendet und nicht auf „Fremde". Jenseits der Familie oder des Beziehungsnetzwerks „Guanxi" herrscht ein niedriges Vertrauensniveau und gelten andere „Spielregeln" (vgl. Fukuyama 1995, S. 121). Shintoismus: Diese Religion, die gewisse Verwandtschaft zu animistischen Naturreligionen aufweist, zeigt in ihrem heutigen Verbreitungsgebiet, insbesondere Japan, Verschichtungen mit dem Buddhismus und dem Konfuzianismus (vgl. Schwald 1999, S. 149ff.). Die Kombination aus drei Lehren mündet in ein Wertesystem, das gemeinhin vor allem mit strikter Disziplin und Gruppenloyalität in Verbindung gebracht wird (vgl. Rinschede 1999, S.
187).
12.2.2 Nationalstaaten Die Begriffe „Kultur" und „Nation" werden oft synonym verwendet, obwohl hierfür die theoretische Fundierung fehlt (vgl. Brandenburger 1995, S. 15). Sowohl die angeführten Definitionen als auch die Merkmale von Kultur machen deutlich, dass verschiedene Kulturebenen existieren, von denen die nationale Ebene nur eine sein
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12 Nation und Kultur
kann. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob nationale Kulturen überhaupt existieren. Eine Landeskultur wird im Verhältnis zu einer anderen Landeskultur abgegrenzt. Innerhalb vieler Nationalstaaten existieren jedoch sehr unterschiedliche Kulturen, die sich teils fremder sind als einzelne „Teilkulturen" den benachbarten Ländern. Vielvölkerstaaten wie Indien müssten vielmehr aufgrund der Vielzahl unterschiedlicher Sprachen, Ethnien, Religionen als multikulturelle Staaten begriffen werden. Insbesondere bei jungen Staaten, die in Folge des kolonialen Erbes und im Zuge der Entkolonialisierung „auf dem Reißbrett" entstanden sind, tritt eine deutliche Inkonsistenz zwischen Staatsgrenzen und kulturellen Bruchlinien auf (z.B. in Afrika). Aber auch europäische Länder (wie die Schweiz) oder im Zuge von Besiedelung neu entstandene Staaten (wie die USA) weisen multikulturelle Elemente auf und lassen sich durch deutliche kulturelle Differenzen innerhalb des Nationalstaates charakterisieren (vgl. UsunierAValliser 1993, S. 29; hofstede 2001, S. 13ff.). Nationalstaaten können also nicht mit homogenen Gesellschaften gleichgesetzt werden, eine einheitliche Kultur darf nicht unterstellt werden. Dennoch gibt es inhaltliche Argumente für nationalstaatlich angelegte Kulturanalysen. Die dominante Landessprache, ein einheitliches Bildungssystem, das nationale politische System und landesweite Massenmedien fördern die kollektive Programmierung des Geistes aller Bewohner eines Staates. Gegenläufige Tendenzen der Betonung der Eigenständigkeit bestimmter Bevölkerungsgruppen werden teilweise toleriert, solange sie nicht zu separatistischen Tendenzen werden (z.B. die eigene Sprache und Kultur in der Region Katalonien/Spanien). Wenn sie aber die regionale Abspaltung anstreben, werden sie oft staatlich sanktioniert und können im Ergebnis zu einer Marginalisierung oder Ausgrenzung der Minderheiten führen. Manchmal weisen die separatistischen Tendenzen auch terroristische Elemente auf, die die Stabilität erheblich gefährden können (z.B. die Auseinandersetzungen im Baskenland/Spanien). Für die Erarbeitung von Kulturmerkmalen auf nationaler Ebene sprechen im weiteren forschungspragmatisch bedingte Argumente wie die Verfügbarkeit von Daten und die Koordinierung groß angelegter empirischer Studien in verschiedenen Kulturräumen (vgl. Hofstede 2001, S. 16f). Hier ist es selten möglich, unterhalb der nationalen Ebene weitere Differenzierungen vorzunehmen. Das wichtigste Argument für die Diskussion von Kultur auf der nationalstaatlichen Maßstabsebene ergibt sich jedoch nicht aus einer akademischen Diskussion, sondern aus der Unternehmenspraxis und den Anforderungen an international eingesetzte Unternehmensvertreter. Die kulturelle Unterschiedlichkeit stellt „Expatriates" in ihrer alltäglichen Arbeit vor zahlreiche Probleme, die einer angemessenen Reaktion bedürfen (vgl. Kap. 27.2.4). Diese Reaktionen sind teilweise im Bereich der interkulturellen Kompetenz anzusiedeln, die, unabhängig vom Einsatzort, unabdingbare Voraussetzung für einen erfolgreichen Auslandseinsatz sind. Zu einem erheblichen Teil weisen sie aber eine national gebundene Komponente auf: Beispielsweise bedarf es als Vorbereitung für einen Einsatz in China einer intensiven Auseinandersetzung mit der chinesischen Kultur was sich in -
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einer geradezu unüberschaubaren Flut von Ratgebern widerspiegelt (vgl. thomas/ Schenk 2001; Lin-Huber 2001; Zinzius 2000). Sicherlich unterstellen diese nicht, dass es in China nur „eine" Kultur gäbe, aus pragmatischen Gründen ist aber eine Fokussierung auf im Allgemeinen gültige Elemente nötig. Ein besonderes Beispiel hierbei ist das Konzept der Kulturstandards des deutschen Psychologen Alexander Thomas, welches sich der Identifizierung der für eine Kultur typischen Arten des Wahrnehmens, Denkens und Handelns widmet. National definierte Kulturen werden hier in ihrer Einmaligkeit erfasst und analysiert. Hieraus werden konkrete Handlungsanweisungen und der sog. Kulturassimilator abgeleitet, die eine bestmögliche Anpassung an die landesspezifische Kultur ermöglichen sollen (vgl. Apfelthaler 1999, S. 88ff; Thomas/Schenk 2001, S. 13f). Eine Möglichkeit, auf der nationalstaatlichen Ebene Unterschiede systematisch herauszuarbeiten, sind die im Folgenden diskutierten Kulturdimensionen.
12.3 Kulturdimensionen 12.3.1 Zur Messbarkeit
von
Kultur
Auf keiner Maßstabsebene kann Kultur in ihrer Gänze gemessen werden. Aus der Sicht internationaler Unternehmen und der Notwendigkeit zur Etablierung eines Interkulturellen Managements (vgl. Kap. 27) ist es auch nicht Ziel, das Wertesystem der Individuen zu „messen", sondern vielmehr die resultierenden Verhaltensmerkmale zu analysieren. Insbesondere das Verhältnis zur Autorität, der Umgang mit Konflikten, das Selbstverständnis, Rollenverteilungen etc. berühren unmittelbar Verhandlungen und Führungsstile im interkulturellen Wirtschaftsleben. Untersuchungen, die einen möglichst umfassenden Vergleich von Nationalkulturen zum Ziel haben, setzen an Verhaltensmerkmalen an, die mit Hilfe psychologischer bzw. soziologischer Messinstrumente erfasst werden. Dabei muss aber berücksichtigt werden, dass die Wahl der Fragen und erst recht die Interpretation der Ergebnisse immer aus einer bestimmten inhaltlichen und vor allem auch kulturellen Perspektive heraus, nämlich jener des Forschers, erfolgen. Ziel solcher Untersuchungen ist es, das Durchschnittsverhalten in einem bestimmten Land zu erfassen. Die einzelnen Individuen weichen in ihrem Verhalten i.d.R. von diesen Durchschnittswerten ab. Der Wert der Ergebnisse liegt nicht in der absolut gültigen Positionierung einer Kultur, sondern nur in den relativen Bezügen, d.h. in der Aussage, dass die Mitglieder zweier Kulturen in Bezug auf ein bestimmtes Problem zu sehr unterschiedlichen Lösungen tendieren (wenn sie sich kulturell stark voneinander unterscheiden) oder sich die Lösungen sehr ähnlich sind (bei kultureller Nähe). Dieses Ergebnis lässt sich in konkrete Hilfestellungen bei interkulturellen Kontakten umsetzen (vgl. Kap. 27.2.3 und 27.2.5), ohne dass sie einen Anspruch auf Allgemeingültigkeit hätten. Im Einzelfall müssen sie nicht unbedingt
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362
zum
Erfolg führen, da sich das Individuum anders verhalten kann, als es seine Kul-
tur erwarten lässt.
12.3.2 Die Kulturdimensionen nach Hofstede Die bedeutendste Untersuchung mit dem Ziel, Kulturunterschiede in einem quantitativen Vorgehen aufzuzeigen, ist die IBM-Studie des niederländischen Wissenschaftlers Hofstede (2001, S. 372). In den Jahren 1968 und 1972 wurden in 72 Ländern Mitarbeiter der US-amerikanischen Firma IBM hinsichtlich 60, später 100 verschiedener Items befragt insgesamt bilden 116 000 Fragebögen die Datenbasis. Anhand quantitativer Analysen ließen sich die im Folgenden erläuterten Kulturdimensionen isolieren. Für jedes einzelne Land wurde für jede der vier Dimensionen ein Punktwert zwischen 0 und 100 errechnet, der das Maß für die Ausprägung der jeweiligen Dimension in der jeweiligen Kultur darstellt. Eine Interpretation ist nur auf der Basis der relativen Positionen der Länder zueinander zulässig. -
12.3.2.1 Machtdistanz Die Machtdistanz beschreibt das Ausmaß, in dem weniger mächtige Mitglieder der Gesellschaft erwarten und akzeptieren, dass Macht ungleich verteilt ist. Gemessen wird der Machtdistanzindex z.B. anhand wahrgenommener und präferierter Führungsstile sowie der Möglichkeit, Vorgesetzten oder mächtigeren Personen zu wi-
dersprechen. In Ländern mit niedriger Machtdistanz, z.B. Deutschland, Großbritannien, den skandinavischen Ländern und den USA (vgl. Abb. 12.2), erwarten auch die Mitarbeiter in untergeordneten Positionen, in die EntScheidungsprozesse eingreifen zu können. Es herrscht eine begrenzte Abhängigkeit des Mitarbeiters von seinem Vorgesetzten und eine Interdependenz zwischen beiden. Die emotionale Distanz ist gering, auch vom Vorgesetzten wird erwartet, für Anregungen und Kritik stets offen zu sein. Hierarchie im Unternehmen bedeutet eine Ungleichheit der Rollen, die aus praktischen Gründen um reibungslose Arbeitsabläufe zu sichern akzeptiert wird. Der ideale Vorgesetzte ist in solchen Kulturen der einfallsreiche Demokrat (vgl. Hofstede 2001, S. 46). -
-
In Ländern mit großer Machtdistanz, z.B. den lateinamerikanischen, asiatischen und afrikanischen Ländern sowie in Frankreich und Spanien (vgl. Abb. 12.2), stellt man dagegen eine große Abhängigkeit des Mitarbeiters vom autokratischen oder patriarchalischen Vorgesetzten fest. Die emotionale Abhängigkeit ist groß, d.h. der Mitarbeiter spricht kaum seinen Vorgesetzten an bzw. äußert sehr selten offen Widerspruch (vgl. Hofstede 2001, S. 44f.). In diesem Kontext ist der ideale Chef ein wohlwollender Autokrat mit Elementen einer Vaterfigur.
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363
Abb. 12.2: Machtdistanz und Individualismus Individualis- 0 | musindex
Machtdistanz kollektivistisch
geringe
große
Machtdistanz kollektivistisch
geringe Machtdistanz
individualistisch i_i_i_i_i_i_l 30 40 10 20
Machtdistanz individualistisch i_i_i_I_ 90 100 110 Machtdistanzindex
große
j_j_l_l_l_l_l 50 60 70 80
Quelle: Hofstede 2001, S. 72.
12.3.2.2 Individualismus
versus
Kollektivismus
Diese Dimension
misst, ob sich die Mitglieder einer Gesellschaft selbst als ein unabhängiges Individuum sehen oder sich über die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe definieren. „Individualismus beschreibt Gesellschaften, in denen die Bindungen zwischen den Individuen locker sind: Man erwartet von jedem, dass er für sich selbst und seine unmittelbare Familie sorgt. Sein Gegenstück, der Kollektivismus, beschreibt Gesellschaften, in denen der Mensch von Geburt an in starke, geschlossene Wir-Gruppen integriert ist, die ihn ein Leben lang schützen und dafür bedingungslose Loyalität verlangen." (Hofstede 2001, S. 66f.). Je niedriger der Individualismusindex ist, desto kollektivistischer ist die jeweilige Gesellschaft. Hier ist eine deutliche Parallele zu den Kulturerdteilen (vgl. Kap. 12.2.1) zu erkennen. Besonders hohe Individualismuswerte sind im anglo-amerikansichen Einflussbereich zu erkennen, ebenfalls individualistisch geprägt sind die
12 Nation und Kultur
364
meisten europäischen Länder. Dagegen ist der gegenteilige Pol der Kollektivismus in den lateinamerikanischen Ländern sowie in Asien besonders ausgeprägt (vgl. Abb. 12.2). -
-
In individualistischen Kulturen ist die Beziehung zwischen Arbeitgeber und -nehmer rein zweckbezogen. Grundsätzlich werden die zwischenmenschlichen Beziehungen am Arbeitsplatz von der gemeinsamen Aufgabe dominiert. Andere Menschen beurteilt man grundsätzlich gemäß ihrer individuellen Fähigkeiten. In kollektivistischen Kulturen hingegen werden Personen vor allem als Gruppenmitglieder betrachtet, die zwischenmenschliche Beziehung dominiert die Aufgabe. Die Beziehung zum Arbeitgeber ist moralisch fundiert.
Einen engen Zusammenhang mit dieser Dimension weist der Umgang mit bestehenden Regeln auf. In individualistischen Gesellschaften sind Regeln allgemein verbindlich und unbesehen der Person, um die es in einer konkreten Situation geht, einzuhalten. Dieses Vorgehen wird als Universalismus bezeichnet, da Regeln universell für alle Menschen und Situationen gelten (vgl. Hofstede 2001, S. 91). Anders ist der Umgang mit Regeln in kollektivistischen Kulturen: Vereinbarungen und Normen stellen eine Grundlage dar, die je nach Situation und Beziehung zu den betroffenen Personen flexibel interpretiert wird (Partikularismus).
12.3.2.3 Maskulinität
versus
Feminität
„Maskulinität kennzeichnet eine Gesellschaft, in der die Rollen der Geschlechter klar gegeneinander abgegrenzt sind: Männer haben bestimmt, hart und materiell orientiert zu sein, Frauen müssen bescheidener, sensibler sein und Wert aufLebensqualität legen. Feminität kennzeichnet eine Gesellschaft, in der sich die Rollen der Geschlechter überschneiden: Sowohl Frauen als auch Männer sollen bescheiden und feinfühlig sein und Wert auf Lebensqualität legen" (HOFSTEDE 2001, S. 115). Die
Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern ist ein fundamentales Thema in jeder Gesellschaft. Der Maskulinitätsindex misst, wie stark sich die Wertvorstellungen von Männern und Frauen unterscheiden, d.h. wie fest eine Rollentrennung verwurzelt ist. Ausgangspunkt für diese Dimension war der statistische Nachweis, dass sich die Werthaltungen der Männer zwischen verschiedenen Nationen viel stärker unterscheiden als die der Frauen. In einigen Nationen sind Männer wie Frauen bescheiden, fürsorglich und konsensorientiert. In anderen Kulturen hingegen geben sich die Männer bestimmend und konkurrenzbetont, während die Frauen auch hier eher konsensorientiert sind. Der erste Fall mit weniger ausgeprägten Unterschieden der Werthaltungen von Frauen und Männern wird als feminine Kultur bezeichnet. Zwischenmenschliche Beziehungen stehen hier im Vordergrund, es wird Wert auf
C: Internationale Wirtschaftsräume als Aktionsfelder internationaler Unternehmen
365
Lebensqualität und die Umwelt des Menschen gelegt. Auch Männer sollen bescheiden, feinfühlig und kompromissbereit sein. In maskulinen Gesellschaften werden Konflikte generell ausgefochten. Selbstbewusstes Verhalten wird (zumindest von Männern) erwartet und anerkannt. Mitglieder mit abweichendem Verhalten werden übergangen. Für das Individuum besitzt die Karriere einen hohen Stellenwert, und man verkauft sich über Wert, um bestimmte Ziele zu erreichen. Entschlossenheit ist eine dominante und gefragte Ei-
genschaft von Führungspersonen.
In femininen Gesellschaften hingegen wird selbstbewusstes Verhalten eher als Aufspielen lächerlich gemacht, man nimmt sich zurück und verkauft sich unter Wert, um nicht selbstsüchtig zu erscheinen. Intuition ist die dominante Eigenschaft, die von Führungskräften erwartet wird. Insgesamt besitzt die Lebensqualität einen höheren Stellenwert als die Karriere.
Die Indexwerte, die sich für diese Dimension ergeben, weisen auf die Unzulänglichkeiten des Kulturerdteilkonzeptes hin. Länder des europäischen Raumes sind sowohl am maskulinen (Österreich, Italien, Schweiz, Großbritannien, Deutschland) als auch am eindeutig femininen Pol (Schweden, Norwegen, Niederlande, Dänemark) anzutreffen (vgl. Abb. 12.3). Das zeigt, dass Religion, Sprache und gemeinsame Historie nicht ausreichen, um kulturelle Verhaltensmuster zu erklären. Abb. 12.3: Maskulinität und Unsicherheits- u
Unsicherheitsvermeidung schwache Unsicherheits-
i
vermeidungs-
vermeidung
index
maskulin
0 Quelle: Hofstede 2001, S. 175.
10
90 100 Maskulinitätsindex
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366
12.3.2.4
Unsicherheitsvermeidung
Unsicherheitsvermeidung lässt sich definieren als „der Grad, in dem die Mitglieder einer Kultur sich durch gewisse oder unbekannte Situationen bedroht fühlen. Dieses Gefühl drückt sich u.a. in nervösem Stress und einem Bedürfnis nach Vorhersehbarkeit aus: Ein Bedürfnis nach geschriebenen und ungeschriebenen Regeln" (hofstede 2001, S. 158). Unsicherheit sollte nicht mit Risiko verwechselt werden. Sie lässt sich nicht durch die Wahrscheinlichkeit, mit der ein bestimmtes Ereignis eintritt, ausdrücken, da sie nicht objektbezogen, sondern ein unbestimmtes Gefühl ist. Die Vermeidung von Unsicherheit führt nicht zur Reduzierung eines Risikos, sondern zur Tendenz, uneindeutige Situationen nach Möglichkeit zu meiden. Weist eine Kultur hohe Unsicherheitsvermeidung auf, bedeutet das nicht, dass Unternehmertypen, die bereit sind, unternehmerisches Risiko auf sich zu nehmen, selten wären. Vielmehr wird versucht, durch Regeln, Gesetze, Verhaltensvorschriften und Planung möglichst klare Rahmenbedingungen und Vorhersehbarkeit zukünftiger Entwicklungen zu schaffen. Solche Gesellschaften sind meist intolerant gegenüber abnormem Verhalten, da dies unvorhersehbar ist. In Bezug auf die Arbeitsorganisation lassen sich deutliche Einflüsse dieser Dimension festhalten: Gesellschaften mit starker Tendenz zur Unsicherheitsvermeidung haben ein emotionales Bedürfnis nach Vorschriften und tendieren daher zu mehr Formalisierung und Standardisierung im Arbeitsleben (vgl. hofstede 2001, S. 171).
Hohe Punktwerte ergeben sich für lateinamerikanische Länder und den Mittelmeerraum sowie Japan und Südkorea, mittlere für Deutschland, Österreich und die Schweiz, niedrige dagegen für die asiatischen, afrikanischen, anglophonen und nordischen Länder sowie für die Niederlande (vgl. Abb. 12.3). Die zentralen •
•
•
Kritikpunkte an Hofstede lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Die Existenz von Nationalkulturen ist ein Artefakt; in der Realität sind darunterliegende Ebenen der Kultur entscheidend. Die eindimensionale Konzentration auf Nationalkulturen verbaut den Blick auf darunter liegende Subkulturen (vgl. Apfelthaler 1999, S. 62f.). Insgesamt ist unklar, auf welcher Kulturebene sich die Hofstede-Dimensionen ansiedeln lassen. Das Ziel war es, die Ebene der Werte zu erfassen; kritisiert wird, dass dies nicht erreicht wurde, sondern sich die Analysen auf die Ebene des Verhaltens beziehen (vgl. Kutschker/Schmid 2005, S. 724f.). Die empirische Basis genügt wissenschaftlichen Ansprüchen nicht, da die Daten veraltet und nicht repräsentativ sind. Hofstedes Erhebungen stammen aus den Jahren um 1968 und 1972. Da Kultur dynamisch ist und sich langfristig verändert, wäre eine umfassende Nachfolgestudie nötig. Der Vorwurf der
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367
bezieht sich auf die Beschränkung der Untersuchung auf und IBM-Mitarbeiter IBM-Standorte sowie die Auswahl dieser Mitarbeiter (vgl. Apfelthaler 1999, S. 62f.; Oudenhoven 2001, S. 91). Die gesamte Studie trägt eine westliche Verzerrung in sich, da sie von westlichen Forschern konzipiert wurde. Eine Studie z.B. asiatischer Wissenschaftler würde andere Ergebnisse liefern.
Repräsentatitivität •
Trotz dieser Kritikpunkte gilt das Konzept der Kulturdimensionen von Hofstede als ein Meilenstein der kulturvergleichenden Forschung, da es wie kein anderes einen systematischen Vergleich von Ländern erlaubt, eine Vielzahl von Folgestudien angeregt und durch die konkreten Aussagen über typische Verhaltensmuster die kulturorientierte Managementlehre beeinflusst hat (vgl. Kutschker/Schmid 2005, S.
725f.).
Aufgrund der herausragenden Bedeutung des Hofstede-Ansatzes kann ein aggregierter Indikator der kulturellen Distanz zwischen Staaten ermittelt werden, deren Ausmaß als Hinweis auf die Andersartigkeit und zu erwartende Schwierigkeiten heranzuziehen wäre. Durchgesetzt hat sich der Index von KogutVSingh (1988), der auf Hofstedes Kulturdimensionen beruht und sich als Summe der quadrierten Differenzen auf jeder der vier Dimensionen errechnet. Er dient in zahlreichen Untersuchungen als Erklärungsvariable für unternehmerische Entscheidungen bzw. deren Erfolg (vgl. Shenkar 2001, S. 520). Auf diese Vorgehensweise richtet sich allerdings massive Kritik, die konzeptionelle Probleme aufzeigt (vgl. Shenkar 2001, S. 523f.): •
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•
•
Die Berechnungsweise unterstellt, dass die kulturelle Distanz, z.B. zwischen Deutschland und Indien, dieselbe sei, wie umgekehrt jene zwischen Indien und Deutschland. Es darf jedoch angenommen werden, dass kulturbedingte Schwierigkeiten in Abhängigkeit von der Richtung, in welcher sich z.B. ein Investor bewegt, unterschiedliche Relevanz haben. Das Modell unterstellt die Unveränderlichkeit kultureller Merkmale, die Kulturdefinitionen betonen aber deren Dynamik. Eine implizite Annahme des Konzeptes ist ferner, dass höhere kulturelle Distanz automatisch ökonomische Transaktionen erschwert, was jedoch anzuzweifeln ist. Erstens sind nicht alle kulturellen Unterschiede ökonomisch relevant, zweitens können Unterschiede auch komplementär wirken und die unternehmerischen Aktivitäten im Ausland erleichtern. Die Unterschiede der gemessenen Werte auf den verschiedenen Dimension werden ungeachtet der Dimension miteinander verrechnet, obwohl Hofstede selbst darauf verwiesen hat, dass Differenzen auf den verschiedenen Dimensionen unterschiedliche Bedeutung für das wirtschaftliche Handeln haben (vgl. Shenkar 2001, S. 524ff.).
Der Wert der kulturellen Distanz liegt daher in einem Orientierungsrahmen für das Individuum in der Auseinandersetzung mit einer fremden Kultur.
12 Nation und Kultur
368
12.3.3
Erweiterungen
und alternative
12.3.3.1 Konfuzianische
Konzepte
Dynamik
Der kanadische Wissenschaftler Bond (1988) verfolgte den Kritikpunkt der „westlichen" Verzerrung Hofstedes und schuf als Gegenstück eine Wertestudie mit bewußt nichtwestlicher, nämlich chinesischer Verzerrung. Chinesische Wissenschaftler erarbeiteten einen Fragebogen zur Erfassung des Wertesystems, den sog. „Chinese value survey". Aus dieser Arbeit wurde eine fünfte Dimension, die sich in Hofstedes Konzept integrieren lässt, herausgearbeitet: Die konfuzianische Dynamik. Auf dem Pol, der als langfristige Orientierung bezeichnet wird, sind Werte anzusiedeln wie Ausdauer, Sparsamkeit und statusbasierte Ordnung zwischenmenschlicher Beziehungen, aber auch Schamgefühl. Dieser Pol ist tendenziell vor allem aufgrund der Werte Ausdauer und Sparsamkeit stärker dynamisch und auf die Zukunft hin orientiert. Die kurzfristige Orientierung hingegen enthält die Wahrung des „Gesichts", Respekt vor der Tradition, Erwiderung von Gefälligkeiten und Geschenken, aber auch persönliche Standhaftigkeit. Dieser Pol ist eher statisch sowie auf Vergangenheit und Gegenwart orientiert (vgl. Hofstede 2001, S. 234f.). Da die beiden Pole der Dimension eng mit Tugenden der konfuzianischen Ethik verbunden sind, erhielt die Dimension den Zusatz „konfuzianisch". Der Einfluss der kulturellen Perspektive auf die Ergebnisse wird hier deutlich, da aus westlicher Sicht die beiden Pole dieser Dimension keine Gegensätze darstellen und teilweise nicht als Werte anerkannt -
-
werden. In Beziehung zu wirtschaftlichem Erfolg und Unternehmertum ist festzustellen, dass vor allem eine Tendenz hin zum langfristigen Pol die unternehmerische Tätigkeit unterstützt, ohne in Konflikt mit den konfuzianischen Werten zu kommen. Die hohe Sparquote macht Mittel für Investitionen verfügbar, die Beharrlichkeit, wenn nur langsam gute Ergebnisse erzielt werden, führt langfristig zum Erfolg, und die Bereitschaft, sich im Dienste des Ganzen unterzuordnen, ist hoch. Langfristige Orientierung dominiert in China, Taiwan, Hongkong, Japan und mit Einschränkungen in Südkorea. Die kurzfristige Orientierung weist eher innovationshemmende Wirkungen auf und führt zur Ablenkung von der laufenden Geschäftstätigkeit. Kurzfristige Orientierung findet sich in Großbritannien, Kanada, USA, Deutschland, den afrikanischen Ländern sowie in Asien auf den Philippinen.
12.3.3.2
Zeitkonzepte
Der Umgang mit Zeit ist ein wesentliches konstitutives Merkmal von Kulturen. Darüber hinaus haben verschiedene Zeitkonzepte unmittelbare Auswirkungen auf das Interkulturelle Management (vgl. Perlitz 2004, S. 261ff). Die lineare Zeitvor-
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369
Stellung geht davon aus, dass Zeit messbar ist und aus einer Aneinanderreihung von Zeiteinheiten besteht. Diese Vorstellung ist in den westlichen (christlichen) Kulturen selbstverständlich, Zeit hat einen Anfang und ein Ende und ist daher teil- und messbar. Was gestern geschah, ist unwiederbringlich vorbei, die Zukunft wird in Zeitkontingente aufgeteilt und geplant. Zeit wird als knappes Gut betrachtet, sie kann gespart oder vergeudet werden, sie ist Kapital. Dies manifestiert sich in Zeitplänen für jedes Projekt, Terminkalendern und Tagesordnungspunkten bei Besprechungen. Ein Diskussionspunkt ist sukzessive abzuarbeiten, bevor man sich dem nächsten zuwenden kann.
In der zyklischen Zeitvorstellung ist das bestimmende Element im Zeitablauf der immerwährende zyklische Wechsel von Jahreszeiten, Tag und Nacht. Vergeudete Zeit gibt es nicht, da jede verstrichene Gelegenheit in der Zukunft wiederkommt. Zeit verursacht keine Opportunitätskosten. Das zyklische Zeitverständnis ist vor allem in asiatischen Kulturen und in traditionellen Agrargesellschaften wiederzufinden.
Ebenfalls im Zusammenhang mit Zeitkonzepten taucht häufig die Unterscheidung zwischen monochronen und polychronen Kulturen auf (vgl. Hall 2000). Eine monochrone Kultur entspricht dem oben dargestellten linearen Zeitverständnis. Monochrone Menschen tun immer eines nach dem anderen und sind bestrebt, die Aufgaben sukzessive abzuwickeln. Da sie Zeit als knappes Gut betrachten, halten sie Zeitpläne, terminliche Verpflichtungen und deren strikte Einhaltung für elementare Voraussetzungen erfolgreicher Zusammenarbeit und Kommunikation. Andererseits neigen sie zu kurzlebigen Beziehungen. Ihr Arbeitsstil zeichnet sich durch sehr methodisches Vorgehen aus.
polychronen Kulturen befinden sich hingegen gleichzeitig auf mehreren, parallel verlaufenden Zeitachsen. Sie tun viele Dinge gleichzeitig, d.h. wenn in der einen Aufgabe kein wesentlicher Fortschritt zu erzielen ist, wendet man sich einer anderen zu und nimmt erstere zu einem späteren Zeitpunkt wieder auf. Aufgestellte Pläne können daher bei Bedarf jederzeit umgestoßen werden. Polychrone Menschen messen zeitlichen Verpflichtungen weniger große Bedeutung zu und kommen oft zu spät. Der Schwerpunkt liegt nicht auf der Einhaltung von Terminen, sondern Kommunikation und die Erledigung von Aufgaben stehen im Vordergrund. Daher haben in solchen Kulturen lebenslange Beziehungen besondere Bedeutung. Allerdings ist zu beachten, dass gerade im Geschäftsleben in polychronen Kulturen bei Außenkontakten ein Wechsel zum monochronen System stattfindet. Bei Rückkehr an den eigenen Arbeitsplatz und Organisation der Aufgaben „nach innen" wird dies jedoch wieder durch die polychrone Vorgehens weise ersetzt (vgl. Hall 2000, S. 286). Menschen in
12 Nation und Kultur
370
12.3.3.3 Kontextualität Die Kontextualität bezieht sich auf den gepflegten Kommunikationsstil und beruht auf den Arbeiten des US-amerikanischen Kulturanthropologen Hall (2000) (vgl. Kutschker/Schmid 2005 S. 702ff.; Apfelthaler 1999 S. 46ff.). Mit Kontextualität ist gemeint, inwiefern eine verbal kommunizierte Botschaft vom Kontext der Kommunikation und der nonverbalen Unterstützung abhängt. Gerade in ostasiatischen Kulturen ist es außerordentlich wichtig, auch „zwischen den Zeilen" einer Aussage lesen zu können bzw. die Körpersprache richtig zu interpretieren, da „ja" durchaus auch „nein" bedeuten kann. Eine solche Kultur bezeichnet Hall als highcontext"-Kultur. Der größte Teil der Botschaft wird durch non-verbale Kommunikation oder den Kontext, in welchem der Austausch stattfindet, vermittelt. Diese Kommunikationsform stellt höhere Anforderungen an die persönliche Einbindung der Partner in das Gespräch. Soll ein problematischer Punkt vermittelt werden, so wird dieser in der Regel eingekreist. Der kritische Punkt selber wird nicht direkt kommuniziert, sondern möglichst viele Dinge, die ihn am Rande betreffen, werden angesprochen. Vom Gesprächspartner wird erwartet, das gemeinte, gewissermaßen eingekreiste Problem selbst zu erkennen. Gerade in interkulturellen Verhandlungen führen diese fundamentalen Unterschiede oft zu Missverständnissen und Problemen. In „high-context"-Kulturen erwartet man vom Gesprächspartner Zurückhaltung, es wird wenig von den eigenen Gedanken preisgegeben, und ein hohes Maß an Information ist nötig, um die Botschaften richtig zu interpretieren (vgl. Gudykunst/Kim 1997, S.67). „
Gegensatz dazu wird in „low-context"-Kulturen der kritische Punkt direkt angesprochen. In der ausgesprochenen Botschaft formuliert man im Allgemeinen genau das, was dem Gesprächspartner vermittelt werden soll. Das bedeutet nicht unbedingt Ehrlichkeit die übermittelte Botschaft kann schließlich eine bewußte Unwahrheit sein. Angehörigen der „low-context"-Kulturen erscheint die asiatische „high-context"-Kommunikation oft unehrlich, weil die vermittelte Botschaft vor dem Hintergrund der eigenen Kommunikationsgewohnheiten entschlüsselt und wörtlich aufgefasst wird, was zu Fehlinterpretationen führt. Die Kontextualität zeigt einen engen Zusammenhang mit der Dimension Individualismus-Kollektivismus (vgl. Gudykunst/Kim 1997, S. 68). Individualistische Im
-
Kulturen tendieren zu „low-context"-Kommunikation, während die kollektivistischen eher einen stark kontextbezogenen Kommunikationsstil präferieren (Asien, Lateinamerika, Afrika). Das hängt mit dem Harmoniegebot in kollektivistischen Kulturen zusammen. Ein „low-context"-Kommunikationsstil müsste Probleme, Kritik u.ä. direkt ansprechen und könnte somit die Harmonie in einer Beziehung oder Gruppe erheblich stören.
C: Internationale Wirtschaftsräume als Aktionsfelder internationaler Unternehmen
12.3.3.4 Kulturdimensionen nach
371
Trompenaars
In der Managementliteratur ebenfalls anzutreffen sind die Kulturdimensionen nach Trompenaars (1993): •
•
•
•
Individualismus versus Kollektivismus: Wie bei Hofstede ist die Beziehung zwischen der Gruppe und dem Einzelnen eine der wesentlichen Dimensionen. Unterschieden wird danach, ob die vorherrschende Grundorientierung auf das Ich oder auf die Ziele und Vorgaben der Gemeinschaft gerichtet ist; Universalismus versus Partikularismus: Universalistische Kulturen sind durch allgemeingültige (universelle) Gesetze und Regeln geprägt. Regeln werden unbesehen der betroffenen Person angewendet. Partikularisten hingegen interpretieren Regeln im Kontext der konkreten Situation und der betroffenen Person. Universalisten trauen den Partikularisten nicht, da sie diese als „ungerecht" empfinden, weil sie ihren Freunden Vorteile verschaffen. Umgekehrt sind für Partikularisten die Universalisten keine integren Menschen, da sie ihre Freunde im Stich lassen; Affektiv versus neutral: Damit ist die Spannweite der ausgedrückten Gefühle gemeint. Die Dimension beschreibt nicht, ob eine Kultur kalt und gefühllos oder warmherzig ist, sondern inwiefern Gefühle offen gezeigt oder geäußert werden. Spezifisch versus diffus: Diese Dimension beschreibt die Trennschärfe zwischen verschiedenen Lebensbereichen. Entscheidend ist, welche Bereiche als privat und welche als öffentlich angesehen werden und inwieweit es zu einer Vermischung der beiden kommen darf. Ebenfalls relevant ist die Frage, wie leicht man Zugang zum privaten Bereich erhält und welche Verpflichtungen daraus entstehen. Die westlichen und angloamerikanischen Kulturen zeichnen sich meist durch eine deutliche Trennung von Privatleben und Beruf aus sie gelten als spezifisch. Demgegenüber sind China und viele andere asiatische Länder als diffus zu bezeichnen; hier ist die Vermischung der beiden Bereiche durchaus üblich. Leistungsorientiert versus askriptiv: Die zentrale Frage, die durch diese Dimension geklärt wird, lautet: Wie erreicht ein Individuum seinen Status innerhalb der Gesellschaft? Geschieht dies überwiegend durch die persönliche Leistung oder durch Herkunft und Gruppenzugehörigkeit? Die Dimension äußert sich in der Bedeutung von Rangfolgen und in Symbolen, mit denen Rangfolgen sichtbar gemacht werden. Leistungsorientierte Kulturen weisen in der Regel flachere Hierarchien auf, Statusebenen sind durchlässiger und die Kommunikation ist meist direkter. Zeitverständnis: Trompenaars untersucht sowohl die Unterschiede hinsichtlich der Frage, ob der Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft die größte Bedeutung zukommt, als auch die Dualität konsekutiven versus synchronen -
•
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Zeitverständnisses;
12 Nation und Kultur
372
•
Umweltverständnis: Hier geht es zum einen darum, ob der Mensch versuchen sollte, die Natur zu beherrschen, oder ob er die Gegebenheiten akzeptieren und sich anpassen muss. Zum anderen steht die Frage im Mittelpunkt, ob das Schicksal des Menschen eher selbst- oder fremdbestimmt ist.
Die Kritik an Trompenaars Modell war umfangreicher und massiver als jene an Hofstedes Ansatz und wird hier nur zu den beiden folgenden Punkten verdichtet wiedergegeben (vgl. Kutschker/Schmid 2005, S. 732ff.): Die Datenbasis entstand unsystematisch und enthält daher unkontrollierbare Verzerrungen. Ferner definiert Trompenaars, basierend auf den gängigen (westlichen) Theorien, vorab, welche Dimensionen existieren, und legt zudem fest, welche Verhaltensweisen typischer Ausdruck dieser Dimensionen sind. Seine eigenen empirischen Ergebnisse zeigen auf, dass dies in vielen Fällen nicht zutrifft, und konterkarieren seine eigenen, a priori
aufgestellten Zuordnungen.
12.4 Kulturelle Globalisierung oder Renaissance kulturbasierter Feindbilder? In jüngerer Zeit lassen sich hinsichtlich der Bedeutung von Kultur auf nationaler und supranationaler Ebene zwei grundsätzlich, d.h. nicht nur für das wirtschaftliche Handeln, sondern auch für andere gesellschaftliche Fragen gegenläufige Tendenzen feststellen, die zum Abschluss angerissen werden sollen: Zum einen sind deutliche Trends einer globalen Verbreitung zahlreicher kultureller Elemente zu konstatieren. Zum anderen sind im Zuge der Ereignisse seit dem 11. September 2001 zunehmend Feindbilder reaktiviert worden, die sich weitgehend auf stereotype Vorstellungen von Kulturkreisen und vor allem deren Konflikten stützen.
Kulturelle Globalisierung ist hier als Gegenthese zu der im Kontext internationalen Managements vielfach betonten Bedeutung kultureller Differenzen zu verstehen. Mit kultureller Globalisierung meinen einige Autoren die zunehmende „Verwestlichung". Je nach Perspektive wird sie als notwendiger Bestandteil von Modernisierung angesehen, oder es wird dahinter die Ausdehnung westlicher Macht erwartet und die Entstehung einer Einheitskultur befürchtet. Diese Erwartungen sind jedoch beide nicht neu. Zunächst wurde Entwicklung als vereinheitlichender Modernisierungsprozess angesehen (vgl. Kap. 5.2.1). Als Ergebnis dieser Entwicklung stünde dann eine mehr oder weniger westlich geprägte homogene Weltkultur. In diesem Zusammenhang steht auch die These, dass aufgrund zunehmender Kommunikation zwischen den Kulturen, weltweiter Verbreitung identischer Medieninhalte und der technologischen Annäherung die Angleichung und Standardisierung von Konsumentenpräferenzen und die Entstehung einer funktionalen Elite mit gleichen Normen, Konsummustern und Gebräuchen („global culture") zu beobachten sind. Zumindest in der Entwicklungsdiskussion war ein Überdenken der Moderni-
C: Internationale Wirtschaftsräume als Aktionsfelder internationaler Unternehmen
373
sierungskonzepte die Folge. Man geht inzwischen von unterschiedlichen, kulturspezifischen Modernisierungen aus. Der amerikanische Kulturanthropologe Geertz (1996) vertritt hingegen die vielfach anerkannte These, dass trotz zunehmender Globalisierung in vielen Lebensbereichen, wie dem Konsum, dem Verkehr und der medial unterstützen Kommunikation (z.B. das Internet), die Bedeutung von Ethnien, Regionen oder Lokalitäten wächst. Durch weltweite Zusammenarbeit entstehen allerdings zum Teil neue Kooperationen, Regionen werden neu gewichtet. Somit bedeutet die weltweite Verfügbarkeit und Nutzung von Produkten und Symbolen keine Entstehung einer globalen Kultur, zudem betont die leicht irreführend als „kultureller Nationalismus" bezeichnete Tendenz von Kulturschaffenden aus Film, Musik und Fernsehen die kulturelle Eigenständigkeit (vgl. Knox/Marston 2001, S. 270). Diese Gleichzeitigkeit und gegenseitige Durchdringung von Globalisierung und zunehmender Bedeutung lokaler Identitäten wird auch als Glokalisierung bezeichnet
(vgl.Kap. 20.3). Die grundsätzliche
Tendenz zur weltumspannenden Interaktion führte dazu, dass in den 1990er Jahren zumindest aus westlicher Perspektive die Globalisierung zunehmend als Chance zur Begegnung der Kulturen, die den Austausch und den interkulturellen Dialog fördert, begriffen wurde (vgl. MÜLLER 2001). In Folge der terroristischen Anschläge in den USA vom 11. September 2001 durch islamistische Fundamentalisten kam es zu einer Wende in der öffentlichen und politischen Diskussion sowie zur Renaissance geopolitischer Leitbilder, die überwiegend auf kulturalistische Argumentationen rekurrieren und tief verwurzelte Ängste mobilisieren. Diese Entwicklung ist jedoch nicht ganz neu, sondern kam bereits nach Ende des Kalten Krieges zu Beginn der 1990er Jahre auf. Kulturell bzw. religiös verwurzelte Konflikte werden, nach dem Wegfall der Auseinandersetzung der politischökonomischen Systeme Kapitalismus und Kommunismus zu den schwerwiegendsten Problemen des neuen Jahrhunderts gerechnet. So hat die Diskussion der Werke von Huntington (1996) und fukuyama (1992) wieder Konjunktur, ihre Leitbilder finden erneut Eingang in die öffentliche Wahrnehmung und geopolitische Strategien. Jedoch werden auch zahlreiche Argumente eingebracht, welche über eine vereinfachende kulturalistische Argumentation hinausgehen und politische sowie ökonomische Hintergründe in die Erklärung islamistischer Gewalt mit einbeziehen (vgl. Scholz 2003). -
-
Diese Diskussionen machen deutlich, dass die Einbeziehung kultureller Unterschiede in Erklärungsmuster immer die Gefahr stereotyper Erklärungen bis hin zur Verstärkung von Vorurteilen birgt. Auch wird sichtbar, dass eine Vernachlässigung tief verwurzelter kultureller Differenzen zu einer Fehleinschätzung von Risiken führen kann. Die Hoffnungen auf ein schnelles Erreichen des Leitbildes eines „globalen Dorfes" (im positiven Sinn) oder einer multikulturellen Weltgesellschaft haben sich als Utopie erwiesen. Für das unternehmerische Handeln hat dies direkte Auswirkun-
12 Nation und Kultur
374
gen auf die
Risikoeinschätzung kompletter „Kulturkreise" und birgt grundsätzlich aufgrund geopolitischer Auseinandersetzungen.
gesteigerte Risiken Literatur:
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13 Wettbewerb der Nationen: Wirtschaftsstandorte und Governance-Strukturen im Zeitalter der Globalisierung Das rasante Wachstum der grenzüberschreitenden Handels- und Direktinvestitionsströme (vgl. Kap. 3) in den letzten zwei Jahrzehnten hat immer wieder die Frage aufgeworfen, inwiefern sich durch den Prozess der Globalisierung die Einflussmöglichkeiten der Politik auf das Wirtschaftsgeschehen verändern. Transnationale Unternehmen scheinen in ihren Aktivitäten immer weniger kontrollierbar, und es macht den Eindruck, als ob neue Governance-Strukturen1 die Rolle des Nationalstaates als Handlungsarena für Unternehmen und (wirtschafts-)politischen Rahmen zunehmend in Frage stellen. In diesem Zusammenhang ist zunächst zu klären, was unter Globalisierung verstanden wird und welche Dimensionen Globalisierung aufweist. Die Rolle des Nationalstaats als wesentliche Governance-Institution einer weltweiten Netzwerkökonomie (vgl. Jonsson 1997) wird im Anschluss thematisiert. Dass der Nationalstaat nach wie vor eine bedeutende Rolle spielt, verdeutlicht unter anderem die Arbeit von Porter (1991) über den Wettbewerb der Nationen in der globalen Ökonomie. Die genannten Aspekte spiegeln sich schließlich auch in der Diskussion um den Wirtschaftsstandort Deutschland wider.
13.1 Dimensionen der
Globalisierung
Globalisierung ist sicher das am meisten gebrauchte missbrauchte und am seltensten definierte, wahrscheinlich missverständlichste, nebulöseste und politisch wirkungsvollste (Schlag- und Streit-)Wort der letzten, aber auch der kommenden Jahre" (Beck 1997, S. 42). „
-
-
Der Begriff der Globalisierung ist in der Alltagswelt ebenso wie im wissenschaftlichen Diskurs allgegenwärtig geworden. Von vielen wird er als Schlagwort verwendet, insbesondere dann, wenn es darum geht, nach Ursachen für die gegenwärtige schwierige wirtschaftliche Situation vieler Staaten und Regionen zu suchen, an deren Problemen vor allem die Globalisierung schuld sei2. Aber auch jenseits polemischer oder ideologischer Verwendung besteht unter WissenschaftUnter ..Governance" soll hier die Art und Weise verstanden werden, wie und durch welche Akteure die gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse beeinflusst und gesteuert werden. Governance-Strukturen können sowohl auf der Mikroebene des Unternehmens (Führungsstile, Mitbestimmung, Unternehmensorganisation etc.) als auch auf der Makroebene (Volkswirtschaft, Weltwirtschaft etc.) beschrieben werden. Der Begriff der Governance darf dabei nicht mit staatlicher Macht oder Regierung (Government) verwechselt werden. Vielmehr sind Regierungsorgane nur einer von mehreren Akteuren, welche die Governance-Strukturen mitbestimmen.
378
13 Wettbewerb der Nationen: Wirtschaftstandorte und Governance-Strukturen
lern keine Übereinstimmung darin, was unter dem Begriff zu verstehen ist. Um den Terminus „Globalisierung" sinnvoll einsetzen zu können, erscheint es deshalb hilfreich, die unterschiedlichen Inhalte, die durch ihn kommuniziert werden, und die verschiedenen Dimensionen, die er beinhaltet, kurz darzustellen.
Globalisierungsbegriff erscheint in Lexika erstmals 1962, in einem englischsprachigen Werk, als „globalization" (vgl. Werlen 1997, S. 231). Nach RoDer
(1994, S. 8) wird er im wissenschaftlichen Kontext erst seit Mitte der 1980er Jahre diskutiert. Ist Globalisierung deshalb ein neues Phänomen? Hinsichtlich der Kontinente übergreifenden Ausdehnung des Handels in den vergangenen Jahrhunderten kann man sicherlich nicht von einer neuen Phase sprechen (vgl. Kap. 2.1). Allerdings haben sich die Rahmenbedingungen für internationale wirtschaftliche Aktivitäten in den letzten Jahren so stark verändert, dass Globalisierungsprozesse eine neue Qualität und eine starke Beschleunigung erfahren haben. Die Gründe für diese Beschleunigung liegen im politischen, sozialen, organisatorischen und technologischen Wandel (vgl. Genosko 1996, S. 37f.). bertson
Eine relativ allgemeine Erklärung liefert Giddens, für den Globalisierung eine Konsequenz der Moderne ist und demnach definiert werden kann als
„Intensivierung weltweiter sozialer Beziehungen, durch die entfernte Orte in solcher Weise miteinander verbunden werden, dass Ereignisse an einem Ort durch Vorgänge geprägt werden, die sich an einem viele Kilometer entfernten Ort abspielen, und umgekehrt" (giddens 1996, S. 85).
Vordergrund rückt durch diese Definition vor allem der Aspekt der ZeitRaum-Kompression („time-space-compression"), d.h. die zunehmenden MöglichIn den
keiten, den Raum in immer kürzerer Zeit zu überwinden und damit soziale und öko-
nomische Strukturen und Prozesse tendenziell immer weiter räumlich ausdehnen zu können (vgl. Harvey 1990, S. 260ff.; Kirsch 1995, S. 529ff.). Möglich wird dies insbesondere durch Innovationen in der Verkehrstechnik (Eisenbahn, Flugzeug) sowie der Informations- und Kommunikationstechnik3 (Satellitentechnik, Glasfaserkabel etc.) (vgl. Dicken 2003, S. 89f.). Die Konsequenz daraus sind weltumspannende, globale Beziehungen und Interaktionen, die nach Giddens (1996, S. 92ff.) vier Dimensionen umfassen (vgl. Abb. 13.1). Mit der Entwicklung kapitalistischer Wirtschaftsformen im Europa des 16. und 17. Jh. entwickelten sich erstmals neue Formen von Handelsbeziehungen und Produktionszusammenhängen, die über die bis dahin vorherrschenden regionalen Wirtschaftsverbünde und Nationalstaaten hinaus gingen (vgl. Wallerstein 1974). Das System der Nationalstaaten (1997, S. 232) weist in diesem Zusammenhang daraufhin, dass Globalisierung im methodologischen Sinn nicht das Explanans, sondern das Explanandum ist, d.h. Globalisierung kann an werlen
und für sich nichts erklären, sondern ist vielmehr selbst das zu erklärende Phänomen. In diesem Zusammenhang spricht Mcluhan (1964, S. 93) bereits im Jahr 1964 von der Welt als einem globalen Dorf, dem „global village" das mittlerweile zum geflügelten Wort geworden ist. ,
C: Internationale Wirtschaftsräume als Aktionsfelder internationaler Unternehmen
379
als Dimension der Globalisierung ist nicht losgelöst von der Organisation der Weltwirtschaft zu betrachten. Es bildet auf der Basis des Kontroll- und Gewaltmonopols der einzelnen Nationen und, in eingeschränktem Maße, supranationaler Zusammenschlüsse den politischen Rahmen für die globalen Aktivitäten von Unternehmen. Abb. 13.1: Inhalte und Ebenen des
Globalisierungsbegriffes
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Transnationale Unternehmen
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Handels
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i System der Nationalstaaten
Militärische
Weltordnung Quelle: Hess 1998, S. 23.
Mit dem staatlichen Gewaltmonopol ist die dritte Dimension der Globalisierung, die militärische Weltordnung, verbunden. Die Entwicklungen vor allem im 20. Jh. mit zwei Weltkriegen und dem anschließenden Kalten Krieg führten zur Bildung subglobaler Verteidigungsallianzen. Die vierte Dimension schließlich umfasst der internationalen Arbeitsteilung, welche sich in den letzten Jahrzehn-
Aspekte
13 Wettbewerb der Nationen: Wirtschaftstandorte und Governance-Strukturen
380
ausgeweitet hat und im Rahmen der Neuen Internationalen Arbeitsteilung (vgl. Kap. 2.5 und 5.4.1.3) auch eine neue Qualität im Vergleich zu früheren Formen auf-
ten
weist. Im Unterschied zu der von Giddens vorgeschlagenen Definition von Globalisierung beziehen sich die Inhalte dieses Begriffes bei anderen Autoren wesentlich stärker auf ökonomische Ebenen. So sieht Schamp (1996, S. 209) Globalisierung zwar ebenfalls als historischen Prozess, bezieht sich aber vornehmlich auf die ökonomische Integration innerhalb und zwischen transnationalen Unternehmen. Sein Hauptaugenmerk richtet sich auf globale Märkte, globale Produktionsnetze und die Globalisierung von Produktionskonzepten. Nuhn (1997, S. 136ff.) betrachtet die gegenwärtigen Tendenzen der globalen Ökonomie auf den Ebenen des Handels, des Finanzsystems und der Produktion. Eine ähnliche Sichtweiseweise liegt bei Krätke vor, der Globalisierung versteht als
„einen Prozess der weiträumigen Ausdehnung und Verknüpfung von Aktivitäten, der u.a. in einer wachsenden, regionale und nationale Grenzen überschreitenden Bewegung von Gütern, Kapital und Menschen zum Ausdruck kommt" (Krätke 1995, S. 208). Auf diesen Ebenen werden die strukturellen Dimensionen der Globalisierung wirksam, das Handeln der relevanten Akteure Staat und transnationale Unternehmen vermittelt sich über Finanzmärkte, Handel und Produktion (vgl. Abb. 13.1). -
13.2
Globalisierung
und die Rolle
-
von
Nationalstaaten
Der weltwirtschaftliche Strukturwandel lässt sich nach Borner (1984) aus unterschiedlichen Grundperspektiven heraus analysieren. Er unterscheidet dabei drei sog. „World Views", die auch in eine zeitliche Abfolge gebracht werden können, was jedoch nur als gedankliches Gerüst aufzufassen ist. Im einzelnen sind dies: •
•
•
Die Interdependenz-Perspektive des internationalen Handels der 1950er und 1960er Jahre, die internationale Produktion durch Direktinvestitionen multinationaler Unternehmen in den 1960er und 1970er Jahren und neue Funktionen und Formen der Internationalisierung in den 1980er und 1990er Jahren.
Die Grundcharakteristika dieser drei Perspektiven sind in Tab. 13.1 zusammenfassend dargestellt. Im Vordergrund stehen beim Aufbau dieses Schemas vor allem die Veränderungen der Rahmenbedingungen weltwirtschaftlichen Strukturwandels und die treibenden Kräfte der dahinter stehenden Dynamik, wodurch die Zuordnung zu bestimmten Epochen aufgehoben werden kann.
C: Internationale Wirtschaftsräume als Aktionsfelder internationaler Unternehmen
Tab. 13.1:
Synoptische Zusammenstellung weltwirtschaftlicher Strukturen Rahmen-
Akteure
Koordination Quellender Firmen und Dynamik Weltwirtschaftsebene
bedingungen Klassische internationale Arbeits-
von
Nationalstaaten und Offene Güter- und internationale Orga- Kapitalmärkte nisationen (weitRelativ ungehemm-
teilung nur die Liberalisierung des gehend Ka italverkehrs und Interessen der IL wahrend) Fi kurssystem der Währungsordnung (Nationale) mit Liberalisierung des Exportfirmen ProduktdifferenHandels (GATT/ WTO), wirtschaft- zierungsstrategien auf Basis länderliche Integration spezifischer Wett-
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Produkten und Prozessen
von
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globale Konstellation
Zerfall der supranationalen Ordnungen durch
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416
14 Städte und
Regionen im Wettbewerb
Die regionale Wettbewerbsfähigkeit steht in direkter Interdependenz mit der Standortqualität. Allerdings sind Richtung und Stärke dieses Zusammenhangs nicht eindeutig. Während eine verbesserte Standortqualität die regionale Wettbewerbsfähigkeit erhöht, kann die Verbesserung der regionalen Wettbewerbsfähigkeit die Standortqualität sowohl positiv wie auch negativ beeinflussen. Positive Wirkungen sind zu verzeichnen, wenn unternehmerische Neuansiedlungen zu Agglomerationsvorteilen führen; negative, wenn dadurch z.B. die Nachfrage nach preisgünstigen Immobilien durch das regionale Angebot nicht mehr gedeckt werden kann oder es aufgrund einer Konkurrenzsituation auf dem regionalen Arbeitsmarkt zu einem Mangel an qualifizierten Arbeitskräften kommt. Unter Beachtung dieser Zusammenhänge wird die unternehmerische Wettbewerbsfähigkeit, d.h. die Fähigkeit, auf den nationalen oder internationalen Märkten konkurrenzfähige Produkte anzubieten, sowohl durch die Standortqualität als auch durch die Wettbewerbsfähigkeit der Region beeinflusst. Für die Standortqualität einer Region von besonderer Bedeutung ist das Verhältnis zwischen harten und weichen Standortfaktoren. Harte Standortfaktoren wie Arbeitskräfte, Transportbedingungen, Flächen und Gebäude, Rohstoffe, Infrastruktur etc. wirken sich direkt auf die Kosten und Erlöse eines Unternehmens aus. Sie büßen für die unternehmerische Standortwahl aber um so mehr an Bedeutung ein, je mehr Regionen sie anbieten. Zwar spielen sie als Grundausstattung für einen potenziellen Standort eine immer noch wichtige Rolle. Da in den Industrieländern viele harte Standortfaktoren aber als ubiquitär vorhanden gelten, besitzen sie für im Standortwettbewerb befindliche Regionen allein kein ausreichendes Profilierungspotenzial. Die regionale Wettbewerbsfähigkeit wird daher zunehmend durch weiche Standortfaktoren bestimmt. Der Begriff „weiche Standortfaktoren" stellt eine Clusterung aller Faktoren dar, die „sich auf das individuelle Raumempfinden der Menschen in ihrer Arbeits- und Lebenswelt beziehen" (Schorer 1993, S. 499f). Sie lassen sich monetär nur schwer quantifizieren und meist nicht in unmittelbaren Kosten-Nutzen-Analysen eines Standortes auflösen, weil sie ökonomisch nicht begründet sind und durch subjektive Präferenzen geprägt werden. Grundsätzlich können weiche Standortfaktoren in zwei Typen differenziert werden (vgl. Grabow et al. 1995, S. 67): Weiche unternehmensbezogene Faktoren beeinflussen unmittelbar den unternehmerischen Handlungsspielraum. Hierzu rechnen beispielsweise das regionale Image oder Wirtschaftsklima, die Unternehmerfreundlichkeit der öffentlichen Verwaltung, die lokale Arbeitnehmermentalität oder die Aufgeschlossenheit einer Region für neuartige Technologien. Weiche personenbezogene Faktoren wie der Wohn- und Freizeitwert einer Region, ihre Umweltqualität oder das kulturelle oder gastronomische Angebot etc. besitzen zwar nur eine mittelbare Relevanz für die Unternehmenstätigkeit. Doch gewinnen gerade sie im Wettbewerb der Regionen um die Rekrutierung qualifizierter Arbeitskräfte mit entsprechender Entlohnung immer mehr an Bedeutung und spielen auch bei der Arbeitsmotivation eine wichtige Rolle.
c: Internationale Wirtschaftsräume als Aktionsfelder internationaler Unternehmen
417
Abb. 14.4: Kontinuum der harten und weichen Standortfaktoren
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Outsourcing vs. Offshoring
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interne
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Ausland
(„captive offshoring") international
Quelle: Mckinsey & Co. 2003, S. 2; Oecd 2004, S. 3, verändert.
Die Digitalisierung von Geschäftsprozessen und die Etablierung moderner IuKTechniken ermöglichen nicht nur das Outsourcing von IT-Prozessen in räumlich entlegene Niedriglohnländer, vielmehr können diese wiederum selbst zum Gegenstand von Auslagerungsaktivitäten werden. Unternehmen vergeben beispielsweise administrative Geschäftsfunktionen, wie z.B. Lohn- und Gehaltsabrechnungen, verDie Verlagerung in Länder des gleichen Kontinents, wie z.B. von Deutschland nach Ungarn oder Tschechien oder von den USA nach Mexiko, wird in der Literatur als „nearshoring" bezeichnet (vgl. schaaf 2004b, s. 3). In diesem Beitrag wird der Terminus „offshoring" beibehalten (vgl. AT. Kearney 2004a, s. 2).
538
19
Offshore-Outsourcing von IT-Dienstleistungen
mehrt an externe Anbieter. Diese Form der Auslagerung wird in der Literatur als Business Process Outsourcing (BPO) bezeichnet4 (vgl. Dittrich/B RAUN 2004, S. 4 ff.). Mit Outsourcing können aber auch die Auslagerungsbemühungen von Unternehmen bezeichnet werden, deren Kernbereich die Informationsverarbeitung per se darstellt (z.B. Unternehmen wie Microsoft oder Hewlett Packard). Der vorliegende Beitrag verfolgt die Zielsetzung, ein möglichst breites Spektrum im Zusammenhang mit Auslagerungsaktivitäten in Niedriglohnländer zu beleuchten, entsprechend erscheint eine Beschränkung auf nur eine der genannten Betrachtungsvarianten als nicht zielführend.
19.2.2
Gestaltungskonzepte zur Verlagerung von
IT-Prozessen
zu den begrifflichen Definitionslücken existiert in der wissenschaftlichen Literatur keine einheitliche Abgrenzung von Outsourcing-Formen. So differenzieren Autoren beispielsweise nach Objektart (z.B. Hard- oder Software), nach ITFunktionen (z.B. Management von Softwareanwendungen, IT-Instandhaltung etc.) oder nach der zeitlichen Befristung (vgl. z.B. Gerigk 1997, S. 9f.; Stahlknecht/ Hasenkamp 2002, S. 453ff.; Heywood 2001, S. 27ff.). Ein weiteres Abgrenzungskriterium stellt der Umfang ausgelagerter Tätigkeiten dar. Unternehmen übergeben eher selten ihre kompletten IT-Aktivitäten an einen externen Dienstleister (sog. totales oder strategisches Outsourcing), sondern verfolgen meist eine selektive bzw. partielle Vergabestrategie, bei der nicht die gesamte Informationstechnologie, sondern nur bestimmte Funktionen ausgelagert werden5 (vgl. Stahlknecht/Hasenkamp 2002, S. 455; Mayer/Söbbing 2004, S. 20ff.).
Analog
basiert auf Make-or-buy-Überlegungen, d.h. auf der Wahl zwischen einer Markt- oder Hierarchielösung (vgl. Jenster/Pedersen 2000, S. 148; Kap.20.1). Hieraus lassen sich unterschiedliche institutionelle Gestaltungsformen für die Verlagerung von Geschäftsprozessen in Niedriglohnländer ableiten (vgl. Abb. 19.2). Die Begriffe „Eigenfertigung" und „Fremdvergabe" bilden die beiden Extrempunkte einer institutionellen Bandbreite, entsprechend der IT-Lösungen nach dem Grad der institutionellen Einbindung in das fokale Unternehmen (vgl. Kap. 20.1.2.2) eingeordnet werden können (vgl. Gerigk 1997, S. 8; Bruch 1998, S. 55).
Outsourcing
Als internes Outsourcing bzw. „captive outsourcing" wird die organisatorische Ausgliederung der Informationstechnik bezeichnet. Dies kann beispielsweise durch die Gründung einer Tochtergesellschaft erfolgen. Durch die Bündelung der Im
Zusammenhang mit Business Process Outsourcing existiert bislang kein einheitliches Begriffs-
system. So betrachten z.B. RlEDL/KEPLER (2003, S. 6f.) ausschließlich unternehmensindividuell
gestaltete Geschäftsprozesse als BPO. Da Geschäftsprozesse sowohl aus unternehmensindividuellen als auch hochstandardisierten Komponenten bestehen können, liegt diesem Beitrag eine weiter gegriffene Auffassung von BPO zugrunde (vgl. z.B. DITTRICH/BRAUN 2004, S. 4ff.). Ein Auszug über mögliche Abgrenzungsformen in der Literatur findet sich z.B. bei GERIGK 1997.
D:
539
Ausgewählte unternehmerische Aktivitäten und Wertschöpfungsbereiche
IT-Leistungen lassen sich Skalenvorteile erzielen, die besonders dann zum Tragen kommen, wenn Servicegesellschaften ihre Dienstleistung nicht nur intern, sondern auch am Markt anbieten (vgl. Picot/Maier 1992, S. 17). Unternehmen tendieren zur Eigenerstellung, falls die Prozesse von hoher Unsicherheit gezeichnet, d.h. sehr komplex oder nicht-kodifizierbar sind, einer starken Kontroll- und Geheimhaltungspflicht unterliegen oder eine hohe Spezifität aufweisen. Je strategischer der Prozess und je näher dieser die Kernkompetenzen des Unternehmens tangiert, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit einer Auslagerung. So sind viele Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen in Indien Tochtergesellschaften ausländischer Unternehmen. Beispiele hierfür sind Oracle, General Electric oder Texas Instruments in Bangalore (vgl. Unctad 2004, S. 157). Abb. 19.2: Institutionelles Kontinuum bei
Outsourcing-Prozessen
zunehmend marktliche Koordination: zunehmend hierarchische Koordination:
Eigenerstellung
Gründung gemeinsamer Service-
gesellschaften
Kapital-
beteiligung am
Dienst-
leistungs-
unternehmen
Ausgliederung
langfristige vertragliche
Bindung
Fremdbezug Eigenerstellung kurz- und
mittelfristige vertragliche Regelung
Fremdbezug
auf der Basis
spontaner Markt-
beziehungen
Auslagerung
Quelle: Picot/Maier 1992, S. 16, verändert.
Die
einer Service- bzw. Beteiligungsgesellschaft erfolgt durch mindezwei rechtlich selbständige, voneinander unabhängige Unternehmen in Form eines Joint Ventures, durch welches bestimmte IT-Aufgaben gemeinsam durchgeführt werden. Trotz der engen Zusammenarbeit werden dem Gemeinschaftsunternehmen meist Standardanwendungen, wie z.B. Kostenrechnung oder Finanzbuchhaltung, übertragen (vgl. Picot/Maier 1992, S. 24). Durch die Zusammenlegung lassen sich Kosten einsparen und Kapazitäten freisetzen. Die Kapitalbeteiligung schützt darüber hinaus die Vertragspartner vor einseitiger Ausnutzung des Kontraktes und fördert das Vertrauen für den Technologie- und Know-howTransfer (vgl. Picot/Maier 1992, S. 24).
Gründung
stens
Die Übertragung von Aufgaben an einen externen Serviceanbieter wird als Auslagerung oder Outsourcing im engeren Sinne bezeichnet. Bei diesem Kooperationsmuster gibt es keine Kapitalinvestitionen seitens des auslagernden Unternehmens, d.h. der Leistungsaustausch wird ausschließlich auf der Basis von Verträgen über den Markt geregelt. Die Fristigkeit der vertraglichen Bindung ist im Sinne der Transaktionskostentheorie von der Spezifität der jeweiligen Prozesse abhängig.
540
19
Offshore-Outsourcing von IT-Dienstleistungen
Aufgaben mittlerer Spezifität werden erfahrungsgemäß über längerfristige vertragliche Bindungen geregelt, wohingegen Leistungen ohne strategische Bedeutung kurzfristig ausgelagert werden können (vgl. Picot et al. 2003, S. 294; Picot/Maier 1992, S. 23).
Die Wahl des jeweiligen Geschäftsmodells ist obendrein stark von den Gegebenheiten und dem Entwicklungsstand des jeweiligen Landes abhängig. So haben die ersten ausländischen Pionierunternehmen in Indien, wie z.B. American Express, aufgrund der damals noch schlecht ausgebildeten Infrastruktur eigene Tochtergesellschaften vor Ort aufgebaut. Heute profitieren neu eintretende Unternehmen von der stattgefundenen Entwicklung und kooperieren für diese Prozesse eher mit einem externen Dienstleitungsanbieter (vgl. Unctad 2004, S. 157).
19.3 Unternehmerische und gesamtwirtschaftliche Auswirkungen einer grenzüberschreitenden Auslagerung
Über die Chancen und Risiken, mit denen IT-Outsourcing-Prozesse im Allgemeinen und in Niedriglohnländern im Speziellen verbunden sind, wird von Vertretern aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft eine ambivalente Diskussion geführt. Die über wie sie sich bereits weite Teile im Argumente gestalten Zusammenähnlich, hang mit der Verlagerung von Fertigungsprozessen erfolgt sind. Zunächst werden
Motivation und Grenzen der Verlagerung von IT-Dienstleistungen aus unternehmerischer Perspektive dargestellt, im Anschluss die Effekte von Verlagerungsprozessen aus gesamtwirtschaftlicher Sicht erörtert.
19.3.1 Unternehmerische Akzeleratoren und Grenzen
19.3.1.1 Motive für
IT-Outsourcing
Sowohl in der wissenschaftlichen Literatur als auch in Medienberichten lassen sich immer wieder Aussagen darüber finden, warum sich Unternehmen für die Ausbzw. Verlagerung von IT-Aufgaben entscheiden. Als generelle Zielsetzung wird zumeist die Verbesserung der Unternehmensstruktur angeführt (vgl. Clement/ Natrop 2004, S. 8; Hödel et al. 2004, S. 13). Diese übergeordnete Prämisse kann in weitere Motivgruppen aufgegliedert werden. Gleichwohl sind Ursachen und Beweggründe für Verlagerungen nicht als Status quo zu betrachten, sondern stehen im Kontext des Wandels von Zeit und Raum und unterliegen individuellen Unternehmensanforderungen (vgl. schamp 2000, S. 47): •
Kostenorientierte Motive: Insbesondere in rezessiven Wirtschaftsphasen sind Unternehmen vermehrt dem Druck ausgesetzt, Kosten zu reduzieren und somit rückläufige Absatzzahlen aufzufangen. Da bei Dienstleistungen der Faktor
D:
Ausgewählte unternehmerische Aktivitäten
und
Wertschöpfungsbereiche
541
Arbeit nahezu 100% der Herstellkosten umfasst, kommen die in Abb. 19.3 aufgezeigten Lohnkostenunterschiede zwischen Ländern besonders stark zum Tragen (vgl. CLement/Natrop 2004, S. 525). Neben deutlich geringeren Personalkosten treten auch Kostenersparnisse in Form von Skaleneffekten6 in den Vordergrund (vgl. Schaaf 2004a, S. 3). Dienstleister in Offshore-Regionen sind größtenteils für mehrere Firmen tätig, wodurch in Form von Größenvorteilen („economies of scale") sowie Verbundeffekten („economies of scope") Kostenersparnisse gegenüber inländischen Anbietern erzielt werden können. Die auslagernden Unternehmen konzentrieren sich auf ihre Kernkompetenzen, indem sie differenzieren, welche Planungs- und Produktionsprozesse intern verbleiben und welche Routineaufgaben ausgelagert werden können. Die Reduktion der Leistungstiefe verhilft Unternehmen zu mehr Effizienz und schafft zusätzliche Wettbewerbsvorteile (vgl. Clement/Natrop 2004, S. 8; Schaaf 2004a, S. 3). Abb. 19.3: Jährliche Arbeitskosten für einen Ländern 2003
IT-Spezialisten in ausgewählten
Quelle: Ig Metall 2004, S. 16.
6
Skaleneffekte sind in hohem Maße von der Spezifität der zu erbringenden Leistung abhängig. Bei nicht standardisierten Leistungen lassen sich die genannten Kostenvorteile nicht oder nur bedingt realisieren (vgl. SCHAAF 2004a, S. 17).
542
•
19
Offshore-Outsourcing von IT-Dienstleistungen
Flexibilitätsorientierte Motive: Durch die Verlagerung von Geschäftsprozessen erhoffen sich Unternehmungen ferner einen Gewinn an unternehmerischer Flexibilität. Die Variabilisierung ehemals fixer Kostenblöcke im
Anlageninvestitionen und Personal reduziert den Anteil an gebundeKapital und damit das unternehmerische Risiko (vgl. Billeter 1995, S. 41f.). Vor allem kleine und mittlere Unternehmen (KMU) versprechen sich durch die Nutzung von Offshore-Dienstleistungen eine nachhaltige Entlastung ihrer begrenzten Kapazitäten bzw. Zugänge zu Ressourcen, die in ihren eigenen Organisationen nicht vorhanden sind. Auf diese Art und Weise erreichen sie eine höhere Planungsflexibilität, was z.B. durch die Ausweitung der Wertschöpfungstiefe bzw. Innovationen positiv die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmung beeinflussen kann (vgl. Laabs 2004, S. 122; Bitkom 2004, S. Bereich nem
•
8f.). Beschuffungsorientierte Motive: In erster Linie spielen in diesem Kontext die Qualität der Dienstleistung und der Zugang zu speziellem Know-how für Unternehmen eine tragende Rolle (vgl. Moczadlo 2002, S. 4): Prozesse, die ausge-
zählen in der Regel nicht zur Kernkompetenz. Für den übernehmenden Dienstleister wiederum stellen jene Aufträge das Hauptgeschäftsfeld dar. Im Zuge dessen rücken Qualitätsaspekte mehr in den Vordergrund, indem z.B. besser geschultes Personal für die Dienstleistung eingesetzt wird (vgl. Unctad 2004, S. 165). So sind es zum überwiegenden Teil indische Softwarefirmen, die mit den höchsten international anerkannten und zertifizierten ausgezeichnet sind (vgl. sourirajan 2004, S. 15; Davies 2004, S. 47). Das darüber hinaus große Potenzial an Humanressourcen wird von Ländern, wie z.B. Indien, seitens der Regierung aktiv unterstützt (vgl. Bhende et al. 2004, S. 521). Auslagemde Unternehmen profitieren nicht zuletzt davon, dass mit Hilfe globaler Offshore-Ressourcen die Dienstleistung nahezu 24 Stunden pro Tag in Anspruch genommen werden kann (vgl. BlE 2005, S. 15). Markt- und absatzorientierte Motive: Hierbei steht die Erschließung neuer Märkte im Vordergrund. Der wachsende Bedarf an IT-Dienstleistungen hat dazu geführt, dass sich globale Unternehmen, wie z.B. IBM Global Services, Accenture oder Hewlett-Packard, als Service-Anbieter in allen wichtigen Offshore-Regionen der Welt mit eigenen Tochtergesellschaften etablieren. In Indien ist IBM mit mehr als 15 000 Angestellten mittlerweile der größte ausländische IT-Provider. Großunternehmen mit globaler Präsenz sind zumeist besser in der Lage, den Kundenanforderungen gerecht zu werden und somit auch Skaleneffekte besser auszunutzen. Darüber hinaus erwarten viele Klienten von ihren Dienstleistungsanbietern globale Präsenz oder ziehen es vor, mit einem Partner weltweit zu operieren (vgl. Unctad 2004, S. 157f.). Nicht zuletzt die wachsende Zahl an globalen Anbietern zwingt lokale Dienstlei-
lagert werden,
Qualitätsstandards7
•
Nähere Erläuterungen zum Thema „Qualitätsstandards", wie sie z.B. iso oder cmm darstellen, sind u.a. bei Bhende et al. 2004, s. 12f. bzw. Kobayashi-hillary 2004, s. 194ff. aufgeführt.
D:
Ausgewählte unternehmerische Aktivitäten
und
Wertschöpfungsbereiche
in Form vom „cross-investments" ihrerseits neue Absatzmärkte zu erschließen: Indische Unternehmen wie TCS oder Infosys sehen die noch verhaltenen Offshore-Entwicklungen in Europa als eigene Wachstumschance und etablieren Tochtergesellschaften in Osteuropa (vgl. Handelsblatt 2005). Mit dem Anstieg der Outsourcing-Volumina steigt in den Niedriglohnländern ferner der Bedarf an Investitionen im Software- und Hardwarebereich. Von derartigen Folgeaufträgen profitieren häufig internationale IT-Unternehmen, welche ihren Sitz zum Großteil in den Industrieländern haben. Bevölkerungsreiche Länder wie Indien oder China bergen darüber hinaus im IT- oder Mobilfunkbereich ein beträchtliches Absatzpotenzial. Durch den Bezug von IT-Dienstleistungen oder eigene Direktinvestitionen („captive offshoring") in diesen Wirtschaftsräumen versprechen sich viele Unternehmen ein positives Image und die Möglichkeit zur Ausweitung der Absatzvolumina ihrer eigenen Produkte in diesen Ländern (vgl. BlE 2005, S. 29).
ster
in
Offshore-Regionen dazu,
Gleichwohl bedeutet die Verlagerung von IT-Dienstleistungen für Unternehmen nicht zwangsläufig steigende Gewinne und eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Ein langfristig erfolgreiches IT-Outsourcing ist nicht zuletzt davon abhängig, inwieweit sich Unternehmen im Vorfeld auch mit den Risiken einer solchen Entscheidung auseinandergesetzt haben.
19.3.1.2 Risiken für Unternehmen Diverse Untersuchungen zeigen, dass bis zu 50% aller IT-Projekte scheitern oder zumindest hinter den Erwartungen der Unternehmensvertreter zurückbleiben (vgl. Bhende et al. 2004, S. 8). Trotz der signifikanten Kosteneinsparung durch die Verlagerung von IT-Dienstleistungen in Niedriglohnländer führt ein ausschließlicher Vergleich von Arbeitskosten zu einer Überbewertung der Potenziale. Die Zusammensetzung und Höhe der Gesamtkosten ist gleichermaßen von der gewählten institutionellen Form und den Eigenschaften der Leistung abhängig. Transaktionskosten, wie z.B. Einarbeitungs-, Ausbildungs- Koordinierungs- oder Transferkosten, sind nicht zuletzt von der Spezifität, Unsicherheit, Häufigkeit und strategischen Bedeutung der fokussierten Leistung abhängig und können die Einsparpotenziale von Outsourcing-Projekten erheblich schmälern (vgl. Schaaf 2004b, S. 12; Boes 2004, S. 4; Picot/Maier 1992, S. 20ff). Bei der Auslagerung von komplexen, erfahrungsabhängigen Dienstleistungen, wie z.B. der Entwicklung spezieller Softwaresysteme, reicht eine Kommunikation Uber Datenleitungen häufig nicht aus. Vermutungen, dass moderne Telekommunikationsmedien im Sinne der Zeit-Raum-Kompression sukzessive den persönlichen Kontakt ersetzen, haben sich nicht bewahrheitet. Im Gegenteil generieren Prozessverlagerungen in Billiglohnländer bei vielen Firmen einen regen Geschäftsreiseverkehr (vgl. Hirschfeld 2004). Wenn Aufgaben fremdverge-
544
19
Offshore-Outsourcing von IT-Dienstleistungen
ben werden, bedeutet das im Sinne der Prinzipal-Agent-Problematik auch den Verlust von Kontrolle und Entscheidungsspielräumen: Durch das OutsourcingProjekt entsteht zwischen Dienstleister und Kunde (auslagerndes Unternehmen) eine arbeitsteilige Auftraggeber-Auftragnehmer-Beziehung, die durch Informationsasymmetrien hinsichtlich des Leistungsvermögens, der Kostenstruktur und der internen Abläufe des Dienstleistungs-anbieters geprägt ist. Wurden Qualität und Umfang der zu erbringenden Leistungen vorab, z.B. in Form von „Service level agreements", nicht festgelegt, kann dies in der Folge zu Konflikten zwischen den Vertragspartnern führen. Die Abhängigkeit des auslagernden Unternehmens wird dadurch verstärkt, dass es oft nicht mehr selbst über das jeweilige Know-how verfügt. Dieser Umstand ist weniger bei standardisierten Prozessen, als vielmehr bei unternehmensindividuell erstellten Leistungen von Bedeutung, denn ausgelagerte Tätigkeiten sind mittelfristig irreversibel und können nur unter großem Aufwand reintegriert werden. Auch ein Wechsel zu einem anderen Outsourcing-Anbieter ist nur mit erheblichen Folgekosten für das auslagernde Unternehmen zu bewerkstelligen (vgl. Mayer/Söbbing 2004, S. 13f.; Schaaf 2004a, S. 5 und 15f.; Picot/Maier 1992, S. 20ff.). Weitere ökonomische und soziale Probleme stellen neben einem möglichen Mangel an Qualität der Dienstleistung unter anderem auch Widerstände seitens der betroffenen Belegschaft und der Gewerkschaften dar (vgl. Picot/Maier 1992, S. 25f.; Bruch 1998, S. 36). Als Ursache für ein mögliches Scheitern der Vergabe von IT-Leistungen in Offshore-Regionen kommen ferner auch spezifische Länderrisiken (vgl. Kap. 26) in Betracht. Standortbedingungen über Ländergrenzen hinweg abzuschätzen, ist für Unternehmen meist ein schwieriges Unterfangen, da qualitativ zu bewertende Sachverhalte, wie z.B. eine mangelnde Stabilität der politischen, rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen sowie eine nicht ausreichende technische Infrastruktur, in Betracht gezogen werden müssen (vgl. Laabs 2004, S. 123). Gerade im IT-Bereich sind darüber hinaus ein hinreichender Schutz des geistigen Eigentums sowie greifende Maßnahmen gegen Wirtschaftsspionage von hoher Bedeutung (vgl. Pinto et al. 2004, S. 34; Schaaf 2004a, S. 8). Ineffizienzen von Offshore-Projekten resultieren nicht zuletzt aus Kultur- und Sprachbarrieren und den damit verbundenen erhöhten Kommunikationskosten. Kulturelle Gebräuche und Gepflogenheiten können in anderen Ländern und Kulturen Miss- oder Unverständnis hervorrufen (vgl. Rao 2004, S. 16). Gerade außerhalb des angelsächsischen Raums stellt die Sprache eine nicht zu unterschätzende Hürde dar, welche vielfach als Ursache für die zurückhaltende Entwicklung des Offshore-Marktes auf dem europäischen Kontinent herangezogen wird (vgl. schaaf 2004a, S. 9). Aber auch in den USA zeichnen sich wegen Problemen bei OffshoreDienstleistungen mit direktem Kundenkontakt bereits erste Rückverlagerungstendenzen ab (vgl. z.B. handelsblatt 2004a; 2004b).
D:
Ausgewählte unternehmerische Aktivitäten und Wertschöpfungsbereiche
545
19.3.2 Gesamtwirtschaftliche Effekte
Verlagerung von IT-Aufgaben wirkt sich nicht nur auf einzelne Unternehmen gesamtwirtschaftliche Entwicklung der betroffenen Volkswirtschaften. Nachfolgend sind die wichtigsten Auswirkungen in den Ursprungs- und Zielländern dargestellt.
Die
aus, sondern beeinflusst auch die
19.3.2.1 Effekte in den
Ursprungsländern
In der aktuellen Diskussion über Beschäftigungswirkungen von Offshore-Outsourcing findet das Argument, dass die Verlagerung von Arbeitsplätzen für die deutsche Wirtschaft auch positive Effekte birgt, kaum Gehör. Nach Adam Smith werden direkte Arbeitsplatzverluste, die mit dem Verlagern von Prozessen einhergehen, in offenen, innovativen Volkswirtschaften mit komparativen Vorteilen bzw. Wohlfahrtsgewinnen kompensiert. Durch die Verlagerung von standardisierten, wenig produktiven IT-Prozessen, wie z.B. Instandhaltung und Application-Management, können neue, wissensintensivere Arbeitsplätze in der heimischen Wirtschaft aufgebaut bzw. nicht ausgelagerte Stellen gesichert werden. Voraussetzung hierfür ist, die benötigten Arbeitskräfte verfügen über eine gute Ausbildung, der Arbeitsmarkt weist das notwendige Maß an Flexibilität auf und der Beschäftigungsstand ist hoch (vgl. Oecd 2004, S. 11 f.). Die verbesserte Position der auslagernden Unternehmen im globalen Wettbewerb schafft die finanziellen Voraussetzungen für neue Investitionen in Arbeitsplätze und verstärkt im Rahmen von Preissenkungen für Endverbraucher die Nachfrage (vgl. Clement/Natrop 2004, S. 8; Bitkom 2004, S. 6f.).
Zuge der Auftragsvergabe an Unternehmen in Niedriglohnländern sich zusätzliche Chancen für die Exportwirtschaft im Bereich IT-Ausstatergeben Hardund Software) oder in Form von Dienstleistungen seitens speziatung (z.B. lisierter Unternehmens- oder Rechtsberatungen (vgl. Schaaf 2004b, S. 7ff.). Im Vergleich zu den USA sind diese absatz- bzw. marktorientierten Motive für die deutsche IT-Branche bislang jedoch nur nachrangig von Bedeutung. In den USA werden bis 2015 Nettowohlfahrtseffekte durch Offshoring der IT-Branche in der Größenordnung von 10 bis 15% des gesamten Offshore-Volumens erwartet, was sich in einer Strukturverschiebung hin zu höher bezahlten Arbeitsplätzen auswirken kann (vgl. Schaaf 2004a, S. 10). Laut Farrell (2004, S. 7) muss die deutsche Wirtschaft hingegen für jeden ausgelagerten Dollar rund 20 Cent an Nettowohlfahrtsverlusten hinnehmen. Dies ist unter anderem auf das insgesamt kleinere Marktvolumen des IT-Sektors und auf die Tatsache zurückzuführen, dass es nur wenig deutsche Software- und IT-Unternehmen von internationalem Rang gibt, welche zusätzliche Nettowohlfahrtsgewinne durch Offshore-Outsourcing erwirtschaften (vgl. Schaaf 2004a, S. 10). Im
Verlagerung von zunehmend wissensintensiven Dienstleistungen in Niedriglohnländer ist indessen ein Indikator für Bildungsprobleme im eigenen Land. Die
19
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Offshore-Outsourcing von IT-Dienstleistungen
So fehlten beispielsweise in Deutschland während des New-Economy-Booms im Jahr 2000 bis zu 200 000 IT-Spezialisten und Ingenieure. Vor diesem Hintergrund erscheinen betriebliche Bündnisse, Zugeständnisse gegenüber Gewerkschaften oder protektionistische Maßnahmen seitens der Politik im Hinblick auf die Sicherung von Arbeitsplätzen als ein fragwürdiger Schritt. Da in Hochlohnländern wie Deutschland immer weniger standardisierte und gering qualifizierte Arbeitsschritte anfallen, sinkt in diesen Staaten auch der Bedarf an Arbeitskräften in niedrigen Lohnsegmenten. Am stärksten betroffen sind von der Verlagerungswelle folglich Arbeitskräfte für einfache, standardisierte Dienstleistungen, welche nicht durch Weiterbildungs- und Umschulungsmaßnahmen für höherqualifizierte Tätigkeiten eingesetzt werden können (vgl. Clement/Natrop 2004, S. 526; BlE 2005, S. 34).
19.3.2.2 Effekte in den
Zielregionen
Im gesamtwirtschaftlichen Kontext betrachtet profitieren Offshore-Regionen durch den Export von IT-Dienstleistungen in Industrieländer. Die betreffenden Industriezweige nehmen eine wachsende Bedeutung für die gesamtwirtschaftliche Prosperität ein, unterstützen den sektoralen Strukturwandel und steuern einen wichtigen Beitrag für das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des jeweiligen Landes bei. Durch die Attraktion ausländischer Direktinvestitionen wird nicht zuletzt ein Zufluss an Know-how generiert, der z.B. durch die Ausbildung von Arbeitskräften in den Industrieländern weiter unterstützt wird. Das IT-Segment fungiert folglich als wichtiger Akzelerator, um die wirtschaftliche Entwicklung des Landes voranzutreiben und den Entwicklungsrückstand gegenüber Industrieländern zu verringern (vgl. Bhende et al. 2004, S. 20ff.).
Anbieter von IT-Dienstleistungen haben in Niedriglohnländern den Einstieg in den Software-Export größtenteils über bestimmte Marktsegmente gefunden, weshalb sich innerhalb weniger Jahre räumliche Ballungszentren von Unternehmen und Know-how entwickelt haben, von denen ein Großteil der nationalen Dienstleistungs- und Produktexporte im IT-Bereich ausgeht (vgl. z.B. Papenheim 2003, S. 109; eischen 2004, S. 1 Iff.). So sind für rund 85% der indischen IT-Exq porte insgesamt 13 Ballungszentren verantwortlich (vgl. SCHAAF 2004b, S. 8) .
Negative volkswirtschaftliche Auswirkungen können sich aus der protektionistischen Haltung seitens der Industrieländer ergeben. Was sich für Entwicklungsund Schwellenländer als Akzelerator für die heimische Wirtschaft erweist, hat in den Ursprungsländern den Abbau von Arbeitsplätzen zur Folge. In angloamerikaIn diesem Kontext ist daraufhinzuweisen, dass innerhalb von Niedriglohnländern vielfach ambivalente Entwicklungen und sozioökonomische Disparitäten vorherrschen. Wenn im weiteren Verlauf einzelne Länder oder -gruppen als Offshore-Destinationen genannt werden, geschieht dies aus Gründen der Darstellbarkeit und unterstellt keinen einheitlichen nationalen Entwicklungsstand.
D:
Ausgewählte unternehmerische Aktivitäten und Wertschöpfungsbereiche
547
nischen Ländern ist die Verlagerung der IT-Aufgaben in Niedriglohnländer ein viel diskutiertes Thema. Laut einer Studie der Forrester Group aus dem Jahr 2002 könnten bis zum Jahr 2015 insgesamt 472 000 US-Arbeitsplätze allein nach Indien verlagert werden (vgl. Deloitte & Touche 2003, S. 3). Daher verabschiedete z.B. der US-Senat im Januar 2004 ein Gesetz, welches Firmen mit öffentlichen Aufträgen verbietet, Dienstleistungen nach Übersee zu verlagern. Abgesehen von den monetären Auswirkungen für Niedriglohnländer, ist vor allem die Symbolwirkung dieser Maßnahmen beträchtlich. Industrieverbände, wie z.B. die indische „National Association of Software and Services Companies" (NASSCOM), befürchten, dass weitere Regierungen dazu übergehen, Protektionismus als adäquates Mittel für die Arbeitsplatzsicherung in ihren Ländern zu wählen. Internationale Institutionen wie Weltbank oder WTO sprechen sich ebenso gegen protektionistische Maßnahmen einzelner Länder aus, da ihrer Ansicht nach die länderübergreifenden, globalen Wohlfahrtseffekte überwiegen (vgl. Mattoo/ Wunsch 2004, S. 3; Clement/Natrop 2004 S. 526). Auch der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (BlTKOM ) betrachtet die Fremdvergabe von IT-Leistungen in Niedriglohnländer als Chance für den Standort Deutschland und sieht darin die Fortsetzung von einem im Fertigungsbereich bereits vollzogenen Strukturwandel (vgl. BlTKOM 2004, S. 5ff.; Fink et al. 2004, S.41 ff.).
19.4 Zielländer für
Offshore-Verlagerungen
Viele Offshore-Zielländer haben sich im Laufe der Zeit auf bestimmte Marktsegmente spezialisiert und bieten in Abhängigkeit von Art und Komplexität der zu verlagernden Aufgaben ihre IT-Dienstleistungen an (vgl. Pinto et al. 2004, S. 34). Im folgenden Abschnitt sollen drei wichtige Offshore-Destinationen näher untersucht werden. Hierbei handelt es sich um den Marktführer Indien sowie um die VR China. Sprachliche und kulturelle Unterschiede zu asiatischen Ländern sind dessen ungeachtet der Hauptgrund, warum sich kontinentaleuropäische Konzerne im Hinblick auf Offshore-Outsourcing eher zögerlich verhalten. Entsprechend hohe Erwartungen setzen Unternehmen auch im Zuge der EU-Osterweiterung in Osteuropäische Staaten. -
-
19.4.1 Indien 1980 haben vereinzelte Großkonzerne, wie z.B. Texas Instruments ihre Niederlassungen bzw. IT-Abteilungen in Indien eröffnet (vgl. schaaf 2004b, S. 8). Doch die sozialistisch geprägte Regierung schottete sich im Sinne einer „self-reliance"-Strategie vom Markt ab und betrieb Importsubstitution. In dieser Zeit wurden viele ausländische Unternehmen enteignet oder des Landes verwiesen (vgl. Fromhold-Eisebith/Eisebith 2003, S. 86; Bhende et al. 2004, S. 25). Bereits
vor
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19
Offshore-Outsourcing von IT-Dienstleistungen
Anfang der 1990er Jahre entspannte sich das politische Klima, und Indien ebden Weg für ausländische Investitionen und Kooperationen. Zur selben Zeit begannen vor allem US-amerikanische und westeuropäische Großunternehmen verstärkt Kapazitäten aufzubauen. Firmen, wie z.B. American Express oder General Electric, errichteten ihre Büros in Bombay, Delhi und Bangalore. Des Weiteren wurden durch das Engagement und die Obhut des Branchenverbandes NASSCOM die Mitgliedsunternehmen massiv gefördert. Ab der zweiten Hälfte der 1990er Jahre wurde das politische und wirtschaftliche Risiko für ausländische Unternehmen zunehmend kalkulierbar, die Liberalisierung und Öffnung der Märkte schritt weiter voran, und nicht zuletzt die Technisierung der Infrastruktur wurde in Form von Mobilfunknetzen, Internet „Backbones"-Anbindungen oder den Bau internationaler Flughäfen durch die Regierungen in den einzelnen Bundesstaaten massiv vorangetrieben (vgl. Bhende et al. 2004, S. 25). In der Folge eröffneten globale Software-Unternehmen wie Microsoft, SAP oder Adobe Entwicklungszentren in Indien. Parallel dazu stieg die Zahl indischer Dienstleister auf über 3 000 im Jahr 2004. Zählten zu Beginn vor allem Programmierleistungen zum Portefeuille, übernehmen heute indische Anbieter Tätigkeiten, die weit über das klassische IT-Outsourcing hinausgehen und erhebliche Teile der Wertschöpfungsketten abdecken. Mittlerweile belaufen sich die indischen Software- und Dienstleistungsexporte auf rund 13,5 Mrd. US-$. Bis zum Jahr 2008 wird mit einem weiteren Anstieg auf knapp 38 Mrd. US-$ gerechnet (vgl. Schaaf 2004b, S. 8). Indien ist aktuell das führende Offshore-Zielland im IT-Bereich. Die wichtigsten räumlichen Ballungszentren sind, neben den Wirtschaftszentren Neu Delhi und Bombay bzw. Mumbai, Bangalore, Chennai, Kolkata bzw. Kalkutta, Noraida, Hyderabad und Pune (vgl. Bhende et al. 2004, S. 28f.; Kobayashi-hillary nete
2004, S. 105ff.). Im „Offshore Location Attractiveness Index" (OLA-Index) A.t. Kearney (2004b) wird das Land wiederholt an erster Stelle aufgeführt.
von
Als Vorteile und Stärken der indischen IT Software Industrie gelten vor allem die niedrigen Arbeitskosten, die Menge an hoch qualifizierten Arbeitskräften, die sehr guten Englischkenntnisse, die umfangreichen Branchenkenntnisse der amerikanischen und europäischen Industrie und nicht zuletzt die Zertifizierung mit den höchsten Qualitäts- und Industriestandards (vgl. A.T. Kearney 2004b, S. 2; Bhende et al. 2004, S. 29). Je nach Datenquelle und Abgrenzung wird Indiens Anteil am globalen Offshore-Outsourcing-Geschäft auf rund 70-90% geschätzt. Die von indischen Unternehmen hauptsächlich bedienten Marktsegmente umfassen die Applikationsentwicklung, die Übernahme gesamter IT-Unternehmen, unterstützende Geschäftsprozesse sowie Call-Center-Dienste (vgl. Schaaf 2004b, S. 8; A.t. Kearney 2004b, S. 2). Wichtigste Handelspartner sind hierbei die USA mit rund 71 % und Großbritannien mit 14% Umsatzanteil. Nur ca. 8% stammen von Kunden aus dem europäischen Festland. Um in naher Zukunft die Erschließung des kontinentaleuropäischen Marktes voranzutreiben, stellen indische Firmen zunehmend europäische Mitarbeiter ein
D:
Ausgewählte unternehmerische Aktivitäten
und
Wertschöpfungsbereiche
549
und expandieren in Form von Tochtergesellschaften nach Osteuropa (vgl. handelsblatt 2005). Im Zuge dessen sind indische Software-Firmen ihrerseits dazu übergegangen, einfache IT-Aufgaben an Dienstleister in Ländern, wie z.B. China oder die Philippinen, auszulagern (vgl. Schaaf 2004b, S. 8f.).
19.4.2 China Der chinesische Markt für IT-Offshoring belief sich im Jahr 2003 auf ca. 400 Mio. US-$. Bei einem geschätzten jährlichen Wachstum von 44% wird der Geschäftszweig bis 2008 auf rund 2,5 Mrd. US-$ ansteigen (vgl. A.t. Kearney 2004c, S. 2f.). Allerdings wurden die Erlöse in erster Linie zumeist durch standardisierte, einfache Tätigkeiten erzielt. Der Schwerpunkt Chinas9 im IT-Bereich liegt eher in der Chipund Hardwareproduktion, in der Vergangenheit fungierte das Land vor allem als „verlängerte Werkbank" vieler westlicher High-Tech-Unternehmen. Somit ist es nicht verwunderlich, dass die Mehrheit der chinesischen IT-Dienstleistungsanbieter mittelständisch strukturiert und auf die Versorgung des Binnenmarktes ausgerichtet ist. Diese Unternehmen bemühen sich derzeit, in Form von Zweckverbänden oder Genossenschaften international wettbewerbsfähiger zu werden. Ein Beispiel ist SOBUS, eine Vereinigung chinesischer IT-Unternehmen in Shanghai (vgl. Bhende et al. 2004, S. 22).
Chinas
Popularität
als Offshore-Zielland konzentriert sich
gegenwärtig
auf
Unternehmen, welche aufgrund der räumlichen und sprachlich-kulturellen Nähe
die Versorgung des asiatisch-pazifischen Marktes beabsichtigen. Im Gegensatz zu Indien erschweren China eine unzureichende Infrastrukturentwicklung, die nur rudimentär vorhandenen Englischkenntnisse sowie die geringere Zahl an Unternehmen mit Zertifizierungsstandards den Aufholprozess (vgl. schaaf 2004b, S. 9). Gerade gegenüber Kunden in den USA oder Europa ergeben sich aufgrund der genannten Hindernisse bislang wenige Möglichkeiten zur Übernahme klassischer Geschäftsprozesse (BPO), wie z.B. Lohnabrechnungen. Lediglich für Kunden aus Japan und Südkorea konnten sich bislang in chinesischen Küstenstädten Call Center etablieren (vgl. Unctad 2004, S. 174). Insgesamt stammen mehr als 60% der chinesischen Profite aus Offshore-Softwareentwicklungen von Unternehmen mit Sitz in Japan (vgl. A.t. Kearney 2004c, S. If). Zusätzliche Anreize werden durch Freihandelsabkommen geschaffen, welche Dienstleitungen und die Anerkennung technischer Standards mit einbeziehen. So sollen bis 2010 sämtliche Handelshemmnisse zwischen China und Japan beseitigt sein (vgl. Handelsblatt 2004d). Auch indische Firmen gehen in jüngster Zeit zunehmend dazu über, einfache und standardisierte IT-Prozesse, wie z.B. Dateneingaben, nach China zu verlagern, um vom komparativen Vorteil der geringeren Arbeitskosten zu profitieren (vgl. bhende et al. 2004, S. 22). Trotz der Angst vieler westlicher Auf„China" steht im Folgenden synonym für Volksrepublik China.
550
19
Offshore-Outsourcing von IT-Dienstleistungen
traggeber vor dem unzureichenden Schutz geistigen Eigentums eröffnen auch globale High-Tech-Unternehmen, wie z.B. General Electric, Intel, Microsoft oder Philips, zunehmend Entwicklungszentren im Land.
In China verteilen sich verschiedene Industrien auf spezifische Regionen an der Ostküste des Landes. Aufgrund der Nähe zu Universitäten und der Verfügbarkeit von IT-Spezialisten werden mehr als 90% aller Offshore-Erlöse für Softwareentwicklung in Peking und Shanghai sowie den Provinzen Lioning und Guangdong erwirtschaftet. So unterstützen beispielsweise Hewlett Packard und HSBC ihre Klienten in Japan und Korea von Peking bzw. Shanghai, Cisco plant ein neues Entwicklungszentrum in Shanghai. In den letzten Jahren konnten sich weitere Destinationen, wie z.B. Dalian oder Shenzhen, als BPO-Dienstleistungsstandorte für Kunden in Japan, Südkorea, Hongkong oder Peking etablieren (vgl.unctad 2004, S. 174; A.t. Kearney 2004c, S. 15).
19.4.3 In
Osteuropäische Staaten
Osteuropa10 etabliert sich das Outsourcing von Software-Entwicklung und Ge-
schäftsprozessen zunehmend zum eigenständigen Geschäftszweig. Vor allem Bulgarien, die Tschechische Republik, Ungarn, Polen und die Slowakei weisen enorme Wachstumsraten auf. Schätzungen zufolge liegen die jährlichen Zuwachsraten in diesem Wirtschaftszweig zwischen 40 und 60% (vgl. Pinto et al. 2004, S. 36). Gegenüber dem Vorläufer Indien sind die osteuropäischen Staaten mit einer Dekade Verspätung in den Markt eingetreten und können daher noch weit weniger Auftragsvolumina verbuchen als der Marktführer Indien. Nichtsdestotrotz wurde z.B. Tschechien im OLA-Index Platz vier zugewiesen, Polen erreichte als zweites osteuropäisches Land Platz zehn (vgl. A.t. Kearney 2004b, S. 8). Für viele kontinentaleuropäische Unternehmen ist es wichtig, dass Sprachkenntnisse außer Englisch, wie z.B. Deutsch, Französisch oder Spanisch, vorhanden sind. Diese Kenntnisse lassen sich eher in Osteuropa finden als beispielsweise in Indien oder
China. Darüber hinaus sind kulturelle Affinitäten, vor allem bei direktem Kundenkontakt, von Bedeutung (vgl. Pinto et al. 2004, S. 36). Nicht zuletzt erleichtern die räumliche Nähe zu Kontinentaleuropa und keine bzw. nur geringe Zeitverschiebungen Abstimmungen und Rückfragen. Somit können gegebenenfalls auch Prozesse ausgelagert werden, die häufige Kontakte zwischen den Geschäftspartnern erfordern (vgl. Schaaf 2004b, S. 10). Entsprechend spezialisieren sich osteuropäische Unternehmen in erster Linie auf hochwertige und spezifische Leistungen, wie z.B. Software-Entwicklung und -Management (vgl. Mroczkowski et al. 2002, S. 69). Osteuropa sind im Folgenden die EU-Länder Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Slowenidie baltischen Staaten Estland, Lettland, Litauen sowie die EU-Beitrittskandidaten Bulgarien und Rumänien gemeint. Zur GUS gehörende Staaten, wie z.B. Russland. Weißrussland oder die Ukraine, wurden aus der Betrachtung ausgeklammert.
Mi! en,
D:
Ausgewählte unternehmerische Aktivitäten
und
Wertschöpfungsbereiche
551
Ähnlich wie in Indien erschließen globale Beratungsunternehmen wie Capgemini oder Accenture den mittel- und osteuropäischen Markt. Für diese Unternehmen ist Osteuropa ein weiteres Mosaik in einem globalen Netzwerk, welches auch in Indien und China über Brückenköpfe verfügt. Capgemini unterhält beispielsweise Niederlassungen in Prag, Bangalore, Guangzhou, Toronto und Dallas. Zwischen diesen Ländern werden Projekte nicht nur räumlich, sondern in erster Linie funktional aufgeteilt. Standardisierte, einfache Datenverarbeitungsprozesse werden z.B. in Regionen mit den niedrigsten Arbeitskosten bearbeitet. Je komplexer die Aufgaben sich gestalten, desto mehr werden Büros mit hinreichendem Know-how in Nähe des Kunden beauftragt (vgl. Pinto et al. 2004, S. 37). Tschechien ist im Bezug auf Infrastrukturkosten, das stabile Wirtschaftsumfeld sowie das gute Ausbildungssystem führend unter den osteuropäischen Staaten. Polen und Ungarn weisen ein Kostenund Bildungsniveau ähnlich wie Tschechien auf, können allerdings im Hinblick auf das wirtschaftliche Umfeld, insbesondere in Fragen zum Schutz des geistigen Eigentums, nicht die gleiche Stabilität aufbringen. Die Regierungen beider Länder sind bemüht, das Investitionsklima, vor allem für High-Tech- und exportorientierte Industrien, weiter zu verbessern. So wird beispielsweise in Polen die Übernahme von Geschäftsprozessen ausländischer Unternehmen als wichtiger Exportzweig stark gefördert (vgl. A.t. kearney 2004b, S. 8f.). Ein genereller Nachteil dieser Länder sind die im Vergleich zu Indien oder China hohen Arbeitskosten. Darüber hinaus wachsen die Ökonomien der neuen EU-Länder schneller als die der westeuropäischen Nachbarstaaten, wobei die designierten EU-Mitglieder Rumänien und Bulgarien den Wettbewerb unter den osteuropäischen Outsourcing-Zentren zusätzlich verschärfen (vgl. Pinto et al. 2004, S. 37). Schätzungen zufolge wird sich vor allem der Markt in Rumänien für IT-Services in den kommenden Jahren rasant entwickeln. Zurzeit sind dort rund 450 ITDienstleister angesiedelt. Zwischen 1989 und 2001 zogen viele Fachkräfte in die USA oder nach Westeuropa, die nun in die Heimat zurückkehren, um in heimischen Firmen als erfahrene Projektmanager zu arbeiten (vgl. Handelsblatt 2004c). -
-
19.5 Ausblick Die rasanten Entwicklungen im Bereich Neue Medien, welche neue, standortübergreifende bzw. zwischenbetriebliche Formen der Zusammenarbeit geschaffen haben, vergrößern die absatz- und beschaffungsseitigen Spielräume für Unternehmen, konfrontieren diese aber auch mit neuen Herausforderungen. In Anbetracht der globalen Wettbewerbssituation stellt sich die Frage, welche Maßnahmen Unternehmen für eine Verbesserung ihrer Wertschöpfungskonstellation ergreifen und welche Wirkungen dies in Hoch- und Niedriglohnländern hervorruft. Ein Beispiel in diesem Kontext ist das Offshore-Outsourcing im IT-Bereich. Die Verlagerung von IT-Dienstleistungen basiert nicht nur auf Kostenüberlegungen, vielmehr fungieren auch höhere Qualitäts- und Prozesssicherheit sowie Markt- und Absatzmotive als Treiber. Deswegen ist
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Offshore-Outsourcing von IT-Dienstleistungen
Offshore-Outsourcing kein Phänomen, das unweigerlich einerseits zu einem Beschäftigungsrückgang in den Ursprungsländern und andererseits zu wirtschaftlicher Prosperität in den Offshore-Räumen führt. Die Wirkungsverflechtungen sind komplizierter und von vielen Einflussfaktoren in Abhängigkeit der jeweiligen Volkswirtschaften geprägt, wie die Beispiele Indien, China sowie Osteuropa zeigen. Als abschließendes Fazit ist festzuhalten, dass für viele Unternehmen in Zeiten wirtschaftlicher Rezession die Identifizierung von Kosteneinsparpotenzialen an oberster Stelle steht. Um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können, sind Unternehmen in steigendem Maße gezwungen, gerade im Dienstleistungsbereich vermehrt international zu kooperieren. Dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten, stehen Regierungen und Interessensverbänden vor dem Hintergrund der WTO-Bemühungen um eine Liberalisierung des Dienstleistungshandels langfristig wohl keine adäquaten Mittel zur Verfügung (vgl. z.B. Mattoo/Wunsch 2004). Entscheidend für die weitere Entwicklung der Industrieländer wird sein, wie diese an den Wertschöpfungsrochaden partizipieren können und ob es gelingt, neue Arbeitsplätze zu
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Teil E Unternehmen als Akteure im internationalen Wettbewerb
557
E: Unternehmen als Akteure im internationalen Wettbewerb
20 Unternehmensnetzwerke und Netzwerktheorie Angesichts der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen der letzten Jahre stellt sich die Frage, wie Unternehmen als Akteure auf neue Herausforderungen der Netzwerk-Gesellschaft (vgl. Castells 1996) reagieren. Das Schlagwort „Flexibilität" ist zu einem Dauerthema geworden, und die Unterscheidung zwischen großen, inflexiblen Firmen einerseits und anpassungsfähigen, kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) andererseits ist aufgrund vieler organisatorischer Restrukturierungsmaßnahmen nicht mehr so einfach. Die Grenze zwischen hierarchisch organisierten Großunternehmen und KMU, die vorwiegend marktbasierte Transaktionen tätigen, ist fließender geworden. Nach einem Überblick über die Transaktions- und Netzwerktheorie werden mit der Flexiblen Spezialisierung und der Dynamischen Flexibilisierung zwei Konzepte vorgestellt, welche gleichsam Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Agieren von Großunternehmen und KMU deutlich machen. Im Anschluss werden mit dem Begriff „Glokalisierung" räumliche Aspekte von Unternehmensorganisation und Produktionsnetzwerken thematisiert. 20.1
Unternehmensorganisation zwischen
Hierarchie und
Markt
„Over the past few years in particular we have witnessed the spread of a new paradigm, variously referred to as the network or associational paradigm. Whatever the shortcomings of this new paradigm it is clearly fuelled by the pervasive belief that 'markets' and 'hierarchies' do not exhaust the menu of organisationalforms for mobilising resources for innovation and economic development" (morgan 1997, s. 2).
Zwischen den beiden im vorstehenden Zitat genannten Extremen von Konzentration (Hierarchie) und marktbasierter Interaktion existiert eine beachtliche Bandbreite unterschiedlicher unternehmerischer Integrationsformen, welche durch ein MarktHierarchie-Kontinuum alleine nicht zu charakterisieren ist. Neben vertikaler Integration bzw. Desintegration, also der Frage der Einvor- und nachgelagerter Stufen des Produktionsprozesses, spielt horizontale Integration, d.h. die Verbindung von Unternehmen der gleichen Wertschöpfungsstufe, eine ebenso wichtige Rolle. Während schon seit langer Zeit vor allem Beteiligungen, Fusionen oder Akquisitionen (vgl. Kap. 15) für horizontale Integration genutzt werden, gewinnen angesichts von Fusionskontrollen und kartellrechtlichen Vorschriften heute andere Formen der Kooperation, wie z.B. Strate-
gliederung
558
20 Unternehmensnetzwerke und Netzwerktheorie
Allianzen (vgl. Kap. 22.6.1) zwischen konkurrierenden Unternehmen, zunehmend an Bedeutung. Man spricht hier von quasi-horizontalen Integrationen. Ähnliches gilt für Partnerschaften und Allianzen zwischen Kunden und Zulieferunternehmen, welche man als quasi-vertikale Integration bezeichnen kann.
gische
Die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen ist heute sicherlich nicht mehr mit rein fordistischen Organisationskonzepten und tayloristischen Prinzipien der Arbeitsteilung (vgl. Kap. 2.6.1) sicherzustellen. Um auf immer kürzere Produktlebenszyklen und sich schnell verändernde Märkte angemessen reagieren zu können, hat stattdessen eine zunehmende Flexibilisierung der Organisation vormals fordistisch geprägter, vertikal integrierter Konzerne stattgefunden. Das bedeutet allerdings nicht, dass damit ein Verlust an Einfluss und Macht dieser Unternehmen verbunden wäre. Viele Konzerne gingen zwar dazu über, ihr Imperium in formal selbständige Einheiten aufzugliedern, wodurch Entscheidungskompetenz nach unten verlagert und eine schnellere Reaktion auf Veränderungen ermöglicht wurde. Finanzielle und andere Entscheidungsfunktionen blieben jedoch häufig weitgehend beim Mutterkonzern. Auf diese Weise können spezifische Eigentums- und Wettbewerbsvorteile erhalten werden, ohne starre Hierarchien bewahren zu müssen.
Sobald die Grenzen zwischen Markt und Hierarchie verschwimmen, stellt sich die Frage nach den Grenzen eines Unternehmens und nach einer Erklärung, wann es für Unternehmen sinnvoll ist, Leistungen selbst zu erstellen oder von anderen erbringen zu lassen. Einen theoretischen Rahmen hierfür bildet die Transaktionskostentheorie.
20.1.1 Transaktionskosten als Determinante zwischenbetrieblicher
Arbeitsteilung Die grundsätzliche Frage, warum es eigentlich Unternehmen gibt, wenn doch nach der gängigen neoklassischen Wirtschaftstheorie der Preis- und Marktmechanismus Güter und Leistungen effizient alloziert, bildet in der Arbeit von Ronald Coase („The nature of the firm") von 1937 den Ausgangspunkt für die Entwicklung der Transaktionskostentheorie1. Die Tatsache, dass viele Leistungen innerhalb von Unternehmen erstellt und koordiniert werden, lässt sich nach Coase dadurch erklären, dass Markttransaktionen mit Kosten verbunden sind, welche diejenigen der Koordination innerhalb des Unternehmens übersteigen. Da sowohl marktlich als auch unternehmensintern gesteuerte Leistungserstellung Kosten verursacht, ist es die Kernhypothese des Transaktionskostenansatzes, dass ökonomische Institutionen so beschaffen sein sollten, dass die Transaktionskosten minimiert werden, die durch ihren GeDie Tranksaktionskostentheorie ist dem Bereich der neuen Institutionenökonomie zuzuordnen, deren vorrangiges Ziel die Analyse von Institutionen, wie z.B. Märkten, Organisationen, Normen etc., ist. Sie versucht, die Struktur, die Verhaltenswirkungen, die Effizienz und den Wandel von ökonomischen Institutionen zu erklären.
559
E: Unternehmen als Akteure im internationalen Wettbewerb
brauch entstehen (vgl. SCHILLER 1994, S. 3). Die Überlegungen von Coase griff ab den 1970er Jahren vor allem der Ökonom Oliver Williamson erneut auf. Von ihm stammt auch die gängigste Definition des Begriffes der Transaktion. Sie liegt dann vor,
wenn
(...) a good or a service is transferred across a technologically separainterface. One stage of activity terminates and another one begins" (williamson 1985, S. 1). „
ble
20.1.1.1 Verhaltensannahmen des Transaktionskostenansatzes Der Transaktionskostenökonomik liegen drei Verhaltensannahmen zugrunde, die sich vom neoklassischen Bild eines homo oeconomicus unterscheiden: •
Prinzip begrenzter Rationalität: Die Transaktionspartner handeln nur suboptimal, da sie nicht über die Gesamtmenge der notwendigen Informationen verfügen und ihre Kapazität, diese Informationen zu verarbeiten, beschränkt ist.
•
Opportunismus: Das Eigeninteresse der beteiligten Akteure ist jeweils so groß, dass bei der Ausgestaltung der Beziehungen zwischen den Partnern durchaus die Möglichkeit von Täuschungen, Zurückhaltung von Informationen oder List existiert (vgl. williamson 1993, S. 6). Opportunismus kann
sich dadurch erheblich auf die Höhe der Transaktionskosten auswirken, so dass die Unsicherheit über das Verhalten der anderen und deren Informationsstand zu einer sog. Informationsverkeilung führt. •
Risikoneutralität eine Annahme, die nur selten zeichnet die Risikobereitschaft der Akteure.
angesprochen wird
kenn-
-
-
Neben den Verhaltensweisen der involvierten Personen oder Personengruppen sind auch die Eigenschaften der Leistung, deren Erstellung koordiniert werden soll, die sog. Transaktionscharakteristika, für die Wahl der geeigneten Organisationsform von entscheidender Bedeutung. Es lassen sich drei Hauptmerkmale unterscheiden (vgl. Williamson 1990): •
Spezifität: „
(...)
Eine hochspezifische Transaktion liegt dann vor, das zur Produktion benötigte Sach- und Humankapital weit-
wenn
gehend spezialisiert ist, so dass von Geschäften zwischen Unternehmen keine merklichen Skalenerträge zu erwarten wären, die der Käufer (oder Verkäufer) nicht auch selbst erzielen könnte (durch vertikale Integration)" (Williamson 1990, S. 85).
Dabei lassen sich Standortspezifität, Sachkapitalspezifität, Humankapitalspezifität und kundenspezifische Vermögensgegenstände bzw. zweckgebundene Sachwerte unterscheiden (vgl. Williamson 1993, S. 14). Aus der Sicht der Unternehmensbeziehungen ist es sinnvoller, unspezifische Leistungen über den
20 Unternehmensnetzwerke und Netzwerktheorie
560
Markt zu koordinieren, auf dem die Nachfrage gebündelt wird und die Anbieter somit Skalenerträge erzielen können. Hochspezifische Leistungen hingegen sollten innerhalb des eigenen Unternehmens erstellt werden, insbesondere dann, wenn ihnen eine große strategische Bedeutung für das Unternehmen zukommt. Mit wachsender strategischer Bedeutung sind unternehmensinterne Koordinationsformen effizienter als Markttransaktionen, da bei letzteren hohe Überwachungs- und Kontrollkosten entstehen würden, welche innerhalb der Hierarchie vermieden werden können. •
•
Diese resultiert nicht zuletzt aus dem bereits genannten der Opportunismus Beteiligten und führt neben Such- und Informationskosten ebenfalls zu Kontroll- und Durchsetzungsaufwendungen. Je höher die Unsicherheit, desto eher wird die entsprechende Leistung unternehmensintern
Unsicherheit:
abgewickelt. Häufigkeit: Bei hoher Spezifität und Unsicherheit wird die vertikale Integration umso eher gewählt werden, je häufiger die Transaktion durchgeführt wird, da sich die Anfangsinvestitionen auf diese Weise schneller amortisieren als bei geringer Häufigkeit.
20.1.1.2 institutionelle
Transaktionsarrangements
Die alternativen Formen, mit denen die Organisation der Güterproduktion koordiniert werden kann, sind nach Coase einerseits das Unternehmen bzw. die Hierarchie und andererseits der Markt, d.h. Firmen können die Aufgabe von Märkten übernehmen und umgekehrt. Da aber Märkte keine Waren produzieren, sondern lediglich bereitstellen, ergibt sich das Problem, dass ohne die Existenz von Unternehmen als produzierende Einheiten keine Produktion stattfinden würde und damit keine Güter für den Marktaustausch vorhanden wären (vgl. Dietrich 1994, S. 17). Es geht im Rahmen der Transaktionskostenanalyse jedoch nicht um einen Güteraustausch im eigentlichen Sinne, sondern um die vertragliche Übertragung von Verfügungsrechten („property rights") zwischen den Teilnehmern arbeitsteiliger Wirtschaftssysteme (vgl. Mitzkat 1996, S. 35). Das bedeutet, dass jede Transaktion, gleichgültig ob auf dem Markt oder in Hierarchien, als Vertragsproblem dargestellt werden kann. Nach der Art dieser Verträge lassen sich deshalb unterschiedliche institutionelle Arrangements identifizieren, innerhalb derer die jeweils kostengünstigste Form von Transaktionen möglich ist. Im Allgemeinen wird zwischen drei Arten von Verträgen unterschieden (vgl. Williamson 1985, S. 69ff.; Hanke 1993, S.9 ff.): •
Klassische Verträge stellen die traditionellste Form der vertraglichen Zusammenarbeit dar und kommen vor allem bei standardisierten Produkten und Austauschbeziehungen, z.B. in der Form eines Kaufvertrages, vor. Leistung und Gegenleistung lassen sich exakt vorhersehen und festlegen, Unstimmigkeiten
561
E: Unternehmen als Akteure im internationalen Wettbewerb
•
•
können formal (z.B. über Gerichte) bereinigt werden. Neoklassische Verträge stellen im Gegensatz zu den klassischen Verträgen eine langfristige Vertragsform dar, bei der nicht alle Entwicklungen während der Laufzeit vorherzusehen und deshalb auch nicht vertraglich festgelegt sind. Eine dritte Partei überprüft die Einhaltung der Verträge und schlichtet in Streitfällen. Beispielhaft für den neoklassischen Vertragstypus wären etwa langfristige Liefer-, Franchising- oder Joint-Venture-Verträge. Relationale Verträge sind grundsätzlich unvollständig und stellen lediglich einen Rahmen für die langfristige Zusammenarbeit der Akteure dar. Hier können integrierte Verträge (innerhalb eines Unternehmens, d.h. die Organisationsform der Hierarchie) und bilaterale Verträge (zwischen zwei Unternehmen, d.h. die Organisationsform der Kooperation) unterschieden werden.
Die Häufigkeit von Transaktionen und bestimmte Investitionsmerkmale determinieren die Wahl der geeigneten Vertragsform (vgl. Abb. 20.1). Von der Art der Verträge wiederum hängt es ab, welche Organisationsform, d.h. welches institutionelle Arrangement gewählt wird, um Transaktionen durchzuführen. Abb. 20.1: Institutionelle Transaktionsarrangements in keit und Investitionsmerkmalen
Abhängigkeit von Häufig-
Investitionsmerkmale
nichtspezifisch Dl
SB
2§
gemischt
hochspezifisch
dreiseitige Kontrolle (neoklassischer Vertrag)
.00).
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